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Die
Tier- und Pflanzenwelt
des
SüUSSwAässers.
Die
Tier- und Pflanzenwelt
des
Süsswassers.
Einführung in das Studium derselben.
Unter Mitwirkung von
Dr. C. Apstein (Kiel), S. Clessin (Ochsenfurt), Prof. Dr. F. A. Forel
(Morges, Schweiz), Prof. Dr. A. Gruber (Freiburg i. Br.), Prof. Dr.
P. Kramer (Halle a. d. S.), Prof. Dr. F. Ludwig (Greiz), Dr. W. Migula
(Karlsruhe), Dr. L. Plate (Marburg), Dr. E. Schmidt-Schwedt (Berlin),
Dr. A. Seligo (Danzig), Dr. J. Vosseler (Tübingen), Dr. W. Weltner
(Berlin) und Prof. Dr. F. Zschokke (Basel)
herausgegeben
von
Dr. Otto Zacharias,
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Direktor der Biologischen Station am Grossen Plöner See in Holstein.
Erster Band.
Mit 79 in den Text gedruckten Abbildungen.
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Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber- un
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2 Alle Rechte vorbehalten. x
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Vorwort.
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Der Zweck dieses Werkes ist klar im Titel des-
selben ausgesprochen. Es soll zur Einführung in die
Lebewelt des Süsswassers dienen und auf möglichst
kurzem Wege die Bekanntschaft mit denjenigen Pflanzen-
und Tierformen vermitteln, welche am häufigsten in
unseren Tümpeln, Teichen und Seen vorkommen. Es galt
in erster Linie ein Orientierungsbuch für den Anfänger zu
schaffen und aus diesem Grunde ist von Seiten des Heraus-
gebers und seiner Herren Mitarbeiter eine thunlichst ge-
meinverständliche Darstellungsweise angestrebt worden.
Niemals ist aber, wie der sachkundige Leser finden wird,
bei Verfolgung dieses Zieles dem wissenschaftlichen
Charakter dieses Werkes Abbruch geschehen.
Vollständig freilich in dem Sinne, dass alle Haupt-
gruppen der einheimischen Wasserfauna zur Berücksich-
tigung gelangt wären, ist unsere „Einführung“ nicht.
Man wird die Infusionstiere, die Hydren und die höheren
Würmer vermissen. Indessen ist über diese drei Gruppen
in der Fachlitteratur sehr viel leichter Aufschluss zu
vI Vorwort.
erhalten, als hinsichtlich der anderen Vertreter der
Süsswasserfauna. Das Nämliche gilt von den Bryozoen
(Moostierchen), worüber das treffliche und mit. zahlreichen
schönen Tafeln ausgestattete Werk von Prof.K.Kräpelin
(„Die deutschen Süsswasserbryozoen“. Hamburg 1887)
sowie die neuere Publikation von Dr. Fr. Braem („Unter-
suchungen über die Bryozoen des süssen Wassers“.
Kassel 1891) jede nur wünschenswerte Auskunft giebt.
Unser Buch wendet sich vorwiegend an Solche,
welche sich wissenschaftlich-praktisch und nicht etwa
bloss litterarisch mit der pflanzlichen und tierischen
Bewohnerschaft der Seen beschäftigen wollen. So
geartete Leser und Beurteiler der nachfolgenden Kapitel
werden auch abzuschätzen vermögen, dass die Heraus-
gabe eines nur einigermassen umfassenden Werkes über
dıe Flora und Fauna des Süsswassers mit mannigfachen
Schwierigkeitenverbunden war, unterdenen dieGewinnung
von geeigneten Mitarbeitern obenanstand. Inletzterer Hin-
sicht sind aber meine Bemühungen erfolgreich gewesen.
Die zur Erläuterung des Textes beigefügten Illustra-
tionen wurden grösstenteils nach Originalzeichnungen der
bei der Herausgabe mitbeteiligten Herren hergestellt,
und sie sind (mit Ausnahme der bloss schematischen)
von vollendeter Naturtreue. Der Opferwilligkeit der
Verlagshandlung ist es zu danken, dass mit der Beigab&
von Abbildungen nicht gespart zu werden brauchte.
Biologische Station am Plöner See (Holstein).
Ende Juni 1891.
Dr. Otto Zacharias.
Inhaltsverzeichnis.
I. Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. Von Prof.
Dr. F. A. Forel in Morges (Schweiz).
Tiere und Pflanzen der Uferzone. — Die Flora und Fauna des See-
grundes. — Der „organische Filz“. — Aufzählung der Tiefenbewohner
des Genfersees. — Die pelagischen Tier- und Pflanzenformen. — Mikro-
organismen. — Die chemische Zusammensetzung des Wassers. — Über-
gang der organischen Materie von einem Lebewesen zum andern. — Betrag
der jährlichen Abfuhr von organischen Stoffen aus dem Genfersee durch
die Rhöne. — Ersatzquellen für diesen Verlust. — Schlussfolgerungen 1-
Die Algen. Von Dr..W. Migula in Karlsruhe.
Einleitende Bemerkungen. — Fundstätten der Algen. — Das Vor-
kommen der verschiedenen Arten nach Jahreszeit und Wasserbeschaffenheit.
— Orientierung über die 5 Hauptgruppen: 1. Spaltalgen (‚Schzzophyceae),
2. Kieselalgen (Bacillariaceae oder Diatomaceae), 3. Grünalgen (C’/hloro-
Phyceae), 4. Braunalgen (Melanophyceae), 5. Rotalgen (Rhodophyceae). —
Kurze Charakteristik der den Algen nahestehenden Armleuchtergewächse
Seite
(Characeae). — Torfmoose, Wasserfarne und Schachtelhalme. . 27—64
VIII Inhaltsverzeichnis.
Seite
Il. Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Von Prof. Dr. Fr. Ludwig in Greiz.
Die allgemeinen Bedingungen des höheren Pflanzenlebens im Wasser.
— Einzelne Beispiele von untergetauchten Wasserpflanzen: das gemeine
Hornblatt (Ceratophyllum demersum), die Blasenpflanze (Aldrovandia
veszculosa), der Wasserschlauch (Utrzcularia vulgaris), die Sumpffeder
(Hottonia palustris), das Tausendblatt (Myriophyllum), das Laichkraut
(Potamogeton). — Schwimmgewächse: Wasserlinsen, Seerosen, die
Wassernuss (7rapa), der Wasserknöterich (Polygonum). — Die Luft-
pflanzen unserer Gewässer: der Froschlöffel (Alisma Plantago), das
Pfeilkraut (Sagzttaria sagittifolia), die Schlangenwurz (Calla palustris),
die Wasserschwertlilie (Zrzs Pseudacorus), die Rohrkolben ( T’ydhaceae). —
Die pflanzlichen Parasiten der Wassergewächse . . . 2... 65—134
IV. Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebens-
erscheinungen. Von Prof. Dr. A. Gruber in Freiburg i. Br.
Charakteristik einiger Wurzelfüsser (Diffiugia acuminata, D. spiralis,
D.urceolata, Centropyxis aculeata, Hyalosphenia papılıo, Arcella vulgaris,
Cyphoderia ampulla, Quadrıla symmetrica und Euglvpha alveolata). —
Ausführliche Schilderung der Euglypha. — Vermehrung derselben durch
Teilung. — Beschreibung der dabei stattfindenden karyokinetischen Vor-
gänge. — Die Einkapselung (Encystierung) der Euglypha. — Der Kunst-
trieb derselben und ihrer Verwandten. — Beweis für die Einheit der
belebtenNatın 1, le 1 u a rs ron
V. Die Flagellaten (Geisselträger). Von Dr. W. Migula in
Karlsruhe.
Stellung dieser Organismengruppe auf der Grenze zwischen Tier und
Pflanze. — Einzeln lebende und koloniebildende Flagellaten. — Bau
und Entwickelungsgeschichte von Volvox aureus (Kugeltierchen). — Die
Volvocineen-Gattungen Zudorina, Pandorina, Stephanosphaera und
Gonium. — Euglena viridis.— Anthophysa vegetans. — Die Dinobryen. —
Die Gattüng; Ceratiuum 2... lan ee em ar, (TORMTUE
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Inhaltsverzeichnis. EX
Seite
VI. Die Süsswasserschwämme (Spongilliden.. Von Dr.
W. Weltner in Berlin.
Erkennen und Auffinden derselben. — Geschichtliches. — Äussere
Beschaffenheit (Form, Grösse, Färbung, Konsistenz und Geruch) der
Spongilliden. — Anatomie und Histiologie: das Skelett und der Weich-
körper. — Physiologie: geschlechtliche und ungeschlechtliche Fort-
Pflanzung, Atmung, Nahrungsaufnahme, Verdauung, Wachstum und
Bewegung. — Kurze Schilderung der einheimischen Arten: Zuspongrlla
lacustris, Spongilla fragilıs, Trochospongilla erinaceus, Ephydatia
Miller:, Eph. fluviatilis, Eph. bohemica und Carterius Stepanowi. —
Schlüssel zur Bestimmung der europäischen Formen. — Verbreitung
der Süsswasserschwämme. — Parasiten und Kommensalen derselben. —
Das Sammeln, Konservieren und Untersuchen der Spongilliden 185—236
VII. Die Strudelwürmer (Turbellaria). Von Dr. O. Zacharias
in Plön (Holstein).
Anatomische und histiologische Orientierung über die beiden Haupt-
gruppen der Süsswasserturbellarien: Rrabdocoela und Dendrocoela. —
Das Genus Dothrioplana als Verbindungsglied zwischen diesen Gruppen.
— Bothrioplana silesiaca. — Kurze Beschreibung einiger Rhabdocöliden-
Spezies: Macrostoma viride, Microstoma lineare, Stenostoma leucops,
‚Stenostoma unıcolor, Catenula lemnae, Mesostoma viridatum und Vortex
truncatus. — Präparationsmethode. — Geographische Verbreitung 237—274
VIll. Die Rädertiere (Rotatoria). Von Dr. L. H. Plate in
Marburg.
Fundstätten für Rädertiere. — Eingehende anatomische Analyse des
Krystallfischchens (Zydatina senta). — Vergleichende Schilderung der
Morphologie der Rotatorien: die Körpergestalt, die Körperhaut, der
Räderapparat, die Muskulatur, das Nervensystem, der Verdauungskanal,
die Exkretionsorgane, die Klebdrüsen, der Keimdotterstock und die Ei-
bildung. — Die männlichen Rotatorien. — Einige Bemerkungen über die :
Biologie der Rädertiere. — Überblick über dasSystem der Rotatorien 275—322
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Inhaltsverzeichnis.
IX. Die Krebsfauna unserer Gewässer. Von Dr. J. Vosseler
in Tübingen.
Überblick über das System der Krustaceen. — Die Zntomostraken:
a) Freilebende Copepoden. — Kurzer geschichtlicher Rückblick. —
Körperform und Gliedmassen. — Histologie der Haut und die Häutung.
— Nervensystem und Sinnesorgane. — Verdauungskanal. — Leber und
Niere. — Blut und Blutkreislauf. — Atmung. — Muskulatur. — Fort-
pflanzungsorgane und geschlechtlicher Dimorphismus. — Embryonale und
postembryonale Entwickelung. — Gattungen und Arten. — Biologische
Bemerkungen: Die Nahrung und deren Aufnahme. — Feinde. —
Fundstellen. — Verbreitung in horizontaler und vertikaler Richtung. —
Anpassung an die Verhältnisse der Ufer-, pelagischen und Tiefenregion
unserer Seen. — Passive Wanderung. — Entstehung der Tiefenfauna. —
b) Parasitische Coßepoden. — Die durch den Parasitismus bedingten
Veränderungen in der Körperform und Umbildung der Gliedmassen. —
Innere Organisation: Nervensystem und Sinnesorgane, Herz, Darm und
Geschlechtsorgane. — Zwergmännchen. — Vorkommen. — Gattungen und
Arten. — c) Kiemenschwänze: Beschreibung des Argulus. — Schaden
und Nutzen der Entomostraken. — d) Phvllopoden, Cladocera: Ge-
staltung des Körpers und der Gliedmassen. — Anatomie der Eingeweide,
Geschlechtsorgane und des Nervensystems. — Eier (Dauereier) und Ent-
wickelung. — Gattungen und Arten. — e) Branchiopoda : Beschreibung des
Apus und Branchipus und deren Lebensweise. — f) Ostracoden: Schale
und Gliedmassen. — Anatomie. — Fortpflanzung. -— Lebensweise. —
g) Malacostraken. Isopoden: Körperform und Gliedmassen von Asellus.
— Darm und Kaumagen. — Leber. — Herz. — Kiemen. — Nerven-
system und Sinnesorgane. — Brutraum, — Auf dem Lande lebende
Asseln. — h) Amphipoden : Gliederung und Form des Körpers. — Glied-
massen mit Kiemenanhängen. — Darm mit Leber. — Nervensystem, —
Herz und Gefässe. — Fortpflanzung. — Vorkommen. — i) Decapoden:
Morphologie des Körpers und der Gliedmassen von Astacus. — Äussere
Kennzeichen der Geschlechter. — Nervensystem und Sinnesorgane. —
Ohr. — Häutung. — Herz und Blutgefässe. — Kiemen. — Verdauungs-
kanal mit Kaumagen, Kalkansammlungen und Leber. — Geschlechts-
organe und Fortpflanzung. — Einige biologische Bemerkungen über
Seite
Nahrung und Wiederergänzung verloren gegangener Gliedmassen 323—380
Alleemeine
Biologie eines Süsswassersees.
Von Prof. Dr. F, A. Forel in Morges, Schweiz.
Br
Fa See ist ein Mikrokosmus, eine Welt, die sich selbst genügt,
in welcher das Lebensspiel der verschiedenen Organismen sich
hinreichend im Gleichgewicht hält, um ein stabiles Verhältnis
zwischen den ausgeschiedenen und nutzbar gemachten Stoffen zu
bilden, ohne dass die Zusammensetzung des Mediums durch die
in ihm wohnenden Wesen eine Veränderung erlitte. Tiere und
Pflanzen, höhere und niedere Organismen, leben da gleichzeitig
mit einander, jedes nach seiner Art, und gemäss den ihm eigen-
tümlichen Funktionen; jedes findet in dem Medium, von dem es
umgeben ist, die zur Lebensfristung notwendigen Elemente, und
jede Gruppe von Wesen vervielfältigt sich in Individuen, die um
so zahlreicher sind, in je grösserer Fülle die ihr unentbehrlichen
Elemente vorhanden sind.
Auf der andern Seite ist ein Süsswassersee kein ganz
geschlossenes Bassin, kein verschlossenes Gefäss. Vielmehr steht
er in Verbindung mit der übrigen Welt, sei es durch die atmo-
sphärische Luft, welche einen unaufhörlichen Austausch von Gasen
mit ihm unterhält, sei es durch seinen Abfluss, der ihm Wasser
mit Substanzen in gelöstem und ungelöstem Zustand entführt, sei
es durch seine Zuflüsse, die ihm neue Stoffe zuleiten. Er nimmt
also an dem grossen Kreislauf der Materie teil, der zwischen den
verschiedenen Regionen des Erdkörpers besteht, ebensogut in
der organischen, wie in der anorganischen Welt. Zugang und
1
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4 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees.
Verlust von Stoffen modifizieren die biologischen Verhältnisse
des Mikrokosmus; sie müssen konstatiert und ergründet werden,
wenn man das Spiel des Lebens in einer so abgegrenzten
Welt verstehen, wenn man den Kreislauf der Materie innerhalb
der beschränkten Reihe von Wesen, die den See bevölkern,
bestimmen will.
Unter diesem doppelten Gesichtspunkt betrachten wir einen
Süsswassersee. Die vorliegende Studie soll als Einleitung in die
Fragen der allgemeinen und speziellen Biologie dienen, welche man
in den ferneren Abteilungen dieses Buches ausgeführt findet.
In erster Linie ist ein See ein beschränkter Raum, in welchem
die Lebewesen in angemessenen Proportionen sich entwickeln, derart,
dass ihre Ernährungsfunktionen in einer stabilen Weise im Gleich-
gewicht bleiben. Während das Spiel des animalischen Lebens zu-
letzt zur Oxydation der organischen Stoffe führt, welche zeitweilig
in die Körper der Tiere behufs Ernährung ihrer Gewebe eindringen,
wird die Kohlensäure reduziert durch das Spiel des vegetabilischen
Lebens infolge der dabei vorherrschenden Funktionen des. Chloro-
phylis und gleichartiger Substanzen, und sie wird in Stofle ver-
wandelt, die den animalischen Organismen assimilierbar sind. Das
Tier scheidet Kohlenwasserstoffverbindungen und Stickstoff aus, nach
dem Stande der maximalen Oxydation und unter einer Form, welche
es ihnen erlaubt, sich in der sie umgebenden Flüssigkeit aufzulösen
(Kohlensäure, Harnstoff, gallenartige Substanzen etc... Die Pflanze
absorbiert diese durch das Tier ausgeschiedenen Stoffe und eignet
sie sich unter der Form des Protoplasmas und der Kohlenwasser-
stoffverbindungen an. Die Pflanze nährt sich also von den durch
das animalische Leben aufgelösten Stoffen ihrer Umgebung; das
Tier hingegen von den Stoffen, die sich in den Geweben der
Vegetabilien bilden.
Wenn wir nun in einem abgegrenzten Raum Tiere und Vege-
tabilien in normalen Verhältnissen zusammen antreffen, so halten
sich diese beiden entgegengesetzten Arten von Lebewesen im Gleich-
gewicht, und ein Reich entspricht, jedes auf seine Rechnung, den
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 5
biologischen Bedingungen des andern. Das ist auch in einem See
der Fall; die beiden organischen Reiche sind hier repräsentiert
durch reich entwickelte Tier- und Pflanzengesellschaften, welche wir
nach ihrem Wohnort und nach den Verhältnissen des Raumes,
denen sie unterworfen sind, in drei Gruppen teilen können: Gesell-
schaften am Ufer, in der tiefen Region, und in solche, die das
freie Wasser bewohnen.
Die littoralen Gesellschaften der Tier- und Pflanzenwelt
befinden sich in der Zone, die sich dem Ufer entlang hinzieht,
rings um den See vom eigentlichen Uferrande, bis zu einer Tiefe
von 5—25 m, je nach der Grösse des Sees. Je grösser der See
ist, desto tiefer steigt die Uferregion hinab.
Die Eigentümlichkeiten des Raumes, welche diese Region
charakterisieren, sind: felsiger, mit Kieseln bedeckter, sandiger oder
schlammiger Boden, beleuchtetes Wasser mit veränderlicher Tempe-
ratur, je nach den Jahreszeiten; schwacher Druck; beträchtliche
Bewegungen, die durch Wellen oder Wasserströmungen hervor-
gerufen werden. Es ist dies die Gegend, die vermöge der Ver-
änderlichkeit des Bodens und der wechselnden Verhältnisse der
Wasserbewegung am reichlichsten mit Abwechselung bedacht ist.
Hier sind die Veränderungen der Temperatur und des Lichtes
am stärksten; hier können Pflanzen und Tiere die verschieden-
artigste Umgebung finden, welche die mannigfaltigen Bedürfnisse
der verschiedenen Typen befriedigt. Hier ist auch die Pflanzen-
oder Tierwelt am reichlichsten nach Menge und Abwechselung
vorhanden.
Man trifft hier, was die Pflanzen anlangt, alle Gruppen von
Wasserpflanzen, die fähig sind, sich dem lakustrischen Leben an-
zupassen. Ohne eine genaue Aufzählung geben zu wollen, gruppiere
ich sie folgendermassen :
a) die grossen Gramineen und Cyperaceen (Schilfrohr und
Cypergras), deren straffe Stengel durchs Wasser hindurch
aufsteigen, um die Kronen ihrer Blüten und Blätter in der
freien Luft sehen zu lassen ;
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6 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees.
b) die Wälder der grossen Phanerogamen, Nymphaeaceen,
Potamogetaceen, Halorageen, Ceratophylleen, Hydrochari-
deen etc., deren lange, biegsame Stengel und zierliche Blätter
schattige und pittoreske Büsche bilden, welche sich bis zur
Oberfläche des Wassers erheben;
c) die dichten und dunkeln Rasen der Characeen. Dieselben
bilden gegen das Eindringen der Fische fast unzugängliche
Schutzorte. Die Teppiche von festen Algen (Chladophora,
Ulothrix, Leptothrix, Oscillarieen), welche die unter Wasser
befindlichen Steine und Hölzer mit einem samtweichen,
grünlichen, dichtanliegenden Überzug bekleiden. Die inkru-
stierenden, in Kalkwasser lebenden Algen, Zonotrichia_ calcı-
vora, Hydrocoleum calcılegum, bilden eine sehr interessante
Abwechselung in diesem Teppich; unter ihrer Inkrustation
stellen die Kalksteine vertiefte Skulpturen dar, deren Deutung
noch ein ungenügend gelöstes Problem ist;
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die niederen freien Algen, Diatomaceen, Desmidiaceen,
Vaucheriaceen, Palmellaceen etc, die mit einer leichten,
unbeständigen Schichte die verschiedensten Körper unter
Wasser bedecken und ihnen eine im allgemeinen bräunliche
Farbe geben;
endlich die schwimmenden Algen: Protoderma, Conferva,
Pandorina etc., welche auf einmal in gewissen Jahreszeiten
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und an gewissen Stellen erscheinen, um schliesslich wieder
zu verschwinden, unter Bedingungen, welche die Botaniker
uns noch nicht genug erklärt haben. x
Von Tieren findet man hier alle die, welche das lakustrische
Leben annehmen: Wasservögel, Reptilien, Amphibien, Fische,
Insekten, Hydrachniden, Entomostraken, Mollusken, Würmer,
Hydren, Spongien, bis hinab zu den untersten Protozoen.
Das ist die klassische „lakustrische Fauna“ der alten Schriftsteller,
die einzige, welche man vor den Untersuchungen der letzten dreissig
Jahre kannte. Diese Fauna, deren Arten von einem See zum andern
ziemlich verschiedene Varietäten darbieten, kann man wieder in
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 7
partielle oder lokale Faunen einteilen, im wesentlichen, je nach der
Bodenbeschaffenheit und nach der Vegetation, die der See besitzt.
Man kann so unterscheiden die Fauna der Felsenwände, die der
mit Geröllen bedeckten Ufer, ferner die Fauna des Sandbodens,
des Schlammes, die des im Wasser wachsenden Waldes, die des
Rasens von Characeen etc. Ich mache hier nicht den Versuch,
die Arten und Gattungen aufzuzählen, welche diese allgemeine und
lokale Tierwelt bilden; ich verweise auf die ausführlichen Be-
schreibungen, welche die gelehrten Mitarbeiter dieses Werkes geben
werden.
Ich beschränke mich darauf, zunächst den unumgänglichen
Charakter zu bestimmen, welchen die littorale Fauna darbieten muss
im Vergleich mit anderen Faunen der lakustrischen Welt. Die
Ufertiere, welche viel beweglicheren und abwechslungsreicheren
Bedingungen unterworfen sind als diejenigen von anderen Regionen,
sind und müssen in Wirklichkeit viel stärker, thätiger und widerstands-
fähiger sein. Sie setzen sich am Boden oder auf untergetauchten
Körpern fest, oder sind fähig, sich zeitweilig festzusetzen; oder
sie wissen sich zurückzuziehen an verborgene und geschützte Plätze
während der Wellenströme, welche die Ufergegend aufwühlen.
Ich mache sodann auf die bedeutende Veränderlichkeit und den
sehr speziellen Lokalcharakter der littoralen Gesellschaften aufmerk-
sam; sie sind verschieden von einer Station zur andern und von
einem See zum andern, je nach den örtlichen Bedingungen. In
der Uferregion findet man nicht nur den grössten Reichtum an
Lebewesen, sondern auch die grösste Zahl von verschiedenen Typen
und die grösste Mannigfaltigkeit innerhalb der Typen.
Endlich ist es die einzige Region eines Süsswassersees, wo die
Flora durch Pflanzen von hohem Wuchs vertreten ist.
Die biologischen Gesellschaften der tiefen Region,
die Tiefsee-Fauna und -Flora, wohnen auf und in dem See-
boden, in der gesamten Mulde vor der Uferregion, das heisst in
Tiefen, welche 5—25 n übersteigen, je nach der Grösse des Sees.
In dieser Region ist der Boden überall lehmig oder schlammig,
Kan a an = che en ir
8 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees.
weich, ohne Rauhigkeiten oder feste und harte Körper; bei be-
merkenswerter Einförmigkeit in der physikalischen Zusammensetzung
zeichnet er sich durch keine Abwechselung aus, ausser etwa an
einigen sehr seltenen Stellen, und in einigen Seen nur durch felsige,
vertikale Wände oder durch erratische Blöcke. Abgesehen von
diesen Ausnahmsfällen ist die Gesellschaft, welche dort wohnt,
wesentlich und einzig limikol (schlammbewohnend). Es herrscht
eine absolut und relativ beinahe vollständige Ruhe ohne mecha-
nische und molekulare Bewegungen, ohne Wellen, ohne wesent-
liche Strömungen, ohne Licht, ohne Wärme. Die Veränderungen
der Temperatur sind hier entweder gleich Null oder nur sehr
schwach. Die Dunkelheit ist mehr oder weniger vollständig; es
giebt keine direkte Verbindung mit der äusseren Luft; der See
zeigt hier keine periodischen Veränderungen, weder für einzelne
Jahreszeiten noch für das ganze Jahr. Nächst dem Meeresgrund
ist der Grund eines Sees die am wenigsten bewegte Gegend, die
man auf dem Erdball finden kann.
In dieser Region konstatieren wir eine noch ziemlich reichliche
Tierwelt, die mehr oder weniger allen Typen der Süsswassertiere
angehört. Als Beispiel will ich eine Übersicht über die Tierarten
anführen, die man aus der Tiefe des Genfersees kennt, ohne der
Endoparasiten zu gedenken.
Fische 14 Wirbeltiere 14
Insekten 3
Spinnen 9
Crustaceen 16 Arthropoden 28
Gasteropoden 4
Lamellibrancheen 2 Mollusken 6
Anneliden 4
Nematoden 3=
Cestoden I
Turbellarien 18
Bryozoen
Rädertierchen 3 Würmer 30
Hydroiden I Cölenteraten I
4
1 u
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 9
Infusorien Io
Rhizopoden 19
Cilio-Flagellaten 2 Protozoen 31
Das sind mehr als hundert Tierarten.
Ihr Reichtum vermindert sich in dem Masse, als die Tiefe
zunimmt; aber wir haben solche, die am Grunde der tiefsten Seen
aufgefischt worden sind: im Genfersee in einer Tiefe von 309 m
(Forel), im Comersee bei 415 m (Asper), im Baikalsee bei 1370 m
(Dybowski).
Der Ursprung dieser Tierwelt ist zu suchen in der An-
siedelung von Individuen, welche sich in diese tiefe Region verirrt
haben, die durch einen Zufall weit von ihrem gewöhnlichen und
ursprünglichen Wohnort weggeführt wurden und die, weil wider-
standsfähig gegen diese immerhin starke Veränderung ihrer Lebens-
bedingungen, sich vermehrt und eine Stammkolonie gebildet haben.
Die Armut des Mediums und seine relative Ruhe haben die ur-
sprünglichen Typen ziemlich bedeutend modifiziert und kleinere,
schwächere Varietäten geschaffen. Was den Ursprung dieser Tier-
welt in der Tiefe betrifft, so findet man denselben für die weitaus
überwiegende Mehrzahl in der littoralen Fauna des Sees selbst, für
einige Arten in der Fauna der unterirdischen Wasser, der Höhlungen
des Festlandes, dessen Verbindungen mit dem See dadurch
bewiesen werden.
Die Tiefen-Fauna der verschiedenen Seen hat gleichartigen
allgemeinen Charakter, ein Ergebnis der Gleichartigkeit des Mediums,
das in allen Seen beinahe identisch ist; ihre spezielle Zusammen-
setzung wechselt von einem See zum andern, und richtet sich nach
den Ufertypen, von denen sie herstammen, oder nach den lokalen
Zufällen, welche die Bevölkerung in die untere Region gebracht
haben.
Die Pflanzenwelt der tiefen Region ist sehr wenig entwickelt.
Die Rasen der Characeen hören auf in einer Tiefe von 20—25 m,
an der Grenze der littoralen und der tiefen Region. In der obern
Zone dieser letzteren bis zu IOO m abwärts, findet man noch an
Laiuhle 5 4,
10 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees,
der Oberfläche des Schlammes eine bräunliche Schicht von niederen
Algen (Palmellaceen, Diatomeen, Öscillarien), welche den von mir
so genannten organischen Filz darstellen und welche unter der
Wirkung des schwachen Lichtes, das in diese Schichten eindringt,
noch ein gewisses Reduktionsvermögen besitzen. Die felsigen
Partien der tiefen Region sind bisher nur an einem Punkte studiert
worden, nämlich an der unterseeischen Moräne von Yvoire im Genfer-
see in einer Tiefe von 60 m. Wir haben hier ein aquatisches
Moos gefunden, Zhamntmm alopecurum, Schimper, var. Lemani
]- B. Schnetzler, sehr reich chlorophylliert und in schönem Wachs-
tum. Es ist sehr zu wünschen, dass analoge Forschungen an
anderen Orten gemacht werden, wo Felsenwände vorkommen, damit
man durch Erfahrung entscheiden kann, ob es wirklich ein Aus-
nahmefall ist, wie man bisher geglaubt hat; oder ob die Abwesen-
heit von grünen Pflanzen, die in einer Tiefe von mehr als 25 m
allgemein zu sein scheint, einzig von der schlammigen, inkonsistenten
Beschaffenheit des Bodens abhängt und sich durch das seltene Vor-
kommen von festen Körpern, auf welchen sich die fraglichen Moose
festsetzen könnten, erklären liesse.
Die pelagische Gesellschaft bewohnt die allgemeine, un-
bestimmte, unbegrenzte Masse des Sees, von der Oberfläche an bis
zum Grund, vom Rande der Uferregion bis in die Mitte des Sees,
in seiner ganzen Ausdehnung, soweit er nicht in unmittelbarer Be-
rührung mit dem Ufer oder dem Grunde steht. Diese Gesellschaft
besteht aus Schwimmtieren und schwebenden Algen. Diese Orga-
nismen gehören einer kleinen Zahl von Arten an; aber die Zahl
der Individuen ist enorm. Von Tieren sind es einige Arten von
Fischen (Coregonen), Entomostraken, Rädertierchen, Cilio-Flagellaten,
Rhizopoden;, von Pflanzen einige grüne Algen und Diatomeen.
In der eigentlichen pelagischen Region ist die oberste Schicht,
welche mit der Luft am meisten in Berührung steht, auch die am
reichsten bevölkerte. Doch haben die Untersuchungen von Asper,
Imhof und eigene Beobachtungen bewiesen, dass die pelagische Fauna
auch in den grössten Tiefen unserer Seen noch gut vertreten ist.
Es giebt keine Region, wo das Leben gänzlich aufhört.
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 41
Einige dieser Wesen, speziell die Entomostraken, zeigen täg-
liche vertikale Wanderungen; bei Nacht kommen sie an die Ober-
fläche des Wassers herauf, bei Tag steigen sie von der helleren
Zone wieder in die unteren, finsteren Schichten hinab. Dort finden
sie in der Dunkelheit Schutz gegen die Jagd, welche ihre Feinde
auf sie machen.
Die Verhältnisse des Mediums der pelagischen Region variieren
mit der Tiefe hinsichtlich des Drucks, der Bewegung des Wassers,
der Temperatur und des Lichtes. Eine einzige, überall sich gleich-
bleibende Eigenschaft ist die Abwesenheit von festen Körpern, welche
etwa den Organismen einen Punkt zum Festsetzen oder einen
Zufluchtsort gewähren könnten. Von diesem Leben in einem un-
begrenzten Medium ohne feste Körper rührt es her, dass fast alle
pelagischen Wesen schwimmen oder im Wasser schweben; indessen
haben wir einige an den Ort gebundene Tiere zu nennen, nämlich
unter anderen einige Vorticellen, die sich an schwimmende Algen
oder an Pflanzenreste heften, welche von der Oberfläche des Wassers
abgetrieben haben, sowie einige Ektoparasiten der Fische und der
pelagischen Entomostraken. Es folgt aus der Durchsichtigkeit des
Wassers in der pelagischen Region, dass die meisten pelagischen
Organismen, die Entomostraken und die Rädertierchen insbesondere,
durchsichtig sind; für gewisse Arten ist die Durchsichtigkeit absolut.
Man kann annehmen, dass dieser Mangel an Farbe durch natür-
liche Zuchtwahl in einer Reihe von Generationen erworben wurde;
er ist in der That ein sehr wirksames Mittel, sich gegen die Ver-
folgung von seiten der fleischfressenden Tiere zu schützen; für
letztere wiederum .ist dieser Mangel an Farbe insofern nützlich, als
sie dadurch der Aufmerksamkeit ihrer Beute entgehen.
Während die littoralen Gesellschaften in jedem See ihre Eigen-
tümlichkeiten haben und aus verschiedenen Arten und Varietäten
zusammengesetzt sind, jenach den verschiedenen lokalen Verhältnissen
an jeder Station, und während die Tiefseefauna, gemäss ihrer Her-
kunft von den littoralen Organismen, in jedem See lokalen Charakter
hat, eine Folge der absoluten Unabhängigkeit ihrer Differenzierung,
die sich auf dem Grunde eines jeden Sees als in einem speziellen
12 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees.
„Schöpfungszentrum“ vollzogen hat, zeigen die pelagischen Gesell-
schaften einen sehr ausgesprochenen kosmopolitischen Charakter.
Man findet die gleichen Arten, die gleichen Varietäten in allen
Gewässern des Kontinents wieder. Die einzige Verschiedenheit,
welche man konstatieren kann, ist das Fehlen von einigen Typen
in gewissen Seen. Es ist wahrscheinlich, dass diese weite Ver-
breitung der pelagischen Organismen durch passive Migrationen von
einem See zum andern erklärt werden muss, die von einem Trans-
port durch die Federn und Füsse und in den Gedärmen der
Wandervögel herrühren. Während diese auf der Oberfläche des
Wassers schwimmen, nehmen sie die grösstenteils sehr widerstands-
fähigen Keime von pelagischen Tieren und Pflanzen auf und tragen
sie auf ihren periodischen Wanderungen durch die Lüfte von Sce
zu See. Das Fehlen von einigen Arten in gewissen Seen muss,
wenn es sich nicht durch eigentümliche Verhältnisse des Mediums, bei
Bergseen z. B. durch die hohe Lage, erklären lässt, als das Resultat
von zufälligen Umständen bei dieser Art der Besiedelung durch
passive Wanderung angesehen werden. f
Ausser diesen Tier- und Pflanzengesellschaften mit einer ver-
hältnismässig höhern Organisation, die sich so in drei Gruppen
teilen, nach den Verhältnissen der Regionen, welche sie bewohnen,
haben wir noch im Wasser der Seen das Leben von elementaren
Mikroorganismen zu verzeichnen, Mikroben von der Gruppe der
Schizomyceten, Pilze, Bakterien, Vibrionen etc. Man trifft sie
überall, in allen Schichten von der Oberfläche bis zum Seegrund,
vom Ufer bis in die Mitte des Sees, in den littoralen, pelagischen
und Tiefengewässern; in dieser Hinsicht unterscheiden sich die
Wasser der Seen nicht von den anderen freien Gewässern, wo die
Mikroben schwärmen. Ihre Zahl ist hier sehr beträchtlich, doch
weniger gross als in den meisten anderen natürlichen Gewässern.
Während man in dem Quellwasser der Ebene oft ihre Keime nach
tausenden zählt, ist ihre Zahl in dem helleren Wasser des Genfer-
oder Zürichersees von den Herren Fol, Dunant und Cramer durch-
schnittlich auf 36—38 Keime oder Kolonien pro Kubikcentimeter
Wasser bestimmt worden.
u * 2
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 13
Die biologische Funktion dieser Mikroben, ihre Rolle in der
lebenden Welt besteht darin, die Zersetzung, die Auflösung der
animalischen und vegetabilischen Kadaver, die nicht direkt von den
Tieren verzehrt werden, zu bewirken. Sie sind so die Agenten der
Verwesung und bewirken die Umbildung der organischen unauf-
löslichen Materie in Substanzen, die im Wasser lösbar sind.
Es ist schwer, in allgemeiner Weise anzugeben, welches die
nächsten Glieder dieser Umsetzung sind; die letzten Glieder sind
Kohlensäure, Ammoniak, Salpetersäure und Stickstoff.
Wir haben also im Wasser eines Sees zahlreiche und ver-
schiedene biologische Gesellschaften, Tiere und Pflanzen, höhere
Organismen und Protisten, die neben einander leben, absorbieren
und ausscheiden, die aber alle sich von den von ihren Nachbarn
ausgestossenen Produkten nähren. Alle assimilieren, jedes in seiner
Art, die zur Ernährung der Gewebe nötigen Stoffe; alle stossen mit
ihren Exkretionen die Residuen ihres Ernährungslebens aus. Was
so vielen verschiedenen Wesen gestattet, neben einander zu leben
und im gleichen Medium gleichzeitig zu existieren, ohne dessen
Vorräte zu erschöpfen, das ist die wichtige Thatsache, dass ihre
Produkte und Bedürfnisse entgegengesetzt sind und zwischen den
verschiedenen Gruppen sich im Gleichgewicht halten. Was von
den einen ausgeschieden wird, ist für das Leben der anderen
nötig. Die Residuen des Ernährungsprozesses der einen Gruppe
werden nutzbar für den Ernährungsprozess der andern. Die pro-
portionelle Verteilung der verschiedenen Typen von animalischen
und vegetabilischen Wesen regelt sich von selbst durch einen
automatischen Prozess: Ein Überfluss von Ernährungsstoffen begün-
stigt die überreichliche Entwickelung von Wesen, welche sich die-
selben nutzbar machen können; ein Defizit solcher Materien führt
infolge der Not eine Verminderung der nämlichen Organismen
herbei.
Das biologische Gleichgewicht ist in einem See also
dadurch möglich, dass die verschiedenen Arten, die ihn bewohnen,
verschiedene Typen der entgegengesetzten organischen Reiche
14 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees.
repräsentieren. In der littoralen und in der pelagischen Region
haben wir gleichzeitig Repräsentanten von beiden Reichen, Pflanzen
und Tiere; vermöge dieses Gleichgewichtes finden die Ernährungs-
funktionen der einen wie der anderen dort hinlänglich, was sie
brauchen. Nicht ganz so, scheint es, verhält es sich in der Tiefen-
region, speziell in den unteren Schichten von 100 m an abwärts,
wo wir keine Pflanzen mehr kennen. Wie können in diesen
Tiefenregionen die zur Ernährung nötigen Elemente für die noch
reiche Fauna, die dort wohnt, sich erneuern? Eine reiche und
genügende Quelle dieser Ernährung zeigt sich in den Kadavern
der animalischen und vegetabilischen Organismen der pelagischen
Region, welche in die Tiefe fallen und auf den Grund des Sees
hinabkommen. Wir haben Anzeichen davon in der enormen Zahl
von chitinösen Häuten der pelagischen Entomostraken, welche sich
im Schlamm der grossen Tiefen zeigen. Die organischen Reste
des Ufers und diejenigen, welche durch die Zuflüsse in den See
hineingetrieben werden, sinken, nachdem sie durch die Wellen und
Strömungen auf der Oberfläche umhergetrieben worden sind, von
selbst in die grossen Tiefen hinab und tragen so ebenfalls zur
Erneuerung des Nahrungsstoffes für die Tiefenfauna bei.
Wie in dem Tierkörper die verschiedenen Gewebe der ver-
schiedenen Organe aus der Lymphe des Blutes die zu ihrer Ernäh-
rung notwendigen Stoffe ziehen und der Lymphe die Produkte
ihrer Desassimilation geben, so ist in einem See das Wasser das
Medium, in welchem alle diese Reaktionen des Ernährungsprozesses
für die darin wohnenden Organismen vor sich gehen. Die chemische
Zusammensetzung dieses Wassers bietet also ein grosses Interesse
dar. Als Beispiel will ich diejenige des Genfersees geben, die bis
jetzt am besten studiert ist.
Ein Liter Wasser vom Genfersee enthält in aufgelöstem Zustand:
In Gasform:
Säauerstolf "o: Enke li N, A 0.65 cc
Stickstoff TE ET AL v2 DS
Kohlensäure!) % 1 Fer ee BU
\
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 15
An festen Substanzen:
Natrium- und Kaliumchloridd . . 1.8 mg
Schweielsaures Natrum . . ... 150,
Schwefelsaures Ammoniak . Spuren
Schwefelsaures Calcium . . . . 473 ,
Salpetersaures Calcium . . . . I;
Kohlensaures; Calaumy . 7. 17.5.7390,
Kohlensaures Magnesium . . . 170,
Be eselsturen a re, BI
Thonerde und Eisenoxyd . . . P9'
Organische Materie, Verluste . . ı19 „
total 174.1 mg
Hinsichtlich der organischen Stoffe, welche durch übermangan-
saures Kali nachweisbar sind, sind die beiden äussersten Ziffern
bei verschiedenen Analysen, die von verschiedenen Autoren gemacht
wurden, 5.6 und 15.4 »g, die durchschnittliche Ziffer ist 10 mg
pro Liter.
Das Studium der allgemeinen physischen Beschaffenheiten des
Sees, dessen Resultat durch chemische Analyse von Brandenburg
und Walter bestätigt ist, hat uns gezeigt, dass das Wasser der
tieferen Schichten des Sees dieselbe Zusammensetzung hat, wie das
an der Oberfläche; die festen und gelösten Substanzen bewegen
sich hier in gleichen Proportionen; die Gase sind hier ein wenig
reichlicher; besonders giebt es ein wenig mehr Sauerstoff: 7.08 und
beträchtlich mehr Kohlensäure: 5.28 cc pro Liter (J. Walter).
Berechnet man nach der Bunsenschen Formel die Quantität
des Gases, welches das Wasser vermöge seines einfachen Kontaktes
mit der atmosphärischen Luft in gelöstem Zustand auf der Höhe
des Wasserspiegels des Genfersees enthält, so kommt man zu
folgenden Ziffern — pro Liter —
Sauerstoff Stickstoff Kohlensäure
. [0] . _
bei + 5°C. 7.3 66 13.6 CC 0.6 Ci
bei 420° C. Ba 103. Ge.
16 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees.
Das Wasser des Lac Leman ist also in einem Zustande der
Sättigung an Sauerstoff und Stickstoff und enthält einen beträcht-
lichen Überschuss an Kohlensäure.
Wir haben somit in einem Süsswassersee ein flüssiges Medium,
bestehend aus reinem Wasser, welches aufgelöst enthält:
ı) mineralische Stoffe: diese sind für den Ernährungsprozess
der Organismen von noch nicht genügend aufgeklärter Be-
deutung; wir können sie beiseitelassen ;
2) Gase, unter anderen: Sauerstoff, der zur Atmung der Tiere
und Pflanzen dient, und Kohlensäure, welche von den Pflanzen
aufgenommen und zerlegt wird;
3) aufgelöste organische Substanzen, nach dem Verhältnis
von IO mg pro Liter. — Was sind diese organischen Stoffe ?
Ihre Natur kann variieren nach den zufälligen Umständen,
die sie erzeugt haben; wir können annehmen, dass es
wesentlich sind:
a) stickstofffreie Substanzen: Zucker, Gummi, Cellulose,
Cholesterin, Humussubstanzen etc. ;
b) stickstoffhaltige Substanzen: Albuminoide, Harnstoff, Kreatin
und analoge Produkte;
c) alle Zwischenstufen der Verwesung der stickstofffreien und
der stickstoffhaltigen Stoffe, welche sie zu den letzten
Produkten führen: Kohlensäure, Ammoniak, Salpetersäure
und Stickstoff.
In diesem, also sehr zusammengesetzten Medium finden Pflanzen
und Tiere die Elemente ihrer Nahrung; anderseits lösen sich darin
die Ausscheidungs- und Zersetzungsprodukte der organischen
Wesen auf.
Die organische Substanz, in ihrer allgemeinsten Bedeutung
genommen, läuft so durch die Körper der verschiedenen Wesen
hindurch. Sie wird von ihnen aus dem Vorrat geschöpft, den
man unerschöpflich nennen kann und der von dem sie umgebenden
Wasser geliefert wird. Sie wird diesem Vorrate zurückerstattet,
nachdem sie für einige Zeit in den Geweben von Tieren und
ee Bir ae a 5 NEE ET
(ir
\
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 1y
Pflanzen assimiliert worden ist. Wir können die aufeinander-
folgenden Phasen dieser Zirkulation der Materie in der Reihe der
Wesen folgendermassen charakterisieren:
Ausgangspunkt: ÖOrganischer Stoff, aufgelöst in Wasser:
ternäre und quaternäre Substanzen, Kohlensäure, Sauerstoff.
1. Phase: Organisation der Materie. Die Pflanzen
absorbieren die Kohlensäure und reduzieren sie durch Assimilation
in der Form von Kohlenwasserstoffverbindungen, besonders von
Cellulose und Stärke. Sie absorbieren die stickstoffhaltige Materie
und assimilieren ‘dieselbe in der Form des Protoplasmas; die
Protisten absorbieren die organische Materie und assimilieren sie in
ihren Geweben; die Tiere absorbieren durch ihren Verdauungs-
apparat die im Wasser aufgelöste organische Materie, welche einen
Teil ihrer Nahrung bildet. Alle lebenden Wesen absorbieren
Sauerstoff für ihre Atmung.
2. Phase: Übergang der Materie von einem Wesen
zum andern: Die Pflanzen sind die Nahrung der pflanzen-
fressenden Tiere, die kleinen Tiere die Nahrung der fleischfressenden
Tiere; die Reste von Pflanzen und Tieren diejenige der Omni-
voren. Die organisierte Materie geht also von einem Wesen zum
andern und macht eine Reihe von Inkarnationen durch, ehe sie in
die‘ fundamentale Masse der toten Materie zurückkehrt.
3. Phase: Auflösung. Alle lebenden Organismen geben
direkt oder indirekt die Stoffe ihrer Gewebe an das sie umgebende
Medium ab. Lebende Pflanzen und Tiere werfen ihre exkremen-
tellen Ausscheidungen, welche lösbar sind, ab; tote Pflanzen und
Tiere, die nicht von den Omnivoren verzehrt worden sind, gehen
infolge der Verwesung in Stoffe über, die im Wasser löslich sind.
Diese dritte Funktion führt uns zu einem Endpunkt zurück,
nämlich auf die im Wasser aufgelöste organische Materie, die
schon unser Ausgangspunkt gewesen ist. Wir haben also einen
geschlossenen Kreis, einen Cyklus: die organische Materie zirkuliert
in der Reihe der Lebewesen.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 2
18 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees.
Ein solcher Prozess kann sich in einem geschlossenen Raum
vollziehen und sich ins Unendliche fortsetzen. Man kennt diese
Süsswasser- oder Salzwasseraquarien, bestehend in einem dicht
verschlossenen Glasbehälter, in welchem einige tierische und pflanz-
liche Organismen zusammen den vollständigen Kreislauf ihres Lebens
durchmachen. Ich habe solche unter den Händen meines Kollegen
und Freundes Prof. G. Du Plessis, damals in Lausanne, mehrere
Jahre hinter einander bis zur Vollkommenheit funktionieren sehen.
Aber ein See ist durchaus nicht ein von allen Seiten geschlos-
senes Gefäss. Er steht vor allem in Beziehung zur Atmosphäre
und ein Teil der organischen Materien, welche er einschliesst, zer-
streut sich in die darüber liegende Luft: Kohlensäure, das letzte
Produkt der Respiration der Organismen, und Sumpfgas sind der
Endpunkt der Verwesung der organischen Materien. Ein Teil
dieser zwei Gase bleibt aufgelöst im Wasser; aber ein anderer Teil
verdunstet in die Atmosphäre. Die Kohlensäure ist, wie wir bereits
gesehen, im Seewasser überreichlich vorhanden. Dieser Überfluss
geht an der Oberfläche des Wassers in die Atmosphäre über. Ander-
seits löst sich das Methan, in wie geringer Menge es sich auch
vorfindet, im Wasser auf, wo es oxydiert und in Oxydationsprodukte
höhern Grades verwandelt wird. Der Beweis dafür ist der Um-
stand, dass es in der Analyse der Wassergase nirgends angeführt
wird. Wenn es sich aber in zahlreichen Bläschen loslöst, ent-
quillt es an der Oberfläche des Sees und verliert sich in die
Atmosphäre.
Durch diesen Prozess geht eine gewisse Menge organischer
Stoffe verloren und ein mit der Atmosphäre in Verbindung stehen-
der See würde schliesslich der für die lebenden Wesen notwendigen
Nahrungsmittel ermangeln. Zwar enthält das in den See fallende
Regenwasser, wie wir gleich sehen werden, eine gewisse Quantität
organischer Stoffe, durch welche ein Teil dieser Verluste ersetzt
werden würde. Allein wenn es nur diesen Zufluss gäbe, so würde
der Vorrat äusserst gering und die biologische Bevölkerung eine
sehr beschränkte sein.
a 5.5
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 19
Hier haben wir den zweiten Faktor des allgemeinen biologischen
Gleichgewichtes einzuführen, nämlich die Thatsache, dass der See
an der allgemeinen Zirkulation der Stoffe zwischen den verschie-
denen Regionen des Erdballs teilnimmt. Der See hat einen Abfluss
und einen Zufluss und er erhält und verliert durch dieselben eine
bedeutende Quantität organischer Stoffe; er steht in Verbindung
mit der Atmosphäre und erhält von ihr Gasstoffe und giebt sie ihr.
Jeder Süsswassersee hat einen Abfluss als notwendige Bedin-
gung: seiner Existenz. In einem See ohne Abfluss konzentrieren
sich die Gewässer durch Verdunstung und ihr Salzgehalt steigt, bis
die Salze sich krystallisieren: Ein See ohne Abfluss ist ein Salzsee.
Ein Süsswassersee hat also einen Abflusskanal, der Tag für Tag,
jahraus, jahrein eine Menge aufgelöster und unlösbarer organischer
Stoffe ableitet. Ist es der Mühe wert, sie in Anschlag zu bringen?
Ich werde diese Frage beantworten, indem ich mich auf die
Angaben über den Genfersee stütze.
Die Wassermenge, die durchschnittlich im Jahre durch die
Rhöne bei Genf abfliesst, beträgt ungefähr 10000 Millionen Kubik-
meter. In einem so bedeutenden Volumen enthält diese Wasser-
menge noch sehr beträchtliche Stoffmassen, wie verdünnt diese
auch sein mögen.
Das Wasser enthält durchschnittlich pro Liter 5 cc aufgelöste
Kohlensäure. Für die ıo Milliarden cm macht das 50 Milliarden
Liter Gas aus. Da das Gewicht eines Liters Kohlensäure 2 g
beträgt, so stellt diese Quantität ein Totalgewicht von 100 000 Tonnen
Kohlensäure, resp. 28000 Tonnen Kohlenstoff vor.
Im Durchschnitt finden sich in einem Liter dieses Wassers
1o mg organische durch übermangansaures Kali oxydierbare Stoffe
vor. Mithin enthalten die ro Milliarden cm Wasser 100000 Tonnen
organische Stoffe, die darin aufgelöst oder im Zustande lebenden
oder abgestorbenen Staubes sind.
Dieses Wasser enthält durchschnittlich 36 Mikroben pro ce,
das macht für die ganze Wassermasse 380 000 000 000 000 Mikroben.
2*
0 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees.
Die Zahl ist ungeheuer, aber ihr Gewicht sehr klein. Wäre die
Behauptung übertrieben, dass ihrer eine Million auf ein Milligramm
geht? Wenn dem so wäre, so würden die unter dieser Form dem
See abfliessenden organischen Stoffe nicht 380 Tonnen überschreiten.
Dieses Wasser enthält Tiere und Pflanzen. Um deren Zahl
zu schätzen, setze ich voraus, ihre Bevölkerungsdichtigkeit entspreche
derjenigen der pelagischen Region; indem ich mich auf die Beob-
achtungen Imhofs stütze, finde ich durch Berechnungen, die ich
ihrer Länge wegen hier nicht vorbringen kann, dass jeder Kubik-
meter durchschnittlich 400 Mikrozoen und 8000 Mikrophyten
enthält Wenn wir annehmen, diese Mikroorganismen haben ein
mittleres Gewicht von etwa 0.1 mg, so erhalten wir ein Total-
gewicht von 840 Tonnen für den Abfluss.
Demnach würde die Rhöne jährlich aus dem Genfersee
abführen::
100000 Tonnen Kohlensäure,
100 000 $ oxydierbare organische Stoffe,
380 Es Mikroben,
840 . Mikroorganismen,
somit im ganzen mehr als 200000 Tonnen. Dem muss noch
folgendes hinzugefügt werden: der Staub und die organischen
Reste, die abgestorbenen, im Wasser des Abzugskanals schwim-
menden oder an das Ufer geworfenen Tierkörper und Pflanzenteile;
die von Menschen und von fischfressenden Vögeln gefangenen
Fische; die Insekten, die im Larvenzustand im See sich entwickelt
und denselben als vollkommene Insekten verlassen haben, um von
den insektenfressenden Säugetieren und Vögeln (Fledermäusen und
Schwalben) verzehrt zu werden. Um alles zu sagen, fügen wir
noch hinzu, dass eine gewisse Quantität organischer Stoffe, die im
Lac Leman sehr gering, in anderen Seen aber bedeutender ist,
durch Fossilisation im neuen Alluvium, das sich auf dem Grunde |
des Sees bildet, absorbiert wird.
Diese Berechnungen sind nur annähernd richtig; auch beschränke
ich mich darauf, zu sagen, dass die im Wasser aufgelösten und
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 21
suspendierten, lebenden oder abgestorbenen organischen Stoffe, die
jährlich hauptsächlich durch den Abfluss dem Genfersee entzogen
werden, mehrere 100000 Tonnen betragen.
Nun ist, wie wir sogleich erörtern werden, die Zusammensetzung
des Wassers eines grossen Sees eine stabile; auch führen die Monate
und Jahre keine Variationen in derselben herbei; die abfliessenden
organischen Stoffe werden folglich anderweitig ersetzt.
Welches sind nun die Quellen, welche dem See die hundert-
tausende von Tonnen organischer Stoffe ersetzen, die der Abfluss
ihm jährlich entführt?
Er erhält dieselben:
I. durch die atmosphärische Luft, nämlich:
a) Sauerstoff, der sich im Wasser der Oberfläche auflöst und
b)
daselbst den Zustand der Sättigung erhält. Derselbe wird
durch Diffusion und hauptsächlich durch die thermische und
mechanische Konvektion von den oberen Schichten des
Wassers in die tieferen geführt. Durch seine Berührung
mit der Luft und die Ausscheidung der chlorophylihaltigen
Gewächse ist das Seewasser mit Sauerstoff gesättigt: es
ist lufthaltiges Wasser. Da die Lösbarkeit des Sauerstoffes
im Wasser ‘grösser ist, als die des Stickstoffes, so ist die
im Wasser aufgelöste Luft an Sauerstoff reicher als die
atmosphärische und enthält 1/3 Sauerstoff und 2/3 Stickstoff.
Die im Regenwasser aufgelösten organischen Stoffe, welche
nach dem Studium des Herrn A. Levy am Observatorium
zu Montsouris bei Paris wie folgt geschätzt werden können:
Auf ein Liter kommen:
EEE a a AN N A
Salpetersäure, salpetrige Säure |
Nitrate und Nitrite
Organische durch übermangansaures
Kali oxydierbare Stoffe (Staub etc.) 49.0 ,,
0975
Wenn wir annehmen, es falle im Durchschnitt jährlich eine
Schicht von 0.9 m meteorisches Wasser, so stellt dies
22
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees.
folgende Quantitäten dar, welche ich unter zwei Formen
angebe: nämlich die Wassermenge, die auf einen Quadrat-
kilometer, und die, welche auf die ganze Oberfläche des
Genfersees fällt, um mich an das bis jetzt benutzte Bei-
spiel zu halten.
Pro qkm: Auf dem Genfersee:
Ammoniak . . . . 2ı Tonnen 1200 Tonnen
Salpetersäure etc. . . Os . 460 4
Oxydierb. organ. Stoffe 44.1 R 25 500 bi
c) Durch den Transport fester Stoffe, die durch die Atmo-
sphäre herbeigeführt werden, nämlich: der organische Staub,
die vegetabilischen Körperteile, die Vögel und Insekten,
welche im See ertrinken oder ihre Exkremente da fallen
lassen; die Eier der Luftinsekten, aus welchen die Wasser-
larven entstehen, etc.
. Durch die Zuflüsse gelangen in den See mineralisches Alluvium
und organische Stoffe. Letztere befinden sich:
a) im Zustande aufgelöster Stoffe. Das Wasser der Zuflüsse
ist das Waschwasser des ganzen zum Seebecken gehörenden
Flussbettes, das Wasser, welches den Boden von den
löslichen Stoffen, namentlich von den Abfällen des vege-
tabilischen und animalischen Lebens befreit. Es reisst das
Wasser der Aborte und Kloaken der Städte, Fabriken, das
durch die Humussubstanzen gebräunte Wasser der torfigen
Moräste mit. Im Rhönewasser im Wallis hat Buenzod
ein auflösliches Residuum von 23 cg per Liter gefunden,
‚während das Wasser des Lac Leman nur 17.5 cg enthält.
Da die mikroskopische Analyse des Seeschlammes keine
Spur von krystallinischen Niederschlägen gezeigt hat, ist
es wahrscheinlich, dass der Unterschied (5.5 cg auf den
Liter) grösstenteils durch organische Stoffe gebildet wird.
In unaufgelöstem Zustande als schwebende Materie: Tier-
leichen und Wasser- und Landpflanzen oder deren Teile.
Diese Zufuhr ist sehr bedeutend. Ich kenne aber kein
Mittel, sie zu schätzen und in Zahlen anzugeben.
TE RE
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 28
Auf diese Weise erhält der See eine genügende Quantität
organischer und anorganischer Stoffe, um die durch Gas-
diffusion, durch den Abflusskanal und die Fossilisation verlorenen
zu ersetzen.
Wenn man aber die Verschiedenheiten dieser Bezugsquellen,
ihre gegenseitige Unabhängigkeit, ihre Variabilität, den völligen
Mangel an Wechselbeziehungen zwischen Zufluss und Abfluss
erwägt, so scheint es zuerst, dass die chemische Zusammensetzung
des Seewassers sehr verschieden sein muss, dass die Jahreszeiten,
Jahrgänge und Zufälle Veränderungen herbeiführen müssen. Es ist
das jedoch nicht der Fall. Wir besitzen zahlreiche Analysen des
Genferseewassers, darunter zwölf vollständige, allgemeine, und etwa
hundert partielle, die zu verschiedenen Zeiten, von verschiedenen
Chemikern nach verschiedenen Methoden und zu verschiedenen
Zwecken vorgenommen worden sind. Kompetente Fachmänner,
welche diese Analysen prüften, haben festgestellt, dass dieselben
hinsichtlich des Wesentlichen übereinstimmen. Die hie und da zu
Tage tretenden Verschiedenheiten sind lokale, und verschwinden
bald durch Diffusion oder durch mechanische Mischung der
grossen Wassermasse.
Die Ursache dieser fortdauernden Gleichmässigkeit der
Zusammensetzung muss in der ungeheuren Grösse der erforschten
Wassermasse gesucht werden. Der Genfersee misst ungefähr
89 000 Millionen cm. Wenn wir den Inhalt dieses Wasserbeckens mit
irgend einer Substanz um ein Milligramm pro Liter ändern wollten,
so müssten wir 89000 Tonnen ä 1000 Ag von dieser Substanz
hineingiessen oder dem See entziehen. Nun vermögen keine auch
noch so mächtigen Kräfte, ausgenommen ein Kataklysmus, irgend
eine Substanz in so grosser Menge auf unregelmässige Weise dem
See zuzuführen. Dieselbe Beweisführung muss für die meisten
Seen gelten; denn obschon das Volumen der Gewässer des Lac
Leman im Verhältnis zur Ausdehnung seines Zuflussbeckens ein
grosses ist, so liegt doch in diesem Verhältnis der beiden Quanti-
täten nichts Ausserordentliches.
ern
24 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees,
Wir müssen also annehmen, dass die Zusammensetzung des
Seewassers eine konstante, unveränderliche ist; dass die Tiere und
Pflanzen in einem Medium leben und sterben, das in chemischer
Beziehung stets dasselbe bleibt.
Wie die chemische Zusammensetzung des Ozeans fast immer
und überall dieselbe ist, so ist auch die chemische Zusammensetzung
eines Süsswassersees eine unveränderliche.
Anderseits ist es wahrscheinlich, ja gewiss, dass es von einem
See zum andern ziemlich grosse Verschiedenheiten geben kann,
welche von der petrographischen Natur des zum See gehörigen
Flussbeckens herrühren oder von dem Kulturstand des den See
umgebenden Landes und der Verhältnisse, welche dieser Kultur-
zustand bedingt, oder von welchen er bedingt wird (Humusbestand
und Klima).
Der Vorrat an organischen Stoffen im See erneuert sich also
durch das Hinzukommen neuer Materien, welche die weggeführten
ersetzen. Es ist klar, dass der grösste Teil der ‚Stoffe durch den
Abfluss dem See entzogen wird. Das gestattet uns annähernd
die Intensität eines solchen Stoffwechsels im Lac Leman, der
uns als Beispiel gedient, zu berechnen. Die Weassermasse
dieses Sees beträgt 89000 Millionen cm; die Weassermasse,
die jährlich durch die Rhöne bei Genf abfliesst, beträgt etwa
10000 Millionen; die jährlich abfliessende Wassermasse ist also
ungefähr der neunte Teil der Totalmasse; es wird somit durch den
Abfluss jährlich ungefähr ein Neuntel des Vorrates an organischen
Stoffen entzogen. Da noch die Stoffe in Rechnung gebracht werden
müssen, die in der Atmosphäre aufgehen oder die im Alluvium
fossilisiert werden, so können wir sagen, dass die organischen
Stoffe höchstens sieben oder acht Jahre im See verweilen, um
den lokalen Kreislauf unter den verschiedenen ihn bewohnenden
Wesen zu vollenden, bevor sie in den grossen Cyklus der allge-
meinen Weltzirkulation zurückkehren.
Ein See stellt uns also nach dem Dargelegten ein be-
schränktes, mit Wasser gefülltes Becken dar, das, obschon
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees, 25
es im Vergleich mit dem Meerwasser süss ist, doch auf je
ein Liter
150 —250 mg aufgelöste mineralische Salze,
IO ,„ organische Stoffe,
20—25 cc Gase
enthält. Dieses Wasser enthält ausserdem schwebenden organischen
und mineralischen Staub, dessen Menge vom Wasserstand der
Zuflüsse und von ihrer Natur (Gletscherbäche, Moorwasser etc.)
abhängt.
Diese Materien bilden einen Vorrat, der durch die atmo-
sphärischen Niederschläge und die Gewässer der Zuflüsse erhalten
wird; ein Teil dieser Stoffe wird durch den Abfluss entzogen oder
verliert sich in der atmosphärischen Luft. Allein Zufuhr und
Abfuhr heben sich auf und die Zusammensetzung des Wassers
bleibt immer dieselbe.
Dieser Vorrat dient zur Ernährung zahlreicher und mannig-
faltiger Organismen, welche den beiden Reichen der organischen
Welt angehören, den verschiedenen Typen: von den Wirbeltieren
und Dikotyledonen an bis zu den Protozoen, Algen, Protisten
und den Mikroben.
Diese verschiedenen Typen zusammen lebender Wesen absor-
bieren organische Stoffe und bilden neue; durch die Wechsel-
beziehungen entgegengesetzter Funktionen ergänzen sie sich in der
Konsumtion und Restitution der Vorratssubstanzen gegenseitig.
In dieser Hinsicht ist ein See ein Mikrokosmos, eine abgeschlossene
Welt, die sich selbst genügt. Aber zugleich greift er mittels
seiner Zuflüsse und seines Abflusses in die allgemeine Kreis-
bewegung des Erdballes ein. In dieser Hinsicht ist der See
nichts weniger als isoliert, sondern gehört mit zum Ganzen des
Universums.
Indem wir uns auf das obige, über die allgemeine Biologie
Gesagte stützen, ziehen wir folgende Schlüsse:
96 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees.
1. Der organische Stoff vollzieht seinen Kreislauf unter den
verschiedenen Wesen verschiedener Typen, welche im beschränkten
Raume eines Süsswassersees neben einander leben. &
2. Dieser dem See angehörende organische Stoff ist nicht
absolut und für immer in diesem verhältnismässig kleinen Raume
lokalisiert, sondern er tritt als Glied in den grossen Cyklus des
allgemeinen Kreislaufes ein, welcher die verschiedenen Regionen
des Erdballes durch die Ströme, den Ozean und die Atmosphäre
verbindet.
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} Die Algen. |
B Mon Dr Migula in Karlsruhe.
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DE Wasser ist die Heimat des organischen Lebens. Alle
Thatsachen deuten darauf hin, dass die ersten lebenden Wesen im
Wasser auftraten, und dass erst sehr langsam mit der fortschreiten-
den Entwickelung der Organismen eine Besiedelung des Landes
begann. So müssen wir auch voraussetzen, dass wir im Wasser
die am einfachsten gebauten Organismen antreffen werden, wenn
sich irgendwelche Nachkommen jener ersten Wesen erhalten haben.
Dies ist thatsächlich der Fall. Die niedersten Lebensformen beider
Reiche gehören dem Wasser an, und je tiefer wir in den Kreis
dieses Lebens hinabsteigen, um so ähnlicher werden sich die Wesen,
um so schwieriger wird es, Tier und Pflanze aus einander zu halten.
Wir stehen dann schliesslich vor einer Gruppe von Wesen, welche
sowohl der Zoologe wie der Botaniker für seine Wissenschaft in
Anspruch nimmt und welche beweisen, dass das gesamte organische
Leben der Erde nur von einer Wurzel getragen wird, aus welcher
sich wie zwei mächtige Stämme Tierreich und Pflanzenreich ent-
wickelt haben.
Man kann deshalb auch nicht gut davon reden, was eher auf-
trat, Tier oder Pflanze; es waren eben jene einfachsten Wesen, in
denen sich noch die Eigenschaften beider vereinigen. Freilich muss
man annehmen, dass es zunächst diejenigen waren, welche die
Fähigkeit besassen, aus den anorganischen Stoffen, dem Wasser,
der Kohlensäure, den anorganischen Stickstoffverbindungen und dem
Sauerstoff, ihren Körper aufzubauen, und diese stehen im grossen
und ganzen eben um dieser Eigenschaft willen dem Pflanzenreich
30 Die Algen.
näher. Denn Örganismen, welche diese Fähigkeiten nicht besitzen,
konnten erst dann auftreten, wenn ihnen durch jene organische
Stoffe bereitet waren, welche ihnen zur Nahrung dienen konnten,
und diese Eigenschaft kommt im allgemeinen den Tieren zu. Will
man also nur ganz allgemein reden, so müssen die Pflanzen eher
existiert haben als die Tiere.
Die einfachsten Pflanzen werden durch zwei grosse vielfach
durch Berührungspunkte verbundene Klassen repräsentiert, durch
Pilze und Algen. Da aber die ersteren durch ihr Unvermögen,
sich von anorganischen Stoffen zu ernähren, den Tieren gleichen
und schon die Anwesenheit anderer Wesen voraussetzen, müssen
wir in den Algen diejenigen Organismen suchen, welche den Aus-
gangspunkt für das organische Leben der Gegenwart bilden, will
man sich nicht auf zu gewagte Phantasien über die untergegangenen
Urwesen einlassen. Die Algen zeigen auch den grössten Formen-
reichtum und die überraschendste Vielgestaltigkeit unter den Pflanzen
unserer Gewässer, so mannigfach auch deren Schmuck mit Blüten-
pflanzen sein mag. Sie sind eigentliche Wasserpflanzen und nur
wenige vermögen auch in feuchter Luft an nassen Felsen oder
zwischen Moos zu gedeihen, noch weniger sind wirkliche Land-
pflanzen, die auch auf Dächern, Rinde und trockenen Steinen fort-
kommen. Aber wo auch nur immer sich Wasser angesammelt hat,
in Bächen, Pfützen oder Seen, sind auch Algen zu finden, nur ist
die Vegetation derselben je nach der Beschaffenheit des Wassers
und nach der Jahreszeit verschieden zusammengesetzt.
Man kann an ein und demselben Ort das ganze Jahr hin-
durch Algen sammeln und wird fast jeden Monat andere Arten
finden. Ein torfiger Wiesengraben zeigt im Frühjahr, wenn Schnee
und Eis eben verschwunden sind, reiche Entwickelung von gold-
braunem Schaum an der Oberfläche des Wassers, der unter dem
Mikroskop die zierlichen, mit bräunlichen Körnern oder Platten
gefüllten Kieselpanzer der Diatomeen in zahlloser Menge erkennen
lässt. Ein wenig später findet sich an derselben Stelle vom Boden
aufsteigend ein dünner grüner Schleim, der sich allmählich ver-
dichtet, an die Oberfläche steigt und zahlreiche kleine Gasblasen
|
Die Algen. 31
festhält. Fährt man dann mit dem Spazierstock hinein, so bleiben
sicher eine Anzahl äusserst dünner, glatter und schlüpfriger Fäden
hängen, welche über ihre Zugehörigkeit zu den Zygnemaceen
keinen Zweifel lassen und mikroskopisch durch ihre eigenartigen
Chlorophylikörper leicht von anderen Algen zu unterscheiden sind.
Steigt die Sonne höher und fallen ihre heissen Strahlen senkrechter
auf den sinkenden Wasserspiegel des Grabens, so verschwinden
die Zygnemaceen und machen anderen Algen Platz: grünen, nicht
schleimigen Fiöckchen aus der Familie der Conferven, deren
Chlorophyll die ganze Zellwand auskleidet. Allmählich treten
zwischen den Fäden derselben die zierlichen einzelligen Desmidieen
auf, welche umsomehr zur Herrschaft gelangen, je herbstlicher es
draussen auf den Fluren wird. So wechseln an demselben Stand-
ort Vertreter aller Familien die Herrschaft, während zu gleicher
Zeit andere Algen nur vereinzelt zwischen den Individuen des
gerade besonders entwickelten Geschlechtes vorkommen.
Doch nicht nur die Jahreszeit, auch die Beschaffenheit des
Wassers übt einen gewaltigen Einfluss auf das Gedeihen der ver-
schiedenen Arten. Während die grünen Fadenalgen sowie die
meisten Diatomeen nur in frischem, unverdorbenem Wasser zu
existieren vermögen, ziehen die blaugrünen Oscillarien fauliges, mit
verwesenden organischen Stoffen erfülltes Wasser vor. Manche
Gattungen wie Spirogyra, Oedogonium, Bulbochaete lieben stehen-
des oder nur schwach fliessendes Wasser, andere wie Lemanea,
Cladophora glomerata und einige Diatomeen befinden sich in
reissenden Gebirgsbächen, an Wehren oder Wasserfällen am wohlsten.
Auch giebt es Algen, welche wesentlich von der Temperatur ab-
hängen; gewisse Arten der blaugrünen Cyanophyceen leben nur in
heissen Quellen, wie die Lyngbya thermalıs in den Geysern Islands
und den Schlammvulkanen Italiens, wogegen Aydrurus ırregularis
in der heissen Jahreszeit verschwindet, aber vom Herbst an den
ganzen Winter hindurch und auch noch im kühleren Frühjahr auf-
tritt. Die chemische Zusammensetzung des Wassers spielt ebenfalls
eine wichtige Rolle in Bezug auf das Gedeihen der einen oder
andern Art. Andere Arten leben in Gräben der Torfmoore,
32 Die Algen.
als in den Bächen lehmiger Wiesen, andere in den Tümpeln auf
sandigem Boden. In den frischklaren Gebirgsseen tritt eine andere
Algenflora auf als in den wärmeren Gewässern der Ebene und das
süsse Wasser birgt andere Formen als die Salzlachen des Binnen-
landes. Manche der niedersten Spaltpflanzen scheinen das Vor-
handensein von Schwefelverbindungen zu ihrem Leben durchaus
nötig zu haben, während wieder andere nur in eisenhaltigen Ge-
wässern ihr Gedeihen finden. Die Verhältnisse in der Zusammen-
setzung des Teich- und Flusswassers sind ja so mannigfaltig, dass
sich die Ansprüche der Algen nach sehr verschiedenen Richtungen
hin entwickeln konnten, wenn sie sich die in der Natur gegebenen
Bedingungen möglichst zu Nutze machen und sich ihnen anpassen
wollten.
Die Orientierung über die Hauptgruppen ist, von einzelnen
Fällen abgesehen, bei den Algen nicht schwer. Sie bilden auch
keine so einheitliche Klasse wie etwa die Moose, sondern werden
wesentlich nur durch den einfachen zelligen, noch nicht deutlich in
Stengel und Blätter gegliederten Bau und durch das Vorhandensein
von Chlorophyll oder einer seiner Modifikationen zusammengehalten
und von den höher organisierten Pflanzen und den chlorophylifreien
Pilzen unterschieden. Abgesehen von einigen zweifelhaften Meeres-
bewohnern lassen sich fünf grosse Gruppen aufstellen, welche sich
wesentlich durch Merkmale der Fortpflanzung, Gestalt und Färbung
unterscheiden. Sie lassen sich kurz folgendermassen charakterisieren:
1. Schizophyceae, Spaltalgen. Färbung blaugrün, spangrün,
orange, rot, violett, aber niemals rein chlorophyligrün. Sehr einfach
organisierte Wesen, deren Fortpflanzung und Vermehrung durch
einfache Querteilung der Zellen, bei manchen ausserdem noch durch
Bildung von Dauersporen auf ungeschlechtlichem Wege erfolgt.
2. Bacıllariaceae oder Diatomaceae, Kieselalgen. Die
Färbung ist eine gelb- oder goldbraune und wird hervorgerufen
durch runde oder plattenförmige Chromatophoren im Innern der
von einem Kieselpanzer umgebenen Zelle. Fortpflanzung durch
Kopulation zweier Individuen, Vermehrung durch Zweiteilung, indem
Die Algen. 33
die beiden Schalen wie die Teile einer Schachtel auseinanderweichen
und sich zwischen ihnen zwei neue Schalen bilden.
3. Chlorophyceae, Grünalgen, Algen im engeren Sinne. Sie
besitzen fast stets rein chlorophyligrüne Färbung, sind aber sonst sehr
verschiedenartig gestaltet und variieren auch namentlich in Bezug auf
die Fortpflanzung, welche sowohl geschlechtlich wie ungeschlechtlich
sein kann. Sehr häufig kommen beide Fortpflanzungsarten neben
einander vor. Eine Vermehrung findet oft in ausgiebiger Weise
durch Zweiteilung der Zellen statt.
4. Melanophyceae, Braunalgen, durchweg Meeresbewohner
mit stets zweigeisseligen geschlechtlichen und ungeschlechtlichen
Schwärmzellen, meist braun oder schwarzbraun gefärbt.
5. Rhodophyceae, Rotalgen. Ebenfalls zum grössten Teil
Meeresbewohner und nur durch wenige Gattungen im süssen Wasser
vertreten. Sie sind rot, oft prachtvoll gefärbt, einige der im süssen
Wasser vorkommenden Arten haben noch einen andern grünen
oder blaugrünen vorherrschenden Farbstoff. Fortpflanzung unge-
schlechtlich und geschlechtlich, in allen Fällen durch ruhende Zellen.
l. Die Schizophyceen oder Spaltalgen.
Wo sich in verdorbenem Wasser schmutzig graugrüne oder
dunkel stahlblaue Flocken an der Oberfläche ansammeln oder an
feuchten Mauern ein rötlicher gallertartiger oder schleimiger Über-
zug entsteht, wo sich auf Teichen spangrüne Wasserblüten bilden
oder bräunlichgrüne Gallertkugeln schwimmen, in den Torflachen
des Hochmoores wie in den Seen der Ebene, an nassen Fels-
wänden wie auf feuchter Erde und zwischen Moos treten uns die
Spaltalgen entgegen. Viele Arten, wie die echten Öscillarien,
bedürfen grösserer Mengen organischer Stoffe zu ihrem Gedeihen
und treten deshalb vorzugsweise in verdorbenem Wasser, in Ab-
zugsgräben von Fabriken und ähnlichen Orten auf, einige sind
genügsamer und stellen wesentlich dieselben Forderungen an ihr
Nährsubstrat, wie andere Algen auch.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 3
ne ai a cn
34 Die Algen.
Es sind sehr einfach organisierte Geschöpfe. Teils bilden sie
nur einzelne Zellen, welche in festerem oder lockerem, oder auch
in gar keinem Zusammenhange mit einander stehen, teils bleiben
sie zu verschiedenartig gestalteten Zellfäden verbunden. Die
Membran der Zellen ist meist sehr dünn, aber in vielen Fällen,
wenigstens in den äusseren Schichten, sehr quellbar und zur Gallert-
bildung geneigt. Neuerdings hat man auch sehr kleine und zwar
mehrere Zellkerne in den Zellen nachgewiesen. Die Färbung scheint
nicht an bestimmte Chromatophoren gebunden, sondern im Plasma
verteilt zu sein, sie kann sehr verschieden, rot, blau, braun, blau-
grün, spangrün, violett, in den verschiedensten Nüancen, aber nie-
mals rein chlorophyligrün sein. Die Vermehrung . erfolgt durch
Querteilung der Zellen und Loslösung derselben oder einer Gruppe
von Zellen, wenn diese einen gemeinschaftlichen Verband darstellen,
seien es Fäden oder nur lose verbundene Einzelzellen. Solche
losgelöste Fadenstücke, welche man Hormogonien nennt, bilden
dann neue Familien, wenn man diesen Ausdruck auf einen selb-
ständigen Zellkomplex von sehr verschieden innigem Zusammen-
hange ausdehnen will.
Neben diesen rein vegetativen Zwecken dienenden und in der
Mehrzahl vorhandenen Zellen kommen auch noch seltener bei
manchen Arten zwei andere Arten von Zellen vor, die Grenz-
zellen oder Heterocysten und die Dauerzellen oder Dauersporen.
Die ersteren unterscheiden sich von den vegetativen Zellen leicht
durch die bedeutendere Grösse, durch einen geringeren Gehalt an
plastischen Stoffen und durch abweichende, meist sehr viel hellere
Färbung. Sie haben das Vermögen verloren, sich zu teilen und
bilden gewissermassen Grenzpfähle zwischen den vegetativen Zellen;
welchen Zweck sie erfüllen, ist nicht bekannt. Die Dauerzellen
oder Dauersporen, auch kurz Sporen genannt, weichen ebenfalls
von den vegetativen Zellen in der Gestalt ab, nur sind sie im
(segensatz zu den Heterocysten reicher an Plasma und in der
Regel dunkler gefärbt. Auch ihre Membran ist meist stärker, so
dass sie schädlichen äusseren Einflüssen besser widerstehen können
als die vegetativen Zellen. Sie dıenen denn auch dazu, unter
Die Algen. 35
ungünstigen Verhältnissen die Art zu erhalten und fortzupflanzen.
Tritt beispielsweise grosse Dürre ein und trocknen die Pfützen aus,
welche von Dauerzellen bildenden Spaltalgen bewohnt waren, so
gehen wohl die vegetativen Zellen zu Grunde, die Dauerzellen
bleiben aber am Leben, treten in einen Ruhezustand ein und ent-
wickeln, wenn sich die Pfützen wieder füllen, neue Pflänzchen.
Der Farbstoff, welcher den Spaltalgen eigen ist, wurde Phyco-
chrom und daher die ganze Gruppe Phycochromaceen genannt;
derselbe besteht wesentlich aus dem blauen Phycocyan (daher
Cyanophyceen) und dem gelben Phycoxanthin, welches dem Blatt-
gelb (Xanthophyll) ähnlich ist, daneben scheint aber noch ein dem
Chlorophyll sehr ähnlicher grüner Farbstoff vorhanden zu sein.
Ausser diesem das Innere der Zellen erfüllenden Farbstoff finden
sich aber noch andere, welche den Hüllen selbst eigen sind und
meist eine gelbbraune oder rote Färbung verleihen, über deren
Eigenschaften man aber noch so gut wie gar nichts weis. Wenn
wir uns unter den Spaltalgen umsehen, so finden wir eine grosse
Einförmigkeit; nur geringe Unterschiede trennen die Gruppen und
die Artenkenntnis ist grösstenteils eine recht zweifelhafte. Am über-
sichtlichsten ist wohl die nachstehende Einteilung der Spaltalgen
in Hauptgruppen oder Familien, jenachdem man unter ihnen noch
besondere Unterabteilungen bildet oder nicht.
I. Coccogene Spaltalgen, Chroococcaceae. Die Zellen
trennen sich nach der Teilung von einander und bleiben entweder
völlig ohne Zusammenhang oder stehen nur in äusserlichem durch
die Gallertbildung der Membran bedingtem Zusammenhang (Fig. ı
a—c). Die wichtigsten Gattungen sind folgende: Chroococcus
(Fig. 1a), Zellen rund oder eckig, einzeln, zu zwei oder vier in
eine nicht zerfliessliche Gallerte eingebettet, in welcher man zwar
bei manchen Arten Schichtungen, aber keine Einschachtelungen
erkennen kann. Die Gattung Gloeocapsa (Fig. 1b) unterscheidet
sich von der vorhergehenden durch stets runde Zellen und durch
Zellfamilien, in welchen die Zellmembran der Mutter um die Tochter-
zellen stets erhalten bleibt, so dass vollständige Einschachtelungen
entstehen. Viele Arten besitzen eine sehr lebhafte rote oder violette
z*
36 Die Algen.
Färbung dieser Gallertschichten, während der Inhalt der Zelle selbst
mehr spangrün gefärbt ist. Ganz ähnlich ist die Gattung Gloeothece,
nur sind hier die Zellen länglich. Diesen beiden Gattungen ent-
sprechen Aphanocapsa und Aphanothece vollständig, nur sind hier
die Hüllmembranen nicht in einander eingeschachtelt, sondern bilden
eine homogene Gallerte. Die Gattung Merismopedia bildet Zell-
familien von Tafelform, je vier Zellen stehen näher zusammen
(Fig. ıc). Clathrocystis bildet rundliche Zellen, welche durch
Spaltalgen. a Chroococcus — b Gloeocapsa — c Merismoßedia — d Oscıllarıa — e Cylindro-
spermum — f Limnochlyde — g Rivularia (junge Fäden) — A Nostoe — ! Hapalosıphon —
k Chamaesiphon — 1 Lyngbya — m Spirulina — n Beggiatoa. Sämtlich stark vergrössert.
vergallerttende Membranen zu kleinen Hohlkugeln verbunden
bleiben. Sie bildet, ebenso wie die sehr ähnliche Gattung Polycystis,
oft spangrüne Wasserblüten, welche den Fischen verderblich werden
können.
2. Nematogene Spaltalgen. Die Zellen bleiben zu längeren
oder kürzeren Fäden vereinigt. Die Oscillariaceen repräsentieren
unter ihnen den niedrigsten Stand. Bei ihnen ist noch keinerlei Unter-
schied zwischen den einzelnen Zellen vorhanden, sie besitzen weder
Heterocysten noch Dauersporen und beide Enden des Fadens sind
=
u * Zr Fe a a a et a A 7
Die Algen. 37
gleichartig ausgebildet. Unter ihnen ist wieder die Gattung Oscıllarıa
(Fig. 1d) am einfachsten organisiert, es sind einfache scheidenlose
spangrüne, blaugrüne oder violette Fäden, in denen man die Quer-
wände der einzelnen Zellen oft nur undeutlich erkennt. Von ihr
unterscheidet sich die Gattung Deggiatoa (Fig. 1”) durch das
Fehlen des Farbstoffess. Beide Gattungen sowie die verwandte
korkzieherartig gedrehte Spirulina (Fig. ı m) besitzen Bewegungs-
vermögen, eine kriechende mit Drehung um die Längsachse und die
Krümmungen des Fadens verbundene Bewegung, welche sie befähigt,
an den Wänden von Glasgefässen etc. in die Höhe zu steigen.
Die Öscillarien sind Bewohner unreinen Wassers, und wo man sie
findet, kann man ohne weiteres darauf schliessen, dass in dem
Wasser irgendwelche Fäulnisprozesse stattgefunden haben, und dass
es für den Gebrauch als Trinkwasser ungeeignet ist. Bei zwei
anderen Gattungen dieser Gruppe finden sich Scheiden um den
Faden, welche aus den vergallertenden Aussenwänden der Zell-
membranen entstehen. Bei Chamaesiphon ist die Scheide sehr zart,
die Pflänzchen bestehen aus wenigen undeutlich begrenzten Zellen
und sitzen oft massenhaft auf anderen Fadenalgen auf (Fig. 1%).
Bei Zyngbya (Fig. ı 7) sind sie sehr stark und oft infolge der Ein-
lagerung von Eisenocker gelb gefärbt. Die in eisenhaltigem Wasser
sumpfiger Gräben auftretenden rostroten Flocken gehören den oft
schon abgestorbenen Fäden der Ockeralge, ZLyngbya ochracea an,
welche allerdings viel feinere Fäden bildet als die in Fig. 1/ ab-
gebildete Art.
Die Nostocaceen stehen schon wesentlich höher; zwar bilden
auch sie nur einfache unverzweigte Fäden, deren Basis von der
Spitze nicht verschieden ist, aber es sind schon Grenzzellen vor-
handen; und auch Dauersporen kommen den meisten Arten auf
der Höhe ihrer Entwickelung zu. Die Gattung Nostoc bildet rosen-
kranzförmige Ketten, welche aus je einer Anzahl vegetativer Zellen
zwischen zwei Heterocysten zusammengesetzt sind (Fig. ı A). Eine
Anzahl solcher Perlschnuren liegen dann in einer bestimmt geformten
meist kugeligen Gallerte eingebettet, welche wieder aus den quell-
baren Membranen der Zellen entstehen. So tritt uns Nos/oc im
38 Die Algen.
Wasser wie an feuchten Felsen oder Hohlwegen im Walde nicht
selten entgegen und hat wenigstens teilweise eine Rolle bei der
Sternschnuppengallerte gespielt, während diese letztere auch, und
wohl hauptsächlich, auf die ausserordentlich quellbaren Elemente
der Eierstöcke weiblicher irgendwie zerstückelter Frösche zurück-
zuführen ist. Die Gattung Anabaena unterscheidet sich von Nostoc
nur dadurch, dass ihre Fäden nicht in Gallertklumpen zusammen-
gelagert sind. Wir kultivieren unabsichtlich eine Art derselben in
unseren botanischen Gärten, die Anabaena Azollae, welche die
hohlen Blätter des kleinen ausländischen Wasserfarns Agolla caro-
Imiana fast regelmässig bewohnt. Eine andere. hierher gehörige
Alge Aphanizomenon oder Limnochlyde Flos aquae (Fig. ı f) mit
grossen cylindrischen Dauerzellen bildet kleine zusammenhängende
Flöckchen, welche auf der Oberfläche des Wassers schwimmen und
oft eine dichte Wasserblüte hervorrufen. In der Gattung Cylindro-
spermum stehen die Grenzzellen terminal, daneben die meist
cylindrisch gestalteten Dauerzellen.
Höher organisiert sind die Stigonemaceen, welche bereits
verzweigte Fäden bilden, wie der in Fig. 17 abgebildete Aapalosıphon.
Die Verzweigung entsteht dadurch, dass der Zellfaden nicht bloss
an den Enden, sondern auch in der Mitte wächst, d. h. dass sich
die Zellen auch hier teilen und eine Spannung der Gallertscheide
bewirken, die schliesslich an einer Stelle reisst und die Zellen hervor-
dringen lässt, welche nun wieder sich teilen und dadurch einen
Zweig bilden. Am höchsten stehen die Rivularien, welche bereits
einen deutlichen Gegensatz zwischen Basis und Spitze zeigen, . wie
eine in Fig. ı g abgebildete Gruppe junger Rivulariafäden er-
kennen lässt.
Wie schon erwähnt zerfällt der 7hallus der fadenbildenden
Spaltalgen auf einer bestimmten Entwickelungsstufe in eine Anzahl
kurzer Fadenstücke, Hormogonien, welche eine Zeitlang Bewegungs-
fähigkeit besitzen und umherwandern, um sich ein neues Heim zu
suchen. Dabei wählen sie mit Vorliebe Orte zu ihrem Aufenthalt,
die ihnen gegen aussen Schutz gewähren, leere Insekten oder
Crustaceenschalen, grosse abgestorbene Pflanzenzellen, oder irgend-
Die Algen. 39
wie hohle Organe lebender Pflanzen, wie wir sie in den Schwimm-
blasen der Utricularia und bei mehreren Torf- und Lebermoosen
finden. Auch aus den kugeligen Zellenfamilien der Chroococcaceen
können sich Kugelsegmente loslösen und zu neuen Familien heran-
wachsen, wodurch alte Kolonien ein ganz durchlöchertes Aussehen
gewinnen.
Das Interesse, welches die Spaltalgen uns erwecken, wird vor-
züglich noch durch zwei Punkte vermehrt, durch ihre unbestreitbar
nahe Verwandtschaft zu den Spaltpilzen und durch die Rolle, welche
sie im Flechtenthallus spielen.
Die Spaltpilze kommen wesentlich in denselben Formen vor,
und nur die Farbe der Zellen geht ihnen ab. Wir haben aber in
vielen Fällen so genau dieselbe Anordnung der Zellen, wie bei
Merismopedia, bei Leptothrıx und ähnlichen, dass die Gattungen
sowohl bei Spaltalgen wie bei Spaltpilzen aufgenommen wurden und
man zu diesen die farblosen, zu jenen die gefärbten Formen stellt.
Aus anderen Gründen, deren Erörterung hier zu weit führen würde,
ist man noch mehr gezwungen, in beiden Gruppen die nächsten
Verwandten zu erblicken und nur Zweckmässigkeitsgründe lassen es
erwünscht erscheinen, sie noch aus einander zu halten.
Dass die als Gonidien bezeichneten grünen Zellen des Flechten-
körpers wirklich nur Algenzellen sind, wird wohl von niemandem
mehr ernstlich bezweifelt, der sich irgendwie eingehend mit diesen
Fragen beschäftigt hat. Nur einige ältere Flechtensystematiker
können sich noch nicht zu dieser Ansicht bekehren, denn sie wollen
die Selbständigkeit derjenigen Pflanzen, welchen sie soviel Zeit und
Arbeit gewidmet haben, nicht gern aufgeben. Thatsächlich sind
die Flechten aber keine einheitlichen Organismen, sondern durch
ein höchst eigentümliches und interessantes Zusammenleben von
Pilzen und Algen entstandene Pflanzengebilde. Indem die Sporen
gewisser Pilze auf eine Algenvegetation fallen, treiben sie Hyphen,
mit welchen sie die Zellen umspinnen und vollständig einschliessen.
Die Algen nehmen übrigens, wie es scheint, dabei durchaus keinen
Schaden, sondern befinden sich ganz wohl dabei, teilen sich in dem-
selben Verhältnis wie die Hyphen, wachsen und liefern diesen die
40 Die Algen.
nötigen organischen Stoffe, während sie anderseits von ihnen ihre
Feuchtigkeit und ihre anorganischen Baustoffe den Pilzen verdanken.
Dieses als Symbiose bezeichnete seltsame Zusammenleben zweier so
ganz verschiedener Organismen hat die Förderung jedes einzelnen
ohne Benachteiligung des anderen zum Zweck. Allerdings sind dabei
die Pilze vollständig auf die Algen angewiesen, denn ihre Sporen
gehen zu Grunde, wenn sie nicht die entsprechenden Algen finden,
während die letzteren ebensogut auch ohne Pilze leben können.
Das ist ja gerade einer der Hauptbeweisgründe für die Algennatur
der Flechtengonidien, dass man dieselben Zellen auch ausserhalb
des Flechtenthallus kennt, und dass man sie hier zu selbständigen
Gattungen und Arten erhob, während sie in der Flechte durchaus
nur unselbständige Teile des Thallus sein sollten. Übrigens ist
es nicht unmöglich, dass ein grosser Teil der als „Raumparasitismus“
im Tier- und Pflanzenreich bezeichneten Erscheinungen auf wirk-
liche Symbiose zurückzuführen ist, bei welcher sowohl Wirt als
Gast ihre Rechnung finden würden und sich gewissermassen zu
gegenseitiger Unterstützung verbunden haben. Die meisten der bei
der Flechtenbildung beteiligten Algen gehören den Cyanophyceen
an, einige den Grünalgen, besonders der Gattung Protococcus ;
aber auch grüne Fadenalgen treten im Flechtenthallus auf, so
eine Cladophora in. der tropischen Gattung der Fadenflechten
Coenogonimm.
Die Spaltalgen bilden mit den Spaltpilzen zusammen eine gegen
die übrigen Pflanzen streng abgeschlossene Gruppe, ohne jeden
vermittelnden Übergang. Mit dem Tierreich werden sie fast un-
merklich und ohne dass eine scharfe Grenze gezogen werden kann,
durch die Gruppe der Monadinen verbunden.
2. Bacillariaceen.
Höher organisiert als die Spaltalgen, stehen sie doch allen
anderen Gruppen der Algen als ein streng abgeschlossenes Ganzes
gegenüber und zeigen überhaupt eine ganz isolierte, durch keinerlei
Beziehungen zu anderen Organismen vermittelte Stellung im Reiche
der lebenden Wesen.
Die Algen. 41
Unter. dem Mikroskop sind sie leicht erkennbar; ihr durch
einen Kieselpanzer geschützter Zellinhalt wird aus farblosem Proto-
plasma gebildet, in welchem in bestimmter Stellung braune Körner
‚oder Platten auftreten, deren Farbstoff, Diatomin genannt, das
Chlorophyll. vertritt. Weit mehr fällt aber der Kieselpanzer selbst
in die Augen, da er meist eine feine Zeichnung trägt, welche die
Diatomeen oden Bacillarien zu den zierlichsten Geschöpfen macht.
Diese Zeichnung tritt besonders schön bei manchen marinen Arten
auf, in Form von sich kreuzenden Liniensystemen oder dicht an-
einanderschliessenden Sechsecken; sie sind bei den in Fig. 2 (S. 42)
“ abgebildeten Formen (ebenso wie der Zellinhalt) weggelassen, weil
die Abbildungen sonst zu grossen Raum beansprucht haben würden.
Die Linien liegen bei manchen Arten so nahe, dass es nur den
besten Mikroskopen gelingt, sie aufzulösen, d. h. getrennt von ein-
ander deutlich sichtbar zu machen; deshalb werden gewisse Dia-
tomeen wie Pleurosigma angulatum und Surırella gemma zur
Prüfung der besten Objektive verwendet.
Die überaus zierlichen Kieselalgen verdienen übrigens wegen
ihrer Schönheit und Mannigfaltigkeit eine eingehendere Beobachtung
auch von solchen, denen irgend eine naturwissenschaftliche Be-,
schäftigung erwünscht ist und welche sich im Besitz eines Mikro-
skopes befinden, oder sich ein solches anschaffen können (vergl,
die Anmerkung am Schluss). Der Formenreichtum ist ein ausser-
ordentlicher und wenn bei den Spaltalgen die Einförmigkeit der
ganzen Gruppe auffiel, so tritt uns bei den Kieselalgen eine Viel-
gestaltigkeit entgegen, wie sie ausgeprägter kaum in einer anderen
Pflanzenklasse vorkommt. Die Figur 2 giebt uns einen Überblick
über die verschiedenen Formen, welche unsere süssen Gewässer
bewohnen; freilich konnte nur ein kleiner Teil berücksichtigt werden.
In Nr. ı tritt uns eine der vielen schwer unterscheidbaren
Arten der Gattung Pinnularıa entgegen. Sie sind fast symmetrisch
gebaut und mit deutlicher, in der Regel starker Streifung, welche
auch in der Figur angegeben ist. Sehr ähnlich ist Navicula: von
kahnförmiger Gestalt (Nr. 2), die Streifung ist aber sehr zart und
oft.nur mit den besten Linsen zu erkennen. Die Streifen sind
42 Die Algen.
hier aus dichten reihenförmigen Punkten gebildet. Bei der Gattung
Stauroneıs (Nr. 3) ist ein deutliches helles Kreuz erkennbar, welches
die ebenfalls kahnförmige Zelle am Längs- und Querdurchmesser trägt.
Eigentümlich gebogen sind die Zellen der Gattung Pleurosigma
(Nr. 4) und nur nach einer Richtung symmetrisch die stark
gestreiften von Cymbella (Nr. 5).
17
N
ms THU
SAU
Fig. 2.
Kieselalgen, Bacillariaceen. ı. Prinnularia — 2. Navicula — 3. Stauroneis — 4. Pleuro-
siema — 5. Cymbella — 6. Amphora — 7. Gomphonema — 8. Nitschia — 9. Surirella —
10. Synedra — ı1. Efithemia — ı2. Meridion — 13. Fragillaria — 14. Dialoma —
15. Melosira — 16. Campylodiscus (a von der Seite, 5 von oben). Stark vergrössert.
Bei Amphora (Nr. 6) bildet die Streifung zwei eigentümliche
Bänder, während andere Teile des Kieselpanzers ungestreift bleiben. Bei
der Gattung Gomphonema sitzen die einzelnen Zellen auf Gallert-
stielen, welche ein vielfach verzweigtes Bäumchen darstellen (Nr. 7).
Die Algen. 43
Eigentümliche ovale oder verzogene Zellen werden durch die Gattung
Surirella (Nr. 9) repräsentiert, Synedra bildet meist lange, nadel-
förmige Zellen, welche oft wie die Speichen eines Rades zusammen-
sitzen (Nr. 10), Die Gattung Zpithemia (Nr. ıı) erinnert etwas
an Cymbella, ist jedoch schon durch die Streifung leicht unter-
schieden. Dann giebt es eine Gruppe von Diatomeen, deren
Zellen zu Fäden verbunden bleiben, wie bei Fragillarıa, Diatoma,
Meridion, Melosira (Nr. 12—15), noch andere bilden schildförmige,
mehr oder weniger gebogene Platten, wie Campylodiscus (Nr. 16).
Aber auch nur einigermassen genaue Beschreibung der deutschen
Gattungen zu liefern, ist an diesem Ort wegen des Formenreich-
tums und der Vielgestaltigkeit der Diatomeen unmöglich. Dagegen
soll uns noch ein Blick in das Leben dieser zierlichsten aller Ge-
schöpfe vergönnt sein.
Der Kieselpanzer einer Diatomee ist kein einheitliches Gebilde,
sondern besteht aus zwei sehr ähnlichen Hälften, die sich nur
durch eine geringe Grössendifferenz unterscheiden, sonst aber,
namentlich in der Zeichnung, vollständig übereinstimmen. Diese
beiden Hälften sitzen in einander wie die Teile einer Schachtel,
was man bei günstigen Objekten direkt sehen kann. Nimmt die
Zelle an Volumen zu, so kann dies nur dadurch geschehen, dass
die beiden Teile etwas auseinanderweichen, da ja die starren Kiesel-
schalen ein Wachstum in die Länge oder Breite verhindern.
Endlich kommt bei dieser Volumenzunahme der Zelle aber ein
Stadium, in welchem die beiden Hälften oder Schalen nicht
mehr ineinandergreifen, sondern die Zelle nicht mehr vollständig
bedecken und einen schmalen Streif Plasma zwischen ihren Rän-
dern freilassen. Dann bilden sich an dieser Stelle zwei neue
Schalen, von denen sich die eine der grösseren, die andere der
kleineren der alten Schalen ebenso einfügt, als diese es ursprüng-
lich waren, und aus der einen Diatomee sind bei diesem Vorgange
zwei geworden, welche in jeder Beziehung dem Mutterindividuum
gleichen, nur ist die eine um die Dicke einer Schale kleiner
als jene. Eine derartige Verkleinerung muss immer erfolgen, weil
die Kieselschalen starr sind und sich die jüngere Schale immer
EN RTL TE VEREEES
44 Die Algen.
der ältern einfügt. Bei weiteren Teilungen werden die jüngeren
Individuen mit der jüngern Schalenhälfte immer kleiner ‚und wir
sehen oft von derselben Art Exemplare, die um mehr als das
Doppelte in der Länge von einander abweichen. Die Verkleinerung
findet aber auch naturgemäss ihre Grenze; ist die Grösse der
Individuen bis auf ein bestimmtes Mass herabgesunken, so teilen
sie sich nicht weiter, sondern es erfolgt eine Art Regeneration
durch einen Vorgang, den man als Auxosporenbildung be-
zeichnet hat.
Die Auxosporenbildung tritt in drei verschiedenen Modifika-
tionen auf; entweder findet eine wirkliche Befruchtung durch die
Verschmelzung zweier Individuen statt, oder es findet nur eine
Berührung statt, oder endlich ein einziges Individuum schickt sich
dazu an. Dieser letzte Vorgang ist der einfachste, er ist am
häufigsten bei Melosira beobachtet worden. Eine der Zellen eines
Fadens treibt unter rascher Volumenzunahme die beiden Schalen
ohne sich zu teilen aus einander, tritt zwischen diesen teilweise
hervor und bildet eine Kugel, welche an zwei Punkten noch in
den alten Schalen stecken bleibt, aber mehr als den doppelten
Durchmesser als diese hat. Erst jetzt teilt sich diese „Auxospore‘“
und umgiebt sich mit Kieselschalen, welche zunächst von denjenigen
einer Melosira noch in der Gestalt wesentlich abweichen, da sie
Hälften einer nicht ganz regelmässigen Kugel sind. Aber schon
die beiden nächsten Schalen, welche sich innerhalb der Auxospore
entwickeln, nehmen die normale cylindrisch-schachtelförmige Gestalt
an und die beiden ersten aus der Auxospore entstehenden Zellen
tragen je eine halbkugelige und eine normale Schale. Die folgenden
Individuen sind wieder mit normalen Schalen versehen, nur zwei
Nachkommen behalten immer eine normale und eine Kugelschale.,
Bei einer Anzahl anderer Diatomeen ist wenigstens eine Berührung
zweier Individuen zur Auxosporenbildung erforderlich. Die Schalen
derselben weichen dann aus einander, die Plasmamassen treten
hervor und nehmen ausserordentlich rasch an Volumen zu, während
sich die zarte, nicht kieselhaltige Membran dieser Plasmamassen
stark dehnt. . Erst wenn ein Wachstum nicht mehr stattfindet,
Die Algen. 45
scheiden sich die Kieselschalen aus und die beiden so entstandenen
Zellen haben dann eine mehr als doppelte Länge wie die Mutter-
zellen. Die Einzelheiten bei diesem Vorgang sind nach den
Gattungen verschieden und oft recht kompliziert. Noch andere
Diatomeen lassen ihre aus den Schalen ausgetretenen Plasmamassen
wirklich verschmelzen, wodurch ein der Konjugation der Spirogyren
ähnlicher Prozess herbeigeführt wird. Die konjugierte Plasma-
masse wächst dann bedeutend in die Länge und scheidet „eine
einzige zusammenhängende und die ganze Zelle umschliessende
Kieselmembran aus, innerhalb deren sich die beiden Schalen einer
neuen Zelle entwickeln. Dieselben werden durch die Volumen-
zunahme der Zelle auseinandergetrieben und sprengen dann die
kieselhaltige harte Membran der Auxospore, wodurch die neue Zelle
frei wird und sich in normaler Weise weiter teilt. In allen Fällen
hat die Auxosporenbildung nur den Zweck, aus der allmählich zu
klein gewordenen Generation eine neue, grössere zu bilden, sie
dient nicht ähnlichen Zwecken wie etwa die Dauersporen der
Schizophyceen, sondern es tritt zwischen Auxosporenbildung und
der Entwickelung neuer Zellen keinerlei Ruhezustand ein.
Eigentliche Dauerzustände, welche durch besondere Zellen
repräsentiert werden, kommen bei den Diatomeen nicht vor, da-
gegen können Zellen unter günstigen Verhältnissen auch eine
längere Austrocknung ertragen, ohne abzusterben. Das Plasma
zieht sich dabei in eine Ecke der Kieselschalen zurück und umgiebt
sich mit einer Membran, bei Eintritt günstiger Lebensbedingungen
die normalen Funktionen wieder aufnehmend.
Eine eigentümliche, aber noch nicht aufgeklärte Eigenschaft
der Diatomeen ist ihre Bewegungsfähigkeit, welche ihnen jedoch
nur zukommt, wenn sie festem Substrat aufliegen, sie kriechen also
an demselben herum. Diese Thatsache macht es wahrscheinlich;
dass die Bewegung durch Plasmafäden vermittelt wird, welche durch
Öffnungen in den Kieselpanzern oder zwischen den Schalen hervor-
treten und sich dem Substrat anheften; man hat jedoch bisher
noch keinerlei derartige Bewegungsorgane wahrnehmen können. Die
46 Die Algen.
Bewegung selbst ist eine gleitende, oft ruckweise, meist genau der
Längsrichtung des Körpers folgend.
Die Diatomeen sind die einzigen Algen, welche sich seit der
Zeit ihres Auftretens auf der Erde in ihren Kieselschalen unver-
ändert erhalten haben, so viel Jahrtausende auch über ihre Grab-
stätten dahingerauscht sind. Ihre Schalen haben auch so manche
Proben bestanden, bei denen nur wenig andere Geschöpfe nicht
der völligen Vernichtung anheimfielen. Von kleinen mikroskopischen
Tieren verschluckt, wurden die Diatomeen hier zum ersten Male
verdaut, gerieten mit diesen in den Magen von grösseren Weich-
tieren und mussten den Prozess zum zweiten Male durchmachen.
Zum dritten Male wurde ihnen das Los zu teil, wenn diese Weich-
tiere von Fischen verspeist wurden, um mit diesen zum vierten Mal
von Seevögeln verdaut zu werden. Nichtsdestoweniger passierten
ihre Schalen unverändert den Darmkanal der Vögel und im Guano
finden sich dieselben noch in schönster Erhaltung. Bei solcher
Widerstandskraft ist es kein Wunder, dass sich die Diatomeen,
wo sie sich in Masse entwickelten, auch noch heute an diesen
Orten fossil vorfinden, nur das ist thatsächlich wunderbar, dass
diese kleinsten Organismen — durchschnittlich gehen ıo bis
20 Millionen Individuen auf ı Kubikmillimeter — meilenweite und
viele Fuss tiefe Lager bilden, wie bei uns in Deutschland namentlich
in der Lüneburger Heide, bei Berlin und bei Königsberg.
Die als Tripel, Mergel, Kieselguhr und Infusorienerde bezeichneten
Fossilien sind wesentlich nichts anderes als die Kieselschalen der
Diatomeen, deren zierliche Form unter dem Mikroskop sich
sofort verrät.
3. Die Chlorophyceen.
Die Grünalgen, Chlorophyceen, Algen im engern Sinne, sind
im wesentlichen hinreichend durch die rein grüne Farbe gegenüber
den anderen Gruppen charakterisiert. Gestalt und Fortpflanzungs-
weise sind so mannigfach, dass sie sich schlecht zu einem Merkmal
der ganzen Gruppe verwenden lassen und selbst nahe verwandte
Gattungen zeigen hierin die grössten Verschiedenheiten.
2, Penn „nun hd *
, .* d v .
Y f
Die Algen. 47
Zunächst finden wir eine Gruppe grüner Algen, welche in der
Fortpflanzung mit dem einen Modus derselben bei den Diatomeen
übereinstimmen, so dass sie, aber gewiss entschieden unrichtig, mit
jenen zu einer grossen Ordnung ‚‚Zygosporeae‘“ von manchen
Forschern vereinigt werden. Indem nämlich zwei (oder zuweilen
auch mehr) Zellen ihren Inhalt zusammenfliessen lassen, entsteht
eine als „Zygospore“ bezeichnete Zelle, welche dazu bestimmt ist,
nach einer Ruheperiode zu keimen und eine neue Generation zu
entwickeln. Es ist also eine Dauerzelle und unterscheidet sich
schon hierdurch sehr wesentlich von den Auxosporen der Diato-
meen, welche letztere nur als ein Mittel zur Vergrösserung der
Zellen dient und keinerlei Eigenschaften besitzt, wie sie den Sporen
der Kryptogamen im allgemeinen zukommen. Ausserdem kommt
es nur bei einem Teile der Diatomeen zu einer wirklichen Ver-
einigung der Plasmakörper zweier Zellen, wie wir oben gesehen
haben. Es ist deshalb besser, man lässt diese Gruppe grüner
Algen, welche man als Conjugatae zusammenfasst, als unterste
Ordnung der Chlorophyceen bestehen.
Eine zweite Ordnung wird durch eine Anzahl einzelliger Algen
gebildet, welche teilweise einen Übergang zu den Flagellaten
erkennen lassen und aus teils freien, teils zu Kolonien vereinigten
rundlichen oder eiförmigen meist ziemlich kleinen Zellen bestehen.
Man hat sie als Protococcoideae bezeichnet. Ihre Fortpflanzung
ist sehr verschiedenartig und oft höchst kompliziert.
Die Siphoneae oder Schlauchalgen zeichnen sich durch
einen einzelligen fadenförmigen oder verästelten Bau aus; sie sind
im süssen Wasser nur durch zwei Gattungen vertreten.
Reich an Formen ist die vierte Ordnung der Grünalgen,
die Confervoideae. Sie bilden einen fadenförmigen, oft reich ver-
zweigten, vielzelliıgen Thallus.
Nach dieser kurzen Charakteristik der Hauptgruppen sollen
die einzelnen eine etwas eingehendere Besprechung erfahren, da
sich ja in der Klasse der Grünalgen die interessantesten und
mannigfaltigsten Formen, die verschiedenartigsten Verhältnisse der
Fortpflanzung und die merkwürdigsten Lebenserscheinungen finden.
48 Die Algen.
Die Conjugaten bilden eine Ordnung, welche zwei nahe ver-
wandte Familien vereinigt. Gemeinsam ist ihnen besonders die
Art der geschlechtlichen Fortpflanzung, die Konjugation, ferner die
eigentümliche Anordnung des Chlorophylis innerhalb der Zelle in
Bändern, Platten, Sternen oder anderen Formen, stets aber ab-
weichend von derjenigen bei den anderen Grünalgen, ferner im
weitesten Sinne die Einzelligkeit. Jede Zelle ist befähigt für sich
allein zu existieren und sich zu vermehren, selbst wenn sie nor-
malerweise nur mit anderen zusammen zu Fäden verbunden vor-
kommt. Die Zellen eines Fadens sind auch sämtlich gleichartig
und es ist kein Gegensatz zwischen Basis und Spitze ausgebildet.
Eine sehr ausgiebige Vermehrung geschieht durch Zweiteilung der
Zellen, die bei diesen ‘Algen besonders gut zu beobachten ist.
Die Desmidieen, die eine der beiden Familien, zeigen
äusserst zierliche Formen, wie sie in Fig. 3 a—m dargestellt sind.
Sie bewohnen einzeln unsere Wiesengräben, Bäche und Flüsse,
zahlreicher und oft geradezu massenhaft die Gewässer der. Torf-
moore, und erreichen im Spätsommer und Herbst ihre grösste
Entwickelung. Die Zellen sind symmetrisch, bei vielen mit einer
Einschnürung in der Mitte, meist einzeln, seltener zu ‘leicht zer-
reissenden Fäden verbunden. Das Chlorophyll ist entweder stern-
förmig um zwei stärkehaltige Körper auf die beiden Hälften der
Zelle verteilt, zentral, d.h. der Wand nicht anliegend, oder tritt
in Form von Platten, welche ebenfalls der Wand nicht anliegen,
oder endlich in mehr oder weniger spiralig gerollten der-Wand an-
liegenden Bändern auf. Bei der Vermehrung treten die beiden
Zellhälften an der Einschnürung aus einander und zwischen ihnen
entwickelt sich an jeder eine neue Zellhälfte, die ursprünglich
rundlich und glatt ist und erst allmählich die Form der andern
Zellhälfte bei weiterem Wachstum erhält (vergl. Fig. 3e). Bei der
als Kopulation bezeichneten geschlechtlichen Fortpflanzung tritt der
Inhalt zweier Zellen aus der Membran hervor und vereinigt: sich
zu einer einzigen, den Mutterzellen durchaus unähnlichen Zelle,
welche den Namen Zygospore führt (vergl. Fig. 3 f Zygospore von
Micrasterias) und einen Ruhezustand darstellt; bei der Keimung
Die Algen. 49
entwickeln sich aus ihr eine bis vier, meist zwei Keimzellen, aus
denen dann wieder durch Teilung die gewöhnlichen Zellen ent-
stehen. Die Desmidieen besitzen ein geringes vom Licht abhän-
giges Bewegungsvermögen.
Fig. 3.
Conjugaten a—m. Desmidiaceen: a Desmidium, Faden von der Seite — 5 Dasselbe,
Faden auf dem Querschnitt — c Euastrum — d Micrasterias denticulata — e Dasselbe in
der Teilung begriffen — / Zygospore desselben — % Micrasterias crenata — g Cosmartum —
z Staurastrum — k Xanthidium — 1 Penıum — m Closterium — n—r Zygnemaceen:
n Zygnema — o Spirogyra — Zygnema in Kopulation, 1—7 bezeichnen die verschiedenen
Stufen derselben bis zur Bildung der Zygospore (7) — g und ” Zygosporen von Zygnemaceen.
Eine Beschreibung der einzelnen Gattungen lässt sich an dieser
Stelle nicht geben; für die Abbildung wurden einige der zierlichsten
Desmidieen gewählt, in denen der Inhalt der Zellen wegen der
geringen Vergrösserung nur angedeutet oder ganz weggelassen wurde.
Die zweite Familie, die Zygnemaceen, wird aus fadenförmigen
unverzweigten Algen gebildet, deren Chlorophyll zu spiraligen
Bändern (Spirogyra), Doppelsternen (Zygnema, Zygogonmum), axilen
Platten (Mongeotia, Mesocarpus) zusammentritt. Ihre geschlechtliche
Fortpflanzung ist derjenigen der Desmidieen sehr ähnlich, nur
kopulieren meist Zellen verschiedener Fäden mit einander, indem
sie bei leiterförmiger Kopulation Ausstülpungen gegen einander
treiben (wie dies Fig. 35 in verschiedenen Stadien der Kopulation
dargestellt ist), oder indem sich die Zellen bei knieförmiger Kopu-
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 4
50 Die Algen.
lation direkt an einander legen, was durch eine Biegung der Fäden
gegen einander bewirkt wird. Selten kopulieren zwei neben einander
liegende Zellen ein und desselben Fadens- (seitliche Kopulation),
indem sie ebenfalls Ausstülpungen gegen einander treiben. Haben
sich die Ausstülpungen an einander gelegt, so beginnt eine Ver-
änderung in den Zellen, der Inhalt ballt sich zusammen, indem
Wasser ausgestossen wird, und derjenige der einen Zelle fliesst in
die andere hinüber, um sich mit dem Inhalt dieser zu vereinigen,
oder beide Plasmamassen treten aus den Zellen hervor und treffen
sich zwischen den Fäden. Im erstern Falle entsteht das Produkt
der geschlechtlichen Vereinigung — die Zygospore — in einer der
Mutterzellen, im andern zwischen den beiden Mutterzellen. Die
Zygosporen der Zygnemaceen sind weit weniger mannigfaltig als
die der Desmidiaceen; auch sie machen eine Ruheperiode durch,
nach welcher sie keimen. Die Zygnemaceen finden sich im ersten
Frühjahr, sowie nur das Eis unsere Teiche und Tümpel verlassen
_ hat, überall in stehenden Gewässern als schleimige hellgrüne Flocken
oder Fadenmassen,
Beide Familien entwickeln keine beweglichen Fortpflanzungs-
zellen, wie die meisten übrigen Grünalgen; einige, namentlich die
grösseren Spirogyreen und Desmidieen, lassen aber im Innern der
Zelle deutlich die Bewegung des Plasmas erkennen. Bei Closterium
findet sich am Ende der beiden halbmondförmig gekrümmten Zell-
hälften ein farbloses Bläschen, in welchem eine Anzahl kleiner
(aus Gips? bestehender) Körnchen sich sehr lebhaft bewegen
(Fig. 3 m). Überhaupt bieten die Zellen der Conjugaten viele
interessante Eigenheiten und sie sind auch, besonders die Gattung
Spirogyra, ein sehr vielfach benutztes Objekt der Pflanzenphysiologen,
weil die Grösse und Einfachheit der Zellen leichter eine eingehende
Untersuchung ermöglicht. Besonders zu Studien über den Zellkern
liefern sie ein vorzügliches Material und wir finden da, um eine
Eigentümlichkeit zu erwähnen, bei Spirogyra beispielsweise einen
grossen, flach scheibenförmigen, spindelförmig erscheinenden Zell-
kern, welcher mit an den Wänden befestigten Plasmafäden in der
Mitte der Zelle aufgehängt ist.
I a ST Kan A ee
Die Algen. 51
Die zweite Ordnung der Grünalgen, die Protococcordeae, fasst
eine Gruppe sehr verschiedenartiger Organismen zusammen. Gemein-
sam ist ihnen die Einzelligkeit und die Entwickelung von Schwärm-
zellen. Eine der drei hierhergehörigen Familien, die Volvocineen,
zeigen eine solche Verwandtschaft zu den Flagellaten, einer Gruppe
der niedersten Tiere, dass sie von den Zoologen einfach mit jenen
vereinigt werden, und auch in diesem Buche unter jenen abgehandelt
werden sollen*). Scheiden wir also an dieser Stelle die später ın
einem eigenen Kapitel eingehend behandelten Volvocineen hier
aus, so bleiben zwei sehr ähnliche Familien übrig, Protococcaceae
und Palmellaceae.
Die Protococcaceae sind einzellige Algen, denen eine Teilung
der Zellen zum Zweck einer vegetativen Vermehrung abgeht, welche
dagegen eine ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Schwärmsporen
(Zoosporen) und eine geschlechtliche durch Kopulation von Schwärm-
sporen besitzen. Die Zellen bleiben dabei entweder zu Familien
vereinigt oder sie lösen sich los und werden frei. Einen Vertreter
der ersteren, das Wassernetz Aydrodyction utriculatum wollen wir
als Beispiel wählen, dabei aber zugleich bemerken, dass wir hier
einen viel komplizierteren Entwickelungsprozess vor uns haben, als
bei den meisten übrigen Gattungen der Familie. Das Wasser-
netz (Fig. 4a—d S. 52) bildet ein wirkliches Netz, dessen Maschen
von einer Anzahl cylindrischer Zellen umschlossen sind, welche zu
je drei an einem Punkte zusammentreffen (a). Die Chlorophyll
führende grüne von Vacuolen unterbrochene Plasmaschicht kleidet
die ganze Zellwand aus, ballt sich aber, wenn es zur Fortpflanzung
kommt, in sehr kleine, zunächst ebenfalls der Wand anliegende
Plasmaportionen zusammen. Die Fortpflanzung geschieht nun ent-
weder geschlechtlich oder ungeschlechtlich. Im letztern Falle sind
die Plasmaportionen, in welche der Zellinhalt zerfällt, grösser;
anfangs eckig, runden sie sich allmählich ab (db) und bilden sich
zu Schwärmsporen um, welche eiförmige Gestalt und zwei Geisseln
besitzen. Auch zeigt sich ein Gegensatz zwischen dem geissel-
*) Der Verfasser hält jedoch an der Ansicht fest, dass die Volvocineen ebensogut zu
den Algen gestellt werden können, zu welchen sie unbestritten nahe Verwandtschaft zeigen.
4*
gt re Aa
52 Die Algen.
tragenden Ende, welches durchsichtig und hell, und dem geissel-
losen, welches grün und mit körnigem Plasma erfüllt ist. Man
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BUN,
U. 0, \
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Fig 4.
Protococcoiden. a—/ Protococcaceen: a—d Hydrodyction utriculatum: a Teil eines
Zellnetzes — 5 Beginnende Makrogonidienbildung, Teil einer Zelle, stärker vergrössert —
c Stück einer Zelle, in welcher sich die Makrogonidien zu einem neuen Netz an einander
lagern, stärker vergrössert — d Zur Ruhe gekommener Schwärmer (vergl. Text) — e Ver-
schiedene Formen von Scenedesmus — f Pediastrum — g—h Palmellaceen: g Cosmo-
cladium — h Raphidium (e—h sind nur Umrisszeichnungen).
bemerkt auch ferner einen kleinen roten Punkt in dem hellen Teil,
den Pigmentfleck, über dessen Bedeutung man nur Vermutungen
hegt, vielleicht stellt er den Anfang eines Sinnesorganes vor. Diese
Die Algen. 53
Zellen, Makrogonidien genannt, schwärmen in der Mutterzelle einige
Zeit umher, kommen aber allmählich zur Ruhe, indem sie sich zu
gleicher Zeit in derselben Weise ordnen wie die Zellen des Mutter-
netzes und ein kleines diesem sehr ähnliches Netz bilden, welches,
ohne dass durch Teilung neue Zellen darin entstehen, wächst und
dem Mutterzellnetz völlig gleich wird. Die umhüllende Membran
der Mutterzelle zerfliesst schon sehr früh in dem umgebenden Wasser
(vergl. Fig. 4.c).
In derselben Weise wie die Makrogonidien, nur in viel grösserer
Anzahl, bilden sich die Mikrogonidien, welche viel kleiner sind und
vier Geisseln besitzen. Sie verlassen aber die Mutterzelle und
schwärmen im Wasser umher, kopulieren und verlieren allmählich
ihre Bewegung, indem sie zu rundlichen grünen Zellen werden,
welche sich allmählich vergrössern. Diese Zellen stellen einen
Ruhezustand dar, aus welchem sich nach einiger Zeit wenige zwei-
geisseligeSchwärmzellen entwickeln, welche ebenfalls austreten, umher-
schwärmen und ihre Bewegung verlieren, aber sich nicht zu runden,
sondern zu eigentümlich eckigen mit unregelmässigen Auswüchsen
versehenen Zellen (d) entwickeln, in denen wieder die oben be-
schriebenen Makrogonidien entstehen und zu einem kleinen Netz
zusammentreten.
So vielgestaltig ist der Entwickelungsgang bei den übrigen
Protococcaceen in der Regel nicht, wir besitzen jedoch von den
meisten noch keine genügende Kenntnis desselben. Von den
übrigen Gattungen der Familie finden sich häufiger Pediastrum,
dessen in einer Ebene gelagerte Zellen zu zierlichen, meist mit
kleinen Hörnchen verzierten Täfelchen zusammentreten (f), Scene-
desmus, dessen Zellen zu vier und acht mit der Längsseite anein-
andergelagerte Reihen bilden und ebenfalls häufig Hörnchen oder
Domen zeigen (e) und Protococcus, welcher einfache nicht zu-
sammenhängende runde Zellen bildet und häufig den grünen pul-
verigen Überzug von Baumstämmen, Holzzäunen und Schindel-
dächern bildet, aber in der heissen Jahreszeit verschwindet.
Die Palmellaceen sind äusserlich oft sehr schwer von den
Algen der vorigen Familie zu trennen, unterscheiden sich aber in
54 Die Algen.
ihrer Entwickelungsgeschichte sehr wesentlich von jenen durch die
Fähigkeit, sich durch einfache vegetative Zweiteilung zu vermehren,
und durch den Mangel einer geschlechtlichen Fortpflanzung. Sie
zeigen ebenfalls sehr zierliche Formen, wie die in Fig. 4 abgebildeten
Vertreter dieser Familie: Cosmocladum (g) und Raphidium (h)
darthun.
Eine andere Ordnung einzelliger Grünalgen wird durch die
Siphoneen (Schlauchalgen) gebildet, welche jedoch nur in wenig
Arten im süssen Wasser auftreten. Sie haben eine fadenförmige,
langgezogene, reich verzweigte, oder eine auf verästelter Basis
ruhende blasenförmige Gestalt, ohne dass sich jedoch zwischen den
Ästen oder Verzweigungen Querwände in der Zelle fänden. Ihre
Fortpflanzung geschieht auf geschlechtlichem und ungeschlecht-
lichem Wege. Die Gattung Vaucheria findet man in Gräben oder
auf feuchter, schattiger Erde, zarte Fadenpolster bildend, die Gat-
tung Botrydium namentlich auf überschwemmt gewesenen schlam-
migen Flächen als kleine stecknadelkopf- bis hanfkerngrosse
schwarzgrüne Kügelchen.
In der vierten Ordnung treten uns die höchstentwickelten
Formen der Grünalgen, die Confervordeae, entgegen. Auch bei ihnen
herrscht in Gestalt und Fortpflanzungsweise die grösste Mannigfaltigkeit.
Jedenfalls sind es stets mehrzellige Algen, deren Zellen meist in Fäden,
oft mit Verzweigung, seltener in flächenförmigen Lagern angeordnet
sind. Ihre Fortpflanzung ist noch nicht bei allen Gattungen bekannt,
doch entwickeln wahrscheinlich alle bewegliche Schwärmzellen,
welche teils ungeschlechtlicher Natur sind, teils zu mehr oder
weniger deutlich ausgeprägten Geschlechtszellen werden.
Die einfachsten Formen aus dieser Ordnung bilden die eigent-
lichen Conferven, welche einfache Zellfäden bilden, sich von den
Zygnemaceen aber leicht dadurch unterscheiden, dass bei ihnen
das Chlorophyll gleichmässig der Zellwand anliegt. Bei der Gat-
tung Conferva hat man bisher nur ungeschlechtliche Fortpflanzung
durch Schwärmsporen wahrgenommen, während bei der sehr ähn-
lichen Ulothrix ausser dieser auch eine geschlechtliche Fortpflanzung
insofern auftritt, als zwei kleinere Schwärmsporen mit einander
RE,
a
Die Algen. 55
verschmelzen (kopulieren) und das Produkt der Kopulation eine
Dauerzelle ist, welche eine Ruheperiode durchmacht ehe sie keimt.
Verzweigte Zellreihen finden wir bei den artenreichen Cladophoren,
deren Entwickelungsgeschichte noch sehr wenig bekannt ist, trotz-
dem dass sie zu den häufigsten Süsswasseralgen gehören. Namentlich
die Gattung Cladophora selbst, deren Artenstudium beinahe für sich
allein eine Wissenschaft bildet und welche das Hieratium der
Kryptogamen ist, findet sich in ihren verschiedenen Formen überall,
und in Quellen und reinen Bächen werden wir häufig der überaus
zierlichen etwas schlüpfrigen Draparnaldıa begegnen. An Schilf
und Holzstücken setzen sich gern kleine grüne Kugeln oder dem
Geweih eines Hirsches ähnlich verzweigte gallertartige Körper fest,
welche der Gattung Chaetophora angehören. Auch das im Gebirge
allbekannte Veilchenmoos oder der Veilchenstein, Chroolepus Jolthus,
gehört hierher, obgleich seine braunrote Farbe gar nicht zu den
Grünalgen zu passen scheint. Dies kommt aber daher, dass neben
dem Chlorophyll noch ein anderer Farbstoff, der in überwiegender
Menge vorhanden ist, den Zellen die Färbung verleiht. Der
Veilchengeruch, den diese Alge ausströmt, besitzt unter Umständen
auch noch nach Jahren eine ziemliche Intensität.
Von den übrigen Familien dieser Ordnung wollen wir noch
die Oedogoniaceen einer eingehenderen Berücksichtigung unterziehen,
weil ihre Fortpflanzung und Entwickelungsgeschichte von besonderem
Interesse ist und man die Vorgänge dabei auch verhältnismässig
genau kennt. Die Gattung Oedogonium zeigt einfache unverzweigte
Zellfäden, in denen schon eine sehr eigentümliche Zellteilung auf-
tritt. Es bildet sich nämlich in der Zelle ein ringförmiger Wulst
von dem Stoff der Zellwand, welcher unter dem Mikroskop aller-
dings nur an beiden Seiten der Zelle sichtbar ist (Fig. 5, Ia).
Plötzlich reisst die Membran der Mutterzelle an der Stelle dieses
Wulstes auf und die Zelle streckt sich um das Doppelte in die
Länge, der Wulst verschwindet, indem er zu einer anfangs sehr
dünnen Zellwand für das neuzugewachsene Zellstück wird (Nr. 1).
Erst dann bildet sich zwischen der alten und der neuen Zellhälfte
eine Scheidewand. Der Riss der Mutterzellmembran bleibt übrigens
56 Die Algen.
dauernd sichtbar und oft sieht man Zellen, die ein förmliches
Schraubengewinde zu tragen scheinen. Die ungeschlechtliche Fort-
pflanzung geschieht in der Weise, dass sich der Inhalt einer vege-
tativen Zelle zusammenballt, abrundet und, indem sich die Zelle
durch einen kreisförmigen Riss (Nr. 2) öffnet, austritt. Sofort beginnt
er vermöge eines Wimperkranzes (vergl.
Nr. 3) sich zu drehen und davon-
zuschwimmen. Schliesslich setzt er sich
irgendwo fest, entwickelt eine Haftscheibe
am unteren Ende und wächst zu einem
Zellfaden aus.
Wesentlich verwickelter ist die ge-
schlechtliche Fortpflanzung und hier
kommen in einer Gattung so viel Ver-
schiedenheiten vor, wie wohl sonst im
ganzen Pflanzenreich nicht wieder. Das
Wesentliche des Vorganges ist, dass eine
ruhende weibliche durch eine bewegliche
männliche Fortpflanzungszelle durch Ver-
schmelzung befruchtet wird. Die Ver-
schiedenheiten werden durch die Art
der Entwickelung der männlichen Zelle
bewirkt. Wir wollen dabei einen der
Fälle ins Auge fassen und auf die
beobachteten Abweichungen hinweisen.
Die männlichen Zellen entwickeln sich
in Antheridien, welche entweder mit den
weiblichen Zellen in demselben Faden
Fig. 5. entstehen (monoecische Arten) oder in
Entwickelung von Oedogonium pesonderen Fäden (dioecische Arten),
(vergl. Text).
welche wiederum entweder normal sind
und neben den Antheridien auch gewöhnliche vegetative Zellen
enthalten, oder nur aus wenigen Zellen von abweichender Gestalt
bestehen und dann als sogenannte Zwergmännchen sich auf den
weiblichen Zellen oder in der Nähe derselben finden (Nr. ıd). Diese
Die Algen. 57
Zwergmännchen entwickeln sich aus Schwärmsporen, welche ähnlich
wie die ungeschlechtlichen gebildet werden und diesen auch ganz
ähnlich, nur etwas kleiner sind. Diese Schwärmsporen schwärmen
eine Zeit lang umher, setzen sich dann in unmittelbarer Nähe der
weiblichen Organe fest und werden zu den Zwergmännchen, welche
mit oder ohne eine etwas längere Fusszelle eine geringe Anzahl
flach scheibenförmiger Zellen, Antheridien, entwickeln, in denen je
zwei männliche Fortpflanzungszellen „Spermatozoiden“ entstehen
(Nr. Aa, b).
Die weiblichen Geschlechtsorgane, Oogonien, sind runde, an-
geschwollene Zellen, welche zwischen den vegetativen liegen (1 ce).
Zur Zeit ihrer Empfängnisfähigkeit bildet sich ebenso wie bei den
vegetativen Zellen ein kreisförmiger Riss und die Zelle klappt auf;
es tritt jedoch noch eine sehr dünne gewölbte mit einem kleinen
Loch versehene Membran (1 e) hervor, welche die Eizelle abschliesst.
Zu gleicher Zeit öffnet sich das Antheridium und entlässt die
Spermatozoiden, von denen eins durch das Loch der erwähnten
zarten Membran schlüpft und unter bohrender Bewegung sich mit
dem Ei vereinigt. Hierauf umgiebt sich die Eizelle mit einer
starken oft stacheligen Membran (5) und macht eine Ruheperiode
durch. Wenn es zur Keimung kommt, reisst die Sporenmembran
durch und der in eine Schleimhülle gebettete Inhalt tritt hervor,
um sich in vier Schwärmzellen zu teilen (6), welche ausschwärmen,
sich nach einiger Zeit festsetzen und neue Oedogonienfäden ent-
wickeln. So kompliziert ist die Entwickelungsgeschichte eines so
einfachen Wesens!
Wir konnten bei dem geringen zu Gebote stehenden Raum
nur einzelne interessante Vorgänge eingehender betrachten, aber
wenn auch wesentlich anders, finden sich nicht minder verwickelte
Prozesse bei anderen Gattungen, wie Sphaeroplea und Coleochaete,
die hier übergangen werden müssen.
Br a DE zen U u erh ae mu ala in 7 Zr dan
58 Die Algen.
4. Die Rhodophyceen.
Nur ein überaus kümmerliches Bild von der farbenprächtigen
Algengruppe wird uns durch die wenigen Vertreter des süssen
Wassers zu teil, und diese sehen oft noch nicht einmal rot aus
sondern braun, schwärzlich, violett oder grün. Die in schnell-
fliessenden Gebirgsbächen auftretende Gattung Zemanea zeigt Formen,
die man äusserlich feinen im Wasser geschwärzten Würzelchen ver-
gleichen möchte, Batrachospermum, schleimige reich verzweigte
Fadenmassen von sehr zierlichem Aussehen unter dem Mikroskop
und meist blaugrüner oder grauvioletter Farbe, Chantransia, deren
Arten vielleicht nur Jugendzustände von Datrachospermum sind,
ist der vorigen Gattung ähnlich, nur weit einfacher gebaut und nur
Hildebrandtia zeigt leuchtend purpurrote Überzüge auf Steinen.
Das sind, von einigen sehr seltenen abgesehen, unsere Süsswasser-
gattungen.
Bei den Rhodophyceen finden sich zweierlei Arten der Fort-
pflanzung, eine ungeschlechtliche und eine geschlechtliche. Die
erstere findet in der Weise statt, dass sich gewöhnlich vier in
Tetraden zusammen liegende Zellen zu Sporen (Tetrasporen) um-
bilden. Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung bilden sich weibliche
Zellen (Carpogonien) und männliche rundliche Fortpflanzungszellen,
welche beide unbeweglich sind. Das Carpogon entwickelt noch
einen Halsteil (Trychogyne), an welchen die männlichen Zellen vom
Wasser herangespült werden, festhaften und die Befruchtung voll-
ziehen. Hierauf sprossen aus dem Carpogon Zellfäden, welche an
ihrem Ende ebenfalls unbewegliche Förtpflanzungszellen abgliedern,
diese keimen dann und entwickeln neue Pflänzchen. Bei unseren
Süsswasserarten sind diese Vorgänge aber noch nicht ganz erforscht,
und da dieselben gegenüber den anderen Algengruppen an Zahl
und Formenreichtum weit zurückbleiben, so mag dieser kurze Hin-
weis genügen.
Die Algen. 59
Den Algen nahestehend, aber höher entwickelt und in manchen
Punkten den höheren Kryptogamen ähnlich, tritt uns noch eine
seltsame Gruppe echter Wassergewächse in den Armleuchtern
oder Charen entgegen. Die Armleuchter unterscheiden sich von
den Algen durch die grosse Regelmässigkeit ihres Aufbaues sowie
durch die hochentwickelte Fortpflanzung. Sie bilden in der Regel
kleine Büsche von wenigen Stengeln, welche oft reich verzweigt sind
und in gewissen Abständen quirlständige, wieder mit einfacheren
Blättchen versehene „Blätter“ tragen. An den Blättern (bei einer
Gattung auch in den Blattachseln) stehen die Fortpflanzungsorgane:
die weiblichen Sporenknöspchen, die männlichen Antheridien genannt.
Die Sporenknöspchen bestehen aus einer Eizelle und fünf schlauch-
förmigen Hüllzellen, welche die erstere umgeben und an der Spitze
noch bei den eigentlichen Charen je eine, bei den Nitellen je zwei
zu einem fünf- oder zehnzelligen Krönchen zusammentretende
Zellen abgliedern. Ist. die Eizelle empfängnisfähig geworden, so
fällt das Krönchen ab oder die Zellen desselben weichen auseinander,
so dass die männlichen Fortpflanzungszellen freien Zutritt zu den
weiblichen erhalten. Die männlichen Fortpflanzungszellen (Spermato-
zoiden) sind spiralig gewundene Fäden, welche an ihrem vorderen
Ende zwei lange Geisseln tragen und denen höherer Kryptogamen,
besonders denen der Torfmoose ausserordentlich ähnlich sind. Sie
entstehen in sehr kompliziert gebauten Antheridien von roter Farbe
und kugeliger Gestalt. Bei der Befruchtung dringen die aus dem
klappenförmig aufspringenden Antheridium ausschwärmenden Sper-
matozoiden in das Sporenknöspchen durch die auf oben angegebene
Weise entstandene Öffnung ein und verschmelzen wahrscheinlich
mit der Eizelle; das letztere hat man noch nicht beobachtet.
Hierauf umgiebt sich die Eizelle mit einer holzigen Schale, auch
häufig noch mit einem Kalkmantel und macht eine oft jahrelange
Ruheperiode durch, ehe sie keimt. Aus der Spore entwickelt sich
zunächst ein sehr einfacher Vorkeim, der nach unten feine, einfache,
weisse Fäden aus langgestreckten Zellen, Wurzeln, entsendet, nach
oben einen grünen Stengel entwickelt, welcher nur einen sehr ein-
fachen Blattquirl trägt. An Stelle des einen Blattes in diesem
60 Die. Algen.
Quirl tritt der Stengel der eigentlichen Charenpflanze auf, welche
zwar sehr einfach, aber sehr regelmässig gebaut ist. Zwischen je
zwei Blattquirlen tritt eine einzige oft sehr lange und dicke Zelle,
die Internodialzelle, auf, dann folgt eine flache und darauf wieder
eine Internodialzelle. Diese erleiden ausser weiterem Wachstum
keine Veränderung mehr, während die erwähnte flache Zelle sofort
wieder eine Anzahl Zellen an ihrer Peripherie bildet, aus denen
die Blätter entstehen. An den Blättern wiederholt sich derselbe
Wechsel zwischen Internodial- und Knotenzellen und die letzteren
gliedern wieder peripherische Zellen ab, aus denen dann die stets
einzelligen Blättchen entstehen. Aus den Knoten der Stengel und
Blätter entsteht auch ihre Berindung, indem schon in sehr jugend-
lichem Alter der Sprosse vom Knoten aus aufwärts und abwärts
eine Anzahl röhrenförmiger Zellen wachsen, welche ungefähr in der
Mitte des Internodiums zusammentreffen und dasselbe rings um-
hüllen. Aus gewissen kurzbleibenden Zellen der Berindung wachsen
auch manchmal Stacheln hervor, welche die Pflanze oft ganz behaart
erscheinen lassen (z. B. Chara crinıta). Bei der Gattung Nitella
fehlt die Berindung, auch die Blätter sind anders gebaut. Eine
ungeschlechtliche Fortpflanzung fehlt den Charen, nur eine vegetative
Vermehrung durch Wurzelknöllchen oder verschiedenartige aus den
Knoten hervortretende Sprosse ist vorhanden.
Ein besonderes Interesse bieten die Armleuchter durch die
Strömung des Protoplasmas in den Zellen, welche man hier
deutlicher als irgend sonst im Pflanzenreich beobachten kann, was
zumteil mit der Grösse der Zellen zusammenhängt. Diese gehören
nämlich zu den grössten überhaupt bekannten Zellen, denn sie werden
bei manchen Arten (z. B. die ersten Internodialzellen von Tolypella
prolifera) bis 20 cm lang und bis 2 mm dick. Im Innern der
bei der Grösse der Zellen dünnen Zellwand findet sich zunächst
eine eng anliegende ruhende Protoplasmaschicht, welche die reihen-
weise angeordneten Chlorophylikörner trägt. Auf diese folgt eine
Protoplasmaschicht, welche sich in einem geschlossenen, in der
Längsrichtung der Zellen liegenden Ringe bewegt und zwar so,
dass der Strom auf der einen Seite der Zelle aufsteigt, am oberen
Die Algen. 61
Ende derselben umbiegt und auf der anderen Seite wieder absteigt,
um am unteren Ende wieder umzubiegen. Die Plasmaschicht führt
eine Anzahl heller Zellkerne und kleinere Körnchen mit sich und
bewegt sich bald langsamer, bald schneller, je nach Temperatur
und Beleuchtung und wohl auch nach dem Alter der Zellen.
Besonders schön ist diese Plasmaströmung (Rotation) bei den nicht
berindeten Nitellen zu sehen, weil die berindeten Charen ausser
den Rindenzellen auch noch sehr häufig eine dicke Kalkinkrustation
zeigen, welche den Zellinhalt verdeckt. Die Plasmaströmung hat
denn auch die Gattung Nitella zu einem wertvollen Objekt für die
Pflanzenphysiologie gemacht, ohne dass man jedoch trotz vieler
Untersuchungen über diesen Punkt vollständige Aufklärung er-
halten hätte.
Die Characeen sind eine zwar artenarme aber formveränder-
liche und schwierige Pflanzengruppe, welche ziemlich isoliert im
Pflanzenreiche dasteht, von den Systematikern bald bei den Algen,
bald bei den Moosen untergebracht wird. Vielleicht ist es am
besten, sie als eigene Gruppe zwischen beide zu stellen. Sie finden
sich besonders im süssen Wasser, wo sie oft vollständig den Grund
der Seen überziehen. Einzelne Arten, so Ch. foetida, entwickeln
einen widerwärtigen Geruch, den man beim Austrocknen von Charen
bewohnter Tümpel oft auf weite Entfernungen wahrnimmt.
Von den anderen Wasserkryptogamen mögen zunächst noch
die Torfmoose erwähnt werden, welche wenigstens gewissen Wasser-
ansammlungen ihren Charakter verleihen, besonders den Tümpeln
der Hochmoore. Hier bilden sie nicht nur ein dichtes Polster
um die Wasserfläche herum, sondern fluten auch noch in dem
Wasser selbst. Sie sind von den anderen Moosen leicht durch
die eigentümliche Bildung der Blätter zu unterscheiden, denn diese
bestehen nicht wie bei den letzteren aus gleichartigen Zellen,
sondern aus grossen luftführenden weissen, schief rhombischen,
durch spiralige Leisten verdickten und mit Öffnungen nach aussen ver-
sehenen Zellen und aus dazwischen liegenden schmalen chlorophyll-
haltigen. Die Fortpflanzung der Torfmoose, wie die der Moose
62 Die Algen.
überhaupt, ist durch einen sogenannten Generationswechsel charakte-
risiert. An der Moospflanze entstehen die Geschlechtsorgane in
„Blüten“, bald männliche, Antheridien, und weibliche, Archegonien,
zusammen, bald getrennt. Im Grunde des Archegoniums findet
sich eine Eizelle, welche durch die den beschriebenen Spermato-
zoiden der Charen ähnlich gestalteten, aus den Antheridien
entstandenen Samenkörperchen befruchtet werden. Die befruchtete
Eizelle entwickelt sich zu der zweiten, ungeschlechtlichen Generation,
der Mooskapsel. Diese bringt in ihrem Innern eine Anzahl un-
befruchtete Sporen hervor, aus denen sich bei der Keimung Vorkeime
entwickeln und an diesen wieder die geschlechtliche Generation, die
Moospflanzen.
Bei den höher stehenden Farnpflanzen oder Pteridophyten,
von denen eine Gruppe, die Wasserfarne (Hydropteriden), recht
eigentliche, obwohl seltene Wasserbewohner sind, findet sich eben-
falls ein deutlich ausgesprochener Generationswechsel; nur ist hier
die geschlechtliche Generation ein unscheinbares kleines lebermoos-
artiges Gebilde, an welchem die ungeschlechtliche hochentwickelte
Pflanze, das eigentliche Farnkraut, entsteht, also ganz entgegen-
gesetzt den Moosen.
Von den bei uns heimischen Wasserfarnen ist am häufigsten
Salvinia natans, ein zierliches auf dem Wasser schwimmendes
Gewächs, welches entfernt einem Akazienblatt ähnlich ist. Die
Salvimia trägt zwei Arten von Blättern, zwei Reihen laubartige,
nach oben gekehrte und eine dritte Reihe sehr fein zerschlitzter
in das Wasser hineinragender, welche man sich schwer entschliessen
kann, nicht für Wurzelbüschel anzusehen. Viel seltener und in
Deutschland nur in Schlesien. und am Rhein heimisch ist die dort
Wasserklee oder Vierklee genannte Marsılia quadrifoliata, welche
in der That einem Stock nur Vierblätter tragenden Klees ausser-
ordentlich ähnlich ist.
Auf dem Grunde unserer Seen lebt noch eine dritte Gattung
in wenigen Arten, /soetes, welcher ebenso wie die zerstreut durch
Deutschland in Wiesengräben vorkommende Pillularia an kleine
Binsenbüsche erinnert.
Die Algen. 63
Nicht eigentlich zu den Wassergewächsen gehören die
Schachtelhalme, aber eine Anzahl Arten lieben die Ufer von
Teichen und Sümpfen und verleihen ihnen so einen bestimmten
Charakter. Damit sind die Wasserkryptogamen, abgesehen von
den Pilzen, erschöpft und wenn die höher organisierten, die Moose
und Farne, vermöge ihrer Grösse weit mehr in die Augen fallen
und die Flora eines Wassers mehr zu bestimmen scheinen, so
verschwindet ihre Zahl doch gegen den Reichtum an Formen, und
an Schönheit gegenüber den mikroskopischen Algen.
Litteratur.
Für Süsswasseralgen sind folgende allgemeine Werke von
besonderer Wichtigkeit:
ı. Rabenhorst, Flora Europaea Algarum aquae dulcis et sub-
marinae.
1}
. Kützing, Species Algarum.
en Tabulae phycologicae.
. De Toni, Sylloge Algarum (bis jetzt Chlorophyceen erschienen).
Hansgirg, Prodromus.
Kirchner, Algenflora von Schlesien.
on eo
. Falkenberg, Algen in Schenk, Handbuch der Botanik.
Für Diatomeen sind eine grosse Anzahl, aber meist sehr teuere
Werke erschienen, dem Anfänger mögen Rabenhorsts Süsswasser-
diatomeen (mit ıo Tafeln) genügen. Um die mikroskopische Technik
zu erlangen, studiert man am besten Strassburgers Botanisches
Praktikum (1884).
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Zur Biologie
der phanerogamischen Süsswasserflora.
Von Prof. Dr. Friedrich Ludwig.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I.
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Di Beziehungen der Pflanzenwelt zu ihrer belebten und
unbelebten Umgebung sind so mannigfaltige, die Anpassungen so
ungeahnt bis ins einzelne gehend, dass trotz der grossen Zahl
der Forscher, die sich in der Gegenwart auch hier, wie auf allen
Gebieten geistiger Arbeit, zusammengefunden haben, um diese
Beziehungen aufzudecken, fortgesetzt neue Entdeckungen zu ver-
zeichnen, neue Fragen zu beantworten, neue Probleme zu lösen
sind. Wir erinnern nur an die merkwürdigen gegenseitigen An-
passungen der beiden grossen Familien der Feigen und der Feigen-
wespen il), an die Ameisenpflanzen ?), die Milbenpflanzen mit ihren
Milbenhäuschen (Acarodomatien) 3), die mannigfachen Eigenschaften,
welche die Pflanzen im Zusammenleben mit den Schnecken und
anderen omnivoren niederen Tieren und als Schutz gegen dieselben
erhalten haben 4), an die höchst eigentümliche Art der Ernährung
unserer Waldbäume und vieler anderen Pflanzen durch die Ver-
mittelung der Pilze (Mycorrhizen der Cupuliferen, Ericaceen etc.),
die Stickstoffernährung der Hülsenfrüchtler durch die Wurzelknöllchen
bildenden Bacillen (Bacillus radicicola Beyerinck, Franks Rhizobium),
an die fleischverdauenden Pflanzen, an die Beziehungen zwischen
gewissen Wirts- und Schmarotzerfamilien und -Arten, wie sie z. B. bei
der Gruppe der Rostpilze so mannigfach zu Tage treten (die Gattung
Phragnmudium ist auf die Rosaceen, die Ravenelia auf Leguminosen
beschränkt, Gymmosporangium bildet die erste Generation nur auf
Pomaceen, die zweite und dritte auf Coniferen aus etc.), — der grossen
Kapitel von den Anpassungen der Blumen und Blüten an Insekten,
5*
Dr Zu
68 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Vögel, Wind etc., von den Verbreitungsmitteln der Früchte und
Samen, den Schutzmitteln gegen allerlei schädigende Einflüsse, die
ganz besondere Bearbeitung gefunden haben, nicht zu gedenken.
Immerhin hat man eine stattliche Anzahl solcher Beziehungen der
Pflanzen zu der übrigen organischen und unorganischen Welt auf-
gedeckt, die Fäden gefunden, welche die verschiedensten Natur-
körper einheitlich verknüpfen, zu einem Naturganzen zusammen-
schlingen — soweit es sich um Landtiere und Landpflanzen handelt.
Nicht so weit ist man in die Lebensgeheimnisse der Wasserwelt
eingedrungen. |
Das Pflanzenleben im Wasser ist doch an ganz andere
Bedingungen geknüpft. Luft und Erde mit ihren Organismen und
unorganischen Bestandteilen sind es allein, mit und in welchen
die gewöhnliche Landpflanze zu leben hat. Eine dritte Hülle
unseres Planeten, die Wasserhülle, mit all ihren abweichenden
physikalischen und chemischen Eigenschaften, mit einer ganz
anderen Lebewelt, die teils der Pflanze von Nutzen ist, teils von
ihr abgewehrt werden muss, ist das Element der Wasserpflanzen.
Dazu kommt, dass auch das Luftmeer über dem Wasser und der
Erdboden unter dem Wasser andere physikalische Eigenschaften
und ein anderes Tierleben besitzt als Luft und Boden im Trocknen.
Das grössere spezifische Gewicht des Wassers macht gewisse Ein-
richtungen der Landpflanzen, welche der Festigung dienen, überflüssig,
indem das Wasser einen guten Teil der Last der Pflanzenorgane
bei Wasserpflanzen trägt. Das Verhalten des Wassers zur Wärme ist
der Pflanzenwelt besonders günstig. Die Temperaturveränderungen
erfolgen allmählich, nicht plötzlich wie die der Luft und des
trocknen Bodens, und vermöge seiner Eigenschaft, bei + 47%
den kleinsten Raum einzunehmen oder die grösste Dichtigkeit zu
haben, gefriert das Wasser nur an der Oberfläche, in der Tiefe
eine Temperatur von über 0° bewahrend, welche auch dem Boden
der Gewässer zu gute kommt. Im Wasser, am und im Boden der
Gewässer, können daher Gewächse überwintern, welche am Lande
im Winterfrost zugrundegehen würden. Daher sind auch die
eigentlichen Wasserpflanzen ausdauernd, mit Ausnahme der ufer-
A 0!
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 69
bewohnenden Tännelarten (Zlatine) und des Nixenkrautes
(Najas flexilis und minor); und auch von solchen Arten, die in
einer besondern einjährigen Landform vorkommen, wie dem Wasser-
hahnenfuss, dem schwimmenden Igelkolben etc., ist die
Wasserform ausdauernd, auch im Winter flutend.
Die Löslichkeit für die Bestandteile der atmosphärischen Luft
ist eine ungleiche und das Wasser nimmt von ihnen nur 2—3 0/o
Sauerstoff auf, während das Luftmeer davon etwa 21 0/0 ent-
hält; dagegen hat das Wasser einen hohen Kohlensäuregehalt,
auch die Bodengase haben eine wesentlich andere Zusammen-
setzung auf dem Wassergrund als am Lande. Schliesslich sind die
Beleuchtungsverhältnisse im Wasser, das einen guten Teil der
Sonnenstrahlen absorbiert, andere als in der Luft.
Diese und ähnliche Verhältnisse müssen in dem Bau und der
Entwickelung der Wasserpflanzen zum Ausdruck gekommen sein und
thatsächlich werden uns die wesentlichsten Unterschiede zwischen Land-
und Wasserpflanzen von diesem Gesichtspunkte aus verständlich.
Von vornherein ist im Wasser ein fünffaches Pflanzenleben
denkbar: ı. Das Leben im Boden der Gewässer (Schlammpflanzen).
2. Das Leben in Boden und Wasser (submerse Wasserpflanzen
mit Wurzeln). 3. Das Leben im Wasser (nichtwurzelnde submerse
Wasserpflanzen). 4. Das Leben in Wasser und Luft (nichtwurzelnde
Schwimmpflanzen und nichtwurzelnde submerse Pflanzen, welche
ihren Blütenstand über Wasser zur Entwickelung bringen) und
5. Das Leben in allen drei Medien zugleich (wurzelnde Pflanzen,
welche ihren Blütenstand über Wasser entwickeln und die eigent-
lichen Sumpf- und Uferpflanzen). Von Schlammpflanzen, welche
in dem an toter organischer Substanz reichen, lockeren, auch im
Winter nicht gefrierenden Boden unserer Gewässer leben, sind bisher
wohl nur die niedersten Pilzformen bekannt geworden, welche aber
zumteil bedeutende Veränderungen an der Erdoberfläche hervor-
gebracht haben und die Zusammensetzung der Nährstoffe für die
phanerogamischen Süsswassergewächse nicht unwesentlich beeinflussen.
Erinnert sei an die Spaltpilze der Cellulosegärung (Bacıllus Amylo-
bacter etc.), die Bildner des Sumpfgases, durch dessen Wirkung
70 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
der Gips unter Entwickelung von Schwefelwasserstoff in kohlen-
sauren Kalk umgewandelt wird, ferner an die „Schwefelbakterien“
(Beggiatoa, Clathrocystis rosea-persicina, Ophidomonas etc.), welche
. den Schwefelwasserstoff der Cellulosegärung zu Schwefel, den sie
in Form kleiner amorpher Kügelchen in der Zelle aufspeichern,
und letztern sodann zu Schwefelsäure oxydieren. Durch die letztere
verwandeln sie die Karbonate wieder in Sulfate und geben freie
Kohlensäure an das Wasser ab. Auch die von Winogradski als
„Eisenbakterien“ bezeichneten Bildner des Sumpf- und Wiesen-
erzes u. a. gehören hierher’).
Die phanerogamischen Wassergewächse gehören den übrigen
Abteilungen an, deren Lebensverhältnisse, soweit sie sicher bekannt
sind, im folgenden an einigen ausführlicheren Beispielen etwas ein-
gehender behandelt werden sollen.
Die submersen (untergetauchten) Wasser-
pflanzen.
Die Ernährung der Landpflanzen geht bekanntlich im grossen
und ganzen in der Weise vor sich, dass das Wasser des Bodens
mit den darin gelösten Nährsalzen von der Wurzel nach den
chlorophyllhaltigen Geweben des Blattes emporgehoben und mit
der aus der Atmosphäre durch die Blätter aufgenommenen Kohlen-
säure zu den ersten organischen Verbindungen (Stärke etc.) ver-
arbeitet, „assimiliert“ wird. Die Bewegung des Wassers wird dabei
wesentlich durch die an der Blattfläche, besonders auch durch die
in den Spaltöffnungen der untern Blattseite stattfindende Verdun-
stung und hierdurch ausgeübte Saugkraft auf die darunter gelegenen
Elemente bewirkt. Dieser „Transspirationsstrom“ geht durch die
Gefässe von der Wurzel durch die Hauptachse zu den seitlichen
Auszweigungen und den Blättern an ihnen, während die Kohlen-
säure durch die Spaltöffnungen in das „Schwammparenchym“ des
Blattes gelangt. Das Blatt zeigt in der Regel unter chlorophyli-
freier Epidermis oben das zu den Beleuchtungsverhältnissen in der
Luft in Beziehung stehende sogenannte Pallisadengewebe, unten,
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 21
innerhalb der von den Spaltöffnungen durchsetzten Epidermis, das
Schwammgewebe mit den Atemhöhlen.
Bei den submersen Wasserpflanzen kommt dieser
Transspirationsstrom, mit ihm der strenge Gegensatz
von Haupt- und Nebenachse und das Hervortreten der
Gefässe in Wegfall.
Die Spaltöffnungen fehlen den untergetauchten
Blättern. Die Aufnahme der im Wasser gelösten Kohlen-
säure sowohl, wie der anorganischen Nährsalze, geschieht direkt
durch die dünnwandige chlorophylihaltige Epidermis6).
Die Wurzeln dienen in der Hauptsache da, wo sie vorhanden
sind, als Haftorgane, haben ihre Rolle der Nahrungsaufnahme
verloren (besitzen keine Wurzelhaare mehr etc.), in vielen Fällen
fehlen sie jedoch gänzlich. Da die ganze grüne Blattmasse an
ihrer Oberfläche durch Diffusion die Aufnahme der flüssigen Nah-
rung und den Gasaustausch besorgt, muss bei ihr das Prinzip
der äussern Oberflächenvergrösserung durch tiefgehende
Zerteilung und Verzweigung, das den Grundbau der ganzen
höhern Pflanze (Verzweigung von Wurzel und Stamm) im Gegen-
satz zu dem der höheren Tiere beherrscht, besonders zur Geltung
kommen. Spaltet man einen Würfel oder einen andern Körper
fortgesetzt, so kann man bekanntlich, ohne das Gesamtvolumen zu
ändern, die Oberfläche bis zu jeder beliebigen Flächengrösse hinauf
wachsen lassen. Derartig ist auch die Vergrösserung der mit der
spärlichen Sauerstoffmenge im Wasser haushaltenden Atmungsorgane
(Kiemen) unserer Wassertiere. Thatsächlich ist nun den submersen
Wasserpflanzen mit wenigen Ausnahmen und nicht allein ihnen,
sondern auch den untergetauchten Wasserblättern der Pflanzen der
vierten und fünften Gruppe eine weitgehende Zerschlitzung des
Blattes bis zu feinen haar- oder borstenförmigen Abschnitten
gemein. So z. B. den Arten des Hornblattes (Ceratophyllum),
des Tausendblattes (Myriophyllum), des Wasserschlauches (Utricu-
larıa), der Sumpffeder (Fottonia), der Aldrovandie. So sind wenig-
stens die untergetauchten Blätter haarförmig fein geteilt bei den
Wasserhahnenfussarten (Batrachmm), bei der Rebendolde (Oenanthe
72 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Phellandrium etc... In anderen Fällen sind die dünnen Blätter
zwar einfach, aber schmallinealisch, so z. B. bei der Wasserpest
(Elodea), der Vallisnerie (Vallisneria spiralis), den Wassersternen
(Callitriche) u. a. Die feine Zerteilung etc. sichert zugleich das
Blatt vor einem Zerreissen durch Wasserströmungen und Wassertiere.
Betrachten wir des weitern die untergetauchte Wasserpflanze
in ihren Beziehungen zu ihrer Umgebung an einigen besonderen
Beispielen.
Das Gemeine Hornblatt (Ceratophyllum demersun:) ist eine
in Teichen, langsam fliessenden Gewässern und am Rande von
Seen weit verbreitete, wurzellose, frei im Wasser flutende Art mit
quirlig stehenden, wiederholt gabelspaltigen, feingeteilten Blättern an
verzweigtem runden Stengel, der an der Spitze fortwächst, vom
untern Ende aus absterbend. Es ist die einzige Pflanzen-
gattung des Süsswassers, welche streng hydrophil ist,
d.h. zur Übertragung des Pollens vom Staubgefäss zur Narbe des
Stempels des Wassers bedarf, während von Meerespflanzen eine
Anzahl hydrophiler Pflanzen bereits seit längerer Zeit bekannt ist.
Als ich vor zehn Jahren auf Veranlassung meines Freundes Hermann
Müller die Bestäubungsverhältnisse unserer Süsswasserpflanzen und
ihre Anpassungen an das Wasser und gewisse wasserbewohnende
Insekten einem eingehenderen Studium unterzog”), da war über
diese — wie H. Müller sagt — „bis dahin auffallend vernach-
lässigte Gruppe“ noch so gut wie gar nichts bekannt. Ceratophyllum
demersum (Fig. 6) zeigte mir einen in wunderbarer Weise der
Wasserbefruchtung angepassten Mechanismus. Männliche und
weibliche Blüten stehen, kaum gestielt, getrennt in verschiedenen
Blattwirteln ordnungslos durcheinander (nur scheinen zu unterst
die weiblichen Blüten zu überwiegen). Die männlichen staubgefäss-
und pollenreichen Blüten sind in beträchtlich grösserer Zahl vor-
handen, als die weiblichen. Letztere enthalten in einem anliegenden
vielzipfeligen Kelche einen ovalen Fruchtknoten mit einem den
Kelch um das vier- bis fünffache überragenden hakig nach unten.
gekrümmten Griffel, der sich nach der Spitze zu allmählich ver-
schmälert. Der letztere ist nirgends warzig, doch sondert seine
BT
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 73
ganze Unterseite einen Klebstoff ab und fungiert als Narbe. —
Der männliche Blütenstand besteht aus 12—ı6 sehr kurz gestielten
Antheren, die von einer vielteiligen Hülle umgeben sind. Die
einzelnen Teile der letztern sind linealisch, gestutzt, meist zwei-
Sme=T
2
sw
=
um
=;
u
Te
6%
Fig. 6.
Befruchtung des Gemeinen Hornblattes (Cerafophyllum demersum: a Männlicher Blüten-
stand — 5 Hüllkelch desselben nach der Entleerung — c Ein Staubgefäss (vergrössert) —
2 Auftrieb — @ Oberer Teil desselben (Auftrieb) — e Pollenkörner — / Weibliche Blüte
(schwach vergrössert) — g Griffel — %:' Narbenfläche.
dornig. Die Staubgefässe bestehen im unteren, dem kurzen Stiele
aufsitzenden Teile aus zwei seitlich sich längs öffnenden Pollen-
kammern und im oberen Drittel aus lockerem lufthaltigen Gewebe,
an der Spitze mit zwei nach der Mitte zu gekrümmten Dörnchen,
zwischen denen meist noch eine schwärzliche, mehr oder weniger
74 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
gerade höckerige Drüse sich befindet. Diese Spitzenanhängsel
des pollenerzeugenden Apparates (ebenso wie die sie einschliessenden
Dornspitzen) kommen in fast gleicher Weise an den Enden der Hüll-
blätter und Laubblätter vor (vgl. Fig. 6%). Sie sind nach neueren
Untersuchungen $) tanninhaltig und bilden nach Stahl) ein
wirksames Schutzmittel gegen Wasserschnecken, wohl
auch gegen andere Wassertieree Zur Befruchtung stehen sie
in keiner Beziehung. Anders verhält es sich mit dem aus
lockerem lufthaltigen Gewebe bestehenden Antheren-
fortsatz, den ich als „Auftrieb“ bezeichnet habe. Derselbe
macht das ganze Staubgefäss spezifisch leichter als
Wasser und treibt dasselbe, wenn es aus der Blüte los-
gelöst wird, nach der Oberfläche des Wassers. Die rund-
lichen oder länglichen nur von einer zarten Haut umgebenen
Pollenkörner haben genau das spezifische Gewicht des
Wassers, so dass sie in jeder beliebigen Tiefe suspendiert bleiben.
Dieses verschiedene spezifische Gewicht der Pollenkörner und des
gesamten pollenerzeugenden Apparates, zusammen mit dem Ver-
halten der starrblättrigen Hülle, bestimmt den eigentlichen Pollen-
transport. Die Hüllblätter haben nämlich das Bestreben,
sich nach innen zu biegen — an entleerten Blütenständen
sind sie aufrecht —, so dass die Staubgefässe zur Zeit ihrer
völligen Ausbildung keinen genügenden Platz mehr haben. Zur
Zeit der Dehiscenz werden die letzteren daher aus der Hülle
herausgepresst und schwimmen unter der Wirkung des
Auftriebes nach oben, bis sie die Wasseroberfläche erreicht
haben, oder, was häufiger geschieht, zwischen den hakigen Blättern
der oberen Stengelglieder zurückgehalten werden. Während
dieser Aufwärtsbewegung werden die Antheren entleert,
wobei die durch den Auftrieb bedingte Vertikalstellung des Staub-
gefässes besonders günstig ist, und verbreiten sich — weil vom
spezifischen Gewicht des Wassers — über den ganzen vom
pollenerzeugenden Apparat bestrichenen Raum. Wird so schon
das Wasser, in welchem Ceratophyllum wächst, überall von dessen
grossen Pollenkörnern (40—50 u breit und 50—75 w lang)
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 5
erfüllt, so kommt der Verbreitung der letzteren resp. einer Fremd-
befruchtung durch dieselben nächst den Bewegungen des Wassers
selbst und den passiven Bewegungen des Ceratophyllum durch
Wassertiere ein anderer Umstand zu statten — die Eigen-
bewegung des Ceratophyllumstammes, die besonders in
ruhigem, stehendem Wasser (in welchem ich meine Beobachtungen
anstellte) nicht unterschätzt werden darf. * Dieselbe wurde zuerst
von E. Rodier?) nachgewiesen. Die jungen (blütentragenden)
Internodien haben eine vom Lichte unabhängige, kompli-
zierte Bewegung, welche einen besonderen Fall der Darwinschen
Circumnutationen 10) darstellt, sich aber von der Mehrzahl dieser
durch die Weite und die verwickelte Art der Bewegung unterscheidet.
Im allgemeinen biegen sich die Stämme früh von rechts
nach links und am Nachmittag in entgegengesetzter
Richtung. Zuweilen werden in sechs Stunden Winkel von 200°,
in einem Fall wurde sogar in drei Stunden ein Winkel von 220°
zurückgelegt. Zudem führen die Zweige um ihre Wachstumsachse
Torsionsbewegungen aus. Die Biegung der Stämme ist schliesslich
eine ganz eigentümliche, sie beginnt an der Spitze und pflanzt
sich von da in abnehmender Stärke nach unten fort, während
die Rückwärtsbewegung unten beginnt und oben endigt,
so dass die letzten Internodien kurz vor ihrer Zurückbewegung
zuweilen mit der Achse einen spitzen Winkel bilden. Berücksichtigt
man noch, dass der Pollen in ausserordentlich reichlicher Menge
erzeugt wird, so dürfte nach alledem eine erfolgreiche Fremd-
befruchtung der — wie ich glaube etwas vor den Antheren ent-
wickelten — weiblichen Blüten gesichert sein. — Herm. Beyert!)
spricht von einer gleichzeitigen Bewegung der weiblichen Blüten
nach der Oberfläche, an welcher der vorher nicht entleerte Teil
des Pollens umherschwimmt, doch habe ich eine solche Bewegung
nicht wahrgenommen.
Die eigentümliche Befruchtungsweise der Ceratophyllumarten
(bei den übrigen deutschen Arten C. submersum und C. platya-
canthum wird sie in gleicher Weise angegeben) steht allem
Anschein nach in der Mitte zwischen der der Seegräser einer-
N 3 bb am BETT NE Fa
76 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
und der Hydrocharidaceen anderseits. Bei den Seegräsern
(Zostera, Cymadocea, Halodule etc.) besteht der Pollen aus
algenähnlichen bis zwei Linien langen Schläuchen, welche,
vom spezifischen Gewicht des Wassers, direkt in dieses entleert
werden und von den band- oder hakenförmigen Narben
aufgefangen die Befruchtung bewirken; auch bei dem
Nixenkraut /(Najas),» dessen Blütenverhältnisse Jönssen und
Magnus näher studiert haben, kommen ähnliche Verhältnisse vor;
die Pollenkörner sind aber hier nach Jönssen durch ihren Gehalt
an Stärkekörnern schwerer als das Wasser und sinken nach unten,
um von den Fangapparaten der tiefer sitzenden weiblichen Blüten
aufgefangen zu werden (man vergleiche aber die diese Auffassung
berichtigende Bemerkung von Magnus, nach dem erst die ausge-
keimten Pollenkörner verbreitet werden). Durch den Mangel der
Exine, der äusseren schützenden und oft mit Stachelfortsätzen
besetzten Haut der Pollenkörner und das hohe spezifische
Gewicht der letzteren stehen die Hornblattgewächse diesen
submers blühenden Seegräsern nahe, während sie durch die sich
loslösenden aufsteigenden Staubgefässe an die Hydrochari-
deen erinnern. Von letzteren ist die Vallisnerie (Vallısneria
spiralis), die seit JAhrhunderten bekannte und schon vielfach poetisch
und prosaisch geschilderte Wasserblume,‘ wie eine im indischen
Ozean heimische Verwandte (Znhalus acoroıdes), am charakte-
ristischsten. Die ganzen männlichen Blüten lösen sich los und
schwimmen während der Dehiscenz an der Wasserfläche
umher, während die weiblichen Blüten auf langem
schraubenförmigen Stiele die Oberfläche erreichen, um
hier von den im Winde hin und her getriebenen Staubblüten die
Pollenkörner aufzunehmen. Nach geschehener Befruchtung schraubt
sich ihr Stiel wieder auf den Boden zurück, um hier die Früchte
zu reifen. Auch bei der Wasserpest (Zlodea canadensıs), deren
weibliche Form im Jahr 1836 nach Irland kam12) und sich von
da aus mit anfangs erschreckender Schnelligkeit überall in Europa
ausbreitete, steigen in der nordamerikanischen Heimat die männ-
lichen Blüten zur Höhe, um an der Oberfläche ihre Pollenmassen
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 77
in die auf gestrecktem Fruchtknoten an die Oberfläche gelangten
Stempelblüten auszuschütten. Bei Zyarilla verticillata, einer ein-
heimischen Verwandten der Elodea, ist der Bestäubungsvorgang noch
nicht ermittelt, wohl aber ein ähnlicher. Bei der Verwandten unseres
Laichkrautes, der Meerstrands-Ruppie (Ruppia spiralıs), streckt
sich der Stiel des weiblichen Blütenstandes ähnlich wie der Blüten-
.stiel der Vallisnerie schraubig zur Oberfläche, aber nur die aus den
Antheren austretenden Pollenkörner gelangen infolge ihres geringen
spezifischen Gewichtes zur Oberfläche, um dort herumschwimmend
die weibliche Narbe zu erreichen.
Die Verbreitung der hakigen Früchte der Hornblattarten
geschieht ohne Zweifel durch Wassertiere (Wasservögel, Wasser-
ratten etc.), wie auch die leicht zerbrechlichen Zweige, die durch
Fische und andere, auch über Land wandernde Tiere abgebrochen
und an ihren hakigen Blättern verschleppt werden, leicht und schnell
weiterwachsen, so dass in manchen Gegenden das Hormblatt eine
der Wasserpest ähnliche Verbreitung erreicht hat.
Zwei weitere submerse Wasserpflanzen, der Wasserschlauch
(Utricularıa) und die ihm biologisch verwandte Aldrovandıa, ver-
dienen nach den Hornblattgewächsen ohne Zweifel zunächst unsere
Beachtung.
Die Blasenpflanze (Aldrovandıa vesiculosa), deren eigent-
liche Heimat die Gewässer des Südens von Südfrankreich und
Italien bis Indien und Australien sind, findet sich zerstreut in
Vorpommern, der Mark Brandenburg und Schlesien, ferner
in den Etschsümpfen bei Bozen in Tirol und im Bodensee. Der
submerse dünne Stengel wird kaum 30 cm lang und verästelt sich
wenig; er ist dicht mit wirtelständigen Blättern besetzt, deren Stiel
gegen das Ende breiter wird und in vier bis sechs steifen Vorsprüngen
mit kurzen Borsten endet. Die dazwischen befindliche Spreite selbst
erscheint, wenn sie geschlossen, blasenförmig. Abgesehen von den
blasigen Blättern erinnert die Aldrovandie im Habitus an das Cerato-
phyllum; die starren Blattstacheln des letzteren sind wohl auch der
Funktion nach den spitzen Seitenfortsätzen am Grunde der
Aldrovandiablasen gleich. In einer anderen Hinsicht steht aber
a er Tr ia
78 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
die letztere der prächtigen Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula)
sehr nahe, ja sie kann als eine kleine im Wasser wachsende
Dionaea bezeichnet werden. Es ist bekannt, dass diese hübsch
blühende Sumpfpflanze Carolinas (Fig. 7), welche in unseren Ge-
wächshäusern nicht selten zu finden ist, auf breitem Blattstiel ein
zweilappiges Blatt trägt, dessen Teile klappenartig zusammenschlagen,
wenn sich ein Tier auf die Blattfläche setzt. Der Londoner Kauf-
mann Ellis, welcher die Dionaea benannte, hatte bereits beobachtet,
dass auf jeder der beiden Blatthälften drei starre Haare
befindlich sind, und gemeint, dass beim Zusammenschlagen des
Blattes, dessen Randstacheln dann den Fingern der zum Gebet
Blatt der Venusfliegenfalle (Dronaea muscipula).
gefaltenen Hände ähnlich ineinandergreifen, Fliegen nicht nur ge-
fangen, sondern durch die sechs messergleichen Spitzen durchbohrt
würden, wie einst die Verbrecher von der „eisernen Jungfrau“ in der
Folterkammer zu Nürnberg. Dies war ein Irrtum. Später fand man,
dass die sechs Spitzen die Tentakeln des Blattes sind, deren Be-
rührung ein ausserordentlich schnelles Schliessen des ganzen Blattes
zur Folge hat, die aber selbst dabei den Klingen eines Taschenmessers
ähnlich sich zusammenlegen. Das Blatt der Dionaea selbst
kann man zwicken, stechen, schütteln, mit Wasser über-
giessen, ohne dass es sich bewegt, stösst man aber einen
der sechs Tentakeln mit einem Strohhalm leise an, so
schliesst sich das Blatt im Nuß3). Wie bei uns Fliegen
gefangen werden, so werden in der Heimat an dem natürlichen
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 79
Standort der Dionaea auch zahlreiche grosse und kleine Käfer,
Spinnen, Skolopender gefangen und — verzehrt; denn die Wissen-
schaft hat nunmehr unumstösslich festgestellt, dass die Dionaea und
ihre ganze Sippe der Sonnentaugewächse, nebst einer Reihe
anderer Familien „Fleischfresser“ sind, Tiere fangen, durch
Ausscheidung einer unserem Magensaft ähnlichen
Flüssigkeit verdauen und die Verdauungsflüssigkeit als
Nahrung aufsaugen.
Fig. 8.
Blasenpflanze (.Aldrovandıa vesiculosa). a Ganze Pflanze (nach Schlechtendal-Schenk) —
5 Blattwirtel (vergr.) — c Offenes, flachgedrücktes Blatt (# und c nach Cohn-Darwin).
Bei den Landsonnentaugewächsen bewegen sich nur die Blatt-
drüsen, während sich bei der Dionaea das ausserordentlich reizbare
Blatt selbst bewegt. Unsere Aldrovandia (Fig. 8), die gleichfalls
zu den Sonnentaugewächsen zählt, ‚verhält sich nun, wie Stein 1873
entdeckte und hernach Cohn und andere festgestellt haben 14), ganz
wie die Dionaea. Das zweilappige Blatt, dessen Mittelrippe an der
Spitze mit einer kurzen Borste endigt, Öffnet sich bei warmem
Wetter etwas weiter, bei uns gewöhnlich aber nur so viel als die
80 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
beiden Klappen einer lebenden Muschel. Lange gegliederte
Haare auf der Mittelrippe und dem konkaven Teil der
Blattlappen sind sensitiv wie die sechs Dionaeahaare.
Eine Reizung derselben bewirkt ein augenblickliches Zu-
sammenklappen des Blattes. Larven und andere Wassertiere,
besonders Krustentiere, werden nach den Untersuchungen von Cohn
in grosser Menge gefangen und verzehrt. Neben den erwähnten
in der Nähe der Mittelrippe und auf dieser selbst befindlichen
längeren gegliederten Tentakeln ist nämlich das Blatt in
dem der Mittelrippe zu gelegenen konkaven Teile (der eigent-
lichen Oberseite des Blattes) mit gestielten farblosen Drüsen,
die denen des Dionaeablattes gleichen (aber einfacher als diese sind),
dicht besetzt (vgl. die Figur). Die Ähnlichkeit mit den entsprechenden
genauer untersuchten Verhältnissen bei der Fliegenfalle, wie auch
Versuche mit Fleischaufguss und verschiedene Beobachtungen machen
es mehr als wahrscheinlich, dass sie es sind, welche eine wahre
verdauende Flüssigkeit absondern und später die verdaute Substanz
aufsaugen. Der äussere und breitere Teil des Lappens am
Aldrovandiablatte ist flach und sehr dünn und wird nur aus
zwei Zellschichten gebildet (der konkave Teil). Seine Oberfläche
(Innenfläche) trägt keine Drüsen, aber an ihrer Stelle kleine vier-
spaltige kreuzförmige Trichome. Zwei der schräg auseinander-
laufenden Arme derselben sind gegen die Peripherie gerichtet und
zwei gegen die Mittelippe. Ein schmaler Rand des flachen
äusseren Teiles jedes Lappens ist einwärts gebogen, so dass, wenn
die Lappen geschlossen sind, die äusseren Oberflächen der ein-
gefalteten Teile in Berührung kommen. Der Rand trägt eine Reihe
sehr zarter Spitzen, welche aber nicht wie die peripherischen Spitzen
bei Dionaea Verlängerungen der Blattscheibe, sondern nur Hautgebilde
sind. Sie, wie besonders die vierteiligen Trichome, dürften
nach Darwin dazu dienen, faulende und zerfallene
tierische Substanz aufzusaugen, welche von der Konkavität des
Blattes abfliesst. Es würde, falls sich diese Ansicht bestätigt, hier
der merkwürdige Fall vorliegen, dass verschiedene Teile eines und
desselben Blattes sehr verschiedenen Zwecken dienen: der eine zu
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 81
wahrer Verdauung, ein anderer zur Aufsaugung der Fäulnisprodukte
der nicht verdauten tierischen Kadaver. Die Aussenseite des
Aldrovandiablattes ist mit schr kleinen zweiarmigen Papillen
besetzt, die den achtstrahligen über Spreite und Blattstiel ver-
breiteten Papillen von Dionaea und den Papillen auf dem Blatt
des gemeinen Sonnentaues analog sind. Für sie hat Darwın
bei Drosera nachgewiesen, dass sie nicht abzusondern, wohl
aber zu absorbieren vermögen. Sie könnten bei unserer Blasen-
pflanze die aus den Blasen ausgeflossenen Zersetzungsprodukte,
welche nicht verdaut wurden, noch aufnehmen. Haben organische
Körper den Reiz verursacht, so schliesst sich die der klaffenden
Austerschale vergleichbare Tierfalle der Aldrovandia nur auf kürzere
Zeit, 1—ı1 Tage bei den Beobachtungen von Stein, während
sie bei organischen Körpern geschlossen bleiben bis dieselben ver-
daut sind.
Eine besondere Beachtung bei der Venusfliegenfalle, wie
bei der Blasenpflanze, verdient noch die fast momentane
Schliessbewegung der Blattklappen, die auch in der Tentakel-
bewegung einiger exotischen Sonnentauarten beobachtet worden
ist. Von zwei australischen Sonnentauarten (Drosera pallıda und
Drosera sulfurea) wie von einer indischen (D. Zunata) und mehreren
afrikanischen Spezies (besonders von D. frinervis) wird berichtet,
dass sie ihre Blätter mit grosser Rapidität über Insekten schliessen.
Bei unserer einheimischen Drosera anglıca Huds. hat v. Kling-
graeff15) sogar beobachtet, dass sich mehrere Blätter an dem
Fang grösserer Tiere zugleich beteiligen, eine Beobachtung, die ich
nach den Befunden an getrockneten Exemplaren einer australischen
Spezies (dieselbe wurde mir als D. Dinata übersandt, weicht aber
von der von Darwin behandelten Spezies durch nur einfach ge-
gabelte Blätter ab) auch für diese glaube behaupten zu können.
H. von Klinggraeff schildert einen derartigen Fang eines Schmetter-
lings in folgender Weise: ... „Nach kurzer Zeit bogen sich mehrere
Tentakeln zusammen und klemmten den das Blatt berührenden
Aussenrand des Unterflügels ein, hielten ihn so fest, dass bei dem
heftigen Flattern derselbe einriss, der Schmetterling sich aber nicht
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 6
82 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
befreien konnte. Bei dem Flattern wurde ein anderes Blatt mit
dem Öberflügel berührt und, jedenfalls dadurch gereizt, bog sich
dasselbe langsam gegen den Schmetterling hin, bis es den Körper
desselben erreichte und umschlang. Während dessen hatte auch
das erste fangende Blatt sich um den Schmetterling geschlungen,
so dass dessen Bewegungen zuletzt ganz aufhören mussten. Meistens
sah ich Schmetterlinge, die nur von zwei Blättern umschlungen
waren, an einigen Exemplaren jedoch nahmen drei, auch vier
Blätter an der Umschlingung teil“. Die zahlreichsten Opfer waren
immer Papilio Daplidice, wie man sich auch an den vielen am
Boden liegenden auf der Unterseite grünlich marmorierten Flügeln
überzeugen konnte, dann P. Rapae, auch von einem muskelkräftigen
Perlmutterfalter, Argynnıs Latonia, wurde ein Exemplar gefangen.
Diese Bewegungen der ganzen Blätter wie auch der Tentakeln
nach der gereizten Stelle hin bei den Sonnentauarten sowohl, wie die
rapiden Bewegungen der Fliegenfalle und Aldrovandia, geschehen
durch eine eigentümliche Fortleitung des Reizes — die
nach der hübschen Entdeckung Darwins unter dem Mikroskop durch
die Zusammenballung („Aggregation“) des roten Saftes von
Zelle zu Zelle direkt beobachtet werden kann. Der Aggre-
gation gehen indes, wie Burdon-Sanderson, durch Darwin
veranlasst (1874), aufgefunden hat, elektrische Ströme voraus.
Das ungereizte Blatt ist oben positiv, unten negativ elektrisch, bei
der Reizung wird jedoch ein umgekehrter Strom erzeugt. Bezüglich
der sonst sehr komplizierten elektrischen Erscheinungen, welche den
Reiz des Dionaeablattes fortleiten und auch bei den Sonnentau-
arten etc. eine wichtige Rolle spielen, sei hier auf die bis in die
neueste Zeit fortgesetzten Veröffentlichungen der Resultate von
Burdon-Sanderson 16) selbst verwiesen.
Die Bestäubung der Aldrovandia geschieht offenbar über Wasser
durch Insekten, doch ist Näheres über die Bestäubungsvermittler
der unscheinbaren, durch über das Wasser emporragenden Stiel
getragenen Blüten nicht bekannt geworden, zumal die Pflanze in
Europa selten zu blühen scheint. Die Früchte werden unter
Wasser gereif. Den Bau des Samens und die Keimung hat
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 83
S. Korschinsky17) neuerdings genauer beschrieben. Der Keim-
ling, welcher beim Auskeimen den besondern Deckel der Samen-
hülle hervorstösst, hat noch ein rudimentäres Würzelchen und
rudimentäre Erstlingsblätter. Es deutet dies darauf hin, dass die
Fig. 9.
Wasserschlauch (Ufricularia). a Utricularia intermedia — b Blatt (vergr.) — ec Blatt-
zweig von U, vulgarıs — d Blase davon (vergr.) — e Aufgeschnittene Blase (stärker vergr.)
— / Kieines Stück der Innenseite der Blase von U. neglecfa mit den vierteiligen Fortsätzen
(s. Text) (a nach v. Schlechtendal, # und / nach Darwin).
später wurzellose Pflanze, welche in der Keimung noch
grosse Ähnlichkeit mit den Landformen der Sonnentau-
gewächse hat, verhältnismässig spät ihr Wasserleben
angefangen hat, während bei der folgenden Gattung, dem
Wasserschlauch, der Keimling durchaus ungegliedert, ohne
Wurzelanlage ist.
Te Du WET, 4
84 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Die weitverbreiteten, in unseren Gewässern häufigen Arten des
Wasserschlauchs (Utricularia), welche (mit einer fleischfressen-
den Landpflanze, dem Fettkraut, Pingwcula) der Familie der
Lentibulariaceen angehören, haben in biologischer Hinsicht viel mit
der Aldrovandia gemein. Die häufigste der sechs bekannten deutschen
Arten ist der gemeine Wasserschlauch (Utricularia vulgaris). Bei
ihr tragen die langen, zarten, verzweigten Stengel, welche wurzellos
vom untern Ende aus absterben, haarförmig zerschlitzte Blätter in
wechselständiger, mehr oder minder zweizeiliger Anordnung. Das
Blatt des gemeinen Wasserschlauchs (Fig. 9) teilt sich in zwei
grössere mittlere und zwei kleinere seitliche Abschnitte, von denen
jeder sich mehrfach fiederteilig oder gabelspaltig in feine cylindrische
Zipfel auflöst. An letzteren treten die bekannten Blasen auf, welche
von älteren Autoren als Schwimmblasen gedeutet wurden, jedoch
lediglich dem Fang und der Verdauung kleiner Wassertiere dienen.
Cohn !8) hat 1875 zuerst eine Darstellung der merkwürdigen Art
und Weise gegeben, auf welche die Utricularia kleine Wassertiere
zu fangen vermag, Darwin hat sodann diese Beobachtungen
bestätigt und erweitert. Seitdem haben sich viele Forscher mit
den Wasserschlaucharten in morphologischer und biologischer Hin-
sicht beschäftigt, zuletzt am erfolgreichsten M. Büsgen 19).
Die Blasen (Ütricula) haben die Grösse kleiner Pfefferkörner,
sind inwendig hohl mit einer Öffnung an der Seite, die durch eine
von oben herabhängende Klappe verschlossen ist; vor der Öffnung
befinden sich schleimige Härchen, von denen bereits Cohn vermutet,
dass, sie den Köder für die Wasserinsekten enthalten. Zwei borst-
liche Anhängsel an der Stirn geben dem ganzen Gebilde eine
merkwürdige Ähnlichkeit mit einem Wasserfloh (Daphnia
pulex), wie die Blasen der Aldrovandia grosse Ähnlichkeit
mit Muschelkrebschen etc. haben. Cohn sagt: „Scharen-
weise gehen die kleinen Wasserkrebse der gefährlichen
Lockung nach, heben dabei unversehens die einwärts leicht sich
zurückschlagende Klappe; sobald sie aber ins Innere der Blase
geraten, verschliesst die Klappe, die nach aussen sich nicht öffnen
lässt, ihnen den Rückweg. Hierdurch lassen sich jedoch andere
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 55
nicht abhalten, bald darauf dem gleichen Schicksal zu verfallen,
und ich habe 1874, wo ich zuerst diese Beobachtung machte, in
einzelnen Blasen eine ganze Menagerie von kleinen Wasserkrebsen,
Mückenlarven und anderen Wassertierchen eingeschlossen gefunden,
die vergeblich den Ausweg aus ihrem grünen Kerker suchten; sie
alle waren nach wenigen Tagen dem Tode rettungslos verfallen;
später findet man nur ihre leeren Schalen, die Weichteile sind
völlig aufgezehrt“. Cohn fand ausser zahlreichen Krebschen (Daphnia,
Cypris, Cyclops etc.) noch Nais elinguis, Planaria u. a. Würmer,
Blattläuse von Wasserpflanzen (Stratiotes), Rädertierchen, Infusorien
und Wurzelfüsser gefangen. DBüsgen teilt mit, dass bei seinen
Untersuchungen eine mässig grosse Pflanze während eines andert-
halbstündigen Aufenthaltes in Wasser, in welchem sich viele
Wasserflöhe (Daphnia) befanden, in einer einzigen Blase zwölf
Daphniden einfing. Eine andere Pflanze trug an jedem Blatte
durchschnittlich sechs Blasen. Nur ganz vereinzelte derselben
waren leer. Die meisten waren dicht erfüllt mit Exemplaren von
Chydorus sphaericus. Im ganzen hatte die kleine, etwa 15 cm
lange Pflanze mit ihren fünfzehn entwickelten Blättern etwa
270 ziemlich grosse Krebschen zu sich genommen. Dass
der Wasserschlauch sogar Fischbrut fängt und in Fischteichen
nicht unbedenklich zu dulden ist, berichtet H. N. Mosely?20). Als
ein Bekannter von ihm eine Pflanze in ein Glasgefäss brachte, in
welchem sich zahlreiche junge Rochen befanden, die vor kurzem
ausgebrütet waren, fand er, dass viele derselben in den Öffnungen
der Blasenfallen gefangen wurden und daselbst verendeten. Mösely
brachte nun selbst ein frisches Exemplar des Wasserschlauches in
ein Gefäss mit frischen jungen Fischen und Laich und fand nach
etwa sechs Stunden mehr als ein Dutzend Fische in Gefangen-
schaft. Die meisten waren am Kopf gefasst, der bis zur Hinter-
wand in die Blase hineingedrungen war, bei anderen war ein
grosser Teil des Schwanzes verschluckt. Drei oder vier Beispiele
wurden beobachtet, in denen ein Fisch mit seinem Kopfe von
einer Blasenfalle und mit dem Schwanze von einer benachbarten
verschluckt war, ein Fall, der mit dem von Klinggraeff15) bei dem
Dr Se wor uue en
.
s6 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
britischen Sonnentau (Drosera anglıca) beschriebenen analog
ist und die Frage nahelegt, ob die verzweigten Stirnborsten, die
„Antennen“, nach deren Aufrichten (bei jungen Blasen sind sie
über den Eingang nach unten gekrümmt) erst „die Falle gestellt
ist“, nicht doch auch eine Reizbarkeit besitzen. Mosely fand beim
Durchschneiden der fischgefüllten Blasen die Gewebe des Fisches
in einer mehr oder weniger schleimigen Verflüssigung, wohl infolge
seiner Zersetzung, die vierfiedrigen Fortsätze der Blasen-
drüsen reichten in die schleimige, halbflüssige, tierische Substanz
hinein und schienen .sehr viel körnige Substanz zu enthalten, jeden-
falls das Ergebnis einer Resorption. Ch. Darwin kam bereits im
Anfang seiner Utricularia-Studien (1874) zu dem Resultat, dass die
Utricularia ein Aasfresser und nicht Fleischfresser ist;
so schreibt er?!) am 7. Juli 1874 an J. Hooker: ... „Die Blasen
fangen eine Menge Entomostraceen und Insektenlarven. Der
Mechanismus zum Fangen ist ausgezeichnet. Es findet sich aber
vieles, was wir nicht verstehen können. Nach dem, was ich heute
gesehen habe, vermute ich stark, dass sie nekrophag ist, d. h.
dass sie nicht verdauen kann, sondern zerfallende Sub-
stanz absorbiert“, und am 18. Sept. 1874 an Lady Dorothy
Nevill: „... Denn Utricularia ist ein Aasfresser und nicht streng
genommen fleischfressend wie Drosera“. Auch später kommt Dar-
win 14) zu dem Resultat, dass die Blasen eine Verdauungs-
flüssigkeit nicht ausscheiden, wohl aber Zersetzungs-
produkte wie auch fauliges Wasser und Ammoniaksalze absor-
bieren und zwar mittels der vierarmigen Haare, die allein
dem Blaseninnern eigen sind und den gleichgestalteten Haaren der
Aldrovandia entsprechen dürften, wie die echten fleischverdauenden
Trichome des Fettkrautes (Pingwicula) nur den farblosen Digestions-
drüsen der Konkavität der Aldrovandia entsprechen. „Wir können
auch hiernach verstehen“, sagt Darwin bei Aldrovandia, „wie eine
Pflanze durch den allmählichen Verlust einer der beiden Fähig-
keiten (Fleischverdauung und Aasverdauung) nach und nach der
einen Thätigkeit angepasst werden, kann, mit Ausschluss der
andern; und es wird später gezeigt werden, dass zwei Gattungen,
RL
„u Sr
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 87
nämlich Pinguicula und Uftricularia, die zu derselben Familie
gehören, diesen zwei verschiedenen Funktionen angepasst worden
sind.“ Büsgen schildert auf Grund seiner neueren Untersuchungen
den Fang bei dem Wasserschlauch folgendermassen: „Die Antennen
und sonstigen von der Blase nach verschiedenen Seiten aus-
strahlenden drüsenlosen langen Haare bilden eine Art von Leit-
stangen, auf welchen man sehr oft kleine Cypridinen nach der
Blasenmündung hin wandern sieht. Dort angelangt, treffen sie die
den Eingang umstehenden Köpfchenhaare, welche aus einer mehr
oder minder langen Stielzelle, einer kurzen, besonders dickwandigen
Halszelle und endlich einer etwas dickeren, länglichen oder runden
Kopfzelle zusammengesetzt sind. In der letzteren bestehen die
inneren Schichten der Membran aus einer glänzenden Masse, die
sich mit Jod und Schwefelsäure blau färbt und mit Kalilauge stark
aufquillt, wobei das Protoplasma von der Spitze des Haares her
nach der Basis der Kopfzelle stark zusammengedrückt wird. Stellen-
weise findet man die äusserste Membranschicht durch die be-
schriebene Masse blasig aufgetrieben. Schon früh erscheint die
ganze Kopfzelle von einem Schleim umgeben, der in reinem Wasser
nur sehr schwer sichtbar ist, mit Methylviolett aber leicht nach-
gewiesen werden kann, da er sich mit diesem Reagens hellviolett
färbt. Manchmal findet man neben dem Schleim am Grunde der
Kopfzelle eine häutige, faltige Manschette. Aus dieser und den
vorerwähnten Beobachtungen ist zu schliessen, dass der Schleim
einer innern Membranschicht entstammt, die zu einer bestimmten
Zeit aufquillt und die Cuticula sprengt; eigentümlicherweise besitzen
aber auch die mit Schleim und Manschette versehenen Kopfzellen
unter einer festen Membranschicht jene glänzende, quellungsfähige
Substanz und anscheinend auch eine Cuticula. Es müssen diese
Bildungen, wenn obiger Schluss über die Entstehung des Schleimes
richtig ist, sehr rasch regeneriert werden, was übrigens auch sehr
im Interesse der Pflanze liegt, da der letztere als Köder dient“. —
Dass es der Schleim ist, welchem die Kruster nachgehen, schliesst
Büsgen daraus, dass sich dieselben sehr bald an ins Wasser ge-
worfenen Samen mit verschleimender Aussenschicht ansammeln.
8 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Bei dem Besuch der Knöpfchenhaare öffnet sich die Klappe meist
ganz plötzlich mit weitem Spalt, um den vorwitzigen Gast ver-
schwinden zu lassen und vom nächsten Augenblick wieder die-
selbe Lage anzunehmen. Dieses Öffnen lässt sich jedoch ohne
die Annahme von Reizerscheinungen aus den Elastizitäts-
verhältnissen der Klappe erklären. Die Tiere scheinen in ihrer
Falle einen Erstickungstod zu erleiden; wenigstens sah Büsgen noch
nach 24 Stunden, Cohn noch nach 6 Tagen die gefangenen Tiere
im Innern umherschwimmen. Die in den Blasen sich fin-
denden symbiotischen Fäulnis-Bakterien dürften sodann bei
dem Wasserschlauch die Sekretion der Verdauungs-
flüssigkeit der echten carnivoren Pflanzen ersetzen.
Auch für die Blatthöhlungen der Blätter unserer Schuppen-
wurz (Lathraea squamarıa) wnd der Alpenbartsie glaubt
Scherffel (Mitt. d. bot. Inst. zu Graz, Heft II) gezeigt zu haben,
dass die von Kerner und von Wettstein ??) beschriebenen rhizopodo-
iden, die Drüsenzellwand durchbrechenden Protoplasmafortsätze, die
Jost für Wachsausscheidungen hielt, aus Bakterien bestehen, so dass
diese Pflanzen gleichfalls Aaspflanzen wären. Büsgen hat bei den
Kopfhaaren des Wasserschlauchs diese rhizopodoiden Fortsätze gleich-
falls gefunden und ist geneigt, sie als aus Bakterien bestehend zu
betrachten. Ob es sich aber hier wie bei der Schuppenwurz und
in den Blattbechern der Weberkarde nicht doch um Elemente
des Protoplasmas, nämlich die nach den Untersuchungen von
Fayod?23) jedem Protoplasma eigenen, sich auch durch die Scheide-
wände der Zellen erstreckenden Elemente handelt, die er Spiri-
fibrillen und Spirosparten nennt, bedarf jedenfalls noch der Unter-
suchung.
Den Beweis, dass unsere Wasserschlaucharten that-
sächlich von dem Krebsfange leben, hat Büsgen endgültig
durch vergleichende Kulturversuche an gefütterten und
nicht gefütterten Pflanzen erbracht, wie er für die echten
Fleischfresser schon früher von Reess, Kellermann etc. erbracht
wurde Der Zuwachs der gefütterten Pflanzen war etwa der
doppelte von dem der nicht gefütterten u. s. f£ — Im tropischen
4 u u ER
Fr
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Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 89
Amerika und Asien leben auch Wasserschlaucharten auf dem Lande
oder auf dem Moos der Bäume, aber auch hier von den Tieren
ihres Wohnorts. Utricularia nelumbifolia kommt in Brasilien auf
den hochgelegenen Felsen der Orgelberge vor, aber sie wird hier
yı
TEE STTÄNHT
B A
Fig. 10
A Schlauchtragendes Blatt von Gexlzsea, etwa dreimal vergr. Z Oberer Teil der Blattspreite,—
5 Schlauch — z Hals — o Mündung desselben — a Schraubig gewundene Arme (Enden
abgebrochen). 2 Teil der Innenfläche des in den Schlauch führenden Halses, stark ver-
grössert, die Reussenhaare und Digestionsdrüsen zeigend. (Nach Darwin.)
nur in dem Wasser gefunden, welches sich auf dem Grunde- der
Blätter einer grossen Tillandsia ansammelt, sie gelangt ausser durch
Samen durch Ausläufer von einem Tillandsiabecken ins andere.
Ihre Blasen fangen in gleicher Weise Wassertiere, wie die unserer
Wasserschlaucharten. Darwin fand bei neun Utriculariaarten, die
90 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
er untersuchte, allenthalben die Blasen mit Tieren und Tierresten
erfüllt. Von verwandten Gattungen sei hier noch die merkwürdige
Genlisea ornata (Fig. 10) aus Brasilien erwähnt, bei welcher das
schlauchtragende Blatt die Beute nicht mittels einer elastischen Klappe,
sondern durch eine einer Aalfalle ähnliche, wenngleich kompliziertere
Vorrichtung fängt. Die schmale Blattscheibe trägt nämlich am Ende
eine Blase, die sich in eine etwa fünfzehnmal so lange Röhre
fortsetzt. Seitlich der Mündung der letztern entspringt auf jeder
Seite ein aus einem spiralig gerollten, linealen Blattzipfel gebildeter
Cylinder. Diese Seitenröhren wie die Hauptröhre sind mit langen,
nach abwärts gerichteten Borsten (Reussen) und mit den vierzelligen
Drüsen der Utricularia bekleidet. In Seitenhälsen und im Haupt-
rohre fanden sich Überreste von Würmern und Gliedertieren.
Unsere Wasserschlaucharten sind ausgeprägte Insekten-
blütler, die ihre Blütentrauben mit gelben, auffälligen
Blüten auf langem Stiel über Wasser senden. Die Blumen-
krone, deren Bau und Entwickelung zuerst Buchenau24) genauer
untersucht und deren Bestäubungseinrichtung Hildebrand 25) erläutert
hat, birgt in einem Sporn den Honig zur Anlockung der Insekten.
Ein Insekt muss, wenn es zur Gewinnung des Honigs seinen Rüssel
unter die Oberlippe steckt, zuerst mit seiner Oberseite einen die
Staubgefässe überragenden, mit der papillösen Seite nach unten
umgebogenen Narbenlappen berühren, so dass dieser, wenn das
Insekt schon vorher eine Blüte besucht hat, mit Pollen derselben
behaftet wird, sodann die Staubgefässe, die es von neuem mit
Pollen behaften. Der Pollenlappen ist, ähnlich der in der Blüte
der an Flüssen und Bächen Deutschlands jetzt weit verbreiteten
amerikanischen Gauklerblume (Mimulus luteus) und weniger anderen
Blumen, reizbar, sodass er bei der Berührung sofort nach
oben umklappt und so eine Übertragung des Blütenstaubes der-
selben Blüte auf die Narbe beim Rückzug des Insektes unmöglich
macht. Die ausgeprägte Honigblume wird vermutlich durch Hyme-
nopteren und Schmetterlinge bestäubt, doch ist hier wie bei den
meisten Insektenblumen unserer Gewässer über die Bestäubungs-
vermittler näheres nicht bekannt. — Die Früchte der Utricularien
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 91
werden nicht, wie dies bei den meisten echten Wasserpflanzen der
Fall ist, unter Wasser gereift, sondern, wie auch bei der Wasserfeder
(Hottonia) und Lobelie (Lobelia Dortmanni), über Wasser. Die
vielsamigen Kapseln streuen ihren Samen ins Wasser aus, wo er
an der Oberfläche weit verbreitet und von wo er durch Wassertiere
auch von Gewässer zu Gewässer übertragen wird.
Eine Verbreitung der vegetativen Organe durch die Larven
der Köcherfliegen (Phryganiden) hat Gilbert?T) beobachtet. Nach
ihm werden die Winterknospen des mittlern Wasserschlauchs
(Utricularia intermedia) von diesen Insekten zum Larvenköcher
verwendet, wodurch sie an andere Stellen gelangen, an denen sie
zu weiterer Entwickelung kommen können.
Gegen Tierfrass besitzen die Wasserschlaucharten spitze
Stacheln und chemische Schutzmittel. Mit Alkohol oder heissem
Wasser ausgelaugte Pflanzenstücke wurden von kleinen Krustern bei
einem Versuch Büsgens bald gefressen, während frische Pflanzenteile
gänzlich verschont blieben. Der schützende Stoff schien Gerbstoff
in einer schwachen Lösung zu sein, da bei Behandlung mit doppelt-
chromsaurem Kali eine nicht auswaschbare Färbung des Zellinhaltes
auftrat. Nur die Stachelhaare färbten sich intensiv braun.
Wie die Wasserschlaucharten hinsichtlich der Blüteneinrichtung
eine grosse Übereinstimmung mit ihren Verwandten auf dem Lande
(dem gleichfalls tierfangenden, aber fleischverdauenden, nicht aas-
fressenden Fettkraut, Pinguicula) haben, so stimmt auch eime
weitere submerse Wasserpflanze, die Wasser- oder Sumpffeder
(Hottonia palustris), welche aber zur Familie der Primulaceen
gehört (Fig. II S.92) mit unseren Schlüsselblumenarten in
Bezug auf die Fortpflanzungsorgane völlig überein, während sie im
übrigen ganz die abweichenden Vegetationsorgane der bisher be-
trachteten Wasserpflanzen hat. Es giebt kaum einen grelleren
Gegensatz zwischen Land- und Wasserpflanze als es
gerade der zwischen der Schlüsselblume (und anderen
Primulaceen) und der Wasserfeder ist — dort grosse, einfache,
ganze Blätter, die dicht dem Wurzelstock entspringen hier die
feingeteilten Wasserblätter des Hornblattes, der Tausendblätter
99 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
(Myriophyllum) etc., an wurzellosem, nur anfänglich im Schlamm
steckenden Stengel.
Zur Blühzeit steigt die Pflanze zur Oberfläche auf und streckt
ihren terminalen Blütenstand über das Wasser empor. Die
Sumpffeder ist, wie unsere Schlüsselblumen, ausgeprägt
heterostyl-dimorph, d. h. es kommen zweierlei, wie
männliche und weibliche Stöcke zusammengehörige
Fig. ıı.
Heterostylie der Wasserfeder (Hotlonia palustris). a Langgriffiige Blüte — 5 Narben-
papillen derselben — c Kurzgrifflige Blüte — @ Narbenpapillen bei gleicher Vergrösserung
wie in 6). Nach H. Müller.)
Sorten von Stöcken vor, deren eine lauter langgrifflige
Blüten mit tiefstehenden Staubgefässen trägt, während
in den Blüten der andern die Griffel kurz, tief in der
Blütenröhre versteckt sind, die Staubgefässe aber weit
aus derselben hervorragen. Die Verschiedenheit zwischen den
beiden Formen hat bereits die Aufmerksamkeit des Vaters der
heutigen Blütenbiologie, Christian Konrad Sprengel, im Jahre 1793
erregt, welcher sagt, dass er die Existenz der zwei Formen nicht
für zufällig halte, obschon er ihren Zweck nicht erklären könne.
Bekanntlich hat Darwin 26) die Bedeutung dieser Zwiegestältigkeit
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 93
bei Primeln erkannt und durch Versuche festgestellt, dass erfolg- .
reich allein die Bestäubung der langen Griffel durch die Pollen der
grossen Staubgefässe der andern Form und die der kurzgriffligen
Narben der letztern durch die Staubkörner aus den Staubgefässen
der erstern wirkt, dass mit anderen Worten die Bestäubung
zwischen den Organen gleicher Höhe einzutreten hat, wenn
sie vollen Erfolg haben soll. Andere als diese „legitimen“
Bestäubungsweisen (also „illegitime“) haben bei vielen heterostylen
Pflanzen überhaupt keinen, bei anderen Arten nur einen schwachen
Erfolg. Nach der Entdeckung der heterostylen Pflanzen, zu denen
zahlreiche Arten, von Wasserpflanzen noch Arten der Gattungen
Villarsia, Menyanthes — unser dreiblättriger Fieberklee — und
Polygonum, gehören, hat man noch die verwandten Gruppen der
tristylen oder lang-, kurz- und mittelgriffligen Pflanzen und die
rechts- und linksgriffligen entdeckt. Zu den ersteren gehört der an
den Ufern unserer Gewässer wachsende Färbeweiderich (Zythrum
‚Salicaria) nebst vielen ausländischen Sauerkleearten etc. Die Staub-
gefässe bilden in derselben Blüte zwei Höhensätze, in Bezug auf
welche bei den dreierlei Stöcken der Griffel lang, kurz oder mittel-
lang ist. Bei den rechts- und linksgriffligen Pflanzen (Verwandte
unserer Kartoffel, wie Solanum rostratum, gehören dazu) sind
zweierlei Stöcke da, in deren Blüten der Griffel entweder links oder
rechts von dem Staubgefässbüschel steht und nach entgegengesetzter
Seite gebogen aus der Blüte hervorsieht. Auch hier gilt das Gesetz
der legitimen Bestäubung, d. h. des erfolgreichen Zusammenwirkens
der Organe gleicher Lage. Dieses Zusammenwirken wird ja unter
gewöhnlichen Umständen das natürliche sein, wenn gewisse Insekten
alle Blüten in gleicher Weise besuchen, indem sie dann den Blüten-
staub an einer Stelle absetzen, an welcher sie ihn in den anderen
Blüten an ihrem Körper aufgenommen haben. Ein honig-
suchendes Insekt wird also bei unserer Wasserfeder im der
That am Vorderkörper den Blütenstaub der tiefgelegenen
Staubbeutel, am Hinterleib den der langen Staubgefässe
it ‚sich « führen; mit letzterem "kann.es aber’ nur die
Narbe der langen Griffel, mit.ersterem die der kurzen
94 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora,
Griffel bei seiner gewöhnlichen Art des Besuchs erlangen.
Anders ist es mit pollensuchenden Insekten. Sie haben
keinen Grund, die kurzen Griffel zu besuchen, während beim Besuch
der kurzen Staubgefässe der staubbeladene Kopf gelegentlich die
Narbe der langen Griffel berühren wird. Stellen wir uns nun vor,
dass bei der Ausbildung einer Blüteneinrichtung nur oder vor-
wiegend honigsuchende Insekten mitgewirkt haben, so würden
Formen der Heterostylie zu stande gekommen sein, wie sie sich
thatsächlich häufig finden, bei denen illegitime (künstliche)
Bestäubung fast gänzlich wirkungslos ist, während da, wo
pollensuchende Insekten neben den honigsuchenden
regelmässige Gäste sind, eine Heterostylie entstanden sein wird,
bei welcher die legitime Bestäubung zwar die erspriess-
lichste ist, von den illegitimen Bestäubungen aber die
der langen Griffel immerhin jener nahekommt. So ist es
nach den künstlichen Befruchtungsversuchen von John Scott und
Herm. Müller?6, 28) bei der Sumpffeder, bei welcher nach Herm.
Müller die Bestäubung durch pollenfressende Fliegen in aus-
gedehntem Masse ausser durch saugende Hautflügler (Pompilus
viaticus) und Fliegen (Empis, Eristalis, Rhingia) bewirkt wird. Bei
den Versuchen Müllers ergaben die zwei legitimen Verbindungen mit
den zwei illegitiimen zusammen verglichen Samenkörner im Ver-
hältnis von 100 zu 61. Es war die mittlere Zahl der Samenkörner
auf die Kapsel bei
I. legitimer Bestäubung der langgriffligen Form . 91.4,
2. illegitimer Bestäubung der langgriffligen Form
von einer verschiedenen Pflanze . . . .. 775
3. legitimer Bestäubung der kurzgriffligen Form . 66.2,
4. illegitimer Bestäubung der kurzgriffligen Form
mit Pollen dieser Form von einer verschie-
denen: Bor: 4, 1:0 ERlac Kam HH a
Sehr deutlich sprechen die Resultate für die schädliche Wirkung
der Inzucht bei Kreuzung der Blüten ein und desselben Stockes
und bei Selbstbefruchtung. Die mittlere Samenzahl war hierbei
nur 15.7 bei den langgriffligen und 6.5 (wie bei Scott) bei den
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 95
kurzgriffligen Blüten anstatt 77.5 und 18.7 (bei illegitimer Kreuzung;).
Die ungleiche Grösse der Narbenpapillen bei den grossen und
kleinen Griffen stimmt bei der Sumpffeder ebenso wie bei
anderen Heterostylen überein mit der ungleichen Grösse der
Pollenkörner in den oberen und unteren Antheren (die letzteren
kleiner), für welche Verschiedenheit die bisherigen Erklärungsversuche
nach neueren Versuchen nicht auszureichen scheinen.
Den frei im Wasser flottierenden Arten submerser Ge-
wächse, welche wurzellos sind, schliessen sich solche in grösserer
Zahl an, die unter gewöhnlichen Verhältnissen zwar ein Wasserleben
führen, aber am Boden festgewachsen sind. Bei ihnen ist die
Wurzel in den meisten Fällen nur Haftorgan. Sie haben zumeist
die Fähigkeit, bei Wassermangel auch in der Luft längere oder
kürzere Zeit zu vegetieren, oder gar eine besondere Luftform zu
bilden. Eine Umbildung der Blattorgane, welche der neuen Lebens-
weise angepasst (Verbreiterung und Verkürzung der Blattflächen,
Auftreten von Spaltöffnungen etc.), tritt oft sehr bald, zuweilen sogar
an einzelnen Blattteilen, die künstlich in dem neuen Medium ge-
halten werden, ein. Solche Landformen sind von Schenk z. B. für
das Tausendblatt (Myriophyllum) beschrieben, deren Arten sonst
mit ihren feingeteilten Blättern ein ausgeprägtes Wasserleben führen.
— Die Myriophyllumarten besitzen ähnlich wie die Wasser-
pest, die Hornblattarten, die Wasserschlaucharten eine
sehr üppige vegetative Vermehrung, abgebrochene Zweige, die durch
Strömung oder Tiere verschleppt sind, entwickeln sehr bald wieder
eine weitverbreitete Vegetation am Grunde des Gewässers. Solche
üppig sich vermehrende Arten kommen an manchen Orten über-
haupt selten zur Blüte Das Ährentausendblatt (Myriophyllum
spicatum) trägt in seinen in die Luft emporgestreckten Blütenständen
in den Achseln kleiner Brakteen zu oberst männliche, unten weibliche
Blütenstände, welche sich viel früher als die ersteren entwickeln (die
Pflanze ist proterogynisch). Der platte, leicht verstäubende
Pollen, die grossen, an dünnen Staubfäden lebhaft im
Winde flatternden Antheren, wie auch die stark höcker-
igen Narben kennzeichnen die Pflanze als windblütig
u an
96 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
(anemophil), während bei dem quirlblättrigen Tausendblatt dadurch,
dass die Blüten in den Blattwinkeln sitzen, die Anpassung an den
Pollentransport durch den Wind vermindert ist. Es kommen
aber wie bei den anderen Myriophyllumarten (M. alternifolum
habe ich nicht untersucht) auch unter Wasser normale (nicht wie
Hermann Müller in seinem Referat meiner Arbeit?) vermutete 29)
kleistogame) Blüten zur Entwickelung, so dass hier vermutlich Über-
gänge von der Windbefruchtung zur Wasserbefruchtung vorliegen.
Nach dem Blühen tauchen auch bei M. spicatum die Ähren unter
Wasser, um hier ihre Früchte zu reifen.
Zu den submersen Gewächsen, die aber in einigen ihrer Arten
Übergänge zu den Schwimmpflanzen bilden, indem sie bei diesen
andersgestaltete, an der Oberfläche ausgebreitete oder schwimmende
Blätter entfalten, gehören ferner die Wassersternarten und die
Laichkräuter, deren submerse Blätter aber nicht haarförmig zer-
teilt, sondern einfach, schmallinealisch etc. sind. Die völlig sub-
mersen Wassersterne bilden auf dem Boden der Gewässer eine sehr
üppige, dichte, hellgrüne Vegetation, die an die der kleinen Arm-
leuchtergewächse (Nitella) erinnert, während die schwimmenden
breitblätterigen Blattrosetten die Oberfläche den Wasserlinsen ähnlich
überkleiden. Die einfache Blüte besteht aus einem starren Staub-
gefäss oder aus einem zweifächerigen Fruchtknoten mit kurzen
Griffen. Auch sie wird gewöhnlich für windblütig gehalten, doch
dürften die an der Oberfläche schwimmenden Rasen mit ihren
starren Staubfäden und spärlicher Pollenproduktion eher die später
zu erörternden Eigentümlichkeiten der Wasserlinsen besitzen. Die
zahlreichen untergetauchten Blüten haben Wasserbefruchtung. Die
Gruppe Pseudocallitriche, zu welcher unser Herbstwasser-
stern (Callitriche autumnalıs) gehört, besitzt, wie die früher be-
sprochenen Wasserblütler, Pollenkörner ohne äussere Zellhaut
(Exine), sind nach Jönsson ölhaltig und leichter als Wasser,
steigen daher nach der Oberfläche zu, wobei sie die Befruchtung
vollziehen können, es wechseln nicht selten mehrere weibliche und
männliche Stengelglieder mit einander ab; bei der Gruppe der
Eucallitrichen dagegen, die auch wohl als Varietäten ein und
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 97
derselben Art, des Frühjahrswassersterns (Callitriche verna) betrachtet
werden, sind die Pollenkörner noch von einer äussern etwas
höckerigen derben Haut umkleidet und an den Antheren
ist die den Luftblüten eigentümliche Faserschicht vor-
handen, welche bei dem Aufspringen der Staubbeutel eine wichtige
Rolle spielt.
Zieht man die frischgrün beblätterten Zweige der Wassersterne
oder anderer submerser Wasserpflanzen (Hornblatt, Tausendblatt etc.)
aus dem Wasser, so findet man zwischen dem feinen Blattgewirr
ein buntes Tierleben von Wasserasseln, Flohkrebsen, Milben, Käfern,
Larven, Schnecken etc, das wohl hauptsächlich durch die reiche
Entwickelung des Sauerstoffs bei der Assimilation herbeigezogen
wird. Es ist kaum anders zu erwarten, als dass dieses reiche Tier-
leben, mit welchem diese Wasserpflanzen in steter Berührung sind,
mehr als alle Landpflanzen, dem pflanzlichen Organismus zu
mancherlei Anpassungen Veranlassung gegeben hat. Schutzvor-
kehrungen gegen Tierfrass sind thatsächlich mehrfach bekannt
geworden, wie später noch hervorgehoben werden wird. Ob aber
die Pflanze Glieder dieser Tierwelt sich zu Nutzen gemacht
hat und mit ihnen im Bunde gegenseitiger Förderung lebt
ist noch kaum untersucht worden und verdient seitens der
Süsswasserforschung besondere Beachtung. Hier sei nur
hervorgehoben, dass diesen Tieren sicherlich die Reinhaltung
der assimilierenden Blattflächen zuzuschreiben ist und dass es
mir immer geschienen hat, als ob an Standorten, wo ein besonders
reiches Tierleben sich bemerkbar machte, die submersen Pflanzen-
organe frischer grün und reiner aussahen, als an Orten wo diese
fehlte. An den letzteren sind die Blätter und Blattzipfel oft völlig
eingehüllt und unkenntlich gemacht von zahlreichen Algen (Kiesel-
algen, wie Exilaria, Gomphonema etc.), Wasserpilzen (Chytridiaceen),
Infusorien (Vorticellen etc.), welche ja bekanntlich manchem der
erwähnten Tiere zur Nahrung dienen.
Das Hauptkontingent liefern zur Wasserflora die Laichkräuter
(Potamogeton), von denen etwa 50 Arten überhaupt und etwas
weniger als die Hälfte aus den süssen Gewässern Deutschlands,
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 7
EWET Dr a Ki
98 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Österreichs und der Schweiz30) bekannt sind. Sie weichen durch
ihre einfachen Blätter wie durch mannigfache Variationen von
den völlig untergetauchten Formen bis zu den ausgeprägtesten
Schwimmpflanzen, wie auch schliesslich dadurch ab, dass sie ein
am Boden kriechendes sehr ausgebreitetes Rhizom haben. Im
fliessenden Wasser treiben sie, ähnlich wie andere festwurzelnde
Flussgewächse (Flusshahnenfuss etc.), lange Laubtriebe, welche durch
besondere mechanische Elemente in ihrem anatomischen Aufbau
der hohen Inanspruchnahme durch die Wasserströmung völlig
gewachsen sind. In stehenden Gewässern sind die Stengelglieder
oft sehr verkürzt. Nach der Meinung von Schenk stammen die
Laichkräuter von Landpflanzen ab, die sich erst der amphibischen,
gegenwärtig nicht mehr erkennbaren, Lebensweise und sodann der
Lebensweise der Schwimmpflanzen, zuletzt aber der submersen
Lebensweise angepasst haben. Es würde dann unser gemeines
schwimmendes Laichkraut (Potamogeton), welches nur aus-
geprägte Schwimmblätter besitzt, der Urtypus unserer jetzt lebenden
Laichkrautarten sein. Hierfür spricht auch dessen Verbreitung.
Nach A. de Candolle3t) giebt es nur 19 Phanerogamen, die sich
über mehr als die halbe Erdoberfläche verbreitet haben, zu denen
z. B. das einjährige Straussgras (Poa annua), die Kröten-
binse (Juncus bufonius), unsere Brennesseln (Urtica dioica und
U. urens), Gänsefussarten (Chenopodium album und Ch. murale),
eine Taubnessel (Zammum amplexicaule), der schwarze Nacht-
schatten (Solanum nigrum), die gemeine Sternmiere (Stellaria _
media), die Gänsedistel (Sonchus oleraceus), das Hirtentäschel
(Capsella bursa pastoris) und das schwimmende Laichkraut
von bei uns gemeinen Pflanzen gehören. Das letztere ist aber die
einzige kosmopolitische Wasserpflanze, alle übrigen sind
Landgewächse und zwar Ruderalpflanzen. Die übrigen Vertreter
des Laichkrautstammes Zeterophylli (Potamogeton oblongus, P.
Jıutans, P. spathulatus, P. rufescens, P. gramineus, P. nıtens,
P. Hornemanni) sind der submersen Lebensweise bereits mehr oder
weniger angepasst, indem sie oft nur wenige oder gar keine
Schwimmblätter mehr zeigen, während ihre untergetauchten Blätter
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 99
zwar den anatomischen Bau, aber noch nicht die Gestalt echter
Wasserblätter haben. Bei den Gruppen der Homophylli und
Enantiophylli30) fehlen bereits die Schwimmblätter gänzlich und es
bahnt sich der Übergang von den breitblätterigen zu den sehr
schmalblätterigen Arten an, der in den Gruppen Chlo£phylli und
Coleophylli echt submerser Laichkräuter (Potamogeton pusillus,
trıchoides etc.) sein Extrem erreicht. Eine gleiche Stufenleiter der
Anpassung ergiebt sich auch bezüglich der Blüteneinrichtungen.
Das schwimmende Laichkraut und seine nächsten Verwandten
sind ausgeprägte Windblütler, die ihre Blüten in dicht gedrängter
Ähre an langer dicker Spindel über das Wasser heben. Das kleine
Laichkraut hat bereits nur noch kleine, meist vierblütige Ährchen
und das Haar-Laichkraut in jeder Blüte nur noch einen Frucht-
knoten (sonst vier. Dazwischen und von dem letztern weiter
finden sich Übergangsformen bis zu solchen, welche den submersen
Wasserpflanzen sehr nahe kommen, deren Blüten nur aus einem
Staubgefäss, oder einem Fruchtknoten bestehen. Z. pectinatus er-
hebt einen Blütenstand überhaupt nicht mehr über Wasser, sondern
besitzt lange dünne schwimmende Blütchen, die zur Fortpflanzungs-
zeit nur wenig über das Wasser emporragen. Ob bei unserer
zweiten Gattung der Laichkräuter, der Zanichellie, bereits eine
echte Wasserbestäubung eintritt nach Art der der Meerstrands-
Ruppie, bedarf noch der nähern Untersuchung, ist aber nicht un-
wahrscheinlich, zumal auch nach Fritzsche dem Pollenkorn die
äussere Hülle fehlt. Die Windblütigkeit der Laichkräuter, deren Blüten
oft dicht an der Wasseroberfläche stehen, wird nach v. Kerner32)
unterstützt durch einen Ausschleuderungsmechanismus der
Blüte, durch welchen der Blütenstaub in die Luft gelangt.
Schwimmgewächse.
Wie die untergetauchten Blätter, so sind auch die Schwimm-
blätter der Wasserpflanzen völlig ihren Lebensverhältnissen angepasst.
Die schwimmenden Blätter sind nie zerteilt, stets einfach, ganz-
randig rundlich oder elliptisch länglich u. dergl., auf der Oberseite
lederartig, schwer benetzbar, im anatomischen Bau eine dreifache
7*
100 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Anpassung verratend, eine mechanische zum Schutz gegen die an
der Oberfläche am heftigsten wirkenden Bewegungen des Wassers
und gegen die heftigere Wirkung der auffallenden Regentropfen,
eine Anpassung an die schwimmende Lebensweise und an die
intensivere Einwirkung des direkten Sonnenlichtes. Dementsprechend
zeigt das Schwimmblatt an der Oberseite, unter einer chlorophylil-
freien wasserhaltigen Epidermis, die assimilierenden grünen Zellen
als Palissadenparenchym ausgebildet. Unter diesem sind grössere
lufthaltige Intercellularräume, welche das Blatt schwimmend erhalten.
Die Spaltöffnungen, welche zur Ermöglichung des Transpirations-
stromes bei den Schwimmpflanzen — im Gegensatz zu den sub-
mersen Pflanzen — vorhanden sind, finden sich hier allein auf
der Oberseite des Blattes, die mit der Luft in Berührung steht,
während sie bei den Luftblättern zur Verhinderung einer zu starken
Transpiration in der Epidermis der Unterseite zur Ausbildung
gelangen. Die zur Assimilation nötige Kohlensäure wird hier
hauptsächlich aus der Luft, wohl aber auch durch Diffusion von
der dem Wasser aufliegenden Blattunterseite besorgt. Da, wo
Blattstiele vorhanden sind, zeigen diese die besondere Eigentüm-
lichkeit, dass sie ihr Längenwachstum genau nach der Tiefe des
Wassers einrichten, so dass das Blatt immer zum Schwimmen kommt.
Die Wasserlinsengewächse, von denen nur eine Art
(Lemna trisulca) bei uns submers vorkommt, gehören zu unseren
einfachsten Schwimmpflanzen, die gleichzeitig durch ihre Kleinheit,
wie durch ihr massenhaftes Auftreten — sie bedecken oft weithin
die ganze Fläche der Gewässer — auffallen. In unseren Gewässern
finden sich nur fünf Arten, von denen die kleinste, die wurzellose
Wasserlinse (Wolffia arrhiza) nur die Grösse von I mm erreicht —
nur die in Bengalen lebende Wolffia microscopica, zweifellos die
kleinste Phanerogame, ist noch winziger — gar keine Wurzeln erzeugt
und in einzelnen Sprossen (Stengelgliedern) vorkommt, während die
übrigen Arten ein oder mehr Adventivwurzeln nach abwärts treiben,
welche mehr als zur Nahrungsaufnahme zur Erhaltung der hori-
zontalen Lage dienen dürften. Es sind dies ausser der unter-
getauchten Wasserlinse (Lemma trisulca), welche bereits
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 101
erwähnt wurde, noch die buckelige (Z. gibba) und grosse
Wasserlinse (Spirodela polyrrhıza) mit mehreren Wurzeln, welche
gesellig mit der auch häufig in ganz reinen Beständen wachsenden
kleinen Teichlinse (Z. minor), unserer häufigsten Art, vor-
kommen. Hegelmaier33), auf dessen Monographie (die auch von
Engler in seinen „Natürlichen Pflanzenfamilien“ hauptsächlich zu
Grunde gelegt ist) wir hier besonders hinweisen müssen, weil es
unmöglich ist, im Rahmen dieser Abhandlung die obwaltenden Ver-
hältnisse auch nur einigermassen genau zu schildern, hat 19 Arten
von Wasserlinsen unterschieden, welche über den ganzen Erdkreis
verbreitet sind:
ı) Die wurzellosen Wolffhioideen, bei denen auf dem Rücken
des Sprosses in kleinen Grübchen (zwei bei Wolffia Welwitschiü,
eine bei den übrigen Arten) die einfachen Blüten mit einem Staub-
gefäss und Stempel (resp. einer männlichen und einer weiblichen Blüte)
entspringen und sich auch sonst durch die Sprossverhältnisse aus-
zeichnen. Sie zerfallen in die beiden Untergattungen Wolffia und
Wolffiella, mit je acht und vier Arten, von denen letztere durch
ihre abnorme Gestalt mit länglich-pfeilförmigen Hauptsprossen
ausgezeichnet sind.
2) Bei den bewurzelten Lemnoideen, unter denen ausser durch die
Sprossverhältnisse noch durch das Vorhandensein von vielen Wurzeln
Spirodela [mit zwei Arten: Sp. oligorhiza (im indisch-malayischen
Gebiet) und’ unserer L. polyrhiza] von Lemna abgegrenzt wird,
kommen die Blütenstände (Blüten) mit je zwei Staubblüten(gefässen)
und einem weiblichen Blütenstempel in seitlichen Taschen zur Ent-
wickelung. Von Lemna sind ausser den einheimischen Arten noch
zwei unserer kleinen Wasserlinse nahe stehende Arten bekannt.
Die Wolffiaarten scheinen am meisten dem Wasserleben angepasst
zu sein, da bei ihnen auch än der Oberseite wenige, bei Wolffiella
sogar gar keine Spaltöffnungen vorhanden sind und die Blüten ganz
auf dem Rücken stehen.
Bezüglich der Bestäubungsverhältnisse der Wasserlinsen,
die zu den interessantesten Vorkommnissen der Blütenbiologie
überhaupt gehören, liegen zumteil scheinbar widersprechende
\ ERRET:
102 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Beobachtungen vor, die aber recht wohl zugleich richtig sein
können. Hat doch die Blütenbiologie mehrfach gezeigt, dass eine
Pflanze z. B. in einer Gegend typisch proteranderisch, in einer
andern, besonderen Verhältnissen entsprechend, proterogynisch ist.
Fig. ı2.
Wasserlinsen (Lemnaceen). A Lemna minor (b Blüte) — 3 Blütenstand — C Stempel
(vergrössert) — D Pollenkorn nach 6rofacher Vergrösserung — Z Zemna gibba — F Frucht
derselben (das Operculum o wird bei der Keimung abgehoben) — G Zemna trisulca —
H Wolffia arrhiza, a in natürlicher Grösse, 5 schwach vergrössert, c im Durchschnitt, um
den dem Spross eingesenkten Blütenstand zu zeigen — M Wolffia repanda (von Loanda) —
$.Wolffia hyalıina (aus Ägypten) — X Wolffiella gladiata (aus Mexiko) — 2 Wolffiella
oblonga (aus Chile) (4 c, %, X, Z, M nach Hegelmaier).
Ich werde zunächst die Verhältnisse schildern, wie ich sie bei
unserer gemeinen Wasserlinse um Greiz typisch getroffen habe und
zwar in einem ruhig gelegenen Teiche sowohl, wo sie vom Mai
bis in den Juli hinein blühte, wie auch im Zimmer. Der monöcische
IP TERRE
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 103
Blütenstand besteht hier entweder aus einem höher stehenden kurz-
griffeligen Stempel und zwei tiefer stehenden, wie jener nach oben
gerichteten Staubgefässen mit nicht allzulangem Filament und gelben
Antheren, oder Stempel und Staubgefässe kommen an verschiedenen
Stellen des Thalloms hervor, von einer unregelmässig zerreissenden
Hülle umschlossen. Die beiden Staubgefässe entwickeln sich nach
einander, aber längere Zeit bevor der Stempel hervorbricht.
Proterandrische Dichogamie und Stellung schliessen
demnach auch Selbstbestäubung aus. Ebenso ist es undenkbar,
dass der Wind bei der Kürze der starren Sexualorgane und der
geringen Pollenmenge, die in den beiden Staubblüten erzeugt wird,
unmittelbar über dem dicht durch Lemnarasen bedeckten Wasser-
spiegel bei der Übertragung des Pollens eine Rolle spielt. Von
den bekannten zoidiophilen Pflanzen weicht die Wasserlinse ab
durch den gänzlichen Mangel eines gefärbten Perigons
oder anderer auffälligen Anlockungsmittel der Blüten;
trotzdem glaube ich behaupten zu können, dass Zemna mınor
ausgeprägt zoidiophil ist — und zwar angepasst den auf der
Oberfläche des Wassers sich umhertreibenden Wasser-
tieren (Hydrometriden etc.). Die Pollenkörner sind stachelig
mit zahlreichen Protuberanzen besetzt, wie bei den
ausgeprägtesten Entomophilen (z. B. Malva, Cucurbita,
Compositen). Die Pollenkörner haben einen Durchmesser von
etwa 26 u, ihre Stacheln eine Länge von etwa I u, sodass sie
einerseits leicht dem Körper der über die Staubgefässe streichenden
Insekten, anderseits der etwas konkaven Narbenscheibe am Ende
des Griffels anhaften, während sie durch den Wind wohl kaum
von der dehiszierenden Anthere losgerissen werden könnten. Die
auf den Lemnarasen oder zwischen ihnen umherkreisenden Kerfe
müssen anderseits sowohl mit den Staubgefässen als den Narben
in Berührung kommen, ohne dass sie besonders darauf aufmerksam
gemacht werden. Die Pflanze hat es hier nicht nötig,, besondere
Lockmittel zu gebrauchen, ohne allen Aufwand und ohne
eine andere Gegenleistung, als etwa die Gewährung eines festen
Untergrundes, erreicht sie dasselbe, was die „Blumen“ durch
104 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Entwickelung von Farbenpracht, von Honigsaft und
Wohlgeruch, die zuweilen nur unberufene Gäste anlocken, er-
zielen. Trelease3#) hatte später (ehe er indessen meine Arbeit”)
kannte) vermutet, dass die Lemnarasen zusammengedrängt würden
und dabei sich wechselseitig befruchteten, an seinen Exemplaren
waren die Blütenstände proterogynisch. Im Zimmer dehiszierte das
erste Staubgefäss drei Tage nachdem die Narbe empfängnisfähig
geworden und ebenso lange nachher das zweite Staubgefäss des
Blütenstandes. Auch Hegelmaier hatte Z/. minor als proterogynisch
bezeichnet und Spirodela polyrrhiza. George Engelmann35) hat
aber bei letzterer gleichfalls Proterandrie beobachtet. Federico
Delpino bestätigt meine Beobachtungen und Deutung der Blüten-
entwickelung; vermutet aber, dass Schnecken bei der Befruchtung
in Betracht kommen. Er sagt3%): „A rinforzare la interpretazione
di Ludwig noi potremmo addurre il singolare appianamento e
allivellamento di caulomi, antere e stimmi; per il che per manifesta
la designazione a pronubi striscianti e perambulanti. Cosi questa
rara associazione di caratteri biologici, efficiente un apparecchio
florale reptatorio, si riproduce in questa minuscole pianticelle. E
non deve far meraviglia, poi che le lemnacee senza dubio appar-
tengono alla famiglia delle aroidee, presso la quale tanto frequente-
mente accorono apparecchi reptatori. Ludwig non menziona fra
i pronubi le chioccioline aquatiche, eppura noi congetturiamo que
queste sia noi principali ausiliarii della dicogamia delle lemne“. —
Henry Gillmann3’?) berichtet von der grossen Wasserlinse
(Sp. polyrrhiza), die er in einem Gefäss mit Wasser beobachtete,
dass sich um 4 Uhr ı5 Min. nachmittags die Stamina entfalteten,
in der Nacht aber sich zurückbewegten (but closed at night).
Am andern Morgen um 7 Uhr entfalteten sich wieder zunächst
drei Blütenstände, bis 7 Uhr 45 Min. ı8, und bis 8 Uhr 30 Min.
hatten sich 30 Blüten geöffnet.
Die von Delpino vermutete Beteiligung der Schnecken bei
der Pollenübertragung der Lemnaceen, wie auch die von andrer
Seite vermutete bei einer Aroidee, der Schlangenwurz (Calla
Palustris), einer Sumpf- und Uferpflanze unserer Teiche, verdient
le a
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 105
noch besondere Beachtung der Botaniker und Zoologen, da über
die Schneckenbefruchtung (Malacophilie) der Pflanzen viel hin und
her gestritten worden ist, die bisherigen Beobachtungen aber zur
Entscheidung der Frage nicht ausreichen. Auffällig und bemerkens-
wert bleibt es immerhin, dass diese beiden nach Delpino u.a.
malacophilen Pflanzen in ihren Blattorganen besondere
Schutzmittel gegen Schneckenfrass haben. Nach Stahl®)
bilden die Raphiden (Bündel von beidseitig sehr spitzen Nadeln
des Kalkoxalates) eins der wirksamsten Schutzmittel gegen Schnecken-
frass. Bei der gemeinen Schlangenwurz hat die Wirkung dieser
Raphiden in den Blättern schon der alte Tabernaemontanus ver-
spürt. Er sagt von ihr: „Am Anfang wo man sie kavet scheint
sie ungeschmackt zu sein, aber bald darauf zwackt sie die Zungen,
gleich als stäche man sie mit den allerkleinsten Dömern“ Auch
die Zellen der Wasserlinsen sind vollgepfropft von den
spitzen Nadelbüscheln des oxalsauren Kalkes. Nur
Wolffia macht auch in dieser Hinsicht eine Ausnahme, indem
sie keine Raphiden besitz. Dagegen scheint ein brauner
Farbstoff in Oberhaut und Grundgewebe wie die Gerbsäure bei
den Hornblattgewächsen bei ihr zu wirken; denn nach Stahls
Versuchen verschmähen auch die Wasserschnecken die gerbstoffreichen
Wasserpflanzen wie die Hornblattgewächse, ferner die, gleichzeitig
durch Kalkinkrustation geschützten Laichkräuter und
andere (Hippuris, Hydrocharis, Trapa etc.), sowie sie die durch
ätherische Öle und Bitterstoffe (Bitterklee und Kalmus) oder
Verkieselung der Zellwände geschützten Gräser etc. verschonen.
Die eigentümliche Symbiose verschiedener Wasser-
linsen mit Nostocaceen (Fydrocytium), die der regelmässigen
Symbiose von Anabaena in den Azollablättern und des Nostoc bei
Gunnera und Cycadeen sowie bei gewissen Lebermoosen analog ist, ist
gleichfalls als Schutzmittel für die Wasserlinsen gedeutet worden.
Trotzdem haben auch die Wasserlinsen ihre Feinde aufzuweisen
aus anderen Abteilungen der Lebewelt, Pilzen (Chytridiaceen) und
Insekten. Eine Fliege Aydrellia albilabris Mg. höhlt die Wasser-
linsen aus trotz ihrer Raphiden und Nostockolonien.
106 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Bei den Wasserlinsenen drängt sich uns am ersten die Frage
auf nach dem Verbleiben der Schwimmpflanzen im Winter.
Im Herbste noch sehen wir unsere Teiche von: einem dichten
scheinbar immergrünen Lemnateppich bedeckt, im Frühjahr ist
aber keine Spur mehr davon zu sehen, die Oberfläche ist rein und
klar. Wo ist die dichte grüne Decke hingekommen und wo kommt
sie in der wärmeren Jahreszeit eben so schnell wieder her?
Während die Hornkrautarten, die Wasserpest und einige
andere völlig submerse oder an der Oberfläche blühende Pflanzen
im Wasser ganz überwintern, sinken andere zu Boden und
bilden besondere Winterknospen (Ahbernacula), die sich im
Frühjahr loslösen (die übrige Pflanze stirbt ab) und an die Ober-
fläche schwimmen. Zu ihnen gehören die Wasserschlaucharten
(Utricularıa), die Wasserfeder (Hottonia), die Blasenpflanze
(Aldrovandia), welche jedoch in ihrer südlichen Heimat über-
winter. Noch andere überwintern durch ihre Rhizome, wie der
Kalmus, die Wasserrosen, der Knöterich und das schwim-
mende Laichkraut. Winterknospen bilden noch der Frosch-
biss (Hydrocharis morsus ranae), die Krebsschere (Stratiotes
aloides), die quirlblättrige Hydrille (Ayarılla vertiıllata), das
kleine Laichkraut (Fotamogeton pusillus) etc. Bei manchen
Laichkrautarten, z. B. dem krausen Laichkraut (FPotamogeton
crispus), wandeln sich einzelne Seitenzweige zu besonderen Winter-
ästen um, die sich infolge ihrer starren Beschaffenheit leicht von
der Mutterachse loslösen, zu Boden sinken und daselbst überwintern.
Dieses Laichkraut überwintert auch durch sein im Boden befind-
liches Rhizom, während wieder andere Laichkrautarten wie /’ota-
mogeton pectinatus L. ebenso wie das Pfeilkraut (Sagıllarıa
sagittifolia), Froschlöffel (Alisma), Binsen (Scir us Palustris) u.a.
Knollen bilden und im Herbst bis auf diese absterben. Die Über-
winterung unserer Wasserlinsen geschieht nach der Beschreibung
von Hoffmann und Hegelmaier bei der wurzellosen Wasserlinse
(Wolffia arrhisa) bei uns — in wärmeren Gegenden sind keine
besonderen Vorkehrungen nötig — durch Sprosse, die sich von den
Sommersprossen wenig, hauptsächlich durch massenhafte Anhäufung
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 107
von Reservestoffen, unterscheiden. Sie sinken im Herbst infolge
dieser Aufspeicherung von Reservestoffen und der dadurch be-
dingten Zunahme des spezifischen Gewichtes zu Boden, um im
Frühjahr wieder emporzusteigen. Auch die grosse Teichlinse
(Spirodela) bildet besondere Wintersprosse, welche aber von den
Sommersprossen durch geringere Grösse und fast nierenförmige
Gestalt unterschieden sind, keine Lufthöhlen bilden, einen bis 2 mm
langen Sprossstiel haben, durch den sie sich scharf abgrenzen, und
nur zwei bis drei sehr kurze Wurzeln treiben. Die Spaltöffnungen
bleiben bei den Wintersprossen, so lange sie auf dem Boden liegen,
geschlossen. Im Frühjahr sprossen aus ihnen die Sommersprossen
hervor, brauchen die Reservestoffe auf und steigen, indem sie Luft-
höhlen bilden, an die Oberfläche. Die Ausbildung der Wintersprosse
geschieht hier auch im Zimmer. Die eigentlichen Lemnaarten: die
gemeine Wasserlinse und die untergetauchte Wasserlinse
(Z. trisulca) können einen hohen Kältegrad vertragen, bilden daher
keine besonderen Wintersprosse. Die überwinternden Sprosse
trennen sich nur bei Abschluss der Vegetationsperiode meist in
jugendlichem Zustand von ihren verwesenden Muttersprossen los
und harren so den Winter aus, Zemna minor verbleibt dabei am
Wasserspiegel so lange er nicht zufriert.
Zu den prächtigsten Bewohnern unserer Seen, Teiche und
Flüsse gehören die Seelilien oder Teichrosen, die Nymphaeaceen,
eine Familie der Wassergewächse, welche in einer früheren geo-
logischen Epoche auf dem Höhepunkt ihrer Entwickelung stand.
Unsere wenigen jetzt lebenden europäischen Arten geben uns nur
noch ein mattes Bild von der bunten, prächtigen Nymphaeaceen-
flora der Braunkohlenzeit. Der Graf von Saporta38) sagt darüber:
„Man muss nach Ägypten, Nubien, an die Gewässer von Sene-
gambien und die überschwemmten Savannen von Guyana oder an
die Lagunen von Indien und China gehen, um auch dann noch
abgeschwächte Beispiele von dem zu finden, was in Europa in der
oligocänen Zeit die Seelilien waren. Nicht allein Nelumbium Buchi
Ett. vom Monte Promina und die Fragmente von Wurzelstöcken,
welche Heer auf der Insel Wight beobachtete, bezeugen die
er „a ER
. IE
108 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Gegenwart von europäischen oligocänen Lotosblumen. Die eigent-
lichen Nymphaeen (Nymphaea parvula Sap., N. Char pentieri Mr.)
beweisen nicht allein die Existenz von Pflanzen, doppelt so gross
als unsere weisse Seelilie (N. alba); es gab auch in dem damaligen
Europa Gattungen oder Sektionen von Gattungen, die heute aus-
gestorben sind, deren Charaktere wir nur in sehr unvollkommener
Weise analysieren können, die sich aber hinlänglich von unseren
heutigen Arten unterscheiden, um uns glauben zu lassen, dass ihre
Blumen uns überraschen und unsere Bewunderung erregen würden,
wenn es uns möglich wäre, sie zu betrachten. Der erste dieser
tertiären Typen ist in den Gipsen von Aix vertreten (Nymphaea
gyPsorum Sap.), ein anderer in Saint-Zacharie (N. Zolyrrhiza Sap.),
ein dritter, wie es scheint, in dem Aquitan von Manosque (N.
calophylla Sap.). Ein Bruchstück seiner Früchte mit Lappen von
Blumenblättern umgeben, beweist, dass er gefüllle Blumen hatte,
die wenigstens doppelt so gross als diejenigen unserer heutigen
Seelilien und nach einem ganz anderen Plan konstruiert waren..... ge
In unseren Gewässern finden sich gegenwärtig nur noch die beiden
Gattungen der gelben und weissen Seerose (Nufhar und
Nymphaea), von denen die erstere fünf grosse gelbe Kelchblätter
und zahlreiche winzige zu Nektarien umgestaltete Blumenblätter
besitzt, während die letztere weisse nektarienlose Blumenblätter
und grüne Kelchblätter hat. Von den gelben Teichrosen sind bei
uns zwei Arten (NMuphar luteum und N. fumilum), von den weissen
gleichfalls zwei Arten (Nymphaea candıda und N. alba) mit ver-
schiedenen Spielarten und Bastarden bekannt. Man kennt im Ganzen
gegen 52—53 lebende Arten der Nymphaeaceen, die sehr ver-
schiedene biologische Anpassungen zeigen. Die (zwei) Arten von
Nelumbo (Unterfamilie Nelumbonoideae) strecken ihre schildförmigen
Blätter hoch über das Wasser empor und reifen auch die Früchte
über Wasser, ihre Blüten sind gelblich oder rosenfarben. In der
Unterfamilie Cabomboideae haben dagegen die (vier) Arten von
Cabomba schildförmige, unten ausgerandete Schwimmblätter
und vielteilige untergetauchte Blätter von ähnlicher Gestalt
und Zerteilung wie unser gemeiner Wasserhahnenfuss. Bei der
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 109
Gattung Brasenia (eine Art, Brasema Purfurea) sind Schwimm-
blätter und Wasserblätter schildförmig elliptisch. Die dritte Unter-
familie der Nymphaeoideae umfasst 1) die Barclayeae mit der
Gattung Barclaya (drei Arten) mit fünfblättrigem Kelche und ober-
ständiger, walzig-röhrenförmiger Blumenkrone, der innen die zahlreichen
abwärtsgebeugten Staubgefässe eingefügt sind. Die Blätter der
B. longifolia sind länglich, gestielt, denen unseres Wasserknöterichs
nicht unähnlich; 2) die Nuphareae mit der Gattung Nuphar (sieben
Arten); 3) die Tetrasepaleae mit den Gattungen Nymphaea (etwa
32 Arten), Euryale (eine Art) und Victoria (zwei bis drei Arten).
Die Gattung Victoria, deren bekannteste Art Victoria regıa mit
ihren riesigen Schwimmblättern von ı nm Durchmesser und Blüten
von 2—4 dm Durchmesser in den ruhigeren Nebenflüssen des
Amazonenstromes oft meilenweit die Wasserfläche bedeckt, und die
Gattung Euryale haben bestachelte Stengel und Blätter, In der
Gattung Nymphaea selbst sind die Arten der Untergattungen Lotos
(z. B. die afrikanische Nymphaea Lotus, die sich bereits auf alten
ägyptischen Denkmälern vielfach dargestellt findet und mit der
N. thermalis der ungarischen Thermen identisch ist) und ydro-
callis (mit grüngelblichen Blüten) mit glattem Blütenstaub versehen
und blühen nur des Nachts. Die NMymphaea Amazonum öffnet
ihre Blüte nur etwa 20— 30 Minuten in den ersten Morgenstunden.
Die übrigen Arten der Untergattungnn Xanthantha (mit gelber
Blüte), Castalia (mit fünf Arten, worunter unsere einheimischen),
Brachyceros und Anecephya sind Tagblüher, meist mit kurz-
stacheligen oder warzigen Pollenkörnern versehen. Die blaue Lotos
der Ägypter Nymphaea coerulea hat blaue, die den Ostindiern
heilige Nymphaea stellata und die australische N. gigantea haben
blau rosig und weiss aussehende Blüten.
Die Blütenbiologie unserer einheimischen Seerosen ist bereits
mehrfach studiert worden. Bei unserer weissen Teichrose (Nymphaea
alba) öffnet sich die Blüte des Morgens gegen 7 Uhr und schliesst
sich nachmittags gegen 4 Uhr, dabei birgt sie ihre zarten Blüten
(wohl gegen die Kälte der Nachtluft) unter Wasser. Linne
(Disquis. de sexu plantarum 1760) sagt:
EEE
110 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Nymphaea alba quotidie mane ex aqua tollitur, floremque di-
latat adeo ut meridiano tempore tres omnino pollices pedunculo
aquam superemineat. Sub vesperam penitus clausa et contecta
demergitur. Circa horam enim quartam post meridiem contrahit
florem, agitque sub aqua omnem noctem, quod nescio an cuiquam
per bis mille annos notatum sit, id est inde a Theophrasti aevo,
qui hoc observavit in Nymphaea Loto.... Scripsit autem Theo-
phrastus, hist. plant. IV, 10. de Loto eaquae sequuntur: „In
Euphrate caput floresque mergi referunt, atque descendere usque
in medias noctes: tantumque abire in altum, ut ne de missa
quidem manu capere sit: diluculo dein redire et ad diem magis.
Sole oriente jam extra undas emergere floremque patefacere, quo
patefacto amplius insurgere, ut plane ab aqua absit alte“. — Idem
prorsus mos est nostrae Nymphaeae albae.
Die Seerosen sind zoidiophil, der Bestäubung durch Tiere
angepasst, da sie aber, wie wir oben hervorhoben, die Höhe ihrer
Entwickelung bereits in einer früheren geologischen Epoche erreicht
hatten, wird man heutzutage nicht mehr mit Sicherheit behaupten
können, welcher Abteilung der Tiere sie ihre Bestäubungsverhältnisse
angepasst haben. Für einige Arten scheinen die geeigneten Be-
stäuber ausgestorben zu sein, so dass dieselben jetzt auf Selbst-
bestäubung angewiesen sind. So soll nach Caspary4) in der
Unterabteilung Hydrocallis der Gattung Nymphaea die Bestäubung
vor Aufbruch der Blüten stets mit eigenem Blütenstaub erfolgen,
wobei 10000 bis 30000 Samen, die aufs beste keimen, gebildet
werden. Auch Zuryale ferox befruchtet sich stets selbst, oft bei
ganz geschlossener, ja völlig unter Wasser bleibender Blüte. Gegen-
wärtig scheinen unsere Seerosen auf die Käfer und Fliegen an-
gewiesen zu sein. Nach Delpinos Vermutung werden Nymphaea
alba und Victoria regia von Cetonien (Rosenkäfern) und Glaphy-
riden befruchtet. Bei Nuphar sondert die Unterseite der reduzierten
Blumenblätter Honig ab, während die Kelchblätter durch Aus-
dehnung ihrer Fläche und ihre gelbe Farbe die Rolle der Blumen-
blätter übernommen haben. Unsere Nuphar wie Nymphaea sind
proterogynisch und ist z. B. bei Nymphaea die Narbe nur am
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. Kt
ersten Tage des 3—7 Tage währenden Blühens empfängnisfähig,
so dass Bestäubung ohne Insekten nicht erfolgt.
Sprengel fand bei der gelben Teichrose Blumenkäfer in
den Blüten und Hermann Müller sah dieselben ausser von
Meligethes von Schilfkäfern (Donacia dentata) und Fliegen (Onesia
floralis) besucht. Neuerdings hat der amerikanische Biologe Charles
Robertson!) den Bestäubungsverhältnissen der Seerosen ein
besonderes Interesse zugewandt. Nach ihm ist Nelumbo und
Nymphaea Pollenblume, während Nuphar Pollen und Nektar
deren Besuchern darbietet. Jordan giebt jedoch bei Nymphaea
alba vor den introrsen Staubgefässen (nach innen) gelegene flache
Honigdrüsen an. Robertson fand bei Nelumbo lutea als Haupt-
bestäuber Hautflügler, besonders Andreniden (Hahctus) und Schweb-
fliegen, bei Nuphar advena sowohl im Staate Illinois (im August)
wie in Florida (im Februar) Aahetus pectoralis (Andrenide),
Helophilus divisus (Schwebfliege), Donacıa piscatrıx (Schilfkäfer),
Trelease fand in Madison gleichfalls Aahctus pectoralis und
Donacıa piscatrix. Bei Nymphaea tuberosa fand Robertson acht
Andreniden, zwei Syrphiden, eine Bombylide, besonders häufig
auch hier Halictus pectoralis, letztere auch bei Nymphaea alba.
Piccioli fand bei dieser gleichfalls Donacıa, so dass als besonders
regelmässige Bestäübungsvermittler der Seerosen Schilf-
käfer (Donacia dentata in Deutschland, D. piscatrix in Nord-
amerika), Halictusarten (A. pectoralis in Nordamerika) und
Fliegen bisher beobachtet worden sind.
Die Blüten der Seerosen scheinen nicht selten eine Todesfalle
für Insekten zu sein, so fand Delpino tote Insekten bei Mymnphaea
albz und nahm an, dass sie durch die durch einen starken Geruch
bemerklichen Ausdünstungen der Pflanze getötet worden seien.
Planchon (Flore des serres et des jardins 1850) denkt an eine
Anhäufung von Kohlensäure in dem Blütenkesse. Robertson
fand zuweilen in den Nelumboblüten tote Hummeln (Bombus
virginicus) und Fliegen, die durch die Petala eingeschlossen waren
und in ihrem Gefängnis erstickt zu sein schienen. Dagegen fand
er in dem Blütenbassin von Nymphaea tuberosa Halıctus occıdentalıs
cr FEN
112 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
ertränkt. Auch A. Bacon (Bull. Torr. Bot. Club V, 51) berichtet,
dass er in den Blüten der Nymphaea odorata gefangene und
getötete Insekten eingeschlossen gefunden habe.
Die von Lufthöhlen durchzogenen Blatt- und Blütenstiele (Fig. 12)
und Wurzelstöcke sind bei unseren Teichrosen (überhaupt bei
Victoria, Euryale, Nymphaea, Nuphar, bei letzterer Gattung nur
die Wurzelstöcke nicht) im Innern mit vielästigen Sternhaaren mit
körniger Oberfläche versehen, welche in die Zwischenzellräume
Fig. 13.
Luftgänge und Sternhaare aus dem Stengelquerschnitt einer Teichrose. (Nach Engler.)
hineinragen. Man bemerkt dieselben schon mit blossem Auge
deutlich, wenn man ein kurzes Stück aus dem Blattstiel ausschneidet
und durch dasselbe hindurch sieht. Nach den Untersuchungen
Stahls sind solche Feilenhaare ein Schutzmittel gegen
Schneckenfrass und die Zerstörungen anderer omnivoren Tiere.
Nun scheinen Schnecken in der That gerne das Innere grüner
Stengel auszufressen. (In meinem Garten wurden die Stengel der
Kaiserkrone mehrere Jahre hindurch durch Nacktschnecken abge-
fressen, die den Stengel dicht an der Erde durchfressen und dann
aushöhlen, während die Versuche, an den Blättern zu fressen, wohl
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 1413
wegen des hohen Raphidengehaltes derselben, bald aufgegeben
wurden.) Bei anderen Wasserpflanzen, welche einen solchen Schutz
ihres Stengelmarkes nicht haben, werden die Stengel nicht selten
ausgehöhlt und zu Grunde gerichtet. So leben von dem Mark des
Wasserliesches (Butomus umbellatus) die Larve einer Fliege
(Agromyza confinıs), in dem des Igelkolbens etc. die Larve von
Faltern (Orthothaelia sparganella, Nonagria Sparganii) und fressen
die Stengel aus, wenn nicht Blesshühner, Rohrdommeln und Störche,
welche Raupen und Puppen sehr geschickt herausholen, oder Schlupf-
wespen (Ichneumon divisorius) Einhalt thun. Abgesehen von einer
Blattlaus (Aphis Nymphaeae, die sich auch an verschiedenen anderen
Wasserpflanzen, dem Froschbiss, Froschlöffel, Wasserliesch etc.
einfindet), einigen Käfern (Donacia crassipes, Donacia Menyanthadis,
Galeruca Nymphaeae) und Falterraupen (Nymphula nymphaealıs
verpuppt sich unter einem der oberen Blattfläche angeleimten Blatt-
stückchen, der Falter ist im Mai und Juni in der Nähe der Teich-
rosen häufig) haben unsere Teichrosen wohl wenig Feinde oder
nutzlose Gäste (Bryozo£n etc.) aus der Tierwelt aufzuweisen. Auch
gegen Pilzschmarotzer scheinen sie gefeit zu sein. Ein durch dieses
Vorkommen bemerkenswerter Rostpilz (Aecıdium nymphaeoides)*)
ist sehr wenig verbreitet. Die Verbreitungsmittel der Wasser-
gewächse sind nicht selten derartige, dass sowohl eine Weiter-
verbreitung innerhalb desselben Gewässers, als auch eine weitere
Verbreitung von Gewässer zu Gewässer möglich ist. In ersterer
Hinsicht ist es von Vorteil, wenn die Samen oder Früchte zu
schwimmen vermögen (wobei sie durch Wasserströmung und
Wind verbreitet werden), später aber ein grösseres spezifisches
Gewicht als das Wasser erlangen und zu Boden sinken
*) Nachdem das Obenstehende niedergeschrieben, ist die Zugehörigkeit des decidium
nymphaeoides DC. zu Puccinia Scirpi DC. auf Scirpus lacustris sowie die der Aecidien
auf Hippuris und Sium latifohlum zu Uromyces lineolatus Desm. auf Serrpus marıtımus
erwiesen worden. Immerhin bleibt noch eine ganze Anzahl von Rostpilzen auf den Binsen-
und Schilfpflanzen übrig, deren Zugehörigkeit zu denen anderer Wasser- und Sumpfpflanzen
noch zu ermitteln ist — eine der vielen Aufgaben, welche an den Süsswasser-Stationen,
wie sie Dr. OÖ. Zacharias ins Leben gerufen hat (vergl. das ı5. Kapitel dieses Werkes),
ins Auge gefasst werden können.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 8
114 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
(wenn sie nicht wurzellosen Pflanzen zugehören). Bei der Ver-
breitung von Gewässer zu Gewässer kommen, wenn wir von
Überschwemmungen absehen, hauptsächlich Wind und Tiere als
Verbreitungsfaktoren in Betracht. Bei den Schwimmgewächsen
spielen besonders die letzteren eine hervorragende Rolle und unter
ihnen besonders die geflügelten Wassertiere, Vögel und Wasserkäfer.
Bei unseren weissen Teichrosen sind die Samen mit einem
Samenmantel versehen, so dass sie nach dem Platzen der
Frucht an der Wasserfläche, durch die zwischen ihnen und
dem Samenmantel enthaltene Luft gehalten, umher-
schwimmen können. Dieser Schwimmmantel umgiebt den
Samen lose als weissliche Hülle. Zunächst sind nach dem
Auseinanderfallen der Fruchtwände die Samen zu einem schleimigen
Klumpen vereinigt, der sich aber schliesslich auflöst, so dass die
Samen sich frei umherbewegen. Zuletzt vergeht auch der Samen-
mantel, die Luftblasen entweichen und der Same fällt vermöge
seiner Schwere zu Boden#). Anders verhält sich die gelbe
Teichrose. Bei ihr findet sich die Vorrichtung zur Wasser-
verbreitung nicht an den Samen, sondern sie liegt in einer
besonderen Konstruktion der Fruchtwände. Zur Reifezeit
löst sich die Frucht gleichfalls von ihrem Stiele ab, aber die Samen
werden dabei nicht sogleich frei, sondern es geschieht, wie es
Hildebrand schildert, etwas dem Verfahren ähnliches, welches
man einschlägt, wenn man eine Apfelsine in einzelne halbmond-
förmige Teile zerlegt. Von der äusseren Fruchtwand löst sich
nämlich nur die äussere grüne Schicht los, während die innere mit
den Scheidewänden der Frucht in Verbindung bleibt. Die Scheide-
wände spalten sich dann bald von aussen beginnend in je zwei
Lamellen, wodurch jene halbmondförmigen Scheiben entstehen,
gebildet aus einer festen Aussenhaut, welche die zahlreichen schweren
Samen in einen Schleim eingebettet umschliesst. Diese Scheiben
sinken nicht unter, weil in dem Schleime ihres Inneren zahlreiche
Luftblasen entstanden sind. Erst später, wenn die Scheiben länger
umhergeschwommen sind, löst sich die äussere Hülle auf, die Luft-
blasen entweichen aus dem Schleime und die Samen werden auf
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 115
den Grund des Wassers ausgesäet. Der Samenmantel der Nym-
phaea fehlt ganz. Noll hat darauf hingewiesen, dass die Wasser-
hühner die eigentlichen Verbreiter der Samen der Teichrosen
von Teich zu Teich sind. Die Früchte sind ihre Lieblingsspeise.
Bei dem Verzehren derselben bleiben die klebrigen Samen den
%
Fig. 14.
a Same von Vrllarsia nymphaeoides — b Frucht von Didens tripartitus — c Frucht von
Trapa natans — d Blüte von Scirpus lacustris — e von Scirpus Balustris mit widerhakigen
Perigon-Borsten — f Frucht von Zypha latıfolia. a—e der Verbreitung durch Tiere,
‚f der Windverbreitung angepasst; c zugleich ‚‚Ankerklette‘‘. (Nach Hildebrand und Huth.)
Vögeln an Haaren und Schnäbeln haften und werden, wie Noll
fand, von ihnen verschleppt. Durch Wasservögel werden auch
unsere Wasserlinsen weiter verbreitet. Nicht im Wasser
schwimmende Samen und Früchte (Fig. 14) kletten sich den
8*r
en 3 Bu ee Fi 24
- i 2
« I
116 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Wasservögeln häufig an und die Verbreitung vieler Wasser-
pflanzen ist von den Wanderungen und der Zugrichtung der
Wasservögel abhängig. So verdanken Villarsia- und Lim-
nanthemumarten den Wasservögeln ihre weite Verbreitung.
Leersia oryzoides ist nach Ebelings Vermutung durch Steiss-
füsse, Enten, Wasserhühner aus Südeuropa bis zur nord-
deutschen Küste verbreitet worden. Unsere Wasserbinsen
Scirpus lacustris und Scirpus palustris, sind mit einem aus sechs
Borsten bestehenden Perigon mit rückwärts gerichteten Stacheln
versehen. Ähnliche Klettvorrichtungen sind bei Rhynchospora etc.,
ferner vom Zweizahn (Bidens) bekannt. Bidens cernuus ist
— jedenfalls durch Vögel verschleppt — aus Europa zu Anfang
dieses Jahrhunderts nach Nordamerika gekommen. B. prlosus
wanderte aus Nordamerika nach Teneriffa und Neuseeland, 2.
Zeucanthus aus Mittelamerika nach Madeira und der Insel Mauritius
und der in Nordamerika heimische 2. bipinnatus ist jetzt in Tirol
eine wahre Landplage geworden. Die mit gefiedertem Flugapparat
versehenen Samen vom Rohrkolben und andere den Wind als
Transportmittel benutzende Wasserpflanzen haben gleichfalls noch
das Vermögen eine Zeit lang an der Oberfläche zu schwimmen. —
Bei einer Anzahl tropischer Wassergewächse keimen die Samen erst,
nachdem sie eine gewisse Zeit ausgetrocknet waren 45); es kann dies
mit ihrem Vorkommen in Gewässern zusammenhängen, die regel-
mässig einen Teil des Jahres austrocknen. Möglich wäre es aber
auch, dass diese, von einem vorherigen Austrocknen bedingte Keim-
fähigkeit der Samen in Zusammenhang stände mit dem Transport
der Samen von Gewässer zu Gewässer durch das Trockene hindurch.
Eine Schwimmpflanze, welche nicht nur, wie die Seerosen, die
Zeit ihrer hauptsächlichsten Entfaltung an der Erdoberfläche hinter
sich hat, vielmehr jetzt im Aussterben begriffen zu sein
scheint, ist die Wassernuss (T7rapa natans). Nathorst und
Carlsen 4), welche die Verbreitung dieser Pflanze in Schweden
untersucht haben, fanden ihre Früchte in vielen Seen Schwedens
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 117
verbreitet, in denen die Pflanze jetzt gar nicht mehr wächst oder
jetzt sehr selten geworden ist, in dem Schlamm des Bodens. Die
Pflanze scheint gewöhnlich mit der weissen Seerose gelebt zu
haben und es ist daher zweckmässig, in der Nähe dieser auch die
Seen anderer Länder nach den Trapafrüchten, die zudem einen
Reichtum von Varietäten zur Schau tragen, zu durchsuchen.
Nach Huth) sind die hakigen Früchte als „Ankerkletten“
zu betrachten (welche ein Festhaken des Keimlings am Boden be-
wirken) — im Gegensatz zu den Verschleppungskletten des Zwei-
zahns (Didens) etc.
Die submersen Blätter, welche sich neben den Schwimmblättern
finden, besitzen eine Reihe von Eigentümlichkeiten, welche anderen
submersen Blättern abgehen. Die obersten von ihnen besitzen
sowohl Luftspalten als Wasserspalten von charakteristischer An-
ordnung. Luft- und Wasserspalten sind sonst bei Wasserpflanzen
sehr selten. Sie finden sich nach De Bary noch auf den Samen-
lappen von Batrachium, den Laubblättern von Callitricheen, Hippuris,
Hottonia. Die sehr feinfiedrig geteilten grünen submersen Blatt-
organe sind Wasserwurzeln, welche gewissermassen an die grünen
von Fritz Müller beobachteten Luftwurzeln anderer Pflanzen er-
innern. Eine eingehendere Darstellung dieser Verhältnisse wie auch
der Keimung hat Wittrock4T) gegeben. — In Deutschland findet
sich die (mit einer anderen Wasserpflanze Isnardia und den land-
lebigen Weidenröschen und Circaeaarten) zu den Nachtkerzen-
gewächsen (Onagraceae) gehörige Wassernuss sehr zerstreut. Orte
ihres Vorkommens sind ausser den seenreichen Gegenden Nord-
deutschlands z. B. der Niederrhein, Seen und Teiche um Dessau,
bei Plothen und Drebra bei Gera.
Die Arten des Wasserhahnenfusses (Batrachium), deren
systematische Bearbeitung z. B. bei J. Freyn48) nachzusehen ist,
zeigen merkwürdige Übergänge von dem Landleben und amphi-
bischen Leben zu echten Schwimmpflanzen und typisch submersen
Arten. Von den acht in Nord- und Mitteldeutschland vertretenen
Arten ist nur Batrachum hederaceum eine echte Schwimmpflanze,
die lauter eigentliche Schwimmblätter besitzt. Ihm steht eine in
rs a be ai wi) Li he so BrT:
. Di Ng PIPFTER, ne
B *
118 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
Sizilien, Asturien, England etc. vorkommende Art BD. caenosum nahe.
Die submersen Arten bilden wie die Tausendblattarten sehr
ausgedehnte Wiesen unter Wasser oder weithin flutende Rasen in
unseren Flüssen. Am häufigsten sind D. dwarıcatum in stehenden
Gewässern mit nur zerschlitzten (untergetauchten), flächenförmig aus-
gebreiteten, kreisrunden Blättern, die meist einmal dreiteilig sind mit
weiterhin wiederholt gabelspaltigen Zipfeln, 2. fluitans, welches vor-
wiegend in Flüssen und Bächen wächst, dreiteilig vielspaltige, sehr
langhin ausgedehnte Wasserblätter, nur selten aber nierenförmige.
oder geschlitzte Schwimmblätter besitzt und die gemeinste und
vielgestaltigste, allen möglichen Lebensverhältnissen angepasste Art
B. aquatıle. Letztere erzeugt im Wasser nur zuweilen Schwimm-
blätter und zwar zur Blütezeit. Askenasy6) ist durch Versuche
zu der Ansicht gelangt, dass ein typisches Schwimmblatt sich bilde,
wenn das einer Blüte gegenüber stehende Blatt in einer bestimmten
Periode in die Luft emporgehoben wird. Besonders merkwürdig
sind die Luftformen der Hahnenfussarten in kleinen Tümpeln etc.,
die sonst sehr dicht mit Wasserpflanzen besetzt sind. Sie haben
ausser submersen zerschlitzten Blättern und echten Schwimmblättern
typische Luftblätter (mit den Spaltöffnungen an der unteren Seite) etc.
Eigentliche Landformen kommen beim völligen Austrocknen der
Sümpfe bei fast allen drei Arten vor, sie haben aber bei 2. divarı-
catum nur die typischen zerschlitzten Blätter. Der Übergang der
einen in die andere biologisehe Form erfolgt meist schnell bei
Eintritt anderer Lebensverhältnisse. — Ähnliche amphibische Wasser-
pflanzen sind z. B. der Tannenwedel (Aiffuris), die Tännel-
arten Elatine etc. — Die Blüteneinrichtung des gemeinen Wasser-
hahnenfusses D. aquatıle ist von Herm. Müller (l.c.) beschrieben
worden. Die Honigblumen, zu deren Saftdrüsen die als Saftmal
dienende gelbgefärbte Basis der Blumenblätter führt, werden besonders
von Schwebfliegen (Eristalisarten, Zeloßhrilus florens, Chrysogaster
viduata), kleineren und grösseren Musciden, Bienen (Afıs melhfica),
Hummeln (Dombus terrestris) bestäubt. Ein von H. Müller
beobachteter Käfer (Helodes Phellandri) frisst die Blumenblätter
und Staubgefise. Bei hohem Wasserstand bleiben die Blüten .
b
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 119
geschlossen unter Wasser und befruchten sich selbst. Ob solche
kleistogamische Blüten, wie sie sich bei dieser mit dem Landhahnen-
fuss (Ranunculus) doch nahe verwandten und wohl von diesem
abstammenden Gattung von Batrachium finden, auch sonst bei
echten Hydrophyten vorkommen, oder ob hier überall die früher
erörterten Anpassungen an eine typische Wasserbefruchtung ein-
getreten sind, bedarf noch eines besondern Studiums. H. Müller
war nach brieflichen Mitteilungen, welche er an mich richtete,
geneigt, eine weitere Verbreitung kleistogamischen Blühens auch bei
Wasserpflanzen anzunehmen. Das Vorkommen einer gross- und
kleinblütigen Form, wie es bei vielen Landpflanzen (Stellaria gra-
minea, Cerastium arvense, Thymian, Gundermann etc.) bekannt
ist — in Verbindung mit einer Trennung in Zwitterblüten und
weibliche Blüten, ist z. B. von Kirchner beobachtet worden, welcher
unter den normalen Stöcken (Blüte 20—27 mm im Durchmesser)
solche mit Blüten von 3—4 mm Durchmesser und wenigen Staub-
gefässen fand. Der letztgenannte Forscher hat auch die Blüten-
einrichtung des D. dwarıcatum näher beschrieben. Beyer4#9) hat
die spontanen Bewegungen der Staubgefässe des gemeinen Wasser-
hahnenfusses, dessen Blüte „auf Unterbestäubung eingerichtet ist“,
in ihrem gesetzlichen Ablauf näher studiert. (Bei Ranunculus
auricomus hatte schon Konrad Christian Sprengel die Staminal-
bewegung beobachtet.)
Von amphibischen Schwimmpflanzen sei hier nur noch des
Wasserknöterichs (Polygonum amphibium) mit einigen Worten
Erwähnung gethan. Der Gegensatz einer besondern Landform und
Wasserform tritt bei ihm besonders hervor. Wächst Polygonum
amphibium im Wasser, so bildet es die Form natans mit
langgestielten, breitlanzettlichen, am Grund herzförmigen Schwimm-
blättern von lederartiger Konsistenz Blätter und Stengel. Bei der
Landform P. terrestris sind dagegen die dem Wurzelstock ent-
springenden Stengel aufrecht von unten auf mit schmallanzettlichen,
festsitzenden Blättern besetzt, deren Fläche nicht glatt, sondern
runzlig ist. Während bei der Wasserform der Luftkanal
stärker entwickelt und dadurch das spezifische Gewicht
ee
120 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
des Stengels herabgesetzt ist, bildet die Landform
zur Erreichung der für sie unentbehrlichen Biegungsfestig-
keit ausserhalb des Bastgewebes (Phloöms) besondere mecha-
nische Zellen, ein Skelett, im Stengel aus50). Das ganze
Hautgewebe hat zum Zweck der Transpiration und Durchlüftung
besondere Umgestaltungen erfahren. Besonders beachtenswert ist
aber, dass die Landform besondere Schutzmittel gegen
ungeflügelte aufkriechende Tiere hat. Kerner5l) hebt
es besonders hervor, dass den Wasserpflanzen, wie Alisma,
Butomus, Sagittaria, Hottonia, Utricularia, Villarsia,
Nuphar, Nymphaea, Hydrocharis, Stratiotes, welche
durch das umgebende Medium vor aufkriechenden
Tieren (Ameisen, Raupen etc.) geschützt sind, die beson-
deren Schutzmittel der Blüte fehlen, welche bei den ,
Landpflanzen in so reichem Masse zur Entwickelung
gelangt sind. „Sehr lehrreich in dieser Beziehung“, sagt Kerner,
„ist das Verhalten des Polygonum amphibium. Die schön rosen-
roten Blüten dieser Pflanze sind zu kleinen Cymen vereinigt und
diese bilden eine dichte, cylindrische, ährenförmige, sehr reiche
Inflorescenz von 2.5 bis 3.5 cm Länge und ı bis 1.2 cm Breite. Die
Blätter des Perianthiums sind fast bis zum Grunde getrennt; der
Fruchtknoten ist von einem fleischigen, roten, fünflappigen, nektar-
absondernden Becher umgeben und der Grund der Blüte auch
reichlich mit Nektar erfüllt. Die mit der Basis des Perianthiums
verwachsenen Pollenblätter sind sehr kurz und die Pollenbehälter
bleiben in der Tiefe der Blüte geborgen; die zwei Griffel des
Gynaeceums sind dagegen sehr lang und ragen sogar über die
Blätter des Perianthiums hinaus. Während der Anthese beträgt
die Länge des Perianthiums 4 mm, die obere Weitung kaum 3 zum.
Da der Nektar im Blütengrunde durch kein besonderes Gebilde
am Perianthium geschützt ist, so erscheint er selbst kleinen Insekten
zugänglich und wird von diesen auch gern abgeholt. Bei den
angegebenen Dimensionen der Blüte können aber selbst sehr kleine
anfliegende Insekten nicht vermeiden, dass sie beim Abholen
des Nektars zuerst an die über das Perianthium vorstehenden und
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 1271
etwas spreizenden Narben und dann an die dicht über dem Nektar
befindlichen Pollenbehälter streifen, und da die Blüten proterandrisch
sind, so wird selbst durch sehr kleine anfliegende Insekten, welche
mehrere Blüten und Blütenstände nach einander besuchen, Kreuzung
der Blüten (bald Geitonogamie, bald Xenogamie) veranlasst. Die
von unten her kommenden flügellosen, aufkriechenden kleinen
Insekten würden sich aber nicht die Mühe nehmen, über den obern
Rand des Perianthiums an den aus der Apertur hervorragenden
Narben vorbei zum Blütengrunde vorzudringen, sondern auf dem
kürzesten und für sie bequemsten Wege von unten durch die tiefen,
die Perigonzipfel trennenden Spalten sich den Nektar holen. Sie
würden daher auch eine Belegung der Narben nicht veranlassen
und es würde somit der Nektar geopfert, ohne dass zugleich der
Vorteil der Allogamie erreicht wäre. Da zudem bei Polygonum
amphibium infolge der Dichogamie und der gegenseitigen Lage der
Blütenteile eine Autogamie (Selbstbestäubung) unmöglich ist, würde
durch den Besuch solcher aufkriechenden kleinen Insekten das
Entstehen von Früchten überhaupt gänzlich vereitelt werden. Zu
den Blüten der im Wasser wachsenden Stöcke des Polygonum
amphibium können nun sehr kleine ankriechende Insekten auch
nicht kommen. Wie aber dann, wenn das Wasser abgelaufen ist
und Polygonum amphibium aufs Trockene gesetzt wird? — Da
ist es nun sehr merkwürdig, dass sich in solchem Falle
besondere Schutzmittel ausbilden, welche der im
Wasser wachsenden Pflanze bisher fehlten. Es ent-
wickeln sich nämlich dann aus der Epidermis sowohl der Blätter
als der Stengel eine Unzahl horizontal abstehender, im Mittel
0.7 mm langer Trichomzotten („Drüsenhaare“), die insbesondere an
dem Stengelteile, welcher durch eine Inflorescenz abgeschlossen ist,
so dicht als nur möglich gestellt sind und deren kugelige Schluss-
zellen einen klebrigen Stoff secernieren, so dass sich die Achse,
welche die Inflorescenz trägt, ganz schmierig anfühlt. Jene kleinen,
flügellosen aufkriechenden Insekten, welche den Nektar rauben
möchten, ohne dabei den Vorteil einer Kreuzung der Blüten zu
vermitteln, können über diese klebrige Achse nicht emporkommen,
UT We,
122 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
sie würden an derselben wie an. Leimspindeln kleben bleiben.“
Die Landform hat also dasselbe Schutzmittel gegen unberufene
Blütenbesucher wie die Pechnelke (Zychmis vıscarıa) und viele andere
Pflanzen. Wird der Standort des Polygonum aber wieder einmal
unter Wasser gesetzt, so entwickelt dasselbe Rhizom wieder die
Wasserform ohne diese Trichomzotten, aber mit allen Anpassungen
an das Wasserleben. — Übrigens dürfte Kerner bei den oben
beschriebenen Exemplaren nur die langgrifflige Form des Wasser-
knöterichs vor sich gehabt haben, daneben aber eine kurzgrifflige
(wie bei der Wasserfeder und dem Fieberklee) existieren;
wenigstens hat Kirchner52), wie bereits angedeutet wurde, in der
Landform einen neuen Fall des Vorkommens der
Heterostylie entdeckt. Ob bei dem Wasserknöterich eine
ähnliche Blühfolge besteht, wie ich sie für den gemeinen
Wiesenknöterich beschrieben habe53), hat ebenso besonderes
Interesse (weil diese Art nicht heterostyl ist), wie die Frage,
welches der Insektenkreis der Bestäubungsvermittler der Landform
und welches der der Wasserform ist. Doch ist man zur Beant-
wortung dieser wie tausend anderer ebenso einfacher und doch
wichtiger Fragen zur Biologie der Wasserpflanzen bisher nicht
gekommen.
Die Luftpflanzen unserer Gewässer.
Die Luftpflanzen unserer stehenden und fliessenden Gewässer
sind stets im Boden festgewurzelt, haben zumeist auch einen sehr
kräftig entwickelten Wurzelstock, wie z. B. der Kalmus, die
Schwertlilien etc., zeigen im übrigen aber noch deutliche
Anpassungen an das Wasserleben. Wir können zwei Haupt-
formationen unterscheiden, die Schilfgewächse und die unter
deren Schutz (gegen Wind und Wasserströmung) gestellten, die
Wasserfläche nur wenig überragenden Sumpfpflanzen. Beginnen
wir mit den letzteren, die sehr verschiedenen Abteilungen, zumeist
aber den Monokotyledonen angehören.
Am tiefsten in die Gewässer steigen von höheren Gewächsen
(z. B. neben der den Kreuzblütlern angehörigen Brunnenkresse, den
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 193
Ze
Wasserehrenpreisarten etc.) noch einige Doldenpflanzen, wie der
Wassermerk (Sum, Berula), die Sumpfdolde (Helosciadium),
die Rebendolde (Oenanthe fistulosa und aquatica) und der
Wasserschierling (Cicuta virosa) hinein. Besonders Oenanthe
aquatica ist mit röhrigem Stiel (wie auch der noch durch Gift
geschützte Wasserschierling) und mit haarförmigen, sehr fein zerteilten
Wasserblättern versehen und kann in sehr tiefem Wasser nur die
letzteren untergetaucht ausbilden, ein völlig submerses Wasserleben
führend. Auch die Froschlöffelgewächse (Alismaceen) bilden
noch besondere Wasserblätter aus und führen gewöhnlich ein
Wasserluftleben oder unter besonderen Verhältnissen sogar ein
Wasserleben. Nur der schwimmende Froschlöffel, der von
Buchenau, dem Bearbeiter dieser Pflanzenfamilie, unter die beson-
dere Gattung Elisma (Zhsma natans) gebracht wird — Buchenau
beschreibt zehn Gattungen mit 45—48 Arten von Alismaceen —,
ist eine echte Schwimmpflanze mit Schwimmblättern und submersen
Blättern. Die beiden verbreitetsten Arten unserer Flora sind der
gemeine Froschlöffel (Alsma Plantago) und das Pfeilkraut
(Sagittarıa sagıttifolla), welche beide mit ihren zierlichen Blatt-
büscheln und hübschen Blütenständen die Ufer unserer Teiche und
Flüsse schmücken. Beide bilden in tiefem Wasserstand submerse
Formen mit schmallinealischen Blättern (forma gramimıfoha), die
von Linn& sogar mit einer Vallisnerie verwechselt werden konnten,
auch der hahnenfussblättrige Froschlöffel (Zchinodorus
ranunculoides) verhält sich so. Unser Alisma Plantago, dessen
Blütenstand sich mit mathematischer Regelmässigkeit in die Luft
erhebt (nach den Messungen und Abbildungen von Xaver Pfeifer5#)
träte das Verhältnis des goldenen Schnittes besonders häufig in
dem Aufbau dieser Pflanze zutage), besitzt zierliche kleine Zwitter-
blüten mit sechs (2><3) vor den Kelchblättern stehenden Staub-
gefässen, während der Blütenstand des Pfeilkrautes aus grösseren,
rötlichweissen Blüten getrennten Geschlechts besteht, von denen die
oberen männlich, die unteren weiblich mit vielen Staubgefässen
bezügl. Stempeln in spiraliger Anordnung versehen sind. Beide
Pflanzen sind der Bestäubung durch Vermittlung der Insekten
124 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
angepasst (sind entomophil. Nach Hermann Müller sind bei
Alisma Plantago die pollenübertragenden Insekten Schwebfliegen
(Eristalis, Syritta, Ascia, Melanostoma, Melithreptus). Bei Elisma
natans kommen nach Hildebrand auch kleistogamische Blüten
vor55). Die Verbreitung der Samen geschieht durch den Wind
(mit teilweiser Anpassung an die nächstgelegene Verbreitung durch
das Wasser), bei der ostindischen Gattung Limnophyton besitzen
die Samen zwischen der verholzten Innenschale (Endocarpium) und
der Aussenschale Lufthöhlen (Schwimmvorrichtung); Caldesia
parnassifolia kommt bei uns überhaupt nicht zur Fruchtbildung,
sondern pflanzt sich nur durch Brutknospen fort. — Die gleichfalls
im Schutz der Schilfpflanzen wachsende Schlangenwurz (Calla
palustris), welche bei uns zweimal blüht (im Mai und September),
wäre besonders in Bezug auf die Bestäubungsweise zu untersuchen.
Ob diese durch Raphiden geschützte Pflanze durch Schnecken
oder Insekten befruchtet wird oder, wie Kerner u. A.56) vermuten,
einer Befruchtung durch Regen und Tau angepasst ist, ist bisher
nicht festgestellt worden (vgl. die Bemerkung bei Lemna). Sie hat
rote Beerenfrüchte (Verbreitung durch Vögel!).
Ein hervorragendes Interesse beanspruchen noch die Schilf-
gewächse, welche neben dem Röhricht der Schachtelhalme und
Binsen der Wasserlandschaft ihr eigentümliches Gepräge verleihen.
Sie gehören alle den Monokotyledonen an, und da zudem ihre
Arten bereits in den Tertiärformationen auftreten, ist es wahr-
scheinlich, dass sie eine der ältesten Anpassungen an das Luft-
wasserleben darstellen. In den Luftströmungen und besonders gegen
die Bewegung des Wassers, wie sie besonders bei heftigeren meteoro-
logischen Katastrophen (Wolkenbrüche, Überschwemmungen etc.),
die in der Vorzeit noch weit mächtiger und häufiger eingetreten
sein mögen als jetzt, vorkommen, sind die schmallinealischen (schwert-
förmigen), sehr elastischen, leichten und dabei biegungsfesten Blätter
der Schilfgewächse (die Wind und Regen eine minimale Angrifis-
waffe darbieten) besonders widerstandsfähig, Ihr ganzer Aufbau
(Fig. 15), das von Lufthöhlen durchzogene Blatt (dem meist auch
der Blütenschaft gleichgestaltet ist) mit seiner verdickten Mittelrippe,
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 125
den oft parallel gestellten Querwänden, die wie Strebepfeiler wirken
(bei Iris, Typha, Scirpus silvaticus), deuten darauf hin. Mächtige,
weit verbreitete Rhizome, welche am Grunde festgewurzelt sind,
sichern diesen Pflanzen eine dauernde Existenz durch Sommer und
Winter und eine rasche Ausbreitung über ein grosses Areal. Be-
sondere Vorkehrungen 57T) schützen die jugendlichen Teile gegen
Verletzungen durch die Bodenteile (tütenförmige Niederblätter bei
Glyceria etc.). So schildert Warming58) die besondere Entwickelung
der Rhizome von Phragmites communis. Die neuen, am Grunde der
Fig. ı5.
Schematische Querschnitte durch Blätter der Schilfgewächse. a Schwertlilie — 5 Kalmus —
c Ästiger Igelskolben — d Einfacher Igelskolben — e Wasserveilchen oder Blumenbinse —
f Breitblättriger Lieschkolben — g Schmalblättriger Lieschkolben — % Waldbinse.
Muttersprosse entspringenden Sprosse senken sich tief in die Erde,
ehe sie sich umbiegen und nach oben wachsen. Das ganze unter-
irdische Stengelsystem wird so immer weiter in die Erde gebracht,
bis es eine gewisse Normaltiefe hat, und es entsteht in wenigen
Monaten ein sehr reich und weit verzweigtes Rhizom. — In welcher
Weise die von der mittleren Windrichtung beeinflusste Verwachsung
der Teiche, Seen und Flüsse durch solch üppige Rhizombildung
vor sich geht und durch sie ein Weiterrücken der Flussläufe bewirkt
wird, hat kürzlich M. J. Klinge5°) in einer besonderen Abhandlung
ausgeführt. Haben flutende, schwimmende und untergetauchte
Gewächse, die sich am günstigsten entwickeln an Stellen, die von
126 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
der Stromrichtung nicht getroffen sind, im Verein mit dem zwischen
ihnen abgelagerten Detritus soweit vorgearbeitet, dass Butomus
umbellatus, Sagittaria sagittifolia, Glyceria, Acorus, Arundo, Phrag-
mites, Scirpus lacustris etc. geeigneten Boden finden, so arbeiten
diese Gewächse durch Massenentwickelung darauf hin, das Gefälle
der Flüsse durch Überwachsen ganz zu heben, um für ihre Sipp-
schaft weiten Raum zu schaffen. Der Fluss sucht der Pflanze
seitlich auszuweichen und zwar meist unter dem Winde.
Zu den Schilfgewächsen gehören zunächst von ausgeprägten
Windblühern die Lieschkolben oder Rohrkolben (Typhaceen),
deren kolbenförmiger Blütenstand zuoberst die männlichen, unten
die weiblichen Blüten trägt. Den eigentümlichen Blütenstand, welcher
einem Lampencylinder-Putzer nicht unähnlich ist, haben Dietz®®)
und Kronfeld6t) näher untersucht. Die Blüten stellen die denkbar
einfachsten Monokotyledonenblüten dar, aus zwei Staubfäden oder
einem Stempel bestehend, an dessen Grund haarähnliche Gebilde
stehen. Sie bilden bei den weiblichen Blüten später den Flug-
apparat der Früchtchen, die aber auch zu schwimmen vermögen. Im
Herbst und Frühjahr treiben sich die letzteren in mächtigen wolligen
Massen auf und an den Gewässern umher. Gegen Tierfrass sind
die Lieschkolben durch Büschel von Nadeln des Kalkoxalats
(Raphiden) geschützt. Von zwölf bekannten Arten finden sich
bei uns verbreitet der breite und der schmalblättrige Liesch-
kolben (Zypha latifoha und angustifola), selten der kleine
Lieschkolben (7. minima). Ihnen verwandt sind sodann die
gleichfalls windblütigen Igelkolben (Sparganiaceen), deren männ-
liche Blüten in zahlreichen endständigen Köpfchen der einfachen
oder verästelten, ährig angeordneten Inflorescenzen drei langfädige
Staubgefässe haben, während die gleichfalls kugeligen weiblichen
Köpfchen am Grunde sitzen und ı—2 Griffel haben. Die Haar-
gebilde fehlen und könnten die Früchte des stacheligen Frucht-
standes wohl eher durch Tiere verbreitet werden. Der Blütenstand
ist hier wie bei den Typhaceen proterandrisch, so dass der Wind
nur Fremdbestäubung bewirkt. Am häufigsten ist Sparganıum
ramosum und S. simplex, während S. minimum und S. affıne, die
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 127
häufig flutende Formen ausbilden und echte Schwimmpflanzen dar-
stellen können, seltenere Arten sind.
Von anderen Gattungen, die das Wasserleben vereinigt und
in Bezug auf die vegetativen Organe gleichgestaltet hat, die
aber in Bezug auf die Biologie der Blüte sehr verschie-
dene Anpassungen — nämlich die der nahe verwandten Land-
pflanzen — besitzen, mögen hier noch die Blumenbinsen (Buto-
mus), die Schwertlilien (/ris) und der Kalmus (Acorus), welche
alle drei zoidiophil sind, Erwähnung finden. Die prächtigen Blüten-
dolden des Wasserveilchens (Butomus umbellatus), welche in
dem schwertförmigen Blattwerk einen ebenso fremdartigen Eindruck
auf den Beschauer machen, wie die gelben, grossen Blumen der
Wasserschwertlilie (Jris Pseudacorus) wit ihren blattähnlichen
Griffen, werden durch Insekten bestäubt. Sprengel und H. Müller
fanden sie ausgeprägt proterandrisch, während sie A. Schulz 62), der
gleichfalls ihre Blüteneinrichtung beschreibt, homogam oder schwach
proterandrisch fand. Am nächsten ist unserem Wasserveilchen
die ausländische Gattung Tenagocharis mit langgestielten eilanzett-
förmigen Staubblättern verwandt, während eine andere Butomacee
Lemnocharis (ebenso wie die Alismaceen Echinodorus und Hydro-
coleis) auffallende Ähnlichkeit mit Nymphaea und der Gentianee
Limnanthemum nymphaioides haben. Die Wasserbinsengewächse,
welche überhaupt den Froschlöffelgewächsen nahe stehen, haben
wie diese Milchgefässe, welche eine Ölemulsion (Schutzmittel?) ent-
halten. — Der Kalmus (Acorus Calamus) ist dagegen durch
ätherische Öle geschützt, ein Umstand, der ebenso wie die Zu-
gehörigkeit zu den Schilfpflanzen um so mehr auffällt, als die ihm
verwandte (gleichfalls zu den Arongewächsen gehörige) Schlangenwurz
(Calla palustris), die die Blattform unserer Zimmer-Calla (C. aethıo-
ica) teilt, Raphiden zum Schutz hat.
Der grünlichgelbe Blütenkolben des Kalmus gehört nach den
Vermutungen Delpinos zu den malacophilen (der Schnecken-
befruchtung angepassten) Blüteneinrichtungen. Bei uns bringt der
Kalmus, der sich sehr rasch durch sein Rhizom vermehrt, über-
haupt keine Früchte, er ist „selbst steril“, adynamandrisch, wie dies
u DE"
128 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
z. B. die Fliegenfalle (Apocynum), gewisse Reiherschnabelarten
(Erodium macrodenum) u. a. Pflanzen sind. Die letzteren bringen
nie Früchte, wenn die Bestäubung zwischen Stöcken vollzogen wird,
welche von demselben Rhizom abgezweigt sind, setzen wohl aber
bei Kreuzung zweier Stöcke verschiedenen Ursprungs Früchte an.
Unsere Kalmuspflanzen sollen samt und sonders von einem Rhizom
abstammen, das 1574 von Clusius in Wien eingeführt worden ist.
Verbreitet ist der Kalmus ausser in Europa in dem tropischen und
extratropischen Ostasien, Ostindien, auf der Insel Bourbon und in
Nordamerika und da trägt er Beerenfrüchte.e Wäre daher die
Adynamandrie des Kalmus auf ähnliche Ursachen zurückzuführen
wie bei anderen bekannten Pflanzen, so würde ein Experiment dies
leicht bestätigen, das indessen bisher noch nicht gemacht worden
ist. Man brauchte nämlich dann nur von einem andern Erdteil
Kalmuspflanzen in unsere Teiche mit einzusetzen und — falls die
Bestäubungsvermittler fehlten — den Blütenstaub zwischen den
Stöcken verschiedener Herkunft wechselweise zu benutzen, um
Früchte zu erzielen — ein Versuch, den ich begonnen habe. In
Japan giebt es noch einen schmalblättrigen Kalmus /(Acorus
gramimifohus).
Bei unserer Wasserschwertlilie ist es zur Ausbildung
zweier an verschiedenelnsekten angepasstenBlütenformen
gekommen, indem bei der einen Form die Narbenlappen
der drei äusseren Blätter der Blumenkrone anliegen, bei
der andern von ihr abstehen. Die Bestäubungsvermittler
der ersten Blütenform ist eineSchwebfliege (Rhingıa rostrata),
die der zweiten sind Hummeln (Bombus vestalis, B. agrorum,
B. hortorum). Ein ähnlicher Fall von Dientomophilie wie der hier
erwähnte, über den bei Hermann Müller (Befr. d. Bl. p. 68, 69)
des Näheren nachzusehen ist, ist nur noch für Aconitum
Lycoctonum, eine Landpflanze, durch Aurivillius nachgewiesen
worden 63), Aurivillius fand im mittlern Schweden von dieser
Pflanze gleichfalls zweierlei Stöcke, von denen die Blüten der einen
einen kurzen stärkern, fast geraden stumpfern, die der anderen
einen engen, nach hinten verschmälerten und aufwärts gebogenen
u En
ug 1072, Bet et
Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 129
Sporn haben. Während die erstere Form von Schmetterlingen
besucht wird, sind diese von dem Besuch der zweiten Blütenform
gänzlich ausgeschlossen. Letztere wird denn auch regelmässig von
Hummeln (Bombus hortorum und DB. consobrınus) bestäubt. —
An der Schilfbildung unserer Gewässer beteiligen sich noch mannigfach
andere Pflanzengruppen, so besonders die grösseren Riedgrasarten
und Gräser (Phragmites, Arundo, Glyceria) und die flachblättrigen
Binsen (Scirpus), von denen häufig Verwandte submers und flutend
auftreten (Scırpus fhutans, Glyceria etc. Doch soll auf sie wie
auch auf die eigentlichen Wasserbinsen (Scirpus lacustris etc.) hier
nicht näher eingegangen werden.
Die Schutzmittel der Schilfpflanzen gegen die Tierwelt sind
schon früher erörtert worden. Trotz derselben findet sich in dem
Röhricht und Schilf noch ein reiches Tierleben, das jedoch nur
unwesentliche Schädigungen der Pflanzenwelt des Wassers herbei-
führt. Auch die pflanzlichen Parasiten thun bei uns den Wasser-
pflanzen nur geringen Schaden. Dieselben bestehen zumeist aus
dem Wasserleben angepassten Pilzen — Chytridiaceen bei
Acorus, Iris etc. (Cladochytrum tenue) — der Brandpilzgattung
Doassansia (bei Butomus, auch bei Alisma, Potamogeton), den
allenthalben verbreiteten Ascomyceten und den Rostpilzen
(auf Iris Puccinia Iridis und Uromyces Iridis, auf Acorus Calamus
Uromyces pyriformis). Von anderen Wasserpflanzen beherbergen
ausser den bereits erwähnten Seerosen z. B. noch Hippuris
(Aecıdium Hhppurıdis, dessen Teleutosporen auf Uferhalbgräsern
zur Entwickelung kommen), Limosella (Uromyces Limosellae),
Cicuta virosa (Puccima Cicutae vırosae), Hydrocotyle, Oenanthe,
Nasturtium, Veronica Anagallis, Polygonum amphibium u. a.
Rostpilze. Von den Rostpilzen sind besonders diejenigen Arten von
Interesse, welche Beziehungen zwischen den Wasser-
pflanzen und gewissen Landpflanzen unterhalten,
indem sie wirtwechselnd auftreten, in der ersten Generation
(Aecıdium) meistens Landpflanzen, in der zweiten gewisse
Wasserpflanzen befallend. So verursachen Rostpilze, welche
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. b)
130 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
zuerst die Lysimachia vulgaris, Cineraria palustris,
Achillea Ptarmica etc. erkranken machen ‚ In ihren weiteren
Generationen Krankheiten verschiedener Riedgräser etc. unserer
Teiche und die Krankheiten der Landhahnenfussarten und
Ampferarten haben weitere Rostkrankheiten des gemeinen Schilf-
rohres (Phragmites communis) zur Folge.
Litteratur und Anmerkungen.
1) Vergl. meinen Aufsatz in Naturw. Wochenschrift von Dr.
H. Potonie, Bd. II, 1888, p. 113—ı15, 123—125, 159: „Die
Feigen und ihre Liebesboten“.
2) Referate über die bisher erschienenen Abhandlungen über
Myrmecophilie gab ich im Biologischen Centralblatt Bd. IV—IX
3) Axell Lundström, Pflanzenbiologische Studien II. Die An-
passungen der Pflanzen an Tiere. Mit 4 Taf. Upsala 1887.
4) Ernst Stahl, Pflanzen und Schnecken. Eine biologische
Studie über die Schutzmittel der Pflanzen gegen Schneckenfrass.
Jen. Zeitschr. f. Naturw. u. Med. Bd. XXIL N. F. XV. Jena 1888
(126 S.).
5) Vgl. auch Seligo, Hydrobiologische Untersuchungen. I. Zur
Kenntnis der Lebensverhältnisse in einigen westpreussischen Seen.
Schriften d. Naturforsch.-Ges. zu Danzig, N. F. Bd. VII, H. 3.
1890 (47 S.).
6) Das wichtigste Werk über die Biologie der Wassergewächse,
das mehrfach benutzt wurde, ist das von H. Schenck, Die Biologie
der Wassergewächse. Bonn 1886 (162 S. u. 2 Taf). Von dem-
selben Verf. erschien „Vergleichende Anatomie der submersen Wasser-
gewächse“ (mit 10 Taf.). Bibliotheca botanica Heft I.
7) F. Ludwig, Über die Bestäubungsverhältnisse einiger Süss-
wasserpflanzen und ihre Anpassungen an das Wasser und gewisse
wasserbewohnende Insekten. Kosmos V., 1881, S. 7—ı2. Mit
17 Holzschn.
Yo
Litteratur und Anmerkungen. 131
8) John E. Klercker, Sur l’anatomie et le developpement de
Ceratophyllum. Meddelanden frän Stockholms Högskola. No. 26
m. Bihang t. k. Svenska Vet.-Akad. Handl. 1884.
9) E. Rodier, Sur les mouvements spontanes et reguliers d’une
plante aquatique submergee, le Ceratophyllum demersum. Compt.
rend. #877, T. EXXXTV, No. 18, 30. Apr. Seconde: note sur
les mouvements etc. ibid. T. LXXXV, No. 20, 12. Nov. u. Sep.-
Abdr. (in Bordeaux erschienen).
ı0) Charles Darwin, Ges.!Werke in deutsch. Übers. Bd. XIII.
ıı) Herm. Beyer, Die spontanen Bewegungen der Staubgefässe
und Stempel. Wehlau 1888 (Beil. zum Progr. d. kgl. Gymn.
Ostern 1888, Progr. No. 18, 56 S.).
12) Egon Ihne, Geschichte der Einwanderung von Puccinia
Malvacearum und Elodea canadensis. 18. Ber. d. Oberhess. Ges.
f. Nat. u. Heilkunde. Giessen 1879.
ı3) Ferd. Cohn, Die Pflanze. Breslau 1882, XI. Insekten-
fressende Pflanzen, S. 341— 360.
14) Ch. Darwin, Ges. Werke Bd. VII.
15) H. von Klinggraeff, Schmetterlingsfang der Drosera anglica
Huds. Naturf.-Ges. zu Danzig. N. F. Bd. VII, H. 3. 1890.
16) Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am
Dionaeablatt. Biol. Centralbl. II. 1882, S. 481—500, IX. 1889,
S. I—14, Bot. C. XXXVIII 1889, S. 701—708.
17) S. Korschinsky, Über die Samen der Aldrovandia vesi-
culosa. Bot. Centralbl. XXVII, 302—304, 334—335, m. I Taf.
ı8) Ferd. Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen TI, 3,
N Ei
19) M. Büsgen, Über die Art und Bedeutung des Tierfangs
bei Utricularia vulgaris. Ber. d. D. Bot. Ges. 1888. VI, p. LV
— LXII.
20) H. N. Mosely, Nature. Vol. XXX, 1884, p. 8ı. Natur-
forscher 1884, S. 276.
21) Ch. Darwin, Ges. Werke (Leben u. Briefe III.) Bd. XVI,
Der 3 15,
22) A. v. Kerner und R. v. Wettstein, Über die rhizopodoiden
Verdauungsorgane tierfangender Pflanzen. Sitzber. d. k. Akad. d.
Wiss. Wien 1886 I. Bd. XCIII; vgl. Biol. Centralbl. VI, p. 484.
23) V. Fayod, Über die wahre Struktur des lebendigen Proto-
plasmas und die Zellmenbranen. Naturw. Rundschau V. 1890
Vorläuf. Mitteil.).
9 *
132 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora.
24) Buchenau in Bot. Ztg. 1865, S. 93.
25) Hildebrand in Bot. Ztg. 1869, S. 505—507.
26) Herm. Müller, Die Befruchtung der Blumen durch Insekten
und die gegenseitigen Anpassungen beider. Leipzig 1873. — The
fertilisation of flowers. London 1883 (564 S.).
27) Gilbert, Reproduction vegetative de ’Ultricularia intermedia.
Bull. Soc. bot. belg. Extr. Justs Bot. Jahresber. XI. (1883), S. 55.
28) Ch. Darwin, Ges. Werke Bd. IX, 2. Abteil.
29) Justs Bot. Jahresber. 1880— 1881, S. 182.
30) v. Schlechtendal, Langethal u. Schenk, Illustr. Flora von
Deutschland. Neue Aufl. von Hallier besorgt.
31) Julius Wiesner, Biologie der Pflanzen (III.T. d. wissensch.
Botanik). Wien 1889 (305 S. m. 60 Ilustr. u. ı Karte).
32) A. v. Kerner, Über explodierende Blüten. V. K. k. bot.
zool. Ges. Wien, XXXVII, 1887, S. 28ff. Bot. Centralbl. Bd. XXX,
1887, S. 180ff.
33) Hegelmaier, Monographie der Lemnaceen. Leipzig 1868.
Über die Fructifikationsteile von Spirodela, Bot. Ztg. 1871; danach
die Lemnaceen in Englers Monographie (Engler u. Prantl, Die
natürl. Pflanzenfamilien 1890).
34) William Trelease, On the Structures which favor Cross-
fertilizization in several Plants. Proceed. of the Bost. Soc. of Nat. Hist.
Vol. XXI, 1882, March 15, p. 410—440 (m. 52 Fig. auf 3 Taf.).
35) George Engelmann, Spirodela. Bull. Torr. Bot. Club Nov.
1870 I, p. 42—43; Anthers of Lemnae (l. c. März 1871 II,
p. IO—IT).
36) Federico Delpino, Rivista botanica dell’ anno 1881. Milano
1882,.5133.
37) Henry Gillmann, Lemna polyrrhiza again discovered in
flower on the Detroit river. Amer. Naturalist. XV, 1881, Nov.,
p. 896—897.
38) Graf von Saporta, Die Pflanzenwelt vor dem Erscheinen
des Menschen. Deutsch von Karl Vogt. Braunschweig 1881.
39) Vgl. Casparys Bearb. d. Nymphaeaceen in Potonies illustr.
Flora von Nord- u. Mitteldeutschl. Berlin 1889. S. 249—251.
40) Engler und Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien.
Leipzig 1888.
41) Charles Robertson, Bot. Gaz. Vol. XIV, S. 122—125,
297—298. — W. Watson, Notes on nymphaeas. Gardeners
Chronicle 1884, XXI, S. 87—88. (Das Öffnen u. Schliessen zu
Sal
Litteratur und Anmerkungen, 133
bestimmter Tageszeit kann durch künstliche Belichtung oder Ver-
dunkelung nicht abgeändert werden.) — Die Bestäubungseinrichtungen
der Nymphaeaceen sind auch von A. Schulz (Beiträge zur Kenntnis
der Bestäubungseinrichtungen u. Geschlechtsverteilung bei d. Pflanzen.
I. Bibl. bot. Heft X, II. Bibl. bot. Heft XVII) beschrieben worden.
42) K. Fr, Jordan, Die Stellung der Honigbehälter und Be-
fruchtungswerkzeuge in den Blumen. Doktordiss.. Halle 1886.
43) F. Hildebrand, Die Verbreitungsmittel der Pflanzen.
Leipzig 1873.
44) E. Huth, Die Klettpflanzen mit besonderer Berücksichtigung
ihrer Verbreitung durch Tiere. Bibl. bot. Heft IX. Cassel 1887
(36 S. u. 78 Fig.).
45) F. Ludwig, Über durch Austrocknen bedingte Keimfähig-
keit der Samen einiger Wasserpflanzen. Biol. Centralbi. VI, S. 229.
46) A. G. Nathorst, Untersuchungen über das frühere Vor-
kommen der Wassernuss Trapa natans. Bot. Centralbl. XXVII,
1886, S. 271—274.
47) V. B. Wittrock, Einige Beiträge zur Kenntnis der Trapa
natans. Bot. Centralbl. XXXI, 1887, S. 352—357, 387—3809.
48) Potonie, Illustrierte Flora von Nord- u. Mitteldeutschland.
Berlin 1889, S. 241—242.
49) Siehe 11.
50) Vgl. Volkens, Beziehungen zu Standort und anatomischem
Bau der Vegetationsorgane. Jahresber. d. kgl. bot. Gart. Berlin,
Bd. III, 1884.
51) A.Kerner, Ritter von Marilaun, Die Schutzmittel der Blüten
gegen unberufene Gäste. Wien 1876, S. 22, 23.
52) O0. Kirchner, Neue Beobachtungen über die Bestäubungs-
einrichtungen einheimischer Pflanzen. Stuttgart 1886.
53) F. Ludwig, Biologische Notizen. I. Das Blühen von Poly-
gonum Bistorta. D. Bot. Monatsschr. VI, 1888, S. 4ft.
54) Fr. Xav. Pfeifer, Der goldene Schnitt und dessen Er-
scheinungsformen in Mathematik, Natur u. Kunst. Augsburg 1885. —
Vgl. auch meinen Aufsatz in d. wiss. Rundsch. d. Münchener N.N,
1889, No. 84. {
55) F. Hildebrand, Die Geschlechterverteilung bei den Pflanzen.
Leipzig 1867.
56) Otto Kuntze, Die Schutzmittel der Pflanzen gegen Tiere
und Wetterungunst etc. Leipzig 1877, S. 80—82.
134 Zur Biologie der phanerog. Süsswasserflora. Litteratur und Anmerkungen.
57) Vgl. H. Ortmann, Beiträge zur Kenntnis unterirdischer
Stengelgebilde. Doktordissert. Jena 1886 (weitere Litteratur). —
C. Müller, Der Bau der Ausläufer von Sagittaria sagittaefolia.
Sitzungsber. d. Ges. Naturforsch. Freunde zu Berlin. 1884.
58) E. Warming, Über die Keimpflanzen von Phragmites
communis. Bot. Centralbl. XXI, S. 156ff.
59) M. J. Klinge, Über den Einfluss der mittleren Windrichtung
auf das Verwachsen der Gewässer nebst Betrachtung anderer von
der Windrichtung abhängiger Vegetationserscheinungen im Östbalti-
cum. - Englers bot. Jahrbücher XI, 1889, S. 264—313. Bot.
Centralbl. XLII, S. 25.
60) Sandor Dietz, Die Blüten- und Fruchtentwickelung bei den
Gattungen Typha und Sparganium. Biblioth. bot. Heft 5, 1887
(mit 3 Taf.). — Bot. Centralbl. XXVIII, 1886, S. 26—30, 50—60.
61) Kronfeld, Über den Blütenstand des Rohrkolbens.
Sitzungsber. d.k. Akad.d. W. Wien 1886, I. Abt., Bd. XVI, S.78— 1009.
62) A. Schulz, Bibl. bot. H. 10. Cassel 1888, S. 96—97
(vgl. unter 40).
63) Vgl. F. Ludwig, Ein neuer Fall verschiedener Blütenformen
bei Pflanzen der nämlichen Art etc. Biol. Centralbl. VI, 1887,
8. 737—739-
Ein Wurzelfüsser des Süsswassers
in Bau und Lebenserscheinungen
dargestellt.
Von” Prof. Dr. A. Gruber.
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Noch ist der Schleier, der über die erste Entstehung des
Lebens auf unserer Erde gezogen ist, nicht gelüftet. Seit der Mensch
angefangen hat, über seine Umgebung nachzudenken, sind mythische
und mystische Vorstellungen, sind wissenschaftliche Spekulationen und
Theorien entstanden und vergangen und auch heute haben wir für
die Frage, wie die lebende organische Substanz entstanden sei, keine
Antwort zu geben. Wohl aber sind wir durch die Fortschritte der
Wissenschaft der Lösung einer sich daran schliessenden zweiten
Frage nahegetreten, nämlich der, wie die ersten lebenden Orga-
nismen ausgesehen haben mögen.
Die erste Anwendung des Mikroskops im 17. Jahrhundert
lehrte den Menschen in den Gewässern der Erde Wesen von un-
geahnter Kleinheit erkennen, die Begründung der Zellenlehre im
Anfange unseres Jahrhunderts verschaffte denselben ihre richtige
Bedeutung als Elementarorganismen und die ungeahnte Vervoll-
kommnung der optischen Hilfsmittel in unseren Tagen gestattet uns
einen tiefen Einblick in den einfachen und doch so komplizierten
Bau ihres Körpers und lässt uns an ihnen die Lebensäusserungen der
Materie auf ihrer niedersten Stufe erkennen.
In diesem Reiche der Urorganismen oder Protisten stehen
wohl zu unterst die Schleimtiere, die Wurzelfüsser oder wie ihr
Name lauten mag, kurz diejenigen Organismen, deren Protoplasma-
leib, einer einzigen Zelle an Wert entsprechend, keine feste Gestalt
besitzt, sondern regellos nach allen Richtungen des Raumes aus-
zufliessen vermag. Ich will die Streitfrage nicht weiter berühren,
138 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
ob wirklich noch heute in den Abgründen des Oceans ausgedehnte
Mengen organischen Schleimes leben oder nicht, ob der seinerzeit
auch in der populären Litteratur viel besprochene Bathybius,
beziehungsweise ob ein ihm nahestehender Organismus wirklich
existiert, es mag uns die sichere Thatsache genügen, dass wir viele
und ganz unzweifelhafte Lebewesen kennen, die eben jener Vor-
stellung von der niedersten Lebensstufe vollkommen entsprechen.
Im Meere sind die Wurzelfüsser schon lange bekannt, weil dort
auch dem blossen Auge. sichtbare, von fester Schale umgebene
Formen leben. Die Reste solcher Schalen haben sich aus den
ältesten Zeiten unserer Erdgeschichte in grossen Massen : erhalten
und schon im Altertum sind z. B. die Nummuliten bekannt, wenn
auch nicht erkannt gewesen.
Aber auch das süsse Wasser, mit dessen Bewohnern dieses
Buch sich beschäftigt, beherbergt Wurzelfüsser in grosser Zahl und
mannigfacher Gestaltung. Schon im Jahre 1755 hat der wackere
Rösel von Rosenhofl) die ersten Amöben aufgefunden und
in seiner „Insektenbelustigung“ beschrieben und abgebildet.
Die Beschreibung ist, obgleich sie sich natürlich nur auf die
äussere Gestalt und Formveränderung bezieht, trefflich und, wie
alles im Röselschen Buch, anmutend und auch für uns Fort-
geschrittenere noch belehrend. |
Die Amöbe ist nichts weiter als ein kleiner Protoplasmatropfen,
von keiner festeren Haut umgeben und aller denkbaren Form-
veränderung fähig, bald in gleichmässigem schneckenartigen Kriechen
oder, besser gesagt, wie der Regentropfen an der Fensterscheibe
gleitend, bald sich zusammenkugelnd oder hie und da Fortsätze
aussendend und wieder einziehend. Es giebt kaum etwas Wunder-
bareres, als die mannigfaltigen Bewegungen dieses Tröpfchens
lebender Materie unter dem Mikroskope zu verfolgen. Von hohem
Interesse ist es, dass man in der jüngtsen Zeit dahin gekommen
ist, dieselbe amöboide Bewegung an leblosen Objekten zu beob-
achten?2). Man stellte verschiedenartig gemischte Schmierseifen-
oder Ölivenölschäume dar und sah Tropfen derselben gerade wie
Amöben bis sechs Tage lang ununterbrochen strömen. Ist es also
Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 139
gelungen, künstliche Amöben im Laboratorium darzustellen? Das
natürlich nicht, denn all die komplizierten Lebenserscheinungen,
von welchen wir weiterhin zu sprechen haben werden, fehlen diesen
Schaumtropfen, sie lehren uns aber, wie die so rätselhaften Bewegungs-
erscheinungen der niedersten Lebewesen auf bekannte mechanische
Vorgänge zurückgeführt werden können.
Eine grosse Anzahl der Süsswasser-Amöben umgiebt ihren
weichen Körper mit einer schützenden Schale, die zwar nicht so
kompliziert ist, wie bei vielen der Meeres-,Foraminiferen“, aber
zierlich und in ihrer Entstehung interessant genug. Diese Schalen-
träger sind es, welchen ich diesen kleinen Aufsatz widmen möchte.
Sie leben vorzugsweise in den stehenden Gewässern, teils auf dem
Grunde, teils an lebenden oder abgestorbenen Pflanzenteilen hin-
kriechend. Umstehendes Gruppenbild (Fig. 16 S. 140) zeigt einen
Tropfen irgend eines Weihers oder Sumpfes mit drei Algenfäden,
auf welchen verschiedene Vertreter der Wurzelfüsser sich festgeheftet
haben, alles bei starker Vergrösserung. Da sehen wir rechts unten
(Fig. 16, 2) das spitz zulaufende Gehäuse der Difflugia acuminata, ganz
aus Sandkörnern aufgebaut, zwischen denen auch längliche Diatomeen-
schalen angeklebt sind, aus der Mündung treten die Plasmafortsätze
aus, mittels deren das Tier sich fortbewegt. Noch zwei andere
Difflugia-Arten zeigt unser Bild: Die eigentümlich gewundene
D. spiralis (Fig. 16, 3) und links oben (Fig. 16, 1) die D, urceolata,
deren Gehäuse wie eine zierliche Urne regelrecht gebaut ist. Eben-
falls eine Schale aus Fremdkörpern, zugleich versehen mit stachel-
artigen Fortsätzen, besitzt die Centropyxis aculeata (Fig. 16, 5). Im
Gegensatz zu den genannten Arten ist bei der Fig. 16, 6 abge-
bildeten Ayalosphenia papilio das Gehäuse ein Ausscheidungs-
produkt, ein feines Häutchen, so durchsichtig, dass man den Plasma-
körper deutlich darin liegen sieht, mit feinen Fäden in der Schale
aufgehängt. Nun giebt es aber auch Formen, bei denen die Schale
zwar auch vom Tier selbst erzeugt wird, aber nicht im ganzen,
sondern in einzelnen Stücken, die, wie wir später sehen werden,
kunstvoll an einander gefügt sind. Bei der Arcella vulgaris
(Fig. 16, 4), einer der häufigsten Arten in unseren Gewässern, ist
Fig. 16.
Wurzelfüsser des süssen Wassers in einem Wassertropfen an Algenfäden sitzend bei starker
Vergrösserung. ı Difflugia urceolata — 2 Difflugia acuminala — 3 Difflugia spiralıs
— 4 Arcella vulgarıs von der Seite und von oben — 5 Centroßyxis aculeata —
6 Hyalosphenia papılio — 7 Quadrula symmetrica — 8 Cyphoderia ampulla —
9 Euglypha alveolata.
(Das Grössenverhältnis der hier abgebildeten Arten zu einander
entspricht nicht genau der Wirklichkeit.)
Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 141
die linsenförmige Schale aus winzigen Prismen zusammengesetzt, so
dass dieselbe bei nicht ganz starker Vergrösserung fein punktiert
erscheint. Ebenso aus ganz kleinen Bestandteilen besteht das Ge-
häuse der zierlichen CyPhoderiz ampulla (Fig. 16, 8), während bei
Ouadrula symmetrica (Fig. 16,7) und Zuglypha alveolata (Fig. 16, 9)
die einzelnen Schalenbestandteile leichter zu erkennen sind; bei der
erstern sind es quadratische Plättchen, bei der andern annähernd
kreisrunde Scheiben, welche die zarte Hülle zusammensetzen., Ich
könnte noch eine grosse Reihe von Formen aufführen, die den auf
der Tafel dargestellten mehr oder weniger ähnlich sind und die,
so weit unsere Kenntnisse diesen Schluss erlauben, über die ganze
Erde verbreitet sind. Dieselben Arten nämlich, die wir in Europa
kennen, sind zumteil schon in Nord- und Südamerika, Asien, Afrika,
Australien und in den arktischen Ländern gefunden worden; auch
vertikal scheint für ihre Verbreitung kaum eine Grenze zu ziehen,
denn in der Schweiz fanden sie sich noch in 8000’, in Nord-
amerika sogar in 10000’ Höhe unverändert vor3). Es ist mir
aber hier nicht um eine Aufzählung aller bisher entdeckten Formen
zu thun, ich möchte mich begnügen eine einzige zu beschreiben,
diese soll aber in ihren feinsten Einzelheiten untersucht und in
allen ihren Lebensvorgängen verfolgt werden. Dass eine derartige
Spezialisierung ihren hohen Wert besitzt, hoffe ich dann am Schlusse
nachweisen zu können.
Unter allen ihren Verwandten in der Gruppe der schalen-
tragenden Wurzelfüsser des süssen Wassers ist die Euglypha
alveolata wohl am genauesten beschrieben, ja man kann wohl
sagen, dass heute kaum ein Organismus, Tier oder Pflanze, besteht,
der so vollständig in Gestalt und Lebensweise erforscht wäre. Anno
1841 wurde das Tier von Dujardin zum ersten Mal, später auch
von Ehrenberg kenntlich dargestellt, und seither haben wohl mehr
als fünfzehn Forscher sich damit beschäftigt). Kein Wunder also,
wenn die Erkenntnis eines so einfach gebauten Organismus weit
gefördert werden musste.
Der Körper der Euglypha besteht, wie derjenige aller Wurzel- “
füsser, aus einer kleinen Menge von Protoplasma, welches mehr oder
142 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
weniger körnig erscheint und an dem zunächst bei schwächere:
Vergrösserung keinerlei Strukturen zu erkennen sind; ein starker
lichtbrechender kugeliger Körper tritt aber auch jetzt schon ziem-
lich deutlich hervor, das ist der Kern, und damit haben wir die
erste wichtige Thatsache festgestellt, dass die Euglypha den Form-
wert nur einer Zelle besitzt. Wir können also nicht erwarten, in
ihrem Körper Organe im Sinne der höheren Tiere und Pflanzen
aufzufinden, denn ein Organ besteht ja schon an sich aus einer
Vielheit von Zellen. Gehen wir in der Betrachtung des einzelligen
Geschöpfes von aussen nach innen vor: Der
protoplasmatische Körper der Euglypha steckt
in einem überaus zierlichen, etwa tonnen-
förmigen Gehäuse (Fig. 17) von winzigen
Dimensionen: Bei der gewöhnlichen Form
nämlich ist der Längsdurchmesser nur 6/100 mm
und der Querdurchmesser 3/100 am im Mittel.
Trotz dieser Winzigkeit gestatten uns unsere
heutigen Instrumente, die einzelnen Bestand-
teile, aus welchen die Schale aufgebaut ist,
genau zu erkennen: Es sind konvex-konkave
Fig. 17. Plättchen aus einer dem Chitin ähnlichen,
Ein leeres Gehäuse von
Eaflıcho alveolähi: vielleicht von Kieselsäure imprägnierten Sub-
stanz. Die Plättchen, deren konvexe Seite
nach aussen gekehrt ist, decken sich dachziegelartig und da die-
jenigen Stellen, wo sie über einander greifen, dunkler erscheinen,
so macht es den Eindruck, als wenn die Schale polygonal gefeldert
wäre. Diejenigen Plättchen, welche vorn die Öffnung umgeben,
sind nicht rund, sondern laufen in eine Spitze aus und sind an
ihrem freien Rande fein gezähnelt. Bei einer andern Euglypha-Art
stehen noch zwischen den Schalenplättchen ab und zu spitze Stacheln.
Die Schale der Euglypha wird vom Protoplasmakörper meist
nicht vollkommen ausgefüllt, sondern es bleibt an der Seite ein
freier Raum übrig.
Vorn aus der Mündung (Fig. 18) strahlen feine Fortsätze des
Plasmas (fs), die sogenannten Scheinfüsschen oder Pseudopodien,
143
Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
aus, deren wurzelartige Verzweigungen dem Namen Wurzelfüsser
oder Rhizopoden den Ursprung gegeben haben. Sie müssen zwei
wichtige Funktionen vermitteln, erstens die Ortsbewegung und zweitens
die Nahrungsaufnahme. Die Nahrung (nk) besteht meistens aus
kleinen, einzelligen Algen, Diatomeen und dergleichen. Die Wurzel-
füsschen erkennen mittels des
Tastgefühls die ihnen zusagende
Beute, umfliessen dieselbe und
führen sie dann dem Körper
zu. Dies geschieht dadurch,
dass das Plasma des betreffen-
den Fortsatzes einfach zurück-
fliesst und den Nahrungskörper
im Strome mitreisst. Betrachtet
man den vordern Abschnitt des
Körpers, aus dem die Schein-
füsschen ihren Ursprung neh-
men (AZ), bei starker Ver-
grösserung, so erkennt man,
dass das Plasma nicht eine
homogene Masse darstellt, son-
Fig. 18. }
Eine Zuglypha alveolata im ausgebildeten
dern dass es aus einem Maschen-
werk besteht. Die Maschen (Ch)
werden von hyalinem Plasma
gebildet,
Zustande (etwa 7oomal vergr.). //Z Hintere,
hyaline Zone — AZ Mittlere, Körnchenzone
— AZ Vordere, alveoläre Zone — C%k Die
Protoplasmamaschen (Cyto-Hyaloplasma) —
Cch Die Maschenräume (Cyto-Chylema) —
Die Körnchen (Cyto-Mikrosomen) —
in welchem winzig
kleine Körnchen (Cm), die so- ©
genannten Mikrosomen, suspen-
diert sind, und die Maschen-
£s Die Pseudopodien — » Der Kern mit dem
Kernkörperchen zc2 — CV Die kontraktile
Vacuole — sö Die Reserve-Schalenplättchen
— n% Nahrungskörper — e Exkretkörnchen.
räume (Cch) von einem dünn-
flüssigeren Safte erfüllt. Die Kömchen ermöglichen es, ein fort-
währendes Strömen des Plasmas zu erkennen. Durch diesen Strom
wird auch die aufgenommene Nahrung im Körper verschoben und
zwar gelangt sie in den mittlern Abschnitt (AZ) des Körpers, der
sich durch ein engeres Maschenwerk und grossen Körnerreichtum
auszeichnet. Während wir an den ersten Abschnitt im wesentlichen
144 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
die Funktionen der Bewegung gebunden sehen, dürfen wir den
mittleren Teil des Körpers als die Ermährungs- oder Stoffwechsel-
zone bezeichnen. Eine scharfe Trennung besteht übrigens zwischen
den beiden Abteilungen nicht, sondern der Übergang ist ein ganz
allmählicher. Die Körner, welche die Zone oft ganz dicht. erfüllen,
hat man mit dem Namen Exkretkörner (e) belegt und sieht sie als
Endpunkte des Stoffwechsels an. Dass sie sowohl wie die Nahrung
gerade an den mittlern Körperteil gebunden sind, dies berechtigt
uns, diesem Teil des Plasmas eine verdauende Funktion zuzuschreiben.
In demselben Abschnitt liegt auch ein Gebilde, welches man mit
dem Stoffwechsel in Zusammenhang gebracht hat, nämlich die
sogenannte kontraktile, oder pulsierende Vacuole (CV). Es ist ein
Bläschen, welches in regelmässigen Pulsationen sich leert und wieder
füllt. Man hat angenommen, dass durch diese bei den Urtieren
sehr verbreitete Blase die Endpunkte des Stoffwechsels nach aussen
befördert würden; es ist dies auch nicht unwahrscheinlich, die Haupt-
bedeutung der kontraktilen Vacuole liegt aber offenbar darin, das
in den Körper eindringende Wasser wieder zu entfernen, es wird
mit andern Worten dadurch eine kontinuierliche Aufnahme sauerstoff-
haltigen Wassers ermöglicht und in dieser Weise die Atmung befördert.
Demnach wäre an den mittlern Körperabschnitt die Assimilation,
die Exkretion und die Respiration gebunden. Ebenfalls wieder ohne
scharfe Grenze geht diese Zone in den hintersten Teil des Körpers
über (77Z), der fast hyalin erscheint, weil hier das Maschenwerk
noch feiner und das Lichtbrechungsvermögen von Maschen und
Mascheninhalt fast dasselbe ist. Hier liegt der Zellkern (n) als helle
Kugel, in welcher ein dunkleres Korn, das Kernkörperchen (nel),
eingeschlossen liegt. Die Forschungen der neuesten Zeit haben uns
mit der unumstösslichen Thatsache bekannt gemacht, dass der Kern
im Leben der Zelle eine ausserordentlich wichtige Rolle zu spielen
hat und dass bei der Befruchtung und Fortpflanzung er das allein
Wesentliche und Beherrschende ist. Gerade die Urtiere sind es
auch gewesen, bei welchen entscheidende Versuche über die Be-
deutung des Kernes angestellt worden sind5),. Man hat solche
Organismen mittels scharfer Instrumente zerschnitten und hat nun
2 a
Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 145
gefunden, dass eine Regeneration, ein Ersatz verloren gegangener
Teile nur dann eintritt, wenn das abgetrennte Stück den Kern
oder wenigstens einen Teil desselben noch enthält; die kernlosen
Stücke dagegen regenerieren sich nicht, sondern gehen über kurz
oder lang zu Grunde. Mit anderen Worten, die Zelle und ebenso
der einzellige freilebende Organismus sind nicht im stande, Neu-
bildungen hervorzubringen, wenn die Zellsubstanz nicht auch mit
Kernsubstanz versehen ist. Bei denjenigen Wurzelfüssern, deren
Schale ein Ausscheidungsprodukt ist, wie bei den marinen Fora-
miniferen, hat man Stücke der Schale ausgebrochen und auch diese
wurden nur dann durch neue Ausscheidungen ersetzt, wenn ein
Kern vorhanden war?@). Weiter hat man gefunden, dass der Kern
allein das Substrat enthält, an welches bei der Fortpflanzung der
Organismen die Vererbungstendenzen gebunden sind. Die Eigen-
schaften der Eltern gehen nur durch den Kern der Fortpflanzungs-
zellen auf die Kinder über. Ich werde darauf noch zurückzukommen
und es mag zunächst genügen, darauf hingewiesen zu haben, dass wir
im Kerne der Euglypha den wichtigsten Bestandteil des Tieres
erkannt haben. Er ist an sich ein Mikrokosmos und es darf uns
nicht Wunder nehmen, dass wir, je schärfer unsere Instrumente
werden, immer kompliziertere Differenzierungen in ihm erkennen.
Um den Kern der Euglypha, also ebenfalls im hinteren Abschnitte
des Körpers, finden sich zur Zeit der vollkommenen Reife eine
Menge kleiner Körperchen gelagert (s), die nichts anderes sind
als Schalenplättchen, ganz gleich denjenigen, welche das Gehäuse
des Tieres zusammensetzen. Wir werden gleich sehen, wie die-
selben zur Verwendung gelangen.
Bei allen zu weiterem Leben fähigen Urtieren, wie bei jeder
Zelle, tritt nach reichlicher Ernährung ein Moment ein, wo der
Körper das ihm eigentümliche höchste Mass erreicht hat und dann
erfolgt die Vermehrung durch Teilung. Bei Euglypha, wo die
“Schale eine weitere Ausdehnung des Körpers nicht gestattet, muss
die Grenze des Wachstums in einer bestimmten Konzentration des
Plasmas gesucht werden. Ist diese erreicht, dann teilt sich die
Euglypha und zwar in folgender höchst merkwürdigen Weise: Es
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 10
— a at 5
146 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
werden zunächst die Scheinfüsschen eingezogen und an ihrer Stelle
tritt ein Klumpen Plasma aus der Schalenmündung aus, der immer
grösser und grösser wird. Zugleich geraten jene um den Kern her
gelagerten Reserve-Schalenplättchen in Bewegung und wir sehen sie
in stetem Flusse, eins hinter dem andern, aus der Mündung heraus
in den ausgetretenen Plasmazapfen herein-
wandern. Wie von einer unsichtbaren Hand
geleitet, werden sie an die Oberfläche dieses
immer mehr und mehr anwachsenden
Zapfens geschoben und so an einander ge-
lagert, dass sie sich weit übergreifend dach-
ziegelförmig decken und der ganze Spross'
dadurch ein tannenzapfenförmiges Gebilde
darstellt (Fig. 19). Der Spross schwillt aber
immer mehr an und zwar so lange, bis er
genau die Grösse des ursprünglichen Tieres
erreicht hat, und dann hat das Plasma die
Schalenplättchen so weit auseinanderge-
drängt, dass sie sich nicht mehr und
nicht weniger decken, als diejenigen des
alten Gehäuses. Dabei zeigt es sich, dass
genau so viele Plättchen vorhanden waren,
als zum Aufbau der neuen Schale nötig
sind, und ferner, dass die ersten Plättchen,
welche austraten, die gezähnelten Rand-
Fig. 19.
Euglypha in Teilung (etwa
zoomal vergr.). Ein Teil ds jenigen des alten Gehäuses ineinander-
Protoplasmas ist ausgetreten, i »
die Reserveplättchen werden greifen (Fig. 20).
hinausgeschoben und beginnen A . .
0 Ber Schale zu TFän Der Öberflächlich betrachtet scheinen nun
platten sind, welche genau mit den-
Kern befindet sich im sogen. zwei vollkommen kongruente Euglyphen aus
Sonnenstadium der Teilung. t e
der einen ursprünglichen entstanden; dem
ist aber noch nicht so, denn die neu entstandene enthält ja noch
keinen Kern und noch kein pulsierendes Bläschen. Dieses tritt
vielmehr erst ganz am Schlusse des Teilungsprozesses auf, nachdem
es auch im Muttertier verschwunden gewesen war. Der Kern hat
x 4
7 ö
Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. _147
von dem Moment an, wo das Plasma aus dem Muttergehäuse aus-
zutreten begann (Fig. 19), auffallende Veränderungen -gezeigt, die
seine Teilung einleiteten; nachdem die neue Schale sich gebildet
hat, ist auch er in zwei Teile zerfallen, unter Erscheinungen, die
Fig. 20. Fig. 21.
Euglypha in Teilung. Die neue Schale In der alten Schale ist fast nur noch Plasma
ist fertig. Kern im Stadium der sogen. der hintern Zone. Im Kern haben sich
Sternform. die Schleifen gespalten.
ich noch eingehender besprechen werde. Nun wandert die eine
Hälfte des geteilten Kernes in den Tochterspross hinein, während
die andere im hinteren Ende des Muttertieres zurückbleibt. Aber
: 10*
148 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
auch damit sind die beiden Hälften noch nicht vollkommen gleich-
wertig, denn der Tochterspross enthält fast nur Plasma der ersten
und zweiten Zone (Fig. 21 u. 22), während das der dritten Zone im
alten Gehäuse zurückgeblieben ist. Damit nun eine gleichmässige
Der Teilungsprozess ist beendigt; die beiden Schalen
Y - und ihr Inhalt sind vollkommen kongruent; an den
Durchschnürung des Kerns. Mündungen beginnen Pseudopodien auszutreten.
Buchstabenerklärung wie bei Fig. 18.
Fig. 22.
Verteilung aller Plasmaelemente bewerkstelligt werde, beginnt eine
lebhafte zirkulierende Strömung von einer Schale zur andern, wie
wenn in dem lebenden Brei herumgerührt würde. Die Strömung
BE
Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 149
hält so lange an, bis jedes Individuum seinen gleichen Anteil an
Plasma erhalten hat, ja sogar die Nahrungskörper, welche zur Zeit
der Teilung sich in der Euglypha befanden, werden annähernd
gleich auf die beiden Hälften verteilt. Mittlerweile haben auch die
beiden Kerne ihre normale Struktur und Lage
angenommen und in jedem Tiere pulsiert
wieder eine contraktile Vacuole, jetzt erst sind
beide Hälften einander kongruent (Fig. 23).
Bald sieht man zwischen den Randplatten
feine Scheinfüsschen sich hervordrängen, die
Mündungen lösen sich von einander ab und Re
die beiden Euglyphen gehen selbständig ihre
Wege. Dies ist die merkwürdige Vermehrungs-
weise der Euglypha alveolata. Wir haben
aber noch eine Beschreibung der Kernteilung
nachzuholen mit Berücksichtigung der inneren
Vorgänge im Kern. Trotz der Kleinheit des
Objektes — der Durchmesser des Kernes be-
= . - Fig. 25.
trägt nur etwa 8/ı0o0oo mm —- sind dieselben
doch genau bekannt: Die Teilung wird da-
durch eingeleitet, dass in dem bisher homogen
erscheinenden Kerne eine feinmaschige Struktur
sichtbar wird (Fig. 24); zwischen den Maschen
ist das Kernkörperchen noch deutlich zu sehen.
Aus der maschigen wird eine faserige Struktur
(Fig. 25) und bald erkennt man in den Fasern
regelmässige Fäden, welche einen dicht ver- Der Knäuel löst ich in
schlungenen Knäuel bilden. Während der Fadenstücke auf, die sich
umzubiegen beginnen.
Kern stetig an Umfang zunimmt, werden die
Fäden dicker und werden dann in eine grössere Anzahl unter sich
gleich langer Stücke zerlegt (Fig. 26); das Kernkörperchen ver-
schwindet und die einzelnen Fadenstücke biegen sich, so dass sie
allmählich eine V-förmige Gestalt annehmen.
1) Die Figuren 24—32 sind nach Präparaten bei etwa ı2oomaliger Vergrösserung
entworfen. Die Figuren ı8—32 sind Kopien’ nach Schewiakoff 4 m.
150 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
Von einer im Mittelpunkt der Kernkugel wirkenden Kraft
werden all diese gebogenen Fadenstücke oder „Schleifen“ mit ihrer
Winkelspitze nach dem Zentrum gerichtet; man nennt dies die
„Ssonnenform“ (Fig. 27), Auch im umgebenden Zellplasma macht
sich die Anziehungskraft bemerkbar und
erhält ihren Ausdruck in feinen Linien,
welche radiär auf den Umfang des Kernes
zustrahlen (Fig. 19). Während des Sonnen-
stadiums macht der Kern allerlei Be-
wegungen und verliert dann die Kugelform,
um sich an den Polen abzuflachen (Fig. 28).
Fig. 27. i : ‘
i Zugleich erscheinen hier zwei neue Attrak-
tionszentren und zwar in Gestalt kleiner
kegelförmiger Körper, der sogenannten
Polkörperchen oder, wie sie neuerdings
genannt werden, Centrosomen. Ihnen
streben jetzt die Linien im umgebenden
Plasma zu (Fig. 29) und die Anziehungs-
kraft im Mittelpunkt des Kernes hört auf;
Ban A Au der die Schleifen, welche in der auf die Sonnen-
Sternform. form folgenden sogenannten „Sternform“
(Fig. 28 u. 29) regelmässig um den Äquator
angeordnet waren, werden nun nach den
Polen gezogen, sie kehren sich um und
wenden die Spitze vom Zentrum ab.
Während der Kern nun in umgekehrter
Richtung sich am Äquator abflacht, haben
Fin: a6 sich feine blasse Fäden ausgebildet,
Die Sternform; von den Po- welche von Pol zu Pol ziehend die zier-
körperchen aus strahlen die ;
feinen Fäden der Kernspindel liche sogen. Kernspindel darstellen (Fig. 29).
3 Diese Spindelfäden sind es, welche die
Schleifen den Centrosomen zuleiten. Vorher aber spielt sich der
für die Kernteilung bedeutendste Vorgang ab, die Spaltung der
Schleifen: Der ganze Kernfaden und damit auch die aus ihm ent-
standenen Schleifen besteht nämlich aus kleinsten Körnchen, die
Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 151
ın regelmässigen Abständen hintereinander aufgereiht liegen. Alle
diese Körnchen werden mit einem Male der Länge nach zerteilt
und so die ganze Schleife längsgespalten; damit erhalten wir im
Kerne also doppelt so viel Schleifen als vorher (Fig. 30). Von
jeder gespaltenen Schleife aber gleitet nun die eine Hälfte links,
die andere rechts vom Äquator weg oder, anders ausgedrückt,
die eine nach dem Nord-, die andere nach dem Südpol den
Spindelfasern entlang. Das Resultat ist klar: Die färbbare Kern-
substanz, denn diese ist es, welche die Schleifen bildet, wird auf
das genaueste in zwei Teile zerlegt, die uns quantitativ als Hälften
des Ganzen erscheinen. Jede Hälfte ist für einen der Tochterkerne
Fig. 30. b Fig. 31.
Stadium der Tochtersterne; die Spindel-
fasern reissen in der Mitte durch.
Umordnung und Spaltung der Schleifen.
bestimmt. Nachdem diese sorgfältige Zerteilung der Kernsubstanz
beendet, zieht sich der Kern im Äquator immer mehr zusammen,
die Schleifen drängen sich um die Pole her, die blassen Spindel-
fäden reissen durch (Fig. 31) und endlich schnürt sich der Kern in
zwei Hälften aus einander (Fig. 32 S. 152). Nun machen die Tochter-
kerne rückwärts dieselben Veränderungen wieder durch, die wir am
Mutterkern ablaufen sahen, bis sie wieder die Gestalt und Struktur
des sogenannten „ruhenden Kerns“ angenommen haben. Damit ist
der Teilungsvorgang vollendet. Die Teilung der Euglypha bedeutet
ihre Vermehrung. Bei höheren Tieren und Pflanzen geht der Ver-
mehrung die Befruchtung voraus. Sie besteht in der Verschmelzung
152 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
zweier Zellen verschiedenen Ursprungs, der Ei- und Samenzelle.
Hier müsste sie also in der Verschmelzung zweier ganzer Individuen
bestehen. Dies ist auch bei den meisten Urtieren der Fall und
auch bei Euglypha ist ein solcher Befruchtungsakt beobachtet
worden *!); Zwei Tiere legen sich mit ihren Schalenmündungen
neben einander, aus der doppelten Menge von Reserveplättchen ent-
steht eine neue Schale, in welcher die zwei Plasmakörper und die
zwei Kerne in eins verschmolzen zu liegen kommen. Es ist also
durch Vermischung zweier Individuen ein
einziges entstanden. In welchen Zwischen-
räumen diese „Kopulation“ eintritt, wie viele
Teilungen hintereinander folgen können bis
Fig. 32. Fig. 33.
se i Eee Eine Euglypha mit Stacheln im encystierten Zu-
des b tförm B :
EVULKBuS EHER PNIENZ ERARHTENERUNG stande. D Diaphragma — a. s. äussere Schale —
EU 7e i. s. Innere Schale — C Cystenhülle.
wieder eine Befruchtung eintritt, darüber sind für unsere Art noch
keine Beobachtungen angestellt worden.
Noch haben wir nicht alle Lebensvorgänge der Euglyphä ver-
folgt: Bei ihrem Aufenthalt in den oft seichten stehenden Gewässern
kann es nicht ausbleiben, dass die Euglypha der Gefahr des Aus-
trocknens oder Einfrierens ausgesetzt ist. Davor weiss sie sich wie
die meisten übrigen Urtiere und Urpflanzen durch die sogenannte
Einkapselung oder Encystierung zu schützen (Fig. 33): Sie zieht
u
Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 153
die Pseudopodien ein und schliesst das Gehäuse vorn durch einen
Deckel, das Diaphragma (D) ab; ausserdem baut sie sich aus den
Reserveplättchen innerhalb ihres Gehäuses (a. s,) noch ein zweites,
kleineres, bei welchem die Plättchen weiter übereinandergreifen und
das vorn geschlossen ist (z. s.). Innerhalb der zweiten Schale zieht
sich nun der Protoplasmakörper zu einer Kugel zusammen und um
diese wird erst die eigentliche Cystenhaut (C) ausgeschieden. In
diesem Zustande ist die Euglypha vor Trockenheit und Frost
geschützt.
Die Encystierung ist aber auch ein wichtiges Mittel zur Ver-
breitung der Art. Mit dem Staube werden solche Cysten weit
fortgetrieben, Wasservögel und Wasserinsekten tragen sie im Schlamm,
der da und dort an ihrem Körper haften bleibt, mit sich weg in
entfernte Gewässer. Ja es scheint, dass die Spitzen und Stacheln,
welche manche Süsswasserrhizopoden an ihrer Schale haben (s. Fig. 16)
und welche, wie schon erwähnt, auch bei Euglypha vorkommen
(Fig. 17), als Haftapparate anzusehen sind, um den Transport zu
begünstigen. Dieser passiven Wanderung verdanken die Urtiere
offenbar ihre weite Verbreitung 6), darauf beruht es, dass gerade die
schalentragenden Wurzelfüsser des süssen Wassers, so weit man bis
jetzt weiss, alle sogenannte kosmopolitische Arten sind 7).
Will die Euglypha sich aus ihrer Cyste wieder befreien, so
löst sie zunächst die Cystenhülle auf, dann sprengt sie die innere
Schale, so dass die Plättchen wieder lose umherliegen, zerreisst das
Diaphragma und teilt sich auf die oben beschriebene Weise, indem
nun die Plättchen der inneren Schale gleich für das Tochtergehäuse
benutzt werden #K).
Wir haben nun die Euglypha in ihrem ganzen Lebenslauf ver-
folgt, wir haben gesehen, wie sie sich bewegt, frisst, verdaut, wie
der Stoffwechsel vor sich geht, wir kennen die Zusammensetzung
und Entstehung ihrer zierlichen Schale, wir erkennen die feinere
Struktur des Plasmas, wissen, wie die Vermehrung, die Befruchtung,
die Einkapselung vor sich geht; ja wir können in die feinsten Vor-
gänge der Kemteilung eindringen; in dem Kerme, der selbst nur
8/1000 mm gross ist, erkennen wir noch zahlreiche Fäden, in diesen
154 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
Fäden sehen wir noch Körner und wir sehen diese Körner sich
noch teilen. Das ist das Höchste, was wir mit unseren heutigen
Mikroskopen leisten können, aber — wird der Leser sagen — das
ist auch der höchste Grad der Spitzfindigkeit. Wohl, mag dem so
sein, aber wir lernen doch sehr viel dabei: Das Plasma ist der
Träger des Lebens, und wie bei manchen Zellen der höheren Tiere
gelingt es hier bei der Euglypha dem bewaffneten Auge, zu er-
kennen, dass dieser Sitz des Lebens, entsprechend seiner Vielseitig-
keit, ein viel komplizierteres Gefüge hat, als man bisher geahnt. Das
Maschengerüst mit seinen grösseren und kleineren von Zellsaft er-
füllten Waben, mit seinen feinen und feinsten Körnchen, die Vor-
gänge bei der Kernteilung lassen uns ahnen, dass man auch in
dem kleinsten Plasmaklümpchen einen Mikrokosmos von unendlicher
Kompliziertheit voraussetzen muss.
Das Wachstum aller höheren Tiere und Pflanzen beruht auf
der Vermehrung der Zellen, welche ihren Körper zusammensetzen.
Die Zellen sind es, welche durch Nahrungsaufnahme wachsen und
sich teilen, durch ihre Teilung die Gewebe und Organe und schliess-
lich den ganzen Organismus vergrössernd. Die Teilungen der Zellen
aber gehen unter eigentümlichen Veränderungen am Kerne — der
Kernmitose — vor sich; die färbbare Substanz des Kernes löst
sich in Fäden auf, diese zerfallen in Schleifen, welche sich um den
Äquator anordnen, dann sich spalten und den Polen zurücken. Und
nun lehrt uns die Euglypha, dass dieselben Phänomene auch auf der
niedersten Stufe der Lebewesen sich abspielen, wenn es sich um
Zellteilung, beziehungsweise hier um Teilung des Individuums
handelt.
Die neuesten Forschungen haben uns die unumstössliche,
wunderbare Thatsache gelehrt, dass es sich bei der Befruchtung
jedes vielzelligen Organismus wesentlich um eine Kernverschmelzung
handelt, Eikern und Samenkern vereinigen sich und zwar sind es nur
wenige Kernschleifen des weiblichen und ebensoviele gleich grosse
des männlichen Kernes, welche dabei zusammentreten. In diesen
Schleifen, winzigen, nur bei stärkster Vergrösserung wahrnehmbaren
Körpern, müssen also alle jene tausenderlei Eigenschaften enthalten
a
Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
g
sein, welche sowohl vom Vater wie von der Mutter auf den ent-
stehenden Organismus vererbt werden. Es ist also ein gar kost-
bares Material diese Kernsubstanz und es darf uns nicht wunder-
nehmen, dass ein so überaus feiner Mechanismus besteht, um die
Verteilung desselben zu bewerkstelligen. Dass auch schon bei den
einzelligen Wesen eine so genaue Verteilung der im Kerne ent-
haltenen Potenzen stattfindet, lehrt uns abermals die Euglypha
alveolata. Dabei ist noch eine wichtige Thatsache hervorzuheben:
Es zeigen sich nämlich bei der Kemteilung der Euglypha gewisse
Eigentümlichkeiten, welche sich sonst nur bei den Kernteilungen
der niedersten vielzelligen Tiere, der niedersten Pflanzen und der
Eier der höheren Tiere vorfinden *®). Diese Ähnlichkeit im wichtig-
sten Lebensprozess dieser Zellen lehrt uns mit unzweifelhafter
Sicherheit, wie nahe die niedersten Pflanzen und Tiere den Ur-
tieren noch stehen und wie die höheren Tiere in ihrer ersten
Entwickelungsstufe im Ei ihren früheren Zusammenhang mit den
Urorganismen, resp. ihre Abstammung von diesen verraten.
Die Befruchtung ist, wie gesagt, eine Vereinigung männlicher
und weiblicher Kernsubstanz, mit anderen Worten, es vermischen
sich dabei von zwei verschiedenen Individuen die Charaktere, denn
diese sind ja in der Kernsubstanz enthalten. Eine neuere Theorie
sucht darin, wie mir scheint, mit Recht das wesentliche Moment
des Befruchtungsvorganges $). Durch diese Vermischungen entstehen
neue Kombinationen von Eigenschaften und dieser bedarf die
Natur, um die Organismen den sich stets verändernden äusseren
Lebensbedingungen angepasst zu erhalten. Bei den einzelligen
Organismen beruht dieser Vermischungsprozess meistens auf einer
Verschmelzung zweier ganzer Individuen und nichts erläutert dies
besser, als die oben beschriebene Kopulation der Euglypha, wo
zwei Tiere vollkommen in eins zusammenfliessen.
Man hat die Urtiere Organismen ohne Organe genannt; denn
sie sind im stande alle diejenigen wesentlichen Funktionen zu ver-
richten, welche bei höheren Tieren an einen oft sehr komplizierten
Mechanismus gebunden sind. Sie tasten und empfinden ohne
Nervensystem, bewegen sich ohne Muskulatur, fressen und verdauen
156 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
ohne Magen und Darm, atmen und besorgen den Stoffwechsel ohne
Lunge und Niere. Ja die Euglypha lehrt uns, dass sie sogar
kompliziertere Lebensthätigkeiten bekunden, dass sie ohne Gehim
und Nerven eine Art von Instinkt besitzen können, die Baukunst.
Die Schale ist ja nicht im ganzen ein Ausscheidungsprodukt, sondern
nur die Schalenplättchen werden ausgeschieden und diese müssen,
wie wir sahen, bei der Teilung sorgfältig Stück für Stück zusammen-
gefügt und kunstvoll so angeordnet werden, dass das Ganze die
richtige Form erhält. Dieselben uns ungeformt erscheinenden
Plasmateile, welche den Nahrungskörper ergreifen und hereinziehen,
wissen die Schalenplatten aus dem alten Gehäuse heraus und an
ihren richtigen Platz zu führen; keine geübte Hand könnte dies
sorgfältiger und sicherer thun. Dasselbe Plasma weiss sich der
Plättchen auch noch auf andere Weise zu bedienen, wenn es sich
darum handelt, gegen drohende Austrocknung eine schützende Cyste
zu bilden.
Noch wunderbarer erscheint uns dieser Kunsttrieb bei den
schon mehrfach erwähnten Verwandten der Euglypha, welche ihre
Gehäuse aus Fremdkörpern aufbauen. Die zierlichen, mannigfach
gestalteten Schalen der Difflugia-Arten, deren einige unsere Figur 16
aufweist, bestehen aus Sand-, meistens Quarzkörnchen. Diese Sand-
körnchen liest die Difflugia in ihrer Umgebung zusammen, zieht sie
in ihren Körper hinein und speichert sie da so lange auf, bis sie
zur Teilung schreitet. Diese verläuft ganz wie bei der Euglypha,
nur dass die Difflugia die schwierige Aufgabe hat, aus ganz un-
regelmässigem Material eine neue Schale herzustellen, und doch
bringt sie es so gut fertig, dass das neue Gehäuse vollkommen dem
alten gleicht. Man hat den sinnreichen Versuch gemacht 54), solche
Wurzelfüsser in kleine Aquarien zu bringen, in welchen der Boden
mit zerstossenen Glassplittern bedeckt war, und siehe da, auch die
Glasstückchen wurden aufgenommen und die Tiere, welche sich
teilten, erzeugten Schalen, welche den alten zwar vollkommen gleich
waren, aber statt aus Sand aus Glas bestanden.
Es giebt höhere Organismen, welche ganz denselben Bautrieb
besitzen, wie diese Difflugien, ich meine die Larven der Phryganiden,
7
er
a a
Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 157
die in den meisten stehenden und fliessenden Gewässern vor-
kommen. Auch sie bauen köcherartige Gehäuse aus allerlei Fremd-
körpern zusammen, gerade wie die Wurzelfüsser, aber um zu
demselben Ziele zu gelangen, gebrauchen sie einen komplizierten
physiologischen Mechanismus, der in ihrem hochentwickelten Nerven-
system, in ihrer Muskulatur, ihrem Hautskelett u. s. w. besteht.
Wie ist es aber möglich, fragen wir uns, dass ein einzelliges
Wesen ohne jeglichen nervösen Organe zu so hohen Leistungen
befähigt ist. Setzt ein derartiger Kunsttrieb nicht psychische Fähig-
keiten voraus und wo haben diese ihren Sitz ?
Ausgedehnte vorzügliche, „psycho - physiologische Protisten-
studien“, die erst vor kurzem veröffentlicht wurden °®), haben sich
eingehend mit der Beantwortung dieser Frage beschäftigt. Die
Urtiere wurden in ihrem Verhalten auf die verschiedenartigsten
Reize, Licht-, mechanische, akustische, chemische Reize u. s. f.,
untersucht und zwar in unverletztem Zustande und auch nach
künstlich beigebrachten Verletzungen, Entfernung des Kerns etc.
Das Resultat aller solcher Versuche ist, dass von einem nervösen
Zentrum im Protistenkörper keine Rede sein kann, dass die nervöse
Potenz eine diffuse ist; jedes Protoplasma-Elementarteilchen ist ein
selbständiges Zentrum und hat seine eigene selbständige Psyche.
Eine Psyche im höheren Sinne existiert freilich noch nicht und alle
Bewegungen der Urtiere müssen als willenlose Reflexbewegungen
aufgefasst werden. Das Scheinfüsschen der Difflugia berührt ein
Sandkörnchen, der Reiz veranlasst dasselbe sich zusammenzuziehen
und dabei wird es den Fremdkörper, falls er nicht zu schwer ist,
mit sich reissen. Auf diese Weise sammelt es willenlos sein Schalen-
material. Aber trotz dieser rein mechanischen Erklärung bleibt der
Vorgang wunderbar genug. Bedenken wir nur das eine, dass die
Reize, welche Nahrungskörper auf die Pseudopodien ausüben, diese
in derselben Weise reagieren lassen wie die Berührung eines Sand-
körnchens, dass aber nachher beim Schalenbau Nahrungspartikeln
und Schalenmaterial doch auseinandergehalten werden. Was also
bei der Phryganidenlarve tausende von Zellen, in der Arbeit sich
A RE
158 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
teilend, erreichen, schafft hier eine einzige Zelle in derselben Weise
aus sich selbst.
Man lasse mich hier noch einen zwar etwas drastischen, aber
belehrenden Vergleich anstellen: Der Längsdurchmesser der Euglypha
beträgt etwa $/ı00, der Querdurchmesser 3/100 mm, somit erhalten
wir für das Tier einen Kubikinhalt von 54 oder rund 30 Millionstel
Kubikmillimeter. Nehmen wir nun als Kubikinhalt eines der leben-
den Tierriesen, z. B. eines Elefanten, etwa 3 Kubikmeter an, so
wären dies 3 Milliarden Kubikmillimeter, d. h. gegenüber den
50 Millionstel Kubikmillimetern der Euglypha 60.000 Milliarden mal
mehr. Wir finden also bei der Euglypha dieselben Lebensäusserungen,
wenn auch sehr vereinfacht, wie bei dem 60000 Milliarden mal
grösseren Elefanten; wir finden bei der Teilung der Euglypha im
Kerne dieselben eigentümlichen Vorgänge, wie im Kerne einer der
Myriaden von Zellen, welche den Riesenleib des Elefanten zu-
sammensetzen. Ist das nicht ein überwältigender Beweis für die
Einheit der belebten Natur? Ich meine, es gehöre schon ein hoher
Grad von Blasiertheit dazu, wenn man gegenüber solchen That-
sachen nicht immer wieder von bewunderndem Staunen ergriffen wird.
Beschleicht uns nicht dasselbe Gefühl von der Unendlichkeit der
Natur, als wenn wir in einer klaren Nacht zum Sternenhimmel auf-
sehen und uns sagen, dass alle die Tausende von Fünkchen Welten
sind, so gross und grösser als unsere eigene?
So führt uns das Studium des Kleinen und des Kleinsten im
Kleinen zum Verständnis des Grossen und Grössten. Denn je
weiter wir in den Zusammenhang der Organismen einzudringen
vermögen, je mehr wir alle Erscheinungen auf gemeinsame Gesetze
zurückführen können, desto einheitlicher und damit desto grösser
erscheint uns die Schöpfung. Die Spezialisierung, welche sich in
der heutigen Forschung so sehr geltend macht, artet nicht in Spitz-
findigkeit aus, sondern leitet zu grossen Resultaten, sobald wir sie
richtig anzuwenden wissen.
Man macht der heutigen Naturforschung so oft den Vorwurf,
dass sie es sei, welche den materialistischen Zug, der durch unsere
Zeit geht, verschuldet habe und befördere. Ich glaube dies nicht,
se
Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 159
sondern finde vielmehr, dass gerade die heutige Natur-
auffassung, die bei allem, was sie schafft, das Auge auf
die Entstehung und Entwickelung des Ganzen gerichtet
hat, am wenigsten eines idealen Zuges entbehrt. Dem
heutigen Forscher, obgleich er das Wunder nicht mehr anerkennt,
ist die Empfindung für die Grossartigkeit der Natur nicht verloren
gegangen, nein, er muss dieser mit noch grösserer Bewunderung
gegenüberstehen, als seine Vorgänger, denen eine naivere Vorstellung
von der Schöpfung die eigentlich belebende Seite des Forschens
versagte. Es geht ein hoher, idealer Zug durch die Naturforschung
in unseren Tagen, und in der heutigen, weitausschauenden Richtung
gelehrt, muss sie ein wichtiges Moment für die Erziehung werden,
nicht nur für den Arzt, der ohne sie zum Handwerker herabsinkt,
zum Spezialisten im schlechten Sinne des Wortes, sondern für jeden,
der auf Bildung Anspruch macht.
Leider versündigen sich Unverstand und Missverstand gar zu
oft an Natur und Forschung. Zu öfteren Malen hat man in den
periodischen Wahlkämpfen die extremste Partei predigen hören, die
Ziele der Sozialdemokratie seien in der Natur begründet, die
Descendenzlehre sei ihre Stütze! Gerade das Gegenteil ist der
Fall: Nichts von allgemeiner Gleichheit gestattet der Kampf ums
Dasein, das Recht des Stärkeren wird die Losung sein, so lange
die Erde Lebewesen trägt. Danach freilich müssen wir Menschen
streben, dass es bei uns kein Faustrecht sei, sondern ein Geistesrecht!
Ist es nicht auch eine falsche Naturauffassung, die heute eine
weitverbreitete Richtung in der Kunst beherrscht, wo der Künstler
nur dadurch an die Natur sich anlehnen zu können glaubt, dass
er das Hässliche, oder zum mindesten das Langweilige und Nichts-
sagende darstellt ?
Sollen wir die Descendenzlehre daran schuld sein lassen, dass
Zola den Atavismus als erklärendes Prinzip für seine Verbrecher-
romane herbeizieht? Vererben sich denn nur die Laster, vererben
sich denn nicht auch die schönen und edlen Eigenschaften im
Menschen nach denselben Gesetzen? Ist denn das Schöne nicht
auch Natur? Der Forscher soll an der Hand der nackten That-
160 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen.
sachen die Wahrheit suchen und darf auch vor dem Widerlichen
nicht zurückbeben. Auch der Künstler soll Wahres schaffen, aber
ihm ist ja die Wahl gelassen in den unendlichen Schätzen der
Natur und warum greift er dann das Hässliche heraus? Wer
im Sommer 1889 die grosse Internationale Kunstausstellung in
München besucht hat, den empfing gleich am Eingang die bekannte
grosse Marmorgruppe von Fremiet, der Gorilla, der ein Weib
entführt. Was kann es Widerlicheres geben als diesen Affen und
diese Situation! Mögen die Motive, welche den Künstler zu diesem
Werke geführt, sein, welche sie wollen, das ist kein Vorwurf für
ein wahres Kunstwerk; ihm gebührt die grosse goldene Medaille
nicht! Hat dazu der Künstler sein grosses Talent, hat er dazu
seine wunderbare technische Fertigkeit, hat er dazu Zeit, Arbeit
und Geld angewendet, so ist dies eine Verirrung! Wenn aber
der Forscher denselben hässlichen Gorilla darstellt und beschreibt
und daran nachweist, wie er als Glied einer langen Kette von
Organismen sich einfügt, oder wie er als letzter Rest einer grossen
Reihe von Vorfahren auf unserer Erde lebt, wie hier Eigentümlich-
keiten seines Körperbaues, dort Äusserungen seines Intellekts zu
wichtigen Vergleichen anregen, dann entkleidet er das Tier seiner
Hässlichkeit, statt angeekelt uns abzuwenden, kehren wir uns ihm
mit Interesse zu; da steht der Forscher in der idealen Auffassung
über dem Künstler. Unverstand und Geistlosigkeit müssen freilich
überall auf falsche Wege führen; wo aber der Verstand die Natur
zu erkennen strebt, da giebt es keinen falschen „Naturalismus“ und
keinen „Materialismus“, wo der Geist die Materie belebt.
De an nt
Litteratur.
1) August Johann Rösel von Rosenhof: Der monatlich heraus-
gegebenen Insecten-Belustigung Dritter Theil. Nürnberg 1755.
2) S. darüber Bütschli: Über die Struktur des Protoplasmas in:
Verhandlungen d. naturhist. med. Ver. zu Heidelberg. N. F. IV. Bd.
3. Heft. Sitzung vom 3. Mai und 7. Juni 1889.
3) S. hierüber Bronn: Classen und Ordnungen des Tierreichs;
Bütschli: Die Protozoen. I. Abt. p. 228 u. f£ Heidelberg und
Leipzig 1880—82.
4) Die hauptsächlichste Litteratur über Euglypha ist folgende:
a) Dujardin: Histoire naturelle des Zoophytes infusoires.
Paris 1841.
b) Ehrenberg: Verschiedene Schriften 1841— 1872. Übersicht
der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über das von der
Atmosphäre unsichtbar getragene Leben in: Abh. der Berliner Akad.
ausıd. ). „2877. '% Berlin 1972.
c) Perty: Zur Kenntniss kleinster Lebensformen nach Bau,
Funktionen, Systematik, mit Spezialverzeichniss der in der Schweiz
vorkommenden. Bern 1852.
d) Carter: On Fresh-water Rhizopoda of England and India
in: Annals and Magazine of Natural History. London 1884.
e) Hertwig u. Lesser: Über Rhizopoden und denselben nahe-
stehende Organismen in: Archiv für mikroskopische Anatomie.
Bd. X. Suppl. 1874.
f) F. E. Schulze: Rhizopodenstudien III in: Archiv f. mikr.
Anat.. : Bd: &E: 71375.
g) Leidy: Fresh-water Rhizopoda of North-America in: United
States geological survey of the territories. Vol. XII. 1879.
h) Gruber: Der Theilungsvorgang bei Euglypha alveolata in:
Zeitschr. für wissenschaftliche Zoologie. Bd. 35. 1881.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 11
162 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers: Litteratur.
i) Gruber: Die Theilung der monothalamen Rhizopoden in:
Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. 36. 1882.
k) Gruber: Kleinere Mitteilungen über Protozoenstudien in:
Berichte der naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. Br. Bd. II.
Heft 3. 1886.
l) Blochmann: Zur Kenntnis der Fortpflanzung von Euglypha
alveolata in: Morphologisches Jahrbuch. Bd. 13. 1887.
m) Schewiakoff: Über die karyokinetische Kernteilung von
Euglypha alveolata in: Morphol. Jahrb. Bd. ı3. 1887.
5) Die hauptsächlichsten Arbeiten über künstliche Teilung bei
Urtieren sind:
a) Nussbaum: Über die Teilbarkeit der lebendigen Materie.
I. Die spontane u. künstliche Teilung der Infusorien in: Archiv £.
mikr. Anat. Bd. 26.
b) Gruber: Beiträge zur Kenntnis der Physiologie u. Biologie
der Protozoen in: Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg i. Br. Bd. I. 1886.
c) Balbiani: Recherches experimentales sur la merotomie des
infusoires cilies in: Recueil zoologique. Tome 5. Fasc. 1. Geneve-
Bäle 1888.
d) Verworn: Biologische Protistenstudien in: Zeitschrift für
wiss. Zoologie. Bd. 46.
e) Verworn: Psycho-physiologische Protistenstudien. Jena 1889.
f) Hofer: Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss
des Kerns auf das Protoplasma in: Jenaische Zeitschr. für Natur-
wissenschaft. N. F. Bd. 17. 1880.
6) Ich habe in den Torfmooren des Schwarzwaldes, oberhalb
des Höllenthales, fast alle die Rhizopoden nachgewiesen, die Leidy
(4g) in den Gewässern Nordamerikas aufgefunden hat (s. darüber
das Grossherzogtum Baden, Lieferg. 2. Die Tierwelt. pg. 130.
Karlsruhe 1833.
7) Über die „passive Migration“ s. 0. Zacharias: Bericht über
eine zoologische Exkursion an die Kraterseen der Eifel in: Bio-
logisches Centralblat. Bd. 9. No. 2—4. Erlangen 18809.
8) Weismann: Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für
die Selektionstheorie. Jena 1886. (S. auch Weismann: Bemerkungen
zu einigen Tagesproblemen. Biol. Centralblatt. Bd. X. No. ı. 1800.
Die Flagellaten (Geisselträger).
Von Dr. W. Migula in Karlsruhe.
Er den niedersten Organismen, auf der Grenze zwischen Tier
und Pflanze stehend, gehört die interessante Abteilung der Flagel-
laten. Mit ihren nächsten Verwandten, den Sarkodinen, Sporozoen
und Infusorien, bilden sie die Gruppe der Protozoen, aber wenn
sie auch mit jenen zusammengefasst werden und vielfache Be-
rührungspunkte mit ihnen und mit gewissen Algen zeigen, so sind
sie in ihren Eigenschaften doch so scharf charakterisiert, dass sie,
von schwierigen Fällen abgesehen, leicht zu erkennen sind. Vor
allem zeichnen sie sich durch den Besitz von Geisseln aus. Es
sind dies sehr feine peitschenförmige Plasmafäden, durch deren
schwimmende oder schlagende Bewegung sie sich fortbewegen. Hier-
durch unterscheiden sie sich auch von den drei anderen genannten
Abteilungen der Protozoen, denen derartige Bewegungsorgane nicht
zukommen. Denn die Infusorien bewegen sich mit Hilfe von
Cilien, haarförmigen, viel kürzeren Gebilden, welche in grosser
Anzahl vorhanden sind, während die Geisseln oft die Länge des
Körpers übertreffen und stets nur in geringer Anzahl — 1, 2, 3,4
oder 5 — auftreten. Die Sarkodinen mit den Rhizopoden (vergl.
Kapitel 4), Heliozoen und Radiolarien dagegen bewegen sich im
wesentlichen durch ein eigentümliches mit fortwährender Form-
veränderung verbundenes Hinfliessen des Körpers, und die
Sporozoen haben in ihrem erwachsenen Zustande überhaupt keine
Bewegungsorgane. Der Körper der Flagellaten ist sehr verschieden-
artig gestaltet, stets einzellig, oft nackt, d. h. ohne feste Membran
166 Die Flagellaten.
oder Zellwand. Dagegen finden sich bei einzelnen wieder sehr
starke feste Hüllen um den zarten Zellleib, welche mitunter sehr
zierlich gezeichnet sind. Der Zellinhalt ist entweder farblos oder
bräunlich oder chlorophyligrün gefärbt und der Farbstoff ist dann
gewöhnlich an plattenförmige Träger gebunden. Ein Zellkern ist wohl
stets vorhanden, daneben oft noch andere feste Plasmakörperchen
von zumteil noch unbekannter Bedeutung. Ebenso finden sich im
Innern des Plasmas Hohlräume, welche mit Zellsaft gefüllt sind
und von denen häufig zwei: in bestimmten Zwischenräumen ab-
wechselnd sich zusammenziehen und allmählich wieder wachsen;
man hat sie pulsierende Vakuolen genannt. In der Regel findet
sich auch noch ein (seltener zwei) roter kleiner Punkt in der Zelle,
der Augenfleck oder Pigmentfleck.
Die Geisseln stehen in geringer Zahl zusammen an einem
Punkte des Körpers, gewöhnlich am Vorderende, sie sind gleich
oder ungleich lang, bei einigen von einem schwer sichtbaren feinen
Mantel umgeben. Bei der Fortbewegung wird das Wasser mit der
ganzen Fläche der Geissel gepeitscht und diese dann, ähnlich wie
beim Schwimmen, zurückgezogen.
Die Fortpflanzung geschieht nur bei einigen — soweit bisher
bekannt — auf geschlechtlichem Wege durch Kopulation zweier
Individuen, oder wie bei Volvox durch die Befruchtung einer
ruhenden Eizelle durch ein bewegliches Spermatozoid. Häufig ist
eine Vermehrung durch Querteilung oder durch Längsteilung be-
obachtet. Vielen, vielleicht allen Flagellaten kommt die Fähigkeit
zu, bei Eintritt ungünstiger Verhältnisse in einen Ruhezustand über-
zugehen, indem sie sich encystieren, d. h. unter Zusammenziehung
des Körpers zu rundlichen Massen sich mit einer festen Membran
umgeben. Sie können in diesem Zustande längere Austrocknung
vertragen und zugleich ist es ein Mittel zur Verbreitung der
Flagellaten. Denn wenn dieselben in dem Ruhezustande auf dem
Boden ausgetrockneter Pfützen liegen, so genügt ein Windhauch,
um sie emporzuheben und als feine Staubkörnchen fortzuführen. So
gelangen sie vielleicht in einen Wassertümpel, wo sie ihre schützende
Hülle sprengen und zu neuem Leben erwachen.
Die Flagellaten. 167
Oft bleiben die Zellen nach der Teilung in mehr oder weniger
festem Zusammenhang zu verschiedenartigen Kolonien vereinigt.
Manche Arten leben parasitisch in anderen Organismen, viele be-
wohnen fauliges Wasser, manche treten nur in ganz reinen Wässern
auf. Nach zwei Richtungen hin zeigen sie sehr enge Beziehungen
zum Pflanzenreich: zu den Spaltpflanzen durch ihre einfachsten Ver-
treter, die Monadinen, und zu den einzelligen Grünalgen, den
Protococcoiden, durch die Volvocineen und Chlamydomonadinen.
Dies sind im Umriss die allgemeinen Eigenschaften einer Gruppe
von Organismen, welche von den Botanikern und Zoologen als strit-
tiges Gebiet betrachtet werden und welche man deshalb, wenigstens
teilweise, sowohl in Lehrbüchern der Zoologie wie in solchen der
Botanik behandelt findet. Bei der Mannigfaltigkeit und dem Reich-
tum der grossen Gruppe, bei der Verschiedenheit der Entwickelung
selbst nahe verwandter Formen und — last not least — bei der
geringen Kenntnis, welche wir trotz vieler und vorzüglicher Arbeiten
von den Flagellaten besitzen, mag es genügen, wenn wir einige
interessante Vertreter dieser Abteilung herausgreifen und einer ein-
gehenderen Beschreibung unterziehen. Wer sich für diese schwierigen
und nur mit den besten Mikroskopen erfolgreich zu untersuchenden
Organismen interessiert, sei auf die Litteraturangabe am Schluss
verwiesen.
Zu den am höchsten entwickelten Flagellaten sind unbedingt
die Volvocineen zu rechnen, welche in etwa sieben Arten in unseren
Gewässern vorkommen. Wir wollen uns vorzugsweise an die Gattung
Volvox und an die häufigere der beiden Arten, an Volvox aureus
(Volvox minor Stein) halten.
Das Kugeltierchen, wie es von Leeuwenhoek, der es schon
vor 200 Jahren beobachtet hat, genannt wurde, oder unser Volvox
bildet kugelige oder eiförmige Kolonien von etwa 1/a—3/ı mm
Durchmesser, doch kommen sowohl grössere wie kleinere vor (vergl.
hier und in der folgenden Darstellung Figur 34 S. 168 und Erklärung).
Es sind Hohlkugeln, welche auf der Oberfläche eine grosse Anzahl
kleiner grüner Zellen in regelmässigen Abständen tragen. Die Zellen
werden durch eine farblose Gallertmasse zusammengehalten, welche
168 Die Flagellaten.
—
aus den verschleimenden Membranen der Einzelzellen besteht und
daher nur eine wenige Mikromillimeter (— 1/1000 mm) dicke Schale
bilden, während der Inhalt der Kugel aus Wasser besteht. Die
Zellen sind etwa 5/1000 mm dick, etwas eiförmig gestaltet, mit dem
grösseren Durchmesser dem Kugelradius parallel. Es lässt sich in
ihrem Innern wenigstens eine pulsierende Vakuole (vielleicht zwei)
erkennen, ein sehr kleiner, aber deutlicher roter Pigmentfleck, eine
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Fig. 34-
Volvocineen. ı Volvox aureus Ehrbg.: a Kolonie mit fünf Tochterkugeln (Parthenogonidien)
und drei bereits befruchteten Eizellen (Oosphaeren), 5 Kolonie mit zwei Parthenogonidien,
elf unbefruchteten Eizellen, zwei männlichen Kolonien, c Teil einer Kugel, stärker ver-
grössert, mit einer Zelle, welche sich teilt und den Anfang einer Tochterkolonie darstellt,
d reife Oosphaere, e Teilungszustand einer sehr jungen Volvoxkolonie; die Zellen schliessen
noch dicht zusammen, / männliche Kolonie mit Antheridien, £ Antheridien von der Seite,
/h Spermatozoiden — 2 Pandorina Morum — 3 Gonium pectorale (1a und 5 schwach,
alle übrigen Figuren stark, zumteil sehr stark vergrössert).
chlorophyligrüne, die Zellwand zu etwa ?/3 auskleidende Platte und
darunter ein oft undeutlicher Zellkern nebst einigen kleineren
Körnchen. Jede Zelle trägt an ihrem nach aussen stehenden Ende
zwei Geisseln, welche die ganze Kolonie wie mit einem Wimper-
kleid umgeben erscheinen lassen und durch deren Schwingung eine
Die Flagellaten. 169
drehende Fortbewegung der ganzen Kolonie erzeugt wird. Zwischen
den einzelnen Zellen laufen in der Gallertmasse noch Verbindungs-
fäden, welche mehr oder minder regelmässige Dreiecke auf der
Kugeloberfläche bilden. Die Zahl der Zellen einer solchen Volvox-
kugel ist sehr verschieden, sie schwankt zwischen 200 bis 2000,
kann aber die Zahlen nach unten und oben auch noch wesentlich
überschreiten.
Diese eben beschriebenen Zellen besitzen einen rein vegetativen
Charakter, d. h. sie dienen nur der Aufnahme und Verarbeitung
der Nährstoffe und allen den Lebensthätigkeiten des Organismus,
welche nicht mit der Fortpflanzung zusammenhängen. Für sich
allein, auch losgetrennt von der Kolonie, würden sie zwar noch
eine Zeit lang ihr Leben fristen, aber schliesslich zu Grunde gehen,
ohne für die Erhaltung der Art zu sorgen. Diese Funktion über-
nehmen ganz anders gestaltete Zellen, welche übrigens aus Zellen
hervorgehen, welche den vegetativen ursprünglich gleich gestaltet
sind. Aber um diese Verhältnisse zu übersehen, müssen wir auf
die Entstehung der Zellen etwas näher eingehen. Bei den Volvo-
cineen finden sich Dauerzustände (Sporen), welche den Winter über
ruhen und im Frühjahr sich zu neuen Volvoxkugeln entwickeln.
Eine solche Spore (Id) besitzt eine ziemlich dicke farblose Membran
und bei völliger Reife gelbroten körnigen, mit Reservestoffen er-
füllten Inhalt. Die erste Veränderung, welche im Frühjahr in ihr
vorgeht, ist, dass die gelbrote Farbe des Zellinhaltes einer grünen
Platz macht; die Zelle nimmt dann Wasser auf und sprengt die
harte Membran. Vorher teilt sich der Zellinhalt in zwei und diese
weiter in vier, diese wieder in acht Zellen; letztere entwickeln sich zu
Schwärmzellen, welche den Ausgangspunkt für die Entwickelung
der Volvoxkolonien bilden. Die Schwärmzellen teilen sich in einen
vielzelligen Körper unter stetem Wachstum, bleiben aber dicht zu-
sammen. Erst wenn die Zellen sich nicht mehr teilen, beginnt
eine Differenzierung sich bemerkbar zu machen; einige Zellen sind
etwas grösser und mit den anderen, wenn sie auseinanderrücken,
durch zahlreichere Fäden verbunden. Sobald nämlich die Zell-
teilungen aufgehört haben, fangen die Membranen der einzelnen
170 Die Flagellaten.
Zellen an, zu quellen, wodurch diese auseinandergedrängt werden.
Nun beginnen einige wenige von Anfang an etwas grössere, aber
ebenfalls in den Gallertmantel der Kugeloberfläche eingebettete
Zellen heranzuwachsen und sich zu teilen in ganz gleicher Weise,
wie das eben beschrieben wurde. Je grösser diese Zellkomplexe
werden, desto mehr rücken sie in das Innere der Kugel, lösen sich
schliesslich ganz von der Oberfläche los und schwimmen frei in
dem Hohlraum umher. In dem einen Falle gestalten sich aus
ihnen Kugeln, welche den Mutterkugeln vollkommen gleichen und
auch ihrerseits wieder junge Kugeln im Innern entwickeln, so dass
man thatsächlich sehr oft Grossmutter, Mutter und Enkel in ein-
ander eingekapselt sieht. Die Kolonien schwimmen frei im Innern
der Kugel umher, bis sie an dem einen Pol der Mutterkugel aus-
schlüpfen und ein selbständiges Dasein beginnen. Alle Kugeln,
welche auf diese Weise entstehen und sich aus Zellen der Kugel-
oberfläche ohne Befruchtuug entwickeln, hat man Parthenogonidien
genannt. Ihre Zahl innerhalb einer Mutterkugel ist sehr verschieden:
2—12, selten mehr; neben ihnen können aber auch noch Zellen
oder Zellfamilien ganz anderer Natur auftreten und mit der Be-
schreibung derselben betreten wir das Gebiet der geschlechtlichen
Fortpflanzung, welche bei Volvox sehr hoch ausgebildet ist. Zunächst
entwickeln sich einige der Zellen der Mutterkugel, ohne sich weiter
zu teilen, zu sehr grossen weiblichen Geschlechtszellen, den Oogonien,
welche dunkler grün sind und ein körniges Plasma zeigen. Sie
sind leicht mit sehr jugendlichen Parthenogonidien zu verwechseln,
aber durch den Mangel an Teilungen von diesen unterschieden.
Schliesslich lösen sie sich ebenfalls aus dem Zellverbande heraus
und treten in den Hohlraum der Kugel. Noch andere Zellen der
Mutterkugel erfahren zwar ähnlich den Parthenogonidien Teilungen,
aber sie entwickeln in der Regel keine neuen Parthenogonidien ;
es‘ teilen sich vielmehr nach dem Auseinanderrücken der Zellen
einige derselben, nachdem sie stärker herangewachsen sind, in ein
Bündel länglicher Zellen, welche jedoch zunächst von der gemein-
samen Hülle ihrer Mutterzelle umschlossen bleiben, mit welcher sie
auch aus dem Zellverbande austreten. Die Hülle ist nach der
Die Flagellaten. by!
einen Seite haubenförmig erweitert und man sieht in dieser Er-
weiterung eine Anzahl sehr feiner Fäden in Bewegung, welche man
als die Geisseln der bündelförmig gruppierten Zellen erkennt. Diese
Zellen lösen sich schliesslich von einander und suchen die Oogonien
auf; sie tragen zwei lange Geisseln am Vorderende ihres länglich-
eiförmigen, gebogenen und membranlosen Körpers und an der
Geisselbasis einen deutlichen roten Pigmentfleck. Ihre Färbung ist
ein mattes Ockergelb, sie weichen also auch hierin nicht un-
bedeutend von den übrigen Zellen des Volvox ab. Sobald diese
Spermatozoiden frei sind, treiben sie sich umher und suchen zu
den in derselben oder in anderen Kugeln eingeschlossenen Oogonien
zu gelangen, an welche sie sich unter eigentümlich bohrenden Be-
wegungen anlegen ‘und wahrscheinlich‘ mit ihnen verschmelzen.
Nach dieser Befruchtung umgiebt sich die Eizelle mit einer dicken
Membran und macht eine Ruheperiode durch, nach „welcher sie
sich wieder in der beschriebenen Weise zu Volvoxkugeln ent-
wickelt.
Dies sind in groben Zügen Bau und Entwickelungsgeschichte
unseres Volvox, welche jedoch eine solche Fülle von interessanten
Einzelheiten bieten, auf die hier nicht näher eingegangen werden
konnte, dass dieses Wesen immer wieder Gegenstand eingehender
Untersuchungen ist. So finden wir namentlich in dem Auftreten
geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Kolonien eine grosse Varia-
bilität. Es kommen Volvoxkugeln vor, welche nur Parthenogonidien
enthalten, solche, welche neben diesen auch Oogonien, solche, welche
letztere allein oder mit Androgonidien, d. h. neben den vegetativen
ausschliesslich männliche Zellen enthalten, und solche, welche letztere
allein oder mit Parthenogonidien zusammen in sich tragen. Noch
komplizierter wird aber die Sache dadurch, dass die Parthenogonidien
selbst wieder alle diese Kolonienformen in gleicher Weise in sich
bergen können, so dass hierdurch ausserordentlich verwickelte Ver-
hältnisse entstehen. Auch in Bezug auf die männlichen Kolonien
können sehr grosse Verschiedenheiten herrschen, doch würde eine
Erörterung derselben an dieser Stelle zu weit führen.
172 Die Flagellaten.
Der grössere Volvox globator unterscheidet sich wesentlich
durch die nicht runden, sondern mehr dreieckigen vegetativen Zellen
und durch die stachelige Sporenmembran. Beide Arten kommen
meist unter einander vermischt, selten rein vor. Sie lieben kleine,
lichte, dünn mit Binsen oder Rohr bestandene Sumpflöcher, sind
aber in ihrem Auftreten sehr unbeständig und wählerisch.h An
Orten, wo man sie Jahr für Jahr regelmässig gefunden hat, bleiben
sie plötzlich aus und erscheinen auch nicht wieder, während sie sich
anderseits wieder oft dort in Masse ansiedeln, wo man sie kaum
vermuten dürfte. So trat plötzlich in einem Aquarium, welches
von mir mit einer Nitella bepflanzt war, seit zwei Jahren im Zimmer
stand und mit Leitungswasser gefüllt wurde, Volwox aureus in
solcher Menge auf, dass man mit jedem Tropfen Kolonien heraus-
holen konnte. Aber ebenso verschwand er daraus und trat nicht
wieder auf, ohne dass irgend welche Tiere vorhanden waren, die
seine Vernichtung hätten herbeiführen können. Er bildet nämlich
eine Lieblingsspeise kleiner Crustaceen, besonders der Cypris- und
Cyclopsarten, aber auch Kaulquappen und Mückenlarven- stellen ihm
begierig nach. Wo derartige Organismen in grösserer Zahl auftreten,
verschwindet der Volvox auch im Freien sehr bald und kann voll-
ständig vernichtet werden, da auch die schon befruchteten Eizellen,
die Sporen, gefressen werden. Im Zimmer lässt sich Volvox nicht
leicht züchten; er zeigt manchmal ganz plötzlich eine Neigung ein-
zugehen, ohne dass man irgend einen Grund dafür finden könnte,
Am besten hält er sich in grossen Gefässen, welche nur von oben
Licht erhalten und eventuell an den Seitenwänden durch schwarzes
Papier undurchsichtig gemacht werden müssen. Hier kann man
einige Wasserlinsen, am besten Lemma polyrrhiza, hineinthun, dass
sie etwa 1a der Oberfläche, nicht mehr, bedecken. Die Volvox-
Kolonien gewähren dem Beobachter, auch wenn er nur eine Lupe
anwendet, so viel Genuss, dass es sich wohl lohnt, dieselben zur
leichtern und bessern Beobachtung im Zimmer zu kultivieren.
Die Ernährung des Volvox geschieht auf rein pflanzliche Weise;
die einzelnen Zellen haben vermöge ihres Chlorophyligehaltes die
Fähigkeit zu assimilieren, d. h. aus anorganischen Stoffen, aus der
ad 2 Zu
Die Flagellaten. 173
Kohlensäure und dem Sauerstoff der im Wasser gelösten Luft, aus
dem Wasser und seinen Bestandteilen an Salzen ihren Organismus
aufzubauen. Es kommt ihnen als Produkt der Assimilation die
Stärke im Inhalt der Zellen zu, und auch die Art der Befruchtung
und Keimung der Sporen hat Volvox mit vielen zweifelhaften Algen
gemein. Dagegen nähert sich der Organismus den Flagellaten be-
sonders dadurch, dass die Beweglichkeit der Zellen während des
ganzen eigentlichen Lebens erhalten bleibt. Wir sehen in den
Volvocineen eben Wesen, welche mit dem gleichen Rechte als
Tiere und als Pflanzen angesehen werden können und welche
sowohl für den Botaniker wie für den Zoologen von gleicher
Wichtigkeit sind, weil sie die Gemeinsamkeit des Organischen von
neuem bestätigen.
Zu den Volvocineen gehören noch folgende vier durch grosse
Zierlichkeit ausgezeichnete Gattungen:
Eudorina mit der einzigen Art EZ. elegans. Die Familie
wird gebildet aus I6 oder 32 Zellen, welche nicht bloss vegetativ
sind, sondern auch unter Umständen geschlechtliche Funktionen
besitzen können. Sie sind weit grösser als. bei Volvox, etwa
20/1000 mm dick, während die ganze Kolonie im Durchschnitt nur
1/jo mm im Durchmesser hat. Sonst sind die Zellen denen von
Volvox sehr ähnlich: mit pulsierenden Vakuolen, Pigmentfleck und
je zwei Geisseln. Die ungeschlechtliche Vermehrung erfolgt durch
Teilung jeder Zelle in ı6 oder 32 Zellen, . welche wieder eine neue
Kolonie bilden; die geschlechtliche durch Oogonien, welche von
Spermatozoiden befruchtet werden. Zu Öogonien bilden sich
sämtliche Zellen um, mit Ausnahme derjenigen vier, welche an. dem
bei der Bewegung nach vorn gerichteten Teil stehen. Diese werden
zu Antheridien, in denen sich je 64 hellgrüne Spermatozoiden
entwickeln.
Pandorina mit der einzigen Art P. Morum (Fig. 34, 3). Die
Familien haben eine rundlich eiförmige Gestalt und bestehen aus
16, 32 oder 64 dicht zusammen liegenden Zellen von beinahe
herzförmiger Gestalt und von einem gemeinsamen Gallertmantel
umgeben. Die ungeschlechtliche Vermehrung geht ganz in der-
174 Die Flagellaten.
selben Weise vor sich, wie bei Eudorina; die geschlechtliche weicht
dagegen in sehr erheblicher Weise ab. Aus jeder Zelle entstehen
nämlich in der Regel acht Schwärmzellen, welche ausschlüpfen und
umherschwärmen, bis sie auf gleiche Zellen von anderen Pandorina-
kolonien treffen. Mit diesen kopulieren sie dann (zu zweien), indem
der Inhalt der beiden Schwärmzellen vollständig verschmilzt. Die
aus der Kopulation beider entstehende Zelle, die Zygote, macht
dann eine Ruheperiode durch und teilt sich bei der Keimung in
1—3 grosse Schwärmzellen, welche wieder zu Zellfamilien werden.
Ähnlich verhält sich die Entwickelung der in den hellen
Wasseransammlungen in Felsplatten etc. vorkommende Siephano-
sphaera plwvialis mit acht lang-spindelförmigen Zellen. Eine andere
Gattung (Gonium) bildet kleine Zelltäfelchen und zwar G. sociale
aus vier, G. pectorale aus sechzehn, seltener acht oder vier Zellen
bestehend. Die Membranen oder Einzelzellen sind bei ausgewachsenen
Exemplaren stark gequollen und durch gegenseitige Berührung eckig;
sie lassen sechzehn dreieckige Räume und einen viereckigen zwischen
sich frei. Um das ganze Täfelchen befindet sich eine sehr dünn-
flüssige Gallerthülle, aus welcher die Geisseln hervorragen. Die
ungeschlechtliche Fortpflanzung findet in derselben Weise wie bei
Eudorina statt; eine geschlechtliche ist bisher nicht beobachtet.
Wie wir im vorstehenden gesehen haben, findet innerhalb ein
und derselben Familie eine solche Verschiedenheit in der geschlecht-
lichen Fortpflanzung statt, dass sich hierauf allein ein System nicht
begründen liesse, wollte man nicht sonst eng verwandte Formen
ganz auseinanderreissen. Es wird aber zugleich auch einleuchtend
sein, dass bei dem Umfang und dem Zweck dieser Abhandlung
ein genaueres Eingehen auf die Entwickelungsgeschichte unmöglich
ist, und dass wir nur noch kurz dieselbe berühren können. Wichtiger
scheint es dagegen, noch die Lebensweise und die Eigenschaften
einiger Organismen zu betrachten, welche hierin von den oben
beschriebenen Volvocineen abweichen.
Die Volvocineen gehören zu den kolonienbildenden Flagellaten,
wie wir gesehen haben; wesentlich gleichgestaltete, aber einzeln lebende
Organismen sind die Chlamydomonadinen, deren geschlechtliche
a
ee ERTEILT:
en. ia
Die Flagellaten. 175
Fortpflanzung mit der von Pandorina Ähnlichkeit hat. Unter ihnen
ist besonders Chlamydococcus pluvialis bekannt, welcher nach
heftigen Gewitterregen im Gebirge klares Wasser der Felsklüfte oft
vollständig rot oder grün färbt und auch manchem Touristen eine
bekannte Erscheinung in diesem Zustande sein dürfte. Auch diese
Familie kann mit dem gleichen Rechte zu den Algen gezogen
werden; ja sie steht diesen sogar noch näher als die erstbeschriebene.
Von wesentlich anderem Bau ist ein Organismus, welcher
Schmutzlachen, Pfützen auf lehmigen Wegen etc. oft intensiv grün
färbt, die Zuglena viridis, welche wir als Vertreter einer eigenen
Gruppe hier näher schildern wollen. Sie besitzt einen mehr oder
weniger langgestreckten spindelförmigen Körper mit einer langen
Geissel am Vorderende, zwei pulsierende Vakuolen und einen deut-
lichen roten Augenfleck. Bis auf einen Teil am Vorderende ent-
hält sie zahlreiche kleine scheibenförmige Chlorophylikörnchen direkt
unter der Oberfläche. Ausserdem finden wir hier an der Geissel-
basis eine Mundöffnung, welche zur Aufnahme fester Nahrung dient.
Diese und ähnliche Formen, namentlich aber die farblosen — denn
es giebt in dieser Gattung auch chlorophylifreie —, leben von Bakterien
oder anderen sehr kleinen Organismen, welche sie mit der Geissel
gegen die Mundöffnung schleudern. Wir haben hier Organismen von
zweifellos tierischem Bau und Leben, welche aber dennoch Chloro-
phyll enthalten und also wie die Pflanzen auch aus anorganischen
Stoffen Nahrung ziehen und bilden können. Wir erkennen dies
auch noch daran, dass man bei manchen thatsächlich Stärke ge-
funden hat, ein Produkt, welches bekanntlich bei der Assimilation
der Pflanzen entsteht. Sie tritt dann in einer Form auf, welche es
zweifellos macht, dass sie in dem Organismus selbst entstanden und
nicht etwa von aussen mit der Nahrung aufgenommen worden ist.
Noch in einem andern Punkte bieten uns die Euglenen inter-
essante Beobachtungsobjekte dar; ihr Körper ist metabolisch, d. h.
er besitzt die Fähigkeit, durch Kontraktion seine Gestalt zu ver-
ändern und die gewöhnlich lang-spindelförmigen Wesen nehmen
oft Kugelform an. Gewöhnlich werfen die Euglenen die Geissel ab,
ehe sie in dieses Stadium eintreten; ihre Bewegungen werden dann
176 Die Flagellaten.
kriechend und sind mit fortwährender Gestaltveränderung verbunden.
Ihre Fortpflanzung erfolgt in einem Ruhezustande durch Teilung,
auch sind Zustände bekannt, welche eine längere Austrocknung
ertragen können, ohne dabei zu Grunde zu gehen. (Vergl. Fig. 35,
I a—c.) |
Fig. 35.
ı Euglena wirıdıs, a im schwimmenden geisseltragenden, 5 und ce im kriechenden geissel-
losen Zustand, A Augenfleck, m Mundstelle — 2 Anthophysa vegelans, a ein Zweig mit fünf
Köpfchen, 5 ein stark vergrössertes Einzelindividuum — 3 Dinodryum Sertularıa, a kleine
Kolonie, 5 stärker vergrössertes Einzelindividuum — 4 Mastigamoeba, a in amoeboidem,
d in flagellatenartigem Zustand — 5 Bodo caudatus — 6 Ceratium Hıirundıinella.
Sämtlich stark vergrössert.
Nahe verwandt der Gattung Euglena ist die Gattung Colacium,
jedoch durch ihre Lebensweise von jener verschieden. Die Colacien
setzen sich nämlich auf kleinen Wassertieren fest, entwickeln einen
Gallertmantel und Gallertfuss, verlieren die Geissel und teilen sich.
Die Tochterzellen trennen sich jedoch nicht von einander, sondern
bleiben zu Kolonien vereinigt; sie sind eigentlich nur kolonien-
bildende Euglenen.
Ebenfalls Kolonien bildend, aber von anderem Bau ist die
Gattung Anthophysa. Sie gehört zu der Gruppe der Hetero-
2 Zu
Die Flagellaten. 1.77
monadina, welche sich durch die Entwickelung von einer Haupt-
geissel und einer oder zwei kürzeren Nebengeisseln auszeichnet.
Bei der vorliegenden Art, Anthophysa vegetans, ist nur eine Neben-
geissel vorhanden. Die einzelnen Organismen sind klein, etwa
1/30 mm lang, kegelförmig, am Vorderende plötzlich abgestutzt und
mit einem kurzen, spitzen Anhängsel, nach unten zu in einen spitzen
Stiel verschmälert. Sie besitzen eine kontraktile Vakuole, einen
Zellkern und eine Mundöffnung zur Aufnahme fester Nahrung, ein
Pigmentfleck fehlt, ebenso Chromatophoren. Eine Anzahl dieser
Einzelindividuen sitzen kopfförmig auf einem Gallertstiel auf, welcher
meist wiederholt gabelig verzweigt ist und an jedem Ende ein
derartiges Köpfchen trägt. Diese Köpfchen können sich loslösen
und umherschwärmen; sie zerfallen dabei oft in die einzelnen Zellen,
so dass schliesslich nur die reich verzweigten Gallertstiele zurück-
bleiben. Diese sind in der Jugend rein weiss und durchsichtig; im
Alter färben sie sich durch Aufnahme von Ocker gelb bis dunkel-
braun. Der Organismus scheint namentlich in eisenhaltigem Wasser
häufig zu sein, wo er mit einer Alge, Zyngbya ochracea (Ockeralge),
zusammen vorkommt. Die alten, stark mit Ocker durchtränkten und
inkrustierten Stiele der Flagellaten und die ebenso aussehenden
Fäden der Alge sind dann oft nur zu unterscheiden, wenn man
durch Salzsäure den Eisenbelag löst. Wo beide in grösserer Menge
vorkommen, kann man mit Sicherheit auf einen grösseren Eisengehalt
des Wassers schliessen. Die Einzelzellen der Anthophysa können übrigens
auch unter Umständen einen amöbenartigen Zustand annehmen; sie
verlieren dann Geissel und Form, senden Pseudopodien aus und
kriechen ganz wie jene umher. Eine Fortpflanzung ist bisher nur
durch Teilung der Zellen beobachtet worden (Fig. 35, 2 a—b).
Zu derselben Hauptgruppe gehört auch die interessante Gattung
Dinobryon, welche in zwei Arten in unseren Süsswasseransamm-
lungen vorkommt. Die Dinobryen besitzen ebenfalls eine Haupt-
und eine Nebengeissel, einen Augenfleck, 1—2 kontraktile Vakuolen,
einen Zellkern und zwei schwach bläulichgrün gefärbte plattenförmige
Chromatophoren. Ihre Gestalt ist eiförmig, bald mehr länglich, bald
mehr rundlich, was sie aber noch ganz besonders auszeichnet, ist
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 12
178 Die Flagellaten.
das eigentümliche Gehäuse, welches jedes Einzeltier umgiebt. Das-
selbe besteht aus einer dünnen, farblosen Haut von becherförmiger
Gestalt, welches sich am Hinterende zuspitzt, am Vorderende aber
abgestutzt und geöffnet ist. Am Grunde dieser Gehäuse sitzen die
Zellen und strecken ihre Geisseln aus denselben hervor. Bei der
Fortpflanzung teilt sich die Zelle in zwei Tochterindividuen, von
denen das eine am Grunde des Gehäuses zurückbleibt, das andere
sich an dessen Mündung ansiedelt und ein neues Gehäuse ent-
wickelt. So entstehen allmählich frei im Wasser umherschwimmende,
verzweigte Kolonien, welche aussehen, als ob eine Anzahl Becher
in einander geschoben wäre. Die Organismen können auch in
einen Ruhezustand eintreten; sie verlassen dann ihr Gehäuse, verlieren
die Geisseln, runden sich ab und umgeben sich mit einer dicken
Membran. Sehr ähnlich dieser Gattung ist das ebenfalls in unseren
süssen Wässern und oft in Menge vorkommende Zpipyxıs utriculus,
dessen Individuen sich jedoch nach ihrer Teilung von einander
trennen und keine Kolonien mehr bilden (Fig. 35, 3 a—b).
Ein Übergang der Flagellaten zu den Rhizopoden wird durch
eine Anzahl Formen vermittelt, welche man unter dem gemein-
samen Namen der Rhizomastiginen zusammenfasst. Unter ihnen
ist namentlich die mit einigen Arten in unseren Gewässern ver-
tretene Gattung Mastigamoeba von Interesse. Sie kommt in zwei
wesentlich von einander verschiedenen Zuständen vor, als Flagellate
und als Amöbe, welche in einander übergehen können. Gewöhnlich
tritt sie in der letztern Form auf, bildet dabei mehrere bis zahl-
reiche (auch verzweigte) Pseudopodien, welche sie bald einzieht, bald
an anderen Stellen des eiförmigen Körpers wieder hervorstreckt. In
diesem Zustande kriecht sie an festen Gegenständen umher und
schwimmt nicht, obgleich sie auch als Amöbe eine Geissel besitzt.
Zuweilen ziehen jedoch die Individuen ihre amöbenartigen Fortsätze
ein, so dass nur die eiförmige Zelle selbst mit der Geissel erscheint,
mit vereinzelten Höckern oder Auswüchsen, welche die Stelle der
eingezogenen Pseudopodien andeuten. Jetzt kriechen sie auch nicht
mehr, sondern bewegen sich schwimmend wie Flagellaten durch das
Wasser. In der Nahrungsaufnahme liegt ebenfalls eine Annäherung
Die Flagellaten. 179
an die Rhizopoden: die Pseudopodien umfliessen nämlich, ganz wie
bei diesen, die verschiedenen als Nahrung dienenden Körper und
diese werden entweder mit den Pseudopodien eingezogen, oder der
Körper der Mastigamoeba fliesst selbst nach dem Gegenstande hin.
Die anderen hierher gehörigen Gattungen sind sehr ähnlich orga-
nisiert und unterscheiden sich durch den Besitz von zwei Geisseln
oder auch durch das Fehlen derselben im Amöbenzustande (Fig. 35,
4a—b).
Eine Gruppe der Flagellaten trägt den Namen der Hetero-
mastigoda, weil sie sich durch zwei verschieden gestaltete Geisseln
auszeichnen. Beide stehen am Vorderende des Körpers, aber nur
eine und zwar die kleinere ist auch nach vorn gerichtet, während
die andere zurückgebogen ist und bei der Bewegung nachgezogen
wird. Es sind kleine farblose Wesen, welche zuweilen amöbenartige
Fortsätze entwickeln, aber ihre Nahrung nicht durch Umfliessen der
Gegenstände, sondern durch Aufnahme an einer bestimmten Stelle,
der Mundstelle des Körpers, die zuweilen zu einem deutlichen Munde
ausgebildet ist, zu sich nehmen. Hierher gehört die Gattung Bodo,
welche ovale oder längliche Formen enthält, deren längere nach
hinten gerichtete Geissel sehr häufig zur Anheftung an ein Substrat
dient. Bei dieser Gattung ist auch eine Vereinigung zweier Indi-
viduen beobachtet, welche zur Bildung eines Ruhezustandes führt.
Aus dieser ruhenden Zelle gehen dann eine Anzahl neuer Indi-
viduen hervor. Einige Arten dieser Gattung kommen im süssen
Wasser vor, eine (vielleicht aber auch mehrere) schmarotzen in
anderen Tieren, beispielsweise im Darm von Eidechsen. Die frei
im Wasser lebenden Arten ernähren sich meist auch parasitisch,
indem sie andere Flagellaten oder Algen anbohren, mit ihrem spitzen
Vorderende eindringen und aussaugen. So sind besonders Chlamy-
domonadinen, Volvocineen, Protococcaceen und Palmellaceen den
Angriffen des Bodo caudatus ausgesetzt, und wo diese Art in Kulturen
einmal sich eingestellt hat, sind letztere auch in der Regel verloren.
Denn ihre natürlichen Feinde, grössere Infusorien, ferner Cypris- und
Cyclopsarten, welche in unserem Süsswasser der Überhandnahme
dieser parasitischen Flagellaten Einhalt thun, verzehren auch die
12%
FI ERV,
180 - Die Flagellaten.
Algen, und da sie leichter zu entfernen sind als die mikroskopischen
Organismen und ebenfalls die Algen vernichten würden, sucht man
sie, wenn irgend möglich, sorgsam wegzufangen, und so bleibt dann
den kleinen Räubern freier Spielraum (Fig. 35, 5).
Noch mag darauf hingewiesen werden, dass es eine Anzahl
sehr einfacher Flagellatenformen giebt, welche eine entschiedene
Verwandtschaft zu den Bakterien zeigen. Es ist dies beispielsweise
mit der Gattung Monas der Fall, welche gewissen geisseltragenden
Bakterien sehr ähnlich ist. Ebenso kann die Gattung Oikomonas
mit ihnen verglichen werden. Die Flagellaten enthalten aber einen
Zellkern und kontraktile Vakuolen, welche den Bakterien entschieden
abgehen. Manche grosse Formen, deren Zugehörigkeit zu den
Bakterien jedoch sehr fraglich ist, besitzen nach Bütschlis neuen
Untersuchungen allerdings kleine Körperchen ’im Zellinhalt, welche
Zellkernreaktionen zeigen. So sind denn die Flagellaten einerseits
mit den Tieren, anderseits mit den Pflanzen nahe verwandt und
durch deutliche Übergänge verbunden; viele Formen zeigen durchaus
tierische Eigenschaften, viele mehr pflanzliche, und man würde sie
dem Pflanzenreich unbedingt einordnen müssen, wenn sie nicht
durch vollständige Formenreihen den echt tierischen Flagellaten
weit näher ständen, als den nächsten pflanzlichen Organismen. Noch
heute vertritt der eine Forscher die durchaus pflanzliche Natur
gewisser Organismen, während ein anderer sie unbedingt zu den
Tieren stellt und ein dritter beiden Wissenschaften, der Zoologie
und der Botanik, die Berechtigung zuerkennt, sie als Übergangs-
formen und Endglieder gewisser Entwickelungsreihen in ihre Systeme
aufzunehmen.
Mit dieser Schilderung verlassen wir das Gebiet der eigent-
lichen Flagellaten und wollen uns noch Formen zuwenden, welche
zu einer mit diesen nahe verwandten Gruppe, den Dinoflagellaten,
gehören. Auch sie besitzen zwei Geisseln, welche wie bei den
Heteromastigoden verschieden ausgebildet sind, sie zeigen meist nur
einen Zellkern im Innern und ebenso wie gewisse Flagellaten
Chromatophoren, aber, soweit bekannt, keine kontraktilen Vakuolen.
Von besonderer Wichtigkeit ist die harte Schale, welche die Zelle
Die Flagellaten. 181
umgiebt und, abgesehen von einigen Übergangsformen, welche hier
nicht berücksichtigt werden können, der ganzen Gruppe ein ein-
heitliches Gepräge verleiht. Diese Schalenhülle zeigt ausser ver-
schiedenartigen Grübchen oder Erhöhungen eine quer verlaufende
Furche, in welcher die eine der beiden Geisseln liegt und durch
sehr kurze wellige Bewegungen den Anschein erweckt, als ob in
der Furche eine Anzahl Wimpern in Thätigkeit wären, was man
auch bis vor kurzer Zeit thatsächlich geglaubt hat.
Wir wollen eine in unseren Seen nicht seltene Gattung
Ceratium mit vielen oft sehr schwer unterscheidbaren Formen
auswählen, um an ihr die Eigenschaften der Gruppe näher kennen
zu lernen. Ceratium Hirundinella (Fig. 35, 6) zeigt einen mit ver-
schiedenen, in Gestalt und Ausbildung recht variierenden Fortsätzen
versehenen Körper, welcher eine Quer- und eine Längsfurche trägt.
Die letztere ist bei der Gattung überhaupt sehr entwickelt und fast
ebenso breit wie lang, so dass sie kaum noch den Namen einer
Furche verdient. Im Gegensatz dazu ist die Querfurche sehr schmal
und läuft um den ganzen Körper herum. Auf jeder Seite der
Querfurche setzen eine Anzahl Täfelchen die. harte Zellhülle
zusammen, von denen am Hinterende drei zu den erwähnten
Fortsätzen oder Hörnern auswachsen. Während aber am Hinter-
ende jede der drei Täfelchen ein eigenes Horn entwickeln, bilden
drei Täfelchen des Vorderendes gemeinsam ein meist sehr langes
Horn, welches am obern Ende eine Öffnung, die Apikalöffnung,
trägt. Die Körperhülle, welche, wie erwähnt, aus einer Anzahl
kleiner Täfelchen zusammengesetzt ist, zeigt ein poröses Aussehen
und ist ausserdem mit kleinen Stacheln besetzt. Im Innern der
Zelle finden sich zahlreiche gelbbraune oder bräunlichgrüne Chroma-
tophoren, welche die Färbung des Organismus bedingen. Ältere
Schalen nehmen allerdings ebenfalls eine gelbe oder bräunliche
Färbung an. Die Fortpflanzung der Ceratien erfolgt auf ver-
schiedene Weise. Einmal ist es sicher, dass sich die Individuen
auch im beweglichen Zustande durch Zweiteilung vermehren, indem
die feste Hülle gesprengt wird und an dieser Stelle eine Ein-
schnürung des Körpers und schliesslich eine Loslösung der beiden
182 Die Flagellaten.
Teile von einander erfolgt. Wahrscheinlich entwickeln sich dann
die fehlenden Zellhälften aus den beiden Teilen in normaler Weise
mit ihren Umhüllungen. . Aber auch in einem Ruhezustande, in
welchen die Ceratien zeitweilig eintreten, erfolgt eine Teilung,
jedoch hier in mehrere Individuen. Ob eine geschlechtliche Fort-
pflanzung vorkommt, lässt sich bis jetzt nicht mit Sicherheit
angeben, sie ist aber für einige Formen der Dinoflagellaten wahr-
scheinlich. Die Bewegung der hierhergehörigen Formen ist der-
jenigen der eigentlichen Flagellaten fast gleich. Die Ceratien nehmen
keine feste Nahrung auf und vermögen wohl mittels ihrer Chro-
matophoren auch überhaupt aus anorganischen Verbindungen
wenigstens teilweise diejenigen Stoffe zu bereiten, welche sie zu
dem Aufbau ihres Körpers brauchen. Bei anderen Dinoflagellaten
scheint aber die Aufnahme fester Nahrung sicher vorzukommen.
Da manche der Ceratien eine für Flagellaten ziemlich ansehnliche
Körpergrösse besitzen (bis 1/2 mm), so ist es wohl möglich, sie
unter Umständen mit blossem Auge zu erkennen, wenn man das
Ceratien haltende Wasser etwa in einer flachen Schicht auf einem
Porzellanteller vor sich hat.
Schliesslich mag noch darauf hingewiesen werden, dass eine
Anzahl mariner Dinoflagellaten zum Leuchten des Meeres beitragen,
während allerdings noch einige andere Organismen die Hauptrolle
dabei spielen. Dies ist der Fall bei der ebenfalls zu den Flagellaten
im weitesten Sinne gehörenden Gattung Noctiluca, welche mit noch
einer andern marinen Gattung zusammen die Abteilung der Cysto-
flagellaten ausmacht. Auch einige Bakterienarten nehmen unter
den mikroskopischen Organismen teil an der Erzeugung des
Meerleuchtens.
ik
Litteratur.
Die drei wichtigsten Werke über Flagellaten sind:
I. Ehrenberg, Die Infusionsthiere als vollkommene Organismen.
1838.
. Stein, Der Organismus der Infusionsthiere. 1878.
3. Bütschli, Protozoen. 1880.
166}
Weniger ausführlich, aber mit recht guten Abbildungen ver-
sehen und für die Bestimmung unserer Süsswasserformen in den
meisten Fällen ausreichend ist Kirchner u. Blochmann, Die
mikroskopische Pflanzen- und Tierwelt des Süsswassers. 1885 und
7880.11, Teil.
Auch Eiferth, Die einfachsten Lebensformen des Tier- und
Pflanzenreiches, ist zu empfehlen. — Diese letzteren Werke geben zwar
nicht die Fülle des Materials und die künstlerischen Abbildungen der
obigen, aber sie sind wesentlich billiger und nicht jederfist in der
Lage, sich Steins prachtvolles Infusorienwerk anzuschaffen.
Die spezielle Litteratur ist bei Bütschli zusammengestellt; An-
gaben über die mikroskopische Technik finden sich bei Blochmann
und Eiferth.
Die Süsswasserschwämme.
Von Dr. W. Weltner in Berlin.
er Dr
2
P
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„
Pu,
De
l. Erkennen und Auffinden.
Fährt man an einem windstillen Tage auf einem unserer Seen
oder Teiche langsam am Rande des Schilfrohres hin, welches die
Ufer oft auf lange Strecken bis zu einer Wassertiefe von einem
Meter und mehr einsäumt, so gewahrt man an den Rohrstengeln
nicht selten lebhaft grün gefärbte, graue oder graubraune Massen.
Sie sitzen fast immer nur an den abgestorbenen Schilfstengeln,
welche nach dem Rohrschnitt im Herbste im Wasser stehen ge-
blieben sind und sich noch Jahre lang an der Wurzel aufrecht
erhalten. Jene Massen am Rohr bieten ein verschiedenes Äussere
dar. Sie erscheinen entweder als dünne Überzüge oder als dickere
Krusten, oft sogar als dicke Klumpen, oder aber sie sind baum-
förmig verzweigt und können in dieser Gestalt eine Länge von
mehreren Metern erreichen. Auch in unseren Flüssen, Kanälen
und Flusshäfen sehen wir sie, hier am Ufer an den Steinen, an
lebenden Baumwurzeln, an untergesunkenen Holzstücken, oder an
den Wänden der Schleusen und Mühlenzuflüsse, an Brückenpfählen
oder an Mauern (selbst innerhalb der Städte) wachsend. Aber
wir brauchen sie nicht einmal in ihrem Elemente mit den Augen
zu suchen, wir finden sie auch, freilich meist zerrissen und zer-
bröckelt, wenn wir an trüben, windigen Tagen im unklaren Wasser
mit einem Ketscher an Pflanzen, Steinen oder an ins Wasser ge-
ratenen Gegenständen hinfahren. Selten findet man sie an
Körpern angewachsen, welche im Wasser flottieren. Ja, man hat
sie sogar ohne irgend welches sie tragende Substrat an der Wasser-
BEI T Bien.
188 Die Süsswasserschwämme.,
oberfläche schwimmend angetroffen; in diesem Falle haben wir es
aber sicher mit Stücken zu thun, die von ihrer Unterlage los-
gerissen wurden.
Nehmen wir die auf die eine oder andere Weise erhaltene
Masse in die Hand und betrachten wir sie genauer. Es bietet
sich uns eine mehr oder weniger schleimige Substanz dar, die
einen ganz eigentümlichen Geruch besitzt. An der Oberfläche be-
merken wir viele feine Spitzen, sehr viele kleine Poren und eine
geringe Anzahl grössere Löcher. Schon der Unkundige erkennt an
dieser Oberflächenbeschaffenheit eine Ähnlichkeit mit dem Bade-
schwamm. Bemühen wir uns, ein unverletztes Stück aufzufischen
und möglichst schnell in ein Glas mit Wasser zu setzen! Bald
sehen wir, wie einige in das Wasser gestreute Karminkörnchen, wenn
sie in die Nähe der grösseren Löcher geraten, hier plötzlich weit
fortgetrieben werden.
Diese Massen, welche auf den ersten Blick so wenig Einladendes
bieten und die wohl viele von uns, ohne sie näher zu betrachten,
schon gesehen haben, sind Schwämme, und zwar im süssen
Wasser die einzigen Vertreter dieses in allen Meeren sehr ver-
breiteten Tierkreises. Um so mehr haben diese Süsswasserschwämme
oder Spongilliden schon seit langer Zeit das Interesse der Natur-
forscher erweckt, und sie haben infolgedessen ihre eigene Ge-
schichte in der Wissenschaft. Man kann von ihnen nicht sagen,
wer sie entdeckt hat, da sie bei ihrem ungemein verbreiteten Vor-
kommen und ihrer Häufigkeit wohl von jeher gekannt waren. Es
hat sehr lange gedauert — eine Spanne von 140 Jahren —, ehe
man ihre wahre Natur erkannte, und diese konnte überhaupt erst
aufgedeckt werden durch das Studium des innern Baues, ein Ver-
dienst, welches sich Robert Edmund Grant erwarb, als er im
Jahre 1826 seine Untersuchungen über die Organisation von
„Spongilla friabilis‘“ bekannt gab (Zainburgh Phil. Journal, Vol.
XIV, p. 270— 284. 1826).
Die Süsswasserschwämme. 189
2. Geschichtliches.
Der erste, welcher über unsere Schwämme überhaupt geschrieben
hat, war Joh. Ray (Rajus), der 1686 in seiner Flistoria plantarum
einen Süsswasserschwamm beschreibt. Die erste Abbildung lieferte
Leonard Plukenet 1691. Seit ihrer ersten Erwähnung bis zu
Pallas (1766) für Pflanzen gehalten, werden sie von den späteren
Autoren bis zu Grant hin für Pflanzen, für Tierpflanzen,
Pflanzentiere und endlich für Tiere angesehen. Die einen trennen
sie von den Meeresschwämmen, , die Mehrzahl vereinigt sie jedoch
mit ihnen. Selbst noch nach den gründlichen Untersuchungen
Grants wurde ihnen eine pflanzliche Natur zugeschrieben, wozu
die grüne Farbe und die „Samenkörner“ (gemmulae) allerdings ver-
locken mussten. Trotzdem dass nach Grants Arbeit einige wichtige
Entdeckungen aus der Lebensgeschichte unserer Schwämme in den
folgenden zehn Jahren gemacht wurden, gebührt doch erst Du-
jardin (1838) die Ehre, einen bedeutenden Schritt in der Erkenntnis
der Organisation der Spongilliden gethan zu haben, indem er die
Zusammensetzung aus amöboiden Zellen und aus Wimperzellen
lehrte. Die grössten Verdienste um die Kenntnis der Süsswasser-
spongien erwarben sich dann Carter (1847 bis jetzt) und
Lieberkühn (1856—70), der eine ein Schüler Grants, der andere
der Assistent Joh. Müllers. Ihren Arbeiten sind zahlreiche andere
gefolgt, die wir den nachfolgenden Zeilen über die Naturgeschichte
der Spongilliden zu Grunde legen. Dabei mögen eine Anzahl eigener
Beobachtungen mit einfliessen.
3. Aussere Beschaffenheit.
Nachdem wir oben schon die Merkmale besprochen haben,
an denen man einen Süsswasserschwamm erkennt, müssen wir noch
einiges über den Habitus dieser Organismen hinzufügen.
a) Form und Oberflächenbeschaffenheit.
Die Gestalt jeder jungen Spongillide — mag sie sich aus einer
Larve oder einer Gemmula entwickelt haben — ist gewöhnlich ein
flacher, seltener ein hoher Kegel. Bei dem weiteren Wachstum
Be En Em en nei,
190 Die Süsswasserschwämme.
nimmt der Schwamm zunächst immer die Gestalt einer flachen
Scheibe an und wächst erst danach in die Dicke. War das den
jungen Schwamm tragende Substrat keine gerade Ebene, sondern
ein dünner cylinderförmiger Gegenstand, ein Pflanzenstengel, ein
Bindfaden, ein Eisendraht etc., so umwächst der Schwamm seine
Unterlage und nimmt erst dann an Dicke zu. Mit einem Wort,
er passt sich zunächst an seine Unterlage an. Erst wenn eine
gewisse Grösse erreicht ist, kommen die beiden für die Süsswasser-
schwämme eigentümlichen Gestalten zum Vorschein. Die einen
beginnen fingerförmige Fortsätze zu treiben, die sich bei weiterem
Wachstum verzweigen, so dass endlich baum- oder strauchförmige
Massen entstehen (Zuspongilla lacustris), die anderen bleiben in
der Regel zeitlebens krustenförmig, ihre Oberfläche ist mehr oder
weniger uneben oder mit spitzigen. Zapfen oder gerundeten Wülsten
oder blattförmigen Erhebungen versehen, und wenn längere Fort-
sätze an ihnen sichtbar sind, so rührt diese scheinbar selbständige
Verzweigung von der Unterlage her. In Fig. 44 (S. 219) haben
wir einen solchen Schwamm abgebildet, der einen verästelten Baum-
zweig überzogen hat; einen gleichen Fall hat auch Retzer33)
wiedergegeben. Alle diese krustenförmigen Spongilliden gehören
den Gattungen Spongilla, Trochospongilla und Ephydatia an. Von
diesen im allgemeinen gültigen Regeln haben wir indessen zwei
Ausnahmen zu verzeichnen. Es kommen nämlich auch Exemplare
von Ephydatia Müller! vor, die verzweigte Massen bilden, doch
sind das Seltenheiten. Ferner tritt die sonst stets verzweigte
Euspongilla lacustris unter gewissen Umständen unverästelt auf,
wenn nämlich diese Art an stärker fliessenden Stellen sich an-
gesiedelt hat; hier unterbleibt dann die Bildung der Fortsätze. Ein
solches Exemplar sehen wir in Fig. 38 (S. 212). Es wurde, einen
Wollenfaden umwachsend, an der Oberfläche der Spree in Berlin
unter einer Brücke gefunden und zwar an einer Stelle, an welcher
starke Strömung herrschte.
Linn& war der Meinung, die verzweigte Form fände sich
mehr in Seen, die krustenförmige mehr in Flüssen. Pallas glaubte
das Gegenteil annehmen zu müssen, machte aber die richtige
Be NE.
Die Süsswasserschwämme. 191
Beobachtung, dass die verzweigte Form gewöhnlich nach oben
wächst und bei starker Wasserströmung ihre Äste in horizontaler
Richtung entsendet. Indessen finden wir sowohl die verzweigten
als die unverzweigten Formen in Seen und Flüssen; während aber
eine verzweigte Spongilla in ruhigen Gewässern auch mehr in der
Nähe der Oberfläche des Wassers wächst und ihre Zweige eine
bedeutende Länge erreichen und hier selbst bei senkrecht gestellter
Unterlage nach oben streben können, hält sich dieselbe Art in
stärker fliessendem Wasser in der Tiefe auf, in welcher die Strö-
mung weniger stark ist; wenn sie hier aber an der Oberfläche
;
wächst, so verlaufen ihre Äste in horizontaler Richtung. So wächst
in der Spree in Berlin, welche hier durch ihren enormen Reichtum
an Spongillenexemplaren ausgezeichnet ist, die verzweigte Zuspon-
gilla lacustris mit Vorliebe am Grunde des Flusses, während sich
die unverzweigten massigen Formen mehr an der Oberfläche auf
jedem festen Gegenstand angesiedelt haben.
b) Die Grösse.
Die Süsswasserschwämme gehören unter den Spongien zu den
grösseren Formen. Die verzweigte Zuspongilla lacustris geht sogar
über das gewöhnliche Mass hinaus, sie wird über einen Meter lang.
Von den unverzweigten Arten erreichen wohl Zphydatia fluviatilis
und Müller! den grössten Umfang. Wir haben einmal ein Exemplar
von IQ cm Länge und 81/a cm Dicke gefunden und man trifft
öfters rasenförmige Stöcke dieser Arten an, welche bei geringer
Höhe einen halben Meter breit werden. Siehe auch Potts 32).
c) Die Farbe.
Es wird gewöhnlich angenommen, dass die am Lichte wach-
senden Spongilliden grün seien, während andere, welche vom
Lichte abgewandt unter Brücken. oder unter Steinen wachsen,
farblos, d. h. weiss, gelblich oder grau sind. Es ist das im all-
gemeinen richtig.
So findet man selbst Exemplare, die je nach der Beleuchtung
auf der einen Seite ein grünes, auf der andern Seite ein gelb-
ER REN, VA
192 Die Süsswasserschwämme.
liches Kolorit zeigen. Hält man solche Schwämme in Aquarien,
so ergrünt auch die früher gelblich gefärbte Seite. Es fehlt aber
nicht an Beobachtungen, dass am Lichte wachsende Spongilliden
auch farblos sind. Carter fand solche in Bombay, Potts in
Amerika und Weber39, 40%) auf Sumatra. Die von Weber ge-
fundenen Zphydatıa fluviatilis waren nur an gewissen Körperpartien
grün, aber diese grüne Färbung hat, wie wir später sehen werden,
eine ganz andere Ursache, als das grüne Kolorit unserer Spongilliden,
welches von mikroskopisch kleinen in den Zellen des Schwamm-
körpers liegenden grünen Körperchen herrührt, denen man den
Namen Zoochlorella parasıtica (Brandt) gegeben hat. Nun kann
dieses grüne Pigment auch durch ein anderes vertreten sein; Carter
fand, dass die graue bis lilagleiche Farbe der Spongilla cınerea
von ebenso gefärbten Körnchen in den Zellen herrühre und wir
fügen dem ein weiteres Beispiel hinzu. Bei Berlin lebt in einem
See untermischt mit anderen grün gefärbten Arten eine stets grau
oder braun kolorierte Spongılla fragılis. Diese Art lässt sich daher
von allen dort lebenden Spongilliden sofort an ihrer Farbe erkennen.
Die braune Färbung jenes Schwammes rührt von gelbbraun tingierten
Körnchen her, die in denselben Zellen liegen, welche bei den
anderen Arten die grünen Zoochlorellen beherbergen. Die Spon-
gilla fragrlis trägt aber nicht immer eine braune Farbe, sie ist an
anderen Örten weiss, gelblichweiss oder grün (Potts). Von
Ephydatia fluviatilis beschreibt Lankester1?7) blasslachsfarbene,
hellgrüne und hellbraune Exemplare. Aus alledem geht hervor,
dass die Süsswasserschwämme verschiedene Pigmente führen und
dass selbst ein und dieselbe Art verschieden koloriert auftritt.
d) Die Konsistenz.
Die Konsistenz unserer Spongilliden hängt, wie bei den meisten
Schwämmen, von der Struktur des Skelettes ab. Wir unterscheiden
danach zweierlei. Bei den einen ist die Masse der Kittsubstanz,
welche die einzelnen Nadeln zu einem Gerüste verbindet, mächtig
entwickelt, bei den anderen ist sie sehr gering, dafür ist aber das
kieselige Skelett mächtiger entfaltet. Diejenigen Süsswasserschwämme
Die Süsswasserschwämme. 193
mit viel Kittsubstanz setzen dem Zerreissen mehr Widerstand ent-
gegen, als solche mit gering entwickelter Kittmasse. Dagegen sind
die Arten mit einem Gerüste, welches wesentlich aus Kieselnadeln
besteht und wenig Spongiolinmasse führt, viel härter als die
schwieriger zerreissbaren. Es giebt daher im allgemeinen zwei
Sorten unter unseren Schwämmen, solche, welche weich anzufühlen
und schwieriger zerreissbar sind (Zusp. lacustris), und solche, die
eine gewisse Härte zeigen und sich leicht zerbrechen lassen
(Ephyd. flwiatılis). Unter den letzteren kommt, was den Grad
der Härte anlangt, noch der Wuchs in Betracht. Diejenigen, welche
als minder dicke Krusten Baumzweige überziehen (Fig. 44 S. 219),
sind weniger hart als die, welche kompakte Massen bilden (Fig. 42
S. 218). Es giebt unter den zuletzt genannten klumpenförmige
Stücke,. welche in ihrer Härte einem Zimokka-Badeschwamm nichts
nachgeben. — Was den Weichteil der Süsswasserschwämme angeht,
so scheint derselbe bei allen krustenförmigen Arten gleich zähflüssig
zu sein, während er bei der verzweigten Zusp. lacustris dünnflüssiger
ist. Von einigen älteren Autoren wird angegeben, dass der Schleim
dieser Art nach dem Herausziehen des Schwammes aus dem Wasser
bald abtropfe, ein Verhalten, welches wir nie beobachten konnten. —
Im trockenen Zustande sind alle unsere Spongilliden sehr brüchig
und zerfallen vollständig, wenn man sie zwischen den Fingern reibt.
Auf diese Eigenschaft weisen die alten Namen /ragılis und dergl.
mehr hin.
e) Der Geruch.
Man hat den Geruch eines frisch aus dem Wasser gezogenen
Schwammes fischig, schlammig, moderartig, auch jodähnlich genannt.
Allein diese Vergleiche passen nicht genau, der Geruch ist ein
unserem Schwamme ganz eigentümlicher.
4. Anatomie und Histiologie.
Als im Jahre 1875 F. E. Schulze die erste seiner zahlreichen
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Spongien
veröffentlichte, begann eine neue Periode in der Kenntnis der
Schwämme. Obwohl vor jenen Untersuchungen kein ‚anderer
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 13
u a U
194 Die Süsswasserschwämme.
Schwamm anatomisch und histiologisch so genau zergliedert worden
war wie gerade unser Süsswasserschwamm (Lieberkühn, Carter),
so gaben doch erst Schulzes Arbeiten das richtige Verständnis für
die Organisation auch unseres Tieres, weshalb wir auch hier auf
denselben fussen, ohne in all den einzelnen Fällen immer wieder den
Namen dieses Forschers anzuführen.
Soweit bekannt, giebt es keine Süsswasserschwämme ohne ein
aus Kieselnadeln gebildetes Skelett. Wir werden also passend die
beiden einen Schwamm zusammensetzenden Teile, das Skelett und
den Weichteil, gesondert besprechen.
a) Das Skelett.
Dasselbe besteht aus dem festen Gerüste und den lose und
ohne Ordnung im Weichteil liegenden sogenannten Fleischnadeln.
Das Gerüst wird aus schlanken, fast immer leicht gekrümmten,
glatten oder bedornten Nadeln, welche an beiden Enden zugespitzt
sind, aufgebaut. In ihrem Innern zeigen sie einen an beiden Enden
geschlossenen Kanal, den Zentralkanal, in welchem man an ge-
eigneten Präparaten einen feinkörnigen Zentralfaden erkennt. Die
diesen umhüllende Kieselsubstanz ist nicht homogen, sondern lässt
abwechselnd Lagen von Kieselsäure und Spongiolinsubstanz erkennen.
Diese Nadeln legen sichnun zu mehreren zu einem Bündel zusammen,
an welches sich ein zweites, dann ein drittes und so fort anschliesst,
welche alle durch eine Kittmasse (Spongiolinsubstanz) mit einander
verbunden sind. So kommen festere Stäbe zustande, die an der
Basis des Schwammes mächtiger sind als an der Oberfläche. Wir
nennen sie Hauptfasern. Sie allein würden dem überaus zarten
Weichteil noch keinen genügenden Halt geben; sie sind deshalb
durch Querbrücken, Verbindungsfasern, gestützt, welche nur aus
wenigen, oft nur aus einer einzigen Nadel bestehen. So kommt
ein netzförmiges, auf einer basalen Spongiolinplatte angekittetes
Skelettwerk mit Maschen von der verschiedensten Gestalt und Grösse
zustande. Schon in dem wenige Stunden alten Schwamm macht
sich die Tendenz bemerkbar, die jungen Nadeln, deren jede stets
in einer Zelle gebildet wird, zu einem Netzwerk zusammenzufügen.
Die Süsswasserschwämme. 195
Der lockere Weichteil kann desselben nicht entbehren. Auch an
einem schon grossen Schwamm sehen wir immer noch neue Nadeln
entstehen, die durch eine oder mehrere kugelige Verdickungen in
dem mittleren Teile als solche meist kenntlich sind. Noll hat die
Bildung der Spikula verfolgt und glaubt, dass die Zelle (Silikoblast), in
welcher die Nadel entsteht, zu deren weiteren Ausbildung auch genüge,
obwohl dagegen spricht, dass die ausgewachsene Nadel um sehr
vieles grösser ist als die junge. Auch der Umstand, dass man den
Nadelsträngen seitlich anliegend viele Zellen sieht, welche gar keine
Nadel in sich bergen, weist darauf hin, dass die Spikulae nach-
träglich durch besondere Zellen wachsen. Was die Kittsubstanz
anlangt, so verdankt sie ebenfalls besonderen Zellen (Spongoblasten)
ihre Entstehung (Noll. — Unter den Nadeln eines Süsswasser-
schwammes kommen fast stets Abnormitäten mannigfaltigster Art
vor; es können zwei Nadeln unter verschiedenem Winkel vollständig
mit einander verwachsen, das eine Ende einer Nadel kann gegabelt
oder umgebrochen oder abgerundet sein; eine Nadel kann in der
Mitte in verschiedenen Winkeln geknickt werden, kurzum es sind
dieser Gestalten so viele, dass man einige Tafeln Abbildungen
zusammenstellen könnte. Man verwechsele aber hiermit nicht
jene kleineren in der Mitte kugelig angeschwollenen Nadeln, welche
nur die Jugendzustände der Gerüstnadeln sind und häufig als
Fleischnadeln angesprochen wurden.
b) Der Weichkörper.
Das Fleisch oder Parenchym unseres Schwammes besteht aus
einer inneren Masse und einer äusseren Haut, welche dieselbe wie
ein Sack einhüllt. Diese Haut ruht auf den Enden der aus dem
Innern kommenden Hauptfasern des Skelettes und lässt unter sich
einen grossen kontinuierlichen Hohlraum, den Subdermalraum, frei,
der nur durch die Skelettbalken und gelegentlich durch nadelfreie
Gewebszüge unterbrochen wird. Die Haut enthält mikroskopisch
kleine Löcher, die Einströmungsporen, deshalb so genannt, weil
durch sie das Wasser in den Schwamm einströmt. Am Boden der
grossen sackförmigen Höhle zwischen Haut und Innerm bemerkt
18*
PTATETEPIT + TE EN ER
vi. ’ ; Wi 23
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196 Die Süsswasserschwämme.
man mit dem blossen Auge grössere Löcher, es sind die Öffnungen von
Kanälen, die sich in den Schwamm hinein erstrecken, sich vielfach
verzweigen und seitlich angelagert kleine kugelige Gebilde tragen,
die man wegen ihrer Zusammensetzung aus wimpernden Zellen
Wimper- oder Geisselkammern genannt hat. Sie münden in die
eben besprochenen Kanäle, die wir Einströmungskanäle nennen,
durch eine Anzahl sehr kleiner Poren, Einströmungsporen der
Kammern. Auf der abgewendeten Seite trägt eine solche Geissel-
kammer ein grosses Loch, die Ausströmungspore, durch welche sie
sich in einen Kanal öffnet, der im allgemeinen weiter ist als die Ver-
zweigungen der Einströmungskanäle. Jene weiteren Kanäle sammeln
sich zu noch grösseren und münden endlich in ein einziges grosses
Rohr, das Kloakenrohr. Die zwischen den Geisselkammern und
diesem Rohr gelegenen Kanäle sind die Ausströmungskanäle. Das
Kloakenrohr durchsetzt den unter der äusseren Haut liegenden
Hohlraum mit einer eigenen geschlossenen Wand und öffnet sich
an der Oberfläche des Schwammes mit einem runden, von einem
Hautsaum umgebenen Loch, dem Oskulum, oder zeigt ein über der
Oberfläche des Schwammes hervorstehendes weissliches Röhrchen,
das Oskular- oder Auswurfsrohr, welches nichts anderes als eine
Fortsetzung der äusseren Haut ist. An Stelle des Kloakenrohres
sehen wir an dünneren Stellen krustenförmiger Schwämme und
auf den Zweigen der verästelten Form besondere Rinnen von oft
sternförmiger Gestalt eingegraben; an dem Boden dieser Furchen
fallen grössere Löcher auf, welche die Enden der grossen Aus-
strömungskanäle darstellen. Über den Furchen zieht sich die
äussere Haut hinweg, die an dieser Stelle einzelne grosse Poren
oder Röhren trägt und in der Mitte meist ein grösseres Auswurfs-
rohr zeigt. Diese Rinnen oder das sternförmige Rinnensystem sind
nur eine besondere Form des Endabschnittes der Kloakenhöhle.
An grossen Schwammexemplaren tritt noch eine besondere Modi-
fikation solcher Kloakenhöhlen auf. Wir sehen nämlich hier an
der Schwammoberfläche grosse, öfters bis I cm breite und tiefe
Löcher, an deren Boden man in die Öffnungen der ausströmenden
Kanäle gelangt. Die so verschieden gestalteten Kloakenhöhlen sind
Die Süsswasserschwämme. 197
stets an der Stelle, an welcher sie den grossen unter der Haut
hinziehenden Hohlraum durchsetzen, von einer eigenen, soliden
Wand begrenzt. Dadurch entsteht ein für sich geschlossenes ein-
führendes Kanalsystem, welches von den Einströmungsporen der
Haut bis zu den Geisselkammern reicht, und ein für sich abge-
grenztes ausführendes System, von den Kammern beginnend und
mit den Auswurfsöffnungen endend. Verfolgen wir jetzt den Lauf
des Wasserstromes weiter. Durch die Poren in den einführenden
Subdermalraum gelangt, strömt das Wasser durch die an dessen
Boden liegenden Löcher in die einführenden Kanäle und gelangt
durch deren Verzweigungen in die Geisselkammern. Diese sind
es, in welchen wir die treibende Kraft für den beständigen Wasser-
strom im Schwamme zu erblicken haben. Von ihnen gelangt das
Wasser durch ihre grossen Ausströmungsporen in die ableitenden
grösseren Kanäle, und durch diese in das Kloakenrohr oder in die
verschieden gestalteten Kloakenhöhlen und fliesst schliesslich durch
das Oskulum oder dessen Röhren nach aussen ab. Wir sehen,
dass die Bezeichnung Oskulum garnicht für jene Löcher passt,
welche vielmehr die Enden eines Kloakenrohres sind und gerade
das entgegengesetzte von dem bedeuten, was ihr Name anzeigt.
Deshalb hat auch schon Grant statt Oskulum die Bezeichnung
Kloakenmündung vorgeschlagen, allein der erstere Name ist nun
einmal gang und gäbe geworden und lässt sich auch gebrauchen,
wenn man mit Vosmaer das Wort in Verbindung mit cloacae
bringt. Die Kloakenhöhlen und die sternförmigen Kloakenbezirke
zeigen am Schwamme nur sehr selten eine regelmässige Anordnung.
So fanden wir einmal eine Spongılla fragılis, an welcher die
Kloakenhöhlen sämtlich in einer Reihe übereinander lagen, während
die ganze übrige Oberfläche frei davon war. Wir wollen hier auch
noch bemerken, dass bei den verzweigten Formen die Oskula nie
an den Spitzen der Zweige oder der Zapfen liegen, wie es bei
vielen marinen Schwämmen der Fall ist. Bei diesen führt dann
das auf dem Gipfel gelegene Ausströmungsloch in eine grosse
zentrale Kloakenhöhle, die sich in den Zweigen von Zusp. lacustrıs
nie findet.
198 Die Süsswasserschwämme.
Wir gehen jetzt zur Betrachtung der Gewebeschichten unseres
Tieres über. Die Aussen- und Innenseite der Haut, der Aus-
strömungsröhren, ferner des Septums, welches den grossen Subdermal-
raum von dem Endabschnitt der Kloakenhöhle trennt, diese selbst,
der Boden des Subdermalraumes und endlich alle Kanäle sind von
einem dünnen einschichtigen Lager platter, polygonaler Zellen aus-
gekleidet. Eine besondere Gestalt gewinnen diese Zellelemente in
der Umgebung der Hautporen und der Ausströmungsöffnung
der Geisselkammern. Sie haben hier die Form einer Mondsichel
von geringerer oder grösserer Breite. Besonders die Poren, dann
aber auch die Ein- und Ausströmungsöffnungen der Kammern sind
veränderliche Gebilde, die entstehen und vergehen können. Be-
sonders an den Hautporen lässt sich verfolgen, wie sie in einer
Zelle als Loch entstehen, ein solches Loch vergrössert sich bald,
bis von der Zelle nur noch ein schmaler Ring übrig bleibt. An
anderen Stellen sieht man, wie sich an der weit geöffneten Pore
die sie umgrenzende sichelförmige Zelle verbreitert, bis endlich von
der Pore nur noch ein kleines Loch übrig bleibt; auch dieses kann
geschlossen werden und die Pore ist verschwunden. — Die zwischen
dem ein- und ausführenden Kanalsystem eingeschobenen Geissel-
kammern bestehen aus langgestreckten, radiär um die Höhle der
Kammer angeordneten Zellen. Sie sind durch eine zwischen
den Zellen liegende Substanz von einander getrennt, oder
sie stossen eng zusammen und platten sich auch gegenseitig ab.
Jede Zelle trägt einen langen hyalinen Kragen und eine lange
beständig schlagende Geissel; durch die Gesamtheit der Bewegungen
aller Geisseln wird der Wasserstrom erzeugt. Es ist interessant,
dass manchen im Winter gesammelten Schwämmen die Geissel-
kammern fehlen können. — Zwischen den Platten- und Geissel-
zellen bleibt nun eine Schicht, welche, wie bei allen Schwämmen,
auch hier an Mächtigkeit die eben genannten Zelllager bei weitem
übertrifft. Es ist die Bindesubstanzschicht, welche aus einer
hyalinen Substanz mit amöboiden Zellen besteht. Unter den Zellen
sieht man sofort zwei Sorten, die einen haben einen Inhalt von
eng aneinander liegenden, annähernd gleich grossen Körnchen, die
Die Süsswasserschwämme. 199
anderen führen ungleich grosse, weniger dicht liegende Körner. Bei
den grün gefärbten oder braunen Schwämmen enthält stets nur die
zuletzt genannte Sorte das grüne oder braune Pigment.
Das grüne Kolorit der Schwämme wird durch kleine rundliche
Körperchen in diesen Zellen hervorgebracht, welche Chlorophyll
enthalten. Während aber die einen dasselbe für tierischen Ursprungs
halten, betrachten die anderen jene Körper als einzellige Algen
(Zoochlorella parasıtica Brandt... Ausser den genannten Zellen
finden sich noch sehr langgestreckte Formen, die den kontraktilen
Faserzellen anderer Spongien entsprechen. Der Siliko- und Spongo-
blasten haben wir schon oben gedacht und einige andere Zell-
formen, die sich nur zu gewissen Zeiten finden, werden wir sogleich
kennen lernen.
5. Physiologie.
Die Süsswasserschwämme pflanzen sich auf geschlechtlichem
und ungeschlechtlichem Wege fort.
a) Die geschlechtliche Fortpflanzung.
Sie findet bei uns in den Monaten Mai bis in den September
statt. Während man die männlichen Keimstoffe, die Spermatozoen,
nur vom Mai bis in den August findet, trifft man die Eier zu allen
Jahreszeiten an, sie kommen aber im Winter nur vereinzelt vor
und werden dann nicht entwicklungsfähig. Die Spongilliden sind
getrennten Geschlechts und zwar tritt bei ihnen zuerst die Ent-
wickelung der Spermatozoen und später die Reifung der Eier auf.
Ein äusserer Unterschied in der Grösse oder der Gestalt der männ-
lichen und weiblichen Exemplare existiert nicht, wenn es auch
vorkommen mag, dass kleinere auf beweglicher Unterlage ange-
siedelte Schwämme [Keller 16)| männlich sind. Die Spermatozoen
entstehen durch fortwährende Teilung einer Zelle der Bindesubstanz-
schicht, deren Kern die Köpfe und deren Plasma die Schwänze
der Samenfäden liefert. Auch die Eier sind Abkömmlinge solcher
Zellen. Fiedler hat die Sperma- und Eientwickelung genau ver-
folgt und Maas hat die Bildung des jungen Schwammes aus der
200 Die Süsswasserschwämme.
Flimmerlarve, welche aus dem sich furchenden Eie entsteht, in
klarer Weise auseinandergesetzt.
b) Die ungeschlechtliche Fortpflanzung.
Der aus einer Larve oder einer Gemmula entstandene junge
Schwamm zeigt ein einziges zusammenhängendes Kanalsystem,
welches mit einem einzigen Oskulum oder mit einem sternförmigen
Ausströmungsbezirk nach aussen mündet. Wir nennen einen solchen
Schwamm ein Individuum. Durch weiteres Wachstum sehen wir
ein zweites Oskulum an einer anderen Stelle auftreten, bald bilden
sich neue und wir haben nun eine durch Knospung entstandene
Kolonie vor uns. — Ob eine andere Fortpflanzung, nämlich durch
Teilung, wie es Laurent behauptet, wirklich vorkommt, bleibt
zweifelhaft; sicher aber ist, dass gewaltsam losgetrennte, grössere
Stücke eines Süsswasserschwammes wie bei anderen Spongien fort-
wachsen, wenn sie sich auf einer geeigneten Unterlage festsetzen
können,
Zur Herbstzeit besonders findet man in den Spongilliden
kleine, gelbliche oder gelbbraune, annähernd kugelige Gebilde von
der Grösse eines Senfkomes: die Gemmulae. Während man weder
über die erste Entstehung noch über die Herkunft einzelner Teile
dieser Gebilde vollkommene Klarheit hat, sind wir über den Bau
der ausgebildeten Gemmula ziemlich gut orientiert. Sie besteht aus
einer Hülle mit einer, seltener mit mehreren Öffnungen und einem
aus Zellen zusammengesetzten Keim oder Kern. Es ist behauptet
worden, dass in dem Keime Stärke enthalten sei. Allein schon
Lieberkühn hat. das bestritten und sicher. sind jene stark licht-
brechenden Körner der Keimzellen nicht Amylum. Dagegen wissen
wir durch die Untersuchungen von Carter, Keller!5), Ray
Lankester, Brandt und Wierzejski43), dass in den Süsswasser-
schwämmen Amylum und amyloide Substanz vorkommt.
Die Hülle der Gemmula zeigt eine innerste dicke Membran
(innere Chitinmembran, innere Kutikula), welche die Höhle der
Gemmula umschliesst, auf diese Membran folgt eine Kruste (Be-
legmembran, Luftkammerschicht), die entweder fein blasig aussieht
Be ?
Die Süsswasserschwämme. 201
oder sehr deutlich zellig erscheint und Luft enthalten soll. In dieser
zweiten Schicht stecken die für die einzelnen Arten der Spongilliden
charakteristischen Nadeln (Belagsnadeln), deren Formen wir später
kennen lernen werden. Bei einigen Arten ist die jene Nadeln
beherbergende Schicht noch durch eine dritte Schicht (äussere
Kutikula, äussere Chitinmembran) abgeschlossen; solche Gemmulae
sind dann glatt, während andere, die der Membran entbehren, rauh
erscheinen. Unter den Belagsnadeln kommen oft abnorm gebildete
Formen vor, besonders bei Schwämmen, welche zu einer raschen,
unzeitigen Gemmulabildung veranlasst wurden [Wierzejski##)].
Fragen wir zunächst: welchen Zweck haben die Gemmulae ?
Es wird gewöhnlich angegeben, dass unsere Süsswasserschwämme
gegen den Herbst hin unter Bildung von Gemmulae absterben. Es
ist das im allgemeinen richtig. Man findet also von den meisten
unserer Arten nur im Winter die Gemmulae, ihr Weichteil ist zer-
fallen. Jene überwintern und im Frühlinge kriecht aus ihnen der
Inhalt aus und entwickelt sich zu einem neuen Schwamm. Es ist
also die Aufgabe der Gemmulae, den Schwamm, der als solcher den
Winter nicht überstehen würde, über diese Jahreszeit hinweg-
zubringen. Ganz ähnlich ist es in den Tropen. Während der
Regenzeit sind Lachen, Bäche und Flüsse mit ausgebildeten Spon-
gilliden erfüllt, tritt dann die Trockenperiode ein, so entwickelt der
Schwamm Gemmulae, welche Monate und Jahre lang [Carter,
Potts, Lendenfeld18)] der sengenden Hitze ausgesetzt bleiben
können, um ‚später, wenn sie wieder vom Wasser bedeckt sind, zu
neuen Schwämmen zu erstehen. In den Gemmulae sehen wir also
Anpassungserscheinungen an die äusseren Lebensbedingungen. Es ist
einleuchtend, dass Schwämme, die dem Eintrocknen oder Einfrieren
ausgesetzt sind, sich durch besondere Vorrichtungen dagegen
schützen müssen. Anderseits wird es möglich sein, dass Spongilliden,
die jahraus jahrein unter denselben Bedingungen leben, der Gemmulae
entbehren können. Diesen Gedanken findet man zuerst aus-
gesprochen bei W. Marshall?25) und in der That giebt es solche
Süsswasserschwämme ohne Gemmulae. Dybowski hat an den bis
100 m tief im Baikalsee lebenden Lubomirskien nie Gemmulae
202 Die Süsswasserschwämme.
=
gefunden. Lieberkühn gab an, dass in der Spree in Berlin
Schwämme überwintern, ohne vollständig in Gemmulae zu zerfallen;
Metschnikoff hat dies in Russland bestätigt, Potts hat in Amerika
eine Anzahl ähnlicher Fälle beobachtet und Wierzejski fand solche
Schwämme (nach brieflicher Mitteilung) in Galizien. In allen diesen
Fällen überwintert der Schwamm mit seinem Weichteil, in dem aber
immer mehr oder weniger Gemmulae gebildet worden sind. Dass
es aber auch bei uns Schwämme giebt, die überhaupt nicht mehr
zur Gemmulation schreiten, ist neuerdings bewiesen worden; an
der im Tegeler See lebenden Zphydatia fluviatilis kommen nach
Beobachtungen, die sich über einen Zeitraum von sechs Jahren
erstrecken, Gemmulae überhaupt nicht mehr vor (Weltner). Auch
scheint es [Marshall?), Potts, Hinde], dass anderwärts grosse
Schwammexemplare durch ununterbrochenes Fortwachsen während
ein oder mehrerer Jahre zustandekommen.
Wir kennen also auch bei uns einige Ausnahmen von der
Regel, dass alle Süsswasserschwäimme im Herbst unter Gemmula-
bildung zerfallen. In unserer Zone scheint nur bei Zphydatıa
flwiatilis die Überwinterung des Weichteils vorzukommen, während
alle anderen einheimischen Schwämme zum Winter absterben und
nur ihre Gemmulae gefunden werden. — Auch ist es nicht richtig,
dass die Gemmulae sich bloss im Winter finden. Sie kommen auch
an verschiedenen Schwämmen, Zphydatia fluviatilis und Müllerı, in
den Sommermonaten vor und finden sich bei ersterer Art neben
männlichen und weiblichen Keimstoffen (Götte, Weltner).
Über die Entwickelung des Keimes zum jungen Schwamm
liegen nur wenig übereinstimmende Nachrichten vor. In Anbetracht,
dass dieser Gegenstand einer erneuerten Untersuchung bedarf, unter-
lassen wir weitere Auseinandersetzungen.
c) Atmung, Nahrungsaufnahme, Verdauung und Exkretion.
In der Physiologie der Spongien sind diese Fragen am wenigsten
aufgeklärt. Offenbar geschieht die Atmung während des beständig
den Schwamm durchlaufenden Wasserstromes und es wird auch
durch diesen Strom zugleich die Nahrung herbeigeführt. Wenn
Die Süsswasserschwämme. 203
andere Schwämme durch besondere Pigmente atmen (Meresch-
kovsky), so müssen weitere Untersuchungen zeigen, in wie weit
solche Pigmente bei den Spongilliden verbreitet sind. Es ist aber
bisher. noch nicht mit Sicherheit entschieden, wo im Schwamme
geatmet wird. Dasselbe gilt von der Verdauung. Aus den zahl-
reichen Fütterungsversuchen, welche man mit Farbstoffkörnchen bei
Schwämmen und zwar zuerst bei Spongilliden gemacht hat, geht
hervor, dass es die Geisselkammerzellen sind, welche die Nahrung
aufnehmen (Carter, Lieberkühn, Heider, Metschnikoff,
Lendenfeld), wenn auch an einzelnen Schwämmen beobachtet
wurde (Metschnikoff, Topsent), dass gerade diese Zellen von
Karmin frei blieben. Die ausgedehnten Fütterungsversuche Lenden-
felds mit verdaulichen Stoffen zeigen, dass die Geisselzellen diese
aufnehmen, zerteilen und an die Wanderzellen abgeben. Welcher
Art ist nun die Nahrung der Schwämme? Es sind wahrscheinlich
zerfallene organische Stoffe, welche mit dem Wasser in den Schwamm
eingeführt werden. Die nicht brauchbaren Stoffe werden von den
Kragenzellen später wieder ausgeschieden, die brauchbaren werden
in mehr oder weniger assimiliertem Zustande an die Zellen der
Zwischenschicht, welche jedenfalls den Nahrungstransport besorgen,
abgegeben; auch die Exkretion dürfte von den Geisselzellen
besorgt werden [Lendenfeld19)]. Diese Anschauung gilt auch für
unsere Schwämme.
Dennoch muss es möglich sein, dass sich die Spongilliden auch
von lebenden Infusorien und anderen Protozoen ernähren. Denn
Lieberkühn und nach ihm Metschnikoff sahen, wie in die
Spongillide geratene Protozoen dort verdaut wurden. Gewöhnlich
findet man aber in einem Süsswasserschwamm keine grösseren
Organismen, es sei denn, dass diese als Parasiten in ihm leben
(s. unten). Auch die Thatsache, dass die Süsswasserschwämme in
dem fliessenden Wasser der Städte, in welches Abfälle der un-
glaublichsten Art geraten, äusserst üppig entwickelt sind, während
man sie in Teichen mit klarem Wasser in geringer Anzahl trifft,
spricht für Lendenfelds Anschauung.
204 Die Süsswasserschwämme.
d) Wachstum und Lebensdauer.
Im allgemeinen scheint den Spongien ein schnelles Wachstum
eigen zu sein und aus den spärlichen Angaben, die betrefls dieser
Frage bei den Spongilliden vorliegen, zu schliessen, trifft das auch
für diese zu. Schon Eper gab 1794 an: „Ihr Wachstum ist sehr
geschwinde“. Carter sah in Bombay eine Spongillide in noch
nicht drei Monaten einen Durchmesser von drei Zoll erreichen.
Ein energisches Wachstum unserer Schwämme findet jedenfalls im
Frühjahr statt, wenn das Wasser wärmer zu werden beginnt. Auch
geht die Entwickelung der jungen Schwämme aus den Gemmulae
schnell von statten und man sieht, wie solche aus den im Skelett
liegenden (Zusp. lacustris) oder in einer basalen Schicht abge-
lagerten (Sp. fragılis, Trochosp. erinaceus) Gemmulae entstandenen
Schwämme in kurzer Zeit bis zur Fortpflanzung eine bedeutende
Grösse erreichen. — Potts ist der Ansicht, dass der aus einer
Gemmula entstandene Schwamm bis zur Zeit der wieder eintreten-
den Gemmulation — also vom Frühling bis zum Herbst — eine
Grösse erreicht hat, um nun zwölf oder mehr Gemmulae zu bilden.
Kommen von diesen nur die Hälfte im nächsten Frühlinge aus,
so soll der aus ihnen entstandene Schwamm am Ende des zweiten
Jahres so gewachsen sein, dass er wenigstens sechs mal so gross
als im ersten Jahre ist. So würde in wenigen Jahren ein Schwamm
von mehreren Zoll Durchmesser zustandekommen. — Die Grösse,
welche die aus Larven entstandenen Schwämme im ersten Jahre
erreichen, ist sehr verschieden und richtet sich nach der Zeit, wann
die Larve aus dem Mutterkörper ausschwärmte. So werden Larven,
welche sich schon im Juni festgesetzt haben, bis zur Zeit, zu welcher
die aus ihnen entstandenen Schwämme unter Gemmulabildung ab-
sterben, also im September und Oktober, zu grösseren Exemplaren
angewachsen sein, als solche Larven, welche erst im August ent-
standen waren. In der That finden wir denn auch im Herbst
unter den einjährigen Schwämmen Exemplare der verschiedensten
Grösse. Die kleinsten sind kaum 2 mm gross, andere über 2 cm.
Diese grösseren können aber durch Verwachsen mehrerer Exemplare,
-
Die Süsswasserschwämme. 205
die dicht bei einander sassen, entstanden sein. Jedenfalls werden
alle diese aus Larven entwickelten Schwämme in demselben Jahre
nicht mehr geschlechtsreif. Sie zerfallen im Herbst in Gemmulae
und man kann leicht beobachten, wie die kleinsten Exemplare eine
einzige Gemmula, die grösseren zwei, drei Gemmulae u. s w. bilden.
Man sieht aus diesen Angaben, wie wenig wir über die
Wachstumsschnelligkeit und Grösse, welche die gemmulae erzeugen-
den Schwämme erreichen, wissen. Nicht viel anders steht es mit
den perennierenden Schwämmen. Wir haben schon oben erwähnt,
dass die grossen Spongillidenexemplare, welche man gefunden hat
— Lubomirskia im Baikalsee, Uruguaya im Uruguay und andere
(s. Potts) —, wahrscheinlich durch ununterbrochenes Wachstum
während einer längeren Zeitdauer zustandekommen. Auch die im
Tegelsee lebenden grossen Exemplare von Zphyd. fluwviatilis ent-
stehen offenbar in derselben Weise. Das Wachstum dieser peren-
nierenden Art ist während des Winters sehr gering. Bringt man
ihnen zu dieser Zeit grössere Wunden bei, so verwachsen diese
zwar während des Winters, irgend welche bedeutendere Grössen-
zunahme findet jedoch nicht statt. Ähnliches hat schon Lamou-
roux von den Spongien überhaupt angegeben.
Diesen Auseinandersetzungen steht die Ansicht gegenüber, dass
die Schwämme durch den Prozess der Fortpflanzung dem Tode
geweiht sind (Laurent, Götte). Es ist allerdings richtig, dass man
Süsswasserschwämme zur Zeit der geschlechtlichen Fortpflanzung
absterben sieht. Die Ausbildung der Keimstoffe und ihrer Er-
nährung durch die mütterliche Spongillide zerstört zumteil und
schwächt dessen Gewebe. Allein es ist ebenso richtig, dass andere
Exemplare auch nach der vollendeten Ausbildung der Geschlechts-
produkte weiterleben (Weltner). Absterbende Schwämme trifft
man zu jeder Jahreszeit an, und bei der perennierenden Form
haben wir den Tod gerade nach Überstehung der Winterzeit
häufiger gesehen. Da man nun im Sommer stets nur entweder
männliche oder weibliche Schwämme und keine Neutra antrifft,
und alle diese Schwämme im Sommer nach der Fortpflanzung
206 Die Süsswasserschwämme.
absterben müssten, so erklärt man sich nicht, wie man zu’ jeder Zeit
Exemplare von der verschiedensten Grösse findet.
e) Bewegung.
In seinen ‚vorzüglichen Beobachtungen über die Bewegungs-
erscheinungen der Süsswasserschwämme teilt Lieberkühn dieselben
ein in solche, welche die einzelne Zelle betreffen, und solche, welche
der ganze Schwamm oder ein grösserer Teil desselben aus-
führen. Zu den ersteren gehört die amöboide Beweglichkeit der
Zellen im Schwammkörper, die Kontraktion und die Neubildung
gewisser in diesen Zellen und den Geisselzellen vorkommenden mit
Flüssigkeit gefüllten Alveolen, die Zusammenziehung und Ausdehnung
der kontraktilen Faserzellen, das Vergehen und Entstehen der
Poren, die Bewegung der Geisseln der Kragenzellen und der
Spermatozoen. Lieberkühn berichtet über die Bewegungs-
erscheinungen der amöboiden Zellen in ausführlicher Weise. „Die
Bewegungen“, sagt er, „sind äusserst langsam und fast niemals
direkt sichtbar. Es entsendet eine Zelle lange spitze Fortsätze,
welche ihren Durchmesser bedeutend übertreffen, eine andere, ent-
fernt liegende Zelle schickt ihr gleiche, eben so lange entgegen; es
dringen auch Körnchen in die entsandten Fortsätze hinein; bald
verschwinden die Fortsätze wieder und treten neue an einer andern
Stelle der Zelle hervor, dabei ändert die Zelle selbst beständig ihre
Gestalt; wenn sie kugelig war, wird sie eiförmig oder vieleckig,
oder breitet sich in eine dünne Scheibe aus; die Kerne von zwei
Zellen nähern sich bisweilen so, dass man glaubt, sie gehören einer
Zelle an, und rücken alsdann bald wieder aus einander; oft sieht
man auch nur lange und breite Streifen im Gewebe, welche sich
spalten und wieder vereinigen, ohne dass man eine Zelle aufzu-
finden vermag, zu der sie gehören.“ Wir müssen es uns versagen,
alle die ausgezeichneten Beobachtungen mitzuteilen, welche Lieber-
kühn uns überliefert hat. Nach einer später anzugebenden Methode
kann man sich geeignetes Material beschaffen, an welchem sich alle
diese Beobachtungen wiederholen lassen, und wir empfehlen die
Die Süsswasserschwämme. 207
Spongillide als ein sehr dankbares Objekt zum Studium der
Bewegungserscheinungen.
Was die Bewegung einzelner Teile des Schwammes anlangt,
so beginnen wir mit dem Öskularrohr, weil die Gestaltsverände-
rungen desselben schon den früheren Beobachtern aufgefallen sind:
Dutrochet (1828) und Bowerbank (1857) beschreiben dieselben
in ausführlicher Weise. Aber Lieberkühn erst wies nach, dass
diese Veränderungen auf die Bewegung der Zellen zurückzuführen
sind. Ein solches Oskularrohr sieht man tagelang unverändert an
derselben Stelle, während es zu anderen Zeiten in wenigen Minuten
verschwindet und nach geraumer Zeit wieder entsteht; oder es
wird an einer anderen Stelle ein neues gebildet. Eine schon vor-
handene Röhre kann sich gabeln und jedes Röhrchen erhält ein
Ausströmungsloch. Die Zusammenziehung einer Oskularröhre ge-
schieht sehr langsam. Nur auf einen plötzlichen Reiz mit der
Nadel oder durch bedeutende Temperaturveränderung des Wassers,
durch Alkohol, Säuren etc. geschieht dieselbe sehr schnell. Deshalb
werden beim Abtöten der Süsswasserschwämme in Alkohol die Aus-
strömungsröhren stets bis fast zum Verschwinden gebracht. Der
im Leben ausgedehnte röhrenförmige Fortsatz zeigt eine ziemlich
glatte Oberfläche; indem er sich zusammenzieht, wird die Wandung
zusehends dicker und höckerig durch die zusammengedrängten
Zellen, deren Grenzen jetzt deutlich sichtbar sind. Die Kontraktion
kann soweit gehen, dass die ganze Röhre die Gestalt eines Zellen-
haufens annimmt oder gänzlich verschwindet. Die kürzeste Zeit
der Zusammenziehung ist eine Minute; es ist aber die Kontraktion
meistens nur eine vorübergehende und die Ausdehnung ist der
bleibende Zustand. Ganz dasselbe gilt für die Zellen selbst und
Lieberkühn vergleicht ihre Zusammenziehung und Ausdehnung
mit der des Muskels.
Die besprochene Verlängerung und Verkürzung der Röhre ist
nicht zu verwechseln mit einem ganz anderen Vorgang, der auf
Wachstum beruht: Indem Zellen aus dem Schwamminnermn in
die Röhre einwandern, kann sich dieselbe verlängern oder auch
verdicken. Wir haben daher bei den Bewegungserscheinungen
208 Die Süsswasserschwämme.
einzelner Teile zwischen blosser Bewegung und Bewegung ver-
bunden mit Wachstum zu unterscheiden.
Ähnliche Bewegungen sehen wir auch an der äusseren Haut
des Schwammkörpers, die von Carter und Lieberkühn genauer
geschildert worden sind.
Auch die Art und Weise, in welcher sich kleine, aus dem
Schwammkörper geschnittene Stückchen auf eine Glasplatte anheften,
rechnet Lieberkühn hierher, es gehört aber diese Erscheinung
ebenso wie die Anheftung der schwimmenden Larve an ihre Unter-
lage oder wie die des aus der Gemmula kriechenden Keimes unter
die zuerst genannten Bewegungen. Das diesbezügliche findet man
bei Lieberkühn, Carter, Götte und Maas.
Es kommt sogar bei unserem Schwamm eine Bewegung des
ganzen Körpers vor. Es sind freilich nur junge Spongilliden, bei
denen diese Erscheinung beobachtet wird. Lieberkühn sah, wie
sich ein 21 ß2 Monate alter Schwamm beständig hin und her bewegte,
ohne eigentlich vom Platze zu rücken. Aber an einem jungen
Schwamme konstatierte er, wie sich derselbe von seiner Unterlage
ablöste und an einer anderen Stelle festsetzte. Auch Marshall 2”)
hat über eine solche Ortsveränderung Mitteilung gemacht.
5. Systematik der einheimischen Arten.
Die erste Unterscheidung der Süsswasserschwämme geschah
nach ihrer äusseren Gestalt. Wie wir aber gesehen haben, kann
man nur eine einzige Art (Zusp. lacustris) und diese auch nur im
ausgewachsenen Zustande an ihrer busch- oder baumförmigen Gestalt
erkennen. Man hat sich daher genötigt gesehen, die Gestalt der
Skelett- und Gemmulaenadeln zur systematischen Unterscheidung zu
benutzen (Ehrenberg, Lieberkühn). Ausser diesen Skelett-
elementen hat man neuerdings auch den Bau der Gemmulaschale
zur Erkennung benutzt. In der That bietet die Beschaffenheit der
genannten Teile die einzige Möglichkeit, die Arten von einander
zu unterscheiden, wenn man nicht gewisse histiologische Besonder-
heiten herbeiziehen will. — Nun sind aber die Gemmulae,
2
Die Süsswasserschwämme. 209
die hauptsächlich zur Erkennung der einzelnen Arten dienen, nicht
integrierende Bestandteile des Spongillidenkörpers und man ist des-
halb öfters in die Verlegenheit gesetzt, einen Süsswasserschwamm
nicht bestimmen zu können. Man thut daher gut, bei der Be-
stimmung oder beim Sammeln von Schwämmen sich von dem
Vorhandensein der Gemmulae zu überzeugen.
Wir geben im folgenden eine kurze Beschreibung der deutschen
Arten und wollen auch die beiden übrigen europäischen Arten, die
sich wohl bei näherer Nachforschung auch in Deutschland finden
werden, berücksichtigen.
Familie Spongillidae, Süsswasserschwämme.
Skelett aus einachsigen Kieselnadeln bestehend, welche durch
Spongiolin zu einem netzförmigen Gerüst verbunden sind. Bei den
einheimischen Arten unterscheidet man an denselben Haupt- und
Verbindungsfasern. Die Spongiolinsubstanz hüllt entweder die
Nadelzüge vollständig ein oder sie ist schwach entwickelt und ver-
kittet nur die Enden der Nadeln mit einander. Fleischnadeln
vorhanden oder fehlend. Die kugeligen Geisselkammern münden
seitlich in ausführende Kanäle, welche nach ihrer Vereinigung zu
weiteren Bahnen endlich in eine einzige grosse Höhle, die Kloaken-
höhle, sich vereinigen oder getrennt von einander in einen unmittel-
bar unter der äusseren Haut liegenden Ausströmungsbezirk von oft
sternförmiger Gestalt sich ergiessen. Ausser der geschlechtlichen
Fortpflanzung kommt noch eine ungeschlechtliche durch innere
Keime (Gemmulae) vor. Sie leben mit einer einzigen Ausnahme
nur im süssen oder im brackischen Wasser. Kosmopolitisch.
Das System und die folgende Beschreibung der Arten ist ent-
lehnt aus Vejdovskys Darstellung in dem Werke von Potts; den
Beschreibungen haben wir einige Bemerkungen hinzugefügt.
A. Subfamilie Spongillinae (Carter).
I. Genus Spongilla (Autt.).
a) Subgen. Zuspongila (Vejdovsky).
I. Euspongilla lacustris (Autt.).
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 14
a nn Aha.
210 Die Süsswasserschwämme.
b) Subgen. Spongilla (Wierzejski).
2. Spongilla. fragılis (Leidy).
B. Subfamilie Meyeninae (Carter).
II. Genus Trochospongilla (V ejdovsky).
3. Zrochospongilla erinaceus (Ehrenberg).
III. Genus Zphydatia (Lamouroux).
4. Ephydatia Müller! (Lieberkühn).
5. Ephydatia flwviatilis (Autt.).
6. Ephydatia bohemica (F. Petr).
IV. Genus Carterius (Potts).
7. Carterius Stepanowi (Dybowsky).
A. Unterfamilie Spongillinae (Carter).
Gemmulae entweder einzeln oder in Gruppen vereinigt, gewöhn-
lich mit einer Luftkammerschicht umgeben, in welcher an beiden
Enden zugespitzte, fast stets gedornte Nadeln liegen.
I. Gattung Spongella (Autt.).
Mit langen, glatten Skelettnadeln und kurzen, geraden oder
gekrümmten, glatten oder rauhen Fleischnadeln. Gemmulae entweder
nackt oder mit einer äusseren Luftkammerschicht, in welcher die
Belagsnadeln entweder tangential oder radiär oder ganz unregel-
mässig liegen.
a) Untergattung Zuspongilla (Vejdovsky).
Gemmulae immer einzeln im Schwamme liegend.
I. Euspongilla lacustris (Autt.).
Der Schwamm bildet gewöhnlich baum- oder buschförmig
verzweigte Massen auf einer krustenförmigen Basis von geringerer
(Fig. 36) oder grösserer (Fig. 37 S. 212) Ausdehnung. Unter
Umständen, z. B. an stark fliessenden Stellen, kommt es nicht zur
Ausbildung der charakteristischen fingerförmigen Fortsätze und
Zweige, sodass klumpenförmige Massen entstehen (Fig. 38). Kleinere
Exemplare sind einfach krustenförmig, ebenso gestaltete Exemplare
re
Die Süsswasserschwämme. 211
von nicht unbeträchtlicher Grösse findet man selbst in ruhigen
Gewässern um Teichrohrstengel gewachsen; an solchen Exemplaren
at
| "il N
ai (nz a,
Fig. 36.
Euspongilla lacustris (Autt.). Y,nat. Grösse. Nach dem Leben. An einem Mauersteine.
(19. Juli 1890 gefunden in der Spree, Berlin: Jannowitzbrücke, Stadtbahnbögen.)
in ruhigem Wasser tritt aber früher oder später die Bildung von
Ästen auf. Die Farbe ist grasgrün, gelblich, grauweiss oder braun.
14*
REP:
212 Die Süsswasserschwämme.
Das Skelett besteht aus Gerüst- und Fleischnadeln. Die Gerüst-
nadeln sind gerade oder leicht gekrümmt, scharf, aber allmählich
zugespitzt und glatt. Sie sind zu Bündeln mit einander vereinigt,
welche durch stark entwickelte Spongiolinsubstanz ganz eingehüllt
werden und lange, starke Stäbe bilden (Hauptfasern), welche die
Zweige der Länge nach durch-
ziehen und nach der Peripherie
derselben dünnere Äste aussenden.
An ihren Enden laufen diese
Hauptfasern dünn aus. Die stär-
keren Bündel in der Achse eines
Zweiges am Schwamme bestehen
aus 20—30 vollständig in der
Kittsubstanz liegenden Nadeln.
Fig. 38.
Euspongilla lacustris. Aut einem dicken
Wollenfaden gewachsen, der an einer Seite
Fig. 37. an einem Brückenpfahl eingeklemmt an der
Euspongilla lacustris (Autt.). Nach dem Oberfläche des Wassers flottierte. Spree,
Leben. Y/gnatürlicher Grösse. Berlin: Waisenbrücke, 26. Aug. 1886. 1/, natür-
(6. Juni 1890 Tegelsee.) licher Grösse. (Alkoholexemplar.)
Diese Längsfaserzüge oder Hauptfasern sind. durch wenige kurze
Nadelbrücken mit einander verbunden, welche in unregelmässigen
Abständen von einander entfernt sind. Diese Verbindungsfasern
sind meist nur an ihren Enden durch Spongiolinsubstanz an die
in 2a
2
ni
Die Süsswasserschwämme. 213
Hauptfasern angekittet oder sie liegen ganz in der Kittmasse ein-
geschlossen. Bei solchen Exemplaren, welche einfache Krusten
bilden, stehen die Hauptfasern senkrecht auf der Unterlage. —
Durch den geschilderten Bau des Gerüstes erlangt der Schwamm
eine gewisse Festigkeit und ist schwieriger zerreissbar als Sp. fragilis
und Zph. fluwwiatilis. — Die Spongiolinsubstanz ist in Kalilauge
unlöslich, wodurch sich Zus. lac. von allen anderen Arten unter-
scheiden lässt (Dybowski). — Die Fleischnadeln sind in wechselnder
Anzahl vorhanden; sie können in einem Schwamm in ungeheuerer
Menge auftreten (var. Lieberkühni Noll), in anderen häufig, in noch
anderen sehr sparsam sein. Sie sind meist leicht gekrümmt und
vollständig mit feinen Dörnchen besetzt, selten sind sie glatt. Die
Gemmulae treten in verschiedenen Formen auf. Es giebt nackte,
d. h. einer äusseren Luftkammerschicht entbehrende, die nur wenige
oder gar keine Nadeln tragen. Andere Gemmulae sind mit einer
dünneren oder dickeren Luftkammerschicht bedeckt, welche nach aussen
durch eine deutliche Membran abgeschlossen ist, in anderen Fällen
fehlt dieselbe. In dieser Luftkammerschicht liegen die Belagsnadeln
entweder in radiärer oder in tangentialer Lage auf der Gemmula oder
sie sind auf ihr ohne alle Ordnung zerstreut. Sie stellen kurze,
weniger oder mehr, mitunter bis zum Kreise gekrümmte und mit
dicken Dornen versehene Spikula dar, und sind nur selten ganz
glatt. Die Gemmulae liegen im ganzen Schwamme zerstreut, dessen
Weichteil nach ihrer Ausbildung vollständig zu Grunde geht, während
das Skelettgerüst mit den Gemmulae in seinen Maschen oft den
Winter hindurch erhalten bleibt. Im anderen Fällen zerfällt auch
dieses. — In stehendem und fliessendem Wasser in ganz Deutsch-
land. Es scheint die gemeinste Art zu sein und ist auch im fin-
nischen Meerbusen im Brackwasser gefunden worden (Dybowski).
Als eine Lokalform von dieser Art betrachten wir die von
Retzer beschriebene „Spongilla rhenana“. Dieser bisher nur am
Faschinengesträuch im Altrhein bei Eggenstein unweit Karlsruhe
gefundene Schwamm überzieht als dünne Kruste Holzstücke, Ge-
sträuch und dergl. und sendet wenige, kleine Fortsätze aus oder
wächst auch an manchen Stellen zu dicken Klumpen an. Seine
214 Die Süsswasserschwämme.
Farbe ist grün. Die Skelettnadeln sind gerade oder leicht gebogen
und gehen entweder plötzlich in eine scharfe oder allmählich in
eine weniger scharfe Spitze über. Sie bilden zu Bündeln vereinigt
ein dichtes Netz. Die Gemmulae haben die Form und Grösse der-
jenigen von Zusp. lacustris, der Porus zeigt aber einen breiten
flachen Trichter. Auf der inneren Hülle der Gemmulaschale liegt
eine sehr dünne Luftkammerschicht, in welcher die Zellen in zwei-
bis dreifacher Lage übereinander liegen. In dieser Schicht sind
die Belagsnadeln gewöhnlich tangential, wenige radiär angeordnet.
Die sehr variable Gestalt lässt drei Hauptformen unterscheiden.
Die häufigsten sind solche, welche den Skelettnadeln ähneln, andere,
in geringer Anzahl vorhandene, die sich auch einzeln im Weichteil
finden, sind glatt und in gleichen, nicht sehr grossen Abständen
an den Enden zweimal geknickt, drittens giebt es leicht gebogene,
in der Mitte verdickte Nadeln. Die Gemmulae liegen überall im
Schwamm zerstreut. Bemerkenswert ist, dass an ihnen Nebenpori
vorkommen, deren drei bis sechs gesehen wurden. Ungefähr jede
zehnte Gemmula hat neben dem Hauptporus einige seitliche
Trichter.
Dieser aus Vejdovsky und Retzer entnommenen Beschreibung
fügen wir nur hinzu, dass der Schwamm auch grössere, verzweigte
Äste treibt und dass unter den doppelt geknickten Gemmulae-
nadeln auch fein bedornte vorkommen. — Vejdovsky hat diese
Retzersche Art beibehalten. Wierzejski4#4) betrachtet dieselbe nur
als eine „lokale Form, vielleicht eine Abnormität der Zuspongilla
lacustris“. Wir schliessen uns der Auffassung, dass man es hier
mit einer Lokalform zu thun habe, an.
b) Untergattung Spongella (Wierzejski).
Zwei bis dreissig Gemmulae liegen in einer stark entwickelten,
deutlich zelligen Luftkammerschicht eingebettet oder die Gemmulae
bilden eine pflastersteinartige Kruste in ebenso gestalteter Luft-
kammerschicht an der Basis des Schwammes. In der Luftkammer-
schicht liegen rauhe und glatte Nadeln zerstreut.
3 Pa 4
Die Süsswasserschwämme. 215
2. Spongilla fragilis (Leidy) (Fig. 39).
Der Schwamm ist nie verzweigt und scheint meist eine glatte
Oberfläche zu haben. Die Farbe ist weisslich, hellgrau, graubraun,
braun, seltener grün. Die Skelettnadeln sind fast gerade oder nur
leicht gebogen, scharf zugespitzt und glatt. Die
Spongiolinsubstanz ist schwach entwickelt, der Schwamm
ist daher sehr leicht zerreissbar. Die Belagsnadeln
der Gemmulae bilden eine dichte Kruste auf ihr, sie
sind gerade oder gekrümmt und tragen viele kleine
Dornen. Sie übertreffen gewöhnlich an Länge und
Dicke diejenigen von Zusp. lacustris. Die kleinen,
rundlichen Gemmulae tragen ein verlängertes, gewöhn-
lich etwas gebogenes Porusrohr, welches aus der dicken
Luftkammerschicht hervorragt. Die grossen Zellen
der Luftkammerschicht sind radiär um die Gemmulae
geordnet. Diese erscheinen in zwei Formen, die an
der Basis des Schwammes liegenden sind flach, die
im Schwammkörper in Gruppen zu zwei oder drei
bis dreissig und mehr vereinigten Gemmulae bilden
kugelige oder halbkugelige Massen.
Lebt in stehendem und fliessendem Wasser und
gehört in Deutschland zu den gemeineren Arten.
B. Unterfamilie Meyeninae (Carter.)
Gemmulae gewöhnlich einzeln. Sie sind von
einer Luftkammerschicht umgeben, in welcher Amphi- A
2 Ber & ig. 39.
disken (Stäbe mit einer Querscheibe an jedem Ende) in Spongrtla
Jragılıs (Leidy).
Nach einem in
Die Amphidisken haben gezackte oder ganze Ränder. Alkohol konser-
vierten Stück.
2 ; B 4 l/, natürl. Gr.
II. Gattung Trochospongilla (Vejdovsky). (Tegelsee, 6. Juli
1888.)
einer oder in mehreren Lagen übereinander vorkommen.
Ausgezeichnet durch die glatten (bei einer aus-
ländischen Art) oder rauhen Skelettnadeln und durch den glatten
Rand der Amphidisken, welche an der Basis einer hohen Luft-
kammerschicht eingebettet liegen.
916 Die Süsswasserschwämme.
3. Trochospongilla erinaceus (Ehrenberg) (Fig. 40).
Der Schwamm überzieht als weissliche oder strohgelbe Kruste
von geringerer oder grösserer Ausdehnung fremde Körper. Die
Skelettnadeln sind scharf zugespitzt und bis auf die beiden Enden
mit sehr starken Dornen besetzt. Die Spongiolinsubstanz ist stark
entwickelt und setzt dem Zerreissen des Schwammes einen Wider-
stand entgegen, der grösser als bei den übrigen Meyeninen ist. Die
Amphidisken haben die Form einer Garnspule. Die Luftkammer-
schicht besteht aus radiär gestellten Säulen, deren jede aus über-
einander liegenden Zellen gebildet wird. In dieser Schicht liegen
oft Nadeln, welche den Gerüstspikula gleichen,
aber von geringeren Dimensionen sind.
Auch diese Art lebt in stehenden und
fliessenden Gewässern Deutschlands und scheint
selten zu sein. Sie wurde bei uns bisher ge-
funden: Sabor in Schlesien (Ehrenberg), Spree
in Berlin (Lieberkühn, Weltner), Tegelsee bei
Berlin (Weltner), Hellensee beiLanke (Weltner).
III. Gattung Zphydatia (Lamouroun).
Fig. 40.
Trochaibenigiile vers: Die Skelettnadeln sind entweder ganz glatt
naceus (Ehrenberg) oder ganz rauh oder es finden sich beide Sorten
nach Vejdovsky. r ’ 7 £ Ä
1/,natürl. Grösse, in einem Schwamm. Die mit gezackten Rändern
versehenen Amphidisken liegen in ein-, zwei- oder
selbst dreifacher Schicht in der Luftkammerschicht. Die Amphi-
disken sind entweder alle von gleicher Länge oder sie sind ungleich
lang. Fleischnadeln vorhanden oder fehlend.
4. Ephydatia Mülleri (Lieberkühn).
Diese Art bildet Krusten mit einer glatten oder unregel-
mässigen Oberfläche, an der man oft kurze Zapfen (Fig. 41) oder
blattförmige oder mäandrisch gewundene Fortsätze sieht. Selten
scheinen verzweigte Exemplare vorzukommen. Die Farbe ist weiss,
gelb, gelbbraun oder hellgrün. Die Skelettnadeln sind entweder
ganz glatt oder ganz rauh, oder es finden sich sowohl glatte als
rauhe Nadeln in ein und demselben Schwamme. Die Rauhigkeit
Die Süsswasserschwämme. 217
der Nadeln ist entweder nur eine geringe oder sie tritt sehr
deutlich als kleine Höcker auf, die aber stets kleiner sind als
bei Zrochosp. erinaceus. Die Nadeln
sind gerade oder schwach gekrümmt,
scharf zugespitzt und zu Bündeln ver-
einigt, deren Kittmasse weniger stark
als bei der eben genannten ist. Die
Luftkammerschicht ist in geringerer
oder grösserer Mächtigkeit vorhanden.
Die Amphidisken bilden entweder nur
eine, zwei oder selten drei Lagen um
die Gemmula. Im letzteren Falle
ist die dritte Lage keine ununter-
brochene Die Amphidisken haben
einen dicken Schaft; die Zähne der
Endscheiben sind entweder glatt oder
an ihren Rändern gezähnt. —
Ganz charakteristisch für diese Art
sind die Blasenzellen des Weich-
teiles, welche modifizierte, mit einer
sehr grossen, amylumhaltigen Flüssig-
keitsalveole ausgestattete Zellen der
Bindesubstanzschicht sind [Wier-
zejski#3)].
Diese Art wurde von Lieber-
kühn nach Exemplaren aus der
Spree aufgestellt. Die Amphidisken
der in diesem Flusse lebenden Zpn.
Müller! zeigen einen kurzen Schaft
und Endscheiben, welche wenig aber
tief eingezackt sind.
Fig. 41.
Ephydatia Müller! (Lieberkühn).
Y/ynatürl. Grösse, nach einem ge-
trockneten Exemplar.
(Tharandt, Schlossteich.)
In stehenden und fliessenden Gewässern verbreitet in ganz
Deutschland.
218 Die Süsswasserschwämme.
5. Zphydatia fluwviatilis (Autt.).
Krustenförmige Massen von sehr wechselnder Gestalt bildend,
es kommen ganz flache Krusten vor, daneben andere, die mehr
klumpige Form erreichen. Die Oberfläche ist entweder glatt (Fig. 42)
oder mit seichten Buckeln, oder mit spitzigen kurzen Fortsätzen
(Fig. 43), oder mit rippenförmigen, öfters gewundenen Erhabenheiten
Fig. 42. Fig. 43.
Ephydatia fluviatilis (Autt.) Ephydatıa fluviatılis (Autt.)
nach dem Leben. !/,natürl. Grösse. nach einem in Alkohol konserv. Stück. Y/, natürl. Grösse.
(6. Juni 1890, Tegelsee.) (Spree, Berlin: Waisenbrücke, 26. Aug. 1886.)
versehen. Wenn der Schwamm Verzweigungen zeigt, so rühren
diese von dem Substrat her, welches derselbe überzogen hat
(Fig. 44).
Die Farbe ist smaragdgrün, hellgrün, hellisabellgelb, schmutzig-
weiss oder weiss. Die glatten, schlanken, allmählich oder plötzlich
scharf zugespitzten, leicht gekrümmten Skelettnadeln sind wie bei
Die Süsswasserschwämme., 219
Sp. fragilis nur durch wenig Spongiolinsubstanz mit einander ver-
bunden; der Schwamm ist daher leicht zerreissbar und brüchig.
Öfters finden sich unter den Nadeln auch kurze, dicke oder auf-
fallend lange und dicke Formen. Die
Gemmulae sind gelblich und haben eine
dicke Hülle, die Luftkammerschicht hat
eine äussere Kutikulla.. Die Amphidisken
sind daher ganz in der Luftkammerschicht
eingeschlossen und bilden eine einfache
Lage in derselben. Der Schaft ist dünn,
glatt oder bedomt und oft in der Mitte
etwas eingezogen. Er ist doppelt so lang,
als der Durchmesser der Scheiben beträgt.
Diese sind am Rande durch ihre zahl-
reichen, nicht tiefen Einschnitte aus-
gezeichnet. Doch finden sich häufig
Exemplare, bei denen die mit langem
Schafte ausgestatteten Scheiben nur wenige
tiefe Einschnitte zeigen.
Sehr gemein in stehenden und fliessen- Fig. 44.
1 . . Ephydatia fluviatilis.
den Gewässern in Deutschland. Auch im A1koholexemplar, !/, natürl.
Brackwasser, so in der Untertrave bei Grösse. (29. Nov. 1886, Spree,
3 Berlin, 4 Fuss tief.)
Travemünde, deren Wasser 0.34 %/o Salz-
gehalt zeigt (Lenz). Auch in der Dievenow bei Cammin in
Pommern, welche bis zu der genannten Stadt von dem ein-
dringenden Seewasser durchschnittlich 2—3mal im Monat während
eines Jahres schwach versalzt werden soll (Weltner).
6. Ephydatia bohemica (Petr).
Der Schwamm bildet kleine grüne Polster. Die Skelettnadeln
sind gerade oder leicht gekrümmt und mitunter fein bedornt. Diese
Art ist durch ihre zahlreichen Fleischnadeln von den übrigen
Meyeninen unterschieden. Die Nadeln sind gerade oder ein wenig
gebogen und mit dornenähnlichen, oft am Ende gerundeten Fort-
sätzen bewehrt. Die Gemmulae tragen eine grosse Pore, deren
220 Die Süsswasserschwämme.
Rand nach oben in einen breiten Trichter ausläuft, selten ist an
Stelle des Trichters ein kurzes Rohr entwickelt. Die Amphidisken
sind fast alle gleich lang, die längeren ragen über die Luftkammer-
schicht hervor. Ihre gedornten Schäfte sind schlank und länger
als der Durchmesser der Scheiben, welche ziemlich regelmässig und
tief gezackt sind. Die Zacken sind fein gekerbt.
Dieser Schwamm, welcher vielleicht nur eine Übergangsform
zu der folgenden Gattung darstellt, ist bisher nur bei Kvasetice im
Bezirk Deutschbrod (Böhmen), an Zuspongilla lacustris sitzend,
von Fr. Petr gefunden.
IV. Gattung Carterius (Potts).
Mit glatten Skelettnadeln und dormnigen Fleischspikula. Die
Gemmulae tragen ein langes, gerades Porusrohr, dessen Spitze eine
unregelmässig gelappte Scheibe trägt. In der Luftkammerschicht liegen
Amphidisken von zweierlei Länge, die einen haben eine Länge, welche
der Dicke der Luftkammerschicht gleichkommt, die anderen sind
länger und ragen mit ihrer Scheibe über jene Schicht hinaus.
7. Carterius Stepanowi (Dybowski) (Fig. 45).
Der Schwamm ist nur von geringen Dimen-
sionen und bildet (selbständige?) Verzweigungen.
Die Farbe ist blassgrün. Die Skelettnadeln sind
glatt, gerade oder gebogen und scharf zugespitzt.
Die zahlreich vorhandenen Fleischnadeln haben eine
gebogene oder gerade Gestalt und sind mit Domen
besetzt, welche in der Mitte der Nadel am stärksten
sind. Das Porusrohr an den Gemmulae ist gerade
oder leicht gebogen und endet in eine gelappte
Scheibe. Die Luftkammerschicht besteht aus
zahlreichen kleinen Zellen. Es sind zweierlei
Fig. 45.
ee Amphidisken vorhanden; die längeren, über die
(Dyb.). Y/snatürl. . 3
Grössen.d.Leben. Oberfläche der Gemmula hinausragenden betragen
Nach i ; : - i
aan Ba) etwa ein Drittel oder die Hälfte aller Amphi-
disken, welche sämtlich an den Schäften mıt starken Dornen be-
wehrt sind.
Die Süsswasserschwämme. Bel
Gefunden in Europa bisher nur in einem See (Wilikoje) bei
Charkow (Dybowski) und in einem Teich bei Deutschbrod in
Böhmen (Petr).
Anhang.
Wir müssen hier noch einer von Joseph erwähnten Spongilla
stygia gedenken. Diese neue Form wurde in der Grotte Gurk in
Unterkrain von Joseph gefunden und ist völlig durchsichtig. Die
Nadeln sind glatt und an einem Ende keulenförmig verdickt. Nach
Marshall$6®) sollen dieGemmulae wirklich fehlen. Es wäre wünschens-
wert, diese neue Art genauer zu studieren.
Tabellen zur Bestimmung von Spongilliden sind nach dem
jeweiligen Standpunkte unserer Kenntnis dieser Tiere von
Dybowski 18786), Vejdovsky3#4, Potts und Girod1P) ge-
geben worden. Wir entwerfen hier einen Schlüssel für die
europäischen Formen.
Gemmmlaesmit. Amplürdisken 0.2. 22.0: ILL
Gesimplae ohne ‚Amphidisken... +... . .... en
Die Ränder der Amphidisken sind ganzrandig, Skelett-
nadeln mit starken Dornen besetzt
Trochospongilla erinaceus.
Die Ränder der Amphidisken sind gezackt, Skelettnadeln
glatt oder rauh .
[697
Fleischnadeln vorhanden; unter den Amphidisken lassen
sich deutlich zwei Sorten, längere und kürzere, unter-
scheiden
(5)
Fleischnadeln Elend: erpkiisken me Selen! öeich
Fa Re en EN N ER Lee a Le er
Porus der Gemmula in ein langes Rohr ausgezogen
Carterius Stepanowr.
Porus der Gemmula in einen breiten Trichter ausgehend
oder (selten) in eine kurze Röhre verlängert
Ephydatia bohemica.
156)
m —— ——
999 Die Süsswasserschwämme.
Amphidisken mit langem Schaft, Endscheiben meist mit
zahlreichen aber nicht sehr tiefen Einschnitten. Luft-
kammerschichtt mit dünner Kutikula umschlossen.
Skelettnadeln glatt. Spongiolinsubstanz schwach ent-
wickelt... 9,100 nen N Eilordalia JURmaEls-
Amphidisken mit kurzem Schaft, Endscheiben oft nur
mit wenigen aber tiefen Einschnitten. Luftkammer-
schicht ohne äussere Kutikula. Skelettnadeln glatt
oder rauh oder beide Sorten vorhanden. Spongiolin
ziemlich reichlich . . . . ..... Zphydatia Müllerı.
/ Gemmulae zu 2—30 in Gruppen in einer dicken, deutlich
zelligen Membran eingeschlossen. Der grösste Teil
der Gemmulae bildet an der Basis des Schwammes
eine kontinuierliche einfache Lage, in einer ebenso
5 gestalteten Membran eingebettet. Fleischnadeln fehlen
Spongilla Jragılıs.
Gemmulae immer einzeln in den Maschen des Schwamm-
gerüstes steckend. Fleischnadeln vorhanden
Euspongilla lacustrıs.
7. Verbreitung.
Wenn diejenigen Spongien, welche man, vielleicht nicht ganz
mit Recht, als eine eigene Familie der Spongillidae anderen Familien
gegenübergestellt hat, auch vorzugsweise Bewohner des süssen
Wassers sind, so haben wir doch schon erfahren, dass auch ein-
zelne Arten im brackischen Wasser leben können. Wir fügen dem
jetzt hinzu, dass auch in den Gewässern Floridas Spongilliden ge-
funden worden sind, welche gelegentlich in versalztem Wasser zu
leben gezwungen sind (Potts 1890). Ja, es fehlt auch nicht an
solchen Arten, die sowohl das süsse Wasser als das Meer be-
wohnen, da die von Pallas im Baikalsee entdeckte Spongra
baicalensis (Pall.) nunmehr auch im Behringsmeer entdeckt worden
ist (Dybowski).
Die Süsswasserschwämme. 223
Alle Süsswasserschwämme leben vorzugsweise auf festen, ab-
gestorbenen oder doch nicht mehr lebenden Gegenständen; eine
Auswahl wird dabei nicht getroffen. Es kommt ihnen nicht darauf
an, einen alten Schuh, einen Nagel, ein Stück Leder, einen Fetzen
Tuch, eine alte Muschel oder Eierschale zur Unterlage zu benutzen.
Seltener wachsen sie auf lebenden Baumwurzeln oder Konchylien.
Schlamm ist ihr ausgesprochener Feind und nur Potts erwähnt
einen Fall, in welchem sich eine Spongillide auf Schlammboden
angesiedelt hatte. Auch in der Spree lebt Zusp. lacustris im
Schlamm; an solchen Exemplaren ist aber stets der im Schlamme
steckende Teil abgestorben.
Die Tiefen, in denen diese Schwämme leben, sind sehr ver-
schieden. Bei uns werden sie dicht unter der Wasseroberfläche
gefunden und sie steigen bis 4 m hinab. Forel fand im Lac
de Joux noch in 20 m Tiefe eine Spongillide, vermisste die
Schwämme aber in der Tiefenregion des Genfersees (von I5 m an
bis zur grössten Tiefe des Sees von 334 m). Auch bei uns scheinen
die Schwämme in der Tiefe der Seen zu fehlen; Grundproben, in
denen Schwammnadeln gefunden wurden, beweisen nicht das Vor-
kommen von lebenden Schwämmen am Boden, da, wie wir in der
Einleitung erwähnt haben, absterbende Spongillidenstücke häufig auf
der Wasseroberfläche treiben können. Dagegen hat Dybowski
den Baikalseeschwamm in einer Tiefe von 100 m gefunden. Dieser
Schwamm ist hier in 2—6 m Tiefe rasenförmig, in 6—25 m baum-
oder strauchförmig und in 25—100 m wieder rasenförmig. Fügen
wir noch hinzu, dass die im Bodensee in 12—ı35 Klaftern Tiefe
lebende Spongilla friabilis von Wartmann (Esper, „Pflanzen-
thiere“ II. 1794), das sogenannte „Fischbrot“, wohl kaum ein
Schwamm ist, so hätten wir über die Tiefenverhältnisse das wich-
tigste erwähnt.
Wir haben schon Gelegenheit gehabt, den Einfluss des Lichtes
auf die Farbe unserer Schwämme zu betonen. Viele und wohl
die meisten sind am Lichte lebend grün. Andere ebenfalls dem
Lichte ausgesetzte zeigen statt des grünen ein braunes Pigment,
welches ganz anders gestaltet ist als jenes. Sowohl die grünen als
294 Die Süsswasserschwämme.
die braunen Formen sind an immer beschatteten Lokalitäten gelblich
oder gänzlich farblos. Kräpelin sammelte gelbliche und farblose
Exemplare in den Röhren der Hamburger und de Vries reinweisse
Stücke in den Kanälen der Rotterdamer Wasserleitung.
Die Höhen, in denen Süsswasserschwämme vorkommen,
erstrecken sich nach den bisherigen Beobachtungen bis auf etwa
1900 m. Al. Brandt erwähnt (Zool. Anzeiger 1879 u. 1880) ihr
Vorkommen in zwei armenischen Alpenseen. In zahlreichen Seen
der Schweiz hat man sie gefunden (Du Plessis-Gouret, Forel,
Imhof). Sie fehlen auch in unseren Gebirgsseen nicht, wie ihr
Vorkommen im Schwarzwald (Retzer) und in den Maaren der Eifel
(Zacharias) beweist, während sie im Kleinen und Grossen Teiche
des Riesengebirges vermisst werden.
Die Art der V.eerbrestung.
Die Verbreitung kann durch Teilung, Larven und Gemmulae
geschehen. Was es mit der Teilung auf sich hat, ersieht man
aus den Auseinandersetzungen auf S. 200. — Die Verbreitung
durch Larven und Gemmulae wird bei den in Flüssen lebenden
Schwämmen vorwiegend auf passivem Wege geschehen; die Fort-
pflanzungskörper werden, dem Laufe des Stromes folgend, fluss-
abwärts schwimmen, bis sie an einem Gegenstande haften bleiben.
Nur in den stillen Buchten können die Larven, wie es im allge-
meinen in den von der Strömung weniger beeinflussten Teichen
und Seen der Fall ist, aktiv zur Verbreitung der Art dienen. Auch
hier wird diese eine langsame sein, da die Larven schwerlich grössere
Reisen in horizontaler Richtung auszuführen imstande sind. Dazu
ist ihre Schwärmzeit zu kurz. Wir haben zwar Larven, welche im
Oktober ausgeschwärmt waren, noch längere Zeit lebend im
Aquarium beobachtet; nach tagelangem Umherirren starben sie aber,
ohne sich festzusetzen, am Boden des Gefässes ab.
Weit wichtiger für die räumliche Verbreitung der Art sind die
Gemmulae und wir sehen nun, dass diese einem doppelten Zweck
dienen. Sie ermöglichen erstens die Fortexistenz der Spezies
überhaupt (s. oben S. 201) und zweitens deren Verbreitung.
Die Süsswasserschwämme. 225
Wenn es auch eine Anzahl Arten giebt (z. B. Sp. fragılis und
Troch. erinaceus bei uns), bei denen ein Teil der Gemmulae ganz
fest an ihre Unterlage gekittet ist, so fallen doch auch hier die
lose im Skelett liegenden aus, wie es bei den meisten Gemmulae
der übrigen Arten der Fall ist. Es wird also an einem Süsswasser-
schwamm der eine Teil der Gemmulae den Schwamm an derselben
Stelle wieder erzeugen, an welcher der Mutterschwamm wuchs, der
andere Teil der Gemmulae wird zerstreut. Isoliert man frische,
ausgebildete Gemmulae unserer Arten, so sieht man, dass der eine
Teil an die Oberfläche des Wassers steigt, während der andere
untersinkt. Wir kennen die Ursache dieser Erscheinung noch nicht,
obwohl schon Turpin (1838) schwimmende Gemmulae bekannt
waren. — Die Art, in welcher die sich vom Schwamme loslösenden
Gemmulae verbreitet werden können, hängt vom Bau der Hüllen
dieser Körper ab. Sie ist in einer kurzen Schrift vorzüglich erläutert
worden [Marshall?6)], deren Resultate wir hier wiedergeben.
Bei einer Anzahl tropischer Arten sind die Gemmulae mit
einer dicken Luftkammerschicht ausgerüstet. Zur Zeit der Trocken-
heit werden solche Gemmulae leicht durch den Wind hinweggetragen
und zerstreut. „Passiv beweglich mit aörostatischem Apparat —
Flugform (der trockenen Jahreszeit).“
Dann giebt es Gemmulae, welche auf dem Wasser schwimmend
zur Verbreitung dienen. Das ist z. B. bei Zusp. lacustris der
Fal. Die Gemmulae dieser Kategorie tragen Belagsnadeln,
mit denen sie sich hie und da anheften. „Passiv bewegliche
Schwimmform mit Ankerapparat zum Treiben auf der Oberfläche
vor dem Winde.“
Wieder andere Gemmulae, z. B. Zphyd. fluviatilis, sind durch
ihren Amphidiskenbelag schwerer und besser geschützt als die der
vorhergehenden Sorte. Sie sinken zu Boden und werden fort-
gerollt; sie kommen ihrer Schwere wegen eher zur Ruhe. „Schwimm-
form mit Hemmapparat zur langsamen Fortbewegung in fliessen-
dem Wasser.“
Die geologische Verbreitung der Spongilliden scheint sich bis
‘in den Jura zu erstrecken. Wenigstens weisen einige Nadeln, die
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 15
e
226 Die Süsswasserschwämme.
man in jurassischen Süsswasserablagerungen gefunden, darauf hin
(Young). Auch hat Carter im Diluvium von Altmühl in Bayern
Nadeln beschrieben, welche fast ganz den Spikula von Spongılla
Mackayı gleichen.
8. Parasiten und Kommensalen der
Süsswasserschwämme.
Zur Zeit der Gemmulabildung stellen sich zahlreiche niederste
Tiere ein, um an dem im Zerfall begriffenen Weichteil unserer
Schwämme Mahlzeit zu halten. Lieberkühn hat eine Anzahl
solcher Wesen aufgeführt, welche er besonders. in Spongilliden zur
Winterzeit antraf. Wir wiederholen ihre Namen nicht, da ihre
Reihe nicht erschöpfend ist und wir selbst durch Hinzufügen einiger
anderer die Liste nicht beenden würden.
Dagegen leben an und in einer frischen, in üppigem Wachstum
befindlichen Spongillide eine Anzahl Organismen, die wir zweckmässig
in zwei Gruppen sondern: Parasiten und Kommensalen.
Der Parasiten sind nur wenige. Dybowski schildert einen
Flohkrebs, den er Gammarus parasıticus nennt, und der auf der
Oberfläche des von uns schon so oft genannten Süsswasserschwammes
des Baikalsees lebt. Dieses Tier ist von grüner Farbe und wird,
wenn man es isoliert hält, gelblich. Es nährt sich also von dem
grünen Pigment (Zoochlorellen) der Spongillide. Auch eine andere
Art, einen Gammarus violaceus Dyb., ebenfalls vom Baikalsee,
lernen wir durch diesen Forscher als einen gelegentlichen Bewohner
des Schwammes kennen, er zeigt sich dann in grüner Färbung,
var. virens. — Ein anderer Parasit ist von Jackson in England
beobachtet. Es ist ein peritriches Infusor, Cyclochaeta spongillae
tauft es der Autor, welches auf der Oberfläche und den ober-
flächlichen grünen Partien der Zuphyd. fluviatilis \ebt. — Ein
diesem sehr nahestehendes Infusor, vielleicht eine Trichodina, lebt
nach Alenitzin in Süsswasserschwämmen (Bütschli, Bronn, „Klass.
u. Ordn. d. Tierreichs“. Bd. I, p. 1808).
ein Tier vom Süsswasserschwamm. Zur Winterzeit sammelt man
Auch bei uns nährt sich
Die Süsswasserschwämme. 2927
öfters im Tegelsee Exemplare des perennierenden Schwammes, welche
grosse Gänge einer Phryganidenlarve zeigen. Wir haben ein
solches Exemplar mit zwei dieser Larven in Fig. 46 abgebildet.
Diese Tiere fressen sich gewöhnlich vom Rande her
in den Schwamm hinein und bohren sich mit dem
Kopfe so tief in das Gewebe, dass man die Ge-
häuse erst ablösen muss, um der Tiere selbst sicht-
bar zu werden. Sie nähren sich, vielleicht aus Not,
von dem grünen Schwamme, denn sie zeigen einen
grüngefärbten Leib. Sie scheinen seit ihrer Erwäh-
nung von Pallas, „Elenchus Zoophytorum“, 1766,
nicht wieder gefunden worden zu sein.
Als einen Übergang von Symbiose zum Para-
sitismus bezeichnen M. und A. Weber40) das Vor-
kommen einer Fadenalge Trentepohlia (Chroolepus)
spongophila, in Süsswasserschwämmen Sumatras.
Fig. 46.
BR Eph. Fluviatilis
von Zphyd. fluviatilis und erzeugen besonders um (Lbkn.) von Phry-
Diese grünen Algen leben in farblosen Exemplaren
. 2 £ . ganiden angefres-
die Oskula herum grüne Flecke. Ausser dieser Alge n. Zwei ders.
erwähnen die genannten Autoren noch eine An- sieht man unten
N links in ihrem
zahl anderer, welche nur gelegentliche Gäste der tütenförm., gebo-
Shearaid Sind genen Gehäuse.
2 ie (20. Novbr. 1887.
Als Kommensalen der Spongilliden sind uns De "/snat.
IOSSe,
nur folgende bekannt geworden. Sehr häufig lebt
in den Kloakenhöhlen oder in grösseren Löchern der Schwämme,
und wie es scheint besonders in Zphyd. fhwiatilis, die Larve einer
Neuroptere: Sısyra (Branchiotoma) spongillae Westw. Sie wurde
in den Süsswasserschwämmen von Hogg entdeckt und steckt mit
dem Kopfe nach aussen gerichtet im Schwamme. — Weit häufiger
als dieses Tier lebt ein anderes auf der äusseren Haut unserer
Schwämme. Man kann einige hunderte gezüngelter Würmchen,
Nais proboscıdea, von ein und demselben Schwammexemplar
erhalten. — Einige Male trafen wir auch eine kleine Cladocere
aus der Gruppe der Lynceiden auf der äussern Haut des Schwam-
mes an. Besonderes Interesse verdient ein unscheinbares, nur
15. *
228 Die Süsswasserschwämme.
0.02 mm langes, aber in der Spongillide sehr häufig anzutreffendes
Tierchen. Es ist eine Acinetine: Podophrya fixa, welche schon
Lieberkühn erwähnt. Wir haben kaum einen Schwamm unter-
sucht, in dessen Kanälen dieses Tier nicht zugegen war. Am
lebenden Schwamm kann man es beobachten, wie es geduldig an
ein und derselben Stelle der Kanalwand festgeheftet sitzt, seine
langen Saugröhrchen nach Beute ausstreckend. Welcher Art ist
diese Nahrung? Nährt sich das Tier von den eingedrungenen,
zerfallenen organischen Bestandteilen oder muss es auf die günstige
und, wie wir glauben, seltene Gelegenheit lauern, ein eingedrungenes
Infusor oder ein anderes Glied aus der Reihe der Protozoen zu
erhaschen? Oder ist es gar ein Parasit des Schwammes? — Wir
haben nur selten ein gestieltes Exemplar dieser Podophrya zu
Gesicht bekommen und müssen es unentschieden lassen, ob wir in
ihm die ungestielte Abart der Podofhrya fixa oder die Podofhrya
hbera Perty zu erblicken haben. — Ganz im Gegensatze hierzu
steht das Vorkommen von Milbenlarven (Atax? Noll), die wohl
eher einen Schutz, als Nahrung, in den Kanälen des Schwammes
suchen. Sie scheinen nicht allzuhäufig zu sein, obwohl sie auch
bei Berlin mehrmals gefunden wurden.
9. Das Sammeln, Konservieren und Unter-
suchen von Spongilliden.
Bei dem Sammeln von Süsswasserschwäimmen kommt es auf
den Zweck an, den man dabei verfolgt. Wünscht man sich nur
die Schwämme als Schaustücke für Sammlungen zu beschaffen, so
muss man natürlich ganze, möglichst unverletzte Exemplare zu
erhalten suchen und das ist im allgemeinen viel schwieriger als das
Sammeln von Material, welches man zu anatomisch-histiologischen
oder entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen braucht, für welche
unversehrte Schwammexemplare nicht nur unnötig, sondern sogar
ungeeignet sind.
Bei hohem Wasserstande oder bei tief wachsenden
Schwimmen kann man sich manchmal nur durch Tauchen helfen,
Die Süsswasserschwämme. 329
_
um die Stücke in gutem Zustande an die Oberfläche zu bringen.
In’ anderen Fällen, wenn die Schwämme an losen Gegenständen,
Baumreisern, Brettern, Steinen etc., sitzen, genügt ein bootshaken-
ähnliches Instrument, an welchem unten ein Beutel befestigt ist.
Wir haben auch am Grunde der Spree mit dem Schleppnetz
manch schönes Stück erhalten, allen man ist dabei zu sehr dem
Zufall anheimgegeben. Die an grossen Balken, Pfeilern etc. angehefteten
Stücke wird man zweckmässig mit dem Kratzer ablösen, falls man
sie nicht mit dem Messer abheben kann. Die so erhaltenen
Exemplare sind zwar nie ganz vollständig erhalten, aber doch noch
brauchbar. Übrigens wird es bei öfteren Besuchen eines an
Spongilliden reichen Wassers auch einmal gelingen, ihnen mit der
Hand bequem beizukommen. — Das Sammeln der Schwämme
geschieht zweckmässig zweimal im Jahre. Im Frühling oder Herbst
findet man die Gemmulae in den Schwämmen, letztere sind in
den Sommermonaten am üppigsten entwickelt. Wir möchten auch
das Augenmerk auf die perennierenden Spongilliden richten. Oft
haben wir uns in den Wintermonaten, auf der klaren, dünnen
Eisdecke liegend, an dem Anblick erfreut, den solch ein kleiner
Wald abgestorbener Schilfstengel, welche mit schön grün gefärbten
Schwämmen besetzt sind, am Grunde des Tegelsees bietet.
Die auf die eine oder andere Art gesammelten Exemplare
kann man trocken oder in Spiritus aufbewahren. Die zu trock-
nenden tötet man zweckmässig sofort nach dem Entnehmen aus
dem Wasser in starkem Alkohol und trocknet sie erst nach einigen
Stunden an der Luft. Man erhält so ein gutes Präparat, an dem
vorzüglich die äussere Haut als glänzende Membran hervortritt
(Möbius). Will man einen Schwamm in Spiritus aufbewahren,
so muss man den Alkohol, in welchem das Stück abgetötet wurde,
nach einigen Stunden mehrmals wechseln. Das Abtöten geschieht
in 960/0o-Alkohol, da der Schwamm äusserst wasserhaltig ist; zum
Konservieren genügt 75°/o-Spiritus. Um einen Schwamm, den
man zu konservieren wünscht, zu töten, ist es nötig, schnell zu
verfahren. Man wählt sich in dem von Spongilliden bewohnten
Wasser ein gutes Exemplar aus, löst es unter Wasser von seiner
230 Die Süsswasserschwämme.
Unterlage oder bringt es mit derselben bis an die Wasseroberfläche
und zieht es nun schnell aus dem Wasser, schwenkt es behutsam
von dem in den Kanälen steckenden Wasser aus und bringt es
schnell in Alkohol. Hat man nur kleinere Stücke und viel Alkohol
zur Verwendung, so braucht man den Schwamm nicht erst von
seinem eingesogenen Wasser zu befreien. Jedenfalls ist ein längeres
Betrachten eines aus dem Wasser gezogenen Schwammes nicht am
Platze; wer den Schwamm im Leben kennen lernen will, muss ihn
im Aquarium beobachten, und wer Bau und Struktur zu erkennen
wünscht, muss sich gutes in Alkohol konserviertes Material be-
schaffen. Um ein solches zu anatomischen und histiologischen
Untersuchungen des Weichteiles zu erhalten, kann man nicht die
ganzen Schwämme verwenden. Man braucht hierzu kleine bis Im
grosse Stückchen, die man unter Wasser aus dem Schwamme aus-
schneidet und sofort in absol. Alkohol oder in 96 %/vigem, den man
aber bald wechseln muss, abtötet (F. E. Schulze). Noch besser
werden die Zellen einer Spongillide fixiert, indem man die Stückchen
in Überosmiumsäure oder Sublimatlösung bringt, auswäscht und in
starkem Alkohol konserviert. Man muss dann solche Stücke in
Böhmerscher Hämatoxylinlösung oder in Boraxkarmin färben, um
die Einzelheiten zu erkennen. Für manche Teile ist eine Doppel-
färbung nötig, z. BB um den Kern der reifen Eier und ihrer
Furchungskugeln vom Dotter unterscheiden zu können. Fiedler
hat hierüber das Nähere angegeben. Derselbe Autor hat zum
Abtöten der Spongillidenstückchen verschiedene Mittel angewandt.
Man wird aus der Arbeit Fiedlers?) ersehen, dass man zur Er-
kennung verschiedener Strukturen verschiedene Wege einschlagen
muss. Die so vorbereiteten Stücke werden mittels des Mikrotoms
in dickere und dünnere Schnitte zerlegt.
Die nach dieser Methode gewonnenen Resultate muss man
unbedingt am lebenden Schwamm kontrollieren. Man wird sich
dann überzeugen, was natürlich ist und was künstlich hervorgebracht
war. Um den Schwamm im Leben anatomisch zu studieren, kann
man sich eines jungen, aus einer Gemmula oder Larve gezogenen
bedienen. Oder man kann auch grössere, bis 1/2 cm grosse Stücke
Die Süsswasserschwämme., 231
verwenden, die man auf folgende Weise erhält. Aus einem ganz
frischen Schwamme schneidet man schnell mit einem scharfen
Messer senkrecht zur Oberfläche dünne Scheiben von 1/a—2 mm
‘“ Dicke. Diese setzt man in ein kleines mit Wasserpflanzen (Elodea)
besetztes Aquarium auf Objektträger. Nach einigen Tagen haben
solche Stücke Haut und Oskulum neu entwickelt und sind meist
an dem Glase festgewachsen. Man nimmt nur diejenigen aus dem
Aquarium, deren Öskularrohr an der Seite liegt, bedeckt sie mit
einem Deckglas und kann lange Zeit an ihnen Beobachtungen
machen. Nur muss man darauf achten, ob aus dem Oskulum
beständig der Wasserstrom austritt, um sicher zu gehen, dass man
einen lebenden Schwamm vor sich hat. Man wird sich nun von
der Formveränderlichkeit aller zelligen Elemente des Schwammes
überzeugen. ,„Zvery lwing part of the sponge that is soft ıs
subject to polvmor phısm.“ Carter.
Den Bau des Skelettes erkennt man, indem man von dem im
Alkohol konservierten Material mit der Hand dünne Schnitte macht
und diese in absoluten Alkohol, Terpentin und dann in Kanada-
Balsam bringt. Der zwischen dem Gerüste liegende Weichteil stört
zwar, aber man ist sicher, von dem Skelett nichts verloren zu haben.
Ausserdem muss man sich aber vom Weichteil ganz befreite
Gerüstpräparate in folgender Weise beschaffen. Man nimmt dazu
einen frischen Schwamm, aus dem man in verschiedenen Richtungen
dünne Scheiben schneidet. Diese maceriert man bei Ofenwärme
in starkem Ammoniak (zuerst von F. E. Schulze bei Hormn-
schwämmen angewandt). Die Lösung des Weichteils geschieht sehr
schnell. Man erhält das Skelett rein, indem man sehr behutsam
mit Wasser und dann mit Alkohol auswäscht. Um die Spongiolin-
substanz sichtbar zu machen, färbt man mit Eosin oder Karmin.
Bei der Maceration fallen immer eine Anzahl Nadeln aus, man
vergleicht deshalb diese Präparate mit denen, an welchen Gerüst
und Weichteil vorhanden sind. Noll hat zum Macerieren Eau
de Javelle angewandt, Girod 10) gebraucht auch Sodalösung. Das
erstere wirkt sehr energisch und zerstört oft mehr als man wünscht.
— Die Herstellung der Präparate von isolierten Nadeln geschieht
N 2 a 4 ee
232 Die Süsswasserschwämme.
durch Kochen eines Stückchens der Spongillide in Salzsäure. Ist
alles zerfallen, so füllt man das Reagensglas mit Wasser voll,
schüttelt um und lässt absetzen. Das Auswaschen muss so lange
fortgesetzt werden, bis das Wasser säurefrei ist. Die Nadeln bettet
man in Kanada-Balsam ein; in Glycerin oder Glyceringelatine treten
sie nicht hervor. Bei dem Auswaschen verliert man viele Belag-
nadeln der Gemmulae. Die Fleischnadeln von Zusf. lacustris
gehen, wenn man schnell verfährt, fast ganz verloren. Man muss
deshalb auch Zupfpräparate vom Schwamme untersuchen. Dagegen
bietet Zus?. Jacustris, und zwar nur diese Art, die Möglichkeit,
ein vollständiges Skelettgerüst grösserer Teile des Schwammes dar-
zustellen. Da hier die mächtig entwickelte Spongiolinsubstanz in
Kalilauge unlöslich ist, so kann man grössere Zweige hierin kochen
und erhält sehr zierliche weisse Gerüstbäumchen. Verwendet man
zum Kochen eine starke Kalilauge, so bleibt von dem Skelett nichts
als die Spongiolinsubstanz zurück, weil die Lauge die Nadeln
(Kieselsäureanhydrit) auflöst. In solchen Präparaten treten dann
die Nadeln als Lücken in der Kittmasse hervor (Dybowski).
Die Struktur der Gemmulaschale lehren Dünnschnitte kennen,
die man nicht zu färben braucht. Um den Bau des Keimes zu
erforschen, muss man Dünnschnitte einer Doppelfärbung unterwerfen,
sonst lassen sich Kerne und Dottermaterial kaum von einander
unterscheiden. Auch hier muss man zur Kontrolle das lebende
Objekt untersuchen.
Die Entwickelung des jungen Schwammes aus der Larve wird
am besten mit dem Horizontalmikroskop verfolgt. Daneben sind
Dauerpräparate anzufertigen.
Auf die Einzelheiten der hier angegebenen Manipulationen gehen
wir nicht weiter ein. Die wenigen Bemerkungen werden genügen mit
dem Hinweise, dass man das Übrige aus den Arbeiten Lieberkühns
und Carters, ferner bei Potts, Girod1P), Fiedler und Maas 2%)
ersehen kann. Und endlich probiert jeder, kontrolliert die von
anderen angegebenen Methoden und findet selbst die Mittel und
Wege, mit und auf denen er zum Ziele kommt.
Litteratur.
Ein vollständiges Verzeichnis der Arbeiten über Süsswasser-
schwämme existiert nicht. Man findet Litteratur bis zum Jahre 1842
bei G. Johnston, A history of British Sponges and Lithophytes.
Eine Liste der Arbeiten bis 1852 hat W. Dybowski, Studien über
die Süsswasserschwämme des russischen Reiches in Mem. Acad.
Imp. St. Petersbourg, VII® serie, T. XXX, No. 10 gegeben. Beide
Verzeichnisse sind zwar nicht erschöpfend, aber man kann mit ihnen
weiterarbeiten. Wem die Abhandlung von Dybowski nicht zur Hand
ist, kann sich die Litteratur aus den Verzeichnissen über Spongien-
werke von Bowerbank, A Monograph of the British Spongiadae,
Vol. 4. 1882, dann besonders von G. C. J. Vosmaer, Spongien,
Bronns Klassen und Ordnungen des Tierreichs, II. Bd. 1882—-87,
und von R. v. Lendenfeld, A Monograph of the Horny Sponges.
London 1889, beschaffen. In dem zuletzt genannten Werke findet
man eine vorzügliche Zusammenstellung aller wichtigen Arbeiten
über Spongien. —
Die Litteratur über die grünen Körper der Spongilliden
ersieht man aus K. Brandt, Über die morphologische und physio-
logische Bedeutung des Chlorophylis bei Tieren. Mittlg. Zool. Stat.
Neapel, Bd. 4. 1883. — Wir fügen diesem Verzeichnis noch hinzu:
J. E. Gray, On the Situation and Rank of Sponges in the Scale
of Nature. The Zool. Journ. Vol. I. 1824.
In folgendem geben wir nur ein Verzeichnis der wichtigeren
Werke, welche nach Carters erster Arbeit (1848) erschienen sind.
Die Zahlen vor den Autornamen beziehen sich auf die Verweise
in unserem Texte.
ı) J. S. Bowerbank, Further Report on the Vitality of the
Spongiadae. Rep. 27. Meeting Brit. Assoc. Advanc. Sc. 1857,
p. 121—ı125. London 1858.
2) H. J. Carter, dessen zahlreiche Arbeiten in den Annals
and Magazine of Natural History, London. Vol. I, p. 303—311.
1848. — Vol. 4, p. 81—100. 1849. — Vol. 14, p. 334—335.
1854. — Vol. 17, p. 101— 127. 1856. — Vol. 18, p. 39—45
234 Die Süsswasserschwämme.
1856. — Vol. 20, p. 21—41. 1857. — Vol. 3, p. I—20. 1859. —
Vol. 3, p- 331—343. 1859. — Vol. 14, p. 97—1ııı. 1874. —
Vol. 16, p. I—40. 1875. — Vol. Io, p. 362—372. 1882. —
Vol. 12, p. 329—333. 1883. — Vol. 15, p. 18—20. 1885.
3) W. James Clark, The American Spongilla, a craspedote,
flagellate Infusorian. Americ. Journ. Sc. Vol. 2, p. 426—436. 1871.
4) W. Dybowski, Studien über die Spongien des russischen
Reiches mit besonderer Berücksichtigung der Spongienfauna des
Baikalsees. M&m. Acad. Imper. Sc. St. Petersbourg, VII° serie,
T. 27, No. 6, p. ı—71. 1880.
5) W. Dybowski, Studien über die Süsswasserschwämme des
russischen Reiches. Das., T. 30, No. 10, 26 p. 188.
6) W. Dybowski, dessen Arbeiten in den Sitzungsberichten
der Naturforschenden Gesellschaft zu Dorpat. Bd. 4, 1878, p.
527—534. Vol. 6, 1884, p. 507—515. Vol. 7, 1885—86,
P- 44—45, p. 64—75, p. 137—139, p. 295—298. Ferner im
Zoolog. Anzeig. Jahrg. 7, 1884, p. 470 —480.
7) K. Fiedler, Über Ei und Spermabildung bei Spongilla
fluviatilis. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 47, p-: 85— 128. 1888.
8) W. Ganin, Beiträge zur Kenntniss und Entwickelung der
Spongien. Warschau 1879. 88 p. (Russisch!)
9) P. Girod, Les Eponges des Eaux douces d’Auvergne.
Trav. Labor. Zool. Girod. Clermont-Ferrand. T. ı. ıı p. 1888.
10) P. Girod, Les Spongilles. Leur recherche, leur pr¶tion,
leur determination. Revue scientif. Bourbonnais et du Centre de la
France T.. 2, I19D., 2880,
ı1) Al. Goette, Untersuchungen zur Entwickelungsgeschichte
von Spongilla fluviatilis. Hamburg und Leipzig. 64 p. 1886.
ı2) Fr. Hilgendorf, Zwei Arbeiten in Sitzungsberichte Ges.
Naturf. Fr. Berlin 1882, p. 26. — 1883, p. 87—90.
ı3) @. H. Hinde, On some new Species of Uruguaya, Carter,
with Remarks on the Genus. Ann. Mag. Nat. Hist. Vol. 2, p.
I—1ı2. 1888.
ı4) H. Jackson, On a New Peritrichous Infusorian (Cyclo-
chaeta spongillae). Quart. Journ. Mier. Sc. Vol. 15, No. 5, p.
243—49.' 1875.
ı5) C. Keller, Ueber den Bau von Reniera semitubulosa Ow.
Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 30, p. 503—586. 1878.
ı6) C. Keller, Ueber Spermabildung bei Spongilla. Zool. Anz.
Jahrg. 1, p. 314—315. 1878.
Litteratur. 235
17) E. Ray Lankester, On the Chlorophyll-corpuscles and
amyloid Deposits of Spongilla and Hydra. Quart. Journ. Micr. Sc.
Vol. 22, p. 229—254. 1882.
18) R. v. Lendenfeld, Die Süsswasser-Cölenteraten Australiens.
Zool. Jahrb. Vol. 2, p. 87—1ı08. 1887.
19) R. v. Lendenfeld, Experimentelle Untersuchungen über
die Physiologie der Spongien. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 58, 297 p.
1889 (Referat im Biol. Centralbl. Bd. 10. 1890).
20) N. Lieberkühn, dessen zahlreiche Arbeiten im Archiv für
Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin von Joh. Müller.
1856, p. I—19, p. 399—414, P. 496—514. — 1857, p. 376
bis 403. — 1859, p. 353—382, p. 515529. — 1863, p. 717
bis 730. — 1865, p. 732—748. — 1867, p. 74—86.
2ı) N. Lieberkühn, Ueber Protozoen. Zeitschr. wiss. Zool.
PAS 09307. 310511857.
22) N. Lieberkühn, Ueber Bewegungserscheinungen der Zellen.
Schrift. Ges. Beförd. Gesammt. Naturw. zu Marburg. Vol. 9, p. 335
bis 385. 1872. (Die Arbeit erschien schon 1870.)
23) O0. Maas, Zur Metamorphose der Spongillalarve. Zool.
Anz. Jahrg. 12, p. 483—487. 1889.
24) O0. Maas, Über die Entwicklung des Süsswasserschwamms.
Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 50, p. 527—554. 18090.
25) W. Marshall, Über einige neue von Herrn Pechudl-
Loesche aus dem Congo gesammelte Kieselschwämme. Jenaische
Zeitschr. für Naturw. Vol. 16, p. 553—577. 1883.
26) W. Marshall, Einige vorläufige Bemerkungen über die
Gemmulae der Süsswasserschwämme. Zool. Anz. Jahrg. 6, p. 630
bis 634, p. 648—352.. 1883.
27) W. Marshall, Vorläufige Bemerkungen über die Fort-
pflanzungsverhältnisse von Spongilla lacustris. Sitzungsber. Naturf.
Ges. Leipzig. Jahrg. 1884, p. 22—.29.
28) Ed. v. Martens, Ueber einige Östasiatische Süsswasserthiere.
Arch. f. Nat. Jahrg. 34, Bd..ı, p. 617—64. 1868.
29) E. Metschnikoff, Spongiologische Studien. Zeitschr. wiss.
Zool. Bd. 32, p. 349—387. 1879.
30) F. C. Noll, Beiträge zur Naturgeschichte der Kiesel-
schwämme. .Abh. Senckenb. Nat. Ges. Bd. 15. 58 p. 1888.
31) Fr. Petr, drei Arbeiten in Sitzungsber. kön. böhm. Ges.
Wiss. Prag. Math.-naturw. Klasse. 1885, p. 99—ııı. — 1886,
p. 147—174. — 1887, p. 203—214.
236 Die Süsswasserschwämme: Litteratur,
32) Edw. Potts, Contributions towards a Synopsis of the
American Forms of Freshwater Sponges, with descriptions of those
named by other authors and from all parts of the world. Proceed.
Acad. Nat. Sc. Philadelphia 1887, p. 158—279. (Hauptwerk über
Systematik. Enthält auch die zahlreichen früheren Arbeiten von
demselben Autor; viele interessante Beobachtungen über die Biologie.)
33) W. Retzer, Die deutschen Süsswasserschwämme. Inaug.-
Diss. 30 p. Tübingen 1883.
34) F. Vejdovsky, Die Süsswasserschwäimme Böhmens. Ab-
handl. kön. Akad. Ges. Wiss. Math.-nat. Kl. Prag. Vol. ı2.
44 p. 1883.
35) F. Vejdovsky, drei Arbeiten in Sitzungsber. kön. Böhm.
Ges. Wiss. Nat. Kl. Prag. 1883, p. 328—340. — 1884, p. 167
bis 172. — 1886, p. 175—180.
36) F, Vejdovsky, Einiges über Spongilla glomerata. N. Zool.
Anz. Jahrg. 9, p. 713—15. 1886.
37) F. Vejdovsky, Diagnosis of the European Spongillidae.
Erschien in dem Werk von Potts, No. 30, p. 172—-I8o.
38) @. C. J. Vosmaer, Spongien. Bronns Kl. u. Ordn. d.
Tierreichs. II. Bd. 1882—87. 498 p.
39) M. Weber, Spongillidae. des indischen Archipels. Zool.
Ergebnisse einer Reise in Niederl. Ost-Indien. ı. Heft, p. 30—47.
“ Leiden 1890.
40) M. u. A. Weber, Quelques nouveaux cas de Symbiose.
Das. p. 48—72.
41) W. Weltner, Zwei Arbeiten in Sitzungsber. Ges. Naturf.
Freunde Berlin. 1886, p. 152—157. — 1888, p. 18—.22.
‚..42) A. Wierzejski, Le developpement des Gemmules des
Eponges d’eau douce d’Europe. Arch. Slav. Biol. T. 1, p. 23 bis
47. 1886.
43) A. Wierzejski, Bemerkungen über Süsswasserschwämme.
Zool. Anz. Jahrg. ı0, p. 122—1ı26. 1887.
44) A. Wierzejski, Beitrag zur Kenntnis der Süsswasserschwämme.
Verh. Zool.-bot. Ges. Wien. Jahrg. 1888, Bd. 38, p. 529— 530.
45) John T. Young, On the occurence of a Freshwater
Sponge in the Purbeck Limestone (Spongilla purbeckensis). The
Geolog. Magaz. Vol. 5, p. 220—221. 1878.
Die Strudelwürmer (Turbellaria).
Von Dr. Otto Zacharias in Plön (Holstein).
er
Ze mit den im nächsten Kapitel zu schildernden
Rädertieren (Rotatoria) machen die Turbellarien einen ansehnlichen
Bestandteil der Süsswasserfauna aus, und es dürfte wohl kaum
einen Bach, Fluss, Tümpel oder See geben, worin nicht wenigstens
eine oder die andere Art jener kleinen, abgeplatteten Würmchen
zu finden wäre, deren Körperoberfläche mit einem dichten Wimper-
besatze ausgestattet ist. Die einzelnen Cilien dieser flimmernden
Hautbedeckung wirken wie zahllose winzige Ruder und ermöglichen
es den Tierchen, gewandt und schnell durchs Wasser zu gleiten.
Dabei entsteht in unmittelbarer Nähe derselben ein beständiger
Strudel, der durch eingestreute Karminkörnchen für jedes Auge
sichtbar gemacht werden kann. Wegen dieses eigentümlichen
Nebenumstandes, der mit der Ortsbewegung jener Geschöpfe ver-
knüpft ist, nennt man dieselben „Strudelwürmer‘“ oder Turbellarien
— eine Bezeichnung, die nicht ohne Weiteres verständlich ist.
Um sich derartige Tiere zu verschaffen, braucht man bloss
dem nächstgelegenen Teiche Wasserpflanzen (besonders Fadenalgen
und Meerlinsen) zu entnehmen und dieselben — mit Wasser von
derselben Lokalität übergossen — in geräumigen Glasschalen ruhig
stehen zu lassen. Schon nach einigen Stunden wird man bei
dieser Prozedur *die Wahrnehmung machen, dass zahlreiche Würm-
chen aus dem Pflanzengewirr hervorkommen und nun an den
Wänden der Glasgefässe langsam umherkriechen. Von da können
240 Die Strudelwürmer.
sie leicht mit einem Spatel oder mit Hilfe eines Glasröhrchens
weggenommen werden.
Im allgemeinen sind die stehenden Gewässer reicher an Tur-
bellarien als die fliessenden, und während in manchen Wasser-
ansammlungen nur einige wenige Arten gefunden werden, giebt es
wieder andere, die eine Fülle von verschiedenen Spezies darbieten.
Letzteres ist z. B. der Fall hinsichtlich des kleineren von den beiden
bekannten Hochseen des Riesengebirges; hier habe ich selbst das
Vorkommen von nicht weniger als 19 Turbellarienspezies fest-
gestellt 1), darunter solche, die zu den allerseltensten gehören. Und
dabei ist jener See (im Volksmunde „Kleiner Koppenteich“ genannt)
nur etwa 255 Ar (= Io Morgen) gross.
Alle Strudelwürmer des Süsswassers haben ihren Aufenthalt in
der Uferzone oder auf dem Grunde der Seen und Teiche. Im
freien, pflanzenleeren Wasser findet man sie niemals, mit einziger
Ausnahme von Castrada radıata, einer winzigen, glashell durch-
sichtigen Form, welche eine bedeutende Schwimmfähigkeit besitzt.
Diese Spezies habe ich mehrfach mit dem feinen Netz aus der
Mitte des Müritz-Sees (in Mecklenburg) gefischt.
Was die Jahreszeit anlangt, welche für den Turbellarienfang
am geeignetsten ist, so hat man die Erfahrung gemacht, dass im
Hochsommer weniger Spezies gefunden werden, als im zeitigen
Frühjahr und besonders kurz nach der Schneeschmelze. Diese
Wahrnehmung bestätigt sich nicht bloss bezüglich der Gewässer
des flachen Landes, sondern auch an den Gebirgsseen. Den Grund
für diese Erscheinung hat man höchst wahrscheinlich mit in dem
Umstande zu erblicken, dass während der heissen Sommermonate
der Sauerstoffgehalt der meisten Wasseransammlungen stark ver-
ringert ist, oder vielleicht auch darin, dass die zu jener Zeit leb-
hafter vor sich gehende Zersetzung vegetabilischer Stoffe vielen
Arten verderblich wird.
z
Die Strudelwürmer. 241
Allgemeines.
Bei einem Blicke auf die Turbellarienfauna unserer Gewässer
unterscheidet man sogleich zwei Haupttypen, nämlich einesteils
grössere platte Würmer von I—2 cm Länge, bei denen ein
baumförmig verästelter Darm durch die Haut hindurch wahrnehm-
bar ist, und andernteils kleine (nur wie winzige Fadenfragmente
aussehende) Würmchen, deren Verdauungskanal eine einfach
gestreckte (stabartige) oder sackähnliche Gestalt besitz. Man
unterscheidet demgemäss rhabdocöle
und dendrocöle Strudelwürmer.
Letztere werden ihres abgeflachten
Körpers halber auch „Planarien“ ge-
nannt. Fig. 47 und 48 veranschau-
lichen in schematischer Weise die den
Darmtractus (d) betreffenden Unter-
schiede.e Damit sind aber bei beiden
Hauptabteilungen auch noch andere
Abweichungen im Bau verbunden, die
wir sogleich etwas näher ins Auge
fassen wollen. Fig. 47. Fig. 48.
A. Rhabdocoela.
(Rhabdocoelida, L. v. Graff.)
Wenn man einen zu dieser Gruppe zählenden Strudelwurm
seiner augenfälligsten Beschaffenheit nach skizzieren soll, so kann
das etwa wie folgt geschehen. Ein solches Tier besitzt einen
schlauchförmigen Körper und einen in diesen eingeschlossenen
Behälter (Darm) für Aufnahme und Verdauung der Nahrung. Die
Mundöffnung ist je nach den einzelnen Gattungen bauchständig
(Mesostoma) oder‘ terminal (Vortex). Alle Rhabdocöliden sind
afterlos.. Zwischen Darm und Leibesschlauch liegen die Fort-
pflanzungsorgane, welche ‘einen zwitterartigen Charakter tragen.
Die Begattung ist dieser Einrichtung gemäss stets eine wechsel-
seitige. In manchen Gattungen (Microstoma, Stenostoma) kommt
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 16
ENTE
242 Die Strudelwürmer.
aber neben der geschlechtlichen auch eine ungeschlechtliche Ver-
mehrung vor und letztere bildet mehrfach sogar die Regel. Das
zierliche Meerlinsenkettchen (Catenula lemnae) z. B. pflanzt sich
ganz ausschliesslich auf diese Weise fort.
Zum ‘besseren Verständnis des Geschlechtsapparates der
Rhabdocölen diene die untenstehende Abbildung (Fig. 49), in welcher
die hauptsächlich in Betracht kommenden Teile desselben schema-
tisch dargestellt sind.
Die zentral liegende Geschlechtsöffnung (Ag) führt zunächst in
das Atrium genitale (a), einen erweiterungsfähigen Hohlraum, der
jederseits den Ausführungsgang des Keim-
und Dotterstockes (ks und ds) aufnimmt,
während sich an seinem oberen (resp. vor-
deren) Ende das männliche Zeugungsorgan (P)
inseriert, welches mit den beiden Hoden (A)
in Verbindung steht. Die reife Keimzelle
gelangt nach ihrer Ablösung vom Keimstocke
in jenes Atrium und nimmt hier eine ent-
sprechende Portion Dottermasse in sich auf.
Dann erfolgt die Befruchtung durch ein
anderes hermaphroditisches Individuum der
nämlichen Spezies, welches seinen Penis (/)
Fig. 49.
Schema des Geschlechts durch den Porus genitalis bei fg einführt.
Ir Die Umhüllung des nunmehr entwickelungs-
fähig gewordenen Eies mit einer schützenden Chitinschale — zu
welcher das Material von besonderen Drüsen oder vom Zellenbelag
der Atriumwand geliefert wird — bildet den Schluss zu diesen
Vorgängen.
Die geschilderten Verhältnisse finden wir indessen nur bei
den höchstorganisierten Rhabdocöliden-Familien (bei Mesostomiden,
Vorticiden u. s. w.), während z. B. die einfacher gebauten Macro-
stomiden (Fig. 52 S. 256) der gesonderten Dotterstöcke ermangeln
und lediglich Ovarien besitzen. An letzteren zeigt aber der
untere Abschnitt die merkwürdige Eigenschaft, Dotterkörnchen
produzieren zu können, sodass die heranreifenden Keimzellen jenes
Die Strudelwürmer. 243
Sekret aus ihrer unmittelbaren Umgebung zu beziehen und sich
auf Kosten desselben zu vergrössern im stande sind.
Zwischen diesem primitiven Verhalten und dem Geschlechts-
apparate mit vollständig getrennten Keim- und Dotterstöcken ver-
mittelt der bei Prorhynchus stagnalıs vorliegende Fall, wo sich
die einheitliche Eierstocksdrüse in zwei verschieden funktionierende
Abschnitte differenziert hat, von denen der eine bloss Keimzellen,
der andere nur Dotterflüssigkeit sezerniert. Durch räumliche
Sonderung jener beiden Drüsenhälften, also durch eine allmählich
eingetretene Arbeitsteilung zwischen denselben, haben wir uns die
zuerst beschriebene und in Fig. 49 dargestellte Einrichtung hervor-
gegangen zu denken.
Bei der Mehrzahl der Rhabdocöliden besteht eine Duplizität
der weiblichen Geschlechtsdrüsen;, doch giebt es auch einige
Gattungen (Vortex, Mesostoma, Gyrator), bei denen sie nur ın
einfacher Anzahl erscheinen. Eine Reduktion der männlichen
Drüsen ist seltener zu konstatieren, doch kommt sie gleichfalls bei
Gyrator und noch einigen anderen Gattungen vor.
Zur genaueren Orientierung über den Bau der Turbellarien ist
es erforderlich, dass wir nach Betrachtung der Generationsorgane
nun auch den ungegliederten, weichen Körper und den Verdauungs-
apparat derselben einer näheren Analyse unterziehen. Ersterer
besteht, wenn wir bei unserer Untersuchung von innen nach aussen
gehen, aus einem mächtig entwickelten Hautmuskelschlauche,
dessen Zusammensetzung aus Längs- und Querfasern, welche
parallel und unmittelbar an einander liegen, schon den älteren
Forschern bekannt war. Jene Fasern besitzen bei 0.0005 bis 0.002 mm
Breite eine oft sehr bedeutende Länge; wenigstens lassen sich an
Zupfpräparaten nicht selten Fragmente von 0.; bis 0.9 mm isolieren.
Ihrer sonstigen Beschaffenheit nach sind sie homogen, stark licht-
brechend, glatt und kernlos.. Je nach den einzelnen Arten und
Gattungen weist der Hautmuskelschlauch eine verschiedene An-
ordnung seiner Elemente auf. Bei manchen Spezies liegen die
Längsfasern zu innerst und werden von einer äusseren Ringfaser-
schicht umgeben. Dies ist z. B. der Fall bei Mesostoma Zhrenber gu.
16*
en a.
77
244 Die Strudelwürmer.
Bei einer nahe verwandten Art (Mesostoma lingua) befindet sich
zwischen beiden Schichten noch eine solche aus Diagonalfasern,
und bei Microstoma lineare ist die Zusammensetzung des Muskel-
netzes gerade umgekehrt, nämlich so, dass die Längsfasern die
äussere, die Ringfasern die innere Schicht bilden. Auf diesen
(seiner Gestalt nach sehr veränderungsfähigen) Muskelschlauch folgt
die sogenannte Basalmembran, ein gallertartiges Häutchen von
feinkörniger Struktur, welches dem Turbellarienkörper Festigkeit
verleiht und zugleich dem darüber liegenden Epithel zur Unter-
lage dient.
Letzteres besteht aus einer einfachen Zellenlage, deren einzelne
Elemente durch eine Kittsubstanz mit einander verbunden sind.
Zwischen ganz flachen Epithelzellen und hohen cylindrischen
existieren bei den verschiedenen Spezies alle möglichen Übergänge.
Jede solche Zelle besitzt, je nach ihrer Gestalt, einen scheiben-
oder spindelförmigen Kern und mehrere feine Protoplasmafortsätze
(Cilien), die in ihrer Gesamtheit das charakteristische Wimperkleid
darstellen, womit die Körperoberfläche aller Strudelwürmer bedeckt
ist. Bei manchen Spezies lässt sich über dem Epithel noch eine
äusserst feine Kutikula nachweisen, welche mit zahllosen winzigen
Öffnungen für den Durchtritt der Cilien versehen ist. ‘Mit Hilfe
einer einprozentigen Höllensteinlösung habe ich dieses äusserst zarte
Gebilde an frischen Exemplaren von Macrostoma viride, Microstoma
Iineare und Stenostoma leucops deutlich sichtbar gemacht. Man
lässt zu diesem Zwecke einen einzigen Tropfen jener Flüssigkeit
unter das Deckglas laufen und kann dann unterm Mikroskop wahr-
nehmen, wie sich jenes glashelle, doppelt contourierte Häutchen
auf einzelnen Strecken oder auch im ganzen Umkreise des Wurmes
binnen wenigen Minuten abhebt. Bei der zuletzt genannten Art
geschieht die Loslösung so schnell, dass zur Herstellung des be-
treffenden Präparates oft nur einige Sekunden erforderlich sind.
Ausser den Cilien kommen bei gewissen Gattungen von
Rhabdocöliden auch noch längere, borstenähnliche Epithel-
fortsätze vor, die vielfach zitternde oder schwingende Bewegungen
ausführen. Bei Macrostoma virıde (Fig. 52) sind diese „Geissel-
Die Strudelwürmer. 245
haare“ über den ganzen Körper verbreitet; die längsten stehen
aber am vorderen und hinteren Ende des Tierchens. Das Gleiche
sehen wir bei Macrostoma hystrix und anderen Vertretern des-
selben Genus. Auch bei der von E. Sekera neuerdings beschrie-
benen Bothrioplana alacrıs?) finden wir (am vorderen Saume des
Kopfes) starre Borsten, die — wie es den Anschein hat — zur
Vermittelung von Tastempfindungen dienen.
Als eigentümliche Einlagerungen treten in der Haut bei fast
allen Strudelwürmern des Süsswassers ausserordentlich winzige
Stäbchen (Rhabditen) auf, welche — zu kleinen Paketen oder
Bündeln vereinigt — sich über die gesamte Leibesoberfläche ver-
teilen. Ihre Entstehung nehmen diese bald nadel-, bald keulen-
förmigen Gebilde in besonderen Zellen, die dem zwischen Darm
und Hautmuskelschlauch sich ausspannenden Bindegewebe, welches
als Parenchym bezeichnet wird, angehören. Von hier aus rücken
die Stäbchen auf eine noch nicht hinlänglich festgestellte Weise bis
zum Epithel vor und dringen in die Zellen desselben ein, wo sie
dauernd verbleiben. Bei manchen Rhabdocöliden ist auch das
Parenchym selbst mit zahlreichen Rhabditen durchsetzt, und sie
bilden dann im Innern desselben ganze Reihen oder Strassen, die
gewöhnlich im Vorderende der betreffenden Tiere zusammenlaufen.
Das sieht man deutlich bei mehreren Mesostomiden, z. B. bei
M. rostratum und M. vırıdatum.
Eine mikroskopische Analyse des Parenchyms ergiebt, dass
dasselbe aus Muskelfasern, Bindegewebssträngen und mehrfach ver-
ästelten Zellen besteht, die gleichfalls bindegewebiger Natur sind.
Erst durch die Methode der Schnittserien war es möglich, die
einzelnen Bestandteile des Parenchyms festzustellen und ein Lücken-
system innerhalb desselben nachzuweisen, welches von einer farb-
losen, blutartigen Flüssigkeit erfüllt ist. Diese besitzt aber keine
selbständige Zirkulation, sondern wird lediglich durch die Kontrak-
tionen des Hautmuskelschlauchs gelegentlich in Bewegung versetzt.
Sehr häufig sind die Fasern des Parenchymgewebes mit
Pigmentkörnchen durchsetzt, und es kommt dann das zu stande,
was v. Graff3) sehr passend „reticuläre Pigmentierung“ genannt
246 Die Strudelwürmer.
hat. Hiervon rührt die dunklere Färbung der Rückenfläche bei
manchen Rhabdocölen her, die niemals in den epithelialen Zellen
ihren Sitz hat — obwohl dies bei flüchtiger Ansicht so scheinen
könnte.
Im Parenchym ist auch das Gehirnganglion der Turbellarien
gelegen oder, richtiger gesagt, es ist in dieses Gewebe meistenteils
vollständig. eingebettet. Seinem feineren Baue nach besteht das-
selbe aus einer Anhäufung von feinkörniger oder zartfaseriger
Substanz und einer Rinde von Ganglienzellen mit runden oder
auch ovalen Kernen. Zwei Längsnervenstämme, die vom Gehirn
abgehen und zu beiden Körperseiten verlaufen, sind bei zahlreichen
Rhabdocölen nachgewiesen; bei einigen Spezies hat man auch
mehrfache Kommissuren, welche die Hauptstämme mit einander
verbinden, vorgefunden.
Hinsichtlich des Parenchyms ist noch zu bemerken, dass es
bei den verschiedenen Gattungen in mehr oder minder starker
Entwickelung angetroffen wird. Wir kennen Formen, deren Leibes-
höhlung so gut wie frei von parenchymatösen Muskeln und Binde-
gewebsbalken ist, während andere wieder das gerade Gegenteil
solchen Verhaltens darbieten.
Was nun schliesslich den Verdauungsapparat der Rhabdo-
cölen anlangt, so besteht derselbe aus Schlund (Pharynx) und
Darm. Letzterer ist nach dem Parenchym zu entweder durch
eine bindegewebige Scheide abgegrenzt, oder er besitzt eine Muskel-
ausstattung, an welcher wir — wie beim Hautschlauche — Längs-
und Ringfasern unterscheiden können. Das Darmlumen ist mit
einem kontinuierlichen Epithelbelag ausgestattet, dessen Zellen
membranlos sind, und die an ihrer Basis rundliche, resp. ovale
Kerne besitzen. Gewöhnlich ist dieses Epithel an der unteren
(ventralen) Seite des Darmes etwas höher als an der oberen. Die
einzelnen Zellen desselben erscheinen häufig an ihrem freien Ende
keulig verdickt und mit zahlreichen Fetttröpfchen erfüllt. Was die
Verdauung und Assimilation der in den Darm aufgenommenen
Nahrungsobjekte anlangt, so scheinen die grösseren Epithelzellen
kleine organische Partikelchen direkt in sich aufnehmen zu können,
Die Strudelwürmer. 247
indem sie dieselben nach Art der Rhizopoden (vergl. Kapitel 3)
mit ihrem. Protoplasmaleibe umfliessen. Es fände demnach in
diesem Falle eine sogenannte „intracelluläre Verdauung“ statt. Diese
Ansicht wird durch darauf bezügliche Experimente von Isao
Ijima (jetzt Professor an der Universität Tokio) zu fast voll-
kommener Gewissheit erhoben. Dr. Ijima fütterte Planarien mit
dem Dotter von Hühnereiern und fand bald darauf die gefressenen
Dotterkugeln überall in den Zellen der Darmverzweigungen seiner
Versuchs-Dendrocölen wieder. Auch entdeckte derselbe Forscher,
dass der Darmkanal bei Dendrocoelum lacteum, welcher so deut-
lich durch die Haut sichtbar ist, seine schwärzliche Beschaffenheit
von kleinen Schlammteilchen erhält, welche eingeschlürft und in
die Epithelzellen mit aufgenommen worden sind). Was in diesem
Bezug für die Planarien experimentell erwiesen ist, darf ohne
Zweifel auch für die Rhabdocöliden als gültig angesehen werden,
zumal Krukenberg auch an mehreren Zoophyten die Aufnahme
von Fremdkörpern durch die Entodermzellen konstatiert hat.
Zum Ergreifen oder Einschlürfen der Nahrung besitzen alle
Turbellarien ein dickmuskulöses, kompliziert gebautes Organ, den
Schlund (Pharynx), welcher entweder die Gestalt eines stark-
wandigen Rohres oder diejenige eines zwiebelartigen Bulbus hat.
Die übergrosse Mehrzahl der Rhabdocölen ist mit einem Pharynx
bulbosus ausgestattet, der bei den Mesostomiden eine plattgedrückte
kugelige Form zeigt und sich, von oben her gesehen, wie eine
Rosette ausnimmt. Das ist der sogenannte Pharynx rosulatus.
Seine Achse steht stets senkrecht auf der Längsachse des Körpers.
Eine Modifikation desselben ist der allen Vorticiden zukommende
tonnenförmige Schlund (Pharynx doliformis). In seinem feinen
Bau ist er dem vorigen sehr ähnlich, aber doch auch leicht wieder
von ihm zu unterscheiden, weil er im ganzen eine stärker ent-
wickelte Muskulatur besitzt. Ausserdem ist seine Achse der
Körperachse immer parallel, oder doch nur wenig gegen dieselbe
geneigt. Mit seiner Spitze ist das Schlundtönnchen in den weit-
aus meisten Fällen dem Vorderende des Wurmleibes zugekehrt.
Hierzu kommt noch der Pharynx varıabılıs, dessen Merkmal eine
248 Die Strudelwürmer.
grosse Fähigkeit zu Gestaltveränderungen ist, insofern er mannig-
fache Windungen und Krümmungen auszuführen vermag und ausser-
dem weit hervorgestülpt werden .kann. Einen derartigen Schlund
finden wir bei dem merkwürdigen //agiostoma Lemani, einer
Rhabdocöle von marinem Habitus, die aber im Süsswasser lebt
und von Prof. F. A. Forel zuerst im Genfersee entdeckt wurde.
In der Familie der Monotiden, welche gleichfalls nur einen einzigen
Vertreter im salzfreien Wasser hat*), begegnet uns eine Schlund-
form, die als Pharynx plicatus bezeichnet wird. Der hauptsächlichste
Unterschied zwischen dieser und den anderen Pharyngealformen
besteht darin, dass bei ihr der zwischen innerer und äusserer
Muskelschicht gelegene Raum in offener Verbindung mit der Leibes-
höhle steht, und nicht — wie beim Ph. bulbosus — gegen letztere
abgeschlossen ist. Der Monotidenschlund stellt demnach eine blosse
Ringfalte der Körperhaut dar, die indessen eine grosse Beweglich-
keit zeigt und sich in überraschender Weise rüsselartig ver-
längern kann.
Zuletzt müssen wir auch noch des Wassergefässsystems
gedenken, welches in Gestalt eines zarten Röhrennetzes mit zwei
stärkeren Hauptstämmen den Turbellarienkörper vom vordern bis
zum hintern Ende durchzieht. Die einzelnen Verästelungen des-
selben zu verfolgen ist mit mannigfaltigen Schwierigkeiten verknüpft,
und daraus erklärt es sich, dass wir bei manchen Spezies noch
sehr wenig über den Gesamtverlauf dieser Röhrenleitung wissen.
Ihrer physiologischen Bedeutung nach stellt sie höchst wahrschein-
lich ein Ausscheidungsorgan dar, welches verbrauchte Stoffe auf-
nimmt und ansammelt, um dieselben durch die Öffnungen, mit
denen die Hauptstämme an der Körperoberfläche ausmünden,
fortzuschaffen. Als Ausnahme finden wir bei sämtlichen Arten
der Gattung Stenostoma anstatt zweier nur einen einzigen
Hauptstamm, welcher in der Nähe des hinteren Körperendes
sich öffnet.
*) Es ist dies der von mir ı884 in den Koppenteichen des Riesengebirges auf-
gefundene Monofus lacustris. Z.
Die Strudelwürmer. i 249
B. Dendrocoela.
(Dendrocoelida, L. v. Graff.)
Die vorstehend gegebene Orientierung über die Grundzüge
der Rhabdocöliden-Organisation hat im wesentlichen auch für die
grösseren Turbellarien mit dreizipfeligem und baumförmig ver-
zweigtem Darm Gültigkeit. Dieselben besitzen gleichfalls einen
Hautmuskelschlauch und eine Basalmembran mit einer darüber
befindlichen Lage von flimmernden Epithelzellen. Letztere sind
indessen nicht platt, sondern hoch cylindrisch gestaltet; in ihrem
Innern enthalten sie aber genau solche Stäbchen, wie wir sie bei
den Rhabdocölen antreffen. Ebenso ist bei unseren Süsswasser-
dendrocölen (Tricladen) der Raum zwischen der Hautmuskulatur
und dem Darmkanal mit seinen Ausbuchtungen von einem lockeren
Bindegewebe und von zahlreichen (dorsoventral und quer sich aus-
spannenden) Parenchymmuskelfasern erfüllt. Dazu kommt noch das
Vorhandensein eines reichmaschigen Wassergefässsystems, der Besitz
eines Gehirnganglions mit davon ausstrahlenden Seitennerven und
ein hermaphroditischer Geschlechtsapparat, der aus Keim- und
Dotterstock, blasigen Hoden, sowie einem zapfenförmigen Be-
gattungsorgan besteht. Eine ausgebildete Leibeshöhle, wie sie bei
vielen Rhabdocöliden gefunden wird, existiert bei den Tricladen
nicht, sodass man es sich erklären kann, wenn die älteren Zoologen
zur Bezeichnung eines solchen Thatbestandes auf den Ausdruck
„parenchymatöse Würmer“ verfielen.
Das Darmepithel hat bei denselben genau die nämliche Be-
schaffenheit wie bei den stabdarmigen Turbellarien. Die Zellen
desselben sind langgestreckt, nackt und häufig birnförmig ver-
dickt. Jede besitzt einen rundlichen Kern, der am basalen Ende
liegt. Den gleichen Verhältnissen begegneten wir bei den Rhabdo-
cöliden. Hinsichtlich des Schlundes stimmen die Planarien fast ganz
genau mit den Monotiden überein, die, wie bereits erwähnt wurde,
einen Pharynx plicatus besitzen. Über den feineren Bau desselben
findet man ausführliche Angaben in L. v. Graffs Rhabdocöliden-
Monographie (S. 87 und 88).
Ne TEE
\ ER
250 Die Strudelwürmer.
Wenn die Planarien fressen, so stülpen sie ihren Pharynx oft
bis zu einer erstaunlichen Länge aus dem Munde hervor. Er
führt dabei wurmförmige Bewegungen aus, als wenn er die geeignet-
sten Nahrungsobjekte aussuchen wollte. Dabei erweitert sich sein
freies Ende gewöhnlich trompetenartig, sodass auch grössere Beute-
tiere (Crustaceen, Insektenlarven z. B.) ergriffen und verschluckt
werden können. Trennt man den hervorgestreckten Tricladenrüssel
durch einen Scherenschnitt an seiner Wurzel ab, so fährt derselbe
— wenn er feucht gehalten wird — oft noch mehrere Stunden
lang mit seinen Gestaltveränderungen fort. Diese Lebenszähigkeit
erklärt sich hinlänglich durch die reichliche Innervation des in
Rede stehenden Organs, über welche wir durch Ijimas Unter-
suchungen Aufschluss erhalten haben. Etwa zwischen der äusseren
Ringfaserschicht des Pharynx und den Ausführungsgängen der
Speicheldrüsen sind die Nerven zu einem Plexus verbunden, der
gegen das freie Ende hin eine beträchtliche Anschwellung aufweist.
An dem nicht minder zählebigen Rüssel des Süsswasser-Monotus
(Monotus lacustris) ist von M. Braun und mir die Anwesenheit
eines dicken Ringes von Nervenfasern festgestellt worden, der auf
Quer- und Längsschnitten in der Mitte des Pharynx zum Vorschein
kommt und einen deutlichen Zusammenhang mit den ventralen
Längsnerven erkennen lässt.
Sinnesnerven, die vom Gehirn aus zu den mehr oder
minder lappenartigen Seitenteilen des Kopfes laufen, sind, wie bei
den Rhabdocölen, so auch bei den Tricladen nachgewiesen. Eben-
so besitzt die Mehrzahl unserer Planarien Sehorgane (Augen),
die entweder zu zweien auf der dorsalen Fläche des Kopfes stehen,
oder in grösserer Anzahl (40—60) den Rand des ganzen vorderen
Körperteiles umsäumen (Polycelis).
Die Planarien produzieren nach stattgehabter (wechselseitiger?)
Befruchtung‘ Eier, die zu 30—40 Stück in ein kugeliges oder
elliptisches Cocon eingeschlossen sind. Letzteres wird mittels eines
weisslichen Sekretes an Wasserpflanzen befestigt. Und zwar ge-
schieht dies schon sehr früh im Jahre, etwa im Februar oder März.
Der Inhalt des Cocons besteht aus einer Flüssigkeit, in der sich eine
Die Strudelwürmer. 251
grosse Menge von Dotterzellen (über 10000 sind gezählt worden)
befinden, dazwischen ist aber nur die oben angeführte Anzahl von
Eiern sichtbar. Diese letzteren sind nackte Zellen von geringerer
Grösse als die Dotterelemente; sie haben nur 0.035 bis 0.044 mm
im Durchmesser. — Über die Embryonalentwickelung der Süss-
wasserdendrocölen besitzen wir ausser Dr. J. Ijimas Beobachtungen
an Dendrocoelum lacteum noch eine neuere Arbeit des französischen
Zoologen Paul Hallez, die sehr ausführliche Angaben und zahl-
reiche erläuternde Tafeln enthält 5).
Neben der geschlechtlichen Fortpflanzung kommt bei einigen
Planarien auch eine ungeschlechtliche durch Querteilung vor.
Ich habe diese vielfach in Zweifel gezogene Thatsache 1885 an
Planaria subtentaculata Duges (aus einem Bache bei Hirschberg
i. Schl.) mit Sicherheit festgestellt und seinerzeit detailliert be-
schrieben 6). Der Hauptsache nach verläuft jener Vorgang folgender-
massen. Zuerst zeigt sich am Beginn des hinteren Leibesdrittels
(und zwar immer dicht hinter dem Eingang zur Rüsseltasche) eine
seichte Einschnürung, welche von Tag zu Tag Fortschritte macht.
Während dieser Zeit liegen die Tiere oft stundenlang ganz still.
Nach drei bis vier Tagen bereits kann man mit der Lupe die
ziemlich perfekt gewordene Querteilung konstatieren. Die Ab-
trennung des Tochtersprosses von der Mutter erfolgt nunmehr
unter ganz eigentümlichen Umständen. Merkwürdigerweise nämlich
löst sich derselbe erst in seiner mittleren Partie von letzterer ab,
während er zu beiden Seiten damit noch in Verbindung bleibt.
Hat sich das Tochterteilstück definitiv abgetrennt, so bemerkt man
am Vorderende desselben ein kleines, pigmentfreies Zäpfchen: den
sich neu bildenden Kopf. Nach Verlauf von 24 Stunden unter-
scheidet man schon Augenpunkte an demselben. Demnächst bildet
sich auch eine neue Rüsselhöhle und ein neuer Pharynx aus,
sodass das durch Teilung des Mutter-Individuums entstandene Tier
keinerlei Organisationsmängel zeigt. Diese Teilungserscheinungen
waren aber nur während der warmen Sommermonate zu beobachten
und bemerkenswert ist dabei, dass an den sich so fortpflanzenden
Exemplaren keine Spur von Geschlechtswerkzeugen zu entdecken
nn
252 Die Strudelwürmer.
war. Der nämliche Vorgang ist unlängst auch an einer anderen
Dendrocöle (Planaria albıssima Vejd.) von Dr. E. Sekera
beobachtet worden, sodass die älteren Angaben von Dalyell und
Duges, welche früher schon über Querteilung bei Planarien
berichtet haben, nunmehr bestätigt sind.
Zu den am meisten in unseren Gewässern verbreiteten Planarien
gehören ausser dem milchweissen Dendrocoelum lacteum Oerst.,
Polycelis nigra ‘OÖ. Fr. Müller, Planaria polychroa O©. Schm. und
Pl. lugubris. Eine der grössten einheimischen Planarien ist das
von Dr. W. Weltner im Tegelsee bei Berlin und später auch
in der Spree aufgefundene Dendrocoelum punctatum Pallas, welches
im ausgestreckten Zustande eine Länge von 3—4 cm erreicht).
Alle diese Tiere sind in Grösse, Gestalt und Färbung ziemlich
variabel, und deshalb genügen solche äussere Merkmale bei der
Artbestimmung nicht. Hierzu müssen vielmehr die sehr form-
beständigen Geschlechtsorgane verwendet werden, deren Analyse
freilich in manchen Fällen ebenso zeitraubend wie schwierig ist.
Nur auf diesem Wege, der zuerst von Oscar Schmidt betreten
wurde, gelangt man zu einer sicheren Identifizierung der Spezies.
Bei einer allgemeinen Orientierung, wie sie hier bezweckt wird,
darf schliesslich auch der Hinweis auf das Vorkommen von Land-
planarien nicht fehlen. Und zwar kennen wir derartige Würmer
nicht bloss aus tropischen Ländern, sondern auch als Mitglieder
der einheimischen Fauna. Wir finden dieselben bei einiger Acht-
samkeit unter Holzscheiten, die im Walde lagern, zwischen feuchtem
Moos und an der Unterseite von Hutpilzen. Bis vor kurzem war
nur eine einzige einheimische Art bekannt, nämlich Rhynchodesmus
terrestris OÖ. Fr. Müller. Die grössten Exemplare sind 2—2.5 cm
lang und von schwarzer Färbung; die Rückenseite ist stark gewölbt,
die Bauchfläche hingegen zu einer Kriechsohle ausgebildet. In
ihren Bewegungen sind die Tiere sehr träge, und wie es scheint,
lieben sie kühle und schattige Aufenthaltsorte®). Dr. J. v. Kennel
fand Exemplare von Rhynchodesmus in der Umgebung von Würzburg
(unter Steinen), Dr. H. Simroth mehrere in den Wäldern bei
Leipzig, und ich welche in der Nähe von Hirschberg in Schlesien.
Die Strudelwürmer. 253
Unterirdisch lebend, d. h. im feuchten Erdreich sich auf-
haltend, ist 1887 von Fr. Vejdovsky eine zweite einheimische
Landplanarie entdeckt worden, welche einer ganz neuen Gattung
angehört. Sie ist nur 4—5 mm gross und etwa O5 mm breit.
Der genannte Prager Forscher fand sie in einem Erdhaufen bei
Bechlin in Böhmen, den er eines anderen wissenschaftlichen Zweckes
wegen durchsuchte. Das betreffende Tierchen (Microplana humicola)
ist vollkommen durchsichtig, ermangelt der Kopflappen und besitzt
nur auf der Bauchseite eine Cilienbekleidung. Ihrem un-
gefähren Aussehen nach ist sie in Fig. 50 wiedergegeben.
Das Nähere darüber muss man aus der darauf bezüg-
lichen Abhandlung Prof. Vejdovskys ersehen 9).
Um .endlich noch der Verwandtschaft von
Dendrocölen und Rhabdocölen ein Wort zu
widmen, so verdient Erwähnung: dass wir in dem von
Prof. M. Braun (1880) begründeten Genus Bothrio-
plana ein interessantes Verbindungsglied zwischen jenen
beiden Unterabteilungen kennen gelernt haben. Es
handelt sich dabei um Tiere, die in der Form des
Darmes und im Bau ihres Schlundes eine fast voll-
ständige Übereinstimmung mit den Dendrocölen be-
kunden, während sie durch mehrere andere Merkmale
(Mangel der Stäbchenstrassen, Anordnung der Rhabditen Fig. 50.
Microplana
humıcola.
zu Paketen, Besitz von Wimpergrübchen an den Kopf-
seiten) an die Rhabdocölen erinnern 10. Braun fand
von diesen Turbellarien zwei Spezies in Dorpater Brunnenschächten,
und ich habe später (1886) deren noch zwei aus dem Kleinen
Koppenteiche des Riesengebirges gefischt 11). Ein Habitusbild der
einen Art, die ich 2. silesiaca genannt habe, ist in Fig. 5ı S. 254
gegeben. Es ist ein augenloses Tierchen von 2.5 mm Länge, an
welchem sofort das verbreiterte Kopfende auffällt. Mit diesem wühlt
es unruhig suchend beständig in dem feinen Mud umher, worin es
sich aufhält. Überhaupt sind diese Bothrioplanen durch äusserst
hastige Bewegungen charakterisiert, die, im schroffen Gegensatz zu
dem ruhigen Dahingleiten der gewöhnlichen Planarien stehen. Die
254 Die Strudelwürmer.
Hautfarbe der kleinen Würmchen ist weiss oder hellgrau. Der
Darm schimmert von innen her bräunlich durch. Die gesamte
Körperoberfläche ist mit Cilien bedeckt und überall sieht man im
Epithel Stäbchenpakete, welche. aus je drei Rhabditen bestehen.
Gelegentlich treten am Hinterende gewisse Haftorgane (Klebzellen)
hervor, wie sie bei vielen Rhabdocölen beobachtet werden. Der
hintere Körpersaum ist jederseits mit einzelnen steifen Borsten
besetzt, während das vordere Ende frei davon ist und nur die gewöhn-
lichen kurzen Cilien trägt. Mit etwas längeren Wimpern
scheinen die beiden Wimpergruben (wg) zu beiden
Seiten des Kopfes ausgestattet zu sein. Der Ver-
dauungskanal hat, wie unsere Figur zeigt, eine ge-
streckt-ringförmige Gestalt, und hiervon lässt sich die
dreigabelige Beschaffenheit des Dendrocölen-Darmes
ungezwungen ableiten, wenn wir annehmen, dass
die stärkere Entwickelung des Schlundes bei den
Tricladen den Anstoss zu einer Kontinuitätstrennung
in der unteren Ringhälfte gab. Dadurch entstanden
naturgemäss die beiden hinteren Darmschenkel der
Planarien, und es wurde Raum zur Unterbringung
des mächtigen Pharynx dieser Würmer geschaffen.
Entschieden unterstützt wird diese zuerst von
M. Braun geäusserte Ansicht durch die Lage
Fig. 51.
Bothrioplana des Schlundes unmittelbar hinter der Gabelungs-
sılesiaca.
stelle, und auch dadurch, dass derselbe von hier
aus ein ansehnliches Stück zwischen die beiden in Frage kommen-
den Darmäste hineinragt.
Das Gehirn (c) liegt bei Bothrioplana sılesiaca in der hals-
artigen Einschnürung, mit welcher sich der breitere Kopfteil vom
übrigen Körper absetzt. Die zweite von mir im Kleinen Koppen-
teich aufgefundene Spezies (B. Brauni) des nämlichen Genus
ähnelt in der Form ihres Gehirnganglions und im Verlauf der
Exkretionsgefässe den Rhabdocölen noch mehr als die erst-
beschriebene Art. Ihr fehlen auch die Wimpergrübchen, und die
Stäbchenpakete enthalten bei ihr eine grössere Anzahl (4—5)
Die Strudelwürmer. 255
Rhabditen. Jedes einzelne dieser Pakete macht den Eindruck, als
habe es eine leichte schraubenförmige Drehung um seine Längs-
achse erfahren. Der Kopfteil ist bei dieser und auch bei der vorigen
Spezies fast vollkommen rhabditenfrei.
Durch diese Tiere wird, wie schon gesagt, die sonst zwischen
Rhabdocölen und Dendrocölen bestehende Kluft überbrückt, und
deshalb haben wir es in denselben mit recht interessanten Über-
gangsformen zu thun, die des näheren Studiums wohl wert sind.
Hinsichtlich der Geschlechtswerkzeuge ist bis jetzt festgestellt, dass
die Keim- und Dotterstöcke paarig sind, und dass auf jeder Seite
eine Doppelreihe von Hodenbläschen im mittlern Teile des Körpers
vorhanden ist. Diese und die vorstehend berichteten Befunde
rechtfertigen es, dass wir die Bothrioplanen als niederstes Genus den
Tricladen anschliessen, wiewohl anderseits nicht zu verkennen ist, dass
sie in mehrfacher Hinsicht mit den Rhabdocölen übereinstimmen.
Kurze Beschreibung einiger Rhabdocöliden-
Spezies.
Für den Zweck dieses Kapitels, welcher darin besteht, den Leser
in die Turbellarienfauna des Süsswassers einzuführen, empfiehlt es sich
nun, auf die vorhergegangene allgemeine Orientierung eine Schilderung
der am häufigsten vorkommenden Gattungen folgen zu lassen. Dies
kann am besten durch die Vorführung einzelner Spezies geschehen,
und hierbei werden wir Gelegenheit haben, noch einige Punkte nach-
zutragen, die wir bei Beschreibung der generellen Organisationsverhält-
nisse nur flüchtig berühren konnten oder ganz übergehen mussten.
Fahndet man in unseren Gewässern auf Turbellarien, so besteht
das Fangergebnis am häufigsten aus Arten, welche den Gattungen
Macrostoma, Microstoma, Stenostoma, Mesostoma und Vortex an-
gehören. Aus diesen greifen wir daher je einen Vertreter heraus
und unterwerfen ihn einer etwas eingehenderen Schilderung.
Macrostoma virıde E. v. Ben.
Dies ist ein etwa 2 mm grosses Tierchen, an dem man schon
bei Lupenbesichtigung den grünlich oder gelb gefärbten Darm
Eu... > die uZ
:s = FE
256 x Die Strudelwürmer.
erkennt. Bei stärkerer Vergrösserung (Fig. 52) entdecken wir sofort
ein abgerundetes Vorderende und einen spatelartig geformten
Schwanzteil, der reichlich mit Stäbchenpaketen gespickt ist, die
zumteil über die Haut hervorragen. Auch der übrige Körper
ist mit solchen Rhabditenbündeln versehen, aber nicht in dem
Masse wie das Kopf- und Hinterende. Die Stäbchen liegen in sehr
verschiedener Anzahl (zu 2—5 Stück) bei-
sammen und haben eine keulenförmige
Gestalt. Die Flimmerhaare der Epithel-
zellen sind sehr fein und kurz; dazwischen
stehen aber lange Geisselborsten, die sich
über die ganze Oberfläche des Tieres ver-
breiten. Im Übrigen bietet die Organisation
der Macrostomiden mancherlei primitive
Verhältnisse dar. Sie besitzen ein ganz
einfaches Schlundrohr, welches die schlitz-
förmige Mundöffnung (m) mit dem Darm-
sack (d} verbindet. Das Gehirn (g) er-
scheint lediglich als eine Bogenkommissur
der beiden Längsnervenstämme, und unter-
scheidet sich in Form und Masse nicht
viel von diesen. Dasselbe trägt indessen
hochentwickelte Sehorgane, die mit einer
stark gewölbten Linse ausgestattet sind. Die
Höhlung des Darmkanals ist durchweg mit
Cilien besetzt, deren Länge etwa der
Höhe der Epithelzellen gleichkommt, denen
sie aufsitzen. Zu beiden Seiten des Darms
N liegen die kompakten kegelförmigen Hoden
(h) und dicht dahinter die paarigen Ova-
rien (ov). Bei / sehen wir den Penis, der bei allen Arten der
Gattung Macrostoma mit einem chitinösen Ansatze versehen ist.
Bei der in Rede stehenden Spezies ist letzterer S-förmig, aber so,
dass die beiden Krümmungen nicht in einer Ebene liegen. Fig. 53
stellt diese Penis-Armatur bei sehr starker Vergrösserung dar.
Die Strudelwürmer.
257
Was das Wassergefässsystem anlangt, so kann man sich bei
M. virıde die zwei seitlichen Hauptstämme leicht zur Ansicht bringen.
Es scheint, dass sich dieselben oberhalb des Mundes vereinigen und
noch einige kleine. Verästelungen nach dem Vorderende hinschicken.
Die Macrostomiden gehören zu den
Rhabdocölen mit zwei Geschlechtsöffnungen,
einer männlichen und einer weiblichen. Die
erstere liegt im verbreiterten Hinterteile,
die andere in der ungefähren Höhe der
Ovarien; beide natürlich auf der Bauchseite.
Bei Macrostoma virıde konnte ich auch
einige Beobachtungen über die Sperma-
tozoen-Entwickelung machen, welche
diesen Vorgang in seinen Hauptzügen klar-
stellen. Zerzupft oder zerquetscht man
einen reifen Hoden vorsichtig auf dem
Objektträger, so hat man in einem und
demselben Präparate gleich alle Stadien der
Spermatogenese beisammen. Ich habe die-
selben der Reihe nach in Fig. 54 abge-
bildet und mit Buchstaben bezeichnet. Den
Ausgangspunkt für die Entwickelung der
Samenkörper bilden die vollkommen kugel-
igen und ganz durchsichtigen Hodenzellen
oder Spermatogonien (a). Diese zu-
meist mehrkernigen Gebilde verwandeln
sich durch Einschnürung ihres Protoplasma-
leibes in ebensoviele Spermatocyten
oder Samenzellen (d), die aber zunächst in
Zusammenhang mit einander bleiben. Jede
einzelne Spermatocyte lässt zwei kleine
Fortsätze aus sich hervorsprossen, von wel-
Fig. 53.
S-förmiges Kopulationsorgan
von Macrostoma virıde.
Fig. 354.
Spermatogenese (M. vırıde).
chen der eine in der Folge zum Schwanzfaden des Spermatozoon,
der andere zur sogenannten „Nebengeissel“ desselben wird. Die
einkernigen Spermatogonien (d) entwickeln sich genau auf dieselbe
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I.
17
258 Die Strudelwürmer.
Weise; nur zuweilen kommt es vor (c), dass die Nebengeissel
schon weit hervorgesprosst ist, ehe sich noch irgend eine Spur
von der Bildung des Schwanzfadens zeigt. Bei fortschreitender
Entwickelung lösen sich die Spermatocyten aus ihrem ursprüng-
lichen Verband (d) und nehmen das in e dargestellte Aussehen an,
indem sich ihr protoplasmatischer Teil in die Länge streckt. Erst
zu allerletzt kommt die bislang im Ruhezustande verbliebene Kern-
substanz in Bewegung, um in dem immer spindelförmiger werdenden
Spermatozoenkopfe sich gleichmässig zu verteilen. In / sehen wir
dann das völlig fertige Samenkörperchen von Macrostoma vırıde,
wie es zu vielen hunderten in dem Präparate eines zerdrückten
Hodens vorhanden zu sein pflegt. Der Schwanzteil dieser Körper-
chen besitzt eine ausserordentlich lebhafte Schlängelbewegung, wo-
gegen die steife Nebengeissel nur mit mässiger Geschwindigkeit hin
und her pendelt.
Die am meisten verbreitete Spezies der Gattung Macrostoma
ist übrigens nicht diese, sondern M. hystrix Oerst.; in den wesent-
lichen Bauverhältnissen stimmen aber beide mit einander überein.
Die letztgenannte Art ist dadurch merkwürdig, dass sie nicht bloss
im süssen, sondern auch im salzigen Wasser vorkommt. Auch lebt
sie nicht bloss in seichten Pfützen und Tümpeln, sondern verträgt
ebensogut den Aufenthalt in beträchtlichen Tiefen. Nach einer Angabe
von Duplessis ist sie sogar noch im Grundschlamme des Genfer-
sees zu finden!?2. An schwimmenden Holzstückchen und dem
Wellenschlag ausgesetzten - Wasserpflanzen vermögen sich die Tier-
chen mit Hilfe ihrer „Klebzellen“ festzuhalten, welche am untern
Saume des spatelähnlichen Hinterendes in grosser Anzahl befindlich
sind. Solchen eigentümlichen Haftapparaten begegnen wir auch bei
mehreren anderen Turbellariengattungen.
Microstoma lineare Derst.
Einzelindividuen von dieser Spezies kommen höchst selten vor;
gewöhnlich findet man nur Ketten, die, wie Fig. 55 veranschaulicht,
aus mehreren ungleichaltrigen Exemplaren bestehen. Dieser Befund
findet seine Erklärung in der Thatsache, dass A/ierostoma lineare
Die Strudelwürmer. 259
sich vorwiegend durch Querteilung oder, richtiger gesagt, durch
terminale Knospenbildung fortpflanzt. In nachstehender Figur
haben wir eine Kette von vier Individuen vor uns, deren Ent-
wickelung wie folgt zu denken ist. Aus dem ursprünglichen
Muttertiere (A) ging B als Tochterspross
auf die nämliche Art hervor, wie jetzt
die Knospe 5 aus ihm selbst, oder wie a
aus A. Der Zeit nach ist die Reihenfolge
dabei diese: A, B, b, a. Das heisst: A
erzeugte zunächst 2; hierauf entstand die
Knospe 5 und dann erst die mit a be-
zeichnete neue aus dem alten Mutter-
individuum 4.
Bei genauerer Beobachtung dieser
eigentümlichen Fortpflanzungsweise bemerkt
man, dass stets nur das hinterste Drittel
des Muttertieres zur Erzeugung des Tochter-
sprosses verwendet wird. Mit dem Auf-
treten zweier Augenpunkte und der Bil-
dung einer Einschnürung, welche die
künftige Trennungsstelle andeutet, nimmt
der Knospungsprozess seinen Anfang. In
der Folge vergrössert sich das Tochterstück
allmählich und holt mit seinem rascheren
Fig. 55.
Mrcrostoma lineare.
Wachstum den sich gleichfalls regenerierenden
mütterlichen Teil ein, bis beide in ihren
Dimensionen sich fast vollkommen gleichen. Mit der Neubildung
eines Gehirns und Schlundes am Spross erreicht die Entwickelung
des letztern ihren Abschluss, und es erfolgt seine Lostrennung vom
Stammorganismus. Aber bevor er selbst noch fertig ausgebildet
war, wurde in seinem hintern Leibesdrittel bereits die dritte
Generation angelegt, bezüglich deren sich der nämliche Sprossungs-
vorgang wiederholt, und so geht diese Vermehrung immer fort, den
ganzen Sommer hindurch.
17*
260 Die Strudelwürmer.
Erst im Herbst treten andere Verhältnisse ein. Dann finden wir
Ketten, an deren Teilsprossen man die Anwesenheit von Geschlechts-
organen wahrnimmt, woraus beiläufig hervorgeht, dass geschlechtliche
und ungeschlechtliche Zeugung bei demselben Individuum von
Microstoma lineare und zur nämlichen Zeit stattfinden kann. Jene
Ketten sind aber immer nur eingeschlechtlich, d. h. sie bestehen
entweder aus lauter weiblichen oder aus lauter männlichen Individuen.
Die ersteren besitzen ein einfaches Ovarium, die letzteren paarige,
keulenförmige Hoden und ein Begattungsorgan, dessen chitinöser
Teil eine leichte, schraubenförmige Windung zeigt.
Über den sonstigen Bau von Microstoma lineare können wir
uns kurz fassen. Die flimmernde Epidermis besteht bei dieser
Spezies aus polygonalen Zellen, zwischen denen die birnförmigen
Nesselkapseln liegen. Diese sind über den ganzen Körper zer-
streut und gleichen in ihrem Aussehen fast ganz den gleichnamigen
Gebilden bei den Süsswasserpolypen, nur dass sie ein wenig kleiner
sind, als bei diesen. Sie haben eine Länge von 0.015 mm und der
herausgeschnellte Faden misst etwa 0.12 bis 0.14 mm. Am Halsteile
der Kapsel sitzen vier kleine Widerhaken. Leydig hat mit ge-
wohntem Scharfblick noch eine zweite Art von Nessel-
kapseln bei Microstoma lineare entdeckt, die eine ovale
Gestalt haben und nicht mit Widerhaken versehen sind.
Ich hebe diesen Umstand ausdrücklich hervor, weil wir
bei Aydra das gleiche Verhalten beobachten. Fig. 56
stellt eine grössere Kapsel mit ausgestossenem Faden dar.
Der Leibesraum ist bei Microstoma lineare von
einem reichen Maschenwerke heller Fasern durchsetzt,
zwischen denen zahlreiche kleine Bindegewebszellen und
Fig. 56. -Kerne eingelagert sind. Das Gehirn ist in dieses
Y . . .,y
Nesselkapsel Parenchym eingebettet. Es besteht aus zwei seitlichen
mit hervor-
geschnelltem Ganglien und einer Kommissur, die den Schlund um-
Aesie fasst. Zwei Längsnerven durchziehen den Körper. Das
Wassergefässsystem wurde zuerst von M. Schultze bei dieser
Spezies entdeckt, aber nicht genauer beschrieben. Ich habe das-
selbe neuerdings genauer studiert und gefunden, dass zwei seitliche
Die Strudelwürmer. 261
Hauptstämme vorhanden sind, deren Verästelungen nach der Mittel-
linie zu konvergieren und ein ventral stärker als dorsal entwickeltes
Kanalnetz bilden 13). Am Kopfende der einzelnen Kettenglieder
liegen die Augen in Gestalt rostroter Pigmenthäufchen. Dicht
dahinter befinden sich die Wimpergrübchen — kleine tiefe Becher
mit kreisrunder Öffnung, die innerlich mit Flimmerepithel aus-
gekleidet sind. Der Darmtraktus besitzt, wie man am lebenden
Tiere deutlich sieht, ebenfalls wimpernde Epithelzellen, und der
einfache Schlund ist mit zahlreichen Drüsenzellen (Pharyngeal-
zellen) besetzt, die einen förmlichen Mantel um denselben bilden.
Die Farbe der Tierchen ist ein dunkles Gelbbraun, sodass sie
in dieser Beziehung fast genau mit /Zydra fusca übereinstimmen.
Ein Hauptfundort für dieselben sind Tümpel stehenden Wassers,
deren Boden mit zerfallendem Laube oder sonstigen Pflanzenresten
bedeckt ist.
Stenostoma leucops O. Schm.
Auch bei dieser Gattung haben wir es fast immer nur mit
Ketten zu thun, die aber selten aus mehr als zwei Gliedern be-
stehen. Ihre Länge beträgt gewöhnlich 2—3 mm. Dem un-
bewaffneten Auge erscheinen sie als kleine weisse Linien.
Wie bei Microstoma lineare, so finden wir auch hier zu
beiden Seiten des Kopfteiles Wimpergruben (Fig. 57 wg S. 262),
die mit einer zierlichen Zellenrosette umgeben sind. Echte Augen
sind nicht vorhanden; vielleicht sind aber die dem Gehirn anhän-
genden eigentümlichen Bläschen (b/) als lichtperzipierende Organe
zu deuten.
Das Gehirn hat bei den Stenostomiden eine mächtige Ent-
wickelung, wie aus den Figuren 57 und 58 hervorgeht. Dasselbe
setzt sich auch schärfer als bei den übrigen Rhabdocölen gegen
das umgebende Bindegewebe ab. Es besteht aus zwei ausser-
ordentlich grossen mehrlappigen Ganglien, die unmittelbar vor dem
Munde gelegen sind. Man unterscheidet jederseits einen grössern
hinten (A) und einen schmälern Vorderlappen (vw). Nach
B. Landsberg1#), der den Bau dieser Gebilde spezieller analysiert
262 Die Strudelwürmer.
hat, überwiegt in denselben der gangliöse Teil gegen den faserigen,
was bei den anderen Turbellarien nicht der Fall ist.
Darm und Schlund sind bei Stenostoma leucops (Fig. 57
sowohl wie bei ‚Stenostoma unicolor (Fig. 58) in allen wesentlichen
Stücken so gebaut wie bei Microstoma lineare, sodass wir auf das
dort Gesagte verweisen können. Das Wassergefässsystem hingegen
hat bei den Stenostomiden eine besondere Gestaltung, insofern es
aus einem einzigen Kanal besteht, der am Hinterende ausmündet
und von hier aus (der Mittellinie des Körpers folgend) bis in
den Kopfteil verläuft, um hier in einer Schlinge umzubiegen und
Fig. 57. Fig. 58.
Stenostoma leucops (Kopfteil). Stenosfoma unıcolor (Kopfteil).
zurückzukehren. Was aus diesem rückläufigen Teile wird, ist noch
nicht genau klargestellt. L. v. Graff vermutet, „dass derselbe sich
in feinere Zweige auflöst“. Ich habe aber von einer solchen Ver-
ästelung auch mit den besten Linsen nichts entdecken können.
‚Stenostoma unicolor unterscheidet sich von ‚Stenostoma leucoßs
schon bei Lupenvergrösserung durch den besser markierten Kopfteil,
durch den schlankeren Habitus und durch zahlreiche einzellige
Drüsen im Darmepithel, welche schwärzliche Konkremente enthalten.
Beide Spezies sind sehr häufige Erscheinungen in unseren stehenden
und fliessenden Gewässern; sie sind auch sehr leicht aufzubewahren,
wenn man sie in kleine Glasdosen mit algenhaltigem Wasser bringt.
In derartigen Miniaturaquarien leben die Tierchen viele Monate
Die Strudelwürmer. 263
lang und pflanzen sich unausgesetzt durch terminale Knospung
(vergl. S. 259) fort.
Zu den Stenostomiden stellt v. Graff auch das gewandt
schwimmende Meerlinsenkettchen (Catenula ‚lemnae), dessen
Aussehen in Fig. 59 veranschaulicht ist. Diese Rhabdocöle ist ein
fast ständiger Bewohner kleiner Moortümpel und man trifft sie in
solchen stets massenhaft an. Wie bei den vorhin
geschilderten Formen, so vermehrt sich auch diese
durch Querteilung. Am Vorderende befindet sich
eine kopfartige Anschwellung, in welcher das Gehirn
mit dem Hörbläschen (ot) liegt. Der cylindrische
Schlund flimmert auf seiner Innenfläche, ebenso der
Darm, welcher übrigens, falls er leer ist, nur ‚mit
Mühe wahrgenommen werden kann. Der Raum
zwischen Darm und Hautmuskelschlauch wird von
sehr grossen, dicht an einander gedrängten Parenchym-
zellen eingenommen, die in unserer Figur mit 23
bezeichnet sind. Das Wassergefässsystem hat genau
denselben Charakter wie bei ‚Stenostoma leucops und
stellt einen äusserst feinen, vielfach geschlängelten
Kanal dar, der auf der dorsalen Seite des Tieres
(subcutan) vom vordern bis zum hintern Körperende
verläuft. Abgesehen von diesem Exkretionskanal
aber und von dem Vorhandensein eines markierten
Kopfteils kann ich zwischen Catenula /emnae und
den Stenostomiden auch nicht die geringste morpho-
logische Verwandtschaft erblicken, so dass ich es
Fig. 59.
nur als einen Notbehelf ansehen kann, wenn wir
; } Catenula lemnae.
das Meerlinsenkettchen einstweilen mit in die Gat-
tung Stenostoma aufnehmen. Eigentlich steht Catenula unter
den Rhabdocölen völlig isoliert da; wir suchen vergeblich nach
Anknüpfungspunkten für dieses sonderbare Wesen, in welchem
Duges seinerzeit ein den Bothriocephalen verwandtes Tier zu
sehen glaubte.
264 Die Strudelwürmer.
Mesostoma viridatum M. Sch.
Die Mesostomiden, d. h. diejenigen Rhabdocölen, welche eine
auf der Mitte der Bauchseite gelegene Mundöffnung und einen
rosettenförmigen Schlund besitzen, stellen eine sehr verschiedenartige
Gesellschaft dar, sodass Prof. M. Braun unlängst mit Recht den
Vorschlag gemacht hat, den Genusnamen Mesostoma ganz über
Bord zu werfen, resp. ihn nur noch für Arten beizubehalten, die
ungenügend bekannt sind. Die Charaktere dieser Gruppe sind von
vornherein zu allgemein gefasst worden und daher erklärt es sich,
dass alles, was nach Lage und Form des Pharynx ihr nicht ganz
direkt widersprach, stets bequeme Unterkunft darin finden konnte.
In Fig. 60 sehen ‚wir einen sehr kleinen Reprä-
sentanten der Gattung Mesostoma, ein hellgrünes
Würmchen von etwa Millimetergrösse, welches fast
überall in klaren Gewässern zu finden ist. Im
Gegensatz zur Mehrzahl seiner Gattungsverwandten
ist dasselbe augenlos.. Der Schlund liegt bei
dieser Art etwa am Anfange des zweiten Körper-
drittels, und ebendaselbst gewahrt man eine
Verbindung zwischen den beiden seitlichen Stäm-
men des Wassergefässsystems, deren weiterer
Verlauf aber schwer zu verfolgen ist. Gleich
hinter dem Pharynx (ph) liegt die von Cilien um-
säumte Geschlechtsöffnung (g/) und nicht
weit davon der birnförmige Penis (/), der einen
chitinösen Ausführungsgang besitzt. Die Leibes-
höhle ist fast ganz erfüllt von Parenchym, und
Fig- 60. %
Mesostoma viridatum. Nicht selten findet man Individuen, welche im
Innern 6—8 braunschalige, elliptische Eier ent-
halten, so dass zwischen Darm und Leibeswand kaum noch ein
freier Raum übrig bleibt.
In den Zellen der Epidermis entdeckt man zahlreiche Rhab-
diten von (.ıs mm Länge, und bei tieferer Einstellung des
Mikroskops zeigen sich im Parenchym ganze Strassen solcher Stäb-
chen, die nach dem Vorderende zu konvergieren.
Die Strudelwürmer. 265
S Die grüne Färbung des Tierchens rührt von winzigen,
chlorophyllhaltigen Körnchen her, die eine förmliche Schicht unter
der Haut bilden; dieselben sind höchst wahrscheinlich als einzellige
Algen zu betrachten, die in einem symbiotischen Verhältnisse zu
ihrem Träger stehen. Dergleichen Chlorophylikörner kommen auch
bei einigen anderen Turbellarien und ausserdem bei mehreren
Infusorienspezies vor.
In unseren europäischen Seen und Wassertümpeln sind im
ganzen etwa zwanzig Arten von Mesostomiden einheimisch. Eine
ähnliche Verbreitung derselben konstatiert W. A. Silliman für Nord-
amerika. Die Gattung Mesostoma weist übrigens neben sehr kleinen
(I—5 mm grossen) Formen auch recht stattliche Vertreter auf.
So z. B. das 1I0—ı5 mm lange und 4—5 mm breite Mesostoma
Ehrenbergü, welches vollkommen platt gestaltet und glashell durch-
sichtig ist. Diese Spezies tritt oft so massenhaft auf, dass die
untergetauchten Stengel der Wasserpflanzen ganz damit bedeckt sind.
Hiernach kommt Mesostoma tetragonum ©. Schm., welches 8 bis
ıo mm lang wird. Durch zwei Lamellen, die auf der Rücken- und
Bauchseite des Tieres vom vordern bis zum hintern Ende sich
erstrecken und wie Flossen gebraucht werden, hat dasselbe im Quer-
schnitt eine vierkantige Gestalt. Diese charakteristische Eigentüm-
lichkeit ist in der Speziesbezeichnung zum Ausdruck gebracht. Das
ungemein häufige Mesostoma Iingua O.Schm. (7—8 mm) gehört auch
noch zu den grösseren Erscheinungen, wogegen die meisten anderen
bei uns vorkömmlichen Spezies (z. B. Mesostoma rostratum Ehrb.,
M. personatum O. Schm. etc.) bedeutend kleiner sind und zwischen
Algenfäden oft nur mit Mühe entdeckt werden können.
Vortex truncatus Ehrb.
Hier haben wir eine vollständig kosmopolitische Art vor uns,
die von Lappland bis nach Ägypten verbreitet ist, und die man in
den schlammigen Tümpeln der Ebene ebenso häufig antrifft, wie in
klaren, kalten Gebirgsseen. Es sind (Fig. 61a S. 266) kleine, etwa
1.5 mm lange Tierchen von hell- oder dunkelbrauner Färbung. Sie
besitzen ein abgestutztes Kopfende und ein zugespitzes Schwänzchen.
en
g J- 4
266 Die Strudelwürmer.
Die Haut als solche ist vollkommen farblos und mit Stäbchen ge--
spickt, welche meist zu zweien bei einander liegen. Der Sitz des
bräunlichen Pigments sind die Bindegewebszellen des Parenchyms.
Ist der Farbstoff in grosser Menge vorhanden, so können die
Würmchen ein fast schwarzes Kolorit annehmen. Am Kopfe stehen
zwei schwarze halbmondförmige Augen und der Schlund hat die für
die Vorticiden schon eingangs (S. 247) erwähnte typi-
sche Tonnengestalt. Alle Vortex-Arten sind durch
ein mehr oder weniger kompliziertes (chitinöses)
Kopulationsorgan ausgezeichnet, welches aus
paarigen Leisten mit Stachelbewehrung besteht.
Bei der in Rede stehenden Spezies (V. truncatus)
ist dasselbe ziemlich einfach gebaut. Es setzt
sich aus zwei gabelig auseinanderweichenden, etwas
gekrümmten Ästen zusammen, die auf ihrer kon-
kaven Seite eine Reihe feiner Zähnchen (Fig. 61 b)
tragen. Man bringt sich diese Hartgebilde am
besten zur Ansicht, wenn man mit möglichster
BEER, A, Vorsicht ein Quetschpräparat des ganzen Tieres
herstellt.
Die meisten Vortex-Spezies sind kleine, unscheinbare Würm-
chen. Nur V. virıdis M. Sch. und .V. scoparius OÖ. Schm. sind
Riesen unter ihren Gattungsgenossen, insofern sie oft eine Länge
von 5—6 mm erreichen. Die letztgenannte Art besitzt ein
Kopulationsorgan, welches in seiner Form lebhaft an ein paar
kurzgestielte Stallbesen erinnert, die dicht beisammen liegen. Daher
der sonderbar klingende lateinische Beiname, der aber sehr treffend
gewählt ist. Zu den kleinsten Spezies, die wie V. truncatus nur
I—Is mm gross sind, gehören V. Pıctus OÖ. Schm., V. Hallezu
v. Grafl, V. sexdentatus v. Graff und V. cuspıdatus OÖ. Schm.
Die vorstehenden kurzen Andeutungen über die speziellere
Organisation einiger häufiger vorkommenden Strudelwürmer sollten
lediglich dazu dienen, den Anfänger mit diesen interessanten,
er
Die Strudelwürmer. 967
aber noch viel zu wenig beachteten Tieren bekannt zu machen.
Das eingehendere Studium derselben muss an der Hand von
Prof. L. v. Graffs ausgezeichneter „Monographie der Turbel-
larien“ (Leipzig 1882, Wilh. Engelmann) geschehen, in welcher
auch ein umfassender Litteraturnachweis zu finden ist, der noch
die neuesten Arbeiten berücksichtigt. Ein Atlas mit 2o litho-
graphischen Tafeln erläutert die bis in das kleinste Detail gehenden
Ausführungen des umfangreichen Textes. — Ein sehr brauchbares
litterarisches Hilfsmittel beim Studium der Turbellarien findet man
auch in einer 1885 erschienenen grösseren Abhandlung von Prof.
M. Braun (Rostock), welche die rhabdocöliden Strudelwürmer
Livlands behandelt und dieselben durch vorzügliche Abbildungen
veranschaulicht. Weiteres ersehe man aus der diesem Kapitel
angehängten Übersicht der Litteratur.
Präparationsmethode.
Es ist hier vielleicht der passendste Ort, einige Worte über
die Art und Weise zu sagen, wie man Turbellarien zum Zwecke
der mikroskopischen Untersuchung gut konservieren kann. Dies
gelingt meinen Erfahrungen zufolge am raschesten und sichersten
mit erwärmter Lösung von Quecksilberchlorid in Wasser. Für grössere
Arten nimmt man diese Flüssigkeit konzentrierter als für kleinere;
aber in jedem Falle erfüllt sie ihren Zweck. Die Tiere werden
mit möglichst wenig Wasser in ein Uhrgläschen gebracht und in
dem Augenblicke, wo sie am schönsten ausgestreckt sind, schnell
mit dem Sublimat übergossen. Je nach der Grösse der Objekte
muss letzteres 5—20 Minuten einwirken. Dann wässert man die
getöteten Würmer längere Zeit aus, damit keine Spur des Queck-
silbersalzes in den Geweben zurückbleibt. Zur Aufbewahrung
benutzt man 7oprozentigen Alkohol. Die so konservierten Rhabdo-
cölen und Dendrocölen halten sich Jahre lang und können jeder-
zeit, nach vorhergegangener Färbung, zur Herstellung von Schnitt-
serien verwendet werden. —
Ba Fr 2
w s BA
ER.
268 Die Strudelwürmer.
Zur Anfertigung von Totalpräparaten, die alles Notwendige
erkennen lassen, hat Prof. M. Braun ein Verfahren angegeben 15),
welches hier mitgeteilt werden soll. Dasselbe eignet sich besonders
gut für kleine Formen. Der genannte Forscher verfährt dabei
wie folgt. Er lässt bei gelindem Deckglasdruck zu dem Wasser, in
welchem sich das zu konservierende Tier befindet, eine Mischung
von 3 Teilen Langscher Flüssigkeit*) und einem Teil einprozentiger
Ösmiumsäure zufliessen, die sehr rasch tötet, zumal wenn man sie
etwas erwärmt anwendet. Sobald das Tier undurchsichtig ge-
worden ist, die Gewebe also geronnen sind, wird die überschüssige
Flüssigkeit mit Löschpapier abgetupft und 45prozentiger Alkohol
unter das Deckglas gebracht. Derselbe wird im Verlauf einiger
Minuten mehrere Male erneuert und dann durch 7oprozentigen
ersetzt. Nunmehr kann man das Deckglas vorsichtig abheben;
das Tier bleibt in der Regel an letzterem oder am Öbjektträger
haften und wird in dieser Lage mit goprozentigem Alkohol be-
handelt. Hierauf giebt man ı—2 Tropfen Karminlösung auf das
Objekt, die man etwa drei Minuten einwirken lässt. Diese Zeit
genügt zur Färbung; dann wird mit destilliertem Wasser abgespült,
mit allmählich zu konzentrierendem Alkohol entwässert, bis man
schliesslich zur Aufhellung mit Nelkenöl oder Kreosot schreiten
kann. Sodann erfolgt der Einschluss in Kanada-Balsam und die
Prozedur — welche etwa 20 Minuten in Anspruch nimmt — ist
beendet. Auf diesem Wege erhält man in vieler Beziehung hübsche
Präparate. Die ÖOsmiumsäure bräunt gewisse Teile (Dotterstöcke
und Keimdotterstöcke z. B.) und hebt dieselben stärker hervor,
während die kernreichen Teile des Geschlechtsapparats (Hoden,
Övarien und sonstige Drüsen) intensiv gefärbt werden. Leider
kann man diese Methode bloss bei solchen Arten verwenden, die
sich etwas komprimieren lassen, ohne zu zerplatzen. In anderen
Fällen führt nur die Härtung der Tiere (s. oben) und die Zer-
legung derselben in Schnittserien zum Ziele.
*) Diese besteht aus 5 Teilen Sublimat, 5 Teilen Eisessig und 100 Teilen Wasser.
Die Strudelwürmer. 269
Geographische Verbreitung der Turbellarien.
Durch zahlreiche faunistische Exkursionen, welche ich in dem
Zeitraume von 1884— 1889 in den verschiedensten Teilen Deutsch-
lands ausgeführt habe*), hat sich mir die Überzeugung aufgedrängt,
dass die Verbreitung der Strudelwürmer nicht längs
gewisser Linien erfolgt, aus denen eine Abhängigkeit
dieser Tiere von klimatischen Einflüssen oder von der
Bodenbeschaffenheit der bezüglichen Wasseransamm-
lungen zu erkennen wäre Die Eier dieser Tiere scheinen
vielmehr durch zufällig sich darbietende Transportgelegenheiten
überallhin verschleppt werden zu können und da, wo es die
äusseren Verhältnisse nur irgend gestatten, die Ansiedelung der
Art zu ermöglichen. Die meisten Turbellarien-Eier sind hartschalig
und widerstandsfähig, so dass sie nicht leicht durch Stoss oder
Druck Schaden nehmen können. Mit solchen Eigenschaften aus-
gerüstet, können sie also selbst dann gut erhalten bleiben, wenn
das Muttertier, in dessen Leibeshöhle sie sich befinden, bei der
Luftreise am Gefieder eines Wasservogels durch ‘Austrocknung
zu Grunde gehen sollte. Besucht nur der Transporteur gelegentlich
ein anderes Wasserbecken, so gelangen sie wohlbehalten und
lebenskräftig wieder in ihr Element und entwickeln sich dort
ebenso gut wie in dem Weiher oder Tümpel, welchem sie durch
*).1. ‚Studien über die Fauna des Grossen und Kleinen Teiches im Riesengebirge.‘‘ Zeitschr.
f. wiss. Zoologie. 4ı. Bd. 1885.
2. „Ergebnisse einer zoolog. Exkursion in das Glatzer-, Iser- und Riesengebirge.‘‘ Zeitschr.
f. wiss. Zoologie. 43. Bd. 1886.
3- „Zur Kenntnis der pelagischen und littoral. Fauna norddeutscher Seen.‘“ Zeitschr. f.
wiss. Zoologie. 45. Bd. 1887.
.4. „Faunistische Studien in westpreuss, Seen.‘“ Schrift. d. naturf. Gesellschaft zu Danzig,
1887.
5. „Zur Kenntnis der Fauna des Süssen und Salzigen Sees bei Halle a. d.S.‘“ Zeitschr.
f. wiss, Zoologie. 46. Bd. 1888.
6. „‚Über das Ergebnis einer Seen-Untersuchung in der Umgebung von Frankfurt a.d.O.“
Monatl. Mitteil. aus dem Gesamtgebiete der Naturw. Nr. 8, 1883/89.
7. „Faunistische Untersuchungen in den Maaren der Eifel.‘‘ Zool. Anzeiger Nr. 205,
1888.
8. ‚„„Zur Kenntnis der Microfauna fliessender Gewässer Deutschlands.‘“ Biolog. Centralbl,
Nr, 24, 1888,
IT REDIN
270 Die Strudelwürmer.
Zufall — samt der mit ihnen trächtigen Mutter — entrissen
wurden. Auf diese Art erklärt sich auch die Launenhaftigkeit des
Vorkommens mancher Turbellarienspezies, die sonst völlig rätselhaft
wäre. Es wird uns von dem nämlichen Gesichtspunkte aus auch
die Besiedelung hoch gelegener Bergseen mit Strudelwürmern be-
greiflich, da man letztere doch unmöglich als aktiv dorthin ge-
wandert ansehen kann. Der Kleine Koppenteich im Riesen-
gebirge, der eine Höhenlage von 1180 m hat, beherbergt — wie
schon eingangs mitgeteilt — 14 Arten von Turbellarien *), ‘darunter
auch eine sehr seltene Form (Monotus lacustris Zach.), welche zu
einer Gattung gehört, die sonst nur Meeresbewohner umfasst **).
Dieser Süsswasser-Monotus wurde inzwischen auch im Peipus-See
(Russland) und in zahlreichen Seen der Schweiz aufgefunden. Nichts-
destoweniger bleibt es überraschend, dass er durch die Gunst des
Zufalls auch in jene verlorene Felsenschlucht, auf deren Grunde
der Kleine Koppenteich liegt, verpflanzt werden konnte. Dies
erklärt sich nur aus der Widerstandsfähigkeit seiner Eikörper, die
infolgedessen weit verschleppt werden können, ohne ihre Ent-
wickelungsfähigkeit einzubüssen. Und in gleicher Weise haben
wir uns die Ansiedelung der übrigen 13 Arten von Strudelwürmern
an jener Lokalität zu erklären, wobei aber nicht ausgeschlossen
sein soll, dass gelegentlich auch einmal eine lebende Turbellarie
am Gefieder eines Vogels hängen bleiben und dadurch in ein
anderes (nahe gelegenes) Wasserbecken übergeführt werden kann.
Viele Strudelwürmer besitzen sogenannte „Klebzellen“ an ihrem
Hinterende, mit welchen sie sich an allerlei feuchten Gegenständen
festzuheften vermögen. Diese eigentümlichen Organe werden ihre
*) Mesostoma rostratum Ehrb,, Mesost. viridalum M. Sch., Macrostoma wiride
van Bened., S/enostfoma leucops OÖ, Schm., Vortex truncatus Ehrb., Vortex Hallezii
v.Graff, Prorhynchus stagnalıs M.Sch., Prorhynchus curvistylus M. Braun, Prorhynchus
maximus n.sp., Gyrator hermaphroditus Ehrb., Bothrioplana sılesiaca n. sp., Bothrioßl.
Brauni n.sp., Monotus lacustris Zach. und Planaria abscissa Ijima.
**) Was das numerische Verhältnis der marinen Turbellarien-Formen zu denjenigen des
Süsswassers anbelangt, so sei bei dieser Gelegenheit (nach v. Graff) angeführt, dass
160 Meeresbewohnern (darunter ı5 Parasiten) 97 Süsswasser- und ı Landbewohner (der
hammerköpfige Prorhynchus) gegenüberstehen. — Die Familie der Monotiden galt bisher
für eine ausschliesslich marine Gruppe.
Die Strudelwürmer. Da
[7
guten Dienste wohl auch beim Transport durch Vögel oder Wasser-
käfer leisten, wenn es gilt, einen Halt gegen das Fortgeweht-
werden durch Luftzug während des Fluges jener Tiere zu ge-
winnen 16).
Auch in viel höher als 1000 m gelegenen Bergseen finden
wir noch Turbellarien (Rhabdocölen sowohl als Dendrocölen), wie
von Prof. Fr. Zschokke (Basel) neuerdings an einigen Seen des
Rhätikons, jener gewaltigen Grenzkette zwischen Vorarlberg und
Graubünden, nachgewiesen worden ist. Er fand da oben noch
Mhicrostoma lineare und eine Planarien-Spezies 17).
Diese Thatsache (und die Auffindung von Turbellarien in
noch anderen alpinen Seen) unterstützt die Theorie von deren
passiver Migration, sodass wir kein Bedenken tragen dürfen, uns
die Verbreitung jener leicht verletzbaren Würmer in derselben
Weise zu denken, wie dies von den kleinen Krebstieren längst
bekannt ist, nämlich durch ihre widerstandsfähigen Eikörper und
die gelegentliche Verschleppung von erwachsenen Exemplaren,
welche am feuchten Gefieder eines wandernden Wasservogels vor
Austrocknung geschützt blieben und so eine Luftreise nach einem
andern Wasserbecken ohne Schaden für Leib und Leben zu über-
stehen vermochten.
2
Litteratur.
1) Vergl. 0. Zacharias, Zur Kenntnis der niedern Tierwelt
des Riesengebirges nebst vergleichenden Ausblicken. Mit 6 Illu-
strationen. 1890.
2) E. Sekera, Prispevky ku znämostem o turbellariech slad-
novodnich. Prag 1888. Mit 4 Tafeln.
3) L. v. Graff, Monographie der Turbellarien (I. Rhabdo-
coelida). 1882. Mit 20 Figurentafeln.
4) Isao Ijima, Untersuchungen über den Bau und die Ent-
wickelungsgeschichte der Süsswasser-Dendrocölen (Tricladen). Zeitschr.
f. wiss. Zoologie, 40. Bd. 1884. Mit 4 Tafeln.
5) Paul Hallez, Embryogenie des Dendrocoeles d’eau douce.
'Avec 5 planches. 1887.
6) 0. Zacharias, Über Fortpflanzung durch spontane Quer-
teilung bei Süsswasserplanarien. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 43.
Bd. 1885.
7) W. Weltner, Dendrocoelum punctatum Pallas bei Berlin.
Sitzungsber. d. Königl. preuss. Akademie d. Wissenschaften. 1887.
Mit ı Tafel.
Litteratur. 218
8) J. v. Kennel, Die in Deutschland gefundenen Land-
planarien. Arbeiten des Zool.-zootom. Instituts zu Würzburg.
5.: Bd 01879:
9) F. Vejdovsky, Note sur une nouvelle planaire terrestre
(Microplana humicola nov. gen., nov. sp.). Revue biologique du
Nord de la France. No. 4, 1890.
10) M. Braun, Über Dorpater Brunnenplanarien. Mit
Il afelı -T88T.
ı1ı) O. Zacharias, Zwei neue Vertreter des Genus Bothrio-
plana (M. Braun). Zool. Anz. No. 229, 18806.
ı2) Du Plessis-Gouret, Essay sur la faune profonde des lacs
de la Suisse. 1885.
13) O. Zacharias, Das Wassergefässsystem bei Microstoma
lineare. Zool. Anz. No. 196, 1885.
14) B. Landsberg, Über einheimische Microstomiden. Pro-
gramm des Königl. Gymnasiums zu Allenstein. 1887.
15) M. Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. Mit
4 Tafeln. 1885.
ı6) 0. Zacharias, Über Anpassungserscheinungen im Hinblick
auf passive Migration. Biolog. Centralbl. No. 4, 1889.
17) Fr. Zschokke, Faunistische Studien in Gebirgsseen. 1890. —
Zweiter Bericht darüber: 1891.
Vergl. ausserdem die älteren Werke von
0. Schmidt, Die rhabdocölen Strudelwürmer des süssen
Wassers. 1848. — Ergebnisse der Untersuchung der bei Krakau
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 18
274
25. Bd. 1857. — Die dendrocölen Strudelwürmer aus den Um-
gebungen von Graz. Zeitschr. f. wiss. Zool. 10. Bd. 1858
und
M. Schultze, Beiträge zur Naturgeschichte der Turbellarien.
Mit 7 Tafeln. 1861.
Die Rädertiere (Rotatoria).
Von Dr. Ludwig H. Plate in Marburg.
Pr den Lebewesen des süssen Wassers, deren Körperbau
wegen ihrer geringen Grösse nur mit Hilfe des Mikroskopes studiert
werden kann, gehört eine Tiergruppe, die in manchen Organisations-
verhältnissen sich einerseits an die im vorigen Kapitel vom Heraus-
geber dieses Werkes geschilderten Turbellarien anlehnt, anderseits
einzelne Gattungen enthält, deren Körper lange, mit Borsten besetzte,
an die Gliedmassen der Arthropoden in morphologischer und
physiologischer Hinsicht auffallend erinnernde Anhänge besitzt.
Es ist die kleine, an häufigen Gattungen nicht allzu reiche Familie
der Rädertiere oder „Rotatoria“, deren Besprechung sich demnach
ungezwungen zwischen die von den Strudelwürmern und den
Entomostraken handelnden Schilderungen einfügt.
Die Rädertiere sind vorwiegend Bewohner des süssen Wassers
und zwar, man kann sagen, jeder Form, in der dasselbe in unseren
Breitengraden auftritt; doch enthält auch das Meer eine ganze
Anzahl von Gattungen, deren meiste Arten dem Süsswasser an-
gehören, aber nur in seltenen Fällen treten die marinen Vertreter
in solcher Individuenzahl auf, dass sie einen charakteristischen
Bestandteil der pelagischen Fauna bilden. Wir werden daher im
folgenden vornehmlich auf die Süsswasserformen eingehen und nur
gelegentlich der Meeresbewohner Erwähnung thun. Die Rotatorien
sind, wie angedeutet wurde, keineswegs wählerisch in Bezug auf ihre
Fundplätze; der fliessende Strom und die sprudelnde Bergquelle
gewähren ihnen ebensogut alle Bedingungen zur Erhaltung des
Ber 5 IE
278 Die Rädertiere.
Lebens, wie der stagnierende Sumpf, und die nie austrocknenden
Wasserbecken grösserer Teiche und Seen werden ebenso zahlreich
von verschiedenen Gattungen und Arten bevölkert wie die ver-
gängliche Lache, die sich irgendwo nach einem heftigen Regen-
schauer bildet und schon nach wenigen Tagen der Macht der
Sonne weichen muss. Selbst an Orten, die immer nur ganz vor-
übergehend mit dem feuchten Elemente in Berührung kommen,
die der Zeitdauer nach viel eher als trocken denn als nass bezeichnet
werden müssen, also unter Existenzbedingungen, wie sie ungünstiger
kaum für einen Wasserorganismus gedacht werden können, selbst
dort begegnen wir dem munteren Völkchen der Rotatorien. Der-
artige Fundorte sind z. B. die Rinnen auf den Dächern alter
Häuser, sobald sich in ihnen Sand und Schlamm angesammelt hat;
ferner leben viele Rotatorien in dichten Moos- und Flechtenpolstern
sowie in den oberflächlichen Erdlagen zwischen den Wurzeln von
Gräsern und anderen Kräutern. Da die Rotatorien allseitig von
Wasser umspült sein müssen — eine feuchte Atmosphäre genügt
nicht —, um ihre Lebenskräfte bethätigen zu können, so folgt
daraus, dass dieselben an den letztgenannten Fundorten nur nach
einem Regenguss oder nach reichlichem Taufall zum Genusse
ihres Daseins kommen. Sobald ihr Lebenselement wieder ab-
geflossen oder verdunstet "ist, schrumpfen sie zu einem winzigen
Körnchen zusammen, das regungslos daliegt und wie ein Staub-
atom vom Winde. überall hin geführt werden kann, um bei der
nächsten Anfeuchtung wieder aufzuquellen und, vom Scheintod
erweckt, aufs neue in den Kreis der Lebewesen einzutreten. Viele
Rädertiere — wir können sie als „Erdrotatorien“ den ständigen
Wasserbewohnern gegenüberstellen — sind demnach in wunderbarer
Weise an solche periodisch auftretende Lebensbedingungen ange-
passt und führen ein intermittierendes Dasein, auf das ich ein-
gehender weiter unten (s. IV) zu sprechen kommen werde.
Obwohl nun die meisten Wasserrotatorien ausgezeichnete
Schwimmer sind, die vielfach pfeilschnell sich mit Hilfe ihres
„Räderapparates“ zu bewegen vermögen, so giebt es doch nur
_ verhältnismässig wenige Gattungen, die beständig schwimmen und
‚
Die Rädertiere. 279
daher auch dort vorkommen, wo das Wasser fast frei von Pflanzen
und Treibmaterial ist, also in der Mitte unserer Teiche und Seen.
Man pflegt gegenwärtig die im offenen Meere lebenden Tiere und
Pflanzen im Gegensatz zu den die Küste und den Meeresgrund
bewohnenden als „pelagische“ zu bezeichnen und wendet diesen Aus-
druck, übertragend, aber wenig logisch, auch auf die Süsswasserfauna
an. Zu den pelagischen Rädertieren des Süsswassers gehören vor-
nehmlich die Gattungen Asplanchna, Anuraea, Triarthra, Polyarthra
und ‚Synchaeta, für die weiter charakteristisch ist, dass sie dort,
wo sie vorkommen, meist in sehr grosser Individuenzahl, zu
Tausenden und Abertausenden, angetroffen werden. Die Mehrzahl
der Rotatorien liebt es hingegen, abwechselnd zu schwimmen und
sich vorübergehend mittels besonderer am Hinterende des Körpers
angebrachter „Fussdrüsen“ festzuheften, und sie halten sich aus
diesem Grunde zwischen Wasserpflanzen oder, bei seichten Ge-
wässern, dicht über dem Boden auf. Bei einigen wenigen Gattungen
endlich ist die Beweglichkeit noch mehr beschränkt. So treffen
wir in der Abteilung der Philodiniden nur Formen an, die, wenn
sie ungestört sind, sich fest irgendwo vor Anker legen und ihren
Räderapparat nur zum Herbeistrudeln von Nahrung benutzen; erst
wenn sie beunruhigt werden, verlassen sie teils spannerraupenartig
kriechend, teils frei schwimmend den Platz. Endlich giebt es noch
eine kleine Familie, die Melicertiden, welche nur in der Jugend
frei beweglich sind, später aber sich dauernd an Wasserpflanzen oder
untergetauchten Gegenständen festheften.
Ehe wir uns nun einer vergleichenden Schilderung der ganzen
Gruppe der Süsswasserrotatorien zuwenden, wollen wir eine be-
stimmte Art möglichst eingehend anatomisch und biologisch unter-
suchen, um so einen gesicherten Ausgangspunkt zu gewinnen,
von dem aus der Leser in das Studium dieser interessanten
kleinen Wesen eindringen und einen Massstab an die innerhalb
derselben vorkommenden Variationen des Körperbaues und der
Lebensweise anlegen kann. Wir wählen als Typus der Klasse
eine der gemeinsten, überall sich findenden Arten, die zuerst von
dem dänischen Zoologen Otto Friedrich Müller 1773 entdeckt
280 Die Räderliere.
und später von dem grossen Berliner Erforscher der kleinsten -
Lebewesen, Christian Gottfried Ehrenberg, im Jahre 1838
unter dem Namen
Hydatina senta, das Krystallfischchen,
beschrieben wurde. Das Tierchen gehört zu den ständigen Wasser-
bewohnern, und wir können uns dasselbe ebenso wie seine übrigen
Verwandten mit Hilfe eines sehr engmaschigen seidenen kleinen
Netzes aus sogen. „Müllergaze“ leicht verschaffen. Exemplare von
Hydatina finden sich häufiger in kleinen stehenden Tümpeln als
in grösseren Wasserbecken, was vielleicht nur damit zusammen-
hängt, dass sie sich in letzteren auf einen grösseren Raum verteilen,
während sie sich in ersteren nicht selten in enormen Scharen an-
sammeln, sodass wir nur für einige Augenblicke das Netz durch
das Wasser hin und her zu ziehen und dann den im Grunde des-
selben angesammelten Niederschlag in einem Wasserglase abzuspülen
brauchen, um mit einer schwachen Lupe Tausende von durch-
sichtigen etwa 1/2 mm langen Hydatinen sich rastlos im Wasser
umhertummeln zu sehen. Sehr häufig erkennt man von jedem
Tierchen nicht viel mehr als einen grünen zentralen Fleck, der
sich bei Besichtigung mit einem Mikroskope als ein im Magen
liegender Nahrungsballen von kleinen grünen Algen oder Flagellaten
erweist. Um eine volle Einsicht in den Bau der Hydatinen
zu gewinnen, bedarf es eines Mikroskopes, dessen Vergrösserungs-
kraft sich etwa bis zu einer 500fachen steigern lässt. Mit Hilfe
eines „Tropfenzählers“ übertragen wir einige der Tierchen in ein Uhr-
schälchen, greifen zur Lupe und bringen eines derselben mittels der
Pipette in einem kleinen Tropfen auf den Objektträger, bedecken ihn
mit einem Deckglase und betrachten nun das Rädertier mit einer
schwachen Vergrösserung. Jenachdem sich noch relativ viel oder
wenig Wasser unter dem Deckglase befindet, schwimmt das Tier
rasch oder langsam umher, sodass wir — durch Zusatz oder durch
Absaugen von Wasser — es vollkommen in der Hand haben, die
Geschwindigkeit der Fortbewegung so zu regulieren, dass eine
Beobachtung der natürlichen Körpergestalt möglich ist. Zum
Die Rädertiere. 9
[0 0)
er
Studium der inneren Organisation ist es jedoch unumgänglich nötig,
die lebhaften Bewegungen der Hydatina ganz oder nahezu zu
hemmen, und hierzu stehen uns drei Mittel zur Verfügung. Einmal
lässt sich durch Absaugen eines Teiles des Wassers ein solcher
Druck auf das Objekt ausüben, dass dasselbe fast unbeweglich da-
liegt; wird die Körpergestalt hierbei auch unnatürlich breit, so hat
doch diese Methode den grossen Vorzug, die Lebensäusserungen
fast aller Organe der Beobachtung selbst mit starken Vergrösse-
rungen zugängig zu machen. Zweitens kann man durch Zusatz
eines Tropfens einer dünnen Lösung von Kokain (I Teil auf 20 Teile
Wasser) die Hydatinen in vielen Fällen vorübergehend lähmen;
leider ist dieses Mittel nicht immer zuverlässig und geht auch nur
zu oft Hand in Hand mit Verzerrungen der natürlichen Körper-
gestalt. Der letztere Übelstand beeinträchtigt sehr häufig auch die
Resultate, welche mit der dritten Methode, der Abtötung unter
dem Deckglase oder im Uhrschälchen, erzielt werden. Am meisten
anzuraten ist die Anwendung 1/oiger Überosmiumsäure, da diese
die Gewebe vorzüglich fixiert. Um das Schwarzwerden der Objekte
zu verhüten, ist es nötig, dieselben, nachdem die Säure 1a bis
2 Minuten eingewirkt hat, mit destilliertem Wasser auszuwaschen.
Eine Abtötung durch langsames Erwärmen des Wassers erhält die
Tiere nicht selten schön ausgestreckt, ist aber bei feineren histo-
logischen Studien nicht verwertbar.
Die Körpergestalt der Aydatına senta (Fig. 62 S. 282) ist
die eines nicht sehr breiten, dafür aber ziemlich hohen Kegels,
etwa eines Zuckerhutes. Der Basis des Kegels entspricht das
vordere Körperende, während die Spitze in zwei kleine dolch-
förmige Anhänge, die „Fusszehen“, ausgezogen ist. Die Gestalt des
völlig ausgestreckten Tieres weicht nur darin von der eines mathe-
matischen Kegels ab, dass sie erstens etwas abgeplattet, gleichsam
zusammengedrückt ist, sodass der Querschnitt keinen Kreis, sondern
ein Oval darstellen würde, und dass sie zweitens hinter dem
Vorderende eine ringförmige Einschnürung besitzt, um sich dafür
in der Mitte um so stärker auszubauchen. Es ergiebt sich daraus
eine Gliederung des Körpers in drei undeutlich von einander
282 Die Rädertiere.
geschiedene Regionen, die
von vorn nach hinten als
Kopf, Mittelleib und
Schwanz (letzterer von der
AA 5
Spitze des Kegels und
den zwei Zehen gebildet)
unterschieden werden. Be-
trachten wir den Kopf
genauer, so sehen wir,
dass seine nach vorn ge-
kehrte Fläche nicht eben
ist, sondern dass sie sich
zu einer tiefen trichter-
förmigen Grube (gr) ein-
senkt. Der Rand dieses
Trichters beschreibt kein
regelmässiges Oval, sondern
ein Dreieck, dessen zwei
bauchständige oder „ven-
trale“ Seiten nach hinten
winkelig vorgezogen sind,
sodass sie etwas hinter
dem „Dorsal-Rand“ liegen.
Denken wir uns demnach
einen Kegel an seiner
Basis schräg abgestutzt und
die so erhaltene Fläche
trichterförmig eingestülpt,
so ergeben sich annähernd
gleiche Verhältnisse wie am
Kopfe der Aydatına senta.
Schon eine flüchtige
Betrachtung unseres Tier-
Fig. 62.
chens zeigt uns, dass die
Hydatına senta Q. Ventralansicht. 5 ;
(Starke Vergrösserung.) Kraft, welche dasselbe so
Die Rädertiere. 283
munter im Wasser umhertreibt, vom Kopfende ausgehen muss,
denn während der Mittelkörper und der Schwanz regungslos durch
das flüssige Element dahingleiten, bemerken wir am Kopfe eine
lebhafte Strudelung, deren Ursache uns ein starkes Objektiv er-
kennen lässt. Der ganze Rand des Kopfes und auch ein grosser
Teil der Trichterwandung ist mit zahllosen Härchen (r) besetzt,
die abwechselnd schnell hakenförmig zusammenknickend nach hinten
schlagen und sich dann wieder langsam ausstrecken; jedes Härchen
stellt gleichsam ein Ruder dar, das um einen festen Punkt herum
hin und her bewegt wird. Bei manchen Rotatorien, namentlich
den meisten Erd- und Moosbewohnern, ruft das Spiel dieser
Wimpern oder „Cilien“ den Eindruck eines sich drehenden Rades
hervor; indem nämlich immer nur wenige Ciliengruppen in den
Fokus der betreffenden Linse gleichzeitig hineintreten, und diese
dabei den Kopfrand umkreisend nach einander sichtbar werden,
wird auf das Auge ein ähnlicher Reiz ausgeübt, wie ihn die Speichen
eines in Drehung befindlichen Rades hervorrufen. Aus diesem
Grunde hat man der ganzen Abteilung den Namen „Rädertiere“
gegeben, und bezeichnet man die Summe der zur Bewegung
dienenden Härchen als „Räderapparat“ oder „Räderorgan“
Bei unserer Hydatina hält es nun gar nicht leicht, den Bau dieses
Wimpertrichters genau festzustellen, so dass ın Einzelheiten die
Angaben der verschiedenen Forscher vielfach differieren. Unsere
Abbildung zeigt, wie der Räderapparat im wesentlichen aus zwei
Cilienkränzen, einem äussern und einem innern, besteht. Jener wird
aus einer Reihe sehr zarter und langer Cilien gebildet, zwischen
die sich nur auf der Ventralseite, ungefähr in der Mitte jeder
Seitenhälfte, einzelne derbere Borsten einschieben. Der innere
Kranz hingegen ist vielgestaltiger und zerfällt in drei von einander
getrennte Zonen. An der Rückenwand erhebt er sich zu fünf
grösseren Polstern, die mit starken Borsten besetzt sind und hinter
denen eine Doppelschnur von kleineren Cilien entlang zieht. Auf
der Ventralfläche des Kopftrichters breitet sich jederseits der Median-
linie ein Wimperband aus, das aus einer Reihe grosser und einer
Reihe kleiner Härchen gebildet wird. Endlich ist auch noch der
284 Die Rädertiere.
Grund des Trichters mit zahlreichen kleinen Cilien besetzt, deren
Anordnung sich nicht weiter verfolgen lässt. Der Räderapparat
hat nun nicht allein den Zweck, die Hydatina unter beständigen
Umdrehungen um die Längsachse durch das Wasser zu treiben,
sondern erfüllt auch die viel wesentlichere Aufgabe, die nötige
Nahrung herbeizustrudeln. Unser Krystallfischchen nährt sich, wie
der meist grüne Mageninhalt beweist, vornehmlich von Flagellaten
(Euglenen u. dergl.), kleinen Algen, Diatomeen, Infusorien und
ähnlichen niedrigsten Organismen. Der vom Cilienapparat hervor-
gerufene Strudel packt dieselben und schleudert sie auf den Grund
des Trichters (gr) in’ die daselbst gelegene Mundöffnung, von wo
aus sie durch andere Wimpern in den eigentlichen Verdauungskanal
getrieben werden. Die geschilderten Cilien des Kopftrichters be-
sitzen die Kraft zu ihrer rastlosen Thätigkeit in sich selbst, sie
bewegen sich spontan und werden nicht etwa durch Muskeln be-
wegt. Sie müssen naturgemäss fest in der Haut wurzeln, und
daher sehen wir diese am Kopfe etwas stärker entwickelt als an
anderen Körperstellen.
An der glashellen Körperwand der Hydatina lassen sich zwei
verschiedene Lagen unterscheiden. Die äussere (c) ist völlig
homogen und gegen dünne Kalilauge sehr widerstandsfähig, sodass
wir ihr eine hornartige, „chitinige“ Beschaffenheit zuschreiben dürfen.
Die innere (hg) hingegen ist feinkörnig, protoplasmatisch und ent-
hält von Stelle zu Stelle einen Kern. Besondere Zellgrenzen lassen
sich in dieser Protoplasmaschicht nicht erkennen, sie stellt vielmehr
ein „Zellsyncytium“, d.h. eine durch Verschmelzung der ursprüng-
lich getrennten Zellen einheitlich und kontinuierlich gewordene Lage
dar. Man bezeichnet sie als „Hypodermis“ und nimmt an, die
äussere Schicht, die „Kutikula“, sei durch Abscheidung von ihr
erzeugt. Nur in zwei Körperregionen schwillt die Hypodermis zu
ungewöhnlicher Dicke an. Dieselben liegen an den beiden Polen
des Körpers, nämlich einmal längs des ganzen Randes des Kopf-
trichters, woselbst die Hypodermis zu zahlreichen halbkugeligen
Polstern sich verdickt, welche eben den Cilien des Räderapparates
die gewünschte feste Unterlage bieten, und ferner in den Zehen
Per
Br Term!
“2
Die Rädertiere. 285
des Schwanzes, in denen die Hypodermis sich zu den zwei langen
schlauchförmigen und ein gutes Stück nach vorn in die Leibes-
höhle hineinragenden „Fuss- oder Klebdrüsen“ (/) erweitert.
Beobachtet man eine lebende Hydatina, so wird man bald be-
merken, dass diese keineswegs beständig umherschwimmt, sondern
dass sie von Zeit zu Zeit sich an irgend einem untergetauchten
Gegenstande für wenige Minuten festheftet. Das Spiel der Wimpern
hört unterdessen nicht auf, dient dann aber lediglich seiner zweiten
(nutritorischen) Funktion. Die Anheftung erfolgt mittels eines
klebrigen Sekretes, das in Tropfenform von den Fussdrüsen an der
Spitze der Zehen durch eine sehr kleine Öffnung entleert wird und
bei Berührung mit dem Wasser sofort zu einer festen Masse er-
starr. Die Drüsen sind ebenso gebaut wie die Hypodermis, aus
der sie hervorgegangen sind; sie stellen also ein Zellsyncytium dar
ohne zentrales Lumen, d. h. ohne innere Höhle. Nach vorn läuft
jede Drüse in einen feinen bindegewebigen Faden aus, der sich
an der Körperwand befestigt und dadurch das Organ in der Leibes-
höhle suspendiert erhält. Die Ausmündung erfolgt durch ein feines
Röhrchen.
Von den inneren Organen des Krystallfischchens fallen durch
ihre Grösse dem Beobachter vornehmlich diejenigen sofort auf,
welche der Selbsterhaltung und der Fortpflanzung des Tierchens
dienen, die Ernährungs- und die Geschlechtsorgane. Zu
den ersteren kann man, wie wir oben gesehen haben, auch den
Cilienbesatz des Kopfes rechnen. Die von demselben herbei-
gestrudelten Nahrungsteilchen treten am Grunde des Kopftrichters
in die Mundöffnung über, welche nicht genau in der Mitte des
von den Cilien umstellten Feldes liegt, sondern stark ventralwärts
verschoben ist. Dies hat zur Folge, dass die dorsale Fläche des
Kopftrichters etwas grösser ist, als jede der beiden ventralen, wie
dies auch aus der Betrachtung unserer Abbildung erhellt. Der Ver-
dauungskanal erstreckt sich unter der Rückenhaut als ein gerades,
der Medianlinie folgendes Rohr nach hinten und gliedert sich in
vier Abschnitte, die vom Munde aus gerechnet nach einander als
Kauapparat oder Mastax, Schlund oder Oesophagus, Mitteldarm
286 Die Rädertiere.
oder Magen und Enddarm oder Rectum bezeichnet werden können.
Der Kauapparat (ma) ist ein relativ grosses, querovales, am
Hinterrande dreilappig ausgezogenes Gebilde, das sich nicht direkt
an die Mundöffnung anschliesst, sondern mit dieser durch ein
kurzes flimmerndes Rohr verbunden ist. Ich sehe in diesem keinen
besonderen Abschnitt des Verdauungskanales, sondern rechne es
mit zur Mundöffnung. Der Mastax wird aus einem äusseren
protoplasmatischen Mantel und einem zentralen chitinigen Kiefer-
apparat zusammengesetzt, dessen eigenartige Bewegungen dem
Beobachter sofort ins Auge fallen. Wie etwa die Backen eines
Nussknackers durch den Druck der Hand gegen einander bewegt
und nach Sprengung der Schale wieder von einander entfernt werden,
so rücken die beiden Seitenteile des Gebisses um einen festen
Angelpunkt abwechselnd gegen und von einander und zermalmen
so jedes zwischen sie geratene Nahrungsteilchen. Der Kieferapparat
ist im einzelnen so kompliziert eingerichtet, dass man seinen Bau
nur nach völliger Isolierung erkennen kann. Bei der Kleinheit des
Objektes ist an ein Zerzupfen des Tieres mittels feiner Nadeln
nicht zu denken; wir opfern daher lieber ein Individuum und
bringen einen Tropfen dünner Kalilauge unter das Deckglas. Die-
selbe zerstört, vornehmlich in der Hitze, sämtliche protoplasmatischen
Bestandteile der Hydatina, sodass nur ‘der chitinige Zahnapparat
erhalten bleibt. Jetzt hält es nicht schwer, sich eine ungefähre
Vorstellung von dem zierlichen Gerüste der Kiefer. zu bilden: zwei
nach vorn gerichtete Seitenteile werden hinten durch ein stab-
förmiges unpaares Gebilde zusammengehalten. Sie tragen als
wichtigsten Bestandteil auf der Innenfläche fünf lanzettförmige,
quergerichtete Zahnleisten, die beim Zusammenklappen des Gebisses
sich zwischen einander schieben und so die Nahrung zerquetschen.
Die den Kieferapparat umhüllende Plasmamasse ist offenbar zum
grossen Teile muskulöser Natur und bewirkt die rhythmischen Be-
wegungen, wenn sie auch keine fibrilläre Struktur erkennen lässt.
Einzelne Partien lassen aus ihrem Aussehen auf eine drüsige Funk-
tion schliessen. Auf der Dorsalfläche und nahe dem Hinterrande
des Mastax entspringt der kurze, sehr enge und schwer sicht-
ui
Die Rädertiere. 287
bare Schlund. Abgesehen ‚vom Kauapparat ist er der einzige
Abschnitt des Verdauungskanales, welcher der Flimmercilien ent-
behrt. Der sich an ihn anschliessende Magen (sio) ist gross,
sackförmig, vorn und hinten etwas verschmälert; in ihm pflegen bei
frisch gefangenen Tieren die Nahrungsbestandteile so dicht angehäuft
zu liegen, dass, wie gesagt, die ganze Hydatina unter der Lupe nur
wie ein wandelnder grüner oder schwärzlicher Fleck erscheint.
Unter dem Mikroskope erweisen sich jene Bestandteile grösstenteils
in beständiger zitternder Bewegung, die durch die langen Cilien
der aus einer Schicht grosser polygonaler Zellen gebildeten Wandung
hervorgerufen wird. Besonders gross sind diese Flimmerhaare am
Übergange des Schlundes in den Magen. Neben dieser Stelle sitzt
dem Magen noch ein Paar drüsiger, birnförmiger Anhänge (dr) an,
die einzigen, welche dem Verdauungskanal überhaupt zukommen.
Sie dienen vermutlich als Leber, indem sie ein die Verdauung
unterstützendes Sekret in den Magen entleeren. Der Enddarm
unterscheidet sich im histologischen Bau nur unwesentlich von dem
Magen, von dem eine ringförmige, muskulöse Einschnürung ihn
trennt. Er geht nicht direkt in den querspaltigen, ungefähr am
Anfange des letzten Körperviertels auf der Rückenseite gelegenen
After (a) über, sondern beide trennt ein kurzer, flimmerloser
Zwischenkanal, die sogen. Kloake. Sie nimmt ausser dem End-
darm die Ausführgänge der Zeugungs- und Exkretionsorgane auf.
Die Ausscheidung einer harnartigen Flüssigkeit, welche dem
Körper nicht mehr dienliche stickstoffhaltige Stoffe entfernt, besorgen
zwei schmale, dünnwandige Röhren, die Nephridien (ne) — mit
einem unpassenden Namen auch wohl als „Wassergefässe“ be-
zeichnet —, welche sich vom Kopfabschnitt der Leibeshöhle an
seitlich nach hinten bis zur Kloake erstrecken; sie verschmelzen hier
zu einer gemeinsamen Blase, einem Harnreservoir (c. v), das in die
Kloake einmündet und seinen Inhalt durch rhythmische Kontraktion
seiner Wände in diese entleert. Bei einem gesunden Tiere folgen
Zusammenziehung und Ausdehnung der Blase einander in regel-
mässigem Wechsel, mehrere Male in jeder Minute, sodass man von
einem Pulsieren derselben sprechen kann. Jedes Nierengefäss zeigt
288 Die Rädertiere.
aussen eine zarte, feinkörnige, protoplasmatische Wandung mit hie
und da eingestreuten Kernen und innen einen engen Kanal. An
zwei kleinen Stellen, nämlich vorn im Kopfe und in der Höhe der
Magendrüsen, windet sich der Kanal knotenartig mehrfach hin und
her, und hier findet sich dementsprechend auch eine reichlichere
Ansammlung von Protoplasma. Die beiden vorderen Knäuelpartien
stehen ausserdem durch ein enges, bogenförmig unter der Rücken-
haut (genauer gesagt: dem Gehirn) verlaufendes Quergefäss mit
einander in Verbindung. Jeder Nierenschlauch trägt eine Anzahl
eigenartiger sehr kleiner Anhänge (2), die man auch bei den
Turbellarien vorgefunden hat, und die nach der flackernden,
unsteten Bewegung, die man in ihrem Innern stets bemerkt, als
„Zitterlammen“ oder „Zitterorgane“ bezeichnet werden. Es sind
Ausstülpungen des Kanallumens, die sich bald mit einer dreieckigen
Breitseite, bald mit einer birnförmigen Schmalseite dem Beobachter
präsentieren. jene Bewegung wird hervorgerufen durch die
Schwingungen einer kleinen Membran, die dem freien, nach aussen
geschlossenen Ende der Ausstülpung aufsitzt und in ihr Lumen
hineinragt. Die ganze Bildung ist wohl als eine eigentümliche
Wimperzelle anzusehen, deren physiologische Bedeutung freilich
noch ganz unklar ist.
Untersucht man eine grosse Anzahl von ausgewachsenen
Hydatinen, so wird man erstaunt darüber sein, bei allen auf der
Ventralseite und in. der Mitte des Körpers ein grosses Organ
anzutreffen, das unzweifelhafte Eier enthält und demnach als
Geschlechtsorgan des Weibchens angesehen werden muss.
Vergebens aber suchen wir in diesem Tiere und in anderen Indi-
viduen nach irgendwelchen Andeutungen von einer männlichen
Sexualdrüse. Es hat lange gedauert, bis die hier obwaltenden Ver-
hältnisse klar erkannt worden sind. Bei der Hydatina sind näm-
lich fast alle Individuen weiblichen Geschlechtes, und der Prozentsatz
der Männchen ist ein so ausserordentlich niedriger, dass auf viele
Hunderte von @ nur ein oder einige wenige % kommen. Die %
weichen auch in Grösse und Bau so erheblich von den ® ab, dass
wir weiter unten diesen Dimorphismus der Geschlechter besprechen
Die Rädertiere. 289
werden. Da nun die ® so sehr viel seltener sind, haben die
Hydatinen die Fähigkeit erworben, sich auch ohne die Männchen
„parthenogenetisch“ fortzupflanzen, d. h. die von ihnen erzeugten
Eier bedürfen keiner Befruchtung, sondern entwickeln sich ohne
diese „jungfräulich“ zu neuen Tieren. In dem Ovar bemerkt man
zunächst nur eine dichtkörnige dunkele Protoplasma-Masse (dst),
in der acht ovale, von einem schmalen, hellen Hofe umgebene
Gebilde liegen. Wir sehen hierin acht Kerne, deren Kernkörperchen
eine riesige Ausdehnung gewonnen haben, sodass der eigentliche
Kern auf jene Randzone sich beschränkt. Früher nahm man an,
dass diese Kerne sich, von etwas Protoplasma umgeben, abschnürten
und sodann zu Eiern heranwüchsen. Es hat sich nun neuerdings
gezeigt, dass diese Anschauung nicht richtig ist, sondern dass jene
zusammenhängende mit acht grossen Kernen versehene Protoplasma-
Masse nur einen Teil des Ovars darstellt und zwar denjenigen, der
nicht die Eier erzeugt, sondern diese nur mit Nahrungsdotter ver-
sorgt und daher als Dotterstock zu bezeichnen ist. An seinem
Vorderrande erblickt man an Tieren, die mit Osmium-Säure ab-
getötet, und deren Kerne hinterher durch irgend eine der gebräuch-
lichen Flüssigkeiten, etwa Borax-Karmin, gefärbt worden sind, noch
eine Anzahl sehr kleiner und dicht zusammenliegender Kerne. Diese
stellen den Eierstock fest) dar, denjenigen Teil der Geschlechts-
drüse, welcher die Keimzellen, die Eier, liefert. Wie ein Blick auf
unsere Abbildung lehrt, werden die Kerne des Eierstockes nach
der rechten Ecke des Vorderrandes (die Bauchseite des Tieres ist
dem Beobachter zugewendet) zu immer kleiner. Sie liegen hier,
wie es scheint, in einem kontinuierlichen Protoplasma-Lager, an das
sich nach links zu deutlich gesonderte kleine Eizellen anschliessen.
Je mehr wir uns der linken Ecke des Ovars nähern, um so grösser
werden die Eizellen, und die grössten schieben sich dabei nach
hinten vor und kommen so neben den linken Seitenrand des
Dotterstockes zu liegen, dem sie sich dicht anschmiegen. In dieser
Stellung beginnt nun auch die ernährende Thätigkeit des Dotter-
stockes. Letzterer, wie auch die Eizelle, werden von einer sehr
zarten Membran umhüllt, und durch diese. diffundiert die im
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 19
Pi FE = A TR
x ; |
v -
290 Die Rädertiere,
Dotterstock angesammelte Dottersubstanz hindurch und gelangt so
in die Eizelle hinein. Dieser Übertritt kann natürlich nur in einer
flüssigen Form geschehen und entzieht sich deshalb der direkten
Beobachtung. Aber der Umstand, dass die dem Dotterstocke
angelagerten Eizellen sehr bedeutend an Grösse zunehmen, während
die Plasma-Masse des Dotterstockes abnimmt, lässt keine andere
Deutung der Verhältnisse zu. — Die gesamte Geschlechtsdrüse
wird von einer dünnen Membran sackartig umgeben. Hinter dem
Dotterstock umschliesst dieselbe einen trichterförmig sich nach
hinten verengernden Raum, den „Uterus“ (ut), welcher neben der
kontraktilen Blase der Nephridien in die Kloake mündet. Sobald
die Eier ihre definitive Grösse erreicht haben, fallen sie in den
Uterus hinein und werden aus diesem durch die Kloake hindurch
einzeln abgesetzt. Die Eier sind von runder oder ovaler Gestalt
und schwanken in der Länge ihrer grössten Achse etwa zwischen
0.10 bis 0.14 mm. Untersucht man eine grössere Anzahl solcher
Eier, so wird man einzelne von besonderer Kleinheit antreffen
(0.07 bis 0.11 mm), die im Innern einen sehr auffälligen tiefschwarzen
Fleck aufweisen. Der Breslauer Botaniker Cohn hat zuerst gezeigt,
dass sich aus derartigen Eiern stets Männchen entwickeln. Die
genannten zwei Eisorten sind nun nicht die einzigen, welche unserer
Hydatina zukommen. Da das Tierchen, wie angegeben wurde,
mit Vorliebe sich in ganz seichten Lachen und Gräben aufhält,
welche oft schon nach wenigen Tagen eintrocknen, so würde das-
selbe in solchen Fällen stets zu Grunde gehen, wenn nicht die
Natur ein Schutzmittel in der Erzeugung besonders widerstands-
fähiger „Dauereier“ geschaffen hätte; denn die Hydatina besitzt
nicht das von den Erdrotatorien eingangs geschilderte Eintrocknungs-
vermögen. Sobald das Tier dem feuchten Elemente entrückt wird,
geht es rettungslos zu Grunde. Jene Dauereier hingegen können
unbeschadet ihrer Lebenskraft eintrocknen. Sie unterscheiden sich
von den gewöhnlichen Eiern äusserlich nur dadurch, dass sie von
einer doppelten Hülle umgeben sind, von denen die äussere sehr
derb und mit einem dichten Haarbesatz versehen ist. Ob auch
ein Unterschied — etwa in der Grösse — zwischen männlichen
Die Rädertiere. 291
und weiblichen Dauereiern existiert, oder ob überhaupt nur letztere
vorkommen, was wahrscheinlicher ist, ist zurzeit noch nicht ent-
schieden. Alle drei Eisorten vermögen sich nun auf partheno-
genetischem Wege zu entwickeln und zwar die dünnschaligen sehr
rasch, ungefähr in 24 Stunden, während die Entwickelungsdauer
der hartschaligen sehr verschieden zu sein scheint. Jedenfalls
können diese wochenlang ohne Veränderung verharren und bedürfen
vielleicht unter Umständen erst einer Trockenperiode. Früher be-
zeichnete man die hartschaligen Eier vielfach als „Wintereier“,
indem man annahm, dass sie im Herbste aufträten und die Art
über die rauhe Jahreszeit hinaus erhielten. Cohn stellte ferner
den Satz auf, dass dieselben nur nach erfolgter Begattung gebildet
werden könnten. Beide Ansichten sind nicht richtig. Die Dauer-
eier werden den ganzen Sommer hindurch gebildet und zwar auch
von Weibchen, die nie mit Männchen in Berührung gekommen
sind. Sie dienen auch nicht als Schutz gegen die Kälte, sondern
gegen das Eintrocknen, daher sie auch bei den Erdrotatorien, die
in anderer Weise an das Versiegen des Wassers angepasst sind,
fehlen. Merkwürdigerweise werden alle drei Eisorten je von be-
sonderen Individuen erzeugt, wenigstens bin ich auf Grund grösserer
Versuchsreihen seinerzeit für die A/ydatına senta zu diesem Schlusse
gedrängt worden. Die Mehrzahl aller Hydatinen legt nur weich-
schalige weibliche „Sommereier“, und zwar während ihrer zwei- bis
dreiwöchigen Lebensdauer etwa fünfzig Stück; einige wenige Tiere er-
zeugen ebenso ausschliesslich die kleinen weichschaligen Eier, aus denen
die Männchen schlüpfen. Das Gleiche gilt von denjenigen Tieren,
welche Dauereier ablegen, nur dass die Zahl derselben eine viel
geringere ist, indem täglich nur 1—5 derselben abgesetzt werden*).
*) Nach den neuesten (Comptes rendus, t. CXI. 1890) Untersuchungen von Maupas,
die mir während der Korrektur d. Bog. bekannt werden, sind die Fortpflanzungsverhältnisse
der Hydatina noch etwas anders. Es finden sich zwei Sorten von PL ı) nicht befruchtungs-
fähige, die ausnahmslos weibliche parthenogenetische Eier erzeugen; 2) befruchtungsfähige,
die im Falle einer Befruchtung Dauereier absetzen, bei mangelnder Begattung männliche
Sommereier liefern. Nicht jede Begattung führt zu einer Befruchtung, sondern nur dann,
wenn sie in den ersten acht Stunden nach dem Verlassen des Eies an einem Q vollzogen
wird. Q, die mit der Eierablage begonnen haben, sind überhaupt nicht mehr einer Be-
fruchtung zugängig, daher man unter diesen drei verschiedene Arten von Individuen, den
drei Eisorten entsprechend, unterscheiden kann.
19*
292 Die Rädertiere.
Das Nervensystem der Hydatina besitzt als Zentralorgan
ein über und etwas vor dem Schlundkopf gelegenes Ganglienpaar,
das als „Gehirn“ bezeichnet wird. Betrachtet man dasselbe vom
Rücken aus, so hat es annähernd den Umriss eines Parallelogramms,
dessen Längsachse quergestellt ist. Von derSeite gesehen erscheint es
kegelförmig nach hinten verjüngt. Nach Anwendung von Reagentien
lassen sich zahlreiche in den peripherischen Schichten liegende Kerne
erkennen; seine Struktur ist im einzelnen noch nicht untersucht
worden. Von dem Gehirn ziehen jederseits nach vorn drei
Nervenstränge, welche diejenigen Matrix-Verdickungen versorgen,
welche die grossen Borstenbüschel tragen. Nach hinten setzt sich
das Gehirn in einen Nerv fort, der schräg nach hinten und
oben zur Rückenwand zieht und hier ein für die Rotatorien sehr
charakteristisches Sinnesorgan, den „dorsalen Taster“, bildet. Dicht
unter der Haut schwillt nämlich der Nerv zu einem kleinen, aus
nur wenigen bipolaren Ganglien-Zellen gebildeten Ganglion an, das
an eine kreisrunde Öffnung in der Kutikula sich ansetzt. Aus dieser
Öffnung strahlt ein Büschel langer zarter Borsten hervor, welche
offenbar sehr empfindlich sind, den bei Berührung empfundenen
Reiz zum Gehirn weiterleiten und hier zum Bewusstsein kommen
lassen. Ein ganz ähnlich gebautes Sinnesorgan findet sich jederseits
ungefähr in der Mitte des Körpers (lt), doch ist dasselbe wegen
seines zarten, durchsichtigen Baues nicht eben leicht zu finden und
bis vor kurzem von allen Beobachtern übersehen worden. Die
„lateralen Taster“ laufen nach vorn in einen Nerv fort, der sicher-
lich direkt oder indirekt mit dem Gehirn in Zusammenhang steht,
wenn es auch bis jetzt noch nicht hat glücken wollen, denselben
nachzuweisen.
Auf eine eingehende Darstellung des Muskelsystems der
Hydatina will ich hier verzichten. Es sei nur bemerkt, dass die
Muskelfasern sämtlich glatt sind und unter der Haut liegen, an die
sie sich mit beiden Enden anheften. Der Richtung nach kann
man Quer- und Längsmuskeln unterscheiden. Die ersteren um-
ziehen reifenförmig in ziemlich gleichen Abständen den Körper
und bewirken am lebenden Tier, wenn sie sich kontrahieren, häufig
Die Rädertiere, 293
ud
den Anschein einer segmentalen Gliederung. Zu den Längsmuskeln
rechne ich auch diejenigen Bänder, welche in etwas schräger
Richtung durch die Leibeshöhle ziehen. Sie bewirken vornehmlich
die so häufige und für die Untersuchung so störende Einstülpung
von Kopf und Schwanz in den Mittelkörper. — Besondere Respirations-
organe fehlen der Hydatina ebensosehr, wie Blutgefässe. Die Atmung
findet offenbar durch die ganze Haut statt. Die die Leibeshöhle
erfüllende Flüssigkeit ist wasserklar, ohne irgendwelche an Blut-
körperchen erinnernde Zellen. Durch die Wirkung der Muskeln
wird sie beständig in der Körperhöhle hin und her getrieben und
kann daher die von den inneren Organen ausgeschiedene Kohlen-
säure leicht der Hautfläche zuführen und so den Gasaustausch
vermitteln. Sie dient auch als Antagonist der Längsmuskeln, indem
die eingestülpten Körperpole durch sie unter gleichzeitiger Wirkung
der Ringmuskeln wieder hervorgepresst werden. — Endlich seien hier
noch die zahlreichen zarten Bindegewebsfäden erwähnt, welche
sich zwischen den einzelnen Organen ausspannen und diese in ihrer
Lage zu einander und zur Haut erhalten.
Schon oben habe ich kurz des eigenartigen Geschlechts-
Dimorphismus gedacht, welcher unserer Hydatina zukommt.
Die früher herrschende Ansicht, derzufolge die Männchen nur im
Herbste auftreten, um die Produktion von Dauereiern hervorzurufen,
ist nicht richtig. Sie finden sich zu allen Jahreszeiten; da sie aber
an Individuenzahl hinter den Weibchen so ausserordentlich zurück-
stehen, so wird man ihrer nur dann habhaft werden, wenn man
über grosse Mengen von Hydatinen verfügt. Am zweckmässigsten
ist es in diesem Falle, etwa hundert Weibchen, einzeln oder in
beschränkter Anzahl, in Uhrschälchen zu isolieren und die abge-
legten Eier zu kontrollieren. Bemerkt man unter diesen solche von
geringer Grösse und mit einem schwarzen, wahrscheinlich aus fäkal-
artigen, nicht mehr verwertbaren Massen gebildeten Fleck, so hält
es nicht schwer, das zugehörige Muttertier zu ermitteln und sich
durch dieses fortlaufend mit männlichen Individuen versorgen zu
lassen. Für die Männchen ist zweierlei charakteristisch: einmal
die geringe Grösse im Vergleich mit den Weibchen und zweitens
294 Die Rädertiere.
die Reduktion der Örganisationshöhe, welche sich‘ vornehmlich
in dem fast völligen Schwunde des Verdauungskanals ausspricht.
Es sind äusserst flinke, kleine Tierchen, die nur ungefähr halb so
lang als die Weibchen sind und blitzschnell im Wasser umher-
schwimmen. Die Körpergestalt (Fig. 63) ist ungefähr die gleiche
wie bei den Weibchen, nur ist der Kopftrichter weit flacher
und stellt eine seichte Mulde dar, was wohl mit dem Schwunde der
Mundöffnung zusammenhängt. Am Räderapparat erkennt man den
äussern Cilienkranz und die fünf mit stärkeren Cilien besetzten
dorsalen Polster. Das einzige Organ, welches in der Leibeshöhle
durch seine Grösse auffällt, ist der birnförmige Hoden (f), der
durch einen kurzen, mit starker Ringmuskulatur ausgezeichneten
Ausführgang an der der weiblichen Kloakenöffnung entsprechenden
Stelle ausmündet. Er kann bei der Begattung vorgestülpt werden
und darf daher als Penis bezeichnet
werden. Im Innern des Hodens
bemerkt man bei geschlechtsreifen
Tieren ein siedendes Gewimmel
kleiner Samenfäden, die bei An-
wendung sehr starker Objektive
einen angeschwollenen Kopf und
einen schwanzartigen Anhangsfaden
mit undulierendem Saume erkennen
lassen. An der Wurzel des Aus-
führganges zeigt die Hodenblase
eine feine Längsstreifung; dieselbe liegt
nicht in der Wandung, sondern wird
durch kleine nadelförmige Gebilde
hervorgerufen, die bewegungslos sind
and deshalb kaum als Samenfäden
gedeutet werden können. Der Ver-
Fig. 63.
Hydatina senta b. Nach Weber. dauungskanal (sio) hat sich nur
Seitenansicht.
in ganz rudimentärer Form erhalten;
er ist bandförmig, ohne Lumen und erstreckt sich von der Rückenfläche
des Hodens bis zur Kopfmulde. Die Berechtigung, dieses Gebilde als
Die Rädertiere. 295
rückgebildeten Darm aufzufassen, ergiebt sich einmal aus seiner Lage
im Körper und dann daraus, dass in ihm die oben erwähnten
schwarzen Körnchen liegen, welche bei den Weibchen verschiedener
anderer Rotatorien im Darm angetroffen werden. Auch das
Exkretionssystem der Männchen ist einfacher als bei den Weibchen;
eine pulsierende, für beide Nephridien gemeinschaftliche Blase fehlt,
so dass dieselben getrennt neben der Penisöffnung ausmünden. Im
übrigen sind die Verhältnisse hier, wie auch im Nerven-, Muskel-
und Hautsystem dieselben wie bei den Weibchen. Da die Männchen
nicht imstande sind, Nahrung aufzunehmen, so ist ihre Lebens-
dauer eine sehr kurze; ich habe sie in der feuchten Kammer nur
2—3 Tage zu halten vermocht. Sehr eigenartige Verhältnisse
scheinen bei der Begattung vorzuliegen. Man trifft nicht zu selten
weibliche Tiere an, die in ihrer Leibeshöhle lebende Samenfäden
aufweisen, während man dieselben doch höchstens im Uterus
erwarten sollte. Bringt man nun mehrere (5—6) Männchen mit
einem Weibchen in einem kleinen Wassertropfen zusammen, so
nehmen die Tierchen anfangs, auch bei gegenseitiger Berührung,
keine Notiz von einander. Nach einiger Zeit ändert sich das Bild.
Die Männchen beginnen das Weibchen zu umschwärmen und
gelegentlich sieht man ein, event. auch mehrere Männchen sich dem
Weibchen mit vorgestülptem Penis an irgend einer Körperstelle,
aber nicht an der Geschlechtsöffnung, anheften. Wird nun ein
solches Weibchen sofort genauer untersucht, so finden sich Ballen
von Spermatozoen der Innenseite der Haut an eben jenen Stellen
angeheftet, während einige Samenfäden sich schon in der Leibes-
höhle umhertummeln. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass
es hier zu einer Begattung gekommen ist, wenn es zurzeit auch
noch nicht möglich ist, zu entscheiden, ob diese Samenfäden sich
später in das Ovar einbohren und hier eine Befruchtung herbei-
führen; da ich nach 24 Stunden stets nur abgestorbene Samen-
körper in begatteten Weibchen antraf, so scheint es mir wahr-
scheinlicher, dass es in solchen Fällen überhaupt nicht zu einer
Befruchtung kommt, der ganze Vorgang daher eigentlich über-
flüssig ist, und dass eine solche wohl nur dann eintritt, wenn es
296 Die Rädertiere.
dem Männchen gelingt, die Kloakenöffnung des Weibchens auf-
zufinden *).
Nachdem wir im vorstehenden Bau und Biologie eines
typischen Rotators kennen gelernt haben, werden wir verhältnis-
mässig leicht uns ein Bild der in der ganzen Klasse vorkommenden
Organisationsverschiedenheiten entwerfen können, denn die Rota-
torien sind im Vergleich mit anderen Abteilungen des Tierreiches
sehr einförmig zu nennen, und ihre morphologische Differenzierung
schwankt nur innerhalb enggezogener Grenzen.
Il. Vergleichende Schilderung
der Morphologie der Rotatorien **).
1. Die Körpergestalt.
Alle Rädertiere sind ungegliedert und bilateral-symmetrisch,
d. h. sie lassen sich nur durch eine in die Längsachse des Tieres
gelegte Ebene in zwei symmetrische Körperhälften — eine linke und
eine rechte — teilen, und dementsprechend kann man an ihnen
ein vorderes und ein hinteres Körperende und eine Bauch- und
eine Rückenseite unterscheiden. Von allen Körperachsen ist die-
jenige, welche vom vordern zum hintern Körperpole geht, fast
ausnahmslos die längste, und da gleichzeitig die Breite des Tieres
im Verhältnis zur Länge in der Regel sehr gering ist, so haben
die meisten Rotatorien einen gestreckten, wurmartigen Habitus,
dessen Länge zwischen 3 bis 0.05 mm schwankt. Der Querschnitt
durch die Mitte des Körpers zeigt entweder einen runden bis
ovalen Umriss, oder die Dorsoventral-Achse ist nur sehr klein, und
das Tier (z. B. ein Brachionus, Fig. 69 S. 300, oder eine Poly-
arthra, Fig. 66 S. 298) erscheint dann stark abgeplattet, scheiben-
förmig. Dass alle drei Körperachsen ungefähr gleich lang sind,
und der Körper daher die Gestalt einer Kugel besitzt, kommt nur
*) Diese Auffassung wird natürlich nach den neuesten Angaben von Maupas
(cf. S. 291) hinfällig.
**) Dieselbe bezieht sich nur auf die Weibchen, da die Morphologie der Männchen
in einem besondern Abschnitte besprochen werden soll.
Die Rädertiere. 997
bei zwei, auch in der innern Organisation sehr abweichenden Arten
vor, nämlich erstens bei der von Semper auf den Philippinen
entdeckten Zrochosphaera aequato-
rıalis, bei der die Stirnfläche des
Kopfes halbkugelförmig aufgeblasen
ist, sodass der Ciliensaum des Räder-
apparates den Körper in äquatorialer
Stellung umzieht, und zweitens bei
Apsilus lentiformis, einer seltenen
deutschen (bei Giessen beobachteten)
Art. Annähernder Gleichheit in der
Grösse der Quer- und Längsachsen
begegnen wir schon häufiger, z. B.
bei den scheibenförmigen Gattungen
Pterodina und Pompholyx. Bei fast
allen Rotatorien ist das vordere Körper-
ende quer abgestutzt, und die so ent-
standene „Stirnfläche“ trägt den Räder-
apparat und, der Ventralseite genähert,
die Mundöffnung. Die Breite des
Kopfes ist bald dieselbe wie in den
mittleren Körperregionen, bald wird
sie etwas geringer als diese, so dass
sich der Körper nach vorn leicht
verjüngt. Bei besonders mächtiger
Entwickelung des Räderapparates
(s. weiter unten) kann der Stirnfläche
auch die Maximalbreite des Körpers
zukommen. Hinter der Afteröffnung
verjüngt sich der Körper fast aller
Rädertiere und bildet so den zur
dauernden oder vorübergehenden An-
Fig. 64.
Callidina symbiofica. Nach Zelinka,
heftung dienenden Schwanz (Fig. 62, a
63, 64, 65, 69). Dieser Schwanz kann in sehr verschieden deut-
lichem Grade sich vom Mittelkörper absetzen. Bei den in
FE PAR
s
298 Die Rädertiere.
Fig. 62—65 abgebildeten Arten gehen beide ganz allmählich in
einander über. Bei der Asplanchnopus myrmeleo (Fig. 68) sitzt
der kurze in zwei Zehen auslaufende Schwanz nicht am Hinterende
des Rumpfes, sondern fügt sich der Bauchseite ein gutes Stück
weiter nach vorn an. Fig. 69 zeigt uns einen Brachionus, bei dem
der schmale Schwanz fast die halbe Körperlänge erreicht, von dem
Fig. 66.
Polyarthra platyßtera. Nach Leydig.
Rückenansicht.
Fig. 65. Fig. 67.
Flosculariacornuta. Nach Leydig. Anuraea aculeata. Nach Hudson-
Seitenansicht. Gosse. Rückenänsicht.
viel breitern Mittelkörper sehr scharf abgesetzt ist und durch
besondere Muskeln vorübergehend ganz in diesen zurückgezogen
werden kann. Endlich giebt es eine Anzahl Formen, denen
ein echter Schwanzanhang überhaupt fehlt; so die Gattungen
Polyarthra (Fig. 66), Triarthra, Hertwigia, Asplanchna, Anuraca
(Fig. 67), Sacculus. Bei diesen mangeln mit dem Schwanze
gleichzeitig die Fuss- oder Klebdrüsen, sodass die Tiere nicht
Die Rädertiere. 299
im stande sind, sich festzuheften. — Die Fussdrüsen (/) sehr vieler
Rädertiere münden an der Spitze zweier (selten einer: Monostyla)
sehr verschieden langer dolchförmiger Zehen, die bald an einander
gelegt, bald gespreizt getragen werden. Bei den im erwachsenen
Zustande dauernd festsitzenden Melicertiden, z. B. der Gattung
Floscularia (Fig. 65), sind zwar die Fussdrüsen mächtig entwickelt,
Zehen hingegen fehlen, und der Körper endet mit einer quer ab-
gestutzten kleinen Fläche. Anderseits giebt es eine Abteilung unter
den Rädertieren, bei denen die Zehen stets in grösserer Zahl als
zwei auftreten. Es sind dies die Philodiniden, wozu der gemeine
Rotifer vulgarıs und fast alle Erdrotatorien gehören. Bei diesen
läuft der Schwanz bald in drei (Rotifer, Actinurus), bald in vier
(Philodina*)) Zehen aus, die
cylindrische fingerförmige Anhänge
darstellen. Vier kurze Zehen
kommen auch der an den Beinen
unseres DBachflohkrebses leben-
den Calhdina parasıtiıca Gigl. zu,
während bei anderen nahen
Verwandten noch weitergehende
Modifikationen beobachtet wer-
den. Bei Callıdına symbiotica Zel.
(Fig. 64) endigt der Schwanz mit
zehn sehr kleinen Zehen, und
bei Cal. magna Plate münden
die Ausführgänge der Klebdrüsen
in eine von zahlreichen dicht-
stehenden Kanälen durchbrochene est
kreisförmige Platte aus. Alle die iENbR:
eenannten Gattungen der Philo- Asplanchna (Asplanchnopus) mıyrmeleo.
= i ‚ Bauchansicht.
diniden besitzen ausserdem noch
zwei „Afterzehen“ oder „Sporen“, welche kurz vor den eigentlichen
Zehen von der Rückenseite ausgehen und in der Gestalt diesen
*) Nach E.F. Weber, während Hudson-Gosse auch für Phzlodina nur drei
Zehen angeben.
300 Die Rüädertiere.,
sehr ähneln (Fig. 64,2). Bei Call. parasıtica fungieren sie auch als
echte Zehen, indem sie Ausführgänge der Klebdrüsen aufnehmen;
bei allen übrigen Arten hingegen enden sie blind geschlossen und
sind daher wohl ihrer ursprünglichen Funktion verlustig gegangen.
re
Fig. 60.
Brachionus rubens. Nach Hudson-Gosse. Rückenansicht.
Die Fusszehen der Rotatorien können als Körper-
anhänge angesehen werden, welche durch Ausstülpungen
der Haut entstanden sind. Ähnliche, aber nicht der Festheftung
Die Rädertiere. 301
sondern der Bewegung dienende Anhänge, die ihren Trägern
häufig ein sehr absonderliches Aussehen verleihen, treffen wir
bei einigen Rädertieren an, die sehr verschiedenen Unter-
abteilungen des Systems angehören. Ich erwähne hier nur drei
verschiedene Arten derartiger Ausstülpungen. Bei den Philodiniden
entspringt dicht hinter dem Räderapparat ein langer, aus- und
einstülpbarer „Rüssel“ (Fig. 64, rs), der an seinem verjüngten Vorder-
ende mit beweglichen Cilien besetzt ist. Der Rüssel ist an seiner
Basis fast so breit wie der Körper, sodass man darüber im Zweifel
sein kann, ob man ihn als eine aus der Rückenfläche hervor-
gewachsene Neubildung oder nicht vielmehr als das ursprüngliche
Vorderende des Körpers anzusehen hat, in welchem Falle der
Cilienapparat zum grössten Teile auf die Bauchfläche übergetreten
wäre und sich mit der Mundöffnung ein gutes Stück nach hinten ver-
schoben hätte. Rüssel und Räderapparat sind bei den Philodiniden
nie gleichzeitig in Thätigkeit, sondern in dem Moment, wo ersterer
sich hervorstülpt, wird letzterer eingezogen. Der Rüssel dient teils
als Träger von Sinnesorganen (Tastborsten, Augenflecke), teils ver-
mittelt er mit den Fusszehen die spannerraupenartige Bewegungs-
weise der Philodiniden, wobei seine vordere Wimperplatte wie eine
Saugscheibe der Unterlage angeheftet wird. — Unter den Arten
der Gattung Asplanchna zeichnen sich einige durch den Besitz
von 2—4 kegelförmigen Hautauswüchsen aus, die vom Rücken
oder den Körperseiten entspringen und zumteil eine beträchtliche
Höhe erreichen. Bald treten dieselben nur bei den Männchen auf
(so bei Aspl. Sieboldii Leyd.*) in Vier-, bei Aspl. intermedia Huds.
in Zweizahl), bald sind beide Geschlechter, wenn auch zuweilen in
verschiedener Weise, mit ihnen ausgerüstet (Aspl. amphora Huds.
und Aspl. Zbbesbornü Huds.).. Eine besondere Funktion scheint
ihnen nicht zuzukommen. — Ein besonderes Interesse beanspruchen
die bei den Gattungen Polyarthra, Triarthra, Pedetes und Pedalion
*) Neuerdings hat E. v. Daday die sehr interessante Beobachtung gemacht, dass bei
Aspl. Sieboldit zwei verschiedene Weibchen vorkommen, erstens männlich-geformte mit
vier konischen Hautanhängen und zweitens solche ohne diese (Math. u. Naturw. Berichte
aus Ungarn. VII. 1880).
302 Die Rädertiere.
vorkommenden Anhänge, da sie auffallend an die Extremitäten der
Entomostraken erinnern. Wie diese sind sie scharf, zumteil sogar
gelenkig, vom Körper abgesetzt, sind beweglich, tragen nicht selten
gefiederte Borsten und dienen der gleichen Funktion, nämlich zum
Rudern. Dennoch sind dieselben nur als analoge Bildungen anzu-
sehen, denn die zwei wichtigsten Merkmale der Entomostraken-
Gliedmassen, die paarweise und ausschliesslich ventrale Gruppierung
und der Spaltfusscharakter gehen ihnen völlig ab.
Dass nun der Habitus der Rädertiere im einzelnen so vielen
kleinen Veränderungen unterworfen ist, wird vornehmlich durch
zwei Organsysteme bewirkt, nämlich einmal durch die Vielgestaltig-
keit des Räderapparates und dann durch den wechselnden Grad
von Festigkeit, welcher der Haut eigen ist. Wir beginnen daher
die vergleichende Betrachtung der ÖOrgansysteme mit diesen.
2. Die Körperhaut.
Wenn ich die Rädertiere oben als ungegliedert bezeichnete,
so scheint die Beschaffenheit der Körperdecke vieler Arten sich
hiermit schwer in Einklang bringen zu lassen. Fanden wir doch
schon bei der Aydatina und ebenso bei Callidina symbiotica (Fig. 64),
wie der Körper durch mehrere in ziemlich gleichen Abständen auf-
einanderfolgende Einschnürungen, ähnlich einem Ringel- oder Band-
wurme, in Segmente gegliedert wurde. In der That lässt die Haut
vieler Rotatorien eine Zusammensetzung aus mehreren gleichen
Zonen erkennen, aber da wir bei keinem innern Organe etwas
Ähnliches antreffen, sondern alle nur in Ein- oder Zweizahl vor-
handen sind, kann von einem metameren Körperbaue nicht die
Rede sein, sondern höchstens von einer auf die Haut und die
zugehörigen Muskeln beschränkten Scheinsegmentierung. Diese
kommt entweder nur durch die Anordnung der Ringmuskeln zu
stande (F/ydatina), oder Hand in Hand mit dieser geht eine
Zusammensetzung der Haut aus abwechselnd derben und weichen
Partien. Die ersteren bilden bei den Philodiniden die eigentlichen
Hautsegmente, die letzteren die je zwei Segmente von einander
sondernden Furchen, welche in Gestalt von Ringfalten sich unter
Die Rädertiere. 303
die Haut des nächsthintern Scheinsegmentes legen. In der Dicke
verhält sich die Kutikula der Falten ganz gleich derjenigen der
Segmente, in die sie ja auch kontinuierlich übergeht. Dass jene
Falten konstante Bildungen sind, lässt sich daher wohl nur aus
einer weicheren Beschaffenheit derselben erklären. Kontrahieren
sich die Längsmuskeln, so schieben sich die schmäleren Schein-
segmente in ‚die weiteren hinein, ähnlich wie man die Ringe des
Tubus eines Fernrohres in einander stecken kann. — Viel auf-
fallender als bei den Philodiniden ist der Unterschied zwischen
weichhäutigen und derben Partien der Kutikula bei den sogenannten
„gepanzerten“ Rädertieren. Es gehören hierher zahlreiche Gattungen,
von denen manche, wie Brachionus, Anuraea, Pterodina, Salpına,
Colurus, Metopidia, zu den gemeinsten Vertretern der Klasse zählen.
Der Panzer, d. h. der derbhäutige unelastische Abschnitt der Haut,
umfasst bei diesen Formen nur den Mittelkörper. Die Haut des
Kopfes und des Schwanzes (falls ein solcher überhaupt vorhanden
ist) hingegen bleibt von der gewöhnlichen Konsistenz. Im Panzer
nimmt die Kutikula eine grössere Dicke an und bedeckt sich
mit den verschiedenartigsten Skulpturen, wie Leisten, Rillen,
Punkten, Höckern u. dgl., welche häufig zu sehr zierlichen Zeich-
nungen zusammentreten. Unsere Abbildung der Anuraea aculeata
(Fig. 67) lässt z. B. die polygonalen Felder der Rückenfläche des
Panzers deutlich erkennen. Sehr häufig läuft der Panzer dort, wo
er in die weiche Haut des Kopfes und des Schwanzes übergeht
oder, obwohl seltener, an anderen Stellen in zahnartige Fortsätze
aus. So verdankt die eben erwähnte Anuraea ihren Speziesnamen
aculeata dem Umstande, dass der Panzer am Vorderrande sechs,
am Hinterrande zwei ansehnliche Dornen trägt. Bei den ver-
schiedenen Brachionus-Arten differiert vornehmlich die Zahl, Grösse
und Anordnung der Zähne am Vorderrande der Schale; ausser
diesen begegnen wir vielfach zwei kleinen Zähnen an der Basis
des Schwanzes (Fig. 69). Bei einigen Rädertieren erreichen die
Stacheln des Panzers eine solche Länge, dass ganz abenteuerliche
Formen hierdurch entstehen, Anuraea longispina Kellic. z. B. trägt
vorn drei, hinten einen spiessartigen Fortsatz von der Länge des
304 Die Rädertiere.
ganzen Panzers. Bei Stephanops trıpus Lord und Steph. Leidigü
Zacharias sitzt der Rückenfläche ein nach hinten gerichteter und
bogenförmig gekrümmter Stachel auf, welcher bei ersterer etwas
kürzer, bei letzterer länger als das ganze Tier ist. — Der Panzer
bewirkt in einzelnen Fällen eine Abweichung von der typischen
Lagerung der inneren Organe. Ist er z. B. sehr flach gebaut
(Pterodina, Metopidia), so kommen die Geschlechtsorgane im
entwickelten Zustande teilweise neben den Darm, anstatt unter
ihn, zu liegen. Ferner hat sich die Öffnung der Kloake von der
Dorsalseite auf die Bauchfläche verschoben bei den Gattungen
Pterodina, Anuraea und Dinocharis, welch’ letztere auch dadurch
bemerkenswert ist, dass bei ihr der Hals panzerartig erhärtet ist,
während sonst der Kopf stets weichhäutig bleibt.
3. Der Räderapparat.
Von allen Organsystemen zeigt keines eine so grosse Viel-
gestaltigkeit und einen so verschiedenen Ausbildungsgrad als das-
jenige, welches die Lokomotion und die Nahrungsaufnahme ver-
mittelt, das Räderorgan. Dennoch zeigt eine vergleichende
Betrachtung, dass den meisten Rotatorien eine gemeinsame Grund-
form in der Anordnung der Cilien zukommt, die freilich nicht
immer mit gleicher Deutlichkeit zu Tage tritt. Dieselben stehen
nämlich in zwei Kreisen, von denen der eine, innere in vielen
Fällen vor, der andere, äussere hinter der Mundöffnung gelegen
ist; der letztere setzt sich in der Regel in die Mundöffnung selbst
fort. In sehr prägnanter Weise treffen wir einen derartigen dop-
pelten Wimpersaum, einen praeoralen und einen postoralen, bei
den Gattungen Rotifer, Philodina, Callıdina (Fig. 64), Pterodina,
Melicerta, Lacinularia und einigen anderen an. Hier ist auch
eine Arbeitsteilung in der Funktion der beiden Cilienkränze ein-
getreten. Der praeorale ist mit besonders starken Cilien versehen
und dient zur Fortbewegung des Tieres, während die schwächeren
Flimmern des postoralen Kranzes die Nahrungsteilchen in den
Mund strudeln. Die eigenartige Radbewegung, welche das Spiel
der praeoralen Wimpern dem Auge vortäuscht, ist, wie schon
a
ee
Die Rädertiere. 305
erwähnt wurde, die Veranlassung zur Benennung der hierher ge-
hörigen Organismen als Rädertiere gewesen. Unsere Abbildung der
Callidina symbiotica (Fig. 64) zeigt, wie die Cilien dieses vordern
Kranzes auf zwei durch eine mediane Furche von einander ge-
trennten Polstern, Ausstülpungen der Stirnfläche, randständig ange-
bracht und in der Mitte der Bauch- und Rückenseite durch eine
nackte Stelle unterbrochen sind. Man könnte daher auch von zwei
unvollständigen Cilienkreisen reden, wenn die Raddrehung derselben
nicht in gleichem Sinne dem Auge sich darböte. Der hintere,
postorale Kranz besteht nicht aus einer einfachen Cilienreihe,
sondern stellt einen Flimmerstreifen dar, welcher jederseits aus der
ventralwärts stark lippenförmig vorspringenden Mundöffnung hervor-
tritt und um jene Stirnpolster herum sich dem Rücken zuwendet.
Eine Verschmelzung in der dorsalen Mediane findet aber auch bei
diesem Kranze nicht statt. — Die Umbildung der beiden für die
genannten Gattungen charakteristischen primitiven Wimpersäume
erfolgte bei den übrigen Rädertieren nach zwei Richtungen hin,
jenachdem der postorale, äussere oder der praeorale, innere Cilien-
kranz der mächtigere wurde und besondere Differenzierungen ein-
ging. Der erstere Fall ist nur selten, nämlich bei den festsitzenden
Gattungen Floscularia (Fig. 65) und Stephanoceros, eingetreten. Bei
beiden hat sich die Stirnfläche kelchförmig eingesenkt und trägt im
Grunde die von kleinen Cilien des inneren Kranzes umstellte Mund-
öffnung. Der Kelchrand trägt die sehr langen [bei einzelnen Arten
(Floscularia mira Huds.) geradezu enorm grossen] Cilien des äusseren
Kranzes und ist in fünf Anhänge ausgezogen, auf die sich die
Wimpern auch fortsetzen. Bei Floscularıa sind es kurze, stumpf-
kegelförmige Zipfel, bei dem schönen Stephanoceros Eichhornü hin-
gegen lange, zungenförmige Fortsätze. — Bei der weitaus grössten
Zahl der Rotatorien erleidet hingegen der innere Cilienkranz mannig-
fache Umgestaltungen: aus der ursprünglich einfachen Cilienreihe
werden mehrere; einzelne erheben sich auf besonderen Polstern
und nehmen dann die Gestalt derber Griffel an; andere verlieren
ihre Beweglichkeit und werden zu starren langen Tastborsten; die
ursprüngliche ringförmige Anordnung wird verwischt, indem der
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 20
306 Die Rädertiere,
Zusammenhang der Cilien durch nackte Partien unterbrochen wird;
es treten sehr feine Cilien sekundär an ursprünglich nackten Stellen
der Stirnfläche auf, und so fort. Auf alle diese zahlreichen Modi-
fikationen hier näher einzugehen, ist unmöglich, und seien daher
nur noch zwei Abweichungen erwähnt. Bei Besprechung der
Körpergestalt der Philodiniden wurde schon hervorgehoben, dass
die Spitze des dorsalen „Rüssels“ mit einer kleinen Flimmerplatte
besetzt ist, also mit einer Art sekundären Räderorgans (vgl. Fig. 64).
Wie dieselbe zu deuten ist, ob als Bildung sui generis oder als
abgespaltener Teil des ursprünglich einheitlichen Cilienapparates,
lässt sich schwer entscheiden. Letzteres scheint die grössere Wahr-
scheinlichkeit für sich zu haben, indem der Dorsalrand der Wimper-
scheibe sich in verschiedenen Gattungen in einen zungenförmigen
Anhang auszieht, der dann entweder (Rhinops vitrea) noch vom
äusseren Wimpersaum umzogen wird oder nur einige Tastborsten
trägt (Adineta vaga) oder endlich ganz nackt geworden ist (Meto-
pidia, Stephanops). Abspaltungen seitlicher Partien des Räder-
apparates werden auch sonst beobachtet, so bei der Gattung
Synchaeta, die jederseits ein „Wimperohr“ am Kopfe trägt. —
Die zweite hier zu erwähnende Abweichung betrifft Formen, deren
Cilienapparat eine ventrale und vorn am Körper gelegene Scheibe
darstellt (Notommata tardıgrada Leyd., Adineta vaga Dav., Diglena
forcipata Ehr., Digl. giraffa Gosse), die dicht mit kleinen Wimpern
besetzt ist. Von einer ursprünglich ringförmigen Anordnung der
Cilien haben sich keine Andeutungen erhalten, und die ganze
Bildung erinnert ausserordentlich an die Gastrotrichen, eine kleine
Gruppe mikroskopischer Süsswassertierchen, die ungefähr die Gestalt
der Rotatorien haben, aber auf der ganzen Bauchseite bewimpert
sind. — Der Räderapparat fehlt nur bei wenigen Gattungen, die
auch sonst in ihrer Organisation sehr abweichen, völlig: so bei dem
an der Unterseite von Nymphaeablättern festgehefteten Apsilus
lentiformis Metschn., bei dem Regenwurmparasiten Balatro clavus
Clap. und bei dem marinen, auf Nebalia schmarotzenden Para-
seison nudus Plate. Bei manchen der kleineren Arten scheint er
stark reduziert zu sein, ohne dass jedoch unsere Instrumente zur-
sau
Die Rädertiere, 307
zeit für ein eingehendes Studium derselben ausreichten. — Der
Cilienapparat kann bei allen Rotatorien mit Ausnahme der Gattung
Adineta vorübergehend in den Mittelkörper eingestülpt werden. In
diesem Zustande ruhen die Cilien, beginnen aber mit dem Moment
der Ausstülpung, offenbar unwillkürlich, wieder ihre Thätigkeit. Soll
bei den Philodiniden der Räderapparat benutzt werden, so muss
der „Rüssel“ eingestülpt im Körper liegen. Anderseits wird jener
sofort eingezogen, wenn das Tier beginnt sich spannerraupenartig
unter abwechselnder Festheftung und Loslösung der Rüsselspitze
und der Zehen fortzubewegen. Man erblickt daher nur aus-
nahmsweise die beiden Cilienregionen gleichzeitig in Thätigkeit.
4. Die Muskulatur
der Rädertiere ist noch zu wenig erforscht, um eine vergleichende
Schilderung zu ermöglichen. Bei vielen, vielleicht allen Rotatorien
giebt es in der Mitte des Rumpfes eine Querlinie, von der die
grossen nach vorn und nach hinten laufenden Längsmuskeln aus-
strahlen. Neben den glatten Muskeln, welche weitaus die Mehrzahl
bilden, kommen bei einigen Arten auch quergestreifte vor; solche
sind z. B. die Kopfretraktoren von Pferodina und Polyarthra
(Fig. 66, mu). Die Ringmuskeln verteilen sich gewöhnlich in ziem-
lich gleichen Abständen auf den ganzen Körper; nur bei Asplanchna
myrmeleo liegen sie am Halse dicht nebeneinander, hier auf
schmalem Querringe einen echten Hautmuskelschlauch bildend.
Bei den Philodiniden ist jeder Ringmuskel aus einer bestimmten
Zahl kleiner Segmente zusammengesetzt.
5. Das Nervensystem
besteht überall aus einem grossen, dorsal vom Schlundkopfe ge-
legenen Zentralorgan, dem Gehim, dessen beide Ganglien breit
mit einander verwachsen sind. Die Gestalt ist bei verschiedenen
Arten wechselnd: rundlich, parallelogrammförmig, bei den Philodi-
niden dreieckig. Bei letzteren ist eine Zusammensetzung aus
peripherischen Ganglienzellen und zentraler Fasermasse nachgewiesen,
und daher eine solche auch für die übrigen Arten sehr wahrschein-
20*
308 Die Rädertiere,
lich. Vom Gehirn strahlen Nerven aus einmal an die zwischen den
lokomotorischen Cilien oder auf der Wimperscheibe stehenden Tast-
borsten, die „Stirntaster“ (£, Fig. 66, 69), dann nach hinten und
oben an den (resp. die) dorsalen Taster und endlich nach hinten
in den Mittelkörper. Wie die Zahl der Stirntaster, so schwankt
auch die Zahl der sie versorgenden Nerven, über die übrigens nur
für wenige Arten Untersuchungen vorliegen. Bei den Philodiniden
laufen die Cerebralnerven nach vorn teils in den Rüssel hinein,
dessen Spitze mit Tastbüscheln versehen ist, teils versorgen sie das
Räderorgan und den Mund. Die nach hinten in den Rumpf
tretenden Nerven scheinen bei den einzelnen Arten der Philodiniden
sich ziemlich verschieden zu verhalten. Bei Callıdına magna fand
ich nur einen starken Nerv jederseits, von dem Seitenzweige an
die Haut ausstrahlten. Zelinka hingegen beschreibt von Call.
symbiotica einen ventralen und einen seitlichen Nerv und bei
Discopus synaptae sogar noch einen dritten, dorsalen, die aber bei
dieser Art alle drei nicht direkt, sondern durch besondere Ganglien-
zellen mit dem Gehirn zusammenhängen. — Die Stirntaster der
Rädertiere treten bald als einzelne Borsten, bald als Büschel von
solchen auf, während die Rücken- und Seitentaster stets nur in
letzterer Form angetroffen werden. Bei den meisten Gattungen
ist der Rückentaster unpaar, wird aber sehr häufig von einem
doppelten, erst an der Basis des Tasters verschmelzenden Nerv
versorgt, was vielleicht auf eine ursprüngliche Duplicität des Organs
hinweist. Die Arten mit paarigem Rückentaster (Asplanchna,
Hertwigia, Apsılus) würden dann, obwohl im sonstigen Bau wenig
typisch, hierin ein primitives Verhalten bewahrt haben. Bei einigen
Arten erhebt sich der dorsale Taster in auffälligem Masse über die
Rückenfläche, der er gewöhnlich direkt aufsitzt. So treffen wir ihn
bei Zacinularia in Gestalt einer kleinen Doppelpapille, bei Brachıionus
(Fig. 69, dt) und Anuraea als kurzen Kegel, endlich bei den Philo-
diniden als stabförmigen retraktilen Tentakel an. In der Regel sitzt
der dorsale Taster im Nacken und rückt nur selten, z. B. bei
Asplanchna, weiter nach hinten, sodass man ihn zunächst, da er
paarig ist, mit den Seitentastern verwechseln kann. Die Dorsal-
Die Rädertiere. 309
und Lateraltaster sind für die Rädertiere in hohem Masse charakte-
ristisch, da sie fast konstant angetroffen werden. Ersterer fehlt
meines Wissens nur bei Conochilus, letztere nur den Philodiniden
und den marinen Seisoniden. Über den Zusammenhang des zum
Lateraltaster gehörigen Nervs mit dem Gehirn liegen zurzeit noch
keine sicheren Mitteilungen vor, da derselbe wahrscheinlich durch
einen im Kopfe liegenden Nervenplexus bewirkt wird. In ihrer
Lage am Körper schwanken die Seitentaster insofern, als sie bald
weiter nach vorn, bald mehr nach hinten die Kutikula durchbrechen.
Die meisten liegen ungefähr am Beginn des hinteren Körperdrittels.
Bei Polyarthra finden sie sich dagegen fast am Hinterrande des
Körpers, bei Asplanchne und Fydatina in der Mitte, und bei
Lacinularia und Melcerta — bei letzterer sind sie, ebenso wie bei
Copeus spicatus, zu zwei langen Tentakeln ausgezogen — ungefähr
in Schlundhöhe. In allen diesen Gattungen stehen sie hinter dem
dorsalen Taster, und nur bei Pferodina liegen alle drei Sinnesorgane
auf einer Querlinie.
Von anderweitigen Sinnesorganen kommen nur Augenflecke
den Rädertieren häufig zu. Sie sind meist unpaar und sitzen als
rötlicher oder schwärzlicher Pigmentfleck der Unterseite des Gehirns
an. In anderen Fällen sind sie paarig und gehören dann dem
Rande der Wimperscheibe an. Ihr Bau ist ausserordentlich einfach,
häufig nur ein Pigmentfleck, dem bei einzelnen Arten noch ein
lichtbrechender weisslicher Körper, die sogenannte Linse, sich
hinzugesellt.
6. Der Verdauungskanal
zeigt eigentlich bei allen Rotatorien dieselben Verhältnisse, und nur
einem Abschnitte desselben, dem Kauapparat, kommt eine grössere
morphologische Variabilität zu. Die Mundöffnung liegt nur bei
Floscularıa und Stephanoceros genau am Vorderende der Längs-
achse des Körpers, sonst ist sie stets ventralwärts verschoben und
kann in einzelnen Fällen (Adineta vaga) sogar ein beträchtliches
Stück nach hinten verlagert sein. Ein besonderes Mundrohr,
wie wir es für A/ydatina kennen lernten, braucht nicht immer vor-
handen zu sein, sondern nicht selten (Zosphora, Diglena) schliesst
310 Die Rädertiere,
sich der Mastax direkt an die Eingangsöfnung an und kann aus
dieser zum FErgreifen der Beute etwas hervorgestossen werden.
Anderseits erreicht das Mundrohr bei Floscularia und Stephanoceros
eine ungewöhnliche Länge und erweitert sich vor dem Zahnapparat
zu einem besonderen kropfartigen Abschnitt. Vielleicht ist der
grosse sackartige Raum, in dem bei Asplanchna: die Kiefer liegen,
ebenfalls als eine Erweiterung des Mundrohres anzusehen. — Die
Struktur des Kauapparates ist für die Systematik von hoher
Bedeutung. Nach dem Vorgange von Gosse kann man an dem-
selben meist folgende Zusammensetzung beobachten: an einen
mittleren, nach hinten gerichteten unpaaren Abschnitt, den „Incus“,
heften sich die vorn und seitlich gelegenen paarigen „Mallei“, von
denen jeder aus zwei gelenkig mit einander verbundenen Stücken
besteht. Das eine von diesen, der Uncus, liegt medianwärts und
stellt den eigentlichen Kauapparat dar; er kann in der verschiedensten
Gestalt auftreten: als Träger quergestellter Leisten, als spitzer oder
gesägter Zahn u. dgl. Das andere Stück sitzt dem Uncus aussen
an und dient als Stützbalken für denselben; es wird als Manubrium
bezeichnet. Bei nicht wenigen Rädertieren scheint übrigens der
Kauapparat weit einfacher gebaut zu sein. Bei den Asplanchnen
z. B. (Fig. 68) lässt sich nur der mediane Incus und der paarige
gebogene Zahn des Uncus unterscheiden; ein Manubrium fehlt hier
vollständig. Noch reduzierter tritt uns der Mastax der Philodiniden
entgegen; er besteht im wesentlichen aus zwei halbkreisförmigen,
mit derben Querleisten in wechselnder Zahl bedeckten Chitinplatten,
die nur längs des Durchmessers eng aneinanderschliessen, und
sich um diesen als Gelenkachse gegen einander bewegen. Die den
Zahnapparat umhüllende Fleischmasse ist teils muskulöser Natur,
teils scheint sie als Speicheldrüsen zu fungieren. — Der Schlund
ist meist kurz, nur bei Synchaeta und Asplanchna (Fig. 68, oe) von
ansehnlicher Länge. Flimmerzellen werden in ihm sicherlich nicht
immer angetroffen, denn gerade die genannten Gattungen schieben
die aufgenommene Nahrung durch eine Art peristaltischer Bewegung
nach hinten. — Im Mitteldarm oder Magen sind Cilien hingegen
stets vorhanden. Mit Ausnahme der Philodiniden wird die Wand
Die Rädertiere. 3141
desselben stets aus grossen polygonalen Zellen gebildet, die in einer
Schicht liegen. Bei jener Abteilung hingegen ist die Magenwand
ungewöhnlich dick und besteht aus einer kontinuierlichen Proto-
plasmamasse mit zahlreichen eingestreuten kleinen Kernen. In den
Magenzellen der Rotatorien tritt nicht selten ein braunes Pigment
auf, das aber immer nur vorübergehend sich zeigt und bei Nahrungs-
mangel sofort verschwindet. Dass dasselbe als Leber funktioniert,
ist daher sehr unwahrscheinlich. Näher liegt es, den zwei konstant
am Vorderende des Magens einmündenden Drüsen eine Förderung
der Verdauung zuzuschreiben. Ihre Gestalt ist sehr verschieden,
bald kurz birnförmig, bald gestreckt und in mehrere Lappen aus-
gezogen. Vielleicht haben die bei Zriphylus (Diglena) lacustris Ehr.
jederseits vorhandenen drei schlauchförmigen Ausstülpungen eine
ähnliche Bedeutung. Mit Ausnahme der Gattungen Asplanchna
und Paraseison, bei denen der Magen blind geschlossen endet,
kommt ein flimmernder Enddarm allen Rädertieren zu. Die sich
an ihn anschliessende Kloake entbehrt der Cilien mit Ausnahme
einer Art (Rhımops vitrea).
7. Die Exkretionsorgane.
Die Nephridien der Rotatorien zeigen bei allen Arten ein sehr
gleichförmiges Verhalten. Man kann an ihnen in der Regel zwei
zartwandige enge Längskanäle, die mit einer wechselnden Anzahl
von Geisselzellen besetzt sind, und eine gemeinsame kontraktile
Blase, welche in die Kloake ausmündet, unterscheiden. Im Gegen-
satze zu den ganz ähnlich gebauten Nierenorganen der Turbellarien,
Trematoden und Cestoden bilden die Nephridien der Rädertiere
keine Seitenzweige und keine netzartigen Anastomosen untereinander,
sondern jedes „Wassergefäss“ zieht als ein leicht hin und her
geschlängelter Kanal von der kontraktilen Blase neben dem Darme
nach vorn. In der Regel reichen die Nephridien bis in die Kopf-
region herein, wo sie blind endigen und mittels zarter Bindegewebs-
fäden in ihrer Lage erhalten werden. Nur bei wenigen Arten,
z. B. der Gattung Synchaeta, sind sie weit kürzer und reichen
kaum über die Mitte des Körpers hinaus. Bei vier verschiedenen
312 Die Rädertiere.
Rädertieren stehen ausnahmsweise beide Nephridien im Kopfe durch
einen Querkanal mit einander in Verbindung; es sind dies zumteil
im System sehr weit getrennte Arten, nämlich Aydatina senta,
Lacinularia sociahs, eine Floscularia-Spezies und Apsılus lenti-
Jormis, sodass diesem Quergefäss vermutlich noch eine weitere Ver-
breitung zukommt. Jedes Wassergefäss pflegt an zwei oder drei
Stellen sich knäuelförmig zu verschlingen, wobei die die Wandung
der Schlingen bildenden Zellen zu einer kontinuierlichen Protoplasma-
masse verschmelzen. In den so entstehenden Anschwellungen
gelingt es noch am leichtesten die Kerne der Wandzellen zu
erblicken, welche in den unverschlungenen Partien der Nephridien
wegen ihrer Kleinheit und Zerstreutheit schwer zu erkennen sind.
Zellgrenzen haben sich zwischen den Wandzellen bis jetzt nicht
nachweisen lassen. Die eigenartigen Geisselzellen der Nephridien,
wegen ihrer flackernden Bewegungen auch „Zitterorgane“ oder
„Zitterflammen“ genannt, sitzen in kleinen zartwandigen Aus-
stülpungen entweder direkt oder mittels eines kleinen Stieles dem
Nierenschlauche an. Jede Nephridie besitzt in der Regel fünf bis
zehn derselben — die Zahl ist für ein und dieselbe Art konstant —,
die sich in mehr oder weniger gleichmässigen Abständen auf das
ganze Organ verteilen. Bei den Asplanchnen wird die Anzahl der-
selben meist eine viel grössere, und es tritt dann eine Spaltung jeder
Nephridie in zwei vorn und hinten zusammenhängende Kanäle ein,
von denen der eine dicht mit Zitterorganen besetzt ist (Fig. 68).
Der feinere Bau dieser Geisselzellen ist bis in die jüngste Zeit
Gegenstand lebhaftester Controverse gewesen, die sich vornehmlich
darauf bezog, ob dieselben am freien Ende offen oder geschlossen
seien. Nach unserer Ansicht ist unzweifelhaft das Letztere der
Fall. — In die pulsierende Blase münden die Nephridien mittels
einer scharf umschriebenen runden Öffnung ein. Die Kontraktilität
wird durch ein Netzwerk feiner Muskeln, die in der Wandung
sitzen, hervorgerufen. Bei einigen Rotatorien (Lacinularia, Tubico-
larıa, Pterodina) fehlt das gemeinsame Harnreservoir, und die
Nephridien münden direkt in die Kloake. Endlich findet sich
noch eine auffallende Modifikation bei Conochilus volvox und den
(
nd
Die Rädertiere. 3ls
meisten Philodiniden. Hier hat sich ein Teil der Kloake zur
Harnblase umgewandelt und pulsiert ebenso regelmässig wie die
gewöhnlichen, von der Kloake scharf abgesetzten Reservoire.
8. Die Klebdrüsen.
Von diesen sind in der Regel, den zwei Zehen entsprechend,
nur zwei vorhanden. Mit der Zahl der Zehen wächst aber auch
häufig diejenige der Drüsenschläuche; so finden wir z. B. bei der
' sechszehigen Callidına parasıtica und bei der am Schwanzende
mit zehn kleinen Zäpfchen besetzten Call. symbiotica vier Klebdrüsen.
Das Sekret der Fussdrüsen kann vielfach zu dünnen, elastischen
Fäden ausgezogen werden, mit denen sich das Tierchen vorüber-
gehend vor Anker legt. Eine ganz isoliert dastehende Umbildung
haben die Klebdrüsen bei Monocerca und Diurella erfahren, bei
denen sie zu einer mit kontraktiler Wandung versehenen Blase
geworden sind.
9. Der Keimdotterstock und die Eibildung.
Das weibliche Geschlechtsorgan zeigt bei allen Rädertieren,
mit Ausnahme der marinen, auch in anderer Hinsicht sehr ab-
weichenden Seisoniden, eine Zusammensetzung aus zwei verschieden
funktionierenden Abschnitten. Der eine derselben ist so gross,
dass er fast ausschliesslich die Masse der Sexualdrüse ausmacht.
Er liefert nur die Nährsubstanzen, welche das heranwachsende
Ei nötig hat, und wird daher als Dotterstock bezeichnet. Der
zweite, sehr viel kleinere Abschnitt ist der Erzeuger der Eizellen
und führt dementsprechend den Namen Eierstock. Über Bau und
Physiologie dieser beiden Teile des weiblichen Geschlechtsapparates
ist zurzeit kaum mehr bekannt, als von /ydatına senta geschildert
wurde. Es ist daher hier nur Folgendes nachzutragen. Die Mehr-
zahl aller Rädertiere hat ein unpaares Geschlechtsorgan, also nur
einen Keimstock und einen Dotterstock. Man kann sie als „Mono-
gononten“ den Philodiniden gegenüberstellen, da diese „digonont“
sind, d. h. ein rechtes ünd ein linkes Ovar, also zwei Keimstöcke,
314 Die Rädertiere.
zwei Dotterstöcke und zwei Övidukte, besitzen. Keimstock und
Dotterstock haben nun bei jeder Spezies eine konstante Lage zu
einander, infolgedessen die Eier auch immer an derselben Seite
des dotterbildenden Abschnittes zur Entwickelung gelangen. Die
Stellung beider ist aber bei verschiedenen Arten eine verschiedene,
und zwar findet sich der Keimstock bald dem Vorder-, bald dem
Hinter-, bald endlich dem Seitenrande des Dotterstockes angelagert.
Im ersten Falle liegt der Keimstock meist sehr unsymmetrisch,
nämlich der linken Ecke des Dotterstockes angeschmiegt, wenn
man von unten auf denselben blickt. So situiert kommt er z. B.
bei den Gattungen Aydatina, Euchlanis, Brachionus, Triarthra u. a.
vor. Der zweite Typus wird durch Zolyarthra, Conochilus,
Asplanchna u. a. vertreten. Unsere Abbildung 68 zeigt, wie der
Dotterstock der Asplanchna myrmeleo nicht die gewöhnliche Sack-
form aufweist, sondern sich zu einem langen, hufeisenförmig
gekrümmten Bande gestreckt hat, dem in der Mitte der Hinterseite
der kleine rundliche Eierstock anliegt. Hier finden wir auch nicht
die typische Achtzahl der Kerne, sondern eine weit grössere.
Dem seitlichen und medianen Rande des Dotterstockes ist der
Keimstock bei den Philodiniden angelagert (Fig. 04), ein Verhalten,
dass auch wahrscheinlich noch anderen Gattungen zukommen dürfte.
Sehr interessant werden viele Philodiniden, z. B. der gemeine
Rotifer vulgaris, dadurch, dass ihnen ein Ovidukt abgeht. An den
Keimdotterstock setzt sich zwar hinten und vorn ein Faden an,
der aber lediglich als Aufhängeapparat dient. Die Folge ist, dass
die Eier in die Körperhöhle fallen und hier ihre Entwickelung
durchmachen. Diese geht sehr rasch vor sich, und daher findet
man selten einen Rotfer vulgarıs, der nicht in seiner Leibeshöhle
ein oder zwei munter sich umherbewegende und völlig ausgebildete
Junge neben einigen Embryonen beherbergte. Da eine besondere
Geschlechtsöffnung fehlt, kann die Geburt nur auf eine etwas
gewaltsame Weise geschehen, und in der That schieben sich die
Tierchen mit dem Kopfe voran durch die Wand der Kloake und
dann durch den After ins Freie. Die der Mutter dadurch zu-
gefügte Risswunde scheint bald wieder zu heilen.
a
Die Rädertiere. 815
Die zwei Eisorten, welche wir bei /Zydatina kennen lernten,
die hartschaligen Dauereier und die gewöhnlichen, weichhäutigen
scheinen allen Monogononten zuzukommen. Bei den Erdrotatorien
hingegen sind Dauereier noch nicht beobachtet worden, da sie an
die Austrocknung in anderer Weise angepasst sind. Die derbe
Schale der Dauereier ist häufig mit sehr zierlichen Skulpturen:
Punkten, Stacheln, Haaren u. dergl. besetzt. Sie entwickeln sich
bald schon nach einigen Wochen, bald erst nach Monaten. Sie
werden meines Wissens stets abgesetzt, während die gewöhnlichen
Eier bei vielen Gattungen (Drachionus, Anuraeca) dem Rücken
angeheftet und so herumgetragen werden.
Ill. Die männlichen Rotatorien.
Dieselben Verhältnisse, welche die charakteristischen Unter-
schiede der männlichen Hydatinen von den weiblichen bilden, kehren
bei allen übrigen Rädertieren wieder. Die Männchen bieten, soweit
sie überhaupt bekannt sind, was nur für eine relativ kleine Anzahl
von Gattungen (etwa 30) zutrifft, in ıhrer Organisation viel einfachere
Verhältnisse dar als die zugehörigen Weibchen, und ist dies so zu
erklären, dass sie einerseits überhaupt auf niedrigerer phyletischer
Entwickelungsstufe als die Weibchen stehen geblieben, anderseits
auch in Folge der untergeordneten Rolle, die sie seit dem Auftreten
der Parthenogenese im Geschlechtsleben spielen, rückgebildet sind.
Ersteres macht die grosse Gleichförmigkeit, welche die Mehrzahl
der Männchen in Gestalt und Organisation aufweist, verständlich,
während auf letzteres die geringe Körpergrösse, das Fehlen einer
Mundöffnung und die Rückbildung des Darmkanales und des Räder-
apparates zurückzuführen ist. Bei den verschiedenen Gattungen ist
der Geschlechtsdimorphismus in verschieden starkem Grade aus-
geprägt. Bei den marinen Seisoniden haben sich die ursprünglichen
Verhältnisse erhalten: Männchen und Weibchen stehen auf gleicher
Örganisationshöhe und sind auch annähernd gleich häufig. Bei
den Euchlaniden besitzen die Männchen noch den Panzer in
derselben Gestalt wie die Weibchen, aber sie sind etwas kleiner
als diese, und der Darm ist auf einen unregelmässigen Zellstrang
316 Die Rädertiere,
reduziert. In allen übrigen Gattungen haben die Männchen eine
weiche Haut, auch wenn die Weibchen gepanzert sind, und einen
sehr viel kleineren, walzenförmigen Körper, der sich nach hinten
verjüngt und, wie bei den Weibchen, häufig mit zwei kleinen Zehen
endet. Sehr auffallend ist das ® der Asplanchna Sieboldu dadurch,
dass es vier kegelförmige Körperanhänge besitzt, die der einen Form*)
von @ abgehen. Der Räderapparat erinnert manchmal (Hydatina)
noch an denjenigen der Weibchen, meist aber ist er stark rückgebildet.
Ein Stirntrichter ist nur bei der männlichen //ydatına angedeutet,
während sonst die Wimperscheibe stark halbkugelig vorspringt und
keine Spur der ursprünglichen Mundöffnung erkennen lässt. Die
im rudimentären Darm vieler Männchen vorkommenden schwarzen
Körnerhaufen — wahrscheinlich bestehen sie aus Kalk — treten
bei ganz jungen Weibchen einzelner Gattungen (Brachionus) eben-
falls im Enddarm auf und beweisen die Richtigkeit der Deutung
jenes Zellstranges als eines rückgebildeten Verdauungskanales. Die
primitivere Organisation der Männchen spricht sich im Nerven-
system darin aus, dass die Tastbüschel nie auf besonderen Hügeln
oder Tentakeln stehen und im Exkretionsapparat in dem Fehlen
der kontraktilen Blase bei manchen Gattungen (Fydatina, Brachionus),
deren Weibchen eine solche besitzen; doch giebt es auch Männchen
mit einer Harnblase (Asflanchna, Apsılus). Ein dorsaler einstülp-
barer Penis ist nur bei einzelnen Gattungen (Aydatına, Brachionus)
vorhanden, bei anderen scheint das hintere, verjüngte Körperende
als solcher zu funktionieren (Conochilus, Polyarthra, Anuraea). Über
die Begattung sind unsere Kenntnisse noch äusserst mangelhaft.
Dem bei Aydatına über sie Gesagten sei hier hinzugefügt, dass
Weber neuerdings bei Diglena catellina**) beobachtet haben will,
wie der Penis direkt in die weibliche Kloake geführt wurde.
Merkwürdigerweise kennt man von den gemeinsten Arten unter
den Philodiniden, z. B. von Rotifer vulgaris, die Männchen
*), Cf. die Anmerkung auf S. 3or.
**) Diese Beobachtung ist vom Herausgeber dieses Werkes bei derselben Art
bestätigt worden.
Die Rädertiere, nen
immer noch nicht, und fast scheint es, als ob dieselben hier ganz
fehlten, und die Fortpflanzung ausschliesslich parthenogenetisch
erfolgte.
IV. Einige Bemerkungen über die Biologie der
Rädertiere.
Planmässige und allseitige Studien zur Biologie der Rotatorien
fehlen fast ganz, sodass ich an dieser Stelle nur auf einige wenige
Verhältnisse eingehen kann. — Über die Lebensdauer der Wasser-
rotatorien ist nur das bekannt, was S. 295 über Alydatına
senta gesagt wurde. Bei den Erdrotatorien wird sich dieselbe
überhaupt schwerlich ermitteln lassen, da sie je nach Länge und
Zahl der Trockenperioden sehr verschieden ausfallen wird. Aus
den an Hydatina gemachten Beobachtungen scheint hervorzugehen,
dass die Lebenskraft der Weibchen erlischt, wenn der Keimstock
sich erschöpft hat. Die Männchen hingegen führen nur ein ganz
ephemeres, zwei- bis dreitägiges Dasein. — Als Nahrung dienen
den Rädertieren die verschiedenartigsten Mikroorganismen: Bakterien,
Flagellaten, Diatomeen, Infusorien, kleine Algen u. dergl. Einige
Arten haben eine schmarotzende Lebensweise angenommen und
sich dadurch an besondere Ernährungsbedingungen gewöhnt. So
lebt Proales (Notommata) Werneckü Ehr. im erwachsenen Zu-
stande in den Kolben von Vaucheria und nährt sich von dem
Protoplasma dieser Alge. Notommata parasıta Ehr. und Aertwigia
volvocıcola Plate leben in Volvoxkolonien. Die genannten Arten
sind aber auch im stande, sich von ihrem Wirte zu entfernen und
sind daher nur als zeitweilige Schmarotzer anzusehen. Albertia
vermiculus Duj. hingegen ist zum echten Entoparasiten geworden,
der dauernd in der Leibeshöhle des Regenwurmes und im Darme
verschiedener Nacktschnecken angetroffen wird. Eine Anzahl Räder-
tiere werden konstant auf gewissen Tieren oder Pflanzen angetroffen,
weil bestimmte Lebensgewohnheiten derselben ihnen einen leichten
Nahrungserwerb sichern. Sie sind für den Wirt völlig indifferent,
schaden ihm weder, noch nützen sie ihm. Man hat ein derartiges
Zusammenleben zweier verschiedener Organismen als Raumparasitis-
318 Die Rädertiere,
mus bezeichnet, eine nicht gerade glückliche Benennung, da man
von Parasiten nur dann reden kann, wenn der eine Organismus
durch den andern benachteiligt wird. Zutreffender ist der Ausdruck
„Raumsymbiose“, wenn die von dem einen Lebewesen geschaffenen
räumlichen Verhältnisse dem andern zu gute kommen. Solche
Raumsymbionten sind unter den Rädertieren die Seisoniden, welche
an den Extremitäten der marinen Krebsgattung Nebalia leben, die
Callıdina "parasitica, welche in derselben Weise dem Bachflohkrebse
sich anheftet, der auf der Haut von Synapten lebende Discopus
synapte Zel. und endlich Callidina symbiotica Zel. und Call. Leitgebü
Zel., welche konstant auf gewissen Lebermoosen der Gattungen
Radula, Lejeunia, Frullania angetroffen werden und hier in kleinen,
von bestimmten Blattteilen gebildeten Höhlen, in denen die Feuchtig-
keit sich relativ lange erhält, leben. — Alle Raumsymbionten leben
in der Regel in einer grössern Individuenanzahl zusammen. Das
Gleiche gilt von vielen festsitzenden Rädertieren, z. B. der Zacınularıa
socıalis, der Melicerta ringens; indem die jungen Tierchen sich
neben den alten niederlassen, entsteht eine Art Kolonie. Echte
Kolonien werden nur von einem Rotator, dem Conochtlus volvox,
gebildet. Sämtliche Individuen einer solchen stossen im Zentrum
einer Gallertkugel zusammen und sind selbst radiär gerichtet. Der
Ähnlichkeit, welche diese beständig rotierenden Kugeln mit einem
Volvox globator haben, verdanken die Tierchen ihren Spezies-
namen. — Gallertumhüllungen von Röhrenform werden auch von
anderen festsitzenden Arten abgeschieden, z. B. von dem schönen
Stephanoceros Eichhormiü. Melicerta ringens kann sogar den
Anspruch erheben, ihr Gehäuse mit Hilfe eines Kunsttriebes zu
bauen. Sie weiss die herbeigestrudelten Partikelchen in einer becher-
förmigen Vertiefung des Kopfes zu runden Ballen zu formen und
diese mittels einer Gallertausscheidung zu einer sehr regelmässigen
Wohnröhre zusammenzuheften. — Alle festsitzenden Rädertiere
machen natürlich in der Jugend ein freibewegliches Stadium durch.
Zwei Arten der Lokomotion werden bei den Rädertieren beobachtet.
Weitaus die meisten schwimmen mit Hilfe ihres Räderapparates
unter beständigen Drehungen um die Längsachse herum, bald
Die Rädertiere. 319
schneller, bald langsamer. Besonders rasch bewegen sich so alle
Männchen durch das Wasser. Die wenigen Formen mit ventraler
Wimperscheibe (Adineta vaga, Notommata tardıgrada) kriechen
ohne Rotation über die Unterlage. Ein spannerraupenartiges
Kriechen ist ausser dem Schwimmvermögen den Philodiniden eigen,
wobei sie sich abwechselnd mit den Fusszehen und der Rüsselspitze
anheften. — Unter allen biologischen Erscheinungen der Rädertiere
hat keines seit den Zeiten eines Leeuwenhoek die Aufmerksam-
keit der Naturforscher mehr gefesselt als die wunderbare Lebens-
zähigkeit umd die schier unverwüstliche Lebenskraft, welche einigen
derselben, nämlich den Erdrotatorien, innewohnt. Die Fähigkeit,
nach einer Periode völliger Austrocknung auf Wasserzusatz wieder
aufzuleben, kommt nur den zwischen Erde und Moos lebenden
Philodiniden zu. Alle echten Wasserbewohner und auch schon die
ständig im Wasser lebenden Philodiniden*) gehen hingegen beim
Verdunsten des Wassers rettungslos zu Grunde. Diesen Tieren ist
eben in den Dauereiern ein besonderes Anpassungsmittel zur Er-
haltung der Art gegeben. Sehr merkwürdig ist es, dass sich viele
Erdrotatorien so sehr an ein intermittierendes Leben gewöhnt zu
haben scheinen, dass ihnen zeitweilige Trockenperioden geradezu
zum Bedürfnis geworden sind. Thut man nämlich philodiniden-
haltiges Moos in ein Wassergefäss, so beobachtet man bei vielen
Arten nach einigen Tagen den Eintritt des Todes. Obwohl Wasser-
organismen und obwohl nur im flüssigen Elemente ihrer Lebenskräfte
sich erfreuend, sterben die Tiere dennoch bei längerem Aufenthalte
im Wasser ab, weil ihnen ein solcher in ihren natürlichen Existenz-
bedingungen nie zu Teil wird. Die Lebenszähigkeit der Erdrotatorien
erweist sich nun nicht bloss beim Verdunsten des Wassers, sondern
auch gegenüber ungewöhnlich hohen oder niedrigen Temperaturen,
denn beiden muss die auf schwarzem Basaltfelsen zwischen Flechten
lebende, der glühenden Augustsonne nicht minder als der Kälte
der Dezembernacht blossgestellte Callidine gewachsen sein, soll die
Art nicht zu Grunde gehen. So verträgt die Callidina symbiotica,
*) Einige Wasser-Philodiniden sollen eine Gallertcyste ausscheiden und in dieser aus-
trocknen können, eine Angabe, die jedoch noch der Bestätigung bedarf.
320 Die Rädertiere.
wie Zelinka gezeigt hat, im eingetrockneten Zustand eine Kälte von
— 20° C. und eine Hitze von — 70°, und mit anderen Philodiniden
hat man ähnliche Erfahrungen gemacht.
V. Überblick über das System der Rotatorien.
Sieht man das System der Tiere als Ausdruck ihrer phyletischen
Entwickelung, ihrer Stammesgeschichte, an, so lassen sich die Räder-
tiere nur mit manchen Bedenken in einem der Endzweige des
natürlichen Stammbaumes unterbringen. Ihre Organisation ist nämlich
so eigenartig, dass sie sich an keine Tiergruppe bei ausschliesslicher
Berücksichtigung der erwachsenen Individuen derselben anschliessen
lassen. Am ungezwungensten reihen sie sich noch auf Grund ihres
Cilienapparates und ihrer Nephridien an die Turbellarien an. Ver-
ständlich wird ihr Verhältnis zu den Evertebraten erst dann, wenn
man in ihnen eine sehr alte, primitive Tiergruppe sieht, deren
Ahnen den Ausgangspunkt für die Phylogenie einer ganzen Anzahl
anderer Tierklassen gebildet haben. Zu dieser Ansicht drängt der
Umstand, dass bei sehr vielen Anneliden, Turbellarien, Mollusken
und Bryozoen im Laufe der Ontogenie Larven auftreten, die eine
ausgesprochene Ähnlichkeit mit Rädertieren aufweisen, Larven, die
man unbedingt für Rotatorien halten würde, wenn sie in diesem
Zustande geschlechtsreif würden und einen Kauapparat besässen.
Man nimmt daher zurzeit an, dass jene Tierklassen und die
Rädertiere phyletisch in einer rotatorienartigen Stammform wurzeln,
welche als „Trochophora“ bezeichnet wird.
Die Rotatorien zerfallen, wenn wir von den marinen Seisoniden
absehen, in zwei natürliche Gruppen:
1. Digononta seu Philodinida : Geschlechtsorgane paarig, jedes mit
oder ohne Ovidukt. Mitteldarm von einem Zellsyncytium gebildet.
Stets ohne laterale Taster. Am Rücken ein grosser, einstülpbarer
Rüssel, welcher die spannerraupenartige Bewegung vermittelt. Teils
Erd-, teils echte Wasserbewohner. Gattungen: Rotifer, Philodina,
Actinurus, Callıdina. — Adineta.
2. Monogononta: Ovar unpaar, stets mit Ovidukt. Mitteldarm
aus grossen Zellen gebildet. Mit lateralen und dorsalen Tastern.
Die Rädertiere, 321
Ohne Rückenrüssel. Schwimmend oder festsitzend. Nur ständige
Wasserbewohner. — Hierher gehört die Mehrzahl aller Rädertiere,
deren weitere systematische Einteilung am besten aus Hudson-
Gosses Monographie zu ersehen ist. Wir erwähnen nur die Haupt-
familien:
a) Melicertida seu Rhizsota. Im Alter festsitzend. Ohne
Zehen. Hinteres Körperende nicht einziehbar. Gattungen: Floscu-
larıa, Stephanoceros, Melıcerta, Lacinularia, Limnias,, Oecistes,
Conochilus.
b) Zloricata. Haut weich. Gattungen: Asplanchna, Syncheta,
Hoydatına, Notommata.
c) Zoricata. Mit Panzer. Gattungen: Rattulus, Dinocharis,
Salpina, Euchlanis, Lepadella, Colurus, Pterodina, Brachionus,
Anuraea. |
d) Scirtopoda. Mit scharf abgesetzten, beweglichen Anhängen.
Gattungen: Polyarthra, Triarthra, Hexarthra, Pedetes, Pedalion.
Figurenerklärung.
Alle Abbildungen sind bei starker Vergrösserung gezeichnet.
Die Buchstaben bedeuten:
a After Ag Hypodermis re Enddarm
ce Kutikula kl Kloake r Räderapparat
c.v Kontrakt. Blase Z lateraler Taster sto Magen
dst Dotterstock ma Kauapparat ? Tastborste
dt dorsaler Taster mu Muskel Ze Hoden
dr Magendrüse ne Nephridie at Uterus
est Eierstock o Augenfleck z Zitterflamme
f Fussdrüse oe Oesophagus (Geisselzelle).
g Gehirn ov Ei
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. 1. 21
Litteratur.
ı. F. Cohn, Die Fortpflanzung der Rädertiere. Zeitschr. f.
wiss. Zool. VII, 1856, p. 431—480.
2. E. v. Daday, Morphologisch-physiol. Beiträge zur Kenntnis
der Hexarthra polyptera.. Budapest 1886.
3. C. Eckstein, Die Rotatorien der Umgegend von Giessen.
Zeitschr. f. wiss. Zoo. XXXIX, 1884, p. 343—443.
4: G@. Chr. Ehrenberg, Die Infusionstierchen als vollkommene
Organismen. Leipzig 1838.
5. H. Grenacher, Einige Beobachtungen über Rädertiere.
Zeitschr. f. wiss. Zool. XIX, 1869, p. 483—497.
6. C.T. Hudson u. P. H. Gosse, The Rotifera or Wheel-Animalcules.
2 Bde. London 1886 und ı Supplementband 1889. Grundlegend
für die Systematik.
7. F. Leydig, Über den Bau u. die systematische Stellung d.
Räd. Zeitschr. f. wiss. Zool. VI, 1854, p. I—120.
8. L. Plate, Beiträge z. Naturgesch. d. Rot. Jenaische Zeitschr.
f. Nat. XIX, 1885, p. I—120.
9. L. Plate, Untersuch. einiger an den Kiemenblättern des
Gammarus pulex lebenden Ektoparasiten. Zeitschr. f. wiss. Zool.
XLII, p. 229—235.
ı0. L. Plate, Über die Rotatorienfauna des bottnischen
Meerbusens etc. ibid. XLIX, p. I—42.
ı1. G. Tessin, Über Eibildung und Entwickelung der Rotatorien.
ibid. XLIV, 1886.
ı2. E. F. Weber, Notes sur quelques Rotateurs des Environs
de Geneve. Arch. de Biologie. VIII, 1888.
13. C. Zelinka, Studien über Rädertiere. I. Über die Symbiose
und Anatomie von Rot. aus dem Genus Callidina. Zeitschr. f.
wiss. Zool. XLIV.
14. C. Zelinka, II. Der Raumparasitismus u. die Anatomie
von Discopus Synaptae. ibid. XLVII.
Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Von Dr. J. Vosseler in Tübingen.
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Die Krebse (Crustacea) werden zu dem grossen Tierkreise
der Gliederfüssler (Arthropoden) gerechnet, welche eigentlich besser
mit dem Namen Kerftiere bezeichnet werden, denn im Grunde
genommen besitzen die meisten höheren Wirbeltiere ebenfalls ge-
gliederte Beine und müssten somit auch unter den Begriff „Arthro-
poden“ eingereiht werden. Im grossen Ganzen kann man die
Kerftiere in zwei Klassen trennen: in solche, welche durch Kiemen
atmen (Dranchiata Krebse), und solche, welche durch Tracheen (fein
verzweigte Röhrchen, welche die Luft im ganzen Körper herumleiten)
atmen (Tracheata). Zwischen beiden Klassen finden sich, wie
beinahe überall im Tierreiche, Übergänge. Zu der zweiten Klasse,
welche ihrer Organisation wegen als die höher entwickelte ange-
sehen werden muss, zählt man die Tausendfüsse (Myriopoda oder
Vielfüsser), die Spinnentiere (Arachnoidea oder Achtfüsser) und die
Insekten (Mexapoda oder Sechsfüsser).
Die Krustaceen (Branchiata) selbst können in zwei Abteilungen
untergebracht werden, welche jedoch nicht vollkommen wissenschaft-
lich gegen einander abgegrenzt sind. Dennoch ist es für die Über-
sichtlichkeit unseres Stoffes von Vorteil, wenn die von verschiedenen
Lehrbüchern bis jetzt durchgeführte systematische Trennung bei-
behalten wird.
Hiernach werden die kleineren Krebse, welche eine einfache
Organisation besitzen und wenigstens teilweise in der Entwickelung
Übereinstimmung zeigen, als Entomostraken den grösseren
Krebsen mit vollkommeneren Einrichtungen, den Malakostraken,
326 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
gegenübergestell. Die Vertreter beider Abteilungen lassen sich
leicht mit blossem Auge unterscheiden und von einander trennen
und innerhalb dieser zwei Gruppen machen sich weitere Ver-
schiedenheiten bei genauer Beobachtung bemerklich, welche
charakteristisch genug sind, um auch für den Nichtkundigen hier
angeführt zu werden.
Streifen wir mit einem kleinen Netz (wie es etwa zum.
Schmetterlingsfang benutzt wird) die Wassergewächse ab und
durchfahren damit auch in der Nähe der Uferpflanzen das Wasser,
so erbeuten wir eine ganze Menge kleiner Krustaceen, die, in ein
Glas mit Wasser gebracht, ein unendliches Gewimmel darstellen.
Auf einen derartigen Fang wollen wir jetzt unsern prüfenden Blick
werfen. Wir beginnen mit den grösseren Insassen des durch-
sichtigen Behälters und fassen ein Tier ins Auge, welches sich
immer am Boden und zwischen den miterhaltenen Pflanzenteilen
zu verstecken sucht. Wird es gestört, so schwimmt es mit ge-
krümmtem, seitwärts zusammengerolltem Körper eine kurze Strecke
geradeaus, fast immer auf der einen Körperseite liegend und auch
in der Ruhelage stets die Beine schwingend. Seine Länge beträgt
einen Centimeter und mehr, wenn es ausgewachsen ist. Der Um-
stand, dass mehr als drei Beinpaare vorhanden sind, lässt auf einen
Krebs schliessen. Die genannten wenigen Merkmale, zu denen
noch zwei Paar fadenförmige Fühler von weniger als Körperlänge
zu rechnen sind, genügen, um einen Angehörigen aus der Ab-
teilung der höheren Krebse zu kennzeichnen und wir haben in
dem beobachteten Tiere einen Flohkrebs oder Gammarus der
Ordnung der Amphipoden vor uns. Fast noch leichter
kenntlich ist ein Verwandter desselben, welcher offenbar ein ganz
schlechter Schwimmer ist. Unter seinem wie bei einer Schildkröte
verbreiterten, an den Seiten überstehenden Rückendach sind eben-
falls mehr als drei Beinpaare zu sehen und am Kopfe, wie vorhin,
zwei Paar ungleich langer Fühler. Unbehelligt krabbelt der plumpe
Geselle langsam und schwerfällig an der neuen Umgebung herum,
immer mit den Fühlern tastend und prüfend. Berührt man ihn
jedoch mit einem Stäbchen, so zeigt er, dass auch ihm rasche
-_
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 3927
Bewegungen möglich sind, wenn auch in geringerem Masse und
weniger eleganter Ausführung, als seinem Vorgänger. Die ganze
Erscheinung dieses zweiten Krebses erinnert an die bekannten
Kellerasseln, aus deren Sippe er auch in der That einen Spross
vorstellt, welcher das kühle Wasserleben noch nicht mit dem auf
dem Lande vertauscht hat. Wir nennen ihn Wasserassel (Asellus)
und rechnen ihn ebenfalls zu den höheren Krebsen und zwar zur
Ordnung der Isopoden.
Diese beiden eben nach ihren gröbsten Umrissen und Gewohn-
heiten erkannten, zu den Malakostraken gehörigen Formen werden
wir später betrachten und wollen nun die kleinen Insassen des
Glases, soweit es nicht Junge der genannten Arten sind, nach
ihrem Äussern mit blossem Auge unterscheiden lernen. Es bleibt
uns, da wir Insekten und Würmer nicht beachten, nur noch das
Gewimmel kleiner und kleinster Wesen, welche oft kaum mehr mit
dem blossen Auge erkennbar sind, die Entomostraken, übrig. Trotz-
dem genügt auch hier ein wenig Geduld und sorgsames Zuschauen,
um sowohl in den Körperformen als in der Art der Bewegung noch
deutliche Unterschiede wahrzunehmen. Während die einen durch
ununterbrochenes Hüpfen voranzukommen oder sich wenigstens in
der Höhe zu halten suchen, zappeln die anderen scheinbar ziellos
im Glase herum. Diese wie jene setzen sich von Zeit zu Zeit, wie
um auszuruhen von der anstrengenden Bewegung, am Glase oder
an Pflanzenteilen fest, oder lassen sich auf den Grund niedersinken.
Unsere Wissbegierde treibt uns immer weiter, und da sich allmählich
das Auge daran gewöhnt hat, Unterschiede zu entdecken, so wird es
nicht schwer fallen, unter den hüpfenden Tierchen abermals zweierlei
zu unterscheiden. Es heisst nun allerdings etwas genau zusehen,
denn wir sind nahezu auf dem Punkte der Forschung angelangt,
wo die Leistungsfähigkeit des unbewaffneten menschlichen Auges
der Wissbegierde des Forschers Grenzen setzt.
Eine langsamere gleichmässige Bewegung, welche eigentlich das
Tier, falls es nicht gestört wird, weniger vorwärtsbringt, als viel-
mehr stets in einer gewissen Höhe über dem Boden erhält, des
weiteren ein schwarzer Punkt, welcher am Kopfteil sitzt und das
328 / Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Auge darstellt, kennzeichnet die Wasserflöhe oder Daphniden, welche
zu der Ordnung der Blattfüsser (Phyllopoden) zählen. Der
Leib selbst, vom Kopfe nicht besonders scharf sich abhebend, ist
mehr oder weniger eiförmig. Über den Umrissen ragt hinten oft-
mals ein Stachel, am Kopf zwei wie Hörner emporstehende Fühler,
welche die Bewegung verursachen, hervor. Viel mehr würden in
Rücksicht auf ihre Bewegung die länglichen, vorn dicken, hinten
schlanken Hüpfer den Beinamen „Floh“ verdienen, welche recht
häufig mit einem grossen grünlichen bis weissen Säckchen an jeder
Körperseite (den Eiersäcken) und zwei (manchmal recht langen)
Hörnchen, welche wagrecht abstehend getragen werden, in eleganten
weiten Sätzen im Wasser herumschnellen. Wir nennen sie Hüpfer-
linge oder Widderchen und reihen sie in die grosse Ordnung
der Ruderfüsser (Copepoden) ein. Dem hüpfenden Teil der
kleinen Tierwelt in unserem Glase hätten wir nun auch ein Plätzchen
im System angewiesen. Wir wenden uns jetzt zu den am schwersten
erkennbaren Formen und verfolgen mit einiger Ausdauer das nächste
beste der unruhig umherzappelnden Geschöpfe. Es wird hier nötig,
um leicht mögliche Verwechslungen auszuschliessen, eine nicht zu
den Krebsen gehörige Gruppe von Tieren in ihrem Habitus zu
schildern. Es mag somit das kleine Wesen einen annähernd kugel-
runden Körper, an dem sich vier nicht versteck-, sondern höchstens
anlegbare Beinpaare erkennen lassen, besitzen. Vielleicht gelingt
es sogar, eine schön gefärbte Zeichnung auf dem Rücken nach-
zuweisen. Diese Merkmale lassen auf eine Wassermilbe schliessen,
welche wir nicht weiter beachten. Ganz ähnlich in ihren Be-
wegungen verhält sich eine Familie der Entomostraken, deren An-
gehörige nach aussen von einer zweiklappigen Schale umschlossen
werden, zwischen denen das Körperchen ganz versteckt liegt. Diese
Schale ist der einer Muschel ausserordentlich ähnlich und ihr ver-
danken die Insassen den Namen „Muschelkrebse“ (Östra-
koden). Oft wird man überrascht, wie aus dem Spalt, der die
beiden Klappen trennt, plötzlich eine Anzahl Gliedmassen hervor-
treten und durch eine rasche Thätigkeit das Tierchen in etwas
unsicheren Linien von Stelle zu Stelle bewegen. Während der
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 3239
Ruhepausen werden die Beine eingezogen oder zum Krabbeln am
Boden oder an Pflanzenstengeln benutzt. Glaubt das Tier sich
gefährdet, so zieht es ebenfalls sofort seine Beine ein und schliesst
die Schalen. Es liegt dann die nierenförmige Schale, wie ein
unbelebtes Ding, vor uns.
Wenn wir nun noch einer Form gedenken, in. welcher die
Krebstiere des süssen Wassers den höchsten Grad der Entwicke-
lung erreicht haben und für welche, da sie der ganzen Tierklasse
den Namen gegeben hat, ein weiteres Charakteristikum wohl nicht
nötig ist, — ich meine den Flusskrebs —, so kennen wir nun
Vertreter aus allen Abteilungen und Ordnungen der unsere Ge-
wässer bewohnenden Krustaceen. Selbstverständlich genügt nicht
immer das Absuchen einer Fundstelle allein, um alle, so wie es
geschildert wurde, auf einmal vor Augen zu bekommen; doch wird
es nirgends an stehenden und fliessenden Wassern fehlen, welche
fast zu jeder Jahreszeit die typischen Formen zu sammeln gestatten.
Zum Schluss dieser systematischen Betrachtungen lasse ich eine
kurze Übersicht des Wesentlichsten folgen. Wir haben in der zu
den Kerftieren gehörigen Klasse der Krustaceen zwei Abteilungen
unterscheiden gelernt:
I. Entomostraca oder niedere Krebse,
II. Malacostraca oder höhere Krebse.
Zu der ersten Abteilung rechnen wir:
ı) Ruderfüsser oder Spaltfüsser (Copepoden),
Hüpferlinge,
2) Kiemenfüsser (Branchiopoden), Wasser-
flöhe,
3) Muschelkrebse (Ostrakoden).
Zu der zweiten:
ı) Flohkrebse (Amphipoden),
2) Wasserasseln (Isopoden),
3) Scherenkrebse (Dekapoden), Flusskrebs.
ri
330 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Wir wenden uns zuerst den Gliedern der ersten Ab-
teilung, den
Entomostraken,
zu, da sie in ihrem Bau einfacher angelegt und leichter zu über-
sehen sind, als die „höheren Krebse“.
Es fällt schwer, nur einige gemeinsame Kennzeichen für alle
hierher gehörigen Tiere nachzuweisen; denn nicht einmal immer
kann man ohne weiteres einen Kopf- und einen Schwanzteil
unterscheiden. Am besten wird die Abteilung der Entomostraken
dadurch charakterisiert, dass sie ausserordentlich reich an ver-
schiedenen Krebsformen ist, deren Gliedmassen sowohl in der Zahl
als auch Gestaltung ebenso wie die Segmente des Körpers sehr
variieren. Alle Entomostraken besitzen, wie auch die höheren
Krebse, zwei Paar Fühler. Ferner herrscht unter den nachher zu
besprechenden Ordnungen mit Ausnahme nur einer Unterordnung
annähernde Übereinstimmung in der Körpergestalt während der
ersten Entwickelungsstadien nach dem Verlassen des Eies. Nicht
alle Entomostraken-Familien sind im süssen Wasser vertreten, eine
derselben, die der Rankenfüsser (Cirripedien), findet sich nur im
Meere vor. Die Zahl der Gattungen und Arten, welche einer
Familie angehören, bewegt sich in weiten Grenzen. Von Ento-
mostraken sind gegenwärtig weit über 2000 Arten bekannt. Von
dieser Summe zählt etwa die Hälfte zu den Copepoden, 1/4 zu
den Östrakoden, 1/s zu den Phyllopoden und nur 1/3 zu den im
Meere lebenden Cirripedien. Die Mehrzahl der Arten auch der
übrigen Familien ausser den Cirripedien lebt ebenfalls im Meere. Aus
der umfangreichen Familie der Copepoden lebt nur der zehnte
Teil im süssen Wasser. Wohl die bedeutendste Rolle von allen
niederen Krebsen spielen in unseren Gewässern die
Copepoden oder Ruderfüsser.
In dieser zahlreichen Familie unterscheiden wir drei Gruppen,
von denen zwei allerdings für das praktische Leben nur wenig
Bedeutung haben, allein nichtsdestoweniger ausserordentlich inter-
essant sind wegen der enormen Umbildung des Körpers. Die
ee
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 331
Tiere, welche diesen Gruppen angehören, leben nämlich parasitisch
und haben sich dieser Lebensweise so angepasst, dass sie als
Ruderfüsser kaum mehr zu erkennen sind und lange falsch beurteilt
wurden. Ehe wir uns diese Schmarotzerkrebse, welche ihrer
saugenden Mundteile wegen Sıphonostomata genannt werden, näher
betrachten, wollen wir die freilebenden Ruderfüsser, welche beissende
Mundteile besitzen und als Gnathostomata bezeichnet werden,
kennen lernen. Schmarotzende und freilebende Ruderfüsser werden
zusammen als echte Copepoden oder Eucopepoden den so-
genannten Karpfenläusen (Dranchimra oder Kiemenschwänzen)
gegenübergestellt.
Freilebende Ruderfüsser (Gnathostomata).
Die erste Nachricht über das Vorkommen von Ruderfüssern
(auch Spaltfüsser genannt) verdanken wir Leeuwenhock; sie
stammt aus dem Jahre 1690. Allein erst von der Mitte unseres
Jahrhunderts an wurden sie eigentlich genauer studiert, besonders
von Fischer?) in Petersburg und C. Claus3,45). Die Bedeutung
des dem Griechischen entstammenden wissenschaftlichen Namens ist
bereits angegeben ‚worden. Die Tiere, welche unter diese Familie
zu rechnen sind, besitzen eine nur geringe Körpergrösse, gewöhn-
lich 1/a—3 mm, höchst selten misst eine Art 5 mm oder gar, wie
einige im Meer lebende Formen, 9 mm. Der Körper kann bei
den meisten etwa mit einer halbierten Birne verglichen werden.
Die Wölbung würde dem Rücken, die Schnittfläche der Bauchseite
entsprechen. Der grössere, dickere Teil stellt dann den Vorderleib,
der dünnere den Hinterleib dar. Der Vorderleib ist aus fünt
Teilen zusammengesetzt, welche an und für sich starr, dennoch
gegen einander beweglich sind durch dünnhäutige Einschnitte, wie
sie auch dem Hinterleib und den Gliedmassen die Beweglichkeit
verleihen. Das grösste Stück des Vorderleibes ist oft allein so lang
wie die übrigen zusammen. In ihm ist Kopf und Brust vereinigt,
weshalb es Kopfbruststück oder Cephalothorax genannt wird. Da
bei den Kerftieren gewöhnlich jeder Körperring der ersten Anlage
nach mit einem Paar Gliedmassen versehen ist, so lässt sich aus
332 Die Krebsfauna unserer Grewässer.
der am Kopfbruststück der Copepoden vorhandenen Summe der-
selben schliessen, dass mehrere Ringe zur Bildung dieses ver-
schmolzen sind. Die nächsten vier, immer noch zum Vorderleib
zählenden Ringe nehmen allmählich an Grösse ab und tragen Bein-
paare. Der auf den letzten folgende Hinterleib zählt fünf Ringe.
Diese sind beim Männchen getrennt erhalten, während beim Weib-
chen der erste mit dem zweiten zu einem einzigen Segment (Ring)
verschmilzt. Im hintersten Segmente mündet der Darm nach
aussen. Eine Art Steuerruder bildet den Abschluss des Körpers.
Dieses wird, da es aus zwei nebeneinander dem letzten Hinterleibs-
ringe aufsitzenden Teilen besteht, welche etwa mit den Zinken
einer Gabel verglichen werden können, „Schwanzgabel“ oder „Furca“
genannt. Beide Zinken tragen am Ende lange Borsten. Länge
und Breite der Körpersegmente sind je nach der Art des Tieres
manchem Wechsel unterworfen. Während bei einigen Familien der
Hinterleib so lang ist wie der Vorderleib, ist bei anderen dieser
bedeutend länger als jener.
Die Copepoden sind, wie die meisten Krebstiere, reichlich mit
Gliedmassen versehen und zwar im ganzen mit etwa elf Paaren,
welche dreierlei Verrichtungen zu erfüllen haben. Zum Tasten und
Schwimmen dienen zwei Fühlerpaare, der Ernährung vier Paar
Mundwerkzeuge, auf welche fünf Beinpaare gleichzeitig mit den
Fühlern das Schwimmen vermittelnd folgen. Von den letzteren ist
gewöhnlich das hinterste verkümmert oder zu einem Greiforgan bei
den Männchen umgewandelt.
Wie der Körper und die übrigen Gliedmassen, sind auch die
Fühler aus hintereinander liegenden Segmenten oder Ringen zu-
sammengesetzt. Die Zahl dieser Ringe ist eine je nach der Art,
dem Geschlecht und Alter verschiedene, sie kann sogar innerhalb
einer Art variieren. Von den drei bei uns vorkommenden Familien
von Ruderfüssern haben die Harpactiden die geringste Zahl von
Gliedern, an den Fühlern nämlich höchstens acht; die Cyclopiden
besitzen 6—18, die Calaniden gar 25. Die Antennen aller
Copepoden sind reichlich mit Borsten und kleinen Sinnesorganen,
welche später besprochen werden sollen, versehen. Wie schon gesagt,
TERROR!
N
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 333
dienen diese Fühler wesentlich mit zur Bewegung. Seltsame Um-
bildungen erfahren sie bei den Männchen. Während die weibliche
Antenne gewöhnlich fadenförmig ist und gegen das Ende zu gleich-
mässig an Dicke abnimmt, wobei die verschiedene Länge der
einzelnen Glieder keine Rolle spielt, ist die des Männchens zu
einem ganz komplizierten Greiforgan umgestaltet. Diese Funktions-
vermehrung trifft bei Harpactiden und Cyclopiden die beiden
Antennen, bei den Calaniden
nur die der rechten Seite. Bei
der letzteren Familie ist der
fünfte Fuss auf der entsprechen-
den Seite ebenfalls zu einem
Greiforgan verwandelt. Alle diese
geschlechtlich differenzierten
Antennen sind zweimal geknickt
(Fig. 70, am) und können nach
vorn einwärtsgeschlagen werden,
so dass eine Art Schlinge ent-
steht, mit der die Weibchen
gefangen und während der
Begattung festgehalten werden.
Die zweiten Antennen sind
meistens bedeutend kürzer und
setzen sich bei Cyclopiden und
Fig. 70.
Harpactiden aus vier Gliedern Cyelops tenuicornis Claus (Weibchen, von oben
gesehen). a’ Erste Antenne — a’ Zweite
zusammen. Bei den Calaniden Antenne — ar Antenne des Männchens —
sind sie in zwei Äste gespalten, gyAuee = 7, Kremekn, = MSGERT
deren einer vier, der andere mit Eiern gefüllt.
sieben Glieder besitzt.
Der Mund ist von einer als Oberlippe bezeichneten bezahnten
Platte überdeckt. An seinen Seiten sitzen zwei Paar Kiefern und
ebenso viele Kieferfüsse, welche in stetiger Bewegung sind und viele
Borsten und Stacheln tragen.
Von den nun folgenden vier Schwimmfusspaaren ist das erste
noch am Kopfbruststück angeheftet und gewöhnlich das kleinste.
334 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Alle sitzen noch am Vorderleib. Sie bestehen aus einem breiten
Grundgliede, auf welchem zwei Äste mit je zwei bis drei Gliedern
entspringen; sie werden als Spaltbeine bezeichnet. Wie die Mund-
werkzeuge sind auch besonders die Endglieder der Beine reichlich mit
Borsten und Dornen ausgestattet. Es wäre nun noch eines fünften,
rudimentär gewordenen Fusspaares zu gedenken, welches dem
kleinsten (fünften) Vorderleibssegment aufsitzt, oft nur durch Borsten
angedeutet, oft 1—2gliederig ist oder gar noch aus einem Grund-
gliede und zwei kleinen Ästen (Calaniden) besteht. So unscheinbar
es ist, so gross ist seine Bedeutung für die Unterscheidung der
Arten. Wie oben erwähnt wurde, ist der rechte Fuss des rudi-
mentären Paares bei den Calaniden zu einem Greiforgan umgewandelt
und trägt einen sehr starken langen Dorn am Ende. Bei den
Harpactiden erleidet das dritte Schwimmfusspaar eine entsprechende
Umwandlung zum gleichen Zweck.
Es mögen hier einige Bemerkungen über den Bau der Körper-
bedeckung eingefügt werden, welche das Tier gegen die Umgebung
abgrenzt und ihm Schutz verleiht. Bei allen Kerftieren besteht die
Haut aus zwei Lagen, von denen die eine die andere erzeugt.
Die äusserste Lage besteht aus einem „Chitin“ genannten Stoff und
ist von sehr wechselnder Dicke. Während manche Käfer vom
Sammler kaum mit der Nadel durchbohrt werden können, hat die
Stubenfliege nur eine dünne Chitindecke und kann daher leicht
zerdrückt werden. Von dieser Chitinhaut sind alle die weicheren
inneren Organe schützend umschlossen; an ihr setzen sich auch
die Muskeln und Sehnen an. Da nun der äussersten Körper-
schicht die Aufgabe zufällt, den Körper zu stützen und Ansatz-
stellen für alle die Muskeln abzugeben, welche die Gliedmassen etc.
bewegen, so kann man bei den Kerftieren und also auch bei den
Krebsen von einem äusseren Skelett reden. Dieses wird von einer
darunter liegenden ganz weichen Schicht, der Matrix oder
Hypodermis, deren Elemente kleine, vielseitige platte Zellen
darstellen, abgesondert. Doch geschieht die Absonderung nicht
immerfort gleichmässig, sondern sie findet nur nach bestimmten
Zwischenpausen bei noch nicht ausgewachsenen Tieren statt.
Ars
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 335
Jeder neuen Absonderung geht ein Abwerfen der alten Chitin-
haut vorauf.
Ähnlich ist auch die Haut, welche den Anfang und das Ende
des Darmrohres auskleidet, zusammengesetzt und wird ebenfalls bei
der Häutung abgestossen.
Da wir nun das Äussere der Copepoden einigermassen kennen,
wenden wir uns zu dem Bau und der Zusammensetzung der inneren
Organe und Systeme. Dieselben sind, trotz ihrer Einfachheit, ihrer
Struktur und Funktion nach doch oft recht schwierig zu erkennen.
Gleich das Nervensystem, von dem ja alle Lebensäusse-
rungen, willkürliche wie unwillkürliche, ausgehen, ist bei der Klein-
heit der Tiere, zu der sich noch andere Hindernisse gesellen, so
schwer zu entdecken, dass bei mancher Art noch nicht einmal die
äussere Form mit voller Sicherheit festgestellt ist. Von vornherein
lässt sich ja annehmen, dass es sich vom Bau nahe verwandter
Arten, von deren zentralem Nervensystem man genaue Kenntnis
hat, nicht allzuweit entfernen werde. Gewöhnlich lagert sich der
Hauptteil, den man als Hirn bezeichnen kann, wie bei allen Kerf-
tieren, über dem Schlund und zwar in Form von Ganglien, d. h.
Anschwellungen von Nervensträngen, in denen die Elemente des
Nervensystems, Fasern und Zellen, bei einander liegen. Solche
Ganglien sind, der bilateralen Symmetrie des Körpers entsprechend,
gewöhnlich paarweise angelegt. Die Paare selbst treten ursprünglich
in jedem Segment in der Einzahl auf, können aber sowohl seitlich
verwachsen, als auch, wenn Segmente mit einander verschmelzen,
zusammenrücken, so dass mehrere hintereinander gelegene Paare
durch Verwachsung nur noch ein einziges darstellen. Um wieder auf
das „obere Schlundganglion“ (so lautet die wissenschaftliche Bezeich-
nung des Hirns) zurückzukommen, so ist es meistens auch durch
seine Grösse vor den anderen ausgezeichnet. Von ihm gehen rechts
und links an den Seiten des Schlundes Nerven (Kommissuren) hin,
welche in ein unter dem Schlunde liegendes Ganglienpaar eintreten.
Auf diese Weise entsteht eine Art Ring, welcher sich eng um das
Rohr des Schlundes herumlegt und „Schlundring‘“ genannt wird.
Dieses „untere Schlundganglion“ ist mit den weiter nach hinten
336 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
liegenden segmentalen Ganglien durch zwei Nervenstränge, wie jene
unter sich, verbunden. Das Bild dieses „Bauchstranges“ gleicht einer
Strickleiter. Wie schon der Name besagt, liegt dieser Bauchstrang,
welcher unserem Rückenmark entspricht, an der Bauchseite unter
dem Darm. Ob überall bei unseren Copepoden auch im Hinter-
leib solche durch Nerven mit einander verbundene Ganglien zu
finden sind, ist nicht ganz sicher festgestellt. Bei den Cyclopiden
fehlen sie dort, was natürlich nicht ausschliesst, dass derselbe
dennoch reichlich mit Nerven versorgt ist. Von diesem Zentral-
nervensystem, welches, wie wir gesehen haben, aus einem Schlund-
ring und einer Bauchganglienkette sich zusammensetzt, gehen nun
gröbere und feinere sich reichlich verzweigende Nervenäste zu allen
Teilen und Organen des Körpers und vor allem zu den Sinnes-
organen.
Obgleich diese im Vergleich mit anderen Kerftieren nur schwach
entwickelt sind, scheinen die Copepoden dennoch für die meisten
Eindrücke recht empfänglich zu sein. Am leichtesten sichtbar und
keiner Art fehlend ist das Auge. Es ist bei grösseren Arten,
namentlich bei den fast farblosen pelagischen Tieren, ohne weitere
Hilfsmittel durch seine gewöhnlich rot bis rotbraune Färbung kennt-
lich. Häufig glänzt es sehr schön.
Ausnahmslos müssen sich die Copepoden mit einem einzigen
Auge behelfen und dieser Umstand hat der Gattung Cyclops mit
einer Anspielung auf den einäugigen Schmiedeknecht Vulcans im
Ätna zu ihrem Namen verholfen. Dieses eine Auge ist so primitiv
gebaut, dass wir ruhig annehmen können, es werde seinem Besitzer
zu keiner besonders vollkommenen Erkenntnis der Umgebung ver-
helfen und nicht viel mehr als die Unterscheidung von hell und
dunkel ermöglichen. Es sitzt bei allen Arten mitten auf der Stirn
zwischen den beiden Fühlern und ist bloss bei den Calaniden ein
wenig beweglich, sonst aber fest. Mit einem Vergrösserungsglas
sieht man dem schon erwähnten Pigmentfleck zwei kleine glashelle
Linsen aufsitzen, welche meistens den Glanz verursachen. Denkt
man sich nun hierzu einen Nerv, der vom Hirn zum Auge zieht
und unter demselben eine kleine gangliöse Anschwellung zeigt, so
-
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 337
kennen wir die ganze Einrichtung, wie sie einfacher kaum gedacht
werden kann. Die nächstniedere Entwickelungsstufe des Auges
kommt schon sehr früh in der Tierreihe vor bei wirbellosen Tieren
und stellt einen mit Nerven versehenen Pigmentfleck dar, ist also
um das optische Hilfsmittel der beiden Linsen ärmer. Die Linsen
selbst sind aus der Chitinschicht der Haut gebildet und werden bei
jeder Häutung durch neue ersetzt.
Wenn wir somit dem Formen- und Farbensinn der kleinen
Hüpferlinge keine besondere Hochachtung zollen dürfen, so kann
man doch aus manchen Beobachtungen schliessen, dass nicht alle
Sinne gleich schlecht entwickelt sind. Namentlich scheinen der
Geruch und Geschmack gut ausgebildet zu sein. Nur fehlen
uns vorderhand die Mittel, genau zu unterscheiden, welche Organe dem
einen, welche dem anderen Sinne dienen. Es ist ja nicht unmöglich,
dass bei den im Wasser lebenden Tieren ein und dieselbe Vor-
richtung beiderlei Perceptionen ermöglicht, da nur ein Medium
vorhanden ist, um die erregenden Stoffe zu übermitteln — das
Wasser. Ob nun die Stoffe gasförmig oder fest sind, bleibt sich
gleich. Da nicht wohl anzunehmen ist, dass unlösliche Stoffe einen
Eindruck auf andere als Seh- und Tastorgane machen, so ist von
diesen abzusehen. Lösliche Stoffe jedoch können nach unseren
Anschauungen von einem Sinnesorgan wahrgenommen werden. Wie
bei den höheren Wirbeltieren ist der Geruchs - Geschmackssinn
auf bestimmte Körperteile beschränkt und zwar wohl ausnahmslos
auf die Antennen. Am ersten Paare derselben sitzen neben einer
bedeutenden Anzahl von Borsten verschiedener Grösse und Form
je nach Art, Geschlecht und Alter wechselnde Mengen äusserst
zarter Gebilde auf, welche kaum einem anderen Zweck dienen
dürften, als die nächste Umgebung auf ihre chemische Beschaffen-
heit zu prüfen. Es sind dies die bei den Cyclopiden und Har-
pactiden von Leydig beschriebenen sogenannten „blassen Kolben
und Cylinder“, welchen bei unserem Calaniden Diaptomus (s. S. 338)
feine und lange verborgen gebliebene Gebilde entsprechen, die
zuerst von Imhof12) beschrieben und von mir25) abgebildet wurden.
Besonders auffallend ist die Verschiedenheit der Form dieser
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I, 22
338 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
. Sinnesorgane bei den Cyclopiden, und wohl wert, mit einigen
Worten beschrieben zu werden. Vor allem ist hervorzuheben, dass
die männlichen Antennen stets reichlich mit solchen Kolben und
Cylindern versehen sind, während sie bei den Weibchen entweder
gar nicht oder nur in der Einzahl angetroffen werden. Der letztere
Fall ist um so interessanter, als die Lebensäusserungen der Tiere
keineswegs die Vermutung aufkommen lassen, als fehle diesen
der Geruchssinn überhaupt; man kann somit schliessen, dass auch
noch auf andere, bis jetzt noch nicht ermittelte Weise geschmeckt
bezw. gerochen wird. Diejenigen, welche ein Sinnesorgan besitzen,
tragen dasselbe am zwölften Gliede der ersten Antenne in Form
eines auf einem Stiele sitzenden Kölbchens. Ganz ähnlich in der
Form, nur grösser und zahlreicher sind die Kölbchen, mit welchen
die Männchen dieser Weibchen an den Klammerantennen aus-
gerüstet sind. Die übrigen Männchen dagegen schmecken mit den
„blassen Cylindern“, welche morphologisch den eben geschilderten
Kölbchen entsprechen. Diese Cylinder sind im letzten Drittel fein
behaart und kommen auch bei unserem Harpactiden Canthocamptus
vor. An den langen Fühlern unseres gemeinsten Calaniden
Diaptomus treten beim Weibchen wie Männchen ganz kleine,
äusserst zarte und darum kaum sichtbare Organe auf, welche etwa
die Form einer Lanzenspitze haben. Einen deutlichen Übergang
von den Borsten zu dem Schmeckorgan weisen die an der Antenne
der Heterocope, eines nahen Verwandten des Diaptomus, auf.
Viele derselben entfernen sich mit Ausnahme einer blasigen Auf-
treibung am Grunde kaum vom Bau einer Borste.
Es mag hier erwähnt werden, dass alle die genannten Sinnes-
organe, so verschieden ihre Form und Grösse ist, ganz den so
zahlreich an allen Gliedmassen der Copepoden vorkommenden
Borsten, welche an den Antennen sicher mit die Tastempfindung
vermitteln, entsprechen und aus diesen sich entwickelt haben.
Nicht allein die Anordnung der „blassen Kolben und Cylinder“
auf den Gliedern der Antenne dient uns als Beweis dafür, sondern
auch der Umstand, dass, wie beim ebenerwähnten Falle, nicht
selten solche Sinnesorgane angetroffen werden, welche ein Mittelding
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 339
zwischen Borste und Kolben (oder Cylinder) darstellen. Es ist
dies ein Beispiel, dass eigentlich Geschmack und Geruch nur ver-
feinerte Tastempfindungen sind. Weitere Bemerkungen über die
Thätigkeit der vermutlichen Organe des Geschmacks- und Geruchs-
sinnes werden in dem Abschnitt über die Lebensweise der kleinen
Kruster folgen und wir wenden uns zur Besprechung des Gehörs,
sofern man überhaupt von einem solchen reden kann. Es ist
nämlich bis jetzt nicht gelungen an Süsswasser-Copepoden auch nur
in Spuren ein Organ nachzuweisen, welches zur Aufnahme von
Schallwellen im Wasser spezifiziert wäre. Wollen wir nicht an-
nehmen, dass die oben geschilderten Sinnesorgane der Antennen
— zu denen ja schliesslich noch alle die feineren Borsten, nament-
lich die mit feinen Härchen versehenen zu rechnen sind — neben
den angegebenen Funktionen noch die des Hörens übernehmen, so
können wir nur vermuten, dass Schallwellen, die ja im Wasser
ohnedies viel besser geleitet werden als in der Luft, vom ganzen
Körper des Tieres empfunden werden und somit ebenso wirken,
wie ein Reiz auf den Tastsinn.. Da nicht einzusehen ist, von
welchem Vorteil eine auch nur annähernd genaue Unterscheidung
der Töne für das Wohlbefinden eines so niedrig organisierten
Wesens sein soll, so wird man wohl begreifen, dass die geschilderte
Art der Schallempfindung ihren Zweck ausreichend erfüllt. Auch
wir empfinden ja den Schall viel öfter als wir es ahnen zumteil
mittels des Tastsinnes. Jeder kann sich davon überzeugen, wenn
er während des Vortrages eines kräftigen Gesangsstückes oder einer
schmetternden Kapelle die Fingerspitzen auf den Deckel eines
frei gehaltenen Buches oder einer kleinen Zigarrenkiste legt. Dass
aber die Copepoden einen gut entwickelten Tastsinn haben,
wird jeder Freund derselben, welcher etwa mit einer Pipette die
gewandteren Schwimmer, wie Diaptomus und Cyclops, aus einem
grösseren Gefäss herausfangen will, zu seinem Ärger erfahren.
Mit einer oft geradezu bewundernswerten Geschicklichkeit wissen
die Tiere dem gefahrbringenden Instrumente, dessen Nähe sie
offenbar nicht sehen, sondern lange, ehe es den Körper berührt,
fühlen, auszuweichen, und je öfter und sorgfältiger man ihnen nahe
22*
340 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
zu kommen sucht, desto sicherer entfliehen sie — einmal scheu
gemacht — durch einen schnellen Sprung.
Von den Eingeweiden ist am leichtesten der Darmtraktus,
besonders am lebenden Tiere — allerdings so wenig wie das Nerven-
system mit blossem Auge — zu verfolgen. Wir teilen denselben
in einen vordern (Schlund-)Teil, Mittel-(Magen) und Enddarm. Der
erste beginnt mit dem Munde. Von der Mundöffnung an steigt
der Schlund beinahe senkrecht in die Höhe, biegt ein wenig nach
vorn der Stim zu um, erleidet dort eine Knickung und geht all-
mählich in eine Erweiterung des Darmrohres, den Mitteldarm oder
Magen, über, welcher sich annähernd durch den ganzen Vorderleib
erstreckt. Mit dem Beginn des Hinterleibs fängt der wieder dünnere
Enddarm an und mündet an der Oberseite des letzten Segmentes
vor der Furca nach aussen. Der Darmtraktus geht somit wie ein
gerader Schlauch mitten durch den Körper. Am Enddarm besonders
kann man leicht eine eigentümliche Erscheinung beobachten, welche
dem Darm aller Tiere, den Menschen nicht ausgenommen, eigen
ist. Häufig treten nämlich an demselben Einschnürungen auf,
welche weiter wandern und, da sie rasch auf einander folgen, wie
Wellen sich fortzupflanzen scheinen. Es sind dies die sogenannten
„peristaltischen Bewegungen“, welche, durch die in der Darmwand
liegenden Muskeln erzeugt, der Weiterbeförderung des Inhalts
dienen.
Vergebens würden wir nach Leber und Niere, zwei so hoch-
wichtigen Organen im tierischen Körper, suchen, wollten wir sie
als gesonderte Teile der Eingeweide vermuten. Nach mühsamen
Versuchen erst ist es gelungen nachzuweisen, dass Zellen, auf dem
Magenstück liegend, die Verrichtung der erwähnten Drüsen über-
nommen haben. Etwa innerhalb des Kopfbruststückes ist der Darm
von drüsigen Zellen umgeben, welche mit gelb gefärbten Fett-
kügelchen erfüllt und ihrem Bau nach als Leberzellen zu deuten
sind. Weiter nach hinten, dem Ende des Magens zu, enthalten
ähnlich geformte Zellen die Stoffe, welche bei den höheren
Tieren von den Nieren abgesondert werden. Durch Einwirkung
chemischer Reagentien lässt sich ihre Zusammensetzung erkennen.
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 341
Diese Nierenzellen geben ihren Inhalt am Anfang des Enddarms
an diesen zur Weiterbeförderung nach aussen ab.
Selbst unser Regenwurm ist in dieser Beziehung, so niedrig
er sonst steht, besser eingerichtet, als der Copepode, indem er
wenigstens gesonderte Organe, welche die Funktion der Niere ver-
richten, besitzt.
Allein nicht nur in diesem einen Falle können wir am Copepoden
die Einfachheit der Mittel bewundern, mit denen die Natur so
unendlich verschiedenes zweckmässig einzurichten weiss. Gleich
die Art und Weise, wie das Blut im Körper der kleinen Geschöpfe
zu allen Organen hingeführt wird, ist bei den Cyclopiden und
Harpactiden so originell und zugleich so primitiv, dass wir kaum
begreifen können, wie dadurch die Thätigkeit eines komplizierten
Apparates, wie es das Herz anderer Tiere ist, vollkommen ersetzt
werden kann.
Die beiden eben erwähnten Familien besitzen nämlich nicht
einmal die Andeutung eines Herzens und bei diesen Tieren
übernimmt nun wunderbarerweise der Darm einen Teil der Funktion
eines solchen, ist also in dreifacher Weise beschäftigt. Dadurch,
dass er sich in bestimmter Richtung (vorwiegend in der Vertikal-
ebene auf und ab) bewegt, wird das Blut wenigstens ordentlich
untereinandergeschüttelt, wenn auch nicht in vorgeschriebenen
Bahnen oder Adern herumgeleitet. Die Lage und der Verlauf des
Darmes wurde vorhin geschildert. An der erwähnten Umbiegung,
wo der Schlund in den Magen übergeht, setzen sich an der Ober-
seite feine Muskeln an, welche nach vorn und oben gegen die
Stime zu verlaufen. Diese bewegen bei ihrer Zusammenziehung
den Darm in dieser Richtung. Sehr ausgiebig und regelmässig ist
diese Bewegung nicht. Eine zweite Art von „Darmpulsationen“
vollzieht sich durch die Thätigkeit anderer Muskeln, welche sich
einerseits am Darm beim Übergang des Magens in den Enddarm
ansetzen, anderseits an der innern Bauchwand des Hinterleibes.
Durch diese Muskulatur wird der Darm gewaltsam nach abwärts
und zugleich nach hinten gerissen und alles Blut, das sich unter
ihm befand, nach oben an den Seiten des Darmes vorbei unter die
342 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Rückenhaut getrieben. Gleich darauf kehrt alles in seine vorige
Lage zurück. Die Zahl dieser Bewegungen in einer bestimmten
Zeit ist manchem Wechsel unterworfen und scheint zumteil
willkürlich ausgeführt zu werden. Die Gliedmassen sorgen ausser-
dem durch ihre fast immerwährende Bewegung jedenfalls mit dafür,
dass das Blut keinen Augenblick ruhig im Körper verweilt.
Eine viel vollkommenere Blutzirkulation findet bei den Calaniden
statt, da diese ein Herz besitzen. Dieses ist bei unserm Diaptomus
in einer ausserordentlich lebhaften Bewegung und schlägt etwa
ı5omal in der Minute, so rasch, dass es beinahe zu vibrieren
scheint. Durch seine energische Thätigkeit werden die in seiner
Umgebung liegenden Organe ebenfalls in einem beständigen Zittern
erhalten. Beobachtet man einen Diaptomus längere Zeit unter dem
Mikroskop von einem dünnen Gläschen bedeckt, so verbraucht er
allmählich den in dem umgebenden Wassertropfen enthaltenen
Sauerstoff und dann schlägt das Herz des absterbenden Tieres
immer langsamer, so dass es sich leicht genau besehen lässt. Man
wird dann finden, dass es einem kleinen Balle gleicht, welcher in
der Mitte des Rückens und zwar im dritten Vorderleibssegment
direkt unter der Haut liegt. Feine blasse Fädchen ziehen von
ihm an die umgebenden Teile (Haut, Darm) und halten es in
seiner Lage fest. Es ist mit einigen Öffnungen versehen, Am
sichersten ist eine hintere und vordere, weniger bestimmt solche
an den Seiten beobachtet worden. DBlutgefässe fehlen auch hier.
Wie bei den zwei anderen Familien ist auch bei den Calaniden
die ganze Körperhöhle mit Blut erfüllt, so dass die Organe so-
zusagen darin schwimmen. Zieht das Herz sich zusammen, so
strömt das Blut gegen den Kopf zu aus der vordern Öffnung,
welche demnach als „arterielle“ angesehen werden kann. Die bei
der Kontraktion sich schliessende hintere oder „venöse“ Öffnung
lässt bei der Ausdehnung Blut einströmen, welches von seiner
Wanderung durch den Körper und die Gliedmassen zurückkehrt.
Das Blut selbst ist farblos oder schwach gelblich. Feste
Bestandteile, etwa den Blutkörperchen anderer Tiere entsprechend,
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 343
lassen sich nur sehr schwer darin entdecken und wurden früher
ganz vermisst.
Gesonderte Verrichtungen, welche zur Atmung dienen
könnten, fehlen allen echten Copepoden vollständig, Man muss
demnach annehmen, dass der im Wasser gelöste Sauerstoff, der
auch diesen kleinen Wesen unentbehrlich ist, einfach durch die
Haut aufgenommen und auf demselben Wege die Kohlensäure
abgeschieden wird. Man wird diese scheinbare Unvollkommenheit
verstehen, wenn man bedenkt, wie leicht sich ein Gasaustausch
durch eine Haut, welche in allen Teilen dünner ist als die Kiemen-
haut grösserer Krebse, vollziehen kann. Es wirkt somit die ganze
Körperoberfläche als Atemorgan, sozusagen als Kieme. Das Be-
dürfnis nach Sauerstoff entspricht der Grösse der Tiere und der
Lebhaftigkeit derselben.
Alle Bewegungen im und am Körper werden durch hoch-
entwickelte Muskeln ausgeführt. Vor allem sind zwei Stränge
derselben, je einer links und rechts von der Mittellinie des Körpers,
stark ausgeprägt und leicht zu sehen. Diese vermitteln die Ver-
schiebung der Körpersegmente gegen einander. An den Seiten
des Körpers und am Bauche setzen sich die Muskeln der Glied-
massen an. Von der eigentümlichen Thätigkeit der Darm- und
Herzmuskulatur war schon früher die Rede.
Es bliebe uns jetzt noch übrig, da ja nur die wichtigeren
Organe hier Raum finden können, die Fortpflanzungsorgane
und daran anknüpfend die Entwickelung der Copepoden zu
besprechen.
Schon bei der Beschreibung der Gliedmassen wurde erwähnt,
dass alle Copepoden getrennten Geschlechts seien, und die äusseren
Merkmale, welche beide Geschlechter trennen, hervorgehoben.
Die Fortpflanzungsorgane nehmen bei den reifen Tieren
einen grossen Teil der Leibeshöhle ein und schimmern namentlich
bei den Cyclopiden durch die dünne Körperwand durch. Da der
Inhalt derselben oft genug eine bläuliche bis grüne Färbung besitzt,
erscheinen die Tiere in dem entsprechenden Tone gefärbt. Die
344 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Männchen sind sofort an ihrem schlankeren Körper und den um-
geformten Antennen zu erkennen. Junge Tiere sind nicht immer
leicht zu unterscheiden. Die Weibchen sind gewöhnlich grösser
als die Männchen derselben Art und der Hinterleib derselben besitzt
ein Segment mehr als bei jenen, da das erste und zweite nicht
mit einander verwachsen sind. Bei beiden Geschlechtern liegen
die Fortpflanzungsorgane über dem Darm und unter der Rücken-
haut. Wo ein Herz, wie bei den Calaniden, vorhanden ist, befindet
sich dieses über den Geschlechtsorganen. Sind letztere bei den
Weibchen stark entwickelt und mit Eiern erfüllt, so erstrecken sie
sich etwas an den Seiten des Darmes nach dem Bauche zu ab-
wärts. Die Keime werden in einer sackähnlichen Drüse erzeugt.
Von dieser Drüse treten sie nach rechts und links in die Eileiter
über, welche bei grossen Weibchen durch ihre eigentümliche Form
(Fig. 70 Ze) und den gefärbten Inhalt leicht sichtbar werden. Die
Eileiter reichen weit nach vorn und hinten bis zum ersten Segment
des Hinterleibes, wo sie nach aussen münden. Nach den Seiten
senden dieselben ebenfalls mit Eiern erfüllte Lappen aus. In den
Eileitern werden die Keime (Eier) mit Dotter versehen und erhalten
auch eine zarte Hülle. Die Eier geniessen bis zum Auskriechen
der Jungen die mütterliche Fürsorge und werden nicht einfach in
das Wasser entleert. Vor dem Verlassen des mütterlichen Körpers
werden sie nämlich aus einer Drüse mit einem Klebstoff umhüllt,
welcher im Wasser erhärtet und die Eier unter einander sowohl,
als auch mit den Seiten des mütterlichen Körpers am ersten Ringe
des Hinterleibes verkittet. Solche Säckchen tragen die Cyclopiden
zwei, deren jedes etwa mit zwanzig Eiern erfüllt ist, die Harpactiden
und Calaniden dagegen nur eines. Bei ersteren sind sie oval und
links und rechts am Hinterleib, bei letzteren mehr rundlich und an
der Unterseite befestigt. Diese Säckchen sind bei den Copepoden, die
der pelagischen Fauna angehören, stets kleiner als bei den Uferformen.
Die männlichen Organe sind bei den Cyclopiden mit Aus-
nahme der Keimdrüse ebenfalls paarig angelegt, bei den Calaniden
und Harpactiden dagegen nicht. Die Geschlechtsprodukte werden
in sogenannten Spermatophoren an das Weibchen angeheftet. Den
a
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 345
Cyclopiden sind solche Gebilde von rundlicher Form eigen, bei
den Calaniden und Harpactiden stellen sie jedoch langgezogene
Flaschen von sehr komplizierter Einrichtung dar. Ihre Entstehung
und Funktion wurde von A. Gruber vorzüglich geschildert.
Die Befruchtung der Eier findet am Ende der Eileiter während
des Ablegens statt.
In den Säckchen sind, wie im Körper, die Eier von grünlicher
bis bläulicher, selten gelber Farbe. Eine dünne Haut umschliesst
den körnigen fetthaltigen Inhalt. Bald nach der Bildung der Eier-
säckchen beginnt die im Ei schlummernde geheimnisvolle Kraft in
der Umbildung «les Dotters zu einem neuen Wesen ihre Wirkung
zu entfalten. So interessant die hierbei sich abspielenden Vorgänge
sind, so können sie hier nicht weiter geschildert werden. C. Claus?)
hat uns schon vor langen Jahren mit denselben bekannt gemacht.
Nach einer, je nach der Jahreszeit, zwei bis zehn Tage dauernden
embryonalen Entwicklung entschlüpft dem Ei der junge Copepode,
welcher zunächst mit seinen Eltern so wenig Ähnlichkeit hat, dass
man ihn lange für ein ganz besonderes Tier hielt und ihn „Nauplius“
benannte. Alle jungen Copepoden und auch die meisten übrigen
niederen Krebse haben diese Entwickelungsform des „Nauplius-
Stadiums“ gemeinsam, so verschieden im erwachsenen Zustande die
Tiere auch aussehen mögen. In diesem Jugendkleide stellt sich
das kleine Wesen als rundlicher Körper mit nur drei Gliedmassen-
paaren dar, welche an der Bauchseite entspringen und in der Form
ebenfalls wesentlich von denen der Alten abweichen. Die weitere
Entwickelung vom Nauplius zum vollkommenen Tiere geht sozusagen
ruckweise vor sich. Die kleinen Kruster wachsen so wenig wie
andere Kerftiere etwa ähnlich den höheren Tieren allmählich heran,
wobei der schon in seiner Gestaltung fertige Körper eigentlich nur
an Grösse zunimmt, sondern in Pausen. Von Zeit zu Zeit wird,
wie bereits früher beschrieben wurde, den Jungen die Haut zu
enge, deren Beschaffenheit eine Dehnung nur bis zu einem gewissen
Grade zulässt. Sie, d. h. die unbelebte äussere Schicht derselben,
wird deshalb abgeworfen und durch eine neue ersetzt. Mit jedem
Wechsel der Haut treten am Körper mehr Segmente und Glied-
346 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
massen, an diesen aber, so weit sie nicht schon früher vorhanden
waren, neue Bestandteile auf. Das Auge, den Darm und — wo ein
solches vorkommt — auch das Herz bringen die Copepoden, wie die
erste Anlage der Fortpflanzungsorgane, mit auf die Welt. Mit dem
Verlassen des Eies entzieht sich der Nauplius der mütterlichen Ob-
hut und geht von nun an selbständig seinen Weg durchs Leben.
Es ist dieses Nauplius-Stadium für die Systematik der niederen
Krebse um so wichtiger, als manche erwachsene Formen selbst für
das geübte Auge so wenig Ähnlichkeit mit den nächsten Verwandten
haben, dass man ohne Kenntnis der Entwickelung sie lange mit
ganz anderen Tieren zusammenstellte. Es sind solche weitgehenden
Veränderungen der äussern Gestalt namentlich bei den Ranken-
füssern und den parasitischen Copepoden beobachtet und auf eine
Anpassung an die Lebensweise zurückzuführen. Einige Ranken-
füsser setzen sich fest, werden mit einer harten Kalkschale um-
schlossen und scheinen in dieser Form alle Anschauungen über
den Bau eines Krebses über den Haufen werfen zu wollen. In der
That wird jeder, welcher zum ersten Mal eine sogenannte Enten-
muschel oder die Seepocken zu Gesicht bekommt, Mühe haben,
sie als Krebse zu erkennen. Von den parasitischen Copepoden
werden wir später noch einiges erfahren.
Nach einer bestimmten Zahl von Häutungen hat das Tier
seine endgültige Grösse und Form erreicht und ist fortpflanzungs-
fähig geworden. Die Zeit, die es vom Verlassen des Eies an zu
seiner weiteren Entwickelung nötig hat, ist je nach den äusseren
Einflüssen verschieden. Im Sommer genügen nach Jurines 13) Beob-
achtungen zwei bis drei Wochen, während in der kälteren Jahreszeit -
unter Umständen ebensoviele Monate nötig sind, bis das Tier fertig
ist. Die erreichte Grösse ist bei Individuen einer Art meist an-
nähernd gleich. Nur ausnahmsweise findet man solche, welche das
normale Mass um vieles (fast 1/3) übersteigen, ohne dass eine
besondere Ursache für ein so auffallendes Wachstum sich nach-
weisen liesse.
So interessant das Studium der einzelnen Familien, Gattungen
und Arten, welche unsere süssen Wasser bewohnen, ist, so muss
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 347
dennoch auf eine Aufzählung aller bis jetzt beschriebenen Formen
verzichtet werden. In dem angefügten Litteraturverzeichnis sind
jedoch für solche, welche sich eingehender mit den interessanten
Tieren abgeben wollen, die wichtigsten Werke namhaft gemacht,
in denen die Beschreibung und Klassifikation der Copepoden be-
handelt wird. Wir wenden uns zu der am niedersten stehenden
Familie der Eucopepoden mit kauenden Mundwerkzeugen, den
Cyclopiden.
Der ganze Körper (Fig. 70) setzt sich (ohne die Furca) aus
zehn Ringen zusammen, von denen fünf auf den Vorderleib, ebenso-
viele (beim Weibchen verwachsen die zwei ersten) auf den Hinter-
leib kommen. Der Vorderleib ist meistens beträchtlich breiter als der
Hinterleib und eiförmig, Die ersten Antennen setzen sich aus
8— 17 (selten 18) Gliedern zusammen und sind beim Männchen
beide zu Greiforganen umgewandelt. Das Auge ist in der Mitte
der Stirne gelegen und hat zwei Linsen. Das Weibchen trägt seine
Eier in zwei gewöhnlich etwas abstehenden Säckchen an beiden
Seiten des Hinterleibs.
Am gemeinsten von allen den Arten, deren Antennen
ı7gliederige Fühler besitzen, ist der Cycloßs viridis Fischer. Die
Fühler dieser grossen Art sind kaum länger als das erste Vorder-
leibssegment und gedrungen; sie tragen am zwölften Gliede ein
feines Sinneskölbchen. Fast gleich häufig trifft man den kleinen
Cyclops agılıs Koch an, welchem von Claus, da er am Aussen-
rande der Furca eine kleine Säge trägt, der Name serrulatus bei-
gelegt wurde. Seine Fühler sind schlank und reichen bis zum
vierten Segment des Vorderleibs. Sie besitzen zwölf Glieder, er-
mangeln aber eines Sinneskölbchens. Die Eiersäckchen werden
sehr abstehend getragen. Von grossen Cyclopiden mit langen
Antennen (viel länger als das erste Vorderleibssegment) sind etwa
noch Cyel. temucornis Claus und signatus Koch zu erwähnen.
Diese sehen sich im allgemeinen ähnlich, allein während C. temucornis
wie C. virıdis ein Sinneskölbchen an den ersten Antennen trägt,
fehlt dieses dem C. signatus stets. Die Länge von diesen beiden
348 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Arten und von vırıdıs beträgt etwa 3.5 mm. Ein naher Verwandter
des C. agılis interessiert uns durch sein beschränktes Vorkommen.
Er wurde in den Maaren der Eifel von Dr. Otto Zacharias
gefunden und erhielt bei der Beschreibung?) den Namen C.
maarensis*). Es giebt noch eine bedeutende Anzahl von meist
kleinen Arten mit ı7gliederigen Antennen, welche kaum länger als
das Kopfbruststück sind. Alle sind aber sehr schwer zu bestimmen,
da die Merkmale nur mit Mühe aufgefunden werden können. Viel
seltener trifft man Cyclopiden an, deren Antennen weniger als zwölf
Glieder besitzen. Einer derselben, C. canthocarpoides, kommt auch
im Meere vor.
Die Familie der
Harpactiden
zählt im süssen Wasser zu der am wenigsten bedeutenden. Wie
Cyclops die einzige Gattung unter den Cyclopiden darstellt, so sind
Fig. 71.
Canthocamptus minutus Müller, nach Brady (Weibchen von der Seite).
auch die Harpactiden nur durch eine Gattung, Canthocamptus (Fig. 71),
vertreten. Diese Form ist in mehreren Arten sehr weit verbreitet.
Sie wird besonders im ersten Frühjahr in Gesellschaft von Cyeclops
in allen unseren kleinen Weihern gefunden, viel seltener oder gar
nicht im Sommer. Der Körper von Canthocamptus weist dieselbe
Gliederung auf, wie die von Cyclops, jedoch ist Vorder- und Hinter-
*) Es ist diese Art nach neueren Untersuchungen vielleicht mit C. macrurus Sars
identisch,
ae
d
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 349
leib an Breite nur wenig verschieden und beide sind nicht sehr
scharf von einander abgesetzt. Die ersten Antennen sind kürzer
als das Kopfbruststück und beim Männchen zu Greiforganen um-
gestaltet. Bei letzterem erleidet das dritte Fusspaar eine demselben
Zwecke dienende Formveränderung. Am Hinterleib der Weibchen
wird nur ein Eiersäckchen angetroffen, neben welchem häufig die
langen flaschenförmigen Spermatophoren hängen. Canthocamptus
ist ein schlechter Schwimmer und dreht sich bei seinen Bewegungen
um seine eigene Achse schraubenförmig durch das Wasser. Die
grösste bei uns vorkommende Art — Canth. minutus Müller oder
staphylinus Jarine — misst etwas über einen Millimeter; die meisten
anderen sind noch kleiner. Viel wichtiger und grösser ist die dritte
Familie der Süsswassercopepoden, die der
Calaniden,
obgleich auch sie nur mit wenigen Gattungen bei uns vertreten
ist. Diese sind nicht so allgemein verbreitet, wie die beiden vorher-
gehenden Familien, sie kommen aber meist in grossen Massen vor,
wenn sie einmal in einem Wasser eingebürgert sind. Der Vorder-
leib der Calaniden ist länger als der Hinterleib und bildet ein
langgezogenes, nach hinten abgestutztes Oval. Der ganze Körper
ist annähernd cylindrisch.h Die meist 25gliederigen Antennen
sind etwa so lang als der ganze Körper. Die rechte ist beim
Männchen wie auch der rechte Fuss des fünften Beinpaares zu
einem Greiforgan umgestaltet. Das Weibchen erzeugt nur ein
Eiersäckchen, welches wie bei Canthocamptus an der Unterseite
des Hinterleibs klebt. Die am Ende der Furca aufsitzenden Borsten
haben ziemlich gleiche Länge und sind fächerförmig ausgebreitet.
Die hiehergehörigen Gattungen und Arten wurden in einer sehr
ausführlichen Arbeit von Jules de Guerne und Jules Richard?)
zusammengestellt. Hiernach werden neun bis zehn Gattungen mit
über 70 Arten unterschieden. Am meisten Bedeutung hat das
Genus Diaptomus, von welchem allein an die 60 Vertreter beschrieben
wurden. Gewöhnlich findet man bei uns drei Arten an, d. h. nicht
alle drei beisammen. Die grösste Art ist Diaflomus castor Jurine,
VE FREEIT N VRFRug
350 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
welcher über 31/2 mm lang wird und meistens kleinere Gewässer
bewohnt. Diesem sehr ähnlich, jedoch kleiner, ist D. coeruleus
Fischer. Eine fast in allen grossen Wasserbecken auftretende und
als Fischnahrung sehr wichtige Art ist der pelagisch lebende zier-
liche D. gracılis, welcher fast keine Färbung hat und ganz wasser-
hell ist. Dem letzteren gleicht eine durch Lilljeborg entdeckte
und früher nur im Norden gefundene Art, Diaptomus gracıloides
(Fig. 72), welche in einem der schon bei Cyclops maarensis er-
wähnten Maare der Eifel, in dem Gemünder Maar und zwar nur
Fig. 72.
Diaptomus graciloides Lilljeborg. a’ Erste Antenne — a’’ Zweite Antenne —
E Eiersäckchen.
in diesem ebenfalls durch Zacharias gefunden, sonst aber bis jetzt
nirgends in Deutschland angetroffen wurde. Die Gattung ZZeterocope
bewohnt auch nur grosse Wasserbecken und zeichnet sich durch
bedeutende Grösse und kräftigen Bau aus. Von den selteneren
und wie es scheint mehr dem Norden angehörigen Gattungen wäre
noch als in Deutschlands Nordwesten vorkommend Zurytemora
Poppe zu erwähnen.
Alle Calaniden sind vorzügliche Schwimmer. Sie lieben es,
häufig mit dem Rücken nach abwärts gekehrt sich im Wasser zu
2
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 351
bewegen. Nicht allein mit Füssen und Antennen vollziehen sie
letzteres, vielmehr erzeugt auch die rasche Thätigkeit der Mund-
werkzeuge, welche zum Zweck der Nahrungszufuhr ausgeübt wird,
ein etwas langsames Fortgleiten. Bei Diaptomus wurde beobachtet,
dass er nachts in einen lethargischen Zustand, eine Art Schlaf,
verfalle.
Die Nahrung aller freilebenden Copepoden besteht in kleinen
Teilchen tierischer und pflanzlicher Substanz, wie sie sich auf dem
Grunde der Gewässer, an Pflanzenstengeln und so weiter vorfindet.
Vor allem scheinen Urtiere und kleine Algen aufgenommen zu
werden. Da stets beides zusammen vorkommt, ist es schwer zu
entscheiden, ob die Tiere in der That Allesfresser sind oder ob
der eine oder andere Bestandteil etwa zufällig in den Darm
gelangt. _ Nach einigen Beobachtungen fressen die Mütter ihre
eigenen Kinder, und dieses kannibalische Betragen würde die
Copepoden als Räuber oder reine Fleischfresser kennzeichnen.
Es ist sehr unterhaltend, den Tieren bei der Suche nach Nahrung
zuzusehen. Wenn der sie beherbergende Behälter etliche Pflanzen
enthält, weiden sie mit Vorliebe den daran sitzenden Detritus unter
pickenden Bewegungen regelrecht ab. Ist dann der Magen mit
einem genügenden Vorrat von Speisen versehen, so sucht das Tier
wieder die Gesellschaft der Genossen auf. Diese ist allen Arten, wie
es sich schon aus der Art des Vorkommens in grossen Scharen
ergiebt, geradezu Bedürfnis... Mit munteren Sprüngen haschen und
jagen sich Alte wie Junge gegenseitig und scheinen dies nur der
Unterhaltung wegen zu thun. Mitten durch dieses lebhafte lautlose
Gewimmel stürzen dann oft die von den kleinen lebhaften Männ-
chen verfolgten Weibchen in wilden Sätzen. Eine Zeitlang geht
die Jagd durch das Gewirre der Wasserpflanzen, dann wieder über
freiere Stellen, bis das Weibchen durch eine geschickte Wendung
dem Verfolger sich entzieht oder, müde geworden, auf Gnade und
Ungnade sich ergiebt.
Schon früher wurde angedeutet, dass wir nur ausnahmsweise
in einer wenn auch noch so kleinen Wasseransammlung, falls sie nur
352 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
schon einige Zeit bestand, vergebens nach Copepoden fahnden.
In Grönland so gut wie unter den Tropen sind namentlich die
stagnierenden oder langsam fliessenden Gewässer oft in staunen-
erregender Weise damit bevölkert und von dem enormen Reichtum
des Meeres an diesen Tieren können wir uns kaum eine Vor-
stellung machen. Ich selbst habe einen Fall erlebt, wo ein kleiner
Weiher, dessen auffallende Armut an Pflanzenwuchs keine reiche
Ausbeute versprach, durch die Masse einer einzigen Copepoden-Art
(Diaptomus coeruleus) geradezu gelb gefärbt war. Mehrfach werden
ähnliche Beobachtungen erwähnt, und manche Nachricht, die für
die auffallende Färbung eines Gewässers keinen Grund angiebt,
dürfte auf das massenhafte Vorkommen von Ruderfüssern (vielleicht
im Verein mit Daphnien) zurückzuführen sein. Ganze Wolken der
ersteren färben zu gewissen Zeiten weite Strecken des Meeres und
die Fischer bezeichnen diese Erscheinung als „Rotäsung“ und kennen
sie als Vorboten reichlichen Fanges.
So wenig als in horizontaler Richtung scheinen auch in verti-
kaler dem Vorkommen der Ruderfüsser Grenzen gezogen zu sein,
sofern überhaupt Wasser vorhanden ist. Auf dem Kamme des
Riesengebirges fand Zacharias), in 2500 m Meereshöhe Imhoflt)
(im Val di Brutto) noch Copepoden vor, während sie anderseits
in unseren grossen Binnenseen und im Meere die grössten bis jetzt
erforschten Tiefen noch beleben und einen wesentlichen Bestandteil
der in ewigem Dunkel lebenden Fauna ausmachen. Die reichste
Abwechslung in der Beschaffenheit ihrer Wohnorte ertragen ent-
schieden die Süsswasser-Copepoden. Die Temperatur des Wassers
scheint nur insofern von Einfluss auf die kleinen Körper zu sein,
als im Winter unter der Eisdecke die Vermehrung langsamer vor
sich geht. Versuche haben bewiesen, dass selbst durch längeres
vollständiges Einfrieren die Lebenskraft nicht erlischt. Wenn wir
gerade im Winter und im Frühjahr, nachdem die Macht der wieder-
kehrenden Sonne die Eisdecke weggetaut hat, am meisten Ruder-
füsser in unseren Tümpeln und Weihern antreffen, so ist dies mehr
dem Umstande zuzuschreiben, dass die Mehrzahl ihrer Feinde ent-
weder im vollständigen Winterschlaf liegt oder doch in einem solch
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 353
lethargischen Zustande sich befindet, dass das Bedürfnis nach
Nahrung nur ein geringes ist. Bei der allgemeinen Verbreitung
kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn unter den Mitgliedern
der Höhlenfaunen ebenfalls Copepoden erwähnt werden. Zu den
seltneren Fällen gehört es, dass ein Angehöriger des süssen Wassers
im Mineral-, Brack- oder gar Meerwasser angetroffen wird. Über-
raschend ist dies bei der Anspruchslosigkeit unserer Tiere und deren
Widerstandsfähigkeit gegen äussere Einflüsse nicht. Diese eben-
genannten Eigenschaften im Verein mit der grossen Vermehrung
und raschen Entwickelung sind die einzigen Mittel, welche den
Ruderfüssern zu einem erfolgreichen Kampfe ums Dasein zur Ver-
fügung stehen. Schon innerhalb kleiner Wasserbecken sind die
meisten Arten manchmal gezwungen, von einer weitern Eigenschaft,
welche für gewöhnlich nicht in die Augen springt, Gebrauch zu
machen: ich meine die Anpassungsfähigkeit.
Wie im Meere, so kann man auch in unseren Seen dreierlei
Regionen nach den physikalischen und organischen Verhältnissen
unterscheiden. Jede derselben ist durch spezifische Tier- und
Pflanzenformen von den anderen verschieden und dies tritt gerade
bei den niederen Krebstieren am deutlichsten zu Tage. Wollen
diese waffenlosen Wesen in der Konkurrenz mit anderen Tier-
formen nicht unterliegen, so müssen sie sich, ob sie nun in der
Uferregion oder pelagisch oder gar in der Tiefenregion leben, den
jeweiligen Verhältnissen anpassen. Es lässt sich schon zum voraus
aus der Beschaffenheit der Lokalität entnehmen, dass z. B. die reich
mit Pflanzen bewachsene Uferzone mit seichtem, warmem Wasser
den Tieren bedeutend günstigere Lebensbedingungen gewähren wird,
als die scheinbar leblose Mitte des Sees mit ihren verborgenen
Tiefen. Dort kann ein Wesen auf engem Raum seine Nahrung
zusammenlesen und es hat nicht viel zu sagen, wenn seine Schwimm-
werkzeuge nicht erster Güte sind. Die reiche Ernährung ermöglicht
ein rasches Wachstum und reichliche Fortpflanzung. Die kleinen
Kruster müssten sich ins Unendliche vermehren und somit die oben
erwähnte Erscheinung, dass das Wasser durch ihre Massen sich
färbt, viel öfter verursachen, wenn nicht auch hier ein gewichtiges
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 23
.e-, U
354 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Regulativ entgegenwirken würde. In dem so reich belebten
seichten Wasser haben nämlich die grössten Feinde der kleinen
Krebse ihren Wohnsitz aufgeschlagen und verschlingen unzählbare
Summen derselben. In einem aus verschiedenen Stoffen zusammen-
geklebten Häuschen lauert die Larve der Köcherfliege, an den
Pflanzenstengeln die der Eintagsfliegen, im Schlamm halb .versteckt
die Libellenlarve mit ihrem heimtückischen Fangapparat auf lebende
Beute. Muntere junge Fischchen schnappen spielend ganze Massen
von Entomostraken weg und diesem Vernichtungskriege schliesst
sich auch der verschmitzt lauernde, langsam die Beute erschleichende
junge Triton an. Auf Schritt und Tritt lauert Tod und Verderben,
und wenn nicht die gütige Mutter Natur immer reichliche Nach-
kommenschaft an der Stelle der im ungleichen Kampfe Gefallenen
eintreten liesse, so wären die Copepoden samt ihren Verwandten
schon längst aus der Liste der Lebewesen gestrichen. In der Ufer-
region also kann der Ruderfüsser sich nur dann erhalten, wenn
er sich rasch und reichlich vermehrt. Mit Waffen seiner Feinde
sich zu erwehren erlaubt ihm seine natürliche Ausrüstung nicht.
Ganz anders gestaltet sich das Leben und Treiben unserer
Tiere in der sogenannten pelagischen Zone der Seen bei einer
Wassertiefe von mindestens 15—20m und einer oft mehrere hundert
Meter betragenden Entfernung vom Ufer. In dem beinahe immer
klaren Wasser fehlt, abgesehen von einigen winzigen Algen und
Diatomeen, jeder Pflanzenwuchs. Von dem von Urtieren reich
belebten Detritus der Uferregion führen Wind und Strömung nur
noch Spuren hinaus und diese bilden, auf weite Strecken verteilt,
eine kärgliche Nahrung. Temperaturschwankungen und Wellenschlag
werden in der Tiefe, welche die Tiere gewöhnlich, namentlich
während des Tages, bewohnen, kaum mehr fühlbar; im übrigen
sind jedoch die Verhältnisse für einen vom Ufer her in diese
Region verschlagenen Copepoden so ungünstig als möglich, zumal
auch jede Deckung fehlt, welche das Tier vor seinen Feinden
schützen könnte. Wenn wir trotzdem eben in der pelagischen
Region eine reiche Fauna von Entomostraken antreffen, so ist dies
einzig und allein der weitgehenden Anpassung, welche sich Gene-
-
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 355
rationen hindurch während eines nicht allzukurz zu bemessenden
Zeitraumes im Bau der Kruster vollzog, zuzuschreiben. Als die
auffallendste Eigenschaft, welche alle pelagisch lebenden Krebstiere —
auch die des Meeres — auf dem Wege der natürlichen Zuchtwahl
erworben haben, bewundern wir deren ausserordentliche Durch-
sichtigkeit und Farblosigkeit. Hierdurch werden auch die Cope-
poden dem Auge ihrer Feinde entzogen, denen sie bei dem Mangel
an Verstecken und der den Verfolgern gegenüber geringen Schnellig-
keit auf der Flucht kaum zu entrinnen vermöchten. Haut,
Muskulatur und Nervensystem sind gewöhnlich wasserhell; nur der
Darm (durch seinen Inhalt) und die Geschlechtsorgane zeigen hie
und da noch Färbung. In zweiter Linie macht sich die Anpassung
bei der Fortpflanzung bemerklich; denn alle Copepoden tragen
selten mehr als vier Eier auf einmal in den Eiersäckchen mit sich
herum. Der mühsame Erwerb der im Wasser sehr verteilten
Nahrung wirkt einer reichen Fruchtbarkeit entgegen. Ausserdem
sind die Tiere mit kleinen Eiersäcken beim Aufsuchen des Futters
weniger in ihren Bewegungen gehemmt, als die mit grossen der-
artigen Anhängseln, und somit diesen beim Kampfe ums Dasein
überlegen. Den höheren Ansprüchen an die Beweglichkeit der
pelagischen Copepoden passten sich die Schwimmwerkzeuge (Fühler
und Beine) ebenfalls in vortrefflicher Weise an, indem sie entweder
länger, oder wenigstens kräftiger entwickelt sind, als bei den Ufer-
formen. Eigentümlich sind die periodischen Wanderungen der
pelagischen Krebse, indem sie bei Nacht an die Oberfläche steigen,
bei Tag dagegen die Tiefe aufsuchen.
Die als Anpassungserscheinungen zu deutenden Eigenschaften,
welche die Bewohner der pelagischen Region kennzeichnen, können
auch den der Tiefenregion angehörigen von Nutzen sein. Nicht
im Meere allein, dessen tiefste Abgründe bis vor verhältnismässig
kurzer Zeit für unbelebt gehalten wurden, haben sich die Krebstiere
und vor allem die Entomostraken unter einem ganz enormen Wasser-
druck eingewöhnt, auch auf dem Grunde unserer grössten Seen
bilden sie einen der wichtigsten Bestandteile des dort noch herr-
schenden Lebens. Es sind dies meist ganz bestimmte Arten,
23*
356 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
welche nie an der Oberfläche gefunden werden und deren Ver-
breitung in allen grösseren Wasserbecken Deutschlands, Frankreichs
und Schwedens darum so schwer zu erklären ist, weil keines der
später zu erwähnenden Transportmittel bei Tieren, die immer in
der Tiefe leben, eine Rolle spielen kann.
Es gelang bis jetzt nie, alle bei uns einheimischen Copepoden
in ein und derselben Wasseransammlung, welchen Umfang diese
auch haben mag, beisammen zu finden. Oft beherrscht eine Art
einzig und allein in unzählbarer Menge irgend einen Weiher, noch
öfter aber trifft man (selbst in unscheinbaren Tümpeln) zwei bis
drei Arten an und es ist eine Seltenheit, wenn z. B. sieben Vertreter
einer einzigen Gattung beisammen leben. Es befremdet diese
Unregelmässigkeit des Vorkommens um so mehr, wenn man erfährt,
dass oft ganz dicht nebeneinanderliegende Weiher eine ganz ver-
schieden zusammengesetzte Copepoden-Fauna aufweisen können,
selbst wenn sie durch kleine Wasseradern mit einander verbunden sind.
Bei seinen Untersuchungen über die Tierwelt der Eifelmaare fand
Zacharias einen Diaptomus (graciloides Lilljeborg), welcher nur
in dem Gemündener Maar (Eifel) vorfindlich war, und bis jetzt nur in
Schweden und der russischen Halbinsel Kola angetroffen wurde. Wie
eine so hochnordische Form so ganz unvermittelt mitten in Deutsch-
land auftreten kann, bildet noch heute ein Rätsel, dessen Lösung
aber für die Wissenschaft in hohem Masse wichtig und interessant
ist. Auch der schon erwähnte C'yclops maarensis*) (ebenfalls aus der
Eifel) giebt uns manches zu denken. Wenn nicht nachgewiesen
werden kann, dass er auch in anderen Seen vorkommt, so müssen
wir annehmen, es sei entweder eine Form, welche durch allmähliche
Anpassung an die Lokalität entstanden ist und, selbst wenn sie
verschleppt wird, in anderen Wassern nicht fortkommt, oder am
Ende eine Art, welche überall ausgestorben nur hier sich erhalten
hat. Ich unterlasse es, weitere Gesichtspunkte aufzustellen; diese
wenigen mögen genügen, zu zeigen, wie vieles im Gebiete der
Krustaceenkunde, selbst in den verhältnismässig engen Grenzen der
*) Vergl. die Anmerkung auf Seite 348.
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 357
Süsswasserfauna, noch zu erforschen ist und von welchen Gesichts-
punkten man dabei auszugehen hat.
Unsere Kenntnisse von der Art und Weise, wie die Cope-
poden und andere niedere Tiere von einem Wasser in das andere,
sofern beide gänzlich abgeschlossen sind, gelangen, sind noch sehr
mangelhaft und wir können, da nur wenige genaue Beobachtungen
bis jetzt angestellt wurden, uns vorderhand fast nur in Vermutungen
ergehen. Man könnte daran denken, dass der Wind, welcher bei
der Verbreitung der Pflanzen eine so wichtige Rolle spielt, auch
die Übertragung der kleinen Copepoden vermittle. Allein der
Körper derselben zeigt so wenig wie die Eier irgend eine Ein-
richtung, welche einen solchen Transport wahrscheinlich machte.
Im Gegenteil, die ganzen Tiere und deren Eier sind gegen Aus-
trocknung ausserordentlich empfindlich und sterben schon bei
geringem Wasserverlust ab, und dass Wasserteilchen mit ein-
geschlossenen Copepoden oder deren Keimen stundenweit durch die
Macht des Windes fortgerissen werden sollten, ist nicht wohl
anzunehmen. Viel wahrscheinlicher und durch die Untersuchungen
der unten genannten Forscher zumteil bewiesen ist eine andere
Art der „passiven Wanderung“ der niederen Süsswassertiere, welche
durch Schwimmvögel und Wasserinsekten bewerkstelligt wird. Jules
de Guerne hat nämlich aus am Gefieder und den Beinen von
Wasservögeln hängenden Schlammbrocken eine ganze Mikrofauna
zu erziehen vermocht. Nicht nur ganze Tiere, sondern in besonders
reicher Anzahl deren manchmal durch eine dicke Schale der Ver-
trocknung widerstehende Keime waren, an den betreffenden Teilen
klebend, auf dem Wege verschleppt zu werden. Kleine Wasser-
ansammlungen, welche für Vögel unzugänglich sind, werden nach
W. Migulas Untersuchungen durch die Vermittlung der unschein-
baren Wasserkäfer mit verschiedenen Pflanzen- und Tierarten belebt.
An eine aktive Wanderung selbst über kleine Strecken darf,
falls es nicht im Wasser geschehen kann, bei der Konstitution und
Lebensweise der Copepoden nicht gedacht werden. '
Am meisten Schwierigkeit bietet die Eigenartigkeit und gleich-
mässige Zusammensetzung der sogenannten Tiefenfauna in den
358 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Süsswasserseen für eine Erklärung dar. Wir finden zwar unter den
Copepoden kaum ausschliessliche Angehörige der Tiefenfauna, allein
zugleich mit Rücksicht auf die später zu behandelnden Daphniden
mögen des Zusammenhangs wegen einige Betrachtungen über die
Verbreitung lebender Wesen, welche in etwa 20—100 und mehr
Metern Tiefe ihr Dasein fristen, hier Platz finden.
Da unsere meisten Binnenseen nicht durch Wasseradern mit
einander in Verbindung stehen, so können die Tiere nicht auf
direktem Wege von dem einen zum andern gelangen, um so weniger,
da sie die Tiefe nie verlassen. Hierdurch ist auch der Transport
durch Vögel ausgeschlossen. Man nahm deshalb an, dass alle diese
Seen, was auch zweifellos bei vielen der Fall war, in früheren
Zeiten vom Meer überdeckt gewesen seien, beim Zurückgehen des-
selben übrig blieben und mit ihm eine Anzahl von Tieren, welche
der allmählichen Aussüssung dieser sogenannten „Reliktenseen“ zu
widerstehen vermochten. So plausibel diese Hypothese ist, so giebt
sie doch keinen Grund dafür an, warum unter den vielen tausenden
immer nur ganz wenige und überall beinahe dieselben Formen eine
solche Veränderung des Wassers ertrugen. Viel wahrscheinlicher
und neuerdings durch Zacharias?) vertreten ist eine andere
Ansicht. Hiernach wanderten die in Frage stehenden Arten ganz
allmählich aus dem Meere in das süsse Wasser ein und zwar zu
einer Zeit, wo der grössere Wasserreichtum der Erde für eine solche
Wanderung niederer Tiere eine günstigere Verbindung darbot. Auch
heute noch kann vielfach ein Aufsteigen mariner Formen in unsere
Flüsse und Seen beobachtet werden. Eine plötzliche Überführung
eines Mitgliedes der Süsswasserfauna ins Meer, oder umgekehrt, wird
nur von den Parasiten unter den Copepoden, zu denen wir uns
jetzt wenden wollen, ertragen, während die meisten übrigen Krebse
diesem raschen Wechsel erliegen.
Schmarotzende Ruderfüsser. ‚Siphonostomata 2%),
Es wurde schon früher erwähnt, dass auf Grund ihrer Ent-
wickelung die parasitisch lebenden Copepoden zu den Eucopepoden
gehören, ursprünglich ein freies Leben führen und eine cyclops-
ähnliche Form besitzen. Mit der Änderung der Lebensweise, welche
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 359
gewöhnlich schon früh mit der Auffindung eines entsprechenden
Wirtes beginnt, bleiben einzelne Körperteile in der Entwickelung
zurück oder bilden sich, wie namentlich manche Gliedmassen, zu
so seltsamen Formen um, dass die Identität derselben mit denen
des freilebenden Tieres nur schwierig festzustellen ist. Manchmal
geht die Segmentierung des Leibes verloren oder es verkümmert
der Hinterleib. Da die Beine zum Schwimmen bei vielen Arten
nicht mehr benutzt werden, fehlen sie manchmal ganz oder sind
nur in Andeutungen vorhanden. Die Mundteile werden der
Lebensweise so angepasst, dass der Besitzer sich saugend von den
Körpersäften seines Wirtes ernähren kann. Ein Teil derselben, wie auch
die zweiten Antennen bilden gewöhnlich Klammerorgane, welche den
Schmarotzer auf dem Körper des heimgesuchten Tieres befestigen.
Die ersten Antennen sind meistens noch vorhanden, aber
gewöhnlich sehr klein, in etlichen Fällen fehlt eine Gliederung.
Dass die zweiten Antennen in der Regel als Haftorgan funktionieren,
wurde oben gesagt. Die Ober- und Unterlippe
ist langgezogen. Jede stellt eine Halbrinne dar
und beide bilden sich aneinanderlegend eine
kurze Röhre, in welcher das erste, zu feinen
stilettförmigen Gebilden umgewandelte Kiefer-
paar liegt. Das zweite Kieferpaar kann ganz
verkümmert sein. Von der merkwürdigen Um-
wandlung eines Kieferfusspaares zu einem
Haftapparat kann Figur 73 einen Begriff
geben, welche ein Tier darstellt, bei dem die
Kieferfüsse beider Seiten, X, an den Enden
verwachsen.
Wollte man alle die Umbildungen, welche
N I RN SOTSISE ES NEE R
x ee Fig. 73.
der Körper der parasitischen Copepoden Acasneres dercarum von
erleidet, aufzählen, so müsste man jede Art für a aekenn
. „oben mit Eiersäckchen. ÄX
sich beschreiben. Das Angeführte mag jedoch Kieterfüsse verwachsen —
R ! 2 4 5 \ 2 Darm — Z Eiersäckchen.
in Verbindung mit der Abbildung genügen, um
wenigstens eine Vorstellung zu geben von dem, was Anpassung an
parasitische Lebensweise heisst.
360 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Weit weniger auffallend, allerdings auch nicht so sehr
bekannt, sind die Veränderungen, welche die inneren Organe
erleiden.
Das Nervensystem ist im allgemeinen noch so erhalten, wie
wir es früher kennen lernten, allein die Sinnesorgane sind sehr
spärlich vorhanden. Vor allem fehlt meistens das Auge ganz.
Hand in Hand mit der Verkümmerung der Antennen geht eine
solche der daran befindlichen Sinnesorgane und Borsten. Den
meisten Schmarotzern scheint ein Herz ganz abzugehen. Die
Muskulatur entspricht der geringen Beweglichkeit der Tiere und
ist vor allem in den Haftapparaten gut ausgebildet. Am besten
kommen bei den Parasiten der Darm und die Geschlechtsorgane
weg, denn beide zusammen füllen den ganzen Körper beinahe
allein aus. Letztere schwellen zur Zeit der Reife und Befruchtung
der Eier oft ungeheuer an und bedingen die wunderbarsten
Gestaltveränderungen. Das ganze Tier scheint nur noch der Er-
nährung und Fortpflanzung zu dienen und bildet so den direkten
Gegensatz zu den immer nur wenige Eier produzierenden pela-
gischen freilebenden Copepoden. Nicht selten erreicht oder über-
trifft der Inhalt der Eiersäckchen den Umfang des Körpers an
Grösse.
Während so die geschlechtsreifen Weibchen oft eine für einen
Copepoden ganz ansehnliche Grösse erreichen (bis I.s cm), bleiben
bei manchen Arten die Männchen zwergartig klein und wurden früher
gar nicht gefunden oder nicht richtig erkannt. Sie halten sich in
diesem Falle am Weibchen auf.
Die schmarotzenden Copepoden bilden, wenn man die im
Meere vorkommenden Formen berücksichtigt, etwa die Hälfte aller
bekannten Arten. Ihre Bedeutung im süssen Wasser ist eine
geringe, da sie trotz der enormen Vermehrung doch selten ihren
Wirt (zumeist Fische) am Leben bedrohen.
Manche! Arten der Sıphonostomata leben nur auf der Haut
der von ihnen bewohnten Fische von den schleimigen Absonderungen
derselben, andere saugen mittels ihres Rüssels das Blut der Wirte
und nur wenige bohren sich geradezu in das Fleisch derselben ein.
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 361
Besonders häufig trifft man Parasiten auf den Kiemen an, wo sie
immer reichliche Nahrung, sei es Blut oder Schleim, und zugleich
Schutz vor dem Abgestreiftwerden finden.
Nicht bei allen Arten schmarotzen beide Geschlechter gleich-
zeitig. Die Männchen der auf den Kiemen unserer Fische so
häufig anzutreffenden Gattung Zrgasılus leben gewöhnlich frei und
die Weibchen selbst zeigen an ihrer Körperform noch viele Ähn-
lichkeit mit einem Cyclops. Die ersten Fühler sind gegliedert, ein
Auge ist noch vorhanden. Die beiden Eiersäckchen sind sehr gross
und langgestreckt. Die Mundteile sind, obwohl zum Stechen ein-
gerichtet, von keiner Saugröhre umgeben.
Von den Parasiten, welche bei massenhaftem Auftreten dem
Fischzüchter unter Umständen Schaden verursachen können, ist die
Gattung Lernaeocera bemerkenswert. Auf unseren Fischen leben
mehrere Arten derselben, welche sich oft tief in das Fleisch ein-
bohren, wie beim Karpfen, oder hässliche Anschwellungen (am
Unterkiefer des Hechtes) verursachen. Bis zur Begattung leben
Männchen wie Weibchen frei; nach derselben sucht dieses einen
passenden Wirt und nun beginnen sich am Körper des Copepoden
eine Reihe von Umänderungen zu vollziehen, nach deren Abschluss
das Tier viel eher einem Wurm, denn einem Krebs ähnlich sieht.
Vor allem geht die Segmentierung des Körpers beinahe ganz ver-
loren, der Hinterleib verkümmert, die Beinpaare, vier an der Zahl,
rücken weit aus einander und sind ausserordentlich klein. Die ersten
Kiefer sind von einer, wie oben beschrieben, gebildeten Röhre
umgeben.
Ein recht häufiger Bewohner der Kiemen unseres wohl-
schmeckenden Flussbarsches ist der in Fig. 73 abgebildete Achtheres
percarum von Nordmann. Die grossen nach vorn gebogenen
Kieferfüsse, welche an der Spitze verwachsen sind, geben dem
Tiere ein Aussehen, als wollte es die Hände ringen, und machen
es sehr leicht kenntlich.
Wir nehmen hiermit von den echten Ruderfüssern Abschied
und wenden uns zu der zweiten Gruppe der Copepoden, den
Karpfenläusen.
362 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Kiemenschwänze (Branchiura).
Schon bei den parasitischen Eucopepoden mussten wir unsere
Vorstellungen über Bau und Gliederung des normalen Copepoden-
Körpers in vielfacher Hinsicht ändern. Auch bei den ebenfalls der
Hauptsache nach parasitisch lebenden Karpfenläusen treffen wir
Gestalten an, welche nur nach genauer Untersuchung den Ruder-
füsser verraten. Die Organisation der wenigen hierher zu rechnen-
den Formen ist trotz der Lebensweise eine sehr hohe und den
Verhältnissen vorzüglich angepasst. Der ganze Körper des bis
6 mm langen Tieres ist nahezu eirund und ganz plattgedrückt. Der
verkümmerte Hinterleib ist noch durch zwei kleine Läppchen
(Schwanzflosse) angedeutet. Dem Umstand, dass diese zumteil als
Kiemen funktionieren, verdanken die Tiere den Namen „Kiemen-
schwänze“. Die Mundteile sind zum Saugen eingerichtet. Die
Nahrungsaufnahme wird mittels eines Stachels und einer Röhre
vollzogen. Mit den beiden Kieferfusspaaren hält sich das Tier
auf den von ihm bewohnten Fischen fest. Das erste ist zu
diesem Zwecke zu zwei grossen runden Saugnäpfen umgestaltet,
das: zweite mit scharfen Klauen zum Festhaken versehen. Die
beiden Antennenpaare sind sehr klein und unscheinbar. Da
die Karpfenläuse, namentlich während der DBegattung, frei
umherschwimmen, sind ihre vier Paare von Schwimmbeinen
noch ganz gut ausgebildet. Zum ersten Mal unter den Cope-
poden treffen wir bei den Branchiuren zwei komplizierte, weit
auseinanderstehende Augen an. Das Nervensystem ist hoch-
entwickelt. Das Herz entsendet gegen den Kopf zu das Blut
durch eine Aorta; von dem Vorkommen gesonderter Vorrich-
tungen zum Atmen war schon die Rede. Auch am Darm zeigt
sich eine höhere Entwickelungsstufe daran, dass die Leber-
zellen in grossen verästelten Schläuchen enthalten sind. Die
Weibchen hegen keine solche Sorgfalt für die sich entwickelnden
Jungen, dass sie die Eier mit sich herumtragen würden, sondern
entleeren diese einfach in das Wasser oder heften sie an Gegen-
ständen an. Am häufigsten trifft man die gemeine Karpfenlaus,
Argulus fohiaceus >), an.
ee
4
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 363
Die Karpfenläuse bewohnen nicht ausschliesslich, wie etwa der
Name vermuten lassen möchte, unsere Karpfenarten, sondern
kommen beinahe auf allen im süssen Wasser, einige sogar auf im
Meere lebenden Fischen vor. Mit ziemlicher Gewandtheit bewegen
sie sich auf der schlüpfrigen, schleimigen Haut der letzteren herum
und sind trotz ihrer Grösse nicht leicht wahrzunehmen, da ihre
grünliche Farbe sehr gut mit der der Fische übereinstimmt und
ausserdem die platte Gestalt den eigenartigen Krebsen gestattet,
sich so anzuschmiegen, dass ihre Anwesenheit kaum auffällt.
Schaden und Nutzen der Entomostraken.
Da es nun einmal im Wesen unserer realistischen Zeitströmung
liegt, dass ein Gegenstand erst dann unser volles Interesse erregt,
wenn wir erfahren, ob er dem Menschen nützt oder schadet, so
mag, ehe wir zu den übrigen Entomostraken-Familien übergehen,
zum Schlusse noch die Bedeutung der Copepoden und zugleich
der sonstigen niederen Krebse für die übrigen Bewohner des süssen
Wassers und die Beziehungen jener zum Menschen kurz angeführt
werden.
Es ist aus dem früher Gesagten zu entnehmen, dass die
Parasiten nach ihrer Lebensweise weder den anderen Süsswasser-
tieren noch dem Menschen Nutzen gewähren können. Sie schädigen
vielmehr die Fische an Gesundheit und Leben und damit indirekt
den Menschen. Dieser immerhin unbedeutende Schaden wird aber
in reichlichem Masse durch die freilebenden Ruderfüsser und die
Entomostraken überhaupt aufgewogen. Diese sind es, welche
das ganze unendlich reiche Material der kleinsten Lebe-
wesen, sowohl Pflanzen wie Tiere, für die höhere Tier-
welt aufschliessen und nutzbar machen und zwar unter
Darangabe ihres Lebens. Unschätzbare Massen kostbarer Nähr-
stoffe gingen, wenigstens für den Menschen, verloren, wenn nicht
die Entomostraken in unermüdlicher Thätigkeit alle die kleinsten
Urtiere und einzelligen Algen, welche dem Auge unsichtbar am
Boden der Gewässer oder in diesen selbst suspendiert sich vor-
finden, zu sammeln und in ihrem Körper aufzuspeichern vermöchten.
364 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Es würde zuweit führen, wollte man alle die Tiere, welche
ganz oder teilweise von Entomostraken leben, hier anführen. Der
Anwesenheit der Copepoden vor allem verdanken wir die wohl-
schmeckenden Blaufelchen und Saiblinge unserer grossen Seen.
Diese und andere nicht weniger schätzbare Fische leben so aus-
schliesslich von Entomostraken, dass sie von der Tafel verschwinden
müssten, sobald diese einmal nicht mehr in genügender Weise sich
vermehren würden. Jährlich werden an verschiedenen Meeresküsten
die schon erwähnten Scharen von Copepoden beobachtet, welche
auf weite Strecken hin das Meer rot färben und darum als „Rot-
äsung“ (Maidre) bezeichnet werden. Von dieser Erscheinung hängt
der tausende von Menschen ernährende und beschäftigende Herings-
fang ab. Sardellen, Sardinen, Makrelen, ja selbst das riesigste aller
Säugetiere, der Walfisch, leben oft ausschliesslich von den kleinsten
Krebstieren. Die Walfischjäger wissen, dass stets die Jagd in der
Nähe der roten Copepoden-Wolken gute Ausbeute liefert. Es mag,
um zu den Süsswasser-Entomostraken zurückzukehren, noch eines
Umstandes gedacht werden, welcher allein schon genügte, die
Unentbehrlichkeit der niederen Krebse für die Fauna der Seen
und indirekt für den Menschen darzuthun.
Die jungen Fische nämlich, d. h. die sogenannte „Fischbrut“,
findet kaum eine passendere Nahrung in der ersten Zeit nach dem
Verlassen des Eies als Entomostraken. Ob der Fisch später, wie
der Barsch und der Hecht, reiner Räuber, oder, wie der Karpfen,
fast ausschliesslich Pflanzenfresser wird, bleibt sich gleich, in der
ersten Jugend frisst er nur Entomostraken. Wer in rationeller
Weise Fischzucht betreiben will, kann auf einem ganz einfachen
Wege sich dieses billigste und zugleich beste Futter für künstlich
erbrütete Fische beschaffen: indem er nämlich geeignete Teiche
trockenlegt, den Grund düngt, wie der Landmann sein Feld, und
nun im Frühjahr zur Laichzeit der Fische den Teich wieder be-
spannt, d. h. mit Wasser füllt. Er hat damit alle Bedingungen
erfüllt, welche in kurzer Zeit eine geradezu ungeheuerliche Ver-
mehrung der wenigen Entomostrakenkeime, welche im Schlamme
sich noch vorfanden oder von aussen zugebracht wurden, ermög-
Die Krebsfauna unserer Gewässer, 365
[e
lichen. Auf die grossen Vorteile einer solchen naturgemässen
Fütterung weiter einzugehen, ist hier nicht der Ort. Betont mag
jedoch werden, dass die eben geschilderte Methode einen wesent-
lichen Faktor für die gedeihliche Entwickelung unserer Fischerei-
verhältnisse darstellt. Man kann geradezu behaupten, dass eine
erfolgreiche Aufzucht junger Fische, sei es in den Räumen einer
Fischzuchtanstalt oder im freien Naturleben, an das Vorkommen
von Entomostraken geknüpft ist. In noch viel ausgedehnterem
Masse werden solche Methoden Anwendung finden, wenn erst die
Wissenschaft auf dem so wichtigen Gebiet der Krustaceenkunde
dem praktischen Leben durch ein genaues Studium der Formen
und der Lebensweise der Tiere vorgearbeitet hat. Von den vielen
Lücken, welche hier noch auszufüllen sind, haben wir im Vorstehen-
den einige wenige angedeutet. „Gleichmässige Würdigung aller Teile
des Naturstudiums ist aber vorzüglich ein Bedürfnis der gegen-
wärtigen Zeit, wo der materielle Reichtum und wachsende Wohl-
stand der Nationen in einer sorgfältigeren Benutzung von Natur-
produkten und Naturkräften gegründet ist“, sagt Humboldt in der
Einleitung zu seinem „Kosmos“ und heute mehr als je darf in
Rücksicht auf das eben Mitgeteilte diese Mahnung den Männern
der Wissenschaft ins Gedächtnis gerufen werden.
Blattfüsser (Phyllopoden).
Diese Gruppe verdankt den Namen, wie die vorhergehende,
der eigentümlichen Form und Funktion der Beine, deren einer
Ast blattförmig verbreitert ist und teilweise als eine Art Kieme der
Atmung dient. Die Blattfüsser sind fast ebenso häufig wie die
Ruderfüsser und nicht selten ebenso zahlreich in einem Wasser
vertreten wie diese. Nur im Winter treffen wir sie nicht immer, an.
Trotzdem dass durch Parasitismus umgeänderte Arten fehlen, um-
fasst diese Ordnung der niederen Krebse dennoch eine bedeutende
Anzahl recht verschieden gestalteter Wesen. Für die Beobachtung
des lebenden Tieres stellen die meisten Arten wegen ihres seitlich
komprimierten Körpers ein noch viel anziehenderes Objekt dar als
die Angehörigen der zuerst behandelten Ordnung. Nach der Zahl
366 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
der Beine und einigen anderen Merkmalen trennt man die Blatt-
füsser in zwei Abteilungen. Die einen mit vier bis sechs Bein-
paaren bezeichnet man als
Wasserflöhe oder Cladocera.
Der Körper dieser wegen der Art ihrer Bewegung „Wasser-
flöhe“, wegen der verzweigten Fühler (Hörner) „Cladocera“ genannten
Entomostraken ist nicht in deutliche Segmente geteilt. Nicht ein-
mal immer ist der Kopf durch einen kleinen Einschnitt vom Rumpfe
abgesetzt. Letzterer ist oft von einer Schale umschlossen. In
dieser Schale, deren Form die äusseren Umrisse des hinteren
Körperteiles bedingt, liegt der Leib frei beweglich. Die beiden
Hälften der Schale sind am Rücken mit einander verwachsen, auf
der Oberfläche häufig mit feinen Skulpturen versehen und gewöhn-
lich so durchsichtig, dass man die inneren Organe beobachten
kann. Nicht immer ist der Leib ganz in der Schale verborgen,
sondern oft nur zu einem ganz geringen Teil davon überdeckt.
In wenigen Fällen fehlt jede Andeutung einer Schale. Am Kopfe
stehen wie zwei Hörnchen die hinteren zweiästigen Fühler empor,
welche zum Schwimmen dienen. Das erste Paar ist zu kurzen
Stummeln rückgebildet, welche als Sinnesorgan mit sehr feinen
perzipierenden Apparaten ausgestattet sind und beim Männchen
zugleich als Greiforgan funktionieren. Von Mundteilen besitzen die
Wasserflöhe jederseits einen Ober- und einen Unterkiefer. Die
Beinpaare sind wie bei den Copepoden zweiästig. Der äussere
Ast ist blattförmig verbreitert und vertritt die Stelle von Kiemen.
Die Zahl der Beinpaare schwankt zwischen vier und sechs. Die
das Zentralnervensystem darstellende Ganglienkette hat, da die
Knoten sehr nahe zusammenrücken, nur eine geringe Länge. Auf-
fallend gross und schön ist das einen bedeutenden Teil des Kopfes
ausfüllende Auge. Es ist in einem beständigen Zittern begriffen
und besteht eigentlich aus zwei verwachsenen Teilen. Ohne be-
sondere Mühe vermag man die daran sıch ansetzenden Muskeln
und Nerven zu sehen. Die lichtbrechenden Körper (Linsen) glänzen
sehr schön und heben sich scharf vom Pigment der inneren Teile
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 367
des Auges ab. Bei den meisten Arten verläuft der Darm gerade
durch den Körper und nur in wenigen Fällen bildet er eine
Schlinge. Noch im Kopfteil entspringen an seiner Oberseite zwei
gegen die Augen vorspringende kurze Schläuche, in welchen die
Leberzellen untergebracht sind.
Das Herz, welches keiner Art fehlt, liegt hinter dem Kopf
und Rumpf trennenden Einschnitt und pulsiert ausserordentlich
rasch. Die Richtung des Blutstromes lässt sich sehr schön an den
in der Flüssigkeit schwimmenden Körperchen verfolgen. Das Herz
selbst ist ähnlich gebaut wie das schon beschriebene von Diaptomus.
Hinter dem Herzen befindet sich zwischen Leib und Schale ein
Hohlraum, welcher bei den Weibchen nicht selten mit grossen
Eiern in verschiedenen Stadien der Entwickelung erfüllt ist. Die
Eier werden in einer unter und neben dem Darm liegenden Drüse
erzeugt. Ganz eigentümliche Vorgänge spielen sich bei der Ver-
mehrung der Tiere ab. Die Wasserflöhe erzeugen nämlich zwei
Arten von Eiern, welche in Form, Grösse, Farbe etc. verschieden
sind. Während der günstigeren Jahreszeit bilden die reifen Weib-
chen kleine dünnhäutige Eier, welche sich sehr rasch entwickeln und
aus denen nur Weibchen hervorgehen. So kann selbst, wenn in
dem Wasser Männchen vorkommen, eine ungeschlechtliche Ver-
mehrung längere Zeit hindurch fortgesetzt werden, allein nur dann,
wenn die Lebensbedingungen für die Tiere recht günstige sind,
d. h. wenn genügend Wasser, Nahrung und Wärme zu Gebote
stehen. Beginnt das Wasser in dem von Daphniden bewohnten
Tümpel zu verdunsten oder droht mit Eintritt der kälteren Jahres-
zeit den Tieren Gefahr, so werden sogenannte Winter- oder Dauer-
eier gebildet, welche nur nach vorhergegangener Begattung zu stande
kommen. Diese zeichnen sich durch bedeutendere Grösse und
dickere Haut, vor allem aber dadurch aus, dass sie, um äusseren
Einflüssen besser Widerstand leisten zu können, mit einer recht
derben Hülle, in welcher meistens zwei Eier zugleich eingeschlossen
sind, umgeben werden. Diese Hülle, den sogenannten „Sattel“
(Ephippium), erhalten die befruchteten Eier erst nach dem Eintritt
in den Brutraum. Den durch das Ephippium geschützten Eiern
«
368 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
fällt die wichtige Aufgabe zu, die Art vor dem Aussterben in
austrocknenden Tümpeln zu bewahren und eine recht ausgiebige
Verbreitung zu bewirken. Diese erfolgt namentlich in Seen, die
von wandernden Wasservögeln besucht sind, darum sehr leicht,
weil die Ephippien an der Oberfläche des Wassers schwimmen und
unschwer an anderen Gegenständen haften. Da die Wintereier
ebenso gut der Wärme und Trockenheit als der Kälte widerstehen,
können sie leicht mit dem zu Staub zerfallenden Schlamm aus-
trocknender Gewässer durch den Wind verweht werden, wie der
Blütenstaub der Pflanzen.
|
REN
Ge
er
; Ra Er N‘ F\
co R Sa
in ie
Fig. 74.
Daphnia (Simocephalus) sima (Li&vin). a’ Erste (verkümmerte) Antente — a’’' Zweite
Antenne — Az Auge — B Äusserer Ast der Beine — #: Hirn — Z Leberschlauch —
D Darm — # Herz — Brtr. Brutraum — SZ Sommerei im Brutraum — Z#s/. Eierstock,
Über die Befruchtungserscheinungen am Eie hat Weis-
mann??) eine Reihe gründlicher Untersuchungen angestellt. Die
Wasserflöhe verlassen das Ei in einer Gestalt, welche der der
erwachsenen Tiere schon sehr ähnlich ist, machen also kein frei-
lebendes Cyclopsstadium durch.
Von den vier Familien, in welche die Wasserflöhe eingeteilt
werden und welche von Leydig1#) eingehend in einer Monographie
behandelt wurden, ist die der Daphniden am zahlreichsten vertreten.
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 369
Oft färben Angehörige der Gattung Daphma (Fig. 74) frisch ent-
standene Regenwassertümpel durch ihre Massen rot. Die selt-
samsten und interessantesten Formen umfasst die Familie der
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Fig. 75.
Leptodora hyalina Lilljeborg. A’ Erste Antenne — a’’ Zweite Antenne — Az Auge —
Hi Hirn — Z Herz — S Schale — Z Eier — Zs/ Eierstock — D Darm,
grossäugigen Polyphemiden, von denen Fig. 75 und 76 zwei
Arten darstellen, welche in vielen unseren grossen Seen, gewöhnlich
Fig: 76.
a’ Erste Antenne — a’’ Zweite Antenne — Au Auge —
Brtr Brutraum — Z Ei — D Darm — Sch Schwanzstachel, nur zumteil gezeichnet.
24
Bythotreßhes longimanus Leydig.
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I.
NEN SEE CE OR
370 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
in der Tiefe, angetroffen werden. Der von Leydig zuerst im
Magen von Blaufelchen entdeckte Bythotrephes longimanus zeichnet
sich durch seinen geradezu abenteuerlich langen Schwanzstachel,
welcher sich zum Körper des Tieres wie 10:2 verhält, und die
verlängerten Beine des ersten Paares aus. Der Brutraum ist wie
bei der wegen ihrer Durchsichtigkeit so benannten Leftodora
hyalına nur klein. Letztere übt, durch ihre Farblosigkeit be-
günstigt, ihrem Opfer unsichtbar sich nahend, ihr räuberisches
Handwerk gegen die übrigen Mitglieder der Entomostrakenfauna
aus und entgeht zugleich der Verfolgung ihrer Feinde. Die
Leptodora wird etwa einen Centimeter lang.
Viel grössere Tiere bilden die zweite Unterordnung der Blatt-
füsser, die sogenannten Kiemenfüsser (Branchiopoden). Während
bei den Wasserflöhen höchstens sechs Beinpaare vorhanden sind,
treffen wir bei den Kiemenfüssern von 10—4o Paare an. Der
Leib ist manchmal, wie bei den Daphnien, von einer Schale um-
schlossen und meistens deutlich gegliedert. Die Ruderantennen
sind bei manchen Arten verkümmert. Die Tiere vermehren sich
oft durch viele Generationen hindurch parthenogenetisch und lange
Zeit hielt man einige Arten, da die nur ganz selten auftretenden
Männchen nicht beachtet worden waren, für Zwitter. Gewöhnlich
kommen die zwei grössten Kiemenfüsser gleichzeitig in kleinen
Wasseransammlungen, welche zeitweise vertrocknen, vor. Der grösste,
Afus, verzehrt häufig den kleineren, Branchipus, weshalb man
beim Fange dieser im südlichen Deutschland nur ganz selten, dann
aber in grossen Mengen vorkommenden Krebse darauf bedacht
sein muss, beide in besonderen Behältern aufzubewahren. In der
Gefangenschaft dauern die Branchiopoden leider nur kurze Zeit
aus, bilden aber während des Lebens durch die Seltsamkeit der
Form und Bewegung, welche einem gleichmässigen Kriechen ähnelt,
sowie die teilweise prächtige Färbung ganz anziehende Objekte für
die Beobachtung. Die kleinen Eier sind bei Apus rot, bei
Branchipus schön himmelblau gefärbt und entwickeln sich unter
günstigen Umständen in dem G£fäss, in dem die Tiere gehalten
werden. Der Entwickelung muss, wie es scheint, eine vollkommene
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 371
Austrocknung und ein Durchfrieren vorangehen, denn jahrzehnte-
lang sucht man in einem Tümpel vergebens nach diesen schönen
Krustern, trotzdem dass sie schon einmal darin beobachtet wurden.
Erst wenn derselbe einmal längere Zeit trocken lag treten sie
wieder darin auf. Der Leib des 6—7 cm lang werdenden Apus
ist mit einer schildförmigen Schale bedeckt, auf welcher in der
Kopfgegend die Augen unbeweglich sitzen. Am Ende des Hinter-
leibes stehen zwei lange Schwanzborsten. Die vielen verbreiterten
Beine mit den Kiemenanhängen sind in beständiger Bewegung.
Drei lange Fäden, welche rechts und links die Seiten des Kopfes
überragen, gehören dem ersten Beinpaare an.
Dem nur 11/2 cm langen schlanken Branchipus fehlt die Schale
gänzlich. Die zweiten Fühler des Männchens sind zu Greifhaken
umgeformt. Die Augen sitzen auf Stielen und können bewegt
werden. Der Vorderleib besteht aus elf Segmenten mit ebenso
vielen Beinpaaren, der der Gliedmassen entbehrende Hinterleib aus
neun Segmenten. Eine mit Branchipus verwandte Art, Artemia,
lebt nur in sehr salzhaltigem Wasser und wird, wenn sie allmählich
in süsseres übergeführt wird, nach einer Anzahl von Generationen
dem Branchipus ähnlich.
Alle Branchiopoden kommen nur in Binnengewässern, nie im
Meere vor. Die das Ei verlassenden Jungen besitzen die Naupliusgestalt.
Sowohl nach der Zahl der Arten als der Individuen ist in
der Entomostrakenfauna am geringsten die Ordnung der
Muschelkrebse (Ostracoda).
Schon früher wurde die Art der Bewegung dieser kleinen
Krebse geschildert und erwähnt, dass der Name von der eigen-
tümlichen muschelähnlichen Schale herrührt, in welche der ganze
Körper des Tieres eingehüllt ist. Die beiden Hälften der hie und
da Kalk enthaltenden Schale sind am Rücken durch eine elastische
Haut verbunden, welche den Schliessmuskeln entgegenwirkt und
bei einer Ausdehnung der letzteren ein Öffnen der Schale ver-
ursacht. Der Körper ist nur sehr schwer in seinen Umrissen
erkennbar und undeutlich gegliedert. Von Gliedmassen treffen wir
24*
372 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
wieder zwei Paar Fühler an, deren hinteres beinförmig ist. Es
folgen dann nach rückwärts ein Paar Oberkiefer und zwei Paar
Unterkiefer. Da nur zwei eigentliche Beinpaare vorkommen, ver-
sieht ausser den hinteren Fühlern beim Männchen der Taster des
zweiten Unterkieferpaares die Funktion eines solchen und zugleich
eines Greiforganes. Das Ende des Hinterleibes ist wie bei den
Wasserflöhen nach vorn geschlagen. Der verwischten Segmentierung
des Körpers und der zusammengedrängten Gestalt entspricht ein
verkürztes Nervensystem. Es ist nur ein aus zwei verschmolzenen
Augen entstandenes Sehorgan vorhanden, von anderen Sinnesorganen
treffen wir wieder’ blasse Anhängsel an den Antennen. Das Herz
fehlt. Der Darm ist nicht so einfach wie bei den beiden früher
beschriebenen Ordnungen, sondern er besteht aus mehreren in Form
und Bau scharf von einander abgesetzten Abteilungen. Die Eier
werden in zwei langen, nach hinten dünner werdenden Schläuchen
erzeugt. Die Männchen, welche bei manchen Arten sehr selten
sind, besitzen sehr kom-
plizierte _Fortpflanzungs-
organe. Die meisten Arten
der bei uns vorkommenden
Muschelkrebse vermehren
sich vorwiegend auf par-
thenogenetischem Wege.
Die Jungen sind beim Ver-
Fig. 77.
Cypris fasciata. a’ u.a’’ Antennen — Az Auge — lassen des Eies schon von
Ab Abdomen — Z Leberschlauch — Zs/ Eierstock — der Schale umgeben. Am
m Muskeln — M Mandibel — Sc Schale.
häufigsten finden wir in
unseren Tümpeln und Seen die Gattung Cypris (Fig. 77) an. Die
Lebensweise dieser kleinen, höchstens bis 3 mm lang werdenden
Entomostraken gleicht sehr derjenigen der früheren Ordnungen.
Munter zappelnd schwimmen sie zwischen den Wasserpflanzen
umher, immer nach kurz andauernder Bewegung wieder einen
Augenblick mit den Fühlern sich an festen Gegenständen an-
heftend, um auszuruhen. Die Nahrung besteht in pflanzlichen
und tierischen Stoffen. — Zum Schluss wenden wir uns zu den
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 373
Höheren Krebsen oder Malakostraken.
Von den zahlreichen Gattungen der Ordnung der
Asseln (Isopoden),
welche zumeist im Meere leben, gehört eine unserer Süsswasser-
fauna an — die gemeine Wasserassel, Asellus aquaticus L. (Fig. 78).
Wie man aus der Abbildung ersieht, ist der Körper sehr voll-
kommen gegliedert, nur wenige Segmente des Hinterleibs sind ver-
wachsen. Der nach hinten etwas breiter werdende Leib ist von
oben nach unten zusammengedrückt und steht an den Seiten über.
Der mit dem folgenden Brustringe
nicht verwachsene Kopf trägt ein
kurzes erstes und ein sehr langes
zweites Fühlerpaar. Von Mundwerk-
zeugen sind jederseits ein Oberkiefer,
zwei Unterkiefer und ein Kieferfuss
vorhanden. Auf diese folgen sieben
Paare von Brustbeinen, deren gleich-
artige Beschaffenheit Veranlassung e or. B
gab, die Ordnung „Isopoden“ (Gleich- 7% |
füsser) zu benennen. Der verkürzte Dr
Hinterleib trägt sechs zweiästige Bein- f ; “ IN
paare. Der Innenast der fünf ersten [P a“
ist zu einem Kiemenplättchen um- A D
gewandelt, das sechste steht über das \ ji N )
Hinterleibsende vor. An den vorderen es P
Fusspaaren sitzen beim Weibchen AsellusaquaticusL. a’u.a’’ Antennen
Platten, welche sich an der Bauch- 7“ Ause — 3 Brustbeino — g
Hinterleibsbeine — X Kieferfüsse.
seite anlegen, übereinandergreifen
und so einen ausdehnbaren Raum zwischen den Wurzeln der Füsse
herstellen, in welchem die Eier gehegt werden. Der Darm verläuft
ohne Windungen zu machen gerade durch den Körper. Schon
äusserlich lassen sich drei Abschnitte an ihm erkennen. Auf eine
kurze Speiseröhre folgt ein fast bei allen höheren Krebsen
374 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
vorkommender „Kaumagen“, deshalb so genannt, weil an der
Innenseite dieses Darmstückes zwei Platten mit rauher Oberfläche
durch besondere Muskeln gegen einander reiben und auf diese
Weise eine weitere Zerkleinerung der Nahrung vollbringen. Schon
ziemlich weit vorn im Vorderleib beginnt der eigentliche Darm,
an dessen Anfangsteil zwei Paar langer Leberschläuche einmünden.
Das Herz stellt einen langen, unter dem Rücken liegenden Schlauch
dar, an dessen Seiten das Blut durch paarige Öffnungen eintritt,
um bei einer Kontraktion nach vorn durch eine Aorta wieder in
die Leibeshöhle getrieben zu werden. Die Geschlechtsorgane sind
paarig angelegt und münden beim Weibchen am fünften, beim
Männchen am letzten Brustring nach aussen. Das Nervensystem
des Vorderleibes bildet einen Strang, welcher in jedem Segment
zu Ganglien anschwillt; im Hinterleib sind alle diese Ganglien
zusammengerückt und bilden einen grossen Nervenknoten. Das
Sehorgan ist durch zwei Gruppen von Punktaugen von ähnlichem
Bau wie bei Cyclops, welche an den Seiten des Kopfes liegen,
gebildet. An den Antennen sitzen grosse blasse Riechkolben.
Die Asseln ernähren sich von pflanzlichen und tierischen
Stoffen. Sie leben gern zwischen modernden Blättern und grünen
Algen. Die Eier und die ausgeschlüpften Jungen werden in dem
durch die oben geschilderten Brutplatten erzeugten Raume umher-
getragen. Die Männchen sind gewöhnlich grösser als die Weibchen.
An feuchten Orten leben auf dem Lande unter Steinen, in
Kellern u. s. w. verschiedene Verwandte unserer Wasserassel, von
denen die Mauerassel (Oniscus), die Körnerassel (FPorcellio) und
die Rollassel (Armadilldium) sehr häufig angetroffen werden.
Eine blinde Wasserassel bewohnt tiefe Seen, Brunnen oder die
Gewässer von Höhlen. Sehr nahe mit den Isopoden verwandt
sind die
Flohkrebse (Amphipoden).
Der Körper dieser besonders in klaren Gebirgsbächen und
Quellen ungemein häufigen Tiere ist seitlich zusammengedrückt und
wohl gegliedert. Kopf und erstes Brustsegment sind mit einander
verwachsen. Die beiden Fühlerpaare haben annähernd gleiche
vo
Die Krebsfauna unserer Grewässer. 375
Länge; am ersten entspringt ein kleiner Nebenast. Mundwerkzeuge
und Beinpaare sind in gleicher Anzahl wie bei den Asseln vor-
handen. Die Endglieder der ersten zwei Brustbeinpaare sind zu
kleinen Greifhänden umgestaltet. An der Innenseite der meisten
Brustbeine sitzen als Kiemen funktionierende blasige Gebilde, beim
Weibchen ausserdem Brutplatten. Die Beine des Hinterleibes sind
in zwei gleichartige Äste gespalten. Die drei ersten Paare der
Hinterleibsbeine unterscheiden sich in der Form von den folgenden
und dienen zum Schwimmen und zur Erzeugung stetigen Wasser-
wechsels an den Kiemen, weshalb sie auch in der Ruhe immer-
während schwingen. Während der Darm dem der Wasserassel sehr
ähnlich und ebenfalls mit zwei Paaren von Leberschläuchen ver-
sehen ist, lässt sich am Herzen insofern eine höhere Ehtwickelungs-
stufe erkennen, als es weiter vorn im Körper seinen Platz hat und
sowohl gegen den Kopf zu als auch nach hinten Gefässe entsendet.
Die Gliederung des Nervensystems entspricht der Segmentierung
des Körpers. Die beiden rundlichen Augen sind ähnlich zusammen-
gesetzt wie bei den höheren Kerfen. Die Antennen tragen blasse
Riechkolben. Die Geschlechtsorgane mit ihren Ausmündungen ver-
halten sich wie bei den Iso-
poden. Die Eier und Jungen
werden ebenfalls zwischen den
Brustbeinen von den Brutplatten
bedeckt getragen. Die Art, wie
die bei uns gemeinste Gattung
Gammarus (Fig. 79) sich im
Wasser bewegt, wurde ein-
gangs geschildert. Man findet
diesen Flohkrebs am sichersten
: ; 5 Fig. 79.
unter Steinen, in deren Nähe Gammarus pulex L. a’ Erste Antenne —
faules Laub’ sich vorfindet. Oft a en TI
A Hinterleibsbeine — N Nebenast.
schimmert ein kleiner roter
Körper durch die Leibeswand. Es ist dies ein Zchimorhynchus,
ein häufiger Parasit. Eine blinde Abart des Gammarus lebt, ebenso
wie die blinde Assel, in tiefen Brunnen oder Höhlen.
376 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Die Ordnung der
Zehnfüsser (Decapoden)
ist bei uns nur durch den Flusskrebs vertreten, dessen Geschlecht
durch die schon seit einer Reihe von Jahren wütende Krebspest
so sehr dezimiert wurde, dass manche Flussläufe von diesen in
Form und Gebahren gleich originellen Scherenträgern ganz ent-
völkert sind. Der Kopf unseres Flusskrebses ist mit den Brust-
ringen und diese unter sich zu dem Kopfbruststück verwachsen,
welches an der Stirn in einen Stachel ausläuft. Einige vertiefte
Linien auf dem Cephalothorax deuten noch die einst vorhanden
gewesene Trennung in einzelne Segmente an. Der gegliederte
Hinterleib dient als Ruder zum Schwimmen und ist beim Weibchen
breiter als beim Männchen. Die ersten kurzen zweiästigen Antennen
werden von den zweiten weit überragt. Ausser einem Paar Öber-
und zwei Paaren Unterkiefern dienen als Mundwerkzeuge noch
drei Paar Kieferfüsse.. Auf diese folgen die grossen Brustbeine,
deren Anzahl zu der Bezeichnung „Zehnfüsser“ Veranlassung gab.
Die ersten drei Beinpaare tragen am Ende Scheren, welche am
ersten sehr stark entwickelt sind und eine kräftige Waffe gegen
Feinde bilden, deren Wirkung manchem Leser bekannt sein dürfte.
Die sechs Beinpaare des Hinterleibes sind zweiästig: Das erste
bildet beim Männchen ein Begattungsglied, das letzte ist bei beiden
Geschlechtern verbreitert und giebt mit dem hintersten Körper-
segment zusammen die sogenannte Schwanzflose ab. An den
Hinterleibsbeinen tragen die Weibchen die Eier. Die Ganglien
des Bauchstranges sind in der Brustgegend nahe zusammengerückt.
Die zwei grossen Augen sitzen auf beweglichen Stielen. Zum ersten
Mal unter den Krebstieren treffen wir ein deutliches Hörorgan an,
welches im ersten Glied der kleinen Antennen liegt. Es stellt ein
kleines nach aussen sich Ööffnendes Bläschen dar, welches im Innern
mit feinen, Härchen ausgekleidet ist und vom Krebs selbst mit
Sandkörnchen erfüllt wird. Diese dienen als Hörsteine und müssen
nach jeder Häutung, da die ganze Auskleidung des Bläschens ent-
fernt wird, erneuert werden; so lange dies nicht geschehen ist, ist
Die Krebsfauna unserer Gewässer. 377
der Krebs taub. Mehrere Male wirft das Tier seinen Hautpanzer,
welcher ihm bei reichlicher Nahrung bald zu enge wird, ab und
erscheint dann, ehe genügend Kalk in der jungen Haut abgelagert ist,
weich und gewöhnlich rötlich gefärbt als sogenannter „Butterkrebs“.
Da dieser äusserst hilf- und wehrlos ist, kann es ihm passieren,
dass er von seinen eigenen Kameraden gefressen wird, wenn er in
der Wahl eines guten Versteckes nicht vorsichtig genug war. Im
hintern Teile des Cephalothorax liegt das (von oben gesehen) etwa
fünfeckige Herz, von dem aus ein reichverzweigtes Gefässsystem das
Blut nach allen Körperteilen leitet. Zum Atmen dienen verästelte
Kiemen, welche am Grunde der Kieferfüsse und Brustbeine ent-
springen und unter den nach den Seiten heruntergebogenen Rän-
dern des Cephalothorax verborgen sind. Der Darm macht keine
Windungen, ist aber am Anfang zu einem mit starken Chitinzähnen
ausgerüsteten Kaumagen erweitert, an dessen vorderer Wand der
zur Verstärkung der Haut nötige Kalk in Form von sogenannten
„Krebsaugen“ vorrätig gehalten wird. Die gelbliche, aus kleinen
Schläuchen bestehende Leber erfüllt einen grossen Teil des Vorder-
leibs. Die eigentlich paarigen Geschlechtsschläuche verwachsen auf
eine kurze Strecke mit einander und münden beim Weibchen am
Grunde des dritten, beim Männchen am fünften Beinpaare nach
aussen. Wie schon gesagt entwickeln sich die Jungen unter dem
Schutz des mütterlichen Schwanzes und verlassen das Ei in einer
dem erwachsenen Tiere sehr ähnlichen Gestalt. Eiertragende Weib-
chen findet man bis in den Juni hinein, und so lange sollten die
Tiere eigentlich geschont werden und nicht nur während der
Monate, deren Name ein R enthält. Im September und in der
ersten Hälfte des Oktober ist das Fleisch der Krebse viel fester
und wohlschmeckender als im Mai, wo recht häufig die Tiere sich
vom Winter her noch nicht gehörig erholt haben.
Der Krebs kommt in allen unseren Gewässern, selbst in ganz
kleinen Bergbächen vor. Am liebsten hält er sich unter Steinen und
in selbstgegrabenen Löchern am Ufer während des Tages versteckt
und geht erst mit Einbruch der Dämmerung auf die Suche nach
Nahrung. Diese besteht hauptsächlich aus Aas und wenigen lebenden
378 Die Krebsfauna unserer Gewässer.
wirbellosen Tieren. Dass er Fische und Frösche fange, mag sich
zufällig hie und da beobachten lassen; ich selbst war nie in der
Lage, dies bestätigen zu können. Trotzdem dass ich lange in grossen
Aquarien kleine und grosse Fische mit Krebsen zusammen hielt,
konnte nie eine Verminderung der Zahl der ersteren wahrgenommen
werden. Der Krebs ist auch mit seinen Scheren viel zu langsam,
um rasch bewegliche Tiere erhaschen zu können. Auf weite Ent-
fernung wittert der Krebs ım Wasser liegendes Aas und seine Vor-
liebe für dieses wird beim Fange benutzt. Bekannt ist an ihm das
Vermögen, verlorengegangene Gliedmassen zu ersetzen. Wird der
Krebs an der einen oder andern Schere erhascht, so sucht er
unter Darangabe dieser oder unter Umständen beider zugleich zu
entfliehen. Schon bei der nächsten Häutung beginnt der Verlust
sich zu ersetzen. Die neue Schere erreicht aber nie wieder die
Grösse der ersten. Auch im Kampfe unter einander, welcher sehr
ausdauernd und erbittert geführt wird, verlieren die Krebse nicht
selten ihre Hauptwaffe. Um eine ordentliche Grösse zu erreichen
und fortpflanzungsfähig zu werden, braucht der Krebs 4—5 Jahre.
In raschfliessenden Waldbächen bleibt er gewöhnlich kleiner, als in
Seen und Flüssen. Nützlich werden die höheren Krebse dadurch,
dass sie durch die Vertilgung von allerhand faulenden Stoffen eine
Art Reinlichkeitspolizei in unseren Gewässern bilden. Ausserdem
wird der Flusskrebs — allerdings nicht von jedermann — als Speise
hochgeschätzt.
Wir beschliessen hiermit unsere Betrachtungen über die Krebs-
tiere. Der Zweck derselben ist erreicht, wenn sie auch in weiteren
Kreisen Kenntnisse über den Bau und die Lebensweise der wesent-
lichsten bei uns vorkommenden Krustaceenformen verbreiten.
au»
Litteratur.
ı) W. Baird, Natural History of the British Entomostraca.
London 1850.
2) G. $. Brady, Monograph of the free and semiparasitic
Copepoda of the British Islands. London 1880.
3) C. Claus, Die freilebenden Copepoden. Leipzig 1863.
4) C. Claus, Copepodenfauna von Nizza. Marburg und
Leipzig 1866.
5) C. Claus; Über Bau und Entwicklung parasitischer Krusta-
ceen. Marburg 1855.
6) S. Fischer, Über das Genus Cypris und dessen bei Peters-
burg und Reval vorkommende Arten. Petersburg 1851.
7) $. Fischer, Beiträge zur Kenntniss der in der Umgegend
von Petersburg sich findenden Cyklopiden. Bull. d. l. soc. imper.
des Naturalistes de Moscou. Bd. 24 (1851). Bd. 26 (1853).
8) A. Fric, Die Krustenthiere Böhmens. Prag 1871.
9) Jules de Guerne et Jules Richard, Revision des Calanides
d’eau douce. Mem. d. l. soc. zool. de France. T. II. 1889.
ı0) T. H. Huxley, The crayfish. London 1889.
ı1) 0. E. Imhof, Zoolog. Anzeiger 1887.
12) 0. E. Imhof, Zoolog. Anzeiger 1885.
13) L. Jurine, Histoire des monocles. Genf 1820.
14) F.Leydig, Naturgeschichte der Daphniden. Tübingen 1860.
15) F. Leydig, Über Argulus foliaceus. Zeitschr. f. wissensch.
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380 Litteratur.
ı6) W. Lilljeborg, De crustaceis ex ordinibus tribus: Cladocera,
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17) J. Lubbock, On some freshwater Entomostraca. Transact.
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ı8) W. Migula, Biolog. Centralblatt Nr. 17. 1888.
19) O0. Fr. Müller, Entomostraca seu Insecta testacea. Franc-
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20) A. v. Nordmann, Mikrograph. Beiträge H. 6. Berlin 1832.
21) F. Plateau, Recherches sur les crustacees d’eau douce de
Belgique. M&m. couronn&e et des savants etrang. 1867.
22) $. A. Poppe, Notizen zur Fauna der Süsswasserbecken des
nordwestl. Deutschlands mit besonderer Berücksichtigung der Krusta-
ceen. Abhandl. naturwiss. Verein Bremen Bd. X. 1889.
23) J. Richard, Entomostraces nouveaux ou peu connus. Bull.
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24) G. O0. Sars, Norges Ferskvandskrebsdyr. Cladocera.
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25a) 0. Schmeil, Beiträge zur Kenntnis der Süsswasser-
Copepoden Deutschlands. Inauguraldissertation. Halle 1891.
25b) J. Vosseler, Die freilebenden Copepoden Württembergs
und angrenzender Gegenden. Jahreshefte d. Ver. f. vaterländische
Naturkunde in Württemberg. 1886.
26) J. Vosseler, Copepodenfauna der Eifelmaare. Archiv £.
Naturgeschichte. 18809.
27) Aug. Weismann, Beiträge zur Naturgeschichte der Daphno-
iden. Leipzig 1876—79.
28) Otto Zacharias, Studien über die Fauna des Grossen und
Kleinen Teiches im Riesengebirge. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie.
Bd..43. 1885,
29) Otto Zacharias, Biolog. Centralblatt. Bd. X. 1890.
30) E. G. Zaddach, De apodis cancriformis anatomia et historia
evolutionis. Bonn 1841.
Druck von J. J. Weber in Leipzig.
Br e
an a;
Wehers Naturwissenschaftliche Bibliothek.
Unter obigem Titel erscheint in unterzeichnetem
Verlage eine Reihe von naturwissenschaftlichen Werken,
wovon zurzeit drei Bände vorliegen.
Jeder Band wird ein in sich abgeschlossenes Ganzes
bilden und von einer Autorität auf dem Gebiete, von
welchem er handelt, in klarer, leichtfasslicher Form, aber
doch unter vollständiger Wahrung des wissenschaftlichen
Standpunktes, verfasst werden. Soweit es der Inhalt
erfordert, werden Abbildungen, welche den Text
ergänzen und zum bessern Verständnis desselben dienen,
beigegeben werden.
In der Reihe selbst werden Originalarbeiten deutscher
Gelehrten und Forscher mit Übersetzungen von Werken
hervorragender ausländischer Autoren abwechseln.
In Vorbereitung sind folgende Bände:
E. Gerland: Geschichte der Physik.
E. L. Trouessart: Die geographische Verbreitung der Tiere.
W. Marshall: Der Bau der Vögel.
H. Gadeau de Kerville: Leuchtende Pflanzen und Tiere.
W. Marshall: Das Leben der Vögel.
C. Chun: Das Tierleben auf der Oberfläche des Meeres.
Die Bände erscheinen in Zwischenräumen von mehreren
Monaten und sind einzeln käuflich.
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Erster Band:
Die Vorfahren der Säugetiere in Europa
von
Albert Gaudry.
Aus dem Französischen übersetzt
von
William Marshall.
Mit 40 in den Text gedruckten Abbildungen.
Preis in Original-Leinenband 3 Mark.
Inhalt;
I. Geschichtliches über die Fort- | V. Über das Licht, welches die Geo-
schritte der Paläontologie. logie auf einige Punkte in der Ge
II. Entwiekelung und Darwinismus. | Schichte des alten Athens zu werfen
1. Die Evolutionstheorie und. die im stande ist.
} x S 1. Die Kenntnis der Fossilien.
Bestimmung der Erdschichten. > 5 : :
2. Die “Bedentung Darwins ’ vom 2. Das Zerfallen Griechenlands in
Standpunkt der Paläontologie aus. ee
III. Der phylogenetische Zusammen- 4. Seewesen.
hang der Säugetiere in den geologi- 5. Mineralschätze.
schen Zeitaltern. 6. Ästhetische und religiüse An-
IV. Pikermi. schauungen.
1. Einleitung. VI. Löberon.
2, Wir kennen gegenwärtig nirgends Betrachtungen über die Säugetiere,
eine solche Anhäufung grosser Tiere | welche am Schluss der Miocänzeit in
wie zu Pikermi. Europa lebten,
3. Man hat in Pikermi nicht das, 1. Das Ende der Miocänzeit war
was man als,,‚kleine Fauna‘ bezeichnen | durch eine bedeutende Entwickelung
könnte, aufgefunden. der Pflanzenfresser ausgezeichnet.
4. Uber die Harmonie, welche in 2. Die Säugetiere am Ende der
der Säugetierwelt des alten Attikas | Miocänzeit bestätigen die Ansicht,
herrschte. dass höhere Formen wandelbarer sind
5. Die Mehrzahl der in Pikermi | als niedere.
vertretenen Formen sind aus Europa 3. Das Studium der miocänen Säuge-
ausgewandert. tiere unterstützt die Ansicht, dass das
6. Über die Zwischenformen, welche | Auftreten verschiedener geologischer
sich unter den fossilen Säugetieren | Stufen und Unterstufen immer die
finden. Folge verschobener Faunen ist.
7. Die Fossilien, welche Zwischen- 4. Über die analogen Säugetier-
formen darstellen, finden sich in allen |* formen, welche im obern Miocän ein-
Schichten. ander vorausgegangen und gefolgt
8. Was für ein Licht bringt das | sind.
Studium der Zwischenformen über- | 5. Über die Sonderung der Rassen
haupt in die Frage nach dem Übergang | und Arten der Säugetiere am Schluss
der Geschöpfe in einander? der Miocänzeit.
Een Wr
Webers Naturwissenschaftliche Bibliothek.
Zweiter Band:
Die Bakterien
von
Dr. W. Migula,
Privatdozent der Botanik an der Technischen Hochschule zu Karlsruhe.
Mit S2 in den Text gedruckten Abbildungen.
Preis in Original-Leinenband 3 Mark.
nn u —
Inhalt:
I. Was sind Bakterien?
II. Die Entwickelung der Lehre von
den Mikroorganismen.
III. Naturgeschiehte der Bakterien.
Morphologie und Entwickelungs-
geschichte.
Die Formen der Bakterien.
Wachstum, Teilung, Sporenbildung,
Sporenkeimung.
Lebenserscheinungen und Lebens-
bedingungen der Bakterien.
Vorkommen und Verbreitung der
Bakterien in der Natur.
- Die Untersuchungsmethoden.
Die Nährsubstrate.
Die Herstellung der Reinkulturen.
Hilfsmittel zur mikroskopischen Be-
obachtung.
Systematik der Bakterien.
Pathogeue Bakterien.
Die Organismen des Eiters.— Der
Milzbrandbacillus. — Der Typhus-
baeillus. — Der Tuberkelbaeillus.—
Der Leprabaeillus. — Der Rotz-
bacillus. — Der Diphtheriebaeillus.
— Der Rauschbrandbaceillus. — Die
Bakterien des Schweinerotlaufs, —
Der Bacillus der Hühnercholera,
— Der Kommabacillus. — Der
Organismus des Rückfalltyphus.
Chromogene Bakterien,
Der Hostienpilz. — Der Organis-
mus des blauen Eiters. — Der
Organismus der blauen Milch.
Zymogene Bakterien.
Der Heubacillus. Baeillus sub-
tilis. — Der Milchsäurebacillus.
Baeillus acidi lactiei. — Der Butter-
säurebacillus. Bacillus butyrieus.
— Der Kefyrbaeillus. .Dispora
Kaukasica, Bacillus Kaukasieus. —
Der Essigsäurebacillus. Bacillus
aceticus. — Der Froschlaichpilz.
Leuconostoc mesenterioides. — Mi-
erococcus viscosus. — Die Organis-
men der Harnstoffgärung. — Die
Fäulnisbakterien. — Die Faden-
bakterien.
Die Beziehungen der Bakterien zur
belebten und unbelebten Natur,
Fäulnis und Gärung.
Die ansteckenden Krankheiten.
Die Bakterien im Haushalte d. Natur.
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Dritter Band:
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Sinne und Sinnesorgane
der
niederen Tiere.
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William Marshall.
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Be
Inhalt:
Erstes Hauptstück. Viertes Hauptstück.
Kurze Übersicht über den allgemeinen Der Geschmack.
Bau der Organismen. Fünftes Hanptstück.
Der Geruch.
Zweites Hauptstück.
Sechstes Hauptstück.
Irritabilität, Sensibilität, Sinnesorgane. er
Das Gehör.
Drittes Hauptstück. Siebentes Hauptstück.
Das Gefühl. Das Gesicht.
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