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Die
Tier- und Pflanzenwelt
des
Süsswassers.
Einführung in das Studium derselben.
Unter MiU\irkung von
Dr. C. Apstein (Kiel), Fr. Boreherding (Vegesack), S. Clessin (Ochsenfurt),
Prof. Dr. F. A. Forel (Morges, Schweiz), Prof. Dr. A. Gruber (Freiburg
i. Br.), Prof. Dr. P. Ba-amer (Halle a. d. S.), Prof. Dr. F. Ludwig (Greiz),
Dr. "W. Migula (Karlsruhe), Dr. L. Plate (Marburg), Dr. E. Schmidt-
Sch'wedt (Berlin), Dr. A. Seligo (Danzig), Dr. J. Vosseier (Tübingen),
Dr. W. Weltner (Berlin) und Prof. Dr. F. Zsehokke (Basel)
herausgegeben
von
Dr. Otto Zacharias,
Direktor der Biologischen Station am Grossen Plöner See in Holstein.
Zweiter Band.
Mit 51 in den Text gedruckten Abbildungen.
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Leipzig
Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
1891
Die
Tier- und Pflanzenwelt
des
Süsswassers.
Die
Tier- und Pflanzenwelt
des
Süsswassers.
Einführung in das Studium derselben.
Unter Mitwirkung \'on
Dr. C. Apstein (Kiel), Fr. Borcherding (Vegesack), S. Clessin (Ochsenfurt),
Prof. Dr. F. A. Forel (Morges, Schweiz), Prof. Dr. A. Gruber (Freiburg
i. Br.), Prof. Dr. P. Kramer (Halle a. d. S.), Prof. Dr. F. Ludwig (Greiz),
Dr. W. Migula (Karlsruhe), Dr. L. Plate (Marl)urg), Dr. E. Schmidt-
Schwedt (Berlin), Dr. A. Seligo (Danzig), Dr. J. Vosseler (Tübingen),
Dr. W. Weltner (Berlin) und Prof. Dr. F. Zschokke (Basel)
herausgegeben
von
Dr. Otto Zacharias,
Direktor der Biologischen Station am Grossen Plöner See in Holstein.
Zweiter Band.
Mit 51 in den Text gedruckten Abbildungen.
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Leipzig
Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
1891
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Alle Rechte vorbehalten.
Vorwort.
Nach der Aufnahme zu urteilen, welche der erste
Teil des vorliegenden Werkes in den nächst interessierten
Kreisen sowohl als auch in der Tagespresse gefunden
hat, ist mit unserer ,, Einführung in das Studium der
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers" eine in der
biologischen Litteratur wirklich vorhandene Lücke aus-
gefüllt worden.
Die Absicht des Herausgebers ist demnach voll-
ständig erreicht; aber mit der Befriedigung, die er
hierüber empfindet, wird sogleich auch der Wunsch
rege, sämtlichen Herren, welche der Aufforderung zur
Mitarbeiterschaft an diesem Buche in so freundlicher
Weise entsprochen haben, beim Erscheinen des Schluss-
bandes den verbindlichsten Dank für ihre wertvollen
Beiträge abzustatten. Der Unterzeichnete nimmt an.
VI Vorwort.
dass er damit nicht nur seinen eigenen Empfindungen
Ausdruck giebt, sondern zugleich auch im Namen
aller Derjenigen spricht, welche eine umfassende,
gemeinverständhche und sichere Unterweisung in
betreff der einheimischen Wasserwelt bisher vermisst
haben.
Biologische Station am Grossen Plöner See.
Ende September 1891.
Dr. Otto Zacharias.
Tiihaltsverzeichuis.
Seite
I. Die Hydrachniden (Wassermilben). Von Prof. Dr. P.
Kram er in Halle.
Geschichtliches. — Stellung der Süsswassermilben zu den übrigen
Milben. — Beschreibung der äussern Gestalt ^•on Piona ßavescens. —
Die hauptsächlichsten inneren Organe der Hydrachnidae. — Die typischen
Gruppen der "Wassemrilben, durch Beispiele erläutert. — Geogiaphische
Verbreitung und Lebensweise. — Entwickelung, erläutert an Nesaea
fuscata, Diplodonhis filipes und Hydrachtia globosa. — Anhang : Tabelle
zur Bestimmung der bis jetzt unterschiedenen Gattungen . . . . i — 50
II. Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers, besonders
der stehenden Gewässer. Von Dr. E. Schmidt-Schwedt
in Berlin.
Einleitende Bemerkungen. — Vergleich mit den Wassersäugetieren. —
Besondere Wichtigkeit von Atmung und Bewegung. — i. Käfer:
a) Taumelkäfer. — b) Schwimmkäfer. — c) Kolbenwasserkäfer. —
d) Parnus, Cyphon, Donacia. — 2. Zweiflügler : Larven und Puppen. —
Kennzeichnung derselben : a) Mücken : Culex, Anopheles, Dixa, Corethra,
Mochlonyx, Chironofntts, Tanypus, Sitmilia. — b) Phalacrocera. —
c) Stratiomyden. — d) Eristalis. — 3. Schmetterlingslarven: Paraponyx,
Hydrocampa, Cataclysta. — i^. Netzflüglerlarven: a) Frühlingsfliegen:
Limnophihis, Polycentropus, Hydropsyche. • — b) Sialis, Sisyra. —
57439
VIII Inhaltsverzeichnis.
Seite
5. Geradflüglerlarven: a) Libellen: Agrion-, Libellula-, ^^jcÄwa-Gruppe,
Calopteryx, Gomphus. — b) Eintagsfliegen: Chloeon, Caenis. —
c) Afterf riihlingsfl legen : Neimtra. — Gegensatz der Netzflügler und
Geradflügler hinsichtlich des Wasserlebens zu den übrigen Ordnungen. —
6. Schnabelkerfe: a) Hydrometriden. — ■ b) Notonecta, Plea. —
c) Corisa. — d) Nepa, Ranatra, Nauco?-is. — Schlusshetnerkungen :
Hinweis auf die Kerfe des Meeres. — Anhang: Tabelle zu annähernder
Bestimmung der Kerflarven des Süsswassers 51 — 122
Mi. Die Mollusken des Süsswassers. Von S. Clessin in
Ochsenfurt.
Einteilung der Mollusken. — Wohnorte und Gewohnheiten. — Ent-
wickelung und Alter der Mollusken. — Anpassungsfähigkeit der
Mollusken. — Die Mollusken der Tiefenfauna. — Hrihlen-Mollusken. —
Die Perlenmuschel 123 — 150
IV. Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhält-
nisse. Von Dr. A. Seligo in Heiligenbrunn bei Danzig.
Das Wasser als Lebenselement der Fische. — Das Süsswasser. —
Ausbreitung der Süsswasserfische. — Umgrenzung des zu besprechenden
Gewässergebietes. — Der Ursprung der Cypriniden und Salmoniden. —
Aufzählimg der im Gebiete vorkommenden Arten der Knochenfische,
Ganoidfische und Neunaugen und die Verbreitung derselben. — Die
Orgajie der Fische und ihie VerrichUmgen : Haut, Schuppen, Glanz,
Farbe. — Wirbelsäule. — Körperform. — Ortsbewegung, Flossen,
Muskeln. — Leibeshöhle, Zwerchfell, Brusthöhle, Herz, Leber, Nieren,
Milz. — Mundhöhle und Bezahnung. — Kiemen. — Atmung und
Sauerstoffbedürfnis, Fischregionen der Gewässer. — Darm und Magen. —
Verdauung. — Körpertemperatur, Einflüsse der Temperatur des
Mediums. — Nahrung, Fütterung, Wachstum. — Schwimmblase. —
Die Fortpflanzungsorgane und das Laichen. — Samenfäden und Eier. —
Fortpflanzung des Aals, des Lachses und der Forellen. — Künstliche
Fischzucht. — Teichwirtschaft. — Einführung ausländischer und Aus-
breitung einheimischer Fischarten auf künstlichem Wege. — Brut-
pflege. — Gehirn und Sinnesorgane : Auge , Hörorgan , Seitenorgan,
Geschmack und Geruch, Tastorgane. — Fischfang 151—208
Inhaltsverzeichnis. IX
Seite
V. Die Parasiten unserer Süsswasserfische. Von Prof. Dr.
Fr. Zschokke in Basel.
Allgemeines über den Parasirismus. — Verbreitung der parasitischen
Würmer der Wanderfische. — Zahl der Arten in den verschiedenen
Organen des Fischkörpers. — Aufzählung von 29 Fischarten und ihrer
Parasiten. — Nefnatoden (Fadenwürmer) : Cucullanus elegans , Ascaris
actts, Agamoneina capsularia. — Echitiorhynchen (Kratzer) : Echin.
Proteus, Echin. angustatus, Echin. clavaeceps. — Treniatoden (Saug-
würmer): Distoma latireattitn, Dist. globiporum, Dist. nodulostim. —
Diplozoon paradoxum , Gyrodactyliis elegans. — Cestoden (Band-
würmer): Caryophyllaeris mutabi/is, Cyathocephaltcs truncatiis, Triae-
nophorus nodulosus, Ligula simplii'issinia, Schistocephalus dimorphtis,
Botkriocephalus lattis 209 — 254
VI. Die quantitative Bestimmung des Planl(ton im Süss-
Wasser. Von Dr. C. Apstein in Kiel.
Einleitung. — Vertikalnetz. — Filtrator. — Konservierung. — An-
wendung der Apparate. — Volumenbestimmung. — Vorbereitung zur
Zählung. • — Stempelpipetten. — Das Hensensche Zählmikroskop. —
Zählung imd Protokoll derselben. — Ein Beispiel zur Methodik 255 — 294
VII. Die Fauna des Süsswassers in ihren Beziehungen zu
der des Meeres. Von Dr. Otto Zacharias in Plön
(Holstein).
Das Vorkommen von marinen Gattungen im Süsswasser. — Reükten-
seen. — Eine Meduse als Bewohnerin von Strandseen auf Trinidad. —
Die Einwanderung von Meeresticren in den Ortoire-Fluss. — Frei-
schwimmende MuscheUarven (Dreyssena polymorpha) im Süsswasser. —
Die Verbreitung der kleinen Wasserfauna durch „passive Wanderung". —
Der Süsswasser- il/oMo^iW. — Die „Fauna relegata" des Professors
Pavesi. — Der Transport kleiner Wasserorganismen durch Schwimm-
vögel, Wasserkäfer und strömende Luft. — Hakenborsten und Kleb-
zellen der Würmer als Anheftungswerkzeuge. — Das Wandern der
Wasserschnecken und Muscheln. — Spezialisierte Haftorgane bei
Protozoen (Difflugia) 295 — 312
X Inhaltsverzeichnis.
Seite
VIII. über die wissenschaftlichen Aufgaben biologischer
SüSSWaSSer- Stationen. Von Dr. Otto Zacharias in
Plön (Holstein).
Die Begründung der „Biologischen Station" zu Plön. — Vorteile eines
solchen Forschungsinstituts. — Die pelagischen Organismen des Grossen
Plöner Sees. — Die besonderen Aufgaben von Süsswasserstationen. —
Die Winterfauna unserer Binnenseen. — Beobachtung der Wasser-
insekten und der im Wasser lebenden Larven von Landkerbtieren. —
Erforschung der eigentümlichen Fortpflanzungsverhältnisse mancher
Turbellarien und Oligochäten. — Faunistische Exkursionen und ver-
gleichende Untersuchungen. — Praktische Gesichtspunkte. — Be-
schreibung der Plöner Station. — Die Erforschung der böhmischen
Gewässer durch Prof. Anton Fritsch 313 — 331
IX. Das Tierleben auf Fiussinseln und am Ufer der Flüsse
und Seen. Von Fr. Bolrcherding in Vegesack.'
Einleitende Bemerkimgen. — Die Säugetiere an und in dem Süss-
wasser. — Die Brutvögel. — Die Gäste auf dem Frühjahrs- [und
Herbstzuge. — Die Sumpfschildkröte, Emys europaea Gray. — Die
Anuren und Urodelen des süssen Wassers. — Die Fischfauna eines
Flusses, eines Geest- und eines Moorsees. — Die Mollusken an und
in den Gewässern. — Die niedere Tierwelt 333 — 369
Die Hydrachniden (Wassermilben),
Von Prof. Dr. P. Kramer in Halle a. d. S.
l^ie Hydrachniden oder Süsswassemiilben gehören mit ihren
auf dem Lande lebenden Verwandten jenem unermesslichen Heere
spinnenartiger Tiere an, welche im Systeme der Zoologen den
Namen Acarida tragen, mid deren Formenreichtum bei einem gewissen
gemeinsamen Grundzug der Gestalt ein ausserordentlich grosser ist.
Noch bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts waren es im
ganzen nur wenige Milben, auf welche sich die Aufmerksamkeit
der Beobachter gelenkt hatte. Sie gehörten zumeist den auf dem
Menschen vmd den Haustieren lebenden Schmarotzern an und
wurden um der Krankheiten willen, die sie hervorrufen, beachtet
und beschrieben. Die erste grössere Arbeit über andere Acarida
lieferte erst der sorgfältig beobachtende und scharfblickende dänische
Naturforscher O. Fr. Müller, indem er im Jahre 1781 eine grosse
Zahl der in Dänemark einheimischen Süsswassermilben abbildete
und die vortrefflichen Abbildungen durch kurze Erklärungen
erläuterte. So war es also gerade die uns beschäftigende INIilben-
gruppe, welche zuerst mit einer für lange Zeit unerreichten Voll-
ständigkeit behandelt worden ist.
INIanches Jahrzehnt hindurch geschah darnach für die nähere
Kenntnis der Acariden wenig Entscheidendes. Erst die Arbeiten
Duges' 1834 und des Forstrats C. L. Koch 1837 — 1850 be-
zeichnen einen neuen wesentlichen Fortschritt. So brachte
namentlich des ersteren eingehende Darstellung die Kenntnis der
Entwickelung von Hydrachna globosa, während letzterer durch die
4 Die Hydrachniden.
grosse Zahl der von ihm beobachteten Milben, unter denen sich
auch sehr zahlreiche Süsswassermilben befanden, zuerst überhaupt
eine Vorstellung von dem Reichtum der Milbenklasse gab, wenn
auch freilich die nicht hinreichende Genauigkeit seiner Abbildungen
und Beschreibungen dem Systematiker noch heute viel Mühe
bereitet.
In der neuesten Zeit ist den Acariden ein immer grösseres
Interesse entgegengebracht worden, wenn auch lange noch nicht
in dem Masse, als es die in mehr als einer Hinsicht merkwürdige
Lebens- und Entwickelungsgeschichte derselben verdient. Allerdings
sind die Beobachtungsobjekte meist sehr klein und schwierig zu
behandeln und daraus mag sich der im ganzen langsame Fortschritt
unserer Kenntnis über diese Tiergruppe erklären. Die Süsswasser-
milben bilden aber noch die am wenigsten Schwierigkeiten bietende
Gruppe und laden durch ihre zierliche Gestalt und Munterkeit des
Wesens, auch durch verhältnismässige Grösse zur Beobachtung ein.
Auch sind sie fast überall reichlich zu finden, wo nur irgend
fliessendes oder stehendes Wasser Jahr für Jahr vorhanden ist.
Die meisten anderen Milben bleiben unserem Auge in der
Regel verborgen , obwohl es kaum einen Ort geben dürfte , wo
einem genaueren Beobachter nicht irgend ein charakteristischer Ver-
treter dieser Tiergruppe begegnete. Zumeist möchte wohl eine
feuchte Umgebung dem Leben dieser der Mehrzahl nach zarten
Geschöpfe günstig sein, aber doch wird man auch an den kahlen,
in trockenster Luft des Sommers am Wege liegenden Steinen nicht
umsonst nach einer mit zierlichem Stechapparat versehenen blau-
roten Acaride (Bryobia speciosa) suchen, der sich noch manche
Vertreter unserer zierlichen Panzermilben (Oribatidae) anschliessen.
Milben finden sich unter Laub und Steinen, im Moose und auf
den Blättern der Bäume, auf und unter ihrer Rinde und im an-
brüchigen Holze, auf und unter der Haut zahlreicher kalt- und
warmblütiger Tiere, auf den Federn der Vögel, ja sogar in den-
selben: wo sich nur überhaupt irgendwelche Nahrung darbieten
mag, sei sie natürlichen oder künstlichen Ursprungs, überall be-
gegnen wir Milben, ihre Leibesgestalt oft in wunderbarer Weise
Die Hydrachniden. 5
dem Aufenthaltsort anpassend und ihre Lebensgewohnheiten ein-
richtend nach den Bedingungen, die derselbe bietet.
Bei der immer noch vorhandenen sehr unvollständigen Kennt-
nis auch unserer heimatlichen INIilben ist es noch nicht möglich
gewesen, eine sogenannte natürliche Anordnung dieser Tiere vor-
zunehmen, d. h. eine solche, bei welcher die Abstammung, die
gegenseitige Verwandtschaft ausschlaggebend ist, doch heben sich
schon einige grössere Verwandtschaftskreise aus dem Schwärm der
überhaupt hierhergehörigen Tiere ab. So bilden die soeben schon
erwähnten Panzermilben, denen jeder Sammler am häufigsten im
Moose begegnet, einen in sich völlig abgeschlossenen Stamm. Sie
sind reine Landbewohner, und wenn man auch in jüngster Zeit im
Meere einige Vertreter gefunden haben will, so ist das doch mit
Vorsicht aufzunehmen. Ebenso stellen die Gamasidae, diejenigen
Milben, zu welchen die auf den Dungkäfern so häufig scharenweise
anzutreffenden braunen Acariden gehören, eine wohl abgeschlossene
Gruppe dar. So vielgestaltig aber auch die Wohnstätten derselben
sind, in das WasseJr ist doch keins davon hinabgestiegen. Zwar
hat man einen ihrer Vertreter in den wohl gewiss mit Wasser
stets und reichlich bespülten Nasengängen einer Seehundsart auf-
gefunden, auch haben eifrige Naturforscher unter den durch die
Flutwelle regelmässig überspülten Steinen des Seestrandes einige
Gamasiden entdeckt , , aber wirkliche Wassertiere haben wir damit
doch nicht vor uns. Nicht besser steht es mit den zahllosen
Geschlechtern der die Haut und die Federn der Vögel oder die
Haare der kleinen Säugetiere bevölkernden Milben (Sarcoptidae)
oder denjenigen, welche dem grossen Stamm der durch die Mehl-
milbe gekennzeichneten Acariden (Tyroglyphidae) angehören. Wenn
sie auch meist der Feuchtigkeit als einer notwendigen Voraussetzung
ihres Lebens bedürfen, so sind sie doch niemals Bewohner unserer
Teiche und Flüsse geworden. Einzig imd allein diejenige Gruppe
unter den INIilben, denen ich die allgemeine Bezeichnung Vorder-
atmer gegeben habe, weil sie ihre beiden kleinen Luftlöcher ganz
vorn an dem kegelförmig hervorspringenden Mundabschnitt führen,
bietet uns Beispiele von auch dem Leben im Wasser angepassten
6 Die Hydrachniden.
t
Milben dar. Diese Vorderatmer werden am besten durch die so
häufig in unseren Gärten am Fusse der Obstbäume anzutreffende
Samtmilbe (Tromhidiiim fiiliginosum) veranschaulicht. Trombidium-
artige Milben also sind es , welche in grosser Zahl die süssen
Gewässer, nur mit wenigen Arten die See bewohnen.
Eine Naturgeschichte dieser Hydrachniden muss vor allen Dingen
ein Bild der äusserlich wahrnehmbaren Gestalt entwerfen und so
maof sich denn zunächst darauf die Aufmerksamkeit richten.
•*»
Ein Zug mit dem Fangnetz durch das klare Wasser eines
Teiches fördert in der Regel ausser zahlreichen kleinen Krustern
auch manche undurchsichtige und durchsichtige Hydrachnide zu-
tage. Wir entnehmen eine Milbe der letzteren Sorte, es ist eine
Fig. I.
Pioiia ßavescens, von der Seite gesehen.
Piona ßavescens , und betrachten sie, nachdem sie in ein Uhr-
gläschen übergeführt ist, zunächst mit der Lupe.
Der rundliche Rumpf ist, wie wir bald bemerken, ungeteilt,
oben hochgewölbt, unten abgeflacht, so wie Fig. i es zeigt. Bei
den meisten Hydrachniden hat er diese Gestalt, nur ausnahms-
weise treffen wir einen flachen Rumpf, einen stark in die Länge
gezogenen, oder einen durch besondere Anhänge am hinteren
Rande ausgezeichneten. Der vorderen Hälfte der Unterfläche ent-
springen die acht Füsse.
Die Hydrachniden. 7
\
Wie schlank und zierlich sind diese hellen völlig durchsichtigen
Füsschen, die das Tier oft in ganzer Länge von sich streckt und
so eine Zeitlang still und unbeweglich liegen bleibt, um mit einem
plötzlichen Ruck eine Strecke fortzueilen. Wieder liegt es still da
und fängt nach einer kurzen Ruhe an langsam auf dem Grunde fort-
zukriechen. Jetzt eilt es wieder, sich wie im Wirbel überschlagend,
in hastiger Bewegung eine Strecke fort, um bald zu ruhen, bald
lano-sam im Wasser zu wandeln.
Betrachten wir die einzelnen Füsse noch genauer, so fallen
besonders an den hinteren Paaren lange, seidenglänzende Haar-
borsten auf, welche gedrängt stehen und leicht beweglich sind. Die
zahlreichsten bemerken wir am vorletzten und drittletzten Gliede
der beiden hinteren Fusspaare. Es sind dies die für unsere Süss-
wassermilben ganz besonders charakteristischen Schwimmborsten,
und von ihrer Anzahl, ihrer Breite und Stellung hängt zum gi'ossen
Teil die Gewandtheit und Schnelligkeit ab, mit der sich die Tierchen
im Wasser bewegen. Als Regel können wir annehmen, dass bei den
erwachsenen INIilben die vorderen Füsse nur wenige, die hinteren
dao-eo-en zahlreiche Schwimmborsten führen, und dass wiederum an
jedem Fusse, der überhaupt welche besitzt, das vorletzte Glied die
meisten, die dem Körper näheren Glieder immer weniger solche
Borgten tragen. Ausnahmen von dieser Regel sind allerdings
beobachtet. So bemerkt man, dass bei einer der grössten ein-
heimischen Arten, einer der schnellsten und gewandtesten Schwimme-
rinnen, Eylais extendens , welche als tiefrote Jägerin die Wasser
durcheilt, das vierte Fusspaar gar keine Schwimmborsten besitzt.
Das Tier hat sich daher gewöhnt, den letzten Fuss jeder Körper-
seite beim Schwimmen ruhig nach hinten gestreckt zu tragen. Diese
Haltung giebt ein untrügliches Erkennungsmittel für die soeben
namhaft gemachte, in unseren stillstehenden Gewässern häufigere
Milbe ab. Einigen Wassermilben fehlen die Schwimmborsten sogar
gänzlich. Sie sind dadurch gezwungen, eine durchaus kriechende
Lebensweise zu führen, und leben meist im Schlamme verborgen.
Wie wenig übrigens der Besitz oder Mangel von Schwimm-
borsten eine Verwandtschaft zwischen manchen in diesem einen
3 Die Hydrachniden.
Punkte übereinstimmenden Milben mit sich bringt, beweisen zwei
Gattungen, deren Vertretern die Schwimmborsten fehlen, nämlich
Bradybatcs und Limnochares (die Tiefschreiter und Schlamm-
freunde). Diese Milben sind in ihrer ganzen Erscheinung ausser-
ordentlich verschieden von einander. Erstere möchte wohl als das
Urbild einer, der Lebensweise im Wasser angepassten Samtmilbe
angesehen werden können, so vollständig wiederholt sie Zug um
Zug die Gestalt dieser Landmilbe. Ganz anders bietet sich
Limnochares dem Beobachter dar. Ein unförmlicher linsengrosser
roter Klumpen, welcher mühsam von den auffallend kurzen dünnen
Füssen fortgeschleppt wird und das langgezogene schnabelförmige
Mundstück beim Zurückziehen ganz in sich aufzunehmen vermag,
ist sie ganz darauf angewiesen, dass die Tragkraft des Wassers
ihre Muskeln bei der Fortbewegung ihres Leibes unterstützt.
Hervorgehoben mag noch werden, dass das Schwimmborsten-
system am ausgebildetsten bei den Hartmilben des süssen Wassers,
den Hartschwimmem, deren hervorstechendste Gattung Arrenurus
(Hartschwanz) ist, gefunden wird. Hier zeigt jeder der beiden
Hinterfüsse eine doppelte Reihe solcher Borsten.
Steht es nun auch gewiss fest, dass die Schwimmfertigkeit
durch die Schwimmborsten wesentlich bedingt ist, so beweist doch
die Beobachtung derjenigen Milben, welche die tiefen Regionen des
Genfersees bewohnen, dass damit die Frage nach den Gründen
des Schwimmens noch nicht ganz erledigt ist. Dort im Genfersee,
und vermutlich auch in anderen sehr tiefen Seen der Schweiz, hat
Prof. Forel in den tiefsten Schichten eine Hydrachnide gefunden,
welche sich trotz aller vorhandenen Schvi-immborsten nicht . imstande
zeigt, den Boden zu verlassen und schwimmend die Oberfläche zu
erreichen. Wird eine solche Milbe in ein noch so flaches Gefäss
gethan, so vermag sie nur auf dem Boden zu kriechen. Wird ihr,
wenn man sie an die Oberfläche gezogen hat, der Unterstützungs-
punkt genommen, so sinkt sie trotz allen Fussbewegungen, die sie
ausführt, doch auf den Boden zurück. Offenbar hat sie sich unter
dem Einfluss des bereits erheblichen Wasserdrucks auf dem Boden
des Genfersees entwöhnt, von ihren Schwimmborsten einen richtigen
Die Hydrachniden. 9
Gebrauch zu machen, sie hat ihre Füsse niemals im Schwimmen
sreübt und hat so, trotz den vorhandenen Schwimmborsten, die zum
Schwimmen notwendigen kräftigen Bewegungen dauernd verlernt.
Es scheint also auch ein richtiger Gebrauch der sonst zum Schwim-
men hinreichend ausgerüsteten Füsse vorausgesetzt werden zu
müssen, damit die Schwimmborsten eine dem Wasser hinreichenden
Widerstand entgegensetzende Fläche bilden und so die Fort-
bewegung bewirken können.
Wir wenden uns nun wieder der Gestalt unserer PioJia zu.
Während die gewölbte Oberseite derselben dem beobachtenden
Blick ausser den deutlich wahrnehmbaren dunklen Augenpunkten
wenig bietet, wird er, nachdem man die Milbe auf den Rücken
gelegt hat, bei Betrachtung der Unterseite von einigen besonderen
Organen gefesselt.
Auf der Bauchfläche bemerkt man nämlich vier von einander
getrennt stehende härtere Hautplatten, und an jeder sind zwei
Füsse eingelenkt*). Bei näherer Betrachtung ergiebt es sich, dass
jede der Platten aus zwei mit einander verschmolzenen Plättchen
zusammengesetzt ist und dass jedes der acht Plättchen die Gelenk-
höhle für das Hüftglied je eines der acht Füsse trägt. Wir nennen
die Plättchen die Hüftplatten der Füsse oder die Epimeren. Unsere
Piona ßavescens lässt erkennen, dass die Hüftplatten für die beiden
vierten Füsse, rechts und links, die umfangreichsten sind. Das ist
nicht immer der Fall. Überhaupt finden wir in der Ausbildung
und gegenseitigen Gruppierung dieser Epimeren eine so ausser-
ordentliche Mannigfaltigkeit, dass nicht mit Unrecht die hieraus
sich ergebenden Unterschiede zur schärferen Trennung der Gattungen
verwendet worden sind.
Zwischen den Epimeren der beiden vorderen Füsse befindet
sich der Mundapparat, in der Regel gestützt durch eine vermutlich
als Unterlippe zu deutende, erhärtete Platte. Diese Platte trägt
zunächst die meist fünfgliedrigen Taster.
*) Vergleiche auch Fig. 3^5. 39.
\Q Die Hydrachniden.
Dieselben, dienen wohl hauptsächlich dem Gefühlssinn, werden
aber auch zum Festhalten der Beute benutzt. Die Mundöffnung
selbst wird in der Regel in der Tiefe eines oben offenen, eine
kurze Halbröhre darstellenden kopfähnlichen Anhangs gefunden, in
welchem sich als wesentlichstes Mundwerkzeug die Kaukiefer ein-
gelassen finden. Diese Kiefer bilden einen wichtigen Anhalt zur
Unterscheidung grösserer Abteilungen unter den Süsswassermilben,
indem sie bei einigen Gattungen eingliedrig sind und die Gestalt
eines kräftigen nach vorn gerichteten Stachels haben, bei anderen
dagegen aus zwei Gliedern bestehen, von denen das zweite einer
mit der Spitze nach oben gewendeten Klaue oder Kralle gleicht.
Ganz derselben Verschiedenheit begegnet man auch bei derjenigen
Gruppe der Landmilben, welche ich bereits oben als die den Süss-
wassermilben am nächsten stehende bezeichnet habe, bei den
Trombididen.
Was für Gliedmassen oder Teile ausserdem noch zu dem
Mundapparat gehören, ist noch durch weitere Beobachtungen genauer
zu erforschen. Es giebt nach Ansicht einiger Beobachter noch ein
zweites Kieferpaar, welches dieselben in gewissen verhärteten Stäb-
chen entdeckt zu haben glauben, während andere diese Deutung
jener Stäbchen leugnen. Es ist daher auch die verwandtschaftliche
Stellung der Milben durchaus noch nicht allgemein festgestellt. Die
einen, z. B. G. Hall er, wollen sie zu den krebsartigen Tieren ziehen,
indem das Vorhandensein einer grössern Anzahl von Kiefern dafür
geltend gemacht wird. Die anderen sind der INIeinung, dass die
Milben den spinnenartigen Tieren zuzuzählen sind. Sicherlich kann
hierüber ledis^lich aus anatomischen Gründen ein sicheres Urteil
nicht gezogen werden, vielmehr muss die Entwickelungsgeschichte
ein entscheidendes Wort mitsprechen. Vielleicht gelingt es zunächst
aus den an Gamasiden noch anzustellenden Beobachtungen, hierüber
mehr Licht zu verbreiten.
Auf der Unterseite unserer Milben* begegnen wir nun noch
der Geschlechtsöffnung und der Afteröffnung. Umfangreich, wenig-
stens beim weiblichen Geschlechte, ist die erstere, meist punktförmig
klein die zweite, jedoch fehlt letztere nirgends, wie irrtümlich
Die Hydrachniden. 1 1
behauptet worden. Die Geschlechtsöffnung ist bei den allermeisten
Gattungen von eigentümlichen, entweder napfartigen oder poren-
artigen Gebilden begleitet, welche meist neben ihr zu Gruppen
vereinigt auf besonderen verhärteten Plättchen aufgestellt oder in die
weiche Haut eingebettet sind, in einzelnen Fällen aber auch auf
der innern Fläche der die Öffnung schliessenden Klappen ihren
Platz gefunden haben. Die Abbildung dieser Gebilde, wie sie sich
beim INIännchen und Weibchen von Nesaca fuscata finden, in
Fio-. 3 / und k, giebt wohl eine hinreichend deutliche Vor-
stellung davon. Stehen diese sogenannten Haftnäpfe neben der
Geschlechtsöffnung, so dürften sie kaum noch ihrem Zweck als
Haft- oder Tastorgan genügen, finden sie sich dagegen auf der
innern Deckklappenfläche, so ist ihre Funktion noch unbeeinträchtigt.
Die einzelnen Gattungen der Wassermilben zeigen in der Zahl,
Anordnung und Grösse dieser Näpfe eine so ausserordentliche Ver-
schiedenheit, dass sie hierdurch häufig mit grosser Leichtigkeit von
einander unterschieden werden können. Es gehören diese Haft-
näpfe zu einer ganz besonders charakteristischen Eigentümlichkeit
gerade unserer Süsswassermilben, so dass es gerechtfertigt erscheint,
noch einen Augenblick bei ihnen zu verweilen. Es sind offenbar
umgebildete Oberhautporen. Betrachtet man nämlich die Oberfläche
einer Süsswassermilbe genauer, so findet man dieselbe mit einer
Anzahl regelmässig verteilter grösserer Porenöffnungen versehen,
welche meistens zu kleinen, häufig aber auch sehr umfangreichen
Hautdrüsen führen. Bei sehr vielen Milben ist die nächste Um-
gebung einer solchen Pore verhärtet, so dass dort eine kleine Platte
in die Haut eingelassen scheint, auch wird die Öffnung regelmässig
von einer Haarborste begleitet. Diese Hautdrüsen mögen wohl
eine Flüssigkeit absondern, welche anderen Wassertieren Ekel erregt,
so dass sie die Wassermilben nicht verspeisen mögen. Hat man
doch beobachtet, dass unsere Milben von den Fischen verschmäht
werden. Welchen Vorrat an solcher Flüssigkeit diese Hautdrüsen,
wenn sie enorm entwickelt sind, enthalten, lässt sich bei den Hart-
müben (Arrenuriis) erkennen. Wird eine solche in Spiritus gelegt,
so fährt nach kurzer Zeit der Drüseninhalt wie ein langer sich
\2 I^i^ Hydrachniden.
kräuselnder Faden aus der Pore hervor, so dass die ganze Milbe
völlig eingewickelt wird. Nun ist es wohl nicht falsch geurteilt,
wie bereits oben angedeutet wurde, wenn wir annehmen, dass die
Haftnäpfe auf der Unterseite des Hinterleibes ursprünglich solche
Hautdrüsenöffnungen gewesen sintl. Die ursprünglichen Drüsen-
gebilde sind aber in Haftorgane umgewandelt und dementsprechend
hat sich die Öffnung samt der Platte, in welcher sie steht, um-
gestaltet. Meistens bemerkt man noch deutlich innerhalb des
Umrisses eines solchen Napfes die Porenöffnung. In anderen Fällen
ist sie aber auch schon geschwunden, was darauf hindeutet, dass
das Organ seine Funktion wieder eingebüsst hat.
Wenn ich soeben bemerkte, dass diese Haftnäpfe eines der
wesentlicheren Merkmale unserer Süsswassermilben darstellen, so ist
damit dennoch nicht gesagt, dass es unter ihnen nicht auch solche
gäbe, die überhaupt dieser Organe entbehrten. Die Mannigfaltigkeit
der Formen, die wir allerwärts im Tierreiche finden und die dem
ordnenden Zoologen oft so viele Schwierigkeiten entgegenstellt, findet
sich auch bei den winzigen, das süsse Wasser belebenden Acariden.
Die Kräfte der Natur lassen sich in kein Schema und System
zwingen, sondern gestalten die Formen nach den vorhandenen
Lebensbedingungen aus. So mag es denn wohl sein, dass die
Masse der das süsse Wasser bevölkernden Milben aus mehreren
verschiedenen Hauptstämmen erwuchs, deren Ursprung wir nicht
mehr deutlich unterscheiden können. Der eine Stamm, der
namentlich alle schwimmenden Süsswassermilben umfasst, hat Haft-
näpfe auf der Bauchfläche erzeugt, der andere, zu denen einige
kriechende Gattungen zu rechnen wären, hat solche Näpfe nicht
hervorgebracht. Es ist auch bemerkenswert, dass die ersten Larven-
stadien, also die eben dem Ei entschlüpften Jungen, keine Haft-
näpfe besitzen.
Im Vorhergehenden sind die wesentlichsten Organe und die
hauptsächlichsten Erscheinungen der äussern Gestalt kurz berührt.
Es wird später sich noch Gelegenheit bieten, manches, was jetzt
übergangen werden musste, so z. B. die besonderen Kennzeichen
und Abzeichen der Männchen im Gegensatz zu den Weibchen, zur
Die Hydrachniden. ]^3
Sprache zu bringen und so das Bild der äussern Gestalt zu ver-
vollständigen. Auch die Beschaffenheit der äussern Körperhaut, ob
sie hart oder weich ist, ob glatt oder mit Fortsätzen versehen, hat
wohl für die Beurteilung der äussern Gestalt im weitern Sinne
Bedeutung, kann jedoch in einer nur kurz schildernden Darstellung
bloss andeutungsweise berührt werden. Ebenso ist es mit dem
Grössenverhältnis der Glieder zum Rumpfe, indem nur erwähnt
werden kann, dass der Rumpf wie bei Atax gegen die ungemein
grossen Füsse fast verschwindet, während bei anderen Gattungen,
wie beispielsweise Axona, die Füsschen kaum über den Rand des
Rumpfes hervorragen. Dies Alles und manches Andere würde
einer Spezialgeschichte der Hydrachniden Stoff zu ausführlichen
Betrachtungen geben. Wir aber verlassen die äussere Gestalt und
wenden uns einer weitern wichtigen Angelegenheit zu, der Dar-
stellung der inneren Organe.
Die inneren Organe sind in neuester Zeit mehrfach eingehend
beobachtet und beschrieben worden. Wir finden in der Res:el eine
sehr feine, nach hinten sich erweiternde Speiseröhre, deren vorderer
Abschnitt zu einem Saugapparat umgewandelt ist, indem Muskel-
stränge sich an der obern und untern Röhrenfläche ansetzen, welche
diesen Teil des Organs abwechsebid erweitern und verengern können.
Der Magen ist sehr umfangreich und besitzt bis fünf bliiKisackartige
Ausstülpungen, deren Oberfläche mit einer Schicht von Leberzellen
ausgerüstet ist. Der Enddarm ist in der Regel wiederum ein
Kanal von ziemlicher Enge. Die Speiseröhre steht in ihrem vor-
dersten Abschnitt in Zusammenhang mit den nicht unerheblichen
Speicheldrüsen. Diese sind in der Regel in mehrfacher Anzahl
vorhanden, führen jedoch immer nur jederseits zu einer einzigen
Ausflussöffnung. Der Enddarm seinerseits nimmt in seinem letzten
Abschnitt den Ausführungsgang der charakteristischen Exkretionsdrüse
auf, welche bei allen Milben zu einer so ausserordentlichen Ent-
wickelung gelangt ist. Diese Drüse liegt oberhalb des Magens und
besitzt einen längeren Hauptstamm, welcher sich etwa in der Mitte
des Rückens in zwei Äste gabelt. Da der Inhalt dieser Exkretions-
drüse merklich durch die Haut der INIehrzahl der Hydrachniden
I 4 Die Hydrachniden.
hindurchschimmert, so hat sie von jeher die Aufmerksamkeit der
Beobachter erregt, aber auch solche, die auf die Färbung der
Milben ein allzugrosses Gewicht legten, oft irregeführt, da je nach
der Füllung der Farben eindruck ein sehr verschiedener sein kann.
Das Atmungssystem wird' bei den Hydrachniden durch zwei
in ausserordentlich zahlreiche Tracheenfäden auseinanderfahrende
Tracheenstämme dargestellt, welche in einem Paar von Luftlöchern
ausmünden. Diese letzteren liegen zwischen den Einlenkungsstellen
der Kiefer in einer kleinen Platte. Der Hauptstamm jeder Trachee
ist mit einem Spiralfaden versehen, während die zarten Tracheen-
fäden selbst keine solchen besitzen.
Das Tracheensystem tritt auch bei den Hydrachniden gerade
so wie bei allen anderen Milben, wo es überhaupt zur Ausbildung
gelangt, erst nach der ersten Häutung auf, die sechsfüssigen Larven
besitzen noch keine Andeutung davon. Die Luftatmung der Wasser-
milben giebt uns hier nun Veranlassung, einen kurzen Blick auf
andere luftatmende Wassertiere zu werfen.
Vergleicht man das Betragen der hierher gehörigen verschiedenen,
dem niedern Tierreich angehörenden Bewohner des süssen Wassers,
so bemerkt man bald einen sehr in die Augen fallenden Unter-
schied. Die Wasserkäfer z. B. und die Mehrzahl der Wasserwanzen
vermögen nur kurze Zeit zu tauchen. Immer wieder müssen sie
die zum Atmen notiere Luft unmittelbar aus der über dem Wasser
stehenden Atmosphäre schöpfen und deshalb häufig die Oberfläche
aufsuchen. Auch vielen Mückenlarven geht es nicht besser, sie
fahren unruhig bald in die Höhe, bald in die Tiefe. Dagegen sind
die in das Wasser eingewanderten Milben völlig und ausschliesslich
Wassertiere geworden. Sie bleiben stets unter der Oberfläche,
trotzdem dass sie ein ausgebildetes Luftatmungssystem besitzen.
Sie hüllen sich auch nicht etwa, wie zahlreiche Uferkäfer und die
merkwürdige grosse Wasserspinne (Argyroneta aquatica), in einen
dichten Mantel von Luft, den sie unausgesetzt mit sich führen und
immer wieder erneuern, sondern leben gerade wie die Larven von
zahlreichen Libellen, Frühlingsfliegen und Mücken nur und allein
im Wasser. Ihr Luftröhrensystem ist trotzdem, dass sie niemals
Die Hydrachniden. ]^5
die Oberfläche aufsuchen, mit Luft durchaus angefüllt. Es weist
uns diese Beobachtung auf einen wohl noch nicht ganz aufgeldärten
Naturvorgang. Die Frage, auf welche Weise die Luft in die
Atmungskanäle der Süsswassermilben gelangt und wie sie sich, nach-
dem sie etwa durch Atmen verbraucht worden ist, wieder erneuert,
ist es, welche dabei noch der Lösung harrt. Unter ganz ähnlichen
Verhältnissen atmen die durchsichtigen Larven der bei uns häufigen
Büschelmücke (Corcthra plumicornis) . Bei dieser hat der bekannte
Zoologe A. Weissmann zuerst beobachtet, dass in den beiden
grossen Paaren von Luftsäcken, welche dem Tier zur Aufrecht-
erhaltung des Gleichgewichts beim Schwimmen zu dienen scheinen,
die Luft während eines bestimmten Zeitpunktes der Entwicklung
ganz von selbst auftritt, ohne dass in der Wandung jener Blasen auch
nur die geringste Öffnvmg vorhanden wäre oder irgend eine Ver-
bindung derselben mit der Oberhaut des Tieres bestünde. Die
Luftfüllung tritt plötzlich auf und verbleibt dann in den Blasen.
Bei den Wassermilben, welche nach der ersten Häutung zahlreiche
Tracheen besitzen, könnte es vielleicht ebenso sein, indem die Luft
sich ganz von selbst innerhalb der vorher mit Flüssigkeit angefüllten
Luftkanäle bildet. Denn es ist in der That schwer denkbar, dass
die im Wasser verteilte Luft sich in die feine Ausmündimgsstelle
der Luftkanäle eindrängen könne, um von da aus in die zuletzt
überaus feinen Fäden zu gelangen. Ein Saugapparat ist bisher an
den Atmungsröhrchen noch nicht beobachtet imd allein ein solcher
könnte die Luft dazu vermögen, die Flüssigkeit aus den Luftröhren zu
verdrängen. Genug, wir erwarten von der Zukunft hier, wie noch für so
manche Vorkommnisse, eine befriedigende Erklärung der Thatsachen.
Die Hydrachniden sind getrennten Geschlechtes. Die samen-
erzeugenden Organe des JMännchens sind wohl in der Regel paarig
und haben einen gemeinsamen Ausführungsgang, welcher mit einem
besondern Besattunefsorsfan versehen ist. Die Eierstöcke der Weib-
chen sind zwar auch paarig, jedoch sind sie mit ihren Enden derart
verschmolzen, dass sie ein einziges ringartiges Organ darstellen; die
beiden Eileiter sind jedoch zunächst getrennt und bilden erst kurz
vor der Geschlechtsöffnung einen kugeligen Uterus.
J^ß Die Hydiachniden.
Das Nervensystem besteht in einem zentralen sogenannten
Schlundganglion und den von diesem ausgehenden Nervensträngen.
Das Schlundganglion wird der Länge nach von der Speiseröhre
durchsetzt, wodurch es in ein oberes und ein unteres geteilt wird,
die indes so nahe an einander gerückt sind, dass sie eine gemein-
same Masse bilden, an welcher keine Schlundkommissur auffind-
bar ist*).
Vom obern Schlundganglion gehen die Nerven zu den Augen
und den Mundteilen, von dem untern dagegen zu den Füssen und
den Geschlechtsorganen. Die Nervenfäden spalten sich übrigens
häufig und lösen sich mit Ausnahme der Augennerven in eine
Fülle von überallhin sich verbreitenden Nervenfasern auf
Das Nervensystem möge uns noch einen Augenblick länger
fesseln. So Idein und zum Teil winzig unsere Süsswassermilben auch sind,
so entbehren sie doch der die Aussenwelt auffassenden Sinne nicht.
Gesichts- und Gefühlssinn haben sogar eine hohe Entwickelungsstufe
erreicht. In der Regel finden wir bei den Hydrachniden zwei Paare
von Augen. Diese stehen entweder weit von einander getrennt,
wie bei jener oben genauer besprochenen /'/o/za^ oder sie sind auf der
Mitte des Vorderrückens dicht an einander gestellt, so dass sie an
die Augen der Weberknechte (Phalangidae) erinnern. Mag nun
die Anordnung die eine oder die andere sein, jedesmal findet sich
in einem Milbenauge eine Linse, welche das Licht nach einem hinter
ihr gelegenen Punkte bricht, und eine becherförmig gestaltete Netz-
haut mit dunklem Pigment, welche die Lichteindrücke zur Empfin-
dung bringt. Der Sehnerv leitet dieselben dann dem oben erwähnten
Gehirn zu. Ob nun die Milbe wohl einen Gesamteindruck von
ihrer Umgebung durch ihre Augen gewinnt? Jedenfalls kommt bei
Beantwortung dieser Frage der allgemeine Stand des Seelenlebens
in Betracht und nicht bloss die physikalische Vollkommenheit des
Sehapparats. Dass sie aber scharfe und deutliche Eindrücke durch
ihren Gesichtssinn erhalten, scheint mir aus der grossen Raschheit
hervorzugehen, mit welcher die Mehrzahl der Süsswassermilben,
*) Dr. V. Schaub, „Anatomie von Hydrodroma", p. 29.
Die Hydrachniden. ][7
welche des Schwimmens kundig sind, entgegenstehenden Hinder-
nissen ausweichen. Allerdings wird hier, wie auch sonst wohl viel-
fach im Tierreiche, der Gesichtssinn offenbar durch den sehr ent-
wickelten Tastsinn unterstützt. Bei unseren Milben sind Tastorgane
in ganz ähnlicher Weise, wie bei den übrigen Gliedertieren, über
den ganzen Körper verbreitet und ragen als Haartaster über die
Oberfläche des Leibes hervor. INIan wird wohl nicht irregehen,
wenn man die in grosser Regelmässigkeit, wenn auch meist in
ziemlich spärlicher Anzahl auf der Haut der Tierchen allenthalben
zerstreuten, meist kurzen Haarborsten als ebenso viele Tastorsane
ansieht. Ebenso ist ein grosser Teil der auf den Beinen und
namentlich den Tastern befindlichen Haarborsten zu den Fühl-
haaren zu rechnen. An zahlreichen grossen Borsten, welche die
ersten Füsse schmücken, hat man die Einrichtung solcher Fühlhaare
genauer untersucht. Die Haarborste steht in einer kleinen Pore der
Oberhaut ; sie ist selbst zumteil hohl und mit lebendisfer Substanz
ausgefüllt, welche durch die Pore hindurch mit dem Innern des
Milbenkörpers in Zusammenhang steht. Unmittelbar unter das in
der Porenöffnung stehende Ende der Borste hat sich ein Nerven-
faden hinbegeben und dort ein kleines Knötchen gebildet, welches,
sobald durch irgend eine äussere Veranlassung die Borste gedrückt
oder gezerrt wird, durch das untere Borstenende gestreift und in
Mitleidenschaft gezogen werden muss. Hierdurch kommt die Tast-
empfindung und zugleich auch jedenfalls eine Ortsbestimmung zu
Stande. Die Oberhaut des Tierchens ist, da sie aus einer festen
widerstandsfähigen IMasse gebildet ist, an sich einer Empfindung
nicht fähig. Dieser Mangel wird durch jene Tastborsten fast völlig
ausgeglichen. ]Man hat übrigens auch in dem der Haut \on innen
anliegenden Zellengewebe zahlreiche Nervenelemente entdeckt und
so ist es auch möglich, dass ein an irgend einer Stelle auf die
weiche und nachgiebige Hautfläche bei den weichhäutigen Hy-
drachniden ausgeübter Druck auch ohne besondere Tasthaare eine
Gefühlsempfindung auslöst.
In ganz besonderer Weise sind, wie sich wohl vermuten lässt,
die Taster mit Gefühlshaaren ausgerüstet. Es ist dies um so
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 2
18 I^iö Hydrachniden.
notwendiger, als die meist weit vom Munde und auf der Stirn-
wölbung aufgestellten Augen die Umgebung des Mundes nicht zu
übersehen vermögen. Von den Mundteilen kann also nur nach
bestimmten Gefühlseindrücken gehandelt werden. Diese werden
durch dicht aufgestellte Tasthaare vermittelt.
Ähnlich ist auch die Unterseite der Füsse und zwar namentlich
ihrer Endglieder mit zahlreichen kurzen Haaren versehen, welche
beim Schreiten und wohl auch beim Schwimmen, wie ferner beim
Ergreifen der Beute die Tastempfindungen veranlassen.
So haben die unscheinbaren und auf den ersten Blick willkürlich
über den Körper verstreuten Haarborsten einen wichtigen Beruf.
Ob die Wassermilben Gehörs- und Geruchsempfindungen be-
sitzen, ist nicht beobachtet. Geschmacksempfindungen werden sie
ganz gewiss haben, da es höchst wahrscheinlich ist, dass sie ihre
Beute auch durch den Geschmack unterscheiden.
Ob man nun auch von einem seelischen Leben unserer Ge-
schöpfe sprechen darf? Einen bestimmten Charakter hat jedenfalls
jede Wassermilbe im Vergleich mit anderen. Darunter kann ich
hier freilich nur die Art und Weise ihres Betragens verstehen. Die
"ö^
Schnelligkeit, mit welcher die Bewegungen ausgeführt werden; die
Feindschaft oder Freundschaft, um diese Worte hier zu gebrauchen,
welche den übrigen Mitgliedern einer und derselben Art entgegen-
gebracht werden ; die Gewandtheit, mit welcher eine solche Milbe
einer drohenden Gefahr zu entrinnen sucht, alles dieses, namentlich
das Zuletzterwähnte, lassen den Schluss gerechtfertigt erscheinen,
dass wir bei diesen Ideinen Geschöpfen ein verhältnismässig hoch
entwickeltes Seelenleben voraussetzen dürfen. Wenn sich nun auch
diese seelischen Regungen wohl zumeist auf den Erwerb der Nah-
rung, auf Sicherstellung des einzelnen Tieres und auf Erhaltung
der Art richten, so ist doch das Vorhandensein derselben von
ausserordentlichem Interesse und fordert zu immer neuen Beob-
achtungen auf, damit auch für diese niedrigen Geschöpfe die Tiefe
und Ausdehnung des ihnen verliehenen seelischen Lebens immer
mehr bekannt werde.
Die Hydrachniden. J 9
Wir wenden uns nun einer kurzen Besprechung der haupt-
sächlichsten Gattungen zu.
An der Hand der oben gegebenen Beschreibung von Piona
ßavcscens und unter Benutzung der beigefügten Abbildung in Fig. i
ist jeder leicht imstande sich eine hinreichend genaue Vorstellung
von der Gestalt einer Hydrachnide überhaupt zu machen. Jedoch
wird der Naturfreund, der es unternimmt, die häufigeren ^Mitglieder
unserer Tierfamilie in den stehenden und fliessenden Gewässern
seiner Heimat genauer zu betrachten, bald bemerken, dass er in
der That recht verschiedenartige Geschöpfe in sein Aquarium bringt.
Wir wollen ihm in dem Nachfolgenden einige Winke für das Unter-
scheiden der gesammelten Tierchen geben, verweisen aber zu einer
eingehenderen Betrachtung auf unsem Anhang. Vieles lässt sich
schon mittels einer schärferen Lupe deutlich genug erkennen, ganz
wird es indessen nicht ohne die Zuhilfenahme eines Mikroskops
abgehen. Und gerade die mikroskopische Betrachtung der hier
uns beschäftigenden, zumteil recht kleinen Geschöpfe entfaltet eine
solche Fülle zierlicher Formen vor unseren Augen, dass wir unwill-
kürlich von der Begierde ergriffen werden, immer neue Gestalten
einer solchen zu unterwerfen.
Die im Anhang gegebene Tabelle nimmt ihre Merkmale
nicht mit Rücksicht auf die gegenseitige Verwandtschaft der
Hydrachniden, sondern mit Rücksicht auf Deutlichkeit und leichtes
Auffassen. Hier dagegen möchte ich versuchen, die hauptsäch-
lichsten Gruppen herauszuheben.
Betrachtet man die klaren Wasser eines Grabens oder kleinen
Teiches aufmerksam, so geschieht es wohl, dass man ein linsen-
grosses, blutrotes, kugelförmig aufgeschwollenes Geschöpf in kräftigem
Zuge durch die stille Flut eilen sieht, lebhafte Wendungen bald
hierin bald dorthin ausführend. Ein schneller Griff mit dem Fang-
netz und die Schwimmerin ist in Gefangenschaft geraten. M'ir
entlassen sie in eine bereitgehaltene flache Schale und können sie
nun mit blossem Auge deutlich erkennen und prüfen. Entweder
streckt sie den vierten Fuss jederseits beim Schwimmen unbeweglich
nach hinten, oder sie macht auch mit ihm, also mit sämtlichen
2»
20 Die Hydrachniden.
acht Füssen lebhafte Schwimmbewegungen. Im erstem Falle haben
wir eine unserer ansehnlichsten und häufigsten Süsswassermilben
vor uns, einen Repräsentanten der oben schon erwähnten
Gattung Eylais*). Die Milbe ist eine arge Räuberin und überfällt
mit ihren kräftigen Füssen und den zwar ausserordentlich kleinen,
aber überaus kräftigen Kiefern, was ihr in den Weg kommt. Sie
bildet eine ganz besondere Abteilung der Hydrachniden für sich,
da bei ihr die MundöfFnung und die damit zusammenhängende
Ausbildung der Kiefer eine ganz eigentümliche geworden ist. Wie
eine sorgfältige Betrachtung des Mundes mit dem Mikroskop lehrt,
hat die ganze Gestalt und Anordnung desselben eine überraschende
Ähnlichkeit mit einer Saugscheibe. Man bemerkt eine kreisrunde
Platte, eingerahmt durch einen Kranz zierlicher Haarborsten, in der
Mitte die winzige Mundöffnung tragend, aus welcher die schwärz-
lichen Spitzen der Kieferendglieder in Gestalt zweier scharfer
Zähnchen etwas hervorgeschoben werden können. Gegen diese
Zähnchen drücken die kräftigen Taster und Füsse ihre Beute,
welche alsbald die tödliche Wunde empfängt. Betrachten wir das
in ausgewachsenem Zustande bis 4 mm lange Tier von oben her,
so wird man auf dem Vorderrücken, und zwar ziemlich nahe der
Mittellinie vier schwarze, dicht bei einander stehende Augenpunkte
gewahr werden. Lösen wir mit einem scharfen Messer die dieselben
tragende Hautstelle ab und richten nun das Mikroskop auf sie, so
erblicken wir die zu den einzelnen Augen gehörigen Linsen, jede in
eine besondere dickwandige Hautkapsel eingeschlossen. Es giebt
nur wenige Hydrachniden, bei denen die Augen in der angegebenen
Art und Weise angeordnet und geschützt sind. Auffallend ist es
und mag hier gleich erw'ähnt werden, dass die eben dem Ei ent-
schlüpften jungen Eyla'is weit von einander getrennt aufgestellte
Augenpunkte führen, dass also die soeben erwähnte eigentümliche
und von der Regel abweichende Augenstellung erst in späteren
Stadien ihres Lebens und zwar nach der ersten Häutung beobachtet
wird. Es ist dies eine Thatsache, welche bei Beurteilung der
*) Siehe Anhang.
Die Hydrachniden. 21
Verwandtschaft unserer Gattung auch mit Landmilben nicht ohne
Bedeutung ist.
Hatte die gefangene und in die Glasschale entlassene Milbe,
wie eine kurze Betrachtung bald ergeben wird, auch am vierten
Fusse jeder Seite dichte Büschel von Schwimmborsten, so werden
wir eine Vertreterin einer zweiten wichtigen Gruppe von Süss-
wassermilben vor uns haben, und zwar der Gruppe, nach welcher
die ganze Familie ihren Namen bekommen zu haben scheint. Sie
ist dann ein Mitglied der Gattung HydracJma*), welche in mehreren
sehr stattlichen Arten unsere Gewässer bevölkert.
Die Gattung Hydrachna ist ausgezeichnet durch ihre sehr
eigenartige Mimdbildung. Keine andere Süsswassermilbe hat einen
ähnlich gebauten, zu einem Stechorgan umgestalteten Schnabel,
welcher sanft gekrümmt in ansehnlicher Länge zwischen den kurzen
Tastern hervorragt. Dieser Schnabel wird durch die Unterlippe
gebildet und stellt eine oben offene Halbröhre dar, ist selbst scharf
zugespitzt, dennoch aber nicht als eine gefahrdrohende Waffe an-
zusehen, so wenig wie die beiden haarscharfen messerartigen ein-
gliedrigen Kiefer, welche in jener Rinne auf- und abgeschoben
werden können. Die Milbe scheint nicht von tierischer Nahrung
zu leben, sondern benutzt ihr umfangreiches Stechorgan dazu, um
Pflanzenstiele anzubohren. Ihre Eier wenigstens legt sie in Höhlungen,
welche sie mittels ihres Schnabels in Blattstiele von Wasserpflanzen
eingebohrt hat. Der kugelförmig aufgetriebene Körper wird von
den weit nach vom gerückten Füssen nicht besonders schnell durch
das Wasser getragen, er scheint sogar häufig durch sein Gewicht
einen hemmenden Einfluss auszuüben, wenigstens wird oftmals die
Unterseite des Tieres beim Schwimmen von oben her sichtbar.
Auch Hydrachna besitzt, gerade wie Eyla'is, Augen, welche paar-
weise in eine mit wulstigen Rändern versehene, harte Kapsel ein-
geschlossen sind, jedoch stehen die beiden Augenpaare weit von
einander entfernt. Die Bauchfläche trägt jederseits von der
Geschlechtsöffnung eine Platte mit zahlreichen Haftnäpfen, jedoch
sind letztere klein und unansehnlich.
*) Siehe Anhang.
22 Die Hydrachniden.
Im Gegensatze zu den beiden soeben erwähnten Gattungen,
denen in gewissem Sinne noch zwei andere beigesellt werden
können, nämlich Hydrodroma und Limnochares*), weil sie sechs-
füssige Larven von ausgesprochenem Trombidium-Charakter besitzen,
bilden die dann noch übrigen etwa 24. Hydrachniden-Gattungen
eine grössere Abteilung für sich, da sie viel Verwandtschaftliches
zeigen und daher zunächst auch noch zusammengefasst werden können.
Das Hauptmerkmal dieser Gruppe dürfte wohl darin bestehen,
dass die sechsfüssige Larve einen eignen Typus hat, den ich
den Nesaea-Typus nenne, und welcher durch die Abbildung in
Fig. 3 <7 S. 39 dargestellt ist. Da jedoch diese Larven nicht immer
leicht zu beschaffen sind, so müssen wir wohl damit zufrieden
sein, die Milben nach der Form der Kiefer näher zu bezeichnen.
Als Beispiel für die ganze eben in Rede stehende Süsswassermilben-
abteilung gilt die oben näher beschriebene und abgebildete Piona
flavescens. Dieselbe besitzt Kiefer, wie sie in Fig. 3 b zur An-
schauung gebracht sind. Dieselben sind zweigliedrig und das letzte
Glied besitzt die Gestalt einer Klaue, wonach die ganze Kieferart
den Namen klauenförmiger Kiefer erhalten hat. Dieselben werden
von der Milbe so getragen, dass die Klauen mit ihrer Spitze nach
oben schlagen. Die ganze Menge der hierhergehörigen Milben zer-
fällt in zwei grössere Heerlager, welche wir am einfachsten nach
ihrer äussern Körperhülle in sogenannte Hartschwimmer und Weich-
schwimmer zu trennen haben. Hartschwimmer sind solche Süss-
wassermilben, deren Körper durch eine feste, allseitig geschlossene
wahre Panzerhaut geschützt ist, während die Weichschwimmer eine
solche Verhärtung der Haut nicht aufzuweisen haben. Bemerkens-
wert ist es allerdings, dass auch die jüngsten, dem Ei entschlüpften
Larven der Weichschwimmer, soweit sie zur Beobachtung gekommen
sind, eine wenigstens auf dem Rücken ziemlich weitgehende Haut-
verhärtung aufzuweisen haben, welche sich aber in späteren Stadien
wieder verliert. Diese Beobachtung wird zur Beurteilung der wahren
verwandtschaftlichen Verhältnisse künftighin wohl nicht ganz ausser
Acht gelassen werden können.
*) Siehe Anhang.
Die Hydrachnidcn. 23
Zu den Hartschwimmem gehört namentlich die ausserordentlich
artenreiche Gattung Arremtnis*). Es scheint keinen Teich oder
See zu geben, für welchen sich nicht eine eigentümliche Art dieser
merkwürdigen Gattung aufweisen Hesse. Sie ist ganz besonders der
Aufmerksamkeit wert, weil es nach den bisherigen Beobachtungen
den Anschein hat, als wäre sie besonders der Veränderlichkeit
unterworfen. Grünrote, braune, ja ganz bunte Arten derselben
wimmeln häufig durch einander und bereiten, wenn man nur
\\'eibchen vor sich hat, dem Untersucher fast unüberwindliche
Schwierigkeiten. Diese verschwinden aber sogleich, sobald die
Männchen mit ihren so ganz eigentümlich gebauten Hinterleibs-
anhängen zu Gebote stehen.
Es bietet sich hier eine passende Gelegenheit, den geschlecht-
lichen Unterschieden in der äussern Gestalt, welche bei Ai'reimrus
in ausserordentlich hohem Masse zu Tage treten, etwas Aufmerk-
samkeit zu widmen. Es erscheint wunderbar, dass innerhalb einer
und derselben Tiergruppe diese Unterschiede in so ungleichem
INIasse ausgebildet sind, denn während sie bei der eben erwähnten
Gattuns: in einem höchst bedeutenden Grade vorhanden sind,
treten sie bei vielen anderen, die mit ihr unter nahezu gleichen
Bedingungen leben, eigentlich völlig zurück. Eine Erklärung dieser
Thatsachen ist bis jetzt nicht gut zu erwarten gewesen. Vielleicht
lüftet eine fortgesetzte Beobachtung den über dieser ganzen Frage
der geschlechtlichen Formverschiedenheiten noch ruhenden Schleier.
Jedenfalls ist bei Arrenurus diese Verschiedenheit der Geschlechter
am weitesten fortgeschritten und hat ausser den Füssen, wo sie
auch bei anderen Gattungen beobachtet wird, noch den Rumpf
ergriffen, indem ausser ansehnlichen kegelförmigen Fortsätzen auf
dem Rücken namentlich der Hinterrand des Leibes in mannigfacher
Weise umgestaltet ist. In den Abbildungen Fig. 2 S. 24 haben
wir einige Formen solcher Schwanzanhänge zur Anschauung gebracht.
Es lassen sich dabei offenbar ganz bestimmte typische Gestalten,
die alsdann in freier Weise variieren, unterscheiden.
*) Siehe Anhang und Figur 2, a, b, c.
24
Die Hvdrachniden.
So unterscheiden wir eine langgestreckte Schwanzform, wie sie
unter 2 b von Arremiriis caitdaius abgebildet ist, von einer fisch-
schwanzähnlichen, bei welcher die hinteren Seitenecken in zwei
i.
^
3
I-
o
ansehnliche Zipfel ausgezogen sind, zwischen denen in einer mitt-
leren Abteilung oft sonderbar gestaltete Fortsätze und Blättchen
auffallen. Ein Beispiel hierfür ist Fig. 2 c , Arreniirus albator.
, Die Hydrachniden. 25
Eine dritte Form bietet im ganzen an sich un-bedeutendere Anhänge,
welche keine leicht bestimmbare Gestalt besitzen und daher der
Beschreibung Schwierigkeiten entgegenstellen. Einen solchen Anhang
zeigt Fig. 2 a vori Arrenurtis calcarator.
Diese Anhänge wie überhaupt die besonderen geschlechtlichen
Eigentümlichkeiten der Gestalt treten erst nach der letzten Häutung
des Tieres hervor und sind auch dann nicht gleich voll entwickelt,
sondern scheinen erst nach und nach ihre endgültige Form anzu-
nehmen. Ausser durch ihren Schwanzanhang sind die Männchen
von Arreniinis noch durch eine den Weibchen abgehende Be-
waffnung des vierten Fusses jeder Seite ausgezeichnet. Beiden
Geschlechtem gemeinsam ist jedoch die bereits oben berührte starke
Ausstattung der hinteren Füsse mit Schwimmborsten, welche es
ihnen ermöglicht, mit ausserordentlich kräftigen Bewegungen das
Wasser zu durcheilen. Ihre Nahrung besteht vornehmlich aus den
kleinsten Bewohnern des süssen Wassers, den Rädertierchen,
Daphniden etc., sie sind leicht in Gefangenschaft zu halten, selbst
in sehr kleinen Aquarien. Drollig nehmen sich beim Schwimmen
die Arten mit einem langen Schwanzanhang aus, indem die ver-
hältnismässig schwachen Füsse es nicht verhindern können, dass
der langgestreckte Hinterleib gleich einem Pendel fortwährend hin
und her schwankt, was dem Schwimmen einen ungeschickten An-
schein verleiht.
Die Grösse der bei uns vorkommenden Arrenurus -Arten ist
ausserordentlich verschieden und schwankt zwischen 2 und ^k mm.
Neben dieser sehr artenreichen Gattung '^rr^«;/n/s sind noch
einige weniger in die Augen fallende harthäutige Hydrachniden
erwähnenswert, so die kleinen bunten Vertreter der GdMm\g Axona*).
Sie sind zwar mit unbewaffnetem Auge kaum wahrzunehmen,
zeichnen sich aber einesteils durch ihre lebhafte Färbung, ander-
seits aber auch durch die ganz besonders merkwürdige Gestalt,
welche dem vierten Fusse des Männchens eigentümlich ist, aus.
Offenbar ist dieses anhangsreiche Glied dem Männchen gegeben.
*) Siehe Anhang.
2(5 Die Hydrachniden.
um das Weibchen festhalten zu können, doch mag es auch ein
blosser Schmuck sein, der die Weibchen fesselt und anzieht, wenn
man auch zweifelhaft sein könnte, ob diese winzigen Tiere ein so
hohes geistiges Leben entfalten, dass man von Freude am Schmuck
bei ihnen reden kann. Dass jedoch die Milben an und für sich
auch tieferen Gefühlsbewegungen nicht unzugänglich sind, tritt sehr
deutlich bei einer kleinen Landmilbe (Cheyletus) hervor, welche ihre
in Häufchen zusammengelegten Eier nicht nur bis zum Ausschlüpfen
der Jungen nicht verlässt, sondern dieselben auch gegen Angriffe
tapfer verteidigt. Wenn dies auch das einzige mir bis jetzt bekannte
Beispiel eines höheren geistigen Lebens bei unserer Tierfamilie ist,
so ist es gerade hinreichend, um überhaupt ein solches bei der-
selben zu beweisen.
Es bleibt nun noch als letzte Gruppe diejenige zu erwähnen
übrig, welche ich im Gegensatze zu den soeben erwähnten Hart-
schwimmern als die Weichschwimmer bezeichnet hatte.
Gemeinsames Kennzeichen ist bei den erwachsenen Tieren
dieser Gruppe eine weiche Körperhaut. Die zahlreichen Gattungen
derselben bieten sonst allerdings sehr mannigfaltige Verschiedenheiten,
doch dürfte es selbst dem geübteren Beobachter ziemliche Schwieris:-
keiten bereiten, diese Unterschiede zu bemerken.
Als Repräsentant dieser Gruppe muss wiederum jene oben
ausführlicher erwähnte und auch abgebildete Piona dienen, und es
mag genügen, hier auf sie zu verweisen. Nur einen Punkt möchte
ich auch bei dieser Gruppe besonders hervorheben, nämlich noch
einmal die Gestaltverschiedenheiten, welche man zwischen Männchen
und Weibchen derselben Art beobachtet. Hier sind es besonders
und vor allem die Füsse, welche bei beiden Geschlechtern in auf-
fallender Weise verschieden gestaltet sind, indem die Männchen
mancherlei besondere Anhänge und Umformungen einzelner Fuss-
glieder aufzuweisen haben.
Wie bei zahlreichen Männchen von Insekten sind nämlich die
Füsse hier in Fangorgane umgestaltet, um die flüchtigen Weibchen
festzuhalten. Allerdings findet dies auch nicht bei allen hierher-
gehörigen Gattungen statt, auch ist für zahlreiche Arten überhaupt
Die Hydrachniden. 27
das Männchen noch nicht beobachtet, wo es aber bekannt geworden
ist, da dient zugleich auch die besondere Gestalt der Füsse zu
einer \-erhältnismässig leichten Unterscheidung der oft zahlreichen
Arten. So muss es als feststehend gelten, dass die in unseren
Gewässern neben der Gattung Arremirus am häufigsten vor-
kommende Gattung Nesaea bei allen ihren zahlreichen Arten im
männlichen Geschlecht ein umgeformtes drittes und \-iertes Fuss-
paar besitzt. Jeder Fuss des dritten Paares hat ein keulenförmig
gestaltetes Endglied, an welchem auch die Kralle eine von der
gewöhnlichen abweichende Gestalt besitzt, wie sie Fig. 3 g von
Nesaea fuscata zeigt. Weiter ist, was auch schon bei geringer
\'ergrösserung bemerkt werden kann, das drittletzte Glied an den
Füssen des vierten Fusspaares hufeisenförmig eingebogen und trägt
an den Rändern der Einbuchtung einen Kranz starrer und auf-
fallender Haarborsten (Fig. 3 h).
Einer andersgearteten Umgestaltung des vierten Fusses begegnet
man bei den Piona-Männchen. Es würde jedoch zu weit führen,
wenn hier noch mehr in Einzelheiten eingegangen würde.
Jedoch noch einer besonderen Erscheinung, welche bei
INIännchen und Weibchen einer kleinen Gruppe \oi\ Gattungen
beobachtet wird, kann ich nicht unterlassen Erwähnung zu thun,
weil sie zeigt, wie sonderbar oft die Richtung zu sein scheint, in
welcher die Umformung der Gestalt fortschreitet. Hier handelt es
sich auch um eine Eigentümlichkeit der Füsse. Es ist Regel, dass die
Hydrachniden an sämtlichen acht Füssen deutliche und wohl aus-
gebildete Krallen tragen. Die Abbildung Fig. 3 d zeigt eine solche
von Nesaea fuscata. Jene kleine Gruppe von Bulben , zu denen
unter anderen die in unseren Gewässern häufig gefundene Gattung
Limnesia*) gehört, hat nun diese Krallen an den beiden vierten
Füssen durchaus eingebüsst. Hier endigt das letzte Fussglied mit
einer stumpfen kegelförmigen Spitze. Allerdings beobachtet man
leicht, dass bei zahlreichen Wassermilben die Krallen an den vierten
Füssen ungleich kleiner sind als namentlich am zweiten und dritten
*) Siehe Anhang.
28 I^is Hydrachniden.
Fusspaar aber sie sind stets gut ausgebildet und zeigen auch die
für die Gattung charakteristische Form. Wie lässt es sich hier nun
erklären, dass sie bei Limnesia völlig fehlen. Nur als Vermutung
könnte angeführt werden, dass Limnesia das vierte Fusspaar nie-
mals zum Festklammern des Körpers benutzt, sondern stets in
schwingende Bewegung setzt, sobald sie vom Schwimmen ausruht,
vielleicht um das Wasser um den Leib in Zirkulation zu bringen.
Im Anschluss an die soeben, wenn auch nur in flüchtigen Um-
rissen gegebene Übersicht der Hauptformen unserer Süsswassermilben
möge ein kurzes Wort über ihren Aufenthalt, ihre Verbreitung und
allgemeine Lebensweise folgen. Zwar sind auch über diesen Punkt
die Beobachtungen nur wenig umfassend, aber so weit sie ein
Urteil zulassen, darf man wohl sagen, dass die Hydrachniden
stehende klare Gewässer den fliessenden vorzuziehen scheinen.
Auch trifft man in grösseren Wasserbecken, deren Ufer durch die
offenbar von Wind und Wellenschlag herrührenden zerstörenden
Einflüsse des Wassers mit absterbenden Pflanzenresten bedeckt,
auch häufig mit moderndem Schlamm überzogen sind, viel seltener
Milben an, als in den kleinen mit dichtem Wasserpflanzengebüsch
durchsetzten Weihern und Teichen. Hier, wo die kleinen Kruster,
wie Daphniden und Cyclopiden, ihr Wesen treiben, wo die Mücken
und zarten Netzflügler ihre Eier massenhaft ablegen, wo zahllose
Infusorien an den Wasserpflanzen auf- und niederfahren, da finden
unsere zumeist vom Raube lebenden Hydrachniden ein geeignetes
Jagdgebiet, welches sie in allen Stadien ihrer Entwickelung in meist
rastloser Eile durchlaufen, den Beobachter in Erstaunen setzend
über die Ausdauer und Kraft ihrer Muskeln, welche, am Tage und
oft auch des Nachts angestrengt, dennoch nicht ermüden und in
gleichmässiger Schnelligkeit den Körper von Ort zu Ort führen.
Doch ist es nicht nur die Reichhaltigkeit der Nahrung, es ist
auch die bald höher steigende Temperatur solcher stehenden
Gewässer, welche offenbar unseren Milben sehr angenehm ist.
Beobachtet man doch , dass , wenn im Hochsommer die kleinen
Wasserbecken bis auf zwanzig und mehr Grad erwärmt werden,
die Scharen, namentlich der Arrenurus- Arten, ganz ausserordentlich
Die Hydrachniden. 29
anwachsen. Wie die Ameisen im Sonnenbrand nur um so rast-
loser ihren Zwecken und Pflichten nachgehen und für den Beschauer
ein Schwindel erregendes Gewimmel hervorbringen, so jagen sich
die roten, grünen und bunten Hartschwimmerarten durch die unter-
getauchten Wasserpflanzen und fallen massenhaft dem Sammler ins
Netz. Übereinstimmend hiermit ist die von einem Beobachter
gemachte Bemerkung, dass die höher im Gebirge gelegenen Teiche
gewöhnlich arm an Wassermilben sind, weil die Temperatur der-
selben selbst im Sommer eine verhältnismässisr niedri2;e ist. Dass
die INIilben allerdings auch in kaltem Wasser gut zu leben vermögen,
beweist der Umstand, dass man schon sehr früh im Jahre, wenn
das Eis noch auf dem Wasser steht, reichliche Beute findet und
zwar nicht bloss erwachsene Tiere, sondern solche auf allen Ent-
wickelungsstadien. Daher ist es wohl möglich, dass die niedrigere
Temperatur der Gebirgsteiche die den meisten Milben zur Nahrung
dienenden Kruster, sowie andere zartere Geschöpfe, die von ihnen
verfolgt werden, nicht recht zur Entwicklung kommen lässt, so
dass das Fehlen zahlreicher Milben erst hieraus zu erklären wäre.
Diese letztere Ansicht wird vielleicht durch eine Beobachtung
unterstützt, welche aus südlicheren Gegenden stammt, wo überhaupt
wohl auch in kühlerem Wasser reicheres Leben zu finden ist, so
dass auch INIilben darin nicht zu darben brauchen. So hat der
französische Naturforscher Th. Barrois während einer der Er-
forschung der Azoren gewidmeten Reise eine H}'drachnide
beobachtet, über deren Lebensgewohnheiten er sich fokendermassen
auslässt: „Ich fand diese Art stets in rasch fliessendem, wenig tiefem
Wasser der Quell- und Sturzbäche, welche von den Bergen herab-
kommen, um entweder in einen See, was indessen nicht oft vor-
kommt, oder sogleich ins Meev sich zu ergiessen, und deren Bett
zahlreiche Kieselsteine enthält. Ob2;leich die Tiere sehr Q-ute
Schwimmer sind, so habe ich sie niemals mit dem Netz s:efan2;en:
sie leben vielmehr auf der Unterseite der Steine, wo sie in Gruppen
von fünf, sechs, zehn und noch mehr zusammen sich in die Löcher
der basaltigen Laven festsetzen, um nicht von dem Strome mit
fortgerissen zu werden. Die Temperatur dieser Bäche und Flüsschen
30 Die Hydrachniden.
ist sehr niedrig und steigt auch im August und September
höchstens auf 1 5 1/2 °. Die Verbreitung dieser Art in vertikaler
Richtung bietet grosse Unterschiede. Ich habe sie fast unmittelbar
am INIeer gesammelt und auch in einer Höhe von 800 Metern".
Hierbei wird noch eines besonders merkwürdigen Umstandes wie
folgt gedacht: „Obwohl die beobachtete Milbe in grosser Menge in
gewissen Giessbächen lebt, welche sich in Seen ergiessen, so findet
sie sich in diesen Seen selbst niemals. Zur Erklärung dieses gewiss
auffallenden Vorkommnisses lässt sich Folgendes etwa anführen:
Unsere Hydrachnide liebt sehr flache, sprudelnde, reine Gewässer.
Man trifft sie niemals in Lachen. Nun sind die Seen ruhig und
führen weniger klares und reines Wasser als die Bäche, denn die
darin befindlichen Steine sind meist mit einer mehr oder weniger
dicken Schicht von Schlamm bedeckt, welchen man sehr selten an
den von den Milben besetzten Lavaschlacken der Bäche findet.
Vor allem muss man aber in dem Temperaturunterschied der Seen
und Bäche den Grund für die Abwesenheit der Milben in den
ersteren suchen. Denn in dem See steigt die Wassertemperatur
wohl um 9 ° höher als in dem Zufluss. Der schroffe Wechsel der
Temperatur wird denjenigen Milben, welche von dem Bache mit
in den See hinabgerissen werden, verderblich, denn sie sind über-
haupt sehr empfindlicher Natur. Es ist mir mehrere Male bei
meinen Ausflügen vorgekommen, dass ich versucht habe, sie lebend
heimzubringen, aber fast regelmässig fand ich sie trotz aller Vorsicht
tot vor". So empfindlich wie die soeben angeführte Bewohnerin
der Azoren sind nun freilich die meisten unserer Hydrachniden
nicht. Zumal gegen erwärmtes Wasser zeigen, wie schon erwähnt,
die meisten der unsere Kleingewässer, namentlich die Teiche und
Weiher, bewohnenden Milben eine starke Widerstandsfähigkeit.
Jedoch wird es noch immer ausgedehnter Beobachtungen bedürfen,
um die Einflüsse der Temperatur auf das Leben unserer Wasser-
tiere genauer kennen zu lernen.
Mit den Azoren ist wohl die von Europa fernste Station, auf
welcher Süsswassermilben beobachtet worden sind, genannt worden.
Steht es überhaupt mit der Kenntnis der Acariden in den ausser-
Die Hydrachniden. 31
europäischen Ländern ziemlich schlecht, so sind die Gebiete, in
denen man sich nach den im süssen Wasser lebenden Milben um-
gesehen hat, im wesentlichen in Europa zu suchen und auch da
sind noch die meisten Strecken unerforscht. Es folgt fast natur-
gemäss aus diesem Umstände, dass das Wissen über diese Tier-
gruppe ein in jeder Beziehung durchaus lückenhaftes sein muss.
Allerdings scheinen ja, und das gilt auch von sehr zahlreichen Land-
milben, die einzelnen Gattungen und Arten sehr grosse Verbreitungs-
gebiete zu besitzen, aber dennoch ist noch überall das Fehlen
sewisser an anderen Orten vorkommender Formen ausser Zweifel,
und es trifft auch hier die Wahrnehmung zu, dass der Süden an
Formen reicher ist, als der Norden.
Halten wir eine Überschau ab über die Gegenden, weiche über-
haupt nach Süsswassermilben durchsucht sind, so sind zu nennen
zahlreiche schwedische Gewässer (durchforscht von C. J. Neu man),
ein Teil der norditalienischen (d. v. J. Canestrini und A. Berlese),
die Schweizer Seen (d. v. G. Forel und G. v. Haller), die nord-
östlichen Gebiete Frankreichs (d. v. J. Barrois) und manche Gebiete
Deutschlands (d. v. C. L. Koch, Koenike, Kramer).
Wie es aber bei einer erst beginnenden Erforschung einer
Tierklasse fast natürlich ist, haben sich die meisten Beobachtungen
zunächst auf die äussere Erscheinung der Hydrachniden gerichtet,
die Lebensbeziehungen dagegen sind zum grösseren Teil noch
übersehen worden. Dennoch lässt sich Einiges auch bereits jetzt
hierüber sagen.
Zunächst hat sich wohl als unzweifelhaft ergeben, wie auch
schon weiter oben betont worden ist, dass die Hydrachniden auf
Grund ihrer Entwickelungsgeschichte in zwei Gruppen gesondert
werden können, welche sich durch die Lebensweise ihrer sechs-
füssigen ersten Larven ergeben. Die eine Gruppe besitzt Larven,
welche Gestalt und Lebensweise der Trombidiumlarve zeigen, die
anderen nicht. Man kann es nämlich wohl als Regel aufstellen,
vorbehaltlich freilich einer erst in Zukunft zu gewinnenden ganz all-
gemeinen Bestätigung, dass die trombidiumartigen Milben während
ihrer ersten Jugend vom Blute anderer Tiere, namentlich der
32 Die Hydrachnideii.
Insekten, leben und sich daher an solche ansaugen. Erst nachdem
sie die erste Häutung überstanden haben, führen sie nicht mehr
ein parasitisches, sondern ein freies Leben. Solche Lebensweise
führen nun die Jungen von Hydrachna, Eyla'is und Limnocharcs
und, soweit ich sehe, auch von Hydrodroma, einer schön scharlach-
roten, ziemlich ansehnlichen Wassermilbe. Die Beobachtungen sind
bei den soeben namhaft gemachten Acariden noch keineswegs in
gleichem Masse vollständig, ganz abgeschlossen dürften sie vielmehr
nur bei der Gattung Hydrachna sein, jedoch unterliegt es keinem
Zweifel mehr, dass bei allen die Übereinstimmung in der Haupt-
sache der Entwickelung, der parasitischen Lebensweise, eine sehr
weitgehende ist.
Die Jungen von Hydrachna bleiben von dem Augenblick des
Ausschlüpfens aus dem Ei im Wasser, dagegen steigen die der drei
anderen Gattungen möglichst bald an die Oberfläche und machen
ausgiebigen Gebrauch von ihren Rennbeinen, indem sie mit einer
fast staunenswerten Geschwindigkeit auf dem Wasser vmd den
Pflanzen des Ufers auf und ab eilen, um Insekten zu suchen,
welche sie besteigen können. Die Larven von Limnocharcs nehmen
z. B. die ebenfalls auf der Wasseroberfläche lebenden Schreitwanzen
zu erwünschten Nährtieren und bohren sich in die weichen Chitin-
skelettpartien ein. Bei den Larven von Hydrodroma bot sich noch
ein anderes Schauspiel, als ich Gelegenheit hatte, einen auskriechen-
den Schwärm von jungen Tieren zu verfolgen. Nachdem sie an
die Oberfläche des Wassers emporgekommen waren und ich die
Tierchen sammeln wollte, um sie an Blattläusen sich festsaugen zu
lassen, musste ich zu meinem Erstaunen bemerken, dass sie die
Fähigkeit besassen in mächtigen Sprüngen fortzuhüpfen. In kurzer
Zeit war daher der ganze Schwärm zerstreut und den Blicken
völlig entschwunden.
'o
Die sechsfüssi2:en Larven der übri2;en Hydrachniden leben, im
Gegensatze zu den eben namhaft gemachten, frei schwimmend im
Wasser und nähren sich vom Raube. Sie besitzen daher eine
dieser Lebensweise angepasste Gestalt, welche zwar ebenfalls von
der künftigen des erwachsenen Tieres abweicht, aber namentlich in
Die Hydrachniden. 33
der Bildung der Füsse ganz verschieden ist von den Larven obiger
Arten. Eine bemerkenswerte Ausnahme von dieser Lebensweise
beobachten wir nur bei einigen Arten der Gattung Atax*). Von
den bisher bekannten sieben oder acht Arten dieser Gattung führen
etwa drei oder vier ein vollständig freies Leben, während die
anderen Arten sich einer ausschliesslich parasitischen Lebensweise
erstehen haben. Diese Arten hausen von Generation zu Generation
zwischen den Weichteilen der Teich- und der Malermuschel und
verlassen ihr Wohntier wahrscheinlich nur während ihrer Larven-
zeit, um ein neues aufzusuchen. Dabei sei gleich erwähnt, dass
durch das parasitische Leben sich eine bestimmte Veränderung
ihres Organismus eingestellt hat, wenigstens möchte ich dieselbe
damit in ursächlichen Zusammenhang bringen. Während nämlich
die frei lebenden Hydrachniden sämtlich, soweit die Beobachtungen
reichen, ein wohl ausgebildetes Atmungssystem haben, fehlt den
parasitischen Atax-Arten jede Spur von Tracheen und vder mit den
Luftlöchern in Verbindung stehende Hauptstamm ist auf ein ausser-
ordentlich geringfügiges Stückchen zurückgebildet, so dass man fast
\on einem vollständisren Fehlen desselben reden kann. Ob es nun
der Aufenthalt in einer so schleimigen und luftarmen Flüssigkeit,
wie sie die Muscheln erfüllt, mit sich gebracht hat, dass das
Atmungsorgan ausser Thätigkeit gesetzt wurde und daher \'er-
kümmerte, darüber eine bestimmte Ansicht auszusprechen scheint
noch nicht ^der rechte Zeitpunkt gekommen zu sein.
Wenn uns die parasitischen Atax-Arten schon darauf führten,
von der Auswanderung \'on einem Wohntier auf ein anderes zu
reden, so dürfte es an der Zeit sein, überhaupt die Verbreitung
der Süsswassermilben aus ihren doch meist eng begrenzten heimat-
lichen Wasserbecken in andere etwas näher zu betrachten. Ich
komme dabei auf die Beobachtungen des Dr. Th. Barrois, die
er auf den Azoren gemacht hat, noch einmal zurück. Er traf
dort zwei Gattungen an und unter diesen eine, welche ja allerdings
allgemein verbreitet ist, deren Arten aber nicht gerade zu den
*) Siehe Anhang.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II.
34 I^ie Hydrachniden.
allergewöhnlichsten gehören. Er fand stets sehr zahlreiche Exemplare
der diesen beiden Gattungen angehörigen Milben in den dortigen
Bächen an. Dies hatte wohl seinen Grund darin, dass die Gewässer
der vulkanischen Azoren in der ersten Periode des Bestehens dieser
aus dem Ozean aufgetauchten Inseln wohl noch völlig unbevölkert
gewesen sind. Erst nach und nach werden dorthin verschlagene
Süsswasserbewohner von dem neuen Gebiet Besitz genommen und
frei von aller Konkurrenz sich rasch vermehrt haben. Wie lässt
es sich wohl erklären, dass sich auch die immerhin zarten Wasser-
milben dabei beteiligten? Unter allen Umständen wird die Ver-
breitung derselben dorthin auf mechanische Ursachen zurückzuführen
sein. Durch irgend einen Besucher oder Bewohner eines schon
von ihnen besetzten Süsswasserbeckens muss ihre Überführung in
ein von ihnen noch nicht bewohntes vermittelt worden sein, sobald
der natürliche Lauf der Gewässer auch bei Überschwemmungen die
neue Heimat mit der alten nicht in Verbindung zu setzen ver-
mochte. Als Dr. Barrois, um über die Verpflanzung seiner
Sperchon- Arten nach den Azoren ins Klare zu kommen, die dortigen
Gewässer aufmerksam durchforschte, fand er ausser den Milben
vor allen Dingen zahlreiche Wasserwanzen von der Gattung Corixa
vor. Die Wasserwanzen können, wie sämtliche entwickelte Wasser-
insekten, lange Stunden ausserhalb des Wassers leben, denn sie sind
ja eigentlich Lufttiere und gehen nur um ihrer Nahrung willen ins
Wasser. Sie machen auch grosse Flüge, namentlich bei Nacht,
um aus einem Becken in ein anderes zu gelangen, wobei sie wahr-
scheinlich einem scharfen und sicheren Geruch folgen. Solche
fliegende Wasserinsekten werden unter Umständen ganz ebenso, wie
Schmetterlinge und Heuschrecken, vom Winde erfasst und aufs
Meer hinausgetrieben, wobei sie wohl meist zu Grunde gehen,
gelegentlich aber auch einsam daliegende Inseln erreichen, deren
Gewässer sie dann, wenn es gerade mit befruchteten Eiern beladene
Weibchen waren, nun mit ihrer Nachkommenschaft bevölkern
können, vorausgesetzt, dass die Lebensbedingungen sonst ihrem
Körper entsprechen. Auf diese Art und Weise werden die Wasser-
wanzen wahrscheinlich nach den Azoren gekommen sein.
Die Hydrachniden. 35
Nun haben schon häufig Beobachter bemerkt, dass die zur
Larvenruhe gelangten noch unentwickelten Milben sich an solche
Wasserwanzen, wie eben beschrieben, anheften, um daselbst ihre
Verwandlung unter dem Schutze der alten Larvenhaut durch-
zumachen. So kann es leicht gekommen sein, dass eine Wasser-
wanze, welche solche Larven von Wassermilben an sich trug, vom
Winde nach den Azoren verschlagen wurde. Wenn dann die
angeheftete Wassermilbenlarve während der gewiss längeren Reise
nicht ganz austrocknete, so wird sie, nachdem ihr Träger eine
neue Heimat in irgend einem Gewässer der Azoren gefunden hatte,
dort nach einiger Zeit ausschlüpfen und, wenn Männchen imd
Weibchen gleichzeitig hinübergetragen worden sind, ihre Art in den
Flüsschen der Azoren weiter fortpflanzen müssen. Nun hat Dr.
Barrois bemerkt, dass die in Larvenruhe verfallenen Larven des
ersten Stadiums gegen Austrocknung mehr Widerstand entgegen-
setzen, als es der sonst sehr zarte Körper der Hydrachniden ver-
mag, und dass daher obige Art und Weise die wahrscheinlichste
sei, wenn man sich die Verbreitung der Süsswassermüben über das
Meer hinüber erklären will. Gewiss ist dies wohl eine Möglichkeit,
aber doch keineswegs eine so einzig gültige, dass man annehmen
müsste, die ersten Larven der Wassermilben hätten überhaupt die
Gewohnheit angenommen, sich namentlich an Süsswasserinsekten
festzusetzen, um dort ihre Larvenruhe abzumachen, und diese
Gewohnheit bringe es nun mit sich, dass die während der Larven-
ruhe gegen das Austrocknen besser gewappneten Tiere von den
ausfliegenden Wasserinsekten auch dorthin transportiert würden,
wohin sie auf gewöhnlichem und ihrer Organisation entsprechendem
Wege nicht gelangen könnten. Es sind die Möglichkeiten, eine
weit entfernte Station zu erreichen, so mannigfaltige, dass es unserem
Ermessen nach noch nicht thunlich ist, zu betonen, dass es die
auf den Azoren gefundene Corixa ist, welche zu der Zeit, wo sie
selbst durch Zufall die Azoren erreichte, auch die Sperchon-Art mit
nach dem neuen Aufenthaltsorte hinüberbrachte. Es ist ja gewiss,
dass im Verlauf der Jahrtausende, welche seit dem Auftauchen der
Azoren aus dem j\Ieere verstrichen sind, oftmals eine Corixa
36 Die Hydiachniden.
atomana \'on Portugal hinübergeführt sein kann und dass immer
einmal wieder ein Spcrchon glandulosus an ihr angeheftet gewesen
sei. Wenn man diesen Umstand aber immer wieder durchdenkt,
so wird man immermehr zu der Überzeugung sich hinneigen, dass
diese Möglichkeit ja allerdings wohl vorliegt, dass aber ebensosehr
auch Wasservögel, welche, wie Barrois in einer Anmerkung selbst
hervorhebt, an ihren Füssen und Schnäbeln so häufig Reste von
Pflanzen aus süssem Wasser mit sich führen, die Vermittler sein
können, ja, dass es nicht bloss Larven zu sein brauchen, welche
in die neue Heimat hinübergeführt worden sind, Larven, die der
Gefahr der Unfruchtbarkeit ausgesetzt sind, sondern in den feucht
bleibenden vegetabilischen Resten im Schnabel und an den Zehen
können die erwachsenen Tiere ebensogut der neuen Heimat zu-
geführt werden. Zudem sind auch nicht alle Beobachter darin
übereinstimmend, dass die Wassermilben, wenn sie ihrem feuchten
Elemente entnommen sind, dem Eintrocknen so leicht erliegen.
Claparede, der bedeutende Genfer Naturforscher, hat vielmehr an
der die Teichmuschel parasitisch bewohnenden Atax-Art gefunden,
dass sowohl Muttertiere als Eier sehr lebenskräftig sind. In den
Muscheln, die wochenlang ausserhalb des Wassers in der Dürre
gelegen und halb ausgetrocknet dem Tode entgegengehen, fand er
die Milben zwar durch Verdunstung erstarrt, jedoch beim ersten
Wasserzusatz sehr schnell wieder lebendig und die Eier ent-
wickelungsfähig werden.
Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die Besiedelung der
mitten im Meere gelegenen Inseln mit Süsswassermilben unmittel-
bar durch Überführung fortpflanzungsfähiger Individuen geschehen
sei und noch geschieht. Es wird sogar die Verbreitung der das
süsse Wasser bewohnenden Milben im allgemeinen überhaupt so
gedacht werden müssen, dass erwachsene Weibchen, nicht unbe-
fruchtete und unfruchtbare Larven, auf mechanischem Wege von
Wasserbecken zu Wasserbecken getragen werden und so ihre
Art in Gebieten, wo dieselbe noch nicht vertreten war, heimisch
machen.
Die Hydrachniden. 37
Es bleibt uns nun endlich noch ein wichtiger Gegenstand zur
Besprechung übrig, nämlich die Entwickelung des Einzeltieres vom
Ei bis zum erwachsenen Zustand.
Für jedes Lebewesen ist es eine der wichtigsten Aufgaben,
seine Art durch Nachkommen zu erhalten. Daher ist für den
aufmerksamen Naturfreund die Fortpflanzung und Entwickelung des
Einzeltieres ein Gegenstand des grössten Interesses.
Bei den Milben ist nun gerade die Entwickelungsgeschichte
noch sehr des weiteren Studiums benötigt, jedoch ist namentlich
für die Hydrachniden das Beobachtungsmaterial nicht ganz uner-
heblich, so dass es gelingen wird, ein Bild des Entwickelungsganges
einer Wassermilbe in grossen Zügen zu entwerfen.
Ich wähle zwei Beispiele, nämlich die Entwickelung der in
unseren heimischen Gewässern häufigsten kleinen rotbraunen Wasser-
milbe, Nesaea fuscata Koch, welche für die Mehrzahl aller anderen
als INIuster dienen kann; daran mag sich die schon seit langer
Zeit bekannte Entwickelung der kugeligen Wassermilbe, Hydrachna
globosa Duges, anschliessen.
Die Eierchen der rotbraunen Wassermilbe werden in Häufchen
bis zu dreissig und mehr an Wasserpflanzen oder an Steinen des
Wassergrundes gelegt. Es trifft sich wohl, dass man ein Weibchen
bei seinem Geschäft der Eiablage genauer beobachten kann. Es
Fegt die Eier in lockeren Haufen, dabei meist rückwärts schreitend
und sie in schneller Folge aus dem Körper hervorstossend. Die
roten Eierchen sind dabei von einer sehr dünnen weisslichen Schicht
umgeben. Dieses ist die klebrige Kittsubstanz, welche jedem Ei
mitgegeben wird. Schnell quillt dieselbe im Wasser auf, und während
die letzten Eier gelegt werden, hat sich bei den ersten bereits ein
breiter weisser Hof um dieselben gebildet. Nach Verlauf einiger
Stunden sind die Zwischenräume zwischen den Eiern völlig von
der Kittsubstanz ausgefüllt, die Eierchen ruhen jetzt, zu einem
einzigen Häufchen verschmolzen, unter einer im Wasser vollends
erhärtenden Hüllschicht.
Nach gemessener Zeit hat sich aus dem ursprünglichen Ei-
inhalt der sogenannte Embryo gebildet, zu gleicher Zeit ist aber
33 I^ie Hydrachniden.
auch noch eine zweite, innere Eihaut entstanden, welche sich nach
und nach bedeutend ausdehnt und sich, weil sie innerhalb der
harten äusseren Eischale keinen genügenden Raum findet, bald
in viele Falten legt. Jetzt platzt die harte äussere Eihaut, die
zweite dehnt sich durch Aufsaugen von Wasser sehr rasch aus und
glättet sich vollkommen. So geschieht es, dass der Beobachter
ein neues, sehr \-iel grösseres Ei aus dem ursprünglich gelegten
hervorgehen sieht. Die Gestalt desselben ist in Fig 3/ dargestellt.
Ein solcher Vorgang, dass aus einem Ei nicht ein entwickeltes Tier
mit freibeweglichen Gliedmassen hervortritt, sondern ein zweites Ei,
ist bisher bei den Milben nicht selten beobachtet worden, jedoch
scheint er nur bei den Acariden verbreitet zu sein und zwar bei den
trombidiumartigen Milben ganz besonders. So habe ich ihn bei
den oben bereits einmal erwähnten Cheyletus vorgefunden. Hier
entwickelt das Ei eine innere Eihaut, welche an einer bestimmten
Stelle einen scharfen Stechapparat besitzt, der zur bestimmten
Zeit die alte Eihaut durchsticht, um dem sogenannten zweiten Ei
den Austritt zu gestatten. Bei Nesaea fallen die alten Eischalen
einfach ab, indem sie durch die aufschwellende noch in der zweiten
Haut befindliche junge Milbe gesprengt werden.
Ist nun die Larve innerhalb dieser zweiten Eihaut entsprechend
entwickelt, so sprengt sie dieselbe, was etwa nach vierzehn Tagen
geschieht. Für die ausgeschlüpften Larven ist es aber keine leichte
Arbeit, ganz frei zu werden, denn noch trennt die erhärtete Ober-
flächenschicht der Kittsubstanz die Tierchen von ihrem Element.
Durch die unruhige Bewegung zahlreicher Füsse wird die innere
Masse der Hüllsubstanz bald zerbröckelt, so dass die immer zahl-
reicher ausschlüpfenden Larven durch einander kriechen und drängen ;
aber noch ist ein Ausweg nicht gefunden.
Endlich hat eine auch glücklich die äussere Hüllschicht an
einer besonders nachgiebigen Stelle durchbrochen und enteilt in die
freie Flut. Dies glückt zuletzt allen, aber es geht manche Stunde
darüber hin, bis die letzte Milbe dem Gefängnis entronnen ist.
Und vielleicht würde es noch länger dauern, ja mancher gar nicht
gelingen, wenn nicht die Taster unserer jungen Milben auf dieser
a Erste Larve von Nesaea fuscafa, von der Bauchfläche aus betrachtet — b Mundschnabel
derselben, von der Seite, mit Taster (ß) und Kiefer (^) — c Fusskralle derselben Larve —
d Fusskralle der erwachsenen A'esaea — e Zweite Larve von A'esaea fuscafa — y Aus der
gesprengten ersten Eischale tritt das zweite eiförmige Stadium hervor. Der Embryo mit deut-
lichem Rücken- und Bauchschild ist von dem Apoderma umhüllt — ^ Endglied des dritten
Fusses vom erwachsenen Männchen der Xt'saea ftiscata — // Vierter Fuss desselben Männ-
chens — i AVeibliche GeschlechtsöfFnung von Xesaea ftiscata mit den Haf'tnäpfen — k Männ-
liche Geschlechtsöffnung von Xesaea ftiscata mit den Haftnäpfen.
40 Die Hydrachniden.
ersten Entwickelungsstufe eine von der späteren Gestalt sehr ab-
weichende und für die Sprengung eines entgegenstehenden Hinder-
nisses sehr geeignete Form und Bewaffnung hätten (Fig. 3 b). Sie
sind sehr dick und nehmen eine starke INIuskulatur auf, so dass sie
sehr kräftige Bewegungen zulassen. Am vorderen Ende des letzten
der sehr gedrungenen Glieder bemerkt man eine grosse, stark
gekrümmte Hakenkralle, die wie eine Hippe in die Hüllmasse der
Eier einsetzen und dieselbe aufreissen kann. Auf späteren Ent-
wickelungsstufen werden die Taster schlank und jene Krallen sind
ganz verschwunden. Das Tierchen bedarf ihrer später nicht mehr.
Nicht unerwähnt darf ich hier allerdings lassen, dass es auch
Nesaea-Arten giebt, bei denen die sechsfüssigen Larven die Freiheit
nicht mehr gewinnen, sondern noch unter der Kitthülle ihre nächste
Häutung durchmachen.
Wie es bei den ]\Iilben als Regel anzusehen ist — Ausnahmen
sind ungemein selten — , hat unsere junge Larve (Fig. 3 a) nur
sechs Füsse, jederseits drei, mit denen sie das Wasser lebhaft
tritt , um schnell vorwärts zu eilen. Die grossen , als schwarze
Pünktchen hervortretenden Augen bestimmen Richtung und Ziel
der kräftigen Schwimmbewesfung-.
Wendet man eine hinreichende Vergrösserung an, so bemerkt
man bald, dass diese erste, jüngste Larve auch noch in anderer
Hinsicht, nicht nur mit Rücksicht auf die Taster, gegen die späteren
Larvenstufen recht hervorstechende Verschiedenheiten zeigt, welche
schon nach der nächsten Häutung verschwinden. So ist der ganze
Rücken durch eine vorn breitere, hinten etwas zugespitzte härtere
Deckplatte geschützt (Fig. ^f). Eine solche findet sich bei den
erwachsenen Tieren zahlreicher Wassermilbenarten auch nicht mehr
andeutungsweise; bei anderen ist ein geringfügiger Rest übrig ge-
blieben (Hydrodroma) und bei einer nur geringen Anzahl Arten
ist die Verhärtung der Rückenhaut eine für alle Lebensstufen
dauernde.
Die Unterseite unserer jungen Larven (Fig. 3 a) ist von der
der späteren Larvenstufen und der erwachsenen Tiere zwar auch
verschieden, doch finden sich die auch später beobachteten
Die Hydrachniden. 41
Verhältnisse im allgemeinen hier wieder vor. Auffallend ist dagegen,
dass die den Wassermilben so eigentümlichen sogenannten Haft-
näpfe hier noch völlig fehlen. So stellt die erste jüngste Larven-
form eine sehr eigenartige Entwickelungsphase dar und es kommt
in der That bei dem Übergang zur zweiten Larvenform zu einer
in jeder Beziehung sehr durchgreifenden Gestaltveränderung.
Etwa fünf oder sechs Tage, nachdem das Tierchen sich aus
der Eihülle befreit hat, stellen sich die Vorboten dieser Verwandlung
ein. Die Milbe fühlt wohl selbst, dass mit ihr etwas Bedeutsames
vorgehen soll und hängt sich, um die inneren Entwickelungsvorgänge
ungestört ablaufen zu lassen, mit ihren Tastern an irgend einem
geschützten Orte fest an. Die Glieder werden bewegungslos und
die innere Körpersubstanz zieht sich aus ihnen zurück, eine rund-
liche von der alten Haut umschlossene eiartige Masse bildend.
Ähnliches wiederholt sich später ebenso bei der zweiten noch ein-
tretenden Häutung und wird auch bei der grossen Mehrzahl der
Land und Wasser bew-ohnenden Milben beobachtet, wenn es auch
nicht durchaus bei sämtlichen zu einer völligen Zurückziehung des
Körperinhalts aus den Gliedern kommt.
Es gestaltet sich während der jetzt eben in Rede stehenden
Larvenruhe unter der alten Haut eine neue INIilbe aus. Man
beobachtet deutlich die neuen Glieder durch die durchsichtige, nun
bloss noch einen Schutz für das zarte neue Geschöpf abgebende
bisherige Haut hindurch. Nach wenigen Tagen ist es soweit, dass
das eingeschlossene Tier die Hülle sprengen kann. Statt einer
sechsfüssigen Acaride tritt eine achtfüssige aus der Larvenhaut her-
vor (Fig. 3 e). Und während vorher die sechs Füsse ausserordent-
lich dünn und verhältnismässig kurz waren, fällt jetzt die Länge
der acht neuen Füsse auf. Dieselbe übersteigt um ein Bedeutendes
die Gesamtlänge des Rumpfes und giebt dem ganzen Tier etwas
Schlankes und Zierliches. Das Rückenschild ist bis auf die letzte
Spur verschwunden und auf der Unterseite sieht man ausser den
völlig anders geformten grossen Hüftplatten noch jederseits von der
kaum angedeuteten Geschlechtsöffnung ein schräg gestelltes Plättchen,
welches zwei deutlich ausgebildete kreisrunde Haftnäpfe trägt. Noch
42 Die Hydrachniden.
ein Blick auf die Füsse belehrt uns, dass nicht nur reichliche
Schwimmborsten die mittleren Glieder derselben schmücken, zwar
noch nicht so zahlreiche wie beim erwachsenen Tier, aber doch
schon genau ebenda aufgestellt wie bei diesem, sondern dass
auch die Krallen eine ganz veränderte Form bekommen haben.
Fig. 3 c zeigt die Kralle der ersten Larve, während Fig. 3 d die-
ienige aller späteren Lebensstufen darstellt, besser als eine Be-
schreibung es zu geben vermag. Die grösste Veränderung hat aber
der Mundabschnitt erfahren. Der lange Schnabel ist verschwunden
und die Taster sind langgestreckt und schlank, auch fehlt ihnen
die scharfe Kralle, welche den ersten Larven so eigentümlich ist.
Einem genaueren Beobachter entgeht auch nicht, dass die grosse
Pore, welche bei letzterer zwischen den Hüftplatten des ersten
und zweiten Fusses stand, jetzt ganz verschwunden ist. Dies
hängt wohl mit der auffallendsten der inneren Veränderungen
zusammen. Jetzt hat nämlich die junge Milbe zahlreiche Luft-
röhren bekommen, welche alle von zwei am Gründe der Kiefer
ausmündenden Hauptstämmen ausgehen. Mit dieser Larvenform,
welche in Fig. 3 e abgebildet ist, ist für die Hydrachniden die letzte
Stufe vor der ganz ausgebildeten Form erreicht. Es ist dies keines-
wegs Gesetz in dem ganzen Reiche der Acariden, dass zwischen
Ei und erwachsenem Tier nur zwei Larvenstadien eino-eschaltet sind.
Vielmehr zeigen zahlreiche Gattungen, namentlich aus den Familien
der Hartmilben und Tyroglyphus-artigen .Milben drei und mehr
Larvenstadien zwischen Ei und erwachsenem Tier, so dass es ein
interessantes Gebiet der Forschung ist, entweder die Gründe einer
so eingreifenden Verschiedenheit der Entwickelungsgeschichte inner-
halb der Familie der Acariden darzulegen oder durch richtigere
Auffassung der bestehenden Verhältnisse eine Übereinstimmung der
scheinbar verschiedenen Entwickelungsformen zu erkennen. Be-
merkenswert ist es jedenfalls, dass die Trombidium- Arten eine mit
den Hydrachniden im wesentlichen übereinstimmende Entwickelungs-
weise zeigen, so dass auch hierdurch deren nahe Verwandtschaft
bestätigt wird. Doch kehren wir noch einmal zu unserer Larve
zurück. Diese war zunächst dadurch ausgezeichnet, dass die Füsse
Die Hydrachniden. 43
im Vergleich zum Rumpf ausserordentlich lang, wenn auch zierlich
sind. Dieses Verhältnis ändert sich jedoch bald, indem die Larve
durch sehr reichliche Nahrungsaufnahme schnell und erheblich
wächst, so dass der Rumpf mächtig anschwillt, während die Glied-
massen unverändert dieselbe Grösse beibehalten und so allmählich
immer mehr gegen den Rumpf zurücktreten.
Bald tritt nun eine neue Pause in der Entwickelung ein. Die
jMilbe sucht ein Versteck und versinkt in einen neuen Zustand
völliger Regungslosigkeit, während welcher sich innerhalb der Lar\'en-
haut die vollständig ausgebildete Milbe entwickelt. Entschlüpft
dann der Larvenhaut das endgültig fertiggestellte Tier, so fällt
auch wieder vor allem der Unterschied in der Längenentwickelung
der Füsse auf. Aber auch in vielen anderen Punkten ist an dem
neuen Geschöpfe eine wesentlich andere Form und Bildung zu
bemerken. So sind die Weibchen nunmehr von den INIännchen
deutlich zu unterscheiden, während bis zur letzten Larve ein
äusserlicher Unterschied der männlichen und weiblichen Larven
nicht festgestellt werden konnte. Es sind aber auch abgesehen von
diesem Unterschiede in beiden Geschlechtem die Schwimmborsten
an den Gliedern namentlich der hinteren beiden Fusspaare ausser-
ordentlich viel zahlreicher geworden. Endlich findet man statt
der wenigen Haftnäpfe auf der Unterseite des Hinterleibes nun-
mehr deren zahlreiche jederseits in einem Häufchen vereinigt
(Fig. 3 i u. k).
Ist die erwachsene JNIilbe nach der letzten Häutung noch \-er-
hältnismässig klein, so bewirkt eine reichliche Nahrungszufuhr bald
ein ansehnliches Wachstum, so dass es namentlich Weibchen bis zu
I •/2 mm Länge giebt, während die Männchen meist erheblich kleiner
bleiben. Überhaupt ist bei den IMilben das ^lännchen meistens
ziemlich viel kleiner als das Weibchen, selbst dann, wenn letzteres
nicht durch die zahlreichen allmählich heranwachsenden Eier aufquillt.
Wie lange eine erwachsene INIilbe zu leben vermag, ist nur
selten Gegenstand des Experiments gewesen. Ich selbst habe Larven
von Nesaea fuscata einen ganzen Winter hindurch gehalten, ohne
dass sie sich verwandelt hätten. Andere Beobachter haben ähnliche
44 I^is Hydiachniden.
Resultate bemerkt. Es ist wohl möglich, dass eine Milbe der
erwähnten Art mehrere Jahre hindurch ihr Leben erhalten kann.
Den Beschluss dieser Darstellungen aus der Entwickelungs-
geschichte der Süsswassermilben mag die Lebensgeschichte der
Hydrachna globosa machen. Dieselbe ist schon von Duges in den
dreissiger Jahren unseres Jahrhunderts entdeckt und seitdem oftmals
bestätigt worden. Diese Wassermilbe ist, wie bereits oben gesagt,
insofern bemerkenswert, als aus ihren Eiern junge Larven schlüpfen,
welche von den entsprechenden der Hart- und Weichschwimmer,
also auch denen von Nesaea und Atax völlig verschieden sind,
dagegen mit den Larven der auf dem Lande lebenden Trombidien
grosse Ähnlichkeit besitzen. Eine derartige Larve, welche aber nicht
zu Hydrachna, sondern zu einer Gattung gehört, welche den Namen
Hxdrodroma erhalten hat, ist in Fig. 4 abgebildet. Sie zeichnet
sich durch eine mächtige Entwickelung der Kiefer aus und führt
Taster, welche unmittelbar an die Taster aller trombidiumartigen
Landrailben erinnern, dadurch, dass das letzte Tasterglied an dem
untern Ende des vorletzten Gliedes seitlich und nicht am obern
Ende eingelenkt ist. Die Füsse sind mit Krallen bewehrt, welche
sich in dieser Form ebenfalls bei zahlreichen Landmilben, selbst
bei Panzermilben (Oribatiden) wiederfinden. Diese kleinen scharlach-
roten Larven scheinen unter allen Umständen ein parasitisches
Leben führen zu müssen. So heften sich die Hydrachna-Larven an
Insekten, welche im Wasser leben, fest. Sehr bevorzugt wird die
graue Wasserwanze, an welcher man im Frühjahr häufig die schon
über stecknadelkopfgrossen Parasiten mit ihrem Kopfe in die
weicheren Hautpartien an den Gelenken eingebohrt findet. Da
die völlig ausgewachsene Wassermilbe schon im Juni beobachtet
wird, so wird bereits Anfang Juli das Ausschlüpfen aus den Eiern
stattfinden. Die jungen Milben machen ihre erste Larvenzeit teils
freilebend, so lange nämlich, bis sie ein geeignetes Nährtier gefunden
haben, teils als Parasiten angeheftet an letzterem durch. Diese
letztere Periode erstreckt sich durch den Herbst bis zum Frühjahr.
Während dieser Zeit nimmt die Grösse des Tieres durch unaus-
gesetzte Nahrungszufuhr dauernd zu, so dass Larven bis zu 2 mm
Die Hydrachniden. 45
Län^e an den Nährinsekten ans'etroffen werden. Der Hinterleib
dehnt sich dabei allein aus, während die Gliedmassen keine Grössen-
zunahme erfahren. Gewissermassen gestaltet sich das Tier zu einer
Vorratskammer von Nährstoffen um, welche nun im Frühjahr zur
Neubildung der zweiten Larve verwendet werden. In dem auf-
Fig. 4.
Erste Lar\'e von Hydrodroina rubra.
getriebenen Hinterleibe bemerkt man, wie in einem zugeschnürten
Beutel ruhend, nunmehr die völlig anders gestaltete neue Milbe.
Dieselbe hat acht Füsse statt der früheren sechs und zeigt ein
verändertes Kopfsegment, ist überhaupt in keiner Weise vergleichbar
der ersten Larve.
Diese zweite Larve hat bereits im wesentlichen die Gestalt des
erwachsenen Tieres, zunächst aber noch nicht dessen Grösse. Durch
46 Die Hydrachniden : Anhang.
schnelles Wachstum erreicht sie dieselbe aber bald und begiebt
sich an einen Ort, wo sie die zweite Larvenruhe durchmachen
kann. Zu diesem Zweck entleert sie einen Tropfen ihres Speichel-
vorrats und heftet dadurch ihren langen Schnabel an die Unterlage
fest an. Die Glieder verlieren ihre Beweglichkeit und der Leibes-
inhalt gestaltet sich noch einmal zu einem neuen Tiere um. Nach
etwa zehn Tagen durchbricht letzteres die schützende Haut der
ruhenden Larve. Nunmehr ist das Tier ausgebildet und erfährt
nur noch ein Grössenwachstum.
Anhang.
Tabelle zur BestimmBiig der bis jetzt bekauut gewordenen
Gattungen der Hydrachniden.
1. Die Augen nahe bei einander, der Mittellinie des Körpers
sehr genähert 2.
Die Augen in zwei weit von einander getrennte Gruppen
gesondert, dem Seitenrande des Körpers genähert . . 3.
2. Sämtliche Füsse ohne Schwimmborsten . Limnochares, Latr.
Nur das vierte Fusspaar ohne Schwimmborsten Eyla'is, Latr.
3. Die Mandibeln eingliedrig, stechborstenartig , in einem
schnabelartigen IMundrohr laufend . . Hydrachia, Müller
Mandibeln zweigliedrig 4-
4. An den Füssen keine Schwimmborsten 5-
x\n den Füssen Schwimmborsten 6.
5. Auf dem Rücken zahlreiche polygonale, einander sehr
genäherte erhärtete Felder TJiyas, C. L. Koch.
Eine einzige Panzerplatte bedeckt den Rücken Aturus, Kramer.
Der Rücken durchaus weichhäutig . . Bradybates, Neuman.
Die Hydrachniden : Anhang. j.7
6. Die Körperhaut in beiden Geschlechtem überall erhärtet 7.
Auf dem Rücken des Älännchens eine denselben fast
vollständig bedeckende poröse Platte, welche dem
Weibchen fehlt Forelia, Haller.
Auf dem Vorderrücken bei beiden G eschlechtem eine nur wenig
umfangreiche vierzipfelige Stirnplatte Hydrodroma, C. L. Koch.
Der Rücken bei beiden Geschlechtem durchaus weichhäutig 9.
7. Am vierten Fusse jeder Seite keine Krallen Marko, C.L.Koch.
Am vierten Fusse jeder Seite Krallen 8.
8. Jederseits nur drei Haftnäpfe Axona, Kramer.
Jederseits sehr zahlreiche kleine, porenartige Haftnäpfe
Arremirus, Duges.
9. Die Taster endigen scherenförmig . . . Diplodontus, Duges.
Die Taster endigen nicht scherenförmig 10.
10. Die Epimeren sämtlicher Füsse jeder Seite bilden ein
zusammenhängendes Feld 11.
Die Epimeren der Füsse jeder Seite sind in zwei von
einander getrennte Gruppen gesondert 14.
1 1 . Der Körper bedeutend mehr lang als breit, oval abgerundet
Pseudoniarica, Neuman.
Der Körper kreisrund 12.
Der Körper hinten fast gradlinig abgestutzt Acercus, C. L. Koch.
12. Die Haftnäpfe fehlen ganz .... Pow/ar ac/wa, Philippi.
Jederseits drei Haftnäpfe 13.
Jederseits zahlreiche Haftnäpfe Midea, Bruzelius.
13. Die Haftnäpfe auf der Innenfläche der Geschlechts-
deckklappe Lebertia, Neuman.
Die Haftnäpfe auf der äussern Oberfläche der Geschlechts-
deckklappe Mideopsis, Neuman.
14. Am vierten Fusse ohne Krallen 15.
Am vierten Fusse Krallen 16.
15. Jederseits drei Haftnäpfe auf der Innenfläche der Ge-
schlechtsklappe Teiitonia, Koenike.
Jederseits drei Haftnäpfe auf der Aussenfläche der Ge-
schlechtsklappe Limnesia, C.L.Koch.
48 I^ie Hydrachniden : Anhang.
i6. Jederseits drei Haftnäpfe auf der Innenfläche der Ge-
schlechtsklappe Sperchott, Kramer.
Die vorhandenen Haftnäpfe neben dem Geschlechtshof
in die Haut eingelassen, oder auf Platten angebracht 17.
17. Jederseits drei Haftnäpfe 18.
Jederseits sechs oder viele Haftnäpfe 21.
18. Am Vorderrande des vorletzten Tastergliedes ein stum-
pfer zapfenartiger Fortsatz neben dem fünften Gliede
Piona, C. L. Koch.
Am Vorderrande des vorletzten Tastergliedes kein zapfen-
artiger Fortsatz 19.
19. Die Epimere des vierten Fusses jeder Seite am hintern
Rande in der Mitte in eine längere Spitze nach hinten
ausgezogen Hydrochoreutes, C. L. Koch.
Die Epimeren des vierten Fusses jederseits hinten gerad-
linig abgeschnitten 20.
20. Die Haftnäpfe klein, den Geschlechtshof völlig einrahmend
Megapus, Neuman.
Die Haftnäpfe verhältnismässig gross, auf besonderen,
neben dem Geschlechtshof stehenden Plättchen ein-
gelassen Hygrobatcs, C. L. Koch.
21. Die Krallen mit blattartig erweiterter Basis; Männchen
mit besonders umgestaltetem dritten und vierten Fuss
Nesaca, C.L.Koch.
Die Krallen nicht mit blattartig erweiterter Basis, Männ-
chen mit nicht besonders umgestalteten Füssen
Atax, Bruzelius.
'3^
Litteratur.
i) Otto Friedrich Müller, Hydrachnae, quas in aquis Daniae
palustribus detexit, descripsit, pingi et tabulis aeneis XI incidi cur.
Lipsiae i 7 8 1 .
2) Pierre Andre Latreille, Precis des caracteres generiques
des Insectes. Paris 1790.
3) Antoine Duges, Recherches sur l'ordre des Acariens en
general et la famille des Trombidies en particulier. Premier memoire.
Annales des Scienc. nat. Paris 1834.
4) Carl Ludwig Koch, Deutschlands Crustaceen, Myriapoda
und Arachniden, Heft i — 40. Regensburg 1835 — 41. Desselben
Verfassers Uebersicht des Arachnidensystems. Nürnberg 1842.
5) Ragnar Magnus Bruzelius, Beskrifning öfver Hydrach-
nider, som förekomma inom Skäne. Akad. Abhandl. Lund 1854.
6) Edouard Claparede, Studien an Acariden. Zeitschrift für
wissensch. Zoologie von Siebold und Kölliker, XVIII. Bd. Leip-
zig 1868.
7) A. Croneberg, lieber den Bau der Hydrachniden. Zool.
Anzeiger von V. Carus. Leipzig 1878, Jahrg. I,. Nr. 14.
8) C. J. Neuman, Om Sveriges Hydrachnider, med 14 Taflor.
Kongl. Svenska \'etenskaps-x\kad. Handlingar, Bd. 17, 1879.
9) G. Haller, Die Hydrachniden der Schweiz, mit 4 Tafeln.
Bern 1882.
10) F. Koenike, Ucbcr das Hydrachniden-Genus Atax. Bre-
men 1881.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 4
50 I^is Hydrachniclen : Litteratur.
1 1 ) F, Koenike, Revision von A. Leberts Hydrachniden des
Genfersees. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXXV, 1881.
12) F. Koenike, Zwei neue Hydrachniden vom Isergebirge.
Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XLIII.
13) F. Koenike, Eine neue Hydrachnide aus dem Karrasch-
see bei Deutsch-Evlau. Schriften der naturforschenden Gesellschaft
zu Danzig. N. F. VlI. Bd.
14) F. Koenike, Ein neues Hydrachniden-Genus (Teutonia).
Archiv f. Naturgesch. 1890, Bd. i.
15) F. Koenike, Einige neubenannte Hydrachniden. Abh.
des naturvv. Vereins in Bremen, Bd. IX.
16) Robert Schaub, Über die Anatomie von Hydrodroma.
Ein Beitrag zur Kenntnis der Hydrachniden (mit 6 Tafeln).
Sitzungsberichte der kaiserl. Akad. der Wissenschaften in Wien.
Math.-naturw. Klasse, Bd. XCVII, 1888.
17) Robert Schaub, Über marine Hydrachniden nebst einigen
Bemerkungen über Midea (mit 2 Tafeln). Sitzungsberichte der
kaiserl. Akad. der Wissenschaften in Wien. Math.-naturw. Klasse.
Bd. XCVni, 1889.
18) Th. Barrois, Materiaux pour servir ä l'etude de la faune
des eaux douces des Azores. I. Hydrachnides. Lille 1887.
19) Th. Barrois et R. Moniez, Catalogue des Hydrachnides etc.
Lille 1887.
20) Th. Barrois, Note sur la dispersion des Hydrachnides.
Revue biolog. du Nord de la France, T. I. 1888 — 1889.
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers,
besonders der stehenden Gewässer.
Von Dr. E. Sclimidt-Schwedt in Berlin.
Vorbemerkung. Der folgende Aufsatz will nur Skizzen aus der
Kerfwelt des süssen Wassers geben; dass dabei ganz wesentlich
die Kerfe und Kerflarven der stehenden Gewässer berücksichtigt
worden sind, ist schon in der Überschrift angedeutet worden. Ich
habe diese Beschränkung geübt, um mich in den Schilderungen
fast ganz auf eigene Anschauung, auf eigene Beobachtungen stützen
zu können. Auch der Kundige, so hoffe ich, wird darin, besonders
in biologischer Hinsicht, manches Neue finden; in jedem einzelnen
Falle es als solches kenntlich zu machen oder zu abweichenden
Angaben in der Litteratur besonders Stellung zu nehmen, schien
mir in einem Aufsatze wie dem vorliegenden überflüssig.
Einleitung.
Wenn von dem zahllosen Heer der Kerfe die Rede ist, denkt
wohl fast Jeder zunächst nur an die augenfälligen Vertreter der-
selben, welche dem Luftmeer angehören und auf Blatt und Blüte,
wie auf und in der Erde ihr Wesen treiben: dass auch dem Wasser
Vertreter dieses „luftigen" Volkes in reichlicher IMenge angehören,
der Gedanke liegt wohl Vielen fern. Wer dann unter kundiger
Leitung besonders ein pflanzenreiches stehendes Gewässer etwa im
Mai mit dem Netz*) untersuchen will, der dürfte wohl staunen
*) Ich benutze dazu mit Vorliebe wenig tiefe Netze aus weissen Rosshaaren. Die-
selben bieten besonders den Vorteil, dass der Stoff im Wasser nicht quillt, also die Lücken
gleich weit bleiben und dass ferner Algenschleini u. dergl. nicht daran haften bleibt.
54 Keife und Kerflaiven des süssen Wassers.
über das reiche Insekten- und vornehmlich Insektenlarvenleben
derselben und wenn er einiges mit nach Hause nimmt zu genauerer
Untersuchung und Beobachtung dei- Lebenserscheinungen, könnte
sich leicht ein dauerndes Interesse für diese Tierwelt daraus ent-
wickeln. Derjenige nun, welcher seine Aufmerksamkeit den Wasser-
insekten zuwenden will, kann zeitig im Frühjahr mit seiner Thätigkeit
beginnen. Wenn kaum einige Zeit das Eis unserer Gräben und
Teiche den wieder kräftiger werdenden Sonnenstrahlen gewichen
ist, beginnt schon ein grosser Teil der im Wasser lebenden Insekten
und Insektenlarven ihr gewohntes Treiben. Geraume Zeit also,
bevor der erste Schmetterling, die erste Grabbiene (Andrena) , die
erste Pollenia (Fliegenart) erscheint, bietet ein Ausflug nach Teichen
und Gräben auf Wasserinsekten reichliche Ausbeute. Ja, manche
Vertreter unserer biologischen Gruppe scheinen eine Winterruhe
kaum zu halten; wenigstens habe ich mehrfach selbst im Januar
Larven der Käferfliegen unter dem Eise ihrer Lebensaufgabe, dem
Frassgeschäft, obliegen und Schwimmkäfer wie Wasserwanzen sich
ebendort tummeln sehen. Es ist eben das Wasser, die Urheimat
alles Lebendigen, für alle Lebewesen, die in seinen Schoss sich
begeben haben, in vieler Hinsicht ein ungleich freundlicheres
Element als das Luftmeer. Die besonders im Frühjahr sprung-
artigen Veränderungen in der Wärme der Luft, die allen Tieren,
welche zu früh ihre Winterplätze verlassen haben, leicht verderblich
werden, gleicht das Wasser mässigend aus und die trüben Regen-
und Schneeschauer des Frühjahrs hält es seinen Inwohnern sicher
vom Leibe. Bei den nicht zu hohen Wärmegraden bietet sogar das
Wasser im Frühjahr denen unter seinen Bewohnern, welche zur
Atmung nicht die atmosphärische Luft, sondern die im Wasser
gebundene benutzen , besonders günstige Daseinsbedingungen , da
der Luftgehalt des Wassers dann wegen der geringen Wärme grösser
ist als im Sommer*). Das reichste Insektenleben zeigen die
Gewässer wohl im Mai; die Zahl der Larven, welche den grösseren
*) Auch bei den Ausflügen, die dem Fange unserer Tiere gelten, macht sich geringe
Wärme als günstiger Umstand bemerkbar; ungleich leichter als an warmen Sommertagen
bringt mau die Tiere ohne Abgang an Toten an kühlen Frühlingstagen heim.
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers. 55
Bestandteil der Insektenwelt des Wassers ausmachen, ist dann auf
ihrem Höhepunkt, Zum Hochsommer nimmt deren Zahl wieder
ab. Nicht wenige der dem Wasser angehörigen Insektenlarven
überwintern freilich selbst in diesem Zustand, z. B. einzelne Schwimm-
käferlarven, zahlreiche Mücken-, Köcherfliegen- und Eintags-
fliegenlarven.
Ist nun auch die Zahl der Insekten und besonders der Insekten-
larven, welche im Wasser leben, eine recht erkleckliche, so ist doch
anderseits zu betonen, dass die eigentliche Stärke dieser Grossmacht
des Tierreichs auf der Erde, in der Luft liegt und — was für
unsere Betrachtungen wichtiger ist — dass das Verhältnis der
Insekten zum Wasserleben im wesentlichen ein gleiches ist wie das
der Säugetiere zu demselben. Ich will damit sagen, dass hier wie
dort der Grundtypus der Klasse in seiner ganzen Gestaltung auf
das Landleben hinweist (wie etwa umgekehrt der der Fische und
Krebse auf das Wasserleben) und dass die im Wasser lebenden
Vertreter, bei den Säugetieren z. B. Seeotter, Seehund, Walfisch,
zwar mehr oder minder weit gehende Abänderungen von jenem
Grundtypus zeigen, die eben im Zusammenhange mit ihrem be-
sonderen Aufenthaltsorte stehen, aber doch immer noch' deutlich
genug erkennen lassen, dass solche Eigentümlichkeiten erst etwas
nachträglich Hinzugekommenes sind, oder vom Standpunkte der
Abstammungslehre aus: Die Vorfahren dieser im Wasser lebenden
Tiere waren Landtiere; erst nachträglich haben sich die Anpassungen,
welche in Beziehung zum Wasserleben stehen, herausgebildet. Zwei
Gebiete der Lebensthätigkeit nun werden bei der Gegenüberstellung
von Land- und Wasserleben besonders berührt und also auch die
denselben dienenden Organe: Atmung und Bewegung*). Diesen
beiden Funktionen und ihren Organen werden wir also im Folgenden
in erster Linie unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben.
Bei den Säugetieren ist die Zahl der Ordnungen, aus denen
Vertreter dem Wasser angehören, nicht eben gross, wenige Raub-
tiere, Nagetiere und die beiden Ordnungen der Robben und Wale;
*) An dritter Stelle wären die Sinnesorgane in Betracht zu ziehen , doch muss ich
dieselben, da dies ein völlig unbebautes Gebiet ist, im Folgenden ausser Betracht lassen.
50 Kerfe und Kciflaiven des süssen Wassers.
ein gleiches trifft für die Insekten zu, wenn man die entwickelten
Tiere im Auge luit — es sind dann nur Käfer und Schnabelkerfe
(Wanzen) zu nennen. Anders gestaltet sich aber das Bild, wenn
man, wie billig, auch die Larven berücksichtigt. Dann ist nur eine
Ordnung im Wasser nicht vertreten, nämlich die der Hymenopteren,
d. h. der Verwandten von Biene, Wespe und Blattwespe. Um
nun die stattliche Reihe aller dieser Vertreter in eine übersichtliche
Anordnung zu bringen, dürfte es sich empfehlen, die natürlichen
Gruppen des Insektenvolkes, die Ordnungen, zu Grunde zu legen.
Käfer.
1. Tavimelkäfer (Gyriniden).
Zu den wenigen Vertretern der Wasserinsekten, welche sich
ajich dem flüchtigen Auge des Spaziergängers aufdrängen, gehören
die massig grossen (bis 7 nmi), nicht eben zahlreichen Arten der
Taumel- oder Drehkäfer (Gyriniden). In vielfach durch einander
geschlungenen Linien schwimmen sie blitzschnell bei schönem Wetter
gesellig auf der Oberfläche stehender wie fliessender Gewässer
dahin. Diesen Tummelplatz, die Oberfläche des Wassers, teilt mit
ihnen unter den Wasserinsekten in gleich ausgesprochener Weise
nur noch eine Familie der Schnabelkerfe, die Wasserläufer (Hydro-
dromici), die auf langen Beinen zur Überraschung des Zuschauers
auf dem Wasser dahinlaufen*).
Unterscheiden sich die Taumelkäfer von den Wasserläufem
schon dadurch, dass sie an der Oberfläche dahinschwimmen,
nicht auf ihr laufen, so kommt dazu noch weiter, dass sie auch,
was jene nie thun, leicht in das Wasser hinabtauchen, sei es nun,
um sich der Ungunst des Wetters oder drohender Gefahr zu ent-
ziehen oder um Beute zu erhaschen. Während der Käfer auf der
*) Auf der Oberfläche des Wassers trifft man nicht selten auch verschiedene Fliegen-
arten, besonders solche aus der Familie der Dolichopiden und Museiden (Ephydrinen).
Ebenso leicht, wie sie auf dem Wasser dahin laufen, fliegen sie auch wieder von dort fort ;
Anpassungen an das Leben an diesem Aufenthaltsort wie bei Taumelkäfern und Wasser-
läufern sind mir nicht bekannt. — An vierter Stelle könnte man hier vielleicht noch die
winzigen Springschwänze (Poduren) nennen , die sich bisweilen in der Nähe des Ufers in
grossen Scharen ansammeln und dann einer Masse Schiesspulver gleichen, dessen Körner
auf rätselhafte Weise in hüpfende Bewegung versetzt sind.
Kerfe und Kerllarven des süssen Wassers. 57
Oberfläche schwimmt, scheint' er gleichzeitig die Umgebung über
wie unter Wasser zu mustern; wenigstens weist darauf eine selt-
same Einrichtung seiner Augen hin. Jedes derselben ist nämlich
durch eine breite Chitinleiste in einen nach oben und einen nach
unten gewendeten Teil geschieden, so dass man bei unseren Tieren
von vier Netzaugen sprechen kann.
Die Aussrestaltuno; ihrer Beine zum Schwimmen ist vollkommener
als bei irgend einem anderen Käfer und zwar gilt das in annähernd
gleichem Grade für JNIittel- wie Hinterbeine, während die Vorder-
beine, welche nur zum Greifen und Festhalten benutzt werden,
armartig verlängert sind. An den Mittel- und Hinterbeinen sind
besonders die Schienen und vier ersten Fussglieder flossenartig \er-
breitert und dabei etwas schaufelartig ausgehöhlt; der Aussenrand
ist überdies mit Schwimmborsten besetzt. Schwimmen, besonders
schnelles Schwimmen mit den Gliedmassen, ist eine ansehnliche
Arbeitsleistung und stellt daher an die Festigkeit des Körperbaues,
vornehmlich hinsichtlich der Anfügung der Gliedmassen, hohe x\n-
forderungen. Wer den Bau unseres Käfers auf diesen Gesichtspunkt
hin untersuchen will, wird ihn in Einklang mit jenen Forderungen
finden. Besonders die Hinterhüften sind auffallend gross und fest
mit dem Brustskelett verwachsen; an der ]\Iittelbrust, von deren
Hüftteilen annähernd Gleiches gilt wie von den Hinterhüften, fällt
besonders der grosse INIittelteil (Mesosternum) auf, dessen Aus-
dehnung einen Schluss erlaubt auf die auch in diesem Brustring
entwickelten INIuskelmassen.
Die Anpassung der Beine an das Schwimmen ist eine so aus-
geprägte, dass die Käfer auf dem Lande ebenso unbeholfen sind
wie manche Vertreter der im Wasser lebenden Säugetiere. Wollen
sie jedoch von einem Gewässer zum anderen wandern, so stehen
ihnen wie allen \\"asserkäfem dazu die Flügel zu Gebote.
Sind die Gyriniden hinsichtlich ihrer Bewegung ausgesprochene
Wassertiere, so bieten sie dagegen rücksichtlich der Atmung nichts
Besonderes dar. Befinden sie sich an der Oberfläche, also mit
der Rückseite ganz an der Luft, so atmen sie wie gewöhnliche
Landkäfer; tauchen sie unter, so sieht man am Hinterende stets
58
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
ein kleines Luftbläschen Q-länzen. Ganz anders verhalten sich in
diesem Punkte die Larven der Taumelkäfer. Diese besitzen (Fig. 5, i
Larve von Gyrtmts striatus) jene eigenartigen Atmungsorgane, welche
-^-^>;^
*) Die vergrösserten Figuren für die Zinkographie sind von Herrn Kupferstecher
Ettel, Berlin, dem ich dafür zu Dank verbunden bin, teils nach vorhandenen Abbildungen,
teils nach meinen Handzeichnungen, teils nach der Natur gezeichnet worden ; im letzteren
Falle ist stets Zeichnung und Objekt von mir verglichen worden. Im ersten Falle ist stets
der Schriftsteller genannt worden, dem die Figur entlehnt wurde, in den beiden letzten ist
angegeben worden : nach der Natur.
Kerle und Kerflarven des süssen Wassers. gg
einem Teil der Insektenlarven des Wassers zukommen und mit dem
Namen Tracheenkiemen belegt worden sind. Wie die gewöhn-
lichen Kiemen vermögen diese Organe dem Wasser den absorbierten
Sauerstoff zu entnehmen, enthalten jedoch nicht einen lebhaften
Blutstrom, sondern verzweigte Luftröhren (Tracheen), welche von
zartem Protoplasma umgeben sind. Bei den Gyrinidenlarven sind
diese Organe seitlich bewimpert (s. Fig. 5, i); jeder Hinterleibsring
trägt an der Seite je ein Paar dieser Kiemenfäden, der letzte aber
vier derselben, die nach hinten gerichtet sind. In schlechtem, d. h.
sauerstoffarmem Wasser habe ich unsere Larve mehrfach den Hinter-
leib auf- und niederschwingen sehen, während sie sich mit den
Beinen festhielt. Offenbar dienten diese Bewegungen zur schnelleren
Erneuerung des für die Atmung nötigen Wassers. Durch gleich-
artige Bewegungen des Körpers, also ebenso wie die Egel unserer
Gewässer, vermag auch die Larve ziemlich schnell durch das Wasser
zu schwimmen; dabei gewinnen auch wohl die Wimpern der
Trächeenkiemen ihre Bedeutung. An der Gestalt und Verteiluns:
dieser Organe, an den sechs Brustfüssen und an den vier gekrümmten
Chitinhaken am Hinterleibsende (in unserer Figur sind nur zwei
davon sichtbar) sind unsere Larven leicht kenntlich.
So häufig übrigens die Taumelkäfer sind, so selten habe ich
— und wie es scheint auch Andere — die Larven ans^etroffen.
Vermutlich halten sich dieselben in Schlupfwinkeln, etwa unter Steinen
am Boden der Gewässer, auf; dafür sprechen ihre Atmungsorgane,
die sie davon befreien, wie andere Wasserkäferlarven zur Atmung
an die Oberfläche kommen zu müssen, die zarte Beschaffenheit des
Hinterleibes und der Besitz der gekrümmten Haken am Körper-
ende, die anscheinend zum Festhalten in Gängen oder an Gegen-
ständen dienen. Die Larven leben übrigens wie die Käfer vom
Raube. Zur Verpuppung verlassen sie, wie das fast für alle Käfer-
larven des Wassers gilt, dieses Element und gehen an das Land.
2. Schwimmkäfer (Dytisciden).
Ungleich reicher an Arten als die nur in zwei Gattungen mit
zwölf Arten vertretenen Taumelkäfer ist die Schar der eis;entlichen
(jQ Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
Schwimmkäfer (Dytisciden). Unter den im Wasser lebenden Käfern
sind sie schon durch die fadenförmigen, auch im Wasser stets frei
getragenen Fühler gekennzeichnet. Nahezu 150 deutsche Arten
werden unterschieden, für die zwölf Gattungen aufgestellt worden
sind. Die ansehnlichsten Vertreter unserer Familie sind die Arten
der Gattung Dytisciis und Cyhistcr (über 2 1/2 cm gross); unter
ihnen wieder ist wohl der Gelbrand, Dytisciis marginalis, diejenige
Art, w^elcher man am häufigsten begegnet*).
Der Gelbrand hält sich wie alle seine Familiengenossen, sofern
er nicht fliegend das bisher bewohnte Gewässer mit einem anderen
vertauscht, nur in, nie auf dem Wasser auf, dort seinem räube-
rischen Treiben nachgehend. In nicht zu langen Zwischenräumen
muss er jedoch, um zu atmen, an die Oberfläche kommen. Die
Hauptmenge der Atemöffhungen liegt aber an der Rückseite des
Hinterleibes unter den Flügeln und daher steckt der Käfer, das
Kopfende schräg nach unten haltend, nur das Ende des Hinter-
leibes heraus und lüftet dabei ein wenig die Flügeldecken. Bei
der geringsten Beunruhigung fährt er sofort in die Tiefe. Eine
schnelle Erledigung des in dieser Lage offenbar gefährlichen
Atemgeschäftes wird nun ermöglicht durch ungewöhnlich grosse,
mit vollkommenen Schutzvorrichtungen gegen Staub versehene Luft-
löcher; besonders die dem Körperende näheren sind im Gegensatz
zu dem bei Landkäfern üblichen Verhalten durch Grösse aus-
gezeichnet. Sind sie es doch auch, welche hier zunächst in An-
spruch genommen werden. Durch die Luft, welche sich in den
Tracheen und unter den Flügeln befindet, wird übrigens der Körper
im Verhältnis zu seinem Rauminhalt so leicht, dass der Käfer
infolgedessen im Wasser emporsteigt und also sich anstrengen muss,
nicht wenn er zur Oberfläche will, sondern umgekehrt, wenn er
zur Tiefe hinab will. Den Weg dahin nimmt er meist nicht in
einfach senkrechter Richtung, sondern fast immer etwas schräg; er
benutzt so den Widerstand, welchen seine breite Gestalt der Wirkung
*) Im Netz gebärdet er sich gewöhnlich sehr unruhig ; fasst man ihn, so sucht er
sich durch Entleerung seines Unrats und einer milchigen Flüssigkeit, die dem Vorderbrust-
ring entquillt, zu befreien.
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers. 61
des Auftriebes entgegenstellt, wie der Arbeiter, welcher das Fass
nicht einfach hebt, sondern auf der Schrotleiter emporrollt.
Einer bemerkenswerten, auf die Atmung bezüglichen Beobachtung
sei hier noch gedacht, die ich zuerst bei Cybister Rocseln machte:
die Haut der Bauchseite dieses Käfers ist so durchsichtig, dass an
dem auf den Rücken gelegten Tier die Luftröhren, besonders die
stärkeren, querverlaufenden Stämme unter den Ringen des Hinter-
leibes und eine grosse Tracheenblase der Brust deutlich zu erkennen
sind. An ihnen kann man nun ohne Schwierigkeit wahrnehmen,
wie zum Auspressen und Wiedereinsaugen der Luft ihre Wandungen
abwechselnd zusammen und wieder aus einander gehen. Das erstere
geschieht infolge besonderen Muskeldruckes, das Öffnen dagegen
infolge der Spannkraft der Luftröhrenwände.
Zum Schwimmen benutzt der Gelbrand fast nur die Hinter-
beine, deren Schienen und Fussglieder mit Schwimmhaaren versehen
sind, und zwar beim Männchen mit zwei Reihen, beim Weibchen
mit einer. Wie ein geschulter Schwimmer bewegt der Käfer die
in ihren Fussgliedern nach oben gekrümmten Beine dieses Paares
stets gleichzeitig. Von auffälliger Grösse sind wiederum die fest
mit dem Körper verwachsenen Hüften, die bei der ersten
Betrachtung ein Teil der Brust zu sein scheinen; eigenartig ist die
Befestigung der übrigen Beinteile daran, nämlich derart, dass den
Schenkeln und Schienen nur die Bewegung von vorn nach hinten
möglich ist. Die Mittelbeine sind zwar auch mit einigen Schwimm-
borsten versehen, ihre Bedeutung beim Schwimmen besteht aber
nur darin, dass sie mithelfen, wenn nötig, die Richtung des Körpers
zu ändern. Ihre Hüften sind klein, kugelig, die ganze Mittelbrust
ist an der Unterseite von der Hinterbrust fast verdrängt, so dass
dadurch die Unterseite des Käfers ein charakteristisches Gepräge
erhält. Dass die geringe Ausbildung der Mittelbrust in Beziehung
steht zu ihrer geringen Muskelmasse und diese wieder zu der geringen
Inanspruchnahme der Mittelbeine, braucht hier wohl nur angedeutet
zu werden. Die Vorderbeine sind fast ganz in den Dienst des
Mundes oretreten; sie halten die Beute und führen sie dem Munde
zu. In sprechender Weise kommt die Arbeitsteilung unter den
(32 Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
Beinen zum Ausdruck, wenn man dem Tier etwa einen Regenwurm
bietet. Mit den Vorderbeinen ihn haltend, schwimmt der Käfer mit
den Hinterbeinen einem Ruhepunkte zu, wobei die Mittelbeine die
oben angegebene Nebenrolle spielen; angelangt, hält er sich mit
den Mittelbeinen fest, während die Hinterbeine in einer eigentümlich
gekrümmten Haltung stehen und die Vorderbeine den Mundteilen
Handlangerdienste leisten. Der Unterschied in der Thätigkeit der
drei Beinpaare prägt sich auch in der Krallenbildung aus; nur an
den Hinterbeinen sind die Krallen in ziemlichem Grade verkümmert.
In Beziehung zum Schwimmen steht ferner offenbar die feste
Ineinanderfügung von Kopf, Brustschild (Halsschild) und den
übrigen Körperteilen, wobei besonders auch der Dom an der
Unterseite der Vorderbrust, der sich in eine Rinne der Mittelbrust
legt, zu beachten ist, und ebenso die Verwachsung der ersten Bauch-
ringe: Durch alle diese Punkte wird erreicht, dass beim Schwimmen
die Teile sich nicht hin und her bewegen und dass keine unnötigen
vorspringenden Teile die Reibung erhöhen. Zum Durchschneiden
des Wassers ist so der flache Körper trefflich eingerichtet. Als
Besonderheit bleibt endlich zu erwähnen, dass beim Männchen die
drei ersten Fussglieder der Mittel- und Vorderbeine in ausgeprägter
Weise zu Haftorganen umgebildet sind ; die der Vorderbeine bilden
eine rundliche Scheibe, von deren mit Saugnäpfchen versehenen
Haaren sich besonders zwei durch Grösse auszeichnen. Dass
infolge der Elastizität der Wandung die einmal angedrückten Teile
eben nach dem Prinzip von Saugnäpfen ohne weiteres Zuthun des
Käfers haften, lehrt ein Versuch mit den toten Tieren. Drückt
man die feuchte Haftscheibe etwa an eine Glasplatte, so bleibt
nicht nur beim Aufheben dieser Platte der Käfer daran hängen,
sondern man • kann auch noch einen zweiten und dritten an den
ersten anhängen.
Die Weibchen anderseits zeigen einen eigentümlichen Dimor-
phismus, insofern nämlich, als die eine Reihe derselben mit gefurch-
ten, die andere mit glatten Flügeldecken versehen ist.
Die Larven der Gattung Dytiscus (Fig. 5, 2) sind im Früh-
jahr in unseren stehenden Gewässern eine recht häufige Erscheinung
Kerfe und Kerflaiven des süssen Wassers. (53
Abgesehen von den Larven der Libellen, die wegen der bald ent-
wickelten Flügelansätze nicht mit Käferlarven verwechselt werden
können, sind sie wohl mit denen von Cybister die grössten Insekten-
larven des süssen Wassers; erwachsen messen sie etwas über 5 cm.
Als Schwimmkäferlarve ist sie kenntlich durch die grossen sichel-
förmigen, auf der Innenseite nicht gezähnten Oberkiefer, durch den
Mangel einer eigentlichen Mundöffnung, durch den platten Kopf,
ferner durch die Zweizahl der Krallen an den drei Brustfüssen und
endlich durch die stärkere Chitinisierung der Rückenseite — nur
der letzte Hinterleibsring ist ringsum stärker chitinisiert*). Als
unterscheidend für die Larven unserer Gattung wäre neben der
Grösse hervorzuheben, dass zwischen den vier längeren Fühler-
gliedem anscheinend je ein kürzeres eingeschaltet ist, dass die
beiden letzten Leibesringe seitlich mit stärkeren Schwimmhaaren
versehen sind und dass die beiden am Körperende befindlichen
Anhänge gross und stark befiedert sind.
Wie der Käfer muss die Larve zum Atmen an die Oberfläche
kommen; die beiden einzigen thätigen Luftlöcher**) liegen am
Ende des letzten Ringes. Die beiden Körperanhänge flach auf
dem Wasser ausbreitend, hängt die Larve beim Atmen in S-förmiger
Krümmung an der Oberfläche.
Wird sie beunruhigt, so schnellt sie sich durch einen kräftigen
Schlag des Hinterleibes ein gut Stück in die Tiefe. Diese Zuhilfe-
nahme des Abdomens bei der Bewegung ist übrigens ein charakte-
ristischer Zug vieler Insektenlarven gegenüber dem entwickelten
Tier. Schwimmt die Larve ruhiger im Wasser umher, so benutzt
sie dazu in gleichmässiger Weise die drei mit Schwimmhaaren ver-
sehenen Beinpaare, die Beine desselben Paares aber meist nicht
wie der Käfer gleichzeitig bewegend.
Die Larve führt ein ausgesprochen ,räuberisches Leben, dabei
frisst sie ihre Beute nicht , sondern saugt derselben die Säfte aus ;
*) Vgl. dazu den Versuch einer Tabelle über die Kerf larven am Ende dieses Aufsatzes.
**) Die sieben anderen Stigmenpaare des Hinterleibes und die beiden Paare der Brust
sind geschlossen und besonders ;in jüngeren Tieren schwer wahrzunehmen ; eine Bedeutung
haben sie nur noch bei den Häutungen der Larve, indem sie dann als Anheftepunkte der
alten Tracheen dienen, die aus den neugebildeten herausgezogen werden müssen.
ß4 Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
besonders oft habe ich sie so Kaulquappen aussaugend beobachtet.
Wie schon oben erwähnt, fehlt eine eigentliche Mundöffnung; aber
die Oberkiefer haben auf der Innenseite eine durch Ineinander-
greifen der Ränder geschlossene Rinne, welche nach der Spitze zu
offen ist und nach dem Grunde zu in den Verdauungskanal mündet.
Will man die Larven zur Verpuppung bringen, so darf man es
nicht an Nahrung und einer Gelegenheit, an das Land zu kommen,
fehlen lassen.
Ist hier auch nicht der Ort, auf die Besonderheiten der anderen
Gattungen allgemeiner einzugehen, so möchte ich mir doch nicht
versagen, auf den einzigen, nicht eben häufigen Käfer unserer
Familie hinzuweisen, der bei Berührung Töne von sich giebt —
er benutzt dazu die Flügeldecken und letzten Hinterleibsringe — ,
und der auch sonst eine eigenartige Stellung in der Familie ein-
nimmt: Pclohius Hernianni, und ferner auf die beiden Gattungen
Haliphts und Cnemidotiis, deren kleine Arten bei abweichender
Hüftenbildung der Hinterbeine nicht regelrecht schwimmen, sondern
pudeln.
Zur Bestimmuno- der Käfer stehen zahlreiche Bücher zur Ver-
fügung ; die Bestimmung der Larven bietet dagegen grosse Schwierig-
keiten t*); ja viele von ihnen sind erst durch die hervorragenden
Arbeiten Schiödtes bekannt geworden. Ich \'ersuche hier noch
einige der häufigeren, wenigstens der um Berlin häufigeren Larven
kenntlich zu machen.
Leicht zu kennzeichnen ist die nicht seltene Larve von Acilhis
sulcatus (Fig. 5, 3), die erwachsen etwa 3 cm misst. Der erste
Brustring ist etwa dreimal so lang als in der Mitte breit; die
mittleren Hinterleibsringe sind stark verbreitert, die beiden letzten
Ringe seitlich mit Schwimmhaaren versehen, die beiden Anhänge
dagegen unbewimpert. Der Kopf ist durch schwarze Flecke in der
Mitte und an den Seiten ausgezeichnet; die Fühler haben auch
hier abwechselnd längere und kürzere Glieder. Die ersten Jugend-
stadien der Larve sind übrigens fast ganz schwarz.
*) Die Nummern verweisen auf die Litteratur am Schluss des Aufsatzes.
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers. (J5
Gewissermassen ein Gegenstück zu der Larve von Acilius
bildet die bis 2.2 cm lange Larve von Colymbetes fitscus. Der erste
Brustring derselben ist nämlich i i/2mal so breit als lang und breiter
als die Mitte des sich nach hinten verjüngenden Abdomen. Nur
der letzte Ring trägt einen seitlichen Haarbesatz, dagegen sind die
beiden Schwanzanhänge gleichmässig und beiderseitig bewimpert.
Die Fühler sind einfach viergliedrig. Sehr nahe schliessen sich
hieran die Larven von Agabtts und Mybius. Larven dieser Gruppe
habe ich vielfach in einzelnen Exemplaren auch überwinternd an-
getroffen.
Unter den Ideineren, d. h. bis i cm grossen Larven ist die
von Hyphydrus ovatiis (Fig. 5, 4) durch die lange, schmale, schnabel-
artige Verlängerung des Kopfes nach vorn auffällig. Das Körper-
ende läuft in drei Anhänge bez. Fortsätze aus, von denen der
mittlere haarlos ist.
Einen ähnlichen, aber weit kürzeren und breiteren Stimfortsatz
besitzen die noch kleineren Larven von Hydroporus parallelo-
grammus.
Endlich erwähne ich wegen ihrer Eigenart die kleinen Larven
von Cnemidotus, die an Brust und Hinterleib mit fadenförmigen,
gegliederten Tracheenkiemen versehen sind und wie die von Hali-
pliis nur je eine Kralle an den Beinen besitzen, und die nach
Schiödte mit wahren, d. h. bluterfüllten Kiemen ausgestatteten
Larven von Pelobius.
3. Kolbenwasserkäfer (Hydrophiliden).
Ein bemerkenswertes Gegenstück zu den Schwimmkäfern bilden
in fast allen Punkten die Arten der dritten dem Wasser ange-
hörigen Familie, der Kolbenwasserkäfer oder Hydrophiliden. Als
Vertreter wollen wir auch wegen seiner Grösse (3.5 bis 4.5 cm) den
pechschwarzen Wasserkäfer (Fig. 6, 5 S. 66) wählen, der treffend hie
und da beim Volke Wasserkuh heisst.
Kolbenwasserkäfer werden unsere Käfer wegen der Gestalt
ihrer Fühler genannt ; wenn man freilich dieses unterscheidende
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 5
66
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
Kennzeichen an unserem Vertreter oder an irgend einem seiner
Verwandten, so lange er im Wasser ist, aufsuchen will, kann einem
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Seltsames begegnen : die Fühler scheinen doch fadenförmig, nicht
kolbenförmig zu sein. Die Lösung ist: der Käfer trägt im Wasser
nie wie die Dytisciden die Fühler vorgestreckt, sondern nach unten
Kerfe und Kcrflaiven des süssen Wassers. (;7
und hinten in die an der Unterseite haftende Luftmasse zurück-
gelegt; dafür aber sind die Kiefertaster so auffallend lang, dass sie
leicht für Fühler gehalten werden können. Palpicornes wurden
deswegen auch die Käfer genannt. Sobald sie freilich aus dem
Wasser genommen werden *), pflegen sie die Fühler aus dem Versteck
her\orzustrecken. Es macht den Eindruck, als ob er wie alle seine
Verwandten in Fühlern und Tastern für Luft und Wasser besondere
Sinnesorgane hätte.
Atmung. Zur Atmung kommt der pechschwarze Wasserkäfer
wie der Gelbrand zur Oberfläche, jedoch hierbei einen charakteri-
stischen Unterschied gegen den letztem zeigend. Nicht das Ende
des Hinterleibes steckt er aus dem Wasser, sondern den Kopf
bringt er an die Oberfläche, beugt ihn zur Seite, so dass die
behaarte Stelle an der Hinterseite der Augenwölbung die Oberfläche
berührt, und legt dann die konkave Seite der behaarten Glieder
der Fühlerkeule, diese zwischen dem ersten und zweiten Gliede
umbiegend, hier von aussen an, so dass ein röhrenförmiger Zugang
für die Luft zu der behaarten und unbenetzten Unterseite gebildet
wird. Durch die nun beginnenden Pumpbewegungen des Tieres
wird der Körper im Wasser gehoben und gesenkt. In der seiden-
artigen Behaarung der Unterseite, die sich in der ganzen Breite
bis zum ersten Hinterleibsringe einschliesslich und von da an den
Seitenrändem erstreckt (Fig. 6, 5), wird die Luft zu den Stigmen
des Hinterleibs fortgeleitet. Doch dürften die Luftlöcher in der
Verbindungshaut zwischen Vorder- und Mittelbrust, welche der
Zugangsstelle der Luft soviel näher liegen, bei unserem Käfer die
wichtigere Rolle spielen. Darauf weist wenigstens der Umstand
*) Beim Gelbrand hatten wir bei dieser Gelegenheit seiner nicht eben sauberen
Bemühungen zu gedenken sich zu befreien. Hydrophilns scheint ausser den lebhaften
Bewegungen der mit Dornen versehenen Beine , die zusammenwirken mit einem scharfen
Stachel der Hinterbnist, noch ein besonderes Mittel zu gleichem Zweck anzuwenden.
Ergriffen, etwa mit der Pincette an den Beinen, und zwar nur dann, lässt er einen knirschenden
Ton hören. Fasst man den Käfer mit starker Pincette am Kiel der Mittelbrust, so sieht
man , wie er bei der Erzeugung des Tones den Hinterleib zugleich in der Richtung von
hinten nach vorn und von oben nach unten bewegt. Man kann bei toten wie lebenden Tieren
einen gleichartigen Ton erzeugen, indem man entweder den Brustkiel niederdrückt oder mit
der Pincette den Hinterleib von hinten nach vorn und etwas nach dem Rücken zu bewegt.
Über die Lage der tonerzeugenden Stellen vermag ich trotzdem keine sicheren Angaben zu
machen.
5*
g3 Kerfe und Keiflarven des süssen Wassers.
hin, dass sie, ganz abweichend von den Verhältnissen beim Gelb-
rand, die Hinterleibsstigmen an Grösse übertreffen. Für das Fest-
halten der Luft an der Unterseite — der Käfer trägt unter Wasser
also einen den grössten Teil des Körpers einnehmenden „Silber"-
überzug — ist auch die Eigentümlichkeit von Bedeutung, dass die
Flügeldecken über den Hinterleib nach unten vorragen.
Schwimmt der Gelbrand eigentlich nur mit den Hinterbeinen,
so benutzt der Kolbenwasserkäfer dazu Mittel- und Hinterbeine.
Die Beine desselben Paares bewegt er dabei abwechselnd (er
pudelt), so dass der Körper beim Schwimmen hin und her
„wackelt". Eine Hilfe, trotzdem die Richtung zu halten, gewährt
wohl die dach- bez. kielförmige Gestaltung der Unterseite des
Hinterleibes. Die ganze Bewegung ist ungleich schwächlicher als
die des Gelbrandes. Dem entspricht auch die schmale Gestalt der
Hinterhüften, die überdies nicht wie beim Gelbrand mit der Hinter-
brust fest verwachsen, sondern ihr beweglich eingefügt sind. Die
Beteiligung der Mittelbeine am Schwimmen zeigt sich nicht nur in
ihrer Behaarung, sondern auch darin, dass die Mittelbrust nicht
wie beim Gelbrand durch die Hinterbrust von der Unterseite ver-
drängt ist. Ähnlich wie der Hinterleib ist auch die Brustunterseite
gekielt; der Kiel der Hinterbrust geht nach hinten in einen langen
und scharfen Schutzdorn aus.
Übrigens sind auch bei unserem Käfer die Vorderbeine der
Männchen ausgezeichnet: das letzte Tarsenglied ist beilförmig
verbreitert. Anderseits findet sich bei einem Teil der Weibchen
am vordem Teil des Seitenrandes der Flügeldecken ein leisten-
artiger Vorsprung.
Nahrung. Gewöhnlich werden die Hydrophiliden kurzweg
als Pflanzenfresser bezeichnet und das würde den Gegensatz zu
den fleischfressenden, räuberischen Dytisciden recht scharf machen.
Doch ist jene Bezeichnung nicht ohne Einschränkung zutreffend ;
oft habe ich Hydrophüus piceus und ebenso den nah venvandten
mittelgrossen (1.5 bis 1.75 cni) Hydrous caraboldes tote oder auch
nur matte Wassertiere auffressen sehen. Anderseits ist schon auf
Grund der Untersuchung der unverdauten Bestandteile seiner Nahrung
Kerfe und Kerflarven des süssen "Wassers. ß9
deren häufige Herkunft aus dem Pflanzenreiche nicht zu bezweifeln.
Alan bezeichnet ihn also wohl am besten als Allesfresser.
Alles, was wir bisher an dem Vertreter der Kolbenwasserkäfer
kennen gelernt haben, weist darauf hin, dass irgend eine nähere
verwandtschafdiche Beziehung der beiden Käferfamilien zu einander
nicht besteht, und jeder weitere Untersuchungspunkt bestätigt diese
Auffassung. Können wir auch auf Einzelheiten hier nicht weiter
eingehen, so sei doch wenigstens kurz erwähnt, dass neben den
schon erwähnten Punkten (Bildung der Fühler, Brust, Beine etc.)
besonders auch die Bildung der Mundteile und die Flügeladerung
für diese Auffassimg spricht. In allen diesen Punkten stellen sich
die Dytisciden, soweit nicht die Anpassung an das Leben im
Wasser in Frage kommt, unmittelbar neben die ebenfalls räuberischen
Laufkäfer des Landes und mit ihnen thun das, wenngleich nicht
ebenso nahe, die Taumelkäfer; dagegen muss für die Hydrophi-
liden der Anschluss bei ganz anderen Familien der Landkäfer
gesucht werden.
Entwickelung. In nachdrücklicher Weise wird diese An-
sicht auch durch alles, was auf die Entwickelung Bezug hat, gestützt.
Schon in der Eiablage thut sich ein Gegensatz zwischen H}-drophi-
liden und Dytisciden kund : während die Dytisciden keine besondere
Fürsorge irgend welcher Art für die Eier und die ausschlüpfenden
Larven treffen, gilt das für die Hydrophiliden in auszeichnender
Weise. Die Arten unserer Gattung vmd mehrerer anderer fertigen
aus einer Masse, die in Fäden aus röhrenartigen Vorsprüngen des
Hinterleibsendes tritt, ein weisses, rundliches, ansehnliches Gespinst
(Fig. 6, 8), das an einer Seite in einen nach oben gerichteten
schornsteinartigen Fortsatz ausläuft. Im Innern liegen die grossen
länglichen Eier und bringen die ausgeschlüpften Larven geschützt
die erste Zeit zu. Bei Hydrophiliis ist das Gespinst der Unterseite
eines Blattes angeklebt, bei Hydrous ist das Blatt ringartig um
das Gespinst befestigt. Wer diese Masse nicht schon von Ansehen
kennt, wird leicht in die Versuchung kommen, vom Ufer aus sie
für Papierstücke zu halten, die in das Wasser gefallen sind.
70 Keife und Kerflarven des süssen Wassers.
Die anfangs bräunlichen, später schwärzlichen, zum grösseren
Teile weichhäutigen Larven*) unterscheiden sich weitgehend von
denen der Schwimmkäfer. Als systematisch wichtiges Kennzeichen
ist zu betonen, dass die Beine nicht Fuss und Klaue gesondert
haben und die Beine nicht wie fast immer bei den Schwimmkäfer-
larven mit zwei Klauen, sondern nur mit einer solchen versehen
sind. Stärker fällt in die Augen der Unterschied der Mundteile:
die Unterlippe ist gross und vorstehend (bei den Schwimmkäfern
bis auf die Taster sehr winzig), die Oberkiefer (Fig. 6, 7) nicht
einfach sichelförmig, sondern auf der Innenseite mit Höckern (bei
den Verwandten mit starken Zähnen) versehen. Die Nahrung
besteht nämlich auch bei diesen Larven aus erbeuteten Wassertieren,
z. B. Schnecken; dieselben werden aber nicht durch die Oberkiefer
ausgesogen, sondern vor der Mundöffnung mit den Oberkiefern
zermalmt, und dann die Säfte durch die MundöfFnung aufgesogen,
während die Chitinteile vor derselben liegen bleiben. Durch diese
eigentümliche Art der Nahrungsaufnahme wird die Gewohnheit der
meisten Hydrophiliden-Larven bedingt (für die von Hydrophilus
selbst habe ich es noch nicht beobachtet), die Beute ausserhalb
des Wassers zu tragen, den Kopf dann so zu heben, dass die
Mundöffnung und die davorliegende Beute gerade nach oben
gerichtet ist, und in dieser eigentümlichen Haltung die Beute zu
verzehren. Die nicht benutzbaren Chitinteile werden zuletzt bei
Seite geworfen. Im Wasser würde bei dieser Weise der Nahrungs-
aufnahme ein grosser Teil der Säfte der Beute verloren gehen und
viel Wasser in den Verdauungskanal aufgenommen werden; in der
Luft dagegen gelangen nur zum Schluss einige Luftblasen mit in
den Verdauungskanal. Dieselben fallen bei mikroskopischer Be-
trachtung kleinerer durchsichtiger Larven leicht auf; ihre Herkunft
konnte ich mir lange nicht erklären. Die Bewegung der Larven
ausserhalb des Wassers erinnert übrigens durch das abwechselnde
*) Die Larven von Hydrophihis piceus habe ich in erwachsenem Zustande nicht
zu häufig angetroffen ; ungleich häufiger die von dem schon erwähnten nahe verwandten
Hydrous carabdides. Deswegen ist auch das Gespinst und die Larve dieses Käfers
Fig. 6, 6 und 7) in die Abbildung aufgenommen worden.
Kerfe und Kerf laiven des süssen Wassers. 7 1
Strecken und Verkürzen der vordem und hintern Körperhälfte
lebhaft an die Bewegungsart \ieler madenförmiger Zweiflüglerlarven.
Mit dieser Bewegungsart hängt augenscheinlich auch die Weich-
häutigkeit des Hinterleibes und der beiden letzten Brustringe bis
auf kleine Teile des Rückens sowie die in der Abbildung nicht
wiederfreerebene Faltenbildung des Hinterleibes zusammen.
Zur Atmung dienen der Larve wiederum nur zwei Stigmen
am Ende des Hinterleibes; dieser Körperteil wird also auch hier
an die Oberfläche gebracht. Zum Schwimmen dienen die oben
und unten stark bewimperten Beine ; die vier hinteren werden dabei
anders als beim Käfer, nämlich gleichzeitig bewegt. Bei den Larven
von Hydrous caraboides trägt der Hinterleib (Fig. 6, 7) an den
Seiten grössere bewimperte Anhänge, die an die Tracheenkiemen
der Gvrinus-Larve erinnern. Doch können die Anhänge hier nicht
als Tracheenkiemen angesprochen werden, da ihnen ein reicher
entwickeltes Luftröhrens}'Stem fehlt. Auch vom Blutstrom werden
sie, wenigstens bei älteren Larven, nicht durchzogen. Ihre Bedeu-
tung liegt vielleicht in der Oberflächenvergrösserung für mediane
Schwimmbewegungen des Hinterleibes. Für gewöhnlich sieht man
freilich auch unsere Larve nur mit den Beinen schwimmen und
zwar auflfälligerweise mit allen gleichzeitig.
Zur Verpuppung gehen die Larven der Hydrophiliden ebenso
wie die der Dytisciden ans Ufer, um dort eine geschützte Stelle
über dem Wasser aufzusuchen.
Die übrigen Hydrophiliden.
Ziemlich zahlreich sind die Verwandten des pechbraunen
Wasserkäfers, wenn auch nicht so zahlreich wie die des Gelbrandes;
die Artenzahl der Hydrophiliden ist etwa halb so gross wie die
der Dytisciden. An Grösse kommt unserem Käfer, von der zweiten
Art seiner Gattung Hydrophilus aterrimus abgesehen, keine Art
auch nur annähernd gleich; die nächst grösste, oben mehrfach
genannte Art geht schon auf 1 7 mm herab, die folgenden (Hydrobius-
Arten) meist auf 7 — 8 mm und die meisten anderen erreichen nicht
mehr 5 mm Länge. Mit Ausnahme von Hydrous caraboides, den
72 Kerfe und Keiflarven des süssen Wassers.
Arten von Hydrohius und Berosiis besitzt keine Art mehr be-
wimperte Beine und die Fähigkeit zu schwimmen. Die Mehrzahl
der Arten kriechen also nur an den Pflanzen unter Wasser
umher; losgerissen treiben sie hilflos zur Oberfläche und suchen
dann, den Bauch nach oben, mühsam wieder eine Pflanze oder
das Ufer zu erreichen *). Auch die genannten Arten benutzen
übrigens keineswegs immer ihre Schwimmfähigkeit, um von einer
Stelle zur andern zu kommen, wie das für die Dytisciden gilt,
sondern oft genug sieht man sie, besonders die Arten von Hydro-
biiis, an Gegenständen im Wasser umherkriechen.
Die Fähigkeit, willkürlich Töne hervorzubringen, habe ich
ausser bei Hydrophiliis noch bei Hydrous carahoides , Spercheus
emarginatus, Hydrohius oblongits und Berosus luridus beob-
achtet**). Besonders die beiden letzten Arten knirschen bei
Berührung bez. nach derselben sehr laut und regelmässig; bei
Hydrous habe ich die Töne mehrfach abends gehört, als eine
Schale mit mehreren Tieren dieser Art unmittelbar vor mir stand.
Auf Berührung hat er dagegen nicht geantwortet.
Abgesehen von diesen beiden Punkten stimmen jedoch auch
die übrigen im Wasser lebenden Verwandten mit unserem Ver-
treter in fast allen biologischen Punkten ebenfalls überein, so beson-
ders in Fühler-, Kiefer-, Brustbildung. Sie zeigen auch z. B. unter
Wasser stets nur die Taster, erst an der Luft die Fühler; so nehmen
sie ferner stets auf der Unterseite die Atemluft mit in das Wasser
und zwar ist bei allen ausser der Gattung Hydrophiliis die ganze
Unterseite mit Luft bedeckt. Auch sorgen alle in besonderer Weise
für die ausschlüpfenden Larven, wenn auch nicht genau in der
Weise wie Hydrophiliis. Für Hydrous wurde das Gespinst für
die Eier schon erwähnt. Ähnliche mit hornartigem Ansatz ver-
sehene Gespinste in freilich viel kleinerem Massstabe werden von
Helephorus gefertigt. Ein Weibchen des Helephorits aquaticus z. B.,
*) Einige Arten , welche der Familie zugerechnet werden , leben sogar beständig
ausserhalb des Wassers.
**) Bei Spercheus wurde , wie ich beobachten konnte , bei der Erzeugung des Tones
der Hinterleib nicht in der Mittellinie des Körpers, sondern seitlich bewegt.
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers. 73
4
das ich für sicli in einer kleinen Schale hielt, lieferte Ende INIai
solche Gespinste an Kork angeklebt in Mehrzahl mit ungefähr je
zehn Eiern. Hydrobius und Iliilhydnis kleben ihre weissen, pan-
toffelförmigen, „ungehörnten" Gespinste im ersten Frühjahr an den
Blättern stehender Pflanzen fest; besonders oft habe ich sie in
Mehrzahl an Grasblätteni getroffen. Die Weibchen von Spercheus
und Helocharcs tragen die verklebten Eierpakete unter dem
Hinterleibe mit sich herum, sie mit den Hinterbeinen und den
vorstehenden Rändern der Flügeldecken haltend. Beide sind im
Mai um Berlin recht häufige Erscheinungen. Die Larven der
Mehrzahl dieser Arten kann man, wie ich vielfach erprobt habe,
aus den gekennzeichneten Gespinsten oder Paketen leicht erhalten.
Deswegen glaube ich darauf verzichten zu sollen, noch die Unter-
schiede der Larven der einzelnen Arten anzugeben. Sie besitzen
übrigens in den Mundteilen, der Beinbildung (Fussglied und Klaue
nicht gesondert), Zahl der Fussklauen, Weichhäutigkeit des Hinter-
leibes alle die oben geschilderten Merkmale. Hervorgehoben sei nur,
dass nach Schiödte die mir unbekannte Larve von Berosus spinosus
mit sieben Paar fädiger Tracheenkiemen und die von Philhydrus
testaceiis mit fünf Paar Afterbeinen ähnlich denen der Raupen,
jedoch in anderer Verteilung, versehen ist.
4. Käfer und Käferlarven anderer Familien.
a) Parnus.
Mit den kleineren Hydrophiliden findet man oft an Wasser-
pflanzen einen 5 tnm grossen Käfer bräunlicher Farbe, Parnus
prolifericornis, der ebenso wenig zu schwimmen vermag wie diese
Hydrophiliden, der ebenso wie jene die Luft zur Atmung an der
Aussenseite des Körpers mit unter Wasser nimmt, aber nicht allein
an der Unterseite, sondern wie die Wasserspinne an der ganzen
Körperoberfläche. Als JNIittel, diese Lufthülle zu halten, dient ihm
wie der Spinne ein seidenartiger Haarüberzug des Körpers.
Biologisch schliesst er sich ganz den kleineren Hydrophiliden
an; Fühlerbildung und andere morphologische Eigenschaften
74; Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
weisen ihm dagegen mit wenigen anderen Genossen, die
teilweise ebenfalls das Wasser lieben, eine besondere systematische
Stellung an *).
b) Cyphon-Larven.
Recht häufig trifft man schon zeitig im Frühjahr in Gräben
mit verwesenden Blättern in Gemeinschaft mit den Larven der
Stechmücke eine Käferlarve, die offenbar keiner der oben genannten
Familien angehört. Wie die Zucht des Tieres ergab, gehört sie zu
einer Art der Gattung CypJion; die Käfer selbst halten sich gern
auf Blättern in der Nähe des Wassers auf Die zarthäutige, dunlde
Larve wird bis i cm lang und ist von oben nach vmten stark
zusammengedrückt; als gutes Kennzeichen dient die für Larven
ganz ungewöhnliche Länge der Fühler, welche bei sehr zahlreichen
Gliedern länger als die Hälfte des Körpers sind, und der Mangel an
Hinterleibsanhängen irgend welcher Art. Zur Atmung kriecht die
Larve zur Oberfläche; die beiden thätigen Luftlöcher liegen auch hier
am Körperende. Die Mundteile lassen sie als Pflanzenfresser erkennen.
Zur Verpuppung geht auch sie an das Ufer. Die Larve einer andern
Art, die sich durch lichte Färbung von der obigen unterscheidet, fand
ich im Juni besonders an den Blättern des Froschbiss.
c) Donacia-Larven und -Puppen.
Zum Schluss sei endlich der ganz eigenartigen biologischen
Verhältnisse wegen der Larven und Puppen der Schildkäfer (Donacia
und Haemonia) gedacht. Die bleichen, bis 1I/2 cm langen Larven
leben im Schlamm an den Wurzeln verschiedener Wasserpflanzen,
der Seerosen, Igelkolben, Schachtelhalme, so dass man ohne be-
sonderes Suchen ihrer kaum gewahr wird. Da sie ohne Tracheen-
kiemen oder eigentliche Kiemen und von sehr träger Bewegung
sind, da ferner ihre derbe Haut und Gestalt den Gedanken an
Hautatmung ausschliesst, so sind sie dem Beobachter hinsichtlich
*) Die Larve unserer Art ist meines Wissens noch nicht bekannt , die von Parnus
auriculaius fand Hh. Th. Beling in feuchter Erde. S. Verh. d. Zool.-botan. Vereins in
Wien 1882.
Kerfe und Kcrflavven des süssen Wassers. 75
ihrer Atmung zunächst ein Rätsel. Die Lösung der Atemaufgabe ist
bei ihnen so seltsam wie möglich : sie benutzen die Luft, welche in
den stets reich entwickelten Luftgängen von Wasserwurzeln vorhanden
ist. Ich habe mich bemüht*) den Nachweis dafür zu führen, dass
die Larven dazu die beiden sichelförmigen braunen Anhänge am
Ende des Hinterleibes benutzen, die nichts anderes seien als eigen-
tümlich einseitig über die Körperhaut verlängerte Stigmenränder.
Diese Anhänge werden, wie unmittelbare Beobachtung und das
Vorhandensein der entsprechenden paarigen Narben an den Wurzeln
ergab, in die Pflanze eingedrückt, durch den Druck des Pflanzen-
gewebes werden zwei Längsspalten an der Rückseite der Anhänge
geöffnet und nun die Luft eingesogen. Zur Ausatmung durften die
beiden kurzen Stigmenöffiaungen an der Basis der Anhänge dienen. Auch
zur Nahrung dienen den Larven, wenigstens denen von D. crassipes,
die Wurzeln. Zur Zeit, wenn die Verpuppung naht, fertigt die
Larve ein elliptisches Gehäuse, das der Wurzel angeklebt ist, beisst
hier ein Loch in die Wurzel, so dass die ausströmende Luft das
•Wasser aus dem Gehäuse verdrängt, und schliesst nun völlig das
Gehäuse, um so von Luft umgeben der Umwandlung zur Puppe
und zum Käfer entgegenzugehen. Diese Gehäuse trifft man an
Wurzeln und Rhizomen ungleich häufiger als die Larven, welche
leicht beim Herausziehen der Wurzel abgestreift werden. Im
Gehäuse ist dann entweder noch die Larve, oder schon die Puppe,
nicht selten auch der meist farbenprächtige Käfer vorhanden.
Frisst sich endlich der Käfer durch das Gehäuse durch, so steigt
er infolge der Luftschicht, welche seiner kurzseid enhaarigen Unter-
seite anhaftet, an die Oberfläche. Man trifft ihn nicht selten beim
Fischen zwischen den Blättern und Binsen der Oberfläche an. Die
Eier werden an den Blättern bestimmter Pflanzenarten abgelegt.
Donacia crassipes benutzt die Blätter der Seerose und zwar werden
die Blätter an einer Stelle durchbissen und die Eier in zwei Bogen-
reihen auf der Unterseite neben diesem Loch angeklebt.
*) S. Berliner entomologische Zeitschrift Bd. XXXI, S. 325—334, und Bd. XXXIII,
S. 299—308.
76 Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
Die Zweiflügfler.
Durch die Zartheit und Ungeschütztheit der Flügel sind die
Zweiflügler selbst, d. h. die Mücken und Fliegen, von dem Leben
im Wasser*) so gut wie völlig ausgeschlossen; von den Larven
und Puppen derselben aber lebt eine recht erkleckliche Anzahl im
Wasser, und diese Zahl wächst besonders noch an, wenn dabei
auch diejenigen Fliegenlarven mitgerechnet werden, welche sich in
Lachen kleinsten Umfangs aufhalten und halb ein Wasser-, halb
ein Luftleben führen. Von den letzteren soll im folgenden ganz
abgesehen werden ; auch dann werden wir noch gezwungen sein,
uns auf die häufigeren und typischen Formen zu beschränken.
Vorweg sei der Merkmale gedacht, an denen wir Larven
des Wassers als Dipteren -Larven zu erkennen vermögen.
Zunächst fehlen ihnen stets echte, d. h. gegliederte Beine, die
sonst bei allen Insektenlarven des Wassers vorhanden sind. Bei
einigen Gattungen der Mücken (z. B. Chironomus, Tanypus, Simulia)
kommen zwar sogenannte falsche Beine vor, nämlich solche, die
ungegliedert und mit einer Gruppe von Haken versehen sind, aber
selbst abgesehen von diesem Unterschied der Bildung lässt schon
die Stellung derselben, ein Paar am ersten Brustring und meist ein
Paar am Hinterleibsende, eine Verwechselung dieser Larven
mit denen anderer Ordnungen nicht zu. Da die Verwandlung der
Zweiflügler wie die der Käfer eine vollkommene ist, also den
Larven jede Spur von Flügelansätzen fehlt und auch oft der
Kopf wenig deutlich ist, so haben manche von ihnen ein recht
wurmähnliches Aussehen. Im Zweifelfalle wird stets der Besitz von
Tracheen oder von einem chitinösen Kopfskelett mit Kiefern oder
von einer Schlundkapsel mit Chitinhaken die Dipteren - Larve
kenntlich machen.
Unter den Dipteren-Larven des Wassers nimmt fraglos die
Gruppe der „Eucephalen" (Fig. 7, 9^ — 13), d. h. derjenigen, welche
*) Der Dipteren , welche auf dem Wasser angetroffen werden , wurde schon oben
beim Taumelkäfer kurz gedacht. Eine winzige Mücke , Clunio adriaiiciis , lebt seltsamer-
weise nach V. Frauen feld bei Triest unter dem Meeresspiegel an Miesmuscheln.
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
77
einen deutlichen Kopf mit Fühlern, Augen und ordentlichen Kiefern
besitzen, und für welche die Larve der gemeinen Stechmücke ein
gutes Beispiel ist, den ersten Rang ein. Ihnen werde ich die mit
fadenförmigen Tracheenkiemen versehene Schnakenlar\e (Phala-
7g Kerfe und Kcrflarven des süssen Wassers,
crocera replicata) anschliessen. Die nächst wichtige Gruppe bilden
die Larven der Waffenfliegen (Fig. 7, 14), gekennzeichnet durch
den einziehbaren, unansehnlichen Kopfteil, durch die deutliche
Gliederung des Körpers und den Kranz von Atemhaaren am Ende
des Hinterleibes. An letzter Stelle werde ich endlich die Larven
der Schwebfliegengattung Eristalis anzuführen haben, denen ein
Kopfabschnitt fehlt, deren Körpergliederung wenig deutlich ist und
die mit einem fernrohrartig einziehbaren Atemanhang versehen sind.
1. Eueephale Zweiflüglerlarven (Mückenlarven).
Unter allen unseren Insektenlarven giebt es vielleicht keine
zweite, die so leicht zu haben, so leicht zu halten und in ihrer
Entwickelung zu verfolgen ist, und deren Verwandlung dabei einen
so überraschenden Eindruck macht, wie die unserer Stechmücken-
Arten*) {Culex). Im März, gleich nach dem Auftauen der Ge-
wässer, bei mildem Wetter oft auch im Dezember und Januar,
trifft man in Gräben mit stehendem Wasser, besonders wenn die-
selben vermodernde Laubblätter enthalten, die Larven der Gattung
Culex oft in ausserordentlicher Menge an. Sie sind um diese Zeit
meist noch winzig, etwa 3 — 4 mm lang, wachsen aber schnell
r
heran. Zur Aufzucht hat man nur nötig ein Glas oder eine Schale
mit Wasser, zur Nahrung einige vermodernde, untersinkende Blätter.
Die Bälge der Larven findet man nach den bald eintretenden
Häutungen im Wasser schwimmen, den Kopf und Atemanhang
derselben von schwärzlicher Farbe, die übrigen Teile recht durch-
sichtig. Ist dann nach einigen Wochen oder, wenn man später
grössere Larven nahm, oft nach einigen Tagen, die Verpuppung
eingetreten, so kann man nach einer Frist von neun bis zehn Tagen
das Ausschlüpfen der Mücke erwarten.
Zu erkennen sind die Larven der Gattung Culex unter den
anderen, mit deutlichem Kopf versehenen Zweiflüglerlarven un-
schwer i) durch die Verwachsung der Brustringe, deren Zahl noch
*) Bis zu gewissem Grade teilen alle eucephalen Larven diese Eigenschaften mit den
Culex -Arten.
Kerfe und Keiflarven des süssen Wassers. , 79
durch drei grössere Borstenbündel angedeutet ist, und 2) durch
den langen, zur Atmung an der Oberfläche benutzten Fortsatz des
achten Hinterleibsringes. Das Ende des Leibes geht also scheinbar
zweiteilig aus; den einen Gabelast bildet der eben genannte, von
den beiden Hauptluftröhrenstämmen durchzogene Fortsatz, den
andern das eigentliche Körperende mit dem After (vgl. Fig. 7, 10).
An diesen stehen vier ausstreckbare, zarte Fortsätze (Fig. 7, lor),
die sogenannten Rektaldrüsen; es stehen femer am letzten Segment
in der Mittelebene des Körpers nach unten gerichtet in deutlicher
Reihe die wichtigsten Schwimmborsten.
Bewegung. Wie freilich die Bewegung zu stände kommt,
lässt sich, wenn sie recht schnell ausgeführt wird, kaum erkennen;
purzelnd schiesst dann das Tier bald dahin, bald dorthin voru'ärts.
Erst bei langsamerer Bewegung unterscheidet man das Wie derselben,
so z. B., wenn das Tier zur Atmung zur Oberfläche kommt und
fast dieselbe erreicht hat, dann zeigt sich, dass der Hinterkörper
mit seiner in der Mittelebene des Körpers stehenden Borstenreihe
rechts und links schlägt und so den Körper, das Afterende voran,
vorwärts treibt. Dem entspricht nun, dass am Vorderteil die
Borsten seitlich gerichtet sind. Eine eigenartige Fortbewegung
kann man ausserdem oft wahrnehmen, wenn die Larven an den
Wänden den Algenansatz benagen: durch die Bewegung der
Mundteile selbst rücken sie dann ziemlich schnell an der Wand fort.
Atmung und Nahrung. Dass die Larven zum Atmen an
die Oberfläche kommen und dass die vereinigten Atemöffhungen an
dem Fortsatz des achten Segmentes liegen, ist schon oben ange-
deutet worden. Die Zeit, in welcher sich dieses Emporkommen
wiederholt, ist ziemlich kurz. Die Tiere hängen dabei in etwas
schräger Körperhaltung an der Oberfläche; bei richtiger Haltung
des Auges kann man die Einsenkung der Oberflächenschicht an der
betreffenden Stelle deutlich wahrnehmen. Schliessen sie die Atem-
öffnungen, so sinken sie langsam an den Boden. Dort beginnen
sie wieder ihre Nahrung, besonders vermodernde Pflanzenstofife, zu
verarbeiten. Tritt übrigens irgend eine Bevmruhigung bei der Atmung
ein, so purzeln sie nach allen Richtungen fort. Bisweilen heben
gQ , Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
die Larven auch, wenn sie an der Oberfläche hängen, ihren Kopf
bis zu derselben empor und drehen sich, indem sie lebhaft die
Kiefer bewegen, nach dem Prinzip der Rückwirkung, kreisend um
den Atemfortsatz.
Puppe (Fig. 7,9). Während bei den Käfern die Larven stets
zur Verpuppung das Wasser verlassen, bleibt bei den Dipteren,
deren Larven im Wasser leben, auch die Puppe im Wasser. Da-
durch werden auch bei den Puppen eigenartige Verhältnisse hin-
sichtlich der Atmung und Bewegung bedingt. Die Puppen der
„eucephalen" Larven werfen alle, wie das bei den Insekten ja die
Regel ist, bei einem grossen Teil der Dipteren aber gerade nicht
zutrifft, die letzte Larvenhaut völlig ab; es lassen also ihre Puppen
(s. Fig. 7, 9 u. 13) wie die Schmetterlingspuppen deutlich bereits
Kopf mit Augen, Fühlern und Mundteilen, Brust mit Flügeln und
Beinen und endlich den Hinterleib unterscheiden. Flügel, Beine
und Fühler sind aber nicht wie bei den Schmetterlingspuppen mit
dem übrigen Körper verklebt, sondern frei.
Die Puppen von Culex atmen wie die Larven die Luft direkt,
müssen also entweder stets an der Oberfläche hängen oder die
Fähigkeit haben, sich zu derselben zu bewegen. Das letztere ist der
Fall und so besitzen sie eine für echte Insektenpuppen ganz über-
raschende Beweglichkeit. Dabei ist die Art der Bewegung plötzlich
eine ganz andere als bei den Larven: zwar ist auch hier der Hinter-
leib der treibende Teil, wie ja auch bei anderen Puppen, z. B.
Schmetterlingspuppen, derselbe durch Beweglichkeit ausgezeichnet ist,
derselbe schlägt aber nicht seitlich, sondern in der Mittel ebene,
und ist im Zusammenhang damit am Ende mit zwei seitlich
gestellten Platten versehen. AtemöfFnungen sind zwei vorhanden,
nicht aber am Hinterleib, sondern an der Rückseite der Brust,
am Ende zweier leicht beweglicher, trichterförmiger Anhänge*).
*) Palmen behauptet in seiner wichtigen Arbeit über die Morphologie des Tracheen-
systems (Leipzig 1877) S. 64 auffallenderweise, dass diese Anhänge keine Offnungen haben.
Ich fand keine Schwierigkeit, mich an Längsschnitten der Anhänge vom Gegenteil zu über-
zeugen ; als Luftsieb — die Staubteilchen dort beweisen es — dienen Haare, die in zierlicher
Weise nach Art von Strebepfeilern emporragen , gruppenweise zusammenneigen und oben
verwachsen sind. Leichter noch gewinnt man die Überzeugung von der Endöifnung dieser
Anhänge, indem man eine Puppe auf ausgeschliffenem Objektträger unter Wasser bringt,
Kerfe und KcrClarven des süssen Wassers. §1
Fragezeichen ähnlich hängen die Puppen zur Atmung an der
Oberfläche.
Es möge gleich hier vermerkt werden, dass bei allen Puppen
dieser Gruppe sich gleiche oder homologe Anhänge an der Rückseite
zwischen Vorder- und Mittelbrust befinden und dass im Zusammenhang
damit die Bewegung der Puppe stets durch Schlagen des Hinterleibes
in der Mittelebene erfolgt. Die Erklärung dafür dürfte in folgender
Eigentümlichkeit der Entwicklung liegen : Will das Insekt der Puppen-
haut entschlüpfen, so platzt in der ganzen Unterordnung, welcher
unsere Tiere nach dem System von Brauer zugehören, die Puppen-
haut in einem Tförmigen Spalt an der Rückseite der Brust. Diese
muss sich daher bei unseren Puppen zu der Zeit an der Oberfläche
des Wassers befinden, also muss der ganze Bau der Puppe und
ihre immerhin beschränkte Bewegungsweise derart sein, dass die
Rückseite der Brust an die Oberfläche gebracht wird. Die mit
Luft erfüllten Atemtrichter halten dann zuletzt, aufch ohne Bewegung
des Hinterleibes, die Puppe in der rechten Stellung an der Ober-
fläche. — Das Ausschlüpfen der Mücke und die Erhärtung ihrer
Teile erfolgt in recht kurzer Zeit, in einer bis zu einigen Minuten*).
Dass der ganze Entwickelungsschritt schnell vollzogen wird, ist der
gefahrvollen Lage wegen, in der sich das Tier währenddem befindet,
von Wichtigkeit. Nicht nur die Feinde im Wasser und in der
Luft bereiten ihm dann Gefahr, auch jeder Windstoss kann ver-
derblich werden. Gern warten daher die Tiere die ruhige, feucht-
warme Luft nach einem Gewitterregen ab.
Der Laich bildet nach allgemeiner Angabe eine flache runde
Scheibe, die in der Mitte etwas ausgehöhlt ist und deswegen auf
dem Wasser schwimmt. Ich selbst habe das Ablegen der Eier und
den Laich noch nicht beobachten können; so oft ich Laich von
der beschriebenen Form auffand, erwies er sich doch stets bei
und mit einem Deckglas bedeckt ; bei leichtem Druck auf das letztere sieht man dann eine
grosse Luftblase aus den Enden der .Xnhänge hervorquellen und, wenn man rechtzeitig wieder
aufhört, beim Nachlassen des Druckes wieder in den Anhang zurücktreten.
*) Genauere Notizen habe ich von unserer Art darüber nicht zur Verfügung. Bei
einer Puppe von Chironomus plit»ios7is, aus der die Mücke, während ich dies niederschrieb,
ausschlüpfte, dauerte der Akt vom ersten Platzen der Haut bis zum ersten Auffliegen der
Mücke nicht ganz 20 Sekunden !
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 6
g2 Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
weiterer Entwickelung als der von Corcthra plumicornis. Stech-
mücken, die im Aquarium in Menge ausgeschlüpft waren, haben
niemals bei längerer Gefangenschaft, wie ich das bei anderen
Gattungen beobachtet, den Laich abgelegt. Selbst als ich solche
Mücken mit verdünntem Honig und Blut fütterte und wochenlang
unter einer Glasglocke bei Gegenwart einer kleinen Schale mit
Wasser hielt, erhielt ich keinen Laich.
Anophclcs sp. und Dixa (Fig. 7, 11). Biologisch schliessen
sich an die Larven von Culex am nächsten die von Anophelcs und
Dixa an; beide atmen durch zwei Stigmen (Fig. 7, iia) am achten
Hinterleibsring und beide sind Pflanzenfresser. Schwimmen sie, so
geschieht das gleichfalls durch seitliches Schlagen des Hinterleibes.
Von Culex unterscheiden sie sich durch den Mangel eines Atem-
fortsatzes und biologisch dadurch, dass sie sich ganz vorwiegend
an der Oberfläche aufhalten, meist auf dem Rande schwimmender
Blätter oder Gegenstände ruhend. Die schwärzliche Larve von
Dixa nimmt dabei stets die Gestalt eines lateinischen U an und
schiebt sich in dieser Haltung ziemlich schnell durch abwechselnde
Bewegung der beiden Schenkel des U fort, die entsprechend mit
Borsten versehen sind. Weder Kopf noch Körperende, sondern
die Mitte des Tieres schreitet hier also voran: ein seltsamer Anblick.
Den Kopf nach oben und hinten zurückgeschlagen, wirbelt sich die
Larve durch die Bewegung der Mundteile die Nahrung zu. Dem
gegenüber ist die Larve von Anopheles durch lichtere Färbung
und einfache gerade Körperhaltung gekennzeichnet; überdies sind
bei Anopheles die drei Brustringe wie bei Culex verwachsen, bei
Dixa wenigstens der erste deutlich frei. Wie die Larve von Dixa
wirbelt auch sie sich die Nahrung durch die Bewegung der Mund-
teile zu; auch sie hält dabei die Unterseite des Kopfes nach oben,
erreicht dies aber durch eine Drehung des Kopfes von 180° um
die Längsachse. Die Puppen gleichen in ziemlichem Grade denen
von Culex.
Einen zweiten Typus der mit deutlichem Kopf versehenen
INIückenlarven stellt die viel untersuchte Larve von Corethra plumi-
cornis dar. Dieselbe liebt pflanzen- und deswegen tierreiche
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers. 83
Stehende Gewässer mit grösseren Stellen freien, klaren Wassers.
Um Berlin ist sie eine recht häufige Erscheinung; sie scheint auch
stets in grosser Zahl zu überwintern. Gekennzeichnet wird sie
fast hinlänglich durch die Bemerkung, dass sie von glasartiger
Durchsichtigkeit ist; nur die beiden Luftblasenpaare im vorderen
und hinteren Teile des Körpers, ■ sowie gewöhnlich der gelbliche
bis schwach gelbrote Darm machen sie wahrnehmbar. Anfangs
entgeht sie wohl Jedem oft genug, wenn sie ruhig im Netz liegt.
Als weitere Kennzeichen seien hier noch folgende genannt: ein
Atemfortsatz am achten Hinterleibsring ist nicht vorhanden, ebenso
wenig Luftlöcher, der Kopf ist schnabelförmig verlängert, die jMund-
teile und selbst die Fühler sind zum Rauben eingerichtet.
Atmung und Bewegung. Da bei der Larve von Corethra vom
Tracheensystem nur zwei paarige lufterfüllte Anschwellungen vom und
hinten entwickelt sind, thätige Luftlöcher und auch Kiemen völlig
fehlen, so kann nur Hautatmung für dieselbe angenommen werden.
Gestützt wird diese Annahme in hohem Masse durch die ausser-
ordentlich zarte und durchsichtige Haut des Tieres, die sie zu
einem so beliebten Objekt für mikroskopische Betrachtung macht.
Die Larve kommt also auch nicht zur Oberfläche; in horizontaler
Lage steht sie oft lange Zeit still im Wasser, um sich dann plötz-
lich durch einen seitlichen Schlag fortzuschleudern und zwar an-
scheinend in völlig regelloser Weise. Der wirksame Teil ist auch
hier der hintere Körperabschnitt; der neunte Hinterleibsring trägt
zahlreiche, lange, in der Mittelebene stehende, fiederförmig bewimperte
Schwimmhaare. Nährt sich die Larve von Culex von Pflanzen-
stoffen, so ist die von Corethra durchaus räuberischer Natur;
zartere Wassertiere, ja selbst kleinere Larven der eigenen Art bilden
ihre Nahrung.
Puppe. Ungleich ähnlicher als die Larven sind die Puppen
von Culex und Corethra. Auch die Corethra-Puppe bewegt sich durch
mediane Schläge des Hinterleibes, der am Ende ebenfalls besondere,
seitlich gestellte Schwimmplatten trägt. Auch die Anhänge der
Vorderbrust finden sich wieder, aber sie sind nicht wie bei der
84 Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
Puppe von Culex trichterförmig offen und dienen nicht der Atmung*).
Mehrfach habe ich 30 — 40 Puppen in einem höheren Becherglase
vor mir stehen gehabt, ohne dass in Stunden auch nur eine an
die Oberfläche zur Atmung gekommen wäre. Mehrere Centimeter
tief unter der Oberfläche schweben sie. Erst wenn sie dem Aus-
schlüpfen sich nähern, wenn zwischen Puppen- und Mückenhaut
sich eine Luftschicht ansammelt, stei2;en sie infolge der Verrineeruns:
des spezifischen Gewichtes dauernd empor. Aber auch dann habe
ich nie die Oberflächenschicht des Wassers an der betreffenden
Stelle unterbrochen gesehen, wie das sonst bei richtiger Stellung
des Auges stets zu sehen ist, wenn Insekten oder Insektenlarven
zur Atmung an die Oberfläche kommen. Die Bedeutung der luft-
erfüUten Anhänge am Rücken der Vorderbrust kann also bei Corethra
nur darin liegen, dass sie der Puppe ohne weiteres besonders beim
Ausschlüpfen die geeignete Körperstellung geben. Das Ausschlüpfen
der Mücke vollzieht sich auch hier in recht kurzer Zeit.
Laich. Dass die abgelegten schwarzen Eier eine flache Scheibe
bilden, erwähnte ich schon bei Culex. Nicht selten habe ich die-
selben im Freien angetroffen und auch von ausgeschlüpften Mücken
erhalten, denen durch eine übergestülpte Glasglocke das Fortfliegen
verwehrt war. Die Larven schlüpfen, wenn man nur das Wasser
der Schale durch untergetaucht lebende Pflanzen, z. B. Rieden,
frisch erhält, bald aus der Laichmasse aus.
In merkwürdiger Weise vermittelt den Übergang von Culex zu
Corethra die Larve von Mochlonyx culiciformis (Fig. 7, 10). In
Körpergestalt, in Durchsichtigkeit hält sie die Mitte zwischen
jenen beiden Gattungen. Wie bei Corethra finden sich zwei Paar
Luftröhrenanschwellungen vorn und hinten; aber es sind auch noch
die beiden freilich schwachen Längsstämme des Luftröhrensystems
vorhanden und lufterfüllt, die wie bei Culex in einen Anhang des
achten Hinterleibsringes ausgehen. Und nun wird dieser „Atem-
fortsatz" doch wieder nicht wie bei Ctilex zur Atmung benutzt ;
die Larven schweben ebenso wie die \on Corethra in horizontaler
*) Vgl. auch Palmen, , .Morphologie des Tracheensystems'
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers. 85
Lao-e im Wasser und niemals habe ich sie an die Oberfläche
kommen sehen. Auch die ]\Iundteile zeigen eine Bildung zwischen
denen von Culex- und Corethra-Larven ; freilich stehen sie denen
der letzteren näher. In der räuberischen Lebensweise stimmen sie
mit diesen völlig überein. Die Puppe schliesst sich der von
Corethra nahe an. Die schon von De Geer beobachtete Larve
scheint lange Zeit der Aufmerksamkeit entgangen zu sein. Ich
habe sie um Berlin seit einer Reihe von Jahren vielfach gefunden
und zwar stets mit Larven von Culex zusammen.
Chironotnus und Tanxptis. Einen dritten Typus stellen die
Larven der Gattungen Chironomus und Tanxptis dar, die nicht
der Oberfläche oder den mittleren Schichten der Gewässer, sondern
hauptsächlich dem Boden der Gewässer, und zwar sowohl fliessen-
der wie stehender, angehören. In stehenden Gewässern sind wohl
die blutroten Larven von Chironomus plumosus (Fig. 7, 12) mit die
häufigsten und auffälligsten. Gekennzeichnet sind die Larven dieser
beiden Gattungen durch den Besitz von winzigen Punktaugen und von
je zwei sogenannten falschen Beinen am Vorderbrustring und am
Körperende (Fig. 7, i2/i,/>) — die Beine sind ungegliedert und mit
einer Gruppe von Chitinhaken versehen — , femer durch das Fehlen
der Atemöffnungen und eines ausgebildeten Luftröhrensystems. Die
Larven der beiden Gattungen unterscheiden sich unter einander
vornehmlich dadurch, dass bei den Larven von Tanypus die drei
Brustringe mehr oder minder zu einer Masse verwachsen, bei
denen von Chironomus aber frei sind. Überdies besitzen manche
Chironomus-Larven, z. B. die von Ch. plumosus, vier schlauchförmige,
zarte Auswüchse an der Bauchseite des achten Hinterleibsringes
(Fig. 7, 12 a).
Atmung. Die Larven von Chironomus leben, wie schon
angegeben wurde, auf dem Boden," wo sie sich mit Hilfe einer
Schleimmasse, die unterhalb der Mundöffhüng austritt, aus den
Schlamm- oder Sandteilchen Röhren zum Schutz und Aufenthalt
bauen*). Thut man z. B. in eine Schale mit Larven von
*) Ob das auch für einzelne Arten von Tanypus gilt, muss ich dahingestellt sein lassen.
gß Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
Chirononiits plumosiis etwas Sand, so nimmt der Boden in km^zer
Zeit ein Aussehen an, welches im Kleinen an das Bild einer Wiese
erinnert, an deren Oberfläche zahlreiche Maulwürfe ihre Gänge
gezogen haben. Zur Wasseroberfläche kommen die Larven nicht;
ihre Atmung ist wie die von Corethra Hautatmung. Die Auswüchse
am achten Hinterleibsring der Larve von Ch. phmiosus sowie die
vier Drüsen um den After unterstützen wohl die Atmung, da sie
von einem lebhaften Blutstrom, in dem eigenartige, fadenförmige
Blutkörperchen treiben, durchzogen werden*).
Hält man Larven unserer Gattungen in sauerstoffarmem Wasser,
so sieht man oft, wie sie sich mit den Haken der „falschen" Vorder-
füsse an einigen Gespinstfäden, welche sie am Gefäss befestigt
haben, festhalten und nun lebhaft in medianen, wellenförmigen
Bewegungen das Wasser schlagen, offenbar, um sich beständig
frischeres Atemwasser zuzuführen.
Bewegung und Nahrung. Am Boden bewegen sich die
Larven von Chironomus mit Hilfe der vorderen und hinteren
falschen Beine den Spannerraupen ähnlich fort; im Wasser schwimmen
sie, wenn man es so nennen darf, recht ungeschickt ohne feste
Richtung durch Sförmige Krümmuhgen des Körpers**). Als
Nahrung dienen ihnen die Schlammteile des Bodens oder richtiger
die darin enthaltenen organischen Bestandteile.
Puppe. Auch während und nach der Verpuppung bleiben
die Tiere in den Schlammröhren; dabei ist die Larvenhaut oft
noch nicht vollständig vom Hinterleibsende der Puppe abgestreift.
Als gutes Kennzeichen der Puppen von Chironomus ist die eigen-
artige Ausbildung der Vorderbrustanhänge zu erwähnen; diese sind
nicht einfach und trichter- oder keulenförmig wie bei den früheren
Gattungen und bei Tanypvis, sondern bestehen aus einer grossen
Menge zarter Fäden, die von feinen Tracheenröhren durchzogen
*) Dieser Blutstrom wird leicht bei ungünstiger Lage der Larve auf dem Objektträger
unterbrochen und entgeht dann dem Beobachter. Auch mir war er früher entgangen ; erst
jüngst, als ich durch eine Äusserung von Hrn. Weltner, der Larven von Chironomus auf
dem Boden tiefer Seen gefunden hatte, zu erneuter Beobachtung veranlasst wurde, nahm ich
denselben wahr.
**) Bei einer Tanypus-Larve, wohl T. 7nonilis, beobachtete ich Schwimmen durch wellen-
förmige Bewegungen in der Mittelebene des Körpers.
Kerfe und Kcrflarven des süssen "Wassers. 87
sind und deswegen silberweiss erscheinen (vgl. Fig. 7, 13). Sie
sind also nach ihrer Bildung als Tracheenkiemen anzusprechen.
Die Puppe zeigt übrigens lebhafte Atembewegungen, und zwar
ein Schwingen in der Mittelebene des Körpers. Zur Zeit, wenn
das Ausschlüpfen naht, steigt sie an die Oberfläche, wobei die luft-
haltigen Brustanhänge ihr den Weg zeigen.
Laich. Unter allen Mücken ist Chironomus diejenige, deren
Laich ich am häufigsten angetroffen habe. Die länglichen, schwach
bräunlichen Eier liegen in wurstförmiger , durchsichtiger Gallert-
masse. Wenig auffällig, entgehen sie leicht der Wahrnehmung.
Ihre Zugehörigkeit lässt sich leicht dadurch feststellen, dass man
die Larven in besonderer Schale mit Wasserpflanzen aus-
schlüpfen lässt.
Simitlla. Biologisch und auch wohl morphologisch schliessen
sich an die Larven von Chironomus und Tanypus die der
Simulia- Arten an. Dieselben leben ausnahmslos in fliessen.den
Gewässern. In der näheren Umgegend von Berlin kenne ich sie
nur aus der Panke oberhalb Schönhausen und aus der Wühle, die
bei Köpenick in die Spree mündet. Sie sind leicht daran kennt-
Hch, dass zwar ein vorderes, weit verwachsenes falsches Beinpaar
wie bei Chironomus und Tanyptis vorhanden ist, dagegen das
hintere fehlt, imd dafür ein Kranz von Haken am Ende des im
hinteren Abschnitt verdickten Abdomens steht. Auch sie sind
Hautatmer und kommen nie an die Oberfläche. Einen recht
seltsamen Anblick gewährt ihre Bewegungsweise. INIit einer
Gespinstmasse, welche ähnlich der der Raupen aus einem Vorsprung
oberhalb der Unterlippe austritt, ziehen sie am Boden einige kurze
Fäden, greifen in diese mit dem Hakenkranz der Vorderfüsse,
krümmen den Körper zu einer Schleife, greifen nun mit dem
hinteren Hakenkranz in diese Fäden, lassen dann vom los, strecken
sich, spiiyien neue Fäden u. s. w. So bewegt sich die Larve
ausgesprochen spannermässig. Hält man sie im tief ausge-
schliffenen Objektträger oder einer andern derartigen Vorrichtung
(angekitteter Glasring), so kann man das Ziehen der Fäden gut
gg Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
beobachten*). Durch dieses Mittel sind sie befähigt, sich im
strömenden Wasser an Wasserpflanzen und Steinen festzuhalten.
Oft richten sie sich, mit dem hinteren Hakenkranz in die Spinn-
fäden greifend, senkrecht zur Oberfläche des Blattes und lassen
dann ihren Strudelapparat am Munde spielen, der ihnen mit dem
entstehenden Wasserwirbel die winzigen Nahrungsbestandteile zuführt.
Puppe. Die sehr gedrungene Puppe (Fig. 7, 13) lebt in
einem tütenförmigen Gehäuse, das seitlich an Wasserpflanzen mehr
oder minder tief befestigt ist. Ihre Vorderbrustanhänge gleichen
denen von Chironomits, doch sind die Fäden weit weniger zahl-
reich. Erst zum Ausschlüpfen steigt sie zur Oberfläche.
Rückblick. Alles in allem genommen, zeigen also die
„eucephalen" Mückenlarven der Gewässer und deren Puppen eine
grosse Mannigfaltigkeit der biologischen Verhältnisse. Atmen die
Larven von Culex, Dixa und Anopheles Luft in gewöhnlicher Weise
an der Oberfläche, so sind die von Mochlonyx, Corethra, Clnro-
nomus , Tanypus , Simulia Hautatmer; bei einzelnen Arten von
Cliironomus findet sich dem Anschein nach nebenbei Atmung
durch echte schlauchförmige Kiemen**). Sind die Larven von
Culex, Anopheles, Mochlonyx, Corethra ausschliesslich oder fast
ausschliesslich Schwimmer und zwar unter seitlicher Bewegung des
Hinterleibes, so zeigt die von Dixo, die U-Larve, daneben eine
seltsame, oben beschriebene Art des Fortschiebens, die Chironomus-
Larven ein unregelmässiges Schwimmen durch Sförmige Krümmungen,
die Tanypus-Larven ein Schwimmen durch mediane Bewegungen,
beide Gattungen ausserdem und Sünulia eine spannerartige Be-
wegung unter Benutzung von Hakenkränzen am Vorder- und Hinter-
ende des Körpers und teilweise {Simulia, Tanypus) von Gespinst-
fäden. Als Nahrung dienen den meisten Larven Pflanzenstoffe,
Mochlonyx und Corethra aber sind ausgesprochene Raubtiere.
Leben die Larven von Dixa und Anopheles fast ausschliesslich an
der Oberfläche, so die von Cliironomus und Tanypus meist in
*) Auch bei Tanypus-Larven habe ich diese Bewegungsweise, wenn auch nicht so aus-
geprägt wie bei Simulia, beobachtet.
**) Aufiälligerweise fehlt die Atmung durch Tracheenkiemen ganz.
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers. 89
Schlammröhren am Boden, bisweilen in ansehnlicher Tiefe, die von
Simulia an allen möglichen Gegenständen des Wassers; tummeln
sich Culex-Larven durch alle Schichten hindurch, so bevorzugen die
von Mochlonyx und Corethra die mittleren Wasserschichten. Dazu
kommt dann noch das plötzliche Umspringen der Bewegungsarten
bei der Verpuppung der Mehrzahl der Larven und die Überein-
stimmung aller Puppen in dem Besitz besonderer Anhänge am
Rücken der Vorderbrust und in der Bewegungsart: zwei Punkte,
die ich schon oben biologisch zu deuten suchte.
Es kann hiernach nicht überraschen, dass sich die Larven im
Anschluss an diese Unterschiede oft scharf nach der Art der
Gewässer in ihrem Vorkommen sondern. Während ich z. B. in
der oberhalb Schönhausen stark fliessenden Panke nur Larven von
Simulia, Chironomiis und Tanypus fand, zeigte sich dicht daneben
ein Wiesentümpel mit Laubblättern, aber ohne nennenswerten
Pflanzenwuchs nur von zahlreichen Culex-Larven bevölkert, und ein
naher Graben mit stehendem Wasser und dichtem Pflanzenwuchs
die schwarzen Larven von Dixa und die helleren von Anopheles.
Um Corethra zu beherbergen, schien er wegen des INIangels an
grösseren pflanzenfreien Stellen nicht geeignet zu sein. Es haben,
möchte man sagen, die verschiedenen biologischen Gruppen die
Gewässer unter sich geteilt, oder richtiger ausgedrückt: es haben
sich die Gattungen nach den verschiedenen Lebensbedingungen der
Gewässer unter einander differenziert.
Plialacrocera rcplicata. Den eucephalen Mückenlarven schliesse
ich am besten die Lar\e einer Schnake, Phalacrocera rcplicata,
an, die schon De Geer bekannt war. Sie scheint seitdem wenig
aufgefunden zu sein, wahrscheinlich jedoch nicht wegen ihrer Selten-
heit, sondern weil sie den Blicken so leicht entgeht. Ich habe sie
um Berlin fast überall gefunden, sobald der Pfuhl oder Teich am
Grunde reichlich mit Wassermoosen bedeckt war. An solchen lebt
und frisst sie; den älteren blattlosen Stengeln sieht sie recht ähn-
lich und wegen der Trägheit ihrer Bewegungen übersieht man sie
doppelt leicht. Sie ergänzt in merkwürdiger Weise in einer Hin-
sicht die Mückenlarven; keine derselben hat Tracheenkiemen,
90 Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
unsere Schnakenlarve ist auf der Rückseite mit ziemlich starren,
gegabelten, fadenförmigen Tracheenkiemen versehen. Der mangelhaft
ausgebildete „Kopf" ist klein und kann völlig eingezogen werden. Das
Hinterende des Körpers trägt zwei grosse, gekrümmte Chitinhaken.
Die Puppe besitzt wie die der eigentlichen Mücken zwei
Vorderbrustanhänge und lässt Kopf, Flügel, Beine u. s. w. deut-
lich erkennen. Mit zwei Paaren von Fortsätzen an den hinteren
Körperringen — ausserdem stehen noch zwei andere Paare dort - —
hält sie sich an Pflanzen fest und streckt die Anhänge zur Atmung
heraus. Von der Verpuppung bis zum Ausschlüpfen der ansehn-
lichen Schnake \erfliessen nur wenisre Ta2:e.
Larven der Waffenfliegen. Von anderen Zweiflüglerlarven
sind mir als einigermassen häufig und auffällig*) nur noch die unter
einander recht ähnlichen Larven der Waffenfliegen (Stratiomyden)
(Fig. 7, 14) entgegengetreten. Sie sind deutlich gegliedert und mit
undeutlichem, einziehbarem Kopfteil versehen, aus dem zwei seitliche
„Fressspitzen" hervortreten. Am Ende des Körpers steht ein zierlicher
Kranz \-on Haaren, den die Larven auszubreiten und zusammen-
zulegen vermögen. Inmitten dieses Kranzes liegt nämlich der Eingang
zu einer Art Vorhof der Luftlöcher der Larve ; wollen die Tiere atmen,
so strecken sie das Körperende an die Oberfläche und breiten den
Haarkranz aus. Ihre Bewegung ist recht unbeholfen; durch lebhaftere
Krümmungen kommen sie langsam in ziemlich regelloser Weise
vorwärts. In Übereinstimmung mit ihrer Atmungsweise und mit
ihrer schwachen Bewegungsfähigkeit, leben sie nur an der Ober-
fläche stehender pflanzenreicher Gewässer. Trift't man übrigens
etwa im Mai, Juni Larven an der Oberfläche, die andauernd be-
wegungslos bleiben, so — hat man es ziemlich sicher mit einer
Puppe zu thun. Sicherheit kann man über diesen Punkt leicht
*) Bisweilen habe ich auch in Gräben mit vielem Algenschleim und wenig sauberem
Wasser die bekannten Rattenschwanzlarven der Schlammfliege angetroffen. Kenntlich sind
die zarthäutigen Larven an dem Mangel eines Kopfes und an dem fernrohrartig ausstreck-
baren Atemrohr am Ende des Körpers. Ziemlich ähnlich sehen ihnen wegen eines gleichen
Atemanhangs die Larven von Piychopfera (Schnake) ; doch ist der Kopf deutlich, wenn auch
einziehbar, und die Puppe eine echte Schnakenpuppe (Mumienpuppe) mit einem sehr ver-
längerten Vorderbrustanhang. — Wegen mehrerer Musciden-Larven und -Puppen des Wassers
sei hier nur auf G. Gerke, ,,Verh. des Vereins tür naturw. Unterhaltung zu Hamburg",
1876 ff., verwiesen.
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers. 91
gewinnen dadurch, dass man die „Larve" am Ende öffnet; im
zutreffenden Falle ist nämlich die Haut an den Enden hohl und
mehr in der Mitte liegt die zarte, ziemlich fliegenähnliche Puppe. Es
wird also bei der Verpuppung die letzte Larvenhaut nicht ab-
gestreift, sondern das Tier hat sich innerhalb derselben zur Puppe
umgebildet. Erst beim Ausschlüpfen der Fliege wird auch diese
Larvenhaut gesprengt und zwar in einem Tförmigen Spalt. Von
den echten sogenannten Tonnenpuppen der grossen Menge der
Fliegen unterscheiden sich übrigens diese Puppen wesentlich dadurch,
dass erstens die Larvenhaut bei der Verpuppung weiter keine
Veränderung der Form erfährt und dass das Aufspringen nicht in
einem Ringe, sondern in einem Tförmigen Spalt erfolgt.
Sch metterl i nge 3).
Die Schmetterlinge selbst sind ebenso und aus gleichem Grunde
von dem Leben im Wasser ausgeschlossen*), wie die Fliegen; von
den Larven und Puppen dagegen leben einige auch aus dieser
Insektengruppe im Wasser.
Die interessanteste und nach meinen Beobachtungen häufigste
dieser Wasserraupen ist die von Paraponyx stratiotata ; ich habe
dieselbe um Berlin fast nirgends vermisst, wo ihre Haupt-Nährpflanze,
die stachlige Wasseraloe (Stratiotes aliöides), wächst. Ihren Raupen-
charakter bekundet die bis auf Kopf und ersten Brustring zarthäutige
Larve durch den Besitz von Afterbeinen mit Hakenkränzen am
dritten bis sechsten und letzten Hinterleibsringe neben den sechs
gegliederten Brustbeinen sowie durch die Bildung der Mundteile.
Dass sie aber ein wohlangepasstes Wassertier ist, zeigt das Fehlen von
offenen Atemlöchem und die Ausbildung von fadenförmigen Tracheen-
kiemen, welche die Seiten und den Rücken vom zweiten Brustring
an einnehmen **). Oft findet man die Raupe zwischen zwei Blättern
der Wasseraloe, die lose durch Fäden zusammengeheftet sind:
*) Dabei muss freilich von den flügellosen Weibchen des Acentropus tiiveus abgesehen
werden , welches nach Litteraturangaben mit dem Rücken nach unten auf der Wasser-
oberfläche umherschwimmt.
**) Auch die Wasserraupen von Acentropus niveus sind nach den Angaben in der
Litteratur mit Tracheenkiemen versehen. Aus eigener Beobachtung kenne ich dieselben nicht. .
92 Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
anscheinend dient solche Stelle dann als Zufluchtsort. In vollkomm-
nerer Weise spinnt sich die Raupe zur Zeit der Verpuppung ein
geschlossenes, dichtes Gehäuse, das den Blättern fest angeklebt ist.
Schneidet man ein solches Gehäuse auf, so findet man die Puppe
nicht in Wasser, sondern in Luft liegend. Sie hat auch nicht
mehr Tracheenkiemen, sondern Luftlöcher, an denen nur auffällig
ist, dass die vorderen auf einer Erhöhung liegen. Woher stammt
nun die Luft im Puppengehäuse, das doch unter Wasser hergestellt
ist? Ich habe an andrer Stelle*) wahrscheinlich zu machen gesucht,
dass die Luft ähnlich wie bei den Puppengehäusen von Donacia
aus der Pflanze stammt und dass diese unter Druck aus dem Innern
der Pflanze hervortretende Luft das Wasser aus dem noch nicht
völlig geschlossenen Gehäuse verdrängt. Man findet nämlich einer-
seits die Blätter dort, wo ein Puppengehäuse angeklebt ist, bis zu
ihren grossen Luftgängen angefressen und anderseits ist eine andere
Weise als die angedeutete, das Gehäuse mit Luft zu füllen, unter
den gegebenen Verhältnissen kaum vorstellbar**). Ist das Gehäuse
völlig fertig, so sind übrigens die Frasslöcher zu den Luftgängen
zugesponnen.
Eine zweite Gruppe von ziemlich häufigen Wasserraupen gehört
den Gattungen Hydrocampa und Cataclysta an. Äusserlich sind diese
Zünsler-Larven den weiter unten zu behandelnden Phryganiden-Larven
recht ähnlich, da sie sich aus zwei zurechtgebissenen Blattstücken,
die von H. nymphaeata z. B. aus den Blättern der Seerose oder
des Laichkrautes oder (Cataclysta) aus zahlreichen verklebten Wasser-
linsen ein Schutzgehäuse herstellen und damit im Wasser herum-
kriechen. Sobald man freilich die Larve aus diesem Versteck
herauskriechen sieht, zeigt sich auch abgesehen von den Hinterleibs-
beinen ein wichtiger Unterschied gegen die Phryganiden-Larven : die
Raupen besitzen keine Tracheenkiemen, sie sind vielmehr bis auf
den Kopf und ersten Brustring mit einer im Wasser silberglänzenden
Luftschicht umgeben und ebenso ist auch das Gehäuse mit Luft
*) Siehe oben die Angabe bei Donacia.
**) Für die ebenfalls kiementragende Wasserraupe einer brasilianischen Caiaclysta-Krt
hat freilich W. Müller eine andere Weise, das Puppengehäuse mit Luft zu füllen, beschrieben.
Kerfe und Kcrflai\en des süssen Wassers. 93
erfüllt. Sie sind also einfache Luftatmer und auf die Oberfläche des
Wassers angewiesen. Die Puppe liegt gleichfalls in diesem Luftbett.
Andere Arten von Wasserraupen, deren Gattungszugehörigkeit
mir unsicher geblieben ist (vielleicht Sctrpophaga?}, habe ich mehr-
fach in ausgefressenen Binsen- oder Schachtelhalmstücken getroffen ;
das Verfahren zur Herstellung des Schutzgehäuses war also ein
recht einfaches. Zur Verpuppung fand ich solche Gehäuse an den
Stengeln von Wasserpflanzen in senkrechter Stellung angeklebt und
die abstehende Öffiiung verschlossen, ähnlich dem, was man bei
•den Gehäusen der Phryganiden beobachtet.
Netzflügler^).
Während in den drei obigen Ordnungen diejenigen Kerfe, die
-entweder im entwickelten Zustande oder als Larve im Wasser leben,
einen kleinen oder selbst verschwindenden Teil ihrer Gruppen-
genossen ausmachen, ändert sich das plötzlich bei den Netzflüglern
in auffälliger Weise. Die entwickelten Tiere meiden zwar wie die
Fliegen und Schmetterlinge das Wasser, aber unter den Larven
lebt die Mehrzahl der freilich nicht artenreichen Ordnung im Wasser,
und zwar stellt die Gruppe der Köcherfliegen (Phryganiden) die
Hauptmasse derselben. \\'elcher Art ein Gewässer auch immer sein
mag, ob stark fliessend oder stehend, ob pflanzenreich oder pflanzen-
arm, ob mit Sand- oder Schlammboden: fast immer wird man
Larven dieser Gruppe darin finden und oft in sehr auff'älliger Menge.
Durch einen eisfentümlichen Zu2: in ihrer Lebensweise machen sie
sich auch dem Laien auffällig. Die meisten von ihnen kitten sich
nämlich aus diesem oder jenem StoflT ein köcher- oder röhren-
förmiges Schutzgehäuse, welches sie mit sich herumschleppen und
in das sie sich bei Beunruhigung sogleich zurückziehen. Sie nehmen
dazu feinern Sand, gröbere Kieskörner, Schneckenhäuser mit oder
ohne Bewohner, Gras und breitere Pflanzenblätter, abgebissene
Stücke von Pflanzenstengeln, oder alte Holzstücke etc., und legen
-diese Teile der Länge nach oder der Quere nach (Fig. 8, 16 u. 17)
■oder in spiraliger Anordnung an einander. Wegen ihrer Auffälligkeit
94
Kerfe und Kerflarven des süssen AVassers.
haben sie auch vom Volke besondere Namen erhalten : Sprottwürmer
oder Sprocken heissen sie z. B. in einzelnen Teilen der Mark.
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Ob ein aufgefundenes Tier zu den Phryganiden-Larven gehört
oder nicht, darüber wird auch beim Anfänger selten ein Zweifel
sein. In den bei weitem meisten Fällen wird man die gewöhnliche
Kerfe und Kerflaiven des süssen Wassers. 95
Larvenform (Fig. 8, 15) vor sich haben, die durch den Besitz des
Gehäuses und von drei Brustbeinpaaren, durch die stärkere Chitini-
sierung des ganzen Kopfes und mehr oder minder ausgedehnter Teile
der Brust, sowie endlich durch die fadenförmigen Tracheenkiemen und
die beiden Endhaken des zarten Hinterleibes gekennzeichnet ist*).
So leicht nun die Zugehörigkeit einer Larve zu unserer Gruppe
festzustellen ist, so schwierig und umständlich ist anderseits die
Unterscheidung der zahlreichen Gattungen , von den Arten ganz
zu schweigen. Ich werde also im folgenden ganz davon Abstand
nehmen und nur an einem Vertreter der Gruppe — es möge die
Larve von Lhnnophilns rhombicus **) dazu dienen — die
biologischen Verhältnisse und die damit in Beziehung stehenden
morphologischen Eigenschaften zu schildern versuchen.
Unsere Larve lebt besonders in Pfühlen und Gräben mit
stehendem Wasser. Das Gehäuse (Fig. 8, 16 u. 17) besteht in
der Regel aus dünnen Stengelstücken, die quer zur Längsachse
verklebt sind, und zwar schliessen je vier bis fünf einmal den
Umfang; im Querschnitt ist also die Aussenseite des Futterals vier-
bis fünfeckig, wobei die Seiten noch über die Ecken verlängert
sind. Nicht selten benutzt die Larve daneben auch Moosstücke
oder Früchte oder Steinchen und Schneckenhäuser, die Quer-
anordnung jedoch, soweit möglich, beibehaltend.
Der Kopf und die beiden ersten Brustringe oben sind ebenso
wie die Beine, von denen das erste Paar besonders kräftig, wenn
auch kurz ist, stark hornig; diese Teile sind nämlich beim Fressen
und Umherkriechen mehr oder minder ausserhalb des Futterals,
dürfen also nicht zart sein. Über die helleren und dunkleren Flecke
dieser Teile verweise ich auf die Abbildung (Fig. 8, 15). Der
dritte Brustring hat auf der Oberseite sechs dunkle, mit Haaren
besetzte Homflecke und ebenso ist die Haut oberhalb der Hüften
stärker chitinisiert. Die Mundteile, besonders auch die mit der
*) über die in Gehäusen lebenden Wasserraupen, d. h. Larven von Schmetterlingen,
vergleiche man oben den dritten Abschnitt, über Phryganiden-Larven ohne Gehäuse weiter unten.
**) Dass die betreffende Lar\-e zu Limiiophi'lus rhombicus gehört , habe ich freilich
nicht durch Zucht festgestellt , sondern ich schliesse es nur aus dem Vergleich mit den
Zeichnungen und Angaben bei Pictet (Fig. 8, 16, 17).
96
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
Unterlippe verwachsenen Unterkiefer ähneln denen der echten
Raupen ; auf die besondere Gestalt dieser Teile bei unserer Art
ohne Abbildung näher einzugehen — für die Unterscheidung der
Gattungen ist das wichtig — erscheint zwecklos. Wie bei den
Raupen liegt übrigens der Ausgang der Spinndrüse in der Mitte
der Unterlippe. Fühler fehlen wie bei fast allen Phryganidenlarven
vollständig und die Augen sind nur winzige Punktaugen.
An dem zarten, gelbweissen Hinterleib hebt sich in der Mitte
als dunklerer Streifen das Rückengefäss ab, dessen von hinten nach
vom fortschreitende Kontraktionen schon mit unbewaffnetem Auge
zu verfolgen sind. An den Seiten zieht sich je eine dichte Reihe
dunkler Haare hin, die sogenannte Seitenlinie. Teils unmittelbar
über und unter derselben, teils etwas weiter nach oben und unten
stehen vom zweiten Hinterleibsringe an und zwar nahe dem vordem
und hmtern Rande die haarförmigen , weissglänzenden Tracheen-
kiemen (s. Fig. 8, 15). Um die Zahl und Verteilung derselben
kurz darzustellen, hat sich meines Wissens Klapalek zuerst
besonderer Schemata bedient; ich gebe hier ein nach seiner Weise
gebildetes Schema für unsere Larve.
Oben.
Sl.
Unten.
0
3
3
3
3
3
II
0
0
0
0
3
3
III
0
0
2
2
3
3
IV
3
2
2
I
3
3
V
2
2
3
2
VI
2
2
2
I
VII
2
I
VIII
Zum Verständnis desselben braucht wohl nur bemerkt zu werden, dass
Sl. die Seitenlinie, die römischen Ziffern die Hinterleibsringe und
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers. 97
die arabischen Ziffern die Anzahl der Kiemenfäden bedeuten, welche
teils nahe dem Vorder-, teils nahe dem Hinterrande, und zwar
nahe der Seitenlinie oder weiter nach oben oder unten stehen.
Am ersten Hinterleibsringe stehen keine Tracheenkiemen, dagegen
in der ]\Iitte oben und an jeder Seite je ein vorstülpbarer Fleisch-
zapfen; am letzten Hinterleibsring befinden sich seitlich zwei kurze
derbe Chitinhaken und in der Mitte in einem länglichen Spalt
der After. INIit den Chitinhaken des Hinterleibsendes halten sich
die Tiere recht erfolgreich im Gehäuse fest. Erwachsen kriechen die
Larven langsam im Wasser umher; jugendliche Phryganiden-Larven
habe ich fast immer — ob freilich solche unserer Art dabei waren,
ist ungewiss — daneben lebhaft mit Hilfe der langen, stark be-
wimperten Hinterbeine umherschwimmen sehen. Solche jugendliche,
wohl eben dem Ei entschlüpfte Larven sind übrigens von den
älteren noch durch den Mangel an Tracheenkiemen unterschieden,
so dass sie ganz auf Hautatmung angewiesen sind.
Dass die Atmung bei den älteren Larven durch Tracheen-
kiemen und daneben wohl durch die zarte Hinterleibshaut geschieht,
ist oben schon angedeutet worden. In Beziehung zur Atmung
dürfte auch die sogenannte Seitenlinie, d. h. der beiderseitige
Wimpersaum des Hinterleibes stehen, wenigstens wenn sie stärker
entwickelt ist. Bei durchsichtigen Phryganiden-Gehäusen sieht man
nämlich oft, besonders wenn das Wasser sauerstoffarm ist, die
Larve den Hinterleib in der Mittelebene schwingen, höchst wahr-
scheinlich, um das den Körper umspülende Wasser schneller zu
erneuern. Die Seitenlinie macht nun, indem sie den Hinterleib
verbreitert, dieses Verfahren sicher wirksamer. Auch die Fleisch-
zapfen des ersten Hinterleibsringes finden dabei ihre Verwendung;
der Körper wird durch sie mehr in der Mitte des Gehäuses
gehalten, ein allseitig den Körper umspülender Wasserstrom also
wohl dadurch erleichtert. Wenn übrio-ens das Wasser recht
schlecht zur Atmung wird, so sieht man die Larven vorn weit aus
dem Gehäuse kommen und nun lebhaft in gleicher Richtung wie
im Gehäuse das Wasser schlagen.
Tier- und Pflanzenwelt des Siisswassers. II. 7
93 Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
Dass die Phryganiden-Larven wie die Raupen vorherrschend
Pflanzenfresser sind, kann man leicht beobachten; doch lässt sich
auch unschwer feststellen, dass sie keineswegs Fleischkost, lebende
und tote Tiere, deren sie habhaft werden können, verschmähen.
Hat man einer Larve das Gehäuse genommen, so ist man nicht
sicher, ob dieselbe nicht in kurzer Zeit von ihres Gleichen an-
gefressen wird.
Zur Verpuppung spinnt unsere Larve wie die meisten anderen
Phryganiden-Larven das Gehäuse an Wasserpflanzen oder Steinen etc.
fest, schliesst die Öflhungen durch ein Gitterwerk von Fäden, denen
noch Stengelstückchen angeklebt sind, so dass einerseits Feinde
dadurch abgehalten werden und anderseits das Atemwasser hin-
durchspülen kann.
Die Puppe (Fig. 8, i8) bietet mit ihren frei abstehenden
Fühlern, Beinen und Flügeln, mit den stark auffälligen Augen und
gekreuzten, hakenförmigen Oberkiefern, mit den weissen, fädigen
Tracheenkiemen und der schwarzen, mächtig entwickelten Seiten-
linie am Hinterleib einen seltsamen Anblick dar. Die nach dem
Geschlecht verschiedene Gestaltung der Hinterleibsanhänge und die
Zahl und Verteilung der Dorne an den Beinen geben zusammen
mit dem Kiemenschema wichtige Anhaltepunkte zur Unterscheidung
der Gattungen und Arten. Dass auch hier die Seitenlinie gleiche
Bedeutung für die Atmung hat wie die oben beschriebene, scheint
mir zweifellos. Die Atmungsbewegungen der Puppen kann man
unschwer beobachten.
Hält man die Puppen im Zimmer, so steht Einem unmittel-
bar vor dem Ausschlüpfen der Köcherfliege noch eine seltsame
Beobachtung bevor. Die Puppen kommen eines Tages aus dem
Gehäuse, indem sie die Oberkiefer zum Öffiien benutzen, und
schwimmen mit dem bewimperten zweiten Beinpaar oder kriechen
mit Hilfe der beiden vorderen Beinpaare lebhaft umher, bis sie
eine geeignete Stelle an der Oberfläche für das Ausschlüpfen
gefunden haben. Die ausgeschlüpften Insekten, denen die Ober-
kiefer der Puppen fehlen, sehen so schmetterlingsartig und im
besondern mottenartig aus, dass sie von Laien wohl stets für
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers. 99
Motten gehalten werden. Das Fehlen des Saugrüssels, die Aderung
der Flügel und die Faltung der Hinterflügel können zur Unter-
scheidung von den Schmetterlingen dienen.
Der Laich der Phryganiden — den unserer Art im besondern
kenne ich nicht — bildet meist eine grosse, oft ringförmige Schleim-
masse, in der die Eier eingebettet liegen; leicht kann derselbe mit
Schneckenlaich verwechselt werden. —
Ist diese Larvenform der Köcherfliegen auch die unbedingt
vorherrschende im Tieflande, so möchte ich doch nicht ganz den
Vertreter des zweiten unter den Phryganiden-Larven vorhandenen
Typus übergehen, welchen ich um Berlin mehrfach, besonders auch
an Stratiotes, angetroffen habe. Nach Vergleich mit den Abbil-
dungen und Angaben von Klapalek gehört diese Larve zur
Gattung Polycentropiis ( Unter familie Rhyacophilidae). Der auf-
fälligste Unterschied der ziemlich durchsichtigen, etwas grünlich und
rötlich gefärbten Larve gegen die des ersten Typus bildet das
Fehlen eines Gehäuses und der Tracheenkiemen. Die Larve ist
ein Hautatmer*).
Es fehlen auch die Seitenlinie und die Fleischzapfen des ersten
Hinterleibsringes, was nach unserer obigen Deutung beim Fehlen
des Gehäuses ohne weiteres verständlich ist. Die Chitinhaken am
Unterleibsende stehen dagegen auf langen, zweigliedrigen „Nach-
schiebem"; die Larven gebrauchen dieselben besonders, wenn sie
beunruhigt werden und sich dann unter medianen Schwingungen
des Hinterleibes rückwärts in Sicherheit zu bringen suchen**).
INIangelt den Larven auch das Gehäuse, so heften sie doch
mit Hilfe der Spinnmasse an Blättern einzelne Gegenstände derart
fest, dass ein gedeckter Gang entsteht, der ihnen als Zufluchts-
ort dient. Zur Zeit der Verpuppung wird dann eine festere
Schutzhülle hergestellt. Die Puppe ist mit Tracheenkiemen rmd
Seitenlinie versehen.
*) Es ist bemerkenswert, dass keine Neuropteren-Larve des Wassers durch Luftlöcher
atmet, während das in allen früheren Ordnungen ein recht häufiger Fall war.
**) Eine derartige Rückwärtsbewegung der Larven , sobald sie beunruhigt werden,
scheint im ganzen Gebiet der Netzflügler, gleichgültig ob die Larven im Wasser leben oder
nicht, die allgemeine Regel zu sein.
7*
"IQQ Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
Eine Mittelstellung zwischen den beiden obigen Typen nehmen
die Larven der Gattung Hydropsyche ein, die in stärker fliessenden
Gewässern, z. B. hier in der Panke, an und unter den Steinen des
Bodens leben. Sie haben ebenfalls kein Gehäuse, welches sie mit
sich herumtragen, sondern fertigen sich aus grösseren und kleineren
Sandkörnern Gänge an den Steinen, dagegen besitzen sie büschel-
förmige Tracheenkiemen. Abweichend von der oben beschriebenen
Verteilung der Kiemen bei Limnophilus , stehen dieselben hier nur
auf der Unterseite von Brust und Hinterleib. Die Nachschieber
sind von ähnlicher Länge wie bei Polycentropits und durch ein
starkes, auffälliges Borstenbüschel an der Ansatzstelle der Krallen
ausgezeichnet.
Zur Verpuppung wird auch von diesen Larven ein besonderes
Schutzgehäuse hergestellt.
Die übrigen Neuropteren.
In den übrigen Familien der Netzflüsrler giebt es nur noch
vereinzelte Gattungen, deren Larven im Wasser leben, nämlich die
Gattungen Sialis, Sisyrä und Osmylus. Häufiger habe ich davon
nur die Sialis-Larven angetroffen und zwar stets am Boden stehender,
mit Schlammgi'und versehener Gewässer. Man muss schon mit dem
Netz etwas Schlamm mitfassen, wenn man die Larven fangen will.
Die Ähnlichkeit mit den Phryganiden-Larven ist nicht zu verkennen.
Nur der Kopf, die Beine und die Brustringe sind stärker chitini-
siert, der Hinterleib ist zarthäutig und an den sieben ersten Ringen
mit je einem Paar verhältnismässig starker, gefiederter und
gegliederter Tracheenkiemenfäden versehen. Das Ende des
Hinterleibes läuft in eine einzelne kräftige, gefiederte Endborste aus.
Ausser der abweichenden Bildung der Tracheenkiemen und des
Hinterleibsendes kann zur Unterscheidung von den Phryganiden-Larven
auch der Umstand dienen, dass der Kopf deutliche, mehrgliedrige
Fühler trägt. Die Mundteile, besonders die Oberkiefer, sind zum
Raube eingerichtet. Als Kiemenatmer brauchen die Larven nicht
an die Oberfläche zu kommen ; auf dem Schlammboden kriechen
sie nach Beute umher. Beunruhigt schwimmen sie ganz nach Art
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers. JQJ
der Phryganiden-Larven, die ihres Gehäuses beraubt wurden, durch
mediane Schwingungen des Körpers rückwärts.
Zur Verpuppung gehen die Larven wie die Käferlarven an
das Ufer; die Puppe ruht dann dort im Moose. Das ausgeschlüpfte
Insekt, die „Schlammfliege", findet man im Mai und Juni in der
Nähe von Gewässern an Pflanzen träge ruhend, leicht kenntlich
an den auch mit zahlreichen Queradem versehenen, eigentümlich
grauen Flügeln. Die schwärzlichen Eier werden in regelmässigen
dichten Reihen an Pflanzen oberhalb des Wassers abgelegt. —
Die kleinen, etwa 4 mm langen Larven von Sisyra leben in
Süsswasserschwämmen. Ausgezeichnet sind dieselben durch viel-
gliedrige Fühler und sehr lange, gebogene, aus Ober- und Unter-
kiefer zusammengesetzte Saugzangen. Fühler wie Saugzangen über-
treffen den Kopf vun das Mehrfache an Länge. Die Hinterleibsringe
tragen auf der Unterseite je ein Paar gegliederter Tracheenkiemen
und auf der Rückseite je vier mit Borsten versehene Auswüchse.
Die Larven des Bachameisenlöwen (Osmylus) lieben stark
strömendes Wasser; in Gebirgsbächen unter Steinen ist nach den
Litteraturangaben ihr Aufenthalt. Ich habe sie noch nicht angetroffen.
Geradflügler 4, 5).
Wie bei den Netzflüglern fast die ganze Familie der Köcher-
fliegen*) in ihren Larven dem Wasser angehört, so unter den
Geradflüglern die drei Familien der Wasserjungfern (Odonaten oder
Libelluliden) , der Eintagsfliegen (Ephemeriden) und Afterfrühlings-
fliegen (Perliden). Mit einigen anderen Geradflüglern wurden sie früher
ihrer Flügelbildung wegen der vorigen Ordnung zugezählt und werden
bisweilen heute noch Pscudonairoptera genannt. Im Larvenheer der
Gewässer nehmen ihre Larven einen hervorragenden Platz ein.
Die Zugehörigkeit einer Wasserlarve zu einer dieser drei Familien
ist sichergestellt, wenn sie neben beissenden Mimdteilen und drei
Paar grosser, meist kräftiger Brustbeine an Mittel- und Hinterbrust
*) Nur die Larven der Gattung Enoicyla sind davon ausgenommen. Dieselben leberv
zwischen Moos.
102
Kerfe ttnd Kerflarven des süssen Wassers.
meist recht deutliche Flügelansätze (Fig. 9, 19 — 23, Fig. 10, 24)
besitzt*). Unsere Tiere machen nämlich kein Puppenstadium durch,
d. h. ein Ruhestadium, in dem weder Nahrung aufgenommen wird
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*) Nur den jüngsten Larven fehlen diese Flügelansätze. Die Übereinstimmung in
den anderen Punkten mit den ungleich häufigeren älteren Stadien lässt sie trotzdem
unschwer erkennen.
Kerfe und Kerflarvcn des süssen Wassers. 103
noch lebhaftere Ortsbewegung stattfindet und in dem der grosse
Entwickelungsschritt von der Larve zum vollkommenen Insekt
geschieht; solche Larven erhalten die Flügel schrittweise mit den
verschiedenen Häutungen.
Die Larven der Libelluliden und Ephemeriden finden sich
sowohl in stehendem wie fliessendem Wasser, die der Pediden
habe ich nur in fliessendem Wasser angetroffen. Die Larven der
Libellen sind unter den anderen Larven der Ordnung leicht
kenntlich an der armartig vorstreckbaren Unteriippe (Fig. 9, 19),
die der Ephemeriden an den blatt- und fadenförmigen Tracheen-
kiemen, die nur an den Seiten des Hinterleibes stehen, und an den
drei Afterborsten (Fig. 9, 23). Die Larven der Perliden (Fig. 10, 24)
besitzen keines dieser besonderen Kennzeichen ; besitzen sie Tracheen-
kiemen, so stehen sie meist auf der Unterseite der Brustringe.
1. Die Larven der Libelluliden oder Odonaten.
Unter den Libellenlar\-en der stehenden Gewässer treten dem
Beobachter ohne weiteres drei Typen entgegen, die der Agi'ion-,
Libcllula- und y^^sc//;;fl-Gruppe. Die ersteren (Fig. 9, 21) sind
lanGfsrestreckt und schwächlich; am Ende des Hinterleibes mit drei
ziemlich lans;en blattartigen Tracheenkiemen versehen. Die hierher
gehörigen Agrion- und Z^s/^s-Lar\en unterscheiden sich dadurch,
dass der INIittelteil der Unterlippe bei Lestes fast stielrund, da-
gegen bei Agrion fast ebenso breit wie der Endabschnitt ist. Die
Larven der Libc/liila-Gruppe (Fig. 9, 20) sind ohne solche äussere
Tracheenkiemen, dafür besitzen sie aber eigenartige innere Tracheen-
kiemen, nämlich an den Wandungen des Enddarmes. Die Hinter-
beine sind länger als der gedrungene Hinterleib und der Vorder-
abschnitt der Unterlippe ist so ausgehöhlt, dass er in der Ruhelage
die jMundteile von vom wie eine hohle Hand bedeckt. Dieser
Gruppe gehören auch die Larven der Gattungen CorduHa und
Epitheca an. Die Larven endlich der ^^scÄwa-Gruppe (Fig. 9, 19)
stimmen in den Atemorganen mit denen von Libcllula überein,
dagegen ist hier die Unterlippe im Vorderabschnitt einfach flach
und der schlanke Hinterleib ist länt?er als die Hinterbeine.
10-i Kerfe und Keiflarven des süssen AVassers.
Alle unsere Larven sind also Tracheenkiemen-Atmer, aber in
verschiedener Weise. Die Larven der beiden letzten Typen ziehen
willkürlich das Atemwasser durch den mit Schutzwehren versehenen
After ein und stossen es wieder aus. Diese Atembewegungen
werden kräftig, aber unregelmässig ausgeführt; oft sieht man minuten-
lang umsonst nach dem ein- und austretenden Wasserstrom. Agrion-
und Lestes - Larven besitzen natürlich derartige Atembewegungen
nicht, dagegen sieht man nicht selten, dass sie, mit den Beinen
sich festhaltend, durch seitliches Schlagen des Hinterleibes das
Atemwasser erneuern. Eine recht eigentümliche Thatsache bei
allen diesen Larven ist nun, dass an der Brust Luftlöcher vorhanden
sind, deren Ränder für gewöhnlich dicht aneinander liegen, die aber
geöffnet werden können. Beweis dafür ist die Erscheinung, dass
aus diesen Stigmen, wenn man die Larven *) in Alkohol oder heisses
Wasser wirft, eine Reihe von Luftblasen aufsteigen.
Welche Bedeutung können nur diese Luftlöcher haben? Ich
vermöchte nur ungeprüfte Vermutungen als Antwort auf diese Frage
zu geben.
Bewegung. Bei allen unseren Larven dienen die Atem-
bewegungen zugleich zum Schwimmen. Lange Zeit freilich krie-
chen oft die Larven am Boden oder an Wasserpflanzen umher.
Wollen Agrioniden-Larven schwimmen, so treiben sie sich durch
seitliches Schlagen des Hinterleibes mit seinen Kiemenblättern vor-
wärts. Seltsamer aber nimmt sich das Schwimmen der anderen
Larven aus: mit angelegten Beinen sieht man sie plötzlich durch
das Wasser schiessen, ohne dass man zunächst zu erkennen ver-
mag, wie das bewirkt wird. Genauere Beobachtung zeigt — ein
sandiger Grund leistet dabei gute Dienste — , dass die Larven
mit grosser Kraft das Wasser aus dem After ausstossen und
dadurch nach dem Prinzip des Rückstosses vorwärts schiessen.
Hebt man die Larve im rechten Augenblick ausser Wasser, so
kann man das ausgestossene Wasser oft drei bis vier Spannen weit
fliegen sehen.
*) Nur bei den jüngsten Larven tritt das nicht ein. — Dass die Stigmen nicht ver-
wachsene Ränder haben, stellte ich auch an Querschnitten derselben fest.
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers. IQb
Der Ernährung nach sind alle diese Larven Raubtiere und
zwar erbeuten sie die Tiere durch plötzliches Vorstrecken der
Unterlippe. Bietet man einer Aeschna-Larve z. B. Ephemeriden-
und INIückenlarven, so zeigt sich zugleich dabei, dass die Beute
erst wahrgenommen wird, wenn sie sich zu bewegen beginnt: eine
Bemerkung, die für fast alle Räuber unter den Wasserinsekten und
Wasserlarven zu gelten scheint.
Andere Libelluliden-Larven. Von anderen Libelluliden-
Larven, die ich nur in lliessenden Gewässern, nicht wie die obigen
in beiderlei Gewässern, angetroffen habe, nenne ich noch zur Er-
gänzung die von Calopteryx (Fig. 9, 22), der prachtvoll dunkel-
blauen oder grünen Libelle der Ufer, und von Gomphus. Die
ersteren bilden einen eigenartigen Typus dadurch, dass sie sowohl
Schwanzldemen wie innere Kiemen haben. Kenntlich sind sie vor
allem dadurch, dass sie bei ähnlicher Gestalt wie die Agrioniden-
Larven Fühler besitzen, die weit länger als der Kopf sind und
deren Grundglied mehrfach länger und stärker als die übrigen
Glieder zusammengenommen ist. — Die Larven von Gomphus
schliessen sich am nächsten denen von Aeschna an; die Unterlippe
ist vorn ebenfalls flach, der Darm mit Kiemen versehen; das unter-
scheidende Merkmal liegt vornehmlich in dem auffallend breiten
und grossen Endglied der Fühler.
2. Ephemeriden-Larven.
Die Larven der Eintagsfliegen (Fig. 9, 23) sind in stehenden
wie fliessenden Gewässern eine recht häufige Erscheinung; aber fast
immer gehörten die Tiere, welche ich um Berlin in stehenden
Gewässern fing, einer Art an: Clocon dipterimu Erwachsen sind
dieselben, die drei langen, befiederten Schwanzanhänge nicht mit-
gerechnet, etwa I cm lang. Die drei letzten Hinterleibsringe sind
ohne Kiemenblättchen, das viertletzte hat ein einfaches rundliches
Blättchen, die sechs vorhergehenden Ringe aber je zwei solcher
Kiemenblätter. Unschwer erhält man das Insekt selbst, welches
nach der Zweizahl der Flügel und nach den Schwanzborsten leicht
zu bestimmen ist. Die den Ephemeriden einzig zukommende
\(){} Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
Eigentümlichkeit, dass das der Larvenhaut entschlüpfte, mit beweg-
lichen Flügeln versehene Insekt (Siibimago genannt) sich noch
einmal häutet, beobachtete ich nicht immer, anscheinend fehlte
'den Tieren dazu häufig die Kraft; sie starben vorher ab.
Durch den Besitz der blattartigen Tracheenkiemen ist die
Atemart unserer Larven hinreichend bezeichnet; zu erwähnen bleibt
nur, dass dieselben zur Erneuerung des Wassers oft schnell hinter-
einander auf- und niederbewegt werden, ohne dass sich etwa das
Tier vom Platze bewegt. Für gewöhnlich gehen die Larven mit
den gut entwickelten Beinen am Boden einher; bei der geringsten
Beunruhigung jedoch fahren sie jäh durch das Wasser dahin.
Durch kräftige mediane Bewegungen des Hinterleibes mit seinen
befiederten Anhängen schnellen sie sich fort. Ihre Nahrung besteht
aus Pflanzenkost; wie erfolgreich sie dieselbe verarbeiten, zeigt sich
z. B. darin, dass eine Schale mit Cloeon-Larven und Pflanzen sich
am Boden bald mit den Resten guter, gesegneter Verdauung füllt.
Ausser den Cloeon-Larven habe ich in kleineren stehenden
Gewässern nur noch hie und da die von Cacnis luctiiosa ange-
troflfen. Dieselben sind leicht daran zu erkennen, dass das erste
Paar Kiemenblättchen zu Schutzdecken für die folgenden umge-
wandelt ist und dass die letzteren blattartig, aber am Rande mit
zarten Fortsätzen versehen sind. Die vier letzten Hinterleibsringe
sind von jenen Schutzplatten nicht bedeckt.
Ungleich reicher als in stehenden Gewässern sind die Ephe-
meriden-Larven in fliessenden entwickelt; reicher und mannigfaltiger
gestalten sich dort auch die Lebensbedingungen derselben. Manche
von ihnen (z. B. Ephcmera und Palingenia) graben sich mit den
kräftigen Vorderbeinen Gänge in das Ufer; andere wieder, wie die
der alten Gattung Bactis , drücken sich bei eigenartig platter
Gestalt dicht den Steinen an und vermögen sich so im Strome zu
halten; noch andere kriechen, wohl an ruhigeren Stellen, auf alles
Andere Verzicht leistend, im Schlamme umher*). Recht mannig-
fach ändert dabei auch die Gestalt der Tracheenkiemen ab.
*) Die Cloeon-Larven würden zu denen gehören, welche Pictet als Schwimmer
bezeichnet.
Kerfe uikI Kerflarven des süssen Wassers. 1(J7
Näher hierauf einzugehen , muss ich mir schon aus äusseren
Gründen versagen 5).
3. Larven der Perliden oder Afterfrühlingsfliegen.
Die Larven der Perliden scheinen stehende Gewässer ganz zu
meiden ; auch schwächer fliessende sind arm an ihnen, wogegen
reissende Gebirgsbäche ihre rechte Heimat sind.
Die einzige Larve, welche ich in schwach fliessenden Gräben
um Berlin angetroffen habe, ist die von Nemura variegata (Fig. lo, 24
S. 109). Als Orthopteren-Larve ist sie, wenigstens in den älteren Stadien,
an den Flügelansätzen des zweiten und dritten Brustringes kennt-
lich; von den Ephemeriden-Larven, mit denen sie noch am ersten
verwechselt werden könnte, unterscheidet sie sich erstens durch den
Mangel an Tracheenkiemen und zweitens dadurch, dass sie nicht
drei, sondern nur zwei lange Anhänge am Hinterleibsende hat.
Innerhalb der Familie gehört die Larve zu denen, bei welchen
das zweite Glied des dreigliedrigen Fusses kleiner ist als das erste.
Die Larve besitzt keine Tracheenkiemen; wie atmet sie denn?
Ich habe sie weder jemals zur Atmung an die Oberfläche kommen
sehen, noch spricht die Derbheit ihrer Haut und ihre Grösse für
Hautatmung, so dass mir die Atemverhältnisse der Larve rätsel-
haft sind.
Eigenartig nimmt sich die Bewegung der Lar\-e aus. Bei
keiner bisher genannten Larve sind die Beine so kräftig und lang
zugleich, wird der Hinterleib so wenig auf dem Boden nach-
geschleppt, ist die Bewegung ein so flinkes Gehen wie bei dieser
Lan-e. Ihre Lebensweise ist eine räuberische.
Die Ähnlichkeit zwischen der älteren Larve und dem ent-
wickelten Insekt ist recht auffallend; der Schritt \on dem einen
zum andern Zustand scheint deswegen auch recht leicht und schnell
zu geschehen. Brachte ich Lar\-en in feuchter Schachtel mit Moos
zusammen heim, so fand ich am nächsten Tage meist mehrere
davon schon ausgeschlüpft.
Von den übrigen Larv^en der Familie, die sich alle einander
recht ähnlich sehen, möchte ich nur noch die grösseren Perla-
108 Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
Larven erwähnen, die durch Tracheenkiemen an der Unterseite der
Brust ausgezeichnet sind*).
Schlussbemerkung. Sowohl am Anfang dieser wie der
vorigen Ordnung hob ich hervor, dass die Anzahl der Wasser-
larven innerhalb der Ordnung ungleich grösser als bei den früheren
ist. Dazu kommt nun noch ein Anderes. Bei den Larven der
Käfer, Zweiflügler und Schmetterlinge war die Anpassung an das
Wasserleben, besonders hinsichtlich der Atmung, eine recht ver-
schiedene; eine Reihe von Arten atmete noch durch Luftlöcher,
daneben fand sich mehr oder minder ausgedehnt Atmung durch
die Haut, echte Kiemen oder Tracheenkiemen. Ungleich einheit-
licher, geschlossener erscheinen darin die Larven der Neuropteren
und amphibischen Orthopteren: fast alle sind sie Tracheenkiemen-
atmer, selten finden sich daneben Hautatmer und nie einfache
Luftatmer. Ferner sind sie einerseits alle nach ihrer Organisation
ausgesprochene Wassertiere, und anderseits werden die einzelnen
Gruppen den verschiedenartigen Bedingungen des Wasserlebens in
oft recht eigenartiger Weise gerecht. Das Alles legt die Frage
nahe: Ist das Verhältnis dieser Larven zum Wasserleben nicht ein
ganz anderes als das der Käfer-, Zweiflügler-, Schmetterlings- und
— wie wir gleich hinzufügen wollen — Wanzen-Larven ? Diese
verglichen wir den Seehunden und Walen, d. h. wir hielten für
recht wahrscheinlich, dass sie von Vorfahren abstammen, die samt
ihren Larven in der Luft lebten; sind jene Larven dagegen nicht
vielleicht echte, ursprüngliche Wassertiere. Besonders für die Ephe-
meriden ist wegen der unvollkommenen Verwandlung, wegen der
einfachen Bildung der Mundteile und weil sich die Bildung der
Flügel bei ihrem ersten Auftreten mit der der Tracheenkiemen
vergleichen lässt, schon öfters ausgesprochen worden, dass sie dem
Urtypus der Insekten ziemlich nahe stehen dürften; leiten sie sich
vielleicht unmittelbar von einer im Wasser lebenden Stammform
ab? Sind sie also den Amphibien im Kreise der Wirbeltiere zu
*) Zuerst bei Tieren dieser Familie -wurde die überraschende Thatsache festgestellt,
dass auch entwickelte Kerfe noch Tracheenkiemen besitzen. Palmen hat dann diese
Erscheinung als allgemeiner verbreitet nachgewiesen.
Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
109
vergleichen? Diese Frage näher zu erwägen*), ist hier nicht der
Ort, doch möchte ich hier kurz auf den einen Punkt hinweisen,
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*) Verwiesen sei hier besonders auf die für die Frage wichtigen Untersuchungen und
Erörterungen von Palmen („Morphologie des Tracheensystems").
X1Q Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
dass man im Falle der Bejahung annehmen müsste, die Bildung
eines Tracheensystems und zwar eines geschlossenen, das für
die Bewegung der Luft im Körper so ungünstige Bedingungen
bietet, sei bei Tieren, die unter Wasser leben, an Stelle der Kiemen
entstanden !
Schnabel kerfe 6).
Die Schnabelkerfe oder Rhynchoten lassen sich hinsichtlich
ihres Verhaltens zum Wasser recht wohl mit den Käfern vergleichen;
wie bei diesen leben unter den Schnabelkerfen nicht nur eine Reihe
von Larven im Wasser, sondern auch entwickelte Kerfe, die in
beiden Ordnungen freilich nicht völlig an diesen Aufenthalt gebannt
sind. Ferner gilt auch in dieser Ordnung wie in jener*) der Satz,
dass, wenn das entwickelte Tier diesem Element angehört, auch
die Larve im Wasser lebt. Endlich stellen sich, wie schon bei den
Käfern erwähnt wurde, beide Ordnungen auch darin neben einander,
dass einige ihrer Arten auf der Wasseroberfläche leben: neben den
sich auf der Oberfläche herumtummelnden Gyriniden finden sich
die nicht minder auffälligen Wasserläufer, welche innerhalb der
Ordnung eine besondere kleine Familie bilden.
Am häufigsten trifft man auf stehenden Gewässern die Arten
der Gattung Hydrometra an. Der Körper ist ebenso wie die
beiden hinteren Beinpaare auffallend lang und dünn, die Vorder-
beine, zwischen denen der ziemlich lange, mit Stechborsten versehene
Rüssel liegt, ungleich kürzer. Eigenartig ist der Eindruck, den ihr
Stehen und ihre Beweguno- auf dem Wasser macht. IMit den
wagerecht gestreckten Fussgliedern der Mittelbeine und zeitweise
der Vorderbeine, sowie den Schienen und Fussgliedern der Hinter-
beine ruhen sie auf der Wasseroberfläche, die an der betreffenden
Stelle eingedrückt erscheint, wie bei einer auf der Oberfläche
schwimmenden Nähnadel. Durch ein feines, lufthaltiges Haarkleid
der Beine ist die Gefahr des Einsinkens gemindert. Bei der
*) Vergl. jedoch die Ausnahme von Parnits.
Kerfe und Kerf larven des süssen "Wassers. j^ ]^ ]^
Bewegung gebrauchen die Tiere vornehmlich die Mittelbeine, die-
selben gleichzeitig bewegend; stossweise gleiten sie auf der C)ber-
fläche ziemlich schnell dahin*).
Die Nahrung der Hydrometriden besteht aus schwächeren
Insekten, besonders wohl auch aus eben ausgeschlüpften Mücken,
die sie mit ihrem Stech- und Saugrüssel aussaugen. An den
Larven fällt besonders die ganz ausserordentliche Verkürzung des
Hinterleibes**) auf; hiervon imd von dem ]Mangel ausgebildeter
Flügel abgesehen, gleichen sie, besonders auch in der Lebensweise,
sehr den entwickelten Kerfen.
Die übrigen Schnabelkerfe nun, welche dem Wasser angehören,
führen ein Leben ähnlich dem der Dytisciden und Hydrophiliden ;
einige von ihnen, nämlich die Gattungen Notonecta (Fig. lO, 25),
Pka, Corisa (Fig. 10, 26), Naiicoris (Fig. 10, 27), sind lebhafte
Schwimmer, andere dagegen, Nepa und Ranatra (Fig. 10, 28),
kriechen mehr den Hydrophiliden ähnlich an den Wasserpflanzen
umher. Alle aber kommen, den Käfern gleich, zum Atmen an
die Oberfläche, im einzelnen dabei freüich verschiedene Ein-
richtungen und Weisen zeigend. Systematisch sind sie übrigens
auch dadurch zusammengehalten, dass sie neben dem gegliederten
Saugrüssel und den beiden ungleichartig ausgebildeten Flügelpaaren
ausserordentlich kurze Fühler besitzen, die sie verborgen am Unter-
kopf tragen.
1. Notonecta glauea (Fig. 10, 25).
Unter den Schwimmern ist der ansehnlichste und mit auch der
häufigste Notonecta glauea, in kennzeichnender Weise Rücken-
schwimmer genannt. Fassen wir ihn, wenn er aus dem Netz
genommen werden soll, nicht vorsichtig, so lernen wir wahrscheinlich
auch durch seinen empfindlichen Stich verstehen, weshalb er hie
und da Wasserbiene heisst.
*) Die Gattung Velia, welche schattige, fliessende Gewässer liebt, schreitet oder
läuft dagegen auf dem Wasser.
**) Sonst ist bei Insektenlarven der Hinterleib der am kräftigsten entwickelte Körper-
teil. Das ist nach der Lebensaufgabe des Larvenstadiums ohne Weiteres verständlich. Hier
wird die Abweichung von der Regel durch die Bewegungsweise auf der Oberfläche und die
damit verbundenen Anforderungen bedingt.
]^][2 Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers.
Die Eigentümlichkeit, mit dem Bauch nach oben zu schwimmen*),
kennzeichnet unser Insekt hinreichend. In Beziehung zu dieser
Schwimmart steht auch die Färbung des Tieres: nicht der Rücken
ist, wie das bei den meisten Wasserinsekten die Regel, dunkel
gefärbt, sondern der Bauch, während unter Wasser die Rückseite
durch anhaftende Luft lebhaft weiss erscheint. Nachdrücklich wird
hierdurch in ähnlicher Weise wie durch die Färbung der Flundern
die Auffassung gestützt, dass die dunklere, dem Boden ähnliche
Färbung der Rückseite und die lichtere der Bauchseite so vieler
Wassertiere, z. B. so vieler Fische, eine Schutzfärbung ist.
Als Ruder sind nur die stark verlängerten kräftisfen Hinterbeine
thätig, die an Schienen und Fussgliedern mit zwei Reihen Schwimm-
haaren versehen sind; ihre Endkrallen sind verkümmert. Als ordent-
licher Schwimmer gebraucht das Tier die Ruder gleichzeitig. Wie
es Vorder- und Mittelbeine verwendet, sieht man leicht, wenn man
auf die Oberfläche etwa eine Fliege wirft. Meist nimmt der vor-
nehmlich nach oben schauende Rückenschwimmer die Beute schnell
wahr, schiesst jählings darauf los und packt sie mit armartig gekrümmten
Vorder- und Mittelbeinen, um schwebend sie auszusaugen.
Zur Atmung streckt er, den Schwimmkäfern ähnlich, das Hinter-
leibsende aus dem Wasser; man möchte also hier auch grosse und
ansehnliche Luftlöcher vermuten. Die Luftlöcher des Hinterleibes
jedoch sind auffallend klein; grosse, mit zarten Schutzhaaren ver-
sehene Luftlöcher, welche fraglos für die Atmung in erster Linie
in Betracht kommen, liegen dagegen ziemlich verborgen seitlich an
der Brust, etwas nach hinten und bauchwärts von der Ansatzstelle
der Hinterflügel, ferner in der Verbindungshaut der Vorder- und
Mittelbrust, sowie zwischen Mittel und Hinterbrust und zwar am Rande
der Unterseite. Die Luft aber wird von dem Hinterleibsende nach
diesen Stigmen in eigentümlicher Weise geleitet. Es ist nämlich
der Bauch in der Mitte gekielt (Fig. lo, 25) und wiederum an
den Rändern erhaben, sodass zwei seitliche, freilich flache Rinnen
entstehen. Über diesen Rinnen stehen je zwei Haarreihen, eine
*) Nur bei der kleinen, 2 mm grossen Verwandten, Plea müniHssi'ma, findet sich
die gleiche Schwimmart.
Kerfe und Kerflaiven des süssen Wassers. H3
vom Aussenrande und eine von der Mitte her und unter solchem
Haardach wird die Luft in den beiden Rinnen von hinten her zur
Brust und zwischen Haaren derselben weiter zu den Stigmen fort-
geleitet. Nicht selten sieht man die Hinterbeine, Geigenbogen ver-
gleichbar, über den Hinterleib hinfahren, um die Luft in der einen
oder anderen Richtung fortzuschieben. Hin und wider klappen
auch an der Oberfläche die Haarreihen aus einander. Die Aussen-
ränder der drei letzten Ringe sind übrigens noch mit nach aussen
gerichteten Haarreihen versehen und diese ruhen beim Atmen auf
der Oberfläche; auch die Bürste zur Reinigung der Schwimmhaare
befindet sich anscheinend hier.
Laich und Larven. Im Zimmeraquarium habe ich die Eier
des Rückenschwimmers mehrfach schon im März erhalten; sie waren
einzeln an lebenskräftigen, grünen Blättern abgelegt. Die aus-
schlüpfenden Larven lassen die Zugehörigkeit zu dem entwickelten
Insekt in allen Punkten bis auf die weissliche Färbung und den
Mangel der Flügel erkennen. In Menge trifft man die Larven
während der Sommermonate in den Gewässern an, dem Raube
obliegend wie die entwickelten Kerfe. Ende Juni thun die ersten
den letzten Schritt in der Entwickelung, der bei den Schnabelkerfen
im Vergleich z. B. zu den Käfern recht klein ist. Dass hier kein
Ruhe- d. h. Puppenstadium nötig ist, um die letzte Häutung vor-
zubereiten, ist ohne Weiteres verständlich.
2. Corisa (Fig. lo, 26).
Mit Notonecta und Plea werden bisweilen die zahlreichen und
teilweise recht häufigen Arten der Gattung Corisa zu einer Familie
vereinigt. Ist auch eine ge\nsse oberflächliche Ähnlichkeit vor-
handen, so erweist sich doch Corisa bei eingehenderer Betrachtimg
so verschieden von den beiden anderen, dass eine derartige Ver-
einigung recht gewaltsam erscheint. Ich beschränke mich hier
darauf, hervorzuheben, dass die Corisa- Arten, unter denen C Geoffroyi
(fast 1,5 cm messend) die grösste, aber nicht häufigste ist, nicht
mit dem Bauch, sondern mit dem Rücken nach oben schwimmen,
dass sie ferner nicht das Hinterleibsende zur Atmung an die
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II, 8
114: Kerfe und Kerl'larven des süssen Wassers.
Oberfläche bringen, sondern den Vorderkörper, und zwischen Kopf
und Vorderbrust oder Vorder- und Mittelbrust, die dabei von
einander gebogen werden, die Luft einsaugen. Besonders grosse
Luftlöcher liegen in der Gelenkhaut der Vorder- und Mittelbrust,
an den Seiten der Mittelbrust und scheinbar an denen der Hinterbmst.
Im Wasser erscheint die ganze Unterseite mit einer silberglänzenden
Luftschicht bedeckt. Natürlich fehlen nun auch die eigentümlichen
Luftrinnen an der Bauchseite des Hinterleibes.
Von den Beinen ist wiederum das letzte Paar zu Schwimm-
beinen umgestaltet. Das Schwimmen erfolgt regelrecht unter gleich-
zeitiger Bewegung beider Beine. Eine eigenartige, schaufeiförmige
Ausbildung zeigt das Vorderbeinpaar. Es dient mit dem Schnabel
zusammen bei einzelnen Arten (oder bei allen?) als Musikinstrument.
Die ziemlich laute und anhaltende „Musik" habe ich übrigens bei
den Tieren, welche ich hielt, stets erst am Abend gehört. Die
Tiere hielten sich unter Wasser mit den Mittelbeinen fest und
geigten mit den Vorderbeinen über den Schnabel. Deutlich Hess
sich die Gleichzeitigkeit des Tones mit der Bewegung der Vorder-
beine beobachten.
Wie alle Schnabelkerfe des Wassers leben auch die Corisa-
Arten vom Raube; aber sie dürften bei der Eigenart ihrer Mund-
teile nicht nur zu saugen, sondern auch kleinere, festere Sachen
zu zerkleinem vermögen*). Häufig habe ich sie an winzigen
Mückenlarven gesehen. Der Schnabel weicht wesentlich von
dem des Rückenschwimmers schon durch die auffallende Kürze
und Breite ab. Die Hauptmasse desselben wird freilich, wie ich
im Gegensatz zu den meisten mir bekannten Angaben, welche gleich-
massige Beteiligung der Ober- und Unterlippe an der Schnabel-
bildung behaupten, fand, hier wie bei den anderen Rhynchoten
von der nach oben zusammengelegten und gegliederten Unter-
lippe gebildet, in der die kurze Oberlippe und die vier Stechborsten
liegen **).
*) Vergl. hierzu die Angaben von Geise, „Die Mundteile der Rhynchoten" im
Archiv für Naturgeschichte 1886.
**) Siehe auch Geise a. a. O.
Kerfe und Kerflarven des süssen "Wassers, IIb
•
An der Bildung der ]\Iundteile sind auch die im Mai aus-
nehmend häufigen Larven als Corisa - Larven leicht zu erkennen.
Dieselben bieten vor der ersten Häutung in ihrer Atmung eine
Abweichung sowohl von den Notonecta-Larven als auch von den
eigenen entwickelten Zuständen. Sie kommen nämlich nicht dazu
an die Oberfläche, sondern atmen durch die zarte Hautoberfläche.
Das Tracheensystem ist zu dieser Zeit an manchen Teilen der
Haut sehr fein und reich verzweigt, aber es besitzt, wie bei dem
durchsichtigen Körper mit Hilfe des ^Mikroskops leicht festzustellen
ist, keine thätigen Luftlöcher. Oft sah ich solche Larven sich mit
den Hinterbeinen frisches Wasser zufächeln, während sie sich mit den
]\Iittelbeinen festhielten. Lar\-en mit Flügelansätzen zeigen freilich
schon die Atmungsweise der entwickelten Tiere '^).
3. Nepa, Ranatra, Naucoris.
Den dritten Typus der im Wasser lebenden Schnabelkerfe
bilden die beiden, je nur eine Art umfassenden Gattungen Ä^epa
und Ranatra (Fig. lo, 28). Beide sind kenntlich an den langen,
aus zwei seitlichen Halbrinnen bestehenden Atemröhren am Körper-
ende und an den ausgeprägten, nach vorn gerichteten Raubbeinen
des ersten Brustringes. Die Schiene derselben kann gegen den
Schenkel wie die Schneide eines Taschenmessers gegen den Griff"
umgeschlagen werden; die Krallen am Ende fehlen, der eingliedrige
Fuss selbst sieht dagegen krallenartig aus. Hinsichtlich der Bein-
bildung bildet die Gattung Naucoris (Fig. 10, zy) den Übergang
zu Nepa; sonst freilich weist sie nicht viel Übereinstimmung mit
derselben auf.
Nepa cinerea, der Wasserskorpion, und Ranatra linearis unter-
scheiden sich von einander leicht durch die Gestalt; der erstere
ist breit, verhältnismässig kurz und von oben nach unten platt
gedrückt, während Ranatra am besten gekennzeichnet wird durch
den Namen, welchen ihr jüngst einer meiner Schüler gab: Stroh -
halmwanze. Wer sie nicht kennt, dürfte sie in der That oft
*) Die sehr ähnliche Gattung Sigara , besonders durch die Zahl der Fühlerglieder
unterschieden, habe ich bisher nur in grösseren Gewässern, nicht in Gräben und Teichen
gefunden.
8*
\\Q Kerfe und Kerf larven des süssen Wassers.
genug jener Ähnlichkeit wegen, da sie überdies meist bewegungslos
mit abgestreckten Beinen im Netz liegt, übersehen.
Mit der Schwimmbefähigung und Schwimmneigung beider ist
es nicht sonderlich bestellt; die Mittel- und Hinterbeine, welche
dabei gebraucht werden, sind nur schwach bewimpert. Sie bewegen
jedoch die Beine desselben Paares gleichzeitig und Ranatra, dessen
Beine ausserordentlich lang sind, kommt schwimmend ziemlich
schnell fort. Die Lieblingsstellung beider Tiere ist übrigens, sich
schräg abwärts gerichtet an einer Wasserpflanze mit den beiden
letzten Beinpaaren zu halten, so dass die Atemröhre eben zur
Oberfläche empoiragt, und so bewegungslos auf Raub zu lauern.
Blitzschnell erfassen sie mit ihren Vorderbeinen vorbeischwimmende
Tiere, auch winziger Grösse, z. B. Daphnien. Einmal gefasst, ent-
windet sich keine Beute so leicht diesen Zangen. Bisweilen sah
ich Ranatra eine DapJinia aussaugen und gleichzeitig mit jedem
Vorderbeine eine neue Beute halten *).
Die Eier legen beide Wanzen im Mai an abgestorbenen
schwimmenden Binsen u. dergl. ab und zwar so, dass das eigent-
liche Ei in die Pflanze eingesenkt ist und nur die eigenartigen,
fadenförmigen Anhängsel der Eier (bei Ranatra zwei, bei Nepa
mehrere) hervorragen (Fig. lo, 29 u. 30). Von Ranatra habe ich
mehrfach die Eier im Mai zu vielen Hunderten angetroffen. Die
jungen Larven schlüpfen nach kurzer Zeit aus; die Zugehörigkeit
zum entwickelten Tier ist bei ihnen wie bei Nepa ohne Weiteres
zu erkennen. Es fehlen ihnen zunächst nur die Flügelansätze und
die Atmungsweise ist eine etwas andere. Bei den entwickelten
*) Die Mundteile der Nepiden bieten übrigens eine morphologische Besonderheit dar ;
die Unterlippe derselben besitzt am vorletzten Schnabelgliede eingliedrige Taster im Gegen-
satz zu der allgemeinen Angabe, dass den Rhynchoten eigentliche Lippentaster fehlen. Das
hatte bereits Savigny erkannt und abgebildet. Seine Abbildung ist in Lehrbüchern immer
wieder kopiert worden, aber anscheinend ohne Verständnis und Nachuntersuchung, denn die
Taster sind in den Abbildungen recht undeutlich geworden und in den Erklärungen und
Texten völlig verschwunden. Burmeister, der auch die Abbildung von Savigny bringt,
hat sogar auf das Fehlen der Unterlippentaster hin eine besondere Deutung der Gliederung
des Rüssels aufgestellt, die oft wiederholt wurde, und H ux ley (,, Wirbellose Tiere") zieht mit
deswegen in Frage, ob die Mundteile der Rhynchoten mit denen der anderen Insekten
homologisiert werden können. Auffallenderweise giebt auch Geise, der die Mundteile
der Schnabelkerfe so genau untersucht hat, an, dass bei Nepa und Ranatra die Lippen-
taster fehlen. Vgl. meine Mitteilungen über Mundteile der Rhynchoten und die Stigmen
derselben in d. Sitzungsber. der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin, 1891.
Kerfe und Kerf larven des süssen Wassers. 117
Kerfen liegen die einzig offenen Stigmen am Ende des Hinterleibes,
am Grunde der Atemröhre; die übrigen Stigmen desselben sind
auf der Bauchseite zwar vorhanden, aber geschlossen und nicht
in Thätigkeit; bei den Larven sind dagegen an der Bauchseite
zwei deichartiore Haarrinnen vorhanden wie bei Notonecta,
und unschwer erkennt man auch, dass von der kurzen Atem-
rinne aus — eine zweiteilige Atemröhre ist noch nicht aus-
gebildet — die Luft in diesen seitlichen Gängen zu den dort
liegenden Luftlöchern fortgeleitet wird. In allen anderen Punkten
aber, in der Bildung der Mundteile, im Schwimmen, in der ge-
wöhnlichen Körperhaltung, sind die jungen Tiere ein getreues
Abbild der alten.
Schlussbemerkungen.
Reich und mannigfaltig ist also, wie wir sehen, das Kerf- und
besonders Kerflarvenleben der süssen Gewässer entwickelt.
Naturgemäss drängt sich da zum Schluss die Frage auf: Wie
verhält sich dazu die Kerfwelt des Meeres? Ist dort ein ähnlicher
Reichtum an Formen vorhanden; sind es verwandte und gleiche
Formen wie die des süssen Wassers? Die Auskunft auf solche
Fragen muss für Jeden zunächst überraschend sein: Von Kerfen
und besonders Kerf larven des INIeeres ist so gut wie gamicht die
Rede. Ausser einer Gattung der Wasserläufer (Halobates, Meer-
wanze) giebt es nur ganz vereinzelte Meerestiere unter den Kerfen
und Kerflarven. Dass der Salzgehalt des Meerwassers die Ursache
dieser auffallenden Erscheinung sein sollte, ist, auch schon wegen
der Fauna der salzigen Gewässer des Binnenlandes, nicht wohl
anzunehmen. Vielleicht ist dieselbe im folgenden zu suchen. Die
fast nie ruhende Bewegung der Meeresoberfläche, besonders auch
näher der Küste, macht zunächst allen Kerfen und Larven, die
zur Atmung an die Oberfläche kommen, oft auf lange Zeit das
Atmen und also das Leben im Meere unmöglich; aber auch für
diejenigen Larven, bez. Puppen, welche durch Kiemen oder Tracheen-
kiemen atmen und die also zunächst in der schützenden Tiefe
verbleiben können, kommt früher oder später der Zeitpunkt, wo
]^]^g Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers: Anhang.
sie zur Verpuppung oder zum Ausschlüpfenlassen des Insektes das
Wasser verlassen müssen, mid welche Schwierigkeit bietet sich dann
für die schwachen Lebewesen durch die Brandung das Ufer und
und weiter eine Stelle zu erreichen, an der sie nicht eine spätere
Welle oder die steigende Flut erreiche. Wie dem nun auch sein
möge, jedenfalls bilden die Kerfe hierin einen bemerkenswerten
Gegensatz zu der verwandten Klasse der Kruster, den echten
Wassertieren, welche im Meere so ungleich reicher als im süssen
Wasser entwickelt sind.
Anhang.
Tabelle
zur annähernden Bestimmung der im Wasser lebenden Kerflarven*).
1. (8)**) Mit Flügelansätzen***) 2.
2. (3) Mit gegliedertem Rüssel
Schnabelkerfe\) oder Rhynchoten (Fig. 10, 25 — 28).
3. (2) Mit beissenden Mundteilen (Orthoptcra amphihiotica) . 4.
4. (5) Unterlippe zum Fangorgan ausgebildet, weit vorstreckbar
(Fig. 9, 19). Mit drei blattförmigen Kiemen ft) am
Ende oder mit Darmldemen Odonaten (Fig. 9, 19 — 22).
*) Die weitere Unterscheidung der unten folgenden Gruppen siehe teilweise im Text.
**) Die eingeklammerten Zahlen weisen auf den Gegensatz hin.
***) Die jüngsten Larven sind zwar ohne Flügelanseitze, aber durch ihre sonstige
Ähnlichkeit mit den ungleich häufigeren älteren Larven, die solche Ansätze haben, leicht
kenntlich. Übrigens lassen sich die Larven der vier ersten Gruppen auch abgesehen von
den Flügelansätzen durch die oben gekennzeichneten Merkmale der Mundbildung, der
Kiemen und Endanhänge von den folgenden Larvengruppen unschwer unterscheiden. Zu Hilte
kann man noch nehmen, dass die Larven dieser vier Gruppen alle Netzaugen und grosse, wohl
entwickelte Beine mit fast immer (oder immer?) teilweise gegliederten Tarsen haben und dass
Brust- und Hinterleibsringe meist deutlich in ihrer Bildung von einander unterschieden sind.
t) Die Gattungen sind unschwer durch die Ähnlichkeit mit den erwachsenen Tieren
zu bestimmen.
tt) Kiemen steht in der Tabelle der Kürze wegen statt Tracheenkiemen.
Kerfe uiul Kerf larven des süssen Wassers : Anhang. 119
5. (4) Unterlippe gewöhnlich, tief geteilt 6.
6. (7) Mit Kiemen nur an den Seiten des Hinterleibes.
Meist drei lange Endanhänge. Ephemer iden (Fig. 9, 23).
7. (6) Ohne Kiemen an den Seiten des Hinterleibes, oft mit
solchen an der Brust. Meist zwei Endanhänge.
Perliden (Fig. 10, 24).
8. (i) Ohne Flügelansätze. Larven, deren Brust- und Hinter-
leibsringe meist recht gleichartig und deren Tarsen
nie gegliedert sind 9-
9. (10) Ohne gegliederte Beine an den drei Brustringen,
bisweilen mit fussartigen, ungegliederten Fortsätzen,
die zahlreiche Chitinhaken tragen
Dipteren (Fig. 7, 9 — 14)-
10. (9) Mit gegliederten Beinen an den drei Brustringen. . 11.
11. (12) ]\Iit je einem kräftigen Chitinhaken an zwei kürzeren
oder längeren Afterbeinen am Hinterleibsende.
Fühler meist fehlend, selten vorhanden und dann
zweigliedrig, winzig. Mit oder ohne fadenförmige
mehrreihige Kiemen. Mit oder ohne Gehäuse
Phryganiden (Fig. 8, 15).
12. (11) Ohne derartige Chitinhaken an besonderen After-
beinen; mit Fühlern 13-
13. (14) Raupen; mit fünf Paar Afterbeinen am dritten bis
sechsten und letzten Hinterleibsringe. Afterbeine
mit Hakenkränzen
Wasserzünsler (Paraponyx, Hydrocampa, Cataclysta,
Acentropiis).
14. (13) Fast immer ohne Afterbeine*), oder doch nie mit
Afterbeinen in obiger Anordnung 15.
15. (18) Mit fadenförmigen Kiemen, ohne thätige Luftlöcher**) lö.
*) Meines Wissens kommen nur bei Philhydrus tesiaceus Afterbeine vor und zwar
stellen sie am dritten bis siebenten Hinterleibsring.
**) Hierher gehören eigentlich auch wegen ihrer Kiemen Berosus (Hydrophilide),
Cnentidoius und Pelobiiis (Dytisciden). Von den Gyriniden, Sialis und Sisyra unterscheidet
sich Cnemtdofus dadurch, dass auch an den Brustringen Kiemen stehen, Pelobt'us durch
bluterfüllte echte Kiemen an der Unterseite der Brust und Berosus durch die besondere
Oberkiefer- und Beinbildung (S. 24) der Hydrophiliden.
;1^20 Kerfe und Kerflarven des süssen Wassers: Anhang.
i6. (17) Ohne Chitinhaken am Körperende ; Kiemen gegliedert,
am Hinterleib Sialis, Sisyra.
17. (16) Mit vier Chitinhaken am Körperende; Kiemen un-
gegliedert, am Hinterleib . . . Gyriniden (Fig. 6, i).
18. (15) Ohne fadenförmige Kiemen; mit zwei thätigen Luft-
löchern am Körperende 19.
19. (20) Fühler länger als der halbe Körper; Körper platt
Cyphon.
20. (19) Fühler kürzer als der halbe Körper; Körper mehr
oder minder walzenförmig 21.
21. {22) Vorletzter (eigentlich drittletzter) Hinterleibsring mit
zwei langen sichelförmigen Chitinhaken. Körper
weichhäutig, bleich Donaeiden.
22. (21) Ohne solche Chitinhaken; Körper nicht bleich . . 23.
23. (24) Oberkiefer sichelförmig, ohne Zähne auf der Innen-
seite; Beine mit gesonderter Kralle, also sechs-
teilig. Fast immer zwei Krallen
Dytiseiden (Fig. 5, 2 — 4).
24. (23) Oberkiefer mit deutlichen Zähnen oder doch Höckern
auf der Innenseite. Tarsus und Kralle nicht ge-
sondert, Beine also fünfgliedrig. Nie zwei Krallen
Hydrophilidcn^ (Fig. 6, 6 und 7).
Litteratur.
i) Zum Bestimmen der im Wasser lebenden Käfer wie der
Käfer überhaupt ist zu empfehlen der betreffende Band der „Fauna
austriaca", nämlich Redtenbacher: „Die Käfer". Wien 1858. Die
Litteratur über die Käferlarven und Käferpuppen ist übersichtlich
zusammengestellt in M. Rupertsberger, „Biologie der Käfer Europas".
Linz 1880. Für unsern Zweck sind fraglos am wichtigsten die
Arbeiten Schiödtes, welche in der Naturhistorik Tidsskrift von
Kröyer, Kopenhagen, erschienen sind imd zwar in den Jahrg. 1862,
1864, 1867, 1872. Der Text ist teilweise dänisch, teilweise lateinisch;
die wichtigste Auskunft geben übrigens schon die vorzüglichen
Abbildungen. Nicht unterlassen möchte ich, gleich hier auf die
unser ganzes Gebiet behandelnden älteren Werke von Rösel
V. Rosenhof, Reaumur und De Geer hinzuweisen.
Rösel, „Monatlich herausgegebene Insektenbelustigungen". 1746
bis 1761.
de Reaumur, Memoires pour servir a l'histoire des Insectes.
Paris 1734—42.
de Geer, JNIemoires pour servir a l'histoire des Insectes.
Stockholm 1752 — 78. (Deutsch von Götze. Nürnberg 1778 — 83.)
2) Eine umfassende Zusammenstellung der Litteratur über die
Metamorphose der Dipteren giebt Fr. Brauer, „Die Zweiflügler des
kaiserlichen Museums zu Wien" (Denkschr. d. k. k. Akad. d.
Wiss. Bd. 47. Wien 1883). Dort sind auch die Larven syste-
matisch gruppiert und kurz geschildert. Für die eucephalen Larven
ist wegen seiner vortrefflichen Abbildungen besonders zu empfehlen:
122 Kerfe und Kerflarven: Litteratur.
Fr. Meinert, „Eucephale Myggelarver" (Vidensk. Selsk. 6 Räkke
naturvidensk. og math. Ath. III 3). Kopenhagen 1886.
3) Abbildungen der Wasserraupen finden sich in v. Praun,
„Abbild, u. Beschreib, europäischer Schmetterlingsraupen". Heraus-
gegeben von E. Hoffmann, 1874. Vergl. auch Sorhagen, „Klein-
schmetterlinge der Mark".
4) Für Phryganiden, Ephemeriden und Perliden sind mit Vor-
teil zu benutzen die Werke von F. J. Pictet, i) Recherches pour
servir ä l'histoire et a l'anatomie des Phryganides. Genf-Paris
1834. 2) Histoire naturelle des insectes neuropteres. Genf-Paris
1841 — 1843.
Ferner ist für beide Ordnungen zu empfehlen: Fr. Brauer,
Neuroptera austriaca. Wien 1857. ^Eine Anzahl Beschreibungen
und Muster für genaue Beschreibung der Larven und Puppen der
Phryganiden findet man in : Klapalek , „Metamorphose der
Trichopteren". Prag 188S.
Für die Bestimmung der entwickelten Insekten ist besonders
zu nennen: Mc. Lachlan, A monograph revision and Synopsis of
the Trichoptera of the European Fauna. London 1874 — 80.
5) Die Ephemeriden nebst ihren Larven sind sehr eingehend
behandelt in : Eaton, A revisional monograph of recent Ephemeridae.
(Transact. of the Linnean Society.) London. Zoology. N. S. 3.
1888. Das Werk enthält zahlreiche Tafeln über die Larven.
6) Zur Bestimmung der Gattungen der Wasserwanzen dürften
die allgemeinen systematischen Handbücher ausreichen, z. B. das
von Ludwig - Leunis. Zur Unterscheidung der Arten sind die
Arbeiten von Fieber, besonders „Hemiptera europaea", zu empfehlen.
Die Mollusken des Süsswassers.
Von S. Clessin in Ochsenfurt.
U nsere Gewässer, von der kleinsten Pfütze bis zu den grössten
Seen und von der spärlichsten Quelle bis zu den wasserreichsten
Flüssen, werden von Mollusken verschiedener Gattungen bewohnt.
Aber obwohl die in den Gewässern vorkommenden Arten meist in
reicher Individuenzahl auftreten, fallen sie dennoch dem nicht
geübten Beobachter nicht so leicht ins Auge und es bedarf selbst
der gewandte Sammler in der Regel besonderer Instrumente, um
lebende Mollusken in grösserer Anzahl zu fangen. Leere Gehäuse
werden dagegen oft in reicher Menge an gewissen Lokalitäten
angeschwemmt gefunden.
Die Mollusken spielen im Haushalte der Natur eine wichtige
Rolle, indem sie faulende Pflanzenstoffe, welche in den Gewässern
sich ansammeln, verzehren und dadurch die Wasser rein erhalten.
Die Mehrzalil der Arten werden ihrer geringen Grösse und ver-
borgenen Lebensweise wegen leicht übersehen, doch beherbergen unsere
Gewässer auch grosse, recht ansehnliche Arten, namentlich aus der
Klasse der Muscheltiere, die bezüglich ihrer Entwickelungsgeschichte
noch besonderes Interesse bieten.
Einteilung der Mollusken.
Die im Wasser lebenden Conchylien gehören zwei sehr ver-
schiedenen Klassen an. Die eine besteht aus Tieren, welche einen
Kopf mit Fühlern und Augen haben, die gewöhnlich an der Basis
der Fühler sitzen, im übrigen aber jenen der Landschnecken, der
126 ^^^ Mollusken des Süsswassers.
Klasse der Gasteropoden oder Bauchfüssler ähnlich sind. Sie haben
mit wenig Ausnahmen (Genus Ancylns Geoff. und Velletia Gray*)
eine gewundene Schale, und ist das Gehäuse zuweilen mit einem
Deckel verschlossen. Die zweite Klasse die Muscheltiere, Bivalven
oder Zweischaler, haben keinen Kopf und keine Augen; das Tier
besteht nur aus einem sackartigen Körper, dessen unterer, ausdehn-
barer Teil als „Fuss" die Bewegung vermittelt. Den Körper um-
hüllen auf jeder Seite zwei buchblattartig am Rücken angeheftete
Kiemen und wird das ganze Tier von einem Mantel umschlossen,
dessen Ränder entweder ganz frei bleiben, oder teilweise zusammen-
gewachsen sind; im letztern Falle hat der Mantel einen Schlitz am
Vorderteile des Tieres zum Durchgange des Fusses und eine
Öffnung für die Anal- und Atemröhre. Die Schalen der Bivalven
sind nicht gewunden, sondern bestehen aus zwei gleichgrossen
Klappen, die durch ein elastisches Band, das Ligament, verbunden
sind und sich nur wenig öffnen können. Das Tier ist an den
gegenüberstehenden Enden durch zwei sehr starke JNIuskeln (die
Schliessmuskeln), welche zugleich das Öffnen der Schalen regeln, und
durch einen kleinen Wirbelhaftmuskel an die Schale angeheftet sind.
Die meisten Süsswassermuscheln
sind freibeweglich; nur eine Art
unserer heimischen Arten heftet sich
durch einen Byssus (einen Büschel
spröder Haare) an anderen Gegen-
ständen an (Dreissena polymorpha
Pallas Fig. 1 1).
^. Die Genera der nicht gedeckelten
Flg. II. o
Dreissena polymorpha. Süsswasserschnecken siud durchweg
Lungenatmer. Sie haben sehr ver-
schiedene Formen, indem der Modus des Aufwindens der Umgänge
sehr mannigfaltig ist. Die meisten Arten haben eine rechts-
gewundene Schale, nur die Genera Amphipepka, Physa und Aplexa
*) Bezüglich der Arten und Genera verweise ich auf meine Werke : „Deutsche
Excursions-Mollusken-Fauna". 2. Aufl. Nürnberg 1884, Bauer & Raspe, und „Mollusken-
fauna von Österreich-Ungarn und der Schweiz". Nürnberg 1890, Bauer & Raspe.
Die Mollusken des Süsswassers.
127
Fig. 12.
Ancylits fluvia-
tilis mit Tier.
winden ihre Umgänge nach links. Ferner besitzen die Genera
Limnaea, Physa, Ap/cxa, Amphipcpka ein mehr oder weniger erhöhtes
Gewinde, nur Genus Planorhis rollt seine Umgänge in platter Form
auf, für welche der Name „Tellerschnecke" sehr bezeichnend ist.
Die Genera Ancylus (Fig. 1 2 ) und Velletia haben eine napfförmige Schale,
von denen diejenige des ersteren Genus einer Jakobinermütze sehr
ähnlich ist; bei beiden beschränkt sich die Windung des Gehäuses
auf eine geringe Neigung des Wirbels nach rechts oder links. Die
meisten Arten haben eine rauhe Schale, an welcher die Zuwachs-
streifen deutlich erkennbar sind. Nur Genus Physa
und Aplexa haben glatte, glänzende Gehäuse.
Die Deckelschnecken, mit Ausnahme des Gen.
Vivipara, bestehen aus kleinen Arten. Alle sind
mit Kiemen zur Wasseratmung ausgerüstet. Gewöhn-
lich bleiben die Kiemen in der Kiemenhöhle ver-
borgen, nur Genus Valvata (Fig. 1 3 ) besitzt die Fähigkeit,
die federförmige Kieme auszustülpen und frei hervortreten zu lassen.
Das Gewinde ist bei diesen Schnecken ein kreiseiförmiges
(Gen. Vivipara und Valvata) oder ein mehr oder weniger getürmtes,
nur Gen. Neritina und Lithoglyphiis haben ein
kurzes, wenig hervortretendes Gewinde und eine
starke Schale und weite Mündung; die Oberfläche
der Arten des Gen. Neritina ist mit hübschen netz-
artigen Zeichnungen bedeckt.
Die frei beweglichen ]Muscheln gehören zwei
Familien an. Die grossen Arten gehören in die
Familie der Najaden. Diese haben offenen JNIantel, zwei gleich-
grosse Kiemen und an der INIundöiffnung jederseits zwei Mundlappen ;
der Mantel ist an seinem Rande am Hinterteile mit einem Kranze
dunkelgefärbter Papillen besetzt. Die Kiemen dienen zugleich als
Brutbehälter, haben gitterförmige Abteilungen, die, wenn Brut vor-
handen, mit einer ungeheuren Anzahl von Embr3'onen besetzt sind.
Die kleineren Zweischaler der Familie Cycladidae haben ge-
schlossenen Mantel, und je eine Anal- und Atemröhre, welche mehr
oder weniger über den Mantelrand hervortritt.
Fig. 13.
Valvata piscina-
lis mit Tier.
128
Die Mollusken des Süsswassers.
Wohnorte und Gewohnheiten.
Die ungedeckelten Wasserschnecken der Familie der Limnaeiden
halten sich den grössten Teil des Tages auf dem Grunde der
Gewässer im Schlamme auf, und ziehen die meisten Arten stehende
Gewässer vor; nur wenige Spezies finden sich in fliessenden
Wassern, für welche sie wegen ihrer dünnen, zerbrechlichen Schale
wenig geeignet sind. In fliessenden Wassern kommt in der Regel
nur Limnaea peregra vor. — Die übrigen Limnaea -Arten, die
Spezies der Gen. Physa, Aplexa, Amphipeplea und Planorbis
bewohnen nur stehende Gewässer.
Die Limnaeen (Limnaea stagnalis, anriciilaria, ovata, palustris)
steigen bei heiterem, warmem Wetter an Wasserpflanzen an die
Oberfläche des Wassers und kriechen, die Fusssohle nach oben
gerichtet, das Gehäuse untergetaucht, ebenso sicher dahin, als
wenn sie an einem festen Gegenstande kröchen. Wahrscheinlich
saugt sich die Sohle an der auf dem Wasser aufstehenden Lvift-
säule an, da die Tiere sich jederzeit plötzlich zu Boden fallen lassen
können. — ■ Das Aufsteigen der Limnaeen an die Oberfläche wird
mit dem Bedürfnisse der Tiere, Luft zu atmen, in Verbindung
gebracht, da die Limnaeiden mit Lungen ausgerüstet sind, während
die mit Kiemen versehenen Deckelschnecken nie an die Oberfläche
kommen. Die Limnaeen haben jedoch
dieses Bedürfnis nur bei heiterem Wetter
und bei erhöhter Temperatur des Wassers
ihrer Wohnorte.
Eine Aplexa- Art (Apl. hypnorum Fig. 1 4)
besitzt sogar die Fähigkeit, plötzlich vom
Grunde des Wassers an die Oberfläche
aufzutauchen, von wo sie sich nach eini-
gen Sekunden ebenso schnell wieder zu
Vivipara Vera Fr. -n t r n i i
Boden fallen lassen kann.
Die gedeckelten Wasserschnecken der Genera Vtvipara (Fig. 15),
Bythijiia und Valvata leben im Schlamme der Gewässer, und zwar
meist in stehenden, höchstens in sehr langsam fliessenden Wassern. —
Fig. 14.
Aplexa
hypnorum
g- 15-
Die Mollusken des Süsswasseis.
129
Die Arten der Genera Neritina und jene der Familie der Melaniiden
leben nur in bewegtem Wasser, in welchem sie sogar stark flutende
Stellen bevorzugen, für welche die Neritinen durch ihr kaum hervor-
tretendes Gewinde und ihre weite Mundöffnung vorzugsweise ge-
eignet erscheinen, weil sie den Fluten wenig Fläche darbieten.
— Die Bythinellen (Fig. 1 6) finden sich nur in Quellen an
Steinen sitzend; die Vitrdla-Kxitxi kommen ausschliesslich
in Höhlengewässem vor. — Velletia lacustris lebt in stehen-
dem, Ancyliis fliiviatilis und verwandte Arten nur in fliessen-
dem Wasser. Doch findet sich erstere zuweilen auch in
Bächen, während Ancylus-Arten auch in Seen vorkommen.
Die Muscheln stecken am Grunde der Gewässer im Schlamme,
in dem sie fast völlig eingebettet sind, so dass nur das hintere
Ende frei ins Wasser hervorragt. Sie saugen das Wasser durch
die Mundöffnung am vordeni Ende der Muschel ein, lassen das-
Fig. i6.
Byihinella
austriaca
Frf.
Fig. 17.
Anodonia Tnutabilis v. cellensis Chem.
selbe durch den Körper zirkulieren und stossen es durch die Atem-
öffnung am hintern Ende wieder aus. Wenn man eine Muschel
rasch aus dem Wasser nimmt, schliesst sie ihre Schalen und das
Wasser spritzt dann, oft in ziemlich lebhafter Weise, durch die
Atemöffnung aus. Beim Einblick in helles nicht tiefes Wasser kann
man die im Schlamme steckenden Muscheltiere leicht bemerken.
Man gewahrt jedoch nur die mit Girren am hintern Mantelrande
Tier- und Pflanzenwelt des Siisswassers. II. 9
]^30 ^^^ Mollusken des Süsswassers.
besetzte Atem- und Analöffnung. Schiebt man vorsichtig ein
Rütchen in diese Öffnung, so schliesst das Tier die Schalen, und
die Spitze des Rütchens wird mit eingeklemmt. Mit dem Rütchen
lässt sich dann die Muschel aus dem Schlamme ziehen, wenn man
dieselbe fangen will.
Die Muscheln (s. Fig. 17) heften sich in fliessendem Wasser
mit dem ausgestreckten Fusse in den unter der Schlammschicht
befindlichen festen Boden. Ihre Bewegungsfähigkeit ist eine sehr
geringe, und ihr ruckweise erfolgender INIarsch erstreckt sich nur
auf I — 2 ;w Länge. Derselbe wird durch Ausstrecken und Einziehen
des Fusses bewerkstelligt; bei letzterer Operation wird die Muschel
nachgeschleift, wobei sie im Schlamme eine Furche zurücklässt, an
welcher man die Länge und Richtung des Marsches erkennen kann.
Die kleineren Muscheln der Familie der Cycladen leben ebenfalls
frei beweglich im Schlamme. Nur eine Art unserer Süsswasser-
muscheln, Dreissena polymorpha , heftet sich durch einen Byssus
an andere im Wasser liegende feste Gegenstände an, und wechselt
dann ihren Standort nicht mehr bis zu ihrem Tode. Die
Muscheln sitzen oft in ganzen Klumpen zusammen und verstopfen
beispielsweise leicht Wasserleitungsröhren, wenn sie in selbe ge-
langen. — Das Festsitzen dieser durch ihre dreieckige Form auf-
fallenden Muschel ist die Veranlassung zur Verschleppung in die
nord- und westeuropäischen Gewässer geworden : Ursprünglich in
den Flüssen heimisch, welche ins Schwarze Meer münden, wurde
sie durch Schiffe, an deren Planken sie sich angehängt hatte, an
die Küsten der Ost- und Nordsee, sowie des Atlantischen Meeres
verschleppt, und gelangte von hier wieder durch Flussschiffe in
alle grösseren ins Meer mündenden Flüsse, von welchen sie
in deren Nebenflüsse vordrang. Durch den Donau -INIain- Kanal
war es ihr sogar möglich, die Wasserscheide zwischen Rhein und
Donau zu überschreiten und in die obere Donau zu gelangen, wo
ich im Jahre 1868 das erste Exemplar fand. Einige Jahre später
wurde sie bei Deggendorf beobachtet und so wird sie nun sicher
die Donau abwärts wandern, bis sie wieder das Schwarze INIeer,
ihren Ausgangspunkt, erreicht hat.
Die Mollusken des Süsswassers. 13]
Entwickelung- und Alter der Mollusken.
Die meisten Wasserschnecken sind Zwitter; wenigstens die nicht
gedeckelten Arten, also insbesondere dieLimnaea-(Fig. i8), Planorbis-,
Physa-, Ancylus-, Velletia- und Amphipeplea-Arten.
Bei Lininaca peregra habe ich mehrfach beobachtet,
dass ganze Ketten, 6 — 8 Individuen, bei der Be-
gattung zusammenhingen. — Bei den Deckel-
Schnecken, wenigstens bei Vivipara, lassen sich männ-
liche und weibliche Formen unterscheiden, ebenso nach
Hazay*) bei den Muscheln der Familie der Najaden.
Ich halte dies jedoch noch immer für sehr zweifei- p. ^^
haft, bis weitere verlässliche Beobachter und Anatomen Utn. palustris,
dieses Verhältnis bestätigt haben.
Die Wasserschnecken legen Eier; nur bei den Vivipara -Arten
entwickeln sich die jungen Individuen schon im Muttertiere, so dass
sie bereits mit einem etwa aus zwei Umgängen bestehenden Gehäuse
ausgestossen werden. Auch die Arten der Familie Cycladidea
stossen ihre Jungen schon als fertige Muscheln aus.
Die Schnecken und Muscheln sind schon fortpflanzungsfähig
lange bevor sie ausgewachsen sind. Die im Mai ausgekrochenen
Jungen der Limnaea- und Planorbis -Arten begatten sich noch im
selben Herbste, obwohl sie ein Alter von 3 — 4 Jahren erreichen.
Die Eier werden in Schnüren oder in Paketen an Steinen,
Wasserpflanzen oder häufig sogar auf die Gehäuse anderer Individuen
derselben Art abgesetzt, so z. B. bei Limnaea ampla. Hazay
hat auf den Gehäusen dieser Art 8 — 12 Eierschnüre gefunden, so
dass das Tier nur mühsam sich fortbewegen konnte. — Limnaea
atiriciilaria setzt 20 — 25 mm lange, 7—8 mm breite raupenförmige
Eierschnüre ab, welche 80 — 150 Eier enthalten, die kugelrund sind
und I mm im Durchmesser haben. Der Eidotter ist weisslichgelb
und wird während der Furchung hellweiss. — Limnaea stagnalis-
variegata Hazay setzt eine Eierschnur von 45 — 55 ;;/;;/ Länge
*) „Mollusken-Fauna von Budapest". Kassel 1881, Theodor Fischer.
9*
1^2 ^^^ Mollusken des Süsswassers.
ab, die 1 1 o — 1 80 Eier enthält ; die Eierchen sind länglich-oval und
1I/2 — 2 tmn gross. Der Dotter ist strohgelb, das Eiweiss wasserhell;
Aplexa hypiioriim legt den Laich in ganz flachen rundlichen
Scheiben von 4 — 7 mm Durchmesser und 2^3 inrn Dicke, mit den
Enden gegeneinandergeheftet , ab. Die Zahl der Eier vi'echselt
zwischen 20 — 50. — Planorbis corneus legt ebenfalls eine 2~^ bis
30 mm lange, 5 mm breite, glatte, an den Enden zusammengeheftete
Eierschnur ab. Zahl der Eier 45 — 70.
Die Entwickelung des Embryo beansprucht bei Gen. Limnaea
gewöhnlich 20, bei Planorbis und Physa nur 15, bei Bythinia
25 Tage. Je nach der Temperatur des Wassers wird der Ent-
wickelungsprozess beschleunigt und verzögert. Hazay hat beob-
achtet, dass bei Laich der Limnaea palustris var. Clessiniana die
Embryonen sich schon in 12 Tagen entwickelten.
Die jungen Tiere wachsen ziemlich rasch und erlangen vier
bis sieben Umgänge schon im ersten Jahre, jenachdem sie mehr
oder weniger frühzeitig im lahre als Laich abgesetzt wurden. Das
grösste Wachstum .entfällt auf das erste und zweite Jahr und nimmt
dasselbe dann von Jahr zu Jahr ab. Im Herbst und Winter erfolgt
nicht das geringste Wachstum. Während der letzten Wachstums-
monate wird der letzte frische Anbau des Gehäuses verdickt und
die Mündung verstärkt.
Die Lebensdauer der Limnäen erstreckt sich im höchsten Falle
auf 4 — 5 Jahre; nur wenige erreichen jedoch dieses Alter. Die
Jahre, welche die Mollusken zum Ausbau ihres Gehäuses brauchen,
lassen sich an den Jahresabsätzen deutlich erkennen, da diese
Tiere gleich den Insekten, Lurchen etc. einen Winterschlaf halten.
Schon im Hochsommer wächst das Gehäuse, dessen Weiterbau im
Frühjahr sofort nach dem Erwachen aus dem Wiirterschlafe, meist
im Monat April, beginnt, nicht mehr weiter; die Zeit bis zum
Eintritt der Winterruhe wird dazu benutzt, die Mündung des
Gehäuses durch Ablage einer Schmelzschicht zu verstärken, damit
dieselbe beim Einbohren in den Schlamm nicht beschädigt wird.
Die Jahresabsätze sind daher an den Gehäusen, durch die meist
nach aussen durchscheinenden Verstärkungsschichten, leicht zu
Die Mollusken des Süsswassers. 133
erkennen, und lassen sich aus der Zahl dieser Absätze die Jahre,
die das Tier bis zur Vollendung des Gehäuses braucht, ablesen.
Die Limnäen weisen zwei bis drei solcher Absätze, unter Umständen
sogar deren vier, auf. Limnaea peregra hat in der Regel nur drei;
ich habe jedoch auch aus höheren Lagen im Gebirge stammende
Gehäuse dieser Art mit vier Jahresabsätzen gefunden, so dass
anzunehmen wäre, dass die kürzere Sommerperiode höher gelegener
Lokalitäten die Lebensdauer verlängert. — Limnaea auricularia und
ovata sterben meistens schon im zweiten Jahre ab, Limnaea palustris
(Fig. i8) gewithnlich im dritten. Planorbis corneus, marginatus
und carinatus vollenden ihre Gehäuse im dritten und leben selten
länger als 3 — 3 1/2 Jahre; Planorbis albus, spirorbis und alle
kleineren Arten dieses Genus sterben in der Re2;el schon im zweiten
Jahre. Amphipcplea ghitinosa lebt nur ein Jahr.
Unter allen Wasserschnecken werden die Limnäen am meisten
von Schmarotzertieren gequält, so dass die allermeisten derselben
meist schon, bevor die Schale ausgewachsen ist, zu Grunde gehen.
Hazay sagt hierüber folgendes: Keine einzige der Limnäen, welche
das dritte und vierte Lebensjahr erreicht hat, bleibt von denselben
verschont; in diesem Alter fallen alle denselben, wie einer allge-
mein herrschenden x\lterskrankheit, zum Opfer. Im zweiten Lebens-
jahre bereits finden sich einzelne Sporocisten an dem Darm und
der Leber als längliche gelbe Schläuche vor, im dritten Lebensjahre
sind dies schon massenhafte Schlauchbündel, welche alle inneren
Organe bedecken, die ganze Leber erfüllen, langsam Herz und
Lungenwand durchsetzen, so dass endlich das Tier absterben muss.
Dieser Zustand der Tiere macht sich durch auffallende Trägheit
und durch eine starke gelbe Färbung bemerkbar. Zieht man solche
Tiere aus dem Gehäuse, so erscheint unter der Haut das ganze
Innere des Körpers als gelbe Masse, alle Organe sind von Sporocisten-
bündeln belegt und von der Leber ist keine Spur mehr vorhanden.
Die Vivipara -Arten setzen keinen Laich ab; die Eier ent-
wickeln sich im INIuttertiere bis zu Gehäusen von 1 1 mm Länge
und 7 mm Breite, welche etwa 3 1/2 Umgänge zählen (Vivipara
Junigar ica Hazay, 1. c. p. 91). Die Schalen solch junger Tiere
]^34 ^^^ Mollusken des Süsswassers.
haben eine dichte Spiralstreifung und sind die Streifen mit an
einander gereihten rundlichen Wärzchen besetzt, von denen manche
kurze Borsten tragen. Hazay fand im Uterus des Weibchens der
genannten Art sechsundvierzig schon mit Schale und Binde ver-
sehene junge Tierchen und sehr viele Eier in allen Stadien der
Entwickelung. — Nach demselben Autor sind die Tiere getrennten
Geschlechtes und lassen sich die Geschlechter an der Form der
Schale gut unterscheiden. — Die Schalen ausgewachsener Tiere
erreichen sieben Umgänge und erlangen dieselben ein Alter von
8— lo Jahren.
Die Arten der Familien Valvatidae und Hydrobndae setzen
Laich ab. Sie erreichen ein Alter von 2 — 3 Jahren. Neritina-
und Lithoglyphus - Arten können nach Hazay ein Alter von
5 Jahren erreichen.
Die Muscheln der Familie der Najaden sind wahrscheinlich
Zwitter, obwohl mehrere Autoren männliche und weibliche Formen
an den Muscheln (vorzugsweise an der mehr aufgeblasenen Form
der Schalen) unterscheiden wollen. Da nämlich die Kiemen als
Brutbehälter für die Eier dienen und strotzend mit denselben
gefüllt werden, wird die Muschel sehr aufgetrieben, während jene
Muscheln, die keine Eier in die Kiemen bringen und aus irgend
welchem Grunde vielleicht nicht fortpflanzungsfähig sind, wenig
aufgeblasene Schalen behalten. — Die Anodonta- und Unio-Arten
produzieren ganz enorme Massen von Eiern, die aus den Ovarien
in die Kiemen gelangen und hier die ersten Stadien ihrer Ent-
wickelung durchmachen. Bei ^Inodonta aiiatiiia wurden 120000,
bei An. cygnea sogar 400000 Eier gezählt. Die Einlagerung
solch grosser Massen von Eiern kann nicht auf einmal erfolgen.
Dieselben werden allmählich, je nach ihrer Entwickelung, eingeführt
und zwar füllen sich die mittleren Fächer der Kiemen zuerst, denen
dann die gegen die Enden der Muschel zu gelegenen folgen. —
In den Kiemen entwickeln sich die Eier zu Larven, wozu sie
nach Hazay je nach den Temperaturverhältnissen 2 — 3 Monate
brauchen. — Die Eihülle wird erst gesprengt, wenn sich die eigen-
tümlich gestaltete Larvenschale vollkommen ausgebildet hat. Dieselbe
Die Mollusken des Süsswassers.
135
Fig. 19.
Junge Muschel von
Atiodonfa zur Zeit,
wenn dieselbe aus
den Kiemen ausge-
stossen wird.
(Vergrössert.)
ist von dreieckiger Form und besitzt in der INIitte der Bauchseite einen
kleinen Höcker (Fig. 19). Ist die EihüUe entfernt, so bilden sich an
den Larven Byssusfäden, mit denen sich die in einem Kiemenfache
befindlichen Individuen derart verwickeln, dass sie wie aneinander-
geheftet erscheinen. Die zusammenhängenden
Larvenklumpen werden vom Muttertiere aus-
gestossen, und fallen in den Gewässern zu Boden,
wo die Byssusfäden der Lar\-en im Wasser
flottieren. Die B}-ssusfäden verfangen sich an
lansrsam über dem Schlamme schwimmenden
Fischen, hängen sich an dieselben an, bilden
an den Fischen kleine Cysten, in welchen
sie sich so lange aufhalten, bis die junge JNIuschel soweit aus-
gereift ist, dass sie nun ohne Schutz, allein ihre weitere Ent-
wickelung finden kann. Hazay hat an folgenden Fischarten die
Cysten von Najaden gefunden: Perca ßiiviatilis'L.,
Acerina cermia L., Acerina Schraetzer L., Cottits
gobio L., Sqiialiiis cephalus L., Leuciscus virgo
Heck., Rhodeits amarus Blain., Tinea vulgaris Cuv.,
Carassius vulgaris Nils, und Cyprinus carpio L. —
Die Zeit, während welcher sie als Schmarotzer an
Fischen leben, beträgt nach Braun 70 — 73 Tage.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Existenz der ]\Iuscheln
durch das Vorhandensein von Fischen bedingt ist, da sich in
stehenden Wassern, welche keine Fische beherbergen, sich auch
keine Najaden finden. — Bei diesem Verhältnisse der beiden so
verschiedenen Tierklassen ist es gewiss gerechtfertigt, dass auch die
gi'ossen ^Muscheln den Fischen einen Gegendienst erweisen. Es
finden sich nämlich in denselben in der Innern Kieme Fisch -
embryonen vor, die hier ihre Entwicklung erfahren. Hazay
fand Mitte April bei kiementrächtigen Anodonten {bei fast jedem
zweiten der untersuchten Tiere) in den inneren Kiemen 4 — 8,
ebenso bei Unio pictorum 5 — 16 Fischembryonen, die möglicher-
weise von den INIuschellarven sich genährt haben. Bei der grossen
Anzahl der Eier, welche die Fische absetzen, ist es wahrscheinlich,
Fig. 20.
Junge Muschel von
Unio baiavus im
ersten Lebensjahre.
IgQ Die Mollusken des Süsswassers.
dass diese Fischembryonen nur durch einen glücklichen Zufall
zwischen die Kiemen der Muscheln geraten. Es ist leider noch
nicht festgestellt, ob gewisse Fischarten nur auf diesem Wege ihre
Embryonen - Stadien durchzumachen haben. Hazay hat ferner
beobachtet, dass die Fische sich in den JNIuscheln bis zu voller
Ausbildung aufhalten, und dass die jungen Fischchen ausserhalb
der Muschel sich ganz nahe der Atemöffnung der Muschel halten
und durch dieselbe in die Muschel hineinschlüpften.
Die Fortpflanzungsfähigkeit tritt bei Genus Unio im dritten,
bei Genus A.nodonta im dritten oder vierten Lebensjahre ein.
Die Muscheln erreichen ein verhältnismässig hohes Alter,
welches sich auf zehn bis zwölf Jahre erstrecken kann, was sich
aus der Zahl der Jahresabsätze leicht erkennen lässt. Die ersten
Jahresabsätze sind durch breite Zwischenräume getrennt, die mit
fortschreitendem Alter immer schmäler werden, und ist bei Muscheln
höheren Alters der Rand der Schalen ein häutiger, während jüngere
Muscheln (Fig. 20) scharfe Ränder haben. Häufig verändern die-
selben mit zunehmendem Alter ihre Formen derart, dass sie mit
der jugendlichen Gestalt nur noch wenig Ähnlichkeit haben.
Die INIuscheln, insbesondere die Arten des Genus Anodonta,
werden häufig von einer Milbenart geplagt, die auf den Mantel-
häuten des Tieres lebt und sich vom Blute der Muschel nährt.
Diese Milbe, Limnocharis Anodontae Ffr., kriecht, sich langsam
fortschleppend, auf den schlüpfrigen Häuten des INIuscheltieres
herum, an welchen sie sich mittels der Krallen an den Füssen und
den Spitzen der Palpen festhält. Die Eier befestigt sie an der
Mantelhaut und zwar gewöhnlich dem Hinterteil näher. C. Pfeiffer
fand in einer Muschel 30 — 50 solcher Tiere. Das Muscheltier
wird mager, unfruchtbar und seine Kiemenblätter sind schlaff und
befinden sich in einem der Verwesung ähnlichen Zustande.
Die Arten der Cycladeen (Gen. Sphacrium , Calycidina und
Pisidhmi) sind Zwitter und gebären lebendige Junge, die beim
Abstoss aus dem Muttertiere schon eine verhältnismässig beträcht-
liche Grösse erreicht haben. Die Zahl der Jungen eines Tieres ist
deshalb auch eine geringe und wird selten 20 übersteigen. Die
Die Mollusken des Süsswassers. 137
Calyculinen sind einjährige Tiere, die nur überwintern, wenn sie
im Spätsommer ausgestossen werden. Die Sphaerien und Pisidien
haben eine Lebensdauer von zwei bis vier Jahren.
Anpassungsfähigkeit der Mollusken.
Es giebt wohl keine Tierklasse, welche sich mehr an die
Beschaffenheit ihrer Wohnorte anzupassen im stände ist, als jene
der Mollusken. Die Ursache dieser Erscheinung liegt in der eigen-
artigen Bildung des Gehäuses, an welches das Tier bei den Schnecken
nur durch den Spindelmuskel, bei den Bivalven durch die zwei
Schliess- und den Wirbelhaftmuskel gebunden ist. Die älteren
o^
Umgänge der ersteren oder die älteren Schichten der letzteren
fallen deshalb alsbald den zersetzenden Einflüssen der Umgebung
zum Opfer und können nicht mehr nachgebildet werden; dennoch
ist die Schale ein unentbehrlicher Teil des Tieres, welcher den
w^eichen Körper desselben gegen die schädigenden Einflüsse der
Umgebung schützen muss, und dessen Zertrümmerung den Tod des
Tieres zur Folge hat.
Das Gehäuse verändert sich nach den eigenartigen Verhält-
nissen des Wohnortes bezüglich der Färbung, Dickschaligkeit, ja
sogar bezüglich der Form, und der Kenner wird an den ]\Ierkmalen
der Schalen mit Sicherheit auf die Beschaffenheit der unmittelbaren
Umgebung schliessen können. Die Schalen werden durch die
Ausscheidungen des ^lantels gebildet, und zwar wird die Oberhaut
nur vom Saume desselben, die Kalk- und Perlmutterschichten aber,
welche dieselben widerstandsfähig machen, von den übrigen Teilen
desselben ausgeschieden werden. Die Thätigkeit des JNIantels, be-
ziehungsweise die Fähigkeit Kalkteile auszuscheiden, erlischt erst
mit dem Tode des Tieres. Die Dickschaligkeit der Gehäuse ist
deshalb als Merkmal des . Alters zu betrachten. Besonders ist die
Schale der Wassermollusken Veränderungen ausgesetzt, und zwar
weit mehr als jene der Landmollusken, welche Thatsache ihren
Grund in den Eigentümlichkeiten des Mediums, in dem sie leben,
nämlich des Wassers, findet. Die chemische Zusammensetzung des
138 -f-^i^ Mollusken des Süsswassers.
Wassers gestattet weit grössere Verschiedenheiten, als jene der Luft,
und ebenso ist die Zusammensetzung des Schlammes, die Bewachsung
der Gewässer u. s. w. weit veränderlicher und steht zu den Wasser-
mollusken in engerem Verhältnis, als die Bodenbeschaffenheit und
der Pfianzenwuchs zu den Landconchylien. Es muss deshalb den
Wassermollusken ein viel grösserer Spielraum der Variation ein-
geräumt werden, als den Landschnecken. Die Schaffung einer
Menge neuer Arten von Wasserschnecken und Muscheln, wie sie
zurzeit, vorzugsweise von französischen Autoren, beliebt wird, ist
deshalb unbedingt zu verwerfen. Wer die Wassermollusken längere
Zeit im Freien beobachtet, wird sehr bald zur Überzeugung
kommen, dass fast jeder einzelne Fundort derselben eigen-
artige, mehr oder weniger ausgeprägte Abweichungen vom Typus
der bezüglichen Art erzeugt, und dass es geradezu zu den aller-
grössten Seltenheiten gehört, zwei ziemlich übereinstimmende Formen
von verschiedenen Fundorten zu konstatieren. Ja, sogar derselbe
Fundort erzeugt bei geänderten Verhältnissen andere Varietäten,
und oft genug finden sich verschiedene Formen ein und derselben
Art an sich berührenden Stellen desselben Gewässers, wenn die
Beschaffenheit des Grundes, die Strömung des Wassers, die Be-
wachsung u. s. w. sich ändert. So kommen in den grossen Seen
der Voralpen Schnecken und Muscheln mit ausgeprägtem See-
charakter und solche, welche nicht oder kaum von jenen zu unter-
scheiden sind, die in Sümpfen leben, neben einander vor, und
zwar jenachdem die bezüglichen Wohnplätze bei seichtem Wasser
und mangelnder Bewachsung der vollen Wirkung des Wellenschlages
ausgesetzt sind, oder die Ufer in sumpfige Stellen übergehen.
Manche Arten ziehen fliessendes, andere stehendes Wasser
vor; nur wenige Spezies jedoch bewohnen ausschliesslich das eine
oder das andere, obwohl hie und da auch einmal eine Art sich
an ihr nicht zusa2;enden Stellen halten kann. Velletia lacitstris ist
eine nur in stellenden, sumpfigen Gewässern sich aufhaltende
Spezies; dennoch habe ich sie in einem kleinen Bächlein bei
Jettingen im Mindelthal (Bayern) mit Ancylns ßiiviatüis zusammen
an Steinen sitzend gefunden. Allerdings war dieses Bächlein aus
Die Mollusken des Süsswassers.
139
kleinen sumpfigen Pfützen, welche durch kurze Strecken raschfliessen-
den Wassers mit steinigem Grunde verbunden war, zusammengesetzt.
Die Veränderlichkeit der Schalen ist bei den Wassermollusken
eine sehr beträchtliche. Als Beispiel für dieselbe möge Limnaea
stagiialis (Fig. 21) herausgegriffen werden.
Diese Art findet sich als var. siibiilata West,
in sehr schlanker Form, mit langem, spitzem
Gewinde und wenig erweitertem
letzten Umgange ; als var. pro-
ducta Colb. (Fig. 22) mit ähn-
lichem Gewinde, aber sehr auf-
geblasener letzter INIündung.
Beide Varietäten finden sich
in wenig mit Wasserpflanzen
durchwachsenen Altwassern oder
Weihern mit nicht sumpfigem
Boden. In stark mit Wasser-
pflanzen besetzten stehenden
Wassern, welche mehr mit
taulenden Pflanzenstoffen gemischten Schlamm am Grunde haben,
bilden sich Formen rnit kürzerem Gewinde und aufgeblasenem
letzten Umgange: var. tiirgida
Mke. (Fig. 24), roseolabiata
Wolf, und ist bei dieser Varietät
die Spindel meist rosenrot ge-
färbt. Ähnlich gestaltet ist var.
Fig. 21.
Limnaea stagiialis
Typ.
Fig. 22.
Limnaea stagnalis v.
producta Colb.
borealis Brgt. (Fig. 23), nur
nehmen die Umgänge rascher
an Breite zu und ist deshalb
das Gewinde weniger spitz aus-
sezosen. Gehäuse mit sehr
verkürztem Gewinde und starker
Schale (var. lacustris, Fig. 26
S. 1 40) finden sich an den Ufern der grossen Seen, wo die Tiere,
dem Wellenschlage ausgesetzt, sich an den Steinen oder am Boden
Fig. 23.
Limnaea stagnalis
V. borealis Brgt.
Fig. 24.
Limnaea stagnalis
V. turgida Mke.
140
Die Mollusken des Süsswassers.
festklammern müssen, und wo ihnen in der Nahrung sehr viel Kalk
geboten wird. Zwischen diesen Varietäten finden sich Zwischen-
formen aller Art, so dass sich fast eine fortlaufende Reihe allmäh-
licher Übergänge zwischen den extremsten Formen herstellen lässt.
Gerät L. stagnalis bei Hochwasser in des Pflanzenwuchses ent-
behrende Lachen am Ufer grosser
Flüsse , so bilden sich sogenannte
„Hungerformen"; die Tiere ver-
kümmern, wachsen langsam und
nehmen deshalb die Umgänge
gleichförmiger zu; als solche Hunger-
formen möQjen var. arenaria Colb.
(Fig. 25) und var. aquarii Colb.
Limn. siagiialis
V. arenaria Colb.
Fig. 26.
Limn. stagnalis
V. laciistris Stud.
gelten.
Ähnlich wie L. stagnalis verhalten sich die übrigen Arten des
Genus; ja es haben sich aus Limnaea auricidaria G. im Laufe der
Jahre in den Seen sogar eigenartige festschalige Arten [Limn. tumida
Held [Fig. 27] und Limn. rosea Gall.) ausgebildet,
welche für ihre Wohnorte charakteristisch geworden
sind, und welche durch die Unregelmässigkeit ihrer
Formen sozusagen die Eigentümlichkeiten ihrer
Wohnorte dokumentieren. Limnaea per egra, welche
sich auch in fliessenden Wassern findet, ist die
formenreichste aller Arten ihres Genus, weil sie eben
in beiden Gattungen unserer Gewässer vorkommt.
Die Planorbis - Arten mit ihrer flachen, teller-
förmigen Schale, die sehr leicht Verwerfungen der
Windungsebene ausgesetzt sind, finden sich nahezu
ausschliesslich in mit Wasserpflanzen durchwachsenen
stehenden Wassern, wo sie an den Stengeln und
Blättern der Pflanzen herumkriechen. Die ver-
hältnismässig grosse platte Schale, in welcher ein kleines Tier steckt,
bietet den Fluten eine zu grosse Fläche dar, die denselben zu
leicht zum Opfer fallen und an Orte transportiert werden würde,
wo sie nicht die ihrer Organisation entsprechenden Verhältnisse
Fig. 27.
Limn, iumida
Held.
Die Mollusken des Süsswassers.
141
findet. Deshalb fehlen in den grossen Alpenseen alle Arten mit
Ausnahme von Plan, albus, welche nur vier, höchstens fünf Um-
gänge erreicht. Wie hart übrigens der Kampf ums Dasein sich
für diese Art gestaltet, beweist die Verwerfung der Umgänge, welche
bei ihr in den Seen zur Regel wird (Plan, cleformis Hartm.).
Aber auch an anderen Arten des Genus finden sich zuweilen
Verwerfungen der Schalenfläche in grosser Zahl. Ich habe einmal
Pla)i. contortus L. in einer ausgetrockneten Pfütze fast durchaus mit
verkrüppelter Schale gesammelt. Die Tiere hatten sich beim Ver-
schwinden des Wassers in den Boden eingewühlt und sich hier
so lange lebend erhalten, bis sich die Pfütze wieder mit Wasser
füllte, und die Tiere wieder aus ihren Schlupfwinkebi hervorkriecheia
konnten. Beim Verkriechen in den Schlamm wurden die noch
weichen, in der Bildung begriffenen Ansätze der Umgänge beschädigt
und aus ihrer normalen Lage gedrängt und dadurch wurde die
Fläche des Gehäuses uneben und die Gewinde verschoben sich.
Der interessanteste Fall von massenhaften
Gehäuseverkrüppelungen der sonderbarsten Art
wurde von Prof. Pire in Magne (Belgien) be-
obachtet. Hier fand sich in einem kleinen Teiche
massenhaft Plan, marginatus Drap. (Fig. 28) vor.
Die ganze Oberfläche des Teiches war aber mit
Wasserlinsen bedeckt, die einen dichten Filz
bildeten. Die Tiere mussten sich durch den-
selben durchwinden, um an die Oberfläche zu
kommen und um dort Luft zu atmen. Beim
Durchwinden durch den Linsen-
filz wurden aber die weichen, neu-
gebildeten Umgänge abgestreift
Fig. 28.
Planorbis marginatus
Drap.
und aus der normalen Windungs-
ebene gedrängt.
I
Fig. 29.
Planorbis marginatus (abnorme Gehäuse).
und es bildeten
sich nicht nur kegelförmige Ge-
häuse, sondern auch solche, bei
welchen die Umgänge nach ganz verschiedenen Richtungen gedrängt
wurden, und welche die sonderbarsten unregelmässigsten Formen
142 -"-^i^ jNIolIusken des Süsswassers.
annahmen (Fig. 29). In Linsenfilzen, welche in einem Kübel mit-
genommen wurden, fanden sich am anderen Morgen alle normal
gewmidenen Exemplare tot am Boden des Kübels liegend, während
die skalariden und abnorm gestalteten munter an der Oberfläche
des Wassers herumkrochen.
Da die Arten des Genus Planorbis bezüglich ihrer Wohnorte
auf einen engeren Kreis beschränkt sind, ist die Formveränderlich-
keit der einzelnen Arten auch bei weitem keine so grosse, als bei
den Limnaea-Arten, nur Plan, corneiis macht in dieser Beziehung
eine Ausnahme.
Ganz besonders für flutendes Wasser gebaut sind: Die Ancylus-
Arten, die durch den breiten Fuss, mit dem sie sich an Steine u. s. w.
anklammern können, und die mützenförmige Schale den Wellen am
leichtesten Widerstand leisten können; ferner die Neritina-Spezies,
die mit weiter Mündung und dem wenis- hervortretenden Gewinde
von der Natur zum Aufenthalt im flutenden Wasser besonders aus-
gestattet wurden. • — Die Färbung und Zeichnung der Oberfläche
der Neritina-i\rten wechselt sehr mannigfaltig nach der Beschaffen-
heit des Wassers; doch liegen noch keine genaueren Beobachtungen
in dieser Richtung vor.
Die grösste Anpassungsfähigkeit besitzen die Muscheln der
Familie der Najaden. Jeder Fundort derselben hat bezüglich der
chemischen Zusammensetzung des Wassers, des Schlammes und
des Bodens, in dem die Muscheln stecken, der physikalischen
Verhältnisse des Wassers u. s. w. eine unbeschränkte Zahl von
Eigentümlichkeiten, welche die Schalenbildung beeinflussen und an
derselben ihren Ausdruck finden. Selbst an einander stossende
Fundorte erzeugen ganz verschiedene Formen, jenachdem der
Boden steinig oder schlammig, jenachdem der Schlamm ein erdiger
oder humusreicher ist. Werden, wie es in grösseren Flüssen häufig vor-
kommt, durch Hochfluten Muscheln aus Altwassern oder Abschnitten
mit stehendem Wasser in das Flussbett versetzt, so entstehen not-
wendigerweise Mischformen. Leider werden diese Verhältnisse viel
zu wenig beachtet; gewöhnlich werden nur neue Varietäten be-
schrieben, ohne dass man den Umständen nachforscht, welche
Die Mollusken des Süsswassers. 143
dieselben veranlasst haben. In den Beiträgen zur INIolluskenfauna
der bayrischen Seen (Corresp.- Blatt zoolog.-mineral. Ver. Regensburg
1873 — 75) habe ich den Versuch gemacht, die eigenartigen Formen
der Seemuscheln aus der Beschaffenheit ihrer Wohnorte zu erklären,
aber ich habe bisher wenig Nachfolger gefunden.
Im allgemeinen ziehen die Anodonta-Arten stehende Gewässer
vor. Nur in diesen finden sie ihre volle Entwickelung (als var.
cygnea L.). — In fliessenden Wassern findet sich meist nur die
kleine, gewissermassen verkümmerte Varietät var. anatina L., welche
durch schmale Jahresansätze, dunkle Färbung der Oberhaut u. s. w.
charakterisiert ist. Die grösste Form, var. cygnea L., findet sich
in Weiheni mit erdig-schlammigem Boden. Diese Varietät zeichnet
sich durch rundlich-eiförmige Gestalt, durch die feste Schale, die
lebhaft gefärbte Epidermis und reines glänzendes Perlmutter aus;
sie erreicht bis 190 mm Länge. Anodonta rostrata Kok. ist die
Varietät, welche sich in Altwassern mit tiefem Humusschlamm am
Grunde bildet. Die Muscheln haben eine verlängerte Gestalt mit
breitem abgestutzten Hinterteile, eine meist dunkle Färbung der
Epidermis und mehr oder weniger fettfleckiges Perlmutter. Bei
zunehmender Versumpfung der Altwasser werden die Muscheln
dünnschaliger, die Wirbel werden kariös, von Insekten angebohrt,
das Perlmutter wird noch schmutziger, die Tiere verlieren die
Fähigkeit sich fortzupflanzen, und sterben deshalb bald an dem
betreffenden Wohnorte völlig aus. Ich suche den Grund dieser
Erscheinuncr in der Überhandnähme der Humussäure im Boden-
schlämm. Auch mit zunehmendem Alter verändern die Anodonten
ihre Umrissform. Die jungen Muscheln haben in der Regel mehr eine
rundliche Gestalt und scharf hervortretendes Schild und Schildchen.
Später wird dieselbe länglicher, die vortretenden Ecken verschwinden
und es bilden sich die Varietäten: celleiisis, rostrata, ponderosa
und anatina. Nur in Flüssen erhält sich zuweilen die rundlich-
eiförmige Gestalt var. piscinalis Nils, länger, wenn auch hier die
Ecken des Schildes und Schildchens mehr zurücktreten.
Die bisher aufgeführten Varietäten haben eine sehr ausgedehnte
Verbreitung, so dass man sie fast mehr als Standorts-Formen, denn
144
Die Mollusken des Süsswassers.
als Varietäten betrachten könnte, da sie sich in mehr oder weniger
übereinstimmender Weise überall entwickeln, wo sie die ihre Form
bedingenden Verhältnisse finden. Die grossen Alpen- und Voralpen-
seen der bayrischen Hochebene und der Schweiz erzeugen da-
gegen, ihren eigentümlichen physikalischen Verhältnissen u. s. w.
entsprechend, eigenartige Formen, von denen sogar fast jeder See
eine oder mehrere ihm eigentümliche Varietäten enthält. Die See-
varietäten eiTeichen meist nur eine geringe Grösse, haben hell-
gefärbte Epidermis, starke Schale, reines Perlmutter und ist meistens
das Vorderteil durch dicke Ablagerungen der Perlmutterschicht
ausgezeichnet. Dieselben bilden sich aber gewöhnlich nur an
solchen Stellen der Ufer, die bei seichtem Wasser und mangelnder
Bewachsung der vollen Wirkung des Wogenschlages ausgesetzt sind.
Hier kann sich keine tiefere Schlammschicht, die den Muscheln
Schutz gewährt, anhäufen und werden deshalb dieselben oft genug
von den Wellen mit lebendem Tiere aufs Trockene geworfen, wo
sie verschmachten und Vögeln zur Beute fallen. Ich möchte als
Beispiel einer solchen Seemuschel hier nur An. callosa aus dem
Chiemsee erw^ähnen, da die Aufzählung aller mir aus den ver-
schiedenen Seen bekannt gewordenen zu weit führen würde.
Auch die Arten des Genus Unio nehmen in den Seen besondere
Formen an. Ich habe beobachtet, dass die Muscheln von Unio
Flg. 30.
Unio pictoruin.
pictorimi (Fig. 30) und batavus , wenn sie im tieferen Wasser in
einer hohen Schlammschicht sich aufhalten, ein sehr verlängertes
Hinterteil erhalten, weil sich dieselben im festen Boden festklammern,
dabei aber mit dem Hinterteile aus dem Schlamme hervorzuragen
Die Mollusken des Süsswassers.
145
suchen, um die Atemröhre freizuhalten. Das Hinterteil wird da-
durch bei fortwährendem Strecken des Tieres verlängert, und krümmt
sich dabei oft mehr oder weniger nach abwärts, so dass die Muschel
eine etwas hakenförmige Gestalt annimmt, wie es bei Unio arca
Held aus dem Chiemsee und Unio platyrhynchiis Rossm. (Fig. 31)
aus dem Wörthsee der Fall ist. Merkwürdigerweise kommt in
den bayrischen, Schweizer und wahrschemlich auch in den ober-
österreichischen Seen nur Unio pictoriim vor, während Unio batavtiä
Fig. 31-
Unio platyrhynchiis Rossm.
in denselben fehlt, obwohl diese letztere Art in den zufliessenden
Bächen reichlich vorhanden ist. In den Schweizer Juraseen findet
sich Unio tumidus, die in allen im i\lpengebiete liegenden grossen
Wasserbecken nicht vorkommt. Unio batavus dagegen ist auf die
Kärntner- und Juraseen beschränkt.
Die Mollusken der Tiefenfauna.
Den Untersuchungen Dr. Foreis*), welcher die Tiefenfauna
der oTossen Schweizer Seen untersucht hat, verdanken wir die
Kenntnis, dass auch die Klasse der Mollusken zu derselben ihr
Kontingent stellt, und dass sich auch in den grössten Tiefen der-
selben noch einzelne Arten von Schnecken und Muscheln auf-
halten. Unter den ersteren sind sogar Lungenatmer des Genus
Limnaea, welche im seichten Wasser bei heiterem, warmem
•) Materiaux pour servir ä l'etude de la Faune profonde du lac Leman. Lausanne 1874.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 10
l^Q Die Mollusken des Süsswassers.
Wetter die Gewohnheit haben, an die Oberfläche des Wassers
aufzusteigen, was aus einer Tiefe von 2 — 300 m zur Unmöglich-
keit wird.
Dr. Forel teilt die Fauna der Seen in drei Abteilungen:
1. Die Uferfauna; sie umfasst die Tiere, welche sich an der Ober-
fläche des Wassers und in einer Tiefe bis zu 5 w aufhalten.
2. Die pelagische Fauna, welche jene Tiere umfasst, die entfernt
von den Ufern oder untergetaucht im Wasser leben.
3. Die Tiefe nfauna, welche den Seeboden von 25 — 30 m an
abwärts bewohnt.
Die Uferfauna enthält Arten aller Genera unserer heimischen
Süsswasserconchylien, welche unter Umständen eigenartige Varietäten
bilden, die wir in vorhergehenden Abschnitten schon erwähnt haben.
Die pelagische Fauna entbehrt der Mollusken. Die Tiefenfauna
dagegen besitzt noch einige Arten der Genera Lnnnaea, Vivipara,
Valvata und Pisidium, die ich sämtlich, soweit sie mir bis jetzt
bekannt wurden, in meiner „Molluskenfauna von Österreich-Ungarn
und der Schweiz" S. 768 — 791 beschrieben habe.
Die eigentümlichen Verhältnisse am Seeboden, geringe Tempe-
ratur des Wassers (wenig um 4° C. schwankend), der grosse
Druck der Wassersäule, die sehr spärliche Nahrung, welche ihnen
der Schlamm des Seebodens bietet, geben die Veranlassung, dass
die in so grossen Tiefen lebenden Conchylien nur kleine, ver-
kümmerte, unscheinbare Arten sind, die sich naturgemäss von den
Arten der Uferfauna abgezweigt haben müssen. Diese Tiefsee-
mollusken führen ein kümmerliches Dasein. Da die Temperatur
■des Wassers das ganze Jahr über eine sehr gleichförmige ist und
der Wechsel der Jahreszeiten das geringe Wachstum der Schalen
nicht unterbricht, fehlen die Marken der Jahresabsätze; die Epidermis
ist sehr dünn und stösst sich, trotz der fast völligen Ruhe des
Wassers, leicht ab; die Muscheln bleiben dünnschalig und leicht-
zerbrechlich. Eine Art Pisidium fragillimum Cless. aus dem Sih-a-
planer See besitzt eine so dünne Schale, dass jede Berührung an
Die Mollusken des Süsswassers. 147
derselben einen Eindruck zurücklässt. Jeder der bisher untersuchten
Seen beherbergt wenigstens eine eigentümliche Art des Genus
Pisidium. Limnäen wurden nur im Genfersee beobachtet; Vivipara
(eine Art) findet sich im Gardasee; Valvata- Arten (drei) gehören
nur der Tiefseefauna des Genfer- und des Gardasees an.
Höhlen- Mollusken.
In den Kalkgebirgen , vorzugsweise in den Juraformationen,
finden sich ausgedehnte Höhlen, in denen Bäche und im Karst-
gebiete sogar Flüsschen auf weite Strecken unterirdisch dahinfliessen.
Es ist selbstverständlich sehr schwierig, diese unterirdischen Wasser-
läufe auf ihre Fauna zu untersuchen; gewöhnlich sind die in den-
selben lebenden Mollusken nur in leeren Gehäusen im Geniste
oberirdischer Bäche und Flüsse zu bekommen. Nur in seltenen
Fällen ist es geglückt, lebende Tiere zu erbeuten, welche sämtlich
einem für die Höhlenfauna eigentümlichen Genus
Vitrella Cless. (Fig. 32), Bythiospcum Brgt., angehören.
Die Untersuchungen derselben durch Wiedersheim*)
und Rougemont**) haben ergeben, dass diese
Höhlen -Mollusken blind sind, ebenso wie die Tiere
anderer Tierklassen, welche die gleichen Aufenthalts- Fig. 32.
orte bewohnen. Die Tiere, welche seit vielen Gene- ^'f''^^^"
pellticida.
rationen nur im Dunkeln leben, haben die Augen
nicht mehr nötig. Rougemont hat lebende Tiere der Vitrella
(Roitgemonti Cless.) aus dem Brunnen des Anatomiegebäudes in
München heraufgepumpt, welche gleichfalls augenlos waren.
Die unterirdischen Wasserläufe werden fast ausschliesslich von
Vitreila-Arten bewohnt, von denen jeder derselben eine ihm eigen-
tümliche Art zu besitzen scheint. Ausser diesen kleinen, zierlichen,
am meisten an das Genus Hydrohia erinnernden Deckelschnecken
fand sich in der Uracher Höhle (schwäbische Alp in Württemberg)
*) Beiträge zur Kenntnis der wiirtt. Höhlenfauna.
•*) Etudes des faunes des eaux privees de lumiere.
10*
148 -^^^ Mollusken des Süsswassers.
eine Ancylus-Art, Ancylus ßuviatilis , und in Krainer Höhlen einige
Valvata-Spezies. Diese Arten sind kleine, verkümmerte Formen mit
dünner, farbloser Schale und geben dieselben somit wieder ein
merkwürdiges Beispiel von der Anpassungsfähigkeit der Mollusken.
Die Perlenmuschel.
Die kalkarmen Bäche unserer Urgebirgsformationen beherbergen
eine grosse und sehr dickschalige Muschel, Margaritana margaritifera
(Fig. 33), welche einen sehr wertvollen Schmuck, nämlich die Perlen,
Margariiana margaritifera.
liefert. Die Muscheln stecken oft in sehr grosser Anzahl in sandigen
Stellen so völlig im Sande eingesenkt, dass nur an den flottierenden
Cirren der Atemöffiiung sich das Vorhandensein der Muscheln
erkennen lässt.
Die Perlenmuscheln haben in ausgewachsenem Zustande eine
nierenförmige Gestalt und erreichen eine Länge von 120 mm. Sie
haben eine dunkle, fast schwarze Oberhaut, sind in der Regel um
die Wirbel stark zerfressen und ihr Perlmutter ist gewöhnlich durch
schmutzig-gelbe Fettflecken verunziert.
Die Erzeugung von Perlen vollzieht sich in dem Räume
zwischen Mantel und Schale und muss die Perle hier frei beweg-
lich bleiben, so dass sie ständig in rollender Bewegung erhalten
wird. Eine Perle bildet sich nur dann, wenn ein kleiner fremder
Die Mollusken des Süsswassers. 249
Körper, ein Sandkümchen, ein Stückchen eines abgestorbenen
Schmarotzertieres u. s. w. an die erwähnte Stelle gerät. Der Druck,
welchen dieser fremde Körper auf die äussere INIantelfläche aus-
übt, veranlasst eine stärkere Ausscheidung des Perlmutterstoffes,
welcher sich in Schichten um denselben legt und allmählich den
fremden Körper umhüllt. Die Entstehung der Perlen ist also
gewissermassen eine zufällige, und deshalb kommt nach Beobachtungen
aus den bayrischen Perlenbächen auf etwa 95 — 100 Muscheln nur
eine Perle. Aber nicht einmal alle Perlen sind brauchbar und
wertvoll, sondern nur jene, welche weisse Farbe und schönen Glanz
haben. INIan unterscheidet drei Klassen brauchbarer Perlen und
zwar I. Klasse: ganz helle, weisse Perlen von schönstem Glänze;
2. Klasse: weisse Perlen von minder vollkommenem Glänze;
3. Klasse: sogenannte Sandperlen, welche noch so viel Glanz und
weisse Farbe besitzen, um verwertet werden zu können. Eine gute
Perle ersten Ranges kommt nach v. Hessling*) auf 2701, eine Perle
mittlerer Qualität auf 2215 und eine schlechter Qualität auf 1 03
Muscheln. Ausser diesen weissen Perlen finden sich aber auch, und
in grösserer Häufigkeit als diese, solche von brauner und von
schwarzer Farbe. Zusammengesetzte Perlen von Stäbchenform sind
sogar häufig zur Hälfte braun, zur anderen Hälfte schwarz gefärbt.
Die dunklen Perlen werden als „unreif" bezeichnet, obwohl diese
Benennung durchaus nicht zutreffend ist, weil auch grosse Perlen
die dunkle Farbe behalten. Die Ursache dieser Erscheinung ist
jedenfalls in der Nahrung der Tiere zu suchen, welche ja auch das
fettfleckige, unreine Perlmutter der Schalen erzeugt. Die aus der
Urgebirgsformation kommenden Gewässer haben in der Regel
eine dunkle Färbung, welche durch eine starke Beimischung von
Humussäure erzeugt wird, und dieses die Bildung wertvoller
Perlen sehr beeinträchtigende Verhältnis wird sich wohl nicht
beseitigen lassen.
Versuche, um auf künstlichem Wege Perlen zu erzeugen,
beziehungsweise durch Einschieben kleiner Kügelchen u. s. w.
*) Theod. V. Hessling: „Die Perlmuscheln und ihre Perlen". Leipzig 1859. Ich
bin im ganzen den Ausführungen dieses Autors gefolgt.
]^50 ^^^ Mollusken des Süsswassers.
zwischen INIantel und Schale das Tier zur Perlenbildung zu ver-
anlassen, haben keine günstigen Resultate ergeben.
Die Ernte der Perlenbäche gilt in Deutschland durchaus als
Staats-Regal ; sie wird aber gewöhnlich an Private verpachtet, welche
das Fischen und die Behandlung der Muscheln ohne jede Kennt-
nis der Eigentümlichkeiten derselben betreiben und dadurch den
Bestand an Perltieren arg schädigen.
Die deutschen Süsswasserfische
und ihre Lebensverhältnisse.
Von Dr. A. SeligO in Heiligenbnmn bei Danzig.
llerrscher im Wasser ist der Fisch. Es giebt kaum irgend
einen Wasserorganismus, der ihm nicht direkt oder indirekt Nutzen
bieten muss. Das Wasser ist auch ausschliesslich das Element, in
welchem die Fische dauernd zu leben vermögen. Zwar können
nicht wenige Fische ausserhalb des Wassers eine mehr oder minder
kurze Zeit am Leben bleiben, — es giebt, besonders in den Tropen,
sogar Fischarten, welche freiwillig an das Land gehen*), — aber
auch in diesen Fällen kann das Luftmeer nur vorübergehend
mit dem Wasser vertauscht werden, und die Fische müssten zu
Grunde gehen , wenn man ihnen die zeitweilige Rückkehr in das
Wasser verwehrte.
Ist das Vorhandensein des Wassers die erste Lebens-
bedingung des Fisches, so ist in zweiter Linie die Beschaffenheit
des Wassers in Betracht zu ziehen. In dieser Beziehung sind nament-
lich die mittlere Wärme des Wassers, sein Luftgehalt und sein Gehalt
an anderen gelösten Stoffen für die Arten der Fische als Lebens-
bedingungen massgebend.
Das natürliche Wasser kommt auf der Erdoberfläche nirgends
in chemischer Reinheit vor. Der grösste Teil des irdischen Wassers,
das Meerwasser, enthält bekanntlich etwa 3.5 ^jo an Kochsalz und
zahlreichen anderen Salzen in Lösung. Da die meisten Fischarten
des Meeres im süssen Wasser bald sterben, anderseits die Süsswasser-
*) z. B. die Labyrinthfische und Salart'as scandens Ehrenberg.
154 -^'^ deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
fische im Meerwasser meist nicht lange aushalten, so scheidet die
Stärke des Salzgehaltes im Wasser, dessen die Fischarten bedürfen,
diese in Süsswasserfische und Meerfische.
Eine Anzahl von Fischarten ist allerdings im stände, von Zeit
zu Zeit den Aufenthalt in der einen Wasserart mit dem in der
andern zu vertauschen. Diese als Wanderfische bezeichneten Arten
folgen bei dem Wechsel ihres Lebenselementes dem mächtigen
Fortpflanzungstriebe.
Das süsse Wasser enthält in der Regel noch 0-004 bis 0-02 *^/o
Salze, meist Kalksalze, in Lösung. Bringt man die Fische in ganz
salzfreies destilliertes (wenn auch lufthaltiges) Wasser, so tritt der Tod
in wenigen Stunden ein, indem die Gewebe der vom Wasser direkt
bespülten Organe, namentlich der Kiemen, quellen und funktions-
unfähig werden 1). Eine geringe Menge im Wasser gelöster Salze ist
also für das Leben auch der Süsswasserfische nötig, welche den
ausschliesslichen Gegenstand dieser Schilderung bilden werden.
Der unbeschränkten Ausbreitung der Süsswasserfische stehen
im allgemeinen die Grenzen der von ihnen bewohnten Gewässer,
nämlich das feste Land und das Meer, entgegen. Das letztere
wird nicht nur von den eigentlichen Wanderfischen, sondern auch
von einigen anderen Arten, welche gegen den Salzgehalt minder
empfindlich sind, gelegentlich passiert*) un(^, dient daher ausnahms-
weise zur Verbreitung solcher Arten 2). Auch das Land, welches
die Flusssysteme trennt, ist keine absolute Schranke für die Fische.
Die Übertragung der Fischeier durch Wasservögel und Landtiere,
Überschwemmungen niedriger Teile der Wasserscheiden, unter
Umständen auch dauernde geologische Veränderungen der letzteren
ermöglichen die Verbreitung der Fischarten aus einem Flusssystem
in ein benachbartes. Hierzu kommen die allmählichen Veränderungen,
welchen die Konturen des Festlandes im Laufe der geologischen
Perioden unterworfen sind und welche die weitläufige Trennung von
*) Es kommt auch vor, dass einzelne Seefische, welche den Aufenthalt im Süsswasser
vertragen, sich gelegentlich in die Ströme verirren und in diesen weit aufwärts schwimmen,
z. B. die Flunder, die Lamprete. Indessen sind diese Fische nicht zur Süsswasserlauna zu
rechnen, vielmehr als Meerfische zu betrachten.
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. ] 55
ursprünglich eng verbundenen Landmassen bewirken, während sie
anderseits Länder, die von einander entfernt gelegen haben, durch
Landbrücken mit einander verbinden können. Dies sind die Um-
stände, welche die Verbreitung der Fischarten des süssen Wassers
herbeizuführen pflegen.
Das Gebiet, mit dessen Süsswasserfischen wir uns hier zu
beschäftigen habend), möge so begrenzt sein, dass es die Fluss-
systeme, welche vom Rhein bis zur INIemel an den Südküsten
der Nord- und Ostsee münden, sowie das Donaugebiet 4) um-
fasst. Ausserhalb des so umschriebenen Gebietes liegt von deutschen
Ländern nur der zum Etschgebiet gehörige Teil von Tirol 5). Das
so umgrenzte deutsche Fischgebiet gehört bezüglich seiner Fisch-
arten dem europäisch-nordasiatischen Gebiete an, liegt also nach
Sclatersß) zoogeographischer Einteilung in der paläarktischen
Region. Unter den Fischarten des Gebietes sind daher am
stärksten vertreten die Familien der in dieser Region so verbreiteten
Cypriniden und Salmoniden.
Der Ursprung dieser Familien ist ein fast entgegengesetzter zu
nennen. Die Cypriniden bilden etwa ein Dritteil aller bekannten
Süsswasserfische der Gegenwart. Günther'') nimmt an, dass sie
ihren Ursprung in der Alpenregion genommen haben, welche die
gemässigten und tropischen Teile Asiens scheidet. Von hier
breiteten sie sich nach Norden und Süden, nach Osten und Westen
aus. Australien nebst Celebes und die übrigen ozeanischen Inseln,
sowie Südamerika wurden \-on ihnen nicht erreicht. In der Gegend
unseres Gebietes fanden sie sich schon in der Tertiärzeit vor. Die
Salmoniden dagegen scheinen ihren Ursprung im kalten Norden
genommen und während der Eiszeit sich in einzelnen Vertretern
weit nach Süden verbreitet zu haben. Die meisten Arten finden
sich auch jetzt in den nördlichen Teilen unserer Hemisphäre und
auch die Arten unseres Gebietes beschränken sich fast durchgehends
auf kühle Gegenden der Gewässer.
Nicht gering an Zahl sind in unserem Gebiet auch die
Vertreter der Familie der P e r c i d e n. Diese Familie ist weit
verbreitet im Süsswasser und in den Meerküstenc-ecrenden aller
J^56 ^^^ deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
Regionen. Ihre Reste findet man in den Ablagerungen seit der
Tertiärzeit.
Die Zahl der im Gebiet vertretenen Familien der Fische
beträgt vierzehn, aus ihnen gehören hierher vierzig Gattungen
mit siebzig bis achtzig Arten. Die überwiegende Zahl gehört, wie
überall im Süsswasser, zu den Knochenfischen.
Aus der Familie der Per cid en kommen vor die Gattungen
der Barsche, Zander, Streber und Kaulbarsche. Der Flussbarsch
(Per Cd ßuviatilis L.)*) ist nicht nur durch das ganze Gebiet ver-
breitet, sondern findet sich durch ganz Europa, Nordasien und
Nordamerika. Er ist bei uns einer der gemeinsten Fische,
und fehlt kaum in irgend einem Tümpel. Der Zander oder
Schill (Liicioperca sandra C.) ist ein östlicher Fisch, welcher sich
von Osteuropa aus nach Westen verbreitet zu haben scheint. Er
findet sich ursprünglich nicht im Rheingebiet und im Gebiet der
Weser. Obwohl er in den Seen, in denen er vorkommt, vor-
trefflich wächst und daher durchaus nicht als ausschliesslicher
Flussfisch bezeichnet werden kann, so findet man ihn doch in
zahlreichen von den von ihm bewohnten Hauptströmen weit
abgelegenen Seen desselben Flussgebietes nicht, was darauf schliessen
lässt, dass seine Ausbreitung spät nach dem Ende der Eiszeit,
wenn auch während des Bestehens der Verbindung zwischen Elbe,
Oder und Weichsel erfolgt ist. Eine nahe verwandte Art ist
L. volgensis PalL, die sich in der Donau und ihren grossen
ungarischen Nebenflüssen, sowie in den übrigen Flüssen des pontisch-
kaspischen Gebietes findet. Ganz auf die Donau, bezw. auf das
pontische Gebiet beschränken sich die Arten der Streber (Aspro
zingel C. und A. streber Syb.), welche gelegentlich auch in den
Zuflüssen der obern Donau gefunden werden. Von den Kaul-
*) Da für die vorliegende Abhandlung nur ein im Verhältnis zu dem weiten Umfange
des Themas geringer Raum zur Verfügung gestellt werden konnte , so musste auf die
Beschreibung der einzelnen Fischarten sowie auf Abbildungen verzichtet werden. Man findet
mehr oder weniger ausführliche Beschreibungen in den im Litteraturverzeichnis angeführten
Werken von Heckel und Kner, von Siebold, Benecke u. a. ; neuerdings sind mehrere
Werke*) erschienen, welche eine zum Bestimmen der Fischarten bequeme Übersicht der
Hauptmerkmale bieten, sowie Auszüge aus dem Beneckeschen Werke^), welche die
meisten deutschen Fische in guten Abbildungen geben.
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. ^57
barschen ist der gemeine Kaulbarsch {Acerina cernua L.) durch
das Gebiet, durch ganz Mitteleuropa und Sibirien verbreitet. Auch
er fehlt bei uns kaum in irgend einem Gewässer. Der ihm ver-
wandte Schrätzer (Acerina schrätzer L.) dagegen findet sich
ausschliesslich in den Zuflüssen des Schwarzen Meeres, also auch
im Donaugebiet.
Während die Pereiden ziemlich gleichmässig im Salzwasser
und in den süssen Gewässern verbreitet sind, gehört die Familie
41 der Cottiden fast ausschliesslich dem Meere an. Ein Vertreter
dieser Familie, der Kaulkopf (Cottus gobio L.), lebt auch in den
süssen Gewässern der paläarktischen Region, wählend er im Meere
nur in der salzarmen Ostsee östlich von Gotland vorkommt.
Wenig verschieden von ihm ist der C. poecilopus Heck.io)^ welcher
sich in den Gewässern der Karpathen aufhält, sonst nur noch aus
den Pyrenäen bekannt ist. Gleichfalls aus den Küstengegenden
■des Meeres stammt die Familie der Stich linge (Gasterosteiden),
welche meist Bewohner des Seewassers wie des Süsswassers sind.
Wir haben in unseren süssen Gewässern zwei Stichlingsarten, von
denen die kleinere (Gaster osteus pimgitius) vornehmlich in den
süssen Gewässern der Küstengegenden vorkommt, die grössere
(G. aculeatits) auch die mehr im Binnenlande belegenen Gewässer-
teile bewohnt, ohne dass beide Arten indessen sich ausschliessen.
Man unterscheidet bei beiden Arten je zwei Varietäten, von
denen die eine (trachurus) an den Seiten des Schwanzes ebenso
wie an den Körperseiten Knochenplatten trägt und längere Stacheln
besitzt, während die zweite (leiurus) kleinere Stacheln und einen
unbewehrten Schwanz hat. Beide Stichlingsarten sind durch das
ganze Gebiet mit Ausnahme der Donau und ihrer Zuflüsse x&x-
breitet. Über unser Gebiet hinaus findet sich der kleine Stichling
an allen Küsten der Nordmeere, der grosse Stichling durch ganz
Europa mit Ausnahme des pontischen Gebietes, sowie in Algier
•und in Nordamerika 11).
Zu einer echten Seefischfamilie, den Dorschen (Gadoiden),
-gehört ferner ein anderer unserer verbreitetsten Fische, die Aal-
•quappe oder Rutte (Lota vulgaris C.), welche sowohl in Flüssen
158 -^^^ deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
und Bächen, als auch in tieferen Seen der paläarktischen Region
sich überall verbreitet findet. Als einzigen Vertreter einer überaus
zahlreichen Familie des Süsswassers, der Siluriden, besitzen wir
den Wels oder Seh aiden (Sihtris g/anis 'L.), der durch Osteuropa
bis zum Rhein und in Nordasien verbreitet ist. Die Siluriden
bilden nach Günther ein Vierteil aller bekannten Süsswasserfische.
Ihre Heimat ist anscheinend in Ostindien zu suchen; von dort
haben sie sich durch die süssen Gewässer fast aller Gegenden,
besonders aber in den Tropen, verbreitet. *
Von Cyprinideni2) besitzt unsere Fauna, abgesehen von
lokalen Varietäten und Bastardformen, etwa dreissig Arten. Man
hat die zahlreichen x\rten der Cypriniden zu Gruppen zusammen-
gestellt. Zu der Gruppe der Cypriniden gehören der Karpfen, die
Karausche, die Barben und die Gründlinge.
Der Karpfen (Cyprinus carpio L.) stammt anscheinend aus
Südosteuropa, wo er im Gebiete des Pontus und des Caspisees
bis weit nach Mittelasien hinein wild lebt. In Europa, neuerdings
auch in Nordamerika ist er durch die Fischzucht jetzt weit ver-
breitet. Die Teichwirtschaft, welche in Böhmen sich besonders
stark entwickelt hat, hat mehrere Varietäten erzeugt. Zu diesen
gehört der Lederkarpfen, welcher keine Schuppen trägt, der Spiegel-
karpfen (C. rex cyfrinoriim), welcher an jeder Körperseite nur
eine Reihe sehr grosser Schuppen trägt, der blaue Karpfen, der
Goldkarpfen (Carpe d'or), dessen rötlicher Schimmer nach Car-
bonnier von der Lachsfarbe seines Fleisches herrührt, der galizische
Karpfen u.a. Die Karausche (Carassins viilgaris'^ih) ist über das
ganze Gebiet wie überhaupt in der paläarktischen Region verbreitet.
Sie bewohnt stehende und langsam fliessende Gewässer mit weichem
Grunde. Als Giebel bezeichnet man im Gegensatz zu der hoch-
rückigen sog. Seekarausche die schlankeren Formen, welche sich in
kleinen Gewässern entwickeln. Eine nahe verwandte Karauschenart,
vielleicht nur eine Abart unserer gewöhnlichen Karausche, ist der
aus Japan und China stammende Goldfisch (Carassius anratus),
der in zahlreichen Varietäten (Teleskopfisch, Schleierfisch) jetzt auch
in Europa gezogen wird 1 3).
Die deutschen Süsswasserfische und ihie Lebensverhältnisse. 159
Zu den artenreichsten Gattungen der Süsswasserfische gehören
die Barben, von denen man etwa 200 meist tropische Arten kennt.
In unserem Gebiet ist allverbreitet nur die auf Mitteleuropa be-
schränkte Flussbarbe (Barbits ßitviatilis Ag.), die Seen und Flüsse
bewohnt. Eine andere Art (Barbiis Petenyi Heck.) ist in den
Karpathenflüssen, auch in der Weichsel gefunden worden. Neuer-
dings alaubt man sie auch in der Lohe, einem Oderzufluss, auf-
gefunden zu haben 14). Der Gründling (Gobio fluviatilis C.) ist
über ganz Europa verbreitet, wo er in fiiessenden und stehenden
Gewässern vorkommt. Eine verwandte Art, Gobio iiranoscopus Ag.,
bewohnt die Nebenflüsse der Donau, sowie einzelne Gewässer der
obern Weichsel.
Aus der Gruppe der Rhodeina kommt bei uns ein typischer
Vertreter, der Bitterling (Rhodeus ainanis Bl.), vor, der über ganz
Europa verbreitet ist.
In reicherer Zahl finden sich in Deutschland die Abramidina,
zu denen die Bressenarten, der Blei, Rapen, Uklei, die Ziege
und das ^Nloderlieschen gehören. Der Bressen oder Brachsen
{Abramis brama L.) findet sich in ganz Mitteleuropa, mit Aus-
nahme der Alpen. Ebenso verbreitet ist die Zart he (A. vimba L.),
doch scheint sie vom Rheingebiet ausgeschlossen zu sein. Einen
viel engeren Verbreitungsbezirk haben der Seerüssling (A. nie-
lanops H.) und der Pleinzen (A. sapa), welche auf das pon-
tische Gebiet beschränkt sind. Die Zope (A. balleriis) findet sich
in den Unterläufen der Ströme und in den grossen Seen im Gebiet
allenthalben. Sehr gemein in Seen und Flüssen ist der Blei oder
Güster (Blicca Björkna L.), der in ]\Iittel- und Nordeuropa
vorkommt. Seltener, aber in den grösseren Gewässern des Ostens
ebenfalls überall verbreitet, ist die Ziege oder der Sichling
(Pclcciis cultratus L.); westlich von der Oder scheint dieser Fisch
zu fehlen. Dagegen ist der Uklei oder die Laube {Alburniis
lucidus Heck.) über ganz Mitteleuropa bis nach Frankreich ver-
breitet. Nicht weniger verbreitet, aber selten und vielfach über-
sehen ist der Schneider (A. bipiinctatiis Bl.). Dagegen ist die
nahe versvandte Mairenke (A. mento Ag.) auf das pontische
■[ßQ Die deutschen Süsswasserflsche und ihre Lebensverhältnisse.
Gebiet beschränkt. Der Rapen oder Schied (Aspius rapax Ag.)
und das Moderlieschen, Mutterlosken oder Motken (Leu-
caspius delineatus Sieb.) sind dagegen im Gebiete überall zu finden.
Die grosse Gruppe der Leticiscina enthält ebenfalls mehrere
Arten des Gebietes, die Plötzen, Rotaugen, Döbeln, Orfen, Schleien,
Nasen, Elritzen und Strömer. Die Plötze (Leuctscus rutüus L.)
ist im ganzen Gebiet wie in ganz Mittel- und Nordeuropa verbreitet
und einer der gemeinsten Fische. Dagegen ist der Frauen nerfling
(L,. virgo Heck.) auf die Donau beschränkt, während der Frauen-
fisch (L. Meidingeri Heck.) zu jenen Bewohnern der tiefen
Alpenseen gehört, welche nur zur Zeit der Laichablage gefangen
werden können, sonst aber ihr Leben in unzugänglichen Tiefen ver-
bringen. Eine ähnliche Verbreitung wie die Plötze hat das mit
ihr oft verwechselte Rotauge oder die Rotfeder [Scardinius
erythrophthahnus L.). Auch die Orfe (Idus nielanotus Heck.)
ist über das ganze Gebiet verbreitet. Eine schöne Varietät der-
selben ist die Goldorfe (var. miniatus). Der Döbel oder Aitel
{Squalius cephalus L.) und der Häsling oder Hasel (S. leu-
ciscus L.), sowie die Elritze oder Pf rille [Phoxinus laevis Ag.)
sind ebenfalls im Gebiete, namentlich in fliessenden Gewässern,
überall zu finden.
Sehr sporadisch trifft man dagegen den Ström er (Telestes
Agassizü Val.) an, der ausser im Rhein und in den Zuflüssen
der Donau neuerdings auch in einem kleinen Oderzufluss am
Zobten aufgefimden isfis). Die Nase {Chondrostoma nasits L.)
ist ein osteuropäischer Fisch, welcher in den Flussgebieten der
Nordsee mit Ausnahme der Elbe (wie der Zander) fehlt. Eine
andere Nasenart, C. Genei Bon., welche im allgemeinen auf Süd-
europa beschränkt ist, wird von Siebold auf Grund eines ge-
legentlichen Vorkommens zur Fauna des Rheins gerechnet.
Die Schleie {Tinea vulgaris C.) ist ein in ganz Europa
verbreiteter Fisch weichgründiger Gewässer.
Zweifelhaft ist es, ob man zu den Cypriniden auch die
kleine Gruppe der Acanthopsiden oder Schmerlen zu rechnen
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. 1.G\
hat, die sich namentlich durch ihre knöcherne Schwimmblasenhülle
und durch den Bau ihrer Untcrschlundknochen von den ihnen
sonst nahestehenden Cypriniden unterscheiden. Aus unserer Fauna
gehören hierher die Steinbeisser, Schlammpeitzker und Schmerlen.
Der Steinbeisser (Cobitis taenia L.) findet sich durch ganz Europa,
die Schmerle (C. barbahda L.) auch in Asien, der Schlamm-
peitzker (C fossilis L.) endlich in Asien und dem östlichen
Europa mit Einschluss unseres Gebietes.
Eine ganz isolierte Stellung nimmt die Ideine Familie der
Umbriden ein, welche nur aus zwei Süsswasserarten besteht, von
denen die eine im mittleren Nordamerika, die andere, der Hunds-
fisch (Umbra Crameri Müll.), in einigen Nebengewässem der
unteren Donau (Neusiedler See, Plattensee u. a.) und anscheinend
auch in anderen Teilen des Pontischen Gebietes sich vorfindet.
Die Familie der Salmoniden 16) ist bei uns durch fünf
Gattungen vertreten, deren Arten grossenteils zur Varietätenbildung
neigen, sodass eine Übereinstimmmig unter den Fischkundigen
über die Abgrenzung der Arten in mehreren Fällen noch nicht
erzielt ist. Die meisten Arten sind als Sport- und Speisefische
hochgeschätzt und werden als Edelfische bezeichnet. Die Gattungen,
welche hierher gehören, sind: die Maränen oder Renken, die Aesche,
der Stint, die Saiblinge und die Forellen und Lachse.
Es ist schon erw'ähnt, dass die Salmoniden sich anscheinend
von Norden her verbreitet haben, dass sie noch jetzt im Norden
die stärkste Artentwickelung besitzen und in unserem Gebiet meist
kühle Wohnplätze aufsuchen. Solche finden die Bewohner der
Seen in den sehr tiefen Seen der Alpen und in einigen nord-
deutschen Seen, in Tiefen, in welchen beständig eine Temperatur
von nur 2 — 6° C. herrscht. Grösstenteils Bewohner solcher Seen
sind die Maränen oder Coregonen. Nüsslinis) hat die Arten
derselben nach der Form der Schnauze und der Bezahnung der
Kiemenbögen geschieden; nach diesem System hat man zu unter-
scheiden: den Nordseeschnepel (Coregontis oxyrhynchns L.),
einen Wanderfisch, der die Nordsee bewohnt und ihre Ströme zur
Laichzeit aufsucht, die kleine Maräne (C. albnla L.), die in den
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II, 11
162 Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
tieferen Seen der baltischen Seenplatte von Holstein bis nach Russ-
land hinein, sowie in den skandinavischen Seen lebt, den Kilch
oder Kr op ff eichen (C. hianalis Jur.) aus der Tiefe des Boden-
sees und des Ammersees, den Ostseeschnepel (C. lavaretus L.),
der die Ostsee bewohnt und in den Buchten und Haffen derselben
laicht, die Madümaräne [C. maraena Bl.) aus dem Madüsee in
Pommern, die Bodenrenke (C./craJuv.) aus den tiefen schweize-
rischen, oberösterreichischen und bayrischen Seen, die Pulssee-
maräne (C. generosus Petersj i"?) aus dem Pulssee in der branden-
burgischen Neumark 18) (Ostseeschnepel, Madümaräne, Bodenrenke
und Edelmaräne werden von Anderen für Varietäten einer Art ge-
halten) 19), femer den Blaufelchen (C. Wartmamii Bl.) aus den
tieferen nordalpinen Seen, die Traunseemaräne (C. Steindachneri
Nüssl.), Pfäffikoner Maräne (C. Sulzeri ^ms\.) aus dem Traunsee
bezw. Pfäffikoner See, und den Gang fisch (C. macrophthalnms
Nüssl.) aus dem Bodensee (die drei letztgenannten Arten werden von
anderer Seite für Varietäten des Blaufelchen gehalten).
Die Aesche (Thymallus vulgaris Nils.) ist ein anderer Sal-
monide, der kleine, raschfiiessende Flüsse im ganzen Gebiete bewohnt
und über dasselbe hinaus durch Europa verbreitet ist; verwandte
Formen finden sich in Nordasien und Nordamerika. Der Stint
(Osmenis eperlanus L.) findet sich an den Küsten des nördlichen
Teiles des Atlantischen Ozeans und in dessen Zuflüssen, in denen
er laicht. Im Rhein ist er nicht beobachtet worden. In einigen
norddeutschen Seen kommt er ebenfalls vor, ohne zum Meere zu
wandern.
Die naheverwandten Gattungen der Saiblinge, Lachse und
Forellen hat man nach Siebolds Vorgange nach der Bezahnung
des in der Gaumendecke liegenden Pflugscharbeins unterschieden.
Das Pflugscharbein der Saiblinge (Salmo) hat eine bezahnte Platte,
aber einen unbezahnten Stiel; das der Lachse (Trutta) hat einen
bezahnten Stiel bei unbezahnter Platte, während bei den Forellen
(Trutta) sowohl Stiel wie Platte bezahnt sind. Der Saibling
(Salmo salveliuus L.) bewohnt die tiefen Gebirgsseen Älittel- und
Nordeuropas. Der ebenfalls zu den Saiblingen gerechnete Huchen
Die deutschen Süsswasseifischc und ihre Lebensverhältnisse. 163
(S. liuclio L.) kommt ausschliesslich im Donaugebiete vor. Der Lachs
(Triitta salar L.) bewohnt den nordatlantischen Ozean, mit Aus-
schluss des Schwarzen Meeres und des JNIittelmeeres, und steigt in
die Flüsse, welche sich in die von ihm bewohnten Meere ergiessen,
zum Laichen auf. Die Forellen unterscheidet man als Bachforelle
(T. fario L.), Seeforelle (T. lacitstris L.) und Meerforelle (T.
trutta L.). Die beiden letzteren Arten sind ursprünglich wohl Ab-
arten der Bachforelle 20), aber durch verschiedene Lebensweise und
körperliche Abweichungen von ihr unterschieden. Während die
Bachforelle in raschfliessenden Bächen im ganzen Gebiete lebt,
bewohnt die Seeforelle die tiefen Gebirgsseen, die Äleerforelle die
Nord- und Ostsee; alle drei Arten laichen aber ausschliesslich in
Bächen, in welche die See- und die Meerforelle zu diesem Zweck
aufsteigen. Die Meerforelle hat also eine ähnliche Lebensweise wie
der Lachs, mit dem sie deshalb oft verwechselt wird.
Die Familie der Hechte (Esoeiden) ist bei uns durch den
allbekannten, in allen süssen Gewässern Europas, Nordasiens und
Nordamerikas lebenden Esox luciiis L. vertreten.
Aus der Familie der Heringe (Clupeiden) sind zwei Wander-
fische zu unserer Fauna zu rechnen, der Maifisch (Alosa vulgaris
C.) und die Finte {Alosa finta C.). Ersterer bewohnt die Küsten-
gegenden im nördlichen Atlantischen Ozean, die letztere verbreitet
sich noch mehr südlich und östlich bis zum Nil. Beide besuchen
zum Laichen die Süsswasserströme. Die Weichsel wird indessen
nur von der Finte besucht. Zur Familie der Muräniden gehört
unser Aal (Angiiilla vulgaris Flem.), der in allen Flüssen lebt,
die in den Nordatlantischen Ozean gehen, mit Einschluss des
Mittelmeergebietes, mit Ausschluss aber der Pontischen Flüsse.
Wenden wir uns nun von den Knochenfischen zu den
Ganoiden, so finden wir die Familie und Gattung der Acipen-
s er inen 2 t) in mehreren Arten vertreten. Der Stör (Acipenscr
sturio L.) ist ein W^anderfisch und bewohnt den Nordatlantischen
Ozean mit Ausschluss des Mittelmeeres und seiner Nebenmeere,
also auch des Schwarzen Meeres. Das letztere wird dagegen von
mehreren verwandten Arten bewuhnt. Es sind dies der Glatt dick
1G4 -Di^ deutschen Süsswasseifische und ihre Lebensverhältnisse.
fA. glaber Heck.), der Scherg (A. stellatus Pall.), der Dick (A.
schypa .Güldenst.), der Waxdick (A. Güldenstädtii Brandt) upd
der Hausen (A. hiiso L.). Alle diese Störe wandern zur Laich-
zeit in die Flüsse, die letztgenannten in die Donau und die anderen
Ströme des Pontusgebietes , der Stör in die europäischen und
amerikanischen Flüsse seines Wohngebietes, um hier zu laichen.
Mehr Standfisch ist der Sterlet (A. ruthenns L.), welcher die Pon-
tischen Flüsse, ausserdem aber auch die in das Eismeer mündende
Düna bewohnt und das Meer in der Regel nicht aufsucht.
Aus der Ordnung der Cyclostomen endlich, deren von den
übrigen Fischen völlig abweichender Bau Anlass gegeben hat, diese
Tiere von der Klasse der Fische ganz auszuschliessen, gehören zu
unseren Süsswasserfischen zwei Vertreter der Familie der Petromy-
zontiden, das Flussneunauge (P. fluviatiUs L.), ein Wanderfisch,
der zum Zweck der Laichablage aus dem Meere in die Süsswasser-
ströme wandert, wo seine Larve mehrere Jahre lang aufwächst, und
das Bachneunauge (P. Planeri BL), welches sein ganzes Leben
in Bächen imd kleinen Flüssen zubringt. Beide Arten sind durch
die ganze arktische Region verbreitet.
Überblickt man die jetzige Ausbreitung unserer Fischarten, so
lassen sich zwei Hauptrichtungen der Verbreitung erkennen, eine
aus Nordwesten bezw. Nord und West kommende, und eine aus
Südost bezw. Süd und Ost kommende. Der ersteren ausschliesslich
gehören die Fische des nordatlantischen Küstengebietes an: die
Stichlinge, Stint, Lachs, Nordseesclanepel, Meerforelle, Maifisch, Finte,
Aal und Stör. Alle diese Fische sind von dem Gebiet des Schwarzen
Meeres (Donaugebiet) ausgeschlossen, während demselben ausschliess-
lich angehören: Wolgazander, die Streber, Schrätzer, Seerüssling,
Pleinzen, Mairenke, Frauennerfling, Hundsfisch, Huchen, Glattdick,
Dick, Scherg, Waxdick und Hausen. Eine kleine Reihe von anderen
Fischen weist auf allmähliche Verbreitunsr von Ost nach West hin:
der Wels, der seine Westgrenze im Rhein hat, die Zärthe, die west-
lich der Weser sich nicht findet, der Zander und die Nase, deren
Verbreitung nach Westen mit der Elbe abschliesst, endlich die
Ziege, welche nicht über die Oder hinaus nach Westen geht.
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. 165
Noch andere Fische finden sich im Gebiet stellenweise, so aus dem
Süden eingewandert der Barbiis Pcteiiyi, der Gobiiis iiranoscopus,
der Strömer, das Chondrostoma Genei, aus dem Osten der Sterlet,
ferner an gewisse Örtlichkeiten gebunden der karpathische Kaulkopf,
der Ostseeschnepel, endlich die auf die tiefen Seen beschränkten
Arten: der Frauenfisch, die Ideine Maräne, die übrigen Felchen-
und Renkenarten, der Seesaibling und die Seeforelle.
Die übrigen Fische sind dem ganzen Gebiete gemeinsam.
Eine kleine Zahl von ihnen ist über die ganze arktische Region
(Nordasien, Europa und Nordamerika) verbreitet: Barsch, Aalquappe,
Hecht, Fluss- und Bachneunauge. Einige finden sich allgemein im
Norden der alten Welt: Kaulbarsch, Kaulkopf, Karausche und
Bachforelle. Die übrigen gehören dem europäischen Gebiete nördlich
von den Alpen an und sind teilweise bis Asien hinein verbreitet,
nämlich die meisten Cypriniden, die Acanthopsiden sowie die Aesche.
Haben wir uns in dem bisherigen über die in unserm Gebiet
vorkommenden Arten und ihre Verbreitung orientiert, so wenden wir
vms nun zur Betrachtung der Lebensverhältnisse derselben, welche
wir am besten an der Hand ihres Körperbaues 22) und ihrer Organe
kennen lernen.
Die äussere Körperdecke, die Haut, ist wie bei den höheren
Wirbeltieren eine doppelte, indem sie aus der Oberhaut oder
Epidermis und der Lederhaut oder dem Corium zusammengesetzt
ist. Die Oberhaut besteht aus einer mehrschichtigen Lage von
Zellen, deren äusserste Schichten zerfallen und in Gemeinschaft
mit dem Schleim einzelner grosser Drüsenzellen die Oberfläche der
Haut schlüpfrig machen. Die unter der Oberhaut liegende Leder-
haut besteht aus Bindegewebsfasern und ist meist sehr zähe (Aal).
In taschenförmigen Vertiefungen dieser Haut liegen die Schuppen 23),
Homplättchen, welche sich meist dachziegelartig decken und einen
dichten Schutzpanzer bilden (Pereiden, Cypriniden, Salmoniden,
Clupeiden, Hecht). Bei dem Hundsfisch ist auch der Kopf mit
Ausnahme der Schnauze mit Schuppen bedeckt, während derselbe
bei den übrigen Fischen frei von Schuppen ist. Bei manchen
Fischen sind die Schuppen so fein und die Oberhaut so dick, dass
j^ßß Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
die Schuppen nicht ohne Weiteres erkannt werden können (Aal,
bei dem sie in Zickzacklinien liegen, Aalquappe, Schleihe, Schmerlen).
Die Stichlinge tragen an Stelle der Schuppen an den Seiten schmale
dünne Knochenschienen, welche zusammenhängende Seitenpanzer
bilden. Der Körper der Störe ist mit starken, mit scharfen Höckern
versehenen Hautknochen als wirksamem Schutz besetzt. Ganz ohne
Hautbewehrung sind von unseren Fischen die Kaulköpfe, der Wels
und die Neunaugen.
Der Silber glänz, welchen die meisten Fische zeigen, wird
dadurch hervorgerufen, dass die Oberfläche der Lederhaut (bezw.
die Innenseite der Schuppen) mit einer Lage von mikroskopisch
kleinen, krystallartig geformten Plättchen bedeckt ist, welche neben
Kalk auch Guanin24) enthalten*). Letzterer Stoß" findet sich auch
in der glanzlosen Haut der Neunaugen 25). Bei manchen Fischen
bringen die Glanzkörperchen , namentlich zur Laichzeit, schöne
Interferenzfarben hervor (Stichling, Bitterling u. a.). Sie werden in
der Farbenwirkung unterstützt durch die Farbzellen (Chroma-
tophoren) 26), welche in der Lederhaut liegen. Die meisten Farb-
zellen sind mit schwarzem Farbstoff, viele auch mit rotem oder
gelbem Farbstoff gefüllt. Die letzteren, Zooerythrin und Zoofulvin,
kommen nach Krukenberg2") auch bei den Vögeln vor, fehlen
aber eigentümlicherweise ganz bei allen anderen Wirbeltier-
klassen. Die Farbzellen der Fischhaut haben in hohem Grade
die Fähigkeit, sich bald fast punktförmig zusammenzuziehen, wo-
durch sie fast unsichtbar werden, bald sich wieder zu sternförmigen,
weit ausgebreiteten Körpern auszudehnen und damit ihre Farbe zur
Wirkung zu bringen. Auf diese Weise kann die Farbe der Fische
sich der ihrer Umgebung anpassen und dadurch den Fisch vor
Verfolgern schützen oder die Wachsamkeit seiner Beute täuschen.
Dieser Farbwechsel ist von der eigenen Lichtempfindung des Fisches
abhängig; geblendete Fische zeigen nach Pouch et 28) diese Farb-
anpassung nicht. Bei manchen Fischarten, namentlich Cypriniden
(Karausche, Schleihe, Orfe, Barbe, Plötze), finden sich Varietäten,
*) Der Schuppenglanz mancher C)'priniden wird im grossen rein gewonnen zur Her-
stellung der Farbe künstlicher Perlen.
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. Jfjy
denen die schwarzen Farbzellen ganz oder stellenweise fehlen,
während die roten und gelben stark entwickelt sind. Diese Varie-
täten werden oft als Zierfische in Parkteichen gezogen. In seltenen
Fällen sind auch die roten Farbstoffe nicht entwickelt (Albinismus),
oder die Silberglanzkörperchen fehlen (Alampia). Normal fehlen
die Glanzkörper beim Stint.
Seine Stütze erhält der Fischkörper durch die ihn der Länge
nach durchziehende Wirbelsäule. Bei den Knochenfischen besteht
dieselbe aus durchbohrten bikonkaven cylindrischen Knochenstücken,
den Wirbeln, deren Innenräume durch die elastische Chorda aus-
gefüllt sind. Nach oben und unten setzen sich an jeden ^^'irbel-
körper paarweise knöcherne Fortsätze an, die Rücken- und Bauch-
strahlen. Die Rückenstrahlen jedes Wirbelkörpers bilden einen
Kanal, indem sie an ihren oberen Enden mit einander verschmelzen.
In dem so gebildeten Kanal an der Oberseite der Wirbelsäule
liegt das Rückenmark. Die Bauchstrahlen verschmelzen nur im
Schwanzteil des Fischkörpers mit einander zu einem Kanal, der
die grossen Blutgefässe des Schwanzes*) aufnimmt. Im Vorderteil
des Körpers bilden sie als Rippen die Stützen der Seitenwände
der Leibeshöhle.
Die Körperform der Fische ist entweder eine seitlich mehr
oder minder zusammengedrückte, oder mehr spindelförmig bis
walzig. Erstere Form zeigen am stärksten ausgeprägt der Bressen
und die Seekarausche, letztere der Aal und die Neunaugen, sowie
die Aalquappe, der Schlammpeitzker, der Wels, der Kaulkopf, lauter
Fische, die vorzugsweise am Grunde der Gewässer leben und sich
gelegentlich auf demselben schlängelnd bewegen. Die hauptsächliche
Bewegungsart unserer Fische ist aber das Schwimmen im freien
Wasser, und hierzu ist der Fischkörper nicht nur selbst in geeigneter
Weise geformt, sondern auch mit besonderen Anhängen versehen,
den Flossen. Die Flossen sind gebildet durch Häute, welche
durch eingelagerte bewegliche knöcherne Spangen ausgespannt
werden können, etwa wie ein Schirm oder ein mit Zeug bezogener
*) Diese Blutgefässe sticht man beim Schlachten grosser Fische an, die man durch
Verblutung töten will.
"IQQ Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
Fächer. Man unterscheidet paarige Flossen, welche an den Seiten
des Körpers stehen, und unpaare Flossen, welche in der Mittellinie
des Rückens und des Schwanzes stehen.
Die paarigen Flossen sind meist zu zwei Paaren vorhanden,
welche man nach ihrer gewöhnlichen Stellung als Brustflossen und
Bauchflossen unterscheidet; sie entsprechen den Gliedmassen der
höheren Wirbeltiere. Sie sind an Knochen befestigt, welche bei
den Brustflossen mit dem Kopf, bei den Bauchflossen unter einander
verbunden sind. Sie fehlen ganz den Neunaugen, während der
Aal nur Brustflossen, keine Bauchflossen hat. Die unpaaren Flossen
unterscheidet man je nach ihrer Lage als Rückenflossen, Schwanz-
flossen und Afterflossen. Rückenflosse und Afterflosse sind dadurch
am Fischkörper befestigt, dass jeder Strahl der Flosse scharnierartig
verbunden ist mit einer Knochenschiene von kreuzförmigem Quer-
schnitt, welche im Körper des Fisches liegt und sich je an einen
Rückenstrahl bezw. Bauchstrahl der Wirbelsäule anlehnt. Rücken-
flossen sind in Zweizahl vorhanden bei den Pereiden, Aalquappe,
Kaulkopf und den Neunaugen. Bei den Stichlingen sind die ersten
Strahlen, ebenso wie die Bauchflossen, zu einzeln stehenden, teil-
weise zackigen Stacheln umgewandelt, welche als Waffen dienen.
Bei den Salmoniden findet sich hinter der Rückenflosse eine kleine
sogenannte Fettflosse, welche diese Familie von allen anderen ein-
heimischen Fischen leicht unterscheiden lässt. Diese Fettflosse wird
als ein Überbleibsel aus dem Larvenstadium des Fisches betrachtet;
sie hat keine festen knöchernen Strahlen, wie die übrigen Flossen,
sondern an deren Stelle nur weiche hornige Fäden, wie alle Flossen
der Neunaugen, der Haie und Rochen und der eben ausgeschlüpften
Jungen der Knochenfische. Die Afterflosse fehlt nur den Neun-
augen. Sie beginnt stets' kurz hinter der Afteröffhung. Die
Schwanzflosse liegt bei den meisten Fischen mit dem grössten Teil
unterhalb der Wirbelsäule. Die trotzdem vorhandene Symmetrie
des Schwanzes wird dadurch ermöglicht, dass die letzten Wirbel-
körper zu einem Stiel verschmolzen und so nach oben gebogen
sind, dass die Unterseite der Wirbelsäule und die an sie sich
ansetzenden Schwanzflossenstrahlen nach hinten gerichtet sind.
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. 1(;9
Sehen wir uns nun nach den Muskeln um, welche die
Bewesainsen des Fisches bewirken, so finden wir zunächst zu beiden
DO '
Seiten der Wirbelsäule starke Fleischmassen, welche leicht einen
eigentümlichen Bau erkennen lassen. An jeden Wirbelkörper setzen
sich beiderseits JNIuskelplatten an, welche hohlkegelförmig gewölbt
sind, so dass ein Querschnitt durch den Fischkörper mehrere hinter
einander liegende jMuskelplatten ringförmig blosslegt. Die vier an
einer Stelle der Wirbelsäule sich ansetzenden INIuskelplatten bilden
einen jMuskelabschnitt (Mjokaiwna). Die INIuskelabschnitte sind
unter sich durch dünne Bindegewebshäute (Ligamente) getrennt*),
die einzelnen ÜNIuskelbündel liegen in den Muskelabschnitten in der
Längsrichtung des Fisches, ihre Enden setzen sich daher nicht an
Knochen, wie die meisten Muskeln der höheren Wirbeltiere, sondern
an Ligamente an (interligamentale Muskulatur). Die JMuskelplatten
bilden zusammen zwei grosse Seitenmuskeln, welche den grössten
Teil des Fischkörpers einnehmen und die Bewegungen des Schwanzes
bewirken. Neben den Seitenmuskeln treten die Muskeln des später
zu betrachtenden Kopfes und die der Flossen an Umfang sehr
zurück. Die Muskulatur der unpaaren Flossen besteht aus zahl-
reichen Ideinen INIuskelzügen , welche einerseits an die inneren
Halteknochen der Flossen, anderseits an die Flossenstrahlen sich
ansetzen (interosteale Muskulatur) und die letzteren aufrichten,
niederziehen und seitwärtsbiegen können. Bei den paarigen Flossen
wird die Ausbreitung und die fächelnde Bewegung, welche dieselben
ausführen, durch stärkere Muskelbündel bewirkt, welche ebenfalls
an den inneren Gerüstlcnochen dieser Flossen befestigt sind. Wie
kommt nun mittels der Flossen und ihrer JMuskeln die Orts-
bewegung zu Ständers)? Die Flossen, die paarigen sowohl wie
die impaaren, sind für sich allein nicht im stände, den Fisch
schwimmend zu erhalten, wie durch Versuche festgestellt ist. Die
paarigen Flossen halten den Fisch, wenn er im freien Wasser
*) Beim Erwärmen des toten Fischkörpers lösen sich diese Häute unter Leimbildung
auf, sodass die einzelnen Muskelplatten sich von einander trennen und leicht schollenartig
auseinanderfallen. In den Ligamenten liegen namentlich bei den Pereiden und Cj-priniden
feine, spitze Stützknochen , Fleischgräten , welche sich als Knochen beim Kochen nicht
auflösen.
]70 ^^^ deutschen Süsswasseriische und ihre Lebensverhältnisse.
schwimmend steht, im Gleichgewicht, auch wirken sie mit bei
Wendungen und bei der Rückwärtsbewegung sowie beim plötz-
lichen Aufhalten. Die unpaaren Flossen können durch leichte
wellenförmige Bewegungen eine langsame Vorwärtsbewegung des
Fisches bewirken. Das rasche Schwimmen der Fische dagegen
\\ird durch Ruderschläge des Hinterleibes bewirkt, dessen Fläche,
um den Widerstand des leicht ausweichenden Wassers zu erhöhen,
durch iVufrichten der unpaaren Flossen vergrössert werden kann,
wobei die Schwanzflosse hauptsächlich als Steuer dient. An diesen
Bewegungen, welche durch abwechselnde Kontraktionen der beiden
Seitenmuskeln vor sich gehen, nimmt der hintere Teil des Körpers
teil, welcher durch eine durch die \^orderenden der Rückenflosse
und der Afterflosse gelegte Ebene abgegrenzt wird. Der Körper-
teil vor dieser Ebene enthält die Leibeshöhle mit ihren Organen
der Blutzirkulation , der Verdauung und der Fortpflanzung. Ein
Zwerchfell trennt die kleine Brusthöhle, welche das Herz ent-
hält, von der geräumigen Bauchhöhle.
Das Herz30j liegt, vom Herzbeutel umschlossen, dicht hinter
dem Kopfe. Es besteht aus der muskulösen Herzkammer und der
dünnwandigen Vorkammer, die durch ein Klappenventil getrennt
sind. Der Vorkammer schliesst sich der Sinus venosus an, der
das Venenblut aufnimmt und der Vorkammer zuführt. Aus der Herz-
kammer entspringt, mit einer Anschwellung (Bulbus aortoe) beginnend,
die Kiemenarterie, welche das venöse Blut aus dem Herzen in die
Kiemen führt. Aus den Kiemen sauerstoffreich zurückkehrend
sammelt sich das Blut in der grossen Körperarterie (Aorta descen-
dens), aus welcher es sich in die Organe des Körpers verteilt. Das
hier gebrauchte Blut wird zur Ausscheidung der nicht gasförmigen
Stoffwechselprodukte durch die Leber und die Niere geführt. Das
Produkt der Leber 3i), die Galle, sammelt sich in der Gallenblase
und 2:elans:t aus dieser in den Darm. Das Produkt der Nieren,
der Harn, wird durch die Harnkanälchen in die beiden Harn-
leiter und sodann in der Regel zunächst in eine Erweiterung des
gemeinsamen Endteils derselben, die Harnblase, geführt, von wo er
durch einen Ausführungsgang hinter dem After nach aussen gelangt.
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. {"^ l
Bei den Fischen liegen die Nieren an der Decke der Bauchhöhle
als zwei dicht an der ^^'irbelsäule durch die ganze Länge der
Bauchhöhle sich erstreckende, grossenteils mit einander verschmolzene,
dunkelrote, sehr weiche Organe. Sie dienen bei den Fischen nicht
allein zur Hamabsonderung, sondern sie sind daneben, wie auch
wahrscheinlich die zwischen den Eingeweiden liegende i\I i 1 z 3"2),
die Vermehrungsstätten der roten Blutkörperchen 33).
Die Organe der Ernährung und ihre Hilfsorgane liegen teils
in der IMundhöhle, teils in der Bauchhöhle. Die Mundhöhle
nimmt den unteren Teil des Kopfes ein, während in dem oberen,
in einer Kapsel aus Knorpel (Neunauge, Stör) oder Knochen (bei
den meisten Knochenfischen), das Gehirn eingebettet ist. Die
Knochen, welche den vorderen Teil des Bodens des Hirnschädels
bilden, sind das Dach der Mundhöhle, deren Seitenwände und
Boden teils aus den Kiemenbögen und den ihnen homologen
Knochenbögen, den Unterschlundknochen und dem Zungenbein,
teils aus den Kieferknochen, und aus ihren häutigen und muskulösen
Verbindungen bestehen. Die Offnungen zwischen den Kiemen-
bögen führen in die Kiemenhöhlen, welche nach aussen durch die
mehr oder minder beweglichen Kiemendeckel geschlossen sind.
Alle Knochen der Mundhöhle sind mit einander beweglich
verbunden, sodass die Mundhöhle bedeutender Er^veiterung fähig
ist. Je nach der Nahrung des Fisches sind die Gestalt der INIund-
öffnuns; und die Bezahnuns: der JMundknochen verschieden. Die
Pereiden, Kaulköpfe, Aalquappe, Wels, auch manche C}-priniden,
wie Rapen, Döbel, Orfe, ferner die Aesche, der Stint, die Salmo-
und Trutta-Arten, Hecht und Aal haben ein breites, weit aufsperr-
bares j\Iaul und, mit Ausnahme der Cypriniden, auf mehr oder
minder zahlreichen Knochen desselben teils nur feine Zähnchen,
die in grosser Zahl mehr oder minder dicht beisammen stehen
(Sammet-, Bürsten-, Hechelzähne, z. B. beim Aal, Barsch, Wels),
teils zwischen diesen noch grössere Fangzähne (Zander, Hecht, Lachs,
Forelle) 3-1). Diese Fische sowie die Stichlinge nähren sich aus-
schliesslich , wie Lachs , Hecht , Wels und Zander , oder teilweise
von Fischen, welche sie, auch wenn sie über die Mundhöhle
\'J2 -^i^ deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
hinausragen, mittels der Zähne festhalten können. Die meisten
Cypriniden, Maränen und Chipeiden haben dagegen eine Ideine
rundliche oder mehr hohe als breite Mundöffnung, welche am Ende
einer rüsselartig vorstreckbaren, häutigen Röhre liegt, die oben von
den halbringförmigen Zwischen- und Oberkieferlmochen, unten von
dem Unterkiefer gestützt wird. Mittels dieses Saugrüssels schlürfen
diese Fische ihre aus kleinen niederen Tieren bestehende Nahrung
ein, nach welcher sie teils im freien Wasser, teils an den festen
Gegenständen in demselben, den Pflanzen, Steinen, dem Holzwerk,
oder auf dem Grunde suchen. Sie finden hier kleine Crustaceen
aus den Ordnungen der Cladoceren, der Ostracoden, der Copepoden,
ferner die das Wasser bewohnenden Larven vieler Insekten, nament-
lich der Mücken und Eintagsfliegen, auch Würmer, Rädertiere,
kleine Weichtiere, nehmen wohl auch die schleimigen Massen der
■ Kieselalgen und den für sie allerdings unverdaulichen Mvilm zer-
fallener Pflanzenteile, Sand und Schlamm ein, verschonen auch
nicht, wie hier gleich erwähnt sein mag, Eier und Brut von Fischen,
selbst nicht die eigene Nachkommenschaft. Man unterscheidet die
letztgenannte Gruppe von Fischen als Kleintierfresser oder Fried-
fische von den ersterwähnten Raubfischen 35).
Während die Kiemenspalten der breitmäuligen Fische ziemlich
weit und nur mit weitläufig gestellten Zähnen versehen sind, sind
die Kiemenspalten der engmäuligen Fische eng, meist kurz, die
Kiemenbogen sind an der Innenseite mit je zwei Reihen dicht
gestellter Stäbchen besetzt, welche in einander greifend einen reusen-
artigen Verschluss büden, durch den wohl das in die Mundhöhle
avifgenommene Wasser, nicht aber die feinkörnige Nahrung in die
Kiemenhöhle entweichen kann. Am Gaumen vieler Cypriniden
findet sich ein muskulöser Wulst, welcher Sinnesorgane (Schmeck-
becherchen) enthält. Jede Berührung dieses Organs bringt eine
Anschwellung, der berührten Stelle hervor. Es scheint auch durch
seine Kontraktionen beim Aufsaugen der Nahrung mitzuwirken.
Am hinteren Abschluss der Mundhöhle haben die Cypriniden,
welche sonst ganz zahnlos sind, auf den Unterschlundknochen
stumpfe aber starke Zähne, deren bei den einzelnen Arten
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. ]^73
verscliiedene Form ein vorzügliches Mittel zur Abgrenzung und Er-
kennung der Arten ist. Diesen Zähnen gegenüber steht am Gaumen
eine harte Knorpelplatte. Zwischen den Zähnen und der Gaumen-
platte wird die Nahrung zerdrückt. Die Zähne werden bei den
Cypriniden nach v. Siebold jährlich in der Laichzeit abgestossen
und erneuert.
Abweichend von dem JNIaul der übrigen Fische ist das der
Neunaugen gebaut. Es ist eine am vorderen Körperende gelegene
Saugscheibe, welche mit mehreren zahntragenden Hornplatten aus-
gestattet ist. Es dient dem Fisch vornehmlich dazu, sich an feste
Gegenstände oder an seine Beute anzusaugen. Die letztere wird
dann mittels der Zähne angebohrt und ausgesaugt.
Das durch die Kiemenspalten abfliessende Wasser gelangt in die
Kiemenhöhlen, in welchen sich die Kiemenbögen befinden. Die
Kiemenbögen bestehen aus gebogenen rinnenförmigen Knochen-,
platten mit nach unten gekehrten Rinnen. In diesen Rinnen laufen
die Blutgefässe, welche das Blut aus dem Herzen in die Kiemen leiten,
und andere, die das Blut aus den Kiemen dem Körper zuführen. In
den Kiemenblättchen, welche an jedem Bogen in zwei Reihen dicht
gedrängt stehen, tritt das kohlensäurehaltige Blut mit dem sauerstoff-
haltigen Wasser in Gasaustausch, das Blut tritt sauerstoffreich in den
Körper zurück, während das verbrauchte Atemwasser unter dem
Kiemendeckel durch die Kiemenöffnung abfliesst und durch neues aus
der Mundhöhle ersetzt wird. In der Regel sind vier Paar Reihen
von Kiemenblättchen auf jeder Seite des Kopfes vorhanden. An
der Innenseite des Kiemendeckels sitzt häufig noch eine sogenannte
Nebenkiemc (z. B. beim Stör), welche aber funktionslos ist. Die
Acanthopsiden (Schlammpeitzker, Steinbeisser und Schmerle) können
im Notfalle auch durch den Darm die Atmung vollziehen, indem
sie Luft einschnappen und durch den Darm treten lassen, wobei
sie einen quietschenden Ton erzeugen. Die anderen Fische atmen
dagegen hauptsächlich durch die Kiemen. Manche Fische, welche
einen sehr fest schliessenden Kiemendeckel haben, wie der Aal und
viele Cypriniden, können stundenlang, selbst tagelang ausserhalb
des Wassers zubringen, ohne zu ersticken, indem die Wassermenge,
174 Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
welche in den nach aussen fest geschlossenen Kiemenhöhlen zurück-
gehalten ist, genügt, um die Aufnahme der durch den JNIund ein-
geschnappten Luft durch die Kiemen zu vermitteln. Andere Fische,
namentlich die mit sehr weiten Kiemenspalten und kurzen Kiemen-
deckeln versehenen Salmoniden, sterben aus dem Wasser genommen
sehr bald ab. Bei den Neunaugen weichen auch die Kiemen
von denen der anderen Fische ab. Sie sind nicht an Kiemenbögen
befestigt, sondern bestehen jederseits in sieben Säckchen, welche durch
ein festes Knorpelgerüst gestützt werden, und im Innern mit zahl-
reichen Kiemenfalten, welche die Stelle der Kiemenblättchen vertreten,
bekleidet sind. Das Atemwasser wird aus der Mundhöhle durch einen
besonderen Längskanal, welcher mit entsprechenden Seitenöffnungen
versehen ist, zugeführt, und fliesst aus jedem Kiemensäckchen durch
eine besondere Öffnung nach aussen ab. Die sieben äusseren
Kiemenöffnungen samt dem Auge und dem einfachen Nasenloch
sollen dem Fisch seinen Namen „Neunauge" gegeben haben.
Ausser den Kiemen atmen die Fische auch durch die Haut,
wie A. von Humboldt und Provencaise) durch Versuche nach-
wiesen. Kohlensäure wirkt nach diesen Forschern tödlich auf die
Fische, während Stickstoff und Wasserstoff, wie bei den höheren
Wirbeltieren, indifferent sind. In luftlosem (ausgekochtem) Wasser
starben die eingesetzten Fische nach 18/4 bis 4 Stunden. Nach
den genannten Untersuchungen berechnete Treviranus, dass die
Schleihe, deren Sauerstoffbedürfnis für gering zu halten ist, für je
100 Gran Körpergewicht in 100 Minuten 0.01 cbcui Kohlensäure erzeugt,
während Säugetiere das fünfzigfache an Kohlensäure produzieren.
Das verschiedene Sauers toffbedürfnis ist anscheinend,
neben dem Wärmebedürfnis, eine der Hauptursachen der Verteilung
der Fischarten auf die einzelnen Gesenden eines und desselben
Flussgebietes. Der Sauerstoffgehalt einer Wassermenge ist teils von
der Temperatur, teils von der Menge der Stoffe bezw. der Orga-
nismen abhängig, welche den Sauerstoff zu absorbieren vermögen.
Die Temperatur übt einen wesentlichen Einfluss auf die
Fähigkeit des Wassers, Luft aufzunehmen, aus. Eine Wassermenge,
welche bei S° C- 100 Raumteile Sauerstoff aufnimmt, kann
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. 5^75
davon bei 20° nur etwa 79.2 Teile in Lösung halten. INIan stelle
sich vor, der Sauerstoffgehalt der von den Landtieren eingeatmeten
Luft nehme an einer Örtlichkeit um etwa 1/5 ab, und man wird
es natürlich finden, dass die Lebew^elt an dieser Ortlichkeit eine
abweichende ist.
Viel bedeutender noch kann die Verminderung des Sauerstoffs
durch die Einwirkung ox}'dierbarer Substanzen werden. Unter-
suchungen des Themsewassers in der Umgegend von T>ondon haben
ergeben, dass das Wasser dieses Flusses, welches etwa 5 Meilen
oberhalb London bei Kingston 7.4 cbon Sauerstoff im Liter ent-
hält, dicht bei London davon nur 1.5 cbon, nach dem Durchgange
durch die Riesenstadt, bei Woolwich, sogar nur 0.25 cbcni, also nur
eine Spur Sauerstoff, den 30. Teil von seinem Gehalte in der
mnider verunreinigten Flussgegend, enthält S'J).
Bei so enormer Verminderung des Gehaltes an Atemluft kann
es nicht in Verwunderung setzen, wenn die mit leicht oxydierbaren
organischen Substanzen gefüllten Abwässer grosser Städte und
industriereicher Gegenden den Bestrebungen zur Vermehrung und
Veredelung des Fischbestandes ein kaum zu überwindendes Hindernis
entgegensetzen 3S).
Nicht so jäh und verderblich, wie die Abfuhrstoffe der Städte
und Fabriken, aber sicher auch von erheblicher Wirkung auf den
Sauerstofifgehalt des Wassers sind die Reste abgestorbener Lebewesen,
der organische Mulm, welcher durch die Regen- und Schneewässer
aus dem Niederschlagsgebiet des Flusss3-stems dem Wasser desselben
auf seinem Laufe zum Meer in immer steigender JNIenge zugeführt
wird. Auch das Gefälle und die Bodenbeschaffenheit des Fluss-
bettes sind von Einfluss : Ein über Kiesbänke und Steine rauschender
Bach bietet seinem Wasser mehr Gelegenheit zur SauerstofiFaufnahme,
als ein träges, tiefes Gewässer, in dem noch dazu der hinein-
geschwemmte ]\Iulm sich ablagert. Die Wirkung des Sauerstoff-
mangels im Wasser ist für die Fische eine doppelte: Nicht nur
mangelt den Organismen, Tieren wie Pflanzen, die notwendige
Lebensluft, sondern es nimmt auch die Bildung schädlicher Stoffe,
besonders des betäubenden Sumpfgases, zu.
J 7 (j Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
Unter diesen Verhältnissen ist es verständlich, dass sauerstoß-
bedürftige Fische sauerstoffarme Gewässer vermeiden. Anderseits
bedürfen manche Fische einer gewissen Wärme des Wassers
(z. B. der Karpfen), damit ihre Lebensfunktionen, Ernährung und
Fortpflanzung, zur Thätigkeit angeregt werden. Solche Fische sind
von dauernd kühlen Gewässern ausgeschlossen.
Man hat gefunden, dass viele Arten der Fische gemeinsame
Lebensbedürfnisse haben, so dass sie in Flussstrecken, welche eine
gewisse Beschaffenheit haben, leben können. A. Fritsch39j hat
zuerst die Flussregionen Böhmens, welche charakteristische Fisch-
gesellschaften enthalten, unterschieden und nach ihren Hauptfischen
benannt. M. von dem Borne 3) hat diese Methode für die
deutschen Gewässer durchgeführt, und sie ist jetzt allgemein
angenommen. Man unterscheidet:
1. die Forellenregion, mit Bachforelle, Elritze, den Kaulköpfen,
Schmerle, Döbel,
2. die Aeschenregion, mit Aesche, Barbiis Petenyi, Gründling,
Bachneunauge (im obern Teile dieser Region liegen die
Laichstellen der Lachse),
3. die Barbenregion, mit Barbe, Huchen, Nase, Rapen, Zärthe,
Schneider, Häsling, Karpfen, Quappe, Bitterling, Mairenke,
Streber, Strömer, Motken,
4. die Bressenregion (Bleiregion), mit Bressen, Blei, Wels, Orfe,
Rotauge, Schleihe, Karausche, Aal.
Manche Fische finden sich in allen Regionen, wie Hecht,
Barsch, Plötze, Stichling. Auf eine einzige der angeführten Regionen
beschränkt ist kein Fisch, vielmehr werden die benachbarten
Regionen auch häufig aufgesucht.
Etwas abweichend von den fliessenden Gewässern verhalten
sich die Seen, deren Lebensverhältnisse wesentlich von ihrer Tiefe
abhängen. Man unterscheidet hier flache Bressenseen, Seen von
mehr als 20 w Tiefe, in welchen sich die kleine norddeutsche
Maräne aufhält, und Seen von über 50 m Tiefe, in welchen, je
nach ihrer Tiefe, verschiedene INIaränenarten , der Seesaibling und
die Seeforelle leben.
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. ^77
Bei der Wichtigkeit des Atmungsprozesses spielt die Funktions-
fähigkeit der Kiemen eine grosse Rolle. Sobald ihre Oberfläche
durch Trockenheit abstirbt oder sobald sie sich mit einem dichten
Belag \on Fremdkörpern bedeckt, sind die Fische einem raschen
Erstickungstode ausgesetzt: die Ursache, weshalb Trübungen des
Wassers von den Fischen gemieden werden und ihnen, wenn sie
dauernd, z. B. durch Fabrikwässer, verursacht werden, den Tod
bringen können.
Während das in die ]\Iundhöhle aufgenommene Wasser durch
die Kiemenspalten abfliesst, gelangt die Nahrung durch den trichter-
förmigen Schlund in den eigentlichen Darmtractus^i). Der Darm
der Fische ist mehr oder minder gewunden und bei den Cypriniden
ein Schlauch von fast überall gleicher Weite. Bei den übrigen
Fischen ist eine mehr oder minder ausgeprägte magenartige Er-
weiterung vorhanden. Immer ist der Magendarm durch eine ring-
förmige Einschnürung, die Pförtnerklappe, vom Mitteldarm getrennt.
Die mit einem Magen versehenen Fische, mit Ausnahme des Welses,
des Hechtes und des Hundsfisches, haben auf der Grenze zwischen
Magen und Mitteldarm Blind^chläuche , wenige bei den Pereiden,
den Kaulköpfen und Stichlingen, viele bei den Salmoniden und der
Aalquappe. Der Enddarm ist im Vergleich mit dem Mitteldarm
weit. Der Darm der Neunaugen ist gerade und ohne Anhänge,
der des Störs trägt an der Innenwand eine spiralig verlaufende
Hautleiste (Spiralklappe). Von den dem Darm anhängenden Drüsen
ist die Leber schon erwähnt. Die zweite bei den Wirbeltieren sonst
vorkommende Verdauungsdrüse, das Pankreas, fehlt den meisten
unserer Fische; es ist bis jetzt nur nachgewiesen bei Schmerle,
Stichling, Hecht, Barsch, Aal und Forelle, meist stark zerstreut
zwischen den Eingeweiden 42).
Die verdauende Flüssigkeit der Fische wird daher, da auch
Speicheldrüsen fehlen und die Galle nur bei der Aufnahme der
Fette durch den Körper mitwirkt, meist ausschliesslich vom Darm
geliefert. Dafür vermag aber auch nicht nur der INIagendarm, wie
bei den höheren Wirbeltieren, sondern jeder Abschnitt, selbst die
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 12
;[78 ^^^ deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
kurze Speiseröhre der mit Magen versehenen Fische, Pepsin abzu-
sondern, den Stoff, welcher in Verbindung mit der bei den Fischen
reichlich vorhandenen Säure die Eiweissstoffe für die Aufnahme in
den Körper geeignet macht (peptonisiert 43j). Von dem Pepsin der
höheren Wirbeltiere unterscheidet sich das Pepsin wenigstens der
Forelle und des Hechtes dadurch, dass es selbst bei o ° noch ver-
dauend wirkt 44). Die Auflösung der Nahrung beginnt schon in
der Speiseröhre und braucht erst im Enddarm mit dem Auswerfen
der unverdauten Nahrungsteile aufzuhören. Am kräftigsten ist die
Verdauung: bei den Fischfresseni, minder intensiv bei den Kleintier-
"O
fressern. Die Absonderung der Nahrungsflüssigkeit erfolgt wahr-
scheinlich von allen Zellen der Darmschleimhaut, die je nach ihrem
Reifestadium ein verschiedenes Aussehen haben können 45).
Von grosser Wichtigkeit, namentlich für die Fütterung der
Teichfische, ist, dass die Fische rohe Stärke, das Hauptprodukt
der meisten Pflanzen, fast gar nicht zu verdauen vermögen, während
gequollene (gekochte) Stärke verdaut wird 46). Diese Thatsache
bietet die Erklärung zu der erst neuerdings gehörig gewürdigten
Erscheinung, dass die Fische sich fast gar nicht von Pflanzenstoffen,
sondern meist von Tieren nähren, so dass in der Regel die von
den Pflanzen erzeugte Nahrung erst in den Körper eines niedern
Tieres aufgenommen sein muss, bevor sie zur Ernährung der Fische
dienen kann. Eine nur scheinbare Ausnahme hiervon bilden die
Kieselalgen (Diatomeen), welche man oft in INIenge in dem Fisch-
darm findet. Diese in grosser Menge im Wasser auftretenden
mikroskopischen Pflänzchen, welche eine Hauptnahrung vieler
niederer Wassertiere bilden, erzeugen nicht, wie die meisten anderen
Pflanzen, Stärke, sondern an deren Stelle Öl, das als Fett den
Verdautmgssäften der Fische zugänglich ist. Ähnlich verhält sich
die Algengattung Vaitcheria, die also den Fischen ebenfalls direkt
Nahrung liefern könnte.
Als Gnmd für das Fehlen der stärkeartigen Stoffe in der
Fischnahrung hat man angeführt, dass die Fische ebenso wie die
Amphibien es nicht nötig haben, ihren Körper mit diesen wärme-
erzeugenden Kohlehydraten gewissermassen zu heizen, da ihr Körper
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. ^^79
seine Wärme von dem ihn umgebenden Wasser erhält. Immerhin
bewirkt auch bei den Fischen die Respiration eine Erwärmung des
Körpers über die Temperatur des Wassers. Dieselbe beträgt nach
Broussonet bei kleinen Fischen 1/2 bis 2/3°, beim Aal 3/4°, beim
Karpfen i °. Despretz fand bei io.83° C Wassertemperatur die
Körperwärme von zwei KarjDfen zu 1 1 .69 °, von zwei Schleihen zu
1 1.54° C.
Änderungen in der Wasserwärme haben auch den grössten
Einfluss auf die Lebensfunktionen der Fische, namentlich auf die Er-
nährung und Fortpflanzung. Während die meisten unserer Fische bei
steigender Wärme laichen (Sommerlaicher : die Pereiden, Kaulköpfe,
Stichlinge, Wels, Cypriniden, Acanthopsiden, Hecht, Clupeiden, Störe
und Neunaugen), legen andere ihre Eier bei sinkender Wärme ab
(Winterlaicher : Aalquappe und die Salmoniden ausser Stint, Huchen
und Aesche). JNIanche Arten bedürfen einer bestimmten Mindest-
wärme, um laichreif zu werden, namentlich die Karpfen, welche nicht
in Wasser unter 19° C. laichen. Auch das Nahrungsbedürfnis
ist abhängig \^on der Wasserwärme. In kaltem Wasser können die
Fische wochenlang, ja manche Arten monatelang ohne Nahrung
bestehen. Viele Cypriniden nehmen im Winter auch im Freien keine
Nahrung zu sich; der Kaq^fen z. B. frisst nur, wenn das Wasser
mindestens 9 ° C Wärme hat, dabei verliert er während der Zeit,
in welcher er nicht frisst, nur etwa 3 — 5 0/0 seines Körpergewichtes.
Bei der Bachforelle und anderen Raubfischen nimmt zwar die Fress-
lust im Winter ab, hört aber nicht völlig auf. Die Forelle lässt
auch im Sommer in der Ernährung nach, wenn die Wassertemperatur
über 2~)° C. steigt.
Bei höher steigender Wärme sterben die Fische. Der Karpfen
verträgt eine Höchsttemperatur von 32 — 35° C, der Barsch eine
Temperatur von 28° C^'). Rasche Abkühlung vertragen viele
Fische ebenfalls nicht, allmähliches Sinken der Temperatur dagegen
hat keinen schädlichen Einfluss auf unsere Fische, welche in eis-
kaltem Wasser lebend bleiben, ja, soweit sie geringe Ansprüche an
Luftversorgung machen ( Schleihe, Karausche), auch einfrieren können,
wenn nur die Eiskälte nicht über die Eigenwärme des Fisches siegt
12*
1QQ Die deutschen Süsswasserlische und ihre Lebensverliältnisse.
vmd wenn durch die letztere eine Wasserschicht um den Fisch
flüssig erhalten bleibt (Johannes Müller).
Bei direkter Einwirkung des Frostes auf den Fischkörper
erstarren die Fische zunächst, können aber, wenn die Frostwirkung
nicht stundenlang dauert, zuweilen wieder belebt werden. Beim
Durchfrieren des Fischkörpers sterben die Fische dagegen natür-
lich abss).
Die Menge der von den Fischen aufzunehmenden Nahrung
richtet sich während der Hauptfresszeit in erster Linie nach der
Menge der vorhandenen geeigneten Nahrungsmittel.
Die Fische können mit geringen Mengen von Nahrung erhalten
werden, haben dann aber ein entsprechend geringes Wachstum und
zeigen oft auch in ihrer Körperform Abweichungen von dem
normalen Aussehen ihrer Art (so ist die als Giebel bekannte Abart
der Karausche eine Hungerform, — den Fischzüchtern ist es längst
bekannt, dass Fische mit kurzem Kopf rascher gewachsen und des-
halb geeigneter zur Zucht sind, als Fische mit gestrecktem Kopf).
Anderseits können sie sehr grosse Mengen von Nahrung aufnehmen
und dementsprechend wachsen. Man weiss aus guten Beob-
achtungen, dass ein Karpfen am Ende des ersten Jahres bei un-
günstiger Nahrung nur wenige Gramm, bei günstiger Nahrung gegen
I Kilo wiegen kann, und dass das Gewicht der Hechte im ersten
Herbst ihres Lebens zwischen loo Gramm und mehreren Pfund
schwanken kann.
Bei der Fütterung verbraucht die Forelle zur Zunahme um
einen Gewichtsteil fünf bis acht Gewichtsteile Futterfleisch, während
der Karpfen schon aus drei bis \n.er Gewichtsteilen in gleichem
Masse eiweisshaltigen Futters einen Gewichtsteil Körperzunahme
gewinnt. Man benützt bei der Fütterung der Fische hauptsächlich
eiweissreiche Futterarten, wie Fleischmehl, Leguminosensamen, INIalz-
treber u. a.
Eine Anzahl von Fischarten erreicht in der Regel nur eine
bestimmte geringe Grösse; man kann diese Fische als Zwergfische
bezeichnen. Dahin gehören Kaulbarsch, Kaulkopf, Stichling, Gründ-
ling, Bitterling, Uklei, Moderlieschen, Elritze, kleine Maräne, Stint,
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. Jgl
die Neunaugen. Die meisten anderen Fische wachsen entsprechend
ihrer Ernährung sehr ungleichmässig. So erreicht che Bachforelle
in den nahrungsarmen Gebirgsbächen selten ein Gewicht von einem
Pfund, während sie in Teichen, Flüssen und Seen (z. B. im Weitsee
bei Bereut in Westpreussen) es zu einem Gewicht von 1 2 Kilo
bringen kann. Karpfen und Hechte hat man bis 25 Kilo schwer,
Welse noch bedeutend grösser gefangen. In engen Gefässen bleibt
das Wachstum der Fische beschränkt, wie die konstante Grösse der
in engen Gläsern gehaltenen Goldfische zeigt.
Über dem Darm und seinen Anhängen und Drüsen liegt die
Schwimmblase, ursprünglich eine Ausstülpung des Darmes, bald
mit dem Anfangsteil desselben durch einen im Alter oft geschlossenen
Kanal verbunden (Physostomi: Siluriden, Cypriniden, Salmoniden,
Hecht, Hundsfisch, Clupeiden, Aal, Stör), bald ohne Ausführungs-
gang (Pereiden, Stichlinge, Aalquappe). Die Schwimmblase fehlt
dem Kaulkopf und den Neunaugen. Sie ist ein häutiger Sack,
prall gefüllt mit einer Gasmischung aus Stickstoff und Sauerstoff in
wechselnden jMengen und etwas Kohlensäure. Diese Gase gelangen
nicht etwa durch den zuweilen \'orhandenen Ausführungsgang in
die Schwimmblase, sondern sie werden von der Innenfläche der-
selben, wo sich oft Anhäufungen feiner Adern, sogenannte Wunder-
netze, finden, ausgeschieden. Man hält die Schwimmblase deshalb
für ein Homologon der Lunge der höheren Wirbeltiere; dem ist
jedoch widersprochen worden, weil sie oberhalb, nicht unterhalb
des Darmkanals wie die Lunge, liegt 47). Auch die Funktion der
Schwimmblase wird verschieden gedeutet. Vielfach hält man sie
für einen hydrostatischen Apparat, der den Körper im Gleichgewicht
erhält und zugleich geeignet ist, durch Kontraktionen das Steigen
und Sinken des Fisches zu regeln. Indessen glaubt Charbonnel-
Salle nachgewiesen zu haben, dass die Druckschwankungen der
Schwimmblase keinen Einfluss auf das spezifische Gewicht des
Fisches und auf sein Auf- und Niedertauchen ausüben*). Ursprünglich
*) Platzt einem Fisch die Schwimmblase und verbreitet sich die nicht mehr unter
Druck stehende Luft derselben in der Leibeshöhle , so kann der aufgeblähte Fisch nicht
mehr die Oberfläche verlassen und schwimmt auf dem Rücken. Diese Erfahrung spricht
gegen Charbonnel-Salles Ansicht.
\Q2 ^^^ deutschen Süsswasserfische u'hd ihre Lebensverhältnisse.
war sie vielleicht ein Sauerstoffreservoir (nach Biot48] hat man bei
Tiefenfischen bis 8 7 0^0 Sauerstoff in der Schwimmblasenluft ge-
funden). Sie steht mit dem Hörorgan in Verbindung und wird
wohl auch andere Druckwirkungen als die Schallwellen zur Em-
pfindung bringen helfen.
Neben den Organen des Darmtractus liegen in der Bauch-
höhle die Fortpflanzungsorgane der Fische, deren Produkte bei
den männlichen Fischen als Milch, bei den weiblichen als Rogen
bezeichnet werden. Danach heissen die Männchen auch Milchner,
die Weibchen Rogner. Unsere Fische sind sämtlich getrennten
Geschlechtes; nur bei einzelnen Individuen ist, wie in allen Tier-
klassen, gelegentlich Hermaphroditismus nachgewiesen.
Die Männchen sind bei den Fischen oft kleineres) und häufig
seltener als die Weibchen. Unter den Steinbeissern hat man sogar
nur 10 0/0 Männchen gefunden so).
Das Geschlecht ist bei manchen Fischen, besonders ziu- Laich-
zeit, auch äusserlich durch die Beschaffenheit der Geschlechtsteile
oder durch sekundäre Geschlechtsmerkmale erkennbar. Die weib-
lichen Fische zeigen in der Laichzeit einen durch die reifen Eier
gewölbten Bauch, während die Männchen schlank bleiben. Die
Geschlechtsöffnung, welche hinter dem After liegt, befindet sich
beim Weibchen oft an der Spitze einer kegelförmigen Erhöhung,
die in der Laichzeit gerötet ist und beim Bitterling zu einer 3 — 4 cm
langen Legeröhre auswächst. Unsere einheimischen Süsswasserfische
sind sämtlich ovipar, d. h. die Weibchen legen Eier ab ; die Eier werden
erst nach dem Austreten befruchtet. Da eine innere Befruchtung
der Eier anscheinend nie erfolgt, so fehlen den Männchen besondere
Organe für die innere Begattung, ihre Geschlechtsöffnung liegt meist
in der Tiefe einer flachen Rinne. Sekundäre Geschlechtscharaktere
finden sich namentlich als lebhafte , Färbung bei den Männchen
vieler Fischarten, meist nur in der Brunstzeit. So glänzen nament-
lich die Männchen der Stichlinge und der Bitterlinge während der
Laichzeit in bunten Farben. Bei anderen Fischen werden die immer
vorhandenen Farben des Körpers und der Flossen lebhafter. Bei
den meisten Cypriniden tritt an den Männchen in der Laichzeit
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. 183
•
au den Seiten und teilweise auch am Kopfe auf jeder Schuppe ein
weisses hartes Höckerchen auf, das aus Oberhautzellen besteht und
nach der Laichzeit wieder \erschwindet. Bei den Coregonen finden
sich ähnliche Hautwarzen zur Laichzeit bei beiden Geschlechtem
als Brunstmerkmale. Beim männlichen Schleih ist der zweite Strahl
der Bauchflossen stark verbreitert, verdickt und gekrümmt, gleich-
zeitig ist das Stützskelett dieser Flossen etwas verstärkt. Eine ähn-
liche Abweichung findet sich bei den männlichen Steinbeissern am
zweiten Strahl der Brustflossen.
Die Geschlechtsreife der weiblichen Fische tritt in der Regel
im dritten Jahre ein, seltener später oder schon im zweiten Jahre.
Die Männchen werden oft schon im zweiten Jahre laichreif. Manche
Lidividuen (bei den Cypriniden, Lachsen, Forellen, Stören, Aalen)
bleiben ganz unfruchtbar. Da diese Exemplare besonders fett und
wohlschmeckend sind, so hat man die Fische auch, und zwar mit
dem gewünschten Zuchterfolge, kastriert.
Die Neunaugen machen nach ihrem Ausschlüpfen aus dem
Ei noch eine lange dauernde Metamorphose durch -lo). Die Larven,
Querder (früher für eine besondere Art, Ammocoetes branchialis,
gehalten) sind blind und leben im Grunde der Bäche. Gegen den
Herbst des vierten oder fünften Jahres beginnt die Verwandlung in
die Form der erwachsenen Neunaugen, nach deren Ausbildung die
Flussneunaugen, etwa 20 cm lang, in die See hina;bwandern, von
wo sie nach mehreren Jahren laichreif zurückkehren, während die
Bachneunaugen ihre Laichreife in ihren Heimatsbächen erreichen
können. Die Neunaugen laichen nur einmal in ihrem Leben, nach
dem Laichen sterben sie ab.
Bei den Stören und den meisten Knochenfischen sind die
Eierstöcke und Hoden 40) paarig vorhanden, bei den Pereiden und
Acanthopsiden einfach. Die Hoden besitzen besondere Ausführungs-
gänge, welche sich vereinigen und gemeinsam mit den Harnleitern
hinter dem After münden. Auch die Eierstöcke besitzen meist
Ausführungsgänge, welche nach ihrer Vereinigung zwischen dem
After und der dahinter liegenden Hamöffiiung nach aussen münden.
Diese mit Ausführungsgängen versehenen Eierstöcke sind im übrigen
184 -^^^ deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
geschlossene Säcke, in deren Falten die Eier sich entwickeln. Die
Salmoniden, Acanthopsiden und der Aal haben dagegen Eierstöcke,
welche nur gefaltete Platten darstellen, aus denen die Eier nach
ihrer Reife in die Bauchhöhle fallen. Aus dieser treten sie durch
eine besondere Öffnung, welche die gewöhnliche Lage hat, ins Freie.
Bei den Salmoniden finden sich beiderseits vom After offene oder
nur durch Rudimente angedeutete sogenannte Abdominalporen,
durch welche die Bauchhöhle nach aussen mündet. Huxley^i)
hält diese Poren, ebenso wie ähnlich gelegene Spalten in der Leibes-
w^and beim Stör, für rudimentäre Eileiter, während W e b e r 52) sie
für rudimentäre Segmentalgänge erklärt (also den Mündungen der
Segmentalorgane der Anneliden entsprechend). Anderer Art als
diese Mündungen der Bauchhöhle sind die Öffnungen, welche beim
Wels hinter den Brustflossen sich finden und nicht in die Bauch-
höhle, sondern in Taschen, die in der Haut liegen, münden.
Auch über die Bedeutung dieser Öffnungen weiss man nichts
Gewisses.
Die Samenfäden der Fische bestehen aus einem meist rund-
lichen Köpfchen, welches den Kern enthält, und einer fädlichen
Geissei von etwa o.os ;;/;// Länge. Die Eier der einheimischen
Fische sind fast kugelig und mit mehreren Hautschichten um-
schlossen, welche von zahlreichen Poren durchsetzt sind. An einer
Stelle findet sich eine etwas vertieft gelegene Verdünnung der Ei-
häute, die Mikropyle, durch welche in der Regel der Samenfaden
in das Ei tritt. Die Eier der Salmoniden-Arten sind verhältnis-
mässig gross, das Lachsei hat 5 — 7 mm Durchmesser. Die übrigen
Fischeier haben nur i — 3 mm Durchmesser.
Die Ablage und Befruchtung dei' Eier findet an dem Orte
statt, wo die Eier die ihnen zusagenden Entwickelungsbedingungen
finden. Die meisten Eier werden klebend, sobald sie in das Wasser
kommen, indem die äusserste Schicht der äusseren Eihaut, der
Zona radiata, entweder gleichmässig aufquillt oder beim Quellen in
Zotten oder Fäden zerreisst53). Auf diese Weise kleben die Eier
an den Gegenständen fest, auf die sie fallen, namentlich Pflanzen,
Steine, Baumwurzeln, Kies, je nach der Örtlichkeit, die die Fische
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. 285
zum Laichen aufsuchen. Die Hechte, die am frühsten im Jahr
laichen, legen ihren Laich auf dem Grase überschwemmter Wiesen
ab, die Cypriniden, die sich auf den Laichplätzen in Scharen
zusammenfinden, meist auf Wasserpflanzen, andere auf Kiesbänken
im strömenden Wasser oder am Abhang des Ufergrundes der Seen.
Die Coregonen lassen ihre Eier entweder in die Wassertiefe sinken
oder sie streuen sie an die auf Mergelboden wachsenden Armleuchter-
gewächse, auf Ceratophyllum oder ähnliche starre Wasserpflanzen.
Häufig tritt bei manchen Arten nach dem Laichen eine starke
Sterblichkeit ein, z. B. bei den INIaifischen.
Besondere Eigentümlichkeiten in ihren Laichverhältnissen zeigen
einige Fischarten, welche teils im ]Meer, teils im Süsswasser leben.
Dahin gehört namentlich der Aal 54). Die Eierstöcke dieses Fisches
wurden zuerst von Mondini 55) entdeckt, später von Rathke-ii)
von Neuem aufgefunden. Es sind zwei weisse, gekräuselte Bänder,
die sogenannten Manchettenorgane , welche zu beiden Seiten der
Schwimmblase von vorn bis hinten sich erstrecken. Betrachtet man
ein Stückchen dieser Bänder tmter dem Mikroskop (bei 50 — 100-
facher Vergrösserung), so sieht man ausser vielen ungleich grossen
Fettzellen die durchsichtigen runden Eier, jedes mit einem „Keim-
bläschen"' (dem Kern) im Innern. Diese Eier sin^ zu mehreren
Millionen in einem weiblichen Aal enthalten, werden aber im Süss-
wasser nicht grösser als etwa 1/4 — ^/z mm im Durchmesser. Da
man männliche Individuen unter den Aalen lange Zeit nicht fand,
so hielt man die Aale für Zwitter. Man glaubte auch die Hoden
in Fettwulsten neben dem Ovar gefunden zu haben. Erst Syrski56)
fand 1874, dass beim Aal die Geschlechter getrennt sind, indem
er in den männlichen Aalen die Hoden (Lappenorgane) nachwies.
Man weiss nun, dass die Aale in den süssen Gewässern meist
Weibchen sind, dass dieselben im fünften oder sechsten Lebens-
jahre in die See wandern, dass sie im Brackwasser die Männchen
finden und dass die ausgewachsenen Individuen beider Geschlechter
sodann in der Tiefe des Meeres verschwinden, ohne wiederzukehren.
Darüber hinaus ist unsere Kenntnis von der Fortpflanzung der Aale
noch nicht gekommen. Ein Versuch, erwachsene Aale in grossen
286 -^^^ deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
Fischkästen in der Ostsee laiclireif werden zti lassen, führte auch
zu keinem Resultat 57). Man nimmt daher an, dass die Aale in
der Tiefe des Meeres*) (die der Ostsee in der Nordsee) ähnlich
den übrigen Fischen den Laich ablegen und befruchten, und zwar
im Winter, und dass sie dann absterben. Im Frühjahr kommen
im März oder April die jungen Aale in ungeheuren Massen als
fingerlange, schlanke, durchsichtige Tierchen an die Küsten, und
ziehen an diesen entlang in die Ströme und bis in deren kleinste
Nebenwässer. Sie wandern immer gegen die Strömung und nur
nachts, besonders bei warmem Wetter; am Tage halten sie sich
an ruhigen Stellen, zwischen Kies, unter Steinen, im Kraut auf.
Sie wachsen während ihrer Wanderung. Kommen sie an Mühlen-
wehre oder andere Stauwerke, so suchen sie an schadhaften Stellen,
an denen ein wenig Wasser herabrieselt, aufzusteigen. Ihre Idebrige
Oberhaut und ihr gelenkiger, dünner Körper begünstigt diese
Kletterversuche, so dass ein Teil von ihnen in der Regel die nicht
zu hohen und nicht ganz festgeschlossenen Stauwerke zu über-
winden vermag. Erst die kalte Jahreszeit scheint ihren Wanderungen
ein Ziel zu setzen, doch hat man noch bei ein- und zweijährigen
Aalen Wanderungen gegen das strömende Wasser beobachtet.
Ein anderer interessanter Wanderfisch ist der Lachs. Im.
allgemeinen bewohnt er das IMeer und steigt aus diesem in das
Süsswasser auf, um hier laichreif zu werden. Ausnahmsweise hat
man gefunden, dass Lachse auch im Meere laichreif geworden
sind 59). Anderseits haben Fritschco) und Metzger 6i) beob-
achtet, dass Lachsmilchner, ohne das Süsswasser verlassen zu haben,
schon im zweiten Herbst ihres Lebens laichreif geworden sind und
die Eier der in ihre Wohnbäche aufgestiegenen Lachsrogner
befruchtet haben. Doch sind beide Fälle vermutlich nur Ausnahmen.
Die Zeit des Eintritts in die Stromsysteme ist sehr verschieden.
In das kurische HafF (Memel) geht der Lachs im Mai, in die in
der Nähe der Weichsel in die Danziger Bucht mündende Rheda
steigt er am stärksten im Juli auf, während er in die Weichsel
*) Fritsch nimmt an, dass die Laichstellen in der Gegend von Süsswasserquellen
Hegen, aus welchem Grunde, ist leider nicht gesagt'^).
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. ^37
selbst fast ausschliesslich im Herbst eintritt. In der untern Oder
findet sich der Lachs im August und September. Im Rheines)
unterscheidet man nach der Zeit ihres Auftretens und nach ihrem
Körperzustande den St. Jakobsalm, der in Holland um Jakobi
(25. Juli) in den Rhein tritt und etwa 1^/2 k schwer und 40 — 50 an
lang ist, und den Wintersalm, der viel grösser und schwerer ist und
um Mitte September in Holland erscheint.
Die Geschlechtsorgane sind beim Eintritt in das Süsswasser
noch wenig entwickelt, der Eidurchmesser etwa 0.5 mm gross, das
Gewicht der Geschlechtsorgane beträgt kaum 0-5 "/o des Körper-
gewichts, während dieselben im reifen Zustande fast ein Viertel des
Körpergewichtes ausmachen. Im Süsswasser entwickeln sie sich
allmählich und zwar ausschliesslich auf Kosten der Rumpfmuskulatur,
welche nicht nur verhältnismässig ärmer an Fett und Eiweissstoffen
wird, sondern auch an absolutem Gewicht stark abnimmt, weil der
Lachs im Süsswasser keine Nahrung aufnimmt 63) ^ sondern ganz
auf Kosten seiner im JNIeere gut genährten Organe sein Leben
fristet. Das Fleisch der im Süsswasser sich so entwickelnden Fische
wird daher immer schlechter und verliert seine rote Farbe. Gleich-
zeitig treten sekundäre Geschlechtscharaktere auf Die Haut ver-
dickt sich namentlich am Kopfe und Rücken schwartenartig und
wird dunkler, die INIännchen bekommen rote Flecken an den Seiten,
namentlich auf den Kiemendeckeln, an der Spitze ihres Unterkiefers
entwickelt sich ein knorpeliger Haken, der bei grösseren Tieren so
stark wird, dass er das Schliessen des INIaules hindert. Endlich,
bei den im Herbst ins Süsswasser gelangten Fischen, meist erst
im Herbst des folgenden Jahres, tritt die völlige Laichreife ein. Die
Fische suchen nun, wie Fritsche-*) schildert, die seichten Stellen
der Bäche auf, am liebsten oberhalb stärkerer Strömungen, dort
wo das Wasser sich zu brechen anfängt. Hier wirft das Weibchen
durch Schwanzbewegungen die Kiesel des Bachgrundes zur Seite
und stellt dadurch eine seichte Grube her, die Laichgrube. Nach
einiger Zeit stellen sich bei der Laichgrube täglich morgens und
abends das Weibchen und ein oder mehrere Männchen ein. Sie
liegen oft still in den Laichgruben, so dicht neben einander, dass
Igg Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
man Männchen und Weibchen mit dem (gabelförmigen) Fischspeer
zugleich spiessen kann. Beim Laichgeschäft streicht das Weibchen,
indem es den Bauch auf dem Grunde der Grube reibt, die Eier
ab; das Männchen steht etwa i m stromaufwärts und lässt die
Milch in das Wasser, die Milch strömt zu den Eiern und bewirkt
die Befruchtung. So setzen sie es mehrere Wochen lang fort, wenn
sie nicht gestört werden.
Nach dem Laichen, in Böhmen beim Fallen des ersten Schnees,
verschwindet der Laichlachs. Er ist dann ganz abgemagert, mit
schlaffem Körper, und völlig kraftlos und wird, wenn er nicht
abstirbt, von der Strömung abwärts zum INIeere getragen. Nach
Miescher kommt der männliche Lachs in der Regel zwei- bis
dreimal in mehrjährigen Zwischenräumen, der weibliche ein- bis
zweimal zur Laiche in den Rhein. Unter den kleinen Jakobsalmen
sind wenige Weibchen zu finden; man schliesst daraus, dass die
Weibchen oft erst später reif werden, als die Männchen.
Die aus den Eiern schlüpfenden Lachse werden als Salmlinge
bezeichnet. Sie halten sich in der Regel nur bis zum nächsten
Hochwasser in dem Bach, in dem sie geboren sind, auf, und gehen
mit dem Hochwasser als etwa handlange Fische in das Meer hinab.
So lange sie in den Bächen bleiben, leben sie hier ähnlich wie die
verwandten Salmoarten, sind aber nicht so lichtscheu, wie die Forellen,
sondern stehen gern im fliessenden Wasser gegen die Strömung
gerichtet.
Die Forellen haben ähnliche Laichverhältnisse wie die Lachse.
Die Meerforellen u^d Seeforellen wandern zur Laichzeit strom-
aufwärts, letztere gegebenen Falles auch stromabwärts, um in
geeigneten Bächen auf Kies- oder Sandgrund zu laichen.
Alle einheimischen Salmoniden mit Ausnahme des Stint, des
Huchen und der Aesche, laichen im Herbst oder Winter, und die
Jungen schlüpfen erst im Beginn des Frühjahres aus den Eiern.
Diese bleiben also monatelang unausgebrütet , ohne jeden Schutz,
der Vernichtung durch zahlreiche tierische Feinde, durch Wasser-
schimmel, durch die Abwässer der Fabriken ausgesetzt.
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. 189
Um diese als Delikatesse gesuchten Edelfische nun vor der
Ausrottung zu bewahren, hat man sich in grossem Masstabe und
mit viel Erfolg eines Hilfsmittels bedient, welches ihnen den Kampf
ums Dasein mit den übrigen Wassertieren erheblich erleichtert, der
sogenannten künstlichen Fischzucht 65), durch welche nicht nur die
Vermehrung der Salmoniden in den deutschen Seen, Flüssen und
Meeren, sondern auch die vieler anderer Fische in stehenden und
fliessenden Gewässern, sowie die Übertragung von Fischarten in
neue, von ihnen nicht bewohnte Gewässer in zahlreichen Fällen
erzielt ist.
Unter „künstlicher Fischzucht" versteht man zunächst die
Befruchtung und Erbrütung von Fischeiem unter Zuthun des
Menschen. Ein Detmolder Landwirt, Jakobi, erfand diese Methode
in der Glitte des ^•origen Jahrhunderts, doch wurde sie wegen der
mühsamen Bedienung des im Bache stehenden Brutkastens selten
angewendet. In Norwegen, Russland, namentlich aber in Frankreich
wurden später ähnliche Verfahren entdeckt. Professor Coste in
Paris interessierte sich dafür, und auf seine Veranlassung wurde
1852 von der französischen Regierung die Brutanstalt in Hüningen
bei St. Ludwig im Elsass gegründet, welche 1871 vom Deutschen
Reiche übernommen wurde. Von Deutschen ist zuerst in INIünchen
ein Bruthaus für künstliche Fischerbrütung angelegt. Inzwischen
ist die Methode besonders in Amerika, in neuerer Zeit auch in
Deutschland weitergebildet und sehr vervollkommnet worden 66)^
und jetzt zählen die Anstalten für künstliche Fischzucht in Deutsch-
land nach hunderten.
Zur künstlichen Befruchtung werden die Eier des reifen
Weibchens, welche lose im Ovar, bezw. in der Bauchhöhle liegen,
durch gelindes Streichen herausgedrückt und in einer Schale auf-
gefangen, eine kleine Menge Samen, welcher in gleicher Weise aus
den Hoden eines Männchens herausgestrichen ist, wird auf die
Eier gebracht und durch vorsichtiges Umrühren zwischen die Eier
verteilt, Wasser hinzugegossen und dann die Schale mit ihrem
Inhalt für kurze Zeit sich selbst überlassen. Die Samenfäden fangen
ihre Schwärm- und Bohrbewegungen an, sobald sie mit dem Wasser
\f)Q Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
in Berührung kommen. Die Eier vieler Fische schwellen durch
Wasseraufnahme auf und saugen dabei gewissermassen die Samen-
fäden in sich ein. Auf diese Weise werden alle reifen Eier, die
sich in der Schale befinden, befruchtet (während bei der Laich-
ablage in der freien Natur eine grosse Menge der abgesetzten Eier
unbefruchtet bleibt) und sind dann entwicklungsfähig. Sie können
jetzt sofort in die freien Gewässer gebracht und dort an geeigneten
Stellen, d. h. an solchen, an welchen die Fische ihrer Art laichen würden,
ausgesetzt werden. Allein der Fischlaich ist im Freien unzähligen
Gefahren ausgesetzt. Fast alle AVassertiere, welche ihn bewältigen
können, stellen ihm nach, ungünstige Witterung tötet ihn, Wellen-
schlag wirft ihn auf das Land. Deshalb ist es besser, ihn so lange
als möglich unter Obhut zu behalten, ihn künstlich zu. erbrüten.
Man bringt ihn in Brutapparate. Die Brutapparate sind fast
durchgehends so eingerichtet, dass in ihnen die Eier von fliessendem,
klarem, reinem, aber sauerstoffreichem und gleichmässig kühlem
Wasser bespült werden. In Jakob is Brutkiste lagen sie auf Kies,
die Kiste hatte auf den Schmalseiten Gitter und war so in einen
Bach gestellt, dass das Wasser durch die Gitter über die Eier floss.
Coste legte die Eier auf einen Glasrost, der in einem Gefäss stand.
Solche Gefässe stellte er staffeiförmig über einander, so dass das
Wasser, das in das höchststehende geleitet war, aus diesem in das
nächst tiefere floss etc. Später wandte man Siebe aus Metall oderThon
an. Die Amerikaner scheinen zuerst Drahtgeflechte zur Aufnahme
der Eier angewandt zu haben. Dies ist jetzt die übliche Unter-
lage. Man lässt das Wasser entweder seitlich an den Eiern vorbei-
fliessen, oder man richtet die Apparate so ein, dass das Wasser
von unten her durch die Unterlage und dann durch die Eier^
schichten strömt, wodurch das Wasser am besten ausgenutzt wird.
In anderen Apparaten werden die Eier nicht ruhend, sondern
schwebend ausgebrütet, indem in das kelchförmige oder cylinder-
förmige Brutgefäss ein kräftiger Wasserstrahl von unten her ein-
geleitet wird, welcher die Eier in die Höhe trägt; nach oben hin
verteilt sich der Wasserstrom und verliert an Kraft, die Eier
geraten in das ruhigere Wasser an den Gefässwänden, sinken hier
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse, \Ql
durch ihre Eigenschwere hinab und werden von dem Wasserstrom
unten sofort in erneutem Spiel in die Höhe getrieben 6"). Diese
Apparate sind besonders für kleinere Eier, wie die der Hechte und
Coregonen, geeignet. Sie haben unter anderem den besondem
Vorteil, dass die abgestorbenen Eier, welche etwas leichter werden
als die lebenden, sich von den letzteren absondern und bei etwas
verstärktem Strome von selbst mit dem durchgeleiteten Wasser
abschwimmen können. Man nennt sie deshalb Selbstausleser.
Eine dritte JNIethode ist die Erbrütung in Eisschränken, in
welchen die Eier nur von dem tropfenweise herabrinnenden Schmelz-
wasser des über ihnen anojebrachten Eises feucht und kühl gehalten
werden. Diese Eisbrutschränke dienen auch zum Transport von
Eiern, welche wochenlang unterwegs sein müssen. Man hat in
ihnen die Eier fremder Fischarten über die Ozeane in neue Gebiete,
selbst über den Äquator hinaus, eingeführt, z. B. den Lachs der
nördlichen Hemisphäre in australische Gewässer.
Leider ist die IVIethode der künstlichen Befruchtung und
Erbrütung nur bei einer beschränkten Zahl von Fischarten praktisch
anwendbar. Der erste Mangel, den diese Methode hat, liegt in
der Notwendigkeit, dass die Laichfische in dem gerade zur Be-
fruchtung geeigneten Laichreifestadium zur Hand sein müssen.
Einige Fische können dieses Stadium in der Gefangenschaft erreichen.
Viele andere aber werden, auch kurz \-or der Laichreife eingefangen,
in engen Behältern nicht laichreif. Bei anderen Fischarten (Karpfen,
Bressen, Stör und den meisten anderen Sommerlaichern) quillt, wie
oben erwähnt, die Eihaut bei der Berührung mit Wasser zu einer
klebrigen Substanz auf; diese Eier ballen sich zu zähen Klumpen
zusammen, wenn sie abgestrichen sind, so dass die Zuführung von
Wasser und Sauerstoff zu den im Innern des Klumpens gelegenen
Eiern und dadurch ihre Erbrütung unmöglich gemacht wird. J\Ian
kann diese Eier indessen unmittelbar nach der Befruchtung auf
Wacholder, Moos oder Wasserkräuter vorsichtig in dünner Schicht
verteilen und sie in flachen Körben in stillem, warmem Wasser
ausbrüten lassen; die Jungen schlüpfen dann nach einigen Tagen
aus und gelangen durch die Korböffnungen in das Gewässer, in
;192 Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
dem der Korb steht, worin sie, wenn das Gewässer fischleer ist,
so lange aufwachsen, als sie Nahrung finden.
Die Eier der meisten Salmoniden sind sehr freeiünet zur
künstlichen Erbrütung. Forellen und Lachse werden in Behältern
reif, und ihre Eier sowie die der Coregonen und Aeschen kleben
nur wenig. Gerade diese Salmoniden bedürfen aber auch des
besondern Schutzes in hohem Masse. Ihre Laichzeit fällt, bis auf
die der Aesche, in den Herbst und den Winter, die Entwickelungs-
dauer der Eier ist eine sehr lange, und die Eier sind gross und
oft lebhaft gefärbt. Dabei ist die Zahl der Eier, welche die
Salmoniden produzieren, nicht so bedeutend, wie die vieler im
Sommer laichender Fische. Deshalb ist es nötig, den Laich dieser
Edelfische so gut als möglich zu schützen und ihn künstlich
befruchtet in Bruthäuseni ausschlüpfen zu lassen.
Wie auf die meisten anderen Lebensverhältnisse der Fische,
so ist auch auf die Länge der Entwickelungszeit der Eier die
Wasserwärme von grösstem Einfluss. Je kälter das erbrütende
Wasser ist, um so längere Zeit muss es auf die Eier einwirken,
bevor dieselben ausschlüpfen*). Die Eier vieler Sommerlaicher
vertragen dabei nur schlecht die Kühle und sterben im Freien oft
ab, wenn das Wasser auf die Dauer kalt bleibt. Die Eier der
Salmoniden dagegen vertragen kaltes Wasser sehr gut, am kräftigsten
entwickeln sich die Fische aus Eiern, die in eiskaltem Wasser
gebrütet sind. Man unterscheidet während der Brütung der
Salmoniden-Eier zwei Hauptperioden. Die erste reicht von der
Befruchtung bis zum Sichtbarwerden der schwarzen Augenpupillen
des Embryo, und dauert für Lachse und Forellen bei einer
Durchschnittstemperatur des Wassers von 5 ° C. etwa 3 1/2 Monate ;
die zweite umfasst die Zeit bis zum Ausschlüpfen, sie dauert bei
Lachs und Forelle etwa 2 INIonate bei der angeführten Wasser-
temperatur 68). Die Eier der Coregonen haben eine kürzere Ent-
*) Man muss aus den Resultaten der Untersuchungen von Barfurt h (Jahresbericlit
des Rheinischen Fischereivereins i888) allerdings schliessen , dass die Entwickelungsdauer
der Salmoniden nicht genau in dem Verhältnis verkürzt wird, in welchem man die Wasser-
temperatur erhöht, dass vielmehr die Eier in wärmerem Wasser mehr Wärme verbrauchen
als in kälterem Wasser.
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. 2^93
wickelungsdauer. In der zweiten Entwickelungsperiode sind alle
Salmoniden-Eier ziemlich widerstandsfähig; sie können dann, kühl-
gehalten, auf weiche Unterlage gebettet und mit dieser fest ver-
packt, weithin versandt werden und wochenlange, im Eisschranke
sogar monatelange Reisen überdauern. Nach dem Ausschlüpfen
schwärmen die jungen Coregonen wie die Brut der meisten anderen
Fische sogleich frei umher, obwohl die Brustflossen noch gar nicht
und die Bauchflossen erst als Stummel entwickelt sind. Die Brut
der Forellen und Lachse dagegen ist mit einem grossen Dotter-
säckchen beschwert, das ihr am Bauche hängt und bei den Schwimm-
bewegungen anfangs hinderlich ist, weshalb diese Tierchen in den
ersten Wochen, ohne sich viel zu bewegen, am Boden der Brut-
gefässe liegen. Erst wenn der Dottervorrat eingesogen ist, haben
auch sie freie Beweglichkeit erlangt. Dann ist es Zeit, sie in die
freien Gewässer zu bringen.
Die Erfolge, welche bis jetzt durch die künstliche Fischzucht
erzielt sind, sind recht erhebliche. Zunächst ist mit ihrer Hilfe
der Bestand an Lachsen nachweisbar vermehrt worden. Der
Lachs hat seines hohen Preises wegen und weil er verhältnis-
mässig sicher zu fangen ist, grosse Bedeutung für die Fischerei,
und zwar sowohl für die Binnenfischerei als auch für die INIeeres-
fischerei (wenigstens in der Ostsee). Seit 1879 ^^.t sich nach der
holländischen Verkaufsstatistik 69) der Ertrag des Lachsfanges in den
Rheinmündungen etwa verdoppelt, und diese günstige Änderung
wird mit Recht auf die Aussetzung zahlreicher Brutmengen in die
Nebenbäche des Rheins zurückgeführt. Ebenso ist der Lachs-
bestand in der Ems und der Weser, in deneia er sehr zurück-
gegangen war, allem Anschein nach wieder durch Bruteinsetzmigen
gehoben worden. In der Elbe ist der Lachsbestand besonders
durch künstliche Lachszucht in Böhmen vermehrt worden. Im
Odergebiet liegen die Laichplätze der Lachse in einigen Neben-
flüsschen der Netze, der Drage und der Küddow, wahrscheinlich,
weil den Lachsen der Zutritt zu den Quellgebieten der Oder in
Schlesien durch die grossen Wehre bei Breslau seit langen Zeiten
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 13
19J: ^^^ deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
abgeschnitten ist, und an diesen Wehren leider noch keine Fischwege
angebracht sind. In der Weichselmündung hat sich der Lachs-
fang infolge der Brutaussetzung in Galizien und Westpreussen
ebenfalls deutlich vermehrt.
Ein dem Lachs nach Körperform, Grösse und Lebensweise
sehr ähnlicher Fisch ist die Meerforelle. Auch mit ihr sind
durch künstliche Fischzucht, namentlich in den holsteinischen Auen,
vorzügliche Resultate erzielt worden.
Die stärkste Vermehrung durch künstliche Fischzucht dürfte
der Bachforelle zu teil werden, von der alljährlich mehrere
Millionen künstlich erbrüteter Jungfische zur Besetzung von Zucht-
bächen und Teichen benutzt werden, um als 2 — 3jährige Fische
zum Verbrauch ausgefischt zu werden.
Wie oben auseinandergesetzt ist, gelingt es nicht bei allen
Fischen, den Laich zur künstlichen Erbrütung zu verwenden. Wo
dies unbequem oder unmöglich ist, ist man für die geschützte
Vermehrung der Fische darauf angewiesen, die Fische das Laich-
geschäft auf natürliche Weise in ablassbaren Bassins, Teichen oder
ähnlichen Behältern, deren Inhalt man in seiner Gewalt hat, voll-
ziehen zu lassen und die gewonnene Fischbrut in geeignetem Alter
wie die durch künstliche Erbrütung gewonnene zu verwenden. Die
Teichzucht gehört deshalb auch zur künstlichen Fischzucht, und
um so mehr, als die künstlich erbrüteten Fische zweckmässiger-
weise zuerst einen Sommer über in einem Teich oder einem ab-
lassbaren Graben gezogen und erst, wenn sie hier zu kräftigen
Fischchen herangewachsen sind, in die freien Gewässer übertragen
werden.
Besonders häufig wird der Karpfen in Teichen gezogen 'O).
Am geeignetsten für die Karpfenzucht sind flache Teiche. Da
aber die Karpfen in diesen im Winter unter dem Eise leicht
ersticken, so nimmt man sie im Herbst aus solchen Teichen in
der Regel heraus und bringt sie in kleine, tiefe, durchströmte
Teiche (Winterheller). Da eine gleiche Zahl Karpfen je nach ihrem
Alter und ihrer Grösse mehr oder minder grosse Teichflächen
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. J95
beansprucht, so setzt man die einzelnen Jahrgänge in besondere
Teiche zusammen, deren Grösse ihrem Nahrungsbedürfnis entspricht.
Die für das Ablaichen und die erste Entwickelung der Brut
bestimmten Teiche heissen Streichteiche. Aus ihnen überträgt man
die Jungen in die sogenannten Streckteiche, wo sie i — 2 Jahre
aufwachsen, bis sie zur Erreichung der Grösse, in der sie verkauft
werden (meist i — ^1^/4 Kilo schwer), in die sogenannten Abwachs-
teiche kommen, in denen man ihnen meist kleine Raubfische
(Hechte, Zander, _ Forellen) beigiebt, damit die etwa von frühreifen
Karpfen erzeugte Brut sogleich beseitigt wird und nicht den zum
Auswachsen bestimmten Karpfen das Futter schmälert. ÜNIan nirnmt
an, dass die Fische um so wohlschmeckender sind, je rascher sie
gewachsen sind. Aus diesem Gnmde und weil ein rasches Wachs-
tum, ein mödichst gründliches Ausnützen des vorhandenen Futters
für den Züchter offenbar von Vorteil ist, bemüht man sich,
möglichst schnellwüchsige Karpfen zur Zucht zu nehmen. Man
erreicht dies einerseits dadurch, dass man nur die am besten
gewachsenen unter den zur Laichreife gelangten Karpfen in die
Streichteiche nimmt, anderseits, indem man die Karpfenbrut schon
im ersten Sommer ihres Lebens durch reichliche Nahrung und
Schutz vor Feinden zu kräftigen Tieren erzieht. Ein Verfahren,
um dies zu erreichen, ist von dem schlesischen Fischzüchter
Dubisch erfunden. Man nimmt danach die Karpfenbrut schon
acht Tage nach ihrem Ausschlüpfen mit Gazenetzen aus dem Teich
und bringt sie in andere Teiche, so dass etwa 2 5 000 auf den Hektar
Teichfläche kommen. Schon nach vier Wochen fängt man sie
abermals heraus und überträgt sie in andere Teiche, so dass nur
1000 Stück im Hektar enthalten sind. Im zweiten Frühjahr bringt
man sie in eine dritte Klasse von Streckteichen, in welchen
nur 500 im Hektar sich befinden. Endlich im dritten Frühjahr
bringt man sie in Abwachsteiche und setzt in diesen auf den
Hektar 200 Karpfen. Man erzielt auf diese Weise pro Hektar
Teichfläche etwa 120 Karpfen von etwas über i Kilo Schwere,
was einem jährlichen Ertrag von etwa 162 Mark aus jedem
Hektar entspricht.
13*
]^9(3 Die deutschen Süsswasseriische und ihre Lebensverhältnisse.
Mit Hilfe der künstlichen Erbrütung von Eiern und der durch
das Dubisch -Verfahren vervollkommneten Teichwirtschaft hat man
auch eine Anzahl ausländischer Fischarten in Deutschland ein-
geführt, die man zwar noch nicht gut als der deutschen Fauna
angehörig betrachten kann, die aber teilweise doch einmal eine
Rolle in unserer Tierwelt werden spielen können.
Man sollte bezüglich der Einführung neuer Fischarten sein
Augenmerk zunächst auf die Gegend wenden, von wo die meisten
unserer einheimischen Fischarten herstammen, nach Osteuropa und
Nordasien, da die Fische dieser Gegenden sich ohne Zweifel in
ähnlichen Lebensverhältnissen befinden, wie unsere einheimischen.
Man hat aus dieser Gegend den Sterlett in die norddeutschen
Ströme einzuführen versucht; leider sind die Fische bezw. Eier auf
dem Transport meist zu Grunde gegangen, wahrscheinlich nur infolge
von Zufälligkeiten.
Am leichtesten gelingt der Transport der sich langsam ent-
wickelnden Eier der Salmoniden. INIan hat in dieser Form nicht
nur europäische Lachse und Forellen nach Tasmanien und Neu-
seeland''i), Forellen und Maränen"2) nach Amerika gebracht, sondern
auch eine ganze Anzahl von Salmoniden Amerikas in Deutschland
eingeführtes). Von diesen sind der Bachsaibling (Sahno fontinalis
Gemminger) aus den Bächen Nordamerikas und die Regenbogen-
forelle (Sahno irideus , Livingston Stone) aus dem Höhenlande
Kaliforniens weit verbreitet und, der erstere in rasch fliessenden
Bächen, die selbst der Forelle zu reissend sind, die letztere auch
in Teichen, vortrefflich gediehen. Auch einige amerikanische
Sommerlaicher sind durch die Bemühungen des Fischzüchters
M. von dem Borne in Deutschland verbreitet. Es sind dies der
Schwarzbarsch (Grystes nigricans Günther) und der Forellen-
barsch (Grystes salmoides Gü.), zwei Fische der Barben- und
Bleiregion, denen ein vorzüglich feines Fleisch zugeschrieben wird
und die bezüglich ihrer Lebensbedingungen, wenigstens was
die Reinheit des Wassers betrifft, anspruchsloser als die feineren
einheimischen Tafelfische sind'*), — ferner, erst neuerdings ein-
geführt, der Steinbarsch, Centrar chus aeneus C, aus dem
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. 197
Mississippi '5), und der Zwergwels, Aniiitrus catus Jord. u. Gilb.,
aus den flacheren Gewässern dieses Gebietes '^).
Auch innerhalb unseres Gebietes haben mehrere Fischarten
mit Hilfe der Fischzucht oder der aus derselben gezogenen Er-
fahrungen eine weitere Verbreitung erhalten, als ihnen von Natur
zukommt. Dahin gehört der Karpfen, der seit alter Zeit in ganz
Deutschland gezüchtet wird, und der Zander, welcher in die
Gebiete des Rheins, der Ems und der Weser, sowie in zahl-
reiche norddeutsche Seen, in denen er bisher fehlte, künstlich
eingeführt ist.
Vorzügliche Resultate sind mit der Verbreitung der Aalbrut
erreicht worden, die in den Mündungen des Po und der Flüsse
der französischen Ozeanküste in INIenge gefangen wird. Direktor
Haack bringt jährlich grosse Massen davon nach Hüningen, von
wo die jungen Tiere in feuchtes Kraut verpackt bequem mit der
Post versendet werden. Zahlreiche Gewässer, welche die Aalbrut
auf ihrer Wanderung nicht aufsuchen kann, sind auf diese Weise
mit Aalen bevölkert worden. Auch ist ein gross angelegter Versuch
gemacht worden, das Donaugebiet, das wie alle Flussgebiete des
Schwarzen JNIeeres den Aal bisher nicht besass, mit diesem Fisch
zu besetzen. Zahlreiche junge Aale sind in dem oberen Donau-
gebiet ausgesetzt worden und die Tiere wuchsen dort gut auf. Der
grösste Teil der eingesetzten Brut bestand indessen aus Weibchen.
Um die Fortpflanzung zu sichern, wurde daher eine grosse Zahl
erwachsener Aalmännchen aus der Nordsee in das Schwarze Lleer
gebracht. Man hoff't dadurch den Fortbestand der Aale im Gebiete
des Schwarzen Meeres gesichert zu haben.
Auf die Entwickelung der Fische im Ei kann hier des Raum-
mangels wegen nicht eingegangen werden '").
Einige Fische behüten ihre Eier und Jungen eifrig ^•or den
Nachstellungen der Feinde, so der Zander, der Schwarzbarsch, der
Stichling, der die Eier in ein Nest aus Pflanzen legt, das mit aus
den Harnkanälen stammenden Schleimfäden 'S) befestigt ist, der
Kaulkopf, der ebenfalls ein Nest im Bachgrunde bereitet, und zwar
J^98 ^^^ deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
sind es meist die Männchen, welche Wache halten und selbst die
Weibchen den abgelegten Eiern nicht nahekommen lassen. Der
weibliche Bitterling legt seine Eier mit Hilfe seiner langen Lege-
röhre in die Kiemenräume der Teichmuscheln (Unioniden), wo sie
bis zum Ausschlüpfen geschützt bleiben (während anderseits die
Teichmuscheln bekanntlich ihre Larvenzeit als Hautparasiten der
Fische und anderer Wasserwirbeltiere zubringen).
Werden die Fische an der Laichablage verhindert, so
werden die Geschlechtsprodukte resorbiert, oft unter Krankheits-
erscheinungen ^9).
Wenige Worte seien noch dem Nervensystem und den Sinnes-
organen der Fische gewidmet.
Das Gehirn 80) Hegt in der Schädelkapsel unter einer dicken
Fetthülle, es ist im Verhältnis zur Körpermasse und zu den übrigen
Teilen des Nervensystems klein. Auffallend ist, dass für das Gross-
hirn, an welches bei den höheren Wirbeltieren Bewusstsein und
Wille gebunden erscheinen, bei dem Fisch noch gar keine bestimmte
Funktion hat nachgewiesen werden können 8i). Döbeln, deren
Grosshirn herausgenommen war, zeigten in keiner Weise eine Ab-
weichung ihrer Lebensthätigkeiten.
Das Auge 82) wird von der Körperhaut überzogen, welche an
dieser Stelle völlig durchsichtig ist. Die darunter liegende Horn-
haut (Cornea) ist sehr flach, die Linse dagegen fast kugelrund. Die
Fische gelten deshalb für kurzsichtig; für den Hecht ist eine Seh-
weite von etwa 65 cm na<:hgewiesen worden 83). Die Regenbogenhaut
(Irt's) ist metallglänzend infolge der Einlagerung von Glanzkörper-
chen, wie sie auch sonst den Glanz der Fische verursachen. Übrigens
ist die Regenbogenhaut nicht kontraktil, wie bei den höheren Wirbel-
tieren. Eigentümliche Bildungen des Fischauges sind die sogenannte
Glandula chorioidea, ein in der Nähe des Eintritts des Sehnervs
liegender, an Blutgefässcapillaren reicher Körper, und eine zweite
Falte der Gefässhaut (Chorioidea) des Auges, welche die Nerven-
haut (Retina) des Auges durchsetzt und an der Linse mit einer
Verdickung, der Campanula Halleri, endet.
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. 199
Das Hörorgan der Fische S4) liegt seitlich vom Gehirn im
Grunde des Schädels in der Nähe des Hinterendes desselben, oft
in einer besonderen Ausbuchtmig des Schädels: Ein äusseres Ohr
kommt bei den Fischen nicht vor. Das Hörorgan besteht aus
mehreren häutigen Teilen, nämlich dem Säckchen (Sacculus), das
eine Ausstülpung zeigt, die der Schnecke der höheren Wirbeltiere
entspricht und einen oder mehrere Gehörsteine (Otolithen) von
zahnschmelzartiger Substanz enthält, und dem Utriculus oder 'Alveus
communis, an welchem sich bei den Neunaugen zwei, bei den
übrigen Fischen drei „halbzirkelförmige Kanäle" befinden, die zu-
weilen in Erweiterungen ebenfalls Otolithen enthalten. Im Sacculus
endigen die Nervenfasern des Hörnervs in Sinneszellen, welche am
äusseren Ende je eine kleine starre Borste tragen. Ähnliche in
Haare ausgehende Sinneszellen finden sich auch in den sogenannten
Seitenorganen. An den Seiten der Fische, mit Ausnahme der
Neunaugen, findet sich nämlich eine Reihe von Poren, welche die
Schuppen durchsetzen und die „Seitenlinie" bilden. Sie führen in
Kanäle, welche unter der Haut liegen. In diesen Kanälen Sö) Hegen
im Grunde von Vertiefungen kleine Erhebungen, welche aus eben-
solchen Sinneszellen bestehen, wie sie sich in dem Cortischen Organ
des Hörapparates finden. Man nimmt daher an, dass diese Organe,
welche keinem der Sinne der höheren Wirbeltiere entsprechen, eine
ähnliche Funktion haben wie das Hörorgan, indem die Seitenorgane
zwar nicht die kurzen, rasch verlaufenden Schallwellen, aber andere
Druckwirkungen, wie die Bewegungen anderer Körper im Wasser,
empfinden sollen.
Schon bei Erwähnung der Schwimmblase ist hervorgehoben
worden, dass diese mit Luft prall gefüllte Blase bei den meisten
unserer Fische mit dem Gehörorgan in Verbindung steht. Diese
Verbindung wird bei den Pereiden und Clupeiden dadurch her-
gestellt, dass Verlängerungen der Schwimmblase dicht an den
Utriculus herantreten, bei den Cypriniden und dem Wels durch
eine Reihe von kleinen Knochen, deren Reihe einerseits die
Schwimmblase, anderseits einen Verbindungskanal der Vcstibula
beider Seiten berührt. Auf diese Weise dient gewissermassen der
200 -^^^ deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
ganze Mittelkörper, soweit in ihm die Schwimmblase liegt, als eine
Art äusseren Ohrs. Die Prallheit und Elastizität, welche die
Schwimmblase dem 'Fischkörper giebt, mag auch zur Folge haben,
dass die Druckwahrnehmungen der Seitenorgane deutlicher em-
pfunden werden.
Die einander verwandten Empfindungen des Geschmacks und
des Geruches werden bei den meisten Fischen anscheinend nur
durch ein Sinnesorgan, das der Nase der höheren Wirbeltiere ent-
spricht, wahrgenommen. Indessen kann man, wie J. Müller hervor-
gehoben hat, deshalb den Geruch der Fische mit dem Geschmack
derselben nicht identifizieren, wiewohl die GeruchsstofFe im Wasser
gelöst sind, denn auch bei den Luftwirbeltieren muss sich der
Geruchsstoff erst im Wasser der Nasenschleimhaut lösen, um em-
pfunden zu werden. Besondere Geschmacksorgane hat F. E. Schulze
in der Mundhöhle einiger Cypriniden entdeckt, wie schon bei der
Beschreibung dieses Körperteils erwähnt ist. Das Geruchsorgan *4)
kommt allen Fischen zu, es ist bei den Neunaugen einfach, bei
den anderen Fischen doppelt vorhanden. Es liegt jederseits zwischen
den Augen und dem Mund in einem längeren oder kürzeren Haut-
kanal, welcher am Vorderende oft in eine häutige Röhre verlängert
ist, die geschlossen und geöffnet werden kann, sodass es im Belieben
des Fisches liegt, während des Schwimmens einen Wasserstrom
durch das Organ gehen zu lassen und mittels desselben zu prüfen,
oder dasselbe ruhen zu lassen. Das Geruchsorgan selbst ist eine
regelmässig gefaltete Schleimhaut, in welcher die Sinneszellen
liegen ^6).
Das Tastgefühl scheint mehr oder minder um den Mund
konzentriert zu sein, wo sich bei vielen Fischen längere oder kürzere
„Barteln", Tastfäden, befinden, wie bei Aalquappe, Wels, Karpfen,
Barbe, Gründling, Schleihe, den Acanthopsiden und Stören.
Die Sinnesorgane, die in vielen Punkten von denen der Land-
wirbeltiere verschieden sind und in ihrer Funktionsweise dem Wasser-
leben entsprechen, leiten den Fisch zu den Stätten im Wasser,
deren er jeweilen bedarf In der Hauptnährzeit, im Sommer, ver-
Die deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse. 201
teilen sich die Süsswasserfische fast stets weit in den Gewässern,
jeden zugänglichen Winkel nach der ihnen geeigneten Nahrung
durchsuchend. In zwei Zeitperioden sind die Fische dagegen
wählerisch in ihrem Aufenthalt: zur Laichzeit und zur Zeit des
herabgeminderten Nahrungstriebes, im Winter. Zur Laichzeit suchen
sie die für die Entwickelung der Eier und der ausgeschlüpften
jungen Brut geeignetsten Wassergegenden auf, Kiesberge, Pflanzen-
rasen, Röhricht, schwimmendes Pflanzengewirr, überströmte Kies-
bänke u. s. w. Im Winter ziehen sie sich an geschützte Stellen,
meist in die Tiefe des Wassers, zurück. Einige Arten scheinen
sich in den weichen Grund einzuwühlen, besonders in flacheren
Gewässern, welche bis in die Nähe des Grundes gefrieren. Andere
Arten suchen reinen, schlammfreien Grimd, Sandflächen, auf (Pressen,
Karpfen), oder sie halten sich an der Oberfläche des off"enen Wassers
und stehen auch imter dem Eise hoch über dem Grunde (Uklei).
Nicht nur die Friedfische, auch die Raubfische, namentlich die
jüngeren Generationen, suchen geeignete Stellen zur Überwinterung
auf (Barsch, Wels). Da nun die besonderen Bedürfnisse der Art
in weiten Wasserstrecken oft nur an wenigen Stellen erfüllt sind,
so sammeln sich an diesen Stellen die Fische einer Art in grossen
Scharen. Die Laichzeit und die Zeit der Winterruhe sind daher
für die praktische Fischerei von Bedeutung, da man die Fische
dann verhältnismässig leicht in Menge mit Netzen umstellen und
fangen kann. Die Erhaltvmg der Fischart erfordert es allerdings,
dass die laichenden Fische weder gefangen, noch auch nur gestört
werden, und dass man den INIassenfang auf den Winter beschränkt,
eine Forderung, welcher der Fischer, im Gegensatze zum Fisch-
züchter, nicht immer gern nachkommt.
Ohne Zweifel ist es der wissenschaftlichen Fischkunde vor-
behalten, unterstützt von einer gründlichen Kenntnis der Natur der
Gewässer und aller ihrer Bewohner, die nur scheinbar entgegen-
gesetzten Bestrebungen der Fischzüchter und der Fischfänger zu
vereinigen und unter Förderung rationeller Fangmethoden sowohl
wie der Fischzucht die Grundsätze einerseits einer zweckmässigen
Fischereigesetzgebung, anderseits der praktischen Verwertung der
202 -^^^ deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
Gewässer durch Fischzucht völlig sicher und unangreifbar zu
ermitteln. Bis jetzt liegen Theorie und Praxis der Fischerei noch
sehr im Argen ; die Fangmethoden sowohl wie die Gesetzesvorschriften
„schleppen von Geschlecht sich zu Geschlechte", während andere
Zweio-e der Wasserverwertuns , namentlich die der Landwirtschaft
und der Industrie, mächtig vorwärtsgeschritten sind und der
Fischerei kaum das Dasein gönnen.
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fischerei d. Preussischen Staates. 1880.
Litteratur. 207
62) MieSCher und Glaser, Statistische und biologische Beiträge
zur Kenntnis des Rheinlachscs im Rhein. In: Ichthyolog. INIittheilungen
aus der Schweiz. 1880.
63) Barfurth, Nahrung und Lebensweise' der Salme, Forellen
und jNIaifische. Archiv f. Naturgeschichte 1875.
64) FritSCh in: Circ. d. Deutschen Fischereivereins, 1882, S. 46.
65) M. von dem Borne, Benecke mui Dallmer, Handbuch der
Fischzucht und Fischerei. i88ü.
66) Zenk, Über Brutapparate für Salmoniden. Bayerische
Fischereizeitung 1881 — 1883.
67) Weiss, Anleitung zur Handhabung des Brutapparats u. s.w.
Allgem. Fischereiztg. 1889, S. 141.
68) Metzger, Fischerei und Fischzucht in den Binnengewässern.
In: Loreys Hdb. der Forstwissenschaft, Bd. i, 1887.
69) ten Houten und de Raadt, Zufuhr von Lachsen am
Kralingsche Veer. Deutsche Fischereiztg. 1888, S. 2^.
70) Horak, Die Teichwirthschaft mit besonderer Rücksicht auf
das südliche Böhmen. 1869.
Niklas, Lehrbuch der Teichwirthschaft. 1880.
71) A. Nicols, The acclimatisation of the Salmonidae at the
Antipodes. 1882.
'J2) Smiley in: Bull. Unit. Stat. Fisherie Commission, Bd. 5, S.468.
73) von Behr, Fünf amerikanische Salmoniden in Deutschland.
Circ. d. Deutschen Fischereivereins. 1882.
von dem Borne, Sechs amerikanische Salmoniden in Europa.
Neudamm 1800.
74) von dem Borne, Der Schwarzbarsch und der Forellen-
barsch in Deutschland. 1888.
75) von dem Borne, Der amerikanische Steinbarsch in Deutsch-
land. 1890.
76) von dem Borne, Der amerikanische Zwergwels in Deutsch-
land. iSqo.
77 j KupfFer, Die Befruchtung des Forelleneies. Allg. Fischerei-
zeitung, 1880, S. 2.
K. E. von Baer, Über die Entwickelungsgeschichte der Fische. 1 83 5.
His, Untersuchungen über das Ei und die Eientwickelung bei
Knochenfischen. 1873-
Michal Girdwoyn, Pathologie des poissons. Traite des maladies,
des monstrosites et des anomalies des oeufs et des embryons. Paris
20 3 I^i^ deutschen Süsswasserfische und ihre Lebensverhältnisse.
1880. Text und einige Figuren auch in der Deutschen Fischerei-
zeitung, 1881, S. 413 u. f., 1882, S. 2 u. f.
S. auch Nr. 53.
78) MoebiuS in: Arch. f. mikroskop. Anat, Bd. 25, S. 554.
79) Barfurth, Biologische Untersuchungen über die Bachforelle.
Arch. f. mikroskop. Anatomie, Bd. 27.
80) Rabl-RÜCkhard, Das Gehirn der Knochenfische und seine
Anhangsgebilde. Arch. f. Anat. und Physiol., Anatom. Abt. 1883.
L. Stieda, Über die Deutung der einzelnen Teile des Fisch-
gehirns. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. 23.
81) Steiner, Die Funktionen des Zentralnervensystems und
ihre Phylogenese. 2. Abt.: Die Fische. 1888.
82) Berger, Beiträge zur Anatomie des Sehorgans der Knochen-
fische. Morphol. Jahrb., Jahrg. 8, Bd. i.
83) Hirschberg i. Arch. f. Anatomie und Physiologie, Physiol.
Abt., 1882, S. 493.
84) G. Retzius, Das Gehörorgan der Wirbeltiere.
85) Leydig, Über die Schleimkanäle der Knochenfische. Müllers
Arch. für Anatomie und Physiologie, i8üo.
Leydig, Über das Organ eines sechsten Sinnes. 1868.
F. E. Schulze, Über die Sinnesorgane der Seitenlinie bei den
Fischen und x^mphibien. In : Arch. f. mikroskop. Anatomie, Bd. 6, 1870.
86) Dogiel, Bau des Geruchsorgans bei Fischen und Amphi-
bien. 1880.
87) Bulletin of Unit. Stat. Fisherie Commission, Bd. 5, S. 142.'
88) Knauthe, Erfahrungen über das Verhalten von Amphibien
und Fischen gegenüber Kälte. Zool. Anzeiger, 1891, S. i u. f
Die
Parasiten unserer Süsswasserfische,
Von Prof. Dr. Fr. ZsctlOkke in Basel.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 14
-C^s ist eine gewöhnlich kaum beachtete Thatsache, dass der
Körper des Fisches den Angriffen verschiedenartigster Schmarotzer
ausgesetzt ist. Eine stattliche Zahl von durch Bau und Gestalt
weit von einander abweichenden Parasiten sucht und findet am
und im Fisch bleibende oder vorübergehende Wohnung vmd Nah-
rung. Es sind Geschöpfe, die den verschiedensten Stämmen des
Tierreichs angehören, Protozoen, Mollusken, Krebse, Plattwürmer,
Rundwürmer, Blutegel. Nur ein gemeinschaftliches Band verbindet
sie, ein biologisches, dieselbe Lebensweise, das Schmarotzertum;
nach Abstammung, Struktur, Entwickelungsgeschichte gehen sie weit
aus einander. Allerdings hat die Angewöhnung an dieselbe Lebens-
weise, an den Parasitismus, die ihm unterworfenen Geschöpfe in
derselben Richtung modifiziert, und so zwischen ursprünglich ein-
ander fernstehenden Tieren Ähnlichkeiten im Bau und im Lebens-
gang in sekundärer Weise geschaffen.
Die den Fisch heimsuchenden Schmarotzer sind übrigens recht
vmscheinbare Wesen. Zu ihrer niedrigen Lebensweise passt es ja
am besten, wenn sie weder durch besondere Grösse, noch Form
und Farbe die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Der Laie macht
wohl gelegentlich die Beobachtung, dass ein Lachs mit gierigen
Blutegeln überdeckt ist, oder sieht, wie sich der Leibeshöhle eines
frisch geöffneten Karpfens ein breiter, hässlicher Riemen\^'urm ent-
windet; der eine oder andere Fisch wird wohl auch mit Recht
oder Unrecht beschuldigt, dem iMenschen gegenüber die Rolle eines
u*
2]^ 2 ^^^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
Zwischenträgers schmarotzender Würmer zu spielen. Weiter geht
die Kenntnis der Fischparasiten kaum. Das mit dem verächtlichen
Namen Schmarotzer belegte Geschöpf fesselt nicht durch sein
Äusseres und stösst geradezu ab durch seine Lebensweise.
Und doch wäre der Fischparasit eingehenden Studiums so
sehr würdig. Schon vom rein praktischen, medizinischen Stand-
punkt aus verdienen die ungebetenen Gäste der Fische unsere volle
Aufmerksamkeit. Hat uns doch die neuere Forschung gelehrt, dass
einer der verbreitetsten Bandwürmer, der durchaus nicht unbedenk-
liche Bothrioceplialus latus, gerade durch die gesuchtesten Tafel-
fische des süssen Wassers auf den Menschen übertragen wird. Für
andere Würmer liegt die Vermutung nahe, dass sie auf ähnlichem
Wege, eingekapselt in Zwischenwirte aus der Klasse der Fische, in
unsern Körper eingeschmuggelt werden. Die Notwendigkeit unsere
Feinde zu kennen, um uns ihrer entledigen, sie \'on uns fernhalten
zu können, weist uns also schon gebieterisch darauf hin, Bau und
Eigeiischaften der Fischparasiten zu ergründen und ihrem oft so
verwickelten Lebensgang zu folgen. Ausgerüstet mit den nötigen
Kenntnissen dürfte es uns wohl auch gelingen, Fisch epidemien
parasitärer Herkunft einzudämmen, die unter den Bewohnern
unserer Gewässer, jenem nicht gering anzuschlagenden Teil des
nationalen Gutes, zahlreiche Opfer fordern. Ausser rein praktischen
Erwägungen medizinischer und nationalökonomischer Art müssen
uns aber auch wissenschaftliche Gesichtspunkte und Ziele beim
Studium der Fischparasiten leiten. Die Frage, welchen Einfluss
übt die parasitische Lebensweise auf ursprünglich freilebende
Geschöpfe aus, wie werden im Laufe ungezählter parasitischer
Generationen Bau und individuelle Geschichte des früher nicht
schmarotzenden Tieres verändert, tritt uns vor allen anderen schwer-
wiegend entgegen. Der Parasitismus führt ja zu einer vollkommenen
Umgestaltung und Neuschöpfung in Anatomie und Entwickelungs-
geschichte. Und um diese Neuschöpfung ihrer Entstehung nach
würdigen zu können, bietet uns gerade die Parasitenfauna der
Fische Gelegenheit und Material. Manche Schmarotzer beziehen
den Fisch nur temporär, um Nahrung aufzunehmen, sonst führen
Die Parasiten unserer Süsswasserfische. 213
sie eine freie Lebensweise. Andere bewohnen ihn wohl stationär,
begnügen sich aber damit, als Ektoparasiten die Oberfläche des
Wirtes zu bewohnen und dort ihren Unterhalt zu suchen, ohne
jemals innere Organe zu besetzen. Wieder andere werden Ento-
parasiten, siedeln sich aber in offenen mehr oder weniger leicht
zugänglichen Teilen, den Kiemen, dem Darmkanal, an. Zahlreiche
endlich liegen eingekapselt in allseitig geschlossenen Organen, den
Muskeln, den Augen, der Schwimmblase.
Grad und Dauer des Schmarotzertums sind bei den Fisch-
parasiten höchst verschieden. Manche schmarotzen während des
ganzen Lebens, bei anderen sind freie Stadien in mehr oder
weniger reichem Masse in die Lebensgeschichte eingestreut. Vom
nur gelegentlich parasitierenden Blutegel, von der jungen Muschel,
die sich nur kurze Zeit vom Fisch herumtragen lässt, bis zum
Bandwurm im Darmkanal des Hechtes oder des Lachses und dem
Spulwurm aus dem Barsch, typischen, entoparasitischen Gestalten,
stossen wir auf mancherlei Zwischenstufen. Und gerade in diesen
verschiedenen Stadien, mit ihrem durch den Parasitismus mehr
oder weniger veränderten Bau und der ebenfalls verschieden stark
beeinflussten Lebensgeschichte, sehen wir noch Punkte, Stationen,
die von der Natur auf dem Wege berührt worden sind, als sie aus
dem ursprünglich freien Geschöpf den Parasiten schuf. Wir können
den Weg verfolgen, der vom freien Vorfahr zum parasitierenden
Enkel führt. So kann es uns Idar werden, welch tiefen Einfluss
die Angewöhnung an eine so spezielle und niedrige Lebensweise,
wie sie der Parasitismus nun einmal ist, auf tierische Organisation
und tierisches Leben ausübt. Mit dem zunehmenden Schmarotzertum
treten anatomische Vereinfachungen und Umbildungen allmählich
ein; Organsysteme werden rudimentär und verschwinden zuletzt.
Die Entwickelungsgeschichte weist oft Komplikationen auf und
schlägt Umwege ein, die ihre Erklärung einzig in der Angewöhnung
an die neue Lebensweise und in der Erfüllung der von dieser
gestellten Bedingungen finden. Das Studium der Parasiten führt so
den Forscher ein in die interessantesten und weitgehendsten Fragen
der Biologie. Die Fischschmarotzer aber, in ihrer bunten Formenfülle
2]^ 4 -^^^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
und mit ihrer mannigfaltigen Lebens- und Entwickelungsgeschichte
bieten zur Behandlung dieser Probleme ein reiches INIaterial.
Noch manche andere Frage wird sich auf diesem Gebiete
stellen und teilweise wenigstens beantworten lassen. Wie beeinflussen
sich gegenseitig Wirt und Gast? Wie passt sich der Parasit den
ihm vom Träger gebotenen Bedingungen an und welche Eigen-
schaften werden infolge dieser Anpassung erworben ? Wie findet
sich auf der andern Seite der Fisch mit den ihn bewohnenden
Würmern ab; erwirbt nicht auch er gewisse Eigenschaften, um die
Eindringlinge abzuhalten, oder die einmal Eingedrungenen bis
zu einem gewissen Grad unschädlich zu machen? Welche Ver-
änderungen erleidet der Fischkörper unter dem Drucke der
Parasiteninvasion ?
Interessant wird es auch sein, die bis jetzt kaum berührte
Frage in Fluss zu bringen, welchen Einfluss die Lebensweise, speziell
die Ernährungsweise des Fisches auf die Zusammensetzung der ihn
bewohnenden Parasitenfauna ausübt. Pflanzenfresser werden andere
Formen von Schmarotzern beherbergen als Fleischfresser, Schlamm-
bewohner andere als frei pelagisch schwimmende Geschöpfe. Der
Fisch des schnellfliessenden Stroms, des Sees, des Teiches wird von
einander verschiedene Elemente in seiner Parasitenfauna aufweisen.
Besonders eigentümlich werden sich diese Verhältnisse gestalten bei
den Wanderfischen, die bald das süsse Wasser, bald die salzige
See aufsuchen und in beiden Medien eine oft recht verschiedene
Lebensweise befolgen.
Eine mehr oder minder starke Vermischung von Meer- oder
Süsswasser],Darasiten wird sich in diesem Falle wohl nachweisen
lassen. Reine Meerformen werden weit hinauf in die Flüsse
getragen, Süsswasserschmarotzer dagegen dem Meer zugeführt. Wieder
wird uns die verschiedene Mischung der beiden Parasitenelemente
im Wanderfisch, das Überwiegen des einen oder anderen, Rück-
schlüsse auf die Lebensweise des Wirtes gestatten. Die Parasiten-
fauna wird so bis zu einem gewissen Grade zum Spiegelbild der
Gewohnheiten ihres Trägers.
Die Parasiten unserer Süsswasserfische. 215
Von diesen Erwägungen geleitet ist eine erste kleine Arbeit
über die Parasitenfauna des Rheinlachses erschienen, deren Resultate
geeignet sind, die vorangehenden theoretischen Betrachtungen zu
stützen. Sie mögen deshalb hier in kurzen Zügen skizziert werden.
Der Rheinsalm, so bewiesen es His und Miescher, und so
wussten es auch schon längst die Lachsfischer, nimmt vom Auf-
steigen aus dem Meer bis er verlaicht hat, niemals Nahrung zu sich.
Als Folge dieses Fastens im Süsswasser durfte wohl erwartet werden,
dass die Parasitenfauna von Trutta salar typisch marinen Anstrich
zeige. INIit dem Ausschluss der Nahrungsaufnahme ist für jedes
Geschöpf ja gleichzeitig die Hauptinfektionsquelle mit parasitischen
Würmern verstopft.
Von 45 untersuchten Lachsen aus dem Rhein waren 42 mit
Würmern besetzt, nur drei erwiesen sich als vollkommen parasiten-
frei. Elf Arten Schmarotzer konnten bestimmt werden; mehrere
fanden sich nur in einem der geprüften Fische, andere öfters, der
Spulwurm Agamoneina capsularia Dies, sogar in 35 Wirten.
Parasitenarm waren in den 45 Lachsen die offenen Organe. Im
Darmkanal fand sich kein einziger Schmarotzer unterhalb der
Appendices pyloricae. Die meisten Parasiten waren in verschiedenen
Organen eingekapselt, seltener lagen sie wohl geborgen in den Falten
des Schlundes und in den Pylor-Anhängen. Es erinnert dies an
das Verhalten gefangener Meerfische, die im Aquarium verhältnis-
mässig rasch ihre Darmschmarotzer verlieren. Man hat ja auch
geradezu behauptet, viele Wanderfische ziehen ins Süsswasser, um
sich ihrer Parasiten zu entledigen.' Die Schmarotzerfauna der
45 Rheinlachse hatte einen fast reinen marinen Charakter. Die
Hauptmasse der gefundenen Würmer gehörte nach Arten und
Individuen äusserst t}^ischen Meerformen an. Auch die von mir
noch nicht nachgewiesenen Lachsparasiten sind wesentlich Gäste
von Meerfischen. Ein einziger der gefundenen Schmarotzer gehört
neben den Wanderfischen ausschliesslich dem süssen Wasser an.
So spiegelt die Zusammensetzung der Parasitenfauna die eigen-
tümliche Gewohnheit des Rheinlachses wider, im Süsswasser keine
Nahruns: aufzunehmen. Sie unterscheidet sich scharf von der
216
Die Parasiten unserer Süsswasserfische.
Schmarotzerwelt anderer Wanderfische ,
im FIuss nicht aufhört.
deren Nahrungsbedürfnis
Über diese Verhältnisse
näheren Aufschluss geben.
mag die folgende Zusammenstellung
Verbreitung der parasitisclieu Würmer der Wanderfische:
Zahl der ihn be-
wohn. Spezies
parasit. Würmer:
Davon typisch
für den betref-
fenden Fisch :
^ ..
0) 13
■c n
c a
1^
Ausser in
Wanderfischen :
Name des Fisches:
auch in
marinen
Fischen :
auch in
Süsswas-
serfisch. :
in mar. u.
Süsswas-
serfisch. :
I. Trutta salar, Lachs ....
20
7
7
7
I
5
2. Trutta trutta, Lachsforelle . .
15
I
I
I
8
5
3. Osmerus eperlaniis, Stint . .
17
10
II
I
4
1
4. Coregonus oxyrhynchus, Schnäpel
6
0
I
0
4
I
5. Alaiisa vulgaris, Maifisch . .
7
^
0
4
I
0
2
6. Alaiisa finta, Finte ....
4
I
2
0
0
2
7. Aitguilla vulgaris, Aal . . .
25
10
10
5
5
5
8. Pctromyzon fluviatilis, Neunauge
4
2
2
0
I
I
Besonders typisch für die Würmerwelt des Rheinlachses ist
das Auftreten der sogenannten Tetrarhynchen, eigentümlicher, mit
vier starken, hakentragenden Rüsseln bewehrter Bandwurmlarven,
die sich häufig in den verschiedensten Knochenfischen des Meeres
einnisten, um mit ihnen in den Verdauvingstractus der Haifische
zu gelangen und dort zu erwachsenen Bandwürmern, Rhyncho-
bothrien, auszuwachsen.
Eine in weit vorgeschrittener Vorbereitung sich befindende
zweite Arbeit über die Lachsparasiten, der hier nicht vorgegriffen
werden kann, wird, auf reiches Material gestützt, den marinen
Charakter der den grossen Wanderfisch bewohnenden Würmer
noch viel greller hervortreten lassen. Sie wird auch Ermittelungen
über nordische und schottische Lachse enthalten, die im Süsswasser
' dem Fasten nicht so strenge zu huldigen scheinen wie ihr Vetter
vom Rhein und bei denen infolgedessen die parasitologischen
Verhältnisse sich wesentlich anders gestalten.
Die Parasiten unserer Süsswasserfische. 217
Den relativ grossen Parasitenreichtum verdanken die Fische ver-
schiedenen Umständen: zunächst wohl ihrer Eigenschaft als Wasser-
bewohner. Neben zahlreichen entoparasitisch die inneren Organe
aufsuchenden Schmarotzern kann auch mancher Ektoparasit an der
Aussenfläche des Wassertiers sich ansiedeln, der nur im feuchten
Element sein Leben zu fristen vermag. So wird denn die Ober-
fläche des Fisches, die Haut, sowie die verhältnismässig freiliegenden,
von einem fortwährenden Wasserstrom bespülten Kiemen von
manchem Wurm als geeigneter Standort gewählt.
Auch die so mannigfache Ernährungsweise wird den Fischen
manchen Schmarotzer verschaffen. Mit der Nahrung dringt ja der
grosse Haufe ungebetener Gäste in den tierischen Körper ein. Die
Parasitenfauna einer Tiergruppe, die Pflanzen- und Fleischfresser
umschliesst, wird den verschiedenen Nahrungsstoffen gemäss eben-
falls mannigfaltig ausfallen.
Mit dem Atmungswasser können femer Jugendstadien von
Schmarotzern in das Innere des Fisches gelangen. Der Invasion
ist somit eine neue, bei anderen Geschöpfen geschlossene Pforte
geöffnet. IManche Parasiten werden auch aktiv eindringen, an wenig
geschützten Körperstellen mittels spezieller Apparate sich einbohren.
Die äusseren Lebensbedingungen, unter denen der Fisch steht,
seine Beziehungen zu anderen Lebewesen sind endlich sehr mannig-
faltiger Natur. JNIit der grösseren Vielseitigkeit dieser Beziehungen
steigert sich im allgemeinen auch die JMöglichkeit und Gelegenheit
einer Infektion. Von zahlreichen anderen Tieren verfolgt und
verzehrt wird sich der Fisch als Zwischenträger von Parasiten wohl
eignen. In ihm stellen sich zahlreiche Jugendstadien von para-
sitierenden Würmern ein, die mit dem Fisch sicher in den Darm-
kanal eines weitem Wirtes übertragen werden sollen, um dort zum
geschlechtsreifen Tier heranzuwachsen. So gelangen die Larven des
breiten Bandwurms mit dem Fleisch von Fischen in den Verdauungs-
tractus des IMenschen. Aber auch als Hauptwirt von Parasiten ist
der Fisch berufen eine grosse Rolle zu spielen ; mit den zahllosen
kleinen Geschöpfen, die ihm zur Nahmng dienen, können auf leichte
Weise eingekapselte Larven in ihn eingeschmuggelt werden. Die
218 ^^^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
Fische erscheinen durch ihre Beziehungen zu anderen Ge-
schöpfen besonders geeignet, bald als Zwischenträger von jungen
Würmern, bald als definitive Wirte der geschlechtsreifen Form zu
figurieren.
So vereinigen sich manche Umstände, um den Fischkörper
zu einer richtigen Parasitenherberge zu machen. Einer Invasion ist
Thür und Thor geöffnet. Die Oberfläche des Wirtes und die nach
aussen offenen Organe werden vorzugsweise von geschlechtsreifen
Schmarotzern, geschlossene Körperteile von jungen Stadien bewohnt.
Kein Orgaia bleibt aber gelegentlich verschont. Zwölf Fischarten
des Genfersees beherbergten 37 verschiedene Parasiten, die sich
folgendermassen im Körper einquartiert hatten :
Bewohntes Organ : Zahl der Arten :
Ösophag und Magen 2
Darm 15
Rectum 2
Pylor-Anhänge 2
Leber ö
Milz I
Schwimmblase i
Harnblase i
Auge ■ I
Muskulatur 2
Kiemen 2
Leibeshöhle ; i
Peritonäum und Darmwand ... 8.
Die Zahl der bis jetzt bekannten Parasiten der Süsswasserfische
aus dem Kreise der Würmer ist schon eine sehr beträchtliche, sie
dürfte kaum unter 250 zurückbleiben; sie steigt jährlich an und
nichts lässt voraussetzen, dass die diesbezüglichen Listen so bald
als vollständig geschlossen betrachtet werden können. Dem
momentanen Stand unserer Kenntnisse über die Vertretung von
schmarotzenden Würmern im Körper der verbreitetsten Fische
des süssen Wassers dürfte etwa folgende Tabelle entsprechen:
Die Parasiten unserer Süsswasserfische.
219
Zahl der bei ihm vorkommenden Parasitenarten :
Name der Fische:
Satig:-
7vü'rmer.
Band-
■wiirmer.
Faden- i Kratzer.
Barsch ....
Kaulbarsch
Zander ....
Groppe
StichHng
Aalraupe (Quappe)
Wels
Karpfen
Gründling
Barbe
Aitel
Rotauge
Hasel .
Elri tze
Schleihe
Laube .
Schmerle .
Schlammpeitzger
Saibling
Lachs .
Forelle .
Stint . . .
Schnäpel .
Felchen
Aesche
Hecht . . .
INIaifisch
Aal . . . .
Neunausre .
12
8
7
3
4
6
2
8
3
7
7
8
7
5
2
3
3
0
4
4
7
lO
4
14
8
2
I
2
4
9
o
9
/
2
6
I
I
6
^5
4
2
6
4
4
2
•iuurmer.
0
2
O
6
6
6
2
0
3
I
2
4
3
5
2
3
I
4
5
3
4
3
7
6
0
I
7
4
9
3
I
5
7
4
12
4
0
0
2
3
4
3
4
5
5
2
0
4
3
4
0
2
O
I
2
7
2
I
I
2
3
3
8
o
Total.
27
i8
13
7
17
:.5
I
o
1.5
lO
i6
15
19
16
13
14
13
13
0
15
30
17
21
10
13
16
26
12
0/
9
Die vorangehenden Zahlen bedürfen kaum eines weiteren
Kommentars. Sie sind wiederum geeignet, die Abhängigkeit der
Parasitenfauna \-on der Lebensweise des Wirtes mit Beispielen zu
220 -^^^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
belegen. Am reichsten an Schmarotzern sind die grossen Räuber
und die Omnivoren Fische, denen sich jeden Augenblick eine
Infektionsgelegenheit bietet. In ihrem Darm wohnt eine reiche
Fauna von geschlechtsreifen Band- und Saugwürmern, die in die
Nahrung eingekapselt leicht in den definitiven Wirt gelangt sind.
Bei den Karpfen, die mehr an pflanzliche Kost gewöhnt sind
oder höchstens kleine Tiere verzehren, sinkt die Zahl der Parasiten
bedeutend. Die Band- und Saugwürmer spielen hier eine unter-
geordnete Rolle, während die Kratzer, deren Jugendstadium in
kleinen Krustaceen eingeschlossen liegt, mehr in den Vordergrund
treten. Am reichsten und buntesten gestaltet sich die Parasiten-
fauna des Aals, dessen mannigfaltige Lebens- und Ernährungsweise
ihn auch vielfacher Infektionsgefahr aussetzen wird. Fleisch- und
Pflanzenfresser unter den Fischen beherbergen eine ziemlich ver-
schiedene Schmarotzerwelt; die letzteren dienen oft als Zwischen-
wirte für die Parasiten der ersteren. In Fischen mit gemischter
Ernährungsweise mengen sich auch die Bestandteile der beiden
Faunen. Wahrscheinlich wird in ein und derselben Fischart in
den verschiedenen Monaten des Jahres eine Veränderung der
Parasitenwelt nach Auswahl der sie bildenden Arten und nach
Zahl der Individuen sich nachweisen lassen. Die Beobachtungen
über diese Schwankungen sind noch äusserst lückenhaft und lassen
uns nicht einmal vorläufige Schlüsse ziehen. Immerhin glaubte ich
im Reichtum der Schmarotzerfauna der grossen Räuber, Hecht,
Quappe, Forelle, Saibling, während des ganzen Jahres keine wesent-
liche Veränderung zu bemerken. ,In den Karpfen dagegen ver-
mehren sich die Parasiten nach Arten und Individuen im ersten
Frühjahr, nachdem der Fisch seine Winterruhe mit einem aktiven
Leben vertauscht hat. Der Barsch ist besonders im März bis Mai
reichlich infiziert. Weitere Studien über die Saisonverteilung der
parasitierenden Würmer wären sehr erwünscht, auf ein reiches und
sorgfältig beobachtetes Material sich stützend würden sie sicher zu
interessanten biologisch-faunistischen Resultaten führen.
Dass ein Fisch Parasitenträger ist, scheint fast als der normale
Zustand zu betrachten zu sein. Von 382 nach dieser Richtung
Die Parasiten unserer Süsswasserfische. 221
geprüften Bewohnern des Genfersees war kaum ein Drittel parasiten-
frei. Lönnberg öffnete in Schweden 870 Fische des süssen und
salzigen Wassers; 564 trugen Parasiten, 306 waren nicht infiziert.
Cestoden beherbergten 128 Individuen, Trematoden 96, Kratzer 294,
Nematoden 205. Oftmals bewohnen die Schmarotzer ihren Wirt
in gewaltiger Individuenfülle. Ihre Gegenwart kann so für das
infizierte Tier kaum gleichgültig sein, schon aus dem naheliegenden
Grunde nicht, weil die Parasiten eine Menge Nahrungsstoffe ver-
zehren, die in den fischlichen Organismus hätten aufgenommen
werden sollen. Die Pylor- Anhänge von Forelle, Saibling, Hecht,
Aesche sind meist vollgepfropft von unzählbaren Exemplaren eines
Bandwurms (Bothriocephahis infnndibulifonnis Rud.). In einem
Hecht von fünf bis sechs Kilo fand ich mehr als dreihundert
Exemplare dieses Schmarotzers, von 28 bis 35 cm Länge; unge-
zählte hunderte von jungen Würmern waren über die Schleimhaut
des ganzen Darmes zerstreut. Grosse Massen desselben Cestoden
bevölkern in der Regel auch den pylorischen Darmteil des Lachses,
wie ja die Pylor-Anhänge überhaupt der Lieblingsstandort vieler
Fischparasiten sind. Die Würmer finden dort neben sehr reich-
licher Nahrung sichere Wohnung. Auch ein anderer grosser
Bandwurm (bis 50 cfn lang), der Triaenophorns nodulosiis Rud.,
stellt sich oft in 80 bis 100 Exemplaren im Hecht ein. Ein Saug-
wurm, Distoma nodidostim Zeder, bewohnt in grösster Menge
den Darm des Barsches; ein anderes Distoma, D. folium Olfers,
füllt oft buchstäblich die ganze Harnblase der Groppe an, so dass
dieses Organ prall aufgetrieben erscheint; die Kapseln eines larvären
Saugwurms, des Tetracotyle Percae, durchsetzen fast regelmässig in
o-rösster Menge die Wandungen der Schwimmblase der Barsche.
Die beiden Kratzer Echinorhynchus proteiis Westrumb. und
E. angustatus Rud. bewohnen das Eingeweide ihrer zahlreichen
Wirte oft in hunderten von Individuen. Von den Spulwürmern
tritt in bedeutender Zahl auf der Kappenwurm, Citcullmuts
elegans Zeder, ein für den Barsch äusserst charakteristischer
Parasit; im Hecht findet sich oft zahlreich die Ascaris
actis Bloch, in der Leibeshöhle der verschiedensten Fische spiralig
222 ^^^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
eingerollt, und allen Organen angeheftet, die noch geschlechtslose
Agamonema capsidaria Dies.
Diese wenigen Beispiele mögen das massenhafte Auftreten
einer Parasitenspezies im Fischkürper illustrieren. Es sei nur noch
darauf hingewiesen, dass auch die Larve des breiten Bandwurms
des Menschen in ein und demselben Wirt sich massenhaft einstellt.
So schälte ich aus Leber, Milz, Nieren, Wandungen des Darm-
kanals einer Seeforelle über 200 Finnen des BothriocepJiahis latus.
Es erklärt sich dadurch leicht die gelegentliche Masseninfektion des
Menschen mit dem breiten Bandwurm. Roux trieb einer einzigen
Person über 90 Exemplare gleichzeitig ab.
Die verschiedensten Arten parasitischer Würmer können übrigens
nebeneinander in ein und demselben Wirt leben. Dass ein Fisch
gleichzeitig fünf bis acht Schmarotzerformen beherbergt ist keine
Seltenheit. Im Lachs ist oft der pylorische Darmabschnitt mit
Bandwürmern angefüllt, während zahlreiche Individuen des für diesen
Fisch typischen Distoma varicimi im Schlund neben verschiedenen
Spulwürmern leben und die Darmwandungen reichlich gespickt sind
mit Larven von Tetrarhynchen , Bothriocephalen und aufgerollten
Agamonemen. Barsch, Hecht, Aalraupe, Saibling geben oft wahre
Parasitenherbergen ab, in denen gleichzeitig acht bis zehn Arten
Schmarotzer, meist in grosser Individuenzahl, als ungern gesehene
Gäste die verschiedensten Organe bewohnen. Die zahlreichen
Parasiten dürften das Leben des Fisches in seiner kühlen Wasser-
heimat kaum so, angenehm und wohlig gestalten, wie man es sich
etwa vorstellt.
Ist schon der Süsswasserfisch von sehr zahlreichen Würmern
heimgesucht, so trifft das noch in bedeutend höherem Masse für
seine marinen Verwandten zu, die in weit grösseren Verhältnissen
leben und unter dem Einflüsse viel mannigfaltigerer äusserer Lebens-
bedingungen stehen. Die Parasitenfauna der Meerfische ist min-
destens ebenso reich an Individuen und sehr viel mannigfaltiger an
äusserst verschiedenartigen Formen, als die der Süsswasserbewohner.
Wenige Angaben mögen wenigstens einen kurzen Vergleich der
Die Parasiten unserer Süsswasserfische. 223
bezüglichen Verhältnisse gestatten. Lönnberg suchte Parasiten
in 342 Meerfischen; 241 davon waren infiziert, loi parasitenfrei.
78 trugen Bandwürmer, 39 Saugwürmer, 28 Kratzer, 114 Spul-
würmer. In Neapel waren von 257 Fischen nur 74 parasitenlos.
Von 72 Arten erwiesen sich 53 als infiziert, bei 34 waren sämt-
liche untersuchte Exemplare mit Würmern besetzt. Es wurden
in den 257 Fischen 77 Parasitenarten — 38 Bandwürmer, 16 Saug-
würmer, 3 Kratzer und 20 Spulwürmer — gefunden, während 382
Fische des Genfersees nur 35 Schmarotzer aus dem Kreise der
Würmer (11 Bandwürmer, 11 Saugwürmer, 3 Kratzer, 10 Spul-
würmer) beherbergten. Auch im Meere ist die Parasitenfauna der
grossen Räuber, Haie und Rochen, viel reicher und aus anderen
Elementen zusammengesetzt, als die der kleineren Knochenfische.
Nvu: sechs Parasitenarten waren Selachiem und Teleosteern gemein-
sam, erstere waren ausserdem von 34, letztere von 36 Schmarotzern
heimgesucht.
Es wurden auf ihre Parasiten geprüft:
Zahl der Arten : Zahl der Individuen : Zahl der Parasitenarten :
Selachier: 20 96 40
Teleosteer: 34 160 42
Ganoiden: i 11
Die Hauptmasse der Parasiten von Rochen und Haien setzt
sich aus geschlechtsreifen Bandwürmern und teilweise aus Saug-
\vürmem zusammen, während die Teleosteer vorzüglich Spulwürmer,
Kratzer, Saugwürmer und larväre Bandwürmer beherbergen.
Nach diesen allgemeinen und einleitenden Auseinandersetzungen
sollen eine Anzahl der häufigsten und praktisch wie wissenschaftlich
wichtigsten Schmarotzer unserer Süsswasserfische spezieller besprochen
werden. Bau und besonders Entwickelungsgeschichte vieler, ja der
meisten Formen ist uns noch unbekannt. Doch werden wir in
dem, was durch die Arbeit der Forscher durchsichtig und zugäng-
lich gemacht worden ist, manche spezielle Illustration zu den voran-
gehenden allgemeinen Betrachtungen über die Parasiten der Fische
des Süsswassers finden.
224 ^^^ Parasiten unserer Süss wasserfische.
Die an und in unseren Süsswasserfisclaen schmarotzenden
Krustaceen und die Muschellarven (Glochidien), welche die Ober-
fläche der Fische während einer gewissen Zeit parasitisch bewohnen,
haben an anderer Stelle dieses Werkes bereits Berücksichtigung
gefunden. Hier wäre es somit nur die Aufgabe, der Fischgäste
aus dem Kreise der Würmer zu gedenken. Sie rekrutieren sich
aus sehr verschiedenen Abteilungen des Wurmreiches. Vertreten
sind unter diesen Schmarotzern die Blutegel (Hirudinei), die Spul-
würmer (Nematodes), die Kratzer (Acanthocephali) und zwei Gruppen
der Plattwürmer, die Saugwürmer (Trematodes) und die Band-
würmer (Cestodes).
Kleine Blutegel schmarotzen häufig und oft in ziemlich be-
deutender Zahl auf der Oberfläche karpfenartiger Fische, Karpfen,
Schleihen, Barben; sie sind aber auch im Schlünde der Hechte und
an der Körperbedeckung des Rheinlachses angetroffen worden. Bei
letzterem Wirt scheinen sie Exemplare zu bevorzugen, die infolge
langer Wanderschaft wundgeriebene Stellen an Bauch und Flanken
aufweisen. Die Würmer gehören zur Gattung Piscicola , aus der
Gruppe der Rüsselegel. Ausser einer vorderen, kleineren und
hinteren, doppelt so grossen Haftscheibe besitzen sie in der Mund-
höhle einen kräftigen, vorstreckbaren Rüssel. Acht Augen sind
paarweise auf dem vorderen Saugnapfe verteilt. Der gestreckte,
cylindrische Körper verschmälert sich nach vorn nur schwach. Die
Farbe ist gelblich oder aschgrau mit feinen braunen Punkten, und
einzelnen Reihen hellerer elliptischer Flecke. Nach anatomischen
Unterschieden des Magendarms und der Geschlechtsorgane wurden
zwei Arten, Piscicola geometra L., und P. respirans Troschel, unter-
schieden. Der Parasitismus der Fischegel darf nur als ein temporärer
bezeichnet werden. Es werden die Würmer nach Leydig häufig
frei schwimmend, oder zu mehreren an der Unterfläche der Steine
dicht zusammensitzend angetroffen. Ist dem Nahrungsbedürfnis
durch Aufnahme von Fischblut für einmal wieder Genüge gethan,
so verlässt die Piscicola den Wirt, sich so in der Lebensweise
scharf von dem Krebsegel (Brancliiobdella) unterscheidend, der sein
ganzes Leben auf dem Flusskrebs schmarotzend zubringt. Die
Die Parasiten unserer Süsswasserfisclie.
225
kleinen, gelbroten, längsgestreiften Eier der Piscicolen sollen auf
der Aussenfläche der Fische befestigt werden.
Die weite Gruppe der Nematoden oder Fadenwürmer, zum
grössten Teil aus Parasiten verschiedensten Grades zusammengesetzt,
liefert auch für die Süsswasserfische ein stattliches Kontingent von
Schmarotzern. Es sind alles cylindrische , gestreckte, von einer
derben Cuticula umhüllte Würmer, mit endständigem Mund und
etwas vor dem Hinterende liegendem After. Der meist wohl ent-
wickelte Darmkanal zerfällt in der Regel in drei bis vier mehr
oder weniger differente Abschnitte; die Geschlechter sind beinahe
immer getrennt.
Es ist fast unmöglich, den Darmkanal eines Flussbarsches zu
öffnen, ohne ih den Pylor-Anhängen in oft sehr beträchtlicher Zahl
kleine Rvmdwürmer (5 12 — 18 mm lang,
"ö 5 — 8 mm) anzutreffen, die durch ihre
gelbe oder selbst orell rote Farbe sich von
den sonst farblosen Parasiten auffallend
unterscheiden. Die lebhaft beweglichen
Tiere sind auch in anderen Fischen —
Hecht, Forelle, Quappe, Felchen, Zander,
Kaulbarsch — zu Hause. Was sie ganz
besonders auszeichnet, ist die starke,
kappenförmige , hornige Mundkapsel , der
sie auch ihren Namen, Kappenwürmer
(CticuUanus elegans Zed.) (Fig. 34) ver-
danken. Der merkwürdige, eine weite
Mundhöhle umschliessende Apparat be-
steht im wesentlichen aus einer längs-
gestreiften Kapsel. Sie steht jederseits in
Beziehung mit zwei kleineren, nach hinten
gerichteten Homstäben. Am Vorderrand
ist die Kapsel durch vier dreieckige
Ansatzstücke verstärkt. Nach hinten wird der ganze Apparat
durch einen Chitinring abgeschlossen. Männchen und Weib-
chen weichen in äusserer Erscheinung und innerem Bau nicht
Fig. 34-
Cuctillanus elegans aus dem
Barsch.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II.
15
226 ^^^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
unbeträchtlich von einander ab, eine bei Nematoden gewöhnliche
Erscheinung.
Die Entwickelungsvorgänge im befruchteten Ei der Kappen-
würmer sind von Bütschli zum Gegenstand einer Untersuchung
gemacht worden. Leuckart verfolgte das weitere Schicksal der
Embryonen, die schon im Muttertier die zarten Eihüllen verlassen
und oft zu tausenden die Geschlechtswege anfüllen. Trächtige
Weibchen fand ich während des ganzen Jahres. Die Jungen sind
etwa 0.4 ;//;;/ lang, äusserst beweglich; ihr Darm ist noch einfach,
ohne weitere Einteilung, der komplizierte Mund-
becher fehlt oder ist nur durch einen Chitinzahn
vertreten; das Hinterende läuft in einen langen,
spitzen, lebhaft schlagenden Schwanz aus (Fig. 35).
In diesem Zustande durch eine starke Cuticula
^^"^ genügend geschützt, leben die Tierchen während
Larve von Cua^Uauus Woclicn im Wasscr. Früher oder später wird ein
elegans aus Cyclops.
Zwischen wirt bezogen, in der Regel ein kleiner
Krebs, aus der Gruppe der Cyclopiden, seltener Insektenlarven. Die
jungen Parasiten werden durch die Mundöffnung aufgenommen, oft
in grosser Zahl. Leuckart zählte in einem Cyclops nicht weniger
als 34 Eindringlinge. Im Zwischenwirt durchbrechen sie mit
ihrem Bohrzahn die Darmwand und gelangen so in die Leibes-
höhle, wo sie nach wenigen Tagen eine Häutung eingehen, die
ihren Bau wesentlich verändert. Der Bohrzahn, der ja seinen
Zweck erfüllt hat, ist verschwunden, der Schwanz ist kürzer
geworden; der Ösophag zeigt eine erste Andeutung der zukünftigen
Gliederung in Muskel- und in Drüsenmagen. .In der Folge ent-
wickelt sich allmählich der chitinöse Mundbecher zu seiner typischen
Gestalt. Eine neue Häutung tritt ein; das Nervensystem und der
Hautmuskelschlauch erscheinen in der definitiven Form, während
die Geschlechtsorgane noch wenig entwickelt sind und das Hinter-
leibsende dem des erwachsenen Tieres noch unähnlich aussieht.
Auch Grösse und Skulptur des Mundbechers weichen noch von den
bezüglichen Verhältnissen beim erwachsenen Tier ab. Im Sommer
braucht der Entwickelungsgang des Ciicullanus bis zu diesem Punkte
Die Parasiten unserer Süsswassei-lische.
227
nur wenige Tage, im Winter dagegen mehrere Wochen. Damit ist
aber auch die Grenze der im Zwischenwirt möglichen Ausbildung
erreicht. Jetzt müssen die Kappenwürmer eingeschlossen in die
Cyclopiden auf den definitiven Wirt, den Barsch, übertragen
werden. Mit der Nahrung nimmt der Fisch gleichzeitig die jungen
Schmarotzer auf. Im Magen des Hauptwirtes freigeworden, be-
ziehen die Kappenwürmer die Pylor-Anhänge, wachsen dort rasch
heran, um nach einer weiteren Häutung bald die Geschlechtsreife
zu erreichen. Schon zehn bis vierzehn Tage nach der Infektion
findet im Darm des Barsches die Begattung der Würmer statt.
Einen ähnlichen den Stempel des Parasitismus tragenden Ent-
wickelungsgang mit Übertragung des jungen Schmarotzers auf einen
Zwischenwirt, in dem längere Zeit ein latentes Leben geführt werden
kann, bis wiederum mit der Nahrung der Parasit in den definitiven
Wirt eingeschmuggelt wird, durchläuft ein bekannter Fadenwurm
des Hechts, die Ascaris actis Bloch.
Schon seit längerer Zeit sind aus vielen
karpfenähnlichen Fischen kleine Nematoden be-
kannt, die wenig umfangreiche (bis i mm lange)
Kapseln der Mesenterien und des Lebergewebes
bewohnen. Im Genfersee sind die betreffenden,
höchstens 2 mtn langen Würmer speziell in der
Laube (Albiirmis hicidus) häufig. Verwandte
Arten sind von v. Linstow in der Quappe und
Aesche eingekapselt gefunden worden. Die
schlanken Tierchen zeichnen sich durch einen
weiten Mund mit kräftigem Bohrzahn und einen
drüsigen, vom Pharynx sich abzweigenden Blind-
sack aus. Sie sind geschlechtslos. Diesing legt
ihnen in seinem Hauptwerk „Systema Helmin-
thum" fälschlich den Namen Trichina cyprinorum
bei (Fig. 36). Offenbar sind sie vom Darm
her in Leber und jNIesenterien der A\'eissfische
eingewandert. Im Zwischenwirt können sie wohl längere Zeit ein
latentes Leben führen, eine für die Erhaltung der parasitischen
Larve von Ascaris
actis (Trichina cypri-
norum) aus den
Weissfischen.
15^
228 ^^^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
Spezies wichtige Eigenschaft. Die Dauer der Möglichkeit einer
erfolgreichen Übertragung auf den Hauptwirt wird so verlängert
und der Verbreitung des Schmarotzers dadurch kräftiger Vorschub
geleistet. Während seines Aufenthalts im Zwischenträger gehen
mit dem jungen Wurm keine weiteren Veränderungen vor sich ;
er wächst bis zu einem gewissen Grade, ohne eine Metamorphose
durchzumachen, ein Verhalten, das von dem des Ciicullanns be-
deutend abweicht. Mit den Weissfischen, der Lieblingsnahrung des
Hechtes, gelangen die Nematoden in den Magen dieses grossen
Räubers des Süsswassers. Leuckart fand sie dort wieder ein-
gekapselt in den Wandungen des Verdauungstractus , dann aber
auch frei in den verschiedensten Grössen und Entwickelungsstadien
Magen und Darm des Wirtes bevölkernd. Von der Trichina
cyprmorum bis zur ausgewachsenen, geschlechtsreifen Ascaris actis
Hessen sich alle wünschbaren Übergangsformen nachweisen. Der
Bohrzahn geht verloren; die drei für Ascaris charakteristischen
Lippen erscheinen am Umfange der Mundöfthung; die Geschlechts-
organe wachsen schlauchförmig aus. Dagegen bleibt im er-
wachsenen Tier jener eigentümliche Blindsack des Ösophagus
bestehen, der schon die junge Larve in den Weissfischen aus-
zeichnet und so junge und alte Form leicht auf einander zurück-
führen lässt.
Ascaris acus Bloch ist kein seltener Gast im Darm und auch
in der Leibeshöhle von Hecht, Quappe und Forelle. In jüngeren
Stadien, frisch aus den Weissfischen stammend, lebt sie zunächst
eingekapselt in den Wandungen des Verdauungstractus ihrer Wirte,
wie dies Leuckart beobachtete. Nachdem sie eine bestimmte
Grösse erreicht hat, bricht sie nach dem Darm oder der Leibes-
höhle durch. Länge des $ bis 40 mm, des 'o bis 30 mm. Die
Mundlippen sind stark entwickelt, Cuticula deutlich quer gestreift.
Wie bei fast allen Parasiten werden Eier in grösster Menge ge-
bildet. An diesen Ascariden des Hechts hat Bunge durch eine
Reihe interessaiiter Experimente nachzuweisen verstanden, dass sie
vier bis sechs mal 24 Stunden in vollkommen sauerstoff"freien Medien
leben können.
Die Parasiten unserer Süsswasserfische. 229
Eingekapselte, geschlechtslose Nematoden sind in den ver-
schiedensten Organen von Fischen des süssen und salzigen Wassers
eine ganz gewöhnliche Erscheinung. Über ihre Zugehörigkeit zu
erwachsenen Formen aber sind wir bis jetzt in den wenigsten Fällen
genügend aufgeklärt. Äusserst verbreitet und oft in ungeheuerer
Zahl auftretend ist in sehr vielen Fischarten die Aganionema
capsnlaria Dies., die wahrscheinlich mit der unter ähnlichen Um-
ständen vorkommenden Ascaris capstdaria Rud. und der Filaria
piscium Rud. zusammenfallen dürfte. Es liegen die Würmer spiralig
aufgerollt und von einer leichten Kapsel umschlossen an und in
den verschiedensten Organen: Leber, Nieren, Milz, Geschlechts-
organen, im Peritonäum, auf der Aussenfläche des gesamten Ver-
dauungstractus, besonders zwischen den Appendices pyloricae. Aus
ihrer Kapsel befreit, schwimmen die glänzenden, äusserst beweg-
lichen, schlanken Würmer sehr lebhaft im Wasser. Es gelang mir
in zahlreichen Versuchen Exemplare aus dem Lachs Monate lang
in kleinen Wassermengen am Leben zu erhalten, nie aber nach
vollkommener Austrocknung dieselben durch Anfeuchtung wieder
zu beleben. Länge bis 20 mm, Tegument glatt, keine Seiten-
membranen, Vorderende etwas verschmälert, drei kleine rudimentäre
Lippen. Der Ösophag trägt auch hier wieder ein kleines seit-
liches Caecum. Keine Geschlechtsorgane. Früher wurden diese
„Filarien" fälschlich zum Entwickelungscyklus gewisser die marinen
Fische bewohnender Cestoden (Tetrarhynchen) gezogen! Wahr-
scheinlich erreicht Agamonema capstdaria die Geschlechtsreife in
grossen Raubfischen. Wenigstens fand ich im INIagen eines Hai-
fisches freie Agamonemen neben halbverdauten Resten eines Meer-
aals, ein Fisch, der mit larvären Würmern oft besetzt ist. Neben
den Cysten der Agamonemen liegen in manchen Organen vieler
Süsswasserfische noch Kapseln anderer Nematoden. Kapsel und
Insasse aber unterscheiden sich durch Lage, Form, Bau leicht
von den soeben beschriebenen Bildunfren. Sie gehören wohl
verschiedenen geschlechtsueifen Arten von Fadenwürmern an, doch
ist ihr Zusammenhang mit erwachsenen Formen nur sehr wenig
klargestellt.
230 ^^^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
An die Klasse der Nematoden schliesst man gewöhnlich die
Gruppe der Kratzer, Acanthocephalen oder, wie sie nach ihrer
einzigen Gattung genannt wird, der Echinorhynchen an. Es sind
dies ohne Ausnahme typische Darmschmarotzer. Ihr Bau verrät
sofort den Parasitismus durch den mit kräftigen Haken bewaffneten,
in eine Scheide zurückziehbaren Rüssel, der als starker Haftapparat
dient, und durch die völlige Abwesenheit des Verdauungssystems.
Die Nahrungssäfte werden aus dem Wirt osmotisch durch die ganze
Körperoberfläche aufgenommen. Im gestreckten, oder eiförmigen
Körper liegen, von einem aus Quer- und Längsfasern zusammen-
gesetzten Muskelschlauch umschlossen, hauptsächlich die kompliziert
gebauten Geschlechtsorgane. Die Geschlechter sind getrennt, die
Fruchtbarkeit erfährt auch hier eine für den Parasiten so wünschens-
werte starke Steigerung. Im Grunde der Rüsselscheide entwickelt
sich das Nervensystem in Gestalt eines Ganglions mit davon aus-
strahlenden Nerven; in die Leibeshöhle ragen noch zwei eigentüm-
liche, schlauchartige Bildungen, die Lemnisken, denen man die
Funktion von Exkretionsorganen zuschreibt. Die Lebensgeschichte
der Echinorhynchen ist durch das Schmarotzertum stark beeinflusst.
Kratzer im Darme von Süsswasserfischen sind eine recht
häufis;e Erscheinung:. Besonders verbreitet in allen Fischen aus
der Familie der Karpfen, aber auch in Barsch, Quappe, Hecht,
Aal, Stör, Forelle, Aesche, Gruppe, Saibling, Kaulbarsch findet sich
der Echinorliynchus protcus Westrumb. Oft ist der Enddarm des
Wirtes von den rötlichen oder gelblichen Schmarotzern prall an-
gefüllt. Die Länge der Tiere beträgt bis 30 mm; 'vom Januar
bis Juni nahm sie bei den Exemplaren aus dem Genfersee stetig
zu. Äusserlich zeichnet sich die Art durch einen langen, schmalen,
unbewehrten Hals aus, der an der Übergangsstelle zum Rüssel
eine durchaus charakteristische, kugelige, als Bulla bezeichnete
Bildung trägt. Der Rüssel selbst ist nach Hamanns neuester,
schöner Arbeit mit 23 bis 25 Querreihen von Haken bewaffnet,
die drei verschiedenen Formen angehören. Eine verwandte, von
Hamann zuerst genau festgestellte Art, der E. Linstowi, besitzt
nur zehn Hakenreihen mit zweierlei Formen der Haftgebilde.
Die Parasiten unserer Süsswasserfische. 231
Gesamtzahl der Haken für E. protcus 230 — 250, für E. Linstowi 60.
Die Grösse der Exemplare \o\\ E. proteus richtet sich nach der
Grösse des bewohnten Fisches, ein Verhältnis, das für Wirt und
Gast bei parasitischen Geschöpfen überhaupt oft gültig ist. In der
Jugend sind die Echinorhynchen noch kaum angeheftet; ältere
Individuen versenken Rüssel und Hals tief in die Schleimhaut
des Fisches.
Die reifen , bereits embryonenhaltigen Eier fallen , nachdem
das Ovarium geplatzt ist, in die Leibeshöhle; sie werden \-on einem
eigentümlichen, sich fortwährend öffnenden und schliessenden Teil
des Geschlechtsapparats, der Uterusglocke, aufgeschluckt und von
da durch die Leitungsapparate an die Aussenwelt abgegeben. Von
einzelnen Kratzern werden so Millionen sehr kleiner Eier in der
freien Natur zerstreut. Ihre Entwickelungsfähigkeit bleibt lange
Zeit eine ungestörte. Die Embrvonen sind in drei starke Hüllen
von \'erschiedener Natur eingeschlossen. Ihre Gestalt ist die eines
schlanken Kegels mit abgerundeten Enden; das breitere, ventral
scheibenartig abgeflachte Vorderende trägt einen aus zehn bis zwölf
stilettförmigen Borsten zusammengesetzten Stachelapparat, der durch
eine spezielle Muskulatur bewegt werden kann. Leuckart hat
schon vor längerer Zeit nachgewiesen, dass die Eier unseres E.
Proteus in den Darm des weit verbreiteten, gewöhnlichen Floh-
krebses (Gammarus pulex) gelangen müssen. Die Eihülle und
endlich auch die Darmwand des Zwischenwirtes wird ^•on den
Embryonen mit Hilfe ihres Stachelapparates durchbrochen; in der
Leibeshöhle des Krebses läuft die weitere Entwickelung ab. Noch
drei Wochen bleiben die Bewegungen im Zwischenwirt recht leb-
hafte; nach und nach werden sie langsamer, um endlich ganz auf-
zuhören. Der embryonale Hakenkranz ist inzwischen verloren
gegangen; die Tiere liegen wie Puppen von Insekten, von ihrer
äusseren, derben Haut wie von» einer Kapsel umgeben und mit
eingezogenem Rüssel in der Leibeshöhle des Gammarus. Die
weitere Entwickelung des scheinbar ruhenden Körpers ist eine
höchst komplizierte. Aus einer zentralen Kömermasse der Lar\e,
dem sogenannten Embryonalkern, geht die Hauptmasse der Organe,
232 ^^^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
Nervensystem, Rüsselscheide, Geschlechtsapparate, hervor, während
die Körperwandung mit den Lemnisken, dem eigentümlichen, sie
durchziehenden Lakunensystem und dem Muskelschlauch den peri-
pherischen Teilen des Embryos den Ursprung verdankt.
Eingeschlossen in den Zwischenwirt müssen die jungen Echino-
rhynchen in den Verdauungstractus der ihnen als Hauptwirte
zusagenden Fische gelangen. Dort werden sie frei, fixieren sich,
ihre volle Grösse wird erreicht und nach definitiver Ausbildung
der Geschlechtsorgane wird die Begattung vollzogen.
Hamann hat indessen die Beobachtung gemacht, dass die
Lebensgeschichte noch kompliziertere Bahnen einschlagen kann.
In manchen Fischen, Stichling, Barbe, Groppe, Gründling, besonders
massenhaft aber in der Elritze (Phoxinus laevis) fand der Göttinger
Zoologe der Oberfläche der Leber angeheftet regelmässig kugelige
bis eiförmige Gebilde von etwa 2 mm Durchmesser. Sie bestehen
aus einer von der Leber aus gebildeten Kapsel, die die orange-
farbene Larve einer Echinorhynchus-Art umschliesst. Diese jungen
Tiere aus der Leibeshöhle der kleinen Fischarten entsprechen in
jeder Beziehung den Jugendstadien von Echinorhynchus proteus
aus dem Flohkrebs. Sie müssen unbedingt als zum Entwickelungs-
gang des besprochenen Kratzers gehörend betrachtet werden. Es
gelang Hamann sogar, aus den in Fischen gefundenen Larven in
der Forelle den typischen Echinorhynchus proteus gross zu ziehen.
Also kann ein Fisch, z. B. die Elritze, so gut wie der Flohkrebs
zum Zwischenwirt eines Kratzers werden, der selbst wieder Raub-
fische bewohnt. Die genannten kleinen Fische können übrigens
gleichzeitig Haupt- und Zwischenwirt des Echinorhynchus proteus
sein. Sie beherbergen ihn als geschlechtsreifen Wurm massenhaft im
Darmkanal, gleichzeitig findet er sich ganz konstant, oft in der Zahl
von zwanzig Exemplaren, als geschlechtslose Larve der Leber und
den Mesenterien angeheftet. So sucht ja auch die Trichine den
INIenschen in zwei verschiedenen Entwickelungsstadien heim, als ge-
schlechtsreifer Darmbewohner und als in den Muskeln ruhende, unreife
Larve. Hamann nimmt an, dass die Elritzen u. s. w. gelegentlich
Flohkrebse verschlucken, in deren Darm frisch aufgenommene, noch
Die Parasiten unserer Süsswasserfische. 233
nicht geöffnete Eier von E. protciis liegen. Die Embryonen
gelangen nun im Fischdarm zum Ausschlüpfen, sie durchbohren
die Wandungen des Verdauungstractus und benützen den Fisch
an Stelle des von ihm verschlungenen Krebses als Zwischenwirt.
Ein Raubfisch wie die Forelle ist also einer doppelten Infektions-
gefahr ausgesetzt, sie kann den EcMnorhyjichus vom Fisch oder
vom Krebs beziehen. Für die Verbreitung des Parasiten aber
wird die geschilderte Vermehrung der Zahl von Zwischenwirten
von Bedeutung und Vorteil sein.
Kaum weniger verbreitet als der Echinorhynchus proteus ist
ein anderer Kratzer zahlreicher Süsswasserfische, der E. angustatus
Rud. Als seine gewöhnlichsten Wirte dürfen wohl
Barsch, Hecht, Quappe, Karpfen und Forelle be- ^
zeichnet werden. In gewissen Bächen, die den ßjk
Zwischenwirt des Wurmes, die Wasserassel (Aselliis ;M
aqiiaticus), häufig beherbergen, ist auch der Darm
der Forellen regelmässig mit hunderten der Schma-
rotzer angefüllt. Der gestreckte, spindelförmige oder
cylindrische Körper besitzt nur einen kurzen Hals.
Der walzenförmige Rüssel trägt 8 — 20 Hakenreihen,
deren Elemente von zweierlei verschiedener Form
sind. Bei mittelgrossen Tieren mit 15 Reihen be-
trägt die Hakenzahl 120 (Fig. 37).
Es kamen mir keine Exemplare von E. angu-
status aus Süsswasserfischen zu Gesicht, deren Ge-
samtlänge. 25 mm überstieg. Die Lebensgeschichte
dieses Kratzers kopiert die für E. proteus näher
geschilderten Vorgäng-e. Wie dort bedarf die Larve
bis zu ihrer vollständigen Ausbildung acht bis zehn
Wochen Zeit. Die Eier des Parasiten werden von Fig. 37.
der Wasserassel in grosser Menge aufgenommen. "^ ali^s/a'üJ"^
Im Gegensatz aber zu den bereits geschilderten
Verhältnissen gelangen die ausschlüpfenden Embryonen von E.
angustatus schon in der Drüsenschicht des Darmes ihres Zwischen-
trägers, die sich in beträchtlicher Dicke zwischen Chitinwand und
234 ^^^ Parasiten unserer Süssvvasserfische.
JMuskelhaut legt, zur Ruhe. Hier liegen sie in grosser Zahl be-
wegungslos. Die äussere Form der Larven verändert sich; innere,
komplizierte Umbildungen finden statt; die Körpergrösse nimmt zu.
Endlich fallen die jungen Schmarotzer infolge von in der Wandung
des Darmes eintretenden Veränderungen passiv in die Leibeshöhle
des Zwischenwirtes. Von der Blutflüssigkeit des Krebses umspült,
und so reichlich ernährt, wächst der Schmarotzer verhältnismässig
rasch unter allmählicher Gestaltveränderung. Es entsteht auf ver-
wickeltem Wege der junge Echinorhynchus , der mit der Assel auf
den Hauptwirt (Fische) übertragen werden muss, um dort seine
Geschlechtsreife zu erlangen.
Für einen andern Kratzer, den E. clavaeceps Zed., hat Villot
den Zwischenwirt in der wasserbewohnenden Larve eines weit
verbreiteten und massenhaft auftretenden Netzflüglers, der Sialis
httaria L., entdeckt. Der junge Wurm liegt eingekapselt im Fett-
körper des Insekts; er sieht in Form und Bau dem erwachsenen
Echinorhynchus sehr ähnlich, doch sind die Geschlechtsorgane noch
unentwickelt. Zufällig finden sich die Larven des E. clavaeceps
auch in einem Blutegel (Nephelis octoculata) und in Wasser-
pulmonaten (Limnaeen) ; doch scheint die Sialis-Larve der richtige
Zwischenträger zu sein. Ihr wird vom Hauptwirt des betreffenden
Kratzers, der Schmerle • /^CoZ'/A's barbatiila), eifrig nachgestellt.
E. clavaeceps ist übrigens auch kein seltener Gast zahlreicher
Karpfenarten.
Die formenreiche Gruppe der Trematoden oder Saugwürmer
umschliesst ausschliesslich parasitierende Wesen. Doch leben sie
bald als Entoparasiten in den inneren Organen ihres Wirtes, bald
heften sie sich ektoparasitisch auf seiner Oberfläche an. Es sind
meist flache, blattförmige, ungegliederte Würmer, die als Haft-
apparate Saugnäpfe und oft daneben noch Hakengebilde besitzen.
Eine Leibeshöhle fehlt; der gegabelte, oft vielfach verzweigte Darm-
kanal endigt immer blind. Über dem Schlünde liegt ein Doppel-
ganglion, das mehrere Nervenstämme, speziell zwei nach hinten
ventral verlaufende, abgiebt. Röhriges, meist durch einen unpaarigen
hinteren Porus ausmündendes Exkretionssystem, das mit zahlreichen
Die Parasiten unserer Süsswassertische. 235
Wimpertrichtern im Parenchym beginnt. Die Trematoden sind
fast ausschliesslich Zwitter mit sehr komplizierten Geschlechts-
apparaten. Ihre Lebensgeschichte ist oft äusserst verwickelt. Sie
setzt sich besonders bei den entoparasitischen Formen für ein und
dieselbe Art aus mehreren, auf verschiedene Weise aus einander
hervorgehenden Generationen zusammen (Generationswechsel). Freie
Stadien wechseln mit parasitischen; oft werden mehrere Wirte
durchlaufen.
Von den entoparasitischen Formen, die mit höchstens zwei
Sauggruben, nie mit Haken bewehrt sind, stellt besonders die arten-
reiche Gattung Distoma zahlreiche Schmarotzer für die Süss-
wasserfische. S tos sich kennt 170 Distomeen aus etwa zweihundert
Fischarten; davon parasitieren etwa vierzig Arten in Süsswasser-
und Wanderfischen. Sie bewohnen oft in sehr grosser Individuen-
zahl hauptsächlich die verschiedenen Abschnitte des Verdauungs-
tractus, vom Schlund bis zum Enddarm. Doch fehlen sie auch
nicht in anderen, nach aussen offenstehenden Organen, wie z. B.
in der Harnblase (Distoma folium Olfers bei Groppe, Hecht,
Forelle, Aesche, Saibling). In Körpergestalt, Grösse und Bau
weisen die Distomeen der Süsswasserfische gar mancherlei Ver-
schiedenheiten auf Als Extreme seien erwähnt das D. tereticolle Rud.
aus dem Schlund von Hecht, Aalraupe, Forelle, Saibling etc. mit
gestrecktem bis 50 mm langem, halbcylindrischem Körper, und das
schon angeführte D. folium aus der Harnblase mancher Fische,
dessen Leib eine flache Scheibe von kaum 2 mm Durchmesser
bildet, von der ein Halsteil sich scharf abhebt. In zahlreichen
Fischen lebt das D. appendiculatum Rud., ausgezeichnet durch einen
in den Körper rückziehbaren Schwanzteil; im Schlünde des Lachses
stösst man oft auf das auch sonst verbreitete D. varicum Zeder
mit drehrundem, geknicktem Körper, konkaver Rücken- und kon-
vexer Bauchfläche. In den Karpfen lebt das durch seinen kugeligen
Bauchsaugnapf ausgezeichnete D. globiporwn Rud.
Über die Lebensgeschichte der die Süsswasserfische bewoh-
nenden Distomeen ist uns fast nichts bekannt. Sie wird wohl wie
diejenige verwandter Formen durch mehrere provisorische ^^'irte
236 ^^^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
führen und für ein und dieselbe Art aus verschiedenen Generationen
zusammengesetzt sein. Parasitische und freie Zustände werden mit
einander wechseln, bis sich' endlich ein junges geschlechtsloses
Distoma entwickelt hat, das eingeschlossen in einen letzten
Zwischenwirt, wie beim Leberegel unserer Rinder und Schafe, in
den Darm des Hauptwirtes gelangt. Die Fruchtbarkeit der in Frage
stehenden Saugwürmer ist eine gewaltige. Bei dem abscheulichen
Ausbeutungssystem, das den Parasitismus nun einmal charakterisiert,
können Stoffe zur x\usarbeitung der Eier in Hülle und Fülle
aufgenommen werden. So wird der weitern Verbreitung der
schmarotzenden Spezies starker Vorschub geleistet. Die mit einem
kleinen Schalendeckel versehenen Eier werden mit dem Kot
des Wirtes an die Aussenwelt abgegeben. Vom
Distoma laiireatimt Zeel, der Salmoniden berichtet
uns V. Willemoes-Suhm, dass den ins Wasser
gelegten Eiern nach Verlauf von 34 Tagen ein
grosser, bewimperter Embryo mit schwarzem Augen-
fleck entschlüpfte (Fig. 38). Bei Distoma globi-
portim ist nach demselben Gewährsmann der länglich-
runde Embryo ebenfalls stark bewimpert. Er besitzt
^,. '^" ^ ' Seitengefässe und trägt an einem Ende ein saugnapf-
Flimmerembryo ° ° o i
von Distoma artigcs Gebilde, aus dessen Mitte sich ein konischer
laiireaium. ^ ..
Zapfen erhebt. Der Embryo von D. jotnim ist
herzförmig mit rudimentärem Mundnapf, Seitengefässen und Flimmer-
überzug. Auch die erste Jugendform von D. nodiilosum aus dem
Magen von Hecht, Zander, Barsch etc. zeigt ähnlichen Bau. In
seinem schwarzen Pigmentfleck ist deutlich eine rundliche Linse
erkennbar. Der Embryo von D. tereticoUe besitzt im Exkretions-
apparat deutliche Flimmerläppchen. Über die weiteren Schicksale
all dieser bewimperten, freischwimmenden Jugendstadien der Süss-
wasserdistomeen wissen wir leider fast gar nichts. Speziell ist es
uns sehr oft unbekannt, in welchen Zwischenwirt eingeschlossen sie
endlich in den Darmkanal des definitiven Wirtes übertragen werden.
In manchen Fällen mag der letzte Zwischenwirt dem Kreis der
Mollusken angehtJren. So lebt die noch geschlechtslose Larve von
Die Parasiten unserer Süsswasserfische. 237
D. globiporum Rud. in dünnwandigen C\-sten weitverbreiteter
Wasserschnecken [Limnaea stagnalis, Planorbis marginatus , Suc-
cinea pittris etc.). Es können übrigens auch die Süsswasserfische
die Rolle von Zwischenträgern von Trematoden gegenüber anderen
Geschöpfen — Raubfischen, Wasservögehi — spielen.
In der »rossen Mehrzahl der Individuen des Flussbarsches ist
die ^^^andung der Schwimmblase durchsäet mit Ideinen, kugeligen,
starkwandigen , opalescierenden Cysten. Sie umschliessen larväre
Trematoden mit gut entwickeltem INIundnapf, an dessen Seite zwei
bohnenförmige Organe — Drüsenausmündungsstellen • — liegen. Auch
ein hinterer Bauchnapf lässt sich nachweisen. Der Leib ist reichlich
mit Kalkkörperchen durchsetzt; er umschliesst einen kurzen ge-
gabelten Darm. Es sind diese Larven mit dem Namen Tetracotyle
belegt worden. Ähnliche junge Saugwürmer siedeln sich nicht selten
im Auge verschiedener Fische, Barsch, Quappe, Zander, Karpfen,
an, wo sie als Diplostomwn beschrieben worden sind. Eine Kapsel
fehlt ihnen, v. Nordmann fand in der Linse einer Quappe 290
solcher Würmer, im Glaskörper 157.
Es ist in hohem Grade wahrscheinlich gemacht worden —
siehe ausser Leuckart die Arbeit von Brandes — , dass diese
Tetracotylen und Diplostomen, die ausser Fischen auch Mollusken,
Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere infizieren, im Darme
des Hauptwirtes — Reptilien, Säugetiere und besonders Vögel —
sich zu Geschlechtsreifen Vertretern der Familie der Holostomiden
entwickeln. Der bewimperte Embryo dieser Trematoden sucht
einen passenden Zwischenwirt auf und reift in ihm zur völlig aus-
gebildeten Holostomiden-Larve heran, die, mit dem Zwischenträger
in den Darm des definitiven Wirtes übergeführt, dort zum ge-
schlechtlichen Tier auswächst. Ein Generationswechsel wäre in dieser
Lebensgeschichte ausgeschlossen, dagegen wird immer ein Zwischen-
wirt aufgesucht. Der Zwischenträger fällt nun bei den sofort zu
besprechenden ektoparasitischen Saugwürmern ebenfalls fort.
Die an der Aussenfläche von Wassertieren, speziell Fischen,
lebenden Polystomeen bedürfen zu ihrer Festsetzung weit kräftigerer
Haftorgane als die entoparasitischen Distomeen. Ist doch für sie
238 Die Parasiten unserer Süsswasserfische.
die Gefahr, vom Wirte abgestreift zu werden, eine immer drohende.
So wird denn bei ihnen nicht nur die Zahl der Saugnäpfe bedeu-
tend vermehrt, sondern es werden dieselben in ihrer Funktion oft
noch durch mannigfaltige Chitinhaken und Borsten unterstützt. Bei
diesen mit der freien Aussenwelt während des ganzen Lebens in
Beziehung stehenden Schmarotzern sind auch Sinnesorgane, beson-
ders Augen, keine Seltenheit, Bildungen, die bei den Entoparasiten
unter den Trematoden höchstens während der frei schwärmenden
Jugendzeit auftreten. Die Polystomeen bilden meistens nur wenige,
aber grosse und oft mit verschiedenen Anhängen versehene Eier
aus. Die denselben entstammenden Embryonen entwickeln sich
am häufigsten ohne Generationswechsel und Wanderungen zum
definitiven Geschlechtstier. Die Eier werden oft mit ihren Fort-
sätzen am Wirt befestigt, aus ihnen entspringt ein äusserlich und
innerlich schon hoch differenzierter Embryo. Das für ihn unnötige
Wimperkleid ist schwach, oder gar nicht entwickelt; dagegen besitzt
er schon einfache Haftorgane, die sich meistens später komplizieren.
Die Distomeen liefern ungemein zahlreiche, einfache Embryonen,
von denen wenigstens einige alle mannigfaltigen Wendungen des
Geschicks des entoparasitischen Entwickelungsganges glücldich über-
stehen werden; die Polystomeen entlassen aus wenigen, aber dotter-
reichen Eiern einige Junge, die im ganzen schon den Eltern ähnlich
sind. Zuweilen werden indessen auch weitergehende Metamorphosen
durchlaufen.
In manchen Fällen bietet der Lebensgang der ektoparasitischen
Saugwürmer trotz der direkten Entwickelung Verhältnisse, die zum
eigentümlichsten gehören, was uns tierische Geschichte lehrt. Speziell
unter den Parasiten der Süsswasserfische stossen wir in dieser
Beziehung auf höchst seltsame Vorgänge.
Zell er hat uns in seinen schönen Arbeiten sowohl mit Bau,
als mit Lebensgeschichte des Diplozoon paradoximi Nordm., des
fremdartigen Doppeltieres, bekannt gemacht. Es ist ein Trematode,
der häufig an den Kiemen zahlreicher Süsswasserfische — Elritze,
Quappe, Groppe etc. — schmarotzt. Im ausgewachsenen, ge-
schlechtsreifen Zustand erscheint der Körper des Diplozoon als ein
Die Parasiten unserer Süsswasserlische.
239
X- oder kreuzförmiges Gebilde, das, wie wir sehen werden, durch
die dauernde und enge Verwachsung von zwei ursprünglich ge-
trennten Wurmleibern entstanden ist. Die Hinterenden besitzen
zwei grosse, in vier Gruben geteilte Haftscheiben, zu denen sich
noch ^^er starke Klammerpaare gesellen (Fig. 3 g).
Fig. 39-
Diplozoon paradoxum von den Kiemen der Elritze.
Fig. 40.
Ei von Diplozoon paradoxum.
Beide das Diplozoon zusammensetzenden Tiere sind gleich,
hermaphrodit, bringen Eier hervor und befruchten sich gegenseitig.
Mit dem Eintritt der kälteren Jahreszeit hört die Eierbildung auf,
die weiblichen Organe existieren dann nur andeutungsweise. Bei
steigender Temperatur (künstlich oder natürlich) beginnt die Aus-
arbeitung der Eier sofort wieder, die Geschlechtsorgane entwickeln
sich und treten in Thätigkeit. Die Eibildung und Befruchtung
kann nun in allen Einzelheiten verfolgt werden. Das reife, hoch-
gelb gefärbte, gedeckelte Ei ist 0-28 bis 0-30 mm lang; seine Schale
besitzt zunächst an einem Pol einen kurzen, schnabelartigen Fortsatz,
der allmählich zu einem langen, sich aufrollenden und erstarrenden
Faden auswächst (Fig. 40). Am siebenten bis achten Tag werden
die Eier aus dem erweiterten Ende des Ovidukts ausgestossen.
Tn reinem Wasser läuft die weitere Entwickelung rasch ab. Nach
acht Tagen umschliesst die Eischale einen deutlichen Embryonal-
körper, der sich zuerst schwach, dann immer kräftiger bewegt. Am
fünfzehnten Tag etwa wird der Deckel des Eies abgeworfen, der
Embryo schwimmt leicht im Wasser. In diesem Zustand ist das
240 -^^^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
junge Tier, was sich schon durch die Eischale erkennen Hess, mit
zwei dorsal liegenden Augen und einem Wimperbesatz ausgestattet.
Die Augen sind Schälchen eines bräunlichen Pigments, die ein
helles, kugeliges, linsenartiges Körperchen umschliessen. Das ganze
Körperparenchym ist reichlich mit glänzenden, formveränderlichen
Kügelchen durchsetzt. Am Vorderende liegt der Mund mit zwei
eigentümlichen seitlichen Saugnäpfen, das Hinterende trägt zwei
Klammern und zwei kleine Angeln. Im Innern des Körpers
erscheint der stark muskulöse, in einen einfachen Darm führende
Schlundkopf (Fig. 41). Die Bewegungen dieser jungen
Tierchen sind äusserst mannigfaltig und ausgiebig.
Bietet sich indessen im Verlauf von sechs Stunden
keine Gelegenheit zur Fixierung auf den Kiemen eines
Fisches, so gehen die Diplozoon-Embryonen zu Grunde.
Hat die Festsetzung aber stattgefunden, so verwandelt
sich der Embryo zu einem Geschöpf, das als kiemen-
bewohnender Parasit schon von Duj ardin unter dem
Fiiraraere^mbryo Namen Dipovpa beschrieben worden ist. Der unnötig
von Dipiozoon gewordene Schwimmapparat, der Wimperbesatz, geht
paradoxuni.
verloren; die Augen, die gleichfalls keinen Dienst
mehr zu leisten haben, zerfallen, der Darm füllt sich mit dem
Wirt entzogenen Stoffen. Im Juli und August findet man die
Kiemen der Elritzen oft mit hunderten von Diporpen besetzt. Es
sind diese Wesen von lanzettförmiger, abgeplatteter Körpergestalt;
ihre Bauchfläche träß-t etwas unterhalb der Mitte einen kleinen
O
Saugnapf, am Rücken liegt, noch etwas -Ideiner als der Bauchnapf,
ein zapfenförmig hervortretendes Gebilde. Das Kopfende des Tieres
verlängert sich rüsselartig, an ihm liegt zentral ein quergestellter
Mund; seitlich öffnen sich zwei Saugnäpfe in die Mundhöhle. Der
Darm beginnt seitliche Ausstülpungen zu treiben. In jeder Körper-
hälfte liegt ein Hauptstamm des Exkretionssystems. Am Hinter-
ende ist schon das erste Haken- und Klammerpaar befestigt. In
diesem Zustand auf den Kiemen schmarotzend und allmählich an
Grösse zunehmend, können die Diporpen Wochen und Monate
lang leben. Nie aber wird das isolierte Einzeltier geschlechtsreif.
Die Parasiten unserer Süsswasserfischc. 211
es muss der Geschlechtsreife die enge, clefiniti\e Verwachsung zweier
Diporpen zum Diplozoon vorausgehen, wie dies schon v. Siebold
richtig erkannte. Die Vereinigung findet immer so statt, dass
jedes der beiden sich konjugierenden Individuen mit seinem Bauch-
napf den Rückenzapfen des Gefährten umfasst. Die notwendige
Folge dieser Verbindungsweise wird eine Kreuzung der beiden
Exemplare und so die Annahme der typischen Diplozoongestalt
sein. Eine Trennung findet nicht mehr statt, die Tierkörper
verwachsen an den Berührungsstellen innig; aus zwei ursprünglich
getrennten Individuen, hervorgegangen aus zwei verschiedenen Eiern,
ist ein Geschlechtstier entstanden. Das Diplozoou wächst nun
noch weiter; die \-orderen Saugnäpfe gehen verloren, am Hinterende
legen sich ein zweites, drittes und viertes Klammerpaar und ent-
sprechende Sauggruben an, die übrigens oft schon in älteren
Diporpen teilweise vorgebildet sind. Endlich erscheinen in beiden
ursprünglichen Tieren die Geschlechtsorgane.
Eine ziemlich umfangreiche Gruppe von Kiemenparasiten der
Fische sind die Gyrodactyliden , charakterisiert durch ihre grosse
terminale Schwanzscheibe und den kräftigen Hakenapparat. Im
süssen Wasser sind diese sehr kleinen Schmarotzer in vielen Arten
hauptsächlich auf verschiedenen Cypriniden, sowie Barsch, Kaul-
barsch, Zander zu Hause. Die Gattung Gxrodactylns besitzt zwei
Kopf läppen, acht bewegliche Pharynxstacheln, zwei starke Haken
inmitten der Schwanzscheibe und zahlreiche kleine Häkchen am
Umfange derselben.
Kaum minder gut mit Haftapparaten ausgestattet ist die
verwandte Form Dactylogyriis. Sie trägt vier Kopf läppen, zahl-
reiche kleine Randhaken, neben zwei grösseren Klammern auf der
Scheibe. Oft stellt sich noch eine zweite, zentrale Haftplatte ein.
Die merkwürdige Geschichte von Gyrodactylits elegans Nordm.
hat uns G. Wagener geschildert. Das junge Tier macht im Innern
der Mutter seine vollständige Metamorphose durch und wird lebend,
nach Gestalt und Bau dem Muttertier durchaus ähnlich geboren,
während z. B. die verwandte Gattung Dactylogyriis Eier zur Welt
bringt. Bevor aber der junge Gyrodactylits frei wird, umschliesst
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 16
242 ^i^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
er selbst bereits wieder einen Sprössling, so dass drei Generationen
in einander eingeschachtelt liegen. Das Muttertier umfasst die auf
geschlechtlichem Wege erzeugte, aber noch nicht geschlechtsreife
Tochter; diese birgt einen Keimling, der wie angenommen wird
einer übrig gebliebenen Furchungskugel des Eies, aus dem das
Tochtertier hervorging, seinen Ursprung verdankt. Tochter- und
Enkelindividuum wären somit gleichzeitig aus der Masse gleich-
gestalteter und gleichaltriger Embryonalzellen des ursprünglichen Eies
hervogegangen.
Unter dem Namen Sphyramtra Oskri haben Ramsay Wright
und Macall um jüngst einen interessanten ektoparasitischen Trema-
toden von der Haut des grossen Salamanders Necturus lateralis Raf.
aus den Seen Nordamerikas beschrieben. Die fragliche Form
schiebt sich anatomisch und embryologisch zwischen Polystomum
und Gyrodactylus ein. Ein weiterer Kiemenbewohner der Süss-
wasserfische ist die Gattung Tetraonchus.
Wie die Saugwürmer gehören auch die Bandwürmer (Cestoden)
der grossen Abteilung der Plattwürmer an. Es fehlt sogar nicht
an Formen, die morphologisch und embryologisch als Übergangs-
stufen sich zwischen die beiden parasitierenden Gruppen der
Plathelminthen einschieben und es so unmöglich machen, Trema-
toden und Cestoden durch eine scharfe Grenzlinie zu scheiden.
Letztere haben sich offenbar aus ersteren herausentwickelt, sind
aus ihnen durch Anpassung an immer schärfer ausgeprägtes
Schmarotzertum entstanden. Von Ektoparasitismus ist hier keine
Rede mehr. Alle Bandwürmer bewohnen die inneren Organe
ihrer Wirte. Unter dem Drucke des intensiver werdenden
Schmarotzertums sind manche bei den Trematoden noch mehr
oder weniger entwickelte Organe und Organsysteme als unnötig
vollkommen zurückgebildet worden. Sinnesorgane und Verdauungs-
system sind spurlos verschwunden. Das schwach entwickelte Nerven-
system besteht in der Regel aus zwei seitlichen Längsstämmen, die
im vorderen Körper^nde, dem sogenannten Kopf, durch einfache oder
mehrfache Kommissuren verbunden sind. Gut ausgebildet ist das
zweiseitig angelegte, röhrig gebaute Exkretionssystem, dessen feinste
Die Parasiten unserer Süsswasserfische. 243
Verzweigungen im Körperparench\m mit zahlreichen Flimmer-
läppchen endigen. In der Regel ist der Bandwurmkörper mehr
oder weniger deutlich segmentiert, gegliedert. Sein \orderster, die
Haftorgane in Gestalt mannigfaltiger Haken und Saugnäpfe tragender
Teil wird als Kopf oder Scolex bezeichnet; auf ihn folgen nach
hinten in in weiten Grenzen schwankender Zahl die Glieder, Ringe
oder Proglottiden. Jede Proglottis umschliesst männliche und
weibliche Geschlechtsorgane. Oft sind die Proglottiden, nachdem
sie eine gewisse Entwickelung durchgemacht haben, nur noch lose
mit einander verbunden; sie lösen sich sogar von der allgemeinen
Kette ab, um selbständig als Einzelindividuen weiter zu leben. Das
hat zur Auffassung des Bandwurmkorpers als einer aus einem
Hafttier (Scolex) und zahlreichen Geschlechtstieren (Proglottiden)
zusammengesetzten Kolonie geführt. Doch giebt es auch Band-
würmer ohne jeden kolonialen Charakter. Die Glieder sind fest
und dauernd verbunden, die äussere Segmentierung verwischt; die
beiden Geschlechtsapparate kommen in gewissen Fällen im Körper
überhaupt nur in der Einzahl vor. Zwischen Einzelindividualität
und Stocknatur des Cestodenleibs lässt sich keine Grenze ziehen.
Die den Trematoden am nächsten stehenden Formen zeigen von
Segmentierung noch keine Spur; die Gliederung tritt zuerst
schüchtern, dann immer deutlicher hervor und führt zuletzt sogar
zur Selbständigkeit der einzelnen Segmente. Für alle verschiedenen
Stufen liefern gerade die bei den Fischen schmarotzenden Formen
treffliche Beispiele. Auch in der vielfach verschlungenen Lebens-
geschichte der Cestoden spiegelt sich ihr parasitärer Charakter
wieder. Wanderungen und Wirtswechsel sind allgemein verbreitet;
freie Lebensstadien spielen eine viel geringere Rolle als bei den
Trematoden. Sie sind in den Entwickelungsgang der verschiedenen
Bandwürmer in verschieden reichem Masse eingestreut.
Der Körper der Süsswasserfische bietet relativ zahlreichen und
mannigfaltigen Cestoden Herberge, sei es als Zwischen wirt, sei es
als Träger der definitiven Geschlechtsform. Die eigentlichen
Taenien, Cestoden, die für die höheren Wirbeltiere und speziell
auch den INIenschen eine ganze Anzahl von Arten stellen, sind im
IG*
24:4 ^'^ Parasiten unserer Süsswasserlische.
Süsswasserfisch nicht gerade häufig. Barsch, Kaulbarsch, im Genfer-
see auch Quappe, Felchen, Hecht, Forelle, Saibling beherbergen in
ihrem Darm oft in grosser Zahl die Taoiia ocellata Rud., mit vier
seitlich und einem endständig am Scolex liegenden Saugnäpfen.
7*. longicollis Rud. ist für die Salmoniden charakteristisch. In den
Pylor-Anhängen und dem Dünndarm der befallenen Fische leben
oft hunderte dieses Schmarotzers. Länge bis 25 cm, fünf Saugnäpfe.
In Stichling und Barsch ist die mit \ier kleinen, aber starken
Saugnäpfen bewehrte T. füicollis Rud. nicht selten, während die
Cvpriniden sowie Felchen und Quappe nicht allzu häufig durch die
T. tondosa Batsch infiziert werden. Bau und Entwickelunsr all
dieser Fischtaenien sind uns fast völlig unbekannt*).
Durch sein massenhaftes Auftreten in allen Salmoniden fällt
der Bothrioccphaliis infiindibuliformis Rud. auf. Er fehlt auch
nicht in Barsch und Hecht. Sein Scolex trägt — wie dies für
die Gattung Bothriocephalus charakteristisch ist — zwei nur massig
starke Sauggruben. Hunderte von Exemplaren des bis 40 cm
langen Wurmes sind kräftig in den Pylor-Anhängen des Wirtes
befestigt. Salm, Saibling und Forelle scheinen am meisten unter
der Überzahl der Schmarotzer leiden zu müssen. In manchen
Meerfischen und in der Quappe wird der B. infwidibtdiformis,
ersetzt durch die verwandte Form B. rugosns Rud. Seine Länge
geht bis 38 cm; er ist ausgezeichnet durch randständige Geschlechts-
öfFnungen, während dieselben sonst bei den meisten Bothrio- ,
cephaliden auf der Fläche der Glieder liegen.
An die Saugwürmer schliesst sich morphologisch und anatomisch
eng ein nicht seltener Darmschmarotzer der verschiedenen Karpfen-
arten, der Nelken wurm (CaryophyUaeiis viidahdis Rud.) an. Der
Wurmkörper ist vollkommen ungegliedert, sein oft wie eine Nelken-
blüte gefalteter, hakenloser Vorderrand dient als einziges Fixations-
werkzeug. Männlicher und weiblicher Apparat, jüngst von Saint-
Remy genauer beschrieben, sehen denen der Trematoden ähnlich
*) O. V. Linstow hat uns jüngst über den Bau derselben einiges mitgeteilt; eine
weitere Arbeit über Cestoden der Süsswasserfische wird von einem meiner Schüler vor-
bereitet.
Die Parasiten unserer Süsswasserfische. 245
und bleiben wie dort in der Einzahl. Kompliziert ist das
Exkretionssystem mit seinen zahlreichen geschlängelten Längskanälen
und wohl ausgebildeten Wimpertrichtem. Im Gegensatz zu den
meisten Cestoden scheint die Entwickelung des Nelkenwurms relativ
einfach zu sein. Eine Metamorphose ersetzt den Generations-
wechsel; dagegen ist die Wanderung durch den Zwischenwirt bei-
behalten. Wahrscheinlich lebt der junge Caryophxllaciis in dem
unter dem Namen Tuhifex rivulorum bekannt gewordenen Ringel-
wurm und wird mit ihm in den Darm der C}-priniden übertragen,
wo er die Geschlechtsreife erreicht.
Schon etwas mehr dem Typus der Cestoden nähert sich der
„Becherkopf" (Cyathoccphaliis trnncatus Pallas), der sich mit seinem
eigentümlichen, becher- oder trichterförmigen Scolex sehr fest in
den Pylor-Anhängen von Hecht, Barsch, Felchen, Forelle, Quappe,
Saibling ansaugt. Der bis gegen 40 nmi lange Leib besteht aus
wenigen, fest verbundenen und undeutlich gegeneinander abgesetzten
Proglottiden, die flächenständig männlichen und weiblichen Porus, sowie
die Uterusöfthung tragen. Durch den Bau der Geschlechtsorgane
scheint sich der Cyathoccphaliis der Gruppe der Bothriocephaliden
anzuschliessen. Leider ist seine Anatomie erst unvollkommen, seine
Lebensgeschichte gar nicht bekannt.
Traten uns in den bis jetzt geschilderten Fällen die Fische
ausschliesslich als Wirte des ausgewachsenen, geschlechtsreifen Band-
wurms entgegen, so sind doch auch genügend Beispiele bekannt,
wo der Fisch die Rolle des Zwischenträgers spielt und in seinen
Organen die Larven des Cestoden birgt. In einem gut beschriebenen
Entwickelungsgang wird Haupt- und Zwischenwirt der Gruppe der
Süsswasserfische entnommen. Es betrifft dies den Triacnophorus
nodulosiis Rud., der als Bandwurm von bedeutender Länge (bis
1/2 ni) den Darm des Hechtes oft in recht beträchtlicher Zahl
bewohnt. Seltener bezieht er im geschlechtsreifen Zustand Aesche,
Forelle und Barsch. In den Fischen des Genfersees gehört der
Triacnophorus zu den gewöhnlichsten Erscheinungen. Sein undeut-
lich abgesetzter Kopf trägt neben zwei schwachen Sauggruben zwei
Paar starker Chitinhaken , die durch ihre dreizackige Gestalt an
246 ^^^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
die starke Bewaffnung mancher Schmarotzer der Meerfische (Callio-
bothrien) erinnern. Äusserlich ist der Bandwurmkörper trematoden-
haft kaum merkUch gegliedert; innerlich dagegen ist die Segmentierung
scharf ausgedrückt durch die sich regelmässig in grosser Zahl
folgenden, nach dem Typus der Bothriocephalen gebauten Ge-
schlechtsorgane. Im Jugendzustand soll der Triaenophoriis ein-
gekapselt in der Leber der Beutefische des Hechtes, hauptsächlich
der Cypriniden, liegen. Doch fand ich ihn wenigstens für den
Genfersee am häufigsten im Barsch, seltener im Hecht, am seltensten
und nur in schwachen, kleinen Exemplaren in Forelle und Aesche.
Bemerkenswert bleibt immerhin die Thatsache, dass auch hier
wieder alle angeführten Fischarten Haupt- und Zwischenträger der
nämlichen schmarotzenden Spezies werden können. Einmal traf
ich den jungen Parasiten auch im Lachs. Die Triaenophorus-
Larven liegen meistens eingebettet in erbsengrosse dickwandige
Bindegewebecysten der Leber ihres Wirtes. Seltener bewohnen sie
Milz, Peritonäum und Muskeln. In der Leber ist die Larvenzahl
oft sehr bedeutend — nach eigener Erfahrung bis 36 • — , so dass
sich die Gegenwart von hunderten von ausgewachsenen Würmern
im Hechtdarm wohl erklärt. Haken und Sauggruben sind im
Jugendzustand schon wohl ausgebildet, zudem folgt auf den Kopf
ein sehr langer (bis 25 an) Wurmkörper, der reich an Kalk-
körperchen ist und sich in der engen Cyste in den mannigfaltigsten
Knäueln und Windungen aufwickelt. Der bandförmige Anhang ist
übrigens bestimmt, nach der Übertragung auf den definitiven Wirt
zum guten Teil verloren zu gehen. Auf den Hauptträger über-
geführt werden die Triaenophorus-Larven wohl sehr bald geschlechts-
reif. Ihre reifen Eier gelangen in ungezählten Mengen mit dem
Kot des Fisches ins Wasser. Ihnen entschlüpfen schon nach sechs
bis acht Tagen bewimperte, mit sechs provisorischen Haken
bewehrte Embryonen, die auf der Suche nach einem Zwischenwirt
munter umherschwimmen. Ob aber die oben aufgezählten Fische
schon vom Embryo bezogen werden, oder ob ihnen der Parasit in
vorgerückterer Entwickelung durch einen ersten, wirbellosen Zwischen-
wirt übertragen wird, ist noch fraglich.
Die Parasiten unserer Süsswasserlische. 247
Die Leibeshöhle der karpfenartigen. Fische beherbergt oft lang-
gestreckte, bandförmige, schwach segmentierte Schmarotzer, ohne
deutliche Haftapparate. Ihre Zahl in einem \\'irt ist oft ziemlich
beträchtlich; ihre Länge kann sehr bedeutend werden — kenne ich
doch aus einem Rötel ein Exemplar von 83 an Länge und 2 cm
Breite. Kein Wunder, dass unter dem Drucke des wachsenden
Wurmes die von ihm mannigfaltig umschlungenen Organe des
Fisches verkümmern. INIeist tritt tödliche Peritonitis ein. Schwere
Fischepidemien, die viele Karpfenteiche entvölkerten, sind einzig auf
die Gegenwart dieser Riemenwürmer oder Liguliden zurückzuführen.
Es ist also schon praktisches Interesse, wenn wir die Lebens-
geschichte der Ligula snuplicissiina Rud., die uns im ganzen und
grossen von Donnadieu geschildert worden ist, verfolgen. Wir
wissen nun, dass die Schmarotzer aus der Leibeshöhle der Karpfen
nichts anderes sind denn aussergewöhnlich grosse Larven von
Bandwürmern. Sie wachsen schon im Zwischenwirt, eben den
Fischen, zu ungewöhnlicher Länge aus und bilden auch schon die
Geschlechtsorgane vor. Doch treten diese erst in Funktion, wenn
der kaltblütige Zwischenträger mit einem warmblütigen Hauptwirt
vertauscht wird. Dazu bietet sich am besten Gelegenheit, nachdem
die Ligula, durch die unter dem Drucke immer dünner werdenden
Bauchdecken des Fisches hindurchbrechend, ins Wasser gelangt, in
dem sie längere Zeit frei leben kann, ein für einen Parasiten nicht
gewöhnliches Verhältnis. Forel hat freie Exemplare von Ligula
in den grossen Tiefen des Genfersees gefischt. Jetzt muss der
noch nicht geschlechtsreife Wurm von einer Ente oder einem
anderen Wasservogel aufgenommen werden. Liguliden von mindestens
10 cm Länge, ja sogar Bruchstücke grösserer Exemplare werden
im Entendarm schon nach Verlauf von 24 Stunden vollkommen
reif; kleinere Tiere werden auspreworfen. Die beiden SauQ:gruben
treten deutlicher hervor; die Segmentierung des Körpers prägt sich
etwas schärfer aus; der Leib streckt sich; in den in grosser Zahl
sich regelmässig folgenden Geschlechtsapparaten beginnt die Ei-
bildung und Befruchtung. Durch spezielle in jeder Proglottis sich
wiederholende Uterusöffnungen werden die von einer harten,
248 I^'^ Parasiten unserer Süsswasserfische.
gedeckclten Schale umschlossenen Eier in den Darm des Wirtes
und von dort, gemäss der echt parasitischen Fruchtbarkeit der
Ligula, in ungeheueren Mengen an die Aussenwelt abgegeben.
Geschlechtsreife Liguliden verweilen übrigens nur kurze Zeit im
Darme ihres Trägers, schon nach zwei bis drei Tagen sollen sie nach
Donnadieu ausgestossen oder verdaut werden. Im Wasser dagegen
können die ausgestossenen Würmer bis zehn Tage lang weiterleben.
Die Eier in Wasser gebracht entlassen nach acht bis vierzehn
Tagen einen flimmernden, sechshakigen, lebhaft schwärmenden
Embryo •— eine Jugendform, die ja überhaupt bei Plattwürmern
verbreitet ist, welche wasserbewohnende Zwischenwirte aufzusuchen
haben. Nach Donnadieus Erfahrungen muss der Embryo von
den Karpfen in den Darmkanal aufgenommen werden. Er wird
die Wandungen des Verdauungstractus durchbrechen und, vielleicht
nach vorübergehender Einkapselung in der Leber, die Leibeshöhle
des Fisches beziehen. Wenige Wochen nach der Infektion mit
flimmernden Embryonen beherbergt der Körperraum der Karpfen
schon typisch ausgebildete Liguliden, von 6 — 12 mm Länge. Die
Entwickelungsgeschichte der Riemenwürmer ist ausgezeichnet durch
zahlreich eingestreute freie Stadien und die weitgehende Differen-
zierung der Larve schon im Zwischenwirt. Es bedarf das junge
Tier nur noch eines kurzen Aufenthaltes im warmen Darm des
Hauptwirtes, um reife Eier zu liefern. Eine Infektion der Karpfen
wird natürlich am besten durch Ausschluss der Hauptwirte — der
Wasservögel — von den Teichen verhindert.
In Bau und Lebensgeschichte schliesst an die Ligula unmittel-
bar der Schistoccphalus dimorplms Crepl. an. Er lebt als band-
förmige, bereits gegliederte Larve in der Leibeshöhle des Stichlings,
als reifer Bandwurm im Darm der Wasservögel. Es sei endlich
noch erwähnt, dass in der Gallenblase und zwischen den Darm-
zotten der Schieihen zwei verschiedene Larven von Bandwürmern
aufgefunden worden sind, die sich durch manche Eigentümlich-
keiten auszeichnenden Gyporhynchen. Nach ihrem Übertritt in
den Darm der Reiher entwickeln sie sich zur Taenia macropcos
Wedl und T. nnilatevalis Rud.
\
Die Parasiten unserer Süsswasserfische. 249
Aus den Süs'swasserfischen bezieht endlich auch der Mensch
einen häufigen Bewohner seines Darmkanals, den Grubenkopf
(BothrioccpJialiis latus Brems.). Dieser längste aller in unserem
Körper vorkommenden Bandwürmer — ■ kann er doch bis lo ni
erreichen — kommt besonders in weiter Verbreitung in Länder-
strichen vor, die reich an Süsswasserseen sind. Es lässt sich das
nach der Natur seiner Zwischenwirte ja zum voraus erwarten. So
treffen wir ihn häufig in der Westschweiz, im Seengebiet Ober-
italiens, in den weiten an das baltische INIeer grenzenden, zu
Deutschland und Russland gehörenden Seebezirken, in Polen, in
gewissen Teilen Russlands, in Schweden, in Japan. Auch am Ufer
des Starnbergersees hat sich ein Infektionsherd gebildet. Bis vor
wenigen Jahren war die Herkunft des so häufigen und nicht un-
bedenklichen Schmarotzers unbekannt; das Verdienst, den Schleier
über diesem Dunkel gelüftet zu haben, gehört in erster Linie Prof.
ÖL Braun. Doch bleiben auch heute noch weite Lücken in der
Kenntnis der Lebensgeschichte des Bothriocephalus auszufüllen.
Aus der Uterusöffnung der einzelnen Bothriocephalenglieder treten
die gedeckelten, ovalen Eier, die auch bei diesem Wurm, dank
der parasitischen Lebensweise, und zu Gunsten der Verbreitung
der schmarotzenden Spezies, in Übermenge gebildet werden
(Fig. 42). Im Wasser zerstreut entwickelt sich in ihnen ein Embryo
nach Vorgängen, die jüngst von Schauinsland verfolgt worden
sind. Er verlässt die Eischale je nach den äusseren
Temperaturbedingungen und der Masse des das Ei
bespülenden Wassers früher oder später. Im Sommer
findet das Ausschlüpfen schon zwei bis vier Wochen
nach der Eiablage statt; unter ungünstigen Umständen
(im Winter) können aber acht und mehr Monate ver-
gehen, bis der junge Embryo frei wird. Er ist ähn-
lich wie das erste Jugendstadium von Ligula und
Triaenophorus , Würmer, die übrigens auch im anato-
mischen Bau des erwachsenen Tieres dem Bothriocephalus nahe-
kommen, mit sechs Haken bewaffnet und schwimmt im Wasser
mit Hilfe eines langen Wimperpelzes (Fig. 43 S. 250). Das freie
250
Die Parasiten unserer Süsswasserfische.
Leben der Embryonen kann bis eine Woche dauern, dann sinken
die Tierchen zu Boden und streifen gewöhnlich die Flimmer-
bekleidung ab, um sich noch eine Zeit lang kriechend zu bewegen.
Was nun mit den jungen Bothriocephalen geschieht, ist uns völlig
unbekannt. Hier öffnet sich eine weite Lücke in unserem Wissen.
Es hat in keiner Weise gelingen wollen, die sechshakigen
Embryonen direkt auf Fische zu übertragen; ebensowenig ist es
o-edückt, niedere wirbellose Wasserbewohner mit den Flimmer-
embryonen zu infizieren. So steht die Frage noch vollkommen
offen, ob die Süsswasserfische den ersten und einzigen Zwischen-
wirt für den Grubenkopf abgeben, oder ob die Embryonen, etwa
wie die ihnen nach Bau und Lebensweise so ähnlichen frühesten
freien Jugendstadien der Trematoden, zunächst in einen wirbellosen
Zwischenwirt eindringen müssen, um dort
weitere Veränderungen durchzumachen.
Wie dem auch sei, wir finden die
jungen Bothriocephalen erst wieder unter
ganz veränderter Gestalt im Leibe mancher
Süsswasserfische. Von Braun ist 1883
zunächst der Hecht als Zwischenträger des
Grubenkopfes erkannt worden, seitdem
haben Parona und Grass i in Italien,
Ijima in Japan, ich in Genf und Basel
die Bothriocephalus-Finnen in einer ganzen
Reihe von Fischen der Süsswasserseen
entdeckt und meist mit gutem Infektionserfolg auf den Menschen
übertragen. Die Zwischenwirte des breiten Bandwurms sind fast
ausschliesslich Räuber, eine Thatsache, die vielleicht darauf hin-
deutet, dass ihnen der junge W^urm bereits in einen ersten Träger
eingeschlossen übermittelt wird. Als Wirte der Finnen von B.
latus kennen wir heute den Hecht, die Quappe, den Barsch, die
Forelle, die Aesche, den Saibling, die Seeforelle, sowie die beiden
japanischen Lachsarten Onchorhynclms Hiibcri und O. Pcrryi,
eine Liste, die sich mit der Zeit noch bedeutend vergrössern
dürfte. Im Lachs sind Finnen von B. latus, entgegen der
Fig- 43-
Flimmerembryo von Bothrio-
cephahis latus.
Die Parasiten unserer Süsswasserfische.
251
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■M
Annahme von Küchenmeister, nicht gefunden worden. Auch die
Flussfische sind häufig mit dem Jugendstadium unseres Schmarotzers
besetzt; wenigstens fand ich die Finnen in Forellen und Hechten
aus dem schnellfliessenden Rhein und der reissenden Aare.
Die Finnen sind gestreckt 8 bis 25 ddh lang, i bis 3 mm
breit, von schwach abgeflachtem Körper. Vorn trägt das Tier
einen konischen Kopfaufsatz, der in zwei seichten Sauggruben
schon die künftigen Haftapparate des erwachsenen Bothrioccphaliis
aufweist. Oft ist übrigens das Vorderende in den
Körper eingestülpt. Der Leib ist solid, ungegliedert,
höchstens die Kutikula zeigt eine starke Quer-
runzelung. Gegen hinten wird der Leib in völlig
gestrecktem Zustand etwas schmäler. Auffallend ist
der grosse Reichtum \on im Körper zerstreuten
Kalkkügelchen (Fig. 44). Die Finnen liegen, von
dünnwandigen Kapseln umschlossen, oft in bedeu-
tender Zahl in den verschiedensten Organen des
Fisches. Speziell häufig treten sie auf in den
Wandungen des Schlundes, in der Leber, in Milz,
Nieren, Geschlechtsorganen und endlich, für die
Übertrafnang wohl am wichtigsten, in der Rücken-
muskulatur. Oft trifft man sie auch frei wandernd
in der Leibeshölile. Die Zahl der Finnen in einem
Fisch kann recht bedeutend werden (50 — 100); auf
das massenhafte Vorkommen derselben in einer See-
forelle ist schon hingewiesen worden. Im Wasser
leben die Würmchen längere Zeit weiter. Solche
Jugendstadien in den menschlichen Verdauungstractus
gebracht entwickeln sich zum typischen breiten
Bandwurm, zum Bothriocephahis latus. Es ist dies
besonders durch Experimente an Dorpater und
Genfer Studenten bewiesen worden. Das Wachstum des Kettenwurms
im menschlichen Darm ist ein ungemein rasches; es beträgt unter
günstigen Umständen ö bis 8 cm im Tag, so dass der Schmarotzer
bald nach Metern gemessen und seine eng verbundenen Proglottiden
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■'.X
Fig- 44-
Larve von
Bothriocephalus
latus aus ver-
schiedenen Süss-
wasserfi sehen.
252 -^^^ Parasiten unserer Süsswassserfische.
nach tausenden gezählt werden können. Nach drei Wochen ungefähr,
von der Infektion an gerechnet, werden wieder reife Eier abgegeben.
Wir erwerben den breiten Bandwurm durch den Genuss un-
genügend zubereiteter Fische. In den Ostseeprovinzen spielt der
Hecht vorzüglich die traurige Rolle des Zwischenträgers; in Genf
ist der Hauptsünder die Quappe. Sie gelangt massenhaft auf den
Markt, ihre Leber wird ganz leicht gebacken als Leckerbissen
verzehrt, gerade dieses Organ aber beherbergt fast regelmässig
Bothriocephalus-Finnen. Auch der Barsch muss in dieser Hinsicht
stark angeschuldigt werden.
Ausser den Larven von B. latus wohnen in vielen Süsswasser-
fischen noch die Finnen anderer Grubenkopfarten. Im Lachs
speziell fand ich gelegentlich fünf verschiedene Formen solcher
jugendlicher Würmer, die wohl mehreren Arten angehörten, von
denen aber weder morphologisch noch experimentell eine auf den
breiten Bandwurm des IMenschen bezogen werden konnte. Die
Art und Weise ihres Vorkommens im Fisch war analog den für
die Jugendstadien von B. latus beschriebenen Verhältnissen. Die
Bothriocephaliden scheinen vorzugsweise Fische als Zwischenträger
zu benutzen.
So gewinnt die Annahme Leuckarts, dass ein anderer
Grubenkopf, der Bothriocephahis cordatus Lt., der in Grönland
häufig den Darm von Hund, Seehund, Walross, zufällig den des
Menschen bewohnt, durch Fische in seine Wirte eingeschmuggelt
werde, sehr an Gewicht.
Litteratur.
i) G. Brandes, Die Familie der Holostomiden. Zoolog. Jahr-
bücher. Abt. f. Systematik, Geographie u. Biologie der Tiere. Bd. 5.
2) M. Braun, Zur Entwickelungsgeschichte des breiten Band-
^vurmes. Würzburg 1883.
3) 0. BÜtSChli, Zur Entwickelungsgeschichte des Cucullanus
elegans. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. 26. 1876.
4) G. Bunge, Weitere Untersuchungen über die Atmung der
Würmer. Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 14. 1889.
5) C. M. Diesing, Systema Helminthum.
6) Donnadieu, Contributions a rhistoire de la Ligule. Journal
de l'anatomie et de la physiologie. 1877. -
7) F. Dujardin, Histoire naturelle des Helminthes.
8) 0. Hamann , Die Nemathelminthen. Erstes Heft : Die
Acanthocephalen. 1801.
9) F. Küchenmeister, Die Finne des Bothriocephalus latus
und ihre Übertragung auf den Menschen.
10) R. Leuckart, Die Parasiten des Menschen und die von
ihnen hen^ührenden Krankheiten, i. und 2. Auflage.
11) 0. V. Linstow, Compendium der Helminthologie. Han-
nover 187b.
12) 0. V. Linstow, Nachtrag dazu. Die Litteratur der Jahre
1878— 1889.
13) E. LÖnnberg, Helminthologische Beobachtungen von der
"Westküste Norwegens. Erster Teil: Cestoden. Svenska Vet. Akad.
Handlingar. Bd. 16. Afd IV.
254 I^i^ Parasiten unserer Süsswasserfische : Litteratur,
14) E. LÖnnberg, Bidrag tili Kännedomen on i Sverige före-
kommande cestoder. Ibid. Bd. 14, IV.
15) F. MieSCher-RÜSCh, Statistische und biologische Beiträge
zur Kenntnis vom Leben des Rheinlachses im Süsswasser. Ichthyo-
logische Mitteilungen aus der Schweiz zur internationalen Fischerei-
ausstellung zu Berlin 1880.
16) A. Moquin -Tandon, Monographie de la famille des
Hirudinees avec atlas. Paris 1846.
17) E. Parona, Intomo la genesi del Bothriocephalus latus
(Brems.) e la sua frequenza in Lombardia. Torino 1887.
18) M. StOSSich, I Distomi dei pesci marini e d'acqua dolce.
Trieste 188Ö.
19) M. StOSSich , Appendice al mio lavoro i Distomi dei
pesci marini e d'acqua dolce. Trieste 1888.
20) 6. Saint-Remy, Recherches sur la structure des organes
genitaux du Caryophyllaeus mutabilis. Revue biologique du Nord
de la France. T. 2. 1889 — 90.
21) A. Villot, Echinorhynchus clavaeceps. Note sur son
Organisation et son developpement. Bulletin de la societe des
sciences naturelles du Sud-Est.
22) R. V. Willemoes -Suhm, Helmin thologische Notizen. II.
Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 20. 1870.
23) E. Zeller, Untersuchungen über die Entwickelung des
Diplozoon paradoxum. Ibid. Bd. 22. 1872.
24) E. Zeller, Über den Geschlechtsapparat des Diplozoon
paradoxum. Ibid. Bd. 46. 1888.
25) F. Zschokke, Recherches sur l'organisation et la distri-
bution zoologique des vers parasites des poissons d'eau douce.
Archives de Biologie. 1884.
26) F. Zschokke, Helminthologische Bemerkungen. Mit-
teilungen a. d. zool. Station zu Neapel. Bd. VII.
27) F. Zschokke, Der Bothriocephalus latus in Genf. Central-
blatt f. Bakteriol. u. Parasitkunde. Bd. i. 1887.
28) F. Zschokke, Ein weiterer Zwischenwirt des Bothrio-
cephalus latus. Ibid. Bd. 4. 1888.
29) F. Zschokke, über Bothrioceph.alenlarven in Trutta salar.
Ibid. Bd. 7. 1890.
über
die quantitative Bestimmung des Plankton
im Siisswasser.
Von Dr. C. Apstein in Kiel, Zoolog. Institut.
In seinem Werke *>*) „Über die Bestimmung des Planktons
oder des im Meere treibenden Materials an Pflanzen und Tieren"
bezeichnet Hensen mit Plankton „Alles, was im Wasser
treibt". Es sind also darunter alle Organismen, sowohl Pflanzen
wie Tiere, zu verstehen, die willenlos der Wellenbewegung und
den Strömungen folgen. Der Begriff" ist enger gefasst als „Auftrieb
oder pelagische Organismen", denn zu letzteren gehören beispiels-
weise die freischwimmenden Fische, die aber nicht zum Plankton
zu zählen sind, da sie vermöge ihrer Grösse und Stärke nicht
machtlos im Wasser treiben, dagegen bilden die schwimmenden
Fischeier und junge Fische einen Teil des Plankton. Ebenso
könnte es scheinen, als ob die Copepoden ausscheiden müssten,
die bekanntlich einer ziemlich energischen Beweffuns: fähig; sind ;
doch ist dieselbe zu wenig ausgiebig, um den bewegenden
Agentien irgend einen nennenswerten Widerstand entgegensetzen
zu können.
Schon im Jahre 1884 hat Hensen in seiner Arbeit 8) : „Über
das Vorkommen und die IMenge der Eier einiger Ostseefische,
insbesondere der Scholle, des Flunder und des Dorsch" ein Problem
in Angriff" genommen, an dessen Lösung niemand vor ihm gedacht
hatte, nämlich die quantitative Bestimmung der im Meere
treibenden Organismen.
*) iDie Zahlen verweisen auf das Litteraturverzeichnis.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 17
258 Über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
Nur einmal ist, unabhängig von Hensen*), jedoch nach diesem,
dieselbe Art der Forschung versucht worden von Asper und
Henscheri) 1886, welche die Organismen aus einer bekannten
Wassermenge sammelten und dann die Zahl der Individuen
bestimmten, die sich in einem Tropfen Flüssigkeit, von denen
fünfzehn auf i ccm gingen, befanden. Dadurch erhielten sie einen
ungefähren Überblick über die Menge der pelagischen Tiere in
dem untersuchten Süsswasserbecken. Doch ist dieser Versuch nicht
in eine Reihe zu stellen mit den sorgfältigen Methoden der
Hensenschen Forschungen. Hensen blieb nicht bei den einfachen
quantitativen Bestimmungen stehen, sondern zeigte auch, warum
diese von so hoher Wichtigkeit sind. In letzter Linie kam es ihm
darauf an, den Stoffwechsel des Meeres näher kennen zu lernen.
Bekanntlich vermögen nur die chlorophyllführenden Wesen, also
Pflanzen und Peridineen, von denen letztere noch von manchen
zu den Flagellaten gerechnet werden, aus anorganischen Stoffen
organische Verbindungen herzustellen; die Kraft, durch die diese
Umbildung geschieht, liefert das Sonnenlicht. Dieses dringt bis
höchstens 400 m in das Wasser ein und soweit finden wir auch
nur chlorophyllhaltige Organismen. Dieser Fähigkeit wegen können
wir auch die pflanzlichen Wesen mit Einschluss der Peridineen
Nahrungsprocluzenten2) nennen. Ihnen stehen die Nahrungs-
konsumenten gegenüber, welche die oben erwähnte Fähigkeit
nicht besitzen, also ganz von den Pflanzen abhängig sind; es sind,
um es kurz zu sagen, die Tiere. Wo keine Pflanzen sind,
können also auch keine Tiere sein! Da, wie oben erwähnt,
die Sonne die Kraft den Pflanzen giebt, organische Verbindungen
zu bereiten, so hätten wir ein Mass für die Produktion des Wassers
an belebter Substanz, wenn wir alle unter einer bekannten
Oberfläche ■ — als Einheit i qm — vorhandenen Pflanzen bestimmen
*) Hensen hat schon im Jahre 1885 mehrere Mitteilungen über sein Verfahren
veröffentlicht , so in den Sitzungsberichten des physiologischen Vereins in Kiel , in den
Mitteilungen des Vereins schleswig-holsteinischer Ärzte , im 8. Jahresbericht des Central-
fischereivereins für Schleswig- Holstein , dann 1886 im Tagesberichte der Naturforscher-
Versammlung in Berlin. .».-
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 259
könnten. In dieser Richtung hat Hensen*) zur ersten Orientierung
eine Anzahl analytischer Gewich tsbestimungen gemacht, denen wir
folgende Daten entnehmen.
Ein ganzer Fang (aus der Ostsee) vom Februar 1885, der
reich an einer Diatomeenart (Rhizosolcnia) war, enthielt unter i qiii
Oberfläche 1608.3 ccm Plankton. Davon wurden 70 ccm weiter
verarbeitet. Diese enthielten o.is gr organische Substanz = 42.1 0/0
und 0.2575 gr = 57.9 ^/o Asche. Der ganze Fang würde also
4-296 g}' organische Substanz geliefert haben. Dies ist sehr wenig,
aber da die Diatomeen so zahlreich waren, so ist der beträchtliche
Aschenanteil durch die Kieselsäureskelette verständlich.
Zu ferneren Analysen wurden einzelne Bestandteile des Plankton
verwendet, so die Ceratien und Copepoden. Von ersteren fanden
sich in 7.25 ccin Fang 12.45 Millionen. Diese enthielten 0.389 ^r
organische Substanz = 96.05 "/o und nur 0.016 gr Asche = 3.94 ^yO.
Auf I Million Ceratien käme also 0.031245 organische Substanz.
Von Copepoden wurde einmal Rhinocalanus gigas zur Be-
stimmung benutzt. 4 ccm davon = 321 Stück ergaben 0.0527 gr
= 99.4 0/0 organische Substanz und nur 0.0003 gr = 0.6 <*/o Asche.
Diese Zahlen benutzt Hensen weiter, wobei hervorzuheben
ist, dass alle Angaben nur jMinimalzahlen sind. Hensen hat nun
nach Versuchen**) — denen er selbst nur einen vorläufigen Wert
beimisst — berechnet, dass ein Copepod zu seiner Ernährung
täglich 12 Ceratien, das ist pro Jahr 4370 Ceratien bedarf. Da
nun auf i qin Oberfläche (also einer Wassersäule, die i qni zur
Grundfläche und die Tiefe des Wassers***) zur Höhe hat) ungefähr
I JMillion Copepoden lebt, so bedürfen diese zur Nahrung 4370
Millionen Ceratien, welche 4370 X 0.031245 = 133.35 gr orga-
nische Substanz liefern.
Die Jahresproduktion an Diatomeen f) berechnet Hensen
auf 6570 ccrii pro Quadratmeter Oberfläche, diese enthalten 14.8
bis 17.7 gr organische Substanz. Es würden also in Summa
*') Planktonwerk S. 34. (Siehe Litteraturverzeichnis 9.)
**) ibid. S. 95. ***) Hier in der Ostsee etwa 2(3 7«. t) ibid. S. 96.
17*
260 über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
pro Jahr von Diatomeen und Ceratien 133 -|- ij gr = ^50gr
organische Substanz pro Quadratmeter Oberfläche erzeugt werden.
Nach Berechnungen von Rodevi^ald erzeugt i gm bebauten
Landes (in Form von Heu) 179 gr organische Substanz. Es ist
also die Produktion des Plankton nur um 20 oy'o geringer als die
der gleichen Fläche Ackerlandes *). Da jedoch für die Berechnungen
des Wassers nur Minimalzahlen genommen sind, so wäre es möglich,
dass in der That die Produktion des Wassers gleich ist der des
Landes. Hiermit ist also ein Mass für die Ertra^sfähio^keit des
Wassers gewonnen und zugleich ein Ausdruck für die belebende
Wirkung des Sonnenlichtes.
Die oben gewonnenen Zahlen lassen sich jedoch noch weiterhin
benutzen, z. B. für praktische Zwecke der Fischerei, wie Heincke'^)
dargethan hat. Jedoch würde es uns zu weit führen, auf alle diese
interessanten Berechnungen weiter einzugehen, wir müssen auf die
Originalwerke verweisen.
Ein Punkt ist jedoch noch von Wichtigkeit, der es klarlegen
soll, dass die Planktonmethode zu den vorhin dargelegten Schlüssen
berechtigt. Haben wir ein Recht, \'on der Beobachtung, die wir
aus einem kleinen Wasserquantum gewonnen haben, auf die
Zusammensetzung des Plankton eines ganzen Wasserbeckens zu
schliessen? Da hat sich nun gezeigt bei Untersuchungen in der
Ostsee, dass die Verteilung des Plankton eine ziemlich**) gleich-
massige ist. Diese gleichmässige Verteilung ist von Hensen in
seiner Arbeit §) : „Über das Vorkommen und die Menge der Eier
einiger Ostseefische, insbesondere der Scholle, des Flunder und des
*) Dasselbe erwähnt SeligolS) jn seinen „Hydrobiologischen Untersuchungen". Er
sagt: ,,Wie eine Wiese ist die Wasserfläche gleichniässig bewachsen. Allerdings liegen die
Pflänzchen normal nicht dicht an einander , aber dafür beschränkt sich ihre Anwesenheit
und ihr Gedeihen nicht auf die Wasseroberfläche , sondern die oberen Wasserschichten bis
zu mehreren Metern Tiefe sind davon durchsetzt, sodass die Gesamtmenge der unter einem
bestimmten Teil der Oberfläche wachsenden Pflänzchen ungefähr so viel Pflanzenmenge sein
dürfte, wie auf einer gleichgrossen Fläche einer dünn bewachsenen Wiese sich findet".
**) In einer neuen Arbeit HensensW): „Einige Ergebnisse der Plankton-Expedition
der Humboldt-Stiftung" heisst es: ,,. . . Die Expedition ging von der rein theoretischen
Ansicht aus, dass in dem Ozean das Plankton gleichmässig genug verteilt sein müsse, um
aus wenigen Fängen über das Verhalten sehr grosser ISIeeresstrecken sicher unterrichtet zu
werden, und diese Voraussetzung hat sich weit vollständiger bewahrheitet, als gehofft
werden konnte".
über die quantitative Bestimmving des Plankton im Süsswasser. 201
Dorsch" so erklärt. Trifft ein Stoss, z. B. eine Welle, ein schwim-
mendes Ei, so können zwei Fälle in Betracht kommen: erstens,
ist der Stoss senkrecht, so wird das Ei in der Richtung des Stosses
fortbewegt; zweitens, ist der Stoss unter einem Winkel auf das Ei
gelangt, so schiebt eine Komponente des Stosses das Ei weiter,
während die andere es dreht. So werden die Eier nach und nach
auseinandergetrieben, wenn sie auch an einer Stelle der Oberfläche
sich befanden, da ein Stoss nicht alle Eier in derselben Richtung
trifft. Was für die Eier gilt, ist auch für die anderen Organismen
des Plankton anzuwenden. So wird durch die Wellen, welche wie
eine Schüttelbewegung wirken, die Zerstreuung besorgt. Diese
Thatsachen hat Hensen auch noch direkt durch Experimente
(siehe die gleiche Arbeit) erhärtet, indem er mehrere versilberte
Glaskugeln, die so beschwert waren, dass sie gerade noch schwammen,
in das Wasser versenkte und nach einiger Zeit wahrnahm, dass sie
weit auseinandergetrieben waren.
Nachdem wir gesehen haben, was für weitgehende Schlüsse
Hensen mit Hilfe seiner Planktonmethode, d. h. der Art und Weise
der Gewinnung und Verarbeitung eines Planktonfanges, zu ziehen
imstande war, wollen wir diese Methode*) näher ins Auge fassen.
Ich möchte daher den Leser bitten, mich auf einer Exkursion
zu begleiten und nachher den Arbeiten am Lande beizuwohnen.
Wir besteigen einen Dampfer und haben Zeit, ehe wir an Ort und
Stelle anlangen, die Ausrüstung zu der „Planktonfahrt" in Augen-
schein zu nehmen.
Vor allem fällt uns das grosse Vertikalnetz**) auf (Fig. 45
S. 262). An ihm können wir drei Teile unterscheiden, erstens das
eigentliche konische Netz f^l), dann den ebenfalls konischen Auf-
satz (B) und drittens den Blecheimer (Fig. 48 S. 265).
*) Diese Methode hat in neuester Zeit von E. Häckel eine sehr absprechende
Beurteilung erfahren ; da jedoch schon von anderer Seite die Missverständnisse und Ent-
stellungen der Häckcischen Schrift richtiggestellt sind, so gehe ich nicht weiter auf dieselbe
ein, sondern verweise auf die Arbeiten Brandts^) und Hensens.
**) Ich habe in folgendem die Masse des Netzes nach denen von der Plankton -
Expedition auf dem Atlantischen Ozean verwendeten Apparaten wiedergegeben. Da, wo
auf Süsswasserseen kein Dampfer zur Verfügung steht, müssten die Netze verkleinert werden,
denn vom Boote aus ist es unmöglich, mit den fast 2 m hohen Netzen zu fischen.
262 über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
B
Das eigentliche
Netz ist folgender-
massen gebaut:
An einem star-
ken Eisenringe (S),
der 90 cm Durch-
messer hat, ist innen
eine 5 cm grosse
Falte von Barchent
befestigt (r), deren
äusserer Teil eine
grössere Anzahl
Knopflöcher trägt.
Von hier soll nach
dem untern Ringe
(K) das weiterhin
zu beschreibende
Netzzeug ausge-
spanntwerden. Die-
ser untere Ring (K)
trägt drei gabel-
artige Vorsprünge,
an welchen durch
Überfallschrauben
der Blecheimer be-
festigt werden kann.
Auf diesem Ringe
ist ein zweiter Ring
(Kl) durch mehrere
mit Ösen versehene
Schrauben (m) be-
festigt.
Das Gazenetz (i)
träst an seinem obem Rande einen Leinwandstreifen (l), welcher
mit Knöpfen versehen ist, die in die oben erwähnten Knopflöcher
Fig. 45-
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 263
der Barcheutfalte hineinpassen*), unten ist das Netz an einen
Barchentring angenäht, welcher an dem Messingringe (K) durch
mehrere Schrauben (;/; befestigt werden kann. Damit das feine
Gazenetz nicht allein den Druck der filtrierenden Wassermasse
auszuhalten hat, ist an seiner Aussenseite ein einfaches Fischer-
netz (f) ausgespannt, das oben an dem Ringe S mit Bindfaden
angebunden ist und unten zwischen die beiden Ringe K und ÜTi
geklemmt wird. Die beiden erwähnten Netze sind aber zu schwach,
den an den Ringen A' und K\ hängenden Eimer zu tragen, es
sind daher zwischen S und den Schraubenösen (m) einige starke
Schnüre (g) ausgespannt.
Bei der Wahl des Netzzeuges handelt es sich einerseits
darum, dass die Löcher möglichst fein und gleichmässig sind, damit
auch die kleineren Organismen nicht hindurchgehen können, ander-
seits auch darum, dass die Fäden des Gewebes nicht quellen und
sich nicht verschieben können. Diese Bedingungen werden allein
durch die Müllergaze erfüllt, die in mehreren Sorten in den Handel
kommt, und sich durch die Grösse der Löcher unterscheidet.
Diese Gaze ist aus Seidenfäden verfertigt und wird in Mühlen zur
Trennung des INIehles nach der Korngrösse benutzt. Dieses
Gewebe (Müllergaze Nr. 20) ist von solcher Feinheit, dass auf
einen Quadratcentimeter Fläche 5926 Löcher kommen**), von
denen jedes eine Seitenlänge von 0.053 nun hat. Mit diesem Netz-
zeug werden fast alle Organismen gefangen, nur wenige Diatomeen,
die mit ihrer Längsachse auf ein Loch treffen, werden hindurch-
schlüpfen. Einen grossen Vorzug besitzt dieses Gewebe noch durch
seine grosse Glätte, es bleiben einmal wenig Organismen daran
hängen, dann auch fasert es nicht aus, so dass der Fang nicht
durch Fäden verunreinigt wird.
Ein aus diesem Seidengewebe gefertigtes Netz soll nun zwischen
den beiden Ringen so ausgespannt werden, dass es keine Falten
schlägt. Es ist dazu nötig, ein Muster zu entwerfen ***), nach dem
*) Es ist daher jederzeit möglich, das Netz herabzunchmen und auszuwaschen.
**) Planktonwerk S. 4.
***) Die Berechnung weicht von der von Hensen im Planktonwerk S. 6 angeführten
ab, da statt der Sehnen der Winkel an der Spitze benutzt ist.
264 Über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
Fig. 46
das Netzzeug zugeschnitten wird. Bei dem vorliegenden Netze
beträgt der Radius des obern Ringes i? = 45 cm, der des untern
r ^ 10 cntj die Mantelhöhe des abgestumpften Kegels i= 150 cm.
Vervollständige ich den abgestumpften Kegel (Fig. 46),
so kann ich mit Hilfe der Mantelhöhe des abgeschnittenen
Stückes (x) den Winkel an der Spitze (a) (Fig. 47)
berechnen.
Es ist X : X -\- i = r : I^. Daraus folgt
ri
X = — .
N — r
Nach unserem Beispiel erhalten wir für x^=^42.q cm.
Denken wir uns jetzt den Kegelmantel aufgerollt (Fig. 47),
AB= U= 2Rji
und CD :^= it = 2r7i.
Es muss sich verhalten der Umfang
des Kreises, den ich mit dem Radius x
(= 2X7i) schlagen kann, zu u, wie
360° : a.
Also 2X71 360
2r7i a
Daraus folgt
X _ 360
r a
so ist
Fig. 47-
In unserem Beispiel erhalten wir für a = 83.9°.
Ebenso wäre die Rechnung, wenn wir für u: U genommen
hätten, dann hätten wir statt x aber x -\- i setzen müssen. Um
nun nach vorstehenden Zahlen ein Muster zu zeichnen, verfahren
wir so, dass wir uns den Winkel a = 83.9° konstruieren und
von dem Scheitelpunkte desselben mit den Radien x = 42.9 cm
und {x -\- i) =^ 192.9 cm Kreisbogen schlagen, dann geben die
Strecken dieser Bogen zwischen den Schenkeln des Winkels den
obern und untern Umfang des Netzzeuges an. Nach diesem
Muster wird dann das Gazenetz ausgeschnitten, wobei berücksichtigt
werden muss, dass bei A C und BD das Netz aneinandergenäht
wird, zu welchem Zweck eine Einschlagskante bleiben muss. • Die
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 205
Nähte müssen natürlich nach aussen kommen und ausserdem darf
nur eine ganz feine Nadel verwendet werden, da jeder Nadelstich
dem feinen Netzzeug gegenüber ein grosses Loch darstellt.
Der Aufsatz des Netzes besteht aus einem i cm dicken
Eisenringe (a) von 36 cm Durchmesser, der mit dem obern Netz-
ringe (S) durch drei starke 60 cm lange Eisenstangen (d) ver-
bunden ist, die oben in Haken {c) zur Befestigung des Taues
auslaufen. Zwischen den beiden Ringen, jedoch unter den ver-
bindenden Eisenstangen, ist ein Barchentmantel*) ausgespannt;
Dieser Aufsatz ist von grosser Wichtigkeit für die Brauchbarkeit
des Netzes. Wird das Netz auf den Grund des Wasserbeckens
hinabgelassen, so würden, wenn dieser Netzteil fehlen sollte,
Schlamm und Organismen von dem Boden in das Netz geraten
können. Bei dieser Einrichtung jedoch stösst höchstens der
Eisenring (S) auf den Schlamm auf, und dieser wird, wenn auch
etwas aufgewirbelt, doch nicht die obere Netzöffnung erreichen und
den Fang verunreinigen können. Ferner
dient dieser Aufsatz auch als Reservoir,
wenn bei stürmischem Wetter derFano;
aus dem Netz hinaufgespült wird.
Dann auch wird durch die Öffnung
des Aufsatzes (= 1000 qcm) ein nur
geringer Wasserstrom in das Netz
hineingelangen und durch die gegen
2 6mal so grosse Netzwand fast voll-
ständig filtriert werden können.
Der Eimer (Fig. 48) ist ein
cylindrisches Blechgefäss (Eisenblech),
dessen Boden nach der ]Mitte zu
abfällt und hier eine durch eine
Schraube verschliessbare Öffnung (u)
trägt. Der obere Rand des Gefässes ist erhaben (n) und trägt drei
Überfallschrauben (m), die in die oben erwähnten drei gabelartigen
n
b
Fig. 48.
*) Derselbe wird ebenfalls nach den obigen Formeln konstruiert.
26f) Über die quantitative Bestimmung des Planklon im Süsswasser.
Fortsätze des untern Netzringes (Fig. 45 k) hineinpassen. In der
Mitte ist der Blechcylinder noch von einem Reif (q) umgeben.
Zwischen diesen beiden Reifen (q und ii) ist die eine Seite der
Eimerwand herausgenommen und durch Müllergaze (o) verschlossen.
Der ganze Eimer steht auf sechs Füssen (f), die durch einen Ring
(r) verbunden sind.
Neben dem Vertikalnetz kommt hauptsächlich der Filtrator
(Fig. 49) in Betracht. Dieser stellt einen Metallcylinder dar, dessen
Fig. 49.
Wände durch Müllergaze • ersetzt- sind mit Ausnahme von einigen
Stützen (s), die unten durch einen sehr flachen Reif (K) verbunden
sind. Die Müllergaze wird zwischen dem obern und untern Ringe
(R und K) und den Stützen (s) folgendermassen ausgespannt. In
dem obern Ringe (R) befindet sich ein zweiter Ring (R'), der an
den erstem angeschraubt werden kann; zwischen beide wird die
Gaze eingeklemmt, ebenso geschieht dies bei dem untern Ringe (K),
auf den ein zweiter Ring (K') passt, und schliesslich auch bei den
Stützen (s) , an welche von innen die Gaze durch Metallplatten
an2:edrückt wird. Indem man den obern und untern Rand der
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 2G7
Gaze zwischen den beiden Ringen einspannt, die seitlichen Ränder
aber zwischen einer Stütze und ihrer innern ' Platte , hat man den
Vorteil, dass an dem Netzzeuge des Filtrators kein Nadelstich
nötig ist.
Der Filtrator trägt an jeder Seite einen dreikantigen Vorsprung
(v), der dazu dient, den oben beschriebenen Apparat mit Hilfe
eines Bügels (b) und einer Cberfallschraube (a) auf eine Glasplatte
(G) fest anzudrücken, so dass unter dem Ringe (K) kein Wasser
entweichen kann, sondern dasselbe alles durch das Netzzeug filtrieren
muss. Da die beiden unteren Ringe (K und K') sehr flach sind,
so wird nur sehr wenig Wasser im Apparat zurückbleiben, welches
man auch durch vorsichtiges Neigen des Filtrators nach einer Seite
zum Ablaufen bringen kann.
Femer sind wir mit einigen weithalsigen Stöpselgläsern ver-
sehen, die mit Konservierungsflüssigkeit gefüllt sind, und von denen
jedes zur Aufnahme eines Fanges bestimmt ist. Am bequemsten
ist die Anwendung der Pikrinschwefelsäure, die folgende Zusammen-
setzung hat:
300 Raumteile Wasser,
1 00 „ einer konzentrierten wässerigen Lösung von Pikrmsäure,
2 „ von konzentrierter Schwefelsäure.
Der Fang kommt, wie weiter unten gezeigt werden soll, in diese
Mischung und kann in derselben bleiben, wenn die Bearbeitung
sogleich vor sich gehen soll. JNIuss der Fang jedoch einige Zeit
stehen, so empfiehlt es sich, nachdem die Organismen zu Boden
gesunken sind, die überschüssige Säure abzugiessen und durch
Alkohol von 6o0'o zu ersetzen, der mehrmals gewechselt werden
sollte. Jedoch muss das mit der grössten Vorsicht geschehen, da
noch zahlreiche Diatomeen in der Flüssigkeit suspendiert sind und
sich sehr langsam absetzen. Bleiben die Organismen zu lange in
der Säure, so werden die Kalksalze aus einigen ausgezogen und
noch anderweitige Veränderungen bewirkt, die Tiere werden schliess-
lich ganz weich und sind für nachfolgende Bearbeitung wenig
geeignet.
268 über die quantitative Bcstimmunf; des Plankton im .Süsswasser.
Ebenso wirksam ist eine konzentrierte Lösuno; von Sublimat;
bei dieser tritt nur der Übelstand ein, dass man sehr lange mit
Wasser *) auswaschen muss . um eine nachfolgende Ausscheidung
nadeiförmiger Sublimatkrystalle zu verhindern; natürlich muss das
Wasser später durch Alkohol ersetzt werden.
Wie andere Fixierungsmittel sich bewähren, kann ich nicht
angeben, glaube aber, dass Osmiumsäure (event. Chromosmium-
essigsäure) sehr gut anwendbar ist. Der Fang wird in ein Glas,
in dem etwas Wasser sich befindet, gebracht und darauf einige
Tropfen Osmiumsäure zugesetzt. Nach einigen Minuten oder
sobald alle Organismen getötet sind, wird das Glas mit Wasser
gefüllt, dann lässt man die Organismen sich absetzen, decantiert
und setzt schliesslich Alkohol zu.
Von kleineren Apparaten sind noch vorhanden ein Spatel,
eine Spritzflasche, eine Giesskanne und einige Papierzettelchen, die
mit Bemerkungen versehen und in die Fanggläser gelegt werden
können.
Unterdessen sind wir an dem Punkte angelangt, an dem
wir die Untersuchung auszuführen gedenken. Das Schiff" hält
still und das Fischen kann beginnen. Das Tau, an dem das
Vertikalnetz befestigt ist, wird über eine Rolle, die an einem galgen-
artigen, eisernen Gestelle angebracht ist, gelegt. Der freie Schenkel
dieses sogenannten „David" ragt über die Schiffswand hinaus und
erleichtert, da die ganze Vorrichtung um ihre Achse drehbar ist,
das Einholen des Netzes. Das Netz, an dem der Eimer ange-
schroben ist, wird in das Wasser hinabgelassen, zuerst langsam,
damit das Netzzeug angefeuchtet wird, dann etwas schneller. Die
Hand, die das Tau leitet, kann leicht den Zug des sinkenden
Netzes spüren und daher auch den Moment wahrnehmen, in
welchem der Netzring auf dem Boden aufstösst. Um letzteres
jedoch zu verhindern, ist es ratsam, vorher zu loten, dann kennt
man die Wassertiefe und auch die Bodenbeschaffenheit, da sich
*) Statt dessen kann man Jodalkohol benutzen, den man so lange wechseln muss,
bis die Färbung des Jods nicht mehr verloren geht.
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 269
Gruiidproben an dem unten mit Talg versehenen Lote eindrücken.
Das Tau des Vertikalnetzes trägt in Entfernungen von je i m
bunte Läppchen und alle lo m anders gefärbte. Man kann also
das Tau langsam ablaufen lassen, da man die gelotete Tiefe ab-
lesen kann und kein Aufstossen zu befürchten braucht. Sobald das
Netz in der Tiefe angelangt ist, wird es mit mittlerer Geschwindigkeit
von 1/2 — 3/4 m pro Sekunde senkrecht aufgezogen. Die Geschwindigkeit
hängt von der Filtrationsgrösse *) des Netzzeuges ab. War z. B.
das Netz 20 ni hinabgelassen, so können wir, da die Netzöffnung
0.1 q)ii beträgt, die Wassermenge, die durch das Netz gegangen
sein sollte, berechnen, sie ist 20x0.1 qm = 2 cbm gross. In Wahr-
heit ist jedoch etwas weniger Wasser filtriert worden, nämlich nur
i.s cbni, wie Versuche von Hensen ergeben haben. 2 cbm würden
durch den Netzring gehen, wenn kein Netz daran hinge, so wird
aber durch den Widerstand des Netzzeuges jener Bruchteil (10 0/0)
über den Netzring abfliessen. Sobald das Netz über dem Wasser-
spiegel angelangt ist, wird dasselbe von aussen mit Wasser beworfen.
Dadurch wird das dem Netze anhaftende Material in den Eimer
hinabgespült, durch dessen filtrierende Fläche das überschüssige
Wasser abläuft. Nun befinden sich alle Organismen im Eimer
und zwar in einer verhältnismässig kleinen Wassermenge, die nun
weiter zur Verarbeitung kommt.
a
Der Eimer wird vom Netze gelöst, die Schraube, die sich in
der Röhre am Boden des Eimers befindet, herausgedreht, so dass
der Inhalt in eine darunter gestellte Flasche gelangt. Aus der
Flasche kann man dann nach und nach die jMasse in den Filtrator
giessen. Diese Methode ist sicherer, als wenn man den Fang direkt
aus dem Eimer in den Filtrator bringt, da bei schwankendem
Schiffe leicht etwas vorbeilaufen kann.
Das Wasser sickert nun allmählich durch die Gazewände des
Filtrators durch, und zwar verschieden schnell, je nach der Beschaffen-
heit des Fanges. Sind viel Diatomeen oder Nostocaceen (Limnochlide)
*) Planktonwerk S. 10.
270 Über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
vorhanden, so hat der Fang ein schleimiges Aussehen und filtriert
sehr langsam. Sind dagegen Copepoden oder Peridineen am zahl-
reichsten, so läuft das Wasser sehr schnell ab, da sich die Poren
des Netzzeuges nicht verstopfen. Nachdem auf diese Weise die
Organismen ziemlich vollständig vom Wasser befreit sind, wird die
Glasplatte, denn auf dieser hat sich jetzt der Fang niedergesetzt,
unter dem Filtrator hervorgenommen und mit Spatel und Spritz-
flasche werden die Tiere und Algen in die Konservierungsflüssigkeit
gebracht, in der sie bis zur Verarbeitung bleiben oder, wie oben
auseinandergesetzt ist, in Alkohol übertragen werden. In jedes
Glas wird ein Zettelchen gelegt, auf dem der Fundort, das Datum,
die Tiefe des Planktonzuges, die Konservierung, die Temperatur
des Wassers und allenfalls noch die Windrichtung angegeben sind.
Die nun folgenden Arbeiten, die die quantitative Be-
stimmung des Fanges bezwecken, werden ausgeführt, nachdem
wir zu Hause angelangt sind. Zuerst wird das Volumen des
Fanges festgestellt. Zu dem Zwecke wird der Inhalt eines einen
Fang enthaltenden Glases in einen Messcylinder entleert. Nach
und nach sinken die Organismen zu Boden, die grösseren
schneller, die kleinen langsamer. Unter letzteren sind namentlich
die Diatomeen zu erwähnen, diese setzen sich, wenn sie in grösseren
Mengen vorkommen, so langsam ab, dass nach tagelangem Stehen
noch immer eine Volumenverringerung zu beobachten ist. Befinden
sich grosse Tiere im Fange, so muss bei diesen das Volumen
besonders bestimmt werden und dieses geschieht am besten und
genauesten durch „Verdrängung", d. h. das Tier wird in einen
Messcylinder hineingebracht, in dem sich eine bekannte Menge
Flüssigkeit (Wasser — oder Alkohol, wenn der Fang in Alkohol war ■ — )
befindet, dann kann man durch das Steigen der Wasseroberfläche
das Volumen des Körpers bestimmen. Meist hat sich die Masse
in 24 Stunden so weit abgesetzt, dass das Volumen derselben ab-
gelesen werden kann. Da die Volumenbestimmung zum Vergleiche
der einzelnen Fänge unter sich dienen soll, so ist es zweckmässig,
allen Fängen die gleiche Zeit zum Absetzen zu lassen und zwar
genügen dazu 24 Stunden.
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 271
Nachdem so das Volumen des Fanges festgestellt ist, wird zur
Zählung der Organismen geschritten. Es ist selbstverständlich, dass
nicht alle Individuen des Fanges gezählt werden können, das beweisen
schon folgende Zahlen, die ich Zählungen Hensens*) entnehme:
Hensen fand im Oktober 1884 in i cbni Ostseewasser (Kieler
Bucht) 13 INIillionen Ceratinm tripos, und im März 1885 ebenda
102 Millionen Rhizosolenia semispiua, und wenn wir gar lesen, dass
im September sich im Stettiner HafiF in 1/2 cbm Wasser 9983 INIill.
Fäden von Limnochlide **) fanden, dann ist es klar, dass diese
Zahlen auf anderem Wege gewonnen sind, als durch Zählung jedes
einzelnen Individuums. Die sinnreich von Hensen erdachte und
angewendete JNIethode ist folgende:
Von dem Fange wird die überschüssige Pikrinschwefelsäure
abgegossen und dann Wasser so viel zugesetzt, bis sich die INIasse
gut durcheinanderschütteln lässt. Befindet sich der Fang in Alkohol,
so muss der Alkohol durch Wasser erst ausgewaschen werden, was
mehrere Tage in Anspruch nimmt. Nehmen wir an, dass nach
der Verdünnung das Volumen 500 ccm betrage, so ist es klar,
dass sich in i cctn die verschiedenen Organismen nicht in der
gleichen Zahl finden. Während wir vielleicht eine Leptodora finden,
befinden sich in demselben Volumen gegen 20 Millionen Limnochlide.
Um letztere zählen zu können nehmen wir von dieser ersten Ver-
dünnung I ccm ab und verdünnen ihn auf 1000 ccm, dann haben
wir in dieser zweiten Verdünnung in jedem Kubikcentimcter nur
'""°"p"° = 20000 Fäden der Alge. Von dieser Verdünnung können
wir 1/10 ccm, der 2000 Fäden enthalten würde, bequem zählen.
In dieser Wassermasse würden wir aber keinen einzigen der selteneren
Organismen finden, daher dürfen wir, wenn wir diese zählen wollen,
die Verdünnung nicht so weit treiben, sondern vielleicht i ccm
der ersten Verdünnung nur auf 100 oder 10 ccm verdünnen, für
*) Hensen, Planktonwerk.
**) Die letzte Zahl entnehme ich einem Zählungsprotokolle von Herrn Geheimrat
Hensen, das er mir freundlich für diese Arbeit überliess und das am Ende des Kapitels
sich abgedruckt findet. Die folgenden Zahlen sowie Betrachtungen beziehen sich auf dieses
Protokoll. Siehe auch Hensen 11).
272 über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
die ganz seltenen werden wir aber die erste Verdünnung selbst
zur Zählung benutzen.
Da, wie wir gesehen haben, sich in i ccm Flüssigkeit noch
Millionen von Organismen vorfinden können, so muss das Ent-
nehmen einer bestimmten Menge von Flüssigkeit durch ganz
besondere Vorkehrungen geschehen: denn das Abmessen in einem
Messcylinder kann für diesen Zweck nur ganz rohe Werte geben.
Es sind daher vonHensen besondere Stempelpipetten*) (Fig. 50)
konstruiert worden, die ganz VorzügHches leisten. Solch ein Instru-
ment besteht aus einem kräftigen Glasrohr (B), das unten ganz
eben abgeschliffen ist. In diesem Rohr bewegt sich ein Stempel,
der abwechselnd aus Kork- (h) und Metallplatten (i) zusammengesetzt
ist, die durch zwei Schrauben fest an einander gedrückt werden.
An diesen Stempel ist ein massiver Metallcylinder (m) angeschraubt,
der genau in die Glasröhre hineinpasst. Von diesem Cylinder wird
nun so viel Metall ausgeschliffen , dass zwischen ihm und dem
Glasrohr (B) genau ein bestimmtes Volumen bleibt, z. B. i ccm.
Dies wird so bewerkstelligt, dass zuerst ein Teil aus dem Metall-
cylinder herausgenommen wird. Dann wird die Pipette gewogen,
hierauf wird die Höhlung mit Quecksilber gefüllt und wieder gewogen.
Da man nun das Gewicht eines Kubikcentimeters Quecksilber
kennt, so kann man genau den Punkt treffen, wo die Höhlung
im Stempel i ccm fasst. Es sind von diesen Stempelpipetten sechs
verschiedene Grössen zimi Gebrauche nötig, nämlich zu 0.1; 0.2;
0.5; i; 2.5; 5 ccm. Diese Pipetten werden so angewendet, dass
sie mit vorgestossenem Stempel in ein durch einen durchbohrten
Kork verschlossenes Glas mit starken Wandungen (A), in dem
die Flüssigkeit sich befindet, von der ein Teil entnommen werden
soll, hineingestellt werden (siehe Fig. 50). Die Masse wird durch
kräftiges Schütteln aufgerührt, und sobald sich die Organismen
möglichst gleichmässig verteilt haben, wird das Glasrohr B nieder-
gestossen; dann ist zwischen dem Glasrohr und dem Stempel in
ein genau bekanntes Volumen Flüssigkeit eingeschlossen. Ehe man
*) Hensen, Planktonwerk S. i6.
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 273
jedoch diese Flüssigkeitsmenge entleert, ist es nötig, den unteren
Rand des Glasrohres mit Fett zu bestreichen, da sonst leicht ein
Tropfen daran hängen bleiben kann. Nach Entleerung des
Volumens wird dann noch mit
einigen Tropfen Wasser nach-
gespült, so dass man sicher sein
kann, dass keine Organismen
zurückgeblieben sind. Dieses
abgemessene Volumen wird dann
resp.
zur Verdünnung benutzt
gezählt.
eme ge-
Haben wir uns
nügende Verdünnung hergestellt,
dann kann die Zählung be-
ginnen. Hierzu wird das Zähl-
mikroskop*) benutzt. Dieses
Mikroskop zeichnet sich durch
seinen Objekttisch aus. Dieser
ist so gross, dass er Glasplatten
von 1 1 1/2 X 10 cm fassen kann,
und was die Hauptsache ist, er
ist durch zwei Schrauben sowohl
von vorn nach hinten, als seit-
wärts verschiebbar. Auf den
rahmenförmigen Objekttisch wer-
den Glasplatten aufgelegt, die
fein mit dem Diamanten liniiert
sind und zwar hat jede Platte
ein bestimmtes Liniensystem.
Wählt man die passende Ver-
grösserung, so kann man im
Gesichtsfelde zwei parallele Linien laufen sehen, und wenn man
an einer seitlichen Schraube dreht, so bewegt sich die Glasplatte
Fig. 50.
(Nat. Grösse für 1/0 ccm.)
*) Hensen, Planktonwcrk S. 17 und Taf. I Fig. 2.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II.
18
I
274 Über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
langsam weiter, wobei man immer den Raum zwischen den-
selben Linien im Auge behalten kann. Ist man am Ende eines
Zwischenraumes angelangt, so wird mit Hilfe der anderen Schraube
der Objekttisch senkrecht zu der vorherigen Richtung um einen
Zwischenraum weiter gedreht und dann in diesem die Beobachtung
weiter fortgesetzt. So kann man allmählich die ganze Platte mit
dem Mikroskop untersuchen und ist sicher, dass kein Punkt über-
sehen ist.
Bringen wir nun auf eine liniierte Glasplatte ein bestimmtes
Mass einer Verdünnung, so können wir die Zahl der einzelnen
Organismen, die sich in diesem Volumen befinden, bestimmen.
Die Verdünnung wählt man am besten so, dass man von der
häufigsten Spezies nie mehr als 3000 und nie weniger als 1000
auf der Platte hat. Würde es sich nur um eine Spezies handeln,
so wäre die Zählung leicht auszuführen. Man brauchte nur die
Platte allmählich zu durchsuchen und jedes Individuum, das in das
Gesichtsfeld kommt, zu zählen, dann wüsste man, wie viel Organismen
auf der Platte sind und könnte, da man die Verdünnung kennt,
die Summe der Organismen im ganzen Fange berechnen. Hätten
wir z. B. eine Verdünnung von 1:10 angewendet und i ccm Ver-
dünnung durchgezählt und fänden 146 Coscinodiscen, dann wären
im ganzefi Fange (von 500 ccm) 146X10x500 = 730000
Coscinodiscen vorhanden.
Handelt es sich jedoch um mehrere Spezies, so kann man diese
nicht im Kopfe getrennt zählen. Doch auch hier hat Hensen Rat
geschafft. Da in einem Fange 30 — 50 verschiedene Spezies von
Tieren und Pflanzen vorhanden sind, so werden an einem Setzer-
kasten, der ebenso viel Fächer enthält, die Namen der vorhandenen
Organismen angebracht, für jede Spezies ein Fach. Untersucht man
jetzt eine Platte, so werden die mannigfaltigen Organismen nicht
mehr gezählt, sondern sobald irgend einer im Gesichtsfelde sich
blicken lässt, wird für ihn ein Pfennig (Spielmarke etc.) in sein
betreffendes Fach gelegt. So kann man leicht eine Platte, auf der
sich 50 verschiedene Arten durcheinandergemengt befinden, zählen.
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 275
Auf den ersten Platten werden die Diatomeen, die meist am zahl-
reichsten in einem Fange vorhanden sind, gezählt, andere Orga-
nismen natürlich auch berücksichtigt. Zuerst wird ein stark ver-
dünnter Teil des Fanges genommen, da trotzdem genug Individuen
auf die Platte kommen. Die Vergrösserung muss anfangs sehr stark
sein, etwa 200, zum Zählen der Diatomeen und anderer Algen.
Auf die Platte kommt nur 0.1 ccni Flüssigkeit, die mit der be-
treffenden Stempelpipette abgemessen wird. Für die starke Ver-
STösseruns bildet diese creringe Wasserschicht aber immerhin noch
ein Hindernis alle Organismen zu sehen; hat man das Mikroskop
auf die Oberfläche der Platte eingestellt, so entgehen einem die
Organismen, die an der Oberfläche der Flüssigkeit sich befinden. Daher
ist es vorteilhaft, die Diatomeen trocken zu zählen. Es wird zu
diesem Zwecke ein bestimmtes Volumen Flüssigkeit auf eine Platte
gebracht und diese dann der Wärme eines heizbaren Objekttisches
oder eines Ofens ausgesetzt, damit die Flüssigkeit verdunstet; dann
sind die Diatomeen auf der Platte in einer Ebene ausgebreitet und
können nicht so leicht übersehen werden. Da die Mischimgen
und Verdünnungen nie ganz genau sein können, so wird natürlich
die Zählung jeder neuen Platte etwas abweichende Resultate ergeben,
es fragt sich daher, wie lange eine Spezies gezählt werden muss;
wann solch ein Grad von Genauigkeit erreicht ist, um von den
wenigen Zählungen auf die quantitative Zusammensetzung des
ganzen Fanges schliessen zu können. Im allgemeinen lässt sich
sagen, dass es bei den häufigsten Formen genügt, wenn man einen
Bruchteil (z. B. 1/10) der Quadratwoirzel sämtlicher Individuen zählt.
Haben wir (siehe Protokoll) auf der ersten Platte für Melosira
27 Fäden gefunden und wissen wir. dass die durchzählte Wasser-
masse der 5 000 000. Teil von dem ganzen Fange ist, so würden
wir nach diesei ersten Zählung schliessen, dass 135 000 000 Melosira
im Fange sein werden, daraus nehmen wir 1/10 der Quadratwurzel
= 1162. Haben wir also mindestens 1162 Melosira gezählt, so
können wir diese aus den Zählungen ausscheiden, d. h. wir brauchen
sie nicht mehr mitzuzählen.
18«
276 über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
Um die Genauigkeit zu finden, bis zu welcher die Zählung
erfolgen muss, führt Hensen*) noch folgende Erwägung an.
Nachdem einige Zählungen gemacht sind, zieht man aus diesen
das Mittel. Denken wir nun , dass noch eine Zählung hinzu-
gekommen wäre und diese mit der am meisten abweichenden
übereinstimmen würde, und nähmen wir dann aus diesen das Mittel,
so genügen die Zählungen, wenn das Resultat sich nicht mehr als
um 5 o/o ändert. Im Protokoll finden wir für Melosira die Zahlen
382, 396, 396, Summe 1174, Mittel daraus 391. Käme noch
eine Zählung hinzu und zwar 382, so wäre die Summe 1556,
Mittel daraus 389.
Es verhält sich 391 : 100 = 389 : x^
X = 99.4.
Das Resultat weicht also nur um o.e ^/o ab , die Zählung ist
genau genug, kann also unterbrochen werden; jedoch ist es stets
besser, mehr Platten zu zählen, als zu wenig.
Haben wir eine genügende Genauigkeit erreicht, so können
wir die Diatomeen beim Zählen überspringen und schwächere Ver-
dünnung und schwächere Vergrösserung zur Zählung benutzen.
Für seltenere Formen wird schliesslich die erste Verdünnung benutzt
und von dieser i ccin , zuletzt 2.5 durchzählt, was meist sehr
schnell geht, da man nur mit sehr schwachen Vergrösserungen zu
arbeiten braucht und nur wenige Tiere zu zählen hat.
Die einzelnen Zählungen werden notiert und zwar in Form
eines Protokolle s. Ein solches Protokoll ist im Anhange bei-
gegeben und aus diesem die Einrichtung zu ersehen. Folgendes
möge noch zur Erläuterung desselben erwähnt sein. In der linken
obern Ecke findet sich Datum und Ort des Fanges, hier also:
13. September 1887, Stettiner HafF. Über sämtliche Fänge wird
ein Journal geführt, es bedeutet J. No. i = Journal No. i. Da-
selbst finden sich die näheren Daten, die bei Erlangung des Fanges
als wichtig notiert wurden, wie die Tiefe des Fanges (hier 5 m),
die Temperatur des Wassers und der Luft, Windrichtung,
*) Plankton werk S. 21.
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 277
Beschaffenheit des Fanges, ob locker, flockig, schnell absetzend;
letztere Aufzeichnungen sind wichtig, da sie, wie wir oben gesehen
haben, schon einen Einblick in die Zusammensetzung des Fanges
erlauben.
In dem Protokolle sehen wir einige Vertikalreihen, darauf
Horizontalreihen. Betrachten wir zuerst die Vertikalreihen. In der
ersten Kolumne mit der Überschrift „Art der Untersuchung" steht
überall feucht, d. h. alle Platten, die durchzählt worden sind, ent-
hielten die Organismen in Wasser suspendiert. Den Gegensatz
bilden die trockenen Platten, die, wie oben erwähnt wurde, meist
zum Zählen der Diatomeen verwendet werden. In unserem Fange
waren Diatomeen in verhältnismässig geringer Anzahl vorhanden,
Mclosira, Coscinodisciis und Baal laria zusammen etwa loo Millionen,
diesen standen von anderen x\lgen allein Limnochlide mit 9653
Millionen creo-enüber. Letztere würden beim Trocknen bis zur
Unkenntlichkeit geschrumpft sein und daher die Zählung vereitelt
haben, während die kieselschaligen Diatomeen nicht nur ihre Form
behalten, sondern auch leichter in trockenem Zustande zu be-
stimmen sind.
In der zweiten Vertikalreihe sind die Vergrösserungen an-
2:eo;eben, bei denen die einzelnen Platten gezählt worden sind. Das
stärkste der angewendeten Objektive (Vergrösserung 200) hatte
einen solchen geringen Abstand von der Glasplatte oder von der
Flüssigkeitsmenge (0.1 ccm), die sich auf der Platte befand, dass
es nur der gleichmässigen und leichten Verschiebung des Objekt-
tisches zuzuschreiben ist, dass das Objektiv nicht in das Wasser
eintauchte. Dadurch ist einerseits einer weiteren Erhöhung der
Vergrösserung ein Ziel gesetzt, anderseits würde die Zählung einer
Platte mit noch stärkeren Objektiven viel längere Zeit in Anspruch
nehmen und die Augen übermässig anstrengen. Beiläufig will ich
noch erwähnen, dass die Zählung solch einer Platte etwa drei Stunden
dauert*). Nach und nach nahm die Vergrösserung, bei der gezählt
wurde, ab bis auf 22; mit letzterer wurden nur noch Leptodora,
*) Die genaue und bis in die Einzelheiten gehende Zählung eines Fanges nimmt
etwa vierzehn Tage in Anspruch bei vierstündiger Arbeitszeit.
278 Über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
Milben und ein nicht bestimmtes Rädertier gezählt. Die anderen
Organismen waren entweder schon zu zahlreich auf der Platte und
lagen infolgedessen zu dicht an einander, oder es war schon die
genügende Zahl gezählt, oder endlich reichte die Vergrösserung
nicht mehr aus, die kleineren Organismen genau und schnell zu
erkennen. Aus letzterem geht hervor, dass man nie ein schwächeres
Linsensystem anwenden darf, ehe nicht alle Organismen genügend
gezählt sind, die mit diesem S}'Stem nicht mehr genau erkannt
werden können.
In der dritten Reihe ist die Grösse der Verdünnung ange-
geben. Aus dem oben Gesagten erklären sich die Angaben leicht.
I : looo heisst also, dass i can der ersten Verdünnung mit 99g ccm
Wasser verdünnt wurde, so dass das Gesamtvolumen 1000 ccm
= I Liter war. Man richtet sich am besten solche Messfiaschen
ein, die 1000, 500, 200, 100, 80 ccm halten, und benutzt dazu
verschieden grosse Kochfiaschen, die eine abgemessene Flüssigkeits-
menge so aufnehmen können, dass diese gerade noch in den Hals
der Flasche hineinragt, dort bringt man mit dem Diamant eine Marke
an. Dann hat man für jede Verdünnung sogleich eine Flasche
bereit. Zu den letzten Zählungen ist die erste Verdünnung ge-
'nommen worden, es wurden aber auch nur die grössten Tiere
gezählt, so auf einer Platte, die 2.5 ccm Flüssigkeit enthielt, nur
Hyalodaphnia Kahlber gensis , Daphnia longispiiia, Sida crystallina,
Lcptodora hyalina, Milben und das oben erwähnte Rädertier. Es
waren im ganzen (in No. 27) 94 Individuen, so dass, trotz der
grossen Flüssigkeitsmenge, die Zählung nur ungefähr eine halbe
Stunde in Anspruch nahm.
Die nächste Spalte enthält die „Nummern" der gezählten
Platten. Meist genügen 22 — 24 Platten; in unserem Fange waren
aber die grossen Formen selten, so dass, um einen einigermassen
sicheren Einblick in die Massenhaftigkeit ihres Vorkommens zu
erhalten, mehrere Platten allein für sie verarbeitet werden mussten
(Platte 26 — 31). Die fortlaufenden Nummern der Platten sehen
wir wieder als Kopfzahlen bei den Horizontalreihen, zu denen wir
weiter unten übergehen werden.
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 279
Wir überspringen einige Spalten und sehen uns die letzte mit
der Überschrift „Gebrauchtes Mass" an. Die Zahlen dieser
Rubrik besagen, eine wie grosse Wassermenge jedesmal zur. Unter-
suchung benutzt worden ist. Aus der ersten Zeile ersehen wir,
dass o.i ccm gezählt wurde und zwar — wie aus den daneben
stehenden Reihen hervorgeht — von der Verdünnung i : looo bei
einer Vergrösserung von 200 auf feuchter Platte. Die Flüssigkeits-
mengen werden mit den oben beschriebenen Stempelpipetten ab-
gemessen und auf die Platte übertragen. Es sind, wie das Protokoll
ausweist, alle dort erwähnten Grössen in Anwendung gekommen,
mit Ausnahme von 5 coii, die nur zum Abmessen der Volumina
zwecks der Verdünnung gedient hat (siehe Platte 21 — 25, auch
10 — 20).
Kehren wir nun zu der alten Reihenfolge zurück, so
treffen wir die Spähe, die die Wahren Masse enthält. Diese
unterscheiden sich insofern von dem „Gebrauchten Mass", als sie
nicht angeben, wie viel Flüssigkeit auf jeder einzelnen Platte durch-
zählt wurde, sondern der wievielste Teil diese Flüssigkeitsmenge
von der ganzen betreffenden Verdünnung ist. Wie wir diese Zahlen
erhalten, ergiebt sich am leichtesten an der Hand unseres Protokolls:
Bei Platte i haben wir i ccm der ersten Verdünnung auf 1000 ccm
(zweite Verdünnung) gebracht; würde ich hiervon i coii abnehmen,
so wäre dieser der 0.001 • Teil der ganzen zweiten Verdünnung oder
des einen Kubikcentimeter der ersten Verdünnung, den ich für die
zweite benutzt habe. Zur Zählung ist aber nur 0.1 ccm verwendet,
dieser ist dann nur der 0.0001. Teil der ganzen zweiten Verdünnung,
enthält also auch nur den 0.0001. Teil der Organismen der ganzen
zweiten Verdünnung resp. des i ccm der ersten Verdünnung, von
dem die zweite Verdünnung hergestellt ist.
Bei Platte 10 haben wir die Verdünnung 10:100, also 0.1;
davon 0.2 ccm genommen, erhalten wir 0.02 als wahres Mass.
Bei No. 21 haben wir 30:100, also 0.3, ein Kubikcentimeter
davon also 0.3 wahres Mass.
Dieses wahre Mass ist nun wichtig für die Berechnuns: des
Koeffizienten. In der Rubrik „Berechnung" ist dieselbe aus-
280 Über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
geführt. Bei der Besprechung des wahren Masses sahen wir, wie
wir z. B. bei Platte i fanden, dass die gezählten Organismen auf
dieser Platte den o.oooi. Teil der in i ccin enthaltenen Wesen
bilden. Beziehen wir aber die gezählte Zahl auf das ganze Flüssig-
keitsvolumen von 500 ccm (erste Verdünnung), so haben wir nur
500 5 000 000
gezählt, das ist der " = 5000000. Teil. Finden
0.0001 I
wir also auf der ersten Platte in 0.1 ccut der Verdünnung i : 1000
2024 Limnochlide-Fäden, so wissen wir, dass wir in dem ganzen
Fange 2024x5000000 Limnochlide ungefähr werden finden
müssen, was 10 120 Millionen ergeben, eine Zahl, deren Fehler
durch weitere Zählungen eingeschränkt wird.
Haben wir eine Spezies während mehrerer Platten gezählt und
sehen wir, dass wir abbrechen können*), dann handelt es sich darum,
den Koeffizienten für die Summe der gezählten Individuen zu
finden. Zu dem Zwecke addieren wir die wahren Masse aller der
Platten, auf denen diese Spezies beobachtet wurde, und verfahren
wie oben für eine Platte angegeben ist. Wir haben z. B. für
Limnochlide fünf Platten gezählt (i — 5) und finden die Zahlen
2024, 1835, 2048, 1954, 1792, Summe 9053. Die Summe der
wahren Masse für diese fünf Platten ist 5X0.0001 = 0.0005, dann
500
erhalten wir ^ i 000 000 als Koeffizienten der Summe. Die
O.0005
gezählten Individuen 9653 bilden also den i 000 ooosten Teil
aller im Fang vorhandenen Limnochlide, das ergiebt 9653000000
Limnochlide. Habe ich Spirogyra erst von der zwölften Platte
bis zur zwanzigsten gezählt, so summieren für diese Alge nur die
wahren Masse dieser Nummern, also Summe 12 — 20 = 0.51, und
wir erhalten den Koeffizienten 980.
Durch die letzteren Betrachtungen sind wir nun schon bei den
Horizontalreihen angelangt.
In einer Spalte derselben stehen die Namen der Organismen,
die sich in dem gezählten Fange befanden. Rechts davon sind
*) Siehe oben S. 275 u. 27c
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 281
dann die Ergebnisse der Zählung jeder einzelnen Platte angegeben
und zwar in der Rubrik, deren Kopfzahl der betreffenden Platte
entspricht. Hört man auf, einen Organismus mitzuzählen, so steht
in der Rubrik der betreffenden Platte ein Fragezeichen. Wird auf
einer Platte von einer Spezies kein Individuum gefunden, so steht
natürlich eine Null. Ist dagegen eine Spezies beobachtet, aber auf
einigen Platten nicht mitgezählt , wie z. B. bei Spirogyra i — 1 1 ,
so wird auch hier ein Fragezeichen gesetzt.
In den beiden letzten Spalten sind zuerst die Summen der
gezählten Individuen jeder Spezies angegeben, dann die Platten,
auf denen diese Organismen gezählt wurden.
Um nun die Gesamtsumme der in dem Fang vorhandenen
Tier- und Pflanzenindividuen zu finden, brauchen wir nur die
Summe der gezählten Organismen mit dem Koeffizienten, welcher
der angewendeten Plattenzahl entspricht, zu multiplizieren. So haben
wir bei Limnochlide 9653 Fäden gezählt, und zwar auf Platte i — 5,
der Koeffizient der Platten i — 5 ist i 000000, also sind im ganzen
Fange 9653000000 Limnochlide-Fäden vorhanden.
Diese Gesamtsumme „Gezählte Masse" steht in einer
Rubrik vor den Namen, damit man mit diesen das Endresultat
sogleich übersieht.
Vor der letzteren Rubrik finden wir eine solche mit der
Überschrift „Ganze Masse". Wie wir oben gesehen haben, wird
nicht die ganze Wassersäule filtriert , die dem Querschnitte des
Netzes und der Tiefe des Wassers, bis zu der das Netz herab-
gelassen wurde, entspricht, sondern ein kleiner Teil fliesst über den
Netzrand ab. Hensen hat deshalb für jedes Netz den Filtrations-
koeffizienten*) berechnet, der besagt, mit welcher Zahl man Volumen
oder Anzahl der Organismen eines Fanges multiplizieren muss, um
die wirklichen Werte zu finden, wenn die ganze Flüssigkeitssäule
filtriert worden wäre. In unserem Falle war der Koeffizient 1.034.
Von Leptodora waren z. B. 371 Individuen im Fange. In der
Wassersäule von 0.1 qm Querschnitt und 5 m Höhe waren aber
*) Planktonwerk S. 10 — 13.
282 Über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
0
71 X 1.034 = 384 Individuen vorhanden. In Folgendem habe
ich aber die Zahlen der gezählten Masse benutzt.
Nachdem wir in Vorhergehendem die Hensensche Methode
der quantitativen Untersuchung des Plankton kennen gelernt haben,
erübrigt es noch, auf die qualitative Zusammensetzung des Süss-
wasserplankton*) einzugehen. Jedoch muss ich noch ein paar
Worte vorausschicken. Die Planktonmethode ist bis jetzt fast nur
auf das Meer angewendet worden, nur einmal ist bei einer Fahrt
in der östlichen Ostsee von Hensen auch ein Fang im Stettiner
Haff 11), also im Süsswasser, gemacht worden. Die Fänge wurden,
wie wir oben gesehen haben, sofort konserviert, daher kommt es,
dass manche Organismen bei nachfolgender Zählung ganz unkennt-
lich sind, da sie sich beim Töten zusammengezogen haben; dieses
ist namentlich der Fall bei Rädertieren**). Es ist daher nötig,
dass an Ort und Stelle auch lebendes Material untersucht wird,
denn , wenn dieses bestimmt ist , sind die Organismen leicht in
konserviertem Zustande wiederzuerkennen. Dieses ist nun bei einer
grösseren Fahrt sehr schwer ausführbar, da sich auf dem Schiff,
namentlich bei bewegter See, schwer oder gar nicht mikroskopieren
lässt. Anders verhält sich die Sache, wenn das Institut, in dem
die Arbeiten ausgeführt werden sollen, direkt am Wasser liegt, da
kann quantitative und qualitative Bestimmung Hand in Hand gehen,
so ist das hier in Kiel, und auch in der unlängst von Zacharias
errichteten Süsswasserstation zu Plön der Fall. Es müssen daher
in den Protokollen vorläufige Namen für die unbestimmten***)
Organismen gesetzt werden und späterer Zeit überlassen bleiben,
das Versäumte bei Gelegenheit an Ort und Stelle nachzuholen.
Folgendes ist ferner auch noch von Bedeutung. Es genügt nicht,
einen Fang zu beliebiger Zeit zu machen, sondern es müssen die
Planktonfahrten in bestimmten Zeitabschnitten (alle zwei oder vier
*) Von Häckel'') S. 21 Limnoplanktou genannt.
**) Ausgenommen von diesen sind nur die gepanzerten (Loricata) , die trotzdem leicht
zu erkennen sind.
***) Leider war der Fang aus dem Stettiner Haff, da er als ausgebraucht betrachtet
wurde, weggeschüttet, so dass auch nachtriighch keine nähere Untersuchung vorgenommen
werden konnte. Es empfiehlt sich daher, das Material stets aufzubewahren.
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. " 283
Wochen)*) unternommen werden, dann erhält man erst einen Ein-
blick in die wahre Zusammensetzung des Plankton, das in fort-
währendem Werden und Vergehen begriffen ist. Dieses wäre eine
sehr dankbare Arbeit für eine Süsswasserstation.
Nach dem Gesagten ist es klar, dass die folgenden Dar-
legungen wenig positives bringen können, es kann nur gezeigt
werden, in welcher Art ein Fang oder eine fortlaufende Reihe
solcher verwertet werden können. Ich beabsichtige also nur ein
Beispiel zu der oben erläuterten Methodik zu geben.
Beginnen wir mit den Algen, der Urnahrung, so fallen uns
die Vertreter zweier Ordnunsren durch ihr massenhaftes Auftreten
auf, es sind die Diatomeen und Schizophyceen. Weniger zahlreich
sind Protococcoideen , \'on denen Pediastrimi , Gleocystis und
Scenedesnms qiiadricaudatiis gefunden wurden, und Konjugaten,
die durch Spirogyrafäden vertreten sind.
Was die Diatomeen anbelangt, so müsste mau glauben, dass
sie wegen ihrer grossen Zahl, trotz des geringen Anteils an orga-
nischer Substanz, eine wichtige Nahrung für die pelagischen Tiere
bilden. Jedoch werden sie, wie Hensen**) beobachtet hat, von
allen Tieren verschmäht. Dagegen erwähnt Seligoi3) in seinen
Hydrobiologischen Untersuchungen, dass die Diatomeen die Haupt-
nahrung mehrerer Tierarten***) bilden. Leider sagt er nicht, für
welche. Ihre Bedeutung ist also in anderer Richtung zu suchen. Alle
Diatomeen haben eine Vegetationsperiode, d. h. sie vermehren sich
zu einer bestimmten Zeit ganz enorm, um dann wieder allmählich
oder fast plötzlich zu verschwinden. Letzterer Umstand ist durch
das Bilden von Dauersporen ,^ die bei vielen Meeresdiatomeen
beobachtet sind, leicht erklärlich, da die Spore alsbald zu Boden
sinkt. Ob bei Süsswasserdiatomeen die gleichen Verhältnisse vor-
kommen, kann ich nicht angeben. . Die Sporen enthalten eine sehr
*) So werden die Untersuchungen in dor Kieler Bucht von Prol. Brandt') seit
September 1888 ausgeführt und noch fortgesetzt.
**) Planktonwerk S. 99.
***) Bei meinen Untersuchungen hiesiger Siisswasserseen habe ich den Darm von
Hj-alodaphnien und Bosminen dicht mit Melosirazellen angefüllt gefunden (1891).
284 Über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
konzentrierte organische Nahrung, die den Tieren der Tiefenregion
wohl zu gute kommt.
Da jede Diatomee aus zwei Schalen besteht, so muss man
jede vollständige Diatomee als 2 zählen, jede allein liegende Schale
als I, und dann die erhaltene Summe durch 2 dividieren, dann
erhält man die Zahl der Zellen. Bei Melosira würde dieses Ver-
fahren zu viel Zeit in Anspruch nehmen, man zählt daher nur die
Fäden und stellt bei einer Zahl von Fäden die Zellenzahl fest.
In unserem Fange fanden sich pro i qrn*) 984614400 Fäden,
von denen 20 = 246 Zellen enthielten, es wären also im ganzen
12110757120 Zellen vorhanden gewesen. Ohne Berechnung der
Zellen kann man Melosira nicht mit anderen Diatomeen vergleichen.
Von Melosira kamen zwei Arten vor, nämlich M. graimlata und
eine andere, nicht näher bestimmte. An 226 Fäden war erstere
mit 208, letztere mit 18 beteiligt. Cosciiiodiscns fand sich in
6440890 und Bacillaria paradoxa in 7 388 640 Individuen.
Letztere Diatomee zeigt bei ihrer Zählung ziemlich abweichende
Resultate, da mehrere Zellen an einander liegen und so Platten
bilden, andere sind auseinandergefallen, so dass, wo einmal eine
Bacillaria gefunden wird, ein ander Mal eine Platte, die aus
mehreren Individuen besteht, sich vorfindet. In geringerer Anzahl
war eine Surirella - Art vorhanden, nämlich 477570 pro i qui.
Gegen Melosira tritt aber die Summe aller übrigen Diatomeen
weit zurück.
Die zweite Hauptgruppe der Algen bildeten die Schizo-
phyceen. Einzelne von diesen verursachen zu Zeiten die sogen.
„Wasserblüte". Sie sollen den Fischen verderblich werden, jedoch
ist die Ursache davon noch unbekannt.
Vor allen trat Limnochlide ßosaqiiae Ktz. hervor, es wurden von
ihr unter i qm Oberfläche 96530000000 Fäden gefunden, von
denen 20 = 294 Zellen enthielten, so dass wir fast 1I/2 Billion
Zellen erhalten. Die filtrierte Wassermenge betrug fast 0.5 chin
*) Wenn die Zahlen in folgendem auf i gm Oberfläche berechnet sind, so bedeutet
dies stets eine Wassersäule vom Querschnitt i gtn und einer Tiefe von 5 »i.
über die quanlilative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 285
= 500 Millionen Kubikmillimeter, es fanden sich also in i cmm
Wasser 2838 Zellen = 142 Fäden. Ihre Bedeutung für den Stoff-
wechsel ist mir nicht klar, es wäre aber möglich, dass die Sporen
dieser Alge ebenfalls (siehe Diatomeen) den Tieren der Tiefenregion
zur Nahrunc: dienen könnten.
Neben Limnochlide kamen noch mehrere Arten von Chroo-
coccaceen vor. Sie sind im Protokoll einfach mit Coccus bezeichnet
und mit einem Beinamen versehen, der auf die Form der Kolonie
oder der einzelnen Individuen Bezug hat. Sie gehörten meist der
Gattung Polycistis an, der sogenannte feinkörnige Coccus war P.
ichthyoblabe. Dagegen ähnelte Coccus i (viereckig) mehr einer
Merisniopcdia.
Die in Pikrinsäure konservierten Algen lassen aber nicht ihre
natürliche Färbung erkennen und sind dann nicht mehr bestimm-
bar. Zusammen fanden sich 109824460 Kolonien, die einzelnen
Individuen sind nicht zu zählen.
Zur Urnahrung müssen wir ferner, wie in der Einleitung er-
wähnt ist, die Peridineen rechnen. Es waren im Fange drei Arten
vorhanden, Ceratiwn tripos, C. /usus und Pcridinium diver gens.
Diese drei Peridineen sind echte Meeresbewohner und es muss
daher ihr Vorkommen im Süsswasser*) sehr auffallen. Ich ver-
mutete daher zuerst, dass sie von früheren Fängen aus der west-
lichen Ostsee am Netze hängen geblieben waren, dieses war aber
nicht der Fall, da, wie ich nachher erfuhr, ein ganz neues Netz
zum Fischen verwendet war. Es müssen also sich die Peridineen
dem Leben im Süsswasser angepasst haben. Der Salzgehalt im
Stettiner Haff war so gering, dass er mit den Instrumenten nicht
mehr gemessen werden konnte. Von den Peridineen, die bisher
im Süsswasser gefunden wurden, sind keine beobachtet.
Von den Protozoen finden wir im Plankton die Tintinnen.
Dieses sind die niedrigststehenden Tiere, die durch einen Mund
geformte Nahrung aufnehmen. Worin diese Nahrung besteht, ist
*) Henseni') führt auch an, dass Ceratium iripos von Pringsheira nahe bei
Berlin gefunden ist, also im Süsswasser (S. 74).
286 Über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
nicht bekannt, Hensen*) vermutet darunter der geringen Grösse
der Tintinnen wegen noch kleinere Wesen, als bis jetzt nachgewiesen
sind, und die regelmässig durch das Netzzeug hindurchschlüpfen.
Tintinnen sind in zwei Arten im Fange vorhanden gewesen. Tintmnus
ventricosus , der auch im Meere zahlreich vorkommt, war sehr
häufig, auf I qm Oberfläche 1586040 Tiere, noch mehr war T.
borealis Hensen**) zu finden, eine neue Art, die eine Länge von
nur O.048 mm hat, und an Chactoceros und anderen Organismen
festsass. Von ihm waren 2881960 Individuen unter i qm
Oberfläche.
Von Rädertieren wurden sechs Arten gefischt. Drei davon
gehörten zu der Gattung Anuraea, die anderen drei konnten nicht
bestimmt werden, da sie zu sehr kontrahiert waren, es befand sich
darunter eine sehr grosse durchsichtige Art***), von der nur 3180
unter i qm Oberfläche lebten.
Die beiden anderen unbestimmten Rotatorien waren sehr
zahlreich zu finden, das eine in der Zahl von 776240, das andere
von 3 203 200 unter derselben Oberfläche. Von Amiraea fanden sich
A. aculeata Ehbg. mit 203840, qiiadridentata mit 722180 und
foliacea Ehbg. mit 58240 Individuen. Ausserdem 2567380
Rädertiereier.
Von ..Daphniden wurden sechs Arten gefunden. Drei von
diesen sind allgemein als pelagisch bekannt, nämlich Lcptodora
hyalina Lilj., Hyalodaphnia Kahlbergensis Schödler und Chydorus
sphacricus O. Fr. M., während die drei übrigen bei den bisherigen
Untersuchungen von Süsswasserbecken meist als littorale Formen
nachgewiesen wurden. Dapknia longispina Leyd. ist jedoch auch
von Zacharias 15) in den 6 — 8 m tiefen Mansfelder Seen pelagisch
gefunden, ebenso Sida crystallina von Forel^) in Schweizer Seen.
Da die Daphniden vielen Süsswasserfischen zur Nahrung dienen,
so ist ihre Bestimmung von hohem praktischen Interesse, nament-
lich da sie sich in Bezug auf ihren Gehalt an organischer Substanz
*) Hensen, Plankton werk S. 71.
**) Hensen'') hier auch Beschreibung und Figur.
***) Synchaeta?
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 287
ähnlich wie die Copepoden verhalten dürften, für die wir oben
99.4^/0 gefunden haben. Wenn wir in unserem Fange unter einem
Quadratmeter Oberfläche i 826 100 Daphniden finden, so können
wir uns leicht ein Bild von ihrer Bedeutung für die Fischzucht
machen. yiit Hilfe der Planktonmethode würde sich ein sehr
klares Bild über den Entwickelungsgang dieser Tiere finden lassen.
Bei fortgesetzten Untersuchungen könnte man das Auftreten der
Daphniden im Frühjahr feststellen, sowie dessen Abhängigkeit von
der Wassertemperatur, ferner würde sich die rapide Zunahme gegen
den Sommer hin zeigen, wobei es von Wichtigkeit wäre, die Zahl
der Eier und Embryonen im Brutraume zu berücksichtigen, so dass
sich für jede Art eine Durchschnittszahl ergeben würde. Zugleich
Hesse sich das Erscheinen der verschiedenen Arten in den einzelnen
Monaten finden. Im Spätsommer würden dann die Männchen
hinzukommen und schliesslich würde man die Cladoceren ver-
schwinden sehen, nachdem man die Bildung der Dauereier beob-
achtet hätte.
Es würden sich alle diese Verhältnisse zahlenmässig klarlegen
lassen und einen präzisen Ausdruck liefern für die bisherigen Aus-
drücke, wie „im Frühjahr nach Schmelzen des Schnees massenhaft
auftretend".
Die Copepoden, deren Bedeutung wir schon ot^cn gesehen
haben, bilden einen anderen Hauptbestandteil des Plankton. Sie
waren unter i qm Oberfläche mit 697480 vertreten. Dazu kommen
noch die Larvenformen mit 786520.
In dem Protokoll sind die einzelnen Arten nicht getrennt
aufgeführt worden. Es schien anfangs nicht möglich, während des
Zählens die verschiedenen Spezies auseinanderzuhalten, und mit
Hilfe der bisherigen Diagnosen ist dieses auch nicht auszuführen.
Nachdem es sich aber herausgestellt hat, dass in einem Fange
selten mehr als sechs Arten (bei Zählungen der Copepoden des
Plankton im Kieler Hafen) vorhanden sind, ist die getrennte
Zählung versucht worden und hat sich auch durchführen lassen,
da jede Spezies irgend ein bestimmtes Merkmal besitzt, an dem
sie sofort erkannt w-erden kann. Man kann schliesslich noch weiter
288 Über die quantitative Bestimmung de.s Plankton im Süsswasser.
gehen und auch die Geschlechter getrennt zählen. Neben den
ausgewachsenen Copepoden werden dann die Larven berücksichtigt.
Diese nach der Spezies zu zählen wird wohl fürs erste kaum
geschehen können, da die Entwickelungsreihen vom Ei bis zum
erwachsenen Tier nur erst für sehr wenig Formen festgestellt sind,
bei genauem Studium und einiger Ausdauer Hesse sich dieses
vielleicht auch ausführen. Ebenso müssten die Eiersäckchen mit
der durchschnittlichen Zahl der Eier berücksichtigt werden.
Nach den erwähnten Untersuchungen von Hensen nähren
sich die Meerescopepoden von Peridineen. Die des Süsswassers
müssen aber andere Nahrung zu sich nehmen, denn nach unserem
Fange standen 697480 Copepoden, ohne Larven, nur 122 ogo
Peridineen zur Verfügung, die nach den Hensenschen Berechnungen
nur 10 000 Copepoden genügen würden. Nach Claus"*) leben sie
von pflanzlichem und tierischem Detritus, Vosseier i-*) hat dasselbe
beobachtet, meint jedoch, dass noch Infusorien sich beigesellen.
Ob dieses aber auch die Nahrung der pelagischen Copepoden ist,
wäre noch experimentell festzustellen.
Von Hydrachniden wurde Ncsaea elliptica Kram, in er-
wachsenen und jugendlichen Formen gefunden. Ihre immerhin
beträchtliche Zahl von 2400 pro i qm ist bemerkenswert. Ob sie
in dem Haushalt der Natur irgend eine Rolle spielen, vermag ich
nicht anzugeben. Eigentümlich ist das pelagische Vorkommen,
obgleich Zachariasißj in norddeutschen Seen die Milben nur
littoral gefunden hat. Dagegen erwähnt auch Nordquisti2j in
seinem Aufsatz über die pelagische und Tiefseefauna finnischer
Seen pelagische Hydrachniden.
Von Mollusken wurden nur Muschellarven zahlreich gefangen,
Schneckenlarven fehlten. Es fanden sich 40770 auf den Quadrat-
meter Oberfläche. Nimmt man für eine Muschel i qcm Boden-
fläche an, so würden das auf i qm immer nur 10 000 ausmachen,
der Raum ist aber viel zu 2:erinfr bemessen. Von den Larven
kann also im günstigsten Falle nur 1/4 am Leben bleiben und diese
müssten den Boden dann dicht überziehen. Das ist aber nicht
wahrscheinlich. Ob die Larven zu einer Spezies gehören, ist bei
über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser. 289
der Zählung nicht berücksichtigt worden, die Art selbst zu be-
stimmen ist bis jetzt auch nicht möglich, würde sich aber bei
speziellen Studien gewiss ausführen lassen. Es würde das ein Licht
auf die Zeit und die Dauer des Schwärmens der Larven werfen.
Es konnte in Vorhergehendem nur meine Aufgabe sein, dem
Leser die Methodik zur quantitativen Bestimmung des Plankton
im Süsswasser zu erklären; etwas Näheres über die Organismen
des Plankton zu sagen, war nach dem einen Süsswasserfange noch
nicht möglich. Es wäre zu wünschen, dass die Hensensche
Methode auch in einem grösseren Landsee angewendet würde,
interessante und wichtige Ergebnisse würde sie liefern, wie das
schon der Fall bei ihrer Anwendung im Meere gewesen ist. End-
lich möchte ich nochmals auf die epochemachende x\rbeit Hensens
hinweisen, die so viel des interessanten bietet, worauf ich nur hin-
weisen konnte, oder das ich wegen Raummangel ganz übergehen
musste.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 19
J.-N.
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9 653 000 000
Linmochlide
2024
1835
2048
1954
101 828 800
98 461 440
Melosira
27
24
22
19
II
11
2
0-0001
0-1
438 031
421 656
Pediastrum
1
0
0
0
836 060
808 496
Coccus 1 (viereckig)
1
0
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0
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"
3
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0-1
7 642 950
7 390 200
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0
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1
2
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793 022
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0
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764 054
644 089
Coscinodiscus
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1—5
0-0003
500
0-0005
1 000 000
0-1
0-2
738 864
Bacillaria
0
0
0
0
49 356
47 757
Surirella
0
0
0
0
88
1:100
6
0-002
5294
5242
Spiral. Oscillarie
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0
0
0
298 011
288 196
Tiniinnus borealis
0
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67 649
Coccus 5 (Gleocystis)
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0
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11
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0
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Ceratium iripos
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II
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331 895
320 320
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1-13
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0
0
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0
0
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0
0
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Hyalod. Kahlb.
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0
0
0
41117
39 757
Bosmina rot.
0
0
0
0
0-03
0-5
127 165
122 148
Chydorus sphaer.
0
0
0
0
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0
u
0
0
u
II
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72 133
69 748
Copepoden
, , -Larven
0
0
0
0
81 382
78 652
0
0
0
0
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1
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Milben
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r. Verdünnung).
5
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Anmerkungen
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Anmerkung: Der Fang, nach dem dieses Protokoll berechnet ist, wurde mit einem Planktonnetze von o.j fm
Öffnung gemacht ; es müssten also, da die Tiefe des Netzzuges 5 7« betrug, 0.5 c6m Wasser durch das Netz filtriert sein ;
in Wahrheit aber nur o.^^ cbm (siehe oben bei Netze). Wollen wir die Anzahl der Organismen unter einem Quadrat-
meter Oberfläche kennen , so müssen obige Zahlen mit 10 multipliziert werden , da die Öffnung des Netzes , also die
Grundfläche der Wassersäule o.j gm beträgt.
*) War Polycysiis ichthyoblabe.
**) Synchaeta ähnlich.
Litteratur.
i) Asper und Heuscher, Neue Zusammensetzung der pela-
gischen Organismen in: Zool. Anzeiger iS86, Bd. 9, S. 448.
2) Brandt, Über die biologischen Untersuchungen der Plankton-
Expedition in : Verhandl. der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
1889, Heft 10.
3) Brandt, Hackels Ansichten über die Plankton-Expedition
in: Schriften des Naturwissenschaftl. Vereins f Schleswig- Holstein,
Bd. VIII, Heft 2. Kommissionsverlag von Homann in Kiel.
4) Claus, Anatomie und Entwickelung der Copepoden in:
Arch. f. Naturgeschichte 1858, Bd. i.
5) Forel , Faunistische Studien in den Süsswasserseen der
Schweiz. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 1878, Bd. 30
Suppl.
6) Häckel, Plankton-Studien. Vergleichende Untersuchungen
über die Bedeutung und Zusammensetzvmg der pelagischen Fauna
und Flora. Jena 1890.
Quantitative Bestimmung des Plankton: Litteratur. 293
7) Heincke , Die Untersuchungen von Hansen über die
Produktion des Meeres an belebter Substanz in : Mitteilungen
der Sektion für Küsten- und Hochseefischerei, No. 3 — 5, März
bis Mai 1889.
8) Mensen , Über das Vorkommen und die Menge der Eier
einiger Ostseefische, insbesondere der Scholle, des Flunder und
des Dorsch in : 4. Bericht der Kommission zur wissenschaft-
lichen Untersuchung der deutschen Meere zu Kiel für 1877 — 81.
Berlin 1884.
9) Hensen , Über die Bestimmung des Planktons oder des
im Meere treibenden Materials an Pflanzen und Tieren in:
5. Bericht der Kommission zur wissenschaftlichen Untersuchung der
deutschen Meere zu Kiel 1887, S. i — 106.
(Oben kurz als „Planktonwerk" zitiert.)
10) Hensen, Einige Ergebnisse der Plankton -Expedition der
Humboldt-Stiftung in: Sitzungsberichte der Königlich Preussischen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung d. phvsikal.-mathemat. Klasse vom 13. März 1890.
11) Hensen, Das Plankton der östlichen Ostsee und des
Stettiner Haffs in: 6. Bericht der Kommission zur wissenschaftlichen
Untersuchung der deutschen Meere in Kiel 1890.
IIa) Hensen, Die Plankton -Expedition und Häckels Darwi-
nismus. Kiel, Lipsius und Tischer 1891.
12) Nordquist, Über die pelagische und Tiefsee - Fauna
finnischer Seen in: Zoolog. Anzeiger 1887, Bd. 10, S. 339
und 358.
13) Seligo, Hvdrobiologische Untersuchungen in: Schriften
der Naturforschenden Gesellschaft zu Danzig, N. F., Bd. VH,
Heft 3. 1890.
294 Über die quantitative Bestimmung des Plankton im Süsswasser.
14) Vosseier, Die freilebenden Copepoden Württembergs.
Stuttgart 1886.
15) ZachariaS, Fauna des süssen und salzigen Sees bei
Halle a. d. S. in: Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 1888,
Bd. 46.
16) Zacharias, Zur Kenntnis der pelagischen und littoralen
Fauna norddeutscher Seen in: Zeitschrift für wissenschaftliche
Zoologie 1887, Bd. 45, S. 255.
Die Fauna des Süsswassers
in ihren Bezietiungen zu der des IVIeeres.
Von Dr. OttO ZachariaS in Plön (Holstein).
Unter den \ielen bemerkenswerten Thatsachen, welche die
in neuerer Zeit mit so grossem Eifer betriebene Erforschung der
Binnenseen zu Tage gefördert hat, ist das unzweifelhafte Vor-
kommen mariner Tiere im süssen Wasser eine der interessantesten.
Besonders waren es italienische Seen, iia denen man zuerst jene
überraschende Entdeckung machte. So 'beherbergt z. B. der weit-
ab vom Meere gelegene Gardasee drei Fischspezies, welche marinen
Gattungen angehören : i ) einen heringsartigen Fisch (Alosa fuitaj,
zu dessen nächsten Verwandten die sog. „Maifische" zählen; 2) eine
Meergrundel (Gobhts) und 3) einen Schleimfisch {Blennhis vulgaris).
Ausserdem kommt in demselben Wasserbecken em Krebs (Palae-
monetes) vor, von dem der bekannte Berliner Zoologe E. v. INI arten s
sagt: „Er steht unserer Ostseegarneele (Palaemon sqiiilla) nahe,
unterscheidet sich aber von ihr durch geringere Grösse und durch
die Gestalt des Schnabels". Auch in den Kraterseen \-on Albano
und Nemi kommt dieser kleine Krebs zugleich mit der schon
erwähnten T^lcuniiis-Art vor.
Unter den schweizerischen Seen ist es der von Genf (Lac
Leman), Welcher in den Muschelkrebschen Acanthopus rcsisfaiis
(= Cytheridea lacustris Sars) und Acanthopus clongatus ( Limni-
cythere relicta Lillj.) zwei Tierformen enthält, die der marinen
Gruppe der Cytheriden sehr nahe verwandt sind und deren An-
wesenheit im Süsswasser uns daher überrascht.
298 -^'^ Fauna des Süsswassers in ihren Beziehungen zu der des Meeres.
Die skandinavisch- finnischen Seebecken besitzen eben-
falls in ihrer Fauna eine Anzahl von Krustern (Mysis relicta,
Pontoporeia affinis, Idotea entomon u. s. w.), welche Vertreter von
im Meere lebenden Gattungen sind.
Ganz ähnliche Thatsachen liegen für die grossen kanadischen
Seen in Nordamerika vor. Wir begegnen dort den nämlichen
Krebsen wie in Skandinavien und av;sserdem noch zwei Fischen
(Tr/glops-Arten), welche weit mehr die Charaktere von Meeres-
ais diejenigen von Süsswasserfischen besitzen.
Diese Befunde, welche sich aus anderen Seengebieten leicht
vermehren Hessen, haben in der Folge dazu geführt, die Theorie
der sogenannten „Reliktenseen" aufzustellen. Darunter versteht
man solche Seen, welche für die Reste einer ehemaligen Meeres-
bedeckung angesprochen werden. Man fühlte sich befugt, diesen
Ursprung hauptsächlich denjenigen Wasserbecken beizumessen, in
denen man die oben angeführten Krustaceen und Fische (bezw.
andere zu marinen Gattungen gehörige Tiere) vorgefunden hatte.
Ausser Stande oder nicht daran gewöhnt, das Vorhandensein solcher
Fremdlinge auf eine andere Weise zu erklären, als dadurch, dass
dieselben Überbleibsel (Relikte) einer vormaligen, an Ort und Stelle
heimisch gewesenen Meeresfauna seien , zog man hieraus den
weiteren Schluss, dass in einer nicht sehr weit zurückliegenden
Periode der Erdgeschichte eine mehrmalige Andersverteilung von
Land und Wasser stattgefunden haben müsse, wobei Ein-
senkungen der Festländer mit Meerwasser angefüllt oder Fjorde
direkt vom Meere abgesperrt worden wären, so dass in den so
entstandenen Seebecken gewisse marine Spezies zurückblieben, und
dem durch Regengüsse sich immer mehr aussüssenden Wasser
allmählich angepasst wurden.
Diese Ansicht war sehr lange Zeit in Geltung, und zum Teil
ist sie es auch noch heute. Aber bei näherer Prüfung dieses
„faunistischen Arguments" für den marinen Ursprung einer Anzahl
von Binnenseen zeigt es sich, dass dasselbe weder vor der geo-
logischen noch vor der zoologischen Kritik Stand hält.
Die Fauna des Süsswassers in ihren Beziehungen zu der des Meeres. 299
In letzterer Hinsicht hat es sich nämlich herausgestellt, dass
es eine grosse Anzahl von Tieren giebt, welche ebenso gut im
süssen wie im Brack- oder Salzwasser leben können. Zunächst ist
hierbei an die allbekannten Wander fische (Lachs, Aal, Scholle
u. s. w.) zu erinnern, die sich gleich gut im jNIeere wie in den
Flussläufen aufzuhalten vermögen. Dann bieten aber auch die
Mollusken bemerkenswerte Beispiele dafür dar, dass manche Arten
einen recht erheblichen Wechsel des Salzgehalts im Wasser ver-
tragen können. So lebt eine kleine Meerschnecke (Hydrobia ulvae)
in dem beinahe ganz süssen Wasser der inneren Ostsee ; sie ist
aber ebenso zahlreich in der Nordsee zu finden. Neritina ßiivia-
tilis, eine Bewohnerin grosser Flüsse und Binnenseen, wurde 1887
von Prof J\I. Braun auch in der Wismarer Bucht angetroffen.
Noch anpassungsfähiger ist aber die weitverbreitete Wandermuschel
(Dreysscna polymorpha) . Ursprünglich nur in Südosteuropa,
namentlich im kaspischen Meere vorkommend, ist sie durch den
Verkehr in den Schiffahrtskanälen seit 1825 von einem Flusssystem
zum anderen (über Ostpreussen) nach Norddeutschland eingewandert,
und hat sich von da flussaufwärts verbreitet, so dass sie nunmehr
in der Saale bei Halle, im Neckar bei Heilbronn und im Rhein
bei Basel angetroffen wird. Diese Verschleppung geschieht sehr
leicht, weil sich die Muschel mittels ihrer Byssusfäden (vergl. diesen
Band S. 126 u. 130) an Flosse und Lastkähne anheftet und auf
solche Art als blinder Passagier weite und bequeme Reisen machen
kann. Sie vermag im Brackwasser ebenso gut auszudauern wie in
rein süssen Gewässern.
Was die Krebstiere anlangt, so sind dieselben der Mehrzahl
nach allerdings streng in Süss- und Salzwasserbewohner geschieden,
aber es giebt unter letzteren auch Formen, wie z. B. Mysis
vulgaris, die in fast vollkommen süssem Wasser zu existieren ver-
mögen. Auf der Westerplatte bei Danzig fand ich diese eigentlich
dem Meere angehörige Art in einem nur Spuren von Salz ent-
haltenden Tümpel.
Parasitische Kruster, welche auf Aalen, Lachsen und Stören
schmarotzen, sind gegen den Wechsel von Äleer- und Flusswasser
300 -^^^ Fauna des Süsswasseis in ihren Beziehungen zu der des Meeres.
ganz unempfindlich. Von den spaltfüssigen Krebsen (vergl. Band I
dieses Werkes S. 34q) soll Diaptonms castor, der in kleinen Lachen
und Teichen des Binnenlandes lebt, auch an der Ostseeküste vor-
kommen.
Von den Hohltieren (Cölenteraten) vermag der See- Keulen-
träger (Cordylophova lacustris) ebenso gut im Brackwasser wie im
gewöhnlichen Flusswasser sein Leben zu fristen. Unser kleiner
Süsswasserpolyp (Hydra) stirbt dagegen sehr bald, auch wenn er
nur in ganz schwaches Salzwasser gebracht wird.
Medusen als Süsswasserbewohner waren bis in die neueste
Zeit herein gänzlich unbekannt. Da entdeckte Dr. J. Kennel in
vollkommen ausgesüssten Strandseen auf der Lisel Trinidad (1882)
eine, winzige Spezies dieser echten Meerestiere. Mit Recht hebt
anlässlich dieses wichtigen Fundes der genannte Forscher hervor,
dass dem \^orkommen einer Qualle im Süsswasser gegenüber nicht
einzusehen sei, weshalb irgend einem anderen Meeresbewohner
die Möo-lichkeit eines Wechsels seines Lebenselements , bezw. der
-^o
Übergang aus dem Salzwasser in das Süsswasser verschlossen
sein sollte.
Die plötzliche Versetzung von Meerestieren in gewöhnliches
Brunnen- oder Flusswasser erweist sich nach den bisherigen Er-
fahrungen für die meisten als todbringend. Nicht so aber — wie
die Experimente des Franzosen Beudant zeigen — eine allmäh-
lich vorgenommene Verdünnung des Meerwassers mit gewöhnlichem
Wasser. Auf die letztere Weise gelang es, zahlreiche Arten von
marinen Weichtieren an fast vollständig ausgesüsstes Seewasser zu
gewöhnen. Allerdings wird die Beweiskraft dieser Versuche dadurch
geschmälert, dass bei denselben die Frage unberücksichtigt geblieben
ist, ob die betreffenden Mollusken, welche für sich selbst den Avis-
süssungsprozess gut überstanden, nun auch fähig gewesen wären,
sich in dem neuen Medium fortzupflanzen, ^^on der Auster wissen
wir z. B., dass dieselbe in erwachsenen Individuen, ohne Schaden
zu erleiden, einen Aufenthalt im süssen Wasser verträgt. Aber
trotzdem wollen keine Austernbänke in der salzarmen Ostsee fort-
kommen, woraus zu schliessen sein dürfte, dass es die junge Brut
Die Fauna des Süsswassers in ihren Beziehungen zu der des Meeres. 30I
ist, die einen stärkeren Salzgehalt zu ihrem Gedeihen nötig hat,
als er in jenem grossen Binnenmeere zu finden ist.
Dem gegenüber kann nun freilich der Umstand angeführt
werden, dass wir auf Grund geologischer Erwägungen die heutigen
Süsswassermollusken von marinen Voreltern herleiten müssen, welche
nach dem Auftauchen der Kontinente aus dem Urmeere in die
Flussläufe einwanderten und hier sich veränderten Lebensbedingungen
anbequemten. Eine andere Entstehungsweise für die gegenwärtigen
Bewohner unserer süssen Gewässer vermögen wir überhaupt nicht
anzunehmen, und eben darum müssen auch die Mollusken unserer
binnenländischen Wasserwelt als die Nachkommen von Schnecken
und INIuscheln des Meeres betrachtet werden.
Ein Beispiel dafür, wie dies einstmals vor sich gegangen sein
mag, haben wir an den Verhältnissen, welche der Ortoire-Fluss im
Süden der Insel Trinidad noch heute darbietet. Hier wird, nach
Kenneis Beobachtungen i), die Einwanderung von Meerestieren
durch die Thatsache begünstigt, dass die schwache Strömung täg-
lich zwei Mal durch die Flutwelle zum Stehen gebracht wird, und
dass dann der Übergang aus dem Meerwasser in das brackische
und süsse ein ausserordentlich allmählicher ist. In bedeutender
Höhe des Flusslaufes {12 engl. Meilen von dessen Mündung entfernt)
und weit oberhalb der Grenze des Brackwassers fand Kennel
förmliche Anhäufungen von Tieren, denen man sonst nur im INIeere
begegnet; so namentlich mächtige Bänke von einer Miesmuschelart,
frei schwimmende marine Borstenwürmer, und einige Spezies von
Seekrebsen — also eine unleugbare Meeresfauna im süssen Wasser.
Es besteht natürlich nicht der Schatten eines Zweifels darüber,
dass alle jene Tiere zuerst mit der Flut in den Ortoire - Fluss
hineingeraten sind, und sich hier — weil sie den allmählichen
Wechsel im Salzgehalt auszuhalten vermochten — dauernd ange-
siedelt haben. In ganz analoger Weise haben wir uns auch die
erstmalige Einwanderung von Meeresbewohnern in das süsse
Wasser der Flüsse und der damit in Verbindung stehenden Seen
geschehen zu denken.
302 ^^^ P'auna des Süsswassers in ihren Bezichunt^cn zu der des Meeres.
Prof. Milnes Marshall hat unlängst*) geltend gemacht, dass
viele das Meer bewohnende wirbellose Tiere schon deshalb unfähig
wären in das Süsswasser einzuwandern, weil sie das Ei als sehr
kleine , bewimperte Larven verlassen, welche ganz ausser Stande
seien, gegen irgend welche Strömung anzukämpfen. Es könnten
daher — nach seiner Ansicht — nur solche Formen, welche sich
von dem freischwimmenden Larvenzustand emanzipiert haben und
welche das Ei in ansehnlicher Grösse und Stärke verlassen, dem
Leben im Süsswasser angepasst werden. Diese Erklärung mag im
allgemeinen wohl das Richtige treffen; indessen zeigt uns die neuer-
dings von E. Korscheit 10) zum Gegenstande einer speziellen Unter-
suchung gemachte Entwickelung von Dreyssena polymorplia , dass
diese ursprünglich marine Muschel das freischwimmende Larven-
stadium (Trochophora) beibehalten hat. Dieser Nachweis ist von
hohem Interesse. Die Larven sind sehr klein und sie machen
beim ersten Anblick den Eindruck von Infusorien. Wenn sich
das Mundsegel (J'^ehmi) in stark wimpenider Bewegung befindet,
könnte man sie auch für kleine Rädertiere halten. Die Schwärm-
zeit dieser winzigen Wesen beläuft sich auf etwa acht Tage.
Korscheit konstatierte, dass sie im Tegeler See bei Berlin un-
gefähr Ende Juni erscheinen und die oberen Wasserschichten in
Menge bevölkern. Im Grossen Plöner See waren sie nach meiner
eigenen Wahrnehmung in diesem Sommer (1891) während der
Zeit vom 5. bis 10. Juli ebenfalls massenhaft vorhanden, und zwar
durchweg im freien Wasser des ganzen, mächtigen Sees bis zu
2 m Tiefe. Prof. F. Blochmann hat auch im Waniowflusse (bei
Rostock) Dreyssena-Larven angetroffen, und hiermit wird eine Er-
klärung für die schnelle Verbreitung dieser Muschel gegeben. Denn
offenbar können jene winzigen Wimperlarven innerhalb der achttägigen
Schwärmzeit ausserordentlich weit von der Strömung fortgetragen
werden. Das erstaunlich üppige Gedeihen der Drevssena in
manchen Gewässern zeigt übrigens, dass sich die zarten Larven der-
selben in unseren Flüssen und Binnenseen sehr wohl befinden müssen.
*) „über Rekapitulation in der Embryologie." Rede zur Eröffnung der biologischen
Sektion in der British Association (Jahresversammlung) zu Leeds. 1890.
Die Fauna des Süsswassers in ihren Beziehungen zu der des Meeres. 303
Handelt es sich um die Erklärung des Vorhandenseins von
Tieren marinen Charakters in solchen Seebecken, die heutzutage
nicht mehr mit einem Flusssystem zusammenhängen, sondern eine
vüllie isolierte Lasie haben (wie z. B. zahlreiche schwedische und
finnisclie Seen), so hat man sich vor Augen zu halten, dass die
h\-drographischen Verhältnisse Nord- und Mitteleuropas am Schlüsse
der Eiszeit ganz andere waren, als sie jetzt sind.
Die Flussläufe weiter Länderstrecken sind gegenwärtig nur
schwächliche Abbilder früher ungleich wasserreicherer und breiterer
Stromrinnen. Hindernisse, welche sich heute in Gestalt von Wasser-
fällen und Stromschnellen der Tiereinwanderung entgegenstellen,
waren ehedem überhaupt nicht oder doch nur in geringerem Mass-
stabe vorhanden. Zwischen jetzt getrennten Flusssystemen bestanden
Verbindungskanäle; seeartige Erweiterungen der Flüsse existierten
in weit grösserer Anzahl als unter den heutigen erdgeschichtlichen
Verhältnissen und bildeten Etappen für die Wanderung der im
Süsswasser sich ansiedelnden Meeresfauna. In den breit ausge-
waschenen Thälern des baltischen Landrückens erkennen \\^r noch
deutlich die alten Verbindungen der jetzt getrennten, ehemals aber
zu einem gewaltigen Urstromsystem vereinigten ostdeutschen Flüsse,
durch welche die Gewässer der Weichsel, der Oder und der Elbe
vereinigt zur Nordsee abflössen.
Es ist ein Verdienst des Greifswalder Professors der Erdkunde
Rud. Credner, diese Momente zuerst nachdrücklich betont und
zum Gegenstande einer umfangreichen Monographie gemacht zu
haben 2), aus welcher der Zoolog die Mahnung schöpfen kann, dass
er auf blosse Tierfunde hin nicht berechtigt ist, irgend einen See
für den Rest einer vorzeitlichen Meeresbedeckung anzusehen. Nur
wenn aus den geologischen Verhältnissen zugleich mit hervorgeht,
dass wir es wirklich mit einem abgesperrten Fjord oder einer einst-
maligen Meeresbucht zu thun haben, liegt Sicherheit dafür vor,
dass wir in der anwesenden marinen Fauna keine späteren Ein-
wanderer, sondern wirklich von der ]\Ieeresflut selbst hierher
getragene und nach dem Rückzuge des Wassers in loco ver-
bliebene Lebewesen vor uns haben. Ein See, der die vollgültige
304 ^^^ Fauna des Süsswassers in ihren Beziehungen zu der des Meeres.
geologische Legitimation für seinen marinen Ursprung aufzuweisen
vermag, ist dann ein echter Reliktensee im Gegensatz zu den vielen
anderen ebenso bezeichneten Wasseransammlungen, die zu einer
marinen Tierwelt nur dadurch gekommen sind, dass an das salz-
freie Element bereits gewöhnte Meerbewohner aktiv oder passiv in
sie einwanderten.
Mit dem Ausdruck „passive Wanderung" benennt man die
verschiedenen Arten von Verschleppung kleinerer Tiere , welche
durch grössere Organismen, die dabei als Transporteure thätig sind,
bewirkt wird. So wird z. B. ein asselartiges Krebstier (Idotea
entomon), welches als ein Hauptrepräsentant der Reliktenfauna zahl-
reicher skandinavischer Seen aufgeführt wird, durch Störe, an die
es sich anheftet, in den Flüssen Sibiriens weite Strecken strom-
aufwärts gebracht. In ähnlicher Weise sind auch Sturmwinde und
wandernde Sumpfvögel wirksam, insofern sie kleinere Tiere des
Meeres oder deren Eier und Jugendformen (mittels Transports durch
die Luft) dem Süsswasser oder zunächst salzärmeren und der Aus-
süssung unterworfenen Gewässern zuführen.
o
Ich war in hohem Grade verwundert, als ich bei einer im
Sommer 1884 vorgenommenen Durchforschung der bekannten Hoch-
seen des Riesengebirges in jedem dieser beiden isoliert gelegenen
Wasserbecken eine Alonotus- hx\. antraf. Hierunter sind Strudel-
würmer zu verstehen, die einer im Meere lebenden Gattung ange-
hören. Überraschender Weise ist dieser Riesengebirgs-i'[/o//o^ws nahe
verwandt mit einer im Sunde zahlreich vorkömmlichen Spezies,
welche in der Litteratur unter dem Namen Monocelis spinosa Jensen
aufgeführt wird. Später entdeckte man die nämliche Spezies, für
die ich die Bezeichnung Monotus laciistris in Vorschlag gebracht
habe, auch im Peipus (Russland) und in mehreren schweizerischen
Seen 4). Charakteristisch für die Biologie dieses Tierchens ist der
Umstand, dass sein Vorkommen auf grosse und kühltemperierte
Wasserbecken beschränkt erscheint. In kleineren Teichen oder
Tümpeln, die sich leicht erwärmen, ist es bis jetzt nicht auf-
gefunden worden.
Die P'auna des Süsswassers in iliien Beziehunfien 7.u der des Meeres. 3Q5
Diese Vorliebe des Süsswasser - Moiiotus für kalte Seen , und
die bereits hervorgehobene Eigentümlichkeit, dass derselbe mit einer
marinen Spezies des Nordens in nächster Verwandtschaftsbeziehung
steht, lassen die Hypothese nicht ungerechtfertigt erscheinen, dass
wir es in dem eigentümlichen, kälteliebenden Tiere mit einem
überlebenden Bewohner jener zahlreichen Schmelzwasserseen zu
thmi haben, die sich am Ausgange der Eiszeit bildeten, und die
sowohl unter sich als auch mit dem nördlichen Meere durch natür-
liche Zwischenkanäle in Verbindung standen. In ein derartig
zusammenhängendes System von grösseren und kleineren Wasser-
ansammlungen konnte eine anpassungsfähige Turbellarienform des
Meeres leicht einwandern und eine grosse Verbreitung erlangen.
Sie vermochte aber andernteils, wenn die einzelnen Seen aus
Mangel an Wasserzufuhr verdunsteten, nur an solchen Örtlichkeiten
auszudauern , welche annähernd die nämlichen Lebensbedingungen
darboten, wie die von den Schmelzwässern der nordischen Eis-
ströme gebildeten Gletscherseen. Auf solche Art erklärt sich auch
die merkwürdige sporadische Verbreitung des Monotus lacustris am
ungezwungensten, und es ist damit gleichzeitig motiviert, dass ich
dieses Tier in einer früheren Publikation als eine fremdartige Er-
scheinung in unserer Süsswasserfauna bezeichnet habe. Natürlich
halte ich diese Erklärung zunächst für hypothetisch, aber sie ist,
im Anschluss an die oben mitgeteilten anderweitigen Thatsachen, für
den Augenblick entschieden annehmbar 4).
Ein namhafter italienischer Naturforscher, Prof. Pietro Pavesi
in Pavia, tritt mit grossem Eifer auch für den marinen Urspmng
der sogenannten „pelagischen" Fauna unserer Landseen ein, insofern
er die beiden Hauptvertreter dieser vorwiegend aus kleinen Krebsen
bestehenden Tierschwärme (Leptodora und Bythotrephes) für Meeres-
formen erklärt, welche die Gewohnheit, im Süsswasser zu leben,
angenommen haben. Da sich für Bythotrephes (Fig. 76 des ersten
Bandes) in einem kleinen ozeanischen Krebse {Podon) ein in
morphologischer Beziehung verwandtes Geschöpf nachweisen lässt,
und da Leptodora (Fig. 75 in Band I) ihrer Organisation nach
vr)llig isoliert unter den Süsswasserkrustern dasteht, so mag Pavesis
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 20
306 -^'^ Fauna des Süsswassers in ihren Beziehungen zu der des Meeres.
Ansicht für diese beiden pelagischen Spezies zu Recht bestehen.
Weshalb aber die anderen Bewohner des freien Wassers unserer
Binnenseen, deren nahe Verwandtschaft mit den Uferspezies sofort
in die Augen fällt, gleichfalls mariner Herkunft sein sollen, dies ist
schwer ersichtlich. Noch unbegreiflicher aber ist Pavesis Schluss-
folgerung, dass diejenigen Seen, in denen sich eine pelagische Fauna
konstatieren lässt, immer wirkliche Reliktenseen, d. h. Überbleibsel
einer vormaligen Meeresbedeckung, sein sollen. Wäre diese Schluss-
weise zulässig, so müsste auch der Bremer Stadtgraben (in welchem
1838 che vielberufene Leptodora hyalina von Dr. Focke entdeckt
wurde) mit zu den echten Reliktenseen gezählt werden, was wohl
Niemand im Ernste verlangen wird. Und ebenso hätte man das
Recht , manche mit Wasser angefüllte Ziegelei - Ausschachtungen,
weil in denselben einige pelagische Rädertierspezies vorkommen,
für abgesperrte Fjorde eines vorzeitlichen Ozeans zu halten. Dies
wäre aber einfach absurd. Prof Pavesi lässt aus Liebe zu seiner
Theorie der „Fauna relegata" ganz ausser Acht, dass die kleinen
Süsswassertiere (oder deren Eier) durch wandernde Sumpfvögel
leicht von See zu See verschleppt werden, sodass sie, wie durch
Imhof erwiesen ist, selbst bis in die hochgelegensten Alpenseen
hinauf verbreitet sind. Auf dem Wege solcher passiven Wande-
rungen — wie man es nennt — werden jene Organismen auch in
die zahllosen binnenländischen Tümpel und Seen übergeführt, ohne
dass letztere zu irgend einer Zeit mit dem Meere in direkter Ver-
bindung gestanden haben.
Positive Beweise dafür, dass Schwimmvögel zur Verbreitung
von kleinen Wasserorganismen beitragen können, liegen mehrfach
vor. F. A. Forel wurde 187Ö durch eine Beobachtung von Alois
Humbert in Genf zu der Überzeugung gebracht, dass mindestens
die kleinen Kruster auf solche Weise gelegentlich verpflanzt werden.
Humbert hatte nämlich Wintereier von Cladoceren (Wasserflöhen)
dem Gefieder von wilden Enten und Tauchern anhängend gefunden.
Diese einzige Wahrnehmung warf mit einem Male Licht auf das
sonst rätselhafte Vorhandensein von zahlreichen Spezies niederer
Organismen in völlig isolierten Wasseransammlungen. In welcher
Die Fauna des Süsswassers in ihren Beziehungen zu der des Meeres. 3Q7
Menge solche Wintereier am Schlüsse des Sommers vorkömmlich
zu sein pflegen, darauf wirft eine Schilderung Licht, die von Prof.
G. Asper und J. Heuscher seinerzeit gegeben worden ists). „Als
wir" — so heisst es in derselben — „am 27. Juli 1886 am oberen
Ende des Fählensees (Schweiz) Steine umwenden wollten, um die
darunter sich aufhaltenden Tiere zu sammeln, trafen wir den ganzen
Ufersaum etwa einen halben Meter breit mit einer dunklen Schicht
bedeckt. Die ins Wasser eingetauchte Hand wurde beim Heraus-
ziehen schwarz durch eine Unzahl kleiner Körperchen, die hart-
näckig anhafteten. Es waren die Ephippien (Eiersättel) einer
Daphnie, sehr wahrscheinlich solche von D. longispina. Sie waren
im Trockenen kaum von der Haut wegzubringen, lösten sich da-
gegen sehr leicht ab, wenn man die Hand wieder ins Wasser
tauchte. Die Körperchen zeigten keine Adhäsion fürs Wasser, sie
blieben trocken wie die Federn der Schwimmvögel und flottierten
an der Oberfläche. Der scharf über den See streichende Wind
hatte wohl einen bedeutenden Teil der zerstreuten Eier an das
obere Ufer getrieben. Die ungemein weite Verbreitung der genannten
Spezies kann uns hiernach nicht in Erstaunen setzen. Denn wie
viele Tausende von Eiern bleiben an den Füssen der Rinder hängen,
die hier und dann anderwärts zur Tränke gehen; wie leicht kleben
sie an der Brust jedes Vogels fest, der ins Wasser geht, oder auch
an der Gemse, die hier ihren Durst stillt."
Was die Cyclops- oder Diaptomus - Arten betrifft (vergl.
das IX. Kapitel des ersten Bandes), die fast niemals in einer
grösseren Wasserlache fehlen, so scheint es, dass dieselben eine
nahezu vollständige Austrocknung vertragen können. J. Vo sseler
bemerkt darüber in einer älteren Publikation c) folgendes: „Mehrere
Male waren einige meiner Fundorte trocken gelegt und bis zu einer
Tiefe von i — 1I/2 Fuss kein feuchtes Erdreich mehr zu finden.
Kaum stand jedoch über dem trockenen Schlamm etwas Wasser,
so war dies alsbald wieder von Cyclopiden belebt". Tiere von
solcher Lebenszähigkeit werden also sicherlich auch, wenn sie auf
das Gefieder eines Vogels geraten, einen weiten Transport durch
die Luft auszuhalten vermögen. Übrigens würden die den weiblichen
20*
3Qy Die Fauna des Süsswassers in ihren Beziehunj^cn zu der des Meeres.
Spaltfusskrebsen anhängenden Eier auch dann entwickelungsfähig
bleiben, wenn das Muttertier unterwegs zu Grunde gehen sollte.
Neben den Vögeln spielen aber, wie Dr. W. Migula gezeigt
hat, auch die Wasserkäfer eine bedeutsame Rolle bei der Verbreitung
der kleinen und zum Teil mikroskopischen Süsswasserorganismen.
Der Genannte fand nämlich, dass Eiidorina elegans, Pandorina
morum, Scenedesmus obtusus und sonstige Algen durch derartige
Käfer verschleppt und in andere Wasserbecken verpflanzt werden.
Migula fasst das Ergebnis seiner Untersuchungen in folgendem
Passus zusammen ''): „Da die Wasserkäfer (besonders des Nachts)
ihren Aufenthalt häufig wechseln und nachweisbar oft weit ent-
fernte Gewässer aufsuchen, so vermitteln sie gewiss in allen jenen
Fällen die Verbreitung der Algen , wo es sich um kleine Lachen
und Tümpel handelt, die wohl für Wasserkäfer, aber nicht für
Wasservögel von Interesse sind. Das konstante Vorkommen von
Algen an den Körperteilen von Wasserkäfern lässt sogar darauf
schliessen , dass diesen bei dem Transport von Mitgliedern der
niederen Flora eine grössere Rolle zukommt, als den Wasservögeln
oder der strömenden Luft. In Wirklichkeit verhält es sich wahr-
scheinlich so, dass die Luft kleinste und der Austrocknung wider-
stehende Formen verbreitet, Wasservögel den Transport nach weit
entfernten Gegenden vermitteln und Wasserkäfer in ausgedehnter
Weise für die Ausbreitung einer Spezies innerhalb enger räumlicher
Grenzen thätig sind". Dass mit den Algen zugleich auch ein-
gekapselte Protozoen, Eier von kleinen Würmern u. s. w. trans-
portiert werden können, wird Niemand als etwas Unwahrscheinliches
betrachten.
Auf die ebenfalls weit verbreiteten Was s er m üben (Hydrach-
niden) scheint der Modus einer Überführung derselben von einem
Gewässer zum andern überhaupt nicht anwendbar zu sein, weil diese
Tiere für das Trockenwerden sehr empfindlich sind und ausserhalb
des Wassers schnell zu Grunde gehen. Um so dringlicher erhebt
sich hiernach die Frage, auf welche Weise diese spinnenartigen Wesen
in die grossen und kleinen Seebecken hineingelangen, wo wir sie
vorfinden. Über diesen Punkt hat uns unlängst der französische
Die Fauna des Süsswassers in ihren Beziehungen zu der des Meeres. 399
Naturforscher Th. Barrois^) aufgeklärt. Derselbe entdeckte näm-
lich, dass es nicht die erwachsenen Individuen, sondern die durch
einen dicken Chitinpanzer geschützten Puppen der Wassermilben
seien, welche der passiven Wanderung unterworfen werden, insofern
sich dieselben an den Leibern verschiedener Wasserwanzen (Nepa,
Notonccla) festheften und so von diesen fliegenden Insekten auf
weite Entfernungen hin transportiert werden. Barrois zeigte durch
das Experiment, dass Wasserwanzen viele Stunden auf dem
Trockenen ausdauem können, ohne dass die Entwickelungsfähig-
keit jener Puppen darunter leidet. Letztere werden also auch
dann ungefährdet bleiben, wenn die Wasserwanzen, ihrer Gewohn-
heit folgend, während der Nacht von einem Teiche zum anderen
fliegen. Auf solche Art gelangen nun zahlreiche zum Ausschlüpfen
reife Larven von Hydrachniden an weit entfernte Wohnplätze und
verbleiben dort für immer, nachdem sie die Puppenhülle gesprengt
und verlassen haben. Ihr weiteres Wachstum vollzieht sich in dem
einen Gewässer so gut wie in dem anderen, und daher kommt es,
dass wir selten in einem Graben oder Tümpel vergeblich nach
Hydrachniden suchen.
Andere überall vorkommende Tiere, wie z. B. die kleinen
Süsswasser - Oligochäten (Nais, Qiaetogaster etc.), sind mit
zahlreichen Büscheln von Hakenborsten ausgerüstet, und dies
führt .auf den Gedanken, dass sie durch diese Borsten in der
Vornahme passiver Wanderungen stark begünstigt werden. Manche
Turbellarien besitzen, wie wir früher sahen, sogenannte „Kleb-
zellen" in der Nähe des hinteren Körperendes, und höchst
wahrscheinlich dienen dieselben gelegentlich ebenfalls dazu, ihren
Besitzern eine Luftreise zu ermöglichen. Jene Zellen sind einer
so energischen Thätigkeit fähig, dass man die betreffenden Strudel-
würmer oft eher zerreissen, als von ihrer Befestigungsstelle los-
lösen kann.
Eine ganz vorzügliche Geeignetheit zur Ausführung passiver
Wanderungen müssen wir übrigens auch bei vielen Spezies von
Wasserschnecken und Muscheln voraussetzen, denn diese
Mollusken sind selbst noch in manchen Gebirgsseen anzutreffen.
310 Die Fauna des Süsswassers in ihren Beziehungen zu der des Meeres.
Fand doch A. Brandt selbst in dem 1904 m hohen Goktschai
(Armenien) Limnäen, Planorbis carinatus und Pisidien vor. Das
Pisidimn fossarimmi konstatierte A. Wierzejsky in 21 Seen der
Hohen Tatra, und einer Notiz Imhofs zufolge ist die nämliche
Muschel sogar noch auf dem Splügen zu finden.
Nach einer wertvollen Beobachtung Darwins scheint haupt-
sächlich den ganz jungen Schnecken das Vermögen zu weiten
Wanderungen beizuwohnen , wie sich aus folgender Stelle des
Kapitels über geographische Verbreitung in der „Entstehung der
Arten" ergiebt. Darwin sagt dort: „Wenn eine Ente sich plötz-
lich aus einem mit Wasserlinsen bedeckten Teiche erhebt, so bleiben
oft einige dieser kleinen Pflanzen auf ihrem Rücken hängen, und
es ist mir vorgekommen, dass, wenn ich einige Wasserlinsen aus
einem Aquarium ins andere versetzte, ich ganz absichtslos das
letztere mit Süsswassermollusken des ersteren bevölkerte. Doch ist
ein anderer Umstand vielleicht noch wirksamer. Ich hängte einen
Entenfuss in einem Aquarium auf, wo viele Eier von Wasser-
schnecken auszukriechen im Begriffe waren, und fand, dass bald
eine grosse Menge der äusserst kleinen Schnecken an dem Fusse
umherkrochen und sich so fest an demselben anklebten, dass sie
kaum abgeschabt werden konnten, obwohl sie in einem etwas vor-
gerückten Alter freiwillig davon abgefallen wären. Diese frisch
ausgeschlüpften Mollusken lebten an dem Entenfusse in feuchter
Luft 12 — 20 Stunden lang, und während dieser Zeit kann eine
Ente oder ein Reiher mindestens 600- — 700 englische Meilen weit
fliegen, um sich dann in einem Sumpfe oder Bache niederzulassen".
Im Anschluss an diese Mitteilung berichtet Darwin noch über
den merkwürdigen Fall, wo ein Wasserkäfer (Dytiscus) mit einer
ihm anhaftenden Napfschnecke (Ancylus) gefangen wurde. Über
andere, nicht weniger interessante Vorkommnisse, welche speziell
die passiven Wandenmgen von Muscheln betreffen, berichtet Charles
Darwin in einem Aufsatze der „Nature" vom Jahre 1882.
Die kosmopolitische Verbreitung vieler Protozoen, hauptsächlich
diejenige der Difflugien und Arcellen (die fast nirgends fehlen,
wo etwas Feuchtigkeit vorhanden ist), geschieht vorwiegend durch den
Die Fauna des Süsswassers in ihren Beziehungen zu der des Meeres. 3 1 J
Wind, wenn er über die Böden ausgetrockneter Tümpel hinfegt. Doch
wird es auch vorkommen, dass manche Spezies mit den Schlamm-
klümpchen, die an den Schwimmfüssen wilder Enten u. s. w. hängen
bleiben, einen Ortswechsel erfahren. Besondere Anpassungen scheinen
bei diesen niederen Organismen sehr selten nachweisbar zu sein.
Doch ist mir gelegentlich eine Diffliigia im Riesengebirge zu
Gesicht gekommen, welche im Umkreise der weiten Wölbung ihres
Gehäuses acht stachelartige Fortsätze besitzt, von denen jeder noch
eine gekrümmte Spitze trägt, die sich wie eine wanzige Kralle aus-
nimmt. Jedes Exemplar der von mir in nassen Moospolstern
(Sphagyiiim) gesammelten Difflugien (siehe Band I, Fig. 16) zeigt
konstant die geschilderte Eigentümlichkeit, während sie im übrigen
fast ganz mit der von LeidyS) beschriebenen Diffliigia Corona
übereinstimmt. Ich erblicke in der Riesengebirgs - Diffliigia ein
interessantes Beispiel dafür, dass auch bei Protozoen gelegentlich
spezialisierte Haftorgane zur Ausbildung gelangen, die offenbar dazu
dienen können, passive Wanderungen zu erleichtem. —
Nach allen vorausgegangenen Ausführungen und Erörterungen
bietet also das Auftreten von marinen Tierformen im Süsswasser
gar keine Gewähr dafür, dass diese Wesen an Ort und Stelle selbst
den Anpassungsprozess von dem einen Medium ans andere voll-
zogen haben. Vielmehr ist es, wie einige der mitgeteilten That-
sachen zeigen, in den weitaus meisten Fällen als das Wahrschein-
lichere zu betrachten, dass jene Spezies von marinem Habitus
durch aktive oder passive Einwanderung in die jetzt von ihnen
bewohnten Binnenseen gelangt sind. Nur wenn in überzeugender
Weise durch den geologischen Befund erhärtet werden kann, dass
die bezüglichen Seen wirkliche (aber im Laufe der Zeit ausgesüsste)
Meeresabschnitte sind, kann von der Existenz einer eigentlichen
Reliktenfauna in ihnen die Rede sein. Von den mehr als hundert
Seen, in denen Tiere von marinem Charakter gefunden worden
sind, leisten nur sehr wenige der obigen Bedingung Genüge. Echte
Reliktenseen aber sind z. B. zahlreiche Wasserbecken des mittlem
und südlichen Schweden.
Litteratur.
1 ) J. V. Kennel, Biologische und faunistische Notizen aus Trinidad.
Arbeiten aus dem Zool.-anatom. Institut in Würzburg, 1883.
2) R. Credner, Die Reliktenseen. Petermanns Mitteilungen 1887.
3) Vergl. G. DupleSSiS-Gouret, Essay sur la faune profonde
des Lacs de la Suisse, 1885.
4) Vergl. Fr. Zschokke, Die Tierwelt der Hochseen. Verhandl.
der Deutschen Zoolog. Gesellschaft auf der i. Jahresversammlung
von 1891.
5) G. Asper und J. Heuscher, Zur Naturgeschichte der Alpen-
seen. Jahresbericht der St. Gallisch. Naturw. Gesellschaft, 1885 — 80.
6) J. Vosseier, Die freilebenden Copepoden Württembergs etc.,
1886.
7) Vergl. W. Migula, Die Verbreitungsweise der Algen. Biolog.
Zentralblatt, 8. Bd., No. 17, 1888.
8) Th. Barrois , Note sur la dispersion des Hydrachnides.
Revue biologique du Nord de la France. T. I. 1888 — 89.
9) Leidy, Freshwater Rhizopoda of North- America, 1879.
10) E. Korschelt, Die Entwickelung von Dreyssena polymorpha.
Sitzungsber. der Gesellsch. naturf Freunde in Berlin, Jahrg. 1891.
über die wissenschaftlichen Aufgaben
biologischer Süsswasser-Stationen.
Von Dr. OttO ZachariaS in Plön (Holstein).
/\uch ausserhalb der Fachkreise dürfte es ziemlich allgemein
bekannt sein, dass ich vor einigen Jahren (1888) die Errichtung
einer besonderen Anstalt zum Zwecke eingehender Untersuchungen
über die Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers angeregt und in
ihrer Notwendigkeit begründet habe. Es geschah dies durch einen
Aufsatz in No. 269 des „Zoologischen Anzeigers". Seitdem sind
drei Jahre verflossen und in der wissenschaftlichen sowohl wie in
der Tagespresse ist der betreffende Vorschlag vielfach erörtert
worden. Namhafte Zoologen und Botaniker zollten meinem Plane
sogleich Beifall und bestärkten mich in meinem Vorhaben; andere,
nicht minder ausgezeichnete Forscher nahmen aber das Projekt
mit Zurückhaltung auf Dies ist der gewöhnliche Gang der Dinge,
sobald es sich um eine Neuerung handelt. Meistenteils werden in
einem solchen Falle auch noch absprechende Stimmen laut; diese
Regel bestätigte sich jedoch meinen Bestrebungen gegenüber nicht.
Im Gegenteil gesellte sich zu den beistimmenden Kundgebungen
alsbald noch der weitere günstige Umstand, dass wohlhabende
Fach- und Privatleute das Projekt in freigebigster Weise durch Geld-
spenden förderten. Hierdurch und durch das wahrhaft liberale Ent-
gegenkommen des Bürgermeisters*) und der Stadtgemeinde von Plön
ist es mir schliesslich gelungen, meine Pläne zu verwirklichen, und
gegenwärtig erhebt sich am Nordufer des Grossen Plüner Sees — in
*) Job. Kinder.
316 Über die wissenschaftlichen Aufgaben biologischer Süsswasser-Stationen.
unmittelbarster Wassemähe — ein stattliches, villenähnliches Ge-
bäude, welches eine hinlängliche Anzahl von Räumlichkeiten umfasst,
in denen wissenschaftliche Untersuchungen mit derselben Bequem-
lichkeit vorgenommen werden können wie in den biologischen
Laboratorien kleinerer Universitäten.
Von Seiten der Preussischen Staatsregierung wurde dem neu-
begründeten Institute in der Folge auch eine finanzielle Beihilfe
(zunächst auf fünf Jahre) zu teil, sodass ein recht glücklicher Anfang
für das lediglich durch Privat-Initiative ins Werk gesetzte Unter-
nehmen zu verzeichnen gewesen ist.
Der Studien- Aufenthalt in dieser ersten „Biologischen Süsswasser-
Station" ist Jedem gestattet, der die zum selbständigen Arbeiten
erforderlichen Vorkenntnisse mitbringt. Insbesondere freilich sind die
fünf vorhandenen Arbeitsplätze für Naturforscher von Fach bestimmt,
welche am Grossen Plöner See zoologische, pflanzenphysiologische
oder auf das Fischereiwesen bezügliche Beobachtungen anstellen
wollen. Für alle diese Zwecke sind in der Station die geeigneten
Hilfsmittel (Fahrzeuge, Fanggerätschaften, Mikroskope, Reagentien
und Aquarien) vorhanden.
Wer davon unterrichtet ist, mit welch interessanten Lebens-
formen uns die letztjährigen Durchforschungen unserer heimatlichen
Tümpel, Teiche und Seen bekannt gemacht haben, der wird die
Nachricht von der Begründung einer Dauerstation zur näheren
Untersuchung jener Organismen mit aufrichtiger Genugthuung
begrüssen. Die Umgebung von Plön ist in vorzüglicher Weise für
diesen Zweck geeignet, insofern das Thal des Schwentine-Flusses,
in welchem das freundliche Städtchen gelegen ist, fast lediglich aus
einer Aneinanderreihung von Wasserbecken besteht, von denen die
kleinsten so gross sind wie unsere ansehnlichsten mitteldeutschen
Seen. Hier ist also ein weites Feld für faunistische und biologische
Forschungen eröffnet, d. h. für Studien, welche die Feststellung der
verschiedenen Tier- und Pflanzenorganismen des Süsswassers und
die Ermittelung von deren Existenzbedingungen zum Ziel haben.
Im Hinblick auf den Reichtum an Lebewesen, welchen das
Meer in seinem Schosse birgt, waren Viele von der Ansicht
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318 Über die wissenscliaftlichen Aufj^aben biologischer Süsswasser-Stationen.
beherrscht, dass es sich wohl erst gar nicht verlohne, Zeit und
Kraft an die Gewässer des Binnenlandes zu verschwenden. So
wurde die Süsswassertierwelt allmählich zum Aschenbrödel der wissen-
schaftlichen Zoologie degradiert, und wer sich wirklich noch damit
abgab, lief Gefahr, von seinen für das Salzwasser schwärmenden
Fachgenossen als ein nicht ganz ebenbürtiges Mitglied der Forscher-
gilde betrachtet zu werden. Glücklicherweise giebt es aber zu jeder
Zeit Leute, die den Mut haben, allgemeinen Vorurteilen zu trotzen,
und so hat auch die Süsswasserfauna in den jüngstverflossenen
zwei Jahrzehnten ihre Freunde und Bearbeiter gefunden. Männer
wie F. A. Forel, G. Asper und E. Imhof in der Schweiz,
P. Pavesi in Italien, A. Fritsch, B. Hellich und W. Vavra in
Österreich, O. Nordquist in Finnland, Jules Richard und Jules
de Guerne in Frankreich (zahlreicher anderer nicht zu gedenken)
haben mit bewundernswerter Unermüdlichkeit dem Studium der
Wassertierwelt obgelegen und Erfolge erzielt, deren wissenschaftliche
Bedeutung von Niemand mehr übersehen oder in Abrede gestellt
werden kann. Ich selbst habe während des Zeitraumes von 1884
bis 1889 die Fauna der nord- und mitteldeutschen Seen, sowie
diejenige der Eifelmaare durch eingehende Untersuchungen fest-
gestellt. Durch eben diese Forschungen sind wir mit vielen neuen
Arten von kleinen Krebstieren (Entomostraken) bekannt geworden,
haben den Reichtum unserer Gewässer an schwimmenden und
schlammbewohnenden Würmern, an Schnecken, Muscheln, Moos-
tieren und einzelligen Lebewesen (Protozoen und niederen Algen)
kennen gelernt, sind in die bunte Gesellschaft der Wassermilben
und Wasserkerbtiere eingedrungen, deren Gewimmel hauptsächlich
die seichtere Uferzone belebt — kurz, wir haben einen umfassenden
Überblick über die mannigfaltige Bewohnerschaft unserer binnen-
ländischen Seebecken erlangt, die bisher nur Fische und „Gewürm"
(als deren Nahrung) zu enthalten schienen. Unsere vermehrte
Kenntnis erstreckt sich aber nicht nur auf die einzelnen Gattungen
und Arten der äusserlich unscheinbaren Wasserfauna, sondern auch
mit auf die Art und Weise, wie jede Spezies ihren besonderen
Lebensverhältnissen angepasst ist, wie sie sich ernährt und ihren
über die wissenschaftlichen Auff^aben biologischer Süsswasser-Stationen. 319
Platz im Kampfe ums Dasein behauptet, was für Mittel ihr zur
räumlichen Ausbreitung verliehen sind und welcher Zusammenhang
zwischen der Bevölkenmg des Seegrundes und derjenigen der ober-
flächlichen Wasserschichten (bezw. tler Uferzone) besteht. Aber
mit Gewinnung dieser Einsicht sind wieder zahlreiche neue Probleme
aufgetaucht, welche sich auf die Ursachen der Veränderlichkeit, die
Wirkung der Isolierung, den mutmasslichen Einfluss des „äusseren
Mediums" u. dergl. beziehen, sodass es niemals an Arbeit für zahl-
reiche Forscher auf diesem Gebiete fehlen kann.
Der Hauptvorteil eines dicht am Seeufer gelegenen und mit
allen Einrichtungen der modernen Forschungstechnik versehenen
Stationsgebäudes besteht augenscheinlich darin, dass man auf solche
Weise in den Stand gesetzt wird, alle Chancen des Wetters und
der Beleuchtungsverhältnisse beim Einsammeln der Untersuchungs-
objekte wahrzunehmen, und dass sich einem in beständiger Wasser-
nähe die Möglichkeit zu zahlreichen Beobachtungen darbietet,
welche auf nur gelegentlichen Ausflügen an dieses oder jenes Wasser-
becken — aus Mangel an Zeit und Ruhe — überhaupt nicht
gemacht werden können.
Ich denke da in erster Linie an die Erforschung der Zu-
sammensetzung der sogenannten pelagischen Süsswasserfauna (des
Limnoplanktons) in den verschiedenen Jahreszeiten, und an die sehr
wünschenswerte Klarstellung der Beziehungen dieser merkwürdigen
Tiergesellschaften zu den übrigen Bewohnern des betreffendes Sees,
besonders auch ihr Verhältnis zu den Fischen, von denen einige,
wie man glaubt, vorwiegend in ihrer Ernährung auf gewisse
pelagisch lebende, d. h. beständig im freien Wasser sich auf-
haltende Krebstiere angewiesen sind. Im Grossen Plöner See
besteht jene Fauna pelagka nach meinen Ermittelungen (von 1886
und 1891) aus folgenden Spezies:
Crustacea:
Leptodora hyalina Lilljeb.
DapJmcUa brachyura Liev.
Hyalodaphnia aicullata Sars., var. apicata Kurz.
Bosmiiia coregoni Baird.
320 über die wisscnscbartliclien Auf<:;aben Ijioloi^nsclier Süsswasser-Stationen.
Bosmina cormita Jur.
Cyclops Simplex Pogg.
Diaptomus gracilis Sars.
Rotatoria:
Asplanchna helvettca Imhof
Anuraea longispiua Kellic.
Anuraea cochlearis Gosse
Polyarthra platyptcra Ehrb.
Dazwischen kommt auch noch in grossen Mengen ein zur
Flagellaten-Gattung Dmobryon gehöriges Wesen (vergl. Fig. 35 im
ersten Bande dieses Werkes) und das ebenfalls zu den Geissei-
trägern gehörige Ccratiimi hirundinella vor. Ein feines Schwebnetz
aus Müllergaze, mit dem wir vom Boote aus bloss zehn Minuten
lang die oberflächlichen Wasserschichten der Seenmitte abfischen,
enthält nach Ablauf dieser kurzen Zeit einen förmlichen Brei auf
seinem Grunde, welcher lediglich aus den soeben namhaft gemachten
Krebs-, Rädertier- und Flagellaten-Spezies besteht.
Die nähere Erforschung der Lebens- und Ernährungsweise
dieser pelagischen Tiere, welche in staunenswert grosser Individuen-
zahl unsere Binnenseen bevölkern, wäre — wie schon betont —
eine sicher zu wichtigen Aufschlüssen führende Arbeit, welche von
einer biologischen Süsswasserstation in Angriff genommen werden
könnte. Freilich würden zur Bewältigung einer solchen Aufgabe
keineswegs nur Wochen und Monate, sondern zweifellos mehrere
Jahre erforderlich sein. Was wir bis jetzt über die Biologie jener
rastlos schwimmenden Wesen wissen, ist durch die verschiedensten
Forscher bei Gelegenheit von Ferienreisen, in Sommerfrischen u. s. w.,-
wodurch die Betreffenden zufällig in die Nähe grösserer Süsswasser-
ansammlungen gelangten, festgestellt worden. Hin und wieder (ich
erinnere nur an die ausgezeichneten Forschungen Prof. Aug.
Weismanns über Daphniden) sind solchen Gelegenheitsstudien
die schönsten und weittragendsten Resultate zu verdanken gewesen.
Aber eben darum, weil sich solche Untersuchungen schon öfters als
im hohen Grade lohnend erwiesen haben, erscheint es geboten,
über die wissenschaftlichen Aufgaben biologischer Süsswasser-Stationen. 32 1
dieselben fortzusetzen und sie so zu organisieren, dass wertvolle
Ergebnisse nicht bloss vom Zufall abhängen, sondern vielmehr mit
einiger Sicherheit erwartet werden können.
Eine andere Frage vom allgemeinsten wissenschaftlichen
Interesse wäre die nach der Winter fauna unserer Landseen,
d. h. eine Ermittelung derjenigen Tiere, welche während der Kälte-
monate unter der Eisdecke im Wasser ausdauern und weiter leben,
während andere beim Eintritt der niedrigen Temperatur hinsterben,
nachdem sie den Fortbestand ihrer Art durch die Produktion und
Ablage von Dauer-Eiern (vergl. Bd. I S. 367) gesichert haben.
Dass verschiedene Infusorienspezies, Spaltfusskrebschen und mancher-
lei Würmer in unseren Teichen während des Winters zu finden
sind, weiss man schon seit längerer Zeit; aber auf diese wenigen
Thatsachen beschränkt sich gegenwärtig unsere Kenntnis, sodass es
angezeigt wäre, sich einmal näher darüber zu unterrichten, welche
Tiere (bezw. niedere Pflanzen) es denn sind, deren Lebensfunktionen
unter der Einwirkmig von Kälte so gut wie gar keine Beeinträch-
tigung erfahren. Diese Aufgabe könnte gleichfalls auf das Programm
einer nahe am Seeufer . befindlichen Station gesetzt werden , und
sie wird wohl auch einer solchen reserviert bleiben, da es voll-
kommen unthunlich ist, derartige Untersuchungen ausserhalb des
Bereichs einer den Forscher sowohl wie das von ihm aufgefischte
Material vor Frost schützenden Unterkunft vorzunehmen.
Ein reiches und anziehendes Arbeitsgebiet für den in unmittel-
barer Seenähe stationierten Zoologen würde selbstredend auch die
Beobachtung der Wasserinsekten und der Larvenzustände von
solchen Landkerbtieren sein, welche ihre Eier ins Wasser ablegen.
Es ist nicht zu bezweifeln, dass Studien dieser Art, wenn sie auf
eine grössere Anzahl verschiedener Objekte ausgedehnt werden,
interessante Aufschlüsse in allgemein biologischer Hinsicht zu liefern
im Stande sind. Ich erinnere hier nur an die schöne Unter-
suchung, welche Dr. E. Schmidt-Schwedt unlängst (1887)
über Atmung der Larven und Puppen des Schilfkäfers {Donacia
crassipes) veröffentlicht hat 1), und an die auf den Gehäusebau
der Phryganiden - Larven (vergl. diesen Band S. 94 und ff.)
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. II. 21
322 über die wissenschaftlichen Aufgaben biologischer Süsswasser-Stationen.
bezüglichen Beobachtungen der bekannten Naturforscherin Fräul.
Marie v. Chauvin.
Ein nicht minder grosses Interesse würde die Erforschung
jener eigentümUchen Fortpflanzungsverhältnisse darbieten, welche
bei einigen unserer verbreitetsten Süsswasserturbellarien (Stcnostoma
leucops , Microstoma lineare) abwechselnd in der Form von ge-
schlechtlicher und ungeschlechtlicher Vermehrung auftreten. Man
weiss zwar, dass zu Beginn der kalten Jahreszeit die letztere an
die Stelle der ersteren tritt, aber man ist noch sehr wenig darüber
informiert, durch welche histologischen Vorgänge es zu einer Hervor-
bildung männlicher und weiblicher Zeugungsorgane in den bis dahin
geschlechtslos gewesenen Würmern kommt, die sich nur auf dem
Wege der Querteilung (vergl. Bd. I, S. 259) fortpflanzten. Das-
selbe Problem liegt auch in betreff" gewisser Anneliden, z. B. beim
gemeinen Wasserschlängelchen (Nais) vor, und es wäre im hohen
Grade wertvoll, über den Modus der geschlechtlichen Differenzierung
in beiden Würmergruppen genauere Angaben zu erhalten. Dass
wir solche noch vermissen, liegt an der Schwierigkeit der Material-
beschaffung. Befindet man sich nicht in nächster Nachbarschaft
eines Sees oder grösseren Teiches, so ist es ganz unmöglich, den
rechten Moment wahrzunehmen, um die genannten Tiere in den
o;eeio;neten Stadien einzusammeln.
In solchen und ähnlichen Fällen hängt der Fortschritt unseres
Wissens im wesentlichen nur von der rechtzeitigen und bequemen
Erlangung der Beobachtungsobjekte ab. Und das ist der Haupt-
punkt, welchen ich bei Motivierung der Notwendigkeit von perma-
nenten Stationen für die Erforschung der Süsswasser-Lebewelt nicht
oft genug betonen kann.
Faunistische Exkursionen in irgend einer Seengegend sind
ganz gewiss für die Erweiterung unserer Kenntnis der Wasserfauna
von Wert; aber wer eine derartige ambulante Forschungsthätigkeit
längere Zeit hindurch betrieben hat, wird wissen, dass man dabei
eigentlich niemals zur Ruhe kommt. Man schwelgt bei solchen
Ausflügen häufig in einer herzerquickenden Fülle von Material, hat
aber unterwegs höchst selten so viel Zeit, um sich der Bearbeitung
über die wissenschaftlichen Aufgaben biologischer Süsswasser-Stationen. 323
desselben mit der erforderlichen Müsse zu widmen. Infolgedessen
konserviert man möglichst zahlreiche Objekte mid kehrt mit einer
grossen Menge von Gläschen nach Hause zurück. Hier findet
nun erst die eingehende Besichtigung der verschiedenen Funde statt,
wobei man aber in der Regel die wenig erfreuliche Wahrnehmung
macht, dass man von der einen Materialsorte viel zu viel, von der
anderen aber leider lange nicht genug angesammelt hat. Wäre
man an Ort und Stelle in der Lage gewesen, umfassendere Studien
vorzunehmen, so würde bei demselben Zeit- und Kraftaufwande
ein belangreicheres Resultat zu verzeichnen gewesen sein. Auch
diese Erfahrung, mit der ich gewiss nicht ganz allein stehe, spricht
klar für die Nützlichkeit von Dauerstationen, wenn es sich um das
Studium unserer Süsswasserfauna handelt. Dasselbe gilt natürlich
auch im Hinblick auf die lakustrische Pflanzenwelt.
Dass indessen auch faunistische Exkursionen, wenn sie mit
Eifer und Gründlichkeit ausgeführt werden, nach verschiedenen
Richtungen hin Neues zutagefördern können , dafür legt eine un-
längst publizierte Arbeit von Prof. M. Braun („Die Turbellarien
Livlands", 1885) beredtes Zeugnis ab. Ebenso liefert die bekannte
Abhandlung Dr. K. Ecksteins über die Rädertiere der Umgebung
von Giessen eine schlagende Bestätigung für die beherzigenswerte
Mahnung: „Sieh, das Gute liegt so nah' " Auch durch meine
eisrenen Arbeiten über die niedere Fauna einheimischer Seebecken
und Teiche hoffe ich den Beweis erbracht zu haben, dass in
unseren süssen Gewässern noch mancherlei Neues zu entdecken
ist. Ich brauche in diesem Bezug nur an die schon erwähnte
Auffindung einer den Monotiden nahestehenden Turbellarie in
den Hochseen des Riesengebirges zu erinnern, deren Anwesen-
heit später in verschiedenen schweizerischen Seen und neuerdings
(1890) durch Prof. Fr. Zschokke auch im See von Partnun
(auf der Rhätikonbergkette) nachgewiesen wurde. Von nicht
2;erinfferem Interesse war die Entdeckung mehrerer Vertreter der
ausserordentlich merkwürdigen Turbellarien - Gattung Botkrioplaua,
welche sich ebenfalls als Folge der von mir unternommenen Aus-
flüge an die Riesengebirgsteiche ergab. Hierzu kommt noch die
21*
324 über die wissenschaftlichen Aufgaben biologischer Süsswasser-Stationen.
Erbeutung mehrerer neuer Kruster- und Hydrachniden - Arten in
den nord- und mitteldeutschen Wasserbecken bei Gelegenheit meiner
Studienreisen in den Jahren 1885 und 1886. Besonders weise
ich aber auch auf den von Dr. W. Weltner erst kürzlich kon-
statierten und bisher gar nicht vermuteten Reichtum der Spree an
Spongillen (vergl. Bd. I, 6. Kapitel) hin und auf die umfassenden
Ermittelungen W. Vavras über die Verbreitung der Ostracoden
(Muschelkrebse) in Böhmen 2).
Solche Exkursionen werden auch fernerhin nicht zu entbehren
sein, namentlich wenn es sich um vergleichende Untersuchungen
über die Fauna verschiedener Landseen handelt. Für Studien
dieser Art kann dann eine permanente biologische Süsswasserstation,
welche in einem seenreichen Gebiet gelegen ist, ein recht frucht-
barer Mittelpunkt werden. Man wird von einem solchen Zentrum
aus vielleicht auch die Frage nach den äusseren physikalischen
Ursachen der Veränderlichkeit mancher Organismengruppen in
Angriff nehmen können, und möglicherweise mit der Zeit nach-
zuweisen im Stande sein, warum der eine See in dieser, der andere
in jener Weise auf die Gestalt der in ihm lebenden Wesen ab-
ändernd einwirkt. Augenblicldich wissen wir über die Faktoren,
welche hier in Betracht kommen, so gut wie nichts. Und doch
ist der Einfluss der jedesmaligen Lokalität auf manche Organismen-
gruppen mit ausreichender Sicherheit erwiesen. Clessin hat diese
Thatsache schon vor einem Jahrzehnt für die Mollusken festgestellt,
und er nimmt zur Erklärung derselben „die Anpassung an gegebene
Verhältnisse" in Anspruch. Es wird nicht überflüssig sein, in den
Zusammenhang dieses Kapitels eine Stelle einzuschalten, die der
Leser bereits auf S. 138 dieses Bandes vorgefunden hat. Sie ist
aber besonders dazu geeignet, das, was wir hier besprochen, zu
illustrieren. Clessin fasst das Resultat seiner reichen Erfahrung
in folgenden Zeilen zusammen : „Wer die Wassermollusken längere
Zeit im Freien beobachtet, wird sehr bald zu der Überzeugung
kommen, dass fast jeder einzelne Fundort eigenartige, mehr oder
weniger ausgeprägte Abweichungen vom Typus der bezüglichen Art
erzeugt, und dass es geradezu zu den allergrössten Seltenheiten
über die wissenschafüichen Aufgaben biologischer Süsswasser-Stationen. 325
gehört, zwei ziemlich übereinstimmende Formen an verschiedenen
Fmidorten zu konstatieren. Ja sogar der nämliche Fundort erzeugt
bei geänderten Verhältnissen andere Varietäten, und oft genug
finden sich verschiedene Formen einer und derselben Art an sich
berührenden Stellen desselben Gewässers, wenn die Beschaffenheit
des Grundes, die Strömung des Wassers, die Bewachsung u. s. w.
sich ändert. So kommen in den grossen Seen der Voralpen
Schnecken und Muscheln mit ausgeprägtem Seecharakter und solche,
welche nicht oder kaum von jenen zu unterscheiden sind, die in
Sümpfen leben, neben einander vor, und zwar jenachdem die
bezüglichen Wohnplätze bei seichtem Wasser und mangelnder
Bewachsung der vollen Wirkung des Wellenschlags ausgesetzt sind,
oder die Ufer in sumpfige Stellen übergehen".
J. Vosseier hat auf den gleichen Einfluss der chemischen
imd physikalischen Unterschiede unserer Gewässer auf den Habitus,
die Färbung und Gliedmassengrösse bei spaltfüssigen Krebsen hin-
gewiesen. So existiert z. B. in den Maaren der Eifel ein Copepode,
der augenscheinlich dem Cyclops agilis Koch nahesteht, aber
kürzere Antennen, schwächer entwickelte Mundteile, längere
Schwimmbeine und eine sehr gestreckte Schwanzgabel besitzt.
V OS sei er hat diesen von mir aufgefundenen Krebs näher unter-
sucht und ihn seines beschränkten Vorkommens wegen Cyclops
maarensis genannt. Höchstwahrscheinlich ist diese neue Spezies
in den Maaren selbst entstanden und stellt eine interessante Lokal-
form dar, welche für ihre Bildung den Cyclops agilis als Aus-
gangsform gehabt hat.
Im Müskendorfer See bei Konitz in Westpreussen fand ich
1886 zahllose Exemplare einer merkwürdigen Varietät der Hyalo-
daphnia cucidlata, deren Kopfteil sichelartig gekrümmt und ventral-
wärts stark herabgebogen ist. Diese Form (var. nov. prociirva
Poppe) kommt lediglich in dem genannten See vor 3) und ist ander-
wärts bis jetzt nicht aufgefunden worden. Manche Abweichungen
geringern Grades \om Typus der Art sind für gewisse Fundorte
überhaupt charakteristisch.
32G Über die wissenschaftlichen Aufgaben biologischer Süsswasser-Stationen.
So variiert beispielsweise die bekannte Dinoflagellaten-Spezies
Ceratium hirundinclla O. Fr. M. von einem See zum andern hin-
sichtlich der Panzerbreite und der Hömerlänge. Wahrnehmungen
hierüber habe ich hauptsächlich bei meiner Durchforschung der
westpreussischen Seen gemacht. Um dieselbe Zeit etwa konstatierte
Prof. G. Asper ähnliche Gestaltungsdififerenzen zwischen den Ceratien
des Thalalpsees und denen des Züricher Sees, wovon er in seiner
Abhandlung über die Naturgeschichte der Alpenseen berichtet*).
Das pelagische Rädertier Anttraea longispina, welches eine
sehr weite Verbreitung besitzt, variiert nicht bloss hinsichtlich der
Mächtigkeit seiner langen (nadeiförmigen) Panzerfortsätze, sondern
auch in der Form des Körperquerschnittes, der gewöhnlich ein
Kreissegment darstellt, häufig aber auch vollkommen dreieckig ist.
In Westpreussen zeigten oft sogar benachbarte Seen langdornige
Anuräen, die in der angegebenen Weise von einander verschieden
waren. Nach Asper ist ein nicht minder verbreitetes Rotatorium,
Ajuiraea aculcata, ebenfalls bedeutender Variation unterworfen,
welche sich aber vorzugsweise nur auf die Felderung und Skulptur
des Panzers erstreckt. Ähnliche Abweichungen hat Imhof bei
Anuraea cochlearis Gosse angetroffen und die weitgehendsten
davon mit besonderen Speziesnamen (A. intermedia und A. tube-
rosa) bezeichnet.
Leptodora hyalina, der pelagische Krebs par excellence, zeigt
an seinen verschiedenen Fundorten nicht bloss Verschiedenheiten
der Körperlänge, sondern auch solche, welche die Grösse des
Auges, die Entwickelung des ersten Paares der Schwimmfüsse und
die Geräumigkeit des Brutraumes betreffen. Die gleichen Wahr-
nehmungen habe ich an Polyphemus pediculus, einem Kruster der
Uferzone, gemacht, der in klaren und kühlen Bergseen grösser
und farbenprächtiger zu werden scheint, als in den seichteren
Gewässern der Ebene.
Nach Anführung dieser Beispiele, welche noch durch Be-
obachtungen von A. Wierzejski über die Unbeständigkeit der
Artcharaktere bei Spongilla lacustris vervollständigt werden könnten &),
wird es einleuchten, dass auch die Süsswasserfauna Stoff zur
über die wissenschaftlichen Aufgaben biologischer Süsswasser-Stationcn. 327
Diskussion des Speziesproblems zu liefern im stände ist. Durch
eine vergleichende Untersuchung bestimmter Mitglieder der Wasser-
tierwelt aus verschiedenen Seen dürfte sich im Laufe der Zeit etwas
Genaueres über die Richtung der Abweichungen und über deren
Betrag bei einzelnen Arten ergeben.
Schliesslich möchte ich aber auch einen ganz praktischen
Gesichtspunkt geltend machen, welcher die Errichtung von ständigen
Beobachtungsstationen in der Nähe von grösseren Süsswasserseen
wünschenswert erscheinen lässt. Dies ist nämlich unsere noch sehr
ungenügende Einsicht in die Ernährungs- und sonstigen Lebens-
bedingungen der Fische. Auf diesem Felde ist noch sehr viel
zu thim, um für die Bewirtschaftung unserer Seen und Teiche
rationelle Grundlagen zu schaffen. Ein guter Anfang dazu ist
von dem österreichischen Fischzüchter Josef Susta in ^\'ittingau
gemacht worden durch dessen bekannte Untersuchungen über die
Ernährung des Karpfens 6). Aber nicht bloss die Umstände, welche
das Gedeihen der Fische begünstigen, sondern auch deren natür-
liche Feinde und die Ursachen solcher Krankheiten, welche ffeleeent-
lieh eine Massensterblichkeit unter denselben hervorrufen — alles
dies ist der näheren Erforschung wert und würdig. Aber die zahl-
reichen Fragen und Probleme, die wir im Vorstehenden als zmn
Programm der Thätigkeit einer Biologischen Süsswasserstation gehörig
bezeichnet haben, sind unmöglich von einem einzigen Forscher zu
bewältigen, sondern es müssen sich mehrere zu diesem Zwecke
verbünden, und es bedarf hinsichtlich mancher Aufgaben längerer
Zeiträume (oft vieler Jahre), um sie in befriedigender Weise zu
lösen. Hieräber macht man sich in Laienkreisen häufig recht
falsche Vorstellungen, und ich nehme deshalb in diesem Werke,
welches seiner Tendenz nach für weitere Kreise bestimmt ist,
Gelegenheit, allzu sanguinischen HofTmmgen vorzubeugen.
Das Plöner Stationsgebäude liegt, wie schon erwähnt, unmittel-
bar am Grossen Plöner See und die umgebende Naturszenerie ist
so beschaffen, dass ein Zeitungsberichterstatter*) davon gesagt hat:
*) Berliner Tageblatt 1891 No. 154.
328 über die wissenschaftlichen Aufgaben biologischer Süsswasser-Stationen.
„Ein König könnte sich keinen herrlicheren Fleck der Erde aus-
wählen, wenn er, der Welthändel müde, glückliche Tage im Voll-
genusse eines grandiosen Landschaftsbildes verleben wollte". Für
die hier vorzunehmenden Forschungen ist die „herrliche" Lage
selbstverständlich ganz gleichgültig, aber der See ist durch seine
Grösse (50 qkm = 20000 preussische Morgen) und durch seinen
Organismenreichtum besonders dazu geeignet, ein Arbeitsfeld für
zoologische und pflanzenphysiologische Untersuchungen zu bilden.
Dazu kommt noch die Nachbarschaft anderer grosser Wasserbecken
(Kleiner Plöner See, Trammersee, Behlersee, Dieksee, Kellersee,
Grosser und Kleiner Eutiner See, Ukeleisee u. s. w.), sodass hier-
durch zugleich die denkbar günstigste Gelegenheit zur Vornahme
von faunistischen Ausflügen gegeben ist. Den Verkehr auf den
einzelnen Seen vermitteln grosse Segel- und Ruderboote. Der
Biologischen Station steht ausserdem noch die Benutzung eines
Petroleum-Schraubenbootes*) zur Verfügung, welches eine ansehn-
liche Fahrgeschwindigkeit (10 — 15 km pro Stunde) besitzt.
Das Stationshaus ist ein zweistöckiges Gebäude, welches ausser
den erforderlichen Arbeitsräumen (Laboratorium, Experiraentier-
zimmer und Bibliothek) auch die Wohnung für den Direktor ent-
hält. Im Erdgeschoss sind die Aquarien untergebracht, welche
durch eine Röhrenleitung mit fliessendem Wasser aus dem See
gespeist werden können. Der Mikroskopiersaal hat dreiflügelige
grosse Fenster und die Arbeitstische sind mit vorzüglichen Instru-
menten aus der Optischen Werkstätte von C. Zeiss in Jena aus-
gerüstet. Bei aller Bescheidenheit ihrer Einrichtung besitzt die
Plöner Station, wie man sieht, doch Alles, was zur Ausführung von
mikroskopisch-anatomischen und entwickelangsgeschichtlichen Arbeiten
erforderlich ist. Mehr ist nicht versprochen worden und zu einer
luxuriösem Ausstattung wären auch die Mittel nicht vorhanden
gewesen. Vom i. April 1892 ab werden die Arbeitsplätze in der
Biologischen Station zu Plön für süsswasserfreundliche Zoologen
und Botaniker ■?) benutzbar sein.
*) Daimlers Patent (geliefert von der Firma Meyer u. Remmers iu Hamburg).
über die wissenschaftlichen Aufgaben biologischer Süsswasser-Stationcn. 329
Mit Genugthuung übermittele ich am Schlüsse dieses Kapitels
dem Leserkreise unseres Buches die Nachricht, dass der bekannte
und verdienstvolle österreichische Zoolog, Prof. Anton Fritsch
in Prag, neuerdings gleichfalls eine stabile Station für Erforschung
der Süsswasserfauna ins Leben gerufen hat. Dieselbe hat ihren
Stand am Unterpocemitzer Teiche bei Bechovic in Böhmen. Es
ist ein festgebautes, hübsches Häuschen, welches ausser einem
Arbeitszimmer von 12 qni Fläche noch einen kleinen Wohnraum
von 6 qm enthält. Dieses Forscherheim hat ein Privatmann,
Bela Freiherr v. Derschenyi, im Interesse der durch Fritsch
so tüchtig geförderten Kenntnis der Wassertierwelt Böhmens auf
eigene Kosten erbauen lassen. Überdies benutzt der Prager
Forscher (schon seit Juni 1888) zu seinen Studien noch eine orts-
wechselnde Station in Gestalt eines zusammenlegbaren hölzernen
Häuschens, welches in 2 1/2 Stunden aufgestellt und in 1I/2 Stunden
wieder abgebrochen werden kann s). Diese „fliegende Station" steht
jetzt am Gatterschlager Teich bei Neuhaus, und hier ist besonders
der Assistent des Prof. Fritsch, Herr W. Vavra, während des ver-
flossenen Jahres thätig gewesen. Unter Anderem wurde in diesem
Teiche vmlängst ein neuer zu den Cytheriden gehöriger INIuschel-
krebs entdeckt, der vorläufig den Namen Limnicythere stationis
erhalten hat. Es ist der kleinste bisher bekannte Vertreter seiner
Gattung.
An die Errichtung solcher eigens dem Studium der Tier- und
Pflanzenwelt des Süsswassers gewidmeter Forschungstationen ist
merkwürdigerweise erst in allemeuester Zeit gedacht worden, ob-
gleich dieselben Gründe, welche für die Anlage mariner Stationen
zum Zwecke biologischer Studien sprechen, sich auch für lakustrische
Observatorien ins Feld führen lassen. Das Weitere wird nun die
Erfahrung und der Erfolg lehren. Da, wo etwas Neues ins Werk
gesetzt wird, tauchen stets auch einige Pessimisten auf, welche
Erwägungen darüber anstellen, ob es sich wohl auch verlohnen
werde, die süssen Gewässer in der von Fritsch und mir inaugu-
rierten Weise zu durchforschen. Besonders giebt es unter den
Praktikern, d. h. unter den Fischzüchtem und Fischerei-Interessenten,
330 Über die wissenschaftlichen Aufgaben biologischer Süsswasser-Stationen.
Leute, welche in erster Linie die Frage des „Verlohnens" auf der
Zunge haben, ohne manchmal auch nur einen blassen Schimmer
von den Aufgaben zu haben, welche durch die Thätigkeit einer
Süsswasserstation in Angriff genommen werden sollen. Derartigen
Leuten empfehle ich folgenden Ausspruch Prof. Anton Fritschs
zur Beherzigung: „Eine genaue Kenntnis dessen, was der
Teich in seinem Wasser beherbergt, ist die Grund-
bedingung für dessen rationelle Bewirtschaftung". Es ist
zu hoffen, dass die Richtigkeit dieses Satzes in immer weiteren
Kreisen zur Anerkennung gelange, und dass auch von mass-
gebender Seite das Streben der Naturforscher gebührende Würdigung
und Unterstützung finde.
Litteratur.
i) Berl. Entomolog. Zeitschrift, 31. Bd., 1887, S. 325 — 334.
2) Vergl. Wenzel Vävra, Monographie der Ostracoden Böhmens.
Archiv (1. naturwiss. Landesdurchforschung von Böhmen, 8. Bd.,
No. 3.
3) Eine Beschreibung der Müskendorfer Hyalodaphnia hat
Poppe geliefert in: 0. ZäCharias, Zur Kenntnis der pelagischen
und littoralen Fauna norddeutscher Seen. Zeitschr. f. wiss. Zoologie,
45. Bd., 2, 1887.
4) G. Asper und J. Heuscher, Zur Naturgeschichte etc.
Jahresber. der St. Gallischen Gesellschaft, 1885 — 86.
5) A. Wierzejski, Beitrag zur Kenntnis der Süsswasserschwämme.
Verhandl. d. k. k. zool.-botan. Gesellsch. in Wien, 1888.
6) J. Susta, Die Ernährung des Karpfens und seiner Teich-
genossen. INIit 2 Tafeln. 1888.
7) Vergl. F. Ludwig, Die botanischen Aufgaben der von
O. Zacharias geplanten lakustrischen Station. Biolog. Zentralbl.,
9. Bd., No. 13, 1889.
8) Anton Fritsch , Die Stationen zur Durchforschung der
Süsswasserfauna. Wiener Landwirtschaftl. Zeitung, 1891.
Das Tierleben auf Flussinseln
und am Ufer der Flüsse und Seen.
Von Fr. Borclierding in Vegesack.
Wie im Wasser selbst, so regt sich auch an den Ufern
unserer Flüsse, Weiher und Seen ein mannigfaltiges Tierleben, auf
welches am Schlüsse dieses Werkes noch ein musternder Blick
geworfen werden soll. Auf zahlreichen faunistischen Ausflügen hat
der Verfasser dieses Kapitels Gelegenheit gehabt, die bunte Gesell-
schaft der in der Nähe des Wassers und in demselben sich auf-
haltenden Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische, Mollusken
und Insekten zu beobachten und den eigentümlichen Reiz zu
empfinden, den das Leben und Treiben dieser verschiedenartigen
Wesen auf den Freund der Natur ausübt.
Wie schon und fast nur einer poetisch angehauchten Schilde-
rung zugänglich ist das einsame, waldumgürtete oder von Schilf
umkränzte Ufer eines grossen, breit dahinfliessenden Stromes, oder
der ebenso geschmückte Saum eines im Sonnenschein glitzernden
Sees. Wie vielseitig, buntfarbig und anregend ist das Bild, welches
sich hier an einem herrlichen Frühlingsmorgen oder an einem
warmen Sommerabend unseren Augen darbietet. Überall regt sich
vielgestaltiges Leben.
Schreiten wir bei einbrechender Dämmenmg über eine Fluss-
insel oder fahren wir mit einem Boote geräuschlos am Ufer ent-
lang, so können wir häufig mehrere Fledermaus-Arten beobachten,
und zwar meistenteils die langohrige Fledermaus, Plecotits
auritus Gcoffr., die früh fliegende Fledermaus, Vesper tilio noctitla
K. u. Bl., und die Teichfledermaus, Vespertilio dasycncme Boie.
ggß Das Tierlebeu auf Flussinseln iiiul am Ufer der Flüsse und Seen.
Unermüdlich schwirren diese fluggewandten Tierchen unter dem
Schutze der Dunkelheit durch die Luft, um ihren stets regen
Appetit mit den erbeuteten Fliegen, Mücken, Käfern und Nacht-
faltern zu befriedigen. • Eine gleich erfolgreiche Insektenvertilgung
üben ausser den Fledermäusen wohl nur noch Maulwürfe,
Talpa citropaea L., und die Wasserspitzmäuse, Crossopus
fodiens, aus.
Einzeln erscheint an den Seen und Flüssen auch der Fuchs,
Canis vidpcs L., um sich nach einem leckern Entenbraten umzu-
sehen. Es ist höchst anziehend, den Meister Reineke unbeobachtet
auf seinen Jagdzügen belauschen zu können. Mit eingezogenen
Beinen, mehr über den Boden vuid durchs Rohr wegkriechend als
gehend, die Rute vornehm hinter sich herschleppend, dieselbe nur
dann und wann bald etwas rechts, bald etwas links bewegend,
schleicht er sich durchs Gras und Gebüsch unvermerkt der Stelle
zu, von wo der Entenruf herübertönt, aber immer gegen den
Wind, denn er weiss nur zu gut, wie unangenehm den Enten
seine Witterung ist.
Das schädlichste Säugetier, welches die Ufer der Flüsse und
Seen bewohnt, ist unstreitig der Fischotter, Liitra vulgaris Erxl.
Trotz der vielen Nachstellungen von Seiten der Fischer und Jäger
hat dieser arge Räuber sich in den letzten Jahren in unserm
Nordwesten ganz bedeutend vermehrt. Die grossen Rohr- und
Weidendickichte an den Ufern der Flüsse und Seen und auf den
grösseren und kleineren Flussinseln geben ihm solch sichere Ver-
stecke, dass er sehr leicht dem Jäger entgeht. Zudem ist der
Tisch immer reichlich für ihn gedeckt; er braucht deshalb nicht,
wie der Fuchs, die Nähe der menschlichen Wohnungen aufzu-
suchen. Welchen ungeheuren Schaden der Otter der Fischzucht
zufügt, mag aus folgendem Beispiel erhellen. Ein ausgewachsener
Otter gebraucht zu seiner täglichen Nahrung 2 kg Fische. Das
macht für ein Pärchen ohne Jungen in einem Jahre 2 mal 2 mal
365, also 1460 kg. Ist der Fischotter in sonst fischreichen Fluss-
gebieten häufig, so sieht man aus den angeführten Zahlen, wie
stark dann der Fischbestand durch ihn dezimiert werden muss.
Das 'lierlobcn auf Mussinsrlii und am Ufer der Flüsse und Seen. 337
Ein weiteres auch recht schädliches Mitglied der Familie der
Mustelinae , Foetorius piitorius K. u. Bl., verirrt sich zum Glück
nur einzeln an unsere Gewässer. Vor einigen Sommern erhielt
Verfasser ein prächtiges Männchen vom Iltis, im Volksmunde „Ilk",
„Elk" oder „Ülk" genannt, welches auf einer Weserhalbinsel erlegt
worden war. Sodann mag noch ein für Deutschland sehr seltener
Wasserbewohner erwähnt werden, der Nörz, Wasserwiesel oder
auch wohl Sumpfotter genannt, Pidorius lutreola K. u. Bl. Dieser
wegen seines wertvollen Pelzes eifrig verfolgte Marder ist im öst-
lichen Europa ziemlich häufig, dagegen gehört er in Deutschland
zu den grössten Seltenheiten. Der Nörz bewohnt mit Vorliebe die
bewaldeten Ufer der Flüsse, ist aber vereinzelt auch in der Ebene
angetroffen worden. Vor einigen Jahren wurde im Blocklande an
der Wümme (unweit Bremen) ein Exemplar erlegt.
Dass aus der Ordnung der Nager nur allzu häufig an den
Gewässern die Wanderratte, Mus decumanus Fall., anzutreffen
ist, mag ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Auch die Wasserratte,
Arvicola amphibius Lacep., findet sich an den Ufern der kleineren
Gewässer nicht selten; in unserm Nordwesten recht häufie in
schwarzer Färbung. Zu einer wahren Landplage wird in manchen
Jahren die gemeine Feldmaus, Arvicola arvalis Fall., welche in
den Marschen und an den Deichen oft zu vielen Tausenden
erscheint untl dort grossen Schaden verursacht. Einige wenige
Zahlen mögen ein Bild von ihrem massenhaften Auftreten geben.
Im Amte Elsfleth an der Weser wurden im Jahre 1880 — 1881
347571 Mäuse eingeliefert und 20284.80 Mark an Prämien dafür
bezahlt; im Amte Brake nördlich von Elsfleth, ebenfalls an der
Weser gelegen, wurden 1880 158 913 Mäuse eingeliefert und an
Prämien 12237.85 Mark bezahlt; 1881 wurden ebendaselbst
338781 Mäuse eingeliefert und 19 127.31 Mark an Prämien dafür
bezahlt. Als Prämie wurde im „Oldenburgischen Mäuseverbands-
bezirke" je nach der Häufigkeit der Mäuse 2, ^, 10 oder 20 Pfennige
für das Stück bezahlt. In diesem Sommer (1891) war die Feld-
maus nur vereinzelt anzutreflfen; der lange und strenge Winter mit
dem hohen Wasserstande hat stark unter ihnen aufgeräumt, stärker
Tier- und Pflanzenwelt des Stisswassers. IL 22
338 ^^^ Tierleben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen.
als in den reichsten Jahren Mäusefänger, Bussarde, Weihen, Raben
und Füchse es vermögen.
Auf den Aussterbeetat ist wohl in unserm Vaterlande der
Biber, Castor Fiber L., gesetzt. Nur wenig bekannte Kolonien
finden sich in Deutschland, in denen er sich einstweilen, wenn
auch nur in geringer Zahl, noch erhalten hat. Die bedeutendste
ist zwischen Magdeburg und Wittenberg an der Elbe; auch an der
Havel, Oder und Weichsel finden sich noch vereinzelte schwach
bewohnte Kolonien. Leider wird diesem seltenen Nager seines
kostbaren Pelzes wegen gar zu sehr nachgestellt und trotz des
Regierungsschutzes, der ihm in letzter Zeit zu teil geworden ist,
wird er in nicht zu ferner Zeit zu denjenigen Tieren Deutschlands
gehören, die aufgehört haben zu leben, und einzelne Ortschaften,
Gründe u. s. w. werden nur noch mit ihrem Namen an das frühere
Vorkommen dieses stattlichen Nagers erinnern.
In die Flüsse, besonders die der Nordsee, steigt bei hohen
Fluten mit starken Nordweststürmen vereinzelt auch der Seehund,
Phoca vitulina L., hinauf und kommt dann den Fischern zuweilen
ins Garn. Häufiger findet sich in unseren Flüssen Phocaena
communis Cuv., der Tümmler oder Braunfisch; denselben kann
man bei Springfluten oft in der Nähe der Städte beobachten, wie
er in kurzen Zwischenräumen sich an die Oberfläche des Wassers
begiebt, um im nächsten Augenblicke wieder in die Tiefe zu ver-
schwinden.
Versetzen wir uns in Gedanken um etwa 200 Jahre zurück,
so finden wir sogar einen Walfisch im Weser- und Lesumflusse.
Es war Hyperoodon rostratus Pontop., welcher damals in der
Lesummündung oberhalb Vegesack gefangen wurde. Das Exemplar
befindet sich im Bremer Museum.
Beendigen wir hiermit unseren Streifzug, auf welchem wir
uns ausschliesslich nach den Säugetieren , die an und in den
Gewässern vorkommen, umgesehen haben, so gewahren wir, obwohl
wir nicht jeden Säuger, der sich uns auf unseren Exkursionen am
Wasser zeigen könnte, angeführt haben, dass trotzdem die Zahl
der Arten eine ziemlich geringe bleibt. Ganz anders gestaltet sich
Das Ticrleben auf Flussinseln und am Iffcr der Flüsse und Seen. 339
dagegen das Bild, wenn wir einen neuen Beobachtungsgang unter-
nehmen und uns nun der \'ogelfauna der süssen Gewässer zu-
wenden. Da hat fast jede Jahreszeit ihr eigenartiges Gepräge. Im
Frühjahre finden wir ausser den ansässigen und heimkehrenden
Brutvögeln viele durchziehende Wanderer, die für kurze Zeit Rast
an den Gewässern und auf den Inseln machen. Im Sommer und
Herbste sehen wir ausser den alten Brutvögeln die junge Nach-
kommenschaft in den verschiedenartigsten Kleidern. Auf dem
Herbstzuge kommen noch Hunderte von Gästen hinzu, welche der
Vogelwelt (Ornis) eines bestimmten Gebietes oft ein ganz fremd-
artiges Aussehen verleihen.
Halten wir zunächst eine systematische Umschau unter den-
jenigen Vögeln, welche an den Ufern der Flüsse und Seen und auf
den kleinen und grösseren Fhissinseln ihre Wohnungen eingerichtet
haben, und fassen wir dann die Gäste, welche sich zur Frühjahrs-
und Herbstzugszeit an unseren Gewässern bald längere, bald kürzere
Zeit aufhalten, etwas- näher ins Auge. Als Brutvögel treffen wir
aus der Ordnung der Raubvögel zuerst zwei Weihenarten an,
Circus aeruginosus Sav., die Rohr- oder Sumpfweihe, und
Circus einer aceus Mont., die Wiesen weihe. Beide werden im
Volksmunde gewöhnlich „Grashoafk" genannt. Wo dichtes Rohr-
und Weidengestrüpp auf wenig belebten Flussinseln und auf den
einsamen Groden der Flüsse sich findet, da kann man mit ziem-
licher Sicherheit den Horst der einen oder anderen Weihe erwarten.
Derselbe befindet sich im dichtesten Gestrüpp am Boden und ist
nur dann mit Sicherheit aufzufinden, wenn man die Alten, welche
an ihrem schwebenden Fluge, den langen, spitzen Flügeln und dem
ziemlich langen Schwänze leicht von den Bussarden , Habichten
und Milanen zu unterscheiden sind, beobachtet und sich genau die
Stelle merkt, an welcher sie niedergehen. Dieses Ausspionieren
muss jedoch mit der grössten Vorsicht geschehen ; denn glaubt
sich der Beobachter schlau, so ist der Beobachtete doch in vielen
Fällen noch gewitzigter und hat ersteren oft viel eher bemerkt,
als derselbe ihn. Viel leichter ist der Horst aufzufinden, wenn die
Weihen Junge haben; dann braucht man nur aus möglichster Ferne
09*
340 ^'^^ Tierleben auf FIus.siiisc]n und am Ufer der Flüsse und Seen.
das Männchen, bei welchem man sehr leicht mit einem guten
Glase die Beute in den Fängen erkennen kann, zu beobachten. Ist
es in der Nähe des Horstes angelangt, so erscheint mit einem lauten,
scharfen „kirrr" über der Rohrfläche das Weibchen, aber in bedeutend
geringerer Flughöhe als ersteres. Ist das Männchen über der
Gattin angekommen, so wirft sich letztere geschickt auf den Rücken
in dem Augenblicke, in welchem der Gatte die Beute fallen lässt.
Mit grosser Sicherheit greift das Weibchen dieselbe auf und eilt
raschen Fluges dem Horste zu. Das Männchen streicht sofort von
dannen, um neue Beute heranzubringen. Das ist der günstigste
Augenblick, um sicher den Nistplatz auszukundschaften, denn wir
brauchen uns nur genau den Platz zu merken, an welchem das
Weibchen sich niederlässt. Ist das Glück uns in dieser Weise
günstig gewesen, so finden wir im hohen Grase oder Rohre auf
dem Boden ein ziemlich grosses mit trockenem Grase und Rohr
ausgepolstertes Nest, in welchem sich drei bis fünf hungrige, gelb-
graue Junge befinden. In dem Horste der Wiesenweihe findet
man Mitte Mai etwa vier bis fünf weisse, etwas ins bläuliche über-
gehende Eier. Im Neste der Rohrweihe trifft man zur selben Zeit
vier bis fünf grünlich weisse Eier. Befestigt man über dem Neste
ein gutes Schlagnetz und entfernt sich dann möglichst weit, um im
dichten Rohr eine gute Deckung zu suchen, so dauert es gewöhn-
lich nicht lange, bis das Weibchen zum Horste zurückkehrt, aller-
dings zuerst nur, um auszukunden, ob alles wieder in gewohnter
Ordnung ist. Doch es lässt sich noch nicht sogleich nieder,
sondern in weitem Bogen umkreist es einige Mal die nähere und
weitere Umgebung des Nistplatzes. Bald ist aber die Furcht vor
der Gefahr geschwunden, die Liebe zu den ängstlich kreischenden
Jungen ist grösser, es streicht zum Horste, lässt sich nieder und —
sitzt gefangen unter dem Schlagnetze. Schwieriger ist es, des
Männchens habhaft zu werden, da letzteres selten das Füttern
besorgt und noch seltener zum Horste geht. In den ersten
Stunden nach dem Verlust der Gattin lässt es nur die Beute aus
der Luft ins Nest fallen und eilt wieder fort, um neue Nahrung zu
beschaffen; doch endlich ist auch bei ihm die Liebe zu seinen Jungen,
Das Tierleben auf Fhissinscln und am Ufer der Flüsse und Seen. 34 J
die ihn durch ihr Geschrei auf ihren Hunger und ihre Einsamkeit
aufmerksam machen, vollständig erwacht; es lässt sich nieder, um das
Amt der Gattin zu übernehmen. Aber das Netz ist wieder aufgestellt
worden, es schlägt abermals zu und nun sitzt auch der Gatte
gefangen bei seinen jungen. Nicht immer glückt ein solcher Jagd-
zug, viel Geduld und Vorsicht gehört dazu. — Die Nahrung der
Weihen besteht aus jungen Vögeln, welche aus den am Boden
befindlichen Nestern geraubt werden, und aus Mäusen. Der Nutzen,
den sie durch Vertilgung der letzteren gewähren, wird wohl reichlich
durch den Schaden, den sie durch Zerstören der jungen Vogelbrut
verursachen, aufgehoben. Die Wiesenweihe erscheint im April, die
Rohrweihe im März; beide verlassen uns im Oktober.
Von den Eulen treffen wir an unseren Gewässern als Brut-
vogel dann und wann Otus bracliyotus Boie, die Sumpfohreule,
im Volksmunde „Moorule" genannt. Häufiger ist sie nur in reichen
Mäusejahren zu beobachten. Den Horst findet man, allerdings
nicht leicht, auf den alten Weidenköpfen, die sich stellenweise an
den Flussläufen finden. Einzeln entdeckt man ihn auch im langen
Grase oder im Rohrdickichte. Im Neste finden sich Anfang
]\Iai vier bis sechs fast runde weisse Eier. Die Nahrung dieses
nächtlichen Räubers besteht fast ausschliesslich aus Mäusen, und
muss die Sumpfohreule daher zu den nützlichen Vögeln gerechnet
werden.
Ein häufiger Bewohner unserer Inseln und Flussufer ist der
Kuckuck, Cuculus canorus L. Nach der Meinung der Landleute
ist derselbe im Sommer Kuckuck, im Winter „Stothoafk". Die
Erklärung dieser irrigen Meinung ist sehr leicht. Im Frühjahre
und Sommer findet sich der „Stothoafk", Astur nisus K. u. Bl.,
nicht in der Nähe der menschlichen Wohnungen, sondern in den
dichten Wäldern bei seinem Brutplatze. Der Kuckuck lässt dann
aber überall seinen Ruf ertönen. Im Herbst, wenn der Kuckuck
längst über alle Berge ist, erscheint aber der Sperber in der Nähe
der menschlichen Wohnungen. Da etw-as Ähnlichkeit im Gefieder
der beiden besteht, findet obige Fabel leicht Glauben bei der
Landbevölkerung. Als Pflegeeltern seiner Brut wählt der Kuckuck
342 ^^^ Tierlebeii auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen.
sich die Rohrsänger, die gelbe Bachstelze, ja auch einzeln das Blau-
kehlchen. Letztere besorgen die Pflege mit der grössten Gewissen-
haftigkeit und oft sogar mit Aufopferung der eigenen Jungen, welche
vor diesem gefrässigen Stiefbruder zurückstehen müssen. Verfasser
dieses hatte Gelegenheit, in der Marsch einen vollständig flüggen
jungen Kuckuck zu beobachten, der sich durch sein klägliches
„zirrk, zirrk" bemerkbar machte, wie dieser grosse Bursche sich von
seinen Pflegeeltern, Budytcs flava Cuv., mit grosser Behaglichkeit
noch füttern Hess. Der Kuckuck erscheint Ende April und verweilt
bis Anfang September.
Dem hinsichtlich seines Gefieders schönsten und an die Ornis
der Tropen erinnernden Vogel, Alcedo ispida L., Eisvogel, begegnen
wir häufig an den Flüssen und auf den Inseln , welche steile,
lehmige Ufer haben. Regungslos sitzt dieser prächtige Geselle auf
einem über die Wasserfläche hinhängenden Zweige , seinen Blick
unverwandt nach unten gerichtet; plötzlich stösst er ins Wasser,
um im nächsten Augenblicke wieder auf der Oberfläche mit einem
erbeuteten Fische im Schnabel zu erscheinen, welcher in wenigen
Sekunden gierig verschlungen wird. Dieses interessante Schauspiel
kann man oft in ganz kuKzer Zeit mehrmals beobachten. Sein Nest,
welches sich immer an den steil aufsteigenden Wänden der Flussufer
befindet, ist am Ende einer etwa einen Meter langen Röhre ange-
legt, und dort findet man auf Fischgräten, wenigen Hähnchen u. dgl.
Mitte April sechs bis sieben glänzend weisse Eier.
Einen ähnlichen Brutplatz, wie den des Eisvogels, wählt sich
auch aus der Familie der Schwalben die Uferschwalbe, Sand-,
auch Bergschwalbe genannt, Cotyle riparia L. An den schroffen
Stellen der Flussufer , an welchen die Geest unmittelbar an das
Wasser tritt, kann man zur Frühjahrszeit Hunderte dieser geschickten
Insektenjäger aus- und einfliegen sehen. Das Nest befindet sich
am Ende einer oft zwei Meter langen, wagerechten Röhre, ist mit
Federn weich ausgepolstert und enthält Ende Mai oder Anfang
Juni fünf bis sechs schneeweisse Eier. Die Uferschwalbe erscheint
Anfang Mai und verlässt uns Anfang oder Mitte September.
Das Tierleben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen. 313
An den Gewässern der gebirgigen Gegenden unseres Vater-
landes finden wir aus der Familie der Wasseramseln den Wasser-
staar, auch Wasseramsel oder Wasserschmätzer genannt, Cinclus
aquaticus Bechst. Ich hatte zu verschiedenen Malen Gelegenheit,
diesen munteren halb Wasser- halb Singvogel in seinem Elemente
zu beobachten, so unter anderen an den Berlebecker Quellen,
an den Ilsefällen u. a. m. Bald watet er bis an den Hals
durchs Wasser, bald steht er regungslos auf einem erhöhten Steine,
um im folgenden Augenblicke ins Wasser zu stürzen; bald läuft
er am Boden des Gewässers hurtig dahin, bald fliegt er durch
herabstürzende Wasserfälle, wobei ihm sein dichtes Gefieder von
grossem Vorteil ist. Das einzige Nest, welches der Verfasser
Gelegenheit hatte näher zu betrachten, befand sich hinter einem
Wasserfalle in einer kleinen Felshöhle; obwohl auch seitlich dahin
zu gelangen war, nahm das kecke Tierchen jedesmal seinen Weg
durch die herabströmende Wassermenge. In dem Neste befinden
sich im April vier bis fünf weisse Eier.
Der schönste Vogel, welcher unsere Flussufer und Inseln
bewolint, ist unstreitig das Blaukehlchen, Cyanecula suecica
Brehm. Wo dichtes Weidengebüsch an unserm Weserufer oder
auf den Platen*) vorhanden ist, da findet man auch dieses prächtige
Tierchen, jedoch halten sie sich meistens sehr verborgen und laufen
zwischen dem dichten Gestrüpp einher, aber ein klares, reines
„fied, fied" oder ein kurzes „tack, tack" verrät bald ihr Vorhanden-
sein. Das Nest dieses schönen Sängers ist immer recht versteckt
angelegt und es gehört zu den grössten Seltenheiten, ein solches
aufzufinden, da es auf unseren Weserplaten immer im dichtesten
Gestrüpp, oft hart am Ufer in Weidenstümpfen sich befindet. Selten
fliegt der Vogel vom Neste, um dadurch seinen Brutplatz zu ver-
raten, sondern gewöhnlich springt er unbemerkt auf den Boden
und läuft, ohne einen Laut von sich zu geben, im Gestrüpp davon.
Es ist mir erst zweimal geglückt, ein solches Nest aufzufinden;
*) „Platen" heissen in Norddeutscbland die kleinen mit Rohr und Weiden be-
wachsenen Flussinseln.
344 -^'^^ Tierlebcii auf Flussinscln und am TTfcr der Flüsse und Seen.
dasselbe ist ziemlich kunstvoll gebaut und sitzt gewöhnlich in einer
kleinen Vertiefung; es besteht aussen meist aus trockenen Gras-
halmen, innen dagegen vorwiegend aus der Wolle der Salix-Arten.
In dem schön gerundeten tiefen Neste liegen gegen Ende April
fünf schön grüngraue Eier, welche mit einzelnen zierlichen rot-
braunen Tüpfelchen und Pünktchen bedeckt sind. Das Blaukehlchen
erscheint schon Ende März mit dem Hausrotschwänzchen zusammen
und verlässt seinen Brutplatz Ende August, streicht aber dann noch
bis Ende September umher. In den letzten Tagen des September
oder Anfang Oktober verlässt es uns; einzelne Nachzügler dagegen
verweilen oft bis Ende Oktober in unserm Gebiete.
Mit dem Blaukehlchen zusammen an fast denselben Lokalitäten
treffen wir das Braunkehlchen, Pratincola rubetra Koch, und
einzeln auch die Braunelle, Accentor modularis Cuv., an. Beide
haben mit ihm die versteckte Lebensweise sowie die Art des Nest-
baues gemein; beide verlassen auch lautlos ihre Nester und eilen unter
dem Gesträu'ch davon. Nur wenn die Vögel ihre Brut gefährdet
sehen, lassen sie ihre Klagetöne hören und verraten allerdings da-
durch dem aufmerksamen Beobachter, dass man sich unmittelbar
beim Neste befindet, und trotzdem hält es manchmal recht schwer,
dasselbe zu entdecken. Verfasser dieses Kapitels, welcher sich
am 23. Mai i8gi unmittelbar bei einem solchen Neste befand,
gebrauchte über eine halbe Stunde, um dasselbe endlich in einem
dichten Grasbüschel, kaum einen halben Meter von ihm entfernt,
zu gewahren. In dem sauber mit Tierhaaren ausgepolsterten
Neste befanden sich vier grünlich blaue , fein rot punktierte
Eier. Das Nest der Braunelle aufzufinden ist mir, trotz eifrigen
Suchens, bislang noch nicht gelungen. Das Braunkehlchen
erscheint Mitte April und verlässt uns Ende September. Die
Braunelle dagegen kommt oft schon Mitte März und verschwindet
erst gegen Mitte Oktober.
Die „Kuckucksamme", Ciirruca cinerea Lath., ist ebenfalls
nicht selten auf den Flussinseln anzutreffen. Die Dorngrasmücke
führt den oben genannten Namen daher, weil der Kuckuck sehr
gern sein Ei in ihr Nest legt und ihr auch die Erziehung seines
Das Tierlcben auf P'lussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen. 345
Sprösslings überlässt. Schon am frühen Morgen mit Sonnenaufgang
lässt die Dorngrasmücke ihr munteres Lied ertönen, und sie ist
einer von denjenigen Vögehi, welche am längsten singen, ja oft
vernimmt man noch Anfang August ihren fröhlichen Gesang.
Mitte April trifft dieser Vogel bei uns ein und verlässt uns wieder
Mitte September.
An den Flussufern und auf den Inseln beobachtet man ziemlich
häufig den Fitis-Laubvogel, Weidenzeisig, Phyllopneuste trochihis
Bp. Sehr bald verrät sich dieses zutrauliche Vögelchen durch sein
angenehm klingendes „hüid, hüid, hoid, hoid". Es lässt sich auch
ganz in der Nähe beschauen, aber desto schwieriger ist es, sein
Nest aufzufinden. Dasselbe befindet sich am Boden, meist im
dichten Gestrüpp oder Gewirr; es ist vollständig überwölbt und
man sieht nur ein kleines seitliches Loch. Anfang Mai findet
man in demselben fünf bis sieben kleine, weisse, rötlich gefleckte
Eier, an deren stumpfen Ende sich die INlakeln und Pünktchen
dichter als am spitzen Ende gruppieren. Dieser niedliche Sänger
verweilt bei uns von Anfang April bis Ende September.
War das Vorkommen der bis jetzt angeführten Sänger an den
Flussufern und auf den Inseln kein ausschliessliches — auch ausser-
halb dieser Gebiete werden dieselben angetroffen — , so wollen
wir jetzt eine Gruppe kennen lernen, welche ausschliesslich ihre
Heimat an den Ufern der Flüsse, auf den Inseln und Groden
haben. (Unter „Groden" versteht man die mit Weiden und anderm
Gestrüpp bewachsenen Aussendeichsländereien, welche auch stellen-
weise Grasflächen haben.) Es ist dies die Gattung der Rohrsänger.
Schon ihr Name sagt uns deutlich genug, wo wir diese Bewohner
aufzusuchen haben. Nicht weniger als sechs Arten dieser Gattung
bewohnen das in Frage kommende Gebiet unseres Vaterlandes.
Ausserdem giebt es davon noch eine Reihe Spezies, welche mehr
dem südlichen Europa angehören. Für uns kommen in erster
Linie unsere heimatlichen Sänger in Betracht. Es sind folgende:
Der Schilfsänger, Calamoherpe phragmitis Bp.; der Binsen -
Rohrsänger, Calamoherpe aquatica Degland; der Sumpf-Rohr-
346 ■^'^^ Ticricben auf Flussinscln und am Ufer der Flüsse und Seen.
Sänger, Calamoherpe palustris Boie; der Heuschrecken,- Rohr-
sänger, Calamohcrpe locustella Penn.; der Teich -Rohrsänger,
Calamoherpe ariindinacea Boie, und endlich der Drossel-Rohr-
sänger, Calamoherpe turdoides Meyer. Erstere werden im Volks-
munde gewöhnlich „Reitmeeschen", auch „Rohrsperlinge" genannt;
der letztere heisst gewöhnlich die „Rohrdrossel". Fast alle erscheinen
bei uns Anfang Mai und bleiben bis Anfang September. Nicht
alle sind gleich häufig anzutreffen; einzelne dagegen, wie die Rohr-
drossel, der Schilfsänger, der Sumpf- und Teich-Rohrsänger, sind
sogar ziemlich häufig. Sie entziehen sich aber durch ihre versteckte
Lebensweise im Röhricht und durch die Lokalitäten, an denen sie
leben, sehr oft dem Auge des Beobachters und daher ist manche
Spezies vielleicht viel häufiger als an manchen Orten allgemein
angenommen wird. Der Drossel-Rohrsänger ist sofort durch seinen
weit vernehmbaren Gesang, der etwa: „düi, diu, düi, karre, karre,
karre, kei, kei, kei, kerr, kerr, kerr, karra, karra, kied" klingt, zu
erkennen. Der Gesang von Calamoherpe palustris Boie ist dem
flötenden Gesänge des Spottvogels, Ficedula hypolais Schlegel, nicht
unähnlich und daher ein sicheres Erkennungszeichen des Sumpf-
Rohrsängers, da der Spottvogel in den Gebieten, wo die Sumpf-
Rohrsänger leben, nicht zu Hause ist. Beim Schilfsänger
C. phragmitis Bp., besteht der Gesang fast ausschliesslich aus einem
langen, wohlklingenden, flötenartigen Triller. Der Gesang beim
Teich-Rohrsänger, C arundinacea Boie, gleicht mehr einem
Geplapper der sehr rasch hinter einander ausgesprochenen Silben
„terr, terr, terr, tri, tri, tri, zerrr, zerrr, zerrr, zack, zack, zack" u. a. m.
Eine annähernde Ähnlichkeit hat der Gesang des Binsen-Rohr-
sängers, C. aquatica Degland, mit dem des Schilfsängers; doch
kommen in dem melodischen Triller sehr häufig Töne wie „jüpp,
jüpp, jüpp, jüpp, tütt, tütt, tütt, tütt" vor. Den eigentümlichsten
Gesang, wohl richtiger Geschwirre genannt, hat der Heuschrecken-
sänger, C. locustella Penn. Mit aufgeblasener Kehle, am Boden
zwischen den Rohr- und Weidenstengeln dahinlaufend, bringt er
nur einen wie „sirrrrrrrirrr" klingenden lange anhaltenden Ton
hervor. Für einen aufmerksamen Beobachter ist es nicht allzu
Das Tieilebcn auf Flussinscln und am Ufer der Flüsse und Seen. 3 J^y
schwer, das Vorkommen der einen oder andern Art nach dem
Gesänge festzustellen, und um so bequemer, als das Eindringen in
die im und am Wasser belegenen Rohrfelder sowie auf die mit
Schlick bedeckten Groden, in welchen sich die Rohrsänger eben-
falls gern aufhalten, mit grossen Schwierigkeiten und Anstrengungen
verknüpft ist. Auch im Nestbau gleichen sich unsere Rohrsänger
mehr oder weniger. Zwischen drei bis vier bei einander stehenden
Rohrstengeln an oder über der Wasserfläche, zwischen Nesselpflanzen
oder zarten Weidenruten, zwischen starken Grashalmen oder anderen
Pflanzenstengeln befestigen sie kunstvoll ihr Nest und zwar so, dass
immer zwei oder drei Stengel durch die Seitenwandungen des
Nestes hindurch gehen. Das schön gebaute Nest wächst mit den
Pflanzen in die Höhe und ist so bei Hochwasser vor dem Über-
schwemmtwerden geschützt.
Aus der Familie der MotaciUidae halten sich am Gewässer
und in der Nähe desselben die drei bekannten Bachstelzen arten
auf. Motacilla alba L., die weisse Bachstelze, auch Quäksteert
oder Wippsteert genannt ; die graue Bachstelze, Motacilla siilphiirea
Bechst., und die gelbe Bachstelze oder Kuhstelze „gäle Quäksteert",
Motacilla ßava Cuv. Obwohl man die erstere auch entfernt vom
Wasser antriff't, so schlägt sie doch mit Vorliebe ihre Wohnung
unter Brücken, an JNIühlen und auf den in der Nähe des Wassers
stehenden Weidenstümpfen auf Die im nördlichen Deutschland
seltene graue Bachstelze hält sich fast ausschliesslich an Bächen,
Quellen, überhaupt an fli^ssenden Gewässern auf und baut auch
ihr Nest stets in die Nähe des Wassers, in Höhlen, unter Brücken,
in Felslöchern u. dgl. m. Die gelbe Bachstelze dagegen bewohnt
die freien, von menschlichen Wohnungen fern liegenden Weiden
auf den Inseln und an den Flussufern; mit Vorliebe diejenigen
Weiden, auf welchen Vieh weidet. Das Nest derselben findet man
nicht selten in Carices-Büscheln. Die weisse Bachstelze erscheint
in unsenn Nordwesten oft schon im Februar — nach dem ver-
flossenen harten Winter 90/gi wurden die ersten Bachstelzen erst
am 16. März 91 beobachtet — und verlässt uns Oktober. Die
weisse Bachstelze ist nach dem Staar unser erster Frühlingsbote.
348 -^'^^ Tierleben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen.
Die gelbe Bachstelze trifft bei uns Anfang April ein und verweilt
bis Mitte September.
In Gemeinschaft mit den gelben Bachstelzen trifft man ziem-
lich häufig den Wiesen pieper, Anthus pratensis L. Er wählt
zu seinem Brutplatze dieselben Lokalitäten wie die Bachstelzen.
Gewöhnlich erscheint er bei uns im März und bleibt oft
bis November. Einzelne bleiben sogar in gelinden Wintern ganz
bei uns. Charakteristisch und dabei ein sicheres Erkennungszeichen
der Art ist ihr Verhalten beim Gesänge, welcher etwa „witje, witje,
witje, zick, zick, zick, juck, juck, juck, tirrrirrr" lautet. Plötzlich
erhebt sich der Pieper singend einige Meter in die Höhe und fällt
ebenso rasch wieder zur Erde, um auf einem Carex- oder Scirpus-
Büschel den Gesang fortzusetzen oder zu vollenden.
Von den Lerchen kommt für unser Gebiet nur die durch
ihren jubilierenden herrlichen Gesang bekannte Feldlerche, Alaitda
arvensis L., insoweit in Betracht, als sie ziemlich häufig als Brut-
vogel auf den Flussinseln anzutreffen ist. Sie erscheint oft schon
Mitte Februar und verkündet dann durch ihre schmetternden Lieder
das Neuerwachen des Frühlings. Sie verlässt uns Ende Oktober
oder zu Beginn des November.
Von den Ammern suchen auch einige zu ihrem Brutplatze
die Nähe der Gewässer auf. So findet sich auf den Weserinseln
gar nicht selten die Grauammer, Embcrba nnliaria Bp. Ihr Nest
ist meist tief versteckt in den Grasbüscheln angelegt ; auf dem Fest-
lande dagegen wählt sie mit Vorliebe die Getreidefelder zu ihrem
Nistplatze. Wenn man im Frühjahre die grösste unserer Ammern
auf irgend einem Weidenstumpfe sitzen sieht und das ziemlich
eintönige „zick, zick, zick, sirrrr" hört, so kann man sicher sein,
dass in gar nicht zu grosser Entfernung sich das Nest befindet.
Fast ausschliesslich an Gräbenufern nistet die bekannte Gold-
ammer, „Gälgöschen", Embcriza cürinclla L. Der Gesang „si, si,
si, si, siiiih" unterscheidet sie sofort, ohne dass man den Vogel zu
sehen braucht, von der Grauammer. Stets schlägt ihren Wohn-
sitz die Rohrammer, Rohrsperling oder Reithlüning, Emheriza
schoeniclus L., in der Nähe der Gewässer auf. Das sehr verborgene
Das Ticrleben auf llussinseln und am ITir der Flüsse und Seen. 349
Nest findet man in Carex-Büscheln. In demselben trifft man Anfang
Mai fünf bis sechs rötlich weisse Eier, deren ganze Schale mit
braunroten Strichen mid grösseren Flecken bedeckt ist. Während
die beiden erstgenannten Ammern den Winter über bei uns bleiben
und uns nur einzeln bei sehr strenger Kälte verlassen, wohl auch
nur etwas südlicher streichen, um bei der nächsten gelinden
Witterung sich wieder bei uns einzustellen, verlässt uns die Rohr-
ammer gewöhnlich schon Ende September, erscheint aber im
März wieder auf der Bildfläche. In gelinden Wintern bleiben dann
und wann auch wohl einzelne Pärchen hier.
Ganz einzeln trifft man auch den Hänfling, „Grauiserken",
Fringilla cannabina Bp., auf den Flussinseln an, welche viel hohes
Gestrüpp haben. Auch der Feldsperling, Weidenspatz, Passer
montmiiis Koch, ist als Brutvogel auf den Inseln zu finden, wo
alte Weidenstümpfe, die er zu seinem Nistplatze wählt, stehen.
Der Hänfling ist den ganzen Winter hindurch auf den Inseln,
Platen und an den Flüssen anzutreffen, wenn kein Schnee fällt;
ein Teil derselben verlässt uns im September und kehrt im
ersten Frühjahre, im März, zurück. Der Feldspatz ist im ganzen
Gebiete Standvogel.
Selbst die Ordnung der Hühner ist auf den grösseren , mit
langem Grase bewachsenen Platen durch das Rebhuhn, Perdix
cinerea Briss., vertreten. Wenn man am frühen Morgen oder geeen
Abend in einem Boote an einer solchen Insel entlang fährt, so ver-
nimmt man bald aus der nächsten Nähe, bald wieder aus weiterer
Feme den wohlbekannten Ruf des Rebhahnes „girrräk". Noch
häufiger hört man des Abends von den Inseln und Groden das
„röärp, röärp", den gewöhnlichsten Ruf des Wachtelkönigs, Crex
pratensis Bechst., herübertönen. Obgleich dieser Vogel an den
Flussufem und auf den Inseln ziemlich häufig ist — man kann an
warmen Abenden oft drei, vier und mehr zu gleicher Zeit rufen
hören — , bekommt man denselben doch sehr selten zu Gesicht,
da er gewöhnlich im Grase rasch fortläuft, ohne aufzufliegen.
Selbst vor dem suchenden Hunde fliegt er nicht eher auf, bis er
in die Enge, etwa an einen Graben, getrieben wird. Das Nest
350 ^'^^ Tierleben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen.
findet man sehr selten und schwer. Die prächtigsten Gelege —
zehn bis zwölf Eier von schöner graugelber Farbe mit vielen röt-
lich braunen Flecken — , die in meinen Besitz gekommen sind,
verdanke ich ausschliesslich den Grasmähern. Der „Snarrentar",
wie er im Volksmunde nach seinem Rufe genannt wird, erscheint
bei uns gewöhnlich Anfang Mai und verschwindet Anfang September.
Von den Gallinnlidae treffen wir weiter auf den Inseln und
an den Flussufern als Brutvögel das punktierte Rohrhuhn, Rallus
porzana L. ; die Wasserralle, Ralhis aquaticiis L. ; das grün-
füssige Rohrhuhn, GalUmila chloropus Lath., und das schöne,
grosse Blässhuhn, Fulica atra L., an. Diese echten Wasser-
bewohner sind in unserm ganzen Nordwesten an und auf den
grossen Flussinseln, in den undurchdringlichen Rohr- und Schilf-
feldern der Groden an den grösseren und kleineren Seen fast überall
anzutreffen, aber äusserst schwer zu beobachten, da sie dem Auge
des Naturbeobachters durch geschicktes Tauchen oder durch A^'er-
schwinden zwischen dem dichten Schilf und Rohr auszuweichen
wissen. Es ist interessant, diese gewandten Schwimmer und Taucher
in ihrem nassen Elemente beobachten zu können. Hat man sich
unbemerkt mit dem Boote in irgend eine gedeckte Bucht oder in
ein Rohrfeld gelegt, so erscheint oft, wenn das Glück günstig ist,
in unmittelbarer Nähe des Bootes einer dieser munteren Vögel,
aber im nächsten Augenblicke, kaum dass wir Zeit hatten, ihn
auch nur halbwegs ins Auge zu fassen, verschwindet er in der
kühlen Flut, schwimmt eine grosse Strecke unter der Wasserfläche
fort, um oft in ganz entgegengesetzter Richtung wieder zu erscheinen;
oft nimmt er sogar seinen Weg unter dem Boote durch, und im
nächsten Augenblicke ist er auch schon wieder fort. Glaubt er
sich erst in sicherer Entfernung, dann kann man ihn auch längere
Zeit auf der Wasserfläche beobachten. Oft sieht man dann die
ganze Familie, Alt imd Jung, im bunten Durcheinander, bald ruhig
dahinschwimmend, bald Tauch Übungen anstellend, bald über die
glatte Wasserfläche dahinlaufend ; aber nie lassen sie dabei die
nötige Vorsicht ausser Acht; bei dem geringsten verdächtigen Ge-
räusch verschwindet die ganze Gesellschaft im nächsten Rohrfelde
Das Ticrlebcn auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen. 35 •[
und lässt sich für lange Zeit nicht wieder blicken. Auch im Bau
ihrer Nester, welche sehr versteckt und meist nach dem Wasser
hin in den Rohr- und Binsenfeldern angebracht sind, gleichen sie
sich. Auf niedergebogenem Rohr, oft auf halb schwimmendem
Gestrüpp sind die ziemlich kunstlosen Nester angelegt. Die Zahl
der Eier beträgt gewöhnlich acht bis zwölf. Die Gallhmlidae er-
scheinen in unserm Gebiete Anfang Mai und verlassen uns Mitte
September.
Von den Omradriidae bewohnt die Flussinseln und Groden
als Brutvogel der allen bekannte Kiebitz, l^anellus cristatus Meyer
und Wolf, welcher leider von Jahr zu Jahr an Zahl bedenklich
abnimmt. Die Ursache dieser von Jahr zu Jahr sich steigernden
Abnahme dieses nützlichen Vogels liegt in d.em leidigen, un-
vernünftigen Eiersammeln, welches einzig den Zweck hat, den
Gaumen des Gourmands zu kitzeln. Allerdings tragen auch ein
gut Teil Schuld die Entwässerungsanstalten, welche in jedem Früh-
jahre die nassen und sumpfigen Wiesen trocken pumpen und es
dadurch den Eiersammlem ermöglichen, auf die Poller und höher
gelegenen Stellen, die Brutplätze des Kiebitzes, zu gelangen, um auch
dort ihr Zerstörungswerk mit Erfolg zu betreiben. Der Kiebitz
gehört zu unseren ersten Frühlingsboten; er erscheint gewöhn-
lich Mitte März und verlässt uns Ende September oder Anfang
Oktober. In milden Jahren . erscheint er oft schon im Februar
und bleibt einzeln bis in den November. Manchmal aber, wenn
sie sich zu früh hergewagt haben und Kälte und Schnee zurück-
kehren, müssen sie wieder flüchten und auch dabei gehen viele
zu Grunde. Am 23. Febniar dieses Jahres beobachtete Verfasser
einen Trupp von etwa 50 Stück, welche sich trotz des vergangenen
strengen Winters in unserm Nordwesten eingefunden hatten; als
aber nach einigen Tagen von neuem Kälte eintrat und ziemlicher
Schnee fiel, zogen sie auf einige Zeit wieder südlicher.
Mit dem Kiebitz erscheint und verschwindet fast zur selben
Zeit der Flussregenpfeifer, Charadrms ßiiviatilis Bechst. Dieser
hurtige, behende Geselle bewohnt mit Vorliebe die kahlen, kiesigen
Ufer der Inseln und Flüsse und legt auch dort sein Nest an, welches
352 -^^^ Tierlcben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen.
sehr leicht übersehen werden kann. In einer kleinen Vertiefung
fast ohne alle Unterlage liegen auf kiesigen Grunde drei bis vier
graugelbe, mit dunkelgrauen Punkten und Strichen ausgestattete Eier,
welche in ihrer Färbung so sehr der Umgebung ähneln, dass man
oft, wenn man das Nest gefunden, es auch schon wieder aus den
Augen verloren hat und von neuem suchen muss. So ging es am
i8. Mai dieses Jahres dem Verfasser, der, kaum zwei Fuss vom
Neste entfernt, es erst nach längerem scharfen Umhersehen wieder
entdeckte.
Der Rotschenkel, Totanus calidris Bechst., welcher sich in
grosser Zahl als Brutvogel an unseren Nordseeküsten findet, wird
auch einzeln als solcher an den Ufern der Flüsse und auf den
Flussinseln beobachtet. Er erscheint bei uns Mitte Mai und ver-
lässt uns Anfang September. Häufiger als den Rotschenkel kann
man an den sandigen Ufern als Brutvogel den Flussuferläufer,
A cutis Jiypoleucos Brehm beobachten, derselbe erscheint im März
und bleibt bis zum Oktober. Auf den feuchten, kurzgrasigen Wiesen
unserer Flussniederungen stellt sich in ziemlich grosser Individuen-
zahl der durch seine possierlichen Kapriolen bekannte Kampf-
hahn, Machetes fugnax Cuv. ein. Stundenlang kann man, wenn
ein Gestrüpp oder ein Grabenufer uns die nötige Deckung giebt,
diesem tollen Treiben des Streithahns oder Streitvogels zusehen.
Bei diesen sogenannten „Kämpfen", die besonders zur Paarungszeit
häufig sind, nimmt er die wunderbarsten Stellungen ein, sträubt
sein Gefieder bald so und im nächsten Augenblick wieder anders.
Sie stürzen auf einander los, vorwärts, rückwärts, und scheinbar mit
einer solchen Wut, dass der uneingeweihte Beobachter glauben muss,
keiner verlasse lebend den Kampfplatz; indessen scheint es mehr
eine Spiegelfechterei zu sein, denn sie lassen kaum Federn dabei
und nach einiger Zeit, wenn sie des Kampfes müde sind, eilen
sie vergnügt von dannen, um sich für ein späteres Turnier, deren
man täglich mehrere beobachten kann, wieder zu stärken. Das
Nest, welches im Bau sowohl wie im Aussehen dem des Kiebitzes
ähnlich ist, befindet sich in einer kleinen Vertiefung, einer
Kuhspur oder dergleichen, und ist mit wenig Grashälmchen aus-
Das Tierlebcn auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen. 353
gelegt. Nach beendigtem Paarungsgeschäfte verlassen uns schon
meistens die Männchen und ziehen an die Meeresküste, während
die Weibchen und Jungen bis zum September an ihren Brut-
plätzen verweilen. Im März treffen sie wieder zusammen an
letzteren ein.
Auf den feuchten, mit kleinen Wasserläufen durchzogenen
Wiesen der Inseln der Aussendeichsländereien und Grodcn, auf
den Dobben und Platen treffen wir in ziemlicher Zahl als Brutvögel
die einfache Bekassine, auch „Häwelamm" oder „Bäwerbuck".
genannt, Scolopax gallinago L., und die Doppelbekassine,
Scolopax major L., an. Unter Dobben versteht man beweglichen
Moorboden, der oben durch eine Grasnarbe bedeckt und ziemlich
fest, weiter nach unten aber noch weich ist. Beim Betreten solchen
Bodens bewegt sich die ganze Fläche und der auf diesem Boden
Unbekannte bricht sehr leicht ein; es bedarf einer besondern Ge-
schicklichkeit, darüber hinwegzugehen. Pferde, welche ihn betreten
wollen, bekommen Holzschuhe angeschnallt, und die Räder der
Wagen werden, damit sie nicht einschneiden und dann versinken,
mit dicken, gedrehten Strohseilen umwickelt. An warmen Frühlings-
abenden macht sich die einfache Bekassine durch ihr eigentümliches
Gemecker, dem einer Ziege nicht unähnlich, daher „Häwelamm",
„Himmelsziege" genannt, welches sie nur im Fluge vernehmen lässt,
bemerkbar. An einzelnen Moorseen ist dieser, von Feinschmeckern
sehr geschätzte Vogel oft zu hunderten anzutreffen, so am Balk-
See, einem inmitten des unwirtlichen Moores bei Cadenberge un-
weit der niederelbischen Bahn gelegenen grossen Moorsees, dessen
Ufer von grossen Dobben feldern gebildet werden. Auf solch
sumpfigen Wiesen in der Mitte eines Carex-Busches findet sich
das sehr schwer zu entdeckende Nest. Die gemeine Bekassine
erscheint bei uns oft schon im März und bleibt bis zum November.
Die Doppelbekassine kommt erst im April und geht schon im
September.
Anfang Mai erscheint ebenfalls auf den feuchten Fluss-
niederungen die Pfuhlschnepfe, Limosa niclanura Leisler, um
dort ihr Brutgeschäft zu verrichten; sie verlässt uns gewöhnlich
Tier- und Pflanzenleben des Süsswassers. II. 23
354 ^^^ Tierleben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen.
schon Anfang September. Auch die grosse Rohrdommel,
Botaurus stellaris Briss., „Iprump" nach ihrem unheimlich klingen-
den Rufe „üü ■ — prump" so genannt, ist als vereinzelter Brutvogel
der Flussinseln aufzuzählen. Es hält schwer, dieses stattliche Tier
zu Gesicht zu bekommen, da es durch eine eigentümliche List
sich dem Auge des Beobachters zu entziehen weiss. Bemerkt die
Rohrdommel einen Feind in ihrer Nähe, so richtet sie sich gerade
auf, zieht den Hals ein, streckt Kopf und Schnabel senkrecht in
die Höhe und bleibt in dieser Stellung unbeweglich stehen, bis
die Gefahr vorüber ist. In dem Weidengebüsch, in welchem sie
sich gern aufhält, gleicht sie in dieser Stellung, wobei ihr die
Färbung ihres Gefieders, welche mit der Umgebung grosse Ähn-
lichkeit hat, sehr zu statten kommt, täuschend einem alten ab-
gebrochenen Weidenstumpfe. Die Rohrdommel erscheint im April
auf ihrem Brutplatze luid zieht Ende September wieder von dannen.
Aus der Ordnung der Schwimmvögel treffen wir zunächst an
unseren süssen Gewässern einige Entenarten als Brüter an. Da
mag zuerst die Löffelente, Rhynchaspis clypeata L., erwähnt
werden, welche im dichten Rohr, umgeben von Wasser, ihr ver-
stecktes Nest anlegt; ferner die Knacken te, Anas querquedula L.,
die Krickente, Anas crecca L., und die gemeine wilde Ente,
auch Stockente genannt, Anas boschas L., gehören zu den
häufigeren Arten der Entensippschaft, welche an den süssen Wassern
brüten. Die Enten erscheinen auf dem Frühjahrszuge meist im
März und ziehen Oktober wieder fort. Einzelne Exemplare von
boschas und crecca trifft man fast den ganzen Winter an den
Gewässern an und diese verlassen uns nur dann, wenn auch die
letzten offenen Stellen der Flüsse und Seen mit einer Eisdecke
verschlossen sind.
An dem in Betracht kommenden Gebiete trifft man von den
Pelecanidae im Binnenlande einzeln die Kormoran -Scharbe,
Halieus Carbo 111., als Brutvogel an. Im Nordwesten Deutschlands
ist nur eine Kolonie dieses der Fischerei sehr schädlichen Vogels
bekannt und zwar im Lüneburgischen an der Elbe. Der Kormoran
legt seinen Horst, entgegen der Gewohnheit der anderen Schwimm-
Das Tieileben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen. 355
Vögel, auf Bäumen an, benutzt aber gewöhnlich die Nester der
Reiher und Raben für sich, wobei sich häufig ein hartnäckiger
Kampf zwischen diesen und jenen entspinnt. Trotz seiner grossen
Schwimmfüsse bäumt der Kormoran sehr geschickt auf und weiss
sich ganz sicher auf den Ästen zu benehmen.
Wenn der eigentliche Aufenthaltsort der Seeschwalben und
Möven auch das salzige Meer, die Watten und die Inseln des
Meeres sind, so giebt es doch eine Reihe Arten davon, welche vor-
ziehen im Binnenlande an den süssen Gewässern sich aufzuhalten
und dort ihr Heim einzurichten. Es sind dies die Küstenmeer-
schwalbe, Sterna niacntra Naum.; die Flussmeerschwalbe,
Sterna hiriindo L. ; die kleine Seeschwalbe, Sterna mitiuta L.,
und die schwarze Seeschwalbe, Sterna nigra Briss., und von
den Möven die Lachmöve, Larus ridihimdiis L. Ihre Nester,
welche, fast ohne jegliche Unterlage, nur aus einer kleinen Vertiefung
bestehen, finden sich auf den kiesigen, sandigen Stellen an den
Gewässern und sind sehr schwer von der Umgebuntr zu unter-
scheiden, da die Plätze gewöhnlich alles Pflanzenwuchses entbehren.
Im Winter bleiben immer einzelne dieser geschickten Segler bei
uns, wenn auch als gewöhnlich anzunehmen ist, dass sie im März
in grösseren Scharen erscheinen und uns im Oktober verlassen.
Endlich mögen noch zwei Brutvögel der Binnengewässer auf-
gezählt werden. Es sind dies der grosse Lappentaucher, auch
Kronen taucher genannt, Podiceps cristatus L., und der kleine
Lappentaucher, welcher im Volksmunde den etwas derben Njimen
„Pärködel" führt, Podiceps minor L. Ersterer ist auf fast allen
unseren Seen ein gemeiner Brutvogel. Schon von ferne hören wir
seinen lauten Ruf „koar, koar, koar" über die Wasserfläche zu uns
herüberschallen, ehe man den geschickten Schwimmer und Taucher
zu Gesicht bekommt. Er ist ein äusserst scheuer und schlauer
Vogel, der seinen Beobachter immer in respektabler Entfemnng
hält; kommt man ihm trotzdem unvermerkt zu nahe, so ver-
schwindet er plötzlich unter der Wasserfläche und erscheint weit
weg nur mit dem Kopfe über derselben, um schon im nächsten
Augenblicke von neuem zu verschwinden. Dieses Experiment
23*
356 Das Tierlcbcn auf Flussinseln iiinl am Ufer der Flüsse und Seen.
wiederholt er so liäufig, bis er sich wieder sicher fühlt. Einen
Jäger lässt er daher sehr selten in Schussnähe kommen. Wird
der Taucher angeschossen, und ist der Schuss nicht gleich tödlich,
so taucht er fort und hellt sich am Grunde des Gewässers am
Rohr und Schilf fest, um nicht wieder an die Oberfläche zu
kommen. Binsenschneider am Dümmersee brachten dem Ver-
fasser, welcher sich zu der Zeit am See aufhielt, ein Exemplar
des Kronentauchers, welcher am Vormittage von einem Herrn
angeschossen war, ohne dass er ihn bekommen hatte. Das
Exemplar hatten dieselben beim Schneiden mit herauf gebracht.
Es hatte noch die Binse, an welcher es sich festgehalten hatte,
im Schnabel, und dieselbe auch im Todeskampfe nicht los-
gelassen. Der kleine Taucher ist ebenso geschickt im Schwimmen
und Tauchen, wie sein grösserer Vetter. Das Nest der Taucher
ist fast immer frei auf der Wasserfläche zwischen Rohr befincl-
Jich und an einzelnen Stengeln befestigt, damit es vom Winde
nicht fortgetrieben wird. Die Nester sind äusserst schwer auf-
zuspüren, da man nur von der Wasserseite mit dem Boote
an die Rohr- und Binsenfelder gelangen kann, in welchen sie
angelegt sind.
Im vorhergehenden ist versucht worden, dem Naturbeobachter
in kurzen Zügen ein Bild zu entwerfen von den Brutvögeln, welche
derselbe auf Flussinseln, an den Ufern der Flüsse und Seen auf-
zufinden vermag. Es ist damit aber nicht beabsichtigt, ein genaues,
vollständiges Verzeichnis aller an den in Frage kommenden
Lokalitäten brütenden Vögel zu geben; im wesentlichen sind die
häufigeren und am meisten ins Auge fallenden Arten berücksichtigt,
welche den Nordwesten unseres Vaterlandes bewohnen. Im öst-
lichen und südlichen Deutschland finden sich noch einzelne Arten,
welche nicht erwähnt worden sind. Auch im folgenden hat Ver-
fasser vorwiegend die Bewohner der Gewässer unseres Nordwestens
im Auge gehabt. Wenn bei manchen Vögeln Angaben über Brut-
zeit, über Eintreffen und Verschwinden an ihren Nistplätzen
gemacht worden sind , so beziehen sich dieselben ebenfalls auf
Beobachtungen, welche im Nordwesten angestellt worden sind.
Das Tierleben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen. 357
Ist schon das Gesamtbild unserer befiederten Freunde zur
Brutzeit ein buntes und mannigfaltiges, so gestaltet es sich noch viel
reicher im Frühjahrs- und Herbstzuge, ja manchmal erhält das Bild
ein ganz fremdartiges Aussehen ; denn tla erscheinen an imseren
süssen Gewässern Gäste, die sonst nur im hohen Norden, am
Meere oder anderen uns fern liegenden Orten anzutreifen sind. Es
soll im folgenden versucht werden, dem Naturfreunde auch davon
ein kleines, also nicht auf Vollständigkeit Anspruch machendes
Bild zu entwerfen. Durchwandern wir im Geiste noch einmal
die Vogelwelt und beginnen wir v(^n neuem mit den Raub-
vögeln, so finden wir gar nicht selten zur Zugzeit auf den grossen
Wasserflächen den Seeadler, ffaliactos albicilla Leach, der
besonders häufig erscheint, wenn viele wilde Gänse zur Herbstzeit'
in den Flussniederungen sich länger aufhalten. Im Volksmunde
wird er deshalb gewöhnlich mit „Goosarnt" bezeichnet. Der Fisch-
adler, Pandion haliactos Less. ; der Bussard, Biiteo vulgaris
Bechst. ; die Gabelweihe, Milvus regalis Briss. ; selbst der
Wanderfalke, Falco pcregrinus L. ; der Baumfalke, Falco
sttbbtiteo L. ; der Turmfalke, Falco tinniinculus L. ; selbst der
Hühnerhabicht, Astiir palumbarius Briss., und der Sperber,
Astur nistis K. und Bl., halten sich vorübergehend mit Vorliebe
auf den Flüssinseln und Flussniederungen auf, weil ihnen dort der
Tisch reichlich und bequem gedeckt ist; ganz besonders finden sie
zur Herbstzeit dort an Staaren und Feldmäusen reichliche Nahrung.
Der Mauersegler, Cypselus a/ns L. ; die Haus- und
Rauchschwalbe, Hirundo ttrbica L. und rustica L., halten sich,
bevor sie fortziehen, eine Zeit lang an unseren Flüssen und in den
Niederungen auf, um sich zu grossen Scharen dort zu \ersammeln.
Ende September oder Anfang Oktober kann man Tausende dieser
leicht beschwingten Flieger an den oben erwähnten Lokalitäten
antreffen, bis sie auf einmal über Nacht fortgezogen sind.
Während des Herbstzuges sind auf den Platen die Blau-
meise, Panis cocruletis 1^., der Krammetsvogel, Tnrdus pilaris
L., imd die Weindrossel, Tnrdus iliacus T.., gar nicht selten
anzutreffen. Selbst der grosse Würger, Lanius excubitor L.,
358 ^^s Tierleben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen.
erscheint einzeln auf den alten Weidenstümpfen, um sich nach
einem leckeren Mahle umzusehen. Der Volksmund hat ihn sehr
treffend mit „Radäkster" bezeichnet. In seinem Äussern hat er eine
entfernte Ähnlichkeit mit der Elster und er macht an freistehenden
Zweigen oft radförmige Bewegungen. Dieser im Fliegen ziemlich
ungeschickte Räuber sucht seine Beute zu überlisten. Er sitzt bald
auf den Zweigen, bald hängt er mit halbausgebreiteten Flügeln unter
denselben, bald macht er radförmige Bewegungen um dieselben.
Die kleinen arglosen Vögel werden durch dieses wunderliche
Gebahren herangelockt, setzen sich auf die benachbarten Sträucher,
oft ganz in seine Nähe, um diesem tollen Treiben zuzusehen, und
im unbemerkten Augenblicke werden sie von diesem arglistigen
Räuber gefangen. Seine erwischte Beute spiesst er oft auf Dornen,
um sie dann stückweise und nach Bedarf zu verzehren.
Auch die Familie der Finken schickt ihre Vertreter an die
Gewässer. Auf dem Frühjahrszuge bemerken wir den Flachs-
finken, Acailthis linaria Bp.; zur Herbstzeit treffen wir den
Berghänfling, Lifiota monfhim Bp.; ebenso den Stieglitz,
den muntersten und schönsten seiner Sippschaft, Carduelis clegaiis
Steph.; den ungeschickten, im Baue etwas plumpen Grünlino-,
Chlor ospiza chlor is Bp.; selbst „Jochen", der wohl mit Unrecht
so sehr gescholtene Strauchdieb und Gassenbube, der Sperling,
Passer doniesiicus Koch, dem sogar der Ausrottungskrieg ange-
kündigt werden soll, mischt sich unter die Gäste auf den Inseln
und Platen. Wenn man aber diesen, allerdings bei vielen gehassten
munteren und kecken Burschen während der Brütezeit beobachtet,
wie er von Zweig zu Zweig, von Blatt zu Blatt, von Blüte zu
Blüte die Obstbäume absucht, um die h eisshungrigen Jungen zu
befriedigen, die er fast ausschliesslich mit Kerbtieren und deren
Larven füttert, dann muss man ihm doch wohl etwas freundlicher
gesinnt werden, denn der Nutzen, den er dadurch unseren Obst-
gärten zuwendet, ist jedenfalls ein recht bedeutender und hebt
gewiss einen grossen Teil seines Schadens auf Nehmen sie zu
sehr überhand und fügen sie später den Kornfeldern und Erbsen-
äckern zu grossen Schaden zu, so möge man sie im Herbste
Daß Tierleben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen. 359
dezimieren, aber jedenfalls nicht zur Brutzeit, denn dann gerade
stiften sie Nutzen. Ebenso thöricht ist es, die junge Brut zu zer-
stören, die gerade der Kerbtiere zu ihrer Nahning bedarf.
Zu Tausenden und Abertausenden sind die Staare, Sturntis
vulgaris L., im Spätsommer und zur Herbstzeit in den Fluss-
niederungen, in den Rohrfeldern an Flüssen und Seen nach
beendigtem Brutgeschäfte anzutreffen. Gegen Abend sieht man sie
in dichten Wolken, bald nahe über dem Boden, bald hoch durch
die Lüfte umherziehen, dann in die grossen Rohrfelder einfallen,
um dort ihre Nachtruhe zu halten.
Ganz buntfarbig ist zur Herbstzugzeit das Bild der Sumpf-
uncl Schwimmvögel. Da treffen wir den nordischen Kiebitz-
regenpfeifer, Squatarola helvetica Cuv.; den Goldregenpfeifer,
Charadnm plitviahs L.; den Halsbandregenpfeifer, Pliivialis
hiaticulci Briss.; den gravitätisch einherstolzierenden Austern-
fischer, Haematopus ostralegiis L.; die rasch über die Sandflächen
dahintrippelnden Wasserläufer, Totamis glottis Bechst., Totanus
fuscus Leisl., Totaniis glareola Temm., Totamis ochropiis Temm.;
die zierlichen, blitzschnellen Strandläufer, Tringa subarquata
Temm. , Tringa alpina L. , Tringa mmuta Leisl. und Tringa
Temniinckii Leisl. Auch die stumme Bekassine, Telmatias
gallinula Boie, gesellt sich hinzu.
Truppweise in Flügen zu dreien und vieren besuchen im
August und September auch die „Unwährsvögel", Nuinenhis
arquata Latham, ihr Flussrevier. Im Volksmunde führt dieser
Vogel den Namen „Gütvoagel" nach seinem eintönigen Rufe, der
etwa wie „tlaüd, tlaüd" klingt, oder „Unwährsvoagel"; denn meistens,
wenn diese Vögel abends ziehen und ihren weitklingenden Ruf
ertönen lassen, giebt es schlechtes Wetter, Unwetter. Ganz besonders
zahlreich erscheinen zur Zugzeit die Gänse, Anser einer eus W.
u. INI., die Graugans, und Anser scgetiim Bechst., die Saatgans
— vereinzelt findet sich auch darunter die Blässgans, Anser
albifroiis Gm., und die Ringelgans, Bernicla brcnta Fall. —
in den Flussniederungen und es wird in manchen Jahren eifrig
3gQ Das Tierleben auf Flussinscln und am Ufer der Flüsse und Seen.
Jagd auf die sehr scheuen Tiere gemacht. Doch selten wird
in den Ebenen die Jagd mit Erfolg gekrönt, da die ausgestellten
Posten den Jäger gewöhnlich viel zu früh wittern. Ehe derselbe
zum Schuss kommen kann, geht die ganze Schar auf und davon.
Günstiger ist der Erfolg, wenn mehrere Jäger sich verabreden und
eine solche Fläche, auf welcher sich ein Gänseschwarm nieder-
gelassen hat, unbemerkt umstellen können; dann treten plötzlich
an der einen Seite die Jäger vor, die Gänse streichen sofort nach
der entgegengesetzten Richtung ab und kommen nun den dort
versteckt stehenden andern in die Schusslinie.
Sehr zahlreich erscheinen auch im Herbst die Vertreter der
Entenfamilien. Da können wir an unseren Gewässern beobachten
die schöne Brand-, Fuchs- oder Höhlenente, Vitlpanser
tadorna Fall.; die Schnatterente, Anas strepera L.; die Spiess-
ente, Anas acuta L. ; die Pfeifente, Anas Penelope L. ; die
Tafelente, Fnligula ferina L.; die Reiherente, FtiUgula
cristata Ray; die Bergente, Fnligula marila L.; die schöne
Schellente, Glaucton clangula K. u. Bl.; die Eisente, Harelda
glacialis Leach, und die stattliche Trauerente, Oidemia nigra
Flemm. An manchen Flüssen und Inseln werden zur Zugzeit in eigens
dazu angelegten Entenfängen oder in Entenhütten Hunderte dieser
schmackhaften Schwimmvögel erlegt und liefern den Uferbewohnern
eine nahrhafte und billige Fleischspeise. Auch der kleine Säger,
Mergus alhellus L.; der grosse Säger, Mergus merganser L.,
und der mittlere Säger, Mergus serrator L., erscheinen zur
Herbstzeit auf den Binnengewässern. Einzelne Möven, Rtssa
tridactyla Leach, die dreizehige Möve; Larus canus L., die
Sturmmöve; Larus argcntatus Brunn., die Silbermöve —
letztere fast nur im Jugendkleide — ; ganz vereinzelt die grosse,
stattliche Mantelmöve, Larus marinus L. , und die mittlere
Raubmöve, Lestris pomarina Temm., halten sich vorübergehend
an unseren Binnengewässern auf Und endlich trifft man auch
noch den rot kehligen Taucher, Euditcs septentrionalis 111.; den
Polartaucher, Eudites arcticus 111., sowie den gehörnten
Lappentaucher oder arktischen Steissfuss, Colymbus cornutus L.,
Das Tierleben auf Flussinseln und am TTfer der Flüsse und Seen. 261
zur Herbstzeit auf den grösseren, mit Rohr bewachsenen Binnen-
gewässern und Flüssen an.
Nachdem wir so in der Ornis Umschau gehalten haben nach
dem, was der Naturfreund an Flüssen und Seen, auf Inseln und
Groden von der befiederten Welt antreffen kann, wollen wir im
Folgenden die Kaltblüter Revue passieren lassen. Die Klasse der
Reptilien ist bald abgefertigt, denn hier kann es sich höchstens
um ein Tier handeln, welches in dem oben bezeichneten Gebiete
vorkommt. Es ist die europäische Sumpf-Schildkröte, Emys
europaea Gray, welche in den Seen und Flussgebieten des baltischen
und karpatischen Höhenrückens in Sachsen, Schlesien, Mecklen-
burg, Brandenburg u. s. w. gelegentlich, aber nicht gerade sehr
häufig, vorkommt. Ihre Verbreitung im nördlichen Deutschland
mag eine grössere sein, als augenblicklich allgemein angenommen
wird, da sie sich durch ihre versteckte Lebensweise — am Grunde
der Gewässer — dem Beobachter entzieht. Meistens wird in den
bekannten Gebieten ihr Vorkommen durch frei auf der Wasser-
oberfläche schwimmende Fischblasen verraten. Ihre Nahrung
besteht vorwiegend aus Fischen und ist sie daher der Fischzucht
sehr schädlich. Die Vermehrung geschieht durch Eier, welche
das Weibchen ausserhalb des Wassers im Mai in selbstgegrabenen
kleinen Gruben ablegt. Aus dem Ei entwickelt sich das voll-
kommene Reptil ohne Metamorphose.
Die Amphibien gehören sämtlich dem Süsswassergebiete an,
wenigstens zur Paarungszeit und in ihrem Kaulquappenzustande.
Von den fünf deutschen Froscharten, dem braunen Grasfrosch,
Rana fusca Rösel; dem Moorfrosche, Rana arvalis Niisson;
dem grünen Wasserfrosche, Rana esculeuta L.; dem See-
frosche, i?rt//a ybr^/s Boulenger, und dem Springfrosche, Rana
agilis Thomas, ist der letztere im nördlichen Deutschland noch
nicht nachgewiesen worden. Ihren Laich legen sie klumpweise ab
und sind auch nur dann, während der Begattungszeit, zahlreich bei
einander und leicht zu fangen. Sie lassen sich bei der Begattung,
ohne sich zu lösen, aus dem Wasser heben, ja zwei Pärchen von
Rana arvalis, welche Verfasser in Spiritus abtötete, Hessen auch
362 ^^^ Tierleben auf FlussinselB und am Ufer der Flüsse und Seen.
im Tode nicht von einander und zieren jetzt in dieser Stellung die
städtischen Sammlungen in Bremen.
Bedeutend schwieriger ist die Geburtshelferkröte, Alytes
obstetricans Wagl, zu beobachten. Diese Art lebt das ganze Jahr
hindurch in tiefen Erdlöchern, aus denen sie spät abends zum
Vorschein kommt, und nur auf ganz kurze Zeit begiebt sich das
]\'Iännchen ins Wasser , um die um die Hüften gewickelte Eier-
schnur, aus welcher dann sehr bald die jungen Larven ausschlüpfen,
abzustreifen. Am leichtesten findet man ihre Verstecke, wenn man
abends sich genau den Ort merkt, von welchem der helle, flöten-
artig klingende Ruf, der an den Ton, welcher durch Anschlagen
an eine Glasglocke hervorgebracht wird , erinnert , herüberschallt,
und nun am folgenden Tage die Erdhöhlen, Spalten, Steinhaufen
u. s. w. in dem betreffenden Reviere untersucht.
Auch die Knoblauchkröte, Pelobatcs fusciis Wagl., ist
schwer zu beobachten, da sie den Tag über versteckt in der Erde
lebt und nur zur Nachtzeit hervorkommt. Zur Paaruno-szeit im
April geht sie ins Wasser und man trifft dann, wenn man einen
solchen Laichplatz einmal ausgekundschaftet hat — sie wählen
alljährlich denselben Laichplatz wieder — , immer eine grössere
Anzahl beisammen, aber fast immer am Boden der Gewässer.
Ihren Laich setzen sie schnurweise ab. Die Larven dieser Art
sind von allen Anuren-Larven die grössten und erreichen etwa die
Länge eines Decimeters. Schon an den Larven, die mit denen
keiner anderen Art verwechselt werden können, lässt sich die Spezies
identifizieren.
Die beiden Fe u er k röten, Bomhinator pachxpus Bonap., mit
gelbem Bauch und schwarzen Flecken, und Bombinator bombinus
L., mit blauschwarzem Bauch und fast zinnoberroten Flecken, legen
wie die Frösche ihren Laich klumpweise ab, sind auch fast aus-
schliesslich Wassertiere. Man findet sie mehr in gebirgigen
Gegenden als in der Ebene, besonders in lehmhaltigen Tümpeln,
welche sie, sobald sie sich beobachtet sehen, durch Aufwühlen des
Bodens trübe machen und sich dadurch dem Auge des Beobachters
entziehen.
Das Tierleben auf Flussinscln und .im Ufer der Flüsse und Seen. 353
Die bekannten Vertreter aus der Familie der Bufoniden sind
die gemeine Kröte, volkstümlich „Ütze", auch „Pädde" genannt,
Bufo vulgaris Laur. ; die Kreuzkröte, Biifo calamita Laur., und
die Wechselkröte, Bufo variahilis Fall. Nur zur Laichzeit trifft
man sie zahlreich beisammen in stehenden Gewässern und ver-
nimmt dann schon aus der Ferne ihren Unkengesang. Die Laich-
zeit beginnt oft schon im April und dauert gewölmlich nur kurze
Zeit; einzeln trifft man sie auch noch im Mai in der Begattung.
Mit Vorliebe wählen sie mit Rohr bewachsene Tümpel und Gräben
und man kann in denselben den Laich, welcher in Schnüren ab-
gesetzt wird, um die Stengel geschlungen sehen. Bei Bufo
vulgaris erreichen die Laichschnüre oft eine Länge von einigen
Metern, die einzelnen Eier (oft mehrere Tausend) sind etwas
schräg gestellt und dreireihig angeordnet. Beim Absetzen der
Eier wird die Schnur bedeutend ausgedehnt und erscheint sie
dann oft zwei-, ja sogar nur einreihig. Die jungen Kaulquappen
schlüpfen gewöhnlich nach vierzehn Tagen aus und man trifft sie
dann zu Tausenden im Wasser umherschwimmend. Die Eier in
der 3 — 4 ;;/ langen Laichschnur von Bifo variahilis Fall, sind
spiralig angeordnet und erscheinen daher bei einer oberflächlichen
Betrachtung, als ob sie regelmässige Dreiecke bildeten. Bufo
calamita Laur. setzt eine zweireihige dünne Laichschnur ab.
Aus der Abteilung der Discodactxlia gehört schliesslich noch
hierher der gemeine Laubfrosch, Hyla arborea L. Dieses
muntere und zierliche Tier trifft man gewöhnlich nur einzeln auf
den Blättern von Bäumen und Sträuchem an. Er weiss seine
Farbe aber dem Blatte, auf welchem er sitzt, so anzupassen, dass
er in den meisten Fällen von dem Beobachter übersehen wird.
Anfang Mai jedoch, zur Paarungszeit, trifft man sie in grösserer
Zahl bei einander und mit Vorliebe wählen sie alljährlich denselben
Laichplatz wieder. Es sind gewöhnlich flache, etwas lehmige
Tümpel, in denen sie ihren Laich, wie die echten Frösche, klump-
weise absetzen, und auch nach beendeter Laichzeit trifft man sie
dann noch einige Tage an den Ufern im Grase oder auf dem
unmittelbar am Wasser stehenden Gesträuch.
364 ^^^ Tierleben auf Flussinseln und am TTfer der Tlüsse und Seen.
Lassen wir nun auch noch die Urodelen, welche ebenfalls
zur Laichzeit unsere süssen Gewässer bewohnen, im Geiste an uns
vorüberziehen. Wir bemerken da zuerst den stattlichsten aller
Molche, den Feuersalamander, Salamandra maculosa Laur. In
den feuchten gebirgigen Teilen unseres Vaterlandes trifft man diesen
langsamen, plumpen Molch zur Abendzeit gar nicht selten an. Viel
schwieriger ist er in unseren Ebenen, von wo auch einzelne Aufent-
haltsorte bekannt sind, aufzufinden. Bei uns treffen wir ihn nur
in den allersumpfigsten dvmkeln Wäldern und dort nur unter oder
in alten halb vermoderten Baumstümpfen. Das Verbreitungsgebiet
im Nordwesten ist ein eigentümliches. Bekannt ist er z. B. aus
einzelnen feuchten Waldungen der Geest, welche auf der Wasser-
scheide zwischen Ems und Weser sich befinden. Aus dem Gebiete
zwischen Weser und Elbe dagegen ist bislang kein Fundort bekannt.
Es ist möglich, dass sein nächtliches und verstecktes Leben in den
feuchten Wäldern, denn nur diese kommen für unsere Ebene in
Betracht, ihn bislang noch vor dem weiteren Auffinden in unserm
Nordwesten bewahrt hat. Aus den Eiern, welche in Waldtümpeln
im Mai abgesetzt werden, schlüpfen die fast völlig ausgebildeten
Larven aus.
Eine ebenfalls eigentümliche Verbreitung haben die Tritonen
speziell in unserm Nordwesten. Die vier bekannten deutschen
Arten sind sämtlich hier vertreten. Es sind der grosse Kamm-
molch, Triton cristatus Laur.; der kleine Wassermolch, Triton
taeniatus Schneider; der Alpenmolch, Triton alpestris Laur.,
und der Schweizermolch, Triton helveticus Razoumowsky. Die
beiden ersten finden sich zur Laichzeit im April fast in jedem
lehmigen Graben und Tümpel. Triton alpestris Laur. dagegen ist
nur ziemlich häufig an einzelnen Orten der Oldenburger Geest;
zwischen Weser und Elbe ist er nicht sicher nachgewiesen; aus dem
Hamburger Gebiete dagegen ist er wieder bekannt. Noch eigen-
tümlicher ist die Verbreitung unseres Triton helveticus Razoum.
Von demselben hat Verfasser nur einen Fundort, und z\\'ar auf
der rechtsseitigen Wesergeest, aufzufinden vermocht, obgleich zur
Laichzeit seit fast zwei Dezennien viele Lokalitäten nach diesem
Das Tierlebcii auf Flussinscln uml am Ufer der Flüsse und Seen. 3G5
seltenen Gaste durchsucht sind. Der fadenförmige Schwanzanhang,
sowie die starken Schwimmhäute der Hinterfüsse des Männchens
und die Mittelleiste des Rückens statt des Flossensaumes bei den
anderen Arten sind so charakteristische Unterscheidungsmerkmale,
dass er bei aufmerksamem Beobachten gar nicht mit den anderen
verwechselt werden kann. Die Tritonen legen ihre Eier gewöhn-
lich im April, in milden Frühjahren oft schon im März, einzeln
an Pflanzen, Laub, Stengeln u. dergl. im Wasser ab. Die Larven
haben ihre volle Entwickelung gewöhnlich Ende des Sommers
erreicht, alsdann verlieren sie auch die äusseren Kiemen, oft trifll
man aber auch noch im Winter und im folgenden Frühjahre voll-
ständis ausgebildete Tritonen mit den äusseren Kiemen. Verfasser
traf in einem Tümpel fast alljähriich zur Laichzeit im April 6 bis
10 cm lange Exemplare von Triton cristatus Laur. mit noch voll-
ständig ausgebildeten äusseren Kiemen.
Den deutschen Süsswasser fischen und ihren Lebens-
verhältnissen ist in diesem Bande schon eine eingehende Abhand-
lung gewidmet. Wenn im folgenden auch noch wieder von den
Fischen die Rede sein soll, so geschieht es nur zu dem Zwecke,
dem Naturbeobachter auch hier ein Bild einer lokalen Fischfauna
des süssen Wassers zu geben, um daran zu zeigen, welche Arten
an bestimmten Lokalitäten zu finden sind. Zuerst möge das Bild
einer Flussfischfauna, sodann das eines Geestsees und endlich das
eines Moorsees folgen. Der Fischreichtum in unserer Weser — ich
habe dabei das Gebiet etwa eine Meile unter- und oberhalb Vege-
sack im Auge — ist ein ziemlich bedeutender. Von den Barschen
finden sich ziemlich häufig der Flussbarsch , Pcrca ßiiviatilis L.,
sowie der Kaulbarsch, Acerina cerniia Cuv. In grossen Mengen
ist im Frühjahre in allen Buchten der gemeine Stichling, Gasterosteus
acnlcatiis L., zu beobachten. Ebenso wird recht häufig die schmack-
hafte Quappe, Lota ßiiviatilis Bl., gefangen. Von den Plenroncctac
ist Platessa ßesiis, der kleine Wasserbutt, fast nur im ersten Jugend-
stadium, etwa 2 — 4 cm gross, vorhanden. Einzeln kommen auch
den Weserfischern der Karpfen, Cyprinus carpio L., die Karausche,
Carassius vulgaris L., die Schleihe, Tinea vulgaris Cuv., und
366 Das Tierleben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen.
die Barbe, Barbus fluviatilis Cuv., ins Netz. Letztere gehört aller-
dings mehr dem oberen Flussgebiete der Weser an. Zwischen den
einzelnen Schiengen und in den flachen Ausbuchtungen ist sehr
häufig der zierliche Gründling, Gobio ßiiviatilis Cuv., zu finden.
Zu den gewöhnlichsten und am meisten von den Fischern gefangenen
Fischen gehören der Alander, Leuciscus Idus Selys-Long., der Rot-
flossen, Leuciscus erythrophtJiahims Valenc, der Döbel, Leuciscus
Dobula Valenc, das Rotauge, Leuciscus rutilus Agassiz, der Bresen,
Abramis Brama L., und der Schnäpel, Abramis vimba L. Auch
wird einzeln der Lachs, Trutta salar L., und die Lachsforelle,
Trutta trutta L., gefangen. In grossen Zügen erscheint im Januar,
Februar und auch noch im INIärz der Stint, Osmerus eperlanus
Art. An Individuenzahl hat in den letzten Jahren der Tielemann,
Corregonus oxyrrhynchus L., bedeutend abgenommen, ebenso der
Maifisch, Alosa vulgaris Cuv. Letzterer wird jetzt viel weiter
weserabwärts gefangen. Häufige Bewohner der Weser dagegen sind
der Hecht, Esox lucius L., und der Aal, Anguilla anguilla L. —
Alljährlich wird in einzelnen, oft recht stattlichen Exemplaren auch
der Stör, Acipenscr sturio L., gefangen. Von den Rundmäulern sind
beide Neunaugen, die Lamprete, Petromyzon marinus L., und das
Flussneunauge, Petromyzon fluviatilis L., zu den Weserbewohnern
zu rechnen. Erstere ziemlich selten, letztere dagegen häufig.
Gefangen werden die Neunaugen vom Dezember bis zum Februar.
Zum Vergleich möge nun eine Aufzählung der Fische folgen,
welche im Zwischenahner Meere, einem auf der Geest ge-
legenen grossen See, leben. Bekannt aus diesem „Meere" sind :
Der Barsch, Perca ßuviatilis L. ; der Kaulbarsch, A cerina cernua
Cuv.; der Stichling, Gasterosteus aculcatus L., und der kleine
Stichling, Gasterosteus pungitms L. ; die Quappe, Lota ßuvia-
tilis BL; der Schlammpeitzger, Cobitis fossilis L.; der Karpfen,
Cyprinus carpio L.; die Karausche, Carassius vtilgaris L.; die
Schleihe, Tinea vulgaris Cuv.; der Gründling, Gobio ßuviatilis
Cuv.; der Alander, Leuciscus Idtis Selys-Long.; der Rotflossen,
Leuciscus erythrophthalmus Valenc; das Rotauge, Leuciscus
rutilus Agass.; der Brassen, Abramis Brama L.; der Weissfisch,
Das Tierleben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen. 357
A bramis Blicca Agass. ; der Lachs, Trutta salar L. ; die Lachs-
forelle, TnUta tnitta L.; der Stint, Osmerus eperlamis Art.;
der Hecht, Esox luciiis L., und der Aal, Aiiguilla atigiiüla L.
Und endlich ein Verzeichnis der Fische des Balk-Sees, eines
mitten im Moore gelegenen 800 Morgen grossen Wasserbeckens.
Häufig werden dort der Sandard, Liicioperca sandra Cuv.; Perca
fluviatilis L., der Barsch; Lota ßuviatihs El., die Quappe; Tinea
vulgaris Cuv., die Schleihe; Abramis brama L., der Brassen;
Esox liicins L., der Hecht; Anguilla anguilla L., der Aal, und
vereinzelt auch Cypriniis carpio L., der Karpfen, gefangen.
Was die Mollusken anlangt, so ist denselben in diesem Bande
schon ein längerer Aufsatz gewidmet. Im folgenden soll deshalb
dem Naturbeobachter nur gezeigt werden, was er im und am Süss-
wasser von dieser Tierklasse auffinden kann. Von den Nackt-
schnecken findet man auf den Inseln der Flüsse, an den Ufern unter
Genist und Steinen die schwarze Theerschnecke, Arion eiupiri-
corum Fer., Arion fusciis Müller, den gefrässigen Limax agrestis
L. und den zierlichen braunen Limax hrunneiis Drap. Unter
feuchten und faulenden Weidenblättern lebt die glänzende Hyalina
7iitida Müller. An den Schiengen Ilelix hispida L.; Helix
riibiginosa Zgl.; Helix liberta West, und besonders häufig da,
wo Aster salici/olius Scholler wächst, Helix arbustoruin L.
In Gesellschaft mit Hyalina trifft man Cionella liibrica Müll.;
Cio7iella lubricella Zgl.; Cionella acicula Müll.; Piipa anti-
vcrtigo Drap, und Caryehiuvi mininmm Müll. An den Pflanzen
am Wasser ist sehr häufig Succinea putris L. (die Bernstein-
schnecke) mit ihren zahlreichen Varietäten, an Pflanzen im Wasser
ebenso häufig Sticcinea Pfeifferi Rossm. und am Boden Sneeinea
ob longa Drap. Von den eigentlichen Wasserschnecken findet
der Naturfreund eine ganze Reihe: zunächst die zahlreichen Lim-
naeen, von der grossen Limnaea stagnalis L. bis zur kleinsten
Limnaea truncatula Müll., dann die eigenartig gewundenen
Tellerschnecken, Planorbis; die Napfschnecken, Ancylus;
ferner eine Reihe von Paludinen, Bythinien, Bythinellen und
Valvaten, darmiter in der Weser und Elbe die seltene Valvata
358 Das Tierleben auf Flussinscln und am Ufer der Flüsse und Seen.
fluviatilts Colbeau, ferner Neritina ßuvmtilis L. Von den
Lamellibranchien gehören die sämtlichen Unionen, Margaritana,
Anodonten, Sphaerien und Pisidien hierher und endlich die seit
1828 in Deutschland bekannte, aus dem Osten eingewanderte
Dreyssena polyinorpha Fall. Es würde zu weit führen, die
sämtlichen Süsswasserschnecken und Muscheln hier eingehender zu
behandeln und es möge genügen, im obigen auf die zahlreichen
Vertreter dieser Gruppe hingewiesen zu haben. Eine besondere
Aufmerksamkeit verdient die neuerdings aus dem Osten ein-
gewanderte Süsswasserschnecke , Lithoglyphiis naticoides Fer.,
welche vor einigen Jahren zuerst in der Weichsel aufgefunden
wurde, dann etwas später auch in der Umgegend von Berlin und
Küstrin entdeckt ist und schliesslich auch bei Rotterdam nach-
gewiesen ist. Bislang war sie nur bekannt aus dem südöstlichen
Deutschland und aus den Flussgebieten des Schwarzen Meeres.
Werfen wir nun noch einen flüchtigen Blick auf die Vertreter
der niederen Tierklassen, so kann man sich nicht genug wundern
über die Menge und Mannigfaltigkeit der niederen Geschöpfe. In
einem kleinen Räume, den das Auge bequem mit einem Male
übersehen kann, welche Vielfachheit der Gestalten, welches Spiel
der Farben, welche Emsigkeit in ihrem Leben und Weben, welch
ein Huschen und Flattern, welch ein Springen und Hüpfen an
Blüte und Strauch, auf Stein und Boden. In dem von der Flut
eben zurückgelassenen Geniste wimmelt es von verschiedenen Käfer-
arten. Hier sieht man die hurtigen Tachys, dort huschen von
dannen Nebria- und Elaphriis- Kriew; hier über Pflanzenstengel
und Gestein, bald drüber, bald drunter weg, eilen BlctJiisa,
Be7uhtdmm, Panagaeus und manch andere Arten der kleinen und
kleinsten Läufer. Dort erscheinen an der Oberfläche des Wassers
Dytisciden und Hydrophiliden. Hier tummeln sich im buntesten
Durcheinander die lebendigen und nimmer rastenden Gyriniden.
Auf den Blüten der Aster und am Weidengesträuch schwirren die
Canthariden und an ebendenselben Pflanzen kriechen die bedäch-
tigen Curculioniden. Auf den Blüten der Umbelliferen tummeln
sich die graziösen Cerambiciden. Hier wiegen sich auf schwankendem
Das Tierleben auf Flussinseln und am Ufer der Flüsse und Seen. 369
Rohr die metallisch glänzenden Donacien und dort auf beweglichen
Grashalmen schaukeln sich die oft in den herrlichsten Farben
schillernden Chrysomeliden. Auf den Blüten von Ctrsium olera-
ceum Scop. gaukeln bunte Falter. Raschen Fluges von Blüte zu
Blüte, nirgends lange verweilend, eilen die Sesien dahin; dort sitzt
bedächtig an einer Weide, die Flügel übereinandergeschlagen und
den Abend erwartend, der Weidenbohrer, Cossus Itgniperda F.,
und neben ihm läuft hastig bald auf bald ab am Stamme der
Moschusbock, Aromia moschata L. Hier schwirren über die
Wasserfläche die schlanken Agrw7t- Arien, dort sieht man bald
am Rohr sitzend, bald raschen Fluges dahinschwirrend die stattlichen
Aeschna- und Lihellula-hxV&n. Über dem Wasser, besonders an
warmen Sommerabenden, treiben Hunderte von Fliegen und Mücken
ihr lustiges Spiel. Über die Wasserfläche eilen die flinken, lang-
beinigen Hydrometriden und unter Steinen treiben die lichtscheuen
Myriapoden ihr Wesen, daneben hüpfen von Blatt zu Blatt, von
Stein auf Stein die bunten Thysanuren. Überall regt sich Leben,
am Rohr und im Gras, auf Blüte und Strauch, auf der Wasser-
fläche und am Grunde des nassen Elements, im Geniste und auf
dem Sande des Ufers; ein Leben, welches den Naturfreund fort-
dauernd mit Wissbegier erfüllt und ihn anspornt, sich den noch
unerforschten Problemen desselben mit Eifer zu widmen.
Tier- und Pflanzenleben des Süsswassers. II. 24
Druck von J. J. Weber in Leipzig.
Verlag von J. J. Weber in Leipzig.
Katechismus des Darwinismus.
Von
Dr. Otto Zacharias.
Mit in den Text gedruckten Abbildungen.
Inhalt
Der Artbegriff und seine praktische An-
wendung in der Wissenschaft.
Die Variabilität der Organismen.
Natürhche Auslese (Zuchtwahl) und An-
passung.
Über schützende Ähnlichkeit und einige
Fälle von spezieller Anpassung.
Das Divergenz-Gesetz in der organischen
Natur.
Die geographische Verbreitung der Orga-
nismen.
Die geologische Aufeinanderfolge der
Lebensformen.
Embryologische Zeugnisse für die Ab-
stammungstheorie.
Die Anwendung des Darwinismus auf den
Menschen.
(Unter der Presse.)
Das Tierleben der Alpenwelt.
fflnransicliteii iiiiil Tierzelclimieii ans dem sclueizerlscliEii Mm
Van
Dr. Fr. v. Tschudi.
Elfte, durchgesehene Auflage, herausgegeben von
Prof. Dr. C. Keller.
Mit Tschudis Porträt in Stahlstich und 27 Illustrationen von
E. Rittmeyer und W. Georgy.
Preis 7 Mark 50 Pf. In Original-Leinenband 9 Mark.
Inhalt
Erster Teil.
Die freilebende Tierwelt.
Erster Kreis. Die Bergregion.
Allgemeine Charakteristik der Bergregion. —
Das Pflanzenleben der Bergregion. — Das
niedere Tierleben. — Die montane Vogel-
welt. — Die Vierfüsser des untern Ge-
birges.
Biographien und Tierzeichnungen.
Die Honigbiene in der Bergregion. — Die
Bachforelle. — Die Nattern im Gebirge. —
Die Wasseramsel. — Das Haselwild. —
Die Urhühner. — Der Uhu. — Die Schlaf-
raäuse und ihr Leben. — Eichhörnchen und
Berghasen. — Die Dachse. — Die wilden
Katzen.
Zweiter Kreis. Die Alpenregion.
Allgemeiner Charakter der Alpenregion. —
Die Alpenpflanzenwelt. • — Die niedere
Tierwelt der Alpen. — Die höheren
Alpcntiere.
Biographien und Tierzeichnungen.
Die Giftschlangen der Alpen. — Die Stein-
hühner. — Die Birkhühner. — Die Stein-
adler. — Der Lämmergeier. — Die Alpen-
hasen. — Die Gemsen. — Die Luchse. —
Die Füchse im Gebirge. — Die Wölfe der
Schweizeralpen. — Die Bären.
Dritter Kreis. Die Schneeregion.
Die Bodenverhältnisse der Schneezone. —
Schneegrenze und Gebirgstrümmer. — Firn
und Gletscher. — Pflanzenleben der Schnee-
welt. — Allgemeine Umrisse des niedern
Tierlebens. — Die Schneetiere.
Biographien und Tierzeichnungen.
Die Schneefinken. — Alpenschneehühner. —
. Die Stein- und Schneekrähen. — Die
Schneemaus. — Die Alpenmurmeltie're. —
Die Steinböcke der Zentralalpen.
Zweiter Teil.
Die zahmen Tiere der Alpen.
Das Alpenrindvieh. — Die Ziegen des Hoch-
gebirges. — Die Bergschafe.
— Die Hunde im Gebirge.
■ Die Pferde.
Druck von J. J. Weber in Leipzig.