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Full text of "Die Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers : Einführung in das Studium derselben"

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Die 


Tier- und Pflanzenwelt 


des 


SüUSSwAässers. 


Die 


Tier- und Pflanzenwelt 


des 
Süsswassers. 


Einführung in das Studium derselben. 


Unter Mitwirkung von 
Dr. C. Apstein (Kiel), S. Clessin (Ochsenfurt), Prof. Dr. F. A. Forel 
(Morges, Schweiz), Prof. Dr. A. Gruber (Freiburg i. Br.), Prof. Dr. 
P. Kramer (Halle a. d. S.), Prof. Dr. F. Ludwig (Greiz), Dr. W. Migula 
(Karlsruhe), Dr. L. Plate (Marburg), Dr. E. Schmidt-Schwedt (Berlin), 
Dr. A. Seligo (Danzig), Dr. J. Vosseler (Tübingen), Dr. W. Weltner 
(Berlin) und Prof. Dr. F. Zschokke (Basel) 


herausgegeben 


von 


Dr. Otto Zacharias, 


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Direktor der Biologischen Station am Grossen Plöner See in Holstein. 


Erster Band. 


Mit 79 in den Text gedruckten Abbildungen. 


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Leipzig | 
Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber- un 
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2 Alle Rechte vorbehalten. x 


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Vorwort. 


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Der Zweck dieses Werkes ist klar im Titel des- 
selben ausgesprochen. Es soll zur Einführung in die 
Lebewelt des Süsswassers dienen und auf möglichst 
kurzem Wege die Bekanntschaft mit denjenigen Pflanzen- 
und Tierformen vermitteln, welche am häufigsten in 
unseren Tümpeln, Teichen und Seen vorkommen. Es galt 
in erster Linie ein Orientierungsbuch für den Anfänger zu 
schaffen und aus diesem Grunde ist von Seiten des Heraus- 
gebers und seiner Herren Mitarbeiter eine thunlichst ge- 
meinverständliche Darstellungsweise angestrebt worden. 
Niemals ist aber, wie der sachkundige Leser finden wird, 
bei Verfolgung dieses Zieles dem wissenschaftlichen 
Charakter dieses Werkes Abbruch geschehen. 
Vollständig freilich in dem Sinne, dass alle Haupt- 
gruppen der einheimischen Wasserfauna zur Berücksich- 
tigung gelangt wären, ist unsere „Einführung“ nicht. 
Man wird die Infusionstiere, die Hydren und die höheren 
Würmer vermissen. Indessen ist über diese drei Gruppen 
in der Fachlitteratur sehr viel leichter Aufschluss zu 


vI Vorwort. 


erhalten, als hinsichtlich der anderen Vertreter der 
Süsswasserfauna. Das Nämliche gilt von den Bryozoen 
(Moostierchen), worüber das treffliche und mit. zahlreichen 
schönen Tafeln ausgestattete Werk von Prof.K.Kräpelin 
(„Die deutschen Süsswasserbryozoen“. Hamburg 1887) 
sowie die neuere Publikation von Dr. Fr. Braem („Unter- 
suchungen über die Bryozoen des süssen Wassers“. 
Kassel 1891) jede nur wünschenswerte Auskunft giebt. 
Unser Buch wendet sich vorwiegend an Solche, 
welche sich wissenschaftlich-praktisch und nicht etwa 
bloss litterarisch mit der pflanzlichen und tierischen 
Bewohnerschaft der Seen beschäftigen wollen. So 
geartete Leser und Beurteiler der nachfolgenden Kapitel 
werden auch abzuschätzen vermögen, dass die Heraus- 
gabe eines nur einigermassen umfassenden Werkes über 
dıe Flora und Fauna des Süsswassers mit mannigfachen 
Schwierigkeitenverbunden war, unterdenen dieGewinnung 
von geeigneten Mitarbeitern obenanstand. Inletzterer Hin- 
sicht sind aber meine Bemühungen erfolgreich gewesen. 
Die zur Erläuterung des Textes beigefügten Illustra- 
tionen wurden grösstenteils nach Originalzeichnungen der 
bei der Herausgabe mitbeteiligten Herren hergestellt, 
und sie sind (mit Ausnahme der bloss schematischen) 
von vollendeter Naturtreue. Der Opferwilligkeit der 
Verlagshandlung ist es zu danken, dass mit der Beigab& 
von Abbildungen nicht gespart zu werden brauchte. 


Biologische Station am Plöner See (Holstein). 
Ende Juni 1891. 


Dr. Otto Zacharias. 


Inhaltsverzeichnis. 


I. Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. Von Prof. 


Dr. F. A. Forel in Morges (Schweiz). 


Tiere und Pflanzen der Uferzone. — Die Flora und Fauna des See- 


grundes. — Der „organische Filz“. — Aufzählung der Tiefenbewohner 
des Genfersees. — Die pelagischen Tier- und Pflanzenformen. — Mikro- 
organismen. — Die chemische Zusammensetzung des Wassers. — Über- 


gang der organischen Materie von einem Lebewesen zum andern. — Betrag 


der jährlichen Abfuhr von organischen Stoffen aus dem Genfersee durch 


die Rhöne. — Ersatzquellen für diesen Verlust. — Schlussfolgerungen 1- 


Die Algen. Von Dr..W. Migula in Karlsruhe. 


Einleitende Bemerkungen. — Fundstätten der Algen. — Das Vor- 
kommen der verschiedenen Arten nach Jahreszeit und Wasserbeschaffenheit. 
— Orientierung über die 5 Hauptgruppen: 1. Spaltalgen (‚Schzzophyceae), 
2. Kieselalgen (Bacillariaceae oder Diatomaceae), 3. Grünalgen (C’/hloro- 
Phyceae), 4. Braunalgen (Melanophyceae), 5. Rotalgen (Rhodophyceae). — 


Kurze Charakteristik der den Algen nahestehenden Armleuchtergewächse 


Seite 


(Characeae). — Torfmoose, Wasserfarne und Schachtelhalme. . 27—64 


VIII Inhaltsverzeichnis. 
Seite 


Il. Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 
Von Prof. Dr. Fr. Ludwig in Greiz. 


Die allgemeinen Bedingungen des höheren Pflanzenlebens im Wasser. 
— Einzelne Beispiele von untergetauchten Wasserpflanzen: das gemeine 
Hornblatt (Ceratophyllum demersum), die Blasenpflanze (Aldrovandia 
veszculosa), der Wasserschlauch (Utrzcularia vulgaris), die Sumpffeder 
(Hottonia palustris), das Tausendblatt (Myriophyllum), das Laichkraut 
(Potamogeton). — Schwimmgewächse: Wasserlinsen, Seerosen, die 
Wassernuss (7rapa), der Wasserknöterich (Polygonum). — Die Luft- 
pflanzen unserer Gewässer: der Froschlöffel (Alisma Plantago), das 
Pfeilkraut (Sagzttaria sagittifolia), die Schlangenwurz (Calla palustris), 
die Wasserschwertlilie (Zrzs Pseudacorus), die Rohrkolben ( T’ydhaceae). — 


Die pflanzlichen Parasiten der Wassergewächse . . . 2... 65—134 


IV. Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebens- 
erscheinungen. Von Prof. Dr. A. Gruber in Freiburg i. Br. 


Charakteristik einiger Wurzelfüsser (Diffiugia acuminata, D. spiralis, 
D.urceolata, Centropyxis aculeata, Hyalosphenia papılıo, Arcella vulgaris, 
Cyphoderia ampulla, Quadrıla symmetrica und Euglvpha alveolata). — 
Ausführliche Schilderung der Euglypha. — Vermehrung derselben durch 
Teilung. — Beschreibung der dabei stattfindenden karyokinetischen Vor- 
gänge. — Die Einkapselung (Encystierung) der Euglypha. — Der Kunst- 
trieb derselben und ihrer Verwandten. — Beweis für die Einheit der 
belebtenNatın 1, le 1 u a rs ron 


V. Die Flagellaten (Geisselträger). Von Dr. W. Migula in 


Karlsruhe. 


Stellung dieser Organismengruppe auf der Grenze zwischen Tier und 
Pflanze. — Einzeln lebende und koloniebildende Flagellaten. — Bau 
und Entwickelungsgeschichte von Volvox aureus (Kugeltierchen). — Die 
Volvocineen-Gattungen Zudorina, Pandorina, Stephanosphaera und 
Gonium. — Euglena viridis.— Anthophysa vegetans. — Die Dinobryen. — 


Die Gattüng; Ceratiuum 2... lan ee em ar, (TORMTUE 


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Inhaltsverzeichnis. EX 


Seite 
VI. Die Süsswasserschwämme (Spongilliden.. Von Dr. 


W. Weltner in Berlin. 


Erkennen und Auffinden derselben. — Geschichtliches. — Äussere 
Beschaffenheit (Form, Grösse, Färbung, Konsistenz und Geruch) der 
Spongilliden. — Anatomie und Histiologie: das Skelett und der Weich- 
körper. — Physiologie: geschlechtliche und ungeschlechtliche Fort- 

 Pflanzung, Atmung, Nahrungsaufnahme, Verdauung, Wachstum und 
Bewegung. — Kurze Schilderung der einheimischen Arten: Zuspongrlla 
lacustris, Spongilla fragilıs, Trochospongilla erinaceus, Ephydatia 
Miller:, Eph. fluviatilis, Eph. bohemica und Carterius Stepanowi. — 
Schlüssel zur Bestimmung der europäischen Formen. — Verbreitung 
der Süsswasserschwämme. — Parasiten und Kommensalen derselben. — 


Das Sammeln, Konservieren und Untersuchen der Spongilliden 185—236 


VII. Die Strudelwürmer (Turbellaria). Von Dr. O. Zacharias 
in Plön (Holstein). 


Anatomische und histiologische Orientierung über die beiden Haupt- 
gruppen der Süsswasserturbellarien: Rrabdocoela und Dendrocoela. — 
Das Genus Dothrioplana als Verbindungsglied zwischen diesen Gruppen. 
— Bothrioplana silesiaca. — Kurze Beschreibung einiger Rhabdocöliden- 
Spezies: Macrostoma viride, Microstoma lineare, Stenostoma leucops, 
‚Stenostoma unıcolor, Catenula lemnae, Mesostoma viridatum und Vortex 


truncatus. — Präparationsmethode. — Geographische Verbreitung 237—274 


VIll. Die Rädertiere (Rotatoria). Von Dr. L. H. Plate in 


Marburg. 


Fundstätten für Rädertiere. — Eingehende anatomische Analyse des 
Krystallfischchens (Zydatina senta). — Vergleichende Schilderung der 
Morphologie der Rotatorien: die Körpergestalt, die Körperhaut, der 
Räderapparat, die Muskulatur, das Nervensystem, der Verdauungskanal, 
die Exkretionsorgane, die Klebdrüsen, der Keimdotterstock und die Ei- 
bildung. — Die männlichen Rotatorien. — Einige Bemerkungen über die : 


Biologie der Rädertiere. — Überblick über dasSystem der Rotatorien 275—322 


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Inhaltsverzeichnis. 


IX. Die Krebsfauna unserer Gewässer. Von Dr. J. Vosseler 


in Tübingen. 


Überblick über das System der Krustaceen. — Die Zntomostraken: 
a) Freilebende Copepoden. — Kurzer geschichtlicher Rückblick. — 
Körperform und Gliedmassen. — Histologie der Haut und die Häutung. 
— Nervensystem und Sinnesorgane. — Verdauungskanal. — Leber und 
Niere. — Blut und Blutkreislauf. — Atmung. — Muskulatur. — Fort- 
pflanzungsorgane und geschlechtlicher Dimorphismus. — Embryonale und 
postembryonale Entwickelung. — Gattungen und Arten. — Biologische 
Bemerkungen: Die Nahrung und deren Aufnahme. — Feinde. — 
Fundstellen. — Verbreitung in horizontaler und vertikaler Richtung. — 
Anpassung an die Verhältnisse der Ufer-, pelagischen und Tiefenregion 
unserer Seen. — Passive Wanderung. — Entstehung der Tiefenfauna. — 
b) Parasitische Coßepoden. — Die durch den Parasitismus bedingten 
Veränderungen in der Körperform und Umbildung der Gliedmassen. — 
Innere Organisation: Nervensystem und Sinnesorgane, Herz, Darm und 
Geschlechtsorgane. — Zwergmännchen. — Vorkommen. — Gattungen und 
Arten. — c) Kiemenschwänze: Beschreibung des Argulus. — Schaden 
und Nutzen der Entomostraken. — d) Phvllopoden, Cladocera: Ge- 
staltung des Körpers und der Gliedmassen. — Anatomie der Eingeweide, 
Geschlechtsorgane und des Nervensystems. — Eier (Dauereier) und Ent- 
wickelung. — Gattungen und Arten. — e) Branchiopoda : Beschreibung des 
Apus und Branchipus und deren Lebensweise. — f) Ostracoden: Schale 
und Gliedmassen. — Anatomie. — Fortpflanzung. -— Lebensweise. — 
g) Malacostraken. Isopoden: Körperform und Gliedmassen von Asellus. 
— Darm und Kaumagen. — Leber. — Herz. — Kiemen. — Nerven- 
system und Sinnesorgane. — Brutraum, — Auf dem Lande lebende 
Asseln. — h) Amphipoden : Gliederung und Form des Körpers. — Glied- 
massen mit Kiemenanhängen. — Darm mit Leber. — Nervensystem, — 
Herz und Gefässe. — Fortpflanzung. — Vorkommen. — i) Decapoden: 
Morphologie des Körpers und der Gliedmassen von Astacus. — Äussere 
Kennzeichen der Geschlechter. — Nervensystem und Sinnesorgane. — 
Ohr. — Häutung. — Herz und Blutgefässe. — Kiemen. — Verdauungs- 
kanal mit Kaumagen, Kalkansammlungen und Leber. — Geschlechts- 


organe und Fortpflanzung. — Einige biologische Bemerkungen über 


Seite 


Nahrung und Wiederergänzung verloren gegangener Gliedmassen 323—380 


Alleemeine 


Biologie eines Süsswassersees. 


Von Prof. Dr. F, A. Forel in Morges, Schweiz. 


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Fa See ist ein Mikrokosmus, eine Welt, die sich selbst genügt, 
in welcher das Lebensspiel der verschiedenen Organismen sich 
hinreichend im Gleichgewicht hält, um ein stabiles Verhältnis 
zwischen den ausgeschiedenen und nutzbar gemachten Stoffen zu 
bilden, ohne dass die Zusammensetzung des Mediums durch die 
in ihm wohnenden Wesen eine Veränderung erlitte. Tiere und 
Pflanzen, höhere und niedere Organismen, leben da gleichzeitig 
mit einander, jedes nach seiner Art, und gemäss den ihm eigen- 
tümlichen Funktionen; jedes findet in dem Medium, von dem es 
umgeben ist, die zur Lebensfristung notwendigen Elemente, und 
jede Gruppe von Wesen vervielfältigt sich in Individuen, die um 
so zahlreicher sind, in je grösserer Fülle die ihr unentbehrlichen 
Elemente vorhanden sind. 


Auf der andern Seite ist ein Süsswassersee kein ganz 
geschlossenes Bassin, kein verschlossenes Gefäss. Vielmehr steht 
er in Verbindung mit der übrigen Welt, sei es durch die atmo- 
sphärische Luft, welche einen unaufhörlichen Austausch von Gasen 
mit ihm unterhält, sei es durch seinen Abfluss, der ihm Wasser 
mit Substanzen in gelöstem und ungelöstem Zustand entführt, sei 
es durch seine Zuflüsse, die ihm neue Stoffe zuleiten. Er nimmt 
also an dem grossen Kreislauf der Materie teil, der zwischen den 
verschiedenen Regionen des Erdkörpers besteht, ebensogut in 
der organischen, wie in der anorganischen Welt. Zugang und 


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4 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 


Verlust von Stoffen modifizieren die biologischen Verhältnisse 
des Mikrokosmus; sie müssen konstatiert und ergründet werden, 
wenn man das Spiel des Lebens in einer so abgegrenzten 
Welt verstehen, wenn man den Kreislauf der Materie innerhalb 
der beschränkten Reihe von Wesen, die den See bevölkern, 
bestimmen will. 


Unter diesem doppelten Gesichtspunkt betrachten wir einen 
Süsswassersee. Die vorliegende Studie soll als Einleitung in die 
Fragen der allgemeinen und speziellen Biologie dienen, welche man 
in den ferneren Abteilungen dieses Buches ausgeführt findet. 


In erster Linie ist ein See ein beschränkter Raum, in welchem 
die Lebewesen in angemessenen Proportionen sich entwickeln, derart, 
dass ihre Ernährungsfunktionen in einer stabilen Weise im Gleich- 
gewicht bleiben. Während das Spiel des animalischen Lebens zu- 
letzt zur Oxydation der organischen Stoffe führt, welche zeitweilig 
in die Körper der Tiere behufs Ernährung ihrer Gewebe eindringen, 
wird die Kohlensäure reduziert durch das Spiel des vegetabilischen 
Lebens infolge der dabei vorherrschenden Funktionen des. Chloro- 
phylis und gleichartiger Substanzen, und sie wird in Stofle ver- 
wandelt, die den animalischen Organismen assimilierbar sind. Das 
Tier scheidet Kohlenwasserstoffverbindungen und Stickstoff aus, nach 
dem Stande der maximalen Oxydation und unter einer Form, welche 
es ihnen erlaubt, sich in der sie umgebenden Flüssigkeit aufzulösen 
(Kohlensäure, Harnstoff, gallenartige Substanzen etc... Die Pflanze 
absorbiert diese durch das Tier ausgeschiedenen Stoffe und eignet 
sie sich unter der Form des Protoplasmas und der Kohlenwasser- 
stoffverbindungen an. Die Pflanze nährt sich also von den durch 
das animalische Leben aufgelösten Stoffen ihrer Umgebung; das 
Tier hingegen von den Stoffen, die sich in den Geweben der 
Vegetabilien bilden. 


Wenn wir nun in einem abgegrenzten Raum Tiere und Vege- 
tabilien in normalen Verhältnissen zusammen antreffen, so halten 
sich diese beiden entgegengesetzten Arten von Lebewesen im Gleich- 
gewicht, und ein Reich entspricht, jedes auf seine Rechnung, den 


Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 5 


biologischen Bedingungen des andern. Das ist auch in einem See 
der Fall; die beiden organischen Reiche sind hier repräsentiert 
durch reich entwickelte Tier- und Pflanzengesellschaften, welche wir 
nach ihrem Wohnort und nach den Verhältnissen des Raumes, 
denen sie unterworfen sind, in drei Gruppen teilen können: Gesell- 
schaften am Ufer, in der tiefen Region, und in solche, die das 
freie Wasser bewohnen. 


Die littoralen Gesellschaften der Tier- und Pflanzenwelt 
befinden sich in der Zone, die sich dem Ufer entlang hinzieht, 
rings um den See vom eigentlichen Uferrande, bis zu einer Tiefe 
von 5—25 m, je nach der Grösse des Sees. Je grösser der See 
ist, desto tiefer steigt die Uferregion hinab. 


Die Eigentümlichkeiten des Raumes, welche diese Region 
charakterisieren, sind: felsiger, mit Kieseln bedeckter, sandiger oder 
schlammiger Boden, beleuchtetes Wasser mit veränderlicher Tempe- 
ratur, je nach den Jahreszeiten; schwacher Druck; beträchtliche 
Bewegungen, die durch Wellen oder Wasserströmungen hervor- 
gerufen werden. Es ist dies die Gegend, die vermöge der Ver- 
änderlichkeit des Bodens und der wechselnden Verhältnisse der 
Wasserbewegung am reichlichsten mit Abwechselung bedacht ist. 
Hier sind die Veränderungen der Temperatur und des Lichtes 
am stärksten; hier können Pflanzen und Tiere die verschieden- 
artigste Umgebung finden, welche die mannigfaltigen Bedürfnisse 
der verschiedenen Typen befriedigt. Hier ist auch die Pflanzen- 
oder Tierwelt am reichlichsten nach Menge und Abwechselung 
vorhanden. 


Man trifft hier, was die Pflanzen anlangt, alle Gruppen von 
Wasserpflanzen, die fähig sind, sich dem lakustrischen Leben an- 
zupassen. Ohne eine genaue Aufzählung geben zu wollen, gruppiere 
ich sie folgendermassen : 

a) die grossen Gramineen und Cyperaceen (Schilfrohr und 
Cypergras), deren straffe Stengel durchs Wasser hindurch 
aufsteigen, um die Kronen ihrer Blüten und Blätter in der 
freien Luft sehen zu lassen ; 


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6 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 


b) die Wälder der grossen Phanerogamen, Nymphaeaceen, 
Potamogetaceen, Halorageen, Ceratophylleen, Hydrochari- 
deen etc., deren lange, biegsame Stengel und zierliche Blätter 
schattige und pittoreske Büsche bilden, welche sich bis zur 
Oberfläche des Wassers erheben; 


c) die dichten und dunkeln Rasen der Characeen. Dieselben 
bilden gegen das Eindringen der Fische fast unzugängliche 
Schutzorte. Die Teppiche von festen Algen (Chladophora, 
Ulothrix, Leptothrix, Oscillarieen), welche die unter Wasser 
befindlichen Steine und Hölzer mit einem samtweichen, 
grünlichen, dichtanliegenden Überzug bekleiden. Die inkru- 
stierenden, in Kalkwasser lebenden Algen, Zonotrichia_ calcı- 
vora, Hydrocoleum calcılegum, bilden eine sehr interessante 
Abwechselung in diesem Teppich; unter ihrer Inkrustation 
stellen die Kalksteine vertiefte Skulpturen dar, deren Deutung 
noch ein ungenügend gelöstes Problem ist; 


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die niederen freien Algen, Diatomaceen, Desmidiaceen, 
Vaucheriaceen, Palmellaceen etc, die mit einer leichten, 
unbeständigen Schichte die verschiedensten Körper unter 
Wasser bedecken und ihnen eine im allgemeinen bräunliche 
Farbe geben; 

endlich die schwimmenden Algen: Protoderma, Conferva, 
Pandorina etc., welche auf einmal in gewissen Jahreszeiten 


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und an gewissen Stellen erscheinen, um schliesslich wieder 
zu verschwinden, unter Bedingungen, welche die Botaniker 
uns noch nicht genug erklärt haben. x 


Von Tieren findet man hier alle die, welche das lakustrische 
Leben annehmen: Wasservögel, Reptilien, Amphibien, Fische, 
Insekten, Hydrachniden, Entomostraken, Mollusken, Würmer, 
Hydren, Spongien, bis hinab zu den untersten Protozoen. 
Das ist die klassische „lakustrische Fauna“ der alten Schriftsteller, 
die einzige, welche man vor den Untersuchungen der letzten dreissig 
Jahre kannte. Diese Fauna, deren Arten von einem See zum andern 
ziemlich verschiedene Varietäten darbieten, kann man wieder in 


Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 7 


partielle oder lokale Faunen einteilen, im wesentlichen, je nach der 
Bodenbeschaffenheit und nach der Vegetation, die der See besitzt. 
Man kann so unterscheiden die Fauna der Felsenwände, die der 
mit Geröllen bedeckten Ufer, ferner die Fauna des Sandbodens, 
des Schlammes, die des im Wasser wachsenden Waldes, die des 
Rasens von Characeen etc. Ich mache hier nicht den Versuch, 
die Arten und Gattungen aufzuzählen, welche diese allgemeine und 
lokale Tierwelt bilden; ich verweise auf die ausführlichen Be- 
schreibungen, welche die gelehrten Mitarbeiter dieses Werkes geben 
werden. 


Ich beschränke mich darauf, zunächst den unumgänglichen 
Charakter zu bestimmen, welchen die littorale Fauna darbieten muss 
im Vergleich mit anderen Faunen der lakustrischen Welt. Die 
Ufertiere, welche viel beweglicheren und abwechslungsreicheren 
Bedingungen unterworfen sind als diejenigen von anderen Regionen, 
sind und müssen in Wirklichkeit viel stärker, thätiger und widerstands- 
fähiger sein. Sie setzen sich am Boden oder auf untergetauchten 
Körpern fest, oder sind fähig, sich zeitweilig festzusetzen; oder 
sie wissen sich zurückzuziehen an verborgene und geschützte Plätze 
während der Wellenströme, welche die Ufergegend aufwühlen. 
Ich mache sodann auf die bedeutende Veränderlichkeit und den 
sehr speziellen Lokalcharakter der littoralen Gesellschaften aufmerk- 
sam; sie sind verschieden von einer Station zur andern und von 
einem See zum andern, je nach den örtlichen Bedingungen. In 
der Uferregion findet man nicht nur den grössten Reichtum an 
Lebewesen, sondern auch die grösste Zahl von verschiedenen Typen 
und die grösste Mannigfaltigkeit innerhalb der Typen. 


Endlich ist es die einzige Region eines Süsswassersees, wo die 
Flora durch Pflanzen von hohem Wuchs vertreten ist. 


Die biologischen Gesellschaften der tiefen Region, 
die Tiefsee-Fauna und -Flora, wohnen auf und in dem See- 
boden, in der gesamten Mulde vor der Uferregion, das heisst in 
Tiefen, welche 5—25 n übersteigen, je nach der Grösse des Sees. 
In dieser Region ist der Boden überall lehmig oder schlammig, 


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8 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 


weich, ohne Rauhigkeiten oder feste und harte Körper; bei be- 
merkenswerter Einförmigkeit in der physikalischen Zusammensetzung 
zeichnet er sich durch keine Abwechselung aus, ausser etwa an 
einigen sehr seltenen Stellen, und in einigen Seen nur durch felsige, 
vertikale Wände oder durch erratische Blöcke. Abgesehen von 
diesen Ausnahmsfällen ist die Gesellschaft, welche dort wohnt, 
wesentlich und einzig limikol (schlammbewohnend). Es herrscht 
eine absolut und relativ beinahe vollständige Ruhe ohne mecha- 
nische und molekulare Bewegungen, ohne Wellen, ohne wesent- 
liche Strömungen, ohne Licht, ohne Wärme. Die Veränderungen 
der Temperatur sind hier entweder gleich Null oder nur sehr 
schwach. Die Dunkelheit ist mehr oder weniger vollständig; es 
giebt keine direkte Verbindung mit der äusseren Luft; der See 
zeigt hier keine periodischen Veränderungen, weder für einzelne 
Jahreszeiten noch für das ganze Jahr. Nächst dem Meeresgrund 
ist der Grund eines Sees die am wenigsten bewegte Gegend, die 
man auf dem Erdball finden kann. 

In dieser Region konstatieren wir eine noch ziemlich reichliche 
Tierwelt, die mehr oder weniger allen Typen der Süsswassertiere 
angehört. Als Beispiel will ich eine Übersicht über die Tierarten 
anführen, die man aus der Tiefe des Genfersees kennt, ohne der 
Endoparasiten zu gedenken. 


Fische 14 Wirbeltiere 14 
Insekten 3 

Spinnen 9 

Crustaceen 16 Arthropoden 28 
Gasteropoden 4 

Lamellibrancheen 2 Mollusken 6 
Anneliden 4 

Nematoden 3= 

Cestoden I 

Turbellarien 18 

Bryozoen 

Rädertierchen 3 Würmer 30 


Hydroiden I Cölenteraten I 


4 


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Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 9 
Infusorien Io 
Rhizopoden 19 
Cilio-Flagellaten 2 Protozoen 31 


Das sind mehr als hundert Tierarten. 


Ihr Reichtum vermindert sich in dem Masse, als die Tiefe 
zunimmt; aber wir haben solche, die am Grunde der tiefsten Seen 
aufgefischt worden sind: im Genfersee in einer Tiefe von 309 m 
(Forel), im Comersee bei 415 m (Asper), im Baikalsee bei 1370 m 
(Dybowski). 

Der Ursprung dieser Tierwelt ist zu suchen in der An- 
siedelung von Individuen, welche sich in diese tiefe Region verirrt 
haben, die durch einen Zufall weit von ihrem gewöhnlichen und 
ursprünglichen Wohnort weggeführt wurden und die, weil wider- 
standsfähig gegen diese immerhin starke Veränderung ihrer Lebens- 
bedingungen, sich vermehrt und eine Stammkolonie gebildet haben. 
Die Armut des Mediums und seine relative Ruhe haben die ur- 
sprünglichen Typen ziemlich bedeutend modifiziert und kleinere, 
schwächere Varietäten geschaffen. Was den Ursprung dieser Tier- 
welt in der Tiefe betrifft, so findet man denselben für die weitaus 
überwiegende Mehrzahl in der littoralen Fauna des Sees selbst, für 
einige Arten in der Fauna der unterirdischen Wasser, der Höhlungen 
des Festlandes, dessen Verbindungen mit dem See dadurch 
bewiesen werden. 


Die Tiefen-Fauna der verschiedenen Seen hat gleichartigen 
allgemeinen Charakter, ein Ergebnis der Gleichartigkeit des Mediums, 
das in allen Seen beinahe identisch ist; ihre spezielle Zusammen- 
setzung wechselt von einem See zum andern, und richtet sich nach 
den Ufertypen, von denen sie herstammen, oder nach den lokalen 
Zufällen, welche die Bevölkerung in die untere Region gebracht 
haben. 


Die Pflanzenwelt der tiefen Region ist sehr wenig entwickelt. 
Die Rasen der Characeen hören auf in einer Tiefe von 20—25 m, 
an der Grenze der littoralen und der tiefen Region. In der obern 
Zone dieser letzteren bis zu IOO m abwärts, findet man noch an 


Laiuhle 5 4, 


10 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees, 


der Oberfläche des Schlammes eine bräunliche Schicht von niederen 
Algen (Palmellaceen, Diatomeen, Öscillarien), welche den von mir 
so genannten organischen Filz darstellen und welche unter der 
Wirkung des schwachen Lichtes, das in diese Schichten eindringt, 
noch ein gewisses Reduktionsvermögen besitzen. Die felsigen 
Partien der tiefen Region sind bisher nur an einem Punkte studiert 
worden, nämlich an der unterseeischen Moräne von Yvoire im Genfer- 
see in einer Tiefe von 60 m. Wir haben hier ein aquatisches 
Moos gefunden, Zhamntmm alopecurum, Schimper, var. Lemani 
]- B. Schnetzler, sehr reich chlorophylliert und in schönem Wachs- 
tum. Es ist sehr zu wünschen, dass analoge Forschungen an 
anderen Orten gemacht werden, wo Felsenwände vorkommen, damit 
man durch Erfahrung entscheiden kann, ob es wirklich ein Aus- 
nahmefall ist, wie man bisher geglaubt hat; oder ob die Abwesen- 
heit von grünen Pflanzen, die in einer Tiefe von mehr als 25 m 
allgemein zu sein scheint, einzig von der schlammigen, inkonsistenten 
Beschaffenheit des Bodens abhängt und sich durch das seltene Vor- 
kommen von festen Körpern, auf welchen sich die fraglichen Moose 
festsetzen könnten, erklären liesse. 

Die pelagische Gesellschaft bewohnt die allgemeine, un- 
bestimmte, unbegrenzte Masse des Sees, von der Oberfläche an bis 
zum Grund, vom Rande der Uferregion bis in die Mitte des Sees, 
in seiner ganzen Ausdehnung, soweit er nicht in unmittelbarer Be- 
rührung mit dem Ufer oder dem Grunde steht. Diese Gesellschaft 
besteht aus Schwimmtieren und schwebenden Algen. Diese Orga- 
nismen gehören einer kleinen Zahl von Arten an; aber die Zahl 
der Individuen ist enorm. Von Tieren sind es einige Arten von 
Fischen (Coregonen), Entomostraken, Rädertierchen, Cilio-Flagellaten, 
Rhizopoden;, von Pflanzen einige grüne Algen und Diatomeen. 

In der eigentlichen pelagischen Region ist die oberste Schicht, 
welche mit der Luft am meisten in Berührung steht, auch die am 
reichsten bevölkerte. Doch haben die Untersuchungen von Asper, 
Imhof und eigene Beobachtungen bewiesen, dass die pelagische Fauna 
auch in den grössten Tiefen unserer Seen noch gut vertreten ist. 
Es giebt keine Region, wo das Leben gänzlich aufhört. 


Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 41 


Einige dieser Wesen, speziell die Entomostraken, zeigen täg- 
liche vertikale Wanderungen; bei Nacht kommen sie an die Ober- 
fläche des Wassers herauf, bei Tag steigen sie von der helleren 
Zone wieder in die unteren, finsteren Schichten hinab. Dort finden 
sie in der Dunkelheit Schutz gegen die Jagd, welche ihre Feinde 
auf sie machen. 

Die Verhältnisse des Mediums der pelagischen Region variieren 
mit der Tiefe hinsichtlich des Drucks, der Bewegung des Wassers, 
der Temperatur und des Lichtes. Eine einzige, überall sich gleich- 
bleibende Eigenschaft ist die Abwesenheit von festen Körpern, welche 
etwa den Organismen einen Punkt zum Festsetzen oder einen 
Zufluchtsort gewähren könnten. Von diesem Leben in einem un- 
begrenzten Medium ohne feste Körper rührt es her, dass fast alle 
pelagischen Wesen schwimmen oder im Wasser schweben; indessen 
haben wir einige an den Ort gebundene Tiere zu nennen, nämlich 
unter anderen einige Vorticellen, die sich an schwimmende Algen 
oder an Pflanzenreste heften, welche von der Oberfläche des Wassers 
abgetrieben haben, sowie einige Ektoparasiten der Fische und der 
pelagischen Entomostraken. Es folgt aus der Durchsichtigkeit des 
Wassers in der pelagischen Region, dass die meisten pelagischen 
Organismen, die Entomostraken und die Rädertierchen insbesondere, 
durchsichtig sind; für gewisse Arten ist die Durchsichtigkeit absolut. 
Man kann annehmen, dass dieser Mangel an Farbe durch natür- 
liche Zuchtwahl in einer Reihe von Generationen erworben wurde; 
er ist in der That ein sehr wirksames Mittel, sich gegen die Ver- 
folgung von seiten der fleischfressenden Tiere zu schützen; für 
letztere wiederum .ist dieser Mangel an Farbe insofern nützlich, als 
sie dadurch der Aufmerksamkeit ihrer Beute entgehen. 

Während die littoralen Gesellschaften in jedem See ihre Eigen- 
tümlichkeiten haben und aus verschiedenen Arten und Varietäten 
zusammengesetzt sind, jenach den verschiedenen lokalen Verhältnissen 
an jeder Station, und während die Tiefseefauna, gemäss ihrer Her- 
kunft von den littoralen Organismen, in jedem See lokalen Charakter 
hat, eine Folge der absoluten Unabhängigkeit ihrer Differenzierung, 
die sich auf dem Grunde eines jeden Sees als in einem speziellen 


12 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 


„Schöpfungszentrum“ vollzogen hat, zeigen die pelagischen Gesell- 
schaften einen sehr ausgesprochenen kosmopolitischen Charakter. 
Man findet die gleichen Arten, die gleichen Varietäten in allen 
Gewässern des Kontinents wieder. Die einzige Verschiedenheit, 
welche man konstatieren kann, ist das Fehlen von einigen Typen 
in gewissen Seen. Es ist wahrscheinlich, dass diese weite Ver- 
breitung der pelagischen Organismen durch passive Migrationen von 
einem See zum andern erklärt werden muss, die von einem Trans- 
port durch die Federn und Füsse und in den Gedärmen der 
Wandervögel herrühren. Während diese auf der Oberfläche des 
Wassers schwimmen, nehmen sie die grösstenteils sehr widerstands- 
fähigen Keime von pelagischen Tieren und Pflanzen auf und tragen 
sie auf ihren periodischen Wanderungen durch die Lüfte von Sce 
zu See. Das Fehlen von einigen Arten in gewissen Seen muss, 
wenn es sich nicht durch eigentümliche Verhältnisse des Mediums, bei 
Bergseen z. B. durch die hohe Lage, erklären lässt, als das Resultat 
von zufälligen Umständen bei dieser Art der Besiedelung durch 
passive Wanderung angesehen werden. f 

Ausser diesen Tier- und Pflanzengesellschaften mit einer ver- 
hältnismässig höhern Organisation, die sich so in drei Gruppen 
teilen, nach den Verhältnissen der Regionen, welche sie bewohnen, 
haben wir noch im Wasser der Seen das Leben von elementaren 
Mikroorganismen zu verzeichnen, Mikroben von der Gruppe der 
Schizomyceten, Pilze, Bakterien, Vibrionen etc. Man trifft sie 
überall, in allen Schichten von der Oberfläche bis zum Seegrund, 
vom Ufer bis in die Mitte des Sees, in den littoralen, pelagischen 
und Tiefengewässern; in dieser Hinsicht unterscheiden sich die 
Wasser der Seen nicht von den anderen freien Gewässern, wo die 
Mikroben schwärmen. Ihre Zahl ist hier sehr beträchtlich, doch 
weniger gross als in den meisten anderen natürlichen Gewässern. 
Während man in dem Quellwasser der Ebene oft ihre Keime nach 
tausenden zählt, ist ihre Zahl in dem helleren Wasser des Genfer- 
oder Zürichersees von den Herren Fol, Dunant und Cramer durch- 
schnittlich auf 36—38 Keime oder Kolonien pro Kubikcentimeter 
Wasser bestimmt worden. 


u * 2 


Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 13 


Die biologische Funktion dieser Mikroben, ihre Rolle in der 
lebenden Welt besteht darin, die Zersetzung, die Auflösung der 
animalischen und vegetabilischen Kadaver, die nicht direkt von den 
Tieren verzehrt werden, zu bewirken. Sie sind so die Agenten der 
Verwesung und bewirken die Umbildung der organischen unauf- 
löslichen Materie in Substanzen, die im Wasser lösbar sind. 


Es ist schwer, in allgemeiner Weise anzugeben, welches die 
nächsten Glieder dieser Umsetzung sind; die letzten Glieder sind 
Kohlensäure, Ammoniak, Salpetersäure und Stickstoff. 


Wir haben also im Wasser eines Sees zahlreiche und ver- 
schiedene biologische Gesellschaften, Tiere und Pflanzen, höhere 
Organismen und Protisten, die neben einander leben, absorbieren 
und ausscheiden, die aber alle sich von den von ihren Nachbarn 
ausgestossenen Produkten nähren. Alle assimilieren, jedes in seiner 
Art, die zur Ernährung der Gewebe nötigen Stoffe; alle stossen mit 
ihren Exkretionen die Residuen ihres Ernährungslebens aus. Was 
so vielen verschiedenen Wesen gestattet, neben einander zu leben 
und im gleichen Medium gleichzeitig zu existieren, ohne dessen 
Vorräte zu erschöpfen, das ist die wichtige Thatsache, dass ihre 
Produkte und Bedürfnisse entgegengesetzt sind und zwischen den 
verschiedenen Gruppen sich im Gleichgewicht halten. Was von 
den einen ausgeschieden wird, ist für das Leben der anderen 
nötig. Die Residuen des Ernährungsprozesses der einen Gruppe 
werden nutzbar für den Ernährungsprozess der andern. Die pro- 
portionelle Verteilung der verschiedenen Typen von animalischen 
und vegetabilischen Wesen regelt sich von selbst durch einen 
automatischen Prozess: Ein Überfluss von Ernährungsstoffen begün- 
stigt die überreichliche Entwickelung von Wesen, welche sich die- 
selben nutzbar machen können; ein Defizit solcher Materien führt 


infolge der Not eine Verminderung der nämlichen Organismen 
herbei. 


Das biologische Gleichgewicht ist in einem See also 
dadurch möglich, dass die verschiedenen Arten, die ihn bewohnen, 
verschiedene Typen der entgegengesetzten organischen Reiche 


14 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 


repräsentieren. In der littoralen und in der pelagischen Region 
haben wir gleichzeitig Repräsentanten von beiden Reichen, Pflanzen 
und Tiere; vermöge dieses Gleichgewichtes finden die Ernährungs- 
funktionen der einen wie der anderen dort hinlänglich, was sie 
brauchen. Nicht ganz so, scheint es, verhält es sich in der Tiefen- 
region, speziell in den unteren Schichten von 100 m an abwärts, 
wo wir keine Pflanzen mehr kennen. Wie können in diesen 
Tiefenregionen die zur Ernährung nötigen Elemente für die noch 
reiche Fauna, die dort wohnt, sich erneuern? Eine reiche und 
genügende Quelle dieser Ernährung zeigt sich in den Kadavern 
der animalischen und vegetabilischen Organismen der pelagischen 
Region, welche in die Tiefe fallen und auf den Grund des Sees 
hinabkommen. Wir haben Anzeichen davon in der enormen Zahl 
von chitinösen Häuten der pelagischen Entomostraken, welche sich 
im Schlamm der grossen Tiefen zeigen. Die organischen Reste 
des Ufers und diejenigen, welche durch die Zuflüsse in den See 
hineingetrieben werden, sinken, nachdem sie durch die Wellen und 
Strömungen auf der Oberfläche umhergetrieben worden sind, von 
selbst in die grossen Tiefen hinab und tragen so ebenfalls zur 
Erneuerung des Nahrungsstoffes für die Tiefenfauna bei. 


Wie in dem Tierkörper die verschiedenen Gewebe der ver- 
schiedenen Organe aus der Lymphe des Blutes die zu ihrer Ernäh- 
rung notwendigen Stoffe ziehen und der Lymphe die Produkte 
ihrer Desassimilation geben, so ist in einem See das Wasser das 
Medium, in welchem alle diese Reaktionen des Ernährungsprozesses 
für die darin wohnenden Organismen vor sich gehen. Die chemische 
Zusammensetzung dieses Wassers bietet also ein grosses Interesse 
dar. Als Beispiel will ich diejenige des Genfersees geben, die bis 
jetzt am besten studiert ist. 


Ein Liter Wasser vom Genfersee enthält in aufgelöstem Zustand: 


In Gasform: 
Säauerstolf "o: Enke li N, A 0.65 cc 
Stickstoff TE ET AL v2 DS 
Kohlensäure!) % 1 Fer ee BU 


\ 
Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 15 
An festen Substanzen: 

Natrium- und Kaliumchloridd . . 1.8 mg 
Schweielsaures Natrum . . ... 150, 
Schwefelsaures Ammoniak . Spuren 
Schwefelsaures Calcium . . . . 473 , 
Salpetersaures Calcium . . . . I; 
Kohlensaures; Calaumy . 7. 17.5.7390, 
Kohlensaures Magnesium . . . 170, 
Be eselsturen a re, BI 
Thonerde und Eisenoxyd . . . P9' 
Organische Materie, Verluste . . ı19 „ 


total 174.1 mg 


Hinsichtlich der organischen Stoffe, welche durch übermangan- 
saures Kali nachweisbar sind, sind die beiden äussersten Ziffern 
bei verschiedenen Analysen, die von verschiedenen Autoren gemacht 
wurden, 5.6 und 15.4 »g, die durchschnittliche Ziffer ist 10 mg 
pro Liter. 


Das Studium der allgemeinen physischen Beschaffenheiten des 
Sees, dessen Resultat durch chemische Analyse von Brandenburg 
und Walter bestätigt ist, hat uns gezeigt, dass das Wasser der 
tieferen Schichten des Sees dieselbe Zusammensetzung hat, wie das 
an der Oberfläche; die festen und gelösten Substanzen bewegen 
sich hier in gleichen Proportionen; die Gase sind hier ein wenig 
reichlicher; besonders giebt es ein wenig mehr Sauerstoff: 7.08 und 
beträchtlich mehr Kohlensäure: 5.28 cc pro Liter (J. Walter). 


Berechnet man nach der Bunsenschen Formel die Quantität 
des Gases, welches das Wasser vermöge seines einfachen Kontaktes 
mit der atmosphärischen Luft in gelöstem Zustand auf der Höhe 
des Wasserspiegels des Genfersees enthält, so kommt man zu 
folgenden Ziffern — pro Liter — 


Sauerstoff Stickstoff Kohlensäure 
. [0] . _ 
bei + 5°C. 7.3 66 13.6 CC 0.6 Ci 
bei 420° C. Ba 103. Ge. 


16 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 


Das Wasser des Lac Leman ist also in einem Zustande der 
Sättigung an Sauerstoff und Stickstoff und enthält einen beträcht- 
lichen Überschuss an Kohlensäure. 

Wir haben somit in einem Süsswassersee ein flüssiges Medium, 
bestehend aus reinem Wasser, welches aufgelöst enthält: 

ı) mineralische Stoffe: diese sind für den Ernährungsprozess 
der Organismen von noch nicht genügend aufgeklärter Be- 
deutung; wir können sie beiseitelassen ; 

2) Gase, unter anderen: Sauerstoff, der zur Atmung der Tiere 
und Pflanzen dient, und Kohlensäure, welche von den Pflanzen 
aufgenommen und zerlegt wird; 

3) aufgelöste organische Substanzen, nach dem Verhältnis 
von IO mg pro Liter. — Was sind diese organischen Stoffe ? 
Ihre Natur kann variieren nach den zufälligen Umständen, 
die sie erzeugt haben; wir können annehmen, dass es 
wesentlich sind: 

a) stickstofffreie Substanzen: Zucker, Gummi, Cellulose, 
Cholesterin, Humussubstanzen etc. ; 

b) stickstoffhaltige Substanzen: Albuminoide, Harnstoff, Kreatin 
und analoge Produkte; 

c) alle Zwischenstufen der Verwesung der stickstofffreien und 
der stickstoffhaltigen Stoffe, welche sie zu den letzten 
Produkten führen: Kohlensäure, Ammoniak, Salpetersäure 
und Stickstoff. 

In diesem, also sehr zusammengesetzten Medium finden Pflanzen 
und Tiere die Elemente ihrer Nahrung; anderseits lösen sich darin 
die Ausscheidungs- und Zersetzungsprodukte der organischen 
Wesen auf. 

Die organische Substanz, in ihrer allgemeinsten Bedeutung 
genommen, läuft so durch die Körper der verschiedenen Wesen 
hindurch. Sie wird von ihnen aus dem Vorrat geschöpft, den 
man unerschöpflich nennen kann und der von dem sie umgebenden 
Wasser geliefert wird. Sie wird diesem Vorrate zurückerstattet, 
nachdem sie für einige Zeit in den Geweben von Tieren und 


ee Bir ae a 5 NEE ET 


(ir 


\ 


Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 1y 


Pflanzen assimiliert worden ist. Wir können die aufeinander- 
folgenden Phasen dieser Zirkulation der Materie in der Reihe der 
Wesen folgendermassen charakterisieren: 


Ausgangspunkt: ÖOrganischer Stoff, aufgelöst in Wasser: 
ternäre und quaternäre Substanzen, Kohlensäure, Sauerstoff. 


1. Phase: Organisation der Materie. Die Pflanzen 
absorbieren die Kohlensäure und reduzieren sie durch Assimilation 
in der Form von Kohlenwasserstoffverbindungen, besonders von 
Cellulose und Stärke. Sie absorbieren die stickstoffhaltige Materie 
und assimilieren ‘dieselbe in der Form des Protoplasmas; die 
Protisten absorbieren die organische Materie und assimilieren sie in 
ihren Geweben; die Tiere absorbieren durch ihren Verdauungs- 
apparat die im Wasser aufgelöste organische Materie, welche einen 
Teil ihrer Nahrung bildet. Alle lebenden Wesen absorbieren 
Sauerstoff für ihre Atmung. 


2. Phase: Übergang der Materie von einem Wesen 
zum andern: Die Pflanzen sind die Nahrung der pflanzen- 
fressenden Tiere, die kleinen Tiere die Nahrung der fleischfressenden 
Tiere; die Reste von Pflanzen und Tieren diejenige der Omni- 
voren. Die organisierte Materie geht also von einem Wesen zum 
andern und macht eine Reihe von Inkarnationen durch, ehe sie in 
die‘ fundamentale Masse der toten Materie zurückkehrt. 


3. Phase: Auflösung. Alle lebenden Organismen geben 
direkt oder indirekt die Stoffe ihrer Gewebe an das sie umgebende 
Medium ab. Lebende Pflanzen und Tiere werfen ihre exkremen- 
tellen Ausscheidungen, welche lösbar sind, ab; tote Pflanzen und 
Tiere, die nicht von den Omnivoren verzehrt worden sind, gehen 
infolge der Verwesung in Stoffe über, die im Wasser löslich sind. 


Diese dritte Funktion führt uns zu einem Endpunkt zurück, 
nämlich auf die im Wasser aufgelöste organische Materie, die 
schon unser Ausgangspunkt gewesen ist. Wir haben also einen 
geschlossenen Kreis, einen Cyklus: die organische Materie zirkuliert 
in der Reihe der Lebewesen. 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 2 


18 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 


Ein solcher Prozess kann sich in einem geschlossenen Raum 
vollziehen und sich ins Unendliche fortsetzen. Man kennt diese 
Süsswasser- oder Salzwasseraquarien, bestehend in einem dicht 
verschlossenen Glasbehälter, in welchem einige tierische und pflanz- 
liche Organismen zusammen den vollständigen Kreislauf ihres Lebens 
durchmachen. Ich habe solche unter den Händen meines Kollegen 
und Freundes Prof. G. Du Plessis, damals in Lausanne, mehrere 
Jahre hinter einander bis zur Vollkommenheit funktionieren sehen. 


Aber ein See ist durchaus nicht ein von allen Seiten geschlos- 
senes Gefäss. Er steht vor allem in Beziehung zur Atmosphäre 
und ein Teil der organischen Materien, welche er einschliesst, zer- 
streut sich in die darüber liegende Luft: Kohlensäure, das letzte 
Produkt der Respiration der Organismen, und Sumpfgas sind der 
Endpunkt der Verwesung der organischen Materien. Ein Teil 
dieser zwei Gase bleibt aufgelöst im Wasser; aber ein anderer Teil 
verdunstet in die Atmosphäre. Die Kohlensäure ist, wie wir bereits 
gesehen, im Seewasser überreichlich vorhanden. Dieser Überfluss 
geht an der Oberfläche des Wassers in die Atmosphäre über. Ander- 
seits löst sich das Methan, in wie geringer Menge es sich auch 
vorfindet, im Wasser auf, wo es oxydiert und in Oxydationsprodukte 
höhern Grades verwandelt wird. Der Beweis dafür ist der Um- 
stand, dass es in der Analyse der Wassergase nirgends angeführt 
wird. Wenn es sich aber in zahlreichen Bläschen loslöst, ent- 
quillt es an der Oberfläche des Sees und verliert sich in die 
Atmosphäre. 


Durch diesen Prozess geht eine gewisse Menge organischer 
Stoffe verloren und ein mit der Atmosphäre in Verbindung stehen- 
der See würde schliesslich der für die lebenden Wesen notwendigen 
Nahrungsmittel ermangeln. Zwar enthält das in den See fallende 
Regenwasser, wie wir gleich sehen werden, eine gewisse Quantität 
organischer Stoffe, durch welche ein Teil dieser Verluste ersetzt 
werden würde. Allein wenn es nur diesen Zufluss gäbe, so würde 
der Vorrat äusserst gering und die biologische Bevölkerung eine 

sehr beschränkte sein. 


a 5.5 


Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 19 


Hier haben wir den zweiten Faktor des allgemeinen biologischen 
Gleichgewichtes einzuführen, nämlich die Thatsache, dass der See 
an der allgemeinen Zirkulation der Stoffe zwischen den verschie- 
denen Regionen des Erdballs teilnimmt. Der See hat einen Abfluss 
und einen Zufluss und er erhält und verliert durch dieselben eine 
bedeutende Quantität organischer Stoffe; er steht in Verbindung 
mit der Atmosphäre und erhält von ihr Gasstoffe und giebt sie ihr. 


Jeder Süsswassersee hat einen Abfluss als notwendige Bedin- 
gung: seiner Existenz. In einem See ohne Abfluss konzentrieren 
sich die Gewässer durch Verdunstung und ihr Salzgehalt steigt, bis 
die Salze sich krystallisieren: Ein See ohne Abfluss ist ein Salzsee. 
Ein Süsswassersee hat also einen Abflusskanal, der Tag für Tag, 
jahraus, jahrein eine Menge aufgelöster und unlösbarer organischer 
Stoffe ableitet. Ist es der Mühe wert, sie in Anschlag zu bringen? 


Ich werde diese Frage beantworten, indem ich mich auf die 
Angaben über den Genfersee stütze. 


Die Wassermenge, die durchschnittlich im Jahre durch die 
Rhöne bei Genf abfliesst, beträgt ungefähr 10000 Millionen Kubik- 
meter. In einem so bedeutenden Volumen enthält diese Wasser- 
menge noch sehr beträchtliche Stoffmassen, wie verdünnt diese 
auch sein mögen. 


Das Wasser enthält durchschnittlich pro Liter 5 cc aufgelöste 
Kohlensäure. Für die ıo Milliarden cm macht das 50 Milliarden 
Liter Gas aus. Da das Gewicht eines Liters Kohlensäure 2 g 
beträgt, so stellt diese Quantität ein Totalgewicht von 100 000 Tonnen 


Kohlensäure, resp. 28000 Tonnen Kohlenstoff vor. 


Im Durchschnitt finden sich in einem Liter dieses Wassers 
1o mg organische durch übermangansaures Kali oxydierbare Stoffe 
vor. Mithin enthalten die ro Milliarden cm Wasser 100000 Tonnen 
organische Stoffe, die darin aufgelöst oder im Zustande lebenden 
oder abgestorbenen Staubes sind. 


Dieses Wasser enthält durchschnittlich 36 Mikroben pro ce, 
das macht für die ganze Wassermasse 380 000 000 000 000 Mikroben. 
2* 


0 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 


Die Zahl ist ungeheuer, aber ihr Gewicht sehr klein. Wäre die 
Behauptung übertrieben, dass ihrer eine Million auf ein Milligramm 
geht? Wenn dem so wäre, so würden die unter dieser Form dem 
See abfliessenden organischen Stoffe nicht 380 Tonnen überschreiten. 


Dieses Wasser enthält Tiere und Pflanzen. Um deren Zahl 
zu schätzen, setze ich voraus, ihre Bevölkerungsdichtigkeit entspreche 
derjenigen der pelagischen Region; indem ich mich auf die Beob- 
achtungen Imhofs stütze, finde ich durch Berechnungen, die ich 
ihrer Länge wegen hier nicht vorbringen kann, dass jeder Kubik- 
meter durchschnittlich 400 Mikrozoen und 8000 Mikrophyten 
enthält Wenn wir annehmen, diese Mikroorganismen haben ein 
mittleres Gewicht von etwa 0.1 mg, so erhalten wir ein Total- 
gewicht von 840 Tonnen für den Abfluss. 


Demnach würde die Rhöne jährlich aus dem Genfersee 
abführen:: 
100000 Tonnen Kohlensäure, 


100 000 $ oxydierbare organische Stoffe, 
380 Es Mikroben, 
840 . Mikroorganismen, 


somit im ganzen mehr als 200000 Tonnen. Dem muss noch 
folgendes hinzugefügt werden: der Staub und die organischen 
Reste, die abgestorbenen, im Wasser des Abzugskanals schwim- 
menden oder an das Ufer geworfenen Tierkörper und Pflanzenteile; 
die von Menschen und von fischfressenden Vögeln gefangenen 
Fische; die Insekten, die im Larvenzustand im See sich entwickelt 
und denselben als vollkommene Insekten verlassen haben, um von 
den insektenfressenden Säugetieren und Vögeln (Fledermäusen und 
Schwalben) verzehrt zu werden. Um alles zu sagen, fügen wir 
noch hinzu, dass eine gewisse Quantität organischer Stoffe, die im 
Lac Leman sehr gering, in anderen Seen aber bedeutender ist, 
durch Fossilisation im neuen Alluvium, das sich auf dem Grunde | 
des Sees bildet, absorbiert wird. 


Diese Berechnungen sind nur annähernd richtig; auch beschränke 
ich mich darauf, zu sagen, dass die im Wasser aufgelösten und 


Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 21 


suspendierten, lebenden oder abgestorbenen organischen Stoffe, die 


jährlich hauptsächlich durch den Abfluss dem Genfersee entzogen 


werden, mehrere 100000 Tonnen betragen. 


Nun ist, wie wir sogleich erörtern werden, die Zusammensetzung 
des Wassers eines grossen Sees eine stabile; auch führen die Monate 
und Jahre keine Variationen in derselben herbei; die abfliessenden 


organischen Stoffe werden folglich anderweitig ersetzt. 


Welches sind nun die Quellen, welche dem See die hundert- 
tausende von Tonnen organischer Stoffe ersetzen, die der Abfluss 
ihm jährlich entführt? 

Er erhält dieselben: 


I. durch die atmosphärische Luft, nämlich: 


a) Sauerstoff, der sich im Wasser der Oberfläche auflöst und 


b) 


daselbst den Zustand der Sättigung erhält. Derselbe wird 
durch Diffusion und hauptsächlich durch die thermische und 
mechanische Konvektion von den oberen Schichten des 
Wassers in die tieferen geführt. Durch seine Berührung 
mit der Luft und die Ausscheidung der chlorophylihaltigen 
Gewächse ist das Seewasser mit Sauerstoff gesättigt: es 
ist lufthaltiges Wasser. Da die Lösbarkeit des Sauerstoffes 
im Wasser ‘grösser ist, als die des Stickstoffes, so ist die 
im Wasser aufgelöste Luft an Sauerstoff reicher als die 
atmosphärische und enthält 1/3 Sauerstoff und 2/3 Stickstoff. 
Die im Regenwasser aufgelösten organischen Stoffe, welche 
nach dem Studium des Herrn A. Levy am Observatorium 
zu Montsouris bei Paris wie folgt geschätzt werden können: 
Auf ein Liter kommen: 

EEE a a AN N A 

Salpetersäure, salpetrige Säure | 

Nitrate und Nitrite 

Organische durch übermangansaures 

Kali oxydierbare Stoffe (Staub etc.) 49.0 ,, 


0975 


Wenn wir annehmen, es falle im Durchschnitt jährlich eine 
Schicht von 0.9 m meteorisches Wasser, so stellt dies 


22 


Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 


folgende Quantitäten dar, welche ich unter zwei Formen 
angebe: nämlich die Wassermenge, die auf einen Quadrat- 
kilometer, und die, welche auf die ganze Oberfläche des 
Genfersees fällt, um mich an das bis jetzt benutzte Bei- 
spiel zu halten. 


Pro qkm: Auf dem Genfersee: 
Ammoniak . . . . 2ı Tonnen 1200 Tonnen 
Salpetersäure etc. . . Os . 460 4 
Oxydierb. organ. Stoffe 44.1 R 25 500 bi 


c) Durch den Transport fester Stoffe, die durch die Atmo- 


sphäre herbeigeführt werden, nämlich: der organische Staub, 
die vegetabilischen Körperteile, die Vögel und Insekten, 
welche im See ertrinken oder ihre Exkremente da fallen 
lassen; die Eier der Luftinsekten, aus welchen die Wasser- 
larven entstehen, etc. 


. Durch die Zuflüsse gelangen in den See mineralisches Alluvium 


und organische Stoffe. Letztere befinden sich: 


a) im Zustande aufgelöster Stoffe. Das Wasser der Zuflüsse 


ist das Waschwasser des ganzen zum Seebecken gehörenden 
Flussbettes, das Wasser, welches den Boden von den 
löslichen Stoffen, namentlich von den Abfällen des vege- 
tabilischen und animalischen Lebens befreit. Es reisst das 
Wasser der Aborte und Kloaken der Städte, Fabriken, das 
durch die Humussubstanzen gebräunte Wasser der torfigen 
Moräste mit. Im Rhönewasser im Wallis hat Buenzod 
ein auflösliches Residuum von 23 cg per Liter gefunden, 


‚während das Wasser des Lac Leman nur 17.5 cg enthält. 


Da die mikroskopische Analyse des Seeschlammes keine 
Spur von krystallinischen Niederschlägen gezeigt hat, ist 
es wahrscheinlich, dass der Unterschied (5.5 cg auf den 
Liter) grösstenteils durch organische Stoffe gebildet wird. 
In unaufgelöstem Zustande als schwebende Materie: Tier- 
leichen und Wasser- und Landpflanzen oder deren Teile. 
Diese Zufuhr ist sehr bedeutend. Ich kenne aber kein 
Mittel, sie zu schätzen und in Zahlen anzugeben. 


TE RE 


Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 28 


Auf diese Weise erhält der See eine genügende Quantität 
organischer und anorganischer Stoffe, um die durch Gas- 
diffusion, durch den Abflusskanal und die Fossilisation verlorenen 


zu ersetzen. 


Wenn man aber die Verschiedenheiten dieser Bezugsquellen, 
ihre gegenseitige Unabhängigkeit, ihre Variabilität, den völligen 
Mangel an Wechselbeziehungen zwischen Zufluss und Abfluss 
erwägt, so scheint es zuerst, dass die chemische Zusammensetzung 
des Seewassers sehr verschieden sein muss, dass die Jahreszeiten, 
Jahrgänge und Zufälle Veränderungen herbeiführen müssen. Es ist 
das jedoch nicht der Fall. Wir besitzen zahlreiche Analysen des 
Genferseewassers, darunter zwölf vollständige, allgemeine, und etwa 
hundert partielle, die zu verschiedenen Zeiten, von verschiedenen 
Chemikern nach verschiedenen Methoden und zu verschiedenen 
Zwecken vorgenommen worden sind. Kompetente Fachmänner, 
welche diese Analysen prüften, haben festgestellt, dass dieselben 
hinsichtlich des Wesentlichen übereinstimmen. Die hie und da zu 
Tage tretenden Verschiedenheiten sind lokale, und verschwinden 
bald durch Diffusion oder durch mechanische Mischung der 


grossen Wassermasse. 


Die Ursache dieser fortdauernden Gleichmässigkeit der 
Zusammensetzung muss in der ungeheuren Grösse der erforschten 
Wassermasse gesucht werden. Der Genfersee misst ungefähr 
89 000 Millionen cm. Wenn wir den Inhalt dieses Wasserbeckens mit 
irgend einer Substanz um ein Milligramm pro Liter ändern wollten, 
so müssten wir 89000 Tonnen ä 1000 Ag von dieser Substanz 
hineingiessen oder dem See entziehen. Nun vermögen keine auch 
noch so mächtigen Kräfte, ausgenommen ein Kataklysmus, irgend 
eine Substanz in so grosser Menge auf unregelmässige Weise dem 
See zuzuführen. Dieselbe Beweisführung muss für die meisten 
Seen gelten; denn obschon das Volumen der Gewässer des Lac 
Leman im Verhältnis zur Ausdehnung seines Zuflussbeckens ein 
grosses ist, so liegt doch in diesem Verhältnis der beiden Quanti- 
täten nichts Ausserordentliches. 


ern 


24 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees, 


Wir müssen also annehmen, dass die Zusammensetzung des 
Seewassers eine konstante, unveränderliche ist; dass die Tiere und 
Pflanzen in einem Medium leben und sterben, das in chemischer 
Beziehung stets dasselbe bleibt. 


Wie die chemische Zusammensetzung des Ozeans fast immer 
und überall dieselbe ist, so ist auch die chemische Zusammensetzung 
eines Süsswassersees eine unveränderliche. 


Anderseits ist es wahrscheinlich, ja gewiss, dass es von einem 
See zum andern ziemlich grosse Verschiedenheiten geben kann, 
welche von der petrographischen Natur des zum See gehörigen 
Flussbeckens herrühren oder von dem Kulturstand des den See 
umgebenden Landes und der Verhältnisse, welche dieser Kultur- 
zustand bedingt, oder von welchen er bedingt wird (Humusbestand 
und Klima). 


Der Vorrat an organischen Stoffen im See erneuert sich also 
durch das Hinzukommen neuer Materien, welche die weggeführten 
ersetzen. Es ist klar, dass der grösste Teil der ‚Stoffe durch den 
Abfluss dem See entzogen wird. Das gestattet uns annähernd 
die Intensität eines solchen Stoffwechsels im Lac Leman, der 
uns als Beispiel gedient, zu berechnen. Die Weassermasse 
dieses Sees beträgt 89000 Millionen cm; die Weassermasse, 
die jährlich durch die Rhöne bei Genf abfliesst, beträgt etwa 
10000 Millionen; die jährlich abfliessende Wassermasse ist also 
ungefähr der neunte Teil der Totalmasse; es wird somit durch den 
Abfluss jährlich ungefähr ein Neuntel des Vorrates an organischen 
Stoffen entzogen. Da noch die Stoffe in Rechnung gebracht werden 
müssen, die in der Atmosphäre aufgehen oder die im Alluvium 
fossilisiert werden, so können wir sagen, dass die organischen 
Stoffe höchstens sieben oder acht Jahre im See verweilen, um 
den lokalen Kreislauf unter den verschiedenen ihn bewohnenden 
Wesen zu vollenden, bevor sie in den grossen Cyklus der allge- 
meinen Weltzirkulation zurückkehren. 


Ein See stellt uns also nach dem Dargelegten ein be- 
schränktes, mit Wasser gefülltes Becken dar, das, obschon 


Allgemeine Biologie eines Süsswassersees, 25 


es im Vergleich mit dem Meerwasser süss ist, doch auf je 
ein Liter 
150 —250 mg aufgelöste mineralische Salze, 
IO ,„ organische Stoffe, 
20—25 cc Gase 


enthält. Dieses Wasser enthält ausserdem schwebenden organischen 
und mineralischen Staub, dessen Menge vom Wasserstand der 
Zuflüsse und von ihrer Natur (Gletscherbäche, Moorwasser etc.) 
abhängt. 


Diese Materien bilden einen Vorrat, der durch die atmo- 
sphärischen Niederschläge und die Gewässer der Zuflüsse erhalten 
wird; ein Teil dieser Stoffe wird durch den Abfluss entzogen oder 
verliert sich in der atmosphärischen Luft. Allein Zufuhr und 
Abfuhr heben sich auf und die Zusammensetzung des Wassers 
bleibt immer dieselbe. 


Dieser Vorrat dient zur Ernährung zahlreicher und mannig- 
faltiger Organismen, welche den beiden Reichen der organischen 
Welt angehören, den verschiedenen Typen: von den Wirbeltieren 
und Dikotyledonen an bis zu den Protozoen, Algen, Protisten 
und den Mikroben. 


Diese verschiedenen Typen zusammen lebender Wesen absor- 
bieren organische Stoffe und bilden neue; durch die Wechsel- 
beziehungen entgegengesetzter Funktionen ergänzen sie sich in der 
Konsumtion und Restitution der Vorratssubstanzen gegenseitig. 
In dieser Hinsicht ist ein See ein Mikrokosmos, eine abgeschlossene 
Welt, die sich selbst genügt. Aber zugleich greift er mittels 
seiner Zuflüsse und seines Abflusses in die allgemeine Kreis- 
bewegung des Erdballes ein. In dieser Hinsicht ist der See 
nichts weniger als isoliert, sondern gehört mit zum Ganzen des 
Universums. 


Indem wir uns auf das obige, über die allgemeine Biologie 
Gesagte stützen, ziehen wir folgende Schlüsse: 


96 Allgemeine Biologie eines Süsswassersees. 


1. Der organische Stoff vollzieht seinen Kreislauf unter den 
verschiedenen Wesen verschiedener Typen, welche im beschränkten 
Raume eines Süsswassersees neben einander leben. & 


2. Dieser dem See angehörende organische Stoff ist nicht 
absolut und für immer in diesem verhältnismässig kleinen Raume 
lokalisiert, sondern er tritt als Glied in den grossen Cyklus des 
allgemeinen Kreislaufes ein, welcher die verschiedenen Regionen 
des Erdballes durch die Ströme, den Ozean und die Atmosphäre 
verbindet. 


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} Die Algen. | 
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DE Wasser ist die Heimat des organischen Lebens. Alle 
Thatsachen deuten darauf hin, dass die ersten lebenden Wesen im 
Wasser auftraten, und dass erst sehr langsam mit der fortschreiten- 
den Entwickelung der Organismen eine Besiedelung des Landes 
begann. So müssen wir auch voraussetzen, dass wir im Wasser 
die am einfachsten gebauten Organismen antreffen werden, wenn 
sich irgendwelche Nachkommen jener ersten Wesen erhalten haben. 
Dies ist thatsächlich der Fall. Die niedersten Lebensformen beider 
Reiche gehören dem Wasser an, und je tiefer wir in den Kreis 
dieses Lebens hinabsteigen, um so ähnlicher werden sich die Wesen, 
um so schwieriger wird es, Tier und Pflanze aus einander zu halten. 
Wir stehen dann schliesslich vor einer Gruppe von Wesen, welche 
sowohl der Zoologe wie der Botaniker für seine Wissenschaft in 
Anspruch nimmt und welche beweisen, dass das gesamte organische 
Leben der Erde nur von einer Wurzel getragen wird, aus welcher 
sich wie zwei mächtige Stämme Tierreich und Pflanzenreich ent- 
wickelt haben. 

Man kann deshalb auch nicht gut davon reden, was eher auf- 
trat, Tier oder Pflanze; es waren eben jene einfachsten Wesen, in 
denen sich noch die Eigenschaften beider vereinigen. Freilich muss 
man annehmen, dass es zunächst diejenigen waren, welche die 
Fähigkeit besassen, aus den anorganischen Stoffen, dem Wasser, 
der Kohlensäure, den anorganischen Stickstoffverbindungen und dem 
Sauerstoff, ihren Körper aufzubauen, und diese stehen im grossen 
und ganzen eben um dieser Eigenschaft willen dem Pflanzenreich 


30 Die Algen. 


näher. Denn Örganismen, welche diese Fähigkeiten nicht besitzen, 
konnten erst dann auftreten, wenn ihnen durch jene organische 
Stoffe bereitet waren, welche ihnen zur Nahrung dienen konnten, 
und diese Eigenschaft kommt im allgemeinen den Tieren zu. Will 
man also nur ganz allgemein reden, so müssen die Pflanzen eher 
existiert haben als die Tiere. 

Die einfachsten Pflanzen werden durch zwei grosse vielfach 
durch Berührungspunkte verbundene Klassen repräsentiert, durch 
Pilze und Algen. Da aber die ersteren durch ihr Unvermögen, 
sich von anorganischen Stoffen zu ernähren, den Tieren gleichen 
und schon die Anwesenheit anderer Wesen voraussetzen, müssen 
wir in den Algen diejenigen Organismen suchen, welche den Aus- 
gangspunkt für das organische Leben der Gegenwart bilden, will 
man sich nicht auf zu gewagte Phantasien über die untergegangenen 
Urwesen einlassen. Die Algen zeigen auch den grössten Formen- 
reichtum und die überraschendste Vielgestaltigkeit unter den Pflanzen 
unserer Gewässer, so mannigfach auch deren Schmuck mit Blüten- 
pflanzen sein mag. Sie sind eigentliche Wasserpflanzen und nur 
wenige vermögen auch in feuchter Luft an nassen Felsen oder 
zwischen Moos zu gedeihen, noch weniger sind wirkliche Land- 
pflanzen, die auch auf Dächern, Rinde und trockenen Steinen fort- 
kommen. Aber wo auch nur immer sich Wasser angesammelt hat, 
in Bächen, Pfützen oder Seen, sind auch Algen zu finden, nur ist 
die Vegetation derselben je nach der Beschaffenheit des Wassers 
und nach der Jahreszeit verschieden zusammengesetzt. 

Man kann an ein und demselben Ort das ganze Jahr hin- 
durch Algen sammeln und wird fast jeden Monat andere Arten 
finden. Ein torfiger Wiesengraben zeigt im Frühjahr, wenn Schnee 
und Eis eben verschwunden sind, reiche Entwickelung von gold- 
braunem Schaum an der Oberfläche des Wassers, der unter dem 
Mikroskop die zierlichen, mit bräunlichen Körnern oder Platten 
gefüllten Kieselpanzer der Diatomeen in zahlloser Menge erkennen 
lässt. Ein wenig später findet sich an derselben Stelle vom Boden 
aufsteigend ein dünner grüner Schleim, der sich allmählich ver- 
dichtet, an die Oberfläche steigt und zahlreiche kleine Gasblasen 


| 


Die Algen. 31 


festhält. Fährt man dann mit dem Spazierstock hinein, so bleiben 
sicher eine Anzahl äusserst dünner, glatter und schlüpfriger Fäden 
hängen, welche über ihre Zugehörigkeit zu den Zygnemaceen 
keinen Zweifel lassen und mikroskopisch durch ihre eigenartigen 
Chlorophylikörper leicht von anderen Algen zu unterscheiden sind. 
Steigt die Sonne höher und fallen ihre heissen Strahlen senkrechter 
auf den sinkenden Wasserspiegel des Grabens, so verschwinden 
die Zygnemaceen und machen anderen Algen Platz: grünen, nicht 
schleimigen Fiöckchen aus der Familie der Conferven, deren 
Chlorophyll die ganze Zellwand auskleidet. Allmählich treten 
zwischen den Fäden derselben die zierlichen einzelligen Desmidieen 
auf, welche umsomehr zur Herrschaft gelangen, je herbstlicher es 
draussen auf den Fluren wird. So wechseln an demselben Stand- 
ort Vertreter aller Familien die Herrschaft, während zu gleicher 
Zeit andere Algen nur vereinzelt zwischen den Individuen des 
gerade besonders entwickelten Geschlechtes vorkommen. 

Doch nicht nur die Jahreszeit, auch die Beschaffenheit des 
Wassers übt einen gewaltigen Einfluss auf das Gedeihen der ver- 
schiedenen Arten. Während die grünen Fadenalgen sowie die 
meisten Diatomeen nur in frischem, unverdorbenem Wasser zu 
existieren vermögen, ziehen die blaugrünen Oscillarien fauliges, mit 
verwesenden organischen Stoffen erfülltes Wasser vor. Manche 
Gattungen wie Spirogyra, Oedogonium, Bulbochaete lieben stehen- 
des oder nur schwach fliessendes Wasser, andere wie Lemanea, 
Cladophora glomerata und einige Diatomeen befinden sich in 
reissenden Gebirgsbächen, an Wehren oder Wasserfällen am wohlsten. 
Auch giebt es Algen, welche wesentlich von der Temperatur ab- 
hängen; gewisse Arten der blaugrünen Cyanophyceen leben nur in 
heissen Quellen, wie die Lyngbya thermalıs in den Geysern Islands 
und den Schlammvulkanen Italiens, wogegen Aydrurus ırregularis 
in der heissen Jahreszeit verschwindet, aber vom Herbst an den 
ganzen Winter hindurch und auch noch im kühleren Frühjahr auf- 
tritt. Die chemische Zusammensetzung des Wassers spielt ebenfalls 
eine wichtige Rolle in Bezug auf das Gedeihen der einen oder 
andern Art. Andere Arten leben in Gräben der Torfmoore, 


32 Die Algen. 


als in den Bächen lehmiger Wiesen, andere in den Tümpeln auf 
sandigem Boden. In den frischklaren Gebirgsseen tritt eine andere 
Algenflora auf als in den wärmeren Gewässern der Ebene und das 
süsse Wasser birgt andere Formen als die Salzlachen des Binnen- 
landes. Manche der niedersten Spaltpflanzen scheinen das Vor- 
handensein von Schwefelverbindungen zu ihrem Leben durchaus 
nötig zu haben, während wieder andere nur in eisenhaltigen Ge- 
wässern ihr Gedeihen finden. Die Verhältnisse in der Zusammen- 
setzung des Teich- und Flusswassers sind ja so mannigfaltig, dass 
sich die Ansprüche der Algen nach sehr verschiedenen Richtungen 
hin entwickeln konnten, wenn sie sich die in der Natur gegebenen 
Bedingungen möglichst zu Nutze machen und sich ihnen anpassen 
wollten. 


Die Orientierung über die Hauptgruppen ist, von einzelnen 
Fällen abgesehen, bei den Algen nicht schwer. Sie bilden auch 
keine so einheitliche Klasse wie etwa die Moose, sondern werden 
wesentlich nur durch den einfachen zelligen, noch nicht deutlich in 
Stengel und Blätter gegliederten Bau und durch das Vorhandensein 
von Chlorophyll oder einer seiner Modifikationen zusammengehalten 
und von den höher organisierten Pflanzen und den chlorophylifreien 
Pilzen unterschieden. Abgesehen von einigen zweifelhaften Meeres- 
bewohnern lassen sich fünf grosse Gruppen aufstellen, welche sich 
wesentlich durch Merkmale der Fortpflanzung, Gestalt und Färbung 
unterscheiden. Sie lassen sich kurz folgendermassen charakterisieren: 


1. Schizophyceae, Spaltalgen. Färbung blaugrün, spangrün, 
orange, rot, violett, aber niemals rein chlorophyligrün. Sehr einfach 
organisierte Wesen, deren Fortpflanzung und Vermehrung durch 
einfache Querteilung der Zellen, bei manchen ausserdem noch durch 
Bildung von Dauersporen auf ungeschlechtlichem Wege erfolgt. 


2. Bacıllariaceae oder Diatomaceae, Kieselalgen. Die 
Färbung ist eine gelb- oder goldbraune und wird hervorgerufen 
durch runde oder plattenförmige Chromatophoren im Innern der 
von einem Kieselpanzer umgebenen Zelle. Fortpflanzung durch 
Kopulation zweier Individuen, Vermehrung durch Zweiteilung, indem 


Die Algen. 33 


die beiden Schalen wie die Teile einer Schachtel auseinanderweichen 
und sich zwischen ihnen zwei neue Schalen bilden. 


3. Chlorophyceae, Grünalgen, Algen im engeren Sinne. Sie 
besitzen fast stets rein chlorophyligrüne Färbung, sind aber sonst sehr 
verschiedenartig gestaltet und variieren auch namentlich in Bezug auf 
die Fortpflanzung, welche sowohl geschlechtlich wie ungeschlechtlich 
sein kann. Sehr häufig kommen beide Fortpflanzungsarten neben 
einander vor. Eine Vermehrung findet oft in ausgiebiger Weise 
durch Zweiteilung der Zellen statt. 


4. Melanophyceae, Braunalgen, durchweg Meeresbewohner 
mit stets zweigeisseligen geschlechtlichen und ungeschlechtlichen 
Schwärmzellen, meist braun oder schwarzbraun gefärbt. 


5. Rhodophyceae, Rotalgen. Ebenfalls zum grössten Teil 
Meeresbewohner und nur durch wenige Gattungen im süssen Wasser 
vertreten. Sie sind rot, oft prachtvoll gefärbt, einige der im süssen 
Wasser vorkommenden Arten haben noch einen andern grünen 
oder blaugrünen vorherrschenden Farbstoff. Fortpflanzung unge- 
schlechtlich und geschlechtlich, in allen Fällen durch ruhende Zellen. 


l. Die Schizophyceen oder Spaltalgen. 


Wo sich in verdorbenem Wasser schmutzig graugrüne oder 
dunkel stahlblaue Flocken an der Oberfläche ansammeln oder an 
feuchten Mauern ein rötlicher gallertartiger oder schleimiger Über- 
zug entsteht, wo sich auf Teichen spangrüne Wasserblüten bilden 
oder bräunlichgrüne Gallertkugeln schwimmen, in den Torflachen 
des Hochmoores wie in den Seen der Ebene, an nassen Fels- 
wänden wie auf feuchter Erde und zwischen Moos treten uns die 
Spaltalgen entgegen. Viele Arten, wie die echten Öscillarien, 
bedürfen grösserer Mengen organischer Stoffe zu ihrem Gedeihen 
und treten deshalb vorzugsweise in verdorbenem Wasser, in Ab- 
zugsgräben von Fabriken und ähnlichen Orten auf, einige sind 
genügsamer und stellen wesentlich dieselben Forderungen an ihr 
Nährsubstrat, wie andere Algen auch. 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 3 


ne ai a cn 


34 Die Algen. 


Es sind sehr einfach organisierte Geschöpfe. Teils bilden sie 
nur einzelne Zellen, welche in festerem oder lockerem, oder auch 
in gar keinem Zusammenhange mit einander stehen, teils bleiben 
sie zu verschiedenartig gestalteten Zellfäden verbunden. Die 
Membran der Zellen ist meist sehr dünn, aber in vielen Fällen, 
wenigstens in den äusseren Schichten, sehr quellbar und zur Gallert- 
bildung geneigt. Neuerdings hat man auch sehr kleine und zwar 
mehrere Zellkerne in den Zellen nachgewiesen. Die Färbung scheint 
nicht an bestimmte Chromatophoren gebunden, sondern im Plasma 
verteilt zu sein, sie kann sehr verschieden, rot, blau, braun, blau- 
grün, spangrün, violett, in den verschiedensten Nüancen, aber nie- 
mals rein chlorophyligrün sein. Die Vermehrung . erfolgt durch 
Querteilung der Zellen und Loslösung derselben oder einer Gruppe 
von Zellen, wenn diese einen gemeinschaftlichen Verband darstellen, 
seien es Fäden oder nur lose verbundene Einzelzellen. Solche 
losgelöste Fadenstücke, welche man Hormogonien nennt, bilden 
dann neue Familien, wenn man diesen Ausdruck auf einen selb- 
ständigen Zellkomplex von sehr verschieden innigem Zusammen- 
hange ausdehnen will. 

Neben diesen rein vegetativen Zwecken dienenden und in der 
Mehrzahl vorhandenen Zellen kommen auch noch seltener bei 
manchen Arten zwei andere Arten von Zellen vor, die Grenz- 
zellen oder Heterocysten und die Dauerzellen oder Dauersporen. 
Die ersteren unterscheiden sich von den vegetativen Zellen leicht 
durch die bedeutendere Grösse, durch einen geringeren Gehalt an 
plastischen Stoffen und durch abweichende, meist sehr viel hellere 
Färbung. Sie haben das Vermögen verloren, sich zu teilen und 
bilden gewissermassen Grenzpfähle zwischen den vegetativen Zellen; 
welchen Zweck sie erfüllen, ist nicht bekannt. Die Dauerzellen 
oder Dauersporen, auch kurz Sporen genannt, weichen ebenfalls 
von den vegetativen Zellen in der Gestalt ab, nur sind sie im 
(segensatz zu den Heterocysten reicher an Plasma und in der 
Regel dunkler gefärbt. Auch ihre Membran ist meist stärker, so 
dass sie schädlichen äusseren Einflüssen besser widerstehen können 
als die vegetativen Zellen. Sie dıenen denn auch dazu, unter 


Die Algen. 35 


ungünstigen Verhältnissen die Art zu erhalten und fortzupflanzen. 
Tritt beispielsweise grosse Dürre ein und trocknen die Pfützen aus, 
welche von Dauerzellen bildenden Spaltalgen bewohnt waren, so 
gehen wohl die vegetativen Zellen zu Grunde, die Dauerzellen 
bleiben aber am Leben, treten in einen Ruhezustand ein und ent- 
wickeln, wenn sich die Pfützen wieder füllen, neue Pflänzchen. 

Der Farbstoff, welcher den Spaltalgen eigen ist, wurde Phyco- 
chrom und daher die ganze Gruppe Phycochromaceen genannt; 
derselbe besteht wesentlich aus dem blauen Phycocyan (daher 
Cyanophyceen) und dem gelben Phycoxanthin, welches dem Blatt- 
gelb (Xanthophyll) ähnlich ist, daneben scheint aber noch ein dem 
Chlorophyll sehr ähnlicher grüner Farbstoff vorhanden zu sein. 
Ausser diesem das Innere der Zellen erfüllenden Farbstoff finden 
sich aber noch andere, welche den Hüllen selbst eigen sind und 
meist eine gelbbraune oder rote Färbung verleihen, über deren 
Eigenschaften man aber noch so gut wie gar nichts weis. Wenn 
wir uns unter den Spaltalgen umsehen, so finden wir eine grosse 
Einförmigkeit; nur geringe Unterschiede trennen die Gruppen und 
die Artenkenntnis ist grösstenteils eine recht zweifelhafte. Am über- 
sichtlichsten ist wohl die nachstehende Einteilung der Spaltalgen 
in Hauptgruppen oder Familien, jenachdem man unter ihnen noch 
besondere Unterabteilungen bildet oder nicht. 

I. Coccogene Spaltalgen, Chroococcaceae. Die Zellen 
trennen sich nach der Teilung von einander und bleiben entweder 
völlig ohne Zusammenhang oder stehen nur in äusserlichem durch 
die Gallertbildung der Membran bedingtem Zusammenhang (Fig. ı 
a—c). Die wichtigsten Gattungen sind folgende: Chroococcus 
(Fig. 1a), Zellen rund oder eckig, einzeln, zu zwei oder vier in 
eine nicht zerfliessliche Gallerte eingebettet, in welcher man zwar 
bei manchen Arten Schichtungen, aber keine Einschachtelungen 
erkennen kann. Die Gattung Gloeocapsa (Fig. 1b) unterscheidet 
sich von der vorhergehenden durch stets runde Zellen und durch 
Zellfamilien, in welchen die Zellmembran der Mutter um die Tochter- 
zellen stets erhalten bleibt, so dass vollständige Einschachtelungen 
entstehen. Viele Arten besitzen eine sehr lebhafte rote oder violette 


z* 


36 Die Algen. 


Färbung dieser Gallertschichten, während der Inhalt der Zelle selbst 
mehr spangrün gefärbt ist. Ganz ähnlich ist die Gattung Gloeothece, 
nur sind hier die Zellen länglich. Diesen beiden Gattungen ent- 
sprechen Aphanocapsa und Aphanothece vollständig, nur sind hier 
die Hüllmembranen nicht in einander eingeschachtelt, sondern bilden 
eine homogene Gallerte. Die Gattung Merismopedia bildet Zell- 
familien von Tafelform, je vier Zellen stehen näher zusammen 
(Fig. ıc). Clathrocystis bildet rundliche Zellen, welche durch 


Spaltalgen. a Chroococcus — b Gloeocapsa — c Merismoßedia — d Oscıllarıa — e Cylindro- 
spermum — f Limnochlyde — g Rivularia (junge Fäden) — A Nostoe — ! Hapalosıphon — 
k Chamaesiphon — 1 Lyngbya — m Spirulina — n Beggiatoa. Sämtlich stark vergrössert. 


vergallerttende Membranen zu kleinen Hohlkugeln verbunden 
bleiben. Sie bildet, ebenso wie die sehr ähnliche Gattung Polycystis, 
oft spangrüne Wasserblüten, welche den Fischen verderblich werden 
können. 

2. Nematogene Spaltalgen. Die Zellen bleiben zu längeren 
oder kürzeren Fäden vereinigt. Die Oscillariaceen repräsentieren 
unter ihnen den niedrigsten Stand. Bei ihnen ist noch keinerlei Unter- 
schied zwischen den einzelnen Zellen vorhanden, sie besitzen weder 
Heterocysten noch Dauersporen und beide Enden des Fadens sind 


= 


u * Zr Fe a a a et a A 7 


Die Algen. 37 


gleichartig ausgebildet. Unter ihnen ist wieder die Gattung Oscıllarıa 
(Fig. 1d) am einfachsten organisiert, es sind einfache scheidenlose 
spangrüne, blaugrüne oder violette Fäden, in denen man die Quer- 
wände der einzelnen Zellen oft nur undeutlich erkennt. Von ihr 
unterscheidet sich die Gattung Deggiatoa (Fig. 1”) durch das 
Fehlen des Farbstoffess. Beide Gattungen sowie die verwandte 
korkzieherartig gedrehte Spirulina (Fig. ı m) besitzen Bewegungs- 
vermögen, eine kriechende mit Drehung um die Längsachse und die 
Krümmungen des Fadens verbundene Bewegung, welche sie befähigt, 
an den Wänden von Glasgefässen etc. in die Höhe zu steigen. 
Die Öscillarien sind Bewohner unreinen Wassers, und wo man sie 
findet, kann man ohne weiteres darauf schliessen, dass in dem 
Wasser irgendwelche Fäulnisprozesse stattgefunden haben, und dass 
es für den Gebrauch als Trinkwasser ungeeignet ist. Bei zwei 
anderen Gattungen dieser Gruppe finden sich Scheiden um den 
Faden, welche aus den vergallertenden Aussenwänden der Zell- 
membranen entstehen. Bei Chamaesiphon ist die Scheide sehr zart, 
die Pflänzchen bestehen aus wenigen undeutlich begrenzten Zellen 
und sitzen oft massenhaft auf anderen Fadenalgen auf (Fig. 1%). 
Bei Zyngbya (Fig. ı 7) sind sie sehr stark und oft infolge der Ein- 
lagerung von Eisenocker gelb gefärbt. Die in eisenhaltigem Wasser 
sumpfiger Gräben auftretenden rostroten Flocken gehören den oft 
schon abgestorbenen Fäden der Ockeralge, ZLyngbya ochracea an, 
welche allerdings viel feinere Fäden bildet als die in Fig. 1/ ab- 
gebildete Art. 

Die Nostocaceen stehen schon wesentlich höher; zwar bilden 
auch sie nur einfache unverzweigte Fäden, deren Basis von der 
Spitze nicht verschieden ist, aber es sind schon Grenzzellen vor- 
handen; und auch Dauersporen kommen den meisten Arten auf 
der Höhe ihrer Entwickelung zu. Die Gattung Nostoc bildet rosen- 
kranzförmige Ketten, welche aus je einer Anzahl vegetativer Zellen 
zwischen zwei Heterocysten zusammengesetzt sind (Fig. ı A). Eine 
Anzahl solcher Perlschnuren liegen dann in einer bestimmt geformten 
meist kugeligen Gallerte eingebettet, welche wieder aus den quell- 
baren Membranen der Zellen entstehen. So tritt uns Nos/oc im 


38 Die Algen. 


Wasser wie an feuchten Felsen oder Hohlwegen im Walde nicht 
selten entgegen und hat wenigstens teilweise eine Rolle bei der 
Sternschnuppengallerte gespielt, während diese letztere auch, und 
wohl hauptsächlich, auf die ausserordentlich quellbaren Elemente 
der Eierstöcke weiblicher irgendwie zerstückelter Frösche zurück- 
zuführen ist. Die Gattung Anabaena unterscheidet sich von Nostoc 
nur dadurch, dass ihre Fäden nicht in Gallertklumpen zusammen- 
gelagert sind. Wir kultivieren unabsichtlich eine Art derselben in 
unseren botanischen Gärten, die Anabaena Azollae, welche die 
hohlen Blätter des kleinen ausländischen Wasserfarns Agolla caro- 
Imiana fast regelmässig bewohnt. Eine andere. hierher gehörige 
Alge Aphanizomenon oder Limnochlyde Flos aquae (Fig. ı f) mit 
grossen cylindrischen Dauerzellen bildet kleine zusammenhängende 
Flöckchen, welche auf der Oberfläche des Wassers schwimmen und 
oft eine dichte Wasserblüte hervorrufen. In der Gattung Cylindro- 
spermum stehen die Grenzzellen terminal, daneben die meist 
cylindrisch gestalteten Dauerzellen. 

Höher organisiert sind die Stigonemaceen, welche bereits 
verzweigte Fäden bilden, wie der in Fig. 17 abgebildete Aapalosıphon. 
Die Verzweigung entsteht dadurch, dass der Zellfaden nicht bloss 
an den Enden, sondern auch in der Mitte wächst, d. h. dass sich 
die Zellen auch hier teilen und eine Spannung der Gallertscheide 
bewirken, die schliesslich an einer Stelle reisst und die Zellen hervor- 
dringen lässt, welche nun wieder sich teilen und dadurch einen 
Zweig bilden. Am höchsten stehen die Rivularien, welche bereits 
einen deutlichen Gegensatz zwischen Basis und Spitze zeigen, . wie 
eine in Fig. ı g abgebildete Gruppe junger Rivulariafäden er- 
kennen lässt. 

Wie schon erwähnt zerfällt der 7hallus der fadenbildenden 
Spaltalgen auf einer bestimmten Entwickelungsstufe in eine Anzahl 
kurzer Fadenstücke, Hormogonien, welche eine Zeitlang Bewegungs- 
fähigkeit besitzen und umherwandern, um sich ein neues Heim zu 
suchen. Dabei wählen sie mit Vorliebe Orte zu ihrem Aufenthalt, 
die ihnen gegen aussen Schutz gewähren, leere Insekten oder 
Crustaceenschalen, grosse abgestorbene Pflanzenzellen, oder irgend- 


Die Algen. 39 


wie hohle Organe lebender Pflanzen, wie wir sie in den Schwimm- 
blasen der Utricularia und bei mehreren Torf- und Lebermoosen 
finden. Auch aus den kugeligen Zellenfamilien der Chroococcaceen 
können sich Kugelsegmente loslösen und zu neuen Familien heran- 
wachsen, wodurch alte Kolonien ein ganz durchlöchertes Aussehen 
gewinnen. 

Das Interesse, welches die Spaltalgen uns erwecken, wird vor- 
züglich noch durch zwei Punkte vermehrt, durch ihre unbestreitbar 
nahe Verwandtschaft zu den Spaltpilzen und durch die Rolle, welche 
sie im Flechtenthallus spielen. 

Die Spaltpilze kommen wesentlich in denselben Formen vor, 
und nur die Farbe der Zellen geht ihnen ab. Wir haben aber in 
vielen Fällen so genau dieselbe Anordnung der Zellen, wie bei 
Merismopedia, bei Leptothrıx und ähnlichen, dass die Gattungen 
sowohl bei Spaltalgen wie bei Spaltpilzen aufgenommen wurden und 
man zu diesen die farblosen, zu jenen die gefärbten Formen stellt. 
Aus anderen Gründen, deren Erörterung hier zu weit führen würde, 
ist man noch mehr gezwungen, in beiden Gruppen die nächsten 
Verwandten zu erblicken und nur Zweckmässigkeitsgründe lassen es 
erwünscht erscheinen, sie noch aus einander zu halten. 

Dass die als Gonidien bezeichneten grünen Zellen des Flechten- 
körpers wirklich nur Algenzellen sind, wird wohl von niemandem 
mehr ernstlich bezweifelt, der sich irgendwie eingehend mit diesen 
Fragen beschäftigt hat. Nur einige ältere Flechtensystematiker 
können sich noch nicht zu dieser Ansicht bekehren, denn sie wollen 
die Selbständigkeit derjenigen Pflanzen, welchen sie soviel Zeit und 
Arbeit gewidmet haben, nicht gern aufgeben. Thatsächlich sind 
die Flechten aber keine einheitlichen Organismen, sondern durch 
ein höchst eigentümliches und interessantes Zusammenleben von 
Pilzen und Algen entstandene Pflanzengebilde. Indem die Sporen 
gewisser Pilze auf eine Algenvegetation fallen, treiben sie Hyphen, 
mit welchen sie die Zellen umspinnen und vollständig einschliessen. 
Die Algen nehmen übrigens, wie es scheint, dabei durchaus keinen 
Schaden, sondern befinden sich ganz wohl dabei, teilen sich in dem- 
selben Verhältnis wie die Hyphen, wachsen und liefern diesen die 


40 Die Algen. 


nötigen organischen Stoffe, während sie anderseits von ihnen ihre 
Feuchtigkeit und ihre anorganischen Baustoffe den Pilzen verdanken. 
Dieses als Symbiose bezeichnete seltsame Zusammenleben zweier so 
ganz verschiedener Organismen hat die Förderung jedes einzelnen 
ohne Benachteiligung des anderen zum Zweck. Allerdings sind dabei 
die Pilze vollständig auf die Algen angewiesen, denn ihre Sporen 
gehen zu Grunde, wenn sie nicht die entsprechenden Algen finden, 
während die letzteren ebensogut auch ohne Pilze leben können. 
Das ist ja gerade einer der Hauptbeweisgründe für die Algennatur 
der Flechtengonidien, dass man dieselben Zellen auch ausserhalb 
des Flechtenthallus kennt, und dass man sie hier zu selbständigen 
Gattungen und Arten erhob, während sie in der Flechte durchaus 
nur unselbständige Teile des Thallus sein sollten. Übrigens ist 
es nicht unmöglich, dass ein grosser Teil der als „Raumparasitismus“ 
im Tier- und Pflanzenreich bezeichneten Erscheinungen auf wirk- 
liche Symbiose zurückzuführen ist, bei welcher sowohl Wirt als 
Gast ihre Rechnung finden würden und sich gewissermassen zu 
gegenseitiger Unterstützung verbunden haben. Die meisten der bei 
der Flechtenbildung beteiligten Algen gehören den Cyanophyceen 
an, einige den Grünalgen, besonders der Gattung Protococcus ; 
aber auch grüne Fadenalgen treten im Flechtenthallus auf, so 
eine Cladophora in. der tropischen Gattung der Fadenflechten 
Coenogonimm. 

Die Spaltalgen bilden mit den Spaltpilzen zusammen eine gegen 
die übrigen Pflanzen streng abgeschlossene Gruppe, ohne jeden 
vermittelnden Übergang. Mit dem Tierreich werden sie fast un- 
merklich und ohne dass eine scharfe Grenze gezogen werden kann, 
durch die Gruppe der Monadinen verbunden. 


2. Bacillariaceen. 

Höher organisiert als die Spaltalgen, stehen sie doch allen 
anderen Gruppen der Algen als ein streng abgeschlossenes Ganzes 
gegenüber und zeigen überhaupt eine ganz isolierte, durch keinerlei 
Beziehungen zu anderen Organismen vermittelte Stellung im Reiche 
der lebenden Wesen. 


Die Algen. 41 


Unter. dem Mikroskop sind sie leicht erkennbar; ihr durch 
einen Kieselpanzer geschützter Zellinhalt wird aus farblosem Proto- 
plasma gebildet, in welchem in bestimmter Stellung braune Körner 
‚oder Platten auftreten, deren Farbstoff, Diatomin genannt, das 
Chlorophyll. vertritt. Weit mehr fällt aber der Kieselpanzer selbst 
in die Augen, da er meist eine feine Zeichnung trägt, welche die 
Diatomeen oden Bacillarien zu den zierlichsten Geschöpfen macht. 
Diese Zeichnung tritt besonders schön bei manchen marinen Arten 
auf, in Form von sich kreuzenden Liniensystemen oder dicht an- 
einanderschliessenden Sechsecken; sie sind bei den in Fig. 2 (S. 42) 
“ abgebildeten Formen (ebenso wie der Zellinhalt) weggelassen, weil 
die Abbildungen sonst zu grossen Raum beansprucht haben würden. 
Die Linien liegen bei manchen Arten so nahe, dass es nur den 
besten Mikroskopen gelingt, sie aufzulösen, d. h. getrennt von ein- 
ander deutlich sichtbar zu machen; deshalb werden gewisse Dia- 
tomeen wie Pleurosigma angulatum und Surırella gemma zur 
Prüfung der besten Objektive verwendet. 

Die überaus zierlichen Kieselalgen verdienen übrigens wegen 
ihrer Schönheit und Mannigfaltigkeit eine eingehendere Beobachtung 
auch von solchen, denen irgend eine naturwissenschaftliche Be-, 
schäftigung erwünscht ist und welche sich im Besitz eines Mikro- 
skopes befinden, oder sich ein solches anschaffen können (vergl, 
die Anmerkung am Schluss). Der Formenreichtum ist ein ausser- 
ordentlicher und wenn bei den Spaltalgen die Einförmigkeit der 
ganzen Gruppe auffiel, so tritt uns bei den Kieselalgen eine Viel- 
gestaltigkeit entgegen, wie sie ausgeprägter kaum in einer anderen 
Pflanzenklasse vorkommt. Die Figur 2 giebt uns einen Überblick 
über die verschiedenen Formen, welche unsere süssen Gewässer 
bewohnen; freilich konnte nur ein kleiner Teil berücksichtigt werden. 

In Nr. ı tritt uns eine der vielen schwer unterscheidbaren 
Arten der Gattung Pinnularıa entgegen. Sie sind fast symmetrisch 
gebaut und mit deutlicher, in der Regel starker Streifung, welche 
auch in der Figur angegeben ist. Sehr ähnlich ist Navicula: von 
kahnförmiger Gestalt (Nr. 2), die Streifung ist aber sehr zart und 
oft.nur mit den besten Linsen zu erkennen. Die Streifen sind 


42 Die Algen. 


hier aus dichten reihenförmigen Punkten gebildet. Bei der Gattung 
Stauroneıs (Nr. 3) ist ein deutliches helles Kreuz erkennbar, welches 
die ebenfalls kahnförmige Zelle am Längs- und Querdurchmesser trägt. 
Eigentümlich gebogen sind die Zellen der Gattung Pleurosigma 
(Nr. 4) und nur nach einer Richtung symmetrisch die stark 
gestreiften von Cymbella (Nr. 5). 


17 
N 


ms THU 
SAU 


Fig. 2. 
Kieselalgen, Bacillariaceen. ı. Prinnularia — 2. Navicula — 3. Stauroneis — 4. Pleuro- 
siema — 5. Cymbella — 6. Amphora — 7. Gomphonema — 8. Nitschia — 9. Surirella — 
10. Synedra — ı1. Efithemia — ı2. Meridion — 13. Fragillaria — 14. Dialoma — 


15. Melosira — 16. Campylodiscus (a von der Seite, 5 von oben). Stark vergrössert. 


Bei Amphora (Nr. 6) bildet die Streifung zwei eigentümliche 
Bänder, während andere Teile des Kieselpanzers ungestreift bleiben. Bei 
der Gattung Gomphonema sitzen die einzelnen Zellen auf Gallert- 
stielen, welche ein vielfach verzweigtes Bäumchen darstellen (Nr. 7). 


Die Algen. 43 


Eigentümliche ovale oder verzogene Zellen werden durch die Gattung 
Surirella (Nr. 9) repräsentiert, Synedra bildet meist lange, nadel- 
förmige Zellen, welche oft wie die Speichen eines Rades zusammen- 
sitzen (Nr. 10), Die Gattung Zpithemia (Nr. ıı) erinnert etwas 
an Cymbella, ist jedoch schon durch die Streifung leicht unter- 
schieden. Dann giebt es eine Gruppe von Diatomeen, deren 
Zellen zu Fäden verbunden bleiben, wie bei Fragillarıa, Diatoma, 
Meridion, Melosira (Nr. 12—15), noch andere bilden schildförmige, 
mehr oder weniger gebogene Platten, wie Campylodiscus (Nr. 16). 
Aber auch nur einigermassen genaue Beschreibung der deutschen 
Gattungen zu liefern, ist an diesem Ort wegen des Formenreich- 
tums und der Vielgestaltigkeit der Diatomeen unmöglich. Dagegen 
soll uns noch ein Blick in das Leben dieser zierlichsten aller Ge- 
schöpfe vergönnt sein. 

Der Kieselpanzer einer Diatomee ist kein einheitliches Gebilde, 
sondern besteht aus zwei sehr ähnlichen Hälften, die sich nur 
durch eine geringe Grössendifferenz unterscheiden, sonst aber, 
namentlich in der Zeichnung, vollständig übereinstimmen. Diese 
beiden Hälften sitzen in einander wie die Teile einer Schachtel, 
was man bei günstigen Objekten direkt sehen kann. Nimmt die 
Zelle an Volumen zu, so kann dies nur dadurch geschehen, dass 
die beiden Teile etwas auseinanderweichen, da ja die starren Kiesel- 
schalen ein Wachstum in die Länge oder Breite verhindern. 
Endlich kommt bei dieser Volumenzunahme der Zelle aber ein 
Stadium, in welchem die beiden Hälften oder Schalen nicht 
mehr ineinandergreifen, sondern die Zelle nicht mehr vollständig 
bedecken und einen schmalen Streif Plasma zwischen ihren Rän- 
dern freilassen. Dann bilden sich an dieser Stelle zwei neue 
Schalen, von denen sich die eine der grösseren, die andere der 
kleineren der alten Schalen ebenso einfügt, als diese es ursprüng- 
lich waren, und aus der einen Diatomee sind bei diesem Vorgange 
zwei geworden, welche in jeder Beziehung dem Mutterindividuum 
gleichen, nur ist die eine um die Dicke einer Schale kleiner 
als jene. Eine derartige Verkleinerung muss immer erfolgen, weil 
die Kieselschalen starr sind und sich die jüngere Schale immer 


EN RTL TE VEREEES 


44 Die Algen. 


der ältern einfügt. Bei weiteren Teilungen werden die jüngeren 
Individuen mit der jüngern Schalenhälfte immer kleiner ‚und wir 
sehen oft von derselben Art Exemplare, die um mehr als das 
Doppelte in der Länge von einander abweichen. Die Verkleinerung 
findet aber auch naturgemäss ihre Grenze; ist die Grösse der 
Individuen bis auf ein bestimmtes Mass herabgesunken, so teilen 
sie sich nicht weiter, sondern es erfolgt eine Art Regeneration 
durch einen Vorgang, den man als Auxosporenbildung be- 
zeichnet hat. 

Die Auxosporenbildung tritt in drei verschiedenen Modifika- 
tionen auf; entweder findet eine wirkliche Befruchtung durch die 
Verschmelzung zweier Individuen statt, oder es findet nur eine 
Berührung statt, oder endlich ein einziges Individuum schickt sich 
dazu an. Dieser letzte Vorgang ist der einfachste, er ist am 
häufigsten bei Melosira beobachtet worden. Eine der Zellen eines 
Fadens treibt unter rascher Volumenzunahme die beiden Schalen 
ohne sich zu teilen aus einander, tritt zwischen diesen teilweise 
hervor und bildet eine Kugel, welche an zwei Punkten noch in 
den alten Schalen stecken bleibt, aber mehr als den doppelten 
Durchmesser als diese hat. Erst jetzt teilt sich diese „Auxospore‘“ 
und umgiebt sich mit Kieselschalen, welche zunächst von denjenigen 
einer Melosira noch in der Gestalt wesentlich abweichen, da sie 
Hälften einer nicht ganz regelmässigen Kugel sind. Aber schon 
die beiden nächsten Schalen, welche sich innerhalb der Auxospore 
entwickeln, nehmen die normale cylindrisch-schachtelförmige Gestalt 
an und die beiden ersten aus der Auxospore entstehenden Zellen 
tragen je eine halbkugelige und eine normale Schale. Die folgenden 
Individuen sind wieder mit normalen Schalen versehen, nur zwei 
Nachkommen behalten immer eine normale und eine Kugelschale., 
Bei einer Anzahl anderer Diatomeen ist wenigstens eine Berührung 
zweier Individuen zur Auxosporenbildung erforderlich. Die Schalen 
derselben weichen dann aus einander, die Plasmamassen treten 
hervor und nehmen ausserordentlich rasch an Volumen zu, während 
sich die zarte, nicht kieselhaltige Membran dieser Plasmamassen 
stark dehnt. . Erst wenn ein Wachstum nicht mehr stattfindet, 


Die Algen. 45 


scheiden sich die Kieselschalen aus und die beiden so entstandenen 
Zellen haben dann eine mehr als doppelte Länge wie die Mutter- 
zellen. Die Einzelheiten bei diesem Vorgang sind nach den 
Gattungen verschieden und oft recht kompliziert. Noch andere 
Diatomeen lassen ihre aus den Schalen ausgetretenen Plasmamassen 
wirklich verschmelzen, wodurch ein der Konjugation der Spirogyren 
ähnlicher Prozess herbeigeführt wird. Die konjugierte Plasma- 
masse wächst dann bedeutend in die Länge und scheidet „eine 
einzige zusammenhängende und die ganze Zelle umschliessende 
Kieselmembran aus, innerhalb deren sich die beiden Schalen einer 
neuen Zelle entwickeln. Dieselben werden durch die Volumen- 
zunahme der Zelle auseinandergetrieben und sprengen dann die 
kieselhaltige harte Membran der Auxospore, wodurch die neue Zelle 
frei wird und sich in normaler Weise weiter teilt. In allen Fällen 
hat die Auxosporenbildung nur den Zweck, aus der allmählich zu 
klein gewordenen Generation eine neue, grössere zu bilden, sie 
dient nicht ähnlichen Zwecken wie etwa die Dauersporen der 
Schizophyceen, sondern es tritt zwischen Auxosporenbildung und 
der Entwickelung neuer Zellen keinerlei Ruhezustand ein. 


Eigentliche Dauerzustände, welche durch besondere Zellen 
repräsentiert werden, kommen bei den Diatomeen nicht vor, da- 
gegen können Zellen unter günstigen Verhältnissen auch eine 
längere Austrocknung ertragen, ohne abzusterben. Das Plasma 
zieht sich dabei in eine Ecke der Kieselschalen zurück und umgiebt 
sich mit einer Membran, bei Eintritt günstiger Lebensbedingungen 
die normalen Funktionen wieder aufnehmend. 


Eine eigentümliche, aber noch nicht aufgeklärte Eigenschaft 
der Diatomeen ist ihre Bewegungsfähigkeit, welche ihnen jedoch 
nur zukommt, wenn sie festem Substrat aufliegen, sie kriechen also 
an demselben herum. Diese Thatsache macht es wahrscheinlich; 
dass die Bewegung durch Plasmafäden vermittelt wird, welche durch 
Öffnungen in den Kieselpanzern oder zwischen den Schalen hervor- 
treten und sich dem Substrat anheften; man hat jedoch bisher 
noch keinerlei derartige Bewegungsorgane wahrnehmen können. Die 


46 Die Algen. 


Bewegung selbst ist eine gleitende, oft ruckweise, meist genau der 
Längsrichtung des Körpers folgend. 

Die Diatomeen sind die einzigen Algen, welche sich seit der 
Zeit ihres Auftretens auf der Erde in ihren Kieselschalen unver- 
ändert erhalten haben, so viel Jahrtausende auch über ihre Grab- 
stätten dahingerauscht sind. Ihre Schalen haben auch so manche 
Proben bestanden, bei denen nur wenig andere Geschöpfe nicht 
der völligen Vernichtung anheimfielen. Von kleinen mikroskopischen 
Tieren verschluckt, wurden die Diatomeen hier zum ersten Male 
verdaut, gerieten mit diesen in den Magen von grösseren Weich- 
tieren und mussten den Prozess zum zweiten Male durchmachen. 
Zum dritten Male wurde ihnen das Los zu teil, wenn diese Weich- 
tiere von Fischen verspeist wurden, um mit diesen zum vierten Mal 
von Seevögeln verdaut zu werden. Nichtsdestoweniger passierten 
ihre Schalen unverändert den Darmkanal der Vögel und im Guano 
finden sich dieselben noch in schönster Erhaltung. Bei solcher 
Widerstandskraft ist es kein Wunder, dass sich die Diatomeen, 
wo sie sich in Masse entwickelten, auch noch heute an diesen 
Orten fossil vorfinden, nur das ist thatsächlich wunderbar, dass 
diese kleinsten Organismen — durchschnittlich gehen ıo bis 
20 Millionen Individuen auf ı Kubikmillimeter — meilenweite und 
viele Fuss tiefe Lager bilden, wie bei uns in Deutschland namentlich 
in der Lüneburger Heide, bei Berlin und bei Königsberg. 
Die als Tripel, Mergel, Kieselguhr und Infusorienerde bezeichneten 
Fossilien sind wesentlich nichts anderes als die Kieselschalen der 
Diatomeen, deren zierliche Form unter dem Mikroskop sich 
sofort verrät. 


3. Die Chlorophyceen. 


Die Grünalgen, Chlorophyceen, Algen im engern Sinne, sind 
im wesentlichen hinreichend durch die rein grüne Farbe gegenüber 
den anderen Gruppen charakterisiert. Gestalt und Fortpflanzungs- 
weise sind so mannigfach, dass sie sich schlecht zu einem Merkmal 
der ganzen Gruppe verwenden lassen und selbst nahe verwandte 
Gattungen zeigen hierin die grössten Verschiedenheiten. 


2, Penn „nun hd * 
, .* d v . 
Y f 


Die Algen. 47 


Zunächst finden wir eine Gruppe grüner Algen, welche in der 
Fortpflanzung mit dem einen Modus derselben bei den Diatomeen 
übereinstimmen, so dass sie, aber gewiss entschieden unrichtig, mit 
jenen zu einer grossen Ordnung ‚‚Zygosporeae‘“ von manchen 
Forschern vereinigt werden. Indem nämlich zwei (oder zuweilen 
auch mehr) Zellen ihren Inhalt zusammenfliessen lassen, entsteht 
eine als „Zygospore“ bezeichnete Zelle, welche dazu bestimmt ist, 
nach einer Ruheperiode zu keimen und eine neue Generation zu 
entwickeln. Es ist also eine Dauerzelle und unterscheidet sich 
schon hierdurch sehr wesentlich von den Auxosporen der Diato- 
meen, welche letztere nur als ein Mittel zur Vergrösserung der 
Zellen dient und keinerlei Eigenschaften besitzt, wie sie den Sporen 
der Kryptogamen im allgemeinen zukommen. Ausserdem kommt 
es nur bei einem Teile der Diatomeen zu einer wirklichen Ver- 
einigung der Plasmakörper zweier Zellen, wie wir oben gesehen 
haben. Es ist deshalb besser, man lässt diese Gruppe grüner 
Algen, welche man als Conjugatae zusammenfasst, als unterste 
Ordnung der Chlorophyceen bestehen. 

Eine zweite Ordnung wird durch eine Anzahl einzelliger Algen 
gebildet, welche teilweise einen Übergang zu den Flagellaten 
erkennen lassen und aus teils freien, teils zu Kolonien vereinigten 
rundlichen oder eiförmigen meist ziemlich kleinen Zellen bestehen. 
Man hat sie als Protococcoideae bezeichnet. Ihre Fortpflanzung 
ist sehr verschiedenartig und oft höchst kompliziert. 

Die Siphoneae oder Schlauchalgen zeichnen sich durch 
einen einzelligen fadenförmigen oder verästelten Bau aus; sie sind 
im süssen Wasser nur durch zwei Gattungen vertreten. 

Reich an Formen ist die vierte Ordnung der Grünalgen, 
die Confervoideae. Sie bilden einen fadenförmigen, oft reich ver- 
zweigten, vielzelliıgen Thallus. 

Nach dieser kurzen Charakteristik der Hauptgruppen sollen 
die einzelnen eine etwas eingehendere Besprechung erfahren, da 
sich ja in der Klasse der Grünalgen die interessantesten und 
mannigfaltigsten Formen, die verschiedenartigsten Verhältnisse der 
Fortpflanzung und die merkwürdigsten Lebenserscheinungen finden. 


48 Die Algen. 


Die Conjugaten bilden eine Ordnung, welche zwei nahe ver- 
wandte Familien vereinigt. Gemeinsam ist ihnen besonders die 
Art der geschlechtlichen Fortpflanzung, die Konjugation, ferner die 
eigentümliche Anordnung des Chlorophylis innerhalb der Zelle in 
Bändern, Platten, Sternen oder anderen Formen, stets aber ab- 
weichend von derjenigen bei den anderen Grünalgen, ferner im 
weitesten Sinne die Einzelligkeit. Jede Zelle ist befähigt für sich 
allein zu existieren und sich zu vermehren, selbst wenn sie nor- 
malerweise nur mit anderen zusammen zu Fäden verbunden vor- 
kommt. Die Zellen eines Fadens sind auch sämtlich gleichartig 
und es ist kein Gegensatz zwischen Basis und Spitze ausgebildet. 
Eine sehr ausgiebige Vermehrung geschieht durch Zweiteilung der 
Zellen, die bei diesen ‘Algen besonders gut zu beobachten ist. 

Die Desmidieen, die eine der beiden Familien, zeigen 
äusserst zierliche Formen, wie sie in Fig. 3 a—m dargestellt sind. 
Sie bewohnen einzeln unsere Wiesengräben, Bäche und Flüsse, 
zahlreicher und oft geradezu massenhaft die Gewässer der. Torf- 
moore, und erreichen im Spätsommer und Herbst ihre grösste 
Entwickelung. Die Zellen sind symmetrisch, bei vielen mit einer 
Einschnürung in der Mitte, meist einzeln, seltener zu ‘leicht zer- 
reissenden Fäden verbunden. Das Chlorophyll ist entweder stern- 
förmig um zwei stärkehaltige Körper auf die beiden Hälften der 
Zelle verteilt, zentral, d.h. der Wand nicht anliegend, oder tritt 
in Form von Platten, welche ebenfalls der Wand nicht anliegen, 
oder endlich in mehr oder weniger spiralig gerollten der-Wand an- 
liegenden Bändern auf. Bei der Vermehrung treten die beiden 
Zellhälften an der Einschnürung aus einander und zwischen ihnen 
entwickelt sich an jeder eine neue Zellhälfte, die ursprünglich 
rundlich und glatt ist und erst allmählich die Form der andern 
Zellhälfte bei weiterem Wachstum erhält (vergl. Fig. 3e). Bei der 
als Kopulation bezeichneten geschlechtlichen Fortpflanzung tritt der 
Inhalt zweier Zellen aus der Membran hervor und vereinigt: sich 
zu einer einzigen, den Mutterzellen durchaus unähnlichen Zelle, 
welche den Namen Zygospore führt (vergl. Fig. 3 f Zygospore von 
Micrasterias) und einen Ruhezustand darstellt; bei der Keimung 


Die Algen. 49 


entwickeln sich aus ihr eine bis vier, meist zwei Keimzellen, aus 
denen dann wieder durch Teilung die gewöhnlichen Zellen ent- 
stehen. Die Desmidieen besitzen ein geringes vom Licht abhän- 
giges Bewegungsvermögen. 


Fig. 3. 


Conjugaten a—m. Desmidiaceen: a Desmidium, Faden von der Seite — 5 Dasselbe, 
Faden auf dem Querschnitt — c Euastrum — d Micrasterias denticulata — e Dasselbe in 
der Teilung begriffen — / Zygospore desselben — % Micrasterias crenata — g Cosmartum — 
z Staurastrum — k Xanthidium — 1 Penıum — m Closterium — n—r Zygnemaceen: 
n Zygnema — o Spirogyra —  Zygnema in Kopulation, 1—7 bezeichnen die verschiedenen 
Stufen derselben bis zur Bildung der Zygospore (7) — g und ” Zygosporen von Zygnemaceen. 


Eine Beschreibung der einzelnen Gattungen lässt sich an dieser 
Stelle nicht geben; für die Abbildung wurden einige der zierlichsten 
Desmidieen gewählt, in denen der Inhalt der Zellen wegen der 
geringen Vergrösserung nur angedeutet oder ganz weggelassen wurde. 

Die zweite Familie, die Zygnemaceen, wird aus fadenförmigen 
unverzweigten Algen gebildet, deren Chlorophyll zu spiraligen 
Bändern (Spirogyra), Doppelsternen (Zygnema, Zygogonmum), axilen 
Platten (Mongeotia, Mesocarpus) zusammentritt. Ihre geschlechtliche 
Fortpflanzung ist derjenigen der Desmidieen sehr ähnlich, nur 
kopulieren meist Zellen verschiedener Fäden mit einander, indem 
sie bei leiterförmiger Kopulation Ausstülpungen gegen einander 
treiben (wie dies Fig. 35 in verschiedenen Stadien der Kopulation 
dargestellt ist), oder indem sich die Zellen bei knieförmiger Kopu- 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 4 


50 Die Algen. 


lation direkt an einander legen, was durch eine Biegung der Fäden 
gegen einander bewirkt wird. Selten kopulieren zwei neben einander 
liegende Zellen ein und desselben Fadens- (seitliche Kopulation), 
indem sie ebenfalls Ausstülpungen gegen einander treiben. Haben 
sich die Ausstülpungen an einander gelegt, so beginnt eine Ver- 
änderung in den Zellen, der Inhalt ballt sich zusammen, indem 
Wasser ausgestossen wird, und derjenige der einen Zelle fliesst in 
die andere hinüber, um sich mit dem Inhalt dieser zu vereinigen, 
oder beide Plasmamassen treten aus den Zellen hervor und treffen 
sich zwischen den Fäden. Im erstern Falle entsteht das Produkt 
der geschlechtlichen Vereinigung — die Zygospore — in einer der 
Mutterzellen, im andern zwischen den beiden Mutterzellen. Die 
Zygosporen der Zygnemaceen sind weit weniger mannigfaltig als 
die der Desmidiaceen; auch sie machen eine Ruheperiode durch, 
nach welcher sie keimen. Die Zygnemaceen finden sich im ersten 
Frühjahr, sowie nur das Eis unsere Teiche und Tümpel verlassen 
_ hat, überall in stehenden Gewässern als schleimige hellgrüne Flocken 
oder Fadenmassen, 

Beide Familien entwickeln keine beweglichen Fortpflanzungs- 
zellen, wie die meisten übrigen Grünalgen; einige, namentlich die 
grösseren Spirogyreen und Desmidieen, lassen aber im Innern der 
Zelle deutlich die Bewegung des Plasmas erkennen. Bei Closterium 
findet sich am Ende der beiden halbmondförmig gekrümmten Zell- 
hälften ein farbloses Bläschen, in welchem eine Anzahl kleiner 
(aus Gips? bestehender) Körnchen sich sehr lebhaft bewegen 
(Fig. 3 m). Überhaupt bieten die Zellen der Conjugaten viele 
interessante Eigenheiten und sie sind auch, besonders die Gattung 
Spirogyra, ein sehr vielfach benutztes Objekt der Pflanzenphysiologen, 
weil die Grösse und Einfachheit der Zellen leichter eine eingehende 
Untersuchung ermöglicht. Besonders zu Studien über den Zellkern 
liefern sie ein vorzügliches Material und wir finden da, um eine 
Eigentümlichkeit zu erwähnen, bei Spirogyra beispielsweise einen 
grossen, flach scheibenförmigen, spindelförmig erscheinenden Zell- 
kern, welcher mit an den Wänden befestigten Plasmafäden in der 
Mitte der Zelle aufgehängt ist. 


I a ST Kan A ee 


Die Algen. 51 


Die zweite Ordnung der Grünalgen, die Protococcordeae, fasst 
eine Gruppe sehr verschiedenartiger Organismen zusammen. Gemein- 
sam ist ihnen die Einzelligkeit und die Entwickelung von Schwärm- 
zellen. Eine der drei hierhergehörigen Familien, die Volvocineen, 
zeigen eine solche Verwandtschaft zu den Flagellaten, einer Gruppe 
der niedersten Tiere, dass sie von den Zoologen einfach mit jenen 
vereinigt werden, und auch in diesem Buche unter jenen abgehandelt 
werden sollen*). Scheiden wir also an dieser Stelle die später ın 
einem eigenen Kapitel eingehend behandelten Volvocineen hier 
aus, so bleiben zwei sehr ähnliche Familien übrig, Protococcaceae 
und Palmellaceae. 

Die Protococcaceae sind einzellige Algen, denen eine Teilung 
der Zellen zum Zweck einer vegetativen Vermehrung abgeht, welche 
dagegen eine ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Schwärmsporen 
(Zoosporen) und eine geschlechtliche durch Kopulation von Schwärm- 
sporen besitzen. Die Zellen bleiben dabei entweder zu Familien 
vereinigt oder sie lösen sich los und werden frei. Einen Vertreter 
der ersteren, das Wassernetz Aydrodyction utriculatum wollen wir 
als Beispiel wählen, dabei aber zugleich bemerken, dass wir hier 
einen viel komplizierteren Entwickelungsprozess vor uns haben, als 
bei den meisten übrigen Gattungen der Familie. Das Wasser- 
netz (Fig. 4a—d S. 52) bildet ein wirkliches Netz, dessen Maschen 
von einer Anzahl cylindrischer Zellen umschlossen sind, welche zu 
je drei an einem Punkte zusammentreffen (a). Die Chlorophyll 
führende grüne von Vacuolen unterbrochene Plasmaschicht kleidet 
die ganze Zellwand aus, ballt sich aber, wenn es zur Fortpflanzung 
kommt, in sehr kleine, zunächst ebenfalls der Wand anliegende 
Plasmaportionen zusammen. Die Fortpflanzung geschieht nun ent- 
weder geschlechtlich oder ungeschlechtlich. Im letztern Falle sind 
die Plasmaportionen, in welche der Zellinhalt zerfällt, grösser; 
anfangs eckig, runden sie sich allmählich ab (db) und bilden sich 
zu Schwärmsporen um, welche eiförmige Gestalt und zwei Geisseln 
besitzen. Auch zeigt sich ein Gegensatz zwischen dem geissel- 


*) Der Verfasser hält jedoch an der Ansicht fest, dass die Volvocineen ebensogut zu 
den Algen gestellt werden können, zu welchen sie unbestritten nahe Verwandtschaft zeigen. 
4* 


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52 Die Algen. 


tragenden Ende, welches durchsichtig und hell, und dem geissel- 
losen, welches grün und mit körnigem Plasma erfüllt ist. Man 


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Fig 4. 
Protococcoiden. a—/ Protococcaceen: a—d Hydrodyction utriculatum: a Teil eines 
Zellnetzes — 5 Beginnende Makrogonidienbildung, Teil einer Zelle, stärker vergrössert — 
c Stück einer Zelle, in welcher sich die Makrogonidien zu einem neuen Netz an einander 
lagern, stärker vergrössert — d Zur Ruhe gekommener Schwärmer (vergl. Text) — e Ver- 
schiedene Formen von Scenedesmus — f Pediastrum — g—h Palmellaceen: g Cosmo- 
cladium — h Raphidium (e—h sind nur Umrisszeichnungen). 


bemerkt auch ferner einen kleinen roten Punkt in dem hellen Teil, 
den Pigmentfleck, über dessen Bedeutung man nur Vermutungen 
hegt, vielleicht stellt er den Anfang eines Sinnesorganes vor. Diese 


Die Algen. 53 


Zellen, Makrogonidien genannt, schwärmen in der Mutterzelle einige 
Zeit umher, kommen aber allmählich zur Ruhe, indem sie sich zu 
gleicher Zeit in derselben Weise ordnen wie die Zellen des Mutter- 
netzes und ein kleines diesem sehr ähnliches Netz bilden, welches, 
ohne dass durch Teilung neue Zellen darin entstehen, wächst und 
dem Mutterzellnetz völlig gleich wird. Die umhüllende Membran 
der Mutterzelle zerfliesst schon sehr früh in dem umgebenden Wasser 
(vergl. Fig. 4.c). 

In derselben Weise wie die Makrogonidien, nur in viel grösserer 
Anzahl, bilden sich die Mikrogonidien, welche viel kleiner sind und 
vier Geisseln besitzen. Sie verlassen aber die Mutterzelle und 
schwärmen im Wasser umher, kopulieren und verlieren allmählich 
ihre Bewegung, indem sie zu rundlichen grünen Zellen werden, 
welche sich allmählich vergrössern. Diese Zellen stellen einen 
Ruhezustand dar, aus welchem sich nach einiger Zeit wenige zwei- 
geisseligeSchwärmzellen entwickeln, welche ebenfalls austreten, umher- 
schwärmen und ihre Bewegung verlieren, aber sich nicht zu runden, 
sondern zu eigentümlich eckigen mit unregelmässigen Auswüchsen 
versehenen Zellen (d) entwickeln, in denen wieder die oben be- 
schriebenen Makrogonidien entstehen und zu einem kleinen Netz 
zusammentreten. 

So vielgestaltig ist der Entwickelungsgang bei den übrigen 
Protococcaceen in der Regel nicht, wir besitzen jedoch von den 
meisten noch keine genügende Kenntnis desselben. Von den 
übrigen Gattungen der Familie finden sich häufiger Pediastrum, 
dessen in einer Ebene gelagerte Zellen zu zierlichen, meist mit 
kleinen Hörnchen verzierten Täfelchen zusammentreten (f), Scene- 
desmus, dessen Zellen zu vier und acht mit der Längsseite anein- 
andergelagerte Reihen bilden und ebenfalls häufig Hörnchen oder 
Domen zeigen (e) und Protococcus, welcher einfache nicht zu- 
sammenhängende runde Zellen bildet und häufig den grünen pul- 
verigen Überzug von Baumstämmen, Holzzäunen und Schindel- 
dächern bildet, aber in der heissen Jahreszeit verschwindet. 

Die Palmellaceen sind äusserlich oft sehr schwer von den 
Algen der vorigen Familie zu trennen, unterscheiden sich aber in 


54 Die Algen. 


ihrer Entwickelungsgeschichte sehr wesentlich von jenen durch die 
Fähigkeit, sich durch einfache vegetative Zweiteilung zu vermehren, 
und durch den Mangel einer geschlechtlichen Fortpflanzung. Sie 
zeigen ebenfalls sehr zierliche Formen, wie die in Fig. 4 abgebildeten 
Vertreter dieser Familie: Cosmocladum (g) und Raphidium (h) 
darthun. 

Eine andere Ordnung einzelliger Grünalgen wird durch die 
Siphoneen (Schlauchalgen) gebildet, welche jedoch nur in wenig 
Arten im süssen Wasser auftreten. Sie haben eine fadenförmige, 
langgezogene, reich verzweigte, oder eine auf verästelter Basis 
ruhende blasenförmige Gestalt, ohne dass sich jedoch zwischen den 
Ästen oder Verzweigungen Querwände in der Zelle fänden. Ihre 
Fortpflanzung geschieht auf geschlechtlichem und ungeschlecht- 
lichem Wege. Die Gattung Vaucheria findet man in Gräben oder 
auf feuchter, schattiger Erde, zarte Fadenpolster bildend, die Gat- 
tung Botrydium namentlich auf überschwemmt gewesenen schlam- 
migen Flächen als kleine stecknadelkopf- bis hanfkerngrosse 
schwarzgrüne Kügelchen. 

In der vierten Ordnung treten uns die höchstentwickelten 
Formen der Grünalgen, die Confervordeae, entgegen. Auch bei ihnen 
herrscht in Gestalt und Fortpflanzungsweise die grösste Mannigfaltigkeit. 
Jedenfalls sind es stets mehrzellige Algen, deren Zellen meist in Fäden, 
oft mit Verzweigung, seltener in flächenförmigen Lagern angeordnet 
sind. Ihre Fortpflanzung ist noch nicht bei allen Gattungen bekannt, 
doch entwickeln wahrscheinlich alle bewegliche Schwärmzellen, 
welche teils ungeschlechtlicher Natur sind, teils zu mehr oder 
weniger deutlich ausgeprägten Geschlechtszellen werden. 

Die einfachsten Formen aus dieser Ordnung bilden die eigent- 
lichen Conferven, welche einfache Zellfäden bilden, sich von den 
Zygnemaceen aber leicht dadurch unterscheiden, dass bei ihnen 
das Chlorophyll gleichmässig der Zellwand anliegt. Bei der Gat- 
tung Conferva hat man bisher nur ungeschlechtliche Fortpflanzung 
durch Schwärmsporen wahrgenommen, während bei der sehr ähn- 
lichen Ulothrix ausser dieser auch eine geschlechtliche Fortpflanzung 
insofern auftritt, als zwei kleinere Schwärmsporen mit einander 


RE, 
a 


Die Algen. 55 


verschmelzen (kopulieren) und das Produkt der Kopulation eine 
Dauerzelle ist, welche eine Ruheperiode durchmacht ehe sie keimt. 
Verzweigte Zellreihen finden wir bei den artenreichen Cladophoren, 
deren Entwickelungsgeschichte noch sehr wenig bekannt ist, trotz- 
dem dass sie zu den häufigsten Süsswasseralgen gehören. Namentlich 
die Gattung Cladophora selbst, deren Artenstudium beinahe für sich 
allein eine Wissenschaft bildet und welche das Hieratium der 
Kryptogamen ist, findet sich in ihren verschiedenen Formen überall, 
und in Quellen und reinen Bächen werden wir häufig der überaus 
zierlichen etwas schlüpfrigen Draparnaldıa begegnen. An Schilf 
und Holzstücken setzen sich gern kleine grüne Kugeln oder dem 
Geweih eines Hirsches ähnlich verzweigte gallertartige Körper fest, 
welche der Gattung Chaetophora angehören. Auch das im Gebirge 
allbekannte Veilchenmoos oder der Veilchenstein, Chroolepus Jolthus, 
gehört hierher, obgleich seine braunrote Farbe gar nicht zu den 
Grünalgen zu passen scheint. Dies kommt aber daher, dass neben 
dem Chlorophyll noch ein anderer Farbstoff, der in überwiegender 
Menge vorhanden ist, den Zellen die Färbung verleiht. Der 
Veilchengeruch, den diese Alge ausströmt, besitzt unter Umständen 
auch noch nach Jahren eine ziemliche Intensität. 

Von den übrigen Familien dieser Ordnung wollen wir noch 
die Oedogoniaceen einer eingehenderen Berücksichtigung unterziehen, 
weil ihre Fortpflanzung und Entwickelungsgeschichte von besonderem 
Interesse ist und man die Vorgänge dabei auch verhältnismässig 
genau kennt. Die Gattung Oedogonium zeigt einfache unverzweigte 
Zellfäden, in denen schon eine sehr eigentümliche Zellteilung auf- 
tritt. Es bildet sich nämlich in der Zelle ein ringförmiger Wulst 
von dem Stoff der Zellwand, welcher unter dem Mikroskop aller- 
dings nur an beiden Seiten der Zelle sichtbar ist (Fig. 5, Ia). 
Plötzlich reisst die Membran der Mutterzelle an der Stelle dieses 
Wulstes auf und die Zelle streckt sich um das Doppelte in die 
Länge, der Wulst verschwindet, indem er zu einer anfangs sehr 
dünnen Zellwand für das neuzugewachsene Zellstück wird (Nr. 1). 
Erst dann bildet sich zwischen der alten und der neuen Zellhälfte 
eine Scheidewand. Der Riss der Mutterzellmembran bleibt übrigens 


56 Die Algen. 


dauernd sichtbar und oft sieht man Zellen, die ein förmliches 
Schraubengewinde zu tragen scheinen. Die ungeschlechtliche Fort- 
pflanzung geschieht in der Weise, dass sich der Inhalt einer vege- 
tativen Zelle zusammenballt, abrundet und, indem sich die Zelle 
durch einen kreisförmigen Riss (Nr. 2) öffnet, austritt. Sofort beginnt 
er vermöge eines Wimperkranzes (vergl. 
Nr. 3) sich zu drehen und davon- 
zuschwimmen. Schliesslich setzt er sich 
irgendwo fest, entwickelt eine Haftscheibe 
am unteren Ende und wächst zu einem 
Zellfaden aus. 

Wesentlich verwickelter ist die ge- 
schlechtliche Fortpflanzung und hier 
kommen in einer Gattung so viel Ver- 
schiedenheiten vor, wie wohl sonst im 
ganzen Pflanzenreich nicht wieder. Das 
Wesentliche des Vorganges ist, dass eine 
ruhende weibliche durch eine bewegliche 
männliche Fortpflanzungszelle durch Ver- 
schmelzung befruchtet wird. Die Ver- 
schiedenheiten werden durch die Art 
der Entwickelung der männlichen Zelle 
bewirkt. Wir wollen dabei einen der 
Fälle ins Auge fassen und auf die 
beobachteten Abweichungen hinweisen. 
Die männlichen Zellen entwickeln sich 
in Antheridien, welche entweder mit den 


weiblichen Zellen in demselben Faden 


Fig. 5. entstehen (monoecische Arten) oder in 
Entwickelung von Oedogonium  pesonderen Fäden (dioecische Arten), 
(vergl. Text). 


welche wiederum entweder normal sind 
und neben den Antheridien auch gewöhnliche vegetative Zellen 
enthalten, oder nur aus wenigen Zellen von abweichender Gestalt 
bestehen und dann als sogenannte Zwergmännchen sich auf den 
weiblichen Zellen oder in der Nähe derselben finden (Nr. ıd). Diese 


Die Algen. 57 


Zwergmännchen entwickeln sich aus Schwärmsporen, welche ähnlich 
wie die ungeschlechtlichen gebildet werden und diesen auch ganz 
ähnlich, nur etwas kleiner sind. Diese Schwärmsporen schwärmen 
eine Zeit lang umher, setzen sich dann in unmittelbarer Nähe der 
weiblichen Organe fest und werden zu den Zwergmännchen, welche 
mit oder ohne eine etwas längere Fusszelle eine geringe Anzahl 
flach scheibenförmiger Zellen, Antheridien, entwickeln, in denen je 
zwei männliche Fortpflanzungszellen „Spermatozoiden“ entstehen 
(Nr. Aa, b). 


Die weiblichen Geschlechtsorgane, Oogonien, sind runde, an- 
geschwollene Zellen, welche zwischen den vegetativen liegen (1 ce). 
Zur Zeit ihrer Empfängnisfähigkeit bildet sich ebenso wie bei den 
vegetativen Zellen ein kreisförmiger Riss und die Zelle klappt auf; 
es tritt jedoch noch eine sehr dünne gewölbte mit einem kleinen 
Loch versehene Membran (1 e) hervor, welche die Eizelle abschliesst. 
Zu gleicher Zeit öffnet sich das Antheridium und entlässt die 
Spermatozoiden, von denen eins durch das Loch der erwähnten 
zarten Membran schlüpft und unter bohrender Bewegung sich mit 
dem Ei vereinigt. Hierauf umgiebt sich die Eizelle mit einer 
starken oft stacheligen Membran (5) und macht eine Ruheperiode 
durch. Wenn es zur Keimung kommt, reisst die Sporenmembran 
durch und der in eine Schleimhülle gebettete Inhalt tritt hervor, 
um sich in vier Schwärmzellen zu teilen (6), welche ausschwärmen, 
sich nach einiger Zeit festsetzen und neue Oedogonienfäden ent- 
wickeln. So kompliziert ist die Entwickelungsgeschichte eines so 
einfachen Wesens! 


Wir konnten bei dem geringen zu Gebote stehenden Raum 
nur einzelne interessante Vorgänge eingehender betrachten, aber 
wenn auch wesentlich anders, finden sich nicht minder verwickelte 
Prozesse bei anderen Gattungen, wie Sphaeroplea und Coleochaete, 
die hier übergangen werden müssen. 


Br a DE zen U u erh ae mu ala in 7 Zr dan 


58 Die Algen. 


4. Die Rhodophyceen. 


Nur ein überaus kümmerliches Bild von der farbenprächtigen 
Algengruppe wird uns durch die wenigen Vertreter des süssen 
Wassers zu teil, und diese sehen oft noch nicht einmal rot aus 
sondern braun, schwärzlich, violett oder grün. Die in schnell- 
fliessenden Gebirgsbächen auftretende Gattung Zemanea zeigt Formen, 
die man äusserlich feinen im Wasser geschwärzten Würzelchen ver- 
gleichen möchte, Batrachospermum, schleimige reich verzweigte 
Fadenmassen von sehr zierlichem Aussehen unter dem Mikroskop 
und meist blaugrüner oder grauvioletter Farbe, Chantransia, deren 
Arten vielleicht nur Jugendzustände von Datrachospermum sind, 
ist der vorigen Gattung ähnlich, nur weit einfacher gebaut und nur 
Hildebrandtia zeigt leuchtend purpurrote Überzüge auf Steinen. 
Das sind, von einigen sehr seltenen abgesehen, unsere Süsswasser- 
gattungen. 


Bei den Rhodophyceen finden sich zweierlei Arten der Fort- 
pflanzung, eine ungeschlechtliche und eine geschlechtliche. Die 
erstere findet in der Weise statt, dass sich gewöhnlich vier in 
Tetraden zusammen liegende Zellen zu Sporen (Tetrasporen) um- 
bilden. Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung bilden sich weibliche 
Zellen (Carpogonien) und männliche rundliche Fortpflanzungszellen, 
welche beide unbeweglich sind. Das Carpogon entwickelt noch 
einen Halsteil (Trychogyne), an welchen die männlichen Zellen vom 
Wasser herangespült werden, festhaften und die Befruchtung voll- 
ziehen. Hierauf sprossen aus dem Carpogon Zellfäden, welche an 
ihrem Ende ebenfalls unbewegliche Förtpflanzungszellen abgliedern, 
diese keimen dann und entwickeln neue Pflänzchen. Bei unseren 
Süsswasserarten sind diese Vorgänge aber noch nicht ganz erforscht, 
und da dieselben gegenüber den anderen Algengruppen an Zahl 
und Formenreichtum weit zurückbleiben, so mag dieser kurze Hin- 
weis genügen. 


Die Algen. 59 


Den Algen nahestehend, aber höher entwickelt und in manchen 
Punkten den höheren Kryptogamen ähnlich, tritt uns noch eine 
seltsame Gruppe echter Wassergewächse in den Armleuchtern 
oder Charen entgegen. Die Armleuchter unterscheiden sich von 
den Algen durch die grosse Regelmässigkeit ihres Aufbaues sowie 
durch die hochentwickelte Fortpflanzung. Sie bilden in der Regel 
kleine Büsche von wenigen Stengeln, welche oft reich verzweigt sind 
und in gewissen Abständen quirlständige, wieder mit einfacheren 
Blättchen versehene „Blätter“ tragen. An den Blättern (bei einer 
Gattung auch in den Blattachseln) stehen die Fortpflanzungsorgane: 
die weiblichen Sporenknöspchen, die männlichen Antheridien genannt. 
Die Sporenknöspchen bestehen aus einer Eizelle und fünf schlauch- 
förmigen Hüllzellen, welche die erstere umgeben und an der Spitze 
noch bei den eigentlichen Charen je eine, bei den Nitellen je zwei 
zu einem fünf- oder zehnzelligen Krönchen zusammentretende 
Zellen abgliedern. Ist. die Eizelle empfängnisfähig geworden, so 
fällt das Krönchen ab oder die Zellen desselben weichen auseinander, 
so dass die männlichen Fortpflanzungszellen freien Zutritt zu den 
weiblichen erhalten. Die männlichen Fortpflanzungszellen (Spermato- 
zoiden) sind spiralig gewundene Fäden, welche an ihrem vorderen 
Ende zwei lange Geisseln tragen und denen höherer Kryptogamen, 
besonders denen der Torfmoose ausserordentlich ähnlich sind. Sie 
entstehen in sehr kompliziert gebauten Antheridien von roter Farbe 
und kugeliger Gestalt. Bei der Befruchtung dringen die aus dem 
klappenförmig aufspringenden Antheridium ausschwärmenden Sper- 
matozoiden in das Sporenknöspchen durch die auf oben angegebene 
Weise entstandene Öffnung ein und verschmelzen wahrscheinlich 
mit der Eizelle; das letztere hat man noch nicht beobachtet. 
Hierauf umgiebt sich die Eizelle mit einer holzigen Schale, auch 
häufig noch mit einem Kalkmantel und macht eine oft jahrelange 
Ruheperiode durch, ehe sie keimt. Aus der Spore entwickelt sich 
zunächst ein sehr einfacher Vorkeim, der nach unten feine, einfache, 
weisse Fäden aus langgestreckten Zellen, Wurzeln, entsendet, nach 
oben einen grünen Stengel entwickelt, welcher nur einen sehr ein- 
fachen Blattquirl trägt. An Stelle des einen Blattes in diesem 


60 Die. Algen. 


Quirl tritt der Stengel der eigentlichen Charenpflanze auf, welche 
zwar sehr einfach, aber sehr regelmässig gebaut ist. Zwischen je 
zwei Blattquirlen tritt eine einzige oft sehr lange und dicke Zelle, 
die Internodialzelle, auf, dann folgt eine flache und darauf wieder 
eine Internodialzelle. Diese erleiden ausser weiterem Wachstum 
keine Veränderung mehr, während die erwähnte flache Zelle sofort 
wieder eine Anzahl Zellen an ihrer Peripherie bildet, aus denen 
die Blätter entstehen. An den Blättern wiederholt sich derselbe 
Wechsel zwischen Internodial- und Knotenzellen und die letzteren 
gliedern wieder peripherische Zellen ab, aus denen dann die stets 
einzelligen Blättchen entstehen. Aus den Knoten der Stengel und 
Blätter entsteht auch ihre Berindung, indem schon in sehr jugend- 
lichem Alter der Sprosse vom Knoten aus aufwärts und abwärts 
eine Anzahl röhrenförmiger Zellen wachsen, welche ungefähr in der 
Mitte des Internodiums zusammentreffen und dasselbe rings um- 
hüllen. Aus gewissen kurzbleibenden Zellen der Berindung wachsen 
auch manchmal Stacheln hervor, welche die Pflanze oft ganz behaart 
erscheinen lassen (z. B. Chara crinıta). Bei der Gattung Nitella 
fehlt die Berindung, auch die Blätter sind anders gebaut. Eine 
ungeschlechtliche Fortpflanzung fehlt den Charen, nur eine vegetative 
Vermehrung durch Wurzelknöllchen oder verschiedenartige aus den 
Knoten hervortretende Sprosse ist vorhanden. 

Ein besonderes Interesse bieten die Armleuchter durch die 
Strömung des Protoplasmas in den Zellen, welche man hier 
deutlicher als irgend sonst im Pflanzenreich beobachten kann, was 
zumteil mit der Grösse der Zellen zusammenhängt. Diese gehören 
nämlich zu den grössten überhaupt bekannten Zellen, denn sie werden 
bei manchen Arten (z. B. die ersten Internodialzellen von Tolypella 
prolifera) bis 20 cm lang und bis 2 mm dick. Im Innern der 
bei der Grösse der Zellen dünnen Zellwand findet sich zunächst 
eine eng anliegende ruhende Protoplasmaschicht, welche die reihen- 
weise angeordneten Chlorophylikörner trägt. Auf diese folgt eine 
Protoplasmaschicht, welche sich in einem geschlossenen, in der 
Längsrichtung der Zellen liegenden Ringe bewegt und zwar so, 
dass der Strom auf der einen Seite der Zelle aufsteigt, am oberen 


Die Algen. 61 


Ende derselben umbiegt und auf der anderen Seite wieder absteigt, 
um am unteren Ende wieder umzubiegen. Die Plasmaschicht führt 
eine Anzahl heller Zellkerne und kleinere Körnchen mit sich und 
bewegt sich bald langsamer, bald schneller, je nach Temperatur 
und Beleuchtung und wohl auch nach dem Alter der Zellen. 
Besonders schön ist diese Plasmaströmung (Rotation) bei den nicht 
berindeten Nitellen zu sehen, weil die berindeten Charen ausser 
den Rindenzellen auch noch sehr häufig eine dicke Kalkinkrustation 
zeigen, welche den Zellinhalt verdeckt. Die Plasmaströmung hat 
denn auch die Gattung Nitella zu einem wertvollen Objekt für die 
Pflanzenphysiologie gemacht, ohne dass man jedoch trotz vieler 
Untersuchungen über diesen Punkt vollständige Aufklärung er- 
halten hätte. 


Die Characeen sind eine zwar artenarme aber formveränder- 
liche und schwierige Pflanzengruppe, welche ziemlich isoliert im 
Pflanzenreiche dasteht, von den Systematikern bald bei den Algen, 
bald bei den Moosen untergebracht wird. Vielleicht ist es am 
besten, sie als eigene Gruppe zwischen beide zu stellen. Sie finden 
sich besonders im süssen Wasser, wo sie oft vollständig den Grund 
der Seen überziehen. Einzelne Arten, so Ch. foetida, entwickeln 
einen widerwärtigen Geruch, den man beim Austrocknen von Charen 
bewohnter Tümpel oft auf weite Entfernungen wahrnimmt. 


Von den anderen Wasserkryptogamen mögen zunächst noch 
die Torfmoose erwähnt werden, welche wenigstens gewissen Wasser- 
ansammlungen ihren Charakter verleihen, besonders den Tümpeln 
der Hochmoore. Hier bilden sie nicht nur ein dichtes Polster 
um die Wasserfläche herum, sondern fluten auch noch in dem 
Wasser selbst. Sie sind von den anderen Moosen leicht durch 
die eigentümliche Bildung der Blätter zu unterscheiden, denn diese 
bestehen nicht wie bei den letzteren aus gleichartigen Zellen, 
sondern aus grossen luftführenden weissen, schief rhombischen, 
durch spiralige Leisten verdickten und mit Öffnungen nach aussen ver- 
sehenen Zellen und aus dazwischen liegenden schmalen chlorophyll- 
haltigen. Die Fortpflanzung der Torfmoose, wie die der Moose 


62 Die Algen. 


überhaupt, ist durch einen sogenannten Generationswechsel charakte- 
risiert. An der Moospflanze entstehen die Geschlechtsorgane in 
„Blüten“, bald männliche, Antheridien, und weibliche, Archegonien, 
zusammen, bald getrennt. Im Grunde des Archegoniums findet 
sich eine Eizelle, welche durch die den beschriebenen Spermato- 
zoiden der Charen ähnlich gestalteten, aus den Antheridien 
entstandenen Samenkörperchen befruchtet werden. Die befruchtete 
Eizelle entwickelt sich zu der zweiten, ungeschlechtlichen Generation, 
der Mooskapsel. Diese bringt in ihrem Innern eine Anzahl un- 
befruchtete Sporen hervor, aus denen sich bei der Keimung Vorkeime 
entwickeln und an diesen wieder die geschlechtliche Generation, die 
Moospflanzen. 

Bei den höher stehenden Farnpflanzen oder Pteridophyten, 
von denen eine Gruppe, die Wasserfarne (Hydropteriden), recht 
eigentliche, obwohl seltene Wasserbewohner sind, findet sich eben- 
falls ein deutlich ausgesprochener Generationswechsel; nur ist hier 
die geschlechtliche Generation ein unscheinbares kleines lebermoos- 
artiges Gebilde, an welchem die ungeschlechtliche hochentwickelte 
Pflanze, das eigentliche Farnkraut, entsteht, also ganz entgegen- 
gesetzt den Moosen. 

Von den bei uns heimischen Wasserfarnen ist am häufigsten 
Salvinia natans, ein zierliches auf dem Wasser schwimmendes 
Gewächs, welches entfernt einem Akazienblatt ähnlich ist. Die 
Salvimia trägt zwei Arten von Blättern, zwei Reihen laubartige, 
nach oben gekehrte und eine dritte Reihe sehr fein zerschlitzter 
in das Wasser hineinragender, welche man sich schwer entschliessen 
kann, nicht für Wurzelbüschel anzusehen. Viel seltener und in 
Deutschland nur in Schlesien. und am Rhein heimisch ist die dort 
Wasserklee oder Vierklee genannte Marsılia quadrifoliata, welche 
in der That einem Stock nur Vierblätter tragenden Klees ausser- 
ordentlich ähnlich ist. 

Auf dem Grunde unserer Seen lebt noch eine dritte Gattung 
in wenigen Arten, /soetes, welcher ebenso wie die zerstreut durch 
Deutschland in Wiesengräben vorkommende Pillularia an kleine 
Binsenbüsche erinnert. 


Die Algen. 63 


Nicht eigentlich zu den Wassergewächsen gehören die 
Schachtelhalme, aber eine Anzahl Arten lieben die Ufer von 
Teichen und Sümpfen und verleihen ihnen so einen bestimmten 
Charakter. Damit sind die Wasserkryptogamen, abgesehen von 
den Pilzen, erschöpft und wenn die höher organisierten, die Moose 
und Farne, vermöge ihrer Grösse weit mehr in die Augen fallen 
und die Flora eines Wassers mehr zu bestimmen scheinen, so 
verschwindet ihre Zahl doch gegen den Reichtum an Formen, und 
an Schönheit gegenüber den mikroskopischen Algen. 


Litteratur. 


Für Süsswasseralgen sind folgende allgemeine Werke von 
besonderer Wichtigkeit: 


ı. Rabenhorst, Flora Europaea Algarum aquae dulcis et sub- 
marinae. 


1} 


. Kützing, Species Algarum. 

en Tabulae phycologicae. 

. De Toni, Sylloge Algarum (bis jetzt Chlorophyceen erschienen). 
Hansgirg, Prodromus. 


Kirchner, Algenflora von Schlesien. 


on eo 


. Falkenberg, Algen in Schenk, Handbuch der Botanik. 


Für Diatomeen sind eine grosse Anzahl, aber meist sehr teuere 
Werke erschienen, dem Anfänger mögen Rabenhorsts Süsswasser- 
diatomeen (mit ıo Tafeln) genügen. Um die mikroskopische Technik 
zu erlangen, studiert man am besten Strassburgers Botanisches 
Praktikum (1884). 


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Zur Biologie 
der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Von Prof. Dr. Friedrich Ludwig. 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 


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Di Beziehungen der Pflanzenwelt zu ihrer belebten und 
unbelebten Umgebung sind so mannigfaltige, die Anpassungen so 
ungeahnt bis ins einzelne gehend, dass trotz der grossen Zahl 
der Forscher, die sich in der Gegenwart auch hier, wie auf allen 
Gebieten geistiger Arbeit, zusammengefunden haben, um diese 
Beziehungen aufzudecken, fortgesetzt neue Entdeckungen zu ver- 
zeichnen, neue Fragen zu beantworten, neue Probleme zu lösen 
sind. Wir erinnern nur an die merkwürdigen gegenseitigen An- 
passungen der beiden grossen Familien der Feigen und der Feigen- 
wespen il), an die Ameisenpflanzen ?), die Milbenpflanzen mit ihren 
Milbenhäuschen (Acarodomatien) 3), die mannigfachen Eigenschaften, 
welche die Pflanzen im Zusammenleben mit den Schnecken und 
anderen omnivoren niederen Tieren und als Schutz gegen dieselben 
erhalten haben 4), an die höchst eigentümliche Art der Ernährung 
unserer Waldbäume und vieler anderen Pflanzen durch die Ver- 
mittelung der Pilze (Mycorrhizen der Cupuliferen, Ericaceen etc.), 
die Stickstoffernährung der Hülsenfrüchtler durch die Wurzelknöllchen 
bildenden Bacillen (Bacillus radicicola Beyerinck, Franks Rhizobium), 
an die fleischverdauenden Pflanzen, an die Beziehungen zwischen 
gewissen Wirts- und Schmarotzerfamilien und -Arten, wie sie z. B. bei 
der Gruppe der Rostpilze so mannigfach zu Tage treten (die Gattung 
Phragnmudium ist auf die Rosaceen, die Ravenelia auf Leguminosen 
beschränkt, Gymmosporangium bildet die erste Generation nur auf 
Pomaceen, die zweite und dritte auf Coniferen aus etc.), — der grossen 
Kapitel von den Anpassungen der Blumen und Blüten an Insekten, 

5* 


Dr Zu 


68 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Vögel, Wind etc., von den Verbreitungsmitteln der Früchte und 
Samen, den Schutzmitteln gegen allerlei schädigende Einflüsse, die 
ganz besondere Bearbeitung gefunden haben, nicht zu gedenken. 
Immerhin hat man eine stattliche Anzahl solcher Beziehungen der 
Pflanzen zu der übrigen organischen und unorganischen Welt auf- 
gedeckt, die Fäden gefunden, welche die verschiedensten Natur- 
körper einheitlich verknüpfen, zu einem Naturganzen zusammen- 
schlingen — soweit es sich um Landtiere und Landpflanzen handelt. 
Nicht so weit ist man in die Lebensgeheimnisse der Wasserwelt 
eingedrungen. | 

Das Pflanzenleben im Wasser ist doch an ganz andere 
Bedingungen geknüpft. Luft und Erde mit ihren Organismen und 
unorganischen Bestandteilen sind es allein, mit und in welchen 
die gewöhnliche Landpflanze zu leben hat. Eine dritte Hülle 
unseres Planeten, die Wasserhülle, mit all ihren abweichenden 
physikalischen und chemischen Eigenschaften, mit einer ganz 
anderen Lebewelt, die teils der Pflanze von Nutzen ist, teils von 
ihr abgewehrt werden muss, ist das Element der Wasserpflanzen. 
Dazu kommt, dass auch das Luftmeer über dem Wasser und der 
Erdboden unter dem Wasser andere physikalische Eigenschaften 
und ein anderes Tierleben besitzt als Luft und Boden im Trocknen. 
Das grössere spezifische Gewicht des Wassers macht gewisse Ein- 
richtungen der Landpflanzen, welche der Festigung dienen, überflüssig, 
indem das Wasser einen guten Teil der Last der Pflanzenorgane 
bei Wasserpflanzen trägt. Das Verhalten des Wassers zur Wärme ist 
der Pflanzenwelt besonders günstig. Die Temperaturveränderungen 
erfolgen allmählich, nicht plötzlich wie die der Luft und des 
trocknen Bodens, und vermöge seiner Eigenschaft, bei + 47% 
den kleinsten Raum einzunehmen oder die grösste Dichtigkeit zu 
haben, gefriert das Wasser nur an der Oberfläche, in der Tiefe 
eine Temperatur von über 0° bewahrend, welche auch dem Boden 
der Gewässer zu gute kommt. Im Wasser, am und im Boden der 
Gewässer, können daher Gewächse überwintern, welche am Lande 
im Winterfrost zugrundegehen würden. Daher sind auch die 
eigentlichen Wasserpflanzen ausdauernd, mit Ausnahme der ufer- 


A 0! 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 69 


bewohnenden Tännelarten (Zlatine) und des Nixenkrautes 
(Najas flexilis und minor); und auch von solchen Arten, die in 
einer besondern einjährigen Landform vorkommen, wie dem Wasser- 
hahnenfuss, dem schwimmenden Igelkolben etc., ist die 
Wasserform ausdauernd, auch im Winter flutend. 

Die Löslichkeit für die Bestandteile der atmosphärischen Luft 
ist eine ungleiche und das Wasser nimmt von ihnen nur 2—3 0/o 
Sauerstoff auf, während das Luftmeer davon etwa 21 0/0 ent- 
hält; dagegen hat das Wasser einen hohen Kohlensäuregehalt, 
auch die Bodengase haben eine wesentlich andere Zusammen- 
setzung auf dem Wassergrund als am Lande. Schliesslich sind die 
Beleuchtungsverhältnisse im Wasser, das einen guten Teil der 
Sonnenstrahlen absorbiert, andere als in der Luft. 

Diese und ähnliche Verhältnisse müssen in dem Bau und der 
Entwickelung der Wasserpflanzen zum Ausdruck gekommen sein und 
thatsächlich werden uns die wesentlichsten Unterschiede zwischen Land- 
und Wasserpflanzen von diesem Gesichtspunkte aus verständlich. 

Von vornherein ist im Wasser ein fünffaches Pflanzenleben 
denkbar: ı. Das Leben im Boden der Gewässer (Schlammpflanzen). 
2. Das Leben in Boden und Wasser (submerse Wasserpflanzen 
mit Wurzeln). 3. Das Leben im Wasser (nichtwurzelnde submerse 
Wasserpflanzen). 4. Das Leben in Wasser und Luft (nichtwurzelnde 
Schwimmpflanzen und nichtwurzelnde submerse Pflanzen, welche 
ihren Blütenstand über Wasser zur Entwickelung bringen) und 
5. Das Leben in allen drei Medien zugleich (wurzelnde Pflanzen, 
welche ihren Blütenstand über Wasser entwickeln und die eigent- 
lichen Sumpf- und Uferpflanzen). Von Schlammpflanzen, welche 
in dem an toter organischer Substanz reichen, lockeren, auch im 
Winter nicht gefrierenden Boden unserer Gewässer leben, sind bisher 
wohl nur die niedersten Pilzformen bekannt geworden, welche aber 
zumteil bedeutende Veränderungen an der Erdoberfläche hervor- 
gebracht haben und die Zusammensetzung der Nährstoffe für die 
phanerogamischen Süsswassergewächse nicht unwesentlich beeinflussen. 
Erinnert sei an die Spaltpilze der Cellulosegärung (Bacıllus Amylo- 
bacter etc.), die Bildner des Sumpfgases, durch dessen Wirkung 


70 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


der Gips unter Entwickelung von Schwefelwasserstoff in kohlen- 
sauren Kalk umgewandelt wird, ferner an die „Schwefelbakterien“ 
(Beggiatoa, Clathrocystis rosea-persicina, Ophidomonas etc.), welche 
. den Schwefelwasserstoff der Cellulosegärung zu Schwefel, den sie 
in Form kleiner amorpher Kügelchen in der Zelle aufspeichern, 
und letztern sodann zu Schwefelsäure oxydieren. Durch die letztere 
verwandeln sie die Karbonate wieder in Sulfate und geben freie 
Kohlensäure an das Wasser ab. Auch die von Winogradski als 
„Eisenbakterien“ bezeichneten Bildner des Sumpf- und Wiesen- 
erzes u. a. gehören hierher’). 

Die phanerogamischen Wassergewächse gehören den übrigen 
Abteilungen an, deren Lebensverhältnisse, soweit sie sicher bekannt 
sind, im folgenden an einigen ausführlicheren Beispielen etwas ein- 
gehender behandelt werden sollen. 


Die submersen (untergetauchten) Wasser- 
pflanzen. 


Die Ernährung der Landpflanzen geht bekanntlich im grossen 
und ganzen in der Weise vor sich, dass das Wasser des Bodens 
mit den darin gelösten Nährsalzen von der Wurzel nach den 
chlorophyllhaltigen Geweben des Blattes emporgehoben und mit 
der aus der Atmosphäre durch die Blätter aufgenommenen Kohlen- 
säure zu den ersten organischen Verbindungen (Stärke etc.) ver- 
arbeitet, „assimiliert“ wird. Die Bewegung des Wassers wird dabei 
wesentlich durch die an der Blattfläche, besonders auch durch die 
in den Spaltöffnungen der untern Blattseite stattfindende Verdun- 
stung und hierdurch ausgeübte Saugkraft auf die darunter gelegenen 
Elemente bewirkt. Dieser „Transspirationsstrom“ geht durch die 
Gefässe von der Wurzel durch die Hauptachse zu den seitlichen 
Auszweigungen und den Blättern an ihnen, während die Kohlen- 
säure durch die Spaltöffnungen in das „Schwammparenchym“ des 
Blattes gelangt. Das Blatt zeigt in der Regel unter chlorophyli- 
freier Epidermis oben das zu den Beleuchtungsverhältnissen in der 
Luft in Beziehung stehende sogenannte Pallisadengewebe, unten, 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 21 


innerhalb der von den Spaltöffnungen durchsetzten Epidermis, das 
Schwammgewebe mit den Atemhöhlen. 

Bei den submersen Wasserpflanzen kommt dieser 
Transspirationsstrom, mit ihm der strenge Gegensatz 
von Haupt- und Nebenachse und das Hervortreten der 
Gefässe in Wegfall. 

Die Spaltöffnungen fehlen den untergetauchten 
Blättern. Die Aufnahme der im Wasser gelösten Kohlen- 
säure sowohl, wie der anorganischen Nährsalze, geschieht direkt 
durch die dünnwandige chlorophylihaltige Epidermis6). 
Die Wurzeln dienen in der Hauptsache da, wo sie vorhanden 
sind, als Haftorgane, haben ihre Rolle der Nahrungsaufnahme 
verloren (besitzen keine Wurzelhaare mehr etc.), in vielen Fällen 
fehlen sie jedoch gänzlich. Da die ganze grüne Blattmasse an 
ihrer Oberfläche durch Diffusion die Aufnahme der flüssigen Nah- 
rung und den Gasaustausch besorgt, muss bei ihr das Prinzip 
der äussern Oberflächenvergrösserung durch tiefgehende 
Zerteilung und Verzweigung, das den Grundbau der ganzen 
höhern Pflanze (Verzweigung von Wurzel und Stamm) im Gegen- 
satz zu dem der höheren Tiere beherrscht, besonders zur Geltung 
kommen. Spaltet man einen Würfel oder einen andern Körper 
fortgesetzt, so kann man bekanntlich, ohne das Gesamtvolumen zu 
ändern, die Oberfläche bis zu jeder beliebigen Flächengrösse hinauf 
wachsen lassen. Derartig ist auch die Vergrösserung der mit der 
spärlichen Sauerstoffmenge im Wasser haushaltenden Atmungsorgane 
(Kiemen) unserer Wassertiere. Thatsächlich ist nun den submersen 
Wasserpflanzen mit wenigen Ausnahmen und nicht allein ihnen, 
sondern auch den untergetauchten Wasserblättern der Pflanzen der 
vierten und fünften Gruppe eine weitgehende Zerschlitzung des 
Blattes bis zu feinen haar- oder borstenförmigen Abschnitten 
gemein. So z. B. den Arten des Hornblattes (Ceratophyllum), 
des Tausendblattes (Myriophyllum), des Wasserschlauches (Utricu- 
larıa), der Sumpffeder (Fottonia), der Aldrovandie. So sind wenig- 
stens die untergetauchten Blätter haarförmig fein geteilt bei den 
Wasserhahnenfussarten (Batrachmm), bei der Rebendolde (Oenanthe 


72 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Phellandrium etc... In anderen Fällen sind die dünnen Blätter 
zwar einfach, aber schmallinealisch, so z. B. bei der Wasserpest 
(Elodea), der Vallisnerie (Vallisneria spiralis), den Wassersternen 
(Callitriche) u. a. Die feine Zerteilung etc. sichert zugleich das 
Blatt vor einem Zerreissen durch Wasserströmungen und Wassertiere. 

Betrachten wir des weitern die untergetauchte Wasserpflanze 
in ihren Beziehungen zu ihrer Umgebung an einigen besonderen 
Beispielen. 

Das Gemeine Hornblatt (Ceratophyllum demersun:) ist eine 
in Teichen, langsam fliessenden Gewässern und am Rande von 
Seen weit verbreitete, wurzellose, frei im Wasser flutende Art mit 
quirlig stehenden, wiederholt gabelspaltigen, feingeteilten Blättern an 
verzweigtem runden Stengel, der an der Spitze fortwächst, vom 
untern Ende aus absterbend. Es ist die einzige Pflanzen- 
gattung des Süsswassers, welche streng hydrophil ist, 
d.h. zur Übertragung des Pollens vom Staubgefäss zur Narbe des 
Stempels des Wassers bedarf, während von Meerespflanzen eine 
Anzahl hydrophiler Pflanzen bereits seit längerer Zeit bekannt ist. 
Als ich vor zehn Jahren auf Veranlassung meines Freundes Hermann 
Müller die Bestäubungsverhältnisse unserer Süsswasserpflanzen und 
ihre Anpassungen an das Wasser und gewisse wasserbewohnende 
Insekten einem eingehenderen Studium unterzog”), da war über 
diese — wie H. Müller sagt — „bis dahin auffallend vernach- 
lässigte Gruppe“ noch so gut wie gar nichts bekannt. Ceratophyllum 
demersum (Fig. 6) zeigte mir einen in wunderbarer Weise der 
Wasserbefruchtung angepassten Mechanismus. Männliche und 
weibliche Blüten stehen, kaum gestielt, getrennt in verschiedenen 
Blattwirteln ordnungslos durcheinander (nur scheinen zu unterst 
die weiblichen Blüten zu überwiegen). Die männlichen staubgefäss- 
und pollenreichen Blüten sind in beträchtlich grösserer Zahl vor- 
handen, als die weiblichen. Letztere enthalten in einem anliegenden 
vielzipfeligen Kelche einen ovalen Fruchtknoten mit einem den 
Kelch um das vier- bis fünffache überragenden hakig nach unten. 
gekrümmten Griffel, der sich nach der Spitze zu allmählich ver- 
schmälert. Der letztere ist nirgends warzig, doch sondert seine 


BT 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 73 


ganze Unterseite einen Klebstoff ab und fungiert als Narbe. — 
Der männliche Blütenstand besteht aus 12—ı6 sehr kurz gestielten 
Antheren, die von einer vielteiligen Hülle umgeben sind. Die 
einzelnen Teile der letztern sind linealisch, gestutzt, meist zwei- 


Sme=T 


2 
sw 


= 


um 
=; 


u 


Te 


6% 
Fig. 6. 
Befruchtung des Gemeinen Hornblattes (Cerafophyllum demersum: a Männlicher Blüten- 
stand — 5 Hüllkelch desselben nach der Entleerung — c Ein Staubgefäss (vergrössert) — 
2 Auftrieb — @ Oberer Teil desselben (Auftrieb) — e Pollenkörner — / Weibliche Blüte 
(schwach vergrössert) — g Griffel — %:' Narbenfläche. 


dornig. Die Staubgefässe bestehen im unteren, dem kurzen Stiele 
aufsitzenden Teile aus zwei seitlich sich längs öffnenden Pollen- 
kammern und im oberen Drittel aus lockerem lufthaltigen Gewebe, 
an der Spitze mit zwei nach der Mitte zu gekrümmten Dörnchen, 
zwischen denen meist noch eine schwärzliche, mehr oder weniger 


74 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


gerade höckerige Drüse sich befindet. Diese Spitzenanhängsel 
des pollenerzeugenden Apparates (ebenso wie die sie einschliessenden 
Dornspitzen) kommen in fast gleicher Weise an den Enden der Hüll- 
blätter und Laubblätter vor (vgl. Fig. 6%). Sie sind nach neueren 
Untersuchungen $) tanninhaltig und bilden nach Stahl) ein 
wirksames Schutzmittel gegen Wasserschnecken, wohl 
auch gegen andere Wassertieree Zur Befruchtung stehen sie 
in keiner Beziehung. Anders verhält es sich mit dem aus 
lockerem lufthaltigen Gewebe bestehenden Antheren- 
fortsatz, den ich als „Auftrieb“ bezeichnet habe. Derselbe 
macht das ganze Staubgefäss spezifisch leichter als 
Wasser und treibt dasselbe, wenn es aus der Blüte los- 
gelöst wird, nach der Oberfläche des Wassers. Die rund- 
lichen oder länglichen nur von einer zarten Haut umgebenen 
Pollenkörner haben genau das spezifische Gewicht des 
Wassers, so dass sie in jeder beliebigen Tiefe suspendiert bleiben. 
Dieses verschiedene spezifische Gewicht der Pollenkörner und des 
gesamten pollenerzeugenden Apparates, zusammen mit dem Ver- 
halten der starrblättrigen Hülle, bestimmt den eigentlichen Pollen- 
transport. Die Hüllblätter haben nämlich das Bestreben, 
sich nach innen zu biegen — an entleerten Blütenständen 
sind sie aufrecht —, so dass die Staubgefässe zur Zeit ihrer 
völligen Ausbildung keinen genügenden Platz mehr haben. Zur 
Zeit der Dehiscenz werden die letzteren daher aus der Hülle 
herausgepresst und schwimmen unter der Wirkung des 
Auftriebes nach oben, bis sie die Wasseroberfläche erreicht 
haben, oder, was häufiger geschieht, zwischen den hakigen Blättern 
der oberen Stengelglieder zurückgehalten werden. Während 
dieser Aufwärtsbewegung werden die Antheren entleert, 
wobei die durch den Auftrieb bedingte Vertikalstellung des Staub- 
gefässes besonders günstig ist, und verbreiten sich — weil vom 
spezifischen Gewicht des Wassers — über den ganzen vom 
pollenerzeugenden Apparat bestrichenen Raum. Wird so schon 
das Wasser, in welchem Ceratophyllum wächst, überall von dessen 
grossen Pollenkörnern (40—50 u breit und 50—75 w lang) 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 5 


erfüllt, so kommt der Verbreitung der letzteren resp. einer Fremd- 
befruchtung durch dieselben nächst den Bewegungen des Wassers 
selbst und den passiven Bewegungen des Ceratophyllum durch 
Wassertiere ein anderer Umstand zu statten — die Eigen- 
bewegung des Ceratophyllumstammes, die besonders in 
ruhigem, stehendem Wasser (in welchem ich meine Beobachtungen 
anstellte) nicht unterschätzt werden darf. * Dieselbe wurde zuerst 
von E. Rodier?) nachgewiesen. Die jungen (blütentragenden) 
Internodien haben eine vom Lichte unabhängige, kompli- 
zierte Bewegung, welche einen besonderen Fall der Darwinschen 
Circumnutationen 10) darstellt, sich aber von der Mehrzahl dieser 
durch die Weite und die verwickelte Art der Bewegung unterscheidet. 
Im allgemeinen biegen sich die Stämme früh von rechts 
nach links und am Nachmittag in entgegengesetzter 
Richtung. Zuweilen werden in sechs Stunden Winkel von 200°, 
in einem Fall wurde sogar in drei Stunden ein Winkel von 220° 
zurückgelegt. Zudem führen die Zweige um ihre Wachstumsachse 
Torsionsbewegungen aus. Die Biegung der Stämme ist schliesslich 
eine ganz eigentümliche, sie beginnt an der Spitze und pflanzt 
sich von da in abnehmender Stärke nach unten fort, während 
die Rückwärtsbewegung unten beginnt und oben endigt, 
so dass die letzten Internodien kurz vor ihrer Zurückbewegung 
zuweilen mit der Achse einen spitzen Winkel bilden. Berücksichtigt 
man noch, dass der Pollen in ausserordentlich reichlicher Menge 
erzeugt wird, so dürfte nach alledem eine erfolgreiche Fremd- 
befruchtung der — wie ich glaube etwas vor den Antheren ent- 
wickelten — weiblichen Blüten gesichert sein. — Herm. Beyert!) 
spricht von einer gleichzeitigen Bewegung der weiblichen Blüten 
nach der Oberfläche, an welcher der vorher nicht entleerte Teil 
des Pollens umherschwimmt, doch habe ich eine solche Bewegung 
nicht wahrgenommen. 

Die eigentümliche Befruchtungsweise der Ceratophyllumarten 
(bei den übrigen deutschen Arten C. submersum und C. platya- 
canthum wird sie in gleicher Weise angegeben) steht allem 
Anschein nach in der Mitte zwischen der der Seegräser einer- 


N 3 bb am BETT NE Fa 


76 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


und der Hydrocharidaceen anderseits. Bei den Seegräsern 
(Zostera, Cymadocea, Halodule etc.) besteht der Pollen aus 
algenähnlichen bis zwei Linien langen Schläuchen, welche, 
vom spezifischen Gewicht des Wassers, direkt in dieses entleert 
werden und von den band- oder hakenförmigen Narben 
aufgefangen die Befruchtung bewirken; auch bei dem 
Nixenkraut /(Najas),» dessen Blütenverhältnisse Jönssen und 
Magnus näher studiert haben, kommen ähnliche Verhältnisse vor; 
die Pollenkörner sind aber hier nach Jönssen durch ihren Gehalt 
an Stärkekörnern schwerer als das Wasser und sinken nach unten, 
um von den Fangapparaten der tiefer sitzenden weiblichen Blüten 
aufgefangen zu werden (man vergleiche aber die diese Auffassung 
berichtigende Bemerkung von Magnus, nach dem erst die ausge- 
keimten Pollenkörner verbreitet werden). Durch den Mangel der 
Exine, der äusseren schützenden und oft mit Stachelfortsätzen 
besetzten Haut der Pollenkörner und das hohe spezifische 
Gewicht der letzteren stehen die Hornblattgewächse diesen 
submers blühenden Seegräsern nahe, während sie durch die sich 
loslösenden aufsteigenden Staubgefässe an die Hydrochari- 
deen erinnern. Von letzteren ist die Vallisnerie (Vallısneria 
spiralis), die seit JAhrhunderten bekannte und schon vielfach poetisch 
und prosaisch geschilderte Wasserblume,‘ wie eine im indischen 
Ozean heimische Verwandte (Znhalus acoroıdes), am charakte- 
ristischsten. Die ganzen männlichen Blüten lösen sich los und 
schwimmen während der Dehiscenz an der Wasserfläche 
umher, während die weiblichen Blüten auf langem 
schraubenförmigen Stiele die Oberfläche erreichen, um 
hier von den im Winde hin und her getriebenen Staubblüten die 
Pollenkörner aufzunehmen. Nach geschehener Befruchtung schraubt 
sich ihr Stiel wieder auf den Boden zurück, um hier die Früchte 
zu reifen. Auch bei der Wasserpest (Zlodea canadensıs), deren 
weibliche Form im Jahr 1836 nach Irland kam12) und sich von 
da aus mit anfangs erschreckender Schnelligkeit überall in Europa 
ausbreitete, steigen in der nordamerikanischen Heimat die männ- 
lichen Blüten zur Höhe, um an der Oberfläche ihre Pollenmassen 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 77 


in die auf gestrecktem Fruchtknoten an die Oberfläche gelangten 
Stempelblüten auszuschütten. Bei Zyarilla verticillata, einer ein- 
heimischen Verwandten der Elodea, ist der Bestäubungsvorgang noch 
nicht ermittelt, wohl aber ein ähnlicher. Bei der Verwandten unseres 
Laichkrautes, der Meerstrands-Ruppie (Ruppia spiralıs), streckt 
sich der Stiel des weiblichen Blütenstandes ähnlich wie der Blüten- 


.stiel der Vallisnerie schraubig zur Oberfläche, aber nur die aus den 


Antheren austretenden Pollenkörner gelangen infolge ihres geringen 
spezifischen Gewichtes zur Oberfläche, um dort herumschwimmend 
die weibliche Narbe zu erreichen. 

Die Verbreitung der hakigen Früchte der Hornblattarten 
geschieht ohne Zweifel durch Wassertiere (Wasservögel, Wasser- 
ratten etc.), wie auch die leicht zerbrechlichen Zweige, die durch 
Fische und andere, auch über Land wandernde Tiere abgebrochen 
und an ihren hakigen Blättern verschleppt werden, leicht und schnell 
weiterwachsen, so dass in manchen Gegenden das Hormblatt eine 
der Wasserpest ähnliche Verbreitung erreicht hat. 

Zwei weitere submerse Wasserpflanzen, der Wasserschlauch 
(Utricularıa) und die ihm biologisch verwandte Aldrovandıa, ver- 
dienen nach den Hornblattgewächsen ohne Zweifel zunächst unsere 
Beachtung. 

Die Blasenpflanze (Aldrovandıa vesiculosa), deren eigent- 
liche Heimat die Gewässer des Südens von Südfrankreich und 
Italien bis Indien und Australien sind, findet sich zerstreut in 
Vorpommern, der Mark Brandenburg und Schlesien, ferner 
in den Etschsümpfen bei Bozen in Tirol und im Bodensee. Der 
submerse dünne Stengel wird kaum 30 cm lang und verästelt sich 
wenig; er ist dicht mit wirtelständigen Blättern besetzt, deren Stiel 
gegen das Ende breiter wird und in vier bis sechs steifen Vorsprüngen 
mit kurzen Borsten endet. Die dazwischen befindliche Spreite selbst 
erscheint, wenn sie geschlossen, blasenförmig. Abgesehen von den 
blasigen Blättern erinnert die Aldrovandie im Habitus an das Cerato- 
phyllum; die starren Blattstacheln des letzteren sind wohl auch der 
Funktion nach den spitzen Seitenfortsätzen am Grunde der 
Aldrovandiablasen gleich. In einer anderen Hinsicht steht aber 


a er Tr ia 


78 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


die letztere der prächtigen Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula) 
sehr nahe, ja sie kann als eine kleine im Wasser wachsende 
Dionaea bezeichnet werden. Es ist bekannt, dass diese hübsch 
blühende Sumpfpflanze Carolinas (Fig. 7), welche in unseren Ge- 
wächshäusern nicht selten zu finden ist, auf breitem Blattstiel ein 
zweilappiges Blatt trägt, dessen Teile klappenartig zusammenschlagen, 
wenn sich ein Tier auf die Blattfläche setzt. Der Londoner Kauf- 
mann Ellis, welcher die Dionaea benannte, hatte bereits beobachtet, 
dass auf jeder der beiden Blatthälften drei starre Haare 
befindlich sind, und gemeint, dass beim Zusammenschlagen des 
Blattes, dessen Randstacheln dann den Fingern der zum Gebet 


Blatt der Venusfliegenfalle (Dronaea muscipula). 


gefaltenen Hände ähnlich ineinandergreifen, Fliegen nicht nur ge- 
fangen, sondern durch die sechs messergleichen Spitzen durchbohrt 
würden, wie einst die Verbrecher von der „eisernen Jungfrau“ in der 
Folterkammer zu Nürnberg. Dies war ein Irrtum. Später fand man, 
dass die sechs Spitzen die Tentakeln des Blattes sind, deren Be- 
rührung ein ausserordentlich schnelles Schliessen des ganzen Blattes 
zur Folge hat, die aber selbst dabei den Klingen eines Taschenmessers 
ähnlich sich zusammenlegen. Das Blatt der Dionaea selbst 
kann man zwicken, stechen, schütteln, mit Wasser über- 
giessen, ohne dass es sich bewegt, stösst man aber einen 
der sechs Tentakeln mit einem Strohhalm leise an, so 
schliesst sich das Blatt im Nuß3). Wie bei uns Fliegen 


gefangen werden, so werden in der Heimat an dem natürlichen 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 79 


Standort der Dionaea auch zahlreiche grosse und kleine Käfer, 
Spinnen, Skolopender gefangen und — verzehrt; denn die Wissen- 
schaft hat nunmehr unumstösslich festgestellt, dass die Dionaea und 
ihre ganze Sippe der Sonnentaugewächse, nebst einer Reihe 
anderer Familien „Fleischfresser“ sind, Tiere fangen, durch 
Ausscheidung einer unserem Magensaft ähnlichen 
Flüssigkeit verdauen und die Verdauungsflüssigkeit als 
Nahrung aufsaugen. 


Fig. 8. 


Blasenpflanze (.Aldrovandıa vesiculosa). a Ganze Pflanze (nach Schlechtendal-Schenk) — 
5 Blattwirtel (vergr.) — c Offenes, flachgedrücktes Blatt (# und c nach Cohn-Darwin). 


Bei den Landsonnentaugewächsen bewegen sich nur die Blatt- 
drüsen, während sich bei der Dionaea das ausserordentlich reizbare 
Blatt selbst bewegt. Unsere Aldrovandia (Fig. 8), die gleichfalls 
zu den Sonnentaugewächsen zählt, ‚verhält sich nun, wie Stein 1873 
entdeckte und hernach Cohn und andere festgestellt haben 14), ganz 
wie die Dionaea. Das zweilappige Blatt, dessen Mittelrippe an der 
Spitze mit einer kurzen Borste endigt, Öffnet sich bei warmem 
Wetter etwas weiter, bei uns gewöhnlich aber nur so viel als die 


80 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


beiden Klappen einer lebenden Muschel. Lange gegliederte 
Haare auf der Mittelrippe und dem konkaven Teil der 
Blattlappen sind sensitiv wie die sechs Dionaeahaare. 
Eine Reizung derselben bewirkt ein augenblickliches Zu- 
sammenklappen des Blattes. Larven und andere Wassertiere, 
besonders Krustentiere, werden nach den Untersuchungen von Cohn 
in grosser Menge gefangen und verzehrt. Neben den erwähnten 
in der Nähe der Mittelrippe und auf dieser selbst befindlichen 
längeren gegliederten Tentakeln ist nämlich das Blatt in 
dem der Mittelrippe zu gelegenen konkaven Teile (der eigent- 
lichen Oberseite des Blattes) mit gestielten farblosen Drüsen, 
die denen des Dionaeablattes gleichen (aber einfacher als diese sind), 
dicht besetzt (vgl. die Figur). Die Ähnlichkeit mit den entsprechenden 
genauer untersuchten Verhältnissen bei der Fliegenfalle, wie auch 
Versuche mit Fleischaufguss und verschiedene Beobachtungen machen 
es mehr als wahrscheinlich, dass sie es sind, welche eine wahre 
verdauende Flüssigkeit absondern und später die verdaute Substanz 
aufsaugen. Der äussere und breitere Teil des Lappens am 
Aldrovandiablatte ist flach und sehr dünn und wird nur aus 
zwei Zellschichten gebildet (der konkave Teil). Seine Oberfläche 
(Innenfläche) trägt keine Drüsen, aber an ihrer Stelle kleine vier- 
spaltige kreuzförmige Trichome. Zwei der schräg auseinander- 
laufenden Arme derselben sind gegen die Peripherie gerichtet und 
zwei gegen die Mittelippe. Ein schmaler Rand des flachen 
äusseren Teiles jedes Lappens ist einwärts gebogen, so dass, wenn 
die Lappen geschlossen sind, die äusseren Oberflächen der ein- 
gefalteten Teile in Berührung kommen. Der Rand trägt eine Reihe 
sehr zarter Spitzen, welche aber nicht wie die peripherischen Spitzen 
bei Dionaea Verlängerungen der Blattscheibe, sondern nur Hautgebilde 
sind. Sie, wie besonders die vierteiligen Trichome, dürften 
nach Darwin dazu dienen, faulende und zerfallene 
tierische Substanz aufzusaugen, welche von der Konkavität des 
Blattes abfliesst. Es würde, falls sich diese Ansicht bestätigt, hier 
der merkwürdige Fall vorliegen, dass verschiedene Teile eines und 
desselben Blattes sehr verschiedenen Zwecken dienen: der eine zu 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 81 


wahrer Verdauung, ein anderer zur Aufsaugung der Fäulnisprodukte 
der nicht verdauten tierischen Kadaver. Die Aussenseite des 
Aldrovandiablattes ist mit schr kleinen zweiarmigen Papillen 
besetzt, die den achtstrahligen über Spreite und Blattstiel ver- 
breiteten Papillen von Dionaea und den Papillen auf dem Blatt 
des gemeinen Sonnentaues analog sind. Für sie hat Darwın 
bei Drosera nachgewiesen, dass sie nicht abzusondern, wohl 
aber zu absorbieren vermögen. Sie könnten bei unserer Blasen- 
pflanze die aus den Blasen ausgeflossenen Zersetzungsprodukte, 
welche nicht verdaut wurden, noch aufnehmen. Haben organische 
Körper den Reiz verursacht, so schliesst sich die der klaffenden 
Austerschale vergleichbare Tierfalle der Aldrovandia nur auf kürzere 
Zeit, 1—ı1 Tage bei den Beobachtungen von Stein, während 
sie bei organischen Körpern geschlossen bleiben bis dieselben ver- 
daut sind. 

Eine besondere Beachtung bei der Venusfliegenfalle, wie 
bei der Blasenpflanze, verdient noch die fast momentane 
Schliessbewegung der Blattklappen, die auch in der Tentakel- 
bewegung einiger exotischen Sonnentauarten beobachtet worden 
ist. Von zwei australischen Sonnentauarten (Drosera pallıda und 
Drosera sulfurea) wie von einer indischen (D. Zunata) und mehreren 
afrikanischen Spezies (besonders von D. frinervis) wird berichtet, 
dass sie ihre Blätter mit grosser Rapidität über Insekten schliessen. 

Bei unserer einheimischen Drosera anglıca Huds. hat v. Kling- 
graeff15) sogar beobachtet, dass sich mehrere Blätter an dem 
Fang grösserer Tiere zugleich beteiligen, eine Beobachtung, die ich 
nach den Befunden an getrockneten Exemplaren einer australischen 
Spezies (dieselbe wurde mir als D. Dinata übersandt, weicht aber 
von der von Darwin behandelten Spezies durch nur einfach ge- 
gabelte Blätter ab) auch für diese glaube behaupten zu können. 
H. von Klinggraeff schildert einen derartigen Fang eines Schmetter- 
lings in folgender Weise: ... „Nach kurzer Zeit bogen sich mehrere 
Tentakeln zusammen und klemmten den das Blatt berührenden 
Aussenrand des Unterflügels ein, hielten ihn so fest, dass bei dem 
heftigen Flattern derselbe einriss, der Schmetterling sich aber nicht 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 6 


82 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


befreien konnte. Bei dem Flattern wurde ein anderes Blatt mit 
dem Öberflügel berührt und, jedenfalls dadurch gereizt, bog sich 
dasselbe langsam gegen den Schmetterling hin, bis es den Körper 
desselben erreichte und umschlang. Während dessen hatte auch 
das erste fangende Blatt sich um den Schmetterling geschlungen, 
so dass dessen Bewegungen zuletzt ganz aufhören mussten. Meistens 
sah ich Schmetterlinge, die nur von zwei Blättern umschlungen 
waren, an einigen Exemplaren jedoch nahmen drei, auch vier 
Blätter an der Umschlingung teil“. Die zahlreichsten Opfer waren 
immer Papilio Daplidice, wie man sich auch an den vielen am 
Boden liegenden auf der Unterseite grünlich marmorierten Flügeln 
überzeugen konnte, dann P. Rapae, auch von einem muskelkräftigen 
Perlmutterfalter, Argynnıs Latonia, wurde ein Exemplar gefangen. 

Diese Bewegungen der ganzen Blätter wie auch der Tentakeln 
nach der gereizten Stelle hin bei den Sonnentauarten sowohl, wie die 
rapiden Bewegungen der Fliegenfalle und Aldrovandia, geschehen 
durch eine eigentümliche Fortleitung des Reizes — die 
nach der hübschen Entdeckung Darwins unter dem Mikroskop durch 
die Zusammenballung („Aggregation“) des roten Saftes von 
Zelle zu Zelle direkt beobachtet werden kann. Der Aggre- 
gation gehen indes, wie Burdon-Sanderson, durch Darwin 
veranlasst (1874), aufgefunden hat, elektrische Ströme voraus. 
Das ungereizte Blatt ist oben positiv, unten negativ elektrisch, bei 
der Reizung wird jedoch ein umgekehrter Strom erzeugt. Bezüglich 
der sonst sehr komplizierten elektrischen Erscheinungen, welche den 
Reiz des Dionaeablattes fortleiten und auch bei den Sonnentau- 
arten etc. eine wichtige Rolle spielen, sei hier auf die bis in die 
neueste Zeit fortgesetzten Veröffentlichungen der Resultate von 
Burdon-Sanderson 16) selbst verwiesen. 

Die Bestäubung der Aldrovandia geschieht offenbar über Wasser 
durch Insekten, doch ist Näheres über die Bestäubungsvermittler 
der unscheinbaren, durch über das Wasser emporragenden Stiel 
getragenen Blüten nicht bekannt geworden, zumal die Pflanze in 
Europa selten zu blühen scheint. Die Früchte werden unter 
Wasser gereif. Den Bau des Samens und die Keimung hat 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 83 


S. Korschinsky17) neuerdings genauer beschrieben. Der Keim- 
ling, welcher beim Auskeimen den besondern Deckel der Samen- 
hülle hervorstösst, hat noch ein rudimentäres Würzelchen und 
rudimentäre Erstlingsblätter. Es deutet dies darauf hin, dass die 


Fig. 9. 
Wasserschlauch (Ufricularia). a Utricularia intermedia — b Blatt (vergr.) — ec Blatt- 
zweig von U, vulgarıs — d Blase davon (vergr.) — e Aufgeschnittene Blase (stärker vergr.) 


— / Kieines Stück der Innenseite der Blase von U. neglecfa mit den vierteiligen Fortsätzen 
(s. Text) (a nach v. Schlechtendal, # und / nach Darwin). 


später wurzellose Pflanze, welche in der Keimung noch 
grosse Ähnlichkeit mit den Landformen der Sonnentau- 
gewächse hat, verhältnismässig spät ihr Wasserleben 
angefangen hat, während bei der folgenden Gattung, dem 
Wasserschlauch, der Keimling durchaus ungegliedert, ohne 
Wurzelanlage ist. 


Te Du WET, 4 


84 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Die weitverbreiteten, in unseren Gewässern häufigen Arten des 
Wasserschlauchs (Utricularia), welche (mit einer fleischfressen- 
den Landpflanze, dem Fettkraut, Pingwcula) der Familie der 
Lentibulariaceen angehören, haben in biologischer Hinsicht viel mit 
der Aldrovandia gemein. Die häufigste der sechs bekannten deutschen 
Arten ist der gemeine Wasserschlauch (Utricularia vulgaris). Bei 
ihr tragen die langen, zarten, verzweigten Stengel, welche wurzellos 
vom untern Ende aus absterben, haarförmig zerschlitzte Blätter in 
wechselständiger, mehr oder minder zweizeiliger Anordnung. Das 
Blatt des gemeinen Wasserschlauchs (Fig. 9) teilt sich in zwei 
grössere mittlere und zwei kleinere seitliche Abschnitte, von denen 
jeder sich mehrfach fiederteilig oder gabelspaltig in feine cylindrische 
Zipfel auflöst. An letzteren treten die bekannten Blasen auf, welche 
von älteren Autoren als Schwimmblasen gedeutet wurden, jedoch 
lediglich dem Fang und der Verdauung kleiner Wassertiere dienen. 
Cohn !8) hat 1875 zuerst eine Darstellung der merkwürdigen Art 
und Weise gegeben, auf welche die Utricularia kleine Wassertiere 
zu fangen vermag, Darwin hat sodann diese Beobachtungen 
bestätigt und erweitert. Seitdem haben sich viele Forscher mit 
den Wasserschlaucharten in morphologischer und biologischer Hin- 
sicht beschäftigt, zuletzt am erfolgreichsten M. Büsgen 19). 

Die Blasen (Ütricula) haben die Grösse kleiner Pfefferkörner, 
sind inwendig hohl mit einer Öffnung an der Seite, die durch eine 
von oben herabhängende Klappe verschlossen ist; vor der Öffnung 
befinden sich schleimige Härchen, von denen bereits Cohn vermutet, 
dass, sie den Köder für die Wasserinsekten enthalten. Zwei borst- 
liche Anhängsel an der Stirn geben dem ganzen Gebilde eine 
merkwürdige Ähnlichkeit mit einem Wasserfloh (Daphnia 
pulex), wie die Blasen der Aldrovandia grosse Ähnlichkeit 
mit Muschelkrebschen etc. haben. Cohn sagt: „Scharen- 
weise gehen die kleinen Wasserkrebse der gefährlichen 
Lockung nach, heben dabei unversehens die einwärts leicht sich 
zurückschlagende Klappe; sobald sie aber ins Innere der Blase 
geraten, verschliesst die Klappe, die nach aussen sich nicht öffnen 
lässt, ihnen den Rückweg. Hierdurch lassen sich jedoch andere 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 55 


nicht abhalten, bald darauf dem gleichen Schicksal zu verfallen, 
und ich habe 1874, wo ich zuerst diese Beobachtung machte, in 
einzelnen Blasen eine ganze Menagerie von kleinen Wasserkrebsen, 
Mückenlarven und anderen Wassertierchen eingeschlossen gefunden, 
die vergeblich den Ausweg aus ihrem grünen Kerker suchten; sie 
alle waren nach wenigen Tagen dem Tode rettungslos verfallen; 
später findet man nur ihre leeren Schalen, die Weichteile sind 
völlig aufgezehrt“. Cohn fand ausser zahlreichen Krebschen (Daphnia, 
Cypris, Cyclops etc.) noch Nais elinguis, Planaria u. a. Würmer, 
Blattläuse von Wasserpflanzen (Stratiotes), Rädertierchen, Infusorien 
und Wurzelfüsser gefangen. DBüsgen teilt mit, dass bei seinen 
Untersuchungen eine mässig grosse Pflanze während eines andert- 
halbstündigen Aufenthaltes in Wasser, in welchem sich viele 
Wasserflöhe (Daphnia) befanden, in einer einzigen Blase zwölf 
Daphniden einfing. Eine andere Pflanze trug an jedem Blatte 
durchschnittlich sechs Blasen. Nur ganz vereinzelte derselben 
waren leer. Die meisten waren dicht erfüllt mit Exemplaren von 
Chydorus sphaericus. Im ganzen hatte die kleine, etwa 15 cm 
lange Pflanze mit ihren fünfzehn entwickelten Blättern etwa 
270 ziemlich grosse Krebschen zu sich genommen. Dass 
der Wasserschlauch sogar Fischbrut fängt und in Fischteichen 
nicht unbedenklich zu dulden ist, berichtet H. N. Mosely?20). Als 
ein Bekannter von ihm eine Pflanze in ein Glasgefäss brachte, in 
welchem sich zahlreiche junge Rochen befanden, die vor kurzem 
ausgebrütet waren, fand er, dass viele derselben in den Öffnungen 
der Blasenfallen gefangen wurden und daselbst verendeten. Mösely 
brachte nun selbst ein frisches Exemplar des Wasserschlauches in 
ein Gefäss mit frischen jungen Fischen und Laich und fand nach 
etwa sechs Stunden mehr als ein Dutzend Fische in Gefangen- 
schaft. Die meisten waren am Kopf gefasst, der bis zur Hinter- 
wand in die Blase hineingedrungen war, bei anderen war ein 
grosser Teil des Schwanzes verschluckt. Drei oder vier Beispiele 
wurden beobachtet, in denen ein Fisch mit seinem Kopfe von 
einer Blasenfalle und mit dem Schwanze von einer benachbarten 
verschluckt war, ein Fall, der mit dem von Klinggraeff15) bei dem 


Dr Se wor uue en 


. 


s6 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


britischen Sonnentau (Drosera anglıca) beschriebenen analog 
ist und die Frage nahelegt, ob die verzweigten Stirnborsten, die 
„Antennen“, nach deren Aufrichten (bei jungen Blasen sind sie 
über den Eingang nach unten gekrümmt) erst „die Falle gestellt 
ist“, nicht doch auch eine Reizbarkeit besitzen. Mosely fand beim 
Durchschneiden der fischgefüllten Blasen die Gewebe des Fisches 
in einer mehr oder weniger schleimigen Verflüssigung, wohl infolge 
seiner Zersetzung, die vierfiedrigen Fortsätze der Blasen- 
drüsen reichten in die schleimige, halbflüssige, tierische Substanz 
hinein und schienen .sehr viel körnige Substanz zu enthalten, jeden- 
falls das Ergebnis einer Resorption. Ch. Darwin kam bereits im 
Anfang seiner Utricularia-Studien (1874) zu dem Resultat, dass die 
Utricularia ein Aasfresser und nicht Fleischfresser ist; 
so schreibt er?!) am 7. Juli 1874 an J. Hooker: ... „Die Blasen 
fangen eine Menge Entomostraceen und Insektenlarven. Der 
Mechanismus zum Fangen ist ausgezeichnet. Es findet sich aber 
vieles, was wir nicht verstehen können. Nach dem, was ich heute 
gesehen habe, vermute ich stark, dass sie nekrophag ist, d. h. 
dass sie nicht verdauen kann, sondern zerfallende Sub- 
stanz absorbiert“, und am 18. Sept. 1874 an Lady Dorothy 
Nevill: „... Denn Utricularia ist ein Aasfresser und nicht streng 
genommen fleischfressend wie Drosera“. Auch später kommt Dar- 
win 14) zu dem Resultat, dass die Blasen eine Verdauungs- 
flüssigkeit nicht ausscheiden, wohl aber Zersetzungs- 
produkte wie auch fauliges Wasser und Ammoniaksalze absor- 
bieren und zwar mittels der vierarmigen Haare, die allein 
dem Blaseninnern eigen sind und den gleichgestalteten Haaren der 
Aldrovandia entsprechen dürften, wie die echten fleischverdauenden 
Trichome des Fettkrautes (Pingwicula) nur den farblosen Digestions- 
drüsen der Konkavität der Aldrovandia entsprechen. „Wir können 
auch hiernach verstehen“, sagt Darwin bei Aldrovandia, „wie eine 
Pflanze durch den allmählichen Verlust einer der beiden Fähig- 
keiten (Fleischverdauung und Aasverdauung) nach und nach der 
einen Thätigkeit angepasst werden, kann, mit Ausschluss der 
andern; und es wird später gezeigt werden, dass zwei Gattungen, 


RL 
„u Sr 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 87 


nämlich Pinguicula und Uftricularia, die zu derselben Familie 
gehören, diesen zwei verschiedenen Funktionen angepasst worden 
sind.“ Büsgen schildert auf Grund seiner neueren Untersuchungen 
den Fang bei dem Wasserschlauch folgendermassen: „Die Antennen 
und sonstigen von der Blase nach verschiedenen Seiten aus- 
strahlenden drüsenlosen langen Haare bilden eine Art von Leit- 
stangen, auf welchen man sehr oft kleine Cypridinen nach der 
Blasenmündung hin wandern sieht. Dort angelangt, treffen sie die 
den Eingang umstehenden Köpfchenhaare, welche aus einer mehr 
oder minder langen Stielzelle, einer kurzen, besonders dickwandigen 
Halszelle und endlich einer etwas dickeren, länglichen oder runden 
Kopfzelle zusammengesetzt sind. In der letzteren bestehen die 
inneren Schichten der Membran aus einer glänzenden Masse, die 
sich mit Jod und Schwefelsäure blau färbt und mit Kalilauge stark 
aufquillt, wobei das Protoplasma von der Spitze des Haares her 
nach der Basis der Kopfzelle stark zusammengedrückt wird. Stellen- 
weise findet man die äusserste Membranschicht durch die be- 
schriebene Masse blasig aufgetrieben. Schon früh erscheint die 
ganze Kopfzelle von einem Schleim umgeben, der in reinem Wasser 
nur sehr schwer sichtbar ist, mit Methylviolett aber leicht nach- 
gewiesen werden kann, da er sich mit diesem Reagens hellviolett 
färbt. Manchmal findet man neben dem Schleim am Grunde der 
Kopfzelle eine häutige, faltige Manschette. Aus dieser und den 
vorerwähnten Beobachtungen ist zu schliessen, dass der Schleim 
einer innern Membranschicht entstammt, die zu einer bestimmten 
Zeit aufquillt und die Cuticula sprengt; eigentümlicherweise besitzen 
aber auch die mit Schleim und Manschette versehenen Kopfzellen 
unter einer festen Membranschicht jene glänzende, quellungsfähige 
Substanz und anscheinend auch eine Cuticula. Es müssen diese 
Bildungen, wenn obiger Schluss über die Entstehung des Schleimes 
richtig ist, sehr rasch regeneriert werden, was übrigens auch sehr 
im Interesse der Pflanze liegt, da der letztere als Köder dient“. — 
Dass es der Schleim ist, welchem die Kruster nachgehen, schliesst 
Büsgen daraus, dass sich dieselben sehr bald an ins Wasser ge- 
worfenen Samen mit verschleimender Aussenschicht ansammeln. 


8 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Bei dem Besuch der Knöpfchenhaare öffnet sich die Klappe meist 
ganz plötzlich mit weitem Spalt, um den vorwitzigen Gast ver- 
schwinden zu lassen und vom nächsten Augenblick wieder die- 
selbe Lage anzunehmen. Dieses Öffnen lässt sich jedoch ohne 
die Annahme von Reizerscheinungen aus den Elastizitäts- 
verhältnissen der Klappe erklären. Die Tiere scheinen in ihrer 
Falle einen Erstickungstod zu erleiden; wenigstens sah Büsgen noch 
nach 24 Stunden, Cohn noch nach 6 Tagen die gefangenen Tiere 
im Innern umherschwimmen. Die in den Blasen sich fin- 
denden symbiotischen Fäulnis-Bakterien dürften sodann bei 
dem Wasserschlauch die Sekretion der Verdauungs- 
flüssigkeit der echten carnivoren Pflanzen ersetzen. 

Auch für die Blatthöhlungen der Blätter unserer Schuppen- 
wurz (Lathraea squamarıa) wnd der Alpenbartsie glaubt 
Scherffel (Mitt. d. bot. Inst. zu Graz, Heft II) gezeigt zu haben, 
dass die von Kerner und von Wettstein ??) beschriebenen rhizopodo- 
iden, die Drüsenzellwand durchbrechenden Protoplasmafortsätze, die 
Jost für Wachsausscheidungen hielt, aus Bakterien bestehen, so dass 
diese Pflanzen gleichfalls Aaspflanzen wären. Büsgen hat bei den 
Kopfhaaren des Wasserschlauchs diese rhizopodoiden Fortsätze gleich- 
falls gefunden und ist geneigt, sie als aus Bakterien bestehend zu 
betrachten. Ob es sich aber hier wie bei der Schuppenwurz und 
in den Blattbechern der Weberkarde nicht doch um Elemente 
des Protoplasmas, nämlich die nach den Untersuchungen von 
Fayod?23) jedem Protoplasma eigenen, sich auch durch die Scheide- 
wände der Zellen erstreckenden Elemente handelt, die er Spiri- 
fibrillen und Spirosparten nennt, bedarf jedenfalls noch der Unter- 
suchung. 

Den Beweis, dass unsere Wasserschlaucharten that- 
sächlich von dem Krebsfange leben, hat Büsgen endgültig 
durch vergleichende Kulturversuche an gefütterten und 
nicht gefütterten Pflanzen erbracht, wie er für die echten 
Fleischfresser schon früher von Reess, Kellermann etc. erbracht 
wurde Der Zuwachs der gefütterten Pflanzen war etwa der 
doppelte von dem der nicht gefütterten u. s. f£ — Im tropischen 


4 u u ER 
Fr 
> 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 89 


Amerika und Asien leben auch Wasserschlaucharten auf dem Lande 
oder auf dem Moos der Bäume, aber auch hier von den Tieren 
ihres Wohnorts. Utricularia nelumbifolia kommt in Brasilien auf 
den hochgelegenen Felsen der Orgelberge vor, aber sie wird hier 


yı 


TEE STTÄNHT 


B A 


Fig. 10 
A Schlauchtragendes Blatt von Gexlzsea, etwa dreimal vergr. Z Oberer Teil der Blattspreite,— 
5 Schlauch — z Hals — o Mündung desselben — a Schraubig gewundene Arme (Enden 
abgebrochen). 2 Teil der Innenfläche des in den Schlauch führenden Halses, stark ver- 
grössert, die Reussenhaare und Digestionsdrüsen zeigend. (Nach Darwin.) 


nur in dem Wasser gefunden, welches sich auf dem Grunde- der 
Blätter einer grossen Tillandsia ansammelt, sie gelangt ausser durch 
Samen durch Ausläufer von einem Tillandsiabecken ins andere. 
Ihre Blasen fangen in gleicher Weise Wassertiere, wie die unserer 
Wasserschlaucharten. Darwin fand bei neun Utriculariaarten, die 


90 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


er untersuchte, allenthalben die Blasen mit Tieren und Tierresten 
erfüllt. Von verwandten Gattungen sei hier noch die merkwürdige 
Genlisea ornata (Fig. 10) aus Brasilien erwähnt, bei welcher das 
schlauchtragende Blatt die Beute nicht mittels einer elastischen Klappe, 
sondern durch eine einer Aalfalle ähnliche, wenngleich kompliziertere 
Vorrichtung fängt. Die schmale Blattscheibe trägt nämlich am Ende 
eine Blase, die sich in eine etwa fünfzehnmal so lange Röhre 
fortsetzt. Seitlich der Mündung der letztern entspringt auf jeder 
Seite ein aus einem spiralig gerollten, linealen Blattzipfel gebildeter 
Cylinder. Diese Seitenröhren wie die Hauptröhre sind mit langen, 
nach abwärts gerichteten Borsten (Reussen) und mit den vierzelligen 


Drüsen der Utricularia bekleidet. In Seitenhälsen und im Haupt- 


rohre fanden sich Überreste von Würmern und Gliedertieren. 
Unsere Wasserschlaucharten sind ausgeprägte Insekten- 
blütler, die ihre Blütentrauben mit gelben, auffälligen 
Blüten auf langem Stiel über Wasser senden. Die Blumen- 
krone, deren Bau und Entwickelung zuerst Buchenau24) genauer 
untersucht und deren Bestäubungseinrichtung Hildebrand 25) erläutert 
hat, birgt in einem Sporn den Honig zur Anlockung der Insekten. 
Ein Insekt muss, wenn es zur Gewinnung des Honigs seinen Rüssel 
unter die Oberlippe steckt, zuerst mit seiner Oberseite einen die 
Staubgefässe überragenden, mit der papillösen Seite nach unten 
umgebogenen Narbenlappen berühren, so dass dieser, wenn das 
Insekt schon vorher eine Blüte besucht hat, mit Pollen derselben 
behaftet wird, sodann die Staubgefässe, die es von neuem mit 
Pollen behaften. Der Pollenlappen ist, ähnlich der in der Blüte 
der an Flüssen und Bächen Deutschlands jetzt weit verbreiteten 
amerikanischen Gauklerblume (Mimulus luteus) und weniger anderen 
Blumen, reizbar, sodass er bei der Berührung sofort nach 
oben umklappt und so eine Übertragung des Blütenstaubes der- 
selben Blüte auf die Narbe beim Rückzug des Insektes unmöglich 
macht. Die ausgeprägte Honigblume wird vermutlich durch Hyme- 
nopteren und Schmetterlinge bestäubt, doch ist hier wie bei den 
meisten Insektenblumen unserer Gewässer über die Bestäubungs- 
vermittler näheres nicht bekannt. — Die Früchte der Utricularien 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 91 


werden nicht, wie dies bei den meisten echten Wasserpflanzen der 
Fall ist, unter Wasser gereift, sondern, wie auch bei der Wasserfeder 
(Hottonia) und Lobelie (Lobelia Dortmanni), über Wasser. Die 
vielsamigen Kapseln streuen ihren Samen ins Wasser aus, wo er 
an der Oberfläche weit verbreitet und von wo er durch Wassertiere 
auch von Gewässer zu Gewässer übertragen wird. 

Eine Verbreitung der vegetativen Organe durch die Larven 
der Köcherfliegen (Phryganiden) hat Gilbert?T) beobachtet. Nach 
ihm werden die Winterknospen des mittlern Wasserschlauchs 
(Utricularia intermedia) von diesen Insekten zum Larvenköcher 
verwendet, wodurch sie an andere Stellen gelangen, an denen sie 
zu weiterer Entwickelung kommen können. 

Gegen Tierfrass besitzen die Wasserschlaucharten spitze 
Stacheln und chemische Schutzmittel. Mit Alkohol oder heissem 
Wasser ausgelaugte Pflanzenstücke wurden von kleinen Krustern bei 
einem Versuch Büsgens bald gefressen, während frische Pflanzenteile 
gänzlich verschont blieben. Der schützende Stoff schien Gerbstoff 
in einer schwachen Lösung zu sein, da bei Behandlung mit doppelt- 
chromsaurem Kali eine nicht auswaschbare Färbung des Zellinhaltes 
auftrat. Nur die Stachelhaare färbten sich intensiv braun. 

Wie die Wasserschlaucharten hinsichtlich der Blüteneinrichtung 
eine grosse Übereinstimmung mit ihren Verwandten auf dem Lande 
(dem gleichfalls tierfangenden, aber fleischverdauenden, nicht aas- 
fressenden Fettkraut, Pinguicula) haben, so stimmt auch eime 
weitere submerse Wasserpflanze, die Wasser- oder Sumpffeder 
(Hottonia palustris), welche aber zur Familie der Primulaceen 
gehört (Fig. II S.92) mit unseren Schlüsselblumenarten in 
Bezug auf die Fortpflanzungsorgane völlig überein, während sie im 
übrigen ganz die abweichenden Vegetationsorgane der bisher be- 
trachteten Wasserpflanzen hat. Es giebt kaum einen grelleren 
Gegensatz zwischen Land- und Wasserpflanze als es 
gerade der zwischen der Schlüsselblume (und anderen 
Primulaceen) und der Wasserfeder ist — dort grosse, einfache, 
ganze Blätter, die dicht dem Wurzelstock entspringen hier die 
feingeteilten Wasserblätter des Hornblattes, der Tausendblätter 


99 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


(Myriophyllum) etc., an wurzellosem, nur anfänglich im Schlamm 
steckenden Stengel. 

Zur Blühzeit steigt die Pflanze zur Oberfläche auf und streckt 
ihren terminalen Blütenstand über das Wasser empor. Die 
Sumpffeder ist, wie unsere Schlüsselblumen, ausgeprägt 
heterostyl-dimorph, d. h. es kommen zweierlei, wie 
männliche und weibliche Stöcke zusammengehörige 


Fig. ıı. 
Heterostylie der Wasserfeder (Hotlonia palustris). a Langgriffiige Blüte — 5 Narben- 
papillen derselben — c Kurzgrifflige Blüte — @ Narbenpapillen bei gleicher Vergrösserung 
wie in 6). Nach H. Müller.) 


Sorten von Stöcken vor, deren eine lauter langgrifflige 
Blüten mit tiefstehenden Staubgefässen trägt, während 
in den Blüten der andern die Griffel kurz, tief in der 
Blütenröhre versteckt sind, die Staubgefässe aber weit 
aus derselben hervorragen. Die Verschiedenheit zwischen den 
beiden Formen hat bereits die Aufmerksamkeit des Vaters der 
heutigen Blütenbiologie, Christian Konrad Sprengel, im Jahre 1793 
erregt, welcher sagt, dass er die Existenz der zwei Formen nicht 
für zufällig halte, obschon er ihren Zweck nicht erklären könne. 
Bekanntlich hat Darwin 26) die Bedeutung dieser Zwiegestältigkeit 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 93 


bei Primeln erkannt und durch Versuche festgestellt, dass erfolg- . 
reich allein die Bestäubung der langen Griffel durch die Pollen der 
grossen Staubgefässe der andern Form und die der kurzgriffligen 
Narben der letztern durch die Staubkörner aus den Staubgefässen 
der erstern wirkt, dass mit anderen Worten die Bestäubung 
zwischen den Organen gleicher Höhe einzutreten hat, wenn 
sie vollen Erfolg haben soll. Andere als diese „legitimen“ 
Bestäubungsweisen (also „illegitime“) haben bei vielen heterostylen 
Pflanzen überhaupt keinen, bei anderen Arten nur einen schwachen 
Erfolg. Nach der Entdeckung der heterostylen Pflanzen, zu denen 
zahlreiche Arten, von Wasserpflanzen noch Arten der Gattungen 
Villarsia, Menyanthes — unser dreiblättriger Fieberklee — und 
Polygonum, gehören, hat man noch die verwandten Gruppen der 
tristylen oder lang-, kurz- und mittelgriffligen Pflanzen und die 
rechts- und linksgriffligen entdeckt. Zu den ersteren gehört der an 
den Ufern unserer Gewässer wachsende Färbeweiderich (Zythrum 


‚Salicaria) nebst vielen ausländischen Sauerkleearten etc. Die Staub- 


gefässe bilden in derselben Blüte zwei Höhensätze, in Bezug auf 
welche bei den dreierlei Stöcken der Griffel lang, kurz oder mittel- 
lang ist. Bei den rechts- und linksgriffligen Pflanzen (Verwandte 
unserer Kartoffel, wie Solanum rostratum, gehören dazu) sind 
zweierlei Stöcke da, in deren Blüten der Griffel entweder links oder 
rechts von dem Staubgefässbüschel steht und nach entgegengesetzter 
Seite gebogen aus der Blüte hervorsieht. Auch hier gilt das Gesetz 
der legitimen Bestäubung, d. h. des erfolgreichen Zusammenwirkens 
der Organe gleicher Lage. Dieses Zusammenwirken wird ja unter 
gewöhnlichen Umständen das natürliche sein, wenn gewisse Insekten 
alle Blüten in gleicher Weise besuchen, indem sie dann den Blüten- 
staub an einer Stelle absetzen, an welcher sie ihn in den anderen 
Blüten an ihrem Körper aufgenommen haben. Ein honig- 
suchendes Insekt wird also bei unserer Wasserfeder im der 
That am Vorderkörper den Blütenstaub der tiefgelegenen 
Staubbeutel, am Hinterleib den der langen Staubgefässe 
it ‚sich « führen; mit letzterem "kann.es aber’ nur die 
Narbe der langen Griffel, mit.ersterem die der kurzen 


94 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora, 


Griffel bei seiner gewöhnlichen Art des Besuchs erlangen. 
Anders ist es mit pollensuchenden Insekten. Sie haben 
keinen Grund, die kurzen Griffel zu besuchen, während beim Besuch 
der kurzen Staubgefässe der staubbeladene Kopf gelegentlich die 
Narbe der langen Griffel berühren wird. Stellen wir uns nun vor, 
dass bei der Ausbildung einer Blüteneinrichtung nur oder vor- 
wiegend honigsuchende Insekten mitgewirkt haben, so würden 
Formen der Heterostylie zu stande gekommen sein, wie sie sich 
thatsächlich häufig finden, bei denen illegitime (künstliche) 
Bestäubung fast gänzlich wirkungslos ist, während da, wo 
pollensuchende Insekten neben den honigsuchenden 
regelmässige Gäste sind, eine Heterostylie entstanden sein wird, 
bei welcher die legitime Bestäubung zwar die erspriess- 
lichste ist, von den illegitimen Bestäubungen aber die 
der langen Griffel immerhin jener nahekommt. So ist es 
nach den künstlichen Befruchtungsversuchen von John Scott und 
Herm. Müller?6, 28) bei der Sumpffeder, bei welcher nach Herm. 
Müller die Bestäubung durch pollenfressende Fliegen in aus- 
gedehntem Masse ausser durch saugende Hautflügler (Pompilus 
viaticus) und Fliegen (Empis, Eristalis, Rhingia) bewirkt wird. Bei 
den Versuchen Müllers ergaben die zwei legitimen Verbindungen mit 
den zwei illegitiimen zusammen verglichen Samenkörner im Ver- 
hältnis von 100 zu 61. Es war die mittlere Zahl der Samenkörner 
auf die Kapsel bei 


I. legitimer Bestäubung der langgriffligen Form . 91.4, 
2. illegitimer Bestäubung der langgriffligen Form 

von einer verschiedenen Pflanze . . . .. 775 
3. legitimer Bestäubung der kurzgriffligen Form . 66.2, 


4. illegitimer Bestäubung der kurzgriffligen Form 
mit Pollen dieser Form von einer verschie- 
denen: Bor: 4, 1:0 ERlac Kam HH a 
Sehr deutlich sprechen die Resultate für die schädliche Wirkung 
der Inzucht bei Kreuzung der Blüten ein und desselben Stockes 
und bei Selbstbefruchtung. Die mittlere Samenzahl war hierbei 
nur 15.7 bei den langgriffligen und 6.5 (wie bei Scott) bei den 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 95 


kurzgriffligen Blüten anstatt 77.5 und 18.7 (bei illegitimer Kreuzung;). 
Die ungleiche Grösse der Narbenpapillen bei den grossen und 
kleinen Griffen stimmt bei der Sumpffeder ebenso wie bei 
anderen Heterostylen überein mit der ungleichen Grösse der 
Pollenkörner in den oberen und unteren Antheren (die letzteren 
kleiner), für welche Verschiedenheit die bisherigen Erklärungsversuche 
nach neueren Versuchen nicht auszureichen scheinen. 

Den frei im Wasser flottierenden Arten submerser Ge- 
wächse, welche wurzellos sind, schliessen sich solche in grösserer 
Zahl an, die unter gewöhnlichen Verhältnissen zwar ein Wasserleben 
führen, aber am Boden festgewachsen sind. Bei ihnen ist die 
Wurzel in den meisten Fällen nur Haftorgan. Sie haben zumeist 
die Fähigkeit, bei Wassermangel auch in der Luft längere oder 
kürzere Zeit zu vegetieren, oder gar eine besondere Luftform zu 
bilden. Eine Umbildung der Blattorgane, welche der neuen Lebens- 
weise angepasst (Verbreiterung und Verkürzung der Blattflächen, 
Auftreten von Spaltöffnungen etc.), tritt oft sehr bald, zuweilen sogar 
an einzelnen Blattteilen, die künstlich in dem neuen Medium ge- 
halten werden, ein. Solche Landformen sind von Schenk z. B. für 
das Tausendblatt (Myriophyllum) beschrieben, deren Arten sonst 
mit ihren feingeteilten Blättern ein ausgeprägtes Wasserleben führen. 
— Die Myriophyllumarten besitzen ähnlich wie die Wasser- 
pest, die Hornblattarten, die Wasserschlaucharten eine 
sehr üppige vegetative Vermehrung, abgebrochene Zweige, die durch 
Strömung oder Tiere verschleppt sind, entwickeln sehr bald wieder 
eine weitverbreitete Vegetation am Grunde des Gewässers. Solche 
üppig sich vermehrende Arten kommen an manchen Orten über- 
haupt selten zur Blüte Das Ährentausendblatt (Myriophyllum 
spicatum) trägt in seinen in die Luft emporgestreckten Blütenständen 
in den Achseln kleiner Brakteen zu oberst männliche, unten weibliche 
Blütenstände, welche sich viel früher als die ersteren entwickeln (die 
Pflanze ist proterogynisch). Der platte, leicht verstäubende 
Pollen, die grossen, an dünnen Staubfäden lebhaft im 
Winde flatternden Antheren, wie auch die stark höcker- 
igen Narben kennzeichnen die Pflanze als windblütig 


u an 


96 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


(anemophil), während bei dem quirlblättrigen Tausendblatt dadurch, 
dass die Blüten in den Blattwinkeln sitzen, die Anpassung an den 
Pollentransport durch den Wind vermindert ist. Es kommen 
aber wie bei den anderen Myriophyllumarten (M. alternifolum 
habe ich nicht untersucht) auch unter Wasser normale (nicht wie 
Hermann Müller in seinem Referat meiner Arbeit?) vermutete 29) 
kleistogame) Blüten zur Entwickelung, so dass hier vermutlich Über- 
gänge von der Windbefruchtung zur Wasserbefruchtung vorliegen. 
Nach dem Blühen tauchen auch bei M. spicatum die Ähren unter 
Wasser, um hier ihre Früchte zu reifen. 

Zu den submersen Gewächsen, die aber in einigen ihrer Arten 
Übergänge zu den Schwimmpflanzen bilden, indem sie bei diesen 
andersgestaltete, an der Oberfläche ausgebreitete oder schwimmende 
Blätter entfalten, gehören ferner die Wassersternarten und die 
Laichkräuter, deren submerse Blätter aber nicht haarförmig zer- 
teilt, sondern einfach, schmallinealisch etc. sind. Die völlig sub- 
mersen Wassersterne bilden auf dem Boden der Gewässer eine sehr 
üppige, dichte, hellgrüne Vegetation, die an die der kleinen Arm- 
leuchtergewächse (Nitella) erinnert, während die schwimmenden 
breitblätterigen Blattrosetten die Oberfläche den Wasserlinsen ähnlich 
überkleiden. Die einfache Blüte besteht aus einem starren Staub- 
gefäss oder aus einem zweifächerigen Fruchtknoten mit kurzen 
Griffen. Auch sie wird gewöhnlich für windblütig gehalten, doch 
dürften die an der Oberfläche schwimmenden Rasen mit ihren 
starren Staubfäden und spärlicher Pollenproduktion eher die später 
zu erörternden Eigentümlichkeiten der Wasserlinsen besitzen. Die 
zahlreichen untergetauchten Blüten haben Wasserbefruchtung. Die 
Gruppe Pseudocallitriche, zu welcher unser Herbstwasser- 
stern (Callitriche autumnalıs) gehört, besitzt, wie die früher be- 
sprochenen Wasserblütler, Pollenkörner ohne äussere Zellhaut 
(Exine), sind nach Jönsson ölhaltig und leichter als Wasser, 
steigen daher nach der Oberfläche zu, wobei sie die Befruchtung 
vollziehen können, es wechseln nicht selten mehrere weibliche und 
männliche Stengelglieder mit einander ab; bei der Gruppe der 
Eucallitrichen dagegen, die auch wohl als Varietäten ein und 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 97 


derselben Art, des Frühjahrswassersterns (Callitriche verna) betrachtet 
werden, sind die Pollenkörner noch von einer äussern etwas 
höckerigen derben Haut umkleidet und an den Antheren 
ist die den Luftblüten eigentümliche Faserschicht vor- 
handen, welche bei dem Aufspringen der Staubbeutel eine wichtige 
Rolle spielt. 

Zieht man die frischgrün beblätterten Zweige der Wassersterne 
oder anderer submerser Wasserpflanzen (Hornblatt, Tausendblatt etc.) 
aus dem Wasser, so findet man zwischen dem feinen Blattgewirr 
ein buntes Tierleben von Wasserasseln, Flohkrebsen, Milben, Käfern, 
Larven, Schnecken etc, das wohl hauptsächlich durch die reiche 
Entwickelung des Sauerstoffs bei der Assimilation herbeigezogen 
wird. Es ist kaum anders zu erwarten, als dass dieses reiche Tier- 
leben, mit welchem diese Wasserpflanzen in steter Berührung sind, 
mehr als alle Landpflanzen, dem pflanzlichen Organismus zu 
mancherlei Anpassungen Veranlassung gegeben hat. Schutzvor- 
kehrungen gegen Tierfrass sind thatsächlich mehrfach bekannt 
geworden, wie später noch hervorgehoben werden wird. Ob aber 
die Pflanze Glieder dieser Tierwelt sich zu Nutzen gemacht 
hat und mit ihnen im Bunde gegenseitiger Förderung lebt 
ist noch kaum untersucht worden und verdient seitens der 
Süsswasserforschung besondere Beachtung. Hier sei nur 
hervorgehoben, dass diesen Tieren sicherlich die Reinhaltung 
der assimilierenden Blattflächen zuzuschreiben ist und dass es 
mir immer geschienen hat, als ob an Standorten, wo ein besonders 
reiches Tierleben sich bemerkbar machte, die submersen Pflanzen- 
organe frischer grün und reiner aussahen, als an Orten wo diese 
fehlte. An den letzteren sind die Blätter und Blattzipfel oft völlig 
eingehüllt und unkenntlich gemacht von zahlreichen Algen (Kiesel- 
algen, wie Exilaria, Gomphonema etc.), Wasserpilzen (Chytridiaceen), 
Infusorien (Vorticellen etc.), welche ja bekanntlich manchem der 
erwähnten Tiere zur Nahrung dienen. 

Das Hauptkontingent liefern zur Wasserflora die Laichkräuter 
(Potamogeton), von denen etwa 50 Arten überhaupt und etwas 
weniger als die Hälfte aus den süssen Gewässern Deutschlands, 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 7 


EWET Dr a Ki 


98 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Österreichs und der Schweiz30) bekannt sind. Sie weichen durch 
ihre einfachen Blätter wie durch mannigfache Variationen von 
den völlig untergetauchten Formen bis zu den ausgeprägtesten 
Schwimmpflanzen, wie auch schliesslich dadurch ab, dass sie ein 
am Boden kriechendes sehr ausgebreitetes Rhizom haben. Im 
fliessenden Wasser treiben sie, ähnlich wie andere festwurzelnde 
Flussgewächse (Flusshahnenfuss etc.), lange Laubtriebe, welche durch 
besondere mechanische Elemente in ihrem anatomischen Aufbau 
der hohen Inanspruchnahme durch die Wasserströmung völlig 
gewachsen sind. In stehenden Gewässern sind die Stengelglieder 
oft sehr verkürzt. Nach der Meinung von Schenk stammen die 
Laichkräuter von Landpflanzen ab, die sich erst der amphibischen, 
gegenwärtig nicht mehr erkennbaren, Lebensweise und sodann der 
Lebensweise der Schwimmpflanzen, zuletzt aber der submersen 
Lebensweise angepasst haben. Es würde dann unser gemeines 
schwimmendes Laichkraut (Potamogeton), welches nur aus- 
geprägte Schwimmblätter besitzt, der Urtypus unserer jetzt lebenden 
Laichkrautarten sein. Hierfür spricht auch dessen Verbreitung. 
Nach A. de Candolle3t) giebt es nur 19 Phanerogamen, die sich 
über mehr als die halbe Erdoberfläche verbreitet haben, zu denen 
z. B. das einjährige Straussgras (Poa annua), die Kröten- 
binse (Juncus bufonius), unsere Brennesseln (Urtica dioica und 
U. urens), Gänsefussarten (Chenopodium album und Ch. murale), 
eine Taubnessel (Zammum amplexicaule), der schwarze Nacht- 


schatten (Solanum nigrum), die gemeine Sternmiere (Stellaria _ 


media), die Gänsedistel (Sonchus oleraceus), das Hirtentäschel 
(Capsella bursa pastoris) und das schwimmende Laichkraut 
von bei uns gemeinen Pflanzen gehören. Das letztere ist aber die 
einzige kosmopolitische Wasserpflanze, alle übrigen sind 
Landgewächse und zwar Ruderalpflanzen. Die übrigen Vertreter 
des Laichkrautstammes Zeterophylli (Potamogeton oblongus, P. 
Jıutans, P. spathulatus, P. rufescens, P. gramineus, P. nıtens, 
P. Hornemanni) sind der submersen Lebensweise bereits mehr oder 
weniger angepasst, indem sie oft nur wenige oder gar keine 
Schwimmblätter mehr zeigen, während ihre untergetauchten Blätter 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 99 


zwar den anatomischen Bau, aber noch nicht die Gestalt echter 
Wasserblätter haben. Bei den Gruppen der Homophylli und 
Enantiophylli30) fehlen bereits die Schwimmblätter gänzlich und es 
bahnt sich der Übergang von den breitblätterigen zu den sehr 
schmalblätterigen Arten an, der in den Gruppen Chlo£phylli und 
Coleophylli echt submerser Laichkräuter (Potamogeton pusillus, 
trıchoides etc.) sein Extrem erreicht. Eine gleiche Stufenleiter der 
Anpassung ergiebt sich auch bezüglich der Blüteneinrichtungen. 
Das schwimmende Laichkraut und seine nächsten Verwandten 
sind ausgeprägte Windblütler, die ihre Blüten in dicht gedrängter 
Ähre an langer dicker Spindel über das Wasser heben. Das kleine 
Laichkraut hat bereits nur noch kleine, meist vierblütige Ährchen 
und das Haar-Laichkraut in jeder Blüte nur noch einen Frucht- 
knoten (sonst vier. Dazwischen und von dem letztern weiter 
finden sich Übergangsformen bis zu solchen, welche den submersen 
Wasserpflanzen sehr nahe kommen, deren Blüten nur aus einem 
Staubgefäss, oder einem Fruchtknoten bestehen. Z. pectinatus er- 
hebt einen Blütenstand überhaupt nicht mehr über Wasser, sondern 
besitzt lange dünne schwimmende Blütchen, die zur Fortpflanzungs- 
zeit nur wenig über das Wasser emporragen. Ob bei unserer 
zweiten Gattung der Laichkräuter, der Zanichellie, bereits eine 
echte Wasserbestäubung eintritt nach Art der der Meerstrands- 
Ruppie, bedarf noch der nähern Untersuchung, ist aber nicht un- 
wahrscheinlich, zumal auch nach Fritzsche dem Pollenkorn die 
äussere Hülle fehlt. Die Windblütigkeit der Laichkräuter, deren Blüten 
oft dicht an der Wasseroberfläche stehen, wird nach v. Kerner32) 
unterstützt durch einen Ausschleuderungsmechanismus der 
Blüte, durch welchen der Blütenstaub in die Luft gelangt. 


Schwimmgewächse. 

Wie die untergetauchten Blätter, so sind auch die Schwimm- 
blätter der Wasserpflanzen völlig ihren Lebensverhältnissen angepasst. 
Die schwimmenden Blätter sind nie zerteilt, stets einfach, ganz- 
randig rundlich oder elliptisch länglich u. dergl., auf der Oberseite 
lederartig, schwer benetzbar, im anatomischen Bau eine dreifache 

7* 


100 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Anpassung verratend, eine mechanische zum Schutz gegen die an 
der Oberfläche am heftigsten wirkenden Bewegungen des Wassers 
und gegen die heftigere Wirkung der auffallenden Regentropfen, 
eine Anpassung an die schwimmende Lebensweise und an die 
intensivere Einwirkung des direkten Sonnenlichtes. Dementsprechend 
zeigt das Schwimmblatt an der Oberseite, unter einer chlorophylil- 
freien wasserhaltigen Epidermis, die assimilierenden grünen Zellen 
als Palissadenparenchym ausgebildet. Unter diesem sind grössere 
lufthaltige Intercellularräume, welche das Blatt schwimmend erhalten. 
Die Spaltöffnungen, welche zur Ermöglichung des Transpirations- 
stromes bei den Schwimmpflanzen — im Gegensatz zu den sub- 
mersen Pflanzen — vorhanden sind, finden sich hier allein auf 
der Oberseite des Blattes, die mit der Luft in Berührung steht, 
während sie bei den Luftblättern zur Verhinderung einer zu starken 
Transpiration in der Epidermis der Unterseite zur Ausbildung 
gelangen. Die zur Assimilation nötige Kohlensäure wird hier 
hauptsächlich aus der Luft, wohl aber auch durch Diffusion von 
der dem Wasser aufliegenden Blattunterseite besorgt. Da, wo 
Blattstiele vorhanden sind, zeigen diese die besondere Eigentüm- 
lichkeit, dass sie ihr Längenwachstum genau nach der Tiefe des 
Wassers einrichten, so dass das Blatt immer zum Schwimmen kommt. 

Die Wasserlinsengewächse, von denen nur eine Art 
(Lemna trisulca) bei uns submers vorkommt, gehören zu unseren 
einfachsten Schwimmpflanzen, die gleichzeitig durch ihre Kleinheit, 
wie durch ihr massenhaftes Auftreten — sie bedecken oft weithin 
die ganze Fläche der Gewässer — auffallen. In unseren Gewässern 
finden sich nur fünf Arten, von denen die kleinste, die wurzellose 
Wasserlinse (Wolffia arrhiza) nur die Grösse von I mm erreicht — 
nur die in Bengalen lebende Wolffia microscopica, zweifellos die 
kleinste Phanerogame, ist noch winziger — gar keine Wurzeln erzeugt 
und in einzelnen Sprossen (Stengelgliedern) vorkommt, während die 
übrigen Arten ein oder mehr Adventivwurzeln nach abwärts treiben, 
welche mehr als zur Nahrungsaufnahme zur Erhaltung der hori- 
zontalen Lage dienen dürften. Es sind dies ausser der unter- 
getauchten Wasserlinse (Lemma trisulca), welche bereits 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 101 


erwähnt wurde, noch die buckelige (Z. gibba) und grosse 
Wasserlinse (Spirodela polyrrhıza) mit mehreren Wurzeln, welche 
gesellig mit der auch häufig in ganz reinen Beständen wachsenden 
kleinen Teichlinse (Z. minor), unserer häufigsten Art, vor- 
kommen. Hegelmaier33), auf dessen Monographie (die auch von 
Engler in seinen „Natürlichen Pflanzenfamilien“ hauptsächlich zu 
Grunde gelegt ist) wir hier besonders hinweisen müssen, weil es 
unmöglich ist, im Rahmen dieser Abhandlung die obwaltenden Ver- 
hältnisse auch nur einigermassen genau zu schildern, hat 19 Arten 
von Wasserlinsen unterschieden, welche über den ganzen Erdkreis 
verbreitet sind: 

ı) Die wurzellosen Wolffhioideen, bei denen auf dem Rücken 
des Sprosses in kleinen Grübchen (zwei bei Wolffia Welwitschiü, 
eine bei den übrigen Arten) die einfachen Blüten mit einem Staub- 
gefäss und Stempel (resp. einer männlichen und einer weiblichen Blüte) 
entspringen und sich auch sonst durch die Sprossverhältnisse aus- 
zeichnen. Sie zerfallen in die beiden Untergattungen Wolffia und 
Wolffiella, mit je acht und vier Arten, von denen letztere durch 
ihre abnorme Gestalt mit länglich-pfeilförmigen Hauptsprossen 
ausgezeichnet sind. 

2) Bei den bewurzelten Lemnoideen, unter denen ausser durch die 
Sprossverhältnisse noch durch das Vorhandensein von vielen Wurzeln 
Spirodela [mit zwei Arten: Sp. oligorhiza (im indisch-malayischen 
Gebiet) und’ unserer L. polyrhiza] von Lemna abgegrenzt wird, 
kommen die Blütenstände (Blüten) mit je zwei Staubblüten(gefässen) 
und einem weiblichen Blütenstempel in seitlichen Taschen zur Ent- 
wickelung. Von Lemna sind ausser den einheimischen Arten noch 
zwei unserer kleinen Wasserlinse nahe stehende Arten bekannt. 
Die Wolffiaarten scheinen am meisten dem Wasserleben angepasst 
zu sein, da bei ihnen auch än der Oberseite wenige, bei Wolffiella 
sogar gar keine Spaltöffnungen vorhanden sind und die Blüten ganz 
auf dem Rücken stehen. 

Bezüglich der Bestäubungsverhältnisse der Wasserlinsen, 
die zu den interessantesten Vorkommnissen der Blütenbiologie 
überhaupt gehören, liegen zumteil scheinbar widersprechende 


\ ERRET: 


102 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Beobachtungen vor, die aber recht wohl zugleich richtig sein 
können. Hat doch die Blütenbiologie mehrfach gezeigt, dass eine 
Pflanze z. B. in einer Gegend typisch proteranderisch, in einer 
andern, besonderen Verhältnissen entsprechend, proterogynisch ist. 


Fig. ı2. 
Wasserlinsen (Lemnaceen). A Lemna minor (b Blüte) — 3 Blütenstand — C Stempel 
(vergrössert) — D Pollenkorn nach 6rofacher Vergrösserung — Z Zemna gibba — F Frucht 
derselben (das Operculum o wird bei der Keimung abgehoben) — G Zemna trisulca — 


H Wolffia arrhiza, a in natürlicher Grösse, 5 schwach vergrössert, c im Durchschnitt, um 

den dem Spross eingesenkten Blütenstand zu zeigen — M Wolffia repanda (von Loanda) — 

$.Wolffia hyalıina (aus Ägypten) — X Wolffiella gladiata (aus Mexiko) — 2 Wolffiella 
oblonga (aus Chile) (4 c, %, X, Z, M nach Hegelmaier). 


Ich werde zunächst die Verhältnisse schildern, wie ich sie bei 


unserer gemeinen Wasserlinse um Greiz typisch getroffen habe und 


zwar in einem ruhig gelegenen Teiche sowohl, wo sie vom Mai 
bis in den Juli hinein blühte, wie auch im Zimmer. Der monöcische 


IP TERRE 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 103 


Blütenstand besteht hier entweder aus einem höher stehenden kurz- 
griffeligen Stempel und zwei tiefer stehenden, wie jener nach oben 
gerichteten Staubgefässen mit nicht allzulangem Filament und gelben 
Antheren, oder Stempel und Staubgefässe kommen an verschiedenen 
Stellen des Thalloms hervor, von einer unregelmässig zerreissenden 
Hülle umschlossen. Die beiden Staubgefässe entwickeln sich nach 
einander, aber längere Zeit bevor der Stempel hervorbricht. 
Proterandrische Dichogamie und Stellung schliessen 
demnach auch Selbstbestäubung aus. Ebenso ist es undenkbar, 
dass der Wind bei der Kürze der starren Sexualorgane und der 
geringen Pollenmenge, die in den beiden Staubblüten erzeugt wird, 
unmittelbar über dem dicht durch Lemnarasen bedeckten Wasser- 
spiegel bei der Übertragung des Pollens eine Rolle spielt. Von 
den bekannten zoidiophilen Pflanzen weicht die Wasserlinse ab 
durch den gänzlichen Mangel eines gefärbten Perigons 
oder anderer auffälligen Anlockungsmittel der Blüten; 
trotzdem glaube ich behaupten zu können, dass Zemna mınor 
ausgeprägt zoidiophil ist — und zwar angepasst den auf der 
Oberfläche des Wassers sich umhertreibenden Wasser- 
tieren (Hydrometriden etc.). Die Pollenkörner sind stachelig 
mit zahlreichen Protuberanzen besetzt, wie bei den 
ausgeprägtesten Entomophilen (z. B. Malva, Cucurbita, 
Compositen). Die Pollenkörner haben einen Durchmesser von 
etwa 26 u, ihre Stacheln eine Länge von etwa I u, sodass sie 
einerseits leicht dem Körper der über die Staubgefässe streichenden 
Insekten, anderseits der etwas konkaven Narbenscheibe am Ende 
des Griffels anhaften, während sie durch den Wind wohl kaum 
von der dehiszierenden Anthere losgerissen werden könnten. Die 
auf den Lemnarasen oder zwischen ihnen umherkreisenden Kerfe 
müssen anderseits sowohl mit den Staubgefässen als den Narben 
in Berührung kommen, ohne dass sie besonders darauf aufmerksam 
gemacht werden. Die Pflanze hat es hier nicht nötig,, besondere 
Lockmittel zu gebrauchen, ohne allen Aufwand und ohne 
eine andere Gegenleistung, als etwa die Gewährung eines festen 
Untergrundes, erreicht sie dasselbe, was die „Blumen“ durch 


104 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Entwickelung von Farbenpracht, von Honigsaft und 
Wohlgeruch, die zuweilen nur unberufene Gäste anlocken, er- 
zielen. Trelease3#) hatte später (ehe er indessen meine Arbeit”) 
kannte) vermutet, dass die Lemnarasen zusammengedrängt würden 
und dabei sich wechselseitig befruchteten, an seinen Exemplaren 
waren die Blütenstände proterogynisch. Im Zimmer dehiszierte das 
erste Staubgefäss drei Tage nachdem die Narbe empfängnisfähig 
geworden und ebenso lange nachher das zweite Staubgefäss des 
Blütenstandes. Auch Hegelmaier hatte Z/. minor als proterogynisch 
bezeichnet und Spirodela polyrrhiza. George Engelmann35) hat 
aber bei letzterer gleichfalls Proterandrie beobachtet. Federico 
Delpino bestätigt meine Beobachtungen und Deutung der Blüten- 
entwickelung; vermutet aber, dass Schnecken bei der Befruchtung 
in Betracht kommen. Er sagt3%): „A rinforzare la interpretazione 
di Ludwig noi potremmo addurre il singolare appianamento e 
allivellamento di caulomi, antere e stimmi; per il che per manifesta 
la designazione a pronubi striscianti e perambulanti. Cosi questa 
rara associazione di caratteri biologici, efficiente un apparecchio 
florale reptatorio, si riproduce in questa minuscole pianticelle. E 
non deve far meraviglia, poi che le lemnacee senza dubio appar- 
tengono alla famiglia delle aroidee, presso la quale tanto frequente- 
mente accorono apparecchi reptatori. Ludwig non menziona fra 
i pronubi le chioccioline aquatiche, eppura noi congetturiamo que 
queste sia noi principali ausiliarii della dicogamia delle lemne“. — 
Henry Gillmann3’?) berichtet von der grossen Wasserlinse 
(Sp. polyrrhiza), die er in einem Gefäss mit Wasser beobachtete, 
dass sich um 4 Uhr ı5 Min. nachmittags die Stamina entfalteten, 
in der Nacht aber sich zurückbewegten (but closed at night). 
Am andern Morgen um 7 Uhr entfalteten sich wieder zunächst 
drei Blütenstände, bis 7 Uhr 45 Min. ı8, und bis 8 Uhr 30 Min. 
hatten sich 30 Blüten geöffnet. 

Die von Delpino vermutete Beteiligung der Schnecken bei 
der Pollenübertragung der Lemnaceen, wie auch die von andrer 
Seite vermutete bei einer Aroidee, der Schlangenwurz (Calla 
Palustris), einer Sumpf- und Uferpflanze unserer Teiche, verdient 


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Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 105 


noch besondere Beachtung der Botaniker und Zoologen, da über 
die Schneckenbefruchtung (Malacophilie) der Pflanzen viel hin und 
her gestritten worden ist, die bisherigen Beobachtungen aber zur 
Entscheidung der Frage nicht ausreichen. Auffällig und bemerkens- 
wert bleibt es immerhin, dass diese beiden nach Delpino u.a. 
malacophilen Pflanzen in ihren Blattorganen besondere 
Schutzmittel gegen Schneckenfrass haben. Nach Stahl®) 
bilden die Raphiden (Bündel von beidseitig sehr spitzen Nadeln 
des Kalkoxalates) eins der wirksamsten Schutzmittel gegen Schnecken- 
frass. Bei der gemeinen Schlangenwurz hat die Wirkung dieser 
Raphiden in den Blättern schon der alte Tabernaemontanus ver- 
spürt. Er sagt von ihr: „Am Anfang wo man sie kavet scheint 
sie ungeschmackt zu sein, aber bald darauf zwackt sie die Zungen, 
gleich als stäche man sie mit den allerkleinsten Dömern“ Auch 
die Zellen der Wasserlinsen sind vollgepfropft von den 
spitzen Nadelbüscheln des oxalsauren Kalkes. Nur 
Wolffia macht auch in dieser Hinsicht eine Ausnahme, indem 
sie keine Raphiden besitz. Dagegen scheint ein brauner 
Farbstoff in Oberhaut und Grundgewebe wie die Gerbsäure bei 
den Hornblattgewächsen bei ihr zu wirken; denn nach Stahls 
Versuchen verschmähen auch die Wasserschnecken die gerbstoffreichen 
Wasserpflanzen wie die Hornblattgewächse, ferner die, gleichzeitig 
durch Kalkinkrustation geschützten Laichkräuter und 
andere (Hippuris, Hydrocharis, Trapa etc.), sowie sie die durch 
ätherische Öle und Bitterstoffe (Bitterklee und Kalmus) oder 
Verkieselung der Zellwände geschützten Gräser etc. verschonen. 

Die eigentümliche Symbiose verschiedener Wasser- 
linsen mit Nostocaceen (Fydrocytium), die der regelmässigen 
Symbiose von Anabaena in den Azollablättern und des Nostoc bei 
Gunnera und Cycadeen sowie bei gewissen Lebermoosen analog ist, ist 
gleichfalls als Schutzmittel für die Wasserlinsen gedeutet worden. 
Trotzdem haben auch die Wasserlinsen ihre Feinde aufzuweisen 
aus anderen Abteilungen der Lebewelt, Pilzen (Chytridiaceen) und 
Insekten. Eine Fliege Aydrellia albilabris Mg. höhlt die Wasser- 
linsen aus trotz ihrer Raphiden und Nostockolonien. 


106 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Bei den Wasserlinsenen drängt sich uns am ersten die Frage 
auf nach dem Verbleiben der Schwimmpflanzen im Winter. 
Im Herbste noch sehen wir unsere Teiche von: einem dichten 
scheinbar immergrünen Lemnateppich bedeckt, im Frühjahr ist 
aber keine Spur mehr davon zu sehen, die Oberfläche ist rein und 
klar. Wo ist die dichte grüne Decke hingekommen und wo kommt 
sie in der wärmeren Jahreszeit eben so schnell wieder her? 

Während die Hornkrautarten, die Wasserpest und einige 
andere völlig submerse oder an der Oberfläche blühende Pflanzen 
im Wasser ganz überwintern, sinken andere zu Boden und 
bilden besondere Winterknospen (Ahbernacula), die sich im 
Frühjahr loslösen (die übrige Pflanze stirbt ab) und an die Ober- 
fläche schwimmen. Zu ihnen gehören die Wasserschlaucharten 
(Utricularıa), die Wasserfeder (Hottonia), die Blasenpflanze 
(Aldrovandia), welche jedoch in ihrer südlichen Heimat über- 
winter. Noch andere überwintern durch ihre Rhizome, wie der 
Kalmus, die Wasserrosen, der Knöterich und das schwim- 
mende Laichkraut. Winterknospen bilden noch der Frosch- 
biss (Hydrocharis morsus ranae), die Krebsschere (Stratiotes 
aloides), die quirlblättrige Hydrille (Ayarılla vertiıllata), das 
kleine Laichkraut (Fotamogeton pusillus) etc. Bei manchen 
Laichkrautarten, z. B. dem krausen Laichkraut (FPotamogeton 
crispus), wandeln sich einzelne Seitenzweige zu besonderen Winter- 
ästen um, die sich infolge ihrer starren Beschaffenheit leicht von 
der Mutterachse loslösen, zu Boden sinken und daselbst überwintern. 
Dieses Laichkraut überwintert auch durch sein im Boden befind- 
liches Rhizom, während wieder andere Laichkrautarten wie /’ota- 
mogeton pectinatus L. ebenso wie das Pfeilkraut (Sagıllarıa 
sagittifolia), Froschlöffel (Alisma), Binsen (Scir us Palustris) u.a. 
Knollen bilden und im Herbst bis auf diese absterben. Die Über- 
winterung unserer Wasserlinsen geschieht nach der Beschreibung 
von Hoffmann und Hegelmaier bei der wurzellosen Wasserlinse 
(Wolffia arrhisa) bei uns — in wärmeren Gegenden sind keine 
besonderen Vorkehrungen nötig — durch Sprosse, die sich von den 
Sommersprossen wenig, hauptsächlich durch massenhafte Anhäufung 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 107 


von Reservestoffen, unterscheiden. Sie sinken im Herbst infolge 
dieser Aufspeicherung von Reservestoffen und der dadurch be- 
dingten Zunahme des spezifischen Gewichtes zu Boden, um im 
Frühjahr wieder emporzusteigen. Auch die grosse Teichlinse 
(Spirodela) bildet besondere Wintersprosse, welche aber von den 
Sommersprossen durch geringere Grösse und fast nierenförmige 
Gestalt unterschieden sind, keine Lufthöhlen bilden, einen bis 2 mm 
langen Sprossstiel haben, durch den sie sich scharf abgrenzen, und 
nur zwei bis drei sehr kurze Wurzeln treiben. Die Spaltöffnungen 
bleiben bei den Wintersprossen, so lange sie auf dem Boden liegen, 
geschlossen. Im Frühjahr sprossen aus ihnen die Sommersprossen 
hervor, brauchen die Reservestoffe auf und steigen, indem sie Luft- 
höhlen bilden, an die Oberfläche. Die Ausbildung der Wintersprosse 
geschieht hier auch im Zimmer. Die eigentlichen Lemnaarten: die 
gemeine Wasserlinse und die untergetauchte Wasserlinse 
(Z. trisulca) können einen hohen Kältegrad vertragen, bilden daher 
keine besonderen Wintersprosse. Die überwinternden Sprosse 
trennen sich nur bei Abschluss der Vegetationsperiode meist in 
jugendlichem Zustand von ihren verwesenden Muttersprossen los 
und harren so den Winter aus, Zemna minor verbleibt dabei am 
Wasserspiegel so lange er nicht zufriert. 

Zu den prächtigsten Bewohnern unserer Seen, Teiche und 
Flüsse gehören die Seelilien oder Teichrosen, die Nymphaeaceen, 
eine Familie der Wassergewächse, welche in einer früheren geo- 
logischen Epoche auf dem Höhepunkt ihrer Entwickelung stand. 
Unsere wenigen jetzt lebenden europäischen Arten geben uns nur 
noch ein mattes Bild von der bunten, prächtigen Nymphaeaceen- 
flora der Braunkohlenzeit. Der Graf von Saporta38) sagt darüber: 
„Man muss nach Ägypten, Nubien, an die Gewässer von Sene- 
gambien und die überschwemmten Savannen von Guyana oder an 
die Lagunen von Indien und China gehen, um auch dann noch 
abgeschwächte Beispiele von dem zu finden, was in Europa in der 
oligocänen Zeit die Seelilien waren. Nicht allein Nelumbium Buchi 
Ett. vom Monte Promina und die Fragmente von Wurzelstöcken, 
welche Heer auf der Insel Wight beobachtete, bezeugen die 


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108 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Gegenwart von europäischen oligocänen Lotosblumen. Die eigent- 
lichen Nymphaeen (Nymphaea parvula Sap., N. Char pentieri Mr.) 
beweisen nicht allein die Existenz von Pflanzen, doppelt so gross 
als unsere weisse Seelilie (N. alba); es gab auch in dem damaligen 
Europa Gattungen oder Sektionen von Gattungen, die heute aus- 
gestorben sind, deren Charaktere wir nur in sehr unvollkommener 
Weise analysieren können, die sich aber hinlänglich von unseren 
heutigen Arten unterscheiden, um uns glauben zu lassen, dass ihre 
Blumen uns überraschen und unsere Bewunderung erregen würden, 
wenn es uns möglich wäre, sie zu betrachten. Der erste dieser 
tertiären Typen ist in den Gipsen von Aix vertreten (Nymphaea 
gyPsorum Sap.), ein anderer in Saint-Zacharie (N. Zolyrrhiza Sap.), 
ein dritter, wie es scheint, in dem Aquitan von Manosque (N. 
calophylla Sap.). Ein Bruchstück seiner Früchte mit Lappen von 
Blumenblättern umgeben, beweist, dass er gefüllle Blumen hatte, 
die wenigstens doppelt so gross als diejenigen unserer heutigen 
Seelilien und nach einem ganz anderen Plan konstruiert waren..... ge 
In unseren Gewässern finden sich gegenwärtig nur noch die beiden 
Gattungen der gelben und weissen Seerose (Nufhar und 
Nymphaea), von denen die erstere fünf grosse gelbe Kelchblätter 
und zahlreiche winzige zu Nektarien umgestaltete Blumenblätter 
besitzt, während die letztere weisse nektarienlose Blumenblätter 
und grüne Kelchblätter hat. Von den gelben Teichrosen sind bei 
uns zwei Arten (NMuphar luteum und N. fumilum), von den weissen 
gleichfalls zwei Arten (Nymphaea candıda und N. alba) mit ver- 
schiedenen Spielarten und Bastarden bekannt. Man kennt im Ganzen 
gegen 52—53 lebende Arten der Nymphaeaceen, die sehr ver- 
schiedene biologische Anpassungen zeigen. Die (zwei) Arten von 
Nelumbo (Unterfamilie Nelumbonoideae) strecken ihre schildförmigen 
Blätter hoch über das Wasser empor und reifen auch die Früchte 
über Wasser, ihre Blüten sind gelblich oder rosenfarben. In der 
Unterfamilie Cabomboideae haben dagegen die (vier) Arten von 
Cabomba schildförmige, unten ausgerandete Schwimmblätter 
und vielteilige untergetauchte Blätter von ähnlicher Gestalt 
und Zerteilung wie unser gemeiner Wasserhahnenfuss. Bei der 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 109 


Gattung Brasenia (eine Art, Brasema Purfurea) sind Schwimm- 
blätter und Wasserblätter schildförmig elliptisch. Die dritte Unter- 
familie der Nymphaeoideae umfasst 1) die Barclayeae mit der 
Gattung Barclaya (drei Arten) mit fünfblättrigem Kelche und ober- 
ständiger, walzig-röhrenförmiger Blumenkrone, der innen die zahlreichen 
abwärtsgebeugten Staubgefässe eingefügt sind. Die Blätter der 
B. longifolia sind länglich, gestielt, denen unseres Wasserknöterichs 
nicht unähnlich; 2) die Nuphareae mit der Gattung Nuphar (sieben 
Arten); 3) die Tetrasepaleae mit den Gattungen Nymphaea (etwa 
32 Arten), Euryale (eine Art) und Victoria (zwei bis drei Arten). 
Die Gattung Victoria, deren bekannteste Art Victoria regıa mit 
ihren riesigen Schwimmblättern von ı nm Durchmesser und Blüten 
von 2—4 dm Durchmesser in den ruhigeren Nebenflüssen des 
Amazonenstromes oft meilenweit die Wasserfläche bedeckt, und die 
Gattung Euryale haben bestachelte Stengel und Blätter, In der 
Gattung Nymphaea selbst sind die Arten der Untergattungen Lotos 
(z. B. die afrikanische Nymphaea Lotus, die sich bereits auf alten 
ägyptischen Denkmälern vielfach dargestellt findet und mit der 
N. thermalis der ungarischen Thermen identisch ist) und ydro- 
callis (mit grüngelblichen Blüten) mit glattem Blütenstaub versehen 
und blühen nur des Nachts. Die NMymphaea Amazonum öffnet 
ihre Blüte nur etwa 20— 30 Minuten in den ersten Morgenstunden. 
Die übrigen Arten der Untergattungnn Xanthantha (mit gelber 
Blüte), Castalia (mit fünf Arten, worunter unsere einheimischen), 
Brachyceros und Anecephya sind Tagblüher, meist mit kurz- 
stacheligen oder warzigen Pollenkörnern versehen. Die blaue Lotos 
der Ägypter Nymphaea coerulea hat blaue, die den Ostindiern 
heilige Nymphaea stellata und die australische N. gigantea haben 
blau rosig und weiss aussehende Blüten. 

Die Blütenbiologie unserer einheimischen Seerosen ist bereits 
mehrfach studiert worden. Bei unserer weissen Teichrose (Nymphaea 
alba) öffnet sich die Blüte des Morgens gegen 7 Uhr und schliesst 
sich nachmittags gegen 4 Uhr, dabei birgt sie ihre zarten Blüten 
(wohl gegen die Kälte der Nachtluft) unter Wasser. Linne 
(Disquis. de sexu plantarum 1760) sagt: 


EEE 


110 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Nymphaea alba quotidie mane ex aqua tollitur, floremque di- 
latat adeo ut meridiano tempore tres omnino pollices pedunculo 
aquam superemineat. Sub vesperam penitus clausa et contecta 
demergitur. Circa horam enim quartam post meridiem contrahit 
florem, agitque sub aqua omnem noctem, quod nescio an cuiquam 
per bis mille annos notatum sit, id est inde a Theophrasti aevo, 
qui hoc observavit in Nymphaea Loto.... Scripsit autem Theo- 
phrastus, hist. plant. IV, 10. de Loto eaquae sequuntur: „In 
Euphrate caput floresque mergi referunt, atque descendere usque 
in medias noctes: tantumque abire in altum, ut ne de missa 
quidem manu capere sit: diluculo dein redire et ad diem magis. 
Sole oriente jam extra undas emergere floremque patefacere, quo 
patefacto amplius insurgere, ut plane ab aqua absit alte“. — Idem 
prorsus mos est nostrae Nymphaeae albae. 

Die Seerosen sind zoidiophil, der Bestäubung durch Tiere 
angepasst, da sie aber, wie wir oben hervorhoben, die Höhe ihrer 
Entwickelung bereits in einer früheren geologischen Epoche erreicht 
hatten, wird man heutzutage nicht mehr mit Sicherheit behaupten 
können, welcher Abteilung der Tiere sie ihre Bestäubungsverhältnisse 
angepasst haben. Für einige Arten scheinen die geeigneten Be- 
stäuber ausgestorben zu sein, so dass dieselben jetzt auf Selbst- 
bestäubung angewiesen sind. So soll nach Caspary4) in der 
Unterabteilung Hydrocallis der Gattung Nymphaea die Bestäubung 
vor Aufbruch der Blüten stets mit eigenem Blütenstaub erfolgen, 
wobei 10000 bis 30000 Samen, die aufs beste keimen, gebildet 
werden. Auch Zuryale ferox befruchtet sich stets selbst, oft bei 
ganz geschlossener, ja völlig unter Wasser bleibender Blüte. Gegen- 
wärtig scheinen unsere Seerosen auf die Käfer und Fliegen an- 
gewiesen zu sein. Nach Delpinos Vermutung werden Nymphaea 
alba und Victoria regia von Cetonien (Rosenkäfern) und Glaphy- 
riden befruchtet. Bei Nuphar sondert die Unterseite der reduzierten 
Blumenblätter Honig ab, während die Kelchblätter durch Aus- 
dehnung ihrer Fläche und ihre gelbe Farbe die Rolle der Blumen- 
blätter übernommen haben. Unsere Nuphar wie Nymphaea sind 
proterogynisch und ist z. B. bei Nymphaea die Narbe nur am 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. Kt 


ersten Tage des 3—7 Tage währenden Blühens empfängnisfähig, 
so dass Bestäubung ohne Insekten nicht erfolgt. 

Sprengel fand bei der gelben Teichrose Blumenkäfer in 
den Blüten und Hermann Müller sah dieselben ausser von 
Meligethes von Schilfkäfern (Donacia dentata) und Fliegen (Onesia 
floralis) besucht. Neuerdings hat der amerikanische Biologe Charles 
Robertson!) den Bestäubungsverhältnissen der Seerosen ein 
besonderes Interesse zugewandt. Nach ihm ist Nelumbo und 
Nymphaea Pollenblume, während Nuphar Pollen und Nektar 
deren Besuchern darbietet. Jordan giebt jedoch bei Nymphaea 
alba vor den introrsen Staubgefässen (nach innen) gelegene flache 
Honigdrüsen an. Robertson fand bei Nelumbo lutea als Haupt- 
bestäuber Hautflügler, besonders Andreniden (Hahctus) und Schweb- 
fliegen, bei Nuphar advena sowohl im Staate Illinois (im August) 
wie in Florida (im Februar) Aahetus pectoralis (Andrenide), 
Helophilus divisus (Schwebfliege), Donacıa piscatrıx (Schilfkäfer), 
Trelease fand in Madison gleichfalls Aahctus pectoralis und 
Donacıa piscatrix. Bei Nymphaea tuberosa fand Robertson acht 
Andreniden, zwei Syrphiden, eine Bombylide, besonders häufig 
auch hier Halictus pectoralis, letztere auch bei Nymphaea alba. 
Piccioli fand bei dieser gleichfalls Donacıa, so dass als besonders 
regelmässige Bestäübungsvermittler der Seerosen Schilf- 
käfer (Donacia dentata in Deutschland, D. piscatrix in Nord- 
amerika), Halictusarten (A. pectoralis in Nordamerika) und 
Fliegen bisher beobachtet worden sind. 

Die Blüten der Seerosen scheinen nicht selten eine Todesfalle 
für Insekten zu sein, so fand Delpino tote Insekten bei Mymnphaea 
albz und nahm an, dass sie durch die durch einen starken Geruch 
bemerklichen Ausdünstungen der Pflanze getötet worden seien. 
Planchon (Flore des serres et des jardins 1850) denkt an eine 
Anhäufung von Kohlensäure in dem Blütenkesse. Robertson 
fand zuweilen in den Nelumboblüten tote Hummeln (Bombus 
virginicus) und Fliegen, die durch die Petala eingeschlossen waren 
und in ihrem Gefängnis erstickt zu sein schienen. Dagegen fand 
er in dem Blütenbassin von Nymphaea tuberosa Halıctus occıdentalıs 


cr FEN 


112 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


ertränkt. Auch A. Bacon (Bull. Torr. Bot. Club V, 51) berichtet, 
dass er in den Blüten der Nymphaea odorata gefangene und 
getötete Insekten eingeschlossen gefunden habe. 

Die von Lufthöhlen durchzogenen Blatt- und Blütenstiele (Fig. 12) 
und Wurzelstöcke sind bei unseren Teichrosen (überhaupt bei 
Victoria, Euryale, Nymphaea, Nuphar, bei letzterer Gattung nur 
die Wurzelstöcke nicht) im Innern mit vielästigen Sternhaaren mit 
körniger Oberfläche versehen, welche in die Zwischenzellräume 


Fig. 13. 
Luftgänge und Sternhaare aus dem Stengelquerschnitt einer Teichrose. (Nach Engler.) 


hineinragen. Man bemerkt dieselben schon mit blossem Auge 
deutlich, wenn man ein kurzes Stück aus dem Blattstiel ausschneidet 
und durch dasselbe hindurch sieht. Nach den Untersuchungen 
Stahls sind solche Feilenhaare ein Schutzmittel gegen 
Schneckenfrass und die Zerstörungen anderer omnivoren Tiere. 
Nun scheinen Schnecken in der That gerne das Innere grüner 
Stengel auszufressen. (In meinem Garten wurden die Stengel der 
Kaiserkrone mehrere Jahre hindurch durch Nacktschnecken abge- 
fressen, die den Stengel dicht an der Erde durchfressen und dann 
aushöhlen, während die Versuche, an den Blättern zu fressen, wohl 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 1413 


wegen des hohen Raphidengehaltes derselben, bald aufgegeben 
wurden.) Bei anderen Wasserpflanzen, welche einen solchen Schutz 
ihres Stengelmarkes nicht haben, werden die Stengel nicht selten 
ausgehöhlt und zu Grunde gerichtet. So leben von dem Mark des 
Wasserliesches (Butomus umbellatus) die Larve einer Fliege 
(Agromyza confinıs), in dem des Igelkolbens etc. die Larve von 
Faltern (Orthothaelia sparganella, Nonagria Sparganii) und fressen 
die Stengel aus, wenn nicht Blesshühner, Rohrdommeln und Störche, 
welche Raupen und Puppen sehr geschickt herausholen, oder Schlupf- 
wespen (Ichneumon divisorius) Einhalt thun. Abgesehen von einer 
Blattlaus (Aphis Nymphaeae, die sich auch an verschiedenen anderen 
Wasserpflanzen, dem Froschbiss, Froschlöffel, Wasserliesch etc. 
einfindet), einigen Käfern (Donacia crassipes, Donacia Menyanthadis, 
Galeruca Nymphaeae) und Falterraupen (Nymphula nymphaealıs 
verpuppt sich unter einem der oberen Blattfläche angeleimten Blatt- 
stückchen, der Falter ist im Mai und Juni in der Nähe der Teich- 
rosen häufig) haben unsere Teichrosen wohl wenig Feinde oder 
nutzlose Gäste (Bryozo£n etc.) aus der Tierwelt aufzuweisen. Auch 
gegen Pilzschmarotzer scheinen sie gefeit zu sein. Ein durch dieses 
Vorkommen bemerkenswerter Rostpilz (Aecıdium nymphaeoides)*) 
ist sehr wenig verbreitet. Die Verbreitungsmittel der Wasser- 
gewächse sind nicht selten derartige, dass sowohl eine Weiter- 
verbreitung innerhalb desselben Gewässers, als auch eine weitere 
Verbreitung von Gewässer zu Gewässer möglich ist. In ersterer 
Hinsicht ist es von Vorteil, wenn die Samen oder Früchte zu 
schwimmen vermögen (wobei sie durch Wasserströmung und 
Wind verbreitet werden), später aber ein grösseres spezifisches 
Gewicht als das Wasser erlangen und zu Boden sinken 


*) Nachdem das Obenstehende niedergeschrieben, ist die Zugehörigkeit des decidium 
nymphaeoides DC. zu Puccinia Scirpi DC. auf Scirpus lacustris sowie die der Aecidien 
auf Hippuris und Sium latifohlum zu Uromyces lineolatus Desm. auf Serrpus marıtımus 
erwiesen worden. Immerhin bleibt noch eine ganze Anzahl von Rostpilzen auf den Binsen- 
und Schilfpflanzen übrig, deren Zugehörigkeit zu denen anderer Wasser- und Sumpfpflanzen 
noch zu ermitteln ist — eine der vielen Aufgaben, welche an den Süsswasser-Stationen, 
wie sie Dr. OÖ. Zacharias ins Leben gerufen hat (vergl. das ı5. Kapitel dieses Werkes), 
ins Auge gefasst werden können. 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 8 


114 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


(wenn sie nicht wurzellosen Pflanzen zugehören). Bei der Ver- 
breitung von Gewässer zu Gewässer kommen, wenn wir von 
Überschwemmungen absehen, hauptsächlich Wind und Tiere als 
Verbreitungsfaktoren in Betracht. Bei den Schwimmgewächsen 
spielen besonders die letzteren eine hervorragende Rolle und unter 
ihnen besonders die geflügelten Wassertiere, Vögel und Wasserkäfer. 
Bei unseren weissen Teichrosen sind die Samen mit einem 
Samenmantel versehen, so dass sie nach dem Platzen der 
Frucht an der Wasserfläche, durch die zwischen ihnen und 
dem Samenmantel enthaltene Luft gehalten, umher- 
schwimmen können. Dieser Schwimmmantel umgiebt den 
Samen lose als weissliche Hülle. Zunächst sind nach dem 
Auseinanderfallen der Fruchtwände die Samen zu einem schleimigen 
Klumpen vereinigt, der sich aber schliesslich auflöst, so dass die 
Samen sich frei umherbewegen. Zuletzt vergeht auch der Samen- 
mantel, die Luftblasen entweichen und der Same fällt vermöge 
seiner Schwere zu Boden#). Anders verhält sich die gelbe 
Teichrose. Bei ihr findet sich die Vorrichtung zur Wasser- 
verbreitung nicht an den Samen, sondern sie liegt in einer 
besonderen Konstruktion der Fruchtwände. Zur Reifezeit 
löst sich die Frucht gleichfalls von ihrem Stiele ab, aber die Samen 
werden dabei nicht sogleich frei, sondern es geschieht, wie es 
Hildebrand schildert, etwas dem Verfahren ähnliches, welches 
man einschlägt, wenn man eine Apfelsine in einzelne halbmond- 
förmige Teile zerlegt. Von der äusseren Fruchtwand löst sich 
nämlich nur die äussere grüne Schicht los, während die innere mit 
den Scheidewänden der Frucht in Verbindung bleibt. Die Scheide- 
wände spalten sich dann bald von aussen beginnend in je zwei 
Lamellen, wodurch jene halbmondförmigen Scheiben entstehen, 
gebildet aus einer festen Aussenhaut, welche die zahlreichen schweren 
Samen in einen Schleim eingebettet umschliesst. Diese Scheiben 
sinken nicht unter, weil in dem Schleime ihres Inneren zahlreiche 
Luftblasen entstanden sind. Erst später, wenn die Scheiben länger 
umhergeschwommen sind, löst sich die äussere Hülle auf, die Luft- 
blasen entweichen aus dem Schleime und die Samen werden auf 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 115 


den Grund des Wassers ausgesäet. Der Samenmantel der Nym- 
phaea fehlt ganz. Noll hat darauf hingewiesen, dass die Wasser- 
hühner die eigentlichen Verbreiter der Samen der Teichrosen 
von Teich zu Teich sind. Die Früchte sind ihre Lieblingsspeise. 
Bei dem Verzehren derselben bleiben die klebrigen Samen den 


% 


Fig. 14. 
a Same von Vrllarsia nymphaeoides — b Frucht von Didens tripartitus — c Frucht von 
Trapa natans — d Blüte von Scirpus lacustris — e von Scirpus Balustris mit widerhakigen 
Perigon-Borsten — f Frucht von Zypha latıfolia. a—e der Verbreitung durch Tiere, 


‚f der Windverbreitung angepasst; c zugleich ‚‚Ankerklette‘‘. (Nach Hildebrand und Huth.) 


Vögeln an Haaren und Schnäbeln haften und werden, wie Noll 

fand, von ihnen verschleppt. Durch Wasservögel werden auch 

unsere Wasserlinsen weiter verbreitet. Nicht im Wasser 

schwimmende Samen und Früchte (Fig. 14) kletten sich den 
8*r 


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116 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Wasservögeln häufig an und die Verbreitung vieler Wasser- 
pflanzen ist von den Wanderungen und der Zugrichtung der 
Wasservögel abhängig. So verdanken Villarsia- und Lim- 
nanthemumarten den Wasservögeln ihre weite Verbreitung. 
Leersia oryzoides ist nach Ebelings Vermutung durch Steiss- 
füsse, Enten, Wasserhühner aus Südeuropa bis zur nord- 
deutschen Küste verbreitet worden. Unsere Wasserbinsen 
Scirpus lacustris und Scirpus palustris, sind mit einem aus sechs 
Borsten bestehenden Perigon mit rückwärts gerichteten Stacheln 
versehen. Ähnliche Klettvorrichtungen sind bei Rhynchospora etc., 
ferner vom Zweizahn (Bidens) bekannt. Bidens cernuus ist 
— jedenfalls durch Vögel verschleppt — aus Europa zu Anfang 
dieses Jahrhunderts nach Nordamerika gekommen. B. prlosus 
wanderte aus Nordamerika nach Teneriffa und Neuseeland, 2. 
Zeucanthus aus Mittelamerika nach Madeira und der Insel Mauritius 
und der in Nordamerika heimische 2. bipinnatus ist jetzt in Tirol 
eine wahre Landplage geworden. Die mit gefiedertem Flugapparat 
versehenen Samen vom Rohrkolben und andere den Wind als 
Transportmittel benutzende Wasserpflanzen haben gleichfalls noch 
das Vermögen eine Zeit lang an der Oberfläche zu schwimmen. — 
Bei einer Anzahl tropischer Wassergewächse keimen die Samen erst, 
nachdem sie eine gewisse Zeit ausgetrocknet waren 45); es kann dies 
mit ihrem Vorkommen in Gewässern zusammenhängen, die regel- 
mässig einen Teil des Jahres austrocknen. Möglich wäre es aber 
auch, dass diese, von einem vorherigen Austrocknen bedingte Keim- 
fähigkeit der Samen in Zusammenhang stände mit dem Transport 
der Samen von Gewässer zu Gewässer durch das Trockene hindurch. 


Eine Schwimmpflanze, welche nicht nur, wie die Seerosen, die 
Zeit ihrer hauptsächlichsten Entfaltung an der Erdoberfläche hinter 
sich hat, vielmehr jetzt im Aussterben begriffen zu sein 
scheint, ist die Wassernuss (T7rapa natans). Nathorst und 
Carlsen 4), welche die Verbreitung dieser Pflanze in Schweden 
untersucht haben, fanden ihre Früchte in vielen Seen Schwedens 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 117 


verbreitet, in denen die Pflanze jetzt gar nicht mehr wächst oder 
jetzt sehr selten geworden ist, in dem Schlamm des Bodens. Die 
Pflanze scheint gewöhnlich mit der weissen Seerose gelebt zu 
haben und es ist daher zweckmässig, in der Nähe dieser auch die 
Seen anderer Länder nach den Trapafrüchten, die zudem einen 
Reichtum von Varietäten zur Schau tragen, zu durchsuchen. 

Nach Huth) sind die hakigen Früchte als „Ankerkletten“ 
zu betrachten (welche ein Festhaken des Keimlings am Boden be- 
wirken) — im Gegensatz zu den Verschleppungskletten des Zwei- 
zahns (Didens) etc. 

Die submersen Blätter, welche sich neben den Schwimmblättern 
finden, besitzen eine Reihe von Eigentümlichkeiten, welche anderen 
submersen Blättern abgehen. Die obersten von ihnen besitzen 
sowohl Luftspalten als Wasserspalten von charakteristischer An- 
ordnung. Luft- und Wasserspalten sind sonst bei Wasserpflanzen 
sehr selten. Sie finden sich nach De Bary noch auf den Samen- 
lappen von Batrachium, den Laubblättern von Callitricheen, Hippuris, 
Hottonia. Die sehr feinfiedrig geteilten grünen submersen Blatt- 
organe sind Wasserwurzeln, welche gewissermassen an die grünen 
von Fritz Müller beobachteten Luftwurzeln anderer Pflanzen er- 
innern. Eine eingehendere Darstellung dieser Verhältnisse wie auch 
der Keimung hat Wittrock4T) gegeben. — In Deutschland findet 
sich die (mit einer anderen Wasserpflanze Isnardia und den land- 
lebigen Weidenröschen und Circaeaarten) zu den Nachtkerzen- 
gewächsen (Onagraceae) gehörige Wassernuss sehr zerstreut. Orte 
ihres Vorkommens sind ausser den seenreichen Gegenden Nord- 
deutschlands z. B. der Niederrhein, Seen und Teiche um Dessau, 
bei Plothen und Drebra bei Gera. 

Die Arten des Wasserhahnenfusses (Batrachium), deren 
systematische Bearbeitung z. B. bei J. Freyn48) nachzusehen ist, 
zeigen merkwürdige Übergänge von dem Landleben und amphi- 
bischen Leben zu echten Schwimmpflanzen und typisch submersen 
Arten. Von den acht in Nord- und Mitteldeutschland vertretenen 
Arten ist nur Batrachum hederaceum eine echte Schwimmpflanze, 
die lauter eigentliche Schwimmblätter besitzt. Ihm steht eine in 


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118 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


Sizilien, Asturien, England etc. vorkommende Art BD. caenosum nahe. 
Die submersen Arten bilden wie die Tausendblattarten sehr 
ausgedehnte Wiesen unter Wasser oder weithin flutende Rasen in 
unseren Flüssen. Am häufigsten sind D. dwarıcatum in stehenden 
Gewässern mit nur zerschlitzten (untergetauchten), flächenförmig aus- 
gebreiteten, kreisrunden Blättern, die meist einmal dreiteilig sind mit 
weiterhin wiederholt gabelspaltigen Zipfeln, 2. fluitans, welches vor- 
wiegend in Flüssen und Bächen wächst, dreiteilig vielspaltige, sehr 
langhin ausgedehnte Wasserblätter, nur selten aber nierenförmige. 
oder geschlitzte Schwimmblätter besitzt und die gemeinste und 
vielgestaltigste, allen möglichen Lebensverhältnissen angepasste Art 
B. aquatıle. Letztere erzeugt im Wasser nur zuweilen Schwimm- 
blätter und zwar zur Blütezeit. Askenasy6) ist durch Versuche 
zu der Ansicht gelangt, dass ein typisches Schwimmblatt sich bilde, 
wenn das einer Blüte gegenüber stehende Blatt in einer bestimmten 
Periode in die Luft emporgehoben wird. Besonders merkwürdig 
sind die Luftformen der Hahnenfussarten in kleinen Tümpeln etc., 
die sonst sehr dicht mit Wasserpflanzen besetzt sind. Sie haben 
ausser submersen zerschlitzten Blättern und echten Schwimmblättern 
typische Luftblätter (mit den Spaltöffnungen an der unteren Seite) etc. 
Eigentliche Landformen kommen beim völligen Austrocknen der 
Sümpfe bei fast allen drei Arten vor, sie haben aber bei 2. divarı- 
catum nur die typischen zerschlitzten Blätter. Der Übergang der 
einen in die andere biologisehe Form erfolgt meist schnell bei 
Eintritt anderer Lebensverhältnisse. — Ähnliche amphibische Wasser- 
pflanzen sind z. B. der Tannenwedel (Aiffuris), die Tännel- 
arten Elatine etc. — Die Blüteneinrichtung des gemeinen Wasser- 
hahnenfusses D. aquatıle ist von Herm. Müller (l.c.) beschrieben 
worden. Die Honigblumen, zu deren Saftdrüsen die als Saftmal 
dienende gelbgefärbte Basis der Blumenblätter führt, werden besonders 
von Schwebfliegen (Eristalisarten, Zeloßhrilus florens, Chrysogaster 
viduata), kleineren und grösseren Musciden, Bienen (Afıs melhfica), 
Hummeln (Dombus terrestris) bestäubt. Ein von H. Müller 
beobachteter Käfer (Helodes Phellandri) frisst die Blumenblätter 
und Staubgefise. Bei hohem Wasserstand bleiben die Blüten . 


b 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 119 


geschlossen unter Wasser und befruchten sich selbst. Ob solche 
kleistogamische Blüten, wie sie sich bei dieser mit dem Landhahnen- 
fuss (Ranunculus) doch nahe verwandten und wohl von diesem 
abstammenden Gattung von Batrachium finden, auch sonst bei 
echten Hydrophyten vorkommen, oder ob hier überall die früher 
erörterten Anpassungen an eine typische Wasserbefruchtung ein- 
getreten sind, bedarf noch eines besondern Studiums. H. Müller 
war nach brieflichen Mitteilungen, welche er an mich richtete, 
geneigt, eine weitere Verbreitung kleistogamischen Blühens auch bei 
Wasserpflanzen anzunehmen. Das Vorkommen einer gross- und 
kleinblütigen Form, wie es bei vielen Landpflanzen (Stellaria gra- 
minea, Cerastium arvense, Thymian, Gundermann etc.) bekannt 
ist — in Verbindung mit einer Trennung in Zwitterblüten und 
weibliche Blüten, ist z. B. von Kirchner beobachtet worden, welcher 
unter den normalen Stöcken (Blüte 20—27 mm im Durchmesser) 
solche mit Blüten von 3—4 mm Durchmesser und wenigen Staub- 
gefässen fand. Der letztgenannte Forscher hat auch die Blüten- 
einrichtung des D. dwarıcatum näher beschrieben. Beyer4#9) hat 
die spontanen Bewegungen der Staubgefässe des gemeinen Wasser- 
hahnenfusses, dessen Blüte „auf Unterbestäubung eingerichtet ist“, 
in ihrem gesetzlichen Ablauf näher studiert. (Bei Ranunculus 
auricomus hatte schon Konrad Christian Sprengel die Staminal- 
bewegung beobachtet.) 

Von amphibischen Schwimmpflanzen sei hier nur noch des 
Wasserknöterichs (Polygonum amphibium) mit einigen Worten 
Erwähnung gethan. Der Gegensatz einer besondern Landform und 
Wasserform tritt bei ihm besonders hervor. Wächst Polygonum 
amphibium im Wasser, so bildet es die Form natans mit 
langgestielten, breitlanzettlichen, am Grund herzförmigen Schwimm- 
blättern von lederartiger Konsistenz Blätter und Stengel. Bei der 
Landform P. terrestris sind dagegen die dem Wurzelstock ent- 
springenden Stengel aufrecht von unten auf mit schmallanzettlichen, 
festsitzenden Blättern besetzt, deren Fläche nicht glatt, sondern 
runzlig ist. Während bei der Wasserform der Luftkanal 
stärker entwickelt und dadurch das spezifische Gewicht 


ee 


120 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


des Stengels herabgesetzt ist, bildet die Landform 
zur Erreichung der für sie unentbehrlichen Biegungsfestig- 
keit ausserhalb des Bastgewebes (Phloöms) besondere mecha- 
nische Zellen, ein Skelett, im Stengel aus50). Das ganze 
Hautgewebe hat zum Zweck der Transpiration und Durchlüftung 
besondere Umgestaltungen erfahren. Besonders beachtenswert ist 
aber, dass die Landform besondere Schutzmittel gegen 
ungeflügelte aufkriechende Tiere hat. Kerner5l) hebt 
es besonders hervor, dass den Wasserpflanzen, wie Alisma, 
Butomus, Sagittaria, Hottonia, Utricularia, Villarsia, 
Nuphar, Nymphaea, Hydrocharis, Stratiotes, welche 
durch das umgebende Medium vor aufkriechenden 
Tieren (Ameisen, Raupen etc.) geschützt sind, die beson- 
deren Schutzmittel der Blüte fehlen, welche bei den , 
Landpflanzen in so reichem Masse zur Entwickelung 
gelangt sind. „Sehr lehrreich in dieser Beziehung“, sagt Kerner, 
„ist das Verhalten des Polygonum amphibium. Die schön rosen- 
roten Blüten dieser Pflanze sind zu kleinen Cymen vereinigt und 
diese bilden eine dichte, cylindrische, ährenförmige, sehr reiche 
Inflorescenz von 2.5 bis 3.5 cm Länge und ı bis 1.2 cm Breite. Die 
Blätter des Perianthiums sind fast bis zum Grunde getrennt; der 
Fruchtknoten ist von einem fleischigen, roten, fünflappigen, nektar- 
absondernden Becher umgeben und der Grund der Blüte auch 
reichlich mit Nektar erfüllt. Die mit der Basis des Perianthiums 
verwachsenen Pollenblätter sind sehr kurz und die Pollenbehälter 
bleiben in der Tiefe der Blüte geborgen; die zwei Griffel des 
Gynaeceums sind dagegen sehr lang und ragen sogar über die 
Blätter des Perianthiums hinaus. Während der Anthese beträgt 
die Länge des Perianthiums 4 mm, die obere Weitung kaum 3 zum. 
Da der Nektar im Blütengrunde durch kein besonderes Gebilde 
am Perianthium geschützt ist, so erscheint er selbst kleinen Insekten 
zugänglich und wird von diesen auch gern abgeholt. Bei den 
angegebenen Dimensionen der Blüte können aber selbst sehr kleine 
anfliegende Insekten nicht vermeiden, dass sie beim Abholen 
des Nektars zuerst an die über das Perianthium vorstehenden und 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 1271 


etwas spreizenden Narben und dann an die dicht über dem Nektar 
befindlichen Pollenbehälter streifen, und da die Blüten proterandrisch 
sind, so wird selbst durch sehr kleine anfliegende Insekten, welche 
mehrere Blüten und Blütenstände nach einander besuchen, Kreuzung 
der Blüten (bald Geitonogamie, bald Xenogamie) veranlasst. Die 
von unten her kommenden flügellosen, aufkriechenden kleinen 
Insekten würden sich aber nicht die Mühe nehmen, über den obern 
Rand des Perianthiums an den aus der Apertur hervorragenden 
Narben vorbei zum Blütengrunde vorzudringen, sondern auf dem 
kürzesten und für sie bequemsten Wege von unten durch die tiefen, 
die Perigonzipfel trennenden Spalten sich den Nektar holen. Sie 
würden daher auch eine Belegung der Narben nicht veranlassen 
und es würde somit der Nektar geopfert, ohne dass zugleich der 
Vorteil der Allogamie erreicht wäre. Da zudem bei Polygonum 
amphibium infolge der Dichogamie und der gegenseitigen Lage der 
Blütenteile eine Autogamie (Selbstbestäubung) unmöglich ist, würde 
durch den Besuch solcher aufkriechenden kleinen Insekten das 
Entstehen von Früchten überhaupt gänzlich vereitelt werden. Zu 
den Blüten der im Wasser wachsenden Stöcke des Polygonum 
amphibium können nun sehr kleine ankriechende Insekten auch 
nicht kommen. Wie aber dann, wenn das Wasser abgelaufen ist 
und Polygonum amphibium aufs Trockene gesetzt wird? — Da 
ist es nun sehr merkwürdig, dass sich in solchem Falle 
besondere Schutzmittel ausbilden, welche der im 
Wasser wachsenden Pflanze bisher fehlten. Es ent- 
wickeln sich nämlich dann aus der Epidermis sowohl der Blätter 
als der Stengel eine Unzahl horizontal abstehender, im Mittel 
0.7 mm langer Trichomzotten („Drüsenhaare“), die insbesondere an 
dem Stengelteile, welcher durch eine Inflorescenz abgeschlossen ist, 
so dicht als nur möglich gestellt sind und deren kugelige Schluss- 
zellen einen klebrigen Stoff secernieren, so dass sich die Achse, 
welche die Inflorescenz trägt, ganz schmierig anfühlt. Jene kleinen, 
flügellosen aufkriechenden Insekten, welche den Nektar rauben 
möchten, ohne dabei den Vorteil einer Kreuzung der Blüten zu 
vermitteln, können über diese klebrige Achse nicht emporkommen, 


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122 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


sie würden an derselben wie an. Leimspindeln kleben bleiben.“ 
Die Landform hat also dasselbe Schutzmittel gegen unberufene 
Blütenbesucher wie die Pechnelke (Zychmis vıscarıa) und viele andere 
Pflanzen. Wird der Standort des Polygonum aber wieder einmal 
unter Wasser gesetzt, so entwickelt dasselbe Rhizom wieder die 
Wasserform ohne diese Trichomzotten, aber mit allen Anpassungen 
an das Wasserleben. — Übrigens dürfte Kerner bei den oben 
beschriebenen Exemplaren nur die langgrifflige Form des Wasser- 
knöterichs vor sich gehabt haben, daneben aber eine kurzgrifflige 
(wie bei der Wasserfeder und dem Fieberklee) existieren; 
wenigstens hat Kirchner52), wie bereits angedeutet wurde, in der 
Landform einen neuen Fall des Vorkommens der 
Heterostylie entdeckt. Ob bei dem Wasserknöterich eine 
ähnliche Blühfolge besteht, wie ich sie für den gemeinen 
Wiesenknöterich beschrieben habe53), hat ebenso besonderes 
Interesse (weil diese Art nicht heterostyl ist), wie die Frage, 
welches der Insektenkreis der Bestäubungsvermittler der Landform 
und welches der der Wasserform ist. Doch ist man zur Beant- 
wortung dieser wie tausend anderer ebenso einfacher und doch 
wichtiger Fragen zur Biologie der Wasserpflanzen bisher nicht 
gekommen. 


Die Luftpflanzen unserer Gewässer. 


Die Luftpflanzen unserer stehenden und fliessenden Gewässer 
sind stets im Boden festgewurzelt, haben zumeist auch einen sehr 
kräftig entwickelten Wurzelstock, wie z. B. der Kalmus, die 
Schwertlilien etc., zeigen im übrigen aber noch deutliche 
Anpassungen an das Wasserleben. Wir können zwei Haupt- 
formationen unterscheiden, die Schilfgewächse und die unter 
deren Schutz (gegen Wind und Wasserströmung) gestellten, die 
Wasserfläche nur wenig überragenden Sumpfpflanzen. Beginnen 
wir mit den letzteren, die sehr verschiedenen Abteilungen, zumeist 
aber den Monokotyledonen angehören. 

Am tiefsten in die Gewässer steigen von höheren Gewächsen 
(z. B. neben der den Kreuzblütlern angehörigen Brunnenkresse, den 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 193 


Ze 


Wasserehrenpreisarten etc.) noch einige Doldenpflanzen, wie der 
Wassermerk (Sum, Berula), die Sumpfdolde (Helosciadium), 
die Rebendolde (Oenanthe fistulosa und aquatica) und der 
Wasserschierling (Cicuta virosa) hinein. Besonders Oenanthe 
aquatica ist mit röhrigem Stiel (wie auch der noch durch Gift 
geschützte Wasserschierling) und mit haarförmigen, sehr fein zerteilten 
Wasserblättern versehen und kann in sehr tiefem Wasser nur die 
letzteren untergetaucht ausbilden, ein völlig submerses Wasserleben 
führend. Auch die Froschlöffelgewächse (Alismaceen) bilden 
noch besondere Wasserblätter aus und führen gewöhnlich ein 
Wasserluftleben oder unter besonderen Verhältnissen sogar ein 
Wasserleben. Nur der schwimmende Froschlöffel, der von 
Buchenau, dem Bearbeiter dieser Pflanzenfamilie, unter die beson- 
dere Gattung Elisma (Zhsma natans) gebracht wird — Buchenau 
beschreibt zehn Gattungen mit 45—48 Arten von Alismaceen —, 
ist eine echte Schwimmpflanze mit Schwimmblättern und submersen 
Blättern. Die beiden verbreitetsten Arten unserer Flora sind der 
gemeine Froschlöffel (Alsma Plantago) und das Pfeilkraut 
(Sagittarıa sagıttifolla), welche beide mit ihren zierlichen Blatt- 
büscheln und hübschen Blütenständen die Ufer unserer Teiche und 
Flüsse schmücken. Beide bilden in tiefem Wasserstand submerse 
Formen mit schmallinealischen Blättern (forma gramimıfoha), die 
von Linn& sogar mit einer Vallisnerie verwechselt werden konnten, 
auch der hahnenfussblättrige Froschlöffel (Zchinodorus 
ranunculoides) verhält sich so. Unser Alisma Plantago, dessen 
Blütenstand sich mit mathematischer Regelmässigkeit in die Luft 
erhebt (nach den Messungen und Abbildungen von Xaver Pfeifer5#) 
träte das Verhältnis des goldenen Schnittes besonders häufig in 
dem Aufbau dieser Pflanze zutage), besitzt zierliche kleine Zwitter- 
blüten mit sechs (2><3) vor den Kelchblättern stehenden Staub- 
gefässen, während der Blütenstand des Pfeilkrautes aus grösseren, 
rötlichweissen Blüten getrennten Geschlechts besteht, von denen die 
oberen männlich, die unteren weiblich mit vielen Staubgefässen 
bezügl. Stempeln in spiraliger Anordnung versehen sind. Beide 
Pflanzen sind der Bestäubung durch Vermittlung der Insekten 


124 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


angepasst (sind entomophil. Nach Hermann Müller sind bei 
Alisma Plantago die pollenübertragenden Insekten Schwebfliegen 
(Eristalis, Syritta, Ascia, Melanostoma, Melithreptus). Bei Elisma 
natans kommen nach Hildebrand auch kleistogamische Blüten 
vor55). Die Verbreitung der Samen geschieht durch den Wind 
(mit teilweiser Anpassung an die nächstgelegene Verbreitung durch 
das Wasser), bei der ostindischen Gattung Limnophyton besitzen 
die Samen zwischen der verholzten Innenschale (Endocarpium) und 
der Aussenschale Lufthöhlen (Schwimmvorrichtung); Caldesia 
parnassifolia kommt bei uns überhaupt nicht zur Fruchtbildung, 
sondern pflanzt sich nur durch Brutknospen fort. — Die gleichfalls 
im Schutz der Schilfpflanzen wachsende Schlangenwurz (Calla 
palustris), welche bei uns zweimal blüht (im Mai und September), 
wäre besonders in Bezug auf die Bestäubungsweise zu untersuchen. 
Ob diese durch Raphiden geschützte Pflanze durch Schnecken 
oder Insekten befruchtet wird oder, wie Kerner u. A.56) vermuten, 
einer Befruchtung durch Regen und Tau angepasst ist, ist bisher 
nicht festgestellt worden (vgl. die Bemerkung bei Lemna). Sie hat 
rote Beerenfrüchte (Verbreitung durch Vögel!). 

Ein hervorragendes Interesse beanspruchen noch die Schilf- 
gewächse, welche neben dem Röhricht der Schachtelhalme und 
Binsen der Wasserlandschaft ihr eigentümliches Gepräge verleihen. 
Sie gehören alle den Monokotyledonen an, und da zudem ihre 
Arten bereits in den Tertiärformationen auftreten, ist es wahr- 
scheinlich, dass sie eine der ältesten Anpassungen an das Luft- 
wasserleben darstellen. In den Luftströmungen und besonders gegen 
die Bewegung des Wassers, wie sie besonders bei heftigeren meteoro- 
logischen Katastrophen (Wolkenbrüche, Überschwemmungen etc.), 
die in der Vorzeit noch weit mächtiger und häufiger eingetreten 
sein mögen als jetzt, vorkommen, sind die schmallinealischen (schwert- 
förmigen), sehr elastischen, leichten und dabei biegungsfesten Blätter 
der Schilfgewächse (die Wind und Regen eine minimale Angrifis- 
waffe darbieten) besonders widerstandsfähig, Ihr ganzer Aufbau 
(Fig. 15), das von Lufthöhlen durchzogene Blatt (dem meist auch 
der Blütenschaft gleichgestaltet ist) mit seiner verdickten Mittelrippe, 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 125 


den oft parallel gestellten Querwänden, die wie Strebepfeiler wirken 
(bei Iris, Typha, Scirpus silvaticus), deuten darauf hin. Mächtige, 
weit verbreitete Rhizome, welche am Grunde festgewurzelt sind, 
sichern diesen Pflanzen eine dauernde Existenz durch Sommer und 
Winter und eine rasche Ausbreitung über ein grosses Areal. Be- 
sondere Vorkehrungen 57T) schützen die jugendlichen Teile gegen 
Verletzungen durch die Bodenteile (tütenförmige Niederblätter bei 
Glyceria etc.). So schildert Warming58) die besondere Entwickelung 
der Rhizome von Phragmites communis. Die neuen, am Grunde der 


Fig. ı5. 
Schematische Querschnitte durch Blätter der Schilfgewächse. a Schwertlilie — 5 Kalmus — 
c Ästiger Igelskolben — d Einfacher Igelskolben — e Wasserveilchen oder Blumenbinse — 
f Breitblättriger Lieschkolben — g Schmalblättriger Lieschkolben — % Waldbinse. 


Muttersprosse entspringenden Sprosse senken sich tief in die Erde, 
ehe sie sich umbiegen und nach oben wachsen. Das ganze unter- 
irdische Stengelsystem wird so immer weiter in die Erde gebracht, 
bis es eine gewisse Normaltiefe hat, und es entsteht in wenigen 
Monaten ein sehr reich und weit verzweigtes Rhizom. — In welcher 
Weise die von der mittleren Windrichtung beeinflusste Verwachsung 
der Teiche, Seen und Flüsse durch solch üppige Rhizombildung 
vor sich geht und durch sie ein Weiterrücken der Flussläufe bewirkt 
wird, hat kürzlich M. J. Klinge5°) in einer besonderen Abhandlung 
ausgeführt. Haben flutende, schwimmende und untergetauchte 
Gewächse, die sich am günstigsten entwickeln an Stellen, die von 


126 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


der Stromrichtung nicht getroffen sind, im Verein mit dem zwischen 
ihnen abgelagerten Detritus soweit vorgearbeitet, dass Butomus 
umbellatus, Sagittaria sagittifolia, Glyceria, Acorus, Arundo, Phrag- 
mites, Scirpus lacustris etc. geeigneten Boden finden, so arbeiten 
diese Gewächse durch Massenentwickelung darauf hin, das Gefälle 
der Flüsse durch Überwachsen ganz zu heben, um für ihre Sipp- 
schaft weiten Raum zu schaffen. Der Fluss sucht der Pflanze 
seitlich auszuweichen und zwar meist unter dem Winde. 

Zu den Schilfgewächsen gehören zunächst von ausgeprägten 
Windblühern die Lieschkolben oder Rohrkolben (Typhaceen), 
deren kolbenförmiger Blütenstand zuoberst die männlichen, unten 
die weiblichen Blüten trägt. Den eigentümlichen Blütenstand, welcher 
einem Lampencylinder-Putzer nicht unähnlich ist, haben Dietz®®) 
und Kronfeld6t) näher untersucht. Die Blüten stellen die denkbar 
einfachsten Monokotyledonenblüten dar, aus zwei Staubfäden oder 
einem Stempel bestehend, an dessen Grund haarähnliche Gebilde 
stehen. Sie bilden bei den weiblichen Blüten später den Flug- 
apparat der Früchtchen, die aber auch zu schwimmen vermögen. Im 
Herbst und Frühjahr treiben sich die letzteren in mächtigen wolligen 
Massen auf und an den Gewässern umher. Gegen Tierfrass sind 
die Lieschkolben durch Büschel von Nadeln des Kalkoxalats 
(Raphiden) geschützt. Von zwölf bekannten Arten finden sich 
bei uns verbreitet der breite und der schmalblättrige Liesch- 
kolben (Zypha latifoha und angustifola), selten der kleine 
Lieschkolben (7. minima). Ihnen verwandt sind sodann die 
gleichfalls windblütigen Igelkolben (Sparganiaceen), deren männ- 
liche Blüten in zahlreichen endständigen Köpfchen der einfachen 
oder verästelten, ährig angeordneten Inflorescenzen drei langfädige 
Staubgefässe haben, während die gleichfalls kugeligen weiblichen 
Köpfchen am Grunde sitzen und ı—2 Griffel haben. Die Haar- 
gebilde fehlen und könnten die Früchte des stacheligen Frucht- 
standes wohl eher durch Tiere verbreitet werden. Der Blütenstand 
ist hier wie bei den Typhaceen proterandrisch, so dass der Wind 
nur Fremdbestäubung bewirkt. Am häufigsten ist Sparganıum 
ramosum und S. simplex, während S. minimum und S. affıne, die 


Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 127 


häufig flutende Formen ausbilden und echte Schwimmpflanzen dar- 
stellen können, seltenere Arten sind. 

Von anderen Gattungen, die das Wasserleben vereinigt und 
in Bezug auf die vegetativen Organe gleichgestaltet hat, die 
aber in Bezug auf die Biologie der Blüte sehr verschie- 
dene Anpassungen — nämlich die der nahe verwandten Land- 
pflanzen — besitzen, mögen hier noch die Blumenbinsen (Buto- 
mus), die Schwertlilien (/ris) und der Kalmus (Acorus), welche 
alle drei zoidiophil sind, Erwähnung finden. Die prächtigen Blüten- 
dolden des Wasserveilchens (Butomus umbellatus), welche in 
dem schwertförmigen Blattwerk einen ebenso fremdartigen Eindruck 
auf den Beschauer machen, wie die gelben, grossen Blumen der 
Wasserschwertlilie (Jris Pseudacorus) wit ihren blattähnlichen 
Griffen, werden durch Insekten bestäubt. Sprengel und H. Müller 
fanden sie ausgeprägt proterandrisch, während sie A. Schulz 62), der 
gleichfalls ihre Blüteneinrichtung beschreibt, homogam oder schwach 
proterandrisch fand. Am nächsten ist unserem Wasserveilchen 
die ausländische Gattung Tenagocharis mit langgestielten eilanzett- 
förmigen Staubblättern verwandt, während eine andere Butomacee 
Lemnocharis (ebenso wie die Alismaceen Echinodorus und Hydro- 
coleis) auffallende Ähnlichkeit mit Nymphaea und der Gentianee 
Limnanthemum nymphaioides haben. Die Wasserbinsengewächse, 
welche überhaupt den Froschlöffelgewächsen nahe stehen, haben 
wie diese Milchgefässe, welche eine Ölemulsion (Schutzmittel?) ent- 
halten. — Der Kalmus (Acorus Calamus) ist dagegen durch 
ätherische Öle geschützt, ein Umstand, der ebenso wie die Zu- 
gehörigkeit zu den Schilfpflanzen um so mehr auffällt, als die ihm 
verwandte (gleichfalls zu den Arongewächsen gehörige) Schlangenwurz 
(Calla palustris), die die Blattform unserer Zimmer-Calla (C. aethıo- 
ica) teilt, Raphiden zum Schutz hat. 

Der grünlichgelbe Blütenkolben des Kalmus gehört nach den 
Vermutungen Delpinos zu den malacophilen (der Schnecken- 
befruchtung angepassten) Blüteneinrichtungen. Bei uns bringt der 
Kalmus, der sich sehr rasch durch sein Rhizom vermehrt, über- 
haupt keine Früchte, er ist „selbst steril“, adynamandrisch, wie dies 


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128 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


z. B. die Fliegenfalle (Apocynum), gewisse Reiherschnabelarten 
(Erodium macrodenum) u. a. Pflanzen sind. Die letzteren bringen 
nie Früchte, wenn die Bestäubung zwischen Stöcken vollzogen wird, 
welche von demselben Rhizom abgezweigt sind, setzen wohl aber 
bei Kreuzung zweier Stöcke verschiedenen Ursprungs Früchte an. 
Unsere Kalmuspflanzen sollen samt und sonders von einem Rhizom 
abstammen, das 1574 von Clusius in Wien eingeführt worden ist. 
Verbreitet ist der Kalmus ausser in Europa in dem tropischen und 
extratropischen Ostasien, Ostindien, auf der Insel Bourbon und in 
Nordamerika und da trägt er Beerenfrüchte.e Wäre daher die 
Adynamandrie des Kalmus auf ähnliche Ursachen zurückzuführen 
wie bei anderen bekannten Pflanzen, so würde ein Experiment dies 
leicht bestätigen, das indessen bisher noch nicht gemacht worden 
ist. Man brauchte nämlich dann nur von einem andern Erdteil 
Kalmuspflanzen in unsere Teiche mit einzusetzen und — falls die 
Bestäubungsvermittler fehlten — den Blütenstaub zwischen den 
Stöcken verschiedener Herkunft wechselweise zu benutzen, um 
Früchte zu erzielen — ein Versuch, den ich begonnen habe. In 
Japan giebt es noch einen schmalblättrigen Kalmus /(Acorus 
gramimifohus). 

Bei unserer Wasserschwertlilie ist es zur Ausbildung 
zweier an verschiedenelnsekten angepasstenBlütenformen 
gekommen, indem bei der einen Form die Narbenlappen 
der drei äusseren Blätter der Blumenkrone anliegen, bei 
der andern von ihr abstehen. Die Bestäubungsvermittler 
der ersten Blütenform ist eineSchwebfliege (Rhingıa rostrata), 
die der zweiten sind Hummeln (Bombus vestalis, B. agrorum, 
B. hortorum). Ein ähnlicher Fall von Dientomophilie wie der hier 
erwähnte, über den bei Hermann Müller (Befr. d. Bl. p. 68, 69) 
des Näheren nachzusehen ist, ist nur noch für Aconitum 
Lycoctonum, eine Landpflanze, durch Aurivillius nachgewiesen 
worden 63), Aurivillius fand im mittlern Schweden von dieser 
Pflanze gleichfalls zweierlei Stöcke, von denen die Blüten der einen 
einen kurzen stärkern, fast geraden stumpfern, die der anderen 
einen engen, nach hinten verschmälerten und aufwärts gebogenen 


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Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 129 


Sporn haben. Während die erstere Form von Schmetterlingen 
besucht wird, sind diese von dem Besuch der zweiten Blütenform 
gänzlich ausgeschlossen. Letztere wird denn auch regelmässig von 
Hummeln (Bombus hortorum und DB. consobrınus) bestäubt. — 
An der Schilfbildung unserer Gewässer beteiligen sich noch mannigfach 
andere Pflanzengruppen, so besonders die grösseren Riedgrasarten 
und Gräser (Phragmites, Arundo, Glyceria) und die flachblättrigen 
Binsen (Scirpus), von denen häufig Verwandte submers und flutend 
auftreten (Scırpus fhutans, Glyceria etc. Doch soll auf sie wie 
auch auf die eigentlichen Wasserbinsen (Scirpus lacustris etc.) hier 
nicht näher eingegangen werden. 

Die Schutzmittel der Schilfpflanzen gegen die Tierwelt sind 
schon früher erörtert worden. Trotz derselben findet sich in dem 
Röhricht und Schilf noch ein reiches Tierleben, das jedoch nur 
unwesentliche Schädigungen der Pflanzenwelt des Wassers herbei- 
führt. Auch die pflanzlichen Parasiten thun bei uns den Wasser- 
pflanzen nur geringen Schaden. Dieselben bestehen zumeist aus 
dem Wasserleben angepassten Pilzen — Chytridiaceen bei 
Acorus, Iris etc. (Cladochytrum tenue) — der Brandpilzgattung 
Doassansia (bei Butomus, auch bei Alisma, Potamogeton), den 
allenthalben verbreiteten Ascomyceten und den Rostpilzen 
(auf Iris Puccinia Iridis und Uromyces Iridis, auf Acorus Calamus 
Uromyces pyriformis). Von anderen Wasserpflanzen beherbergen 
ausser den bereits erwähnten Seerosen z. B. noch Hippuris 
(Aecıdium Hhppurıdis, dessen Teleutosporen auf Uferhalbgräsern 
zur Entwickelung kommen), Limosella (Uromyces Limosellae), 
Cicuta virosa (Puccima Cicutae vırosae), Hydrocotyle, Oenanthe, 
Nasturtium, Veronica Anagallis, Polygonum amphibium u. a. 
Rostpilze. Von den Rostpilzen sind besonders diejenigen Arten von 
Interesse, welche Beziehungen zwischen den Wasser- 
pflanzen und gewissen Landpflanzen unterhalten, 
indem sie wirtwechselnd auftreten, in der ersten Generation 
(Aecıdium) meistens Landpflanzen, in der zweiten gewisse 
Wasserpflanzen befallend. So verursachen Rostpilze, welche 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. b) 


130 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


zuerst die Lysimachia vulgaris, Cineraria palustris, 
Achillea Ptarmica etc. erkranken machen ‚ In ihren weiteren 
Generationen Krankheiten verschiedener Riedgräser etc. unserer 
Teiche und die Krankheiten der Landhahnenfussarten und 
Ampferarten haben weitere Rostkrankheiten des gemeinen Schilf- 
rohres (Phragmites communis) zur Folge. 


Litteratur und Anmerkungen. 


1) Vergl. meinen Aufsatz in Naturw. Wochenschrift von Dr. 
H. Potonie, Bd. II, 1888, p. 113—ı15, 123—125, 159: „Die 
Feigen und ihre Liebesboten“. 

2) Referate über die bisher erschienenen Abhandlungen über 
Myrmecophilie gab ich im Biologischen Centralblatt Bd. IV—IX 

3) Axell Lundström, Pflanzenbiologische Studien II. Die An- 
passungen der Pflanzen an Tiere. Mit 4 Taf. Upsala 1887. 

4) Ernst Stahl, Pflanzen und Schnecken. Eine biologische 
Studie über die Schutzmittel der Pflanzen gegen Schneckenfrass. 
Jen. Zeitschr. f. Naturw. u. Med. Bd. XXIL N. F. XV. Jena 1888 
(126 S.). 

5) Vgl. auch Seligo, Hydrobiologische Untersuchungen. I. Zur 
Kenntnis der Lebensverhältnisse in einigen westpreussischen Seen. 
Schriften d. Naturforsch.-Ges. zu Danzig, N. F. Bd. VII, H. 3. 
1890 (47 S.). 

6) Das wichtigste Werk über die Biologie der Wassergewächse, 
das mehrfach benutzt wurde, ist das von H. Schenck, Die Biologie 
der Wassergewächse. Bonn 1886 (162 S. u. 2 Taf). Von dem- 
selben Verf. erschien „Vergleichende Anatomie der submersen Wasser- 
gewächse“ (mit 10 Taf.). Bibliotheca botanica Heft I. 

7) F. Ludwig, Über die Bestäubungsverhältnisse einiger Süss- 
wasserpflanzen und ihre Anpassungen an das Wasser und gewisse 
wasserbewohnende Insekten. Kosmos V., 1881, S. 7—ı2. Mit 
17 Holzschn. 


Yo 


Litteratur und Anmerkungen. 131 


8) John E. Klercker, Sur l’anatomie et le developpement de 
Ceratophyllum. Meddelanden frän Stockholms Högskola. No. 26 
m. Bihang t. k. Svenska Vet.-Akad. Handl. 1884. 

9) E. Rodier, Sur les mouvements spontanes et reguliers d’une 
plante aquatique submergee, le Ceratophyllum demersum. Compt. 
rend. #877, T. EXXXTV, No. 18, 30. Apr. Seconde: note sur 
les mouvements etc. ibid. T. LXXXV, No. 20, 12. Nov. u. Sep.- 
Abdr. (in Bordeaux erschienen). 

ı0) Charles Darwin, Ges.!Werke in deutsch. Übers. Bd. XIII. 


ıı) Herm. Beyer, Die spontanen Bewegungen der Staubgefässe 
und Stempel. Wehlau 1888 (Beil. zum Progr. d. kgl. Gymn. 
Ostern 1888, Progr. No. 18, 56 S.). 

12) Egon Ihne, Geschichte der Einwanderung von Puccinia 
Malvacearum und Elodea canadensis. 18. Ber. d. Oberhess. Ges. 
f. Nat. u. Heilkunde. Giessen 1879. 

ı3) Ferd. Cohn, Die Pflanze. Breslau 1882, XI. Insekten- 
fressende Pflanzen, S. 341— 360. 

14) Ch. Darwin, Ges. Werke Bd. VII. 

15) H. von Klinggraeff, Schmetterlingsfang der Drosera anglica 
Huds. Naturf.-Ges. zu Danzig. N. F. Bd. VII, H. 3. 1890. 

16) Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am 
Dionaeablatt. Biol. Centralbl. II. 1882, S. 481—500, IX. 1889, 
S. I—14, Bot. C. XXXVIII 1889, S. 701—708. 

17) S. Korschinsky, Über die Samen der Aldrovandia vesi- 
culosa. Bot. Centralbl. XXVII, 302—304, 334—335, m. I Taf. 

ı8) Ferd. Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen TI, 3, 
N Ei 

19) M. Büsgen, Über die Art und Bedeutung des Tierfangs 
bei Utricularia vulgaris. Ber. d. D. Bot. Ges. 1888. VI, p. LV 
— LXII. 

20) H. N. Mosely, Nature. Vol. XXX, 1884, p. 8ı. Natur- 
forscher 1884, S. 276. 

21) Ch. Darwin, Ges. Werke (Leben u. Briefe III.) Bd. XVI, 
Der 3 15, 

22) A. v. Kerner und R. v. Wettstein, Über die rhizopodoiden 
Verdauungsorgane tierfangender Pflanzen. Sitzber. d. k. Akad. d. 
Wiss. Wien 1886 I. Bd. XCIII; vgl. Biol. Centralbl. VI, p. 484. 


23) V. Fayod, Über die wahre Struktur des lebendigen Proto- 
plasmas und die Zellmenbranen. Naturw. Rundschau V. 1890 


Vorläuf. Mitteil.). 
9 * 


132 Zur Biologie der phanerogamischen Süsswasserflora. 


24) Buchenau in Bot. Ztg. 1865, S. 93. 

25) Hildebrand in Bot. Ztg. 1869, S. 505—507. 

26) Herm. Müller, Die Befruchtung der Blumen durch Insekten 
und die gegenseitigen Anpassungen beider. Leipzig 1873. — The 
fertilisation of flowers. London 1883 (564 S.). 

27) Gilbert, Reproduction vegetative de ’Ultricularia intermedia. 
Bull. Soc. bot. belg. Extr. Justs Bot. Jahresber. XI. (1883), S. 55. 

28) Ch. Darwin, Ges. Werke Bd. IX, 2. Abteil. 

29) Justs Bot. Jahresber. 1880— 1881, S. 182. 

30) v. Schlechtendal, Langethal u. Schenk, Illustr. Flora von 
Deutschland. Neue Aufl. von Hallier besorgt. 

31) Julius Wiesner, Biologie der Pflanzen (III.T. d. wissensch. 
Botanik). Wien 1889 (305 S. m. 60 Ilustr. u. ı Karte). 

32) A. v. Kerner, Über explodierende Blüten. V. K. k. bot. 
zool. Ges. Wien, XXXVII, 1887, S. 28ff. Bot. Centralbl. Bd. XXX, 
1887, S. 180ff. 

33) Hegelmaier, Monographie der Lemnaceen. Leipzig 1868. 
Über die Fructifikationsteile von Spirodela, Bot. Ztg. 1871; danach 
die Lemnaceen in Englers Monographie (Engler u. Prantl, Die 
natürl. Pflanzenfamilien 1890). 

34) William Trelease, On the Structures which favor Cross- 
fertilizization in several Plants. Proceed. of the Bost. Soc. of Nat. Hist. 
Vol. XXI, 1882, March 15, p. 410—440 (m. 52 Fig. auf 3 Taf.). 

35) George Engelmann, Spirodela. Bull. Torr. Bot. Club Nov. 
1870 I, p. 42—43; Anthers of Lemnae (l. c. März 1871 II, 
p. IO—IT). 

36) Federico Delpino, Rivista botanica dell’ anno 1881. Milano 
1882,.5133. 

37) Henry Gillmann, Lemna polyrrhiza again discovered in 
flower on the Detroit river. Amer. Naturalist. XV, 1881, Nov., 
p. 896—897. 

38) Graf von Saporta, Die Pflanzenwelt vor dem Erscheinen 
des Menschen. Deutsch von Karl Vogt. Braunschweig 1881. 

39) Vgl. Casparys Bearb. d. Nymphaeaceen in Potonies illustr. 
Flora von Nord- u. Mitteldeutschl. Berlin 1889. S. 249—251. 

40) Engler und Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien. 
Leipzig 1888. 

41) Charles Robertson, Bot. Gaz. Vol. XIV, S. 122—125, 
297—298. — W. Watson, Notes on nymphaeas. Gardeners 
Chronicle 1884, XXI, S. 87—88. (Das Öffnen u. Schliessen zu 


Sal 


Litteratur und Anmerkungen, 133 


bestimmter Tageszeit kann durch künstliche Belichtung oder Ver- 
dunkelung nicht abgeändert werden.) — Die Bestäubungseinrichtungen 
der Nymphaeaceen sind auch von A. Schulz (Beiträge zur Kenntnis 
der Bestäubungseinrichtungen u. Geschlechtsverteilung bei d. Pflanzen. 
I. Bibl. bot. Heft X, II. Bibl. bot. Heft XVII) beschrieben worden. 

42) K. Fr, Jordan, Die Stellung der Honigbehälter und Be- 
fruchtungswerkzeuge in den Blumen. Doktordiss.. Halle 1886. 

43) F. Hildebrand, Die Verbreitungsmittel der Pflanzen. 
Leipzig 1873. 

44) E. Huth, Die Klettpflanzen mit besonderer Berücksichtigung 
ihrer Verbreitung durch Tiere. Bibl. bot. Heft IX. Cassel 1887 
(36 S. u. 78 Fig.). 

45) F. Ludwig, Über durch Austrocknen bedingte Keimfähig- 
keit der Samen einiger Wasserpflanzen. Biol. Centralbi. VI, S. 229. 

46) A. G. Nathorst, Untersuchungen über das frühere Vor- 
kommen der Wassernuss Trapa natans. Bot. Centralbl. XXVII, 
1886, S. 271—274. 

47) V. B. Wittrock, Einige Beiträge zur Kenntnis der Trapa 
natans. Bot. Centralbl. XXXI, 1887, S. 352—357, 387—3809. 

48) Potonie, Illustrierte Flora von Nord- u. Mitteldeutschland. 
Berlin 1889, S. 241—242. 

49) Siehe 11. 

50) Vgl. Volkens, Beziehungen zu Standort und anatomischem 
Bau der Vegetationsorgane. Jahresber. d. kgl. bot. Gart. Berlin, 
Bd. III, 1884. 

51) A.Kerner, Ritter von Marilaun, Die Schutzmittel der Blüten 
gegen unberufene Gäste. Wien 1876, S. 22, 23. 

52) O0. Kirchner, Neue Beobachtungen über die Bestäubungs- 
einrichtungen einheimischer Pflanzen. Stuttgart 1886. 

53) F. Ludwig, Biologische Notizen. I. Das Blühen von Poly- 
gonum Bistorta. D. Bot. Monatsschr. VI, 1888, S. 4ft. 

54) Fr. Xav. Pfeifer, Der goldene Schnitt und dessen Er- 
scheinungsformen in Mathematik, Natur u. Kunst. Augsburg 1885. — 
Vgl. auch meinen Aufsatz in d. wiss. Rundsch. d. Münchener N.N, 
1889, No. 84. { 

55) F. Hildebrand, Die Geschlechterverteilung bei den Pflanzen. 
Leipzig 1867. 

56) Otto Kuntze, Die Schutzmittel der Pflanzen gegen Tiere 
und Wetterungunst etc. Leipzig 1877, S. 80—82. 


134 Zur Biologie der phanerog. Süsswasserflora. Litteratur und Anmerkungen. 


57) Vgl. H. Ortmann, Beiträge zur Kenntnis unterirdischer 
Stengelgebilde. Doktordissert. Jena 1886 (weitere Litteratur). — 
C. Müller, Der Bau der Ausläufer von Sagittaria sagittaefolia. 
Sitzungsber. d. Ges. Naturforsch. Freunde zu Berlin. 1884. 

58) E. Warming, Über die Keimpflanzen von Phragmites 
communis. Bot. Centralbl. XXI, S. 156ff. 

59) M. J. Klinge, Über den Einfluss der mittleren Windrichtung 
auf das Verwachsen der Gewässer nebst Betrachtung anderer von 
der Windrichtung abhängiger Vegetationserscheinungen im Östbalti- 
cum. - Englers bot. Jahrbücher XI, 1889, S. 264—313. Bot. 
Centralbl. XLII, S. 25. 

60) Sandor Dietz, Die Blüten- und Fruchtentwickelung bei den 
Gattungen Typha und Sparganium. Biblioth. bot. Heft 5, 1887 
(mit 3 Taf.). — Bot. Centralbl. XXVIII, 1886, S. 26—30, 50—60. 

61) Kronfeld, Über den Blütenstand des Rohrkolbens. 
Sitzungsber. d.k. Akad.d. W. Wien 1886, I. Abt., Bd. XVI, S.78— 1009. 

62) A. Schulz, Bibl. bot. H. 10. Cassel 1888, S. 96—97 
(vgl. unter 40). 

63) Vgl. F. Ludwig, Ein neuer Fall verschiedener Blütenformen 
bei Pflanzen der nämlichen Art etc. Biol. Centralbl. VI, 1887, 


8. 737—739- 


Ein Wurzelfüsser des Süsswassers 


in Bau und Lebenserscheinungen 


dargestellt. 


Von” Prof. Dr. A. Gruber. 


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Noch ist der Schleier, der über die erste Entstehung des 
Lebens auf unserer Erde gezogen ist, nicht gelüftet. Seit der Mensch 
angefangen hat, über seine Umgebung nachzudenken, sind mythische 
und mystische Vorstellungen, sind wissenschaftliche Spekulationen und 
Theorien entstanden und vergangen und auch heute haben wir für 
die Frage, wie die lebende organische Substanz entstanden sei, keine 
Antwort zu geben. Wohl aber sind wir durch die Fortschritte der 
Wissenschaft der Lösung einer sich daran schliessenden zweiten 
Frage nahegetreten, nämlich der, wie die ersten lebenden Orga- 
nismen ausgesehen haben mögen. 

Die erste Anwendung des Mikroskops im 17. Jahrhundert 
lehrte den Menschen in den Gewässern der Erde Wesen von un- 
geahnter Kleinheit erkennen, die Begründung der Zellenlehre im 
Anfange unseres Jahrhunderts verschaffte denselben ihre richtige 
Bedeutung als Elementarorganismen und die ungeahnte Vervoll- 
kommnung der optischen Hilfsmittel in unseren Tagen gestattet uns 
einen tiefen Einblick in den einfachen und doch so komplizierten 
Bau ihres Körpers und lässt uns an ihnen die Lebensäusserungen der 
Materie auf ihrer niedersten Stufe erkennen. 

In diesem Reiche der Urorganismen oder Protisten stehen 
wohl zu unterst die Schleimtiere, die Wurzelfüsser oder wie ihr 
Name lauten mag, kurz diejenigen Organismen, deren Protoplasma- 
leib, einer einzigen Zelle an Wert entsprechend, keine feste Gestalt 
besitzt, sondern regellos nach allen Richtungen des Raumes aus- 
zufliessen vermag. Ich will die Streitfrage nicht weiter berühren, 


138 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 


ob wirklich noch heute in den Abgründen des Oceans ausgedehnte 
Mengen organischen Schleimes leben oder nicht, ob der seinerzeit 
auch in der populären Litteratur viel besprochene Bathybius, 
beziehungsweise ob ein ihm nahestehender Organismus wirklich 
existiert, es mag uns die sichere Thatsache genügen, dass wir viele 
und ganz unzweifelhafte Lebewesen kennen, die eben jener Vor- 
stellung von der niedersten Lebensstufe vollkommen entsprechen. 
Im Meere sind die Wurzelfüsser schon lange bekannt, weil dort 
auch dem blossen Auge. sichtbare, von fester Schale umgebene 
Formen leben. Die Reste solcher Schalen haben sich aus den 
ältesten Zeiten unserer Erdgeschichte in grossen Massen : erhalten 
und schon im Altertum sind z. B. die Nummuliten bekannt, wenn 
auch nicht erkannt gewesen. 

Aber auch das süsse Wasser, mit dessen Bewohnern dieses 
Buch sich beschäftigt, beherbergt Wurzelfüsser in grosser Zahl und 
mannigfacher Gestaltung. Schon im Jahre 1755 hat der wackere 
Rösel von Rosenhofl) die ersten Amöben aufgefunden und 
in seiner „Insektenbelustigung“ beschrieben und abgebildet. 

Die Beschreibung ist, obgleich sie sich natürlich nur auf die 
äussere Gestalt und Formveränderung bezieht, trefflich und, wie 
alles im Röselschen Buch, anmutend und auch für uns Fort- 
geschrittenere noch belehrend. | 

Die Amöbe ist nichts weiter als ein kleiner Protoplasmatropfen, 
von keiner festeren Haut umgeben und aller denkbaren Form- 
veränderung fähig, bald in gleichmässigem schneckenartigen Kriechen 
oder, besser gesagt, wie der Regentropfen an der Fensterscheibe 
gleitend, bald sich zusammenkugelnd oder hie und da Fortsätze 
aussendend und wieder einziehend. Es giebt kaum etwas Wunder- 
bareres, als die mannigfaltigen Bewegungen dieses Tröpfchens 
lebender Materie unter dem Mikroskope zu verfolgen. Von hohem 
Interesse ist es, dass man in der jüngtsen Zeit dahin gekommen 
ist, dieselbe amöboide Bewegung an leblosen Objekten zu beob- 
achten?2). Man stellte verschiedenartig gemischte Schmierseifen- 
oder Ölivenölschäume dar und sah Tropfen derselben gerade wie 
Amöben bis sechs Tage lang ununterbrochen strömen. Ist es also 


Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 139 


gelungen, künstliche Amöben im Laboratorium darzustellen? Das 
natürlich nicht, denn all die komplizierten Lebenserscheinungen, 
von welchen wir weiterhin zu sprechen haben werden, fehlen diesen 
Schaumtropfen, sie lehren uns aber, wie die so rätselhaften Bewegungs- 
erscheinungen der niedersten Lebewesen auf bekannte mechanische 
Vorgänge zurückgeführt werden können. 

Eine grosse Anzahl der Süsswasser-Amöben umgiebt ihren 
weichen Körper mit einer schützenden Schale, die zwar nicht so 
kompliziert ist, wie bei vielen der Meeres-,Foraminiferen“, aber 
zierlich und in ihrer Entstehung interessant genug. Diese Schalen- 
träger sind es, welchen ich diesen kleinen Aufsatz widmen möchte. 
Sie leben vorzugsweise in den stehenden Gewässern, teils auf dem 
Grunde, teils an lebenden oder abgestorbenen Pflanzenteilen hin- 
kriechend. Umstehendes Gruppenbild (Fig. 16 S. 140) zeigt einen 
Tropfen irgend eines Weihers oder Sumpfes mit drei Algenfäden, 
auf welchen verschiedene Vertreter der Wurzelfüsser sich festgeheftet 
haben, alles bei starker Vergrösserung. Da sehen wir rechts unten 
(Fig. 16, 2) das spitz zulaufende Gehäuse der Difflugia acuminata, ganz 
aus Sandkörnern aufgebaut, zwischen denen auch längliche Diatomeen- 
schalen angeklebt sind, aus der Mündung treten die Plasmafortsätze 
aus, mittels deren das Tier sich fortbewegt. Noch zwei andere 
Difflugia-Arten zeigt unser Bild: Die eigentümlich gewundene 
D. spiralis (Fig. 16, 3) und links oben (Fig. 16, 1) die D, urceolata, 
deren Gehäuse wie eine zierliche Urne regelrecht gebaut ist. Eben- 
falls eine Schale aus Fremdkörpern, zugleich versehen mit stachel- 
artigen Fortsätzen, besitzt die Centropyxis aculeata (Fig. 16, 5). Im 
Gegensatz zu den genannten Arten ist bei der Fig. 16, 6 abge- 
bildeten Ayalosphenia papilio das Gehäuse ein Ausscheidungs- 
produkt, ein feines Häutchen, so durchsichtig, dass man den Plasma- 
körper deutlich darin liegen sieht, mit feinen Fäden in der Schale 
aufgehängt. Nun giebt es aber auch Formen, bei denen die Schale 
zwar auch vom Tier selbst erzeugt wird, aber nicht im ganzen, 
sondern in einzelnen Stücken, die, wie wir später sehen werden, 
kunstvoll an einander gefügt sind. Bei der Arcella vulgaris 
(Fig. 16, 4), einer der häufigsten Arten in unseren Gewässern, ist 


Fig. 16. 


Wurzelfüsser des süssen Wassers in einem Wassertropfen an Algenfäden sitzend bei starker 


Vergrösserung. ı Difflugia urceolata — 2 Difflugia acuminala — 3 Difflugia spiralıs 
— 4 Arcella vulgarıs von der Seite und von oben — 5 Centroßyxis aculeata — 
6 Hyalosphenia papılio — 7 Quadrula symmetrica — 8 Cyphoderia ampulla — 

9 Euglypha alveolata. 

(Das Grössenverhältnis der hier abgebildeten Arten zu einander 
entspricht nicht genau der Wirklichkeit.) 


Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 141 


die linsenförmige Schale aus winzigen Prismen zusammengesetzt, so 
dass dieselbe bei nicht ganz starker Vergrösserung fein punktiert 
erscheint. Ebenso aus ganz kleinen Bestandteilen besteht das Ge- 
häuse der zierlichen CyPhoderiz ampulla (Fig. 16, 8), während bei 
Ouadrula symmetrica (Fig. 16,7) und Zuglypha alveolata (Fig. 16, 9) 
die einzelnen Schalenbestandteile leichter zu erkennen sind; bei der 
erstern sind es quadratische Plättchen, bei der andern annähernd 
kreisrunde Scheiben, welche die zarte Hülle zusammensetzen., Ich 
könnte noch eine grosse Reihe von Formen aufführen, die den auf 
der Tafel dargestellten mehr oder weniger ähnlich sind und die, 
so weit unsere Kenntnisse diesen Schluss erlauben, über die ganze 
Erde verbreitet sind. Dieselben Arten nämlich, die wir in Europa 
kennen, sind zumteil schon in Nord- und Südamerika, Asien, Afrika, 
Australien und in den arktischen Ländern gefunden worden; auch 
vertikal scheint für ihre Verbreitung kaum eine Grenze zu ziehen, 
denn in der Schweiz fanden sie sich noch in 8000’, in Nord- 
amerika sogar in 10000’ Höhe unverändert vor3). Es ist mir 
aber hier nicht um eine Aufzählung aller bisher entdeckten Formen 
zu thun, ich möchte mich begnügen eine einzige zu beschreiben, 
diese soll aber in ihren feinsten Einzelheiten untersucht und in 
allen ihren Lebensvorgängen verfolgt werden. Dass eine derartige 
Spezialisierung ihren hohen Wert besitzt, hoffe ich dann am Schlusse 
nachweisen zu können. 

Unter allen ihren Verwandten in der Gruppe der schalen- 
tragenden Wurzelfüsser des süssen Wassers ist die Euglypha 
alveolata wohl am genauesten beschrieben, ja man kann wohl 
sagen, dass heute kaum ein Organismus, Tier oder Pflanze, besteht, 
der so vollständig in Gestalt und Lebensweise erforscht wäre. Anno 
1841 wurde das Tier von Dujardin zum ersten Mal, später auch 
von Ehrenberg kenntlich dargestellt, und seither haben wohl mehr 
als fünfzehn Forscher sich damit beschäftigt). Kein Wunder also, 
wenn die Erkenntnis eines so einfach gebauten Organismus weit 
gefördert werden musste. 

Der Körper der Euglypha besteht, wie derjenige aller Wurzel- “ 
füsser, aus einer kleinen Menge von Protoplasma, welches mehr oder 


142 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 


weniger körnig erscheint und an dem zunächst bei schwächere: 
Vergrösserung keinerlei Strukturen zu erkennen sind; ein starker 
lichtbrechender kugeliger Körper tritt aber auch jetzt schon ziem- 
lich deutlich hervor, das ist der Kern, und damit haben wir die 
erste wichtige Thatsache festgestellt, dass die Euglypha den Form- 
wert nur einer Zelle besitzt. Wir können also nicht erwarten, in 
ihrem Körper Organe im Sinne der höheren Tiere und Pflanzen 
aufzufinden, denn ein Organ besteht ja schon an sich aus einer 
Vielheit von Zellen. Gehen wir in der Betrachtung des einzelligen 
Geschöpfes von aussen nach innen vor: Der 
protoplasmatische Körper der Euglypha steckt 
in einem überaus zierlichen, etwa tonnen- 
förmigen Gehäuse (Fig. 17) von winzigen 
Dimensionen: Bei der gewöhnlichen Form 
nämlich ist der Längsdurchmesser nur 6/100 mm 
und der Querdurchmesser 3/100 am im Mittel. 

Trotz dieser Winzigkeit gestatten uns unsere 
heutigen Instrumente, die einzelnen Bestand- 
teile, aus welchen die Schale aufgebaut ist, 


genau zu erkennen: Es sind konvex-konkave 


Fig. 17. Plättchen aus einer dem Chitin ähnlichen, 
Ein leeres Gehäuse von 


Eaflıcho alveolähi: vielleicht von Kieselsäure imprägnierten Sub- 


stanz. Die Plättchen, deren konvexe Seite 
nach aussen gekehrt ist, decken sich dachziegelartig und da die- 
jenigen Stellen, wo sie über einander greifen, dunkler erscheinen, 
so macht es den Eindruck, als wenn die Schale polygonal gefeldert 
wäre. Diejenigen Plättchen, welche vorn die Öffnung umgeben, 
sind nicht rund, sondern laufen in eine Spitze aus und sind an 
ihrem freien Rande fein gezähnelt. Bei einer andern Euglypha-Art 
stehen noch zwischen den Schalenplättchen ab und zu spitze Stacheln. 
Die Schale der Euglypha wird vom Protoplasmakörper meist 
nicht vollkommen ausgefüllt, sondern es bleibt an der Seite ein 
freier Raum übrig. 
Vorn aus der Mündung (Fig. 18) strahlen feine Fortsätze des 
Plasmas (fs), die sogenannten Scheinfüsschen oder Pseudopodien, 


143 


Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 


aus, deren wurzelartige Verzweigungen dem Namen Wurzelfüsser 
oder Rhizopoden den Ursprung gegeben haben. Sie müssen zwei 
wichtige Funktionen vermitteln, erstens die Ortsbewegung und zweitens 
die Nahrungsaufnahme. Die Nahrung (nk) besteht meistens aus 
kleinen, einzelligen Algen, Diatomeen und dergleichen. Die Wurzel- 
füsschen erkennen mittels des 
Tastgefühls die ihnen zusagende 
Beute, umfliessen dieselbe und 
führen sie dann dem Körper 
zu. Dies geschieht dadurch, 
dass das Plasma des betreffen- 
den Fortsatzes einfach zurück- 
fliesst und den Nahrungskörper 
im Strome mitreisst. Betrachtet 
man den vordern Abschnitt des 
Körpers, aus dem die Schein- 
füsschen ihren Ursprung neh- 
men (AZ), bei starker Ver- 
grösserung, so erkennt man, 


dass das Plasma nicht eine 


homogene Masse darstellt, son- 


Fig. 18. } 
Eine Zuglypha alveolata im ausgebildeten 


dern dass es aus einem Maschen- 
werk besteht. Die Maschen (Ch) 
werden von hyalinem Plasma 
gebildet, 


Zustande (etwa 7oomal vergr.). //Z Hintere, 
hyaline Zone — AZ Mittlere, Körnchenzone 
— AZ Vordere, alveoläre Zone — C%k Die 
Protoplasmamaschen (Cyto-Hyaloplasma) — 
Cch Die Maschenräume (Cyto-Chylema) — 
Die Körnchen (Cyto-Mikrosomen) — 


in welchem winzig 


kleine Körnchen (Cm), die so- © 


genannten Mikrosomen, suspen- 
diert sind, und die Maschen- 


£s Die Pseudopodien — » Der Kern mit dem 
Kernkörperchen zc2 — CV Die kontraktile 
Vacuole — sö Die Reserve-Schalenplättchen 
— n% Nahrungskörper — e Exkretkörnchen. 


räume (Cch) von einem dünn- 
flüssigeren Safte erfüllt. Die Kömchen ermöglichen es, ein fort- 
währendes Strömen des Plasmas zu erkennen. Durch diesen Strom 
wird auch die aufgenommene Nahrung im Körper verschoben und 
zwar gelangt sie in den mittlern Abschnitt (AZ) des Körpers, der 
sich durch ein engeres Maschenwerk und grossen Körnerreichtum 


auszeichnet. Während wir an den ersten Abschnitt im wesentlichen 


144 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 


die Funktionen der Bewegung gebunden sehen, dürfen wir den 
mittleren Teil des Körpers als die Ermährungs- oder Stoffwechsel- 
zone bezeichnen. Eine scharfe Trennung besteht übrigens zwischen 
den beiden Abteilungen nicht, sondern der Übergang ist ein ganz 
allmählicher. Die Körner, welche die Zone oft ganz dicht. erfüllen, 
hat man mit dem Namen Exkretkörner (e) belegt und sieht sie als 
Endpunkte des Stoffwechsels an. Dass sie sowohl wie die Nahrung 
gerade an den mittlern Körperteil gebunden sind, dies berechtigt 
uns, diesem Teil des Plasmas eine verdauende Funktion zuzuschreiben. 
In demselben Abschnitt liegt auch ein Gebilde, welches man mit 
dem Stoffwechsel in Zusammenhang gebracht hat, nämlich die 
sogenannte kontraktile, oder pulsierende Vacuole (CV). Es ist ein 
Bläschen, welches in regelmässigen Pulsationen sich leert und wieder 
füllt. Man hat angenommen, dass durch diese bei den Urtieren 
sehr verbreitete Blase die Endpunkte des Stoffwechsels nach aussen 
befördert würden; es ist dies auch nicht unwahrscheinlich, die Haupt- 
bedeutung der kontraktilen Vacuole liegt aber offenbar darin, das 
in den Körper eindringende Wasser wieder zu entfernen, es wird 
mit andern Worten dadurch eine kontinuierliche Aufnahme sauerstoff- 
haltigen Wassers ermöglicht und in dieser Weise die Atmung befördert. 
Demnach wäre an den mittlern Körperabschnitt die Assimilation, 
die Exkretion und die Respiration gebunden. Ebenfalls wieder ohne 
scharfe Grenze geht diese Zone in den hintersten Teil des Körpers 
über (77Z), der fast hyalin erscheint, weil hier das Maschenwerk 
noch feiner und das Lichtbrechungsvermögen von Maschen und 
Mascheninhalt fast dasselbe ist. Hier liegt der Zellkern (n) als helle 
Kugel, in welcher ein dunkleres Korn, das Kernkörperchen (nel), 
eingeschlossen liegt. Die Forschungen der neuesten Zeit haben uns 
mit der unumstösslichen Thatsache bekannt gemacht, dass der Kern 
im Leben der Zelle eine ausserordentlich wichtige Rolle zu spielen 
hat und dass bei der Befruchtung und Fortpflanzung er das allein 
Wesentliche und Beherrschende ist. Gerade die Urtiere sind es 
auch gewesen, bei welchen entscheidende Versuche über die Be- 
deutung des Kernes angestellt worden sind5),. Man hat solche 
Organismen mittels scharfer Instrumente zerschnitten und hat nun 


2 a 


Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 145 


gefunden, dass eine Regeneration, ein Ersatz verloren gegangener 
Teile nur dann eintritt, wenn das abgetrennte Stück den Kern 
oder wenigstens einen Teil desselben noch enthält; die kernlosen 
Stücke dagegen regenerieren sich nicht, sondern gehen über kurz 
oder lang zu Grunde. Mit anderen Worten, die Zelle und ebenso 
der einzellige freilebende Organismus sind nicht im stande, Neu- 
bildungen hervorzubringen, wenn die Zellsubstanz nicht auch mit 
Kernsubstanz versehen ist. Bei denjenigen Wurzelfüssern, deren 
Schale ein Ausscheidungsprodukt ist, wie bei den marinen Fora- 
miniferen, hat man Stücke der Schale ausgebrochen und auch diese 
wurden nur dann durch neue Ausscheidungen ersetzt, wenn ein 
Kern vorhanden war?@). Weiter hat man gefunden, dass der Kern 
allein das Substrat enthält, an welches bei der Fortpflanzung der 
Organismen die Vererbungstendenzen gebunden sind. Die Eigen- 
schaften der Eltern gehen nur durch den Kern der Fortpflanzungs- 
zellen auf die Kinder über. Ich werde darauf noch zurückzukommen 
und es mag zunächst genügen, darauf hingewiesen zu haben, dass wir 
im Kerne der Euglypha den wichtigsten Bestandteil des Tieres 
erkannt haben. Er ist an sich ein Mikrokosmos und es darf uns 
nicht Wunder nehmen, dass wir, je schärfer unsere Instrumente 
werden, immer kompliziertere Differenzierungen in ihm erkennen. 
Um den Kern der Euglypha, also ebenfalls im hinteren Abschnitte 
des Körpers, finden sich zur Zeit der vollkommenen Reife eine 
Menge kleiner Körperchen gelagert (s), die nichts anderes sind 
als Schalenplättchen, ganz gleich denjenigen, welche das Gehäuse 
des Tieres zusammensetzen. Wir werden gleich sehen, wie die- 
selben zur Verwendung gelangen. 

Bei allen zu weiterem Leben fähigen Urtieren, wie bei jeder 
Zelle, tritt nach reichlicher Ernährung ein Moment ein, wo der 
Körper das ihm eigentümliche höchste Mass erreicht hat und dann 
erfolgt die Vermehrung durch Teilung. Bei Euglypha, wo die 


“Schale eine weitere Ausdehnung des Körpers nicht gestattet, muss 


die Grenze des Wachstums in einer bestimmten Konzentration des 
Plasmas gesucht werden. Ist diese erreicht, dann teilt sich die 
Euglypha und zwar in folgender höchst merkwürdigen Weise: Es 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 10 


— a at 5 


146 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 


werden zunächst die Scheinfüsschen eingezogen und an ihrer Stelle 
tritt ein Klumpen Plasma aus der Schalenmündung aus, der immer 
grösser und grösser wird. Zugleich geraten jene um den Kern her 
gelagerten Reserve-Schalenplättchen in Bewegung und wir sehen sie 
in stetem Flusse, eins hinter dem andern, aus der Mündung heraus 
in den ausgetretenen Plasmazapfen herein- 
wandern. Wie von einer unsichtbaren Hand 
geleitet, werden sie an die Oberfläche dieses 
immer mehr und mehr anwachsenden 
Zapfens geschoben und so an einander ge- 
lagert, dass sie sich weit übergreifend dach- 
ziegelförmig decken und der ganze Spross' 
dadurch ein tannenzapfenförmiges Gebilde 
darstellt (Fig. 19). Der Spross schwillt aber 
immer mehr an und zwar so lange, bis er 
genau die Grösse des ursprünglichen Tieres 
erreicht hat, und dann hat das Plasma die 
Schalenplättchen so weit auseinanderge- 
drängt, dass sie sich nicht mehr und 
nicht weniger decken, als diejenigen des 
alten Gehäuses. Dabei zeigt es sich, dass 
genau so viele Plättchen vorhanden waren, 
als zum Aufbau der neuen Schale nötig 
sind, und ferner, dass die ersten Plättchen, 


welche austraten, die gezähnelten Rand- 


Fig. 19. 
Euglypha in Teilung (etwa 
zoomal vergr.). Ein Teil ds jenigen des alten Gehäuses ineinander- 
Protoplasmas ist ausgetreten, i » 
die Reserveplättchen werden greifen (Fig. 20). 


hinausgeschoben und beginnen A . . 
0 Ber Schale zu TFän Der Öberflächlich betrachtet scheinen nun 


platten sind, welche genau mit den- 


Kern befindet sich im sogen. zwei vollkommen kongruente Euglyphen aus 
Sonnenstadium der Teilung. t e 

der einen ursprünglichen entstanden; dem 
ist aber noch nicht so, denn die neu entstandene enthält ja noch 
keinen Kern und noch kein pulsierendes Bläschen. Dieses tritt 
vielmehr erst ganz am Schlusse des Teilungsprozesses auf, nachdem 


es auch im Muttertier verschwunden gewesen war. Der Kern hat 


x 4 
7 ö 


Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. _147 


von dem Moment an, wo das Plasma aus dem Muttergehäuse aus- 
zutreten begann (Fig. 19), auffallende Veränderungen -gezeigt, die 
seine Teilung einleiteten; nachdem die neue Schale sich gebildet 
hat, ist auch er in zwei Teile zerfallen, unter Erscheinungen, die 


Fig. 20. Fig. 21. 
Euglypha in Teilung. Die neue Schale In der alten Schale ist fast nur noch Plasma 
ist fertig. Kern im Stadium der sogen. der hintern Zone. Im Kern haben sich 
Sternform. die Schleifen gespalten. 


ich noch eingehender besprechen werde. Nun wandert die eine 
Hälfte des geteilten Kernes in den Tochterspross hinein, während 
die andere im hinteren Ende des Muttertieres zurückbleibt. Aber 
: 10* 


148 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 


auch damit sind die beiden Hälften noch nicht vollkommen gleich- 
wertig, denn der Tochterspross enthält fast nur Plasma der ersten 
und zweiten Zone (Fig. 21 u. 22), während das der dritten Zone im 
alten Gehäuse zurückgeblieben ist. Damit nun eine gleichmässige 


Der Teilungsprozess ist beendigt; die beiden Schalen 
Y - und ihr Inhalt sind vollkommen kongruent; an den 
Durchschnürung des Kerns. Mündungen beginnen Pseudopodien auszutreten. 
Buchstabenerklärung wie bei Fig. 18. 


Fig. 22. 


Verteilung aller Plasmaelemente bewerkstelligt werde, beginnt eine 
lebhafte zirkulierende Strömung von einer Schale zur andern, wie 
wenn in dem lebenden Brei herumgerührt würde. Die Strömung 


BE 


Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 149 


hält so lange an, bis jedes Individuum seinen gleichen Anteil an 
Plasma erhalten hat, ja sogar die Nahrungskörper, welche zur Zeit 
der Teilung sich in der Euglypha befanden, werden annähernd 
gleich auf die beiden Hälften verteilt. Mittlerweile haben auch die 
beiden Kerne ihre normale Struktur und Lage 
angenommen und in jedem Tiere pulsiert 
wieder eine contraktile Vacuole, jetzt erst sind 
beide Hälften einander kongruent (Fig. 23). 
Bald sieht man zwischen den Randplatten 


feine Scheinfüsschen sich hervordrängen, die 
Mündungen lösen sich von einander ab und Re 
die beiden Euglyphen gehen selbständig ihre 
Wege. Dies ist die merkwürdige Vermehrungs- 
weise der Euglypha alveolata. Wir haben 
aber noch eine Beschreibung der Kernteilung 
nachzuholen mit Berücksichtigung der inneren 
Vorgänge im Kern. Trotz der Kleinheit des 


Objektes — der Durchmesser des Kernes be- 


= . - Fig. 25. 
trägt nur etwa 8/ı0o0oo mm —- sind dieselben 


doch genau bekannt: Die Teilung wird da- 
durch eingeleitet, dass in dem bisher homogen 
erscheinenden Kerne eine feinmaschige Struktur 
sichtbar wird (Fig. 24); zwischen den Maschen 
ist das Kernkörperchen noch deutlich zu sehen. 
Aus der maschigen wird eine faserige Struktur 
(Fig. 25) und bald erkennt man in den Fasern 


regelmässige Fäden, welche einen dicht ver- Der Knäuel löst ich in 

schlungenen Knäuel bilden. Während der Fadenstücke auf, die sich 
umzubiegen beginnen. 

Kern stetig an Umfang zunimmt, werden die 

Fäden dicker und werden dann in eine grössere Anzahl unter sich 

gleich langer Stücke zerlegt (Fig. 26); das Kernkörperchen ver- 

schwindet und die einzelnen Fadenstücke biegen sich, so dass sie 


allmählich eine V-förmige Gestalt annehmen. 
1) Die Figuren 24—32 sind nach Präparaten bei etwa ı2oomaliger Vergrösserung 
entworfen. Die Figuren ı8—32 sind Kopien’ nach Schewiakoff 4 m. 


150 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 


Von einer im Mittelpunkt der Kernkugel wirkenden Kraft 
werden all diese gebogenen Fadenstücke oder „Schleifen“ mit ihrer 
Winkelspitze nach dem Zentrum gerichtet; man nennt dies die 
„Ssonnenform“ (Fig. 27), Auch im umgebenden Zellplasma macht 
sich die Anziehungskraft bemerkbar und 
erhält ihren Ausdruck in feinen Linien, 
welche radiär auf den Umfang des Kernes 
zustrahlen (Fig. 19). Während des Sonnen- 
stadiums macht der Kern allerlei Be- 
wegungen und verliert dann die Kugelform, 
um sich an den Polen abzuflachen (Fig. 28). 


Fig. 27. i : ‘ 
i Zugleich erscheinen hier zwei neue Attrak- 


tionszentren und zwar in Gestalt kleiner 
kegelförmiger Körper, der sogenannten 
Polkörperchen oder, wie sie neuerdings 
genannt werden, Centrosomen. Ihnen 
streben jetzt die Linien im umgebenden 
Plasma zu (Fig. 29) und die Anziehungs- 
kraft im Mittelpunkt des Kernes hört auf; 


Ban A Au der die Schleifen, welche in der auf die Sonnen- 
Sternform. form folgenden sogenannten „Sternform“ 
(Fig. 28 u. 29) regelmässig um den Äquator 
angeordnet waren, werden nun nach den 
Polen gezogen, sie kehren sich um und 
wenden die Spitze vom Zentrum ab. 
Während der Kern nun in umgekehrter 


Richtung sich am Äquator abflacht, haben 


Fin: a6 sich feine blasse Fäden ausgebildet, 
Die Sternform; von den Po- welche von Pol zu Pol ziehend die zier- 
körperchen aus strahlen die ; 
feinen Fäden der Kernspindel liche sogen. Kernspindel darstellen (Fig. 29). 


3 Diese Spindelfäden sind es, welche die 
Schleifen den Centrosomen zuleiten. Vorher aber spielt sich der 
für die Kernteilung bedeutendste Vorgang ab, die Spaltung der 
Schleifen: Der ganze Kernfaden und damit auch die aus ihm ent- 


standenen Schleifen besteht nämlich aus kleinsten Körnchen, die 


Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 151 


ın regelmässigen Abständen hintereinander aufgereiht liegen. Alle 
diese Körnchen werden mit einem Male der Länge nach zerteilt 
und so die ganze Schleife längsgespalten; damit erhalten wir im 
Kerne also doppelt so viel Schleifen als vorher (Fig. 30). Von 
jeder gespaltenen Schleife aber gleitet nun die eine Hälfte links, 
die andere rechts vom Äquator weg oder, anders ausgedrückt, 
die eine nach dem Nord-, die andere nach dem Südpol den 
Spindelfasern entlang. Das Resultat ist klar: Die färbbare Kern- 
substanz, denn diese ist es, welche die Schleifen bildet, wird auf 
das genaueste in zwei Teile zerlegt, die uns quantitativ als Hälften 
des Ganzen erscheinen. Jede Hälfte ist für einen der Tochterkerne 


Fig. 30. b Fig. 31. 
Stadium der Tochtersterne; die Spindel- 
fasern reissen in der Mitte durch. 


Umordnung und Spaltung der Schleifen. 


bestimmt. Nachdem diese sorgfältige Zerteilung der Kernsubstanz 
beendet, zieht sich der Kern im Äquator immer mehr zusammen, 
die Schleifen drängen sich um die Pole her, die blassen Spindel- 
fäden reissen durch (Fig. 31) und endlich schnürt sich der Kern in 
zwei Hälften aus einander (Fig. 32 S. 152). Nun machen die Tochter- 
kerne rückwärts dieselben Veränderungen wieder durch, die wir am 
Mutterkern ablaufen sahen, bis sie wieder die Gestalt und Struktur 
des sogenannten „ruhenden Kerns“ angenommen haben. Damit ist 
der Teilungsvorgang vollendet. Die Teilung der Euglypha bedeutet 
ihre Vermehrung. Bei höheren Tieren und Pflanzen geht der Ver- 
mehrung die Befruchtung voraus. Sie besteht in der Verschmelzung 


152 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 


zweier Zellen verschiedenen Ursprungs, der Ei- und Samenzelle. 
Hier müsste sie also in der Verschmelzung zweier ganzer Individuen 
bestehen. Dies ist auch bei den meisten Urtieren der Fall und 
auch bei Euglypha ist ein solcher Befruchtungsakt beobachtet 
worden *!); Zwei Tiere legen sich mit ihren Schalenmündungen 
neben einander, aus der doppelten Menge von Reserveplättchen ent- 
steht eine neue Schale, in welcher die zwei Plasmakörper und die 
zwei Kerne in eins verschmolzen zu liegen kommen. Es ist also 
durch Vermischung zweier Individuen ein 
einziges entstanden. In welchen Zwischen- 
räumen diese „Kopulation“ eintritt, wie viele 
Teilungen hintereinander folgen können bis 


Fig. 32. Fig. 33. 
se i Eee Eine Euglypha mit Stacheln im encystierten Zu- 
des b tförm B : 
EVULKBuS EHER PNIENZ ERARHTENERUNG stande. D Diaphragma — a. s. äussere Schale — 


EU 7e i. s. Innere Schale — C Cystenhülle. 
wieder eine Befruchtung eintritt, darüber sind für unsere Art noch 
keine Beobachtungen angestellt worden. 

Noch haben wir nicht alle Lebensvorgänge der Euglyphä ver- 
folgt: Bei ihrem Aufenthalt in den oft seichten stehenden Gewässern 
kann es nicht ausbleiben, dass die Euglypha der Gefahr des Aus- 
trocknens oder Einfrierens ausgesetzt ist. Davor weiss sie sich wie 
die meisten übrigen Urtiere und Urpflanzen durch die sogenannte 
Einkapselung oder Encystierung zu schützen (Fig. 33): Sie zieht 


u 


Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 153 


die Pseudopodien ein und schliesst das Gehäuse vorn durch einen 
Deckel, das Diaphragma (D) ab; ausserdem baut sie sich aus den 
Reserveplättchen innerhalb ihres Gehäuses (a. s,) noch ein zweites, 
kleineres, bei welchem die Plättchen weiter übereinandergreifen und 
das vorn geschlossen ist (z. s.). Innerhalb der zweiten Schale zieht 
sich nun der Protoplasmakörper zu einer Kugel zusammen und um 
diese wird erst die eigentliche Cystenhaut (C) ausgeschieden. In 
diesem Zustande ist die Euglypha vor Trockenheit und Frost 
geschützt. 

Die Encystierung ist aber auch ein wichtiges Mittel zur Ver- 
breitung der Art. Mit dem Staube werden solche Cysten weit 
fortgetrieben, Wasservögel und Wasserinsekten tragen sie im Schlamm, 
der da und dort an ihrem Körper haften bleibt, mit sich weg in 
entfernte Gewässer. Ja es scheint, dass die Spitzen und Stacheln, 
welche manche Süsswasserrhizopoden an ihrer Schale haben (s. Fig. 16) 
und welche, wie schon erwähnt, auch bei Euglypha vorkommen 
(Fig. 17), als Haftapparate anzusehen sind, um den Transport zu 
begünstigen. Dieser passiven Wanderung verdanken die Urtiere 
offenbar ihre weite Verbreitung 6), darauf beruht es, dass gerade die 
schalentragenden Wurzelfüsser des süssen Wassers, so weit man bis 
jetzt weiss, alle sogenannte kosmopolitische Arten sind 7). 

Will die Euglypha sich aus ihrer Cyste wieder befreien, so 
löst sie zunächst die Cystenhülle auf, dann sprengt sie die innere 
Schale, so dass die Plättchen wieder lose umherliegen, zerreisst das 
Diaphragma und teilt sich auf die oben beschriebene Weise, indem 
nun die Plättchen der inneren Schale gleich für das Tochtergehäuse 
benutzt werden #K). 

Wir haben nun die Euglypha in ihrem ganzen Lebenslauf ver- 
folgt, wir haben gesehen, wie sie sich bewegt, frisst, verdaut, wie 
der Stoffwechsel vor sich geht, wir kennen die Zusammensetzung 
und Entstehung ihrer zierlichen Schale, wir erkennen die feinere 
Struktur des Plasmas, wissen, wie die Vermehrung, die Befruchtung, 
die Einkapselung vor sich geht; ja wir können in die feinsten Vor- 
gänge der Kemteilung eindringen; in dem Kerme, der selbst nur 
8/1000 mm gross ist, erkennen wir noch zahlreiche Fäden, in diesen 


154 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 


Fäden sehen wir noch Körner und wir sehen diese Körner sich 
noch teilen. Das ist das Höchste, was wir mit unseren heutigen 
Mikroskopen leisten können, aber — wird der Leser sagen — das 
ist auch der höchste Grad der Spitzfindigkeit. Wohl, mag dem so 
sein, aber wir lernen doch sehr viel dabei: Das Plasma ist der 
Träger des Lebens, und wie bei manchen Zellen der höheren Tiere 
gelingt es hier bei der Euglypha dem bewaffneten Auge, zu er- 
kennen, dass dieser Sitz des Lebens, entsprechend seiner Vielseitig- 
keit, ein viel komplizierteres Gefüge hat, als man bisher geahnt. Das 
Maschengerüst mit seinen grösseren und kleineren von Zellsaft er- 
füllten Waben, mit seinen feinen und feinsten Körnchen, die Vor- 
gänge bei der Kernteilung lassen uns ahnen, dass man auch in 
dem kleinsten Plasmaklümpchen einen Mikrokosmos von unendlicher 
Kompliziertheit voraussetzen muss. 

Das Wachstum aller höheren Tiere und Pflanzen beruht auf 
der Vermehrung der Zellen, welche ihren Körper zusammensetzen. 
Die Zellen sind es, welche durch Nahrungsaufnahme wachsen und 
sich teilen, durch ihre Teilung die Gewebe und Organe und schliess- 
lich den ganzen Organismus vergrössernd. Die Teilungen der Zellen 
aber gehen unter eigentümlichen Veränderungen am Kerne — der 
Kernmitose — vor sich; die färbbare Substanz des Kernes löst 
sich in Fäden auf, diese zerfallen in Schleifen, welche sich um den 
Äquator anordnen, dann sich spalten und den Polen zurücken. Und 
nun lehrt uns die Euglypha, dass dieselben Phänomene auch auf der 
niedersten Stufe der Lebewesen sich abspielen, wenn es sich um 
Zellteilung, beziehungsweise hier um Teilung des Individuums 
handelt. 

Die neuesten Forschungen haben uns die unumstössliche, 
wunderbare Thatsache gelehrt, dass es sich bei der Befruchtung 
jedes vielzelligen Organismus wesentlich um eine Kernverschmelzung 
handelt, Eikern und Samenkern vereinigen sich und zwar sind es nur 
wenige Kernschleifen des weiblichen und ebensoviele gleich grosse 
des männlichen Kernes, welche dabei zusammentreten. In diesen 
Schleifen, winzigen, nur bei stärkster Vergrösserung wahrnehmbaren 
Körpern, müssen also alle jene tausenderlei Eigenschaften enthalten 


a 


Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 
g 


sein, welche sowohl vom Vater wie von der Mutter auf den ent- 
stehenden Organismus vererbt werden. Es ist also ein gar kost- 
bares Material diese Kernsubstanz und es darf uns nicht wunder- 
nehmen, dass ein so überaus feiner Mechanismus besteht, um die 
Verteilung desselben zu bewerkstelligen. Dass auch schon bei den 
einzelligen Wesen eine so genaue Verteilung der im Kerne ent- 
haltenen Potenzen stattfindet, lehrt uns abermals die Euglypha 
alveolata. Dabei ist noch eine wichtige Thatsache hervorzuheben: 
Es zeigen sich nämlich bei der Kemteilung der Euglypha gewisse 
Eigentümlichkeiten, welche sich sonst nur bei den Kernteilungen 
der niedersten vielzelligen Tiere, der niedersten Pflanzen und der 
Eier der höheren Tiere vorfinden *®). Diese Ähnlichkeit im wichtig- 
sten Lebensprozess dieser Zellen lehrt uns mit unzweifelhafter 
Sicherheit, wie nahe die niedersten Pflanzen und Tiere den Ur- 
tieren noch stehen und wie die höheren Tiere in ihrer ersten 
Entwickelungsstufe im Ei ihren früheren Zusammenhang mit den 
Urorganismen, resp. ihre Abstammung von diesen verraten. 

Die Befruchtung ist, wie gesagt, eine Vereinigung männlicher 
und weiblicher Kernsubstanz, mit anderen Worten, es vermischen 
sich dabei von zwei verschiedenen Individuen die Charaktere, denn 
diese sind ja in der Kernsubstanz enthalten. Eine neuere Theorie 
sucht darin, wie mir scheint, mit Recht das wesentliche Moment 
des Befruchtungsvorganges $). Durch diese Vermischungen entstehen 
neue Kombinationen von Eigenschaften und dieser bedarf die 
Natur, um die Organismen den sich stets verändernden äusseren 
Lebensbedingungen angepasst zu erhalten. Bei den einzelligen 
Organismen beruht dieser Vermischungsprozess meistens auf einer 
Verschmelzung zweier ganzer Individuen und nichts erläutert dies 
besser, als die oben beschriebene Kopulation der Euglypha, wo 
zwei Tiere vollkommen in eins zusammenfliessen. 

Man hat die Urtiere Organismen ohne Organe genannt; denn 
sie sind im stande alle diejenigen wesentlichen Funktionen zu ver- 
richten, welche bei höheren Tieren an einen oft sehr komplizierten 
Mechanismus gebunden sind. Sie tasten und empfinden ohne 
Nervensystem, bewegen sich ohne Muskulatur, fressen und verdauen 


156 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 


ohne Magen und Darm, atmen und besorgen den Stoffwechsel ohne 
Lunge und Niere. Ja die Euglypha lehrt uns, dass sie sogar 
kompliziertere Lebensthätigkeiten bekunden, dass sie ohne Gehim 
und Nerven eine Art von Instinkt besitzen können, die Baukunst. 
Die Schale ist ja nicht im ganzen ein Ausscheidungsprodukt, sondern 
nur die Schalenplättchen werden ausgeschieden und diese müssen, 
wie wir sahen, bei der Teilung sorgfältig Stück für Stück zusammen- 
gefügt und kunstvoll so angeordnet werden, dass das Ganze die 
richtige Form erhält. Dieselben uns ungeformt erscheinenden 
Plasmateile, welche den Nahrungskörper ergreifen und hereinziehen, 
wissen die Schalenplatten aus dem alten Gehäuse heraus und an 
ihren richtigen Platz zu führen; keine geübte Hand könnte dies 
sorgfältiger und sicherer thun. Dasselbe Plasma weiss sich der 
Plättchen auch noch auf andere Weise zu bedienen, wenn es sich 
darum handelt, gegen drohende Austrocknung eine schützende Cyste 
zu bilden. 

Noch wunderbarer erscheint uns dieser Kunsttrieb bei den 
schon mehrfach erwähnten Verwandten der Euglypha, welche ihre 
Gehäuse aus Fremdkörpern aufbauen. Die zierlichen, mannigfach 
gestalteten Schalen der Difflugia-Arten, deren einige unsere Figur 16 
aufweist, bestehen aus Sand-, meistens Quarzkörnchen. Diese Sand- 
körnchen liest die Difflugia in ihrer Umgebung zusammen, zieht sie 
in ihren Körper hinein und speichert sie da so lange auf, bis sie 
zur Teilung schreitet. Diese verläuft ganz wie bei der Euglypha, 
nur dass die Difflugia die schwierige Aufgabe hat, aus ganz un- 
regelmässigem Material eine neue Schale herzustellen, und doch 
bringt sie es so gut fertig, dass das neue Gehäuse vollkommen dem 
alten gleicht. Man hat den sinnreichen Versuch gemacht 54), solche 
Wurzelfüsser in kleine Aquarien zu bringen, in welchen der Boden 
mit zerstossenen Glassplittern bedeckt war, und siehe da, auch die 
Glasstückchen wurden aufgenommen und die Tiere, welche sich 
teilten, erzeugten Schalen, welche den alten zwar vollkommen gleich 
waren, aber statt aus Sand aus Glas bestanden. 

Es giebt höhere Organismen, welche ganz denselben Bautrieb 
besitzen, wie diese Difflugien, ich meine die Larven der Phryganiden, 


7 


er 


a a 


Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 157 


die in den meisten stehenden und fliessenden Gewässern vor- 
kommen. Auch sie bauen köcherartige Gehäuse aus allerlei Fremd- 
körpern zusammen, gerade wie die Wurzelfüsser, aber um zu 
demselben Ziele zu gelangen, gebrauchen sie einen komplizierten 
physiologischen Mechanismus, der in ihrem hochentwickelten Nerven- 
system, in ihrer Muskulatur, ihrem Hautskelett u. s. w. besteht. 


Wie ist es aber möglich, fragen wir uns, dass ein einzelliges 
Wesen ohne jeglichen nervösen Organe zu so hohen Leistungen 
befähigt ist. Setzt ein derartiger Kunsttrieb nicht psychische Fähig- 
keiten voraus und wo haben diese ihren Sitz ? 


Ausgedehnte vorzügliche, „psycho - physiologische Protisten- 
studien“, die erst vor kurzem veröffentlicht wurden °®), haben sich 
eingehend mit der Beantwortung dieser Frage beschäftigt. Die 
Urtiere wurden in ihrem Verhalten auf die verschiedenartigsten 
Reize, Licht-, mechanische, akustische, chemische Reize u. s. f., 
untersucht und zwar in unverletztem Zustande und auch nach 
künstlich beigebrachten Verletzungen, Entfernung des Kerns etc. 
Das Resultat aller solcher Versuche ist, dass von einem nervösen 
Zentrum im Protistenkörper keine Rede sein kann, dass die nervöse 
Potenz eine diffuse ist; jedes Protoplasma-Elementarteilchen ist ein 
selbständiges Zentrum und hat seine eigene selbständige Psyche. 
Eine Psyche im höheren Sinne existiert freilich noch nicht und alle 
Bewegungen der Urtiere müssen als willenlose Reflexbewegungen 
aufgefasst werden. Das Scheinfüsschen der Difflugia berührt ein 
Sandkörnchen, der Reiz veranlasst dasselbe sich zusammenzuziehen 
und dabei wird es den Fremdkörper, falls er nicht zu schwer ist, 
mit sich reissen. Auf diese Weise sammelt es willenlos sein Schalen- 
material. Aber trotz dieser rein mechanischen Erklärung bleibt der 
Vorgang wunderbar genug. Bedenken wir nur das eine, dass die 
Reize, welche Nahrungskörper auf die Pseudopodien ausüben, diese 
in derselben Weise reagieren lassen wie die Berührung eines Sand- 
körnchens, dass aber nachher beim Schalenbau Nahrungspartikeln 
und Schalenmaterial doch auseinandergehalten werden. Was also 
bei der Phryganidenlarve tausende von Zellen, in der Arbeit sich 


A RE 


158 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 


teilend, erreichen, schafft hier eine einzige Zelle in derselben Weise 
aus sich selbst. 

Man lasse mich hier noch einen zwar etwas drastischen, aber 
belehrenden Vergleich anstellen: Der Längsdurchmesser der Euglypha 
beträgt etwa $/ı00, der Querdurchmesser 3/100 mm, somit erhalten 
wir für das Tier einen Kubikinhalt von 54 oder rund 30 Millionstel 
Kubikmillimeter. Nehmen wir nun als Kubikinhalt eines der leben- 
den Tierriesen, z. B. eines Elefanten, etwa 3 Kubikmeter an, so 
wären dies 3 Milliarden Kubikmillimeter, d. h. gegenüber den 
50 Millionstel Kubikmillimetern der Euglypha 60.000 Milliarden mal 
mehr. Wir finden also bei der Euglypha dieselben Lebensäusserungen, 
wenn auch sehr vereinfacht, wie bei dem 60000 Milliarden mal 
grösseren Elefanten; wir finden bei der Teilung der Euglypha im 
Kerne dieselben eigentümlichen Vorgänge, wie im Kerne einer der 
Myriaden von Zellen, welche den Riesenleib des Elefanten zu- 
sammensetzen. Ist das nicht ein überwältigender Beweis für die 
Einheit der belebten Natur? Ich meine, es gehöre schon ein hoher 
Grad von Blasiertheit dazu, wenn man gegenüber solchen That- 
sachen nicht immer wieder von bewunderndem Staunen ergriffen wird. 
Beschleicht uns nicht dasselbe Gefühl von der Unendlichkeit der 
Natur, als wenn wir in einer klaren Nacht zum Sternenhimmel auf- 
sehen und uns sagen, dass alle die Tausende von Fünkchen Welten 
sind, so gross und grösser als unsere eigene? 

So führt uns das Studium des Kleinen und des Kleinsten im 
Kleinen zum Verständnis des Grossen und Grössten. Denn je 
weiter wir in den Zusammenhang der Organismen einzudringen 
vermögen, je mehr wir alle Erscheinungen auf gemeinsame Gesetze 
zurückführen können, desto einheitlicher und damit desto grösser 
erscheint uns die Schöpfung. Die Spezialisierung, welche sich in 
der heutigen Forschung so sehr geltend macht, artet nicht in Spitz- 
findigkeit aus, sondern leitet zu grossen Resultaten, sobald wir sie 
richtig anzuwenden wissen. 

Man macht der heutigen Naturforschung so oft den Vorwurf, 
dass sie es sei, welche den materialistischen Zug, der durch unsere 
Zeit geht, verschuldet habe und befördere. Ich glaube dies nicht, 


se 


Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 159 


sondern finde vielmehr, dass gerade die heutige Natur- 
auffassung, die bei allem, was sie schafft, das Auge auf 
die Entstehung und Entwickelung des Ganzen gerichtet 
hat, am wenigsten eines idealen Zuges entbehrt. Dem 
heutigen Forscher, obgleich er das Wunder nicht mehr anerkennt, 
ist die Empfindung für die Grossartigkeit der Natur nicht verloren 
gegangen, nein, er muss dieser mit noch grösserer Bewunderung 
gegenüberstehen, als seine Vorgänger, denen eine naivere Vorstellung 
von der Schöpfung die eigentlich belebende Seite des Forschens 
versagte. Es geht ein hoher, idealer Zug durch die Naturforschung 
in unseren Tagen, und in der heutigen, weitausschauenden Richtung 
gelehrt, muss sie ein wichtiges Moment für die Erziehung werden, 
nicht nur für den Arzt, der ohne sie zum Handwerker herabsinkt, 
zum Spezialisten im schlechten Sinne des Wortes, sondern für jeden, 
der auf Bildung Anspruch macht. 

Leider versündigen sich Unverstand und Missverstand gar zu 
oft an Natur und Forschung. Zu öfteren Malen hat man in den 
periodischen Wahlkämpfen die extremste Partei predigen hören, die 
Ziele der Sozialdemokratie seien in der Natur begründet, die 
Descendenzlehre sei ihre Stütze! Gerade das Gegenteil ist der 
Fall: Nichts von allgemeiner Gleichheit gestattet der Kampf ums 
Dasein, das Recht des Stärkeren wird die Losung sein, so lange 
die Erde Lebewesen trägt. Danach freilich müssen wir Menschen 
streben, dass es bei uns kein Faustrecht sei, sondern ein Geistesrecht! 

Ist es nicht auch eine falsche Naturauffassung, die heute eine 
weitverbreitete Richtung in der Kunst beherrscht, wo der Künstler 
nur dadurch an die Natur sich anlehnen zu können glaubt, dass 
er das Hässliche, oder zum mindesten das Langweilige und Nichts- 
sagende darstellt ? 

Sollen wir die Descendenzlehre daran schuld sein lassen, dass 
Zola den Atavismus als erklärendes Prinzip für seine Verbrecher- 
romane herbeizieht? Vererben sich denn nur die Laster, vererben 
sich denn nicht auch die schönen und edlen Eigenschaften im 
Menschen nach denselben Gesetzen? Ist denn das Schöne nicht 
auch Natur? Der Forscher soll an der Hand der nackten That- 


160 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau und Lebenserscheinungen. 


sachen die Wahrheit suchen und darf auch vor dem Widerlichen 
nicht zurückbeben. Auch der Künstler soll Wahres schaffen, aber 
ihm ist ja die Wahl gelassen in den unendlichen Schätzen der 
Natur und warum greift er dann das Hässliche heraus? Wer 
im Sommer 1889 die grosse Internationale Kunstausstellung in 
München besucht hat, den empfing gleich am Eingang die bekannte 
grosse Marmorgruppe von Fremiet, der Gorilla, der ein Weib 
entführt. Was kann es Widerlicheres geben als diesen Affen und 
diese Situation! Mögen die Motive, welche den Künstler zu diesem 
Werke geführt, sein, welche sie wollen, das ist kein Vorwurf für 
ein wahres Kunstwerk; ihm gebührt die grosse goldene Medaille 
nicht! Hat dazu der Künstler sein grosses Talent, hat er dazu 
seine wunderbare technische Fertigkeit, hat er dazu Zeit, Arbeit 
und Geld angewendet, so ist dies eine Verirrung! Wenn aber 
der Forscher denselben hässlichen Gorilla darstellt und beschreibt 
und daran nachweist, wie er als Glied einer langen Kette von 
Organismen sich einfügt, oder wie er als letzter Rest einer grossen 
Reihe von Vorfahren auf unserer Erde lebt, wie hier Eigentümlich- 
keiten seines Körperbaues, dort Äusserungen seines Intellekts zu 
wichtigen Vergleichen anregen, dann entkleidet er das Tier seiner 
Hässlichkeit, statt angeekelt uns abzuwenden, kehren wir uns ihm 
mit Interesse zu; da steht der Forscher in der idealen Auffassung 
über dem Künstler. Unverstand und Geistlosigkeit müssen freilich 
überall auf falsche Wege führen; wo aber der Verstand die Natur 
zu erkennen strebt, da giebt es keinen falschen „Naturalismus“ und 
keinen „Materialismus“, wo der Geist die Materie belebt. 


De an nt 


Litteratur. 


1) August Johann Rösel von Rosenhof: Der monatlich heraus- 
gegebenen Insecten-Belustigung Dritter Theil. Nürnberg 1755. 

2) S. darüber Bütschli: Über die Struktur des Protoplasmas in: 
Verhandlungen d. naturhist. med. Ver. zu Heidelberg. N. F. IV. Bd. 
3. Heft. Sitzung vom 3. Mai und 7. Juni 1889. 

3) S. hierüber Bronn: Classen und Ordnungen des Tierreichs; 
Bütschli: Die Protozoen. I. Abt. p. 228 u. f£ Heidelberg und 
Leipzig 1880—82. 

4) Die hauptsächlichste Litteratur über Euglypha ist folgende: 

a) Dujardin: Histoire naturelle des Zoophytes infusoires. 
Paris 1841. 

b) Ehrenberg: Verschiedene Schriften 1841— 1872. Übersicht 
der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über das von der 
Atmosphäre unsichtbar getragene Leben in: Abh. der Berliner Akad. 
ausıd. ). „2877. '% Berlin 1972. 

c) Perty: Zur Kenntniss kleinster Lebensformen nach Bau, 
Funktionen, Systematik, mit Spezialverzeichniss der in der Schweiz 
vorkommenden. Bern 1852. 

d) Carter: On Fresh-water Rhizopoda of England and India 
in: Annals and Magazine of Natural History. London 1884. 

e) Hertwig u. Lesser: Über Rhizopoden und denselben nahe- 
stehende Organismen in: Archiv für mikroskopische Anatomie. 
Bd. X. Suppl. 1874. 

f) F. E. Schulze: Rhizopodenstudien III in: Archiv f. mikr. 
Anat.. : Bd: &E: 71375. 

g) Leidy: Fresh-water Rhizopoda of North-America in: United 
States geological survey of the territories. Vol. XII. 1879. 

h) Gruber: Der Theilungsvorgang bei Euglypha alveolata in: 
Zeitschr. für wissenschaftliche Zoologie. Bd. 35. 1881. 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 11 


162 Ein Wurzelfüsser des Süsswassers: Litteratur. 


i) Gruber: Die Theilung der monothalamen Rhizopoden in: 
Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. 36. 1882. 

k) Gruber: Kleinere Mitteilungen über Protozoenstudien in: 
Berichte der naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. Br. Bd. II. 
Heft 3. 1886. 

l) Blochmann: Zur Kenntnis der Fortpflanzung von Euglypha 
alveolata in: Morphologisches Jahrbuch. Bd. 13. 1887. 

m) Schewiakoff: Über die karyokinetische Kernteilung von 
Euglypha alveolata in: Morphol. Jahrb. Bd. ı3. 1887. 

5) Die hauptsächlichsten Arbeiten über künstliche Teilung bei 
Urtieren sind: 

a) Nussbaum: Über die Teilbarkeit der lebendigen Materie. 
I. Die spontane u. künstliche Teilung der Infusorien in: Archiv £. 
mikr. Anat. Bd. 26. 

b) Gruber: Beiträge zur Kenntnis der Physiologie u. Biologie 
der Protozoen in: Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg i. Br. Bd. I. 1886. 

c) Balbiani: Recherches experimentales sur la merotomie des 
infusoires cilies in: Recueil zoologique. Tome 5. Fasc. 1. Geneve- 
Bäle 1888. 

d) Verworn: Biologische Protistenstudien in: Zeitschrift für 
wiss. Zoologie. Bd. 46. 

e) Verworn: Psycho-physiologische Protistenstudien. Jena 1889. 

f) Hofer: Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss 
des Kerns auf das Protoplasma in: Jenaische Zeitschr. für Natur- 
wissenschaft. N. F. Bd. 17. 1880. 

6) Ich habe in den Torfmooren des Schwarzwaldes, oberhalb 
des Höllenthales, fast alle die Rhizopoden nachgewiesen, die Leidy 
(4g) in den Gewässern Nordamerikas aufgefunden hat (s. darüber 
das Grossherzogtum Baden, Lieferg. 2. Die Tierwelt. pg. 130. 
Karlsruhe 1833. 

7) Über die „passive Migration“ s. 0. Zacharias: Bericht über 
eine zoologische Exkursion an die Kraterseen der Eifel in: Bio- 
logisches Centralblat. Bd. 9. No. 2—4. Erlangen 18809. 

8) Weismann: Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für 
die Selektionstheorie. Jena 1886. (S. auch Weismann: Bemerkungen 
zu einigen Tagesproblemen. Biol. Centralblatt. Bd. X. No. ı. 1800. 


Die Flagellaten (Geisselträger). 


Von Dr. W. Migula in Karlsruhe. 


Er den niedersten Organismen, auf der Grenze zwischen Tier 
und Pflanze stehend, gehört die interessante Abteilung der Flagel- 
laten. Mit ihren nächsten Verwandten, den Sarkodinen, Sporozoen 
und Infusorien, bilden sie die Gruppe der Protozoen, aber wenn 
sie auch mit jenen zusammengefasst werden und vielfache Be- 
rührungspunkte mit ihnen und mit gewissen Algen zeigen, so sind 
sie in ihren Eigenschaften doch so scharf charakterisiert, dass sie, 
von schwierigen Fällen abgesehen, leicht zu erkennen sind. Vor 
allem zeichnen sie sich durch den Besitz von Geisseln aus. Es 
sind dies sehr feine peitschenförmige Plasmafäden, durch deren 
schwimmende oder schlagende Bewegung sie sich fortbewegen. Hier- 
durch unterscheiden sie sich auch von den drei anderen genannten 
Abteilungen der Protozoen, denen derartige Bewegungsorgane nicht 
zukommen. Denn die Infusorien bewegen sich mit Hilfe von 
Cilien, haarförmigen, viel kürzeren Gebilden, welche in grosser 
Anzahl vorhanden sind, während die Geisseln oft die Länge des 
Körpers übertreffen und stets nur in geringer Anzahl — 1, 2, 3,4 
oder 5 — auftreten. Die Sarkodinen mit den Rhizopoden (vergl. 
Kapitel 4), Heliozoen und Radiolarien dagegen bewegen sich im 
wesentlichen durch ein eigentümliches mit fortwährender Form- 
veränderung verbundenes Hinfliessen des Körpers, und die 
Sporozoen haben in ihrem erwachsenen Zustande überhaupt keine 
Bewegungsorgane. Der Körper der Flagellaten ist sehr verschieden- 
artig gestaltet, stets einzellig, oft nackt, d. h. ohne feste Membran 


166 Die Flagellaten. 


oder Zellwand. Dagegen finden sich bei einzelnen wieder sehr 
starke feste Hüllen um den zarten Zellleib, welche mitunter sehr 
zierlich gezeichnet sind. Der Zellinhalt ist entweder farblos oder 
bräunlich oder chlorophyligrün gefärbt und der Farbstoff ist dann 
gewöhnlich an plattenförmige Träger gebunden. Ein Zellkern ist wohl 
stets vorhanden, daneben oft noch andere feste Plasmakörperchen 
von zumteil noch unbekannter Bedeutung. Ebenso finden sich im 
Innern des Plasmas Hohlräume, welche mit Zellsaft gefüllt sind 
und von denen häufig zwei: in bestimmten Zwischenräumen ab- 
wechselnd sich zusammenziehen und allmählich wieder wachsen; 
man hat sie pulsierende Vakuolen genannt. In der Regel findet 
sich auch noch ein (seltener zwei) roter kleiner Punkt in der Zelle, 
der Augenfleck oder Pigmentfleck. 

Die Geisseln stehen in geringer Zahl zusammen an einem 
Punkte des Körpers, gewöhnlich am Vorderende, sie sind gleich 
oder ungleich lang, bei einigen von einem schwer sichtbaren feinen 
Mantel umgeben. Bei der Fortbewegung wird das Wasser mit der 
ganzen Fläche der Geissel gepeitscht und diese dann, ähnlich wie 
beim Schwimmen, zurückgezogen. 

Die Fortpflanzung geschieht nur bei einigen — soweit bisher 
bekannt — auf geschlechtlichem Wege durch Kopulation zweier 
Individuen, oder wie bei Volvox durch die Befruchtung einer 
ruhenden Eizelle durch ein bewegliches Spermatozoid. Häufig ist 
eine Vermehrung durch Querteilung oder durch Längsteilung be- 
obachtet. Vielen, vielleicht allen Flagellaten kommt die Fähigkeit 
zu, bei Eintritt ungünstiger Verhältnisse in einen Ruhezustand über- 
zugehen, indem sie sich encystieren, d. h. unter Zusammenziehung 
des Körpers zu rundlichen Massen sich mit einer festen Membran 
umgeben. Sie können in diesem Zustande längere Austrocknung 
vertragen und zugleich ist es ein Mittel zur Verbreitung der 
Flagellaten. Denn wenn dieselben in dem Ruhezustande auf dem 
Boden ausgetrockneter Pfützen liegen, so genügt ein Windhauch, 
um sie emporzuheben und als feine Staubkörnchen fortzuführen. So 
gelangen sie vielleicht in einen Wassertümpel, wo sie ihre schützende 
Hülle sprengen und zu neuem Leben erwachen. 


Die Flagellaten. 167 


Oft bleiben die Zellen nach der Teilung in mehr oder weniger 
festem Zusammenhang zu verschiedenartigen Kolonien vereinigt. 
Manche Arten leben parasitisch in anderen Organismen, viele be- 
wohnen fauliges Wasser, manche treten nur in ganz reinen Wässern 
auf. Nach zwei Richtungen hin zeigen sie sehr enge Beziehungen 
zum Pflanzenreich: zu den Spaltpflanzen durch ihre einfachsten Ver- 
treter, die Monadinen, und zu den einzelligen Grünalgen, den 
Protococcoiden, durch die Volvocineen und Chlamydomonadinen. 

Dies sind im Umriss die allgemeinen Eigenschaften einer Gruppe 
von Organismen, welche von den Botanikern und Zoologen als strit- 
tiges Gebiet betrachtet werden und welche man deshalb, wenigstens 
teilweise, sowohl in Lehrbüchern der Zoologie wie in solchen der 
Botanik behandelt findet. Bei der Mannigfaltigkeit und dem Reich- 
tum der grossen Gruppe, bei der Verschiedenheit der Entwickelung 
selbst nahe verwandter Formen und — last not least — bei der 
geringen Kenntnis, welche wir trotz vieler und vorzüglicher Arbeiten 
von den Flagellaten besitzen, mag es genügen, wenn wir einige 
interessante Vertreter dieser Abteilung herausgreifen und einer ein- 
gehenderen Beschreibung unterziehen. Wer sich für diese schwierigen 
und nur mit den besten Mikroskopen erfolgreich zu untersuchenden 
Organismen interessiert, sei auf die Litteraturangabe am Schluss 
verwiesen. 

Zu den am höchsten entwickelten Flagellaten sind unbedingt 
die Volvocineen zu rechnen, welche in etwa sieben Arten in unseren 
Gewässern vorkommen. Wir wollen uns vorzugsweise an die Gattung 
Volvox und an die häufigere der beiden Arten, an Volvox aureus 
(Volvox minor Stein) halten. 

Das Kugeltierchen, wie es von Leeuwenhoek, der es schon 
vor 200 Jahren beobachtet hat, genannt wurde, oder unser Volvox 
bildet kugelige oder eiförmige Kolonien von etwa 1/a—3/ı mm 
Durchmesser, doch kommen sowohl grössere wie kleinere vor (vergl. 
hier und in der folgenden Darstellung Figur 34 S. 168 und Erklärung). 
Es sind Hohlkugeln, welche auf der Oberfläche eine grosse Anzahl 
kleiner grüner Zellen in regelmässigen Abständen tragen. Die Zellen 
werden durch eine farblose Gallertmasse zusammengehalten, welche 


168 Die Flagellaten. 


— 


aus den verschleimenden Membranen der Einzelzellen besteht und 
daher nur eine wenige Mikromillimeter (— 1/1000 mm) dicke Schale 
bilden, während der Inhalt der Kugel aus Wasser besteht. Die 
Zellen sind etwa 5/1000 mm dick, etwas eiförmig gestaltet, mit dem 
grösseren Durchmesser dem Kugelradius parallel. Es lässt sich in 
ihrem Innern wenigstens eine pulsierende Vakuole (vielleicht zwei) 
erkennen, ein sehr kleiner, aber deutlicher roter Pigmentfleck, eine 


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Fig. 34- 


Volvocineen. ı Volvox aureus Ehrbg.: a Kolonie mit fünf Tochterkugeln (Parthenogonidien) 
und drei bereits befruchteten Eizellen (Oosphaeren), 5 Kolonie mit zwei Parthenogonidien, 
elf unbefruchteten Eizellen, zwei männlichen Kolonien, c Teil einer Kugel, stärker ver- 
grössert, mit einer Zelle, welche sich teilt und den Anfang einer Tochterkolonie darstellt, 
d reife Oosphaere, e Teilungszustand einer sehr jungen Volvoxkolonie; die Zellen schliessen 
noch dicht zusammen, / männliche Kolonie mit Antheridien, £ Antheridien von der Seite, 
/h Spermatozoiden — 2 Pandorina Morum — 3 Gonium pectorale (1a und 5 schwach, 
alle übrigen Figuren stark, zumteil sehr stark vergrössert). 


chlorophyligrüne, die Zellwand zu etwa ?/3 auskleidende Platte und 
darunter ein oft undeutlicher Zellkern nebst einigen kleineren 
Körnchen. Jede Zelle trägt an ihrem nach aussen stehenden Ende 
zwei Geisseln, welche die ganze Kolonie wie mit einem Wimper- 
kleid umgeben erscheinen lassen und durch deren Schwingung eine 


Die Flagellaten. 169 


drehende Fortbewegung der ganzen Kolonie erzeugt wird. Zwischen 
den einzelnen Zellen laufen in der Gallertmasse noch Verbindungs- 
fäden, welche mehr oder minder regelmässige Dreiecke auf der 
Kugeloberfläche bilden. Die Zahl der Zellen einer solchen Volvox- 
kugel ist sehr verschieden, sie schwankt zwischen 200 bis 2000, 
kann aber die Zahlen nach unten und oben auch noch wesentlich 
überschreiten. 

Diese eben beschriebenen Zellen besitzen einen rein vegetativen 
Charakter, d. h. sie dienen nur der Aufnahme und Verarbeitung 
der Nährstoffe und allen den Lebensthätigkeiten des Organismus, 
welche nicht mit der Fortpflanzung zusammenhängen. Für sich 
allein, auch losgetrennt von der Kolonie, würden sie zwar noch 
eine Zeit lang ihr Leben fristen, aber schliesslich zu Grunde gehen, 
ohne für die Erhaltung der Art zu sorgen. Diese Funktion über- 
nehmen ganz anders gestaltete Zellen, welche übrigens aus Zellen 
hervorgehen, welche den vegetativen ursprünglich gleich gestaltet 
sind. Aber um diese Verhältnisse zu übersehen, müssen wir auf 
die Entstehung der Zellen etwas näher eingehen. Bei den Volvo- 
cineen finden sich Dauerzustände (Sporen), welche den Winter über 
ruhen und im Frühjahr sich zu neuen Volvoxkugeln entwickeln. 
Eine solche Spore (Id) besitzt eine ziemlich dicke farblose Membran 
und bei völliger Reife gelbroten körnigen, mit Reservestoffen er- 
füllten Inhalt. Die erste Veränderung, welche im Frühjahr in ihr 
vorgeht, ist, dass die gelbrote Farbe des Zellinhaltes einer grünen 
Platz macht; die Zelle nimmt dann Wasser auf und sprengt die 
harte Membran. Vorher teilt sich der Zellinhalt in zwei und diese 


weiter in vier, diese wieder in acht Zellen; letztere entwickeln sich zu 


Schwärmzellen, welche den Ausgangspunkt für die Entwickelung 
der Volvoxkolonien bilden. Die Schwärmzellen teilen sich in einen 
vielzelligen Körper unter stetem Wachstum, bleiben aber dicht zu- 
sammen. Erst wenn die Zellen sich nicht mehr teilen, beginnt 
eine Differenzierung sich bemerkbar zu machen; einige Zellen sind 
etwas grösser und mit den anderen, wenn sie auseinanderrücken, 
durch zahlreichere Fäden verbunden. Sobald nämlich die Zell- 
teilungen aufgehört haben, fangen die Membranen der einzelnen 


170 Die Flagellaten. 


Zellen an, zu quellen, wodurch diese auseinandergedrängt werden. 
Nun beginnen einige wenige von Anfang an etwas grössere, aber 
ebenfalls in den Gallertmantel der Kugeloberfläche eingebettete 
Zellen heranzuwachsen und sich zu teilen in ganz gleicher Weise, 
wie das eben beschrieben wurde. Je grösser diese Zellkomplexe 
werden, desto mehr rücken sie in das Innere der Kugel, lösen sich 
schliesslich ganz von der Oberfläche los und schwimmen frei in 
dem Hohlraum umher. In dem einen Falle gestalten sich aus 
ihnen Kugeln, welche den Mutterkugeln vollkommen gleichen und 
auch ihrerseits wieder junge Kugeln im Innern entwickeln, so dass 
man thatsächlich sehr oft Grossmutter, Mutter und Enkel in ein- 
ander eingekapselt sieht. Die Kolonien schwimmen frei im Innern 
der Kugel umher, bis sie an dem einen Pol der Mutterkugel aus- 
schlüpfen und ein selbständiges Dasein beginnen. Alle Kugeln, 
welche auf diese Weise entstehen und sich aus Zellen der Kugel- 
oberfläche ohne Befruchtuug entwickeln, hat man Parthenogonidien 
genannt. Ihre Zahl innerhalb einer Mutterkugel ist sehr verschieden: 
2—12, selten mehr; neben ihnen können aber auch noch Zellen 
oder Zellfamilien ganz anderer Natur auftreten und mit der Be- 
schreibung derselben betreten wir das Gebiet der geschlechtlichen 
Fortpflanzung, welche bei Volvox sehr hoch ausgebildet ist. Zunächst 
entwickeln sich einige der Zellen der Mutterkugel, ohne sich weiter 
zu teilen, zu sehr grossen weiblichen Geschlechtszellen, den Oogonien, 
welche dunkler grün sind und ein körniges Plasma zeigen. Sie 
sind leicht mit sehr jugendlichen Parthenogonidien zu verwechseln, 
aber durch den Mangel an Teilungen von diesen unterschieden. 
Schliesslich lösen sie sich ebenfalls aus dem Zellverbande heraus 
und treten in den Hohlraum der Kugel. Noch andere Zellen der 
Mutterkugel erfahren zwar ähnlich den Parthenogonidien Teilungen, 
aber sie entwickeln in der Regel keine neuen Parthenogonidien ; 
es‘ teilen sich vielmehr nach dem Auseinanderrücken der Zellen 
einige derselben, nachdem sie stärker herangewachsen sind, in ein 
Bündel länglicher Zellen, welche jedoch zunächst von der gemein- 
samen Hülle ihrer Mutterzelle umschlossen bleiben, mit welcher sie 
auch aus dem Zellverbande austreten. Die Hülle ist nach der 


Die Flagellaten. by! 


einen Seite haubenförmig erweitert und man sieht in dieser Er- 
weiterung eine Anzahl sehr feiner Fäden in Bewegung, welche man 
als die Geisseln der bündelförmig gruppierten Zellen erkennt. Diese 
Zellen lösen sich schliesslich von einander und suchen die Oogonien 
auf; sie tragen zwei lange Geisseln am Vorderende ihres länglich- 
eiförmigen, gebogenen und membranlosen Körpers und an der 
Geisselbasis einen deutlichen roten Pigmentfleck. Ihre Färbung ist 
ein mattes Ockergelb, sie weichen also auch hierin nicht un- 
bedeutend von den übrigen Zellen des Volvox ab. Sobald diese 
Spermatozoiden frei sind, treiben sie sich umher und suchen zu 
den in derselben oder in anderen Kugeln eingeschlossenen Oogonien 
zu gelangen, an welche sie sich unter eigentümlich bohrenden Be- 
wegungen anlegen ‘und wahrscheinlich‘ mit ihnen verschmelzen. 
Nach dieser Befruchtung umgiebt sich die Eizelle mit einer dicken 
Membran und macht eine Ruheperiode durch, nach „welcher sie 
sich wieder in der beschriebenen Weise zu Volvoxkugeln ent- 
wickelt. 


Dies sind in groben Zügen Bau und Entwickelungsgeschichte 
unseres Volvox, welche jedoch eine solche Fülle von interessanten 
Einzelheiten bieten, auf die hier nicht näher eingegangen werden 
konnte, dass dieses Wesen immer wieder Gegenstand eingehender 
Untersuchungen ist. So finden wir namentlich in dem Auftreten 
geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Kolonien eine grosse Varia- 
bilität. Es kommen Volvoxkugeln vor, welche nur Parthenogonidien 
enthalten, solche, welche neben diesen auch Oogonien, solche, welche 
letztere allein oder mit Androgonidien, d. h. neben den vegetativen 
ausschliesslich männliche Zellen enthalten, und solche, welche letztere 
allein oder mit Parthenogonidien zusammen in sich tragen. Noch 
komplizierter wird aber die Sache dadurch, dass die Parthenogonidien 
selbst wieder alle diese Kolonienformen in gleicher Weise in sich 
bergen können, so dass hierdurch ausserordentlich verwickelte Ver- 
hältnisse entstehen. Auch in Bezug auf die männlichen Kolonien 
können sehr grosse Verschiedenheiten herrschen, doch würde eine 
Erörterung derselben an dieser Stelle zu weit führen. 


172 Die Flagellaten. 


Der grössere Volvox globator unterscheidet sich wesentlich 
durch die nicht runden, sondern mehr dreieckigen vegetativen Zellen 
und durch die stachelige Sporenmembran. Beide Arten kommen 
meist unter einander vermischt, selten rein vor. Sie lieben kleine, 
lichte, dünn mit Binsen oder Rohr bestandene Sumpflöcher, sind 
aber in ihrem Auftreten sehr unbeständig und wählerisch.h An 
Orten, wo man sie Jahr für Jahr regelmässig gefunden hat, bleiben 
sie plötzlich aus und erscheinen auch nicht wieder, während sie sich 
anderseits wieder oft dort in Masse ansiedeln, wo man sie kaum 
vermuten dürfte. So trat plötzlich in einem Aquarium, welches 
von mir mit einer Nitella bepflanzt war, seit zwei Jahren im Zimmer 
stand und mit Leitungswasser gefüllt wurde, Volwox aureus in 
solcher Menge auf, dass man mit jedem Tropfen Kolonien heraus- 
holen konnte. Aber ebenso verschwand er daraus und trat nicht 
wieder auf, ohne dass irgend welche Tiere vorhanden waren, die 
seine Vernichtung hätten herbeiführen können. Er bildet nämlich 
eine Lieblingsspeise kleiner Crustaceen, besonders der Cypris- und 
Cyclopsarten, aber auch Kaulquappen und Mückenlarven- stellen ihm 
begierig nach. Wo derartige Organismen in grösserer Zahl auftreten, 
verschwindet der Volvox auch im Freien sehr bald und kann voll- 
ständig vernichtet werden, da auch die schon befruchteten Eizellen, 
die Sporen, gefressen werden. Im Zimmer lässt sich Volvox nicht 
leicht züchten; er zeigt manchmal ganz plötzlich eine Neigung ein- 
zugehen, ohne dass man irgend einen Grund dafür finden könnte, 
Am besten hält er sich in grossen Gefässen, welche nur von oben 
Licht erhalten und eventuell an den Seitenwänden durch schwarzes 
Papier undurchsichtig gemacht werden müssen. Hier kann man 
einige Wasserlinsen, am besten Lemma polyrrhiza, hineinthun, dass 
sie etwa 1a der Oberfläche, nicht mehr, bedecken. Die Volvox- 
Kolonien gewähren dem Beobachter, auch wenn er nur eine Lupe 
anwendet, so viel Genuss, dass es sich wohl lohnt, dieselben zur 
leichtern und bessern Beobachtung im Zimmer zu kultivieren. 

Die Ernährung des Volvox geschieht auf rein pflanzliche Weise; 
die einzelnen Zellen haben vermöge ihres Chlorophyligehaltes die 
Fähigkeit zu assimilieren, d. h. aus anorganischen Stoffen, aus der 


ad 2 Zu 


Die Flagellaten. 173 


Kohlensäure und dem Sauerstoff der im Wasser gelösten Luft, aus 
dem Wasser und seinen Bestandteilen an Salzen ihren Organismus 
aufzubauen. Es kommt ihnen als Produkt der Assimilation die 
Stärke im Inhalt der Zellen zu, und auch die Art der Befruchtung 
und Keimung der Sporen hat Volvox mit vielen zweifelhaften Algen 
gemein. Dagegen nähert sich der Organismus den Flagellaten be- 
sonders dadurch, dass die Beweglichkeit der Zellen während des 
ganzen eigentlichen Lebens erhalten bleibt. Wir sehen in den 
Volvocineen eben Wesen, welche mit dem gleichen Rechte als 
Tiere und als Pflanzen angesehen werden können und welche 
sowohl für den Botaniker wie für den Zoologen von gleicher 
Wichtigkeit sind, weil sie die Gemeinsamkeit des Organischen von 
neuem bestätigen. 

Zu den Volvocineen gehören noch folgende vier durch grosse 
Zierlichkeit ausgezeichnete Gattungen: 

Eudorina mit der einzigen Art EZ. elegans. Die Familie 
wird gebildet aus I6 oder 32 Zellen, welche nicht bloss vegetativ 
sind, sondern auch unter Umständen geschlechtliche Funktionen 
besitzen können. Sie sind weit grösser als. bei Volvox, etwa 
20/1000 mm dick, während die ganze Kolonie im Durchschnitt nur 
1/jo mm im Durchmesser hat. Sonst sind die Zellen denen von 
Volvox sehr ähnlich: mit pulsierenden Vakuolen, Pigmentfleck und 
je zwei Geisseln. Die ungeschlechtliche Vermehrung erfolgt durch 
Teilung jeder Zelle in ı6 oder 32 Zellen, . welche wieder eine neue 
Kolonie bilden; die geschlechtliche durch Oogonien, welche von 
Spermatozoiden befruchtet werden. Zu Öogonien bilden sich 
sämtliche Zellen um, mit Ausnahme derjenigen vier, welche an. dem 
bei der Bewegung nach vorn gerichteten Teil stehen. Diese werden 
zu Antheridien, in denen sich je 64 hellgrüne Spermatozoiden 
entwickeln. 

Pandorina mit der einzigen Art P. Morum (Fig. 34, 3). Die 
Familien haben eine rundlich eiförmige Gestalt und bestehen aus 
16, 32 oder 64 dicht zusammen liegenden Zellen von beinahe 
herzförmiger Gestalt und von einem gemeinsamen Gallertmantel 
umgeben. Die ungeschlechtliche Vermehrung geht ganz in der- 


174 Die Flagellaten. 


selben Weise vor sich, wie bei Eudorina; die geschlechtliche weicht 
dagegen in sehr erheblicher Weise ab. Aus jeder Zelle entstehen 
nämlich in der Regel acht Schwärmzellen, welche ausschlüpfen und 
umherschwärmen, bis sie auf gleiche Zellen von anderen Pandorina- 
kolonien treffen. Mit diesen kopulieren sie dann (zu zweien), indem 
der Inhalt der beiden Schwärmzellen vollständig verschmilzt. Die 
aus der Kopulation beider entstehende Zelle, die Zygote, macht 
dann eine Ruheperiode durch und teilt sich bei der Keimung in 
1—3 grosse Schwärmzellen, welche wieder zu Zellfamilien werden. 
Ähnlich verhält sich die Entwickelung der in den hellen 
Wasseransammlungen in Felsplatten etc. vorkommende Siephano- 
sphaera plwvialis mit acht lang-spindelförmigen Zellen. Eine andere 
Gattung (Gonium) bildet kleine Zelltäfelchen und zwar G. sociale 
aus vier, G. pectorale aus sechzehn, seltener acht oder vier Zellen 
bestehend. Die Membranen oder Einzelzellen sind bei ausgewachsenen 
Exemplaren stark gequollen und durch gegenseitige Berührung eckig; 
sie lassen sechzehn dreieckige Räume und einen viereckigen zwischen 
sich frei. Um das ganze Täfelchen befindet sich eine sehr dünn- 
flüssige Gallerthülle, aus welcher die Geisseln hervorragen. Die 
ungeschlechtliche Fortpflanzung findet in derselben Weise wie bei 
Eudorina statt; eine geschlechtliche ist bisher nicht beobachtet. 
Wie wir im vorstehenden gesehen haben, findet innerhalb ein 
und derselben Familie eine solche Verschiedenheit in der geschlecht- 
lichen Fortpflanzung statt, dass sich hierauf allein ein System nicht 
begründen liesse, wollte man nicht sonst eng verwandte Formen 
ganz auseinanderreissen. Es wird aber zugleich auch einleuchtend 
sein, dass bei dem Umfang und dem Zweck dieser Abhandlung 
ein genaueres Eingehen auf die Entwickelungsgeschichte unmöglich 
ist, und dass wir nur noch kurz dieselbe berühren können. Wichtiger 
scheint es dagegen, noch die Lebensweise und die Eigenschaften 
einiger Organismen zu betrachten, welche hierin von den oben 
beschriebenen Volvocineen abweichen. 
Die Volvocineen gehören zu den kolonienbildenden Flagellaten, 
wie wir gesehen haben; wesentlich gleichgestaltete, aber einzeln lebende 
Organismen sind die Chlamydomonadinen, deren geschlechtliche 


a 


ee ERTEILT: 
en. ia 


Die Flagellaten. 175 


Fortpflanzung mit der von Pandorina Ähnlichkeit hat. Unter ihnen 
ist besonders Chlamydococcus pluvialis bekannt, welcher nach 
heftigen Gewitterregen im Gebirge klares Wasser der Felsklüfte oft 
vollständig rot oder grün färbt und auch manchem Touristen eine 
bekannte Erscheinung in diesem Zustande sein dürfte. Auch diese 
Familie kann mit dem gleichen Rechte zu den Algen gezogen 
werden; ja sie steht diesen sogar noch näher als die erstbeschriebene. 

Von wesentlich anderem Bau ist ein Organismus, welcher 
Schmutzlachen, Pfützen auf lehmigen Wegen etc. oft intensiv grün 
färbt, die Zuglena viridis, welche wir als Vertreter einer eigenen 
Gruppe hier näher schildern wollen. Sie besitzt einen mehr oder 
weniger langgestreckten spindelförmigen Körper mit einer langen 
Geissel am Vorderende, zwei pulsierende Vakuolen und einen deut- 
lichen roten Augenfleck. Bis auf einen Teil am Vorderende ent- 
hält sie zahlreiche kleine scheibenförmige Chlorophylikörnchen direkt 
unter der Oberfläche. Ausserdem finden wir hier an der Geissel- 
basis eine Mundöffnung, welche zur Aufnahme fester Nahrung dient. 
Diese und ähnliche Formen, namentlich aber die farblosen — denn 
es giebt in dieser Gattung auch chlorophylifreie —, leben von Bakterien 
oder anderen sehr kleinen Organismen, welche sie mit der Geissel 
gegen die Mundöffnung schleudern. Wir haben hier Organismen von 
zweifellos tierischem Bau und Leben, welche aber dennoch Chloro- 
phyll enthalten und also wie die Pflanzen auch aus anorganischen 
Stoffen Nahrung ziehen und bilden können. Wir erkennen dies 
auch noch daran, dass man bei manchen thatsächlich Stärke ge- 
funden hat, ein Produkt, welches bekanntlich bei der Assimilation 
der Pflanzen entsteht. Sie tritt dann in einer Form auf, welche es 
zweifellos macht, dass sie in dem Organismus selbst entstanden und 
nicht etwa von aussen mit der Nahrung aufgenommen worden ist. 

Noch in einem andern Punkte bieten uns die Euglenen inter- 
essante Beobachtungsobjekte dar; ihr Körper ist metabolisch, d. h. 
er besitzt die Fähigkeit, durch Kontraktion seine Gestalt zu ver- 
ändern und die gewöhnlich lang-spindelförmigen Wesen nehmen 
oft Kugelform an. Gewöhnlich werfen die Euglenen die Geissel ab, 


ehe sie in dieses Stadium eintreten; ihre Bewegungen werden dann 


176 Die Flagellaten. 


kriechend und sind mit fortwährender Gestaltveränderung verbunden. 
Ihre Fortpflanzung erfolgt in einem Ruhezustande durch Teilung, 
auch sind Zustände bekannt, welche eine längere Austrocknung 
ertragen können, ohne dabei zu Grunde zu gehen. (Vergl. Fig. 35, 
I a—c.) | 


Fig. 35. 
ı Euglena wirıdıs, a im schwimmenden geisseltragenden, 5 und ce im kriechenden geissel- 
losen Zustand, A Augenfleck, m Mundstelle — 2 Anthophysa vegelans, a ein Zweig mit fünf 
Köpfchen, 5 ein stark vergrössertes Einzelindividuum — 3 Dinodryum Sertularıa, a kleine 
Kolonie, 5 stärker vergrössertes Einzelindividuum — 4 Mastigamoeba, a in amoeboidem, 
d in flagellatenartigem Zustand — 5 Bodo caudatus — 6 Ceratium Hıirundıinella. 
Sämtlich stark vergrössert. 


Nahe verwandt der Gattung Euglena ist die Gattung Colacium, 
jedoch durch ihre Lebensweise von jener verschieden. Die Colacien 
setzen sich nämlich auf kleinen Wassertieren fest, entwickeln einen 
Gallertmantel und Gallertfuss, verlieren die Geissel und teilen sich. 
Die Tochterzellen trennen sich jedoch nicht von einander, sondern 
bleiben zu Kolonien vereinigt; sie sind eigentlich nur kolonien- 
bildende Euglenen. 

Ebenfalls Kolonien bildend, aber von anderem Bau ist die 
Gattung Anthophysa. Sie gehört zu der Gruppe der Hetero- 


2 Zu 


Die Flagellaten. 1.77 


monadina, welche sich durch die Entwickelung von einer Haupt- 
geissel und einer oder zwei kürzeren Nebengeisseln auszeichnet. 
Bei der vorliegenden Art, Anthophysa vegetans, ist nur eine Neben- 
geissel vorhanden. Die einzelnen Organismen sind klein, etwa 
1/30 mm lang, kegelförmig, am Vorderende plötzlich abgestutzt und 
mit einem kurzen, spitzen Anhängsel, nach unten zu in einen spitzen 
Stiel verschmälert. Sie besitzen eine kontraktile Vakuole, einen 
Zellkern und eine Mundöffnung zur Aufnahme fester Nahrung, ein 
Pigmentfleck fehlt, ebenso Chromatophoren. Eine Anzahl dieser 
Einzelindividuen sitzen kopfförmig auf einem Gallertstiel auf, welcher 
meist wiederholt gabelig verzweigt ist und an jedem Ende ein 
derartiges Köpfchen trägt. Diese Köpfchen können sich loslösen 
und umherschwärmen; sie zerfallen dabei oft in die einzelnen Zellen, 
so dass schliesslich nur die reich verzweigten Gallertstiele zurück- 
bleiben. Diese sind in der Jugend rein weiss und durchsichtig; im 
Alter färben sie sich durch Aufnahme von Ocker gelb bis dunkel- 
braun. Der Organismus scheint namentlich in eisenhaltigem Wasser 
häufig zu sein, wo er mit einer Alge, Zyngbya ochracea (Ockeralge), 
zusammen vorkommt. Die alten, stark mit Ocker durchtränkten und 
inkrustierten Stiele der Flagellaten und die ebenso aussehenden 
Fäden der Alge sind dann oft nur zu unterscheiden, wenn man 
durch Salzsäure den Eisenbelag löst. Wo beide in grösserer Menge 
vorkommen, kann man mit Sicherheit auf einen grösseren Eisengehalt 
des Wassers schliessen. Die Einzelzellen der Anthophysa können übrigens 
auch unter Umständen einen amöbenartigen Zustand annehmen; sie 
verlieren dann Geissel und Form, senden Pseudopodien aus und 
kriechen ganz wie jene umher. Eine Fortpflanzung ist bisher nur 
durch Teilung der Zellen beobachtet worden (Fig. 35, 2 a—b). 
Zu derselben Hauptgruppe gehört auch die interessante Gattung 
Dinobryon, welche in zwei Arten in unseren Süsswasseransamm- 
lungen vorkommt. Die Dinobryen besitzen ebenfalls eine Haupt- 
und eine Nebengeissel, einen Augenfleck, 1—2 kontraktile Vakuolen, 
einen Zellkern und zwei schwach bläulichgrün gefärbte plattenförmige 
Chromatophoren. Ihre Gestalt ist eiförmig, bald mehr länglich, bald 
mehr rundlich, was sie aber noch ganz besonders auszeichnet, ist 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 12 


178 Die Flagellaten. 


das eigentümliche Gehäuse, welches jedes Einzeltier umgiebt. Das- 
selbe besteht aus einer dünnen, farblosen Haut von becherförmiger 
Gestalt, welches sich am Hinterende zuspitzt, am Vorderende aber 
abgestutzt und geöffnet ist. Am Grunde dieser Gehäuse sitzen die 
Zellen und strecken ihre Geisseln aus denselben hervor. Bei der 
Fortpflanzung teilt sich die Zelle in zwei Tochterindividuen, von 
denen das eine am Grunde des Gehäuses zurückbleibt, das andere 
sich an dessen Mündung ansiedelt und ein neues Gehäuse ent- 
wickelt. So entstehen allmählich frei im Wasser umherschwimmende, 
verzweigte Kolonien, welche aussehen, als ob eine Anzahl Becher 
in einander geschoben wäre. Die Organismen können auch in 
einen Ruhezustand eintreten; sie verlassen dann ihr Gehäuse, verlieren 
die Geisseln, runden sich ab und umgeben sich mit einer dicken 
Membran. Sehr ähnlich dieser Gattung ist das ebenfalls in unseren 
süssen Wässern und oft in Menge vorkommende Zpipyxıs utriculus, 
dessen Individuen sich jedoch nach ihrer Teilung von einander 
trennen und keine Kolonien mehr bilden (Fig. 35, 3 a—b). 

Ein Übergang der Flagellaten zu den Rhizopoden wird durch 
eine Anzahl Formen vermittelt, welche man unter dem gemein- 
samen Namen der Rhizomastiginen zusammenfasst. Unter ihnen 
ist namentlich die mit einigen Arten in unseren Gewässern ver- 
tretene Gattung Mastigamoeba von Interesse. Sie kommt in zwei 
wesentlich von einander verschiedenen Zuständen vor, als Flagellate 
und als Amöbe, welche in einander übergehen können. Gewöhnlich 
tritt sie in der letztern Form auf, bildet dabei mehrere bis zahl- 
reiche (auch verzweigte) Pseudopodien, welche sie bald einzieht, bald 
an anderen Stellen des eiförmigen Körpers wieder hervorstreckt. In 
diesem Zustande kriecht sie an festen Gegenständen umher und 
schwimmt nicht, obgleich sie auch als Amöbe eine Geissel besitzt. 
Zuweilen ziehen jedoch die Individuen ihre amöbenartigen Fortsätze 
ein, so dass nur die eiförmige Zelle selbst mit der Geissel erscheint, 
mit vereinzelten Höckern oder Auswüchsen, welche die Stelle der 
eingezogenen Pseudopodien andeuten. Jetzt kriechen sie auch nicht 
mehr, sondern bewegen sich schwimmend wie Flagellaten durch das 
Wasser. In der Nahrungsaufnahme liegt ebenfalls eine Annäherung 


Die Flagellaten. 179 


an die Rhizopoden: die Pseudopodien umfliessen nämlich, ganz wie 
bei diesen, die verschiedenen als Nahrung dienenden Körper und 
diese werden entweder mit den Pseudopodien eingezogen, oder der 
Körper der Mastigamoeba fliesst selbst nach dem Gegenstande hin. 
Die anderen hierher gehörigen Gattungen sind sehr ähnlich orga- 
nisiert und unterscheiden sich durch den Besitz von zwei Geisseln 
oder auch durch das Fehlen derselben im Amöbenzustande (Fig. 35, 
4a—b). 

Eine Gruppe der Flagellaten trägt den Namen der Hetero- 
mastigoda, weil sie sich durch zwei verschieden gestaltete Geisseln 
auszeichnen. Beide stehen am Vorderende des Körpers, aber nur 
eine und zwar die kleinere ist auch nach vorn gerichtet, während 
die andere zurückgebogen ist und bei der Bewegung nachgezogen 
wird. Es sind kleine farblose Wesen, welche zuweilen amöbenartige 
Fortsätze entwickeln, aber ihre Nahrung nicht durch Umfliessen der 
Gegenstände, sondern durch Aufnahme an einer bestimmten Stelle, 
der Mundstelle des Körpers, die zuweilen zu einem deutlichen Munde 
ausgebildet ist, zu sich nehmen. Hierher gehört die Gattung Bodo, 
welche ovale oder längliche Formen enthält, deren längere nach 
hinten gerichtete Geissel sehr häufig zur Anheftung an ein Substrat 
dient. Bei dieser Gattung ist auch eine Vereinigung zweier Indi- 
viduen beobachtet, welche zur Bildung eines Ruhezustandes führt. 
Aus dieser ruhenden Zelle gehen dann eine Anzahl neuer Indi- 
viduen hervor. Einige Arten dieser Gattung kommen im süssen 
Wasser vor, eine (vielleicht aber auch mehrere) schmarotzen in 
anderen Tieren, beispielsweise im Darm von Eidechsen. Die frei 
im Wasser lebenden Arten ernähren sich meist auch parasitisch, 
indem sie andere Flagellaten oder Algen anbohren, mit ihrem spitzen 
Vorderende eindringen und aussaugen. So sind besonders Chlamy- 
domonadinen, Volvocineen, Protococcaceen und Palmellaceen den 
Angriffen des Bodo caudatus ausgesetzt, und wo diese Art in Kulturen 
einmal sich eingestellt hat, sind letztere auch in der Regel verloren. 
Denn ihre natürlichen Feinde, grössere Infusorien, ferner Cypris- und 
Cyclopsarten, welche in unserem Süsswasser der Überhandnahme 
dieser parasitischen Flagellaten Einhalt thun, verzehren auch die 

12% 


FI ERV, 


180 - Die Flagellaten. 


Algen, und da sie leichter zu entfernen sind als die mikroskopischen 
Organismen und ebenfalls die Algen vernichten würden, sucht man 
sie, wenn irgend möglich, sorgsam wegzufangen, und so bleibt dann 
den kleinen Räubern freier Spielraum (Fig. 35, 5). 

Noch mag darauf hingewiesen werden, dass es eine Anzahl 
sehr einfacher Flagellatenformen giebt, welche eine entschiedene 
Verwandtschaft zu den Bakterien zeigen. Es ist dies beispielsweise 
mit der Gattung Monas der Fall, welche gewissen geisseltragenden 
Bakterien sehr ähnlich ist. Ebenso kann die Gattung Oikomonas 
mit ihnen verglichen werden. Die Flagellaten enthalten aber einen 
Zellkern und kontraktile Vakuolen, welche den Bakterien entschieden 
abgehen. Manche grosse Formen, deren Zugehörigkeit zu den 
Bakterien jedoch sehr fraglich ist, besitzen nach Bütschlis neuen 
Untersuchungen allerdings kleine Körperchen ’im Zellinhalt, welche 
Zellkernreaktionen zeigen. So sind denn die Flagellaten einerseits 
mit den Tieren, anderseits mit den Pflanzen nahe verwandt und 
durch deutliche Übergänge verbunden; viele Formen zeigen durchaus 
tierische Eigenschaften, viele mehr pflanzliche, und man würde sie 
dem Pflanzenreich unbedingt einordnen müssen, wenn sie nicht 
durch vollständige Formenreihen den echt tierischen Flagellaten 
weit näher ständen, als den nächsten pflanzlichen Organismen. Noch 
heute vertritt der eine Forscher die durchaus pflanzliche Natur 
gewisser Organismen, während ein anderer sie unbedingt zu den 
Tieren stellt und ein dritter beiden Wissenschaften, der Zoologie 
und der Botanik, die Berechtigung zuerkennt, sie als Übergangs- 
formen und Endglieder gewisser Entwickelungsreihen in ihre Systeme 
aufzunehmen. 

Mit dieser Schilderung verlassen wir das Gebiet der eigent- 
lichen Flagellaten und wollen uns noch Formen zuwenden, welche 
zu einer mit diesen nahe verwandten Gruppe, den Dinoflagellaten, 
gehören. Auch sie besitzen zwei Geisseln, welche wie bei den 
Heteromastigoden verschieden ausgebildet sind, sie zeigen meist nur 
einen Zellkern im Innern und ebenso wie gewisse Flagellaten 
Chromatophoren, aber, soweit bekannt, keine kontraktilen Vakuolen. 
Von besonderer Wichtigkeit ist die harte Schale, welche die Zelle 


Die Flagellaten. 181 


umgiebt und, abgesehen von einigen Übergangsformen, welche hier 
nicht berücksichtigt werden können, der ganzen Gruppe ein ein- 
heitliches Gepräge verleiht. Diese Schalenhülle zeigt ausser ver- 
schiedenartigen Grübchen oder Erhöhungen eine quer verlaufende 
Furche, in welcher die eine der beiden Geisseln liegt und durch 
sehr kurze wellige Bewegungen den Anschein erweckt, als ob in 
der Furche eine Anzahl Wimpern in Thätigkeit wären, was man 
auch bis vor kurzer Zeit thatsächlich geglaubt hat. 

Wir wollen eine in unseren Seen nicht seltene Gattung 
Ceratium mit vielen oft sehr schwer unterscheidbaren Formen 
auswählen, um an ihr die Eigenschaften der Gruppe näher kennen 
zu lernen. Ceratium Hirundinella (Fig. 35, 6) zeigt einen mit ver- 
schiedenen, in Gestalt und Ausbildung recht variierenden Fortsätzen 
versehenen Körper, welcher eine Quer- und eine Längsfurche trägt. 
Die letztere ist bei der Gattung überhaupt sehr entwickelt und fast 
ebenso breit wie lang, so dass sie kaum noch den Namen einer 
Furche verdient. Im Gegensatz dazu ist die Querfurche sehr schmal 
und läuft um den ganzen Körper herum. Auf jeder Seite der 
Querfurche setzen eine Anzahl Täfelchen die. harte Zellhülle 
zusammen, von denen am Hinterende drei zu den erwähnten 
Fortsätzen oder Hörnern auswachsen. Während aber am Hinter- 
ende jede der drei Täfelchen ein eigenes Horn entwickeln, bilden 
drei Täfelchen des Vorderendes gemeinsam ein meist sehr langes 
Horn, welches am obern Ende eine Öffnung, die Apikalöffnung, 
trägt. Die Körperhülle, welche, wie erwähnt, aus einer Anzahl 
kleiner Täfelchen zusammengesetzt ist, zeigt ein poröses Aussehen 
und ist ausserdem mit kleinen Stacheln besetzt. Im Innern der 
Zelle finden sich zahlreiche gelbbraune oder bräunlichgrüne Chroma- 
tophoren, welche die Färbung des Organismus bedingen. Ältere 
Schalen nehmen allerdings ebenfalls eine gelbe oder bräunliche 
Färbung an. Die Fortpflanzung der Ceratien erfolgt auf ver- 
schiedene Weise. Einmal ist es sicher, dass sich die Individuen 
auch im beweglichen Zustande durch Zweiteilung vermehren, indem 
die feste Hülle gesprengt wird und an dieser Stelle eine Ein- 
schnürung des Körpers und schliesslich eine Loslösung der beiden 


182 Die Flagellaten. 


Teile von einander erfolgt. Wahrscheinlich entwickeln sich dann 
die fehlenden Zellhälften aus den beiden Teilen in normaler Weise 
mit ihren Umhüllungen. . Aber auch in einem Ruhezustande, in 
welchen die Ceratien zeitweilig eintreten, erfolgt eine Teilung, 
jedoch hier in mehrere Individuen. Ob eine geschlechtliche Fort- 
pflanzung vorkommt, lässt sich bis jetzt nicht mit Sicherheit 
angeben, sie ist aber für einige Formen der Dinoflagellaten wahr- 
scheinlich. Die Bewegung der hierhergehörigen Formen ist der- 
jenigen der eigentlichen Flagellaten fast gleich. Die Ceratien nehmen 
keine feste Nahrung auf und vermögen wohl mittels ihrer Chro- 
matophoren auch überhaupt aus anorganischen Verbindungen 
wenigstens teilweise diejenigen Stoffe zu bereiten, welche sie zu 
dem Aufbau ihres Körpers brauchen. Bei anderen Dinoflagellaten 
scheint aber die Aufnahme fester Nahrung sicher vorzukommen. 
Da manche der Ceratien eine für Flagellaten ziemlich ansehnliche 
Körpergrösse besitzen (bis 1/2 mm), so ist es wohl möglich, sie 
unter Umständen mit blossem Auge zu erkennen, wenn man das 
Ceratien haltende Wasser etwa in einer flachen Schicht auf einem 
Porzellanteller vor sich hat. 

Schliesslich mag noch darauf hingewiesen werden, dass eine 
Anzahl mariner Dinoflagellaten zum Leuchten des Meeres beitragen, 
während allerdings noch einige andere Organismen die Hauptrolle 
dabei spielen. Dies ist der Fall bei der ebenfalls zu den Flagellaten 
im weitesten Sinne gehörenden Gattung Noctiluca, welche mit noch 
einer andern marinen Gattung zusammen die Abteilung der Cysto- 
flagellaten ausmacht. Auch einige Bakterienarten nehmen unter 
den mikroskopischen Organismen teil an der Erzeugung des 
Meerleuchtens. 


ik 


Litteratur. 


Die drei wichtigsten Werke über Flagellaten sind: 


I. Ehrenberg, Die Infusionsthiere als vollkommene Organismen. 
1838. 

. Stein, Der Organismus der Infusionsthiere. 1878. 

3. Bütschli, Protozoen. 1880. 


166} 


Weniger ausführlich, aber mit recht guten Abbildungen ver- 
sehen und für die Bestimmung unserer Süsswasserformen in den 
meisten Fällen ausreichend ist Kirchner u. Blochmann, Die 
mikroskopische Pflanzen- und Tierwelt des Süsswassers. 1885 und 
7880.11, Teil. 

Auch Eiferth, Die einfachsten Lebensformen des Tier- und 
Pflanzenreiches, ist zu empfehlen. — Diese letzteren Werke geben zwar 
nicht die Fülle des Materials und die künstlerischen Abbildungen der 
obigen, aber sie sind wesentlich billiger und nicht jederfist in der 
Lage, sich Steins prachtvolles Infusorienwerk anzuschaffen. 

Die spezielle Litteratur ist bei Bütschli zusammengestellt; An- 
gaben über die mikroskopische Technik finden sich bei Blochmann 
und Eiferth. 


Die Süsswasserschwämme. 


Von Dr. W. Weltner in Berlin. 


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l. Erkennen und Auffinden. 


Fährt man an einem windstillen Tage auf einem unserer Seen 
oder Teiche langsam am Rande des Schilfrohres hin, welches die 
Ufer oft auf lange Strecken bis zu einer Wassertiefe von einem 
Meter und mehr einsäumt, so gewahrt man an den Rohrstengeln 
nicht selten lebhaft grün gefärbte, graue oder graubraune Massen. 
Sie sitzen fast immer nur an den abgestorbenen Schilfstengeln, 
welche nach dem Rohrschnitt im Herbste im Wasser stehen ge- 
blieben sind und sich noch Jahre lang an der Wurzel aufrecht 
erhalten. Jene Massen am Rohr bieten ein verschiedenes Äussere 
dar. Sie erscheinen entweder als dünne Überzüge oder als dickere 
Krusten, oft sogar als dicke Klumpen, oder aber sie sind baum- 
förmig verzweigt und können in dieser Gestalt eine Länge von 
mehreren Metern erreichen. Auch in unseren Flüssen, Kanälen 
und Flusshäfen sehen wir sie, hier am Ufer an den Steinen, an 
lebenden Baumwurzeln, an untergesunkenen Holzstücken, oder an 
den Wänden der Schleusen und Mühlenzuflüsse, an Brückenpfählen 
oder an Mauern (selbst innerhalb der Städte) wachsend. Aber 
wir brauchen sie nicht einmal in ihrem Elemente mit den Augen 
zu suchen, wir finden sie auch, freilich meist zerrissen und zer- 
bröckelt, wenn wir an trüben, windigen Tagen im unklaren Wasser 
mit einem Ketscher an Pflanzen, Steinen oder an ins Wasser ge- 
ratenen Gegenständen hinfahren. Selten findet man sie an 
Körpern angewachsen, welche im Wasser flottieren. Ja, man hat 
sie sogar ohne irgend welches sie tragende Substrat an der Wasser- 


BEI T Bien. 


188 Die Süsswasserschwämme., 


oberfläche schwimmend angetroffen; in diesem Falle haben wir es 
aber sicher mit Stücken zu thun, die von ihrer Unterlage los- 
gerissen wurden. 

Nehmen wir die auf die eine oder andere Weise erhaltene 
Masse in die Hand und betrachten wir sie genauer. Es bietet 
sich uns eine mehr oder weniger schleimige Substanz dar, die 
einen ganz eigentümlichen Geruch besitzt. An der Oberfläche be- 
merken wir viele feine Spitzen, sehr viele kleine Poren und eine 
geringe Anzahl grössere Löcher. Schon der Unkundige erkennt an 
dieser Oberflächenbeschaffenheit eine Ähnlichkeit mit dem Bade- 
schwamm. Bemühen wir uns, ein unverletztes Stück aufzufischen 
und möglichst schnell in ein Glas mit Wasser zu setzen! Bald 
sehen wir, wie einige in das Wasser gestreute Karminkörnchen, wenn 
sie in die Nähe der grösseren Löcher geraten, hier plötzlich weit 
fortgetrieben werden. 

Diese Massen, welche auf den ersten Blick so wenig Einladendes 
bieten und die wohl viele von uns, ohne sie näher zu betrachten, 
schon gesehen haben, sind Schwämme, und zwar im süssen 
Wasser die einzigen Vertreter dieses in allen Meeren sehr ver- 
breiteten Tierkreises. Um so mehr haben diese Süsswasserschwämme 
oder Spongilliden schon seit langer Zeit das Interesse der Natur- 
forscher erweckt, und sie haben infolgedessen ihre eigene Ge- 
schichte in der Wissenschaft. Man kann von ihnen nicht sagen, 
wer sie entdeckt hat, da sie bei ihrem ungemein verbreiteten Vor- 
kommen und ihrer Häufigkeit wohl von jeher gekannt waren. Es 
hat sehr lange gedauert — eine Spanne von 140 Jahren —, ehe 
man ihre wahre Natur erkannte, und diese konnte überhaupt erst 
aufgedeckt werden durch das Studium des innern Baues, ein Ver- 
dienst, welches sich Robert Edmund Grant erwarb, als er im 
Jahre 1826 seine Untersuchungen über die Organisation von 
„Spongilla friabilis‘“ bekannt gab (Zainburgh Phil. Journal, Vol. 
XIV, p. 270— 284. 1826). 


Die Süsswasserschwämme. 189 


2. Geschichtliches. 


Der erste, welcher über unsere Schwämme überhaupt geschrieben 
hat, war Joh. Ray (Rajus), der 1686 in seiner Flistoria plantarum 
einen Süsswasserschwamm beschreibt. Die erste Abbildung lieferte 
Leonard Plukenet 1691. Seit ihrer ersten Erwähnung bis zu 
Pallas (1766) für Pflanzen gehalten, werden sie von den späteren 
Autoren bis zu Grant hin für Pflanzen, für Tierpflanzen, 
Pflanzentiere und endlich für Tiere angesehen. Die einen trennen 
sie von den Meeresschwämmen, , die Mehrzahl vereinigt sie jedoch 
mit ihnen. Selbst noch nach den gründlichen Untersuchungen 
Grants wurde ihnen eine pflanzliche Natur zugeschrieben, wozu 
die grüne Farbe und die „Samenkörner“ (gemmulae) allerdings ver- 
locken mussten. Trotzdem dass nach Grants Arbeit einige wichtige 
Entdeckungen aus der Lebensgeschichte unserer Schwämme in den 
folgenden zehn Jahren gemacht wurden, gebührt doch erst Du- 
jardin (1838) die Ehre, einen bedeutenden Schritt in der Erkenntnis 
der Organisation der Spongilliden gethan zu haben, indem er die 
Zusammensetzung aus amöboiden Zellen und aus Wimperzellen 
lehrte. Die grössten Verdienste um die Kenntnis der Süsswasser- 
spongien erwarben sich dann Carter (1847 bis jetzt) und 
Lieberkühn (1856—70), der eine ein Schüler Grants, der andere 
der Assistent Joh. Müllers. Ihren Arbeiten sind zahlreiche andere 
gefolgt, die wir den nachfolgenden Zeilen über die Naturgeschichte 
der Spongilliden zu Grunde legen. Dabei mögen eine Anzahl eigener 
Beobachtungen mit einfliessen. 


3. Aussere Beschaffenheit. 


Nachdem wir oben schon die Merkmale besprochen haben, 
an denen man einen Süsswasserschwamm erkennt, müssen wir noch 
einiges über den Habitus dieser Organismen hinzufügen. 


a) Form und Oberflächenbeschaffenheit. 
Die Gestalt jeder jungen Spongillide — mag sie sich aus einer 
Larve oder einer Gemmula entwickelt haben — ist gewöhnlich ein 
flacher, seltener ein hoher Kegel. Bei dem weiteren Wachstum 


Be En Em en nei, 


190 Die Süsswasserschwämme. 


nimmt der Schwamm zunächst immer die Gestalt einer flachen 
Scheibe an und wächst erst danach in die Dicke. War das den 
jungen Schwamm tragende Substrat keine gerade Ebene, sondern 
ein dünner cylinderförmiger Gegenstand, ein Pflanzenstengel, ein 
Bindfaden, ein Eisendraht etc., so umwächst der Schwamm seine 
Unterlage und nimmt erst dann an Dicke zu. Mit einem Wort, 
er passt sich zunächst an seine Unterlage an. Erst wenn eine 
gewisse Grösse erreicht ist, kommen die beiden für die Süsswasser- 
schwämme eigentümlichen Gestalten zum Vorschein. Die einen 
beginnen fingerförmige Fortsätze zu treiben, die sich bei weiterem 
Wachstum verzweigen, so dass endlich baum- oder strauchförmige 
Massen entstehen (Zuspongilla lacustris), die anderen bleiben in 
der Regel zeitlebens krustenförmig, ihre Oberfläche ist mehr oder 
weniger uneben oder mit spitzigen. Zapfen oder gerundeten Wülsten 
oder blattförmigen Erhebungen versehen, und wenn längere Fort- 
sätze an ihnen sichtbar sind, so rührt diese scheinbar selbständige 
Verzweigung von der Unterlage her. In Fig. 44 (S. 219) haben 
wir einen solchen Schwamm abgebildet, der einen verästelten Baum- 
zweig überzogen hat; einen gleichen Fall hat auch Retzer33) 
wiedergegeben. Alle diese krustenförmigen Spongilliden gehören 
den Gattungen Spongilla, Trochospongilla und Ephydatia an. Von 
diesen im allgemeinen gültigen Regeln haben wir indessen zwei 
Ausnahmen zu verzeichnen. Es kommen nämlich auch Exemplare 
von Ephydatia Müller! vor, die verzweigte Massen bilden, doch 
sind das Seltenheiten. Ferner tritt die sonst stets verzweigte 
Euspongilla lacustris unter gewissen Umständen unverästelt auf, 
wenn nämlich diese Art an stärker fliessenden Stellen sich an- 
gesiedelt hat; hier unterbleibt dann die Bildung der Fortsätze. Ein 
solches Exemplar sehen wir in Fig. 38 (S. 212). Es wurde, einen 
Wollenfaden umwachsend, an der Oberfläche der Spree in Berlin 
unter einer Brücke gefunden und zwar an einer Stelle, an welcher 
starke Strömung herrschte. 

Linn& war der Meinung, die verzweigte Form fände sich 
mehr in Seen, die krustenförmige mehr in Flüssen. Pallas glaubte 
das Gegenteil annehmen zu müssen, machte aber die richtige 


Be NE. 


Die Süsswasserschwämme. 191 


Beobachtung, dass die verzweigte Form gewöhnlich nach oben 
wächst und bei starker Wasserströmung ihre Äste in horizontaler 
Richtung entsendet. Indessen finden wir sowohl die verzweigten 
als die unverzweigten Formen in Seen und Flüssen; während aber 
eine verzweigte Spongilla in ruhigen Gewässern auch mehr in der 
Nähe der Oberfläche des Wassers wächst und ihre Zweige eine 
bedeutende Länge erreichen und hier selbst bei senkrecht gestellter 
Unterlage nach oben streben können, hält sich dieselbe Art in 
stärker fliessendem Wasser in der Tiefe auf, in welcher die Strö- 


mung weniger stark ist; wenn sie hier aber an der Oberfläche 


; 
wächst, so verlaufen ihre Äste in horizontaler Richtung. So wächst 
in der Spree in Berlin, welche hier durch ihren enormen Reichtum 
an Spongillenexemplaren ausgezeichnet ist, die verzweigte Zuspon- 
gilla lacustris mit Vorliebe am Grunde des Flusses, während sich 
die unverzweigten massigen Formen mehr an der Oberfläche auf 


jedem festen Gegenstand angesiedelt haben. 


b) Die Grösse. 


Die Süsswasserschwämme gehören unter den Spongien zu den 
grösseren Formen. Die verzweigte Zuspongilla lacustris geht sogar 
über das gewöhnliche Mass hinaus, sie wird über einen Meter lang. 
Von den unverzweigten Arten erreichen wohl Zphydatia fluviatilis 
und Müller! den grössten Umfang. Wir haben einmal ein Exemplar 
von IQ cm Länge und 81/a cm Dicke gefunden und man trifft 
öfters rasenförmige Stöcke dieser Arten an, welche bei geringer 
Höhe einen halben Meter breit werden. Siehe auch Potts 32). 


c) Die Farbe. 


Es wird gewöhnlich angenommen, dass die am Lichte wach- 
senden Spongilliden grün seien, während andere, welche vom 
Lichte abgewandt unter Brücken. oder unter Steinen wachsen, 
farblos, d. h. weiss, gelblich oder grau sind. Es ist das im all- 
gemeinen richtig. 


So findet man selbst Exemplare, die je nach der Beleuchtung 
auf der einen Seite ein grünes, auf der andern Seite ein gelb- 


ER REN, VA 


192 Die Süsswasserschwämme. 


liches Kolorit zeigen. Hält man solche Schwämme in Aquarien, 
so ergrünt auch die früher gelblich gefärbte Seite. Es fehlt aber 
nicht an Beobachtungen, dass am Lichte wachsende Spongilliden 
auch farblos sind. Carter fand solche in Bombay, Potts in 
Amerika und Weber39, 40%) auf Sumatra. Die von Weber ge- 
fundenen Zphydatıa fluviatilis waren nur an gewissen Körperpartien 
grün, aber diese grüne Färbung hat, wie wir später sehen werden, 
eine ganz andere Ursache, als das grüne Kolorit unserer Spongilliden, 
welches von mikroskopisch kleinen in den Zellen des Schwamm- 
körpers liegenden grünen Körperchen herrührt, denen man den 
Namen Zoochlorella parasıtica (Brandt) gegeben hat. Nun kann 
dieses grüne Pigment auch durch ein anderes vertreten sein; Carter 
fand, dass die graue bis lilagleiche Farbe der Spongilla cınerea 
von ebenso gefärbten Körnchen in den Zellen herrühre und wir 
fügen dem ein weiteres Beispiel hinzu. Bei Berlin lebt in einem 
See untermischt mit anderen grün gefärbten Arten eine stets grau 
oder braun kolorierte Spongılla fragılis. Diese Art lässt sich daher 
von allen dort lebenden Spongilliden sofort an ihrer Farbe erkennen. 
Die braune Färbung jenes Schwammes rührt von gelbbraun tingierten 
Körnchen her, die in denselben Zellen liegen, welche bei den 
anderen Arten die grünen Zoochlorellen beherbergen. Die Spon- 
gilla fragrlis trägt aber nicht immer eine braune Farbe, sie ist an 
anderen Örten weiss, gelblichweiss oder grün (Potts). Von 
Ephydatia fluviatilis beschreibt Lankester1?7) blasslachsfarbene, 


hellgrüne und hellbraune Exemplare. Aus alledem geht hervor, 


dass die Süsswasserschwämme verschiedene Pigmente führen und 
dass selbst ein und dieselbe Art verschieden koloriert auftritt. 


d) Die Konsistenz. 


Die Konsistenz unserer Spongilliden hängt, wie bei den meisten 
Schwämmen, von der Struktur des Skelettes ab. Wir unterscheiden 
danach zweierlei. Bei den einen ist die Masse der Kittsubstanz, 
welche die einzelnen Nadeln zu einem Gerüste verbindet, mächtig 
entwickelt, bei den anderen ist sie sehr gering, dafür ist aber das 
kieselige Skelett mächtiger entfaltet. Diejenigen Süsswasserschwämme 


Die Süsswasserschwämme. 193 


mit viel Kittsubstanz setzen dem Zerreissen mehr Widerstand ent- 
gegen, als solche mit gering entwickelter Kittmasse. Dagegen sind 
die Arten mit einem Gerüste, welches wesentlich aus Kieselnadeln 
besteht und wenig Spongiolinmasse führt, viel härter als die 
schwieriger zerreissbaren. Es giebt daher im allgemeinen zwei 
Sorten unter unseren Schwämmen, solche, welche weich anzufühlen 
und schwieriger zerreissbar sind (Zusp. lacustris), und solche, die 
eine gewisse Härte zeigen und sich leicht zerbrechen lassen 
(Ephyd. flwiatılis). Unter den letzteren kommt, was den Grad 
der Härte anlangt, noch der Wuchs in Betracht. Diejenigen, welche 
als minder dicke Krusten Baumzweige überziehen (Fig. 44 S. 219), 
sind weniger hart als die, welche kompakte Massen bilden (Fig. 42 
S. 218). Es giebt unter den zuletzt genannten klumpenförmige 
Stücke,. welche in ihrer Härte einem Zimokka-Badeschwamm nichts 
nachgeben. — Was den Weichteil der Süsswasserschwämme angeht, 
so scheint derselbe bei allen krustenförmigen Arten gleich zähflüssig 
zu sein, während er bei der verzweigten Zusp. lacustris dünnflüssiger 
ist. Von einigen älteren Autoren wird angegeben, dass der Schleim 
dieser Art nach dem Herausziehen des Schwammes aus dem Wasser 
bald abtropfe, ein Verhalten, welches wir nie beobachten konnten. — 
Im trockenen Zustande sind alle unsere Spongilliden sehr brüchig 
und zerfallen vollständig, wenn man sie zwischen den Fingern reibt. 
Auf diese Eigenschaft weisen die alten Namen /ragılis und dergl. 


mehr hin. 
e) Der Geruch. 


Man hat den Geruch eines frisch aus dem Wasser gezogenen 
Schwammes fischig, schlammig, moderartig, auch jodähnlich genannt. 
Allein diese Vergleiche passen nicht genau, der Geruch ist ein 
unserem Schwamme ganz eigentümlicher. 


4. Anatomie und Histiologie. 


Als im Jahre 1875 F. E. Schulze die erste seiner zahlreichen 
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Spongien 
veröffentlichte, begann eine neue Periode in der Kenntnis der 
Schwämme. Obwohl vor jenen Untersuchungen kein ‚anderer 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 13 


u a U 


194 Die Süsswasserschwämme. 


Schwamm anatomisch und histiologisch so genau zergliedert worden 
war wie gerade unser Süsswasserschwamm (Lieberkühn, Carter), 
so gaben doch erst Schulzes Arbeiten das richtige Verständnis für 
die Organisation auch unseres Tieres, weshalb wir auch hier auf 
denselben fussen, ohne in all den einzelnen Fällen immer wieder den 
Namen dieses Forschers anzuführen. 

Soweit bekannt, giebt es keine Süsswasserschwämme ohne ein 
aus Kieselnadeln gebildetes Skelett. Wir werden also passend die 
beiden einen Schwamm zusammensetzenden Teile, das Skelett und 
den Weichteil, gesondert besprechen. 


a) Das Skelett. 


Dasselbe besteht aus dem festen Gerüste und den lose und 
ohne Ordnung im Weichteil liegenden sogenannten Fleischnadeln. 
Das Gerüst wird aus schlanken, fast immer leicht gekrümmten, 
glatten oder bedornten Nadeln, welche an beiden Enden zugespitzt 
sind, aufgebaut. In ihrem Innern zeigen sie einen an beiden Enden 
geschlossenen Kanal, den Zentralkanal, in welchem man an ge- 
eigneten Präparaten einen feinkörnigen Zentralfaden erkennt. Die 
diesen umhüllende Kieselsubstanz ist nicht homogen, sondern lässt 
abwechselnd Lagen von Kieselsäure und Spongiolinsubstanz erkennen. 
Diese Nadeln legen sichnun zu mehreren zu einem Bündel zusammen, 
an welches sich ein zweites, dann ein drittes und so fort anschliesst, 
welche alle durch eine Kittmasse (Spongiolinsubstanz) mit einander 
verbunden sind. So kommen festere Stäbe zustande, die an der 
Basis des Schwammes mächtiger sind als an der Oberfläche. Wir 
nennen sie Hauptfasern. Sie allein würden dem überaus zarten 
Weichteil noch keinen genügenden Halt geben; sie sind deshalb 
durch Querbrücken, Verbindungsfasern, gestützt, welche nur aus 
wenigen, oft nur aus einer einzigen Nadel bestehen. So kommt 
ein netzförmiges, auf einer basalen Spongiolinplatte angekittetes 
Skelettwerk mit Maschen von der verschiedensten Gestalt und Grösse 
zustande. Schon in dem wenige Stunden alten Schwamm macht 
sich die Tendenz bemerkbar, die jungen Nadeln, deren jede stets 
in einer Zelle gebildet wird, zu einem Netzwerk zusammenzufügen. 


Die Süsswasserschwämme. 195 


Der lockere Weichteil kann desselben nicht entbehren. Auch an 
einem schon grossen Schwamm sehen wir immer noch neue Nadeln 
entstehen, die durch eine oder mehrere kugelige Verdickungen in 
dem mittleren Teile als solche meist kenntlich sind. Noll hat die 
Bildung der Spikula verfolgt und glaubt, dass die Zelle (Silikoblast), in 
welcher die Nadel entsteht, zu deren weiteren Ausbildung auch genüge, 
obwohl dagegen spricht, dass die ausgewachsene Nadel um sehr 
vieles grösser ist als die junge. Auch der Umstand, dass man den 
Nadelsträngen seitlich anliegend viele Zellen sieht, welche gar keine 
Nadel in sich bergen, weist darauf hin, dass die Spikulae nach- 
träglich durch besondere Zellen wachsen. Was die Kittsubstanz 
anlangt, so verdankt sie ebenfalls besonderen Zellen (Spongoblasten) 
ihre Entstehung (Noll. — Unter den Nadeln eines Süsswasser- 
schwammes kommen fast stets Abnormitäten mannigfaltigster Art 
vor; es können zwei Nadeln unter verschiedenem Winkel vollständig 
mit einander verwachsen, das eine Ende einer Nadel kann gegabelt 
oder umgebrochen oder abgerundet sein; eine Nadel kann in der 
Mitte in verschiedenen Winkeln geknickt werden, kurzum es sind 
dieser Gestalten so viele, dass man einige Tafeln Abbildungen 
zusammenstellen könnte. Man verwechsele aber hiermit nicht 
jene kleineren in der Mitte kugelig angeschwollenen Nadeln, welche 
nur die Jugendzustände der Gerüstnadeln sind und häufig als 
Fleischnadeln angesprochen wurden. 


b) Der Weichkörper. 


Das Fleisch oder Parenchym unseres Schwammes besteht aus 
einer inneren Masse und einer äusseren Haut, welche dieselbe wie 
ein Sack einhüllt. Diese Haut ruht auf den Enden der aus dem 
Innern kommenden Hauptfasern des Skelettes und lässt unter sich 
einen grossen kontinuierlichen Hohlraum, den Subdermalraum, frei, 
der nur durch die Skelettbalken und gelegentlich durch nadelfreie 
Gewebszüge unterbrochen wird. Die Haut enthält mikroskopisch 
kleine Löcher, die Einströmungsporen, deshalb so genannt, weil 
durch sie das Wasser in den Schwamm einströmt. Am Boden der 
grossen sackförmigen Höhle zwischen Haut und Innerm bemerkt 

18* 


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196 Die Süsswasserschwämme. 


man mit dem blossen Auge grössere Löcher, es sind die Öffnungen von 
Kanälen, die sich in den Schwamm hinein erstrecken, sich vielfach 
verzweigen und seitlich angelagert kleine kugelige Gebilde tragen, 
die man wegen ihrer Zusammensetzung aus wimpernden Zellen 
Wimper- oder Geisselkammern genannt hat. Sie münden in die 
eben besprochenen Kanäle, die wir Einströmungskanäle nennen, 
durch eine Anzahl sehr kleiner Poren, Einströmungsporen der 
Kammern. Auf der abgewendeten Seite trägt eine solche Geissel- 
kammer ein grosses Loch, die Ausströmungspore, durch welche sie 
sich in einen Kanal öffnet, der im allgemeinen weiter ist als die Ver- 
zweigungen der Einströmungskanäle. Jene weiteren Kanäle sammeln 
sich zu noch grösseren und münden endlich in ein einziges grosses 
Rohr, das Kloakenrohr. Die zwischen den Geisselkammern und 
diesem Rohr gelegenen Kanäle sind die Ausströmungskanäle. Das 
Kloakenrohr durchsetzt den unter der äusseren Haut liegenden 
Hohlraum mit einer eigenen geschlossenen Wand und öffnet sich 
an der Oberfläche des Schwammes mit einem runden, von einem 
Hautsaum umgebenen Loch, dem Oskulum, oder zeigt ein über der 
Oberfläche des Schwammes hervorstehendes weissliches Röhrchen, 
das Oskular- oder Auswurfsrohr, welches nichts anderes als eine 
Fortsetzung der äusseren Haut ist. An Stelle des Kloakenrohres 
sehen wir an dünneren Stellen krustenförmiger Schwämme und 
auf den Zweigen der verästelten Form besondere Rinnen von oft 
sternförmiger Gestalt eingegraben; an dem Boden dieser Furchen 
fallen grössere Löcher auf, welche die Enden der grossen Aus- 
strömungskanäle darstellen. Über den Furchen zieht sich die 
äussere Haut hinweg, die an dieser Stelle einzelne grosse Poren 
oder Röhren trägt und in der Mitte meist ein grösseres Auswurfs- 
rohr zeigt. Diese Rinnen oder das sternförmige Rinnensystem sind 
nur eine besondere Form des Endabschnittes der Kloakenhöhle. 
An grossen Schwammexemplaren tritt noch eine besondere Modi- 
fikation solcher Kloakenhöhlen auf. Wir sehen nämlich hier an 
der Schwammoberfläche grosse, öfters bis I cm breite und tiefe 
Löcher, an deren Boden man in die Öffnungen der ausströmenden 
Kanäle gelangt. Die so verschieden gestalteten Kloakenhöhlen sind 


Die Süsswasserschwämme. 197 


stets an der Stelle, an welcher sie den grossen unter der Haut 
hinziehenden Hohlraum durchsetzen, von einer eigenen, soliden 
Wand begrenzt. Dadurch entsteht ein für sich geschlossenes ein- 
führendes Kanalsystem, welches von den Einströmungsporen der 
Haut bis zu den Geisselkammern reicht, und ein für sich abge- 
grenztes ausführendes System, von den Kammern beginnend und 
mit den Auswurfsöffnungen endend. Verfolgen wir jetzt den Lauf 
des Wasserstromes weiter. Durch die Poren in den einführenden 
Subdermalraum gelangt, strömt das Wasser durch die an dessen 
Boden liegenden Löcher in die einführenden Kanäle und gelangt 
durch deren Verzweigungen in die Geisselkammern. Diese sind 
es, in welchen wir die treibende Kraft für den beständigen Wasser- 
strom im Schwamme zu erblicken haben. Von ihnen gelangt das 
Wasser durch ihre grossen Ausströmungsporen in die ableitenden 
grösseren Kanäle, und durch diese in das Kloakenrohr oder in die 
verschieden gestalteten Kloakenhöhlen und fliesst schliesslich durch 
das Oskulum oder dessen Röhren nach aussen ab. Wir sehen, 
dass die Bezeichnung Oskulum garnicht für jene Löcher passt, 
welche vielmehr die Enden eines Kloakenrohres sind und gerade 
das entgegengesetzte von dem bedeuten, was ihr Name anzeigt. 
Deshalb hat auch schon Grant statt Oskulum die Bezeichnung 
Kloakenmündung vorgeschlagen, allein der erstere Name ist nun 
einmal gang und gäbe geworden und lässt sich auch gebrauchen, 
wenn man mit Vosmaer das Wort in Verbindung mit cloacae 
bringt. Die Kloakenhöhlen und die sternförmigen Kloakenbezirke 
zeigen am Schwamme nur sehr selten eine regelmässige Anordnung. 
So fanden wir einmal eine Spongılla fragılis, an welcher die 
Kloakenhöhlen sämtlich in einer Reihe übereinander lagen, während 
die ganze übrige Oberfläche frei davon war. Wir wollen hier auch 
noch bemerken, dass bei den verzweigten Formen die Oskula nie 
an den Spitzen der Zweige oder der Zapfen liegen, wie es bei 
vielen marinen Schwämmen der Fall ist. Bei diesen führt dann 
das auf dem Gipfel gelegene Ausströmungsloch in eine grosse 
zentrale Kloakenhöhle, die sich in den Zweigen von Zusp. lacustrıs 
nie findet. 


198 Die Süsswasserschwämme. 


Wir gehen jetzt zur Betrachtung der Gewebeschichten unseres 
Tieres über. Die Aussen- und Innenseite der Haut, der Aus- 
strömungsröhren, ferner des Septums, welches den grossen Subdermal- 
raum von dem Endabschnitt der Kloakenhöhle trennt, diese selbst, 
der Boden des Subdermalraumes und endlich alle Kanäle sind von 
einem dünnen einschichtigen Lager platter, polygonaler Zellen aus- 
gekleidet. Eine besondere Gestalt gewinnen diese Zellelemente in 
der Umgebung der Hautporen und der Ausströmungsöffnung 
der Geisselkammern. Sie haben hier die Form einer Mondsichel 
von geringerer oder grösserer Breite. Besonders die Poren, dann 
aber auch die Ein- und Ausströmungsöffnungen der Kammern sind 
veränderliche Gebilde, die entstehen und vergehen können. Be- 
sonders an den Hautporen lässt sich verfolgen, wie sie in einer 
Zelle als Loch entstehen, ein solches Loch vergrössert sich bald, 
bis von der Zelle nur noch ein schmaler Ring übrig bleibt. An 
anderen Stellen sieht man, wie sich an der weit geöffneten Pore 
die sie umgrenzende sichelförmige Zelle verbreitert, bis endlich von 
der Pore nur noch ein kleines Loch übrig bleibt; auch dieses kann 
geschlossen werden und die Pore ist verschwunden. — Die zwischen 
dem ein- und ausführenden Kanalsystem eingeschobenen Geissel- 
kammern bestehen aus langgestreckten, radiär um die Höhle der 
Kammer angeordneten Zellen. Sie sind durch eine zwischen 
den Zellen liegende Substanz von einander getrennt, oder 
sie stossen eng zusammen und platten sich auch gegenseitig ab. 
Jede Zelle trägt einen langen hyalinen Kragen und eine lange 
beständig schlagende Geissel; durch die Gesamtheit der Bewegungen 
aller Geisseln wird der Wasserstrom erzeugt. Es ist interessant, 
dass manchen im Winter gesammelten Schwämmen die Geissel- 
kammern fehlen können. — Zwischen den Platten- und Geissel- 
zellen bleibt nun eine Schicht, welche, wie bei allen Schwämmen, 
auch hier an Mächtigkeit die eben genannten Zelllager bei weitem 
übertrifft. Es ist die Bindesubstanzschicht, welche aus einer 
hyalinen Substanz mit amöboiden Zellen besteht. Unter den Zellen 
sieht man sofort zwei Sorten, die einen haben einen Inhalt von 
eng aneinander liegenden, annähernd gleich grossen Körnchen, die 


Die Süsswasserschwämme. 199 


anderen führen ungleich grosse, weniger dicht liegende Körner. Bei 
den grün gefärbten oder braunen Schwämmen enthält stets nur die 
zuletzt genannte Sorte das grüne oder braune Pigment. 

Das grüne Kolorit der Schwämme wird durch kleine rundliche 
Körperchen in diesen Zellen hervorgebracht, welche Chlorophyll 
enthalten. Während aber die einen dasselbe für tierischen Ursprungs 
halten, betrachten die anderen jene Körper als einzellige Algen 
(Zoochlorella parasıtica Brandt... Ausser den genannten Zellen 
finden sich noch sehr langgestreckte Formen, die den kontraktilen 
Faserzellen anderer Spongien entsprechen. Der Siliko- und Spongo- 
blasten haben wir schon oben gedacht und einige andere Zell- 
formen, die sich nur zu gewissen Zeiten finden, werden wir sogleich 


kennen lernen. 


5. Physiologie. 
Die Süsswasserschwämme pflanzen sich auf geschlechtlichem 
und ungeschlechtlichem Wege fort. 


a) Die geschlechtliche Fortpflanzung. 


Sie findet bei uns in den Monaten Mai bis in den September 
statt. Während man die männlichen Keimstoffe, die Spermatozoen, 
nur vom Mai bis in den August findet, trifft man die Eier zu allen 
Jahreszeiten an, sie kommen aber im Winter nur vereinzelt vor 
und werden dann nicht entwicklungsfähig. Die Spongilliden sind 
getrennten Geschlechts und zwar tritt bei ihnen zuerst die Ent- 
wickelung der Spermatozoen und später die Reifung der Eier auf. 
Ein äusserer Unterschied in der Grösse oder der Gestalt der männ- 
lichen und weiblichen Exemplare existiert nicht, wenn es auch 
vorkommen mag, dass kleinere auf beweglicher Unterlage ange- 
siedelte Schwämme [Keller 16)| männlich sind. Die Spermatozoen 
entstehen durch fortwährende Teilung einer Zelle der Bindesubstanz- 
schicht, deren Kern die Köpfe und deren Plasma die Schwänze 
der Samenfäden liefert. Auch die Eier sind Abkömmlinge solcher 
Zellen. Fiedler hat die Sperma- und Eientwickelung genau ver- 
folgt und Maas hat die Bildung des jungen Schwammes aus der 


200 Die Süsswasserschwämme. 


Flimmerlarve, welche aus dem sich furchenden Eie entsteht, in 
klarer Weise auseinandergesetzt. 


b) Die ungeschlechtliche Fortpflanzung. 


Der aus einer Larve oder einer Gemmula entstandene junge 
Schwamm zeigt ein einziges zusammenhängendes Kanalsystem, 
welches mit einem einzigen Oskulum oder mit einem sternförmigen 
Ausströmungsbezirk nach aussen mündet. Wir nennen einen solchen 
Schwamm ein Individuum. Durch weiteres Wachstum sehen wir 
ein zweites Oskulum an einer anderen Stelle auftreten, bald bilden 
sich neue und wir haben nun eine durch Knospung entstandene 
Kolonie vor uns. — Ob eine andere Fortpflanzung, nämlich durch 
Teilung, wie es Laurent behauptet, wirklich vorkommt, bleibt 
zweifelhaft; sicher aber ist, dass gewaltsam losgetrennte, grössere 
Stücke eines Süsswasserschwammes wie bei anderen Spongien fort- 
wachsen, wenn sie sich auf einer geeigneten Unterlage festsetzen 
können, 

Zur Herbstzeit besonders findet man in den Spongilliden 
kleine, gelbliche oder gelbbraune, annähernd kugelige Gebilde von 
der Grösse eines Senfkomes: die Gemmulae. Während man weder 
über die erste Entstehung noch über die Herkunft einzelner Teile 
dieser Gebilde vollkommene Klarheit hat, sind wir über den Bau 
der ausgebildeten Gemmula ziemlich gut orientiert. Sie besteht aus 
einer Hülle mit einer, seltener mit mehreren Öffnungen und einem 
aus Zellen zusammengesetzten Keim oder Kern. Es ist behauptet 
worden, dass in dem Keime Stärke enthalten sei. Allein schon 
Lieberkühn hat. das bestritten und sicher. sind jene stark licht- 
brechenden Körner der Keimzellen nicht Amylum. Dagegen wissen 
wir durch die Untersuchungen von Carter, Keller!5), Ray 
Lankester, Brandt und Wierzejski43), dass in den Süsswasser- 
schwämmen Amylum und amyloide Substanz vorkommt. 

Die Hülle der Gemmula zeigt eine innerste dicke Membran 
(innere Chitinmembran, innere Kutikula), welche die Höhle der 
Gemmula umschliesst, auf diese Membran folgt eine Kruste (Be- 
legmembran, Luftkammerschicht), die entweder fein blasig aussieht 


Be ? 


Die Süsswasserschwämme. 201 


oder sehr deutlich zellig erscheint und Luft enthalten soll. In dieser 
zweiten Schicht stecken die für die einzelnen Arten der Spongilliden 
charakteristischen Nadeln (Belagsnadeln), deren Formen wir später 
kennen lernen werden. Bei einigen Arten ist die jene Nadeln 
beherbergende Schicht noch durch eine dritte Schicht (äussere 
Kutikula, äussere Chitinmembran) abgeschlossen; solche Gemmulae 
sind dann glatt, während andere, die der Membran entbehren, rauh 
erscheinen. Unter den Belagsnadeln kommen oft abnorm gebildete 
Formen vor, besonders bei Schwämmen, welche zu einer raschen, 
unzeitigen Gemmulabildung veranlasst wurden [Wierzejski##)]. 
Fragen wir zunächst: welchen Zweck haben die Gemmulae ? 
Es wird gewöhnlich angegeben, dass unsere Süsswasserschwämme 
gegen den Herbst hin unter Bildung von Gemmulae absterben. Es 
ist das im allgemeinen richtig. Man findet also von den meisten 
unserer Arten nur im Winter die Gemmulae, ihr Weichteil ist zer- 
fallen. Jene überwintern und im Frühlinge kriecht aus ihnen der 
Inhalt aus und entwickelt sich zu einem neuen Schwamm. Es ist 
also die Aufgabe der Gemmulae, den Schwamm, der als solcher den 
Winter nicht überstehen würde, über diese Jahreszeit hinweg- 
zubringen. Ganz ähnlich ist es in den Tropen. Während der 
Regenzeit sind Lachen, Bäche und Flüsse mit ausgebildeten Spon- 
gilliden erfüllt, tritt dann die Trockenperiode ein, so entwickelt der 
Schwamm Gemmulae, welche Monate und Jahre lang [Carter, 
Potts, Lendenfeld18)] der sengenden Hitze ausgesetzt bleiben 
können, um ‚später, wenn sie wieder vom Wasser bedeckt sind, zu 
neuen Schwämmen zu erstehen. In den Gemmulae sehen wir also 
Anpassungserscheinungen an die äusseren Lebensbedingungen. Es ist 
einleuchtend, dass Schwämme, die dem Eintrocknen oder Einfrieren 
ausgesetzt sind, sich durch besondere Vorrichtungen dagegen 
schützen müssen. Anderseits wird es möglich sein, dass Spongilliden, 
die jahraus jahrein unter denselben Bedingungen leben, der Gemmulae 
entbehren können. Diesen Gedanken findet man zuerst aus- 
gesprochen bei W. Marshall?25) und in der That giebt es solche 
Süsswasserschwämme ohne Gemmulae. Dybowski hat an den bis 
100 m tief im Baikalsee lebenden Lubomirskien nie Gemmulae 


202 Die Süsswasserschwämme. 


= 


gefunden. Lieberkühn gab an, dass in der Spree in Berlin 
Schwämme überwintern, ohne vollständig in Gemmulae zu zerfallen; 
Metschnikoff hat dies in Russland bestätigt, Potts hat in Amerika 
eine Anzahl ähnlicher Fälle beobachtet und Wierzejski fand solche 
Schwämme (nach brieflicher Mitteilung) in Galizien. In allen diesen 
Fällen überwintert der Schwamm mit seinem Weichteil, in dem aber 
immer mehr oder weniger Gemmulae gebildet worden sind. Dass 
es aber auch bei uns Schwämme giebt, die überhaupt nicht mehr 
zur Gemmulation schreiten, ist neuerdings bewiesen worden; an 
der im Tegeler See lebenden Zphydatia fluviatilis kommen nach 
Beobachtungen, die sich über einen Zeitraum von sechs Jahren 
erstrecken, Gemmulae überhaupt nicht mehr vor (Weltner). Auch 
scheint es [Marshall?), Potts, Hinde], dass anderwärts grosse 
Schwammexemplare durch ununterbrochenes Fortwachsen während 
ein oder mehrerer Jahre zustandekommen. 

Wir kennen also auch bei uns einige Ausnahmen von der 
Regel, dass alle Süsswasserschwäimme im Herbst unter Gemmula- 
bildung zerfallen. In unserer Zone scheint nur bei Zphydatıa 
flwiatilis die Überwinterung des Weichteils vorzukommen, während 
alle anderen einheimischen Schwämme zum Winter absterben und 
nur ihre Gemmulae gefunden werden. — Auch ist es nicht richtig, 
dass die Gemmulae sich bloss im Winter finden. Sie kommen auch 
an verschiedenen Schwämmen, Zphydatia fluviatilis und Müllerı, in 
den Sommermonaten vor und finden sich bei ersterer Art neben 
männlichen und weiblichen Keimstoffen (Götte, Weltner). 

Über die Entwickelung des Keimes zum jungen Schwamm 
liegen nur wenig übereinstimmende Nachrichten vor. In Anbetracht, 
dass dieser Gegenstand einer erneuerten Untersuchung bedarf, unter- 
lassen wir weitere Auseinandersetzungen. 


c) Atmung, Nahrungsaufnahme, Verdauung und Exkretion. 


In der Physiologie der Spongien sind diese Fragen am wenigsten 
aufgeklärt. Offenbar geschieht die Atmung während des beständig 
den Schwamm durchlaufenden Wasserstromes und es wird auch 
durch diesen Strom zugleich die Nahrung herbeigeführt. Wenn 


Die Süsswasserschwämme. 203 


andere Schwämme durch besondere Pigmente atmen (Meresch- 
kovsky), so müssen weitere Untersuchungen zeigen, in wie weit 
solche Pigmente bei den Spongilliden verbreitet sind. Es ist aber 
bisher. noch nicht mit Sicherheit entschieden, wo im Schwamme 
geatmet wird. Dasselbe gilt von der Verdauung. Aus den zahl- 
reichen Fütterungsversuchen, welche man mit Farbstoffkörnchen bei 
Schwämmen und zwar zuerst bei Spongilliden gemacht hat, geht 
hervor, dass es die Geisselkammerzellen sind, welche die Nahrung 
aufnehmen (Carter, Lieberkühn, Heider, Metschnikoff, 
Lendenfeld), wenn auch an einzelnen Schwämmen beobachtet 
wurde (Metschnikoff, Topsent), dass gerade diese Zellen von 
Karmin frei blieben. Die ausgedehnten Fütterungsversuche Lenden- 
felds mit verdaulichen Stoffen zeigen, dass die Geisselzellen diese 
aufnehmen, zerteilen und an die Wanderzellen abgeben. Welcher 
Art ist nun die Nahrung der Schwämme? Es sind wahrscheinlich 
zerfallene organische Stoffe, welche mit dem Wasser in den Schwamm 
eingeführt werden. Die nicht brauchbaren Stoffe werden von den 
Kragenzellen später wieder ausgeschieden, die brauchbaren werden 
in mehr oder weniger assimiliertem Zustande an die Zellen der 
Zwischenschicht, welche jedenfalls den Nahrungstransport besorgen, 
abgegeben; auch die Exkretion dürfte von den Geisselzellen 
besorgt werden [Lendenfeld19)]. Diese Anschauung gilt auch für 
unsere Schwämme. 

Dennoch muss es möglich sein, dass sich die Spongilliden auch 
von lebenden Infusorien und anderen Protozoen ernähren. Denn 
Lieberkühn und nach ihm Metschnikoff sahen, wie in die 
Spongillide geratene Protozoen dort verdaut wurden. Gewöhnlich 
findet man aber in einem Süsswasserschwamm keine grösseren 
Organismen, es sei denn, dass diese als Parasiten in ihm leben 
(s. unten). Auch die Thatsache, dass die Süsswasserschwämme in 
dem fliessenden Wasser der Städte, in welches Abfälle der un- 
glaublichsten Art geraten, äusserst üppig entwickelt sind, während 
man sie in Teichen mit klarem Wasser in geringer Anzahl trifft, 
spricht für Lendenfelds Anschauung. 


204 Die Süsswasserschwämme. 


d) Wachstum und Lebensdauer. 


Im allgemeinen scheint den Spongien ein schnelles Wachstum 
eigen zu sein und aus den spärlichen Angaben, die betrefls dieser 
Frage bei den Spongilliden vorliegen, zu schliessen, trifft das auch 
für diese zu. Schon Eper gab 1794 an: „Ihr Wachstum ist sehr 
geschwinde“. Carter sah in Bombay eine Spongillide in noch 
nicht drei Monaten einen Durchmesser von drei Zoll erreichen. 
Ein energisches Wachstum unserer Schwämme findet jedenfalls im 
Frühjahr statt, wenn das Wasser wärmer zu werden beginnt. Auch 
geht die Entwickelung der jungen Schwämme aus den Gemmulae 
schnell von statten und man sieht, wie solche aus den im Skelett 
liegenden (Zusp. lacustris) oder in einer basalen Schicht abge- 
lagerten (Sp. fragılis, Trochosp. erinaceus) Gemmulae entstandenen 
Schwämme in kurzer Zeit bis zur Fortpflanzung eine bedeutende 
Grösse erreichen. — Potts ist der Ansicht, dass der aus einer 
Gemmula entstandene Schwamm bis zur Zeit der wieder eintreten- 
den Gemmulation — also vom Frühling bis zum Herbst — eine 
Grösse erreicht hat, um nun zwölf oder mehr Gemmulae zu bilden. 
Kommen von diesen nur die Hälfte im nächsten Frühlinge aus, 
so soll der aus ihnen entstandene Schwamm am Ende des zweiten 
Jahres so gewachsen sein, dass er wenigstens sechs mal so gross 
als im ersten Jahre ist. So würde in wenigen Jahren ein Schwamm 
von mehreren Zoll Durchmesser zustandekommen. — Die Grösse, 
welche die aus Larven entstandenen Schwämme im ersten Jahre 
erreichen, ist sehr verschieden und richtet sich nach der Zeit, wann 
die Larve aus dem Mutterkörper ausschwärmte. So werden Larven, 
welche sich schon im Juni festgesetzt haben, bis zur Zeit, zu welcher 
die aus ihnen entstandenen Schwämme unter Gemmulabildung ab- 
sterben, also im September und Oktober, zu grösseren Exemplaren 
angewachsen sein, als solche Larven, welche erst im August ent- 
standen waren. In der That finden wir denn auch im Herbst 
unter den einjährigen Schwämmen Exemplare der verschiedensten 
Grösse. Die kleinsten sind kaum 2 mm gross, andere über 2 cm. 
Diese grösseren können aber durch Verwachsen mehrerer Exemplare, 


- 


Die Süsswasserschwämme. 205 


die dicht bei einander sassen, entstanden sein. Jedenfalls werden 
alle diese aus Larven entwickelten Schwämme in demselben Jahre 
nicht mehr geschlechtsreif. Sie zerfallen im Herbst in Gemmulae 
und man kann leicht beobachten, wie die kleinsten Exemplare eine 
einzige Gemmula, die grösseren zwei, drei Gemmulae u. s w. bilden. 


Man sieht aus diesen Angaben, wie wenig wir über die 
Wachstumsschnelligkeit und Grösse, welche die gemmulae erzeugen- 
den Schwämme erreichen, wissen. Nicht viel anders steht es mit 
den perennierenden Schwämmen. Wir haben schon oben erwähnt, 
dass die grossen Spongillidenexemplare, welche man gefunden hat 
— Lubomirskia im Baikalsee, Uruguaya im Uruguay und andere 
(s. Potts) —, wahrscheinlich durch ununterbrochenes Wachstum 
während einer längeren Zeitdauer zustandekommen. Auch die im 
Tegelsee lebenden grossen Exemplare von Zphyd. fluwviatilis ent- 
stehen offenbar in derselben Weise. Das Wachstum dieser peren- 
nierenden Art ist während des Winters sehr gering. Bringt man 
ihnen zu dieser Zeit grössere Wunden bei, so verwachsen diese 
zwar während des Winters, irgend welche bedeutendere Grössen- 
zunahme findet jedoch nicht statt. Ähnliches hat schon Lamou- 
roux von den Spongien überhaupt angegeben. 


Diesen Auseinandersetzungen steht die Ansicht gegenüber, dass 
die Schwämme durch den Prozess der Fortpflanzung dem Tode 
geweiht sind (Laurent, Götte). Es ist allerdings richtig, dass man 
Süsswasserschwämme zur Zeit der geschlechtlichen Fortpflanzung 
absterben sieht. Die Ausbildung der Keimstoffe und ihrer Er- 
nährung durch die mütterliche Spongillide zerstört zumteil und 
schwächt dessen Gewebe. Allein es ist ebenso richtig, dass andere 
Exemplare auch nach der vollendeten Ausbildung der Geschlechts- 
produkte weiterleben (Weltner). Absterbende Schwämme trifft 
man zu jeder Jahreszeit an, und bei der perennierenden Form 
haben wir den Tod gerade nach Überstehung der Winterzeit 
häufiger gesehen. Da man nun im Sommer stets nur entweder 
männliche oder weibliche Schwämme und keine Neutra antrifft, 
und alle diese Schwämme im Sommer nach der Fortpflanzung 


206 Die Süsswasserschwämme. 


absterben müssten, so erklärt man sich nicht, wie man zu’ jeder Zeit 
Exemplare von der verschiedensten Grösse findet. 


e) Bewegung. 


In seinen ‚vorzüglichen Beobachtungen über die Bewegungs- 
erscheinungen der Süsswasserschwämme teilt Lieberkühn dieselben 
ein in solche, welche die einzelne Zelle betreffen, und solche, welche 
der ganze Schwamm oder ein grösserer Teil desselben aus- 
führen. Zu den ersteren gehört die amöboide Beweglichkeit der 
Zellen im Schwammkörper, die Kontraktion und die Neubildung 
gewisser in diesen Zellen und den Geisselzellen vorkommenden mit 
Flüssigkeit gefüllten Alveolen, die Zusammenziehung und Ausdehnung 
der kontraktilen Faserzellen, das Vergehen und Entstehen der 
Poren, die Bewegung der Geisseln der Kragenzellen und der 
Spermatozoen. Lieberkühn berichtet über die Bewegungs- 
erscheinungen der amöboiden Zellen in ausführlicher Weise. „Die 
Bewegungen“, sagt er, „sind äusserst langsam und fast niemals 
direkt sichtbar. Es entsendet eine Zelle lange spitze Fortsätze, 
welche ihren Durchmesser bedeutend übertreffen, eine andere, ent- 
fernt liegende Zelle schickt ihr gleiche, eben so lange entgegen; es 
dringen auch Körnchen in die entsandten Fortsätze hinein; bald 
verschwinden die Fortsätze wieder und treten neue an einer andern 
Stelle der Zelle hervor, dabei ändert die Zelle selbst beständig ihre 
Gestalt; wenn sie kugelig war, wird sie eiförmig oder vieleckig, 
oder breitet sich in eine dünne Scheibe aus; die Kerne von zwei 
Zellen nähern sich bisweilen so, dass man glaubt, sie gehören einer 
Zelle an, und rücken alsdann bald wieder aus einander; oft sieht 
man auch nur lange und breite Streifen im Gewebe, welche sich 
spalten und wieder vereinigen, ohne dass man eine Zelle aufzu- 
finden vermag, zu der sie gehören.“ Wir müssen es uns versagen, 
alle die ausgezeichneten Beobachtungen mitzuteilen, welche Lieber- 
kühn uns überliefert hat. Nach einer später anzugebenden Methode 
kann man sich geeignetes Material beschaffen, an welchem sich alle 
diese Beobachtungen wiederholen lassen, und wir empfehlen die 


Die Süsswasserschwämme. 207 


Spongillide als ein sehr dankbares Objekt zum Studium der 
Bewegungserscheinungen. 

Was die Bewegung einzelner Teile des Schwammes anlangt, 
so beginnen wir mit dem Öskularrohr, weil die Gestaltsverände- 
rungen desselben schon den früheren Beobachtern aufgefallen sind: 
Dutrochet (1828) und Bowerbank (1857) beschreiben dieselben 
in ausführlicher Weise. Aber Lieberkühn erst wies nach, dass 
diese Veränderungen auf die Bewegung der Zellen zurückzuführen 
sind. Ein solches Oskularrohr sieht man tagelang unverändert an 
derselben Stelle, während es zu anderen Zeiten in wenigen Minuten 
verschwindet und nach geraumer Zeit wieder entsteht; oder es 
wird an einer anderen Stelle ein neues gebildet. Eine schon vor- 
handene Röhre kann sich gabeln und jedes Röhrchen erhält ein 
Ausströmungsloch. Die Zusammenziehung einer Oskularröhre ge- 
schieht sehr langsam. Nur auf einen plötzlichen Reiz mit der 
Nadel oder durch bedeutende Temperaturveränderung des Wassers, 
durch Alkohol, Säuren etc. geschieht dieselbe sehr schnell. Deshalb 
werden beim Abtöten der Süsswasserschwämme in Alkohol die Aus- 
strömungsröhren stets bis fast zum Verschwinden gebracht. Der 
im Leben ausgedehnte röhrenförmige Fortsatz zeigt eine ziemlich 
glatte Oberfläche; indem er sich zusammenzieht, wird die Wandung 
zusehends dicker und höckerig durch die zusammengedrängten 
Zellen, deren Grenzen jetzt deutlich sichtbar sind. Die Kontraktion 
kann soweit gehen, dass die ganze Röhre die Gestalt eines Zellen- 
haufens annimmt oder gänzlich verschwindet. Die kürzeste Zeit 
der Zusammenziehung ist eine Minute; es ist aber die Kontraktion 
meistens nur eine vorübergehende und die Ausdehnung ist der 
bleibende Zustand. Ganz dasselbe gilt für die Zellen selbst und 
Lieberkühn vergleicht ihre Zusammenziehung und Ausdehnung 
mit der des Muskels. 

Die besprochene Verlängerung und Verkürzung der Röhre ist 
nicht zu verwechseln mit einem ganz anderen Vorgang, der auf 
Wachstum beruht: Indem Zellen aus dem Schwamminnermn in 
die Röhre einwandern, kann sich dieselbe verlängern oder auch 
verdicken. Wir haben daher bei den Bewegungserscheinungen 


208 Die Süsswasserschwämme. 


einzelner Teile zwischen blosser Bewegung und Bewegung ver- 
bunden mit Wachstum zu unterscheiden. 

Ähnliche Bewegungen sehen wir auch an der äusseren Haut 
des Schwammkörpers, die von Carter und Lieberkühn genauer 
geschildert worden sind. 

Auch die Art und Weise, in welcher sich kleine, aus dem 
Schwammkörper geschnittene Stückchen auf eine Glasplatte anheften, 
rechnet Lieberkühn hierher, es gehört aber diese Erscheinung 
ebenso wie die Anheftung der schwimmenden Larve an ihre Unter- 
lage oder wie die des aus der Gemmula kriechenden Keimes unter 
die zuerst genannten Bewegungen. Das diesbezügliche findet man 
bei Lieberkühn, Carter, Götte und Maas. 

Es kommt sogar bei unserem Schwamm eine Bewegung des 
ganzen Körpers vor. Es sind freilich nur junge Spongilliden, bei 
denen diese Erscheinung beobachtet wird. Lieberkühn sah, wie 
sich ein 21 ß2 Monate alter Schwamm beständig hin und her bewegte, 
ohne eigentlich vom Platze zu rücken. Aber an einem jungen 
Schwamme konstatierte er, wie sich derselbe von seiner Unterlage 
ablöste und an einer anderen Stelle festsetzte. Auch Marshall 2”) 
hat über eine solche Ortsveränderung Mitteilung gemacht. 


5. Systematik der einheimischen Arten. 


Die erste Unterscheidung der Süsswasserschwämme geschah 
nach ihrer äusseren Gestalt. Wie wir aber gesehen haben, kann 
man nur eine einzige Art (Zusp. lacustris) und diese auch nur im 
ausgewachsenen Zustande an ihrer busch- oder baumförmigen Gestalt 
erkennen. Man hat sich daher genötigt gesehen, die Gestalt der 
Skelett- und Gemmulaenadeln zur systematischen Unterscheidung zu 
benutzen (Ehrenberg, Lieberkühn). Ausser diesen Skelett- 
elementen hat man neuerdings auch den Bau der Gemmulaschale 
zur Erkennung benutzt. In der That bietet die Beschaffenheit der 
genannten Teile die einzige Möglichkeit, die Arten von einander 
zu unterscheiden, wenn man nicht gewisse histiologische Besonder- 
heiten herbeiziehen will. — Nun sind aber die Gemmulae, 


2 


Die Süsswasserschwämme. 209 


die hauptsächlich zur Erkennung der einzelnen Arten dienen, nicht 
integrierende Bestandteile des Spongillidenkörpers und man ist des- 
halb öfters in die Verlegenheit gesetzt, einen Süsswasserschwamm 
nicht bestimmen zu können. Man thut daher gut, bei der Be- 
stimmung oder beim Sammeln von Schwämmen sich von dem 
Vorhandensein der Gemmulae zu überzeugen. 


Wir geben im folgenden eine kurze Beschreibung der deutschen 
Arten und wollen auch die beiden übrigen europäischen Arten, die 
sich wohl bei näherer Nachforschung auch in Deutschland finden 
werden, berücksichtigen. 


Familie Spongillidae, Süsswasserschwämme. 


Skelett aus einachsigen Kieselnadeln bestehend, welche durch 
Spongiolin zu einem netzförmigen Gerüst verbunden sind. Bei den 
einheimischen Arten unterscheidet man an denselben Haupt- und 
Verbindungsfasern. Die Spongiolinsubstanz hüllt entweder die 
Nadelzüge vollständig ein oder sie ist schwach entwickelt und ver- 
kittet nur die Enden der Nadeln mit einander. Fleischnadeln 
vorhanden oder fehlend. Die kugeligen Geisselkammern münden 
seitlich in ausführende Kanäle, welche nach ihrer Vereinigung zu 
weiteren Bahnen endlich in eine einzige grosse Höhle, die Kloaken- 
höhle, sich vereinigen oder getrennt von einander in einen unmittel- 
bar unter der äusseren Haut liegenden Ausströmungsbezirk von oft 
sternförmiger Gestalt sich ergiessen. Ausser der geschlechtlichen 
Fortpflanzung kommt noch eine ungeschlechtliche durch innere 
Keime (Gemmulae) vor. Sie leben mit einer einzigen Ausnahme 
nur im süssen oder im brackischen Wasser. Kosmopolitisch. 


Das System und die folgende Beschreibung der Arten ist ent- 
lehnt aus Vejdovskys Darstellung in dem Werke von Potts; den 
Beschreibungen haben wir einige Bemerkungen hinzugefügt. 


A. Subfamilie Spongillinae (Carter). 
I. Genus Spongilla (Autt.). 
a) Subgen. Zuspongila (Vejdovsky). 
I. Euspongilla lacustris (Autt.). 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 14 


a nn Aha. 


210 Die Süsswasserschwämme. 


b) Subgen. Spongilla (Wierzejski). 
2. Spongilla. fragılis (Leidy). 
B. Subfamilie Meyeninae (Carter). 
II. Genus Trochospongilla (V ejdovsky). 
3. Zrochospongilla erinaceus (Ehrenberg). 
III. Genus Zphydatia (Lamouroux). 
4. Ephydatia Müller! (Lieberkühn). 
5. Ephydatia flwviatilis (Autt.). 
6. Ephydatia bohemica (F. Petr). 
IV. Genus Carterius (Potts). 
7. Carterius Stepanowi (Dybowsky). 


A. Unterfamilie Spongillinae (Carter). 

Gemmulae entweder einzeln oder in Gruppen vereinigt, gewöhn- 

lich mit einer Luftkammerschicht umgeben, in welcher an beiden 
Enden zugespitzte, fast stets gedornte Nadeln liegen. 


I. Gattung Spongella (Autt.). 

Mit langen, glatten Skelettnadeln und kurzen, geraden oder 
gekrümmten, glatten oder rauhen Fleischnadeln. Gemmulae entweder 
nackt oder mit einer äusseren Luftkammerschicht, in welcher die 
Belagsnadeln entweder tangential oder radiär oder ganz unregel- 


mässig liegen. 


a) Untergattung Zuspongilla (Vejdovsky). 
Gemmulae immer einzeln im Schwamme liegend. 


I. Euspongilla lacustris (Autt.). 

Der Schwamm bildet gewöhnlich baum- oder buschförmig 
verzweigte Massen auf einer krustenförmigen Basis von geringerer 
(Fig. 36) oder grösserer (Fig. 37 S. 212) Ausdehnung. Unter 
Umständen, z. B. an stark fliessenden Stellen, kommt es nicht zur 
Ausbildung der charakteristischen fingerförmigen Fortsätze und 
Zweige, sodass klumpenförmige Massen entstehen (Fig. 38). Kleinere 
Exemplare sind einfach krustenförmig, ebenso gestaltete Exemplare 


re 


Die Süsswasserschwämme. 211 


von nicht unbeträchtlicher Grösse findet man selbst in ruhigen 
Gewässern um Teichrohrstengel gewachsen; an solchen Exemplaren 


at 


| "il N 
ai (nz a, 


Fig. 36. 
Euspongilla lacustris (Autt.). Y,nat. Grösse. Nach dem Leben. An einem Mauersteine. 
(19. Juli 1890 gefunden in der Spree, Berlin: Jannowitzbrücke, Stadtbahnbögen.) 


in ruhigem Wasser tritt aber früher oder später die Bildung von 
Ästen auf. Die Farbe ist grasgrün, gelblich, grauweiss oder braun. 
14* 


REP: 


212 Die Süsswasserschwämme. 


Das Skelett besteht aus Gerüst- und Fleischnadeln. Die Gerüst- 
nadeln sind gerade oder leicht gekrümmt, scharf, aber allmählich 
zugespitzt und glatt. Sie sind zu Bündeln mit einander vereinigt, 
welche durch stark entwickelte Spongiolinsubstanz ganz eingehüllt 
werden und lange, starke Stäbe bilden (Hauptfasern), welche die 
Zweige der Länge nach durch- 
ziehen und nach der Peripherie 
derselben dünnere Äste aussenden. 
An ihren Enden laufen diese 
Hauptfasern dünn aus. Die stär- 
keren Bündel in der Achse eines 
Zweiges am Schwamme bestehen 
aus 20—30 vollständig in der 
Kittsubstanz liegenden Nadeln. 


Fig. 38. 
Euspongilla lacustris. Aut einem dicken 
Wollenfaden gewachsen, der an einer Seite 


Fig. 37. an einem Brückenpfahl eingeklemmt an der 
Euspongilla lacustris (Autt.). Nach dem Oberfläche des Wassers flottierte. Spree, 
Leben. Y/gnatürlicher Grösse. Berlin: Waisenbrücke, 26. Aug. 1886. 1/, natür- 

(6. Juni 1890 Tegelsee.) licher Grösse. (Alkoholexemplar.) 


Diese Längsfaserzüge oder Hauptfasern sind. durch wenige kurze 
Nadelbrücken mit einander verbunden, welche in unregelmässigen 
Abständen von einander entfernt sind. Diese Verbindungsfasern 
sind meist nur an ihren Enden durch Spongiolinsubstanz an die 


in 2a 


2 


ni 


Die Süsswasserschwämme. 213 


Hauptfasern angekittet oder sie liegen ganz in der Kittmasse ein- 
geschlossen. Bei solchen Exemplaren, welche einfache Krusten 
bilden, stehen die Hauptfasern senkrecht auf der Unterlage. — 
Durch den geschilderten Bau des Gerüstes erlangt der Schwamm 
eine gewisse Festigkeit und ist schwieriger zerreissbar als Sp. fragilis 
und Zph. fluwwiatilis. — Die Spongiolinsubstanz ist in Kalilauge 
unlöslich, wodurch sich Zus. lac. von allen anderen Arten unter- 
scheiden lässt (Dybowski). — Die Fleischnadeln sind in wechselnder 
Anzahl vorhanden; sie können in einem Schwamm in ungeheuerer 
Menge auftreten (var. Lieberkühni Noll), in anderen häufig, in noch 
anderen sehr sparsam sein. Sie sind meist leicht gekrümmt und 
vollständig mit feinen Dörnchen besetzt, selten sind sie glatt. Die 
Gemmulae treten in verschiedenen Formen auf. Es giebt nackte, 
d. h. einer äusseren Luftkammerschicht entbehrende, die nur wenige 
oder gar keine Nadeln tragen. Andere Gemmulae sind mit einer 
dünneren oder dickeren Luftkammerschicht bedeckt, welche nach aussen 
durch eine deutliche Membran abgeschlossen ist, in anderen Fällen 
fehlt dieselbe. In dieser Luftkammerschicht liegen die Belagsnadeln 
entweder in radiärer oder in tangentialer Lage auf der Gemmula oder 
sie sind auf ihr ohne alle Ordnung zerstreut. Sie stellen kurze, 
weniger oder mehr, mitunter bis zum Kreise gekrümmte und mit 
dicken Dornen versehene Spikula dar, und sind nur selten ganz 
glatt. Die Gemmulae liegen im ganzen Schwamme zerstreut, dessen 
Weichteil nach ihrer Ausbildung vollständig zu Grunde geht, während 
das Skelettgerüst mit den Gemmulae in seinen Maschen oft den 
Winter hindurch erhalten bleibt. Im anderen Fällen zerfällt auch 
dieses. — In stehendem und fliessendem Wasser in ganz Deutsch- 
land. Es scheint die gemeinste Art zu sein und ist auch im fin- 
nischen Meerbusen im Brackwasser gefunden worden (Dybowski). 

Als eine Lokalform von dieser Art betrachten wir die von 
Retzer beschriebene „Spongilla rhenana“. Dieser bisher nur am 
Faschinengesträuch im Altrhein bei Eggenstein unweit Karlsruhe 
gefundene Schwamm überzieht als dünne Kruste Holzstücke, Ge- 
sträuch und dergl. und sendet wenige, kleine Fortsätze aus oder 
wächst auch an manchen Stellen zu dicken Klumpen an. Seine 


214 Die Süsswasserschwämme. 


Farbe ist grün. Die Skelettnadeln sind gerade oder leicht gebogen 
und gehen entweder plötzlich in eine scharfe oder allmählich in 
eine weniger scharfe Spitze über. Sie bilden zu Bündeln vereinigt 
ein dichtes Netz. Die Gemmulae haben die Form und Grösse der- 
jenigen von Zusp. lacustris, der Porus zeigt aber einen breiten 
flachen Trichter. Auf der inneren Hülle der Gemmulaschale liegt 
eine sehr dünne Luftkammerschicht, in welcher die Zellen in zwei- 
bis dreifacher Lage übereinander liegen. In dieser Schicht sind 
die Belagsnadeln gewöhnlich tangential, wenige radiär angeordnet. 
Die sehr variable Gestalt lässt drei Hauptformen unterscheiden. 
Die häufigsten sind solche, welche den Skelettnadeln ähneln, andere, 
in geringer Anzahl vorhandene, die sich auch einzeln im Weichteil 
finden, sind glatt und in gleichen, nicht sehr grossen Abständen 
an den Enden zweimal geknickt, drittens giebt es leicht gebogene, 
in der Mitte verdickte Nadeln. Die Gemmulae liegen überall im 
Schwamm zerstreut. Bemerkenswert ist, dass an ihnen Nebenpori 
vorkommen, deren drei bis sechs gesehen wurden. Ungefähr jede 
zehnte Gemmula hat neben dem Hauptporus einige seitliche 
Trichter. 

Dieser aus Vejdovsky und Retzer entnommenen Beschreibung 
fügen wir nur hinzu, dass der Schwamm auch grössere, verzweigte 
Äste treibt und dass unter den doppelt geknickten Gemmulae- 
nadeln auch fein bedornte vorkommen. — Vejdovsky hat diese 
Retzersche Art beibehalten. Wierzejski4#4) betrachtet dieselbe nur 
als eine „lokale Form, vielleicht eine Abnormität der Zuspongilla 
lacustris“. Wir schliessen uns der Auffassung, dass man es hier 
mit einer Lokalform zu thun habe, an. 


b) Untergattung Spongella (Wierzejski). 


Zwei bis dreissig Gemmulae liegen in einer stark entwickelten, 
deutlich zelligen Luftkammerschicht eingebettet oder die Gemmulae 
bilden eine pflastersteinartige Kruste in ebenso gestalteter Luft- 
kammerschicht an der Basis des Schwammes. In der Luftkammer- 
schicht liegen rauhe und glatte Nadeln zerstreut. 


3 Pa 4 


Die Süsswasserschwämme. 215 


2. Spongilla fragilis (Leidy) (Fig. 39). 
Der Schwamm ist nie verzweigt und scheint meist eine glatte 
Oberfläche zu haben. Die Farbe ist weisslich, hellgrau, graubraun, 
braun, seltener grün. Die Skelettnadeln sind fast gerade oder nur 
leicht gebogen, scharf zugespitzt und glatt. Die 
Spongiolinsubstanz ist schwach entwickelt, der Schwamm 
ist daher sehr leicht zerreissbar. Die Belagsnadeln 
der Gemmulae bilden eine dichte Kruste auf ihr, sie 
sind gerade oder gekrümmt und tragen viele kleine 
Dornen. Sie übertreffen gewöhnlich an Länge und 
Dicke diejenigen von Zusp. lacustris. Die kleinen, 
rundlichen Gemmulae tragen ein verlängertes, gewöhn- 
lich etwas gebogenes Porusrohr, welches aus der dicken 
Luftkammerschicht hervorragt. Die grossen Zellen 
der Luftkammerschicht sind radiär um die Gemmulae 
geordnet. Diese erscheinen in zwei Formen, die an 
der Basis des Schwammes liegenden sind flach, die 
im Schwammkörper in Gruppen zu zwei oder drei 
bis dreissig und mehr vereinigten Gemmulae bilden 
kugelige oder halbkugelige Massen. 


Lebt in stehendem und fliessendem Wasser und 
gehört in Deutschland zu den gemeineren Arten. 


B. Unterfamilie Meyeninae (Carter.) 


Gemmulae gewöhnlich einzeln. Sie sind von 


einer Luftkammerschicht umgeben, in welcher Amphi- A 
2 Ber & ig. 39. 
disken (Stäbe mit einer Querscheibe an jedem Ende) in Spongrtla 

Jragılıs (Leidy). 

Nach einem in 

Die Amphidisken haben gezackte oder ganze Ränder. Alkohol konser- 

vierten Stück. 

2 ; B 4 l/, natürl. Gr. 

II. Gattung Trochospongilla (Vejdovsky). (Tegelsee, 6. Juli 


1888.) 


einer oder in mehreren Lagen übereinander vorkommen. 


Ausgezeichnet durch die glatten (bei einer aus- 
ländischen Art) oder rauhen Skelettnadeln und durch den glatten 
Rand der Amphidisken, welche an der Basis einer hohen Luft- 
kammerschicht eingebettet liegen. 


916 Die Süsswasserschwämme. 


3. Trochospongilla erinaceus (Ehrenberg) (Fig. 40). 

Der Schwamm überzieht als weissliche oder strohgelbe Kruste 
von geringerer oder grösserer Ausdehnung fremde Körper. Die 
Skelettnadeln sind scharf zugespitzt und bis auf die beiden Enden 
mit sehr starken Dornen besetzt. Die Spongiolinsubstanz ist stark 
entwickelt und setzt dem Zerreissen des Schwammes einen Wider- 
stand entgegen, der grösser als bei den übrigen Meyeninen ist. Die 
Amphidisken haben die Form einer Garnspule. Die Luftkammer- 
schicht besteht aus radiär gestellten Säulen, deren jede aus über- 
einander liegenden Zellen gebildet wird. In dieser Schicht liegen 
oft Nadeln, welche den Gerüstspikula gleichen, 
aber von geringeren Dimensionen sind. 

Auch diese Art lebt in stehenden und 
fliessenden Gewässern Deutschlands und scheint 
selten zu sein. Sie wurde bei uns bisher ge- 
funden: Sabor in Schlesien (Ehrenberg), Spree 
in Berlin (Lieberkühn, Weltner), Tegelsee bei 
Berlin (Weltner), Hellensee beiLanke (Weltner). 


III. Gattung Zphydatia (Lamouroun). 


Fig. 40. 


Trochaibenigiile vers: Die Skelettnadeln sind entweder ganz glatt 


naceus (Ehrenberg) oder ganz rauh oder es finden sich beide Sorten 
nach Vejdovsky. r ’ 7 £ Ä 

1/,natürl. Grösse, in einem Schwamm. Die mit gezackten Rändern 

versehenen Amphidisken liegen in ein-, zwei- oder 

selbst dreifacher Schicht in der Luftkammerschicht. Die Amphi- 

disken sind entweder alle von gleicher Länge oder sie sind ungleich 


lang. Fleischnadeln vorhanden oder fehlend. 


4. Ephydatia Mülleri (Lieberkühn). 

Diese Art bildet Krusten mit einer glatten oder unregel- 
mässigen Oberfläche, an der man oft kurze Zapfen (Fig. 41) oder 
blattförmige oder mäandrisch gewundene Fortsätze sieht. Selten 
scheinen verzweigte Exemplare vorzukommen. Die Farbe ist weiss, 
gelb, gelbbraun oder hellgrün. Die Skelettnadeln sind entweder 
ganz glatt oder ganz rauh, oder es finden sich sowohl glatte als 
rauhe Nadeln in ein und demselben Schwamme. Die Rauhigkeit 


Die Süsswasserschwämme. 217 


der Nadeln ist entweder nur eine geringe oder sie tritt sehr 


deutlich als kleine Höcker auf, die aber stets kleiner sind als 


bei Zrochosp. erinaceus. Die Nadeln 
sind gerade oder schwach gekrümmt, 
scharf zugespitzt und zu Bündeln ver- 
einigt, deren Kittmasse weniger stark 
als bei der eben genannten ist. Die 
Luftkammerschicht ist in geringerer 
oder grösserer Mächtigkeit vorhanden. 
Die Amphidisken bilden entweder nur 
eine, zwei oder selten drei Lagen um 
die Gemmula. Im letzteren Falle 
ist die dritte Lage keine ununter- 
brochene Die Amphidisken haben 
einen dicken Schaft; die Zähne der 
Endscheiben sind entweder glatt oder 
an ihren Rändern gezähnt. — 
Ganz charakteristisch für diese Art 
sind die Blasenzellen des Weich- 
teiles, welche modifizierte, mit einer 
sehr grossen, amylumhaltigen Flüssig- 
keitsalveole ausgestattete Zellen der 
Bindesubstanzschicht sind [Wier- 
zejski#3)]. 


Diese Art wurde von Lieber- 
kühn nach Exemplaren aus der 
Spree aufgestellt. Die Amphidisken 
der in diesem Flusse lebenden Zpn. 
Müller! zeigen einen kurzen Schaft 
und Endscheiben, welche wenig aber 
tief eingezackt sind. 


Fig. 41. 

Ephydatia Müller! (Lieberkühn). 
Y/ynatürl. Grösse, nach einem ge- 
trockneten Exemplar. 
(Tharandt, Schlossteich.) 


In stehenden und fliessenden Gewässern verbreitet in ganz 


Deutschland. 


218 Die Süsswasserschwämme. 


5. Zphydatia fluwviatilis (Autt.). 

Krustenförmige Massen von sehr wechselnder Gestalt bildend, 
es kommen ganz flache Krusten vor, daneben andere, die mehr 
klumpige Form erreichen. Die Oberfläche ist entweder glatt (Fig. 42) 
oder mit seichten Buckeln, oder mit spitzigen kurzen Fortsätzen 
(Fig. 43), oder mit rippenförmigen, öfters gewundenen Erhabenheiten 


Fig. 42. Fig. 43. 
Ephydatia fluviatilis (Autt.) Ephydatıa fluviatılis (Autt.) 
nach dem Leben. !/,natürl. Grösse. nach einem in Alkohol konserv. Stück. Y/, natürl. Grösse. 
(6. Juni 1890, Tegelsee.) (Spree, Berlin: Waisenbrücke, 26. Aug. 1886.) 


versehen. Wenn der Schwamm Verzweigungen zeigt, so rühren 
diese von dem Substrat her, welches derselbe überzogen hat 
(Fig. 44). 

Die Farbe ist smaragdgrün, hellgrün, hellisabellgelb, schmutzig- 
weiss oder weiss. Die glatten, schlanken, allmählich oder plötzlich 
scharf zugespitzten, leicht gekrümmten Skelettnadeln sind wie bei 


Die Süsswasserschwämme., 219 


Sp. fragilis nur durch wenig Spongiolinsubstanz mit einander ver- 
bunden; der Schwamm ist daher leicht zerreissbar und brüchig. 
Öfters finden sich unter den Nadeln auch kurze, dicke oder auf- 
fallend lange und dicke Formen. Die 
Gemmulae sind gelblich und haben eine 
dicke Hülle, die Luftkammerschicht hat 
eine äussere Kutikulla.. Die Amphidisken 
sind daher ganz in der Luftkammerschicht 
eingeschlossen und bilden eine einfache 
Lage in derselben. Der Schaft ist dünn, 
glatt oder bedomt und oft in der Mitte 
etwas eingezogen. Er ist doppelt so lang, 
als der Durchmesser der Scheiben beträgt. 
Diese sind am Rande durch ihre zahl- 
reichen, nicht tiefen Einschnitte aus- 
gezeichnet. Doch finden sich häufig 
Exemplare, bei denen die mit langem 
Schafte ausgestatteten Scheiben nur wenige 


tiefe Einschnitte zeigen. 
Sehr gemein in stehenden und fliessen- Fig. 44. 

1 . . Ephydatia fluviatilis. 
den Gewässern in Deutschland. Auch im A1koholexemplar, !/, natürl. 
Brackwasser, so in der Untertrave bei Grösse. (29. Nov. 1886, Spree, 

3 Berlin, 4 Fuss tief.) 
Travemünde, deren Wasser 0.34 %/o Salz- 
gehalt zeigt (Lenz). Auch in der Dievenow bei Cammin in 
Pommern, welche bis zu der genannten Stadt von dem ein- 
dringenden Seewasser durchschnittlich 2—3mal im Monat während 


eines Jahres schwach versalzt werden soll (Weltner). 


6. Ephydatia bohemica (Petr). 


Der Schwamm bildet kleine grüne Polster. Die Skelettnadeln 
sind gerade oder leicht gekrümmt und mitunter fein bedornt. Diese 
Art ist durch ihre zahlreichen Fleischnadeln von den übrigen 
Meyeninen unterschieden. Die Nadeln sind gerade oder ein wenig 
gebogen und mit dornenähnlichen, oft am Ende gerundeten Fort- 
sätzen bewehrt. Die Gemmulae tragen eine grosse Pore, deren 


220 Die Süsswasserschwämme. 


Rand nach oben in einen breiten Trichter ausläuft, selten ist an 
Stelle des Trichters ein kurzes Rohr entwickelt. Die Amphidisken 
sind fast alle gleich lang, die längeren ragen über die Luftkammer- 
schicht hervor. Ihre gedornten Schäfte sind schlank und länger 
als der Durchmesser der Scheiben, welche ziemlich regelmässig und 
tief gezackt sind. Die Zacken sind fein gekerbt. 

Dieser Schwamm, welcher vielleicht nur eine Übergangsform 
zu der folgenden Gattung darstellt, ist bisher nur bei Kvasetice im 
Bezirk Deutschbrod (Böhmen), an Zuspongilla lacustris sitzend, 
von Fr. Petr gefunden. 


IV. Gattung Carterius (Potts). 

Mit glatten Skelettnadeln und dormnigen Fleischspikula. Die 
Gemmulae tragen ein langes, gerades Porusrohr, dessen Spitze eine 
unregelmässig gelappte Scheibe trägt. In der Luftkammerschicht liegen 
Amphidisken von zweierlei Länge, die einen haben eine Länge, welche 
der Dicke der Luftkammerschicht gleichkommt, die anderen sind 
länger und ragen mit ihrer Scheibe über jene Schicht hinaus. 


7. Carterius Stepanowi (Dybowski) (Fig. 45). 

Der Schwamm ist nur von geringen Dimen- 
sionen und bildet (selbständige?) Verzweigungen. 
Die Farbe ist blassgrün. Die Skelettnadeln sind 
glatt, gerade oder gebogen und scharf zugespitzt. 
Die zahlreich vorhandenen Fleischnadeln haben eine 
gebogene oder gerade Gestalt und sind mit Domen 
besetzt, welche in der Mitte der Nadel am stärksten 
sind. Das Porusrohr an den Gemmulae ist gerade 
oder leicht gebogen und endet in eine gelappte 
Scheibe. Die Luftkammerschicht besteht aus 
zahlreichen kleinen Zellen. Es sind zweierlei 


Fig. 45. 
ee Amphidisken vorhanden; die längeren, über die 
(Dyb.). Y/snatürl. . 3 
Grössen.d.Leben. Oberfläche der Gemmula hinausragenden betragen 


Nach i ; : - i 
aan Ba) etwa ein Drittel oder die Hälfte aller Amphi- 


disken, welche sämtlich an den Schäften mıt starken Dornen be- 
wehrt sind. 


Die Süsswasserschwämme. Bel 


Gefunden in Europa bisher nur in einem See (Wilikoje) bei 
Charkow (Dybowski) und in einem Teich bei Deutschbrod in 
Böhmen (Petr). 


Anhang. 


Wir müssen hier noch einer von Joseph erwähnten Spongilla 
stygia gedenken. Diese neue Form wurde in der Grotte Gurk in 
Unterkrain von Joseph gefunden und ist völlig durchsichtig. Die 
Nadeln sind glatt und an einem Ende keulenförmig verdickt. Nach 
Marshall$6®) sollen dieGemmulae wirklich fehlen. Es wäre wünschens- 
wert, diese neue Art genauer zu studieren. 


Tabellen zur Bestimmung von Spongilliden sind nach dem 
jeweiligen Standpunkte unserer Kenntnis dieser Tiere von 
Dybowski 18786), Vejdovsky3#4, Potts und Girod1P) ge- 
geben worden. Wir entwerfen hier einen Schlüssel für die 
europäischen Formen. 


Gemmmlaesmit. Amplürdisken 0.2. 22.0: ILL 
Gesimplae ohne ‚Amphidisken... +... . .... en 
Die Ränder der Amphidisken sind ganzrandig, Skelett- 
nadeln mit starken Dornen besetzt 
Trochospongilla erinaceus. 
Die Ränder der Amphidisken sind gezackt, Skelettnadeln 
glatt oder rauh . 


[697 


Fleischnadeln vorhanden; unter den Amphidisken lassen 
sich deutlich zwei Sorten, längere und kürzere, unter- 
scheiden 


(5) 


Fleischnadeln Elend: erpkiisken me Selen! öeich 
Fa Re en EN N ER Lee a Le er 
Porus der Gemmula in ein langes Rohr ausgezogen 
Carterius Stepanowr. 
Porus der Gemmula in einen breiten Trichter ausgehend 
oder (selten) in eine kurze Röhre verlängert 
Ephydatia bohemica. 


156) 
m —— —— 


999 Die Süsswasserschwämme. 


Amphidisken mit langem Schaft, Endscheiben meist mit 
zahlreichen aber nicht sehr tiefen Einschnitten. Luft- 
kammerschichtt mit dünner Kutikula umschlossen. 
Skelettnadeln glatt. Spongiolinsubstanz schwach ent- 
wickelt... 9,100 nen N Eilordalia JURmaEls- 

Amphidisken mit kurzem Schaft, Endscheiben oft nur 
mit wenigen aber tiefen Einschnitten. Luftkammer- 
schicht ohne äussere Kutikula. Skelettnadeln glatt 
oder rauh oder beide Sorten vorhanden. Spongiolin 
ziemlich reichlich . . . . ..... Zphydatia Müllerı. 


/ Gemmulae zu 2—30 in Gruppen in einer dicken, deutlich 

zelligen Membran eingeschlossen. Der grösste Teil 

der Gemmulae bildet an der Basis des Schwammes 

eine kontinuierliche einfache Lage, in einer ebenso 

5 gestalteten Membran eingebettet. Fleischnadeln fehlen 
Spongilla Jragılıs. 

Gemmulae immer einzeln in den Maschen des Schwamm- 

gerüstes steckend. Fleischnadeln vorhanden 

Euspongilla lacustrıs. 


7. Verbreitung. 


Wenn diejenigen Spongien, welche man, vielleicht nicht ganz 
mit Recht, als eine eigene Familie der Spongillidae anderen Familien 
gegenübergestellt hat, auch vorzugsweise Bewohner des süssen 
Wassers sind, so haben wir doch schon erfahren, dass auch ein- 
zelne Arten im brackischen Wasser leben können. Wir fügen dem 
jetzt hinzu, dass auch in den Gewässern Floridas Spongilliden ge- 
funden worden sind, welche gelegentlich in versalztem Wasser zu 
leben gezwungen sind (Potts 1890). Ja, es fehlt auch nicht an 
solchen Arten, die sowohl das süsse Wasser als das Meer be- 
wohnen, da die von Pallas im Baikalsee entdeckte Spongra 
baicalensis (Pall.) nunmehr auch im Behringsmeer entdeckt worden 
ist (Dybowski). 


Die Süsswasserschwämme. 223 


Alle Süsswasserschwämme leben vorzugsweise auf festen, ab- 
gestorbenen oder doch nicht mehr lebenden Gegenständen; eine 
Auswahl wird dabei nicht getroffen. Es kommt ihnen nicht darauf 
an, einen alten Schuh, einen Nagel, ein Stück Leder, einen Fetzen 
Tuch, eine alte Muschel oder Eierschale zur Unterlage zu benutzen. 
Seltener wachsen sie auf lebenden Baumwurzeln oder Konchylien. 
Schlamm ist ihr ausgesprochener Feind und nur Potts erwähnt 
einen Fall, in welchem sich eine Spongillide auf Schlammboden 
angesiedelt hatte. Auch in der Spree lebt Zusp. lacustris im 
Schlamm; an solchen Exemplaren ist aber stets der im Schlamme 
steckende Teil abgestorben. 

Die Tiefen, in denen diese Schwämme leben, sind sehr ver- 
schieden. Bei uns werden sie dicht unter der Wasseroberfläche 
gefunden und sie steigen bis 4 m hinab. Forel fand im Lac 
de Joux noch in 20 m Tiefe eine Spongillide, vermisste die 
Schwämme aber in der Tiefenregion des Genfersees (von I5 m an 
bis zur grössten Tiefe des Sees von 334 m). Auch bei uns scheinen 
die Schwämme in der Tiefe der Seen zu fehlen; Grundproben, in 
denen Schwammnadeln gefunden wurden, beweisen nicht das Vor- 
kommen von lebenden Schwämmen am Boden, da, wie wir in der 
Einleitung erwähnt haben, absterbende Spongillidenstücke häufig auf 
der Wasseroberfläche treiben können. Dagegen hat Dybowski 
den Baikalseeschwamm in einer Tiefe von 100 m gefunden. Dieser 
Schwamm ist hier in 2—6 m Tiefe rasenförmig, in 6—25 m baum- 
oder strauchförmig und in 25—100 m wieder rasenförmig. Fügen 
wir noch hinzu, dass die im Bodensee in 12—ı35 Klaftern Tiefe 
lebende Spongilla friabilis von Wartmann (Esper, „Pflanzen- 
thiere“ II. 1794), das sogenannte „Fischbrot“, wohl kaum ein 
Schwamm ist, so hätten wir über die Tiefenverhältnisse das wich- 
tigste erwähnt. 

Wir haben schon Gelegenheit gehabt, den Einfluss des Lichtes 
auf die Farbe unserer Schwämme zu betonen. Viele und wohl 
die meisten sind am Lichte lebend grün. Andere ebenfalls dem 
Lichte ausgesetzte zeigen statt des grünen ein braunes Pigment, 
welches ganz anders gestaltet ist als jenes. Sowohl die grünen als 


294 Die Süsswasserschwämme. 


die braunen Formen sind an immer beschatteten Lokalitäten gelblich 
oder gänzlich farblos. Kräpelin sammelte gelbliche und farblose 
Exemplare in den Röhren der Hamburger und de Vries reinweisse 
Stücke in den Kanälen der Rotterdamer Wasserleitung. 

Die Höhen, in denen Süsswasserschwämme vorkommen, 
erstrecken sich nach den bisherigen Beobachtungen bis auf etwa 
1900 m. Al. Brandt erwähnt (Zool. Anzeiger 1879 u. 1880) ihr 
Vorkommen in zwei armenischen Alpenseen. In zahlreichen Seen 
der Schweiz hat man sie gefunden (Du Plessis-Gouret, Forel, 
Imhof). Sie fehlen auch in unseren Gebirgsseen nicht, wie ihr 
Vorkommen im Schwarzwald (Retzer) und in den Maaren der Eifel 
(Zacharias) beweist, während sie im Kleinen und Grossen Teiche 
des Riesengebirges vermisst werden. 


Die Art der V.eerbrestung. 


Die Verbreitung kann durch Teilung, Larven und Gemmulae 
geschehen. Was es mit der Teilung auf sich hat, ersieht man 
aus den Auseinandersetzungen auf S. 200. — Die Verbreitung 
durch Larven und Gemmulae wird bei den in Flüssen lebenden 
Schwämmen vorwiegend auf passivem Wege geschehen; die Fort- 
pflanzungskörper werden, dem Laufe des Stromes folgend, fluss- 
abwärts schwimmen, bis sie an einem Gegenstande haften bleiben. 
Nur in den stillen Buchten können die Larven, wie es im allge- 
meinen in den von der Strömung weniger beeinflussten Teichen 
und Seen der Fall ist, aktiv zur Verbreitung der Art dienen. Auch 
hier wird diese eine langsame sein, da die Larven schwerlich grössere 
Reisen in horizontaler Richtung auszuführen imstande sind. Dazu 
ist ihre Schwärmzeit zu kurz. Wir haben zwar Larven, welche im 
Oktober ausgeschwärmt waren, noch längere Zeit lebend im 
Aquarium beobachtet; nach tagelangem Umherirren starben sie aber, 
ohne sich festzusetzen, am Boden des Gefässes ab. 

Weit wichtiger für die räumliche Verbreitung der Art sind die 
Gemmulae und wir sehen nun, dass diese einem doppelten Zweck 
dienen. Sie ermöglichen erstens die Fortexistenz der Spezies 
überhaupt (s. oben S. 201) und zweitens deren Verbreitung. 


Die Süsswasserschwämme. 225 


Wenn es auch eine Anzahl Arten giebt (z. B. Sp. fragılis und 
Troch. erinaceus bei uns), bei denen ein Teil der Gemmulae ganz 
fest an ihre Unterlage gekittet ist, so fallen doch auch hier die 
lose im Skelett liegenden aus, wie es bei den meisten Gemmulae 
der übrigen Arten der Fall ist. Es wird also an einem Süsswasser- 
schwamm der eine Teil der Gemmulae den Schwamm an derselben 
Stelle wieder erzeugen, an welcher der Mutterschwamm wuchs, der 
andere Teil der Gemmulae wird zerstreut. Isoliert man frische, 
ausgebildete Gemmulae unserer Arten, so sieht man, dass der eine 
Teil an die Oberfläche des Wassers steigt, während der andere 
untersinkt. Wir kennen die Ursache dieser Erscheinung noch nicht, 
obwohl schon Turpin (1838) schwimmende Gemmulae bekannt 
waren. — Die Art, in welcher die sich vom Schwamme loslösenden 
Gemmulae verbreitet werden können, hängt vom Bau der Hüllen 
dieser Körper ab. Sie ist in einer kurzen Schrift vorzüglich erläutert 
worden [Marshall?6)], deren Resultate wir hier wiedergeben. 

Bei einer Anzahl tropischer Arten sind die Gemmulae mit 
einer dicken Luftkammerschicht ausgerüstet. Zur Zeit der Trocken- 
heit werden solche Gemmulae leicht durch den Wind hinweggetragen 
und zerstreut. „Passiv beweglich mit aörostatischem Apparat — 
Flugform (der trockenen Jahreszeit).“ 

Dann giebt es Gemmulae, welche auf dem Wasser schwimmend 
zur Verbreitung dienen. Das ist z. B. bei Zusp. lacustris der 
Fal. Die Gemmulae dieser Kategorie tragen Belagsnadeln, 
mit denen sie sich hie und da anheften. „Passiv bewegliche 
Schwimmform mit Ankerapparat zum Treiben auf der Oberfläche 
vor dem Winde.“ 

Wieder andere Gemmulae, z. B. Zphyd. fluviatilis, sind durch 
ihren Amphidiskenbelag schwerer und besser geschützt als die der 
vorhergehenden Sorte. Sie sinken zu Boden und werden fort- 
gerollt; sie kommen ihrer Schwere wegen eher zur Ruhe. „Schwimm- 
form mit Hemmapparat zur langsamen Fortbewegung in fliessen- 
dem Wasser.“ 

Die geologische Verbreitung der Spongilliden scheint sich bis 
‘in den Jura zu erstrecken. Wenigstens weisen einige Nadeln, die 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 15 


e 


226 Die Süsswasserschwämme. 


man in jurassischen Süsswasserablagerungen gefunden, darauf hin 
(Young). Auch hat Carter im Diluvium von Altmühl in Bayern 
Nadeln beschrieben, welche fast ganz den Spikula von Spongılla 
Mackayı gleichen. 


8. Parasiten und Kommensalen der 
Süsswasserschwämme. 


Zur Zeit der Gemmulabildung stellen sich zahlreiche niederste 
Tiere ein, um an dem im Zerfall begriffenen Weichteil unserer 
Schwämme Mahlzeit zu halten. Lieberkühn hat eine Anzahl 
solcher Wesen aufgeführt, welche er besonders. in Spongilliden zur 
Winterzeit antraf. Wir wiederholen ihre Namen nicht, da ihre 
Reihe nicht erschöpfend ist und wir selbst durch Hinzufügen einiger 
anderer die Liste nicht beenden würden. 


Dagegen leben an und in einer frischen, in üppigem Wachstum 
befindlichen Spongillide eine Anzahl Organismen, die wir zweckmässig 
in zwei Gruppen sondern: Parasiten und Kommensalen. 


Der Parasiten sind nur wenige. Dybowski schildert einen 
Flohkrebs, den er Gammarus parasıticus nennt, und der auf der 
Oberfläche des von uns schon so oft genannten Süsswasserschwammes 
des Baikalsees lebt. Dieses Tier ist von grüner Farbe und wird, 
wenn man es isoliert hält, gelblich. Es nährt sich also von dem 
grünen Pigment (Zoochlorellen) der Spongillide. Auch eine andere 
Art, einen Gammarus violaceus Dyb., ebenfalls vom Baikalsee, 
lernen wir durch diesen Forscher als einen gelegentlichen Bewohner 
des Schwammes kennen, er zeigt sich dann in grüner Färbung, 
var. virens. — Ein anderer Parasit ist von Jackson in England 
beobachtet. Es ist ein peritriches Infusor, Cyclochaeta spongillae 
tauft es der Autor, welches auf der Oberfläche und den ober- 
flächlichen grünen Partien der Zuphyd. fluviatilis \ebt. — Ein 
diesem sehr nahestehendes Infusor, vielleicht eine Trichodina, lebt 
nach Alenitzin in Süsswasserschwämmen (Bütschli, Bronn, „Klass. 
u. Ordn. d. Tierreichs“. Bd. I, p. 1808). 
ein Tier vom Süsswasserschwamm. Zur Winterzeit sammelt man 


Auch bei uns nährt sich 


Die Süsswasserschwämme. 2927 


öfters im Tegelsee Exemplare des perennierenden Schwammes, welche 
grosse Gänge einer Phryganidenlarve zeigen. Wir haben ein 
solches Exemplar mit zwei dieser Larven in Fig. 46 abgebildet. 
Diese Tiere fressen sich gewöhnlich vom Rande her 
in den Schwamm hinein und bohren sich mit dem 
Kopfe so tief in das Gewebe, dass man die Ge- 
häuse erst ablösen muss, um der Tiere selbst sicht- 
bar zu werden. Sie nähren sich, vielleicht aus Not, 
von dem grünen Schwamme, denn sie zeigen einen 
grüngefärbten Leib. Sie scheinen seit ihrer Erwäh- 
nung von Pallas, „Elenchus Zoophytorum“, 1766, 
nicht wieder gefunden worden zu sein. 

Als einen Übergang von Symbiose zum Para- 
sitismus bezeichnen M. und A. Weber40) das Vor- 
kommen einer Fadenalge Trentepohlia (Chroolepus) 
spongophila, in Süsswasserschwämmen Sumatras. 


Fig. 46. 
BR Eph. Fluviatilis 
von Zphyd. fluviatilis und erzeugen besonders um (Lbkn.) von Phry- 


Diese grünen Algen leben in farblosen Exemplaren 
. 2 £ . ganiden angefres- 
die Oskula herum grüne Flecke. Ausser dieser Alge n. Zwei ders. 
erwähnen die genannten Autoren noch eine An- sieht man unten 
N links in ihrem 
zahl anderer, welche nur gelegentliche Gäste der tütenförm., gebo- 
Shearaid Sind genen Gehäuse. 
2 ie (20. Novbr. 1887. 
Als Kommensalen der Spongilliden sind uns De "/snat. 
IOSSe, 

nur folgende bekannt geworden. Sehr häufig lebt 
in den Kloakenhöhlen oder in grösseren Löchern der Schwämme, 
und wie es scheint besonders in Zphyd. fhwiatilis, die Larve einer 
Neuroptere: Sısyra (Branchiotoma) spongillae Westw. Sie wurde 
in den Süsswasserschwämmen von Hogg entdeckt und steckt mit 
dem Kopfe nach aussen gerichtet im Schwamme. — Weit häufiger 
als dieses Tier lebt ein anderes auf der äusseren Haut unserer 
Schwämme. Man kann einige hunderte gezüngelter Würmchen, 
Nais proboscıdea, von ein und demselben Schwammexemplar 
erhalten. — Einige Male trafen wir auch eine kleine Cladocere 
aus der Gruppe der Lynceiden auf der äussern Haut des Schwam- 
mes an. Besonderes Interesse verdient ein unscheinbares, nur 

15. * 


228 Die Süsswasserschwämme. 


0.02 mm langes, aber in der Spongillide sehr häufig anzutreffendes 
Tierchen. Es ist eine Acinetine: Podophrya fixa, welche schon 
Lieberkühn erwähnt. Wir haben kaum einen Schwamm unter- 
sucht, in dessen Kanälen dieses Tier nicht zugegen war. Am 
lebenden Schwamm kann man es beobachten, wie es geduldig an 
ein und derselben Stelle der Kanalwand festgeheftet sitzt, seine 
langen Saugröhrchen nach Beute ausstreckend. Welcher Art ist 
diese Nahrung? Nährt sich das Tier von den eingedrungenen, 
zerfallenen organischen Bestandteilen oder muss es auf die günstige 
und, wie wir glauben, seltene Gelegenheit lauern, ein eingedrungenes 
Infusor oder ein anderes Glied aus der Reihe der Protozoen zu 
erhaschen? Oder ist es gar ein Parasit des Schwammes? — Wir 
haben nur selten ein gestieltes Exemplar dieser Podophrya zu 
Gesicht bekommen und müssen es unentschieden lassen, ob wir in 
ihm die ungestielte Abart der Podofhrya fixa oder die Podofhrya 
hbera Perty zu erblicken haben. — Ganz im Gegensatze hierzu 
steht das Vorkommen von Milbenlarven (Atax? Noll), die wohl 
eher einen Schutz, als Nahrung, in den Kanälen des Schwammes 
suchen. Sie scheinen nicht allzuhäufig zu sein, obwohl sie auch 
bei Berlin mehrmals gefunden wurden. 


9. Das Sammeln, Konservieren und Unter- 
suchen von Spongilliden. 


Bei dem Sammeln von Süsswasserschwäimmen kommt es auf 
den Zweck an, den man dabei verfolgt. Wünscht man sich nur 
die Schwämme als Schaustücke für Sammlungen zu beschaffen, so 
muss man natürlich ganze, möglichst unverletzte Exemplare zu 
erhalten suchen und das ist im allgemeinen viel schwieriger als das 
Sammeln von Material, welches man zu anatomisch-histiologischen 
oder entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen braucht, für welche 
unversehrte Schwammexemplare nicht nur unnötig, sondern sogar 
ungeeignet sind. 


Bei hohem Wasserstande oder bei tief wachsenden 
Schwimmen kann man sich manchmal nur durch Tauchen helfen, 


Die Süsswasserschwämme. 329 


_ 


um die Stücke in gutem Zustande an die Oberfläche zu bringen. 
In’ anderen Fällen, wenn die Schwämme an losen Gegenständen, 
Baumreisern, Brettern, Steinen etc., sitzen, genügt ein bootshaken- 
ähnliches Instrument, an welchem unten ein Beutel befestigt ist. 
Wir haben auch am Grunde der Spree mit dem Schleppnetz 
manch schönes Stück erhalten, allen man ist dabei zu sehr dem 
Zufall anheimgegeben. Die an grossen Balken, Pfeilern etc. angehefteten 
Stücke wird man zweckmässig mit dem Kratzer ablösen, falls man 
sie nicht mit dem Messer abheben kann. Die so erhaltenen 
Exemplare sind zwar nie ganz vollständig erhalten, aber doch noch 
brauchbar. Übrigens wird es bei öfteren Besuchen eines an 
Spongilliden reichen Wassers auch einmal gelingen, ihnen mit der 
Hand bequem beizukommen. — Das Sammeln der Schwämme 
geschieht zweckmässig zweimal im Jahre. Im Frühling oder Herbst 
findet man die Gemmulae in den Schwämmen, letztere sind in 
den Sommermonaten am üppigsten entwickelt. Wir möchten auch 
das Augenmerk auf die perennierenden Spongilliden richten. Oft 
haben wir uns in den Wintermonaten, auf der klaren, dünnen 
Eisdecke liegend, an dem Anblick erfreut, den solch ein kleiner 
Wald abgestorbener Schilfstengel, welche mit schön grün gefärbten 
Schwämmen besetzt sind, am Grunde des Tegelsees bietet. 

Die auf die eine oder andere Art gesammelten Exemplare 
kann man trocken oder in Spiritus aufbewahren. Die zu trock- 
nenden tötet man zweckmässig sofort nach dem Entnehmen aus 
dem Wasser in starkem Alkohol und trocknet sie erst nach einigen 
Stunden an der Luft. Man erhält so ein gutes Präparat, an dem 
vorzüglich die äussere Haut als glänzende Membran hervortritt 
(Möbius). Will man einen Schwamm in Spiritus aufbewahren, 
so muss man den Alkohol, in welchem das Stück abgetötet wurde, 
nach einigen Stunden mehrmals wechseln. Das Abtöten geschieht 
in 960/0o-Alkohol, da der Schwamm äusserst wasserhaltig ist; zum 
Konservieren genügt 75°/o-Spiritus. Um einen Schwamm, den 
man zu konservieren wünscht, zu töten, ist es nötig, schnell zu 
verfahren. Man wählt sich in dem von Spongilliden bewohnten 
Wasser ein gutes Exemplar aus, löst es unter Wasser von seiner 


230 Die Süsswasserschwämme. 


Unterlage oder bringt es mit derselben bis an die Wasseroberfläche 
und zieht es nun schnell aus dem Wasser, schwenkt es behutsam 
von dem in den Kanälen steckenden Wasser aus und bringt es 
schnell in Alkohol. Hat man nur kleinere Stücke und viel Alkohol 
zur Verwendung, so braucht man den Schwamm nicht erst von 
seinem eingesogenen Wasser zu befreien. Jedenfalls ist ein längeres 
Betrachten eines aus dem Wasser gezogenen Schwammes nicht am 
Platze; wer den Schwamm im Leben kennen lernen will, muss ihn 
im Aquarium beobachten, und wer Bau und Struktur zu erkennen 
wünscht, muss sich gutes in Alkohol konserviertes Material be- 
schaffen. Um ein solches zu anatomischen und histiologischen 
Untersuchungen des Weichteiles zu erhalten, kann man nicht die 
ganzen Schwämme verwenden. Man braucht hierzu kleine bis Im 
grosse Stückchen, die man unter Wasser aus dem Schwamme aus- 
schneidet und sofort in absol. Alkohol oder in 96 %/vigem, den man 
aber bald wechseln muss, abtötet (F. E. Schulze). Noch besser 
werden die Zellen einer Spongillide fixiert, indem man die Stückchen 
in Überosmiumsäure oder Sublimatlösung bringt, auswäscht und in 
starkem Alkohol konserviert. Man muss dann solche Stücke in 
Böhmerscher Hämatoxylinlösung oder in Boraxkarmin färben, um 
die Einzelheiten zu erkennen. Für manche Teile ist eine Doppel- 
färbung nötig, z. BB um den Kern der reifen Eier und ihrer 
Furchungskugeln vom Dotter unterscheiden zu können. Fiedler 
hat hierüber das Nähere angegeben. Derselbe Autor hat zum 
Abtöten der Spongillidenstückchen verschiedene Mittel angewandt. 
Man wird aus der Arbeit Fiedlers?) ersehen, dass man zur Er- 
kennung verschiedener Strukturen verschiedene Wege einschlagen 
muss. Die so vorbereiteten Stücke werden mittels des Mikrotoms 
in dickere und dünnere Schnitte zerlegt. 

Die nach dieser Methode gewonnenen Resultate muss man 
unbedingt am lebenden Schwamm kontrollieren. Man wird sich 
dann überzeugen, was natürlich ist und was künstlich hervorgebracht 
war. Um den Schwamm im Leben anatomisch zu studieren, kann 
man sich eines jungen, aus einer Gemmula oder Larve gezogenen 
bedienen. Oder man kann auch grössere, bis 1/2 cm grosse Stücke 


Die Süsswasserschwämme., 231 


verwenden, die man auf folgende Weise erhält. Aus einem ganz 
frischen Schwamme schneidet man schnell mit einem scharfen 
Messer senkrecht zur Oberfläche dünne Scheiben von 1/a—2 mm 
‘“ Dicke. Diese setzt man in ein kleines mit Wasserpflanzen (Elodea) 
besetztes Aquarium auf Objektträger. Nach einigen Tagen haben 
solche Stücke Haut und Oskulum neu entwickelt und sind meist 
an dem Glase festgewachsen. Man nimmt nur diejenigen aus dem 
Aquarium, deren Öskularrohr an der Seite liegt, bedeckt sie mit 
einem Deckglas und kann lange Zeit an ihnen Beobachtungen 
machen. Nur muss man darauf achten, ob aus dem Oskulum 
beständig der Wasserstrom austritt, um sicher zu gehen, dass man 
einen lebenden Schwamm vor sich hat. Man wird sich nun von 
der Formveränderlichkeit aller zelligen Elemente des Schwammes 
überzeugen. ,„Zvery lwing part of the sponge that is soft ıs 
subject to polvmor phısm.“ Carter. 

Den Bau des Skelettes erkennt man, indem man von dem im 
Alkohol konservierten Material mit der Hand dünne Schnitte macht 
und diese in absoluten Alkohol, Terpentin und dann in Kanada- 
Balsam bringt. Der zwischen dem Gerüste liegende Weichteil stört 
zwar, aber man ist sicher, von dem Skelett nichts verloren zu haben. 

Ausserdem muss man sich aber vom Weichteil ganz befreite 
Gerüstpräparate in folgender Weise beschaffen. Man nimmt dazu 
einen frischen Schwamm, aus dem man in verschiedenen Richtungen 
dünne Scheiben schneidet. Diese maceriert man bei Ofenwärme 
in starkem Ammoniak (zuerst von F. E. Schulze bei Hormn- 
schwämmen angewandt). Die Lösung des Weichteils geschieht sehr 
schnell. Man erhält das Skelett rein, indem man sehr behutsam 
mit Wasser und dann mit Alkohol auswäscht. Um die Spongiolin- 
substanz sichtbar zu machen, färbt man mit Eosin oder Karmin. 
Bei der Maceration fallen immer eine Anzahl Nadeln aus, man 
vergleicht deshalb diese Präparate mit denen, an welchen Gerüst 
und Weichteil vorhanden sind. Noll hat zum Macerieren Eau 
de Javelle angewandt, Girod 10) gebraucht auch Sodalösung. Das 
erstere wirkt sehr energisch und zerstört oft mehr als man wünscht. 
— Die Herstellung der Präparate von isolierten Nadeln geschieht 


N 2 a 4 ee 


232 Die Süsswasserschwämme. 


durch Kochen eines Stückchens der Spongillide in Salzsäure. Ist 
alles zerfallen, so füllt man das Reagensglas mit Wasser voll, 
schüttelt um und lässt absetzen. Das Auswaschen muss so lange 
fortgesetzt werden, bis das Wasser säurefrei ist. Die Nadeln bettet 
man in Kanada-Balsam ein; in Glycerin oder Glyceringelatine treten 
sie nicht hervor. Bei dem Auswaschen verliert man viele Belag- 
nadeln der Gemmulae. Die Fleischnadeln von Zusf. lacustris 
gehen, wenn man schnell verfährt, fast ganz verloren. Man muss 
deshalb auch Zupfpräparate vom Schwamme untersuchen. Dagegen 
bietet Zus?. Jacustris, und zwar nur diese Art, die Möglichkeit, 
ein vollständiges Skelettgerüst grösserer Teile des Schwammes dar- 
zustellen. Da hier die mächtig entwickelte Spongiolinsubstanz in 
Kalilauge unlöslich ist, so kann man grössere Zweige hierin kochen 
und erhält sehr zierliche weisse Gerüstbäumchen. Verwendet man 
zum Kochen eine starke Kalilauge, so bleibt von dem Skelett nichts 
als die Spongiolinsubstanz zurück, weil die Lauge die Nadeln 
(Kieselsäureanhydrit) auflöst. In solchen Präparaten treten dann 
die Nadeln als Lücken in der Kittmasse hervor (Dybowski). 

Die Struktur der Gemmulaschale lehren Dünnschnitte kennen, 
die man nicht zu färben braucht. Um den Bau des Keimes zu 
erforschen, muss man Dünnschnitte einer Doppelfärbung unterwerfen, 
sonst lassen sich Kerne und Dottermaterial kaum von einander 
unterscheiden. Auch hier muss man zur Kontrolle das lebende 
Objekt untersuchen. 

Die Entwickelung des jungen Schwammes aus der Larve wird 
am besten mit dem Horizontalmikroskop verfolgt. Daneben sind 
Dauerpräparate anzufertigen. 

Auf die Einzelheiten der hier angegebenen Manipulationen gehen 
wir nicht weiter ein. Die wenigen Bemerkungen werden genügen mit 
dem Hinweise, dass man das Übrige aus den Arbeiten Lieberkühns 
und Carters, ferner bei Potts, Girod1P), Fiedler und Maas 2%) 
ersehen kann. Und endlich probiert jeder, kontrolliert die von 
anderen angegebenen Methoden und findet selbst die Mittel und 
Wege, mit und auf denen er zum Ziele kommt. 


Litteratur. 


Ein vollständiges Verzeichnis der Arbeiten über Süsswasser- 
schwämme existiert nicht. Man findet Litteratur bis zum Jahre 1842 
bei G. Johnston, A history of British Sponges and Lithophytes. 
Eine Liste der Arbeiten bis 1852 hat W. Dybowski, Studien über 
die Süsswasserschwämme des russischen Reiches in Mem. Acad. 
Imp. St. Petersbourg, VII® serie, T. XXX, No. 10 gegeben. Beide 
Verzeichnisse sind zwar nicht erschöpfend, aber man kann mit ihnen 
weiterarbeiten. Wem die Abhandlung von Dybowski nicht zur Hand 
ist, kann sich die Litteratur aus den Verzeichnissen über Spongien- 
werke von Bowerbank, A Monograph of the British Spongiadae, 
Vol. 4. 1882, dann besonders von G. C. J. Vosmaer, Spongien, 
Bronns Klassen und Ordnungen des Tierreichs, II. Bd. 1882—-87, 
und von R. v. Lendenfeld, A Monograph of the Horny Sponges. 
London 1889, beschaffen. In dem zuletzt genannten Werke findet 
man eine vorzügliche Zusammenstellung aller wichtigen Arbeiten 
über Spongien. — 

Die Litteratur über die grünen Körper der Spongilliden 
ersieht man aus K. Brandt, Über die morphologische und physio- 
logische Bedeutung des Chlorophylis bei Tieren. Mittlg. Zool. Stat. 
Neapel, Bd. 4. 1883. — Wir fügen diesem Verzeichnis noch hinzu: 
J. E. Gray, On the Situation and Rank of Sponges in the Scale 
of Nature. The Zool. Journ. Vol. I. 1824. 

In folgendem geben wir nur ein Verzeichnis der wichtigeren 
Werke, welche nach Carters erster Arbeit (1848) erschienen sind. 
Die Zahlen vor den Autornamen beziehen sich auf die Verweise 
in unserem Texte. 


ı) J. S. Bowerbank, Further Report on the Vitality of the 
Spongiadae. Rep. 27. Meeting Brit. Assoc. Advanc. Sc. 1857, 
p. 121—ı125. London 1858. 

2) H. J. Carter, dessen zahlreiche Arbeiten in den Annals 
and Magazine of Natural History, London. Vol. I, p. 303—311. 
1848. — Vol. 4, p. 81—100. 1849. — Vol. 14, p. 334—335. 
1854. — Vol. 17, p. 101— 127. 1856. — Vol. 18, p. 39—45 


234 Die Süsswasserschwämme. 


1856. — Vol. 20, p. 21—41. 1857. — Vol. 3, p. I—20. 1859. — 
Vol. 3, p- 331—343. 1859. — Vol. 14, p. 97—1ııı. 1874. — 
Vol. 16, p. I—40. 1875. — Vol. Io, p. 362—372. 1882. — 
Vol. 12, p. 329—333. 1883. — Vol. 15, p. 18—20. 1885. 

3) W. James Clark, The American Spongilla, a craspedote, 
flagellate Infusorian. Americ. Journ. Sc. Vol. 2, p. 426—436. 1871. 


4) W. Dybowski, Studien über die Spongien des russischen 
Reiches mit besonderer Berücksichtigung der Spongienfauna des 
Baikalsees. M&m. Acad. Imper. Sc. St. Petersbourg, VII° serie, 
T. 27, No. 6, p. ı—71. 1880. 

5) W. Dybowski, Studien über die Süsswasserschwämme des 
russischen Reiches. Das., T. 30, No. 10, 26 p. 188. 

6) W. Dybowski, dessen Arbeiten in den Sitzungsberichten 
der Naturforschenden Gesellschaft zu Dorpat. Bd. 4, 1878, p. 
527—534. Vol. 6, 1884, p. 507—515. Vol. 7, 1885—86, 
P- 44—45, p. 64—75, p. 137—139, p. 295—298. Ferner im 
Zoolog. Anzeig. Jahrg. 7, 1884, p. 470 —480. 

7) K. Fiedler, Über Ei und Spermabildung bei Spongilla 
fluviatilis. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 47, p-: 85— 128. 1888. 

8) W. Ganin, Beiträge zur Kenntniss und Entwickelung der 
Spongien. Warschau 1879. 88 p. (Russisch!) 

9) P. Girod, Les Eponges des Eaux douces d’Auvergne. 
Trav. Labor. Zool. Girod. Clermont-Ferrand. T. ı. ıı p. 1888. 

10) P. Girod, Les Spongilles. Leur recherche, leur pr&paration, 
leur determination. Revue scientif. Bourbonnais et du Centre de la 
France T.. 2, I19D., 2880, 

ı1) Al. Goette, Untersuchungen zur Entwickelungsgeschichte 
von Spongilla fluviatilis. Hamburg und Leipzig. 64 p. 1886. 

ı2) Fr. Hilgendorf, Zwei Arbeiten in Sitzungsberichte Ges. 
Naturf. Fr. Berlin 1882, p. 26. — 1883, p. 87—90. 

ı3) @. H. Hinde, On some new Species of Uruguaya, Carter, 
with Remarks on the Genus. Ann. Mag. Nat. Hist. Vol. 2, p. 
I—1ı2. 1888. 

ı4) H. Jackson, On a New Peritrichous Infusorian (Cyclo- 
chaeta spongillae). Quart. Journ. Mier. Sc. Vol. 15, No. 5, p. 
243—49.' 1875. 

ı5) C. Keller, Ueber den Bau von Reniera semitubulosa Ow. 
Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 30, p. 503—586. 1878. 

ı6) C. Keller, Ueber Spermabildung bei Spongilla. Zool. Anz. 
Jahrg. 1, p. 314—315. 1878. 


Litteratur. 235 


17) E. Ray Lankester, On the Chlorophyll-corpuscles and 
amyloid Deposits of Spongilla and Hydra. Quart. Journ. Micr. Sc. 
Vol. 22, p. 229—254. 1882. 

18) R. v. Lendenfeld, Die Süsswasser-Cölenteraten Australiens. 
Zool. Jahrb. Vol. 2, p. 87—1ı08. 1887. 

19) R. v. Lendenfeld, Experimentelle Untersuchungen über 
die Physiologie der Spongien. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 58, 297 p. 
1889 (Referat im Biol. Centralbl. Bd. 10. 1890). 

20) N. Lieberkühn, dessen zahlreiche Arbeiten im Archiv für 
Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin von Joh. Müller. 
1856, p. I—19, p. 399—414, P. 496—514. — 1857, p. 376 
bis 403. — 1859, p. 353—382, p. 515529. — 1863, p. 717 
bis 730. — 1865, p. 732—748. — 1867, p. 74—86. 

2ı) N. Lieberkühn, Ueber Protozoen. Zeitschr. wiss. Zool. 
PAS 09307. 310511857. 

22) N. Lieberkühn, Ueber Bewegungserscheinungen der Zellen. 
Schrift. Ges. Beförd. Gesammt. Naturw. zu Marburg. Vol. 9, p. 335 
bis 385. 1872. (Die Arbeit erschien schon 1870.) 

23) O0. Maas, Zur Metamorphose der Spongillalarve. Zool. 
Anz. Jahrg. 12, p. 483—487. 1889. 

24) O0. Maas, Über die Entwicklung des Süsswasserschwamms. 
Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 50, p. 527—554. 18090. 

25) W. Marshall, Über einige neue von Herrn Pechudl- 
Loesche aus dem Congo gesammelte Kieselschwämme. Jenaische 
Zeitschr. für Naturw. Vol. 16, p. 553—577. 1883. 

26) W. Marshall, Einige vorläufige Bemerkungen über die 
Gemmulae der Süsswasserschwämme. Zool. Anz. Jahrg. 6, p. 630 
bis 634, p. 648—352.. 1883. 

27) W. Marshall, Vorläufige Bemerkungen über die Fort- 
pflanzungsverhältnisse von Spongilla lacustris. Sitzungsber. Naturf. 
Ges. Leipzig. Jahrg. 1884, p. 22—.29. 

28) Ed. v. Martens, Ueber einige Östasiatische Süsswasserthiere. 
Arch. f. Nat. Jahrg. 34, Bd..ı, p. 617—64. 1868. 

29) E. Metschnikoff, Spongiologische Studien. Zeitschr. wiss. 
Zool. Bd. 32, p. 349—387. 1879. 

30) F. C. Noll, Beiträge zur Naturgeschichte der Kiesel- 
schwämme. .Abh. Senckenb. Nat. Ges. Bd. 15. 58 p. 1888. 

31) Fr. Petr, drei Arbeiten in Sitzungsber. kön. böhm. Ges. 
Wiss. Prag. Math.-naturw. Klasse. 1885, p. 99—ııı. — 1886, 
p. 147—174. — 1887, p. 203—214. 


236 Die Süsswasserschwämme: Litteratur, 


32) Edw. Potts, Contributions towards a Synopsis of the 
American Forms of Freshwater Sponges, with descriptions of those 
named by other authors and from all parts of the world. Proceed. 
Acad. Nat. Sc. Philadelphia 1887, p. 158—279. (Hauptwerk über 
Systematik. Enthält auch die zahlreichen früheren Arbeiten von 
demselben Autor; viele interessante Beobachtungen über die Biologie.) 

33) W. Retzer, Die deutschen Süsswasserschwämme. Inaug.- 
Diss. 30 p. Tübingen 1883. 

34) F. Vejdovsky, Die Süsswasserschwäimme Böhmens. Ab- 
handl. kön. Akad. Ges. Wiss. Math.-nat. Kl. Prag. Vol. ı2. 
44 p. 1883. 

35) F. Vejdovsky, drei Arbeiten in Sitzungsber. kön. Böhm. 
Ges. Wiss. Nat. Kl. Prag. 1883, p. 328—340. — 1884, p. 167 
bis 172. — 1886, p. 175—180. 

36) F, Vejdovsky, Einiges über Spongilla glomerata. N. Zool. 
Anz. Jahrg. 9, p. 713—15. 1886. 

37) F. Vejdovsky, Diagnosis of the European Spongillidae. 
Erschien in dem Werk von Potts, No. 30, p. 172—-I8o. 

38) @. C. J. Vosmaer, Spongien. Bronns Kl. u. Ordn. d. 
Tierreichs. II. Bd. 1882—87. 498 p. 

39) M. Weber, Spongillidae. des indischen Archipels. Zool. 

Ergebnisse einer Reise in Niederl. Ost-Indien. ı. Heft, p. 30—47. 
“ Leiden 1890. 

40) M. u. A. Weber, Quelques nouveaux cas de Symbiose. 
Das. p. 48—72. 

41) W. Weltner, Zwei Arbeiten in Sitzungsber. Ges. Naturf. 
Freunde Berlin. 1886, p. 152—157. — 1888, p. 18—.22. 
‚..42) A. Wierzejski, Le developpement des Gemmules des 
Eponges d’eau douce d’Europe. Arch. Slav. Biol. T. 1, p. 23 bis 
47. 1886. 

43) A. Wierzejski, Bemerkungen über Süsswasserschwämme. 
Zool. Anz. Jahrg. ı0, p. 122—1ı26. 1887. 

44) A. Wierzejski, Beitrag zur Kenntnis der Süsswasserschwämme. 
Verh. Zool.-bot. Ges. Wien. Jahrg. 1888, Bd. 38, p. 529— 530. 

45) John T. Young, On the occurence of a Freshwater 
Sponge in the Purbeck Limestone (Spongilla purbeckensis). The 
Geolog. Magaz. Vol. 5, p. 220—221. 1878. 


Die Strudelwürmer (Turbellaria). 


Von Dr. Otto Zacharias in Plön (Holstein). 


er 


Ze mit den im nächsten Kapitel zu schildernden 
Rädertieren (Rotatoria) machen die Turbellarien einen ansehnlichen 
Bestandteil der Süsswasserfauna aus, und es dürfte wohl kaum 
einen Bach, Fluss, Tümpel oder See geben, worin nicht wenigstens 
eine oder die andere Art jener kleinen, abgeplatteten Würmchen 
zu finden wäre, deren Körperoberfläche mit einem dichten Wimper- 
besatze ausgestattet ist. Die einzelnen Cilien dieser flimmernden 
Hautbedeckung wirken wie zahllose winzige Ruder und ermöglichen 
es den Tierchen, gewandt und schnell durchs Wasser zu gleiten. 
Dabei entsteht in unmittelbarer Nähe derselben ein beständiger 
Strudel, der durch eingestreute Karminkörnchen für jedes Auge 
sichtbar gemacht werden kann. Wegen dieses eigentümlichen 
Nebenumstandes, der mit der Ortsbewegung jener Geschöpfe ver- 
knüpft ist, nennt man dieselben „Strudelwürmer‘“ oder Turbellarien 
— eine Bezeichnung, die nicht ohne Weiteres verständlich ist. 


Um sich derartige Tiere zu verschaffen, braucht man bloss 
dem nächstgelegenen Teiche Wasserpflanzen (besonders Fadenalgen 
und Meerlinsen) zu entnehmen und dieselben — mit Wasser von 
derselben Lokalität übergossen — in geräumigen Glasschalen ruhig 
stehen zu lassen. Schon nach einigen Stunden wird man bei 
dieser Prozedur *die Wahrnehmung machen, dass zahlreiche Würm- 
chen aus dem Pflanzengewirr hervorkommen und nun an den 
Wänden der Glasgefässe langsam umherkriechen. Von da können 


240 Die Strudelwürmer. 


sie leicht mit einem Spatel oder mit Hilfe eines Glasröhrchens 
weggenommen werden. 


Im allgemeinen sind die stehenden Gewässer reicher an Tur- 
bellarien als die fliessenden, und während in manchen Wasser- 
ansammlungen nur einige wenige Arten gefunden werden, giebt es 
wieder andere, die eine Fülle von verschiedenen Spezies darbieten. 
Letzteres ist z. B. der Fall hinsichtlich des kleineren von den beiden 
bekannten Hochseen des Riesengebirges; hier habe ich selbst das 
Vorkommen von nicht weniger als 19 Turbellarienspezies fest- 
gestellt 1), darunter solche, die zu den allerseltensten gehören. Und 
dabei ist jener See (im Volksmunde „Kleiner Koppenteich“ genannt) 
nur etwa 255 Ar (= Io Morgen) gross. 


Alle Strudelwürmer des Süsswassers haben ihren Aufenthalt in 
der Uferzone oder auf dem Grunde der Seen und Teiche. Im 
freien, pflanzenleeren Wasser findet man sie niemals, mit einziger 
Ausnahme von Castrada radıata, einer winzigen, glashell durch- 
sichtigen Form, welche eine bedeutende Schwimmfähigkeit besitzt. 
Diese Spezies habe ich mehrfach mit dem feinen Netz aus der 
Mitte des Müritz-Sees (in Mecklenburg) gefischt. 


Was die Jahreszeit anlangt, welche für den Turbellarienfang 
am geeignetsten ist, so hat man die Erfahrung gemacht, dass im 
Hochsommer weniger Spezies gefunden werden, als im zeitigen 
Frühjahr und besonders kurz nach der Schneeschmelze. Diese 
Wahrnehmung bestätigt sich nicht bloss bezüglich der Gewässer 
des flachen Landes, sondern auch an den Gebirgsseen. Den Grund 
für diese Erscheinung hat man höchst wahrscheinlich mit in dem 
Umstande zu erblicken, dass während der heissen Sommermonate 
der Sauerstoffgehalt der meisten Wasseransammlungen stark ver- 
ringert ist, oder vielleicht auch darin, dass die zu jener Zeit leb- 
hafter vor sich gehende Zersetzung vegetabilischer Stoffe vielen 
Arten verderblich wird. 


z 


Die Strudelwürmer. 241 


Allgemeines. 


Bei einem Blicke auf die Turbellarienfauna unserer Gewässer 
unterscheidet man sogleich zwei Haupttypen, nämlich einesteils 
grössere platte Würmer von I—2 cm Länge, bei denen ein 
baumförmig verästelter Darm durch die Haut hindurch wahrnehm- 
bar ist, und andernteils kleine (nur wie winzige Fadenfragmente 
aussehende) Würmchen, deren Verdauungskanal eine einfach 
gestreckte (stabartige) oder sackähnliche Gestalt besitz. Man 
unterscheidet demgemäss rhabdocöle 
und dendrocöle Strudelwürmer. 
Letztere werden ihres abgeflachten 
Körpers halber auch „Planarien“ ge- 
nannt. Fig. 47 und 48 veranschau- 
lichen in schematischer Weise die den 
Darmtractus (d) betreffenden Unter- 
schiede.e Damit sind aber bei beiden 
Hauptabteilungen auch noch andere 
Abweichungen im Bau verbunden, die 


wir sogleich etwas näher ins Auge 
fassen wollen. Fig. 47. Fig. 48. 


A. Rhabdocoela. 
(Rhabdocoelida, L. v. Graff.) 


Wenn man einen zu dieser Gruppe zählenden Strudelwurm 
seiner augenfälligsten Beschaffenheit nach skizzieren soll, so kann 
das etwa wie folgt geschehen. Ein solches Tier besitzt einen 
schlauchförmigen Körper und einen in diesen eingeschlossenen 
Behälter (Darm) für Aufnahme und Verdauung der Nahrung. Die 
Mundöffnung ist je nach den einzelnen Gattungen bauchständig 
(Mesostoma) oder‘ terminal (Vortex). Alle Rhabdocöliden sind 
afterlos.. Zwischen Darm und Leibesschlauch liegen die Fort- 
pflanzungsorgane, welche ‘einen zwitterartigen Charakter tragen. 
Die Begattung ist dieser Einrichtung gemäss stets eine wechsel- 
seitige. In manchen Gattungen (Microstoma, Stenostoma) kommt 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 16 


ENTE 


242 Die Strudelwürmer. 


aber neben der geschlechtlichen auch eine ungeschlechtliche Ver- 
mehrung vor und letztere bildet mehrfach sogar die Regel. Das 
zierliche Meerlinsenkettchen (Catenula lemnae) z. B. pflanzt sich 
ganz ausschliesslich auf diese Weise fort. 

Zum ‘besseren Verständnis des Geschlechtsapparates der 
Rhabdocölen diene die untenstehende Abbildung (Fig. 49), in welcher 
die hauptsächlich in Betracht kommenden Teile desselben schema- 
tisch dargestellt sind. 

Die zentral liegende Geschlechtsöffnung (Ag) führt zunächst in 
das Atrium genitale (a), einen erweiterungsfähigen Hohlraum, der 
jederseits den Ausführungsgang des Keim- 
und Dotterstockes (ks und ds) aufnimmt, 
während sich an seinem oberen (resp. vor- 
deren) Ende das männliche Zeugungsorgan (P) 
inseriert, welches mit den beiden Hoden (A) 
in Verbindung steht. Die reife Keimzelle 
gelangt nach ihrer Ablösung vom Keimstocke 
in jenes Atrium und nimmt hier eine ent- 
sprechende Portion Dottermasse in sich auf. 
Dann erfolgt die Befruchtung durch ein 


anderes hermaphroditisches Individuum der 
nämlichen Spezies, welches seinen Penis (/) 


Fig. 49. 
Schema des Geschlechts durch den Porus genitalis bei fg einführt. 
Ir Die Umhüllung des nunmehr entwickelungs- 
fähig gewordenen Eies mit einer schützenden Chitinschale — zu 
welcher das Material von besonderen Drüsen oder vom Zellenbelag 
der Atriumwand geliefert wird — bildet den Schluss zu diesen 
Vorgängen. 


Die geschilderten Verhältnisse finden wir indessen nur bei 
den höchstorganisierten Rhabdocöliden-Familien (bei Mesostomiden, 
Vorticiden u. s. w.), während z. B. die einfacher gebauten Macro- 
stomiden (Fig. 52 S. 256) der gesonderten Dotterstöcke ermangeln 
und lediglich Ovarien besitzen. An letzteren zeigt aber der 
untere Abschnitt die merkwürdige Eigenschaft, Dotterkörnchen 
produzieren zu können, sodass die heranreifenden Keimzellen jenes 


Die Strudelwürmer. 243 


Sekret aus ihrer unmittelbaren Umgebung zu beziehen und sich 
auf Kosten desselben zu vergrössern im stande sind. 

Zwischen diesem primitiven Verhalten und dem Geschlechts- 
apparate mit vollständig getrennten Keim- und Dotterstöcken ver- 
mittelt der bei Prorhynchus stagnalıs vorliegende Fall, wo sich 
die einheitliche Eierstocksdrüse in zwei verschieden funktionierende 
Abschnitte differenziert hat, von denen der eine bloss Keimzellen, 
der andere nur Dotterflüssigkeit sezerniert. Durch räumliche 
Sonderung jener beiden Drüsenhälften, also durch eine allmählich 
eingetretene Arbeitsteilung zwischen denselben, haben wir uns die 
zuerst beschriebene und in Fig. 49 dargestellte Einrichtung hervor- 
gegangen zu denken. 

Bei der Mehrzahl der Rhabdocöliden besteht eine Duplizität 
der weiblichen Geschlechtsdrüsen;, doch giebt es auch einige 
Gattungen (Vortex, Mesostoma, Gyrator), bei denen sie nur ın 
einfacher Anzahl erscheinen. Eine Reduktion der männlichen 
Drüsen ist seltener zu konstatieren, doch kommt sie gleichfalls bei 
Gyrator und noch einigen anderen Gattungen vor. 

Zur genaueren Orientierung über den Bau der Turbellarien ist 
es erforderlich, dass wir nach Betrachtung der Generationsorgane 
nun auch den ungegliederten, weichen Körper und den Verdauungs- 
apparat derselben einer näheren Analyse unterziehen. Ersterer 
besteht, wenn wir bei unserer Untersuchung von innen nach aussen 
gehen, aus einem mächtig entwickelten Hautmuskelschlauche, 
dessen Zusammensetzung aus Längs- und Querfasern, welche 
parallel und unmittelbar an einander liegen, schon den älteren 
Forschern bekannt war. Jene Fasern besitzen bei 0.0005 bis 0.002 mm 
Breite eine oft sehr bedeutende Länge; wenigstens lassen sich an 
Zupfpräparaten nicht selten Fragmente von 0.; bis 0.9 mm isolieren. 
Ihrer sonstigen Beschaffenheit nach sind sie homogen, stark licht- 
brechend, glatt und kernlos.. Je nach den einzelnen Arten und 
Gattungen weist der Hautmuskelschlauch eine verschiedene An- 
ordnung seiner Elemente auf. Bei manchen Spezies liegen die 
Längsfasern zu innerst und werden von einer äusseren Ringfaser- 
schicht umgeben. Dies ist z. B. der Fall bei Mesostoma Zhrenber gu. 

16* 


en a. 


77 


244 Die Strudelwürmer. 


Bei einer nahe verwandten Art (Mesostoma lingua) befindet sich 
zwischen beiden Schichten noch eine solche aus Diagonalfasern, 
und bei Microstoma lineare ist die Zusammensetzung des Muskel- 
netzes gerade umgekehrt, nämlich so, dass die Längsfasern die 
äussere, die Ringfasern die innere Schicht bilden. Auf diesen 
(seiner Gestalt nach sehr veränderungsfähigen) Muskelschlauch folgt 
die sogenannte Basalmembran, ein gallertartiges Häutchen von 
feinkörniger Struktur, welches dem Turbellarienkörper Festigkeit 
verleiht und zugleich dem darüber liegenden Epithel zur Unter- 
lage dient. 

Letzteres besteht aus einer einfachen Zellenlage, deren einzelne 
Elemente durch eine Kittsubstanz mit einander verbunden sind. 
Zwischen ganz flachen Epithelzellen und hohen cylindrischen 
existieren bei den verschiedenen Spezies alle möglichen Übergänge. 
Jede solche Zelle besitzt, je nach ihrer Gestalt, einen scheiben- 
oder spindelförmigen Kern und mehrere feine Protoplasmafortsätze 
(Cilien), die in ihrer Gesamtheit das charakteristische Wimperkleid 
darstellen, womit die Körperoberfläche aller Strudelwürmer bedeckt 
ist. Bei manchen Spezies lässt sich über dem Epithel noch eine 
äusserst feine Kutikula nachweisen, welche mit zahllosen winzigen 
Öffnungen für den Durchtritt der Cilien versehen ist. ‘Mit Hilfe 
einer einprozentigen Höllensteinlösung habe ich dieses äusserst zarte 
Gebilde an frischen Exemplaren von Macrostoma viride, Microstoma 
Iineare und Stenostoma leucops deutlich sichtbar gemacht. Man 
lässt zu diesem Zwecke einen einzigen Tropfen jener Flüssigkeit 
unter das Deckglas laufen und kann dann unterm Mikroskop wahr- 
nehmen, wie sich jenes glashelle, doppelt contourierte Häutchen 
auf einzelnen Strecken oder auch im ganzen Umkreise des Wurmes 
binnen wenigen Minuten abhebt. Bei der zuletzt genannten Art 
geschieht die Loslösung so schnell, dass zur Herstellung des be- 
treffenden Präparates oft nur einige Sekunden erforderlich sind. 

Ausser den Cilien kommen bei gewissen Gattungen von 
Rhabdocöliden auch noch längere, borstenähnliche Epithel- 
fortsätze vor, die vielfach zitternde oder schwingende Bewegungen 
ausführen. Bei Macrostoma virıde (Fig. 52) sind diese „Geissel- 


Die Strudelwürmer. 245 


haare“ über den ganzen Körper verbreitet; die längsten stehen 
aber am vorderen und hinteren Ende des Tierchens. Das Gleiche 
sehen wir bei Macrostoma hystrix und anderen Vertretern des- 
selben Genus. Auch bei der von E. Sekera neuerdings beschrie- 
benen Bothrioplana alacrıs?) finden wir (am vorderen Saume des 
Kopfes) starre Borsten, die — wie es den Anschein hat — zur 
Vermittelung von Tastempfindungen dienen. 

Als eigentümliche Einlagerungen treten in der Haut bei fast 
allen Strudelwürmern des Süsswassers ausserordentlich winzige 
Stäbchen (Rhabditen) auf, welche — zu kleinen Paketen oder 
Bündeln vereinigt — sich über die gesamte Leibesoberfläche ver- 
teilen. Ihre Entstehung nehmen diese bald nadel-, bald keulen- 
förmigen Gebilde in besonderen Zellen, die dem zwischen Darm 
und Hautmuskelschlauch sich ausspannenden Bindegewebe, welches 
als Parenchym bezeichnet wird, angehören. Von hier aus rücken 
die Stäbchen auf eine noch nicht hinlänglich festgestellte Weise bis 
zum Epithel vor und dringen in die Zellen desselben ein, wo sie 
dauernd verbleiben. Bei manchen Rhabdocöliden ist auch das 
Parenchym selbst mit zahlreichen Rhabditen durchsetzt, und sie 
bilden dann im Innern desselben ganze Reihen oder Strassen, die 
gewöhnlich im Vorderende der betreffenden Tiere zusammenlaufen. 
Das sieht man deutlich bei mehreren Mesostomiden, z. B. bei 
M. rostratum und M. vırıdatum. 

Eine mikroskopische Analyse des Parenchyms ergiebt, dass 
dasselbe aus Muskelfasern, Bindegewebssträngen und mehrfach ver- 
ästelten Zellen besteht, die gleichfalls bindegewebiger Natur sind. 
Erst durch die Methode der Schnittserien war es möglich, die 
einzelnen Bestandteile des Parenchyms festzustellen und ein Lücken- 
system innerhalb desselben nachzuweisen, welches von einer farb- 
losen, blutartigen Flüssigkeit erfüllt ist. Diese besitzt aber keine 
selbständige Zirkulation, sondern wird lediglich durch die Kontrak- 
tionen des Hautmuskelschlauchs gelegentlich in Bewegung versetzt. 

Sehr häufig sind die Fasern des Parenchymgewebes mit 
Pigmentkörnchen durchsetzt, und es kommt dann das zu stande, 
was v. Graff3) sehr passend „reticuläre Pigmentierung“ genannt 


246 Die Strudelwürmer. 


hat. Hiervon rührt die dunklere Färbung der Rückenfläche bei 


manchen Rhabdocölen her, die niemals in den epithelialen Zellen 
ihren Sitz hat — obwohl dies bei flüchtiger Ansicht so scheinen 
könnte. 

Im Parenchym ist auch das Gehirnganglion der Turbellarien 
gelegen oder, richtiger gesagt, es ist in dieses Gewebe meistenteils 
vollständig. eingebettet. Seinem feineren Baue nach besteht das- 
selbe aus einer Anhäufung von feinkörniger oder zartfaseriger 
Substanz und einer Rinde von Ganglienzellen mit runden oder 
auch ovalen Kernen. Zwei Längsnervenstämme, die vom Gehirn 
abgehen und zu beiden Körperseiten verlaufen, sind bei zahlreichen 
Rhabdocölen nachgewiesen; bei einigen Spezies hat man auch 
mehrfache Kommissuren, welche die Hauptstämme mit einander 
verbinden, vorgefunden. 

Hinsichtlich des Parenchyms ist noch zu bemerken, dass es 
bei den verschiedenen Gattungen in mehr oder minder starker 
Entwickelung angetroffen wird. Wir kennen Formen, deren Leibes- 
höhlung so gut wie frei von parenchymatösen Muskeln und Binde- 
gewebsbalken ist, während andere wieder das gerade Gegenteil 
solchen Verhaltens darbieten. 

Was nun schliesslich den Verdauungsapparat der Rhabdo- 
cölen anlangt, so besteht derselbe aus Schlund (Pharynx) und 
Darm. Letzterer ist nach dem Parenchym zu entweder durch 
eine bindegewebige Scheide abgegrenzt, oder er besitzt eine Muskel- 
ausstattung, an welcher wir — wie beim Hautschlauche — Längs- 
und Ringfasern unterscheiden können. Das Darmlumen ist mit 
einem kontinuierlichen Epithelbelag ausgestattet, dessen Zellen 
membranlos sind, und die an ihrer Basis rundliche, resp. ovale 
Kerne besitzen. Gewöhnlich ist dieses Epithel an der unteren 
(ventralen) Seite des Darmes etwas höher als an der oberen. Die 
einzelnen Zellen desselben erscheinen häufig an ihrem freien Ende 
keulig verdickt und mit zahlreichen Fetttröpfchen erfüllt. Was die 
Verdauung und Assimilation der in den Darm aufgenommenen 
Nahrungsobjekte anlangt, so scheinen die grösseren Epithelzellen 
kleine organische Partikelchen direkt in sich aufnehmen zu können, 


Die Strudelwürmer. 247 


indem sie dieselben nach Art der Rhizopoden (vergl. Kapitel 3) 
mit ihrem. Protoplasmaleibe umfliessen. Es fände demnach in 
diesem Falle eine sogenannte „intracelluläre Verdauung“ statt. Diese 
Ansicht wird durch darauf bezügliche Experimente von Isao 
Ijima (jetzt Professor an der Universität Tokio) zu fast voll- 
kommener Gewissheit erhoben. Dr. Ijima fütterte Planarien mit 
dem Dotter von Hühnereiern und fand bald darauf die gefressenen 
Dotterkugeln überall in den Zellen der Darmverzweigungen seiner 
Versuchs-Dendrocölen wieder. Auch entdeckte derselbe Forscher, 
dass der Darmkanal bei Dendrocoelum lacteum, welcher so deut- 
lich durch die Haut sichtbar ist, seine schwärzliche Beschaffenheit 
von kleinen Schlammteilchen erhält, welche eingeschlürft und in 
die Epithelzellen mit aufgenommen worden sind). Was in diesem 
Bezug für die Planarien experimentell erwiesen ist, darf ohne 
Zweifel auch für die Rhabdocöliden als gültig angesehen werden, 
zumal Krukenberg auch an mehreren Zoophyten die Aufnahme 
von Fremdkörpern durch die Entodermzellen konstatiert hat. 

Zum Ergreifen oder Einschlürfen der Nahrung besitzen alle 
Turbellarien ein dickmuskulöses, kompliziert gebautes Organ, den 
Schlund (Pharynx), welcher entweder die Gestalt eines stark- 
wandigen Rohres oder diejenige eines zwiebelartigen Bulbus hat. 
Die übergrosse Mehrzahl der Rhabdocölen ist mit einem Pharynx 
bulbosus ausgestattet, der bei den Mesostomiden eine plattgedrückte 
kugelige Form zeigt und sich, von oben her gesehen, wie eine 
Rosette ausnimmt. Das ist der sogenannte Pharynx rosulatus. 
Seine Achse steht stets senkrecht auf der Längsachse des Körpers. 
Eine Modifikation desselben ist der allen Vorticiden zukommende 
tonnenförmige Schlund (Pharynx doliformis). In seinem feinen 
Bau ist er dem vorigen sehr ähnlich, aber doch auch leicht wieder 
von ihm zu unterscheiden, weil er im ganzen eine stärker ent- 
wickelte Muskulatur besitzt. Ausserdem ist seine Achse der 
Körperachse immer parallel, oder doch nur wenig gegen dieselbe 
geneigt. Mit seiner Spitze ist das Schlundtönnchen in den weit- 
aus meisten Fällen dem Vorderende des Wurmleibes zugekehrt. 
Hierzu kommt noch der Pharynx varıabılıs, dessen Merkmal eine 


248 Die Strudelwürmer. 


grosse Fähigkeit zu Gestaltveränderungen ist, insofern er mannig- 
fache Windungen und Krümmungen auszuführen vermag und ausser- 
dem weit hervorgestülpt werden .kann. Einen derartigen Schlund 
finden wir bei dem merkwürdigen //agiostoma Lemani, einer 
Rhabdocöle von marinem Habitus, die aber im Süsswasser lebt 
und von Prof. F. A. Forel zuerst im Genfersee entdeckt wurde. 
In der Familie der Monotiden, welche gleichfalls nur einen einzigen 
Vertreter im salzfreien Wasser hat*), begegnet uns eine Schlund- 
form, die als Pharynx plicatus bezeichnet wird. Der hauptsächlichste 
Unterschied zwischen dieser und den anderen Pharyngealformen 
besteht darin, dass bei ihr der zwischen innerer und äusserer 
Muskelschicht gelegene Raum in offener Verbindung mit der Leibes- 
höhle steht, und nicht — wie beim Ph. bulbosus — gegen letztere 
abgeschlossen ist. Der Monotidenschlund stellt demnach eine blosse 
Ringfalte der Körperhaut dar, die indessen eine grosse Beweglich- 
keit zeigt und sich in überraschender Weise rüsselartig ver- 
längern kann. 


Zuletzt müssen wir auch noch des Wassergefässsystems 
gedenken, welches in Gestalt eines zarten Röhrennetzes mit zwei 
stärkeren Hauptstämmen den Turbellarienkörper vom vordern bis 
zum hintern Ende durchzieht. Die einzelnen Verästelungen des- 
selben zu verfolgen ist mit mannigfaltigen Schwierigkeiten verknüpft, 
und daraus erklärt es sich, dass wir bei manchen Spezies noch 
sehr wenig über den Gesamtverlauf dieser Röhrenleitung wissen. 
Ihrer physiologischen Bedeutung nach stellt sie höchst wahrschein- 
lich ein Ausscheidungsorgan dar, welches verbrauchte Stoffe auf- 
nimmt und ansammelt, um dieselben durch die Öffnungen, mit 
denen die Hauptstämme an der Körperoberfläche ausmünden, 
fortzuschaffen. Als Ausnahme finden wir bei sämtlichen Arten 
der Gattung Stenostoma anstatt zweier nur einen einzigen 
Hauptstamm, welcher in der Nähe des hinteren Körperendes 
sich öffnet. 


*) Es ist dies der von mir ı884 in den Koppenteichen des Riesengebirges auf- 
gefundene Monofus lacustris. Z. 


Die Strudelwürmer. i 249 


B. Dendrocoela. 
(Dendrocoelida, L. v. Graff.) 


Die vorstehend gegebene Orientierung über die Grundzüge 
der Rhabdocöliden-Organisation hat im wesentlichen auch für die 
grösseren Turbellarien mit dreizipfeligem und baumförmig ver- 
zweigtem Darm Gültigkeit. Dieselben besitzen gleichfalls einen 
Hautmuskelschlauch und eine Basalmembran mit einer darüber 
befindlichen Lage von flimmernden Epithelzellen. Letztere sind 
indessen nicht platt, sondern hoch cylindrisch gestaltet; in ihrem 
Innern enthalten sie aber genau solche Stäbchen, wie wir sie bei 
den Rhabdocölen antreffen. Ebenso ist bei unseren Süsswasser- 
dendrocölen (Tricladen) der Raum zwischen der Hautmuskulatur 
und dem Darmkanal mit seinen Ausbuchtungen von einem lockeren 
Bindegewebe und von zahlreichen (dorsoventral und quer sich aus- 
spannenden) Parenchymmuskelfasern erfüllt. Dazu kommt noch das 
Vorhandensein eines reichmaschigen Wassergefässsystems, der Besitz 
eines Gehirnganglions mit davon ausstrahlenden Seitennerven und 
ein hermaphroditischer Geschlechtsapparat, der aus Keim- und 
Dotterstock, blasigen Hoden, sowie einem zapfenförmigen Be- 
gattungsorgan besteht. Eine ausgebildete Leibeshöhle, wie sie bei 
vielen Rhabdocöliden gefunden wird, existiert bei den Tricladen 
nicht, sodass man es sich erklären kann, wenn die älteren Zoologen 
zur Bezeichnung eines solchen Thatbestandes auf den Ausdruck 
„parenchymatöse Würmer“ verfielen. 

Das Darmepithel hat bei denselben genau die nämliche Be- 
schaffenheit wie bei den stabdarmigen Turbellarien. Die Zellen 
desselben sind langgestreckt, nackt und häufig birnförmig ver- 
dickt. Jede besitzt einen rundlichen Kern, der am basalen Ende 
liegt. Den gleichen Verhältnissen begegneten wir bei den Rhabdo- 
cöliden. Hinsichtlich des Schlundes stimmen die Planarien fast ganz 
genau mit den Monotiden überein, die, wie bereits erwähnt wurde, 
einen Pharynx plicatus besitzen. Über den feineren Bau desselben 
findet man ausführliche Angaben in L. v. Graffs Rhabdocöliden- 
Monographie (S. 87 und 88). 


Ne TEE 
\ ER 


250 Die Strudelwürmer. 


Wenn die Planarien fressen, so stülpen sie ihren Pharynx oft 
bis zu einer erstaunlichen Länge aus dem Munde hervor. Er 
führt dabei wurmförmige Bewegungen aus, als wenn er die geeignet- 
sten Nahrungsobjekte aussuchen wollte. Dabei erweitert sich sein 
freies Ende gewöhnlich trompetenartig, sodass auch grössere Beute- 
tiere (Crustaceen, Insektenlarven z. B.) ergriffen und verschluckt 
werden können. Trennt man den hervorgestreckten Tricladenrüssel 
durch einen Scherenschnitt an seiner Wurzel ab, so fährt derselbe 
— wenn er feucht gehalten wird — oft noch mehrere Stunden 
lang mit seinen Gestaltveränderungen fort. Diese Lebenszähigkeit 
erklärt sich hinlänglich durch die reichliche Innervation des in 
Rede stehenden Organs, über welche wir durch Ijimas Unter- 
suchungen Aufschluss erhalten haben. Etwa zwischen der äusseren 
Ringfaserschicht des Pharynx und den Ausführungsgängen der 
Speicheldrüsen sind die Nerven zu einem Plexus verbunden, der 
gegen das freie Ende hin eine beträchtliche Anschwellung aufweist. 
An dem nicht minder zählebigen Rüssel des Süsswasser-Monotus 
(Monotus lacustris) ist von M. Braun und mir die Anwesenheit 
eines dicken Ringes von Nervenfasern festgestellt worden, der auf 
Quer- und Längsschnitten in der Mitte des Pharynx zum Vorschein 
kommt und einen deutlichen Zusammenhang mit den ventralen 
Längsnerven erkennen lässt. 

Sinnesnerven, die vom Gehirn aus zu den mehr oder 
minder lappenartigen Seitenteilen des Kopfes laufen, sind, wie bei 
den Rhabdocölen, so auch bei den Tricladen nachgewiesen. Eben- 
so besitzt die Mehrzahl unserer Planarien Sehorgane (Augen), 
die entweder zu zweien auf der dorsalen Fläche des Kopfes stehen, 
oder in grösserer Anzahl (40—60) den Rand des ganzen vorderen 
Körperteiles umsäumen (Polycelis). 

Die Planarien produzieren nach stattgehabter (wechselseitiger?) 
Befruchtung‘ Eier, die zu 30—40 Stück in ein kugeliges oder 
elliptisches Cocon eingeschlossen sind. Letzteres wird mittels eines 
weisslichen Sekretes an Wasserpflanzen befestigt. Und zwar ge- 
schieht dies schon sehr früh im Jahre, etwa im Februar oder März. 
Der Inhalt des Cocons besteht aus einer Flüssigkeit, in der sich eine 


Die Strudelwürmer. 251 


grosse Menge von Dotterzellen (über 10000 sind gezählt worden) 
befinden, dazwischen ist aber nur die oben angeführte Anzahl von 
Eiern sichtbar. Diese letzteren sind nackte Zellen von geringerer 
Grösse als die Dotterelemente; sie haben nur 0.035 bis 0.044 mm 
im Durchmesser. — Über die Embryonalentwickelung der Süss- 
wasserdendrocölen besitzen wir ausser Dr. J. Ijimas Beobachtungen 
an Dendrocoelum lacteum noch eine neuere Arbeit des französischen 
Zoologen Paul Hallez, die sehr ausführliche Angaben und zahl- 
reiche erläuternde Tafeln enthält 5). 

Neben der geschlechtlichen Fortpflanzung kommt bei einigen 
Planarien auch eine ungeschlechtliche durch Querteilung vor. 
Ich habe diese vielfach in Zweifel gezogene Thatsache 1885 an 
Planaria subtentaculata Duges (aus einem Bache bei Hirschberg 
i. Schl.) mit Sicherheit festgestellt und seinerzeit detailliert be- 
schrieben 6). Der Hauptsache nach verläuft jener Vorgang folgender- 
massen. Zuerst zeigt sich am Beginn des hinteren Leibesdrittels 
(und zwar immer dicht hinter dem Eingang zur Rüsseltasche) eine 
seichte Einschnürung, welche von Tag zu Tag Fortschritte macht. 
Während dieser Zeit liegen die Tiere oft stundenlang ganz still. 
Nach drei bis vier Tagen bereits kann man mit der Lupe die 
ziemlich perfekt gewordene Querteilung konstatieren. Die Ab- 
trennung des Tochtersprosses von der Mutter erfolgt nunmehr 
unter ganz eigentümlichen Umständen. Merkwürdigerweise nämlich 
löst sich derselbe erst in seiner mittleren Partie von letzterer ab, 
während er zu beiden Seiten damit noch in Verbindung bleibt. 
Hat sich das Tochterteilstück definitiv abgetrennt, so bemerkt man 
am Vorderende desselben ein kleines, pigmentfreies Zäpfchen: den 
sich neu bildenden Kopf. Nach Verlauf von 24 Stunden unter- 
scheidet man schon Augenpunkte an demselben. Demnächst bildet 
sich auch eine neue Rüsselhöhle und ein neuer Pharynx aus, 
sodass das durch Teilung des Mutter-Individuums entstandene Tier 
keinerlei Organisationsmängel zeigt. Diese Teilungserscheinungen 
waren aber nur während der warmen Sommermonate zu beobachten 
und bemerkenswert ist dabei, dass an den sich so fortpflanzenden 
Exemplaren keine Spur von Geschlechtswerkzeugen zu entdecken 


nn 


252 Die Strudelwürmer. 


war. Der nämliche Vorgang ist unlängst auch an einer anderen 
Dendrocöle (Planaria albıssima Vejd.) von Dr. E. Sekera 
beobachtet worden, sodass die älteren Angaben von Dalyell und 
Duges, welche früher schon über Querteilung bei Planarien 
berichtet haben, nunmehr bestätigt sind. 

Zu den am meisten in unseren Gewässern verbreiteten Planarien 
gehören ausser dem milchweissen Dendrocoelum lacteum Oerst., 
Polycelis nigra ‘OÖ. Fr. Müller, Planaria polychroa O©. Schm. und 
Pl. lugubris. Eine der grössten einheimischen Planarien ist das 
von Dr. W. Weltner im Tegelsee bei Berlin und später auch 
in der Spree aufgefundene Dendrocoelum punctatum Pallas, welches 
im ausgestreckten Zustande eine Länge von 3—4 cm erreicht). 
Alle diese Tiere sind in Grösse, Gestalt und Färbung ziemlich 
variabel, und deshalb genügen solche äussere Merkmale bei der 
Artbestimmung nicht. Hierzu müssen vielmehr die sehr form- 
beständigen Geschlechtsorgane verwendet werden, deren Analyse 
freilich in manchen Fällen ebenso zeitraubend wie schwierig ist. 
Nur auf diesem Wege, der zuerst von Oscar Schmidt betreten 
wurde, gelangt man zu einer sicheren Identifizierung der Spezies. 

Bei einer allgemeinen Orientierung, wie sie hier bezweckt wird, 
darf schliesslich auch der Hinweis auf das Vorkommen von Land- 
planarien nicht fehlen. Und zwar kennen wir derartige Würmer 
nicht bloss aus tropischen Ländern, sondern auch als Mitglieder 
der einheimischen Fauna. Wir finden dieselben bei einiger Acht- 
samkeit unter Holzscheiten, die im Walde lagern, zwischen feuchtem 
Moos und an der Unterseite von Hutpilzen. Bis vor kurzem war 
nur eine einzige einheimische Art bekannt, nämlich Rhynchodesmus 
terrestris OÖ. Fr. Müller. Die grössten Exemplare sind 2—2.5 cm 
lang und von schwarzer Färbung; die Rückenseite ist stark gewölbt, 
die Bauchfläche hingegen zu einer Kriechsohle ausgebildet. In 
ihren Bewegungen sind die Tiere sehr träge, und wie es scheint, 
lieben sie kühle und schattige Aufenthaltsorte®). Dr. J. v. Kennel 
fand Exemplare von Rhynchodesmus in der Umgebung von Würzburg 
(unter Steinen), Dr. H. Simroth mehrere in den Wäldern bei 
Leipzig, und ich welche in der Nähe von Hirschberg in Schlesien. 


Die Strudelwürmer. 253 


Unterirdisch lebend, d. h. im feuchten Erdreich sich auf- 
haltend, ist 1887 von Fr. Vejdovsky eine zweite einheimische 
Landplanarie entdeckt worden, welche einer ganz neuen Gattung 
angehört. Sie ist nur 4—5 mm gross und etwa O5 mm breit. 
Der genannte Prager Forscher fand sie in einem Erdhaufen bei 
Bechlin in Böhmen, den er eines anderen wissenschaftlichen Zweckes 
wegen durchsuchte. Das betreffende Tierchen (Microplana humicola) 
ist vollkommen durchsichtig, ermangelt der Kopflappen und besitzt 
nur auf der Bauchseite eine Cilienbekleidung. Ihrem un- 
gefähren Aussehen nach ist sie in Fig. 50 wiedergegeben. 
Das Nähere darüber muss man aus der darauf bezüg- 
lichen Abhandlung Prof. Vejdovskys ersehen 9). 

Um .endlich noch der Verwandtschaft von 
Dendrocölen und Rhabdocölen ein Wort zu 
widmen, so verdient Erwähnung: dass wir in dem von 
Prof. M. Braun (1880) begründeten Genus Bothrio- 
plana ein interessantes Verbindungsglied zwischen jenen 
beiden Unterabteilungen kennen gelernt haben. Es 
handelt sich dabei um Tiere, die in der Form des 
Darmes und im Bau ihres Schlundes eine fast voll- 
ständige Übereinstimmung mit den Dendrocölen be- 


kunden, während sie durch mehrere andere Merkmale 


(Mangel der Stäbchenstrassen, Anordnung der Rhabditen Fig. 50. 
Microplana 
humıcola. 


zu Paketen, Besitz von Wimpergrübchen an den Kopf- 
seiten) an die Rhabdocölen erinnern 10. Braun fand 
von diesen Turbellarien zwei Spezies in Dorpater Brunnenschächten, 
und ich habe später (1886) deren noch zwei aus dem Kleinen 
Koppenteiche des Riesengebirges gefischt 11). Ein Habitusbild der 
einen Art, die ich 2. silesiaca genannt habe, ist in Fig. 5ı S. 254 
gegeben. Es ist ein augenloses Tierchen von 2.5 mm Länge, an 
welchem sofort das verbreiterte Kopfende auffällt. Mit diesem wühlt 
es unruhig suchend beständig in dem feinen Mud umher, worin es 
sich aufhält. Überhaupt sind diese Bothrioplanen durch äusserst 
hastige Bewegungen charakterisiert, die, im schroffen Gegensatz zu 
dem ruhigen Dahingleiten der gewöhnlichen Planarien stehen. Die 


254 Die Strudelwürmer. 


Hautfarbe der kleinen Würmchen ist weiss oder hellgrau. Der 
Darm schimmert von innen her bräunlich durch. Die gesamte 
Körperoberfläche ist mit Cilien bedeckt und überall sieht man im 
Epithel Stäbchenpakete, welche. aus je drei Rhabditen bestehen. 
Gelegentlich treten am Hinterende gewisse Haftorgane (Klebzellen) 
hervor, wie sie bei vielen Rhabdocölen beobachtet werden. Der 
hintere Körpersaum ist jederseits mit einzelnen steifen Borsten 
besetzt, während das vordere Ende frei davon ist und nur die gewöhn- 
lichen kurzen Cilien trägt. Mit etwas längeren Wimpern 
scheinen die beiden Wimpergruben (wg) zu beiden 
Seiten des Kopfes ausgestattet zu sein. Der Ver- 
dauungskanal hat, wie unsere Figur zeigt, eine ge- 
streckt-ringförmige Gestalt, und hiervon lässt sich die 
dreigabelige Beschaffenheit des Dendrocölen-Darmes 
ungezwungen ableiten, wenn wir annehmen, dass 
die stärkere Entwickelung des Schlundes bei den 
Tricladen den Anstoss zu einer Kontinuitätstrennung 
in der unteren Ringhälfte gab. Dadurch entstanden 
naturgemäss die beiden hinteren Darmschenkel der 
Planarien, und es wurde Raum zur Unterbringung 
des mächtigen Pharynx dieser Würmer geschaffen. 
Entschieden unterstützt wird diese zuerst von 
M. Braun geäusserte Ansicht durch die Lage 


Fig. 51. 
Bothrioplana des Schlundes unmittelbar hinter der Gabelungs- 


sılesiaca. 


stelle, und auch dadurch, dass derselbe von hier 
aus ein ansehnliches Stück zwischen die beiden in Frage kommen- 
den Darmäste hineinragt. 

Das Gehirn (c) liegt bei Bothrioplana sılesiaca in der hals- 
artigen Einschnürung, mit welcher sich der breitere Kopfteil vom 
übrigen Körper absetzt. Die zweite von mir im Kleinen Koppen- 
teich aufgefundene Spezies (B. Brauni) des nämlichen Genus 
ähnelt in der Form ihres Gehirnganglions und im Verlauf der 
Exkretionsgefässe den Rhabdocölen noch mehr als die erst- 
beschriebene Art. Ihr fehlen auch die Wimpergrübchen, und die 
Stäbchenpakete enthalten bei ihr eine grössere Anzahl (4—5) 


Die Strudelwürmer. 255 


Rhabditen. Jedes einzelne dieser Pakete macht den Eindruck, als 
habe es eine leichte schraubenförmige Drehung um seine Längs- 
achse erfahren. Der Kopfteil ist bei dieser und auch bei der vorigen 
Spezies fast vollkommen rhabditenfrei. 

Durch diese Tiere wird, wie schon gesagt, die sonst zwischen 
Rhabdocölen und Dendrocölen bestehende Kluft überbrückt, und 
deshalb haben wir es in denselben mit recht interessanten Über- 
gangsformen zu thun, die des näheren Studiums wohl wert sind. 
Hinsichtlich der Geschlechtswerkzeuge ist bis jetzt festgestellt, dass 
die Keim- und Dotterstöcke paarig sind, und dass auf jeder Seite 
eine Doppelreihe von Hodenbläschen im mittlern Teile des Körpers 
vorhanden ist. Diese und die vorstehend berichteten Befunde 
rechtfertigen es, dass wir die Bothrioplanen als niederstes Genus den 
Tricladen anschliessen, wiewohl anderseits nicht zu verkennen ist, dass 
sie in mehrfacher Hinsicht mit den Rhabdocölen übereinstimmen. 


Kurze Beschreibung einiger Rhabdocöliden- 
Spezies. 


Für den Zweck dieses Kapitels, welcher darin besteht, den Leser 
in die Turbellarienfauna des Süsswassers einzuführen, empfiehlt es sich 
nun, auf die vorhergegangene allgemeine Orientierung eine Schilderung 
der am häufigsten vorkommenden Gattungen folgen zu lassen. Dies 
kann am besten durch die Vorführung einzelner Spezies geschehen, 
und hierbei werden wir Gelegenheit haben, noch einige Punkte nach- 
zutragen, die wir bei Beschreibung der generellen Organisationsverhält- 
nisse nur flüchtig berühren konnten oder ganz übergehen mussten. 

Fahndet man in unseren Gewässern auf Turbellarien, so besteht 
das Fangergebnis am häufigsten aus Arten, welche den Gattungen 
Macrostoma, Microstoma, Stenostoma, Mesostoma und Vortex an- 
gehören. Aus diesen greifen wir daher je einen Vertreter heraus 
und unterwerfen ihn einer etwas eingehenderen Schilderung. 


Macrostoma virıde E. v. Ben. 


Dies ist ein etwa 2 mm grosses Tierchen, an dem man schon 
bei Lupenbesichtigung den grünlich oder gelb gefärbten Darm 


Eu... > die uZ 
:s = FE 


256 x Die Strudelwürmer. 


erkennt. Bei stärkerer Vergrösserung (Fig. 52) entdecken wir sofort 
ein abgerundetes Vorderende und einen spatelartig geformten 
Schwanzteil, der reichlich mit Stäbchenpaketen gespickt ist, die 
zumteil über die Haut hervorragen. Auch der übrige Körper 
ist mit solchen Rhabditenbündeln versehen, aber nicht in dem 
Masse wie das Kopf- und Hinterende. Die Stäbchen liegen in sehr 
verschiedener Anzahl (zu 2—5 Stück) bei- 
sammen und haben eine keulenförmige 
Gestalt. Die Flimmerhaare der Epithel- 
zellen sind sehr fein und kurz; dazwischen 
stehen aber lange Geisselborsten, die sich 
über die ganze Oberfläche des Tieres ver- 
breiten. Im Übrigen bietet die Organisation 
der Macrostomiden mancherlei primitive 
Verhältnisse dar. Sie besitzen ein ganz 
einfaches Schlundrohr, welches die schlitz- 
förmige Mundöffnung (m) mit dem Darm- 
sack (d} verbindet. Das Gehirn (g) er- 
scheint lediglich als eine Bogenkommissur 
der beiden Längsnervenstämme, und unter- 
scheidet sich in Form und Masse nicht 
viel von diesen. Dasselbe trägt indessen 
hochentwickelte Sehorgane, die mit einer 
stark gewölbten Linse ausgestattet sind. Die 
Höhlung des Darmkanals ist durchweg mit 
Cilien besetzt, deren Länge etwa der 
Höhe der Epithelzellen gleichkommt, denen 


sie aufsitzen. Zu beiden Seiten des Darms 
N liegen die kompakten kegelförmigen Hoden 
(h) und dicht dahinter die paarigen Ova- 
rien (ov). Bei / sehen wir den Penis, der bei allen Arten der 
Gattung Macrostoma mit einem chitinösen Ansatze versehen ist. 
Bei der in Rede stehenden Spezies ist letzterer S-förmig, aber so, 
dass die beiden Krümmungen nicht in einer Ebene liegen. Fig. 53 
stellt diese Penis-Armatur bei sehr starker Vergrösserung dar. 


Die Strudelwürmer. 


257 


Was das Wassergefässsystem anlangt, so kann man sich bei 


M. virıde die zwei seitlichen Hauptstämme leicht zur Ansicht bringen. 
Es scheint, dass sich dieselben oberhalb des Mundes vereinigen und 
noch einige kleine. Verästelungen nach dem Vorderende hinschicken. 


Die Macrostomiden gehören zu den 
Rhabdocölen mit zwei Geschlechtsöffnungen, 
einer männlichen und einer weiblichen. Die 
erstere liegt im verbreiterten Hinterteile, 
die andere in der ungefähren Höhe der 
Ovarien; beide natürlich auf der Bauchseite. 

Bei Macrostoma virıde konnte ich auch 
einige Beobachtungen über die Sperma- 
tozoen-Entwickelung machen, welche 
diesen Vorgang in seinen Hauptzügen klar- 
stellen. Zerzupft oder zerquetscht man 
einen reifen Hoden vorsichtig auf dem 
Objektträger, so hat man in einem und 
demselben Präparate gleich alle Stadien der 
Spermatogenese beisammen. Ich habe die- 
selben der Reihe nach in Fig. 54 abge- 
bildet und mit Buchstaben bezeichnet. Den 
Ausgangspunkt für die Entwickelung der 
Samenkörper bilden die vollkommen kugel- 
igen und ganz durchsichtigen Hodenzellen 
oder Spermatogonien (a). Diese zu- 
meist mehrkernigen Gebilde verwandeln 
sich durch Einschnürung ihres Protoplasma- 
leibes in ebensoviele Spermatocyten 
oder Samenzellen (d), die aber zunächst in 
Zusammenhang mit einander bleiben. Jede 
einzelne Spermatocyte lässt zwei kleine 
Fortsätze aus sich hervorsprossen, von wel- 


Fig. 53. 
S-förmiges Kopulationsorgan 
von Macrostoma virıde. 


Fig. 354. 


Spermatogenese (M. vırıde). 


chen der eine in der Folge zum Schwanzfaden des Spermatozoon, 


der andere zur sogenannten „Nebengeissel“ desselben wird. Die 


einkernigen Spermatogonien (d) entwickeln sich genau auf dieselbe 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 


17 


258 Die Strudelwürmer. 


Weise; nur zuweilen kommt es vor (c), dass die Nebengeissel 
schon weit hervorgesprosst ist, ehe sich noch irgend eine Spur 
von der Bildung des Schwanzfadens zeigt. Bei fortschreitender 
Entwickelung lösen sich die Spermatocyten aus ihrem ursprüng- 
lichen Verband (d) und nehmen das in e dargestellte Aussehen an, 
indem sich ihr protoplasmatischer Teil in die Länge streckt. Erst 
zu allerletzt kommt die bislang im Ruhezustande verbliebene Kern- 
substanz in Bewegung, um in dem immer spindelförmiger werdenden 
Spermatozoenkopfe sich gleichmässig zu verteilen. In / sehen wir 
dann das völlig fertige Samenkörperchen von Macrostoma vırıde, 
wie es zu vielen hunderten in dem Präparate eines zerdrückten 
Hodens vorhanden zu sein pflegt. Der Schwanzteil dieser Körper- 
chen besitzt eine ausserordentlich lebhafte Schlängelbewegung, wo- 
gegen die steife Nebengeissel nur mit mässiger Geschwindigkeit hin 
und her pendelt. 

Die am meisten verbreitete Spezies der Gattung Macrostoma 
ist übrigens nicht diese, sondern M. hystrix Oerst.; in den wesent- 
lichen Bauverhältnissen stimmen aber beide mit einander überein. 
Die letztgenannte Art ist dadurch merkwürdig, dass sie nicht bloss 
im süssen, sondern auch im salzigen Wasser vorkommt. Auch lebt 
sie nicht bloss in seichten Pfützen und Tümpeln, sondern verträgt 
ebensogut den Aufenthalt in beträchtlichen Tiefen. Nach einer Angabe 
von Duplessis ist sie sogar noch im Grundschlamme des Genfer- 
sees zu finden!?2. An schwimmenden Holzstückchen und dem 
Wellenschlag ausgesetzten - Wasserpflanzen vermögen sich die Tier- 
chen mit Hilfe ihrer „Klebzellen“ festzuhalten, welche am untern 
Saume des spatelähnlichen Hinterendes in grosser Anzahl befindlich 
sind. Solchen eigentümlichen Haftapparaten begegnen wir auch bei 


mehreren anderen Turbellariengattungen. 


Microstoma lineare Derst. 


Einzelindividuen von dieser Spezies kommen höchst selten vor; 
gewöhnlich findet man nur Ketten, die, wie Fig. 55 veranschaulicht, 
aus mehreren ungleichaltrigen Exemplaren bestehen. Dieser Befund 
findet seine Erklärung in der Thatsache, dass A/ierostoma lineare 


Die Strudelwürmer. 259 


sich vorwiegend durch Querteilung oder, richtiger gesagt, durch 
terminale Knospenbildung fortpflanzt. In nachstehender Figur 
haben wir eine Kette von vier Individuen vor uns, deren Ent- 
wickelung wie folgt zu denken ist. Aus dem ursprünglichen 
Muttertiere (A) ging B als Tochterspross 
auf die nämliche Art hervor, wie jetzt 
die Knospe 5 aus ihm selbst, oder wie a 
aus A. Der Zeit nach ist die Reihenfolge 
dabei diese: A, B, b, a. Das heisst: A 
erzeugte zunächst 2; hierauf entstand die 
Knospe 5 und dann erst die mit a be- 
zeichnete neue aus dem alten Mutter- 
individuum 4. 


Bei genauerer Beobachtung dieser 
eigentümlichen Fortpflanzungsweise bemerkt 
man, dass stets nur das hinterste Drittel 
des Muttertieres zur Erzeugung des Tochter- 
sprosses verwendet wird. Mit dem Auf- 
treten zweier Augenpunkte und der Bil- 
dung einer Einschnürung, welche die 
künftige Trennungsstelle andeutet, nimmt 
der Knospungsprozess seinen Anfang. In 
der Folge vergrössert sich das Tochterstück 


allmählich und holt mit seinem rascheren 


Fig. 55. 


Mrcrostoma lineare. 


Wachstum den sich gleichfalls regenerierenden 
mütterlichen Teil ein, bis beide in ihren 
Dimensionen sich fast vollkommen gleichen. Mit der Neubildung 
eines Gehirns und Schlundes am Spross erreicht die Entwickelung 
des letztern ihren Abschluss, und es erfolgt seine Lostrennung vom 
Stammorganismus. Aber bevor er selbst noch fertig ausgebildet 
war, wurde in seinem hintern Leibesdrittel bereits die dritte 
Generation angelegt, bezüglich deren sich der nämliche Sprossungs- 
vorgang wiederholt, und so geht diese Vermehrung immer fort, den 
ganzen Sommer hindurch. 


17* 


260 Die Strudelwürmer. 


Erst im Herbst treten andere Verhältnisse ein. Dann finden wir 
Ketten, an deren Teilsprossen man die Anwesenheit von Geschlechts- 
organen wahrnimmt, woraus beiläufig hervorgeht, dass geschlechtliche 
und ungeschlechtliche Zeugung bei demselben Individuum von 
Microstoma lineare und zur nämlichen Zeit stattfinden kann. Jene 
Ketten sind aber immer nur eingeschlechtlich, d. h. sie bestehen 
entweder aus lauter weiblichen oder aus lauter männlichen Individuen. 
Die ersteren besitzen ein einfaches Ovarium, die letzteren paarige, 
keulenförmige Hoden und ein Begattungsorgan, dessen chitinöser 
Teil eine leichte, schraubenförmige Windung zeigt. 

Über den sonstigen Bau von Microstoma lineare können wir 
uns kurz fassen. Die flimmernde Epidermis besteht bei dieser 
Spezies aus polygonalen Zellen, zwischen denen die birnförmigen 
Nesselkapseln liegen. Diese sind über den ganzen Körper zer- 
streut und gleichen in ihrem Aussehen fast ganz den gleichnamigen 
Gebilden bei den Süsswasserpolypen, nur dass sie ein wenig kleiner 
sind, als bei diesen. Sie haben eine Länge von 0.015 mm und der 
herausgeschnellte Faden misst etwa 0.12 bis 0.14 mm. Am Halsteile 
der Kapsel sitzen vier kleine Widerhaken. Leydig hat mit ge- 

wohntem Scharfblick noch eine zweite Art von Nessel- 
kapseln bei Microstoma lineare entdeckt, die eine ovale 
Gestalt haben und nicht mit Widerhaken versehen sind. 
Ich hebe diesen Umstand ausdrücklich hervor, weil wir 
bei Aydra das gleiche Verhalten beobachten. Fig. 56 
stellt eine grössere Kapsel mit ausgestossenem Faden dar. 

Der Leibesraum ist bei Microstoma lineare von 
einem reichen Maschenwerke heller Fasern durchsetzt, 
zwischen denen zahlreiche kleine Bindegewebszellen und 


Fig. 56. -Kerne eingelagert sind. Das Gehirn ist in dieses 
Y . . .,y 
Nesselkapsel  Parenchym eingebettet. Es besteht aus zwei seitlichen 
mit hervor- 


geschnelltem Ganglien und einer Kommissur, die den Schlund um- 

Aesie fasst. Zwei Längsnerven durchziehen den Körper. Das 
Wassergefässsystem wurde zuerst von M. Schultze bei dieser 
Spezies entdeckt, aber nicht genauer beschrieben. Ich habe das- 
selbe neuerdings genauer studiert und gefunden, dass zwei seitliche 


Die Strudelwürmer. 261 


Hauptstämme vorhanden sind, deren Verästelungen nach der Mittel- 
linie zu konvergieren und ein ventral stärker als dorsal entwickeltes 
Kanalnetz bilden 13). Am Kopfende der einzelnen Kettenglieder 
liegen die Augen in Gestalt rostroter Pigmenthäufchen. Dicht 
dahinter befinden sich die Wimpergrübchen — kleine tiefe Becher 
mit kreisrunder Öffnung, die innerlich mit Flimmerepithel aus- 
gekleidet sind. Der Darmtraktus besitzt, wie man am lebenden 
Tiere deutlich sieht, ebenfalls wimpernde Epithelzellen, und der 
einfache Schlund ist mit zahlreichen Drüsenzellen (Pharyngeal- 
zellen) besetzt, die einen förmlichen Mantel um denselben bilden. 
Die Farbe der Tierchen ist ein dunkles Gelbbraun, sodass sie 
in dieser Beziehung fast genau mit /Zydra fusca übereinstimmen. 
Ein Hauptfundort für dieselben sind Tümpel stehenden Wassers, 
deren Boden mit zerfallendem Laube oder sonstigen Pflanzenresten 
bedeckt ist. 


Stenostoma leucops O. Schm. 


Auch bei dieser Gattung haben wir es fast immer nur mit 
Ketten zu thun, die aber selten aus mehr als zwei Gliedern be- 
stehen. Ihre Länge beträgt gewöhnlich 2—3 mm. Dem un- 
bewaffneten Auge erscheinen sie als kleine weisse Linien. 


Wie bei Microstoma lineare, so finden wir auch hier zu 
beiden Seiten des Kopfteiles Wimpergruben (Fig. 57 wg S. 262), 
die mit einer zierlichen Zellenrosette umgeben sind. Echte Augen 
sind nicht vorhanden; vielleicht sind aber die dem Gehirn anhän- 
genden eigentümlichen Bläschen (b/) als lichtperzipierende Organe 
zu deuten. 


Das Gehirn hat bei den Stenostomiden eine mächtige Ent- 
wickelung, wie aus den Figuren 57 und 58 hervorgeht. Dasselbe 
setzt sich auch schärfer als bei den übrigen Rhabdocölen gegen 
das umgebende Bindegewebe ab. Es besteht aus zwei ausser- 
ordentlich grossen mehrlappigen Ganglien, die unmittelbar vor dem 
Munde gelegen sind. Man unterscheidet jederseits einen grössern 
hinten (A) und einen schmälern Vorderlappen (vw). Nach 
B. Landsberg1#), der den Bau dieser Gebilde spezieller analysiert 


262 Die Strudelwürmer. 


hat, überwiegt in denselben der gangliöse Teil gegen den faserigen, 
was bei den anderen Turbellarien nicht der Fall ist. 

Darm und Schlund sind bei Stenostoma leucops (Fig. 57 
sowohl wie bei ‚Stenostoma unicolor (Fig. 58) in allen wesentlichen 
Stücken so gebaut wie bei Microstoma lineare, sodass wir auf das 
dort Gesagte verweisen können. Das Wassergefässsystem hingegen 
hat bei den Stenostomiden eine besondere Gestaltung, insofern es 
aus einem einzigen Kanal besteht, der am Hinterende ausmündet 
und von hier aus (der Mittellinie des Körpers folgend) bis in 
den Kopfteil verläuft, um hier in einer Schlinge umzubiegen und 


Fig. 57. Fig. 58. 
Stenostoma leucops (Kopfteil). Stenosfoma unıcolor (Kopfteil). 


zurückzukehren. Was aus diesem rückläufigen Teile wird, ist noch 
nicht genau klargestellt. L. v. Graff vermutet, „dass derselbe sich 
in feinere Zweige auflöst“. Ich habe aber von einer solchen Ver- 
ästelung auch mit den besten Linsen nichts entdecken können. 
‚Stenostoma unicolor unterscheidet sich von ‚Stenostoma leucoßs 
schon bei Lupenvergrösserung durch den besser markierten Kopfteil, 
durch den schlankeren Habitus und durch zahlreiche einzellige 
Drüsen im Darmepithel, welche schwärzliche Konkremente enthalten. 
Beide Spezies sind sehr häufige Erscheinungen in unseren stehenden 
und fliessenden Gewässern; sie sind auch sehr leicht aufzubewahren, 
wenn man sie in kleine Glasdosen mit algenhaltigem Wasser bringt. 
In derartigen Miniaturaquarien leben die Tierchen viele Monate 


Die Strudelwürmer. 263 


lang und pflanzen sich unausgesetzt durch terminale Knospung 
(vergl. S. 259) fort. 

Zu den Stenostomiden stellt v. Graff auch das gewandt 
schwimmende Meerlinsenkettchen (Catenula ‚lemnae), dessen 
Aussehen in Fig. 59 veranschaulicht ist. Diese Rhabdocöle ist ein 
fast ständiger Bewohner kleiner Moortümpel und man trifft sie in 
solchen stets massenhaft an. Wie bei den vorhin 
geschilderten Formen, so vermehrt sich auch diese 
durch Querteilung. Am Vorderende befindet sich 
eine kopfartige Anschwellung, in welcher das Gehirn 
mit dem Hörbläschen (ot) liegt. Der cylindrische 
Schlund flimmert auf seiner Innenfläche, ebenso der 
Darm, welcher übrigens, falls er leer ist, nur ‚mit 
Mühe wahrgenommen werden kann. Der Raum 
zwischen Darm und Hautmuskelschlauch wird von 
sehr grossen, dicht an einander gedrängten Parenchym- 


zellen eingenommen, die in unserer Figur mit 23 
bezeichnet sind. Das Wassergefässsystem hat genau 
denselben Charakter wie bei ‚Stenostoma leucops und 
stellt einen äusserst feinen, vielfach geschlängelten 
Kanal dar, der auf der dorsalen Seite des Tieres 
(subcutan) vom vordern bis zum hintern Körperende 
verläuft. Abgesehen von diesem Exkretionskanal 
aber und von dem Vorhandensein eines markierten 
Kopfteils kann ich zwischen Catenula /emnae und 
den Stenostomiden auch nicht die geringste morpho- 


logische Verwandtschaft erblicken, so dass ich es 


Fig. 59. 


nur als einen Notbehelf ansehen kann, wenn wir 
; } Catenula lemnae. 
das Meerlinsenkettchen einstweilen mit in die Gat- 

tung Stenostoma aufnehmen. Eigentlich steht Catenula unter 
den Rhabdocölen völlig isoliert da; wir suchen vergeblich nach 
Anknüpfungspunkten für dieses sonderbare Wesen, in welchem 
Duges seinerzeit ein den Bothriocephalen verwandtes Tier zu 


sehen glaubte. 


264 Die Strudelwürmer. 


Mesostoma viridatum M. Sch. 

Die Mesostomiden, d. h. diejenigen Rhabdocölen, welche eine 
auf der Mitte der Bauchseite gelegene Mundöffnung und einen 
rosettenförmigen Schlund besitzen, stellen eine sehr verschiedenartige 
Gesellschaft dar, sodass Prof. M. Braun unlängst mit Recht den 
Vorschlag gemacht hat, den Genusnamen Mesostoma ganz über 
Bord zu werfen, resp. ihn nur noch für Arten beizubehalten, die 
ungenügend bekannt sind. Die Charaktere dieser Gruppe sind von 
vornherein zu allgemein gefasst worden und daher erklärt es sich, 
dass alles, was nach Lage und Form des Pharynx ihr nicht ganz 
direkt widersprach, stets bequeme Unterkunft darin finden konnte. 
In Fig. 60 sehen ‚wir einen sehr kleinen Reprä- 
sentanten der Gattung Mesostoma, ein hellgrünes 
Würmchen von etwa Millimetergrösse, welches fast 
überall in klaren Gewässern zu finden ist. Im 
Gegensatz zur Mehrzahl seiner Gattungsverwandten 
ist dasselbe augenlos.. Der Schlund liegt bei 
dieser Art etwa am Anfange des zweiten Körper- 
drittels, und ebendaselbst gewahrt man eine 
Verbindung zwischen den beiden seitlichen Stäm- 
men des Wassergefässsystems, deren weiterer 
Verlauf aber schwer zu verfolgen ist. Gleich 
hinter dem Pharynx (ph) liegt die von Cilien um- 
säumte Geschlechtsöffnung (g/) und nicht 
weit davon der birnförmige Penis (/), der einen 
chitinösen Ausführungsgang besitzt. Die Leibes- 


höhle ist fast ganz erfüllt von Parenchym, und 


Fig- 60. % 
Mesostoma viridatum. Nicht selten findet man Individuen, welche im 


Innern 6—8 braunschalige, elliptische Eier ent- 
halten, so dass zwischen Darm und Leibeswand kaum noch ein 
freier Raum übrig bleibt. 

In den Zellen der Epidermis entdeckt man zahlreiche Rhab- 
diten von (.ıs mm Länge, und bei tieferer Einstellung des 
Mikroskops zeigen sich im Parenchym ganze Strassen solcher Stäb- 
chen, die nach dem Vorderende zu konvergieren. 


Die Strudelwürmer. 265 


S Die grüne Färbung des Tierchens rührt von winzigen, 
chlorophyllhaltigen Körnchen her, die eine förmliche Schicht unter 
der Haut bilden; dieselben sind höchst wahrscheinlich als einzellige 
Algen zu betrachten, die in einem symbiotischen Verhältnisse zu 
ihrem Träger stehen. Dergleichen Chlorophylikörner kommen auch 
bei einigen anderen Turbellarien und ausserdem bei mehreren 
Infusorienspezies vor. 

In unseren europäischen Seen und Wassertümpeln sind im 
ganzen etwa zwanzig Arten von Mesostomiden einheimisch. Eine 
ähnliche Verbreitung derselben konstatiert W. A. Silliman für Nord- 
amerika. Die Gattung Mesostoma weist übrigens neben sehr kleinen 
(I—5 mm grossen) Formen auch recht stattliche Vertreter auf. 
So z. B. das 1I0—ı5 mm lange und 4—5 mm breite Mesostoma 
Ehrenbergü, welches vollkommen platt gestaltet und glashell durch- 
sichtig ist. Diese Spezies tritt oft so massenhaft auf, dass die 
untergetauchten Stengel der Wasserpflanzen ganz damit bedeckt sind. 
Hiernach kommt Mesostoma tetragonum ©. Schm., welches 8 bis 
ıo mm lang wird. Durch zwei Lamellen, die auf der Rücken- und 
Bauchseite des Tieres vom vordern bis zum hintern Ende sich 
erstrecken und wie Flossen gebraucht werden, hat dasselbe im Quer- 
schnitt eine vierkantige Gestalt. Diese charakteristische Eigentüm- 
lichkeit ist in der Speziesbezeichnung zum Ausdruck gebracht. Das 
ungemein häufige Mesostoma Iingua O.Schm. (7—8 mm) gehört auch 
noch zu den grösseren Erscheinungen, wogegen die meisten anderen 
bei uns vorkömmlichen Spezies (z. B. Mesostoma rostratum Ehrb., 
M. personatum O. Schm. etc.) bedeutend kleiner sind und zwischen 
Algenfäden oft nur mit Mühe entdeckt werden können. 


Vortex truncatus Ehrb. 


Hier haben wir eine vollständig kosmopolitische Art vor uns, 
die von Lappland bis nach Ägypten verbreitet ist, und die man in 
den schlammigen Tümpeln der Ebene ebenso häufig antrifft, wie in 
klaren, kalten Gebirgsseen. Es sind (Fig. 61a S. 266) kleine, etwa 
1.5 mm lange Tierchen von hell- oder dunkelbrauner Färbung. Sie 
besitzen ein abgestutztes Kopfende und ein zugespitzes Schwänzchen. 


en 
g J- 4 


266 Die Strudelwürmer. 


Die Haut als solche ist vollkommen farblos und mit Stäbchen ge-- 
spickt, welche meist zu zweien bei einander liegen. Der Sitz des 
bräunlichen Pigments sind die Bindegewebszellen des Parenchyms. 
Ist der Farbstoff in grosser Menge vorhanden, so können die 
Würmchen ein fast schwarzes Kolorit annehmen. Am Kopfe stehen 
zwei schwarze halbmondförmige Augen und der Schlund hat die für 
die Vorticiden schon eingangs (S. 247) erwähnte typi- 
sche Tonnengestalt. Alle Vortex-Arten sind durch 
ein mehr oder weniger kompliziertes (chitinöses) 
Kopulationsorgan ausgezeichnet, welches aus 
paarigen Leisten mit Stachelbewehrung besteht. 
Bei der in Rede stehenden Spezies (V. truncatus) 
ist dasselbe ziemlich einfach gebaut. Es setzt 
sich aus zwei gabelig auseinanderweichenden, etwas 
gekrümmten Ästen zusammen, die auf ihrer kon- 
kaven Seite eine Reihe feiner Zähnchen (Fig. 61 b) 
tragen. Man bringt sich diese Hartgebilde am 


besten zur Ansicht, wenn man mit möglichster 
BEER, A, Vorsicht ein Quetschpräparat des ganzen Tieres 
herstellt. 

Die meisten Vortex-Spezies sind kleine, unscheinbare Würm- 
chen. Nur V. virıdis M. Sch. und .V. scoparius OÖ. Schm. sind 
Riesen unter ihren Gattungsgenossen, insofern sie oft eine Länge 
von 5—6 mm erreichen. Die letztgenannte Art besitzt ein 
Kopulationsorgan, welches in seiner Form lebhaft an ein paar 
kurzgestielte Stallbesen erinnert, die dicht beisammen liegen. Daher 
der sonderbar klingende lateinische Beiname, der aber sehr treffend 
gewählt ist. Zu den kleinsten Spezies, die wie V. truncatus nur 
I—Is mm gross sind, gehören V. Pıctus OÖ. Schm., V. Hallezu 
v. Grafl, V. sexdentatus v. Graff und V. cuspıdatus OÖ. Schm. 


Die vorstehenden kurzen Andeutungen über die speziellere 
Organisation einiger häufiger vorkommenden Strudelwürmer sollten 
lediglich dazu dienen, den Anfänger mit diesen interessanten, 


er 


Die Strudelwürmer. 967 


aber noch viel zu wenig beachteten Tieren bekannt zu machen. 
Das eingehendere Studium derselben muss an der Hand von 
Prof. L. v. Graffs ausgezeichneter „Monographie der Turbel- 
larien“ (Leipzig 1882, Wilh. Engelmann) geschehen, in welcher 
auch ein umfassender Litteraturnachweis zu finden ist, der noch 
die neuesten Arbeiten berücksichtigt. Ein Atlas mit 2o litho- 
graphischen Tafeln erläutert die bis in das kleinste Detail gehenden 
Ausführungen des umfangreichen Textes. — Ein sehr brauchbares 
litterarisches Hilfsmittel beim Studium der Turbellarien findet man 
auch in einer 1885 erschienenen grösseren Abhandlung von Prof. 
M. Braun (Rostock), welche die rhabdocöliden Strudelwürmer 
Livlands behandelt und dieselben durch vorzügliche Abbildungen 
veranschaulicht. Weiteres ersehe man aus der diesem Kapitel 


angehängten Übersicht der Litteratur. 


Präparationsmethode. 


Es ist hier vielleicht der passendste Ort, einige Worte über 
die Art und Weise zu sagen, wie man Turbellarien zum Zwecke 
der mikroskopischen Untersuchung gut konservieren kann. Dies 
gelingt meinen Erfahrungen zufolge am raschesten und sichersten 
mit erwärmter Lösung von Quecksilberchlorid in Wasser. Für grössere 
Arten nimmt man diese Flüssigkeit konzentrierter als für kleinere; 
aber in jedem Falle erfüllt sie ihren Zweck. Die Tiere werden 
mit möglichst wenig Wasser in ein Uhrgläschen gebracht und in 
dem Augenblicke, wo sie am schönsten ausgestreckt sind, schnell 
mit dem Sublimat übergossen. Je nach der Grösse der Objekte 
muss letzteres 5—20 Minuten einwirken. Dann wässert man die 
getöteten Würmer längere Zeit aus, damit keine Spur des Queck- 
silbersalzes in den Geweben zurückbleibt. Zur Aufbewahrung 
benutzt man 7oprozentigen Alkohol. Die so konservierten Rhabdo- 
cölen und Dendrocölen halten sich Jahre lang und können jeder- 
zeit, nach vorhergegangener Färbung, zur Herstellung von Schnitt- 


serien verwendet werden. — 


Ba Fr 2 
w s BA 
ER. 


268 Die Strudelwürmer. 


Zur Anfertigung von Totalpräparaten, die alles Notwendige 
erkennen lassen, hat Prof. M. Braun ein Verfahren angegeben 15), 
welches hier mitgeteilt werden soll. Dasselbe eignet sich besonders 
gut für kleine Formen. Der genannte Forscher verfährt dabei 
wie folgt. Er lässt bei gelindem Deckglasdruck zu dem Wasser, in 
welchem sich das zu konservierende Tier befindet, eine Mischung 
von 3 Teilen Langscher Flüssigkeit*) und einem Teil einprozentiger 
Ösmiumsäure zufliessen, die sehr rasch tötet, zumal wenn man sie 
etwas erwärmt anwendet. Sobald das Tier undurchsichtig ge- 
worden ist, die Gewebe also geronnen sind, wird die überschüssige 
Flüssigkeit mit Löschpapier abgetupft und 45prozentiger Alkohol 
unter das Deckglas gebracht. Derselbe wird im Verlauf einiger 
Minuten mehrere Male erneuert und dann durch 7oprozentigen 
ersetzt. Nunmehr kann man das Deckglas vorsichtig abheben; 
das Tier bleibt in der Regel an letzterem oder am Öbjektträger 
haften und wird in dieser Lage mit goprozentigem Alkohol be- 
handelt. Hierauf giebt man ı—2 Tropfen Karminlösung auf das 
Objekt, die man etwa drei Minuten einwirken lässt. Diese Zeit 
genügt zur Färbung; dann wird mit destilliertem Wasser abgespült, 
mit allmählich zu konzentrierendem Alkohol entwässert, bis man 
schliesslich zur Aufhellung mit Nelkenöl oder Kreosot schreiten 
kann. Sodann erfolgt der Einschluss in Kanada-Balsam und die 
Prozedur — welche etwa 20 Minuten in Anspruch nimmt — ist 
beendet. Auf diesem Wege erhält man in vieler Beziehung hübsche 
Präparate. Die ÖOsmiumsäure bräunt gewisse Teile (Dotterstöcke 
und Keimdotterstöcke z. B.) und hebt dieselben stärker hervor, 
während die kernreichen Teile des Geschlechtsapparats (Hoden, 
Övarien und sonstige Drüsen) intensiv gefärbt werden. Leider 
kann man diese Methode bloss bei solchen Arten verwenden, die 
sich etwas komprimieren lassen, ohne zu zerplatzen. In anderen 
Fällen führt nur die Härtung der Tiere (s. oben) und die Zer- 
legung derselben in Schnittserien zum Ziele. 


*) Diese besteht aus 5 Teilen Sublimat, 5 Teilen Eisessig und 100 Teilen Wasser. 


Die Strudelwürmer. 269 


Geographische Verbreitung der Turbellarien. 


Durch zahlreiche faunistische Exkursionen, welche ich in dem 
Zeitraume von 1884— 1889 in den verschiedensten Teilen Deutsch- 
lands ausgeführt habe*), hat sich mir die Überzeugung aufgedrängt, 
dass die Verbreitung der Strudelwürmer nicht längs 
gewisser Linien erfolgt, aus denen eine Abhängigkeit 
dieser Tiere von klimatischen Einflüssen oder von der 
Bodenbeschaffenheit der bezüglichen Wasseransamm- 
lungen zu erkennen wäre Die Eier dieser Tiere scheinen 
vielmehr durch zufällig sich darbietende Transportgelegenheiten 
überallhin verschleppt werden zu können und da, wo es die 
äusseren Verhältnisse nur irgend gestatten, die Ansiedelung der 
Art zu ermöglichen. Die meisten Turbellarien-Eier sind hartschalig 
und widerstandsfähig, so dass sie nicht leicht durch Stoss oder 
Druck Schaden nehmen können. Mit solchen Eigenschaften aus- 
gerüstet, können sie also selbst dann gut erhalten bleiben, wenn 
das Muttertier, in dessen Leibeshöhle sie sich befinden, bei der 
Luftreise am Gefieder eines Wasservogels durch ‘Austrocknung 
zu Grunde gehen sollte. Besucht nur der Transporteur gelegentlich 
ein anderes Wasserbecken, so gelangen sie wohlbehalten und 
lebenskräftig wieder in ihr Element und entwickeln sich dort 
ebenso gut wie in dem Weiher oder Tümpel, welchem sie durch 


*).1. ‚Studien über die Fauna des Grossen und Kleinen Teiches im Riesengebirge.‘‘ Zeitschr. 

f. wiss. Zoologie. 4ı. Bd. 1885. 

2. „Ergebnisse einer zoolog. Exkursion in das Glatzer-, Iser- und Riesengebirge.‘‘ Zeitschr. 
f. wiss. Zoologie. 43. Bd. 1886. 

3- „Zur Kenntnis der pelagischen und littoral. Fauna norddeutscher Seen.‘“ Zeitschr. f. 
wiss. Zoologie. 45. Bd. 1887. 

.4. „Faunistische Studien in westpreuss, Seen.‘“ Schrift. d. naturf. Gesellschaft zu Danzig, 
1887. 

5. „Zur Kenntnis der Fauna des Süssen und Salzigen Sees bei Halle a. d.S.‘“ Zeitschr. 
f. wiss, Zoologie. 46. Bd. 1888. 

6. „‚Über das Ergebnis einer Seen-Untersuchung in der Umgebung von Frankfurt a.d.O.“ 
Monatl. Mitteil. aus dem Gesamtgebiete der Naturw. Nr. 8, 1883/89. 

7. „Faunistische Untersuchungen in den Maaren der Eifel.‘‘ Zool. Anzeiger Nr. 205, 
1888. 

8. ‚„„Zur Kenntnis der Microfauna fliessender Gewässer Deutschlands.‘“ Biolog. Centralbl, 
Nr, 24, 1888, 


IT REDIN 


270 Die Strudelwürmer. 


Zufall — samt der mit ihnen trächtigen Mutter — entrissen 
wurden. Auf diese Art erklärt sich auch die Launenhaftigkeit des 
Vorkommens mancher Turbellarienspezies, die sonst völlig rätselhaft 
wäre. Es wird uns von dem nämlichen Gesichtspunkte aus auch 
die Besiedelung hoch gelegener Bergseen mit Strudelwürmern be- 
greiflich, da man letztere doch unmöglich als aktiv dorthin ge- 
wandert ansehen kann. Der Kleine Koppenteich im Riesen- 
gebirge, der eine Höhenlage von 1180 m hat, beherbergt — wie 
schon eingangs mitgeteilt — 14 Arten von Turbellarien *), ‘darunter 
auch eine sehr seltene Form (Monotus lacustris Zach.), welche zu 
einer Gattung gehört, die sonst nur Meeresbewohner umfasst **). 
Dieser Süsswasser-Monotus wurde inzwischen auch im Peipus-See 
(Russland) und in zahlreichen Seen der Schweiz aufgefunden. Nichts- 
destoweniger bleibt es überraschend, dass er durch die Gunst des 
Zufalls auch in jene verlorene Felsenschlucht, auf deren Grunde 
der Kleine Koppenteich liegt, verpflanzt werden konnte. Dies 
erklärt sich nur aus der Widerstandsfähigkeit seiner Eikörper, die 
infolgedessen weit verschleppt werden können, ohne ihre Ent- 
wickelungsfähigkeit einzubüssen. Und in gleicher Weise haben 
wir uns die Ansiedelung der übrigen 13 Arten von Strudelwürmern 
an jener Lokalität zu erklären, wobei aber nicht ausgeschlossen 
sein soll, dass gelegentlich auch einmal eine lebende Turbellarie 
am Gefieder eines Vogels hängen bleiben und dadurch in ein 
anderes (nahe gelegenes) Wasserbecken übergeführt werden kann. 
Viele Strudelwürmer besitzen sogenannte „Klebzellen“ an ihrem 
Hinterende, mit welchen sie sich an allerlei feuchten Gegenständen 
festzuheften vermögen. Diese eigentümlichen Organe werden ihre 


*) Mesostoma rostratum Ehrb,, Mesost. viridalum M. Sch., Macrostoma wiride 
van Bened., S/enostfoma leucops OÖ, Schm., Vortex truncatus Ehrb., Vortex Hallezii 
v.Graff, Prorhynchus stagnalıs M.Sch., Prorhynchus curvistylus M. Braun, Prorhynchus 
maximus n.sp., Gyrator hermaphroditus Ehrb., Bothrioplana sılesiaca n. sp., Bothrioßl. 
Brauni n.sp., Monotus lacustris Zach. und Planaria abscissa Ijima. 


**) Was das numerische Verhältnis der marinen Turbellarien-Formen zu denjenigen des 
Süsswassers anbelangt, so sei bei dieser Gelegenheit (nach v. Graff) angeführt, dass 
160 Meeresbewohnern (darunter ı5 Parasiten) 97 Süsswasser- und ı Landbewohner (der 
hammerköpfige Prorhynchus) gegenüberstehen. — Die Familie der Monotiden galt bisher 
für eine ausschliesslich marine Gruppe. 


Die Strudelwürmer. Da 


[7 


guten Dienste wohl auch beim Transport durch Vögel oder Wasser- 
käfer leisten, wenn es gilt, einen Halt gegen das Fortgeweht- 
werden durch Luftzug während des Fluges jener Tiere zu ge- 
winnen 16). 

Auch in viel höher als 1000 m gelegenen Bergseen finden 
wir noch Turbellarien (Rhabdocölen sowohl als Dendrocölen), wie 
von Prof. Fr. Zschokke (Basel) neuerdings an einigen Seen des 
Rhätikons, jener gewaltigen Grenzkette zwischen Vorarlberg und 
Graubünden, nachgewiesen worden ist. Er fand da oben noch 
Mhicrostoma lineare und eine Planarien-Spezies 17). 

Diese Thatsache (und die Auffindung von Turbellarien in 
noch anderen alpinen Seen) unterstützt die Theorie von deren 
passiver Migration, sodass wir kein Bedenken tragen dürfen, uns 
die Verbreitung jener leicht verletzbaren Würmer in derselben 
Weise zu denken, wie dies von den kleinen Krebstieren längst 
bekannt ist, nämlich durch ihre widerstandsfähigen Eikörper und 
die gelegentliche Verschleppung von erwachsenen Exemplaren, 
welche am feuchten Gefieder eines wandernden Wasservogels vor 
Austrocknung geschützt blieben und so eine Luftreise nach einem 
andern Wasserbecken ohne Schaden für Leib und Leben zu über- 


stehen vermochten. 


2 


Litteratur. 


1) Vergl. 0. Zacharias, Zur Kenntnis der niedern Tierwelt 
des Riesengebirges nebst vergleichenden Ausblicken. Mit 6 Illu- 
strationen. 1890. 


2) E. Sekera, Prispevky ku znämostem o turbellariech slad- 
novodnich. Prag 1888. Mit 4 Tafeln. 


3) L. v. Graff, Monographie der Turbellarien (I. Rhabdo- 
coelida). 1882. Mit 20 Figurentafeln. 


4) Isao Ijima, Untersuchungen über den Bau und die Ent- 
wickelungsgeschichte der Süsswasser-Dendrocölen (Tricladen). Zeitschr. 


f. wiss. Zoologie, 40. Bd. 1884. Mit 4 Tafeln. 


5) Paul Hallez, Embryogenie des Dendrocoeles d’eau douce. 
'Avec 5 planches. 1887. 


6) 0. Zacharias, Über Fortpflanzung durch spontane Quer- 
teilung bei Süsswasserplanarien. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 43. 
Bd. 1885. 

7) W. Weltner, Dendrocoelum punctatum Pallas bei Berlin. 


Sitzungsber. d. Königl. preuss. Akademie d. Wissenschaften. 1887. 
Mit ı Tafel. 


Litteratur. 218 


8) J. v. Kennel, Die in Deutschland gefundenen Land- 
planarien. Arbeiten des Zool.-zootom. Instituts zu Würzburg. 
5.: Bd 01879: 


9) F. Vejdovsky, Note sur une nouvelle planaire terrestre 
(Microplana humicola nov. gen., nov. sp.). Revue biologique du 
Nord de la France. No. 4, 1890. 


10) M. Braun, Über Dorpater Brunnenplanarien. Mit 
Il afelı -T88T. 


ı1ı) O. Zacharias, Zwei neue Vertreter des Genus Bothrio- 
plana (M. Braun). Zool. Anz. No. 229, 18806. 


ı2) Du Plessis-Gouret, Essay sur la faune profonde des lacs 
de la Suisse. 1885. 
13) O. Zacharias, Das Wassergefässsystem bei Microstoma 


lineare. Zool. Anz. No. 196, 1885. 


14) B. Landsberg, Über einheimische Microstomiden. Pro- 


gramm des Königl. Gymnasiums zu Allenstein. 1887. 


15) M. Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. Mit 
4 Tafeln. 1885. 


ı6) 0. Zacharias, Über Anpassungserscheinungen im Hinblick 
auf passive Migration. Biolog. Centralbl. No. 4, 1889. 


17) Fr. Zschokke, Faunistische Studien in Gebirgsseen. 1890. — 
Zweiter Bericht darüber: 1891. 


Vergl. ausserdem die älteren Werke von 


0. Schmidt, Die rhabdocölen Strudelwürmer des süssen 
Wassers. 1848. — Ergebnisse der Untersuchung der bei Krakau 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 18 


274 


25. Bd. 1857. — Die dendrocölen Strudelwürmer aus den Um- 
gebungen von Graz. Zeitschr. f. wiss. Zool. 10. Bd. 1858 


und 
M. Schultze, Beiträge zur Naturgeschichte der Turbellarien. 
Mit 7 Tafeln. 1861. 


Die Rädertiere (Rotatoria). 


Von Dr. Ludwig H. Plate in Marburg. 


Pr den Lebewesen des süssen Wassers, deren Körperbau 
wegen ihrer geringen Grösse nur mit Hilfe des Mikroskopes studiert 
werden kann, gehört eine Tiergruppe, die in manchen Organisations- 
verhältnissen sich einerseits an die im vorigen Kapitel vom Heraus- 
geber dieses Werkes geschilderten Turbellarien anlehnt, anderseits 
einzelne Gattungen enthält, deren Körper lange, mit Borsten besetzte, 
an die Gliedmassen der Arthropoden in morphologischer und 
physiologischer Hinsicht auffallend erinnernde Anhänge besitzt. 
Es ist die kleine, an häufigen Gattungen nicht allzu reiche Familie 
der Rädertiere oder „Rotatoria“, deren Besprechung sich demnach 
ungezwungen zwischen die von den Strudelwürmern und den 
Entomostraken handelnden Schilderungen einfügt. 

Die Rädertiere sind vorwiegend Bewohner des süssen Wassers 
und zwar, man kann sagen, jeder Form, in der dasselbe in unseren 
Breitengraden auftritt; doch enthält auch das Meer eine ganze 
Anzahl von Gattungen, deren meiste Arten dem Süsswasser an- 
gehören, aber nur in seltenen Fällen treten die marinen Vertreter 
in solcher Individuenzahl auf, dass sie einen charakteristischen 
Bestandteil der pelagischen Fauna bilden. Wir werden daher im 
folgenden vornehmlich auf die Süsswasserformen eingehen und nur 
gelegentlich der Meeresbewohner Erwähnung thun. Die Rotatorien 
sind, wie angedeutet wurde, keineswegs wählerisch in Bezug auf ihre 
Fundplätze; der fliessende Strom und die sprudelnde Bergquelle 
gewähren ihnen ebensogut alle Bedingungen zur Erhaltung des 


Ber 5 IE 


278 Die Rädertiere. 


Lebens, wie der stagnierende Sumpf, und die nie austrocknenden 
Wasserbecken grösserer Teiche und Seen werden ebenso zahlreich 
von verschiedenen Gattungen und Arten bevölkert wie die ver- 
gängliche Lache, die sich irgendwo nach einem heftigen Regen- 
schauer bildet und schon nach wenigen Tagen der Macht der 
Sonne weichen muss. Selbst an Orten, die immer nur ganz vor- 
übergehend mit dem feuchten Elemente in Berührung kommen, 
die der Zeitdauer nach viel eher als trocken denn als nass bezeichnet 
werden müssen, also unter Existenzbedingungen, wie sie ungünstiger 
kaum für einen Wasserorganismus gedacht werden können, selbst 
dort begegnen wir dem munteren Völkchen der Rotatorien. Der- 
artige Fundorte sind z. B. die Rinnen auf den Dächern alter 
Häuser, sobald sich in ihnen Sand und Schlamm angesammelt hat; 
ferner leben viele Rotatorien in dichten Moos- und Flechtenpolstern 
sowie in den oberflächlichen Erdlagen zwischen den Wurzeln von 
Gräsern und anderen Kräutern. Da die Rotatorien allseitig von 
Wasser umspült sein müssen — eine feuchte Atmosphäre genügt 
nicht —, um ihre Lebenskräfte bethätigen zu können, so folgt 
daraus, dass dieselben an den letztgenannten Fundorten nur nach 
einem Regenguss oder nach reichlichem Taufall zum Genusse 
ihres Daseins kommen. Sobald ihr Lebenselement wieder ab- 
geflossen oder verdunstet "ist, schrumpfen sie zu einem winzigen 
Körnchen zusammen, das regungslos daliegt und wie ein Staub- 
atom vom Winde. überall hin geführt werden kann, um bei der 
nächsten Anfeuchtung wieder aufzuquellen und, vom Scheintod 
erweckt, aufs neue in den Kreis der Lebewesen einzutreten. Viele 
Rädertiere — wir können sie als „Erdrotatorien“ den ständigen 
Wasserbewohnern gegenüberstellen — sind demnach in wunderbarer 
Weise an solche periodisch auftretende Lebensbedingungen ange- 
passt und führen ein intermittierendes Dasein, auf das ich ein- 
gehender weiter unten (s. IV) zu sprechen kommen werde. 
Obwohl nun die meisten Wasserrotatorien ausgezeichnete 
Schwimmer sind, die vielfach pfeilschnell sich mit Hilfe ihres 
„Räderapparates“ zu bewegen vermögen, so giebt es doch nur 
_ verhältnismässig wenige Gattungen, die beständig schwimmen und 
‚ 


Die Rädertiere. 279 


daher auch dort vorkommen, wo das Wasser fast frei von Pflanzen 
und Treibmaterial ist, also in der Mitte unserer Teiche und Seen. 
Man pflegt gegenwärtig die im offenen Meere lebenden Tiere und 
Pflanzen im Gegensatz zu den die Küste und den Meeresgrund 
bewohnenden als „pelagische“ zu bezeichnen und wendet diesen Aus- 
druck, übertragend, aber wenig logisch, auch auf die Süsswasserfauna 
an. Zu den pelagischen Rädertieren des Süsswassers gehören vor- 
nehmlich die Gattungen Asplanchna, Anuraea, Triarthra, Polyarthra 
und ‚Synchaeta, für die weiter charakteristisch ist, dass sie dort, 
wo sie vorkommen, meist in sehr grosser Individuenzahl, zu 
Tausenden und Abertausenden, angetroffen werden. Die Mehrzahl 
der Rotatorien liebt es hingegen, abwechselnd zu schwimmen und 
sich vorübergehend mittels besonderer am Hinterende des Körpers 
angebrachter „Fussdrüsen“ festzuheften, und sie halten sich aus 
diesem Grunde zwischen Wasserpflanzen oder, bei seichten Ge- 
wässern, dicht über dem Boden auf. Bei einigen wenigen Gattungen 
endlich ist die Beweglichkeit noch mehr beschränkt. So treffen 
wir in der Abteilung der Philodiniden nur Formen an, die, wenn 
sie ungestört sind, sich fest irgendwo vor Anker legen und ihren 
Räderapparat nur zum Herbeistrudeln von Nahrung benutzen; erst 
wenn sie beunruhigt werden, verlassen sie teils spannerraupenartig 
kriechend, teils frei schwimmend den Platz. Endlich giebt es noch 
eine kleine Familie, die Melicertiden, welche nur in der Jugend 
frei beweglich sind, später aber sich dauernd an Wasserpflanzen oder 
untergetauchten Gegenständen festheften. 

Ehe wir uns nun einer vergleichenden Schilderung der ganzen 
Gruppe der Süsswasserrotatorien zuwenden, wollen wir eine be- 
stimmte Art möglichst eingehend anatomisch und biologisch unter- 
suchen, um so einen gesicherten Ausgangspunkt zu gewinnen, 
von dem aus der Leser in das Studium dieser interessanten 
kleinen Wesen eindringen und einen Massstab an die innerhalb 
derselben vorkommenden Variationen des Körperbaues und der 
Lebensweise anlegen kann. Wir wählen als Typus der Klasse 
eine der gemeinsten, überall sich findenden Arten, die zuerst von 
dem dänischen Zoologen Otto Friedrich Müller 1773 entdeckt 


280 Die Räderliere. 


und später von dem grossen Berliner Erforscher der kleinsten - 
Lebewesen, Christian Gottfried Ehrenberg, im Jahre 1838 
unter dem Namen 


Hydatina senta, das Krystallfischchen, 


beschrieben wurde. Das Tierchen gehört zu den ständigen Wasser- 
bewohnern, und wir können uns dasselbe ebenso wie seine übrigen 
Verwandten mit Hilfe eines sehr engmaschigen seidenen kleinen 
Netzes aus sogen. „Müllergaze“ leicht verschaffen. Exemplare von 
Hydatina finden sich häufiger in kleinen stehenden Tümpeln als 
in grösseren Wasserbecken, was vielleicht nur damit zusammen- 
hängt, dass sie sich in letzteren auf einen grösseren Raum verteilen, 
während sie sich in ersteren nicht selten in enormen Scharen an- 
sammeln, sodass wir nur für einige Augenblicke das Netz durch 
das Wasser hin und her zu ziehen und dann den im Grunde des- 
selben angesammelten Niederschlag in einem Wasserglase abzuspülen 
brauchen, um mit einer schwachen Lupe Tausende von durch- 
sichtigen etwa 1/2 mm langen Hydatinen sich rastlos im Wasser 
umhertummeln zu sehen. Sehr häufig erkennt man von jedem 
Tierchen nicht viel mehr als einen grünen zentralen Fleck, der 
sich bei Besichtigung mit einem Mikroskope als ein im Magen 
liegender Nahrungsballen von kleinen grünen Algen oder Flagellaten 
erweist. Um eine volle Einsicht in den Bau der Hydatinen 
zu gewinnen, bedarf es eines Mikroskopes, dessen Vergrösserungs- 
kraft sich etwa bis zu einer 500fachen steigern lässt. Mit Hilfe 
eines „Tropfenzählers“ übertragen wir einige der Tierchen in ein Uhr- 
schälchen, greifen zur Lupe und bringen eines derselben mittels der 
Pipette in einem kleinen Tropfen auf den Objektträger, bedecken ihn 
mit einem Deckglase und betrachten nun das Rädertier mit einer 
schwachen Vergrösserung. Jenachdem sich noch relativ viel oder 
wenig Wasser unter dem Deckglase befindet, schwimmt das Tier 
rasch oder langsam umher, sodass wir — durch Zusatz oder durch 
Absaugen von Wasser — es vollkommen in der Hand haben, die 
Geschwindigkeit der Fortbewegung so zu regulieren, dass eine 
Beobachtung der natürlichen Körpergestalt möglich ist. Zum 


Die Rädertiere. 9 


[0 0) 
er 


Studium der inneren Organisation ist es jedoch unumgänglich nötig, 
die lebhaften Bewegungen der Hydatina ganz oder nahezu zu 
hemmen, und hierzu stehen uns drei Mittel zur Verfügung. Einmal 
lässt sich durch Absaugen eines Teiles des Wassers ein solcher 
Druck auf das Objekt ausüben, dass dasselbe fast unbeweglich da- 
liegt; wird die Körpergestalt hierbei auch unnatürlich breit, so hat 
doch diese Methode den grossen Vorzug, die Lebensäusserungen 
fast aller Organe der Beobachtung selbst mit starken Vergrösse- 
rungen zugängig zu machen. Zweitens kann man durch Zusatz 
eines Tropfens einer dünnen Lösung von Kokain (I Teil auf 20 Teile 
Wasser) die Hydatinen in vielen Fällen vorübergehend lähmen; 
leider ist dieses Mittel nicht immer zuverlässig und geht auch nur 
zu oft Hand in Hand mit Verzerrungen der natürlichen Körper- 
gestalt. Der letztere Übelstand beeinträchtigt sehr häufig auch die 
Resultate, welche mit der dritten Methode, der Abtötung unter 
dem Deckglase oder im Uhrschälchen, erzielt werden. Am meisten 
anzuraten ist die Anwendung 1/oiger Überosmiumsäure, da diese 
die Gewebe vorzüglich fixiert. Um das Schwarzwerden der Objekte 
zu verhüten, ist es nötig, dieselben, nachdem die Säure 1a bis 
2 Minuten eingewirkt hat, mit destilliertem Wasser auszuwaschen. 
Eine Abtötung durch langsames Erwärmen des Wassers erhält die 
Tiere nicht selten schön ausgestreckt, ist aber bei feineren histo- 
logischen Studien nicht verwertbar. 

Die Körpergestalt der Aydatına senta (Fig. 62 S. 282) ist 
die eines nicht sehr breiten, dafür aber ziemlich hohen Kegels, 
etwa eines Zuckerhutes. Der Basis des Kegels entspricht das 
vordere Körperende, während die Spitze in zwei kleine dolch- 
förmige Anhänge, die „Fusszehen“, ausgezogen ist. Die Gestalt des 
völlig ausgestreckten Tieres weicht nur darin von der eines mathe- 
matischen Kegels ab, dass sie erstens etwas abgeplattet, gleichsam 
zusammengedrückt ist, sodass der Querschnitt keinen Kreis, sondern 
ein Oval darstellen würde, und dass sie zweitens hinter dem 
Vorderende eine ringförmige Einschnürung besitzt, um sich dafür 
in der Mitte um so stärker auszubauchen. Es ergiebt sich daraus 
eine Gliederung des Körpers in drei undeutlich von einander 


282 Die Rädertiere. 


geschiedene Regionen, die 
von vorn nach hinten als 
Kopf, Mittelleib und 
Schwanz (letzterer von der 


AA 5 


Spitze des Kegels und 
den zwei Zehen gebildet) 
unterschieden werden. Be- 
trachten wir den Kopf 
genauer, so sehen wir, 
dass seine nach vorn ge- 
kehrte Fläche nicht eben 
ist, sondern dass sie sich 
zu einer tiefen trichter- 
förmigen Grube (gr) ein- 
senkt. Der Rand dieses 
Trichters beschreibt kein 
regelmässiges Oval, sondern 
ein Dreieck, dessen zwei 
bauchständige oder „ven- 
trale“ Seiten nach hinten 
winkelig vorgezogen sind, 
sodass sie etwas hinter 
dem „Dorsal-Rand“ liegen. 
Denken wir uns demnach 
einen Kegel an seiner 
Basis schräg abgestutzt und 
die so erhaltene Fläche 
trichterförmig eingestülpt, 
so ergeben sich annähernd 
gleiche Verhältnisse wie am 
Kopfe der Aydatına senta. 

Schon eine flüchtige 


Betrachtung unseres Tier- 
Fig. 62. 


chens zeigt uns, dass die 
Hydatına senta Q. Ventralansicht. 5 ; 


(Starke Vergrösserung.) Kraft, welche dasselbe so 


Die Rädertiere. 283 


munter im Wasser umhertreibt, vom Kopfende ausgehen muss, 
denn während der Mittelkörper und der Schwanz regungslos durch 
das flüssige Element dahingleiten, bemerken wir am Kopfe eine 
lebhafte Strudelung, deren Ursache uns ein starkes Objektiv er- 
kennen lässt. Der ganze Rand des Kopfes und auch ein grosser 
Teil der Trichterwandung ist mit zahllosen Härchen (r) besetzt, 
die abwechselnd schnell hakenförmig zusammenknickend nach hinten 
schlagen und sich dann wieder langsam ausstrecken; jedes Härchen 
stellt gleichsam ein Ruder dar, das um einen festen Punkt herum 
hin und her bewegt wird. Bei manchen Rotatorien, namentlich 
den meisten Erd- und Moosbewohnern, ruft das Spiel dieser 
Wimpern oder „Cilien“ den Eindruck eines sich drehenden Rades 
hervor; indem nämlich immer nur wenige Ciliengruppen in den 
Fokus der betreffenden Linse gleichzeitig hineintreten, und diese 
dabei den Kopfrand umkreisend nach einander sichtbar werden, 
wird auf das Auge ein ähnlicher Reiz ausgeübt, wie ihn die Speichen 
eines in Drehung befindlichen Rades hervorrufen. Aus diesem 
Grunde hat man der ganzen Abteilung den Namen „Rädertiere“ 
gegeben, und bezeichnet man die Summe der zur Bewegung 
dienenden Härchen als „Räderapparat“ oder „Räderorgan“ 
Bei unserer Hydatina hält es nun gar nicht leicht, den Bau dieses 
Wimpertrichters genau festzustellen, so dass ın Einzelheiten die 
Angaben der verschiedenen Forscher vielfach differieren. Unsere 
Abbildung zeigt, wie der Räderapparat im wesentlichen aus zwei 
Cilienkränzen, einem äussern und einem innern, besteht. Jener wird 
aus einer Reihe sehr zarter und langer Cilien gebildet, zwischen 
die sich nur auf der Ventralseite, ungefähr in der Mitte jeder 
Seitenhälfte, einzelne derbere Borsten einschieben. Der innere 
Kranz hingegen ist vielgestaltiger und zerfällt in drei von einander 
getrennte Zonen. An der Rückenwand erhebt er sich zu fünf 
grösseren Polstern, die mit starken Borsten besetzt sind und hinter 
denen eine Doppelschnur von kleineren Cilien entlang zieht. Auf 
der Ventralfläche des Kopftrichters breitet sich jederseits der Median- 
linie ein Wimperband aus, das aus einer Reihe grosser und einer 
Reihe kleiner Härchen gebildet wird. Endlich ist auch noch der 


284 Die Rädertiere. 


Grund des Trichters mit zahlreichen kleinen Cilien besetzt, deren 
Anordnung sich nicht weiter verfolgen lässt. Der Räderapparat 
hat nun nicht allein den Zweck, die Hydatina unter beständigen 
Umdrehungen um die Längsachse durch das Wasser zu treiben, 
sondern erfüllt auch die viel wesentlichere Aufgabe, die nötige 
Nahrung herbeizustrudeln. Unser Krystallfischchen nährt sich, wie 
der meist grüne Mageninhalt beweist, vornehmlich von Flagellaten 
(Euglenen u. dergl.), kleinen Algen, Diatomeen, Infusorien und 
ähnlichen niedrigsten Organismen. Der vom Cilienapparat hervor- 
gerufene Strudel packt dieselben und schleudert sie auf den Grund 
des Trichters (gr) in’ die daselbst gelegene Mundöffnung, von wo 
aus sie durch andere Wimpern in den eigentlichen Verdauungskanal 
getrieben werden. Die geschilderten Cilien des Kopftrichters be- 
sitzen die Kraft zu ihrer rastlosen Thätigkeit in sich selbst, sie 
bewegen sich spontan und werden nicht etwa durch Muskeln be- 
wegt. Sie müssen naturgemäss fest in der Haut wurzeln, und 
daher sehen wir diese am Kopfe etwas stärker entwickelt als an 
anderen Körperstellen. 

An der glashellen Körperwand der Hydatina lassen sich zwei 
verschiedene Lagen unterscheiden. Die äussere (c) ist völlig 
homogen und gegen dünne Kalilauge sehr widerstandsfähig, sodass 
wir ihr eine hornartige, „chitinige“ Beschaffenheit zuschreiben dürfen. 
Die innere (hg) hingegen ist feinkörnig, protoplasmatisch und ent- 
hält von Stelle zu Stelle einen Kern. Besondere Zellgrenzen lassen 
sich in dieser Protoplasmaschicht nicht erkennen, sie stellt vielmehr 
ein „Zellsyncytium“, d.h. eine durch Verschmelzung der ursprüng- 
lich getrennten Zellen einheitlich und kontinuierlich gewordene Lage 
dar. Man bezeichnet sie als „Hypodermis“ und nimmt an, die 
äussere Schicht, die „Kutikula“, sei durch Abscheidung von ihr 
erzeugt. Nur in zwei Körperregionen schwillt die Hypodermis zu 
ungewöhnlicher Dicke an. Dieselben liegen an den beiden Polen 
des Körpers, nämlich einmal längs des ganzen Randes des Kopf- 
trichters, woselbst die Hypodermis zu zahlreichen halbkugeligen 
Polstern sich verdickt, welche eben den Cilien des Räderapparates 
die gewünschte feste Unterlage bieten, und ferner in den Zehen 


Per 
Br Term! 
“2 


Die Rädertiere. 285 


des Schwanzes, in denen die Hypodermis sich zu den zwei langen 
schlauchförmigen und ein gutes Stück nach vorn in die Leibes- 
höhle hineinragenden „Fuss- oder Klebdrüsen“ (/) erweitert. 
Beobachtet man eine lebende Hydatina, so wird man bald be- 
merken, dass diese keineswegs beständig umherschwimmt, sondern 
dass sie von Zeit zu Zeit sich an irgend einem untergetauchten 
Gegenstande für wenige Minuten festheftet. Das Spiel der Wimpern 
hört unterdessen nicht auf, dient dann aber lediglich seiner zweiten 
(nutritorischen) Funktion. Die Anheftung erfolgt mittels eines 
klebrigen Sekretes, das in Tropfenform von den Fussdrüsen an der 
Spitze der Zehen durch eine sehr kleine Öffnung entleert wird und 
bei Berührung mit dem Wasser sofort zu einer festen Masse er- 
starr. Die Drüsen sind ebenso gebaut wie die Hypodermis, aus 
der sie hervorgegangen sind; sie stellen also ein Zellsyncytium dar 
ohne zentrales Lumen, d. h. ohne innere Höhle. Nach vorn läuft 
jede Drüse in einen feinen bindegewebigen Faden aus, der sich 
an der Körperwand befestigt und dadurch das Organ in der Leibes- 
höhle suspendiert erhält. Die Ausmündung erfolgt durch ein feines 
Röhrchen. 

Von den inneren Organen des Krystallfischchens fallen durch 
ihre Grösse dem Beobachter vornehmlich diejenigen sofort auf, 
welche der Selbsterhaltung und der Fortpflanzung des Tierchens 
dienen, die Ernährungs- und die Geschlechtsorgane. Zu 
den ersteren kann man, wie wir oben gesehen haben, auch den 
Cilienbesatz des Kopfes rechnen. Die von demselben herbei- 
gestrudelten Nahrungsteilchen treten am Grunde des Kopftrichters 
in die Mundöffnung über, welche nicht genau in der Mitte des 
von den Cilien umstellten Feldes liegt, sondern stark ventralwärts 
verschoben ist. Dies hat zur Folge, dass die dorsale Fläche des 
Kopftrichters etwas grösser ist, als jede der beiden ventralen, wie 
dies auch aus der Betrachtung unserer Abbildung erhellt. Der Ver- 
dauungskanal erstreckt sich unter der Rückenhaut als ein gerades, 
der Medianlinie folgendes Rohr nach hinten und gliedert sich in 
vier Abschnitte, die vom Munde aus gerechnet nach einander als 
Kauapparat oder Mastax, Schlund oder Oesophagus, Mitteldarm 


286 Die Rädertiere. 


oder Magen und Enddarm oder Rectum bezeichnet werden können. 
Der Kauapparat (ma) ist ein relativ grosses, querovales, am 
Hinterrande dreilappig ausgezogenes Gebilde, das sich nicht direkt 
an die Mundöffnung anschliesst, sondern mit dieser durch ein 
kurzes flimmerndes Rohr verbunden ist. Ich sehe in diesem keinen 
besonderen Abschnitt des Verdauungskanales, sondern rechne es 
mit zur Mundöffnung. Der Mastax wird aus einem äusseren 
protoplasmatischen Mantel und einem zentralen chitinigen Kiefer- 
apparat zusammengesetzt, dessen eigenartige Bewegungen dem 
Beobachter sofort ins Auge fallen. Wie etwa die Backen eines 
Nussknackers durch den Druck der Hand gegen einander bewegt 
und nach Sprengung der Schale wieder von einander entfernt werden, 
so rücken die beiden Seitenteile des Gebisses um einen festen 
Angelpunkt abwechselnd gegen und von einander und zermalmen 
so jedes zwischen sie geratene Nahrungsteilchen. Der Kieferapparat 
ist im einzelnen so kompliziert eingerichtet, dass man seinen Bau 
nur nach völliger Isolierung erkennen kann. Bei der Kleinheit des 
Objektes ist an ein Zerzupfen des Tieres mittels feiner Nadeln 
nicht zu denken; wir opfern daher lieber ein Individuum und 
bringen einen Tropfen dünner Kalilauge unter das Deckglas. Die- 
selbe zerstört, vornehmlich in der Hitze, sämtliche protoplasmatischen 
Bestandteile der Hydatina, sodass nur ‘der chitinige Zahnapparat 
erhalten bleibt. Jetzt hält es nicht schwer, sich eine ungefähre 
Vorstellung von dem zierlichen Gerüste der Kiefer. zu bilden: zwei 
nach vorn gerichtete Seitenteile werden hinten durch ein stab- 
förmiges unpaares Gebilde zusammengehalten. Sie tragen als 
wichtigsten Bestandteil auf der Innenfläche fünf lanzettförmige, 
quergerichtete Zahnleisten, die beim Zusammenklappen des Gebisses 
sich zwischen einander schieben und so die Nahrung zerquetschen. 
Die den Kieferapparat umhüllende Plasmamasse ist offenbar zum 
grossen Teile muskulöser Natur und bewirkt die rhythmischen Be- 
wegungen, wenn sie auch keine fibrilläre Struktur erkennen lässt. 
Einzelne Partien lassen aus ihrem Aussehen auf eine drüsige Funk- 
tion schliessen. Auf der Dorsalfläche und nahe dem Hinterrande 
des Mastax entspringt der kurze, sehr enge und schwer sicht- 


ui 


Die Rädertiere. 287 


bare Schlund. Abgesehen ‚vom Kauapparat ist er der einzige 
Abschnitt des Verdauungskanales, welcher der Flimmercilien ent- 
behrt. Der sich an ihn anschliessende Magen (sio) ist gross, 
sackförmig, vorn und hinten etwas verschmälert; in ihm pflegen bei 
frisch gefangenen Tieren die Nahrungsbestandteile so dicht angehäuft 
zu liegen, dass, wie gesagt, die ganze Hydatina unter der Lupe nur 
wie ein wandelnder grüner oder schwärzlicher Fleck erscheint. 
Unter dem Mikroskope erweisen sich jene Bestandteile grösstenteils 
in beständiger zitternder Bewegung, die durch die langen Cilien 
der aus einer Schicht grosser polygonaler Zellen gebildeten Wandung 
hervorgerufen wird. Besonders gross sind diese Flimmerhaare am 
Übergange des Schlundes in den Magen. Neben dieser Stelle sitzt 
dem Magen noch ein Paar drüsiger, birnförmiger Anhänge (dr) an, 
die einzigen, welche dem Verdauungskanal überhaupt zukommen. 
Sie dienen vermutlich als Leber, indem sie ein die Verdauung 
unterstützendes Sekret in den Magen entleeren. Der Enddarm 
unterscheidet sich im histologischen Bau nur unwesentlich von dem 
Magen, von dem eine ringförmige, muskulöse Einschnürung ihn 
trennt. Er geht nicht direkt in den querspaltigen, ungefähr am 
Anfange des letzten Körperviertels auf der Rückenseite gelegenen 
After (a) über, sondern beide trennt ein kurzer, flimmerloser 
Zwischenkanal, die sogen. Kloake. Sie nimmt ausser dem End- 
darm die Ausführgänge der Zeugungs- und Exkretionsorgane auf. 

Die Ausscheidung einer harnartigen Flüssigkeit, welche dem 
Körper nicht mehr dienliche stickstoffhaltige Stoffe entfernt, besorgen 
zwei schmale, dünnwandige Röhren, die Nephridien (ne) — mit 
einem unpassenden Namen auch wohl als „Wassergefässe“ be- 
zeichnet —, welche sich vom Kopfabschnitt der Leibeshöhle an 
seitlich nach hinten bis zur Kloake erstrecken; sie verschmelzen hier 
zu einer gemeinsamen Blase, einem Harnreservoir (c. v), das in die 
Kloake einmündet und seinen Inhalt durch rhythmische Kontraktion 
seiner Wände in diese entleert. Bei einem gesunden Tiere folgen 
Zusammenziehung und Ausdehnung der Blase einander in regel- 
mässigem Wechsel, mehrere Male in jeder Minute, sodass man von 
einem Pulsieren derselben sprechen kann. Jedes Nierengefäss zeigt 


288 Die Rädertiere. 


aussen eine zarte, feinkörnige, protoplasmatische Wandung mit hie 
und da eingestreuten Kernen und innen einen engen Kanal. An 
zwei kleinen Stellen, nämlich vorn im Kopfe und in der Höhe der 
Magendrüsen, windet sich der Kanal knotenartig mehrfach hin und 
her, und hier findet sich dementsprechend auch eine reichlichere 
Ansammlung von Protoplasma. Die beiden vorderen Knäuelpartien 
stehen ausserdem durch ein enges, bogenförmig unter der Rücken- 
haut (genauer gesagt: dem Gehirn) verlaufendes Quergefäss mit 
einander in Verbindung. Jeder Nierenschlauch trägt eine Anzahl 
eigenartiger sehr kleiner Anhänge (2), die man auch bei den 
Turbellarien vorgefunden hat, und die nach der flackernden, 
unsteten Bewegung, die man in ihrem Innern stets bemerkt, als 
„Zitterlammen“ oder „Zitterorgane“ bezeichnet werden. Es sind 
Ausstülpungen des Kanallumens, die sich bald mit einer dreieckigen 
Breitseite, bald mit einer birnförmigen Schmalseite dem Beobachter 
präsentieren. jene Bewegung wird hervorgerufen durch die 
Schwingungen einer kleinen Membran, die dem freien, nach aussen 
geschlossenen Ende der Ausstülpung aufsitzt und in ihr Lumen 
hineinragt. Die ganze Bildung ist wohl als eine eigentümliche 
Wimperzelle anzusehen, deren physiologische Bedeutung freilich 
noch ganz unklar ist. 

Untersucht man eine grosse Anzahl von ausgewachsenen 
Hydatinen, so wird man erstaunt darüber sein, bei allen auf der 
Ventralseite und in. der Mitte des Körpers ein grosses Organ 
anzutreffen, das unzweifelhafte Eier enthält und demnach als 
Geschlechtsorgan des Weibchens angesehen werden muss. 
Vergebens aber suchen wir in diesem Tiere und in anderen Indi- 
viduen nach irgendwelchen Andeutungen von einer männlichen 
Sexualdrüse. Es hat lange gedauert, bis die hier obwaltenden Ver- 
hältnisse klar erkannt worden sind. Bei der Hydatina sind näm- 
lich fast alle Individuen weiblichen Geschlechtes, und der Prozentsatz 
der Männchen ist ein so ausserordentlich niedriger, dass auf viele 
Hunderte von @ nur ein oder einige wenige % kommen. Die % 
weichen auch in Grösse und Bau so erheblich von den ® ab, dass 
wir weiter unten diesen Dimorphismus der Geschlechter besprechen 


Die Rädertiere. 289 


werden. Da nun die ® so sehr viel seltener sind, haben die 
Hydatinen die Fähigkeit erworben, sich auch ohne die Männchen 
„parthenogenetisch“ fortzupflanzen, d. h. die von ihnen erzeugten 
Eier bedürfen keiner Befruchtung, sondern entwickeln sich ohne 
diese „jungfräulich“ zu neuen Tieren. In dem Ovar bemerkt man 
zunächst nur eine dichtkörnige dunkele Protoplasma-Masse (dst), 
in der acht ovale, von einem schmalen, hellen Hofe umgebene 
Gebilde liegen. Wir sehen hierin acht Kerne, deren Kernkörperchen 
eine riesige Ausdehnung gewonnen haben, sodass der eigentliche 
Kern auf jene Randzone sich beschränkt. Früher nahm man an, 
dass diese Kerne sich, von etwas Protoplasma umgeben, abschnürten 
und sodann zu Eiern heranwüchsen. Es hat sich nun neuerdings 
gezeigt, dass diese Anschauung nicht richtig ist, sondern dass jene 
zusammenhängende mit acht grossen Kernen versehene Protoplasma- 
Masse nur einen Teil des Ovars darstellt und zwar denjenigen, der 
nicht die Eier erzeugt, sondern diese nur mit Nahrungsdotter ver- 
sorgt und daher als Dotterstock zu bezeichnen ist. An seinem 
Vorderrande erblickt man an Tieren, die mit Osmium-Säure ab- 
getötet, und deren Kerne hinterher durch irgend eine der gebräuch- 
lichen Flüssigkeiten, etwa Borax-Karmin, gefärbt worden sind, noch 
eine Anzahl sehr kleiner und dicht zusammenliegender Kerne. Diese 
stellen den Eierstock fest) dar, denjenigen Teil der Geschlechts- 
drüse, welcher die Keimzellen, die Eier, liefert. Wie ein Blick auf 
unsere Abbildung lehrt, werden die Kerne des Eierstockes nach 
der rechten Ecke des Vorderrandes (die Bauchseite des Tieres ist 
dem Beobachter zugewendet) zu immer kleiner. Sie liegen hier, 
wie es scheint, in einem kontinuierlichen Protoplasma-Lager, an das 
sich nach links zu deutlich gesonderte kleine Eizellen anschliessen. 
Je mehr wir uns der linken Ecke des Ovars nähern, um so grösser 
werden die Eizellen, und die grössten schieben sich dabei nach 
hinten vor und kommen so neben den linken Seitenrand des 
Dotterstockes zu liegen, dem sie sich dicht anschmiegen. In dieser 
Stellung beginnt nun auch die ernährende Thätigkeit des Dotter- 
stockes. Letzterer, wie auch die Eizelle, werden von einer sehr 
zarten Membran umhüllt, und durch diese. diffundiert die im 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 19 


Pi FE = A TR 
x ; | 
v - 


290 Die Rädertiere, 


Dotterstock angesammelte Dottersubstanz hindurch und gelangt so 
in die Eizelle hinein. Dieser Übertritt kann natürlich nur in einer 
flüssigen Form geschehen und entzieht sich deshalb der direkten 
Beobachtung. Aber der Umstand, dass die dem Dotterstocke 
angelagerten Eizellen sehr bedeutend an Grösse zunehmen, während 
die Plasma-Masse des Dotterstockes abnimmt, lässt keine andere 
Deutung der Verhältnisse zu. — Die gesamte Geschlechtsdrüse 
wird von einer dünnen Membran sackartig umgeben. Hinter dem 
Dotterstock umschliesst dieselbe einen trichterförmig sich nach 
hinten verengernden Raum, den „Uterus“ (ut), welcher neben der 
kontraktilen Blase der Nephridien in die Kloake mündet. Sobald 
die Eier ihre definitive Grösse erreicht haben, fallen sie in den 
Uterus hinein und werden aus diesem durch die Kloake hindurch 
einzeln abgesetzt. Die Eier sind von runder oder ovaler Gestalt 
und schwanken in der Länge ihrer grössten Achse etwa zwischen 
0.10 bis 0.14 mm. Untersucht man eine grössere Anzahl solcher 
Eier, so wird man einzelne von besonderer Kleinheit antreffen 
(0.07 bis 0.11 mm), die im Innern einen sehr auffälligen tiefschwarzen 
Fleck aufweisen. Der Breslauer Botaniker Cohn hat zuerst gezeigt, 
dass sich aus derartigen Eiern stets Männchen entwickeln. Die 
genannten zwei Eisorten sind nun nicht die einzigen, welche unserer 
Hydatina zukommen. Da das Tierchen, wie angegeben wurde, 
mit Vorliebe sich in ganz seichten Lachen und Gräben aufhält, 
welche oft schon nach wenigen Tagen eintrocknen, so würde das- 
selbe in solchen Fällen stets zu Grunde gehen, wenn nicht die 
Natur ein Schutzmittel in der Erzeugung besonders widerstands- 
fähiger „Dauereier“ geschaffen hätte; denn die Hydatina besitzt 
nicht das von den Erdrotatorien eingangs geschilderte Eintrocknungs- 
vermögen. Sobald das Tier dem feuchten Elemente entrückt wird, 
geht es rettungslos zu Grunde. Jene Dauereier hingegen können 
unbeschadet ihrer Lebenskraft eintrocknen. Sie unterscheiden sich 
von den gewöhnlichen Eiern äusserlich nur dadurch, dass sie von 
einer doppelten Hülle umgeben sind, von denen die äussere sehr 
derb und mit einem dichten Haarbesatz versehen ist. Ob auch 
ein Unterschied — etwa in der Grösse — zwischen männlichen 


Die Rädertiere. 291 


und weiblichen Dauereiern existiert, oder ob überhaupt nur letztere 
vorkommen, was wahrscheinlicher ist, ist zurzeit noch nicht ent- 
schieden. Alle drei Eisorten vermögen sich nun auf partheno- 
genetischem Wege zu entwickeln und zwar die dünnschaligen sehr 
rasch, ungefähr in 24 Stunden, während die Entwickelungsdauer 
der hartschaligen sehr verschieden zu sein scheint. Jedenfalls 
können diese wochenlang ohne Veränderung verharren und bedürfen 
vielleicht unter Umständen erst einer Trockenperiode. Früher be- 
zeichnete man die hartschaligen Eier vielfach als „Wintereier“, 
indem man annahm, dass sie im Herbste aufträten und die Art 
über die rauhe Jahreszeit hinaus erhielten. Cohn stellte ferner 
den Satz auf, dass dieselben nur nach erfolgter Begattung gebildet 
werden könnten. Beide Ansichten sind nicht richtig. Die Dauer- 
eier werden den ganzen Sommer hindurch gebildet und zwar auch 
von Weibchen, die nie mit Männchen in Berührung gekommen 
sind. Sie dienen auch nicht als Schutz gegen die Kälte, sondern 
gegen das Eintrocknen, daher sie auch bei den Erdrotatorien, die 
in anderer Weise an das Versiegen des Wassers angepasst sind, 
fehlen. Merkwürdigerweise werden alle drei Eisorten je von be- 
sonderen Individuen erzeugt, wenigstens bin ich auf Grund grösserer 
Versuchsreihen seinerzeit für die A/ydatına senta zu diesem Schlusse 
gedrängt worden. Die Mehrzahl aller Hydatinen legt nur weich- 
schalige weibliche „Sommereier“, und zwar während ihrer zwei- bis 
dreiwöchigen Lebensdauer etwa fünfzig Stück; einige wenige Tiere er- 
zeugen ebenso ausschliesslich die kleinen weichschaligen Eier, aus denen 
die Männchen schlüpfen. Das Gleiche gilt von denjenigen Tieren, 
welche Dauereier ablegen, nur dass die Zahl derselben eine viel 
geringere ist, indem täglich nur 1—5 derselben abgesetzt werden*). 


*) Nach den neuesten (Comptes rendus, t. CXI. 1890) Untersuchungen von Maupas, 
die mir während der Korrektur d. Bog. bekannt werden, sind die Fortpflanzungsverhältnisse 
der Hydatina noch etwas anders. Es finden sich zwei Sorten von PL ı) nicht befruchtungs- 
fähige, die ausnahmslos weibliche parthenogenetische Eier erzeugen; 2) befruchtungsfähige, 
die im Falle einer Befruchtung Dauereier absetzen, bei mangelnder Begattung männliche 
Sommereier liefern. Nicht jede Begattung führt zu einer Befruchtung, sondern nur dann, 
wenn sie in den ersten acht Stunden nach dem Verlassen des Eies an einem Q vollzogen 
wird. Q, die mit der Eierablage begonnen haben, sind überhaupt nicht mehr einer Be- 
fruchtung zugängig, daher man unter diesen drei verschiedene Arten von Individuen, den 
drei Eisorten entsprechend, unterscheiden kann. 


19* 


292 Die Rädertiere. 


Das Nervensystem der Hydatina besitzt als Zentralorgan 
ein über und etwas vor dem Schlundkopf gelegenes Ganglienpaar, 
das als „Gehirn“ bezeichnet wird. Betrachtet man dasselbe vom 
Rücken aus, so hat es annähernd den Umriss eines Parallelogramms, 
dessen Längsachse quergestellt ist. Von derSeite gesehen erscheint es 
kegelförmig nach hinten verjüngt. Nach Anwendung von Reagentien 
lassen sich zahlreiche in den peripherischen Schichten liegende Kerne 
erkennen; seine Struktur ist im einzelnen noch nicht untersucht 
worden. Von dem Gehirn ziehen jederseits nach vorn drei 
Nervenstränge, welche diejenigen Matrix-Verdickungen versorgen, 
welche die grossen Borstenbüschel tragen. Nach hinten setzt sich 
das Gehirn in einen Nerv fort, der schräg nach hinten und 
oben zur Rückenwand zieht und hier ein für die Rotatorien sehr 
charakteristisches Sinnesorgan, den „dorsalen Taster“, bildet. Dicht 
unter der Haut schwillt nämlich der Nerv zu einem kleinen, aus 
nur wenigen bipolaren Ganglien-Zellen gebildeten Ganglion an, das 
an eine kreisrunde Öffnung in der Kutikula sich ansetzt. Aus dieser 
Öffnung strahlt ein Büschel langer zarter Borsten hervor, welche 
offenbar sehr empfindlich sind, den bei Berührung empfundenen 
Reiz zum Gehirn weiterleiten und hier zum Bewusstsein kommen 
lassen. Ein ganz ähnlich gebautes Sinnesorgan findet sich jederseits 
ungefähr in der Mitte des Körpers (lt), doch ist dasselbe wegen 
seines zarten, durchsichtigen Baues nicht eben leicht zu finden und 
bis vor kurzem von allen Beobachtern übersehen worden. Die 
„lateralen Taster“ laufen nach vorn in einen Nerv fort, der sicher- 
lich direkt oder indirekt mit dem Gehirn in Zusammenhang steht, 
wenn es auch bis jetzt noch nicht hat glücken wollen, denselben 
nachzuweisen. 

Auf eine eingehende Darstellung des Muskelsystems der 
Hydatina will ich hier verzichten. Es sei nur bemerkt, dass die 
Muskelfasern sämtlich glatt sind und unter der Haut liegen, an die 
sie sich mit beiden Enden anheften. Der Richtung nach kann 
man Quer- und Längsmuskeln unterscheiden. Die ersteren um- 
ziehen reifenförmig in ziemlich gleichen Abständen den Körper 
und bewirken am lebenden Tier, wenn sie sich kontrahieren, häufig 


Die Rädertiere, 293 


ud 


den Anschein einer segmentalen Gliederung. Zu den Längsmuskeln 
rechne ich auch diejenigen Bänder, welche in etwas schräger 
Richtung durch die Leibeshöhle ziehen. Sie bewirken vornehmlich 
die so häufige und für die Untersuchung so störende Einstülpung 
von Kopf und Schwanz in den Mittelkörper. — Besondere Respirations- 
organe fehlen der Hydatina ebensosehr, wie Blutgefässe. Die Atmung 
findet offenbar durch die ganze Haut statt. Die die Leibeshöhle 
erfüllende Flüssigkeit ist wasserklar, ohne irgendwelche an Blut- 
körperchen erinnernde Zellen. Durch die Wirkung der Muskeln 
wird sie beständig in der Körperhöhle hin und her getrieben und 
kann daher die von den inneren Organen ausgeschiedene Kohlen- 
säure leicht der Hautfläche zuführen und so den Gasaustausch 
vermitteln. Sie dient auch als Antagonist der Längsmuskeln, indem 
die eingestülpten Körperpole durch sie unter gleichzeitiger Wirkung 
der Ringmuskeln wieder hervorgepresst werden. — Endlich seien hier 
noch die zahlreichen zarten Bindegewebsfäden erwähnt, welche 
sich zwischen den einzelnen Organen ausspannen und diese in ihrer 
Lage zu einander und zur Haut erhalten. 

Schon oben habe ich kurz des eigenartigen Geschlechts- 
Dimorphismus gedacht, welcher unserer Hydatina zukommt. 
Die früher herrschende Ansicht, derzufolge die Männchen nur im 
Herbste auftreten, um die Produktion von Dauereiern hervorzurufen, 
ist nicht richtig. Sie finden sich zu allen Jahreszeiten; da sie aber 
an Individuenzahl hinter den Weibchen so ausserordentlich zurück- 
stehen, so wird man ihrer nur dann habhaft werden, wenn man 
über grosse Mengen von Hydatinen verfügt. Am zweckmässigsten 
ist es in diesem Falle, etwa hundert Weibchen, einzeln oder in 
beschränkter Anzahl, in Uhrschälchen zu isolieren und die abge- 
legten Eier zu kontrollieren. Bemerkt man unter diesen solche von 
geringer Grösse und mit einem schwarzen, wahrscheinlich aus fäkal- 
artigen, nicht mehr verwertbaren Massen gebildeten Fleck, so hält 
es nicht schwer, das zugehörige Muttertier zu ermitteln und sich 
durch dieses fortlaufend mit männlichen Individuen versorgen zu 
lassen. Für die Männchen ist zweierlei charakteristisch: einmal 
die geringe Grösse im Vergleich mit den Weibchen und zweitens 


294 Die Rädertiere. 


die Reduktion der Örganisationshöhe, welche sich‘ vornehmlich 
in dem fast völligen Schwunde des Verdauungskanals ausspricht. 
Es sind äusserst flinke, kleine Tierchen, die nur ungefähr halb so 
lang als die Weibchen sind und blitzschnell im Wasser umher- 
schwimmen. Die Körpergestalt (Fig. 63) ist ungefähr die gleiche 
wie bei den Weibchen, nur ist der Kopftrichter weit flacher 
und stellt eine seichte Mulde dar, was wohl mit dem Schwunde der 
Mundöffnung zusammenhängt. Am Räderapparat erkennt man den 
äussern Cilienkranz und die fünf mit stärkeren Cilien besetzten 
dorsalen Polster. Das einzige Organ, welches in der Leibeshöhle 
durch seine Grösse auffällt, ist der birnförmige Hoden (f), der 
durch einen kurzen, mit starker Ringmuskulatur ausgezeichneten 
Ausführgang an der der weiblichen Kloakenöffnung entsprechenden 
Stelle ausmündet. Er kann bei der Begattung vorgestülpt werden 
und darf daher als Penis bezeichnet 
werden. Im Innern des Hodens 
bemerkt man bei geschlechtsreifen 
Tieren ein siedendes Gewimmel 
kleiner Samenfäden, die bei An- 
wendung sehr starker Objektive 
einen angeschwollenen Kopf und 
einen schwanzartigen Anhangsfaden 
mit undulierendem Saume erkennen 
lassen. An der Wurzel des Aus- 
führganges zeigt die Hodenblase 
eine feine Längsstreifung; dieselbe liegt 
nicht in der Wandung, sondern wird 
durch kleine nadelförmige Gebilde 
hervorgerufen, die bewegungslos sind 
and deshalb kaum als Samenfäden 


gedeutet werden können. Der Ver- 


Fig. 63. 
Hydatina senta b. Nach Weber. dauungskanal (sio) hat sich nur 
Seitenansicht. 


in ganz rudimentärer Form erhalten; 
er ist bandförmig, ohne Lumen und erstreckt sich von der Rückenfläche 
des Hodens bis zur Kopfmulde. Die Berechtigung, dieses Gebilde als 


Die Rädertiere. 295 


rückgebildeten Darm aufzufassen, ergiebt sich einmal aus seiner Lage 
im Körper und dann daraus, dass in ihm die oben erwähnten 
schwarzen Körnchen liegen, welche bei den Weibchen verschiedener 
anderer Rotatorien im Darm angetroffen werden. Auch das 
Exkretionssystem der Männchen ist einfacher als bei den Weibchen; 
eine pulsierende, für beide Nephridien gemeinschaftliche Blase fehlt, 
so dass dieselben getrennt neben der Penisöffnung ausmünden. Im 
übrigen sind die Verhältnisse hier, wie auch im Nerven-, Muskel- 
und Hautsystem dieselben wie bei den Weibchen. Da die Männchen 
nicht imstande sind, Nahrung aufzunehmen, so ist ihre Lebens- 
dauer eine sehr kurze; ich habe sie in der feuchten Kammer nur 
2—3 Tage zu halten vermocht. Sehr eigenartige Verhältnisse 
scheinen bei der Begattung vorzuliegen. Man trifft nicht zu selten 
weibliche Tiere an, die in ihrer Leibeshöhle lebende Samenfäden 
aufweisen, während man dieselben doch höchstens im Uterus 
erwarten sollte. Bringt man nun mehrere (5—6) Männchen mit 
einem Weibchen in einem kleinen Wassertropfen zusammen, so 
nehmen die Tierchen anfangs, auch bei gegenseitiger Berührung, 
keine Notiz von einander. Nach einiger Zeit ändert sich das Bild. 
Die Männchen beginnen das Weibchen zu umschwärmen und 
gelegentlich sieht man ein, event. auch mehrere Männchen sich dem 
Weibchen mit vorgestülptem Penis an irgend einer Körperstelle, 
aber nicht an der Geschlechtsöffnung, anheften. Wird nun ein 
solches Weibchen sofort genauer untersucht, so finden sich Ballen 
von Spermatozoen der Innenseite der Haut an eben jenen Stellen 
angeheftet, während einige Samenfäden sich schon in der Leibes- 
höhle umhertummeln. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass 
es hier zu einer Begattung gekommen ist, wenn es zurzeit auch 
noch nicht möglich ist, zu entscheiden, ob diese Samenfäden sich 
später in das Ovar einbohren und hier eine Befruchtung herbei- 
führen; da ich nach 24 Stunden stets nur abgestorbene Samen- 
körper in begatteten Weibchen antraf, so scheint es mir wahr- 
scheinlicher, dass es in solchen Fällen überhaupt nicht zu einer 
Befruchtung kommt, der ganze Vorgang daher eigentlich über- 


flüssig ist, und dass eine solche wohl nur dann eintritt, wenn es 


296 Die Rädertiere. 


dem Männchen gelingt, die Kloakenöffnung des Weibchens auf- 
zufinden *). 

Nachdem wir im vorstehenden Bau und Biologie eines 
typischen Rotators kennen gelernt haben, werden wir verhältnis- 
mässig leicht uns ein Bild der in der ganzen Klasse vorkommenden 
Organisationsverschiedenheiten entwerfen können, denn die Rota- 
torien sind im Vergleich mit anderen Abteilungen des Tierreiches 
sehr einförmig zu nennen, und ihre morphologische Differenzierung 
schwankt nur innerhalb enggezogener Grenzen. 


Il. Vergleichende Schilderung 
der Morphologie der Rotatorien **). 


1. Die Körpergestalt. 

Alle Rädertiere sind ungegliedert und bilateral-symmetrisch, 
d. h. sie lassen sich nur durch eine in die Längsachse des Tieres 
gelegte Ebene in zwei symmetrische Körperhälften — eine linke und 
eine rechte — teilen, und dementsprechend kann man an ihnen 
ein vorderes und ein hinteres Körperende und eine Bauch- und 
eine Rückenseite unterscheiden. Von allen Körperachsen ist die- 
jenige, welche vom vordern zum hintern Körperpole geht, fast 
ausnahmslos die längste, und da gleichzeitig die Breite des Tieres 
im Verhältnis zur Länge in der Regel sehr gering ist, so haben 
die meisten Rotatorien einen gestreckten, wurmartigen Habitus, 
dessen Länge zwischen 3 bis 0.05 mm schwankt. Der Querschnitt 
durch die Mitte des Körpers zeigt entweder einen runden bis 
ovalen Umriss, oder die Dorsoventral-Achse ist nur sehr klein, und 
das Tier (z. B. ein Brachionus, Fig. 69 S. 300, oder eine Poly- 
arthra, Fig. 66 S. 298) erscheint dann stark abgeplattet, scheiben- 
förmig. Dass alle drei Körperachsen ungefähr gleich lang sind, 
und der Körper daher die Gestalt einer Kugel besitzt, kommt nur 


*) Diese Auffassung wird natürlich nach den neuesten Angaben von Maupas 
(cf. S. 291) hinfällig. 

**) Dieselbe bezieht sich nur auf die Weibchen, da die Morphologie der Männchen 
in einem besondern Abschnitte besprochen werden soll. 


Die Rädertiere. 997 


bei zwei, auch in der innern Organisation sehr abweichenden Arten 
vor, nämlich erstens bei der von Semper auf den Philippinen 
entdeckten Zrochosphaera aequato- 
rıalis, bei der die Stirnfläche des 
Kopfes halbkugelförmig aufgeblasen 
ist, sodass der Ciliensaum des Räder- 
apparates den Körper in äquatorialer 
Stellung umzieht, und zweitens bei 
Apsilus lentiformis, einer seltenen 
deutschen (bei Giessen beobachteten) 
Art. Annähernder Gleichheit in der 
Grösse der Quer- und Längsachsen 
begegnen wir schon häufiger, z. B. 
bei den scheibenförmigen Gattungen 
Pterodina und Pompholyx. Bei fast 
allen Rotatorien ist das vordere Körper- 
ende quer abgestutzt, und die so ent- 
standene „Stirnfläche“ trägt den Räder- 
apparat und, der Ventralseite genähert, 
die Mundöffnung. Die Breite des 
Kopfes ist bald dieselbe wie in den 
mittleren Körperregionen, bald wird 
sie etwas geringer als diese, so dass 
sich der Körper nach vorn leicht 
verjüngt. Bei besonders mächtiger 
Entwickelung des Räderapparates 
(s. weiter unten) kann der Stirnfläche 
auch die Maximalbreite des Körpers 
zukommen. Hinter der Afteröffnung 
verjüngt sich der Körper fast aller 
Rädertiere und bildet so den zur 
dauernden oder vorübergehenden An- 


Fig. 64. 
Callidina symbiofica. Nach Zelinka, 
heftung dienenden Schwanz (Fig. 62, a 


63, 64, 65, 69). Dieser Schwanz kann in sehr verschieden deut- 


lichem Grade sich vom Mittelkörper absetzen. Bei den in 


FE PAR 
s 


298 Die Rädertiere. 


Fig. 62—65 abgebildeten Arten gehen beide ganz allmählich in 
einander über. Bei der Asplanchnopus myrmeleo (Fig. 68) sitzt 
der kurze in zwei Zehen auslaufende Schwanz nicht am Hinterende 
des Rumpfes, sondern fügt sich der Bauchseite ein gutes Stück 
weiter nach vorn an. Fig. 69 zeigt uns einen Brachionus, bei dem 
der schmale Schwanz fast die halbe Körperlänge erreicht, von dem 


Fig. 66. 
Polyarthra platyßtera. Nach Leydig. 
Rückenansicht. 


Fig. 65. Fig. 67. 
Flosculariacornuta. Nach Leydig. Anuraea aculeata. Nach Hudson- 
Seitenansicht. Gosse. Rückenänsicht. 


viel breitern Mittelkörper sehr scharf abgesetzt ist und durch 
besondere Muskeln vorübergehend ganz in diesen zurückgezogen 
werden kann. Endlich giebt es eine Anzahl Formen, denen 
ein echter Schwanzanhang überhaupt fehlt; so die Gattungen 
Polyarthra (Fig. 66), Triarthra, Hertwigia, Asplanchna, Anuraca 
(Fig. 67), Sacculus. Bei diesen mangeln mit dem Schwanze 
gleichzeitig die Fuss- oder Klebdrüsen, sodass die Tiere nicht 


Die Rädertiere. 299 


im stande sind, sich festzuheften. — Die Fussdrüsen (/) sehr vieler 
Rädertiere münden an der Spitze zweier (selten einer: Monostyla) 
sehr verschieden langer dolchförmiger Zehen, die bald an einander 
gelegt, bald gespreizt getragen werden. Bei den im erwachsenen 
Zustande dauernd festsitzenden Melicertiden, z. B. der Gattung 
Floscularia (Fig. 65), sind zwar die Fussdrüsen mächtig entwickelt, 
Zehen hingegen fehlen, und der Körper endet mit einer quer ab- 
gestutzten kleinen Fläche. Anderseits giebt es eine Abteilung unter 
den Rädertieren, bei denen die Zehen stets in grösserer Zahl als 
zwei auftreten. Es sind dies die Philodiniden, wozu der gemeine 
Rotifer vulgarıs und fast alle Erdrotatorien gehören. Bei diesen 
läuft der Schwanz bald in drei (Rotifer, Actinurus), bald in vier 
(Philodina*)) Zehen aus, die 
cylindrische fingerförmige Anhänge 
darstellen. Vier kurze Zehen 
kommen auch der an den Beinen 
unseres DBachflohkrebses leben- 
den Calhdina parasıtiıca Gigl. zu, 
während bei anderen nahen 
Verwandten noch weitergehende 
Modifikationen beobachtet wer- 
den. Bei Callıdına symbiotica Zel. 
(Fig. 64) endigt der Schwanz mit 
zehn sehr kleinen Zehen, und 
bei Cal. magna Plate münden 
die Ausführgänge der Klebdrüsen 
in eine von zahlreichen dicht- 


stehenden Kanälen durchbrochene est 

kreisförmige Platte aus. Alle die iENbR: 

eenannten Gattungen der Philo- Asplanchna (Asplanchnopus) mıyrmeleo. 
= i ‚ Bauchansicht. 

diniden besitzen ausserdem noch 

zwei „Afterzehen“ oder „Sporen“, welche kurz vor den eigentlichen 


Zehen von der Rückenseite ausgehen und in der Gestalt diesen 


*) Nach E.F. Weber, während Hudson-Gosse auch für Phzlodina nur drei 
Zehen angeben. 


300 Die Rüädertiere., 


sehr ähneln (Fig. 64,2). Bei Call. parasıtica fungieren sie auch als 
echte Zehen, indem sie Ausführgänge der Klebdrüsen aufnehmen; 
bei allen übrigen Arten hingegen enden sie blind geschlossen und 
sind daher wohl ihrer ursprünglichen Funktion verlustig gegangen. 


re 


Fig. 60. 
Brachionus rubens. Nach Hudson-Gosse. Rückenansicht. 


Die Fusszehen der Rotatorien können als Körper- 
anhänge angesehen werden, welche durch Ausstülpungen 
der Haut entstanden sind. Ähnliche, aber nicht der Festheftung 


Die Rädertiere. 301 


sondern der Bewegung dienende Anhänge, die ihren Trägern 
häufig ein sehr absonderliches Aussehen verleihen, treffen wir 
bei einigen Rädertieren an, die sehr verschiedenen Unter- 
abteilungen des Systems angehören. Ich erwähne hier nur drei 
verschiedene Arten derartiger Ausstülpungen. Bei den Philodiniden 
entspringt dicht hinter dem Räderapparat ein langer, aus- und 
einstülpbarer „Rüssel“ (Fig. 64, rs), der an seinem verjüngten Vorder- 
ende mit beweglichen Cilien besetzt ist. Der Rüssel ist an seiner 
Basis fast so breit wie der Körper, sodass man darüber im Zweifel 
sein kann, ob man ihn als eine aus der Rückenfläche hervor- 
gewachsene Neubildung oder nicht vielmehr als das ursprüngliche 
Vorderende des Körpers anzusehen hat, in welchem Falle der 
Cilienapparat zum grössten Teile auf die Bauchfläche übergetreten 
wäre und sich mit der Mundöffnung ein gutes Stück nach hinten ver- 
schoben hätte. Rüssel und Räderapparat sind bei den Philodiniden 
nie gleichzeitig in Thätigkeit, sondern in dem Moment, wo ersterer 
sich hervorstülpt, wird letzterer eingezogen. Der Rüssel dient teils 
als Träger von Sinnesorganen (Tastborsten, Augenflecke), teils ver- 
mittelt er mit den Fusszehen die spannerraupenartige Bewegungs- 
weise der Philodiniden, wobei seine vordere Wimperplatte wie eine 
Saugscheibe der Unterlage angeheftet wird. — Unter den Arten 
der Gattung Asplanchna zeichnen sich einige durch den Besitz 
von 2—4 kegelförmigen Hautauswüchsen aus, die vom Rücken 
oder den Körperseiten entspringen und zumteil eine beträchtliche 
Höhe erreichen. Bald treten dieselben nur bei den Männchen auf 
(so bei Aspl. Sieboldii Leyd.*) in Vier-, bei Aspl. intermedia Huds. 
in Zweizahl), bald sind beide Geschlechter, wenn auch zuweilen in 
verschiedener Weise, mit ihnen ausgerüstet (Aspl. amphora Huds. 
und Aspl. Zbbesbornü Huds.).. Eine besondere Funktion scheint 
ihnen nicht zuzukommen. — Ein besonderes Interesse beanspruchen 
die bei den Gattungen Polyarthra, Triarthra, Pedetes und Pedalion 


*) Neuerdings hat E. v. Daday die sehr interessante Beobachtung gemacht, dass bei 
Aspl. Sieboldit zwei verschiedene Weibchen vorkommen, erstens männlich-geformte mit 
vier konischen Hautanhängen und zweitens solche ohne diese (Math. u. Naturw. Berichte 
aus Ungarn. VII. 1880). 


302 Die Rädertiere. 


vorkommenden Anhänge, da sie auffallend an die Extremitäten der 
Entomostraken erinnern. Wie diese sind sie scharf, zumteil sogar 
gelenkig, vom Körper abgesetzt, sind beweglich, tragen nicht selten 
gefiederte Borsten und dienen der gleichen Funktion, nämlich zum 
Rudern. Dennoch sind dieselben nur als analoge Bildungen anzu- 
sehen, denn die zwei wichtigsten Merkmale der Entomostraken- 
Gliedmassen, die paarweise und ausschliesslich ventrale Gruppierung 
und der Spaltfusscharakter gehen ihnen völlig ab. 

Dass nun der Habitus der Rädertiere im einzelnen so vielen 
kleinen Veränderungen unterworfen ist, wird vornehmlich durch 
zwei Organsysteme bewirkt, nämlich einmal durch die Vielgestaltig- 
keit des Räderapparates und dann durch den wechselnden Grad 
von Festigkeit, welcher der Haut eigen ist. Wir beginnen daher 
die vergleichende Betrachtung der ÖOrgansysteme mit diesen. 


2. Die Körperhaut. 


Wenn ich die Rädertiere oben als ungegliedert bezeichnete, 
so scheint die Beschaffenheit der Körperdecke vieler Arten sich 
hiermit schwer in Einklang bringen zu lassen. Fanden wir doch 
schon bei der Aydatina und ebenso bei Callidina symbiotica (Fig. 64), 
wie der Körper durch mehrere in ziemlich gleichen Abständen auf- 
einanderfolgende Einschnürungen, ähnlich einem Ringel- oder Band- 
wurme, in Segmente gegliedert wurde. In der That lässt die Haut 
vieler Rotatorien eine Zusammensetzung aus mehreren gleichen 
Zonen erkennen, aber da wir bei keinem innern Organe etwas 
Ähnliches antreffen, sondern alle nur in Ein- oder Zweizahl vor- 
handen sind, kann von einem metameren Körperbaue nicht die 
Rede sein, sondern höchstens von einer auf die Haut und die 
zugehörigen Muskeln beschränkten Scheinsegmentierung. Diese 
kommt entweder nur durch die Anordnung der Ringmuskeln zu 
stande (F/ydatina), oder Hand in Hand mit dieser geht eine 
Zusammensetzung der Haut aus abwechselnd derben und weichen 
Partien. Die ersteren bilden bei den Philodiniden die eigentlichen 
Hautsegmente, die letzteren die je zwei Segmente von einander 
sondernden Furchen, welche in Gestalt von Ringfalten sich unter 


Die Rädertiere. 303 


die Haut des nächsthintern Scheinsegmentes legen. In der Dicke 
verhält sich die Kutikula der Falten ganz gleich derjenigen der 
Segmente, in die sie ja auch kontinuierlich übergeht. Dass jene 
Falten konstante Bildungen sind, lässt sich daher wohl nur aus 
einer weicheren Beschaffenheit derselben erklären. Kontrahieren 
sich die Längsmuskeln, so schieben sich die schmäleren Schein- 
segmente in ‚die weiteren hinein, ähnlich wie man die Ringe des 
Tubus eines Fernrohres in einander stecken kann. — Viel auf- 
fallender als bei den Philodiniden ist der Unterschied zwischen 
weichhäutigen und derben Partien der Kutikula bei den sogenannten 
„gepanzerten“ Rädertieren. Es gehören hierher zahlreiche Gattungen, 
von denen manche, wie Brachionus, Anuraea, Pterodina, Salpına, 
Colurus, Metopidia, zu den gemeinsten Vertretern der Klasse zählen. 
Der Panzer, d. h. der derbhäutige unelastische Abschnitt der Haut, 
umfasst bei diesen Formen nur den Mittelkörper. Die Haut des 
Kopfes und des Schwanzes (falls ein solcher überhaupt vorhanden 
ist) hingegen bleibt von der gewöhnlichen Konsistenz. Im Panzer 
nimmt die Kutikula eine grössere Dicke an und bedeckt sich 
mit den verschiedenartigsten Skulpturen, wie Leisten, Rillen, 
Punkten, Höckern u. dgl., welche häufig zu sehr zierlichen Zeich- 
nungen zusammentreten. Unsere Abbildung der Anuraea aculeata 
(Fig. 67) lässt z. B. die polygonalen Felder der Rückenfläche des 
Panzers deutlich erkennen. Sehr häufig läuft der Panzer dort, wo 
er in die weiche Haut des Kopfes und des Schwanzes übergeht 
oder, obwohl seltener, an anderen Stellen in zahnartige Fortsätze 
aus. So verdankt die eben erwähnte Anuraea ihren Speziesnamen 
aculeata dem Umstande, dass der Panzer am Vorderrande sechs, 
am Hinterrande zwei ansehnliche Dornen trägt. Bei den ver- 
schiedenen Brachionus-Arten differiert vornehmlich die Zahl, Grösse 
und Anordnung der Zähne am Vorderrande der Schale; ausser 
diesen begegnen wir vielfach zwei kleinen Zähnen an der Basis 
des Schwanzes (Fig. 69). Bei einigen Rädertieren erreichen die 
Stacheln des Panzers eine solche Länge, dass ganz abenteuerliche 
Formen hierdurch entstehen, Anuraea longispina Kellic. z. B. trägt 
vorn drei, hinten einen spiessartigen Fortsatz von der Länge des 


304 Die Rädertiere. 


ganzen Panzers. Bei Stephanops trıpus Lord und Steph. Leidigü 
Zacharias sitzt der Rückenfläche ein nach hinten gerichteter und 
bogenförmig gekrümmter Stachel auf, welcher bei ersterer etwas 
kürzer, bei letzterer länger als das ganze Tier ist. — Der Panzer 
bewirkt in einzelnen Fällen eine Abweichung von der typischen 
Lagerung der inneren Organe. Ist er z. B. sehr flach gebaut 
(Pterodina, Metopidia), so kommen die Geschlechtsorgane im 
entwickelten Zustande teilweise neben den Darm, anstatt unter 
ihn, zu liegen. Ferner hat sich die Öffnung der Kloake von der 
Dorsalseite auf die Bauchfläche verschoben bei den Gattungen 
Pterodina, Anuraea und Dinocharis, welch’ letztere auch dadurch 
bemerkenswert ist, dass bei ihr der Hals panzerartig erhärtet ist, 
während sonst der Kopf stets weichhäutig bleibt. 


3. Der Räderapparat. 


Von allen Organsystemen zeigt keines eine so grosse Viel- 
gestaltigkeit und einen so verschiedenen Ausbildungsgrad als das- 
jenige, welches die Lokomotion und die Nahrungsaufnahme ver- 
mittelt, das Räderorgan. Dennoch zeigt eine vergleichende 
Betrachtung, dass den meisten Rotatorien eine gemeinsame Grund- 
form in der Anordnung der Cilien zukommt, die freilich nicht 
immer mit gleicher Deutlichkeit zu Tage tritt. Dieselben stehen 
nämlich in zwei Kreisen, von denen der eine, innere in vielen 
Fällen vor, der andere, äussere hinter der Mundöffnung gelegen 
ist; der letztere setzt sich in der Regel in die Mundöffnung selbst 
fort. In sehr prägnanter Weise treffen wir einen derartigen dop- 
pelten Wimpersaum, einen praeoralen und einen postoralen, bei 
den Gattungen Rotifer, Philodina, Callıdina (Fig. 64), Pterodina, 
Melicerta, Lacinularia und einigen anderen an. Hier ist auch 
eine Arbeitsteilung in der Funktion der beiden Cilienkränze ein- 
getreten. Der praeorale ist mit besonders starken Cilien versehen 
und dient zur Fortbewegung des Tieres, während die schwächeren 
Flimmern des postoralen Kranzes die Nahrungsteilchen in den 
Mund strudeln. Die eigenartige Radbewegung, welche das Spiel 
der praeoralen Wimpern dem Auge vortäuscht, ist, wie schon 


a 


ee 


Die Rädertiere. 305 


erwähnt wurde, die Veranlassung zur Benennung der hierher ge- 
hörigen Organismen als Rädertiere gewesen. Unsere Abbildung der 
Callidina symbiotica (Fig. 64) zeigt, wie die Cilien dieses vordern 
Kranzes auf zwei durch eine mediane Furche von einander ge- 
trennten Polstern, Ausstülpungen der Stirnfläche, randständig ange- 
bracht und in der Mitte der Bauch- und Rückenseite durch eine 
nackte Stelle unterbrochen sind. Man könnte daher auch von zwei 
unvollständigen Cilienkreisen reden, wenn die Raddrehung derselben 
nicht in gleichem Sinne dem Auge sich darböte. Der hintere, 
postorale Kranz besteht nicht aus einer einfachen Cilienreihe, 
sondern stellt einen Flimmerstreifen dar, welcher jederseits aus der 
ventralwärts stark lippenförmig vorspringenden Mundöffnung hervor- 
tritt und um jene Stirnpolster herum sich dem Rücken zuwendet. 
Eine Verschmelzung in der dorsalen Mediane findet aber auch bei 
diesem Kranze nicht statt. — Die Umbildung der beiden für die 
genannten Gattungen charakteristischen primitiven Wimpersäume 
erfolgte bei den übrigen Rädertieren nach zwei Richtungen hin, 
jenachdem der postorale, äussere oder der praeorale, innere Cilien- 
kranz der mächtigere wurde und besondere Differenzierungen ein- 
ging. Der erstere Fall ist nur selten, nämlich bei den festsitzenden 
Gattungen Floscularia (Fig. 65) und Stephanoceros, eingetreten. Bei 
beiden hat sich die Stirnfläche kelchförmig eingesenkt und trägt im 
Grunde die von kleinen Cilien des inneren Kranzes umstellte Mund- 
öffnung. Der Kelchrand trägt die sehr langen [bei einzelnen Arten 
(Floscularia mira Huds.) geradezu enorm grossen] Cilien des äusseren 
Kranzes und ist in fünf Anhänge ausgezogen, auf die sich die 
Wimpern auch fortsetzen. Bei Floscularıa sind es kurze, stumpf- 
kegelförmige Zipfel, bei dem schönen Stephanoceros Eichhornü hin- 
gegen lange, zungenförmige Fortsätze. — Bei der weitaus grössten 
Zahl der Rotatorien erleidet hingegen der innere Cilienkranz mannig- 
fache Umgestaltungen: aus der ursprünglich einfachen Cilienreihe 
werden mehrere; einzelne erheben sich auf besonderen Polstern 
und nehmen dann die Gestalt derber Griffel an; andere verlieren 
ihre Beweglichkeit und werden zu starren langen Tastborsten; die 
ursprüngliche ringförmige Anordnung wird verwischt, indem der 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 20 


306 Die Rädertiere, 


Zusammenhang der Cilien durch nackte Partien unterbrochen wird; 
es treten sehr feine Cilien sekundär an ursprünglich nackten Stellen 
der Stirnfläche auf, und so fort. Auf alle diese zahlreichen Modi- 
fikationen hier näher einzugehen, ist unmöglich, und seien daher 
nur noch zwei Abweichungen erwähnt. Bei Besprechung der 
Körpergestalt der Philodiniden wurde schon hervorgehoben, dass 
die Spitze des dorsalen „Rüssels“ mit einer kleinen Flimmerplatte 
besetzt ist, also mit einer Art sekundären Räderorgans (vgl. Fig. 64). 
Wie dieselbe zu deuten ist, ob als Bildung sui generis oder als 
abgespaltener Teil des ursprünglich einheitlichen Cilienapparates, 
lässt sich schwer entscheiden. Letzteres scheint die grössere Wahr- 
scheinlichkeit für sich zu haben, indem der Dorsalrand der Wimper- 
scheibe sich in verschiedenen Gattungen in einen zungenförmigen 
Anhang auszieht, der dann entweder (Rhinops vitrea) noch vom 
äusseren Wimpersaum umzogen wird oder nur einige Tastborsten 
trägt (Adineta vaga) oder endlich ganz nackt geworden ist (Meto- 
pidia, Stephanops). Abspaltungen seitlicher Partien des Räder- 
apparates werden auch sonst beobachtet, so bei der Gattung 
Synchaeta, die jederseits ein „Wimperohr“ am Kopfe trägt. — 
Die zweite hier zu erwähnende Abweichung betrifft Formen, deren 
Cilienapparat eine ventrale und vorn am Körper gelegene Scheibe 
darstellt (Notommata tardıgrada Leyd., Adineta vaga Dav., Diglena 
forcipata Ehr., Digl. giraffa Gosse), die dicht mit kleinen Wimpern 
besetzt ist. Von einer ursprünglich ringförmigen Anordnung der 
Cilien haben sich keine Andeutungen erhalten, und die ganze 
Bildung erinnert ausserordentlich an die Gastrotrichen, eine kleine 
Gruppe mikroskopischer Süsswassertierchen, die ungefähr die Gestalt 
der Rotatorien haben, aber auf der ganzen Bauchseite bewimpert 
sind. — Der Räderapparat fehlt nur bei wenigen Gattungen, die 
auch sonst in ihrer Organisation sehr abweichen, völlig: so bei dem 
an der Unterseite von Nymphaeablättern festgehefteten Apsilus 
lentiformis Metschn., bei dem Regenwurmparasiten Balatro clavus 
Clap. und bei dem marinen, auf Nebalia schmarotzenden Para- 
seison nudus Plate. Bei manchen der kleineren Arten scheint er 
stark reduziert zu sein, ohne dass jedoch unsere Instrumente zur- 


sau 


Die Rädertiere, 307 


zeit für ein eingehendes Studium derselben ausreichten. — Der 
Cilienapparat kann bei allen Rotatorien mit Ausnahme der Gattung 
Adineta vorübergehend in den Mittelkörper eingestülpt werden. In 
diesem Zustande ruhen die Cilien, beginnen aber mit dem Moment 
der Ausstülpung, offenbar unwillkürlich, wieder ihre Thätigkeit. Soll 
bei den Philodiniden der Räderapparat benutzt werden, so muss 
der „Rüssel“ eingestülpt im Körper liegen. Anderseits wird jener 
sofort eingezogen, wenn das Tier beginnt sich spannerraupenartig 
unter abwechselnder Festheftung und Loslösung der Rüsselspitze 
und der Zehen fortzubewegen. Man erblickt daher nur aus- 
nahmsweise die beiden Cilienregionen gleichzeitig in Thätigkeit. 


4. Die Muskulatur 


der Rädertiere ist noch zu wenig erforscht, um eine vergleichende 
Schilderung zu ermöglichen. Bei vielen, vielleicht allen Rotatorien 
giebt es in der Mitte des Rumpfes eine Querlinie, von der die 
grossen nach vorn und nach hinten laufenden Längsmuskeln aus- 
strahlen. Neben den glatten Muskeln, welche weitaus die Mehrzahl 
bilden, kommen bei einigen Arten auch quergestreifte vor; solche 
sind z. B. die Kopfretraktoren von Pferodina und Polyarthra 
(Fig. 66, mu). Die Ringmuskeln verteilen sich gewöhnlich in ziem- 
lich gleichen Abständen auf den ganzen Körper; nur bei Asplanchna 
myrmeleo liegen sie am Halse dicht nebeneinander, hier auf 
schmalem Querringe einen echten Hautmuskelschlauch bildend. 
Bei den Philodiniden ist jeder Ringmuskel aus einer bestimmten 
Zahl kleiner Segmente zusammengesetzt. 


5. Das Nervensystem 


besteht überall aus einem grossen, dorsal vom Schlundkopfe ge- 
legenen Zentralorgan, dem Gehim, dessen beide Ganglien breit 
mit einander verwachsen sind. Die Gestalt ist bei verschiedenen 
Arten wechselnd: rundlich, parallelogrammförmig, bei den Philodi- 
niden dreieckig. Bei letzteren ist eine Zusammensetzung aus 
peripherischen Ganglienzellen und zentraler Fasermasse nachgewiesen, 
und daher eine solche auch für die übrigen Arten sehr wahrschein- 
20* 


308 Die Rädertiere, 


lich. Vom Gehirn strahlen Nerven aus einmal an die zwischen den 
lokomotorischen Cilien oder auf der Wimperscheibe stehenden Tast- 
borsten, die „Stirntaster“ (£, Fig. 66, 69), dann nach hinten und 
oben an den (resp. die) dorsalen Taster und endlich nach hinten 
in den Mittelkörper. Wie die Zahl der Stirntaster, so schwankt 
auch die Zahl der sie versorgenden Nerven, über die übrigens nur 
für wenige Arten Untersuchungen vorliegen. Bei den Philodiniden 
laufen die Cerebralnerven nach vorn teils in den Rüssel hinein, 
dessen Spitze mit Tastbüscheln versehen ist, teils versorgen sie das 
Räderorgan und den Mund. Die nach hinten in den Rumpf 
tretenden Nerven scheinen bei den einzelnen Arten der Philodiniden 
sich ziemlich verschieden zu verhalten. Bei Callıdına magna fand 
ich nur einen starken Nerv jederseits, von dem Seitenzweige an 
die Haut ausstrahlten. Zelinka hingegen beschreibt von Call. 
symbiotica einen ventralen und einen seitlichen Nerv und bei 
Discopus synaptae sogar noch einen dritten, dorsalen, die aber bei 
dieser Art alle drei nicht direkt, sondern durch besondere Ganglien- 
zellen mit dem Gehirn zusammenhängen. — Die Stirntaster der 
Rädertiere treten bald als einzelne Borsten, bald als Büschel von 
solchen auf, während die Rücken- und Seitentaster stets nur in 
letzterer Form angetroffen werden. Bei den meisten Gattungen 
ist der Rückentaster unpaar, wird aber sehr häufig von einem 
doppelten, erst an der Basis des Tasters verschmelzenden Nerv 
versorgt, was vielleicht auf eine ursprüngliche Duplicität des Organs 
hinweist. Die Arten mit paarigem Rückentaster (Asplanchna, 
Hertwigia, Apsılus) würden dann, obwohl im sonstigen Bau wenig 
typisch, hierin ein primitives Verhalten bewahrt haben. Bei einigen 
Arten erhebt sich der dorsale Taster in auffälligem Masse über die 
Rückenfläche, der er gewöhnlich direkt aufsitzt. So treffen wir ihn 
bei Zacinularia in Gestalt einer kleinen Doppelpapille, bei Brachıionus 
(Fig. 69, dt) und Anuraea als kurzen Kegel, endlich bei den Philo- 
diniden als stabförmigen retraktilen Tentakel an. In der Regel sitzt 
der dorsale Taster im Nacken und rückt nur selten, z. B. bei 
Asplanchna, weiter nach hinten, sodass man ihn zunächst, da er 
paarig ist, mit den Seitentastern verwechseln kann. Die Dorsal- 


Die Rädertiere. 309 


und Lateraltaster sind für die Rädertiere in hohem Masse charakte- 
ristisch, da sie fast konstant angetroffen werden. Ersterer fehlt 
meines Wissens nur bei Conochilus, letztere nur den Philodiniden 
und den marinen Seisoniden. Über den Zusammenhang des zum 
Lateraltaster gehörigen Nervs mit dem Gehirn liegen zurzeit noch 
keine sicheren Mitteilungen vor, da derselbe wahrscheinlich durch 
einen im Kopfe liegenden Nervenplexus bewirkt wird. In ihrer 
Lage am Körper schwanken die Seitentaster insofern, als sie bald 
weiter nach vorn, bald mehr nach hinten die Kutikula durchbrechen. 
Die meisten liegen ungefähr am Beginn des hinteren Körperdrittels. 
Bei Polyarthra finden sie sich dagegen fast am Hinterrande des 
Körpers, bei Asplanchne und Fydatina in der Mitte, und bei 
Lacinularia und Melcerta — bei letzterer sind sie, ebenso wie bei 
Copeus spicatus, zu zwei langen Tentakeln ausgezogen — ungefähr 
in Schlundhöhe. In allen diesen Gattungen stehen sie hinter dem 
dorsalen Taster, und nur bei Pferodina liegen alle drei Sinnesorgane 
auf einer Querlinie. 

Von anderweitigen Sinnesorganen kommen nur Augenflecke 
den Rädertieren häufig zu. Sie sind meist unpaar und sitzen als 
rötlicher oder schwärzlicher Pigmentfleck der Unterseite des Gehirns 
an. In anderen Fällen sind sie paarig und gehören dann dem 
Rande der Wimperscheibe an. Ihr Bau ist ausserordentlich einfach, 
häufig nur ein Pigmentfleck, dem bei einzelnen Arten noch ein 
lichtbrechender weisslicher Körper, die sogenannte Linse, sich 
hinzugesellt. 

6. Der Verdauungskanal 
zeigt eigentlich bei allen Rotatorien dieselben Verhältnisse, und nur 
einem Abschnitte desselben, dem Kauapparat, kommt eine grössere 
morphologische Variabilität zu. Die Mundöffnung liegt nur bei 
Floscularıa und Stephanoceros genau am Vorderende der Längs- 
achse des Körpers, sonst ist sie stets ventralwärts verschoben und 
kann in einzelnen Fällen (Adineta vaga) sogar ein beträchtliches 
Stück nach hinten verlagert sein. Ein besonderes Mundrohr, 
wie wir es für A/ydatina kennen lernten, braucht nicht immer vor- 
handen zu sein, sondern nicht selten (Zosphora, Diglena) schliesst 


310 Die Rädertiere, 


sich der Mastax direkt an die Eingangsöfnung an und kann aus 
dieser zum FErgreifen der Beute etwas hervorgestossen werden. 
Anderseits erreicht das Mundrohr bei Floscularia und Stephanoceros 
eine ungewöhnliche Länge und erweitert sich vor dem Zahnapparat 
zu einem besonderen kropfartigen Abschnitt. Vielleicht ist der 
grosse sackartige Raum, in dem bei Asplanchna: die Kiefer liegen, 
ebenfalls als eine Erweiterung des Mundrohres anzusehen. — Die 
Struktur des Kauapparates ist für die Systematik von hoher 
Bedeutung. Nach dem Vorgange von Gosse kann man an dem- 
selben meist folgende Zusammensetzung beobachten: an einen 
mittleren, nach hinten gerichteten unpaaren Abschnitt, den „Incus“, 
heften sich die vorn und seitlich gelegenen paarigen „Mallei“, von 
denen jeder aus zwei gelenkig mit einander verbundenen Stücken 
besteht. Das eine von diesen, der Uncus, liegt medianwärts und 
stellt den eigentlichen Kauapparat dar; er kann in der verschiedensten 
Gestalt auftreten: als Träger quergestellter Leisten, als spitzer oder 
gesägter Zahn u. dgl. Das andere Stück sitzt dem Uncus aussen 
an und dient als Stützbalken für denselben; es wird als Manubrium 
bezeichnet. Bei nicht wenigen Rädertieren scheint übrigens der 
Kauapparat weit einfacher gebaut zu sein. Bei den Asplanchnen 
z. B. (Fig. 68) lässt sich nur der mediane Incus und der paarige 
gebogene Zahn des Uncus unterscheiden; ein Manubrium fehlt hier 
vollständig. Noch reduzierter tritt uns der Mastax der Philodiniden 
entgegen; er besteht im wesentlichen aus zwei halbkreisförmigen, 
mit derben Querleisten in wechselnder Zahl bedeckten Chitinplatten, 
die nur längs des Durchmessers eng aneinanderschliessen, und 
sich um diesen als Gelenkachse gegen einander bewegen. Die den 
Zahnapparat umhüllende Fleischmasse ist teils muskulöser Natur, 
teils scheint sie als Speicheldrüsen zu fungieren. — Der Schlund 
ist meist kurz, nur bei Synchaeta und Asplanchna (Fig. 68, oe) von 
ansehnlicher Länge. Flimmerzellen werden in ihm sicherlich nicht 
immer angetroffen, denn gerade die genannten Gattungen schieben 
die aufgenommene Nahrung durch eine Art peristaltischer Bewegung 
nach hinten. — Im Mitteldarm oder Magen sind Cilien hingegen 
stets vorhanden. Mit Ausnahme der Philodiniden wird die Wand 


Die Rädertiere. 3141 


desselben stets aus grossen polygonalen Zellen gebildet, die in einer 
Schicht liegen. Bei jener Abteilung hingegen ist die Magenwand 
ungewöhnlich dick und besteht aus einer kontinuierlichen Proto- 
plasmamasse mit zahlreichen eingestreuten kleinen Kernen. In den 
Magenzellen der Rotatorien tritt nicht selten ein braunes Pigment 
auf, das aber immer nur vorübergehend sich zeigt und bei Nahrungs- 
mangel sofort verschwindet. Dass dasselbe als Leber funktioniert, 
ist daher sehr unwahrscheinlich. Näher liegt es, den zwei konstant 
am Vorderende des Magens einmündenden Drüsen eine Förderung 
der Verdauung zuzuschreiben. Ihre Gestalt ist sehr verschieden, 
bald kurz birnförmig, bald gestreckt und in mehrere Lappen aus- 
gezogen. Vielleicht haben die bei Zriphylus (Diglena) lacustris Ehr. 
jederseits vorhandenen drei schlauchförmigen Ausstülpungen eine 
ähnliche Bedeutung. Mit Ausnahme der Gattungen Asplanchna 
und Paraseison, bei denen der Magen blind geschlossen endet, 
kommt ein flimmernder Enddarm allen Rädertieren zu. Die sich 
an ihn anschliessende Kloake entbehrt der Cilien mit Ausnahme 
einer Art (Rhımops vitrea). 


7. Die Exkretionsorgane. 


Die Nephridien der Rotatorien zeigen bei allen Arten ein sehr 
gleichförmiges Verhalten. Man kann an ihnen in der Regel zwei 
zartwandige enge Längskanäle, die mit einer wechselnden Anzahl 
von Geisselzellen besetzt sind, und eine gemeinsame kontraktile 
Blase, welche in die Kloake ausmündet, unterscheiden. Im Gegen- 
satze zu den ganz ähnlich gebauten Nierenorganen der Turbellarien, 
Trematoden und Cestoden bilden die Nephridien der Rädertiere 
keine Seitenzweige und keine netzartigen Anastomosen untereinander, 
sondern jedes „Wassergefäss“ zieht als ein leicht hin und her 
geschlängelter Kanal von der kontraktilen Blase neben dem Darme 
nach vorn. In der Regel reichen die Nephridien bis in die Kopf- 
region herein, wo sie blind endigen und mittels zarter Bindegewebs- 
fäden in ihrer Lage erhalten werden. Nur bei wenigen Arten, 
z. B. der Gattung Synchaeta, sind sie weit kürzer und reichen 
kaum über die Mitte des Körpers hinaus. Bei vier verschiedenen 


312 Die Rädertiere. 


Rädertieren stehen ausnahmsweise beide Nephridien im Kopfe durch 
einen Querkanal mit einander in Verbindung; es sind dies zumteil 
im System sehr weit getrennte Arten, nämlich Aydatina senta, 
Lacinularia sociahs, eine Floscularia-Spezies und Apsılus lenti- 
Jormis, sodass diesem Quergefäss vermutlich noch eine weitere Ver- 
breitung zukommt. Jedes Wassergefäss pflegt an zwei oder drei 
Stellen sich knäuelförmig zu verschlingen, wobei die die Wandung 
der Schlingen bildenden Zellen zu einer kontinuierlichen Protoplasma- 
masse verschmelzen. In den so entstehenden Anschwellungen 
gelingt es noch am leichtesten die Kerne der Wandzellen zu 
erblicken, welche in den unverschlungenen Partien der Nephridien 
wegen ihrer Kleinheit und Zerstreutheit schwer zu erkennen sind. 
Zellgrenzen haben sich zwischen den Wandzellen bis jetzt nicht 
nachweisen lassen. Die eigenartigen Geisselzellen der Nephridien, 
wegen ihrer flackernden Bewegungen auch „Zitterorgane“ oder 
„Zitterflammen“ genannt, sitzen in kleinen zartwandigen Aus- 
stülpungen entweder direkt oder mittels eines kleinen Stieles dem 
Nierenschlauche an. Jede Nephridie besitzt in der Regel fünf bis 
zehn derselben — die Zahl ist für ein und dieselbe Art konstant —, 
die sich in mehr oder weniger gleichmässigen Abständen auf das 
ganze Organ verteilen. Bei den Asplanchnen wird die Anzahl der- 
selben meist eine viel grössere, und es tritt dann eine Spaltung jeder 
Nephridie in zwei vorn und hinten zusammenhängende Kanäle ein, 
von denen der eine dicht mit Zitterorganen besetzt ist (Fig. 68). 
Der feinere Bau dieser Geisselzellen ist bis in die jüngste Zeit 
Gegenstand lebhaftester Controverse gewesen, die sich vornehmlich 
darauf bezog, ob dieselben am freien Ende offen oder geschlossen 
seien. Nach unserer Ansicht ist unzweifelhaft das Letztere der 
Fall. — In die pulsierende Blase münden die Nephridien mittels 
einer scharf umschriebenen runden Öffnung ein. Die Kontraktilität 
wird durch ein Netzwerk feiner Muskeln, die in der Wandung 
sitzen, hervorgerufen. Bei einigen Rotatorien (Lacinularia, Tubico- 
larıa, Pterodina) fehlt das gemeinsame Harnreservoir, und die 
Nephridien münden direkt in die Kloake. Endlich findet sich 
noch eine auffallende Modifikation bei Conochilus volvox und den 


( 


nd 


Die Rädertiere. 3ls 


meisten Philodiniden. Hier hat sich ein Teil der Kloake zur 
Harnblase umgewandelt und pulsiert ebenso regelmässig wie die 
gewöhnlichen, von der Kloake scharf abgesetzten Reservoire. 


8. Die Klebdrüsen. 


Von diesen sind in der Regel, den zwei Zehen entsprechend, 
nur zwei vorhanden. Mit der Zahl der Zehen wächst aber auch 
häufig diejenige der Drüsenschläuche; so finden wir z. B. bei der 


' sechszehigen Callidına parasıtica und bei der am Schwanzende 


mit zehn kleinen Zäpfchen besetzten Call. symbiotica vier Klebdrüsen. 
Das Sekret der Fussdrüsen kann vielfach zu dünnen, elastischen 
Fäden ausgezogen werden, mit denen sich das Tierchen vorüber- 
gehend vor Anker legt. Eine ganz isoliert dastehende Umbildung 
haben die Klebdrüsen bei Monocerca und Diurella erfahren, bei 
denen sie zu einer mit kontraktiler Wandung versehenen Blase 
geworden sind. 


9. Der Keimdotterstock und die Eibildung. 


Das weibliche Geschlechtsorgan zeigt bei allen Rädertieren, 
mit Ausnahme der marinen, auch in anderer Hinsicht sehr ab- 
weichenden Seisoniden, eine Zusammensetzung aus zwei verschieden 
funktionierenden Abschnitten. Der eine derselben ist so gross, 
dass er fast ausschliesslich die Masse der Sexualdrüse ausmacht. 
Er liefert nur die Nährsubstanzen, welche das heranwachsende 
Ei nötig hat, und wird daher als Dotterstock bezeichnet. Der 
zweite, sehr viel kleinere Abschnitt ist der Erzeuger der Eizellen 
und führt dementsprechend den Namen Eierstock. Über Bau und 
Physiologie dieser beiden Teile des weiblichen Geschlechtsapparates 
ist zurzeit kaum mehr bekannt, als von /ydatına senta geschildert 
wurde. Es ist daher hier nur Folgendes nachzutragen. Die Mehr- 
zahl aller Rädertiere hat ein unpaares Geschlechtsorgan, also nur 
einen Keimstock und einen Dotterstock. Man kann sie als „Mono- 
gononten“ den Philodiniden gegenüberstellen, da diese „digonont“ 
sind, d. h. ein rechtes ünd ein linkes Ovar, also zwei Keimstöcke, 


314 Die Rädertiere. 


zwei Dotterstöcke und zwei Övidukte, besitzen. Keimstock und 
Dotterstock haben nun bei jeder Spezies eine konstante Lage zu 
einander, infolgedessen die Eier auch immer an derselben Seite 
des dotterbildenden Abschnittes zur Entwickelung gelangen. Die 
Stellung beider ist aber bei verschiedenen Arten eine verschiedene, 
und zwar findet sich der Keimstock bald dem Vorder-, bald dem 
Hinter-, bald endlich dem Seitenrande des Dotterstockes angelagert. 
Im ersten Falle liegt der Keimstock meist sehr unsymmetrisch, 
nämlich der linken Ecke des Dotterstockes angeschmiegt, wenn 
man von unten auf denselben blickt. So situiert kommt er z. B. 
bei den Gattungen Aydatina, Euchlanis, Brachionus, Triarthra u. a. 
vor. Der zweite Typus wird durch Zolyarthra, Conochilus, 
Asplanchna u. a. vertreten. Unsere Abbildung 68 zeigt, wie der 
Dotterstock der Asplanchna myrmeleo nicht die gewöhnliche Sack- 
form aufweist, sondern sich zu einem langen, hufeisenförmig 
gekrümmten Bande gestreckt hat, dem in der Mitte der Hinterseite 
der kleine rundliche Eierstock anliegt. Hier finden wir auch nicht 
die typische Achtzahl der Kerne, sondern eine weit grössere. 
Dem seitlichen und medianen Rande des Dotterstockes ist der 
Keimstock bei den Philodiniden angelagert (Fig. 04), ein Verhalten, 
dass auch wahrscheinlich noch anderen Gattungen zukommen dürfte. 
Sehr interessant werden viele Philodiniden, z. B. der gemeine 
Rotifer vulgaris, dadurch, dass ihnen ein Ovidukt abgeht. An den 
Keimdotterstock setzt sich zwar hinten und vorn ein Faden an, 
der aber lediglich als Aufhängeapparat dient. Die Folge ist, dass 
die Eier in die Körperhöhle fallen und hier ihre Entwickelung 
durchmachen. Diese geht sehr rasch vor sich, und daher findet 
man selten einen Rotfer vulgarıs, der nicht in seiner Leibeshöhle 
ein oder zwei munter sich umherbewegende und völlig ausgebildete 
Junge neben einigen Embryonen beherbergte. Da eine besondere 
Geschlechtsöffnung fehlt, kann die Geburt nur auf eine etwas 
gewaltsame Weise geschehen, und in der That schieben sich die 
Tierchen mit dem Kopfe voran durch die Wand der Kloake und 
dann durch den After ins Freie. Die der Mutter dadurch zu- 
gefügte Risswunde scheint bald wieder zu heilen. 


a 


Die Rädertiere. 815 


Die zwei Eisorten, welche wir bei /Zydatina kennen lernten, 
die hartschaligen Dauereier und die gewöhnlichen, weichhäutigen 
scheinen allen Monogononten zuzukommen. Bei den Erdrotatorien 
hingegen sind Dauereier noch nicht beobachtet worden, da sie an 
die Austrocknung in anderer Weise angepasst sind. Die derbe 
Schale der Dauereier ist häufig mit sehr zierlichen Skulpturen: 
Punkten, Stacheln, Haaren u. dergl. besetzt. Sie entwickeln sich 
bald schon nach einigen Wochen, bald erst nach Monaten. Sie 
werden meines Wissens stets abgesetzt, während die gewöhnlichen 
Eier bei vielen Gattungen (Drachionus, Anuraeca) dem Rücken 
angeheftet und so herumgetragen werden. 


Ill. Die männlichen Rotatorien. 


Dieselben Verhältnisse, welche die charakteristischen Unter- 
schiede der männlichen Hydatinen von den weiblichen bilden, kehren 
bei allen übrigen Rädertieren wieder. Die Männchen bieten, soweit 
sie überhaupt bekannt sind, was nur für eine relativ kleine Anzahl 
von Gattungen (etwa 30) zutrifft, in ıhrer Organisation viel einfachere 
Verhältnisse dar als die zugehörigen Weibchen, und ist dies so zu 
erklären, dass sie einerseits überhaupt auf niedrigerer phyletischer 
Entwickelungsstufe als die Weibchen stehen geblieben, anderseits 
auch in Folge der untergeordneten Rolle, die sie seit dem Auftreten 
der Parthenogenese im Geschlechtsleben spielen, rückgebildet sind. 
Ersteres macht die grosse Gleichförmigkeit, welche die Mehrzahl 
der Männchen in Gestalt und Organisation aufweist, verständlich, 
während auf letzteres die geringe Körpergrösse, das Fehlen einer 
Mundöffnung und die Rückbildung des Darmkanales und des Räder- 
apparates zurückzuführen ist. Bei den verschiedenen Gattungen ist 
der Geschlechtsdimorphismus in verschieden starkem Grade aus- 
geprägt. Bei den marinen Seisoniden haben sich die ursprünglichen 
Verhältnisse erhalten: Männchen und Weibchen stehen auf gleicher 
Örganisationshöhe und sind auch annähernd gleich häufig. Bei 
den Euchlaniden besitzen die Männchen noch den Panzer in 
derselben Gestalt wie die Weibchen, aber sie sind etwas kleiner 
als diese, und der Darm ist auf einen unregelmässigen Zellstrang 


316 Die Rädertiere, 


reduziert. In allen übrigen Gattungen haben die Männchen eine 
weiche Haut, auch wenn die Weibchen gepanzert sind, und einen 
sehr viel kleineren, walzenförmigen Körper, der sich nach hinten 
verjüngt und, wie bei den Weibchen, häufig mit zwei kleinen Zehen 
endet. Sehr auffallend ist das ® der Asplanchna Sieboldu dadurch, 
dass es vier kegelförmige Körperanhänge besitzt, die der einen Form*) 
von @ abgehen. Der Räderapparat erinnert manchmal (Hydatina) 
noch an denjenigen der Weibchen, meist aber ist er stark rückgebildet. 
Ein Stirntrichter ist nur bei der männlichen //ydatına angedeutet, 
während sonst die Wimperscheibe stark halbkugelig vorspringt und 
keine Spur der ursprünglichen Mundöffnung erkennen lässt. Die 
im rudimentären Darm vieler Männchen vorkommenden schwarzen 
Körnerhaufen — wahrscheinlich bestehen sie aus Kalk — treten 
bei ganz jungen Weibchen einzelner Gattungen (Brachionus) eben- 
falls im Enddarm auf und beweisen die Richtigkeit der Deutung 
jenes Zellstranges als eines rückgebildeten Verdauungskanales. Die 
primitivere Organisation der Männchen spricht sich im Nerven- 
system darin aus, dass die Tastbüschel nie auf besonderen Hügeln 
oder Tentakeln stehen und im Exkretionsapparat in dem Fehlen 
der kontraktilen Blase bei manchen Gattungen (Fydatina, Brachionus), 
deren Weibchen eine solche besitzen; doch giebt es auch Männchen 
mit einer Harnblase (Asflanchna, Apsılus). Ein dorsaler einstülp- 
barer Penis ist nur bei einzelnen Gattungen (Aydatına, Brachionus) 
vorhanden, bei anderen scheint das hintere, verjüngte Körperende 
als solcher zu funktionieren (Conochilus, Polyarthra, Anuraea). Über 
die Begattung sind unsere Kenntnisse noch äusserst mangelhaft. 
Dem bei Aydatına über sie Gesagten sei hier hinzugefügt, dass 
Weber neuerdings bei Diglena catellina**) beobachtet haben will, 
wie der Penis direkt in die weibliche Kloake geführt wurde. 
Merkwürdigerweise kennt man von den gemeinsten Arten unter 
den Philodiniden, z. B. von Rotifer vulgaris, die Männchen 


*), Cf. die Anmerkung auf S. 3or. 
**) Diese Beobachtung ist vom Herausgeber dieses Werkes bei derselben Art 
bestätigt worden. 


Die Rädertiere, nen 


immer noch nicht, und fast scheint es, als ob dieselben hier ganz 
fehlten, und die Fortpflanzung ausschliesslich parthenogenetisch 
erfolgte. 


IV. Einige Bemerkungen über die Biologie der 
Rädertiere. 


Planmässige und allseitige Studien zur Biologie der Rotatorien 
fehlen fast ganz, sodass ich an dieser Stelle nur auf einige wenige 
Verhältnisse eingehen kann. — Über die Lebensdauer der Wasser- 
rotatorien ist nur das bekannt, was S. 295 über Alydatına 
senta gesagt wurde. Bei den Erdrotatorien wird sich dieselbe 
überhaupt schwerlich ermitteln lassen, da sie je nach Länge und 
Zahl der Trockenperioden sehr verschieden ausfallen wird. Aus 
den an Hydatina gemachten Beobachtungen scheint hervorzugehen, 
dass die Lebenskraft der Weibchen erlischt, wenn der Keimstock 
sich erschöpft hat. Die Männchen hingegen führen nur ein ganz 
ephemeres, zwei- bis dreitägiges Dasein. — Als Nahrung dienen 
den Rädertieren die verschiedenartigsten Mikroorganismen: Bakterien, 
Flagellaten, Diatomeen, Infusorien, kleine Algen u. dergl. Einige 
Arten haben eine schmarotzende Lebensweise angenommen und 
sich dadurch an besondere Ernährungsbedingungen gewöhnt. So 
lebt Proales (Notommata) Werneckü Ehr. im erwachsenen Zu- 
stande in den Kolben von Vaucheria und nährt sich von dem 
Protoplasma dieser Alge. Notommata parasıta Ehr. und Aertwigia 
volvocıcola Plate leben in Volvoxkolonien. Die genannten Arten 
sind aber auch im stande, sich von ihrem Wirte zu entfernen und 
sind daher nur als zeitweilige Schmarotzer anzusehen. Albertia 
vermiculus Duj. hingegen ist zum echten Entoparasiten geworden, 
der dauernd in der Leibeshöhle des Regenwurmes und im Darme 
verschiedener Nacktschnecken angetroffen wird. Eine Anzahl Räder- 
tiere werden konstant auf gewissen Tieren oder Pflanzen angetroffen, 
weil bestimmte Lebensgewohnheiten derselben ihnen einen leichten 
Nahrungserwerb sichern. Sie sind für den Wirt völlig indifferent, 
schaden ihm weder, noch nützen sie ihm. Man hat ein derartiges 
Zusammenleben zweier verschiedener Organismen als Raumparasitis- 


318 Die Rädertiere, 


mus bezeichnet, eine nicht gerade glückliche Benennung, da man 
von Parasiten nur dann reden kann, wenn der eine Organismus 
durch den andern benachteiligt wird. Zutreffender ist der Ausdruck 
„Raumsymbiose“, wenn die von dem einen Lebewesen geschaffenen 
räumlichen Verhältnisse dem andern zu gute kommen. Solche 
Raumsymbionten sind unter den Rädertieren die Seisoniden, welche 
an den Extremitäten der marinen Krebsgattung Nebalia leben, die 
Callıdina "parasitica, welche in derselben Weise dem Bachflohkrebse 
sich anheftet, der auf der Haut von Synapten lebende Discopus 
synapte Zel. und endlich Callidina symbiotica Zel. und Call. Leitgebü 
Zel., welche konstant auf gewissen Lebermoosen der Gattungen 
Radula, Lejeunia, Frullania angetroffen werden und hier in kleinen, 
von bestimmten Blattteilen gebildeten Höhlen, in denen die Feuchtig- 
keit sich relativ lange erhält, leben. — Alle Raumsymbionten leben 
in der Regel in einer grössern Individuenanzahl zusammen. Das 
Gleiche gilt von vielen festsitzenden Rädertieren, z. B. der Zacınularıa 
socıalis, der Melicerta ringens; indem die jungen Tierchen sich 
neben den alten niederlassen, entsteht eine Art Kolonie. Echte 
Kolonien werden nur von einem Rotator, dem Conochtlus volvox, 
gebildet. Sämtliche Individuen einer solchen stossen im Zentrum 
einer Gallertkugel zusammen und sind selbst radiär gerichtet. Der 
Ähnlichkeit, welche diese beständig rotierenden Kugeln mit einem 
Volvox globator haben, verdanken die Tierchen ihren Spezies- 
namen. — Gallertumhüllungen von Röhrenform werden auch von 
anderen festsitzenden Arten abgeschieden, z. B. von dem schönen 
Stephanoceros Eichhormiü. Melicerta ringens kann sogar den 
Anspruch erheben, ihr Gehäuse mit Hilfe eines Kunsttriebes zu 
bauen. Sie weiss die herbeigestrudelten Partikelchen in einer becher- 
förmigen Vertiefung des Kopfes zu runden Ballen zu formen und 
diese mittels einer Gallertausscheidung zu einer sehr regelmässigen 
Wohnröhre zusammenzuheften. — Alle festsitzenden Rädertiere 
machen natürlich in der Jugend ein freibewegliches Stadium durch. 
Zwei Arten der Lokomotion werden bei den Rädertieren beobachtet. 
Weitaus die meisten schwimmen mit Hilfe ihres Räderapparates 
unter beständigen Drehungen um die Längsachse herum, bald 


Die Rädertiere. 319 


schneller, bald langsamer. Besonders rasch bewegen sich so alle 
Männchen durch das Wasser. Die wenigen Formen mit ventraler 
Wimperscheibe (Adineta vaga, Notommata tardıgrada) kriechen 
ohne Rotation über die Unterlage. Ein spannerraupenartiges 
Kriechen ist ausser dem Schwimmvermögen den Philodiniden eigen, 
wobei sie sich abwechselnd mit den Fusszehen und der Rüsselspitze 
anheften. — Unter allen biologischen Erscheinungen der Rädertiere 
hat keines seit den Zeiten eines Leeuwenhoek die Aufmerksam- 
keit der Naturforscher mehr gefesselt als die wunderbare Lebens- 
zähigkeit umd die schier unverwüstliche Lebenskraft, welche einigen 
derselben, nämlich den Erdrotatorien, innewohnt. Die Fähigkeit, 
nach einer Periode völliger Austrocknung auf Wasserzusatz wieder 
aufzuleben, kommt nur den zwischen Erde und Moos lebenden 
Philodiniden zu. Alle echten Wasserbewohner und auch schon die 
ständig im Wasser lebenden Philodiniden*) gehen hingegen beim 
Verdunsten des Wassers rettungslos zu Grunde. Diesen Tieren ist 
eben in den Dauereiern ein besonderes Anpassungsmittel zur Er- 
haltung der Art gegeben. Sehr merkwürdig ist es, dass sich viele 
Erdrotatorien so sehr an ein intermittierendes Leben gewöhnt zu 
haben scheinen, dass ihnen zeitweilige Trockenperioden geradezu 
zum Bedürfnis geworden sind. Thut man nämlich philodiniden- 
haltiges Moos in ein Wassergefäss, so beobachtet man bei vielen 
Arten nach einigen Tagen den Eintritt des Todes. Obwohl Wasser- 
organismen und obwohl nur im flüssigen Elemente ihrer Lebenskräfte 
sich erfreuend, sterben die Tiere dennoch bei längerem Aufenthalte 
im Wasser ab, weil ihnen ein solcher in ihren natürlichen Existenz- 
bedingungen nie zu Teil wird. Die Lebenszähigkeit der Erdrotatorien 
erweist sich nun nicht bloss beim Verdunsten des Wassers, sondern 
auch gegenüber ungewöhnlich hohen oder niedrigen Temperaturen, 
denn beiden muss die auf schwarzem Basaltfelsen zwischen Flechten 
lebende, der glühenden Augustsonne nicht minder als der Kälte 
der Dezembernacht blossgestellte Callidine gewachsen sein, soll die 
Art nicht zu Grunde gehen. So verträgt die Callidina symbiotica, 


*) Einige Wasser-Philodiniden sollen eine Gallertcyste ausscheiden und in dieser aus- 
trocknen können, eine Angabe, die jedoch noch der Bestätigung bedarf. 


320 Die Rädertiere. 


wie Zelinka gezeigt hat, im eingetrockneten Zustand eine Kälte von 
— 20° C. und eine Hitze von — 70°, und mit anderen Philodiniden 
hat man ähnliche Erfahrungen gemacht. 


V. Überblick über das System der Rotatorien. 


Sieht man das System der Tiere als Ausdruck ihrer phyletischen 
Entwickelung, ihrer Stammesgeschichte, an, so lassen sich die Räder- 
tiere nur mit manchen Bedenken in einem der Endzweige des 
natürlichen Stammbaumes unterbringen. Ihre Organisation ist nämlich 
so eigenartig, dass sie sich an keine Tiergruppe bei ausschliesslicher 
Berücksichtigung der erwachsenen Individuen derselben anschliessen 
lassen. Am ungezwungensten reihen sie sich noch auf Grund ihres 
Cilienapparates und ihrer Nephridien an die Turbellarien an. Ver- 
ständlich wird ihr Verhältnis zu den Evertebraten erst dann, wenn 
man in ihnen eine sehr alte, primitive Tiergruppe sieht, deren 
Ahnen den Ausgangspunkt für die Phylogenie einer ganzen Anzahl 
anderer Tierklassen gebildet haben. Zu dieser Ansicht drängt der 
Umstand, dass bei sehr vielen Anneliden, Turbellarien, Mollusken 
und Bryozoen im Laufe der Ontogenie Larven auftreten, die eine 
ausgesprochene Ähnlichkeit mit Rädertieren aufweisen, Larven, die 
man unbedingt für Rotatorien halten würde, wenn sie in diesem 
Zustande geschlechtsreif würden und einen Kauapparat besässen. 
Man nimmt daher zurzeit an, dass jene Tierklassen und die 
Rädertiere phyletisch in einer rotatorienartigen Stammform wurzeln, 
welche als „Trochophora“ bezeichnet wird. 

Die Rotatorien zerfallen, wenn wir von den marinen Seisoniden 
absehen, in zwei natürliche Gruppen: 

1. Digononta seu Philodinida : Geschlechtsorgane paarig, jedes mit 
oder ohne Ovidukt. Mitteldarm von einem Zellsyncytium gebildet. 
Stets ohne laterale Taster. Am Rücken ein grosser, einstülpbarer 
Rüssel, welcher die spannerraupenartige Bewegung vermittelt. Teils 
Erd-, teils echte Wasserbewohner. Gattungen: Rotifer, Philodina, 
Actinurus, Callıdina. — Adineta. 

2. Monogononta: Ovar unpaar, stets mit Ovidukt. Mitteldarm 
aus grossen Zellen gebildet. Mit lateralen und dorsalen Tastern. 


Die Rädertiere, 321 


Ohne Rückenrüssel. Schwimmend oder festsitzend. Nur ständige 
Wasserbewohner. — Hierher gehört die Mehrzahl aller Rädertiere, 
deren weitere systematische Einteilung am besten aus Hudson- 
Gosses Monographie zu ersehen ist. Wir erwähnen nur die Haupt- 
familien: 

a) Melicertida seu Rhizsota. Im Alter festsitzend. Ohne 
Zehen. Hinteres Körperende nicht einziehbar. Gattungen: Floscu- 
larıa, Stephanoceros, Melıcerta, Lacinularia, Limnias,, Oecistes, 
Conochilus. 

b) Zloricata. Haut weich. Gattungen: Asplanchna, Syncheta, 
Hoydatına, Notommata. 

c) Zoricata. Mit Panzer. Gattungen: Rattulus, Dinocharis, 
Salpina, Euchlanis, Lepadella, Colurus, Pterodina, Brachionus, 
Anuraea. | 

d) Scirtopoda. Mit scharf abgesetzten, beweglichen Anhängen. 
Gattungen: Polyarthra, Triarthra, Hexarthra, Pedetes, Pedalion. 


Figurenerklärung. 


Alle Abbildungen sind bei starker Vergrösserung gezeichnet. 
Die Buchstaben bedeuten: 


a After Ag Hypodermis re Enddarm 
ce Kutikula kl Kloake r Räderapparat 
c.v Kontrakt. Blase Z lateraler Taster sto Magen 
dst Dotterstock ma Kauapparat ? Tastborste 
dt dorsaler Taster mu Muskel Ze Hoden 
dr Magendrüse ne Nephridie at Uterus 
est Eierstock o Augenfleck z Zitterflamme 
f Fussdrüse oe Oesophagus (Geisselzelle). 
g Gehirn ov Ei 
Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. 1. 21 


Litteratur. 


ı. F. Cohn, Die Fortpflanzung der Rädertiere. Zeitschr. f. 
wiss. Zool. VII, 1856, p. 431—480. 

2. E. v. Daday, Morphologisch-physiol. Beiträge zur Kenntnis 
der Hexarthra polyptera.. Budapest 1886. 

3. C. Eckstein, Die Rotatorien der Umgegend von Giessen. 
Zeitschr. f. wiss. Zoo. XXXIX, 1884, p. 343—443. 

4: G@. Chr. Ehrenberg, Die Infusionstierchen als vollkommene 
Organismen. Leipzig 1838. 

5. H. Grenacher, Einige Beobachtungen über Rädertiere. 
Zeitschr. f. wiss. Zool. XIX, 1869, p. 483—497. 

6. C.T. Hudson u. P. H. Gosse, The Rotifera or Wheel-Animalcules. 
2 Bde. London 1886 und ı Supplementband 1889. Grundlegend 
für die Systematik. 

7. F. Leydig, Über den Bau u. die systematische Stellung d. 
Räd. Zeitschr. f. wiss. Zool. VI, 1854, p. I—120. 

8. L. Plate, Beiträge z. Naturgesch. d. Rot. Jenaische Zeitschr. 
f. Nat. XIX, 1885, p. I—120. 

9. L. Plate, Untersuch. einiger an den Kiemenblättern des 
Gammarus pulex lebenden Ektoparasiten. Zeitschr. f. wiss. Zool. 
XLII, p. 229—235. 

ı0. L. Plate, Über die Rotatorienfauna des bottnischen 
Meerbusens etc. ibid. XLIX, p. I—42. 

ı1. G. Tessin, Über Eibildung und Entwickelung der Rotatorien. 
ibid. XLIV, 1886. 

ı2. E. F. Weber, Notes sur quelques Rotateurs des Environs 
de Geneve. Arch. de Biologie. VIII, 1888. 

13. C. Zelinka, Studien über Rädertiere. I. Über die Symbiose 
und Anatomie von Rot. aus dem Genus Callidina. Zeitschr. f. 
wiss. Zool. XLIV. 

14. C. Zelinka, II. Der Raumparasitismus u. die Anatomie 
von Discopus Synaptae. ibid. XLVII. 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Von Dr. J. Vosseler in Tübingen. 


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Die Krebse (Crustacea) werden zu dem grossen Tierkreise 
der Gliederfüssler (Arthropoden) gerechnet, welche eigentlich besser 
mit dem Namen Kerftiere bezeichnet werden, denn im Grunde 
genommen besitzen die meisten höheren Wirbeltiere ebenfalls ge- 
gliederte Beine und müssten somit auch unter den Begriff „Arthro- 
poden“ eingereiht werden. Im grossen Ganzen kann man die 
Kerftiere in zwei Klassen trennen: in solche, welche durch Kiemen 
atmen (Dranchiata Krebse), und solche, welche durch Tracheen (fein 
verzweigte Röhrchen, welche die Luft im ganzen Körper herumleiten) 
atmen (Tracheata). Zwischen beiden Klassen finden sich, wie 
beinahe überall im Tierreiche, Übergänge. Zu der zweiten Klasse, 
welche ihrer Organisation wegen als die höher entwickelte ange- 
sehen werden muss, zählt man die Tausendfüsse (Myriopoda oder 
Vielfüsser), die Spinnentiere (Arachnoidea oder Achtfüsser) und die 
Insekten (Mexapoda oder Sechsfüsser). 

Die Krustaceen (Branchiata) selbst können in zwei Abteilungen 
untergebracht werden, welche jedoch nicht vollkommen wissenschaft- 
lich gegen einander abgegrenzt sind. Dennoch ist es für die Über- 
sichtlichkeit unseres Stoffes von Vorteil, wenn die von verschiedenen 
Lehrbüchern bis jetzt durchgeführte systematische Trennung bei- 
behalten wird. 

Hiernach werden die kleineren Krebse, welche eine einfache 
Organisation besitzen und wenigstens teilweise in der Entwickelung 
Übereinstimmung zeigen, als Entomostraken den grösseren 
Krebsen mit vollkommeneren Einrichtungen, den Malakostraken, 


326 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


gegenübergestell. Die Vertreter beider Abteilungen lassen sich 
leicht mit blossem Auge unterscheiden und von einander trennen 
und innerhalb dieser zwei Gruppen machen sich weitere Ver- 
schiedenheiten bei genauer Beobachtung bemerklich, welche 
charakteristisch genug sind, um auch für den Nichtkundigen hier 
angeführt zu werden. 

Streifen wir mit einem kleinen Netz (wie es etwa zum. 
Schmetterlingsfang benutzt wird) die Wassergewächse ab und 
durchfahren damit auch in der Nähe der Uferpflanzen das Wasser, 
so erbeuten wir eine ganze Menge kleiner Krustaceen, die, in ein 
Glas mit Wasser gebracht, ein unendliches Gewimmel darstellen. 
Auf einen derartigen Fang wollen wir jetzt unsern prüfenden Blick 
werfen. Wir beginnen mit den grösseren Insassen des durch- 
sichtigen Behälters und fassen ein Tier ins Auge, welches sich 
immer am Boden und zwischen den miterhaltenen Pflanzenteilen 
zu verstecken sucht. Wird es gestört, so schwimmt es mit ge- 
krümmtem, seitwärts zusammengerolltem Körper eine kurze Strecke 
geradeaus, fast immer auf der einen Körperseite liegend und auch 
in der Ruhelage stets die Beine schwingend. Seine Länge beträgt 
einen Centimeter und mehr, wenn es ausgewachsen ist. Der Um- 
stand, dass mehr als drei Beinpaare vorhanden sind, lässt auf einen 
Krebs schliessen. Die genannten wenigen Merkmale, zu denen 
noch zwei Paar fadenförmige Fühler von weniger als Körperlänge 
zu rechnen sind, genügen, um einen Angehörigen aus der Ab- 
teilung der höheren Krebse zu kennzeichnen und wir haben in 
dem beobachteten Tiere einen Flohkrebs oder Gammarus der 
Ordnung der Amphipoden vor uns. Fast noch leichter 
kenntlich ist ein Verwandter desselben, welcher offenbar ein ganz 
schlechter Schwimmer ist. Unter seinem wie bei einer Schildkröte 
verbreiterten, an den Seiten überstehenden Rückendach sind eben- 
falls mehr als drei Beinpaare zu sehen und am Kopfe, wie vorhin, 
zwei Paar ungleich langer Fühler. Unbehelligt krabbelt der plumpe 
Geselle langsam und schwerfällig an der neuen Umgebung herum, 
immer mit den Fühlern tastend und prüfend. Berührt man ihn 
jedoch mit einem Stäbchen, so zeigt er, dass auch ihm rasche 


-_ 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 3927 


Bewegungen möglich sind, wenn auch in geringerem Masse und 
weniger eleganter Ausführung, als seinem Vorgänger. Die ganze 
Erscheinung dieses zweiten Krebses erinnert an die bekannten 
Kellerasseln, aus deren Sippe er auch in der That einen Spross 
vorstellt, welcher das kühle Wasserleben noch nicht mit dem auf 
dem Lande vertauscht hat. Wir nennen ihn Wasserassel (Asellus) 
und rechnen ihn ebenfalls zu den höheren Krebsen und zwar zur 
Ordnung der Isopoden. 

Diese beiden eben nach ihren gröbsten Umrissen und Gewohn- 
heiten erkannten, zu den Malakostraken gehörigen Formen werden 
wir später betrachten und wollen nun die kleinen Insassen des 
Glases, soweit es nicht Junge der genannten Arten sind, nach 
ihrem Äussern mit blossem Auge unterscheiden lernen. Es bleibt 
uns, da wir Insekten und Würmer nicht beachten, nur noch das 
Gewimmel kleiner und kleinster Wesen, welche oft kaum mehr mit 
dem blossen Auge erkennbar sind, die Entomostraken, übrig. Trotz- 
dem genügt auch hier ein wenig Geduld und sorgsames Zuschauen, 
um sowohl in den Körperformen als in der Art der Bewegung noch 
deutliche Unterschiede wahrzunehmen. Während die einen durch 
ununterbrochenes Hüpfen voranzukommen oder sich wenigstens in 
der Höhe zu halten suchen, zappeln die anderen scheinbar ziellos 
im Glase herum. Diese wie jene setzen sich von Zeit zu Zeit, wie 
um auszuruhen von der anstrengenden Bewegung, am Glase oder 
an Pflanzenteilen fest, oder lassen sich auf den Grund niedersinken. 
Unsere Wissbegierde treibt uns immer weiter, und da sich allmählich 
das Auge daran gewöhnt hat, Unterschiede zu entdecken, so wird es 
nicht schwer fallen, unter den hüpfenden Tierchen abermals zweierlei 
zu unterscheiden. Es heisst nun allerdings etwas genau zusehen, 
denn wir sind nahezu auf dem Punkte der Forschung angelangt, 
wo die Leistungsfähigkeit des unbewaffneten menschlichen Auges 
der Wissbegierde des Forschers Grenzen setzt. 

Eine langsamere gleichmässige Bewegung, welche eigentlich das 
Tier, falls es nicht gestört wird, weniger vorwärtsbringt, als viel- 
mehr stets in einer gewissen Höhe über dem Boden erhält, des 
weiteren ein schwarzer Punkt, welcher am Kopfteil sitzt und das 


328 / Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Auge darstellt, kennzeichnet die Wasserflöhe oder Daphniden, welche 
zu der Ordnung der Blattfüsser (Phyllopoden) zählen. Der 
Leib selbst, vom Kopfe nicht besonders scharf sich abhebend, ist 
mehr oder weniger eiförmig. Über den Umrissen ragt hinten oft- 
mals ein Stachel, am Kopf zwei wie Hörner emporstehende Fühler, 
welche die Bewegung verursachen, hervor. Viel mehr würden in 
Rücksicht auf ihre Bewegung die länglichen, vorn dicken, hinten 
schlanken Hüpfer den Beinamen „Floh“ verdienen, welche recht 
häufig mit einem grossen grünlichen bis weissen Säckchen an jeder 
Körperseite (den Eiersäcken) und zwei (manchmal recht langen) 
Hörnchen, welche wagrecht abstehend getragen werden, in eleganten 
weiten Sätzen im Wasser herumschnellen. Wir nennen sie Hüpfer- 
linge oder Widderchen und reihen sie in die grosse Ordnung 
der Ruderfüsser (Copepoden) ein. Dem hüpfenden Teil der 
kleinen Tierwelt in unserem Glase hätten wir nun auch ein Plätzchen 
im System angewiesen. Wir wenden uns jetzt zu den am schwersten 
erkennbaren Formen und verfolgen mit einiger Ausdauer das nächste 
beste der unruhig umherzappelnden Geschöpfe. Es wird hier nötig, 
um leicht mögliche Verwechslungen auszuschliessen, eine nicht zu 
den Krebsen gehörige Gruppe von Tieren in ihrem Habitus zu 
schildern. Es mag somit das kleine Wesen einen annähernd kugel- 
runden Körper, an dem sich vier nicht versteck-, sondern höchstens 
anlegbare Beinpaare erkennen lassen, besitzen. Vielleicht gelingt 
es sogar, eine schön gefärbte Zeichnung auf dem Rücken nach- 
zuweisen. Diese Merkmale lassen auf eine Wassermilbe schliessen, 
welche wir nicht weiter beachten. Ganz ähnlich in ihren Be- 
wegungen verhält sich eine Familie der Entomostraken, deren An- 
gehörige nach aussen von einer zweiklappigen Schale umschlossen 
werden, zwischen denen das Körperchen ganz versteckt liegt. Diese 
Schale ist der einer Muschel ausserordentlich ähnlich und ihr ver- 
danken die Insassen den Namen „Muschelkrebse“ (Östra- 
koden). Oft wird man überrascht, wie aus dem Spalt, der die 
beiden Klappen trennt, plötzlich eine Anzahl Gliedmassen hervor- 
treten und durch eine rasche Thätigkeit das Tierchen in etwas 
unsicheren Linien von Stelle zu Stelle bewegen. Während der 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 3239 


Ruhepausen werden die Beine eingezogen oder zum Krabbeln am 
Boden oder an Pflanzenstengeln benutzt. Glaubt das Tier sich 
gefährdet, so zieht es ebenfalls sofort seine Beine ein und schliesst 
die Schalen. Es liegt dann die nierenförmige Schale, wie ein 
unbelebtes Ding, vor uns. 


Wenn wir nun noch einer Form gedenken, in. welcher die 
Krebstiere des süssen Wassers den höchsten Grad der Entwicke- 
lung erreicht haben und für welche, da sie der ganzen Tierklasse 
den Namen gegeben hat, ein weiteres Charakteristikum wohl nicht 
nötig ist, — ich meine den Flusskrebs —, so kennen wir nun 
Vertreter aus allen Abteilungen und Ordnungen der unsere Ge- 
wässer bewohnenden Krustaceen. Selbstverständlich genügt nicht 
immer das Absuchen einer Fundstelle allein, um alle, so wie es 
geschildert wurde, auf einmal vor Augen zu bekommen; doch wird 
es nirgends an stehenden und fliessenden Wassern fehlen, welche 
fast zu jeder Jahreszeit die typischen Formen zu sammeln gestatten. 
Zum Schluss dieser systematischen Betrachtungen lasse ich eine 
kurze Übersicht des Wesentlichsten folgen. Wir haben in der zu 
den Kerftieren gehörigen Klasse der Krustaceen zwei Abteilungen 
unterscheiden gelernt: 


I. Entomostraca oder niedere Krebse, 
II. Malacostraca oder höhere Krebse. 


Zu der ersten Abteilung rechnen wir: 


ı) Ruderfüsser oder Spaltfüsser (Copepoden), 
Hüpferlinge, 

2) Kiemenfüsser (Branchiopoden), Wasser- 
flöhe, 

3) Muschelkrebse (Ostrakoden). 


Zu der zweiten: 
ı) Flohkrebse (Amphipoden), 


2) Wasserasseln (Isopoden), 
3) Scherenkrebse (Dekapoden), Flusskrebs. 


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330 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Wir wenden uns zuerst den Gliedern der ersten Ab- 

teilung, den 

Entomostraken, 
zu, da sie in ihrem Bau einfacher angelegt und leichter zu über- 
sehen sind, als die „höheren Krebse“. 

Es fällt schwer, nur einige gemeinsame Kennzeichen für alle 
hierher gehörigen Tiere nachzuweisen; denn nicht einmal immer 
kann man ohne weiteres einen Kopf- und einen Schwanzteil 
unterscheiden. Am besten wird die Abteilung der Entomostraken 
dadurch charakterisiert, dass sie ausserordentlich reich an ver- 
schiedenen Krebsformen ist, deren Gliedmassen sowohl in der Zahl 
als auch Gestaltung ebenso wie die Segmente des Körpers sehr 
variieren. Alle Entomostraken besitzen, wie auch die höheren 
Krebse, zwei Paar Fühler. Ferner herrscht unter den nachher zu 
besprechenden Ordnungen mit Ausnahme nur einer Unterordnung 
annähernde Übereinstimmung in der Körpergestalt während der 
ersten Entwickelungsstadien nach dem Verlassen des Eies. Nicht 
alle Entomostraken-Familien sind im süssen Wasser vertreten, eine 
derselben, die der Rankenfüsser (Cirripedien), findet sich nur im 
Meere vor. Die Zahl der Gattungen und Arten, welche einer 
Familie angehören, bewegt sich in weiten Grenzen. Von Ento- 
mostraken sind gegenwärtig weit über 2000 Arten bekannt. Von 
dieser Summe zählt etwa die Hälfte zu den Copepoden, 1/4 zu 
den Östrakoden, 1/s zu den Phyllopoden und nur 1/3 zu den im 
Meere lebenden Cirripedien. Die Mehrzahl der Arten auch der 
übrigen Familien ausser den Cirripedien lebt ebenfalls im Meere. Aus 
der umfangreichen Familie der Copepoden lebt nur der zehnte 
Teil im süssen Wasser. Wohl die bedeutendste Rolle von allen 
niederen Krebsen spielen in unseren Gewässern die 


Copepoden oder Ruderfüsser. 


In dieser zahlreichen Familie unterscheiden wir drei Gruppen, 
von denen zwei allerdings für das praktische Leben nur wenig 
Bedeutung haben, allein nichtsdestoweniger ausserordentlich inter- 
essant sind wegen der enormen Umbildung des Körpers. Die 


ee 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 331 


Tiere, welche diesen Gruppen angehören, leben nämlich parasitisch 
und haben sich dieser Lebensweise so angepasst, dass sie als 
Ruderfüsser kaum mehr zu erkennen sind und lange falsch beurteilt 
wurden. Ehe wir uns diese Schmarotzerkrebse, welche ihrer 
saugenden Mundteile wegen Sıphonostomata genannt werden, näher 
betrachten, wollen wir die freilebenden Ruderfüsser, welche beissende 
Mundteile besitzen und als Gnathostomata bezeichnet werden, 
kennen lernen. Schmarotzende und freilebende Ruderfüsser werden 


zusammen als echte Copepoden oder Eucopepoden den so- 


genannten Karpfenläusen (Dranchimra oder Kiemenschwänzen) 
gegenübergestellt. 


Freilebende Ruderfüsser (Gnathostomata). 

Die erste Nachricht über das Vorkommen von Ruderfüssern 
(auch Spaltfüsser genannt) verdanken wir Leeuwenhock; sie 
stammt aus dem Jahre 1690. Allein erst von der Mitte unseres 
Jahrhunderts an wurden sie eigentlich genauer studiert, besonders 
von Fischer?) in Petersburg und C. Claus3,45). Die Bedeutung 
des dem Griechischen entstammenden wissenschaftlichen Namens ist 
bereits angegeben ‚worden. Die Tiere, welche unter diese Familie 
zu rechnen sind, besitzen eine nur geringe Körpergrösse, gewöhn- 
lich 1/a—3 mm, höchst selten misst eine Art 5 mm oder gar, wie 
einige im Meer lebende Formen, 9 mm. Der Körper kann bei 
den meisten etwa mit einer halbierten Birne verglichen werden. 
Die Wölbung würde dem Rücken, die Schnittfläche der Bauchseite 
entsprechen. Der grössere, dickere Teil stellt dann den Vorderleib, 
der dünnere den Hinterleib dar. Der Vorderleib ist aus fünt 
Teilen zusammengesetzt, welche an und für sich starr, dennoch 
gegen einander beweglich sind durch dünnhäutige Einschnitte, wie 
sie auch dem Hinterleib und den Gliedmassen die Beweglichkeit 
verleihen. Das grösste Stück des Vorderleibes ist oft allein so lang 
wie die übrigen zusammen. In ihm ist Kopf und Brust vereinigt, 
weshalb es Kopfbruststück oder Cephalothorax genannt wird. Da 
bei den Kerftieren gewöhnlich jeder Körperring der ersten Anlage 
nach mit einem Paar Gliedmassen versehen ist, so lässt sich aus 


332 Die Krebsfauna unserer Grewässer. 


der am Kopfbruststück der Copepoden vorhandenen Summe der- 
selben schliessen, dass mehrere Ringe zur Bildung dieses ver- 
schmolzen sind. Die nächsten vier, immer noch zum Vorderleib 
zählenden Ringe nehmen allmählich an Grösse ab und tragen Bein- 
paare. Der auf den letzten folgende Hinterleib zählt fünf Ringe. 
Diese sind beim Männchen getrennt erhalten, während beim Weib- 
chen der erste mit dem zweiten zu einem einzigen Segment (Ring) 
verschmilzt. Im hintersten Segmente mündet der Darm nach 
aussen. Eine Art Steuerruder bildet den Abschluss des Körpers. 
Dieses wird, da es aus zwei nebeneinander dem letzten Hinterleibs- 
ringe aufsitzenden Teilen besteht, welche etwa mit den Zinken 
einer Gabel verglichen werden können, „Schwanzgabel“ oder „Furca“ 
genannt. Beide Zinken tragen am Ende lange Borsten. Länge 
und Breite der Körpersegmente sind je nach der Art des Tieres 
manchem Wechsel unterworfen. Während bei einigen Familien der 
Hinterleib so lang ist wie der Vorderleib, ist bei anderen dieser 
bedeutend länger als jener. 

Die Copepoden sind, wie die meisten Krebstiere, reichlich mit 
Gliedmassen versehen und zwar im ganzen mit etwa elf Paaren, 
welche dreierlei Verrichtungen zu erfüllen haben. Zum Tasten und 
Schwimmen dienen zwei Fühlerpaare, der Ernährung vier Paar 
Mundwerkzeuge, auf welche fünf Beinpaare gleichzeitig mit den 
Fühlern das Schwimmen vermittelnd folgen. Von den letzteren ist 
gewöhnlich das hinterste verkümmert oder zu einem Greiforgan bei 
den Männchen umgewandelt. 

Wie der Körper und die übrigen Gliedmassen, sind auch die 
Fühler aus hintereinander liegenden Segmenten oder Ringen zu- 
sammengesetzt. Die Zahl dieser Ringe ist eine je nach der Art, 
dem Geschlecht und Alter verschiedene, sie kann sogar innerhalb 
einer Art variieren. Von den drei bei uns vorkommenden Familien 
von Ruderfüssern haben die Harpactiden die geringste Zahl von 
Gliedern, an den Fühlern nämlich höchstens acht; die Cyclopiden 
besitzen 6—18, die Calaniden gar 25. Die Antennen aller 
Copepoden sind reichlich mit Borsten und kleinen Sinnesorganen, 
welche später besprochen werden sollen, versehen. Wie schon gesagt, 


TERROR! 
N 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 333 


dienen diese Fühler wesentlich mit zur Bewegung. Seltsame Um- 
bildungen erfahren sie bei den Männchen. Während die weibliche 
Antenne gewöhnlich fadenförmig ist und gegen das Ende zu gleich- 
mässig an Dicke abnimmt, wobei die verschiedene Länge der 
einzelnen Glieder keine Rolle spielt, ist die des Männchens zu 
einem ganz komplizierten Greiforgan umgestaltet. Diese Funktions- 
vermehrung trifft bei Harpactiden und Cyclopiden die beiden 
Antennen, bei den Calaniden 
nur die der rechten Seite. Bei 
der letzteren Familie ist der 
fünfte Fuss auf der entsprechen- 
den Seite ebenfalls zu einem 
Greiforgan verwandelt. Alle diese 
geschlechtlich differenzierten 
Antennen sind zweimal geknickt 
(Fig. 70, am) und können nach 
vorn einwärtsgeschlagen werden, 
so dass eine Art Schlinge ent- 
steht, mit der die Weibchen 
gefangen und während der 
Begattung festgehalten werden. 

Die zweiten Antennen sind 


meistens bedeutend kürzer und 
setzen sich bei Cyclopiden und 


Fig. 70. 


Harpactiden aus vier Gliedern Cyelops tenuicornis Claus (Weibchen, von oben 


gesehen). a’ Erste Antenne — a’ Zweite 


zusammen. Bei den Calaniden Antenne — ar Antenne des Männchens — 
sind sie in zwei Äste gespalten, gyAuee = 7, Kremekn, = MSGERT 
deren einer vier, der andere mit Eiern gefüllt. 

sieben Glieder besitzt. 

Der Mund ist von einer als Oberlippe bezeichneten bezahnten 
Platte überdeckt. An seinen Seiten sitzen zwei Paar Kiefern und 
ebenso viele Kieferfüsse, welche in stetiger Bewegung sind und viele 
Borsten und Stacheln tragen. 

Von den nun folgenden vier Schwimmfusspaaren ist das erste 


noch am Kopfbruststück angeheftet und gewöhnlich das kleinste. 


334 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Alle sitzen noch am Vorderleib. Sie bestehen aus einem breiten 
Grundgliede, auf welchem zwei Äste mit je zwei bis drei Gliedern 
entspringen; sie werden als Spaltbeine bezeichnet. Wie die Mund- 
werkzeuge sind auch besonders die Endglieder der Beine reichlich mit 
Borsten und Dornen ausgestattet. Es wäre nun noch eines fünften, 
rudimentär gewordenen Fusspaares zu gedenken, welches dem 
kleinsten (fünften) Vorderleibssegment aufsitzt, oft nur durch Borsten 
angedeutet, oft 1—2gliederig ist oder gar noch aus einem Grund- 
gliede und zwei kleinen Ästen (Calaniden) besteht. So unscheinbar 
es ist, so gross ist seine Bedeutung für die Unterscheidung der 
Arten. Wie oben erwähnt wurde, ist der rechte Fuss des rudi- 
mentären Paares bei den Calaniden zu einem Greiforgan umgewandelt 
und trägt einen sehr starken langen Dorn am Ende. Bei den 
Harpactiden erleidet das dritte Schwimmfusspaar eine entsprechende 
Umwandlung zum gleichen Zweck. 

Es mögen hier einige Bemerkungen über den Bau der Körper- 
bedeckung eingefügt werden, welche das Tier gegen die Umgebung 
abgrenzt und ihm Schutz verleiht. Bei allen Kerftieren besteht die 
Haut aus zwei Lagen, von denen die eine die andere erzeugt. 
Die äusserste Lage besteht aus einem „Chitin“ genannten Stoff und 
ist von sehr wechselnder Dicke. Während manche Käfer vom 
Sammler kaum mit der Nadel durchbohrt werden können, hat die 
Stubenfliege nur eine dünne Chitindecke und kann daher leicht 
zerdrückt werden. Von dieser Chitinhaut sind alle die weicheren 
inneren Organe schützend umschlossen; an ihr setzen sich auch 
die Muskeln und Sehnen an. Da nun der äussersten Körper- 
schicht die Aufgabe zufällt, den Körper zu stützen und Ansatz- 
stellen für alle die Muskeln abzugeben, welche die Gliedmassen etc. 
bewegen, so kann man bei den Kerftieren und also auch bei den 
Krebsen von einem äusseren Skelett reden. Dieses wird von einer 
darunter liegenden ganz weichen Schicht, der Matrix oder 
Hypodermis, deren Elemente kleine, vielseitige platte Zellen 
darstellen, abgesondert. Doch geschieht die Absonderung nicht 
immerfort gleichmässig, sondern sie findet nur nach bestimmten 
Zwischenpausen bei noch nicht ausgewachsenen Tieren statt. 


Ars 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 335 


Jeder neuen Absonderung geht ein Abwerfen der alten Chitin- 
haut vorauf. 

Ähnlich ist auch die Haut, welche den Anfang und das Ende 
des Darmrohres auskleidet, zusammengesetzt und wird ebenfalls bei 
der Häutung abgestossen. 

Da wir nun das Äussere der Copepoden einigermassen kennen, 
wenden wir uns zu dem Bau und der Zusammensetzung der inneren 
Organe und Systeme. Dieselben sind, trotz ihrer Einfachheit, ihrer 
Struktur und Funktion nach doch oft recht schwierig zu erkennen. 

Gleich das Nervensystem, von dem ja alle Lebensäusse- 
rungen, willkürliche wie unwillkürliche, ausgehen, ist bei der Klein- 
heit der Tiere, zu der sich noch andere Hindernisse gesellen, so 
schwer zu entdecken, dass bei mancher Art noch nicht einmal die 
äussere Form mit voller Sicherheit festgestellt ist. Von vornherein 
lässt sich ja annehmen, dass es sich vom Bau nahe verwandter 
Arten, von deren zentralem Nervensystem man genaue Kenntnis 
hat, nicht allzuweit entfernen werde. Gewöhnlich lagert sich der 
Hauptteil, den man als Hirn bezeichnen kann, wie bei allen Kerf- 
tieren, über dem Schlund und zwar in Form von Ganglien, d. h. 
Anschwellungen von Nervensträngen, in denen die Elemente des 
Nervensystems, Fasern und Zellen, bei einander liegen. Solche 
Ganglien sind, der bilateralen Symmetrie des Körpers entsprechend, 
gewöhnlich paarweise angelegt. Die Paare selbst treten ursprünglich 
in jedem Segment in der Einzahl auf, können aber sowohl seitlich 
verwachsen, als auch, wenn Segmente mit einander verschmelzen, 
zusammenrücken, so dass mehrere hintereinander gelegene Paare 
durch Verwachsung nur noch ein einziges darstellen. Um wieder auf 
das „obere Schlundganglion“ (so lautet die wissenschaftliche Bezeich- 
nung des Hirns) zurückzukommen, so ist es meistens auch durch 
seine Grösse vor den anderen ausgezeichnet. Von ihm gehen rechts 
und links an den Seiten des Schlundes Nerven (Kommissuren) hin, 
welche in ein unter dem Schlunde liegendes Ganglienpaar eintreten. 
Auf diese Weise entsteht eine Art Ring, welcher sich eng um das 
Rohr des Schlundes herumlegt und „Schlundring‘“ genannt wird. 
Dieses „untere Schlundganglion“ ist mit den weiter nach hinten 


336 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


liegenden segmentalen Ganglien durch zwei Nervenstränge, wie jene 
unter sich, verbunden. Das Bild dieses „Bauchstranges“ gleicht einer 
Strickleiter. Wie schon der Name besagt, liegt dieser Bauchstrang, 
welcher unserem Rückenmark entspricht, an der Bauchseite unter 
dem Darm. Ob überall bei unseren Copepoden auch im Hinter- 
leib solche durch Nerven mit einander verbundene Ganglien zu 
finden sind, ist nicht ganz sicher festgestellt. Bei den Cyclopiden 
fehlen sie dort, was natürlich nicht ausschliesst, dass derselbe 
dennoch reichlich mit Nerven versorgt ist. Von diesem Zentral- 
nervensystem, welches, wie wir gesehen haben, aus einem Schlund- 
ring und einer Bauchganglienkette sich zusammensetzt, gehen nun 
gröbere und feinere sich reichlich verzweigende Nervenäste zu allen 
Teilen und Organen des Körpers und vor allem zu den Sinnes- 
organen. 

Obgleich diese im Vergleich mit anderen Kerftieren nur schwach 
entwickelt sind, scheinen die Copepoden dennoch für die meisten 
Eindrücke recht empfänglich zu sein. Am leichtesten sichtbar und 
keiner Art fehlend ist das Auge. Es ist bei grösseren Arten, 
namentlich bei den fast farblosen pelagischen Tieren, ohne weitere 
Hilfsmittel durch seine gewöhnlich rot bis rotbraune Färbung kennt- 
lich. Häufig glänzt es sehr schön. 

Ausnahmslos müssen sich die Copepoden mit einem einzigen 
Auge behelfen und dieser Umstand hat der Gattung Cyclops mit 
einer Anspielung auf den einäugigen Schmiedeknecht Vulcans im 
Ätna zu ihrem Namen verholfen. Dieses eine Auge ist so primitiv 
gebaut, dass wir ruhig annehmen können, es werde seinem Besitzer 
zu keiner besonders vollkommenen Erkenntnis der Umgebung ver- 
helfen und nicht viel mehr als die Unterscheidung von hell und 
dunkel ermöglichen. Es sitzt bei allen Arten mitten auf der Stirn 
zwischen den beiden Fühlern und ist bloss bei den Calaniden ein 
wenig beweglich, sonst aber fest. Mit einem Vergrösserungsglas 
sieht man dem schon erwähnten Pigmentfleck zwei kleine glashelle 
Linsen aufsitzen, welche meistens den Glanz verursachen. Denkt 
man sich nun hierzu einen Nerv, der vom Hirn zum Auge zieht 
und unter demselben eine kleine gangliöse Anschwellung zeigt, so 


- 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 337 


kennen wir die ganze Einrichtung, wie sie einfacher kaum gedacht 
werden kann. Die nächstniedere Entwickelungsstufe des Auges 
kommt schon sehr früh in der Tierreihe vor bei wirbellosen Tieren 
und stellt einen mit Nerven versehenen Pigmentfleck dar, ist also 
um das optische Hilfsmittel der beiden Linsen ärmer. Die Linsen 
selbst sind aus der Chitinschicht der Haut gebildet und werden bei 
jeder Häutung durch neue ersetzt. 

Wenn wir somit dem Formen- und Farbensinn der kleinen 
Hüpferlinge keine besondere Hochachtung zollen dürfen, so kann 
man doch aus manchen Beobachtungen schliessen, dass nicht alle 
Sinne gleich schlecht entwickelt sind. Namentlich scheinen der 
Geruch und Geschmack gut ausgebildet zu sein. Nur fehlen 
uns vorderhand die Mittel, genau zu unterscheiden, welche Organe dem 
einen, welche dem anderen Sinne dienen. Es ist ja nicht unmöglich, 
dass bei den im Wasser lebenden Tieren ein und dieselbe Vor- 
richtung beiderlei Perceptionen ermöglicht, da nur ein Medium 
vorhanden ist, um die erregenden Stoffe zu übermitteln — das 
Wasser. Ob nun die Stoffe gasförmig oder fest sind, bleibt sich 
gleich. Da nicht wohl anzunehmen ist, dass unlösliche Stoffe einen 
Eindruck auf andere als Seh- und Tastorgane machen, so ist von 
diesen abzusehen. Lösliche Stoffe jedoch können nach unseren 
Anschauungen von einem Sinnesorgan wahrgenommen werden. Wie 
bei den höheren Wirbeltieren ist der Geruchs - Geschmackssinn 
auf bestimmte Körperteile beschränkt und zwar wohl ausnahmslos 
auf die Antennen. Am ersten Paare derselben sitzen neben einer 
bedeutenden Anzahl von Borsten verschiedener Grösse und Form 
je nach Art, Geschlecht und Alter wechselnde Mengen äusserst 
zarter Gebilde auf, welche kaum einem anderen Zweck dienen 
dürften, als die nächste Umgebung auf ihre chemische Beschaffen- 
heit zu prüfen. Es sind dies die bei den Cyclopiden und Har- 
pactiden von Leydig beschriebenen sogenannten „blassen Kolben 
und Cylinder“, welchen bei unserem Calaniden Diaptomus (s. S. 338) 
feine und lange verborgen gebliebene Gebilde entsprechen, die 
zuerst von Imhof12) beschrieben und von mir25) abgebildet wurden. 
Besonders auffallend ist die Verschiedenheit der Form dieser 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I, 22 


338 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


. Sinnesorgane bei den Cyclopiden, und wohl wert, mit einigen 
Worten beschrieben zu werden. Vor allem ist hervorzuheben, dass 
die männlichen Antennen stets reichlich mit solchen Kolben und 
Cylindern versehen sind, während sie bei den Weibchen entweder 
gar nicht oder nur in der Einzahl angetroffen werden. Der letztere 
Fall ist um so interessanter, als die Lebensäusserungen der Tiere 
keineswegs die Vermutung aufkommen lassen, als fehle diesen 
der Geruchssinn überhaupt; man kann somit schliessen, dass auch 
noch auf andere, bis jetzt noch nicht ermittelte Weise geschmeckt 
bezw. gerochen wird. Diejenigen, welche ein Sinnesorgan besitzen, 
tragen dasselbe am zwölften Gliede der ersten Antenne in Form 
eines auf einem Stiele sitzenden Kölbchens. Ganz ähnlich in der 
Form, nur grösser und zahlreicher sind die Kölbchen, mit welchen 
die Männchen dieser Weibchen an den Klammerantennen aus- 
gerüstet sind. Die übrigen Männchen dagegen schmecken mit den 
„blassen Cylindern“, welche morphologisch den eben geschilderten 
Kölbchen entsprechen. Diese Cylinder sind im letzten Drittel fein 
behaart und kommen auch bei unserem Harpactiden Canthocamptus 
vor. An den langen Fühlern unseres gemeinsten Calaniden 
Diaptomus treten beim Weibchen wie Männchen ganz kleine, 
äusserst zarte und darum kaum sichtbare Organe auf, welche etwa 
die Form einer Lanzenspitze haben. Einen deutlichen Übergang 
von den Borsten zu dem Schmeckorgan weisen die an der Antenne 
der Heterocope, eines nahen Verwandten des Diaptomus, auf. 
Viele derselben entfernen sich mit Ausnahme einer blasigen Auf- 
treibung am Grunde kaum vom Bau einer Borste. 

Es mag hier erwähnt werden, dass alle die genannten Sinnes- 
organe, so verschieden ihre Form und Grösse ist, ganz den so 
zahlreich an allen Gliedmassen der Copepoden vorkommenden 
Borsten, welche an den Antennen sicher mit die Tastempfindung 
vermitteln, entsprechen und aus diesen sich entwickelt haben. 
Nicht allein die Anordnung der „blassen Kolben und Cylinder“ 
auf den Gliedern der Antenne dient uns als Beweis dafür, sondern 
auch der Umstand, dass, wie beim ebenerwähnten Falle, nicht 
selten solche Sinnesorgane angetroffen werden, welche ein Mittelding 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 339 


zwischen Borste und Kolben (oder Cylinder) darstellen. Es ist 
dies ein Beispiel, dass eigentlich Geschmack und Geruch nur ver- 
feinerte Tastempfindungen sind. Weitere Bemerkungen über die 
Thätigkeit der vermutlichen Organe des Geschmacks- und Geruchs- 
sinnes werden in dem Abschnitt über die Lebensweise der kleinen 
Kruster folgen und wir wenden uns zur Besprechung des Gehörs, 
sofern man überhaupt von einem solchen reden kann. Es ist 
nämlich bis jetzt nicht gelungen an Süsswasser-Copepoden auch nur 
in Spuren ein Organ nachzuweisen, welches zur Aufnahme von 
Schallwellen im Wasser spezifiziert wäre. Wollen wir nicht an- 
nehmen, dass die oben geschilderten Sinnesorgane der Antennen 
— zu denen ja schliesslich noch alle die feineren Borsten, nament- 
lich die mit feinen Härchen versehenen zu rechnen sind — neben 
den angegebenen Funktionen noch die des Hörens übernehmen, so 
können wir nur vermuten, dass Schallwellen, die ja im Wasser 
ohnedies viel besser geleitet werden als in der Luft, vom ganzen 
Körper des Tieres empfunden werden und somit ebenso wirken, 
wie ein Reiz auf den Tastsinn.. Da nicht einzusehen ist, von 
welchem Vorteil eine auch nur annähernd genaue Unterscheidung 
der Töne für das Wohlbefinden eines so niedrig organisierten 
Wesens sein soll, so wird man wohl begreifen, dass die geschilderte 
Art der Schallempfindung ihren Zweck ausreichend erfüllt. Auch 
wir empfinden ja den Schall viel öfter als wir es ahnen zumteil 
mittels des Tastsinnes. Jeder kann sich davon überzeugen, wenn 
er während des Vortrages eines kräftigen Gesangsstückes oder einer 
schmetternden Kapelle die Fingerspitzen auf den Deckel eines 
frei gehaltenen Buches oder einer kleinen Zigarrenkiste legt. Dass 
aber die Copepoden einen gut entwickelten Tastsinn haben, 
wird jeder Freund derselben, welcher etwa mit einer Pipette die 
gewandteren Schwimmer, wie Diaptomus und Cyclops, aus einem 
grösseren Gefäss herausfangen will, zu seinem Ärger erfahren. 
Mit einer oft geradezu bewundernswerten Geschicklichkeit wissen 
die Tiere dem gefahrbringenden Instrumente, dessen Nähe sie 
offenbar nicht sehen, sondern lange, ehe es den Körper berührt, 
fühlen, auszuweichen, und je öfter und sorgfältiger man ihnen nahe 


22* 


340 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 
zu kommen sucht, desto sicherer entfliehen sie — einmal scheu 
gemacht — durch einen schnellen Sprung. 


Von den Eingeweiden ist am leichtesten der Darmtraktus, 
besonders am lebenden Tiere — allerdings so wenig wie das Nerven- 
system mit blossem Auge — zu verfolgen. Wir teilen denselben 
in einen vordern (Schlund-)Teil, Mittel-(Magen) und Enddarm. Der 
erste beginnt mit dem Munde. Von der Mundöffnung an steigt 
der Schlund beinahe senkrecht in die Höhe, biegt ein wenig nach 
vorn der Stim zu um, erleidet dort eine Knickung und geht all- 
mählich in eine Erweiterung des Darmrohres, den Mitteldarm oder 
Magen, über, welcher sich annähernd durch den ganzen Vorderleib 
erstreckt. Mit dem Beginn des Hinterleibs fängt der wieder dünnere 
Enddarm an und mündet an der Oberseite des letzten Segmentes 
vor der Furca nach aussen. Der Darmtraktus geht somit wie ein 
gerader Schlauch mitten durch den Körper. Am Enddarm besonders 
kann man leicht eine eigentümliche Erscheinung beobachten, welche 
dem Darm aller Tiere, den Menschen nicht ausgenommen, eigen 
ist. Häufig treten nämlich an demselben Einschnürungen auf, 
welche weiter wandern und, da sie rasch auf einander folgen, wie 
Wellen sich fortzupflanzen scheinen. Es sind dies die sogenannten 
„peristaltischen Bewegungen“, welche, durch die in der Darmwand 
liegenden Muskeln erzeugt, der Weiterbeförderung des Inhalts 
dienen. 

Vergebens würden wir nach Leber und Niere, zwei so hoch- 
wichtigen Organen im tierischen Körper, suchen, wollten wir sie 
als gesonderte Teile der Eingeweide vermuten. Nach mühsamen 
Versuchen erst ist es gelungen nachzuweisen, dass Zellen, auf dem 
Magenstück liegend, die Verrichtung der erwähnten Drüsen über- 
nommen haben. Etwa innerhalb des Kopfbruststückes ist der Darm 
von drüsigen Zellen umgeben, welche mit gelb gefärbten Fett- 
kügelchen erfüllt und ihrem Bau nach als Leberzellen zu deuten 
sind. Weiter nach hinten, dem Ende des Magens zu, enthalten 
ähnlich geformte Zellen die Stoffe, welche bei den höheren 
Tieren von den Nieren abgesondert werden. Durch Einwirkung 
chemischer Reagentien lässt sich ihre Zusammensetzung erkennen. 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 341 


Diese Nierenzellen geben ihren Inhalt am Anfang des Enddarms 
an diesen zur Weiterbeförderung nach aussen ab. 

Selbst unser Regenwurm ist in dieser Beziehung, so niedrig 
er sonst steht, besser eingerichtet, als der Copepode, indem er 
wenigstens gesonderte Organe, welche die Funktion der Niere ver- 
richten, besitzt. 

Allein nicht nur in diesem einen Falle können wir am Copepoden 
die Einfachheit der Mittel bewundern, mit denen die Natur so 
unendlich verschiedenes zweckmässig einzurichten weiss. Gleich 
die Art und Weise, wie das Blut im Körper der kleinen Geschöpfe 
zu allen Organen hingeführt wird, ist bei den Cyclopiden und 
Harpactiden so originell und zugleich so primitiv, dass wir kaum 
begreifen können, wie dadurch die Thätigkeit eines komplizierten 
Apparates, wie es das Herz anderer Tiere ist, vollkommen ersetzt 
werden kann. 

Die beiden eben erwähnten Familien besitzen nämlich nicht 
einmal die Andeutung eines Herzens und bei diesen Tieren 
übernimmt nun wunderbarerweise der Darm einen Teil der Funktion 
eines solchen, ist also in dreifacher Weise beschäftigt. Dadurch, 
dass er sich in bestimmter Richtung (vorwiegend in der Vertikal- 
ebene auf und ab) bewegt, wird das Blut wenigstens ordentlich 
untereinandergeschüttelt, wenn auch nicht in vorgeschriebenen 
Bahnen oder Adern herumgeleitet. Die Lage und der Verlauf des 
Darmes wurde vorhin geschildert. An der erwähnten Umbiegung, 
wo der Schlund in den Magen übergeht, setzen sich an der Ober- 
seite feine Muskeln an, welche nach vorn und oben gegen die 
Stime zu verlaufen. Diese bewegen bei ihrer Zusammenziehung 
den Darm in dieser Richtung. Sehr ausgiebig und regelmässig ist 
diese Bewegung nicht. Eine zweite Art von „Darmpulsationen“ 
vollzieht sich durch die Thätigkeit anderer Muskeln, welche sich 
einerseits am Darm beim Übergang des Magens in den Enddarm 
ansetzen, anderseits an der innern Bauchwand des Hinterleibes. 
Durch diese Muskulatur wird der Darm gewaltsam nach abwärts 
und zugleich nach hinten gerissen und alles Blut, das sich unter 
ihm befand, nach oben an den Seiten des Darmes vorbei unter die 


342 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Rückenhaut getrieben. Gleich darauf kehrt alles in seine vorige 
Lage zurück. Die Zahl dieser Bewegungen in einer bestimmten 
Zeit ist manchem Wechsel unterworfen und scheint zumteil 
willkürlich ausgeführt zu werden. Die Gliedmassen sorgen ausser- 
dem durch ihre fast immerwährende Bewegung jedenfalls mit dafür, 
dass das Blut keinen Augenblick ruhig im Körper verweilt. 


Eine viel vollkommenere Blutzirkulation findet bei den Calaniden 
statt, da diese ein Herz besitzen. Dieses ist bei unserm Diaptomus 
in einer ausserordentlich lebhaften Bewegung und schlägt etwa 
ı5omal in der Minute, so rasch, dass es beinahe zu vibrieren 
scheint. Durch seine energische Thätigkeit werden die in seiner 
Umgebung liegenden Organe ebenfalls in einem beständigen Zittern 
erhalten. Beobachtet man einen Diaptomus längere Zeit unter dem 
Mikroskop von einem dünnen Gläschen bedeckt, so verbraucht er 
allmählich den in dem umgebenden Wassertropfen enthaltenen 
Sauerstoff und dann schlägt das Herz des absterbenden Tieres 
immer langsamer, so dass es sich leicht genau besehen lässt. Man 
wird dann finden, dass es einem kleinen Balle gleicht, welcher in 
der Mitte des Rückens und zwar im dritten Vorderleibssegment 
direkt unter der Haut liegt. Feine blasse Fädchen ziehen von 
ihm an die umgebenden Teile (Haut, Darm) und halten es in 
seiner Lage fest. Es ist mit einigen Öffnungen versehen, Am 
sichersten ist eine hintere und vordere, weniger bestimmt solche 
an den Seiten beobachtet worden. DBlutgefässe fehlen auch hier. 
Wie bei den zwei anderen Familien ist auch bei den Calaniden 
die ganze Körperhöhle mit Blut erfüllt, so dass die Organe so- 
zusagen darin schwimmen. Zieht das Herz sich zusammen, so 
strömt das Blut gegen den Kopf zu aus der vordern Öffnung, 
welche demnach als „arterielle“ angesehen werden kann. Die bei 
der Kontraktion sich schliessende hintere oder „venöse“ Öffnung 
lässt bei der Ausdehnung Blut einströmen, welches von seiner 
Wanderung durch den Körper und die Gliedmassen zurückkehrt. 


Das Blut selbst ist farblos oder schwach gelblich. Feste 
Bestandteile, etwa den Blutkörperchen anderer Tiere entsprechend, 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 343 


lassen sich nur sehr schwer darin entdecken und wurden früher 
ganz vermisst. 


Gesonderte Verrichtungen, welche zur Atmung dienen 
könnten, fehlen allen echten Copepoden vollständig, Man muss 
demnach annehmen, dass der im Wasser gelöste Sauerstoff, der 
auch diesen kleinen Wesen unentbehrlich ist, einfach durch die 
Haut aufgenommen und auf demselben Wege die Kohlensäure 
abgeschieden wird. Man wird diese scheinbare Unvollkommenheit 
verstehen, wenn man bedenkt, wie leicht sich ein Gasaustausch 
durch eine Haut, welche in allen Teilen dünner ist als die Kiemen- 
haut grösserer Krebse, vollziehen kann. Es wirkt somit die ganze 
Körperoberfläche als Atemorgan, sozusagen als Kieme. Das Be- 
dürfnis nach Sauerstoff entspricht der Grösse der Tiere und der 
Lebhaftigkeit derselben. 


Alle Bewegungen im und am Körper werden durch hoch- 
entwickelte Muskeln ausgeführt. Vor allem sind zwei Stränge 
derselben, je einer links und rechts von der Mittellinie des Körpers, 
stark ausgeprägt und leicht zu sehen. Diese vermitteln die Ver- 
schiebung der Körpersegmente gegen einander. An den Seiten 
des Körpers und am Bauche setzen sich die Muskeln der Glied- 
massen an. Von der eigentümlichen Thätigkeit der Darm- und 
Herzmuskulatur war schon früher die Rede. 


Es bliebe uns jetzt noch übrig, da ja nur die wichtigeren 
Organe hier Raum finden können, die Fortpflanzungsorgane 
und daran anknüpfend die Entwickelung der Copepoden zu 
besprechen. 


Schon bei der Beschreibung der Gliedmassen wurde erwähnt, 
dass alle Copepoden getrennten Geschlechts seien, und die äusseren 
Merkmale, welche beide Geschlechter trennen, hervorgehoben. 


Die Fortpflanzungsorgane nehmen bei den reifen Tieren 
einen grossen Teil der Leibeshöhle ein und schimmern namentlich 
bei den Cyclopiden durch die dünne Körperwand durch. Da der 
Inhalt derselben oft genug eine bläuliche bis grüne Färbung besitzt, 
erscheinen die Tiere in dem entsprechenden Tone gefärbt. Die 


344 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Männchen sind sofort an ihrem schlankeren Körper und den um- 
geformten Antennen zu erkennen. Junge Tiere sind nicht immer 
leicht zu unterscheiden. Die Weibchen sind gewöhnlich grösser 
als die Männchen derselben Art und der Hinterleib derselben besitzt 
ein Segment mehr als bei jenen, da das erste und zweite nicht 
mit einander verwachsen sind. Bei beiden Geschlechtern liegen 
die Fortpflanzungsorgane über dem Darm und unter der Rücken- 
haut. Wo ein Herz, wie bei den Calaniden, vorhanden ist, befindet 
sich dieses über den Geschlechtsorganen. Sind letztere bei den 
Weibchen stark entwickelt und mit Eiern erfüllt, so erstrecken sie 
sich etwas an den Seiten des Darmes nach dem Bauche zu ab- 
wärts. Die Keime werden in einer sackähnlichen Drüse erzeugt. 
Von dieser Drüse treten sie nach rechts und links in die Eileiter 
über, welche bei grossen Weibchen durch ihre eigentümliche Form 
(Fig. 70 Ze) und den gefärbten Inhalt leicht sichtbar werden. Die 
Eileiter reichen weit nach vorn und hinten bis zum ersten Segment 
des Hinterleibes, wo sie nach aussen münden. Nach den Seiten 
senden dieselben ebenfalls mit Eiern erfüllte Lappen aus. In den 
Eileitern werden die Keime (Eier) mit Dotter versehen und erhalten 
auch eine zarte Hülle. Die Eier geniessen bis zum Auskriechen 
der Jungen die mütterliche Fürsorge und werden nicht einfach in 
das Wasser entleert. Vor dem Verlassen des mütterlichen Körpers 
werden sie nämlich aus einer Drüse mit einem Klebstoff umhüllt, 
welcher im Wasser erhärtet und die Eier unter einander sowohl, 
als auch mit den Seiten des mütterlichen Körpers am ersten Ringe 
des Hinterleibes verkittet. Solche Säckchen tragen die Cyclopiden 
zwei, deren jedes etwa mit zwanzig Eiern erfüllt ist, die Harpactiden 
und Calaniden dagegen nur eines. Bei ersteren sind sie oval und 
links und rechts am Hinterleib, bei letzteren mehr rundlich und an 
der Unterseite befestigt. Diese Säckchen sind bei den Copepoden, die 
der pelagischen Fauna angehören, stets kleiner als bei den Uferformen. 

Die männlichen Organe sind bei den Cyclopiden mit Aus- 
nahme der Keimdrüse ebenfalls paarig angelegt, bei den Calaniden 
und Harpactiden dagegen nicht. Die Geschlechtsprodukte werden 
in sogenannten Spermatophoren an das Weibchen angeheftet. Den 


a 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 345 


Cyclopiden sind solche Gebilde von rundlicher Form eigen, bei 
den Calaniden und Harpactiden stellen sie jedoch langgezogene 
Flaschen von sehr komplizierter Einrichtung dar. Ihre Entstehung 
und Funktion wurde von A. Gruber vorzüglich geschildert. 

Die Befruchtung der Eier findet am Ende der Eileiter während 
des Ablegens statt. 

In den Säckchen sind, wie im Körper, die Eier von grünlicher 
bis bläulicher, selten gelber Farbe. Eine dünne Haut umschliesst 
den körnigen fetthaltigen Inhalt. Bald nach der Bildung der Eier- 
säckchen beginnt die im Ei schlummernde geheimnisvolle Kraft in 
der Umbildung «les Dotters zu einem neuen Wesen ihre Wirkung 
zu entfalten. So interessant die hierbei sich abspielenden Vorgänge 
sind, so können sie hier nicht weiter geschildert werden. C. Claus?) 
hat uns schon vor langen Jahren mit denselben bekannt gemacht. 
Nach einer, je nach der Jahreszeit, zwei bis zehn Tage dauernden 
embryonalen Entwicklung entschlüpft dem Ei der junge Copepode, 
welcher zunächst mit seinen Eltern so wenig Ähnlichkeit hat, dass 
man ihn lange für ein ganz besonderes Tier hielt und ihn „Nauplius“ 
benannte. Alle jungen Copepoden und auch die meisten übrigen 
niederen Krebse haben diese Entwickelungsform des „Nauplius- 
Stadiums“ gemeinsam, so verschieden im erwachsenen Zustande die 
Tiere auch aussehen mögen. In diesem Jugendkleide stellt sich 
das kleine Wesen als rundlicher Körper mit nur drei Gliedmassen- 
paaren dar, welche an der Bauchseite entspringen und in der Form 
ebenfalls wesentlich von denen der Alten abweichen. Die weitere 
Entwickelung vom Nauplius zum vollkommenen Tiere geht sozusagen 
ruckweise vor sich. Die kleinen Kruster wachsen so wenig wie 
andere Kerftiere etwa ähnlich den höheren Tieren allmählich heran, 
wobei der schon in seiner Gestaltung fertige Körper eigentlich nur 
an Grösse zunimmt, sondern in Pausen. Von Zeit zu Zeit wird, 
wie bereits früher beschrieben wurde, den Jungen die Haut zu 
enge, deren Beschaffenheit eine Dehnung nur bis zu einem gewissen 
Grade zulässt. Sie, d. h. die unbelebte äussere Schicht derselben, 
wird deshalb abgeworfen und durch eine neue ersetzt. Mit jedem 
Wechsel der Haut treten am Körper mehr Segmente und Glied- 


346 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


massen, an diesen aber, so weit sie nicht schon früher vorhanden 
waren, neue Bestandteile auf. Das Auge, den Darm und — wo ein 
solches vorkommt — auch das Herz bringen die Copepoden, wie die 
erste Anlage der Fortpflanzungsorgane, mit auf die Welt. Mit dem 
Verlassen des Eies entzieht sich der Nauplius der mütterlichen Ob- 
hut und geht von nun an selbständig seinen Weg durchs Leben. 

Es ist dieses Nauplius-Stadium für die Systematik der niederen 
Krebse um so wichtiger, als manche erwachsene Formen selbst für 
das geübte Auge so wenig Ähnlichkeit mit den nächsten Verwandten 
haben, dass man ohne Kenntnis der Entwickelung sie lange mit 
ganz anderen Tieren zusammenstellte. Es sind solche weitgehenden 
Veränderungen der äussern Gestalt namentlich bei den Ranken- 
füssern und den parasitischen Copepoden beobachtet und auf eine 
Anpassung an die Lebensweise zurückzuführen. Einige Ranken- 
füsser setzen sich fest, werden mit einer harten Kalkschale um- 
schlossen und scheinen in dieser Form alle Anschauungen über 
den Bau eines Krebses über den Haufen werfen zu wollen. In der 
That wird jeder, welcher zum ersten Mal eine sogenannte Enten- 
muschel oder die Seepocken zu Gesicht bekommt, Mühe haben, 
sie als Krebse zu erkennen. Von den parasitischen Copepoden 
werden wir später noch einiges erfahren. 

Nach einer bestimmten Zahl von Häutungen hat das Tier 
seine endgültige Grösse und Form erreicht und ist fortpflanzungs- 
fähig geworden. Die Zeit, die es vom Verlassen des Eies an zu 
seiner weiteren Entwickelung nötig hat, ist je nach den äusseren 
Einflüssen verschieden. Im Sommer genügen nach Jurines 13) Beob- 
achtungen zwei bis drei Wochen, während in der kälteren Jahreszeit - 
unter Umständen ebensoviele Monate nötig sind, bis das Tier fertig 
ist. Die erreichte Grösse ist bei Individuen einer Art meist an- 
nähernd gleich. Nur ausnahmsweise findet man solche, welche das 
normale Mass um vieles (fast 1/3) übersteigen, ohne dass eine 
besondere Ursache für ein so auffallendes Wachstum sich nach- 
weisen liesse. 

So interessant das Studium der einzelnen Familien, Gattungen 
und Arten, welche unsere süssen Wasser bewohnen, ist, so muss 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 347 


dennoch auf eine Aufzählung aller bis jetzt beschriebenen Formen 
verzichtet werden. In dem angefügten Litteraturverzeichnis sind 
jedoch für solche, welche sich eingehender mit den interessanten 
Tieren abgeben wollen, die wichtigsten Werke namhaft gemacht, 
in denen die Beschreibung und Klassifikation der Copepoden be- 
handelt wird. Wir wenden uns zu der am niedersten stehenden 
Familie der Eucopepoden mit kauenden Mundwerkzeugen, den 


Cyclopiden. 

Der ganze Körper (Fig. 70) setzt sich (ohne die Furca) aus 
zehn Ringen zusammen, von denen fünf auf den Vorderleib, ebenso- 
viele (beim Weibchen verwachsen die zwei ersten) auf den Hinter- 
leib kommen. Der Vorderleib ist meistens beträchtlich breiter als der 
Hinterleib und eiförmig, Die ersten Antennen setzen sich aus 
8— 17 (selten 18) Gliedern zusammen und sind beim Männchen 
beide zu Greiforganen umgewandelt. Das Auge ist in der Mitte 
der Stirne gelegen und hat zwei Linsen. Das Weibchen trägt seine 
Eier in zwei gewöhnlich etwas abstehenden Säckchen an beiden 
Seiten des Hinterleibs. 


Am gemeinsten von allen den Arten, deren Antennen 
ı7gliederige Fühler besitzen, ist der Cycloßs viridis Fischer. Die 
Fühler dieser grossen Art sind kaum länger als das erste Vorder- 
leibssegment und gedrungen; sie tragen am zwölften Gliede ein 
feines Sinneskölbchen. Fast gleich häufig trifft man den kleinen 
Cyclops agılıs Koch an, welchem von Claus, da er am Aussen- 
rande der Furca eine kleine Säge trägt, der Name serrulatus bei- 
gelegt wurde. Seine Fühler sind schlank und reichen bis zum 
vierten Segment des Vorderleibs. Sie besitzen zwölf Glieder, er- 
mangeln aber eines Sinneskölbchens. Die Eiersäckchen werden 
sehr abstehend getragen. Von grossen Cyclopiden mit langen 
Antennen (viel länger als das erste Vorderleibssegment) sind etwa 
noch Cyel. temucornis Claus und signatus Koch zu erwähnen. 
Diese sehen sich im allgemeinen ähnlich, allein während C. temucornis 
wie C. virıdis ein Sinneskölbchen an den ersten Antennen trägt, 
fehlt dieses dem C. signatus stets. Die Länge von diesen beiden 


348 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Arten und von vırıdıs beträgt etwa 3.5 mm. Ein naher Verwandter 
des C. agılis interessiert uns durch sein beschränktes Vorkommen. 
Er wurde in den Maaren der Eifel von Dr. Otto Zacharias 
gefunden und erhielt bei der Beschreibung?) den Namen C. 
maarensis*). Es giebt noch eine bedeutende Anzahl von meist 
kleinen Arten mit ı7gliederigen Antennen, welche kaum länger als 
das Kopfbruststück sind. Alle sind aber sehr schwer zu bestimmen, 
da die Merkmale nur mit Mühe aufgefunden werden können. Viel 
seltener trifft man Cyclopiden an, deren Antennen weniger als zwölf 
Glieder besitzen. Einer derselben, C. canthocarpoides, kommt auch 
im Meere vor. 
Die Familie der 
Harpactiden 

zählt im süssen Wasser zu der am wenigsten bedeutenden. Wie 
Cyclops die einzige Gattung unter den Cyclopiden darstellt, so sind 


Fig. 71. 


Canthocamptus minutus Müller, nach Brady (Weibchen von der Seite). 


auch die Harpactiden nur durch eine Gattung, Canthocamptus (Fig. 71), 
vertreten. Diese Form ist in mehreren Arten sehr weit verbreitet. 
Sie wird besonders im ersten Frühjahr in Gesellschaft von Cyeclops 
in allen unseren kleinen Weihern gefunden, viel seltener oder gar 
nicht im Sommer. Der Körper von Canthocamptus weist dieselbe 
Gliederung auf, wie die von Cyclops, jedoch ist Vorder- und Hinter- 


*) Es ist diese Art nach neueren Untersuchungen vielleicht mit C. macrurus Sars 
identisch, 


ae 
d 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 349 


leib an Breite nur wenig verschieden und beide sind nicht sehr 
scharf von einander abgesetzt. Die ersten Antennen sind kürzer 
als das Kopfbruststück und beim Männchen zu Greiforganen um- 
gestaltet. Bei letzterem erleidet das dritte Fusspaar eine demselben 
Zwecke dienende Formveränderung. Am Hinterleib der Weibchen 
wird nur ein Eiersäckchen angetroffen, neben welchem häufig die 
langen flaschenförmigen Spermatophoren hängen. Canthocamptus 
ist ein schlechter Schwimmer und dreht sich bei seinen Bewegungen 
um seine eigene Achse schraubenförmig durch das Wasser. Die 
grösste bei uns vorkommende Art — Canth. minutus Müller oder 
staphylinus Jarine — misst etwas über einen Millimeter; die meisten 
anderen sind noch kleiner. Viel wichtiger und grösser ist die dritte 
Familie der Süsswassercopepoden, die der 


Calaniden, 


obgleich auch sie nur mit wenigen Gattungen bei uns vertreten 
ist. Diese sind nicht so allgemein verbreitet, wie die beiden vorher- 
gehenden Familien, sie kommen aber meist in grossen Massen vor, 
wenn sie einmal in einem Wasser eingebürgert sind. Der Vorder- 
leib der Calaniden ist länger als der Hinterleib und bildet ein 
langgezogenes, nach hinten abgestutztes Oval. Der ganze Körper 
ist annähernd cylindrisch.h Die meist 25gliederigen Antennen 
sind etwa so lang als der ganze Körper. Die rechte ist beim 
Männchen wie auch der rechte Fuss des fünften Beinpaares zu 
einem Greiforgan umgestaltet. Das Weibchen erzeugt nur ein 
Eiersäckchen, welches wie bei Canthocamptus an der Unterseite 
des Hinterleibs klebt. Die am Ende der Furca aufsitzenden Borsten 
haben ziemlich gleiche Länge und sind fächerförmig ausgebreitet. 
Die hiehergehörigen Gattungen und Arten wurden in einer sehr 
ausführlichen Arbeit von Jules de Guerne und Jules Richard?) 
zusammengestellt. Hiernach werden neun bis zehn Gattungen mit 
über 70 Arten unterschieden. Am meisten Bedeutung hat das 
Genus Diaptomus, von welchem allein an die 60 Vertreter beschrieben 
wurden. Gewöhnlich findet man bei uns drei Arten an, d. h. nicht 
alle drei beisammen. Die grösste Art ist Diaflomus castor Jurine, 


VE FREEIT N VRFRug 


350 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


welcher über 31/2 mm lang wird und meistens kleinere Gewässer 
bewohnt. Diesem sehr ähnlich, jedoch kleiner, ist D. coeruleus 
Fischer. Eine fast in allen grossen Wasserbecken auftretende und 
als Fischnahrung sehr wichtige Art ist der pelagisch lebende zier- 
liche D. gracılis, welcher fast keine Färbung hat und ganz wasser- 
hell ist. Dem letzteren gleicht eine durch Lilljeborg entdeckte 
und früher nur im Norden gefundene Art, Diaptomus gracıloides 
(Fig. 72), welche in einem der schon bei Cyclops maarensis er- 
wähnten Maare der Eifel, in dem Gemünder Maar und zwar nur 


Fig. 72. 
Diaptomus graciloides Lilljeborg. a’ Erste Antenne — a’’ Zweite Antenne — 
E Eiersäckchen. 


in diesem ebenfalls durch Zacharias gefunden, sonst aber bis jetzt 
nirgends in Deutschland angetroffen wurde. Die Gattung ZZeterocope 
bewohnt auch nur grosse Wasserbecken und zeichnet sich durch 
bedeutende Grösse und kräftigen Bau aus. Von den selteneren 
und wie es scheint mehr dem Norden angehörigen Gattungen wäre 
noch als in Deutschlands Nordwesten vorkommend Zurytemora 
Poppe zu erwähnen. 

Alle Calaniden sind vorzügliche Schwimmer. Sie lieben es, 
häufig mit dem Rücken nach abwärts gekehrt sich im Wasser zu 


2 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 351 


bewegen. Nicht allein mit Füssen und Antennen vollziehen sie 
letzteres, vielmehr erzeugt auch die rasche Thätigkeit der Mund- 
werkzeuge, welche zum Zweck der Nahrungszufuhr ausgeübt wird, 
ein etwas langsames Fortgleiten. Bei Diaptomus wurde beobachtet, 
dass er nachts in einen lethargischen Zustand, eine Art Schlaf, 
verfalle. 


Die Nahrung aller freilebenden Copepoden besteht in kleinen 
Teilchen tierischer und pflanzlicher Substanz, wie sie sich auf dem 
Grunde der Gewässer, an Pflanzenstengeln und so weiter vorfindet. 
Vor allem scheinen Urtiere und kleine Algen aufgenommen zu 
werden. Da stets beides zusammen vorkommt, ist es schwer zu 
entscheiden, ob die Tiere in der That Allesfresser sind oder ob 
der eine oder andere Bestandteil etwa zufällig in den Darm 
gelangt. _ Nach einigen Beobachtungen fressen die Mütter ihre 
eigenen Kinder, und dieses kannibalische Betragen würde die 
Copepoden als Räuber oder reine Fleischfresser kennzeichnen. 
Es ist sehr unterhaltend, den Tieren bei der Suche nach Nahrung 
zuzusehen. Wenn der sie beherbergende Behälter etliche Pflanzen 
enthält, weiden sie mit Vorliebe den daran sitzenden Detritus unter 
pickenden Bewegungen regelrecht ab. Ist dann der Magen mit 
einem genügenden Vorrat von Speisen versehen, so sucht das Tier 
wieder die Gesellschaft der Genossen auf. Diese ist allen Arten, wie 
es sich schon aus der Art des Vorkommens in grossen Scharen 
ergiebt, geradezu Bedürfnis... Mit munteren Sprüngen haschen und 
jagen sich Alte wie Junge gegenseitig und scheinen dies nur der 
Unterhaltung wegen zu thun. Mitten durch dieses lebhafte lautlose 
Gewimmel stürzen dann oft die von den kleinen lebhaften Männ- 
chen verfolgten Weibchen in wilden Sätzen. Eine Zeitlang geht 
die Jagd durch das Gewirre der Wasserpflanzen, dann wieder über 
freiere Stellen, bis das Weibchen durch eine geschickte Wendung 
dem Verfolger sich entzieht oder, müde geworden, auf Gnade und 
Ungnade sich ergiebt. 


Schon früher wurde angedeutet, dass wir nur ausnahmsweise 
in einer wenn auch noch so kleinen Wasseransammlung, falls sie nur 


352 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


schon einige Zeit bestand, vergebens nach Copepoden fahnden. 
In Grönland so gut wie unter den Tropen sind namentlich die 
stagnierenden oder langsam fliessenden Gewässer oft in staunen- 
erregender Weise damit bevölkert und von dem enormen Reichtum 
des Meeres an diesen Tieren können wir uns kaum eine Vor- 
stellung machen. Ich selbst habe einen Fall erlebt, wo ein kleiner 
Weiher, dessen auffallende Armut an Pflanzenwuchs keine reiche 
Ausbeute versprach, durch die Masse einer einzigen Copepoden-Art 
(Diaptomus coeruleus) geradezu gelb gefärbt war. Mehrfach werden 
ähnliche Beobachtungen erwähnt, und manche Nachricht, die für 
die auffallende Färbung eines Gewässers keinen Grund angiebt, 
dürfte auf das massenhafte Vorkommen von Ruderfüssern (vielleicht 
im Verein mit Daphnien) zurückzuführen sein. Ganze Wolken der 
ersteren färben zu gewissen Zeiten weite Strecken des Meeres und 
die Fischer bezeichnen diese Erscheinung als „Rotäsung“ und kennen 
sie als Vorboten reichlichen Fanges. 

So wenig als in horizontaler Richtung scheinen auch in verti- 
kaler dem Vorkommen der Ruderfüsser Grenzen gezogen zu sein, 
sofern überhaupt Wasser vorhanden ist. Auf dem Kamme des 
Riesengebirges fand Zacharias), in 2500 m Meereshöhe Imhoflt) 
(im Val di Brutto) noch Copepoden vor, während sie anderseits 
in unseren grossen Binnenseen und im Meere die grössten bis jetzt 
erforschten Tiefen noch beleben und einen wesentlichen Bestandteil 
der in ewigem Dunkel lebenden Fauna ausmachen. Die reichste 
Abwechslung in der Beschaffenheit ihrer Wohnorte ertragen ent- 
schieden die Süsswasser-Copepoden. Die Temperatur des Wassers 
scheint nur insofern von Einfluss auf die kleinen Körper zu sein, 
als im Winter unter der Eisdecke die Vermehrung langsamer vor 
sich geht. Versuche haben bewiesen, dass selbst durch längeres 
vollständiges Einfrieren die Lebenskraft nicht erlischt. Wenn wir 
gerade im Winter und im Frühjahr, nachdem die Macht der wieder- 
kehrenden Sonne die Eisdecke weggetaut hat, am meisten Ruder- 
füsser in unseren Tümpeln und Weihern antreffen, so ist dies mehr 
dem Umstande zuzuschreiben, dass die Mehrzahl ihrer Feinde ent- 
weder im vollständigen Winterschlaf liegt oder doch in einem solch 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 353 


lethargischen Zustande sich befindet, dass das Bedürfnis nach 
Nahrung nur ein geringes ist. Bei der allgemeinen Verbreitung 
kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn unter den Mitgliedern 
der Höhlenfaunen ebenfalls Copepoden erwähnt werden. Zu den 
seltneren Fällen gehört es, dass ein Angehöriger des süssen Wassers 
im Mineral-, Brack- oder gar Meerwasser angetroffen wird. Über- 
raschend ist dies bei der Anspruchslosigkeit unserer Tiere und deren 
Widerstandsfähigkeit gegen äussere Einflüsse nicht. Diese eben- 
genannten Eigenschaften im Verein mit der grossen Vermehrung 
und raschen Entwickelung sind die einzigen Mittel, welche den 
Ruderfüssern zu einem erfolgreichen Kampfe ums Dasein zur Ver- 
fügung stehen. Schon innerhalb kleiner Wasserbecken sind die 
meisten Arten manchmal gezwungen, von einer weitern Eigenschaft, 
welche für gewöhnlich nicht in die Augen springt, Gebrauch zu 
machen: ich meine die Anpassungsfähigkeit. 

Wie im Meere, so kann man auch in unseren Seen dreierlei 
Regionen nach den physikalischen und organischen Verhältnissen 
unterscheiden. Jede derselben ist durch spezifische Tier- und 
Pflanzenformen von den anderen verschieden und dies tritt gerade 
bei den niederen Krebstieren am deutlichsten zu Tage. Wollen 
diese waffenlosen Wesen in der Konkurrenz mit anderen Tier- 
formen nicht unterliegen, so müssen sie sich, ob sie nun in der 
Uferregion oder pelagisch oder gar in der Tiefenregion leben, den 
jeweiligen Verhältnissen anpassen. Es lässt sich schon zum voraus 
aus der Beschaffenheit der Lokalität entnehmen, dass z. B. die reich 
mit Pflanzen bewachsene Uferzone mit seichtem, warmem Wasser 
den Tieren bedeutend günstigere Lebensbedingungen gewähren wird, 
als die scheinbar leblose Mitte des Sees mit ihren verborgenen 
Tiefen. Dort kann ein Wesen auf engem Raum seine Nahrung 
zusammenlesen und es hat nicht viel zu sagen, wenn seine Schwimm- 
werkzeuge nicht erster Güte sind. Die reiche Ernährung ermöglicht 
ein rasches Wachstum und reichliche Fortpflanzung. Die kleinen 
Kruster müssten sich ins Unendliche vermehren und somit die oben 
erwähnte Erscheinung, dass das Wasser durch ihre Massen sich 
färbt, viel öfter verursachen, wenn nicht auch hier ein gewichtiges 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 23 


.e-, U 


354 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Regulativ entgegenwirken würde. In dem so reich belebten 
seichten Wasser haben nämlich die grössten Feinde der kleinen 
Krebse ihren Wohnsitz aufgeschlagen und verschlingen unzählbare 
Summen derselben. In einem aus verschiedenen Stoffen zusammen- 
geklebten Häuschen lauert die Larve der Köcherfliege, an den 
Pflanzenstengeln die der Eintagsfliegen, im Schlamm halb .versteckt 
die Libellenlarve mit ihrem heimtückischen Fangapparat auf lebende 
Beute. Muntere junge Fischchen schnappen spielend ganze Massen 
von Entomostraken weg und diesem Vernichtungskriege schliesst 
sich auch der verschmitzt lauernde, langsam die Beute erschleichende 
junge Triton an. Auf Schritt und Tritt lauert Tod und Verderben, 
und wenn nicht die gütige Mutter Natur immer reichliche Nach- 
kommenschaft an der Stelle der im ungleichen Kampfe Gefallenen 
eintreten liesse, so wären die Copepoden samt ihren Verwandten 
schon längst aus der Liste der Lebewesen gestrichen. In der Ufer- 
region also kann der Ruderfüsser sich nur dann erhalten, wenn 
er sich rasch und reichlich vermehrt. Mit Waffen seiner Feinde 
sich zu erwehren erlaubt ihm seine natürliche Ausrüstung nicht. 
Ganz anders gestaltet sich das Leben und Treiben unserer 
Tiere in der sogenannten pelagischen Zone der Seen bei einer 
Wassertiefe von mindestens 15—20m und einer oft mehrere hundert 
Meter betragenden Entfernung vom Ufer. In dem beinahe immer 
klaren Wasser fehlt, abgesehen von einigen winzigen Algen und 
Diatomeen, jeder Pflanzenwuchs. Von dem von Urtieren reich 
belebten Detritus der Uferregion führen Wind und Strömung nur 
noch Spuren hinaus und diese bilden, auf weite Strecken verteilt, 
eine kärgliche Nahrung. Temperaturschwankungen und Wellenschlag 
werden in der Tiefe, welche die Tiere gewöhnlich, namentlich 
während des Tages, bewohnen, kaum mehr fühlbar; im übrigen 
sind jedoch die Verhältnisse für einen vom Ufer her in diese 
Region verschlagenen Copepoden so ungünstig als möglich, zumal 
auch jede Deckung fehlt, welche das Tier vor seinen Feinden 
schützen könnte. Wenn wir trotzdem eben in der pelagischen 
Region eine reiche Fauna von Entomostraken antreffen, so ist dies 
einzig und allein der weitgehenden Anpassung, welche sich Gene- 


- 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 355 


rationen hindurch während eines nicht allzukurz zu bemessenden 
Zeitraumes im Bau der Kruster vollzog, zuzuschreiben. Als die 
auffallendste Eigenschaft, welche alle pelagisch lebenden Krebstiere — 
auch die des Meeres — auf dem Wege der natürlichen Zuchtwahl 
erworben haben, bewundern wir deren ausserordentliche Durch- 
sichtigkeit und Farblosigkeit. Hierdurch werden auch die Cope- 
poden dem Auge ihrer Feinde entzogen, denen sie bei dem Mangel 
an Verstecken und der den Verfolgern gegenüber geringen Schnellig- 
keit auf der Flucht kaum zu entrinnen vermöchten. Haut, 
Muskulatur und Nervensystem sind gewöhnlich wasserhell; nur der 
Darm (durch seinen Inhalt) und die Geschlechtsorgane zeigen hie 
und da noch Färbung. In zweiter Linie macht sich die Anpassung 
bei der Fortpflanzung bemerklich; denn alle Copepoden tragen 
selten mehr als vier Eier auf einmal in den Eiersäckchen mit sich 
herum. Der mühsame Erwerb der im Wasser sehr verteilten 
Nahrung wirkt einer reichen Fruchtbarkeit entgegen. Ausserdem 
sind die Tiere mit kleinen Eiersäcken beim Aufsuchen des Futters 
weniger in ihren Bewegungen gehemmt, als die mit grossen der- 
artigen Anhängseln, und somit diesen beim Kampfe ums Dasein 
überlegen. Den höheren Ansprüchen an die Beweglichkeit der 
pelagischen Copepoden passten sich die Schwimmwerkzeuge (Fühler 
und Beine) ebenfalls in vortrefflicher Weise an, indem sie entweder 
länger, oder wenigstens kräftiger entwickelt sind, als bei den Ufer- 
formen. Eigentümlich sind die periodischen Wanderungen der 
pelagischen Krebse, indem sie bei Nacht an die Oberfläche steigen, 
bei Tag dagegen die Tiefe aufsuchen. 

Die als Anpassungserscheinungen zu deutenden Eigenschaften, 
welche die Bewohner der pelagischen Region kennzeichnen, können 
auch den der Tiefenregion angehörigen von Nutzen sein. Nicht 
im Meere allein, dessen tiefste Abgründe bis vor verhältnismässig 
kurzer Zeit für unbelebt gehalten wurden, haben sich die Krebstiere 
und vor allem die Entomostraken unter einem ganz enormen Wasser- 
druck eingewöhnt, auch auf dem Grunde unserer grössten Seen 
bilden sie einen der wichtigsten Bestandteile des dort noch herr- 
schenden Lebens. Es sind dies meist ganz bestimmte Arten, 

23* 


356 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


welche nie an der Oberfläche gefunden werden und deren Ver- 
breitung in allen grösseren Wasserbecken Deutschlands, Frankreichs 
und Schwedens darum so schwer zu erklären ist, weil keines der 
später zu erwähnenden Transportmittel bei Tieren, die immer in 
der Tiefe leben, eine Rolle spielen kann. 


Es gelang bis jetzt nie, alle bei uns einheimischen Copepoden 
in ein und derselben Wasseransammlung, welchen Umfang diese 
auch haben mag, beisammen zu finden. Oft beherrscht eine Art 
einzig und allein in unzählbarer Menge irgend einen Weiher, noch 
öfter aber trifft man (selbst in unscheinbaren Tümpeln) zwei bis 
drei Arten an und es ist eine Seltenheit, wenn z. B. sieben Vertreter 
einer einzigen Gattung beisammen leben. Es befremdet diese 
Unregelmässigkeit des Vorkommens um so mehr, wenn man erfährt, 
dass oft ganz dicht nebeneinanderliegende Weiher eine ganz ver- 
schieden zusammengesetzte Copepoden-Fauna aufweisen können, 
selbst wenn sie durch kleine Wasseradern mit einander verbunden sind. 
Bei seinen Untersuchungen über die Tierwelt der Eifelmaare fand 
Zacharias einen Diaptomus (graciloides Lilljeborg), welcher nur 
in dem Gemündener Maar (Eifel) vorfindlich war, und bis jetzt nur in 
Schweden und der russischen Halbinsel Kola angetroffen wurde. Wie 
eine so hochnordische Form so ganz unvermittelt mitten in Deutsch- 
land auftreten kann, bildet noch heute ein Rätsel, dessen Lösung 
aber für die Wissenschaft in hohem Masse wichtig und interessant 
ist. Auch der schon erwähnte C'yclops maarensis*) (ebenfalls aus der 
Eifel) giebt uns manches zu denken. Wenn nicht nachgewiesen 
werden kann, dass er auch in anderen Seen vorkommt, so müssen 
wir annehmen, es sei entweder eine Form, welche durch allmähliche 
Anpassung an die Lokalität entstanden ist und, selbst wenn sie 
verschleppt wird, in anderen Wassern nicht fortkommt, oder am 
Ende eine Art, welche überall ausgestorben nur hier sich erhalten 
hat. Ich unterlasse es, weitere Gesichtspunkte aufzustellen; diese 
wenigen mögen genügen, zu zeigen, wie vieles im Gebiete der 
Krustaceenkunde, selbst in den verhältnismässig engen Grenzen der 


*) Vergl. die Anmerkung auf Seite 348. 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 357 


Süsswasserfauna, noch zu erforschen ist und von welchen Gesichts- 
punkten man dabei auszugehen hat. 

Unsere Kenntnisse von der Art und Weise, wie die Cope- 
poden und andere niedere Tiere von einem Wasser in das andere, 
sofern beide gänzlich abgeschlossen sind, gelangen, sind noch sehr 
mangelhaft und wir können, da nur wenige genaue Beobachtungen 
bis jetzt angestellt wurden, uns vorderhand fast nur in Vermutungen 
ergehen. Man könnte daran denken, dass der Wind, welcher bei 
der Verbreitung der Pflanzen eine so wichtige Rolle spielt, auch 
die Übertragung der kleinen Copepoden vermittle. Allein der 
Körper derselben zeigt so wenig wie die Eier irgend eine Ein- 
richtung, welche einen solchen Transport wahrscheinlich machte. 
Im Gegenteil, die ganzen Tiere und deren Eier sind gegen Aus- 
trocknung ausserordentlich empfindlich und sterben schon bei 
geringem Wasserverlust ab, und dass Wasserteilchen mit ein- 
geschlossenen Copepoden oder deren Keimen stundenweit durch die 
Macht des Windes fortgerissen werden sollten, ist nicht wohl 
anzunehmen. Viel wahrscheinlicher und durch die Untersuchungen 
der unten genannten Forscher zumteil bewiesen ist eine andere 
Art der „passiven Wanderung“ der niederen Süsswassertiere, welche 
durch Schwimmvögel und Wasserinsekten bewerkstelligt wird. Jules 
de Guerne hat nämlich aus am Gefieder und den Beinen von 
Wasservögeln hängenden Schlammbrocken eine ganze Mikrofauna 
zu erziehen vermocht. Nicht nur ganze Tiere, sondern in besonders 
reicher Anzahl deren manchmal durch eine dicke Schale der Ver- 
trocknung widerstehende Keime waren, an den betreffenden Teilen 
klebend, auf dem Wege verschleppt zu werden. Kleine Wasser- 
ansammlungen, welche für Vögel unzugänglich sind, werden nach 
W. Migulas Untersuchungen durch die Vermittlung der unschein- 
baren Wasserkäfer mit verschiedenen Pflanzen- und Tierarten belebt. 

An eine aktive Wanderung selbst über kleine Strecken darf, 
falls es nicht im Wasser geschehen kann, bei der Konstitution und 
Lebensweise der Copepoden nicht gedacht werden. ' 

Am meisten Schwierigkeit bietet die Eigenartigkeit und gleich- 
mässige Zusammensetzung der sogenannten Tiefenfauna in den 


358 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Süsswasserseen für eine Erklärung dar. Wir finden zwar unter den 
Copepoden kaum ausschliessliche Angehörige der Tiefenfauna, allein 
zugleich mit Rücksicht auf die später zu behandelnden Daphniden 
mögen des Zusammenhangs wegen einige Betrachtungen über die 
Verbreitung lebender Wesen, welche in etwa 20—100 und mehr 
Metern Tiefe ihr Dasein fristen, hier Platz finden. 

Da unsere meisten Binnenseen nicht durch Wasseradern mit 
einander in Verbindung stehen, so können die Tiere nicht auf 
direktem Wege von dem einen zum andern gelangen, um so weniger, 
da sie die Tiefe nie verlassen. Hierdurch ist auch der Transport 
durch Vögel ausgeschlossen. Man nahm deshalb an, dass alle diese 
Seen, was auch zweifellos bei vielen der Fall war, in früheren 
Zeiten vom Meer überdeckt gewesen seien, beim Zurückgehen des- 
selben übrig blieben und mit ihm eine Anzahl von Tieren, welche 
der allmählichen Aussüssung dieser sogenannten „Reliktenseen“ zu 
widerstehen vermochten. So plausibel diese Hypothese ist, so giebt 
sie doch keinen Grund dafür an, warum unter den vielen tausenden 
immer nur ganz wenige und überall beinahe dieselben Formen eine 
solche Veränderung des Wassers ertrugen. Viel wahrscheinlicher 
und neuerdings durch Zacharias?) vertreten ist eine andere 
Ansicht. Hiernach wanderten die in Frage stehenden Arten ganz 
allmählich aus dem Meere in das süsse Wasser ein und zwar zu 
einer Zeit, wo der grössere Wasserreichtum der Erde für eine solche 
Wanderung niederer Tiere eine günstigere Verbindung darbot. Auch 
heute noch kann vielfach ein Aufsteigen mariner Formen in unsere 
Flüsse und Seen beobachtet werden. Eine plötzliche Überführung 
eines Mitgliedes der Süsswasserfauna ins Meer, oder umgekehrt, wird 
nur von den Parasiten unter den Copepoden, zu denen wir uns 
jetzt wenden wollen, ertragen, während die meisten übrigen Krebse 
diesem raschen Wechsel erliegen. 


Schmarotzende Ruderfüsser. ‚Siphonostomata 2%), 

Es wurde schon früher erwähnt, dass auf Grund ihrer Ent- 
wickelung die parasitisch lebenden Copepoden zu den Eucopepoden 
gehören, ursprünglich ein freies Leben führen und eine cyclops- 
ähnliche Form besitzen. Mit der Änderung der Lebensweise, welche 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 359 


gewöhnlich schon früh mit der Auffindung eines entsprechenden 
Wirtes beginnt, bleiben einzelne Körperteile in der Entwickelung 
zurück oder bilden sich, wie namentlich manche Gliedmassen, zu 
so seltsamen Formen um, dass die Identität derselben mit denen 
des freilebenden Tieres nur schwierig festzustellen ist. Manchmal 
geht die Segmentierung des Leibes verloren oder es verkümmert 
der Hinterleib. Da die Beine zum Schwimmen bei vielen Arten 
nicht mehr benutzt werden, fehlen sie manchmal ganz oder sind 
nur in Andeutungen vorhanden. Die Mundteile werden der 
Lebensweise so angepasst, dass der Besitzer sich saugend von den 
Körpersäften seines Wirtes ernähren kann. Ein Teil derselben, wie auch 
die zweiten Antennen bilden gewöhnlich Klammerorgane, welche den 
Schmarotzer auf dem Körper des heimgesuchten Tieres befestigen. 

Die ersten Antennen sind meistens noch vorhanden, aber 
gewöhnlich sehr klein, in etlichen Fällen fehlt eine Gliederung. 
Dass die zweiten Antennen in der Regel als Haftorgan funktionieren, 
wurde oben gesagt. Die Ober- und Unterlippe 
ist langgezogen. Jede stellt eine Halbrinne dar 
und beide bilden sich aneinanderlegend eine 
kurze Röhre, in welcher das erste, zu feinen 
stilettförmigen Gebilden umgewandelte Kiefer- 
paar liegt. Das zweite Kieferpaar kann ganz 
verkümmert sein. Von der merkwürdigen Um- 


wandlung eines Kieferfusspaares zu einem 
Haftapparat kann Figur 73 einen Begriff 
geben, welche ein Tier darstellt, bei dem die 
Kieferfüsse beider Seiten, X, an den Enden 
verwachsen. 

Wollte man alle die Umbildungen, welche 


N I RN SOTSISE ES NEE R 


x ee Fig. 73. 

der Körper der parasitischen Copepoden Acasneres dercarum von 

erleidet, aufzählen, so müsste man jede Art für a aekenn 
. „oben mit Eiersäckchen. ÄX 

sich beschreiben. Das Angeführte mag jedoch Kieterfüsse verwachsen — 

R ! 2 4 5 \ 2 Darm — Z Eiersäckchen. 

in Verbindung mit der Abbildung genügen, um 


wenigstens eine Vorstellung zu geben von dem, was Anpassung an 
parasitische Lebensweise heisst. 


360 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Weit weniger auffallend, allerdings auch nicht so sehr 
bekannt, sind die Veränderungen, welche die inneren Organe 
erleiden. 

Das Nervensystem ist im allgemeinen noch so erhalten, wie 
wir es früher kennen lernten, allein die Sinnesorgane sind sehr 
spärlich vorhanden. Vor allem fehlt meistens das Auge ganz. 
Hand in Hand mit der Verkümmerung der Antennen geht eine 
solche der daran befindlichen Sinnesorgane und Borsten. Den 
meisten Schmarotzern scheint ein Herz ganz abzugehen. Die 
Muskulatur entspricht der geringen Beweglichkeit der Tiere und 
ist vor allem in den Haftapparaten gut ausgebildet. Am besten 
kommen bei den Parasiten der Darm und die Geschlechtsorgane 
weg, denn beide zusammen füllen den ganzen Körper beinahe 
allein aus. Letztere schwellen zur Zeit der Reife und Befruchtung 
der Eier oft ungeheuer an und bedingen die wunderbarsten 
Gestaltveränderungen. Das ganze Tier scheint nur noch der Er- 
nährung und Fortpflanzung zu dienen und bildet so den direkten 
Gegensatz zu den immer nur wenige Eier produzierenden pela- 
gischen freilebenden Copepoden. Nicht selten erreicht oder über- 
trifft der Inhalt der Eiersäckchen den Umfang des Körpers an 
Grösse. 

Während so die geschlechtsreifen Weibchen oft eine für einen 
Copepoden ganz ansehnliche Grösse erreichen (bis I.s cm), bleiben 
bei manchen Arten die Männchen zwergartig klein und wurden früher 
gar nicht gefunden oder nicht richtig erkannt. Sie halten sich in 
diesem Falle am Weibchen auf. 

Die schmarotzenden Copepoden bilden, wenn man die im 
Meere vorkommenden Formen berücksichtigt, etwa die Hälfte aller 
bekannten Arten. Ihre Bedeutung im süssen Wasser ist eine 
geringe, da sie trotz der enormen Vermehrung doch selten ihren 
Wirt (zumeist Fische) am Leben bedrohen. 

Manche! Arten der Sıphonostomata leben nur auf der Haut 
der von ihnen bewohnten Fische von den schleimigen Absonderungen 
derselben, andere saugen mittels ihres Rüssels das Blut der Wirte 
und nur wenige bohren sich geradezu in das Fleisch derselben ein. 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 361 


Besonders häufig trifft man Parasiten auf den Kiemen an, wo sie 
immer reichliche Nahrung, sei es Blut oder Schleim, und zugleich 
Schutz vor dem Abgestreiftwerden finden. 

Nicht bei allen Arten schmarotzen beide Geschlechter gleich- 
zeitig. Die Männchen der auf den Kiemen unserer Fische so 
häufig anzutreffenden Gattung Zrgasılus leben gewöhnlich frei und 
die Weibchen selbst zeigen an ihrer Körperform noch viele Ähn- 
lichkeit mit einem Cyclops. Die ersten Fühler sind gegliedert, ein 
Auge ist noch vorhanden. Die beiden Eiersäckchen sind sehr gross 
und langgestreckt. Die Mundteile sind, obwohl zum Stechen ein- 
gerichtet, von keiner Saugröhre umgeben. 

Von den Parasiten, welche bei massenhaftem Auftreten dem 
Fischzüchter unter Umständen Schaden verursachen können, ist die 
Gattung Lernaeocera bemerkenswert. Auf unseren Fischen leben 
mehrere Arten derselben, welche sich oft tief in das Fleisch ein- 
bohren, wie beim Karpfen, oder hässliche Anschwellungen (am 
Unterkiefer des Hechtes) verursachen. Bis zur Begattung leben 
Männchen wie Weibchen frei; nach derselben sucht dieses einen 
passenden Wirt und nun beginnen sich am Körper des Copepoden 
eine Reihe von Umänderungen zu vollziehen, nach deren Abschluss 
das Tier viel eher einem Wurm, denn einem Krebs ähnlich sieht. 
Vor allem geht die Segmentierung des Körpers beinahe ganz ver- 
loren, der Hinterleib verkümmert, die Beinpaare, vier an der Zahl, 
rücken weit aus einander und sind ausserordentlich klein. Die ersten 
Kiefer sind von einer, wie oben beschrieben, gebildeten Röhre 
umgeben. 

Ein recht häufiger Bewohner der Kiemen unseres wohl- 
schmeckenden Flussbarsches ist der in Fig. 73 abgebildete Achtheres 
percarum von Nordmann. Die grossen nach vorn gebogenen 
Kieferfüsse, welche an der Spitze verwachsen sind, geben dem 
Tiere ein Aussehen, als wollte es die Hände ringen, und machen 
es sehr leicht kenntlich. 

Wir nehmen hiermit von den echten Ruderfüssern Abschied 
und wenden uns zu der zweiten Gruppe der Copepoden, den 
Karpfenläusen. 


362 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Kiemenschwänze (Branchiura). 

Schon bei den parasitischen Eucopepoden mussten wir unsere 
Vorstellungen über Bau und Gliederung des normalen Copepoden- 
Körpers in vielfacher Hinsicht ändern. Auch bei den ebenfalls der 
Hauptsache nach parasitisch lebenden Karpfenläusen treffen wir 
Gestalten an, welche nur nach genauer Untersuchung den Ruder- 
füsser verraten. Die Organisation der wenigen hierher zu rechnen- 
den Formen ist trotz der Lebensweise eine sehr hohe und den 
Verhältnissen vorzüglich angepasst. Der ganze Körper des bis 
6 mm langen Tieres ist nahezu eirund und ganz plattgedrückt. Der 
verkümmerte Hinterleib ist noch durch zwei kleine Läppchen 
(Schwanzflosse) angedeutet. Dem Umstand, dass diese zumteil als 
Kiemen funktionieren, verdanken die Tiere den Namen „Kiemen- 
schwänze“. Die Mundteile sind zum Saugen eingerichtet. Die 
Nahrungsaufnahme wird mittels eines Stachels und einer Röhre 
vollzogen. Mit den beiden Kieferfusspaaren hält sich das Tier 
auf den von ihm bewohnten Fischen fest. Das erste ist zu 
diesem Zwecke zu zwei grossen runden Saugnäpfen umgestaltet, 
das: zweite mit scharfen Klauen zum Festhaken versehen. Die 
beiden Antennenpaare sind sehr klein und unscheinbar. Da 
die Karpfenläuse, namentlich während der DBegattung, frei 
umherschwimmen, sind ihre vier Paare von Schwimmbeinen 
noch ganz gut ausgebildet. Zum ersten Mal unter den Cope- 
poden treffen wir bei den Branchiuren zwei komplizierte, weit 
auseinanderstehende Augen an. Das Nervensystem ist hoch- 
entwickelt. Das Herz entsendet gegen den Kopf zu das Blut 
durch eine Aorta; von dem Vorkommen gesonderter Vorrich- 
tungen zum Atmen war schon die Rede. Auch am Darm zeigt 
sich eine höhere Entwickelungsstufe daran, dass die Leber- 
zellen in grossen verästelten Schläuchen enthalten sind. Die 
Weibchen hegen keine solche Sorgfalt für die sich entwickelnden 
Jungen, dass sie die Eier mit sich herumtragen würden, sondern 
entleeren diese einfach in das Wasser oder heften sie an Gegen- 
ständen an. Am häufigsten trifft man die gemeine Karpfenlaus, 


Argulus fohiaceus >), an. 


ee 
4 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 363 


Die Karpfenläuse bewohnen nicht ausschliesslich, wie etwa der 
Name vermuten lassen möchte, unsere Karpfenarten, sondern 
kommen beinahe auf allen im süssen Wasser, einige sogar auf im 
Meere lebenden Fischen vor. Mit ziemlicher Gewandtheit bewegen 
sie sich auf der schlüpfrigen, schleimigen Haut der letzteren herum 
und sind trotz ihrer Grösse nicht leicht wahrzunehmen, da ihre 
grünliche Farbe sehr gut mit der der Fische übereinstimmt und 
ausserdem die platte Gestalt den eigenartigen Krebsen gestattet, 
sich so anzuschmiegen, dass ihre Anwesenheit kaum auffällt. 


Schaden und Nutzen der Entomostraken. 


Da es nun einmal im Wesen unserer realistischen Zeitströmung 
liegt, dass ein Gegenstand erst dann unser volles Interesse erregt, 
wenn wir erfahren, ob er dem Menschen nützt oder schadet, so 
mag, ehe wir zu den übrigen Entomostraken-Familien übergehen, 
zum Schlusse noch die Bedeutung der Copepoden und zugleich 
der sonstigen niederen Krebse für die übrigen Bewohner des süssen 
Wassers und die Beziehungen jener zum Menschen kurz angeführt 
werden. 

Es ist aus dem früher Gesagten zu entnehmen, dass die 
Parasiten nach ihrer Lebensweise weder den anderen Süsswasser- 
tieren noch dem Menschen Nutzen gewähren können. Sie schädigen 
vielmehr die Fische an Gesundheit und Leben und damit indirekt 
den Menschen. Dieser immerhin unbedeutende Schaden wird aber 
in reichlichem Masse durch die freilebenden Ruderfüsser und die 
Entomostraken überhaupt aufgewogen. Diese sind es, welche 
das ganze unendlich reiche Material der kleinsten Lebe- 
wesen, sowohl Pflanzen wie Tiere, für die höhere Tier- 
welt aufschliessen und nutzbar machen und zwar unter 
Darangabe ihres Lebens. Unschätzbare Massen kostbarer Nähr- 
stoffe gingen, wenigstens für den Menschen, verloren, wenn nicht 
die Entomostraken in unermüdlicher Thätigkeit alle die kleinsten 
Urtiere und einzelligen Algen, welche dem Auge unsichtbar am 
Boden der Gewässer oder in diesen selbst suspendiert sich vor- 
finden, zu sammeln und in ihrem Körper aufzuspeichern vermöchten. 


364 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Es würde zuweit führen, wollte man alle die Tiere, welche 
ganz oder teilweise von Entomostraken leben, hier anführen. Der 
Anwesenheit der Copepoden vor allem verdanken wir die wohl- 
schmeckenden Blaufelchen und Saiblinge unserer grossen Seen. 
Diese und andere nicht weniger schätzbare Fische leben so aus- 
schliesslich von Entomostraken, dass sie von der Tafel verschwinden 
müssten, sobald diese einmal nicht mehr in genügender Weise sich 
vermehren würden. Jährlich werden an verschiedenen Meeresküsten 
die schon erwähnten Scharen von Copepoden beobachtet, welche 
auf weite Strecken hin das Meer rot färben und darum als „Rot- 
äsung“ (Maidre) bezeichnet werden. Von dieser Erscheinung hängt 
der tausende von Menschen ernährende und beschäftigende Herings- 
fang ab. Sardellen, Sardinen, Makrelen, ja selbst das riesigste aller 
Säugetiere, der Walfisch, leben oft ausschliesslich von den kleinsten 
Krebstieren. Die Walfischjäger wissen, dass stets die Jagd in der 
Nähe der roten Copepoden-Wolken gute Ausbeute liefert. Es mag, 
um zu den Süsswasser-Entomostraken zurückzukehren, noch eines 
Umstandes gedacht werden, welcher allein schon genügte, die 
Unentbehrlichkeit der niederen Krebse für die Fauna der Seen 
und indirekt für den Menschen darzuthun. 

Die jungen Fische nämlich, d. h. die sogenannte „Fischbrut“, 
findet kaum eine passendere Nahrung in der ersten Zeit nach dem 
Verlassen des Eies als Entomostraken. Ob der Fisch später, wie 
der Barsch und der Hecht, reiner Räuber, oder, wie der Karpfen, 
fast ausschliesslich Pflanzenfresser wird, bleibt sich gleich, in der 
ersten Jugend frisst er nur Entomostraken. Wer in rationeller 
Weise Fischzucht betreiben will, kann auf einem ganz einfachen 
Wege sich dieses billigste und zugleich beste Futter für künstlich 
erbrütete Fische beschaffen: indem er nämlich geeignete Teiche 
trockenlegt, den Grund düngt, wie der Landmann sein Feld, und 
nun im Frühjahr zur Laichzeit der Fische den Teich wieder be- 
spannt, d. h. mit Wasser füllt. Er hat damit alle Bedingungen 
erfüllt, welche in kurzer Zeit eine geradezu ungeheuerliche Ver- 
mehrung der wenigen Entomostrakenkeime, welche im Schlamme 
sich noch vorfanden oder von aussen zugebracht wurden, ermög- 


Die Krebsfauna unserer Gewässer, 365 


[e 


lichen. Auf die grossen Vorteile einer solchen naturgemässen 
Fütterung weiter einzugehen, ist hier nicht der Ort. Betont mag 
jedoch werden, dass die eben geschilderte Methode einen wesent- 
lichen Faktor für die gedeihliche Entwickelung unserer Fischerei- 
verhältnisse darstellt. Man kann geradezu behaupten, dass eine 
erfolgreiche Aufzucht junger Fische, sei es in den Räumen einer 
Fischzuchtanstalt oder im freien Naturleben, an das Vorkommen 
von Entomostraken geknüpft ist. In noch viel ausgedehnterem 
Masse werden solche Methoden Anwendung finden, wenn erst die 
Wissenschaft auf dem so wichtigen Gebiet der Krustaceenkunde 
dem praktischen Leben durch ein genaues Studium der Formen 
und der Lebensweise der Tiere vorgearbeitet hat. Von den vielen 
Lücken, welche hier noch auszufüllen sind, haben wir im Vorstehen- 
den einige wenige angedeutet. „Gleichmässige Würdigung aller Teile 
des Naturstudiums ist aber vorzüglich ein Bedürfnis der gegen- 
wärtigen Zeit, wo der materielle Reichtum und wachsende Wohl- 
stand der Nationen in einer sorgfältigeren Benutzung von Natur- 
produkten und Naturkräften gegründet ist“, sagt Humboldt in der 
Einleitung zu seinem „Kosmos“ und heute mehr als je darf in 
Rücksicht auf das eben Mitgeteilte diese Mahnung den Männern 
der Wissenschaft ins Gedächtnis gerufen werden. 


Blattfüsser (Phyllopoden). 


Diese Gruppe verdankt den Namen, wie die vorhergehende, 
der eigentümlichen Form und Funktion der Beine, deren einer 
Ast blattförmig verbreitert ist und teilweise als eine Art Kieme der 
Atmung dient. Die Blattfüsser sind fast ebenso häufig wie die 
Ruderfüsser und nicht selten ebenso zahlreich in einem Wasser 
vertreten wie diese. Nur im Winter treffen wir sie nicht immer, an. 
Trotzdem dass durch Parasitismus umgeänderte Arten fehlen, um- 
fasst diese Ordnung der niederen Krebse dennoch eine bedeutende 
Anzahl recht verschieden gestalteter Wesen. Für die Beobachtung 
des lebenden Tieres stellen die meisten Arten wegen ihres seitlich 
komprimierten Körpers ein noch viel anziehenderes Objekt dar als 
die Angehörigen der zuerst behandelten Ordnung. Nach der Zahl 


366 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


der Beine und einigen anderen Merkmalen trennt man die Blatt- 
füsser in zwei Abteilungen. Die einen mit vier bis sechs Bein- 
paaren bezeichnet man als 


Wasserflöhe oder Cladocera. 


Der Körper dieser wegen der Art ihrer Bewegung „Wasser- 
flöhe“, wegen der verzweigten Fühler (Hörner) „Cladocera“ genannten 
Entomostraken ist nicht in deutliche Segmente geteilt. Nicht ein- 
mal immer ist der Kopf durch einen kleinen Einschnitt vom Rumpfe 
abgesetzt. Letzterer ist oft von einer Schale umschlossen. In 
dieser Schale, deren Form die äusseren Umrisse des hinteren 
Körperteiles bedingt, liegt der Leib frei beweglich. Die beiden 
Hälften der Schale sind am Rücken mit einander verwachsen, auf 
der Oberfläche häufig mit feinen Skulpturen versehen und gewöhn- 
lich so durchsichtig, dass man die inneren Organe beobachten 
kann. Nicht immer ist der Leib ganz in der Schale verborgen, 
sondern oft nur zu einem ganz geringen Teil davon überdeckt. 
In wenigen Fällen fehlt jede Andeutung einer Schale. Am Kopfe 
stehen wie zwei Hörnchen die hinteren zweiästigen Fühler empor, 
welche zum Schwimmen dienen. Das erste Paar ist zu kurzen 
Stummeln rückgebildet, welche als Sinnesorgan mit sehr feinen 
perzipierenden Apparaten ausgestattet sind und beim Männchen 
zugleich als Greiforgan funktionieren. Von Mundteilen besitzen die 
Wasserflöhe jederseits einen Ober- und einen Unterkiefer. Die 
Beinpaare sind wie bei den Copepoden zweiästig. Der äussere 
Ast ist blattförmig verbreitert und vertritt die Stelle von Kiemen. 
Die Zahl der Beinpaare schwankt zwischen vier und sechs. Die 
das Zentralnervensystem darstellende Ganglienkette hat, da die 
Knoten sehr nahe zusammenrücken, nur eine geringe Länge. Auf- 
fallend gross und schön ist das einen bedeutenden Teil des Kopfes 
ausfüllende Auge. Es ist in einem beständigen Zittern begriffen 
und besteht eigentlich aus zwei verwachsenen Teilen. Ohne be- 
sondere Mühe vermag man die daran sıch ansetzenden Muskeln 
und Nerven zu sehen. Die lichtbrechenden Körper (Linsen) glänzen 
sehr schön und heben sich scharf vom Pigment der inneren Teile 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 367 


des Auges ab. Bei den meisten Arten verläuft der Darm gerade 
durch den Körper und nur in wenigen Fällen bildet er eine 
Schlinge. Noch im Kopfteil entspringen an seiner Oberseite zwei 
gegen die Augen vorspringende kurze Schläuche, in welchen die 
Leberzellen untergebracht sind. 

Das Herz, welches keiner Art fehlt, liegt hinter dem Kopf 
und Rumpf trennenden Einschnitt und pulsiert ausserordentlich 
rasch. Die Richtung des Blutstromes lässt sich sehr schön an den 
in der Flüssigkeit schwimmenden Körperchen verfolgen. Das Herz 
selbst ist ähnlich gebaut wie das schon beschriebene von Diaptomus. 
Hinter dem Herzen befindet sich zwischen Leib und Schale ein 
Hohlraum, welcher bei den Weibchen nicht selten mit grossen 
Eiern in verschiedenen Stadien der Entwickelung erfüllt ist. Die 
Eier werden in einer unter und neben dem Darm liegenden Drüse 
erzeugt. Ganz eigentümliche Vorgänge spielen sich bei der Ver- 
mehrung der Tiere ab. Die Wasserflöhe erzeugen nämlich zwei 
Arten von Eiern, welche in Form, Grösse, Farbe etc. verschieden 
sind. Während der günstigeren Jahreszeit bilden die reifen Weib- 
chen kleine dünnhäutige Eier, welche sich sehr rasch entwickeln und 
aus denen nur Weibchen hervorgehen. So kann selbst, wenn in 
dem Wasser Männchen vorkommen, eine ungeschlechtliche Ver- 
mehrung längere Zeit hindurch fortgesetzt werden, allein nur dann, 
wenn die Lebensbedingungen für die Tiere recht günstige sind, 
d. h. wenn genügend Wasser, Nahrung und Wärme zu Gebote 
stehen. Beginnt das Wasser in dem von Daphniden bewohnten 
Tümpel zu verdunsten oder droht mit Eintritt der kälteren Jahres- 
zeit den Tieren Gefahr, so werden sogenannte Winter- oder Dauer- 
eier gebildet, welche nur nach vorhergegangener Begattung zu stande 
kommen. Diese zeichnen sich durch bedeutendere Grösse und 
dickere Haut, vor allem aber dadurch aus, dass sie, um äusseren 
Einflüssen besser Widerstand leisten zu können, mit einer recht 
derben Hülle, in welcher meistens zwei Eier zugleich eingeschlossen 
sind, umgeben werden. Diese Hülle, den sogenannten „Sattel“ 
(Ephippium), erhalten die befruchteten Eier erst nach dem Eintritt 
in den Brutraum. Den durch das Ephippium geschützten Eiern 


« 


368 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


fällt die wichtige Aufgabe zu, die Art vor dem Aussterben in 
austrocknenden Tümpeln zu bewahren und eine recht ausgiebige 
Verbreitung zu bewirken. Diese erfolgt namentlich in Seen, die 
von wandernden Wasservögeln besucht sind, darum sehr leicht, 
weil die Ephippien an der Oberfläche des Wassers schwimmen und 
unschwer an anderen Gegenständen haften. Da die Wintereier 
ebenso gut der Wärme und Trockenheit als der Kälte widerstehen, 
können sie leicht mit dem zu Staub zerfallenden Schlamm aus- 
trocknender Gewässer durch den Wind verweht werden, wie der 
Blütenstaub der Pflanzen. 


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Fig. 74. 
Daphnia (Simocephalus) sima (Li&vin). a’ Erste (verkümmerte) Antente — a’’' Zweite 
Antenne — Az Auge — B Äusserer Ast der Beine — #: Hirn — Z Leberschlauch — 
D Darm — # Herz — Brtr. Brutraum — SZ Sommerei im Brutraum — Z#s/. Eierstock, 


Über die Befruchtungserscheinungen am Eie hat Weis- 
mann??) eine Reihe gründlicher Untersuchungen angestellt. Die 
Wasserflöhe verlassen das Ei in einer Gestalt, welche der der 
erwachsenen Tiere schon sehr ähnlich ist, machen also kein frei- 
lebendes Cyclopsstadium durch. 

Von den vier Familien, in welche die Wasserflöhe eingeteilt 
werden und welche von Leydig1#) eingehend in einer Monographie 
behandelt wurden, ist die der Daphniden am zahlreichsten vertreten. 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 369 


Oft färben Angehörige der Gattung Daphma (Fig. 74) frisch ent- 
standene Regenwassertümpel durch ihre Massen rot. Die selt- 
samsten und interessantesten Formen umfasst die Familie der 


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Fig. 75. 
Leptodora hyalina Lilljeborg. A’ Erste Antenne — a’’ Zweite Antenne — Az Auge — 
Hi Hirn — Z Herz — S Schale — Z Eier — Zs/ Eierstock — D Darm, 


grossäugigen Polyphemiden, von denen Fig. 75 und 76 zwei 
Arten darstellen, welche in vielen unseren grossen Seen, gewöhnlich 


Fig: 76. 
a’ Erste Antenne — a’’ Zweite Antenne — Au Auge — 
Brtr Brutraum — Z Ei — D Darm — Sch Schwanzstachel, nur zumteil gezeichnet. 


24 


Bythotreßhes longimanus Leydig. 


Tier- und Pflanzenwelt des Süsswassers. I. 


NEN SEE CE OR 


370 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


in der Tiefe, angetroffen werden. Der von Leydig zuerst im 
Magen von Blaufelchen entdeckte Bythotrephes longimanus zeichnet 
sich durch seinen geradezu abenteuerlich langen Schwanzstachel, 
welcher sich zum Körper des Tieres wie 10:2 verhält, und die 
verlängerten Beine des ersten Paares aus. Der Brutraum ist wie 
bei der wegen ihrer Durchsichtigkeit so benannten Leftodora 
hyalına nur klein. Letztere übt, durch ihre Farblosigkeit be- 
günstigt, ihrem Opfer unsichtbar sich nahend, ihr räuberisches 
Handwerk gegen die übrigen Mitglieder der Entomostrakenfauna 
aus und entgeht zugleich der Verfolgung ihrer Feinde. Die 
Leptodora wird etwa einen Centimeter lang. 

Viel grössere Tiere bilden die zweite Unterordnung der Blatt- 
füsser, die sogenannten Kiemenfüsser (Branchiopoden). Während 
bei den Wasserflöhen höchstens sechs Beinpaare vorhanden sind, 
treffen wir bei den Kiemenfüssern von 10—4o Paare an. Der 
Leib ist manchmal, wie bei den Daphnien, von einer Schale um- 
schlossen und meistens deutlich gegliedert. Die Ruderantennen 
sind bei manchen Arten verkümmert. Die Tiere vermehren sich 
oft durch viele Generationen hindurch parthenogenetisch und lange 
Zeit hielt man einige Arten, da die nur ganz selten auftretenden 
Männchen nicht beachtet worden waren, für Zwitter. Gewöhnlich 
kommen die zwei grössten Kiemenfüsser gleichzeitig in kleinen 
Wasseransammlungen, welche zeitweise vertrocknen, vor. Der grösste, 
Afus, verzehrt häufig den kleineren, Branchipus, weshalb man 
beim Fange dieser im südlichen Deutschland nur ganz selten, dann 
aber in grossen Mengen vorkommenden Krebse darauf bedacht 
sein muss, beide in besonderen Behältern aufzubewahren. In der 
Gefangenschaft dauern die Branchiopoden leider nur kurze Zeit 
aus, bilden aber während des Lebens durch die Seltsamkeit der 
Form und Bewegung, welche einem gleichmässigen Kriechen ähnelt, 
sowie die teilweise prächtige Färbung ganz anziehende Objekte für 
die Beobachtung. Die kleinen Eier sind bei Apus rot, bei 
Branchipus schön himmelblau gefärbt und entwickeln sich unter 
günstigen Umständen in dem G£fäss, in dem die Tiere gehalten 
werden. Der Entwickelung muss, wie es scheint, eine vollkommene 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 371 


Austrocknung und ein Durchfrieren vorangehen, denn jahrzehnte- 
lang sucht man in einem Tümpel vergebens nach diesen schönen 
Krustern, trotzdem dass sie schon einmal darin beobachtet wurden. 
Erst wenn derselbe einmal längere Zeit trocken lag treten sie 
wieder darin auf. Der Leib des 6—7 cm lang werdenden Apus 
ist mit einer schildförmigen Schale bedeckt, auf welcher in der 
Kopfgegend die Augen unbeweglich sitzen. Am Ende des Hinter- 
leibes stehen zwei lange Schwanzborsten. Die vielen verbreiterten 
Beine mit den Kiemenanhängen sind in beständiger Bewegung. 
Drei lange Fäden, welche rechts und links die Seiten des Kopfes 
überragen, gehören dem ersten Beinpaare an. 

Dem nur 11/2 cm langen schlanken Branchipus fehlt die Schale 
gänzlich. Die zweiten Fühler des Männchens sind zu Greifhaken 
umgeformt. Die Augen sitzen auf Stielen und können bewegt 
werden. Der Vorderleib besteht aus elf Segmenten mit ebenso 
vielen Beinpaaren, der der Gliedmassen entbehrende Hinterleib aus 
neun Segmenten. Eine mit Branchipus verwandte Art, Artemia, 
lebt nur in sehr salzhaltigem Wasser und wird, wenn sie allmählich 
in süsseres übergeführt wird, nach einer Anzahl von Generationen 
dem Branchipus ähnlich. 

Alle Branchiopoden kommen nur in Binnengewässern, nie im 
Meere vor. Die das Ei verlassenden Jungen besitzen die Naupliusgestalt. 

Sowohl nach der Zahl der Arten als der Individuen ist in 
der Entomostrakenfauna am geringsten die Ordnung der 


Muschelkrebse (Ostracoda). 


Schon früher wurde die Art der Bewegung dieser kleinen 
Krebse geschildert und erwähnt, dass der Name von der eigen- 
tümlichen muschelähnlichen Schale herrührt, in welche der ganze 
Körper des Tieres eingehüllt ist. Die beiden Hälften der hie und 
da Kalk enthaltenden Schale sind am Rücken durch eine elastische 
Haut verbunden, welche den Schliessmuskeln entgegenwirkt und 
bei einer Ausdehnung der letzteren ein Öffnen der Schale ver- 
ursacht. Der Körper ist nur sehr schwer in seinen Umrissen 


erkennbar und undeutlich gegliedert. Von Gliedmassen treffen wir 
24* 


372 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


wieder zwei Paar Fühler an, deren hinteres beinförmig ist. Es 
folgen dann nach rückwärts ein Paar Oberkiefer und zwei Paar 
Unterkiefer. Da nur zwei eigentliche Beinpaare vorkommen, ver- 
sieht ausser den hinteren Fühlern beim Männchen der Taster des 
zweiten Unterkieferpaares die Funktion eines solchen und zugleich 
eines Greiforganes. Das Ende des Hinterleibes ist wie bei den 
Wasserflöhen nach vorn geschlagen. Der verwischten Segmentierung 
des Körpers und der zusammengedrängten Gestalt entspricht ein 
verkürztes Nervensystem. Es ist nur ein aus zwei verschmolzenen 
Augen entstandenes Sehorgan vorhanden, von anderen Sinnesorganen 
treffen wir wieder’ blasse Anhängsel an den Antennen. Das Herz 
fehlt. Der Darm ist nicht so einfach wie bei den beiden früher 
beschriebenen Ordnungen, sondern er besteht aus mehreren in Form 
und Bau scharf von einander abgesetzten Abteilungen. Die Eier 
werden in zwei langen, nach hinten dünner werdenden Schläuchen 
erzeugt. Die Männchen, welche bei manchen Arten sehr selten 
sind, besitzen sehr kom- 
plizierte _Fortpflanzungs- 
organe. Die meisten Arten 
der bei uns vorkommenden 
Muschelkrebse vermehren 
sich vorwiegend auf par- 
thenogenetischem Wege. 
Die Jungen sind beim Ver- 


Fig. 77. 
Cypris fasciata. a’ u.a’’ Antennen — Az Auge — lassen des Eies schon von 
Ab Abdomen — Z Leberschlauch — Zs/ Eierstock — der Schale umgeben. Am 


m Muskeln — M Mandibel — Sc Schale. 
häufigsten finden wir in 


unseren Tümpeln und Seen die Gattung Cypris (Fig. 77) an. Die 
Lebensweise dieser kleinen, höchstens bis 3 mm lang werdenden 
Entomostraken gleicht sehr derjenigen der früheren Ordnungen. 
Munter zappelnd schwimmen sie zwischen den Wasserpflanzen 
umher, immer nach kurz andauernder Bewegung wieder einen 
Augenblick mit den Fühlern sich an festen Gegenständen an- 
heftend, um auszuruhen. Die Nahrung besteht in pflanzlichen 
und tierischen Stoffen. — Zum Schluss wenden wir uns zu den 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 373 


Höheren Krebsen oder Malakostraken. 
Von den zahlreichen Gattungen der Ordnung der 


Asseln (Isopoden), 
welche zumeist im Meere leben, gehört eine unserer Süsswasser- 
fauna an — die gemeine Wasserassel, Asellus aquaticus L. (Fig. 78). 
Wie man aus der Abbildung ersieht, ist der Körper sehr voll- 
kommen gegliedert, nur wenige Segmente des Hinterleibs sind ver- 
wachsen. Der nach hinten etwas breiter werdende Leib ist von 
oben nach unten zusammengedrückt und steht an den Seiten über. 
Der mit dem folgenden Brustringe 
nicht verwachsene Kopf trägt ein 
kurzes erstes und ein sehr langes 
zweites Fühlerpaar. Von Mundwerk- 
zeugen sind jederseits ein Oberkiefer, 
zwei Unterkiefer und ein Kieferfuss 
vorhanden. Auf diese folgen sieben 


Paare von Brustbeinen, deren gleich- 


artige Beschaffenheit Veranlassung e or. B 
gab, die Ordnung „Isopoden“ (Gleich- 7% | 
füsser) zu benennen. Der verkürzte Dr 
Hinterleib trägt sechs zweiästige Bein- f ; “ IN 
paare. Der Innenast der fünf ersten [P a“ 

ist zu einem Kiemenplättchen um- A D 
gewandelt, das sechste steht über das \ ji N ) 
Hinterleibsende vor. An den vorderen es P 


Fusspaaren sitzen beim Weibchen AsellusaquaticusL. a’u.a’’ Antennen 
Platten, welche sich an der Bauch- 7“ Ause — 3 Brustbeino — g 
Hinterleibsbeine — X Kieferfüsse. 

seite anlegen, übereinandergreifen 

und so einen ausdehnbaren Raum zwischen den Wurzeln der Füsse 
herstellen, in welchem die Eier gehegt werden. Der Darm verläuft 
ohne Windungen zu machen gerade durch den Körper. Schon 
äusserlich lassen sich drei Abschnitte an ihm erkennen. Auf eine 


kurze Speiseröhre folgt ein fast bei allen höheren Krebsen 


374 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


vorkommender „Kaumagen“, deshalb so genannt, weil an der 
Innenseite dieses Darmstückes zwei Platten mit rauher Oberfläche 
durch besondere Muskeln gegen einander reiben und auf diese 
Weise eine weitere Zerkleinerung der Nahrung vollbringen. Schon 
ziemlich weit vorn im Vorderleib beginnt der eigentliche Darm, 
an dessen Anfangsteil zwei Paar langer Leberschläuche einmünden. 
Das Herz stellt einen langen, unter dem Rücken liegenden Schlauch 
dar, an dessen Seiten das Blut durch paarige Öffnungen eintritt, 
um bei einer Kontraktion nach vorn durch eine Aorta wieder in 
die Leibeshöhle getrieben zu werden. Die Geschlechtsorgane sind 
paarig angelegt und münden beim Weibchen am fünften, beim 
Männchen am letzten Brustring nach aussen. Das Nervensystem 
des Vorderleibes bildet einen Strang, welcher in jedem Segment 
zu Ganglien anschwillt; im Hinterleib sind alle diese Ganglien 
zusammengerückt und bilden einen grossen Nervenknoten. Das 
Sehorgan ist durch zwei Gruppen von Punktaugen von ähnlichem 
Bau wie bei Cyclops, welche an den Seiten des Kopfes liegen, 
gebildet. An den Antennen sitzen grosse blasse Riechkolben. 

Die Asseln ernähren sich von pflanzlichen und tierischen 
Stoffen. Sie leben gern zwischen modernden Blättern und grünen 
Algen. Die Eier und die ausgeschlüpften Jungen werden in dem 
durch die oben geschilderten Brutplatten erzeugten Raume umher- 
getragen. Die Männchen sind gewöhnlich grösser als die Weibchen. 

An feuchten Orten leben auf dem Lande unter Steinen, in 
Kellern u. s. w. verschiedene Verwandte unserer Wasserassel, von 
denen die Mauerassel (Oniscus), die Körnerassel (FPorcellio) und 
die Rollassel (Armadilldium) sehr häufig angetroffen werden. 
Eine blinde Wasserassel bewohnt tiefe Seen, Brunnen oder die 
Gewässer von Höhlen. Sehr nahe mit den Isopoden verwandt 
sind die 

Flohkrebse (Amphipoden). 

Der Körper dieser besonders in klaren Gebirgsbächen und 
Quellen ungemein häufigen Tiere ist seitlich zusammengedrückt und 
wohl gegliedert. Kopf und erstes Brustsegment sind mit einander 
verwachsen. Die beiden Fühlerpaare haben annähernd gleiche 


vo 


Die Krebsfauna unserer Grewässer. 375 


Länge; am ersten entspringt ein kleiner Nebenast. Mundwerkzeuge 
und Beinpaare sind in gleicher Anzahl wie bei den Asseln vor- 
handen. Die Endglieder der ersten zwei Brustbeinpaare sind zu 
kleinen Greifhänden umgestaltet. An der Innenseite der meisten 
Brustbeine sitzen als Kiemen funktionierende blasige Gebilde, beim 
Weibchen ausserdem Brutplatten. Die Beine des Hinterleibes sind 
in zwei gleichartige Äste gespalten. Die drei ersten Paare der 
Hinterleibsbeine unterscheiden sich in der Form von den folgenden 
und dienen zum Schwimmen und zur Erzeugung stetigen Wasser- 
wechsels an den Kiemen, weshalb sie auch in der Ruhe immer- 
während schwingen. Während der Darm dem der Wasserassel sehr 
ähnlich und ebenfalls mit zwei Paaren von Leberschläuchen ver- 
sehen ist, lässt sich am Herzen insofern eine höhere Ehtwickelungs- 
stufe erkennen, als es weiter vorn im Körper seinen Platz hat und 
sowohl gegen den Kopf zu als auch nach hinten Gefässe entsendet. 
Die Gliederung des Nervensystems entspricht der Segmentierung 
des Körpers. Die beiden rundlichen Augen sind ähnlich zusammen- 
gesetzt wie bei den höheren Kerfen. Die Antennen tragen blasse 
Riechkolben. Die Geschlechtsorgane mit ihren Ausmündungen ver- 
halten sich wie bei den Iso- 
poden. Die Eier und Jungen 
werden ebenfalls zwischen den 
Brustbeinen von den Brutplatten 
bedeckt getragen. Die Art, wie 
die bei uns gemeinste Gattung 
Gammarus (Fig. 79) sich im 
Wasser bewegt, wurde ein- 
gangs geschildert. Man findet 
diesen Flohkrebs am sichersten 


: ; 5 Fig. 79. 
unter Steinen, in deren Nähe Gammarus pulex L. a’ Erste Antenne — 
faules Laub’ sich vorfindet. Oft a en TI 


A Hinterleibsbeine — N Nebenast. 
schimmert ein kleiner roter 


Körper durch die Leibeswand. Es ist dies ein Zchimorhynchus, 
ein häufiger Parasit. Eine blinde Abart des Gammarus lebt, ebenso 
wie die blinde Assel, in tiefen Brunnen oder Höhlen. 


376 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


Die Ordnung der 


Zehnfüsser (Decapoden) 


ist bei uns nur durch den Flusskrebs vertreten, dessen Geschlecht 
durch die schon seit einer Reihe von Jahren wütende Krebspest 
so sehr dezimiert wurde, dass manche Flussläufe von diesen in 
Form und Gebahren gleich originellen Scherenträgern ganz ent- 
völkert sind. Der Kopf unseres Flusskrebses ist mit den Brust- 
ringen und diese unter sich zu dem Kopfbruststück verwachsen, 
welches an der Stirn in einen Stachel ausläuft. Einige vertiefte 
Linien auf dem Cephalothorax deuten noch die einst vorhanden 
gewesene Trennung in einzelne Segmente an. Der gegliederte 
Hinterleib dient als Ruder zum Schwimmen und ist beim Weibchen 
breiter als beim Männchen. Die ersten kurzen zweiästigen Antennen 
werden von den zweiten weit überragt. Ausser einem Paar Öber- 
und zwei Paaren Unterkiefern dienen als Mundwerkzeuge noch 
drei Paar Kieferfüsse.. Auf diese folgen die grossen Brustbeine, 
deren Anzahl zu der Bezeichnung „Zehnfüsser“ Veranlassung gab. 
Die ersten drei Beinpaare tragen am Ende Scheren, welche am 
ersten sehr stark entwickelt sind und eine kräftige Waffe gegen 
Feinde bilden, deren Wirkung manchem Leser bekannt sein dürfte. 
Die sechs Beinpaare des Hinterleibes sind zweiästig: Das erste 
bildet beim Männchen ein Begattungsglied, das letzte ist bei beiden 
Geschlechtern verbreitert und giebt mit dem hintersten Körper- 
segment zusammen die sogenannte Schwanzflose ab. An den 
Hinterleibsbeinen tragen die Weibchen die Eier. Die Ganglien 
des Bauchstranges sind in der Brustgegend nahe zusammengerückt. 
Die zwei grossen Augen sitzen auf beweglichen Stielen. Zum ersten 
Mal unter den Krebstieren treffen wir ein deutliches Hörorgan an, 
welches im ersten Glied der kleinen Antennen liegt. Es stellt ein 
kleines nach aussen sich Ööffnendes Bläschen dar, welches im Innern 
mit feinen, Härchen ausgekleidet ist und vom Krebs selbst mit 
Sandkörnchen erfüllt wird. Diese dienen als Hörsteine und müssen 
nach jeder Häutung, da die ganze Auskleidung des Bläschens ent- 
fernt wird, erneuert werden; so lange dies nicht geschehen ist, ist 


Die Krebsfauna unserer Gewässer. 377 


der Krebs taub. Mehrere Male wirft das Tier seinen Hautpanzer, 
welcher ihm bei reichlicher Nahrung bald zu enge wird, ab und 
erscheint dann, ehe genügend Kalk in der jungen Haut abgelagert ist, 
weich und gewöhnlich rötlich gefärbt als sogenannter „Butterkrebs“. 
Da dieser äusserst hilf- und wehrlos ist, kann es ihm passieren, 
dass er von seinen eigenen Kameraden gefressen wird, wenn er in 
der Wahl eines guten Versteckes nicht vorsichtig genug war. Im 
hintern Teile des Cephalothorax liegt das (von oben gesehen) etwa 
fünfeckige Herz, von dem aus ein reichverzweigtes Gefässsystem das 
Blut nach allen Körperteilen leitet. Zum Atmen dienen verästelte 
Kiemen, welche am Grunde der Kieferfüsse und Brustbeine ent- 
springen und unter den nach den Seiten heruntergebogenen Rän- 
dern des Cephalothorax verborgen sind. Der Darm macht keine 
Windungen, ist aber am Anfang zu einem mit starken Chitinzähnen 
ausgerüsteten Kaumagen erweitert, an dessen vorderer Wand der 
zur Verstärkung der Haut nötige Kalk in Form von sogenannten 
„Krebsaugen“ vorrätig gehalten wird. Die gelbliche, aus kleinen 
Schläuchen bestehende Leber erfüllt einen grossen Teil des Vorder- 
leibs. Die eigentlich paarigen Geschlechtsschläuche verwachsen auf 
eine kurze Strecke mit einander und münden beim Weibchen am 
Grunde des dritten, beim Männchen am fünften Beinpaare nach 
aussen. Wie schon gesagt entwickeln sich die Jungen unter dem 
Schutz des mütterlichen Schwanzes und verlassen das Ei in einer 
dem erwachsenen Tiere sehr ähnlichen Gestalt. Eiertragende Weib- 
chen findet man bis in den Juni hinein, und so lange sollten die 
Tiere eigentlich geschont werden und nicht nur während der 
Monate, deren Name ein R enthält. Im September und in der 
ersten Hälfte des Oktober ist das Fleisch der Krebse viel fester 
und wohlschmeckender als im Mai, wo recht häufig die Tiere sich 
vom Winter her noch nicht gehörig erholt haben. 

Der Krebs kommt in allen unseren Gewässern, selbst in ganz 
kleinen Bergbächen vor. Am liebsten hält er sich unter Steinen und 
in selbstgegrabenen Löchern am Ufer während des Tages versteckt 
und geht erst mit Einbruch der Dämmerung auf die Suche nach 
Nahrung. Diese besteht hauptsächlich aus Aas und wenigen lebenden 


378 Die Krebsfauna unserer Gewässer. 


wirbellosen Tieren. Dass er Fische und Frösche fange, mag sich 
zufällig hie und da beobachten lassen; ich selbst war nie in der 
Lage, dies bestätigen zu können. Trotzdem dass ich lange in grossen 
Aquarien kleine und grosse Fische mit Krebsen zusammen hielt, 
konnte nie eine Verminderung der Zahl der ersteren wahrgenommen 
werden. Der Krebs ist auch mit seinen Scheren viel zu langsam, 
um rasch bewegliche Tiere erhaschen zu können. Auf weite Ent- 
fernung wittert der Krebs ım Wasser liegendes Aas und seine Vor- 
liebe für dieses wird beim Fange benutzt. Bekannt ist an ihm das 
Vermögen, verlorengegangene Gliedmassen zu ersetzen. Wird der 
Krebs an der einen oder andern Schere erhascht, so sucht er 
unter Darangabe dieser oder unter Umständen beider zugleich zu 
entfliehen. Schon bei der nächsten Häutung beginnt der Verlust 
sich zu ersetzen. Die neue Schere erreicht aber nie wieder die 
Grösse der ersten. Auch im Kampfe unter einander, welcher sehr 
ausdauernd und erbittert geführt wird, verlieren die Krebse nicht 
selten ihre Hauptwaffe. Um eine ordentliche Grösse zu erreichen 
und fortpflanzungsfähig zu werden, braucht der Krebs 4—5 Jahre. 
In raschfliessenden Waldbächen bleibt er gewöhnlich kleiner, als in 
Seen und Flüssen. Nützlich werden die höheren Krebse dadurch, 
dass sie durch die Vertilgung von allerhand faulenden Stoffen eine 
Art Reinlichkeitspolizei in unseren Gewässern bilden. Ausserdem 
wird der Flusskrebs — allerdings nicht von jedermann — als Speise 
hochgeschätzt. 

Wir beschliessen hiermit unsere Betrachtungen über die Krebs- 
tiere. Der Zweck derselben ist erreicht, wenn sie auch in weiteren 
Kreisen Kenntnisse über den Bau und die Lebensweise der wesent- 
lichsten bei uns vorkommenden Krustaceenformen verbreiten. 


au» 


Litteratur. 


ı) W. Baird, Natural History of the British Entomostraca. 
London 1850. 

2) G. $. Brady, Monograph of the free and semiparasitic 
Copepoda of the British Islands. London 1880. 

3) C. Claus, Die freilebenden Copepoden. Leipzig 1863. 

4) C. Claus, Copepodenfauna von Nizza. Marburg und 
Leipzig 1866. 

5) C. Claus; Über Bau und Entwicklung parasitischer Krusta- 
ceen. Marburg 1855. 

6) S. Fischer, Über das Genus Cypris und dessen bei Peters- 
burg und Reval vorkommende Arten. Petersburg 1851. 

7) $. Fischer, Beiträge zur Kenntniss der in der Umgegend 
von Petersburg sich findenden Cyklopiden. Bull. d. l. soc. imper. 
des Naturalistes de Moscou. Bd. 24 (1851). Bd. 26 (1853). 

8) A. Fric, Die Krustenthiere Böhmens. Prag 1871. 

9) Jules de Guerne et Jules Richard, Revision des Calanides 
d’eau douce. Mem. d. l. soc. zool. de France. T. II. 1889. 

ı0) T. H. Huxley, The crayfish. London 1889. 

ı1) 0. E. Imhof, Zoolog. Anzeiger 1887. 

12) 0. E. Imhof, Zoolog. Anzeiger 1885. 

13) L. Jurine, Histoire des monocles. Genf 1820. 

14) F.Leydig, Naturgeschichte der Daphniden. Tübingen 1860. 

15) F. Leydig, Über Argulus foliaceus. Zeitschr. f. wissensch. 
Zoologie 1850. 


380 Litteratur. 


ı6) W. Lilljeborg, De crustaceis ex ordinibus tribus: Cladocera, 
Östracoda et Copepoda in Scania occurrentibus. Lund 1843. 

17) J. Lubbock, On some freshwater Entomostraca. Transact. 
Linn. Soc. Vol. 24. 

ı8) W. Migula, Biolog. Centralblatt Nr. 17. 1888. 

19) O0. Fr. Müller, Entomostraca seu Insecta testacea. Franc- 
furt 1792. 

20) A. v. Nordmann, Mikrograph. Beiträge H. 6. Berlin 1832. 

21) F. Plateau, Recherches sur les crustacees d’eau douce de 
Belgique. M&m. couronn&e et des savants etrang. 1867. 

22) $. A. Poppe, Notizen zur Fauna der Süsswasserbecken des 
nordwestl. Deutschlands mit besonderer Berücksichtigung der Krusta- 
ceen. Abhandl. naturwiss. Verein Bremen Bd. X. 1889. 

23) J. Richard, Entomostraces nouveaux ou peu connus. Bull. 
d. 1. soc. zoolog. de France. Tome XIII. 1888. 

24) G. O0. Sars, Norges Ferskvandskrebsdyr. Cladocera. 
Christiania 1865. 

25a) 0. Schmeil, Beiträge zur Kenntnis der Süsswasser- 
Copepoden Deutschlands. Inauguraldissertation. Halle 1891. 

25b) J. Vosseler, Die freilebenden Copepoden Württembergs 
und angrenzender Gegenden. Jahreshefte d. Ver. f. vaterländische 
Naturkunde in Württemberg. 1886. 

26) J. Vosseler, Copepodenfauna der Eifelmaare. Archiv £. 
Naturgeschichte. 18809. 

27) Aug. Weismann, Beiträge zur Naturgeschichte der Daphno- 
iden. Leipzig 1876—79. 

28) Otto Zacharias, Studien über die Fauna des Grossen und 
Kleinen Teiches im Riesengebirge. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie. 
Bd..43. 1885, 

29) Otto Zacharias, Biolog. Centralblatt. Bd. X. 1890. 

30) E. G. Zaddach, De apodis cancriformis anatomia et historia 
evolutionis. Bonn 1841. 


Druck von J. J. Weber in Leipzig. 


Br e 


an a; 


Wehers Naturwissenschaftliche Bibliothek. 


Unter obigem Titel erscheint in unterzeichnetem 
Verlage eine Reihe von naturwissenschaftlichen Werken, 
wovon zurzeit drei Bände vorliegen. 


Jeder Band wird ein in sich abgeschlossenes Ganzes 
bilden und von einer Autorität auf dem Gebiete, von 
welchem er handelt, in klarer, leichtfasslicher Form, aber 
doch unter vollständiger Wahrung des wissenschaftlichen 
Standpunktes, verfasst werden. Soweit es der Inhalt 
erfordert, werden Abbildungen, welche den Text 
ergänzen und zum bessern Verständnis desselben dienen, 
beigegeben werden. 


In der Reihe selbst werden Originalarbeiten deutscher 
Gelehrten und Forscher mit Übersetzungen von Werken 
hervorragender ausländischer Autoren abwechseln. 


In Vorbereitung sind folgende Bände: 


E. Gerland: Geschichte der Physik. 

E. L. Trouessart: Die geographische Verbreitung der Tiere. 
W. Marshall: Der Bau der Vögel. 

H. Gadeau de Kerville: Leuchtende Pflanzen und Tiere. 
W. Marshall: Das Leben der Vögel. 

C. Chun: Das Tierleben auf der Oberfläche des Meeres. 


Die Bände erscheinen in Zwischenräumen von mehreren 
Monaten und sind einzeln käuflich. 


Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber in Leipzig. 


Webers Naturwissenschaftliche Bibliothek. 


Erster Band: 


Die Vorfahren der Säugetiere in Europa 


von 


Albert Gaudry. 


Aus dem Französischen übersetzt 


von 


William Marshall. 


Mit 40 in den Text gedruckten Abbildungen. 
Preis in Original-Leinenband 3 Mark. 


Inhalt; 


I. Geschichtliches über die Fort- | V. Über das Licht, welches die Geo- 
schritte der Paläontologie. logie auf einige Punkte in der Ge 
II. Entwiekelung und Darwinismus. | Schichte des alten Athens zu werfen 


1. Die Evolutionstheorie und. die im stande ist. 


} x S 1. Die Kenntnis der Fossilien. 
Bestimmung der Erdschichten. > 5 : : 
2. Die “Bedentung  Darwins ’ vom 2. Das Zerfallen Griechenlands in 


Standpunkt der Paläontologie aus. ee 
III. Der phylogenetische Zusammen- 4. Seewesen. 
hang der Säugetiere in den geologi- 5. Mineralschätze. 
schen Zeitaltern. 6. Ästhetische und religiüse An- 
IV. Pikermi. schauungen. 

1. Einleitung. VI. Löberon. 

2, Wir kennen gegenwärtig nirgends Betrachtungen über die Säugetiere, 
eine solche Anhäufung grosser Tiere | welche am Schluss der Miocänzeit in 
wie zu Pikermi. Europa lebten, 

3. Man hat in Pikermi nicht das, 1. Das Ende der Miocänzeit war 
was man als,,‚kleine Fauna‘ bezeichnen | durch eine bedeutende Entwickelung 
könnte, aufgefunden. der Pflanzenfresser ausgezeichnet. 

4. Uber die Harmonie, welche in 2. Die Säugetiere am Ende der 
der Säugetierwelt des alten Attikas | Miocänzeit bestätigen die Ansicht, 
herrschte. dass höhere Formen wandelbarer sind 

5. Die Mehrzahl der in Pikermi | als niedere. 
vertretenen Formen sind aus Europa 3. Das Studium der miocänen Säuge- 
ausgewandert. tiere unterstützt die Ansicht, dass das 


6. Über die Zwischenformen, welche | Auftreten verschiedener geologischer 
sich unter den fossilen Säugetieren | Stufen und Unterstufen immer die 


finden. Folge verschobener Faunen ist. 

7. Die Fossilien, welche Zwischen- 4. Über die analogen Säugetier- 
formen darstellen, finden sich in allen |* formen, welche im obern Miocän ein- 
Schichten. ander vorausgegangen und gefolgt 

8. Was für ein Licht bringt das | sind. 

Studium der Zwischenformen über- | 5. Über die Sonderung der Rassen 
haupt in die Frage nach dem Übergang | und Arten der Säugetiere am Schluss 
der Geschöpfe in einander? der Miocänzeit. 


Een Wr 


Webers Naturwissenschaftliche Bibliothek. 


Zweiter Band: 


Die Bakterien 


von 


Dr. W. Migula, 


Privatdozent der Botanik an der Technischen Hochschule zu Karlsruhe. 


Mit S2 in den Text gedruckten Abbildungen. 


Preis in Original-Leinenband 3 Mark. 


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Inhalt: 


I. Was sind Bakterien? 


II. Die Entwickelung der Lehre von 
den Mikroorganismen. 


III. Naturgeschiehte der Bakterien. 
Morphologie und Entwickelungs- 
geschichte. 
Die Formen der Bakterien. 
Wachstum, Teilung, Sporenbildung, 
Sporenkeimung. 
Lebenserscheinungen und Lebens- 
bedingungen der Bakterien. 
Vorkommen und Verbreitung der 
Bakterien in der Natur. 


- Die Untersuchungsmethoden. 


Die Nährsubstrate. 
Die Herstellung der Reinkulturen. 
Hilfsmittel zur mikroskopischen Be- 
obachtung. 
Systematik der Bakterien. 
Pathogeue Bakterien. 

Die Organismen des Eiters.— Der 
Milzbrandbacillus. — Der Typhus- 
baeillus. — Der Tuberkelbaeillus.— 
Der Leprabaeillus. — Der Rotz- 
bacillus. — Der Diphtheriebaeillus. 
— Der Rauschbrandbaceillus. — Die 


Bakterien des Schweinerotlaufs, — 
Der Bacillus der Hühnercholera, 
— Der Kommabacillus. — Der 
Organismus des Rückfalltyphus. 


Chromogene Bakterien, 

Der Hostienpilz. — Der Organis- 
mus des blauen Eiters. — Der 
Organismus der blauen Milch. 

Zymogene Bakterien. 

Der Heubacillus. Baeillus sub- 
tilis. — Der Milchsäurebacillus. 
Baeillus acidi lactiei. — Der Butter- 
säurebacillus. Bacillus butyrieus. 
— Der Kefyrbaeillus. .Dispora 
Kaukasica, Bacillus Kaukasieus. — 
Der Essigsäurebacillus. Bacillus 
aceticus. — Der Froschlaichpilz. 
Leuconostoc mesenterioides. — Mi- 
erococcus viscosus. — Die Organis- 


men der Harnstoffgärung. — Die 
Fäulnisbakterien. — Die Faden- 
bakterien. 


Die Beziehungen der Bakterien zur 
belebten und unbelebten Natur, 
Fäulnis und Gärung. 
Die ansteckenden Krankheiten. 
Die Bakterien im Haushalte d. Natur. 


Webers Naturwissenschaftliche Bibliothek. 


Dritter Band: 
Die 


Sinne und Sinnesorgane 


der 


niederen Tiere. 
Von 
E. Jourdan. 
Aus dem Französischen übersetzt 


von 


William Marshall. 


Mit 48 in den Text gedruckten Abbildungen. 


Preis in Original-Leinenband 3 Mark. 


Be 
Inhalt: 
Erstes Hauptstück. Viertes Hauptstück. 
Kurze Übersicht über den allgemeinen Der Geschmack. 
Bau der Organismen. Fünftes Hanptstück. 
Der Geruch. 


Zweites Hauptstück. 
Sechstes Hauptstück. 


Irritabilität, Sensibilität, Sinnesorgane. er 
Das Gehör. 


Drittes Hauptstück. Siebentes Hauptstück. 
Das Gefühl. Das Gesicht. 


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