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Full text of "Die Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers : Einführung in das Studium derselben"

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Die 


Tier-  und  Pflanzenwelt 

des 

Süsswassers. 

Einführung  in  das  Studium  derselben. 


Unter  MiU\irkung  von 

Dr.  C.  Apstein  (Kiel),  Fr.  Boreherding  (Vegesack),  S.  Clessin  (Ochsenfurt), 
Prof.  Dr.  F.  A.  Forel  (Morges,  Schweiz),  Prof.  Dr.  A.  Gruber  (Freiburg 
i.  Br.),  Prof.  Dr.  P.  Ba-amer  (Halle  a.  d.  S.),  Prof.  Dr.  F.  Ludwig  (Greiz), 
Dr.  "W.  Migula  (Karlsruhe),  Dr.  L.  Plate  (Marburg),  Dr.  E.  Schmidt- 
Sch'wedt  (Berlin),  Dr.  A.  Seligo  (Danzig),  Dr.  J.  Vosseier  (Tübingen), 
Dr.  W.  Weltner  (Berlin)  und  Prof.  Dr.  F.  Zsehokke  (Basel) 

herausgegeben 


von 


Dr.  Otto  Zacharias, 

Direktor   der   Biologischen    Station   am   Grossen  Plöner   See   in   Holstein. 


Zweiter  Band. 


Mit  51  in  den  Text  gedruckten  Abbildungen. 


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Leipzig 

Verlagsbuchhandlung  von  J.  J.  Weber 

1891 


Die 

Tier-  und  Pflanzenwelt 


des 


Süsswassers. 


Die 


Tier-  und  Pflanzenwelt 

des 

Süsswassers. 

Einführung  in  das  Studium  derselben. 

Unter  Mitwirkung  \'on 

Dr.  C.  Apstein  (Kiel),  Fr.  Borcherding  (Vegesack),  S.  Clessin  (Ochsenfurt), 
Prof.  Dr.  F.  A.  Forel  (Morges,  Schweiz),  Prof.  Dr.  A.  Gruber  (Freiburg 
i.  Br.),  Prof.  Dr.  P.  Kramer  (Halle  a.  d.  S.),  Prof.  Dr.  F.  Ludwig  (Greiz), 
Dr.  W.  Migula  (Karlsruhe),  Dr.  L.  Plate  (Marl)urg),  Dr.  E.  Schmidt- 
Schwedt  (Berlin),  Dr.  A.  Seligo  (Danzig),  Dr.  J.  Vosseler  (Tübingen), 
Dr.  W.  Weltner  (Berlin)  und  Prof.  Dr.  F.  Zschokke  (Basel) 

herausgegeben 


von 


Dr.  Otto  Zacharias, 


Direktor   der   Biologischen    Station   am   Grossen  Plöner   See  in   Holstein. 


Zweiter  Band. 


Mit  51  in  den  Text  gedruckten  Abbildungen. 


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Leipzig 

Verlagsbuchhandlung  von  J.  J.  Weber 

1891 

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Alle  Rechte  vorbehalten. 


Vorwort. 


Nach  der  Aufnahme  zu  urteilen,  welche  der  erste 
Teil  des  vorliegenden  Werkes  in  den  nächst  interessierten 
Kreisen  sowohl  als  auch  in  der  Tagespresse  gefunden 
hat,  ist  mit  unserer  ,, Einführung  in  das  Studium  der 
Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers"  eine  in  der 
biologischen  Litteratur  wirklich  vorhandene  Lücke  aus- 
gefüllt worden. 

Die  Absicht  des  Herausgebers  ist  demnach  voll- 
ständig erreicht;  aber  mit  der  Befriedigung,  die  er 
hierüber  empfindet,  wird  sogleich  auch  der  Wunsch 
rege,  sämtlichen  Herren,  welche  der  Aufforderung  zur 
Mitarbeiterschaft  an  diesem  Buche  in  so  freundlicher 
Weise  entsprochen  haben,  beim  Erscheinen  des  Schluss- 
bandes den  verbindlichsten  Dank  für  ihre  wertvollen 
Beiträge   abzustatten.      Der  Unterzeichnete   nimmt   an. 


VI  Vorwort. 

dass  er  damit  nicht  nur  seinen  eigenen  Empfindungen 
Ausdruck  giebt,  sondern  zugleich  auch  im  Namen 
aller  Derjenigen  spricht,  welche  eine  umfassende, 
gemeinverständhche  und  sichere  Unterweisung  in 
betreff  der  einheimischen  Wasserwelt  bisher  vermisst 
haben. 

Biologische  Station  am  Grossen  Plöner  See. 

Ende  September   1891. 

Dr.  Otto  Zacharias. 


Tiihaltsverzeichuis. 


Seite 

I.  Die    Hydrachniden    (Wassermilben).     Von    Prof.    Dr.    P. 
Kram  er  in  Halle. 

Geschichtliches.  —  Stellung  der  Süsswassermilben  zu  den  übrigen 
Milben.  —  Beschreibung  der  äussern  Gestalt  ^•on  Piona  ßavescens.  — 
Die  hauptsächlichsten  inneren  Organe  der  Hydrachnidae.  —  Die  typischen 
Gruppen  der  "Wassemrilben,  durch  Beispiele  erläutert.  —  Geogiaphische 
Verbreitung  und  Lebensweise.  —  Entwickelung,  erläutert  an  Nesaea 
fuscata,  Diplodonhis  filipes  und  Hydrachtia  globosa.  —  Anhang  :  Tabelle 
zur  Bestimmung  der  bis  jetzt  unterschiedenen  Gattungen  .     .     .     .      i  — 50 

II.  Kerfe   und   Kerflarven  des   süssen  Wassers,   besonders 
der  stehenden  Gewässer.    Von  Dr.  E.  Schmidt-Schwedt 

in  Berlin. 

Einleitende  Bemerkungen.  —  Vergleich  mit  den  Wassersäugetieren.  — 
Besondere  Wichtigkeit  von  Atmung  und  Bewegung.  —  i.  Käfer: 
a)  Taumelkäfer.  —  b)  Schwimmkäfer.  —  c)  Kolbenwasserkäfer.  — 
d)  Parnus,  Cyphon,  Donacia.  —  2.  Zweiflügler :  Larven  und  Puppen.  — 
Kennzeichnung  derselben :  a)  Mücken  :  Culex,  Anopheles,  Dixa,  Corethra, 
Mochlonyx,  Chironofntts,  Tanypus,  Sitmilia.  —  b)  Phalacrocera.  — 
c)  Stratiomyden.  —  d)  Eristalis.  —  3.  Schmetterlingslarven:  Paraponyx, 
Hydrocampa,  Cataclysta.  —  i^.  Netzflüglerlarven:  a)  Frühlingsfliegen: 
Limnophihis,    Polycentropus,    Hydropsyche.    • —    b)   Sialis,    Sisyra.    — 


57439 


VIII  Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

5.  Geradflüglerlarven:  a)  Libellen:  Agrion-,  Libellula-,  ^^jcÄwa-Gruppe, 

Calopteryx,  Gomphus.  —  b)  Eintagsfliegen:  Chloeon,  Caenis.  — 
c)  Afterf riihlingsfl legen :  Neimtra.  —  Gegensatz  der  Netzflügler  und 
Geradflügler  hinsichtlich  des  Wasserlebens  zu  den  übrigen  Ordnungen.  — 

6.  Schnabelkerfe:  a)  Hydrometriden.  — ■  b)  Notonecta,  Plea.  — 
c)  Corisa.  —  d)  Nepa,  Ranatra,  Nauco?-is.  —  Schlusshetnerkungen : 
Hinweis  auf  die  Kerfe  des  Meeres.  —  Anhang:  Tabelle  zu  annähernder 
Bestimmung  der  Kerflarven  des  Süsswassers 51 — 122 

Mi.  Die  Mollusken   des  Süsswassers.     Von  S.  Clessin  in 

Ochsenfurt. 

Einteilung  der  Mollusken.  —  Wohnorte  und  Gewohnheiten.  —  Ent- 
wickelung  und  Alter  der  Mollusken.  —  Anpassungsfähigkeit  der 
Mollusken.  —  Die  Mollusken  der  Tiefenfauna.  —  Hrihlen-Mollusken.  — 
Die  Perlenmuschel 123 — 150 

IV.  Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhält- 
nisse.     Von  Dr.  A.  Seligo  in  Heiligenbrunn  bei  Danzig. 

Das  Wasser  als  Lebenselement  der  Fische.  —  Das  Süsswasser.  — 
Ausbreitung  der  Süsswasserfische.  —  Umgrenzung  des  zu  besprechenden 
Gewässergebietes.  —  Der  Ursprung  der  Cypriniden  und  Salmoniden.  — 
Aufzählimg  der  im  Gebiete  vorkommenden  Arten  der  Knochenfische, 
Ganoidfische  und  Neunaugen  und  die  Verbreitung  derselben.  —  Die 
Orgajie  der  Fische  und  ihie  VerrichUmgen :  Haut,  Schuppen,  Glanz, 
Farbe.  —  Wirbelsäule.  —  Körperform.  —  Ortsbewegung,  Flossen, 
Muskeln.  —  Leibeshöhle,  Zwerchfell,  Brusthöhle,  Herz,  Leber,  Nieren, 
Milz.  —  Mundhöhle  und  Bezahnung.  —  Kiemen.  —  Atmung  und 
Sauerstoffbedürfnis,  Fischregionen  der  Gewässer.  —  Darm  und  Magen.  — 
Verdauung.  —  Körpertemperatur,  Einflüsse  der  Temperatur  des 
Mediums.  —  Nahrung,  Fütterung,  Wachstum.  —  Schwimmblase.  — 
Die  Fortpflanzungsorgane  und  das  Laichen.  —  Samenfäden  und  Eier.  — 
Fortpflanzung  des  Aals,  des  Lachses  und  der  Forellen.  —  Künstliche 
Fischzucht.  —  Teichwirtschaft.  —  Einführung  ausländischer  und  Aus- 
breitung einheimischer  Fischarten  auf  künstlichem  Wege.  —  Brut- 
pflege. —  Gehirn  und  Sinnesorgane :  Auge ,  Hörorgan ,  Seitenorgan, 
Geschmack  und  Geruch,  Tastorgane.  —  Fischfang 151—208 


Inhaltsverzeichnis.  IX 

Seite 

V.  Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.     Von  Prof.  Dr. 
Fr.   Zschokke  in  Basel. 

Allgemeines  über  den  Parasirismus.  —  Verbreitung  der  parasitischen 
Würmer  der  Wanderfische.  —  Zahl  der  Arten  in  den  verschiedenen 
Organen  des  Fischkörpers.  —  Aufzählung  von  29  Fischarten  und  ihrer 
Parasiten.  —  Nefnatoden  (Fadenwürmer)  :  Cucullanus  elegans ,  Ascaris 
actts,  Agamoneina  capsularia.  —  Echitiorhynchen  (Kratzer) :  Echin. 
Proteus,  Echin.  angustatus,  Echin.  clavaeceps.  —  Treniatoden  (Saug- 
würmer): Distoma  latireattitn,  Dist.  globiporum,  Dist.  nodulostim.  — 
Diplozoon  paradoxum ,  Gyrodactyliis  elegans.  —  Cestoden  (Band- 
würmer):  Caryophyllaeris  mutabi/is,  Cyathocephaltcs  truncatiis,  Triae- 
nophorus  nodulosus,  Ligula  simplii'issinia,  Schistocephalus  dimorphtis, 
Botkriocephalus  lattis 209 — 254 

VI.  Die    quantitative   Bestimmung   des   Planl(ton   im   Süss- 

Wasser.      Von  Dr.   C.   Apstein   in   Kiel. 

Einleitung.  —  Vertikalnetz.  —  Filtrator.  —  Konservierung.  —  An- 
wendung der  Apparate.  —  Volumenbestimmung.  —  Vorbereitung  zur 
Zählung.  • —  Stempelpipetten.  —  Das  Hensensche  Zählmikroskop.  — 
Zählung  imd  Protokoll  derselben.   —   Ein  Beispiel  zur  Methodik     255 — 294 

VII.  Die  Fauna  des  Süsswassers   in   ihren  Beziehungen  zu 

der  des  Meeres.  Von  Dr.  Otto  Zacharias  in  Plön 
(Holstein). 

Das  Vorkommen  von  marinen  Gattungen  im  Süsswasser.  —  Reükten- 
seen.  —  Eine  Meduse  als  Bewohnerin  von  Strandseen  auf  Trinidad.  — 
Die  Einwanderung  von  Meeresticren  in  den  Ortoire-Fluss.  —  Frei- 
schwimmende MuscheUarven  (Dreyssena  polymorpha)  im  Süsswasser.  — 
Die  Verbreitung  der  kleinen  Wasserfauna  durch  „passive  Wanderung".  — 
Der  Süsswasser- il/oMo^iW.  —  Die  „Fauna  relegata"  des  Professors 
Pavesi.  —  Der  Transport  kleiner  Wasserorganismen  durch  Schwimm- 
vögel, Wasserkäfer  und  strömende  Luft.  —  Hakenborsten  und  Kleb- 
zellen der  Würmer  als  Anheftungswerkzeuge.  —  Das  Wandern  der 
Wasserschnecken  und  Muscheln.  —  Spezialisierte  Haftorgane  bei 
Protozoen  (Difflugia) 295 — 312 


X  Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

VIII.  über    die    wissenschaftlichen    Aufgaben    biologischer 

SüSSWaSSer- Stationen.  Von  Dr.  Otto  Zacharias  in 
Plön   (Holstein). 

Die  Begründung  der  „Biologischen  Station"  zu  Plön.  —  Vorteile  eines 
solchen  Forschungsinstituts.  —  Die  pelagischen  Organismen  des  Grossen 
Plöner  Sees.  —  Die  besonderen  Aufgaben  von  Süsswasserstationen.  — 
Die  Winterfauna  unserer  Binnenseen.  —  Beobachtung  der  Wasser- 
insekten und  der  im  Wasser  lebenden  Larven  von  Landkerbtieren.  — 
Erforschung  der  eigentümlichen  Fortpflanzungsverhältnisse  mancher 
Turbellarien  und  Oligochäten.  —  Faunistische  Exkursionen  und  ver- 
gleichende Untersuchungen.  —  Praktische  Gesichtspunkte.  —  Be- 
schreibung der  Plöner  Station.  —  Die  Erforschung  der  böhmischen 
Gewässer  durch  Prof.  Anton  Fritsch 313 — 331 

IX.  Das  Tierleben  auf  Fiussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse 

und   Seen.      Von  Fr.   Bolrcherding  in  Vegesack.' 

Einleitende  Bemerkimgen.  —  Die  Säugetiere  an  und  in  dem  Süss- 
wasser.  —  Die  Brutvögel.  —  Die  Gäste  auf  dem  Frühjahrs-  [und 
Herbstzuge.  —  Die  Sumpfschildkröte,  Emys  europaea  Gray.  —  Die 
Anuren  und  Urodelen  des  süssen  Wassers.  —  Die  Fischfauna  eines 
Flusses,  eines  Geest-  und  eines  Moorsees.  —  Die  Mollusken  an  und 
in  den  Gewässern.  —  Die  niedere  Tierwelt 333 — 369 


Die  Hydrachniden  (Wassermilben), 


Von  Prof.  Dr.  P.  Kramer  in  Halle  a.  d.  S. 


l^ie  Hydrachniden  oder  Süsswassemiilben  gehören  mit  ihren 
auf  dem  Lande  lebenden  Verwandten  jenem  unermesslichen  Heere 
spinnenartiger  Tiere  an,  welche  im  Systeme  der  Zoologen  den 
Namen  Acarida  tragen,  mid  deren  Formenreichtum  bei  einem  gewissen 
gemeinsamen  Grundzug  der  Gestalt  ein  ausserordentlich  grosser  ist. 

Noch  bis  gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  waren  es  im 
ganzen  nur  wenige  Milben,  auf  welche  sich  die  Aufmerksamkeit 
der  Beobachter  gelenkt  hatte.  Sie  gehörten  zumeist  den  auf  dem 
Menschen  vmd  den  Haustieren  lebenden  Schmarotzern  an  und 
wurden  um  der  Krankheiten  willen,  die  sie  hervorrufen,  beachtet 
und  beschrieben.  Die  erste  grössere  Arbeit  über  andere  Acarida 
lieferte  erst  der  sorgfältig  beobachtende  und  scharfblickende  dänische 
Naturforscher  O.  Fr.  Müller,  indem  er  im  Jahre  1781  eine  grosse 
Zahl  der  in  Dänemark  einheimischen  Süsswassermilben  abbildete 
und  die  vortrefflichen  Abbildungen  durch  kurze  Erklärungen 
erläuterte.  So  war  es  also  gerade  die  uns  beschäftigende  INIilben- 
gruppe,  welche  zuerst  mit  einer  für  lange  Zeit  unerreichten  Voll- 
ständigkeit behandelt  worden  ist. 

INIanches  Jahrzehnt  hindurch  geschah  darnach  für  die  nähere 
Kenntnis  der  Acariden  wenig  Entscheidendes.  Erst  die  Arbeiten 
Duges'  1834  und  des  Forstrats  C.  L.  Koch  1837 — 1850  be- 
zeichnen einen  neuen  wesentlichen  Fortschritt.  So  brachte 
namentlich  des  ersteren  eingehende  Darstellung  die  Kenntnis  der 
Entwickelung  von  Hydrachna  globosa,  während  letzterer  durch  die 


4  Die  Hydrachniden. 

grosse  Zahl  der  von  ihm  beobachteten  Milben,  unter  denen  sich 
auch  sehr  zahlreiche  Süsswassermilben  befanden,  zuerst  überhaupt 
eine  Vorstellung  von  dem  Reichtum  der  Milbenklasse  gab,  wenn 
auch  freilich  die  nicht  hinreichende  Genauigkeit  seiner  Abbildungen 
und  Beschreibungen  dem  Systematiker  noch  heute  viel  Mühe 
bereitet. 

In  der  neuesten  Zeit  ist  den  Acariden  ein  immer  grösseres 
Interesse  entgegengebracht  worden,  wenn  auch  lange  noch  nicht 
in  dem  Masse,  als  es  die  in  mehr  als  einer  Hinsicht  merkwürdige 
Lebens-  und  Entwickelungsgeschichte  derselben  verdient.  Allerdings 
sind  die  Beobachtungsobjekte  meist  sehr  klein  und  schwierig  zu 
behandeln  und  daraus  mag  sich  der  im  ganzen  langsame  Fortschritt 
unserer  Kenntnis  über  diese  Tiergruppe  erklären.  Die  Süsswasser- 
milben bilden  aber  noch  die  am  wenigsten  Schwierigkeiten  bietende 
Gruppe  und  laden  durch  ihre  zierliche  Gestalt  und  Munterkeit  des 
Wesens,  auch  durch  verhältnismässige  Grösse  zur  Beobachtung  ein. 
Auch  sind  sie  fast  überall  reichlich  zu  finden,  wo  nur  irgend 
fliessendes  oder  stehendes  Wasser  Jahr  für  Jahr  vorhanden  ist. 

Die  meisten  anderen  Milben  bleiben  unserem  Auge  in  der 
Regel  verborgen ,  obwohl  es  kaum  einen  Ort  geben  dürfte ,  wo 
einem  genaueren  Beobachter  nicht  irgend  ein  charakteristischer  Ver- 
treter dieser  Tiergruppe  begegnete.  Zumeist  möchte  wohl  eine 
feuchte  Umgebung  dem  Leben  dieser  der  Mehrzahl  nach  zarten 
Geschöpfe  günstig  sein,  aber  doch  wird  man  auch  an  den  kahlen, 
in  trockenster  Luft  des  Sommers  am  Wege  liegenden  Steinen  nicht 
umsonst  nach  einer  mit  zierlichem  Stechapparat  versehenen  blau- 
roten Acaride  (Bryobia  speciosa)  suchen,  der  sich  noch  manche 
Vertreter  unserer  zierlichen  Panzermilben  (Oribatidae)  anschliessen. 
Milben  finden  sich  unter  Laub  und  Steinen,  im  Moose  und  auf 
den  Blättern  der  Bäume,  auf  und  unter  ihrer  Rinde  und  im  an- 
brüchigen Holze,  auf  und  unter  der  Haut  zahlreicher  kalt-  und 
warmblütiger  Tiere,  auf  den  Federn  der  Vögel,  ja  sogar  in  den- 
selben: wo  sich  nur  überhaupt  irgendwelche  Nahrung  darbieten 
mag,  sei  sie  natürlichen  oder  künstlichen  Ursprungs,  überall  be- 
gegnen   wir  Milben,    ihre    Leibesgestalt    oft    in    wunderbarer   Weise 


Die  Hydrachniden.  5 

dem  Aufenthaltsort    anpassend    und    ihre  Lebensgewohnheiten    ein- 
richtend nach  den  Bedingungen,  die  derselbe  bietet. 

Bei  der  immer  noch  vorhandenen  sehr  unvollständigen  Kennt- 
nis auch  unserer  heimatlichen  INIilben  ist  es  noch  nicht  möglich 
gewesen,  eine  sogenannte  natürliche  Anordnung  dieser  Tiere  vor- 
zunehmen, d.  h.  eine  solche,  bei  welcher  die  Abstammung,  die 
gegenseitige  Verwandtschaft  ausschlaggebend  ist,  doch  heben  sich 
schon  einige  grössere  Verwandtschaftskreise  aus  dem  Schwärm  der 
überhaupt  hierhergehörigen  Tiere  ab.  So  bilden  die  soeben  schon 
erwähnten  Panzermilben,  denen  jeder  Sammler  am  häufigsten  im 
Moose  begegnet,  einen  in  sich  völlig  abgeschlossenen  Stamm.  Sie 
sind  reine  Landbewohner,  und  wenn  man  auch  in  jüngster  Zeit  im 
Meere  einige  Vertreter  gefunden  haben  will,  so  ist  das  doch  mit 
Vorsicht  aufzunehmen.  Ebenso  stellen  die  Gamasidae,  diejenigen 
Milben,  zu  welchen  die  auf  den  Dungkäfern  so  häufig  scharenweise 
anzutreffenden  braunen  Acariden  gehören,  eine  wohl  abgeschlossene 
Gruppe  dar.  So  vielgestaltig  aber  auch  die  Wohnstätten  derselben 
sind,  in  das  WasseJr  ist  doch  keins  davon  hinabgestiegen.  Zwar 
hat  man  einen  ihrer  Vertreter  in  den  wohl  gewiss  mit  Wasser 
stets  und  reichlich  bespülten  Nasengängen  einer  Seehundsart  auf- 
gefunden, auch  haben  eifrige  Naturforscher  unter  den  durch  die 
Flutwelle  regelmässig  überspülten  Steinen  des  Seestrandes  einige 
Gamasiden  entdeckt ,  ,  aber  wirkliche  Wassertiere  haben  wir  damit 
doch  nicht  vor  uns.  Nicht  besser  steht  es  mit  den  zahllosen 
Geschlechtern  der  die  Haut  und  die  Federn  der  Vögel  oder  die 
Haare  der  kleinen  Säugetiere  bevölkernden  Milben  (Sarcoptidae) 
oder  denjenigen,  welche  dem  grossen  Stamm  der  durch  die  Mehl- 
milbe gekennzeichneten  Acariden  (Tyroglyphidae)  angehören.  Wenn 
sie  auch  meist  der  Feuchtigkeit  als  einer  notwendigen  Voraussetzung 
ihres  Lebens  bedürfen,  so  sind  sie  doch  niemals  Bewohner  unserer 
Teiche  und  Flüsse  geworden.  Einzig  imd  allein  diejenige  Gruppe 
unter  den  INIilben,  denen  ich  die  allgemeine  Bezeichnung  Vorder- 
atmer  gegeben  habe,  weil  sie  ihre  beiden  kleinen  Luftlöcher  ganz 
vorn  an  dem  kegelförmig  hervorspringenden  Mundabschnitt  führen, 
bietet  uns  Beispiele  von  auch  dem  Leben  im  Wasser    angepassten 


6  Die  Hydrachniden. 

t 

Milben  dar.      Diese  Vorderatmer  werden  am  besten  durch  die    so 

häufig  in  unseren  Gärten    am  Fusse    der  Obstbäume   anzutreffende 

Samtmilbe  (Tromhidiiim  fiiliginosum)  veranschaulicht.    Trombidium- 

artige    Milben    also    sind    es ,    welche    in    grosser   Zahl    die    süssen 

Gewässer,  nur  mit  wenigen  Arten  die  See  bewohnen. 

Eine  Naturgeschichte  dieser  Hydrachniden  muss  vor  allen  Dingen 

ein  Bild    der   äusserlich   wahrnehmbaren  Gestalt  entwerfen    und  so 

maof  sich  denn  zunächst  darauf  die  Aufmerksamkeit  richten. 


•*» 


Ein  Zug  mit  dem  Fangnetz  durch  das  klare  Wasser  eines 
Teiches  fördert  in  der  Regel  ausser  zahlreichen  kleinen  Krustern 
auch  manche  undurchsichtige  und  durchsichtige  Hydrachnide  zu- 
tage.    Wir  entnehmen  eine  Milbe  der  letzteren  Sorte,    es    ist  eine 


Fig.   I. 
Pioiia  ßavescens,  von  der  Seite  gesehen. 

Piona  ßavescens ,    und   betrachten    sie,    nachdem    sie    in    ein  Uhr- 
gläschen übergeführt  ist,  zunächst  mit  der  Lupe. 

Der  rundliche  Rumpf  ist,  wie  wir  bald  bemerken,  ungeteilt, 
oben  hochgewölbt,  unten  abgeflacht,  so  wie  Fig.  i  es  zeigt.  Bei 
den  meisten  Hydrachniden  hat  er  diese  Gestalt,  nur  ausnahms- 
weise treffen  wir  einen  flachen  Rumpf,  einen  stark  in  die  Länge 
gezogenen,  oder  einen  durch  besondere  Anhänge  am  hinteren 
Rande  ausgezeichneten.  Der  vorderen  Hälfte  der  Unterfläche  ent- 
springen die  acht  Füsse. 


Die  Hydrachniden.  7 

\ 

Wie  schlank  und  zierlich  sind  diese  hellen  völlig  durchsichtigen 

Füsschen,  die  das  Tier  oft  in  ganzer  Länge  von  sich  streckt  und 
so  eine  Zeitlang  still  und  unbeweglich  liegen  bleibt,  um  mit  einem 
plötzlichen  Ruck  eine  Strecke  fortzueilen.  Wieder  liegt  es  still  da 
und  fängt  nach  einer  kurzen  Ruhe  an  langsam  auf  dem  Grunde  fort- 
zukriechen. Jetzt  eilt  es  wieder,  sich  wie  im  Wirbel  überschlagend, 
in  hastiger  Bewegung  eine  Strecke  fort,  um  bald  zu  ruhen,  bald 
lano-sam  im  Wasser  zu  wandeln. 

Betrachten  wir  die  einzelnen  Füsse  noch  genauer,  so  fallen 
besonders  an  den  hinteren  Paaren  lange,  seidenglänzende  Haar- 
borsten auf,  welche  gedrängt  stehen  und  leicht  beweglich  sind.  Die 
zahlreichsten  bemerken  wir  am  vorletzten  und  drittletzten  Gliede 
der  beiden  hinteren  Fusspaare.  Es  sind  dies  die  für  unsere  Süss- 
wassermilben  ganz  besonders  charakteristischen  Schwimmborsten, 
und  von  ihrer  Anzahl,  ihrer  Breite  und  Stellung  hängt  zum  gi'ossen 
Teil  die  Gewandtheit  und  Schnelligkeit  ab,  mit  der  sich  die  Tierchen 
im  Wasser  bewegen.  Als  Regel  können  wir  annehmen,  dass  bei  den 
erwachsenen  INIilben  die  vorderen  Füsse  nur  wenige,  die  hinteren 
dao-eo-en  zahlreiche  Schwimmborsten  führen,  und  dass  wiederum  an 
jedem  Fusse,  der  überhaupt  welche  besitzt,  das  vorletzte  Glied  die 
meisten,  die  dem  Körper  näheren  Glieder  immer  weniger  solche 
Borgten  tragen.  Ausnahmen  von  dieser  Regel  sind  allerdings 
beobachtet.  So  bemerkt  man,  dass  bei  einer  der  grössten  ein- 
heimischen Arten,  einer  der  schnellsten  und  gewandtesten  Schwimme- 
rinnen, Eylais  extendens ,  welche  als  tiefrote  Jägerin  die  Wasser 
durcheilt,  das  vierte  Fusspaar  gar  keine  Schwimmborsten  besitzt. 
Das  Tier  hat  sich  daher  gewöhnt,  den  letzten  Fuss  jeder  Körper- 
seite beim  Schwimmen  ruhig  nach  hinten  gestreckt  zu  tragen.  Diese 
Haltung  giebt  ein  untrügliches  Erkennungsmittel  für  die  soeben 
namhaft  gemachte,  in  unseren  stillstehenden  Gewässern  häufigere 
Milbe  ab.  Einigen  Wassermilben  fehlen  die  Schwimmborsten  sogar 
gänzlich.  Sie  sind  dadurch  gezwungen,  eine  durchaus  kriechende 
Lebensweise  zu  führen,    und    leben   meist  im  Schlamme  verborgen. 

Wie  wenig  übrigens  der  Besitz  oder  Mangel  von  Schwimm- 
borsten   eine   Verwandtschaft    zwischen    manchen    in   diesem    einen 


3  Die  Hydrachniden. 

Punkte  übereinstimmenden  Milben  mit  sich  bringt,  beweisen  zwei 
Gattungen,  deren  Vertretern  die  Schwimmborsten  fehlen,  nämlich 
Bradybatcs  und  Limnochares  (die  Tiefschreiter  und  Schlamm- 
freunde).  Diese  Milben  sind  in  ihrer  ganzen  Erscheinung  ausser- 
ordentlich verschieden  von  einander.  Erstere  möchte  wohl  als  das 
Urbild  einer,  der  Lebensweise  im  Wasser  angepassten  Samtmilbe 
angesehen  werden  können,  so  vollständig  wiederholt  sie  Zug  um 
Zug  die  Gestalt  dieser  Landmilbe.  Ganz  anders  bietet  sich 
Limnochares  dem  Beobachter  dar.  Ein  unförmlicher  linsengrosser 
roter  Klumpen,  welcher  mühsam  von  den  auffallend  kurzen  dünnen 
Füssen  fortgeschleppt  wird  und  das  langgezogene  schnabelförmige 
Mundstück  beim  Zurückziehen  ganz  in  sich  aufzunehmen  vermag, 
ist  sie  ganz  darauf  angewiesen,  dass  die  Tragkraft  des  Wassers 
ihre  Muskeln  bei  der  Fortbewegung  ihres  Leibes  unterstützt. 

Hervorgehoben  mag  noch  werden,  dass  das  Schwimmborsten- 
system am  ausgebildetsten  bei  den  Hartmilben  des  süssen  Wassers, 
den  Hartschwimmem,  deren  hervorstechendste  Gattung  Arrenurus 
(Hartschwanz)  ist,  gefunden  wird.  Hier  zeigt  jeder  der  beiden 
Hinterfüsse  eine  doppelte  Reihe  solcher  Borsten. 

Steht  es  nun  auch  gewiss  fest,  dass  die  Schwimmfertigkeit 
durch  die  Schwimmborsten  wesentlich  bedingt  ist,  so  beweist  doch 
die  Beobachtung  derjenigen  Milben,  welche  die  tiefen  Regionen  des 
Genfersees  bewohnen,  dass  damit  die  Frage  nach  den  Gründen 
des  Schwimmens  noch  nicht  ganz  erledigt  ist.  Dort  im  Genfersee, 
und  vermutlich  auch  in  anderen  sehr  tiefen  Seen  der  Schweiz,  hat 
Prof.  Forel  in  den  tiefsten  Schichten  eine  Hydrachnide  gefunden, 
welche  sich  trotz  aller  vorhandenen  Schvi-immborsten  nicht .  imstande 
zeigt,  den  Boden  zu  verlassen  und  schwimmend  die  Oberfläche  zu 
erreichen.  Wird  eine  solche  Milbe  in  ein  noch  so  flaches  Gefäss 
gethan,  so  vermag  sie  nur  auf  dem  Boden  zu  kriechen.  Wird  ihr, 
wenn  man  sie  an  die  Oberfläche  gezogen  hat,  der  Unterstützungs- 
punkt genommen,  so  sinkt  sie  trotz  allen  Fussbewegungen,  die  sie 
ausführt,  doch  auf  den  Boden  zurück.  Offenbar  hat  sie  sich  unter 
dem  Einfluss  des  bereits  erheblichen  Wasserdrucks  auf  dem  Boden 
des  Genfersees  entwöhnt,  von  ihren  Schwimmborsten  einen  richtigen 


Die  Hydrachniden.  9 

Gebrauch  zu  machen,  sie  hat  ihre  Füsse  niemals  im  Schwimmen 
sreübt  und  hat  so,  trotz  den  vorhandenen  Schwimmborsten,  die  zum 
Schwimmen  notwendigen  kräftigen  Bewegungen  dauernd  verlernt. 
Es  scheint  also  auch  ein  richtiger  Gebrauch  der  sonst  zum  Schwim- 
men hinreichend  ausgerüsteten  Füsse  vorausgesetzt  werden  zu 
müssen,  damit  die  Schwimmborsten  eine  dem  Wasser  hinreichenden 
Widerstand  entgegensetzende  Fläche  bilden  und  so  die  Fort- 
bewegung  bewirken  können. 

Wir  wenden  uns  nun  wieder  der  Gestalt  unserer  PioJia  zu. 
Während  die  gewölbte  Oberseite  derselben  dem  beobachtenden 
Blick  ausser  den  deutlich  wahrnehmbaren  dunklen  Augenpunkten 
wenig  bietet,  wird  er,  nachdem  man  die  Milbe  auf  den  Rücken 
gelegt  hat,  bei  Betrachtung  der  Unterseite  von  einigen  besonderen 
Organen  gefesselt. 

Auf  der  Bauchfläche  bemerkt  man  nämlich  vier  von  einander 
getrennt  stehende  härtere  Hautplatten,  und  an  jeder  sind  zwei 
Füsse  eingelenkt*).  Bei  näherer  Betrachtung  ergiebt  es  sich,  dass 
jede  der  Platten  aus  zwei  mit  einander  verschmolzenen  Plättchen 
zusammengesetzt  ist  und  dass  jedes  der  acht  Plättchen  die  Gelenk- 
höhle für  das  Hüftglied  je  eines  der  acht  Füsse  trägt.  Wir  nennen 
die  Plättchen  die  Hüftplatten  der  Füsse  oder  die  Epimeren.  Unsere 
Piona  ßavescens  lässt  erkennen,  dass  die  Hüftplatten  für  die  beiden 
vierten  Füsse,  rechts  und  links,  die  umfangreichsten  sind.  Das  ist 
nicht  immer  der  Fall.  Überhaupt  finden  wir  in  der  Ausbildung 
und  gegenseitigen  Gruppierung  dieser  Epimeren  eine  so  ausser- 
ordentliche Mannigfaltigkeit,  dass  nicht  mit  Unrecht  die  hieraus 
sich  ergebenden  Unterschiede  zur  schärferen  Trennung  der  Gattungen 
verwendet  worden  sind. 

Zwischen  den  Epimeren  der  beiden  vorderen  Füsse  befindet 
sich  der  Mundapparat,  in  der  Regel  gestützt  durch  eine  vermutlich 
als  Unterlippe  zu  deutende,  erhärtete  Platte.  Diese  Platte  trägt 
zunächst  die  meist  fünfgliedrigen  Taster. 


*)  Vergleiche  auch  Fig.  3^5.  39. 


\Q  Die  Hydrachniden. 

Dieselben,  dienen  wohl  hauptsächlich  dem  Gefühlssinn,  werden 
aber  auch  zum  Festhalten  der  Beute  benutzt.  Die  Mundöffnung 
selbst  wird  in  der  Regel  in  der  Tiefe  eines  oben  offenen,  eine 
kurze  Halbröhre  darstellenden  kopfähnlichen  Anhangs  gefunden,  in 
welchem  sich  als  wesentlichstes  Mundwerkzeug  die  Kaukiefer  ein- 
gelassen finden.  Diese  Kiefer  bilden  einen  wichtigen  Anhalt  zur 
Unterscheidung  grösserer  Abteilungen  unter  den  Süsswassermilben, 
indem  sie  bei  einigen  Gattungen  eingliedrig  sind  und  die  Gestalt 
eines  kräftigen  nach  vorn  gerichteten  Stachels  haben,  bei  anderen 
dagegen  aus  zwei  Gliedern  bestehen,  von  denen  das  zweite  einer 
mit  der  Spitze  nach  oben  gewendeten  Klaue  oder  Kralle  gleicht. 
Ganz  derselben  Verschiedenheit  begegnet  man  auch  bei  derjenigen 
Gruppe  der  Landmilben,  welche  ich  bereits  oben  als  die  den  Süss- 
wassermilben am  nächsten  stehende  bezeichnet  habe,  bei  den 
Trombididen. 

Was  für  Gliedmassen  oder  Teile  ausserdem  noch  zu  dem 
Mundapparat  gehören,  ist  noch  durch  weitere  Beobachtungen  genauer 
zu  erforschen.  Es  giebt  nach  Ansicht  einiger  Beobachter  noch  ein 
zweites  Kieferpaar,  welches  dieselben  in  gewissen  verhärteten  Stäb- 
chen entdeckt  zu  haben  glauben,  während  andere  diese  Deutung 
jener  Stäbchen  leugnen.  Es  ist  daher  auch  die  verwandtschaftliche 
Stellung  der  Milben  durchaus  noch  nicht  allgemein  festgestellt.  Die 
einen,  z.  B.  G.  Hall  er,  wollen  sie  zu  den  krebsartigen  Tieren  ziehen, 
indem  das  Vorhandensein  einer  grössern  Anzahl  von  Kiefern  dafür 
geltend  gemacht  wird.  Die  anderen  sind  der  INIeinung,  dass  die 
Milben  den  spinnenartigen  Tieren  zuzuzählen  sind.  Sicherlich  kann 
hierüber  ledis^lich  aus  anatomischen  Gründen  ein  sicheres  Urteil 
nicht  gezogen  werden,  vielmehr  muss  die  Entwickelungsgeschichte 
ein  entscheidendes  Wort  mitsprechen.  Vielleicht  gelingt  es  zunächst 
aus  den  an  Gamasiden  noch  anzustellenden  Beobachtungen,  hierüber 
mehr  Licht  zu  verbreiten. 

Auf  der  Unterseite  unserer  Milben* begegnen  wir  nun  noch 
der  Geschlechtsöffnung  und  der  Afteröffnung.  Umfangreich,  wenig- 
stens beim  weiblichen  Geschlechte,  ist  die  erstere,  meist  punktförmig 
klein    die    zweite,    jedoch    fehlt    letztere    nirgends,    wie    irrtümlich 


Die  Hydrachniden.  1 1 

behauptet  worden.  Die  Geschlechtsöffnung  ist  bei  den  allermeisten 
Gattungen  von  eigentümlichen,  entweder  napfartigen  oder  poren- 
artigen Gebilden  begleitet,  welche  meist  neben  ihr  zu  Gruppen 
vereinigt  auf  besonderen  verhärteten  Plättchen  aufgestellt  oder  in  die 
weiche  Haut  eingebettet  sind,  in  einzelnen  Fällen  aber  auch  auf 
der  innern  Fläche  der  die  Öffnung  schliessenden  Klappen  ihren 
Platz  gefunden  haben.  Die  Abbildung  dieser  Gebilde,  wie  sie  sich 
beim  INIännchen  und  Weibchen  von  Nesaca  fuscata  finden,  in 
Fio-.  3  /  und  k,  giebt  wohl  eine  hinreichend  deutliche  Vor- 
stellung davon.  Stehen  diese  sogenannten  Haftnäpfe  neben  der 
Geschlechtsöffnung,  so  dürften  sie  kaum  noch  ihrem  Zweck  als 
Haft-  oder  Tastorgan  genügen,  finden  sie  sich  dagegen  auf  der 
innern  Deckklappenfläche,  so  ist  ihre  Funktion  noch  unbeeinträchtigt. 
Die  einzelnen  Gattungen  der  Wassermilben  zeigen  in  der  Zahl, 
Anordnung  und  Grösse  dieser  Näpfe  eine  so  ausserordentliche  Ver- 
schiedenheit, dass  sie  hierdurch  häufig  mit  grosser  Leichtigkeit  von 
einander  unterschieden  werden  können.  Es  gehören  diese  Haft- 
näpfe zu  einer  ganz  besonders  charakteristischen  Eigentümlichkeit 
gerade  unserer  Süsswassermilben,  so  dass  es  gerechtfertigt  erscheint, 
noch  einen  Augenblick  bei  ihnen  zu  verweilen.  Es  sind  offenbar 
umgebildete  Oberhautporen.  Betrachtet  man  nämlich  die  Oberfläche 
einer  Süsswassermilbe  genauer,  so  findet  man  dieselbe  mit  einer 
Anzahl  regelmässig  verteilter  grösserer  Porenöffnungen  versehen, 
welche  meistens  zu  kleinen,  häufig  aber  auch  sehr  umfangreichen 
Hautdrüsen  führen.  Bei  sehr  vielen  Milben  ist  die  nächste  Um- 
gebung einer  solchen  Pore  verhärtet,  so  dass  dort  eine  kleine  Platte 
in  die  Haut  eingelassen  scheint,  auch  wird  die  Öffnung  regelmässig 
von  einer  Haarborste  begleitet.  Diese  Hautdrüsen  mögen  wohl 
eine  Flüssigkeit  absondern,  welche  anderen  Wassertieren  Ekel  erregt, 
so  dass  sie  die  Wassermilben  nicht  verspeisen  mögen.  Hat  man 
doch  beobachtet,  dass  unsere  Milben  von  den  Fischen  verschmäht 
werden.  Welchen  Vorrat  an  solcher  Flüssigkeit  diese  Hautdrüsen, 
wenn  sie  enorm  entwickelt  sind,  enthalten,  lässt  sich  bei  den  Hart- 
müben  (Arrenuriis)  erkennen.  Wird  eine  solche  in  Spiritus  gelegt, 
so    fährt    nach    kurzer  Zeit    der  Drüseninhalt    wie    ein    langer    sich 


\2  I^i^  Hydrachniden. 

kräuselnder  Faden  aus  der  Pore  hervor,  so  dass  die  ganze  Milbe 
völlig  eingewickelt  wird.  Nun  ist  es  wohl  nicht  falsch  geurteilt, 
wie  bereits  oben  angedeutet  wurde,  wenn  wir  annehmen,  dass  die 
Haftnäpfe  auf  der  Unterseite  des  Hinterleibes  ursprünglich  solche 
Hautdrüsenöffnungen  gewesen  sintl.  Die  ursprünglichen  Drüsen- 
gebilde sind  aber  in  Haftorgane  umgewandelt  und  dementsprechend 
hat  sich  die  Öffnung  samt  der  Platte,  in  welcher  sie  steht,  um- 
gestaltet. Meistens  bemerkt  man  noch  deutlich  innerhalb  des 
Umrisses  eines  solchen  Napfes  die  Porenöffnung.  In  anderen  Fällen 
ist  sie  aber  auch  schon  geschwunden,  was  darauf  hindeutet,  dass 
das  Organ  seine  Funktion  wieder  eingebüsst  hat. 

Wenn  ich  soeben  bemerkte,  dass  diese  Haftnäpfe  eines  der 
wesentlicheren  Merkmale  unserer  Süsswassermilben  darstellen,  so  ist 
damit  dennoch  nicht  gesagt,  dass  es  unter  ihnen  nicht  auch  solche 
gäbe,  die  überhaupt  dieser  Organe  entbehrten.  Die  Mannigfaltigkeit 
der  Formen,  die  wir  allerwärts  im  Tierreiche  finden  und  die  dem 
ordnenden  Zoologen  oft  so  viele  Schwierigkeiten  entgegenstellt,  findet 
sich  auch  bei  den  winzigen,  das  süsse  Wasser  belebenden  Acariden. 
Die  Kräfte  der  Natur  lassen  sich  in  kein  Schema  und  System 
zwingen,  sondern  gestalten  die  Formen  nach  den  vorhandenen 
Lebensbedingungen  aus.  So  mag  es  denn  wohl  sein,  dass  die 
Masse  der  das  süsse  Wasser  bevölkernden  Milben  aus  mehreren 
verschiedenen  Hauptstämmen  erwuchs,  deren  Ursprung  wir  nicht 
mehr  deutlich  unterscheiden  können.  Der  eine  Stamm,  der 
namentlich  alle  schwimmenden  Süsswassermilben  umfasst,  hat  Haft- 
näpfe auf  der  Bauchfläche  erzeugt,  der  andere,  zu  denen  einige 
kriechende  Gattungen  zu  rechnen  wären,  hat  solche  Näpfe  nicht 
hervorgebracht.  Es  ist  auch  bemerkenswert,  dass  die  ersten  Larven- 
stadien, also  die  eben  dem  Ei  entschlüpften  Jungen,  keine  Haft- 
näpfe besitzen. 

Im  Vorhergehenden  sind  die  wesentlichsten  Organe  und  die 
hauptsächlichsten  Erscheinungen  der  äussern  Gestalt  kurz  berührt. 
Es  wird  später  sich  noch  Gelegenheit  bieten,  manches,  was  jetzt 
übergangen  werden  musste,  so  z.  B.  die  besonderen  Kennzeichen 
und  Abzeichen  der  Männchen  im  Gegensatz  zu  den  Weibchen,  zur 


Die  Hydrachniden.  ]^3 

Sprache  zu  bringen  und  so  das  Bild  der  äussern  Gestalt  zu  ver- 
vollständigen. Auch  die  Beschaffenheit  der  äussern  Körperhaut,  ob 
sie  hart  oder  weich  ist,  ob  glatt  oder  mit  Fortsätzen  versehen,  hat 
wohl  für  die  Beurteilung  der  äussern  Gestalt  im  weitern  Sinne 
Bedeutung,  kann  jedoch  in  einer  nur  kurz  schildernden  Darstellung 
bloss  andeutungsweise  berührt  werden.  Ebenso  ist  es  mit  dem 
Grössenverhältnis  der  Glieder  zum  Rumpfe,  indem  nur  erwähnt 
werden  kann,  dass  der  Rumpf  wie  bei  Atax  gegen  die  ungemein 
grossen  Füsse  fast  verschwindet,  während  bei  anderen  Gattungen, 
wie  beispielsweise  Axona,  die  Füsschen  kaum  über  den  Rand  des 
Rumpfes  hervorragen.  Dies  Alles  und  manches  Andere  würde 
einer  Spezialgeschichte  der  Hydrachniden  Stoff  zu  ausführlichen 
Betrachtungen  geben.  Wir  aber  verlassen  die  äussere  Gestalt  und 
wenden  uns  einer  weitern  wichtigen  Angelegenheit  zu,  der  Dar- 
stellung der  inneren  Organe. 

Die  inneren  Organe  sind  in  neuester  Zeit  mehrfach  eingehend 
beobachtet  und  beschrieben  worden.  Wir  finden  in  der  Res:el  eine 
sehr  feine,  nach  hinten  sich  erweiternde  Speiseröhre,  deren  vorderer 
Abschnitt  zu  einem  Saugapparat  umgewandelt  ist,  indem  Muskel- 
stränge sich  an  der  obern  und  untern  Röhrenfläche  ansetzen,  welche 
diesen  Teil  des  Organs  abwechsebid  erweitern  und  verengern  können. 
Der  Magen  ist  sehr  umfangreich  und  besitzt  bis  fünf  bliiKisackartige 
Ausstülpungen,  deren  Oberfläche  mit  einer  Schicht  von  Leberzellen 
ausgerüstet  ist.  Der  Enddarm  ist  in  der  Regel  wiederum  ein 
Kanal  von  ziemlicher  Enge.  Die  Speiseröhre  steht  in  ihrem  vor- 
dersten Abschnitt  in  Zusammenhang  mit  den  nicht  unerheblichen 
Speicheldrüsen.  Diese  sind  in  der  Regel  in  mehrfacher  Anzahl 
vorhanden,  führen  jedoch  immer  nur  jederseits  zu  einer  einzigen 
Ausflussöffnung.  Der  Enddarm  seinerseits  nimmt  in  seinem  letzten 
Abschnitt  den  Ausführungsgang  der  charakteristischen  Exkretionsdrüse 
auf,  welche  bei  allen  Milben  zu  einer  so  ausserordentlichen  Ent- 
wickelung  gelangt  ist.  Diese  Drüse  liegt  oberhalb  des  Magens  und 
besitzt  einen  längeren  Hauptstamm,  welcher  sich  etwa  in  der  Mitte 
des  Rückens  in  zwei  Äste  gabelt.  Da  der  Inhalt  dieser  Exkretions- 
drüse  merklich    durch   die  Haut    der  INIehrzahl    der    Hydrachniden 


I  4  Die  Hydrachniden. 

hindurchschimmert,  so  hat  sie  von  jeher  die  Aufmerksamkeit  der 
Beobachter  erregt,  aber  auch  solche,  die  auf  die  Färbung  der 
Milben  ein  allzugrosses  Gewicht  legten,  oft  irregeführt,  da  je  nach 
der  Füllung  der  Farben eindruck    ein  sehr  verschiedener  sein  kann. 

Das  Atmungssystem  wird'  bei  den  Hydrachniden  durch  zwei 
in  ausserordentlich  zahlreiche  Tracheenfäden  auseinanderfahrende 
Tracheenstämme  dargestellt,  welche  in  einem  Paar  von  Luftlöchern 
ausmünden.  Diese  letzteren  liegen  zwischen  den  Einlenkungsstellen 
der  Kiefer  in  einer  kleinen  Platte.  Der  Hauptstamm  jeder  Trachee 
ist  mit  einem  Spiralfaden  versehen,  während  die  zarten  Tracheen- 
fäden selbst  keine  solchen  besitzen. 

Das  Tracheensystem  tritt  auch  bei  den  Hydrachniden  gerade 
so  wie  bei  allen  anderen  Milben,  wo  es  überhaupt  zur  Ausbildung 
gelangt,  erst  nach  der  ersten  Häutung  auf,  die  sechsfüssigen  Larven 
besitzen  noch  keine  Andeutung  davon.  Die  Luftatmung  der  Wasser- 
milben giebt  uns  hier  nun  Veranlassung,  einen  kurzen  Blick  auf 
andere  luftatmende  Wassertiere  zu  werfen. 

Vergleicht  man  das  Betragen  der  hierher  gehörigen  verschiedenen, 
dem  niedern  Tierreich  angehörenden  Bewohner  des  süssen  Wassers, 
so  bemerkt  man  bald  einen  sehr  in  die  Augen  fallenden  Unter- 
schied. Die  Wasserkäfer  z.  B.  und  die  Mehrzahl  der  Wasserwanzen 
vermögen  nur  kurze  Zeit  zu  tauchen.  Immer  wieder  müssen  sie 
die  zum  Atmen  notiere  Luft  unmittelbar  aus  der  über  dem  Wasser 
stehenden  Atmosphäre  schöpfen  und  deshalb  häufig  die  Oberfläche 
aufsuchen.  Auch  vielen  Mückenlarven  geht  es  nicht  besser,  sie 
fahren  unruhig  bald  in  die  Höhe,  bald  in  die  Tiefe.  Dagegen  sind 
die  in  das  Wasser  eingewanderten  Milben  völlig  und  ausschliesslich 
Wassertiere  geworden.  Sie  bleiben  stets  unter  der  Oberfläche, 
trotzdem  dass  sie  ein  ausgebildetes  Luftatmungssystem  besitzen. 
Sie  hüllen  sich  auch  nicht  etwa,  wie  zahlreiche  Uferkäfer  und  die 
merkwürdige  grosse  Wasserspinne  (Argyroneta  aquatica),  in  einen 
dichten  Mantel  von  Luft,  den  sie  unausgesetzt  mit  sich  führen  und 
immer  wieder  erneuern,  sondern  leben  gerade  wie  die  Larven  von 
zahlreichen  Libellen,  Frühlingsfliegen  und  Mücken  nur  und  allein 
im  Wasser.     Ihr  Luftröhrensystem    ist   trotzdem,    dass    sie    niemals 


Die  Hydrachniden.  ]^5 

die  Oberfläche  aufsuchen,  mit  Luft  durchaus  angefüllt.  Es  weist 
uns  diese  Beobachtung  auf  einen  wohl  noch  nicht  ganz  aufgeldärten 
Naturvorgang.  Die  Frage,  auf  welche  Weise  die  Luft  in  die 
Atmungskanäle  der  Süsswassermilben  gelangt  und  wie  sie  sich,  nach- 
dem sie  etwa  durch  Atmen  verbraucht  worden  ist,  wieder  erneuert, 
ist  es,  welche  dabei  noch  der  Lösung  harrt.  Unter  ganz  ähnlichen 
Verhältnissen  atmen  die  durchsichtigen  Larven  der  bei  uns  häufigen 
Büschelmücke  (Corcthra  plumicornis) .  Bei  dieser  hat  der  bekannte 
Zoologe  A.  Weissmann  zuerst  beobachtet,  dass  in  den  beiden 
grossen  Paaren  von  Luftsäcken,  welche  dem  Tier  zur  Aufrecht- 
erhaltung des  Gleichgewichts  beim  Schwimmen  zu  dienen  scheinen, 
die  Luft  während  eines  bestimmten  Zeitpunktes  der  Entwicklung 
ganz  von  selbst  auftritt,  ohne  dass  in  der  Wandung  jener  Blasen  auch 
nur  die  geringste  Öffnvmg  vorhanden  wäre  oder  irgend  eine  Ver- 
bindung derselben  mit  der  Oberhaut  des  Tieres  bestünde.  Die 
Luftfüllung  tritt  plötzlich  auf  und  verbleibt  dann  in  den  Blasen. 
Bei  den  Wassermilben,  welche  nach  der  ersten  Häutung  zahlreiche 
Tracheen  besitzen,  könnte  es  vielleicht  ebenso  sein,  indem  die  Luft 
sich  ganz  von  selbst  innerhalb  der  vorher  mit  Flüssigkeit  angefüllten 
Luftkanäle  bildet.  Denn  es  ist  in  der  That  schwer  denkbar,  dass 
die  im  Wasser  verteilte  Luft  sich  in  die  feine  Ausmündimgsstelle 
der  Luftkanäle  eindrängen  könne,  um  von  da  aus  in  die  zuletzt 
überaus  feinen  Fäden  zu  gelangen.  Ein  Saugapparat  ist  bisher  an 
den  Atmungsröhrchen  noch  nicht  beobachtet  imd  allein  ein  solcher 
könnte  die  Luft  dazu  vermögen,  die  Flüssigkeit  aus  den  Luftröhren  zu 
verdrängen.  Genug,  wir  erwarten  von  der  Zukunft  hier,  wie  noch  für  so 
manche  Vorkommnisse,  eine  befriedigende  Erklärung  der  Thatsachen. 
Die  Hydrachniden  sind  getrennten  Geschlechtes.  Die  samen- 
erzeugenden Organe  des  JMännchens  sind  wohl  in  der  Regel  paarig 
und  haben  einen  gemeinsamen  Ausführungsgang,  welcher  mit  einem 
besondern  Besattunefsorsfan  versehen  ist.  Die  Eierstöcke  der  Weib- 
chen  sind  zwar  auch  paarig,  jedoch  sind  sie  mit  ihren  Enden  derart 
verschmolzen,  dass  sie  ein  einziges  ringartiges  Organ  darstellen;  die 
beiden  Eileiter  sind  jedoch  zunächst  getrennt  und  bilden  erst  kurz 
vor  der  Geschlechtsöffnung  einen  kugeligen  Uterus. 


J^ß  Die  Hydiachniden. 

Das  Nervensystem  besteht  in  einem  zentralen  sogenannten 
Schlundganglion  und  den  von  diesem  ausgehenden  Nervensträngen. 
Das  Schlundganglion  wird  der  Länge  nach  von  der  Speiseröhre 
durchsetzt,  wodurch  es  in  ein  oberes  und  ein  unteres  geteilt  wird, 
die  indes  so  nahe  an  einander  gerückt  sind,  dass  sie  eine  gemein- 
same Masse  bilden,  an  welcher  keine  Schlundkommissur  auffind- 
bar ist*). 

Vom  obern  Schlundganglion  gehen  die  Nerven  zu  den  Augen 
und  den  Mundteilen,  von  dem  untern  dagegen  zu  den  Füssen  und 
den  Geschlechtsorganen.  Die  Nervenfäden  spalten  sich  übrigens 
häufig  und  lösen  sich  mit  Ausnahme  der  Augennerven  in  eine 
Fülle  von  überallhin  sich  verbreitenden  Nervenfasern  auf 

Das  Nervensystem  möge  uns  noch  einen  Augenblick  länger 
fesseln.  So  Idein  und  zum  Teil  winzig  unsere  Süsswassermilben  auch  sind, 
so  entbehren  sie  doch  der  die  Aussenwelt  auffassenden  Sinne  nicht. 
Gesichts-  und  Gefühlssinn  haben  sogar  eine  hohe  Entwickelungsstufe 
erreicht.  In  der  Regel  finden  wir  bei  den  Hydrachniden  zwei  Paare 
von  Augen.  Diese  stehen  entweder  weit  von  einander  getrennt, 
wie  bei  jener  oben  genauer  besprochenen /'/o/za^  oder  sie  sind  auf  der 
Mitte  des  Vorderrückens  dicht  an  einander  gestellt,  so  dass  sie  an 
die  Augen  der  Weberknechte  (Phalangidae)  erinnern.  Mag  nun 
die  Anordnung  die  eine  oder  die  andere  sein,  jedesmal  findet  sich 
in  einem  Milbenauge  eine  Linse,  welche  das  Licht  nach  einem  hinter 
ihr  gelegenen  Punkte  bricht,  und  eine  becherförmig  gestaltete  Netz- 
haut mit  dunklem  Pigment,  welche  die  Lichteindrücke  zur  Empfin- 
dung bringt.  Der  Sehnerv  leitet  dieselben  dann  dem  oben  erwähnten 
Gehirn  zu.  Ob  nun  die  Milbe  wohl  einen  Gesamteindruck  von 
ihrer  Umgebung  durch  ihre  Augen  gewinnt?  Jedenfalls  kommt  bei 
Beantwortung  dieser  Frage  der  allgemeine  Stand  des  Seelenlebens 
in  Betracht  und  nicht  bloss  die  physikalische  Vollkommenheit  des 
Sehapparats.  Dass  sie  aber  scharfe  und  deutliche  Eindrücke  durch 
ihren  Gesichtssinn  erhalten,  scheint  mir  aus  der  grossen  Raschheit 
hervorzugehen,     mit    welcher    die    Mehrzahl    der    Süsswassermilben, 


*)  Dr.  V.  Schaub,   „Anatomie  von  Hydrodroma",  p.   29. 


Die  Hydrachniden.  ][7 

welche  des  Schwimmens  kundig  sind,  entgegenstehenden  Hinder- 
nissen ausweichen.  Allerdings  wird  hier,  wie  auch  sonst  wohl  viel- 
fach im  Tierreiche,  der  Gesichtssinn  offenbar  durch  den  sehr  ent- 
wickelten Tastsinn  unterstützt.  Bei  unseren  Milben  sind  Tastorgane 
in  ganz  ähnlicher  Weise,  wie  bei  den  übrigen  Gliedertieren,  über 
den  ganzen  Körper  verbreitet  und  ragen  als  Haartaster  über  die 
Oberfläche  des  Leibes  hervor.  INIan  wird  wohl  nicht  irregehen, 
wenn  man  die  in  grosser  Regelmässigkeit,  wenn  auch  meist  in 
ziemlich  spärlicher  Anzahl  auf  der  Haut  der  Tierchen  allenthalben 
zerstreuten,  meist  kurzen  Haarborsten  als  ebenso  viele  Tastorsane 
ansieht.  Ebenso  ist  ein  grosser  Teil  der  auf  den  Beinen  und 
namentlich  den  Tastern  befindlichen  Haarborsten  zu  den  Fühl- 
haaren zu  rechnen.  An  zahlreichen  grossen  Borsten,  welche  die 
ersten  Füsse  schmücken,  hat  man  die  Einrichtung  solcher  Fühlhaare 
genauer  untersucht.  Die  Haarborste  steht  in  einer  kleinen  Pore  der 
Oberhaut ;  sie  ist  selbst  zumteil  hohl  und  mit  lebendisfer  Substanz 
ausgefüllt,  welche  durch  die  Pore  hindurch  mit  dem  Innern  des 
Milbenkörpers  in  Zusammenhang  steht.  Unmittelbar  unter  das  in 
der  Porenöffnung  stehende  Ende  der  Borste  hat  sich  ein  Nerven- 
faden hinbegeben  und  dort  ein  kleines  Knötchen  gebildet,  welches, 
sobald  durch  irgend  eine  äussere  Veranlassung  die  Borste  gedrückt 
oder  gezerrt  wird,  durch  das  untere  Borstenende  gestreift  und  in 
Mitleidenschaft  gezogen  werden  muss.  Hierdurch  kommt  die  Tast- 
empfindung und  zugleich  auch  jedenfalls  eine  Ortsbestimmung  zu 
Stande.  Die  Oberhaut  des  Tierchens  ist,  da  sie  aus  einer  festen 
widerstandsfähigen  IMasse  gebildet  ist,  an  sich  einer  Empfindung 
nicht  fähig.  Dieser  Mangel  wird  durch  jene  Tastborsten  fast  völlig 
ausgeglichen.  ]Man  hat  übrigens  auch  in  dem  der  Haut  \on  innen 
anliegenden  Zellengewebe  zahlreiche  Nervenelemente  entdeckt  und 
so  ist  es  auch  möglich,  dass  ein  an  irgend  einer  Stelle  auf  die 
weiche  und  nachgiebige  Hautfläche  bei  den  weichhäutigen  Hy- 
drachniden ausgeübter  Druck  auch  ohne  besondere  Tasthaare  eine 
Gefühlsempfindung  auslöst. 

In  ganz  besonderer  Weise  sind,  wie  sich  wohl  vermuten  lässt, 
die    Taster    mit    Gefühlshaaren    ausgerüstet.       Es    ist    dies    um    so 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  2 


18  I^iö  Hydrachniden. 

notwendiger,  als  die  meist  weit  vom  Munde  und  auf  der  Stirn- 
wölbung aufgestellten  Augen  die  Umgebung  des  Mundes  nicht  zu 
übersehen  vermögen.  Von  den  Mundteilen  kann  also  nur  nach 
bestimmten  Gefühlseindrücken  gehandelt  werden.  Diese  werden 
durch  dicht  aufgestellte  Tasthaare  vermittelt. 

Ähnlich  ist  auch  die  Unterseite  der  Füsse  und  zwar  namentlich 
ihrer  Endglieder  mit  zahlreichen  kurzen  Haaren  versehen,  welche 
beim  Schreiten  und  wohl  auch  beim  Schwimmen,  wie  ferner  beim 
Ergreifen  der  Beute  die  Tastempfindungen  veranlassen. 

So  haben  die  unscheinbaren  und  auf  den  ersten  Blick  willkürlich 
über  den  Körper  verstreuten  Haarborsten  einen  wichtigen  Beruf. 

Ob  die  Wassermilben  Gehörs-  und  Geruchsempfindungen  be- 
sitzen, ist  nicht  beobachtet.  Geschmacksempfindungen  werden  sie 
ganz  gewiss  haben,  da  es  höchst  wahrscheinlich  ist,  dass  sie  ihre 
Beute  auch  durch  den  Geschmack  unterscheiden. 

Ob  man  nun  auch  von  einem  seelischen  Leben  unserer  Ge- 
schöpfe sprechen  darf?  Einen  bestimmten  Charakter  hat  jedenfalls 
jede  Wassermilbe  im  Vergleich  mit  anderen.  Darunter  kann  ich 
hier  freilich  nur  die  Art  und  Weise  ihres  Betragens  verstehen.    Die 


"ö^ 


Schnelligkeit,  mit  welcher  die  Bewegungen  ausgeführt  werden;  die 
Feindschaft  oder  Freundschaft,  um  diese  Worte  hier  zu  gebrauchen, 
welche  den  übrigen  Mitgliedern  einer  und  derselben  Art  entgegen- 
gebracht werden ;  die  Gewandtheit,  mit  welcher  eine  solche  Milbe 
einer  drohenden  Gefahr  zu  entrinnen  sucht,  alles  dieses,  namentlich 
das  Zuletzterwähnte,  lassen  den  Schluss  gerechtfertigt  erscheinen, 
dass  wir  bei  diesen  Ideinen  Geschöpfen  ein  verhältnismässig  hoch 
entwickeltes  Seelenleben  voraussetzen  dürfen.  Wenn  sich  nun  auch 
diese  seelischen  Regungen  wohl  zumeist  auf  den  Erwerb  der  Nah- 
rung, auf  Sicherstellung  des  einzelnen  Tieres  und  auf  Erhaltung 
der  Art  richten,  so  ist  doch  das  Vorhandensein  derselben  von 
ausserordentlichem  Interesse  und  fordert  zu  immer  neuen  Beob- 
achtungen auf,  damit  auch  für  diese  niedrigen  Geschöpfe  die  Tiefe 
und  Ausdehnung  des  ihnen  verliehenen  seelischen  Lebens  immer 
mehr  bekannt  werde. 


Die  Hydrachniden.  J  9 

Wir  wenden  uns  nun  einer  kurzen  Besprechung  der  haupt- 
sächlichsten Gattungen  zu. 

An  der  Hand  der  oben  gegebenen  Beschreibung  von  Piona 
ßavcscens  und  unter  Benutzung  der  beigefügten  Abbildung  in  Fig.  i 
ist  jeder  leicht  imstande  sich  eine  hinreichend  genaue  Vorstellung 
von  der  Gestalt  einer  Hydrachnide  überhaupt  zu  machen.  Jedoch 
wird  der  Naturfreund,  der  es  unternimmt,  die  häufigeren  ^Mitglieder 
unserer  Tierfamilie  in  den  stehenden  und  fliessenden  Gewässern 
seiner  Heimat  genauer  zu  betrachten,  bald  bemerken,  dass  er  in 
der  That  recht  verschiedenartige  Geschöpfe  in  sein  Aquarium  bringt. 
Wir  wollen  ihm  in  dem  Nachfolgenden  einige  Winke  für  das  Unter- 
scheiden der  gesammelten  Tierchen  geben,  verweisen  aber  zu  einer 
eingehenderen  Betrachtung  auf  unsem  Anhang.  Vieles  lässt  sich 
schon  mittels  einer  schärferen  Lupe  deutlich  genug  erkennen,  ganz 
wird  es  indessen  nicht  ohne  die  Zuhilfenahme  eines  Mikroskops 
abgehen.  Und  gerade  die  mikroskopische  Betrachtung  der  hier 
uns  beschäftigenden,  zumteil  recht  kleinen  Geschöpfe  entfaltet  eine 
solche  Fülle  zierlicher  Formen  vor  unseren  Augen,  dass  wir  unwill- 
kürlich von  der  Begierde  ergriffen  werden,  immer  neue  Gestalten 
einer  solchen  zu  unterwerfen. 

Die  im  Anhang  gegebene  Tabelle  nimmt  ihre  Merkmale 
nicht  mit  Rücksicht  auf  die  gegenseitige  Verwandtschaft  der 
Hydrachniden,  sondern  mit  Rücksicht  auf  Deutlichkeit  und  leichtes 
Auffassen.  Hier  dagegen  möchte  ich  versuchen,  die  hauptsäch- 
lichsten Gruppen  herauszuheben. 

Betrachtet  man  die  klaren  Wasser  eines  Grabens  oder  kleinen 
Teiches  aufmerksam,  so  geschieht  es  wohl,  dass  man  ein  linsen- 
grosses,  blutrotes,  kugelförmig  aufgeschwollenes  Geschöpf  in  kräftigem 
Zuge  durch  die  stille  Flut  eilen  sieht,  lebhafte  Wendungen  bald 
hierin  bald  dorthin  ausführend.  Ein  schneller  Griff  mit  dem  Fang- 
netz und  die  Schwimmerin  ist  in  Gefangenschaft  geraten.  M'ir 
entlassen  sie  in  eine  bereitgehaltene  flache  Schale  und  können  sie 
nun  mit  blossem  Auge  deutlich  erkennen  und  prüfen.  Entweder 
streckt  sie  den  vierten  Fuss  jederseits  beim  Schwimmen  unbeweglich 
nach  hinten,    oder  sie  macht    auch    mit    ihm,    also    mit    sämtlichen 

2» 


20  Die  Hydrachniden. 

acht  Füssen  lebhafte  Schwimmbewegungen.  Im  erstem  Falle  haben 
wir  eine  unserer  ansehnlichsten  und  häufigsten  Süsswassermilben 
vor  uns,  einen  Repräsentanten  der  oben  schon  erwähnten 
Gattung  Eylais*).  Die  Milbe  ist  eine  arge  Räuberin  und  überfällt 
mit  ihren  kräftigen  Füssen  und  den  zwar  ausserordentlich  kleinen, 
aber  überaus  kräftigen  Kiefern,  was  ihr  in  den  Weg  kommt.  Sie 
bildet  eine  ganz  besondere  Abteilung  der  Hydrachniden  für  sich, 
da  bei  ihr  die  MundöfFnung  und  die  damit  zusammenhängende 
Ausbildung  der  Kiefer  eine  ganz  eigentümliche  geworden  ist.  Wie 
eine  sorgfältige  Betrachtung  des  Mundes  mit  dem  Mikroskop  lehrt, 
hat  die  ganze  Gestalt  und  Anordnung  desselben  eine  überraschende 
Ähnlichkeit  mit  einer  Saugscheibe.  Man  bemerkt  eine  kreisrunde 
Platte,  eingerahmt  durch  einen  Kranz  zierlicher  Haarborsten,  in  der 
Mitte  die  winzige  Mundöffnung  tragend,  aus  welcher  die  schwärz- 
lichen Spitzen  der  Kieferendglieder  in  Gestalt  zweier  scharfer 
Zähnchen  etwas  hervorgeschoben  werden  können.  Gegen  diese 
Zähnchen  drücken  die  kräftigen  Taster  und  Füsse  ihre  Beute, 
welche  alsbald  die  tödliche  Wunde  empfängt.  Betrachten  wir  das 
in  ausgewachsenem  Zustande  bis  4  mm  lange  Tier  von  oben  her, 
so  wird  man  auf  dem  Vorderrücken,  und  zwar  ziemlich  nahe  der 
Mittellinie  vier  schwarze,  dicht  bei  einander  stehende  Augenpunkte 
gewahr  werden.  Lösen  wir  mit  einem  scharfen  Messer  die  dieselben 
tragende  Hautstelle  ab  und  richten  nun  das  Mikroskop  auf  sie,  so 
erblicken  wir  die  zu  den  einzelnen  Augen  gehörigen  Linsen,  jede  in 
eine  besondere  dickwandige  Hautkapsel  eingeschlossen.  Es  giebt 
nur  wenige  Hydrachniden,  bei  denen  die  Augen  in  der  angegebenen 
Art  und  Weise  angeordnet  und  geschützt  sind.  Auffallend  ist  es 
und  mag  hier  gleich  erw'ähnt  werden,  dass  die  eben  dem  Ei  ent- 
schlüpften jungen  Eyla'is  weit  von  einander  getrennt  aufgestellte 
Augenpunkte  führen,  dass  also  die  soeben  erwähnte  eigentümliche 
und  von  der  Regel  abweichende  Augenstellung  erst  in  späteren 
Stadien  ihres  Lebens  und  zwar  nach  der  ersten  Häutung  beobachtet 
wird.      Es    ist    dies    eine    Thatsache,     welche    bei    Beurteilung    der 


*)  Siehe  Anhang. 


Die  Hydrachniden.  21 

Verwandtschaft    unserer  Gattung    auch  mit  Landmilben  nicht  ohne 
Bedeutung  ist. 

Hatte  die  gefangene  und  in  die  Glasschale  entlassene  Milbe, 
wie  eine  kurze  Betrachtung  bald  ergeben  wird,  auch  am  vierten 
Fusse  jeder  Seite  dichte  Büschel  von  Schwimmborsten,  so  werden 
wir  eine  Vertreterin  einer  zweiten  wichtigen  Gruppe  von  Süss- 
wassermilben  vor  uns  haben,  und  zwar  der  Gruppe,  nach  welcher 
die  ganze  Familie  ihren  Namen  bekommen  zu  haben  scheint.  Sie 
ist  dann  ein  Mitglied  der  Gattung  HydracJma*),  welche  in  mehreren 
sehr  stattlichen  Arten  unsere  Gewässer  bevölkert. 

Die  Gattung  Hydrachna  ist  ausgezeichnet  durch  ihre  sehr 
eigenartige  Mimdbildung.  Keine  andere  Süsswassermilbe  hat  einen 
ähnlich  gebauten,  zu  einem  Stechorgan  umgestalteten  Schnabel, 
welcher  sanft  gekrümmt  in  ansehnlicher  Länge  zwischen  den  kurzen 
Tastern  hervorragt.  Dieser  Schnabel  wird  durch  die  Unterlippe 
gebildet  und  stellt  eine  oben  offene  Halbröhre  dar,  ist  selbst  scharf 
zugespitzt,  dennoch  aber  nicht  als  eine  gefahrdrohende  Waffe  an- 
zusehen, so  wenig  wie  die  beiden  haarscharfen  messerartigen  ein- 
gliedrigen Kiefer,  welche  in  jener  Rinne  auf-  und  abgeschoben 
werden  können.  Die  Milbe  scheint  nicht  von  tierischer  Nahrung 
zu  leben,  sondern  benutzt  ihr  umfangreiches  Stechorgan  dazu,  um 
Pflanzenstiele  anzubohren.  Ihre  Eier  wenigstens  legt  sie  in  Höhlungen, 
welche  sie  mittels  ihres  Schnabels  in  Blattstiele  von  Wasserpflanzen 
eingebohrt  hat.  Der  kugelförmig  aufgetriebene  Körper  wird  von 
den  weit  nach  vom  gerückten  Füssen  nicht  besonders  schnell  durch 
das  Wasser  getragen,  er  scheint  sogar  häufig  durch  sein  Gewicht 
einen  hemmenden  Einfluss  auszuüben,  wenigstens  wird  oftmals  die 
Unterseite  des  Tieres  beim  Schwimmen  von  oben  her  sichtbar. 
Auch  Hydrachna  besitzt,  gerade  wie  Eyla'is,  Augen,  welche  paar- 
weise in  eine  mit  wulstigen  Rändern  versehene,  harte  Kapsel  ein- 
geschlossen sind,  jedoch  stehen  die  beiden  Augenpaare  weit  von 
einander  entfernt.  Die  Bauchfläche  trägt  jederseits  von  der 
Geschlechtsöffnung  eine  Platte  mit  zahlreichen  Haftnäpfen,  jedoch 
sind  letztere  klein  und  unansehnlich. 


*)  Siehe  Anhang. 


22  Die  Hydrachniden. 

Im  Gegensatze  zu  den  beiden  soeben  erwähnten  Gattungen, 
denen  in  gewissem  Sinne  noch  zwei  andere  beigesellt  werden 
können,  nämlich  Hydrodroma  und  Limnochares*),  weil  sie  sechs- 
füssige  Larven  von  ausgesprochenem  Trombidium-Charakter  besitzen, 
bilden  die  dann  noch  übrigen  etwa  24.  Hydrachniden-Gattungen 
eine  grössere  Abteilung  für  sich,  da  sie  viel  Verwandtschaftliches 
zeigen  und  daher  zunächst  auch  noch  zusammengefasst  werden  können. 

Das  Hauptmerkmal  dieser  Gruppe  dürfte  wohl  darin  bestehen, 
dass  die  sechsfüssige  Larve  einen  eignen  Typus  hat,  den  ich 
den  Nesaea-Typus  nenne,  und  welcher  durch  die  Abbildung  in 
Fig.  3  <7  S.  39  dargestellt  ist.  Da  jedoch  diese  Larven  nicht  immer 
leicht  zu  beschaffen  sind,  so  müssen  wir  wohl  damit  zufrieden 
sein,  die  Milben  nach  der  Form  der  Kiefer  näher  zu  bezeichnen. 
Als  Beispiel  für  die  ganze  eben  in  Rede  stehende  Süsswassermilben- 
abteilung  gilt  die  oben  näher  beschriebene  und  abgebildete  Piona 
flavescens.  Dieselbe  besitzt  Kiefer,  wie  sie  in  Fig.  3  b  zur  An- 
schauung gebracht  sind.  Dieselben  sind  zweigliedrig  und  das  letzte 
Glied  besitzt  die  Gestalt  einer  Klaue,  wonach  die  ganze  Kieferart 
den  Namen  klauenförmiger  Kiefer  erhalten  hat.  Dieselben  werden 
von  der  Milbe  so  getragen,  dass  die  Klauen  mit  ihrer  Spitze  nach 
oben  schlagen.  Die  ganze  Menge  der  hierhergehörigen  Milben  zer- 
fällt in  zwei  grössere  Heerlager,  welche  wir  am  einfachsten  nach 
ihrer  äussern  Körperhülle  in  sogenannte  Hartschwimmer  und  Weich- 
schwimmer zu  trennen  haben.  Hartschwimmer  sind  solche  Süss- 
wassermilben,  deren  Körper  durch  eine  feste,  allseitig  geschlossene 
wahre  Panzerhaut  geschützt  ist,  während  die  Weichschwimmer  eine 
solche  Verhärtung  der  Haut  nicht  aufzuweisen  haben.  Bemerkens- 
wert ist  es  allerdings,  dass  auch  die  jüngsten,  dem  Ei  entschlüpften 
Larven  der  Weichschwimmer,  soweit  sie  zur  Beobachtung  gekommen 
sind,  eine  wenigstens  auf  dem  Rücken  ziemlich  weitgehende  Haut- 
verhärtung aufzuweisen  haben,  welche  sich  aber  in  späteren  Stadien 
wieder  verliert.  Diese  Beobachtung  wird  zur  Beurteilung  der  wahren 
verwandtschaftlichen  Verhältnisse  künftighin  wohl  nicht  ganz  ausser 
Acht  gelassen  werden  können. 


*)  Siehe  Anhang. 


Die  Hydrachnidcn.  23 

Zu  den  Hartschwimmem  gehört  namentlich  die  ausserordentlich 
artenreiche  Gattung  Arremtnis*).  Es  scheint  keinen  Teich  oder 
See  zu  geben,  für  welchen  sich  nicht  eine  eigentümliche  Art  dieser 
merkwürdigen  Gattung  aufweisen  Hesse.  Sie  ist  ganz  besonders  der 
Aufmerksamkeit  wert,  weil  es  nach  den  bisherigen  Beobachtungen 
den  Anschein  hat,  als  wäre  sie  besonders  der  Veränderlichkeit 
unterworfen.  Grünrote,  braune,  ja  ganz  bunte  Arten  derselben 
wimmeln  häufig  durch  einander  und  bereiten,  wenn  man  nur 
\\'eibchen  vor  sich  hat,  dem  Untersucher  fast  unüberwindliche 
Schwierigkeiten.  Diese  verschwinden  aber  sogleich,  sobald  die 
Männchen  mit  ihren  so  ganz  eigentümlich  gebauten  Hinterleibs- 
anhängen zu  Gebote  stehen. 

Es  bietet  sich  hier  eine  passende  Gelegenheit,  den  geschlecht- 
lichen Unterschieden  in  der  äussern  Gestalt,  welche  bei  Ai'reimrus 
in  ausserordentlich  hohem  Masse  zu  Tage  treten,  etwas  Aufmerk- 
samkeit zu  widmen.  Es  erscheint  wunderbar,  dass  innerhalb  einer 
und  derselben  Tiergruppe  diese  Unterschiede  in  so  ungleichem 
INIasse  ausgebildet  sind,  denn  während  sie  bei  der  eben  erwähnten 
Gattuns:  in  einem  höchst  bedeutenden  Grade  vorhanden  sind, 
treten  sie  bei  vielen  anderen,  die  mit  ihr  unter  nahezu  gleichen 
Bedingungen  leben,  eigentlich  völlig  zurück.  Eine  Erklärung  dieser 
Thatsachen  ist  bis  jetzt  nicht  gut  zu  erwarten  gewesen.  Vielleicht 
lüftet  eine  fortgesetzte  Beobachtung  den  über  dieser  ganzen  Frage 
der  geschlechtlichen  Formverschiedenheiten  noch  ruhenden  Schleier. 
Jedenfalls  ist  bei  Arrenurus  diese  Verschiedenheit  der  Geschlechter 
am  weitesten  fortgeschritten  und  hat  ausser  den  Füssen,  wo  sie 
auch  bei  anderen  Gattungen  beobachtet  wird,  noch  den  Rumpf 
ergriffen,  indem  ausser  ansehnlichen  kegelförmigen  Fortsätzen  auf 
dem  Rücken  namentlich  der  Hinterrand  des  Leibes  in  mannigfacher 
Weise  umgestaltet  ist.  In  den  Abbildungen  Fig.  2  S.  24  haben 
wir  einige  Formen  solcher  Schwanzanhänge  zur  Anschauung  gebracht. 
Es  lassen  sich  dabei  offenbar  ganz  bestimmte  typische  Gestalten, 
die  alsdann  in  freier  Weise  variieren,  unterscheiden. 


*)  Siehe  Anhang  und  Figur  2,  a,  b,  c. 


24 


Die  Hvdrachniden. 


So  unterscheiden  wir  eine  langgestreckte  Schwanzform,  wie  sie 
unter  2  b  von  Arremiriis  caitdaius  abgebildet  ist,  von  einer  fisch- 
schwanzähnlichen,    bei    welcher    die    hinteren    Seitenecken   in   zwei 


i. 

^ 


3 


I- 


o 


ansehnliche  Zipfel  ausgezogen  sind,  zwischen  denen  in  einer  mitt- 
leren Abteilung  oft  sonderbar  gestaltete  Fortsätze  und  Blättchen 
auffallen.      Ein    Beispiel  hierfür    ist    Fig.   2  c ,    Arreniirus    albator. 


,  Die  Hydrachniden.  25 

Eine  dritte  Form  bietet  im  ganzen  an  sich  un-bedeutendere  Anhänge, 
welche  keine  leicht  bestimmbare  Gestalt  besitzen  und  daher  der 
Beschreibung  Schwierigkeiten  entgegenstellen.  Einen  solchen  Anhang 
zeigt  Fig.  2  a  vori  Arrenurtis  calcarator. 

Diese  Anhänge  wie  überhaupt  die  besonderen  geschlechtlichen 
Eigentümlichkeiten  der  Gestalt  treten  erst  nach  der  letzten  Häutung 
des  Tieres  hervor  und  sind  auch  dann  nicht  gleich  voll  entwickelt, 
sondern  scheinen  erst  nach  und  nach  ihre  endgültige  Form  anzu- 
nehmen. Ausser  durch  ihren  Schwanzanhang  sind  die  Männchen 
von  Arreniinis  noch  durch  eine  den  Weibchen  abgehende  Be- 
waffnung des  vierten  Fusses  jeder  Seite  ausgezeichnet.  Beiden 
Geschlechtem  gemeinsam  ist  jedoch  die  bereits  oben  berührte  starke 
Ausstattung  der  hinteren  Füsse  mit  Schwimmborsten,  welche  es 
ihnen  ermöglicht,  mit  ausserordentlich  kräftigen  Bewegungen  das 
Wasser  zu  durcheilen.  Ihre  Nahrung  besteht  vornehmlich  aus  den 
kleinsten  Bewohnern  des  süssen  Wassers,  den  Rädertierchen, 
Daphniden  etc.,  sie  sind  leicht  in  Gefangenschaft  zu  halten,  selbst 
in  sehr  kleinen  Aquarien.  Drollig  nehmen  sich  beim  Schwimmen 
die  Arten  mit  einem  langen  Schwanzanhang  aus,  indem  die  ver- 
hältnismässig schwachen  Füsse  es  nicht  verhindern  können,  dass 
der  langgestreckte  Hinterleib  gleich  einem  Pendel  fortwährend  hin 
und  her  schwankt,  was  dem  Schwimmen  einen  ungeschickten  An- 
schein verleiht. 

Die  Grösse  der  bei  uns  vorkommenden  Arrenurus -Arten  ist 
ausserordentlich  verschieden  und  schwankt  zwischen  2  und  ^k  mm. 

Neben  dieser  sehr  artenreichen  Gattung '^rr^«;/n/s  sind  noch 
einige  weniger  in  die  Augen  fallende  harthäutige  Hydrachniden 
erwähnenswert,  so  die  kleinen  bunten  Vertreter  der  GdMm\g  Axona*). 
Sie  sind  zwar  mit  unbewaffnetem  Auge  kaum  wahrzunehmen, 
zeichnen  sich  aber  einesteils  durch  ihre  lebhafte  Färbung,  ander- 
seits aber  auch  durch  die  ganz  besonders  merkwürdige  Gestalt, 
welche  dem  vierten  Fusse  des  Männchens  eigentümlich  ist,  aus. 
Offenbar    ist  dieses    anhangsreiche  Glied    dem  Männchen    gegeben. 


*)  Siehe  Anhang. 


2(5  Die  Hydrachniden. 

um  das  Weibchen  festhalten  zu  können,  doch  mag  es  auch  ein 
blosser  Schmuck  sein,  der  die  Weibchen  fesselt  und  anzieht,  wenn 
man  auch  zweifelhaft  sein  könnte,  ob  diese  winzigen  Tiere  ein  so 
hohes  geistiges  Leben  entfalten,  dass  man  von  Freude  am  Schmuck 
bei  ihnen  reden  kann.  Dass  jedoch  die  Milben  an  und  für  sich 
auch  tieferen  Gefühlsbewegungen  nicht  unzugänglich  sind,  tritt  sehr 
deutlich  bei  einer  kleinen  Landmilbe  (Cheyletus)  hervor,  welche  ihre 
in  Häufchen  zusammengelegten  Eier  nicht  nur  bis  zum  Ausschlüpfen 
der  Jungen  nicht  verlässt,  sondern  dieselben  auch  gegen  Angriffe 
tapfer  verteidigt.  Wenn  dies  auch  das  einzige  mir  bis  jetzt  bekannte 
Beispiel  eines  höheren  geistigen  Lebens  bei  unserer  Tierfamilie  ist, 
so  ist  es  gerade  hinreichend,  um  überhaupt  ein  solches  bei  der- 
selben zu  beweisen. 

Es  bleibt  nun  noch  als  letzte  Gruppe  diejenige  zu  erwähnen 
übrig,  welche  ich  im  Gegensatze  zu  den  soeben  erwähnten  Hart- 
schwimmern als  die  Weichschwimmer  bezeichnet  hatte. 

Gemeinsames  Kennzeichen  ist  bei  den  erwachsenen  Tieren 
dieser  Gruppe  eine  weiche  Körperhaut.  Die  zahlreichen  Gattungen 
derselben  bieten  sonst  allerdings  sehr  mannigfaltige  Verschiedenheiten, 
doch  dürfte  es  selbst  dem  geübteren  Beobachter  ziemliche  Schwieris:- 
keiten  bereiten,  diese  Unterschiede  zu  bemerken. 

Als  Repräsentant  dieser  Gruppe  muss  wiederum  jene  oben 
ausführlicher  erwähnte  und  auch  abgebildete  Piona  dienen,  und  es 
mag  genügen,  hier  auf  sie  zu  verweisen.  Nur  einen  Punkt  möchte 
ich  auch  bei  dieser  Gruppe  besonders  hervorheben,  nämlich  noch 
einmal  die  Gestaltverschiedenheiten,  welche  man  zwischen  Männchen 
und  Weibchen  derselben  Art  beobachtet.  Hier  sind  es  besonders 
und  vor  allem  die  Füsse,  welche  bei  beiden  Geschlechtern  in  auf- 
fallender Weise  verschieden  gestaltet  sind,  indem  die  Männchen 
mancherlei  besondere  Anhänge  und  Umformungen  einzelner  Fuss- 
glieder  aufzuweisen  haben. 

Wie  bei  zahlreichen  Männchen  von  Insekten  sind  nämlich  die 
Füsse  hier  in  Fangorgane  umgestaltet,  um  die  flüchtigen  Weibchen 
festzuhalten.  Allerdings  findet  dies  auch  nicht  bei  allen  hierher- 
gehörigen Gattungen  statt,  auch  ist  für  zahlreiche  Arten  überhaupt 


Die  Hydrachniden.  27 

das  Männchen  noch  nicht  beobachtet,  wo  es  aber  bekannt  geworden 
ist,  da  dient  zugleich  auch  die  besondere  Gestalt  der  Füsse  zu 
einer  \-erhältnismässig  leichten  Unterscheidung  der  oft  zahlreichen 
Arten.  So  muss  es  als  feststehend  gelten,  dass  die  in  unseren 
Gewässern  neben  der  Gattung  Arremirus  am  häufigsten  vor- 
kommende Gattung  Nesaea  bei  allen  ihren  zahlreichen  Arten  im 
männlichen  Geschlecht  ein  umgeformtes  drittes  und  \-iertes  Fuss- 
paar  besitzt.  Jeder  Fuss  des  dritten  Paares  hat  ein  keulenförmig 
gestaltetes  Endglied,  an  welchem  auch  die  Kralle  eine  von  der 
gewöhnlichen  abweichende  Gestalt  besitzt,  wie  sie  Fig.  3  g  von 
Nesaea  fuscata  zeigt.  Weiter  ist,  was  auch  schon  bei  geringer 
\'ergrösserung  bemerkt  werden  kann,  das  drittletzte  Glied  an  den 
Füssen  des  vierten  Fusspaares  hufeisenförmig  eingebogen  und  trägt 
an  den  Rändern  der  Einbuchtung  einen  Kranz  starrer  und  auf- 
fallender Haarborsten  (Fig.   3  h). 

Einer  andersgearteten  Umgestaltung  des  vierten  Fusses  begegnet 
man  bei  den  Piona-Männchen.  Es  würde  jedoch  zu  weit  führen, 
wenn  hier  noch  mehr  in  Einzelheiten  eingegangen  würde. 

Jedoch  noch  einer  besonderen  Erscheinung,  welche  bei 
INIännchen  und  Weibchen  einer  kleinen  Gruppe  \oi\  Gattungen 
beobachtet  wird,  kann  ich  nicht  unterlassen  Erwähnung  zu  thun, 
weil  sie  zeigt,  wie  sonderbar  oft  die  Richtung  zu  sein  scheint,  in 
welcher  die  Umformung  der  Gestalt  fortschreitet.  Hier  handelt  es 
sich  auch  um  eine  Eigentümlichkeit  der  Füsse.  Es  ist  Regel,  dass  die 
Hydrachniden  an  sämtlichen  acht  Füssen  deutliche  und  wohl  aus- 
gebildete Krallen  tragen.  Die  Abbildung  Fig.  3  d  zeigt  eine  solche 
von  Nesaea  fuscata.  Jene  kleine  Gruppe  von  Bulben ,  zu  denen 
unter  anderen  die  in  unseren  Gewässern  häufig  gefundene  Gattung 
Limnesia*)  gehört,  hat  nun  diese  Krallen  an  den  beiden  vierten 
Füssen  durchaus  eingebüsst.  Hier  endigt  das  letzte  Fussglied  mit 
einer  stumpfen  kegelförmigen  Spitze.  Allerdings  beobachtet  man 
leicht,  dass  bei  zahlreichen  Wassermilben  die  Krallen  an  den  vierten 
Füssen  ungleich  kleiner  sind  als  namentlich  am  zweiten  und  dritten 


*)  Siehe  Anhang. 


28  I^is  Hydrachniden. 

Fusspaar  aber  sie  sind  stets  gut  ausgebildet  und  zeigen  auch  die 
für  die  Gattung  charakteristische  Form.  Wie  lässt  es  sich  hier  nun 
erklären,  dass  sie  bei  Limnesia  völlig  fehlen.  Nur  als  Vermutung 
könnte  angeführt  werden,  dass  Limnesia  das  vierte  Fusspaar  nie- 
mals zum  Festklammern  des  Körpers  benutzt,  sondern  stets  in 
schwingende  Bewegung  setzt,  sobald  sie  vom  Schwimmen  ausruht, 
vielleicht  um  das  Wasser  um  den  Leib  in  Zirkulation  zu  bringen. 
Im  Anschluss  an  die  soeben,  wenn  auch  nur  in  flüchtigen  Um- 
rissen gegebene  Übersicht  der  Hauptformen  unserer  Süsswassermilben 
möge  ein  kurzes  Wort  über  ihren  Aufenthalt,  ihre  Verbreitung  und 
allgemeine  Lebensweise  folgen.  Zwar  sind  auch  über  diesen  Punkt 
die  Beobachtungen  nur  wenig  umfassend,  aber  so  weit  sie  ein 
Urteil  zulassen,  darf  man  wohl  sagen,  dass  die  Hydrachniden 
stehende  klare  Gewässer  den  fliessenden  vorzuziehen  scheinen. 
Auch  trifft  man  in  grösseren  Wasserbecken,  deren  Ufer  durch  die 
offenbar  von  Wind  und  Wellenschlag  herrührenden  zerstörenden 
Einflüsse  des  Wassers  mit  absterbenden  Pflanzenresten  bedeckt, 
auch  häufig  mit  moderndem  Schlamm  überzogen  sind,  viel  seltener 
Milben  an,  als  in  den  kleinen  mit  dichtem  Wasserpflanzengebüsch 
durchsetzten  Weihern  und  Teichen.  Hier,  wo  die  kleinen  Kruster, 
wie  Daphniden  und  Cyclopiden,  ihr  Wesen  treiben,  wo  die  Mücken 
und  zarten  Netzflügler  ihre  Eier  massenhaft  ablegen,  wo  zahllose 
Infusorien  an  den  Wasserpflanzen  auf-  und  niederfahren,  da  finden 
unsere  zumeist  vom  Raube  lebenden  Hydrachniden  ein  geeignetes 
Jagdgebiet,  welches  sie  in  allen  Stadien  ihrer  Entwickelung  in  meist 
rastloser  Eile  durchlaufen,  den  Beobachter  in  Erstaunen  setzend 
über  die  Ausdauer  und  Kraft  ihrer  Muskeln,  welche,  am  Tage  und 
oft  auch  des  Nachts  angestrengt,  dennoch  nicht  ermüden  und  in 
gleichmässiger  Schnelligkeit  den  Körper  von  Ort  zu  Ort  führen. 
Doch  ist  es  nicht  nur  die  Reichhaltigkeit  der  Nahrung,  es  ist 
auch  die  bald  höher  steigende  Temperatur  solcher  stehenden 
Gewässer,  welche  offenbar  unseren  Milben  sehr  angenehm  ist. 
Beobachtet  man  doch ,  dass ,  wenn  im  Hochsommer  die  kleinen 
Wasserbecken  bis  auf  zwanzig  und  mehr  Grad  erwärmt  werden, 
die  Scharen,  namentlich  der  Arrenurus- Arten,  ganz   ausserordentlich 


Die  Hydrachniden.  29 

anwachsen.  Wie  die  Ameisen  im  Sonnenbrand  nur  um  so  rast- 
loser ihren  Zwecken  und  Pflichten  nachgehen  und  für  den  Beschauer 
ein  Schwindel  erregendes  Gewimmel  hervorbringen,  so  jagen  sich 
die  roten,  grünen  und  bunten  Hartschwimmerarten  durch  die  unter- 
getauchten Wasserpflanzen  und  fallen  massenhaft  dem  Sammler  ins 
Netz.  Übereinstimmend  hiermit  ist  die  von  einem  Beobachter 
gemachte  Bemerkung,  dass  die  höher  im  Gebirge  gelegenen  Teiche 
gewöhnlich  arm  an  Wassermilben  sind,  weil  die  Temperatur  der- 
selben selbst  im  Sommer  eine  verhältnismässisr  niedri2;e  ist.  Dass 
die  INIilben  allerdings  auch  in  kaltem  Wasser  gut  zu  leben  vermögen, 
beweist  der  Umstand,  dass  man  schon  sehr  früh  im  Jahre,  wenn 
das  Eis  noch  auf  dem  Wasser  steht,  reichliche  Beute  findet  und 
zwar  nicht  bloss  erwachsene  Tiere,  sondern  solche  auf  allen  Ent- 
wickelungsstadien.  Daher  ist  es  wohl  möglich,  dass  die  niedrigere 
Temperatur  der  Gebirgsteiche  die  den  meisten  Milben  zur  Nahrung 
dienenden  Kruster,  sowie  andere  zartere  Geschöpfe,  die  von  ihnen 
verfolgt  werden,  nicht  recht  zur  Entwicklung  kommen  lässt,  so 
dass  das  Fehlen  zahlreicher  Milben  erst  hieraus  zu  erklären  wäre. 
Diese  letztere  Ansicht  wird  vielleicht  durch  eine  Beobachtung 
unterstützt,  welche  aus  südlicheren  Gegenden  stammt,  wo  überhaupt 
wohl  auch  in  kühlerem  Wasser  reicheres  Leben  zu  finden  ist,  so 
dass  auch  INIilben  darin  nicht  zu  darben  brauchen.  So  hat  der 
französische  Naturforscher  Th.  Barrois  während  einer  der  Er- 
forschung der  Azoren  gewidmeten  Reise  eine  H}'drachnide 
beobachtet,  über  deren  Lebensgewohnheiten  er  sich  fokendermassen 
auslässt:  „Ich  fand  diese  Art  stets  in  rasch  fliessendem,  wenig  tiefem 
Wasser  der  Quell-  und  Sturzbäche,  welche  von  den  Bergen  herab- 
kommen, um  entweder  in  einen  See,  was  indessen  nicht  oft  vor- 
kommt, oder  sogleich  ins  Meev  sich  zu  ergiessen,  und  deren  Bett 
zahlreiche  Kieselsteine  enthält.  Ob2;leich  die  Tiere  sehr  Q-ute 
Schwimmer  sind,  so  habe  ich  sie  niemals  mit  dem  Netz  s:efan2;en: 
sie  leben  vielmehr  auf  der  Unterseite  der  Steine,  wo  sie  in  Gruppen 
von  fünf,  sechs,  zehn  und  noch  mehr  zusammen  sich  in  die  Löcher 
der  basaltigen  Laven  festsetzen,  um  nicht  von  dem  Strome  mit 
fortgerissen  zu  werden.     Die  Temperatur  dieser  Bäche  und  Flüsschen 


30  Die  Hydrachniden. 

ist  sehr  niedrig  und  steigt  auch  im  August  und  September 
höchstens  auf  1 5 1/2  °.  Die  Verbreitung  dieser  Art  in  vertikaler 
Richtung  bietet  grosse  Unterschiede.  Ich  habe  sie  fast  unmittelbar 
am  INIeer  gesammelt  und  auch  in  einer  Höhe  von  800  Metern". 
Hierbei  wird  noch  eines  besonders  merkwürdigen  Umstandes  wie 
folgt  gedacht:  „Obwohl  die  beobachtete  Milbe  in  grosser  Menge  in 
gewissen  Giessbächen  lebt,  welche  sich  in  Seen  ergiessen,  so  findet 
sie  sich  in  diesen  Seen  selbst  niemals.  Zur  Erklärung  dieses  gewiss 
auffallenden  Vorkommnisses  lässt  sich  Folgendes  etwa  anführen: 
Unsere  Hydrachnide  liebt  sehr  flache,  sprudelnde,  reine  Gewässer. 
Man  trifft  sie  niemals  in  Lachen.  Nun  sind  die  Seen  ruhig  und 
führen  weniger  klares  und  reines  Wasser  als  die  Bäche,  denn  die 
darin  befindlichen  Steine  sind  meist  mit  einer  mehr  oder  weniger 
dicken  Schicht  von  Schlamm  bedeckt,  welchen  man  sehr  selten  an 
den  von  den  Milben  besetzten  Lavaschlacken  der  Bäche  findet. 
Vor  allem  muss  man  aber  in  dem  Temperaturunterschied  der  Seen 
und  Bäche  den  Grund  für  die  Abwesenheit  der  Milben  in  den 
ersteren  suchen.  Denn  in  dem  See  steigt  die  Wassertemperatur 
wohl  um  9  °  höher  als  in  dem  Zufluss.  Der  schroffe  Wechsel  der 
Temperatur  wird  denjenigen  Milben,  welche  von  dem  Bache  mit 
in  den  See  hinabgerissen  werden,  verderblich,  denn  sie  sind  über- 
haupt sehr  empfindlicher  Natur.  Es  ist  mir  mehrere  Male  bei 
meinen  Ausflügen  vorgekommen,  dass  ich  versucht  habe,  sie  lebend 
heimzubringen,  aber  fast  regelmässig  fand  ich  sie  trotz  aller  Vorsicht 
tot  vor".  So  empfindlich  wie  die  soeben  angeführte  Bewohnerin 
der  Azoren  sind  nun  freilich  die  meisten  unserer  Hydrachniden 
nicht.  Zumal  gegen  erwärmtes  Wasser  zeigen,  wie  schon  erwähnt, 
die  meisten  der  unsere  Kleingewässer,  namentlich  die  Teiche  und 
Weiher,  bewohnenden  Milben  eine  starke  Widerstandsfähigkeit. 
Jedoch  wird  es  noch  immer  ausgedehnter  Beobachtungen  bedürfen, 
um  die  Einflüsse  der  Temperatur  auf  das  Leben  unserer  Wasser- 
tiere genauer  kennen  zu  lernen. 

Mit  den  Azoren  ist  wohl  die  von  Europa  fernste  Station,  auf 
welcher  Süsswassermilben  beobachtet  worden  sind,  genannt  worden. 
Steht  es  überhaupt  mit  der  Kenntnis  der  Acariden  in  den  ausser- 


Die  Hydrachniden.  31 

europäischen  Ländern  ziemlich  schlecht,  so  sind  die  Gebiete,  in 
denen  man  sich  nach  den  im  süssen  Wasser  lebenden  Milben  um- 
gesehen hat,  im  wesentlichen  in  Europa  zu  suchen  und  auch  da 
sind  noch  die  meisten  Strecken  unerforscht.  Es  folgt  fast  natur- 
gemäss  aus  diesem  Umstände,  dass  das  Wissen  über  diese  Tier- 
gruppe ein  in  jeder  Beziehung  durchaus  lückenhaftes  sein  muss. 
Allerdings  scheinen  ja,  und  das  gilt  auch  von  sehr  zahlreichen  Land- 
milben, die  einzelnen  Gattungen  und  Arten  sehr  grosse  Verbreitungs- 
gebiete zu  besitzen,  aber  dennoch  ist  noch  überall  das  Fehlen 
sewisser  an  anderen  Orten  vorkommender  Formen  ausser  Zweifel, 
und  es  trifft  auch  hier  die  Wahrnehmung  zu,  dass  der  Süden  an 
Formen  reicher  ist,  als  der  Norden. 

Halten  wir  eine  Überschau  ab  über  die  Gegenden,  weiche  über- 
haupt nach  Süsswassermilben  durchsucht  sind,  so  sind  zu  nennen 
zahlreiche  schwedische  Gewässer  (durchforscht  von  C.  J.  Neu  man), 
ein  Teil  der  norditalienischen  (d.  v.  J.  Canestrini  und  A.  Berlese), 
die  Schweizer  Seen  (d.  v.  G.  Forel  und  G.  v.  Haller),  die  nord- 
östlichen Gebiete  Frankreichs  (d.  v.  J.  Barrois)  und  manche  Gebiete 
Deutschlands  (d.  v.  C.  L.  Koch,  Koenike,   Kramer). 

Wie  es  aber  bei  einer  erst  beginnenden  Erforschung  einer 
Tierklasse  fast  natürlich  ist,  haben  sich  die  meisten  Beobachtungen 
zunächst  auf  die  äussere  Erscheinung  der  Hydrachniden  gerichtet, 
die  Lebensbeziehungen  dagegen  sind  zum  grösseren  Teil  noch 
übersehen  worden.  Dennoch  lässt  sich  Einiges  auch  bereits  jetzt 
hierüber  sagen. 

Zunächst  hat  sich  wohl  als  unzweifelhaft  ergeben,  wie  auch 
schon  weiter  oben  betont  worden  ist,  dass  die  Hydrachniden  auf 
Grund  ihrer  Entwickelungsgeschichte  in  zwei  Gruppen  gesondert 
werden  können,  welche  sich  durch  die  Lebensweise  ihrer  sechs- 
füssigen  ersten  Larven  ergeben.  Die  eine  Gruppe  besitzt  Larven, 
welche  Gestalt  und  Lebensweise  der  Trombidiumlarve  zeigen,  die 
anderen  nicht.  Man  kann  es  nämlich  wohl  als  Regel  aufstellen, 
vorbehaltlich  freilich  einer  erst  in  Zukunft  zu  gewinnenden  ganz  all- 
gemeinen Bestätigung,  dass  die  trombidiumartigen  Milben  während 
ihrer    ersten   Jugend    vom    Blute     anderer    Tiere,     namentlich    der 


32  Die  Hydrachnideii. 

Insekten,  leben  und  sich  daher  an  solche  ansaugen.  Erst  nachdem 
sie  die  erste  Häutung  überstanden  haben,  führen  sie  nicht  mehr 
ein  parasitisches,  sondern  ein  freies  Leben.  Solche  Lebensweise 
führen  nun  die  Jungen  von  Hydrachna,  Eyla'is  und  Limnocharcs 
und,  soweit  ich  sehe,  auch  von  Hydrodroma,  einer  schön  scharlach- 
roten, ziemlich  ansehnlichen  Wassermilbe.  Die  Beobachtungen  sind 
bei  den  soeben  namhaft  gemachten  Acariden  noch  keineswegs  in 
gleichem  Masse  vollständig,  ganz  abgeschlossen  dürften  sie  vielmehr 
nur  bei  der  Gattung  Hydrachna  sein,  jedoch  unterliegt  es  keinem 
Zweifel  mehr,  dass  bei  allen  die  Übereinstimmung  in  der  Haupt- 
sache der  Entwickelung,  der  parasitischen  Lebensweise,  eine  sehr 
weitgehende  ist. 

Die  Jungen  von  Hydrachna  bleiben  von  dem  Augenblick  des 
Ausschlüpfens  aus  dem  Ei  im  Wasser,  dagegen  steigen  die  der  drei 
anderen  Gattungen  möglichst  bald  an  die  Oberfläche  und  machen 
ausgiebigen  Gebrauch  von  ihren  Rennbeinen,  indem  sie  mit  einer 
fast  staunenswerten  Geschwindigkeit  auf  dem  Wasser  vmd  den 
Pflanzen  des  Ufers  auf  und  ab  eilen,  um  Insekten  zu  suchen, 
welche  sie  besteigen  können.  Die  Larven  von  Limnocharcs  nehmen 
z.  B.  die  ebenfalls  auf  der  Wasseroberfläche  lebenden  Schreitwanzen 
zu  erwünschten  Nährtieren  und  bohren  sich  in  die  weichen  Chitin- 
skelettpartien ein.  Bei  den  Larven  von  Hydrodroma  bot  sich  noch 
ein  anderes  Schauspiel,  als  ich  Gelegenheit  hatte,  einen  auskriechen- 
den Schwärm  von  jungen  Tieren  zu  verfolgen.  Nachdem  sie  an 
die  Oberfläche  des  Wassers  emporgekommen  waren  und  ich  die 
Tierchen  sammeln  wollte,  um  sie  an  Blattläusen  sich  festsaugen  zu 
lassen,  musste  ich  zu  meinem  Erstaunen  bemerken,  dass  sie  die 
Fähigkeit  besassen  in  mächtigen  Sprüngen  fortzuhüpfen.  In  kurzer 
Zeit  war  daher  der  ganze  Schwärm  zerstreut  und  den  Blicken 
völlig  entschwunden. 


'o 


Die  sechsfüssi2:en  Larven  der  übri2;en  Hydrachniden  leben,  im 
Gegensatze  zu  den  eben  namhaft  gemachten,  frei  schwimmend  im 
Wasser  und  nähren  sich  vom  Raube.  Sie  besitzen  daher  eine 
dieser  Lebensweise  angepasste  Gestalt,  welche  zwar  ebenfalls  von 
der  künftigen  des  erwachsenen  Tieres  abweicht,  aber  namentlich  in 


Die  Hydrachniden.  33 

der  Bildung  der  Füsse  ganz  verschieden  ist  von  den  Larven  obiger 
Arten.  Eine  bemerkenswerte  Ausnahme  von  dieser  Lebensweise 
beobachten  wir  nur  bei  einigen  Arten  der  Gattung  Atax*).  Von 
den  bisher  bekannten  sieben  oder  acht  Arten  dieser  Gattung  führen 
etwa  drei  oder  vier  ein  vollständig  freies  Leben,  während  die 
anderen  Arten  sich  einer  ausschliesslich  parasitischen  Lebensweise 
erstehen  haben.  Diese  Arten  hausen  von  Generation  zu  Generation 
zwischen  den  Weichteilen  der  Teich-  und  der  Malermuschel  und 
verlassen  ihr  Wohntier  wahrscheinlich  nur  während  ihrer  Larven- 
zeit, um  ein  neues  aufzusuchen.  Dabei  sei  gleich  erwähnt,  dass 
durch  das  parasitische  Leben  sich  eine  bestimmte  Veränderung 
ihres  Organismus  eingestellt  hat,  wenigstens  möchte  ich  dieselbe 
damit  in  ursächlichen  Zusammenhang  bringen.  Während  nämlich 
die  frei  lebenden  Hydrachniden  sämtlich,  soweit  die  Beobachtungen 
reichen,  ein  wohl  ausgebildetes  Atmungssystem  haben,  fehlt  den 
parasitischen  Atax-Arten  jede  Spur  von  Tracheen  und  vder  mit  den 
Luftlöchern  in  Verbindung  stehende  Hauptstamm  ist  auf  ein  ausser- 
ordentlich geringfügiges  Stückchen  zurückgebildet,  so  dass  man  fast 
\on  einem  vollständisren  Fehlen  desselben  reden  kann.  Ob  es  nun 
der  Aufenthalt  in  einer  so  schleimigen  und  luftarmen  Flüssigkeit, 
wie  sie  die  Muscheln  erfüllt,  mit  sich  gebracht  hat,  dass  das 
Atmungsorgan  ausser  Thätigkeit  gesetzt  wurde  und  daher  \'er- 
kümmerte,  darüber  eine  bestimmte  Ansicht  auszusprechen  scheint 
noch  nicht  ^der  rechte  Zeitpunkt  gekommen  zu  sein. 

Wenn  uns  die  parasitischen  Atax-Arten  schon  darauf  führten, 
von  der  Auswanderung  \'on  einem  Wohntier  auf  ein  anderes  zu 
reden,  so  dürfte  es  an  der  Zeit  sein,  überhaupt  die  Verbreitung 
der  Süsswassermilben  aus  ihren  doch  meist  eng  begrenzten  heimat- 
lichen Wasserbecken  in  andere  etwas  näher  zu  betrachten.  Ich 
komme  dabei  auf  die  Beobachtungen  des  Dr.  Th.  Barrois,  die 
er  auf  den  Azoren  gemacht  hat,  noch  einmal  zurück.  Er  traf 
dort  zwei  Gattungen  an  und  unter  diesen  eine,  welche  ja  allerdings 
allgemein    verbreitet    ist,    deren   Arten    aber    nicht    gerade    zu    den 


*)  Siehe  Anhang. 
Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II. 


34  I^ie  Hydrachniden. 

allergewöhnlichsten  gehören.  Er  fand  stets  sehr  zahlreiche  Exemplare 
der  diesen  beiden  Gattungen  angehörigen  Milben  in  den  dortigen 
Bächen  an.  Dies  hatte  wohl  seinen  Grund  darin,  dass  die  Gewässer 
der  vulkanischen  Azoren  in  der  ersten  Periode  des  Bestehens  dieser 
aus  dem  Ozean  aufgetauchten  Inseln  wohl  noch  völlig  unbevölkert 
gewesen  sind.  Erst  nach  und  nach  werden  dorthin  verschlagene 
Süsswasserbewohner  von  dem  neuen  Gebiet  Besitz  genommen  und 
frei  von  aller  Konkurrenz  sich  rasch  vermehrt  haben.  Wie  lässt 
es  sich  wohl  erklären,  dass  sich  auch  die  immerhin  zarten  Wasser- 
milben dabei  beteiligten?  Unter  allen  Umständen  wird  die  Ver- 
breitung derselben  dorthin  auf  mechanische  Ursachen  zurückzuführen 
sein.  Durch  irgend  einen  Besucher  oder  Bewohner  eines  schon 
von  ihnen  besetzten  Süsswasserbeckens  muss  ihre  Überführung  in 
ein  von  ihnen  noch  nicht  bewohntes  vermittelt  worden  sein,  sobald 
der  natürliche  Lauf  der  Gewässer  auch  bei  Überschwemmungen  die 
neue  Heimat  mit  der  alten  nicht  in  Verbindung  zu  setzen  ver- 
mochte. Als  Dr.  Barrois,  um  über  die  Verpflanzung  seiner 
Sperchon- Arten  nach  den  Azoren  ins  Klare  zu  kommen,  die  dortigen 
Gewässer  aufmerksam  durchforschte,  fand  er  ausser  den  Milben 
vor  allen  Dingen  zahlreiche  Wasserwanzen  von  der  Gattung  Corixa 
vor.  Die  Wasserwanzen  können,  wie  sämtliche  entwickelte  Wasser- 
insekten, lange  Stunden  ausserhalb  des  Wassers  leben,  denn  sie  sind 
ja  eigentlich  Lufttiere  und  gehen  nur  um  ihrer  Nahrung  willen  ins 
Wasser.  Sie  machen  auch  grosse  Flüge,  namentlich  bei  Nacht, 
um  aus  einem  Becken  in  ein  anderes  zu  gelangen,  wobei  sie  wahr- 
scheinlich einem  scharfen  und  sicheren  Geruch  folgen.  Solche 
fliegende  Wasserinsekten  werden  unter  Umständen  ganz  ebenso,  wie 
Schmetterlinge  und  Heuschrecken,  vom  Winde  erfasst  und  aufs 
Meer  hinausgetrieben,  wobei  sie  wohl  meist  zu  Grunde  gehen, 
gelegentlich  aber  auch  einsam  daliegende  Inseln  erreichen,  deren 
Gewässer  sie  dann,  wenn  es  gerade  mit  befruchteten  Eiern  beladene 
Weibchen  waren,  nun  mit  ihrer  Nachkommenschaft  bevölkern 
können,  vorausgesetzt,  dass  die  Lebensbedingungen  sonst  ihrem 
Körper  entsprechen.  Auf  diese  Art  und  Weise  werden  die  Wasser- 
wanzen wahrscheinlich  nach  den  Azoren  gekommen  sein. 


Die  Hydrachniden.  35 


Nun  haben  schon  häufig  Beobachter  bemerkt,  dass  die  zur 
Larvenruhe  gelangten  noch  unentwickelten  Milben  sich  an  solche 
Wasserwanzen,  wie  eben  beschrieben,  anheften,  um  daselbst  ihre 
Verwandlung  unter  dem  Schutze  der  alten  Larvenhaut  durch- 
zumachen. So  kann  es  leicht  gekommen  sein,  dass  eine  Wasser- 
wanze, welche  solche  Larven  von  Wassermilben  an  sich  trug,  vom 
Winde  nach  den  Azoren  verschlagen  wurde.  Wenn  dann  die 
angeheftete  Wassermilbenlarve  während  der  gewiss  längeren  Reise 
nicht  ganz  austrocknete,  so  wird  sie,  nachdem  ihr  Träger  eine 
neue  Heimat  in  irgend  einem  Gewässer  der  Azoren  gefunden  hatte, 
dort  nach  einiger  Zeit  ausschlüpfen  und,  wenn  Männchen  imd 
Weibchen  gleichzeitig  hinübergetragen  worden  sind,  ihre  Art  in  den 
Flüsschen  der  Azoren  weiter  fortpflanzen  müssen.  Nun  hat  Dr. 
Barrois  bemerkt,  dass  die  in  Larvenruhe  verfallenen  Larven  des 
ersten  Stadiums  gegen  Austrocknung  mehr  Widerstand  entgegen- 
setzen, als  es  der  sonst  sehr  zarte  Körper  der  Hydrachniden  ver- 
mag, und  dass  daher  obige  Art  und  Weise  die  wahrscheinlichste 
sei,  wenn  man  sich  die  Verbreitung  der  Süsswassermüben  über  das 
Meer  hinüber  erklären  will.  Gewiss  ist  dies  wohl  eine  Möglichkeit, 
aber  doch  keineswegs  eine  so  einzig  gültige,  dass  man  annehmen 
müsste,  die  ersten  Larven  der  Wassermilben  hätten  überhaupt  die 
Gewohnheit  angenommen,  sich  namentlich  an  Süsswasserinsekten 
festzusetzen,  um  dort  ihre  Larvenruhe  abzumachen,  und  diese 
Gewohnheit  bringe  es  nun  mit  sich,  dass  die  während  der  Larven- 
ruhe gegen  das  Austrocknen  besser  gewappneten  Tiere  von  den 
ausfliegenden  Wasserinsekten  auch  dorthin  transportiert  würden, 
wohin  sie  auf  gewöhnlichem  und  ihrer  Organisation  entsprechendem 
Wege  nicht  gelangen  könnten.  Es  sind  die  Möglichkeiten,  eine 
weit  entfernte  Station  zu  erreichen,  so  mannigfaltige,  dass  es  unserem 
Ermessen  nach  noch  nicht  thunlich  ist,  zu  betonen,  dass  es  die 
auf  den  Azoren  gefundene  Corixa  ist,  welche  zu  der  Zeit,  wo  sie 
selbst  durch  Zufall  die  Azoren  erreichte,  auch  die  Sperchon-Art  mit 
nach  dem  neuen  Aufenthaltsorte  hinüberbrachte.  Es  ist  ja  gewiss, 
dass  im  Verlauf  der  Jahrtausende,  welche  seit  dem  Auftauchen  der 
Azoren    aus    dem    j\Ieere    verstrichen    sind,    oftmals    eine    Corixa 


36  Die  Hydiachniden. 

atomana  \'on  Portugal  hinübergeführt  sein  kann  und  dass  immer 
einmal  wieder  ein  Spcrchon  glandulosus  an  ihr  angeheftet  gewesen 
sei.  Wenn  man  diesen  Umstand  aber  immer  wieder  durchdenkt, 
so  wird  man  immermehr  zu  der  Überzeugung  sich  hinneigen,  dass 
diese  Möglichkeit  ja  allerdings  wohl  vorliegt,  dass  aber  ebensosehr 
auch  Wasservögel,  welche,  wie  Barrois  in  einer  Anmerkung  selbst 
hervorhebt,  an  ihren  Füssen  und  Schnäbeln  so  häufig  Reste  von 
Pflanzen  aus  süssem  Wasser  mit  sich  führen,  die  Vermittler  sein 
können,  ja,  dass  es  nicht  bloss  Larven  zu  sein  brauchen,  welche 
in  die  neue  Heimat  hinübergeführt  worden  sind,  Larven,  die  der 
Gefahr  der  Unfruchtbarkeit  ausgesetzt  sind,  sondern  in  den  feucht 
bleibenden  vegetabilischen  Resten  im  Schnabel  und  an  den  Zehen 
können  die  erwachsenen  Tiere  ebensogut  der  neuen  Heimat  zu- 
geführt werden.  Zudem  sind  auch  nicht  alle  Beobachter  darin 
übereinstimmend,  dass  die  Wassermilben,  wenn  sie  ihrem  feuchten 
Elemente  entnommen  sind,  dem  Eintrocknen  so  leicht  erliegen. 
Claparede,  der  bedeutende  Genfer  Naturforscher,  hat  vielmehr  an 
der  die  Teichmuschel  parasitisch  bewohnenden  Atax-Art  gefunden, 
dass  sowohl  Muttertiere  als  Eier  sehr  lebenskräftig  sind.  In  den 
Muscheln,  die  wochenlang  ausserhalb  des  Wassers  in  der  Dürre 
gelegen  und  halb  ausgetrocknet  dem  Tode  entgegengehen,  fand  er 
die  Milben  zwar  durch  Verdunstung  erstarrt,  jedoch  beim  ersten 
Wasserzusatz  sehr  schnell  wieder  lebendig  und  die  Eier  ent- 
wickelungsfähig  werden. 

Es  ist  also  nicht  ausgeschlossen,  dass  die  Besiedelung  der 
mitten  im  Meere  gelegenen  Inseln  mit  Süsswassermilben  unmittel- 
bar durch  Überführung  fortpflanzungsfähiger  Individuen  geschehen 
sei  und  noch  geschieht.  Es  wird  sogar  die  Verbreitung  der  das 
süsse  Wasser  bewohnenden  Milben  im  allgemeinen  überhaupt  so 
gedacht  werden  müssen,  dass  erwachsene  Weibchen,  nicht  unbe- 
fruchtete und  unfruchtbare  Larven,  auf  mechanischem  Wege  von 
Wasserbecken  zu  Wasserbecken  getragen  werden  und  so  ihre 
Art  in  Gebieten,  wo  dieselbe  noch  nicht  vertreten  war,  heimisch 
machen. 


Die  Hydrachniden.  37 

Es  bleibt  uns  nun  endlich  noch  ein  wichtiger  Gegenstand  zur 
Besprechung  übrig,  nämlich  die  Entwickelung  des  Einzeltieres  vom 
Ei  bis  zum  erwachsenen  Zustand. 

Für  jedes  Lebewesen  ist  es  eine  der  wichtigsten  Aufgaben, 
seine  Art  durch  Nachkommen  zu  erhalten.  Daher  ist  für  den 
aufmerksamen  Naturfreund  die  Fortpflanzung  und  Entwickelung  des 
Einzeltieres  ein  Gegenstand  des  grössten  Interesses. 

Bei  den  Milben  ist  nun  gerade  die  Entwickelungsgeschichte 
noch  sehr  des  weiteren  Studiums  benötigt,  jedoch  ist  namentlich 
für  die  Hydrachniden  das  Beobachtungsmaterial  nicht  ganz  uner- 
heblich, so  dass  es  gelingen  wird,  ein  Bild  des  Entwickelungsganges 
einer  Wassermilbe  in  grossen  Zügen  zu  entwerfen. 

Ich  wähle  zwei  Beispiele,  nämlich  die  Entwickelung  der  in 
unseren  heimischen  Gewässern  häufigsten  kleinen  rotbraunen  Wasser- 
milbe, Nesaea  fuscata  Koch,  welche  für  die  Mehrzahl  aller  anderen 
als  INIuster  dienen  kann;  daran  mag  sich  die  schon  seit  langer 
Zeit  bekannte  Entwickelung  der  kugeligen  Wassermilbe,  Hydrachna 
globosa  Duges,  anschliessen. 

Die  Eierchen  der  rotbraunen  Wassermilbe  werden  in  Häufchen 
bis  zu  dreissig  und  mehr  an  Wasserpflanzen  oder  an  Steinen  des 
Wassergrundes  gelegt.  Es  trifft  sich  wohl,  dass  man  ein  Weibchen 
bei  seinem  Geschäft  der  Eiablage  genauer  beobachten  kann.  Es 
Fegt  die  Eier  in  lockeren  Haufen,  dabei  meist  rückwärts  schreitend 
und  sie  in  schneller  Folge  aus  dem  Körper  hervorstossend.  Die 
roten  Eierchen  sind  dabei  von  einer  sehr  dünnen  weisslichen  Schicht 
umgeben.  Dieses  ist  die  klebrige  Kittsubstanz,  welche  jedem  Ei 
mitgegeben  wird.  Schnell  quillt  dieselbe  im  Wasser  auf,  und  während 
die  letzten  Eier  gelegt  werden,  hat  sich  bei  den  ersten  bereits  ein 
breiter  weisser  Hof  um  dieselben  gebildet.  Nach  Verlauf  einiger 
Stunden  sind  die  Zwischenräume  zwischen  den  Eiern  völlig  von 
der  Kittsubstanz  ausgefüllt,  die  Eierchen  ruhen  jetzt,  zu  einem 
einzigen  Häufchen  verschmolzen,  unter  einer  im  Wasser  vollends 
erhärtenden  Hüllschicht. 

Nach  gemessener  Zeit  hat  sich  aus  dem  ursprünglichen  Ei- 
inhalt    der  sogenannte  Embryo  gebildet,    zu    gleicher  Zeit    ist    aber 


33  I^ie  Hydrachniden. 

auch  noch  eine  zweite,  innere  Eihaut  entstanden,  welche  sich  nach 
und  nach  bedeutend  ausdehnt  und  sich,  weil  sie  innerhalb  der 
harten  äusseren  Eischale  keinen  genügenden  Raum  findet,  bald 
in  viele  Falten  legt.  Jetzt  platzt  die  harte  äussere  Eihaut,  die 
zweite  dehnt  sich  durch  Aufsaugen  von  Wasser  sehr  rasch  aus  und 
glättet  sich  vollkommen.  So  geschieht  es,  dass  der  Beobachter 
ein  neues,  sehr  \-iel  grösseres  Ei  aus  dem  ursprünglich  gelegten 
hervorgehen  sieht.  Die  Gestalt  desselben  ist  in  Fig  3/  dargestellt. 
Ein  solcher  Vorgang,  dass  aus  einem  Ei  nicht  ein  entwickeltes  Tier 
mit  freibeweglichen  Gliedmassen  hervortritt,  sondern  ein  zweites  Ei, 
ist  bisher  bei  den  Milben  nicht  selten  beobachtet  worden,  jedoch 
scheint  er  nur  bei  den  Acariden  verbreitet  zu  sein  und  zwar  bei  den 
trombidiumartigen  Milben  ganz  besonders.  So  habe  ich  ihn  bei 
den  oben  bereits  einmal  erwähnten  Cheyletus  vorgefunden.  Hier 
entwickelt  das  Ei  eine  innere  Eihaut,  welche  an  einer  bestimmten 
Stelle  einen  scharfen  Stechapparat  besitzt,  der  zur  bestimmten 
Zeit  die  alte  Eihaut  durchsticht,  um  dem  sogenannten  zweiten  Ei 
den  Austritt  zu  gestatten.  Bei  Nesaea  fallen  die  alten  Eischalen 
einfach  ab,  indem  sie  durch  die  aufschwellende  noch  in  der  zweiten 
Haut  befindliche  junge  Milbe  gesprengt  werden. 

Ist  nun  die  Larve  innerhalb  dieser  zweiten  Eihaut  entsprechend 
entwickelt,  so  sprengt  sie  dieselbe,  was  etwa  nach  vierzehn  Tagen 
geschieht.  Für  die  ausgeschlüpften  Larven  ist  es  aber  keine  leichte 
Arbeit,  ganz  frei  zu  werden,  denn  noch  trennt  die  erhärtete  Ober- 
flächenschicht der  Kittsubstanz  die  Tierchen  von  ihrem  Element. 
Durch  die  unruhige  Bewegung  zahlreicher  Füsse  wird  die  innere 
Masse  der  Hüllsubstanz  bald  zerbröckelt,  so  dass  die  immer  zahl- 
reicher ausschlüpfenden  Larven  durch  einander  kriechen  und  drängen ; 
aber  noch  ist  ein  Ausweg  nicht  gefunden. 

Endlich  hat  eine  auch  glücklich  die  äussere  Hüllschicht  an 
einer  besonders  nachgiebigen  Stelle  durchbrochen  und  enteilt  in  die 
freie  Flut.  Dies  glückt  zuletzt  allen,  aber  es  geht  manche  Stunde 
darüber  hin,  bis  die  letzte  Milbe  dem  Gefängnis  entronnen  ist. 
Und  vielleicht  würde  es  noch  länger  dauern,  ja  mancher  gar  nicht 
gelingen,    wenn  nicht  die  Taster  unserer   jungen  Milben  auf  dieser 


a  Erste  Larve  von  Nesaea  fuscafa,  von  der  Bauchfläche  aus  betrachtet  —  b  Mundschnabel 
derselben,  von  der  Seite,  mit  Taster  (ß)  und  Kiefer  (^)  —  c  Fusskralle  derselben  Larve  — 
d  Fusskralle  der  erwachsenen  A'esaea  —  e  Zweite  Larve  von  A'esaea  fuscafa  —  y  Aus  der 
gesprengten  ersten  Eischale  tritt  das  zweite  eiförmige  Stadium  hervor.  Der  Embryo  mit  deut- 
lichem Rücken-  und  Bauchschild  ist  von  dem  Apoderma  umhüllt  —  ^  Endglied  des  dritten 
Fusses  vom  erwachsenen  Männchen  der  Xt'saea  ftiscata  —  //  Vierter  Fuss  desselben  Männ- 
chens —  i  AVeibliche  GeschlechtsöfFnung  von  Xesaea  ftiscata  mit  den  Haf'tnäpfen  —  k  Männ- 
liche Geschlechtsöffnung  von  Xesaea   ftiscata  mit  den  Haftnäpfen. 


40  Die  Hydrachniden. 

ersten  Entwickelungsstufe  eine  von  der  späteren  Gestalt  sehr  ab- 
weichende und  für  die  Sprengung  eines  entgegenstehenden  Hinder- 
nisses sehr  geeignete  Form  und  Bewaffnung  hätten  (Fig.  3  b).  Sie 
sind  sehr  dick  und  nehmen  eine  starke  INIuskulatur  auf,  so  dass  sie 
sehr  kräftige  Bewegungen  zulassen.  Am  vorderen  Ende  des  letzten 
der  sehr  gedrungenen  Glieder  bemerkt  man  eine  grosse,  stark 
gekrümmte  Hakenkralle,  die  wie  eine  Hippe  in  die  Hüllmasse  der 
Eier  einsetzen  und  dieselbe  aufreissen  kann.  Auf  späteren  Ent- 
wickelungsstufen  werden  die  Taster  schlank  und  jene  Krallen  sind 
ganz  verschwunden.  Das  Tierchen  bedarf  ihrer  später  nicht  mehr. 
Nicht  unerwähnt  darf  ich  hier  allerdings  lassen,  dass  es  auch 
Nesaea-Arten  giebt,  bei  denen  die  sechsfüssigen  Larven  die  Freiheit 
nicht  mehr  gewinnen,  sondern  noch  unter  der  Kitthülle  ihre  nächste 
Häutung  durchmachen. 

Wie  es  bei  den  ]\Iilben  als  Regel  anzusehen  ist  —  Ausnahmen 
sind  ungemein  selten  — ,  hat  unsere  junge  Larve  (Fig.  3  a)  nur 
sechs  Füsse,  jederseits  drei,  mit  denen  sie  das  Wasser  lebhaft 
tritt ,  um  schnell  vorwärts  zu  eilen.  Die  grossen ,  als  schwarze 
Pünktchen  hervortretenden  Augen  bestimmen  Richtung  und  Ziel 
der  kräftigen  Schwimmbewesfung-. 

Wendet  man  eine  hinreichende  Vergrösserung  an,  so  bemerkt 
man  bald,  dass  diese  erste,  jüngste  Larve  auch  noch  in  anderer 
Hinsicht,  nicht  nur  mit  Rücksicht  auf  die  Taster,  gegen  die  späteren 
Larvenstufen  recht  hervorstechende  Verschiedenheiten  zeigt,  welche 
schon  nach  der  nächsten  Häutung  verschwinden.  So  ist  der  ganze 
Rücken  durch  eine  vorn  breitere,  hinten  etwas  zugespitzte  härtere 
Deckplatte  geschützt  (Fig.  ^f).  Eine  solche  findet  sich  bei  den 
erwachsenen  Tieren  zahlreicher  Wassermilbenarten  auch  nicht  mehr 
andeutungsweise;  bei  anderen  ist  ein  geringfügiger  Rest  übrig  ge- 
blieben (Hydrodroma)  und  bei  einer  nur  geringen  Anzahl  Arten 
ist  die  Verhärtung  der  Rückenhaut  eine  für  alle  Lebensstufen 
dauernde. 

Die  Unterseite  unserer  jungen  Larven  (Fig.  3  a)  ist  von  der 
der  späteren  Larvenstufen  und  der  erwachsenen  Tiere  zwar  auch 
verschieden,     doch     finden     sich    die    auch    später    beobachteten 


Die  Hydrachniden.  41 

Verhältnisse  im  allgemeinen  hier  wieder  vor.  Auffallend  ist  dagegen, 
dass  die  den  Wassermilben  so  eigentümlichen  sogenannten  Haft- 
näpfe hier  noch  völlig  fehlen.  So  stellt  die  erste  jüngste  Larven- 
form eine  sehr  eigenartige  Entwickelungsphase  dar  und  es  kommt 
in  der  That  bei  dem  Übergang  zur  zweiten  Larvenform  zu  einer 
in  jeder  Beziehung  sehr  durchgreifenden  Gestaltveränderung. 

Etwa  fünf  oder  sechs  Tage,  nachdem  das  Tierchen  sich  aus 
der  Eihülle  befreit  hat,  stellen  sich  die  Vorboten  dieser  Verwandlung 
ein.  Die  Milbe  fühlt  wohl  selbst,  dass  mit  ihr  etwas  Bedeutsames 
vorgehen  soll  und  hängt  sich,  um  die  inneren  Entwickelungsvorgänge 
ungestört  ablaufen  zu  lassen,  mit  ihren  Tastern  an  irgend  einem 
geschützten  Orte  fest  an.  Die  Glieder  werden  bewegungslos  und 
die  innere  Körpersubstanz  zieht  sich  aus  ihnen  zurück,  eine  rund- 
liche von  der  alten  Haut  umschlossene  eiartige  Masse  bildend. 
Ähnliches  wiederholt  sich  später  ebenso  bei  der  zweiten  noch  ein- 
tretenden Häutung  und  wird  auch  bei  der  grossen  Mehrzahl  der 
Land  und  Wasser  bew-ohnenden  Milben  beobachtet,  wenn  es  auch 
nicht  durchaus  bei  sämtlichen  zu  einer  völligen  Zurückziehung  des 
Körperinhalts  aus  den  Gliedern  kommt. 

Es  gestaltet  sich  während  der  jetzt  eben  in  Rede  stehenden 
Larvenruhe  unter  der  alten  Haut  eine  neue  INIilbe  aus.  Man 
beobachtet  deutlich  die  neuen  Glieder  durch  die  durchsichtige,  nun 
bloss  noch  einen  Schutz  für  das  zarte  neue  Geschöpf  abgebende 
bisherige  Haut  hindurch.  Nach  wenigen  Tagen  ist  es  soweit,  dass 
das  eingeschlossene  Tier  die  Hülle  sprengen  kann.  Statt  einer 
sechsfüssigen  Acaride  tritt  eine  achtfüssige  aus  der  Larvenhaut  her- 
vor (Fig.  3  e).  Und  während  vorher  die  sechs  Füsse  ausserordent- 
lich dünn  und  verhältnismässig  kurz  waren,  fällt  jetzt  die  Länge 
der  acht  neuen  Füsse  auf.  Dieselbe  übersteigt  um  ein  Bedeutendes 
die  Gesamtlänge  des  Rumpfes  und  giebt  dem  ganzen  Tier  etwas 
Schlankes  und  Zierliches.  Das  Rückenschild  ist  bis  auf  die  letzte 
Spur  verschwunden  und  auf  der  Unterseite  sieht  man  ausser  den 
völlig  anders  geformten  grossen  Hüftplatten  noch  jederseits  von  der 
kaum  angedeuteten  Geschlechtsöffnung  ein  schräg  gestelltes  Plättchen, 
welches  zwei  deutlich  ausgebildete  kreisrunde  Haftnäpfe  trägt.     Noch 


42  Die  Hydrachniden. 

ein  Blick  auf  die  Füsse  belehrt  uns,  dass  nicht  nur  reichliche 
Schwimmborsten  die  mittleren  Glieder  derselben  schmücken,  zwar 
noch  nicht  so  zahlreiche  wie  beim  erwachsenen  Tier,  aber  doch 
schon  genau  ebenda  aufgestellt  wie  bei  diesem,  sondern  dass 
auch  die  Krallen  eine  ganz  veränderte  Form  bekommen  haben. 
Fig.  3  c  zeigt  die  Kralle  der  ersten  Larve,  während  Fig.  3  d  die- 
ienige  aller  späteren  Lebensstufen  darstellt,  besser  als  eine  Be- 
schreibung es  zu  geben  vermag.  Die  grösste  Veränderung  hat  aber 
der  Mundabschnitt  erfahren.  Der  lange  Schnabel  ist  verschwunden 
und  die  Taster  sind  langgestreckt  und  schlank,  auch  fehlt  ihnen 
die  scharfe  Kralle,  welche  den  ersten  Larven  so  eigentümlich  ist. 
Einem  genaueren  Beobachter  entgeht  auch  nicht,  dass  die  grosse 
Pore,  welche  bei  letzterer  zwischen  den  Hüftplatten  des  ersten 
und  zweiten  Fusses  stand,  jetzt  ganz  verschwunden  ist.  Dies 
hängt  wohl  mit  der  auffallendsten  der  inneren  Veränderungen 
zusammen.  Jetzt  hat  nämlich  die  junge  Milbe  zahlreiche  Luft- 
röhren bekommen,  welche  alle  von  zwei  am  Gründe  der  Kiefer 
ausmündenden  Hauptstämmen  ausgehen.  Mit  dieser  Larvenform, 
welche  in  Fig.  3  e  abgebildet  ist,  ist  für  die  Hydrachniden  die  letzte 
Stufe  vor  der  ganz  ausgebildeten  Form  erreicht.  Es  ist  dies  keines- 
wegs Gesetz  in  dem  ganzen  Reiche  der  Acariden,  dass  zwischen 
Ei  und  erwachsenem  Tier  nur  zwei  Larvenstadien  eino-eschaltet  sind. 
Vielmehr  zeigen  zahlreiche  Gattungen,  namentlich  aus  den  Familien 
der  Hartmilben  und  Tyroglyphus-artigen  .Milben  drei  und  mehr 
Larvenstadien  zwischen  Ei  und  erwachsenem  Tier,  so  dass  es  ein 
interessantes  Gebiet  der  Forschung  ist,  entweder  die  Gründe  einer 
so  eingreifenden  Verschiedenheit  der  Entwickelungsgeschichte  inner- 
halb der  Familie  der  Acariden  darzulegen  oder  durch  richtigere 
Auffassung  der  bestehenden  Verhältnisse  eine  Übereinstimmung  der 
scheinbar  verschiedenen  Entwickelungsformen  zu  erkennen.  Be- 
merkenswert ist  es  jedenfalls,  dass  die  Trombidium- Arten  eine  mit 
den  Hydrachniden  im  wesentlichen  übereinstimmende  Entwickelungs- 
weise  zeigen,  so  dass  auch  hierdurch  deren  nahe  Verwandtschaft 
bestätigt  wird.  Doch  kehren  wir  noch  einmal  zu  unserer  Larve 
zurück.     Diese  war  zunächst  dadurch  ausgezeichnet,  dass  die  Füsse 


Die  Hydrachniden.  43 

im  Vergleich  zum  Rumpf  ausserordentlich  lang,  wenn  auch  zierlich 
sind.  Dieses  Verhältnis  ändert  sich  jedoch  bald,  indem  die  Larve 
durch  sehr  reichliche  Nahrungsaufnahme  schnell  und  erheblich 
wächst,  so  dass  der  Rumpf  mächtig  anschwillt,  während  die  Glied- 
massen unverändert  dieselbe  Grösse  beibehalten  und  so  allmählich 
immer  mehr  gegen  den   Rumpf  zurücktreten. 

Bald  tritt  nun  eine  neue  Pause  in  der  Entwickelung  ein.  Die 
jMilbe  sucht  ein  Versteck  und  versinkt  in  einen  neuen  Zustand 
völliger  Regungslosigkeit,  während  welcher  sich  innerhalb  der  Lar\'en- 
haut  die  vollständig  ausgebildete  Milbe  entwickelt.  Entschlüpft 
dann  der  Larvenhaut  das  endgültig  fertiggestellte  Tier,  so  fällt 
auch  wieder  vor  allem  der  Unterschied  in  der  Längenentwickelung 
der  Füsse  auf.  Aber  auch  in  vielen  anderen  Punkten  ist  an  dem 
neuen  Geschöpfe  eine  wesentlich  andere  Form  und  Bildung  zu 
bemerken.  So  sind  die  Weibchen  nunmehr  von  den  INIännchen 
deutlich  zu  unterscheiden,  während  bis  zur  letzten  Larve  ein 
äusserlicher  Unterschied  der  männlichen  und  weiblichen  Larven 
nicht  festgestellt  werden  konnte.  Es  sind  aber  auch  abgesehen  von 
diesem  Unterschiede  in  beiden  Geschlechtem  die  Schwimmborsten 
an  den  Gliedern  namentlich  der  hinteren  beiden  Fusspaare  ausser- 
ordentlich viel  zahlreicher  geworden.  Endlich  findet  man  statt 
der  wenigen  Haftnäpfe  auf  der  Unterseite  des  Hinterleibes  nun- 
mehr deren  zahlreiche  jederseits  in  einem  Häufchen  vereinigt 
(Fig.  3  i  u.  k). 

Ist  die  erwachsene  JNIilbe  nach  der  letzten  Häutung  noch  \-er- 
hältnismässig  klein,  so  bewirkt  eine  reichliche  Nahrungszufuhr  bald 
ein  ansehnliches  Wachstum,  so  dass  es  namentlich  Weibchen  bis  zu 
I  •/2  mm  Länge  giebt,  während  die  Männchen  meist  erheblich  kleiner 
bleiben.  Überhaupt  ist  bei  den  IMilben  das  ^lännchen  meistens 
ziemlich  viel  kleiner  als  das  Weibchen,  selbst  dann,  wenn  letzteres 
nicht  durch  die  zahlreichen  allmählich  heranwachsenden  Eier  aufquillt. 

Wie  lange  eine  erwachsene  INIilbe  zu  leben  vermag,  ist  nur 
selten  Gegenstand  des  Experiments  gewesen.  Ich  selbst  habe  Larven 
von  Nesaea  fuscata  einen  ganzen  Winter  hindurch  gehalten,  ohne 
dass  sie  sich  verwandelt  hätten.     Andere  Beobachter  haben  ähnliche 


44  I^is  Hydiachniden. 

Resultate  bemerkt.  Es  ist  wohl  möglich,  dass  eine  Milbe  der 
erwähnten  Art  mehrere  Jahre  hindurch  ihr  Leben  erhalten  kann. 
Den  Beschluss  dieser  Darstellungen  aus  der  Entwickelungs- 
geschichte  der  Süsswassermilben  mag  die  Lebensgeschichte  der 
Hydrachna  globosa  machen.  Dieselbe  ist  schon  von  Duges  in  den 
dreissiger  Jahren  unseres  Jahrhunderts  entdeckt  und  seitdem  oftmals 
bestätigt  worden.  Diese  Wassermilbe  ist,  wie  bereits  oben  gesagt, 
insofern  bemerkenswert,  als  aus  ihren  Eiern  junge  Larven  schlüpfen, 
welche  von  den  entsprechenden  der  Hart-  und  Weichschwimmer, 
also  auch  denen  von  Nesaea  und  Atax  völlig  verschieden  sind, 
dagegen  mit  den  Larven  der  auf  dem  Lande  lebenden  Trombidien 
grosse  Ähnlichkeit  besitzen.  Eine  derartige  Larve,  welche  aber  nicht 
zu  Hydrachna,  sondern  zu  einer  Gattung  gehört,  welche  den  Namen 
Hxdrodroma  erhalten  hat,  ist  in  Fig.  4  abgebildet.  Sie  zeichnet 
sich  durch  eine  mächtige  Entwickelung  der  Kiefer  aus  und  führt 
Taster,  welche  unmittelbar  an  die  Taster  aller  trombidiumartigen 
Landrailben  erinnern,  dadurch,  dass  das  letzte  Tasterglied  an  dem 
untern  Ende  des  vorletzten  Gliedes  seitlich  und  nicht  am  obern 
Ende  eingelenkt  ist.  Die  Füsse  sind  mit  Krallen  bewehrt,  welche 
sich  in  dieser  Form  ebenfalls  bei  zahlreichen  Landmilben,  selbst 
bei  Panzermilben  (Oribatiden)  wiederfinden.  Diese  kleinen  scharlach- 
roten Larven  scheinen  unter  allen  Umständen  ein  parasitisches 
Leben  führen  zu  müssen.  So  heften  sich  die  Hydrachna-Larven  an 
Insekten,  welche  im  Wasser  leben,  fest.  Sehr  bevorzugt  wird  die 
graue  Wasserwanze,  an  welcher  man  im  Frühjahr  häufig  die  schon 
über  stecknadelkopfgrossen  Parasiten  mit  ihrem  Kopfe  in  die 
weicheren  Hautpartien  an  den  Gelenken  eingebohrt  findet.  Da 
die  völlig  ausgewachsene  Wassermilbe  schon  im  Juni  beobachtet 
wird,  so  wird  bereits  Anfang  Juli  das  Ausschlüpfen  aus  den  Eiern 
stattfinden.  Die  jungen  Milben  machen  ihre  erste  Larvenzeit  teils 
freilebend,  so  lange  nämlich,  bis  sie  ein  geeignetes  Nährtier  gefunden 
haben,  teils  als  Parasiten  angeheftet  an  letzterem  durch.  Diese 
letztere  Periode  erstreckt  sich  durch  den  Herbst  bis  zum  Frühjahr. 
Während  dieser  Zeit  nimmt  die  Grösse  des  Tieres  durch  unaus- 
gesetzte Nahrungszufuhr  dauernd  zu,  so  dass  Larven  bis  zu  2  mm 


Die  Hydrachniden.  45 

Län^e  an  den  Nährinsekten  ans'etroffen  werden.  Der  Hinterleib 
dehnt  sich  dabei  allein  aus,  während  die  Gliedmassen  keine  Grössen- 
zunahme  erfahren.  Gewissermassen  gestaltet  sich  das  Tier  zu  einer 
Vorratskammer  von  Nährstoffen  um,  welche  nun  im  Frühjahr  zur 
Neubildung    der    zweiten   Larve    verwendet    werden.      In  dem    auf- 


Fig.  4. 
Erste  Lar\'e  von  Hydrodroina  rubra. 

getriebenen  Hinterleibe  bemerkt  man,  wie  in  einem  zugeschnürten 
Beutel  ruhend,  nunmehr  die  völlig  anders  gestaltete  neue  Milbe. 
Dieselbe  hat  acht  Füsse  statt  der  früheren  sechs  und  zeigt  ein 
verändertes  Kopfsegment,  ist  überhaupt  in  keiner  Weise  vergleichbar 
der  ersten  Larve. 

Diese  zweite  Larve  hat  bereits  im  wesentlichen  die  Gestalt  des 
erwachsenen  Tieres,  zunächst  aber  noch  nicht  dessen  Grösse.    Durch 


46  Die  Hydrachniden :    Anhang. 

schnelles  Wachstum  erreicht  sie  dieselbe  aber  bald  und  begiebt 
sich  an  einen  Ort,  wo  sie  die  zweite  Larvenruhe  durchmachen 
kann.  Zu  diesem  Zweck  entleert  sie  einen  Tropfen  ihres  Speichel- 
vorrats und  heftet  dadurch  ihren  langen  Schnabel  an  die  Unterlage 
fest  an.  Die  Glieder  verlieren  ihre  Beweglichkeit  und  der  Leibes- 
inhalt gestaltet  sich  noch  einmal  zu  einem  neuen  Tiere  um.  Nach 
etwa  zehn  Tagen  durchbricht  letzteres  die  schützende  Haut  der 
ruhenden  Larve.  Nunmehr  ist  das  Tier  ausgebildet  und  erfährt 
nur  noch  ein  Grössenwachstum. 


Anhang. 


Tabelle  zur  BestimmBiig  der  bis  jetzt  bekauut  gewordenen 
Gattungen  der  Hydrachniden. 

1.  Die  Augen  nahe  bei  einander,  der  Mittellinie  des  Körpers 

sehr  genähert 2. 

Die  Augen  in  zwei  weit  von  einander  getrennte  Gruppen 
gesondert,  dem  Seitenrande  des  Körpers  genähert   .     .        3. 

2.  Sämtliche  Füsse  ohne  Schwimmborsten     .     Limnochares,  Latr. 
Nur  das  vierte  Fusspaar  ohne  Schwimmborsten      Eyla'is,  Latr. 

3.  Die    Mandibeln    eingliedrig,     stechborstenartig ,     in    einem 

schnabelartigen  IMundrohr  laufend      .     .     Hydrachia,  Müller 
Mandibeln  zweigliedrig 4- 

4.  An  den  Füssen  keine  Schwimmborsten 5- 

x\n  den  Füssen  Schwimmborsten 6. 

5.  Auf   dem    Rücken    zahlreiche    polygonale,    einander   sehr 

genäherte  erhärtete  Felder TJiyas,  C.  L.  Koch. 

Eine  einzige  Panzerplatte  bedeckt  den  Rücken    Aturus,  Kramer. 
Der  Rücken  durchaus  weichhäutig     .     .      Bradybates,  Neuman. 


Die  Hydrachniden  :  Anhang.  j.7 

6.  Die  Körperhaut  in  beiden  Geschlechtem  überall  erhärtet        7. 
Auf   dem    Rücken    des    Älännchens    eine    denselben    fast 

vollständig  bedeckende  poröse  Platte,  welche  dem 
Weibchen  fehlt Forelia,  Haller. 

Auf  dem  Vorderrücken  bei  beiden  G  eschlechtem  eine  nur  wenig 
umfangreiche  vierzipfelige  Stirnplatte    Hydrodroma,  C.  L.  Koch. 

Der  Rücken  bei  beiden  Geschlechtem  durchaus  weichhäutig       9. 

7.  Am  vierten  Fusse  jeder  Seite  keine  Krallen    Marko,  C.L.Koch. 
Am  vierten  Fusse  jeder  Seite  Krallen 8. 

8.  Jederseits  nur  drei  Haftnäpfe Axona,  Kramer. 

Jederseits  sehr  zahlreiche  kleine,  porenartige  Haftnäpfe 

Arremirus,  Duges. 

9.  Die  Taster  endigen  scherenförmig   .     .     .    Diplodontus,  Duges. 
Die  Taster  endigen  nicht  scherenförmig 10. 

10.  Die    Epimeren    sämtlicher    Füsse    jeder    Seite    bilden    ein 

zusammenhängendes  Feld 11. 

Die  Epimeren  der  Füsse  jeder  Seite  sind  in  zwei  von 
einander  getrennte  Gruppen  gesondert 14. 

1 1 .  Der  Körper  bedeutend  mehr  lang  als  breit,  oval  abgerundet 

Pseudoniarica,  Neuman. 

Der  Körper  kreisrund 12. 

Der  Körper  hinten  fast  gradlinig  abgestutzt   Acercus,  C.  L.  Koch. 

12.  Die  Haftnäpfe  fehlen  ganz     ....     Pow/ar ac/wa,  Philippi. 

Jederseits  drei  Haftnäpfe 13. 

Jederseits  zahlreiche  Haftnäpfe Midea,  Bruzelius. 

13.  Die    Haftnäpfe    auf    der    Innenfläche    der    Geschlechts- 

deckklappe   Lebertia,  Neuman. 

Die  Haftnäpfe  auf  der  äussern  Oberfläche  der  Geschlechts- 
deckklappe   Mideopsis,  Neuman. 

14.  Am  vierten  Fusse  ohne  Krallen 15. 

Am  vierten  Fusse  Krallen 16. 

15.  Jederseits    drei    Haftnäpfe    auf   der    Innenfläche    der  Ge- 

schlechtsklappe        Teiitonia,  Koenike. 

Jederseits  drei  Haftnäpfe  auf  der  Aussenfläche  der  Ge- 
schlechtsklappe        Limnesia,  C.L.Koch. 


48  I^ie  Hydrachniden  :   Anhang. 

i6.  Jederseits    drei    Haftnäpfe    auf   der    Innenfläche    der  Ge- 
schlechtsklappe        Sperchott,  Kramer. 

Die    vorhandenen    Haftnäpfe    neben    dem  Geschlechtshof 
in  die  Haut    eingelassen,    oder    auf  Platten  angebracht      17. 

17.  Jederseits  drei  Haftnäpfe 18. 

Jederseits  sechs  oder  viele  Haftnäpfe 21. 

18.  Am  Vorderrande   des    vorletzten  Tastergliedes   ein   stum- 

pfer  zapfenartiger   Fortsatz   neben    dem   fünften  Gliede 

Piona,  C.  L.  Koch. 
Am  Vorderrande  des  vorletzten  Tastergliedes  kein  zapfen- 
artiger Fortsatz 19. 

19.  Die  Epimere    des  vierten  Fusses   jeder  Seite  am  hintern 

Rande  in  der  Mitte  in  eine  längere  Spitze  nach  hinten 

ausgezogen Hydrochoreutes,  C.  L.  Koch. 

Die  Epimeren  des  vierten  Fusses  jederseits  hinten  gerad- 
linig abgeschnitten 20. 

20.  Die  Haftnäpfe  klein,  den  Geschlechtshof  völlig  einrahmend 

Megapus,  Neuman. 
Die    Haftnäpfe    verhältnismässig    gross,     auf    besonderen, 
neben    dem    Geschlechtshof    stehenden    Plättchen    ein- 
gelassen  Hygrobatcs,  C.  L.  Koch. 

21.  Die  Krallen    mit   blattartig   erweiterter  Basis;     Männchen 

mit   besonders   umgestaltetem  dritten    und  vierten  Fuss 

Nesaca,  C.L.Koch. 
Die  Krallen  nicht  mit  blattartig  erweiterter  Basis,  Männ- 
chen mit  nicht  besonders  umgestalteten  Füssen 

Atax,  Bruzelius. 


'3^ 


Litteratur. 


i)  Otto  Friedrich  Müller,  Hydrachnae,  quas  in  aquis  Daniae 
palustribus  detexit,  descripsit,  pingi  et  tabulis  aeneis  XI  incidi  cur. 
Lipsiae    i  7  8 1 . 

2)  Pierre  Andre  Latreille,  Precis  des  caracteres  generiques 
des  Insectes.     Paris    1790. 

3)  Antoine  Duges,  Recherches  sur  l'ordre  des  Acariens  en 
general  et  la  famille  des  Trombidies  en  particulier.  Premier  memoire. 
Annales  des  Scienc.  nat.     Paris    1834. 

4)  Carl  Ludwig  Koch,  Deutschlands  Crustaceen,  Myriapoda 
und  Arachniden,  Heft  i — 40.  Regensburg  1835 — 41.  Desselben 
Verfassers  Uebersicht  des  Arachnidensystems.     Nürnberg   1842. 

5)  Ragnar  Magnus  Bruzelius,  Beskrifning  öfver  Hydrach- 
nider,  som  förekomma  inom  Skäne.     Akad.  Abhandl.     Lund    1854. 

6)  Edouard  Claparede,  Studien  an  Acariden.  Zeitschrift  für 
wissensch.  Zoologie  von  Siebold  und  Kölliker,    XVIII.  Bd.      Leip- 


zig  1868. 


7)  A.  Croneberg,    lieber  den  Bau  der  Hydrachniden.      Zool. 
Anzeiger  von  V.  Carus.     Leipzig    1878,  Jahrg.  I,.  Nr.  14. 

8)  C.  J.  Neuman,   Om  Sveriges  Hydrachnider,  med  14  Taflor. 
Kongl.  Svenska   \'etenskaps-x\kad.  Handlingar,   Bd.  17,    1879. 

9)  G.  Haller,   Die  Hydrachniden  der  Schweiz,    mit  4   Tafeln. 
Bern    1882. 

10)  F.  Koenike,  Ucbcr  das  Hydrachniden-Genus  Atax.     Bre- 
men  1881. 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  4 


50  I^is  Hydrachniclen  :    Litteratur. 

1 1 )  F,  Koenike,  Revision  von  A.  Leberts  Hydrachniden  des 
Genfersees.     Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  Bd.  XXXV,    1881. 

12)  F.  Koenike,  Zwei  neue  Hydrachniden  vom  Isergebirge. 
Zeitschr.   f.  wiss.  Zool.    Bd.  XLIII. 

13)  F.  Koenike,  Eine  neue  Hydrachnide  aus  dem  Karrasch- 
see bei  Deutsch-Evlau.  Schriften  der  naturforschenden  Gesellschaft 
zu  Danzig.  N.  F.  VlI.  Bd. 

14)  F.  Koenike,  Ein  neues  Hydrachniden-Genus  (Teutonia). 
Archiv  f.  Naturgesch.    1890,  Bd.    i. 

15)  F.  Koenike,  Einige  neubenannte  Hydrachniden.  Abh. 
des  naturvv.   Vereins  in   Bremen,   Bd.  IX. 

16)  Robert  Schaub,  Über  die  Anatomie  von  Hydrodroma. 
Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Hydrachniden  (mit  6  Tafeln). 
Sitzungsberichte  der  kaiserl.  Akad.  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Math.-naturw.  Klasse,  Bd.  XCVII,    1888. 

17)  Robert  Schaub,  Über  marine  Hydrachniden  nebst  einigen 
Bemerkungen  über  Midea  (mit  2  Tafeln).  Sitzungsberichte  der 
kaiserl.  Akad.  der  Wissenschaften  in  Wien.  Math.-naturw.  Klasse. 
Bd.  XCVni,   1889. 

18)  Th.  Barrois,  Materiaux  pour  servir  ä  l'etude  de  la  faune 
des  eaux  douces  des  Azores.     I.   Hydrachnides.     Lille   1887. 

19)  Th.  Barrois  et  R.  Moniez,  Catalogue  des  Hydrachnides  etc. 
Lille   1887. 

20)  Th.  Barrois,  Note  sur  la  dispersion  des  Hydrachnides. 
Revue  biolog.  du  Nord  de  la  France,  T.  I.    1888 — 1889. 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers, 
besonders  der  stehenden  Gewässer. 


Von  Dr.  E.  Sclimidt-Schwedt  in  Berlin. 


Vorbemerkung.  Der  folgende  Aufsatz  will  nur  Skizzen  aus  der 
Kerfwelt  des  süssen  Wassers  geben;  dass  dabei  ganz  wesentlich 
die  Kerfe  und  Kerflarven  der  stehenden  Gewässer  berücksichtigt 
worden  sind,  ist  schon  in  der  Überschrift  angedeutet  worden.  Ich 
habe  diese  Beschränkung  geübt,  um  mich  in  den  Schilderungen 
fast  ganz  auf  eigene  Anschauung,  auf  eigene  Beobachtungen  stützen 
zu  können.  Auch  der  Kundige,  so  hoffe  ich,  wird  darin,  besonders 
in  biologischer  Hinsicht,  manches  Neue  finden;  in  jedem  einzelnen 
Falle  es  als  solches  kenntlich  zu  machen  oder  zu  abweichenden 
Angaben  in  der  Litteratur  besonders  Stellung  zu  nehmen,  schien 
mir  in  einem  Aufsatze  wie  dem  vorliegenden  überflüssig. 


Einleitung. 


Wenn  von  dem  zahllosen  Heer  der  Kerfe  die  Rede  ist,  denkt 
wohl  fast  Jeder  zunächst  nur  an  die  augenfälligen  Vertreter  der- 
selben, welche  dem  Luftmeer  angehören  und  auf  Blatt  und  Blüte, 
wie  auf  und  in  der  Erde  ihr  Wesen  treiben:  dass  auch  dem  Wasser 
Vertreter  dieses  „luftigen"  Volkes  in  reichlicher  IMenge  angehören, 
der  Gedanke  liegt  wohl  Vielen  fern.  Wer  dann  unter  kundiger 
Leitung  besonders  ein  pflanzenreiches  stehendes  Gewässer  etwa  im 
Mai    mit    dem  Netz*)    untersuchen    will,    der   dürfte    wohl    staunen 


*)  Ich  benutze  dazu  mit  Vorliebe  wenig  tiefe  Netze  aus  weissen  Rosshaaren.  Die- 
selben bieten  besonders  den  Vorteil,  dass  der  Stoff  im  Wasser  nicht  quillt,  also  die  Lücken 
gleich  weit  bleiben  und  dass  ferner  Algenschleini  u.  dergl.  nicht  daran  haften  bleibt. 


54  Keife  und  Kerflaiven  des  süssen  Wassers. 

über  das  reiche  Insekten-  und  vornehmlich  Insektenlarvenleben 
derselben  und  wenn  er  einiges  mit  nach  Hause  nimmt  zu  genauerer 
Untersuchung  und  Beobachtung  dei-  Lebenserscheinungen,  könnte 
sich  leicht  ein  dauerndes  Interesse  für  diese  Tierwelt  daraus  ent- 
wickeln. Derjenige  nun,  welcher  seine  Aufmerksamkeit  den  Wasser- 
insekten zuwenden  will,  kann  zeitig  im  Frühjahr  mit  seiner  Thätigkeit 
beginnen.  Wenn  kaum  einige  Zeit  das  Eis  unserer  Gräben  und 
Teiche  den  wieder  kräftiger  werdenden  Sonnenstrahlen  gewichen 
ist,  beginnt  schon  ein  grosser  Teil  der  im  Wasser  lebenden  Insekten 
und  Insektenlarven  ihr  gewohntes  Treiben.  Geraume  Zeit  also, 
bevor  der  erste  Schmetterling,  die  erste  Grabbiene  (Andrena) ,  die 
erste  Pollenia  (Fliegenart)  erscheint,  bietet  ein  Ausflug  nach  Teichen 
und  Gräben  auf  Wasserinsekten  reichliche  Ausbeute.  Ja,  manche 
Vertreter  unserer  biologischen  Gruppe  scheinen  eine  Winterruhe 
kaum  zu  halten;  wenigstens  habe  ich  mehrfach  selbst  im  Januar 
Larven  der  Käferfliegen  unter  dem  Eise  ihrer  Lebensaufgabe,  dem 
Frassgeschäft,  obliegen  und  Schwimmkäfer  wie  Wasserwanzen  sich 
ebendort  tummeln  sehen.  Es  ist  eben  das  Wasser,  die  Urheimat 
alles  Lebendigen,  für  alle  Lebewesen,  die  in  seinen  Schoss  sich 
begeben  haben,  in  vieler  Hinsicht  ein  ungleich  freundlicheres 
Element  als  das  Luftmeer.  Die  besonders  im  Frühjahr  sprung- 
artigen Veränderungen  in  der  Wärme  der  Luft,  die  allen  Tieren, 
welche  zu  früh  ihre  Winterplätze  verlassen  haben,  leicht  verderblich 
werden,  gleicht  das  Wasser  mässigend  aus  und  die  trüben  Regen- 
und  Schneeschauer  des  Frühjahrs  hält  es  seinen  Inwohnern  sicher 
vom  Leibe.  Bei  den  nicht  zu  hohen  Wärmegraden  bietet  sogar  das 
Wasser  im  Frühjahr  denen  unter  seinen  Bewohnern,  welche  zur 
Atmung  nicht  die  atmosphärische  Luft,  sondern  die  im  Wasser 
gebundene  benutzen ,  besonders  günstige  Daseinsbedingungen ,  da 
der  Luftgehalt  des  Wassers  dann  wegen  der  geringen  Wärme  grösser 
ist  als  im  Sommer*).  Das  reichste  Insektenleben  zeigen  die 
Gewässer  wohl  im  Mai;  die  Zahl  der  Larven,  welche  den  grösseren 


*)  Auch  bei  den  Ausflügen,  die  dem  Fange  unserer  Tiere  gelten,  macht  sich  geringe 
Wärme  als  günstiger  Umstand  bemerkbar;  ungleich  leichter  als  an  warmen  Sommertagen 
bringt  mau  die  Tiere  ohne  Abgang  an  Toten  an  kühlen  Frühlingstagen  heim. 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers.  55 

Bestandteil  der  Insektenwelt  des  Wassers  ausmachen,  ist  dann  auf 
ihrem  Höhepunkt,  Zum  Hochsommer  nimmt  deren  Zahl  wieder 
ab.  Nicht  wenige  der  dem  Wasser  angehörigen  Insektenlarven 
überwintern  freilich  selbst  in  diesem  Zustand,  z.  B.  einzelne  Schwimm- 
käferlarven, zahlreiche  Mücken-,  Köcherfliegen-  und  Eintags- 
fliegenlarven. 

Ist  nun  auch  die  Zahl  der  Insekten  und  besonders  der  Insekten- 
larven, welche  im  Wasser  leben,  eine  recht  erkleckliche,  so  ist  doch 
anderseits  zu  betonen,  dass  die  eigentliche  Stärke  dieser  Grossmacht 
des  Tierreichs  auf  der  Erde,  in  der  Luft  liegt  und  —  was  für 
unsere  Betrachtungen  wichtiger  ist  —  dass  das  Verhältnis  der 
Insekten  zum  Wasserleben  im  wesentlichen  ein  gleiches  ist  wie  das 
der  Säugetiere  zu  demselben.  Ich  will  damit  sagen,  dass  hier  wie 
dort  der  Grundtypus  der  Klasse  in  seiner  ganzen  Gestaltung  auf 
das  Landleben  hinweist  (wie  etwa  umgekehrt  der  der  Fische  und 
Krebse  auf  das  Wasserleben)  und  dass  die  im  Wasser  lebenden 
Vertreter,  bei  den  Säugetieren  z.  B.  Seeotter,  Seehund,  Walfisch, 
zwar  mehr  oder  minder  weit  gehende  Abänderungen  von  jenem 
Grundtypus  zeigen,  die  eben  im  Zusammenhange  mit  ihrem  be- 
sonderen Aufenthaltsorte  stehen,  aber  doch  immer  noch'  deutlich 
genug  erkennen  lassen,  dass  solche  Eigentümlichkeiten  erst  etwas 
nachträglich  Hinzugekommenes  sind,  oder  vom  Standpunkte  der 
Abstammungslehre  aus:  Die  Vorfahren  dieser  im  Wasser  lebenden 
Tiere  waren  Landtiere;  erst  nachträglich  haben  sich  die  Anpassungen, 
welche  in  Beziehung  zum  Wasserleben  stehen,  herausgebildet.  Zwei 
Gebiete  der  Lebensthätigkeit  nun  werden  bei  der  Gegenüberstellung 
von  Land-  und  Wasserleben  besonders  berührt  und  also  auch  die 
denselben  dienenden  Organe:  Atmung  und  Bewegung*).  Diesen 
beiden  Funktionen  und  ihren  Organen  werden  wir  also  im  Folgenden 
in  erster  Linie  unsere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden  haben. 

Bei  den  Säugetieren  ist  die  Zahl  der  Ordnungen,  aus  denen 
Vertreter  dem  Wasser  angehören,  nicht  eben  gross,  wenige  Raub- 
tiere, Nagetiere  und  die  beiden  Ordnungen  der  Robben  und  Wale; 


*)    An   dritter  Stelle   wären   die  Sinnesorgane  in  Betracht  zu  ziehen  ,    doch    muss  ich 
dieselben,  da  dies  ein  völlig  unbebautes  Gebiet  ist,  im  Folgenden  ausser  Betracht  lassen. 


50  Kerfe  und  Kciflaiven  des  süssen  Wassers. 

ein  gleiches  trifft  für  die  Insekten  zu,  wenn  man  die  entwickelten 
Tiere  im  Auge  luit  —  es  sind  dann  nur  Käfer  und  Schnabelkerfe 
(Wanzen)  zu  nennen.  Anders  gestaltet  sich  aber  das  Bild,  wenn 
man,  wie  billig,  auch  die  Larven  berücksichtigt.  Dann  ist  nur  eine 
Ordnung  im  Wasser  nicht  vertreten,  nämlich  die  der  Hymenopteren, 
d.  h.  der  Verwandten  von  Biene,  Wespe  und  Blattwespe.  Um 
nun  die  stattliche  Reihe  aller  dieser  Vertreter  in  eine  übersichtliche 
Anordnung  zu  bringen,  dürfte  es  sich  empfehlen,  die  natürlichen 
Gruppen  des  Insektenvolkes,  die  Ordnungen,  zu  Grunde  zu  legen. 

Käfer. 

1.  Tavimelkäfer  (Gyriniden). 

Zu  den  wenigen  Vertretern  der  Wasserinsekten,  welche  sich 
ajich  dem  flüchtigen  Auge  des  Spaziergängers  aufdrängen,  gehören 
die  massig  grossen  (bis  7  nmi),  nicht  eben  zahlreichen  Arten  der 
Taumel-  oder  Drehkäfer  (Gyriniden).  In  vielfach  durch  einander 
geschlungenen  Linien  schwimmen  sie  blitzschnell  bei  schönem  Wetter 
gesellig  auf  der  Oberfläche  stehender  wie  fliessender  Gewässer 
dahin.  Diesen  Tummelplatz,  die  Oberfläche  des  Wassers,  teilt  mit 
ihnen  unter  den  Wasserinsekten  in  gleich  ausgesprochener  Weise 
nur  noch  eine  Familie  der  Schnabelkerfe,  die  Wasserläufer  (Hydro- 
dromici),  die  auf  langen  Beinen  zur  Überraschung  des  Zuschauers 
auf  dem  Wasser  dahinlaufen*). 

Unterscheiden  sich  die  Taumelkäfer  von  den  Wasserläufem 
schon  dadurch,  dass  sie  an  der  Oberfläche  dahinschwimmen, 
nicht  auf  ihr  laufen,  so  kommt  dazu  noch  weiter,  dass  sie  auch, 
was  jene  nie  thun,  leicht  in  das  Wasser  hinabtauchen,  sei  es  nun, 
um  sich  der  Ungunst  des  Wetters  oder  drohender  Gefahr  zu  ent- 
ziehen oder  um  Beute  zu  erhaschen.     Während  der  Käfer  auf  der 


*)  Auf  der  Oberfläche  des  Wassers  trifft  man  nicht  selten  auch  verschiedene  Fliegen- 
arten,  besonders  solche  aus  der  Familie  der  Dolichopiden  und  Museiden  (Ephydrinen). 
Ebenso  leicht,  wie  sie  auf  dem  Wasser  dahin  laufen,  fliegen  sie  auch  wieder  von  dort  fort ; 
Anpassungen  an  das  Leben  an  diesem  Aufenthaltsort  wie  bei  Taumelkäfern  und  Wasser- 
läufern sind  mir  nicht  bekannt.  —  An  vierter  Stelle  könnte  man  hier  vielleicht  noch  die 
winzigen  Springschwänze  (Poduren)  nennen ,  die  sich  bisweilen  in  der  Nähe  des  Ufers  in 
grossen  Scharen  ansammeln  und  dann  einer  Masse  Schiesspulver  gleichen,  dessen  Körner 
auf  rätselhafte  Weise  in  hüpfende  Bewegung  versetzt  sind. 


Kerfe  und  Kerllarven  des  süssen  Wassers.  57 

Oberfläche  schwimmt,  scheint'  er  gleichzeitig  die  Umgebung  über 
wie  unter  Wasser  zu  mustern;  wenigstens  weist  darauf  eine  selt- 
same Einrichtung  seiner  Augen  hin.  Jedes  derselben  ist  nämlich 
durch  eine  breite  Chitinleiste  in  einen  nach  oben  und  einen  nach 
unten  gewendeten  Teil  geschieden,  so  dass  man  bei  unseren  Tieren 
von  vier  Netzaugen  sprechen  kann. 

Die  Aussrestaltuno;  ihrer  Beine  zum  Schwimmen  ist  vollkommener 
als  bei  irgend  einem  anderen  Käfer  und  zwar  gilt  das  in  annähernd 
gleichem  Grade  für  JNIittel-  wie  Hinterbeine,  während  die  Vorder- 
beine, welche  nur  zum  Greifen  und  Festhalten  benutzt  werden, 
armartig  verlängert  sind.  An  den  Mittel-  und  Hinterbeinen  sind 
besonders  die  Schienen  und  vier  ersten  Fussglieder  flossenartig  \er- 
breitert  und  dabei  etwas  schaufelartig  ausgehöhlt;  der  Aussenrand 
ist  überdies  mit  Schwimmborsten  besetzt.  Schwimmen,  besonders 
schnelles  Schwimmen  mit  den  Gliedmassen,  ist  eine  ansehnliche 
Arbeitsleistung  und  stellt  daher  an  die  Festigkeit  des  Körperbaues, 
vornehmlich  hinsichtlich  der  Anfügung  der  Gliedmassen,  hohe  x\n- 
forderungen.  Wer  den  Bau  unseres  Käfers  auf  diesen  Gesichtspunkt 
hin  untersuchen  will,  wird  ihn  in  Einklang  mit  jenen  Forderungen 
finden.  Besonders  die  Hinterhüften  sind  auffallend  gross  und  fest 
mit  dem  Brustskelett  verwachsen;  an  der  ]\Iittelbrust,  von  deren 
Hüftteilen  annähernd  Gleiches  gilt  wie  von  den  Hinterhüften,  fällt 
besonders  der  grosse  INIittelteil  (Mesosternum)  auf,  dessen  Aus- 
dehnung einen  Schluss  erlaubt  auf  die  auch  in  diesem  Brustring 
entwickelten  INIuskelmassen. 

Die  Anpassung  der  Beine  an  das  Schwimmen  ist  eine  so  aus- 
geprägte, dass  die  Käfer  auf  dem  Lande  ebenso  unbeholfen  sind 
wie  manche  Vertreter  der  im  Wasser  lebenden  Säugetiere.  Wollen 
sie  jedoch  von  einem  Gewässer  zum  anderen  wandern,  so  stehen 
ihnen  wie  allen  \\"asserkäfem  dazu  die  Flügel  zu  Gebote. 

Sind  die  Gyriniden  hinsichtlich  ihrer  Bewegung  ausgesprochene 
Wassertiere,  so  bieten  sie  dagegen  rücksichtlich  der  Atmung  nichts 
Besonderes  dar.  Befinden  sie  sich  an  der  Oberfläche,  also  mit 
der  Rückseite  ganz  an  der  Luft,  so  atmen  sie  wie  gewöhnliche 
Landkäfer;    tauchen    sie    unter,    so    sieht  man  am  Hinterende  stets 


58 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 


ein  kleines  Luftbläschen  Q-länzen.  Ganz  anders  verhalten  sich  in 
diesem  Punkte  die  Larven  der  Taumelkäfer.  Diese  besitzen  (Fig.  5,  i 
Larve  von  Gyrtmts  striatus)  jene  eigenartigen  Atmungsorgane,  welche 


-^-^>;^ 


*)  Die  vergrösserten  Figuren  für  die  Zinkographie  sind  von  Herrn  Kupferstecher 
Ettel,  Berlin,  dem  ich  dafür  zu  Dank  verbunden  bin,  teils  nach  vorhandenen  Abbildungen, 
teils  nach  meinen  Handzeichnungen,  teils  nach  der  Natur  gezeichnet  worden  ;  im  letzteren 
Falle  ist  stets  Zeichnung  und  Objekt  von  mir  verglichen  worden.  Im  ersten  Falle  ist  stets 
der  Schriftsteller  genannt  worden,  dem  die  Figur  entlehnt  wurde,  in  den  beiden  letzten  ist 
angegeben  worden  :   nach  der  Natur. 


Kerle  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers.  gg 

einem  Teil  der  Insektenlarven  des  Wassers  zukommen  und  mit  dem 
Namen  Tracheenkiemen  belegt  worden  sind.  Wie  die  gewöhn- 
lichen Kiemen  vermögen  diese  Organe  dem  Wasser  den  absorbierten 
Sauerstoff  zu  entnehmen,  enthalten  jedoch  nicht  einen  lebhaften 
Blutstrom,  sondern  verzweigte  Luftröhren  (Tracheen),  welche  von 
zartem  Protoplasma  umgeben  sind.  Bei  den  Gyrinidenlarven  sind 
diese  Organe  seitlich  bewimpert  (s.  Fig.  5,  i);  jeder  Hinterleibsring 
trägt  an  der  Seite  je  ein  Paar  dieser  Kiemenfäden,  der  letzte  aber 
vier  derselben,  die  nach  hinten  gerichtet  sind.  In  schlechtem,  d.  h. 
sauerstoffarmem  Wasser  habe  ich  unsere  Larve  mehrfach  den  Hinter- 
leib auf-  und  niederschwingen  sehen,  während  sie  sich  mit  den 
Beinen  festhielt.  Offenbar  dienten  diese  Bewegungen  zur  schnelleren 
Erneuerung  des  für  die  Atmung  nötigen  Wassers.  Durch  gleich- 
artige Bewegungen  des  Körpers,  also  ebenso  wie  die  Egel  unserer 
Gewässer,  vermag  auch  die  Larve  ziemlich  schnell  durch  das  Wasser 
zu  schwimmen;  dabei  gewinnen  auch  wohl  die  Wimpern  der 
Trächeenkiemen  ihre  Bedeutung.  An  der  Gestalt  und  Verteiluns: 
dieser  Organe,  an  den  sechs  Brustfüssen  und  an  den  vier  gekrümmten 
Chitinhaken  am  Hinterleibsende  (in  unserer  Figur  sind  nur  zwei 
davon  sichtbar)  sind  unsere  Larven  leicht  kenntlich. 

So  häufig  übrigens  die  Taumelkäfer  sind,  so  selten  habe  ich 
—  und  wie  es  scheint  auch  Andere  —  die  Larven  ans^etroffen. 
Vermutlich  halten  sich  dieselben  in  Schlupfwinkeln,  etwa  unter  Steinen 
am  Boden  der  Gewässer,  auf;  dafür  sprechen  ihre  Atmungsorgane, 
die  sie  davon  befreien,  wie  andere  Wasserkäferlarven  zur  Atmung 
an  die  Oberfläche  kommen  zu  müssen,  die  zarte  Beschaffenheit  des 
Hinterleibes  und  der  Besitz  der  gekrümmten  Haken  am  Körper- 
ende, die  anscheinend  zum  Festhalten  in  Gängen  oder  an  Gegen- 
ständen dienen.  Die  Larven  leben  übrigens  wie  die  Käfer  vom 
Raube.  Zur  Verpuppung  verlassen  sie,  wie  das  fast  für  alle  Käfer- 
larven des  Wassers   gilt,    dieses  Element  und  gehen  an  das  Land. 

2.  Schwimmkäfer  (Dytisciden). 

Ungleich  reicher  an  Arten  als  die  nur  in  zwei  Gattungen  mit 
zwölf  Arten  vertretenen  Taumelkäfer  ist  die  Schar  der  eis;entlichen 


(jQ  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

Schwimmkäfer  (Dytisciden).  Unter  den  im  Wasser  lebenden  Käfern 
sind  sie  schon  durch  die  fadenförmigen,  auch  im  Wasser  stets  frei 
getragenen  Fühler  gekennzeichnet.  Nahezu  150  deutsche  Arten 
werden  unterschieden,  für  die  zwölf  Gattungen  aufgestellt  worden 
sind.  Die  ansehnlichsten  Vertreter  unserer  Familie  sind  die  Arten 
der  Gattung  Dytisciis  und  Cyhistcr  (über  2 1/2  cm  gross);  unter 
ihnen  wieder  ist  wohl  der  Gelbrand,  Dytisciis  marginalis,  diejenige 
Art,  w^elcher  man  am  häufigsten  begegnet*). 

Der  Gelbrand  hält  sich  wie  alle  seine  Familiengenossen,  sofern 
er  nicht  fliegend  das  bisher  bewohnte  Gewässer  mit  einem  anderen 
vertauscht,  nur  in,  nie  auf  dem  Wasser  auf,  dort  seinem  räube- 
rischen Treiben  nachgehend.  In  nicht  zu  langen  Zwischenräumen 
muss  er  jedoch,  um  zu  atmen,  an  die  Oberfläche  kommen.  Die 
Hauptmenge  der  Atemöffhungen  liegt  aber  an  der  Rückseite  des 
Hinterleibes  unter  den  Flügeln  und  daher  steckt  der  Käfer,  das 
Kopfende  schräg  nach  unten  haltend,  nur  das  Ende  des  Hinter- 
leibes heraus  und  lüftet  dabei  ein  wenig  die  Flügeldecken.  Bei 
der  geringsten  Beunruhigung  fährt  er  sofort  in  die  Tiefe.  Eine 
schnelle  Erledigung  des  in  dieser  Lage  offenbar  gefährlichen 
Atemgeschäftes  wird  nun  ermöglicht  durch  ungewöhnlich  grosse, 
mit  vollkommenen  Schutzvorrichtungen  gegen  Staub  versehene  Luft- 
löcher; besonders  die  dem  Körperende  näheren  sind  im  Gegensatz 
zu  dem  bei  Landkäfern  üblichen  Verhalten  durch  Grösse  aus- 
gezeichnet. Sind  sie  es  doch  auch,  welche  hier  zunächst  in  An- 
spruch genommen  werden.  Durch  die  Luft,  welche  sich  in  den 
Tracheen  und  unter  den  Flügeln  befindet,  wird  übrigens  der  Körper 
im  Verhältnis  zu  seinem  Rauminhalt  so  leicht,  dass  der  Käfer 
infolgedessen  im  Wasser  emporsteigt  und  also  sich  anstrengen  muss, 
nicht  wenn  er  zur  Oberfläche  will,  sondern  umgekehrt,  wenn  er 
zur  Tiefe  hinab  will.  Den  Weg  dahin  nimmt  er  meist  nicht  in 
einfach  senkrechter  Richtung,  sondern  fast  immer  etwas  schräg;  er 
benutzt  so  den  Widerstand,  welchen  seine  breite  Gestalt  der  Wirkung 


*)  Im  Netz  gebärdet  er  sich  gewöhnlich  sehr  unruhig ;  fasst  man  ihn,  so  sucht  er 
sich  durch  Entleerung  seines  Unrats  und  einer  milchigen  Flüssigkeit,  die  dem  Vorderbrust- 
ring entquillt,  zu  befreien. 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers.  61 

des  Auftriebes  entgegenstellt,    wie    der  Arbeiter,    welcher    das  Fass 
nicht  einfach  hebt,  sondern  auf  der  Schrotleiter  emporrollt. 

Einer  bemerkenswerten,  auf  die  Atmung  bezüglichen  Beobachtung 
sei  hier  noch  gedacht,  die  ich  zuerst  bei  Cybister  Rocseln  machte: 
die  Haut  der  Bauchseite  dieses  Käfers  ist  so  durchsichtig,  dass  an 
dem  auf  den  Rücken  gelegten  Tier  die  Luftröhren,  besonders  die 
stärkeren,  querverlaufenden  Stämme  unter  den  Ringen  des  Hinter- 
leibes und  eine  grosse  Tracheenblase  der  Brust  deutlich  zu  erkennen 
sind.  An  ihnen  kann  man  nun  ohne  Schwierigkeit  wahrnehmen, 
wie  zum  Auspressen  und  Wiedereinsaugen  der  Luft  ihre  Wandungen 
abwechselnd  zusammen  und  wieder  aus  einander  gehen.  Das  erstere 
geschieht  infolge  besonderen  Muskeldruckes,  das  Öffnen  dagegen 
infolge  der  Spannkraft  der  Luftröhrenwände. 

Zum  Schwimmen  benutzt  der  Gelbrand  fast  nur  die  Hinter- 
beine, deren  Schienen  und  Fussglieder  mit  Schwimmhaaren  versehen 
sind,  und  zwar  beim  Männchen  mit  zwei  Reihen,  beim  Weibchen 
mit  einer.  Wie  ein  geschulter  Schwimmer  bewegt  der  Käfer  die 
in  ihren  Fussgliedern  nach  oben  gekrümmten  Beine  dieses  Paares 
stets  gleichzeitig.  Von  auffälliger  Grösse  sind  wiederum  die  fest 
mit  dem  Körper  verwachsenen  Hüften,  die  bei  der  ersten 
Betrachtung  ein  Teil  der  Brust  zu  sein  scheinen;  eigenartig  ist  die 
Befestigung  der  übrigen  Beinteile  daran,  nämlich  derart,  dass  den 
Schenkeln  und  Schienen  nur  die  Bewegung  von  vorn  nach  hinten 
möglich  ist.  Die  Mittelbeine  sind  zwar  auch  mit  einigen  Schwimm- 
borsten versehen,  ihre  Bedeutung  beim  Schwimmen  besteht  aber 
nur  darin,  dass  sie  mithelfen,  wenn  nötig,  die  Richtung  des  Körpers 
zu  ändern.  Ihre  Hüften  sind  klein,  kugelig,  die  ganze  Mittelbrust 
ist  an  der  Unterseite  von  der  Hinterbrust  fast  verdrängt,  so  dass 
dadurch  die  Unterseite  des  Käfers  ein  charakteristisches  Gepräge 
erhält.  Dass  die  geringe  Ausbildung  der  Mittelbrust  in  Beziehung 
steht  zu  ihrer  geringen  Muskelmasse  und  diese  wieder  zu  der  geringen 
Inanspruchnahme  der  Mittelbeine,  braucht  hier  wohl  nur  angedeutet 
zu  werden.  Die  Vorderbeine  sind  fast  ganz  in  den  Dienst  des 
Mundes  oretreten;  sie  halten  die  Beute  und  führen  sie  dem  Munde 
zu.      In    sprechender   Weise   kommt    die    Arbeitsteilung    unter    den 


(32  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

Beinen  zum  Ausdruck,  wenn  man  dem  Tier  etwa  einen  Regenwurm 
bietet.  Mit  den  Vorderbeinen  ihn  haltend,  schwimmt  der  Käfer  mit 
den  Hinterbeinen  einem  Ruhepunkte  zu,  wobei  die  Mittelbeine  die 
oben  angegebene  Nebenrolle  spielen;  angelangt,  hält  er  sich  mit 
den  Mittelbeinen  fest,  während  die  Hinterbeine  in  einer  eigentümlich 
gekrümmten  Haltung  stehen  und  die  Vorderbeine  den  Mundteilen 
Handlangerdienste  leisten.  Der  Unterschied  in  der  Thätigkeit  der 
drei  Beinpaare  prägt  sich  auch  in  der  Krallenbildung  aus;  nur  an 
den  Hinterbeinen  sind  die  Krallen  in  ziemlichem  Grade  verkümmert. 

In  Beziehung  zum  Schwimmen  steht  ferner  offenbar  die  feste 
Ineinanderfügung  von  Kopf,  Brustschild  (Halsschild)  und  den 
übrigen  Körperteilen,  wobei  besonders  auch  der  Dom  an  der 
Unterseite  der  Vorderbrust,  der  sich  in  eine  Rinne  der  Mittelbrust 
legt,  zu  beachten  ist,  und  ebenso  die  Verwachsung  der  ersten  Bauch- 
ringe: Durch  alle  diese  Punkte  wird  erreicht,  dass  beim  Schwimmen 
die  Teile  sich  nicht  hin  und  her  bewegen  und  dass  keine  unnötigen 
vorspringenden  Teile  die  Reibung  erhöhen.  Zum  Durchschneiden 
des  Wassers  ist  so  der  flache  Körper  trefflich  eingerichtet.  Als 
Besonderheit  bleibt  endlich  zu  erwähnen,  dass  beim  Männchen  die 
drei  ersten  Fussglieder  der  Mittel-  und  Vorderbeine  in  ausgeprägter 
Weise  zu  Haftorganen  umgebildet  sind ;  die  der  Vorderbeine  bilden 
eine  rundliche  Scheibe,  von  deren  mit  Saugnäpfchen  versehenen 
Haaren  sich  besonders  zwei  durch  Grösse  auszeichnen.  Dass 
infolge  der  Elastizität  der  Wandung  die  einmal  angedrückten  Teile 
eben  nach  dem  Prinzip  von  Saugnäpfen  ohne  weiteres  Zuthun  des 
Käfers  haften,  lehrt  ein  Versuch  mit  den  toten  Tieren.  Drückt 
man  die  feuchte  Haftscheibe  etwa  an  eine  Glasplatte,  so  bleibt 
nicht  nur  beim  Aufheben  dieser  Platte  der  Käfer  daran  hängen, 
sondern  man  •  kann  auch  noch  einen  zweiten  und  dritten  an  den 
ersten  anhängen. 

Die  Weibchen  anderseits  zeigen  einen  eigentümlichen  Dimor- 
phismus, insofern  nämlich,  als  die  eine  Reihe  derselben  mit  gefurch- 
ten, die  andere  mit  glatten  Flügeldecken  versehen  ist. 

Die  Larven  der  Gattung  Dytiscus  (Fig.  5,  2)  sind  im  Früh- 
jahr in  unseren  stehenden  Gewässern  eine  recht  häufige  Erscheinung 


Kerfe  und  Kerflaiven  des  süssen  Wassers.  (53 

Abgesehen  von  den  Larven  der  Libellen,  die  wegen  der  bald  ent- 
wickelten Flügelansätze  nicht  mit  Käferlarven  verwechselt  werden 
können,  sind  sie  wohl  mit  denen  von  Cybister  die  grössten  Insekten- 
larven des  süssen  Wassers;  erwachsen  messen  sie  etwas  über  5  cm. 
Als  Schwimmkäferlarve  ist  sie  kenntlich  durch  die  grossen  sichel- 
förmigen, auf  der  Innenseite  nicht  gezähnten  Oberkiefer,  durch  den 
Mangel  einer  eigentlichen  Mundöffnung,  durch  den  platten  Kopf, 
ferner  durch  die  Zweizahl  der  Krallen  an  den  drei  Brustfüssen  und 
endlich  durch  die  stärkere  Chitinisierung  der  Rückenseite  —  nur 
der  letzte  Hinterleibsring  ist  ringsum  stärker  chitinisiert*).  Als 
unterscheidend  für  die  Larven  unserer  Gattung  wäre  neben  der 
Grösse  hervorzuheben,  dass  zwischen  den  vier  längeren  Fühler- 
gliedem  anscheinend  je  ein  kürzeres  eingeschaltet  ist,  dass  die 
beiden  letzten  Leibesringe  seitlich  mit  stärkeren  Schwimmhaaren 
versehen  sind  und  dass  die  beiden  am  Körperende  befindlichen 
Anhänge  gross  und  stark  befiedert  sind. 

Wie  der  Käfer  muss  die  Larve  zum  Atmen  an  die  Oberfläche 
kommen;  die  beiden  einzigen  thätigen  Luftlöcher**)  liegen  am 
Ende  des  letzten  Ringes.  Die  beiden  Körperanhänge  flach  auf 
dem  Wasser  ausbreitend,  hängt  die  Larve  beim  Atmen  in  S-förmiger 
Krümmung  an  der  Oberfläche. 

Wird  sie  beunruhigt,  so  schnellt  sie  sich  durch  einen  kräftigen 
Schlag  des  Hinterleibes  ein  gut  Stück  in  die  Tiefe.  Diese  Zuhilfe- 
nahme des  Abdomens  bei  der  Bewegung  ist  übrigens  ein  charakte- 
ristischer Zug  vieler  Insektenlarven  gegenüber  dem  entwickelten 
Tier.  Schwimmt  die  Larve  ruhiger  im  Wasser  umher,  so  benutzt 
sie  dazu  in  gleichmässiger  Weise  die  drei  mit  Schwimmhaaren  ver- 
sehenen Beinpaare,  die  Beine  desselben  Paares  aber  meist  nicht 
wie  der  Käfer  gleichzeitig  bewegend. 

Die  Larve  führt  ein  ausgesprochen  ,räuberisches  Leben,  dabei 
frisst  sie  ihre  Beute  nicht ,  sondern  saugt  derselben  die  Säfte  aus ; 


*)  Vgl.  dazu  den  Versuch  einer  Tabelle  über  die  Kerf  larven  am  Ende  dieses  Aufsatzes. 

**)  Die  sieben  anderen  Stigmenpaare  des  Hinterleibes  und  die  beiden  Paare  der  Brust 

sind  geschlossen  und  besonders  ;in  jüngeren  Tieren  schwer  wahrzunehmen  ;    eine  Bedeutung 

haben  sie  nur  noch  bei  den  Häutungen  der  Larve,    indem   sie   dann  als  Anheftepunkte    der 

alten  Tracheen  dienen,  die  aus  den  neugebildeten  herausgezogen  werden  müssen. 


ß4  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

besonders  oft  habe  ich  sie  so  Kaulquappen  aussaugend  beobachtet. 
Wie  schon  oben  erwähnt,  fehlt  eine  eigentliche  Mundöffnung;  aber 
die  Oberkiefer  haben  auf  der  Innenseite  eine  durch  Ineinander- 
greifen der  Ränder  geschlossene  Rinne,  welche  nach  der  Spitze  zu 
offen  ist  und  nach  dem  Grunde  zu  in  den  Verdauungskanal  mündet. 
Will  man  die  Larven  zur  Verpuppung  bringen,  so  darf  man  es 
nicht  an  Nahrung  und  einer  Gelegenheit,  an  das  Land  zu  kommen, 
fehlen  lassen. 

Ist  hier  auch  nicht  der  Ort,  auf  die  Besonderheiten  der  anderen 
Gattungen  allgemeiner  einzugehen,  so  möchte  ich  mir  doch  nicht 
versagen,  auf  den  einzigen,  nicht  eben  häufigen  Käfer  unserer 
Familie  hinzuweisen,  der  bei  Berührung  Töne  von  sich  giebt  — 
er  benutzt  dazu  die  Flügeldecken  und  letzten  Hinterleibsringe  — , 
und  der  auch  sonst  eine  eigenartige  Stellung  in  der  Familie  ein- 
nimmt: Pclohius  Hernianni,  und  ferner  auf  die  beiden  Gattungen 
Haliphts  und  Cnemidotiis,  deren  kleine  Arten  bei  abweichender 
Hüftenbildung  der  Hinterbeine  nicht  regelrecht  schwimmen,  sondern 
pudeln. 

Zur  Bestimmuno-  der  Käfer  stehen  zahlreiche  Bücher  zur  Ver- 
fügung ;  die  Bestimmung  der  Larven  bietet  dagegen  grosse  Schwierig- 
keiten t*);  ja  viele  von  ihnen  sind  erst  durch  die  hervorragenden 
Arbeiten  Schiödtes  bekannt  geworden.  Ich  \'ersuche  hier  noch 
einige  der  häufigeren,  wenigstens  der  um  Berlin  häufigeren  Larven 
kenntlich  zu  machen. 

Leicht  zu  kennzeichnen  ist  die  nicht  seltene  Larve  von  Acilhis 
sulcatus  (Fig.  5,  3),  die  erwachsen  etwa  3  cm  misst.  Der  erste 
Brustring  ist  etwa  dreimal  so  lang  als  in  der  Mitte  breit;  die 
mittleren  Hinterleibsringe  sind  stark  verbreitert,  die  beiden  letzten 
Ringe  seitlich  mit  Schwimmhaaren  versehen,  die  beiden  Anhänge 
dagegen  unbewimpert.  Der  Kopf  ist  durch  schwarze  Flecke  in  der 
Mitte  und  an  den  Seiten  ausgezeichnet;  die  Fühler  haben  auch 
hier  abwechselnd  längere  und  kürzere  Glieder.  Die  ersten  Jugend- 
stadien der  Larve  sind  übrigens  fast  ganz  schwarz. 


*)  Die  Nummern  verweisen  auf  die  Litteratur  am  Schluss  des  Aufsatzes. 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers.  (J5 

Gewissermassen  ein  Gegenstück  zu  der  Larve  von  Acilius 
bildet  die  bis  2.2  cm  lange  Larve  von  Colymbetes  fitscus.  Der  erste 
Brustring  derselben  ist  nämlich  i  i/2mal  so  breit  als  lang  und  breiter 
als  die  Mitte  des  sich  nach  hinten  verjüngenden  Abdomen.  Nur 
der  letzte  Ring  trägt  einen  seitlichen  Haarbesatz,  dagegen  sind  die 
beiden  Schwanzanhänge  gleichmässig  und  beiderseitig  bewimpert. 
Die  Fühler  sind  einfach  viergliedrig.  Sehr  nahe  schliessen  sich 
hieran  die  Larven  von  Agabtts  und  Mybius.  Larven  dieser  Gruppe 
habe  ich  vielfach  in  einzelnen  Exemplaren  auch  überwinternd  an- 
getroffen. 

Unter  den  Ideineren,  d.  h.  bis  i  cm  grossen  Larven  ist  die 
von  Hyphydrus  ovatiis  (Fig.  5,  4)  durch  die  lange,  schmale,  schnabel- 
artige Verlängerung  des  Kopfes  nach  vorn  auffällig.  Das  Körper- 
ende läuft  in  drei  Anhänge  bez.  Fortsätze  aus,  von  denen  der 
mittlere  haarlos  ist. 

Einen  ähnlichen,  aber  weit  kürzeren  und  breiteren  Stimfortsatz 
besitzen  die  noch  kleineren  Larven  von  Hydroporus  parallelo- 
grammus. 

Endlich  erwähne  ich  wegen  ihrer  Eigenart  die  kleinen  Larven 
von  Cnemidotus,  die  an  Brust  und  Hinterleib  mit  fadenförmigen, 
gegliederten  Tracheenkiemen  versehen  sind  und  wie  die  von  Hali- 
pliis  nur  je  eine  Kralle  an  den  Beinen  besitzen,  und  die  nach 
Schiödte  mit  wahren,  d.  h.  bluterfüllten  Kiemen  ausgestatteten 
Larven  von  Pelobius. 

3.    Kolbenwasserkäfer  (Hydrophiliden). 

Ein  bemerkenswertes  Gegenstück  zu  den  Schwimmkäfern  bilden 
in  fast  allen  Punkten  die  Arten  der  dritten  dem  Wasser  ange- 
hörigen  Familie,  der  Kolbenwasserkäfer  oder  Hydrophiliden.  Als 
Vertreter  wollen  wir  auch  wegen  seiner  Grösse  (3.5  bis  4.5  cm)  den 
pechschwarzen  Wasserkäfer  (Fig.  6,  5  S.  66)  wählen,  der  treffend  hie 
und  da  beim  Volke  Wasserkuh  heisst. 

Kolbenwasserkäfer  werden  unsere  Käfer  wegen  der  Gestalt 
ihrer   Fühler    genannt ;     wenn    man    freilich    dieses    unterscheidende 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  5 


66 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 


Kennzeichen    an  unserem   Vertreter    oder    an    irgend   einem  seiner 
Verwandten,  so  lange  er  im  Wasser  ist,  aufsuchen  will,  kann  einem 


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Seltsames  begegnen :  die  Fühler  scheinen  doch  fadenförmig,  nicht 
kolbenförmig  zu  sein.  Die  Lösung  ist:  der  Käfer  trägt  im  Wasser 
nie  wie  die  Dytisciden  die  Fühler  vorgestreckt,  sondern  nach  unten 


Kerfe  und  Kcrflaiven  des  süssen  Wassers.  (;7 

und  hinten  in  die  an  der  Unterseite  haftende  Luftmasse  zurück- 
gelegt; dafür  aber  sind  die  Kiefertaster  so  auffallend  lang,  dass  sie 
leicht  für  Fühler  gehalten  werden  können.  Palpicornes  wurden 
deswegen  auch  die  Käfer  genannt.  Sobald  sie  freilich  aus  dem 
Wasser  genommen  werden  *),  pflegen  sie  die  Fühler  aus  dem  Versteck 
her\orzustrecken.  Es  macht  den  Eindruck,  als  ob  er  wie  alle  seine 
Verwandten  in  Fühlern  und  Tastern  für  Luft  und  Wasser  besondere 
Sinnesorgane  hätte. 

Atmung.  Zur  Atmung  kommt  der  pechschwarze  Wasserkäfer 
wie  der  Gelbrand  zur  Oberfläche,  jedoch  hierbei  einen  charakteri- 
stischen Unterschied  gegen  den  letztem  zeigend.  Nicht  das  Ende 
des  Hinterleibes  steckt  er  aus  dem  Wasser,  sondern  den  Kopf 
bringt  er  an  die  Oberfläche,  beugt  ihn  zur  Seite,  so  dass  die 
behaarte  Stelle  an  der  Hinterseite  der  Augenwölbung  die  Oberfläche 
berührt,  und  legt  dann  die  konkave  Seite  der  behaarten  Glieder 
der  Fühlerkeule,  diese  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Gliede 
umbiegend,  hier  von  aussen  an,  so  dass  ein  röhrenförmiger  Zugang 
für  die  Luft  zu  der  behaarten  und  unbenetzten  Unterseite  gebildet 
wird.  Durch  die  nun  beginnenden  Pumpbewegungen  des  Tieres 
wird  der  Körper  im  Wasser  gehoben  und  gesenkt.  In  der  seiden- 
artigen Behaarung  der  Unterseite,  die  sich  in  der  ganzen  Breite 
bis  zum  ersten  Hinterleibsringe  einschliesslich  und  von  da  an  den 
Seitenrändem  erstreckt  (Fig.  6,  5),  wird  die  Luft  zu  den  Stigmen 
des  Hinterleibs  fortgeleitet.  Doch  dürften  die  Luftlöcher  in  der 
Verbindungshaut  zwischen  Vorder-  und  Mittelbrust,  welche  der 
Zugangsstelle  der  Luft  soviel  näher  liegen,  bei  unserem  Käfer  die 
wichtigere    Rolle    spielen.      Darauf  weist    wenigstens    der    Umstand 


*)  Beim  Gelbrand  hatten  wir  bei  dieser  Gelegenheit  seiner  nicht  eben  sauberen 
Bemühungen  zu  gedenken  sich  zu  befreien.  Hydrophilns  scheint  ausser  den  lebhaften 
Bewegungen  der  mit  Dornen  versehenen  Beine ,  die  zusammenwirken  mit  einem  scharfen 
Stachel  der  Hinterbnist,  noch  ein  besonderes  Mittel  zu  gleichem  Zweck  anzuwenden. 
Ergriffen,  etwa  mit  der  Pincette  an  den  Beinen,  und  zwar  nur  dann,  lässt  er  einen  knirschenden 
Ton  hören.  Fasst  man  den  Käfer  mit  starker  Pincette  am  Kiel  der  Mittelbrust,  so  sieht 
man ,  wie  er  bei  der  Erzeugung  des  Tones  den  Hinterleib  zugleich  in  der  Richtung  von 
hinten  nach  vorn  und  von  oben  nach  unten  bewegt.  Man  kann  bei  toten  wie  lebenden  Tieren 
einen  gleichartigen  Ton  erzeugen,  indem  man  entweder  den  Brustkiel  niederdrückt  oder  mit 
der  Pincette  den  Hinterleib  von  hinten  nach  vorn  und  etwas  nach  dem  Rücken  zu  bewegt. 
Über  die  Lage  der  tonerzeugenden  Stellen  vermag  ich  trotzdem  keine  sicheren  Angaben  zu 
machen. 

5* 


g3  Kerfe  und  Keiflarven  des  süssen  Wassers. 

hin,  dass  sie,  ganz  abweichend  von  den  Verhältnissen  beim  Gelb- 
rand, die  Hinterleibsstigmen  an  Grösse  übertreffen.  Für  das  Fest- 
halten der  Luft  an  der  Unterseite  —  der  Käfer  trägt  unter  Wasser 
also  einen  den  grössten  Teil  des  Körpers  einnehmenden  „Silber"- 
überzug  —  ist  auch  die  Eigentümlichkeit  von  Bedeutung,  dass  die 
Flügeldecken  über  den  Hinterleib  nach  unten  vorragen. 

Schwimmt  der  Gelbrand  eigentlich  nur  mit  den  Hinterbeinen, 
so  benutzt  der  Kolbenwasserkäfer  dazu  Mittel-  und  Hinterbeine. 
Die  Beine  desselben  Paares  bewegt  er  dabei  abwechselnd  (er 
pudelt),  so  dass  der  Körper  beim  Schwimmen  hin  und  her 
„wackelt".  Eine  Hilfe,  trotzdem  die  Richtung  zu  halten,  gewährt 
wohl  die  dach-  bez.  kielförmige  Gestaltung  der  Unterseite  des 
Hinterleibes.  Die  ganze  Bewegung  ist  ungleich  schwächlicher  als 
die  des  Gelbrandes.  Dem  entspricht  auch  die  schmale  Gestalt  der 
Hinterhüften,  die  überdies  nicht  wie  beim  Gelbrand  mit  der  Hinter- 
brust fest  verwachsen,  sondern  ihr  beweglich  eingefügt  sind.  Die 
Beteiligung  der  Mittelbeine  am  Schwimmen  zeigt  sich  nicht  nur  in 
ihrer  Behaarung,  sondern  auch  darin,  dass  die  Mittelbrust  nicht 
wie  beim  Gelbrand  durch  die  Hinterbrust  von  der  Unterseite  ver- 
drängt ist.  Ähnlich  wie  der  Hinterleib  ist  auch  die  Brustunterseite 
gekielt;  der  Kiel  der  Hinterbrust  geht  nach  hinten  in  einen  langen 
und  scharfen  Schutzdorn  aus. 

Übrigens  sind  auch  bei  unserem  Käfer  die  Vorderbeine  der 
Männchen  ausgezeichnet:  das  letzte  Tarsenglied  ist  beilförmig 
verbreitert.  Anderseits  findet  sich  bei  einem  Teil  der  Weibchen 
am  vordem  Teil  des  Seitenrandes  der  Flügeldecken  ein  leisten- 
artiger Vorsprung. 

Nahrung.  Gewöhnlich  werden  die  Hydrophiliden  kurzweg 
als  Pflanzenfresser  bezeichnet  und  das  würde  den  Gegensatz  zu 
den  fleischfressenden,  räuberischen  Dytisciden  recht  scharf  machen. 
Doch  ist  jene  Bezeichnung  nicht  ohne  Einschränkung  zutreffend ; 
oft  habe  ich  Hydrophüus  piceus  und  ebenso  den  nah  venvandten 
mittelgrossen  (1.5  bis  1.75  cni)  Hydrous  caraboldes  tote  oder  auch 
nur  matte  Wassertiere  auffressen  sehen.  Anderseits  ist  schon  auf 
Grund  der  Untersuchung  der  unverdauten  Bestandteile  seiner  Nahrung 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  "Wassers.  ß9 

deren  häufige  Herkunft  aus  dem  Pflanzenreiche  nicht  zu  bezweifeln. 
Alan  bezeichnet  ihn  also  wohl  am  besten  als  Allesfresser. 

Alles,  was  wir  bisher  an  dem  Vertreter  der  Kolbenwasserkäfer 
kennen  gelernt  haben,  weist  darauf  hin,  dass  irgend  eine  nähere 
verwandtschafdiche  Beziehung  der  beiden  Käferfamilien  zu  einander 
nicht  besteht,  und  jeder  weitere  Untersuchungspunkt  bestätigt  diese 
Auffassung.  Können  wir  auch  auf  Einzelheiten  hier  nicht  weiter 
eingehen,  so  sei  doch  wenigstens  kurz  erwähnt,  dass  neben  den 
schon  erwähnten  Punkten  (Bildung  der  Fühler,  Brust,  Beine  etc.) 
besonders  auch  die  Bildung  der  Mundteile  und  die  Flügeladerung 
für  diese  Auffassimg  spricht.  In  allen  diesen  Punkten  stellen  sich 
die  Dytisciden,  soweit  nicht  die  Anpassung  an  das  Leben  im 
Wasser  in  Frage  kommt,  unmittelbar  neben  die  ebenfalls  räuberischen 
Laufkäfer  des  Landes  und  mit  ihnen  thun  das,  wenngleich  nicht 
ebenso  nahe,  die  Taumelkäfer;  dagegen  muss  für  die  Hydrophi- 
liden  der  Anschluss  bei  ganz  anderen  Familien  der  Landkäfer 
gesucht  werden. 

Entwickelung.  In  nachdrücklicher  Weise  wird  diese  An- 
sicht auch  durch  alles,  was  auf  die  Entwickelung  Bezug  hat,  gestützt. 
Schon  in  der  Eiablage  thut  sich  ein  Gegensatz  zwischen  H}-drophi- 
liden  und  Dytisciden  kund :  während  die  Dytisciden  keine  besondere 
Fürsorge  irgend  welcher  Art  für  die  Eier  und  die  ausschlüpfenden 
Larven  treffen,  gilt  das  für  die  Hydrophiliden  in  auszeichnender 
Weise.  Die  Arten  unserer  Gattung  vmd  mehrerer  anderer  fertigen 
aus  einer  Masse,  die  in  Fäden  aus  röhrenartigen  Vorsprüngen  des 
Hinterleibsendes  tritt,  ein  weisses,  rundliches,  ansehnliches  Gespinst 
(Fig.  6,  8),  das  an  einer  Seite  in  einen  nach  oben  gerichteten 
schornsteinartigen  Fortsatz  ausläuft.  Im  Innern  liegen  die  grossen 
länglichen  Eier  und  bringen  die  ausgeschlüpften  Larven  geschützt 
die  erste  Zeit  zu.  Bei  Hydrophiliis  ist  das  Gespinst  der  Unterseite 
eines  Blattes  angeklebt,  bei  Hydrous  ist  das  Blatt  ringartig  um 
das  Gespinst  befestigt.  Wer  diese  Masse  nicht  schon  von  Ansehen 
kennt,  wird  leicht  in  die  Versuchung  kommen,  vom  Ufer  aus  sie 
für  Papierstücke  zu  halten,  die  in  das  Wasser  gefallen  sind. 


70  Keife  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

Die  anfangs  bräunlichen,  später  schwärzlichen,  zum  grösseren 
Teile  weichhäutigen  Larven*)  unterscheiden  sich  weitgehend  von 
denen  der  Schwimmkäfer.  Als  systematisch  wichtiges  Kennzeichen 
ist  zu  betonen,  dass  die  Beine  nicht  Fuss  und  Klaue  gesondert 
haben  und  die  Beine  nicht  wie  fast  immer  bei  den  Schwimmkäfer- 
larven mit  zwei  Klauen,  sondern  nur  mit  einer  solchen  versehen 
sind.  Stärker  fällt  in  die  Augen  der  Unterschied  der  Mundteile: 
die  Unterlippe  ist  gross  und  vorstehend  (bei  den  Schwimmkäfern 
bis  auf  die  Taster  sehr  winzig),  die  Oberkiefer  (Fig.  6,  7)  nicht 
einfach  sichelförmig,  sondern  auf  der  Innenseite  mit  Höckern  (bei 
den  Verwandten  mit  starken  Zähnen)  versehen.  Die  Nahrung 
besteht  nämlich  auch  bei  diesen  Larven  aus  erbeuteten  Wassertieren, 
z.  B.  Schnecken;  dieselben  werden  aber  nicht  durch  die  Oberkiefer 
ausgesogen,  sondern  vor  der  Mundöffnung  mit  den  Oberkiefern 
zermalmt,  und  dann  die  Säfte  durch  die  MundöfFnung  aufgesogen, 
während  die  Chitinteile  vor  derselben  liegen  bleiben.  Durch  diese 
eigentümliche  Art  der  Nahrungsaufnahme  wird  die  Gewohnheit  der 
meisten  Hydrophiliden-Larven  bedingt  (für  die  von  Hydrophilus 
selbst  habe  ich  es  noch  nicht  beobachtet),  die  Beute  ausserhalb 
des  Wassers  zu  tragen,  den  Kopf  dann  so  zu  heben,  dass  die 
Mundöffnung  und  die  davorliegende  Beute  gerade  nach  oben 
gerichtet  ist,  und  in  dieser  eigentümlichen  Haltung  die  Beute  zu 
verzehren.  Die  nicht  benutzbaren  Chitinteile  werden  zuletzt  bei 
Seite  geworfen.  Im  Wasser  würde  bei  dieser  Weise  der  Nahrungs- 
aufnahme ein  grosser  Teil  der  Säfte  der  Beute  verloren  gehen  und 
viel  Wasser  in  den  Verdauungskanal  aufgenommen  werden;  in  der 
Luft  dagegen  gelangen  nur  zum  Schluss  einige  Luftblasen  mit  in 
den  Verdauungskanal.  Dieselben  fallen  bei  mikroskopischer  Be- 
trachtung kleinerer  durchsichtiger  Larven  leicht  auf;  ihre  Herkunft 
konnte  ich  mir  lange  nicht  erklären.  Die  Bewegung  der  Larven 
ausserhalb  des  Wassers    erinnert    übrigens   durch  das  abwechselnde 


*)  Die  Larven  von  Hydrophihis  piceus  habe  ich  in  erwachsenem  Zustande  nicht 
zu  häufig  angetroffen ;  ungleich  häufiger  die  von  dem  schon  erwähnten  nahe  verwandten 
Hydrous  carabdides.  Deswegen  ist  auch  das  Gespinst  und  die  Larve  dieses  Käfers 
Fig.   6,   6  und  7)  in  die  Abbildung  aufgenommen  worden. 


Kerfe  und  Kerf laiven  des  süssen  Wassers.  7  1 

Strecken  und  Verkürzen  der  vordem  und  hintern  Körperhälfte 
lebhaft  an  die  Bewegungsart  \ieler  madenförmiger  Zweiflüglerlarven. 
Mit  dieser  Bewegungsart  hängt  augenscheinlich  auch  die  Weich- 
häutigkeit  des  Hinterleibes  und  der  beiden  letzten  Brustringe  bis 
auf  kleine  Teile  des  Rückens  sowie  die  in  der  Abbildung  nicht 
wiederfreerebene  Faltenbildung  des  Hinterleibes  zusammen. 

Zur  Atmung  dienen  der  Larve  wiederum  nur  zwei  Stigmen 
am  Ende  des  Hinterleibes;  dieser  Körperteil  wird  also  auch  hier 
an  die  Oberfläche  gebracht.  Zum  Schwimmen  dienen  die  oben 
und  unten  stark  bewimperten  Beine ;  die  vier  hinteren  werden  dabei 
anders  als  beim  Käfer,  nämlich  gleichzeitig  bewegt.  Bei  den  Larven 
von  Hydrous  caraboides  trägt  der  Hinterleib  (Fig.  6,  7)  an  den 
Seiten  grössere  bewimperte  Anhänge,  die  an  die  Tracheenkiemen 
der  Gvrinus-Larve  erinnern.  Doch  können  die  Anhänge  hier  nicht 
als  Tracheenkiemen  angesprochen  werden,  da  ihnen  ein  reicher 
entwickeltes  Luftröhrens}'Stem  fehlt.  Auch  vom  Blutstrom  werden 
sie,  wenigstens  bei  älteren  Larven,  nicht  durchzogen.  Ihre  Bedeu- 
tung liegt  vielleicht  in  der  Oberflächenvergrösserung  für  mediane 
Schwimmbewegungen  des  Hinterleibes.  Für  gewöhnlich  sieht  man 
freilich  auch  unsere  Larve  nur  mit  den  Beinen  schwimmen  und 
zwar  auflfälligerweise  mit  allen  gleichzeitig. 

Zur  Verpuppung  gehen  die  Larven  der  Hydrophiliden  ebenso 
wie  die  der  Dytisciden  ans  Ufer,  um  dort  eine  geschützte  Stelle 
über  dem  Wasser  aufzusuchen. 

Die  übrigen  Hydrophiliden. 

Ziemlich  zahlreich  sind  die  Verwandten  des  pechbraunen 
Wasserkäfers,  wenn  auch  nicht  so  zahlreich  wie  die  des  Gelbrandes; 
die  Artenzahl  der  Hydrophiliden  ist  etwa  halb  so  gross  wie  die 
der  Dytisciden.  An  Grösse  kommt  unserem  Käfer,  von  der  zweiten 
Art  seiner  Gattung  Hydrophilus  aterrimus  abgesehen,  keine  Art 
auch  nur  annähernd  gleich;  die  nächst  grösste,  oben  mehrfach 
genannte  Art  geht  schon  auf  1 7  mm  herab,  die  folgenden  (Hydrobius- 
Arten)  meist  auf  7 — 8  mm  und  die  meisten  anderen  erreichen  nicht 
mehr  5  mm  Länge.     Mit  Ausnahme  von  Hydrous  caraboides,  den 


72  Kerfe  und  Keiflarven  des  süssen  Wassers. 

Arten  von  Hydrohius  und  Berosiis  besitzt  keine  Art  mehr  be- 
wimperte Beine  und  die  Fähigkeit  zu  schwimmen.  Die  Mehrzahl 
der  Arten  kriechen  also  nur  an  den  Pflanzen  unter  Wasser 
umher;  losgerissen  treiben  sie  hilflos  zur  Oberfläche  und  suchen 
dann,  den  Bauch  nach  oben,  mühsam  wieder  eine  Pflanze  oder 
das  Ufer  zu  erreichen  *).  Auch  die  genannten  Arten  benutzen 
übrigens  keineswegs  immer  ihre  Schwimmfähigkeit,  um  von  einer 
Stelle  zur  andern  zu  kommen,  wie  das  für  die  Dytisciden  gilt, 
sondern  oft  genug  sieht  man  sie,  besonders  die  Arten  von  Hydro- 
biiis,  an  Gegenständen  im  Wasser  umherkriechen. 

Die  Fähigkeit,  willkürlich  Töne  hervorzubringen,  habe  ich 
ausser  bei  Hydrophiliis  noch  bei  Hydrous  carahoides ,  Spercheus 
emarginatus,  Hydrohius  oblongits  und  Berosus  luridus  beob- 
achtet**). Besonders  die  beiden  letzten  Arten  knirschen  bei 
Berührung  bez.  nach  derselben  sehr  laut  und  regelmässig;  bei 
Hydrous  habe  ich  die  Töne  mehrfach  abends  gehört,  als  eine 
Schale  mit  mehreren  Tieren  dieser  Art  unmittelbar  vor  mir  stand. 
Auf  Berührung  hat  er  dagegen  nicht  geantwortet. 

Abgesehen  von  diesen  beiden  Punkten  stimmen  jedoch  auch 
die  übrigen  im  Wasser  lebenden  Verwandten  mit  unserem  Ver- 
treter in  fast  allen  biologischen  Punkten  ebenfalls  überein,  so  beson- 
ders in  Fühler-,  Kiefer-,  Brustbildung.  Sie  zeigen  auch  z.  B.  unter 
Wasser  stets  nur  die  Taster,  erst  an  der  Luft  die  Fühler;  so  nehmen 
sie  ferner  stets  auf  der  Unterseite  die  Atemluft  mit  in  das  Wasser 
und  zwar  ist  bei  allen  ausser  der  Gattung  Hydrophiliis  die  ganze 
Unterseite  mit  Luft  bedeckt.  Auch  sorgen  alle  in  besonderer  Weise 
für  die  ausschlüpfenden  Larven,  wenn  auch  nicht  genau  in  der 
Weise  wie  Hydrophiliis.  Für  Hydrous  wurde  das  Gespinst  für 
die  Eier  schon  erwähnt.  Ähnliche  mit  hornartigem  Ansatz  ver- 
sehene Gespinste  in  freilich  viel  kleinerem  Massstabe  werden  von 
Helephorus  gefertigt.     Ein  Weibchen  des  Helephorits  aquaticus  z.  B., 


*)  Einige   Arten ,    welche   der    Familie    zugerechnet    werden ,    leben    sogar   beständig 
ausserhalb  des  Wassers. 

**)  Bei  Spercheus  wurde ,    wie  ich  beobachten  konnte ,    bei  der  Erzeugung  des  Tones 
der  Hinterleib  nicht  in  der  Mittellinie  des  Körpers,  sondern   seitlich  bewegt. 


Kerfe  und   Kerflarven  des  süssen  Wassers.  73 

4 

das  ich  für  sicli  in  einer  kleinen  Schale  hielt,  lieferte  Ende  INIai 
solche  Gespinste  an  Kork  angeklebt  in  Mehrzahl  mit  ungefähr  je 
zehn  Eiern.  Hydrobius  und  Iliilhydnis  kleben  ihre  weissen,  pan- 
toffelförmigen,  „ungehörnten"  Gespinste  im  ersten  Frühjahr  an  den 
Blättern  stehender  Pflanzen  fest;  besonders  oft  habe  ich  sie  in 
Mehrzahl  an  Grasblätteni  getroffen.  Die  Weibchen  von  Spercheus 
und  Helocharcs  tragen  die  verklebten  Eierpakete  unter  dem 
Hinterleibe  mit  sich  herum,  sie  mit  den  Hinterbeinen  und  den 
vorstehenden  Rändern  der  Flügeldecken  haltend.  Beide  sind  im 
Mai  um  Berlin  recht  häufige  Erscheinungen.  Die  Larven  der 
Mehrzahl  dieser  Arten  kann  man,  wie  ich  vielfach  erprobt  habe, 
aus  den  gekennzeichneten  Gespinsten  oder  Paketen  leicht  erhalten. 
Deswegen  glaube  ich  darauf  verzichten  zu  sollen,  noch  die  Unter- 
schiede der  Larven  der  einzelnen  Arten  anzugeben.  Sie  besitzen 
übrigens  in  den  Mundteilen,  der  Beinbildung  (Fussglied  und  Klaue 
nicht  gesondert),  Zahl  der  Fussklauen,  Weichhäutigkeit  des  Hinter- 
leibes alle  die  oben  geschilderten  Merkmale.  Hervorgehoben  sei  nur, 
dass  nach  Schiödte  die  mir  unbekannte  Larve  von  Berosus  spinosus 
mit  sieben  Paar  fädiger  Tracheenkiemen  und  die  von  Philhydrus 
testaceiis  mit  fünf  Paar  Afterbeinen  ähnlich  denen  der  Raupen, 
jedoch  in  anderer  Verteilung,  versehen  ist. 

4.    Käfer  und  Käferlarven  anderer  Familien. 

a)    Parnus. 

Mit  den  kleineren  Hydrophiliden  findet  man  oft  an  Wasser- 
pflanzen einen  5  tnm  grossen  Käfer  bräunlicher  Farbe,  Parnus 
prolifericornis,  der  ebenso  wenig  zu  schwimmen  vermag  wie  diese 
Hydrophiliden,  der  ebenso  wie  jene  die  Luft  zur  Atmung  an  der 
Aussenseite  des  Körpers  mit  unter  Wasser  nimmt,  aber  nicht  allein 
an  der  Unterseite,  sondern  wie  die  Wasserspinne  an  der  ganzen 
Körperoberfläche.  Als  JNIittel,  diese  Lufthülle  zu  halten,  dient  ihm 
wie  der  Spinne  ein  seidenartiger  Haarüberzug  des  Körpers. 
Biologisch  schliesst  er  sich  ganz  den  kleineren  Hydrophiliden 
an;     Fühlerbildung     und     andere     morphologische     Eigenschaften 


74;  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

weisen  ihm  dagegen  mit  wenigen  anderen  Genossen,  die 
teilweise  ebenfalls  das  Wasser  lieben,  eine  besondere  systematische 
Stellung  an  *). 

b)    Cyphon-Larven. 

Recht  häufig  trifft  man  schon  zeitig  im  Frühjahr  in  Gräben 
mit  verwesenden  Blättern  in  Gemeinschaft  mit  den  Larven  der 
Stechmücke  eine  Käferlarve,  die  offenbar  keiner  der  oben  genannten 
Familien  angehört.  Wie  die  Zucht  des  Tieres  ergab,  gehört  sie  zu 
einer  Art  der  Gattung  CypJion;  die  Käfer  selbst  halten  sich  gern 
auf  Blättern  in  der  Nähe  des  Wassers  auf  Die  zarthäutige,  dunlde 
Larve  wird  bis  i  cm  lang  und  ist  von  oben  nach  vmten  stark 
zusammengedrückt;  als  gutes  Kennzeichen  dient  die  für  Larven 
ganz  ungewöhnliche  Länge  der  Fühler,  welche  bei  sehr  zahlreichen 
Gliedern  länger  als  die  Hälfte  des  Körpers  sind,  und  der  Mangel  an 
Hinterleibsanhängen  irgend  welcher  Art.  Zur  Atmung  kriecht  die 
Larve  zur  Oberfläche;  die  beiden  thätigen  Luftlöcher  liegen  auch  hier 
am  Körperende.  Die  Mundteile  lassen  sie  als  Pflanzenfresser  erkennen. 
Zur  Verpuppung  geht  auch  sie  an  das  Ufer.  Die  Larve  einer  andern 
Art,  die  sich  durch  lichte  Färbung  von  der  obigen  unterscheidet,  fand 
ich   im  Juni  besonders  an  den  Blättern  des   Froschbiss. 

c)    Donacia-Larven  und   -Puppen. 

Zum  Schluss  sei  endlich  der  ganz  eigenartigen  biologischen 
Verhältnisse  wegen  der  Larven  und  Puppen  der  Schildkäfer  (Donacia 
und  Haemonia)  gedacht.  Die  bleichen,  bis  1I/2  cm  langen  Larven 
leben  im  Schlamm  an  den  Wurzeln  verschiedener  Wasserpflanzen, 
der  Seerosen,  Igelkolben,  Schachtelhalme,  so  dass  man  ohne  be- 
sonderes Suchen  ihrer  kaum  gewahr  wird.  Da  sie  ohne  Tracheen- 
kiemen oder  eigentliche  Kiemen  und  von  sehr  träger  Bewegung 
sind,  da  ferner  ihre  derbe  Haut  und  Gestalt  den  Gedanken  an 
Hautatmung    ausschliesst,    so  sind  sie  dem  Beobachter   hinsichtlich 


*)  Die  Larve  unserer  Art  ist  meines  Wissens  noch  nicht  bekannt ,  die  von  Parnus 
auriculaius  fand  Hh.  Th.  Beling  in  feuchter  Erde.  S.  Verh.  d.  Zool.-botan.  Vereins  in 
Wien  1882. 


Kerfe  und  Kcrflavven  des  süssen  Wassers.  75 

ihrer  Atmung  zunächst  ein  Rätsel.     Die  Lösung  der  Atemaufgabe  ist 
bei  ihnen  so  seltsam  wie  möglich :  sie  benutzen  die  Luft,  welche  in 
den  stets  reich  entwickelten  Luftgängen  von  Wasserwurzeln  vorhanden 
ist.     Ich  habe  mich  bemüht*)  den  Nachweis  dafür  zu  führen,  dass 
die  Larven    dazu    die    beiden   sichelförmigen  braunen  Anhänge  am 
Ende  des  Hinterleibes  benutzen,  die  nichts  anderes  seien  als  eigen- 
tümlich   einseitig    über   die    Körperhaut    verlängerte    Stigmenränder. 
Diese   Anhänge    werden,    wie    unmittelbare    Beobachtung    und    das 
Vorhandensein  der  entsprechenden  paarigen  Narben  an  den  Wurzeln 
ergab,  in  die  Pflanze  eingedrückt,   durch  den  Druck  des  Pflanzen- 
gewebes werden  zwei  Längsspalten  an  der  Rückseite  der  Anhänge 
geöffnet  und  nun  die  Luft  eingesogen.     Zur  Ausatmung  durften  die 
beiden  kurzen  Stigmenöffiaungen  an  der  Basis  der  Anhänge  dienen.  Auch 
zur  Nahrung  dienen  den  Larven,  wenigstens  denen  von  D.  crassipes, 
die  Wurzeln.      Zur  Zeit,    wenn    die  Verpuppung    naht,    fertigt    die 
Larve  ein  elliptisches  Gehäuse,  das  der  Wurzel  angeklebt  ist,  beisst 
hier  ein  Loch  in  die  Wurzel,    so  dass   die   ausströmende  Luft  das 
•Wasser    aus    dem  Gehäuse  verdrängt,    und  schliesst    nun  völlig  das 
Gehäuse,    um  so  von  Luft    umgeben  der  Umwandlung    zur  Puppe 
und    zum  Käfer    entgegenzugehen.     Diese    Gehäuse    trifft    man    an 
Wurzeln    und  Rhizomen  ungleich  häufiger    als  die   Larven,    welche 
leicht    beim    Herausziehen    der    Wurzel    abgestreift    werden.       Im 
Gehäuse  ist  dann  entweder  noch  die  Larve,  oder  schon  die  Puppe, 
nicht    selten    auch    der    meist    farbenprächtige    Käfer    vorhanden. 
Frisst  sich  endlich  der  Käfer  durch  das  Gehäuse  durch,    so  steigt 
er  infolge  der  Luftschicht,  welche  seiner  kurzseid enhaarigen  Unter- 
seite anhaftet,  an  die  Oberfläche.    Man  trifft  ihn  nicht  selten  beim 
Fischen  zwischen  den  Blättern  und  Binsen  der  Oberfläche  an.    Die 
Eier    werden    an    den    Blättern    bestimmter  Pflanzenarten    abgelegt. 
Donacia  crassipes  benutzt  die  Blätter  der  Seerose  und  zwar  werden 
die  Blätter  an  einer  Stelle  durchbissen  und  die  Eier  in  zwei  Bogen- 
reihen  auf  der  Unterseite  neben  diesem  Loch  angeklebt. 


*)  S.  Berliner  entomologische   Zeitschrift  Bd.  XXXI,  S.  325—334,  und  Bd.  XXXIII, 
S.  299—308. 


76  Kerfe  und   Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

Die  Zweiflügfler. 

Durch  die  Zartheit  und  Ungeschütztheit  der  Flügel  sind  die 
Zweiflügler  selbst,  d.  h.  die  Mücken  und  Fliegen,  von  dem  Leben 
im  Wasser*)  so  gut  wie  völlig  ausgeschlossen;  von  den  Larven 
und  Puppen  derselben  aber  lebt  eine  recht  erkleckliche  Anzahl  im 
Wasser,  und  diese  Zahl  wächst  besonders  noch  an,  wenn  dabei 
auch  diejenigen  Fliegenlarven  mitgerechnet  werden,  welche  sich  in 
Lachen  kleinsten  Umfangs  aufhalten  und  halb  ein  Wasser-,  halb 
ein  Luftleben  führen.  Von  den  letzteren  soll  im  folgenden  ganz 
abgesehen  werden ;  auch  dann  werden  wir  noch  gezwungen  sein, 
uns  auf  die  häufigeren  und  typischen  Formen  zu  beschränken. 

Vorweg  sei  der  Merkmale  gedacht,  an  denen  wir  Larven 
des  Wassers  als  Dipteren -Larven  zu  erkennen  vermögen. 

Zunächst  fehlen  ihnen  stets  echte,  d.  h.  gegliederte  Beine,  die 
sonst  bei  allen  Insektenlarven  des  Wassers  vorhanden  sind.  Bei 
einigen  Gattungen  der  Mücken  (z.  B.  Chironomus,  Tanypus,  Simulia) 
kommen  zwar  sogenannte  falsche  Beine  vor,  nämlich  solche,  die 
ungegliedert  und  mit  einer  Gruppe  von  Haken  versehen  sind,  aber 
selbst  abgesehen  von  diesem  Unterschied  der  Bildung  lässt  schon 
die  Stellung  derselben,  ein  Paar  am  ersten  Brustring  und  meist  ein 
Paar  am  Hinterleibsende,  eine  Verwechselung  dieser  Larven 
mit  denen  anderer  Ordnungen  nicht  zu.  Da  die  Verwandlung  der 
Zweiflügler  wie  die  der  Käfer  eine  vollkommene  ist,  also  den 
Larven  jede  Spur  von  Flügelansätzen  fehlt  und  auch  oft  der 
Kopf  wenig  deutlich  ist,  so  haben  manche  von  ihnen  ein  recht 
wurmähnliches  Aussehen.  Im  Zweifelfalle  wird  stets  der  Besitz  von 
Tracheen  oder  von  einem  chitinösen  Kopfskelett  mit  Kiefern  oder 
von  einer  Schlundkapsel  mit  Chitinhaken  die  Dipteren  -  Larve 
kenntlich  machen. 

Unter  den  Dipteren-Larven  des  Wassers  nimmt  fraglos  die 
Gruppe  der  „Eucephalen"  (Fig.  7,  9^ — 13),  d.  h.  derjenigen,  welche 


*)  Der  Dipteren ,  welche  auf  dem  Wasser  angetroffen  werden ,  wurde  schon  oben 
beim  Taumelkäfer  kurz  gedacht.  Eine  winzige  Mücke  ,  Clunio  adriaiiciis ,  lebt  seltsamer- 
weise nach  V.   Frauen  feld  bei  Triest  unter  dem  Meeresspiegel  an  Miesmuscheln. 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 


77 


einen  deutlichen  Kopf  mit  Fühlern,  Augen  und  ordentlichen  Kiefern 
besitzen,    und  für  welche  die  Larve  der  gemeinen  Stechmücke  ein 


gutes  Beispiel  ist,  den  ersten  Rang  ein.     Ihnen  werde  ich  die  mit 
fadenförmigen    Tracheenkiemen    versehene    Schnakenlar\e    (Phala- 


7g  Kerfe  und   Kcrflarven  des  süssen  Wassers, 

crocera  replicata)  anschliessen.  Die  nächst  wichtige  Gruppe  bilden 
die  Larven  der  Waffenfliegen  (Fig.  7,  14),  gekennzeichnet  durch 
den  einziehbaren,  unansehnlichen  Kopfteil,  durch  die  deutliche 
Gliederung  des  Körpers  und  den  Kranz  von  Atemhaaren  am  Ende 
des  Hinterleibes.  An  letzter  Stelle  werde  ich  endlich  die  Larven 
der  Schwebfliegengattung  Eristalis  anzuführen  haben,  denen  ein 
Kopfabschnitt  fehlt,  deren  Körpergliederung  wenig  deutlich  ist  und 
die  mit  einem  fernrohrartig  einziehbaren  Atemanhang  versehen  sind. 

1.  Eueephale  Zweiflüglerlarven  (Mückenlarven). 

Unter  allen  unseren  Insektenlarven  giebt  es  vielleicht  keine 
zweite,  die  so  leicht  zu  haben,  so  leicht  zu  halten  und  in  ihrer 
Entwickelung  zu  verfolgen  ist,  und  deren  Verwandlung  dabei  einen 
so  überraschenden  Eindruck  macht,  wie  die  unserer  Stechmücken- 
Arten*)  {Culex).  Im  März,  gleich  nach  dem  Auftauen  der  Ge- 
wässer, bei  mildem  Wetter  oft  auch  im  Dezember  und  Januar, 
trifft  man  in  Gräben  mit  stehendem  Wasser,  besonders  wenn  die- 
selben vermodernde  Laubblätter  enthalten,  die  Larven  der  Gattung 
Culex  oft  in  ausserordentlicher  Menge  an.  Sie  sind  um  diese  Zeit 
meist    noch   winzig,    etwa    3 — 4  mm    lang,    wachsen    aber    schnell 

r 

heran.  Zur  Aufzucht  hat  man  nur  nötig  ein  Glas  oder  eine  Schale 
mit  Wasser,  zur  Nahrung  einige  vermodernde,  untersinkende  Blätter. 
Die  Bälge  der  Larven  findet  man  nach  den  bald  eintretenden 
Häutungen  im  Wasser  schwimmen,  den  Kopf  und  Atemanhang 
derselben  von  schwärzlicher  Farbe,  die  übrigen  Teile  recht  durch- 
sichtig. Ist  dann  nach  einigen  Wochen  oder,  wenn  man  später 
grössere  Larven  nahm,  oft  nach  einigen  Tagen,  die  Verpuppung 
eingetreten,  so  kann  man  nach  einer  Frist  von  neun  bis  zehn  Tagen 
das  Ausschlüpfen  der  Mücke  erwarten. 

Zu  erkennen  sind  die  Larven  der  Gattung  Culex  unter  den 
anderen,  mit  deutlichem  Kopf  versehenen  Zweiflüglerlarven  un- 
schwer  i)  durch  die  Verwachsung  der  Brustringe,  deren  Zahl  noch 


*)  Bis  zu  gewissem  Grade  teilen  alle  eucephalen  Larven  diese  Eigenschaften  mit  den 
Culex -Arten. 


Kerfe  und   Keiflarven  des  süssen  Wassers.  ,  79 

durch  drei  grössere  Borstenbündel  angedeutet  ist,  und  2)  durch 
den  langen,  zur  Atmung  an  der  Oberfläche  benutzten  Fortsatz  des 
achten  Hinterleibsringes.  Das  Ende  des  Leibes  geht  also  scheinbar 
zweiteilig  aus;  den  einen  Gabelast  bildet  der  eben  genannte,  von 
den  beiden  Hauptluftröhrenstämmen  durchzogene  Fortsatz,  den 
andern  das  eigentliche  Körperende  mit  dem  After  (vgl.  Fig.  7,  10). 
An  diesen  stehen  vier  ausstreckbare,  zarte  Fortsätze  (Fig.  7,  lor), 
die  sogenannten  Rektaldrüsen;  es  stehen  femer  am  letzten  Segment 
in  der  Mittelebene  des  Körpers  nach  unten  gerichtet  in  deutlicher 
Reihe  die  wichtigsten  Schwimmborsten. 

Bewegung.  Wie  freilich  die  Bewegung  zu  stände  kommt, 
lässt  sich,  wenn  sie  recht  schnell  ausgeführt  wird,  kaum  erkennen; 
purzelnd  schiesst  dann  das  Tier  bald  dahin,  bald  dorthin  voru'ärts. 
Erst  bei  langsamerer  Bewegung  unterscheidet  man  das  Wie  derselben, 
so  z.  B.,  wenn  das  Tier  zur  Atmung  zur  Oberfläche  kommt  und 
fast  dieselbe  erreicht  hat,  dann  zeigt  sich,  dass  der  Hinterkörper 
mit  seiner  in  der  Mittelebene  des  Körpers  stehenden  Borstenreihe 
rechts  und  links  schlägt  und  so  den  Körper,  das  Afterende  voran, 
vorwärts  treibt.  Dem  entspricht  nun,  dass  am  Vorderteil  die 
Borsten  seitlich  gerichtet  sind.  Eine  eigenartige  Fortbewegung 
kann  man  ausserdem  oft  wahrnehmen,  wenn  die  Larven  an  den 
Wänden  den  Algenansatz  benagen:  durch  die  Bewegung  der 
Mundteile  selbst  rücken  sie  dann  ziemlich  schnell  an  der  Wand  fort. 

Atmung  und  Nahrung.  Dass  die  Larven  zum  Atmen  an 
die  Oberfläche  kommen  und  dass  die  vereinigten  Atemöffhungen  an 
dem  Fortsatz  des  achten  Segmentes  liegen,  ist  schon  oben  ange- 
deutet worden.  Die  Zeit,  in  welcher  sich  dieses  Emporkommen 
wiederholt,  ist  ziemlich  kurz.  Die  Tiere  hängen  dabei  in  etwas 
schräger  Körperhaltung  an  der  Oberfläche;  bei  richtiger  Haltung 
des  Auges  kann  man  die  Einsenkung  der  Oberflächenschicht  an  der 
betreffenden  Stelle  deutlich  wahrnehmen.  Schliessen  sie  die  Atem- 
öffnungen, so  sinken  sie  langsam  an  den  Boden.  Dort  beginnen 
sie  wieder  ihre  Nahrung,  besonders  vermodernde  Pflanzenstofife,  zu 
verarbeiten.  Tritt  übrigens  irgend  eine  Bevmruhigung  bei  der  Atmung 
ein,    so    purzeln    sie  nach  allen  Richtungen  fort.     Bisweilen   heben 


gQ  ,  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

die  Larven  auch,  wenn  sie  an  der  Oberfläche  hängen,  ihren  Kopf 
bis  zu  derselben  empor  und  drehen  sich,  indem  sie  lebhaft  die 
Kiefer  bewegen,  nach  dem  Prinzip  der  Rückwirkung,  kreisend  um 
den  Atemfortsatz. 

Puppe  (Fig.  7,9).  Während  bei  den  Käfern  die  Larven  stets 
zur  Verpuppung  das  Wasser  verlassen,  bleibt  bei  den  Dipteren, 
deren  Larven  im  Wasser  leben,  auch  die  Puppe  im  Wasser.  Da- 
durch werden  auch  bei  den  Puppen  eigenartige  Verhältnisse  hin- 
sichtlich der  Atmung  und  Bewegung  bedingt.  Die  Puppen  der 
„eucephalen"  Larven  werfen  alle,  wie  das  bei  den  Insekten  ja  die 
Regel  ist,  bei  einem  grossen  Teil  der  Dipteren  aber  gerade  nicht 
zutrifft,  die  letzte  Larvenhaut  völlig  ab;  es  lassen  also  ihre  Puppen 
(s.  Fig.  7,  9  u.  13)  wie  die  Schmetterlingspuppen  deutlich  bereits 
Kopf  mit  Augen,  Fühlern  und  Mundteilen,  Brust  mit  Flügeln  und 
Beinen  und  endlich  den  Hinterleib  unterscheiden.  Flügel,  Beine 
und  Fühler  sind  aber  nicht  wie  bei  den  Schmetterlingspuppen  mit 
dem  übrigen  Körper  verklebt,   sondern  frei. 

Die  Puppen  von  Culex  atmen  wie  die  Larven  die  Luft  direkt, 
müssen  also  entweder  stets  an  der  Oberfläche  hängen  oder  die 
Fähigkeit  haben,  sich  zu  derselben  zu  bewegen.  Das  letztere  ist  der 
Fall  und  so  besitzen  sie  eine  für  echte  Insektenpuppen  ganz  über- 
raschende Beweglichkeit.  Dabei  ist  die  Art  der  Bewegung  plötzlich 
eine  ganz  andere  als  bei  den  Larven:  zwar  ist  auch  hier  der  Hinter- 
leib der  treibende  Teil,  wie  ja  auch  bei  anderen  Puppen,  z.  B. 
Schmetterlingspuppen,  derselbe  durch  Beweglichkeit  ausgezeichnet  ist, 
derselbe  schlägt  aber  nicht  seitlich,  sondern  in  der  Mittel  ebene, 
und  ist  im  Zusammenhang  damit  am  Ende  mit  zwei  seitlich 
gestellten  Platten  versehen.  AtemöfFnungen  sind  zwei  vorhanden, 
nicht  aber  am  Hinterleib,  sondern  an  der  Rückseite  der  Brust, 
am    Ende    zweier    leicht    beweglicher,     trichterförmiger    Anhänge*). 


*)  Palmen  behauptet  in  seiner  wichtigen  Arbeit  über  die  Morphologie  des  Tracheen- 
systems (Leipzig  1877)  S.  64  auffallenderweise,  dass  diese  Anhänge  keine  Offnungen  haben. 
Ich  fand  keine  Schwierigkeit,  mich  an  Längsschnitten  der  Anhänge  vom  Gegenteil  zu  über- 
zeugen ;  als  Luftsieb  —  die  Staubteilchen  dort  beweisen  es  —  dienen  Haare,  die  in  zierlicher 
Weise  nach  Art  von  Strebepfeilern  emporragen ,  gruppenweise  zusammenneigen  und  oben 
verwachsen  sind.  Leichter  noch  gewinnt  man  die  Überzeugung  von  der  Endöifnung  dieser 
Anhänge,    indem    man    eine  Puppe    auf   ausgeschliffenem  Objektträger  unter  Wasser  bringt, 


Kerfe  und  KcrClarven  des  süssen  Wassers.  §1 

Fragezeichen     ähnlich     hängen    die    Puppen    zur    Atmung    an    der 
Oberfläche. 

Es  möge  gleich  hier  vermerkt  werden,  dass  bei  allen  Puppen 
dieser  Gruppe  sich  gleiche  oder  homologe  Anhänge  an  der  Rückseite 
zwischen  Vorder-  und  Mittelbrust  befinden  und  dass  im  Zusammenhang 
damit  die  Bewegung  der  Puppe  stets  durch  Schlagen  des  Hinterleibes 
in  der  Mittelebene  erfolgt.  Die  Erklärung  dafür  dürfte  in  folgender 
Eigentümlichkeit  der  Entwicklung  liegen :  Will  das  Insekt  der  Puppen- 
haut entschlüpfen,  so  platzt  in  der  ganzen  Unterordnung,  welcher 
unsere  Tiere  nach  dem  System  von  Brauer  zugehören,  die  Puppen- 
haut in  einem  Tförmigen  Spalt  an  der  Rückseite  der  Brust.  Diese 
muss  sich  daher  bei  unseren  Puppen  zu  der  Zeit  an  der  Oberfläche 
des  Wassers  befinden,  also  muss  der  ganze  Bau  der  Puppe  und 
ihre  immerhin  beschränkte  Bewegungsweise  derart  sein,  dass  die 
Rückseite  der  Brust  an  die  Oberfläche  gebracht  wird.  Die  mit 
Luft  erfüllten  Atemtrichter  halten  dann  zuletzt,  aufch  ohne  Bewegung 
des  Hinterleibes,  die  Puppe  in  der  rechten  Stellung  an  der  Ober- 
fläche. —  Das  Ausschlüpfen  der  Mücke  und  die  Erhärtung  ihrer 
Teile  erfolgt  in  recht  kurzer  Zeit,  in  einer  bis  zu  einigen  Minuten*). 
Dass  der  ganze  Entwickelungsschritt  schnell  vollzogen  wird,  ist  der 
gefahrvollen  Lage  wegen,  in  der  sich  das  Tier  währenddem  befindet, 
von  Wichtigkeit.  Nicht  nur  die  Feinde  im  Wasser  und  in  der 
Luft  bereiten  ihm  dann  Gefahr,  auch  jeder  Windstoss  kann  ver- 
derblich werden.  Gern  warten  daher  die  Tiere  die  ruhige,  feucht- 
warme Luft  nach  einem  Gewitterregen  ab. 

Der  Laich  bildet  nach  allgemeiner  Angabe  eine  flache  runde 
Scheibe,  die  in  der  Mitte  etwas  ausgehöhlt  ist  und  deswegen  auf 
dem  Wasser  schwimmt.  Ich  selbst  habe  das  Ablegen  der  Eier  und 
den  Laich  noch  nicht  beobachten  können;  so  oft  ich  Laich  von 
der    beschriebenen    Form    auffand,    erwies    er    sich    doch    stets    bei 


und  mit  einem  Deckglas  bedeckt ;  bei  leichtem  Druck  auf  das  letztere  sieht  man  dann  eine 
grosse  Luftblase  aus  den  Enden  der  .Xnhänge  hervorquellen  und,  wenn  man  rechtzeitig  wieder 
aufhört,  beim  Nachlassen  des  Druckes  wieder  in  den  Anhang  zurücktreten. 

*)  Genauere  Notizen  habe  ich  von  unserer  Art  darüber  nicht  zur  Verfügung.  Bei 
einer  Puppe  von  Chironomus  plit»ios7is,  aus  der  die  Mücke,  während  ich  dies  niederschrieb, 
ausschlüpfte,  dauerte  der  Akt  vom  ersten  Platzen  der  Haut  bis  zum  ersten  Auffliegen  der 
Mücke  nicht  ganz  20  Sekunden  ! 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  6 


g2  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

weiterer  Entwickelung  als  der  von  Corcthra  plumicornis.  Stech- 
mücken, die  im  Aquarium  in  Menge  ausgeschlüpft  waren,  haben 
niemals  bei  längerer  Gefangenschaft,  wie  ich  das  bei  anderen 
Gattungen  beobachtet,  den  Laich  abgelegt.  Selbst  als  ich  solche 
Mücken  mit  verdünntem  Honig  und  Blut  fütterte  und  wochenlang 
unter  einer  Glasglocke  bei  Gegenwart  einer  kleinen  Schale  mit 
Wasser  hielt,  erhielt  ich  keinen  Laich. 

Anophclcs  sp.  und  Dixa  (Fig.  7,  11).  Biologisch  schliessen 
sich  an  die  Larven  von  Culex  am  nächsten  die  von  Anophelcs  und 
Dixa  an;  beide  atmen  durch  zwei  Stigmen  (Fig.  7,  iia)  am  achten 
Hinterleibsring  und  beide  sind  Pflanzenfresser.  Schwimmen  sie,  so 
geschieht  das  gleichfalls  durch  seitliches  Schlagen  des  Hinterleibes. 
Von  Culex  unterscheiden  sie  sich  durch  den  Mangel  eines  Atem- 
fortsatzes und  biologisch  dadurch,  dass  sie  sich  ganz  vorwiegend 
an  der  Oberfläche  aufhalten,  meist  auf  dem  Rande  schwimmender 
Blätter  oder  Gegenstände  ruhend.  Die  schwärzliche  Larve  von 
Dixa  nimmt  dabei  stets  die  Gestalt  eines  lateinischen  U  an  und 
schiebt  sich  in  dieser  Haltung  ziemlich  schnell  durch  abwechselnde 
Bewegung  der  beiden  Schenkel  des  U  fort,  die  entsprechend  mit 
Borsten  versehen  sind.  Weder  Kopf  noch  Körperende,  sondern 
die  Mitte  des  Tieres  schreitet  hier  also  voran:  ein  seltsamer  Anblick. 
Den  Kopf  nach  oben  und  hinten  zurückgeschlagen,  wirbelt  sich  die 
Larve  durch  die  Bewegung  der  Mundteile  die  Nahrung  zu.  Dem 
gegenüber  ist  die  Larve  von  Anopheles  durch  lichtere  Färbung 
und  einfache  gerade  Körperhaltung  gekennzeichnet;  überdies  sind 
bei  Anopheles  die  drei  Brustringe  wie  bei  Culex  verwachsen,  bei 
Dixa  wenigstens  der  erste  deutlich  frei.  Wie  die  Larve  von  Dixa 
wirbelt  auch  sie  sich  die  Nahrung  durch  die  Bewegung  der  Mund- 
teile zu;  auch  sie  hält  dabei  die  Unterseite  des  Kopfes  nach  oben, 
erreicht  dies  aber  durch  eine  Drehung  des  Kopfes  von  180°  um 
die  Längsachse.  Die  Puppen  gleichen  in  ziemlichem  Grade  denen 
von   Culex. 

Einen  zweiten  Typus  der  mit  deutlichem  Kopf  versehenen 
INIückenlarven  stellt  die  viel  untersuchte  Larve  von  Corethra  plumi- 
cornis   dar.       Dieselbe    liebt    pflanzen-    und    deswegen    tierreiche 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers.  83 

Stehende  Gewässer  mit  grösseren  Stellen  freien,  klaren  Wassers. 
Um  Berlin  ist  sie  eine  recht  häufige  Erscheinung;  sie  scheint  auch 
stets  in  grosser  Zahl  zu  überwintern.  Gekennzeichnet  wird  sie 
fast  hinlänglich  durch  die  Bemerkung,  dass  sie  von  glasartiger 
Durchsichtigkeit  ist;  nur  die  beiden  Luftblasenpaare  im  vorderen 
und  hinteren  Teile  des  Körpers,  ■  sowie  gewöhnlich  der  gelbliche 
bis  schwach  gelbrote  Darm  machen  sie  wahrnehmbar.  Anfangs 
entgeht  sie  wohl  Jedem  oft  genug,  wenn  sie  ruhig  im  Netz  liegt. 
Als  weitere  Kennzeichen  seien  hier  noch  folgende  genannt:  ein 
Atemfortsatz  am  achten  Hinterleibsring  ist  nicht  vorhanden,  ebenso 
wenig  Luftlöcher,  der  Kopf  ist  schnabelförmig  verlängert,  die  jMund- 
teile  und  selbst  die  Fühler  sind  zum  Rauben  eingerichtet. 

Atmung  und  Bewegung.  Da  bei  der  Larve  von  Corethra  vom 
Tracheensystem  nur  zwei  paarige  lufterfüllte  Anschwellungen  vom  und 
hinten  entwickelt  sind,  thätige  Luftlöcher  und  auch  Kiemen  völlig 
fehlen,  so  kann  nur  Hautatmung  für  dieselbe  angenommen  werden. 
Gestützt  wird  diese  Annahme  in  hohem  Masse  durch  die  ausser- 
ordentlich zarte  und  durchsichtige  Haut  des  Tieres,  die  sie  zu 
einem  so  beliebten  Objekt  für  mikroskopische  Betrachtung  macht. 
Die  Larve  kommt  also  auch  nicht  zur  Oberfläche;  in  horizontaler 
Lage  steht  sie  oft  lange  Zeit  still  im  Wasser,  um  sich  dann  plötz- 
lich durch  einen  seitlichen  Schlag  fortzuschleudern  und  zwar  an- 
scheinend in  völlig  regelloser  Weise.  Der  wirksame  Teil  ist  auch 
hier  der  hintere  Körperabschnitt;  der  neunte  Hinterleibsring  trägt 
zahlreiche,  lange,  in  der  Mittelebene  stehende,  fiederförmig  bewimperte 
Schwimmhaare.  Nährt  sich  die  Larve  von  Culex  von  Pflanzen- 
stoffen, so  ist  die  von  Corethra  durchaus  räuberischer  Natur; 
zartere  Wassertiere,  ja  selbst  kleinere  Larven  der  eigenen  Art  bilden 
ihre  Nahrung. 

Puppe.  Ungleich  ähnlicher  als  die  Larven  sind  die  Puppen 
von  Culex  und  Corethra.  Auch  die  Corethra-Puppe  bewegt  sich  durch 
mediane  Schläge  des  Hinterleibes,  der  am  Ende  ebenfalls  besondere, 
seitlich  gestellte  Schwimmplatten  trägt.  Auch  die  Anhänge  der 
Vorderbrust    finden   sich  wieder,    aber    sie    sind    nicht  wie    bei  der 


84  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

Puppe  von  Culex  trichterförmig  offen  und  dienen  nicht  der  Atmung*). 
Mehrfach  habe  ich  30 — 40  Puppen  in  einem  höheren  Becherglase 
vor  mir  stehen  gehabt,  ohne  dass  in  Stunden  auch  nur  eine  an 
die  Oberfläche  zur  Atmung  gekommen  wäre.  Mehrere  Centimeter 
tief  unter  der  Oberfläche  schweben  sie.  Erst  wenn  sie  dem  Aus- 
schlüpfen sich  nähern,  wenn  zwischen  Puppen-  und  Mückenhaut 
sich  eine  Luftschicht  ansammelt,  stei2;en  sie  infolge  der  Verrineeruns: 
des  spezifischen  Gewichtes  dauernd  empor.  Aber  auch  dann  habe 
ich  nie  die  Oberflächenschicht  des  Wassers  an  der  betreffenden 
Stelle  unterbrochen  gesehen,  wie  das  sonst  bei  richtiger  Stellung 
des  Auges  stets  zu  sehen  ist,  wenn  Insekten  oder  Insektenlarven 
zur  Atmung  an  die  Oberfläche  kommen.  Die  Bedeutung  der  luft- 
erfüUten  Anhänge  am  Rücken  der  Vorderbrust  kann  also  bei  Corethra 
nur  darin  liegen,  dass  sie  der  Puppe  ohne  weiteres  besonders  beim 
Ausschlüpfen  die  geeignete  Körperstellung  geben.  Das  Ausschlüpfen 
der  Mücke  vollzieht  sich  auch  hier  in  recht  kurzer  Zeit. 

Laich.  Dass  die  abgelegten  schwarzen  Eier  eine  flache  Scheibe 
bilden,  erwähnte  ich  schon  bei  Culex.  Nicht  selten  habe  ich  die- 
selben im  Freien  angetroffen  und  auch  von  ausgeschlüpften  Mücken 
erhalten,  denen  durch  eine  übergestülpte  Glasglocke  das  Fortfliegen 
verwehrt  war.  Die  Larven  schlüpfen,  wenn  man  nur  das  Wasser 
der  Schale  durch  untergetaucht  lebende  Pflanzen,  z.  B.  Rieden, 
frisch  erhält,  bald  aus  der  Laichmasse  aus. 

In  merkwürdiger  Weise  vermittelt  den  Übergang  von  Culex  zu 
Corethra  die  Larve  von  Mochlonyx  culiciformis  (Fig.  7,  10).  In 
Körpergestalt,  in  Durchsichtigkeit  hält  sie  die  Mitte  zwischen 
jenen  beiden  Gattungen.  Wie  bei  Corethra  finden  sich  zwei  Paar 
Luftröhrenanschwellungen  vorn  und  hinten;  aber  es  sind  auch  noch 
die  beiden  freilich  schwachen  Längsstämme  des  Luftröhrensystems 
vorhanden  und  lufterfüllt,  die  wie  bei  Culex  in  einen  Anhang  des 
achten  Hinterleibsringes  ausgehen.  Und  nun  wird  dieser  „Atem- 
fortsatz" doch  wieder  nicht  wie  bei  Ctilex  zur  Atmung  benutzt ; 
die  Larven  schweben  ebenso  wie  die  \on  Corethra  in  horizontaler 


*)  Vgl.  auch  Palmen,   , .Morphologie  des  Tracheensystems' 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers.  85 

Lao-e  im  Wasser  und  niemals  habe  ich  sie  an  die  Oberfläche 
kommen  sehen.  Auch  die  ]\Iundteile  zeigen  eine  Bildung  zwischen 
denen  von  Culex-  und  Corethra-Larven ;  freilich  stehen  sie  denen 
der  letzteren  näher.  In  der  räuberischen  Lebensweise  stimmen  sie 
mit  diesen  völlig  überein.  Die  Puppe  schliesst  sich  der  von 
Corethra  nahe  an.  Die  schon  von  De  Geer  beobachtete  Larve 
scheint  lange  Zeit  der  Aufmerksamkeit  entgangen  zu  sein.  Ich 
habe  sie  um  Berlin  seit  einer  Reihe  von  Jahren  vielfach  gefunden 
und  zwar  stets  mit  Larven  von   Culex  zusammen. 

Chironotnus  und  Tanxptis.  Einen  dritten  Typus  stellen  die 
Larven  der  Gattungen  Chironomus  und  Tanxptis  dar,  die  nicht 
der  Oberfläche  oder  den  mittleren  Schichten  der  Gewässer,  sondern 
hauptsächlich  dem  Boden  der  Gewässer,  und  zwar  sowohl  fliessen- 
der  wie  stehender,  angehören.  In  stehenden  Gewässern  sind  wohl 
die  blutroten  Larven  von  Chironomus  plumosus  (Fig.  7,  12)  mit  die 
häufigsten  und  auffälligsten.  Gekennzeichnet  sind  die  Larven  dieser 
beiden  Gattungen  durch  den  Besitz  von  winzigen  Punktaugen  und  von 
je  zwei  sogenannten  falschen  Beinen  am  Vorderbrustring  und  am 
Körperende  (Fig.  7,  i2/i,/>)  —  die  Beine  sind  ungegliedert  und  mit 
einer  Gruppe  von  Chitinhaken  versehen  — ,  femer  durch  das  Fehlen 
der  Atemöffnungen  und  eines  ausgebildeten  Luftröhrensystems.  Die 
Larven  der  beiden  Gattungen  unterscheiden  sich  unter  einander 
vornehmlich  dadurch,  dass  bei  den  Larven  von  Tanypus  die  drei 
Brustringe  mehr  oder  minder  zu  einer  Masse  verwachsen,  bei 
denen  von  Chironomus  aber  frei  sind.  Überdies  besitzen  manche 
Chironomus-Larven,  z.  B.  die  von  Ch.  plumosus,  vier  schlauchförmige, 
zarte  Auswüchse  an  der  Bauchseite  des  achten  Hinterleibsringes 
(Fig.   7,  12  a). 

Atmung.  Die  Larven  von  Chironomus  leben,  wie  schon 
angegeben  wurde,  auf  dem  Boden,"  wo  sie  sich  mit  Hilfe  einer 
Schleimmasse,  die  unterhalb  der  Mundöffhüng  austritt,  aus  den 
Schlamm-  oder  Sandteilchen  Röhren  zum  Schutz  und  Aufenthalt 
bauen*).        Thut    man     z.    B.     in    eine    Schale    mit    Larven    von 


*)  Ob  das  auch  für  einzelne  Arten  von  Tanypus  gilt,  muss  ich  dahingestellt  sein  lassen. 


gß  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

Chirononiits  plumosiis  etwas  Sand,  so  nimmt  der  Boden  in  km^zer 
Zeit  ein  Aussehen  an,  welches  im  Kleinen  an  das  Bild  einer  Wiese 
erinnert,  an  deren  Oberfläche  zahlreiche  Maulwürfe  ihre  Gänge 
gezogen  haben.  Zur  Wasseroberfläche  kommen  die  Larven  nicht; 
ihre  Atmung  ist  wie  die  von  Corethra  Hautatmung.  Die  Auswüchse 
am  achten  Hinterleibsring  der  Larve  von  Ch.  phmiosus  sowie  die 
vier  Drüsen  um  den  After  unterstützen  wohl  die  Atmung,  da  sie 
von  einem  lebhaften  Blutstrom,  in  dem  eigenartige,  fadenförmige 
Blutkörperchen  treiben,  durchzogen  werden*). 

Hält  man  Larven  unserer  Gattungen  in  sauerstoffarmem  Wasser, 
so  sieht  man  oft,  wie  sie  sich  mit  den  Haken  der  „falschen"  Vorder- 
füsse  an  einigen  Gespinstfäden,  welche  sie  am  Gefäss  befestigt 
haben,  festhalten  und  nun  lebhaft  in  medianen,  wellenförmigen 
Bewegungen  das  Wasser  schlagen,  offenbar,  um  sich  beständig 
frischeres  Atemwasser  zuzuführen. 

Bewegung  und  Nahrung.  Am  Boden  bewegen  sich  die 
Larven  von  Chironomus  mit  Hilfe  der  vorderen  und  hinteren 
falschen  Beine  den  Spannerraupen  ähnlich  fort;  im  Wasser  schwimmen 
sie,  wenn  man  es  so  nennen  darf,  recht  ungeschickt  ohne  feste 
Richtung  durch  Sförmige  Krümmuhgen  des  Körpers**).  Als 
Nahrung  dienen  ihnen  die  Schlammteile  des  Bodens  oder  richtiger 
die  darin  enthaltenen  organischen  Bestandteile. 

Puppe.  Auch  während  und  nach  der  Verpuppung  bleiben 
die  Tiere  in  den  Schlammröhren;  dabei  ist  die  Larvenhaut  oft 
noch  nicht  vollständig  vom  Hinterleibsende  der  Puppe  abgestreift. 
Als  gutes  Kennzeichen  der  Puppen  von  Chironomus  ist  die  eigen- 
artige Ausbildung  der  Vorderbrustanhänge  zu  erwähnen;  diese  sind 
nicht  einfach  und  trichter-  oder  keulenförmig  wie  bei  den  früheren 
Gattungen  und  bei  Tanypvis,  sondern  bestehen  aus  einer  grossen 
Menge   zarter  Fäden,    die    von  feinen  Tracheenröhren    durchzogen 


*)  Dieser  Blutstrom  wird  leicht  bei  ungünstiger  Lage  der  Larve  auf  dem  Objektträger 
unterbrochen  und  entgeht  dann  dem  Beobachter.  Auch  mir  war  er  früher  entgangen  ;  erst 
jüngst,  als  ich  durch  eine  Äusserung  von  Hrn.  Weltner,  der  Larven  von  Chironomus  auf 
dem  Boden  tiefer  Seen  gefunden  hatte,  zu  erneuter  Beobachtung  veranlasst  wurde,  nahm  ich 
denselben  wahr. 

**)  Bei  einer  Tanypus-Larve,  wohl  T.  7nonilis,  beobachtete  ich  Schwimmen  durch  wellen- 
förmige Bewegungen  in  der  Mittelebene  des  Körpers. 


Kerfe  und  Kcrflarven  des  süssen  "Wassers.  87 

sind  und  deswegen  silberweiss  erscheinen  (vgl.  Fig.  7,  13).  Sie 
sind  also  nach  ihrer  Bildung  als  Tracheenkiemen  anzusprechen. 
Die  Puppe  zeigt  übrigens  lebhafte  Atembewegungen,  und  zwar 
ein  Schwingen  in  der  Mittelebene  des  Körpers.  Zur  Zeit,  wenn 
das  Ausschlüpfen  naht,  steigt  sie  an  die  Oberfläche,  wobei  die  luft- 
haltigen Brustanhänge  ihr  den  Weg  zeigen. 

Laich.  Unter  allen  Mücken  ist  Chironomus  diejenige,  deren 
Laich  ich  am  häufigsten  angetroffen  habe.  Die  länglichen,  schwach 
bräunlichen  Eier  liegen  in  wurstförmiger ,  durchsichtiger  Gallert- 
masse. Wenig  auffällig,  entgehen  sie  leicht  der  Wahrnehmung. 
Ihre  Zugehörigkeit  lässt  sich  leicht  dadurch  feststellen,  dass  man 
die  Larven  in  besonderer  Schale  mit  Wasserpflanzen  aus- 
schlüpfen lässt. 

Simitlla.  Biologisch  und  auch  wohl  morphologisch  schliessen 
sich  an  die  Larven  von  Chironomus  und  Tanypus  die  der 
Simulia- Arten  an.  Dieselben  leben  ausnahmslos  in  fliessen.den 
Gewässern.  In  der  näheren  Umgegend  von  Berlin  kenne  ich  sie 
nur  aus  der  Panke  oberhalb  Schönhausen  und  aus  der  Wühle,  die 
bei  Köpenick  in  die  Spree  mündet.  Sie  sind  leicht  daran  kennt- 
Hch,  dass  zwar  ein  vorderes,  weit  verwachsenes  falsches  Beinpaar 
wie  bei  Chironomus  und  Tanyptis  vorhanden  ist,  dagegen  das 
hintere  fehlt,  imd  dafür  ein  Kranz  von  Haken  am  Ende  des  im 
hinteren  Abschnitt  verdickten  Abdomens  steht.  Auch  sie  sind 
Hautatmer  und  kommen  nie  an  die  Oberfläche.  Einen  recht 
seltsamen  Anblick  gewährt  ihre  Bewegungsweise.  INIit  einer 
Gespinstmasse,  welche  ähnlich  der  der  Raupen  aus  einem  Vorsprung 
oberhalb  der  Unterlippe  austritt,  ziehen  sie  am  Boden  einige  kurze 
Fäden,  greifen  in  diese  mit  dem  Hakenkranz  der  Vorderfüsse, 
krümmen  den  Körper  zu  einer  Schleife,  greifen  nun  mit  dem 
hinteren  Hakenkranz  in  diese  Fäden,  lassen  dann  vom  los,  strecken 
sich,  spiiyien  neue  Fäden  u.  s.  w.  So  bewegt  sich  die  Larve 
ausgesprochen  spannermässig.  Hält  man  sie  im  tief  ausge- 
schliffenen Objektträger  oder  einer  andern  derartigen  Vorrichtung 
(angekitteter  Glasring),    so    kann   man    das    Ziehen    der  Fäden    gut 


gg  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

beobachten*).  Durch  dieses  Mittel  sind  sie  befähigt,  sich  im 
strömenden  Wasser  an  Wasserpflanzen  und  Steinen  festzuhalten. 
Oft  richten  sie  sich,  mit  dem  hinteren  Hakenkranz  in  die  Spinn- 
fäden greifend,  senkrecht  zur  Oberfläche  des  Blattes  und  lassen 
dann  ihren  Strudelapparat  am  Munde  spielen,  der  ihnen  mit  dem 
entstehenden  Wasserwirbel  die  winzigen  Nahrungsbestandteile  zuführt. 
Puppe.  Die  sehr  gedrungene  Puppe  (Fig.  7,  13)  lebt  in 
einem  tütenförmigen  Gehäuse,  das  seitlich  an  Wasserpflanzen  mehr 
oder  minder  tief  befestigt  ist.  Ihre  Vorderbrustanhänge  gleichen 
denen  von  Chironomits,  doch  sind  die  Fäden  weit  weniger  zahl- 
reich.    Erst  zum  Ausschlüpfen  steigt  sie  zur  Oberfläche. 

Rückblick.       Alles    in    allem    genommen,     zeigen    also    die 
„eucephalen"  Mückenlarven  der  Gewässer   und  deren  Puppen  eine 
grosse  Mannigfaltigkeit   der   biologischen  Verhältnisse.      Atmen    die 
Larven  von  Culex,  Dixa  und  Anopheles  Luft  in  gewöhnlicher  Weise 
an  der  Oberfläche,    so  sind  die  von  Mochlonyx,    Corethra,    Clnro- 
nomus ,    Tanypus ,    Simulia    Hautatmer;    bei    einzelnen    Arten    von 
Cliironomus    findet    sich    dem    Anschein    nach    nebenbei    Atmung 
durch    echte    schlauchförmige    Kiemen**).       Sind    die    Larven    von 
Culex,   Anopheles,   Mochlonyx,    Corethra    ausschliesslich  oder  fast 
ausschliesslich  Schwimmer   und  zwar  unter  seitlicher  Bewegung  des 
Hinterleibes,    so    zeigt    die  von  Dixo,    die   U-Larve,    daneben    eine 
seltsame,  oben  beschriebene  Art  des  Fortschiebens,  die  Chironomus- 
Larven  ein  unregelmässiges  Schwimmen  durch  Sförmige  Krümmungen, 
die  Tanypus-Larven    ein  Schwimmen    durch    mediane  Bewegungen, 
beide    Gattungen    ausserdem    und    Sünulia    eine    spannerartige    Be- 
wegung unter  Benutzung  von  Hakenkränzen  am  Vorder-  und  Hinter- 
ende des  Körpers  und  teilweise  {Simulia,   Tanypus)  von  Gespinst- 
fäden.     Als    Nahrung    dienen    den    meisten    Larven    Pflanzenstoffe, 
Mochlonyx    und    Corethra    aber    sind    ausgesprochene    Raubtiere. 
Leben  die  Larven  von  Dixa  und  Anopheles  fast  ausschliesslich  an 
der   Oberfläche,    so    die    von   Cliironomus    und    Tanypus    meist    in 


*)  Auch  bei  Tanypus-Larven  habe  ich  diese  Bewegungsweise,  wenn  auch  nicht  so  aus- 
geprägt wie  bei  Simulia,  beobachtet. 

**)  Aufiälligerweise  fehlt  die  Atmung  durch  Tracheenkiemen  ganz. 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers.  89 

Schlammröhren  am  Boden,  bisweilen  in  ansehnlicher  Tiefe,  die  von 
Simulia  an  allen  möglichen  Gegenständen  des  Wassers;  tummeln 
sich  Culex-Larven  durch  alle  Schichten  hindurch,  so  bevorzugen  die 
von  Mochlonyx  und  Corethra  die  mittleren  Wasserschichten.  Dazu 
kommt  dann  noch  das  plötzliche  Umspringen  der  Bewegungsarten 
bei  der  Verpuppung  der  Mehrzahl  der  Larven  und  die  Überein- 
stimmung aller  Puppen  in  dem  Besitz  besonderer  Anhänge  am 
Rücken  der  Vorderbrust  und  in  der  Bewegungsart:  zwei  Punkte, 
die  ich  schon  oben  biologisch  zu  deuten  suchte. 

Es  kann  hiernach  nicht  überraschen,  dass  sich  die  Larven  im 
Anschluss  an  diese  Unterschiede  oft  scharf  nach  der  Art  der 
Gewässer  in  ihrem  Vorkommen  sondern.  Während  ich  z.  B.  in 
der  oberhalb  Schönhausen  stark  fliessenden  Panke  nur  Larven  von 
Simulia,  Chironomiis  und  Tanypus  fand,  zeigte  sich  dicht  daneben 
ein  Wiesentümpel  mit  Laubblättern,  aber  ohne  nennenswerten 
Pflanzenwuchs  nur  von  zahlreichen  Culex-Larven  bevölkert,  und  ein 
naher  Graben  mit  stehendem  Wasser  und  dichtem  Pflanzenwuchs 
die  schwarzen  Larven  von  Dixa  und  die  helleren  von  Anopheles. 
Um  Corethra  zu  beherbergen,  schien  er  wegen  des  INIangels  an 
grösseren  pflanzenfreien  Stellen  nicht  geeignet  zu  sein.  Es  haben, 
möchte  man  sagen,  die  verschiedenen  biologischen  Gruppen  die 
Gewässer  unter  sich  geteilt,  oder  richtiger  ausgedrückt:  es  haben 
sich  die  Gattungen  nach  den  verschiedenen  Lebensbedingungen  der 
Gewässer  unter  einander  differenziert. 

Plialacrocera  rcplicata.  Den  eucephalen  Mückenlarven  schliesse 
ich  am  besten  die  Lar\e  einer  Schnake,  Phalacrocera  rcplicata, 
an,  die  schon  De  Geer  bekannt  war.  Sie  scheint  seitdem  wenig 
aufgefunden  zu  sein,  wahrscheinlich  jedoch  nicht  wegen  ihrer  Selten- 
heit, sondern  weil  sie  den  Blicken  so  leicht  entgeht.  Ich  habe  sie 
um  Berlin  fast  überall  gefunden,  sobald  der  Pfuhl  oder  Teich  am 
Grunde  reichlich  mit  Wassermoosen  bedeckt  war.  An  solchen  lebt 
und  frisst  sie;  den  älteren  blattlosen  Stengeln  sieht  sie  recht  ähn- 
lich und  wegen  der  Trägheit  ihrer  Bewegungen  übersieht  man  sie 
doppelt  leicht.  Sie  ergänzt  in  merkwürdiger  Weise  in  einer  Hin- 
sicht   die     Mückenlarven;     keine     derselben    hat    Tracheenkiemen, 


90  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

unsere  Schnakenlarve  ist  auf  der  Rückseite  mit  ziemlich  starren, 
gegabelten,  fadenförmigen  Tracheenkiemen  versehen.  Der  mangelhaft 
ausgebildete  „Kopf"  ist  klein  und  kann  völlig  eingezogen  werden.  Das 
Hinterende  des  Körpers  trägt  zwei  grosse,  gekrümmte  Chitinhaken. 

Die  Puppe  besitzt  wie  die  der  eigentlichen  Mücken  zwei 
Vorderbrustanhänge  und  lässt  Kopf,  Flügel,  Beine  u.  s.  w.  deut- 
lich erkennen.  Mit  zwei  Paaren  von  Fortsätzen  an  den  hinteren 
Körperringen  —  ausserdem  stehen  noch  zwei  andere  Paare  dort  - — 
hält  sie  sich  an  Pflanzen  fest  und  streckt  die  Anhänge  zur  Atmung 
heraus.  Von  der  Verpuppung  bis  zum  Ausschlüpfen  der  ansehn- 
lichen Schnake  \erfliessen  nur  wenisre  Ta2:e. 

Larven  der  Waffenfliegen.  Von  anderen  Zweiflüglerlarven 
sind  mir  als  einigermassen  häufig  und  auffällig*)  nur  noch  die  unter 
einander  recht  ähnlichen  Larven  der  Waffenfliegen  (Stratiomyden) 
(Fig.  7,  14)  entgegengetreten.  Sie  sind  deutlich  gegliedert  und  mit 
undeutlichem,  einziehbarem  Kopfteil  versehen,  aus  dem  zwei  seitliche 
„Fressspitzen"  hervortreten.  Am  Ende  des  Körpers  steht  ein  zierlicher 
Kranz  \-on  Haaren,  den  die  Larven  auszubreiten  und  zusammen- 
zulegen vermögen.  Inmitten  dieses  Kranzes  liegt  nämlich  der  Eingang 
zu  einer  Art  Vorhof  der  Luftlöcher  der  Larve ;  wollen  die  Tiere  atmen, 
so  strecken  sie  das  Körperende  an  die  Oberfläche  und  breiten  den 
Haarkranz  aus.  Ihre  Bewegung  ist  recht  unbeholfen;  durch  lebhaftere 
Krümmungen  kommen  sie  langsam  in  ziemlich  regelloser  Weise 
vorwärts.  In  Übereinstimmung  mit  ihrer  Atmungsweise  und  mit 
ihrer  schwachen  Bewegungsfähigkeit,  leben  sie  nur  an  der  Ober- 
fläche stehender  pflanzenreicher  Gewässer.  Trift't  man  übrigens 
etwa  im  Mai,  Juni  Larven  an  der  Oberfläche,  die  andauernd  be- 
wegungslos bleiben,  so  —  hat  man  es  ziemlich  sicher  mit  einer 
Puppe    zu    thun.     Sicherheit   kann  man  über  diesen  Punkt  leicht 


*)  Bisweilen  habe  ich  auch  in  Gräben  mit  vielem  Algenschleim  und  wenig  sauberem 
Wasser  die  bekannten  Rattenschwanzlarven  der  Schlammfliege  angetroffen.  Kenntlich  sind 
die  zarthäutigen  Larven  an  dem  Mangel  eines  Kopfes  und  an  dem  fernrohrartig  ausstreck- 
baren Atemrohr  am  Ende  des  Körpers.  Ziemlich  ähnlich  sehen  ihnen  wegen  eines  gleichen 
Atemanhangs  die  Larven  von  Piychopfera  (Schnake)  ;  doch  ist  der  Kopf  deutlich,  wenn  auch 
einziehbar,  und  die  Puppe  eine  echte  Schnakenpuppe  (Mumienpuppe)  mit  einem  sehr  ver- 
längerten Vorderbrustanhang.  —  Wegen  mehrerer  Musciden-Larven  und  -Puppen  des  Wassers 
sei  hier  nur  auf  G.  Gerke,  ,,Verh.  des  Vereins  tür  naturw.  Unterhaltung  zu  Hamburg", 
1876  ff.,   verwiesen. 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers.  91 

gewinnen  dadurch,  dass  man  die  „Larve"  am  Ende  öffnet;  im 
zutreffenden  Falle  ist  nämlich  die  Haut  an  den  Enden  hohl  und 
mehr  in  der  Mitte  liegt  die  zarte,  ziemlich  fliegenähnliche  Puppe.  Es 
wird  also  bei  der  Verpuppung  die  letzte  Larvenhaut  nicht  ab- 
gestreift, sondern  das  Tier  hat  sich  innerhalb  derselben  zur  Puppe 
umgebildet.  Erst  beim  Ausschlüpfen  der  Fliege  wird  auch  diese 
Larvenhaut  gesprengt  und  zwar  in  einem  Tförmigen  Spalt.  Von 
den  echten  sogenannten  Tonnenpuppen  der  grossen  Menge  der 
Fliegen  unterscheiden  sich  übrigens  diese  Puppen  wesentlich  dadurch, 
dass  erstens  die  Larvenhaut  bei  der  Verpuppung  weiter  keine 
Veränderung  der  Form  erfährt  und  dass  das  Aufspringen  nicht  in 
einem  Ringe,  sondern  in  einem  Tförmigen  Spalt  erfolgt. 

Sch  metterl  i  nge  3). 

Die  Schmetterlinge  selbst  sind  ebenso  und  aus  gleichem  Grunde 
von  dem  Leben  im  Wasser  ausgeschlossen*),  wie  die  Fliegen;  von 
den  Larven  und  Puppen  dagegen  leben  einige  auch  aus  dieser 
Insektengruppe  im  Wasser. 

Die  interessanteste  und  nach  meinen  Beobachtungen  häufigste 
dieser  Wasserraupen  ist  die  von  Paraponyx  stratiotata ;  ich  habe 
dieselbe  um  Berlin  fast  nirgends  vermisst,  wo  ihre  Haupt-Nährpflanze, 
die  stachlige  Wasseraloe  (Stratiotes  aliöides),  wächst.  Ihren  Raupen- 
charakter bekundet  die  bis  auf  Kopf  und  ersten  Brustring  zarthäutige 
Larve  durch  den  Besitz  von  Afterbeinen  mit  Hakenkränzen  am 
dritten  bis  sechsten  und  letzten  Hinterleibsringe  neben  den  sechs 
gegliederten  Brustbeinen  sowie  durch  die  Bildung  der  Mundteile. 
Dass  sie  aber  ein  wohlangepasstes  Wassertier  ist,  zeigt  das  Fehlen  von 
offenen  Atemlöchem  und  die  Ausbildung  von  fadenförmigen  Tracheen- 
kiemen, welche  die  Seiten  und  den  Rücken  vom  zweiten  Brustring 
an  einnehmen  **).  Oft  findet  man  die  Raupe  zwischen  zwei  Blättern 
der   Wasseraloe,     die    lose    durch    Fäden    zusammengeheftet    sind: 


*)  Dabei  muss  freilich  von  den  flügellosen  Weibchen  des  Acentropus  tiiveus  abgesehen 
werden ,  welches  nach  Litteraturangaben  mit  dem  Rücken  nach  unten  auf  der  Wasser- 
oberfläche umherschwimmt. 

**)  Auch  die  Wasserraupen  von  Acentropus  niveus  sind  nach  den  Angaben    in    der 
Litteratur  mit  Tracheenkiemen  versehen.    Aus  eigener  Beobachtung  kenne  ich  dieselben  nicht.  . 


92  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

anscheinend  dient  solche  Stelle  dann  als  Zufluchtsort.  In  vollkomm- 
nerer  Weise  spinnt  sich  die  Raupe  zur  Zeit  der  Verpuppung  ein 
geschlossenes,  dichtes  Gehäuse,  das  den  Blättern  fest  angeklebt  ist. 
Schneidet  man  ein  solches  Gehäuse  auf,  so  findet  man  die  Puppe 
nicht  in  Wasser,  sondern  in  Luft  liegend.  Sie  hat  auch  nicht 
mehr  Tracheenkiemen,  sondern  Luftlöcher,  an  denen  nur  auffällig 
ist,  dass  die  vorderen  auf  einer  Erhöhung  liegen.  Woher  stammt 
nun  die  Luft  im  Puppengehäuse,  das  doch  unter  Wasser  hergestellt 
ist?  Ich  habe  an  andrer  Stelle*)  wahrscheinlich  zu  machen  gesucht, 
dass  die  Luft  ähnlich  wie  bei  den  Puppengehäusen  von  Donacia 
aus  der  Pflanze  stammt  und  dass  diese  unter  Druck  aus  dem  Innern 
der  Pflanze  hervortretende  Luft  das  Wasser  aus  dem  noch  nicht 
völlig  geschlossenen  Gehäuse  verdrängt.  Man  findet  nämlich  einer- 
seits die  Blätter  dort,  wo  ein  Puppengehäuse  angeklebt  ist,  bis  zu 
ihren  grossen  Luftgängen  angefressen  und  anderseits  ist  eine  andere 
Weise  als  die  angedeutete,  das  Gehäuse  mit  Luft  zu  füllen,  unter 
den  gegebenen  Verhältnissen  kaum  vorstellbar**).  Ist  das  Gehäuse 
völlig  fertig,  so  sind  übrigens  die  Frasslöcher  zu  den  Luftgängen 
zugesponnen. 

Eine  zweite  Gruppe  von  ziemlich  häufigen  Wasserraupen  gehört 
den  Gattungen  Hydrocampa  und  Cataclysta  an.  Äusserlich  sind  diese 
Zünsler-Larven  den  weiter  unten  zu  behandelnden  Phryganiden-Larven 
recht  ähnlich,  da  sie  sich  aus  zwei  zurechtgebissenen  Blattstücken, 
die  von  H.  nymphaeata  z.  B.  aus  den  Blättern  der  Seerose  oder 
des  Laichkrautes  oder  (Cataclysta)  aus  zahlreichen  verklebten  Wasser- 
linsen ein  Schutzgehäuse  herstellen  und  damit  im  Wasser  herum- 
kriechen. Sobald  man  freilich  die  Larve  aus  diesem  Versteck 
herauskriechen  sieht,  zeigt  sich  auch  abgesehen  von  den  Hinterleibs- 
beinen ein  wichtiger  Unterschied  gegen  die  Phryganiden-Larven :  die 
Raupen  besitzen  keine  Tracheenkiemen,  sie  sind  vielmehr  bis  auf 
den  Kopf  und  ersten  Brustring  mit  einer  im  Wasser  silberglänzenden 
Luftschicht  umgeben    und    ebenso    ist    auch  das   Gehäuse  mit  Luft 


*)  Siehe  oben  die  Angabe  bei  Donacia. 
**)  Für  die  ebenfalls  kiementragende  Wasserraupe  einer  brasilianischen  Caiaclysta-Krt 
hat  freilich  W.  Müller  eine  andere  Weise,  das  Puppengehäuse  mit  Luft  zu  füllen,  beschrieben. 


Kerfe  und  Kcrflai\en  des  süssen  Wassers.  93 

erfüllt.  Sie  sind  also  einfache  Luftatmer  und  auf  die  Oberfläche  des 
Wassers  angewiesen.  Die  Puppe  liegt  gleichfalls  in  diesem  Luftbett. 
Andere  Arten  von  Wasserraupen,  deren  Gattungszugehörigkeit 
mir  unsicher  geblieben  ist  (vielleicht  Sctrpophaga?},  habe  ich  mehr- 
fach in  ausgefressenen  Binsen-  oder  Schachtelhalmstücken  getroffen ; 
das  Verfahren  zur  Herstellung  des  Schutzgehäuses  war  also  ein 
recht  einfaches.  Zur  Verpuppung  fand  ich  solche  Gehäuse  an  den 
Stengeln  von  Wasserpflanzen  in  senkrechter  Stellung  angeklebt  und 
die  abstehende  Öffiiung  verschlossen,  ähnlich  dem,  was  man  bei 
•den  Gehäusen  der  Phryganiden  beobachtet. 

Netzflügler^). 

Während  in  den  drei  obigen  Ordnungen  diejenigen  Kerfe,  die 
-entweder  im  entwickelten  Zustande  oder  als  Larve  im  Wasser  leben, 
einen  kleinen  oder  selbst  verschwindenden  Teil  ihrer  Gruppen- 
genossen ausmachen,  ändert  sich  das  plötzlich  bei  den  Netzflüglern 
in  auffälliger  Weise.  Die  entwickelten  Tiere  meiden  zwar  wie  die 
Fliegen  und  Schmetterlinge  das  Wasser,  aber  unter  den  Larven 
lebt  die  Mehrzahl  der  freilich  nicht  artenreichen  Ordnung  im  Wasser, 
und  zwar  stellt  die  Gruppe  der  Köcherfliegen  (Phryganiden)  die 
Hauptmasse  derselben.  \\'elcher  Art  ein  Gewässer  auch  immer  sein 
mag,  ob  stark  fliessend  oder  stehend,  ob  pflanzenreich  oder  pflanzen- 
arm, ob  mit  Sand-  oder  Schlammboden:  fast  immer  wird  man 
Larven  dieser  Gruppe  darin  finden  und  oft  in  sehr  auff'älliger  Menge. 
Durch  einen  eisfentümlichen  Zu2:  in  ihrer  Lebensweise  machen  sie 
sich  auch  dem  Laien  auffällig.  Die  meisten  von  ihnen  kitten  sich 
nämlich  aus  diesem  oder  jenem  StoflT  ein  köcher-  oder  röhren- 
förmiges Schutzgehäuse,  welches  sie  mit  sich  herumschleppen  und 
in  das  sie  sich  bei  Beunruhigung  sogleich  zurückziehen.  Sie  nehmen 
dazu  feinern  Sand,  gröbere  Kieskörner,  Schneckenhäuser  mit  oder 
ohne  Bewohner,  Gras  und  breitere  Pflanzenblätter,  abgebissene 
Stücke  von  Pflanzenstengeln,  oder  alte  Holzstücke  etc.,  und  legen 
-diese  Teile  der  Länge  nach  oder  der  Quere  nach  (Fig.  8,  16  u.  17) 
■oder  in  spiraliger  Anordnung  an  einander.    Wegen  ihrer  Auffälligkeit 


94 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  AVassers. 


haben  sie  auch  vom  Volke  besondere  Namen  erhalten :  Sprottwürmer 
oder  Sprocken  heissen  sie  z.  B.  in  einzelnen  Teilen  der  Mark. 


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Ob  ein  aufgefundenes  Tier  zu  den  Phryganiden-Larven  gehört 
oder  nicht,  darüber  wird  auch  beim  Anfänger  selten  ein  Zweifel 
sein.     In  den  bei  weitem  meisten  Fällen  wird  man  die  gewöhnliche 


Kerfe  und  Kerflaiven  des  süssen  Wassers.  95 

Larvenform  (Fig.  8,  15)  vor  sich  haben,  die  durch  den  Besitz  des 
Gehäuses  und  von  drei  Brustbeinpaaren,  durch  die  stärkere  Chitini- 
sierung  des  ganzen  Kopfes  und  mehr  oder  minder  ausgedehnter  Teile 
der  Brust,  sowie  endlich  durch  die  fadenförmigen  Tracheenkiemen  und 
die  beiden  Endhaken  des  zarten  Hinterleibes  gekennzeichnet  ist*). 
So  leicht  nun  die  Zugehörigkeit  einer  Larve  zu  unserer  Gruppe 
festzustellen  ist,  so  schwierig  und  umständlich  ist  anderseits  die 
Unterscheidung  der  zahlreichen  Gattungen ,  von  den  Arten  ganz 
zu  schweigen.  Ich  werde  also  im  folgenden  ganz  davon  Abstand 
nehmen  und  nur  an  einem  Vertreter  der  Gruppe  —  es  möge  die 
Larve  von  Lhnnophilns  rhombicus  **)  dazu  dienen  —  die 
biologischen  Verhältnisse  und  die  damit  in  Beziehung  stehenden 
morphologischen  Eigenschaften  zu  schildern  versuchen. 

Unsere  Larve  lebt  besonders  in  Pfühlen  und  Gräben  mit 
stehendem  Wasser.  Das  Gehäuse  (Fig.  8,  16  u.  17)  besteht  in 
der  Regel  aus  dünnen  Stengelstücken,  die  quer  zur  Längsachse 
verklebt  sind,  und  zwar  schliessen  je  vier  bis  fünf  einmal  den 
Umfang;  im  Querschnitt  ist  also  die  Aussenseite  des  Futterals  vier- 
bis  fünfeckig,  wobei  die  Seiten  noch  über  die  Ecken  verlängert 
sind.  Nicht  selten  benutzt  die  Larve  daneben  auch  Moosstücke 
oder  Früchte  oder  Steinchen  und  Schneckenhäuser,  die  Quer- 
anordnung jedoch,  soweit  möglich,  beibehaltend. 

Der  Kopf  und  die  beiden  ersten  Brustringe  oben  sind  ebenso 
wie  die  Beine,  von  denen  das  erste  Paar  besonders  kräftig,  wenn 
auch  kurz  ist,  stark  hornig;  diese  Teile  sind  nämlich  beim  Fressen 
und  Umherkriechen  mehr  oder  minder  ausserhalb  des  Futterals, 
dürfen  also  nicht  zart  sein.  Über  die  helleren  und  dunkleren  Flecke 
dieser  Teile  verweise  ich  auf  die  Abbildung  (Fig.  8,  15).  Der 
dritte  Brustring  hat  auf  der  Oberseite  sechs  dunkle,  mit  Haaren 
besetzte  Homflecke  und  ebenso  ist  die  Haut  oberhalb  der  Hüften 
stärker    chitinisiert.     Die  Mundteile,    besonders    auch    die    mit    der 


*)  über  die  in  Gehäusen  lebenden  Wasserraupen,  d.  h.  Larven  von  Schmetterlingen, 

vergleiche  man  oben  den  dritten  Abschnitt,  über  Phryganiden-Larven  ohne  Gehäuse  weiter  unten. 

**)  Dass  die  betreffende  Lar\-e  zu  Limiiophi'lus  rhombicus    gehört ,    habe    ich    freilich 

nicht   durch    Zucht    festgestellt ,    sondern    ich   schliesse  es    nur   aus   dem  Vergleich    mit  den 

Zeichnungen  und  Angaben  bei  Pictet  (Fig.  8,  16,   17). 


96 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 


Unterlippe  verwachsenen  Unterkiefer  ähneln  denen  der  echten 
Raupen ;  auf  die  besondere  Gestalt  dieser  Teile  bei  unserer  Art 
ohne  Abbildung  näher  einzugehen  —  für  die  Unterscheidung  der 
Gattungen  ist  das  wichtig  —  erscheint  zwecklos.  Wie  bei  den 
Raupen  liegt  übrigens  der  Ausgang  der  Spinndrüse  in  der  Mitte 
der  Unterlippe.  Fühler  fehlen  wie  bei  fast  allen  Phryganidenlarven 
vollständig  und  die  Augen  sind  nur  winzige  Punktaugen. 

An  dem  zarten,  gelbweissen  Hinterleib  hebt  sich  in  der  Mitte 
als  dunklerer  Streifen  das  Rückengefäss  ab,  dessen  von  hinten  nach 
vom  fortschreitende  Kontraktionen  schon  mit  unbewaffnetem  Auge 
zu  verfolgen  sind.  An  den  Seiten  zieht  sich  je  eine  dichte  Reihe 
dunkler  Haare  hin,  die  sogenannte  Seitenlinie.  Teils  unmittelbar 
über  und  unter  derselben,  teils  etwas  weiter  nach  oben  und  unten 
stehen  vom  zweiten  Hinterleibsringe  an  und  zwar  nahe  dem  vordem 
und  hmtern  Rande  die  haarförmigen ,  weissglänzenden  Tracheen- 
kiemen (s.  Fig.  8,  15).  Um  die  Zahl  und  Verteilung  derselben 
kurz  darzustellen,  hat  sich  meines  Wissens  Klapalek  zuerst 
besonderer  Schemata  bedient;  ich  gebe  hier  ein  nach  seiner  Weise 
gebildetes  Schema  für  unsere  Larve. 


Oben. 

Sl. 

Unten. 

0 

3 

3 

3 

3 
3 

II 

0 

0 

0 

0 

3 
3 

III 

0 

0 

2 

2 

3 
3 

IV 

3 

2 

2 

I 

3 
3 

V 

2 
2 

3 
2 

VI 

2 

2 

2 

I 

VII 

2 

I 

VIII 

Zum  Verständnis  desselben  braucht  wohl  nur  bemerkt  zu  werden,  dass 
Sl.  die  Seitenlinie,    die  römischen  Ziffern  die  Hinterleibsringe    und 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers.  97 

die  arabischen  Ziffern  die  Anzahl  der  Kiemenfäden  bedeuten,  welche 
teils  nahe  dem  Vorder-,  teils  nahe  dem  Hinterrande,  und  zwar 
nahe  der  Seitenlinie  oder  weiter  nach  oben  oder  unten  stehen. 
Am  ersten  Hinterleibsringe  stehen  keine  Tracheenkiemen,  dagegen 
in  der  ]\Iitte  oben  und  an  jeder  Seite  je  ein  vorstülpbarer  Fleisch- 
zapfen; am  letzten  Hinterleibsring  befinden  sich  seitlich  zwei  kurze 
derbe  Chitinhaken  und  in  der  Mitte  in  einem  länglichen  Spalt 
der  After.  INIit  den  Chitinhaken  des  Hinterleibsendes  halten  sich 
die  Tiere  recht  erfolgreich  im  Gehäuse  fest.  Erwachsen  kriechen  die 
Larven  langsam  im  Wasser  umher;  jugendliche  Phryganiden-Larven 
habe  ich  fast  immer  —  ob  freilich  solche  unserer  Art  dabei  waren, 
ist  ungewiss  —  daneben  lebhaft  mit  Hilfe  der  langen,  stark  be- 
wimperten Hinterbeine  umherschwimmen  sehen.  Solche  jugendliche, 
wohl  eben  dem  Ei  entschlüpfte  Larven  sind  übrigens  von  den 
älteren  noch  durch  den  Mangel  an  Tracheenkiemen  unterschieden, 
so  dass  sie  ganz  auf  Hautatmung  angewiesen  sind. 

Dass  die  Atmung  bei  den  älteren  Larven  durch  Tracheen- 
kiemen und  daneben  wohl  durch  die  zarte  Hinterleibshaut  geschieht, 
ist  oben  schon  angedeutet  worden.  In  Beziehung  zur  Atmung 
dürfte  auch  die  sogenannte  Seitenlinie,  d.  h.  der  beiderseitige 
Wimpersaum  des  Hinterleibes  stehen,  wenigstens  wenn  sie  stärker 
entwickelt  ist.  Bei  durchsichtigen  Phryganiden-Gehäusen  sieht  man 
nämlich  oft,  besonders  wenn  das  Wasser  sauerstoffarm  ist,  die 
Larve  den  Hinterleib  in  der  Mittelebene  schwingen,  höchst  wahr- 
scheinlich, um  das  den  Körper  umspülende  Wasser  schneller  zu 
erneuern.  Die  Seitenlinie  macht  nun,  indem  sie  den  Hinterleib 
verbreitert,  dieses  Verfahren  sicher  wirksamer.  Auch  die  Fleisch- 
zapfen des  ersten  Hinterleibsringes  finden  dabei  ihre  Verwendung; 
der  Körper  wird  durch  sie  mehr  in  der  Mitte  des  Gehäuses 
gehalten,  ein  allseitig  den  Körper  umspülender  Wasserstrom  also 
wohl  dadurch  erleichtert.  Wenn  übrio-ens  das  Wasser  recht 
schlecht  zur  Atmung  wird,  so  sieht  man  die  Larven  vorn  weit  aus 
dem  Gehäuse  kommen  und  nun  lebhaft  in  gleicher  Richtung  wie 
im  Gehäuse  das  Wasser  schlagen. 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Siisswassers.     II.  7 


93  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

Dass  die  Phryganiden-Larven  wie  die  Raupen  vorherrschend 
Pflanzenfresser  sind,  kann  man  leicht  beobachten;  doch  lässt  sich 
auch  unschwer  feststellen,  dass  sie  keineswegs  Fleischkost,  lebende 
und  tote  Tiere,  deren  sie  habhaft  werden  können,  verschmähen. 
Hat  man  einer  Larve  das  Gehäuse  genommen,  so  ist  man  nicht 
sicher,  ob  dieselbe  nicht  in  kurzer  Zeit  von  ihres  Gleichen  an- 
gefressen wird. 

Zur  Verpuppung  spinnt  unsere  Larve  wie  die  meisten  anderen 
Phryganiden-Larven  das  Gehäuse  an  Wasserpflanzen  oder  Steinen  etc. 
fest,  schliesst  die  Öflhungen  durch  ein  Gitterwerk  von  Fäden,  denen 
noch  Stengelstückchen  angeklebt  sind,  so  dass  einerseits  Feinde 
dadurch  abgehalten  werden  und  anderseits  das  Atemwasser  hin- 
durchspülen kann. 

Die  Puppe  (Fig.  8,  i8)  bietet  mit  ihren  frei  abstehenden 
Fühlern,  Beinen  und  Flügeln,  mit  den  stark  auffälligen  Augen  und 
gekreuzten,  hakenförmigen  Oberkiefern,  mit  den  weissen,  fädigen 
Tracheenkiemen  und  der  schwarzen,  mächtig  entwickelten  Seiten- 
linie am  Hinterleib  einen  seltsamen  Anblick  dar.  Die  nach  dem 
Geschlecht  verschiedene  Gestaltung  der  Hinterleibsanhänge  und  die 
Zahl  und  Verteilung  der  Dorne  an  den  Beinen  geben  zusammen 
mit  dem  Kiemenschema  wichtige  Anhaltepunkte  zur  Unterscheidung 
der  Gattungen  und  Arten.  Dass  auch  hier  die  Seitenlinie  gleiche 
Bedeutung  für  die  Atmung  hat  wie  die  oben  beschriebene,  scheint 
mir  zweifellos.  Die  Atmungsbewegungen  der  Puppen  kann  man 
unschwer  beobachten. 

Hält  man  die  Puppen  im  Zimmer,  so  steht  Einem  unmittel- 
bar vor  dem  Ausschlüpfen  der  Köcherfliege  noch  eine  seltsame 
Beobachtung  bevor.  Die  Puppen  kommen  eines  Tages  aus  dem 
Gehäuse,  indem  sie  die  Oberkiefer  zum  Öffiien  benutzen,  und 
schwimmen  mit  dem  bewimperten  zweiten  Beinpaar  oder  kriechen 
mit  Hilfe  der  beiden  vorderen  Beinpaare  lebhaft  umher,  bis  sie 
eine  geeignete  Stelle  an  der  Oberfläche  für  das  Ausschlüpfen 
gefunden  haben.  Die  ausgeschlüpften  Insekten,  denen  die  Ober- 
kiefer der  Puppen  fehlen,  sehen  so  schmetterlingsartig  und  im 
besondern    mottenartig    aus,     dass    sie    von    Laien    wohl    stets    für 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers.  99 

Motten  gehalten  werden.  Das  Fehlen  des  Saugrüssels,  die  Aderung 
der  Flügel  und  die  Faltung  der  Hinterflügel  können  zur  Unter- 
scheidung von  den  Schmetterlingen  dienen. 

Der  Laich  der  Phryganiden  —  den  unserer  Art  im  besondern 
kenne  ich  nicht  —  bildet  meist  eine  grosse,  oft  ringförmige  Schleim- 
masse, in  der  die  Eier  eingebettet  liegen;  leicht  kann  derselbe  mit 
Schneckenlaich  verwechselt  werden.  — 

Ist  diese  Larvenform  der  Köcherfliegen  auch  die  unbedingt 
vorherrschende  im  Tieflande,  so  möchte  ich  doch  nicht  ganz  den 
Vertreter  des  zweiten  unter  den  Phryganiden-Larven  vorhandenen 
Typus  übergehen,  welchen  ich  um  Berlin  mehrfach,  besonders  auch 
an  Stratiotes,  angetroffen  habe.  Nach  Vergleich  mit  den  Abbil- 
dungen und  Angaben  von  Klapalek  gehört  diese  Larve  zur 
Gattung  Polycentropiis  ( Unter familie  Rhyacophilidae).  Der  auf- 
fälligste Unterschied  der  ziemlich  durchsichtigen,  etwas  grünlich  und 
rötlich  gefärbten  Larve  gegen  die  des  ersten  Typus  bildet  das 
Fehlen  eines  Gehäuses  und  der  Tracheenkiemen.  Die  Larve  ist 
ein  Hautatmer*). 

Es  fehlen  auch  die  Seitenlinie  und  die  Fleischzapfen  des  ersten 
Hinterleibsringes,  was  nach  unserer  obigen  Deutung  beim  Fehlen 
des  Gehäuses  ohne  weiteres  verständlich  ist.  Die  Chitinhaken  am 
Unterleibsende  stehen  dagegen  auf  langen,  zweigliedrigen  „Nach- 
schiebem";  die  Larven  gebrauchen  dieselben  besonders,  wenn  sie 
beunruhigt  werden  und  sich  dann  unter  medianen  Schwingungen 
des  Hinterleibes  rückwärts  in  Sicherheit  zu  bringen  suchen**). 

INIangelt  den  Larven  auch  das  Gehäuse,  so  heften  sie  doch 
mit  Hilfe  der  Spinnmasse  an  Blättern  einzelne  Gegenstände  derart 
fest,  dass  ein  gedeckter  Gang  entsteht,  der  ihnen  als  Zufluchts- 
ort dient.  Zur  Zeit  der  Verpuppung  wird  dann  eine  festere 
Schutzhülle  hergestellt.  Die  Puppe  ist  mit  Tracheenkiemen  rmd 
Seitenlinie  versehen. 


*)  Es  ist  bemerkenswert,  dass  keine  Neuropteren-Larve  des  Wassers  durch  Luftlöcher 
atmet,  während  das  in  allen  früheren  Ordnungen  ein  recht  häufiger  Fall  war. 

**)  Eine  derartige  Rückwärtsbewegung  der  Larven  ,  sobald  sie  beunruhigt  werden, 
scheint  im  ganzen  Gebiet  der  Netzflügler,  gleichgültig  ob  die  Larven  im  Wasser  leben  oder 
nicht,  die  allgemeine  Regel  zu  sein. 

7* 


"IQQ  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

Eine  Mittelstellung  zwischen  den  beiden  obigen  Typen  nehmen 
die  Larven  der  Gattung  Hydropsyche  ein,  die  in  stärker  fliessenden 
Gewässern,  z.  B.  hier  in  der  Panke,  an  und  unter  den  Steinen  des 
Bodens  leben.  Sie  haben  ebenfalls  kein  Gehäuse,  welches  sie  mit 
sich  herumtragen,  sondern  fertigen  sich  aus  grösseren  und  kleineren 
Sandkörnern  Gänge  an  den  Steinen,  dagegen  besitzen  sie  büschel- 
förmige Tracheenkiemen.  Abweichend  von  der  oben  beschriebenen 
Verteilung  der  Kiemen  bei  Limnophilus ,  stehen  dieselben  hier  nur 
auf  der  Unterseite  von  Brust  und  Hinterleib.  Die  Nachschieber 
sind  von  ähnlicher  Länge  wie  bei  Polycentropits  und  durch  ein 
starkes,  auffälliges  Borstenbüschel  an  der  Ansatzstelle  der  Krallen 
ausgezeichnet. 

Zur  Verpuppung  wird  auch  von  diesen  Larven  ein  besonderes 
Schutzgehäuse  hergestellt. 

Die  übrigen  Neuropteren. 

In  den  übrigen  Familien  der  Netzflüsrler  giebt  es  nur  noch 
vereinzelte  Gattungen,  deren  Larven  im  Wasser  leben,  nämlich  die 
Gattungen  Sialis,  Sisyrä  und  Osmylus.  Häufiger  habe  ich  davon 
nur  die  Sialis-Larven  angetroffen  und  zwar  stets  am  Boden  stehender, 
mit  Schlammgi'und  versehener  Gewässer.  Man  muss  schon  mit  dem 
Netz  etwas  Schlamm  mitfassen,  wenn  man  die  Larven  fangen  will. 
Die  Ähnlichkeit  mit  den  Phryganiden-Larven  ist  nicht  zu  verkennen. 
Nur  der  Kopf,  die  Beine  und  die  Brustringe  sind  stärker  chitini- 
siert,  der  Hinterleib  ist  zarthäutig  und  an  den  sieben  ersten  Ringen 
mit  je  einem  Paar  verhältnismässig  starker,  gefiederter  und 
gegliederter  Tracheenkiemenfäden  versehen.  Das  Ende  des 
Hinterleibes  läuft  in  eine  einzelne  kräftige,  gefiederte  Endborste  aus. 

Ausser  der  abweichenden  Bildung  der  Tracheenkiemen  und  des 
Hinterleibsendes  kann  zur  Unterscheidung  von  den  Phryganiden-Larven 
auch  der  Umstand  dienen,  dass  der  Kopf  deutliche,  mehrgliedrige 
Fühler  trägt.  Die  Mundteile,  besonders  die  Oberkiefer,  sind  zum 
Raube  eingerichtet.  Als  Kiemenatmer  brauchen  die  Larven  nicht 
an  die  Oberfläche  zu  kommen ;  auf  dem  Schlammboden  kriechen 
sie  nach  Beute  umher.     Beunruhigt  schwimmen  sie  ganz  nach  Art 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers.  JQJ 

der  Phryganiden-Larven,  die  ihres  Gehäuses  beraubt  wurden,  durch 
mediane  Schwingungen  des  Körpers  rückwärts. 

Zur  Verpuppung  gehen  die  Larven  wie  die  Käferlarven  an 
das  Ufer;  die  Puppe  ruht  dann  dort  im  Moose.  Das  ausgeschlüpfte 
Insekt,  die  „Schlammfliege",  findet  man  im  Mai  und  Juni  in  der 
Nähe  von  Gewässern  an  Pflanzen  träge  ruhend,  leicht  kenntlich 
an  den  auch  mit  zahlreichen  Queradem  versehenen,  eigentümlich 
grauen  Flügeln.  Die  schwärzlichen  Eier  werden  in  regelmässigen 
dichten  Reihen  an  Pflanzen  oberhalb  des  Wassers  abgelegt.    — 

Die  kleinen,  etwa  4  mm  langen  Larven  von  Sisyra  leben  in 
Süsswasserschwämmen.  Ausgezeichnet  sind  dieselben  durch  viel- 
gliedrige  Fühler  und  sehr  lange,  gebogene,  aus  Ober-  und  Unter- 
kiefer zusammengesetzte  Saugzangen.  Fühler  wie  Saugzangen  über- 
treffen den  Kopf  vun  das  Mehrfache  an  Länge.  Die  Hinterleibsringe 
tragen  auf  der  Unterseite  je  ein  Paar  gegliederter  Tracheenkiemen 
und  auf  der  Rückseite   je    vier    mit  Borsten   versehene  Auswüchse. 

Die  Larven  des  Bachameisenlöwen  (Osmylus)  lieben  stark 
strömendes  Wasser;  in  Gebirgsbächen  unter  Steinen  ist  nach  den 
Litteraturangaben  ihr  Aufenthalt.  Ich  habe  sie  noch  nicht  angetroffen. 

Geradflügler  4, 5). 

Wie  bei  den  Netzflüglern  fast  die  ganze  Familie  der  Köcher- 
fliegen*) in  ihren  Larven  dem  Wasser  angehört,  so  unter  den 
Geradflüglern  die  drei  Familien  der  Wasserjungfern  (Odonaten  oder 
Libelluliden) ,  der  Eintagsfliegen  (Ephemeriden)  und  Afterfrühlings- 
fliegen  (Perliden).  Mit  einigen  anderen  Geradflüglern  wurden  sie  früher 
ihrer  Flügelbildung  wegen  der  vorigen  Ordnung  zugezählt  und  werden 
bisweilen  heute  noch  Pscudonairoptera  genannt.  Im  Larvenheer  der 
Gewässer  nehmen  ihre  Larven  einen  hervorragenden  Platz  ein. 

Die  Zugehörigkeit  einer  Wasserlarve  zu  einer  dieser  drei  Familien 
ist  sichergestellt,  wenn  sie  neben  beissenden  Mimdteilen  und  drei 
Paar  grosser,  meist  kräftiger  Brustbeine  an  Mittel-  und  Hinterbrust 


*)  Nur  die  Larven  der  Gattung  Enoicyla  sind  davon  ausgenommen.    Dieselben  leberv 
zwischen  Moos. 


102 


Kerfe  ttnd  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 


meist  recht  deutliche  Flügelansätze  (Fig.  9,  19 — 23,  Fig.  10,  24) 
besitzt*).  Unsere  Tiere  machen  nämlich  kein  Puppenstadium  durch, 
d.  h.  ein  Ruhestadium,  in  dem  weder  Nahrung  aufgenommen  wird 


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*)  Nur  den  jüngsten  Larven  fehlen  diese  Flügelansätze.  Die  Übereinstimmung  in 
den  anderen  Punkten  mit  den  ungleich  häufigeren  älteren  Stadien  lässt  sie  trotzdem 
unschwer  erkennen. 


Kerfe  und  Kerflarvcn  des  süssen  Wassers.  103 

noch  lebhaftere  Ortsbewegung  stattfindet  und  in  dem  der  grosse 
Entwickelungsschritt  von  der  Larve  zum  vollkommenen  Insekt 
geschieht;  solche  Larven  erhalten  die  Flügel  schrittweise  mit  den 
verschiedenen  Häutungen. 

Die  Larven  der  Libelluliden  und  Ephemeriden  finden  sich 
sowohl  in  stehendem  wie  fliessendem  Wasser,  die  der  Pediden 
habe  ich  nur  in  fliessendem  Wasser  angetroffen.  Die  Larven  der 
Libellen  sind  unter  den  anderen  Larven  der  Ordnung  leicht 
kenntlich  an  der  armartig  vorstreckbaren  Unteriippe  (Fig.  9,  19), 
die  der  Ephemeriden  an  den  blatt-  und  fadenförmigen  Tracheen- 
kiemen, die  nur  an  den  Seiten  des  Hinterleibes  stehen,  und  an  den 
drei  Afterborsten  (Fig.  9,  23).  Die  Larven  der  Perliden  (Fig.  10,  24) 
besitzen  keines  dieser  besonderen  Kennzeichen ;  besitzen  sie  Tracheen- 
kiemen, so  stehen  sie  meist  auf  der  Unterseite  der  Brustringe. 

1.    Die  Larven  der  Libelluliden  oder  Odonaten. 

Unter  den  Libellenlar\-en  der  stehenden  Gewässer  treten  dem 
Beobachter  ohne  weiteres  drei  Typen  entgegen,  die  der  Agi'ion-, 
Libcllula-  und  y^^sc//;;fl-Gruppe.  Die  ersteren  (Fig.  9,  21)  sind 
lanGfsrestreckt  und  schwächlich;  am  Ende  des  Hinterleibes  mit  drei 
ziemlich  lans;en  blattartigen  Tracheenkiemen  versehen.  Die  hierher 
gehörigen  Agrion-  und  Z^s/^s-Lar\en  unterscheiden  sich  dadurch, 
dass  der  INIittelteil  der  Unterlippe  bei  Lestes  fast  stielrund,  da- 
gegen bei  Agrion  fast  ebenso  breit  wie  der  Endabschnitt  ist.  Die 
Larven  der  Libc/liila-Gruppe  (Fig.  9,  20)  sind  ohne  solche  äussere 
Tracheenkiemen,  dafür  besitzen  sie  aber  eigenartige  innere  Tracheen- 
kiemen, nämlich  an  den  Wandungen  des  Enddarmes.  Die  Hinter- 
beine sind  länger  als  der  gedrungene  Hinterleib  und  der  Vorder- 
abschnitt der  Unterlippe  ist  so  ausgehöhlt,  dass  er  in  der  Ruhelage 
die  jMundteile  von  vom  wie  eine  hohle  Hand  bedeckt.  Dieser 
Gruppe  gehören  auch  die  Larven  der  Gattungen  CorduHa  und 
Epitheca  an.  Die  Larven  endlich  der  ^^scÄwa-Gruppe  (Fig.  9,  19) 
stimmen  in  den  Atemorganen  mit  denen  von  Libcllula  überein, 
dagegen  ist  hier  die  Unterlippe  im  Vorderabschnitt  einfach  flach 
und  der  schlanke  Hinterleib  ist  länt?er  als  die  Hinterbeine. 


10-i  Kerfe  und  Keiflarven  des  süssen  AVassers. 

Alle  unsere  Larven  sind  also  Tracheenkiemen-Atmer,  aber  in 
verschiedener  Weise.  Die  Larven  der  beiden  letzten  Typen  ziehen 
willkürlich  das  Atemwasser  durch  den  mit  Schutzwehren  versehenen 
After  ein  und  stossen  es  wieder  aus.  Diese  Atembewegungen 
werden  kräftig,  aber  unregelmässig  ausgeführt;  oft  sieht  man  minuten- 
lang umsonst  nach  dem  ein-  und  austretenden  Wasserstrom.  Agrion- 
und  Lestes  -  Larven  besitzen  natürlich  derartige  Atembewegungen 
nicht,  dagegen  sieht  man  nicht  selten,  dass  sie,  mit  den  Beinen 
sich  festhaltend,  durch  seitliches  Schlagen  des  Hinterleibes  das 
Atemwasser  erneuern.  Eine  recht  eigentümliche  Thatsache  bei 
allen  diesen  Larven  ist  nun,  dass  an  der  Brust  Luftlöcher  vorhanden 
sind,  deren  Ränder  für  gewöhnlich  dicht  aneinander  liegen,  die  aber 
geöffnet  werden  können.  Beweis  dafür  ist  die  Erscheinung,  dass 
aus  diesen  Stigmen,  wenn  man  die  Larven  *)  in  Alkohol  oder  heisses 
Wasser  wirft,  eine  Reihe  von  Luftblasen  aufsteigen. 

Welche  Bedeutung  können  nur  diese  Luftlöcher  haben?  Ich 
vermöchte  nur  ungeprüfte  Vermutungen  als  Antwort  auf  diese  Frage 
zu  geben. 

Bewegung.  Bei  allen  unseren  Larven  dienen  die  Atem- 
bewegungen zugleich  zum  Schwimmen.  Lange  Zeit  freilich  krie- 
chen oft  die  Larven  am  Boden  oder  an  Wasserpflanzen  umher. 
Wollen  Agrioniden-Larven  schwimmen,  so  treiben  sie  sich  durch 
seitliches  Schlagen  des  Hinterleibes  mit  seinen  Kiemenblättern  vor- 
wärts. Seltsamer  aber  nimmt  sich  das  Schwimmen  der  anderen 
Larven  aus:  mit  angelegten  Beinen  sieht  man  sie  plötzlich  durch 
das  Wasser  schiessen,  ohne  dass  man  zunächst  zu  erkennen  ver- 
mag, wie  das  bewirkt  wird.  Genauere  Beobachtung  zeigt  —  ein 
sandiger  Grund  leistet  dabei  gute  Dienste  — ,  dass  die  Larven 
mit  grosser  Kraft  das  Wasser  aus  dem  After  ausstossen  und 
dadurch  nach  dem  Prinzip  des  Rückstosses  vorwärts  schiessen. 
Hebt  man  die  Larve  im  rechten  Augenblick  ausser  Wasser,  so 
kann  man  das  ausgestossene  Wasser  oft  drei  bis  vier  Spannen  weit 
fliegen  sehen. 


*)  Nur  bei  den  jüngsten  Larven    tritt   das  nicht  ein.  —  Dass  die  Stigmen  nicht  ver- 
wachsene Ränder  haben,  stellte  ich  auch  an  Querschnitten  derselben  fest. 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers.  IQb 

Der  Ernährung  nach  sind  alle  diese  Larven  Raubtiere  und 
zwar  erbeuten  sie  die  Tiere  durch  plötzliches  Vorstrecken  der 
Unterlippe.  Bietet  man  einer  Aeschna-Larve  z.  B.  Ephemeriden- 
und  INIückenlarven,  so  zeigt  sich  zugleich  dabei,  dass  die  Beute 
erst  wahrgenommen  wird,  wenn  sie  sich  zu  bewegen  beginnt:  eine 
Bemerkung,  die  für  fast  alle  Räuber  unter  den  Wasserinsekten  und 
Wasserlarven  zu  gelten  scheint. 

Andere  Libelluliden-Larven.  Von  anderen  Libelluliden- 
Larven,  die  ich  nur  in  lliessenden  Gewässern,  nicht  wie  die  obigen 
in  beiderlei  Gewässern,  angetroffen  habe,  nenne  ich  noch  zur  Er- 
gänzung die  von  Calopteryx  (Fig.  9,  22),  der  prachtvoll  dunkel- 
blauen oder  grünen  Libelle  der  Ufer,  und  von  Gomphus.  Die 
ersteren  bilden  einen  eigenartigen  Typus  dadurch,  dass  sie  sowohl 
Schwanzldemen  wie  innere  Kiemen  haben.  Kenntlich  sind  sie  vor 
allem  dadurch,  dass  sie  bei  ähnlicher  Gestalt  wie  die  Agrioniden- 
Larven  Fühler  besitzen,  die  weit  länger  als  der  Kopf  sind  und 
deren  Grundglied  mehrfach  länger  und  stärker  als  die  übrigen 
Glieder  zusammengenommen  ist.  —  Die  Larven  von  Gomphus 
schliessen  sich  am  nächsten  denen  von  Aeschna  an;  die  Unterlippe 
ist  vorn  ebenfalls  flach,  der  Darm  mit  Kiemen  versehen;  das  unter- 
scheidende Merkmal  liegt  vornehmlich  in  dem  auffallend  breiten 
und  grossen  Endglied  der  Fühler. 

2.  Ephemeriden-Larven. 
Die  Larven  der  Eintagsfliegen  (Fig.  9,  23)  sind  in  stehenden 
wie  fliessenden  Gewässern  eine  recht  häufige  Erscheinung;  aber  fast 
immer  gehörten  die  Tiere,  welche  ich  um  Berlin  in  stehenden 
Gewässern  fing,  einer  Art  an:  Clocon  dipterimu  Erwachsen  sind 
dieselben,  die  drei  langen,  befiederten  Schwanzanhänge  nicht  mit- 
gerechnet, etwa  I  cm  lang.  Die  drei  letzten  Hinterleibsringe  sind 
ohne  Kiemenblättchen,  das  viertletzte  hat  ein  einfaches  rundliches 
Blättchen,  die  sechs  vorhergehenden  Ringe  aber  je  zwei  solcher 
Kiemenblätter.  Unschwer  erhält  man  das  Insekt  selbst,  welches 
nach  der  Zweizahl  der  Flügel  und  nach  den  Schwanzborsten  leicht 
zu    bestimmen    ist.       Die    den    Ephemeriden    einzig    zukommende 


\(){}  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

Eigentümlichkeit,  dass  das  der  Larvenhaut  entschlüpfte,  mit  beweg- 
lichen Flügeln  versehene  Insekt  (Siibimago  genannt)  sich  noch 
einmal  häutet,  beobachtete  ich  nicht  immer,  anscheinend  fehlte 
'den  Tieren  dazu  häufig  die  Kraft;  sie  starben  vorher  ab. 

Durch  den  Besitz  der  blattartigen  Tracheenkiemen  ist  die 
Atemart  unserer  Larven  hinreichend  bezeichnet;  zu  erwähnen  bleibt 
nur,  dass  dieselben  zur  Erneuerung  des  Wassers  oft  schnell  hinter- 
einander auf-  und  niederbewegt  werden,  ohne  dass  sich  etwa  das 
Tier  vom  Platze  bewegt.  Für  gewöhnlich  gehen  die  Larven  mit 
den  gut  entwickelten  Beinen  am  Boden  einher;  bei  der  geringsten 
Beunruhigung  jedoch  fahren  sie  jäh  durch  das  Wasser  dahin. 
Durch  kräftige  mediane  Bewegungen  des  Hinterleibes  mit  seinen 
befiederten  Anhängen  schnellen  sie  sich  fort.  Ihre  Nahrung  besteht 
aus  Pflanzenkost;  wie  erfolgreich  sie  dieselbe  verarbeiten,  zeigt  sich 
z.  B.  darin,  dass  eine  Schale  mit  Cloeon-Larven  und  Pflanzen  sich 
am  Boden  bald  mit  den  Resten  guter,  gesegneter  Verdauung  füllt. 

Ausser  den  Cloeon-Larven  habe  ich  in  kleineren  stehenden 
Gewässern  nur  noch  hie  und  da  die  von  Cacnis  luctiiosa  ange- 
troflfen.  Dieselben  sind  leicht  daran  zu  erkennen,  dass  das  erste 
Paar  Kiemenblättchen  zu  Schutzdecken  für  die  folgenden  umge- 
wandelt ist  und  dass  die  letzteren  blattartig,  aber  am  Rande  mit 
zarten  Fortsätzen  versehen  sind.  Die  vier  letzten  Hinterleibsringe 
sind  von  jenen  Schutzplatten  nicht  bedeckt. 

Ungleich  reicher  als  in  stehenden  Gewässern  sind  die  Ephe- 
meriden-Larven  in  fliessenden  entwickelt;  reicher  und  mannigfaltiger 
gestalten  sich  dort  auch  die  Lebensbedingungen  derselben.  Manche 
von  ihnen  (z.  B.  Ephcmera  und  Palingenia)  graben  sich  mit  den 
kräftigen  Vorderbeinen  Gänge  in  das  Ufer;  andere  wieder,  wie  die 
der  alten  Gattung  Bactis ,  drücken  sich  bei  eigenartig  platter 
Gestalt  dicht  den  Steinen  an  und  vermögen  sich  so  im  Strome  zu 
halten;  noch  andere  kriechen,  wohl  an  ruhigeren  Stellen,  auf  alles 
Andere  Verzicht  leistend,  im  Schlamme  umher*).  Recht  mannig- 
fach   ändert    dabei    auch     die    Gestalt    der    Tracheenkiemen    ab. 


*)   Die  Cloeon-Larven  würden  zu  denen  gehören,    welche  Pictet   als  Schwimmer 
bezeichnet. 


Kerfe  uikI  Kerflarven  des  süssen   Wassers.  1(J7 

Näher    hierauf    einzugehen ,     muss     ich    mir    schon    aus    äusseren 
Gründen  versagen  5). 

3.  Larven  der  Perliden  oder  Afterfrühlingsfliegen. 

Die  Larven  der  Perliden  scheinen  stehende  Gewässer  ganz  zu 
meiden ;  auch  schwächer  fliessende  sind  arm  an  ihnen,  wogegen 
reissende  Gebirgsbäche  ihre  rechte  Heimat  sind. 

Die  einzige  Larve,  welche  ich  in  schwach  fliessenden  Gräben 
um  Berlin  angetroffen  habe,  ist  die  von  Nemura  variegata  (Fig.  lo,  24 
S.  109).  Als  Orthopteren-Larve  ist  sie,  wenigstens  in  den  älteren  Stadien, 
an  den  Flügelansätzen  des  zweiten  und  dritten  Brustringes  kennt- 
lich; von  den  Ephemeriden-Larven,  mit  denen  sie  noch  am  ersten 
verwechselt  werden  könnte,  unterscheidet  sie  sich  erstens  durch  den 
Mangel  an  Tracheenkiemen  und  zweitens  dadurch,  dass  sie  nicht 
drei,  sondern  nur  zwei  lange  Anhänge  am  Hinterleibsende  hat. 
Innerhalb  der  Familie  gehört  die  Larve  zu  denen,  bei  welchen 
das  zweite  Glied  des  dreigliedrigen  Fusses  kleiner  ist  als  das  erste. 

Die  Larve  besitzt  keine  Tracheenkiemen;  wie  atmet  sie  denn? 
Ich  habe  sie  weder  jemals  zur  Atmung  an  die  Oberfläche  kommen 
sehen,  noch  spricht  die  Derbheit  ihrer  Haut  und  ihre  Grösse  für 
Hautatmung,  so  dass  mir  die  Atemverhältnisse  der  Larve  rätsel- 
haft sind. 

Eigenartig  nimmt  sich  die  Bewegung  der  Lar\-e  aus.  Bei 
keiner  bisher  genannten  Larve  sind  die  Beine  so  kräftig  und  lang 
zugleich,  wird  der  Hinterleib  so  wenig  auf  dem  Boden  nach- 
geschleppt, ist  die  Bewegung  ein  so  flinkes  Gehen  wie  bei  dieser 
Lan-e.     Ihre  Lebensweise  ist  eine  räuberische. 

Die  Ähnlichkeit  zwischen  der  älteren  Larve  und  dem  ent- 
wickelten Insekt  ist  recht  auffallend;  der  Schritt  \on  dem  einen 
zum  andern  Zustand  scheint  deswegen  auch  recht  leicht  und  schnell 
zu  geschehen.  Brachte  ich  Lar\-en  in  feuchter  Schachtel  mit  Moos 
zusammen  heim,  so  fand  ich  am  nächsten  Tage  meist  mehrere 
davon  schon  ausgeschlüpft. 

Von  den  übrigen  Larv^en  der  Familie,  die  sich  alle  einander 
recht    ähnlich    sehen,    möchte    ich    nur    noch    die    grösseren  Perla- 


108  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

Larven  erwähnen,  die  durch  Tracheenkiemen  an  der  Unterseite  der 
Brust  ausgezeichnet  sind*). 

Schlussbemerkung.  Sowohl  am  Anfang  dieser  wie  der 
vorigen  Ordnung  hob  ich  hervor,  dass  die  Anzahl  der  Wasser- 
larven innerhalb  der  Ordnung  ungleich  grösser  als  bei  den  früheren 
ist.  Dazu  kommt  nun  noch  ein  Anderes.  Bei  den  Larven  der 
Käfer,  Zweiflügler  und  Schmetterlinge  war  die  Anpassung  an  das 
Wasserleben,  besonders  hinsichtlich  der  Atmung,  eine  recht  ver- 
schiedene; eine  Reihe  von  Arten  atmete  noch  durch  Luftlöcher, 
daneben  fand  sich  mehr  oder  minder  ausgedehnt  Atmung  durch 
die  Haut,  echte  Kiemen  oder  Tracheenkiemen.  Ungleich  einheit- 
licher, geschlossener  erscheinen  darin  die  Larven  der  Neuropteren 
und  amphibischen  Orthopteren:  fast  alle  sind  sie  Tracheenkiemen- 
atmer,  selten  finden  sich  daneben  Hautatmer  und  nie  einfache 
Luftatmer.  Ferner  sind  sie  einerseits  alle  nach  ihrer  Organisation 
ausgesprochene  Wassertiere,  und  anderseits  werden  die  einzelnen 
Gruppen  den  verschiedenartigen  Bedingungen  des  Wasserlebens  in 
oft  recht  eigenartiger  Weise  gerecht.  Das  Alles  legt  die  Frage 
nahe:  Ist  das  Verhältnis  dieser  Larven  zum  Wasserleben  nicht  ein 
ganz  anderes  als  das  der  Käfer-,  Zweiflügler-,  Schmetterlings-  und 
—  wie  wir  gleich  hinzufügen  wollen  —  Wanzen-Larven  ?  Diese 
verglichen  wir  den  Seehunden  und  Walen,  d.  h.  wir  hielten  für 
recht  wahrscheinlich,  dass  sie  von  Vorfahren  abstammen,  die  samt 
ihren  Larven  in  der  Luft  lebten;  sind  jene  Larven  dagegen  nicht 
vielleicht  echte,  ursprüngliche  Wassertiere.  Besonders  für  die  Ephe- 
meriden  ist  wegen  der  unvollkommenen  Verwandlung,  wegen  der 
einfachen  Bildung  der  Mundteile  und  weil  sich  die  Bildung  der 
Flügel  bei  ihrem  ersten  Auftreten  mit  der  der  Tracheenkiemen 
vergleichen  lässt,  schon  öfters  ausgesprochen  worden,  dass  sie  dem 
Urtypus  der  Insekten  ziemlich  nahe  stehen  dürften;  leiten  sie  sich 
vielleicht  unmittelbar  von  einer  im  Wasser  lebenden  Stammform 
ab?     Sind    sie    also   den  Amphibien    im  Kreise  der  Wirbeltiere  zu 


*)  Zuerst  bei  Tieren  dieser  Familie  -wurde  die  überraschende  Thatsache  festgestellt, 
dass  auch  entwickelte  Kerfe  noch  Tracheenkiemen  besitzen.  Palmen  hat  dann  diese 
Erscheinung  als  allgemeiner  verbreitet  nachgewiesen. 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 


109 


vergleichen?     Diese  Frage  näher  zu  erwägen*),    ist   hier  nicht  der 
Ort,    doch    möchte    ich    hier   kurz   auf  den  einen  Punkt  hinweisen, 


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*)  Verwiesen  sei  hier  besonders  auf  die  für  die  Frage  wichtigen  Untersuchungen  und 
Erörterungen  von  Palmen  („Morphologie  des  Tracheensystems"). 


X1Q  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

dass  man  im  Falle  der  Bejahung  annehmen  müsste,  die  Bildung 
eines  Tracheensystems  und  zwar  eines  geschlossenen,  das  für 
die  Bewegung  der  Luft  im  Körper  so  ungünstige  Bedingungen 
bietet,  sei  bei  Tieren,  die  unter  Wasser  leben,  an  Stelle  der  Kiemen 
entstanden ! 

Schnabel  kerfe  6). 

Die  Schnabelkerfe  oder  Rhynchoten  lassen  sich  hinsichtlich 
ihres  Verhaltens  zum  Wasser  recht  wohl  mit  den  Käfern  vergleichen; 
wie  bei  diesen  leben  unter  den  Schnabelkerfen  nicht  nur  eine  Reihe 
von  Larven  im  Wasser,  sondern  auch  entwickelte  Kerfe,  die  in 
beiden  Ordnungen  freilich  nicht  völlig  an  diesen  Aufenthalt  gebannt 
sind.  Ferner  gilt  auch  in  dieser  Ordnung  wie  in  jener*)  der  Satz, 
dass,  wenn  das  entwickelte  Tier  diesem  Element  angehört,  auch 
die  Larve  im  Wasser  lebt.  Endlich  stellen  sich,  wie  schon  bei  den 
Käfern  erwähnt  wurde,  beide  Ordnungen  auch  darin  neben  einander, 
dass  einige  ihrer  Arten  auf  der  Wasseroberfläche  leben:  neben  den 
sich  auf  der  Oberfläche  herumtummelnden  Gyriniden  finden  sich 
die  nicht  minder  auffälligen  Wasserläufer,  welche  innerhalb  der 
Ordnung  eine  besondere  kleine  Familie  bilden. 

Am  häufigsten  trifft  man  auf  stehenden  Gewässern  die  Arten 
der  Gattung  Hydrometra  an.  Der  Körper  ist  ebenso  wie  die 
beiden  hinteren  Beinpaare  auffallend  lang  und  dünn,  die  Vorder- 
beine, zwischen  denen  der  ziemlich  lange,  mit  Stechborsten  versehene 
Rüssel  liegt,  ungleich  kürzer.  Eigenartig  ist  der  Eindruck,  den  ihr 
Stehen  und  ihre  Beweguno-  auf  dem  Wasser  macht.  IMit  den 
wagerecht  gestreckten  Fussgliedern  der  Mittelbeine  und  zeitweise 
der  Vorderbeine,  sowie  den  Schienen  und  Fussgliedern  der  Hinter- 
beine ruhen  sie  auf  der  Wasseroberfläche,  die  an  der  betreffenden 
Stelle  eingedrückt  erscheint,  wie  bei  einer  auf  der  Oberfläche 
schwimmenden  Nähnadel.  Durch  ein  feines,  lufthaltiges  Haarkleid 
der    Beine    ist    die    Gefahr    des    Einsinkens     gemindert.      Bei    der 


*)  Vergl.  jedoch  die  Ausnahme  von  Parnits. 


Kerfe  und  Kerf  larven  des  süssen  "Wassers.  j^  ]^  ]^ 

Bewegung  gebrauchen  die  Tiere  vornehmlich  die  Mittelbeine,  die- 
selben gleichzeitig  bewegend;  stossweise  gleiten  sie  auf  der  C)ber- 
fläche  ziemlich  schnell  dahin*). 

Die  Nahrung  der  Hydrometriden  besteht  aus  schwächeren 
Insekten,  besonders  wohl  auch  aus  eben  ausgeschlüpften  Mücken, 
die  sie  mit  ihrem  Stech-  und  Saugrüssel  aussaugen.  An  den 
Larven  fällt  besonders  die  ganz  ausserordentliche  Verkürzung  des 
Hinterleibes**)  auf;  hiervon  imd  von  dem  ]Mangel  ausgebildeter 
Flügel  abgesehen,  gleichen  sie,  besonders  auch  in  der  Lebensweise, 
sehr  den  entwickelten  Kerfen. 

Die  übrigen  Schnabelkerfe  nun,  welche  dem  Wasser  angehören, 
führen  ein  Leben  ähnlich  dem  der  Dytisciden  und  Hydrophiliden ; 
einige  von  ihnen,  nämlich  die  Gattungen  Notonecta  (Fig.  lO,  25), 
Pka,  Corisa  (Fig.  10,  26),  Naiicoris  (Fig.  10,  27),  sind  lebhafte 
Schwimmer,  andere  dagegen,  Nepa  und  Ranatra  (Fig.  10,  28), 
kriechen  mehr  den  Hydrophiliden  ähnlich  an  den  Wasserpflanzen 
umher.  Alle  aber  kommen,  den  Käfern  gleich,  zum  Atmen  an 
die  Oberfläche,  im  einzelnen  dabei  freüich  verschiedene  Ein- 
richtungen und  Weisen  zeigend.  Systematisch  sind  sie  übrigens 
auch  dadurch  zusammengehalten,  dass  sie  neben  dem  gegliederten 
Saugrüssel  und  den  beiden  ungleichartig  ausgebildeten  Flügelpaaren 
ausserordentlich  kurze  Fühler  besitzen,  die  sie  verborgen  am  Unter- 
kopf tragen. 

1.  Notonecta  glauea  (Fig.  10,  25). 

Unter  den  Schwimmern  ist  der  ansehnlichste  und  mit  auch  der 
häufigste  Notonecta  glauea,  in  kennzeichnender  Weise  Rücken- 
schwimmer genannt.  Fassen  wir  ihn,  wenn  er  aus  dem  Netz 
genommen  werden  soll,  nicht  vorsichtig,  so  lernen  wir  wahrscheinlich 
auch  durch  seinen  empfindlichen  Stich  verstehen,  weshalb  er  hie 
und  da  Wasserbiene  heisst. 


*)    Die   Gattung   Velia,   welche   schattige,    fliessende   Gewässer  liebt,    schreitet   oder 
läuft  dagegen  auf  dem  Wasser. 

**)  Sonst  ist  bei  Insektenlarven  der  Hinterleib  der  am  kräftigsten  entwickelte  Körper- 
teil. Das  ist  nach  der  Lebensaufgabe  des  Larvenstadiums  ohne  Weiteres  verständlich.  Hier 
wird  die  Abweichung  von  der  Regel  durch  die  Bewegungsweise  auf  der  Oberfläche  und  die 
damit  verbundenen  Anforderungen  bedingt. 


]^][2  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers. 

Die  Eigentümlichkeit,  mit  dem  Bauch  nach  oben  zu  schwimmen*), 
kennzeichnet  unser  Insekt  hinreichend.  In  Beziehung  zu  dieser 
Schwimmart  steht  auch  die  Färbung  des  Tieres:  nicht  der  Rücken 
ist,  wie  das  bei  den  meisten  Wasserinsekten  die  Regel,  dunkel 
gefärbt,  sondern  der  Bauch,  während  unter  Wasser  die  Rückseite 
durch  anhaftende  Luft  lebhaft  weiss  erscheint.  Nachdrücklich  wird 
hierdurch  in  ähnlicher  Weise  wie  durch  die  Färbung  der  Flundern 
die  Auffassung  gestützt,  dass  die  dunklere,  dem  Boden  ähnliche 
Färbung  der  Rückseite  und  die  lichtere  der  Bauchseite  so  vieler 
Wassertiere,   z.   B.   so  vieler  Fische,   eine  Schutzfärbung  ist. 

Als  Ruder  sind  nur  die  stark  verlängerten  kräftisfen  Hinterbeine 
thätig,  die  an  Schienen  und  Fussgliedern  mit  zwei  Reihen  Schwimm- 
haaren versehen  sind;  ihre  Endkrallen  sind  verkümmert.  Als  ordent- 
licher Schwimmer  gebraucht  das  Tier  die  Ruder  gleichzeitig.  Wie 
es  Vorder-  und  Mittelbeine  verwendet,  sieht  man  leicht,  wenn  man 
auf  die  Oberfläche  etwa  eine  Fliege  wirft.  Meist  nimmt  der  vor- 
nehmlich nach  oben  schauende  Rückenschwimmer  die  Beute  schnell 
wahr,  schiesst  jählings  darauf  los  und  packt  sie  mit  armartig  gekrümmten 
Vorder-    und  Mittelbeinen,  um  schwebend  sie  auszusaugen. 

Zur  Atmung  streckt  er,  den  Schwimmkäfern  ähnlich,  das  Hinter- 
leibsende aus  dem  Wasser;  man  möchte  also  hier  auch  grosse  und 
ansehnliche  Luftlöcher  vermuten.  Die  Luftlöcher  des  Hinterleibes 
jedoch  sind  auffallend  klein;  grosse,  mit  zarten  Schutzhaaren  ver- 
sehene Luftlöcher,  welche  fraglos  für  die  Atmung  in  erster  Linie 
in  Betracht  kommen,  liegen  dagegen  ziemlich  verborgen  seitlich  an 
der  Brust,  etwas  nach  hinten  und  bauchwärts  von  der  Ansatzstelle 
der  Hinterflügel,  ferner  in  der  Verbindungshaut  der  Vorder-  und 
Mittelbrust,  sowie  zwischen  Mittel  und  Hinterbrust  und  zwar  am  Rande 
der  Unterseite.  Die  Luft  aber  wird  von  dem  Hinterleibsende  nach 
diesen  Stigmen  in  eigentümlicher  Weise  geleitet.  Es  ist  nämlich 
der  Bauch  in  der  Mitte  gekielt  (Fig.  lo,  25)  und  wiederum  an 
den  Rändern  erhaben,  sodass  zwei  seitliche,  freilich  flache  Rinnen 
entstehen.      Über   diesen  Rinnen   stehen  je  zwei  Haarreihen,    eine 


*)  Nur  bei  der  kleinen,  2   mm  grossen  Verwandten,    Plea  müniHssi'ma,    findet  sich 
die  gleiche  Schwimmart. 


Kerfe  und  Kerflaiven  des  süssen  Wassers.  H3 

vom  Aussenrande  und  eine  von  der  Mitte  her  und  unter  solchem 
Haardach  wird  die  Luft  in  den  beiden  Rinnen  von  hinten  her  zur 
Brust  und  zwischen  Haaren  derselben  weiter  zu  den  Stigmen  fort- 
geleitet.  Nicht  selten  sieht  man  die  Hinterbeine,  Geigenbogen  ver- 
gleichbar, über  den  Hinterleib  hinfahren,  um  die  Luft  in  der  einen 
oder  anderen  Richtung  fortzuschieben.  Hin  und  wider  klappen 
auch  an  der  Oberfläche  die  Haarreihen  aus  einander.  Die  Aussen- 
ränder  der  drei  letzten  Ringe  sind  übrigens  noch  mit  nach  aussen 
gerichteten  Haarreihen  versehen  und  diese  ruhen  beim  Atmen  auf 
der  Oberfläche;  auch  die  Bürste  zur  Reinigung  der  Schwimmhaare 
befindet  sich  anscheinend  hier. 

Laich  und  Larven.  Im  Zimmeraquarium  habe  ich  die  Eier 
des  Rückenschwimmers  mehrfach  schon  im  März  erhalten;  sie  waren 
einzeln  an  lebenskräftigen,  grünen  Blättern  abgelegt.  Die  aus- 
schlüpfenden Larven  lassen  die  Zugehörigkeit  zu  dem  entwickelten 
Insekt  in  allen  Punkten  bis  auf  die  weissliche  Färbung  und  den 
Mangel  der  Flügel  erkennen.  In  Menge  trifft  man  die  Larven 
während  der  Sommermonate  in  den  Gewässern  an,  dem  Raube 
obliegend  wie  die  entwickelten  Kerfe.  Ende  Juni  thun  die  ersten 
den  letzten  Schritt  in  der  Entwickelung,  der  bei  den  Schnabelkerfen 
im  Vergleich  z.  B.  zu  den  Käfern  recht  klein  ist.  Dass  hier  kein 
Ruhe-  d.  h.  Puppenstadium  nötig  ist,  um  die  letzte  Häutung  vor- 
zubereiten, ist  ohne  Weiteres  verständlich. 

2.  Corisa  (Fig.  lo,  26). 

Mit  Notonecta  und  Plea  werden  bisweilen  die  zahlreichen  und 
teilweise  recht  häufigen  Arten  der  Gattung  Corisa  zu  einer  Familie 
vereinigt.  Ist  auch  eine  ge\nsse  oberflächliche  Ähnlichkeit  vor- 
handen, so  erweist  sich  doch  Corisa  bei  eingehenderer  Betrachtimg 
so  verschieden  von  den  beiden  anderen,  dass  eine  derartige  Ver- 
einigung recht  gewaltsam  erscheint.  Ich  beschränke  mich  hier 
darauf,  hervorzuheben,  dass  die  Corisa- Arten,  unter  denen  C  Geoffroyi 
(fast  1,5  cm  messend)  die  grösste,  aber  nicht  häufigste  ist,  nicht 
mit  dem  Bauch,  sondern  mit  dem  Rücken  nach  oben  schwimmen, 
dass    sie    ferner    nicht    das    Hinterleibsende    zur    Atmung    an    die 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II,  8 


114:  Kerfe  und  Kerl'larven  des  süssen  Wassers. 

Oberfläche  bringen,  sondern  den  Vorderkörper,  und  zwischen  Kopf 
und  Vorderbrust  oder  Vorder-  und  Mittelbrust,  die  dabei  von 
einander  gebogen  werden,  die  Luft  einsaugen.  Besonders  grosse 
Luftlöcher  liegen  in  der  Gelenkhaut  der  Vorder-  und  Mittelbrust, 
an  den  Seiten  der  Mittelbrust  und  scheinbar  an  denen  der  Hinterbmst. 
Im  Wasser  erscheint  die  ganze  Unterseite  mit  einer  silberglänzenden 
Luftschicht  bedeckt.  Natürlich  fehlen  nun  auch  die  eigentümlichen 
Luftrinnen  an  der  Bauchseite  des  Hinterleibes. 

Von  den  Beinen  ist  wiederum  das  letzte  Paar  zu  Schwimm- 
beinen umgestaltet.  Das  Schwimmen  erfolgt  regelrecht  unter  gleich- 
zeitiger Bewegung  beider  Beine.  Eine  eigenartige,  schaufeiförmige 
Ausbildung  zeigt  das  Vorderbeinpaar.  Es  dient  mit  dem  Schnabel 
zusammen  bei  einzelnen  Arten  (oder  bei  allen?)  als  Musikinstrument. 
Die  ziemlich  laute  und  anhaltende  „Musik"  habe  ich  übrigens  bei 
den  Tieren,  welche  ich  hielt,  stets  erst  am  Abend  gehört.  Die 
Tiere  hielten  sich  unter  Wasser  mit  den  Mittelbeinen  fest  und 
geigten  mit  den  Vorderbeinen  über  den  Schnabel.  Deutlich  Hess 
sich  die  Gleichzeitigkeit  des  Tones  mit  der  Bewegung  der  Vorder- 
beine beobachten. 

Wie  alle  Schnabelkerfe  des  Wassers  leben  auch  die  Corisa- 
Arten  vom  Raube;  aber  sie  dürften  bei  der  Eigenart  ihrer  Mund- 
teile nicht  nur  zu  saugen,  sondern  auch  kleinere,  festere  Sachen 
zu  zerkleinem  vermögen*).  Häufig  habe  ich  sie  an  winzigen 
Mückenlarven  gesehen.  Der  Schnabel  weicht  wesentlich  von 
dem  des  Rückenschwimmers  schon  durch  die  auffallende  Kürze 
und  Breite  ab.  Die  Hauptmasse  desselben  wird  freilich,  wie  ich 
im  Gegensatz  zu  den  meisten  mir  bekannten  Angaben,  welche  gleich- 
massige  Beteiligung  der  Ober-  und  Unterlippe  an  der  Schnabel- 
bildung behaupten,  fand,  hier  wie  bei  den  anderen  Rhynchoten 
von  der  nach  oben  zusammengelegten  und  gegliederten  Unter- 
lippe gebildet,  in  der  die  kurze  Oberlippe  und  die  vier  Stechborsten 
liegen  **). 


*)  Vergl.    hierzu   die    Angaben    von    Geise,    „Die  Mundteile    der    Rhynchoten"    im 
Archiv  für  Naturgeschichte  1886. 

**)  Siehe  auch  Geise  a.  a.  O. 


Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  "Wassers,  IIb 

• 
An  der  Bildung  der  ]\Iundteile  sind  auch  die  im  Mai  aus- 
nehmend häufigen  Larven  als  Corisa  -  Larven  leicht  zu  erkennen. 
Dieselben  bieten  vor  der  ersten  Häutung  in  ihrer  Atmung  eine 
Abweichung  sowohl  von  den  Notonecta-Larven  als  auch  von  den 
eigenen  entwickelten  Zuständen.  Sie  kommen  nämlich  nicht  dazu 
an  die  Oberfläche,  sondern  atmen  durch  die  zarte  Hautoberfläche. 
Das  Tracheensystem  ist  zu  dieser  Zeit  an  manchen  Teilen  der 
Haut  sehr  fein  und  reich  verzweigt,  aber  es  besitzt,  wie  bei  dem 
durchsichtigen  Körper  mit  Hilfe  des  ^Mikroskops  leicht  festzustellen 
ist,  keine  thätigen  Luftlöcher.  Oft  sah  ich  solche  Larven  sich  mit 
den  Hinterbeinen  frisches  Wasser  zufächeln,  während  sie  sich  mit  den 
]\Iittelbeinen  festhielten.  Lar\-en  mit  Flügelansätzen  zeigen  freilich 
schon  die  Atmungsweise  der  entwickelten  Tiere '^). 

3.  Nepa,  Ranatra,  Naucoris. 

Den  dritten  Typus  der  im  Wasser  lebenden  Schnabelkerfe 
bilden  die  beiden,  je  nur  eine  Art  umfassenden  Gattungen  Ä^epa 
und  Ranatra  (Fig.  lo,  28).  Beide  sind  kenntlich  an  den  langen, 
aus  zwei  seitlichen  Halbrinnen  bestehenden  Atemröhren  am  Körper- 
ende und  an  den  ausgeprägten,  nach  vorn  gerichteten  Raubbeinen 
des  ersten  Brustringes.  Die  Schiene  derselben  kann  gegen  den 
Schenkel  wie  die  Schneide  eines  Taschenmessers  gegen  den  Griff" 
umgeschlagen  werden;  die  Krallen  am  Ende  fehlen,  der  eingliedrige 
Fuss  selbst  sieht  dagegen  krallenartig  aus.  Hinsichtlich  der  Bein- 
bildung bildet  die  Gattung  Naucoris  (Fig.  10,  zy)  den  Übergang 
zu  Nepa;  sonst  freilich  weist  sie  nicht  viel  Übereinstimmung  mit 
derselben  auf. 

Nepa  cinerea,  der  Wasserskorpion,  und  Ranatra  linearis  unter- 
scheiden sich  von  einander  leicht  durch  die  Gestalt;  der  erstere 
ist  breit,  verhältnismässig  kurz  und  von  oben  nach  unten  platt 
gedrückt,  während  Ranatra  am  besten  gekennzeichnet  wird  durch 
den  Namen,  welchen  ihr  jüngst  einer  meiner  Schüler  gab:  Stroh - 
halmwanze.      Wer    sie    nicht  kennt,    dürfte    sie    in    der  That    oft 


*)  Die  sehr  ähnliche  Gattung  Sigara ,  besonders  durch  die  Zahl  der  Fühlerglieder 
unterschieden,  habe  ich  bisher  nur  in  grösseren  Gewässern,  nicht  in  Gräben  und  Teichen 
gefunden. 

8* 


\\Q  Kerfe  und  Kerf larven  des  süssen  Wassers. 

genug  jener  Ähnlichkeit  wegen,  da  sie  überdies  meist  bewegungslos 
mit  abgestreckten  Beinen  im  Netz  liegt,  übersehen. 

Mit  der  Schwimmbefähigung  und  Schwimmneigung  beider  ist 
es  nicht  sonderlich  bestellt;  die  Mittel-  und  Hinterbeine,  welche 
dabei  gebraucht  werden,  sind  nur  schwach  bewimpert.  Sie  bewegen 
jedoch  die  Beine  desselben  Paares  gleichzeitig  und  Ranatra,  dessen 
Beine  ausserordentlich  lang  sind,  kommt  schwimmend  ziemlich 
schnell  fort.  Die  Lieblingsstellung  beider  Tiere  ist  übrigens,  sich 
schräg  abwärts  gerichtet  an  einer  Wasserpflanze  mit  den  beiden 
letzten  Beinpaaren  zu  halten,  so  dass  die  Atemröhre  eben  zur 
Oberfläche  empoiragt,  und  so  bewegungslos  auf  Raub  zu  lauern. 
Blitzschnell  erfassen  sie  mit  ihren  Vorderbeinen  vorbeischwimmende 
Tiere,  auch  winziger  Grösse,  z.  B.  Daphnien.  Einmal  gefasst,  ent- 
windet sich  keine  Beute  so  leicht  diesen  Zangen.  Bisweilen  sah 
ich  Ranatra  eine  DapJinia  aussaugen  und  gleichzeitig  mit  jedem 
Vorderbeine  eine  neue  Beute  halten  *). 

Die  Eier  legen  beide  Wanzen  im  Mai  an  abgestorbenen 
schwimmenden  Binsen  u.  dergl.  ab  und  zwar  so,  dass  das  eigent- 
liche Ei  in  die  Pflanze  eingesenkt  ist  und  nur  die  eigenartigen, 
fadenförmigen  Anhängsel  der  Eier  (bei  Ranatra  zwei,  bei  Nepa 
mehrere)  hervorragen  (Fig.  lo,  29  u.  30).  Von  Ranatra  habe  ich 
mehrfach  die  Eier  im  Mai  zu  vielen  Hunderten  angetroffen.  Die 
jungen  Larven  schlüpfen  nach  kurzer  Zeit  aus;  die  Zugehörigkeit 
zum  entwickelten  Tier  ist  bei  ihnen  wie  bei  Nepa  ohne  Weiteres 
zu  erkennen.  Es  fehlen  ihnen  zunächst  nur  die  Flügelansätze  und 
die    Atmungsweise    ist    eine    etwas    andere.      Bei    den    entwickelten 


*)  Die  Mundteile  der  Nepiden  bieten  übrigens  eine  morphologische  Besonderheit  dar ; 
die  Unterlippe  derselben  besitzt  am  vorletzten  Schnabelgliede  eingliedrige  Taster  im  Gegen- 
satz zu  der  allgemeinen  Angabe,  dass  den  Rhynchoten  eigentliche  Lippentaster  fehlen.  Das 
hatte  bereits  Savigny  erkannt  und  abgebildet.  Seine  Abbildung  ist  in  Lehrbüchern  immer 
wieder  kopiert  worden,  aber  anscheinend  ohne  Verständnis  und  Nachuntersuchung,  denn  die 
Taster  sind  in  den  Abbildungen  recht  undeutlich  geworden  und  in  den  Erklärungen  und 
Texten  völlig  verschwunden.  Burmeister,  der  auch  die  Abbildung  von  Savigny  bringt, 
hat  sogar  auf  das  Fehlen  der  Unterlippentaster  hin  eine  besondere  Deutung  der  Gliederung 
des  Rüssels  aufgestellt,  die  oft  wiederholt  wurde,  und  H  ux  ley  (,, Wirbellose  Tiere")  zieht  mit 
deswegen  in  Frage,  ob  die  Mundteile  der  Rhynchoten  mit  denen  der  anderen  Insekten 
homologisiert  werden  können.  Auffallenderweise  giebt  auch  Geise,  der  die  Mundteile 
der  Schnabelkerfe  so  genau  untersucht  hat,  an,  dass  bei  Nepa  und  Ranatra  die  Lippen- 
taster fehlen.  Vgl.  meine  Mitteilungen  über  Mundteile  der  Rhynchoten  und  die  Stigmen 
derselben  in  d.  Sitzungsber.  der  Gesellschaft  naturforschender  Freunde  zu  Berlin,  1891. 


Kerfe  und  Kerf larven  des  süssen  Wassers.  117 

Kerfen  liegen  die  einzig  offenen  Stigmen  am  Ende  des  Hinterleibes, 
am  Grunde  der  Atemröhre;  die  übrigen  Stigmen  desselben  sind 
auf  der  Bauchseite  zwar  vorhanden,  aber  geschlossen  und  nicht 
in  Thätigkeit;  bei  den  Larven  sind  dagegen  an  der  Bauchseite 
zwei  deichartiore  Haarrinnen  vorhanden  wie  bei  Notonecta, 
und  unschwer  erkennt  man  auch,  dass  von  der  kurzen  Atem- 
rinne  aus  —  eine  zweiteilige  Atemröhre  ist  noch  nicht  aus- 
gebildet —  die  Luft  in  diesen  seitlichen  Gängen  zu  den  dort 
liegenden  Luftlöchern  fortgeleitet  wird.  In  allen  anderen  Punkten 
aber,  in  der  Bildung  der  Mundteile,  im  Schwimmen,  in  der  ge- 
wöhnlichen Körperhaltung,  sind  die  jungen  Tiere  ein  getreues 
Abbild  der  alten. 

Schlussbemerkungen. 

Reich  und  mannigfaltig  ist  also,  wie  wir  sehen,  das  Kerf-  und 
besonders  Kerflarvenleben  der  süssen  Gewässer  entwickelt. 
Naturgemäss  drängt  sich  da  zum  Schluss  die  Frage  auf:  Wie 
verhält  sich  dazu  die  Kerfwelt  des  Meeres?  Ist  dort  ein  ähnlicher 
Reichtum  an  Formen  vorhanden;  sind  es  verwandte  und  gleiche 
Formen  wie  die  des  süssen  Wassers?  Die  Auskunft  auf  solche 
Fragen  muss  für  Jeden  zunächst  überraschend  sein:  Von  Kerfen 
und  besonders  Kerf  larven  des  INIeeres  ist  so  gut  wie  gamicht  die 
Rede.  Ausser  einer  Gattung  der  Wasserläufer  (Halobates,  Meer- 
wanze) giebt  es  nur  ganz  vereinzelte  Meerestiere  unter  den  Kerfen 
und  Kerflarven.  Dass  der  Salzgehalt  des  Meerwassers  die  Ursache 
dieser  auffallenden  Erscheinung  sein  sollte,  ist,  auch  schon  wegen 
der  Fauna  der  salzigen  Gewässer  des  Binnenlandes,  nicht  wohl 
anzunehmen.  Vielleicht  ist  dieselbe  im  folgenden  zu  suchen.  Die 
fast  nie  ruhende  Bewegung  der  Meeresoberfläche,  besonders  auch 
näher  der  Küste,  macht  zunächst  allen  Kerfen  und  Larven,  die 
zur  Atmung  an  die  Oberfläche  kommen,  oft  auf  lange  Zeit  das 
Atmen  und  also  das  Leben  im  Meere  unmöglich;  aber  auch  für 
diejenigen  Larven,  bez.  Puppen,  welche  durch  Kiemen  oder  Tracheen- 
kiemen atmen  und  die  also  zunächst  in  der  schützenden  Tiefe 
verbleiben    können,    kommt    früher    oder  später  der  Zeitpunkt,    wo 


]^]^g  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers:  Anhang. 

sie  zur  Verpuppung  oder  zum  Ausschlüpfenlassen  des  Insektes  das 
Wasser  verlassen  müssen,  mid  welche  Schwierigkeit  bietet  sich  dann 
für  die  schwachen  Lebewesen  durch  die  Brandung  das  Ufer  und 
und  weiter  eine  Stelle  zu  erreichen,  an  der  sie  nicht  eine  spätere 
Welle  oder  die  steigende  Flut  erreiche.  Wie  dem  nun  auch  sein 
möge,  jedenfalls  bilden  die  Kerfe  hierin  einen  bemerkenswerten 
Gegensatz  zu  der  verwandten  Klasse  der  Kruster,  den  echten 
Wassertieren,  welche  im  Meere  so  ungleich  reicher  als  im  süssen 
Wasser  entwickelt  sind. 


Anhang. 


Tabelle 
zur  annähernden  Bestimmung  der  im  Wasser  lebenden  Kerflarven*). 

1.  (8)**)  Mit  Flügelansätzen***) 2. 

2.  (3)  Mit  gegliedertem  Rüssel 

Schnabelkerfe\)  oder  Rhynchoten  (Fig.  10,   25 — 28). 

3.  (2)   Mit  beissenden  Mundteilen  (Orthoptcra  amphihiotica)     .     4. 

4.  (5)  Unterlippe  zum  Fangorgan  ausgebildet,  weit  vorstreckbar 

(Fig.  9,    19).      Mit    drei   blattförmigen  Kiemen  ft)  am 
Ende  oder  mit  Darmldemen    Odonaten  (Fig.  9,   19 — 22). 


*)  Die  weitere  Unterscheidung  der  unten  folgenden  Gruppen  siehe  teilweise  im  Text. 

**)  Die  eingeklammerten  Zahlen  weisen  auf  den  Gegensatz  hin. 

***)  Die  jüngsten   Larven   sind    zwar   ohne  Flügelanseitze,    aber    durch    ihre  sonstige 

Ähnlichkeit  mit  den  ungleich  häufigeren  älteren  Larven,  die  solche  Ansätze  haben,  leicht 

kenntlich.     Übrigens  lassen  sich  die  Larven    der    vier    ersten   Gruppen   auch   abgesehen    von 

den  Flügelansätzen    durch    die    oben    gekennzeichneten    Merkmale    der    Mundbildung,    der 

Kiemen  und  Endanhänge  von  den  folgenden  Larvengruppen  unschwer  unterscheiden.    Zu  Hilte 

kann  man  noch  nehmen,  dass  die  Larven  dieser  vier  Gruppen  alle  Netzaugen  und  grosse,  wohl 

entwickelte  Beine  mit  fast  immer  (oder  immer?)  teilweise  gegliederten  Tarsen  haben  und  dass 

Brust-  und  Hinterleibsringe  meist  deutlich  in  ihrer  Bildung  von  einander  unterschieden  sind. 

t)  Die  Gattungen  sind  unschwer  durch  die  Ähnlichkeit  mit  den   erwachsenen  Tieren 

zu  bestimmen. 

tt)  Kiemen  steht  in  der  Tabelle  der  Kürze  wegen  statt  Tracheenkiemen. 


Kerfe  uiul  Kerf  larven  des  süssen  Wassers  :  Anhang.  119 

5.  (4)  Unterlippe  gewöhnlich,  tief  geteilt 6. 

6.  (7)  Mit    Kiemen     nur    an    den    Seiten    des    Hinterleibes. 

Meist  drei  lange  Endanhänge.      Ephemer iden  (Fig.  9,  23). 

7.  (6)  Ohne  Kiemen  an  den  Seiten  des  Hinterleibes,  oft  mit 

solchen  an  der  Brust.     Meist  zwei  Endanhänge. 

Perliden  (Fig.  10,   24). 

8.  (i)   Ohne  Flügelansätze.    Larven,  deren  Brust-  und  Hinter- 

leibsringe   meist    recht    gleichartig   und  deren  Tarsen 

nie  gegliedert  sind 9- 

9.  (10)  Ohne  gegliederte  Beine  an  den  drei  Brustringen, 

bisweilen  mit  fussartigen,  ungegliederten  Fortsätzen, 
die  zahlreiche  Chitinhaken  tragen 

Dipteren  (Fig.  7,  9 — 14)- 

10.  (9)  Mit  gegliederten  Beinen  an  den  drei  Brustringen.     .      11. 

11.  (12)  ]\Iit  je  einem  kräftigen  Chitinhaken  an  zwei  kürzeren 

oder  längeren  Afterbeinen  am  Hinterleibsende. 
Fühler  meist  fehlend,  selten  vorhanden  und  dann 
zweigliedrig,  winzig.  Mit  oder  ohne  fadenförmige 
mehrreihige  Kiemen.     Mit  oder  ohne  Gehäuse 

Phryganiden  (Fig.  8,  15). 

12.  (11)  Ohne    derartige    Chitinhaken    an    besonderen    After- 

beinen;   mit  Fühlern 13- 

13.  (14)  Raupen;    mit    fünf  Paar  Afterbeinen    am  dritten  bis 

sechsten  und  letzten  Hinterleibsringe.  Afterbeine 
mit  Hakenkränzen 

Wasserzünsler  (Paraponyx,  Hydrocampa,   Cataclysta, 

Acentropiis). 

14.  (13)  Fast  immer  ohne  Afterbeine*),    oder    doch    nie   mit 

Afterbeinen  in  obiger  Anordnung 15. 

15.  (18)  Mit  fadenförmigen  Kiemen,  ohne  thätige  Luftlöcher**)      lö. 


*)  Meines  Wissens  kommen  nur  bei  Philhydrus  tesiaceus  Afterbeine  vor  und  zwar 
stellen  sie  am  dritten  bis  siebenten  Hinterleibsring. 

**)  Hierher  gehören  eigentlich  auch  wegen  ihrer  Kiemen  Berosus  (Hydrophilide), 
Cnentidoius  und  Pelobiiis  (Dytisciden).  Von  den  Gyriniden,  Sialis  und  Sisyra  unterscheidet 
sich  Cnemtdofus  dadurch,  dass  auch  an  den  Brustringen  Kiemen  stehen,  Pelobt'us  durch 
bluterfüllte  echte  Kiemen  an  der  Unterseite  der  Brust  und  Berosus  durch  die  besondere 
Oberkiefer-  und  Beinbildung  (S.  24)  der  Hydrophiliden. 


;1^20  Kerfe  und  Kerflarven  des  süssen  Wassers:  Anhang. 

i6.  (17)  Ohne Chitinhaken  am  Körperende ;  Kiemen  gegliedert, 

am  Hinterleib Sialis,  Sisyra. 

17.  (16)  Mit  vier  Chitinhaken  am  Körperende;    Kiemen  un- 

gegliedert, am  Hinterleib  .     .     .     Gyriniden  (Fig.  6,   i). 

18.  (15)   Ohne  fadenförmige  Kiemen;  mit  zwei  thätigen  Luft- 

löchern am  Körperende 19. 

19.  (20)  Fühler  länger  als  der  halbe  Körper;  Körper  platt 

Cyphon. 

20.  (19)  Fühler  kürzer  als  der    halbe  Körper;    Körper   mehr 

oder  minder  walzenförmig 21. 

21.  {22)  Vorletzter  (eigentlich  drittletzter)  Hinterleibsring   mit 

zwei    langen    sichelförmigen    Chitinhaken.      Körper 
weichhäutig,  bleich Donaeiden. 

22.  (21)   Ohne  solche  Chitinhaken;   Körper  nicht  bleich    .      .      23. 

23.  (24)  Oberkiefer  sichelförmig,  ohne  Zähne  auf  der  Innen- 

seite;    Beine    mit   gesonderter    Kralle,     also    sechs- 
teilig.    Fast   immer  zwei  Krallen 

Dytiseiden  (Fig.  5,  2 — 4). 

24.  (23)  Oberkiefer  mit  deutlichen  Zähnen  oder  doch  Höckern 

auf   der   Innenseite.     Tarsus    und  Kralle    nicht  ge- 
sondert,   Beine  also  fünfgliedrig.     Nie  zwei  Krallen 

Hydrophilidcn^  (Fig.  6,  6  und  7). 


Litteratur. 


i)  Zum  Bestimmen  der  im  Wasser  lebenden  Käfer  wie  der 
Käfer  überhaupt  ist  zu  empfehlen  der  betreffende  Band  der  „Fauna 
austriaca",  nämlich  Redtenbacher:  „Die  Käfer".  Wien  1858.  Die 
Litteratur  über  die  Käferlarven  und  Käferpuppen  ist  übersichtlich 
zusammengestellt  in  M.  Rupertsberger,  „Biologie  der  Käfer  Europas". 
Linz  1880.  Für  unsern  Zweck  sind  fraglos  am  wichtigsten  die 
Arbeiten  Schiödtes,  welche  in  der  Naturhistorik  Tidsskrift  von 
Kröyer,  Kopenhagen,  erschienen  sind  imd  zwar  in  den  Jahrg.  1862, 
1864,  1867,  1872.  Der  Text  ist  teilweise  dänisch,  teilweise  lateinisch; 
die  wichtigste  Auskunft  geben  übrigens  schon  die  vorzüglichen 
Abbildungen.  Nicht  unterlassen  möchte  ich,  gleich  hier  auf  die 
unser  ganzes  Gebiet  behandelnden  älteren  Werke  von  Rösel 
V.  Rosenhof,  Reaumur  und  De  Geer  hinzuweisen. 

Rösel,  „Monatlich  herausgegebene  Insektenbelustigungen".  1746 
bis    1761. 

de  Reaumur,  Memoires  pour  servir  a  l'histoire  des  Insectes. 
Paris   1734—42. 

de  Geer,  JNIemoires  pour  servir  a  l'histoire  des  Insectes. 
Stockholm  1752  —  78.     (Deutsch  von  Götze.    Nürnberg  1778 — 83.) 

2)  Eine  umfassende  Zusammenstellung  der  Litteratur  über  die 
Metamorphose  der  Dipteren  giebt  Fr.  Brauer,  „Die  Zweiflügler  des 
kaiserlichen  Museums  zu  Wien"  (Denkschr.  d.  k.  k.  Akad.  d. 
Wiss.  Bd.  47.  Wien  1883).  Dort  sind  auch  die  Larven  syste- 
matisch gruppiert  und  kurz  geschildert.  Für  die  eucephalen  Larven 
ist  wegen  seiner  vortrefflichen  Abbildungen  besonders  zu  empfehlen: 


122  Kerfe  und   Kerflarven:  Litteratur. 

Fr.  Meinert,  „Eucephale  Myggelarver"  (Vidensk.  Selsk.  6  Räkke 
naturvidensk.  og  math.  Ath.   III  3).     Kopenhagen   1886. 

3)  Abbildungen  der  Wasserraupen  finden  sich  in  v.  Praun, 
„Abbild,  u.  Beschreib,  europäischer  Schmetterlingsraupen".  Heraus- 
gegeben von  E.  Hoffmann,  1874.  Vergl.  auch  Sorhagen,  „Klein- 
schmetterlinge der  Mark". 

4)  Für  Phryganiden,  Ephemeriden  und  Perliden  sind  mit  Vor- 
teil zu  benutzen  die  Werke  von  F.  J.  Pictet,  i)  Recherches  pour 
servir  ä  l'histoire  et  a  l'anatomie  des  Phryganides.  Genf-Paris 
1834.  2)  Histoire  naturelle  des  insectes  neuropteres.  Genf-Paris 
1841  — 1843. 

Ferner  ist  für  beide  Ordnungen  zu  empfehlen:  Fr.  Brauer, 
Neuroptera  austriaca.  Wien  1857.  ^Eine  Anzahl  Beschreibungen 
und  Muster  für  genaue  Beschreibung  der  Larven  und  Puppen  der 
Phryganiden  findet  man  in :  Klapalek ,  „Metamorphose  der 
Trichopteren".      Prag    188S. 

Für  die  Bestimmung  der  entwickelten  Insekten  ist  besonders 
zu  nennen:  Mc.  Lachlan,  A  monograph  revision  and  Synopsis  of 
the  Trichoptera  of  the  European  Fauna.     London   1874 — 80. 

5)  Die  Ephemeriden  nebst  ihren  Larven  sind  sehr  eingehend 
behandelt  in :  Eaton,  A  revisional  monograph  of  recent  Ephemeridae. 
(Transact.  of  the  Linnean  Society.)  London.  Zoology.  N.  S.  3. 
1888.     Das  Werk  enthält  zahlreiche  Tafeln  über  die  Larven. 

6)  Zur  Bestimmung  der  Gattungen  der  Wasserwanzen  dürften 
die  allgemeinen  systematischen  Handbücher  ausreichen,  z.  B.  das 
von  Ludwig  -  Leunis.  Zur  Unterscheidung  der  Arten  sind  die 
Arbeiten  von  Fieber,  besonders  „Hemiptera  europaea",  zu  empfehlen. 


Die  Mollusken  des  Süsswassers. 


Von  S.  Clessin  in  Ochsenfurt. 


U  nsere  Gewässer,  von  der  kleinsten  Pfütze  bis  zu  den  grössten 
Seen  und  von  der  spärlichsten  Quelle  bis  zu  den  wasserreichsten 
Flüssen,  werden  von  Mollusken  verschiedener  Gattungen  bewohnt. 
Aber  obwohl  die  in  den  Gewässern  vorkommenden  Arten  meist  in 
reicher  Individuenzahl  auftreten,  fallen  sie  dennoch  dem  nicht 
geübten  Beobachter  nicht  so  leicht  ins  Auge  und  es  bedarf  selbst 
der  gewandte  Sammler  in  der  Regel  besonderer  Instrumente,  um 
lebende  Mollusken  in  grösserer  Anzahl  zu  fangen.  Leere  Gehäuse 
werden  dagegen  oft  in  reicher  Menge  an  gewissen  Lokalitäten 
angeschwemmt  gefunden. 

Die  Mollusken  spielen  im  Haushalte  der  Natur  eine  wichtige 
Rolle,  indem  sie  faulende  Pflanzenstoffe,  welche  in  den  Gewässern 
sich  ansammeln,  verzehren  und  dadurch  die  Wasser  rein  erhalten. 
Die  Mehrzalil  der  Arten  werden  ihrer  geringen  Grösse  und  ver- 
borgenen Lebensweise  wegen  leicht  übersehen,  doch  beherbergen  unsere 
Gewässer  auch  grosse,  recht  ansehnliche  Arten,  namentlich  aus  der 
Klasse  der  Muscheltiere,  die  bezüglich  ihrer  Entwickelungsgeschichte 
noch  besonderes  Interesse  bieten. 

Einteilung  der  Mollusken. 

Die  im  Wasser  lebenden  Conchylien  gehören  zwei  sehr  ver- 
schiedenen Klassen  an.  Die  eine  besteht  aus  Tieren,  welche  einen 
Kopf  mit  Fühlern  und  Augen  haben,  die  gewöhnlich  an  der  Basis 
der  Fühler  sitzen,    im  übrigen  aber  jenen  der  Landschnecken,    der 


126  ^^^  Mollusken  des  Süsswassers. 

Klasse  der  Gasteropoden  oder  Bauchfüssler  ähnlich  sind.  Sie  haben 
mit  wenig  Ausnahmen  (Genus  Ancylns  Geoff.  und  Velletia  Gray*) 
eine  gewundene  Schale,  und  ist  das  Gehäuse  zuweilen  mit  einem 
Deckel  verschlossen.  Die  zweite  Klasse  die  Muscheltiere,  Bivalven 
oder  Zweischaler,  haben  keinen  Kopf  und  keine  Augen;  das  Tier 
besteht  nur  aus  einem  sackartigen  Körper,  dessen  unterer,  ausdehn- 
barer Teil  als  „Fuss"  die  Bewegung  vermittelt.  Den  Körper  um- 
hüllen auf  jeder  Seite  zwei  buchblattartig  am  Rücken  angeheftete 
Kiemen  und  wird  das  ganze  Tier  von  einem  Mantel  umschlossen, 
dessen  Ränder  entweder  ganz  frei  bleiben,  oder  teilweise  zusammen- 
gewachsen sind;  im  letztern  Falle  hat  der  Mantel  einen  Schlitz  am 
Vorderteile  des  Tieres  zum  Durchgange  des  Fusses  und  eine 
Öffnung  für  die  Anal-  und  Atemröhre.  Die  Schalen  der  Bivalven 
sind  nicht  gewunden,  sondern  bestehen  aus  zwei  gleichgrossen 
Klappen,  die  durch  ein  elastisches  Band,  das  Ligament,  verbunden 
sind  und  sich  nur  wenig  öffnen  können.  Das  Tier  ist  an  den 
gegenüberstehenden  Enden  durch  zwei  sehr  starke  JNIuskeln  (die 
Schliessmuskeln),  welche  zugleich  das  Öffnen  der  Schalen  regeln,  und 
durch  einen  kleinen  Wirbelhaftmuskel  an  die  Schale  angeheftet  sind. 

Die  meisten  Süsswassermuscheln 
sind  freibeweglich;  nur  eine  Art 
unserer  heimischen  Arten  heftet  sich 
durch  einen  Byssus  (einen  Büschel 
spröder  Haare)  an  anderen  Gegen- 
ständen an  (Dreissena  polymorpha 
Pallas  Fig.  1 1). 
^.  Die  Genera  der  nicht  gedeckelten 

Flg.  II.  o 

Dreissena  polymorpha.  Süsswasserschnecken     siud    durchweg 

Lungenatmer.  Sie  haben  sehr  ver- 
schiedene Formen,  indem  der  Modus  des  Aufwindens  der  Umgänge 
sehr  mannigfaltig  ist.  Die  meisten  Arten  haben  eine  rechts- 
gewundene Schale,  nur  die  Genera  Amphipepka,  Physa  und  Aplexa 


*)  Bezüglich  der  Arten  und  Genera  verweise  ich  auf  meine  Werke :  „Deutsche 
Excursions-Mollusken-Fauna".  2.  Aufl.  Nürnberg  1884,  Bauer  &  Raspe,  und  „Mollusken- 
fauna  von  Österreich-Ungarn  und  der  Schweiz".     Nürnberg  1890,  Bauer  &  Raspe. 


Die  Mollusken  des  Süsswassers. 


127 


Fig.  12. 

Ancylits  fluvia- 

tilis  mit  Tier. 


winden  ihre  Umgänge  nach  links.  Ferner  besitzen  die  Genera 
Limnaea,  Physa,  Ap/cxa,  Amphipcpka  ein  mehr  oder  weniger  erhöhtes 
Gewinde,  nur  Genus  Planorhis  rollt  seine  Umgänge  in  platter  Form 
auf,  für  welche  der  Name  „Tellerschnecke"  sehr  bezeichnend  ist. 
Die  Genera  Ancylus  (Fig.  1 2 )  und  Velletia  haben  eine  napfförmige  Schale, 
von  denen  diejenige  des  ersteren  Genus  einer  Jakobinermütze  sehr 
ähnlich  ist;  bei  beiden  beschränkt  sich  die  Windung  des  Gehäuses 
auf  eine  geringe  Neigung  des  Wirbels  nach  rechts  oder  links.  Die 
meisten  Arten  haben  eine  rauhe  Schale,  an  welcher  die  Zuwachs- 
streifen deutlich  erkennbar  sind.  Nur  Genus  Physa 
und  Aplexa  haben  glatte,  glänzende  Gehäuse. 

Die  Deckelschnecken,  mit  Ausnahme  des  Gen. 
Vivipara,  bestehen  aus  kleinen  Arten.  Alle  sind 
mit  Kiemen  zur  Wasseratmung  ausgerüstet.  Gewöhn- 
lich bleiben  die  Kiemen  in  der  Kiemenhöhle  ver- 
borgen, nur  Genus  Valvata  (Fig.  1 3 )  besitzt  die  Fähigkeit, 
die  federförmige  Kieme  auszustülpen  und  frei  hervortreten  zu  lassen. 

Das  Gewinde  ist  bei  diesen  Schnecken  ein  kreiseiförmiges 
(Gen.  Vivipara  und  Valvata)  oder  ein  mehr  oder  weniger  getürmtes, 
nur  Gen.  Neritina  und  Lithoglyphiis  haben  ein 
kurzes,  wenig  hervortretendes  Gewinde  und  eine 
starke  Schale  und  weite  Mündung;  die  Oberfläche 
der  Arten  des  Gen.  Neritina  ist  mit  hübschen  netz- 
artigen Zeichnungen  bedeckt. 

Die  frei  beweglichen  ]Muscheln  gehören  zwei 
Familien  an.  Die  grossen  Arten  gehören  in  die 
Familie  der  Najaden.  Diese  haben  offenen  JNIantel,  zwei  gleich- 
grosse  Kiemen  und  an  der  INIundöiffnung  jederseits  zwei  Mundlappen ; 
der  Mantel  ist  an  seinem  Rande  am  Hinterteile  mit  einem  Kranze 
dunkelgefärbter  Papillen  besetzt.  Die  Kiemen  dienen  zugleich  als 
Brutbehälter,  haben  gitterförmige  Abteilungen,  die,  wenn  Brut  vor- 
handen, mit  einer  ungeheuren  Anzahl  von  Embr3'onen  besetzt  sind. 

Die  kleineren  Zweischaler  der  Familie  Cycladidae  haben  ge- 
schlossenen Mantel,  und  je  eine  Anal-  und  Atemröhre,  welche  mehr 
oder  weniger  über  den  Mantelrand  hervortritt. 


Fig.  13. 

Valvata  piscina- 

lis  mit  Tier. 


128 


Die  Mollusken  des  Süsswassers. 


Wohnorte  und  Gewohnheiten. 


Die  ungedeckelten  Wasserschnecken  der  Familie  der  Limnaeiden 
halten  sich  den  grössten  Teil  des  Tages  auf  dem  Grunde  der 
Gewässer  im  Schlamme  auf,  und  ziehen  die  meisten  Arten  stehende 
Gewässer  vor;  nur  wenige  Spezies  finden  sich  in  fliessenden 
Wassern,  für  welche  sie  wegen  ihrer  dünnen,  zerbrechlichen  Schale 
wenig  geeignet  sind.  In  fliessenden  Wassern  kommt  in  der  Regel 
nur  Limnaea  peregra  vor.  —  Die  übrigen  Limnaea -Arten,  die 
Spezies  der  Gen.  Physa,  Aplexa,  Amphipeplea  und  Planorbis 
bewohnen  nur  stehende  Gewässer. 

Die  Limnaeen  (Limnaea  stagnalis,  anriciilaria,  ovata,  palustris) 
steigen  bei  heiterem,  warmem  Wetter  an  Wasserpflanzen  an  die 
Oberfläche  des  Wassers  und  kriechen,  die  Fusssohle  nach  oben 
gerichtet,  das  Gehäuse  untergetaucht,  ebenso  sicher  dahin,  als 
wenn  sie  an  einem  festen  Gegenstande  kröchen.  Wahrscheinlich 
saugt  sich  die  Sohle  an  der  auf  dem  Wasser  aufstehenden  Lvift- 
säule  an,  da  die  Tiere  sich  jederzeit  plötzlich  zu  Boden  fallen  lassen 
können.  — ■  Das  Aufsteigen  der  Limnaeen  an  die  Oberfläche  wird 
mit  dem  Bedürfnisse  der  Tiere,  Luft  zu  atmen,  in  Verbindung 
gebracht,  da  die  Limnaeiden  mit  Lungen  ausgerüstet  sind,  während 
die  mit  Kiemen  versehenen  Deckelschnecken  nie  an  die  Oberfläche 

kommen.  Die  Limnaeen  haben  jedoch 
dieses  Bedürfnis  nur  bei  heiterem  Wetter 
und  bei  erhöhter  Temperatur  des  Wassers 
ihrer  Wohnorte. 

Eine  Aplexa- Art  (Apl.  hypnorum  Fig.  1 4) 
besitzt  sogar  die  Fähigkeit,  plötzlich  vom 
Grunde  des  Wassers  an  die  Oberfläche 
aufzutauchen,  von  wo  sie  sich  nach  eini- 
gen Sekunden  ebenso  schnell  wieder  zu 

Vivipara  Vera  Fr.         -n      t  r  n  i  i 

Boden  fallen  lassen  kann. 
Die  gedeckelten  Wasserschnecken  der  Genera  Vtvipara  (Fig.  15), 
Bythijiia  und  Valvata  leben  im  Schlamme  der  Gewässer,  und  zwar 
meist  in  stehenden,  höchstens  in  sehr  langsam  fliessenden  Wassern. — 


Fig.   14. 

Aplexa 

hypnorum 


g-   15- 


Die  Mollusken  des  Süsswasseis. 


129 


Die  Arten  der  Genera  Neritina  und  jene  der  Familie  der  Melaniiden 
leben  nur  in  bewegtem  Wasser,  in  welchem  sie  sogar  stark  flutende 
Stellen  bevorzugen,  für  welche  die  Neritinen  durch  ihr  kaum  hervor- 
tretendes Gewinde  und  ihre  weite  Mundöffnung  vorzugsweise  ge- 
eignet erscheinen,  weil  sie  den  Fluten  wenig  Fläche  darbieten. 
—  Die  Bythinellen  (Fig.  1 6)  finden  sich  nur  in  Quellen  an 
Steinen  sitzend;  die  Vitrdla-Kxitxi  kommen  ausschliesslich 
in  Höhlengewässem  vor.  —  Velletia  lacustris  lebt  in  stehen- 
dem, Ancyliis  fliiviatilis  und  verwandte  Arten  nur  in  fliessen- 
dem  Wasser.  Doch  findet  sich  erstere  zuweilen  auch  in 
Bächen,  während  Ancylus-Arten  auch  in  Seen  vorkommen. 

Die  Muscheln  stecken  am  Grunde  der  Gewässer  im  Schlamme, 
in  dem  sie  fast  völlig  eingebettet  sind,  so  dass  nur  das  hintere 
Ende  frei  ins  Wasser  hervorragt.  Sie  saugen  das  Wasser  durch 
die  Mundöffnung    am  vordeni  Ende  der  Muschel  ein,    lassen    das- 


Fig.   i6. 

Byihinella 

austriaca 

Frf. 


Fig.   17. 
Anodonia  Tnutabilis  v.  cellensis  Chem. 

selbe  durch  den  Körper  zirkulieren  und  stossen  es  durch  die  Atem- 
öffnung am  hintern  Ende  wieder  aus.  Wenn  man  eine  Muschel 
rasch  aus  dem  Wasser  nimmt,  schliesst  sie  ihre  Schalen  und  das 
Wasser  spritzt  dann,  oft  in  ziemlich  lebhafter  Weise,  durch  die 
Atemöffnung  aus.  Beim  Einblick  in  helles  nicht  tiefes  Wasser  kann 
man  die  im  Schlamme  steckenden  Muscheltiere  leicht  bemerken. 
Man    gewahrt   jedoch    nur   die  mit  Girren  am  hintern  Mantelrande 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Siisswassers.     II.  9 


]^30  ^^^  Mollusken  des  Süsswassers. 

besetzte  Atem-  und  Analöffnung.  Schiebt  man  vorsichtig  ein 
Rütchen  in  diese  Öffnung,  so  schliesst  das  Tier  die  Schalen,  und 
die  Spitze  des  Rütchens  wird  mit  eingeklemmt.  Mit  dem  Rütchen 
lässt  sich  dann  die  Muschel  aus  dem  Schlamme  ziehen,  wenn  man 
dieselbe  fangen  will. 

Die  Muscheln  (s.  Fig.  17)  heften  sich  in  fliessendem  Wasser 
mit  dem  ausgestreckten  Fusse  in  den  unter  der  Schlammschicht 
befindlichen  festen  Boden.  Ihre  Bewegungsfähigkeit  ist  eine  sehr 
geringe,  und  ihr  ruckweise  erfolgender  INIarsch  erstreckt  sich  nur 
auf  I — 2  ;w  Länge.  Derselbe  wird  durch  Ausstrecken  und  Einziehen 
des  Fusses  bewerkstelligt;  bei  letzterer  Operation  wird  die  Muschel 
nachgeschleift,  wobei  sie  im  Schlamme  eine  Furche  zurücklässt,  an 
welcher  man  die  Länge  und  Richtung  des  Marsches  erkennen  kann. 
Die  kleineren  Muscheln  der  Familie  der  Cycladen  leben  ebenfalls 
frei  beweglich  im  Schlamme.  Nur  eine  Art  unserer  Süsswasser- 
muscheln,  Dreissena  polymorpha ,  heftet  sich  durch  einen  Byssus 
an  andere  im  Wasser  liegende  feste  Gegenstände  an,  und  wechselt 
dann  ihren  Standort  nicht  mehr  bis  zu  ihrem  Tode.  Die 
Muscheln  sitzen  oft  in  ganzen  Klumpen  zusammen  und  verstopfen 
beispielsweise  leicht  Wasserleitungsröhren,  wenn  sie  in  selbe  ge- 
langen. —  Das  Festsitzen  dieser  durch  ihre  dreieckige  Form  auf- 
fallenden Muschel  ist  die  Veranlassung  zur  Verschleppung  in  die 
nord-  und  westeuropäischen  Gewässer  geworden :  Ursprünglich  in 
den  Flüssen  heimisch,  welche  ins  Schwarze  Meer  münden,  wurde 
sie  durch  Schiffe,  an  deren  Planken  sie  sich  angehängt  hatte,  an 
die  Küsten  der  Ost-  und  Nordsee,  sowie  des  Atlantischen  Meeres 
verschleppt,  und  gelangte  von  hier  wieder  durch  Flussschiffe  in 
alle  grösseren  ins  Meer  mündenden  Flüsse,  von  welchen  sie 
in  deren  Nebenflüsse  vordrang.  Durch  den  Donau -INIain- Kanal 
war  es  ihr  sogar  möglich,  die  Wasserscheide  zwischen  Rhein  und 
Donau  zu  überschreiten  und  in  die  obere  Donau  zu  gelangen,  wo 
ich  im  Jahre  1868  das  erste  Exemplar  fand.  Einige  Jahre  später 
wurde  sie  bei  Deggendorf  beobachtet  und  so  wird  sie  nun  sicher 
die  Donau  abwärts  wandern,  bis  sie  wieder  das  Schwarze  INIeer, 
ihren  Ausgangspunkt,  erreicht  hat. 


Die  Mollusken  des  Süsswassers.  13] 

Entwickelung-  und  Alter  der  Mollusken. 

Die  meisten  Wasserschnecken  sind  Zwitter;  wenigstens  die  nicht 
gedeckelten  Arten,  also  insbesondere  dieLimnaea-(Fig.  i8),  Planorbis-, 
Physa-,  Ancylus-,  Velletia-  und  Amphipeplea-Arten. 
Bei  Lininaca  peregra  habe  ich  mehrfach  beobachtet, 
dass  ganze  Ketten,  6 — 8  Individuen,  bei  der  Be- 
gattung zusammenhingen.  —  Bei  den  Deckel- 
Schnecken,  wenigstens  bei  Vivipara,  lassen  sich  männ- 
liche und  weibliche  Formen  unterscheiden,  ebenso  nach 
Hazay*)  bei  den  Muscheln  der  Familie  der  Najaden. 
Ich  halte  dies  jedoch  noch  immer  für  sehr  zweifei-  p.     ^^ 

haft,  bis  weitere  verlässliche  Beobachter  und  Anatomen       Utn.  palustris, 
dieses  Verhältnis  bestätigt  haben. 

Die  Wasserschnecken  legen  Eier;  nur  bei  den  Vivipara -Arten 
entwickeln  sich  die  jungen  Individuen  schon  im  Muttertiere,  so  dass 
sie  bereits  mit  einem  etwa  aus  zwei  Umgängen  bestehenden  Gehäuse 
ausgestossen  werden.  Auch  die  Arten  der  Familie  Cycladidea 
stossen  ihre  Jungen  schon  als  fertige  Muscheln  aus. 

Die  Schnecken  und  Muscheln  sind  schon  fortpflanzungsfähig 
lange  bevor  sie  ausgewachsen  sind.  Die  im  Mai  ausgekrochenen 
Jungen  der  Limnaea-  und  Planorbis -Arten  begatten  sich  noch  im 
selben  Herbste,    obwohl  sie  ein  Alter  von  3 — 4  Jahren    erreichen. 

Die  Eier  werden  in  Schnüren  oder  in  Paketen  an  Steinen, 
Wasserpflanzen  oder  häufig  sogar  auf  die  Gehäuse  anderer  Individuen 
derselben  Art  abgesetzt,  so  z.  B.  bei  Limnaea  ampla.  Hazay 
hat  auf  den  Gehäusen  dieser  Art  8 — 12  Eierschnüre  gefunden,  so 
dass  das  Tier  nur  mühsam  sich  fortbewegen  konnte.  —  Limnaea 
atiriciilaria  setzt  20 — 25  mm  lange,  7—8  mm  breite  raupenförmige 
Eierschnüre  ab,  welche  80 — 150  Eier  enthalten,  die  kugelrund  sind 
und  I  mm  im  Durchmesser  haben.  Der  Eidotter  ist  weisslichgelb 
und  wird  während  der  Furchung  hellweiss.  —  Limnaea  stagnalis- 
variegata    Hazay    setzt    eine    Eierschnur    von    45 — 55  ;;/;;/    Länge 


*)  „Mollusken-Fauna  von  Budapest".     Kassel  1881,  Theodor  Fischer. 

9* 


1^2  ^^^  Mollusken  des  Süsswassers. 

ab,  die  1 1  o —  1 80  Eier  enthält ;  die  Eierchen  sind  länglich-oval  und 
1I/2 — 2  tmn  gross.  Der  Dotter  ist  strohgelb,  das  Eiweiss  wasserhell; 
Aplexa  hypiioriim  legt  den  Laich  in  ganz  flachen  rundlichen 
Scheiben  von  4 — 7  mm  Durchmesser  und  2^3  inrn  Dicke,  mit  den 
Enden  gegeneinandergeheftet ,  ab.  Die  Zahl  der  Eier  vi'echselt 
zwischen  20 — 50.  —  Planorbis  corneus  legt  ebenfalls  eine  2~^  bis 
30  mm  lange,  5  mm  breite,  glatte,  an  den  Enden  zusammengeheftete 
Eierschnur  ab.     Zahl  der  Eier  45 — 70. 

Die  Entwickelung  des  Embryo  beansprucht  bei  Gen.  Limnaea 
gewöhnlich  20,  bei  Planorbis  und  Physa  nur  15,  bei  Bythinia 
25  Tage.  Je  nach  der  Temperatur  des  Wassers  wird  der  Ent- 
wickelungsprozess  beschleunigt  und  verzögert.  Hazay  hat  beob- 
achtet, dass  bei  Laich  der  Limnaea  palustris  var.  Clessiniana  die 
Embryonen  sich  schon  in   12   Tagen  entwickelten. 

Die  jungen  Tiere  wachsen  ziemlich  rasch  und  erlangen  vier 
bis  sieben  Umgänge  schon  im  ersten  Jahre,  jenachdem  sie  mehr 
oder  weniger  frühzeitig  im  lahre  als  Laich  abgesetzt  wurden.  Das 
grösste  Wachstum  .entfällt  auf  das  erste  und  zweite  Jahr  und  nimmt 
dasselbe  dann  von  Jahr  zu  Jahr  ab.  Im  Herbst  und  Winter  erfolgt 
nicht  das  geringste  Wachstum.  Während  der  letzten  Wachstums- 
monate wird  der  letzte  frische  Anbau  des  Gehäuses  verdickt  und 
die  Mündung  verstärkt. 

Die  Lebensdauer  der  Limnäen  erstreckt  sich  im  höchsten  Falle 
auf  4 — 5  Jahre;  nur  wenige  erreichen  jedoch  dieses  Alter.  Die 
Jahre,  welche  die  Mollusken  zum  Ausbau  ihres  Gehäuses  brauchen, 
lassen  sich  an  den  Jahresabsätzen  deutlich  erkennen,  da  diese 
Tiere  gleich  den  Insekten,  Lurchen  etc.  einen  Winterschlaf  halten. 
Schon  im  Hochsommer  wächst  das  Gehäuse,  dessen  Weiterbau  im 
Frühjahr  sofort  nach  dem  Erwachen  aus  dem  Wiirterschlafe,  meist 
im  Monat  April,  beginnt,  nicht  mehr  weiter;  die  Zeit  bis  zum 
Eintritt  der  Winterruhe  wird  dazu  benutzt,  die  Mündung  des 
Gehäuses  durch  Ablage  einer  Schmelzschicht  zu  verstärken,  damit 
dieselbe  beim  Einbohren  in  den  Schlamm  nicht  beschädigt  wird. 
Die  Jahresabsätze  sind  daher  an  den  Gehäusen,  durch  die  meist 
nach    aussen    durchscheinenden    Verstärkungsschichten,     leicht    zu 


Die  Mollusken  des  Süsswassers.  133 

erkennen,  und  lassen  sich  aus  der  Zahl  dieser  Absätze  die  Jahre, 
die  das  Tier  bis  zur  Vollendung  des  Gehäuses  braucht,  ablesen. 
Die  Limnäen  weisen  zwei  bis  drei  solcher  Absätze,  unter  Umständen 
sogar  deren  vier,  auf.  Limnaea  peregra  hat  in  der  Regel  nur  drei; 
ich  habe  jedoch  auch  aus  höheren  Lagen  im  Gebirge  stammende 
Gehäuse  dieser  Art  mit  vier  Jahresabsätzen  gefunden,  so  dass 
anzunehmen  wäre,  dass  die  kürzere  Sommerperiode  höher  gelegener 
Lokalitäten  die  Lebensdauer  verlängert.  —  Limnaea  auricularia  und 
ovata  sterben  meistens  schon  im  zweiten  Jahre  ab,  Limnaea  palustris 
(Fig.  i8)  gewithnlich  im  dritten.  Planorbis  corneus,  marginatus 
und  carinatus  vollenden  ihre  Gehäuse  im  dritten  und  leben  selten 
länger  als  3  —  3 1/2  Jahre;  Planorbis  albus,  spirorbis  und  alle 
kleineren  Arten  dieses  Genus  sterben  in  der  Re2;el  schon  im  zweiten 
Jahre.     Amphipcplea  ghitinosa  lebt  nur  ein  Jahr. 

Unter  allen  Wasserschnecken  werden  die  Limnäen  am  meisten 
von  Schmarotzertieren  gequält,  so  dass  die  allermeisten  derselben 
meist  schon,  bevor  die  Schale  ausgewachsen  ist,  zu  Grunde  gehen. 
Hazay  sagt  hierüber  folgendes:  Keine  einzige  der  Limnäen,  welche 
das  dritte  und  vierte  Lebensjahr  erreicht  hat,  bleibt  von  denselben 
verschont;  in  diesem  Alter  fallen  alle  denselben,  wie  einer  allge- 
mein herrschenden  x\lterskrankheit,  zum  Opfer.  Im  zweiten  Lebens- 
jahre bereits  finden  sich  einzelne  Sporocisten  an  dem  Darm  und 
der  Leber  als  längliche  gelbe  Schläuche  vor,  im  dritten  Lebensjahre 
sind  dies  schon  massenhafte  Schlauchbündel,  welche  alle  inneren 
Organe  bedecken,  die  ganze  Leber  erfüllen,  langsam  Herz  und 
Lungenwand  durchsetzen,  so  dass  endlich  das  Tier  absterben  muss. 
Dieser  Zustand  der  Tiere  macht  sich  durch  auffallende  Trägheit 
und  durch  eine  starke  gelbe  Färbung  bemerkbar.  Zieht  man  solche 
Tiere  aus  dem  Gehäuse,  so  erscheint  unter  der  Haut  das  ganze 
Innere  des  Körpers  als  gelbe  Masse,  alle  Organe  sind  von  Sporocisten- 
bündeln  belegt  und  von  der  Leber  ist  keine  Spur  mehr  vorhanden. 

Die  Vivipara -Arten  setzen  keinen  Laich  ab;  die  Eier  ent- 
wickeln sich  im  INIuttertiere  bis  zu  Gehäusen  von  1 1  mm  Länge 
und  7  mm  Breite,  welche  etwa  3 1/2  Umgänge  zählen  (Vivipara 
Junigar ica  Hazay,  1.  c.  p.  91).       Die    Schalen    solch   junger    Tiere 


]^34  ^^^  Mollusken  des  Süsswassers. 

haben  eine  dichte  Spiralstreifung  und  sind  die  Streifen  mit  an 
einander  gereihten  rundlichen  Wärzchen  besetzt,  von  denen  manche 
kurze  Borsten  tragen.  Hazay  fand  im  Uterus  des  Weibchens  der 
genannten  Art  sechsundvierzig  schon  mit  Schale  und  Binde  ver- 
sehene junge  Tierchen  und  sehr  viele  Eier  in  allen  Stadien  der 
Entwickelung.  —  Nach  demselben  Autor  sind  die  Tiere  getrennten 
Geschlechtes  und  lassen  sich  die  Geschlechter  an  der  Form  der 
Schale  gut  unterscheiden.  —  Die  Schalen  ausgewachsener  Tiere 
erreichen  sieben  Umgänge  und  erlangen  dieselben  ein  Alter  von 
8— lo  Jahren. 

Die  Arten  der  Familien  Valvatidae  und  Hydrobndae  setzen 
Laich  ab.  Sie  erreichen  ein  Alter  von  2 — 3  Jahren.  Neritina- 
und  Lithoglyphus  -  Arten  können  nach  Hazay  ein  Alter  von 
5  Jahren  erreichen. 

Die  Muscheln  der  Familie  der  Najaden  sind  wahrscheinlich 
Zwitter,  obwohl  mehrere  Autoren  männliche  und  weibliche  Formen 
an  den  Muscheln  (vorzugsweise  an  der  mehr  aufgeblasenen  Form 
der  Schalen)  unterscheiden  wollen.  Da  nämlich  die  Kiemen  als 
Brutbehälter  für  die  Eier  dienen  und  strotzend  mit  denselben 
gefüllt  werden,  wird  die  Muschel  sehr  aufgetrieben,  während  jene 
Muscheln,  die  keine  Eier  in  die  Kiemen  bringen  und  aus  irgend 
welchem  Grunde  vielleicht  nicht  fortpflanzungsfähig  sind,  wenig 
aufgeblasene  Schalen  behalten.  —  Die  Anodonta-  und  Unio-Arten 
produzieren  ganz  enorme  Massen  von  Eiern,  die  aus  den  Ovarien 
in  die  Kiemen  gelangen  und  hier  die  ersten  Stadien  ihrer  Ent- 
wickelung durchmachen.  Bei  ^Inodonta  aiiatiiia  wurden  120000, 
bei  An.  cygnea  sogar  400000  Eier  gezählt.  Die  Einlagerung 
solch  grosser  Massen  von  Eiern  kann  nicht  auf  einmal  erfolgen. 
Dieselben  werden  allmählich,  je  nach  ihrer  Entwickelung,  eingeführt 
und  zwar  füllen  sich  die  mittleren  Fächer  der  Kiemen  zuerst,  denen 
dann  die  gegen  die  Enden  der  Muschel  zu  gelegenen  folgen.  — 
In  den  Kiemen  entwickeln  sich  die  Eier  zu  Larven,  wozu  sie 
nach  Hazay  je  nach  den  Temperaturverhältnissen  2 — 3  Monate 
brauchen.  —  Die  Eihülle  wird  erst  gesprengt,  wenn  sich  die  eigen- 
tümlich gestaltete  Larvenschale  vollkommen  ausgebildet  hat.    Dieselbe 


Die  Mollusken  des  Süsswassers. 


135 


Fig.  19. 
Junge    Muschel     von 
Atiodonfa     zur    Zeit, 
wenn      dieselbe     aus 
den    Kiemen     ausge- 

stossen     wird. 

(Vergrössert.) 


ist  von  dreieckiger  Form  und  besitzt  in  der  INIitte  der  Bauchseite  einen 
kleinen  Höcker  (Fig.  19).  Ist  die  EihüUe  entfernt,  so  bilden  sich  an 
den  Larven  Byssusfäden,  mit  denen  sich  die  in  einem  Kiemenfache 
befindlichen  Individuen  derart  verwickeln,  dass  sie  wie  aneinander- 
geheftet erscheinen.  Die  zusammenhängenden 
Larvenklumpen  werden  vom  Muttertiere  aus- 
gestossen,  und  fallen  in  den  Gewässern  zu  Boden, 
wo  die  Byssusfäden  der  Lar\-en  im  Wasser 
flottieren.  Die  B}-ssusfäden  verfangen  sich  an 
lansrsam  über  dem  Schlamme  schwimmenden 
Fischen,  hängen  sich  an  dieselben  an,  bilden 
an  den  Fischen  kleine  Cysten,  in  welchen 
sie  sich  so  lange  aufhalten,  bis  die  junge  JNIuschel  soweit  aus- 
gereift ist,  dass  sie  nun  ohne  Schutz,  allein  ihre  weitere  Ent- 
wickelung  finden  kann.  Hazay  hat  an  folgenden  Fischarten  die 
Cysten  von  Najaden  gefunden:  Perca ßiiviatilis'L., 
Acerina  cermia  L.,  Acerina  Schraetzer  L.,  Cottits 
gobio  L.,  Sqiialiiis  cephalus  L.,  Leuciscus  virgo 
Heck.,  Rhodeits  amarus  Blain.,  Tinea  vulgaris  Cuv., 
Carassius  vulgaris  Nils,  und  Cyprinus  carpio  L.  — 
Die  Zeit,  während  welcher  sie  als  Schmarotzer  an 
Fischen  leben,  beträgt  nach  Braun  70 — 73  Tage. 

Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  Existenz  der  ]\Iuscheln 
durch  das  Vorhandensein  von  Fischen  bedingt  ist,  da  sich  in 
stehenden  Wassern,  welche  keine  Fische  beherbergen,  sich  auch 
keine  Najaden  finden.  —  Bei  diesem  Verhältnisse  der  beiden  so 
verschiedenen  Tierklassen  ist  es  gewiss  gerechtfertigt,  dass  auch  die 
gi'ossen  ^Muscheln  den  Fischen  einen  Gegendienst  erweisen.  Es 
finden  sich  nämlich  in  denselben  in  der  Innern  Kieme  Fisch - 
embryonen  vor,  die  hier  ihre  Entwicklung  erfahren.  Hazay 
fand  Mitte  April  bei  kiementrächtigen  Anodonten  {bei  fast  jedem 
zweiten  der  untersuchten  Tiere)  in  den  inneren  Kiemen  4 — 8, 
ebenso  bei  Unio  pictorum  5  — 16  Fischembryonen,  die  möglicher- 
weise von  den  INIuschellarven  sich  genährt  haben.  Bei  der  grossen 
Anzahl  der  Eier,  welche  die  Fische  absetzen,  ist  es  wahrscheinlich, 


Fig.  20. 
Junge  Muschel  von 
Unio     baiavus     im 
ersten  Lebensjahre. 


IgQ  Die  Mollusken  des  Süsswassers. 

dass  diese  Fischembryonen  nur  durch  einen  glücklichen  Zufall 
zwischen  die  Kiemen  der  Muscheln  geraten.  Es  ist  leider  noch 
nicht  festgestellt,  ob  gewisse  Fischarten  nur  auf  diesem  Wege  ihre 
Embryonen  -  Stadien  durchzumachen  haben.  Hazay  hat  ferner 
beobachtet,  dass  die  Fische  sich  in  den  JNIuscheln  bis  zu  voller 
Ausbildung  aufhalten,  und  dass  die  jungen  Fischchen  ausserhalb 
der  Muschel  sich  ganz  nahe  der  Atemöffnung  der  Muschel  halten 
und  durch  dieselbe  in  die  Muschel  hineinschlüpften. 

Die  Fortpflanzungsfähigkeit  tritt  bei  Genus  Unio  im  dritten, 
bei  Genus  A.nodonta  im  dritten  oder  vierten  Lebensjahre  ein. 

Die  Muscheln  erreichen  ein  verhältnismässig  hohes  Alter, 
welches  sich  auf  zehn  bis  zwölf  Jahre  erstrecken  kann,  was  sich 
aus  der  Zahl  der  Jahresabsätze  leicht  erkennen  lässt.  Die  ersten 
Jahresabsätze  sind  durch  breite  Zwischenräume  getrennt,  die  mit 
fortschreitendem  Alter  immer  schmäler  werden,  und  ist  bei  Muscheln 
höheren  Alters  der  Rand  der  Schalen  ein  häutiger,  während  jüngere 
Muscheln  (Fig.  20)  scharfe  Ränder  haben.  Häufig  verändern  die- 
selben mit  zunehmendem  Alter  ihre  Formen  derart,  dass  sie  mit 
der  jugendlichen   Gestalt  nur  noch  wenig  Ähnlichkeit  haben. 

Die  INIuscheln,  insbesondere  die  Arten  des  Genus  Anodonta, 
werden  häufig  von  einer  Milbenart  geplagt,  die  auf  den  Mantel- 
häuten des  Tieres  lebt  und  sich  vom  Blute  der  Muschel  nährt. 
Diese  Milbe,  Limnocharis  Anodontae  Ffr.,  kriecht,  sich  langsam 
fortschleppend,  auf  den  schlüpfrigen  Häuten  des  INIuscheltieres 
herum,  an  welchen  sie  sich  mittels  der  Krallen  an  den  Füssen  und 
den  Spitzen  der  Palpen  festhält.  Die  Eier  befestigt  sie  an  der 
Mantelhaut  und  zwar  gewöhnlich  dem  Hinterteil  näher.  C.  Pfeiffer 
fand  in  einer  Muschel  30 — 50  solcher  Tiere.  Das  Muscheltier 
wird  mager,  unfruchtbar  und  seine  Kiemenblätter  sind  schlaff  und 
befinden  sich  in  einem  der  Verwesung  ähnlichen  Zustande. 

Die  Arten  der  Cycladeen  (Gen.  Sphacrium ,  Calycidina  und 
Pisidhmi)  sind  Zwitter  und  gebären  lebendige  Junge,  die  beim 
Abstoss  aus  dem  Muttertiere  schon  eine  verhältnismässig  beträcht- 
liche Grösse  erreicht  haben.  Die  Zahl  der  Jungen  eines  Tieres  ist 
deshalb    auch    eine    geringe    und    wird  selten   20  übersteigen.      Die 


Die  Mollusken  des  Süsswassers.  137 

Calyculinen  sind  einjährige  Tiere,  die  nur  überwintern,  wenn  sie 
im  Spätsommer  ausgestossen  werden.  Die  Sphaerien  und  Pisidien 
haben  eine  Lebensdauer  von  zwei  bis  vier  Jahren. 

Anpassungsfähigkeit  der  Mollusken. 

Es  giebt  wohl  keine  Tierklasse,  welche  sich  mehr  an  die 
Beschaffenheit  ihrer  Wohnorte  anzupassen  im  stände  ist,  als  jene 
der  Mollusken.  Die  Ursache  dieser  Erscheinung  liegt  in  der  eigen- 
artigen Bildung  des  Gehäuses,  an  welches  das  Tier  bei  den  Schnecken 
nur  durch  den  Spindelmuskel,  bei  den  Bivalven  durch  die  zwei 
Schliess-    und    den    Wirbelhaftmuskel    gebunden    ist.       Die     älteren 


o^ 


Umgänge  der  ersteren  oder  die  älteren  Schichten  der  letzteren 
fallen  deshalb  alsbald  den  zersetzenden  Einflüssen  der  Umgebung 
zum  Opfer  und  können  nicht  mehr  nachgebildet  werden;  dennoch 
ist  die  Schale  ein  unentbehrlicher  Teil  des  Tieres,  welcher  den 
w^eichen  Körper  desselben  gegen  die  schädigenden  Einflüsse  der 
Umgebung  schützen  muss,  und  dessen  Zertrümmerung  den  Tod  des 
Tieres  zur  Folge  hat. 

Das  Gehäuse  verändert  sich  nach  den  eigenartigen  Verhält- 
nissen des  Wohnortes  bezüglich  der  Färbung,  Dickschaligkeit,  ja 
sogar  bezüglich  der  Form,  und  der  Kenner  wird  an  den  ]\Ierkmalen 
der  Schalen  mit  Sicherheit  auf  die  Beschaffenheit  der  unmittelbaren 
Umgebung  schliessen  können.  Die  Schalen  werden  durch  die 
Ausscheidungen  des  ^lantels  gebildet,  und  zwar  wird  die  Oberhaut 
nur  vom  Saume  desselben,  die  Kalk-  und  Perlmutterschichten  aber, 
welche  dieselben  widerstandsfähig  machen,  von  den  übrigen  Teilen 
desselben  ausgeschieden  werden.  Die  Thätigkeit  des  JNIantels,  be- 
ziehungsweise die  Fähigkeit  Kalkteile  auszuscheiden,  erlischt  erst 
mit  dem  Tode  des  Tieres.  Die  Dickschaligkeit  der  Gehäuse  ist 
deshalb  als  Merkmal  des .  Alters  zu  betrachten.  Besonders  ist  die 
Schale  der  Wassermollusken  Veränderungen  ausgesetzt,  und  zwar 
weit  mehr  als  jene  der  Landmollusken,  welche  Thatsache  ihren 
Grund  in  den  Eigentümlichkeiten  des  Mediums,  in  dem  sie  leben, 
nämlich  des  Wassers,  findet.     Die  chemische  Zusammensetzung  des 


138  -f-^i^  Mollusken  des  Süsswassers. 

Wassers  gestattet  weit  grössere  Verschiedenheiten,  als  jene  der  Luft, 
und  ebenso  ist  die  Zusammensetzung  des  Schlammes,  die  Bewachsung 
der  Gewässer  u.  s.  w.  weit  veränderlicher  und  steht  zu  den  Wasser- 
mollusken in  engerem  Verhältnis,  als  die  Bodenbeschaffenheit  und 
der  Pfianzenwuchs  zu  den  Landconchylien.  Es  muss  deshalb  den 
Wassermollusken  ein  viel  grösserer  Spielraum  der  Variation  ein- 
geräumt werden,  als  den  Landschnecken.  Die  Schaffung  einer 
Menge  neuer  Arten  von  Wasserschnecken  und  Muscheln,  wie  sie 
zurzeit,  vorzugsweise  von  französischen  Autoren,  beliebt  wird,  ist 
deshalb  unbedingt  zu  verwerfen.  Wer  die  Wassermollusken  längere 
Zeit  im  Freien  beobachtet,  wird  sehr  bald  zur  Überzeugung 
kommen,  dass  fast  jeder  einzelne  Fundort  derselben  eigen- 
artige, mehr  oder  weniger  ausgeprägte  Abweichungen  vom  Typus 
der  bezüglichen  Art  erzeugt,  und  dass  es  geradezu  zu  den  aller- 
grössten  Seltenheiten  gehört,  zwei  ziemlich  übereinstimmende  Formen 
von  verschiedenen  Fundorten  zu  konstatieren.  Ja,  sogar  derselbe 
Fundort  erzeugt  bei  geänderten  Verhältnissen  andere  Varietäten, 
und  oft  genug  finden  sich  verschiedene  Formen  ein  und  derselben 
Art  an  sich  berührenden  Stellen  desselben  Gewässers,  wenn  die 
Beschaffenheit  des  Grundes,  die  Strömung  des  Wassers,  die  Be- 
wachsung u.  s.  w.  sich  ändert.  So  kommen  in  den  grossen  Seen 
der  Voralpen  Schnecken  und  Muscheln  mit  ausgeprägtem  See- 
charakter und  solche,  welche  nicht  oder  kaum  von  jenen  zu  unter- 
scheiden sind,  die  in  Sümpfen  leben,  neben  einander  vor,  und 
zwar  jenachdem  die  bezüglichen  Wohnplätze  bei  seichtem  Wasser 
und  mangelnder  Bewachsung  der  vollen  Wirkung  des  Wellenschlages 
ausgesetzt  sind,  oder  die  Ufer  in  sumpfige  Stellen  übergehen. 

Manche  Arten  ziehen  fliessendes,  andere  stehendes  Wasser 
vor;  nur  wenige  Spezies  jedoch  bewohnen  ausschliesslich  das  eine 
oder  das  andere,  obwohl  hie  und  da  auch  einmal  eine  Art  sich 
an  ihr  nicht  zusa2;enden  Stellen  halten  kann.  Velletia  lacitstris  ist 
eine  nur  in  stellenden,  sumpfigen  Gewässern  sich  aufhaltende 
Spezies;  dennoch  habe  ich  sie  in  einem  kleinen  Bächlein  bei 
Jettingen  im  Mindelthal  (Bayern)  mit  Ancylns  ßiiviatüis  zusammen 
an  Steinen  sitzend  gefunden.      Allerdings    war   dieses  Bächlein  aus 


Die  Mollusken  des  Süsswassers. 


139 


kleinen  sumpfigen  Pfützen,  welche  durch  kurze  Strecken  raschfliessen- 
den  Wassers  mit  steinigem  Grunde  verbunden  war,  zusammengesetzt. 
Die  Veränderlichkeit  der  Schalen  ist  bei  den  Wassermollusken 
eine  sehr  beträchtliche.  Als  Beispiel  für  dieselbe  möge  Limnaea 
stagiialis  (Fig.  21)  herausgegriffen  werden. 
Diese  Art  findet  sich  als  var.  siibiilata  West, 
in  sehr  schlanker  Form,  mit  langem,  spitzem 
Gewinde  und  wenig  erweitertem 
letzten  Umgange ;  als  var.  pro- 
ducta Colb.  (Fig.  22)  mit  ähn- 
lichem Gewinde,  aber  sehr  auf- 
geblasener letzter  INIündung. 
Beide  Varietäten  finden  sich 
in  wenig  mit  Wasserpflanzen 
durchwachsenen  Altwassern  oder 
Weihern  mit  nicht  sumpfigem 
Boden.  In  stark  mit  Wasser- 
pflanzen besetzten  stehenden 
Wassern,  welche  mehr  mit 
taulenden  Pflanzenstoffen  gemischten  Schlamm  am  Grunde  haben, 
bilden  sich  Formen  rnit  kürzerem  Gewinde  und  aufgeblasenem 
letzten  Umgange:  var.  tiirgida 
Mke.  (Fig.  24),  roseolabiata 
Wolf,  und  ist  bei  dieser  Varietät 
die  Spindel  meist  rosenrot  ge- 
färbt.    Ähnlich  gestaltet  ist  var. 


Fig.  21. 

Limnaea  stagiialis 

Typ. 


Fig.  22. 

Limnaea  stagnalis  v. 

producta  Colb. 


borealis    Brgt.    (Fig.   23),    nur 

nehmen    die  Umgänge   rascher 

an  Breite   zu    und    ist   deshalb 

das  Gewinde  weniger  spitz  aus- 

sezosen.       Gehäuse    mit    sehr 

verkürztem  Gewinde  und  starker 

Schale  (var.  lacustris,   Fig.  26 

S.  1 40)  finden  sich  an  den  Ufern  der  grossen  Seen,  wo  die  Tiere, 

dem  Wellenschlage  ausgesetzt,  sich  an  den  Steinen  oder  am  Boden 


Fig.  23. 

Limnaea  stagnalis 

V.  borealis  Brgt. 


Fig.  24. 
Limnaea  stagnalis 
V.  turgida  Mke. 


140 


Die  Mollusken  des  Süsswassers. 


festklammern  müssen,  und  wo  ihnen  in  der  Nahrung  sehr  viel  Kalk 
geboten  wird.  Zwischen  diesen  Varietäten  finden  sich  Zwischen- 
formen  aller  Art,  so  dass  sich  fast  eine  fortlaufende  Reihe  allmäh- 
licher Übergänge  zwischen  den  extremsten  Formen  herstellen  lässt. 
Gerät  L.  stagnalis  bei  Hochwasser  in  des  Pflanzenwuchses  ent- 
behrende Lachen  am  Ufer  grosser 
Flüsse ,  so  bilden  sich  sogenannte 
„Hungerformen";  die  Tiere  ver- 
kümmern, wachsen  langsam  und 
nehmen  deshalb  die  Umgänge 
gleichförmiger  zu;  als  solche  Hunger- 
formen möQjen  var.  arenaria  Colb. 
(Fig.    25)     und    var.    aquarii    Colb. 


Limn.  siagiialis 
V.  arenaria  Colb. 


Fig.  26. 
Limn.  stagnalis 
V.  laciistris  Stud. 


gelten. 


Ähnlich  wie  L.  stagnalis  verhalten  sich  die  übrigen  Arten  des 
Genus;  ja  es  haben  sich  aus  Limnaea  auricidaria  G.  im  Laufe  der 
Jahre  in  den  Seen  sogar  eigenartige  festschalige  Arten  [Limn.  tumida 
Held  [Fig.  27]  und  Limn.  rosea  Gall.)  ausgebildet, 
welche  für  ihre  Wohnorte  charakteristisch  geworden 
sind,  und  welche  durch  die  Unregelmässigkeit  ihrer 
Formen  sozusagen  die  Eigentümlichkeiten  ihrer 
Wohnorte  dokumentieren.  Limnaea  per egra,  welche 
sich  auch  in  fliessenden  Wassern  findet,  ist  die 
formenreichste  aller  Arten  ihres  Genus,  weil  sie  eben 
in  beiden  Gattungen  unserer  Gewässer  vorkommt. 
Die  Planorbis  -  Arten  mit  ihrer  flachen,  teller- 
förmigen Schale,  die  sehr  leicht  Verwerfungen  der 
Windungsebene  ausgesetzt  sind,  finden  sich  nahezu 
ausschliesslich  in  mit  Wasserpflanzen  durchwachsenen 
stehenden  Wassern,  wo  sie  an  den  Stengeln  und 
Blättern  der  Pflanzen  herumkriechen.  Die  ver- 
hältnismässig grosse  platte  Schale,  in  welcher  ein  kleines  Tier  steckt, 
bietet  den  Fluten  eine  zu  grosse  Fläche  dar,  die  denselben  zu 
leicht  zum  Opfer  fallen  und  an  Orte  transportiert  werden  würde, 
wo    sie    nicht    die    ihrer    Organisation    entsprechenden    Verhältnisse 


Fig.  27. 

Limn,  iumida 
Held. 


Die  Mollusken  des  Süsswassers. 


141 


findet.  Deshalb  fehlen  in  den  grossen  Alpenseen  alle  Arten  mit 
Ausnahme  von  Plan,  albus,  welche  nur  vier,  höchstens  fünf  Um- 
gänge erreicht.  Wie  hart  übrigens  der  Kampf  ums  Dasein  sich 
für  diese  Art  gestaltet,  beweist  die  Verwerfung  der  Umgänge,  welche 
bei  ihr  in  den  Seen  zur  Regel  wird   (Plan,  cleformis  Hartm.). 

Aber  auch  an  anderen  Arten  des  Genus  finden  sich  zuweilen 
Verwerfungen  der  Schalenfläche  in  grosser  Zahl.  Ich  habe  einmal 
Pla)i.  contortus  L.  in  einer  ausgetrockneten  Pfütze  fast  durchaus  mit 
verkrüppelter  Schale  gesammelt.  Die  Tiere  hatten  sich  beim  Ver- 
schwinden des  Wassers  in  den  Boden  eingewühlt  und  sich  hier 
so  lange  lebend  erhalten,  bis  sich  die  Pfütze  wieder  mit  Wasser 
füllte,  und  die  Tiere  wieder  aus  ihren  Schlupfwinkebi  hervorkriecheia 
konnten.  Beim  Verkriechen  in  den  Schlamm  wurden  die  noch 
weichen,  in  der  Bildung  begriffenen  Ansätze  der  Umgänge  beschädigt 
und  aus  ihrer  normalen  Lage  gedrängt  und  dadurch  wurde  die 
Fläche  des  Gehäuses  uneben  und  die  Gewinde  verschoben  sich. 

Der  interessanteste  Fall  von  massenhaften 
Gehäuseverkrüppelungen  der  sonderbarsten  Art 
wurde  von  Prof.  Pire  in  Magne  (Belgien)  be- 
obachtet. Hier  fand  sich  in  einem  kleinen  Teiche 
massenhaft  Plan,  marginatus  Drap.  (Fig.  28)  vor. 
Die  ganze  Oberfläche  des  Teiches  war  aber  mit 
Wasserlinsen  bedeckt,  die  einen  dichten  Filz 
bildeten.  Die  Tiere  mussten  sich  durch  den- 
selben durchwinden,  um  an  die  Oberfläche  zu 
kommen  und  um  dort  Luft  zu  atmen.  Beim 
Durchwinden  durch  den  Linsen- 
filz wurden  aber  die  weichen,  neu- 
gebildeten    Umgänge     abgestreift 


Fig.  28. 

Planorbis  marginatus 

Drap. 


und  aus  der  normalen  Windungs- 
ebene  gedrängt. 


I 


Fig.   29. 
Planorbis  marginatus  (abnorme Gehäuse). 


und    es    bildeten 
sich    nicht    nur    kegelförmige   Ge- 
häuse,   sondern    auch    solche,    bei 
welchen  die  Umgänge  nach  ganz  verschiedenen  Richtungen  gedrängt 
wurden,    und    welche    die    sonderbarsten   unregelmässigsten  Formen 


142  -"-^i^  jNIolIusken  des  Süsswassers. 

annahmen  (Fig.  29).  In  Linsenfilzen,  welche  in  einem  Kübel  mit- 
genommen wurden,  fanden  sich  am  anderen  Morgen  alle  normal 
gewmidenen  Exemplare  tot  am  Boden  des  Kübels  liegend,  während 
die  skalariden  und  abnorm  gestalteten  munter  an  der  Oberfläche 
des  Wassers  herumkrochen. 

Da  die  Arten  des  Genus  Planorbis  bezüglich  ihrer  Wohnorte 
auf  einen  engeren  Kreis  beschränkt  sind,  ist  die  Formveränderlich- 
keit der  einzelnen  Arten  auch  bei  weitem  keine  so  grosse,  als  bei 
den  Limnaea-Arten,  nur  Plan,  corneiis  macht  in  dieser  Beziehung 
eine  Ausnahme. 

Ganz  besonders  für  flutendes  Wasser  gebaut  sind:  Die  Ancylus- 
Arten,  die  durch  den  breiten  Fuss,  mit  dem  sie  sich  an  Steine  u.  s.  w. 
anklammern  können,  und  die  mützenförmige  Schale  den  Wellen  am 
leichtesten  Widerstand  leisten  können;  ferner  die  Neritina-Spezies, 
die  mit  weiter  Mündung  und  dem  wenis-  hervortretenden  Gewinde 
von  der  Natur  zum  Aufenthalt  im  flutenden  Wasser  besonders  aus- 
gestattet wurden.  • —  Die  Färbung  und  Zeichnung  der  Oberfläche 
der  Neritina-i\rten  wechselt  sehr  mannigfaltig  nach  der  Beschaffen- 
heit des  Wassers;  doch  liegen  noch  keine  genaueren  Beobachtungen 
in  dieser  Richtung  vor. 

Die  grösste  Anpassungsfähigkeit  besitzen  die  Muscheln  der 
Familie  der  Najaden.  Jeder  Fundort  derselben  hat  bezüglich  der 
chemischen  Zusammensetzung  des  Wassers,  des  Schlammes  und 
des  Bodens,  in  dem  die  Muscheln  stecken,  der  physikalischen 
Verhältnisse  des  Wassers  u.  s.  w.  eine  unbeschränkte  Zahl  von 
Eigentümlichkeiten,  welche  die  Schalenbildung  beeinflussen  und  an 
derselben  ihren  Ausdruck  finden.  Selbst  an  einander  stossende 
Fundorte  erzeugen  ganz  verschiedene  Formen,  jenachdem  der 
Boden  steinig  oder  schlammig,  jenachdem  der  Schlamm  ein  erdiger 
oder  humusreicher  ist.  Werden,  wie  es  in  grösseren  Flüssen  häufig  vor- 
kommt, durch  Hochfluten  Muscheln  aus  Altwassern  oder  Abschnitten 
mit  stehendem  Wasser  in  das  Flussbett  versetzt,  so  entstehen  not- 
wendigerweise Mischformen.  Leider  werden  diese  Verhältnisse  viel 
zu  wenig  beachtet;  gewöhnlich  werden  nur  neue  Varietäten  be- 
schrieben,   ohne    dass    man    den    Umständen   nachforscht,    welche 


Die  Mollusken  des  Süsswassers.  143 

dieselben  veranlasst  haben.  In  den  Beiträgen  zur  INIolluskenfauna 
der  bayrischen  Seen  (Corresp.- Blatt  zoolog.-mineral.  Ver.  Regensburg 
1873  —  75)  habe  ich  den  Versuch  gemacht,  die  eigenartigen  Formen 
der  Seemuscheln  aus  der  Beschaffenheit  ihrer  Wohnorte  zu  erklären, 
aber  ich  habe  bisher  wenig  Nachfolger  gefunden. 

Im  allgemeinen  ziehen  die  Anodonta-Arten  stehende  Gewässer 
vor.  Nur  in  diesen  finden  sie  ihre  volle  Entwickelung  (als  var. 
cygnea  L.).  —  In  fliessenden  Wassern  findet  sich  meist  nur  die 
kleine,  gewissermassen  verkümmerte  Varietät  var.  anatina  L.,  welche 
durch  schmale  Jahresansätze,  dunkle  Färbung  der  Oberhaut  u.  s.  w. 
charakterisiert  ist.  Die  grösste  Form,  var.  cygnea  L.,  findet  sich 
in  Weiheni  mit  erdig-schlammigem  Boden.  Diese  Varietät  zeichnet 
sich  durch  rundlich-eiförmige  Gestalt,  durch  die  feste  Schale,  die 
lebhaft  gefärbte  Epidermis  und  reines  glänzendes  Perlmutter  aus; 
sie  erreicht  bis  190  mm  Länge.  Anodonta  rostrata  Kok.  ist  die 
Varietät,  welche  sich  in  Altwassern  mit  tiefem  Humusschlamm  am 
Grunde  bildet.  Die  Muscheln  haben  eine  verlängerte  Gestalt  mit 
breitem  abgestutzten  Hinterteile,  eine  meist  dunkle  Färbung  der 
Epidermis  und  mehr  oder  weniger  fettfleckiges  Perlmutter.  Bei 
zunehmender  Versumpfung  der  Altwasser  werden  die  Muscheln 
dünnschaliger,  die  Wirbel  werden  kariös,  von  Insekten  angebohrt, 
das  Perlmutter  wird  noch  schmutziger,  die  Tiere  verlieren  die 
Fähigkeit  sich  fortzupflanzen,  und  sterben  deshalb  bald  an  dem 
betreffenden  Wohnorte  völlig  aus.  Ich  suche  den  Grund  dieser 
Erscheinuncr  in  der  Überhandnähme  der  Humussäure  im  Boden- 
schlämm.  Auch  mit  zunehmendem  Alter  verändern  die  Anodonten 
ihre  Umrissform.  Die  jungen  Muscheln  haben  in  der  Regel  mehr  eine 
rundliche  Gestalt  und  scharf  hervortretendes  Schild  und  Schildchen. 
Später  wird  dieselbe  länglicher,  die  vortretenden  Ecken  verschwinden 
und  es  bilden  sich  die  Varietäten:  celleiisis,  rostrata,  ponderosa 
und  anatina.  Nur  in  Flüssen  erhält  sich  zuweilen  die  rundlich- 
eiförmige Gestalt  var.  piscinalis  Nils,  länger,  wenn  auch  hier  die 
Ecken  des  Schildes  und  Schildchens  mehr  zurücktreten. 

Die  bisher  aufgeführten  Varietäten  haben  eine  sehr  ausgedehnte 
Verbreitung,  so  dass  man  sie  fast  mehr  als  Standorts-Formen,  denn 


144 


Die  Mollusken  des  Süsswassers. 


als  Varietäten  betrachten  könnte,  da  sie  sich  in  mehr  oder  weniger 
übereinstimmender  Weise  überall  entwickeln,  wo  sie  die  ihre  Form 
bedingenden  Verhältnisse  finden.  Die  grossen  Alpen-  und  Voralpen- 
seen der  bayrischen  Hochebene  und  der  Schweiz  erzeugen  da- 
gegen, ihren  eigentümlichen  physikalischen  Verhältnissen  u.  s.  w. 
entsprechend,  eigenartige  Formen,  von  denen  sogar  fast  jeder  See 
eine  oder  mehrere  ihm  eigentümliche  Varietäten  enthält.  Die  See- 
varietäten eiTeichen  meist  nur  eine  geringe  Grösse,  haben  hell- 
gefärbte Epidermis,  starke  Schale,  reines  Perlmutter  und  ist  meistens 
das  Vorderteil  durch  dicke  Ablagerungen  der  Perlmutterschicht 
ausgezeichnet.  Dieselben  bilden  sich  aber  gewöhnlich  nur  an 
solchen  Stellen  der  Ufer,  die  bei  seichtem  Wasser  und  mangelnder 
Bewachsung  der  vollen  Wirkung  des  Wogenschlages  ausgesetzt  sind. 
Hier  kann  sich  keine  tiefere  Schlammschicht,  die  den  Muscheln 
Schutz  gewährt,  anhäufen  und  werden  deshalb  dieselben  oft  genug 
von  den  Wellen  mit  lebendem  Tiere  aufs  Trockene  geworfen,  wo 
sie  verschmachten  und  Vögeln  zur  Beute  fallen.  Ich  möchte  als 
Beispiel  einer  solchen  Seemuschel  hier  nur  An.  callosa  aus  dem 
Chiemsee  erw^ähnen,  da  die  Aufzählung  aller  mir  aus  den  ver- 
schiedenen Seen  bekannt  gewordenen  zu  weit  führen  würde. 

Auch  die  Arten  des  Genus  Unio  nehmen  in  den  Seen  besondere 
Formen   an.      Ich    habe  beobachtet,    dass   die  Muscheln  von   Unio 


Flg.  30. 
Unio  pictoruin. 

pictorimi  (Fig.  30)  und  batavus ,  wenn  sie  im  tieferen  Wasser  in 
einer  hohen  Schlammschicht  sich  aufhalten,  ein  sehr  verlängertes 
Hinterteil  erhalten,  weil  sich  dieselben  im  festen  Boden  festklammern, 
dabei  aber  mit  dem  Hinterteile    aus  dem  Schlamme  hervorzuragen 


Die  Mollusken  des  Süsswassers. 


145 


suchen,  um  die  Atemröhre  freizuhalten.  Das  Hinterteil  wird  da- 
durch bei  fortwährendem  Strecken  des  Tieres  verlängert,  und  krümmt 
sich  dabei  oft  mehr  oder  weniger  nach  abwärts,  so  dass  die  Muschel 
eine  etwas  hakenförmige  Gestalt  annimmt,  wie  es  bei  Unio  arca 
Held  aus  dem  Chiemsee  und  Unio  platyrhynchiis  Rossm.  (Fig.  31) 
aus  dem  Wörthsee  der  Fall  ist.  Merkwürdigerweise  kommt  in 
den  bayrischen,  Schweizer  und  wahrschemlich  auch  in  den  ober- 
österreichischen Seen  nur  Unio  pictoriim  vor,  während  Unio  batavtiä 


Fig.  31- 
Unio  platyrhynchiis  Rossm. 

in  denselben  fehlt,  obwohl  diese  letztere  Art  in  den  zufliessenden 
Bächen  reichlich  vorhanden  ist.  In  den  Schweizer  Juraseen  findet 
sich  Unio  tumidus,  die  in  allen  im  i\lpengebiete  liegenden  grossen 
Wasserbecken  nicht  vorkommt.  Unio  batavus  dagegen  ist  auf  die 
Kärntner-  und  Juraseen  beschränkt. 


Die  Mollusken  der  Tiefenfauna. 

Den  Untersuchungen  Dr.  Foreis*),  welcher  die  Tiefenfauna 
der  oTossen  Schweizer  Seen  untersucht  hat,  verdanken  wir  die 
Kenntnis,  dass  auch  die  Klasse  der  Mollusken  zu  derselben  ihr 
Kontingent  stellt,  und  dass  sich  auch  in  den  grössten  Tiefen  der- 
selben noch  einzelne  Arten  von  Schnecken  und  Muscheln  auf- 
halten. Unter  den  ersteren  sind  sogar  Lungenatmer  des  Genus 
Limnaea,    welche    im    seichten    Wasser    bei    heiterem,    warmem 


•)  Materiaux  pour  servir  ä  l'etude  de  la  Faune  profonde  du  lac  Leman.  Lausanne  1874. 
Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  10 


l^Q  Die  Mollusken  des  Süsswassers. 

Wetter  die  Gewohnheit  haben,  an  die  Oberfläche  des  Wassers 
aufzusteigen,  was  aus  einer  Tiefe  von  2 — 300  m  zur  Unmöglich- 
keit wird. 

Dr.  Forel  teilt  die  Fauna  der  Seen  in  drei  Abteilungen: 

1.  Die  Uferfauna;  sie  umfasst  die  Tiere,  welche  sich  an  der  Ober- 
fläche des  Wassers  und  in  einer  Tiefe  bis  zu  5  w  aufhalten. 

2.  Die  pelagische  Fauna,  welche  jene  Tiere  umfasst,  die  entfernt 
von  den  Ufern  oder  untergetaucht  im  Wasser  leben. 

3.  Die  Tiefe nfauna,    welche    den  Seeboden    von  25 — 30  m   an 
abwärts  bewohnt. 

Die  Uferfauna  enthält  Arten  aller  Genera  unserer  heimischen 
Süsswasserconchylien,  welche  unter  Umständen  eigenartige  Varietäten 
bilden,  die  wir  in  vorhergehenden  Abschnitten  schon  erwähnt  haben. 
Die  pelagische  Fauna  entbehrt  der  Mollusken.  Die  Tiefenfauna 
dagegen  besitzt  noch  einige  Arten  der  Genera  Lnnnaea,  Vivipara, 
Valvata  und  Pisidium,  die  ich  sämtlich,  soweit  sie  mir  bis  jetzt 
bekannt  wurden,  in  meiner  „Molluskenfauna  von  Österreich-Ungarn 
und  der  Schweiz"  S.   768 — 791   beschrieben  habe. 

Die  eigentümlichen  Verhältnisse  am  Seeboden,  geringe  Tempe- 
ratur des  Wassers  (wenig  um  4°  C.  schwankend),  der  grosse 
Druck  der  Wassersäule,  die  sehr  spärliche  Nahrung,  welche  ihnen 
der  Schlamm  des  Seebodens  bietet,  geben  die  Veranlassung,  dass 
die  in  so  grossen  Tiefen  lebenden  Conchylien  nur  kleine,  ver- 
kümmerte, unscheinbare  Arten  sind,  die  sich  naturgemäss  von  den 
Arten  der  Uferfauna  abgezweigt  haben  müssen.  Diese  Tiefsee- 
mollusken führen  ein  kümmerliches  Dasein.  Da  die  Temperatur 
■des  Wassers  das  ganze  Jahr  über  eine  sehr  gleichförmige  ist  und 
der  Wechsel  der  Jahreszeiten  das  geringe  Wachstum  der  Schalen 
nicht  unterbricht,  fehlen  die  Marken  der  Jahresabsätze;  die  Epidermis 
ist  sehr  dünn  und  stösst  sich,  trotz  der  fast  völligen  Ruhe  des 
Wassers,  leicht  ab;  die  Muscheln  bleiben  dünnschalig  und  leicht- 
zerbrechlich.  Eine  Art  Pisidium  fragillimum  Cless.  aus  dem  Sih-a- 
planer  See  besitzt  eine  so  dünne  Schale,    dass   jede  Berührung  an 


Die  Mollusken  des  Süsswassers.  147 

derselben  einen  Eindruck  zurücklässt.  Jeder  der  bisher  untersuchten 
Seen  beherbergt  wenigstens  eine  eigentümliche  Art  des  Genus 
Pisidium.  Limnäen  wurden  nur  im  Genfersee  beobachtet;  Vivipara 
(eine  Art)  findet  sich  im  Gardasee;  Valvata- Arten  (drei)  gehören 
nur  der  Tiefseefauna  des  Genfer-  und  des  Gardasees  an. 


Höhlen- Mollusken. 

In  den  Kalkgebirgen ,  vorzugsweise  in  den  Juraformationen, 
finden  sich  ausgedehnte  Höhlen,  in  denen  Bäche  und  im  Karst- 
gebiete sogar  Flüsschen  auf  weite  Strecken  unterirdisch  dahinfliessen. 
Es  ist  selbstverständlich  sehr  schwierig,  diese  unterirdischen  Wasser- 
läufe auf  ihre  Fauna  zu  untersuchen;  gewöhnlich  sind  die  in  den- 
selben lebenden  Mollusken  nur  in  leeren  Gehäusen  im  Geniste 
oberirdischer  Bäche  und  Flüsse  zu  bekommen.  Nur  in  seltenen 
Fällen  ist  es  geglückt,  lebende  Tiere  zu  erbeuten,  welche  sämtlich 
einem  für  die  Höhlenfauna  eigentümlichen  Genus 
Vitrella  Cless.  (Fig.  32),  Bythiospcum  Brgt.,  angehören. 
Die  Untersuchungen  derselben  durch  Wiedersheim*) 
und  Rougemont**)  haben  ergeben,  dass  diese 
Höhlen -Mollusken  blind  sind,  ebenso  wie  die  Tiere 
anderer  Tierklassen,  welche  die  gleichen  Aufenthalts-  Fig.  32. 
orte  bewohnen.      Die  Tiere,    welche   seit  vielen  Gene-  ^'f''^^^" 

pellticida. 

rationen    nur    im    Dunkeln    leben,     haben    die    Augen 
nicht    mehr    nötig.      Rougemont    hat    lebende  Tiere  der   Vitrella 
(Roitgemonti  Cless.)    aus   dem    Brunnen    des  Anatomiegebäudes    in 
München  heraufgepumpt,  welche  gleichfalls  augenlos  waren. 

Die  unterirdischen  Wasserläufe  werden  fast  ausschliesslich  von 
Vitreila-Arten  bewohnt,  von  denen  jeder  derselben  eine  ihm  eigen- 
tümliche Art  zu  besitzen  scheint.  Ausser  diesen  kleinen,  zierlichen, 
am  meisten  an  das  Genus  Hydrohia  erinnernden  Deckelschnecken 
fand  sich  in  der  Uracher  Höhle  (schwäbische  Alp  in  Württemberg) 


*)  Beiträge  zur  Kenntnis  der  wiirtt.  Höhlenfauna. 
•*)  Etudes  des  faunes  des  eaux  privees  de  lumiere. 

10* 


148  -^^^  Mollusken  des  Süsswassers. 

eine  Ancylus-Art,  Ancylus  ßuviatilis ,  und  in  Krainer  Höhlen  einige 
Valvata-Spezies.  Diese  Arten  sind  kleine,  verkümmerte  Formen  mit 
dünner,  farbloser  Schale  und  geben  dieselben  somit  wieder  ein 
merkwürdiges  Beispiel  von  der  Anpassungsfähigkeit   der  Mollusken. 

Die  Perlenmuschel. 

Die  kalkarmen  Bäche  unserer  Urgebirgsformationen  beherbergen 
eine  grosse  und  sehr  dickschalige  Muschel,  Margaritana  margaritifera 
(Fig.  33),  welche  einen  sehr  wertvollen  Schmuck,  nämlich  die  Perlen, 


Margariiana  margaritifera. 

liefert.  Die  Muscheln  stecken  oft  in  sehr  grosser  Anzahl  in  sandigen 
Stellen  so  völlig  im  Sande  eingesenkt,  dass  nur  an  den  flottierenden 
Cirren  der  Atemöffiiung  sich  das  Vorhandensein  der  Muscheln 
erkennen  lässt. 

Die  Perlenmuscheln  haben  in  ausgewachsenem  Zustande  eine 
nierenförmige  Gestalt  und  erreichen  eine  Länge  von  120  mm.  Sie 
haben  eine  dunkle,  fast  schwarze  Oberhaut,  sind  in  der  Regel  um 
die  Wirbel  stark  zerfressen  und  ihr  Perlmutter  ist  gewöhnlich  durch 
schmutzig-gelbe  Fettflecken  verunziert. 

Die  Erzeugung  von  Perlen  vollzieht  sich  in  dem  Räume 
zwischen  Mantel  und  Schale  und  muss  die  Perle  hier  frei  beweg- 
lich bleiben,  so  dass  sie  ständig  in  rollender  Bewegung  erhalten 
wird.     Eine  Perle  bildet  sich  nur  dann,    wenn  ein  kleiner  fremder 


Die  Mollusken  des  Süsswassers.  249 

Körper,  ein  Sandkümchen,  ein  Stückchen  eines  abgestorbenen 
Schmarotzertieres  u.  s.  w.  an  die  erwähnte  Stelle  gerät.  Der  Druck, 
welchen  dieser  fremde  Körper  auf  die  äussere  INIantelfläche  aus- 
übt, veranlasst  eine  stärkere  Ausscheidung  des  Perlmutterstoffes, 
welcher  sich  in  Schichten  um  denselben  legt  und  allmählich  den 
fremden  Körper  umhüllt.  Die  Entstehung  der  Perlen  ist  also 
gewissermassen  eine  zufällige,  und  deshalb  kommt  nach  Beobachtungen 
aus  den  bayrischen  Perlenbächen  auf  etwa  95 — 100  Muscheln  nur 
eine  Perle.  Aber  nicht  einmal  alle  Perlen  sind  brauchbar  und 
wertvoll,  sondern  nur  jene,  welche  weisse  Farbe  und  schönen  Glanz 
haben.  INIan  unterscheidet  drei  Klassen  brauchbarer  Perlen  und 
zwar   I.  Klasse:    ganz  helle,    weisse  Perlen  von  schönstem  Glänze; 

2.  Klasse:    weisse     Perlen     von     minder    vollkommenem     Glänze; 

3.  Klasse:  sogenannte  Sandperlen,  welche  noch  so  viel  Glanz  und 
weisse  Farbe  besitzen,  um  verwertet  werden  zu  können.  Eine  gute 
Perle  ersten  Ranges  kommt  nach  v.  Hessling*)  auf  2701,  eine  Perle 
mittlerer  Qualität  auf  2215  und  eine  schlechter  Qualität  auf  1 03 
Muscheln.  Ausser  diesen  weissen  Perlen  finden  sich  aber  auch,  und 
in  grösserer  Häufigkeit  als  diese,  solche  von  brauner  und  von 
schwarzer  Farbe.  Zusammengesetzte  Perlen  von  Stäbchenform  sind 
sogar  häufig  zur  Hälfte  braun,  zur  anderen  Hälfte  schwarz  gefärbt. 
Die  dunklen  Perlen  werden  als  „unreif"  bezeichnet,  obwohl  diese 
Benennung  durchaus  nicht  zutreffend  ist,  weil  auch  grosse  Perlen 
die  dunkle  Farbe  behalten.  Die  Ursache  dieser  Erscheinung  ist 
jedenfalls  in  der  Nahrung  der  Tiere  zu  suchen,  welche  ja  auch  das 
fettfleckige,  unreine  Perlmutter  der  Schalen  erzeugt.  Die  aus  der 
Urgebirgsformation  kommenden  Gewässer  haben  in  der  Regel 
eine  dunkle  Färbung,  welche  durch  eine  starke  Beimischung  von 
Humussäure  erzeugt  wird,  und  dieses  die  Bildung  wertvoller 
Perlen  sehr  beeinträchtigende  Verhältnis  wird  sich  wohl  nicht 
beseitigen  lassen. 

Versuche,     um    auf   künstlichem    Wege    Perlen     zu     erzeugen, 
beziehungsweise     durch     Einschieben     kleiner     Kügelchen    u.    s.    w. 


*)  Theod.  V.  Hessling:   „Die  Perlmuscheln  und  ihre  Perlen".   Leipzig  1859.    Ich 
bin  im  ganzen  den  Ausführungen  dieses  Autors  gefolgt. 


]^50  ^^^  Mollusken  des  Süsswassers. 

zwischen  INIantel   und  Schale    das  Tier    zur  Perlenbildung    zu    ver- 
anlassen, haben  keine  günstigen  Resultate  ergeben. 

Die  Ernte  der  Perlenbäche  gilt  in  Deutschland  durchaus  als 
Staats-Regal ;  sie  wird  aber  gewöhnlich  an  Private  verpachtet,  welche 
das  Fischen  und  die  Behandlung  der  Muscheln  ohne  jede  Kennt- 
nis der  Eigentümlichkeiten  derselben  betreiben  und  dadurch  den 
Bestand  an  Perltieren  arg  schädigen. 


Die  deutschen  Süsswasserfische 

und  ihre  Lebensverhältnisse. 


Von  Dr.  A.  SeligO  in  Heiligenbnmn  bei  Danzig. 


llerrscher  im  Wasser  ist  der  Fisch.  Es  giebt  kaum  irgend 
einen  Wasserorganismus,  der  ihm  nicht  direkt  oder  indirekt  Nutzen 
bieten  muss.  Das  Wasser  ist  auch  ausschliesslich  das  Element,  in 
welchem  die  Fische  dauernd  zu  leben  vermögen.  Zwar  können 
nicht  wenige  Fische  ausserhalb  des  Wassers  eine  mehr  oder  minder 
kurze  Zeit  am  Leben  bleiben,  —  es  giebt,  besonders  in  den  Tropen, 
sogar  Fischarten,  welche  freiwillig  an  das  Land  gehen*),  —  aber 
auch  in  diesen  Fällen  kann  das  Luftmeer  nur  vorübergehend 
mit  dem  Wasser  vertauscht  werden,  und  die  Fische  müssten  zu 
Grunde  gehen ,  wenn  man  ihnen  die  zeitweilige  Rückkehr  in  das 
Wasser  verwehrte. 

Ist  das  Vorhandensein  des  Wassers  die  erste  Lebens- 
bedingung des  Fisches,  so  ist  in  zweiter  Linie  die  Beschaffenheit 
des  Wassers  in  Betracht  zu  ziehen.  In  dieser  Beziehung  sind  nament- 
lich die  mittlere  Wärme  des  Wassers,  sein  Luftgehalt  und  sein  Gehalt 
an  anderen  gelösten  Stoffen  für  die  Arten  der  Fische  als  Lebens- 
bedingungen massgebend. 

Das  natürliche  Wasser  kommt  auf  der  Erdoberfläche  nirgends 
in  chemischer  Reinheit  vor.  Der  grösste  Teil  des  irdischen  Wassers, 
das  Meerwasser,  enthält  bekanntlich  etwa  3.5  ^jo  an  Kochsalz  und 
zahlreichen  anderen  Salzen  in  Lösung.  Da  die  meisten  Fischarten 
des  Meeres  im  süssen  Wasser  bald  sterben,  anderseits  die  Süsswasser- 


*)  z.  B.  die  Labyrinthfische  und  Salart'as  scandens  Ehrenberg. 


154         -^'^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

fische  im  Meerwasser  meist  nicht  lange  aushalten,  so  scheidet  die 
Stärke  des  Salzgehaltes  im  Wasser,  dessen  die  Fischarten  bedürfen, 
diese  in  Süsswasserfische  und  Meerfische. 

Eine  Anzahl  von  Fischarten  ist  allerdings  im  stände,  von  Zeit 
zu  Zeit  den  Aufenthalt  in  der  einen  Wasserart  mit  dem  in  der 
andern  zu  vertauschen.  Diese  als  Wanderfische  bezeichneten  Arten 
folgen  bei  dem  Wechsel  ihres  Lebenselementes  dem  mächtigen 
Fortpflanzungstriebe. 

Das  süsse  Wasser  enthält  in  der  Regel  noch  0-004  bis  0-02  *^/o 
Salze,  meist  Kalksalze,  in  Lösung.  Bringt  man  die  Fische  in  ganz 
salzfreies  destilliertes  (wenn  auch  lufthaltiges)  Wasser,  so  tritt  der  Tod 
in  wenigen  Stunden  ein,  indem  die  Gewebe  der  vom  Wasser  direkt 
bespülten  Organe,  namentlich  der  Kiemen,  quellen  und  funktions- 
unfähig werden  1).  Eine  geringe  Menge  im  Wasser  gelöster  Salze  ist 
also  für  das  Leben  auch  der  Süsswasserfische  nötig,  welche  den 
ausschliesslichen  Gegenstand  dieser  Schilderung  bilden  werden. 

Der  unbeschränkten  Ausbreitung  der  Süsswasserfische  stehen 
im  allgemeinen  die  Grenzen  der  von  ihnen  bewohnten  Gewässer, 
nämlich  das  feste  Land  und  das  Meer,  entgegen.  Das  letztere 
wird  nicht  nur  von  den  eigentlichen  Wanderfischen,  sondern  auch 
von  einigen  anderen  Arten,  welche  gegen  den  Salzgehalt  minder 
empfindlich  sind,  gelegentlich  passiert*)  un(^, dient  daher  ausnahms- 
weise zur  Verbreitung  solcher  Arten 2).  Auch  das  Land,  welches 
die  Flusssysteme  trennt,  ist  keine  absolute  Schranke  für  die  Fische. 
Die  Übertragung  der  Fischeier  durch  Wasservögel  und  Landtiere, 
Überschwemmungen  niedriger  Teile  der  Wasserscheiden,  unter 
Umständen  auch  dauernde  geologische  Veränderungen  der  letzteren 
ermöglichen  die  Verbreitung  der  Fischarten  aus  einem  Flusssystem 
in  ein  benachbartes.  Hierzu  kommen  die  allmählichen  Veränderungen, 
welchen  die  Konturen  des  Festlandes  im  Laufe  der  geologischen 
Perioden  unterworfen  sind  und  welche  die  weitläufige  Trennung  von 


*)  Es  kommt  auch  vor,  dass  einzelne  Seefische,  welche  den  Aufenthalt  im  Süsswasser 
vertragen,  sich  gelegentlich  in  die  Ströme  verirren  und  in  diesen  weit  aufwärts  schwimmen, 
z.  B.  die  Flunder,  die  Lamprete.  Indessen  sind  diese  Fische  nicht  zur  Süsswasserlauna  zu 
rechnen,  vielmehr  als  Meerfische  zu  betrachten. 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  ]  55 

ursprünglich  eng  verbundenen  Landmassen  bewirken,  während  sie 
anderseits  Länder,  die  von  einander  entfernt  gelegen  haben,  durch 
Landbrücken  mit  einander  verbinden  können.  Dies  sind  die  Um- 
stände, welche  die  Verbreitung  der  Fischarten  des  süssen  Wassers 
herbeizuführen  pflegen. 

Das  Gebiet,  mit  dessen  Süsswasserfischen  wir  uns  hier  zu 
beschäftigen  habend),  möge  so  begrenzt  sein,  dass  es  die  Fluss- 
systeme, welche  vom  Rhein  bis  zur  INIemel  an  den  Südküsten 
der  Nord-  und  Ostsee  münden,  sowie  das  Donaugebiet 4)  um- 
fasst.  Ausserhalb  des  so  umschriebenen  Gebietes  liegt  von  deutschen 
Ländern  nur  der  zum  Etschgebiet  gehörige  Teil  von  Tirol  5).  Das 
so  umgrenzte  deutsche  Fischgebiet  gehört  bezüglich  seiner  Fisch- 
arten dem  europäisch-nordasiatischen  Gebiete  an,  liegt  also  nach 
Sclatersß)  zoogeographischer  Einteilung  in  der  paläarktischen 
Region.  Unter  den  Fischarten  des  Gebietes  sind  daher  am 
stärksten  vertreten  die  Familien  der  in  dieser  Region  so  verbreiteten 
Cypriniden  und  Salmoniden. 

Der  Ursprung  dieser  Familien  ist  ein  fast  entgegengesetzter  zu 
nennen.  Die  Cypriniden  bilden  etwa  ein  Dritteil  aller  bekannten 
Süsswasserfische  der  Gegenwart.  Günther'')  nimmt  an,  dass  sie 
ihren  Ursprung  in  der  Alpenregion  genommen  haben,  welche  die 
gemässigten  und  tropischen  Teile  Asiens  scheidet.  Von  hier 
breiteten  sie  sich  nach  Norden  und  Süden,  nach  Osten  und  Westen 
aus.  Australien  nebst  Celebes  und  die  übrigen  ozeanischen  Inseln, 
sowie  Südamerika  wurden  \-on  ihnen  nicht  erreicht.  In  der  Gegend 
unseres  Gebietes  fanden  sie  sich  schon  in  der  Tertiärzeit  vor.  Die 
Salmoniden  dagegen  scheinen  ihren  Ursprung  im  kalten  Norden 
genommen  und  während  der  Eiszeit  sich  in  einzelnen  Vertretern 
weit  nach  Süden  verbreitet  zu  haben.  Die  meisten  Arten  finden 
sich  auch  jetzt  in  den  nördlichen  Teilen  unserer  Hemisphäre  und 
auch  die  Arten  unseres  Gebietes  beschränken  sich  fast  durchgehends 
auf  kühle  Gegenden  der  Gewässer. 

Nicht  gering  an  Zahl  sind  in  unserem  Gebiet  auch  die 
Vertreter  der  Familie  der  P  e  r  c  i  d  e  n.  Diese  Familie  ist  weit 
verbreitet    im    Süsswasser    und    in    den    Meerküstenc-ecrenden     aller 


J^56         ^^^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

Regionen.  Ihre  Reste  findet  man  in  den  Ablagerungen  seit  der 
Tertiärzeit. 

Die  Zahl  der  im  Gebiet  vertretenen  Familien  der  Fische 
beträgt  vierzehn,  aus  ihnen  gehören  hierher  vierzig  Gattungen 
mit  siebzig  bis  achtzig  Arten.  Die  überwiegende  Zahl  gehört,  wie 
überall  im  Süsswasser,  zu  den  Knochenfischen. 

Aus  der  Familie  der  Per  cid  en  kommen  vor  die  Gattungen 
der  Barsche,  Zander,  Streber  und  Kaulbarsche.  Der  Flussbarsch 
(Per Cd  ßuviatilis  L.)*)  ist  nicht  nur  durch  das  ganze  Gebiet  ver- 
breitet, sondern  findet  sich  durch  ganz  Europa,  Nordasien  und 
Nordamerika.  Er  ist  bei  uns  einer  der  gemeinsten  Fische, 
und  fehlt  kaum  in  irgend  einem  Tümpel.  Der  Zander  oder 
Schill  (Liicioperca  sandra  C.)  ist  ein  östlicher  Fisch,  welcher  sich 
von  Osteuropa  aus  nach  Westen  verbreitet  zu  haben  scheint.  Er 
findet  sich  ursprünglich  nicht  im  Rheingebiet  und  im  Gebiet  der 
Weser.  Obwohl  er  in  den  Seen,  in  denen  er  vorkommt,  vor- 
trefflich wächst  und  daher  durchaus  nicht  als  ausschliesslicher 
Flussfisch  bezeichnet  werden  kann,  so  findet  man  ihn  doch  in 
zahlreichen  von  den  von  ihm  bewohnten  Hauptströmen  weit 
abgelegenen  Seen  desselben  Flussgebietes  nicht,  was  darauf  schliessen 
lässt,  dass  seine  Ausbreitung  spät  nach  dem  Ende  der  Eiszeit, 
wenn  auch  während  des  Bestehens  der  Verbindung  zwischen  Elbe, 
Oder  und  Weichsel  erfolgt  ist.  Eine  nahe  verwandte  Art  ist 
L.  volgensis  PalL,  die  sich  in  der  Donau  und  ihren  grossen 
ungarischen  Nebenflüssen,  sowie  in  den  übrigen  Flüssen  des  pontisch- 
kaspischen  Gebietes  findet.  Ganz  auf  die  Donau,  bezw.  auf  das 
pontische  Gebiet  beschränken  sich  die  Arten  der  Streber  (Aspro 
zingel  C.  und  A.  streber  Syb.),  welche  gelegentlich  auch  in  den 
Zuflüssen    der    obern    Donau    gefunden    werden.      Von    den    Kaul- 


*)  Da  für  die  vorliegende  Abhandlung  nur  ein  im  Verhältnis  zu  dem  weiten  Umfange 
des  Themas  geringer  Raum  zur  Verfügung  gestellt  werden  konnte ,  so  musste  auf  die 
Beschreibung  der  einzelnen  Fischarten  sowie  auf  Abbildungen  verzichtet  werden.  Man  findet 
mehr  oder  weniger  ausführliche  Beschreibungen  in  den  im  Litteraturverzeichnis  angeführten 
Werken  von  Heckel  und  Kner,  von  Siebold,  Benecke  u.  a.  ;  neuerdings  sind  mehrere 
Werke*)  erschienen,  welche  eine  zum  Bestimmen  der  Fischarten  bequeme  Übersicht  der 
Hauptmerkmale  bieten,  sowie  Auszüge  aus  dem  Beneckeschen  Werke^),  welche  die 
meisten  deutschen  Fische  in  guten  Abbildungen  geben. 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.         ^57 

barschen  ist  der  gemeine  Kaulbarsch  {Acerina  cernua  L.)  durch 
das  Gebiet,  durch  ganz  Mitteleuropa  und  Sibirien  verbreitet.  Auch 
er  fehlt  bei  uns  kaum  in  irgend  einem  Gewässer.  Der  ihm  ver- 
wandte Schrätzer  (Acerina  schrätzer  L.)  dagegen  findet  sich 
ausschliesslich  in  den  Zuflüssen  des  Schwarzen  Meeres,  also  auch 
im  Donaugebiet. 

Während  die  Pereiden  ziemlich  gleichmässig  im  Salzwasser 
und  in  den  süssen  Gewässern  verbreitet  sind,  gehört  die  Familie 
41  der  Cottiden  fast  ausschliesslich  dem  Meere  an.  Ein  Vertreter 
dieser  Familie,  der  Kaulkopf  (Cottus  gobio  L.),  lebt  auch  in  den 
süssen  Gewässern  der  paläarktischen  Region,  wählend  er  im  Meere 
nur  in  der  salzarmen  Ostsee  östlich  von  Gotland  vorkommt. 
Wenig  verschieden  von  ihm  ist  der  C.  poecilopus  Heck.io)^  welcher 
sich  in  den  Gewässern  der  Karpathen  aufhält,  sonst  nur  noch  aus 
den  Pyrenäen  bekannt  ist.  Gleichfalls  aus  den  Küstengegenden 
■des  Meeres  stammt  die  Familie  der  Stich linge  (Gasterosteiden), 
welche  meist  Bewohner  des  Seewassers  wie  des  Süsswassers  sind. 
Wir  haben  in  unseren  süssen  Gewässern  zwei  Stichlingsarten,  von 
denen  die  kleinere  (Gaster osteus  pimgitius)  vornehmlich  in  den 
süssen  Gewässern  der  Küstengegenden  vorkommt,  die  grössere 
(G.  aculeatits)  auch  die  mehr  im  Binnenlande  belegenen  Gewässer- 
teile bewohnt,  ohne  dass  beide  Arten  indessen  sich  ausschliessen. 
Man  unterscheidet  bei  beiden  Arten  je  zwei  Varietäten,  von 
denen  die  eine  (trachurus)  an  den  Seiten  des  Schwanzes  ebenso 
wie  an  den  Körperseiten  Knochenplatten  trägt  und  längere  Stacheln 
besitzt,  während  die  zweite  (leiurus)  kleinere  Stacheln  und  einen 
unbewehrten  Schwanz  hat.  Beide  Stichlingsarten  sind  durch  das 
ganze  Gebiet  mit  Ausnahme  der  Donau  und  ihrer  Zuflüsse  x&x- 
breitet.  Über  unser  Gebiet  hinaus  findet  sich  der  kleine  Stichling 
an  allen  Küsten  der  Nordmeere,  der  grosse  Stichling  durch  ganz 
Europa  mit  Ausnahme  des  pontischen  Gebietes,  sowie  in  Algier 
•und  in  Nordamerika  11). 

Zu  einer  echten  Seefischfamilie,  den  Dorschen  (Gadoiden), 
-gehört  ferner  ein  anderer  unserer  verbreitetsten  Fische,  die  Aal- 
•quappe  oder  Rutte  (Lota  vulgaris  C.),  welche  sowohl  in  Flüssen 


158         -^^^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

und  Bächen,  als  auch  in  tieferen  Seen  der  paläarktischen  Region 
sich  überall  verbreitet  findet.  Als  einzigen  Vertreter  einer  überaus 
zahlreichen  Familie  des  Süsswassers,  der  Siluriden,  besitzen  wir 
den  Wels  oder  Seh aiden  (Sihtris  g/anis 'L.),  der  durch  Osteuropa 
bis  zum  Rhein  und  in  Nordasien  verbreitet  ist.  Die  Siluriden 
bilden  nach  Günther  ein  Vierteil  aller  bekannten  Süsswasserfische. 
Ihre  Heimat  ist  anscheinend  in  Ostindien  zu  suchen;  von  dort 
haben  sie  sich  durch  die  süssen  Gewässer  fast  aller  Gegenden, 
besonders  aber  in  den  Tropen,  verbreitet.  * 

Von  Cyprinideni2)  besitzt  unsere  Fauna,  abgesehen  von 
lokalen  Varietäten  und  Bastardformen,  etwa  dreissig  Arten.  Man 
hat  die  zahlreichen  x\rten  der  Cypriniden  zu  Gruppen  zusammen- 
gestellt. Zu  der  Gruppe  der  Cypriniden  gehören  der  Karpfen,  die 
Karausche,   die   Barben  und  die  Gründlinge. 

Der  Karpfen  (Cyprinus  carpio  L.)  stammt  anscheinend  aus 
Südosteuropa,  wo  er  im  Gebiete  des  Pontus  und  des  Caspisees 
bis  weit  nach  Mittelasien  hinein  wild  lebt.  In  Europa,  neuerdings 
auch  in  Nordamerika  ist  er  durch  die  Fischzucht  jetzt  weit  ver- 
breitet. Die  Teichwirtschaft,  welche  in  Böhmen  sich  besonders 
stark  entwickelt  hat,  hat  mehrere  Varietäten  erzeugt.  Zu  diesen 
gehört  der  Lederkarpfen,  welcher  keine  Schuppen  trägt,  der  Spiegel- 
karpfen (C.  rex  cyfrinoriim),  welcher  an  jeder  Körperseite  nur 
eine  Reihe  sehr  grosser  Schuppen  trägt,  der  blaue  Karpfen,  der 
Goldkarpfen  (Carpe  d'or),  dessen  rötlicher  Schimmer  nach  Car- 
bonnier  von  der  Lachsfarbe  seines  Fleisches  herrührt,  der  galizische 
Karpfen  u.a.  Die  Karausche  (Carassins  viilgaris'^ih)  ist  über  das 
ganze  Gebiet  wie  überhaupt  in  der  paläarktischen  Region  verbreitet. 
Sie  bewohnt  stehende  und  langsam  fliessende  Gewässer  mit  weichem 
Grunde.  Als  Giebel  bezeichnet  man  im  Gegensatz  zu  der  hoch- 
rückigen  sog.  Seekarausche  die  schlankeren  Formen,  welche  sich  in 
kleinen  Gewässern  entwickeln.  Eine  nahe  verwandte  Karauschenart, 
vielleicht  nur  eine  Abart  unserer  gewöhnlichen  Karausche,  ist  der 
aus  Japan  und  China  stammende  Goldfisch  (Carassius  anratus), 
der  in  zahlreichen  Varietäten  (Teleskopfisch,  Schleierfisch)  jetzt  auch 
in  Europa  gezogen  wird  1 3). 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihie  Lebensverhältnisse.         159 

Zu  den  artenreichsten  Gattungen  der  Süsswasserfische  gehören 
die  Barben,  von  denen  man  etwa  200  meist  tropische  Arten  kennt. 
In  unserem  Gebiet  ist  allverbreitet  nur  die  auf  Mitteleuropa  be- 
schränkte Flussbarbe  (Barbits  ßitviatilis  Ag.),  die  Seen  und  Flüsse 
bewohnt.  Eine  andere  Art  (Barbiis  Petenyi  Heck.)  ist  in  den 
Karpathenflüssen,  auch  in  der  Weichsel  gefunden  worden.  Neuer- 
dings alaubt  man  sie  auch  in  der  Lohe,  einem  Oderzufluss,  auf- 
gefunden  zu  haben  14).  Der  Gründling  (Gobio  fluviatilis  C.)  ist 
über  ganz  Europa  verbreitet,  wo  er  in  fiiessenden  und  stehenden 
Gewässern  vorkommt.  Eine  verwandte  Art,  Gobio  iiranoscopus  Ag., 
bewohnt  die  Nebenflüsse  der  Donau,  sowie  einzelne  Gewässer  der 
obern  Weichsel. 

Aus  der  Gruppe  der  Rhodeina  kommt  bei  uns  ein  typischer 
Vertreter,  der  Bitterling  (Rhodeus  ainanis  Bl.),  vor,  der  über  ganz 
Europa  verbreitet  ist. 

In  reicherer  Zahl  finden  sich  in  Deutschland  die  Abramidina, 
zu  denen  die  Bressenarten,  der  Blei,  Rapen,  Uklei,  die  Ziege 
und  das  ^Nloderlieschen  gehören.  Der  Bressen  oder  Brachsen 
{Abramis  brama  L.)  findet  sich  in  ganz  Mitteleuropa,  mit  Aus- 
nahme der  Alpen.  Ebenso  verbreitet  ist  die  Zart  he  (A.  vimba  L.), 
doch  scheint  sie  vom  Rheingebiet  ausgeschlossen  zu  sein.  Einen 
viel  engeren  Verbreitungsbezirk  haben  der  Seerüssling  (A.  nie- 
lanops  H.)  und  der  Pleinzen  (A.  sapa),  welche  auf  das  pon- 
tische  Gebiet  beschränkt  sind.  Die  Zope  (A.  balleriis)  findet  sich 
in  den  Unterläufen  der  Ströme  und  in  den  grossen  Seen  im  Gebiet 
allenthalben.  Sehr  gemein  in  Seen  und  Flüssen  ist  der  Blei  oder 
Güster  (Blicca  Björkna  L.),  der  in  ]\Iittel-  und  Nordeuropa 
vorkommt.  Seltener,  aber  in  den  grösseren  Gewässern  des  Ostens 
ebenfalls  überall  verbreitet,  ist  die  Ziege  oder  der  Sichling 
(Pclcciis  cultratus  L.);  westlich  von  der  Oder  scheint  dieser  Fisch 
zu  fehlen.  Dagegen  ist  der  Uklei  oder  die  Laube  {Alburniis 
lucidus  Heck.)  über  ganz  Mitteleuropa  bis  nach  Frankreich  ver- 
breitet. Nicht  weniger  verbreitet,  aber  selten  und  vielfach  über- 
sehen ist  der  Schneider  (A.  bipiinctatiis  Bl.).  Dagegen  ist  die 
nahe    versvandte    Mairenke    (A.  mento    Ag.)     auf    das    pontische 


■[ßQ  Die  deutschen  Süsswasserflsche  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

Gebiet  beschränkt.  Der  Rapen  oder  Schied  (Aspius  rapax  Ag.) 
und  das  Moderlieschen,  Mutterlosken  oder  Motken  (Leu- 
caspius  delineatus  Sieb.)  sind  dagegen  im  Gebiete  überall  zu  finden. 

Die  grosse  Gruppe  der  Leticiscina  enthält  ebenfalls  mehrere 
Arten  des  Gebietes,  die  Plötzen,  Rotaugen,  Döbeln,  Orfen,  Schleien, 
Nasen,  Elritzen  und  Strömer.  Die  Plötze  (Leuctscus  rutüus  L.) 
ist  im  ganzen  Gebiet  wie  in  ganz  Mittel-  und  Nordeuropa  verbreitet 
und  einer  der  gemeinsten  Fische.  Dagegen  ist  der  Frauen nerfling 
(L,.  virgo  Heck.)  auf  die  Donau  beschränkt,  während  der  Frauen- 
fisch  (L.  Meidingeri  Heck.)  zu  jenen  Bewohnern  der  tiefen 
Alpenseen  gehört,  welche  nur  zur  Zeit  der  Laichablage  gefangen 
werden  können,  sonst  aber  ihr  Leben  in  unzugänglichen  Tiefen  ver- 
bringen. Eine  ähnliche  Verbreitung  wie  die  Plötze  hat  das  mit 
ihr  oft  verwechselte  Rotauge  oder  die  Rotfeder  [Scardinius 
erythrophthahnus  L.).  Auch  die  Orfe  (Idus  nielanotus  Heck.) 
ist  über  das  ganze  Gebiet  verbreitet.  Eine  schöne  Varietät  der- 
selben ist  die  Goldorfe  (var.  miniatus).  Der  Döbel  oder  Aitel 
{Squalius  cephalus  L.)  und  der  Häsling  oder  Hasel  (S.  leu- 
ciscus  L.),  sowie  die  Elritze  oder  Pf  rille  [Phoxinus  laevis  Ag.) 
sind  ebenfalls  im  Gebiete,  namentlich  in  fliessenden  Gewässern, 
überall  zu  finden. 

Sehr  sporadisch  trifft  man  dagegen  den  Ström  er  (Telestes 
Agassizü  Val.)  an,  der  ausser  im  Rhein  und  in  den  Zuflüssen 
der  Donau  neuerdings  auch  in  einem  kleinen  Oderzufluss  am 
Zobten  aufgefimden  isfis).  Die  Nase  {Chondrostoma  nasits  L.) 
ist  ein  osteuropäischer  Fisch,  welcher  in  den  Flussgebieten  der 
Nordsee  mit  Ausnahme  der  Elbe  (wie  der  Zander)  fehlt.  Eine 
andere  Nasenart,  C.  Genei  Bon.,  welche  im  allgemeinen  auf  Süd- 
europa beschränkt  ist,  wird  von  Siebold  auf  Grund  eines  ge- 
legentlichen Vorkommens  zur  Fauna  des  Rheins  gerechnet. 

Die  Schleie  {Tinea  vulgaris  C.)  ist  ein  in  ganz  Europa 
verbreiteter  Fisch  weichgründiger  Gewässer. 

Zweifelhaft  ist  es,  ob  man  zu  den  Cypriniden  auch  die 
kleine    Gruppe   der    Acanthopsiden    oder    Schmerlen    zu    rechnen 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  1.G\ 

hat,  die  sich  namentlich  durch  ihre  knöcherne  Schwimmblasenhülle 
und  durch  den  Bau  ihrer  Untcrschlundknochen  von  den  ihnen 
sonst  nahestehenden  Cypriniden  unterscheiden.  Aus  unserer  Fauna 
gehören  hierher  die  Steinbeisser,  Schlammpeitzker  und  Schmerlen. 
Der  Steinbeisser  (Cobitis  taenia  L.)  findet  sich  durch  ganz  Europa, 
die  Schmerle  (C.  barbahda  L.)  auch  in  Asien,  der  Schlamm- 
peitzker (C  fossilis  L.)  endlich  in  Asien  und  dem  östlichen 
Europa  mit  Einschluss  unseres  Gebietes. 

Eine  ganz  isolierte  Stellung  nimmt  die  Ideine  Familie  der 
Umbriden  ein,  welche  nur  aus  zwei  Süsswasserarten  besteht,  von 
denen  die  eine  im  mittleren  Nordamerika,  die  andere,  der  Hunds- 
fisch (Umbra  Crameri  Müll.),  in  einigen  Nebengewässem  der 
unteren  Donau  (Neusiedler  See,  Plattensee  u.  a.)  und  anscheinend 
auch  in  anderen  Teilen  des  Pontischen  Gebietes  sich  vorfindet. 

Die  Familie  der  Salmoniden  16)  ist  bei  uns  durch  fünf 
Gattungen  vertreten,  deren  Arten  grossenteils  zur  Varietätenbildung 
neigen,  sodass  eine  Übereinstimmmig  unter  den  Fischkundigen 
über  die  Abgrenzung  der  Arten  in  mehreren  Fällen  noch  nicht 
erzielt  ist.  Die  meisten  Arten  sind  als  Sport-  und  Speisefische 
hochgeschätzt  und  werden  als  Edelfische  bezeichnet.  Die  Gattungen, 
welche  hierher  gehören,  sind:  die  Maränen  oder  Renken,  die  Aesche, 
der  Stint,  die  Saiblinge  und  die  Forellen  und  Lachse. 

Es  ist  schon  erw'ähnt,  dass  die  Salmoniden  sich  anscheinend 
von  Norden  her  verbreitet  haben,  dass  sie  noch  jetzt  im  Norden 
die  stärkste  Artentwickelung  besitzen  und  in  unserem  Gebiet  meist 
kühle  Wohnplätze  aufsuchen.  Solche  finden  die  Bewohner  der 
Seen  in  den  sehr  tiefen  Seen  der  Alpen  und  in  einigen  nord- 
deutschen Seen,  in  Tiefen,  in  welchen  beständig  eine  Temperatur 
von  nur  2 — 6°  C.  herrscht.  Grösstenteils  Bewohner  solcher  Seen 
sind  die  Maränen  oder  Coregonen.  Nüsslinis)  hat  die  Arten 
derselben  nach  der  Form  der  Schnauze  und  der  Bezahnung  der 
Kiemenbögen  geschieden;  nach  diesem  System  hat  man  zu  unter- 
scheiden: den  Nordseeschnepel  (Coregontis  oxyrhynchns  L.), 
einen  Wanderfisch,  der  die  Nordsee  bewohnt  und  ihre  Ströme  zur 
Laichzeit  aufsucht,  die  kleine  Maräne   (C.  albnla  L.),  die  in  den 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II,  11 


162  Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

tieferen  Seen  der  baltischen  Seenplatte  von  Holstein  bis  nach  Russ- 
land hinein,  sowie  in  den  skandinavischen  Seen  lebt,  den  Kilch 
oder  Kr  op  ff  eichen  (C.  hianalis  Jur.)  aus  der  Tiefe  des  Boden- 
sees und  des  Ammersees,  den  Ostseeschnepel  (C.  lavaretus  L.), 
der  die  Ostsee  bewohnt  und  in  den  Buchten  und  Haffen  derselben 
laicht,  die  Madümaräne  [C.  maraena  Bl.)  aus  dem  Madüsee  in 
Pommern,  die  Bodenrenke  (C./craJuv.)  aus  den  tiefen  schweize- 
rischen, oberösterreichischen  und  bayrischen  Seen,  die  Pulssee- 
maräne  (C.  generosus  Petersj  i"?)  aus  dem  Pulssee  in  der  branden- 
burgischen Neumark  18)  (Ostseeschnepel,  Madümaräne,  Bodenrenke 
und  Edelmaräne  werden  von  Anderen  für  Varietäten  einer  Art  ge- 
halten) 19),  femer  den  Blaufelchen  (C.  Wartmamii  Bl.)  aus  den 
tieferen  nordalpinen  Seen,  die  Traunseemaräne  (C.  Steindachneri 
Nüssl.),  Pfäffikoner  Maräne  (C.  Sulzeri  ^ms\.)  aus  dem  Traunsee 
bezw.  Pfäffikoner  See,  und  den  Gang  fisch  (C.  macrophthalnms 
Nüssl.)  aus  dem  Bodensee  (die  drei  letztgenannten  Arten  werden  von 
anderer  Seite  für  Varietäten  des  Blaufelchen  gehalten). 

Die  Aesche  (Thymallus  vulgaris  Nils.)  ist  ein  anderer  Sal- 
monide,  der  kleine,  raschfiiessende  Flüsse  im  ganzen  Gebiete  bewohnt 
und  über  dasselbe  hinaus  durch  Europa  verbreitet  ist;  verwandte 
Formen  finden  sich  in  Nordasien  und  Nordamerika.  Der  Stint 
(Osmenis  eperlanus  L.)  findet  sich  an  den  Küsten  des  nördlichen 
Teiles  des  Atlantischen  Ozeans  und  in  dessen  Zuflüssen,  in  denen 
er  laicht.  Im  Rhein  ist  er  nicht  beobachtet  worden.  In  einigen 
norddeutschen  Seen  kommt  er  ebenfalls  vor,  ohne  zum  Meere  zu 
wandern. 

Die  naheverwandten  Gattungen  der  Saiblinge,  Lachse  und 
Forellen  hat  man  nach  Siebolds  Vorgange  nach  der  Bezahnung 
des  in  der  Gaumendecke  liegenden  Pflugscharbeins  unterschieden. 
Das  Pflugscharbein  der  Saiblinge  (Salmo)  hat  eine  bezahnte  Platte, 
aber  einen  unbezahnten  Stiel;  das  der  Lachse  (Trutta)  hat  einen 
bezahnten  Stiel  bei  unbezahnter  Platte,  während  bei  den  Forellen 
(Trutta)  sowohl  Stiel  wie  Platte  bezahnt  sind.  Der  Saibling 
(Salmo  salveliuus  L.)  bewohnt  die  tiefen  Gebirgsseen  Älittel-  und 
Nordeuropas.     Der  ebenfalls  zu  den  Saiblingen  gerechnete  Huchen 


Die  deutschen  Süsswasseifischc  und  ihre  Lebensverhältnisse.  163 

(S.  liuclio  L.)  kommt  ausschliesslich  im  Donaugebiete  vor.  Der  Lachs 
(Triitta  salar  L.)  bewohnt  den  nordatlantischen  Ozean,  mit  Aus- 
schluss des  Schwarzen  Meeres  und  des  JNIittelmeeres,  und  steigt  in 
die  Flüsse,  welche  sich  in  die  von  ihm  bewohnten  Meere  ergiessen, 
zum  Laichen  auf.  Die  Forellen  unterscheidet  man  als  Bachforelle 
(T.  fario  L.),  Seeforelle  (T.  lacitstris  L.)  und  Meerforelle  (T. 
trutta  L.).  Die  beiden  letzteren  Arten  sind  ursprünglich  wohl  Ab- 
arten der  Bachforelle  20),  aber  durch  verschiedene  Lebensweise  und 
körperliche  Abweichungen  von  ihr  unterschieden.  Während  die 
Bachforelle  in  raschfliessenden  Bächen  im  ganzen  Gebiete  lebt, 
bewohnt  die  Seeforelle  die  tiefen  Gebirgsseen,  die  Äleerforelle  die 
Nord-  und  Ostsee;  alle  drei  Arten  laichen  aber  ausschliesslich  in 
Bächen,  in  welche  die  See-  und  die  Meerforelle  zu  diesem  Zweck 
aufsteigen.  Die  Meerforelle  hat  also  eine  ähnliche  Lebensweise  wie 
der  Lachs,  mit  dem  sie  deshalb  oft  verwechselt  wird. 

Die  Familie  der  Hechte  (Esoeiden)  ist  bei  uns  durch  den 
allbekannten,  in  allen  süssen  Gewässern  Europas,  Nordasiens  und 
Nordamerikas  lebenden  Esox  luciiis  L.  vertreten. 

Aus  der  Familie  der  Heringe  (Clupeiden)  sind  zwei  Wander- 
fische zu  unserer  Fauna  zu  rechnen,  der  Maifisch  (Alosa  vulgaris 
C.)  und  die  Finte  {Alosa  finta  C.).  Ersterer  bewohnt  die  Küsten- 
gegenden im  nördlichen  Atlantischen  Ozean,  die  letztere  verbreitet 
sich  noch  mehr  südlich  und  östlich  bis  zum  Nil.  Beide  besuchen 
zum  Laichen  die  Süsswasserströme.  Die  Weichsel  wird  indessen 
nur  von  der  Finte  besucht.  Zur  Familie  der  Muräniden  gehört 
unser  Aal  (Angiiilla  vulgaris  Flem.),  der  in  allen  Flüssen  lebt, 
die  in  den  Nordatlantischen  Ozean  gehen,  mit  Einschluss  des 
Mittelmeergebietes,  mit  Ausschluss  aber  der  Pontischen  Flüsse. 

Wenden  wir  uns  nun  von  den  Knochenfischen  zu  den 
Ganoiden,  so  finden  wir  die  Familie  und  Gattung  der  Acipen- 
s  er  inen  2  t)  in  mehreren  Arten  vertreten.  Der  Stör  (Acipenscr 
sturio  L.)  ist  ein  W^anderfisch  und  bewohnt  den  Nordatlantischen 
Ozean  mit  Ausschluss  des  Mittelmeeres  und  seiner  Nebenmeere, 
also  auch  des  Schwarzen  Meeres.  Das  letztere  wird  dagegen  von 
mehreren  verwandten  Arten  bewuhnt.     Es  sind  dies  der  Glatt  dick 


1G4  -Di^  deutschen  Süsswasseifische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

fA.  glaber  Heck.),  der  Scherg  (A.  stellatus  Pall.),  der  Dick  (A. 
schypa  .Güldenst.),  der  Waxdick  (A.  Güldenstädtii  Brandt)  upd 
der  Hausen  (A.  hiiso  L.).  Alle  diese  Störe  wandern  zur  Laich- 
zeit in  die  Flüsse,  die  letztgenannten  in  die  Donau  und  die  anderen 
Ströme  des  Pontusgebietes ,  der  Stör  in  die  europäischen  und 
amerikanischen  Flüsse  seines  Wohngebietes,  um  hier  zu  laichen. 
Mehr  Standfisch  ist  der  Sterlet  (A.  ruthenns  L.),  welcher  die  Pon- 
tischen  Flüsse,  ausserdem  aber  auch  die  in  das  Eismeer  mündende 
Düna  bewohnt  und  das   Meer  in   der  Regel  nicht  aufsucht. 

Aus  der  Ordnung  der  Cyclostomen  endlich,  deren  von  den 
übrigen  Fischen  völlig  abweichender  Bau  Anlass  gegeben  hat,  diese 
Tiere  von  der  Klasse  der  Fische  ganz  auszuschliessen,  gehören  zu 
unseren  Süsswasserfischen  zwei  Vertreter  der  Familie  der  Petromy- 
zontiden,  das  Flussneunauge  (P.  fluviatiUs  L.),  ein  Wanderfisch, 
der  zum  Zweck  der  Laichablage  aus  dem  Meere  in  die  Süsswasser- 
ströme  wandert,  wo  seine  Larve  mehrere  Jahre  lang  aufwächst,  und 
das  Bachneunauge  (P.  Planeri  BL),  welches  sein  ganzes  Leben 
in  Bächen  imd  kleinen  Flüssen  zubringt.  Beide  Arten  sind  durch 
die  ganze  arktische  Region  verbreitet. 

Überblickt  man  die  jetzige  Ausbreitung  unserer  Fischarten,  so 
lassen  sich  zwei  Hauptrichtungen  der  Verbreitung  erkennen,  eine 
aus  Nordwesten  bezw.  Nord  und  West  kommende,  und  eine  aus 
Südost  bezw.  Süd  und  Ost  kommende.  Der  ersteren  ausschliesslich 
gehören  die  Fische  des  nordatlantischen  Küstengebietes  an:  die 
Stichlinge,  Stint,  Lachs,  Nordseesclanepel,  Meerforelle,  Maifisch,  Finte, 
Aal  und  Stör.  Alle  diese  Fische  sind  von  dem  Gebiet  des  Schwarzen 
Meeres  (Donaugebiet)  ausgeschlossen,  während  demselben  ausschliess- 
lich angehören:  Wolgazander,  die  Streber,  Schrätzer,  Seerüssling, 
Pleinzen,  Mairenke,  Frauennerfling,  Hundsfisch,  Huchen,  Glattdick, 
Dick,  Scherg,  Waxdick  und  Hausen.  Eine  kleine  Reihe  von  anderen 
Fischen  weist  auf  allmähliche  Verbreitunsr  von  Ost  nach  West  hin: 
der  Wels,  der  seine  Westgrenze  im  Rhein  hat,  die  Zärthe,  die  west- 
lich der  Weser  sich  nicht  findet,  der  Zander  und  die  Nase,  deren 
Verbreitung  nach  Westen  mit  der  Elbe  abschliesst,  endlich  die 
Ziege,    welche    nicht    über    die    Oder    hinaus    nach    Westen    geht. 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  165 

Noch  andere  Fische  finden  sich  im  Gebiet  stellenweise,  so  aus  dem 
Süden  eingewandert  der  Barbiis  Pcteiiyi,  der  Gobiiis  iiranoscopus, 
der  Strömer,  das  Chondrostoma  Genei,  aus  dem  Osten  der  Sterlet, 
ferner  an  gewisse  Örtlichkeiten  gebunden  der  karpathische  Kaulkopf, 
der  Ostseeschnepel,  endlich  die  auf  die  tiefen  Seen  beschränkten 
Arten:  der  Frauenfisch,  die  Ideine  Maräne,  die  übrigen  Felchen- 
und   Renkenarten,  der  Seesaibling  und  die  Seeforelle. 

Die  übrigen  Fische  sind  dem  ganzen  Gebiete  gemeinsam. 
Eine  kleine  Zahl  von  ihnen  ist  über  die  ganze  arktische  Region 
(Nordasien,  Europa  und  Nordamerika)  verbreitet:  Barsch,  Aalquappe, 
Hecht,  Fluss-  und  Bachneunauge.  Einige  finden  sich  allgemein  im 
Norden  der  alten  Welt:  Kaulbarsch,  Kaulkopf,  Karausche  und 
Bachforelle.  Die  übrigen  gehören  dem  europäischen  Gebiete  nördlich 
von  den  Alpen  an  und  sind  teilweise  bis  Asien  hinein  verbreitet, 
nämlich  die  meisten  Cypriniden,  die  Acanthopsiden  sowie  die  Aesche. 

Haben  wir  uns  in  dem  bisherigen  über  die  in  unserm  Gebiet 
vorkommenden  Arten  und  ihre  Verbreitung  orientiert,  so  wenden  wir 
vms  nun  zur  Betrachtung  der  Lebensverhältnisse  derselben,  welche 
wir  am  besten  an  der  Hand  ihres  Körperbaues  22)  und  ihrer  Organe 
kennen  lernen. 

Die  äussere  Körperdecke,  die  Haut,  ist  wie  bei  den  höheren 
Wirbeltieren  eine  doppelte,  indem  sie  aus  der  Oberhaut  oder 
Epidermis  und  der  Lederhaut  oder  dem  Corium  zusammengesetzt 
ist.  Die  Oberhaut  besteht  aus  einer  mehrschichtigen  Lage  von 
Zellen,  deren  äusserste  Schichten  zerfallen  und  in  Gemeinschaft 
mit  dem  Schleim  einzelner  grosser  Drüsenzellen  die  Oberfläche  der 
Haut  schlüpfrig  machen.  Die  unter  der  Oberhaut  liegende  Leder- 
haut besteht  aus  Bindegewebsfasern  und  ist  meist  sehr  zähe  (Aal). 
In  taschenförmigen  Vertiefungen  dieser  Haut  liegen  die  Schuppen 23), 
Homplättchen,  welche  sich  meist  dachziegelartig  decken  und  einen 
dichten  Schutzpanzer  bilden  (Pereiden,  Cypriniden,  Salmoniden, 
Clupeiden,  Hecht).  Bei  dem  Hundsfisch  ist  auch  der  Kopf  mit 
Ausnahme  der  Schnauze  mit  Schuppen  bedeckt,  während  derselbe 
bei  den  übrigen  Fischen  frei  von  Schuppen  ist.  Bei  manchen 
Fischen  sind  die  Schuppen  so  fein  und  die  Oberhaut  so  dick,  dass 


j^ßß  Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

die  Schuppen  nicht  ohne  Weiteres  erkannt  werden  können  (Aal, 
bei  dem  sie  in  Zickzacklinien  liegen,  Aalquappe,  Schleihe,  Schmerlen). 
Die  Stichlinge  tragen  an  Stelle  der  Schuppen  an  den  Seiten  schmale 
dünne  Knochenschienen,  welche  zusammenhängende  Seitenpanzer 
bilden.  Der  Körper  der  Störe  ist  mit  starken,  mit  scharfen  Höckern 
versehenen  Hautknochen  als  wirksamem  Schutz  besetzt.  Ganz  ohne 
Hautbewehrung  sind  von  unseren  Fischen  die  Kaulköpfe,  der  Wels 
und  die  Neunaugen. 

Der  Silber  glänz,  welchen  die  meisten  Fische  zeigen,  wird 
dadurch  hervorgerufen,  dass  die  Oberfläche  der  Lederhaut  (bezw. 
die  Innenseite  der  Schuppen)  mit  einer  Lage  von  mikroskopisch 
kleinen,  krystallartig  geformten  Plättchen  bedeckt  ist,  welche  neben 
Kalk  auch  Guanin24)  enthalten*).  Letzterer  Stoß"  findet  sich  auch 
in  der  glanzlosen  Haut  der  Neunaugen  25).  Bei  manchen  Fischen 
bringen  die  Glanzkörperchen ,  namentlich  zur  Laichzeit,  schöne 
Interferenzfarben  hervor  (Stichling,  Bitterling  u.  a.).  Sie  werden  in 
der  Farbenwirkung  unterstützt  durch  die  Farbzellen  (Chroma- 
tophoren)  26),  welche  in  der  Lederhaut  liegen.  Die  meisten  Farb- 
zellen sind  mit  schwarzem  Farbstoff,  viele  auch  mit  rotem  oder 
gelbem  Farbstoff  gefüllt.  Die  letzteren,  Zooerythrin  und  Zoofulvin, 
kommen  nach  Krukenberg2")  auch  bei  den  Vögeln  vor,  fehlen 
aber  eigentümlicherweise  ganz  bei  allen  anderen  Wirbeltier- 
klassen. Die  Farbzellen  der  Fischhaut  haben  in  hohem  Grade 
die  Fähigkeit,  sich  bald  fast  punktförmig  zusammenzuziehen,  wo- 
durch sie  fast  unsichtbar  werden,  bald  sich  wieder  zu  sternförmigen, 
weit  ausgebreiteten  Körpern  auszudehnen  und  damit  ihre  Farbe  zur 
Wirkung  zu  bringen.  Auf  diese  Weise  kann  die  Farbe  der  Fische 
sich  der  ihrer  Umgebung  anpassen  und  dadurch  den  Fisch  vor 
Verfolgern  schützen  oder  die  Wachsamkeit  seiner  Beute  täuschen. 
Dieser  Farbwechsel  ist  von  der  eigenen  Lichtempfindung  des  Fisches 
abhängig;  geblendete  Fische  zeigen  nach  Pouch  et  28)  diese  Farb- 
anpassung nicht.  Bei  manchen  Fischarten,  namentlich  Cypriniden 
(Karausche,    Schleihe,  Orfe,    Barbe,  Plötze),    finden  sich  Varietäten, 


*)  Der  Schuppenglanz  mancher  C)'priniden  wird  im  grossen  rein  gewonnen  zur  Her- 
stellung der  Farbe  künstlicher  Perlen. 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  Jfjy 

denen  die  schwarzen  Farbzellen  ganz  oder  stellenweise  fehlen, 
während  die  roten  und  gelben  stark  entwickelt  sind.  Diese  Varie- 
täten werden  oft  als  Zierfische  in  Parkteichen  gezogen.  In  seltenen 
Fällen  sind  auch  die  roten  Farbstoffe  nicht  entwickelt  (Albinismus), 
oder  die  Silberglanzkörperchen  fehlen  (Alampia).  Normal  fehlen 
die  Glanzkörper  beim  Stint. 

Seine  Stütze  erhält  der  Fischkörper  durch  die  ihn  der  Länge 
nach  durchziehende  Wirbelsäule.  Bei  den  Knochenfischen  besteht 
dieselbe  aus  durchbohrten  bikonkaven  cylindrischen  Knochenstücken, 
den  Wirbeln,  deren  Innenräume  durch  die  elastische  Chorda  aus- 
gefüllt sind.  Nach  oben  und  unten  setzen  sich  an  jeden  ^^'irbel- 
körper  paarweise  knöcherne  Fortsätze  an,  die  Rücken-  und  Bauch- 
strahlen. Die  Rückenstrahlen  jedes  Wirbelkörpers  bilden  einen 
Kanal,  indem  sie  an  ihren  oberen  Enden  mit  einander  verschmelzen. 
In  dem  so  gebildeten  Kanal  an  der  Oberseite  der  Wirbelsäule 
liegt  das  Rückenmark.  Die  Bauchstrahlen  verschmelzen  nur  im 
Schwanzteil  des  Fischkörpers  mit  einander  zu  einem  Kanal,  der 
die  grossen  Blutgefässe  des  Schwanzes*)  aufnimmt.  Im  Vorderteil 
des  Körpers  bilden  sie  als  Rippen  die  Stützen  der  Seitenwände 
der  Leibeshöhle. 

Die  Körperform  der  Fische  ist  entweder  eine  seitlich  mehr 
oder  minder  zusammengedrückte,  oder  mehr  spindelförmig  bis 
walzig.  Erstere  Form  zeigen  am  stärksten  ausgeprägt  der  Bressen 
und  die  Seekarausche,  letztere  der  Aal  und  die  Neunaugen,  sowie 
die  Aalquappe,  der  Schlammpeitzker,  der  Wels,  der  Kaulkopf,  lauter 
Fische,  die  vorzugsweise  am  Grunde  der  Gewässer  leben  und  sich 
gelegentlich  auf  demselben  schlängelnd  bewegen.  Die  hauptsächliche 
Bewegungsart  unserer  Fische  ist  aber  das  Schwimmen  im  freien 
Wasser,  und  hierzu  ist  der  Fischkörper  nicht  nur  selbst  in  geeigneter 
Weise  geformt,  sondern  auch  mit  besonderen  Anhängen  versehen, 
den  Flossen.  Die  Flossen  sind  gebildet  durch  Häute,  welche 
durch  eingelagerte  bewegliche  knöcherne  Spangen  ausgespannt 
werden  können,   etwa  wie  ein  Schirm  oder  ein  mit  Zeug  bezogener 


*)    Diese  Blutgefässe  sticht   man  beim  Schlachten   grosser  Fische  an,    die   man  durch 
Verblutung  töten  will. 


"IQQ         Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

Fächer.  Man  unterscheidet  paarige  Flossen,  welche  an  den  Seiten 
des  Körpers  stehen,  und  unpaare  Flossen,  welche  in  der  Mittellinie 
des  Rückens  und  des  Schwanzes  stehen. 

Die  paarigen  Flossen  sind  meist  zu  zwei  Paaren  vorhanden, 
welche  man  nach  ihrer  gewöhnlichen  Stellung  als  Brustflossen  und 
Bauchflossen  unterscheidet;  sie  entsprechen  den  Gliedmassen  der 
höheren  Wirbeltiere.  Sie  sind  an  Knochen  befestigt,  welche  bei 
den  Brustflossen  mit  dem  Kopf,  bei  den  Bauchflossen  unter  einander 
verbunden  sind.  Sie  fehlen  ganz  den  Neunaugen,  während  der 
Aal  nur  Brustflossen,  keine  Bauchflossen  hat.  Die  unpaaren  Flossen 
unterscheidet  man  je  nach  ihrer  Lage  als  Rückenflossen,  Schwanz- 
flossen und  Afterflossen.  Rückenflosse  und  Afterflosse  sind  dadurch 
am  Fischkörper  befestigt,  dass  jeder  Strahl  der  Flosse  scharnierartig 
verbunden  ist  mit  einer  Knochenschiene  von  kreuzförmigem  Quer- 
schnitt, welche  im  Körper  des  Fisches  liegt  und  sich  je  an  einen 
Rückenstrahl  bezw.  Bauchstrahl  der  Wirbelsäule  anlehnt.  Rücken- 
flossen sind  in  Zweizahl  vorhanden  bei  den  Pereiden,  Aalquappe, 
Kaulkopf  und  den  Neunaugen.  Bei  den  Stichlingen  sind  die  ersten 
Strahlen,  ebenso  wie  die  Bauchflossen,  zu  einzeln  stehenden,  teil- 
weise zackigen  Stacheln  umgewandelt,  welche  als  Waffen  dienen. 
Bei  den  Salmoniden  findet  sich  hinter  der  Rückenflosse  eine  kleine 
sogenannte  Fettflosse,  welche  diese  Familie  von  allen  anderen  ein- 
heimischen Fischen  leicht  unterscheiden  lässt.  Diese  Fettflosse  wird 
als  ein  Überbleibsel  aus  dem  Larvenstadium  des  Fisches  betrachtet; 
sie  hat  keine  festen  knöchernen  Strahlen,  wie  die  übrigen  Flossen, 
sondern  an  deren  Stelle  nur  weiche  hornige  Fäden,  wie  alle  Flossen 
der  Neunaugen,  der  Haie  und  Rochen  und  der  eben  ausgeschlüpften 
Jungen  der  Knochenfische.  Die  Afterflosse  fehlt  nur  den  Neun- 
augen. Sie  beginnt  stets'  kurz  hinter  der  Afteröffhung.  Die 
Schwanzflosse  liegt  bei  den  meisten  Fischen  mit  dem  grössten  Teil 
unterhalb  der  Wirbelsäule.  Die  trotzdem  vorhandene  Symmetrie 
des  Schwanzes  wird  dadurch  ermöglicht,  dass  die  letzten  Wirbel- 
körper zu  einem  Stiel  verschmolzen  und  so  nach  oben  gebogen 
sind,  dass  die  Unterseite  der  Wirbelsäule  und  die  an  sie  sich 
ansetzenden  Schwanzflossenstrahlen  nach  hinten  gerichtet  sind. 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  1(;9 

Sehen   wir    uns    nun   nach    den    Muskeln    um,    welche    die 
Bewesainsen  des  Fisches  bewirken,  so  finden  wir  zunächst  zu  beiden 

DO  ' 

Seiten  der  Wirbelsäule  starke  Fleischmassen,  welche  leicht  einen 
eigentümlichen  Bau  erkennen  lassen.  An  jeden  Wirbelkörper  setzen 
sich  beiderseits  JNIuskelplatten  an,  welche  hohlkegelförmig  gewölbt 
sind,  so  dass  ein  Querschnitt  durch  den  Fischkörper  mehrere  hinter 
einander  liegende  jMuskelplatten  ringförmig  blosslegt.  Die  vier  an 
einer  Stelle  der  Wirbelsäule  sich  ansetzenden  INIuskelplatten  bilden 
einen  jMuskelabschnitt  (Mjokaiwna).  Die  INIuskelabschnitte  sind 
unter  sich  durch  dünne  Bindegewebshäute  (Ligamente)  getrennt*), 
die  einzelnen  ÜNIuskelbündel  liegen  in  den  Muskelabschnitten  in  der 
Längsrichtung  des  Fisches,  ihre  Enden  setzen  sich  daher  nicht  an 
Knochen,  wie  die  meisten  Muskeln  der  höheren  Wirbeltiere,  sondern 
an  Ligamente  an  (interligamentale  Muskulatur).  Die  JMuskelplatten 
bilden  zusammen  zwei  grosse  Seitenmuskeln,  welche  den  grössten 
Teil  des  Fischkörpers  einnehmen  und  die  Bewegungen  des  Schwanzes 
bewirken.  Neben  den  Seitenmuskeln  treten  die  Muskeln  des  später 
zu  betrachtenden  Kopfes  und  die  der  Flossen  an  Umfang  sehr 
zurück.  Die  Muskulatur  der  unpaaren  Flossen  besteht  aus  zahl- 
reichen Ideinen  INIuskelzügen ,  welche  einerseits  an  die  inneren 
Halteknochen  der  Flossen,  anderseits  an  die  Flossenstrahlen  sich 
ansetzen  (interosteale  Muskulatur)  und  die  letzteren  aufrichten, 
niederziehen  und  seitwärtsbiegen  können.  Bei  den  paarigen  Flossen 
wird  die  Ausbreitung  und  die  fächelnde  Bewegung,  welche  dieselben 
ausführen,  durch  stärkere  Muskelbündel  bewirkt,  welche  ebenfalls 
an  den  inneren  Gerüstlcnochen  dieser  Flossen  befestigt  sind.  Wie 
kommt  nun  mittels  der  Flossen  und  ihrer  JMuskeln  die  Orts- 
bewegung zu  Ständers)?  Die  Flossen,  die  paarigen  sowohl  wie 
die  impaaren,  sind  für  sich  allein  nicht  im  stände,  den  Fisch 
schwimmend  zu  erhalten,  wie  durch  Versuche  festgestellt  ist.  Die 
paarigen    Flossen    halten   den   Fisch,    wenn    er   im    freien   Wasser 


*)  Beim  Erwärmen  des  toten  Fischkörpers  lösen  sich  diese  Häute  unter  Leimbildung 
auf,  sodass  die  einzelnen  Muskelplatten  sich  von  einander  trennen  und  leicht  schollenartig 
auseinanderfallen.  In  den  Ligamenten  liegen  namentlich  bei  den  Pereiden  und  Cj-priniden 
feine,  spitze  Stützknochen ,  Fleischgräten ,  welche  sich  als  Knochen  beim  Kochen  nicht 
auflösen. 


]70  ^^^  deutschen  Süsswasseriische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

schwimmend  steht,  im  Gleichgewicht,  auch  wirken  sie  mit  bei 
Wendungen  und  bei  der  Rückwärtsbewegung  sowie  beim  plötz- 
lichen Aufhalten.  Die  unpaaren  Flossen  können  durch  leichte 
wellenförmige  Bewegungen  eine  langsame  Vorwärtsbewegung  des 
Fisches  bewirken.  Das  rasche  Schwimmen  der  Fische  dagegen 
\\ird  durch  Ruderschläge  des  Hinterleibes  bewirkt,  dessen  Fläche, 
um  den  Widerstand  des  leicht  ausweichenden  Wassers  zu  erhöhen, 
durch  iVufrichten  der  unpaaren  Flossen  vergrössert  werden  kann, 
wobei  die  Schwanzflosse  hauptsächlich  als  Steuer  dient.  An  diesen 
Bewegungen,  welche  durch  abwechselnde  Kontraktionen  der  beiden 
Seitenmuskeln  vor  sich  gehen,  nimmt  der  hintere  Teil  des  Körpers 
teil,  welcher  durch  eine  durch  die  \^orderenden  der  Rückenflosse 
und  der  Afterflosse  gelegte  Ebene  abgegrenzt  wird.  Der  Körper- 
teil vor  dieser  Ebene  enthält  die  Leibeshöhle  mit  ihren  Organen 
der  Blutzirkulation ,  der  Verdauung  und  der  Fortpflanzung.  Ein 
Zwerchfell  trennt  die  kleine  Brusthöhle,  welche  das  Herz  ent- 
hält,  von  der  geräumigen   Bauchhöhle. 

Das  Herz30j  liegt,  vom  Herzbeutel  umschlossen,  dicht  hinter 
dem  Kopfe.  Es  besteht  aus  der  muskulösen  Herzkammer  und  der 
dünnwandigen  Vorkammer,  die  durch  ein  Klappenventil  getrennt 
sind.  Der  Vorkammer  schliesst  sich  der  Sinus  venosus  an,  der 
das  Venenblut  aufnimmt  und  der  Vorkammer  zuführt.  Aus  der  Herz- 
kammer entspringt,  mit  einer  Anschwellung  (Bulbus  aortoe)  beginnend, 
die  Kiemenarterie,  welche  das  venöse  Blut  aus  dem  Herzen  in  die 
Kiemen  führt.  Aus  den  Kiemen  sauerstoffreich  zurückkehrend 
sammelt  sich  das  Blut  in  der  grossen  Körperarterie  (Aorta  descen- 
dens),  aus  welcher  es  sich  in  die  Organe  des  Körpers  verteilt.  Das 
hier  gebrauchte  Blut  wird  zur  Ausscheidung  der  nicht  gasförmigen 
Stoffwechselprodukte  durch  die  Leber  und  die  Niere  geführt.  Das 
Produkt  der  Leber 3i),  die  Galle,  sammelt  sich  in  der  Gallenblase 
und  2:elans:t  aus  dieser  in  den  Darm.  Das  Produkt  der  Nieren, 
der  Harn,  wird  durch  die  Harnkanälchen  in  die  beiden  Harn- 
leiter und  sodann  in  der  Regel  zunächst  in  eine  Erweiterung  des 
gemeinsamen  Endteils  derselben,  die  Harnblase,  geführt,  von  wo  er 
durch  einen  Ausführungsgang  hinter  dem  After  nach  aussen  gelangt. 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  {"^  l 

Bei  den  Fischen  liegen  die  Nieren  an  der  Decke  der  Bauchhöhle 
als  zwei  dicht  an  der  ^^'irbelsäule  durch  die  ganze  Länge  der 
Bauchhöhle  sich  erstreckende,  grossenteils  mit  einander  verschmolzene, 
dunkelrote,  sehr  weiche  Organe.  Sie  dienen  bei  den  Fischen  nicht 
allein  zur  Hamabsonderung,  sondern  sie  sind  daneben,  wie  auch 
wahrscheinlich  die  zwischen  den  Eingeweiden  liegende  i\I  i  1  z  3"2), 
die  Vermehrungsstätten  der  roten  Blutkörperchen  33). 

Die  Organe  der  Ernährung  und  ihre  Hilfsorgane  liegen  teils 
in  der  IMundhöhle,  teils  in  der  Bauchhöhle.  Die  Mundhöhle 
nimmt  den  unteren  Teil  des  Kopfes  ein,  während  in  dem  oberen, 
in  einer  Kapsel  aus  Knorpel  (Neunauge,  Stör)  oder  Knochen  (bei 
den  meisten  Knochenfischen),  das  Gehirn  eingebettet  ist.  Die 
Knochen,  welche  den  vorderen  Teil  des  Bodens  des  Hirnschädels 
bilden,  sind  das  Dach  der  Mundhöhle,  deren  Seitenwände  und 
Boden  teils  aus  den  Kiemenbögen  und  den  ihnen  homologen 
Knochenbögen,  den  Unterschlundknochen  und  dem  Zungenbein, 
teils  aus  den  Kieferknochen,  und  aus  ihren  häutigen  und  muskulösen 
Verbindungen  bestehen.  Die  Offnungen  zwischen  den  Kiemen- 
bögen führen  in  die  Kiemenhöhlen,  welche  nach  aussen  durch  die 
mehr  oder  minder  beweglichen  Kiemendeckel  geschlossen  sind. 

Alle  Knochen  der  Mundhöhle  sind  mit  einander  beweglich 
verbunden,  sodass  die  Mundhöhle  bedeutender  Er^veiterung  fähig 
ist.  Je  nach  der  Nahrung  des  Fisches  sind  die  Gestalt  der  INIund- 
öffnuns;  und  die  Bezahnuns:  der  JMundknochen  verschieden.  Die 
Pereiden,  Kaulköpfe,  Aalquappe,  Wels,  auch  manche  C}-priniden, 
wie  Rapen,  Döbel,  Orfe,  ferner  die  Aesche,  der  Stint,  die  Salmo- 
und  Trutta-Arten,  Hecht  und  Aal  haben  ein  breites,  weit  aufsperr- 
bares j\Iaul  und,  mit  Ausnahme  der  Cypriniden,  auf  mehr  oder 
minder  zahlreichen  Knochen  desselben  teils  nur  feine  Zähnchen, 
die  in  grosser  Zahl  mehr  oder  minder  dicht  beisammen  stehen 
(Sammet-,  Bürsten-,  Hechelzähne,  z.  B.  beim  Aal,  Barsch,  Wels), 
teils  zwischen  diesen  noch  grössere  Fangzähne  (Zander,  Hecht,  Lachs, 
Forelle)  3-1).  Diese  Fische  sowie  die  Stichlinge  nähren  sich  aus- 
schliesslich ,  wie  Lachs ,  Hecht ,  Wels  und  Zander ,  oder  teilweise 
von    Fischen,     welche    sie,     auch    wenn    sie    über    die    Mundhöhle 


\'J2         -^i^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

hinausragen,  mittels  der  Zähne  festhalten  können.  Die  meisten 
Cypriniden,  Maränen  und  Chipeiden  haben  dagegen  eine  Ideine 
rundliche  oder  mehr  hohe  als  breite  Mundöffnung,  welche  am  Ende 
einer  rüsselartig  vorstreckbaren,  häutigen  Röhre  liegt,  die  oben  von 
den  halbringförmigen  Zwischen-  und  Oberkieferlmochen,  unten  von 
dem  Unterkiefer  gestützt  wird.  Mittels  dieses  Saugrüssels  schlürfen 
diese  Fische  ihre  aus  kleinen  niederen  Tieren  bestehende  Nahrung 
ein,  nach  welcher  sie  teils  im  freien  Wasser,  teils  an  den  festen 
Gegenständen  in  demselben,  den  Pflanzen,  Steinen,  dem  Holzwerk, 
oder  auf  dem  Grunde  suchen.  Sie  finden  hier  kleine  Crustaceen 
aus  den  Ordnungen  der  Cladoceren,  der  Ostracoden,  der  Copepoden, 
ferner  die  das  Wasser  bewohnenden  Larven  vieler  Insekten,  nament- 
lich der  Mücken  und  Eintagsfliegen,  auch  Würmer,  Rädertiere, 
kleine  Weichtiere,  nehmen  wohl  auch  die  schleimigen  Massen  der 
■  Kieselalgen  und  den  für  sie  allerdings  unverdaulichen  Mvilm  zer- 
fallener Pflanzenteile,  Sand  und  Schlamm  ein,  verschonen  auch 
nicht,  wie  hier  gleich  erwähnt  sein  mag,  Eier  und  Brut  von  Fischen, 
selbst  nicht  die  eigene  Nachkommenschaft.  Man  unterscheidet  die 
letztgenannte  Gruppe  von  Fischen  als  Kleintierfresser  oder  Fried- 
fische von  den  ersterwähnten  Raubfischen  35). 

Während  die  Kiemenspalten  der  breitmäuligen  Fische  ziemlich 
weit  und  nur  mit  weitläufig  gestellten  Zähnen  versehen  sind,  sind 
die  Kiemenspalten  der  engmäuligen  Fische  eng,  meist  kurz,  die 
Kiemenbogen  sind  an  der  Innenseite  mit  je  zwei  Reihen  dicht 
gestellter  Stäbchen  besetzt,  welche  in  einander  greifend  einen  reusen- 
artigen Verschluss  büden,  durch  den  wohl  das  in  die  Mundhöhle 
avifgenommene  Wasser,  nicht  aber  die  feinkörnige  Nahrung  in  die 
Kiemenhöhle  entweichen  kann.  Am  Gaumen  vieler  Cypriniden 
findet  sich  ein  muskulöser  Wulst,  welcher  Sinnesorgane  (Schmeck- 
becherchen)  enthält.  Jede  Berührung  dieses  Organs  bringt  eine 
Anschwellung,  der  berührten  Stelle  hervor.  Es  scheint  auch  durch 
seine  Kontraktionen  beim  Aufsaugen  der  Nahrung  mitzuwirken. 

Am  hinteren  Abschluss  der  Mundhöhle  haben  die  Cypriniden, 
welche  sonst  ganz  zahnlos  sind,  auf  den  Unterschlundknochen 
stumpfe    aber    starke    Zähne,     deren    bei     den    einzelnen    Arten 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  ]^73 

verscliiedene  Form  ein  vorzügliches  Mittel  zur  Abgrenzung  und  Er- 
kennung der  Arten  ist.  Diesen  Zähnen  gegenüber  steht  am  Gaumen 
eine  harte  Knorpelplatte.  Zwischen  den  Zähnen  und  der  Gaumen- 
platte wird  die  Nahrung  zerdrückt.  Die  Zähne  werden  bei  den 
Cypriniden  nach  v.  Siebold  jährlich  in  der  Laichzeit  abgestossen 
und  erneuert. 

Abweichend  von  dem  JNIaul  der  übrigen  Fische  ist  das  der 
Neunaugen  gebaut.  Es  ist  eine  am  vorderen  Körperende  gelegene 
Saugscheibe,  welche  mit  mehreren  zahntragenden  Hornplatten  aus- 
gestattet ist.  Es  dient  dem  Fisch  vornehmlich  dazu,  sich  an  feste 
Gegenstände  oder  an  seine  Beute  anzusaugen.  Die  letztere  wird 
dann  mittels  der  Zähne  angebohrt  und  ausgesaugt. 

Das  durch  die  Kiemenspalten  abfliessende  Wasser  gelangt  in  die 
Kiemenhöhlen,  in  welchen  sich  die  Kiemenbögen  befinden.  Die 
Kiemenbögen  bestehen  aus  gebogenen  rinnenförmigen  Knochen-, 
platten  mit  nach  unten  gekehrten  Rinnen.  In  diesen  Rinnen  laufen 
die  Blutgefässe,  welche  das  Blut  aus  dem  Herzen  in  die  Kiemen  leiten, 
und  andere,  die  das  Blut  aus  den  Kiemen  dem  Körper  zuführen.  In 
den  Kiemenblättchen,  welche  an  jedem  Bogen  in  zwei  Reihen  dicht 
gedrängt  stehen,  tritt  das  kohlensäurehaltige  Blut  mit  dem  sauerstoff- 
haltigen Wasser  in  Gasaustausch,  das  Blut  tritt  sauerstoffreich  in  den 
Körper  zurück,  während  das  verbrauchte  Atemwasser  unter  dem 
Kiemendeckel  durch  die  Kiemenöffnung  abfliesst  und  durch  neues  aus 
der  Mundhöhle  ersetzt  wird.  In  der  Regel  sind  vier  Paar  Reihen 
von  Kiemenblättchen  auf  jeder  Seite  des  Kopfes  vorhanden.  An 
der  Innenseite  des  Kiemendeckels  sitzt  häufig  noch  eine  sogenannte 
Nebenkiemc  (z.  B.  beim  Stör),  welche  aber  funktionslos  ist.  Die 
Acanthopsiden  (Schlammpeitzker,  Steinbeisser  und  Schmerle)  können 
im  Notfalle  auch  durch  den  Darm  die  Atmung  vollziehen,  indem 
sie  Luft  einschnappen  und  durch  den  Darm  treten  lassen,  wobei 
sie  einen  quietschenden  Ton  erzeugen.  Die  anderen  Fische  atmen 
dagegen  hauptsächlich  durch  die  Kiemen.  Manche  Fische,  welche 
einen  sehr  fest  schliessenden  Kiemendeckel  haben,  wie  der  Aal  und 
viele  Cypriniden,  können  stundenlang,  selbst  tagelang  ausserhalb 
des  Wassers  zubringen,  ohne  zu  ersticken,  indem  die  Wassermenge, 


174         Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

welche  in  den  nach  aussen  fest  geschlossenen  Kiemenhöhlen  zurück- 
gehalten ist,  genügt,  um  die  Aufnahme  der  durch  den  JNIund  ein- 
geschnappten Luft  durch  die  Kiemen  zu  vermitteln.  Andere  Fische, 
namentlich  die  mit  sehr  weiten  Kiemenspalten  und  kurzen  Kiemen- 
deckeln versehenen  Salmoniden,  sterben  aus  dem  Wasser  genommen 
sehr  bald  ab.  Bei  den  Neunaugen  weichen  auch  die  Kiemen 
von  denen  der  anderen  Fische  ab.  Sie  sind  nicht  an  Kiemenbögen 
befestigt,  sondern  bestehen  jederseits  in  sieben  Säckchen,  welche  durch 
ein  festes  Knorpelgerüst  gestützt  werden,  und  im  Innern  mit  zahl- 
reichen Kiemenfalten,  welche  die  Stelle  der  Kiemenblättchen  vertreten, 
bekleidet  sind.  Das  Atemwasser  wird  aus  der  Mundhöhle  durch  einen 
besonderen  Längskanal,  welcher  mit  entsprechenden  Seitenöffnungen 
versehen  ist,  zugeführt,  und  fliesst  aus  jedem  Kiemensäckchen  durch 
eine  besondere  Öffnung  nach  aussen  ab.  Die  sieben  äusseren 
Kiemenöffnungen  samt  dem  Auge  und  dem  einfachen  Nasenloch 
sollen  dem  Fisch  seinen  Namen  „Neunauge"  gegeben  haben. 

Ausser  den  Kiemen  atmen  die  Fische  auch  durch  die  Haut, 
wie  A.  von  Humboldt  und  Provencaise)  durch  Versuche  nach- 
wiesen. Kohlensäure  wirkt  nach  diesen  Forschern  tödlich  auf  die 
Fische,  während  Stickstoff  und  Wasserstoff,  wie  bei  den  höheren 
Wirbeltieren,  indifferent  sind.  In  luftlosem  (ausgekochtem)  Wasser 
starben  die  eingesetzten  Fische  nach  18/4  bis  4  Stunden.  Nach 
den  genannten  Untersuchungen  berechnete  Treviranus,  dass  die 
Schleihe,  deren  Sauerstoffbedürfnis  für  gering  zu  halten  ist,  für  je 
100  Gran  Körpergewicht  in  100  Minuten  0.01  cbcui  Kohlensäure  erzeugt, 
während  Säugetiere  das  fünfzigfache  an  Kohlensäure  produzieren. 

Das  verschiedene  Sauers  toffbedürfnis  ist  anscheinend, 
neben  dem  Wärmebedürfnis,  eine  der  Hauptursachen  der  Verteilung 
der  Fischarten  auf  die  einzelnen  Gesenden  eines  und  desselben 
Flussgebietes.  Der  Sauerstoffgehalt  einer  Wassermenge  ist  teils  von 
der  Temperatur,  teils  von  der  Menge  der  Stoffe  bezw.  der  Orga- 
nismen abhängig,    welche  den  Sauerstoff   zu  absorbieren  vermögen. 

Die  Temperatur  übt  einen  wesentlichen  Einfluss  auf  die 
Fähigkeit  des  Wassers,  Luft  aufzunehmen,  aus.  Eine  Wassermenge, 
welche     bei     S°    C-     100     Raumteile     Sauerstoff    aufnimmt,     kann 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.         5^75 

davon  bei  20°  nur  etwa  79.2  Teile  in  Lösung  halten.  INIan  stelle 
sich  vor,  der  Sauerstoffgehalt  der  von  den  Landtieren  eingeatmeten 
Luft  nehme  an  einer  Örtlichkeit  um  etwa  1/5  ab,  und  man  wird 
es  natürlich  finden,  dass  die  Lebew^elt  an  dieser  Ortlichkeit  eine 
abweichende  ist. 

Viel  bedeutender  noch  kann  die  Verminderung  des  Sauerstoffs 
durch  die  Einwirkung  ox}'dierbarer  Substanzen  werden.  Unter- 
suchungen des  Themsewassers  in  der  Umgegend  von  T>ondon  haben 
ergeben,  dass  das  Wasser  dieses  Flusses,  welches  etwa  5  Meilen 
oberhalb  London  bei  Kingston  7.4  cbon  Sauerstoff  im  Liter  ent- 
hält, dicht  bei  London  davon  nur  1.5  cbon,  nach  dem  Durchgange 
durch  die  Riesenstadt,  bei  Woolwich,  sogar  nur  0.25  cbcni,  also  nur 
eine  Spur  Sauerstoff,  den  30.  Teil  von  seinem  Gehalte  in  der 
mnider  verunreinigten  Flussgegend,  enthält  S'J). 

Bei  so  enormer  Verminderung  des  Gehaltes  an  Atemluft  kann 
es  nicht  in  Verwunderung  setzen,  wenn  die  mit  leicht  oxydierbaren 
organischen  Substanzen  gefüllten  Abwässer  grosser  Städte  und 
industriereicher  Gegenden  den  Bestrebungen  zur  Vermehrung  und 
Veredelung  des  Fischbestandes  ein  kaum  zu  überwindendes  Hindernis 
entgegensetzen  3S). 

Nicht  so  jäh  und  verderblich,  wie  die  Abfuhrstoffe  der  Städte 
und  Fabriken,  aber  sicher  auch  von  erheblicher  Wirkung  auf  den 
Sauerstofifgehalt  des  Wassers  sind  die  Reste  abgestorbener  Lebewesen, 
der  organische  Mulm,  welcher  durch  die  Regen-  und  Schneewässer 
aus  dem  Niederschlagsgebiet  des  Flusss3-stems  dem  Wasser  desselben 
auf  seinem  Laufe  zum  Meer  in  immer  steigender  JNIenge  zugeführt 
wird.  Auch  das  Gefälle  und  die  Bodenbeschaffenheit  des  Fluss- 
bettes sind  von  Einfluss :  Ein  über  Kiesbänke  und  Steine  rauschender 
Bach  bietet  seinem  Wasser  mehr  Gelegenheit  zur  SauerstofiFaufnahme, 
als  ein  träges,  tiefes  Gewässer,  in  dem  noch  dazu  der  hinein- 
geschwemmte ]\Iulm  sich  ablagert.  Die  Wirkung  des  Sauerstoff- 
mangels im  Wasser  ist  für  die  Fische  eine  doppelte:  Nicht  nur 
mangelt  den  Organismen,  Tieren  wie  Pflanzen,  die  notwendige 
Lebensluft,  sondern  es  nimmt  auch  die  Bildung  schädlicher  Stoffe, 
besonders  des  betäubenden  Sumpfgases,  zu. 


J  7  (j         Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

Unter  diesen  Verhältnissen  ist  es  verständlich,  dass  sauerstoß- 
bedürftige  Fische  sauerstoffarme  Gewässer  vermeiden.  Anderseits 
bedürfen  manche  Fische  einer  gewissen  Wärme  des  Wassers 
(z.  B.  der  Karpfen),  damit  ihre  Lebensfunktionen,  Ernährung  und 
Fortpflanzung,  zur  Thätigkeit  angeregt  werden.  Solche  Fische  sind 
von  dauernd  kühlen  Gewässern  ausgeschlossen. 

Man  hat  gefunden,  dass  viele  Arten  der  Fische  gemeinsame 
Lebensbedürfnisse  haben,  so  dass  sie  in  Flussstrecken,  welche  eine 
gewisse  Beschaffenheit  haben,  leben  können.  A.  Fritsch39j  hat 
zuerst  die  Flussregionen  Böhmens,  welche  charakteristische  Fisch- 
gesellschaften enthalten,  unterschieden  und  nach  ihren  Hauptfischen 
benannt.  M.  von  dem  Borne  3)  hat  diese  Methode  für  die 
deutschen  Gewässer  durchgeführt,  und  sie  ist  jetzt  allgemein 
angenommen.      Man  unterscheidet: 

1.  die  Forellenregion,  mit  Bachforelle,  Elritze,  den  Kaulköpfen, 
Schmerle,  Döbel, 

2.  die  Aeschenregion,  mit  Aesche,  Barbiis  Petenyi,  Gründling, 
Bachneunauge  (im  obern  Teile  dieser  Region  liegen  die 
Laichstellen  der  Lachse), 

3.  die  Barbenregion,  mit  Barbe,  Huchen,  Nase,  Rapen,  Zärthe, 
Schneider,  Häsling,  Karpfen,  Quappe,  Bitterling,  Mairenke, 
Streber,  Strömer,  Motken, 

4.  die  Bressenregion  (Bleiregion),  mit  Bressen,  Blei,  Wels,  Orfe, 
Rotauge,  Schleihe,  Karausche,  Aal. 

Manche  Fische  finden  sich  in  allen  Regionen,  wie  Hecht, 
Barsch,  Plötze,  Stichling.  Auf  eine  einzige  der  angeführten  Regionen 
beschränkt  ist  kein  Fisch,  vielmehr  werden  die  benachbarten 
Regionen  auch  häufig  aufgesucht. 

Etwas  abweichend  von  den  fliessenden  Gewässern  verhalten 
sich  die  Seen,  deren  Lebensverhältnisse  wesentlich  von  ihrer  Tiefe 
abhängen.  Man  unterscheidet  hier  flache  Bressenseen,  Seen  von 
mehr  als  20  w  Tiefe,  in  welchen  sich  die  kleine  norddeutsche 
Maräne  aufhält,  und  Seen  von  über  50  m  Tiefe,  in  welchen,  je 
nach  ihrer  Tiefe,  verschiedene  INIaränenarten ,  der  Seesaibling  und 
die  Seeforelle  leben. 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  ^77 

Bei  der  Wichtigkeit  des  Atmungsprozesses  spielt  die  Funktions- 
fähigkeit  der  Kiemen  eine  grosse  Rolle.  Sobald  ihre  Oberfläche 
durch  Trockenheit  abstirbt  oder  sobald  sie  sich  mit  einem  dichten 
Belag  \on  Fremdkörpern  bedeckt,  sind  die  Fische  einem  raschen 
Erstickungstode  ausgesetzt:  die  Ursache,  weshalb  Trübungen  des 
Wassers  von  den  Fischen  gemieden  werden  und  ihnen,  wenn  sie 
dauernd,  z.  B.  durch  Fabrikwässer,  verursacht  werden,  den  Tod 
bringen  können. 

Während  das  in  die  ]\Iundhöhle  aufgenommene  Wasser  durch 
die  Kiemenspalten  abfliesst,  gelangt  die  Nahrung  durch  den  trichter- 
förmigen Schlund  in  den  eigentlichen  Darmtractus^i).  Der  Darm 
der  Fische  ist  mehr  oder  minder  gewunden  und  bei  den  Cypriniden 
ein  Schlauch  von  fast  überall  gleicher  Weite.  Bei  den  übrigen 
Fischen  ist  eine  mehr  oder  minder  ausgeprägte  magenartige  Er- 
weiterung vorhanden.  Immer  ist  der  Magendarm  durch  eine  ring- 
förmige Einschnürung,  die  Pförtnerklappe,  vom  Mitteldarm  getrennt. 
Die  mit  einem  Magen  versehenen  Fische,  mit  Ausnahme  des  Welses, 
des  Hechtes  und  des  Hundsfisches,  haben  auf  der  Grenze  zwischen 
Magen  und  Mitteldarm  Blind^chläuche ,  wenige  bei  den  Pereiden, 
den  Kaulköpfen  und  Stichlingen,  viele  bei  den  Salmoniden  und  der 
Aalquappe.  Der  Enddarm  ist  im  Vergleich  mit  dem  Mitteldarm 
weit.  Der  Darm  der  Neunaugen  ist  gerade  und  ohne  Anhänge, 
der  des  Störs  trägt  an  der  Innenwand  eine  spiralig  verlaufende 
Hautleiste  (Spiralklappe).  Von  den  dem  Darm  anhängenden  Drüsen 
ist  die  Leber  schon  erwähnt.  Die  zweite  bei  den  Wirbeltieren  sonst 
vorkommende  Verdauungsdrüse,  das  Pankreas,  fehlt  den  meisten 
unserer  Fische;  es  ist  bis  jetzt  nur  nachgewiesen  bei  Schmerle, 
Stichling,  Hecht,  Barsch,  Aal  und  Forelle,  meist  stark  zerstreut 
zwischen  den  Eingeweiden  42). 

Die  verdauende  Flüssigkeit  der  Fische  wird  daher,  da  auch 
Speicheldrüsen  fehlen  und  die  Galle  nur  bei  der  Aufnahme  der 
Fette  durch  den  Körper  mitwirkt,  meist  ausschliesslich  vom  Darm 
geliefert.  Dafür  vermag  aber  auch  nicht  nur  der  INIagendarm,  wie 
bei  den  höheren  Wirbeltieren,    sondern  jeder  Abschnitt,   selbst  die 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  12 


;[78         ^^^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

kurze  Speiseröhre  der  mit  Magen  versehenen  Fische,  Pepsin  abzu- 
sondern, den  Stoff,  welcher  in  Verbindung  mit  der  bei  den  Fischen 
reichlich  vorhandenen  Säure  die  Eiweissstoffe  für  die  Aufnahme  in 
den  Körper  geeignet  macht  (peptonisiert  43j).  Von  dem  Pepsin  der 
höheren  Wirbeltiere  unterscheidet  sich  das  Pepsin  wenigstens  der 
Forelle  und  des  Hechtes  dadurch,  dass  es  selbst  bei  o  °  noch  ver- 
dauend wirkt  44).  Die  Auflösung  der  Nahrung  beginnt  schon  in 
der  Speiseröhre  und  braucht  erst  im  Enddarm  mit  dem  Auswerfen 
der  unverdauten  Nahrungsteile  aufzuhören.  Am  kräftigsten  ist  die 
Verdauung:  bei  den  Fischfresseni,  minder  intensiv  bei  den  Kleintier- 


"O 


fressern.  Die  Absonderung  der  Nahrungsflüssigkeit  erfolgt  wahr- 
scheinlich von  allen  Zellen  der  Darmschleimhaut,  die  je  nach  ihrem 
Reifestadium  ein  verschiedenes  Aussehen  haben  können  45). 

Von  grosser  Wichtigkeit,  namentlich  für  die  Fütterung  der 
Teichfische,  ist,  dass  die  Fische  rohe  Stärke,  das  Hauptprodukt 
der  meisten  Pflanzen,  fast  gar  nicht  zu  verdauen  vermögen,  während 
gequollene  (gekochte)  Stärke  verdaut  wird  46).  Diese  Thatsache 
bietet  die  Erklärung  zu  der  erst  neuerdings  gehörig  gewürdigten 
Erscheinung,  dass  die  Fische  sich  fast  gar  nicht  von  Pflanzenstoffen, 
sondern  meist  von  Tieren  nähren,  so  dass  in  der  Regel  die  von 
den  Pflanzen  erzeugte  Nahrung  erst  in  den  Körper  eines  niedern 
Tieres  aufgenommen  sein  muss,  bevor  sie  zur  Ernährung  der  Fische 
dienen  kann.  Eine  nur  scheinbare  Ausnahme  hiervon  bilden  die 
Kieselalgen  (Diatomeen),  welche  man  oft  in  INIenge  in  dem  Fisch- 
darm findet.  Diese  in  grosser  Menge  im  Wasser  auftretenden 
mikroskopischen  Pflänzchen,  welche  eine  Hauptnahrung  vieler 
niederer  Wassertiere  bilden,  erzeugen  nicht,  wie  die  meisten  anderen 
Pflanzen,  Stärke,  sondern  an  deren  Stelle  Öl,  das  als  Fett  den 
Verdautmgssäften  der  Fische  zugänglich  ist.  Ähnlich  verhält  sich 
die  Algengattung  Vaitcheria,  die  also  den  Fischen  ebenfalls  direkt 
Nahrung  liefern  könnte. 

Als  Gnmd  für  das  Fehlen  der  stärkeartigen  Stoffe  in  der 
Fischnahrung  hat  man  angeführt,  dass  die  Fische  ebenso  wie  die 
Amphibien  es  nicht  nötig  haben,  ihren  Körper  mit  diesen  wärme- 
erzeugenden Kohlehydraten  gewissermassen  zu  heizen,   da  ihr  Körper 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.         ^^79 

seine  Wärme  von  dem  ihn  umgebenden  Wasser  erhält.  Immerhin 
bewirkt  auch  bei  den  Fischen  die  Respiration  eine  Erwärmung  des 
Körpers  über  die  Temperatur  des  Wassers.  Dieselbe  beträgt  nach 
Broussonet  bei  kleinen  Fischen  1/2  bis  2/3°,  beim  Aal  3/4°,  beim 
Karpfen  i  °.  Despretz  fand  bei  io.83°  C  Wassertemperatur  die 
Körperwärme  von  zwei  KarjDfen  zu  1 1 .69  °,  von  zwei  Schleihen  zu 
1 1.54°  C. 

Änderungen  in  der  Wasserwärme  haben  auch  den  grössten 
Einfluss  auf  die  Lebensfunktionen  der  Fische,  namentlich  auf  die  Er- 
nährung und  Fortpflanzung.  Während  die  meisten  unserer  Fische  bei 
steigender  Wärme  laichen  (Sommerlaicher :  die  Pereiden,  Kaulköpfe, 
Stichlinge,  Wels,  Cypriniden,  Acanthopsiden,  Hecht,  Clupeiden,  Störe 
und  Neunaugen),  legen  andere  ihre  Eier  bei  sinkender  Wärme  ab 
(Winterlaicher :  Aalquappe  und  die  Salmoniden  ausser  Stint,  Huchen 
und  Aesche).  JNIanche  Arten  bedürfen  einer  bestimmten  Mindest- 
wärme, um  laichreif  zu  werden,  namentlich  die  Karpfen,  welche  nicht 
in  Wasser  unter  19°  C.  laichen.  Auch  das  Nahrungsbedürfnis 
ist  abhängig  \^on  der  Wasserwärme.  In  kaltem  Wasser  können  die 
Fische  wochenlang,  ja  manche  Arten  monatelang  ohne  Nahrung 
bestehen.  Viele  Cypriniden  nehmen  im  Winter  auch  im  Freien  keine 
Nahrung  zu  sich;  der  Kaq^fen  z.  B.  frisst  nur,  wenn  das  Wasser 
mindestens  9  °  C  Wärme  hat,  dabei  verliert  er  während  der  Zeit, 
in  welcher  er  nicht  frisst,  nur  etwa  3 — 5  0/0  seines  Körpergewichtes. 
Bei  der  Bachforelle  und  anderen  Raubfischen  nimmt  zwar  die  Fress- 
lust im  Winter  ab,  hört  aber  nicht  völlig  auf.  Die  Forelle  lässt 
auch  im  Sommer  in  der  Ernährung  nach,  wenn  die  Wassertemperatur 
über  2~)°   C.  steigt. 

Bei  höher  steigender  Wärme  sterben  die  Fische.  Der  Karpfen 
verträgt  eine  Höchsttemperatur  von  32 — 35°  C,  der  Barsch  eine 
Temperatur  von  28°  C^').  Rasche  Abkühlung  vertragen  viele 
Fische  ebenfalls  nicht,  allmähliches  Sinken  der  Temperatur  dagegen 
hat  keinen  schädlichen  Einfluss  auf  unsere  Fische,  welche  in  eis- 
kaltem Wasser  lebend  bleiben,  ja,  soweit  sie  geringe  Ansprüche  an 
Luftversorgung  machen  ( Schleihe,  Karausche),  auch  einfrieren  können, 
wenn  nur  die  Eiskälte  nicht  über  die  Eigenwärme  des  Fisches  siegt 

12* 


1QQ         Die  deutschen  Süsswasserlische  und  ihre  Lebensverliältnisse. 

vmd    wenn    durch    die    letztere    eine  Wasserschicht    um    den    Fisch 
flüssig  erhalten  bleibt  (Johannes  Müller). 

Bei  direkter  Einwirkung  des  Frostes  auf  den  Fischkörper 
erstarren  die  Fische  zunächst,  können  aber,  wenn  die  Frostwirkung 
nicht  stundenlang  dauert,  zuweilen  wieder  belebt  werden.  Beim 
Durchfrieren  des  Fischkörpers  sterben  die  Fische  dagegen  natür- 
lich abss). 

Die  Menge  der  von  den  Fischen  aufzunehmenden  Nahrung 
richtet  sich  während  der  Hauptfresszeit  in  erster  Linie  nach  der 
Menge  der  vorhandenen  geeigneten  Nahrungsmittel. 

Die  Fische  können  mit  geringen  Mengen  von  Nahrung  erhalten 
werden,  haben  dann  aber  ein  entsprechend  geringes  Wachstum  und 
zeigen  oft  auch  in  ihrer  Körperform  Abweichungen  von  dem 
normalen  Aussehen  ihrer  Art  (so  ist  die  als  Giebel  bekannte  Abart 
der  Karausche  eine  Hungerform,  —  den  Fischzüchtern  ist  es  längst 
bekannt,  dass  Fische  mit  kurzem  Kopf  rascher  gewachsen  und  des- 
halb geeigneter  zur  Zucht  sind,  als  Fische  mit  gestrecktem  Kopf). 
Anderseits  können  sie  sehr  grosse  Mengen  von  Nahrung  aufnehmen 
und  dementsprechend  wachsen.  Man  weiss  aus  guten  Beob- 
achtungen, dass  ein  Karpfen  am  Ende  des  ersten  Jahres  bei  un- 
günstiger Nahrung  nur  wenige  Gramm,  bei  günstiger  Nahrung  gegen 
I  Kilo  wiegen  kann,  und  dass  das  Gewicht  der  Hechte  im  ersten 
Herbst  ihres  Lebens  zwischen  loo  Gramm  und  mehreren  Pfund 
schwanken  kann. 

Bei  der  Fütterung  verbraucht  die  Forelle  zur  Zunahme  um 
einen  Gewichtsteil  fünf  bis  acht  Gewichtsteile  Futterfleisch,  während 
der  Karpfen  schon  aus  drei  bis  \n.er  Gewichtsteilen  in  gleichem 
Masse  eiweisshaltigen  Futters  einen  Gewichtsteil  Körperzunahme 
gewinnt.  Man  benützt  bei  der  Fütterung  der  Fische  hauptsächlich 
eiweissreiche  Futterarten,  wie  Fleischmehl,  Leguminosensamen,  INIalz- 
treber  u.  a. 

Eine  Anzahl  von  Fischarten  erreicht  in  der  Regel  nur  eine 
bestimmte  geringe  Grösse;  man  kann  diese  Fische  als  Zwergfische 
bezeichnen.  Dahin  gehören  Kaulbarsch,  Kaulkopf,  Stichling,  Gründ- 
ling, Bitterling,  Uklei,  Moderlieschen,    Elritze,    kleine  Maräne,  Stint, 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  Jgl 

die  Neunaugen.  Die  meisten  anderen  Fische  wachsen  entsprechend 
ihrer  Ernährung  sehr  ungleichmässig.  So  erreicht  che  Bachforelle 
in  den  nahrungsarmen  Gebirgsbächen  selten  ein  Gewicht  von  einem 
Pfund,  während  sie  in  Teichen,  Flüssen  und  Seen  (z.  B.  im  Weitsee 
bei  Bereut  in  Westpreussen)  es  zu  einem  Gewicht  von  1 2  Kilo 
bringen  kann.  Karpfen  und  Hechte  hat  man  bis  25  Kilo  schwer, 
Welse  noch  bedeutend  grösser  gefangen.  In  engen  Gefässen  bleibt 
das  Wachstum  der  Fische  beschränkt,  wie  die  konstante  Grösse  der 
in  engen  Gläsern  gehaltenen  Goldfische  zeigt. 

Über  dem  Darm  und  seinen  Anhängen  und  Drüsen  liegt  die 
Schwimmblase,  ursprünglich  eine  Ausstülpung  des  Darmes,  bald 
mit  dem  Anfangsteil  desselben  durch  einen  im  Alter  oft  geschlossenen 
Kanal  verbunden  (Physostomi:  Siluriden,  Cypriniden,  Salmoniden, 
Hecht,  Hundsfisch,  Clupeiden,  Aal,  Stör),  bald  ohne  Ausführungs- 
gang (Pereiden,  Stichlinge,  Aalquappe).  Die  Schwimmblase  fehlt 
dem  Kaulkopf  und  den  Neunaugen.  Sie  ist  ein  häutiger  Sack, 
prall  gefüllt  mit  einer  Gasmischung  aus  Stickstoff  und  Sauerstoff  in 
wechselnden  jMengen  und  etwas  Kohlensäure.  Diese  Gase  gelangen 
nicht  etwa  durch  den  zuweilen  \'orhandenen  Ausführungsgang  in 
die  Schwimmblase,  sondern  sie  werden  von  der  Innenfläche  der- 
selben, wo  sich  oft  Anhäufungen  feiner  Adern,  sogenannte  Wunder- 
netze, finden,  ausgeschieden.  Man  hält  die  Schwimmblase  deshalb 
für  ein  Homologon  der  Lunge  der  höheren  Wirbeltiere;  dem  ist 
jedoch  widersprochen  worden,  weil  sie  oberhalb,  nicht  unterhalb 
des  Darmkanals  wie  die  Lunge,  liegt 47).  Auch  die  Funktion  der 
Schwimmblase  wird  verschieden  gedeutet.  Vielfach  hält  man  sie 
für  einen  hydrostatischen  Apparat,  der  den  Körper  im  Gleichgewicht 
erhält  und  zugleich  geeignet  ist,  durch  Kontraktionen  das  Steigen 
und  Sinken  des  Fisches  zu  regeln.  Indessen  glaubt  Charbonnel- 
Salle  nachgewiesen  zu  haben,  dass  die  Druckschwankungen  der 
Schwimmblase  keinen  Einfluss  auf  das  spezifische  Gewicht  des 
Fisches  und  auf  sein  Auf- und  Niedertauchen  ausüben*).  Ursprünglich 


*)  Platzt  einem  Fisch  die  Schwimmblase  und  verbreitet  sich  die  nicht  mehr  unter 
Druck  stehende  Luft  derselben  in  der  Leibeshöhle ,  so  kann  der  aufgeblähte  Fisch  nicht 
mehr  die  Oberfläche  verlassen  und  schwimmt  auf  dem  Rücken.  Diese  Erfahrung  spricht 
gegen  Charbonnel-Salles  Ansicht. 


\Q2         ^^^  deutschen  Süsswasserfische  u'hd  ihre  Lebensverhältnisse. 

war  sie  vielleicht  ein  Sauerstoffreservoir  (nach  Biot48]  hat  man  bei 
Tiefenfischen  bis  8  7  0^0  Sauerstoff  in  der  Schwimmblasenluft  ge- 
funden). Sie  steht  mit  dem  Hörorgan  in  Verbindung  und  wird 
wohl  auch  andere  Druckwirkungen  als  die  Schallwellen  zur  Em- 
pfindung bringen  helfen. 

Neben  den  Organen  des  Darmtractus  liegen  in  der  Bauch- 
höhle die  Fortpflanzungsorgane  der  Fische,  deren  Produkte  bei 
den  männlichen  Fischen  als  Milch,  bei  den  weiblichen  als  Rogen 
bezeichnet  werden.  Danach  heissen  die  Männchen  auch  Milchner, 
die  Weibchen  Rogner.  Unsere  Fische  sind  sämtlich  getrennten 
Geschlechtes;  nur  bei  einzelnen  Individuen  ist,  wie  in  allen  Tier- 
klassen, gelegentlich  Hermaphroditismus  nachgewiesen. 

Die  Männchen  sind  bei  den  Fischen  oft  kleineres)  und  häufig 
seltener  als  die  Weibchen.  Unter  den  Steinbeissern  hat  man  sogar 
nur   10  0/0  Männchen  gefunden  so). 

Das  Geschlecht  ist  bei  manchen  Fischen,  besonders  ziu-  Laich- 
zeit, auch  äusserlich  durch  die  Beschaffenheit  der  Geschlechtsteile 
oder  durch  sekundäre  Geschlechtsmerkmale  erkennbar.  Die  weib- 
lichen Fische  zeigen  in  der  Laichzeit  einen  durch  die  reifen  Eier 
gewölbten  Bauch,  während  die  Männchen  schlank  bleiben.  Die 
Geschlechtsöffnung,  welche  hinter  dem  After  liegt,  befindet  sich 
beim  Weibchen  oft  an  der  Spitze  einer  kegelförmigen  Erhöhung, 
die  in  der  Laichzeit  gerötet  ist  und  beim  Bitterling  zu  einer  3  —  4  cm 
langen  Legeröhre  auswächst.  Unsere  einheimischen  Süsswasserfische 
sind  sämtlich  ovipar,  d.  h.  die  Weibchen  legen  Eier  ab ;  die  Eier  werden 
erst  nach  dem  Austreten  befruchtet.  Da  eine  innere  Befruchtung 
der  Eier  anscheinend  nie  erfolgt,  so  fehlen  den  Männchen  besondere 
Organe  für  die  innere  Begattung,  ihre  Geschlechtsöffnung  liegt  meist 
in  der  Tiefe  einer  flachen  Rinne.  Sekundäre  Geschlechtscharaktere 
finden  sich  namentlich  als  lebhafte ,  Färbung  bei  den  Männchen 
vieler  Fischarten,  meist  nur  in  der  Brunstzeit.  So  glänzen  nament- 
lich die  Männchen  der  Stichlinge  und  der  Bitterlinge  während  der 
Laichzeit  in  bunten  Farben.  Bei  anderen  Fischen  werden  die  immer 
vorhandenen  Farben  des  Körpers  und  der  Flossen  lebhafter.  Bei 
den  meisten  Cypriniden    tritt    an    den  Männchen    in   der  Laichzeit 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  183 

• 

au  den  Seiten  und  teilweise  auch  am  Kopfe  auf  jeder  Schuppe  ein 
weisses  hartes  Höckerchen  auf,  das  aus  Oberhautzellen  besteht  und 
nach  der  Laichzeit  wieder  \erschwindet.  Bei  den  Coregonen  finden 
sich  ähnliche  Hautwarzen  zur  Laichzeit  bei  beiden  Geschlechtem 
als  Brunstmerkmale.  Beim  männlichen  Schleih  ist  der  zweite  Strahl 
der  Bauchflossen  stark  verbreitert,  verdickt  und  gekrümmt,  gleich- 
zeitig ist  das  Stützskelett  dieser  Flossen  etwas  verstärkt.  Eine  ähn- 
liche Abweichung  findet  sich  bei  den  männlichen  Steinbeissern  am 
zweiten  Strahl  der  Brustflossen. 

Die  Geschlechtsreife  der  weiblichen  Fische  tritt  in  der  Regel 
im  dritten  Jahre  ein,  seltener  später  oder  schon  im  zweiten  Jahre. 
Die  Männchen  werden  oft  schon  im  zweiten  Jahre  laichreif.  Manche 
Lidividuen  (bei  den  Cypriniden,  Lachsen,  Forellen,  Stören,  Aalen) 
bleiben  ganz  unfruchtbar.  Da  diese  Exemplare  besonders  fett  und 
wohlschmeckend  sind,  so  hat  man  die  Fische  auch,  und  zwar  mit 
dem  gewünschten  Zuchterfolge,  kastriert. 

Die  Neunaugen  machen  nach  ihrem  Ausschlüpfen  aus  dem 
Ei  noch  eine  lange  dauernde  Metamorphose  durch  -lo).  Die  Larven, 
Querder  (früher  für  eine  besondere  Art,  Ammocoetes  branchialis, 
gehalten)  sind  blind  und  leben  im  Grunde  der  Bäche.  Gegen  den 
Herbst  des  vierten  oder  fünften  Jahres  beginnt  die  Verwandlung  in 
die  Form  der  erwachsenen  Neunaugen,  nach  deren  Ausbildung  die 
Flussneunaugen,  etwa  20  cm  lang,  in  die  See  hina;bwandern,  von 
wo  sie  nach  mehreren  Jahren  laichreif  zurückkehren,  während  die 
Bachneunaugen  ihre  Laichreife  in  ihren  Heimatsbächen  erreichen 
können.  Die  Neunaugen  laichen  nur  einmal  in  ihrem  Leben,  nach 
dem  Laichen  sterben  sie  ab. 

Bei  den  Stören  und  den  meisten  Knochenfischen  sind  die 
Eierstöcke  und  Hoden  40)  paarig  vorhanden,  bei  den  Pereiden  und 
Acanthopsiden  einfach.  Die  Hoden  besitzen  besondere  Ausführungs- 
gänge, welche  sich  vereinigen  und  gemeinsam  mit  den  Harnleitern 
hinter  dem  After  münden.  Auch  die  Eierstöcke  besitzen  meist 
Ausführungsgänge,  welche  nach  ihrer  Vereinigung  zwischen  dem 
After  und  der  dahinter  liegenden  Hamöffiiung  nach  aussen  münden. 
Diese  mit  Ausführungsgängen  versehenen  Eierstöcke  sind  im  übrigen 


184  -^^^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

geschlossene  Säcke,  in  deren  Falten  die  Eier  sich  entwickeln.  Die 
Salmoniden,  Acanthopsiden  und  der  Aal  haben  dagegen  Eierstöcke, 
welche  nur  gefaltete  Platten  darstellen,  aus  denen  die  Eier  nach 
ihrer  Reife  in  die  Bauchhöhle  fallen.  Aus  dieser  treten  sie  durch 
eine  besondere  Öffnung,  welche  die  gewöhnliche  Lage  hat,  ins  Freie. 
Bei  den  Salmoniden  finden  sich  beiderseits  vom  After  offene  oder 
nur  durch  Rudimente  angedeutete  sogenannte  Abdominalporen, 
durch  welche  die  Bauchhöhle  nach  aussen  mündet.  Huxley^i) 
hält  diese  Poren,  ebenso  wie  ähnlich  gelegene  Spalten  in  der  Leibes- 
w^and  beim  Stör,  für  rudimentäre  Eileiter,  während  W  e  b  e  r  52)  sie 
für  rudimentäre  Segmentalgänge  erklärt  (also  den  Mündungen  der 
Segmentalorgane  der  Anneliden  entsprechend).  Anderer  Art  als 
diese  Mündungen  der  Bauchhöhle  sind  die  Öffnungen,  welche  beim 
Wels  hinter  den  Brustflossen  sich  finden  und  nicht  in  die  Bauch- 
höhle, sondern  in  Taschen,  die  in  der  Haut  liegen,  münden. 
Auch  über  die  Bedeutung  dieser  Öffnungen  weiss  man  nichts 
Gewisses. 

Die  Samenfäden  der  Fische  bestehen  aus  einem  meist  rund- 
lichen Köpfchen,  welches  den  Kern  enthält,  und  einer  fädlichen 
Geissei  von  etwa  o.os  ;;/;//  Länge.  Die  Eier  der  einheimischen 
Fische  sind  fast  kugelig  und  mit  mehreren  Hautschichten  um- 
schlossen, welche  von  zahlreichen  Poren  durchsetzt  sind.  An  einer 
Stelle  findet  sich  eine  etwas  vertieft  gelegene  Verdünnung  der  Ei- 
häute, die  Mikropyle,  durch  welche  in  der  Regel  der  Samenfaden 
in  das  Ei  tritt.  Die  Eier  der  Salmoniden-Arten  sind  verhältnis- 
mässig gross,  das  Lachsei  hat  5 — 7  mm  Durchmesser.  Die  übrigen 
Fischeier  haben  nur   i — 3   mm  Durchmesser. 

Die  Ablage  und  Befruchtung  dei'  Eier  findet  an  dem  Orte 
statt,  wo  die  Eier  die  ihnen  zusagenden  Entwickelungsbedingungen 
finden.  Die  meisten  Eier  werden  klebend,  sobald  sie  in  das  Wasser 
kommen,  indem  die  äusserste  Schicht  der  äusseren  Eihaut,  der 
Zona  radiata,  entweder  gleichmässig  aufquillt  oder  beim  Quellen  in 
Zotten  oder  Fäden  zerreisst53).  Auf  diese  Weise  kleben  die  Eier 
an  den  Gegenständen  fest,  auf  die  sie  fallen,  namentlich  Pflanzen, 
Steine,   Baumwurzeln,  Kies,  je  nach  der  Örtlichkeit,  die  die  Fische 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  285 

zum  Laichen  aufsuchen.  Die  Hechte,  die  am  frühsten  im  Jahr 
laichen,  legen  ihren  Laich  auf  dem  Grase  überschwemmter  Wiesen 
ab,  die  Cypriniden,  die  sich  auf  den  Laichplätzen  in  Scharen 
zusammenfinden,  meist  auf  Wasserpflanzen,  andere  auf  Kiesbänken 
im  strömenden  Wasser  oder  am  Abhang  des  Ufergrundes  der  Seen. 
Die  Coregonen  lassen  ihre  Eier  entweder  in  die  Wassertiefe  sinken 
oder  sie  streuen  sie  an  die  auf  Mergelboden  wachsenden  Armleuchter- 
gewächse, auf  Ceratophyllum  oder  ähnliche  starre  Wasserpflanzen. 
Häufig  tritt  bei  manchen  Arten  nach  dem  Laichen  eine  starke 
Sterblichkeit  ein,  z.   B.  bei  den  INIaifischen. 

Besondere  Eigentümlichkeiten  in  ihren  Laichverhältnissen  zeigen 
einige  Fischarten,  welche  teils  im  ]Meer,  teils  im  Süsswasser  leben. 
Dahin  gehört  namentlich  der  Aal  54).  Die  Eierstöcke  dieses  Fisches 
wurden  zuerst  von  Mondini 55)  entdeckt,  später  von  Rathke-ii) 
von  Neuem  aufgefunden.  Es  sind  zwei  weisse,  gekräuselte  Bänder, 
die  sogenannten  Manchettenorgane ,  welche  zu  beiden  Seiten  der 
Schwimmblase  von  vorn  bis  hinten  sich  erstrecken.  Betrachtet  man 
ein  Stückchen  dieser  Bänder  tmter  dem  Mikroskop  (bei  50 — 100- 
facher  Vergrösserung),  so  sieht  man  ausser  vielen  ungleich  grossen 
Fettzellen  die  durchsichtigen  runden  Eier,  jedes  mit  einem  „Keim- 
bläschen"' (dem  Kern)  im  Innern.  Diese  Eier  sin^  zu  mehreren 
Millionen  in  einem  weiblichen  Aal  enthalten,  werden  aber  im  Süss- 
wasser nicht  grösser  als  etwa  1/4  —  ^/z  mm  im  Durchmesser.  Da 
man  männliche  Individuen  unter  den  Aalen  lange  Zeit  nicht  fand, 
so  hielt  man  die  Aale  für  Zwitter.  Man  glaubte  auch  die  Hoden 
in  Fettwulsten  neben  dem  Ovar  gefunden  zu  haben.  Erst  Syrski56) 
fand  1874,  dass  beim  Aal  die  Geschlechter  getrennt  sind,  indem 
er  in  den  männlichen  Aalen  die  Hoden  (Lappenorgane)  nachwies. 
Man  weiss  nun,  dass  die  Aale  in  den  süssen  Gewässern  meist 
Weibchen  sind,  dass  dieselben  im  fünften  oder  sechsten  Lebens- 
jahre in  die  See  wandern,  dass  sie  im  Brackwasser  die  Männchen 
finden  und  dass  die  ausgewachsenen  Individuen  beider  Geschlechter 
sodann  in  der  Tiefe  des  Meeres  verschwinden,  ohne  wiederzukehren. 
Darüber  hinaus  ist  unsere  Kenntnis  von  der  Fortpflanzung  der  Aale 
noch  nicht  gekommen.     Ein  Versuch,    erwachsene  Aale  in  grossen 


286         -^^^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

Fischkästen  in  der  Ostsee  laiclireif  werden  zti  lassen,  führte  auch 
zu  keinem  Resultat  57).  Man  nimmt  daher  an,  dass  die  Aale  in 
der  Tiefe  des  Meeres*)  (die  der  Ostsee  in  der  Nordsee)  ähnlich 
den  übrigen  Fischen  den  Laich  ablegen  und  befruchten,  und  zwar 
im  Winter,  und  dass  sie  dann  absterben.  Im  Frühjahr  kommen 
im  März  oder  April  die  jungen  Aale  in  ungeheuren  Massen  als 
fingerlange,  schlanke,  durchsichtige  Tierchen  an  die  Küsten,  und 
ziehen  an  diesen  entlang  in  die  Ströme  und  bis  in  deren  kleinste 
Nebenwässer.  Sie  wandern  immer  gegen  die  Strömung  und  nur 
nachts,  besonders  bei  warmem  Wetter;  am  Tage  halten  sie  sich 
an  ruhigen  Stellen,  zwischen  Kies,  unter  Steinen,  im  Kraut  auf. 
Sie  wachsen  während  ihrer  Wanderung.  Kommen  sie  an  Mühlen- 
wehre oder  andere  Stauwerke,  so  suchen  sie  an  schadhaften  Stellen, 
an  denen  ein  wenig  Wasser  herabrieselt,  aufzusteigen.  Ihre  Idebrige 
Oberhaut  und  ihr  gelenkiger,  dünner  Körper  begünstigt  diese 
Kletterversuche,  so  dass  ein  Teil  von  ihnen  in  der  Regel  die  nicht 
zu  hohen  und  nicht  ganz  festgeschlossenen  Stauwerke  zu  über- 
winden vermag.  Erst  die  kalte  Jahreszeit  scheint  ihren  Wanderungen 
ein  Ziel  zu  setzen,   doch  hat  man  noch  bei  ein-  und  zweijährigen 


Aalen  Wanderungen  gegen  das  strömende  Wasser  beobachtet. 

Ein  anderer  interessanter  Wanderfisch  ist  der  Lachs.  Im. 
allgemeinen  bewohnt  er  das  IMeer  und  steigt  aus  diesem  in  das 
Süsswasser  auf,  um  hier  laichreif  zu  werden.  Ausnahmsweise  hat 
man  gefunden,  dass  Lachse  auch  im  Meere  laichreif  geworden 
sind  59).  Anderseits  haben  Fritschco)  und  Metzger  6i)  beob- 
achtet, dass  Lachsmilchner,  ohne  das  Süsswasser  verlassen  zu  haben, 
schon  im  zweiten  Herbst  ihres  Lebens  laichreif  geworden  sind  und 
die  Eier  der  in  ihre  Wohnbäche  aufgestiegenen  Lachsrogner 
befruchtet  haben.  Doch  sind  beide  Fälle  vermutlich  nur  Ausnahmen. 
Die  Zeit  des  Eintritts  in  die  Stromsysteme  ist  sehr  verschieden. 
In  das  kurische  HafF  (Memel)  geht  der  Lachs  im  Mai,  in  die  in 
der  Nähe  der  Weichsel  in  die  Danziger  Bucht  mündende  Rheda 
steigt    er    am    stärksten    im  Juli    auf,    während  er    in    die  Weichsel 


*)  Fritsch  nimmt  an,    dass  die  Laichstellen   in    der  Gegend  von  Süsswasserquellen 
Hegen,  aus  welchem  Grunde,  ist  leider  nicht  gesagt'^). 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.         ^37 

selbst  fast  ausschliesslich  im  Herbst  eintritt.  In  der  untern  Oder 
findet  sich  der  Lachs  im  August  und  September.  Im  Rheines) 
unterscheidet  man  nach  der  Zeit  ihres  Auftretens  und  nach  ihrem 
Körperzustande  den  St.  Jakobsalm,  der  in  Holland  um  Jakobi 
(25.  Juli)  in  den  Rhein  tritt  und  etwa  1^/2  k  schwer  und  40 — 50  an 
lang  ist,  und  den  Wintersalm,  der  viel  grösser  und  schwerer  ist  und 
um  Mitte  September  in  Holland  erscheint. 

Die  Geschlechtsorgane  sind  beim  Eintritt  in  das  Süsswasser 
noch  wenig  entwickelt,  der  Eidurchmesser  etwa  0.5  mm  gross,  das 
Gewicht  der  Geschlechtsorgane  beträgt  kaum  0-5  "/o  des  Körper- 
gewichts, während  dieselben  im  reifen  Zustande  fast  ein  Viertel  des 
Körpergewichtes  ausmachen.  Im  Süsswasser  entwickeln  sie  sich 
allmählich  und  zwar  ausschliesslich  auf  Kosten  der  Rumpfmuskulatur, 
welche  nicht  nur  verhältnismässig  ärmer  an  Fett  und  Eiweissstoffen 
wird,  sondern  auch  an  absolutem  Gewicht  stark  abnimmt,  weil  der 
Lachs  im  Süsswasser  keine  Nahrung  aufnimmt  63)  ^  sondern  ganz 
auf  Kosten  seiner  im  JNIeere  gut  genährten  Organe  sein  Leben 
fristet.  Das  Fleisch  der  im  Süsswasser  sich  so  entwickelnden  Fische 
wird  daher  immer  schlechter  und  verliert  seine  rote  Farbe.  Gleich- 
zeitig treten  sekundäre  Geschlechtscharaktere  auf  Die  Haut  ver- 
dickt  sich  namentlich  am  Kopfe  und  Rücken  schwartenartig  und 
wird  dunkler,  die  INIännchen  bekommen  rote  Flecken  an  den  Seiten, 
namentlich  auf  den  Kiemendeckeln,  an  der  Spitze  ihres  Unterkiefers 
entwickelt  sich  ein  knorpeliger  Haken,  der  bei  grösseren  Tieren  so 
stark  wird,  dass  er  das  Schliessen  des  INIaules  hindert.  Endlich, 
bei  den  im  Herbst  ins  Süsswasser  gelangten  Fischen,  meist  erst 
im  Herbst  des  folgenden  Jahres,  tritt  die  völlige  Laichreife  ein.  Die 
Fische  suchen  nun,  wie  Fritsche-*)  schildert,  die  seichten  Stellen 
der  Bäche  auf,  am  liebsten  oberhalb  stärkerer  Strömungen,  dort 
wo  das  Wasser  sich  zu  brechen  anfängt.  Hier  wirft  das  Weibchen 
durch  Schwanzbewegungen  die  Kiesel  des  Bachgrundes  zur  Seite 
und  stellt  dadurch  eine  seichte  Grube  her,  die  Laichgrube.  Nach 
einiger  Zeit  stellen  sich  bei  der  Laichgrube  täglich  morgens  und 
abends  das  Weibchen  und  ein  oder  mehrere  Männchen  ein.  Sie 
liegen  oft  still  in  den  Laichgruben,   so  dicht  neben  einander,  dass 


Igg         Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

man  Männchen  und  Weibchen  mit  dem  (gabelförmigen)  Fischspeer 
zugleich  spiessen  kann.  Beim  Laichgeschäft  streicht  das  Weibchen, 
indem  es  den  Bauch  auf  dem  Grunde  der  Grube  reibt,  die  Eier 
ab;  das  Männchen  steht  etwa  i  m  stromaufwärts  und  lässt  die 
Milch  in  das  Wasser,  die  Milch  strömt  zu  den  Eiern  und  bewirkt 
die  Befruchtung.  So  setzen  sie  es  mehrere  Wochen  lang  fort,  wenn 
sie  nicht  gestört  werden. 

Nach  dem  Laichen,  in  Böhmen  beim  Fallen  des  ersten  Schnees, 
verschwindet  der  Laichlachs.  Er  ist  dann  ganz  abgemagert,  mit 
schlaffem  Körper,  und  völlig  kraftlos  und  wird,  wenn  er  nicht 
abstirbt,  von  der  Strömung  abwärts  zum  INIeere  getragen.  Nach 
Miescher  kommt  der  männliche  Lachs  in  der  Regel  zwei-  bis 
dreimal  in  mehrjährigen  Zwischenräumen,  der  weibliche  ein-  bis 
zweimal  zur  Laiche  in  den  Rhein.  Unter  den  kleinen  Jakobsalmen 
sind  wenige  Weibchen  zu  finden;  man  schliesst  daraus,  dass  die 
Weibchen  oft  erst  später  reif  werden,  als  die  Männchen. 

Die  aus  den  Eiern  schlüpfenden  Lachse  werden  als  Salmlinge 
bezeichnet.  Sie  halten  sich  in  der  Regel  nur  bis  zum  nächsten 
Hochwasser  in  dem  Bach,  in  dem  sie  geboren  sind,  auf,  und  gehen 
mit  dem  Hochwasser  als  etwa  handlange  Fische  in  das  Meer  hinab. 
So  lange  sie  in  den  Bächen  bleiben,  leben  sie  hier  ähnlich  wie  die 
verwandten  Salmoarten,  sind  aber  nicht  so  lichtscheu,  wie  die  Forellen, 
sondern  stehen  gern  im  fliessenden  Wasser  gegen  die  Strömung 
gerichtet. 

Die  Forellen  haben  ähnliche  Laichverhältnisse  wie  die  Lachse. 
Die  Meerforellen  u^d  Seeforellen  wandern  zur  Laichzeit  strom- 
aufwärts, letztere  gegebenen  Falles  auch  stromabwärts,  um  in 
geeigneten  Bächen  auf  Kies-  oder  Sandgrund  zu  laichen. 

Alle  einheimischen  Salmoniden  mit  Ausnahme  des  Stint,  des 
Huchen  und  der  Aesche,  laichen  im  Herbst  oder  Winter,  und  die 
Jungen  schlüpfen  erst  im  Beginn  des  Frühjahres  aus  den  Eiern. 
Diese  bleiben  also  monatelang  unausgebrütet ,  ohne  jeden  Schutz, 
der  Vernichtung  durch  zahlreiche  tierische  Feinde,  durch  Wasser- 
schimmel, durch  die  Abwässer  der  Fabriken  ausgesetzt. 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.         189 

Um  diese  als  Delikatesse  gesuchten  Edelfische  nun  vor  der 
Ausrottung  zu  bewahren,  hat  man  sich  in  grossem  Masstabe  und 
mit  viel  Erfolg  eines  Hilfsmittels  bedient,  welches  ihnen  den  Kampf 
ums  Dasein  mit  den  übrigen  Wassertieren  erheblich  erleichtert,  der 
sogenannten  künstlichen  Fischzucht  65),  durch  welche  nicht  nur  die 
Vermehrung  der  Salmoniden  in  den  deutschen  Seen,  Flüssen  und 
Meeren,  sondern  auch  die  vieler  anderer  Fische  in  stehenden  und 
fliessenden  Gewässern,  sowie  die  Übertragung  von  Fischarten  in 
neue,  von  ihnen  nicht  bewohnte  Gewässer  in  zahlreichen  Fällen 
erzielt  ist. 

Unter  „künstlicher  Fischzucht"  versteht  man  zunächst  die 
Befruchtung  und  Erbrütung  von  Fischeiem  unter  Zuthun  des 
Menschen.  Ein  Detmolder  Landwirt,  Jakobi,  erfand  diese  Methode 
in  der  Glitte  des  ^•origen  Jahrhunderts,  doch  wurde  sie  wegen  der 
mühsamen  Bedienung  des  im  Bache  stehenden  Brutkastens  selten 
angewendet.  In  Norwegen,  Russland,  namentlich  aber  in  Frankreich 
wurden  später  ähnliche  Verfahren  entdeckt.  Professor  Coste  in 
Paris  interessierte  sich  dafür,  und  auf  seine  Veranlassung  wurde 
1852  von  der  französischen  Regierung  die  Brutanstalt  in  Hüningen 
bei  St.  Ludwig  im  Elsass  gegründet,  welche  1871  vom  Deutschen 
Reiche  übernommen  wurde.  Von  Deutschen  ist  zuerst  in  INIünchen 
ein  Bruthaus  für  künstliche  Fischerbrütung  angelegt.  Inzwischen 
ist  die  Methode  besonders  in  Amerika,  in  neuerer  Zeit  auch  in 
Deutschland  weitergebildet  und  sehr  vervollkommnet  worden  66)^ 
und  jetzt  zählen  die  Anstalten  für  künstliche  Fischzucht  in  Deutsch- 
land nach  hunderten. 

Zur  künstlichen  Befruchtung  werden  die  Eier  des  reifen 
Weibchens,  welche  lose  im  Ovar,  bezw.  in  der  Bauchhöhle  liegen, 
durch  gelindes  Streichen  herausgedrückt  und  in  einer  Schale  auf- 
gefangen, eine  kleine  Menge  Samen,  welcher  in  gleicher  Weise  aus 
den  Hoden  eines  Männchens  herausgestrichen  ist,  wird  auf  die 
Eier  gebracht  und  durch  vorsichtiges  Umrühren  zwischen  die  Eier 
verteilt,  Wasser  hinzugegossen  und  dann  die  Schale  mit  ihrem 
Inhalt  für  kurze  Zeit  sich  selbst  überlassen.  Die  Samenfäden  fangen 
ihre  Schwärm-  und  Bohrbewegungen  an,  sobald  sie  mit  dem  Wasser 


\f)Q         Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

in  Berührung  kommen.  Die  Eier  vieler  Fische  schwellen  durch 
Wasseraufnahme  auf  und  saugen  dabei  gewissermassen  die  Samen- 
fäden in  sich  ein.  Auf  diese  Weise  werden  alle  reifen  Eier,  die 
sich  in  der  Schale  befinden,  befruchtet  (während  bei  der  Laich- 
ablage in  der  freien  Natur  eine  grosse  Menge  der  abgesetzten  Eier 
unbefruchtet  bleibt)  und  sind  dann  entwicklungsfähig.  Sie  können 
jetzt  sofort  in  die  freien  Gewässer  gebracht  und  dort  an  geeigneten 
Stellen,  d.  h.  an  solchen,  an  welchen  die  Fische  ihrer  Art  laichen  würden, 
ausgesetzt  werden.  Allein  der  Fischlaich  ist  im  Freien  unzähligen 
Gefahren  ausgesetzt.  Fast  alle  AVassertiere,  welche  ihn  bewältigen 
können,  stellen  ihm  nach,  ungünstige  Witterung  tötet  ihn,  Wellen- 
schlag wirft  ihn  auf  das  Land.  Deshalb  ist  es  besser,  ihn  so  lange 
als  möglich  unter  Obhut  zu  behalten,  ihn  künstlich  zu.  erbrüten. 
Man  bringt  ihn  in  Brutapparate.  Die  Brutapparate  sind  fast 
durchgehends  so  eingerichtet,  dass  in  ihnen  die  Eier  von  fliessendem, 
klarem,  reinem,  aber  sauerstoffreichem  und  gleichmässig  kühlem 
Wasser  bespült  werden.  In  Jakob is  Brutkiste  lagen  sie  auf  Kies, 
die  Kiste  hatte  auf  den  Schmalseiten  Gitter  und  war  so  in  einen 
Bach  gestellt,  dass  das  Wasser  durch  die  Gitter  über  die  Eier  floss. 
Coste  legte  die  Eier  auf  einen  Glasrost,  der  in  einem  Gefäss  stand. 
Solche  Gefässe  stellte  er  staffeiförmig  über  einander,  so  dass  das 
Wasser,  das  in  das  höchststehende  geleitet  war,  aus  diesem  in  das 
nächst  tiefere  floss  etc.  Später  wandte  man  Siebe  aus  Metall  oderThon 
an.  Die  Amerikaner  scheinen  zuerst  Drahtgeflechte  zur  Aufnahme 
der  Eier  angewandt  zu  haben.  Dies  ist  jetzt  die  übliche  Unter- 
lage. Man  lässt  das  Wasser  entweder  seitlich  an  den  Eiern  vorbei- 
fliessen,  oder  man  richtet  die  Apparate  so  ein,  dass  das  Wasser 
von  unten  her  durch  die  Unterlage  und  dann  durch  die  Eier^ 
schichten  strömt,  wodurch  das  Wasser  am  besten  ausgenutzt  wird. 
In  anderen  Apparaten  werden  die  Eier  nicht  ruhend,  sondern 
schwebend  ausgebrütet,  indem  in  das  kelchförmige  oder  cylinder- 
förmige  Brutgefäss  ein  kräftiger  Wasserstrahl  von  unten  her  ein- 
geleitet wird,  welcher  die  Eier  in  die  Höhe  trägt;  nach  oben  hin 
verteilt  sich  der  Wasserstrom  und  verliert  an  Kraft,  die  Eier 
geraten  in  das  ruhigere  Wasser  an   den   Gefässwänden,  sinken  hier 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse,         \Ql 

durch  ihre  Eigenschwere  hinab  und  werden  von  dem  Wasserstrom 
unten  sofort  in  erneutem  Spiel  in  die  Höhe  getrieben  6").  Diese 
Apparate  sind  besonders  für  kleinere  Eier,  wie  die  der  Hechte  und 
Coregonen,  geeignet.  Sie  haben  unter  anderem  den  besondem 
Vorteil,  dass  die  abgestorbenen  Eier,  welche  etwas  leichter  werden 
als  die  lebenden,  sich  von  den  letzteren  absondern  und  bei  etwas 
verstärktem  Strome  von  selbst  mit  dem  durchgeleiteten  Wasser 
abschwimmen  können.     Man  nennt  sie  deshalb  Selbstausleser. 

Eine  dritte  JNIethode  ist  die  Erbrütung  in  Eisschränken,  in 
welchen  die  Eier  nur  von  dem  tropfenweise  herabrinnenden  Schmelz- 
wasser des  über  ihnen  anojebrachten  Eises  feucht  und  kühl  gehalten 
werden.  Diese  Eisbrutschränke  dienen  auch  zum  Transport  von 
Eiern,  welche  wochenlang  unterwegs  sein  müssen.  Man  hat  in 
ihnen  die  Eier  fremder  Fischarten  über  die  Ozeane  in  neue  Gebiete, 
selbst  über  den  Äquator  hinaus,  eingeführt,  z.  B.  den  Lachs  der 
nördlichen  Hemisphäre  in  australische  Gewässer. 

Leider  ist  die  IVIethode  der  künstlichen  Befruchtung  und 
Erbrütung  nur  bei  einer  beschränkten  Zahl  von  Fischarten  praktisch 
anwendbar.  Der  erste  Mangel,  den  diese  Methode  hat,  liegt  in 
der  Notwendigkeit,  dass  die  Laichfische  in  dem  gerade  zur  Be- 
fruchtung geeigneten  Laichreifestadium  zur  Hand  sein  müssen. 
Einige  Fische  können  dieses  Stadium  in  der  Gefangenschaft  erreichen. 
Viele  andere  aber  werden,  auch  kurz  \-or  der  Laichreife  eingefangen, 
in  engen  Behältern  nicht  laichreif.  Bei  anderen  Fischarten  (Karpfen, 
Bressen,  Stör  und  den  meisten  anderen  Sommerlaichern)  quillt,  wie 
oben  erwähnt,  die  Eihaut  bei  der  Berührung  mit  Wasser  zu  einer 
klebrigen  Substanz  auf;  diese  Eier  ballen  sich  zu  zähen  Klumpen 
zusammen,  wenn  sie  abgestrichen  sind,  so  dass  die  Zuführung  von 
Wasser  und  Sauerstoff  zu  den  im  Innern  des  Klumpens  gelegenen 
Eiern  und  dadurch  ihre  Erbrütung  unmöglich  gemacht  wird.  J\Ian 
kann  diese  Eier  indessen  unmittelbar  nach  der  Befruchtung  auf 
Wacholder,  Moos  oder  Wasserkräuter  vorsichtig  in  dünner  Schicht 
verteilen  und  sie  in  flachen  Körben  in  stillem,  warmem  Wasser 
ausbrüten  lassen;  die  Jungen  schlüpfen  dann  nach  einigen  Tagen 
aus    und    gelangen  durch  die  Korböffnungen    in  das  Gewässer,    in 


;192         Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

dem  der  Korb  steht,    worin  sie,    wenn    das  Gewässer  fischleer  ist, 
so  lange  aufwachsen,  als  sie  Nahrung  finden. 

Die  Eier  der  meisten  Salmoniden  sind  sehr  freeiünet  zur 
künstlichen  Erbrütung.  Forellen  und  Lachse  werden  in  Behältern 
reif,  und  ihre  Eier  sowie  die  der  Coregonen  und  Aeschen  kleben 
nur  wenig.  Gerade  diese  Salmoniden  bedürfen  aber  auch  des 
besondern  Schutzes  in  hohem  Masse.  Ihre  Laichzeit  fällt,  bis  auf 
die  der  Aesche,  in  den  Herbst  und  den  Winter,  die  Entwickelungs- 
dauer  der  Eier  ist  eine  sehr  lange,  und  die  Eier  sind  gross  und 
oft  lebhaft  gefärbt.  Dabei  ist  die  Zahl  der  Eier,  welche  die 
Salmoniden  produzieren,  nicht  so  bedeutend,  wie  die  vieler  im 
Sommer  laichender  Fische.  Deshalb  ist  es  nötig,  den  Laich  dieser 
Edelfische  so  gut  als  möglich  zu  schützen  und  ihn  künstlich 
befruchtet  in  Bruthäuseni  ausschlüpfen  zu  lassen. 

Wie  auf  die  meisten  anderen  Lebensverhältnisse  der  Fische, 
so  ist  auch  auf  die  Länge  der  Entwickelungszeit  der  Eier  die 
Wasserwärme  von  grösstem  Einfluss.  Je  kälter  das  erbrütende 
Wasser  ist,  um  so  längere  Zeit  muss  es  auf  die  Eier  einwirken, 
bevor  dieselben  ausschlüpfen*).  Die  Eier  vieler  Sommerlaicher 
vertragen  dabei  nur  schlecht  die  Kühle  und  sterben  im  Freien  oft 
ab,  wenn  das  Wasser  auf  die  Dauer  kalt  bleibt.  Die  Eier  der 
Salmoniden  dagegen  vertragen  kaltes  Wasser  sehr  gut,  am  kräftigsten 
entwickeln  sich  die  Fische  aus  Eiern,  die  in  eiskaltem  Wasser 
gebrütet  sind.  Man  unterscheidet  während  der  Brütung  der 
Salmoniden-Eier  zwei  Hauptperioden.  Die  erste  reicht  von  der 
Befruchtung  bis  zum  Sichtbarwerden  der  schwarzen  Augenpupillen 
des  Embryo,  und  dauert  für  Lachse  und  Forellen  bei  einer 
Durchschnittstemperatur  des  Wassers  von  5  °  C.  etwa  3 1/2  Monate ; 
die  zweite  umfasst  die  Zeit  bis  zum  Ausschlüpfen,  sie  dauert  bei 
Lachs  und  Forelle  etwa  2  INIonate  bei  der  angeführten  Wasser- 
temperatur  68).     Die  Eier  der  Coregonen   haben  eine  kürzere  Ent- 


*)  Man  muss  aus  den  Resultaten  der  Untersuchungen  von  Barfurt h  (Jahresbericlit 
des  Rheinischen  Fischereivereins  i888)  allerdings  schliessen ,  dass  die  Entwickelungsdauer 
der  Salmoniden  nicht  genau  in  dem  Verhältnis  verkürzt  wird,  in  welchem  man  die  Wasser- 
temperatur erhöht,  dass  vielmehr  die  Eier  in  wärmerem  Wasser  mehr  Wärme  verbrauchen 
als  in  kälterem  Wasser. 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.         2^93 

wickelungsdauer.  In  der  zweiten  Entwickelungsperiode  sind  alle 
Salmoniden-Eier  ziemlich  widerstandsfähig;  sie  können  dann,  kühl- 
gehalten, auf  weiche  Unterlage  gebettet  und  mit  dieser  fest  ver- 
packt, weithin  versandt  werden  und  wochenlange,  im  Eisschranke 
sogar  monatelange  Reisen  überdauern.  Nach  dem  Ausschlüpfen 
schwärmen  die  jungen  Coregonen  wie  die  Brut  der  meisten  anderen 
Fische  sogleich  frei  umher,  obwohl  die  Brustflossen  noch  gar  nicht 
und  die  Bauchflossen  erst  als  Stummel  entwickelt  sind.  Die  Brut 
der  Forellen  und  Lachse  dagegen  ist  mit  einem  grossen  Dotter- 
säckchen  beschwert,  das  ihr  am  Bauche  hängt  und  bei  den  Schwimm- 
bewegungen anfangs  hinderlich  ist,  weshalb  diese  Tierchen  in  den 
ersten  Wochen,  ohne  sich  viel  zu  bewegen,  am  Boden  der  Brut- 
gefässe  liegen.  Erst  wenn  der  Dottervorrat  eingesogen  ist,  haben 
auch  sie  freie  Beweglichkeit  erlangt.  Dann  ist  es  Zeit,  sie  in  die 
freien  Gewässer  zu  bringen. 

Die  Erfolge,  welche  bis  jetzt  durch  die  künstliche  Fischzucht 
erzielt  sind,  sind  recht  erhebliche.  Zunächst  ist  mit  ihrer  Hilfe 
der  Bestand  an  Lachsen  nachweisbar  vermehrt  worden.  Der 
Lachs  hat  seines  hohen  Preises  wegen  und  weil  er  verhältnis- 
mässig sicher  zu  fangen  ist,  grosse  Bedeutung  für  die  Fischerei, 
und  zwar  sowohl  für  die  Binnenfischerei  als  auch  für  die  INIeeres- 
fischerei  (wenigstens  in  der  Ostsee).  Seit  1879  ^^.t  sich  nach  der 
holländischen  Verkaufsstatistik  69)  der  Ertrag  des  Lachsfanges  in  den 
Rheinmündungen  etwa  verdoppelt,  und  diese  günstige  Änderung 
wird  mit  Recht  auf  die  Aussetzung  zahlreicher  Brutmengen  in  die 
Nebenbäche  des  Rheins  zurückgeführt.  Ebenso  ist  der  Lachs- 
bestand in  der  Ems  und  der  Weser,  in  deneia  er  sehr  zurück- 
gegangen war,  allem  Anschein  nach  wieder  durch  Bruteinsetzmigen 
gehoben  worden.  In  der  Elbe  ist  der  Lachsbestand  besonders 
durch  künstliche  Lachszucht  in  Böhmen  vermehrt  worden.  Im 
Odergebiet  liegen  die  Laichplätze  der  Lachse  in  einigen  Neben- 
flüsschen der  Netze,  der  Drage  und  der  Küddow,  wahrscheinlich, 
weil  den  Lachsen  der  Zutritt  zu  den  Quellgebieten  der  Oder  in 
Schlesien  durch  die  grossen  Wehre  bei  Breslau    seit  langen  Zeiten 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  13 


19J:         ^^^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

abgeschnitten  ist,  und  an  diesen  Wehren  leider  noch  keine  Fischwege 
angebracht  sind.  In  der  Weichselmündung  hat  sich  der  Lachs- 
fang infolge  der  Brutaussetzung  in  Galizien  und  Westpreussen 
ebenfalls  deutlich  vermehrt. 

Ein  dem  Lachs  nach  Körperform,  Grösse  und  Lebensweise 
sehr  ähnlicher  Fisch  ist  die  Meerforelle.  Auch  mit  ihr  sind 
durch  künstliche  Fischzucht,  namentlich  in  den  holsteinischen  Auen, 
vorzügliche   Resultate  erzielt  worden. 

Die  stärkste  Vermehrung  durch  künstliche  Fischzucht  dürfte 
der  Bachforelle  zu  teil  werden,  von  der  alljährlich  mehrere 
Millionen  künstlich  erbrüteter  Jungfische  zur  Besetzung  von  Zucht- 
bächen und  Teichen  benutzt  werden,  um  als  2 — 3jährige  Fische 
zum  Verbrauch  ausgefischt  zu  werden. 

Wie  oben  auseinandergesetzt  ist,  gelingt  es  nicht  bei  allen 
Fischen,  den  Laich  zur  künstlichen  Erbrütung  zu  verwenden.  Wo 
dies  unbequem  oder  unmöglich  ist,  ist  man  für  die  geschützte 
Vermehrung  der  Fische  darauf  angewiesen,  die  Fische  das  Laich- 
geschäft auf  natürliche  Weise  in  ablassbaren  Bassins,  Teichen  oder 
ähnlichen  Behältern,  deren  Inhalt  man  in  seiner  Gewalt  hat,  voll- 
ziehen zu  lassen  und  die  gewonnene  Fischbrut  in  geeignetem  Alter 
wie  die  durch  künstliche  Erbrütung  gewonnene  zu  verwenden.  Die 
Teichzucht  gehört  deshalb  auch  zur  künstlichen  Fischzucht,  und 
um  so  mehr,  als  die  künstlich  erbrüteten  Fische  zweckmässiger- 
weise zuerst  einen  Sommer  über  in  einem  Teich  oder  einem  ab- 
lassbaren Graben  gezogen  und  erst,  wenn  sie  hier  zu  kräftigen 
Fischchen  herangewachsen  sind,  in  die  freien  Gewässer  übertragen 
werden. 

Besonders  häufig  wird  der  Karpfen  in  Teichen  gezogen 'O). 
Am  geeignetsten  für  die  Karpfenzucht  sind  flache  Teiche.  Da 
aber  die  Karpfen  in  diesen  im  Winter  unter  dem  Eise  leicht 
ersticken,  so  nimmt  man  sie  im  Herbst  aus  solchen  Teichen  in 
der  Regel  heraus  und  bringt  sie  in  kleine,  tiefe,  durchströmte 
Teiche  (Winterheller).  Da  eine  gleiche  Zahl  Karpfen  je  nach  ihrem 
Alter   und    ihrer    Grösse    mehr    oder    minder    grosse    Teichflächen 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.         J95 

beansprucht,  so  setzt  man  die  einzelnen  Jahrgänge  in  besondere 
Teiche  zusammen,  deren  Grösse  ihrem  Nahrungsbedürfnis  entspricht. 
Die  für  das  Ablaichen  und  die  erste  Entwickelung  der  Brut 
bestimmten  Teiche  heissen  Streichteiche.  Aus  ihnen  überträgt  man 
die  Jungen  in  die  sogenannten  Streckteiche,  wo  sie  i — 2  Jahre 
aufwachsen,  bis  sie  zur  Erreichung  der  Grösse,  in  der  sie  verkauft 
werden  (meist  i — ^1^/4  Kilo  schwer),  in  die  sogenannten  Abwachs- 
teiche kommen,  in  denen  man  ihnen  meist  kleine  Raubfische 
(Hechte,  Zander,  _  Forellen)  beigiebt,  damit  die  etwa  von  frühreifen 
Karpfen  erzeugte  Brut  sogleich  beseitigt  wird  und  nicht  den  zum 
Auswachsen  bestimmten  Karpfen  das  Futter  schmälert.  ÜNIan  nirnmt 
an,  dass  die  Fische  um  so  wohlschmeckender  sind,  je  rascher  sie 
gewachsen  sind.  Aus  diesem  Gnmde  und  weil  ein  rasches  Wachs- 
tum,  ein  mödichst  gründliches  Ausnützen  des  vorhandenen  Futters 
für  den  Züchter  offenbar  von  Vorteil  ist,  bemüht  man  sich, 
möglichst  schnellwüchsige  Karpfen  zur  Zucht  zu  nehmen.  Man 
erreicht  dies  einerseits  dadurch,  dass  man  nur  die  am  besten 
gewachsenen  unter  den  zur  Laichreife  gelangten  Karpfen  in  die 
Streichteiche  nimmt,  anderseits,  indem  man  die  Karpfenbrut  schon 
im  ersten  Sommer  ihres  Lebens  durch  reichliche  Nahrung  und 
Schutz  vor  Feinden  zu  kräftigen  Tieren  erzieht.  Ein  Verfahren, 
um  dies  zu  erreichen,  ist  von  dem  schlesischen  Fischzüchter 
Dubisch  erfunden.  Man  nimmt  danach  die  Karpfenbrut  schon 
acht  Tage  nach  ihrem  Ausschlüpfen  mit  Gazenetzen  aus  dem  Teich 
und  bringt  sie  in  andere  Teiche,  so  dass  etwa  2  5  000  auf  den  Hektar 
Teichfläche  kommen.  Schon  nach  vier  Wochen  fängt  man  sie 
abermals  heraus  und  überträgt  sie  in  andere  Teiche,  so  dass  nur 
1000  Stück  im  Hektar  enthalten  sind.  Im  zweiten  Frühjahr  bringt 
man  sie  in  eine  dritte  Klasse  von  Streckteichen,  in  welchen 
nur  500  im  Hektar  sich  befinden.  Endlich  im  dritten  Frühjahr 
bringt  man  sie  in  Abwachsteiche  und  setzt  in  diesen  auf  den 
Hektar  200  Karpfen.  Man  erzielt  auf  diese  Weise  pro  Hektar 
Teichfläche  etwa  120  Karpfen  von  etwas  über  i  Kilo  Schwere, 
was  einem  jährlichen  Ertrag  von  etwa  162  Mark  aus  jedem 
Hektar  entspricht. 

13* 


]^9(3  Die  deutschen  Süsswasseriische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

Mit  Hilfe  der  künstlichen  Erbrütung  von  Eiern  und  der  durch 
das  Dubisch -Verfahren  vervollkommneten  Teichwirtschaft  hat  man 
auch  eine  Anzahl  ausländischer  Fischarten  in  Deutschland  ein- 
geführt, die  man  zwar  noch  nicht  gut  als  der  deutschen  Fauna 
angehörig  betrachten  kann,  die  aber  teilweise  doch  einmal  eine 
Rolle  in  unserer  Tierwelt  werden  spielen  können. 

Man  sollte  bezüglich  der  Einführung  neuer  Fischarten  sein 
Augenmerk  zunächst  auf  die  Gegend  wenden,  von  wo  die  meisten 
unserer  einheimischen  Fischarten  herstammen,  nach  Osteuropa  und 
Nordasien,  da  die  Fische  dieser  Gegenden  sich  ohne  Zweifel  in 
ähnlichen  Lebensverhältnissen  befinden,  wie  unsere  einheimischen. 
Man  hat  aus  dieser  Gegend  den  Sterlett  in  die  norddeutschen 
Ströme  einzuführen  versucht;  leider  sind  die  Fische  bezw.  Eier  auf 
dem  Transport  meist  zu  Grunde  gegangen,  wahrscheinlich  nur  infolge 
von  Zufälligkeiten. 

Am  leichtesten  gelingt  der  Transport  der  sich  langsam  ent- 
wickelnden Eier  der  Salmoniden.  INIan  hat  in  dieser  Form  nicht 
nur  europäische  Lachse  und  Forellen  nach  Tasmanien  und  Neu- 
seeland''i),  Forellen  und  Maränen"2)  nach  Amerika  gebracht,  sondern 
auch  eine  ganze  Anzahl  von  Salmoniden  Amerikas  in  Deutschland 
eingeführtes).  Von  diesen  sind  der  Bachsaibling  (Sahno  fontinalis 
Gemminger)  aus  den  Bächen  Nordamerikas  und  die  Regenbogen- 
forelle (Sahno  irideus ,  Livingston  Stone)  aus  dem  Höhenlande 
Kaliforniens  weit  verbreitet  und,  der  erstere  in  rasch  fliessenden 
Bächen,  die  selbst  der  Forelle  zu  reissend  sind,  die  letztere  auch 
in  Teichen,  vortrefflich  gediehen.  Auch  einige  amerikanische 
Sommerlaicher  sind  durch  die  Bemühungen  des  Fischzüchters 
M.  von  dem  Borne  in  Deutschland  verbreitet.  Es  sind  dies  der 
Schwarzbarsch  (Grystes  nigricans  Günther)  und  der  Forellen- 
barsch (Grystes  salmoides  Gü.),  zwei  Fische  der  Barben-  und 
Bleiregion,  denen  ein  vorzüglich  feines  Fleisch  zugeschrieben  wird 
und  die  bezüglich  ihrer  Lebensbedingungen,  wenigstens  was 
die  Reinheit  des  Wassers  betrifft,  anspruchsloser  als  die  feineren 
einheimischen  Tafelfische  sind'*),  —  ferner,  erst  neuerdings  ein- 
geführt,    der    Steinbarsch,      Centrar  chus    aeneus     C,     aus     dem 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  197 

Mississippi '5),    und    der  Zwergwels,    Aniiitrus  catus  Jord.  u.  Gilb., 
aus  den  flacheren  Gewässern  dieses  Gebietes  '^). 

Auch  innerhalb  unseres  Gebietes  haben  mehrere  Fischarten 
mit  Hilfe  der  Fischzucht  oder  der  aus  derselben  gezogenen  Er- 
fahrungen eine  weitere  Verbreitung  erhalten,  als  ihnen  von  Natur 
zukommt.  Dahin  gehört  der  Karpfen,  der  seit  alter  Zeit  in  ganz 
Deutschland  gezüchtet  wird,  und  der  Zander,  welcher  in  die 
Gebiete  des  Rheins,  der  Ems  und  der  Weser,  sowie  in  zahl- 
reiche norddeutsche  Seen,  in  denen  er  bisher  fehlte,  künstlich 
eingeführt  ist. 

Vorzügliche  Resultate  sind  mit  der  Verbreitung  der  Aalbrut 
erreicht  worden,  die  in  den  Mündungen  des  Po  und  der  Flüsse 
der  französischen  Ozeanküste  in  INIenge  gefangen  wird.  Direktor 
Haack  bringt  jährlich  grosse  Massen  davon  nach  Hüningen,  von 
wo  die  jungen  Tiere  in  feuchtes  Kraut  verpackt  bequem  mit  der 
Post  versendet  werden.  Zahlreiche  Gewässer,  welche  die  Aalbrut 
auf  ihrer  Wanderung  nicht  aufsuchen  kann,  sind  auf  diese  Weise 
mit  Aalen  bevölkert  worden.  Auch  ist  ein  gross  angelegter  Versuch 
gemacht  worden,  das  Donaugebiet,  das  wie  alle  Flussgebiete  des 
Schwarzen  JNIeeres  den  Aal  bisher  nicht  besass,  mit  diesem  Fisch 
zu  besetzen.  Zahlreiche  junge  Aale  sind  in  dem  oberen  Donau- 
gebiet ausgesetzt  worden  und  die  Tiere  wuchsen  dort  gut  auf.  Der 
grösste  Teil  der  eingesetzten  Brut  bestand  indessen  aus  Weibchen. 
Um  die  Fortpflanzung  zu  sichern,  wurde  daher  eine  grosse  Zahl 
erwachsener  Aalmännchen  aus  der  Nordsee  in  das  Schwarze  Lleer 
gebracht.  Man  hoff't  dadurch  den  Fortbestand  der  Aale  im  Gebiete 
des  Schwarzen  Meeres  gesichert  zu  haben. 

Auf  die  Entwickelung  der  Fische  im  Ei  kann  hier  des  Raum- 
mangels wegen  nicht  eingegangen  werden '"). 

Einige  Fische  behüten  ihre  Eier  und  Jungen  eifrig  ^•or  den 
Nachstellungen  der  Feinde,  so  der  Zander,  der  Schwarzbarsch,  der 
Stichling,  der  die  Eier  in  ein  Nest  aus  Pflanzen  legt,  das  mit  aus 
den  Harnkanälen  stammenden  Schleimfäden 'S)  befestigt  ist,  der 
Kaulkopf,  der  ebenfalls  ein  Nest  im  Bachgrunde  bereitet,  und  zwar 


J^98  ^^^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

sind  es  meist  die  Männchen,  welche  Wache  halten  und  selbst  die 
Weibchen  den  abgelegten  Eiern  nicht  nahekommen  lassen.  Der 
weibliche  Bitterling  legt  seine  Eier  mit  Hilfe  seiner  langen  Lege- 
röhre in  die  Kiemenräume  der  Teichmuscheln  (Unioniden),  wo  sie 
bis  zum  Ausschlüpfen  geschützt  bleiben  (während  anderseits  die 
Teichmuscheln  bekanntlich  ihre  Larvenzeit  als  Hautparasiten  der 
Fische  und  anderer  Wasserwirbeltiere  zubringen). 

Werden  die  Fische  an  der  Laichablage  verhindert,  so 
werden  die  Geschlechtsprodukte  resorbiert,  oft  unter  Krankheits- 
erscheinungen ^9). 

Wenige  Worte  seien  noch  dem  Nervensystem  und  den  Sinnes- 
organen der  Fische  gewidmet. 

Das  Gehirn 80)  Hegt  in  der  Schädelkapsel  unter  einer  dicken 
Fetthülle,  es  ist  im  Verhältnis  zur  Körpermasse  und  zu  den  übrigen 
Teilen  des  Nervensystems  klein.  Auffallend  ist,  dass  für  das  Gross- 
hirn, an  welches  bei  den  höheren  Wirbeltieren  Bewusstsein  und 
Wille  gebunden  erscheinen,  bei  dem  Fisch  noch  gar  keine  bestimmte 
Funktion  hat  nachgewiesen  werden  können 8i).  Döbeln,  deren 
Grosshirn  herausgenommen  war,  zeigten  in  keiner  Weise  eine  Ab- 
weichung ihrer  Lebensthätigkeiten. 

Das  Auge 82)  wird  von  der  Körperhaut  überzogen,  welche  an 
dieser  Stelle  völlig  durchsichtig  ist.  Die  darunter  liegende  Horn- 
haut (Cornea)  ist  sehr  flach,  die  Linse  dagegen  fast  kugelrund.  Die 
Fische  gelten  deshalb  für  kurzsichtig;  für  den  Hecht  ist  eine  Seh- 
weite von  etwa  65  cm  na<:hgewiesen  worden  83).  Die  Regenbogenhaut 
(Irt's)  ist  metallglänzend  infolge  der  Einlagerung  von  Glanzkörper- 
chen,  wie  sie  auch  sonst  den  Glanz  der  Fische  verursachen.  Übrigens 
ist  die  Regenbogenhaut  nicht  kontraktil,  wie  bei  den  höheren  Wirbel- 
tieren. Eigentümliche  Bildungen  des  Fischauges  sind  die  sogenannte 
Glandula  chorioidea,  ein  in  der  Nähe  des  Eintritts  des  Sehnervs 
liegender,  an  Blutgefässcapillaren  reicher  Körper,  und  eine  zweite 
Falte  der  Gefässhaut  (Chorioidea)  des  Auges,  welche  die  Nerven- 
haut (Retina)  des  Auges  durchsetzt  und  an  der  Linse  mit  einer 
Verdickung,  der  Campanula  Halleri,  endet. 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.  199 

Das  Hörorgan  der  Fische  S4)  liegt  seitlich  vom  Gehirn  im 
Grunde  des  Schädels  in  der  Nähe  des  Hinterendes  desselben,  oft 
in  einer  besonderen  Ausbuchtmig  des  Schädels:  Ein  äusseres  Ohr 
kommt  bei  den  Fischen  nicht  vor.  Das  Hörorgan  besteht  aus 
mehreren  häutigen  Teilen,  nämlich  dem  Säckchen  (Sacculus),  das 
eine  Ausstülpung  zeigt,  die  der  Schnecke  der  höheren  Wirbeltiere 
entspricht  und  einen  oder  mehrere  Gehörsteine  (Otolithen)  von 
zahnschmelzartiger  Substanz  enthält,  und  dem  Utriculus  oder  'Alveus 
communis,  an  welchem  sich  bei  den  Neunaugen  zwei,  bei  den 
übrigen  Fischen  drei  „halbzirkelförmige  Kanäle"  befinden,  die  zu- 
weilen in  Erweiterungen  ebenfalls  Otolithen  enthalten.  Im  Sacculus 
endigen  die  Nervenfasern  des  Hörnervs  in  Sinneszellen,  welche  am 
äusseren  Ende  je  eine  kleine  starre  Borste  tragen.  Ähnliche  in 
Haare  ausgehende  Sinneszellen  finden  sich  auch  in  den  sogenannten 
Seitenorganen.  An  den  Seiten  der  Fische,  mit  Ausnahme  der 
Neunaugen,  findet  sich  nämlich  eine  Reihe  von  Poren,  welche  die 
Schuppen  durchsetzen  und  die  „Seitenlinie"  bilden.  Sie  führen  in 
Kanäle,  welche  unter  der  Haut  liegen.  In  diesen  Kanälen  Sö)  Hegen 
im  Grunde  von  Vertiefungen  kleine  Erhebungen,  welche  aus  eben- 
solchen Sinneszellen  bestehen,  wie  sie  sich  in  dem  Cortischen  Organ 
des  Hörapparates  finden.  Man  nimmt  daher  an,  dass  diese  Organe, 
welche  keinem  der  Sinne  der  höheren  Wirbeltiere  entsprechen,  eine 
ähnliche  Funktion  haben  wie  das  Hörorgan,  indem  die  Seitenorgane 
zwar  nicht  die  kurzen,  rasch  verlaufenden  Schallwellen,  aber  andere 
Druckwirkungen,  wie  die  Bewegungen  anderer  Körper  im  Wasser, 
empfinden  sollen. 

Schon  bei  Erwähnung  der  Schwimmblase  ist  hervorgehoben 
worden,  dass  diese  mit  Luft  prall  gefüllte  Blase  bei  den  meisten 
unserer  Fische  mit  dem  Gehörorgan  in  Verbindung  steht.  Diese 
Verbindung  wird  bei  den  Pereiden  und  Clupeiden  dadurch  her- 
gestellt, dass  Verlängerungen  der  Schwimmblase  dicht  an  den 
Utriculus  herantreten,  bei  den  Cypriniden  und  dem  Wels  durch 
eine  Reihe  von  kleinen  Knochen,  deren  Reihe  einerseits  die 
Schwimmblase,  anderseits  einen  Verbindungskanal  der  Vcstibula 
beider  Seiten  berührt.     Auf  diese  Weise   dient  gewissermassen  der 


200  -^^^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

ganze  Mittelkörper,  soweit  in  ihm  die  Schwimmblase  liegt,  als  eine 
Art  äusseren  Ohrs.  Die  Prallheit  und  Elastizität,  welche  die 
Schwimmblase  dem  'Fischkörper  giebt,  mag  auch  zur  Folge  haben, 
dass  die  Druckwahrnehmungen  der  Seitenorgane  deutlicher  em- 
pfunden werden. 

Die  einander  verwandten  Empfindungen  des  Geschmacks  und 
des  Geruches  werden  bei  den  meisten  Fischen  anscheinend  nur 
durch  ein  Sinnesorgan,  das  der  Nase  der  höheren  Wirbeltiere  ent- 
spricht, wahrgenommen.  Indessen  kann  man,  wie  J.  Müller  hervor- 
gehoben hat,  deshalb  den  Geruch  der  Fische  mit  dem  Geschmack 
derselben  nicht  identifizieren,  wiewohl  die  GeruchsstofFe  im  Wasser 
gelöst  sind,  denn  auch  bei  den  Luftwirbeltieren  muss  sich  der 
Geruchsstoff  erst  im  Wasser  der  Nasenschleimhaut  lösen,  um  em- 
pfunden zu  werden.  Besondere  Geschmacksorgane  hat  F.  E.  Schulze 
in  der  Mundhöhle  einiger  Cypriniden  entdeckt,  wie  schon  bei  der 
Beschreibung  dieses  Körperteils  erwähnt  ist.  Das  Geruchsorgan  *4) 
kommt  allen  Fischen  zu,  es  ist  bei  den  Neunaugen  einfach,  bei 
den  anderen  Fischen  doppelt  vorhanden.  Es  liegt  jederseits  zwischen 
den  Augen  und  dem  Mund  in  einem  längeren  oder  kürzeren  Haut- 
kanal, welcher  am  Vorderende  oft  in  eine  häutige  Röhre  verlängert 
ist,  die  geschlossen  und  geöffnet  werden  kann,  sodass  es  im  Belieben 
des  Fisches  liegt,  während  des  Schwimmens  einen  Wasserstrom 
durch  das  Organ  gehen  zu  lassen  und  mittels  desselben  zu  prüfen, 
oder  dasselbe  ruhen  zu  lassen.  Das  Geruchsorgan  selbst  ist  eine 
regelmässig  gefaltete  Schleimhaut,  in  welcher  die  Sinneszellen 
liegen  ^6). 

Das  Tastgefühl  scheint  mehr  oder  minder  um  den  Mund 
konzentriert  zu  sein,  wo  sich  bei  vielen  Fischen  längere  oder  kürzere 
„Barteln",  Tastfäden,  befinden,  wie  bei  Aalquappe,  Wels,  Karpfen, 
Barbe,  Gründling,  Schleihe,  den  Acanthopsiden  und  Stören. 

Die  Sinnesorgane,  die  in  vielen  Punkten  von  denen  der  Land- 
wirbeltiere verschieden  sind  und  in  ihrer  Funktionsweise  dem  Wasser- 
leben entsprechen,  leiten  den  Fisch  zu  den  Stätten  im  Wasser, 
deren  er  jeweilen  bedarf     In  der  Hauptnährzeit,  im  Sommer,  ver- 


Die  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse.         201 

teilen    sich    die  Süsswasserfische    fast    stets  weit   in  den  Gewässern, 
jeden    zugänglichen   Winkel    nach    der    ihnen    geeigneten    Nahrung 
durchsuchend.       In    zwei    Zeitperioden    sind    die    Fische    dagegen 
wählerisch    in    ihrem   Aufenthalt:    zur    Laichzeit    und   zur  Zeit    des 
herabgeminderten  Nahrungstriebes,  im  Winter.     Zur  Laichzeit  suchen 
sie    die    für    die    Entwickelung    der    Eier    und    der    ausgeschlüpften 
jungen  Brut  geeignetsten  Wassergegenden  auf,   Kiesberge,  Pflanzen- 
rasen,   Röhricht,    schwimmendes  Pflanzengewirr,    überströmte  Kies- 
bänke u.  s.  w.      Im  Winter   ziehen   sie   sich  an  geschützte  Stellen, 
meist    in    die   Tiefe   des  Wassers,    zurück.      Einige  Arten    scheinen 
sich    in    den  weichen  Grund  einzuwühlen,    besonders    in    flacheren 
Gewässern,  welche  bis  in  die  Nähe  des  Grundes  gefrieren.     Andere 
Arten  suchen  reinen,  schlammfreien  Grimd,  Sandflächen,  auf  (Pressen, 
Karpfen),  oder  sie  halten  sich  an  der  Oberfläche  des  off"enen  Wassers 
und  stehen   auch  imter  dem  Eise  hoch  über  dem  Grunde  (Uklei). 
Nicht    nur    die  Friedfische,    auch    die    Raubfische,    namentlich    die 
jüngeren  Generationen,  suchen  geeignete  Stellen  zur  Überwinterung 
auf  (Barsch,  Wels).      Da   nun  die  besonderen  Bedürfnisse  der  Art 
in  weiten  Wasserstrecken    oft    nur    an    wenigen  Stellen  erfüllt  sind, 
so  sammeln  sich  an  diesen  Stellen  die  Fische  einer  Art  in  grossen 
Scharen.      Die  Laichzeit    und    die  Zeit  der  Winterruhe  sind  daher 
für    die    praktische  Fischerei    von   Bedeutung,    da    man    die  Fische 
dann  verhältnismässig    leicht   in  Menge    mit  Netzen  umstellen   und 
fangen    kann.      Die  Erhaltvmg  der  Fischart    erfordert   es  allerdings, 
dass  die  laichenden  Fische  weder  gefangen,  noch  auch  nur  gestört 
werden,  und  dass  man  den  INIassenfang  auf  den  Winter  beschränkt, 
eine  Forderung,    welcher   der  Fischer,    im  Gegensatze   zum  Fisch- 
züchter, nicht  immer  gern  nachkommt. 

Ohne  Zweifel  ist  es  der  wissenschaftlichen  Fischkunde  vor- 
behalten, unterstützt  von  einer  gründlichen  Kenntnis  der  Natur  der 
Gewässer  und  aller  ihrer  Bewohner,  die  nur  scheinbar  entgegen- 
gesetzten Bestrebungen  der  Fischzüchter  und  der  Fischfänger  zu 
vereinigen  und  unter  Förderung  rationeller  Fangmethoden  sowohl 
wie  der  Fischzucht  die  Grundsätze  einerseits  einer  zweckmässigen 
Fischereigesetzgebung,    anderseits    der   praktischen   Verwertung    der 


202         -^^^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

Gewässer  durch  Fischzucht  völlig  sicher  und  unangreifbar  zu 
ermitteln.  Bis  jetzt  liegen  Theorie  und  Praxis  der  Fischerei  noch 
sehr  im  Argen ;  die  Fangmethoden  sowohl  wie  die  Gesetzesvorschriften 
„schleppen  von  Geschlecht  sich  zu  Geschlechte",  während  andere 
Zweio-e  der  Wasserverwertuns ,  namentlich  die  der  Landwirtschaft 
und  der  Industrie,  mächtig  vorwärtsgeschritten  sind  und  der 
Fischerei  kaum  das  Dasein  gönnen. 


Litteratur. 


i)   Ringer  in:  Journ.   of  Ph}-siologie  Bd.  5   S.  98. 

2)  K.  Moebius  und  F.  Heincke,  Die  Fische  der  Ostsee.   1883. 

3)  E.  Th.  E.  von  Siebold,  Die  Süsswasserfische  von  Mittel- 
europa.     1S03. 

Marcus  Eiiezer  Bloch,  Oekonomische  Naturgeschichte  der  Fische 
Deutschlands.      1782- —  84. 

Berthold  Benecke,  Fische,  Fischerei  und  Fischzucht  in  den 
Provinzen  Ost-  und  Westpreussens.      1880. 

Cuvier  et  ValencienneS,  Histoire  naturelle  des  poissons.  22  Bde. 
1828— 1848. 

A.  Günther,  Catalogue  of  fishes  of  the  British  Museum.  8  Bde. 
1859— 1870. 

Agassiz,  Histoire  naturelle  des  poissons  d'eau  douce  de  l'Europe 
centrale.      1842. 

Wittmack,  Beiträge  zur  Fischereistatistik  des  Deutschen 
Reiches  u.  s.  \v.     1875. 

Max  von  dem  Borne,  Die  Fischereiverhältnisse  des  Deutschen 
Reiches  u.  s.  \v.     1882. 

4)  Heckel  und  Kner,  Die  Süsswasserfische  der  Oesterr eichischen 
Monarchie.      1858. 

5)  C.   Heller,   Die  Fische  Tirols  und  Vorarlbergs.      1871. 

6j  Sciater,  Über  den  gegenwärtigen  Stand  unserer  Kenntnis 
der  geographischen  Zoologie.      1857. 


204         ^^^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

7)  A.  Günther,  Handbuch  der  Ichthyologie,  übersetzt  von 
G.  V.   Hayek.      1886. 

8)  G.  Henschel,  Praktische  Anleitung  zur  Bestimmung  unserer 
Süsswasserfische.      1 890. 

E.  Schulze,    Fauna  piscium  Germaniae.      i8go. 

9)  Benecke,   Die  westpreussischen  Fische.      5  Tafeln.      1887. 
Gemeinfassliche  Belehrung  über  die  Süsswasserfische  des  Eib- 
gebietes.    Schriften  des  Sächsischen  Fischereivereins  Nr.    i.      1884. 

10)  Nowicki,  Fauna  und  Verbreitung  der  Fische  in  den 
Gewässern  Galiziens.  Mitteilungen  des  Österreichischen  Fischerei- 
vereins,  2.  Jahrg.,   S.    149. 

11)  F.  Heincke,  Untersuchungen  über  Stichlinge.  Ofversigt  af 
K.  V.  Akad.  Förhandling.  Jahrg.  46,   Nr.  6.    1889.   S.  399. 

12)  Heckel ,  Abbildungen  und  Beschreibungen  der  Fische 
Syriens  nebst  einer  neuen  Klassifikation  und  Charakteristik  sämt- 
licher Gattungen  der  Cyprinen.     Stuttgart   1843. 

13)  DÜrigen,   Fremdländische  Zierfische.      1886. 

14)  Knauthe,  Über  Barbus  Petenyi  Heck,  in  Schlesien.  Zoolog. 
Anz.    1890,   Nr.  352. 

1 5)  Knauthe,  Der  Strömer  am  Zobten.  Allgemeine  Fischereiztg. 
1888,  S.  153. 

16)  F.  A.  Schmitt,  Kritisches  Verzeichnis  der  im  (Schwedischen) 
Reichsmuseum  befindlichen  Salmoniden.  K.  Svensk.  vetensk.  akad. 
Handlingar  Bd.   2 1 . 

17)  W.  Peters,  Über  eine  neue  Art  von  Maränen,  Coregonus 
generosus,  aus  der  Mark  Brandenburg.  Monatsberichte  der  kgl. 
Akademie  d.  W.  zu  Berlin.      1874. 

18)  Niisslin,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Coregonus- Arten  des 
Bodensees  und  einiger  anderer  nahegelegener  nordalpiner  Seen. 
Zool.   Anzeiger    1882. 

19)  Klunzinger,  im  Amtl.  Bericht  der  56.  Versammlung 
Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte  zu  Freiburg    1883,  S.  113. 

FatiO  in:   Archive  d.  sc.  physic.   et  nat.  Geneve  t.  12,  p.  433. 

20)  Day,   The  fishes  of  Gr.  Britain.     1880 — 84. 

21)  Fitzinger  und  Heckel,  Monographie  der  Gattung  Aci- 
penser.     1836. 

22)  StanniuS,   Zootomie  der  Fische.      1854. 

23)  Salbey,  Über  die  Struktur  und  das  Wachstum  der  Fisch- 
schuppen.     Berlin    1868. 


Litteratur.  205 

24)  C.  V.  Voit  in:  Zeitschr.  f.  wiss.  Zoologie,   Bd.  15,  S.  515. 

25)  Ewald  und  Krukenberg,  Unters,  d.  physiol.  Instituts  zu 
Heidelberg,   1x1.  4,  S.  2^^. 

26)  Heincke,  Bemerkungen  über  den  Farbwechsel  einiger 
Fische.     Sehr.  d.  naturw.  Vereins  f.  Schleswig- Holstein   1875. 

27)  Krukenberg,  Vergl.-phvsiolog.  Studien,  2.  Reihe  II.  Abt. 
S.  55,  III.  Abt.  S.  138. 

28)  Zitiert  von  WeisS,   Bayer.  Fischereiztg.    1883,  S.  173. 

29)  H.  Strasser,  Zur  Lehre  von  der  Ortsbewegung  der 
Fische.      1882. 

30)  Kasem-Beg  und  Dogiel,   Zeitschr.  f.  wiss.  Zoologie,  Bd.  36. 

31)  E.  H.  Weber,  Die  Leber  von  Cyprinus  carpio.  Meckels 
Archiv,   Bd.   2. 

32)  Phisalix  in  Comptes  rend.,  Acad.  d.  sc.  Paris,  t.  97,  S.  190. 
Archive  d.  Zoologie  experim.   (2)  t.   3,  S.  369. 

33)  F.  M.  Balfour,   Quart.  Journ.  of  microsc.  science,  Bd.  20. 
Bizzozero  et  Torre,  De  Torigine  des  corpuscules  sanguins  rouges 

dans  les  dißcrentes  classes  des  vertebres.    Arch.  ital.  d.  biologie,  t.  14. 

34)  Owen,   Odontographie   1840. 

35)  Susta,  Die  Ernährung  des  Karpfen  und  seiner  Teich- 
eenossen.      1888. 

3Ö)  Provengal  et  Humboldt  in  Schweiggers  Journal  für  Chemie 
und  Physik,  Bd.  i,  S.  84. 

37)  Miller,  mitgeteilt  in  Roscoe-Schorlemmer,  Ausführl.  Lehr- 
buch der  Chemie,  Bd.  i,  S.  205. 

38)  C.  Welgelt,  Schädigung  der  Fischerei  durch  Abwässer  der 
Fabriken.     Archiv  für  Hygiene,   Bd.  3,    1885. 

König,   Die  Verunreinigung  der  Gewässer.      1887. 

39)  FrltSCh,  Arbeiten  der  zool.  Sektion  der  Landesdurch- 
forschung von  Böhmen.  Prag  1872  (Arch.  d.  naturw.  Landesdurch- 
forschung von  B.,   2.  Bd.,  4.  Abt.,  S.  112  u.  f). 

40)  August  Müller,  Über  die  Entwickelung  der  Neunaugen. 
Joh.  Müllers  Archiv   1856,  S.  334.     " 

41)  H.  Rathke,  Über  den  Darmkanal  und  die  Zeugungsorgane 
der  Fische.  Neueste  Sehr.  d.  Naturforschenden  Ges.  in  Danzig, 
I.  Bd.,   3.  Heft,    1824. 

42)  Cajetan,  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Anatomie  und  Physio- 
logie des  Tractus  intestinalis  der  Fische.      1883. 


ö 


206         ^^^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

43 1  Decker,  Zur  Physiologie  des  Fischdarms  (in:  Festschrift 
für  Kölliker).      1887. 

44)  A.  Fick,  Über  d.  JMagenferment  kaltblütiger  Tiere.  Ver- 
handl.  d.  phvsikal.-medic.  Ges.  zu  Würzburg.     N.  F.   2.  Bd. 

45)  Edinger,  Zur  Kenntnis  der  Drüsenzellen  d.  INIagens.  Arch. 
f.   mikrosk.   Anatomie,   Bd.  17. 

Trinkler,  Bau  der  Magenschleimhaut.  Arch.  f.  mikrosk.  Ana- 
tomie, Bd.   24. 

46)  Richet  et  Morrut,  De  quelques  faits  relatifs  ä  la  digestion 
gastrique  des  poissons.     Comptes  rend.   Bd.  go. 

47)  Albrecht  in:  Nature,  Bd.   31,  S.  380. 

48)  Gilberts  Annalen  d.  Physik,  Bd.   26. 

49)  Ch.  Darwin,  Abstammung  des  Menschen  (Carus).  187 1. 
Bd.   2,  S.   5. 

50)  CanestrinI,  Über  das  Männchen  von  Cobitis  taenia  Z.^  1 87 1. 

51)  Huxley,  Contribution  to  morphology.  Ichthyopsidae,  Bd.  i, 
1883,  S.  132. 

52)  M.  Weber,   Morphd.  Jahrb.,  Bd.  12,  S.   366. 

53 j  C.  K.  Holfmann,  Ontogenie  der  Knochenfische.  Verhandl. 
d.   k.   Acad.   van  Wetenschapen  i.   Amsterdam,   Bd.  21. 

54)  Jakoby,  Der  Fischfang  in  der  Lagune  von  Comacchio 
nebst  einer  Darstellung  der  Aalfrage.      1880. 

55)  Carlo  Mondini,  De  anguillae  ovariis.  De  Bononiensi 
scientiarum  et  artium  instituto  atque  academia  commentarii.  T.  6. 
Bon.    1783. 

56}  Syrski  in:  x\bhandl.  d.  Kaiserl.  Akademie  d.  Wissensch. 
in  Wien.      1874. 

57)  Moebius,  Ber.  über  Untersuchungen  des  Zustandes  der  Ge- 
schlechtsdrüsen weiblicher  und  männlicher  Aale.  5.  Bericht  d.  Komm, 
zur  wissensch.   Untersuchung  der  deutschen  Meere,    1887,  S.  127. 

58)  Fritsch ,  Erwägungen  über  die  Aussetzung  von  Lachsen 
und  Aalen  in  das  Donaugebiet.  Mitth.  d.  Österreich.  Fischerei- 
vereins  1884. 

59)  Day  in:  Proceed.  zool.  Societ.  London  1884,  Bd.  i,  S.  17. 

60)  Fritsch,  Untersuchungen  über  die  Biologie  und  Anatomie 
des  Elblachses.     Mitteil.  d.  Österr.  Fischereivereins   1885,  S.  99. 

61)  Metzger,  Beiträge  zur  Statistik  und  Kunde  der  Binnen- 
fischerei d.  Preussischen  Staates.      1880. 


Litteratur.  207 

62)  MieSCher  und  Glaser,  Statistische  und  biologische  Beiträge 
zur  Kenntnis  des  Rheinlachscs  im  Rhein.  In:  Ichthyolog.  INIittheilungen 
aus  der  Schweiz.      1880. 

63)  Barfurth,  Nahrung  und  Lebensweise' der  Salme,  Forellen 
und  jNIaifische.     Archiv  f.   Naturgeschichte   1875. 

64)  FritSCh  in:  Circ.  d.  Deutschen  Fischereivereins,  1882,  S. 46. 

65)  M.  von  dem  Borne,  Benecke  mui  Dallmer,  Handbuch  der 

Fischzucht  und  Fischerei.      i88ü. 

66)  Zenk,  Über  Brutapparate  für  Salmoniden.  Bayerische 
Fischereizeitung   1881  — 1883. 

67)  Weiss,  Anleitung  zur  Handhabung  des  Brutapparats  u.  s.w. 
Allgem.  Fischereiztg.    1889,  S.  141. 

68)  Metzger,  Fischerei  und  Fischzucht  in  den  Binnengewässern. 
In:  Loreys  Hdb.  der  Forstwissenschaft,  Bd.  i,    1887. 

69)  ten  Houten  und  de  Raadt,  Zufuhr  von  Lachsen  am 
Kralingsche  Veer.     Deutsche  Fischereiztg.    1888,  S.   2^. 

70)  Horak,  Die  Teichwirthschaft  mit  besonderer  Rücksicht  auf 
das  südliche  Böhmen.      1869. 

Niklas,   Lehrbuch  der  Teichwirthschaft.      1880. 

71)  A.  Nicols,  The  acclimatisation  of  the  Salmonidae  at  the 
Antipodes.      1882. 

'J2)  Smiley  in:  Bull.  Unit.  Stat.  Fisherie Commission,  Bd.  5,  S.468. 

73)  von  Behr,  Fünf  amerikanische  Salmoniden  in  Deutschland. 
Circ.   d.  Deutschen  Fischereivereins.      1882. 

von  dem  Borne,  Sechs  amerikanische  Salmoniden  in  Europa. 
Neudamm    1800. 

74)  von  dem  Borne,  Der  Schwarzbarsch  und  der  Forellen- 
barsch  in  Deutschland.      1888. 

75)  von  dem  Borne,  Der  amerikanische  Steinbarsch  in  Deutsch- 
land.     1890. 

76)  von  dem  Borne,  Der  amerikanische  Zwergwels  in  Deutsch- 
land.     iSqo. 

77 j  KupfFer,  Die  Befruchtung  des  Forelleneies.  Allg.  Fischerei- 
zeitung,   1880,  S.   2. 

K.  E.  von  Baer,  Über  die  Entwickelungsgeschichte  der  Fische.  1 83  5. 

His,  Untersuchungen  über  das  Ei  und  die  Eientwickelung  bei 
Knochenfischen.      1873- 

Michal  Girdwoyn,  Pathologie  des  poissons.  Traite  des  maladies, 
des  monstrosites  et  des  anomalies  des  oeufs  et  des  embryons.    Paris 


20 3  I^i^  deutschen  Süsswasserfische  und  ihre  Lebensverhältnisse. 

1880.     Text  und  einige  Figuren  auch  in  der  Deutschen  Fischerei- 
zeitung,   1881,  S.  413   u.  f.,    1882,  S.  2   u.  f. 
S.  auch  Nr.   53. 

78)  MoebiuS   in:   Arch.   f.  mikroskop.  Anat,   Bd.   25,   S.  554. 

79)  Barfurth,  Biologische  Untersuchungen  über  die  Bachforelle. 
Arch.   f.  mikroskop.   Anatomie,   Bd.   27. 

80)  Rabl-RÜCkhard,   Das  Gehirn  der  Knochenfische  und  seine 
Anhangsgebilde.    Arch.  f.  Anat.  und  Physiol.,  Anatom.  Abt.    1883. 

L.  Stieda,   Über  die  Deutung  der  einzelnen  Teile  des  Fisch- 
gehirns.    Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie,  Bd.   23. 

81)  Steiner,    Die   Funktionen    des  Zentralnervensystems    und 
ihre  Phylogenese.     2.  Abt.:  Die  Fische.     1888. 

82)  Berger,  Beiträge  zur  Anatomie  des  Sehorgans  der  Knochen- 
fische.    Morphol.  Jahrb.,  Jahrg.   8,   Bd.  i. 

83)  Hirschberg  i.  Arch.  f.  Anatomie  und  Physiologie,   Physiol. 
Abt.,    1882,  S.  493. 

84)  G.  Retzius,   Das  Gehörorgan  der  Wirbeltiere. 

85)  Leydig,  Über  die  Schleimkanäle  der  Knochenfische.  Müllers 
Arch.  für  Anatomie  und  Physiologie,    i8üo. 

Leydig,   Über  das  Organ  eines  sechsten  Sinnes.      1868. 
F.  E.  Schulze,   Über  die  Sinnesorgane  der  Seitenlinie  bei  den 
Fischen  und  x^mphibien.  In :  Arch.  f.  mikroskop.  Anatomie,  Bd.  6, 1870. 

86)  Dogiel,   Bau  des  Geruchsorgans  bei  Fischen  und  Amphi- 
bien.     1880. 

87)  Bulletin  of  Unit.  Stat.  Fisherie  Commission,   Bd.  5,   S.  142.' 

88)  Knauthe,   Erfahrungen  über  das  Verhalten  von  Amphibien 
und  Fischen  gegenüber  Kälte.     Zool.  Anzeiger,    1891,  S.  i   u.  f 


Die 

Parasiten  unserer  Süsswasserfische, 


Von   Prof.  Dr.  Fr.  ZsctlOkke  in  Basel. 


Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  14 


-C^s  ist  eine  gewöhnlich  kaum  beachtete  Thatsache,  dass  der 
Körper  des  Fisches  den  Angriffen  verschiedenartigster  Schmarotzer 
ausgesetzt  ist.  Eine  stattliche  Zahl  von  durch  Bau  und  Gestalt 
weit  von  einander  abweichenden  Parasiten  sucht  und  findet  am 
und  im  Fisch  bleibende  oder  vorübergehende  Wohnung  vmd  Nah- 
rung. Es  sind  Geschöpfe,  die  den  verschiedensten  Stämmen  des 
Tierreichs  angehören,  Protozoen,  Mollusken,  Krebse,  Plattwürmer, 
Rundwürmer,  Blutegel.  Nur  ein  gemeinschaftliches  Band  verbindet 
sie,  ein  biologisches,  dieselbe  Lebensweise,  das  Schmarotzertum; 
nach  Abstammung,  Struktur,  Entwickelungsgeschichte  gehen  sie  weit 
aus  einander.  Allerdings  hat  die  Angewöhnung  an  dieselbe  Lebens- 
weise, an  den  Parasitismus,  die  ihm  unterworfenen  Geschöpfe  in 
derselben  Richtung  modifiziert,  und  so  zwischen  ursprünglich  ein- 
ander fernstehenden  Tieren  Ähnlichkeiten  im  Bau  und  im  Lebens- 
gang in  sekundärer  Weise  geschaffen. 

Die  den  Fisch  heimsuchenden  Schmarotzer  sind  übrigens  recht 
vmscheinbare  Wesen.  Zu  ihrer  niedrigen  Lebensweise  passt  es  ja 
am  besten,  wenn  sie  weder  durch  besondere  Grösse,  noch  Form 
und  Farbe  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  ziehen.  Der  Laie  macht 
wohl  gelegentlich  die  Beobachtung,  dass  ein  Lachs  mit  gierigen 
Blutegeln  überdeckt  ist,  oder  sieht,  wie  sich  der  Leibeshöhle  eines 
frisch  geöffneten  Karpfens  ein  breiter,  hässlicher  Riemen\^'urm  ent- 
windet; der  eine  oder  andere  Fisch  wird  wohl  auch  mit  Recht 
oder  Unrecht  beschuldigt,  dem  iMenschen  gegenüber  die  Rolle  eines 

u* 


2]^  2  ^^^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

Zwischenträgers  schmarotzender  Würmer  zu  spielen.  Weiter  geht 
die  Kenntnis  der  Fischparasiten  kaum.  Das  mit  dem  verächtlichen 
Namen  Schmarotzer  belegte  Geschöpf  fesselt  nicht  durch  sein 
Äusseres  und  stösst  geradezu  ab  durch  seine  Lebensweise. 

Und  doch  wäre  der  Fischparasit  eingehenden  Studiums  so 
sehr  würdig.  Schon  vom  rein  praktischen,  medizinischen  Stand- 
punkt aus  verdienen  die  ungebetenen  Gäste  der  Fische  unsere  volle 
Aufmerksamkeit.  Hat  uns  doch  die  neuere  Forschung  gelehrt,  dass 
einer  der  verbreitetsten  Bandwürmer,  der  durchaus  nicht  unbedenk- 
liche Bothrioceplialus  latus,  gerade  durch  die  gesuchtesten  Tafel- 
fische des  süssen  Wassers  auf  den  Menschen  übertragen  wird.  Für 
andere  Würmer  liegt  die  Vermutung  nahe,  dass  sie  auf  ähnlichem 
Wege,  eingekapselt  in  Zwischenwirte  aus  der  Klasse  der  Fische,  in 
unsern  Körper  eingeschmuggelt  werden.  Die  Notwendigkeit  unsere 
Feinde  zu  kennen,  um  uns  ihrer  entledigen,  sie  \'on  uns  fernhalten 
zu  können,  weist  uns  also  schon  gebieterisch  darauf  hin,  Bau  und 
Eigeiischaften  der  Fischparasiten  zu  ergründen  und  ihrem  oft  so 
verwickelten  Lebensgang  zu  folgen.  Ausgerüstet  mit  den  nötigen 
Kenntnissen  dürfte  es  uns  wohl  auch  gelingen,  Fisch epidemien 
parasitärer  Herkunft  einzudämmen,  die  unter  den  Bewohnern 
unserer  Gewässer,  jenem  nicht  gering  anzuschlagenden  Teil  des 
nationalen  Gutes,  zahlreiche  Opfer  fordern.  Ausser  rein  praktischen 
Erwägungen  medizinischer  und  nationalökonomischer  Art  müssen 
uns  aber  auch  wissenschaftliche  Gesichtspunkte  und  Ziele  beim 
Studium  der  Fischparasiten  leiten.  Die  Frage,  welchen  Einfluss 
übt  die  parasitische  Lebensweise  auf  ursprünglich  freilebende 
Geschöpfe  aus,  wie  werden  im  Laufe  ungezählter  parasitischer 
Generationen  Bau  und  individuelle  Geschichte  des  früher  nicht 
schmarotzenden  Tieres  verändert,  tritt  uns  vor  allen  anderen  schwer- 
wiegend entgegen.  Der  Parasitismus  führt  ja  zu  einer  vollkommenen 
Umgestaltung  und  Neuschöpfung  in  Anatomie  und  Entwickelungs- 
geschichte.  Und  um  diese  Neuschöpfung  ihrer  Entstehung  nach 
würdigen  zu  können,  bietet  uns  gerade  die  Parasitenfauna  der 
Fische  Gelegenheit  und  Material.  Manche  Schmarotzer  beziehen 
den  Fisch  nur  temporär,    um  Nahrung  aufzunehmen,  sonst  führen 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.  213 

sie  eine  freie  Lebensweise.  Andere  bewohnen  ihn  wohl  stationär, 
begnügen  sich  aber  damit,  als  Ektoparasiten  die  Oberfläche  des 
Wirtes  zu  bewohnen  und  dort  ihren  Unterhalt  zu  suchen,  ohne 
jemals  innere  Organe  zu  besetzen.  Wieder  andere  werden  Ento- 
parasiten,  siedeln  sich  aber  in  offenen  mehr  oder  weniger  leicht 
zugänglichen  Teilen,  den  Kiemen,  dem  Darmkanal,  an.  Zahlreiche 
endlich  liegen  eingekapselt  in  allseitig  geschlossenen  Organen,  den 
Muskeln,  den  Augen,  der  Schwimmblase. 

Grad  und  Dauer  des  Schmarotzertums  sind  bei  den  Fisch- 
parasiten höchst  verschieden.  Manche  schmarotzen  während  des 
ganzen  Lebens,  bei  anderen  sind  freie  Stadien  in  mehr  oder 
weniger  reichem  Masse  in  die  Lebensgeschichte  eingestreut.  Vom 
nur  gelegentlich  parasitierenden  Blutegel,  von  der  jungen  Muschel, 
die  sich  nur  kurze  Zeit  vom  Fisch  herumtragen  lässt,  bis  zum 
Bandwurm  im  Darmkanal  des  Hechtes  oder  des  Lachses  und  dem 
Spulwurm  aus  dem  Barsch,  typischen,  entoparasitischen  Gestalten, 
stossen  wir  auf  mancherlei  Zwischenstufen.  Und  gerade  in  diesen 
verschiedenen  Stadien,  mit  ihrem  durch  den  Parasitismus  mehr 
oder  weniger  veränderten  Bau  und  der  ebenfalls  verschieden  stark 
beeinflussten  Lebensgeschichte,  sehen  wir  noch  Punkte,  Stationen, 
die  von  der  Natur  auf  dem  Wege  berührt  worden  sind,  als  sie  aus 
dem  ursprünglich  freien  Geschöpf  den  Parasiten  schuf.  Wir  können 
den  Weg  verfolgen,  der  vom  freien  Vorfahr  zum  parasitierenden 
Enkel  führt.  So  kann  es  uns  Idar  werden,  welch  tiefen  Einfluss 
die  Angewöhnung  an  eine  so  spezielle  und  niedrige  Lebensweise, 
wie  sie  der  Parasitismus  nun  einmal  ist,  auf  tierische  Organisation 
und  tierisches  Leben  ausübt.  Mit  dem  zunehmenden  Schmarotzertum 
treten  anatomische  Vereinfachungen  und  Umbildungen  allmählich 
ein;  Organsysteme  werden  rudimentär  und  verschwinden  zuletzt. 
Die  Entwickelungsgeschichte  weist  oft  Komplikationen  auf  und 
schlägt  Umwege  ein,  die  ihre  Erklärung  einzig  in  der  Angewöhnung 
an  die  neue  Lebensweise  und  in  der  Erfüllung  der  von  dieser 
gestellten  Bedingungen  finden.  Das  Studium  der  Parasiten  führt  so 
den  Forscher  ein  in  die  interessantesten  und  weitgehendsten  Fragen 
der  Biologie.   Die  Fischschmarotzer  aber,  in  ihrer  bunten  Formenfülle 


2]^  4  -^^^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

und  mit  ihrer  mannigfaltigen  Lebens-   und  Entwickelungsgeschichte 
bieten  zur  Behandlung  dieser  Probleme  ein  reiches  INIaterial. 

Noch  manche  andere  Frage  wird  sich  auf  diesem  Gebiete 
stellen  und  teilweise  wenigstens  beantworten  lassen.  Wie  beeinflussen 
sich  gegenseitig  Wirt  und  Gast?  Wie  passt  sich  der  Parasit  den 
ihm  vom  Träger  gebotenen  Bedingungen  an  und  welche  Eigen- 
schaften werden  infolge  dieser  Anpassung  erworben  ?  Wie  findet 
sich  auf  der  andern  Seite  der  Fisch  mit  den  ihn  bewohnenden 
Würmern  ab;  erwirbt  nicht  auch  er  gewisse  Eigenschaften,  um  die 
Eindringlinge  abzuhalten,  oder  die  einmal  Eingedrungenen  bis 
zu  einem  gewissen  Grad  unschädlich  zu  machen?  Welche  Ver- 
änderungen erleidet  der  Fischkörper  unter  dem  Drucke  der 
Parasiteninvasion  ? 

Interessant  wird  es  auch  sein,  die  bis  jetzt  kaum  berührte 
Frage  in  Fluss  zu  bringen,  welchen  Einfluss  die  Lebensweise,  speziell 
die  Ernährungsweise  des  Fisches  auf  die  Zusammensetzung  der  ihn 
bewohnenden  Parasitenfauna  ausübt.  Pflanzenfresser  werden  andere 
Formen  von  Schmarotzern  beherbergen  als  Fleischfresser,  Schlamm- 
bewohner andere  als  frei  pelagisch  schwimmende  Geschöpfe.  Der 
Fisch  des  schnellfliessenden  Stroms,  des  Sees,  des  Teiches  wird  von 
einander  verschiedene  Elemente  in  seiner  Parasitenfauna  aufweisen. 
Besonders  eigentümlich  werden  sich  diese  Verhältnisse  gestalten  bei 
den  Wanderfischen,  die  bald  das  süsse  Wasser,  bald  die  salzige 
See  aufsuchen  und  in  beiden  Medien  eine  oft  recht  verschiedene 
Lebensweise  befolgen. 

Eine  mehr  oder  minder  starke  Vermischung  von  Meer-  oder 
Süsswasser],Darasiten  wird  sich  in  diesem  Falle  wohl  nachweisen 
lassen.  Reine  Meerformen  werden  weit  hinauf  in  die  Flüsse 
getragen,  Süsswasserschmarotzer  dagegen  dem  Meer  zugeführt.  Wieder 
wird  uns  die  verschiedene  Mischung  der  beiden  Parasitenelemente 
im  Wanderfisch,  das  Überwiegen  des  einen  oder  anderen,  Rück- 
schlüsse auf  die  Lebensweise  des  Wirtes  gestatten.  Die  Parasiten- 
fauna wird  so  bis  zu  einem  gewissen  Grade  zum  Spiegelbild  der 
Gewohnheiten  ihres  Trägers. 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.  215 

Von  diesen  Erwägungen  geleitet  ist  eine  erste  kleine  Arbeit 
über  die  Parasitenfauna  des  Rheinlachses  erschienen,  deren  Resultate 
geeignet  sind,  die  vorangehenden  theoretischen  Betrachtungen  zu 
stützen.     Sie  mögen  deshalb  hier  in  kurzen  Zügen  skizziert  werden. 

Der  Rheinsalm,  so  bewiesen  es  His  und  Miescher,  und  so 
wussten  es  auch  schon  längst  die  Lachsfischer,  nimmt  vom  Auf- 
steigen aus  dem  Meer  bis  er  verlaicht  hat,  niemals  Nahrung  zu  sich. 
Als  Folge  dieses  Fastens  im  Süsswasser  durfte  wohl  erwartet  werden, 
dass  die  Parasitenfauna  von  Trutta  salar  typisch  marinen  Anstrich 
zeige.  INIit  dem  Ausschluss  der  Nahrungsaufnahme  ist  für  jedes 
Geschöpf  ja  gleichzeitig  die  Hauptinfektionsquelle  mit  parasitischen 
Würmern  verstopft. 

Von  45  untersuchten  Lachsen  aus  dem  Rhein  waren  42  mit 
Würmern  besetzt,  nur  drei  erwiesen  sich  als  vollkommen  parasiten- 
frei. Elf  Arten  Schmarotzer  konnten  bestimmt  werden;  mehrere 
fanden  sich  nur  in  einem  der  geprüften  Fische,  andere  öfters,  der 
Spulwurm  Agamoneina  capsularia  Dies,  sogar  in  35  Wirten. 
Parasitenarm  waren  in  den  45  Lachsen  die  offenen  Organe.  Im 
Darmkanal  fand  sich  kein  einziger  Schmarotzer  unterhalb  der 
Appendices  pyloricae.  Die  meisten  Parasiten  waren  in  verschiedenen 
Organen  eingekapselt,  seltener  lagen  sie  wohl  geborgen  in  den  Falten 
des  Schlundes  und  in  den  Pylor-Anhängen.  Es  erinnert  dies  an 
das  Verhalten  gefangener  Meerfische,  die  im  Aquarium  verhältnis- 
mässig rasch  ihre  Darmschmarotzer  verlieren.  Man  hat  ja  auch 
geradezu  behauptet,  viele  Wanderfische  ziehen  ins  Süsswasser,  um 
sich  ihrer  Parasiten  zu  entledigen.'  Die  Schmarotzerfauna  der 
45  Rheinlachse  hatte  einen  fast  reinen  marinen  Charakter.  Die 
Hauptmasse  der  gefundenen  Würmer  gehörte  nach  Arten  und 
Individuen  äusserst  t}^ischen  Meerformen  an.  Auch  die  von  mir 
noch  nicht  nachgewiesenen  Lachsparasiten  sind  wesentlich  Gäste 
von  Meerfischen.  Ein  einziger  der  gefundenen  Schmarotzer  gehört 
neben  den  Wanderfischen  ausschliesslich  dem  süssen  Wasser  an. 
So  spiegelt  die  Zusammensetzung  der  Parasitenfauna  die  eigen- 
tümliche Gewohnheit  des  Rheinlachses  wider,  im  Süsswasser  keine 
Nahruns:    aufzunehmen.      Sie    unterscheidet    sich    scharf  von    der 


216 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 


Schmarotzerwelt    anderer    Wanderfische , 
im  FIuss  nicht  aufhört. 


deren    Nahrungsbedürfnis 


Über    diese  Verhältnisse 
näheren  Aufschluss  geben. 


mag  die   folgende  Zusammenstellung 


Verbreitung  der  parasitisclieu  Würmer  der  Wanderfische: 


Zahl  der  ihn  be- 
wohn.    Spezies 
parasit. Würmer: 

Davon     typisch 
für   den    betref- 
fenden    Fisch  : 

^  .. 

0)  13 

■c  n 
c  a 

1^ 

Ausser  in 
Wanderfischen : 

Name  des  Fisches: 

auch     in 
marinen 
Fischen : 

auch     in 

Süsswas- 
serfisch. : 

in  mar.  u. 
Süsswas- 
serfisch. : 

I.   Trutta  salar,  Lachs     .... 

20 

7 

7 

7 

I 

5 

2.   Trutta  trutta,  Lachsforelle     .     . 

15 

I 

I 

I 

8 

5 

3.   Osmerus  eperlaniis,  Stint       .     . 

17 

10 

II 

I 

4 

1 

4.   Coregonus  oxyrhynchus,  Schnäpel 

6 

0 

I 

0 

4 

I 

5.  Alaiisa  vulgaris,  Maifisch      .     . 

7 

^ 

0 

4 

I 

0 

2 

6.  Alaiisa  finta,  Finte      .... 

4 

I 

2 

0 

0 

2 

7.  Aitguilla  vulgaris,  Aal      .     .     . 

25 

10 

10 

5 

5 

5 

8.  Pctromyzon  fluviatilis,  Neunauge 

4 

2 

2 

0 

I 

I 

Besonders  typisch  für  die  Würmerwelt  des  Rheinlachses  ist 
das  Auftreten  der  sogenannten  Tetrarhynchen,  eigentümlicher,  mit 
vier  starken,  hakentragenden  Rüsseln  bewehrter  Bandwurmlarven, 
die  sich  häufig  in  den  verschiedensten  Knochenfischen  des  Meeres 
einnisten,  um  mit  ihnen  in  den  Verdauvingstractus  der  Haifische 
zu  gelangen  und  dort  zu  erwachsenen  Bandwürmern,  Rhyncho- 
bothrien,  auszuwachsen. 

Eine  in  weit  vorgeschrittener  Vorbereitung  sich  befindende 
zweite  Arbeit  über  die  Lachsparasiten,  der  hier  nicht  vorgegriffen 
werden  kann,  wird,  auf  reiches  Material  gestützt,  den  marinen 
Charakter  der  den  grossen  Wanderfisch  bewohnenden  Würmer 
noch  viel  greller  hervortreten  lassen.  Sie  wird  auch  Ermittelungen 
über  nordische  und  schottische  Lachse  enthalten,  die  im  Süsswasser 
'  dem  Fasten  nicht  so  strenge  zu  huldigen  scheinen  wie  ihr  Vetter 
vom  Rhein  und  bei  denen  infolgedessen  die  parasitologischen 
Verhältnisse  sich  wesentlich  anders  gestalten. 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.  217 

Den  relativ  grossen  Parasitenreichtum  verdanken  die  Fische  ver- 
schiedenen Umständen:  zunächst  wohl  ihrer  Eigenschaft  als  Wasser- 
bewohner. Neben  zahlreichen  entoparasitisch  die  inneren  Organe 
aufsuchenden  Schmarotzern  kann  auch  mancher  Ektoparasit  an  der 
Aussenfläche  des  Wassertiers  sich  ansiedeln,  der  nur  im  feuchten 
Element  sein  Leben  zu  fristen  vermag.  So  wird  denn  die  Ober- 
fläche des  Fisches,  die  Haut,  sowie  die  verhältnismässig  freiliegenden, 
von  einem  fortwährenden  Wasserstrom  bespülten  Kiemen  von 
manchem  Wurm  als  geeigneter  Standort  gewählt. 

Auch  die  so  mannigfache  Ernährungsweise  wird  den  Fischen 
manchen  Schmarotzer  verschaffen.  Mit  der  Nahrung  dringt  ja  der 
grosse  Haufe  ungebetener  Gäste  in  den  tierischen  Körper  ein.  Die 
Parasitenfauna  einer  Tiergruppe,  die  Pflanzen-  und  Fleischfresser 
umschliesst,  wird  den  verschiedenen  Nahrungsstoffen  gemäss  eben- 
falls mannigfaltig  ausfallen. 

Mit  dem  Atmungswasser  können  femer  Jugendstadien  von 
Schmarotzern  in  das  Innere  des  Fisches  gelangen.  Der  Invasion 
ist  somit  eine  neue,  bei  anderen  Geschöpfen  geschlossene  Pforte 
geöffnet.  IManche  Parasiten  werden  auch  aktiv  eindringen,  an  wenig 
geschützten  Körperstellen  mittels  spezieller  Apparate  sich  einbohren. 

Die  äusseren  Lebensbedingungen,  unter  denen  der  Fisch  steht, 
seine  Beziehungen  zu  anderen  Lebewesen  sind  endlich  sehr  mannig- 
faltiger Natur.  JNIit  der  grösseren  Vielseitigkeit  dieser  Beziehungen 
steigert  sich  im  allgemeinen  auch  die  JMöglichkeit  und  Gelegenheit 
einer  Infektion.  Von  zahlreichen  anderen  Tieren  verfolgt  und 
verzehrt  wird  sich  der  Fisch  als  Zwischenträger  von  Parasiten  wohl 
eignen.  In  ihm  stellen  sich  zahlreiche  Jugendstadien  von  para- 
sitierenden Würmern  ein,  die  mit  dem  Fisch  sicher  in  den  Darm- 
kanal eines  weitem  Wirtes  übertragen  werden  sollen,  um  dort  zum 
geschlechtsreifen  Tier  heranzuwachsen.  So  gelangen  die  Larven  des 
breiten  Bandwurms  mit  dem  Fleisch  von  Fischen  in  den  Verdauungs- 
tractus  des  IMenschen.  Aber  auch  als  Hauptwirt  von  Parasiten  ist 
der  Fisch  berufen  eine  grosse  Rolle  zu  spielen ;  mit  den  zahllosen 
kleinen  Geschöpfen,  die  ihm  zur  Nahmng  dienen,  können  auf  leichte 
Weise  eingekapselte  Larven    in   ihn    eingeschmuggelt   werden.     Die 


218  ^^^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

Fische  erscheinen  durch  ihre  Beziehungen  zu  anderen  Ge- 
schöpfen besonders  geeignet,  bald  als  Zwischenträger  von  jungen 
Würmern,  bald  als  definitive  Wirte  der  geschlechtsreifen  Form  zu 
figurieren. 

So  vereinigen  sich  manche  Umstände,  um  den  Fischkörper 
zu  einer  richtigen  Parasitenherberge  zu  machen.  Einer  Invasion  ist 
Thür  und  Thor  geöffnet.  Die  Oberfläche  des  Wirtes  und  die  nach 
aussen  offenen  Organe  werden  vorzugsweise  von  geschlechtsreifen 
Schmarotzern,  geschlossene  Körperteile  von  jungen  Stadien  bewohnt. 
Kein  Orgaia  bleibt  aber  gelegentlich  verschont.  Zwölf  Fischarten 
des  Genfersees  beherbergten  37  verschiedene  Parasiten,  die  sich 
folgendermassen  im  Körper  einquartiert  hatten : 

Bewohntes  Organ  :  Zahl  der  Arten  : 

Ösophag  und  Magen 2 

Darm 15 

Rectum 2 

Pylor-Anhänge 2 

Leber ö 

Milz I 

Schwimmblase i 

Harnblase i 

Auge ■ I 

Muskulatur 2 

Kiemen 2 

Leibeshöhle ;  i 

Peritonäum  und  Darmwand       ...  8. 

Die  Zahl  der  bis  jetzt  bekannten  Parasiten  der  Süsswasserfische 
aus  dem  Kreise  der  Würmer  ist  schon  eine  sehr  beträchtliche,  sie 
dürfte  kaum  unter  250  zurückbleiben;  sie  steigt  jährlich  an  und 
nichts  lässt  voraussetzen,  dass  die  diesbezüglichen  Listen  so  bald 
als  vollständig  geschlossen  betrachtet  werden  können.  Dem 
momentanen  Stand  unserer  Kenntnisse  über  die  Vertretung  von 
schmarotzenden  Würmern  im  Körper  der  verbreitetsten  Fische 
des  süssen  Wassers  dürfte  etwa  folgende  Tabelle  entsprechen: 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 


219 


Zahl  der  bei  ihm  vorkommenden  Parasitenarten : 


Name  der  Fische: 


Satig:- 
7vü'rmer. 


Band- 
■wiirmer. 


Faden-    i  Kratzer. 


Barsch  .... 
Kaulbarsch 
Zander  .... 
Groppe 
StichHng 
Aalraupe  (Quappe) 

Wels 

Karpfen 


Gründling 


Barbe 
Aitel 


Rotauge 

Hasel    . 

Elri  tze 

Schleihe 

Laube   . 

Schmerle    . 

Schlammpeitzger 

Saibling 

Lachs    . 

Forelle  . 

Stint      .      .     . 

Schnäpel     . 

Felchen 

Aesche 

Hecht   .     .     . 

INIaifisch 

Aal  .     .     .     . 

Neunausre  . 


12 

8 
7 
3 
4 
6 

2 

8 

3 

7 

7 
8 

7 
5 

2 

3 
3 

0 

4 


4 

7 

lO 

4 
14 


8 

2 
I 

2 

4 
9 


o 

9 


/ 

2 

6 
I 

I 


6 

^5 

4 

2 

6 

4 

4 

2 

•iuurmer. 


0 
2 

O 

6 
6 
6 

2 


0 

3 

I 

2 

4 

3 

5 

2 

3 

I 

4 

5 

3 

4 

3 

7 

6 

0 

I 

7 

4 

9 

3 
I 

5 

7 
4 

12 


4 

0 

0 

2 

3 

4 
3 

4 
5 
5 

2 

0 

4 
3 

4 

0 

2 

O 
I 

2 

7 

2 
I 
I 

2 

3 

3 

8 

o 


Total. 

27 

i8 

13 

7 

17 


:.5 


I 


o 


1.5 

lO 

i6 

15 

19 
16 

13 
14 
13 

13 

0 

15 
30 

17 
21 

10 

13 
16 

26 

12 

0/ 
9 


Die  vorangehenden  Zahlen  bedürfen  kaum  eines  weiteren 
Kommentars.  Sie  sind  wiederum  geeignet,  die  Abhängigkeit  der 
Parasitenfauna    \-on  der  Lebensweise  des  Wirtes    mit  Beispielen  zu 


220  -^^^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

belegen.  Am  reichsten  an  Schmarotzern  sind  die  grossen  Räuber 
und  die  Omnivoren  Fische,  denen  sich  jeden  Augenblick  eine 
Infektionsgelegenheit  bietet.  In  ihrem  Darm  wohnt  eine  reiche 
Fauna  von  geschlechtsreifen  Band-  und  Saugwürmern,  die  in  die 
Nahrung   eingekapselt   leicht    in    den  definitiven  Wirt    gelangt  sind. 

Bei  den  Karpfen,  die  mehr  an  pflanzliche  Kost  gewöhnt  sind 
oder  höchstens  kleine  Tiere  verzehren,  sinkt  die  Zahl  der  Parasiten 
bedeutend.  Die  Band-  und  Saugwürmer  spielen  hier  eine  unter- 
geordnete Rolle,  während  die  Kratzer,  deren  Jugendstadium  in 
kleinen  Krustaceen  eingeschlossen  liegt,  mehr  in  den  Vordergrund 
treten.  Am  reichsten  und  buntesten  gestaltet  sich  die  Parasiten- 
fauna des  Aals,  dessen  mannigfaltige  Lebens-  und  Ernährungsweise 
ihn  auch  vielfacher  Infektionsgefahr  aussetzen  wird.  Fleisch-  und 
Pflanzenfresser  unter  den  Fischen  beherbergen  eine  ziemlich  ver- 
schiedene Schmarotzerwelt;  die  letzteren  dienen  oft  als  Zwischen- 
wirte für  die  Parasiten  der  ersteren.  In  Fischen  mit  gemischter 
Ernährungsweise  mengen  sich  auch  die  Bestandteile  der  beiden 
Faunen.  Wahrscheinlich  wird  in  ein  und  derselben  Fischart  in 
den  verschiedenen  Monaten  des  Jahres  eine  Veränderung  der 
Parasitenwelt  nach  Auswahl  der  sie  bildenden  Arten  und  nach 
Zahl  der  Individuen  sich  nachweisen  lassen.  Die  Beobachtungen 
über  diese  Schwankungen  sind  noch  äusserst  lückenhaft  und  lassen 
uns  nicht  einmal  vorläufige  Schlüsse  ziehen.  Immerhin  glaubte  ich 
im  Reichtum  der  Schmarotzerfauna  der  grossen  Räuber,  Hecht, 
Quappe,  Forelle,  Saibling,  während  des  ganzen  Jahres  keine  wesent- 
liche Veränderung  zu  bemerken.  ,In  den  Karpfen  dagegen  ver- 
mehren sich  die  Parasiten  nach  Arten  und  Individuen  im  ersten 
Frühjahr,  nachdem  der  Fisch  seine  Winterruhe  mit  einem  aktiven 
Leben  vertauscht  hat.  Der  Barsch  ist  besonders  im  März  bis  Mai 
reichlich  infiziert.  Weitere  Studien  über  die  Saisonverteilung  der 
parasitierenden  Würmer  wären  sehr  erwünscht,  auf  ein  reiches  und 
sorgfältig  beobachtetes  Material  sich  stützend  würden  sie  sicher  zu 
interessanten  biologisch-faunistischen  Resultaten  führen. 

Dass  ein  Fisch  Parasitenträger  ist,  scheint  fast  als  der  normale 
Zustand    zu    betrachten    zu    sein.     Von  382   nach    dieser  Richtung 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.  221 

geprüften  Bewohnern  des  Genfersees  war  kaum  ein  Drittel  parasiten- 
frei.   Lönnberg  öffnete  in  Schweden  870   Fische  des  süssen  und 
salzigen  Wassers;    564  trugen  Parasiten,   306  waren  nicht  infiziert. 
Cestoden  beherbergten  128  Individuen,  Trematoden  96,  Kratzer 294, 
Nematoden  205.     Oftmals   bewohnen   die  Schmarotzer   ihren  Wirt 
in    gewaltiger    Individuenfülle.      Ihre    Gegenwart    kann    so    für    das 
infizierte  Tier  kaum  gleichgültig  sein,  schon  aus  dem  naheliegenden 
Grunde   nicht,    weil  die  Parasiten  eine  Menge  Nahrungsstoffe    ver- 
zehren,   die    in    den    fischlichen    Organismus    hätten    aufgenommen 
werden  sollen.     Die  Pylor- Anhänge  von  Forelle,    Saibling,    Hecht, 
Aesche  sind  meist  vollgepfropft  von  unzählbaren  Exemplaren  eines 
Bandwurms    (Bothriocephahis  infnndibulifonnis    Rud.).      In    einem 
Hecht   von    fünf   bis    sechs    Kilo    fand    ich    mehr   als    dreihundert 
Exemplare  dieses  Schmarotzers,  von  28  bis  35  cm  Länge;     unge- 
zählte hunderte  von  jungen  Würmern  waren  über  die  Schleimhaut 
des  ganzen  Darmes  zerstreut.     Grosse  Massen  desselben  Cestoden 
bevölkern  in  der  Regel  auch  den  pylorischen  Darmteil  des  Lachses, 
wie    ja    die  Pylor-Anhänge  überhaupt    der  Lieblingsstandort    vieler 
Fischparasiten  sind.     Die  Würmer    finden    dort    neben   sehr  reich- 
licher    Nahrung    sichere    Wohnung.       Auch     ein     anderer    grosser 
Bandwurm  (bis  50  cfn  lang),    der   Triaenophorns    nodulosiis    Rud., 
stellt  sich  oft  in  80  bis  100  Exemplaren  im  Hecht  ein.     Ein  Saug- 
wurm,    Distoma    nodidostim    Zeder,     bewohnt    in    grösster    Menge 
den  Darm  des  Barsches;     ein  anderes  Distoma,  D.  folium  Olfers, 
füllt  oft  buchstäblich  die  ganze  Harnblase  der  Groppe  an,  so  dass 
dieses  Organ  prall  aufgetrieben  erscheint;  die  Kapseln  eines  larvären 
Saugwurms,  des  Tetracotyle  Percae,  durchsetzen  fast  regelmässig  in 
o-rösster    Menge    die  Wandungen    der    Schwimmblase    der    Barsche. 
Die    beiden    Kratzer     Echinorhynchus    proteiis    Westrumb.     und 
E.  angustatus    Rud.    bewohnen    das    Eingeweide    ihrer    zahlreichen 
Wirte    oft    in    hunderten    von  Individuen.     Von    den  Spulwürmern 
tritt    in    bedeutender    Zahl     auf    der     Kappenwurm,      Citcullmuts 
elegans    Zeder,     ein    für    den    Barsch    äusserst    charakteristischer 
Parasit;      im     Hecht     findet     sich     oft     zahlreich      die     Ascaris 
actis  Bloch,  in  der  Leibeshöhle  der  verschiedensten  Fische   spiralig 


222  ^^^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

eingerollt,    und  allen  Organen  angeheftet,    die    noch  geschlechtslose 
Agamonema  capsidaria  Dies. 

Diese  wenigen  Beispiele  mögen  das  massenhafte  Auftreten 
einer  Parasitenspezies  im  Fischkürper  illustrieren.  Es  sei  nur  noch 
darauf  hingewiesen,  dass  auch  die  Larve  des  breiten  Bandwurms 
des  Menschen  in  ein  und  demselben  Wirt  sich  massenhaft  einstellt. 
So  schälte  ich  aus  Leber,  Milz,  Nieren,  Wandungen  des  Darm- 
kanals einer  Seeforelle  über  200  Finnen  des  BothriocepJiahis  latus. 
Es  erklärt  sich  dadurch  leicht  die  gelegentliche  Masseninfektion  des 
Menschen  mit  dem  breiten  Bandwurm.  Roux  trieb  einer  einzigen 
Person  über  90  Exemplare  gleichzeitig  ab. 

Die  verschiedensten  Arten  parasitischer  Würmer  können  übrigens 
nebeneinander  in  ein  und  demselben  Wirt  leben.  Dass  ein  Fisch 
gleichzeitig  fünf  bis  acht  Schmarotzerformen  beherbergt  ist  keine 
Seltenheit.  Im  Lachs  ist  oft  der  pylorische  Darmabschnitt  mit 
Bandwürmern  angefüllt,  während  zahlreiche  Individuen  des  für  diesen 
Fisch  typischen  Distoma  varicimi  im  Schlund  neben  verschiedenen 
Spulwürmern  leben  und  die  Darmwandungen  reichlich  gespickt  sind 
mit  Larven  von  Tetrarhynchen ,  Bothriocephalen  und  aufgerollten 
Agamonemen.  Barsch,  Hecht,  Aalraupe,  Saibling  geben  oft  wahre 
Parasitenherbergen  ab,  in  denen  gleichzeitig  acht  bis  zehn  Arten 
Schmarotzer,  meist  in  grosser  Individuenzahl,  als  ungern  gesehene 
Gäste  die  verschiedensten  Organe  bewohnen.  Die  zahlreichen 
Parasiten  dürften  das  Leben  des  Fisches  in  seiner  kühlen  Wasser- 
heimat kaum  so,  angenehm  und  wohlig  gestalten,  wie  man  es  sich 
etwa  vorstellt. 

Ist  schon  der  Süsswasserfisch  von  sehr  zahlreichen  Würmern 
heimgesucht,  so  trifft  das  noch  in  bedeutend  höherem  Masse  für 
seine  marinen  Verwandten  zu,  die  in  weit  grösseren  Verhältnissen 
leben  und  unter  dem  Einflüsse  viel  mannigfaltigerer  äusserer  Lebens- 
bedingungen  stehen.  Die  Parasitenfauna  der  Meerfische  ist  min- 
destens ebenso  reich  an  Individuen  und  sehr  viel  mannigfaltiger  an 
äusserst  verschiedenartigen  Formen,  als  die  der  Süsswasserbewohner. 
Wenige    Angaben    mögen    wenigstens    einen    kurzen    Vergleich    der 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.  223 

bezüglichen  Verhältnisse  gestatten.  Lönnberg  suchte  Parasiten 
in  342  Meerfischen;  241  davon  waren  infiziert,  loi  parasitenfrei. 
78  trugen  Bandwürmer,  39  Saugwürmer,  28  Kratzer,  114  Spul- 
würmer. In  Neapel  waren  von  257  Fischen  nur  74  parasitenlos. 
Von  72  Arten  erwiesen  sich  53  als  infiziert,  bei  34  waren  sämt- 
liche untersuchte  Exemplare  mit  Würmern  besetzt.  Es  wurden 
in  den  257  Fischen  77  Parasitenarten  —  38  Bandwürmer,  16  Saug- 
würmer, 3  Kratzer  und  20  Spulwürmer  —  gefunden,  während  382 
Fische  des  Genfersees  nur  35  Schmarotzer  aus  dem  Kreise  der 
Würmer  (11  Bandwürmer,  11  Saugwürmer,  3  Kratzer,  10  Spul- 
würmer) beherbergten.  Auch  im  Meere  ist  die  Parasitenfauna  der 
grossen  Räuber,  Haie  und  Rochen,  viel  reicher  und  aus  anderen 
Elementen  zusammengesetzt,  als  die  der  kleineren  Knochenfische. 
Nvu:  sechs  Parasitenarten  waren  Selachiem  und  Teleosteern  gemein- 
sam, erstere  waren  ausserdem  von  34,  letztere  von  36  Schmarotzern 
heimgesucht. 

Es  wurden  auf  ihre  Parasiten  geprüft: 

Zahl  der  Arten  :  Zahl  der  Individuen  :      Zahl  der  Parasitenarten  : 

Selachier:  20  96  40 

Teleosteer:  34  160  42 

Ganoiden:  i  11 

Die  Hauptmasse  der  Parasiten  von  Rochen  und  Haien  setzt 
sich  aus  geschlechtsreifen  Bandwürmern  und  teilweise  aus  Saug- 
\vürmem  zusammen,  während  die  Teleosteer  vorzüglich  Spulwürmer, 
Kratzer,  Saugwürmer  und  larväre  Bandwürmer  beherbergen. 

Nach  diesen  allgemeinen  und  einleitenden  Auseinandersetzungen 
sollen  eine  Anzahl  der  häufigsten  und  praktisch  wie  wissenschaftlich 
wichtigsten  Schmarotzer  unserer  Süsswasserfische  spezieller  besprochen 
werden.  Bau  und  besonders  Entwickelungsgeschichte  vieler,  ja  der 
meisten  Formen  ist  uns  noch  unbekannt.  Doch  werden  wir  in 
dem,  was  durch  die  Arbeit  der  Forscher  durchsichtig  und  zugäng- 
lich gemacht  worden  ist,  manche  spezielle  Illustration  zu  den  voran- 
gehenden allgemeinen  Betrachtungen  über  die  Parasiten  der  Fische 
des  Süsswassers  finden. 


224  ^^^  Parasiten  unserer  Süss  wasserfische. 

Die  an  und  in  unseren  Süsswasserfisclaen  schmarotzenden 
Krustaceen  und  die  Muschellarven  (Glochidien),  welche  die  Ober- 
fläche der  Fische  während  einer  gewissen  Zeit  parasitisch  bewohnen, 
haben  an  anderer  Stelle  dieses  Werkes  bereits  Berücksichtigung 
gefunden.  Hier  wäre  es  somit  nur  die  Aufgabe,  der  Fischgäste 
aus  dem  Kreise  der  Würmer  zu  gedenken.  Sie  rekrutieren  sich 
aus  sehr  verschiedenen  Abteilungen  des  Wurmreiches.  Vertreten 
sind  unter  diesen  Schmarotzern  die  Blutegel  (Hirudinei),  die  Spul- 
würmer (Nematodes),  die  Kratzer  (Acanthocephali)  und  zwei  Gruppen 
der  Plattwürmer,  die  Saugwürmer  (Trematodes)  und  die  Band- 
würmer (Cestodes). 

Kleine  Blutegel  schmarotzen  häufig  und  oft  in  ziemlich  be- 
deutender Zahl  auf  der  Oberfläche  karpfenartiger  Fische,  Karpfen, 
Schleihen,  Barben;  sie  sind  aber  auch  im  Schlünde  der  Hechte  und 
an  der  Körperbedeckung  des  Rheinlachses  angetroffen  worden.  Bei 
letzterem  Wirt  scheinen  sie  Exemplare  zu  bevorzugen,  die  infolge 
langer  Wanderschaft  wundgeriebene  Stellen  an  Bauch  und  Flanken 
aufweisen.  Die  Würmer  gehören  zur  Gattung  Piscicola ,  aus  der 
Gruppe  der  Rüsselegel.  Ausser  einer  vorderen,  kleineren  und 
hinteren,  doppelt  so  grossen  Haftscheibe  besitzen  sie  in  der  Mund- 
höhle einen  kräftigen,  vorstreckbaren  Rüssel.  Acht  Augen  sind 
paarweise  auf  dem  vorderen  Saugnapfe  verteilt.  Der  gestreckte, 
cylindrische  Körper  verschmälert  sich  nach  vorn  nur  schwach.  Die 
Farbe  ist  gelblich  oder  aschgrau  mit  feinen  braunen  Punkten,  und 
einzelnen  Reihen  hellerer  elliptischer  Flecke.  Nach  anatomischen 
Unterschieden  des  Magendarms  und  der  Geschlechtsorgane  wurden 
zwei  Arten,  Piscicola  geometra  L.,  und  P.  respirans  Troschel,  unter- 
schieden. Der  Parasitismus  der  Fischegel  darf  nur  als  ein  temporärer 
bezeichnet  werden.  Es  werden  die  Würmer  nach  Leydig  häufig 
frei  schwimmend,  oder  zu  mehreren  an  der  Unterfläche  der  Steine 
dicht  zusammensitzend  angetroffen.  Ist  dem  Nahrungsbedürfnis 
durch  Aufnahme  von  Fischblut  für  einmal  wieder  Genüge  gethan, 
so  verlässt  die  Piscicola  den  Wirt,  sich  so  in  der  Lebensweise 
scharf  von  dem  Krebsegel  (Brancliiobdella)  unterscheidend,  der  sein 
ganzes    Leben    auf   dem    Flusskrebs    schmarotzend    zubringt.       Die 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfisclie. 


225 


kleinen,    gelbroten,    längsgestreiften    Eier    der  Piscicolen    sollen    auf 
der  Aussenfläche  der  Fische  befestigt  werden. 

Die  weite  Gruppe  der  Nematoden  oder  Fadenwürmer,  zum 
grössten  Teil  aus  Parasiten  verschiedensten  Grades  zusammengesetzt, 
liefert  auch  für  die  Süsswasserfische  ein  stattliches  Kontingent  von 
Schmarotzern.  Es  sind  alles  cylindrische ,  gestreckte,  von  einer 
derben  Cuticula  umhüllte  Würmer,  mit  endständigem  Mund  und 
etwas  vor  dem  Hinterende  liegendem  After.  Der  meist  wohl  ent- 
wickelte Darmkanal  zerfällt  in  der  Regel  in  drei  bis  vier  mehr 
oder  weniger  differente  Abschnitte;  die  Geschlechter  sind  beinahe 
immer  getrennt. 

Es  ist  fast  unmöglich,  den  Darmkanal  eines  Flussbarsches  zu 
öffnen,  ohne  ih  den  Pylor-Anhängen  in  oft  sehr  beträchtlicher  Zahl 
kleine  Rvmdwürmer  (5  12  — 18  mm  lang, 
"ö  5 — 8  mm)  anzutreffen,  die  durch  ihre 
gelbe  oder  selbst  orell  rote  Farbe  sich  von 
den  sonst  farblosen  Parasiten  auffallend 
unterscheiden.  Die  lebhaft  beweglichen 
Tiere  sind  auch  in  anderen  Fischen  — 
Hecht,  Forelle,  Quappe,  Felchen,  Zander, 
Kaulbarsch  —  zu  Hause.  Was  sie  ganz 
besonders  auszeichnet,  ist  die  starke, 
kappenförmige ,  hornige  Mundkapsel ,  der 
sie  auch  ihren  Namen,  Kappenwürmer 
(CticuUanus  elegans  Zed.)  (Fig.  34)  ver- 
danken. Der  merkwürdige,  eine  weite 
Mundhöhle  umschliessende  Apparat  be- 
steht im  wesentlichen  aus  einer  längs- 
gestreiften Kapsel.  Sie  steht  jederseits  in 
Beziehung  mit  zwei  kleineren,  nach  hinten 
gerichteten  Homstäben.  Am  Vorderrand 
ist     die     Kapsel     durch     vier      dreieckige 

Ansatzstücke  verstärkt.  Nach  hinten  wird  der  ganze  Apparat 
durch  einen  Chitinring  abgeschlossen.  Männchen  und  Weib- 
chen   weichen     in     äusserer    Erscheinung    und    innerem    Bau    nicht 


Fig.  34- 

Cuctillanus  elegans  aus  dem 

Barsch. 


Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.    II. 


15 


226  ^^^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

unbeträchtlich  von  einander  ab,    eine   bei  Nematoden   gewöhnliche 
Erscheinung. 

Die  Entwickelungsvorgänge  im  befruchteten  Ei  der  Kappen- 
würmer sind  von  Bütschli  zum  Gegenstand  einer  Untersuchung 
gemacht  worden.  Leuckart  verfolgte  das  weitere  Schicksal  der 
Embryonen,  die  schon  im  Muttertier  die  zarten  Eihüllen  verlassen 
und  oft  zu  tausenden  die  Geschlechtswege  anfüllen.  Trächtige 
Weibchen  fand  ich  während  des  ganzen  Jahres.  Die  Jungen  sind 
etwa  0.4  ;//;;/  lang,  äusserst  beweglich;  ihr  Darm  ist  noch  einfach, 
ohne  weitere  Einteilung,  der  komplizierte  Mund- 
becher fehlt  oder  ist  nur  durch  einen  Chitinzahn 
vertreten;  das  Hinterende  läuft  in  einen  langen, 
spitzen,  lebhaft  schlagenden  Schwanz  aus  (Fig.  35). 
In  diesem  Zustande  durch  eine  starke  Cuticula 
^^"^  genügend  geschützt,  leben  die  Tierchen  während 

Larve  von  Cua^Uauus    Woclicn  im  Wasscr.     Früher  oder  später  wird  ein 

elegans  aus  Cyclops. 

Zwischen wirt  bezogen,  in  der  Regel  ein  kleiner 
Krebs,  aus  der  Gruppe  der  Cyclopiden,  seltener  Insektenlarven.  Die 
jungen  Parasiten  werden  durch  die  Mundöffnung  aufgenommen,  oft 
in  grosser  Zahl.  Leuckart  zählte  in  einem  Cyclops  nicht  weniger 
als  34  Eindringlinge.  Im  Zwischenwirt  durchbrechen  sie  mit 
ihrem  Bohrzahn  die  Darmwand  und  gelangen  so  in  die  Leibes- 
höhle, wo  sie  nach  wenigen  Tagen  eine  Häutung  eingehen,  die 
ihren  Bau  wesentlich  verändert.  Der  Bohrzahn,  der  ja  seinen 
Zweck  erfüllt  hat,  ist  verschwunden,  der  Schwanz  ist  kürzer 
geworden;  der  Ösophag  zeigt  eine  erste  Andeutung  der  zukünftigen 
Gliederung  in  Muskel-  und  in  Drüsenmagen.  .In  der  Folge  ent- 
wickelt sich  allmählich  der  chitinöse  Mundbecher  zu  seiner  typischen 
Gestalt.  Eine  neue  Häutung  tritt  ein;  das  Nervensystem  und  der 
Hautmuskelschlauch  erscheinen  in  der  definitiven  Form,  während 
die  Geschlechtsorgane  noch  wenig  entwickelt  sind  und  das  Hinter- 
leibsende dem  des  erwachsenen  Tieres  noch  unähnlich  aussieht. 
Auch  Grösse  und  Skulptur  des  Mundbechers  weichen  noch  von  den 
bezüglichen  Verhältnissen  beim  erwachsenen  Tier  ab.  Im  Sommer 
braucht  der  Entwickelungsgang  des  Ciicullanus  bis  zu  diesem  Punkte 


Die  Parasiten  unserer  Süsswassei-lische. 


227 


nur  wenige  Tage,  im  Winter  dagegen  mehrere  Wochen.  Damit  ist 
aber  auch  die  Grenze  der  im  Zwischenwirt  möglichen  Ausbildung 
erreicht.  Jetzt  müssen  die  Kappenwürmer  eingeschlossen  in  die 
Cyclopiden  auf  den  definitiven  Wirt,  den  Barsch,  übertragen 
werden.  Mit  der  Nahrung  nimmt  der  Fisch  gleichzeitig  die  jungen 
Schmarotzer  auf.  Im  Magen  des  Hauptwirtes  freigeworden,  be- 
ziehen die  Kappenwürmer  die  Pylor-Anhänge,  wachsen  dort  rasch 
heran,  um  nach  einer  weiteren  Häutung  bald  die  Geschlechtsreife 
zu  erreichen.  Schon  zehn  bis  vierzehn  Tage  nach  der  Infektion 
findet  im  Darm  des  Barsches  die  Begattung  der  Würmer  statt. 

Einen  ähnlichen  den  Stempel  des  Parasitismus  tragenden  Ent- 
wickelungsgang  mit  Übertragung  des  jungen  Schmarotzers  auf  einen 
Zwischenwirt,  in  dem  längere  Zeit  ein  latentes  Leben  geführt  werden 
kann,  bis  wiederum  mit  der  Nahrung  der  Parasit  in  den  definitiven 
Wirt  eingeschmuggelt  wird,  durchläuft  ein  bekannter  Fadenwurm 
des  Hechts,  die  Ascaris  actis  Bloch. 

Schon  seit  längerer  Zeit  sind  aus  vielen 
karpfenähnlichen  Fischen  kleine  Nematoden  be- 
kannt, die  wenig  umfangreiche  (bis  i  mm  lange) 
Kapseln  der  Mesenterien  und  des  Lebergewebes 
bewohnen.  Im  Genfersee  sind  die  betreffenden, 
höchstens  2  mtn  langen  Würmer  speziell  in  der 
Laube  (Albiirmis  hicidus)  häufig.  Verwandte 
Arten  sind  von  v.  Linstow  in  der  Quappe  und 
Aesche  eingekapselt  gefunden  worden.  Die 
schlanken  Tierchen  zeichnen  sich  durch  einen 
weiten  Mund  mit  kräftigem  Bohrzahn  und  einen 
drüsigen,  vom  Pharynx  sich  abzweigenden  Blind- 
sack aus.  Sie  sind  geschlechtslos.  Diesing  legt 
ihnen  in  seinem  Hauptwerk  „Systema  Helmin- 
thum"  fälschlich  den  Namen  Trichina  cyprinorum 
bei  (Fig.  36).  Offenbar  sind  sie  vom  Darm 
her  in  Leber  und  jNIesenterien  der  A\'eissfische 
eingewandert.  Im  Zwischenwirt  können  sie  wohl  längere  Zeit  ein 
latentes  Leben    führen,    eine    für    die    Erhaltung    der    parasitischen 


Larve     von     Ascaris 
actis  (Trichina  cypri- 
norum)     aus     den 
Weissfischen. 


15^ 


228  ^^^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

Spezies  wichtige  Eigenschaft.  Die  Dauer  der  Möglichkeit  einer 
erfolgreichen  Übertragung  auf  den  Hauptwirt  wird  so  verlängert 
und  der  Verbreitung  des  Schmarotzers  dadurch  kräftiger  Vorschub 
geleistet.  Während  seines  Aufenthalts  im  Zwischenträger  gehen 
mit  dem  jungen  Wurm  keine  weiteren  Veränderungen  vor  sich ; 
er  wächst  bis  zu  einem  gewissen  Grade,  ohne  eine  Metamorphose 
durchzumachen,  ein  Verhalten,  das  von  dem  des  Ciicullanns  be- 
deutend abweicht.  Mit  den  Weissfischen,  der  Lieblingsnahrung  des 
Hechtes,  gelangen  die  Nematoden  in  den  Magen  dieses  grossen 
Räubers  des  Süsswassers.  Leuckart  fand  sie  dort  wieder  ein- 
gekapselt in  den  Wandungen  des  Verdauungstractus ,  dann  aber 
auch  frei  in  den  verschiedensten  Grössen  und  Entwickelungsstadien 
Magen  und  Darm  des  Wirtes  bevölkernd.  Von  der  Trichina 
cyprmorum  bis  zur  ausgewachsenen,  geschlechtsreifen  Ascaris  actis 
Hessen  sich  alle  wünschbaren  Übergangsformen  nachweisen.  Der 
Bohrzahn  geht  verloren;  die  drei  für  Ascaris  charakteristischen 
Lippen  erscheinen  am  Umfange  der  Mundöfthung;  die  Geschlechts- 
organe wachsen  schlauchförmig  aus.  Dagegen  bleibt  im  er- 
wachsenen Tier  jener  eigentümliche  Blindsack  des  Ösophagus 
bestehen,  der  schon  die  junge  Larve  in  den  Weissfischen  aus- 
zeichnet und  so  junge  und  alte  Form  leicht  auf  einander  zurück- 
führen lässt. 

Ascaris  acus  Bloch  ist  kein  seltener  Gast  im  Darm  und  auch 
in  der  Leibeshöhle  von  Hecht,  Quappe  und  Forelle.  In  jüngeren 
Stadien,  frisch  aus  den  Weissfischen  stammend,  lebt  sie  zunächst 
eingekapselt  in  den  Wandungen  des  Verdauungstractus  ihrer  Wirte, 
wie  dies  Leuckart  beobachtete.  Nachdem  sie  eine  bestimmte 
Grösse  erreicht  hat,  bricht  sie  nach  dem  Darm  oder  der  Leibes- 
höhle durch.  Länge  des  $  bis  40  mm,  des  'o  bis  30  mm.  Die 
Mundlippen  sind  stark  entwickelt,  Cuticula  deutlich  quer  gestreift. 
Wie  bei  fast  allen  Parasiten  werden  Eier  in  grösster  Menge  ge- 
bildet. An  diesen  Ascariden  des  Hechts  hat  Bunge  durch  eine 
Reihe  interessaiiter  Experimente  nachzuweisen  verstanden,  dass  sie 
vier  bis  sechs  mal  24  Stunden  in  vollkommen  sauerstoff"freien  Medien 
leben  können. 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.  229 

Eingekapselte,  geschlechtslose  Nematoden  sind  in  den  ver- 
schiedensten Organen  von  Fischen  des  süssen  und  salzigen  Wassers 
eine  ganz  gewöhnliche  Erscheinung.  Über  ihre  Zugehörigkeit  zu 
erwachsenen  Formen  aber  sind  wir  bis  jetzt  in  den  wenigsten  Fällen 
genügend  aufgeklärt.  Äusserst  verbreitet  und  oft  in  ungeheuerer 
Zahl  auftretend  ist  in  sehr  vielen  Fischarten  die  Aganionema 
capsnlaria  Dies.,  die  wahrscheinlich  mit  der  unter  ähnlichen  Um- 
ständen vorkommenden  Ascaris  capstdaria  Rud.  und  der  Filaria 
piscium  Rud.  zusammenfallen  dürfte.  Es  liegen  die  Würmer  spiralig 
aufgerollt  und  von  einer  leichten  Kapsel  umschlossen  an  und  in 
den  verschiedensten  Organen:  Leber,  Nieren,  Milz,  Geschlechts- 
organen, im  Peritonäum,  auf  der  Aussenfläche  des  gesamten  Ver- 
dauungstractus,  besonders  zwischen  den  Appendices  pyloricae.  Aus 
ihrer  Kapsel  befreit,  schwimmen  die  glänzenden,  äusserst  beweg- 
lichen, schlanken  Würmer  sehr  lebhaft  im  Wasser.  Es  gelang  mir 
in  zahlreichen  Versuchen  Exemplare  aus  dem  Lachs  Monate  lang 
in  kleinen  Wassermengen  am  Leben  zu  erhalten,  nie  aber  nach 
vollkommener  Austrocknung  dieselben  durch  Anfeuchtung  wieder 
zu  beleben.  Länge  bis  20  mm,  Tegument  glatt,  keine  Seiten- 
membranen, Vorderende  etwas  verschmälert,  drei  kleine  rudimentäre 
Lippen.  Der  Ösophag  trägt  auch  hier  wieder  ein  kleines  seit- 
liches Caecum.  Keine  Geschlechtsorgane.  Früher  wurden  diese 
„Filarien"  fälschlich  zum  Entwickelungscyklus  gewisser  die  marinen 
Fische  bewohnender  Cestoden  (Tetrarhynchen)  gezogen!  Wahr- 
scheinlich erreicht  Agamonema  capstdaria  die  Geschlechtsreife  in 
grossen  Raubfischen.  Wenigstens  fand  ich  im  INIagen  eines  Hai- 
fisches freie  Agamonemen  neben  halbverdauten  Resten  eines  Meer- 
aals, ein  Fisch,  der  mit  larvären  Würmern  oft  besetzt  ist.  Neben 
den  Cysten  der  Agamonemen  liegen  in  manchen  Organen  vieler 
Süsswasserfische  noch  Kapseln  anderer  Nematoden.  Kapsel  und 
Insasse  aber  unterscheiden  sich  durch  Lage,  Form,  Bau  leicht 
von  den  soeben  beschriebenen  Bildunfren.  Sie  gehören  wohl 
verschiedenen  geschlechtsueifen  Arten  von  Fadenwürmern  an,  doch 
ist  ihr  Zusammenhang  mit  erwachsenen  Formen  nur  sehr  wenig 
klargestellt. 


230  ^^^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

An  die  Klasse  der  Nematoden  schliesst  man  gewöhnlich  die 
Gruppe  der  Kratzer,  Acanthocephalen  oder,  wie  sie  nach  ihrer 
einzigen  Gattung  genannt  wird,  der  Echinorhynchen  an.  Es  sind 
dies  ohne  Ausnahme  typische  Darmschmarotzer.  Ihr  Bau  verrät 
sofort  den  Parasitismus  durch  den  mit  kräftigen  Haken  bewaffneten, 
in  eine  Scheide  zurückziehbaren  Rüssel,  der  als  starker  Haftapparat 
dient,  und  durch  die  völlige  Abwesenheit  des  Verdauungssystems. 
Die  Nahrungssäfte  werden  aus  dem  Wirt  osmotisch  durch  die  ganze 
Körperoberfläche  aufgenommen.  Im  gestreckten,  oder  eiförmigen 
Körper  liegen,  von  einem  aus  Quer-  und  Längsfasern  zusammen- 
gesetzten Muskelschlauch  umschlossen,  hauptsächlich  die  kompliziert 
gebauten  Geschlechtsorgane.  Die  Geschlechter  sind  getrennt,  die 
Fruchtbarkeit  erfährt  auch  hier  eine  für  den  Parasiten  so  wünschens- 
werte starke  Steigerung.  Im  Grunde  der  Rüsselscheide  entwickelt 
sich  das  Nervensystem  in  Gestalt  eines  Ganglions  mit  davon  aus- 
strahlenden Nerven;  in  die  Leibeshöhle  ragen  noch  zwei  eigentüm- 
liche, schlauchartige  Bildungen,  die  Lemnisken,  denen  man  die 
Funktion  von  Exkretionsorganen  zuschreibt.  Die  Lebensgeschichte 
der  Echinorhynchen  ist  durch  das  Schmarotzertum  stark  beeinflusst. 

Kratzer  im  Darme  von  Süsswasserfischen  sind  eine  recht 
häufis;e  Erscheinung:.  Besonders  verbreitet  in  allen  Fischen  aus 
der  Familie  der  Karpfen,  aber  auch  in  Barsch,  Quappe,  Hecht, 
Aal,  Stör,  Forelle,  Aesche,  Gruppe,  Saibling,  Kaulbarsch  findet  sich 
der  Echinorliynchus  protcus  Westrumb.  Oft  ist  der  Enddarm  des 
Wirtes  von  den  rötlichen  oder  gelblichen  Schmarotzern  prall  an- 
gefüllt. Die  Länge  der  Tiere  beträgt  bis  30  mm;  'vom  Januar 
bis  Juni  nahm  sie  bei  den  Exemplaren  aus  dem  Genfersee  stetig 
zu.  Äusserlich  zeichnet  sich  die  Art  durch  einen  langen,  schmalen, 
unbewehrten  Hals  aus,  der  an  der  Übergangsstelle  zum  Rüssel 
eine  durchaus  charakteristische,  kugelige,  als  Bulla  bezeichnete 
Bildung  trägt.  Der  Rüssel  selbst  ist  nach  Hamanns  neuester, 
schöner  Arbeit  mit  23  bis  25  Querreihen  von  Haken  bewaffnet, 
die  drei  verschiedenen  Formen  angehören.  Eine  verwandte,  von 
Hamann  zuerst  genau  festgestellte  Art,  der  E.  Linstowi,  besitzt 
nur    zehn    Hakenreihen    mit    zweierlei     Formen    der    Haftgebilde. 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.  231 

Gesamtzahl  der  Haken  für  E.  protcus  230 — 250,  für  E.  Linstowi  60. 
Die  Grösse  der  Exemplare  \o\\  E.  proteus  richtet  sich  nach  der 
Grösse  des  bewohnten  Fisches,  ein  Verhältnis,  das  für  Wirt  und 
Gast  bei  parasitischen  Geschöpfen  überhaupt  oft  gültig  ist.  In  der 
Jugend  sind  die  Echinorhynchen  noch  kaum  angeheftet;  ältere 
Individuen  versenken  Rüssel  und  Hals  tief  in  die  Schleimhaut 
des  Fisches. 

Die  reifen ,  bereits  embryonenhaltigen  Eier  fallen ,  nachdem 
das  Ovarium  geplatzt  ist,  in  die  Leibeshöhle;  sie  werden  \-on  einem 
eigentümlichen,  sich  fortwährend  öffnenden  und  schliessenden  Teil 
des  Geschlechtsapparats,  der  Uterusglocke,  aufgeschluckt  und  von 
da  durch  die  Leitungsapparate  an  die  Aussenwelt  abgegeben.  Von 
einzelnen  Kratzern  werden  so  Millionen  sehr  kleiner  Eier  in  der 
freien  Natur  zerstreut.  Ihre  Entwickelungsfähigkeit  bleibt  lange 
Zeit  eine  ungestörte.  Die  Embrvonen  sind  in  drei  starke  Hüllen 
von  \'erschiedener  Natur  eingeschlossen.  Ihre  Gestalt  ist  die  eines 
schlanken  Kegels  mit  abgerundeten  Enden;  das  breitere,  ventral 
scheibenartig  abgeflachte  Vorderende  trägt  einen  aus  zehn  bis  zwölf 
stilettförmigen  Borsten  zusammengesetzten  Stachelapparat,  der  durch 
eine  spezielle  Muskulatur  bewegt  werden  kann.  Leuckart  hat 
schon  vor  längerer  Zeit  nachgewiesen,  dass  die  Eier  unseres  E. 
Proteus  in  den  Darm  des  weit  verbreiteten,  gewöhnlichen  Floh- 
krebses (Gammarus  pulex)  gelangen  müssen.  Die  Eihülle  und 
endlich  auch  die  Darmwand  des  Zwischenwirtes  wird  ^•on  den 
Embryonen  mit  Hilfe  ihres  Stachelapparates  durchbrochen;  in  der 
Leibeshöhle  des  Krebses  läuft  die  weitere  Entwickelung  ab.  Noch 
drei  Wochen  bleiben  die  Bewegungen  im  Zwischenwirt  recht  leb- 
hafte; nach  und  nach  werden  sie  langsamer,  um  endlich  ganz  auf- 
zuhören. Der  embryonale  Hakenkranz  ist  inzwischen  verloren 
gegangen;  die  Tiere  liegen  wie  Puppen  von  Insekten,  von  ihrer 
äusseren,  derben  Haut  wie  von»  einer  Kapsel  umgeben  und  mit 
eingezogenem  Rüssel  in  der  Leibeshöhle  des  Gammarus.  Die 
weitere  Entwickelung  des  scheinbar  ruhenden  Körpers  ist  eine 
höchst  komplizierte.  Aus  einer  zentralen  Kömermasse  der  Lar\e, 
dem  sogenannten  Embryonalkern,  geht  die  Hauptmasse  der  Organe, 


232  ^^^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

Nervensystem,  Rüsselscheide,  Geschlechtsapparate,  hervor,  während 
die  Körperwandung  mit  den  Lemnisken,  dem  eigentümlichen,  sie 
durchziehenden  Lakunensystem  und  dem  Muskelschlauch  den  peri- 
pherischen Teilen  des  Embryos  den  Ursprung  verdankt. 

Eingeschlossen  in  den  Zwischenwirt  müssen  die  jungen  Echino- 
rhynchen  in  den  Verdauungstractus  der  ihnen  als  Hauptwirte 
zusagenden  Fische  gelangen.  Dort  werden  sie  frei,  fixieren  sich, 
ihre  volle  Grösse  wird  erreicht  und  nach  definitiver  Ausbildung 
der  Geschlechtsorgane  wird  die  Begattung  vollzogen. 

Hamann  hat  indessen  die  Beobachtung  gemacht,  dass  die 
Lebensgeschichte  noch  kompliziertere  Bahnen  einschlagen  kann. 
In  manchen  Fischen,  Stichling,  Barbe,  Groppe,  Gründling,  besonders 
massenhaft  aber  in  der  Elritze  (Phoxinus  laevis)  fand  der  Göttinger 
Zoologe  der  Oberfläche  der  Leber  angeheftet  regelmässig  kugelige 
bis  eiförmige  Gebilde  von  etwa  2  mm  Durchmesser.  Sie  bestehen 
aus  einer  von  der  Leber  aus  gebildeten  Kapsel,  die  die  orange- 
farbene Larve  einer  Echinorhynchus-Art  umschliesst.  Diese  jungen 
Tiere  aus  der  Leibeshöhle  der  kleinen  Fischarten  entsprechen  in 
jeder  Beziehung  den  Jugendstadien  von  Echinorhynchus  proteus 
aus  dem  Flohkrebs.  Sie  müssen  unbedingt  als  zum  Entwickelungs- 
gang  des  besprochenen  Kratzers  gehörend  betrachtet  werden.  Es 
gelang  Hamann  sogar,  aus  den  in  Fischen  gefundenen  Larven  in 
der  Forelle  den  typischen  Echinorhynchus  proteus  gross  zu  ziehen. 
Also  kann  ein  Fisch,  z.  B.  die  Elritze,  so  gut  wie  der  Flohkrebs 
zum  Zwischenwirt  eines  Kratzers  werden,  der  selbst  wieder  Raub- 
fische bewohnt.  Die  genannten  kleinen  Fische  können  übrigens 
gleichzeitig  Haupt-  und  Zwischenwirt  des  Echinorhynchus  proteus 
sein.  Sie  beherbergen  ihn  als  geschlechtsreifen  Wurm  massenhaft  im 
Darmkanal,  gleichzeitig  findet  er  sich  ganz  konstant,  oft  in  der  Zahl 
von  zwanzig  Exemplaren,  als  geschlechtslose  Larve  der  Leber  und 
den  Mesenterien  angeheftet.  So  sucht  ja  auch  die  Trichine  den 
INIenschen  in  zwei  verschiedenen  Entwickelungsstadien  heim,  als  ge- 
schlechtsreifer Darmbewohner  und  als  in  den  Muskeln  ruhende,  unreife 
Larve.  Hamann  nimmt  an,  dass  die  Elritzen  u.  s.  w.  gelegentlich 
Flohkrebse  verschlucken,  in  deren  Darm  frisch  aufgenommene,  noch 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.  233 

nicht  geöffnete  Eier  von  E.  protciis  liegen.  Die  Embryonen 
gelangen  nun  im  Fischdarm  zum  Ausschlüpfen,  sie  durchbohren 
die  Wandungen  des  Verdauungstractus  und  benützen  den  Fisch 
an  Stelle  des  von  ihm  verschlungenen  Krebses  als  Zwischenwirt. 
Ein  Raubfisch  wie  die  Forelle  ist  also  einer  doppelten  Infektions- 
gefahr ausgesetzt,  sie  kann  den  EcMnorhyjichus  vom  Fisch  oder 
vom  Krebs  beziehen.  Für  die  Verbreitung  des  Parasiten  aber 
wird  die  geschilderte  Vermehrung  der  Zahl  von  Zwischenwirten 
von  Bedeutung  und  Vorteil  sein. 

Kaum  weniger  verbreitet    als    der  Echinorhynchus  proteus    ist 
ein  anderer  Kratzer  zahlreicher  Süsswasserfische,  der  E.  angustatus 
Rud.      Als   seine  gewöhnlichsten  Wirte  dürfen  wohl 
Barsch,    Hecht,    Quappe,    Karpfen   und  Forelle   be-  ^ 

zeichnet    werden.       In    gewissen    Bächen,     die    den  ßjk 

Zwischenwirt  des  Wurmes,  die  Wasserassel  (Aselliis  ;M 

aqiiaticus),  häufig  beherbergen,  ist  auch  der  Darm 
der  Forellen  regelmässig  mit  hunderten  der  Schma- 
rotzer angefüllt.  Der  gestreckte,  spindelförmige  oder 
cylindrische  Körper  besitzt  nur  einen  kurzen  Hals. 
Der  walzenförmige  Rüssel  trägt  8 — 20  Hakenreihen, 
deren  Elemente  von  zweierlei  verschiedener  Form 
sind.  Bei  mittelgrossen  Tieren  mit  15  Reihen  be- 
trägt die  Hakenzahl   120  (Fig.  37). 

Es  kamen  mir  keine  Exemplare  von  E.  angu- 
status aus  Süsswasserfischen  zu  Gesicht,  deren  Ge- 
samtlänge. 25  mm  überstieg.  Die  Lebensgeschichte 
dieses  Kratzers  kopiert  die  für  E.  proteus  näher 
geschilderten  Vorgäng-e.  Wie  dort  bedarf  die  Larve 
bis  zu  ihrer  vollständigen  Ausbildung  acht  bis  zehn 
Wochen  Zeit.     Die  Eier  des  Parasiten  werden  von  Fig.  37. 

der    Wasserassel    in    grosser    Menge    aufgenommen.        "^ ali^s/a'üJ"^ 
Im    Gegensatz     aber     zu    den    bereits    geschilderten 
Verhältnissen    gelangen    die    ausschlüpfenden    Embryonen    von   E. 
angustatus  schon  in  der  Drüsenschicht  des  Darmes  ihres  Zwischen- 
trägers,   die  sich  in  beträchtlicher  Dicke  zwischen  Chitinwand  und 


234  ^^^  Parasiten  unserer  Süssvvasserfische. 

JMuskelhaut  legt,  zur  Ruhe.  Hier  liegen  sie  in  grosser  Zahl  be- 
wegungslos. Die  äussere  Form  der  Larven  verändert  sich;  innere, 
komplizierte  Umbildungen  finden  statt;  die  Körpergrösse  nimmt  zu. 
Endlich  fallen  die  jungen  Schmarotzer  infolge  von  in  der  Wandung 
des  Darmes  eintretenden  Veränderungen  passiv  in  die  Leibeshöhle 
des  Zwischenwirtes.  Von  der  Blutflüssigkeit  des  Krebses  umspült, 
und  so  reichlich  ernährt,  wächst  der  Schmarotzer  verhältnismässig 
rasch  unter  allmählicher  Gestaltveränderung.  Es  entsteht  auf  ver- 
wickeltem Wege  der  junge  Echinorhynchus ,  der  mit  der  Assel  auf 
den  Hauptwirt  (Fische)  übertragen  werden  muss,  um  dort  seine 
Geschlechtsreife  zu  erlangen. 

Für  einen  andern  Kratzer,  den  E.  clavaeceps  Zed.,  hat  Villot 
den  Zwischenwirt  in  der  wasserbewohnenden  Larve  eines  weit 
verbreiteten  und  massenhaft  auftretenden  Netzflüglers,  der  Sialis 
httaria  L.,  entdeckt.  Der  junge  Wurm  liegt  eingekapselt  im  Fett- 
körper des  Insekts;  er  sieht  in  Form  und  Bau  dem  erwachsenen 
Echinorhynchus  sehr  ähnlich,  doch  sind  die  Geschlechtsorgane  noch 
unentwickelt.  Zufällig  finden  sich  die  Larven  des  E.  clavaeceps 
auch  in  einem  Blutegel  (Nephelis  octoculata)  und  in  Wasser- 
pulmonaten (Limnaeen) ;  doch  scheint  die  Sialis-Larve  der  richtige 
Zwischenträger  zu  sein.  Ihr  wird  vom  Hauptwirt  des  betreffenden 
Kratzers,  der  Schmerle  •  /^CoZ'/A's  barbatiila),  eifrig  nachgestellt. 
E.  clavaeceps  ist  übrigens  auch  kein  seltener  Gast  zahlreicher 
Karpfenarten. 

Die  formenreiche  Gruppe  der  Trematoden  oder  Saugwürmer 
umschliesst  ausschliesslich  parasitierende  Wesen.  Doch  leben  sie 
bald  als  Entoparasiten  in  den  inneren  Organen  ihres  Wirtes,  bald 
heften  sie  sich  ektoparasitisch  auf  seiner  Oberfläche  an.  Es  sind 
meist  flache,  blattförmige,  ungegliederte  Würmer,  die  als  Haft- 
apparate Saugnäpfe  und  oft  daneben  noch  Hakengebilde  besitzen. 
Eine  Leibeshöhle  fehlt;  der  gegabelte,  oft  vielfach  verzweigte  Darm- 
kanal endigt  immer  blind.  Über  dem  Schlünde  liegt  ein  Doppel- 
ganglion, das  mehrere  Nervenstämme,  speziell  zwei  nach  hinten 
ventral  verlaufende,  abgiebt.  Röhriges,  meist  durch  einen  unpaarigen 
hinteren  Porus  ausmündendes  Exkretionssystem,   das  mit  zahlreichen 


Die  Parasiten  unserer  Süsswassertische.  235 

Wimpertrichtern  im  Parenchym  beginnt.  Die  Trematoden  sind 
fast  ausschliesslich  Zwitter  mit  sehr  komplizierten  Geschlechts- 
apparaten. Ihre  Lebensgeschichte  ist  oft  äusserst  verwickelt.  Sie 
setzt  sich  besonders  bei  den  entoparasitischen  Formen  für  ein  und 
dieselbe  Art  aus  mehreren,  auf  verschiedene  Weise  aus  einander 
hervorgehenden  Generationen  zusammen  (Generationswechsel).  Freie 
Stadien  wechseln  mit  parasitischen;  oft  werden  mehrere  Wirte 
durchlaufen. 

Von  den  entoparasitischen  Formen,  die  mit  höchstens  zwei 
Sauggruben,  nie  mit  Haken  bewehrt  sind,  stellt  besonders  die  arten- 
reiche Gattung  Distoma  zahlreiche  Schmarotzer  für  die  Süss- 
wasserfische.  S  tos  sich  kennt  170  Distomeen  aus  etwa  zweihundert 
Fischarten;  davon  parasitieren  etwa  vierzig  Arten  in  Süsswasser- 
und  Wanderfischen.  Sie  bewohnen  oft  in  sehr  grosser  Individuen- 
zahl hauptsächlich  die  verschiedenen  Abschnitte  des  Verdauungs- 
tractus,  vom  Schlund  bis  zum  Enddarm.  Doch  fehlen  sie  auch 
nicht  in  anderen,  nach  aussen  offenstehenden  Organen,  wie  z.  B. 
in  der  Harnblase  (Distoma  folium  Olfers  bei  Groppe,  Hecht, 
Forelle,  Aesche,  Saibling).  In  Körpergestalt,  Grösse  und  Bau 
weisen  die  Distomeen  der  Süsswasserfische  gar  mancherlei  Ver- 
schiedenheiten auf  Als  Extreme  seien  erwähnt  das  D.  tereticolle  Rud. 
aus  dem  Schlund  von  Hecht,  Aalraupe,  Forelle,  Saibling  etc.  mit 
gestrecktem  bis  50  mm  langem,  halbcylindrischem  Körper,  und  das 
schon  angeführte  D.  folium  aus  der  Harnblase  mancher  Fische, 
dessen  Leib  eine  flache  Scheibe  von  kaum  2  mm  Durchmesser 
bildet,  von  der  ein  Halsteil  sich  scharf  abhebt.  In  zahlreichen 
Fischen  lebt  das  D.  appendiculatum  Rud.,  ausgezeichnet  durch  einen 
in  den  Körper  rückziehbaren  Schwanzteil;  im  Schlünde  des  Lachses 
stösst  man  oft  auf  das  auch  sonst  verbreitete  D.  varicum  Zeder 
mit  drehrundem,  geknicktem  Körper,  konkaver  Rücken-  und  kon- 
vexer Bauchfläche.  In  den  Karpfen  lebt  das  durch  seinen  kugeligen 
Bauchsaugnapf  ausgezeichnete  D.  globiporwn  Rud. 

Über  die  Lebensgeschichte  der  die  Süsswasserfische  bewoh- 
nenden Distomeen  ist  uns  fast  nichts  bekannt.  Sie  wird  wohl  wie 
diejenige    verwandter    Formen    durch    mehrere    provisorische    ^^'irte 


236  ^^^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

führen  und  für  ein  und  dieselbe  Art  aus  verschiedenen  Generationen 
zusammengesetzt  sein.  Parasitische  und  freie  Zustände  werden  mit 
einander  wechseln,  bis  sich'  endlich  ein  junges  geschlechtsloses 
Distoma  entwickelt  hat,  das  eingeschlossen  in  einen  letzten 
Zwischenwirt,  wie  beim  Leberegel  unserer  Rinder  und  Schafe,  in 
den  Darm  des  Hauptwirtes  gelangt.  Die  Fruchtbarkeit  der  in  Frage 
stehenden  Saugwürmer  ist  eine  gewaltige.  Bei  dem  abscheulichen 
Ausbeutungssystem,  das  den  Parasitismus  nun  einmal  charakterisiert, 
können  Stoffe  zur  x\usarbeitung  der  Eier  in  Hülle  und  Fülle 
aufgenommen  werden.  So  wird  der  weitern  Verbreitung  der 
schmarotzenden  Spezies  starker  Vorschub  geleistet.  Die  mit  einem 
kleinen  Schalendeckel  versehenen  Eier  werden  mit  dem  Kot 
des  Wirtes  an  die  Aussenwelt  abgegeben.  Vom 
Distoma  laiireatimt  Zeel,  der  Salmoniden  berichtet 
uns  V.  Willemoes-Suhm,  dass  den  ins  Wasser 
gelegten  Eiern  nach  Verlauf  von  34  Tagen  ein 
grosser,  bewimperter  Embryo  mit  schwarzem  Augen- 
fleck entschlüpfte  (Fig.  38).  Bei  Distoma  globi- 
portim  ist  nach  demselben  Gewährsmann  der  länglich- 
runde Embryo  ebenfalls  stark  bewimpert.  Er  besitzt 
^,.    '^"  ^  '  Seitengefässe  und  trägt  an  einem  Ende  ein  saugnapf- 

Flimmerembryo  °  °  o       i 

von  Distoma        artigcs  Gebilde,  aus  dessen  Mitte  sich  ein  konischer 

laiireaium.  ^    .. 

Zapfen  erhebt.  Der  Embryo  von  D.  jotnim  ist 
herzförmig  mit  rudimentärem  Mundnapf,  Seitengefässen  und  Flimmer- 
überzug. Auch  die  erste  Jugendform  von  D.  nodiilosum  aus  dem 
Magen  von  Hecht,  Zander,  Barsch  etc.  zeigt  ähnlichen  Bau.  In 
seinem  schwarzen  Pigmentfleck  ist  deutlich  eine  rundliche  Linse 
erkennbar.  Der  Embryo  von  D.  tereticoUe  besitzt  im  Exkretions- 
apparat  deutliche  Flimmerläppchen.  Über  die  weiteren  Schicksale 
all  dieser  bewimperten,  freischwimmenden  Jugendstadien  der  Süss- 
wasserdistomeen  wissen  wir  leider  fast  gar  nichts.  Speziell  ist  es 
uns  sehr  oft  unbekannt,  in  welchen  Zwischenwirt  eingeschlossen  sie 
endlich  in  den  Darmkanal  des  definitiven  Wirtes  übertragen  werden. 
In  manchen  Fällen  mag  der  letzte  Zwischenwirt  dem  Kreis  der 
Mollusken  angehtJren.     So  lebt  die  noch  geschlechtslose  Larve  von 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.  237 

D.  globiporum  Rud.  in  dünnwandigen  C\-sten  weitverbreiteter 
Wasserschnecken  [Limnaea  stagnalis,  Planorbis  marginatus ,  Suc- 
cinea  pittris  etc.).  Es  können  übrigens  auch  die  Süsswasserfische 
die  Rolle  von  Zwischenträgern  von  Trematoden  gegenüber  anderen 
Geschöpfen  —  Raubfischen,  Wasservögehi  —  spielen. 

In  der  »rossen  Mehrzahl  der  Individuen  des  Flussbarsches  ist 
die  ^^^andung  der  Schwimmblase  durchsäet  mit  Ideinen,  kugeligen, 
starkwandigen ,  opalescierenden  Cysten.  Sie  umschliessen  larväre 
Trematoden  mit  gut  entwickeltem  INIundnapf,  an  dessen  Seite  zwei 
bohnenförmige  Organe —  Drüsenausmündungsstellen  • —  liegen.  Auch 
ein  hinterer  Bauchnapf  lässt  sich  nachweisen.  Der  Leib  ist  reichlich 
mit  Kalkkörperchen  durchsetzt;  er  umschliesst  einen  kurzen  ge- 
gabelten Darm.  Es  sind  diese  Larven  mit  dem  Namen  Tetracotyle 
belegt  worden.  Ähnliche  junge  Saugwürmer  siedeln  sich  nicht  selten 
im  Auge  verschiedener  Fische,  Barsch,  Quappe,  Zander,  Karpfen, 
an,  wo  sie  als  Diplostomwn  beschrieben  worden  sind.  Eine  Kapsel 
fehlt  ihnen,  v.  Nordmann  fand  in  der  Linse  einer  Quappe  290 
solcher  Würmer,  im  Glaskörper   157. 

Es  ist  in  hohem  Grade  wahrscheinlich  gemacht  worden  — 
siehe  ausser  Leuckart  die  Arbeit  von  Brandes  — ,  dass  diese 
Tetracotylen  und  Diplostomen,  die  ausser  Fischen  auch  Mollusken, 
Amphibien,  Reptilien,  Vögel  und  Säugetiere  infizieren,  im  Darme 
des  Hauptwirtes  —  Reptilien,  Säugetiere  und  besonders  Vögel  — 
sich  zu  Geschlechtsreifen  Vertretern  der  Familie  der  Holostomiden 
entwickeln.  Der  bewimperte  Embryo  dieser  Trematoden  sucht 
einen  passenden  Zwischenwirt  auf  und  reift  in  ihm  zur  völlig  aus- 
gebildeten Holostomiden-Larve  heran,  die,  mit  dem  Zwischenträger 
in  den  Darm  des  definitiven  Wirtes  übergeführt,  dort  zum  ge- 
schlechtlichen Tier  auswächst.  Ein  Generationswechsel  wäre  in  dieser 
Lebensgeschichte  ausgeschlossen,  dagegen  wird  immer  ein  Zwischen- 
wirt aufgesucht.  Der  Zwischenträger  fällt  nun  bei  den  sofort  zu 
besprechenden  ektoparasitischen  Saugwürmern  ebenfalls  fort. 

Die  an  der  Aussenfläche  von  Wassertieren,  speziell  Fischen, 
lebenden  Polystomeen  bedürfen  zu  ihrer  Festsetzung  weit  kräftigerer 
Haftorgane    als   die  entoparasitischen  Distomeen.     Ist  doch  für  sie 


238  Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

die  Gefahr,  vom  Wirte  abgestreift  zu  werden,  eine  immer  drohende. 
So  wird  denn  bei  ihnen  nicht  nur  die  Zahl  der  Saugnäpfe  bedeu- 
tend vermehrt,  sondern  es  werden  dieselben  in  ihrer  Funktion  oft 
noch  durch  mannigfaltige  Chitinhaken  und  Borsten  unterstützt.  Bei 
diesen  mit  der  freien  Aussenwelt  während  des  ganzen  Lebens  in 
Beziehung  stehenden  Schmarotzern  sind  auch  Sinnesorgane,  beson- 
ders Augen,  keine  Seltenheit,  Bildungen,  die  bei  den  Entoparasiten 
unter  den  Trematoden  höchstens  während  der  frei  schwärmenden 
Jugendzeit  auftreten.  Die  Polystomeen  bilden  meistens  nur  wenige, 
aber  grosse  und  oft  mit  verschiedenen  Anhängen  versehene  Eier 
aus.  Die  denselben  entstammenden  Embryonen  entwickeln  sich 
am  häufigsten  ohne  Generationswechsel  und  Wanderungen  zum 
definitiven  Geschlechtstier.  Die  Eier  werden  oft  mit  ihren  Fort- 
sätzen am  Wirt  befestigt,  aus  ihnen  entspringt  ein  äusserlich  und 
innerlich  schon  hoch  differenzierter  Embryo.  Das  für  ihn  unnötige 
Wimperkleid  ist  schwach,  oder  gar  nicht  entwickelt;  dagegen  besitzt 
er  schon  einfache  Haftorgane,  die  sich  meistens  später  komplizieren. 
Die  Distomeen  liefern  ungemein  zahlreiche,  einfache  Embryonen, 
von  denen  wenigstens  einige  alle  mannigfaltigen  Wendungen  des 
Geschicks  des  entoparasitischen  Entwickelungsganges  glücldich  über- 
stehen werden;  die  Polystomeen  entlassen  aus  wenigen,  aber  dotter- 
reichen Eiern  einige  Junge,  die  im  ganzen  schon  den  Eltern  ähnlich 
sind.  Zuweilen  werden  indessen  auch  weitergehende  Metamorphosen 
durchlaufen. 

In  manchen  Fällen  bietet  der  Lebensgang  der  ektoparasitischen 
Saugwürmer  trotz  der  direkten  Entwickelung  Verhältnisse,  die  zum 
eigentümlichsten  gehören,  was  uns  tierische  Geschichte  lehrt.  Speziell 
unter  den  Parasiten  der  Süsswasserfische  stossen  wir  in  dieser 
Beziehung  auf  höchst  seltsame  Vorgänge. 

Zell  er  hat  uns  in  seinen  schönen  Arbeiten  sowohl  mit  Bau, 
als  mit  Lebensgeschichte  des  Diplozoon  paradoximi  Nordm.,  des 
fremdartigen  Doppeltieres,  bekannt  gemacht.  Es  ist  ein  Trematode, 
der  häufig  an  den  Kiemen  zahlreicher  Süsswasserfische  —  Elritze, 
Quappe,  Groppe  etc.  —  schmarotzt.  Im  ausgewachsenen,  ge- 
schlechtsreifen  Zustand  erscheint  der  Körper  des  Diplozoon  als  ein 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserlische. 


239 


X-  oder  kreuzförmiges  Gebilde,  das,  wie  wir  sehen  werden,  durch 
die  dauernde  und  enge  Verwachsung  von  zwei  ursprünglich  ge- 
trennten Wurmleibern  entstanden  ist.  Die  Hinterenden  besitzen 
zwei  grosse,  in  vier  Gruben  geteilte  Haftscheiben,  zu  denen  sich 
noch  ^^er  starke  Klammerpaare  gesellen  (Fig.  3  g). 


Fig.  39- 
Diplozoon  paradoxum  von  den  Kiemen  der  Elritze. 


Fig.  40. 
Ei  von  Diplozoon  paradoxum. 


Beide  das  Diplozoon  zusammensetzenden  Tiere  sind  gleich, 
hermaphrodit,  bringen  Eier  hervor  und  befruchten  sich  gegenseitig. 
Mit  dem  Eintritt  der  kälteren  Jahreszeit  hört  die  Eierbildung  auf, 
die  weiblichen  Organe  existieren  dann  nur  andeutungsweise.  Bei 
steigender  Temperatur  (künstlich  oder  natürlich)  beginnt  die  Aus- 
arbeitung der  Eier  sofort  wieder,  die  Geschlechtsorgane  entwickeln 
sich  und  treten  in  Thätigkeit.  Die  Eibildung  und  Befruchtung 
kann  nun  in  allen  Einzelheiten  verfolgt  werden.  Das  reife,  hoch- 
gelb gefärbte,  gedeckelte  Ei  ist  0-28  bis  0-30  mm  lang;  seine  Schale 
besitzt  zunächst  an  einem  Pol  einen  kurzen,  schnabelartigen  Fortsatz, 
der  allmählich  zu  einem  langen,  sich  aufrollenden  und  erstarrenden 
Faden  auswächst  (Fig.  40).  Am  siebenten  bis  achten  Tag  werden 
die  Eier  aus  dem  erweiterten  Ende  des  Ovidukts  ausgestossen. 
Tn  reinem  Wasser  läuft  die  weitere  Entwickelung  rasch  ab.  Nach 
acht  Tagen  umschliesst  die  Eischale  einen  deutlichen  Embryonal- 
körper, der  sich  zuerst  schwach,  dann  immer  kräftiger  bewegt.  Am 
fünfzehnten  Tag  etwa  wird  der  Deckel  des  Eies  abgeworfen,  der 
Embryo    schwimmt    leicht    im  Wasser.     In  diesem  Zustand  ist  das 


240  -^^^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

junge  Tier,  was  sich  schon  durch  die  Eischale  erkennen  Hess,  mit 
zwei  dorsal  liegenden  Augen  und  einem  Wimperbesatz  ausgestattet. 
Die  Augen  sind  Schälchen  eines  bräunlichen  Pigments,  die  ein 
helles,  kugeliges,  linsenartiges  Körperchen  umschliessen.  Das  ganze 
Körperparenchym  ist  reichlich  mit  glänzenden,  formveränderlichen 
Kügelchen  durchsetzt.  Am  Vorderende  liegt  der  Mund  mit  zwei 
eigentümlichen  seitlichen  Saugnäpfen,  das  Hinterende  trägt  zwei 
Klammern  und  zwei  kleine  Angeln.  Im  Innern  des  Körpers 
erscheint  der  stark  muskulöse,  in  einen  einfachen  Darm  führende 
Schlundkopf  (Fig.  41).  Die  Bewegungen  dieser  jungen 
Tierchen  sind  äusserst  mannigfaltig  und  ausgiebig. 
Bietet  sich  indessen  im  Verlauf  von  sechs  Stunden 
keine  Gelegenheit  zur  Fixierung  auf  den  Kiemen  eines 
Fisches,  so  gehen  die  Diplozoon-Embryonen  zu  Grunde. 
Hat  die  Festsetzung  aber  stattgefunden,  so  verwandelt 
sich  der  Embryo  zu  einem  Geschöpf,  das  als  kiemen- 
bewohnender Parasit  schon  von  Duj ardin  unter  dem 
Fiiraraere^mbryo  Namen  Dipovpa  beschrieben  worden  ist.  Der  unnötig 
von  Dipiozoon     gewordene  Schwimmapparat,  der   Wimperbesatz,  geht 

paradoxuni. 

verloren;  die  Augen,  die  gleichfalls  keinen  Dienst 
mehr  zu  leisten  haben,  zerfallen,  der  Darm  füllt  sich  mit  dem 
Wirt  entzogenen  Stoffen.  Im  Juli  und  August  findet  man  die 
Kiemen  der  Elritzen  oft  mit  hunderten  von  Diporpen  besetzt.  Es 
sind  diese  Wesen  von  lanzettförmiger,  abgeplatteter  Körpergestalt; 
ihre    Bauchfläche    träß-t    etwas    unterhalb    der   Mitte    einen    kleinen 

O 

Saugnapf,  am  Rücken  liegt,  noch  etwas  -Ideiner  als  der  Bauchnapf, 
ein  zapfenförmig  hervortretendes  Gebilde.  Das  Kopfende  des  Tieres 
verlängert  sich  rüsselartig,  an  ihm  liegt  zentral  ein  quergestellter 
Mund;  seitlich  öffnen  sich  zwei  Saugnäpfe  in  die  Mundhöhle.  Der 
Darm  beginnt  seitliche  Ausstülpungen  zu  treiben.  In  jeder  Körper- 
hälfte liegt  ein  Hauptstamm  des  Exkretionssystems.  Am  Hinter- 
ende ist  schon  das  erste  Haken-  und  Klammerpaar  befestigt.  In 
diesem  Zustand  auf  den  Kiemen  schmarotzend  und  allmählich  an 
Grösse  zunehmend,  können  die  Diporpen  Wochen  und  Monate 
lang  leben.     Nie  aber  wird    das    isolierte  Einzeltier    geschlechtsreif. 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfischc.  211 

es  muss  der  Geschlechtsreife  die  enge,  clefiniti\e  Verwachsung  zweier 
Diporpen  zum  Diplozoon  vorausgehen,  wie  dies  schon  v.  Siebold 
richtig  erkannte.  Die  Vereinigung  findet  immer  so  statt,  dass 
jedes  der  beiden  sich  konjugierenden  Individuen  mit  seinem  Bauch- 
napf den  Rückenzapfen  des  Gefährten  umfasst.  Die  notwendige 
Folge  dieser  Verbindungsweise  wird  eine  Kreuzung  der  beiden 
Exemplare  und  so  die  Annahme  der  typischen  Diplozoongestalt 
sein.  Eine  Trennung  findet  nicht  mehr  statt,  die  Tierkörper 
verwachsen  an  den  Berührungsstellen  innig;  aus  zwei  ursprünglich 
getrennten  Individuen,  hervorgegangen  aus  zwei  verschiedenen  Eiern, 
ist  ein  Geschlechtstier  entstanden.  Das  Diplozoou  wächst  nun 
noch  weiter;  die  \-orderen  Saugnäpfe  gehen  verloren,  am  Hinterende 
legen  sich  ein  zweites,  drittes  und  viertes  Klammerpaar  und  ent- 
sprechende Sauggruben  an,  die  übrigens  oft  schon  in  älteren 
Diporpen  teilweise  vorgebildet  sind.  Endlich  erscheinen  in  beiden 
ursprünglichen  Tieren  die  Geschlechtsorgane. 

Eine  ziemlich  umfangreiche  Gruppe  von  Kiemenparasiten  der 
Fische  sind  die  Gyrodactyliden ,  charakterisiert  durch  ihre  grosse 
terminale  Schwanzscheibe  und  den  kräftigen  Hakenapparat.  Im 
süssen  Wasser  sind  diese  sehr  kleinen  Schmarotzer  in  vielen  Arten 
hauptsächlich  auf  verschiedenen  Cypriniden,  sowie  Barsch,  Kaul- 
barsch, Zander  zu  Hause.  Die  Gattung  Gxrodactylns  besitzt  zwei 
Kopf  läppen,  acht  bewegliche  Pharynxstacheln,  zwei  starke  Haken 
inmitten  der  Schwanzscheibe  und  zahlreiche  kleine  Häkchen  am 
Umfange  derselben. 

Kaum  minder  gut  mit  Haftapparaten  ausgestattet  ist  die 
verwandte  Form  Dactylogyriis.  Sie  trägt  vier  Kopf  läppen,  zahl- 
reiche kleine  Randhaken,  neben  zwei  grösseren  Klammern  auf  der 
Scheibe.     Oft  stellt  sich  noch  eine  zweite,   zentrale  Haftplatte  ein. 

Die  merkwürdige  Geschichte  von  Gyrodactylits  elegans  Nordm. 
hat  uns  G.  Wagener  geschildert.  Das  junge  Tier  macht  im  Innern 
der  Mutter  seine  vollständige  Metamorphose  durch  und  wird  lebend, 
nach  Gestalt  und  Bau  dem  Muttertier  durchaus  ähnlich  geboren, 
während  z.  B.  die  verwandte  Gattung  Dactylogyriis  Eier  zur  Welt 
bringt.      Bevor  aber  der  junge  Gyrodactylits  frei  wird,    umschliesst 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  16 


242  ^i^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

er  selbst  bereits  wieder  einen  Sprössling,  so  dass  drei  Generationen 
in  einander  eingeschachtelt  liegen.  Das  Muttertier  umfasst  die  auf 
geschlechtlichem  Wege  erzeugte,  aber  noch  nicht  geschlechtsreife 
Tochter;  diese  birgt  einen  Keimling,  der  wie  angenommen  wird 
einer  übrig  gebliebenen  Furchungskugel  des  Eies,  aus  dem  das 
Tochtertier  hervorging,  seinen  Ursprung  verdankt.  Tochter-  und 
Enkelindividuum  wären  somit  gleichzeitig  aus  der  Masse  gleich- 
gestalteter und  gleichaltriger  Embryonalzellen  des  ursprünglichen  Eies 
hervogegangen. 

Unter  dem  Namen  Sphyramtra Oskri  haben  Ramsay  Wright 
und  Macall  um  jüngst  einen  interessanten  ektoparasitischen  Trema- 
toden  von  der  Haut  des  grossen  Salamanders  Necturus  lateralis  Raf. 
aus  den  Seen  Nordamerikas  beschrieben.  Die  fragliche  Form 
schiebt  sich  anatomisch  und  embryologisch  zwischen  Polystomum 
und  Gyrodactylus  ein.  Ein  weiterer  Kiemenbewohner  der  Süss- 
wasserfische ist  die  Gattung   Tetraonchus. 

Wie  die  Saugwürmer  gehören  auch  die  Bandwürmer  (Cestoden) 
der  grossen  Abteilung  der  Plattwürmer  an.  Es  fehlt  sogar  nicht 
an  Formen,  die  morphologisch  und  embryologisch  als  Übergangs- 
stufen sich  zwischen  die  beiden  parasitierenden  Gruppen  der 
Plathelminthen  einschieben  und  es  so  unmöglich  machen,  Trema- 
toden  und  Cestoden  durch  eine  scharfe  Grenzlinie  zu  scheiden. 
Letztere  haben  sich  offenbar  aus  ersteren  herausentwickelt,  sind 
aus  ihnen  durch  Anpassung  an  immer  schärfer  ausgeprägtes 
Schmarotzertum  entstanden.  Von  Ektoparasitismus  ist  hier  keine 
Rede  mehr.  Alle  Bandwürmer  bewohnen  die  inneren  Organe 
ihrer  Wirte.  Unter  dem  Drucke  des  intensiver  werdenden 
Schmarotzertums  sind  manche  bei  den  Trematoden  noch  mehr 
oder  weniger  entwickelte  Organe  und  Organsysteme  als  unnötig 
vollkommen  zurückgebildet  worden.  Sinnesorgane  und  Verdauungs- 
system sind  spurlos  verschwunden.  Das  schwach  entwickelte  Nerven- 
system besteht  in  der  Regel  aus  zwei  seitlichen  Längsstämmen,  die 
im  vorderen  Körper^nde,  dem  sogenannten  Kopf,  durch  einfache  oder 
mehrfache  Kommissuren  verbunden  sind.  Gut  ausgebildet  ist  das 
zweiseitig  angelegte,  röhrig  gebaute  Exkretionssystem,  dessen  feinste 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.  243 

Verzweigungen  im  Körperparench\m  mit  zahlreichen  Flimmer- 
läppchen endigen.  In  der  Regel  ist  der  Bandwurmkörper  mehr 
oder  weniger  deutlich  segmentiert,  gegliedert.  Sein  \orderster,  die 
Haftorgane  in  Gestalt  mannigfaltiger  Haken  und  Saugnäpfe  tragender 
Teil  wird  als  Kopf  oder  Scolex  bezeichnet;  auf  ihn  folgen  nach 
hinten  in  in  weiten  Grenzen  schwankender  Zahl  die  Glieder,  Ringe 
oder  Proglottiden.  Jede  Proglottis  umschliesst  männliche  und 
weibliche  Geschlechtsorgane.  Oft  sind  die  Proglottiden,  nachdem 
sie  eine  gewisse  Entwickelung  durchgemacht  haben,  nur  noch  lose 
mit  einander  verbunden;  sie  lösen  sich  sogar  von  der  allgemeinen 
Kette  ab,  um  selbständig  als  Einzelindividuen  weiter  zu  leben.  Das 
hat  zur  Auffassung  des  Bandwurmkorpers  als  einer  aus  einem 
Hafttier  (Scolex)  und  zahlreichen  Geschlechtstieren  (Proglottiden) 
zusammengesetzten  Kolonie  geführt.  Doch  giebt  es  auch  Band- 
würmer ohne  jeden  kolonialen  Charakter.  Die  Glieder  sind  fest 
und  dauernd  verbunden,  die  äussere  Segmentierung  verwischt;  die 
beiden  Geschlechtsapparate  kommen  in  gewissen  Fällen  im  Körper 
überhaupt  nur  in  der  Einzahl  vor.  Zwischen  Einzelindividualität 
und  Stocknatur  des  Cestodenleibs  lässt  sich  keine  Grenze  ziehen. 
Die  den  Trematoden  am  nächsten  stehenden  Formen  zeigen  von 
Segmentierung  noch  keine  Spur;  die  Gliederung  tritt  zuerst 
schüchtern,  dann  immer  deutlicher  hervor  und  führt  zuletzt  sogar 
zur  Selbständigkeit  der  einzelnen  Segmente.  Für  alle  verschiedenen 
Stufen  liefern  gerade  die  bei  den  Fischen  schmarotzenden  Formen 
treffliche  Beispiele.  Auch  in  der  vielfach  verschlungenen  Lebens- 
geschichte der  Cestoden  spiegelt  sich  ihr  parasitärer  Charakter 
wieder.  Wanderungen  und  Wirtswechsel  sind  allgemein  verbreitet; 
freie  Lebensstadien  spielen  eine  viel  geringere  Rolle  als  bei  den 
Trematoden.  Sie  sind  in  den  Entwickelungsgang  der  verschiedenen 
Bandwürmer  in  verschieden  reichem  Masse  eingestreut. 

Der  Körper  der  Süsswasserfische  bietet  relativ  zahlreichen  und 
mannigfaltigen  Cestoden  Herberge,  sei  es  als  Zwischen wirt,  sei  es 
als  Träger  der  definitiven  Geschlechtsform.  Die  eigentlichen 
Taenien,  Cestoden,  die  für  die  höheren  Wirbeltiere  und  speziell 
auch  den  INIenschen  eine  ganze  Anzahl  von  Arten  stellen,  sind  im 

IG* 


24:4  ^'^  Parasiten  unserer  Süsswasserlische. 

Süsswasserfisch  nicht  gerade  häufig.  Barsch,  Kaulbarsch,  im  Genfer- 
see  auch  Quappe,  Felchen,  Hecht,  Forelle,  Saibling  beherbergen  in 
ihrem  Darm  oft  in  grosser  Zahl  die  Taoiia  ocellata  Rud.,  mit  vier 
seitlich  und  einem  endständig  am  Scolex  liegenden  Saugnäpfen. 
7*.  longicollis  Rud.  ist  für  die  Salmoniden  charakteristisch.  In  den 
Pylor-Anhängen  und  dem  Dünndarm  der  befallenen  Fische  leben 
oft  hunderte  dieses  Schmarotzers.  Länge  bis  25  cm,  fünf  Saugnäpfe. 
In  Stichling  und  Barsch  ist  die  mit  \ier  kleinen,  aber  starken 
Saugnäpfen  bewehrte  T.  füicollis  Rud.  nicht  selten,  während  die 
Cvpriniden  sowie  Felchen  und  Quappe  nicht  allzu  häufig  durch  die 
T.  tondosa  Batsch  infiziert  werden.  Bau  und  Entwickelunsr  all 
dieser  Fischtaenien  sind  uns  fast  völlig  unbekannt*). 

Durch  sein  massenhaftes  Auftreten  in  allen  Salmoniden  fällt 
der  Bothrioccphaliis  infiindibuliformis  Rud.  auf.  Er  fehlt  auch 
nicht  in  Barsch  und  Hecht.  Sein  Scolex  trägt  —  wie  dies  für 
die  Gattung  Bothriocephalus  charakteristisch  ist  —  zwei  nur  massig 
starke  Sauggruben.  Hunderte  von  Exemplaren  des  bis  40  cm 
langen  Wurmes  sind  kräftig  in  den  Pylor-Anhängen  des  Wirtes 
befestigt.  Salm,  Saibling  und  Forelle  scheinen  am  meisten  unter 
der  Überzahl  der  Schmarotzer  leiden  zu  müssen.  In  manchen 
Meerfischen  und  in  der  Quappe  wird  der  B.  infwidibtdiformis, 
ersetzt  durch  die  verwandte  Form  B.  rugosns  Rud.  Seine  Länge 
geht  bis  38  cm;  er  ist  ausgezeichnet  durch  randständige  Geschlechts- 
öfFnungen,  während  dieselben  sonst  bei  den  meisten  Bothrio-  , 
cephaliden  auf  der  Fläche  der  Glieder  liegen. 

An  die  Saugwürmer  schliesst  sich  morphologisch  und  anatomisch 
eng  ein  nicht  seltener  Darmschmarotzer  der  verschiedenen  Karpfen- 
arten, der  Nelken  wurm  (CaryophyUaeiis  viidahdis  Rud.)  an.  Der 
Wurmkörper  ist  vollkommen  ungegliedert,  sein  oft  wie  eine  Nelken- 
blüte gefalteter,  hakenloser  Vorderrand  dient  als  einziges  Fixations- 
werkzeug.  Männlicher  und  weiblicher  Apparat,  jüngst  von  Saint- 
Remy  genauer  beschrieben,  sehen  denen  der  Trematoden  ähnlich 


*)  O.  V.  Linstow  hat  uns  jüngst  über  den  Bau  derselben  einiges  mitgeteilt;  eine 
weitere  Arbeit  über  Cestoden  der  Süsswasserfische  wird  von  einem  meiner  Schüler  vor- 
bereitet. 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.  245 

und  bleiben  wie  dort  in  der  Einzahl.  Kompliziert  ist  das 
Exkretionssystem  mit  seinen  zahlreichen  geschlängelten  Längskanälen 
und  wohl  ausgebildeten  Wimpertrichtem.  Im  Gegensatz  zu  den 
meisten  Cestoden  scheint  die  Entwickelung  des  Nelkenwurms  relativ 
einfach  zu  sein.  Eine  Metamorphose  ersetzt  den  Generations- 
wechsel; dagegen  ist  die  Wanderung  durch  den  Zwischenwirt  bei- 
behalten. Wahrscheinlich  lebt  der  junge  Caryophxllaciis  in  dem 
unter  dem  Namen  Tuhifex  rivulorum  bekannt  gewordenen  Ringel- 
wurm und  wird  mit  ihm  in  den  Darm  der  C}-priniden  übertragen, 
wo  er  die  Geschlechtsreife  erreicht. 

Schon  etwas  mehr  dem  Typus  der  Cestoden  nähert  sich  der 
„Becherkopf"  (Cyathoccphaliis  trnncatus  Pallas),  der  sich  mit  seinem 
eigentümlichen,  becher-  oder  trichterförmigen  Scolex  sehr  fest  in 
den  Pylor-Anhängen  von  Hecht,  Barsch,  Felchen,  Forelle,  Quappe, 
Saibling  ansaugt.  Der  bis  gegen  40  nmi  lange  Leib  besteht  aus 
wenigen,  fest  verbundenen  und  undeutlich  gegeneinander  abgesetzten 
Proglottiden,  die  flächenständig  männlichen  und  weiblichen  Porus,  sowie 
die  Uterusöfthung  tragen.  Durch  den  Bau  der  Geschlechtsorgane 
scheint  sich  der  Cyathoccphaliis  der  Gruppe  der  Bothriocephaliden 
anzuschliessen.  Leider  ist  seine  Anatomie  erst  unvollkommen,  seine 
Lebensgeschichte  gar  nicht  bekannt. 

Traten  uns  in  den  bis  jetzt  geschilderten  Fällen  die  Fische 
ausschliesslich  als  Wirte  des  ausgewachsenen,  geschlechtsreifen  Band- 
wurms entgegen,  so  sind  doch  auch  genügend  Beispiele  bekannt, 
wo  der  Fisch  die  Rolle  des  Zwischenträgers  spielt  und  in  seinen 
Organen  die  Larven  des  Cestoden  birgt.  In  einem  gut  beschriebenen 
Entwickelungsgang  wird  Haupt-  und  Zwischenwirt  der  Gruppe  der 
Süsswasserfische  entnommen.  Es  betrifft  dies  den  Triacnophorus 
nodulosiis  Rud.,  der  als  Bandwurm  von  bedeutender  Länge  (bis 
1/2  ni)  den  Darm  des  Hechtes  oft  in  recht  beträchtlicher  Zahl 
bewohnt.  Seltener  bezieht  er  im  geschlechtsreifen  Zustand  Aesche, 
Forelle  und  Barsch.  In  den  Fischen  des  Genfersees  gehört  der 
Triacnophorus  zu  den  gewöhnlichsten  Erscheinungen.  Sein  undeut- 
lich abgesetzter  Kopf  trägt  neben  zwei  schwachen  Sauggruben  zwei 
Paar    starker   Chitinhaken ,    die    durch    ihre    dreizackige    Gestalt   an 


246  ^^^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

die  starke  Bewaffnung  mancher  Schmarotzer  der  Meerfische  (Callio- 
bothrien)  erinnern.  Äusserlich  ist  der  Bandwurmkörper  trematoden- 
haft  kaum  merkUch  gegliedert;  innerlich  dagegen  ist  die  Segmentierung 
scharf  ausgedrückt  durch  die  sich  regelmässig  in  grosser  Zahl 
folgenden,  nach  dem  Typus  der  Bothriocephalen  gebauten  Ge- 
schlechtsorgane. Im  Jugendzustand  soll  der  Triaenophoriis  ein- 
gekapselt in  der  Leber  der  Beutefische  des  Hechtes,  hauptsächlich 
der  Cypriniden,  liegen.  Doch  fand  ich  ihn  wenigstens  für  den 
Genfersee  am  häufigsten  im  Barsch,  seltener  im  Hecht,  am  seltensten 
und  nur  in  schwachen,  kleinen  Exemplaren  in  Forelle  und  Aesche. 
Bemerkenswert  bleibt  immerhin  die  Thatsache,  dass  auch  hier 
wieder  alle  angeführten  Fischarten  Haupt-  und  Zwischenträger  der 
nämlichen  schmarotzenden  Spezies  werden  können.  Einmal  traf 
ich  den  jungen  Parasiten  auch  im  Lachs.  Die  Triaenophorus- 
Larven  liegen  meistens  eingebettet  in  erbsengrosse  dickwandige 
Bindegewebecysten  der  Leber  ihres  Wirtes.  Seltener  bewohnen  sie 
Milz,  Peritonäum  und  Muskeln.  In  der  Leber  ist  die  Larvenzahl 
oft  sehr  bedeutend  —  nach  eigener  Erfahrung  bis  36  • — ,  so  dass 
sich  die  Gegenwart  von  hunderten  von  ausgewachsenen  Würmern 
im  Hechtdarm  wohl  erklärt.  Haken  und  Sauggruben  sind  im 
Jugendzustand  schon  wohl  ausgebildet,  zudem  folgt  auf  den  Kopf 
ein  sehr  langer  (bis  25  an)  Wurmkörper,  der  reich  an  Kalk- 
körperchen  ist  und  sich  in  der  engen  Cyste  in  den  mannigfaltigsten 
Knäueln  und  Windungen  aufwickelt.  Der  bandförmige  Anhang  ist 
übrigens  bestimmt,  nach  der  Übertragung  auf  den  definitiven  Wirt 
zum  guten  Teil  verloren  zu  gehen.  Auf  den  Hauptträger  über- 
geführt werden  die  Triaenophorus-Larven  wohl  sehr  bald  geschlechts- 
reif. Ihre  reifen  Eier  gelangen  in  ungezählten  Mengen  mit  dem 
Kot  des  Fisches  ins  Wasser.  Ihnen  entschlüpfen  schon  nach  sechs 
bis  acht  Tagen  bewimperte,  mit  sechs  provisorischen  Haken 
bewehrte  Embryonen,  die  auf  der  Suche  nach  einem  Zwischenwirt 
munter  umherschwimmen.  Ob  aber  die  oben  aufgezählten  Fische 
schon  vom  Embryo  bezogen  werden,  oder  ob  ihnen  der  Parasit  in 
vorgerückterer  Entwickelung  durch  einen  ersten,  wirbellosen  Zwischen- 
wirt übertragen  wird,   ist  noch  fraglich. 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserlische.  247 

Die  Leibeshöhle  der  karpfenartigen.  Fische  beherbergt  oft  lang- 
gestreckte, bandförmige,  schwach  segmentierte  Schmarotzer,  ohne 
deutliche  Haftapparate.  Ihre  Zahl  in  einem  \\'irt  ist  oft  ziemlich 
beträchtlich;  ihre  Länge  kann  sehr  bedeutend  werden  —  kenne  ich 
doch  aus  einem  Rötel  ein  Exemplar  von  83  an  Länge  und  2  cm 
Breite.  Kein  Wunder,  dass  unter  dem  Drucke  des  wachsenden 
Wurmes  die  von  ihm  mannigfaltig  umschlungenen  Organe  des 
Fisches  verkümmern.  INIeist  tritt  tödliche  Peritonitis  ein.  Schwere 
Fischepidemien,  die  viele  Karpfenteiche  entvölkerten,  sind  einzig  auf 
die  Gegenwart  dieser  Riemenwürmer  oder  Liguliden  zurückzuführen. 
Es  ist  also  schon  praktisches  Interesse,  wenn  wir  die  Lebens- 
geschichte der  Ligula  snuplicissiina  Rud.,  die  uns  im  ganzen  und 
grossen  von  Donnadieu  geschildert  worden  ist,  verfolgen.  Wir 
wissen  nun,  dass  die  Schmarotzer  aus  der  Leibeshöhle  der  Karpfen 
nichts  anderes  sind  denn  aussergewöhnlich  grosse  Larven  von 
Bandwürmern.  Sie  wachsen  schon  im  Zwischenwirt,  eben  den 
Fischen,  zu  ungewöhnlicher  Länge  aus  und  bilden  auch  schon  die 
Geschlechtsorgane  vor.  Doch  treten  diese  erst  in  Funktion,  wenn 
der  kaltblütige  Zwischenträger  mit  einem  warmblütigen  Hauptwirt 
vertauscht  wird.  Dazu  bietet  sich  am  besten  Gelegenheit,  nachdem 
die  Ligula,  durch  die  unter  dem  Drucke  immer  dünner  werdenden 
Bauchdecken  des  Fisches  hindurchbrechend,  ins  Wasser  gelangt,  in 
dem  sie  längere  Zeit  frei  leben  kann,  ein  für  einen  Parasiten  nicht 
gewöhnliches  Verhältnis.  Forel  hat  freie  Exemplare  von  Ligula 
in  den  grossen  Tiefen  des  Genfersees  gefischt.  Jetzt  muss  der 
noch  nicht  geschlechtsreife  Wurm  von  einer  Ente  oder  einem 
anderen  Wasservogel  aufgenommen  werden.  Liguliden  von  mindestens 
10  cm  Länge,  ja  sogar  Bruchstücke  grösserer  Exemplare  werden 
im  Entendarm  schon  nach  Verlauf  von  24  Stunden  vollkommen 
reif;  kleinere  Tiere  werden  auspreworfen.  Die  beiden  SauQ:gruben 
treten  deutlicher  hervor;  die  Segmentierung  des  Körpers  prägt  sich 
etwas  schärfer  aus;  der  Leib  streckt  sich;  in  den  in  grosser  Zahl 
sich  regelmässig  folgenden  Geschlechtsapparaten  beginnt  die  Ei- 
bildung  und  Befruchtung.  Durch  spezielle  in  jeder  Proglottis  sich 
wiederholende     Uterusöffnungen    werden     die     von     einer    harten, 


248  I^'^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 

gedeckclten  Schale  umschlossenen  Eier  in  den  Darm  des  Wirtes 
und  von  dort,  gemäss  der  echt  parasitischen  Fruchtbarkeit  der 
Ligula,  in  ungeheueren  Mengen  an  die  Aussenwelt  abgegeben. 
Geschlechtsreife  Liguliden  verweilen  übrigens  nur  kurze  Zeit  im 
Darme  ihres  Trägers,  schon  nach  zwei  bis  drei  Tagen  sollen  sie  nach 
Donnadieu  ausgestossen  oder  verdaut  werden.  Im  Wasser  dagegen 
können  die  ausgestossenen  Würmer  bis  zehn  Tage  lang  weiterleben. 

Die  Eier  in  Wasser  gebracht  entlassen  nach  acht  bis  vierzehn 
Tagen  einen  flimmernden,  sechshakigen,  lebhaft  schwärmenden 
Embryo  •—  eine  Jugendform,  die  ja  überhaupt  bei  Plattwürmern 
verbreitet  ist,  welche  wasserbewohnende  Zwischenwirte  aufzusuchen 
haben.  Nach  Donnadieus  Erfahrungen  muss  der  Embryo  von 
den  Karpfen  in  den  Darmkanal  aufgenommen  werden.  Er  wird 
die  Wandungen  des  Verdauungstractus  durchbrechen  und,  vielleicht 
nach  vorübergehender  Einkapselung  in  der  Leber,  die  Leibeshöhle 
des  Fisches  beziehen.  Wenige  Wochen  nach  der  Infektion  mit 
flimmernden  Embryonen  beherbergt  der  Körperraum  der  Karpfen 
schon  typisch  ausgebildete  Liguliden,  von  6 — 12  mm  Länge.  Die 
Entwickelungsgeschichte  der  Riemenwürmer  ist  ausgezeichnet  durch 
zahlreich  eingestreute  freie  Stadien  und  die  weitgehende  Differen- 
zierung der  Larve  schon  im  Zwischenwirt.  Es  bedarf  das  junge 
Tier  nur  noch  eines  kurzen  Aufenthaltes  im  warmen  Darm  des 
Hauptwirtes,  um  reife  Eier  zu  liefern.  Eine  Infektion  der  Karpfen 
wird  natürlich  am  besten  durch  Ausschluss  der  Hauptwirte  —  der 
Wasservögel   —  von  den  Teichen  verhindert. 

In  Bau  und  Lebensgeschichte  schliesst  an  die  Ligula  unmittel- 
bar der  Schistoccphalus  dimorplms  Crepl.  an.  Er  lebt  als  band- 
förmige, bereits  gegliederte  Larve  in  der  Leibeshöhle  des  Stichlings, 
als  reifer  Bandwurm  im  Darm  der  Wasservögel.  Es  sei  endlich 
noch  erwähnt,  dass  in  der  Gallenblase  und  zwischen  den  Darm- 
zotten der  Schieihen  zwei  verschiedene  Larven  von  Bandwürmern 
aufgefunden  worden  sind,  die  sich  durch  manche  Eigentümlich- 
keiten auszeichnenden  Gyporhynchen.  Nach  ihrem  Übertritt  in 
den  Darm  der  Reiher  entwickeln  sie  sich  zur  Taenia  macropcos 
Wedl  und    T.  nnilatevalis  Rud. 


\ 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische.  249 

Aus  den  Süs'swasserfischen  bezieht  endlich  auch  der  Mensch 
einen  häufigen  Bewohner  seines  Darmkanals,  den  Grubenkopf 
(BothrioccpJialiis  latus  Brems.).  Dieser  längste  aller  in  unserem 
Körper  vorkommenden  Bandwürmer  — ■  kann  er  doch  bis  lo  ni 
erreichen  —  kommt  besonders  in  weiter  Verbreitung  in  Länder- 
strichen vor,  die  reich  an  Süsswasserseen  sind.  Es  lässt  sich  das 
nach  der  Natur  seiner  Zwischenwirte  ja  zum  voraus  erwarten.  So 
treffen  wir  ihn  häufig  in  der  Westschweiz,  im  Seengebiet  Ober- 
italiens, in  den  weiten  an  das  baltische  INIeer  grenzenden,  zu 
Deutschland  und  Russland  gehörenden  Seebezirken,  in  Polen,  in 
gewissen  Teilen  Russlands,  in  Schweden,  in  Japan.  Auch  am  Ufer 
des  Starnbergersees  hat  sich  ein  Infektionsherd  gebildet.  Bis  vor 
wenigen  Jahren  war  die  Herkunft  des  so  häufigen  und  nicht  un- 
bedenklichen Schmarotzers  unbekannt;  das  Verdienst,  den  Schleier 
über  diesem  Dunkel  gelüftet  zu  haben,  gehört  in  erster  Linie  Prof. 
ÖL  Braun.  Doch  bleiben  auch  heute  noch  weite  Lücken  in  der 
Kenntnis  der  Lebensgeschichte  des  Bothriocephalus  auszufüllen. 
Aus  der  Uterusöffnung  der  einzelnen  Bothriocephalenglieder  treten 
die  gedeckelten,  ovalen  Eier,  die  auch  bei  diesem  Wurm,  dank 
der  parasitischen  Lebensweise,  und  zu  Gunsten  der  Verbreitung 
der  schmarotzenden  Spezies,  in  Übermenge  gebildet  werden 
(Fig.  42).  Im  Wasser  zerstreut  entwickelt  sich  in  ihnen  ein  Embryo 
nach  Vorgängen,  die  jüngst  von  Schauinsland  verfolgt  worden 
sind.  Er  verlässt  die  Eischale  je  nach  den  äusseren 
Temperaturbedingungen  und  der  Masse  des  das  Ei 
bespülenden  Wassers  früher  oder  später.  Im  Sommer 
findet  das  Ausschlüpfen  schon  zwei  bis  vier  Wochen 
nach  der  Eiablage  statt;  unter  ungünstigen  Umständen 
(im  Winter)  können  aber  acht  und  mehr  Monate  ver- 
gehen, bis  der  junge  Embryo  frei  wird.  Er  ist  ähn- 
lich wie  das  erste  Jugendstadium  von  Ligula  und 
Triaenophorus ,  Würmer,  die  übrigens  auch  im  anato- 
mischen Bau  des  erwachsenen  Tieres  dem  Bothriocephalus  nahe- 
kommen, mit  sechs  Haken  bewaffnet  und  schwimmt  im  Wasser 
mit  Hilfe  eines  langen  Wimperpelzes  (Fig.  43   S.   250).      Das  freie 


250 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 


Leben  der  Embryonen  kann  bis  eine  Woche  dauern,  dann  sinken 
die  Tierchen  zu  Boden  und  streifen  gewöhnlich  die  Flimmer- 
bekleidung ab,  um  sich  noch  eine  Zeit  lang  kriechend  zu  bewegen. 
Was  nun  mit  den  jungen  Bothriocephalen  geschieht,  ist  uns  völlig 
unbekannt.  Hier  öffnet  sich  eine  weite  Lücke  in  unserem  Wissen. 
Es  hat  in  keiner  Weise  gelingen  wollen,  die  sechshakigen 
Embryonen  direkt  auf  Fische  zu  übertragen;  ebensowenig  ist  es 
o-edückt,  niedere  wirbellose  Wasserbewohner  mit  den  Flimmer- 
embryonen  zu  infizieren.  So  steht  die  Frage  noch  vollkommen 
offen,  ob  die  Süsswasserfische  den  ersten  und  einzigen  Zwischen- 
wirt für  den  Grubenkopf  abgeben,  oder  ob  die  Embryonen,  etwa 
wie  die  ihnen  nach  Bau  und  Lebensweise  so  ähnlichen  frühesten 
freien  Jugendstadien  der  Trematoden,  zunächst  in  einen  wirbellosen 

Zwischenwirt  eindringen    müssen,    um    dort 
weitere  Veränderungen  durchzumachen. 

Wie  dem  auch  sei,  wir  finden  die 
jungen  Bothriocephalen  erst  wieder  unter 
ganz  veränderter  Gestalt  im  Leibe  mancher 
Süsswasserfische.  Von  Braun  ist  1883 
zunächst  der  Hecht  als  Zwischenträger  des 
Grubenkopfes  erkannt  worden,  seitdem 
haben  Parona  und  Grass i  in  Italien, 
Ijima  in  Japan,  ich  in  Genf  und  Basel 
die  Bothriocephalus-Finnen  in  einer  ganzen 
Reihe  von  Fischen  der  Süsswasserseen 
entdeckt  und  meist  mit  gutem  Infektionserfolg  auf  den  Menschen 
übertragen.  Die  Zwischenwirte  des  breiten  Bandwurms  sind  fast 
ausschliesslich  Räuber,  eine  Thatsache,  die  vielleicht  darauf  hin- 
deutet, dass  ihnen  der  junge  W^urm  bereits  in  einen  ersten  Träger 
eingeschlossen  übermittelt  wird.  Als  Wirte  der  Finnen  von  B. 
latus  kennen  wir  heute  den  Hecht,  die  Quappe,  den  Barsch,  die 
Forelle,  die  Aesche,  den  Saibling,  die  Seeforelle,  sowie  die  beiden 
japanischen  Lachsarten  Onchorhynclms  Hiibcri  und  O.  Pcrryi, 
eine  Liste,  die  sich  mit  der  Zeit  noch  bedeutend  vergrössern 
dürfte.       Im    Lachs    sind    Finnen    von    B.    latus,    entgegen    der 


Fig-  43- 

Flimmerembryo  von  Bothrio- 

cephahis  latus. 


Die  Parasiten  unserer  Süsswasserfische. 


251 


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Annahme  von  Küchenmeister,  nicht  gefunden  worden.  Auch  die 
Flussfische  sind  häufig  mit  dem  Jugendstadium  unseres  Schmarotzers 
besetzt;  wenigstens  fand  ich  die  Finnen  in  Forellen  und  Hechten 
aus  dem  schnellfliessenden  Rhein  und  der  reissenden  Aare. 

Die  Finnen  sind    gestreckt    8  bis  25  ddh  lang,    i    bis  3   mm 
breit,    von    schwach    abgeflachtem    Körper.      Vorn    trägt    das    Tier 
einen    konischen    Kopfaufsatz,     der    in    zwei    seichten    Sauggruben 
schon  die  künftigen  Haftapparate  des  erwachsenen  Bothrioccphaliis 
aufweist.      Oft   ist   übrigens   das  Vorderende  in  den 
Körper  eingestülpt.     Der  Leib  ist  solid,  ungegliedert, 
höchstens     die    Kutikula    zeigt    eine    starke    Quer- 
runzelung.      Gegen    hinten    wird    der  Leib    in  völlig 
gestrecktem  Zustand  etwas  schmäler.     Auffallend  ist 
der    grosse    Reichtum     \on    im    Körper    zerstreuten 
Kalkkügelchen  (Fig.  44).      Die  Finnen   liegen,    von 
dünnwandigen  Kapseln   umschlossen,    oft  in   bedeu- 
tender   Zahl    in   den    verschiedensten    Organen    des 
Fisches.       Speziell    häufig    treten    sie    auf    in    den 
Wandungen   des  Schlundes,    in   der  Leber,    in  Milz, 
Nieren,    Geschlechtsorganen    und    endlich,     für    die 
Übertrafnang   wohl   am  wichtigsten,    in    der  Rücken- 
muskulatur.      Oft   trifft  man  sie  auch  frei  wandernd 
in  der  Leibeshölile.     Die  Zahl  der  Finnen  in  einem 
Fisch  kann  recht  bedeutend  werden  (50 — 100);  auf 
das  massenhafte  Vorkommen  derselben  in  einer  See- 
forelle   ist   schon    hingewiesen  worden.      Im  Wasser 
leben    die  Würmchen    längere    Zeit    weiter.      Solche 
Jugendstadien  in  den  menschlichen  Verdauungstractus 
gebracht     entwickeln    sich    zum    typischen    breiten 
Bandwurm,  zum  Bothriocephahis  latus.    Es  ist  dies 
besonders    durch    Experimente    an    Dorpater     und 
Genfer  Studenten  bewiesen  worden.  Das  Wachstum  des  Kettenwurms 
im  menschlichen  Darm  ist  ein  ungemein  rasches;    es  beträgt  unter 
günstigen  Umständen  ö  bis  8  cm  im  Tag,  so  dass  der  Schmarotzer 
bald  nach  Metern  gemessen  und  seine  eng  verbundenen  Proglottiden 


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Fig-   44- 
Larve    von 
Bothriocephalus 
latus     aus     ver- 
schiedenen Süss- 
wasserfi  sehen. 


252  -^^^  Parasiten  unserer  Süsswassserfische. 

nach  tausenden  gezählt  werden  können.  Nach  drei  Wochen  ungefähr, 
von  der  Infektion  an  gerechnet,  werden  wieder  reife  Eier  abgegeben. 

Wir  erwerben  den  breiten  Bandwurm  durch  den  Genuss  un- 
genügend zubereiteter  Fische.  In  den  Ostseeprovinzen  spielt  der 
Hecht  vorzüglich  die  traurige  Rolle  des  Zwischenträgers;  in  Genf 
ist  der  Hauptsünder  die  Quappe.  Sie  gelangt  massenhaft  auf  den 
Markt,  ihre  Leber  wird  ganz  leicht  gebacken  als  Leckerbissen 
verzehrt,  gerade  dieses  Organ  aber  beherbergt  fast  regelmässig 
Bothriocephalus-Finnen.  Auch  der  Barsch  muss  in  dieser  Hinsicht 
stark  angeschuldigt  werden. 

Ausser  den  Larven  von  B.  latus  wohnen  in  vielen  Süsswasser- 
fischen  noch  die  Finnen  anderer  Grubenkopfarten.  Im  Lachs 
speziell  fand  ich  gelegentlich  fünf  verschiedene  Formen  solcher 
jugendlicher  Würmer,  die  wohl  mehreren  Arten  angehörten,  von 
denen  aber  weder  morphologisch  noch  experimentell  eine  auf  den 
breiten  Bandwurm  des  IMenschen  bezogen  werden  konnte.  Die 
Art  und  Weise  ihres  Vorkommens  im  Fisch  war  analog  den  für 
die  Jugendstadien  von  B.  latus  beschriebenen  Verhältnissen.  Die 
Bothriocephaliden  scheinen  vorzugsweise  Fische  als  Zwischenträger 
zu  benutzen. 

So  gewinnt  die  Annahme  Leuckarts,  dass  ein  anderer 
Grubenkopf,  der  Bothriocephahis  cordatus  Lt.,  der  in  Grönland 
häufig  den  Darm  von  Hund,  Seehund,  Walross,  zufällig  den  des 
Menschen  bewohnt,  durch  Fische  in  seine  Wirte  eingeschmuggelt 
werde,   sehr  an  Gewicht. 


Litteratur. 


i)  G.  Brandes,  Die  Familie  der  Holostomiden.  Zoolog.  Jahr- 
bücher.    Abt.  f.  Systematik,  Geographie  u.  Biologie  der  Tiere.  Bd.  5. 

2)  M.  Braun,  Zur  Entwickelungsgeschichte  des  breiten  Band- 
^vurmes.      Würzburg   1883. 

3)  0.  BÜtSChli,  Zur  Entwickelungsgeschichte  des  Cucullanus 
elegans.     Zeitschr.  f.  wiss.   Zoologie.      Bd.   26.      1876. 

4)  G.  Bunge,  Weitere  Untersuchungen  über  die  Atmung  der 
Würmer.     Zeitschr.   f.  physiol.   Chemie.      Bd.    14.      1889. 

5)  C.   M.   Diesing,   Systema  Helminthum. 

6)  Donnadieu,  Contributions  a  rhistoire  de  la  Ligule.  Journal 
de  l'anatomie  et  de  la  physiologie.      1877.    - 

7)  F.  Dujardin,   Histoire  naturelle   des  Helminthes. 

8)  0.  Hamann ,  Die  Nemathelminthen.  Erstes  Heft :  Die 
Acanthocephalen.      1801. 

9)  F.  Küchenmeister,  Die  Finne  des  Bothriocephalus  latus 
und  ihre  Übertragung  auf  den  Menschen. 

10)  R.  Leuckart,  Die  Parasiten  des  Menschen  und  die  von 
ihnen  hen^ührenden  Krankheiten,      i.  und   2.  Auflage. 

11)  0.  V.  Linstow,  Compendium  der  Helminthologie.  Han- 
nover   187b. 

12)  0.  V.  Linstow,   Nachtrag  dazu.      Die  Litteratur  der  Jahre 

1878— 1889. 

13)  E.  LÖnnberg,  Helminthologische  Beobachtungen  von  der 
"Westküste  Norwegens.  Erster  Teil:  Cestoden.  Svenska  Vet.  Akad. 
Handlingar.     Bd.    16.     Afd  IV. 


254  I^i^  Parasiten  unserer  Süsswasserfische :  Litteratur, 

14)  E.  LÖnnberg,  Bidrag  tili  Kännedomen  on  i  Sverige  före- 
kommande  cestoder.     Ibid.      Bd.    14,   IV. 

15)  F.  MieSCher-RÜSCh,  Statistische  und  biologische  Beiträge 
zur  Kenntnis  vom  Leben  des  Rheinlachses  im  Süsswasser.  Ichthyo- 
logische Mitteilungen  aus  der  Schweiz  zur  internationalen  Fischerei- 
ausstellung  zu   Berlin    1880. 

16)  A.  Moquin -Tandon,  Monographie  de  la  famille  des 
Hirudinees  avec  atlas.     Paris   1846. 

17)  E.  Parona,  Intomo  la  genesi  del  Bothriocephalus  latus 
(Brems.)  e  la  sua  frequenza  in  Lombardia.     Torino   1887. 

18)  M.  StOSSich,  I  Distomi  dei  pesci  marini  e  d'acqua  dolce. 
Trieste   188Ö. 

19)  M.  StOSSich ,  Appendice  al  mio  lavoro  i  Distomi  dei 
pesci  marini  e  d'acqua  dolce.     Trieste   1888. 

20)  6.  Saint-Remy,  Recherches  sur  la  structure  des  organes 
genitaux  du  Caryophyllaeus  mutabilis.  Revue  biologique  du  Nord 
de  la  France.     T.   2.      1889 — 90. 

21)  A.  Villot,  Echinorhynchus  clavaeceps.  Note  sur  son 
Organisation  et  son  developpement.  Bulletin  de  la  societe  des 
sciences  naturelles  du  Sud-Est. 

22)  R.  V.  Willemoes -Suhm,  Helmin thologische  Notizen.  II. 
Zeitschr.   f.  wiss.  Zool.     Bd.   20.      1870. 

23)  E.  Zeller,  Untersuchungen  über  die  Entwickelung  des 
Diplozoon  paradoxum.     Ibid.     Bd.   22.      1872. 

24)  E.  Zeller,  Über  den  Geschlechtsapparat  des  Diplozoon 
paradoxum.     Ibid.     Bd.  46.      1888. 

25)  F.  Zschokke,  Recherches  sur  l'organisation  et  la  distri- 
bution  zoologique  des  vers  parasites  des  poissons  d'eau  douce. 
Archives  de  Biologie.      1884. 

26)  F.  Zschokke,  Helminthologische  Bemerkungen.  Mit- 
teilungen a.  d.  zool.  Station  zu  Neapel.     Bd.  VII. 

27)  F.  Zschokke,  Der  Bothriocephalus  latus  in  Genf.  Central- 
blatt  f.   Bakteriol.  u.  Parasitkunde.      Bd.    i.      1887. 

28)  F.  Zschokke,  Ein  weiterer  Zwischenwirt  des  Bothrio- 
cephalus latus.     Ibid.     Bd.  4.      1888. 

29)  F.  Zschokke,  über  Bothrioceph.alenlarven  in  Trutta  salar. 
Ibid.     Bd.   7.      1890. 


über 

die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton 

im  Siisswasser. 


Von  Dr.  C.  Apstein  in  Kiel,  Zoolog.  Institut. 


In  seinem  Werke  *>*)  „Über  die  Bestimmung  des  Planktons 
oder  des  im  Meere  treibenden  Materials  an  Pflanzen  und  Tieren" 
bezeichnet  Hensen  mit  Plankton  „Alles,  was  im  Wasser 
treibt".  Es  sind  also  darunter  alle  Organismen,  sowohl  Pflanzen 
wie  Tiere,  zu  verstehen,  die  willenlos  der  Wellenbewegung  und 
den  Strömungen  folgen.  Der  Begriff"  ist  enger  gefasst  als  „Auftrieb 
oder  pelagische  Organismen",  denn  zu  letzteren  gehören  beispiels- 
weise die  freischwimmenden  Fische,  die  aber  nicht  zum  Plankton 
zu  zählen  sind,  da  sie  vermöge  ihrer  Grösse  und  Stärke  nicht 
machtlos  im  Wasser  treiben,  dagegen  bilden  die  schwimmenden 
Fischeier  und  junge  Fische  einen  Teil  des  Plankton.  Ebenso 
könnte  es  scheinen,  als  ob  die  Copepoden  ausscheiden  müssten, 
die  bekanntlich  einer  ziemlich  energischen  Beweffuns:  fähig;  sind ; 
doch  ist  dieselbe  zu  wenig  ausgiebig,  um  den  bewegenden 
Agentien  irgend  einen  nennenswerten  Widerstand  entgegensetzen 
zu  können. 

Schon  im  Jahre  1884  hat  Hensen  in  seiner  Arbeit 8) :  „Über 
das  Vorkommen  und  die  IMenge  der  Eier  einiger  Ostseefische, 
insbesondere  der  Scholle,  des  Flunder  und  des  Dorsch"  ein  Problem 
in  Angriff"  genommen,  an  dessen  Lösung  niemand  vor  ihm  gedacht 
hatte,  nämlich  die  quantitative  Bestimmung  der  im  Meere 
treibenden  Organismen. 


*)  iDie  Zahlen  verweisen  auf  das  Litteraturverzeichnis. 
Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  17 


258       Über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton   im   Süsswasser. 

Nur  einmal  ist,  unabhängig  von  Hensen*),  jedoch  nach  diesem, 
dieselbe  Art  der  Forschung  versucht  worden  von  Asper  und 
Henscheri)  1886,  welche  die  Organismen  aus  einer  bekannten 
Wassermenge  sammelten  und  dann  die  Zahl  der  Individuen 
bestimmten,  die  sich  in  einem  Tropfen  Flüssigkeit,  von  denen 
fünfzehn  auf  i  ccm  gingen,  befanden.  Dadurch  erhielten  sie  einen 
ungefähren  Überblick  über  die  Menge  der  pelagischen  Tiere  in 
dem  untersuchten  Süsswasserbecken.  Doch  ist  dieser  Versuch  nicht 
in  eine  Reihe  zu  stellen  mit  den  sorgfältigen  Methoden  der 
Hensenschen  Forschungen.  Hensen  blieb  nicht  bei  den  einfachen 
quantitativen  Bestimmungen  stehen,  sondern  zeigte  auch,  warum 
diese  von  so  hoher  Wichtigkeit  sind.  In  letzter  Linie  kam  es  ihm 
darauf  an,  den  Stoffwechsel  des  Meeres  näher  kennen  zu  lernen. 
Bekanntlich  vermögen  nur  die  chlorophyllführenden  Wesen,  also 
Pflanzen  und  Peridineen,  von  denen  letztere  noch  von  manchen 
zu  den  Flagellaten  gerechnet  werden,  aus  anorganischen  Stoffen 
organische  Verbindungen  herzustellen;  die  Kraft,  durch  die  diese 
Umbildung  geschieht,  liefert  das  Sonnenlicht.  Dieses  dringt  bis 
höchstens  400  m  in  das  Wasser  ein  und  soweit  finden  wir  auch 
nur  chlorophyllhaltige  Organismen.  Dieser  Fähigkeit  wegen  können 
wir  auch  die  pflanzlichen  Wesen  mit  Einschluss  der  Peridineen 
Nahrungsprocluzenten2)  nennen.  Ihnen  stehen  die  Nahrungs- 
konsumenten gegenüber,  welche  die  oben  erwähnte  Fähigkeit 
nicht  besitzen,  also  ganz  von  den  Pflanzen  abhängig  sind;  es  sind, 
um  es  kurz  zu  sagen,  die  Tiere.  Wo  keine  Pflanzen  sind, 
können  also  auch  keine  Tiere  sein!  Da,  wie  oben  erwähnt, 
die  Sonne  die  Kraft  den  Pflanzen  giebt,  organische  Verbindungen 
zu  bereiten,  so  hätten  wir  ein  Mass  für  die  Produktion  des  Wassers 
an  belebter  Substanz,  wenn  wir  alle  unter  einer  bekannten 
Oberfläche  ■ —  als  Einheit  i  qm  —  vorhandenen  Pflanzen  bestimmen 


*)  Hensen  hat  schon  im  Jahre  1885  mehrere  Mitteilungen  über  sein  Verfahren 
veröffentlicht ,  so  in  den  Sitzungsberichten  des  physiologischen  Vereins  in  Kiel ,  in  den 
Mitteilungen  des  Vereins  schleswig-holsteinischer  Ärzte ,  im  8.  Jahresbericht  des  Central- 
fischereivereins  für  Schleswig- Holstein ,  dann  1886  im  Tagesberichte  der  Naturforscher- 
Versammlung  in  Berlin.  .».- 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.      259 

könnten.  In  dieser  Richtung  hat  Hensen*)  zur  ersten  Orientierung 
eine  Anzahl  analytischer  Gewich tsbestimungen  gemacht,  denen  wir 
folgende  Daten  entnehmen. 

Ein  ganzer  Fang  (aus  der  Ostsee)  vom  Februar  1885,  der 
reich  an  einer  Diatomeenart  (Rhizosolcnia)  war,  enthielt  unter  i  qiii 
Oberfläche  1608.3  ccm  Plankton.  Davon  wurden  70  ccm  weiter 
verarbeitet.  Diese  enthielten  o.is  gr  organische  Substanz  =  42.1  0/0 
und  0.2575  gr  =  57.9  ^/o  Asche.  Der  ganze  Fang  würde  also 
4-296  g}'  organische  Substanz  geliefert  haben.  Dies  ist  sehr  wenig, 
aber  da  die  Diatomeen  so  zahlreich  waren,  so  ist  der  beträchtliche 
Aschenanteil  durch  die  Kieselsäureskelette  verständlich. 

Zu  ferneren  Analysen  wurden  einzelne  Bestandteile  des  Plankton 
verwendet,  so  die  Ceratien  und  Copepoden.  Von  ersteren  fanden 
sich  in  7.25  ccin  Fang  12.45  Millionen.  Diese  enthielten  0.389  ^r 
organische  Substanz  =  96.05  "/o  und  nur  0.016  gr  Asche  =  3.94  ^yO. 

Auf  I  Million  Ceratien  käme  also  0.031245  organische  Substanz. 

Von  Copepoden  wurde  einmal  Rhinocalanus  gigas  zur  Be- 
stimmung benutzt.  4  ccm  davon  =  321  Stück  ergaben  0.0527  gr 
=  99.4  0/0   organische  Substanz  und  nur  0.0003  gr  =  0.6  <*/o  Asche. 

Diese  Zahlen  benutzt  Hensen  weiter,  wobei  hervorzuheben 
ist,  dass  alle  Angaben  nur  jMinimalzahlen  sind.  Hensen  hat  nun 
nach  Versuchen**)  —  denen  er  selbst  nur  einen  vorläufigen  Wert 
beimisst  —  berechnet,  dass  ein  Copepod  zu  seiner  Ernährung 
täglich  12  Ceratien,  das  ist  pro  Jahr  4370  Ceratien  bedarf.  Da 
nun  auf  i  qin  Oberfläche  (also  einer  Wassersäule,  die  i  qni  zur 
Grundfläche  und  die  Tiefe  des  Wassers***)  zur  Höhe  hat)  ungefähr 
I  JMillion  Copepoden  lebt,  so  bedürfen  diese  zur  Nahrung  4370 
Millionen  Ceratien,  welche  4370  X  0.031245  =  133.35  gr  orga- 
nische Substanz  liefern. 

Die  Jahresproduktion  an  Diatomeen  f)  berechnet  Hensen 
auf  6570  ccrii  pro  Quadratmeter  Oberfläche,  diese  enthalten  14.8 
bis    17.7  gr    organische    Substanz.        Es    würden    also     in    Summa 


*')  Planktonwerk  S.  34.     (Siehe  Litteraturverzeichnis  9.) 
**)  ibid.  S.  95.         ***)  Hier  in  der  Ostsee  etwa  2(3  7«.         t)  ibid.  S.  96. 

17* 


260      über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser. 

pro  Jahr  von  Diatomeen  und  Ceratien  133  -|-  ij  gr  =  ^50gr 
organische  Substanz   pro  Quadratmeter  Oberfläche   erzeugt  werden. 

Nach  Berechnungen  von  Rodevi^ald  erzeugt  i  gm  bebauten 
Landes  (in  Form  von  Heu)  179  gr  organische  Substanz.  Es  ist 
also  die  Produktion  des  Plankton  nur  um  20  oy'o  geringer  als  die 
der  gleichen  Fläche  Ackerlandes  *).  Da  jedoch  für  die  Berechnungen 
des  Wassers  nur  Minimalzahlen  genommen  sind,  so  wäre  es  möglich, 
dass  in  der  That  die  Produktion  des  Wassers  gleich  ist  der  des 
Landes.  Hiermit  ist  also  ein  Mass  für  die  Ertra^sfähio^keit  des 
Wassers  gewonnen  und  zugleich  ein  Ausdruck  für  die  belebende 
Wirkung  des  Sonnenlichtes. 

Die  oben  gewonnenen  Zahlen  lassen  sich  jedoch  noch  weiterhin 
benutzen,  z.  B.  für  praktische  Zwecke  der  Fischerei,  wie  Heincke'^) 
dargethan  hat.  Jedoch  würde  es  uns  zu  weit  führen,  auf  alle  diese 
interessanten  Berechnungen  weiter  einzugehen,  wir  müssen  auf  die 
Originalwerke  verweisen. 

Ein  Punkt  ist  jedoch  noch  von  Wichtigkeit,  der  es  klarlegen 
soll,  dass  die  Planktonmethode  zu  den  vorhin  dargelegten  Schlüssen 
berechtigt.  Haben  wir  ein  Recht,  \'on  der  Beobachtung,  die  wir 
aus  einem  kleinen  Wasserquantum  gewonnen  haben,  auf  die 
Zusammensetzung  des  Plankton  eines  ganzen  Wasserbeckens  zu 
schliessen?  Da  hat  sich  nun  gezeigt  bei  Untersuchungen  in  der 
Ostsee,  dass  die  Verteilung  des  Plankton  eine  ziemlich**)  gleich- 
massige  ist.  Diese  gleichmässige  Verteilung  ist  von  Hensen  in 
seiner  Arbeit  §) :  „Über  das  Vorkommen  und  die  Menge  der  Eier 
einiger  Ostseefische,  insbesondere  der  Scholle,  des  Flunder  und  des 


*)  Dasselbe  erwähnt  SeligolS)  jn  seinen  „Hydrobiologischen  Untersuchungen".  Er 
sagt:  ,,Wie  eine  Wiese  ist  die  Wasserfläche  gleichniässig  bewachsen.  Allerdings  liegen  die 
Pflänzchen  normal  nicht  dicht  an  einander ,  aber  dafür  beschränkt  sich  ihre  Anwesenheit 
und  ihr  Gedeihen  nicht  auf  die  Wasseroberfläche ,  sondern  die  oberen  Wasserschichten  bis 
zu  mehreren  Metern  Tiefe  sind  davon  durchsetzt,  sodass  die  Gesamtmenge  der  unter  einem 
bestimmten  Teil  der  Oberfläche  wachsenden  Pflänzchen  ungefähr  so  viel  Pflanzenmenge  sein 
dürfte,  wie  auf  einer  gleichgrossen  Fläche  einer  dünn  bewachsenen  Wiese  sich  findet". 

**)  In  einer  neuen  Arbeit  HensensW):  „Einige  Ergebnisse  der  Plankton-Expedition 
der  Humboldt-Stiftung"  heisst  es:  ,,.  .  .  Die  Expedition  ging  von  der  rein  theoretischen 
Ansicht  aus,  dass  in  dem  Ozean  das  Plankton  gleichmässig  genug  verteilt  sein  müsse,  um 
aus  wenigen  Fängen  über  das  Verhalten  sehr  grosser  ISIeeresstrecken  sicher  unterrichtet  zu 
werden,  und  diese  Voraussetzung  hat  sich  weit  vollständiger  bewahrheitet,  als  gehofft 
werden  konnte". 


über  die  quantitative  Bestimmving  des  Plankton  im  Süsswasser.       201 

Dorsch"  so  erklärt.  Trifft  ein  Stoss,  z.  B.  eine  Welle,  ein  schwim- 
mendes Ei,  so  können  zwei  Fälle  in  Betracht  kommen:  erstens, 
ist  der  Stoss  senkrecht,  so  wird  das  Ei  in  der  Richtung  des  Stosses 
fortbewegt;  zweitens,  ist  der  Stoss  unter  einem  Winkel  auf  das  Ei 
gelangt,  so  schiebt  eine  Komponente  des  Stosses  das  Ei  weiter, 
während  die  andere  es  dreht.  So  werden  die  Eier  nach  und  nach 
auseinandergetrieben,  wenn  sie  auch  an  einer  Stelle  der  Oberfläche 
sich  befanden,  da  ein  Stoss  nicht  alle  Eier  in  derselben  Richtung 
trifft.  Was  für  die  Eier  gilt,  ist  auch  für  die  anderen  Organismen 
des  Plankton  anzuwenden.  So  wird  durch  die  Wellen,  welche  wie 
eine  Schüttelbewegung  wirken,  die  Zerstreuung  besorgt.  Diese 
Thatsachen  hat  Hensen  auch  noch  direkt  durch  Experimente 
(siehe  die  gleiche  Arbeit)  erhärtet,  indem  er  mehrere  versilberte 
Glaskugeln,  die  so  beschwert  waren,  dass  sie  gerade  noch  schwammen, 
in  das  Wasser  versenkte  und  nach  einiger  Zeit  wahrnahm,  dass  sie 
weit  auseinandergetrieben  waren. 

Nachdem  wir  gesehen  haben,  was  für  weitgehende  Schlüsse 
Hensen  mit  Hilfe  seiner  Planktonmethode,  d.  h.  der  Art  und  Weise 
der  Gewinnung  und  Verarbeitung  eines  Planktonfanges,  zu  ziehen 
imstande  war,  wollen  wir  diese  Methode*)  näher  ins  Auge  fassen. 

Ich  möchte  daher  den  Leser  bitten,  mich  auf  einer  Exkursion 
zu  begleiten  und  nachher  den  Arbeiten  am  Lande  beizuwohnen. 
Wir  besteigen  einen  Dampfer  und  haben  Zeit,  ehe  wir  an  Ort  und 
Stelle  anlangen,  die  Ausrüstung  zu  der  „Planktonfahrt"  in  Augen- 
schein zu  nehmen. 

Vor  allem  fällt  uns  das  grosse  Vertikalnetz**)  auf  (Fig.  45 
S.  262).  An  ihm  können  wir  drei  Teile  unterscheiden,  erstens  das 
eigentliche  konische  Netz  f^l),  dann  den  ebenfalls  konischen  Auf- 
satz (B)  und  drittens  den  Blecheimer  (Fig.  48  S.  265). 


*)  Diese  Methode  hat  in  neuester  Zeit  von  E.  Häckel  eine  sehr  absprechende 
Beurteilung  erfahren  ;  da  jedoch  schon  von  anderer  Seite  die  Missverständnisse  und  Ent- 
stellungen der  Häckcischen  Schrift  richtiggestellt  sind,  so  gehe  ich  nicht  weiter  auf  dieselbe 
ein,  sondern  verweise  auf  die  Arbeiten  Brandts^)  und  Hensens. 

**)  Ich  habe  in  folgendem  die  Masse  des  Netzes  nach  denen  von  der  Plankton - 
Expedition  auf  dem  Atlantischen  Ozean  verwendeten  Apparaten  wiedergegeben.  Da,  wo 
auf  Süsswasserseen  kein  Dampfer  zur  Verfügung  steht,  müssten  die  Netze  verkleinert  werden, 
denn  vom  Boote  aus  ist  es  unmöglich,  mit  den  fast  2  m  hohen  Netzen  zu  fischen. 


262       über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser. 


B 


Das  eigentliche 
Netz  ist  folgender- 
massen  gebaut: 

An    einem    star- 
ken Eisenringe  (S), 
der  90  cm  Durch- 
messer hat,  ist  innen 
eine    5   cm    grosse 
Falte  von  Barchent 
befestigt  (r),  deren 
äusserer    Teil    eine 
grössere         Anzahl 
Knopflöcher    trägt. 
Von  hier  soll  nach 
dem   untern  Ringe 
(K)    das    weiterhin 
zu      beschreibende 
Netzzeug       ausge- 
spanntwerden.  Die- 
ser untere  Ring  (K) 
trägt     drei     gabel- 
artige   Vorsprünge, 
an   welchen    durch 
Überfallschrauben 
der  Blecheimer  be- 
festigt werden  kann. 
Auf  diesem  Ringe 
ist  ein  zweiter  Ring 
(Kl)  durch  mehrere 
mit  Ösen  versehene 
Schrauben  (m)  be- 
festigt. 

Das  Gazenetz  (i) 

träst  an  seinem   obem  Rande   einen  Leinwandstreifen  (l),    welcher 
mit  Knöpfen  versehen  ist,  die  in  die  oben  erwähnten  Knopflöcher 


Fig.   45- 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.       263 

der  Barcheutfalte  hineinpassen*),  unten  ist  das  Netz  an  einen 
Barchentring  angenäht,  welcher  an  dem  Messingringe  (K)  durch 
mehrere  Schrauben  (;/;  befestigt  werden  kann.  Damit  das  feine 
Gazenetz  nicht  allein  den  Druck  der  filtrierenden  Wassermasse 
auszuhalten  hat,  ist  an  seiner  Aussenseite  ein  einfaches  Fischer- 
netz (f)  ausgespannt,  das  oben  an  dem  Ringe  S  mit  Bindfaden 
angebunden  ist  und  unten  zwischen  die  beiden  Ringe  K  und  ÜTi 
geklemmt  wird.  Die  beiden  erwähnten  Netze  sind  aber  zu  schwach, 
den  an  den  Ringen  A'  und  K\  hängenden  Eimer  zu  tragen,  es 
sind  daher  zwischen  S  und  den  Schraubenösen  (m)  einige  starke 
Schnüre  (g)  ausgespannt. 

Bei  der  Wahl  des  Netzzeuges  handelt  es  sich  einerseits 
darum,  dass  die  Löcher  möglichst  fein  und  gleichmässig  sind,  damit 
auch  die  kleineren  Organismen  nicht  hindurchgehen  können,  ander- 
seits auch  darum,  dass  die  Fäden  des  Gewebes  nicht  quellen  und 
sich  nicht  verschieben  können.  Diese  Bedingungen  werden  allein 
durch  die  Müllergaze  erfüllt,  die  in  mehreren  Sorten  in  den  Handel 
kommt,  und  sich  durch  die  Grösse  der  Löcher  unterscheidet. 
Diese  Gaze  ist  aus  Seidenfäden  verfertigt  und  wird  in  Mühlen  zur 
Trennung  des  INIehles  nach  der  Korngrösse  benutzt.  Dieses 
Gewebe  (Müllergaze  Nr.  20)  ist  von  solcher  Feinheit,  dass  auf 
einen  Quadratcentimeter  Fläche  5926  Löcher  kommen**),  von 
denen  jedes  eine  Seitenlänge  von  0.053  nun  hat.  Mit  diesem  Netz- 
zeug werden  fast  alle  Organismen  gefangen,  nur  wenige  Diatomeen, 
die  mit  ihrer  Längsachse  auf  ein  Loch  treffen,  werden  hindurch- 
schlüpfen. Einen  grossen  Vorzug  besitzt  dieses  Gewebe  noch  durch 
seine  grosse  Glätte,  es  bleiben  einmal  wenig  Organismen  daran 
hängen,  dann  auch  fasert  es  nicht  aus,  so  dass  der  Fang  nicht 
durch  Fäden  verunreinigt  wird. 

Ein  aus  diesem  Seidengewebe  gefertigtes  Netz  soll  nun  zwischen 
den  beiden  Ringen  so  ausgespannt  werden,  dass  es  keine  Falten 
schlägt.     Es  ist  dazu  nötig,  ein  Muster  zu  entwerfen  ***),  nach  dem 


*)  Es  ist  daher  jederzeit  möglich,  das  Netz  herabzunchmen  und  auszuwaschen. 
**)  Planktonwerk  S.   4. 
***)  Die  Berechnung   weicht   von    der  von  Hensen  im  Planktonwerk  S.  6  angeführten 
ab,  da  statt  der  Sehnen  der  Winkel  an  der  Spitze  benutzt  ist. 


264      Über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser. 


Fig.  46 


das    Netzzeug    zugeschnitten   wird.      Bei    dem    vorliegenden    Netze 

beträgt  der  Radius  des  obern  Ringes  i?  =  45  cm,  der  des  untern 

r  ^  10  cntj  die  Mantelhöhe  des  abgestumpften  Kegels  i=  150  cm. 

Vervollständige  ich  den  abgestumpften  Kegel  (Fig.  46), 

so  kann  ich  mit  Hilfe  der  Mantelhöhe  des  abgeschnittenen 

Stückes    (x)    den  Winkel   an   der  Spitze  (a)    (Fig.  47) 

berechnen. 

Es  ist  X  :  X  -\-  i  =  r  :  I^.     Daraus  folgt 

ri 

X  =  — . 

N  —  r 

Nach  unserem  Beispiel  erhalten  wir  für  x^=^42.q  cm. 

Denken  wir    uns   jetzt    den  Kegelmantel    aufgerollt    (Fig.  47), 

AB=  U=  2Rji 

und  CD  :^=  it  =  2r7i. 

Es  muss  sich  verhalten  der  Umfang 

des  Kreises,   den  ich  mit  dem  Radius  x 

(=  2X7i)    schlagen    kann,    zu    u,    wie 

360°  :  a. 

Also  2X71  360 

2r7i  a 

Daraus  folgt 

X  _  360 

r  a 


so  ist 


Fig.  47- 


In  unserem  Beispiel  erhalten  wir  für  a  =  83.9°. 

Ebenso  wäre  die  Rechnung,  wenn  wir  für  u:  U  genommen 
hätten,  dann  hätten  wir  statt  x  aber  x  -\-  i  setzen  müssen.  Um 
nun  nach  vorstehenden  Zahlen  ein  Muster  zu  zeichnen,  verfahren 
wir  so,  dass  wir  uns  den  Winkel  a  =  83.9°  konstruieren  und 
von  dem  Scheitelpunkte  desselben  mit  den  Radien  x  =  42.9  cm 
und  {x -\- i)  =^  192.9  cm  Kreisbogen  schlagen,  dann  geben  die 
Strecken  dieser  Bogen  zwischen  den  Schenkeln  des  Winkels  den 
obern  und  untern  Umfang  des  Netzzeuges  an.  Nach  diesem 
Muster  wird  dann  das  Gazenetz  ausgeschnitten,  wobei  berücksichtigt 
werden  muss,  dass  bei  A  C  und  BD  das  Netz  aneinandergenäht 
wird,    zu  welchem  Zweck  eine  Einschlagskante  bleiben  muss.  •  Die 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.       205 


Nähte  müssen  natürlich  nach  aussen  kommen  und  ausserdem  darf 
nur  eine  ganz  feine  Nadel  verwendet  werden,  da  jeder  Nadelstich 
dem  feinen  Netzzeug  gegenüber  ein  grosses  Loch  darstellt. 

Der  Aufsatz  des  Netzes  besteht  aus  einem  i  cm  dicken 
Eisenringe  (a)  von  36  cm  Durchmesser,  der  mit  dem  obern  Netz- 
ringe (S)  durch  drei  starke  60  cm  lange  Eisenstangen  (d)  ver- 
bunden ist,  die  oben  in  Haken  {c)  zur  Befestigung  des  Taues 
auslaufen.  Zwischen  den  beiden  Ringen,  jedoch  unter  den  ver- 
bindenden Eisenstangen,  ist  ein  Barchentmantel*)  ausgespannt; 
Dieser  Aufsatz  ist  von  grosser  Wichtigkeit  für  die  Brauchbarkeit 
des  Netzes.  Wird  das  Netz  auf  den  Grund  des  Wasserbeckens 
hinabgelassen,  so  würden,  wenn  dieser  Netzteil  fehlen  sollte, 
Schlamm  und  Organismen  von  dem  Boden  in  das  Netz  geraten 
können.  Bei  dieser  Einrichtung  jedoch  stösst  höchstens  der 
Eisenring  (S)  auf  den  Schlamm  auf,  und  dieser  wird,  wenn  auch 
etwas  aufgewirbelt,  doch  nicht  die  obere  Netzöffnung  erreichen  und 
den  Fang  verunreinigen  können.  Ferner 
dient  dieser  Aufsatz  auch  als  Reservoir, 
wenn  bei  stürmischem  Wetter  derFano; 
aus  dem  Netz  hinaufgespült  wird. 
Dann  auch  wird  durch  die  Öffnung 
des  Aufsatzes  (=  1000  qcm)  ein  nur 
geringer  Wasserstrom  in  das  Netz 
hineingelangen  und  durch  die  gegen 
2  6mal  so  grosse  Netzwand  fast  voll- 
ständig filtriert  werden  können. 

Der  Eimer  (Fig.  48)  ist  ein 
cylindrisches  Blechgefäss  (Eisenblech), 
dessen  Boden  nach  der  ]Mitte  zu 
abfällt  und  hier  eine  durch  eine 
Schraube  verschliessbare  Öffnung  (u) 
trägt.  Der  obere  Rand  des  Gefässes  ist  erhaben  (n)  und  trägt  drei 
Überfallschrauben  (m),  die  in  die  oben  erwähnten  drei  gabelartigen 


n 


b 


Fig.  48. 


*)  Derselbe  wird  ebenfalls  nach  den  obigen  Formeln  konstruiert. 


26f)       Über  die  quantitative  Bestimmung  des  Planklon  im  Süsswasser. 

Fortsätze  des  untern  Netzringes  (Fig.  45  k)  hineinpassen.  In  der 
Mitte  ist  der  Blechcylinder  noch  von  einem  Reif  (q)  umgeben. 
Zwischen  diesen  beiden  Reifen  (q  und  ii)  ist  die  eine  Seite  der 
Eimerwand  herausgenommen  und  durch  Müllergaze  (o)  verschlossen. 
Der  ganze  Eimer  steht  auf  sechs  Füssen  (f),  die  durch  einen  Ring 
(r)  verbunden  sind. 

Neben  dem  Vertikalnetz   kommt  hauptsächlich  der  Filtrator 
(Fig.  49)  in  Betracht.    Dieser  stellt  einen  Metallcylinder  dar,  dessen 


Fig.  49. 


Wände  durch  Müllergaze  •  ersetzt-  sind  mit  Ausnahme  von  einigen 
Stützen  (s),  die  unten  durch  einen  sehr  flachen  Reif  (K)  verbunden 
sind.  Die  Müllergaze  wird  zwischen  dem  obern  und  untern  Ringe 
(R  und  K)  und  den  Stützen  (s)  folgendermassen  ausgespannt.  In 
dem  obern  Ringe  (R)  befindet  sich  ein  zweiter  Ring  (R'),  der  an 
den  erstem  angeschraubt  werden  kann;  zwischen  beide  wird  die 
Gaze  eingeklemmt,  ebenso  geschieht  dies  bei  dem  untern  Ringe  (K), 
auf  den  ein  zweiter  Ring  (K')  passt,  und  schliesslich  auch  bei  den 
Stützen  (s) ,  an  welche  von  innen  die  Gaze  durch  Metallplatten 
an2:edrückt   wird.      Indem    man    den    obern    und    untern  Rand  der 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.       2G7 

Gaze  zwischen  den  beiden  Ringen  einspannt,  die  seitlichen  Ränder 
aber  zwischen  einer  Stütze  und  ihrer  innern '  Platte ,  hat  man  den 
Vorteil,  dass  an  dem  Netzzeuge  des  Filtrators  kein  Nadelstich 
nötig  ist. 

Der  Filtrator  trägt  an  jeder  Seite  einen  dreikantigen  Vorsprung 
(v),  der  dazu  dient,  den  oben  beschriebenen  Apparat  mit  Hilfe 
eines  Bügels  (b)  und  einer  Cberfallschraube  (a)  auf  eine  Glasplatte 
(G)  fest  anzudrücken,  so  dass  unter  dem  Ringe  (K)  kein  Wasser 
entweichen  kann,  sondern  dasselbe  alles  durch  das  Netzzeug  filtrieren 
muss.  Da  die  beiden  unteren  Ringe  (K  und  K')  sehr  flach  sind, 
so  wird  nur  sehr  wenig  Wasser  im  Apparat  zurückbleiben,  welches 
man  auch  durch  vorsichtiges  Neigen  des  Filtrators  nach  einer  Seite 
zum  Ablaufen  bringen  kann. 

Femer  sind  wir  mit  einigen  weithalsigen  Stöpselgläsern  ver- 
sehen, die  mit  Konservierungsflüssigkeit  gefüllt  sind,  und  von  denen 
jedes  zur  Aufnahme  eines  Fanges  bestimmt  ist.  Am  bequemsten 
ist  die  Anwendung  der  Pikrinschwefelsäure,  die  folgende  Zusammen- 
setzung hat: 

300  Raumteile  Wasser, 

1 00  „  einer  konzentrierten  wässerigen  Lösung  von  Pikrmsäure, 

2  „  von  konzentrierter  Schwefelsäure. 

Der  Fang  kommt,  wie  weiter  unten  gezeigt  werden  soll,  in  diese 
Mischung  und  kann  in  derselben  bleiben,  wenn  die  Bearbeitung 
sogleich  vor  sich  gehen  soll.  JNIuss  der  Fang  jedoch  einige  Zeit 
stehen,  so  empfiehlt  es  sich,  nachdem  die  Organismen  zu  Boden 
gesunken  sind,  die  überschüssige  Säure  abzugiessen  und  durch 
Alkohol  von  6o0'o  zu  ersetzen,  der  mehrmals  gewechselt  werden 
sollte.  Jedoch  muss  das  mit  der  grössten  Vorsicht  geschehen,  da 
noch  zahlreiche  Diatomeen  in  der  Flüssigkeit  suspendiert  sind  und 
sich  sehr  langsam  absetzen.  Bleiben  die  Organismen  zu  lange  in 
der  Säure,  so  werden  die  Kalksalze  aus  einigen  ausgezogen  und 
noch  anderweitige  Veränderungen  bewirkt,  die  Tiere  werden  schliess- 
lich ganz  weich  und  sind  für  nachfolgende  Bearbeitung  wenig 
geeignet. 


268       über  die  quantitative  Bcstimmunf;  des  Plankton  im   .Süsswasser. 

Ebenso  wirksam  ist  eine  konzentrierte  Lösuno;  von  Sublimat; 
bei  dieser  tritt  nur  der  Übelstand  ein,  dass  man  sehr  lange  mit 
Wasser  *)  auswaschen  muss .  um  eine  nachfolgende  Ausscheidung 
nadeiförmiger  Sublimatkrystalle  zu  verhindern;  natürlich  muss  das 
Wasser  später  durch  Alkohol  ersetzt  werden. 

Wie  andere  Fixierungsmittel  sich  bewähren,  kann  ich  nicht 
angeben,  glaube  aber,  dass  Osmiumsäure  (event.  Chromosmium- 
essigsäure) sehr  gut  anwendbar  ist.  Der  Fang  wird  in  ein  Glas, 
in  dem  etwas  Wasser  sich  befindet,  gebracht  und  darauf  einige 
Tropfen  Osmiumsäure  zugesetzt.  Nach  einigen  Minuten  oder 
sobald  alle  Organismen  getötet  sind,  wird  das  Glas  mit  Wasser 
gefüllt,  dann  lässt  man  die  Organismen  sich  absetzen,  decantiert 
und  setzt  schliesslich   Alkohol  zu. 

Von  kleineren  Apparaten  sind  noch  vorhanden  ein  Spatel, 
eine  Spritzflasche,  eine  Giesskanne  und  einige  Papierzettelchen,  die 
mit  Bemerkungen  versehen  und  in  die  Fanggläser  gelegt  werden 
können. 

Unterdessen  sind  wir  an  dem  Punkte  angelangt,  an  dem 
wir  die  Untersuchung  auszuführen  gedenken.  Das  Schiff"  hält 
still  und  das  Fischen  kann  beginnen.  Das  Tau,  an  dem  das 
Vertikalnetz  befestigt  ist,  wird  über  eine  Rolle,  die  an  einem  galgen- 
artigen, eisernen  Gestelle  angebracht  ist,  gelegt.  Der  freie  Schenkel 
dieses  sogenannten  „David"  ragt  über  die  Schiffswand  hinaus  und 
erleichtert,  da  die  ganze  Vorrichtung  um  ihre  Achse  drehbar  ist, 
das  Einholen  des  Netzes.  Das  Netz,  an  dem  der  Eimer  ange- 
schroben  ist,  wird  in  das  Wasser  hinabgelassen,  zuerst  langsam, 
damit  das  Netzzeug  angefeuchtet  wird,  dann  etwas  schneller.  Die 
Hand,  die  das  Tau  leitet,  kann  leicht  den  Zug  des  sinkenden 
Netzes  spüren  und  daher  auch  den  Moment  wahrnehmen,  in 
welchem  der  Netzring  auf  dem  Boden  aufstösst.  Um  letzteres 
jedoch  zu  verhindern,  ist  es  ratsam,  vorher  zu  loten,  dann  kennt 
man   die  Wassertiefe    und    auch    die  Bodenbeschaffenheit,    da    sich 


*)    Statt    dessen    kann  man  Jodalkohol  benutzen,    den    man    so  lange  wechseln  muss, 
bis  die  Färbung  des  Jods  nicht  mehr  verloren  geht. 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.       269 

Gruiidproben  an  dem  unten  mit  Talg  versehenen  Lote  eindrücken. 
Das  Tau  des  Vertikalnetzes  trägt  in  Entfernungen  von  je  i  m 
bunte  Läppchen  und  alle  lo  m  anders  gefärbte.  Man  kann  also 
das  Tau  langsam  ablaufen  lassen,  da  man  die  gelotete  Tiefe  ab- 
lesen kann  und  kein  Aufstossen  zu  befürchten  braucht.  Sobald  das 
Netz  in  der  Tiefe  angelangt  ist,  wird  es  mit  mittlerer  Geschwindigkeit 
von  1/2 — 3/4  m  pro  Sekunde  senkrecht  aufgezogen.  Die  Geschwindigkeit 
hängt  von  der  Filtrationsgrösse  *)  des  Netzzeuges  ab.  War  z.  B. 
das  Netz  20  ni  hinabgelassen,  so  können  wir,  da  die  Netzöffnung 
0.1  q)ii  beträgt,  die  Wassermenge,  die  durch  das  Netz  gegangen 
sein  sollte,  berechnen,  sie  ist  20x0.1  qm  =  2  cbm  gross.  In  Wahr- 
heit ist  jedoch  etwas  weniger  Wasser  filtriert  worden,  nämlich  nur 
i.s  cbni,  wie  Versuche  von  Hensen  ergeben  haben.  2  cbm  würden 
durch  den  Netzring  gehen,  wenn  kein  Netz  daran  hinge,  so  wird 
aber  durch  den  Widerstand  des  Netzzeuges  jener  Bruchteil  (10  0/0) 
über  den  Netzring  abfliessen.  Sobald  das  Netz  über  dem  Wasser- 
spiegel angelangt  ist,  wird  dasselbe  von  aussen  mit  Wasser  beworfen. 
Dadurch  wird  das  dem  Netze  anhaftende  Material  in  den  Eimer 
hinabgespült,  durch  dessen  filtrierende  Fläche  das  überschüssige 
Wasser  abläuft.  Nun  befinden  sich  alle  Organismen  im  Eimer 
und  zwar  in  einer  verhältnismässig  kleinen  Wassermenge,  die  nun 
weiter  zur  Verarbeitung  kommt. 


a 


Der  Eimer  wird  vom  Netze  gelöst,  die  Schraube,  die  sich  in 
der  Röhre  am  Boden  des  Eimers  befindet,  herausgedreht,  so  dass 
der  Inhalt  in  eine  darunter  gestellte  Flasche  gelangt.  Aus  der 
Flasche  kann  man  dann  nach  und  nach  die  jMasse  in  den  Filtrator 
giessen.  Diese  Methode  ist  sicherer,  als  wenn  man  den  Fang  direkt 
aus  dem  Eimer  in  den  Filtrator  bringt,  da  bei  schwankendem 
Schiffe  leicht  etwas  vorbeilaufen  kann. 

Das  Wasser  sickert  nun  allmählich  durch  die  Gazewände  des 
Filtrators  durch,  und  zwar  verschieden  schnell,  je  nach  der  Beschaffen- 
heit des  Fanges.  Sind  viel  Diatomeen  oder  Nostocaceen  (Limnochlide) 


*)  Planktonwerk  S.  10. 


270        Über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im   Süsswasser. 

vorhanden,  so  hat  der  Fang  ein  schleimiges  Aussehen  und  filtriert 
sehr  langsam.  Sind  dagegen  Copepoden  oder  Peridineen  am  zahl- 
reichsten, so  läuft  das  Wasser  sehr  schnell  ab,  da  sich  die  Poren 
des  Netzzeuges  nicht  verstopfen.  Nachdem  auf  diese  Weise  die 
Organismen  ziemlich  vollständig  vom  Wasser  befreit  sind,  wird  die 
Glasplatte,  denn  auf  dieser  hat  sich  jetzt  der  Fang  niedergesetzt, 
unter  dem  Filtrator  hervorgenommen  und  mit  Spatel  und  Spritz- 
flasche werden  die  Tiere  und  Algen  in  die  Konservierungsflüssigkeit 
gebracht,  in  der  sie  bis  zur  Verarbeitung  bleiben  oder,  wie  oben 
auseinandergesetzt  ist,  in  Alkohol  übertragen  werden.  In  jedes 
Glas  wird  ein  Zettelchen  gelegt,  auf  dem  der  Fundort,  das  Datum, 
die  Tiefe  des  Planktonzuges,  die  Konservierung,  die  Temperatur 
des  Wassers  und  allenfalls  noch  die  Windrichtung  angegeben  sind. 
Die  nun  folgenden  Arbeiten,  die  die  quantitative  Be- 
stimmung des  Fanges  bezwecken,  werden  ausgeführt,  nachdem 
wir  zu  Hause  angelangt  sind.  Zuerst  wird  das  Volumen  des 
Fanges  festgestellt.  Zu  dem  Zwecke  wird  der  Inhalt  eines  einen 
Fang  enthaltenden  Glases  in  einen  Messcylinder  entleert.  Nach 
und  nach  sinken  die  Organismen  zu  Boden,  die  grösseren 
schneller,  die  kleinen  langsamer.  Unter  letzteren  sind  namentlich 
die  Diatomeen  zu  erwähnen,  diese  setzen  sich,  wenn  sie  in  grösseren 
Mengen  vorkommen,  so  langsam  ab,  dass  nach  tagelangem  Stehen 
noch  immer  eine  Volumenverringerung  zu  beobachten  ist.  Befinden 
sich  grosse  Tiere  im  Fange,  so  muss  bei  diesen  das  Volumen 
besonders  bestimmt  werden  und  dieses  geschieht  am  besten  und 
genauesten  durch  „Verdrängung",  d.  h.  das  Tier  wird  in  einen 
Messcylinder  hineingebracht,  in  dem  sich  eine  bekannte  Menge 
Flüssigkeit  (Wasser  —  oder  Alkohol,  wenn  der  Fang  in  Alkohol  war  ■ — ) 
befindet,  dann  kann  man  durch  das  Steigen  der  Wasseroberfläche 
das  Volumen  des  Körpers  bestimmen.  Meist  hat  sich  die  Masse 
in  24  Stunden  so  weit  abgesetzt,  dass  das  Volumen  derselben  ab- 
gelesen werden  kann.  Da  die  Volumenbestimmung  zum  Vergleiche 
der  einzelnen  Fänge  unter  sich  dienen  soll,  so  ist  es  zweckmässig, 
allen  Fängen  die  gleiche  Zeit  zum  Absetzen  zu  lassen  und  zwar 
genügen  dazu  24  Stunden. 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.      271 

Nachdem  so  das  Volumen  des  Fanges  festgestellt  ist,  wird  zur 
Zählung  der  Organismen  geschritten.  Es  ist  selbstverständlich,  dass 
nicht  alle  Individuen  des  Fanges  gezählt  werden  können,  das  beweisen 
schon  folgende  Zahlen,  die  ich  Zählungen  Hensens*)  entnehme: 
Hensen  fand  im  Oktober  1884  in  i  cbni  Ostseewasser  (Kieler 
Bucht)  13  INIillionen  Ceratinm  tripos,  und  im  März  1885  ebenda 
102  Millionen  Rhizosolenia  semispiua,  und  wenn  wir  gar  lesen,  dass 
im  September  sich  im  Stettiner  HafiF  in  1/2  cbm  Wasser  9983  INIill. 
Fäden  von  Limnochlide **)  fanden,  dann  ist  es  klar,  dass  diese 
Zahlen  auf  anderem  Wege  gewonnen  sind,  als  durch  Zählung  jedes 
einzelnen  Individuums.  Die  sinnreich  von  Hensen  erdachte  und 
angewendete  JNIethode  ist  folgende: 

Von  dem  Fange  wird  die  überschüssige  Pikrinschwefelsäure 
abgegossen  und  dann  Wasser  so  viel  zugesetzt,  bis  sich  die  INIasse 
gut  durcheinanderschütteln  lässt.  Befindet  sich  der  Fang  in  Alkohol, 
so  muss  der  Alkohol  durch  Wasser  erst  ausgewaschen  werden,  was 
mehrere  Tage  in  Anspruch  nimmt.  Nehmen  wir  an,  dass  nach 
der  Verdünnung  das  Volumen  500  ccm  betrage,  so  ist  es  klar, 
dass  sich  in  i  cctn  die  verschiedenen  Organismen  nicht  in  der 
gleichen  Zahl  finden.  Während  wir  vielleicht  eine  Leptodora  finden, 
befinden  sich  in  demselben  Volumen  gegen  20  Millionen  Limnochlide. 
Um  letztere  zählen  zu  können  nehmen  wir  von  dieser  ersten  Ver- 
dünnung I  ccm  ab  und  verdünnen  ihn  auf  1000  ccm,  dann  haben 
wir  in  dieser  zweiten  Verdünnung  in  jedem  Kubikcentimcter  nur 
'""°"p"°  =  20000  Fäden  der  Alge.  Von  dieser  Verdünnung  können 
wir  1/10  ccm,  der  2000  Fäden  enthalten  würde,  bequem  zählen. 
In  dieser  Wassermasse  würden  wir  aber  keinen  einzigen  der  selteneren 
Organismen  finden,  daher  dürfen  wir,  wenn  wir  diese  zählen  wollen, 
die  Verdünnung  nicht  so  weit  treiben,  sondern  vielleicht  i  ccm 
der  ersten  Verdünnung  nur  auf  100  oder   10  ccm   verdünnen,    für 


*)  Hensen,  Planktonwerk. 
**)  Die    letzte   Zahl   entnehme   ich  einem   Zählungsprotokolle    von    Herrn    Geheimrat 
Hensen,    das  er  mir  freundlich  für  diese  Arbeit  überliess    und   das   am  Ende   des  Kapitels 
sich  abgedruckt  findet.    Die  folgenden  Zahlen  sowie  Betrachtungen  beziehen  sich  auf  dieses 
Protokoll.     Siehe  auch  Hensen  11). 


272       über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser. 

die    ganz    seltenen    werden    wir    aber    die    erste  Verdünnung  selbst 
zur  Zählung  benutzen. 

Da,  wie  wir  gesehen  haben,  sich  in  i  ccm  Flüssigkeit  noch 
Millionen  von  Organismen  vorfinden  können,  so  muss  das  Ent- 
nehmen einer  bestimmten  Menge  von  Flüssigkeit  durch  ganz 
besondere  Vorkehrungen  geschehen:  denn  das  Abmessen  in  einem 
Messcylinder  kann  für  diesen  Zweck  nur  ganz  rohe  Werte  geben. 
Es  sind  daher  vonHensen  besondere  Stempelpipetten*)  (Fig.  50) 
konstruiert  worden,  die  ganz  VorzügHches  leisten.  Solch  ein  Instru- 
ment besteht  aus  einem  kräftigen  Glasrohr  (B),  das  unten  ganz 
eben  abgeschliffen  ist.  In  diesem  Rohr  bewegt  sich  ein  Stempel, 
der  abwechselnd  aus  Kork-  (h)  und  Metallplatten  (i)  zusammengesetzt 
ist,  die  durch  zwei  Schrauben  fest  an  einander  gedrückt  werden. 
An  diesen  Stempel  ist  ein  massiver  Metallcylinder  (m)  angeschraubt, 
der  genau  in  die  Glasröhre  hineinpasst.  Von  diesem  Cylinder  wird 
nun  so  viel  Metall  ausgeschliffen ,  dass  zwischen  ihm  und  dem 
Glasrohr  (B)  genau  ein  bestimmtes  Volumen  bleibt,  z.  B.  i  ccm. 
Dies  wird  so  bewerkstelligt,  dass  zuerst  ein  Teil  aus  dem  Metall- 
cylinder herausgenommen  wird.  Dann  wird  die  Pipette  gewogen, 
hierauf  wird  die  Höhlung  mit  Quecksilber  gefüllt  und  wieder  gewogen. 
Da  man  nun  das  Gewicht  eines  Kubikcentimeters  Quecksilber 
kennt,  so  kann  man  genau  den  Punkt  treffen,  wo  die  Höhlung 
im  Stempel  i  ccm  fasst.  Es  sind  von  diesen  Stempelpipetten  sechs 
verschiedene  Grössen  zimi  Gebrauche  nötig,  nämlich  zu  0.1;  0.2; 
0.5;  i;  2.5;  5  ccm.  Diese  Pipetten  werden  so  angewendet,  dass 
sie  mit  vorgestossenem  Stempel  in  ein  durch  einen  durchbohrten 
Kork  verschlossenes  Glas  mit  starken  Wandungen  (A),  in  dem 
die  Flüssigkeit  sich  befindet,  von  der  ein  Teil  entnommen  werden 
soll,  hineingestellt  werden  (siehe  Fig.  50).  Die  Masse  wird  durch 
kräftiges  Schütteln  aufgerührt,  und  sobald  sich  die  Organismen 
möglichst  gleichmässig  verteilt  haben,  wird  das  Glasrohr  B  nieder- 
gestossen;  dann  ist  zwischen  dem  Glasrohr  und  dem  Stempel  in 
ein  genau  bekanntes  Volumen  Flüssigkeit  eingeschlossen.     Ehe  man 


*)  Hensen,  Planktonwerk  S.   i6. 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.       273 


jedoch  diese  Flüssigkeitsmenge  entleert,    ist  es  nötig,    den    unteren 
Rand  des  Glasrohres  mit  Fett  zu  bestreichen,    da   sonst  leicht  ein 
Tropfen     daran    hängen     bleiben    kann.        Nach    Entleerung     des 
Volumens    wird    dann    noch  mit 
einigen    Tropfen    Wasser    nach- 
gespült, so  dass  man  sicher  sein 
kann,     dass    keine    Organismen 
zurückgeblieben     sind.        Dieses 
abgemessene  Volumen  wird  dann 

resp. 


zur    Verdünnung    benutzt 
gezählt. 


eme    ge- 


Haben  wir  uns 
nügende  Verdünnung  hergestellt, 
dann  kann  die  Zählung  be- 
ginnen. Hierzu  wird  das  Zähl- 
mikroskop*)  benutzt.  Dieses 
Mikroskop  zeichnet  sich  durch 
seinen  Objekttisch  aus.  Dieser 
ist  so  gross,  dass  er  Glasplatten 
von  1 1 1/2  X  10  cm  fassen  kann, 
und  was  die  Hauptsache  ist,  er 
ist  durch  zwei  Schrauben  sowohl 
von  vorn  nach  hinten,  als  seit- 
wärts verschiebbar.  Auf  den 
rahmenförmigen  Objekttisch  wer- 
den Glasplatten  aufgelegt,  die 
fein  mit  dem  Diamanten  liniiert 
sind  und  zwar  hat  jede  Platte 
ein  bestimmtes  Liniensystem. 
Wählt  man  die  passende  Ver- 
grösserung,     so    kann    man    im 

Gesichtsfelde    zwei    parallele  Linien   laufen  sehen,    und    wenn    man 
an  einer  seitlichen  Schraube  dreht,    so    bewegt    sich  die  Glasplatte 


Fig.  50. 
(Nat.  Grösse  für  1/0  ccm.) 


*)   Hensen,  Planktonwcrk  S.   17  und  Taf.  I  Fig.   2. 
Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II. 


18 


I 

274        Über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im   Süsswasser. 

langsam  weiter,  wobei  man  immer  den  Raum  zwischen  den- 
selben Linien  im  Auge  behalten  kann.  Ist  man  am  Ende  eines 
Zwischenraumes  angelangt,  so  wird  mit  Hilfe  der  anderen  Schraube 
der  Objekttisch  senkrecht  zu  der  vorherigen  Richtung  um  einen 
Zwischenraum  weiter  gedreht  und  dann  in  diesem  die  Beobachtung 
weiter  fortgesetzt.  So  kann  man  allmählich  die  ganze  Platte  mit 
dem  Mikroskop  untersuchen  und  ist  sicher,  dass  kein  Punkt  über- 
sehen ist. 

Bringen  wir  nun  auf  eine  liniierte  Glasplatte  ein  bestimmtes 
Mass  einer  Verdünnung,  so  können  wir  die  Zahl  der  einzelnen 
Organismen,  die  sich  in  diesem  Volumen  befinden,  bestimmen. 
Die  Verdünnung  wählt  man  am  besten  so,  dass  man  von  der 
häufigsten  Spezies  nie  mehr  als  3000  und  nie  weniger  als  1000 
auf  der  Platte  hat.  Würde  es  sich  nur  um  eine  Spezies  handeln, 
so  wäre  die  Zählung  leicht  auszuführen.  Man  brauchte  nur  die 
Platte  allmählich  zu  durchsuchen  und  jedes  Individuum,  das  in  das 
Gesichtsfeld  kommt,  zu  zählen,  dann  wüsste  man,  wie  viel  Organismen 
auf  der  Platte  sind  und  könnte,  da  man  die  Verdünnung  kennt, 
die  Summe  der  Organismen  im  ganzen  Fange  berechnen.  Hätten 
wir  z.  B.  eine  Verdünnung  von  1:10  angewendet  und  i  ccm  Ver- 
dünnung durchgezählt  und  fänden  146  Coscinodiscen,  dann  wären 
im  ganzefi  Fange  (von  500  ccm)  146X10x500  =  730000 
Coscinodiscen  vorhanden. 

Handelt  es  sich  jedoch  um  mehrere  Spezies,  so  kann  man  diese 
nicht  im  Kopfe  getrennt  zählen.  Doch  auch  hier  hat  Hensen  Rat 
geschafft.  Da  in  einem  Fange  30 — 50  verschiedene  Spezies  von 
Tieren  und  Pflanzen  vorhanden  sind,  so  werden  an  einem  Setzer- 
kasten, der  ebenso  viel  Fächer  enthält,  die  Namen  der  vorhandenen 
Organismen  angebracht,  für  jede  Spezies  ein  Fach.  Untersucht  man 
jetzt  eine  Platte,  so  werden  die  mannigfaltigen  Organismen  nicht 
mehr  gezählt,  sondern  sobald  irgend  einer  im  Gesichtsfelde  sich 
blicken  lässt,  wird  für  ihn  ein  Pfennig  (Spielmarke  etc.)  in  sein 
betreffendes  Fach  gelegt.  So  kann  man  leicht  eine  Platte,  auf  der 
sich  50  verschiedene  Arten  durcheinandergemengt  befinden,  zählen. 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.       275 

Auf  den  ersten  Platten  werden  die  Diatomeen,  die  meist  am  zahl- 
reichsten in  einem  Fange  vorhanden  sind,  gezählt,  andere  Orga- 
nismen natürlich  auch  berücksichtigt.  Zuerst  wird  ein  stark  ver- 
dünnter Teil  des  Fanges  genommen,  da  trotzdem  genug  Individuen 
auf  die  Platte  kommen.  Die  Vergrösserung  muss  anfangs  sehr  stark 
sein,  etwa  200,  zum  Zählen  der  Diatomeen  und  anderer  Algen. 
Auf  die  Platte  kommt  nur  0.1  ccni  Flüssigkeit,  die  mit  der  be- 
treffenden Stempelpipette  abgemessen  wird.  Für  die  starke  Ver- 
STösseruns  bildet  diese  creringe  Wasserschicht  aber  immerhin  noch 
ein  Hindernis  alle  Organismen  zu  sehen;  hat  man  das  Mikroskop 
auf  die  Oberfläche  der  Platte  eingestellt,  so  entgehen  einem  die 
Organismen,  die  an  der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  sich  befinden.  Daher 
ist  es  vorteilhaft,  die  Diatomeen  trocken  zu  zählen.  Es  wird  zu 
diesem  Zwecke  ein  bestimmtes  Volumen  Flüssigkeit  auf  eine  Platte 
gebracht  und  diese  dann  der  Wärme  eines  heizbaren  Objekttisches 
oder  eines  Ofens  ausgesetzt,  damit  die  Flüssigkeit  verdunstet;  dann 
sind  die  Diatomeen  auf  der  Platte  in  einer  Ebene  ausgebreitet  und 
können  nicht  so  leicht  übersehen  werden.  Da  die  Mischimgen 
und  Verdünnungen  nie  ganz  genau  sein  können,  so  wird  natürlich 
die  Zählung  jeder  neuen  Platte  etwas  abweichende  Resultate  ergeben, 
es  fragt  sich  daher,  wie  lange  eine  Spezies  gezählt  werden  muss; 
wann  solch  ein  Grad  von  Genauigkeit  erreicht  ist,  um  von  den 
wenigen  Zählungen  auf  die  quantitative  Zusammensetzung  des 
ganzen  Fanges  schliessen  zu  können.  Im  allgemeinen  lässt  sich 
sagen,  dass  es  bei  den  häufigsten  Formen  genügt,  wenn  man  einen 
Bruchteil  (z.  B.  1/10)  der  Quadratwoirzel  sämtlicher  Individuen  zählt. 
Haben  wir  (siehe  Protokoll)  auf  der  ersten  Platte  für  Melosira 
27  Fäden  gefunden  und  wissen  wir.  dass  die  durchzählte  Wasser- 
masse der  5  000  000.  Teil  von  dem  ganzen  Fange  ist,  so  würden 
wir  nach  diesei  ersten  Zählung  schliessen,  dass  135  000  000  Melosira 
im  Fange  sein  werden,  daraus  nehmen  wir  1/10  der  Quadratwurzel 
=  1162.  Haben  wir  also  mindestens  1162  Melosira  gezählt,  so 
können  wir  diese  aus  den  Zählungen  ausscheiden,  d.  h.  wir  brauchen 
sie  nicht  mehr  mitzuzählen. 

18« 


276       über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser. 

Um  die  Genauigkeit  zu  finden,  bis  zu  welcher  die  Zählung 
erfolgen  muss,  führt  Hensen*)  noch  folgende  Erwägung  an. 
Nachdem  einige  Zählungen  gemacht  sind,  zieht  man  aus  diesen 
das  Mittel.  Denken  wir  nun ,  dass  noch  eine  Zählung  hinzu- 
gekommen wäre  und  diese  mit  der  am  meisten  abweichenden 
übereinstimmen  würde,  und  nähmen  wir  dann  aus  diesen  das  Mittel, 
so  genügen  die  Zählungen,  wenn  das  Resultat  sich  nicht  mehr  als 
um  5  o/o  ändert.  Im  Protokoll  finden  wir  für  Melosira  die  Zahlen 
382,  396,  396,  Summe  1174,  Mittel  daraus  391.  Käme  noch 
eine  Zählung  hinzu  und  zwar  382,  so  wäre  die  Summe  1556, 
Mittel  daraus  389. 

Es  verhält  sich  391  :  100  =  389 :  x^ 

X  =  99.4. 

Das  Resultat  weicht  also  nur  um  o.e  ^/o  ab ,  die  Zählung  ist 
genau  genug,  kann  also  unterbrochen  werden;  jedoch  ist  es  stets 
besser,  mehr  Platten  zu  zählen,  als  zu  wenig. 

Haben  wir  eine  genügende  Genauigkeit  erreicht,  so  können 
wir  die  Diatomeen  beim  Zählen  überspringen  und  schwächere  Ver- 
dünnung und  schwächere  Vergrösserung  zur  Zählung  benutzen. 
Für  seltenere  Formen  wird  schliesslich  die  erste  Verdünnung  benutzt 
und  von  dieser  i  ccin ,  zuletzt  2.5  durchzählt,  was  meist  sehr 
schnell  geht,  da  man  nur  mit  sehr  schwachen  Vergrösserungen  zu 
arbeiten  braucht  und  nur  wenige  Tiere  zu  zählen  hat. 

Die  einzelnen  Zählungen  werden  notiert  und  zwar  in  Form 
eines  Protokolle s.  Ein  solches  Protokoll  ist  im  Anhange  bei- 
gegeben und  aus  diesem  die  Einrichtung  zu  ersehen.  Folgendes 
möge  noch  zur  Erläuterung  desselben  erwähnt  sein.  In  der  linken 
obern  Ecke  findet  sich  Datum  und  Ort  des  Fanges,  hier  also: 
13.  September  1887,  Stettiner  HafF.  Über  sämtliche  Fänge  wird 
ein  Journal  geführt,  es  bedeutet  J.  No.  i  =  Journal  No.  i.  Da- 
selbst finden  sich  die  näheren  Daten,  die  bei  Erlangung  des  Fanges 
als  wichtig  notiert  wurden,  wie  die  Tiefe  des  Fanges  (hier  5  m), 
die     Temperatur     des    Wassers     und     der     Luft,     Windrichtung, 


*)  Plankton  werk  S.  21. 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.       277 

Beschaffenheit  des  Fanges,  ob  locker,  flockig,  schnell  absetzend; 
letztere  Aufzeichnungen  sind  wichtig,  da  sie,  wie  wir  oben  gesehen 
haben,  schon  einen  Einblick  in  die  Zusammensetzung  des  Fanges 
erlauben. 

In  dem  Protokolle  sehen  wir  einige  Vertikalreihen,  darauf 
Horizontalreihen.  Betrachten  wir  zuerst  die  Vertikalreihen.  In  der 
ersten  Kolumne  mit  der  Überschrift  „Art  der  Untersuchung"  steht 
überall  feucht,  d.  h.  alle  Platten,  die  durchzählt  worden  sind,  ent- 
hielten die  Organismen  in  Wasser  suspendiert.  Den  Gegensatz 
bilden  die  trockenen  Platten,  die,  wie  oben  erwähnt  wurde,  meist 
zum  Zählen  der  Diatomeen  verwendet  werden.  In  unserem  Fange 
waren  Diatomeen  in  verhältnismässig  geringer  Anzahl  vorhanden, 
Mclosira,  Coscinodisciis  und  Baal laria  zusammen  etwa  loo  Millionen, 
diesen  standen  von  anderen  x\lgen  allein  Limnochlide  mit  9653 
Millionen  creo-enüber.  Letztere  würden  beim  Trocknen  bis  zur 
Unkenntlichkeit  geschrumpft  sein  und  daher  die  Zählung  vereitelt 
haben,  während  die  kieselschaligen  Diatomeen  nicht  nur  ihre  Form 
behalten,  sondern  auch  leichter  in  trockenem  Zustande  zu  be- 
stimmen sind. 

In  der  zweiten  Vertikalreihe  sind  die  Vergrösserungen  an- 
2:eo;eben,  bei  denen  die  einzelnen  Platten  gezählt  worden  sind.  Das 
stärkste  der  angewendeten  Objektive  (Vergrösserung  200)  hatte 
einen  solchen  geringen  Abstand  von  der  Glasplatte  oder  von  der 
Flüssigkeitsmenge  (0.1  ccm),  die  sich  auf  der  Platte  befand,  dass 
es  nur  der  gleichmässigen  und  leichten  Verschiebung  des  Objekt- 
tisches zuzuschreiben  ist,  dass  das  Objektiv  nicht  in  das  Wasser 
eintauchte.  Dadurch  ist  einerseits  einer  weiteren  Erhöhung  der 
Vergrösserung  ein  Ziel  gesetzt,  anderseits  würde  die  Zählung  einer 
Platte  mit  noch  stärkeren  Objektiven  viel  längere  Zeit  in  Anspruch 
nehmen  und  die  Augen  übermässig  anstrengen.  Beiläufig  will  ich 
noch  erwähnen,  dass  die  Zählung  solch  einer  Platte  etwa  drei  Stunden 
dauert*).  Nach  und  nach  nahm  die  Vergrösserung,  bei  der  gezählt 
wurde,    ab  bis  auf  22;    mit   letzterer  wurden  nur  noch  Leptodora, 


*)    Die    genaue   und   bis    in    die   Einzelheiten    gehende  Zählung   eines  Fanges   nimmt 
etwa  vierzehn  Tage  in  Anspruch  bei  vierstündiger  Arbeitszeit. 


278  Über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im   Süsswasser. 

Milben  und  ein  nicht  bestimmtes  Rädertier  gezählt.  Die  anderen 
Organismen  waren  entweder  schon  zu  zahlreich  auf  der  Platte  und 
lagen  infolgedessen  zu  dicht  an  einander,  oder  es  war  schon  die 
genügende  Zahl  gezählt,  oder  endlich  reichte  die  Vergrösserung 
nicht  mehr  aus,  die  kleineren  Organismen  genau  und  schnell  zu 
erkennen.  Aus  letzterem  geht  hervor,  dass  man  nie  ein  schwächeres 
Linsensystem  anwenden  darf,  ehe  nicht  alle  Organismen  genügend 
gezählt  sind,  die  mit  diesem  S}'Stem  nicht  mehr  genau  erkannt 
werden  können. 

In  der  dritten  Reihe  ist  die  Grösse  der  Verdünnung  ange- 
geben. Aus  dem  oben  Gesagten  erklären  sich  die  Angaben  leicht. 
I  :  looo  heisst  also,  dass  i  can  der  ersten  Verdünnung  mit  99g  ccm 
Wasser  verdünnt  wurde,  so  dass  das  Gesamtvolumen  1000  ccm 
=  I  Liter  war.  Man  richtet  sich  am  besten  solche  Messfiaschen 
ein,  die  1000,  500,  200,  100,  80  ccm  halten,  und  benutzt  dazu 
verschieden  grosse  Kochfiaschen,  die  eine  abgemessene  Flüssigkeits- 
menge so  aufnehmen  können,  dass  diese  gerade  noch  in  den  Hals 
der  Flasche  hineinragt,  dort  bringt  man  mit  dem  Diamant  eine  Marke 
an.  Dann  hat  man  für  jede  Verdünnung  sogleich  eine  Flasche 
bereit.  Zu  den  letzten  Zählungen  ist  die  erste  Verdünnung  ge- 
'nommen  worden,  es  wurden  aber  auch  nur  die  grössten  Tiere 
gezählt,  so  auf  einer  Platte,  die  2.5  ccm  Flüssigkeit  enthielt,  nur 
Hyalodaphnia  Kahlber gensis ,  Daphnia  longispiiia,  Sida  crystallina, 
Lcptodora  hyalina,  Milben  und  das  oben  erwähnte  Rädertier.  Es 
waren  im  ganzen  (in  No.  27)  94  Individuen,  so  dass,  trotz  der 
grossen  Flüssigkeitsmenge,  die  Zählung  nur  ungefähr  eine  halbe 
Stunde  in  Anspruch  nahm. 

Die  nächste  Spalte  enthält  die  „Nummern"  der  gezählten 
Platten.  Meist  genügen  22 — 24  Platten;  in  unserem  Fange  waren 
aber  die  grossen  Formen  selten,  so  dass,  um  einen  einigermassen 
sicheren  Einblick  in  die  Massenhaftigkeit  ihres  Vorkommens  zu 
erhalten,  mehrere  Platten  allein  für  sie  verarbeitet  werden  mussten 
(Platte  26 — 31).  Die  fortlaufenden  Nummern  der  Platten  sehen 
wir  wieder  als  Kopfzahlen  bei  den  Horizontalreihen,  zu  denen  wir 
weiter  unten  übergehen  werden. 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.         279 

Wir  überspringen  einige  Spalten  und  sehen  uns  die  letzte  mit 
der  Überschrift  „Gebrauchtes  Mass"  an.  Die  Zahlen  dieser 
Rubrik  besagen,  eine  wie  grosse  Wassermenge  jedesmal  zur.  Unter- 
suchung benutzt  worden  ist.  Aus  der  ersten  Zeile  ersehen  wir, 
dass  o.i  ccm  gezählt  wurde  und  zwar  —  wie  aus  den  daneben 
stehenden  Reihen  hervorgeht  —  von  der  Verdünnung  i  :  looo  bei 
einer  Vergrösserung  von  200  auf  feuchter  Platte.  Die  Flüssigkeits- 
mengen werden  mit  den  oben  beschriebenen  Stempelpipetten  ab- 
gemessen und  auf  die  Platte  übertragen.  Es  sind,  wie  das  Protokoll 
ausweist,  alle  dort  erwähnten  Grössen  in  Anwendung  gekommen, 
mit  Ausnahme  von  5  coii,  die  nur  zum  Abmessen  der  Volumina 
zwecks  der  Verdünnung  gedient  hat  (siehe  Platte  21 — 25,  auch 
10 — 20). 

Kehren  wir  nun  zu  der  alten  Reihenfolge  zurück,  so 
treffen  wir  die  Spähe,  die  die  Wahren  Masse  enthält.  Diese 
unterscheiden  sich  insofern  von  dem  „Gebrauchten  Mass",  als  sie 
nicht  angeben,  wie  viel  Flüssigkeit  auf  jeder  einzelnen  Platte  durch- 
zählt wurde,  sondern  der  wievielste  Teil  diese  Flüssigkeitsmenge 
von  der  ganzen  betreffenden  Verdünnung  ist.  Wie  wir  diese  Zahlen 
erhalten,  ergiebt  sich  am  leichtesten  an  der  Hand  unseres  Protokolls: 
Bei  Platte  i  haben  wir  i  ccm  der  ersten  Verdünnung  auf  1000  ccm 
(zweite  Verdünnung)  gebracht;  würde  ich  hiervon  i  coii  abnehmen, 
so  wäre  dieser  der  0.001  •  Teil  der  ganzen  zweiten  Verdünnung  oder 
des  einen  Kubikcentimeter  der  ersten  Verdünnung,  den  ich  für  die 
zweite  benutzt  habe.  Zur  Zählung  ist  aber  nur  0.1  ccm  verwendet, 
dieser  ist  dann  nur  der  0.0001.  Teil  der  ganzen  zweiten  Verdünnung, 
enthält  also  auch  nur  den  0.0001.  Teil  der  Organismen  der  ganzen 
zweiten  Verdünnung  resp.  des  i  ccm  der  ersten  Verdünnung,  von 
dem  die  zweite  Verdünnung  hergestellt  ist. 

Bei  Platte  10  haben  wir  die  Verdünnung  10:100,  also  0.1; 
davon  0.2   ccm  genommen,  erhalten  wir  0.02  als  wahres  Mass. 

Bei  No.  21  haben  wir  30:100,  also  0.3,  ein  Kubikcentimeter 
davon  also  0.3  wahres  Mass. 

Dieses  wahre  Mass  ist  nun  wichtig  für  die  Berechnuns:  des 
Koeffizienten.      In    der    Rubrik  „Berechnung"    ist    dieselbe   aus- 


280        Über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser. 

geführt.  Bei  der  Besprechung  des  wahren  Masses  sahen  wir,  wie 
wir  z.  B.  bei  Platte  i  fanden,  dass  die  gezählten  Organismen  auf 
dieser  Platte  den  o.oooi.  Teil  der  in  i  ccin  enthaltenen  Wesen 
bilden.  Beziehen  wir  aber  die  gezählte  Zahl  auf  das  ganze  Flüssig- 
keitsvolumen von   500  ccm  (erste  Verdünnung),    so   haben  wir  nur 

500  5  000  000 

gezählt,    das  ist  der  " =  5000000.  Teil.      Finden 


0.0001  I 

wir  also  auf  der  ersten  Platte  in  0.1  ccut  der  Verdünnung  i  :  1000 
2024  Limnochlide-Fäden,  so  wissen  wir,  dass  wir  in  dem  ganzen 
Fange  2024x5000000  Limnochlide  ungefähr  werden  finden 
müssen,  was  10 120  Millionen  ergeben,  eine  Zahl,  deren  Fehler 
durch  weitere  Zählungen  eingeschränkt  wird. 

Haben  wir  eine  Spezies  während  mehrerer  Platten  gezählt  und 

sehen  wir,  dass  wir  abbrechen  können*),  dann  handelt  es  sich  darum, 

den  Koeffizienten  für  die  Summe  der  gezählten  Individuen  zu 

finden.     Zu  dem  Zwecke  addieren  wir  die  wahren  Masse  aller  der 

Platten,    auf  denen  diese  Spezies  beobachtet  wurde,    und  verfahren 

wie    oben    für    eine    Platte    angegeben    ist.      Wir   haben    z.    B.    für 

Limnochlide    fünf  Platten    gezählt   (i — 5)    und    finden   die   Zahlen 

2024,    1835,   2048,    1954,   1792,  Summe  9053.      Die  Summe  der 

wahren  Masse  für  diese  fünf  Platten  ist  5X0.0001   =  0.0005,  dann 

500 
erhalten  wir ^  i  000  000  als  Koeffizienten  der  Summe.     Die 

O.0005 

gezählten  Individuen  9653  bilden  also  den  i  000  ooosten  Teil 
aller  im  Fang  vorhandenen  Limnochlide,  das  ergiebt  9653000000 
Limnochlide.  Habe  ich  Spirogyra  erst  von  der  zwölften  Platte 
bis  zur  zwanzigsten  gezählt,  so  summieren  für  diese  Alge  nur  die 
wahren  Masse  dieser  Nummern,  also  Summe  12  —  20  =  0.51,  und 
wir  erhalten  den  Koeffizienten  980. 

Durch  die  letzteren  Betrachtungen  sind  wir  nun  schon  bei  den 
Horizontalreihen  angelangt. 

In  einer  Spalte  derselben  stehen  die  Namen  der  Organismen, 
die    sich    in    dem  gezählten  Fange  befanden.      Rechts    davon    sind 


*)  Siehe  oben  S.  275  u.  27c 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.       281 

dann  die  Ergebnisse  der  Zählung  jeder  einzelnen  Platte  angegeben 
und  zwar  in  der  Rubrik,  deren  Kopfzahl  der  betreffenden  Platte 
entspricht.  Hört  man  auf,  einen  Organismus  mitzuzählen,  so  steht 
in  der  Rubrik  der  betreffenden  Platte  ein  Fragezeichen.  Wird  auf 
einer  Platte  von  einer  Spezies  kein  Individuum  gefunden,  so  steht 
natürlich  eine  Null.  Ist  dagegen  eine  Spezies  beobachtet,  aber  auf 
einigen  Platten  nicht  mitgezählt ,  wie  z.  B.  bei  Spirogyra  i  —  1 1 , 
so  wird  auch  hier  ein  Fragezeichen  gesetzt. 

In  den  beiden  letzten  Spalten  sind  zuerst  die  Summen  der 
gezählten  Individuen  jeder  Spezies  angegeben,  dann  die  Platten, 
auf  denen  diese  Organismen  gezählt  wurden. 

Um  nun  die  Gesamtsumme  der  in  dem  Fang  vorhandenen 
Tier-  und  Pflanzenindividuen  zu  finden,  brauchen  wir  nur  die 
Summe  der  gezählten  Organismen  mit  dem  Koeffizienten,  welcher 
der  angewendeten  Plattenzahl  entspricht,  zu  multiplizieren.  So  haben 
wir  bei  Limnochlide  9653  Fäden  gezählt,  und  zwar  auf  Platte  i  —  5, 
der  Koeffizient  der  Platten  i — 5  ist  i  000000,  also  sind  im  ganzen 
Fange  9653000000  Limnochlide-Fäden  vorhanden. 

Diese  Gesamtsumme  „Gezählte  Masse"  steht  in  einer 
Rubrik  vor  den  Namen,  damit  man  mit  diesen  das  Endresultat 
sogleich  übersieht. 

Vor  der  letzteren  Rubrik  finden  wir  eine  solche  mit  der 
Überschrift  „Ganze  Masse".  Wie  wir  oben  gesehen  haben,  wird 
nicht  die  ganze  Wassersäule  filtriert ,  die  dem  Querschnitte  des 
Netzes  und  der  Tiefe  des  Wassers,  bis  zu  der  das  Netz  herab- 
gelassen wurde,  entspricht,  sondern  ein  kleiner  Teil  fliesst  über  den 
Netzrand  ab.  Hensen  hat  deshalb  für  jedes  Netz  den  Filtrations- 
koeffizienten*) berechnet,  der  besagt,  mit  welcher  Zahl  man  Volumen 
oder  Anzahl  der  Organismen  eines  Fanges  multiplizieren  muss,  um 
die  wirklichen  Werte  zu  finden,  wenn  die  ganze  Flüssigkeitssäule 
filtriert  worden  wäre.  In  unserem  Falle  war  der  Koeffizient  1.034. 
Von  Leptodora  waren  z.  B.  371  Individuen  im  Fange.  In  der 
Wassersäule  von  0.1   qm  Querschnitt    und    5   m  Höhe   waren   aber 


*)  Planktonwerk  S.  10 — 13. 


282  Über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton   im   Süsswasser. 


0 


71  X  1.034  =  384  Individuen    vorhanden.       In    Folgendem   habe 
ich  aber  die  Zahlen  der  gezählten  Masse  benutzt. 

Nachdem  wir  in  Vorhergehendem  die  Hensensche  Methode 
der  quantitativen  Untersuchung  des  Plankton  kennen  gelernt  haben, 
erübrigt  es  noch,  auf  die  qualitative  Zusammensetzung  des  Süss- 
wasserplankton*)  einzugehen.  Jedoch  muss  ich  noch  ein  paar 
Worte  vorausschicken.  Die  Planktonmethode  ist  bis  jetzt  fast  nur 
auf  das  Meer  angewendet  worden,  nur  einmal  ist  bei  einer  Fahrt 
in  der  östlichen  Ostsee  von  Hensen  auch  ein  Fang  im  Stettiner 
Haff  11),  also  im  Süsswasser,  gemacht  worden.  Die  Fänge  wurden, 
wie  wir  oben  gesehen  haben,  sofort  konserviert,  daher  kommt  es, 
dass  manche  Organismen  bei  nachfolgender  Zählung  ganz  unkennt- 
lich sind,  da  sie  sich  beim  Töten  zusammengezogen  haben;  dieses 
ist  namentlich  der  Fall  bei  Rädertieren**).  Es  ist  daher  nötig, 
dass  an  Ort  und  Stelle  auch  lebendes  Material  untersucht  wird, 
denn ,  wenn  dieses  bestimmt  ist ,  sind  die  Organismen  leicht  in 
konserviertem  Zustande  wiederzuerkennen.  Dieses  ist  nun  bei  einer 
grösseren  Fahrt  sehr  schwer  ausführbar,  da  sich  auf  dem  Schiff, 
namentlich  bei  bewegter  See,  schwer  oder  gar  nicht  mikroskopieren 
lässt.  Anders  verhält  sich  die  Sache,  wenn  das  Institut,  in  dem 
die  Arbeiten  ausgeführt  werden  sollen,  direkt  am  Wasser  liegt,  da 
kann  quantitative  und  qualitative  Bestimmung  Hand  in  Hand  gehen, 
so  ist  das  hier  in  Kiel,  und  auch  in  der  unlängst  von  Zacharias 
errichteten  Süsswasserstation  zu  Plön  der  Fall.  Es  müssen  daher 
in  den  Protokollen  vorläufige  Namen  für  die  unbestimmten***) 
Organismen  gesetzt  werden  und  späterer  Zeit  überlassen  bleiben, 
das  Versäumte  bei  Gelegenheit  an  Ort  und  Stelle  nachzuholen. 
Folgendes  ist  ferner  auch  noch  von  Bedeutung.  Es  genügt  nicht, 
einen  Fang  zu  beliebiger  Zeit  zu  machen,  sondern  es  müssen  die 
Planktonfahrten  in  bestimmten  Zeitabschnitten    (alle  zwei  oder  vier 


*)  Von  Häckel'')  S.   21  Limnoplanktou  genannt. 
**)  Ausgenommen  von  diesen  sind  nur  die  gepanzerten  (Loricata) ,  die  trotzdem  leicht 
zu  erkennen  sind. 

***)  Leider  war  der  Fang  aus  dem  Stettiner  Haff,  da  er  als  ausgebraucht  betrachtet 
wurde,  weggeschüttet,  so  dass  auch  nachtriighch  keine  nähere  Untersuchung  vorgenommen 
werden  konnte.      Es  empfiehlt  sich  daher,  das  Material  stets  aufzubewahren. 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.     "    283 

Wochen)*)  unternommen  werden,  dann  erhält  man  erst  einen  Ein- 
blick in  die  wahre  Zusammensetzung  des  Plankton,  das  in  fort- 
währendem Werden  und  Vergehen  begriffen  ist.  Dieses  wäre  eine 
sehr  dankbare  Arbeit  für  eine  Süsswasserstation. 

Nach  dem  Gesagten  ist  es  klar,  dass  die  folgenden  Dar- 
legungen wenig  positives  bringen  können,  es  kann  nur  gezeigt 
werden,  in  welcher  Art  ein  Fang  oder  eine  fortlaufende  Reihe 
solcher  verwertet  werden  können.  Ich  beabsichtige  also  nur  ein 
Beispiel  zu  der  oben  erläuterten  Methodik  zu  geben. 

Beginnen  wir  mit  den  Algen,  der  Urnahrung,  so  fallen  uns 
die  Vertreter  zweier  Ordnunsren  durch  ihr  massenhaftes  Auftreten 
auf,  es  sind  die  Diatomeen  und  Schizophyceen.  Weniger  zahlreich 
sind  Protococcoideen ,  \'on  denen  Pediastrimi ,  Gleocystis  und 
Scenedesnms  qiiadricaudatiis  gefunden  wurden,  und  Konjugaten, 
die  durch  Spirogyrafäden  vertreten  sind. 

Was  die  Diatomeen  anbelangt,  so  müsste  mau  glauben,  dass 
sie  wegen  ihrer  grossen  Zahl,  trotz  des  geringen  Anteils  an  orga- 
nischer Substanz,  eine  wichtige  Nahrung  für  die  pelagischen  Tiere 
bilden.  Jedoch  werden  sie,  wie  Hensen**)  beobachtet  hat,  von 
allen  Tieren  verschmäht.  Dagegen  erwähnt  Seligoi3)  in  seinen 
Hydrobiologischen  Untersuchungen,  dass  die  Diatomeen  die  Haupt- 
nahrung mehrerer  Tierarten***)  bilden.  Leider  sagt  er  nicht,  für 
welche.  Ihre  Bedeutung  ist  also  in  anderer  Richtung  zu  suchen.  Alle 
Diatomeen  haben  eine  Vegetationsperiode,  d.  h.  sie  vermehren  sich 
zu  einer  bestimmten  Zeit  ganz  enorm,  um  dann  wieder  allmählich 
oder  fast  plötzlich  zu  verschwinden.  Letzterer  Umstand  ist  durch 
das  Bilden  von  Dauersporen  ,^  die  bei  vielen  Meeresdiatomeen 
beobachtet  sind,  leicht  erklärlich,  da  die  Spore  alsbald  zu  Boden 
sinkt.  Ob  bei  Süsswasserdiatomeen  die  gleichen  Verhältnisse  vor- 
kommen, kann  ich  nicht  angeben. .  Die  Sporen  enthalten  eine  sehr 


*)    So   werden    die  Untersuchungen    in    dor   Kieler  Bucht   von   Prol.    Brandt')   seit 
September  1888  ausgeführt  und  noch  fortgesetzt. 
**)  Planktonwerk  S.  99. 
***)    Bei    meinen    Untersuchungen    hiesiger   Siisswasserseen    habe    ich    den  Darm    von 
Hj-alodaphnien  und  Bosminen  dicht  mit  Melosirazellen  angefüllt  gefunden  (1891). 


284       Über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser. 

konzentrierte  organische  Nahrung,  die  den  Tieren  der  Tiefenregion 
wohl  zu  gute  kommt. 

Da  jede  Diatomee  aus  zwei  Schalen  besteht,  so  muss  man 
jede  vollständige  Diatomee  als  2  zählen,  jede  allein  liegende  Schale 
als  I,  und  dann  die  erhaltene  Summe  durch  2  dividieren,  dann 
erhält  man  die  Zahl  der  Zellen.  Bei  Melosira  würde  dieses  Ver- 
fahren zu  viel  Zeit  in  Anspruch  nehmen,  man  zählt  daher  nur  die 
Fäden  und  stellt  bei  einer  Zahl  von  Fäden  die  Zellenzahl  fest. 
In  unserem  Fange  fanden  sich  pro  i  qrn*)  984614400  Fäden, 
von  denen  20  =  246  Zellen  enthielten,  es  wären  also  im  ganzen 
12110757120  Zellen  vorhanden  gewesen.  Ohne  Berechnung  der 
Zellen  kann  man  Melosira  nicht  mit  anderen  Diatomeen  vergleichen. 
Von  Melosira  kamen  zwei  Arten  vor,  nämlich  M.  graimlata  und 
eine  andere,  nicht  näher  bestimmte.  An  226  Fäden  war  erstere 
mit  208,  letztere  mit  18  beteiligt.  Cosciiiodiscns  fand  sich  in 
6440890  und  Bacillaria  paradoxa  in  7  388  640  Individuen. 
Letztere  Diatomee  zeigt  bei  ihrer  Zählung  ziemlich  abweichende 
Resultate,  da  mehrere  Zellen  an  einander  liegen  und  so  Platten 
bilden,  andere  sind  auseinandergefallen,  so  dass,  wo  einmal  eine 
Bacillaria  gefunden  wird,  ein  ander  Mal  eine  Platte,  die  aus 
mehreren  Individuen  besteht,  sich  vorfindet.  In  geringerer  Anzahl 
war  eine  Surirella  -  Art  vorhanden,  nämlich  477570  pro  i  qui. 
Gegen  Melosira  tritt  aber  die  Summe  aller  übrigen  Diatomeen 
weit  zurück. 

Die  zweite  Hauptgruppe  der  Algen  bildeten  die  Schizo- 
phyceen.  Einzelne  von  diesen  verursachen  zu  Zeiten  die  sogen. 
„Wasserblüte".  Sie  sollen  den  Fischen  verderblich  werden,  jedoch 
ist  die  Ursache  davon  noch  unbekannt. 

Vor  allen  trat  Limnochlide  ßosaqiiae  Ktz.  hervor,  es  wurden  von 
ihr  unter  i  qm  Oberfläche  96530000000  Fäden  gefunden,  von 
denen  20  =  294  Zellen  enthielten,  so  dass  wir  fast  1I/2  Billion 
Zellen    erhalten.      Die    filtrierte  Wassermenge    betrug    fast    0.5   chin 


*)  Wenn  die  Zahlen  in  folgendem  auf  i  gm  Oberfläche  berechnet  sind,    so    bedeutet 
dies  stets  eine  Wassersäule  vom  Querschnitt  i  gtn  und  einer  Tiefe  von  5  »i. 


über  die  quanlilative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.       285 

=  500  Millionen  Kubikmillimeter,  es  fanden  sich  also  in  i  cmm 
Wasser  2838  Zellen  =  142  Fäden.  Ihre  Bedeutung  für  den  Stoff- 
wechsel ist  mir  nicht  klar,  es  wäre  aber  möglich,  dass  die  Sporen 
dieser  Alge  ebenfalls  (siehe  Diatomeen)  den  Tieren  der  Tiefenregion 
zur  Nahrunc:  dienen  könnten. 

Neben  Limnochlide  kamen  noch  mehrere  Arten  von  Chroo- 
coccaceen  vor.  Sie  sind  im  Protokoll  einfach  mit  Coccus  bezeichnet 
und  mit  einem  Beinamen  versehen,  der  auf  die  Form  der  Kolonie 
oder  der  einzelnen  Individuen  Bezug  hat.  Sie  gehörten  meist  der 
Gattung  Polycistis  an,  der  sogenannte  feinkörnige  Coccus  war  P. 
ichthyoblabe.  Dagegen  ähnelte  Coccus  i  (viereckig)  mehr  einer 
Merisniopcdia. 

Die  in  Pikrinsäure  konservierten  Algen  lassen  aber  nicht  ihre 
natürliche  Färbung  erkennen  und  sind  dann  nicht  mehr  bestimm- 
bar. Zusammen  fanden  sich  109824460  Kolonien,  die  einzelnen 
Individuen  sind  nicht  zu  zählen. 

Zur  Urnahrung  müssen  wir  ferner,  wie  in  der  Einleitung  er- 
wähnt ist,  die  Peridineen  rechnen.  Es  waren  im  Fange  drei  Arten 
vorhanden,  Ceratiwn  tripos,  C.  /usus  und  Pcridinium  diver gens. 
Diese  drei  Peridineen  sind  echte  Meeresbewohner  und  es  muss 
daher  ihr  Vorkommen  im  Süsswasser*)  sehr  auffallen.  Ich  ver- 
mutete daher  zuerst,  dass  sie  von  früheren  Fängen  aus  der  west- 
lichen Ostsee  am  Netze  hängen  geblieben  waren,  dieses  war  aber 
nicht  der  Fall,  da,  wie  ich  nachher  erfuhr,  ein  ganz  neues  Netz 
zum  Fischen  verwendet  war.  Es  müssen  also  sich  die  Peridineen 
dem  Leben  im  Süsswasser  angepasst  haben.  Der  Salzgehalt  im 
Stettiner  Haff  war  so  gering,  dass  er  mit  den  Instrumenten  nicht 
mehr  gemessen  werden  konnte.  Von  den  Peridineen,  die  bisher 
im  Süsswasser  gefunden  wurden,  sind  keine  beobachtet. 

Von  den  Protozoen  finden  wir  im  Plankton  die  Tintinnen. 
Dieses  sind  die  niedrigststehenden  Tiere,  die  durch  einen  Mund 
geformte  Nahrung  aufnehmen.      Worin    diese  Nahrung  besteht,    ist 


*)    Henseni')    führt  auch  an,    dass  Ceratium  iripos   von    Pringsheira   nahe   bei 
Berlin  gefunden  ist,  also  im  Süsswasser  (S.  74). 


286       Über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im   Süsswasser. 

nicht  bekannt,  Hensen*)  vermutet  darunter  der  geringen  Grösse 
der  Tintinnen  wegen  noch  kleinere  Wesen,  als  bis  jetzt  nachgewiesen 
sind,  und  die  regelmässig  durch  das  Netzzeug  hindurchschlüpfen. 
Tintinnen  sind  in  zwei  Arten  im  Fange  vorhanden  gewesen.  Tintmnus 
ventricosus ,  der  auch  im  Meere  zahlreich  vorkommt,  war  sehr 
häufig,  auf  I  qm  Oberfläche  1586040  Tiere,  noch  mehr  war  T. 
borealis  Hensen**)  zu  finden,  eine  neue  Art,  die  eine  Länge  von 
nur  O.048  mm  hat,  und  an  Chactoceros  und  anderen  Organismen 
festsass.  Von  ihm  waren  2881960  Individuen  unter  i  qm 
Oberfläche. 

Von  Rädertieren  wurden  sechs  Arten  gefischt.  Drei  davon 
gehörten  zu  der  Gattung  Anuraea,  die  anderen  drei  konnten  nicht 
bestimmt  werden,  da  sie  zu  sehr  kontrahiert  waren,  es  befand  sich 
darunter  eine  sehr  grosse  durchsichtige  Art***),  von  der  nur  3180 
unter    i    qm  Oberfläche  lebten. 

Die  beiden  anderen  unbestimmten  Rotatorien  waren  sehr 
zahlreich  zu  finden,  das  eine  in  der  Zahl  von  776240,  das  andere 
von  3  203  200  unter  derselben  Oberfläche.  Von  Amiraea  fanden  sich 
A.  aculeata  Ehbg.  mit  203840,  qiiadridentata  mit  722180  und 
foliacea  Ehbg.  mit  58240  Individuen.  Ausserdem  2567380 
Rädertiereier. 

Von  ..Daphniden  wurden  sechs  Arten  gefunden.  Drei  von 
diesen  sind  allgemein  als  pelagisch  bekannt,  nämlich  Lcptodora 
hyalina  Lilj.,  Hyalodaphnia  Kahlbergensis  Schödler  und  Chydorus 
sphacricus  O.  Fr.  M.,  während  die  drei  übrigen  bei  den  bisherigen 
Untersuchungen  von  Süsswasserbecken  meist  als  littorale  Formen 
nachgewiesen  wurden.  Dapknia  longispina  Leyd.  ist  jedoch  auch 
von  Zacharias  15)  in  den  6 — 8  m  tiefen  Mansfelder  Seen  pelagisch 
gefunden,  ebenso  Sida  crystallina  von  Forel^)  in  Schweizer  Seen. 
Da  die  Daphniden  vielen  Süsswasserfischen  zur  Nahrung  dienen, 
so  ist  ihre  Bestimmung  von  hohem  praktischen  Interesse,  nament- 
lich da  sie  sich  in  Bezug  auf  ihren  Gehalt  an  organischer  Substanz 


*)  Hensen,  Plankton  werk  S.   71. 
**)   Hensen'')  hier  auch  Beschreibung  und  Figur. 
***)    Synchaeta? 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im   Süsswasser.       287 

ähnlich  wie  die  Copepoden  verhalten  dürften,  für  die  wir  oben 
99.4^/0  gefunden  haben.  Wenn  wir  in  unserem  Fange  unter  einem 
Quadratmeter  Oberfläche  i  826  100  Daphniden  finden,  so  können 
wir  uns  leicht  ein  Bild  von  ihrer  Bedeutung  für  die  Fischzucht 
machen.  yiit  Hilfe  der  Planktonmethode  würde  sich  ein  sehr 
klares  Bild  über  den  Entwickelungsgang  dieser  Tiere  finden  lassen. 
Bei  fortgesetzten  Untersuchungen  könnte  man  das  Auftreten  der 
Daphniden  im  Frühjahr  feststellen,  sowie  dessen  Abhängigkeit  von 
der  Wassertemperatur,  ferner  würde  sich  die  rapide  Zunahme  gegen 
den  Sommer  hin  zeigen,  wobei  es  von  Wichtigkeit  wäre,  die  Zahl 
der  Eier  und  Embryonen  im  Brutraume  zu  berücksichtigen,  so  dass 
sich  für  jede  Art  eine  Durchschnittszahl  ergeben  würde.  Zugleich 
Hesse  sich  das  Erscheinen  der  verschiedenen  Arten  in  den  einzelnen 
Monaten  finden.  Im  Spätsommer  würden  dann  die  Männchen 
hinzukommen  und  schliesslich  würde  man  die  Cladoceren  ver- 
schwinden sehen,  nachdem  man  die  Bildung  der  Dauereier  beob- 
achtet hätte. 

Es  würden  sich  alle  diese  Verhältnisse  zahlenmässig  klarlegen 
lassen  und  einen  präzisen  Ausdruck  liefern  für  die  bisherigen  Aus- 
drücke, wie  „im  Frühjahr  nach  Schmelzen  des  Schnees  massenhaft 
auftretend". 

Die  Copepoden,  deren  Bedeutung  wir  schon  ot^cn  gesehen 
haben,  bilden  einen  anderen  Hauptbestandteil  des  Plankton.  Sie 
waren  unter  i  qm  Oberfläche  mit  697480  vertreten.  Dazu  kommen 
noch  die  Larvenformen  mit   786520. 

In  dem  Protokoll  sind  die  einzelnen  Arten  nicht  getrennt 
aufgeführt  worden.  Es  schien  anfangs  nicht  möglich,  während  des 
Zählens  die  verschiedenen  Spezies  auseinanderzuhalten,  und  mit 
Hilfe  der  bisherigen  Diagnosen  ist  dieses  auch  nicht  auszuführen. 
Nachdem  es  sich  aber  herausgestellt  hat,  dass  in  einem  Fange 
selten  mehr  als  sechs  Arten  (bei  Zählungen  der  Copepoden  des 
Plankton  im  Kieler  Hafen)  vorhanden  sind,  ist  die  getrennte 
Zählung  versucht  worden  und  hat  sich  auch  durchführen  lassen, 
da  jede  Spezies  irgend  ein  bestimmtes  Merkmal  besitzt,  an  dem 
sie  sofort  erkannt  w-erden  kann.     Man  kann  schliesslich  noch  weiter 


288       Über  die  quantitative  Bestimmung  de.s  Plankton  im   Süsswasser. 

gehen  und  auch  die  Geschlechter  getrennt  zählen.  Neben  den 
ausgewachsenen  Copepoden  werden  dann  die  Larven  berücksichtigt. 
Diese  nach  der  Spezies  zu  zählen  wird  wohl  fürs  erste  kaum 
geschehen  können,  da  die  Entwickelungsreihen  vom  Ei  bis  zum 
erwachsenen  Tier  nur  erst  für  sehr  wenig  Formen  festgestellt  sind, 
bei  genauem  Studium  und  einiger  Ausdauer  Hesse  sich  dieses 
vielleicht  auch  ausführen.  Ebenso  müssten  die  Eiersäckchen  mit 
der  durchschnittlichen  Zahl  der  Eier  berücksichtigt  werden. 

Nach  den  erwähnten  Untersuchungen  von  Hensen  nähren 
sich  die  Meerescopepoden  von  Peridineen.  Die  des  Süsswassers 
müssen  aber  andere  Nahrung  zu  sich  nehmen,  denn  nach  unserem 
Fange  standen  697480  Copepoden,  ohne  Larven,  nur  122  ogo 
Peridineen  zur  Verfügung,  die  nach  den  Hensenschen  Berechnungen 
nur  10 000  Copepoden  genügen  würden.  Nach  Claus"*)  leben  sie 
von  pflanzlichem  und  tierischem  Detritus,  Vosseier  i-*)  hat  dasselbe 
beobachtet,  meint  jedoch,  dass  noch  Infusorien  sich  beigesellen. 
Ob  dieses  aber  auch  die  Nahrung  der  pelagischen  Copepoden  ist, 
wäre  noch   experimentell  festzustellen. 

Von  Hydrachniden  wurde  Ncsaea  elliptica  Kram,  in  er- 
wachsenen und  jugendlichen  Formen  gefunden.  Ihre  immerhin 
beträchtliche  Zahl  von  2400  pro  i  qm  ist  bemerkenswert.  Ob  sie 
in  dem  Haushalt  der  Natur  irgend  eine  Rolle  spielen,  vermag  ich 
nicht  anzugeben.  Eigentümlich  ist  das  pelagische  Vorkommen, 
obgleich  Zachariasißj  in  norddeutschen  Seen  die  Milben  nur 
littoral  gefunden  hat.  Dagegen  erwähnt  auch  Nordquisti2j  in 
seinem  Aufsatz  über  die  pelagische  und  Tiefseefauna  finnischer 
Seen  pelagische   Hydrachniden. 

Von  Mollusken  wurden  nur  Muschellarven  zahlreich  gefangen, 
Schneckenlarven  fehlten.  Es  fanden  sich  40770  auf  den  Quadrat- 
meter Oberfläche.  Nimmt  man  für  eine  Muschel  i  qcm  Boden- 
fläche an,  so  würden  das  auf  i  qm  immer  nur  10  000  ausmachen, 
der  Raum  ist  aber  viel  zu  2:erinfr  bemessen.  Von  den  Larven 
kann  also  im  günstigsten  Falle  nur  1/4  am  Leben  bleiben  und  diese 
müssten  den  Boden  dann  dicht  überziehen.  Das  ist  aber  nicht 
wahrscheinlich.       Ob  die  Larven  zu  einer  Spezies  gehören,    ist    bei 


über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser.       289 

der  Zählung  nicht  berücksichtigt  worden,  die  Art  selbst  zu  be- 
stimmen ist  bis  jetzt  auch  nicht  möglich,  würde  sich  aber  bei 
speziellen  Studien  gewiss  ausführen  lassen.  Es  würde  das  ein  Licht 
auf  die  Zeit    und    die  Dauer  des  Schwärmens   der  Larven   werfen. 

Es  konnte  in  Vorhergehendem  nur  meine  Aufgabe  sein,  dem 
Leser  die  Methodik  zur  quantitativen  Bestimmung  des  Plankton 
im  Süsswasser  zu  erklären;  etwas  Näheres  über  die  Organismen 
des  Plankton  zu  sagen,  war  nach  dem  einen  Süsswasserfange  noch 
nicht  möglich.  Es  wäre  zu  wünschen,  dass  die  Hensensche 
Methode  auch  in  einem  grösseren  Landsee  angewendet  würde, 
interessante  und  wichtige  Ergebnisse  würde  sie  liefern,  wie  das 
schon  der  Fall  bei  ihrer  Anwendung  im  Meere  gewesen  ist.  End- 
lich möchte  ich  nochmals  auf  die  epochemachende  x\rbeit  Hensens 
hinweisen,  die  so  viel  des  interessanten  bietet,  worauf  ich  nur  hin- 
weisen konnte,  oder  das  ich  wegen  Raummangel  ganz  übergehen 
musste. 


Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  19 


J.-N. 


Stettin  er  Haff, 


Art  der 
Unter- 
suchung 

> 

> 

No. 

ja  rt 

e 

B 

3 
t/2 

Berech- 
nung 

Koeffi- 
zient 

Ganze 
Masse 

Gezählte 
Masse 

Name 

1 

2 

3 

4 

feucht 

200 

1:1000 

1 

O-oooi 

500 
0.0001 

5  000  000 

0-1 

9  983100000 

9  653  000  000 

Linmochlide 

2024 

1835 

2048 

1954 

101  828  800 

98  461  440 

Melosira 

27 

24 

22 

19 

II 

11 

2 

0-0001 

0-1 

438  031 

421  656 

Pediastrum 

1 

0 

0 

0 

836  060 

808  496 

Coccus  1  (viereckig) 

1 

0 

0 

0 

»» 

" 

3 

0-0001 

0-1 

7  642  950 

7  390  200 

„       2  (rund) 

0 

0 

1 

2 

820  060 

793  022 

„        3  (gerundet) 

0 

0 

0 

0 

II 

1' 

4 

0-0001 

0-1 

2  059  020 

1990  728 

,,        4  (feinkörnig) 

? 

? 

? 

? 

666  047 
764  054 

644  089 

Coscinodiscus 

0 

0 

0 

0 

- 

" 

5 

0-0001 

1—5 

0-0003 

500 

0-0005 

1  000  000 

0-1 

0-2 

738  864 

Bacillaria 

0 

0 

0 

0 

49  356 

47  757 

Surirella 

0 

0 

0 

0 

88 

1:100 

6 

0-002 

5294 

5242 

Spiral.    Oscillarie 

0 

0 

0 

0 

298  011 

288  196 

Tiniinnus  borealis 

0 

0 

0 

0 

1» 

1  J 

7 

0-002 

0-2 

164  012 

158  604 

,,        ventricosus 

0 

0 

0 

0 

85  135 

82  354 

Spirogyra 

? 

1  ? 

? 

? 

ji 

II 

8 

0-002 

1—8 

0-0005 

500 

0-0065 

76  923 

0.2 

O.o 

71732 

67  649 

Coccus  5  (Gleocystis) 

9 

? 

? 

? 

14  001 

13  539 

Scenodesnuis 

0 

0 

0 

0 

II 

11 

9 

0-002 

1—9 

0-0085 

500 

0-0085 

58  824 

6000 

5803 

Goniatdax 

0 

0 

0 

0 

6019 

5824 

Ceratium  iripos 

0 

0 

0 

0 

)i 

10:100 

10 

0-02 

0-2 

602 

582 

,,          /usus 

0 

0 

0 

0 

21048 

20  384 

Anuraea  aculeata 

0 

0 

0 

0 

II 

>J 

11 

12 

0-02 

0-2 

74  636 

72  218 

,,    quadridcJitata 

0 

0 

0 

0 

6019 

5824 

,,   foliacea 

0 

0 

0 

0 

1» 

II 

0-02 

0..J 

81257 

77  624 

Rädertier  1 

0 

0 

0 

0 

331  895 

320  320 

2 

0 

0 

0 

0 

1» 

13 

0-02 

1-13 

0-0885 

500 

0-0885 

500 

0-108 

5650 

o.o 

329 

318 

„     3  (durchsieht.) 

0 

0 

0 

0 

281  403 

256  738 

„     Ei 

? 

? 

9 

9 

II 

II 

14 

0-02 

6—14 

0-108 

4629-6 

0.2 

7690 

7438 

Sida  cryst. 

0 

0 

0 

0 

3094 

2993 

Daphiiia  longtsp. 

0 

0 

0 

0 

11 

)  J 

15 
16 

0-05 

0-5 

10  239 

9903 

Hyalod.  Kahlb. 

0 

0 

0 

0 

41117 

39  757 

Bosmina  rot. 

0 

0 

0 

0 

0-03 

0-5 

127  165 

122  148 

Chydorus  sphaer. 

0 

0 

0 

0 

384 

371 

Leptodora 

0 

u 

0 

0 

u 

II 

17 

0-05 

1-17 
0.2585 

500 

0-2585 

1934-2 

0-5 

72  133 

69  748 

Copepoden 

, ,          -Larven 

0 

0 

0 

0 

81  382 

78  652 

0 

0 

0 

0 

66 

II 

18 

0-1 

1 
1 

1 

245 

240 

Milben 
Muschellarven 

0 

0 

0 

0 

4213 

4077 

0 

0 

0 

0 

11 

Jl 

19 

0-1 

5U0 
0-5585 

l> 

11 

)) 

20 

0-1 

1—20 

0-55.S5 

895.23 

30:100 

21 

0-3 

1—21 

0-85.85 

500 

0-8585 
500 

1-6085 

582.4 

1 

44 

)l 

22 

0-75 

1—22 

1  -6085 

310.8 

2-5 

2-5 

11 

II 

23 

0-75 

1—23 

2-3585 

500 
2-3585 

212 

J  J 

" 

24 

0-75 

2-5 

II 

II 

25 

26 

0-75 

1—25 
3-8585 

500 
3-8585 

129-5 

2-5 

11 

unver- 
dünnt 

2-5 
2-5 

2-5 

II 

>) 

27 
28 

2-3 

II 

II 

2-5 
2-5 

1—28 

11-3685 

500 
11-3585 

44-011 

2-5 
2-5 
2-5 

2-5 

22 

n 

29 

ti 

I) 

30 
31 

2.5 

jj 

2-5 

1—31 

18-8585 

500 
18-8585 

26-51 

13 

c 

•       V 

5ei 

ot. 

1887 

500 

can 

( 

r.  Verdünnung). 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

17 

18 

19 

20 

21 

22 

23 

24 

25 

26 

27 

28 

29 

30 

31 

32 

=2  1 
0'^ 

2 

5 

Anmerkungen 

1792 

9 

1 

1 

1 

|9653|  1—5 

20Fäd.=z294Z. 

19 

382 

391 

396 

9 

1 

1     1 

1        1     1 

1280 

1—8 

20    „    =246,, 

0 

3 

0 

1 

2 

10 

16 

12 

13 

11|62 

50  |37|? 

. 

1        1     1 

218 

1—17 

Ü 

2 

1 

7 

4 

26 

22 

33  1  28 

|37|67 

107|83|? 

1        1     1 

418 

1—17 

0 

30 

24 

30 

29 

304 

321 

2681299 

?l 

1     1 

1        1     1 

1308 

1—13 

0 

0 

4 

1 

1 

21 

28 

33 

47 

38,64 

80  |93|  ? 

1        1     1 

■ 

410 

1—17 

■=" 

16 

13 

16 

12 

62 

79 

80 

80 

721? 

1     1 

430 

6—14 

*) 

0 

4 

2 

3 

2 

31 

14 

21 

35 

25|46 

77  |73|? 

1        1     1 

333 

1—17 

0 

3 

22 

0 

0 

13 

41 

41 

36 

31|53 

80  |57|? 

1 

382 

1—17 

0 

0 

0 

0 

0 

3 

3 

3 

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1      1 

1     1         1 

Anmerkung:  Der  Fang,  nach  dem  dieses  Protokoll  berechnet  ist,  wurde  mit  einem  Planktonnetze  von  o.j  fm 
Öffnung  gemacht ;  es  müssten  also,  da  die  Tiefe  des  Netzzuges  5  7«  betrug,  0.5  c6m  Wasser  durch  das  Netz  filtriert  sein ; 
in  Wahrheit  aber  nur  o.^^  cbm  (siehe  oben  bei  Netze).  Wollen  wir  die  Anzahl  der  Organismen  unter  einem  Quadrat- 
meter Oberfläche  kennen ,  so  müssen  obige  Zahlen  mit  10  multipliziert  werden ,  da  die  Öffnung  des  Netzes ,  also  die 
Grundfläche  der  Wassersäule  o.j  gm  beträgt. 


*)  War  Polycysiis  ichthyoblabe. 
**)  Synchaeta  ähnlich. 


Litteratur. 


i)  Asper  und  Heuscher,  Neue  Zusammensetzung  der  pela- 
gischen  Organismen  in:   Zool.   Anzeiger    iS86,   Bd.   9,   S.   448. 

2)  Brandt,  Über  die  biologischen  Untersuchungen  der  Plankton- 
Expedition  in :  Verhandl.  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin 
1889,   Heft  10. 

3)  Brandt,  Hackels  Ansichten  über  die  Plankton-Expedition 
in:  Schriften  des  Naturwissenschaftl.  Vereins  f  Schleswig- Holstein, 
Bd.  VIII,   Heft  2.      Kommissionsverlag  von  Homann  in  Kiel. 

4)  Claus,  Anatomie  und  Entwickelung  der  Copepoden  in: 
Arch.  f.  Naturgeschichte    1858,  Bd.  i. 

5)  Forel ,  Faunistische  Studien  in  den  Süsswasserseen  der 
Schweiz.  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoologie  1878,  Bd.  30 
Suppl. 

6)  Häckel,  Plankton-Studien.  Vergleichende  Untersuchungen 
über  die  Bedeutung  und  Zusammensetzvmg  der  pelagischen  Fauna 
und  Flora.     Jena   1890. 


Quantitative  Bestimmung  des  Plankton:  Litteratur.  293 

7)  Heincke ,  Die  Untersuchungen  von  Hansen  über  die 
Produktion  des  Meeres  an  belebter  Substanz  in :  Mitteilungen 
der  Sektion  für  Küsten-  und  Hochseefischerei,  No.  3 — 5,  März 
bis  Mai   1889. 

8)  Mensen  ,  Über  das  Vorkommen  und  die  Menge  der  Eier 
einiger  Ostseefische,  insbesondere  der  Scholle,  des  Flunder  und 
des  Dorsch  in :  4.  Bericht  der  Kommission  zur  wissenschaft- 
lichen Untersuchung  der  deutschen  Meere  zu  Kiel  für  1877 — 81. 
Berlin   1884. 

9)  Hensen ,  Über  die  Bestimmung  des  Planktons  oder  des 
im  Meere  treibenden  Materials  an  Pflanzen  und  Tieren  in: 
5.  Bericht  der  Kommission  zur  wissenschaftlichen  Untersuchung  der 
deutschen  Meere  zu  Kiel   1887,    S.    i  — 106. 

(Oben  kurz  als  „Planktonwerk"  zitiert.) 

10)  Hensen,  Einige  Ergebnisse  der  Plankton -Expedition  der 
Humboldt-Stiftung  in:  Sitzungsberichte  der  Königlich  Preussischen 
Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 

Sitzung  d.  phvsikal.-mathemat.   Klasse  vom    13.   März    1890. 

11)  Hensen,  Das  Plankton  der  östlichen  Ostsee  und  des 
Stettiner  Haffs  in:  6.  Bericht  der  Kommission  zur  wissenschaftlichen 
Untersuchung  der  deutschen  Meere  in  Kiel   1890. 

IIa)  Hensen,  Die  Plankton -Expedition  und  Häckels  Darwi- 
nismus.     Kiel,  Lipsius  und  Tischer   1891. 

12)  Nordquist,  Über  die  pelagische  und  Tiefsee  -  Fauna 
finnischer  Seen  in:  Zoolog.  Anzeiger  1887,  Bd.  10,  S.  339 
und  358. 

13)  Seligo,  Hvdrobiologische  Untersuchungen  in:  Schriften 
der  Naturforschenden  Gesellschaft  zu  Danzig,  N.  F.,  Bd.  VH, 
Heft  3.      1890. 


294      Über  die  quantitative  Bestimmung  des  Plankton  im  Süsswasser. 

14)  Vosseier,  Die  freilebenden  Copepoden  Württembergs. 
Stuttgart    1886. 

15)  ZachariaS,  Fauna  des  süssen  und  salzigen  Sees  bei 
Halle  a.  d.  S.  in:  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoologie  1888, 
Bd.  46. 

16)  Zacharias,  Zur  Kenntnis  der  pelagischen  und  littoralen 
Fauna  norddeutscher  Seen  in:  Zeitschrift  für  wissenschaftliche 
Zoologie   1887,   Bd.   45,  S.   255. 


Die  Fauna  des  Süsswassers 

in  ihren  Bezietiungen  zu  der  des  IVIeeres. 


Von  Dr.  OttO  ZachariaS  in  Plön  (Holstein). 


Unter  den  \ielen  bemerkenswerten  Thatsachen,  welche  die 
in  neuerer  Zeit  mit  so  grossem  Eifer  betriebene  Erforschung  der 
Binnenseen  zu  Tage  gefördert  hat,  ist  das  unzweifelhafte  Vor- 
kommen mariner  Tiere  im  süssen  Wasser  eine  der  interessantesten. 
Besonders  waren  es  italienische  Seen,  iia  denen  man  zuerst  jene 
überraschende  Entdeckung  machte.  So  'beherbergt  z.  B.  der  weit- 
ab vom  Meere  gelegene  Gardasee  drei  Fischspezies,  welche  marinen 
Gattungen  angehören :  i )  einen  heringsartigen  Fisch  (Alosa  fuitaj, 
zu  dessen  nächsten  Verwandten  die  sog.  „Maifische"  zählen;  2)  eine 
Meergrundel  (Gobhts)  und  3)  einen  Schleimfisch  {Blennhis  vulgaris). 
Ausserdem  kommt  in  demselben  Wasserbecken  em  Krebs  (Palae- 
monetes)  vor,  von  dem  der  bekannte  Berliner  Zoologe  E.  v.  INI  arten  s 
sagt:  „Er  steht  unserer  Ostseegarneele  (Palaemon  sqiiilla)  nahe, 
unterscheidet  sich  aber  von  ihr  durch  geringere  Grösse  und  durch 
die  Gestalt  des  Schnabels".  Auch  in  den  Kraterseen  \-on  Albano 
und  Nemi  kommt  dieser  kleine  Krebs  zugleich  mit  der  schon 
erwähnten  T^lcuniiis-Art  vor. 

Unter  den  schweizerischen  Seen  ist  es  der  von  Genf  (Lac 
Leman),  Welcher  in  den  Muschelkrebschen  Acanthopus  rcsisfaiis 
(=  Cytheridea  lacustris  Sars)  und  Acanthopus  clongatus  (  Limni- 
cythere  relicta  Lillj.)  zwei  Tierformen  enthält,  die  der  marinen 
Gruppe  der  Cytheriden  sehr  nahe  verwandt  sind  und  deren  An- 
wesenheit im  Süsswasser  uns  daher  überrascht. 


298       -^'^  Fauna  des  Süsswassers  in  ihren  Beziehungen  zu  der  des  Meeres. 

Die  skandinavisch- finnischen  Seebecken  besitzen  eben- 
falls in  ihrer  Fauna  eine  Anzahl  von  Krustern  (Mysis  relicta, 
Pontoporeia  affinis,  Idotea  entomon  u.  s.  w.),  welche  Vertreter  von 
im  Meere  lebenden  Gattungen  sind. 

Ganz  ähnliche  Thatsachen  liegen  für  die  grossen  kanadischen 
Seen  in  Nordamerika  vor.  Wir  begegnen  dort  den  nämlichen 
Krebsen  wie  in  Skandinavien  und  av;sserdem  noch  zwei  Fischen 
(Tr/glops-Arten),  welche  weit  mehr  die  Charaktere  von  Meeres- 
ais diejenigen  von  Süsswasserfischen  besitzen. 

Diese  Befunde,  welche  sich  aus  anderen  Seengebieten  leicht 
vermehren  Hessen,  haben  in  der  Folge  dazu  geführt,  die  Theorie 
der  sogenannten  „Reliktenseen"  aufzustellen.  Darunter  versteht 
man  solche  Seen,  welche  für  die  Reste  einer  ehemaligen  Meeres- 
bedeckung angesprochen  werden.  Man  fühlte  sich  befugt,  diesen 
Ursprung  hauptsächlich  denjenigen  Wasserbecken  beizumessen,  in 
denen  man  die  oben  angeführten  Krustaceen  und  Fische  (bezw. 
andere  zu  marinen  Gattungen  gehörige  Tiere)  vorgefunden  hatte. 
Ausser  Stande  oder  nicht  daran  gewöhnt,  das  Vorhandensein  solcher 
Fremdlinge  auf  eine  andere  Weise  zu  erklären,  als  dadurch,  dass 
dieselben  Überbleibsel  (Relikte)  einer  vormaligen,  an  Ort  und  Stelle 
heimisch  gewesenen  Meeresfauna  seien ,  zog  man  hieraus  den 
weiteren  Schluss,  dass  in  einer  nicht  sehr  weit  zurückliegenden 
Periode  der  Erdgeschichte  eine  mehrmalige  Andersverteilung  von 
Land  und  Wasser  stattgefunden  haben  müsse,  wobei  Ein- 
senkungen  der  Festländer  mit  Meerwasser  angefüllt  oder  Fjorde 
direkt  vom  Meere  abgesperrt  worden  wären,  so  dass  in  den  so 
entstandenen  Seebecken  gewisse  marine  Spezies  zurückblieben,  und 
dem  durch  Regengüsse  sich  immer  mehr  aussüssenden  Wasser 
allmählich  angepasst  wurden. 

Diese  Ansicht  war  sehr  lange  Zeit  in  Geltung,  und  zum  Teil 
ist  sie  es  auch  noch  heute.  Aber  bei  näherer  Prüfung  dieses 
„faunistischen  Arguments"  für  den  marinen  Ursprung  einer  Anzahl 
von  Binnenseen  zeigt  es  sich,  dass  dasselbe  weder  vor  der  geo- 
logischen noch   vor  der  zoologischen  Kritik  Stand  hält. 


Die  Fauna  des  Süsswassers  in  ihren  Beziehungen  zu  der  des  Meeres.       299 

In  letzterer  Hinsicht  hat  es  sich  nämlich  herausgestellt,  dass 
es  eine  grosse  Anzahl  von  Tieren  giebt,  welche  ebenso  gut  im 
süssen  wie  im  Brack-  oder  Salzwasser  leben  können.  Zunächst  ist 
hierbei  an  die  allbekannten  Wander  fische  (Lachs,  Aal,  Scholle 
u.  s.  w.)  zu  erinnern,  die  sich  gleich  gut  im  jNIeere  wie  in  den 
Flussläufen  aufzuhalten  vermögen.  Dann  bieten  aber  auch  die 
Mollusken  bemerkenswerte  Beispiele  dafür  dar,  dass  manche  Arten 
einen  recht  erheblichen  Wechsel  des  Salzgehalts  im  Wasser  ver- 
tragen können.  So  lebt  eine  kleine  Meerschnecke  (Hydrobia  ulvae) 
in  dem  beinahe  ganz  süssen  Wasser  der  inneren  Ostsee ;  sie  ist 
aber  ebenso  zahlreich  in  der  Nordsee  zu  finden.  Neritina  ßiivia- 
tilis,  eine  Bewohnerin  grosser  Flüsse  und  Binnenseen,  wurde  1887 
von  Prof  J\I.  Braun  auch  in  der  Wismarer  Bucht  angetroffen. 
Noch  anpassungsfähiger  ist  aber  die  weitverbreitete  Wandermuschel 
(Dreysscna  polymorpha) .  Ursprünglich  nur  in  Südosteuropa, 
namentlich  im  kaspischen  Meere  vorkommend,  ist  sie  durch  den 
Verkehr  in  den  Schiffahrtskanälen  seit  1825  von  einem  Flusssystem 
zum  anderen  (über  Ostpreussen)  nach  Norddeutschland  eingewandert, 
und  hat  sich  von  da  flussaufwärts  verbreitet,  so  dass  sie  nunmehr 
in  der  Saale  bei  Halle,  im  Neckar  bei  Heilbronn  und  im  Rhein 
bei  Basel  angetroffen  wird.  Diese  Verschleppung  geschieht  sehr 
leicht,  weil  sich  die  Muschel  mittels  ihrer  Byssusfäden  (vergl.  diesen 
Band  S.  126  u.  130)  an  Flosse  und  Lastkähne  anheftet  und  auf 
solche  Art  als  blinder  Passagier  weite  und  bequeme  Reisen  machen 
kann.  Sie  vermag  im  Brackwasser  ebenso  gut  auszudauern  wie  in 
rein  süssen  Gewässern. 

Was  die  Krebstiere  anlangt,  so  sind  dieselben  der  Mehrzahl 
nach  allerdings  streng  in  Süss-  und  Salzwasserbewohner  geschieden, 
aber  es  giebt  unter  letzteren  auch  Formen,  wie  z.  B.  Mysis 
vulgaris,  die  in  fast  vollkommen  süssem  Wasser  zu  existieren  ver- 
mögen. Auf  der  Westerplatte  bei  Danzig  fand  ich  diese  eigentlich 
dem  Meere  angehörige  Art  in  einem  nur  Spuren  von  Salz  ent- 
haltenden Tümpel. 

Parasitische  Kruster,  welche  auf  Aalen,  Lachsen  und  Stören 
schmarotzen,    sind  gegen  den  Wechsel  von  Äleer-  und  Flusswasser 


300       -^^^  Fauna  des  Süsswasseis  in  ihren  Beziehungen  zu  der  des  Meeres. 

ganz  unempfindlich.  Von  den  spaltfüssigen  Krebsen  (vergl.  Band  I 
dieses  Werkes  S.  34q)  soll  Diaptonms  castor,  der  in  kleinen  Lachen 
und  Teichen  des  Binnenlandes  lebt,  auch  an  der  Ostseeküste  vor- 
kommen. 

Von  den  Hohltieren  (Cölenteraten)  vermag  der  See- Keulen- 
träger (Cordylophova  lacustris)  ebenso  gut  im  Brackwasser  wie  im 
gewöhnlichen  Flusswasser  sein  Leben  zu  fristen.  Unser  kleiner 
Süsswasserpolyp  (Hydra)  stirbt  dagegen  sehr  bald,  auch  wenn  er 
nur  in  ganz  schwaches  Salzwasser  gebracht  wird. 

Medusen  als  Süsswasserbewohner  waren  bis  in  die  neueste 
Zeit  herein  gänzlich  unbekannt.  Da  entdeckte  Dr.  J.  Kennel  in 
vollkommen  ausgesüssten  Strandseen  auf  der  Lisel  Trinidad  (1882) 
eine,  winzige  Spezies  dieser  echten  Meerestiere.  Mit  Recht  hebt 
anlässlich  dieses  wichtigen  Fundes  der  genannte  Forscher  hervor, 
dass  dem  \^orkommen  einer  Qualle  im  Süsswasser  gegenüber  nicht 
einzusehen  sei,  weshalb  irgend  einem  anderen  Meeresbewohner 
die  Möo-lichkeit    eines  Wechsels    seines  Lebenselements ,    bezw.  der 


-^o 


Übergang    aus     dem    Salzwasser    in    das    Süsswasser    verschlossen 
sein  sollte. 

Die  plötzliche  Versetzung  von  Meerestieren  in  gewöhnliches 
Brunnen-  oder  Flusswasser  erweist  sich  nach  den  bisherigen  Er- 
fahrungen für  die  meisten  als  todbringend.  Nicht  so  aber  —  wie 
die  Experimente  des  Franzosen  Beudant  zeigen  —  eine  allmäh- 
lich vorgenommene  Verdünnung  des  Meerwassers  mit  gewöhnlichem 
Wasser.  Auf  die  letztere  Weise  gelang  es,  zahlreiche  Arten  von 
marinen  Weichtieren  an  fast  vollständig  ausgesüsstes  Seewasser  zu 
gewöhnen.  Allerdings  wird  die  Beweiskraft  dieser  Versuche  dadurch 
geschmälert,  dass  bei  denselben  die  Frage  unberücksichtigt  geblieben 
ist,  ob  die  betreffenden  Mollusken,  welche  für  sich  selbst  den  Avis- 
süssungsprozess  gut  überstanden,  nun  auch  fähig  gewesen  wären, 
sich  in  dem  neuen  Medium  fortzupflanzen,  ^^on  der  Auster  wissen 
wir  z.  B.,  dass  dieselbe  in  erwachsenen  Individuen,  ohne  Schaden 
zu  erleiden,  einen  Aufenthalt  im  süssen  Wasser  verträgt.  Aber 
trotzdem  wollen  keine  Austernbänke  in  der  salzarmen  Ostsee  fort- 
kommen, woraus  zu  schliessen  sein  dürfte,    dass  es  die  junge  Brut 


Die  Fauna  des  Süsswassers  in  ihren  Beziehungen  zu  der  des  Meeres.      30I 

ist,    die    einen  stärkeren  Salzgehalt    zu    ihrem  Gedeihen    nötig   hat, 
als  er  in  jenem  grossen  Binnenmeere  zu  finden  ist. 

Dem  gegenüber  kann  nun  freilich  der  Umstand  angeführt 
werden,  dass  wir  auf  Grund  geologischer  Erwägungen  die  heutigen 
Süsswassermollusken  von  marinen  Voreltern  herleiten  müssen,  welche 
nach  dem  Auftauchen  der  Kontinente  aus  dem  Urmeere  in  die 
Flussläufe  einwanderten  und  hier  sich  veränderten  Lebensbedingungen 
anbequemten.  Eine  andere  Entstehungsweise  für  die  gegenwärtigen 
Bewohner  unserer  süssen  Gewässer  vermögen  wir  überhaupt  nicht 
anzunehmen,  und  eben  darum  müssen  auch  die  Mollusken  unserer 
binnenländischen  Wasserwelt  als  die  Nachkommen  von  Schnecken 
und  INIuscheln  des  Meeres  betrachtet  werden. 

Ein  Beispiel  dafür,  wie  dies  einstmals  vor  sich  gegangen  sein 
mag,  haben  wir  an  den  Verhältnissen,  welche  der  Ortoire-Fluss  im 
Süden  der  Insel  Trinidad  noch  heute  darbietet.  Hier  wird,  nach 
Kenneis  Beobachtungen i),  die  Einwanderung  von  Meerestieren 
durch  die  Thatsache  begünstigt,  dass  die  schwache  Strömung  täg- 
lich zwei  Mal  durch  die  Flutwelle  zum  Stehen  gebracht  wird,  und 
dass  dann  der  Übergang  aus  dem  Meerwasser  in  das  brackische 
und  süsse  ein  ausserordentlich  allmählicher  ist.  In  bedeutender 
Höhe  des  Flusslaufes  {12  engl.  Meilen  von  dessen  Mündung  entfernt) 
und  weit  oberhalb  der  Grenze  des  Brackwassers  fand  Kennel 
förmliche  Anhäufungen  von  Tieren,  denen  man  sonst  nur  im  INIeere 
begegnet;  so  namentlich  mächtige  Bänke  von  einer  Miesmuschelart, 
frei  schwimmende  marine  Borstenwürmer,  und  einige  Spezies  von 
Seekrebsen  —  also  eine  unleugbare  Meeresfauna  im  süssen  Wasser. 
Es  besteht  natürlich  nicht  der  Schatten  eines  Zweifels  darüber, 
dass  alle  jene  Tiere  zuerst  mit  der  Flut  in  den  Ortoire  -  Fluss 
hineingeraten  sind,  und  sich  hier  —  weil  sie  den  allmählichen 
Wechsel  im  Salzgehalt  auszuhalten  vermochten  —  dauernd  ange- 
siedelt haben.  In  ganz  analoger  Weise  haben  wir  uns  auch  die 
erstmalige  Einwanderung  von  Meeresbewohnern  in  das  süsse 
Wasser  der  Flüsse  und  der  damit  in  Verbindung  stehenden  Seen 
geschehen  zu  denken. 


302       ^^^  P'auna  des  Süsswassers  in  ihren  Bezichunt^cn  zu  der  des  Meeres. 

Prof.  Milnes  Marshall  hat  unlängst*)  geltend  gemacht,  dass 
viele  das  Meer  bewohnende  wirbellose  Tiere  schon  deshalb  unfähig 
wären  in  das  Süsswasser  einzuwandern,  weil  sie  das  Ei  als  sehr 
kleine ,  bewimperte  Larven  verlassen,  welche  ganz  ausser  Stande 
seien,  gegen  irgend  welche  Strömung  anzukämpfen.  Es  könnten 
daher  —  nach  seiner  Ansicht  —  nur  solche  Formen,  welche  sich 
von  dem  freischwimmenden  Larvenzustand  emanzipiert  haben  und 
welche  das  Ei  in  ansehnlicher  Grösse  und  Stärke  verlassen,  dem 
Leben  im  Süsswasser  angepasst  werden.  Diese  Erklärung  mag  im 
allgemeinen  wohl  das  Richtige  treffen;  indessen  zeigt  uns  die  neuer- 
dings von  E.  Korscheit  10)  zum  Gegenstande  einer  speziellen  Unter- 
suchung gemachte  Entwickelung  von  Dreyssena  polymorplia ,  dass 
diese  ursprünglich  marine  Muschel  das  freischwimmende  Larven- 
stadium (Trochophora)  beibehalten  hat.  Dieser  Nachweis  ist  von 
hohem  Interesse.  Die  Larven  sind  sehr  klein  und  sie  machen 
beim  ersten  Anblick  den  Eindruck  von  Infusorien.  Wenn  sich 
das  Mundsegel  (J'^ehmi)  in  stark  wimpenider  Bewegung  befindet, 
könnte  man  sie  auch  für  kleine  Rädertiere  halten.  Die  Schwärm- 
zeit dieser  winzigen  Wesen  beläuft  sich  auf  etwa  acht  Tage. 
Korscheit  konstatierte,  dass  sie  im  Tegeler  See  bei  Berlin  un- 
gefähr Ende  Juni  erscheinen  und  die  oberen  Wasserschichten  in 
Menge  bevölkern.  Im  Grossen  Plöner  See  waren  sie  nach  meiner 
eigenen  Wahrnehmung  in  diesem  Sommer  (1891)  während  der 
Zeit  vom  5.  bis  10.  Juli  ebenfalls  massenhaft  vorhanden,  und  zwar 
durchweg  im  freien  Wasser  des  ganzen,  mächtigen  Sees  bis  zu 
2  m  Tiefe.  Prof.  F.  Blochmann  hat  auch  im  Waniowflusse  (bei 
Rostock)  Dreyssena-Larven  angetroffen,  und  hiermit  wird  eine  Er- 
klärung für  die  schnelle  Verbreitung  dieser  Muschel  gegeben.  Denn 
offenbar  können  jene  winzigen  Wimperlarven  innerhalb  der  achttägigen 
Schwärmzeit  ausserordentlich  weit  von  der  Strömung  fortgetragen 
werden.  Das  erstaunlich  üppige  Gedeihen  der  Drevssena  in 
manchen  Gewässern  zeigt  übrigens,  dass  sich  die  zarten  Larven  der- 
selben in  unseren  Flüssen  und  Binnenseen  sehr  wohl  befinden  müssen. 


*)   „über  Rekapitulation  in  der  Embryologie."    Rede  zur  Eröffnung  der  biologischen 
Sektion  in  der  British  Association  (Jahresversammlung)  zu  Leeds.     1890. 


Die  Fauna  des  Süsswassers  in  ihren  Beziehungen  zu  der  des  Meeres.       303 

Handelt  es  sich  um  die  Erklärung  des  Vorhandenseins  von 
Tieren  marinen  Charakters  in  solchen  Seebecken,  die  heutzutage 
nicht  mehr  mit  einem  Flusssystem  zusammenhängen,  sondern  eine 
vüllie  isolierte  Lasie  haben  (wie  z.  B.  zahlreiche  schwedische  und 
finnisclie  Seen),  so  hat  man  sich  vor  Augen  zu  halten,  dass  die 
h\-drographischen  Verhältnisse  Nord-  und  Mitteleuropas  am  Schlüsse 
der  Eiszeit  ganz  andere  waren,  als  sie  jetzt  sind. 

Die  Flussläufe  weiter  Länderstrecken  sind  gegenwärtig  nur 
schwächliche  Abbilder  früher  ungleich  wasserreicherer  und  breiterer 
Stromrinnen.  Hindernisse,  welche  sich  heute  in  Gestalt  von  Wasser- 
fällen und  Stromschnellen  der  Tiereinwanderung  entgegenstellen, 
waren  ehedem  überhaupt  nicht  oder  doch  nur  in  geringerem  Mass- 
stabe vorhanden.  Zwischen  jetzt  getrennten  Flusssystemen  bestanden 
Verbindungskanäle;  seeartige  Erweiterungen  der  Flüsse  existierten 
in  weit  grösserer  Anzahl  als  unter  den  heutigen  erdgeschichtlichen 
Verhältnissen  und  bildeten  Etappen  für  die  Wanderung  der  im 
Süsswasser  sich  ansiedelnden  Meeresfauna.  In  den  breit  ausge- 
waschenen Thälern  des  baltischen  Landrückens  erkennen  \\^r  noch 
deutlich  die  alten  Verbindungen  der  jetzt  getrennten,  ehemals  aber 
zu  einem  gewaltigen  Urstromsystem  vereinigten  ostdeutschen  Flüsse, 
durch  welche  die  Gewässer  der  Weichsel,  der  Oder  und  der  Elbe 
vereinigt  zur  Nordsee  abflössen. 

Es  ist  ein  Verdienst  des  Greifswalder  Professors  der  Erdkunde 
Rud.  Credner,  diese  Momente  zuerst  nachdrücklich  betont  und 
zum  Gegenstande  einer  umfangreichen  Monographie  gemacht  zu 
haben  2),  aus  welcher  der  Zoolog  die  Mahnung  schöpfen  kann,  dass 
er  auf  blosse  Tierfunde  hin  nicht  berechtigt  ist,  irgend  einen  See 
für  den  Rest  einer  vorzeitlichen  Meeresbedeckung  anzusehen.  Nur 
wenn  aus  den  geologischen  Verhältnissen  zugleich  mit  hervorgeht, 
dass  wir  es  wirklich  mit  einem  abgesperrten  Fjord  oder  einer  einst- 
maligen Meeresbucht  zu  thun  haben,  liegt  Sicherheit  dafür  vor, 
dass  wir  in  der  anwesenden  marinen  Fauna  keine  späteren  Ein- 
wanderer, sondern  wirklich  von  der  ]\Ieeresflut  selbst  hierher 
getragene  und  nach  dem  Rückzuge  des  Wassers  in  loco  ver- 
bliebene Lebewesen  vor  uns  haben.      Ein  See,    der   die  vollgültige 


304      ^^^  Fauna  des  Süsswassers  in  ihren  Beziehungen  zu  der  des  Meeres. 

geologische  Legitimation  für  seinen  marinen  Ursprung  aufzuweisen 
vermag,  ist  dann  ein  echter  Reliktensee  im  Gegensatz  zu  den  vielen 
anderen  ebenso  bezeichneten  Wasseransammlungen,  die  zu  einer 
marinen  Tierwelt  nur  dadurch  gekommen  sind,  dass  an  das  salz- 
freie Element  bereits  gewöhnte  Meerbewohner  aktiv  oder  passiv  in 
sie  einwanderten. 

Mit  dem  Ausdruck  „passive  Wanderung"  benennt  man  die 
verschiedenen  Arten  von  Verschleppung  kleinerer  Tiere ,  welche 
durch  grössere  Organismen,  die  dabei  als  Transporteure  thätig  sind, 
bewirkt  wird.  So  wird  z.  B.  ein  asselartiges  Krebstier  (Idotea 
entomon),  welches  als  ein  Hauptrepräsentant  der  Reliktenfauna  zahl- 
reicher skandinavischer  Seen  aufgeführt  wird,  durch  Störe,  an  die 
es  sich  anheftet,  in  den  Flüssen  Sibiriens  weite  Strecken  strom- 
aufwärts gebracht.  In  ähnlicher  Weise  sind  auch  Sturmwinde  und 
wandernde  Sumpfvögel  wirksam,  insofern  sie  kleinere  Tiere  des 
Meeres  oder  deren  Eier  und  Jugendformen  (mittels  Transports  durch 
die  Luft)  dem  Süsswasser  oder  zunächst  salzärmeren  und  der  Aus- 
süssung  unterworfenen  Gewässern  zuführen. 


o 


Ich  war  in  hohem  Grade  verwundert,  als  ich  bei  einer  im 
Sommer  1884  vorgenommenen  Durchforschung  der  bekannten  Hoch- 
seen des  Riesengebirges  in  jedem  dieser  beiden  isoliert  gelegenen 
Wasserbecken  eine  Alonotus-  hx\.  antraf.  Hierunter  sind  Strudel- 
würmer zu  verstehen,  die  einer  im  Meere  lebenden  Gattung  ange- 
hören. Überraschender  Weise  ist  dieser  Riesengebirgs-i'[/o//o^ws  nahe 
verwandt  mit  einer  im  Sunde  zahlreich  vorkömmlichen  Spezies, 
welche  in  der  Litteratur  unter  dem  Namen  Monocelis  spinosa  Jensen 
aufgeführt  wird.  Später  entdeckte  man  die  nämliche  Spezies,  für 
die  ich  die  Bezeichnung  Monotus  laciistris  in  Vorschlag  gebracht 
habe,  auch  im  Peipus  (Russland)  und  in  mehreren  schweizerischen 
Seen  4).  Charakteristisch  für  die  Biologie  dieses  Tierchens  ist  der 
Umstand,  dass  sein  Vorkommen  auf  grosse  und  kühltemperierte 
Wasserbecken  beschränkt  erscheint.  In  kleineren  Teichen  oder 
Tümpeln,  die  sich  leicht  erwärmen,  ist  es  bis  jetzt  nicht  auf- 
gefunden worden. 


Die  P'auna  des  Süsswassers  in  iliien  Beziehunfien  7.u  der  des  Meeres.         3Q5 

Diese  Vorliebe  des  Süsswasser  -  Moiiotus  für  kalte  Seen ,  und 
die  bereits  hervorgehobene  Eigentümlichkeit,  dass  derselbe  mit  einer 
marinen  Spezies  des  Nordens  in  nächster  Verwandtschaftsbeziehung 
steht,  lassen  die  Hypothese  nicht  ungerechtfertigt  erscheinen,  dass 
wir  es  in  dem  eigentümlichen,  kälteliebenden  Tiere  mit  einem 
überlebenden  Bewohner  jener  zahlreichen  Schmelzwasserseen  zu 
thmi  haben,  die  sich  am  Ausgange  der  Eiszeit  bildeten,  und  die 
sowohl  unter  sich  als  auch  mit  dem  nördlichen  Meere  durch  natür- 
liche Zwischenkanäle  in  Verbindung  standen.  In  ein  derartig 
zusammenhängendes  System  von  grösseren  und  kleineren  Wasser- 
ansammlungen konnte  eine  anpassungsfähige  Turbellarienform  des 
Meeres  leicht  einwandern  und  eine  grosse  Verbreitung  erlangen. 
Sie  vermochte  aber  andernteils,  wenn  die  einzelnen  Seen  aus 
Mangel  an  Wasserzufuhr  verdunsteten,  nur  an  solchen  Örtlichkeiten 
auszudauern ,  welche  annähernd  die  nämlichen  Lebensbedingungen 
darboten,  wie  die  von  den  Schmelzwässern  der  nordischen  Eis- 
ströme gebildeten  Gletscherseen.  Auf  solche  Art  erklärt  sich  auch 
die  merkwürdige  sporadische  Verbreitung  des  Monotus  lacustris  am 
ungezwungensten,  und  es  ist  damit  gleichzeitig  motiviert,  dass  ich 
dieses  Tier  in  einer  früheren  Publikation  als  eine  fremdartige  Er- 
scheinung in  unserer  Süsswasserfauna  bezeichnet  habe.  Natürlich 
halte  ich  diese  Erklärung  zunächst  für  hypothetisch,  aber  sie  ist, 
im  Anschluss  an  die  oben  mitgeteilten  anderweitigen  Thatsachen,  für 
den  Augenblick  entschieden  annehmbar  4). 

Ein  namhafter  italienischer  Naturforscher,  Prof.  Pietro  Pavesi 
in  Pavia,  tritt  mit  grossem  Eifer  auch  für  den  marinen  Urspmng 
der  sogenannten  „pelagischen"  Fauna  unserer  Landseen  ein,  insofern 
er  die  beiden  Hauptvertreter  dieser  vorwiegend  aus  kleinen  Krebsen 
bestehenden  Tierschwärme  (Leptodora  und  Bythotrephes)  für  Meeres- 
formen erklärt,  welche  die  Gewohnheit,  im  Süsswasser  zu  leben, 
angenommen  haben.  Da  sich  für  Bythotrephes  (Fig.  76  des  ersten 
Bandes)  in  einem  kleinen  ozeanischen  Krebse  {Podon)  ein  in 
morphologischer  Beziehung  verwandtes  Geschöpf  nachweisen  lässt, 
und  da  Leptodora  (Fig.  75  in  Band  I)  ihrer  Organisation  nach 
vr)llig  isoliert  unter  den  Süsswasserkrustern  dasteht,  so  mag  Pavesis 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  20 


306      -^'^  Fauna  des  Süsswassers  in  ihren  Beziehungen  zu  der  des  Meeres. 

Ansicht  für  diese  beiden  pelagischen  Spezies  zu  Recht  bestehen. 
Weshalb  aber  die  anderen  Bewohner  des  freien  Wassers  unserer 
Binnenseen,  deren  nahe  Verwandtschaft  mit  den  Uferspezies  sofort 
in  die  Augen  fällt,  gleichfalls  mariner  Herkunft  sein  sollen,  dies  ist 
schwer  ersichtlich.  Noch  unbegreiflicher  aber  ist  Pavesis  Schluss- 
folgerung, dass  diejenigen  Seen,  in  denen  sich  eine  pelagische  Fauna 
konstatieren  lässt,  immer  wirkliche  Reliktenseen,  d.  h.  Überbleibsel 
einer  vormaligen  Meeresbedeckung,  sein  sollen.  Wäre  diese  Schluss- 
weise zulässig,  so  müsste  auch  der  Bremer  Stadtgraben  (in  welchem 
1838  che  vielberufene  Leptodora  hyalina  von  Dr.  Focke  entdeckt 
wurde)  mit  zu  den  echten  Reliktenseen  gezählt  werden,  was  wohl 
Niemand  im  Ernste  verlangen  wird.  Und  ebenso  hätte  man  das 
Recht ,  manche  mit  Wasser  angefüllte  Ziegelei  -  Ausschachtungen, 
weil  in  denselben  einige  pelagische  Rädertierspezies  vorkommen, 
für  abgesperrte  Fjorde  eines  vorzeitlichen  Ozeans  zu  halten.  Dies 
wäre  aber  einfach  absurd.  Prof  Pavesi  lässt  aus  Liebe  zu  seiner 
Theorie  der  „Fauna  relegata"  ganz  ausser  Acht,  dass  die  kleinen 
Süsswassertiere  (oder  deren  Eier)  durch  wandernde  Sumpfvögel 
leicht  von  See  zu  See  verschleppt  werden,  sodass  sie,  wie  durch 
Imhof  erwiesen  ist,  selbst  bis  in  die  hochgelegensten  Alpenseen 
hinauf  verbreitet  sind.  Auf  dem  Wege  solcher  passiven  Wande- 
rungen —  wie  man  es  nennt  —  werden  jene  Organismen  auch  in 
die  zahllosen  binnenländischen  Tümpel  und  Seen  übergeführt,  ohne 
dass  letztere  zu  irgend  einer  Zeit  mit  dem  Meere  in  direkter  Ver- 
bindung gestanden  haben. 

Positive  Beweise  dafür,  dass  Schwimmvögel  zur  Verbreitung 
von  kleinen  Wasserorganismen  beitragen  können,  liegen  mehrfach 
vor.  F.  A.  Forel  wurde  187Ö  durch  eine  Beobachtung  von  Alois 
Humbert  in  Genf  zu  der  Überzeugung  gebracht,  dass  mindestens 
die  kleinen  Kruster  auf  solche  Weise  gelegentlich  verpflanzt  werden. 
Humbert  hatte  nämlich  Wintereier  von  Cladoceren  (Wasserflöhen) 
dem  Gefieder  von  wilden  Enten  und  Tauchern  anhängend  gefunden. 
Diese  einzige  Wahrnehmung  warf  mit  einem  Male  Licht  auf  das 
sonst  rätselhafte  Vorhandensein  von  zahlreichen  Spezies  niederer 
Organismen    in    völlig  isolierten  Wasseransammlungen.      In  welcher 


Die  Fauna  des  Süsswassers  in  ihren  Beziehungen  zu  der  des  Meeres.       3Q7 

Menge  solche  Wintereier  am  Schlüsse  des  Sommers  vorkömmlich 
zu  sein  pflegen,  darauf  wirft  eine  Schilderung  Licht,  die  von  Prof. 
G.  Asper  und  J.  Heuscher  seinerzeit  gegeben  worden  ists).  „Als 
wir"  —  so  heisst  es  in  derselben  —  „am  27.  Juli  1886  am  oberen 
Ende  des  Fählensees  (Schweiz)  Steine  umwenden  wollten,  um  die 
darunter  sich  aufhaltenden  Tiere  zu  sammeln,  trafen  wir  den  ganzen 
Ufersaum  etwa  einen  halben  Meter  breit  mit  einer  dunklen  Schicht 
bedeckt.  Die  ins  Wasser  eingetauchte  Hand  wurde  beim  Heraus- 
ziehen schwarz  durch  eine  Unzahl  kleiner  Körperchen,  die  hart- 
näckig anhafteten.  Es  waren  die  Ephippien  (Eiersättel)  einer 
Daphnie,  sehr  wahrscheinlich  solche  von  D.  longispina.  Sie  waren 
im  Trockenen  kaum  von  der  Haut  wegzubringen,  lösten  sich  da- 
gegen sehr  leicht  ab,  wenn  man  die  Hand  wieder  ins  Wasser 
tauchte.  Die  Körperchen  zeigten  keine  Adhäsion  fürs  Wasser,  sie 
blieben  trocken  wie  die  Federn  der  Schwimmvögel  und  flottierten 
an  der  Oberfläche.  Der  scharf  über  den  See  streichende  Wind 
hatte  wohl  einen  bedeutenden  Teil  der  zerstreuten  Eier  an  das 
obere  Ufer  getrieben.  Die  ungemein  weite  Verbreitung  der  genannten 
Spezies  kann  uns  hiernach  nicht  in  Erstaunen  setzen.  Denn  wie 
viele  Tausende  von  Eiern  bleiben  an  den  Füssen  der  Rinder  hängen, 
die  hier  und  dann  anderwärts  zur  Tränke  gehen;  wie  leicht  kleben 
sie  an  der  Brust  jedes  Vogels  fest,  der  ins  Wasser  geht,  oder  auch 
an  der  Gemse,  die  hier  ihren  Durst  stillt." 

Was  die  Cyclops-  oder  Diaptomus  -  Arten  betrifft  (vergl. 
das  IX.  Kapitel  des  ersten  Bandes),  die  fast  niemals  in  einer 
grösseren  Wasserlache  fehlen,  so  scheint  es,  dass  dieselben  eine 
nahezu  vollständige  Austrocknung  vertragen  können.  J.  Vo sseler 
bemerkt  darüber  in  einer  älteren  Publikation c)  folgendes:  „Mehrere 
Male  waren  einige  meiner  Fundorte  trocken  gelegt  und  bis  zu  einer 
Tiefe  von  i  —  1I/2  Fuss  kein  feuchtes  Erdreich  mehr  zu  finden. 
Kaum  stand  jedoch  über  dem  trockenen  Schlamm  etwas  Wasser, 
so  war  dies  alsbald  wieder  von  Cyclopiden  belebt".  Tiere  von 
solcher  Lebenszähigkeit  werden  also  sicherlich  auch,  wenn  sie  auf 
das  Gefieder  eines  Vogels  geraten,  einen  weiten  Transport  durch 
die  Luft  auszuhalten  vermögen.     Übrigens  würden  die  den  weiblichen 

20* 


3Qy         Die  Fauna  des  Süsswassers  in  ihren  Beziehunj^cn  zu  der  des  Meeres. 

Spaltfusskrebsen    anhängenden    Eier    auch    dann    entwickelungsfähig 
bleiben,  wenn  das  Muttertier  unterwegs  zu  Grunde  gehen  sollte. 

Neben  den  Vögeln  spielen  aber,  wie  Dr.  W.  Migula  gezeigt 
hat,  auch  die  Wasserkäfer  eine  bedeutsame  Rolle  bei  der  Verbreitung 
der  kleinen  und  zum  Teil  mikroskopischen  Süsswasserorganismen. 
Der  Genannte  fand  nämlich,  dass  Eiidorina  elegans,  Pandorina 
morum,  Scenedesmus  obtusus  und  sonstige  Algen  durch  derartige 
Käfer  verschleppt  und  in  andere  Wasserbecken  verpflanzt  werden. 
Migula  fasst  das  Ergebnis  seiner  Untersuchungen  in  folgendem 
Passus  zusammen ''):  „Da  die  Wasserkäfer  (besonders  des  Nachts) 
ihren  Aufenthalt  häufig  wechseln  und  nachweisbar  oft  weit  ent- 
fernte Gewässer  aufsuchen,  so  vermitteln  sie  gewiss  in  allen  jenen 
Fällen  die  Verbreitung  der  Algen ,  wo  es  sich  um  kleine  Lachen 
und  Tümpel  handelt,  die  wohl  für  Wasserkäfer,  aber  nicht  für 
Wasservögel  von  Interesse  sind.  Das  konstante  Vorkommen  von 
Algen  an  den  Körperteilen  von  Wasserkäfern  lässt  sogar  darauf 
schliessen ,  dass  diesen  bei  dem  Transport  von  Mitgliedern  der 
niederen  Flora  eine  grössere  Rolle  zukommt,  als  den  Wasservögeln 
oder  der  strömenden  Luft.  In  Wirklichkeit  verhält  es  sich  wahr- 
scheinlich so,  dass  die  Luft  kleinste  und  der  Austrocknung  wider- 
stehende Formen  verbreitet,  Wasservögel  den  Transport  nach  weit 
entfernten  Gegenden  vermitteln  und  Wasserkäfer  in  ausgedehnter 
Weise  für  die  Ausbreitung  einer  Spezies  innerhalb  enger  räumlicher 
Grenzen  thätig  sind".  Dass  mit  den  Algen  zugleich  auch  ein- 
gekapselte Protozoen,  Eier  von  kleinen  Würmern  u.  s.  w.  trans- 
portiert werden  können,  wird  Niemand  als  etwas  Unwahrscheinliches 
betrachten. 

Auf  die  ebenfalls  weit  verbreiteten  Was s er m üben  (Hydrach- 
niden)  scheint  der  Modus  einer  Überführung  derselben  von  einem 
Gewässer  zum  andern  überhaupt  nicht  anwendbar  zu  sein,  weil  diese 
Tiere  für  das  Trockenwerden  sehr  empfindlich  sind  und  ausserhalb 
des  Wassers  schnell  zu  Grunde  gehen.  Um  so  dringlicher  erhebt 
sich  hiernach  die  Frage,  auf  welche  Weise  diese  spinnenartigen  Wesen 
in  die  grossen  und  kleinen  Seebecken  hineingelangen,  wo  wir  sie 
vorfinden.      Über   diesen  Punkt   hat   uns   unlängst  der  französische 


Die  Fauna  des  Süsswassers  in  ihren  Beziehungen  zu  der  des  Meeres.         399 

Naturforscher  Th.  Barrois^)  aufgeklärt.  Derselbe  entdeckte  näm- 
lich, dass  es  nicht  die  erwachsenen  Individuen,  sondern  die  durch 
einen  dicken  Chitinpanzer  geschützten  Puppen  der  Wassermilben 
seien,  welche  der  passiven  Wanderung  unterworfen  werden,  insofern 
sich  dieselben  an  den  Leibern  verschiedener  Wasserwanzen  (Nepa, 
Notonccla)  festheften  und  so  von  diesen  fliegenden  Insekten  auf 
weite  Entfernungen  hin  transportiert  werden.  Barrois  zeigte  durch 
das  Experiment,  dass  Wasserwanzen  viele  Stunden  auf  dem 
Trockenen  ausdauem  können,  ohne  dass  die  Entwickelungsfähig- 
keit  jener  Puppen  darunter  leidet.  Letztere  werden  also  auch 
dann  ungefährdet  bleiben,  wenn  die  Wasserwanzen,  ihrer  Gewohn- 
heit folgend,  während  der  Nacht  von  einem  Teiche  zum  anderen 
fliegen.  Auf  solche  Art  gelangen  nun  zahlreiche  zum  Ausschlüpfen 
reife  Larven  von  Hydrachniden  an  weit  entfernte  Wohnplätze  und 
verbleiben  dort  für  immer,  nachdem  sie  die  Puppenhülle  gesprengt 
und  verlassen  haben.  Ihr  weiteres  Wachstum  vollzieht  sich  in  dem 
einen  Gewässer  so  gut  wie  in  dem  anderen,  und  daher  kommt  es, 
dass  wir  selten  in  einem  Graben  oder  Tümpel  vergeblich  nach 
Hydrachniden  suchen. 

Andere  überall  vorkommende  Tiere,  wie  z.  B.  die  kleinen 
Süsswasser  -  Oligochäten  (Nais,  Qiaetogaster  etc.),  sind  mit 
zahlreichen  Büscheln  von  Hakenborsten  ausgerüstet,  und  dies 
führt  .auf  den  Gedanken,  dass  sie  durch  diese  Borsten  in  der 
Vornahme  passiver  Wanderungen  stark  begünstigt  werden.  Manche 
Turbellarien  besitzen,  wie  wir  früher  sahen,  sogenannte  „Kleb- 
zellen" in  der  Nähe  des  hinteren  Körperendes,  und  höchst 
wahrscheinlich  dienen  dieselben  gelegentlich  ebenfalls  dazu,  ihren 
Besitzern  eine  Luftreise  zu  ermöglichen.  Jene  Zellen  sind  einer 
so  energischen  Thätigkeit  fähig,  dass  man  die  betreffenden  Strudel- 
würmer oft  eher  zerreissen,  als  von  ihrer  Befestigungsstelle  los- 
lösen kann. 

Eine  ganz  vorzügliche  Geeignetheit  zur  Ausführung  passiver 
Wanderungen  müssen  wir  übrigens  auch  bei  vielen  Spezies  von 
Wasserschnecken  und  Muscheln  voraussetzen,  denn  diese 
Mollusken   sind    selbst    noch    in   manchen    Gebirgsseen   anzutreffen. 


310       Die  Fauna  des  Süsswassers  in  ihren  Beziehungen  zu  der  des  Meeres. 

Fand  doch  A.  Brandt  selbst  in  dem  1904  m  hohen  Goktschai 
(Armenien)  Limnäen,  Planorbis  carinatus  und  Pisidien  vor.  Das 
Pisidimn  fossarimmi  konstatierte  A.  Wierzejsky  in  21  Seen  der 
Hohen  Tatra,  und  einer  Notiz  Imhofs  zufolge  ist  die  nämliche 
Muschel  sogar  noch  auf  dem  Splügen  zu  finden. 

Nach  einer  wertvollen  Beobachtung  Darwins  scheint  haupt- 
sächlich den  ganz  jungen  Schnecken  das  Vermögen  zu  weiten 
Wanderungen  beizuwohnen ,  wie  sich  aus  folgender  Stelle  des 
Kapitels  über  geographische  Verbreitung  in  der  „Entstehung  der 
Arten"  ergiebt.  Darwin  sagt  dort:  „Wenn  eine  Ente  sich  plötz- 
lich aus  einem  mit  Wasserlinsen  bedeckten  Teiche  erhebt,  so  bleiben 
oft  einige  dieser  kleinen  Pflanzen  auf  ihrem  Rücken  hängen,  und 
es  ist  mir  vorgekommen,  dass,  wenn  ich  einige  Wasserlinsen  aus 
einem  Aquarium  ins  andere  versetzte,  ich  ganz  absichtslos  das 
letztere  mit  Süsswassermollusken  des  ersteren  bevölkerte.  Doch  ist 
ein  anderer  Umstand  vielleicht  noch  wirksamer.  Ich  hängte  einen 
Entenfuss  in  einem  Aquarium  auf,  wo  viele  Eier  von  Wasser- 
schnecken auszukriechen  im  Begriffe  waren,  und  fand,  dass  bald 
eine  grosse  Menge  der  äusserst  kleinen  Schnecken  an  dem  Fusse 
umherkrochen  und  sich  so  fest  an  demselben  anklebten,  dass  sie 
kaum  abgeschabt  werden  konnten,  obwohl  sie  in  einem  etwas  vor- 
gerückten Alter  freiwillig  davon  abgefallen  wären.  Diese  frisch 
ausgeschlüpften  Mollusken  lebten  an  dem  Entenfusse  in  feuchter 
Luft  12 — 20  Stunden  lang,  und  während  dieser  Zeit  kann  eine 
Ente  oder  ein  Reiher  mindestens  600- — 700  englische  Meilen  weit 
fliegen,  um  sich  dann  in  einem  Sumpfe  oder  Bache  niederzulassen". 

Im  Anschluss  an  diese  Mitteilung  berichtet  Darwin  noch  über 
den  merkwürdigen  Fall,  wo  ein  Wasserkäfer  (Dytiscus)  mit  einer 
ihm  anhaftenden  Napfschnecke  (Ancylus)  gefangen  wurde.  Über 
andere,  nicht  weniger  interessante  Vorkommnisse,  welche  speziell 
die  passiven  Wandenmgen  von  Muscheln  betreffen,  berichtet  Charles 
Darwin  in  einem  Aufsatze  der  „Nature"  vom  Jahre   1882. 

Die  kosmopolitische  Verbreitung  vieler  Protozoen,  hauptsächlich 
diejenige  der  Difflugien  und  Arcellen  (die  fast  nirgends  fehlen, 
wo  etwas  Feuchtigkeit  vorhanden  ist),  geschieht  vorwiegend  durch  den 


Die  Fauna  des  Süsswassers  in  ihren  Beziehungen  zu  der  des  Meeres.      3 1  J 

Wind,  wenn  er  über  die  Böden  ausgetrockneter  Tümpel  hinfegt.  Doch 
wird  es  auch  vorkommen,  dass  manche  Spezies  mit  den  Schlamm- 
klümpchen,  die  an  den  Schwimmfüssen  wilder  Enten  u.  s.  w.  hängen 
bleiben,  einen  Ortswechsel  erfahren.  Besondere  Anpassungen  scheinen 
bei  diesen  niederen  Organismen  sehr  selten   nachweisbar  zu  sein. 

Doch  ist  mir  gelegentlich  eine  Diffliigia  im  Riesengebirge  zu 
Gesicht  gekommen,  welche  im  Umkreise  der  weiten  Wölbung  ihres 
Gehäuses  acht  stachelartige  Fortsätze  besitzt,  von  denen  jeder  noch 
eine  gekrümmte  Spitze  trägt,  die  sich  wie  eine  wanzige  Kralle  aus- 
nimmt. Jedes  Exemplar  der  von  mir  in  nassen  Moospolstern 
(Sphagyiiim)  gesammelten  Difflugien  (siehe  Band  I,  Fig.  16)  zeigt 
konstant  die  geschilderte  Eigentümlichkeit,  während  sie  im  übrigen 
fast  ganz  mit  der  von  LeidyS)  beschriebenen  Diffliigia  Corona 
übereinstimmt.  Ich  erblicke  in  der  Riesengebirgs  -  Diffliigia  ein 
interessantes  Beispiel  dafür,  dass  auch  bei  Protozoen  gelegentlich 
spezialisierte  Haftorgane  zur  Ausbildung  gelangen,  die  offenbar  dazu 
dienen  können,  passive  Wanderungen  zu  erleichtem.   — 

Nach  allen  vorausgegangenen  Ausführungen  und  Erörterungen 
bietet  also  das  Auftreten  von  marinen  Tierformen  im  Süsswasser 
gar  keine  Gewähr  dafür,  dass  diese  Wesen  an  Ort  und  Stelle  selbst 
den  Anpassungsprozess  von  dem  einen  Medium  ans  andere  voll- 
zogen haben.  Vielmehr  ist  es,  wie  einige  der  mitgeteilten  That- 
sachen  zeigen,  in  den  weitaus  meisten  Fällen  als  das  Wahrschein- 
lichere zu  betrachten,  dass  jene  Spezies  von  marinem  Habitus 
durch  aktive  oder  passive  Einwanderung  in  die  jetzt  von  ihnen 
bewohnten  Binnenseen  gelangt  sind.  Nur  wenn  in  überzeugender 
Weise  durch  den  geologischen  Befund  erhärtet  werden  kann,  dass 
die  bezüglichen  Seen  wirkliche  (aber  im  Laufe  der  Zeit  ausgesüsste) 
Meeresabschnitte  sind,  kann  von  der  Existenz  einer  eigentlichen 
Reliktenfauna  in  ihnen  die  Rede  sein.  Von  den  mehr  als  hundert 
Seen,  in  denen  Tiere  von  marinem  Charakter  gefunden  worden 
sind,  leisten  nur  sehr  wenige  der  obigen  Bedingung  Genüge.  Echte 
Reliktenseen  aber  sind  z.  B.  zahlreiche  Wasserbecken  des  mittlem 
und  südlichen  Schweden. 


Litteratur. 


1 )  J.  V.  Kennel,  Biologische  und  faunistische  Notizen  aus  Trinidad. 
Arbeiten  aus  dem   Zool.-anatom.   Institut  in  Würzburg,    1883. 

2)  R.  Credner,  Die  Reliktenseen.  Petermanns  Mitteilungen  1887. 

3)  Vergl.  G.  DupleSSiS-Gouret,  Essay  sur  la  faune  profonde 
des  Lacs  de  la  Suisse,    1885. 

4)  Vergl.  Fr.  Zschokke,  Die  Tierwelt  der  Hochseen.  Verhandl. 
der  Deutschen  Zoolog.  Gesellschaft  auf  der  i.  Jahresversammlung 
von   1891. 

5)  G.  Asper  und  J.  Heuscher,  Zur  Naturgeschichte  der  Alpen- 
seen. Jahresbericht  der  St.  Gallisch.  Naturw.  Gesellschaft,   1885 — 80. 

6)  J.  Vosseier,  Die  freilebenden  Copepoden  Württembergs  etc., 
1886. 

7)  Vergl.  W.  Migula,  Die  Verbreitungsweise  der  Algen.  Biolog. 
Zentralblatt,   8.  Bd.,   No.  17,    1888. 

8)  Th.  Barrois ,  Note  sur  la  dispersion  des  Hydrachnides. 
Revue  biologique  du  Nord  de  la  France.     T.  I.     1888 — 89. 

9)  Leidy,   Freshwater  Rhizopoda  of  North- America,   1879. 
10)  E.  Korschelt,  Die  Entwickelung  von  Dreyssena  polymorpha. 

Sitzungsber.  der  Gesellsch.  naturf  Freunde  in  Berlin,  Jahrg.  1891. 


über  die  wissenschaftlichen  Aufgaben 
biologischer  Süsswasser-Stationen. 


Von  Dr.  OttO  ZachariaS  in  Plön  (Holstein). 


/\uch  ausserhalb  der  Fachkreise  dürfte  es  ziemlich  allgemein 
bekannt  sein,  dass  ich  vor  einigen  Jahren  (1888)  die  Errichtung 
einer  besonderen  Anstalt  zum  Zwecke  eingehender  Untersuchungen 
über  die  Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers  angeregt  und  in 
ihrer  Notwendigkeit  begründet  habe.  Es  geschah  dies  durch  einen 
Aufsatz  in  No.  269  des  „Zoologischen  Anzeigers".  Seitdem  sind 
drei  Jahre  verflossen  und  in  der  wissenschaftlichen  sowohl  wie  in 
der  Tagespresse  ist  der  betreffende  Vorschlag  vielfach  erörtert 
worden.  Namhafte  Zoologen  und  Botaniker  zollten  meinem  Plane 
sogleich  Beifall  und  bestärkten  mich  in  meinem  Vorhaben;  andere, 
nicht  minder  ausgezeichnete  Forscher  nahmen  aber  das  Projekt 
mit  Zurückhaltung  auf  Dies  ist  der  gewöhnliche  Gang  der  Dinge, 
sobald  es  sich  um  eine  Neuerung  handelt.  Meistenteils  werden  in 
einem  solchen  Falle  auch  noch  absprechende  Stimmen  laut;  diese 
Regel  bestätigte  sich  jedoch  meinen  Bestrebungen  gegenüber  nicht. 
Im  Gegenteil  gesellte  sich  zu  den  beistimmenden  Kundgebungen 
alsbald  noch  der  weitere  günstige  Umstand,  dass  wohlhabende 
Fach-  und  Privatleute  das  Projekt  in  freigebigster  Weise  durch  Geld- 
spenden förderten.  Hierdurch  und  durch  das  wahrhaft  liberale  Ent- 
gegenkommen des  Bürgermeisters*)  und  der  Stadtgemeinde  von  Plön 
ist  es  mir  schliesslich  gelungen,  meine  Pläne  zu  verwirklichen,  und 
gegenwärtig  erhebt  sich  am  Nordufer  des  Grossen  Plüner  Sees  —  in 


*)  Job.  Kinder. 


316     Über  die  wissenschaftlichen  Aufgaben  biologischer  Süsswasser-Stationen. 

unmittelbarster  Wassemähe  —  ein  stattliches,  villenähnliches  Ge- 
bäude, welches  eine  hinlängliche  Anzahl  von  Räumlichkeiten  umfasst, 
in  denen  wissenschaftliche  Untersuchungen  mit  derselben  Bequem- 
lichkeit vorgenommen  werden  können  wie  in  den  biologischen 
Laboratorien  kleinerer  Universitäten. 

Von  Seiten  der  Preussischen  Staatsregierung  wurde  dem  neu- 
begründeten Institute  in  der  Folge  auch  eine  finanzielle  Beihilfe 
(zunächst  auf  fünf  Jahre)  zu  teil,  sodass  ein  recht  glücklicher  Anfang 
für  das  lediglich  durch  Privat-Initiative  ins  Werk  gesetzte  Unter- 
nehmen zu  verzeichnen  gewesen  ist. 

Der  Studien- Aufenthalt  in  dieser  ersten  „Biologischen  Süsswasser- 
Station"  ist  Jedem  gestattet,  der  die  zum  selbständigen  Arbeiten 
erforderlichen  Vorkenntnisse  mitbringt.  Insbesondere  freilich  sind  die 
fünf  vorhandenen  Arbeitsplätze  für  Naturforscher  von  Fach  bestimmt, 
welche  am  Grossen  Plöner  See  zoologische,  pflanzenphysiologische 
oder  auf  das  Fischereiwesen  bezügliche  Beobachtungen  anstellen 
wollen.  Für  alle  diese  Zwecke  sind  in  der  Station  die  geeigneten 
Hilfsmittel  (Fahrzeuge,  Fanggerätschaften,  Mikroskope,  Reagentien 
und  Aquarien)  vorhanden. 

Wer  davon  unterrichtet  ist,  mit  welch  interessanten  Lebens- 
formen uns  die  letztjährigen  Durchforschungen  unserer  heimatlichen 
Tümpel,  Teiche  und  Seen  bekannt  gemacht  haben,  der  wird  die 
Nachricht  von  der  Begründung  einer  Dauerstation  zur  näheren 
Untersuchung  jener  Organismen  mit  aufrichtiger  Genugthuung 
begrüssen.  Die  Umgebung  von  Plön  ist  in  vorzüglicher  Weise  für 
diesen  Zweck  geeignet,  insofern  das  Thal  des  Schwentine-Flusses, 
in  welchem  das  freundliche  Städtchen  gelegen  ist,  fast  lediglich  aus 
einer  Aneinanderreihung  von  Wasserbecken  besteht,  von  denen  die 
kleinsten  so  gross  sind  wie  unsere  ansehnlichsten  mitteldeutschen 
Seen.  Hier  ist  also  ein  weites  Feld  für  faunistische  und  biologische 
Forschungen  eröffnet,  d.  h.  für  Studien,  welche  die  Feststellung  der 
verschiedenen  Tier-  und  Pflanzenorganismen  des  Süsswassers  und 
die  Ermittelung  von  deren  Existenzbedingungen  zum  Ziel  haben. 

Im  Hinblick  auf  den  Reichtum  an  Lebewesen,  welchen  das 
Meer    in    seinem    Schosse    birgt,    waren    Viele    von    der    Ansicht 


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318      Über  die  wissenscliaftlichen  Aufj^aben  biologischer  Süsswasser-Stationen. 

beherrscht,  dass  es  sich  wohl  erst  gar  nicht  verlohne,  Zeit  und 
Kraft  an  die  Gewässer  des  Binnenlandes  zu  verschwenden.  So 
wurde  die  Süsswassertierwelt  allmählich  zum  Aschenbrödel  der  wissen- 
schaftlichen Zoologie  degradiert,  und  wer  sich  wirklich  noch  damit 
abgab,  lief  Gefahr,  von  seinen  für  das  Salzwasser  schwärmenden 
Fachgenossen  als  ein  nicht  ganz  ebenbürtiges  Mitglied  der  Forscher- 
gilde betrachtet  zu  werden.  Glücklicherweise  giebt  es  aber  zu  jeder 
Zeit  Leute,  die  den  Mut  haben,  allgemeinen  Vorurteilen  zu  trotzen, 
und  so  hat  auch  die  Süsswasserfauna  in  den  jüngstverflossenen 
zwei  Jahrzehnten  ihre  Freunde  und  Bearbeiter  gefunden.  Männer 
wie  F.  A.  Forel,  G.  Asper  und  E.  Imhof  in  der  Schweiz, 
P.  Pavesi  in  Italien,  A.  Fritsch,  B.  Hellich  und  W.  Vavra  in 
Österreich,  O.  Nordquist  in  Finnland,  Jules  Richard  und  Jules 
de  Guerne  in  Frankreich  (zahlreicher  anderer  nicht  zu  gedenken) 
haben  mit  bewundernswerter  Unermüdlichkeit  dem  Studium  der 
Wassertierwelt  obgelegen  und  Erfolge  erzielt,  deren  wissenschaftliche 
Bedeutung  von  Niemand  mehr  übersehen  oder  in  Abrede  gestellt 
werden  kann.  Ich  selbst  habe  während  des  Zeitraumes  von  1884 
bis  1889  die  Fauna  der  nord-  und  mitteldeutschen  Seen,  sowie 
diejenige  der  Eifelmaare  durch  eingehende  Untersuchungen  fest- 
gestellt. Durch  eben  diese  Forschungen  sind  wir  mit  vielen  neuen 
Arten  von  kleinen  Krebstieren  (Entomostraken)  bekannt  geworden, 
haben  den  Reichtum  unserer  Gewässer  an  schwimmenden  und 
schlammbewohnenden  Würmern,  an  Schnecken,  Muscheln,  Moos- 
tieren und  einzelligen  Lebewesen  (Protozoen  und  niederen  Algen) 
kennen  gelernt,  sind  in  die  bunte  Gesellschaft  der  Wassermilben 
und  Wasserkerbtiere  eingedrungen,  deren  Gewimmel  hauptsächlich 
die  seichtere  Uferzone  belebt  —  kurz,  wir  haben  einen  umfassenden 
Überblick  über  die  mannigfaltige  Bewohnerschaft  unserer  binnen- 
ländischen Seebecken  erlangt,  die  bisher  nur  Fische  und  „Gewürm" 
(als  deren  Nahrung)  zu  enthalten  schienen.  Unsere  vermehrte 
Kenntnis  erstreckt  sich  aber  nicht  nur  auf  die  einzelnen  Gattungen 
und  Arten  der  äusserlich  unscheinbaren  Wasserfauna,  sondern  auch 
mit  auf  die  Art  und  Weise,  wie  jede  Spezies  ihren  besonderen 
Lebensverhältnissen  angepasst    ist,    wie    sie   sich  ernährt  und  ihren 


über  die  wissenschaftlichen  Auff^aben  biologischer  Süsswasser-Stationen.      319 

Platz  im  Kampfe  ums  Dasein  behauptet,  was  für  Mittel  ihr  zur 
räumlichen  Ausbreitung  verliehen  sind  und  welcher  Zusammenhang 
zwischen  der  Bevölkenmg  des  Seegrundes  und  derjenigen  der  ober- 
flächlichen Wasserschichten  (bezw.  tler  Uferzone)  besteht.  Aber 
mit  Gewinnung  dieser  Einsicht  sind  wieder  zahlreiche  neue  Probleme 
aufgetaucht,  welche  sich  auf  die  Ursachen  der  Veränderlichkeit,  die 
Wirkung  der  Isolierung,  den  mutmasslichen  Einfluss  des  „äusseren 
Mediums"  u.  dergl.  beziehen,  sodass  es  niemals  an  Arbeit  für  zahl- 
reiche Forscher  auf  diesem  Gebiete  fehlen  kann. 

Der  Hauptvorteil  eines  dicht  am  Seeufer  gelegenen  und  mit 
allen  Einrichtungen  der  modernen  Forschungstechnik  versehenen 
Stationsgebäudes  besteht  augenscheinlich  darin,  dass  man  auf  solche 
Weise  in  den  Stand  gesetzt  wird,  alle  Chancen  des  Wetters  und 
der  Beleuchtungsverhältnisse  beim  Einsammeln  der  Untersuchungs- 
objekte wahrzunehmen,  und  dass  sich  einem  in  beständiger  Wasser- 
nähe die  Möglichkeit  zu  zahlreichen  Beobachtungen  darbietet, 
welche  auf  nur  gelegentlichen  Ausflügen  an  dieses  oder  jenes  Wasser- 
becken —  aus  Mangel  an  Zeit  und  Ruhe  —  überhaupt  nicht 
gemacht  werden  können. 

Ich  denke  da  in  erster  Linie  an  die  Erforschung  der  Zu- 
sammensetzung der  sogenannten  pelagischen  Süsswasserfauna  (des 
Limnoplanktons)  in  den  verschiedenen  Jahreszeiten,  und  an  die  sehr 
wünschenswerte  Klarstellung  der  Beziehungen  dieser  merkwürdigen 
Tiergesellschaften  zu  den  übrigen  Bewohnern  des  betreffendes  Sees, 
besonders  auch  ihr  Verhältnis  zu  den  Fischen,  von  denen  einige, 
wie  man  glaubt,  vorwiegend  in  ihrer  Ernährung  auf  gewisse 
pelagisch  lebende,  d.  h.  beständig  im  freien  Wasser  sich  auf- 
haltende Krebstiere  angewiesen  sind.  Im  Grossen  Plöner  See 
besteht  jene  Fauna  pelagka  nach  meinen  Ermittelungen  (von  1886 
und  1891)  aus  folgenden  Spezies: 
Crustacea: 

Leptodora  hyalina  Lilljeb. 

DapJmcUa  brachyura  Liev. 

Hyalodaphnia  aicullata  Sars.,  var.  apicata  Kurz. 

Bosmiiia  coregoni  Baird. 


320     über  die  wisscnscbartliclien  Auf<:;aben  Ijioloi^nsclier  Süsswasser-Stationen. 

Bosmina  cormita  Jur. 
Cyclops  Simplex  Pogg. 
Diaptomus  gracilis  Sars. 
Rotatoria: 

Asplanchna  helvettca  Imhof 
Anuraea  longispiua  Kellic. 
Anuraea  cochlearis  Gosse 
Polyarthra  platyptcra  Ehrb. 

Dazwischen  kommt  auch  noch  in  grossen  Mengen  ein  zur 
Flagellaten-Gattung  Dmobryon  gehöriges  Wesen  (vergl.  Fig.  35  im 
ersten  Bande  dieses  Werkes)  und  das  ebenfalls  zu  den  Geissei- 
trägern gehörige  Ccratiimi  hirundinella  vor.  Ein  feines  Schwebnetz 
aus  Müllergaze,  mit  dem  wir  vom  Boote  aus  bloss  zehn  Minuten 
lang  die  oberflächlichen  Wasserschichten  der  Seenmitte  abfischen, 
enthält  nach  Ablauf  dieser  kurzen  Zeit  einen  förmlichen  Brei  auf 
seinem  Grunde,  welcher  lediglich  aus  den  soeben  namhaft  gemachten 
Krebs-,   Rädertier-  und  Flagellaten-Spezies  besteht. 

Die  nähere  Erforschung  der  Lebens-  und  Ernährungsweise 
dieser  pelagischen  Tiere,  welche  in  staunenswert  grosser  Individuen- 
zahl unsere  Binnenseen  bevölkern,  wäre  —  wie  schon  betont  — 
eine  sicher  zu  wichtigen  Aufschlüssen  führende  Arbeit,  welche  von 
einer  biologischen  Süsswasserstation  in  Angriff  genommen  werden 
könnte.  Freilich  würden  zur  Bewältigung  einer  solchen  Aufgabe 
keineswegs  nur  Wochen  und  Monate,  sondern  zweifellos  mehrere 
Jahre  erforderlich  sein.  Was  wir  bis  jetzt  über  die  Biologie  jener 
rastlos  schwimmenden  Wesen  wissen,  ist  durch  die  verschiedensten 
Forscher  bei  Gelegenheit  von  Ferienreisen,  in  Sommerfrischen  u.  s.  w.,- 
wodurch  die  Betreffenden  zufällig  in  die  Nähe  grösserer  Süsswasser- 
ansammlungen  gelangten,  festgestellt  worden.  Hin  und  wieder  (ich 
erinnere  nur  an  die  ausgezeichneten  Forschungen  Prof.  Aug. 
Weismanns  über  Daphniden)  sind  solchen  Gelegenheitsstudien 
die  schönsten  und  weittragendsten  Resultate  zu  verdanken  gewesen. 
Aber  eben  darum,  weil  sich  solche  Untersuchungen  schon  öfters  als 
im   hohen  Grade    lohnend    erwiesen   haben,    erscheint    es    geboten, 


über  die  wissenschaftlichen  Aufgaben  biologischer  Süsswasser-Stationen.      32 1 

dieselben  fortzusetzen  und  sie  so  zu  organisieren,  dass  wertvolle 
Ergebnisse  nicht  bloss  vom  Zufall  abhängen,  sondern  vielmehr  mit 
einiger  Sicherheit  erwartet  werden  können. 

Eine  andere  Frage  vom  allgemeinsten  wissenschaftlichen 
Interesse  wäre  die  nach  der  Winter fauna  unserer  Landseen, 
d.  h.  eine  Ermittelung  derjenigen  Tiere,  welche  während  der  Kälte- 
monate unter  der  Eisdecke  im  Wasser  ausdauern  und  weiter  leben, 
während  andere  beim  Eintritt  der  niedrigen  Temperatur  hinsterben, 
nachdem  sie  den  Fortbestand  ihrer  Art  durch  die  Produktion  und 
Ablage  von  Dauer-Eiern  (vergl.  Bd.  I  S.  367)  gesichert  haben. 
Dass  verschiedene  Infusorienspezies,  Spaltfusskrebschen  und  mancher- 
lei Würmer  in  unseren  Teichen  während  des  Winters  zu  finden 
sind,  weiss  man  schon  seit  längerer  Zeit;  aber  auf  diese  wenigen 
Thatsachen  beschränkt  sich  gegenwärtig  unsere  Kenntnis,  sodass  es 
angezeigt  wäre,  sich  einmal  näher  darüber  zu  unterrichten,  welche 
Tiere  (bezw.  niedere  Pflanzen)  es  denn  sind,  deren  Lebensfunktionen 
unter  der  Einwirkmig  von  Kälte  so  gut  wie  gar  keine  Beeinträch- 
tigung erfahren.  Diese  Aufgabe  könnte  gleichfalls  auf  das  Programm 
einer  nahe  am  Seeufer .  befindlichen  Station  gesetzt  werden ,  und 
sie  wird  wohl  auch  einer  solchen  reserviert  bleiben,  da  es  voll- 
kommen unthunlich  ist,  derartige  Untersuchungen  ausserhalb  des 
Bereichs  einer  den  Forscher  sowohl  wie  das  von  ihm  aufgefischte 
Material  vor  Frost  schützenden  Unterkunft  vorzunehmen. 

Ein  reiches  und  anziehendes  Arbeitsgebiet  für  den  in  unmittel- 
barer Seenähe  stationierten  Zoologen  würde  selbstredend  auch  die 
Beobachtung  der  Wasserinsekten  und  der  Larvenzustände  von 
solchen  Landkerbtieren  sein,  welche  ihre  Eier  ins  Wasser  ablegen. 
Es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass  Studien  dieser  Art,  wenn  sie  auf 
eine  grössere  Anzahl  verschiedener  Objekte  ausgedehnt  werden, 
interessante  Aufschlüsse  in  allgemein  biologischer  Hinsicht  zu  liefern 
im  Stande  sind.  Ich  erinnere  hier  nur  an  die  schöne  Unter- 
suchung, welche  Dr.  E.  Schmidt-Schwedt  unlängst  (1887) 
über  Atmung  der  Larven  und  Puppen  des  Schilfkäfers  {Donacia 
crassipes)  veröffentlicht  hat  1),  und  an  die  auf  den  Gehäusebau 
der    Phryganiden  -  Larven     (vergl.     diesen    Band    S.    94     und    ff.) 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Süsswassers.     II.  21 


322     über  die  wissenschaftlichen  Aufgaben  biologischer  Süsswasser-Stationen. 

bezüglichen    Beobachtungen    der    bekannten    Naturforscherin    Fräul. 
Marie  v.  Chauvin. 

Ein  nicht  minder  grosses  Interesse  würde  die  Erforschung 
jener  eigentümUchen  Fortpflanzungsverhältnisse  darbieten,  welche 
bei  einigen  unserer  verbreitetsten  Süsswasserturbellarien  (Stcnostoma 
leucops ,  Microstoma  lineare)  abwechselnd  in  der  Form  von  ge- 
schlechtlicher und  ungeschlechtlicher  Vermehrung  auftreten.  Man 
weiss  zwar,  dass  zu  Beginn  der  kalten  Jahreszeit  die  letztere  an 
die  Stelle  der  ersteren  tritt,  aber  man  ist  noch  sehr  wenig  darüber 
informiert,  durch  welche  histologischen  Vorgänge  es  zu  einer  Hervor- 
bildung männlicher  und  weiblicher  Zeugungsorgane  in  den  bis  dahin 
geschlechtslos  gewesenen  Würmern  kommt,  die  sich  nur  auf  dem 
Wege  der  Querteilung  (vergl.  Bd.  I,  S.  259)  fortpflanzten.  Das- 
selbe Problem  liegt  auch  in  betreff"  gewisser  Anneliden,  z.  B.  beim 
gemeinen  Wasserschlängelchen  (Nais)  vor,  und  es  wäre  im  hohen 
Grade  wertvoll,  über  den  Modus  der  geschlechtlichen  Differenzierung 
in  beiden  Würmergruppen  genauere  Angaben  zu  erhalten.  Dass 
wir  solche  noch  vermissen,  liegt  an  der  Schwierigkeit  der  Material- 
beschaffung. Befindet  man  sich  nicht  in  nächster  Nachbarschaft 
eines  Sees  oder  grösseren  Teiches,  so  ist  es  ganz  unmöglich,  den 
rechten  Moment  wahrzunehmen,  um  die  genannten  Tiere  in  den 
o;eeio;neten  Stadien  einzusammeln. 

In  solchen  und  ähnlichen  Fällen  hängt  der  Fortschritt  unseres 
Wissens  im  wesentlichen  nur  von  der  rechtzeitigen  und  bequemen 
Erlangung  der  Beobachtungsobjekte  ab.  Und  das  ist  der  Haupt- 
punkt, welchen  ich  bei  Motivierung  der  Notwendigkeit  von  perma- 
nenten Stationen  für  die  Erforschung  der  Süsswasser-Lebewelt  nicht 
oft  genug  betonen  kann. 

Faunistische  Exkursionen  in  irgend  einer  Seengegend  sind 
ganz  gewiss  für  die  Erweiterung  unserer  Kenntnis  der  Wasserfauna 
von  Wert;  aber  wer  eine  derartige  ambulante  Forschungsthätigkeit 
längere  Zeit  hindurch  betrieben  hat,  wird  wissen,  dass  man  dabei 
eigentlich  niemals  zur  Ruhe  kommt.  Man  schwelgt  bei  solchen 
Ausflügen  häufig  in  einer  herzerquickenden  Fülle  von  Material,  hat 
aber  unterwegs  höchst  selten  so  viel  Zeit,   um  sich  der  Bearbeitung 


über  die  wissenschaftlichen  Aufgaben  biologischer  Süsswasser-Stationen.     323 

desselben  mit  der  erforderlichen  Müsse  zu  widmen.  Infolgedessen 
konserviert  man  möglichst  zahlreiche  Objekte  mid  kehrt  mit  einer 
grossen  Menge  von  Gläschen  nach  Hause  zurück.  Hier  findet 
nun  erst  die  eingehende  Besichtigung  der  verschiedenen  Funde  statt, 
wobei  man  aber  in  der  Regel  die  wenig  erfreuliche  Wahrnehmung 
macht,  dass  man  von  der  einen  Materialsorte  viel  zu  viel,  von  der 
anderen  aber  leider  lange  nicht  genug  angesammelt  hat.  Wäre 
man  an  Ort  und  Stelle  in  der  Lage  gewesen,  umfassendere  Studien 
vorzunehmen,  so  würde  bei  demselben  Zeit-  und  Kraftaufwande 
ein  belangreicheres  Resultat  zu  verzeichnen  gewesen  sein.  Auch 
diese  Erfahrung,  mit  der  ich  gewiss  nicht  ganz  allein  stehe,  spricht 
klar  für  die  Nützlichkeit  von  Dauerstationen,  wenn  es  sich  um  das 
Studium  unserer  Süsswasserfauna  handelt.  Dasselbe  gilt  natürlich 
auch  im  Hinblick  auf  die  lakustrische  Pflanzenwelt. 

Dass  indessen  auch  faunistische  Exkursionen,  wenn  sie  mit 
Eifer  und  Gründlichkeit  ausgeführt  werden,  nach  verschiedenen 
Richtungen  hin  Neues  zutagefördern  können ,  dafür  legt  eine  un- 
längst publizierte  Arbeit  von  Prof.  M.  Braun  („Die  Turbellarien 
Livlands",  1885)  beredtes  Zeugnis  ab.  Ebenso  liefert  die  bekannte 
Abhandlung  Dr.  K.  Ecksteins  über  die  Rädertiere  der  Umgebung 
von  Giessen    eine    schlagende  Bestätigung   für  die  beherzigenswerte 

Mahnung:  „Sieh,  das  Gute  liegt  so  nah' "      Auch  durch  meine 

eisrenen  Arbeiten  über  die  niedere  Fauna  einheimischer  Seebecken 
und  Teiche  hoffe  ich  den  Beweis  erbracht  zu  haben,  dass  in 
unseren  süssen  Gewässern  noch  mancherlei  Neues  zu  entdecken 
ist.  Ich  brauche  in  diesem  Bezug  nur  an  die  schon  erwähnte 
Auffindung  einer  den  Monotiden  nahestehenden  Turbellarie  in 
den  Hochseen  des  Riesengebirges  zu  erinnern,  deren  Anwesen- 
heit später  in  verschiedenen  schweizerischen  Seen  und  neuerdings 
(1890)  durch  Prof.  Fr.  Zschokke  auch  im  See  von  Partnun 
(auf  der  Rhätikonbergkette)  nachgewiesen  wurde.  Von  nicht 
2;erinfferem  Interesse  war  die  Entdeckung  mehrerer  Vertreter  der 
ausserordentlich  merkwürdigen  Turbellarien  -  Gattung  Botkrioplaua, 
welche  sich  ebenfalls  als  Folge  der  von  mir  unternommenen  Aus- 
flüge an  die  Riesengebirgsteiche  ergab.      Hierzu    kommt    noch    die 

21* 


324     über  die  wissenschaftlichen  Aufgaben  biologischer  Süsswasser-Stationen. 

Erbeutung  mehrerer  neuer  Kruster-  und  Hydrachniden  -  Arten  in 
den  nord-  und  mitteldeutschen  Wasserbecken  bei  Gelegenheit  meiner 
Studienreisen  in  den  Jahren  1885  und  1886.  Besonders  weise 
ich  aber  auch  auf  den  von  Dr.  W.  Weltner  erst  kürzlich  kon- 
statierten und  bisher  gar  nicht  vermuteten  Reichtum  der  Spree  an 
Spongillen  (vergl.  Bd.  I,  6.  Kapitel)  hin  und  auf  die  umfassenden 
Ermittelungen  W.  Vavras  über  die  Verbreitung  der  Ostracoden 
(Muschelkrebse)  in  Böhmen  2). 

Solche  Exkursionen  werden  auch  fernerhin  nicht  zu  entbehren 
sein,  namentlich  wenn  es  sich  um  vergleichende  Untersuchungen 
über  die  Fauna  verschiedener  Landseen  handelt.  Für  Studien 
dieser  Art  kann  dann  eine  permanente  biologische  Süsswasserstation, 
welche  in  einem  seenreichen  Gebiet  gelegen  ist,  ein  recht  frucht- 
barer Mittelpunkt  werden.  Man  wird  von  einem  solchen  Zentrum 
aus  vielleicht  auch  die  Frage  nach  den  äusseren  physikalischen 
Ursachen  der  Veränderlichkeit  mancher  Organismengruppen  in 
Angriff  nehmen  können,  und  möglicherweise  mit  der  Zeit  nach- 
zuweisen im  Stande  sein,  warum  der  eine  See  in  dieser,  der  andere 
in  jener  Weise  auf  die  Gestalt  der  in  ihm  lebenden  Wesen  ab- 
ändernd einwirkt.  Augenblicldich  wissen  wir  über  die  Faktoren, 
welche  hier  in  Betracht  kommen,  so  gut  wie  nichts.  Und  doch 
ist  der  Einfluss  der  jedesmaligen  Lokalität  auf  manche  Organismen- 
gruppen mit  ausreichender  Sicherheit  erwiesen.  Clessin  hat  diese 
Thatsache  schon  vor  einem  Jahrzehnt  für  die  Mollusken  festgestellt, 
und  er  nimmt  zur  Erklärung  derselben  „die  Anpassung  an  gegebene 
Verhältnisse"  in  Anspruch.  Es  wird  nicht  überflüssig  sein,  in  den 
Zusammenhang  dieses  Kapitels  eine  Stelle  einzuschalten,  die  der 
Leser  bereits  auf  S.  138  dieses  Bandes  vorgefunden  hat.  Sie  ist 
aber  besonders  dazu  geeignet,  das,  was  wir  hier  besprochen,  zu 
illustrieren.  Clessin  fasst  das  Resultat  seiner  reichen  Erfahrung 
in  folgenden  Zeilen  zusammen :  „Wer  die  Wassermollusken  längere 
Zeit  im  Freien  beobachtet,  wird  sehr  bald  zu  der  Überzeugung 
kommen,  dass  fast  jeder  einzelne  Fundort  eigenartige,  mehr  oder 
weniger  ausgeprägte  Abweichungen  vom  Typus  der  bezüglichen  Art 
erzeugt,    und    dass    es    geradezu   zu    den   allergrössten   Seltenheiten 


über  die  wissenschafüichen  Aufgaben  biologischer  Süsswasser-Stationen.      325 

gehört,  zwei  ziemlich  übereinstimmende  Formen  an  verschiedenen 
Fmidorten  zu  konstatieren.  Ja  sogar  der  nämliche  Fundort  erzeugt 
bei  geänderten  Verhältnissen  andere  Varietäten,  und  oft  genug 
finden  sich  verschiedene  Formen  einer  und  derselben  Art  an  sich 
berührenden  Stellen  desselben  Gewässers,  wenn  die  Beschaffenheit 
des  Grundes,  die  Strömung  des  Wassers,  die  Bewachsung  u.  s.  w. 
sich  ändert.  So  kommen  in  den  grossen  Seen  der  Voralpen 
Schnecken  und  Muscheln  mit  ausgeprägtem  Seecharakter  und  solche, 
welche  nicht  oder  kaum  von  jenen  zu  unterscheiden  sind,  die  in 
Sümpfen  leben,  neben  einander  vor,  und  zwar  jenachdem  die 
bezüglichen  Wohnplätze  bei  seichtem  Wasser  und  mangelnder 
Bewachsung  der  vollen  Wirkung  des  Wellenschlags  ausgesetzt  sind, 
oder  die  Ufer  in  sumpfige  Stellen  übergehen". 

J.  Vosseier  hat  auf  den  gleichen  Einfluss  der  chemischen 
imd  physikalischen  Unterschiede  unserer  Gewässer  auf  den  Habitus, 
die  Färbung  und  Gliedmassengrösse  bei  spaltfüssigen  Krebsen  hin- 
gewiesen. So  existiert  z.  B.  in  den  Maaren  der  Eifel  ein  Copepode, 
der  augenscheinlich  dem  Cyclops  agilis  Koch  nahesteht,  aber 
kürzere  Antennen,  schwächer  entwickelte  Mundteile,  längere 
Schwimmbeine  und  eine  sehr  gestreckte  Schwanzgabel  besitzt. 
V  OS  sei  er  hat  diesen  von  mir  aufgefundenen  Krebs  näher  unter- 
sucht und  ihn  seines  beschränkten  Vorkommens  wegen  Cyclops 
maarensis  genannt.  Höchstwahrscheinlich  ist  diese  neue  Spezies 
in  den  Maaren  selbst  entstanden  und  stellt  eine  interessante  Lokal- 
form dar,  welche  für  ihre  Bildung  den  Cyclops  agilis  als  Aus- 
gangsform gehabt  hat. 

Im  Müskendorfer  See  bei  Konitz  in  Westpreussen  fand  ich 
1886  zahllose  Exemplare  einer  merkwürdigen  Varietät  der  Hyalo- 
daphnia  cucidlata,  deren  Kopfteil  sichelartig  gekrümmt  und  ventral- 
wärts  stark  herabgebogen  ist.  Diese  Form  (var.  nov.  prociirva 
Poppe)  kommt  lediglich  in  dem  genannten  See  vor  3)  und  ist  ander- 
wärts bis  jetzt  nicht  aufgefunden  worden.  Manche  Abweichungen 
geringern  Grades  \om  Typus  der  Art  sind  für  gewisse  Fundorte 
überhaupt  charakteristisch. 


32G      Über  die  wissenschaftlichen  Aufgaben  biologischer  Süsswasser-Stationen. 

So  variiert  beispielsweise  die  bekannte  Dinoflagellaten-Spezies 
Ceratium  hirundinclla  O.  Fr.  M.  von  einem  See  zum  andern  hin- 
sichtlich der  Panzerbreite  und  der  Hömerlänge.  Wahrnehmungen 
hierüber  habe  ich  hauptsächlich  bei  meiner  Durchforschung  der 
westpreussischen  Seen  gemacht.  Um  dieselbe  Zeit  etwa  konstatierte 
Prof.  G.  Asper  ähnliche  Gestaltungsdififerenzen  zwischen  den  Ceratien 
des  Thalalpsees  und  denen  des  Züricher  Sees,  wovon  er  in  seiner 
Abhandlung  über  die  Naturgeschichte  der  Alpenseen  berichtet*). 

Das  pelagische  Rädertier  Anttraea  longispina,  welches  eine 
sehr  weite  Verbreitung  besitzt,  variiert  nicht  bloss  hinsichtlich  der 
Mächtigkeit  seiner  langen  (nadeiförmigen)  Panzerfortsätze,  sondern 
auch  in  der  Form  des  Körperquerschnittes,  der  gewöhnlich  ein 
Kreissegment  darstellt,  häufig  aber  auch  vollkommen  dreieckig  ist. 
In  Westpreussen  zeigten  oft  sogar  benachbarte  Seen  langdornige 
Anuräen,  die  in  der  angegebenen  Weise  von  einander  verschieden 
waren.  Nach  Asper  ist  ein  nicht  minder  verbreitetes  Rotatorium, 
Ajuiraea  aculcata,  ebenfalls  bedeutender  Variation  unterworfen, 
welche  sich  aber  vorzugsweise  nur  auf  die  Felderung  und  Skulptur 
des  Panzers  erstreckt.  Ähnliche  Abweichungen  hat  Imhof  bei 
Anuraea  cochlearis  Gosse  angetroffen  und  die  weitgehendsten 
davon  mit  besonderen  Speziesnamen  (A.  intermedia  und  A.  tube- 
rosa)  bezeichnet. 

Leptodora  hyalina,  der  pelagische  Krebs  par  excellence,  zeigt 
an  seinen  verschiedenen  Fundorten  nicht  bloss  Verschiedenheiten 
der  Körperlänge,  sondern  auch  solche,  welche  die  Grösse  des 
Auges,  die  Entwickelung  des  ersten  Paares  der  Schwimmfüsse  und 
die  Geräumigkeit  des  Brutraumes  betreffen.  Die  gleichen  Wahr- 
nehmungen habe  ich  an  Polyphemus  pediculus,  einem  Kruster  der 
Uferzone,  gemacht,  der  in  klaren  und  kühlen  Bergseen  grösser 
und  farbenprächtiger  zu  werden  scheint,  als  in  den  seichteren 
Gewässern  der  Ebene. 

Nach  Anführung  dieser  Beispiele,  welche  noch  durch  Be- 
obachtungen von  A.  Wierzejski  über  die  Unbeständigkeit  der 
Artcharaktere  bei  Spongilla  lacustris  vervollständigt  werden  könnten  &), 
wird     es    einleuchten,     dass    auch     die    Süsswasserfauna    Stoff    zur 


über  die  wissenschaftlichen  Aufgaben  biologischer  Süsswasser-Stationcn.      327 

Diskussion  des  Speziesproblems  zu  liefern  im  stände  ist.  Durch 
eine  vergleichende  Untersuchung  bestimmter  Mitglieder  der  Wasser- 
tierwelt aus  verschiedenen  Seen  dürfte  sich  im  Laufe  der  Zeit  etwas 
Genaueres  über  die  Richtung  der  Abweichungen  und  über  deren 
Betrag  bei  einzelnen  Arten  ergeben. 

Schliesslich  möchte  ich  aber  auch  einen  ganz  praktischen 
Gesichtspunkt  geltend  machen,  welcher  die  Errichtung  von  ständigen 
Beobachtungsstationen  in  der  Nähe  von  grösseren  Süsswasserseen 
wünschenswert  erscheinen  lässt.  Dies  ist  nämlich  unsere  noch  sehr 
ungenügende  Einsicht  in  die  Ernährungs-  und  sonstigen  Lebens- 
bedingungen der  Fische.  Auf  diesem  Felde  ist  noch  sehr  viel 
zu  thim,  um  für  die  Bewirtschaftung  unserer  Seen  und  Teiche 
rationelle  Grundlagen  zu  schaffen.  Ein  guter  Anfang  dazu  ist 
von  dem  österreichischen  Fischzüchter  Josef  Susta  in  ^\'ittingau 
gemacht  worden  durch  dessen  bekannte  Untersuchungen  über  die 
Ernährung  des  Karpfens  6).  Aber  nicht  bloss  die  Umstände,  welche 
das  Gedeihen  der  Fische  begünstigen,  sondern  auch  deren  natür- 
liche Feinde  und  die  Ursachen  solcher  Krankheiten,  welche  ffeleeent- 
lieh  eine  Massensterblichkeit  unter  denselben  hervorrufen  —  alles 
dies  ist  der  näheren  Erforschung  wert  und  würdig.  Aber  die  zahl- 
reichen Fragen  und  Probleme,  die  wir  im  Vorstehenden  als  zmn 
Programm  der  Thätigkeit  einer  Biologischen  Süsswasserstation  gehörig 
bezeichnet  haben,  sind  unmöglich  von  einem  einzigen  Forscher  zu 
bewältigen,  sondern  es  müssen  sich  mehrere  zu  diesem  Zwecke 
verbünden,  und  es  bedarf  hinsichtlich  mancher  Aufgaben  längerer 
Zeiträume  (oft  vieler  Jahre),  um  sie  in  befriedigender  Weise  zu 
lösen.  Hieräber  macht  man  sich  in  Laienkreisen  häufig  recht 
falsche  Vorstellungen,  und  ich  nehme  deshalb  in  diesem  Werke, 
welches  seiner  Tendenz  nach  für  weitere  Kreise  bestimmt  ist, 
Gelegenheit,  allzu  sanguinischen  HofTmmgen  vorzubeugen. 

Das  Plöner  Stationsgebäude  liegt,  wie  schon  erwähnt,  unmittel- 
bar am  Grossen  Plöner  See  und  die  umgebende  Naturszenerie  ist 
so  beschaffen,  dass  ein  Zeitungsberichterstatter*)  davon  gesagt  hat: 


*)  Berliner  Tageblatt  1891  No.   154. 


328     über  die  wissenschaftlichen  Aufgaben  biologischer  Süsswasser-Stationen. 

„Ein  König  könnte  sich  keinen  herrlicheren  Fleck  der  Erde  aus- 
wählen, wenn  er,  der  Welthändel  müde,  glückliche  Tage  im  Voll- 
genusse  eines  grandiosen  Landschaftsbildes  verleben  wollte".  Für 
die  hier  vorzunehmenden  Forschungen  ist  die  „herrliche"  Lage 
selbstverständlich  ganz  gleichgültig,  aber  der  See  ist  durch  seine 
Grösse  (50  qkm  =  20000  preussische  Morgen)  und  durch  seinen 
Organismenreichtum  besonders  dazu  geeignet,  ein  Arbeitsfeld  für 
zoologische  und  pflanzenphysiologische  Untersuchungen  zu  bilden. 
Dazu  kommt  noch  die  Nachbarschaft  anderer  grosser  Wasserbecken 
(Kleiner  Plöner  See,  Trammersee,  Behlersee,  Dieksee,  Kellersee, 
Grosser  und  Kleiner  Eutiner  See,  Ukeleisee  u.  s.  w.),  sodass  hier- 
durch zugleich  die  denkbar  günstigste  Gelegenheit  zur  Vornahme 
von  faunistischen  Ausflügen  gegeben  ist.  Den  Verkehr  auf  den 
einzelnen  Seen  vermitteln  grosse  Segel-  und  Ruderboote.  Der 
Biologischen  Station  steht  ausserdem  noch  die  Benutzung  eines 
Petroleum-Schraubenbootes*)  zur  Verfügung,  welches  eine  ansehn- 
liche Fahrgeschwindigkeit  (10 — 15  km  pro  Stunde)  besitzt. 

Das  Stationshaus  ist  ein  zweistöckiges  Gebäude,  welches  ausser 
den  erforderlichen  Arbeitsräumen  (Laboratorium,  Experiraentier- 
zimmer  und  Bibliothek)  auch  die  Wohnung  für  den  Direktor  ent- 
hält. Im  Erdgeschoss  sind  die  Aquarien  untergebracht,  welche 
durch  eine  Röhrenleitung  mit  fliessendem  Wasser  aus  dem  See 
gespeist  werden  können.  Der  Mikroskopiersaal  hat  dreiflügelige 
grosse  Fenster  und  die  Arbeitstische  sind  mit  vorzüglichen  Instru- 
menten aus  der  Optischen  Werkstätte  von  C.  Zeiss  in  Jena  aus- 
gerüstet. Bei  aller  Bescheidenheit  ihrer  Einrichtung  besitzt  die 
Plöner  Station,  wie  man  sieht,  doch  Alles,  was  zur  Ausführung  von 
mikroskopisch-anatomischen  und  entwickelangsgeschichtlichen  Arbeiten 
erforderlich  ist.  Mehr  ist  nicht  versprochen  worden  und  zu  einer 
luxuriösem  Ausstattung  wären  auch  die  Mittel  nicht  vorhanden 
gewesen.  Vom  i.  April  1892  ab  werden  die  Arbeitsplätze  in  der 
Biologischen  Station  zu  Plön  für  süsswasserfreundliche  Zoologen 
und   Botaniker  ■?)  benutzbar  sein. 


*)  Daimlers  Patent  (geliefert  von  der  Firma  Meyer  u.  Remmers  iu  Hamburg). 


über  die  wissenschaftlichen  Aufgaben  biologischer  Süsswasser-Stationcn.     329 

Mit  Genugthuung  übermittele  ich  am  Schlüsse  dieses  Kapitels 
dem  Leserkreise  unseres  Buches  die  Nachricht,  dass  der  bekannte 
und  verdienstvolle  österreichische  Zoolog,  Prof.  Anton  Fritsch 
in  Prag,  neuerdings  gleichfalls  eine  stabile  Station  für  Erforschung 
der  Süsswasserfauna  ins  Leben  gerufen  hat.  Dieselbe  hat  ihren 
Stand  am  Unterpocemitzer  Teiche  bei  Bechovic  in  Böhmen.  Es 
ist  ein  festgebautes,  hübsches  Häuschen,  welches  ausser  einem 
Arbeitszimmer  von  12  qni  Fläche  noch  einen  kleinen  Wohnraum 
von  6  qm  enthält.  Dieses  Forscherheim  hat  ein  Privatmann, 
Bela  Freiherr  v.  Derschenyi,  im  Interesse  der  durch  Fritsch 
so  tüchtig  geförderten  Kenntnis  der  Wassertierwelt  Böhmens  auf 
eigene  Kosten  erbauen  lassen.  Überdies  benutzt  der  Prager 
Forscher  (schon  seit  Juni  1888)  zu  seinen  Studien  noch  eine  orts- 
wechselnde Station  in  Gestalt  eines  zusammenlegbaren  hölzernen 
Häuschens,  welches  in  2 1/2  Stunden  aufgestellt  und  in  1I/2  Stunden 
wieder  abgebrochen  werden  kann  s).  Diese  „fliegende  Station"  steht 
jetzt  am  Gatterschlager  Teich  bei  Neuhaus,  und  hier  ist  besonders 
der  Assistent  des  Prof.  Fritsch,  Herr  W.  Vavra,  während  des  ver- 
flossenen Jahres  thätig  gewesen.  Unter  Anderem  wurde  in  diesem 
Teiche  vmlängst  ein  neuer  zu  den  Cytheriden  gehöriger  INIuschel- 
krebs  entdeckt,  der  vorläufig  den  Namen  Limnicythere  stationis 
erhalten  hat.  Es  ist  der  kleinste  bisher  bekannte  Vertreter  seiner 
Gattung. 

An  die  Errichtung  solcher  eigens  dem  Studium  der  Tier-  und 
Pflanzenwelt  des  Süsswassers  gewidmeter  Forschungstationen  ist 
merkwürdigerweise  erst  in  allemeuester  Zeit  gedacht  worden,  ob- 
gleich dieselben  Gründe,  welche  für  die  Anlage  mariner  Stationen 
zum  Zwecke  biologischer  Studien  sprechen,  sich  auch  für  lakustrische 
Observatorien  ins  Feld  führen  lassen.  Das  Weitere  wird  nun  die 
Erfahrung  und  der  Erfolg  lehren.  Da,  wo  etwas  Neues  ins  Werk 
gesetzt  wird,  tauchen  stets  auch  einige  Pessimisten  auf,  welche 
Erwägungen  darüber  anstellen,  ob  es  sich  wohl  auch  verlohnen 
werde,  die  süssen  Gewässer  in  der  von  Fritsch  und  mir  inaugu- 
rierten Weise  zu  durchforschen.  Besonders  giebt  es  unter  den 
Praktikern,  d.  h.  unter  den  Fischzüchtem  und  Fischerei-Interessenten, 


330     Über  die  wissenschaftlichen  Aufgaben  biologischer  Süsswasser-Stationen. 

Leute,  welche  in  erster  Linie  die  Frage  des  „Verlohnens"  auf  der 
Zunge  haben,  ohne  manchmal  auch  nur  einen  blassen  Schimmer 
von  den  Aufgaben  zu  haben,  welche  durch  die  Thätigkeit  einer 
Süsswasserstation  in  Angriff  genommen  werden  sollen.  Derartigen 
Leuten  empfehle  ich  folgenden  Ausspruch  Prof.  Anton  Fritschs 
zur  Beherzigung:  „Eine  genaue  Kenntnis  dessen,  was  der 
Teich  in  seinem  Wasser  beherbergt,  ist  die  Grund- 
bedingung für  dessen  rationelle  Bewirtschaftung".  Es  ist 
zu  hoffen,  dass  die  Richtigkeit  dieses  Satzes  in  immer  weiteren 
Kreisen  zur  Anerkennung  gelange,  und  dass  auch  von  mass- 
gebender Seite  das  Streben  der  Naturforscher  gebührende  Würdigung 
und  Unterstützung  finde. 


Litteratur. 


i)  Berl.  Entomolog.  Zeitschrift,   31.  Bd.,    1887,  S.  325 — 334. 

2)  Vergl.  Wenzel  Vävra,  Monographie  der  Ostracoden  Böhmens. 
Archiv  (1.  naturwiss.  Landesdurchforschung  von  Böhmen,  8.  Bd., 
No.  3. 

3)  Eine  Beschreibung  der  Müskendorfer  Hyalodaphnia  hat 
Poppe  geliefert  in:  0.  ZäCharias,  Zur  Kenntnis  der  pelagischen 
und  littoralen  Fauna  norddeutscher  Seen.  Zeitschr.  f.  wiss.  Zoologie, 
45.  Bd.,   2,    1887. 

4)  G.  Asper  und  J.  Heuscher,  Zur  Naturgeschichte  etc. 
Jahresber.  der  St.  Gallischen  Gesellschaft,    1885 — 86. 

5)  A.  Wierzejski,  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Süsswasserschwämme. 
Verhandl.  d.  k.  k.  zool.-botan.  Gesellsch.  in  Wien,   1888. 

6)  J.  Susta,  Die  Ernährung  des  Karpfens  und  seiner  Teich- 
genossen.     INIit  2   Tafeln.      1888. 

7)  Vergl.  F.  Ludwig,  Die  botanischen  Aufgaben  der  von 
O.  Zacharias  geplanten  lakustrischen  Station.  Biolog.  Zentralbl., 
9.  Bd.,  No.  13,    1889. 

8)  Anton  Fritsch ,  Die  Stationen  zur  Durchforschung  der 
Süsswasserfauna.      Wiener  Landwirtschaftl.  Zeitung,    1891. 


Das  Tierleben  auf  Flussinseln 
und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 


Von  Fr.  Borclierding  in  Vegesack. 


Wie  im  Wasser  selbst,  so  regt  sich  auch  an  den  Ufern 
unserer  Flüsse,  Weiher  und  Seen  ein  mannigfaltiges  Tierleben,  auf 
welches  am  Schlüsse  dieses  Werkes  noch  ein  musternder  Blick 
geworfen  werden  soll.  Auf  zahlreichen  faunistischen  Ausflügen  hat 
der  Verfasser  dieses  Kapitels  Gelegenheit  gehabt,  die  bunte  Gesell- 
schaft der  in  der  Nähe  des  Wassers  und  in  demselben  sich  auf- 
haltenden Säugetiere,  Vögel,  Reptilien,  Amphibien,  Fische,  Mollusken 
und  Insekten  zu  beobachten  und  den  eigentümlichen  Reiz  zu 
empfinden,  den  das  Leben  und  Treiben  dieser  verschiedenartigen 
Wesen  auf  den  Freund  der  Natur  ausübt. 

Wie  schon  und  fast  nur  einer  poetisch  angehauchten  Schilde- 
rung zugänglich  ist  das  einsame,  waldumgürtete  oder  von  Schilf 
umkränzte  Ufer  eines  grossen,  breit  dahinfliessenden  Stromes,  oder 
der  ebenso  geschmückte  Saum  eines  im  Sonnenschein  glitzernden 
Sees.  Wie  vielseitig,  buntfarbig  und  anregend  ist  das  Bild,  welches 
sich  hier  an  einem  herrlichen  Frühlingsmorgen  oder  an  einem 
warmen  Sommerabend  unseren  Augen  darbietet.  Überall  regt  sich 
vielgestaltiges  Leben. 

Schreiten  wir  bei  einbrechender  Dämmenmg  über  eine  Fluss- 
insel oder  fahren  wir  mit  einem  Boote  geräuschlos  am  Ufer  ent- 
lang, so  können  wir  häufig  mehrere  Fledermaus-Arten  beobachten, 
und  zwar  meistenteils  die  langohrige  Fledermaus,  Plecotits 
auritus  Gcoffr.,  die  früh  fliegende  Fledermaus,  Vesper  tilio  noctitla 
K.  u.  Bl.,  und  die  Teichfledermaus,   Vespertilio  dasycncme  Boie. 


ggß         Das  Tierlebeu  auf  Flussinseln  iiiul  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

Unermüdlich  schwirren  diese  fluggewandten  Tierchen  unter  dem 
Schutze  der  Dunkelheit  durch  die  Luft,  um  ihren  stets  regen 
Appetit  mit  den  erbeuteten  Fliegen,  Mücken,  Käfern  und  Nacht- 
faltern zu  befriedigen.  •  Eine  gleich  erfolgreiche  Insektenvertilgung 
üben  ausser  den  Fledermäusen  wohl  nur  noch  Maulwürfe, 
Talpa  citropaea  L.,  und  die  Wasserspitzmäuse,  Crossopus 
fodiens,  aus. 

Einzeln  erscheint  an  den  Seen  und  Flüssen  auch  der  Fuchs, 
Canis  vidpcs  L.,  um  sich  nach  einem  leckern  Entenbraten  umzu- 
sehen. Es  ist  höchst  anziehend,  den  Meister  Reineke  unbeobachtet 
auf  seinen  Jagdzügen  belauschen  zu  können.  Mit  eingezogenen 
Beinen,  mehr  über  den  Boden  vuid  durchs  Rohr  wegkriechend  als 
gehend,  die  Rute  vornehm  hinter  sich  herschleppend,  dieselbe  nur 
dann  und  wann  bald  etwas  rechts,  bald  etwas  links  bewegend, 
schleicht  er  sich  durchs  Gras  und  Gebüsch  unvermerkt  der  Stelle 
zu,  von  wo  der  Entenruf  herübertönt,  aber  immer  gegen  den 
Wind,  denn  er  weiss  nur  zu  gut,  wie  unangenehm  den  Enten 
seine  Witterung  ist. 

Das  schädlichste  Säugetier,  welches  die  Ufer  der  Flüsse  und 
Seen  bewohnt,  ist  unstreitig  der  Fischotter,  Liitra  vulgaris  Erxl. 
Trotz  der  vielen  Nachstellungen  von  Seiten  der  Fischer  und  Jäger 
hat  dieser  arge  Räuber  sich  in  den  letzten  Jahren  in  unserm 
Nordwesten  ganz  bedeutend  vermehrt.  Die  grossen  Rohr-  und 
Weidendickichte  an  den  Ufern  der  Flüsse  und  Seen  und  auf  den 
grösseren  und  kleineren  Flussinseln  geben  ihm  solch  sichere  Ver- 
stecke, dass  er  sehr  leicht  dem  Jäger  entgeht.  Zudem  ist  der 
Tisch  immer  reichlich  für  ihn  gedeckt;  er  braucht  deshalb  nicht, 
wie  der  Fuchs,  die  Nähe  der  menschlichen  Wohnungen  aufzu- 
suchen. Welchen  ungeheuren  Schaden  der  Otter  der  Fischzucht 
zufügt,  mag  aus  folgendem  Beispiel  erhellen.  Ein  ausgewachsener 
Otter  gebraucht  zu  seiner  täglichen  Nahrung  2  kg  Fische.  Das 
macht  für  ein  Pärchen  ohne  Jungen  in  einem  Jahre  2  mal  2  mal 
365,  also  1460  kg.  Ist  der  Fischotter  in  sonst  fischreichen  Fluss- 
gebieten häufig,  so  sieht  man  aus  den  angeführten  Zahlen,  wie 
stark  dann  der  Fischbestand  durch  ihn  dezimiert  werden  muss. 


Das  'lierlobcn   auf  Mussinsrlii   und  am   Ufer  der  Flüsse  und   Seen.         337 

Ein  weiteres  auch  recht  schädliches  Mitglied  der  Familie  der 
Mustelinae ,  Foetorius  piitorius  K.  u.  Bl.,  verirrt  sich  zum  Glück 
nur  einzeln  an  unsere  Gewässer.  Vor  einigen  Sommern  erhielt 
Verfasser  ein  prächtiges  Männchen  vom  Iltis,  im  Volksmunde  „Ilk", 
„Elk"  oder  „Ülk"  genannt,  welches  auf  einer  Weserhalbinsel  erlegt 
worden  war.  Sodann  mag  noch  ein  für  Deutschland  sehr  seltener 
Wasserbewohner  erwähnt  werden,  der  Nörz,  Wasserwiesel  oder 
auch  wohl  Sumpfotter  genannt,  Pidorius  lutreola  K.  u.  Bl.  Dieser 
wegen  seines  wertvollen  Pelzes  eifrig  verfolgte  Marder  ist  im  öst- 
lichen Europa  ziemlich  häufig,  dagegen  gehört  er  in  Deutschland 
zu  den  grössten  Seltenheiten.  Der  Nörz  bewohnt  mit  Vorliebe  die 
bewaldeten  Ufer  der  Flüsse,  ist  aber  vereinzelt  auch  in  der  Ebene 
angetroffen  worden.  Vor  einigen  Jahren  wurde  im  Blocklande  an 
der  Wümme  (unweit  Bremen)  ein  Exemplar  erlegt. 

Dass  aus  der  Ordnung  der  Nager  nur  allzu  häufig  an  den 
Gewässern  die  Wanderratte,  Mus  decumanus  Fall.,  anzutreffen 
ist,  mag  ebenfalls  nicht  unerwähnt  bleiben.  Auch  die  Wasserratte, 
Arvicola  amphibius  Lacep.,  findet  sich  an  den  Ufern  der  kleineren 
Gewässer  nicht  selten;  in  unserm  Nordwesten  recht  häufie  in 
schwarzer  Färbung.  Zu  einer  wahren  Landplage  wird  in  manchen 
Jahren  die  gemeine  Feldmaus,  Arvicola  arvalis  Fall.,  welche  in 
den  Marschen  und  an  den  Deichen  oft  zu  vielen  Tausenden 
erscheint  untl  dort  grossen  Schaden  verursacht.  Einige  wenige 
Zahlen  mögen  ein  Bild  von  ihrem  massenhaften  Auftreten  geben. 
Im  Amte  Elsfleth  an  der  Weser  wurden  im  Jahre  1880 — 1881 
347571  Mäuse  eingeliefert  und  20284.80  Mark  an  Prämien  dafür 
bezahlt;  im  Amte  Brake  nördlich  von  Elsfleth,  ebenfalls  an  der 
Weser  gelegen,  wurden  1880  158  913  Mäuse  eingeliefert  und  an 
Prämien  12237.85  Mark  bezahlt;  1881  wurden  ebendaselbst 
338781  Mäuse  eingeliefert  und  19  127.31  Mark  an  Prämien  dafür 
bezahlt.  Als  Prämie  wurde  im  „Oldenburgischen  Mäuseverbands- 
bezirke" je  nach  der  Häufigkeit  der  Mäuse  2,  ^,  10  oder  20  Pfennige 
für  das  Stück  bezahlt.  In  diesem  Sommer  (1891)  war  die  Feld- 
maus nur  vereinzelt  anzutreflfen;  der  lange  und  strenge  Winter  mit 
dem  hohen  Wasserstande  hat  stark  unter  ihnen  aufgeräumt,  stärker 

Tier-  und  Pflanzenwelt  des  Stisswassers.     IL  22 


338         ^^^  Tierleben  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

als  in  den  reichsten  Jahren  Mäusefänger,  Bussarde,  Weihen,  Raben 
und  Füchse  es  vermögen. 

Auf  den  Aussterbeetat  ist  wohl  in  unserm  Vaterlande  der 
Biber,  Castor  Fiber  L.,  gesetzt.  Nur  wenig  bekannte  Kolonien 
finden  sich  in  Deutschland,  in  denen  er  sich  einstweilen,  wenn 
auch  nur  in  geringer  Zahl,  noch  erhalten  hat.  Die  bedeutendste 
ist  zwischen  Magdeburg  und  Wittenberg  an  der  Elbe;  auch  an  der 
Havel,  Oder  und  Weichsel  finden  sich  noch  vereinzelte  schwach 
bewohnte  Kolonien.  Leider  wird  diesem  seltenen  Nager  seines 
kostbaren  Pelzes  wegen  gar  zu  sehr  nachgestellt  und  trotz  des 
Regierungsschutzes,  der  ihm  in  letzter  Zeit  zu  teil  geworden  ist, 
wird  er  in  nicht  zu  ferner  Zeit  zu  denjenigen  Tieren  Deutschlands 
gehören,  die  aufgehört  haben  zu  leben,  und  einzelne  Ortschaften, 
Gründe  u.  s.  w.  werden  nur  noch  mit  ihrem  Namen  an  das  frühere 
Vorkommen  dieses  stattlichen   Nagers  erinnern. 

In  die  Flüsse,  besonders  die  der  Nordsee,  steigt  bei  hohen 
Fluten  mit  starken  Nordweststürmen  vereinzelt  auch  der  Seehund, 
Phoca  vitulina  L.,  hinauf  und  kommt  dann  den  Fischern  zuweilen 
ins  Garn.  Häufiger  findet  sich  in  unseren  Flüssen  Phocaena 
communis  Cuv.,  der  Tümmler  oder  Braunfisch;  denselben  kann 
man  bei  Springfluten  oft  in  der  Nähe  der  Städte  beobachten,  wie 
er  in  kurzen  Zwischenräumen  sich  an  die  Oberfläche  des  Wassers 
begiebt,  um  im  nächsten  Augenblicke  wieder  in  die  Tiefe  zu  ver- 
schwinden. 

Versetzen  wir  uns  in  Gedanken  um  etwa  200  Jahre  zurück, 
so  finden  wir  sogar  einen  Walfisch  im  Weser-  und  Lesumflusse. 
Es  war  Hyperoodon  rostratus  Pontop.,  welcher  damals  in  der 
Lesummündung  oberhalb  Vegesack  gefangen  wurde.  Das  Exemplar 
befindet  sich  im  Bremer  Museum. 

Beendigen  wir  hiermit  unseren  Streifzug,  auf  welchem  wir 
uns  ausschliesslich  nach  den  Säugetieren ,  die  an  und  in  den 
Gewässern  vorkommen,  umgesehen  haben,  so  gewahren  wir,  obwohl 
wir  nicht  jeden  Säuger,  der  sich  uns  auf  unseren  Exkursionen  am 
Wasser  zeigen  könnte,  angeführt  haben,  dass  trotzdem  die  Zahl 
der  Arten  eine  ziemlich  geringe  bleibt.     Ganz   anders  gestaltet  sich 


Das  Ticrleben  auf  Flussinseln   und   am   Iffcr  der  Flüsse  und   Seen.  339 

dagegen  das  Bild,  wenn  wir  einen  neuen  Beobachtungsgang  unter- 
nehmen und  uns  nun  der  \'ogelfauna  der  süssen  Gewässer  zu- 
wenden. Da  hat  fast  jede  Jahreszeit  ihr  eigenartiges  Gepräge.  Im 
Frühjahre  finden  wir  ausser  den  ansässigen  und  heimkehrenden 
Brutvögeln  viele  durchziehende  Wanderer,  die  für  kurze  Zeit  Rast 
an  den  Gewässern  und  auf  den  Inseln  machen.  Im  Sommer  und 
Herbste  sehen  wir  ausser  den  alten  Brutvögeln  die  junge  Nach- 
kommenschaft in  den  verschiedenartigsten  Kleidern.  Auf  dem 
Herbstzuge  kommen  noch  Hunderte  von  Gästen  hinzu,  welche  der 
Vogelwelt  (Ornis)  eines  bestimmten  Gebietes  oft  ein  ganz  fremd- 
artiges Aussehen  verleihen. 

Halten  wir  zunächst  eine  systematische  Umschau  unter  den- 
jenigen Vögeln,  welche  an  den  Ufern  der  Flüsse  und  Seen  und  auf 
den  kleinen  und  grösseren  Fhissinseln  ihre  Wohnungen  eingerichtet 
haben,  und  fassen  wir  dann  die  Gäste,  welche  sich  zur  Frühjahrs- 
und Herbstzugszeit  an  unseren  Gewässern  bald  längere,  bald  kürzere 
Zeit  aufhalten,  etwas-  näher  ins  Auge.  Als  Brutvögel  treffen  wir 
aus  der  Ordnung  der  Raubvögel  zuerst  zwei  Weihenarten  an, 
Circus  aeruginosus  Sav.,  die  Rohr-  oder  Sumpfweihe,  und 
Circus  einer  aceus  Mont.,  die  Wiesen  weihe.  Beide  werden  im 
Volksmunde  gewöhnlich  „Grashoafk"  genannt.  Wo  dichtes  Rohr- 
und Weidengestrüpp  auf  wenig  belebten  Flussinseln  und  auf  den 
einsamen  Groden  der  Flüsse  sich  findet,  da  kann  man  mit  ziem- 
licher Sicherheit  den  Horst  der  einen  oder  anderen  Weihe  erwarten. 
Derselbe  befindet  sich  im  dichtesten  Gestrüpp  am  Boden  und  ist 
nur  dann  mit  Sicherheit  aufzufinden,  wenn  man  die  Alten,  welche 
an  ihrem  schwebenden  Fluge,  den  langen,  spitzen  Flügeln  und  dem 
ziemlich  langen  Schwänze  leicht  von  den  Bussarden ,  Habichten 
und  Milanen  zu  unterscheiden  sind,  beobachtet  und  sich  genau  die 
Stelle  merkt,  an  welcher  sie  niedergehen.  Dieses  Ausspionieren 
muss  jedoch  mit  der  grössten  Vorsicht  geschehen ;  denn  glaubt 
sich  der  Beobachter  schlau,  so  ist  der  Beobachtete  doch  in  vielen 
Fällen  noch  gewitzigter  und  hat  ersteren  oft  viel  eher  bemerkt, 
als  derselbe  ihn.  Viel  leichter  ist  der  Horst  aufzufinden,  wenn  die 
Weihen  Junge  haben;  dann  braucht  man  nur  aus  möglichster  Ferne 

09* 


340         ^'^^  Tierleben  auf  FIus.siiisc]n  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

das  Männchen,  bei  welchem  man  sehr  leicht  mit  einem  guten 
Glase  die  Beute  in  den  Fängen  erkennen  kann,  zu  beobachten.  Ist 
es  in  der  Nähe  des  Horstes  angelangt,  so  erscheint  mit  einem  lauten, 
scharfen  „kirrr"  über  der  Rohrfläche  das  Weibchen,  aber  in  bedeutend 
geringerer  Flughöhe  als  ersteres.  Ist  das  Männchen  über  der 
Gattin  angekommen,  so  wirft  sich  letztere  geschickt  auf  den  Rücken 
in  dem  Augenblicke,  in  welchem  der  Gatte  die  Beute  fallen  lässt. 
Mit  grosser  Sicherheit  greift  das  Weibchen  dieselbe  auf  und  eilt 
raschen  Fluges  dem  Horste  zu.  Das  Männchen  streicht  sofort  von 
dannen,  um  neue  Beute  heranzubringen.  Das  ist  der  günstigste 
Augenblick,  um  sicher  den  Nistplatz  auszukundschaften,  denn  wir 
brauchen  uns  nur  genau  den  Platz  zu  merken,  an  welchem  das 
Weibchen  sich  niederlässt.  Ist  das  Glück  uns  in  dieser  Weise 
günstig  gewesen,  so  finden  wir  im  hohen  Grase  oder  Rohre  auf 
dem  Boden  ein  ziemlich  grosses  mit  trockenem  Grase  und  Rohr 
ausgepolstertes  Nest,  in  welchem  sich  drei  bis  fünf  hungrige,  gelb- 
graue Junge  befinden.  In  dem  Horste  der  Wiesenweihe  findet 
man  Mitte  Mai  etwa  vier  bis  fünf  weisse,  etwas  ins  bläuliche  über- 
gehende Eier.  Im  Neste  der  Rohrweihe  trifft  man  zur  selben  Zeit 
vier  bis  fünf  grünlich  weisse  Eier.  Befestigt  man  über  dem  Neste 
ein  gutes  Schlagnetz  und  entfernt  sich  dann  möglichst  weit,  um  im 
dichten  Rohr  eine  gute  Deckung  zu  suchen,  so  dauert  es  gewöhn- 
lich nicht  lange,  bis  das  Weibchen  zum  Horste  zurückkehrt,  aller- 
dings zuerst  nur,  um  auszukunden,  ob  alles  wieder  in  gewohnter 
Ordnung  ist.  Doch  es  lässt  sich  noch  nicht  sogleich  nieder, 
sondern  in  weitem  Bogen  umkreist  es  einige  Mal  die  nähere  und 
weitere  Umgebung  des  Nistplatzes.  Bald  ist  aber  die  Furcht  vor 
der  Gefahr  geschwunden,  die  Liebe  zu  den  ängstlich  kreischenden 
Jungen  ist  grösser,  es  streicht  zum  Horste,  lässt  sich  nieder  und  — 
sitzt  gefangen  unter  dem  Schlagnetze.  Schwieriger  ist  es,  des 
Männchens  habhaft  zu  werden,  da  letzteres  selten  das  Füttern 
besorgt  und  noch  seltener  zum  Horste  geht.  In  den  ersten 
Stunden  nach  dem  Verlust  der  Gattin  lässt  es  nur  die  Beute  aus 
der  Luft  ins  Nest  fallen  und  eilt  wieder  fort,  um  neue  Nahrung  zu 
beschaffen;  doch  endlich  ist  auch  bei  ihm  die  Liebe  zu  seinen  Jungen, 


Das  Tierleben  auf  Fhissinscln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.  34 J 

die  ihn  durch  ihr  Geschrei  auf  ihren  Hunger  und  ihre  Einsamkeit 
aufmerksam  machen,  vollständig  erwacht;  es  lässt  sich  nieder,  um  das 
Amt  der  Gattin  zu  übernehmen.  Aber  das  Netz  ist  wieder  aufgestellt 
worden,  es  schlägt  abermals  zu  und  nun  sitzt  auch  der  Gatte 
gefangen  bei  seinen  jungen.  Nicht  immer  glückt  ein  solcher  Jagd- 
zug, viel  Geduld  und  Vorsicht  gehört  dazu.  —  Die  Nahrung  der 
Weihen  besteht  aus  jungen  Vögeln,  welche  aus  den  am  Boden 
befindlichen  Nestern  geraubt  werden,  und  aus  Mäusen.  Der  Nutzen, 
den  sie  durch  Vertilgung  der  letzteren  gewähren,  wird  wohl  reichlich 
durch  den  Schaden,  den  sie  durch  Zerstören  der  jungen  Vogelbrut 
verursachen,  aufgehoben.  Die  Wiesenweihe  erscheint  im  April,  die 
Rohrweihe  im  März;  beide  verlassen  uns  im  Oktober. 

Von  den  Eulen  treffen  wir  an  unseren  Gewässern  als  Brut- 
vogel dann  und  wann  Otus  bracliyotus  Boie,  die  Sumpfohreule, 
im  Volksmunde  „Moorule"  genannt.  Häufiger  ist  sie  nur  in  reichen 
Mäusejahren  zu  beobachten.  Den  Horst  findet  man,  allerdings 
nicht  leicht,  auf  den  alten  Weidenköpfen,  die  sich  stellenweise  an 
den  Flussläufen  finden.  Einzeln  entdeckt  man  ihn  auch  im  langen 
Grase  oder  im  Rohrdickichte.  Im  Neste  finden  sich  Anfang 
]\Iai  vier  bis  sechs  fast  runde  weisse  Eier.  Die  Nahrung  dieses 
nächtlichen  Räubers  besteht  fast  ausschliesslich  aus  Mäusen,  und 
muss  die  Sumpfohreule  daher  zu  den  nützlichen  Vögeln  gerechnet 
werden. 

Ein  häufiger  Bewohner  unserer  Inseln  und  Flussufer  ist  der 
Kuckuck,  Cuculus  canorus  L.  Nach  der  Meinung  der  Landleute 
ist  derselbe  im  Sommer  Kuckuck,  im  Winter  „Stothoafk".  Die 
Erklärung  dieser  irrigen  Meinung  ist  sehr  leicht.  Im  Frühjahre 
und  Sommer  findet  sich  der  „Stothoafk",  Astur  nisus  K.  u.  Bl., 
nicht  in  der  Nähe  der  menschlichen  Wohnungen,  sondern  in  den 
dichten  Wäldern  bei  seinem  Brutplatze.  Der  Kuckuck  lässt  dann 
aber  überall  seinen  Ruf  ertönen.  Im  Herbst,  wenn  der  Kuckuck 
längst  über  alle  Berge  ist,  erscheint  aber  der  Sperber  in  der  Nähe 
der  menschlichen  Wohnungen.  Da  etw-as  Ähnlichkeit  im  Gefieder 
der  beiden  besteht,  findet  obige  Fabel  leicht  Glauben  bei  der 
Landbevölkerung.     Als  Pflegeeltern  seiner  Brut  wählt  der  Kuckuck 


342  ^^^  Tierlebeii  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

sich  die  Rohrsänger,  die  gelbe  Bachstelze,  ja  auch  einzeln  das  Blau- 
kehlchen.  Letztere  besorgen  die  Pflege  mit  der  grössten  Gewissen- 
haftigkeit und  oft  sogar  mit  Aufopferung  der  eigenen  Jungen,  welche 
vor  diesem  gefrässigen  Stiefbruder  zurückstehen  müssen.  Verfasser 
dieses  hatte  Gelegenheit,  in  der  Marsch  einen  vollständig  flüggen 
jungen  Kuckuck  zu  beobachten,  der  sich  durch  sein  klägliches 
„zirrk,  zirrk"  bemerkbar  machte,  wie  dieser  grosse  Bursche  sich  von 
seinen  Pflegeeltern,  Budytcs  flava  Cuv.,  mit  grosser  Behaglichkeit 
noch  füttern  Hess.  Der  Kuckuck  erscheint  Ende  April  und  verweilt 
bis  Anfang  September. 

Dem  hinsichtlich  seines  Gefieders  schönsten  und  an  die  Ornis 
der  Tropen  erinnernden  Vogel,  Alcedo  ispida  L.,  Eisvogel,  begegnen 
wir  häufig  an  den  Flüssen  und  auf  den  Inseln ,  welche  steile, 
lehmige  Ufer  haben.  Regungslos  sitzt  dieser  prächtige  Geselle  auf 
einem  über  die  Wasserfläche  hinhängenden  Zweige ,  seinen  Blick 
unverwandt  nach  unten  gerichtet;  plötzlich  stösst  er  ins  Wasser, 
um  im  nächsten  Augenblicke  wieder  auf  der  Oberfläche  mit  einem 
erbeuteten  Fische  im  Schnabel  zu  erscheinen,  welcher  in  wenigen 
Sekunden  gierig  verschlungen  wird.  Dieses  interessante  Schauspiel 
kann  man  oft  in  ganz  kuKzer  Zeit  mehrmals  beobachten.  Sein  Nest, 
welches  sich  immer  an  den  steil  aufsteigenden  Wänden  der  Flussufer 
befindet,  ist  am  Ende  einer  etwa  einen  Meter  langen  Röhre  ange- 
legt, und  dort  findet  man  auf  Fischgräten,  wenigen  Hähnchen  u.  dgl. 
Mitte  April  sechs  bis  sieben  glänzend  weisse  Eier. 

Einen  ähnlichen  Brutplatz,  wie  den  des  Eisvogels,  wählt  sich 
auch  aus  der  Familie  der  Schwalben  die  Uferschwalbe,  Sand-, 
auch  Bergschwalbe  genannt,  Cotyle  riparia  L.  An  den  schroffen 
Stellen  der  Flussufer ,  an  welchen  die  Geest  unmittelbar  an  das 
Wasser  tritt,  kann  man  zur  Frühjahrszeit  Hunderte  dieser  geschickten 
Insektenjäger  aus-  und  einfliegen  sehen.  Das  Nest  befindet  sich 
am  Ende  einer  oft  zwei  Meter  langen,  wagerechten  Röhre,  ist  mit 
Federn  weich  ausgepolstert  und  enthält  Ende  Mai  oder  Anfang 
Juni  fünf  bis  sechs  schneeweisse  Eier.  Die  Uferschwalbe  erscheint 
Anfang  Mai  und  verlässt  uns  Anfang  oder  Mitte  September. 


Das  Tierleben  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.  313 

An  den  Gewässern  der  gebirgigen  Gegenden  unseres  Vater- 
landes finden  wir  aus  der  Familie  der  Wasseramseln  den  Wasser- 
staar,  auch  Wasseramsel  oder  Wasserschmätzer  genannt,  Cinclus 
aquaticus  Bechst.  Ich  hatte  zu  verschiedenen  Malen  Gelegenheit, 
diesen  munteren  halb  Wasser-  halb  Singvogel  in  seinem  Elemente 
zu  beobachten,  so  unter  anderen  an  den  Berlebecker  Quellen, 
an  den  Ilsefällen  u.  a.  m.  Bald  watet  er  bis  an  den  Hals 
durchs  Wasser,  bald  steht  er  regungslos  auf  einem  erhöhten  Steine, 
um  im  folgenden  Augenblicke  ins  Wasser  zu  stürzen;  bald  läuft 
er  am  Boden  des  Gewässers  hurtig  dahin,  bald  fliegt  er  durch 
herabstürzende  Wasserfälle,  wobei  ihm  sein  dichtes  Gefieder  von 
grossem  Vorteil  ist.  Das  einzige  Nest,  welches  der  Verfasser 
Gelegenheit  hatte  näher  zu  betrachten,  befand  sich  hinter  einem 
Wasserfalle  in  einer  kleinen  Felshöhle;  obwohl  auch  seitlich  dahin 
zu  gelangen  war,  nahm  das  kecke  Tierchen  jedesmal  seinen  Weg 
durch  die  herabströmende  Wassermenge.  In  dem  Neste  befinden 
sich  im  April  vier  bis  fünf  weisse  Eier. 

Der  schönste  Vogel,  welcher  unsere  Flussufer  und  Inseln 
bewolint,  ist  unstreitig  das  Blaukehlchen,  Cyanecula  suecica 
Brehm.  Wo  dichtes  Weidengebüsch  an  unserm  Weserufer  oder 
auf  den  Platen*)  vorhanden  ist,  da  findet  man  auch  dieses  prächtige 
Tierchen,  jedoch  halten  sie  sich  meistens  sehr  verborgen  und  laufen 
zwischen  dem  dichten  Gestrüpp  einher,  aber  ein  klares,  reines 
„fied,  fied"  oder  ein  kurzes  „tack,  tack"  verrät  bald  ihr  Vorhanden- 
sein. Das  Nest  dieses  schönen  Sängers  ist  immer  recht  versteckt 
angelegt  und  es  gehört  zu  den  grössten  Seltenheiten,  ein  solches 
aufzufinden,  da  es  auf  unseren  Weserplaten  immer  im  dichtesten 
Gestrüpp,  oft  hart  am  Ufer  in  Weidenstümpfen  sich  befindet.  Selten 
fliegt  der  Vogel  vom  Neste,  um  dadurch  seinen  Brutplatz  zu  ver- 
raten, sondern  gewöhnlich  springt  er  unbemerkt  auf  den  Boden 
und  läuft,  ohne  einen  Laut  von  sich  zu  geben,  im  Gestrüpp  davon. 
Es    ist    mir    erst   zweimal   geglückt,    ein    solches  Nest    aufzufinden; 


*)    „Platen"     heissen    in   Norddeutscbland    die    kleinen    mit   Rohr   und   Weiden    be- 
wachsenen Flussinseln. 


344  -^'^^  Tierlebcii  auf  Flussinscln  und   am   TTfcr  der  Flüsse  und  Seen. 

dasselbe  ist  ziemlich  kunstvoll  gebaut  und  sitzt  gewöhnlich  in  einer 
kleinen  Vertiefung;  es  besteht  aussen  meist  aus  trockenen  Gras- 
halmen, innen  dagegen  vorwiegend  aus  der  Wolle  der  Salix-Arten. 
In  dem  schön  gerundeten  tiefen  Neste  liegen  gegen  Ende  April 
fünf  schön  grüngraue  Eier,  welche  mit  einzelnen  zierlichen  rot- 
braunen Tüpfelchen  und  Pünktchen  bedeckt  sind.  Das  Blaukehlchen 
erscheint  schon  Ende  März  mit  dem  Hausrotschwänzchen  zusammen 
und  verlässt  seinen  Brutplatz  Ende  August,  streicht  aber  dann  noch 
bis  Ende  September  umher.  In  den  letzten  Tagen  des  September 
oder  Anfang  Oktober  verlässt  es  uns;  einzelne  Nachzügler  dagegen 
verweilen  oft  bis  Ende  Oktober  in  unserm  Gebiete. 

Mit  dem  Blaukehlchen  zusammen  an  fast  denselben  Lokalitäten 
treffen  wir  das  Braunkehlchen,  Pratincola  rubetra  Koch,  und 
einzeln  auch  die  Braunelle,  Accentor  modularis  Cuv.,  an.  Beide 
haben  mit  ihm  die  versteckte  Lebensweise  sowie  die  Art  des  Nest- 
baues gemein;  beide  verlassen  auch  lautlos  ihre  Nester  und  eilen  unter 
dem  Gesträu'ch  davon.  Nur  wenn  die  Vögel  ihre  Brut  gefährdet 
sehen,  lassen  sie  ihre  Klagetöne  hören  und  verraten  allerdings  da- 
durch dem  aufmerksamen  Beobachter,  dass  man  sich  unmittelbar 
beim  Neste  befindet,  und  trotzdem  hält  es  manchmal  recht  schwer, 
dasselbe  zu  entdecken.  Verfasser  dieses  Kapitels,  welcher  sich 
am  23.  Mai  i8gi  unmittelbar  bei  einem  solchen  Neste  befand, 
gebrauchte  über  eine  halbe  Stunde,  um  dasselbe  endlich  in  einem 
dichten  Grasbüschel,  kaum  einen  halben  Meter  von  ihm  entfernt, 
zu  gewahren.  In  dem  sauber  mit  Tierhaaren  ausgepolsterten 
Neste  befanden  sich  vier  grünlich  blaue ,  fein  rot  punktierte 
Eier.  Das  Nest  der  Braunelle  aufzufinden  ist  mir,  trotz  eifrigen 
Suchens,  bislang  noch  nicht  gelungen.  Das  Braunkehlchen 
erscheint  Mitte  April  und  verlässt  uns  Ende  September.  Die 
Braunelle  dagegen  kommt  oft  schon  Mitte  März  und  verschwindet 
erst  gegen  Mitte  Oktober. 

Die  „Kuckucksamme",  Ciirruca  cinerea  Lath.,  ist  ebenfalls 
nicht  selten  auf  den  Flussinseln  anzutreffen.  Die  Dorngrasmücke 
führt  den  oben  genannten  Namen  daher,  weil  der  Kuckuck  sehr 
gern  sein  Ei  in  ihr  Nest  legt    und    ihr    auch    die  Erziehung  seines 


Das  Tierlcben  auf  P'lussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.         345 

Sprösslings  überlässt.  Schon  am  frühen  Morgen  mit  Sonnenaufgang 
lässt  die  Dorngrasmücke  ihr  munteres  Lied  ertönen,  und  sie  ist 
einer  von  denjenigen  Vögehi,  welche  am  längsten  singen,  ja  oft 
vernimmt  man  noch  Anfang  August  ihren  fröhlichen  Gesang. 
Mitte  April  trifft  dieser  Vogel  bei  uns  ein  und  verlässt  uns  wieder 
Mitte  September. 

An  den  Flussufern  und  auf  den  Inseln  beobachtet  man  ziemlich 
häufig  den  Fitis-Laubvogel,  Weidenzeisig,  Phyllopneuste  trochihis 
Bp.  Sehr  bald  verrät  sich  dieses  zutrauliche  Vögelchen  durch  sein 
angenehm  klingendes  „hüid,  hüid,  hoid,  hoid".  Es  lässt  sich  auch 
ganz  in  der  Nähe  beschauen,  aber  desto  schwieriger  ist  es,  sein 
Nest  aufzufinden.  Dasselbe  befindet  sich  am  Boden,  meist  im 
dichten  Gestrüpp  oder  Gewirr;  es  ist  vollständig  überwölbt  und 
man  sieht  nur  ein  kleines  seitliches  Loch.  Anfang  Mai  findet 
man  in  demselben  fünf  bis  sieben  kleine,  weisse,  rötlich  gefleckte 
Eier,  an  deren  stumpfen  Ende  sich  die  INlakeln  und  Pünktchen 
dichter  als  am  spitzen  Ende  gruppieren.  Dieser  niedliche  Sänger 
verweilt  bei  uns  von  Anfang  April  bis  Ende  September. 

War  das  Vorkommen  der  bis  jetzt  angeführten  Sänger  an  den 
Flussufern  und  auf  den  Inseln  kein  ausschliessliches  —  auch  ausser- 
halb dieser  Gebiete  werden  dieselben  angetroffen  — ,  so  wollen 
wir  jetzt  eine  Gruppe  kennen  lernen,  welche  ausschliesslich  ihre 
Heimat  an  den  Ufern  der  Flüsse,  auf  den  Inseln  und  Groden 
haben.  (Unter  „Groden"  versteht  man  die  mit  Weiden  und  anderm 
Gestrüpp  bewachsenen  Aussendeichsländereien,  welche  auch  stellen- 
weise Grasflächen  haben.)  Es  ist  dies  die  Gattung  der  Rohrsänger. 
Schon  ihr  Name  sagt  uns  deutlich  genug,  wo  wir  diese  Bewohner 
aufzusuchen  haben.  Nicht  weniger  als  sechs  Arten  dieser  Gattung 
bewohnen  das  in  Frage  kommende  Gebiet  unseres  Vaterlandes. 
Ausserdem  giebt  es  davon  noch  eine  Reihe  Spezies,  welche  mehr 
dem  südlichen  Europa  angehören.  Für  uns  kommen  in  erster 
Linie  unsere  heimatlichen  Sänger  in  Betracht.  Es  sind  folgende: 
Der  Schilfsänger,  Calamoherpe  phragmitis  Bp.;  der  Binsen - 
Rohrsänger,    Calamoherpe  aquatica  Degland;  der  Sumpf-Rohr- 


346         ■^'^^  Ticricben  auf  Flussinscln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

Sänger,  Calamoherpe palustris  Boie;  der  Heuschrecken,- Rohr- 
sänger, Calamohcrpe  locustella  Penn.;  der  Teich -Rohrsänger, 
Calamoherpe  ariindinacea  Boie,  und  endlich  der  Drossel-Rohr- 
sänger, Calamoherpe  turdoides  Meyer.  Erstere  werden  im  Volks- 
munde gewöhnlich  „Reitmeeschen",  auch  „Rohrsperlinge"  genannt; 
der  letztere  heisst  gewöhnlich  die  „Rohrdrossel".  Fast  alle  erscheinen 
bei  uns  Anfang  Mai  und  bleiben  bis  Anfang  September.  Nicht 
alle  sind  gleich  häufig  anzutreffen;  einzelne  dagegen,  wie  die  Rohr- 
drossel, der  Schilfsänger,  der  Sumpf-  und  Teich-Rohrsänger,  sind 
sogar  ziemlich  häufig.  Sie  entziehen  sich  aber  durch  ihre  versteckte 
Lebensweise  im  Röhricht  und  durch  die  Lokalitäten,  an  denen  sie 
leben,  sehr  oft  dem  Auge  des  Beobachters  und  daher  ist  manche 
Spezies  vielleicht  viel  häufiger  als  an  manchen  Orten  allgemein 
angenommen  wird.  Der  Drossel-Rohrsänger  ist  sofort  durch  seinen 
weit  vernehmbaren  Gesang,  der  etwa:  „düi,  diu,  düi,  karre,  karre, 
karre,  kei,  kei,  kei,  kerr,  kerr,  kerr,  karra,  karra,  kied"  klingt,  zu 
erkennen.  Der  Gesang  von  Calamoherpe  palustris  Boie  ist  dem 
flötenden  Gesänge  des  Spottvogels,  Ficedula  hypolais  Schlegel,  nicht 
unähnlich  und  daher  ein  sicheres  Erkennungszeichen  des  Sumpf- 
Rohrsängers,  da  der  Spottvogel  in  den  Gebieten,  wo  die  Sumpf- 
Rohrsänger  leben,  nicht  zu  Hause  ist.  Beim  Schilfsänger 
C.  phragmitis  Bp.,  besteht  der  Gesang  fast  ausschliesslich  aus  einem 
langen,  wohlklingenden,  flötenartigen  Triller.  Der  Gesang  beim 
Teich-Rohrsänger,  C  arundinacea  Boie,  gleicht  mehr  einem 
Geplapper  der  sehr  rasch  hinter  einander  ausgesprochenen  Silben 
„terr,  terr,  terr,  tri,  tri,  tri,  zerrr,  zerrr,  zerrr,  zack,  zack,  zack"  u.  a.  m. 
Eine  annähernde  Ähnlichkeit  hat  der  Gesang  des  Binsen-Rohr- 
sängers, C.  aquatica  Degland,  mit  dem  des  Schilfsängers;  doch 
kommen  in  dem  melodischen  Triller  sehr  häufig  Töne  wie  „jüpp, 
jüpp,  jüpp,  jüpp,  tütt,  tütt,  tütt,  tütt"  vor.  Den  eigentümlichsten 
Gesang,  wohl  richtiger  Geschwirre  genannt,  hat  der  Heuschrecken- 
sänger, C.  locustella  Penn.  Mit  aufgeblasener  Kehle,  am  Boden 
zwischen  den  Rohr-  und  Weidenstengeln  dahinlaufend,  bringt  er 
nur  einen  wie  „sirrrrrrrirrr"  klingenden  lange  anhaltenden  Ton 
hervor.      Für    einen    aufmerksamen    Beobachter   ist    es    nicht    allzu 


Das  Tieilebcn  auf  Flussinscln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.  3  J^y 

schwer,  das  Vorkommen  der  einen  oder  andern  Art  nach  dem 
Gesänge  festzustellen,  und  um  so  bequemer,  als  das  Eindringen  in 
die  im  und  am  Wasser  belegenen  Rohrfelder  sowie  auf  die  mit 
Schlick  bedeckten  Groden,  in  welchen  sich  die  Rohrsänger  eben- 
falls gern  aufhalten,  mit  grossen  Schwierigkeiten  und  Anstrengungen 
verknüpft  ist.  Auch  im  Nestbau  gleichen  sich  unsere  Rohrsänger 
mehr  oder  weniger.  Zwischen  drei  bis  vier  bei  einander  stehenden 
Rohrstengeln  an  oder  über  der  Wasserfläche,  zwischen  Nesselpflanzen 
oder  zarten  Weidenruten,  zwischen  starken  Grashalmen  oder  anderen 
Pflanzenstengeln  befestigen  sie  kunstvoll  ihr  Nest  und  zwar  so,  dass 
immer  zwei  oder  drei  Stengel  durch  die  Seitenwandungen  des 
Nestes  hindurch  gehen.  Das  schön  gebaute  Nest  wächst  mit  den 
Pflanzen  in  die  Höhe  und  ist  so  bei  Hochwasser  vor  dem  Über- 
schwemmtwerden  geschützt. 

Aus  der  Familie  der  MotaciUidae  halten  sich  am  Gewässer 
und  in  der  Nähe  desselben  die  drei  bekannten  Bachstelzen  arten 
auf.  Motacilla  alba  L.,  die  weisse  Bachstelze,  auch  Quäksteert 
oder  Wippsteert  genannt ;  die  graue  Bachstelze,  Motacilla  siilphiirea 
Bechst.,  und  die  gelbe  Bachstelze  oder  Kuhstelze  „gäle  Quäksteert", 
Motacilla  ßava  Cuv.  Obwohl  man  die  erstere  auch  entfernt  vom 
Wasser  antriff't,  so  schlägt  sie  doch  mit  Vorliebe  ihre  Wohnung 
unter  Brücken,  an  JNIühlen  und  auf  den  in  der  Nähe  des  Wassers 
stehenden  Weidenstümpfen  auf  Die  im  nördlichen  Deutschland 
seltene  graue  Bachstelze  hält  sich  fast  ausschliesslich  an  Bächen, 
Quellen,  überhaupt  an  fli^ssenden  Gewässern  auf  und  baut  auch 
ihr  Nest  stets  in  die  Nähe  des  Wassers,  in  Höhlen,  unter  Brücken, 
in  Felslöchern  u.  dgl.  m.  Die  gelbe  Bachstelze  dagegen  bewohnt 
die  freien,  von  menschlichen  Wohnungen  fern  liegenden  Weiden 
auf  den  Inseln  und  an  den  Flussufern;  mit  Vorliebe  diejenigen 
Weiden,  auf  welchen  Vieh  weidet.  Das  Nest  derselben  findet  man 
nicht  selten  in  Carices-Büscheln.  Die  weisse  Bachstelze  erscheint 
in  unsenn  Nordwesten  oft  schon  im  Februar  —  nach  dem  ver- 
flossenen harten  Winter  90/gi  wurden  die  ersten  Bachstelzen  erst 
am  16.  März  91  beobachtet  —  und  verlässt  uns  Oktober.  Die 
weisse  Bachstelze    ist    nach    dem  Staar    unser    erster  Frühlingsbote. 


348  -^'^^  Tierleben  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

Die  gelbe  Bachstelze  trifft  bei  uns  Anfang  April  ein  und  verweilt 
bis  Mitte  September. 

In  Gemeinschaft  mit  den  gelben  Bachstelzen  trifft  man  ziem- 
lich häufig  den  Wiesen pieper,  Anthus  pratensis  L.  Er  wählt 
zu  seinem  Brutplatze  dieselben  Lokalitäten  wie  die  Bachstelzen. 
Gewöhnlich  erscheint  er  bei  uns  im  März  und  bleibt  oft 
bis  November.  Einzelne  bleiben  sogar  in  gelinden  Wintern  ganz 
bei  uns.  Charakteristisch  und  dabei  ein  sicheres  Erkennungszeichen 
der  Art  ist  ihr  Verhalten  beim  Gesänge,  welcher  etwa  „witje,  witje, 
witje,  zick,  zick,  zick,  juck,  juck,  juck,  tirrrirrr"  lautet.  Plötzlich 
erhebt  sich  der  Pieper  singend  einige  Meter  in  die  Höhe  und  fällt 
ebenso  rasch  wieder  zur  Erde,  um  auf  einem  Carex-  oder  Scirpus- 
Büschel  den  Gesang  fortzusetzen  oder  zu  vollenden. 

Von  den  Lerchen  kommt  für  unser  Gebiet  nur  die  durch 
ihren  jubilierenden  herrlichen  Gesang  bekannte  Feldlerche,  Alaitda 
arvensis  L.,  insoweit  in  Betracht,  als  sie  ziemlich  häufig  als  Brut- 
vogel auf  den  Flussinseln  anzutreffen  ist.  Sie  erscheint  oft  schon 
Mitte  Februar  und  verkündet  dann  durch  ihre  schmetternden  Lieder 
das  Neuerwachen  des  Frühlings.  Sie  verlässt  uns  Ende  Oktober 
oder  zu  Beginn  des  November. 

Von  den  Ammern  suchen  auch  einige  zu  ihrem  Brutplatze 
die  Nähe  der  Gewässer  auf.  So  findet  sich  auf  den  Weserinseln 
gar  nicht  selten  die  Grauammer,  Embcrba  nnliaria  Bp.  Ihr  Nest 
ist  meist  tief  versteckt  in  den  Grasbüscheln  angelegt ;  auf  dem  Fest- 
lande dagegen  wählt  sie  mit  Vorliebe  die  Getreidefelder  zu  ihrem 
Nistplatze.  Wenn  man  im  Frühjahre  die  grösste  unserer  Ammern 
auf  irgend  einem  Weidenstumpfe  sitzen  sieht  und  das  ziemlich 
eintönige  „zick,  zick,  zick,  sirrrr"  hört,  so  kann  man  sicher  sein, 
dass  in  gar  nicht  zu  grosser  Entfernung  sich  das  Nest  befindet. 
Fast  ausschliesslich  an  Gräbenufern  nistet  die  bekannte  Gold- 
ammer, „Gälgöschen",  Embcriza  cürinclla  L.  Der  Gesang  „si,  si, 
si,  si,  siiiih"  unterscheidet  sie  sofort,  ohne  dass  man  den  Vogel  zu 
sehen  braucht,  von  der  Grauammer.  Stets  schlägt  ihren  Wohn- 
sitz die  Rohrammer,  Rohrsperling  oder  Reithlüning,  Emheriza 
schoeniclus  L.,  in  der  Nähe  der  Gewässer  auf.     Das  sehr  verborgene 


Das  Ticrleben  auf  llussinseln  und  am  ITir  der  Flüsse  und  Seen.  349 

Nest  findet  man  in  Carex-Büscheln.  In  demselben  trifft  man  Anfang 
Mai  fünf  bis  sechs  rötlich  weisse  Eier,  deren  ganze  Schale  mit 
braunroten  Strichen  mid  grösseren  Flecken  bedeckt  ist.  Während 
die  beiden  erstgenannten  Ammern  den  Winter  über  bei  uns  bleiben 
und  uns  nur  einzeln  bei  sehr  strenger  Kälte  verlassen,  wohl  auch 
nur  etwas  südlicher  streichen,  um  bei  der  nächsten  gelinden 
Witterung  sich  wieder  bei  uns  einzustellen,  verlässt  uns  die  Rohr- 
ammer gewöhnlich  schon  Ende  September,  erscheint  aber  im 
März  wieder  auf  der  Bildfläche.  In  gelinden  Wintern  bleiben  dann 
und  wann  auch  wohl   einzelne  Pärchen  hier. 

Ganz  einzeln  trifft  man  auch  den  Hänfling,  „Grauiserken", 
Fringilla  cannabina  Bp.,  auf  den  Flussinseln  an,  welche  viel  hohes 
Gestrüpp  haben.  Auch  der  Feldsperling,  Weidenspatz,  Passer 
montmiiis  Koch,  ist  als  Brutvogel  auf  den  Inseln  zu  finden,  wo 
alte  Weidenstümpfe,  die  er  zu  seinem  Nistplatze  wählt,  stehen. 
Der  Hänfling  ist  den  ganzen  Winter  hindurch  auf  den  Inseln, 
Platen  und  an  den  Flüssen  anzutreffen,  wenn  kein  Schnee  fällt; 
ein  Teil  derselben  verlässt  uns  im  September  und  kehrt  im 
ersten  Frühjahre,  im  März,  zurück.  Der  Feldspatz  ist  im  ganzen 
Gebiete  Standvogel. 

Selbst  die  Ordnung  der  Hühner  ist  auf  den  grösseren ,  mit 
langem  Grase  bewachsenen  Platen  durch  das  Rebhuhn,  Perdix 
cinerea  Briss.,  vertreten.  Wenn  man  am  frühen  Morgen  oder  geeen 
Abend  in  einem  Boote  an  einer  solchen  Insel  entlang  fährt,  so  ver- 
nimmt man  bald  aus  der  nächsten  Nähe,  bald  wieder  aus  weiterer 
Feme  den  wohlbekannten  Ruf  des  Rebhahnes  „girrräk".  Noch 
häufiger  hört  man  des  Abends  von  den  Inseln  und  Groden  das 
„röärp,  röärp",  den  gewöhnlichsten  Ruf  des  Wachtelkönigs,  Crex 
pratensis  Bechst.,  herübertönen.  Obgleich  dieser  Vogel  an  den 
Flussufem  und  auf  den  Inseln  ziemlich  häufig  ist  —  man  kann  an 
warmen  Abenden  oft  drei,  vier  und  mehr  zu  gleicher  Zeit  rufen 
hören  — ,  bekommt  man  denselben  doch  sehr  selten  zu  Gesicht, 
da  er  gewöhnlich  im  Grase  rasch  fortläuft,  ohne  aufzufliegen. 
Selbst  vor  dem  suchenden  Hunde  fliegt  er  nicht  eher  auf,  bis  er 
in    die  Enge,    etwa    an    einen  Graben,    getrieben  wird.      Das   Nest 


350         ^'^^  Tierleben  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

findet  man  sehr  selten  und  schwer.  Die  prächtigsten  Gelege  — 
zehn  bis  zwölf  Eier  von  schöner  graugelber  Farbe  mit  vielen  röt- 
lich braunen  Flecken  — ,  die  in  meinen  Besitz  gekommen  sind, 
verdanke  ich  ausschliesslich  den  Grasmähern.  Der  „Snarrentar", 
wie  er  im  Volksmunde  nach  seinem  Rufe  genannt  wird,  erscheint 
bei  uns  gewöhnlich  Anfang  Mai  und  verschwindet  Anfang  September. 
Von  den  Gallinnlidae  treffen  wir  weiter  auf  den  Inseln  und 
an  den  Flussufern  als  Brutvögel  das  punktierte  Rohrhuhn,  Rallus 
porzana  L. ;  die  Wasserralle,  Ralhis  aquaticiis  L. ;  das  grün- 
füssige  Rohrhuhn,  GalUmila  chloropus  Lath.,  und  das  schöne, 
grosse  Blässhuhn,  Fulica  atra  L.,  an.  Diese  echten  Wasser- 
bewohner sind  in  unserm  ganzen  Nordwesten  an  und  auf  den 
grossen  Flussinseln,  in  den  undurchdringlichen  Rohr-  und  Schilf- 
feldern der  Groden  an  den  grösseren  und  kleineren  Seen  fast  überall 
anzutreffen,  aber  äusserst  schwer  zu  beobachten,  da  sie  dem  Auge 
des  Naturbeobachters  durch  geschicktes  Tauchen  oder  durch  A^'er- 
schwinden  zwischen  dem  dichten  Schilf  und  Rohr  auszuweichen 
wissen.  Es  ist  interessant,  diese  gewandten  Schwimmer  und  Taucher 
in  ihrem  nassen  Elemente  beobachten  zu  können.  Hat  man  sich 
unbemerkt  mit  dem  Boote  in  irgend  eine  gedeckte  Bucht  oder  in 
ein  Rohrfeld  gelegt,  so  erscheint  oft,  wenn  das  Glück  günstig  ist, 
in  unmittelbarer  Nähe  des  Bootes  einer  dieser  munteren  Vögel, 
aber  im  nächsten  Augenblicke,  kaum  dass  wir  Zeit  hatten,  ihn 
auch  nur  halbwegs  ins  Auge  zu  fassen,  verschwindet  er  in  der 
kühlen  Flut,  schwimmt  eine  grosse  Strecke  unter  der  Wasserfläche 
fort,  um  oft  in  ganz  entgegengesetzter  Richtung  wieder  zu  erscheinen; 
oft  nimmt  er  sogar  seinen  Weg  unter  dem  Boote  durch,  und  im 
nächsten  Augenblicke  ist  er  auch  schon  wieder  fort.  Glaubt  er 
sich  erst  in  sicherer  Entfernung,  dann  kann  man  ihn  auch  längere 
Zeit  auf  der  Wasserfläche  beobachten.  Oft  sieht  man  dann  die 
ganze  Familie,  Alt  imd  Jung,  im  bunten  Durcheinander,  bald  ruhig 
dahinschwimmend,  bald  Tauch  Übungen  anstellend,  bald  über  die 
glatte  Wasserfläche  dahinlaufend ;  aber  nie  lassen  sie  dabei  die 
nötige  Vorsicht  ausser  Acht;  bei  dem  geringsten  verdächtigen  Ge- 
räusch   verschwindet    die  ganze  Gesellschaft  im  nächsten   Rohrfelde 


Das  Ticrlebcn  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.  35  •[ 

und  lässt  sich  für  lange  Zeit  nicht  wieder  blicken.  Auch  im  Bau 
ihrer  Nester,  welche  sehr  versteckt  und  meist  nach  dem  Wasser 
hin  in  den  Rohr-  und  Binsenfeldern  angebracht  sind,  gleichen  sie 
sich.  Auf  niedergebogenem  Rohr,  oft  auf  halb  schwimmendem 
Gestrüpp  sind  die  ziemlich  kunstlosen  Nester  angelegt.  Die  Zahl 
der  Eier  beträgt  gewöhnlich  acht  bis  zwölf.  Die  Gallhmlidae  er- 
scheinen in  unserm  Gebiete  Anfang  Mai  und  verlassen  uns  Mitte 
September. 

Von  den  Omradriidae  bewohnt  die  Flussinseln  und  Groden 
als  Brutvogel  der  allen  bekannte  Kiebitz,  l^anellus  cristatus  Meyer 
und  Wolf,  welcher  leider  von  Jahr  zu  Jahr  an  Zahl  bedenklich 
abnimmt.  Die  Ursache  dieser  von  Jahr  zu  Jahr  sich  steigernden 
Abnahme  dieses  nützlichen  Vogels  liegt  in  d.em  leidigen,  un- 
vernünftigen Eiersammeln,  welches  einzig  den  Zweck  hat,  den 
Gaumen  des  Gourmands  zu  kitzeln.  Allerdings  tragen  auch  ein 
gut  Teil  Schuld  die  Entwässerungsanstalten,  welche  in  jedem  Früh- 
jahre die  nassen  und  sumpfigen  Wiesen  trocken  pumpen  und  es 
dadurch  den  Eiersammlem  ermöglichen,  auf  die  Poller  und  höher 
gelegenen  Stellen,  die  Brutplätze  des  Kiebitzes,  zu  gelangen,  um  auch 
dort  ihr  Zerstörungswerk  mit  Erfolg  zu  betreiben.  Der  Kiebitz 
gehört  zu  unseren  ersten  Frühlingsboten;  er  erscheint  gewöhn- 
lich Mitte  März  und  verlässt  uns  Ende  September  oder  Anfang 
Oktober.  In  milden  Jahren .  erscheint  er  oft  schon  im  Februar 
und  bleibt  einzeln  bis  in  den  November.  Manchmal  aber,  wenn 
sie  sich  zu  früh  hergewagt  haben  und  Kälte  und  Schnee  zurück- 
kehren,  müssen  sie  wieder  flüchten  und  auch  dabei  gehen  viele 
zu  Grunde.  Am  23.  Febniar  dieses  Jahres  beobachtete  Verfasser 
einen  Trupp  von  etwa  50  Stück,  welche  sich  trotz  des  vergangenen 
strengen  Winters  in  unserm  Nordwesten  eingefunden  hatten;  als 
aber  nach  einigen  Tagen  von  neuem  Kälte  eintrat  und  ziemlicher 
Schnee  fiel,  zogen  sie  auf  einige  Zeit  wieder  südlicher. 

Mit  dem  Kiebitz  erscheint  und  verschwindet  fast  zur  selben 
Zeit  der  Flussregenpfeifer,  Charadrms ßiiviatilis  Bechst.  Dieser 
hurtige,  behende  Geselle  bewohnt  mit  Vorliebe  die  kahlen,  kiesigen 
Ufer  der  Inseln  und  Flüsse  und  legt  auch  dort  sein  Nest  an,  welches 


352  -^^^  Tierlcben  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

sehr  leicht  übersehen  werden  kann.  In  einer  kleinen  Vertiefung 
fast  ohne  alle  Unterlage  liegen  auf  kiesigen  Grunde  drei  bis  vier 
graugelbe,  mit  dunkelgrauen  Punkten  und  Strichen  ausgestattete  Eier, 
welche  in  ihrer  Färbung  so  sehr  der  Umgebung  ähneln,  dass  man 
oft,  wenn  man  das  Nest  gefunden,  es  auch  schon  wieder  aus  den 
Augen  verloren  hat  und  von  neuem  suchen  muss.  So  ging  es  am 
i8.  Mai  dieses  Jahres  dem  Verfasser,  der,  kaum  zwei  Fuss  vom 
Neste  entfernt,  es  erst  nach  längerem  scharfen  Umhersehen  wieder 
entdeckte. 

Der  Rotschenkel,  Totanus  calidris  Bechst.,  welcher  sich  in 
grosser  Zahl  als  Brutvogel  an  unseren  Nordseeküsten  findet,  wird 
auch  einzeln  als  solcher  an  den  Ufern  der  Flüsse  und  auf  den 
Flussinseln  beobachtet.  Er  erscheint  bei  uns  Mitte  Mai  und  ver- 
lässt  uns  Anfang  September.  Häufiger  als  den  Rotschenkel  kann 
man  an  den  sandigen  Ufern  als  Brutvogel  den  Flussuferläufer, 
A  cutis  Jiypoleucos  Brehm  beobachten,  derselbe  erscheint  im  März 
und  bleibt  bis  zum  Oktober.  Auf  den  feuchten,  kurzgrasigen  Wiesen 
unserer  Flussniederungen  stellt  sich  in  ziemlich  grosser  Individuen- 
zahl der  durch  seine  possierlichen  Kapriolen  bekannte  Kampf- 
hahn, Machetes  fugnax  Cuv.  ein.  Stundenlang  kann  man,  wenn 
ein  Gestrüpp  oder  ein  Grabenufer  uns  die  nötige  Deckung  giebt, 
diesem  tollen  Treiben  des  Streithahns  oder  Streitvogels  zusehen. 
Bei  diesen  sogenannten  „Kämpfen",  die  besonders  zur  Paarungszeit 
häufig  sind,  nimmt  er  die  wunderbarsten  Stellungen  ein,  sträubt 
sein  Gefieder  bald  so  und  im  nächsten  Augenblick  wieder  anders. 
Sie  stürzen  auf  einander  los,  vorwärts,  rückwärts,  und  scheinbar  mit 
einer  solchen  Wut,  dass  der  uneingeweihte  Beobachter  glauben  muss, 
keiner  verlasse  lebend  den  Kampfplatz;  indessen  scheint  es  mehr 
eine  Spiegelfechterei  zu  sein,  denn  sie  lassen  kaum  Federn  dabei 
und  nach  einiger  Zeit,  wenn  sie  des  Kampfes  müde  sind,  eilen 
sie  vergnügt  von  dannen,  um  sich  für  ein  späteres  Turnier,  deren 
man  täglich  mehrere  beobachten  kann,  wieder  zu  stärken.  Das 
Nest,  welches  im  Bau  sowohl  wie  im  Aussehen  dem  des  Kiebitzes 
ähnlich  ist,  befindet  sich  in  einer  kleinen  Vertiefung,  einer 
Kuhspur    oder    dergleichen,    und    ist  mit  wenig  Grashälmchen  aus- 


Das  Tierlebcn  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.  353 

gelegt.  Nach  beendigtem  Paarungsgeschäfte  verlassen  uns  schon 
meistens  die  Männchen  und  ziehen  an  die  Meeresküste,  während 
die  Weibchen  und  Jungen  bis  zum  September  an  ihren  Brut- 
plätzen verweilen.  Im  März  treffen  sie  wieder  zusammen  an 
letzteren  ein. 

Auf  den  feuchten,  mit  kleinen  Wasserläufen  durchzogenen 
Wiesen  der  Inseln  der  Aussendeichsländereien  und  Grodcn,  auf 
den  Dobben  und  Platen  treffen  wir  in  ziemlicher  Zahl  als  Brutvögel 
die  einfache  Bekassine,  auch  „Häwelamm"  oder  „Bäwerbuck". 
genannt,  Scolopax  gallinago  L.,  und  die  Doppelbekassine, 
Scolopax  major  L.,  an.  Unter  Dobben  versteht  man  beweglichen 
Moorboden,  der  oben  durch  eine  Grasnarbe  bedeckt  und  ziemlich 
fest,  weiter  nach  unten  aber  noch  weich  ist.  Beim  Betreten  solchen 
Bodens  bewegt  sich  die  ganze  Fläche  und  der  auf  diesem  Boden 
Unbekannte  bricht  sehr  leicht  ein;  es  bedarf  einer  besondern  Ge- 
schicklichkeit, darüber  hinwegzugehen.  Pferde,  welche  ihn  betreten 
wollen,  bekommen  Holzschuhe  angeschnallt,  und  die  Räder  der 
Wagen  werden,  damit  sie  nicht  einschneiden  und  dann  versinken, 
mit  dicken,  gedrehten  Strohseilen  umwickelt.  An  warmen  Frühlings- 
abenden macht  sich  die  einfache  Bekassine  durch  ihr  eigentümliches 
Gemecker,  dem  einer  Ziege  nicht  unähnlich,  daher  „Häwelamm", 
„Himmelsziege"  genannt,  welches  sie  nur  im  Fluge  vernehmen  lässt, 
bemerkbar.  An  einzelnen  Moorseen  ist  dieser,  von  Feinschmeckern 
sehr  geschätzte  Vogel  oft  zu  hunderten  anzutreffen,  so  am  Balk- 
See,  einem  inmitten  des  unwirtlichen  Moores  bei  Cadenberge  un- 
weit der  niederelbischen  Bahn  gelegenen  grossen  Moorsees,  dessen 
Ufer  von  grossen  Dobben feldern  gebildet  werden.  Auf  solch 
sumpfigen  Wiesen  in  der  Mitte  eines  Carex-Busches  findet  sich 
das  sehr  schwer  zu  entdeckende  Nest.  Die  gemeine  Bekassine 
erscheint  bei  uns  oft  schon  im  März  und  bleibt  bis  zum  November. 
Die  Doppelbekassine  kommt  erst  im  April  und  geht  schon  im 
September. 

Anfang  Mai  erscheint  ebenfalls  auf  den  feuchten  Fluss- 
niederungen die  Pfuhlschnepfe,  Limosa  niclanura  Leisler,  um 
dort    ihr    Brutgeschäft    zu    verrichten;    sie    verlässt    uns   gewöhnlich 

Tier-  und  Pflanzenleben  des  Süsswassers.      II.  23 


354  ^^^  Tierleben  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

schon  Anfang  September.  Auch  die  grosse  Rohrdommel, 
Botaurus  stellaris  Briss.,  „Iprump"  nach  ihrem  unheimlich  klingen- 
den Rufe  „üü  ■ —  prump"  so  genannt,  ist  als  vereinzelter  Brutvogel 
der  Flussinseln  aufzuzählen.  Es  hält  schwer,  dieses  stattliche  Tier 
zu  Gesicht  zu  bekommen,  da  es  durch  eine  eigentümliche  List 
sich  dem  Auge  des  Beobachters  zu  entziehen  weiss.  Bemerkt  die 
Rohrdommel  einen  Feind  in  ihrer  Nähe,  so  richtet  sie  sich  gerade 
auf,  zieht  den  Hals  ein,  streckt  Kopf  und  Schnabel  senkrecht  in 
die  Höhe  und  bleibt  in  dieser  Stellung  unbeweglich  stehen,  bis 
die  Gefahr  vorüber  ist.  In  dem  Weidengebüsch,  in  welchem  sie 
sich  gern  aufhält,  gleicht  sie  in  dieser  Stellung,  wobei  ihr  die 
Färbung  ihres  Gefieders,  welche  mit  der  Umgebung  grosse  Ähn- 
lichkeit hat,  sehr  zu  statten  kommt,  täuschend  einem  alten  ab- 
gebrochenen Weidenstumpfe.  Die  Rohrdommel  erscheint  im  April 
auf  ihrem  Brutplatze  luid  zieht  Ende  September  wieder  von  dannen. 

Aus  der  Ordnung  der  Schwimmvögel  treffen  wir  zunächst  an 
unseren  süssen  Gewässern  einige  Entenarten  als  Brüter  an.  Da 
mag  zuerst  die  Löffelente,  Rhynchaspis  clypeata  L.,  erwähnt 
werden,  welche  im  dichten  Rohr,  umgeben  von  Wasser,  ihr  ver- 
stecktes Nest  anlegt;  ferner  die  Knacken te,  Anas  querquedula  L., 
die  Krickente,  Anas  crecca  L.,  und  die  gemeine  wilde  Ente, 
auch  Stockente  genannt,  Anas  boschas  L.,  gehören  zu  den 
häufigeren  Arten  der  Entensippschaft,  welche  an  den  süssen  Wassern 
brüten.  Die  Enten  erscheinen  auf  dem  Frühjahrszuge  meist  im 
März  und  ziehen  Oktober  wieder  fort.  Einzelne  Exemplare  von 
boschas  und  crecca  trifft  man  fast  den  ganzen  Winter  an  den 
Gewässern  an  und  diese  verlassen  uns  nur  dann,  wenn  auch  die 
letzten  offenen  Stellen  der  Flüsse  und  Seen  mit  einer  Eisdecke 
verschlossen  sind. 

An  dem  in  Betracht  kommenden  Gebiete  trifft  man  von  den 
Pelecanidae  im  Binnenlande  einzeln  die  Kormoran -Scharbe, 
Halieus  Carbo  111.,  als  Brutvogel  an.  Im  Nordwesten  Deutschlands 
ist  nur  eine  Kolonie  dieses  der  Fischerei  sehr  schädlichen  Vogels 
bekannt  und  zwar  im  Lüneburgischen  an  der  Elbe.  Der  Kormoran 
legt  seinen  Horst,  entgegen  der  Gewohnheit  der  anderen  Schwimm- 


Das  Tieileben  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.  355 

Vögel,  auf  Bäumen  an,  benutzt  aber  gewöhnlich  die  Nester  der 
Reiher  und  Raben  für  sich,  wobei  sich  häufig  ein  hartnäckiger 
Kampf  zwischen  diesen  und  jenen  entspinnt.  Trotz  seiner  grossen 
Schwimmfüsse  bäumt  der  Kormoran  sehr  geschickt  auf  und  weiss 
sich  ganz  sicher  auf  den  Ästen  zu  benehmen. 

Wenn  der  eigentliche  Aufenthaltsort  der  Seeschwalben  und 
Möven  auch  das  salzige  Meer,  die  Watten  und  die  Inseln  des 
Meeres  sind,  so  giebt  es  doch  eine  Reihe  Arten  davon,  welche  vor- 
ziehen im  Binnenlande  an  den  süssen  Gewässern  sich  aufzuhalten 
und  dort  ihr  Heim  einzurichten.  Es  sind  dies  die  Küstenmeer- 
schwalbe,  Sterna  niacntra  Naum.;  die  Flussmeerschwalbe, 
Sterna  hiriindo  L. ;  die  kleine  Seeschwalbe,  Sterna  mitiuta  L., 
und  die  schwarze  Seeschwalbe,  Sterna  nigra  Briss.,  und  von 
den  Möven  die  Lachmöve,  Larus  ridihimdiis  L.  Ihre  Nester, 
welche,  fast  ohne  jegliche  Unterlage,  nur  aus  einer  kleinen  Vertiefung 
bestehen,  finden  sich  auf  den  kiesigen,  sandigen  Stellen  an  den 
Gewässern  und  sind  sehr  schwer  von  der  Umgebuntr  zu  unter- 
scheiden,  da  die  Plätze  gewöhnlich  alles  Pflanzenwuchses  entbehren. 
Im  Winter  bleiben  immer  einzelne  dieser  geschickten  Segler  bei 
uns,  wenn  auch  als  gewöhnlich  anzunehmen  ist,  dass  sie  im  März 
in  grösseren  Scharen  erscheinen  und  uns  im  Oktober  verlassen. 

Endlich  mögen  noch  zwei  Brutvögel  der  Binnengewässer  auf- 
gezählt werden.  Es  sind  dies  der  grosse  Lappentaucher,  auch 
Kronen taucher  genannt,  Podiceps  cristatus  L.,  und  der  kleine 
Lappentaucher,  welcher  im  Volksmunde  den  etwas  derben  Njimen 
„Pärködel"  führt,  Podiceps  minor  L.  Ersterer  ist  auf  fast  allen 
unseren  Seen  ein  gemeiner  Brutvogel.  Schon  von  ferne  hören  wir 
seinen  lauten  Ruf  „koar,  koar,  koar"  über  die  Wasserfläche  zu  uns 
herüberschallen,  ehe  man  den  geschickten  Schwimmer  und  Taucher 
zu  Gesicht  bekommt.  Er  ist  ein  äusserst  scheuer  und  schlauer 
Vogel,  der  seinen  Beobachter  immer  in  respektabler  Entfemnng 
hält;  kommt  man  ihm  trotzdem  unvermerkt  zu  nahe,  so  ver- 
schwindet er  plötzlich  unter  der  Wasserfläche  und  erscheint  weit 
weg  nur  mit  dem  Kopfe  über  derselben,  um  schon  im  nächsten 
Augenblicke    von    neuem    zu    verschwinden.      Dieses    Experiment 

23* 


356  Das  Tierlcbcn  auf  Flussinseln  iiinl  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

wiederholt  er  so  liäufig,  bis  er  sich  wieder  sicher  fühlt.  Einen 
Jäger  lässt  er  daher  sehr  selten  in  Schussnähe  kommen.  Wird 
der  Taucher  angeschossen,  und  ist  der  Schuss  nicht  gleich  tödlich, 
so  taucht  er  fort  und  hellt  sich  am  Grunde  des  Gewässers  am 
Rohr  und  Schilf  fest,  um  nicht  wieder  an  die  Oberfläche  zu 
kommen.  Binsenschneider  am  Dümmersee  brachten  dem  Ver- 
fasser, welcher  sich  zu  der  Zeit  am  See  aufhielt,  ein  Exemplar 
des  Kronentauchers,  welcher  am  Vormittage  von  einem  Herrn 
angeschossen  war,  ohne  dass  er  ihn  bekommen  hatte.  Das 
Exemplar  hatten  dieselben  beim  Schneiden  mit  herauf  gebracht. 
Es  hatte  noch  die  Binse,  an  welcher  es  sich  festgehalten  hatte, 
im  Schnabel,  und  dieselbe  auch  im  Todeskampfe  nicht  los- 
gelassen. Der  kleine  Taucher  ist  ebenso  geschickt  im  Schwimmen 
und  Tauchen,  wie  sein  grösserer  Vetter.  Das  Nest  der  Taucher 
ist  fast  immer  frei  auf  der  Wasserfläche  zwischen  Rohr  befincl- 
Jich  und  an  einzelnen  Stengeln  befestigt,  damit  es  vom  Winde 
nicht  fortgetrieben  wird.  Die  Nester  sind  äusserst  schwer  auf- 
zuspüren,  da  man  nur  von  der  Wasserseite  mit  dem  Boote 
an  die  Rohr-  und  Binsenfelder  gelangen  kann,  in  welchen  sie 
angelegt  sind. 

Im  vorhergehenden  ist  versucht  worden,  dem  Naturbeobachter 
in  kurzen  Zügen  ein  Bild  zu  entwerfen  von  den  Brutvögeln,  welche 
derselbe  auf  Flussinseln,  an  den  Ufern  der  Flüsse  und  Seen  auf- 
zufinden vermag.  Es  ist  damit  aber  nicht  beabsichtigt,  ein  genaues, 
vollständiges  Verzeichnis  aller  an  den  in  Frage  kommenden 
Lokalitäten  brütenden  Vögel  zu  geben;  im  wesentlichen  sind  die 
häufigeren  und  am  meisten  ins  Auge  fallenden  Arten  berücksichtigt, 
welche  den  Nordwesten  unseres  Vaterlandes  bewohnen.  Im  öst- 
lichen und  südlichen  Deutschland  finden  sich  noch  einzelne  Arten, 
welche  nicht  erwähnt  worden  sind.  Auch  im  folgenden  hat  Ver- 
fasser vorwiegend  die  Bewohner  der  Gewässer  unseres  Nordwestens 
im  Auge  gehabt.  Wenn  bei  manchen  Vögeln  Angaben  über  Brut- 
zeit, über  Eintreffen  und  Verschwinden  an  ihren  Nistplätzen 
gemacht  worden  sind ,  so  beziehen  sich  dieselben  ebenfalls  auf 
Beobachtungen,  welche  im   Nordwesten  angestellt  worden  sind. 


Das  Tierleben  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.  357 

Ist  schon  das  Gesamtbild  unserer  befiederten  Freunde  zur 
Brutzeit  ein  buntes  und  mannigfaltiges,  so  gestaltet  es  sich  noch  viel 
reicher  im  Frühjahrs-  und  Herbstzuge,  ja  manchmal  erhält  das  Bild 
ein  ganz  fremdartiges  Aussehen ;  denn  tla  erscheinen  an  imseren 
süssen  Gewässern  Gäste,  die  sonst  nur  im  hohen  Norden,  am 
Meere  oder  anderen  uns  fern  liegenden  Orten  anzutreifen  sind.  Es 
soll  im  folgenden  versucht  werden,  dem  Naturfreunde  auch  davon 
ein  kleines,  also  nicht  auf  Vollständigkeit  Anspruch  machendes 
Bild  zu  entwerfen.  Durchwandern  wir  im  Geiste  noch  einmal 
die  Vogelwelt  und  beginnen  wir  v(^n  neuem  mit  den  Raub- 
vögeln, so  finden  wir  gar  nicht  selten  zur  Zugzeit  auf  den  grossen 
Wasserflächen  den  Seeadler,  ffaliactos  albicilla  Leach,  der 
besonders  häufig  erscheint,  wenn  viele  wilde  Gänse  zur  Herbstzeit' 
in  den  Flussniederungen  sich  länger  aufhalten.  Im  Volksmunde 
wird  er  deshalb  gewöhnlich  mit  „Goosarnt"  bezeichnet.  Der  Fisch- 
adler, Pandion  haliactos  Less. ;  der  Bussard,  Biiteo  vulgaris 
Bechst. ;  die  Gabelweihe,  Milvus  regalis  Briss. ;  selbst  der 
Wanderfalke,  Falco  pcregrinus  L. ;  der  Baumfalke,  Falco 
sttbbtiteo  L. ;  der  Turmfalke,  Falco  tinniinculus  L. ;  selbst  der 
Hühnerhabicht,  Astiir  palumbarius  Briss.,  und  der  Sperber, 
Astur  nistis  K.  und  Bl.,  halten  sich  vorübergehend  mit  Vorliebe 
auf  den  Flüssinseln  und  Flussniederungen  auf,  weil  ihnen  dort  der 
Tisch  reichlich  und  bequem  gedeckt  ist;  ganz  besonders  finden  sie 
zur  Herbstzeit  dort  an  Staaren  und  Feldmäusen  reichliche  Nahrung. 

Der  Mauersegler,  Cypselus  a/ns  L. ;  die  Haus-  und 
Rauchschwalbe,  Hirundo  ttrbica  L.  und  rustica  L.,  halten  sich, 
bevor  sie  fortziehen,  eine  Zeit  lang  an  unseren  Flüssen  und  in  den 
Niederungen  auf,  um  sich  zu  grossen  Scharen  dort  zu  \ersammeln. 
Ende  September  oder  Anfang  Oktober  kann  man  Tausende  dieser 
leicht  beschwingten  Flieger  an  den  oben  erwähnten  Lokalitäten 
antreffen,  bis  sie  auf  einmal  über  Nacht  fortgezogen  sind. 

Während  des  Herbstzuges  sind  auf  den  Platen  die  Blau- 
meise, Panis  cocruletis  1^.,  der  Krammetsvogel,  Tnrdus  pilaris 
L.,  imd  die  Weindrossel,  Tnrdus  iliacus  T..,  gar  nicht  selten 
anzutreffen.      Selbst    der   grosse    Würger,    Lanius    excubitor    L., 


358  ^^s  Tierleben  auf  Flussinseln  und   am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

erscheint  einzeln  auf  den  alten  Weidenstümpfen,  um  sich  nach 
einem  leckeren  Mahle  umzusehen.  Der  Volksmund  hat  ihn  sehr 
treffend  mit  „Radäkster"  bezeichnet.  In  seinem  Äussern  hat  er  eine 
entfernte  Ähnlichkeit  mit  der  Elster  und  er  macht  an  freistehenden 
Zweigen  oft  radförmige  Bewegungen.  Dieser  im  Fliegen  ziemlich 
ungeschickte  Räuber  sucht  seine  Beute  zu  überlisten.  Er  sitzt  bald 
auf  den  Zweigen,  bald  hängt  er  mit  halbausgebreiteten  Flügeln  unter 
denselben,  bald  macht  er  radförmige  Bewegungen  um  dieselben. 
Die  kleinen  arglosen  Vögel  werden  durch  dieses  wunderliche 
Gebahren  herangelockt,  setzen  sich  auf  die  benachbarten  Sträucher, 
oft  ganz  in  seine  Nähe,  um  diesem  tollen  Treiben  zuzusehen,  und 
im  unbemerkten  Augenblicke  werden  sie  von  diesem  arglistigen 
Räuber  gefangen.  Seine  erwischte  Beute  spiesst  er  oft  auf  Dornen, 
um  sie  dann  stückweise  und  nach  Bedarf  zu  verzehren. 

Auch  die  Familie  der  Finken  schickt  ihre  Vertreter  an  die 
Gewässer.  Auf  dem  Frühjahrszuge  bemerken  wir  den  Flachs- 
finken,  Acailthis  linaria  Bp.;  zur  Herbstzeit  treffen  wir  den 
Berghänfling,  Lifiota  monfhim  Bp.;  ebenso  den  Stieglitz, 
den  muntersten  und  schönsten  seiner  Sippschaft,  Carduelis  clegaiis 
Steph.;  den  ungeschickten,  im  Baue  etwas  plumpen  Grünlino-, 
Chlor ospiza  chlor is  Bp.;  selbst  „Jochen",  der  wohl  mit  Unrecht 
so  sehr  gescholtene  Strauchdieb  und  Gassenbube,  der  Sperling, 
Passer  doniesiicus  Koch,  dem  sogar  der  Ausrottungskrieg  ange- 
kündigt werden  soll,  mischt  sich  unter  die  Gäste  auf  den  Inseln 
und  Platen.  Wenn  man  aber  diesen,  allerdings  bei  vielen  gehassten 
munteren  und  kecken  Burschen  während  der  Brütezeit  beobachtet, 
wie  er  von  Zweig  zu  Zweig,  von  Blatt  zu  Blatt,  von  Blüte  zu 
Blüte  die  Obstbäume  absucht,  um  die  h eisshungrigen  Jungen  zu 
befriedigen,  die  er  fast  ausschliesslich  mit  Kerbtieren  und  deren 
Larven  füttert,  dann  muss  man  ihm  doch  wohl  etwas  freundlicher 
gesinnt  werden,  denn  der  Nutzen,  den  er  dadurch  unseren  Obst- 
gärten zuwendet,  ist  jedenfalls  ein  recht  bedeutender  und  hebt 
gewiss  einen  grossen  Teil  seines  Schadens  auf  Nehmen  sie  zu 
sehr  überhand  und  fügen  sie  später  den  Kornfeldern  und  Erbsen- 
äckern   zu    grossen    Schaden    zu,     so    möge    man    sie    im    Herbste 


Daß  Tierleben  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.  359 

dezimieren,  aber  jedenfalls  nicht  zur  Brutzeit,  denn  dann  gerade 
stiften  sie  Nutzen.  Ebenso  thöricht  ist  es,  die  junge  Brut  zu  zer- 
stören, die  gerade  der  Kerbtiere  zu  ihrer  Nahning  bedarf. 

Zu  Tausenden  und  Abertausenden  sind  die  Staare,  Sturntis 
vulgaris  L.,  im  Spätsommer  und  zur  Herbstzeit  in  den  Fluss- 
niederungen, in  den  Rohrfeldern  an  Flüssen  und  Seen  nach 
beendigtem  Brutgeschäfte  anzutreffen.  Gegen  Abend  sieht  man  sie 
in  dichten  Wolken,  bald  nahe  über  dem  Boden,  bald  hoch  durch 
die  Lüfte  umherziehen,  dann  in  die  grossen  Rohrfelder  einfallen, 
um  dort  ihre  Nachtruhe  zu  halten. 

Ganz  buntfarbig  ist  zur  Herbstzugzeit  das  Bild  der  Sumpf- 
uncl  Schwimmvögel.  Da  treffen  wir  den  nordischen  Kiebitz- 
regenpfeifer, Squatarola  helvetica  Cuv.;  den  Goldregenpfeifer, 
Charadnm  plitviahs  L.;  den  Halsbandregenpfeifer,  Pliivialis 
hiaticulci  Briss.;  den  gravitätisch  einherstolzierenden  Austern- 
fischer, Haematopus  ostralegiis  L.;  die  rasch  über  die  Sandflächen 
dahintrippelnden  Wasserläufer,  Totamis  glottis  Bechst.,  Totanus 
fuscus  Leisl.,  Totaniis  glareola  Temm.,  Totamis  ochropiis  Temm.; 
die  zierlichen,  blitzschnellen  Strandläufer,  Tringa  subarquata 
Temm. ,  Tringa  alpina  L. ,  Tringa  mmuta  Leisl.  und  Tringa 
Temniinckii  Leisl.  Auch  die  stumme  Bekassine,  Telmatias 
gallinula  Boie,  gesellt  sich  hinzu. 

Truppweise  in  Flügen  zu  dreien  und  vieren  besuchen  im 
August  und  September  auch  die  „Unwährsvögel",  Nuinenhis 
arquata  Latham,  ihr  Flussrevier.  Im  Volksmunde  führt  dieser 
Vogel  den  Namen  „Gütvoagel"  nach  seinem  eintönigen  Rufe,  der 
etwa  wie  „tlaüd,  tlaüd"  klingt,  oder  „Unwährsvoagel";  denn  meistens, 
wenn  diese  Vögel  abends  ziehen  und  ihren  weitklingenden  Ruf 
ertönen  lassen,  giebt  es  schlechtes  Wetter,  Unwetter.  Ganz  besonders 
zahlreich  erscheinen  zur  Zugzeit  die  Gänse,  Anser  einer eus  W. 
u.  INI.,  die  Graugans,  und  Anser  scgetiim  Bechst.,  die  Saatgans 
—  vereinzelt  findet  sich  auch  darunter  die  Blässgans,  Anser 
albifroiis  Gm.,  und  die  Ringelgans,  Bernicla  brcnta  Fall.  — 
in    den  Flussniederungen    und    es    wird    in    manchen   Jahren    eifrig 


3gQ  Das  Tierleben  auf  Flussinscln   und   am  Ufer  der  Flüsse  und   Seen. 

Jagd  auf  die  sehr  scheuen  Tiere  gemacht.  Doch  selten  wird 
in  den  Ebenen  die  Jagd  mit  Erfolg  gekrönt,  da  die  ausgestellten 
Posten  den  Jäger  gewöhnlich  viel  zu  früh  wittern.  Ehe  derselbe 
zum  Schuss  kommen  kann,  geht  die  ganze  Schar  auf  und  davon. 
Günstiger  ist  der  Erfolg,  wenn  mehrere  Jäger  sich  verabreden  und 
eine  solche  Fläche,  auf  welcher  sich  ein  Gänseschwarm  nieder- 
gelassen hat,  unbemerkt  umstellen  können;  dann  treten  plötzlich 
an  der  einen  Seite  die  Jäger  vor,  die  Gänse  streichen  sofort  nach 
der  entgegengesetzten  Richtung  ab  und  kommen  nun  den  dort 
versteckt  stehenden  andern  in  die  Schusslinie. 

Sehr  zahlreich  erscheinen  auch  im  Herbst  die  Vertreter  der 
Entenfamilien.  Da  können  wir  an  unseren  Gewässern  beobachten 
die  schöne  Brand-,  Fuchs-  oder  Höhlenente,  Vitlpanser 
tadorna  Fall.;  die  Schnatterente,  Anas  strepera  L.;  die  Spiess- 
ente,  Anas  acuta  L. ;  die  Pfeifente,  Anas  Penelope  L. ;  die 
Tafelente,  Fnligula  ferina  L.;  die  Reiherente,  FtiUgula 
cristata  Ray;  die  Bergente,  Fnligula  marila  L.;  die  schöne 
Schellente,  Glaucton  clangula  K.  u.  Bl.;  die  Eisente,  Harelda 
glacialis  Leach,  und  die  stattliche  Trauerente,  Oidemia  nigra 
Flemm.  An  manchen  Flüssen  und  Inseln  werden  zur  Zugzeit  in  eigens 
dazu  angelegten  Entenfängen  oder  in  Entenhütten  Hunderte  dieser 
schmackhaften  Schwimmvögel  erlegt  und  liefern  den  Uferbewohnern 
eine  nahrhafte  und  billige  Fleischspeise.  Auch  der  kleine  Säger, 
Mergus  alhellus  L.;  der  grosse  Säger,  Mergus  merganser  L., 
und  der  mittlere  Säger,  Mergus  serrator  L.,  erscheinen  zur 
Herbstzeit  auf  den  Binnengewässern.  Einzelne  Möven,  Rtssa 
tridactyla  Leach,  die  dreizehige  Möve;  Larus  canus  L.,  die 
Sturmmöve;  Larus  argcntatus  Brunn.,  die  Silbermöve  — 
letztere  fast  nur  im  Jugendkleide  — ;  ganz  vereinzelt  die  grosse, 
stattliche  Mantelmöve,  Larus  marinus  L. ,  und  die  mittlere 
Raubmöve,  Lestris  pomarina  Temm.,  halten  sich  vorübergehend 
an  unseren  Binnengewässern  auf  Und  endlich  trifft  man  auch 
noch  den  rot  kehligen  Taucher,  Euditcs  septentrionalis  111.;  den 
Polartaucher,  Eudites  arcticus  111.,  sowie  den  gehörnten 
Lappentaucher  oder  arktischen  Steissfuss,  Colymbus  cornutus  L., 


Das  Tierleben  auf  Flussinseln  und  am  TTfer  der  Flüsse  und  Seen.  261 

zur  Herbstzeit    auf   den  grösseren,  mit  Rohr  bewachsenen  Binnen- 
gewässern und  Flüssen  an. 

Nachdem  wir  so  in  der  Ornis  Umschau  gehalten  haben  nach 
dem,  was  der  Naturfreund  an  Flüssen  und  Seen,  auf  Inseln  und 
Groden  von  der  befiederten  Welt  antreffen  kann,  wollen  wir  im 
Folgenden  die  Kaltblüter  Revue  passieren  lassen.  Die  Klasse  der 
Reptilien  ist  bald  abgefertigt,  denn  hier  kann  es  sich  höchstens 
um  ein  Tier  handeln,  welches  in  dem  oben  bezeichneten  Gebiete 
vorkommt.  Es  ist  die  europäische  Sumpf-Schildkröte,  Emys 
europaea  Gray,  welche  in  den  Seen  und  Flussgebieten  des  baltischen 
und  karpatischen  Höhenrückens  in  Sachsen,  Schlesien,  Mecklen- 
burg, Brandenburg  u.  s.  w.  gelegentlich,  aber  nicht  gerade  sehr 
häufig,  vorkommt.  Ihre  Verbreitung  im  nördlichen  Deutschland 
mag  eine  grössere  sein,  als  augenblicklich  allgemein  angenommen 
wird,  da  sie  sich  durch  ihre  versteckte  Lebensweise  —  am  Grunde 
der  Gewässer  —  dem  Beobachter  entzieht.  Meistens  wird  in  den 
bekannten  Gebieten  ihr  Vorkommen  durch  frei  auf  der  Wasser- 
oberfläche schwimmende  Fischblasen  verraten.  Ihre  Nahrung 
besteht  vorwiegend  aus  Fischen  und  ist  sie  daher  der  Fischzucht 
sehr  schädlich.  Die  Vermehrung  geschieht  durch  Eier,  welche 
das  Weibchen  ausserhalb  des  Wassers  im  Mai  in  selbstgegrabenen 
kleinen  Gruben  ablegt.  Aus  dem  Ei  entwickelt  sich  das  voll- 
kommene Reptil  ohne  Metamorphose. 

Die  Amphibien  gehören  sämtlich  dem  Süsswassergebiete  an, 
wenigstens  zur  Paarungszeit  und  in  ihrem  Kaulquappenzustande. 
Von  den  fünf  deutschen  Froscharten,  dem  braunen  Grasfrosch, 
Rana  fusca  Rösel;  dem  Moorfrosche,  Rana  arvalis  Niisson; 
dem  grünen  Wasserfrosche,  Rana  esculeuta  L.;  dem  See- 
frosche, i?rt//a  ybr^/s  Boulenger,  und  dem  Springfrosche,  Rana 
agilis  Thomas,  ist  der  letztere  im  nördlichen  Deutschland  noch 
nicht  nachgewiesen  worden.  Ihren  Laich  legen  sie  klumpweise  ab 
und  sind  auch  nur  dann,  während  der  Begattungszeit,  zahlreich  bei 
einander  und  leicht  zu  fangen.  Sie  lassen  sich  bei  der  Begattung, 
ohne  sich  zu  lösen,  aus  dem  Wasser  heben,  ja  zwei  Pärchen  von 
Rana  arvalis,    welche  Verfasser  in  Spiritus  abtötete,    Hessen   auch 


362  ^^^  Tierleben  auf  FlussinselB  und  am  Ufer  der  Flüsse  und   Seen. 

im  Tode  nicht  von  einander  und  zieren  jetzt  in  dieser  Stellung  die 
städtischen  Sammlungen  in  Bremen. 

Bedeutend  schwieriger  ist  die  Geburtshelferkröte,  Alytes 
obstetricans  Wagl,  zu  beobachten.  Diese  Art  lebt  das  ganze  Jahr 
hindurch  in  tiefen  Erdlöchern,  aus  denen  sie  spät  abends  zum 
Vorschein  kommt,  und  nur  auf  ganz  kurze  Zeit  begiebt  sich  das 
]\'Iännchen  ins  Wasser ,  um  die  um  die  Hüften  gewickelte  Eier- 
schnur, aus  welcher  dann  sehr  bald  die  jungen  Larven  ausschlüpfen, 
abzustreifen.  Am  leichtesten  findet  man  ihre  Verstecke,  wenn  man 
abends  sich  genau  den  Ort  merkt,  von  welchem  der  helle,  flöten- 
artig klingende  Ruf,  der  an  den  Ton,  welcher  durch  Anschlagen 
an  eine  Glasglocke  hervorgebracht  wird ,  erinnert ,  herüberschallt, 
und  nun  am  folgenden  Tage  die  Erdhöhlen,  Spalten,  Steinhaufen 
u.  s.  w.  in  dem  betreffenden  Reviere  untersucht. 

Auch  die  Knoblauchkröte,  Pelobatcs  fusciis  Wagl.,  ist 
schwer  zu  beobachten,  da  sie  den  Tag  über  versteckt  in  der  Erde 
lebt  und  nur  zur  Nachtzeit  hervorkommt.  Zur  Paaruno-szeit  im 
April  geht  sie  ins  Wasser  und  man  trifft  dann,  wenn  man  einen 
solchen  Laichplatz  einmal  ausgekundschaftet  hat  —  sie  wählen 
alljährlich  denselben  Laichplatz  wieder  — ,  immer  eine  grössere 
Anzahl  beisammen,  aber  fast  immer  am  Boden  der  Gewässer. 
Ihren  Laich  setzen  sie  schnurweise  ab.  Die  Larven  dieser  Art 
sind  von  allen  Anuren-Larven  die  grössten  und  erreichen  etwa  die 
Länge  eines  Decimeters.  Schon  an  den  Larven,  die  mit  denen 
keiner  anderen  Art  verwechselt  werden  können,  lässt  sich  die  Spezies 
identifizieren. 

Die  beiden  Fe u er k röten,  Bomhinator  pachxpus  Bonap.,  mit 
gelbem  Bauch  und  schwarzen  Flecken,  und  Bombinator  bombinus 
L.,  mit  blauschwarzem  Bauch  und  fast  zinnoberroten  Flecken,  legen 
wie  die  Frösche  ihren  Laich  klumpweise  ab,  sind  auch  fast  aus- 
schliesslich Wassertiere.  Man  findet  sie  mehr  in  gebirgigen 
Gegenden  als  in  der  Ebene,  besonders  in  lehmhaltigen  Tümpeln, 
welche  sie,  sobald  sie  sich  beobachtet  sehen,  durch  Aufwühlen  des 
Bodens  trübe  machen  und  sich  dadurch  dem  Auge  des  Beobachters 
entziehen. 


Das  Tierleben  auf  Flussinscln  und  .im  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.  353 

Die  bekannten  Vertreter  aus  der  Familie  der  Bufoniden  sind 
die  gemeine  Kröte,  volkstümlich  „Ütze",  auch  „Pädde"  genannt, 
Bufo  vulgaris  Laur. ;  die  Kreuzkröte,  Biifo  calamita  Laur.,  und 
die  Wechselkröte,  Bufo  variahilis  Fall.  Nur  zur  Laichzeit  trifft 
man  sie  zahlreich  beisammen  in  stehenden  Gewässern  und  ver- 
nimmt dann  schon  aus  der  Ferne  ihren  Unkengesang.  Die  Laich- 
zeit beginnt  oft  schon  im  April  und  dauert  gewölmlich  nur  kurze 
Zeit;  einzeln  trifft  man  sie  auch  noch  im  Mai  in  der  Begattung. 
Mit  Vorliebe  wählen  sie  mit  Rohr  bewachsene  Tümpel  und  Gräben 
und  man  kann  in  denselben  den  Laich,  welcher  in  Schnüren  ab- 
gesetzt wird,  um  die  Stengel  geschlungen  sehen.  Bei  Bufo 
vulgaris  erreichen  die  Laichschnüre  oft  eine  Länge  von  einigen 
Metern,  die  einzelnen  Eier  (oft  mehrere  Tausend)  sind  etwas 
schräg  gestellt  und  dreireihig  angeordnet.  Beim  Absetzen  der 
Eier  wird  die  Schnur  bedeutend  ausgedehnt  und  erscheint  sie 
dann  oft  zwei-,  ja  sogar  nur  einreihig.  Die  jungen  Kaulquappen 
schlüpfen  gewöhnlich  nach  vierzehn  Tagen  aus  und  man  trifft  sie 
dann  zu  Tausenden  im  Wasser  umherschwimmend.  Die  Eier  in 
der  3 — 4  ;;/  langen  Laichschnur  von  Bifo  variahilis  Fall,  sind 
spiralig  angeordnet  und  erscheinen  daher  bei  einer  oberflächlichen 
Betrachtung,  als  ob  sie  regelmässige  Dreiecke  bildeten.  Bufo 
calamita  Laur.    setzt  eine  zweireihige  dünne  Laichschnur  ab. 

Aus  der  Abteilung  der  Discodactxlia  gehört  schliesslich  noch 
hierher  der  gemeine  Laubfrosch,  Hyla  arborea  L.  Dieses 
muntere  und  zierliche  Tier  trifft  man  gewöhnlich  nur  einzeln  auf 
den  Blättern  von  Bäumen  und  Sträuchem  an.  Er  weiss  seine 
Farbe  aber  dem  Blatte,  auf  welchem  er  sitzt,  so  anzupassen,  dass 
er  in  den  meisten  Fällen  von  dem  Beobachter  übersehen  wird. 
Anfang  Mai  jedoch,  zur  Paarungszeit,  trifft  man  sie  in  grösserer 
Zahl  bei  einander  und  mit  Vorliebe  wählen  sie  alljährlich  denselben 
Laichplatz  wieder.  Es  sind  gewöhnlich  flache,  etwas  lehmige 
Tümpel,  in  denen  sie  ihren  Laich,  wie  die  echten  Frösche,  klump- 
weise absetzen,  und  auch  nach  beendeter  Laichzeit  trifft  man  sie 
dann  noch  einige  Tage  an  den  Ufern  im  Grase  oder  auf  dem 
unmittelbar  am  Wasser  stehenden  Gesträuch. 


364  ^^^  Tierleben  auf  Flussinseln  und  am  TTfer  der  Tlüsse  und  Seen. 

Lassen  wir  nun  auch  noch  die  Urodelen,  welche  ebenfalls 
zur  Laichzeit  unsere  süssen  Gewässer  bewohnen,  im  Geiste  an  uns 
vorüberziehen.  Wir  bemerken  da  zuerst  den  stattlichsten  aller 
Molche,  den  Feuersalamander,  Salamandra  maculosa  Laur.  In 
den  feuchten  gebirgigen  Teilen  unseres  Vaterlandes  trifft  man  diesen 
langsamen,  plumpen  Molch  zur  Abendzeit  gar  nicht  selten  an.  Viel 
schwieriger  ist  er  in  unseren  Ebenen,  von  wo  auch  einzelne  Aufent- 
haltsorte bekannt  sind,  aufzufinden.  Bei  uns  treffen  wir  ihn  nur 
in  den  allersumpfigsten  dvmkeln  Wäldern  und  dort  nur  unter  oder 
in  alten  halb  vermoderten  Baumstümpfen.  Das  Verbreitungsgebiet 
im  Nordwesten  ist  ein  eigentümliches.  Bekannt  ist  er  z.  B.  aus 
einzelnen  feuchten  Waldungen  der  Geest,  welche  auf  der  Wasser- 
scheide zwischen  Ems  und  Weser  sich  befinden.  Aus  dem  Gebiete 
zwischen  Weser  und  Elbe  dagegen  ist  bislang  kein  Fundort  bekannt. 
Es  ist  möglich,  dass  sein  nächtliches  und  verstecktes  Leben  in  den 
feuchten  Wäldern,  denn  nur  diese  kommen  für  unsere  Ebene  in 
Betracht,  ihn  bislang  noch  vor  dem  weiteren  Auffinden  in  unserm 
Nordwesten  bewahrt  hat.  Aus  den  Eiern,  welche  in  Waldtümpeln 
im  Mai  abgesetzt  werden,  schlüpfen  die  fast  völlig  ausgebildeten 
Larven  aus. 

Eine  ebenfalls  eigentümliche  Verbreitung  haben  die  Tritonen 
speziell  in  unserm  Nordwesten.  Die  vier  bekannten  deutschen 
Arten  sind  sämtlich  hier  vertreten.  Es  sind  der  grosse  Kamm- 
molch,  Triton  cristatus  Laur.;  der  kleine  Wassermolch,  Triton 
taeniatus  Schneider;  der  Alpenmolch,  Triton  alpestris  Laur., 
und  der  Schweizermolch,  Triton  helveticus  Razoumowsky.  Die 
beiden  ersten  finden  sich  zur  Laichzeit  im  April  fast  in  jedem 
lehmigen  Graben  und  Tümpel.  Triton  alpestris  Laur.  dagegen  ist 
nur  ziemlich  häufig  an  einzelnen  Orten  der  Oldenburger  Geest; 
zwischen  Weser  und  Elbe  ist  er  nicht  sicher  nachgewiesen;  aus  dem 
Hamburger  Gebiete  dagegen  ist  er  wieder  bekannt.  Noch  eigen- 
tümlicher ist  die  Verbreitung  unseres  Triton  helveticus  Razoum. 
Von  demselben  hat  Verfasser  nur  einen  Fundort,  und  z\\'ar  auf 
der  rechtsseitigen  Wesergeest,  aufzufinden  vermocht,  obgleich  zur 
Laichzeit    seit    fast    zwei  Dezennien    viele  Lokalitäten   nach  diesem 


Das  Tierlebcii  auf  Flussinscln  uml  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.  3G5 

seltenen  Gaste  durchsucht  sind.  Der  fadenförmige  Schwanzanhang, 
sowie  die  starken  Schwimmhäute  der  Hinterfüsse  des  Männchens 
und  die  Mittelleiste  des  Rückens  statt  des  Flossensaumes  bei  den 
anderen  Arten  sind  so  charakteristische  Unterscheidungsmerkmale, 
dass  er  bei  aufmerksamem  Beobachten  gar  nicht  mit  den  anderen 
verwechselt  werden  kann.  Die  Tritonen  legen  ihre  Eier  gewöhn- 
lich im  April,  in  milden  Frühjahren  oft  schon  im  März,  einzeln 
an  Pflanzen,  Laub,  Stengeln  u.  dergl.  im  Wasser  ab.  Die  Larven 
haben  ihre  volle  Entwickelung  gewöhnlich  Ende  des  Sommers 
erreicht,  alsdann  verlieren  sie  auch  die  äusseren  Kiemen,  oft  trifll 
man  aber  auch  noch  im  Winter  und  im  folgenden  Frühjahre  voll- 
ständis  ausgebildete  Tritonen  mit  den  äusseren  Kiemen.  Verfasser 
traf  in  einem  Tümpel  fast  alljähriich  zur  Laichzeit  im  April  6  bis 
10  cm  lange  Exemplare  von  Triton  cristatus  Laur.  mit  noch  voll- 
ständig ausgebildeten  äusseren  Kiemen. 

Den  deutschen  Süsswasser  fischen  und  ihren  Lebens- 
verhältnissen ist  in  diesem  Bande  schon  eine  eingehende  Abhand- 
lung gewidmet.  Wenn  im  folgenden  auch  noch  wieder  von  den 
Fischen  die  Rede  sein  soll,  so  geschieht  es  nur  zu  dem  Zwecke, 
dem  Naturbeobachter  auch  hier  ein  Bild  einer  lokalen  Fischfauna 
des  süssen  Wassers  zu  geben,  um  daran  zu  zeigen,  welche  Arten 
an  bestimmten  Lokalitäten  zu  finden  sind.  Zuerst  möge  das  Bild 
einer  Flussfischfauna,  sodann  das  eines  Geestsees  und  endlich  das 
eines  Moorsees  folgen.  Der  Fischreichtum  in  unserer  Weser  —  ich 
habe  dabei  das  Gebiet  etwa  eine  Meile  unter-  und  oberhalb  Vege- 
sack  im  Auge  —  ist  ein  ziemlich  bedeutender.  Von  den  Barschen 
finden  sich  ziemlich  häufig  der  Flussbarsch ,  Pcrca  ßiiviatilis  L., 
sowie  der  Kaulbarsch,  Acerina  cerniia  Cuv.  In  grossen  Mengen 
ist  im  Frühjahre  in  allen  Buchten  der  gemeine  Stichling,  Gasterosteus 
acnlcatiis  L.,  zu  beobachten.  Ebenso  wird  recht  häufig  die  schmack- 
hafte Quappe,  Lota  ßiiviatilis  Bl.,  gefangen.  Von  den  Plenroncctac 
ist  Platessa  ßesiis,  der  kleine  Wasserbutt,  fast  nur  im  ersten  Jugend- 
stadium, etwa  2 — 4  cm  gross,  vorhanden.  Einzeln  kommen  auch 
den  Weserfischern  der  Karpfen,  Cyprinus  carpio  L.,  die  Karausche, 
Carassius  vulgaris  L.,    die  Schleihe,    Tinea  vulgaris    Cuv.,    und 


366  Das  Tierleben  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

die  Barbe,  Barbus  fluviatilis  Cuv.,  ins  Netz.  Letztere  gehört  aller- 
dings mehr  dem  oberen  Flussgebiete  der  Weser  an.  Zwischen  den 
einzelnen  Schiengen  und  in  den  flachen  Ausbuchtungen  ist  sehr 
häufig  der  zierliche  Gründling,  Gobio  ßiiviatilis  Cuv.,  zu  finden. 
Zu  den  gewöhnlichsten  und  am  meisten  von  den  Fischern  gefangenen 
Fischen  gehören  der  Alander,  Leuciscus  Idus  Selys-Long.,  der  Rot- 
flossen, Leuciscus  erythrophtJiahims  Valenc,  der  Döbel,  Leuciscus 
Dobula  Valenc,  das  Rotauge,  Leuciscus  rutilus  Agassiz,  der  Bresen, 
Abramis  Brama  L.,  und  der  Schnäpel,  Abramis  vimba  L.  Auch 
wird  einzeln  der  Lachs,  Trutta  salar  L.,  und  die  Lachsforelle, 
Trutta  trutta  L.,  gefangen.  In  grossen  Zügen  erscheint  im  Januar, 
Februar  und  auch  noch  im  INIärz  der  Stint,  Osmerus  eperlanus 
Art.  An  Individuenzahl  hat  in  den  letzten  Jahren  der  Tielemann, 
Corregonus  oxyrrhynchus  L.,  bedeutend  abgenommen,  ebenso  der 
Maifisch,  Alosa  vulgaris  Cuv.  Letzterer  wird  jetzt  viel  weiter 
weserabwärts  gefangen.  Häufige  Bewohner  der  Weser  dagegen  sind 
der  Hecht,  Esox  lucius  L.,  und  der  Aal,  Anguilla  anguilla  L.  — 
Alljährlich  wird  in  einzelnen,  oft  recht  stattlichen  Exemplaren  auch 
der  Stör,  Acipenscr  sturio  L.,  gefangen.  Von  den  Rundmäulern  sind 
beide  Neunaugen,  die  Lamprete,  Petromyzon  marinus  L.,  und  das 
Flussneunauge,  Petromyzon  fluviatilis  L.,  zu  den  Weserbewohnern 
zu  rechnen.  Erstere  ziemlich  selten,  letztere  dagegen  häufig. 
Gefangen  werden  die  Neunaugen  vom  Dezember  bis  zum  Februar. 
Zum  Vergleich  möge  nun  eine  Aufzählung  der  Fische  folgen, 
welche  im  Zwischenahner  Meere,  einem  auf  der  Geest  ge- 
legenen grossen  See,  leben.  Bekannt  aus  diesem  „Meere"  sind : 
Der  Barsch,  Perca  ßuviatilis  L. ;  der  Kaulbarsch,  A  cerina  cernua 
Cuv.;  der  Stichling,  Gasterosteus  aculcatus  L.,  und  der  kleine 
Stichling,  Gasterosteus  pungitms  L. ;  die  Quappe,  Lota  ßuvia- 
tilis BL;  der  Schlammpeitzger,  Cobitis  fossilis  L.;  der  Karpfen, 
Cyprinus  carpio  L.;  die  Karausche,  Carassius  vtilgaris  L.;  die 
Schleihe,  Tinea  vulgaris  Cuv.;  der  Gründling,  Gobio  ßuviatilis 
Cuv.;  der  Alander,  Leuciscus  Idtis  Selys-Long.;  der  Rotflossen, 
Leuciscus  erythrophthalmus  Valenc;  das  Rotauge,  Leuciscus 
rutilus  Agass.;  der  Brassen,  Abramis  Brama  L.;  der  Weissfisch, 


Das  Tierleben  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.  357 

A  bramis  Blicca  Agass. ;  der  Lachs,  Trutta  salar  L. ;  die  Lachs- 
forelle, TnUta  tnitta  L.;  der  Stint,  Osmerus  eperlamis  Art.; 
der  Hecht,  Esox  luciiis  L.,  und  der  Aal,  Aiiguilla  atigiiüla  L. 

Und  endlich  ein  Verzeichnis  der  Fische  des  Balk-Sees,  eines 
mitten  im  Moore  gelegenen  800  Morgen  grossen  Wasserbeckens. 
Häufig  werden  dort  der  Sandard,  Liicioperca  sandra  Cuv.;  Perca 
fluviatilis  L.,  der  Barsch;  Lota ßuviatihs  El.,  die  Quappe;  Tinea 
vulgaris  Cuv.,  die  Schleihe;  Abramis  brama  L.,  der  Brassen; 
Esox  liicins  L.,  der  Hecht;  Anguilla  anguilla  L.,  der  Aal,  und 
vereinzelt  auch  Cypriniis  carpio  L.,  der  Karpfen,  gefangen. 

Was  die  Mollusken  anlangt,  so  ist  denselben  in  diesem  Bande 
schon  ein  längerer  Aufsatz  gewidmet.  Im  folgenden  soll  deshalb 
dem  Naturbeobachter  nur  gezeigt  werden,  was  er  im  und  am  Süss- 
wasser  von  dieser  Tierklasse  auffinden  kann.  Von  den  Nackt- 
schnecken findet  man  auf  den  Inseln  der  Flüsse,  an  den  Ufern  unter 
Genist  und  Steinen  die  schwarze  Theerschnecke,  Arion  eiupiri- 
corum  Fer.,  Arion  fusciis  Müller,  den  gefrässigen  Limax  agrestis 
L.  und  den  zierlichen  braunen  Limax  hrunneiis  Drap.  Unter 
feuchten  und  faulenden  Weidenblättern  lebt  die  glänzende  Hyalina 
7iitida  Müller.  An  den  Schiengen  Ilelix  hispida  L.;  Helix 
riibiginosa  Zgl.;  Helix  liberta  West,  und  besonders  häufig  da, 
wo  Aster  salici/olius  Scholler  wächst,  Helix  arbustoruin  L. 
In  Gesellschaft  mit  Hyalina  trifft  man  Cionella  liibrica  Müll.; 
Cio7iella  lubricella  Zgl.;  Cionella  acicula  Müll.;  Piipa  anti- 
vcrtigo  Drap,  und  Caryehiuvi  mininmm  Müll.  An  den  Pflanzen 
am  Wasser  ist  sehr  häufig  Succinea  putris  L.  (die  Bernstein- 
schnecke) mit  ihren  zahlreichen  Varietäten,  an  Pflanzen  im  Wasser 
ebenso  häufig  Sticcinea  Pfeifferi  Rossm.  und  am  Boden  Sneeinea 
ob  longa  Drap.  Von  den  eigentlichen  Wasserschnecken  findet 
der  Naturfreund  eine  ganze  Reihe:  zunächst  die  zahlreichen  Lim- 
naeen,  von  der  grossen  Limnaea  stagnalis  L.  bis  zur  kleinsten 
Limnaea  truncatula  Müll.,  dann  die  eigenartig  gewundenen 
Tellerschnecken,  Planorbis;  die  Napfschnecken,  Ancylus; 
ferner  eine  Reihe  von  Paludinen,  Bythinien,  Bythinellen  und 
Valvaten,    darmiter   in   der  Weser   und  Elbe   die  seltene    Valvata 


358  Das  Tierleben  auf  Flussinscln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen. 

fluviatilts  Colbeau,  ferner  Neritina  ßuvmtilis  L.  Von  den 
Lamellibranchien  gehören  die  sämtlichen  Unionen,  Margaritana, 
Anodonten,  Sphaerien  und  Pisidien  hierher  und  endlich  die  seit 
1828  in  Deutschland  bekannte,  aus  dem  Osten  eingewanderte 
Dreyssena  polyinorpha  Fall.  Es  würde  zu  weit  führen,  die 
sämtlichen  Süsswasserschnecken  und  Muscheln  hier  eingehender  zu 
behandeln  und  es  möge  genügen,  im  obigen  auf  die  zahlreichen 
Vertreter  dieser  Gruppe  hingewiesen  zu  haben.  Eine  besondere 
Aufmerksamkeit  verdient  die  neuerdings  aus  dem  Osten  ein- 
gewanderte Süsswasserschnecke ,  Lithoglyphiis  naticoides  Fer., 
welche  vor  einigen  Jahren  zuerst  in  der  Weichsel  aufgefunden 
wurde,  dann  etwas  später  auch  in  der  Umgegend  von  Berlin  und 
Küstrin  entdeckt  ist  und  schliesslich  auch  bei  Rotterdam  nach- 
gewiesen ist.  Bislang  war  sie  nur  bekannt  aus  dem  südöstlichen 
Deutschland  und  aus  den  Flussgebieten  des  Schwarzen  Meeres. 

Werfen  wir  nun  noch  einen  flüchtigen  Blick  auf  die  Vertreter 
der  niederen  Tierklassen,  so  kann  man  sich  nicht  genug  wundern 
über  die  Menge  und  Mannigfaltigkeit  der  niederen  Geschöpfe.  In 
einem  kleinen  Räume,  den  das  Auge  bequem  mit  einem  Male 
übersehen  kann,  welche  Vielfachheit  der  Gestalten,  welches  Spiel 
der  Farben,  welche  Emsigkeit  in  ihrem  Leben  und  Weben,  welch 
ein  Huschen  und  Flattern,  welch  ein  Springen  und  Hüpfen  an 
Blüte  und  Strauch,  auf  Stein  und  Boden.  In  dem  von  der  Flut 
eben  zurückgelassenen  Geniste  wimmelt  es  von  verschiedenen  Käfer- 
arten. Hier  sieht  man  die  hurtigen  Tachys,  dort  huschen  von 
dannen  Nebria-  und  Elaphriis- Kriew;  hier  über  Pflanzenstengel 
und  Gestein,  bald  drüber,  bald  drunter  weg,  eilen  BlctJiisa, 
Be7uhtdmm,  Panagaeus  und  manch  andere  Arten  der  kleinen  und 
kleinsten  Läufer.  Dort  erscheinen  an  der  Oberfläche  des  Wassers 
Dytisciden  und  Hydrophiliden.  Hier  tummeln  sich  im  buntesten 
Durcheinander  die  lebendigen  und  nimmer  rastenden  Gyriniden. 
Auf  den  Blüten  der  Aster  und  am  Weidengesträuch  schwirren  die 
Canthariden  und  an  ebendenselben  Pflanzen  kriechen  die  bedäch- 
tigen Curculioniden.  Auf  den  Blüten  der  Umbelliferen  tummeln 
sich  die  graziösen  Cerambiciden.   Hier  wiegen  sich  auf  schwankendem 


Das  Tierleben  auf  Flussinseln  und  am  Ufer  der  Flüsse  und  Seen.       369 

Rohr  die  metallisch  glänzenden  Donacien  und  dort  auf  beweglichen 
Grashalmen  schaukeln  sich  die  oft  in  den  herrlichsten  Farben 
schillernden  Chrysomeliden.  Auf  den  Blüten  von  Ctrsium  olera- 
ceum  Scop.  gaukeln  bunte  Falter.  Raschen  Fluges  von  Blüte  zu 
Blüte,  nirgends  lange  verweilend,  eilen  die  Sesien  dahin;  dort  sitzt 
bedächtig  an  einer  Weide,  die  Flügel  übereinandergeschlagen  und 
den  Abend  erwartend,  der  Weidenbohrer,  Cossus  Itgniperda  F., 
und  neben  ihm  läuft  hastig  bald  auf  bald  ab  am  Stamme  der 
Moschusbock,  Aromia  moschata  L.  Hier  schwirren  über  die 
Wasserfläche  die  schlanken  Agrw7t- Arien,  dort  sieht  man  bald 
am  Rohr  sitzend,  bald  raschen  Fluges  dahinschwirrend  die  stattlichen 
Aeschna-  und  Lihellula-hxV&n.  Über  dem  Wasser,  besonders  an 
warmen  Sommerabenden,  treiben  Hunderte  von  Fliegen  und  Mücken 
ihr  lustiges  Spiel.  Über  die  Wasserfläche  eilen  die  flinken,  lang- 
beinigen Hydrometriden  und  unter  Steinen  treiben  die  lichtscheuen 
Myriapoden  ihr  Wesen,  daneben  hüpfen  von  Blatt  zu  Blatt,  von 
Stein  auf  Stein  die  bunten  Thysanuren.  Überall  regt  sich  Leben, 
am  Rohr  und  im  Gras,  auf  Blüte  und  Strauch,  auf  der  Wasser- 
fläche und  am  Grunde  des  nassen  Elements,  im  Geniste  und  auf 
dem  Sande  des  Ufers;  ein  Leben,  welches  den  Naturfreund  fort- 
dauernd mit  Wissbegier  erfüllt  und  ihn  anspornt,  sich  den  noch 
unerforschten  Problemen  desselben  mit  Eifer  zu  widmen. 


Tier-  und  Pflanzenleben  des  Süsswassers.     II.  24 


Druck  von  J.  J.  Weber  in   Leipzig. 


Verlag  von  J.  J.  Weber  in  Leipzig. 


Katechismus  des  Darwinismus. 

Von 

Dr.  Otto  Zacharias. 

Mit  in  den  Text  gedruckten  Abbildungen. 


Inhalt 


Der  Artbegriff  und   seine  praktische  An- 
wendung in  der  Wissenschaft. 
Die  Variabilität  der  Organismen. 
Natürhche  Auslese  (Zuchtwahl)    und  An- 
passung. 

Über   schützende  Ähnlichkeit   und  einige 
Fälle  von  spezieller  Anpassung. 
Das  Divergenz-Gesetz  in  der  organischen 
Natur. 


Die  geographische  Verbreitung  der  Orga- 
nismen. 

Die     geologische    Aufeinanderfolge     der 
Lebensformen. 

Embryologische    Zeugnisse    für    die    Ab- 
stammungstheorie. 

Die  Anwendung  des  Darwinismus  auf  den 
Menschen. 


(Unter  der  Presse.) 


Das  Tierleben  der  Alpenwelt. 

fflnransicliteii  iiiiil  Tierzelclimieii  ans  dem  sclueizerlscliEii  Mm 

Van 

Dr.  Fr.  v.  Tschudi. 

Elfte,  durchgesehene  Auflage,  herausgegeben  von 

Prof.  Dr.  C.  Keller. 

Mit  Tschudis  Porträt  in  Stahlstich  und  27   Illustrationen  von 
E.  Rittmeyer  und  W.  Georgy. 

Preis  7  Mark  50  Pf.     In  Original-Leinenband  9  Mark. 


Inhalt 


Erster    Teil. 

Die  freilebende  Tierwelt. 

Erster  Kreis.    Die  Bergregion. 

Allgemeine  Charakteristik  der  Bergregion.  — 
Das  Pflanzenleben  der  Bergregion.  —  Das 
niedere  Tierleben.  —  Die  montane  Vogel- 
welt. —  Die  Vierfüsser  des  untern  Ge- 
birges. 

Biographien  und  Tierzeichnungen. 

Die  Honigbiene  in  der  Bergregion.  —  Die 
Bachforelle.  —  Die  Nattern  im  Gebirge.  — 
Die  Wasseramsel.  —  Das  Haselwild.  — 
Die  Urhühner.  —  Der  Uhu.  —  Die  Schlaf- 
raäuse  und  ihr  Leben.  —  Eichhörnchen  und 
Berghasen.  —  Die  Dachse.  —  Die  wilden 
Katzen. 

Zweiter  Kreis.     Die  Alpenregion. 

Allgemeiner  Charakter  der  Alpenregion.  — 
Die  Alpenpflanzenwelt.  • —  Die  niedere 
Tierwelt     der     Alpen.     —      Die     höheren 

Alpcntiere. 


Biographien  und  Tierzeichnungen. 

Die  Giftschlangen  der  Alpen.  —  Die  Stein- 
hühner. —  Die  Birkhühner.  —  Die  Stein- 
adler. —  Der  Lämmergeier.  —  Die  Alpen- 
hasen. —  Die  Gemsen.  —  Die  Luchse.  — 
Die  Füchse  im  Gebirge.  —  Die  Wölfe  der 
Schweizeralpen.  —  Die  Bären. 

Dritter  Kreis.    Die  Schneeregion. 
Die    Bodenverhältnisse   der    Schneezone.  — 
Schneegrenze  und  Gebirgstrümmer.  —  Firn 
und  Gletscher.  —  Pflanzenleben  der  Schnee- 
welt.  —    Allgemeine  Umrisse  des  niedern 
Tierlebens.  —  Die  Schneetiere. 
Biographien  und  Tierzeichnungen. 
Die  Schneefinken.  —  Alpenschneehühner.  — 
.      Die    Stein-    und    Schneekrähen.    —     Die 
Schneemaus.  —  Die  Alpenmurmeltie're.  — 
Die  Steinböcke  der  Zentralalpen. 
Zweiter    Teil. 

Die  zahmen  Tiere  der  Alpen. 

Das  Alpenrindvieh.  —  Die  Ziegen  des  Hoch- 
gebirges. —  Die  Bergschafe. 
—  Die  Hunde  im  Gebirge. 


■  Die  Pferde. 


Druck  von  J.  J.  Weber  in  Leipzig.