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Full text of "Die Türkei; Reisehandbuch für Rumelien, die untere Donau, Anatolien, Syrien, Palästina, Rhodus und Cypern"

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LLOYD'S 

ILLÜSTMTE  REISEBIBLIOTHEK. 

DER  ORIENT. 

n.  TÜRKEI. 

TRIEST. 

LITERARISCH-ABTISTISCHE  ANSTALT  (JOLIDS  0H3WAL0T.) 

1870. 

DIE  TÜRKEI. 


BEISEHÄNBBÜCH 

FÜE 

ßUMELIEN, 


DIE 


UNTERE  DONAU,  ANATOLIEN,  SYRIEN,  PALÄSTINA, 
RHODUS  UND  CYPERN. 


VON 

DB-  MORITZ  BUSCH. 


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ZWEITE  VERBESSERTE  AUFLAGE.  fe^.'      ''S 

TRIEST. 

LITERARISCH-ARTISTISCHE  ANSTALT  (JULIUS  0H8WALDT.) 
1870. 


An  die  Leser: 

Berichtigungen  etwaiger  Irrthümer  oder  Ungenauigkeiten, 
unter  der  Adresse :  „Literarisch-artistische  Anstalt  in  Triest"  eingesendet, 
werden  mit  grossem  Dank  aufgenommen  und  berücksichtigt  werden. 


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Inlxalt. 


INHALT. 


Seite 
Allgemeines  für  Orient  Beiaende. 

Wer  kann  iu  den  Orient  reisen  ?  -  Die  rechte  Zeit  im  Jahre.  -  UeiMplan 
für  sechs  Monate.  —  Kostenüberschlag.  —  Ausrüstung.  —  Pass.  —  Geld.  -- 
Sprachen.  —  Verhaltungsregeln  auf  der  Reise,  namentlich  in  Betreff  der  Geennd- 
heit.  —  Malaria,  Fieber  und  Ophthalmie.  —  Pest.  —  Quarantäne.  —  Tour  von 
Wien  über  Triest  und  Venedig  an  Bord  des  Lloyd-Dampfers.  -  Tour  von  Wien 
die  Donau  hinab  nach  Constantinopel l 

Entes  Capiteli 

niUisiinaim  AUgemtintn.  —  Geographische  \ind  ethnographische VerhUtnisse  des 
Landes.  —  Die  Eintheilung  Palästina'»  zur  Zeit  Christi.  —  Die  geeignetste  Zeit 
zum  Aufbruch  dahin.  —  Der  nächste  Weg  von  Deutschland  nach  dem  heiligen 
Lande.  —  Ausrüstung.  —  Geldsorten.  —  Dragoraane.  —  Räuber.  —  Krankheiten. 
-  Verschiedene  kürzere  oder  längere  Touren.  —  Strassen.  —  Gasthöfe.  --  (^u- 
sulate.  —  Zeit-  und  Kostenaufwand  für  eine  auf  Palästina  sich  beschränkende  Reise       j!8 

Zweites  Capitel: 

Jtruüületa.  --  Jaffa.  —  Raraleh.  —  Allgemeines  über  Jerusalem.  —  Thore.  —  Stadt- 
viertel. —  Einwohnerzahl.  —  Strassen  und  Plätze.  —  Razars.  —  Kirchen  und 
Klöster.  —  Orte  der  Legende.  —  Synagogen.  —  Moscheen.  --  Die  Citadelle.  — 
Teiche  und  Brunnen  in  der  Stadt  und  ihrer  Umgebung.  -  Gärten.  —  Die  Tem- 
peimauer.  --  Gräber.  -  Berge  und  Thäler.  -  Einiges  über  das  alte  Jernsalem.  - 
Flau,  nach  welchem  die  Stadt  und  ihre  Kachbarschaft  binnen  sechs  Tagen  mit 
Nutzen  zu  sehen '10 

Drittes  Capitel: 

Touren  darch  <Uh  Süden  Piüäsiina's.  —  Kurzer  Wegweiser  und  Stundenzeiger  für 
Ausflüge  nach  den  Hauptpuncten  in  der  Nachbarschaft  Jerusalems.  —  Tour  nach 
Bethanien,  Jericho,  dem  Jordan,  dem  Todten  Meere  und  Mar  Saba.  —  Tour  nach 
Bethlehem  und  Hebron  und  zurück  über  St.  Philipp .  Ain  Karim  und  das  Kreuz- 
kloster       69 

Viertes  Capitel : 

Towen  durch  den  Xorden  PaMstina's.  —  Von  Jerusalem  nach  Nablus.  —  Ebal 
und  Garizim.  —  Sebastijeh.  —  Dschennin.  —  Ebene  Esdrelom.  —  Caipha.  —  Kar- 


VI 


Inhalt. 


Seite 


melkloster.  —  Nazaretli.  —  Tabor.  —   Tiberias  und  See  Genezareth.  —  Safed. 
Rameh.  —  Akko  oder  St.  Jean  d'  Acre 


85 


Fünftes  Capitel: 

Syrien.  —  Syrien  im  Allgemeinen.  —  Der  Libanon.  —  Drusen  und  Maroniten.  — 
Tour  von  Akko  durch  Phönizien  über  Sur  und  Saida  nach  Beirut.  —  Touren  nach 
Damaskus,  den  Cedern  des  Libanon,  Baalbek  und  Tripolis.  —  Die  karamenische 
Kaste.  —   Cypern 101 

Sechstes  Capitel: 

Kleinasien.  —  Kleinasien  im  Allgemeinen.  —  Smyrna.  —  Nimfl.  —  Reise  über  Ma- 
gnesia und  Bergama  nach  der  Ebene  von  Troja  und  den  Dardanellen.  —  Drei 
Routen  durch  das  Gebiet  von  Troas.  —  Tour  nach  den  „Sieben  Kirchen" :  Ephe- 
sus,  Laodicea,  Philadelphia,  Sardes,  Thyatira  und  Pergamos.  —  Tour  von  Smyrna 
über  Sardes  und  Brussa  nach  Constantinopel.  —  Von  den  Dardanellen  über  Brussa, 
Isnik  und  Ismid  nach  Constantinopel.  —  Tour  von  Adalia  durch  Lycien  und  Karlen 
nach  Smyrna.  —  Verschiedene  Pläne  zu  Touren  im  Innern  des  Landes.  —  Tour 
zur  See  von  Constantinopel  nach  Trapezunt  und  von  dort  zu  Lande  nach  Tripolis 
und  Kerasunt 125 

Siebentes  Capitel: 

Consiantinopel.  —  Constantinopel  im  Allgemeinen.  —  Geschichte  der  Stadt.  — 
Gasthöfe.  —  Führer.  —  Kaiks.  —  Plan,  Constantinopel  in  sechs   Tagen  zu  sehen. 

—  Die  Vorstädte:  Galata,  Pera,  Tophana,  Kassim  Pascha,  Ejub.  —  Stambnl.  — 
Die  kaiserlichen  Moscheen :  die  Aja  Sophia,  Sulimanijeh,  Achmedijeh,  Moschee 
Mohammed  II.  —  Die  Turbas.  —  Die  Bazars.  —  Bäder.  —  Khans.  —  Die  Paläste 
von  Dolmabagdsche  und  Tschiragan.  —  Das  alte  Serail.  —  Thore.  —  Die  Brücke. 

—  Brunnen.  —  Alterthümer:  der  Atmeidan,  der  Palast  des  Belisar.  —    Die  Mar- 
cianssäule.    —    Die    Wasserleitung    des    Kaisers  Valens.    —    Friedhöfe.    —    Das 
Bairara   und   andere   Feste.    —   Feste   und   Sitten.   —  Die  Aquäducte    ausserhalb 

der  Stadt 165 

Achtes  Capitel: 

Di«  U/er  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.  —  1.  Das  europäische  Ufer  :  Arta- 
köi,  Kuru  Tschesme,  Arnaut  Köi,  Bebek,  Rumili  Hissar,  Balta  Liman,  Emirgian, 
Stenia,  Jeni  Köi,  Kalendar,  Therapia,  Keflli  Köi,  Bujukdere,  Bagdschi  Köi,  Bel- 
grad, Sarijari,  Rumili  Kawak,  Bujuk  Liman,  Karibjeh,  Fanaraki,  Kilia.  —  2.  Das 
asiatische  Ufer :  Riwa,  Poiras,  Filbnrun,  Anadoli  Kawak,  der  Riesenberg,  Unklar 
Skelfissi,  Bejkos,  Akbaba,  Sekedereh,  Sultania,  In^lschir  Köi,  Tschibbuklu ,  Kand- 
lija,  Anadoli  Hissar,  Kandilli ,  Kalleh  Bagdschessi,  Dschengelli  Köi,  Beglerbeg, 
Stavros,  Kusgundschik,  Skutari,  Bulgerlu,  Kadiköi   oder   Chalcedon.    —    Gallipoli. 

—  Die  Dardanellen 235 

Neuntes  Capitel: 

lotwen  in  der  europäischen  Türkei  und  den  Bonauf  ürstenthümern.  —  Allge- 
meines über  die  Moldau  und  Walachei,  Serbien,  Bosnien,  Bulgarien  und  Thracien.  — 


Inhalt. 


vn 


Seite 
Ausflüge  von  Constantinopel  über  Adrianopel,  Philippopel,  Sophia  und  Nissa  nach 
Belgrad.  —  Von  Constantinopel  über  Schumla  und  Rustschnk  nach  Bukarest.  — 
Von  Bukarest  nach  Rothenthurm  und  Hermannstadt.  —  Von  Belgrad  die  Donau 
hinab  nach  bilistria,  Ibraila,  Galatz  und  Varna.  —  Die  Dobrudscha.  -  Von 
Widdin  über  Loftscha,  Tiruowa  und  Schumla  nach  Varna.  —  Von  Rustschnk  über 
Tirnowa  nach  Kirk  Klisie.  —  Von  Varna  über  Burgas  nach  Constantinopel.  —  Von 
Widdin  über  Krajova  und  Bukarest  nach  Oalatz.  —  Von  Turnul  Severin  nach  Bu- 
karest. —  Von  Bukarest  nach  Jassy.  —  Von  Belgrad  über  Zwornik  und  Tnzla 
nach  Trawnik.  —  Von  Trawnik  nach  Bosua  Serai.  —  Von  Bosna  S«rai  nach  Mostar 
und  von  da  nach  Ragusa 269 

Zehntes  Capitel: 

Tonrtn  in  Xactdotiien.  -  Allgemeines  über  Macedonien.  —  Von  Constantinopel 
nach  Salonik.  —  Von  Salonik  über  Cassandra  nach  den  Athosklöstern.  —  Die 
Klöster  des  Agion  Oros.  —  Von  Salonik  über  Monastir,  Elbassan  und  Kroia  nach 
Skutari 318 


VIII  Beiseliteratur. 


REISELITERATÜR 

aus  dem  Verlage  der 

Literarisch-artistischen  Anstalt  (J.  Ohswaldt)  in  Triest, 

zu   beziehen   durch  jede  solide  Buchhandlung. 


Lloyd's  lllnstrirte  Reisebibliothek. 

Wien  bis  Müncheu.  Reisehandbuch,  eleg.  geb.  fl.  2.50  -  Thlr    1.20 

Wien  bis  Triest.                do.               „        „     „   1.60  -  „      1.  2 

Adelsberger  Grotte.  Ein  Grottenführer                 „  —.80  -  „    —.16 

Triest  und  Umgebung.  Reisehandbuch  ,        ,      „  2.  -  =  „      1.10 

Trieste  et  ses  environs.  Guide    .    •  „        „      „   1.36  =  „    —.27 

Venedig.  Reisehandbuch „        „     ,   2.—  -  „      1.10 

Venise.  Guide ,        ,     „  2.50  -  „      2.20 

Aegypten.  Reisehandbuch „        „     „  3.—  =  ,      2.— 

Egypte.  Hand-Book  for  travellers    .     .  „         „      „   3  —  -  „      2.— 

Griechenland.  Reisehandbuch     .    .    .  „        .     „  3.—  „      2.— 

Türkei.                        ,               ■    ■    ■  „        >     ,'   3.—  ,      2.— 

mit  deutschem,  französischem  und  englischem  Titel  und  Inhalt. 
Album  zur  Erinnerung  an  Athen  (12  Stahlstiche) 

eleg.  geb fi.  2.50  '^  Thlr.  1.20. 

„      zur    Erinnerung    an    ConstaiiliiioppI    (28 

Stahlstiche),  eleg.  geb „  5.50  ^^  „      3.20. 

„       malerischer  Ansichten  aus  Daliiiatien  (25 

Stahlstiche),  eleg.  geb „  5.50  -  „      3.20. 

,       malerischer  Donauaiisicbteii  (51  Stahlstiche), 

eleg.  geb .,  8.-  =^  ,      5.10. 

„      malerisch-historisches,  aus  Italien  (50  Stahl- 
stiche), eleg.  geb .,  6.50  -  ,       4.10. 

„      zur  Erinnerung  an  Italien  (18  Stahlstiche), 

eleg.  geb „  5.50  -  „      3.20 

„      zur  Erinnerung  an  den  Rhein  (22  Stahl- 
stiche), eleg.  geb ,  4. —  -  ,       2.20. 

„       der    Südbahn    von   Wien    bis    Triest  (32 

Stahlstiche),  eleg.  geb ,  3.—  =  ,      2.— . 

Land-  und  Seekarte  des  Mittelländischen 
Meeres  nebst  den  angrenzenden  Ländern 

von  Dr.  Henry  Lange  (9  Blatt)     .     .     .    ,  7.50  -  „       5. — . 


Allgemeines   für  Orient-Reisende 


Allgemeines  für  Orient-Reisende. 

Wer  kann  in  den  Orient   reisen  ?  —   Die   rechte   Zeit   im  Jahre.  —  Beiseplan  für 
sechs  Monate.  —  Kostoiiüberschlag.  —   Ausrüstung.  —  Pass.  —  Geld.  —  Sp'aclien. 
Verhaltungsrcgeln  auf  der  Reise,   namentlich    in   KetreiT  der  Gesundheit.  —  Malaria, 
Fieber  und  Üphtlialmie.    —  Pest.   —   Quarantäne.   —    Tour  von  Wien   über  Triest  und 
Venedig  an  Bord  des  Lloyd-Dampfers.  —  Tour   von  Wien    die  Donau  hinab  nach  Kon- 

stantinope'. 

Eine  Reise  in  den  Orient  erfordert,  wofern  sie  sich  nic'it  auf 
den  Besuch  der  Küstenplätze  beschränkt,  vor  Allem  einen  gesunden 
Körper.  Ausdauer  im  Ertragen  von  Beschwerden  und  Entbehrungen 
und  einen  Geist,  der  auf  eine  Weile,  ja  nach  Befinden  auf  lange  Zeit 
absehen  kann  von  den  Freuden  und  Annehmlichkeiten  des  civilisirten 
Lebens.  Nach  den  Küstenorten  und  nach  einigen,  Theilen  Aegyptens 
können  auch  Frauen  gelangen,  ohne  sich  zu  viel  zumuthen  zu  müssen. 
Bis  Triest  führt  Post  und  Eisenbahn,  und  dort  nimmt  sie  ein  bequem 
eingerichteter  Dampfer  auf,  um  sie  bis  hart  vor  die  Thore  Alexan- 
driens,  Athens,  Srayrnas  oder  Konstantinopels  ^u  tragen.  In  Betreff 
anderer  Punkte  genüge  es  vorläufig  zu  bemerken,  dass  man  in  Grie- 
chenland und  der  europäischen  und  asiatischen  Türkei  nur  zu  Pferde 
reisen  kann,  dass  man  den  grössten  Theil  des  Jahres  einer  glühenden 
Sonne  ausgesetzt  ist,  dass  man  im  Innern  des  Landes  oft  die  einfach- 
sten Bequemlichkeiten  vermisst,  und  dass  man  das  Mangelnde  nur 
mit  beträchtlichen  Kosten  mit  sich  führen  kann.  Unter  solchen  Um- 
ständen zu  reisen  ist  nur  dem  Kühnen  und  Starken  vergönnt,  oder  dem, 
welchem  ein  fürstliches  Vermögen  einen  Theil  der  Schwierigkeiten  ebnet. 

Im  Uebrigen  bedarf  es  keines  ungewöhnlichen  Muthes,  um  die 
interessantesten  Punkte  im  Innern  zu  besuchen.  Man  hört  Mancherlei 
von  Raubaufällen,  wird  aber,  wenn  man  die  im  Folgenden  angegebenen 
Vorsichtsregcln  befolgen  wUl,  selbst  in  den  berüchtigtsten  Gegenden 
kaum  einen  Eäuber  zu  Gesicht  bekommen.  Ein  Orientale  reist  in  der 
Regel  mit  seinem  halben  Vermögen  im  Gürtel,  da  er  Anweisungen 
und  Wechsel  nicht  kennt,  und  seine  Waffen  und  Kleider  sind  gewöhn- 
lich so  kostbar,  dass  es  sich  lohnt,  ihn  zu  berauben.  Der  Franke 
dagegen  lässt  bei  Ausflügen  nach  gefahrvollen  Gegenden  (wirklich  ge- 
fahrvoll ist  nur  die  Nachbarschaft  von  Smyrna  und  ein  Theil  Palästi- 
nas und  Syriens;,  wenn  er  sich  nicht  von  einer  Escorte  begleiten  lassen' 
und  sich  keiner  Karavane  anschliessen  kann,  sein  Geld  bis  auf  das 
Nothwendigste  in  Sicherheit  beim  letzten  Consul  seiner  Nation  zurück, 
und  was  er  sonst  mit  sich  führt,  hat  für  orientalische  Wegelagerer 
keinen  oder  nur  geringen  Werth. 


Allgemeines  für  Orient-Beisende. 


Dazu  kommt  Folgendes:  Jeder  Beduine  oder  Grieche  weiss, 
dass,  wenn  ein  Franke  ein  Schiessgewehr  in  der  Hand  hat,  mit  einer 
an  Gewissheit  grenzenden  Wahrscheinlichkeit  anzunehmen  ist,  erstens, 
dass  es  geladen  ist,  und  zweitens,  dass  es,  sobald  auf  den  Hahn  ge- 
drückt wird,  losgeht,  was  sich  mit  gleicher  Zuversicht  von  dem  Waffen- 
magazine, welches  er  selbst  an  und  um  sich  hängen  hat,  nicht  annehmen 
lässt.  Endlich  aber  wird,  wenn  ein  Frauke  beleidigt  worden  ist.  Alles 
in  Bewegung  gesetzt,  um  Genugthuung,  zu  erlangen.  Die  Consuln 
schreiben  energische  Briefe,  die  Paschas  werden  aus  ihrem  Phlegma 
aufgestört,  Soldaten,  Kawassen  und  Tataren  jagen  wie  toll  durch  das 
Land,  wo  die  Unthat  vorgefallen  ist,  misshandeln  die  Bevölkerung 
und  leben  als  Exccutionstruppen  in  deren  Häusern,  bis  der  Mörder  — 
oder  statt  seiner  ein  Anderer  —  aufgefunden  und,  um  den  Consul  zu 
beschwichtigen,  geköpft  worden  ist,  während  die  sonstigen  Verdächti- 
gen die  BasLonade  bekommen  haben.  Alles  dies  ist  sehr  unangenehm, 
und  so  ist  es  gekommen,  dass  die  Bewohner  der  Striche,  wo  die  Re- 
gierungen überhaupt  ihre  Hand  fühlen  lassen  können,  schon  seit  Jah- 
ren zu  der  Einsicht  gekommen  sind,  dass  bei  Anfällen  auf  Europäer 
der  zu  hoffende  Gewinn  von  der  zu  fürchtenden  Strafe  überwogen  wird. 

Als  zweite  wichtige  Frage  drängt  sich  die  auf,  zu  welcher 
Zeit  man  die  verschiedenen  Länder  des  Orients  besuchen  soll.  In  dieser 
Beziehung  empfiehlt  man  für  die,  welche  auf  die  Tour  ein  ganzes  Jahr 
und  mehr  Zeit  verwenden  können,  Nachstehendes:  Januar  und  die 
erste  Hälfte  des  Februar  verbringe  man  in  Korfu  oder  Athen.  In 
dieser  Jahreszeit  ist  es  in  der  Regel  zu  kalt  und  stürmisch,  und  die 
Flüsse  sind  zu  sehr  angeschwollen,  um  eine  Reise  in  das  Innere 
Griechenlands  unternehmen  zu  können.  März,  April  und  Mai  verwende 
man  auf  Touren  durch  Nordgriechenland  und  Thessalien,  Morea  und 
Albanien.  Zu  Reisen,  welche  tiefer  gehende  Studien  zum  Zwecke 
haben,  ist  die  Zeit  von  drei  Monaten  zu  kurz.  Derjenige  aber,  welcher 
sich  nicht  an  einige  Strapatzen  kehrt,  wird  in  ihr  im  Staude  sein, 
alle  allgemein  interessanten  Orte  dieser  Gegenden  zu  sehen  um  sich 
einen  guten  Begriff  von  der  Art  des  Landes  und  seiner  Bewohner  zu 
verschaffen.  Im  Juni  besuche  man  sodann  die  Inseln  des  Aegäischen 
Meeres,  die  Sieben  Kirchen  Asiens  und  die  Ebene  von  Troja.  Die  bei- 
den folgenden  Monate  verhalte  man  sich  ruhig  in  Konstantinopel  und 
in  den  kleinen  Orten  am  Bosporus,  welche  in  dieser  Jahreszeit  kühler 
als  irgend  ein  Punkt  an  der  Küste  des  Mittelmeeres  sind.  Eine  Wan- 
derung durch  Syrien  und  das  heilige  Land  kann  im  September  unter- 
nommen und  Ende  October  vollendet  werden.  NachAegypten  zugehen, 
um  sich  dort  länger  aufzuhalten,  ist  nur  im  Winter  rathsam.  Wer 
endlich  die  Tour  durch  das  südliche  Kleinasien  zu  machen  wünscht, 
der  wähle  dazu  die  ersten  Frühlingsmonate. 

Der  Verfasser,  welcher  seine  Reise  zu  Ende  December  antrat 
und  in  kürzerer  Zeit  zurückkehren  musste,  kann  denen,  die  sich  im 
gleichen  Falle  befinden,  folgenden  Reiseplan  empfehlen.  Man  begebe 
sich  von  Wien  Mitte  December  nach  Triest,  besuche  in  der  Zwischen- 


Allgemeines  für  Orient-Reisende. 


zeit  bis  zur  Abfahrt  des  Dampfers  nach  Alexandrien  auf  einige  Tage 
Venedig  und  gehe  dann  über  Korfu  nach  Aegypten.  Dort  bleibe  man, 
von  Kairo  Ausflüge  nach  den  ersten  Pyramiden  und  nach  Suez  ma- 
chend, drei  bis  vier  Wochen  (wer  die  Stromfahrt  nach  Theben  und 
bis  zum  ersten  Katarakt  des  Nil  hinzufügen  will,  bedarf  im  günstig- 
sten Falle  sechs  Wochen  mehr)  und  reise  dann  entweder  durch  die 
Wüste  nach  Jerusalem  oder  zur  See  nach  Jaffa  und  von  dort  nach 
der  heiligen  Stadt.  Hier  und  in  Palästina  überhaupt  sich  vierzehn 
Tage  aufzuhalten,  genügt,  um  alle  merkwürdigen  Orte  und  Gegen- 
stände des  Landes  in  Augenschein  zu  nehmen.  Dann  kehre  man  ent- 
weder nach  Jaffa  zurück,  um  mit  dem  Dampfer  nach  Beyrut  und  von 
dort  nach  Damaskus  zu  reisen,  oder  man  begebe  sich  auf  dem  Land- 
wege nach  Damaskus,  gehe  von  dort  nach  Beyrut  und  von  da  über 
Cypern  und  Rhodus  nach  Smyrna.  Von  Smyrna  aus  besuche  man  die 
interessantesten  Punkte  der  Nachbarschaft,  schiffe  sich  dann  nach 
Griechenland  ein,  mache  von  Athen  drei  bis  vier  Wochen  hindurch 
Touren  nach  dem  Norden  und  Morea,  begebe  sich  hierauf  vom  Piräus 
nach  den  jonischen  Inseln  und  fahre  von  da  direct  nach  Konstantino- 
pel. Von  hier  lassen  sich  Ausflüge  nach  Salonik  und  dem  Athos,  sowie 
nach  Trapezunt  machen.  Dann  mag  man  sich  nach  der  Sulinamündung 
begeben  und  von  dort  die  Donau  hinauf  nach  Wien  zurückkehren. 

Die  Kosten  einer  solchen  Reise  hängen  begreiflicher  Weise  von 
dem  Style  ab,  in  welchem  man  dieselbe  unternimmt.  Etwas  Bestimmtes 
lässt  sich  somit  darüber  nicht  mittheilen ;  doch  mag  bemerkt  werden, 
dass  dieselben  für  den,  der  sich  einzuschränken  weiss,  im  Durchschnitt 
10  Gulden  Ö.  W.  auf  den  Tag  nicht  übersteigen.  Für  die  in  Gesell- 
schaft Reisenden,  sowie  für  solche,  welche  der  Landessprachen  kundig 
sind  und  sich  längere  Zeit  an  einem  und  demselben  Orte  aufhalten, 
wird  sich  die  Rechnung  noch  etwas  niedriger  stellen.  Im  Allgemeinen 
dürfte  feststehen,  dass  für  die  zuletzt  bezeichnete  sechsraonatliche  Tour 
(mit  Einschluss  der  Fahrpreise  auf  den  Lloyddampfern)  2100  bis  2250 
Gulden  Ö.  W.  oder  1400  bis  1500  proussische  Thaler  genügen,  dies 
aber  auch  der  niedrigste,  nur  für  Sparsame  ausreichende  Satz  ist. 

Auch  in  Betreff  der  Ausrüstung  für  eine  Reise  in  den  Orient 
lassen  sich  allgemein  giltige  Regeln  nicht  aufstellen.  Der  Gelehrte 
wird  sich  mit  zahlreichen  Büchern,  der  Bequeme  mit  einer  Menge 
von  Gegenständen  beladen  müssen,  die  ihm  an  das  Herz  gewachsen 
sind.  Derjenige,  welcher  sich  vor  Entbehrungen  nicht  scheut,  wird  wohl 
thun,  so  wenig  wie  möglich  von  Gepäck  mitzunehmen.  Derselbe  -ver- 
sehe sich  mit  soviel  Wäsche,  um  wenigstens  drei  Wochen  auszureichen, 
ohne  waschen  lassen  zu  müssen,  mit  zwei  Anzügen,  einem  feinen,  um 
Besuche  bei  Consuln  und  Paschas  machen  zu  können ,  und  einem 
möglichst  starken,  ferner  mit  waschledemen  Unterbeinkleidem  und 
einem  wollenen  Hemd,  das  unmittelbar  über  der  Haut  getragen  werden 
muss,  endlich  mit  rindsledernen  Stiefeln  und  einem  breitrandigen  Hute, 
um  den  man  sich  in  den  heissen  Monaten  ein  weisses  Tuch  nähen 
lässt.   Die   Stiefel   lasse  man   bei    längern  Reisen   ungewichst,  da  die 


Allgemeines  für    Orient-Beisende. 


natürliche  Farbe  des  Leders  die  Sonnenstrahlen  weniger  auf  sich  lenkt. 
Dagegen  bestreiche  man  sie  gelegentlich  mit  etwas  Oel,  was  sie 
geschmeidig  erhält.  Die  Farbe  des  Alltagsanzugs  sei  lichtgrau,  der 
Stoff  AVolle.  Sodann  nehme  man  sich  einen  Mantel  von  wasserdichtem 
Stoff  mit,  um  nöthigenfalls  des  Nachts  im  Freien  schlafen  und  durch 
den  Regen  Weiterreisen  zu  können.  Ein  Regenschirm  ist  gut  zu 
brauchen,  weniger  als  Schutz  vor  plötzlichen  Regengüssen,  als  gegen 
die  Sonne. 

Orientalische  Kleidung  anzulegen  ist  nur  Dem  zu  rathen,  der 
die  Sprache  des  Landes  versteht.  Für  jeden  Andern  ist  sie  Maskerade 
und  nichts  weniger  als  ein  Präservativ  gegen  Anfälle.  Indess  mag  man 
sich  des  Fez  bedienen,  da  es  den  Kopf  gut  gegen  die  Sonne  schützt. 
Dann  aber  kaufe  man  eines  von  den  höchsten  und  stärksten,  wie  man 
sie  in  Triest  zum  Preise  von  3  bis  4  Gulden  bekommt.  Für  Reisen  in 
das  Innere  nehme  man  sich  einen  ledernen  Mantelsack  mit,  da  Koffer 
sich  auf  Pferden  nicht  gut  transportiren  lassen.  Den  Koffer  lasse  man 
mit  den  schweren  Gegenständen  in  sicheren  Händen  (im  Gasthaus, 
oder,  wenn  Empfehlungen  dies  ermöglichen,  bei  den  Agenten  des 
Lloyd  oder  den  Consuln)  zurück,  um  ihn  bei  der  Rückkehr  abzuholen 
oder  ihn  nach  dem  nächsten  Küstenplatze,  den  man  berühren  will, 
senden  zu  lassen.  Sich  mit  Waffen  und  Munition  zu  versehen,  ist  im 
Allgemeinen  nicht  mehr  erforderlich.  Wer  ein  guter  Schütze  ist,  nehme 
sich  eine  Büchse  oder  einen  guten  Revolver  mit.  Ausserdem  versehe 
man  sich  mit  einer  grünen  Brille  zum  Schutze  gegen  das  grelle  Son- 
nenlicht, mit  einer  überflochtenen  Trinkfiasche,  mit  starkem  Bindfaden, 
einigen  Riemen,  einem  guten  Messer  und  Nadeln  und  Zwirn  zu  etwa 
nöthig  werdenden  Ausbesserungen. 

Ein  wichtiges  Stück  der  Ausrüstung  für  den  Orient  ist  ein  Pass 
für  das  Ausland.  Derselbe  muss  von  dem  österreichischen  Gesandten 
oder  Consul  in  dem  Lande  oder  Orte,  von  wo  die  Reise  angetreten 
wird,  und  später  von  den  Gesandten  oder  Consuln  aller  der  Regie- 
rungen visirt  sein,  durch  deren  Gebiete  man  zu  gehen  gedenkt,  d.  h. 
von  denen  der  Pforte  (Gesandte  in  Berlin  und  Wien,  Consul  in  Triest), 
Griechenlands  (hier  genügt  das  Visum  des  griechischen  Consuls  in 
Triest)  und  Englands  für  die  Insel  Malta.  Im  Jahre  1844  machte 
die  türkische  Regierung  bekannt,  dass  kein  Reisender  das  Gebiet  der 
Pforte  betreten  dürfe,  der  nicht  mit  einem  regelmässigen,  von  einem 
Gesandten  oder  Consul  des  Sultans  visirten  Passe  versehen  sei.  Man 
nimmt  es  mit  dieser  Anordnung  seit  1869  strenger,  daher  wird  der 
Reisende  wohlthun,  es  auch  seinerseits  genau  damit  zu  nehmen,  da  er 
sich  sonst  leicht  Verlegenheiten  aussetzt.  Bei  seiner  Ankunft  in  der 
ersten  grössern  Stadt,  welche  der  Wohnsitz  eines  Pascha  oder  Gou- 
verneurs ist,  muss  er  sich  dann  mit  einem  regelmässigen  türkischen 
Passe  versehen.  Diese  zerfallen  in  drei  Klassen :  Firmane,  Buyurdi's 
und  Teskeres.  Ein  Firman  kann  nur  vom  Sultan  oder  einem  Pascha 
höchsten  Ranges  gewährt  werden.  Man  erlangt  ihn  in  Konstantinopel 
durch  Vermittelung   der    Gesandtschaften  und  Consulate.  Er  ist  nicht 


Allgemeines  ftlr  Orient-Reisende. 


absolut  nothwendig;  denn  ein  Buyurdi  (auch  Buyuruldi  genannt)  oder 
Tcskere  entspricht  in  der  Regel  dem  Zwecke  vollkommen  eben  so  gut 
und  macht  beträchtlich  weniger  Kosten.  Der  Buyurdi  ist  eine  Empfeh- 
lung an  alle  Beamten,  der  Teskere  der  eigentliche  Pass  für  den  Reisen- 
den. Doch  gelten  beide  nur  für  die  betreffende  Provinz,  so  dass  man 
sich  in  Aegypten  nicht  für  Kleinasien,  in  Kleinasien  nicht  für  Rumelien 
mit  diesen  Beglaubigungsschreiben  versehen  kann.  Ausgerüstet  mit 
diesen  Documenten,  hat  der  Reisende  das  Recht,  bei  den  Christen 
in  jedem  Dorfe  und  jeder  Stadt  der  Türkei  Wohnung  zu  begehren 
und  von  dem  Menzil  oder  der  Postanstalt  der  Regierung  mit  Pfer- 
den zu  demselben  Preise  versorgt  zu  werden,  wie  die  grossherrlichen 
Kuriere. 

Selten  wird  der  Reisende  in  den  Fall  kommen,  seinen  europäi- 
schen Pass  vorzeigen  zu  müssen;  dies  wird  nur  da  nöthig  sein,  wo 
er  sich  aus  eignem  Antriebe  zu  den  Behörden  begibt,  um  Genugthuung 
oder  Hilfe  in  schwierigen  Fällen  zu  suchen.  Indess  ist  es  Sitte,  dass 
er,  wenn  er  einem  Pascha  seine  Aufwartung  macht,  seinen  Pass  durch 
den  Dolmetscher  (Dragoman)  seiner  Excellenz  oder  dessen  Sekretär 
vorzeigt;  auch  dient  derselbe  dazu,  dass  sich  die  Consuln  von  der 
Identität  seiner  Person  überzeugen  können.  Endlich  ist  zu  empfehlen, 
dass  man,  um  sich  Aufenthalt  und  Verlegenheit  zu  ersparen,  womög- 
lich bewirke,  dass  in  dem  türkischen  Passe  der  Name  und  der  Titel 
des  Reisenden,  die  Landstriche,  welche  er  besuchen  will,  und  die 
Pferde,  welche  er  bedarf,  deutlich  angegeben  werden,  xind  dass  man 
sich  eine  Uebersetzung  des  Passes  ins  Französische,  Italienische  oder 
Englische  verschaffe.  In  Aegypten  bedarf  es  nirgends  eines  Passes. 

Im  hohen  Grade  nützlich  sind  gute  Empfehlungsschreiben. 
Man  kann  davon  nicht  genug  mitnehmen.  Die  besten  sind  die  an  die 
österreichische  und  preussische  Gesandtschaft  und  an  die  österreichi- 
schen und  preussischen  Consuln  in  Alexandrien,  Kairo,  Jerusalem,  Bey- 
rut,  Damaskus,  Athen,  Salonik,  Smyrna,  Konstantinopel  und  Trapezunt. 
Kann  man  zwei  oder  mehrere  für  einen  Ort  bekommen,  so  verschaffe 
man  sie  sich,  da  es  leicht  geschehen  kann,  dass  man  den  einen  oder 
den  andern  der  Herren  nicht  zu  Hause  trifft.  Für  Griechenland  suche 
man  sich  ausserdem  Empfehlungen  an  Gelehrte  zu  verschaffen,  für 
Aegypten  und  Kleinasien  Briefe  an  grössere  Handlungshäuser,  für  das 
heilige  Lond  solche  an  die  dort  lebenden  deutschen  Geistlichen.  Im 
Innern  ist  der  Reisende  sicher,  bei  jedem  gebildeten  Deutschen  Rath 
und  Auskunft  zu  finden. 

Ueber  die  Geldsorten,  welche  in  der  Levante  gelten,  wird  das 
Nöthige  später  verzeichnet  werden.  Hier  nur  so  viel,  dass  man  im 
ganzen  Orient,  so  weit  er  in  das  Bereich  dieses  Buchs  gezogen  ist, 
nach  Piastern  und  Paras  rechnet,  dass  Thal  er  aller  Länder  circuliren, 
unter  denen  der  spanische  gewöhnlich  1  Piaster  mehr  gilt,  als  die 
übrigen,  dass  von  europäischen  Goldmünzen  englische  Sovereigns  und 
französische  Napoleons  die  empfehlenswerthesten  sind.  Die  türkischen 
Banknoten  haben  nur  in  Konstantinopel  und  an  einigen  andern  Küsten- 


Allgemeines  für  Orient-Reisende. 


platzen  Eumelieiis  Werth.  Man  hüte  sich  deshalb  vor  ihnen,  zumal 
sie  nirgends  zu  dem  Betrage,  den  sie  repräsentiren ,  angenommen  wer- 
den. Im  Uebrigen  ist  zu  bemerken,  dass  es  nicht  gerathen  ist,  sich 
mit  grossen  Summen  in  baarem  Gelde  zu  versehen.  Bis  Triest  gelten 
die  österreichischen  Banknoten.  Von  da  nehme  man  sich  Creditbriefe 
nach  Alexandrien,  Athen,  Smyrna,  Beyrut  und  Konstantinopel  mit, 
und  ausserdem  versehe  man  sich  mit  einigen  Sovereigns  oder  Napo- 
leons, einigen  spanischen  Thalern  und  einigen  Dutzend  Piastern,  um 
den  ersten  Bedürfnissen  genügen  und  dem  unvermeidlichen  Verlangen 
der  Orientalen  nach  Trinkgeldern  nach  Belieben  gerecht  werden  zu 
können. 

Das  Wort  Bakschifscli  ist  dasjenige,  mit  welchem  der  Reisende 
in  der  Levante  zuerst  vertraut  wird.  Es  empfängt  ihn,  verfolgt  ihn 
auf  Schritt  und  Tritt  und  hallt  ihm  bei  der  Heimkehr  als  Absclüeds- 
gruss  nach.  Es  ist  damit  ein  freiwilliges  Geldgeschenk  gemeint,  wel- 
ches der  gemeine  Orientale  bei  jedem  Znsammentreffen  mit  Europäern, 
namentlich  aber  bei  jeder  Dienstleistung,  sei  sie  noch  so  geringfügig, 
erwartet  und  beansprucht.  Niemand  ist  gezwungen,  ein  Bakschisch  zu 
geben,  indess  nöthigt  oft  die  Klugheit  dazu,  und  es  ist  nicht  sowohl 
Freigebigkeit,  als  Sparsamkeit  zu  nennen,  wenn  dem  Verlangen  ge- 
willfahrt wird.  Wird  zum  Beispiel  das  Gepäck  nach  der  Mauth  ge- 
bracht und  der  Beamte  macht  Miene,  es  zu  untersuchen,  so  steht  er 
sofort  von  seiner  Absicht  ab,  wenn  das  Wort  Bakschisch  ausgesprochen 
wird  und  ein  paar  Piaster  aus  der  Hand  des  Reisenden  in  die  seine 
gleiten.  Findet  der  Wanderer  im  Orient  beim  Anbruch  der  Nacht  die 
Thore  eines  Khan  oder  einer  Stadt  geschlossen,  so  ist  Bakschisch  der 
beste  Schlüssel,  der  sie  öffnet.  Ueberhaupt  gibt  es  kaum  eine  Schwie- 
rigkeit, die  das  magische  Wort  nicht  überwände. 

Andere  Geschenke  zu  ^eben,  ist  im  Allgemeinen  nicht  mehr 
üblich.  Früher  war  es  Gebrauch,  mit  den  Paschas,  denen  man  vorge- 
stellt wurde,  Gaben  zu  wechseln.  Dies  ist  in  den  letzten  Jahren  abge- 
kommen. Wer  sich  indess  länger  an  einem  Orte  aufliält  und  dort  von 
einem  Scheik  oder  Gouverneur  Gefälligkeiten  in  Anspruch  zu  nehmen 
hat,  kann  den  Wunsch  hegen,  sich  erkenntlich  zu  bezeigen.  Dann 
nehme  er  sich  für  ersteren  eine  Pfeifenspitze  von  Bernstein,  einen 
Tarbusch  oder  ein  hübsches  Messer,  für  letztern  ein  Taschenfernrohr, 
einen  Revolver,  Spielzeug  für  Kinder  oder  Zierrathen  für  Frauen  mit. 
Wer  viel  unter  dem  Volke  im  Innern  zu  leben  gedenkt,  mag  sich 
überdies  in  Wien,  wo  dergleichen  billig  ist,  mit  einigen  Dutzenden 
von  recht  grellfarbigen  von  Messing-  oder  Stahlzierrathen  blinkenden 
Armbändern  und  billigen  Taschenspiegeln  versehen.  Er  kann  sich  na- 
mentlich in  Syrien  und  Palästina  manchen  Freund  damit  machen.  Den 
Consuln  im  Innern  wird  man  in  den  meisten  Fällen  schon  durch  sein 
Erscheinen  Freude  bereiten,  die  durch  das  letzte  Quartal  einer  oder 
der  andern  deutschen  Zeitschrift  oder  durch  ein  neues  epochemachendes 
Buch  erhöht  werden  kann. 


Allgemeines   für  Orient-Reisende. 


Ueber  die  Spra;  hen  des  Orients  wird  später  das  Nothwendigste 
bemerkt  werden.  Die  verbreitetsten  sind  das  Arabische,  das  Türkische 
und  das  Neugriechische.  Wer  sie  alle  versteht,  wird  natürlich  am  Bil- 
ligsten, Sichersten  und  Bequemsten  reisen  und  den  reichsten  Gewinn 
an  Erfahrung,  das  beste  Bild  des  Volkslebens  mit  heimbringen.  Von 
dem  gewöhnlichen  Reisenden  ist  eine  solche  Kenntniss  nicht  zu  er- 
warten. Dieser  wird  sich  mit  dem  Italieilisflien  bekannt  machen 
müssen,  der  Sprache,  welche  von  den  Sprachen  des  Abendlandes  in  der 
Levante  am  ausgebreitetsten  ist.  Wer  nicht  Italienisch  kann,  wird  sich 
in  den  Küstenstädten  mit  Französisch  und  Englisch  durchhelfen  kön- 
nen; für  alle  Ausflüge  in  das  Innere  muss  ein  Dragoman  genommen 
werden,  über  dessen  Wahl  und  dessen  Leistungen  weiter  unten  alles 
Erforderliche  zu  sagen  sein  wird. 

Das  kostbarste  Gut,  welches  der  Reisende  auf  seiner  Tour  mit 
sich  führt,  ist  seine  Gesundheit.  Es  ist  zugleich  dasjenige,  welches 
von  allen  am  meisten  bedroht  ist,  und  so  nehmen  Regeln  zum  Schutze 
desselben  .unter  allen  Rathschlägen,  die  hier  zu  ertheilen  sind,  die 
oberste  Stelle  ein.  Was  auch  der  Plan  des  Reisenden  ist,  wohin  immer 
er  seine  Schritte  lenken  möge  im  Morgenlande,  stets  sollte  er  die 
Nothwendigkeit  iin  Auge  behalten,  sich  vor  allen  irgend  bekannten 
Ursachen  von  Krankheiten  der  Länder  zu  hüten,  wo  ärztliche  Hilfe  in 
der  Regel  schwer  und  fast  nie  zu  rechter  Zeit  zu  erlangen  ist.  Zu 
diesem  Zwecke  merke  und  beachte  man  folgende  Grundregeln : 

1.  Dass  wir  in  heissen  Klimaten  nicht  in  der  Weise  essen  und 
trinken  und  nicht  in  dem  Grade  Strapatzen  ertragen  können,  wie  in 
der  nördlichen  Heimath. 

2.  Dass  die  Gemüthsruhe  in  diesen  Ländern  directen  Einfluss 
auf  die  Kraft  und  Gesundheit  der  in  ihnen  lebenden  Fremden  ausübt, 
und  dass  die  Geisteskräfte  und  die  Verdauungsfunktionen  in  dem 
Maasse  dieses  Einflusses  in  Wechselwirkung  zu  einander  stehen. 

3.  Dass  man  in  Betreff  der  Diät,  der  Bewegung  und  der  für 
Mahlzeit,  Ruhe  und  Geschäfte  festgesetzten  Stunden  des  Tages  sich 
nach  Möglichkeit  an  das  halten  muss,  was  unter  den  Eingebornen  der 
Länder,  welche  man  besucht,  als  Regel  gilt. 

4.  Dass  in  allen  heissen  Ländern  der  Körper  zu  seiner  Erhaltung 
weniger  Speise  und  namentlich  weniger  animalische  Nahrung  bedarf, 
als  in  der  kalten  Zone. 

5.  Dass  der  Reisende,  welcher  Wein  oder  Bier  massig  geniesst, 
wohl  thut,  dass  er  aber  noch  besser  thut,  sich  des  Genusses  von  bei- 
den ganz  zu  enthalten,  wenn  er  nicht  sicher  ist,  sich  massigen  zu  können. 

6.  Dass,  was  in  kalten  Ländern  im  Bereiche  der  Massigkeit  ist, 
.  in  heissen  oft  schon  masslose  Ausschweifung  genannt  werden  muss . 

7.  Dass  in  Betreff  der  Diät  für  solche  Länder  keine  allgemei- 
nen und  unabänderlichen  Regeln  gelten,  sondern  jeder  nach  seiner 
Körperbeschaffenheit  gemessen  oder  enthaltsam  sein  muss. 

8.  Dass  manche  Dinge,  die  in  dem  einen  Landstriche  gesund 
sind,  in  dem  andern  als  schädlich  vermieden  werden  müssen. 


8  Allgemeines  für  Orient-Beisende. 

9.  Dass  Reinlichkeit,  Heiterkeit,  regelmässiges  Leben  und  Ver- 
meidung zu  grosser  und  langdauernder  Erhitzung  und  Durchnässuug, 
vor  Allem  aber  eine  solche  Eintheilung  der  Reise,  dass  man  nicht  zu 
lange  der  Nachtluft  ausgesetzt  ist,  die  Hauptmittel  sind,  durch  die 
man  sich  in  heissen  Ländern  vor  Krankheit  schützt. 

10.  Dass  Aengstlichkeit,  zu  heftige  Anstrengung  und  Völlerei 
die  gewöhnlichsten  Thüren  sind,  durch  welche  der  Körper  dem  Ein- 
flüsse endemischer  und  contagiöser  Krankheiten  geöffnet  wird. 

11.  Dass  in  tropischen  Klimaten  zu  üppig  wuchernde  Vegetation 
ein  der  Gesundheit  nachtheiliges  Miasma  erzeugt  (dies  gilt  vor  Allem 
von  der  nordöstlichen  Küste  Kleinasiens,  wo  die  Riesenwälder  von 
Trapezunt  und  ganz  Kolchis  im  Sommer  die  giftigste  Fieberluft  aus- 
hauchen); weshalb  als  Regel  bei  der  Wahl  eines  Aufenthalts  für  län- 
gere Zeit  zu  gelten  hat,  dass  der  Boden  und  die  sonstigen  Naturein- 
flüsse, welche  dem  Gedeihen  von  vegetabilischem  Leben  günstig  sind, 
entgegengesetzte  Wirkung  auf  das  animalische  haben. 

12.  Dass  Trübsinn  und  Unruhe,  häufiges  Nehmen  von  Arzneien 
bei  leichten  Anfällen  von  Unwohlsein  und  andrerseits  Vernachlässi- 
gung rascher  Vorsichtsmassregeln  und  wirksamer  Gegenmittel  bei 
eintretendem  schweren  Unwohlsein  Fremden  in  diesen  Ländern  gleich 
verderblich  sind. 

Aus  diesen  zvt  ölf  Hauptsätzen  der  Diätetik  für  Reisende 
im  Morgenlande  leiten  sich  dann  folgende  bestimmtere  Regeln  für 
die  Art,  wie  man  sich  einzurichten  hat,  ab :  Wenn  es  irgend  zu  ermög- 
lichen ist,  so  stehe  man  des  Morgens  um  5  Uhr  auf  und  begebe  sich 
des  Abends  vor  10  Uhr  zu  Bett.  Man  frühstücke,  wo  man  die  Wahl 
hat,  um  8,  esse  zu  Mittag  nm  3  und  halte  seine  Abendmahlzeit  um 
8  Uhr.  Auf  der  Reise  halte  man  bei  heissem  Wetter  von  11  Uhr 
Morgens  bis  3  Uhr  Nachmittags  Rast.  Man  hüte  sich  vor  starker  Be- 
wegung oder  Anstrengung  unmittelbar  nach  dem  Essen,  und  man  ruhe 
stets  vor  der  Mahlzeit  eine  halbe  Stunde  aus,  wenn  man  stark  gegan- 
gen oder  geritten  ist.  Man  trinke  lieber  Wein  als  Rum,  Cognac  oder 
andere  Spirituosen  und  überhaupt  kein  geistiges  Getränk  vor  dem 
Mittagsessen.  Man  hüte  sich  vor  sauren  oder  herben  Weinen  bei  Ti- 
sche. Sie  sind  schädlich,  auch  wenn  sie  mit  Wasser  gemischt  sind.  Wo 
Wein  nöthig  ist,  thun  ein  oder  zwei  Glas  von  gutem  Xeres  oder  Ma- 
deira die  besten  Dienste.  Man  nehme  sich  vor  dem  häufigen  und  reich- 
lichen Genüsse  der  süssen  kühlenden  Getränke  des  Orients,  der  Limo- 
nade, der  verschiedenen  Scherbet-Arten  u.  s.  w.  in  Acht.  Man  esse  die 
einfachste  Nahrung,  vermeide  es,  zu  viele  Gerichte  zu  geniessen,  lasse 
alle  Zuckerbäckerwaaren  unberührt  oder  koste  nur  davon,  und  hüte 
sich,  wenigstens  so  lange  man  noch  Neuling  im  Lande  ist,  vor  allen 
Früchten,  an  die  man  nicht  gewöhnt  ist,  besonders  vor  frischen  Dat- 
teln, Melonen,  Aprikosen  und  allem  säuerlichen  Obst. 

Man  nehme  gelegentlich  ein  warmes  oder  Dampfbad,  hüte  sich 
aber,  in  Afrika  wenigstens,  ohne  Erlaubniss  des  Arztes  kalte  Bäder 
zu  nehmen,  nicht  weil  dieselben   unter  Umständen  nicht  heilsam  sein 


Allgemeines  für    Orient-Reisende.  9 

könnten,  sondern  weil  sie  Vorsichtsraassregeln  erfordern,  welche  ein 
Fremder  nicht  kennt.  Allen  und  Jeden,  ausgenommen  allein  die,  welche 
stark  und  kräftig,  akklimatisirt  und  vollkommen  frei  von  allen  Unter- 
leibsbeschwerden sind,  müssen  solche  Bäder  schädlich  sein.  Es  sind 
mehr  Fälle  von  verhängnissvolleu  Folgen  kalter  Bäder  in  heissen  Län- 
dern aufzuzählen,  als  die  Hydropathen  glauben  mögen. 

Andere  Gesundheitsregeln  für  Reisende  im  Orient  sind  nach- 
stehende : 

Man  trage  in  allen  Jahreszeiten  und  bei  allem  Wetter  ein 
Flanellhemd  auf  der  blossen  Haut;  es  wird  dem  daran  nicht  Gewöhn- 
ten zu  Anfang  sehr  unbehaglich  sein,  aber  vor  Erkältung  besser  als 
alles  Andere  schützen.  Mau  suche  sich,  während  man  schwitzt  oder 
dem  Winde  ausgesetzt  ist,  niemals  dadurch  Kühlung  zu  verschaffen, 
dass  man  irgend  welchen  Theil  der  Kleidung  ablegt.  Man  nehme  sich 
in  Acht,  des  Nachts  in  freier  Luft  zu  sitzen,  wenn  der  Thau  fällt. 
Man  schlafe,  wo  dies  zu  vermeiden,  nie  in  Zimmern,  deren  Fenster 
offen  stellen  Man  gebe  (wenigstens  in  den  Sommermonaten)  jeden  Ge- 
danken an  die  Freuden  der  Jagd  in  diesen  Ländern  auf,  da  Durchnäs- 
sung und  Sonnenbrand  in  den  Gebüschen  und  Marschgründeii,  in 
denen  das  Wild  haust,  schon  Vielen  den  Tod  gebracht  haben.  Man 
reise  nur  im  Nothfall  in  der  Zwischenzeit  zwischen  Sonnenuntergang 
und  Aufgang.  Man  setze  sich,  wenn  dies  nicht  durch  die  Verhältnisse 
geboten  ist,  nie  in  nassen  Kleidern  nieder.  Man  nehme  seine  Wohnung 
niemals  auf  längere  Zeit  in  einem  Hause,  das  in  der  Nähe  eines  Ufers, 
auf  dem  Ebbe  und  Flutli  wechseln,  oder  hart  bei  morastigen  Stellen 
liegt.  Man  beschäftige  den  Geist  während  der  Mahlzeiten  nicht  mit 
ernsten  Gedanken.  Man  widme  nur  ausnahmsweise  die  zum  Schlafen 
bestimmte  Zeit  dem  Studium  oder  dem  Umgang  mit  Freunden.  Man 
mache,  wenn  man  sich  an  einem  Orte  länger  aufhält,  täglich  entweder 
zu  Fuss  oder  zu  Pferde  Bewegung  und  wähle  dazu  die  Stunden  von  5 
bis  7  Uhr  Morgens  oder  von  6  bis  8  Uhr  Abends.  Man  hüte  sich,  im 
Zuge  sitzen  oder  stehen  zu  bleiben.  Man  quäle  sich  nicht  mit  Ge- 
danken an  kommende  Uebel,  berechne  nicht,  welche  Schwierigkeiten 
sich  möglicherweise  auf  dem  Wege  einstellen  können,  sondern  halte 
sich  einfach  an  das  Wahrscheinliche,  folge  der  Bahn,  die  man  gewählt, 
mit  frischem  Muthe  und  lasse  das  Gespenst  der  atra  cura  denen  sich 
anf  den  Sattel  setzen,  welche  es  nicht  zu  bannen  im  Stande  sind.  Man 
blicke  der  Gefahr,  wo  sie  nicht  zu  umgehen  ist,  ruhig  ins  Auge  und 
sei  in  Krankheiten  entschlossen,  sich  von  ihnen  nicht  unterwerfen  zu 
lassen,  sondern  sie  zu  besiegen. 

Letzteres  gilt  namentlich  von  der  Seekrankheit,  der  wenige 
entgehen,  welche  auf  dem  Mittelmeere  oder  auf  dem  Pontus  zu  fahren 
genöthigt  sind.  Sie  ist  nichts  weniger  als  gefährlich,  niemals  tödtlich, 
aber  vielleicht  die  unangenehmste  und  am  meisten  zu  Verzweiflung 
und  Lebensüberdruss  stimmende  unter  allen  leichtern  Krankheiten.  Das 
beste  Mittel  gegen  sie  ist,  dass  man  so  lange  als  möglich  an  der  freien 
Luft  bleibt  und  der  Krankheit,  wenn   sie  sich  trotzdem  einstellt  und 


10  Allgemeines  für   Orient-Reisende. 

uns  einreden  will,  sie  sei  ein  ernstliches  Uebel,  keinen  Glauben 
beimisst. 

Ernster  hat  man  es  mit  den  Fiebern,  namentlich  den  "Wechsel- 
fiebern zu  nehmen,  und  mit  der  bösen  Fee  Malaria,  deren  Kinder  sie 
sind.  Dieses  feine  Gift  ist  nicht  blos  über  die  Urwälder  der  westlichen 
Tropenwelt,  sondern  sehr  stark  auch  über  verschiedene  Striche  des 
Orients  und  zwar  gerade  über  die  schönsten  Landschaften  ausgegossen. 
Es  zerstört  die  menschliche  Gesundheit  und  raubt  das  Leben  vielleicht 
mehr  als  irgend  eine  andere  schädliche  Substanz.  Bekannt  nur  durch 
seine  schädlichen  Wirkungen,  ist  dieser  unsichtbare,  heimtückische 
Feind  unsres  Geschlechts  von  der  Heilwissenschaft  bis  in  seine  Schlupf- 
winkel verfolgt  und  wenigstens  nach  einigen  seiner  Gewohnheiten 
beobachtet  worden.  Man  weiss,  dass  er  vorzüglich  in  sumpfigen  Nie- 
derungen und  in  Waldthälern  und  deren  Nachbarschaft  wohnt,  wo 
grosse  Massen  vegetabilischen  Stoffes  faulen.  Man  weiss  ferner,  dass 
die  Malaria  des  Nachts  gefährlicher  als  am  Tage  und  besoi^ders  ge- 
fährlich im  Herbste  ist,  und  dass  zu  grosse  Anstrengung,  Nachtwachen 
und  jeder  schwächende  Genuss  Dinge  sind,  welche  den  Körper  ihrem 
Einfluss  zugänglicher  machen.  Bekanntlich  ist  Chinin  das  beste  Heil- 
mittel gegen  das  Fieber,  welches  sie  bringt ,  und  so  sollte  kein  Rei- 
sender, der  den  Orient  besucht,  ohne  ein  Fläschchen  mit  Chininpillen 
und  ohne  Anweisung  von  seinem  Arzte,  wie  sie  zu  gebrauchen,  sich 
auf  den  Weg  begeben. 

In  Griechenland  sind  der  August  und  die  erste  Hälfte  des 
September  die  ungesundesten  Zeiten  des  Jahres,  dann  herrschen  fast 
überall,  und  namentlich  in  den  sumpfigen  Gegenden,  sowie  in  der 
Nähe  von  Seen  allerlei  Fieber,  denen  viele  Eingeborene  und  Fremde 
zum  Opfer  fallen.  Muss  man  sich  in  dieser  Jahreszeit  dort  auflialten, 
so  nehme  man  sich  in  Acht,  nicht  in  freier  Luft  oder  bei  offnen  Fen- 
stern zu  schlafen,  sich  um  die  Mittagszeit  nicht  den  Strahlen  der  Sonne 
auszusetzen,  sich  im  Essen  und  Trinken  nicht  zu  übernehmen,  keine 
rohen  Pflanzenspeisen,  keine  Gurken,  Melonen.  Salate  und  kein  Obst 
zu  geniessen.  Die  Fülle  von  Obst,  welche  das  Land  hervorbringt,  ist 
eine  grosse  Versuchung  für  Fremde,  aber  nichts  ist  gefährlicher,  als 
dieser  Versuchung  nachzugeben.  Die  Hauptursachen  der  grossen  Sterb- 
lichkeit unter  den  bayerischen  Truppen,  die  mit  König  Otto  nach 
Griechenland  kamen,  war  die  Gier,  mit  welcher  dieselben  von  dem 
Obste  des  Landes  assen  und  sich  dem  Genüsse  des  Weines  überliessen. 

Aegypten  hat  sehr  wenige  Krankheiten,  ja  es  wird  bekanntlich 
die  Gegend  von  Kairo  für  Brustkranke  als  Aufenthaltsort  empfohlen. 
Fieber  sind  äusserst  selten,  ausgenommen  in  der  Nachbarschaft  von 
Alexandrien,  Damiette  und  einigen  anderen  Orten  am  Ausfluss  des  Nil. 
Als  die  einzigen  Krankheiten,  welchen  Fremde  im  Innern  ausgesetzt 
sind,  können  Diarrhöen,  Dysenterie  und  Ophthalmie  genannt  werden. 
Hinsichtlich  der  beiden  erstgenannten  verschaff'e  man  sich  Verhaltungs- 
regeln bei  einem  der  europäischen  Aerzte,  die  sich  in  Alexandrien  und 
Kairo    niedergelassen  haben  und    unter    denen   sich   mehre   Deutsche 


Allgemeines   für  Orient-Reisende.  li 

befinden.  In  Betreff  der  Ophthalmie  (Augenentzündung)  kann  man  sich 
in  den  meisten  Fällen  selbst  helfen.  Stellt  sich  eine  leichte  Entzündung 
ein,  so  bade  man  das  Auge  mit  Rosenwasser  oder  Weingeist;  im  letz- 
teren Falle  natürlich  so,  dass  das  Auge  festgeschlossen  und  nur  das 
Lid  benetzt  wird.  Oft  thut  schon  warmes  Wasser  oder  der  Dampf  von 
kochendem  dieselben  Dienste.  Endlich  wird  auch  ein  fleissiges  Waschen 
mit  einem  lauen  Absud  von  Mohnköpfen  empfohlen. 

Die  Ursache  der  Ophthalmie  ist  häufig  in  dem  feinen  Sand 
der  Wüste  gesucht  worden.  Das  ist  ein  Irrthum.  Augenentzündungen 
sind  in  der  Wüste  unbekannt,  sie  raüssten  denn  aus  d£m  Nilthale  dort- 
hin gebracht  worden  sein,  und  sie  hören  schon  nach  zwei  bis  drei 
Tagen  auf,  wenn  der  Kranke  nach  diesen  trocknen  Strichen  kommt. 
Wir  behaupten  damit  nicht,  dass  in  die  Augen  gewehter  Sand  oder  ein 
sehr  starkes  Sonnenlicht,  zurückprallend  von  dem  dürren  kahlen  Erd- 
boden, dem  Auge  nicht  schaden  könnte;  Staub  und  Sonnenschein  auf 
Schneeflächen  bringen  ja  dieselbe  Wirkung  in  andern  Gegenden  hervor ; 
allein  in  Aegyptcn  ist  die  eigentliche  Ursache  der  Augenkrankheiten 
anderwärts  zu  suchen.  Sie  liegt  in  dem  Wechsel  zwischen  ausserordent- 
licher Trockenheit  und  Feuchtigkeit,  der  hier  stattfindet.  Aegypten  hat 
vielleicht  das  trockenste  Klima  von  der  Welt,  aber  der  Unterschied 
zwischen  der  fast  stets  trockenen  Atmosphäre  und  den  feuchten  Aus- 
dünstungen des  Flusses,  sowie  der  engen  und  der  Kühlung  halber  stets 
besprengten  Strassen  Kairo's  und  andrer  Städte  ist  so  gross,  dass  das 
Auge  leicht  davon  angegriffen  wird,  vorzüglich  wenn  es  in  dem  em- 
pfänglichen Zustande  ist,  in  welchen  es  durch  die  fühlbare  und  unfühl- 
bare Transpiration  versetzt  wird,  welcher  die  Haut  unterworfen  ist.  So 
kommt  es,  dass  während  der  Ueberschwemmungen  des  Nil,  wo  jene 
Ausdünstungen  am  stärksten  sind,  die  Ophthalmie  am  häufigsten  beob- 
achtet wird.  Die  Thatsache,  dass  die  Krankheit  sich  sofort  vermindert 
und  nach  wenigen  Tagen  ganz  aufhört,  wenn  der  Leidende  in  die  Wüste 
geht,  bestätigt  diese  Meinung.  Sehr  rathsam  ist  es,  sich  vor  feuchtem 
Luftzuge  in  Acht  zu  nehmen,  und  wenn  man  genöthigt  ist,  des  Nachts 
aus  einem  warmen  Gemache  oder  der  Kajüte  eines  Nilbootes  zu  gehen, 
sich  Stirn  und  Augen,  nachdem  man  sich  vorher  den  Schweiss  abge- 
trocknet, mit  etwas  kaltem  Wasser  zu  waschen,  wodurch  die  Transpi- 
ration beim  Hinaustreten  vor  plötzlicher  Unterbrechung  bewahrt  und 
das  Auge  auf  den  Temperaturwechsel  vorbereitet  wird. 

Ueber  die  Pest  ausführlich  zu  sprechen,  ist  unnöthig.  Jeder- 
mann wird  sich  hüten,  nach  Aegypten  oder  Syrien  zu  gehen,  wenn  sie 
dort  wüthet.  Jedermann  wird  sich  sofort  aus  dem  Lande  entfernen, 
wenn  sich  Fälle  der  Krankheit  zeigen.  Kann  er  letzteres  nicht  ermög- 
lichen, so  begebe  er  sich  nach  Oberägypten  oder  halte  gleich  den  andern 
Europäern  im  Lande  Quarantäne.  In  Alexandrien  kommen  Pestfälle 
selten  in  der  Zeit  zwischen  September  und  Anfang  Februar  vor  und 
das  nur  in  manchen  Jahren.  In  Kairo  ist  man  von  Ende  Juni  bis  Ende 
März  ganz  sicher.  Im  grossen  Maassstabe  tritt  die  Pest  nur  alle  zehn 
bis  zwölf  Jahre  auf.  Man  fürchtet  sie  übrigens  bei  Weitem  nicht  mehr 


12  Allgemeines  für  Orient- Reisende. 

so  wie  früher,  da  der  Gesundheitsrath  stets  passende  Massregeln  trifft 
und  die  Behandlung  der  Krauken  grosse  Portschritte  gemacht  hat. 
Das  erste  Mittel  für  den,  der  die  Vorboten  herannahen  fühlt,  sollte 
ein  Brechmittel  sein,  welches,  wenn  es  zu  rechter  Zeit  genommen  wird, 
dem  Uebel  oft  Halt  gebietet;  ein  Aderlass  ist  nicht  zu  empfehlen. 

Das  QuarantänehaltiMi  war  bis  vor  wenigen  Jahren  ein  sehr 
dunkler  Punkt  inmitten  des  Kranzes  von  Genüssen,  welche  eine  Reise 
im  Orient  bot.  Mit  Grauen  erinnerte  sich  der  Tourist  des  Fegfeuer- 
lebens, welches  er  in  den  Lazarethen  der  verschiedenen  Küstenstädte 
durchzumachen  hatte,  ehe  man  ihn  für  hinreichend  gereinigt  hielt,  um 
in  das  Paradies  des  civilisirten  Lebens  Einlass  zu  finden.  Oft  musste 
ein  solcher  Unglücklicher  volle  vierzig  Tage  (woher  das  Wort  Qua- 
rantäne kommt)  in  diesen  Orten  sich  langweilen  und  für  schlechte 
Herberge  bezahlen,  als  ob  er  im  ersten  Gasthofe  gewohnt.  Selten  Hess 
man  ihn  vor  10  Tagen  aus  seiner  Haft,  gleichviel,  ob  das  Schiff,  mit 
dem  er  gekommen,  einen  reinen  Gesundheitspass  oder  nicht  besass, 
d.  h.  gleichviel,  ob  es  von  einem  Orte  kam,  wo  keine  Pest  oder  andere 
ansteckende  Krankheit  herrschte,  oder  von  einem  solchen,  wo  dies  der 
Fall  war.  Dies  ist  jetzt  beträchtlich  besser  geworden.  Vernünftigere 
Ansichten  von  der  Natur  der  Ansteckung  haben  Platz  gegriffen,  und 
der  Reisende  ist  jetzt  nicht  dem  zehnten  Theile  der  Plackereien  aus- 
gesetzt, welche  ihn  früher  trafen.  Fast  in  jedem  Hafen  der  Levante  ist 
die  Quarantäne  auf  eine  Beobachtung  beschränkt  worden,  welche  24 
Stunden  dauert,  und  in  den  meisten  Fällen  ist  sie  factisch  ganz  abge- 
schafft, da  man  Dampfschiffen  und  Kriegsfahrzeugen  die  Zahl  der  Tage 
anrechnet,  welche  sie  auf  der  Fahrt  sind,  sobald  der  Capitän  versichert, 
dass  er  auf  der  See  mit  keinem  Schiffe  Verkehr  gepflogen  hat. 

Die  Regeln  der  Quarantäne  sind  indess  steten  Abänderungen 
unterworfen,  da  sie  sich  in  der  Hauptsache  nach  dem  Stande  der  Ge- 
sundheit in  der  Türkei  oder  überhaupt  dem  Lande  richten,  welches 
das  Fahrzeug  zuletzt  berührt  hat.  Wenn  die  Pest,  die  Blattern  oder 
die  Cholera  in  der  Türkei,  Griechenland  oder  sonstwo  ausbrechen,  so 
wird  in  den  Häfen  des  Mittelmeeres  die  Quarantäne  verlängert,  und 
wenn  der  Reisende  das  Unglück  haben  sollte,  mit  einem  Schiffe  zu 
segeln,  das  einen  unreinen  Gesundheitspass  hat,  so  muss  er  sich  auf 
einen  längern  Aufenthalt  im  Lazareth  der  Stadt  gefasst  machen,  wo 
er  an  das  Land  steigt.  Für  solche  wird  es  gut  sein,  sich  zu  erinnern, 
dass  die  besten  Lazarethe  der  Levante  sich  in  Syra,  Korfu,  im  Piräus 
und  in  Malta  befinden. 

In  allen  diesen  Anstalten  wird  man  unter  Aufsicht  eines  Guar- 
diano  (Wächters)  gestellt,  welcher  darauf  zu  sehen  hat,  dass  man  nicht 
mit  seinen  Mitgefangnen  verkehrt.  Versieht  man  es  in  dieser  Beziehung 
und  berührt  man  einen  Reisenden,  der  später  in  das  Lazareth  gekommen 
ist,  so  muss  man  so  lange  eingesperrt  bleiben,  bis  letzterer  Pratica 
bekommt,  d.  h.  bis  derselbe  für  rein  gilt.  Ueberall  werden  Trinkgelder 
und  andere  Geldzahlungen  verlangt,  ehe  man  die  Erlaubniss  zum  Her- 
ausgehen  erhält.    Verletzungen  der   Quarantänegesetze   wurden  früher 


Allgemeines  fttr  Orient-Reisende.  13 

als  todeswürdige  Verbrechen  bestraft  und  sie    werden  noch  jetzt  mit 
grosser  Strenge  geahndet. 

Da  die  Quarantäne  gewisse  Bezeichnungen  hat,  welche  dem  Un- 
eingeweihten nicht  bekannt  sind,  so  mag  noch  bemerkt  werden,  dass 
Personen  und  Gegenstände,  die  ihr  unterworfen  sind,  coutumaci  und 
sporclii  genannt  werden,  bis  sie  pratica,  das  heisst  die  Erlaubniss 
zum  Herausg-ehen  und  zum  Verkehr  mit  Andern  nach  Belieben  bekom- 
men. Früher,  wo  lange  Quarantäne  gehalten  wurde,  konnte  die  Zeit 
der  Haft  dadurch  abgekürzt  werden,  dass  der  Eingesperrte  sich  dem 
spoglio  unterwarf,  d.  h.  ein  Bad  nahm  und  seine  Kleidung  wie  sein 
Gepäck  im  Lazareth  liess ,  indem  er  sich  aus  der  Stadt  Kleider  ver- 
schaffte, die  entweder  gekauft  oder  geliehen  wurden.  Auf  diese  Weise 
liess  sich  eine  Quarantäne  von  vierzehn  Tagen  auf  sieben  verkürzen. 
Vierzehn  Tage  nach  der  Ankunft  im  Lazareth  erhielt  man  seine  in- 
zwischen vom  Guardiano  durchräucherten  Effecten  zurück. 

1.   Tour  von  Wien  über  Triest  und  Venedig  an  Bord 
des  Lloyd-Dampfers. 

Für  Deutsche  (und  selbst  für  Engländer)  ist  die  billigste, 
sohuellste  und  bequemste  Fahrgelegenheit  nach  den  meisten 
Küstenorten  des  Orients  die  über  Triest  führende.  Der  Nordwestdeutsche 
fährt  von  Hannover  oder  Kassel  oder  Köln ,  der  Norddeutsche  von 
Hamburg,  Berlin  oder  Königsberg  nach  Dresden  und  Wien.  Der  Süd- 
westdeutsche begibt  sich  während  des  Frühlings,  Sommers  und  Herb- 
stes auf  der  Donau  nach  der  Hauptstadt  Oesterreichs ,  wobei  er  die 
schönsten  Partien  des  Flusses  berührt.  Von  Wien  fährt  man  mit  dem 
Eilzuge  der  Südbahn  bis  Triest,  wobei  man  die  riesenhaften  Brücken 
und  Tunnels  des  Semmering,  die  romantischen  Alpenthäler  Steiermarks 
und  hinter  Laibach  die  öden  Steinwüsten  des  Karst  passirt,  dessen 
interessanteste  Punkte  man  von  der  Station  Adelsberg  aus  besuchen  mag. 

Zwischen  Wien  und  Triest  verkehren  täglich  ein  Eilzug,  der  den 
78  Meilen  langen  Weg  in  16,  und  zwei  Personenzüge,  die  ihn  in  23 
Stunden  zurücklegen.  Die  Preise  der  verschiedenen  Wagenklassen  findet 
man  in  jedem  der  zahlreichen  Verzeichnisse  von  Eisenbahnen  u.  s.  w. 
angegeben,  nur  ist  zu  bemerken,  dass  dort  die  Preise  in  Silber  zu  ver- 
stehen sind,  während  die  Gesellschaft  der  Südbahn  dieselben  in  öster- 
reichischem Papiergelde  zahlen  lässt  mit  einem  Agiozuschlage,  der 
halbmonatlich  wechselt  und  so  in  allen  Bahnstationen  angezeigt  ist. 

In  der  Nähe  von  Nabresina  verlässt  die  Bahn  das  dürre,  wild- 
romantische Karst-Plateau,  dessen  traurige  Einöde  nur  selten  von  einigen 
Steineichen  und  kümmerlichen  Weingärten  unterbrochen  ist,  und  wendet 
sich  scharf  nach  Südost,  um  längs  des  Karst- Abhanges  in  starker  Nei- 
gung dem  Seekessel  zuzulaufen.  Da  plötzlich  erscheint  in  der  Tiefe, 
amphitheatralisch  an  den  Abhang  gelehnt,  umgeben  von  Weinbergen 
und  Olivenpflanzungen,  aus  denen  zahllose,  in  italienischem  Styl  erbaute 
Landhäuser  hervorblicken,  Triest,  die  Porta  Orientalis,  die  Haupt- 


14  Allgemeines  für  Orient-Reisende. 

handelsstadt  des  adriatischen  Meeres  und  ganz  Oesterreichs.  Rückwärts 
erheben  sich  über  einer  flachen  Küste  in  der  Ferne  in  scharfen  Um- 
rissen weiss  und  röthlichgrau  die  Felshäupter  der  karnischen  Alpen ; 
gerade  vorwärts  ziehen  sich,  von  Buchten  gespalten  und  spitze  Land- 
zungen in  das  Meer  hinausstreckend,  die  Berge  Istriens  hin.  Unten 
streckt  sich,  mehrere  Hügel  bedeckend,  die  weisse  Stadt  mit  ihrem 
Castell  hin.  Im  Hafen  liegen  zahlreiche  Dampfer  und  Segelschiffe  von 
allen  Grössen,  während  rechts  bis  an  den  Horizont  die  blaue  Adria 
sich  ausbreitet. 

Schon  dieser  eine  Eindruck  ist  es  werth,  dass  der  Reisende  die 
Tour  nach  der  Levante  über  Triest  und  nicht  über  Pest,  Belgrad  und 
Galacz  macht.  Wird  die  Reise  im  Spätherbst  unternommen  (und  dies 
ist  schon  deshalb  zu  empfehlen,  weil  man  auf  diese  Weise  den  Schnee- 
stürmen und  der  Kälte  des  Nordens  entgeht),  so  ist  an  eine  Benutzung 
der  Donaudampfschiffahrt  ohnedies  nicht  zu  denken.  Aber  auch  im 
Sommer  sollte  diese  Route  vorgezogen  werden,  da  man  vielleicht  an 
keiner  Stelle  den  Unterschied  zwischen  uns.erm  Norden  und  dem  Süden 
so  plötzlich  und  so  eindringlich  gewahr  wird,  als  hier  zwischen  der 
starren  grauen  Welt  des  Karst  und  den  selbst  im  Winter  des  Laub- 
grüns nicht  ganz  entbehrenden  Gestaden  der  Bucht  von  Triest. 

Der  bemittelte  Reisende  begebe  sich  vom  Bahnhofe  in  das  Hotel 
de  la  Ville.  Dasselbe  ist  ein  palastartig  eingerichtetes  Gasthaus  auf 
der  Riva  Carciotti,  es  hat  im  dritten  und  vierten  Stockwerke  eine 
herrliche  Aussicht  auf  den  Hafen.  Die  Einrichtung  ist  sehr  elegant. 
Badeanstalt  mit  Süss-  und  Meerwasser.  Gespeist  wird  nach  der  Karte, 
und  man  kann  Diners  von  2  bis  24  Gulden  haben.  Ein  einfaches  Zimmer 
mit  Bett  kostet  1 '4  FL.  eins  mit  2  Betten  2  Fl.,  grössere  Apparte- 
ments mit  eleganterer  Einrichtung  mehr.  Lohnbediente  bekommen  für 
den  Tag  2  Fl.  Andere  empfehlenswerthe  Gasthäuser  sind :  Aquila  nera 
am  Corso,  der  Hauptstrasse  Triests.  Zimmer  sind  für  den  Preis  von  1 
bis  3  Fl.  zu  haben.  Hotel  Daniel  in  der  Via  S.  Nicolö  in  nächster 
Nähe  der  Börse.  Zimmer  von  80  Nkr.  aufwärts.  Gespeist  wird  ä  la 
carte.  Ferner  das  Hotel  de  France  im  dritten  Stocke  des  Strattischen 
Hauses  zwischen  dem  Tergesteum  und  dem  grossen  Platze.  Ein  Zimmer 
mit  Bett  von  1  bis  1 '/^  FL,  ein  Zimmer  mit  2  Betten  von  l'/,  bis 
2  Fl.  Endlich  die  Locanda  grande  (Grand  Hotel),  ein  geräumiges,  in 
neuester  Zeit  erweitertes  und  elegant  eingerichtetes  Gasthaus  am  Fisch- 
platz (Pescheria),  wo  ein  Zimmer  mit  Bett  1  FL,  eins  mit  2  Betten  2  FL 
50  Kr.  kostet,  und  das  in  der  Nähe  des  Bahnhofes  neu  errichtete  Hotel 
Europa  können  als  die  besten  in  Triest  bezeichnet  werden. 

Von  Kaffeehäusern  sind  zu  empfehlen:  Tommaso,  hart  am  Hafen, 
agli  Specchi,  Stella  Polare,  Europa  felice.  Die  hiesigen  Landweine  sind 
eines  Versuchs  werth,  namentlich  der  Istrianer  und  Costrener.  Refosco 
ist  ein  süsser,  ziemlich  feuriger,  Prosecco  ein  weisser  Schaumwein.  Von 
Fischen  sind  mancherlei  Arten  zu  haben ;  man  versuche  den  Thunfisch, 
Branzin  und  die  Sfoglia.  Austern  sind  billig,  aber  nicht  so  schmackhaft 
als  die  der  Nordsee. 


Allgemeines  für  Orient-Reisende.  15 

Wer  das  Leben  des  niedeni  Volks  zu  beobachten  wünscht,  der 
besuche  auf  eine  Stunde  eine  der  Osterien,  oder  begebe  sich  auf  den 
Fischmarkt,  wo  er  besonders  an  Freitagen  zugleich  eine  sehenswerthe 
Auswahl  der  Bewohner  des  adriatischen  Meeres  kennen  lernen  wird. 
Von  Buchliandlungen  mögen  die  Coen'sche  am  Corso,  die  Münster'sche 
und  die^  Schirapffsche  neben  der  Leopoldssäule,  nicht  weit  von  der 
Börse,  angeführt  werden.  In  allen  Kaifeehäusem  liegen  zahlreiche  Zei- 
tungen auf.  Eine  Fahrt  durch  die  Stadt  kostet  mit  einem  einspännigen 
Fiaker  30  Kr.,  mit  einem  zweispännigen  Fiaker  45  Kr.  für  die  Viertel- 
stunde. Die  Stunde  wird  mit  1  Fl.  40  Kr.  für  Zweispänner,  mit  1  Fl. 
für  Einspänner  bezahlt. 

Von  der  Plattform  des  Kastells,  zu  dessen  Besuch  es  einer  Er- 
laubnisskarte vom  Platzkommandanten  bedarf,  hat  man  eine  gute  Aus- 
sicht über  den  grössten  Theil  der  Stadt  und  den  Hafen.  Die  Kirchen 
Triests  sind  in  architektonischer  Hinsicht  ohne  Bedeutung.  Der  Dom, 
theils  im  Basiliken-,  theils  im  Rundbogenstyle  erbaut,  ist  ein  Werk 
des  4.  und  6.  Jahrhunderts  mit  manchen  Zusätzen  aus  der  neuem 
Zeit.  Früher  stand  ein  römischer  Tempel  an  der  Stelle,  von  welchem 
noch  Spuren  sichtbar  sind.  Vor  einem  Seitenaltare  rechts  liegen  Don 
Carlos,  der  spanische  Prätendent  und  seine  2  Söhne,  auf  dem  Fried- 
hofe neben  der  Kirche  der  1768  hier  in  der  Locanda  grande  ermor- 
dete Winkelmann  begraben.  Unter  den  öffentlichen  Gebäuden  verdient 
das  Teatro  grande,  die  Börse  und  das  daneben  befindliche  Tergesteum 
Erwähnung.  Letzteres  ist  ein  kolossales,  palastartiges  Gebäude,  in 
dessen  Parterresälen  jetzt  die  Börse  abgehalten  wird.  Die  Einrichtung 
ist  eben  so  elegant  als  praktisch.  Eine  Reihe  von  Zimmern  enthält  die 
wichtigsten  deutschen,  italienischen,  französischen,  englischen,  griechi- 
schen und  slavischen  Zeitungen.  Der  Fremde,  der  von  einem  Iklitgliede 
einem  der  Directoren  vorgestellt  wird,  darf  15  Tage  lang  unentgeltlich 
diese  Lesezimmer  benutzen.  Im  ersten  und  zweiten  Geschosse  sind  die 
Bureaux  des  Oesterreichischen  Lloyd,  welches  wichtige,  in  den  Welt- 
handel tief  eingreifende  Institut  1833  gegründet  wurde  und  aus  3 
Abtheilungen,  den  Assecuranzkammern,  der  DampfschiflFahrtsgesellschaft 
und  der  literar.-artistischen  Section  besteht.  Die  Dampfschiffahrts- 
gesellschaft gehört  zu  den  bedeutendsten  in  Europa,  im  Jahre  1868  hatte 
sie  65  Dampfschiffe  von  zusammen  14600  Pferdekraft  und  56220  Ton- 
nengehalt Diese  Schiffe  haben  im  Jahre  1868  1422  Reisen  gemacht  und 
dabei  990029  Meilen  zurückgelegt.  Die  Zahl  der  Reisenden  betrug 
294852,  die  Summen  der  Geldsendungen  108680790  Fl.  und  die  der 
Waaren  4308282  Zollcentner.  Das  Lloyd- Arsenal  in  der  Bucht  von  Ser- 
vola  ist  im  grossartigen  Style  angelegt  und  zerfällt  in  zwei  Abthei- 
lungen, deren  eine  ausschliesslich  dem  Schiffsbaue,  die  andere  dem 
Maschinenbaue  gewidmet  ist. 

Von  den  Sprachen  überwiegt  in  Triest  die  italienische,  doch 
wird  auch  das  Deutsche  verständlich  gesprochen  und  fast  überall  ver- 
standen. Sonst  hört  man  auch  viel  slavisch  und  griechisch,  französisch 
und  englisch  sprechen.  Das  Klima  gilt  für  ziemlich  gesund,  doch  tritt 


16  Allgemeines  für  Orient-Reisende. 

oft  ein  plötzlicher  und  sehr  empfindlicher  Temperaturwechsel  ein,  der 
durch  die  zuweilen  mit  grosser  Heftigkeit  wehende  Bora  (Nordostwind) 
bewirkt  wird. 

Den  interessantesten  Anblick  in  Triest  bietet  das  Menschenge- 
wühl auf  den  Strassen  und  die  Mannichfaltigkeit  von  Trachten,  die  sich 
in  denselben  bewegen  und  in  denen  sich  die  Nähe  des  Orients  schon 
sehr  deutlich  ankündigt.  Die  Bäuerinnen  der  Umgegend  mit  ihren 
schneeweissen  Kopfliüllen,  die  Bauern  mit  ihren  seltsam  gestalteten 
Pelzmützen,  den  weiten  Kniehosen  und  den  thalergrossen  Westen- 
knöpfen, die  Facchini  (Lastträger)  in  braunen  Kaputzeumänteln,  zahl- 
reiche Fez,  bisweilen  ein  Turban,  die  griechische  Fustanella,  die  eigen- 
thümlichen,  faltenreichen,  wulstigen  Pluderhosen  der  Dalmatiner,  k.  k. 
Militärs,  Matrosen,  Seecapitäne  tummeln  sich  wie  eine  grosse  Maske- 
rade über  den  Corso,  der  Sonntags  belebter  wie  die  Hauptstrasse 
mancher  grössern  Stadt  ist. 

Für  Diejenigen,  welche  sich  einige  Zeit  in  Triest  auflialten,  ge- 
nügen Ausflüge  nach  Contovello,  Muggia,  Capo  d'Istria,  Pola  und  vor 
Allem  nach  Venedig. 

Contovello  bietet  eine  entzückende  Aussicht  auf  den  Golf  und 
die  Stadt  Triest.  In  dem  benachbarten  Prosecco  übersieht  man  einen 
grossen  Theil  des  Karstes  und  erblickt  in  der  grauen  Steinwüste  das 
riesige  Berghaupt  des  Nanos,  wo  nach  dem  Volksglauben  der  Wohnsitz 
der  Bora  ist.  In  M.ug{;ia  besucht  man  die  malerischen  ßuinen  einer 
alten  Burg.  In  l'apo  dlstria  sieht  man  Venedig  en  miniature. 

Nach  Veuedig  geht  wöchentlich  dreimal  um  Mitternacht  ein 
Lloyddampfer  ab,  dei  gegen  7  Uhr  Morgens  daselbst  eintrifft;  doch 
kann  man  täglich  auch  zweimal  die  Bahnzüge  benutzen  und  in  etwa 
10  Stunden  zu  Lande  dahin  gelangen.  Die  Fahrpreise  sind  für  die 
Dampfschiffe  von  Triest,  für  die  Eisenbahn  von  Cormons  ab  in  Silber 
zu  entrichten. 

Wer  eine  ausführliche  Schilderung  der  alten  Lagunenstadt  wünscht, 
um  sich  ihrer  als  vorbereitenden  Führers  zu  bedienen  und  ein  Andenken 
an  die  geschaute  Herrlichkeit  mitzunehmen,  der  kaufe  sich  „Venedig. 
Herausgegeben  vom  Oesterr.  Lloyd.  Triest."  Es  ist  dies  eine  sehr 
gute  Zusammenstellung  alles  dessen,  was  dem  Fremden  in  Venedig  zu 
wissen  nöthig  ist,  geschmückt  mit  12  hübschen  Stahlstichen  und  ver- 
sehen mit  einem  Plane  der  Stadt  und  der  Lagunen. 

In  unserm  Zusammenhange  kann  nur  eine  gedrängte  Uebersicht 
gegeben  werden.  Um  Venedig  zu  studiren,  bedarf  es  zum  Mindesten 
mehrerer  Monate.  Um  es  gut  zu  sehen,  braucht  man  wenigstens  zwei 
Wochen.  Die  folgenden  Bemerkungen  sind  für  solche  lieisende  berech- 
net, welche  höchstens  drei  Tage  auf  einen  Ausflug  dahin  verwenden 
können. 

Hotels  ersten  Eanges  sind  in  Venedig : 

Hotel  royal  Banieli  an  der  riva  degli  Schiavoni ;  Hotel  St.  Marc 
am  Marcusplatz ;  Hotel  d'Europe  am  grossen  Kanal,  Hotel  Vittoria,  in 
der  Frezzeria;  Hotel  d'Italia  und  Restaurant  Bauer,  heiäe  emT^fehlens- 


Allgemeines   für  Orient-Reisende  17 

werth,  in  der  Nälie  des  Marcusplatzes  und  vorwiegend  deutsch ;  Hotel 
zur  Stadt  München,  Hotel  New-York  am  Canal  grande,  Hotel  la  Luua 
dicht  am  Marcusplatze  und  mehre  andere  in  der  Nähe  desselben.  In 
den  Hotels  ersten  Ranges  zahlt  man  für  ein  Zimmer  täglich  3 — 15 
Franken,  doch  kommt  dabei  ausser  der  Lage  die  Jahreszeit  sehr  in 
Betracht.  Gedenkt  man  länger  in  Venedig  zu  bleiben,  so  wird  man 
gut  thun,  vorher  nach  den  Preisen  der  Zimmer  zu  fragen  und  sich 
nacli  getrotfener  Wahl  mit  dem  Wirth  zu  einigen.  Es  ist  gebräuchlich 
und  auch  wohlfeiler  im  KafFeehauso  zu  frühstücken.  Auch  diniren  kann 
man,  ohne  dass  es  auffällt,  ausser  dem  Hause;  die  Table  d' hote, 
gewöhnlich  um  5  Uhr,  kostet  3-5  Franken  per  Couvert  und  dürfte 
meist  zu  empfehlen  sein.  Von  Kaffeehäusern  sind  Florian,  Quadri, 
Specchi,  Soizzero,  Frangais  alle  am  Marcusplatz,  sowie  das  kürzlich 
wieder  eröffnete  Kaffeehaus  im  Giardinetto  mit  herrlicher  Aussicht  die 
besuchtesten. 

In  Venedig  rechnet  man  seit  21.  October  186G  in  italienischen 
Lire.  1  Lira  ist  =  100  centcsimi  —  1  Frank  -=  40  österr.  Nkr.  ^= 
8  Silbergroschen.  Daneben  sind  im  gewöhnlichen  Verkehr  auch  noch 
die  alten  österr.  Bezeichnungen  nach  Zwanzigern  und  Gulden  keines- 
wegs verschollen. 

Fiaker  gibt  e.s  bekanntlich  in  Venedig  nicht,  sondern  man 
bedient  sich  zu  Ausflügen  durch  die  Stadt  der  Gondeln.  Es  gibt  deren 
zwei-  und  einrudrige,  von  denen  erstere  doppelt  so  viel  als  letz- 
tere kosten. 

Roisende,  welche  mit  der  Eisenbahn  eintreffen,  finden  sowohl 
Omnibusbarken  als  Gondeln  beim  Ausgange  am  Bahnhofe  zur  Abfahrt 
bereit.  Wer  sich  der  ersteren  bedienen  will,  hat  nur  seinen  Gasthof 
zu  nennen,  um  sofort  an  die  betreffende  Barke  gewiesen  zu  werden. 
Das  Dampfschiff  von  Triest  ankert  der  Piazzetta  gegenüber  und  hält 
also  in  näclister  Nähe  der  frequentirtesten  Gasthöfe.  Für  Gondeln  mit 
einem  Ruder,  deren  Tarife  an  allen  besuchteren  Abfahrtsplätzen  ange- 
schlagen sind,  zahlt  man  innerhalb  der  Stadt  für  eine  Stunde  1  Lira, 
und* für  jede  folgende  halbe  Stunde  25  Centesimi  mehr,  für  1  Tag 
von  10  Stunden  5  Lire.  Von  der  Eisenbahn-Station  nach  irgend  einem 
Puncto  bis  San  Marco  oder  umgekehrt  1  Lira,  vom  Dampfschiffe  nach 
der  Piazzetta  oder  umgekehrt  50  Centesimi.  Für  jedes  Gepäckstück, 
das  nicht  in  der  Hand  getragen  werden  kann,  bezahlt  man  extra  15 
Centesimi. 

Der  Reisende,  welcher  nur  wenige  Tage  auf  die  Besichtigung 
Venedigs  verwenden  kann,  bedarf  unbedingt  eines  i^MÄrers,  und  deren 
gibt  es  eine  grosse  Anzahl. 

Der  Reisende,  den  wir  vor  Augen  haben,  wird  wohl  thun,  wenn 
er  sich  zu  beschränken  weiss,  sich  mit  Besichtigung  der  Hauptsehens- 
würdigkeiten begnügt,  und  den  Führer  von  vornherein  darüber  ver- 
ständigt. Diese  Hauptpuncte  besuche  man  in  folgender  Ordnung: 

1.  Ta??.  Marcusplatz,  die  alten  und  die  neuen  Procuratien,  den 
Torre  delP  orologio,  den  Campanile  (den  man   der  Aussicht   wegen 


18  Allgemeines  für  Orient- Reisende. 


besteigen  mag),  die  Loggetta  am  Fusse  desselben,  die  Marcuskirche 
und  den  alten  Dogenpalast.  Die  Marcuskirche,  eine  Basilika,  zu  deren 
Verschönerung  alle  Jahrhunderte  beigetragen  haben,  in  welcher  indess 
der  byzantinische  und  der  maurische  Styl  vorherrschen,  zeichnet  sich 
auch  durch  ihren  Keiclithura  an  Mosaikbildern  und  seltenen  Steinarten 
aus.  Man  betrachte  die  4  Bron/epferde  über  dem  Eingang,  die  aus  der 
Zeit  Nero's  stammen,  die  kostbaren  Säulen  der  Fa(;ade,  die  Mosaik- 
tateln  neben  den  Pferden,  die  metallnen  Thüren.  die  Mosaikbilder  der 
Decke,  den  Hochaltar,  die  Sakristei,  die  Capellen  Zono,  della  Madonna 
dei  Mascoli,  Santo  Isidoro,  endlich  die  Keliquien  und  Kostbarkeiten 
des  Kirchenschatzes.  Im  Dogenpalast  werden  ausser  den  mit  den  herr- 
lichsten Gemälden  geschmückten  Empfangs-  und  Eathsälen  der  alten 
Zeit  die  berühmte  Marcusbibliothek,  die  unterirdischen  Kerker  (Pozzi) 
und  die  Seufzerbrücke  gezeigt.  Dem  Dogenpalast  gegenüber  liegt,  an 
der  sogenannten  Piazzetta,  der  königliche  Palast,  das  Meisterwerk 
Sansovino's  und  rechts  davon  das  prachtvolle  Münzamt  da  Zecca). 

2.  Tag.  Der  Canale  gründe,  welcher  die  Stadt  in  zwei  Hälften 
theilt  und  als  ihre  Hauptstrasso  gelten  kann.  Man  nimmt  zu  diesem 
Zwecke  eine  Gondel  an  der  Piazzetta  und  lässt  sich  langsam  bis  da- 
hin rudern,  wo  der  Kanal  sich  erweitert  und  in  der  Ferne  die  pracht- 
volle Eisenbahnbrückc  sichtbar  wird.  Auf  dem  Piückwege  mag  man 
zur  Besichtigung  der  auch  im  Innern  sehenswerthen  Gebäude  aussteigen. 
Zu  letzteren  gehören:  der  Palazzo  Treves  mit  vielen  guten  Gemälden, 
der  Palazzo  Morosini,  nicht  weit  vom  Canale  grande  entfernt  und  die 
Bilder  der  acht  Dogen  aus  dieser  Familie  enthaltend,  der  Palazzo 
Giustiniani,  die  Paläste  Foscari,  Mocenigo,  Pisani  (mit  dem  berühmten 
Gemälde  P.  Veroneses  „Darius'  Familie  vor  Alexander  d.  Gr."  und 
andern  Bildern),  Mangili,  Sagredo,  Tron  mit  einem  sehr  reichhaltigen 
Museum,  Manfrin  mit  einer  der  besten  Sammlungen  von  Bildern  vene- 
tianischer  Meister  und  der  Palazzo  Valmarana,  dessen  Gemälde  indess 
nur  auf  besondere  Erlaubniss  des  Besitzers  zu  sehen  sind.  Ueber  den 
Canale  grande  führt  ausser  der  Kialto-Brücke  auch  eine  eiserne  Brücke. 

3.  Tag.  Früh  nach  der  Akademie,  welche  die  vollständigste 
Sammlung  der  Gemälde  venetianischer  Schule,  darunter  die  besten  "Werke 
Tizian's,  Tintoretto's,  Paolo  Veronese's,  Giorgione's,  Palma  Vecchio's 
und  Bordone's  enthält,  dann  nach  den  Kirchen,\on  denen  ausser  der 
Marcuskirche  die  Sta.  Maria  gloriosa  dei  Frari,  Sti.  Giovanni  e  Paolo, 
Sta.  Maria  della  Salute  und  San  Giorgio  maggiore  die  sehenswerthesten 
sind.  Die  Kirche  Sti.  Giovanni  e  Paolo  ist  das  Pantheon  Venedigs,  da 
hier  die  Mehrzahl  seiner  berühmten  Männer,  namentlich  viele  Dogen 
ruhen.  In  der  Kirche  Sta.  Maria  gloriosa  dei  Frari  befinden  sich  die 
prachtvollen  Mausoleen  des  Dogen  Pesaro,  Tizians  und  Canovas.  In 
den  Nachmittagsstunden  besuche  man  das  Arsenal  oder  eine  der 
Inseln. 

An  den  Abenden  mag  man  in  eines  der  Theater,  unter  denen 
das  Teatro  la  Fenice  das  grösste  und  beste  ist,  gehen  oder  in  einem 
der  Kaffeehäuser  unter  den  Procuratien  venetianisches  Leben  studiren. 


Allgemeines  für  Orient-Beisende.  19 


2.  Tour  von  Wien  die  Donau  hinab  nach  Constantinopel. 

Wer  direct  nach  Constantinopel  will  und  den  Orient  von  der 
Hauptstadt  des  türkischen  Eeiches  aus  besuclien  möchte,  der  wird  heute 
am  besten  thun,  von  Wien  die  Donau  bis  Rustschuk  hinab  zu  fahren, 
die  neue  Eisenbahn  von  Eustscliuk  nacli  Varnazu  benutzen  und  von  Varna 
mit  dem  Lloyddampfer  nach  Constantinopel  zu  reisen.  Nicht  nur  dass 
diese  Route  die  kürzeste  ist,  sie  bietet  auch  eine  Menge  von  Schönheiten, 
die  man  bei  der  Meerfahrt,  die  nur  für  die  Rückreise  empfehlenswerth,  nicht 
zu  sehen  bekommt.  Von  Wien  aus  mag  man  mit  dem  Dampfschiff,  das 
Sonntag  Morgens  nach  Pest  fährt,  oder  mit  dem  Abendzuge  der  Nord- 
bahn abgehen,  damit  man  zu  dem  Eilschiffe,  welches  alle  Montage  um 
sieben  Uhr  früh  nach  Galatz  abgeht,  rechtzeitig  eintreffe.  Wer  Pest 
nicht  kennt,  mag  wohl  einige  Tage  dort  bleiben.  Die  prachtvollen 
Bauten  hängs  des  Donauciuais,  das  ganz  neu  eingerichtete  königliche 
Schloss  in  Ofen  drüben,  das  in  Abwesenheit  der  Majestäten  leicht  zu 
sehen  ist,  die  prachtvolle  Kettenbrücke,  leider  noch  mit  Brückengold 
behaftet,  die  wunderliche,  am  Pestungsberge  hinangewundene  Reizen- 
stadt, das  rege  ungarische  Volksleben  lohnen  wohl  einiger  Aufmerk- 
samkeit. 

Die  Donaufahrt  ist  namentlich  jenen  Orientreisenden  zu  empfeh- 
len, welche  im  Frühjahr  oder  Anfangs  des  Sommers,  im  Mai  und  Juni, 
ihre  Tour  beginnen.  Die  Donau  ist  zu  dieser  Zeit  ungeheuer  ange- 
schwollen, und  die  grossen  Eilschiffo  fahren  ungehindert  durch  den  Eng- 
pass  von  Kazan  und  das  Eiserne  Thor.  Diese  Eilschiffe,  deren  zwischen 
Pest  und  Galatz  vier  verkehren,  sind  vortrefflich  eingerichtet  und  die 
Reisenden  geniessen  auf  ihnen  für  vier  Gulden  Oesterr.  W.  in  Silber 
täglich  eine  Verpflegung,  wie  man  sie  nur  in  den  besten  Hotels  findet. 
Morgens  Thee  oder  Kaffee  mit  Gebäck,  um  eilf  Uhr  Frühstück,  bestehend 
aus  fünf  Gängen  mit  weissem  und  rothem  Wein  (eine  Flasche  für 
Jeden),  um  fünf  Uhr  Diner,  sechs  Gänge  mit  zweierlei  Wein  und  einem 
Glas  Madeira  oder  Sherry,  alles  vortrefflich  zubereitet,  Abends  Thee. 
Die  Schlafcajüte  ist  nach  Möglichkeit  bequem,  im  Salon  liegen  Zei- 
tungen in  mehreren  Sprachen  auf,  eine  Badecabiue  gewährt  die  Mög- 
lichkeit erfrischender  Donaubäder,  das  hohe  Doppelverdeck  die  schönste 
Aussicht  auf  das  Ufer.  Die  Capitäne  sind  meist  gebildete  Leute,  die 
fünf  bis  sechs  Sprachen  reden  und  sich  mit  Deutschen,  Rumänen, 
Serben,  Türken  u.  s.  w.  in  deren  heimatlichen  Lauten   verständigen. 

Die  Gegend  zwischen  Pest  und  Belgrad  bietet  sehr  wenig.  Wer 
den  Orient  rasch  erreichen  will,  von  der  langweiligen  Fahrt  erschreckt, 
die  bei  den  kolossalen  Frühjahresüberschwemmungen  der  Donau,  die 
sich  stundenbreit  über  das  eigentliche  Flussbett  erstrecken,  beinahe 
einer  Seefahrt  ähnelt,  der  mag  Sonntag  Abends  von  Wien  mit  dem 
Eilzuge,  der  Abends  vom  Nordbahnhofe  abgeht,  über  Pest,  Czegled 
und  Szegedin  nach  Bazias  fahren  und  dort  das  herabkommende  Eil- 
schiff erwarten.  Die  Eisenbahnfahrt  von  Wien  nach  Bazias  nimmt  nur 


20  Allgemeines  für  Orient-Reisende. 

einundzwanzig  Stunden  in  Anspruch  und  die  thalwärts  fahrenden  Schiffe 
sind  selten  so  voll,  dass  man  nicht  noch  ein  gutes  Plätzchen  in  der 
Schlafcajüte  erobern  könnte.  Aber  man  versäumt  auf  diese  Art  Belgrad, 
und  Belgrad  ist  sehr  sehenswerth.  Schon  die  Lage  der  Stadt  und  der 
auf  einem  ziemlichen  Berge  gelegenen  Festung  ist  äusserst  malerisch. 
Wer  Belgrad  näher  kennen  möchte,  der  muss  in  Semlin  das  Eilschitf 
verlassen,  mit  dem  Localdampfer  über  die  Save  fahren,  seinen  Pass 
den  an  der  Landungsbrücke  wachehaltenden  Gensdarmeu  vorzeigen  und 
dann  einen  Gang  durch  die  Stadt  machen.  Die  neuen  Theile  derselben 
sind  sehr  hübsch  gebaut,  die  Strasse  Terrazin  z.  B.  besteht  ganz  aus 
freundlichen  modernen  Häusern.  Hier  liegt  auch  der  Palast  (Kouak)  des 
Fürsten,  eigentlich  nur  eine  Villa  mit  hübschem  Garten,  in  den  Jeder 
hineingehen  und  sich  nach  Belieben  auf  einen  der  Aussichtsplätze  setzen 
mag.  Der  Garten  ist  dadurch  merkwürdig,  dass  er  beinahe  ausschliess- 
lich mit  Nussbäumen  bepflanzt  ist.  Von  der  Strasse  Terrazin  gehe 
man  links  hinab  in  das  Türkenwinkel,  wo  noch  zahlreiche  Minarets 
verkünden,  dass  einst  Mohamedaner  hier  gewohnt  und  zu  Gott  gebetet 
haben.  Mit  der  türkischen  Besatzung  der  Festung  wanderten  sämmt- 
liche  türkische  Einwohner  von  Belgrad  aus.  Es  waren  ihrer  über  fünf- 
tausend und  ihre  Häuser  verfallen.  In  einigen  haben  sich  Zigeuner  und 
anderes  Gesindel  einquartiert,  viele  sind  niedergerissen  oder  von  selbst 
eingestürzt  —  es  ist  ein  trauriges  Bild  der  Verwüstung  und  Verödung. 
Von  hier  steige  man  langsam  zur  Festung  hinan,  die  durch  ihre  na- 
türliche Lage  noch  immer  stark  ist.  Der  Eintritt  ist  Jedermann  gestattet. 
Man  sieht  das  serbische  Militär  oben  exerciren  und  geniesst  von  dem 
höchsten  Plateau,  wo  die  Commandantur  gelegen  ist,  eine  prachtvolle 
Aussicht.  Sonst  ist  in  Belgrad  nicht  viel  zu  sehen;  man  versäume 
jedoch  nicht,  sich  die  merkwürdigen  Euinen  des  alten  Hunyadyschlosses 
zeigen  zu  lassen  und  in  einem  Kaffeehause  den  ersten  nach  türkischer 
Art  zubereiteten  Kaffee  zu  trinken.  Nachmittags  mache  man  einen 
Spaziergang  nach  dem  durch  die  Ermordung  des  Fürsten  Michael  be- 
rühmt gewordenen  Toptschider,  einem  freundlichen  Parke,  in  der  die 
schöne  Welt  Belgrads  spazieren  geht,  in  dem  aber  zugleich  höchst 
sonderbarer  Weise  das  Landeszuchthaus  liegt  und  die  Sträflinge  arbeiten. 
Dann  kehre  man  nach  Belgrad  zurück  und  fahre  mit  dem  Local- 
dampfer wieder  nach  Semlin  hinüber  und  nehme  sein  Nachtquartier  im 
„Löwen",  wo  man  nicht  übel  speist  und  einen  vorzüglichen  Negotiner 
trinkt.  Wer  in  Belgrad  übernachten  will,  kann  anständigerweise  nur 
im  „Hotel  du  Eoi  Serbe"  neben  der  Festung  einkehren. 

Wer  auf  dem  Eilschiffe  bleibt,  der  fährt  an  Belgrad  eben  nur 
vorüber.  Wer  Zeit  hat,  der  folge  unserem  Käthe,  in  Semlin  auszusteigen 
und  den  Tag  in  Belgrad  zuzubringen.  In  &«; im  ist  gar  nichts  zusehen 
als  der  alte  verschanzte  Kirchhof  auf  den  Höhen  hinter  der  Stadt  und 
die  alten  Quarantänegebäude.  Am  folgenden  Morgen  (Mittwoch)  fährt 
man  mit  einem  kleinen  Seedampfer  weiter  nach  Orsova.  Kann  man 
die  „Diana"  treffen,  so  ist  das  um  so  besser,  denn  auf  ihr  speist  man 
fast  so  gut  wie  auf  den  Eilschiffen.  Bis  Bazias  ist  die  Gegend,  obwohl 


Allgemeines  für  Orient-Beisende.  21 

hügelig,  nicht  besonders  schön,  gleich  hinter  dem  genannten,  aus 
einigen  Häusern  bestehenden  Orte  aber  beginnt  eine  der  wunderbarsten 
Flusslandschaften  der  Welt,  an  wildromantischer  Schönheit  sogar  die 
berühmte  Rheinpartie  zwischen  Bingen  und  Coblenz  übertreffend.  Eine 
halbe  Stunde  östlich  von  Bazias,  bei  den  Trümmern  der  alten  öerben- 
burg  Golumbacs  treten  die  höher  werdenden  Berge  hart  in  den  Fluss 
herein,  das  Katarakten-  und  Felsengebiet  der  Donau  beginnt.  Von  hier 
bis  Orsova,  eine  Strecke,  deren  Befalirung  sechs  Stunden  in  Anspruch 
nimmt,  fliesst  der  in  Ungarn  so  breite  Strom  in  einem  engen  Bette 
mit  ungeheurer  Tiefe,  aus  welcher  spitze  Klippen  bis  zum  Wasserspie- 
gel emporragen ;  im  Engpass  von  Kazan,  dem  Glanzpuncte  der  ganzen 
Fahrt,  verengt  sich  das  Bett  auch  80  Klafter  bei  vierhundert  Puss 
Tiefe.  Die  Ufer  sind  von  unvergleichlicher  Schönheit,  bald  nackte  steile 
Felswände,  an  denen  die  Adler  horsten,  bald  tiefgrüne  Wälder  bis  an 
die  Gipfel  hinauf.  Manchmal,  wenn  der  Strom  sich  bei  einer  plötzlichen 
Wendung  ausweitet,  glaubt  man  auf  einem  Alpensee  in  Oberbaiern  oder 
der  Schweiz  zu  fahren.  Man  lasse  sich  das  Golumbacser  ,Mäckenloch'' 
zeigen,  eine  weite  Spalte  oben  im  Felsen,  aus  welcher  dem  Volks- 
glauben nach  die  gefährlichen  kleinen  Golumbacser  Mücken  heraus- 
kommcMi,  dann  die  berühmte  Veteranilwhle  und  die  Trajanstafel.  Die 
Katarakte  der  Donau  sieht  man  bei  hohem  Wasserstande  kaum,  bei 
niedrigem  gewähren  sie  ein  höchst  anziehendes  Schauspiel,  sind  aber 
der  Schiffahrt  äusserst  gefährlich. 

Orsova,  der  letzte  österreichische  Ort,  liegt  malerisch  zwischen 
den  Bergen  am  Strome,  ist  aber  ein  arges  Nest,  das  die  arge  Zoll- 
quälerei allen  aus  dem  Orient  kommenden  Reisenden  unvergesslich  macht. 
Wer  Abends  mit  dem  Saveschiff  ankommt,  das  überhaupt  nicht  weiter 
geht,  muss  sich  entschliessen.  in  einem  der  unweit  der  Douane  gelegenen, 
keineswegs  comfortablen  Gasthäuser  Quartier  zu  nehmen.  Er  mag  das 
als  eine  Vorschule  für  den  Orient  betrachten  und  den  folgenden  Tag 
zu  einem  AusHuge  nach  Mehadia  verwenden.  Denn  das  Passagierschiff 
nach  Galatz  geht  erst  Freitag  Morgens  ab.  Ist  man  nun  nach  unserem 
Vorschlage  mit  dem  Eilschiffo  Montags  von  Pest  abgegangen,  Dienstags 
in  Belgrad  geblieben,  so  kommt  man  Mittwoch  Abends  in  Orsova  an  und 
hat  den  Donnerstag  für  Mehadia  frei.  Für  sechs  Gulden  bekommt  man 
in  Orsova  einen  Wagen  nach  Mehadia  und  zurück.  Es  ist  ein  elender 
Korbwagen,  allein  es  gibt  keine  andern.  Man  fährt  ausgezeichnet, 
bergauf  und  bergab  in  schärfstem  Trabe,  wird  aber  gerüttelt  und  ge- 
schüttelt, dass  Einem  Anfangs  Hören  und  Sehen  vergeht.  Die  Fahrt 
geht  das  Czernothal  aufwärts,  das  mit  seinen  im  Grün  zerstreuten 
Häusern  an  die  deutschen  Voralpen  erinnert.  Römische  Trümmer  und 
die  Reste  einer  Wasserleitung  sind  an  der  Strasse  zu  bemerken.  In 
zwei  und  einer  halben  Stunde  ist  man  in  Mehadia,  vom  Juli  bis  Sep- 
tember eines  der  besuchtesten  Modebäder  im  Osten,  von  Russen  und 
walachischen  Bojaren  wimmelnd.  Es  liegt  reizend  in  einem  Felsenkessel, 
voll  herrlicher  Wälder,  über  welche  der  an  sechstausend  Fuss  hohe 
Gipfel   des   Domoglett  hereinragt.   Das  neue  Curhaus   ist  ein  wahrer 


22  Allgemeines   für  Orient-Reisende. 

Prachtbau  im  orientalischen  Style,  voll  reicher  färbiger  Ornamentik, 
das  schönste  in  Oesterreich.  Ein  hübscher  Spaziergang  führt  unter  den 
ruhigen  Eschen  an  der  rauschenden  Dzema  zur  Herculesquelle,  und 
von  da  weiter  zur  Räuberhöhle.  Für  den  Vormittag  ist  das  genug, 
zumal  da  das  Diner  curmässig  schlecht  schmeckt.  Nachmittags  mag 
man  die  auf  der  Südseite  des  Bades  gelegenen  Bergwälder  besuchen 
und  kann  zeitig  die  Heimfahrt  antreten. 

Des  andern  Tages  zeitig  früh  sagt  man  Oesterreich  und  damit 
dem  Abendlande  Lebewohl.  Unmittelbar  hinter  Orsova  liegt  auf  einer 
Insel  das  türkische  Port  Ada  Kaie,  verfallen,  aber  scharf  bewacht.  Das 
weltberühmte  „eiserne  Thor"  enttäuscht  den  Reisenden.  Nach  der  herr- 
lichen Gegend  zwischen  Bazias  und  Orsova  ist  die  Partie  hinter  Orsova 
sehr  unbedeutend,  so  hübsch  sie  an  und  für  sich  genannt  zu  werden 
verdient.  Vom  „eisernen  Thor"  sieht  man  absolut  nichts  als  zwei 
Felsen  an  beiden  Ufern  und  ein  paar  kleine  Wirbel  im  Flusse.  Man 
kommt  nach  Turn-Severin,  wo  das  Schiif  ßich  gewöhnlich  eine  Stunde 
aufliält.  Diese  benütze  der  Reisende,  um  auszusteigen,  den  alten  Seve- 
rusthurm  und  den  schönen  Park  zu  besichtigen.  Von  hier  ab  wird  die 
Gegend  wieder  sehr  einförmig,  nur  uninteressante  Ortschaften  und  die 
Blockhäuser  an  beiden  Ufern  unterbrechen  die  Einsamkeit.  Kurz  vor 
Sonnenuntergang  (im  Mai)  fährt  man  in  den  grossen  Bogen  ein,  den 
die  Donau  bei  Widdin  macht,  um  die  südlichste  Spitze  ihres  Laufes  zu 
erreichen.  Hier  hat  man  einen  überraschend  schönen  Anblick  der 
ganzen  Balkankette,  vollständiger  als  von  irgend  einem  andern  Puncto. 
Widdin  ist  als  die  erste  echte  Türkenstadt  von  ganz  besonderem  Interesse 
für  den  Reisenden.  Er  benützt  die  Haltezeit  des  Schiffes,  um  am  Ufer 
Tabak  und  einige  der  langen  gesprenkelten  Pfeifenrohre  zu  kaufen,  die 
man  hier  bekommt.  In  die  Stadt  selbst  lassen  die  Türken  in  Widdin 
keinen  Fremden  hinein;  wer  einige  Gassen  durchwandern  will,  kann  das 
nur  unter  dem  Schutze  der  weissen  Mütze,  das  heisst  in  Begleitung 
eines  Officiers  oder  Beamten  der  Donau-Dampfschiifahrts-Gesellschaft 
thun.  Die  Nacht  hindurch  ankern  die  Schiffe  gewöhnlich  unterhalb 
Widdin's  bei  der  Insel  unweit  Lom-PalanJca.  Am  folgenden  Tage  kommt 
man  um  elf  oder  zwölf  Uhr  nach  Rustschuk  und  landet  gleich  an  dem, 
eine  kleine  halbe  Stunde  entfernten  Bahnhofe  der  Rustschuk- Varnaer 
Eisenbahn. 

Wer  dem  Eilschiffe  treu  geblieben  ist,  kommt  schon  Mittwoch 
Vormittags  in  Rustschuk  an  und  wird  augenblicklich  weiter  befördert. 
Der  Zug  nach  Varna  geht  immer  eine  halbe  Stunde  nach  Eintroffen 
des  Schiffes.  Wer  den  von  uns  angegebenen  Reiseplan  befolgt,  trifft 
Samstag  Vormittag  in  Rustschuk  ein.  Es  ist  der  Mühe  werth,  einen 
Tag  in  Rustschuk  zu  bleiben  und  die  grossen  Veränderungen  zu  be- 
wundern, die  der  bekannte  Midhat  Pascha  während  des  einen  Jahres, 
als  er  Gouverneur  des  Donau-Vilagets  war,  in  seiner  Provinzialhaupt- 
stadt  zu  Wege  brachte.  Der  Donauhafen  hat  einen  prächtigen  Quai, 
die  Strassen  haben  Benennungen  und   Beleuchtung,  die  Häuser  haben 


Allgemeines   für  Orient-Reisende.  23 

Nummern  erhalten,  die  nach  Süden  gekehrten  Befestigungen  wurden 
demolirt  und  an  mehreren  Puncten  der  Stadt  Anlagen  errichtet.  Rust- 
scliuk  ist  zu  zwei  Dritteln  von  Bulgaren,  zu  einem  Drittel  von  Türken 
beAvohnt;  höchst  sehenswerth  ist  das  Zigeunerviertel,  eine  Sammlung 
von  Häuserruinen  ohne  Gleichen.  In  das  Kloster  der  tanzenden  Der- 
wische, das  sich  unweit  der  Stadt  befindet,  erlangt  man  leicht  Zutritt. 
Seine  Wohnung  nehme  man  nicht  im  Hotel  neben  dem  Bahnhofe,  weil 
man  hier  zu  entfernt  von  der  Stadt  wohnt,  sondern  im  ^Graml  Hotel'* 
(Islah-Kane,  zu  deutsch  Waisenhaus,  weil  die  Pachterträgnisse  des 
Gasthofes  an  das  Waiseahaus  abgeliefert  werden)  Der  Pächter  ist  ein 
Italiener,  doch  spricht  sowohl  er  als  ein  Theil  seiner  Leute  französisch. 
Die  Preise  sind  für  orientalische  Verhältnisse  massig,  die  Betten  gut, 
das  Essen  erträglich.  Ein  Gang  durch  den  Bazar,  wo  sehr  hübsche 
Sachen  und  ausgezeichneter  Tabak  zu  haben  sind,  ist  jedem  Fremden 
zu  empfehlen  Zu  Fuss  braucht  er  nicht  zu  gehen,  denn  es  gibt  hier 
eine  Menge  Fiaker,  die  um  billiges  Geld  sehr  gut  fahren.  Allerdings 
verstellt  kaum  ein  einziger  Kutscher  eine  westeuropäische  Sprache. 
Höchstens,  was  man  am  allerwenigsten  erwarten  sollte,  kann  ein  oder 
der  andere  etwas   Deutsch. 

Für  jene  Reisende,  welche  den  ganzen  Lauf  der  Donau  kennen 
zu  lernen  wünschen,  wollen  wir  hier  einige  Bemerkungen  einschalten. 
Wenn  sie  den  folgenden  Mittag  von  Rustschuk  Donauabwärts  fahren, 
geht  das  Schiff  zuerst  nach  Giurgewo  hinüber.  Auch  hier  kann  man  die 
Verladungsfrist  zu  einem  kleinen  Spaziergang  benutzen,  auf  der  Pro- 
menade die  elegante  Welt  von  Giurgewo  sehen  und  in  einer  Stunde 
bemerken,  dass  daselbst  nichts  zu  sehen  ist.  Die  Fahrt  bis  Galatz 
hinab  bietet  nui^  wenig  schöne  Puncte.  Abends  kommt  man  an  der 
Festung  SUistria  vorüber,  die  malerisch  hoch  auf  Felsen  liegt  und 
einen  pittoresken  Anblick  gewährt.  Aehnlich  liegt  Hirsova,  dann  aber 
werden  die  Ufer  flach  und  eintönig.  Von  Czernavoda  nach  Kilstenäsche 
fährt  wohl  eine  Eisenbahn,  die  erste  in  der  Türkei  und  die  kürzeste 
Verbindungslinie  zwischen  der  Donau  und  dem  Schwarzen  Meere,  allein 
sie  wird  fast  nur  für  den  Waarentransport  benützt  und  es  ist  nicht 
rathsam,  sich  nach  Küstendsche  hinüber  zu  begeben.  Die  Stadt  ist  ein 
elendes  Nest,  der  Dampferverkehr  zwischen  dem  dortigen  Hafen  und 
Constantinopel  ein  höchst  unregelmässiger,  so  dass  der  Reisende  in 
eine  Sackgasse  geräth  und  umkehren  muss.  In  Küstendsche  auf  ein 
Schiff  zu  warten,  ist  zudem  bei  dem  gänzlichen  Mangel  an  anstän- 
diger Unterkunft  sehr  fatal.  Man  verzichte  also  auf  diesen  Abstecher 
und  bleibe  auf  dem  Schiffe,  das  von  Czernavoda  aus  in  weit  kürzerer 
Zeit,  als  man  nach  den  Landkarten  vermuthen  sollte,  Braila  erreicht 
Hier  bietet  sich  ein  doppeltes  Bild  dar.  Erstens  der  Hafen  mit  seinen 
hundert  und  hundert  Schiffen,  worunter  die  grössten  Dreimaster,  zweitens 
die  Balkankette  südöstlich  von  der  Donau.  In  einer  starken  Stunde 
erreicht  der  Dampfer  das  Endziel  seiner  Fahrt,  Galatz,  oder  wie  viel- 
fach, aber  fälschlich,  geschrieben  wird,  GaJacz.  Die  grösste  Stadt  der 
Moldau  hat  eine  ungeheuere   Ausdehnung  und  ein  sehr  rauhes  Klima. 


24  Allgemeines  für   Orient-Reisende. 

Man  mag  sich  wolil  in  Acht  nehmen,  denn  der  Wind,  der  vom  schwar- 
zen Meere  hereinweht,  hat  I^lnde  Mai  noch  eine  fast  winterliche  Schärfe, 
und  nach  Sonnenuntergang  tritt  empfindliche  Kälte  ein.  Sehenswürdig- 
keiten besitzt  Galatz  ebenso  wenig  wie  Giurgewo,  ein  Gang  durch  die 
Stadt,  der  ihre  Physiognomie  kennen  lehrt,  erschöpft  Alles.  Wer  Lust 
hat,  mag  das  Theater  besuchen,  ein  elegantes  Gebäude,  in  dem  eine 
leidliche  französische  Gesellschaft  spielt.  Dicht  daneben  liegt  ein  grosser 
wüster  Platz,  auf  dem  eine  riesige  Herde  Schweine  weidet.  Ein  Besuch 
in  Walzel's  Garten-Eestauration,  zu  dem  man  sich,  da  man  im  Freien 
sitzt,  einen  tüchtigen  Winterrock  mitnehme,  gibt  ein  anschauliches 
Bild  von  dem  Sonntagsvergnügen  der  Galatzer  Welt  und  Halbwelt. 
Wer  in  Gesellschaft  reist  oder  mit  den  Capitänen  der  Donaudampf- 
schiffahrt-Gesellschaft bekannt  ist,  gehe  spät  Abends,  zwischen  zehn 
und  elf,  von  Walzel  weg  zur  , Bella  Italia",  einer  verrufenen  Kneipe, 
die  aber  sehr  charakteristische  Typen  des  Volkslebens  entwickelt.  Wer 
nicht  sehr  viel  Zeit  hat,  der  hüte  sich  nach  Galatz  zu  gehen,  und 
noch  mehr,  dort  zu  bleiben.  Denn  der  Lloyddarapfer,  welcher  den  di- 
recten  Verkehr  zwischen  Galatz  und  Constantinopel  vermittelt,  geht 
nur  jeden  Freitag;  auf  russische  und  französische  Schiffe  ist  nur  im 
Juli  und  August  Verlass,  und  die  ersteren  gehen  zudem  nach  Odessa. 
Nach  der  Sulinamündung  hinauszukommen  hält  schwer,  das  einzige 
Schiff,  welches  regelmässig  verkehrt,  ist  der  „Mettemich,"  der  Eemor- 
quer  der  Donaudampfschiffahrt-Gesellschaft,  also  kein  Passagierschiff. 
Der  einz  ge  lohnende  Ausflug  ist  ein  Besuch  in  Tultscha,  wofür  man 
eine  Barke  nur  zu  hohem  Preise  miethen  kann.  Das  Beste  ist,  man 
fährt  mit  demselben  Schiffe,  mit  dem  man  Sonntag  Mittags  ange- 
kommen, Montag  Morgens  wieder  zurück  nach  Eustschuk.  Wer  dem 
Oriente  rasch  zustrebt,  verzichtet  ohnedies  auf  den  untersten  Lauf 
der  Donau. 

Die  Eisenbahn  von  Rustschuk  nach  Varna  ist  eine  Art  von 
Schmerzenskind  der  türkischen  Eegierung.  Sie  hat  enorme  Summen 
gekostet  und  ist  trotzdem  sehr  schlecht  gebaut.  Verkehrsstörungen  sind 
so  regelmässig,  dass  sich  Niemand  darüber  wundert.  Die  Fahrzeit  von 
Eustschuk  nach  Varna  ist  auf  sieben  Stunden  festgesetzt,  man  fährt 
aber  manchmal  zwölf  bis  fünfzehn  und  muss,  da  sich  ausser  an  den 
beiden  Endpuncter.  auf  der  ganzen  Strecke  keine  Personenhalle  befindet, 
oft  stundenlang  in  der  glühendsten  Sonnenhitze  warten,  bis  die  ein- 
geleisige  Bahn  frei  ist.  Eigentliche  Unglücksfälle  sind  indess  noch  nicht 
vorgekommen  und  die  Coupes  sind  bequem.  Der  Bau  dieser  Bahn 
wurde  von  einer  englischen  Gesellschaft  unternommen,  in  der  Erwar- 
tung, dass  dieselbe  sich  bald  dem  grossen  türkischen  Netz  anschliessen 
werde;  allein  das  grosse  Netz  harrt  noch  immer  auf  seinen  Beginn 
und  die  Linie  Eustschuk- Varna  fristet,  auf  ihre  eigenen  Kräfte  ange- 
wiesen, jämmerlich  ihr  Dasein.  Um  einen  Begriff  von  der  ungewöhn- 
lichen Bewegung  auf  dieser  Linie  zu  bieten,  brauchen  wir  blos  zu 
erwähnen,  dass  wöchentlich  auf  derselben  vier  Passagier-Trains  ver- 
kehren. Die  Gesellschaft  besass   ursprünglich  eilf  Locpmotivc,  gegen- 


Allgemeines   für  Orient-Reisende.  25 

wärtig  sind  aber  nur  noch  vier  marschfähig.  Ein  Platz  erster  Classe 
kostet  45  Francs.  Die  Gardinen  in  den  unsauberen  Waggons  hängen 
in  Fetzen,  die  Thüren  sind  kaum  verschlossen.  Man  überschreitet  bald 
weite  von  Bergen  überragte  Ebenen,  bald  fährt  man  längs  Sümpfen, 
aus  deren  oft  mannshohem  Schilfe  Büffelheerden  hervorlugen.  Jeden 
Augenblick  lässt  der  Maschinist  ein  Nothsignal  ertönen  und  der  Zug 
hält  stille,  denn  eine  Büffelschaar  hat  sich  der  Strasse  bemächtigt  und 
den  Weg  abgesperrt.  Das  Loconiotiv  pfeipft  aus  allen  Kräften  und 
einige  Büffel  ziehen  sich  erschreckt  in  das  Rohrdickicht  zurück,  allein 
die  kühneren  lassen  sich  nicht  davonscheuchen ;  der  Train  geht  behut- 
sam vorwärts  und  der  Maschinist  lässt  auf  die  hartnäckigen  Bestien 
den  Dampf  entladen,  so  dass  sie  uns  endlich  gestatten,  unsere  Fahrt 
fortzusetzen.  Dieses  Manöver  muss  fast  jede  halbe  Stunde  erneuert 
werden.  Am  schlimmsten  ist  es,  wenn  man  bei  der  Wendung  um  einen 
Felsen  auf  einen  Büffel  geräth,  denn  dann  droht  den  Reisenden  wirk- 
liche Gefahr. 

Die  Bahn,  durch  starke  Steigungen  aufTällig,  geht  über  Rasgrad 
und  Schumla.  Die  erste  grössere  Hälfte  des  Weges  bis  zu  der  oben- 
genannten Station  geht  durch  einförmiges  Hügelland,  nur  durch  die 
UeberfüUe  an  Rosengebüschen  ausgezeichnet.  Schumla  selbst  bekommt 
man  nicht  zu  sehen,  die  berühmte  Festung  liegt  seitwärts  in  ihrem 
Felsenkessel  und  man  beruht  nur  Schumla- Wad.  Um  den  Bahnhof 
herum  hat  sich  ein  neues  Städtchen  entwickelt,  das  schon  ziemlich 
bevölkert  ist.  Von  hier  an  wird  die  Bahn  interessant,  denn  sie  geht 
durch  ein  Längenthal  des  Balkan.  Die  abenteuerlichen  Formationen  der 
Kalk-  und  Kreidefelsen,  die  aus  den  tiefgrünen  Wäldern  bald  in  Schan- 
zen- bald  in  Tempelgestalt  emporstarren,  fesseln  das  Auge  und  ver- 
kürzen die  Fahrzeit.  Wie  die  Berge  zurücktreten,  verkünden  die  weit 
hingestreckten,  trefflich  bebauten  Felder  die  fruchtbare  Dobrudscha. 
Einige  Tatarendörfer,  an  denen  der  Zug  vorüberbraust,  sind  durch 
die  spitze,  zeltartige  Form  ihrer  Häuser  von  weitem  kenntlich.  Endlich 
beginnen  die  Seen  von  Varna,  mit  einander  verbunden  und  vom  Meere 
nur  durch  eine  schmale  Erdzunge  getrennt,  dennoch  aber  süsswas- 
serhaltig. 

Varna  ist  stark  befestigt  und  hat  mehrere  schwere  Belagerun- 
gen ausgehalten;  so  1828,  wo  Varna  zuletzt  in  die  Hände  der  Russen 
fiel,  aber  nicht,  wie  man  gewöhnlich  liest,  durch  den  Verrath  seines 
Commandantcn  Jussuf  Pascha.  Die  Stadt  hat  gegen  20,000  Einwohner 
und  sieht  von  der  Rhede  recht  freundlich  aus.  Sie  liegt  auf  der  Nord- 
seite einer  kleinen  Bucht  des  Pontus.  das  Vorgebirge,  welches  sich  auf 
der  anderen  Seite  in  die  See  hinausstreckt,  heisst  Cap  Galata.  Die  Bai 
von  Varna  ist  ein  guter  Ankerplatz  für  Schiffe  von  geringer  Grösse. 
Man  hat  aber  den  Plan,  durch  einen  Canal  den  benachbarten  See  von 
Dewna  (an  dem  im  letzten  Kriege  die  Truppen  der  Westmächte  einige 
Zeit  lagerten,  wobei  sie  ausserordentlich  viel  Leute  durch  die  Cholera 
verloren)  in  einen  sicheren  und  bequemen  Hafen  für  grosse  Fahrzeuge 


26  Allgemeines  für  Orient-Reisende. 

zu  verwandeln.  Die  Seeseite  der  Stadt  wird  von  drei  gewaltigen  Bat- 
terien, eine  in  der  Mitte  und  eine  an  jeder  Seite  vertheidigt.  Bei  der 
geringen  Tiefe  des  Wassers  an  der  Küste  hält  man  diese  Batterien  für 
hinreichend  zur  Vertheidigung  der  Ehede,  denn  Schiffe  von  einiger 
Grösse  könnten  der  Stadt  nicht  nahe  genug  kommen,  um  ihr  beträcht- 
lichen Schaden  zu  thun.  Die  Batterien  sind  durch  eine  mit  Schiess- 
scharten'versehene  Mauer  mit  einander  verbunden  und  mit  schweren 
englischen  Kanonen  armirt.  Auf  der  Landseite  ist  die  Stadt  vollkommen 
mit  einer  Enceinte  eingeschlossen,  welche  der  Richtung  des  alten  Wal- 
les folgt,  der  die  Stadt  einfasste,  als  die  Russen  Varna  das  letzte  Mal 
belagerten.  Aber  an  jedem  dazu  passenden  Orte  hat  man  Bastionen 
aufgeworfen,  die  nach  wissenschaftlichen  Grundsätzen  construirt,  die 
Gräben  vor  den  Courtinen  flankiren  und  mit  sehr  schweren  Geschützen 
armirt  sind.  In  der  südwestlichen  Ecke  der  Festung  ist  eine  Bastei, 
welche  einen  grossen,  die  Stadt  von  der  Hügelreihe  auf  der  anderen 
Seite  trennenden  Sumpf  beherrscht.  Gegen  Westen  ist  offenes  Terrain, 
welches  sich  nach  dem  Thal  hinaufzieht,  wo  die  beiden  Seen  von  Dewna 
liegen.  Von  dort  herum  nach  Norden  läuft  eine  Kette  von  Hügeln,  die 
sich  ziemlich  schroff  von  der  Ebene  erheben  und,  etwa  250  Fuss  hoch, 
gegen  das  Meer  hin  mit  einem  zuckerhutförraigen  Berge  endigen,  auf 
dem  während  der  Belagerung  durch  die  Russen  Kaiser  Nikolaus  sein 
Zelt  aufschlagen  Hess.  Varna  hat  etwa  200  Geschütze,  von  denen  die 
meisten  vom  schwersten  Kaliber  sind.  Es  hat  Casernen,  in  denen  sich 
5000  Mann  unterbringen  lassen,  bedarf  aber  zu  gehöriger  Vertheidi- 
gung seiner  Wälle  fast  doppelt  so  viel  Soldaten.  Im  Allgemeinen  kann 
man  Varna  als  eine  Festung  zweiten  Ranges  bezeichnen,  welche  sich 
eine  gute  Weile  vertheidigen  kann,  und  da  es  einer  der  besten  von 
den  wenigen  guten  Häfen  der  Westküste  des  Schwarzen  Meeres  ist, 
so  ist  es  eine  Position  von  der  äussersten  Wichtigkeit  in  jedem  Kriege 
mit  Russland.  Während  des  Jahres  1S28,  wo  auf  seinen  Wällen  nicht 
mehr  als  einige  zwanzig  Kanonen  standen,  und  die  Werke  nicht  halb 
so  ausgedehnt  und  bei  Weitem  nicht  in  so  guter  Ordnung  waren,  als 
jetzt,  hielt  es  eine  Belagerung  von  drei  Monaten  aus.  Man  kann  anneh- 
men, dass  es  sich  jetzt  mindestens  eben  so  lange  halten  würde.  Die  Bahn 
führt  auf  dem  Damme  zwischen  zwei  Seen  hindurch  bis  zum  Bahn- 
hofe. Der  Lloyddampfer  nach  Constantinopel  liegt  im  Hafen,  der  An- 
schluss  ist  prompt.  Nur  mag  Jeder,  der  nicht  ein  directes  Billet  von 
Pest  oder  anderwärts  bis  Constantinopel  besitzt,  zusehen,  wie  er  nach 
dem  Hafen  hinabkommt.  Hat  man  endlich  einen  Wagen  aufgetrieben, 
30  zahle  man  willig  den  allerdings  für  die  viertelstundige  Fahrt  enormen 
Preis  von  zwanzig  Piastern,  sonst  fährt  der  Wagen  davon  und  man 
hat  das  Nachsehen.  Die  Deutschen,  die  sich  am  Bahnhofe  in  Varna 
an  jeden  Landsmann  mit  freundlicher  Dienstwilligkeit  herandrängen, 
fertige  man  barsch  ab.  Die  Bursche  sind  durch  den  Aufenthalt  längst 
verdorben  und  keinen  Schuss  Pulver  werth.  Auf  dem  Schiffe  bleibe 
man  so  lange  als  möglich  auf  dem  Deck,  denn  unten  lauert  die  See- 
krankheit. Das  Schwarze  Meer  ist  selten  ruhig,  gewöhnlich  sogar  sehr 


Allgemeines   für  Orient-Reisende.  27 

stürmisch.  Die  Ueberfahrt  von  Varna  nach  Constantiuopel  währt  zwölf 
bis  vierzehn  Stunden,  wenn  kein  Unwetter  dazwischen  kommt.  Wer 
auf  dem  Eilschiffe  bis  Kustschuk  geblieben  ist  und  sofort  die  Eisenbahn 
benutzt  hat,  kömmt  Donnerstag,  also  bereits  am  vierten  Tage,  zwischen 
zehn  und  zwölf  Uhr  Vormittags  in  Constantinopel  an.  Die  herrliche 
Fahrt  durch  den  Bosporus  ist  an  einer  andern  Stelle  dieses  Buches 
beschrieben;  sie  ist  ein  Grund  mehr,  die  Donaufahrt  der  Reise  über 
Triest  vorzuziehen. 


28  Palästina  im  Allgemeinen. 


ERSTES  CAPITEL. 


Palästina  im   .A.llg:eineiiien, 

Geographische  und  ethnographische  Verhältnisse  des  Landes.  —  Die  Eintheilung 
Palästina's  zur  Zeit  Christi.  —  Die  geeignetste  Zeit  zum  Aufbruch  dahin.  —  Der  nächste 
Weg  von  Deutschland  nach  dem  heiligen  Lande.  —  Ausrüstung.  —  Geldsorten.  — 
Dragomane.  —  Eänber.  —  Krankheiten.  —  Verschiedene  kürzere  oder  längere  Tonren. 
—  Strassen.  —  Gasthöfe.  —  Consulate.  —  Zeit-  und  Kostenaufwand  für  eine  auf  Palä- 
stina sich  beschränkende  Beise. 

Palästina,  nicht  bloss  für  Christen  und  Juden,  sondern  auch 
für  Bekenner  des  Islam,  das  heilige  Land,  hiess  in  der  ältesten  Zeit 
Kanaan.  Sein  späterer  Name  Palästina  stammt  von  der  Benennung  des 
niedern,  am  Mittelmeer  sich  hinziehenden  Strichs,  welchen  die  Phili- 
ster —  Pelischthim  —  bewohnten.  Es  ist  seinem  Hauptcharakter  nach 
ein  Gebirgsland.  Seine  Grenzen  sind  im  Süden  die  arabische,  im  Osten 
die  syrische  Wüste,  im  Norden  der  Dschebel  Heisch,  das  Gebirg  Naph- 
thali  und  der  Antilibanon,  im  Westen  endlich  das  Mittelmeer. 

Geologisch  zerfällt  das  Land  in  vier  von  Westen  nach  Osten 
aufeinanderfolgende  Striche.  Unmittelbar  am  Meere  zieht  sich  ein  nie- 
driger, sehr  fruchtbarer  Ufersaum  hin,  dessen  Südhälfte  einst  von  den 
Philistern  bewohnt  wurde  (die  Gegend  von  Gaza  und  Askalon)  und  der, 
nachdem  er  im  Norden  von  einem  Vorgebirge  des  Karmel  unterbrochen 
worden,  in  der  Nähe  von  Akko  mit  einem  zweiten  Vorgebirge,  der  so- 
genannten tyrischen  Leiter,  endigt.  Den  zweiten  Strich  bilden  Ketten 
von  Gebirgen,  welche  von  schmalen  und  breiten  Thälern  unterbrochen 
werden.  Die  Gebirge  bestehen  gleich  den  griechischen  aus  Kalkstein 
und  tragen  nur  auf  dem  Karmel  Wald.  Der  nördlichste  Theil  dieses 
Streifens  ist  das  alte  Galiläa.  Dann  folgt  die  von  Westen  nach  Osten 
streichende  Ebene  Esdrelom,  auch  Ebene  Jesreel  genannt.  Südlich  von 
dieser  erhebt  sich  wieder  ein  Hochland  mit  verschiedenen  fruchtbaren 
Thälern  und  den  Bergen  Ebal  und  Garizim,  das  alte  Samaria.  Ganz 
im  Süden  endlicli  liegt,  ebenfalls  ein  Bergland,  die  Landschaft,  welche 
einst  Judäa  hiess.  Der  dritte  Streifen  ist  das  Ghor,  eine  breite,  zum 
grossen  Theil  tief  unter  dem  Spiegel  des  Mittelmeeres  gelegene,  sehr 
heisse  Tiefebene,  durch  welche  der  Jordan  fliesst  und  an  deren  südli- 
chem Ende  das  Todte  Meer  liegt.  Der  vierte  Strich  endlich  ist  das 
Land  vom  Ostufer  des  Jordan  bis  zur  Wüste.  Derselbe  ist  im  Norden 


Palästina  im  Allgemeinen.  29 

breiter  als  im  Süden,  und  besteht  im  Nordwesten  aus  Kalkstein,  im 
Nordosten  zum  Theil  aus  Basalt,  im  Süden  aus  Sandboden.  Unmittel- 
bar am  Fusse  des  Dschebel  Heisch  ist  diese  Landschaft  eine  fruchtbare 
Hochebene,  weiter  südlich  schliesst  sich  hieran  das  Gebirg  Gilead, 
welches  mit  Eichenwäldern  bewachsen  ist,  dann  folgt  eine  baumlose, 
aber  fruchtbare  zweite  Hochebene,  endlich  das  sandige  Gebirge,  welches 
im  Alterthum  Seir  hiess. 

Flüsse  besitzt  Palästina  nur  wenige.  Die  wichtigsten  sind:  der 
zwischen  Hasbeia  und  Kascheia  entspringende,  in  das  Todte  Meer 
mündende  Jordan  (Scheriat  El  Kebir),  dessen  grösster  Nebenfluss,  der 
Hieromax  (Scheriat  El  Mandhur),  welcher  einen  Theil  von  Galiläa 
durchströmt,  der  Arnon  (Wadi  Modschib),  ebenfalls  ein  Nebenfluss  des 
Jordan,  endlich  der  Kison,  welcher  die  Gewässer  der  Ebene  Esdrelom 
dem  Mittelmeere  zuführt.  Die  übrigen  fliessenden  Gewässer  des  Landes 
trocknen  im  Sommer  ein,  oder  strömen  dann  wenigstens  nur  eine 
kleine  Strecke.  Stehende  Gewässer  hat  Palästina  in  dem  Todten  Meere 
und  in  dem  See  Tiberias  oder  Genezareth. 

Palästina  hat  in  seinen  Thälern  und  auf  seinen  Ebenen  Anlagen 
zu  grosser  Fruchtbarkeit.  Indess  fehlt  es  ihm  jetzt,  wo  seine  Wälder 
mit  wenigen  Ausnahmen  ausgerottet  sind,  sehr  an  Wasser.  Die  Unsi- 
cherheit des  Besitzes  ferner  lässt  auch  die  besten  Striche  nicht  in  dem 
Maass  anbauen,  in  dem  es  möglich  wäre,  und  so  liegt  das  Land  auf 
weite  Strecken  hin  wüst.  Indess  ist  in  den  letzten  Jahren,  namentlich 
um  Jerusalem,  Manches  besser  geworden,  und  Gärten  beginnen  zu 
grünen,  wo  früher  nur  dürres  Gestein  war.  Von  Fruchtbäumen  begegnet 
man  am  häufigsten  dem  Olivenbaum,  dem  Feigen-  und  Maulheerbaum; 
ausserdem  trifft  man  (besonders  bei  Jaffa)  grosse  Orangen-  und  Zitro- 
nengärten, Pflanzungen  von  Granatbäumen,  hin  und  wieder  auch  Man- 
del- und  Aprikosenbäurae.  Der  Apfel-  und  der  Birnbaum  kommen  nur 
wild,  Palmen  nur  vereinzelt  vor.  Wein  wird  an  mehren  Stellen,  der 
beste  bei  Hebron  und  in  der  Nähe  des  Dorfes  St.  Philipp  bei  Jerusalem 
gebaut.  Die  Bergwälder  bestehen  aus  Eichen  und  Pinien.  Am  Jordan 
finden  sich  Pappeln,  Weiden,  Tamarisken,  wilde  Lorbeer-  und  Pista- 
zienbäume, sowie  gewaltige  blüthenreiche  Oleandersträuche,  die  auch 
die  Ufer  des  Kison  schmücken.  Von  Getreide  säet  man  vorzüglich 
Gerste,  Weizen  und  Durrah.  Im  Uebrigen  wird  Sesam,  etwas  Tabak, 
ein  wenig  Baumwolle,  indischer  Pfeffer  und  Hanf  gebaut.  Wild  wach- 
sende Blumen  trifft  man  im  Frühling  eine  grosse  Menge.  Am  häufig- 
sten sind:  die  Lilie,  die  Adonis,  die  Kingelblume,  eine  schöne  Malven- 
art, die  Anemone  und  Jelängerjelieber.  Die  Rose  von  Saron  ist  ebenso 
verschwunden,  wie  die  Balsamstaude  von  Jericho.  Von  Hausthieren 
zieht  man  vorzüglich  Schafe  (mit  Fettschwänzen)  und  Ziegen,  Büffel, 
unser  Rindvieh,  welches  indess  hier  klein  und  unansehnlich  ist,  Pferde, 
unter  denen  sich  manches  schöne  Thier  findet,  Esel,  Maulthiere  und 
Kameele.  Hunde  laufen  in  den  Städten  in  Masse  herrenlos  umher.  Von 
wilden  Thieren  ist  der  Schakal  häufig.  Ausserdem  findet  man  in  den 
weniger  bewohnten  Geganden  Hyänen,  und  in  den  Wäldern  am  Jordan 


30 


Palästina  im  Allgemeinen. 


und  auf  dem  Karmel  und  Tabor  wilde  Schweine  und  Panther.  Der 
Löwe  ist  allenthalben  ausgerottet  und  ebenso  der  Bär.  An  wilden  Vö- 
geln ist  besonders  die  Jordangegend  reich;  es  gibt  hier  Reiher,  Peli- 
kane, Enten,  Gänse,  Störche,  Rohrdommeln  und  Schnepfen.  Von  Sing- 
vögeln hört  man  Lerchen,  bisweilen  auch  die  Nachtigall.  An  Raubvögeln 
ist  kein  Mangel.  Von  giftigen  Thieren  kommen  verschiedene  Schlangen, 
der  Vierzigfuss,  der  Scorpion  und  die  Tarantel  vor.  Sehr  zahlreich  ist 
das  Geschlecht  der  Eidechsen  vertreten.  An  Ungeziefer,  namentlich  an 
Flöhen  und  Mücken,  fehlt  es  nirgends.  Endlich  stellen  sich  mitunter 
Heuschreckenschwärme  ein,  welche  das  Land  auf  weite  Strecken  ver- 
heeren. Jagdliebhabern  bieten  sich  ausser  den  Ebern  des  Jordanthales 
und  des  Karmel  auf  der  Ebene  Esdrelom  gelegentlich  Rudel  von  Ga- 
zellen und  im  übrigen  Lande  Hasen,  Rebhühner  und  anderes  Federwild. 
Die  grosse  Mehrzahl  der  Einwohner  Palästina's  besteht  auS 
Arabern.  Die  Landessprache  ist  die  arabische,  die  Religion,  zu  der  sich 
bei  Weitem  die  meisten  Eingebornen  bekennen,  der  Islam.  Ausser  den 
ansässigen  Einwohnern,  den  Bürgern  der  Städte  und  den  Bauern  (Fel- 
lahin),    leben   in    Palästina  auch   zahlreiche   Nomaden,    Wüstenaraber 


Ein  vornehmer  Huliamedaneri 


Palästina  im  Allgemeinen. 


31 


Arabische  Landfranen. 


(Bedauin),  welche  namentlich  im  Frühjahr  das  Landmit ihren  Heerden 
durchziehen,  in  mehre  Stämme  (z.  B.  die  Beni  Sakr,  die  Hauarah,  die 
Taamirah)  zerfallen  und  auf  ihren  Wanderungen  hauptsächlich  die  Ge- 
genden am  Jordan,  die  Striche  zwischen  Gaza  und  Hebrdn  und  beson- 
ders die  Ebene  Esdrelom  heimsuchen ,  oft  aber  auch  bis  in  die  Nähe 
des  Meeres  vordringen.  Ausserdem  wohnen  im  Lande  zahlreiche  Juden 
und  Christen.  Die  ersteren  zerfallen  ihrer  Abkunft  und  Sprache  nach 
in  Aschkenasim  und  Sephardim,  ihrer  religiösen  Haltung  nach  in  Pe- 
ruschim  und  Chassidim.  Die  Aschkenasim  sprechen  ein  verdorbenes 
Deutsch,  die  Sephardim  spanisch,  jene  stammen  meist  aus  Osteuropa, 
diese  aus  Spanien  und  Marokko,  jene  stehen  grösstentheils  unter  Juris- 
diction der  Consulate,  diese  sind  türkische  Unterthanen.  Die  Peruschim 
kann  man  als  orthodoxe  Talmudjuden,  die  Chassidim  als  jüdische  Mysti- 
ker bezeichnen.  Karaiten,  welche  den  Talmud  verwerfen,  gibt  es  einige 
Wenige  in  Jerusalem,  Samariter,  welche  nur  die  fünf  Bücher  Mosis 
anerkennen,  noch  etwa  hundert  in  Nablus.  Von  den  Christen  sind  alle 
Hauptbekenntnisse  vertreten.   Am  stärksten  ist  die  Zahl  der  Bekenner 


32  Palästina  im  Allgemeinen. 

der  orthodoxen  morgenländischeii  Kirche  und  die  der  Lateiner  oder 
Kö mischkatholischen.  Ausserdem  trifft  man  Armenier,  syrische  Christen, 
Maroniten,  Abyssinier,  Kopten  und  Protestanten.  Die  Griechen  und 
Russen  besitzen  verschiedene  Klöster,  mit  denen  Pilgerherbergen  ver- 
bunden sind;  noch  grösser  ist  die  Zahl  der  lateinischen  Klöster,  die 
ebenfalls  als  Gasthöfe  dienen.  Die  Protestanten,  meist  Deutsche  und 
Engländer,  haben  in  allen  bedeutenderen  Städten  Missionäre  und  stehen 
unter  einem  Bischof,  der  in  Jerusalem  seinen  Sitz  hat. 

Zur  Zeit  Christi  zerfiel  Palästina  in  verschiedene  Theile:  ein 
kleiner  Strich  im  Südosten  hiess  Idumäa;  daran  schloss  sich  die 
grosse  Provinz  Judäa  mit  den  Städten  Jerusalem,  Hebron,  Jericho, 
Bethlehem,  Cäsarea  und  Joppe  (Jaffa) ;  dann  folgte  weiter  nördlich 
Samai'ia  mit  den  Städten  Sichern  (Nablus)  und  Schomron,  Ginnäa 
(Dschenin)  und  Hepha  (Chaifa);  dann  noch  nördlicher  Galiläa  mit  den 
Ortschaften  Nazareth,  Nain,  Kana,  Tiberias,  Kapernaum  und  Bethsaida. 
Das  transjordanische  Land  endlich  zerfiel  in  die  Provinzen  Peräa, 
die  südlichste  und  grösste,  Graulouitis,  das  Land  östlich  vom  See 
Genezareth  umfassend,  Batauäa,  Auranitis  und  Trachonitis,  die 
kleinste  und  nördlichste.  Gegenwärtig  gehört  der  ganze  Süden  zum 
Paschalik  Jerusalem,  ganz  Galiläa  und  ein  beträchtlicher  Theil  von 
Samaria  zum  Paschalik  Damaskus. 

Die  Moabiter,  mit  denen  David  kämpfte,  wohnten  in  den  Bergen 
östlich  vom  Todten  Meer,  die  Ammoniter  in  den  Strichen  östlich  vom 
Jordan.  Das  Gebirge  Juda  durchzog  Judäa,  das  Gebirge  Ephraim  Sa- 
maria, das  oft  erwähnte  Gebirge  Gilead  Peräa. 

Eine  Reise  durch  Palästina  schliesst  sich  am  besten  einer  Tour 
durch  Egypten  an.  Man  bricht  am  besten  Ende  Februar  oder  Anfang  März 
von  Kairo  auf  und  begibt  sich  entweder  zu  Lande  auf  Kameelen  über  Ei- 
Arisch  nach  Gaza  oder  —  will  man  den  Besuch  des  Suezkanals  dabei  ver- 
binden —  von  Kairo  per  Bahn  nach  Ismailia,  von  da  nach  Besichtigung 
der  wichtigsten  Kanalbauten,  per  Postdampfschiff  nach  Port-Said  und 
von  hier  mittelst  eines  Dampfers  des  österr.  Lloyd  oder  der  Message- 
ries Imperiales  nach  Jaffa,  dem  Haupthafen  Palästinas.  Der  Abgang  der 
Schiffe  von  Port-Said  wird  in  Kairo  sowie  in  Ismailia  in  den  betreffenden 
Agentien  zu  erfragen  sein.  Die  erste  Reise  erfordert  10  bis  12  Tage, 
die  letztere  18  Stunden.  Jerusalem  ist  am  interessantesten  während  der 
Osterwoche  (settimana  santa),  man  thut  daher  wohl,  sich  so  einzurichten, 
dass  man  einige  Tage  vor  derselben  liier  eintrifft.  Indess  muss  erwähnt 
werden,  dass  in  dieser  Zeit  des  Pilgerandranges  halber  die  Miethe  von 
Pferden,  Eseln  und  Kameelen  doppelt  und  dreimal,  ja  viermal  so  hoch 
zu  stehen  kommt,  als  gewöhnlich,  und  dass  die  Klosterherbergen  dann 
überfüllt  sind.  Wer  von  Deutschland  direct  nach  Palästina  reisen  will 
und  den  kürzesten  Weg  einzuschlagen  wünscht,  muss  sich  mit  dem 
Schnelldampfer  des  Lloyd,  der  jede  Woche  nach  Constantinopel  geht, 
nach  Syra  begeben,  von  dort  mit  einem  andern  Lloydschiffe  nach  Smyrna, 
dann  mit  demjenigen  Dampfer  des  österr.  Lloyd  weiter,  welcher  über 
Rhodos,  Cypern,  Beirut  und  Kaiffa  nach  Jaffa,  resp.  Alexandrien  fährt.  Da 


Palästina  im  Allgemeinen. 


jedoch  dieser  Dampfer  nur  jede  zweite  Woche  seine  Tour  zurücklegt, 
so  ist  darauf  bei  der  Abfahrt  von  Triest  zu  achten,  wenn  man  nicht  in 
die  Nothwendigkeit  versetzt  werden  will,  in  Smyma  den  Dampfer  ab- 
warten zu  müssen,  oder  mit  dem  von  Smyma  nach  Alexandrien  direct 
gehenden  Dampfer  zu  reisen,  der  von  letzterem  Orte  den  Anschluss 
eines  andern  Dampfers  über  Port-Said  nach  Jaffa  vermittelt. 

Im  Herbst  nach  Palästina  zu  gehen,  ist  nicht  gerathen,  da  das 
Land  dann,  von  der  Hitze  des  Sommers  ausgetrocknet  und  verbrannt, 
einen  trostlosen  Anblick  gewährt.  Im  Frühjahr  aber,  Anfangs  März 
eintreffend,  wird  der  Eeisende  in  der  Kegel  noch  von  den  Güssen  der 
Eegenzeit  zu  leiden  haben,  und  es  kann  dann  geschehen,  dass  er  viel 
Zeit  an  uninteressanten  Orten  zu  verlieren  genöthigt  ist,  da  viele 
Gegenden  nach  starkem  Regen  völlig  unpassirbar  sind. 

Das  Wichtigste,  womit  der  Pilgor  nach  dem  heiligen  Lande  sich 
auszurüsten  hat,  ist  Geduld  und  die  Kunst,  von  gewohnten  Genüssen 
und  Bequemlichkeiten  auf  einige  Zeit  abzusehen,  ohne  die  gute  Laune 
zu  verlieren.  Dann  ist  es  gut,  Avenn  er  Kenntniss  der  italienischen  Sprache 
hat,  und  drittens  rauss  er  reiten  und,  wenn  ihm  Zeit  und  Kosten  nicht 
gleichgiltig  sind,  anhaltend  reiten  können.  Früher  gingen  Omnibus  von 
Jaffa  nach  Jerusalem.  Diese  sind  neuerdings  wieder  eingestellt,  aber 
die  Strasse  ist  in  gutem  Zustand;  Wagen ,sind  aber  gar  nicht  vorhanden. 

In  Betreff  der  übrigen  Ausrüstung  lassen  sich  allgemein  gil- 
tige Regeln  nicht  wohl  aufstellen.  Auf  keinen  Fall  bedarf  es  der  Un- 
zahl von  Gegenständen,  welche  englische  Reisehandbücher  mitzunehmen 
empfehlen,  da  die  Führer,  von  denen  sogleich  die  Rede  sein  soll,  Alles, 
was  erforderlich  ist,  besitzen.  Man  versehe  sich  mit  einigen  Brech- 
und  Abführmitteln,  mit  etwas  Chinin  (über  dessen  Gebrauch  bei  Fieber- 
anfällen man  sich  vor  der  Abreise  von  seinem  Arzt  Raths  erholen 
möge)  und  mit  Heftpflaster.  Die  Mitnahme  von  Insectenpulver  ist  nicht  mehr 
nötliig,  jedes  Bett  hat  Muskitairen,  das  sind  grosse  Schleier,  die  über  das 
Bett  herabfallen  und  die  Muskitos  vollständig  abhalten.  Von  Waffen  nehme 
man  eine  Doppelflinte  oder  einen  Revolver  Colt'scher  Construction  sammt 
der  erforderlichen  Munition  mit.  Man  trage  entweder  baumwollene 
Heraden  oder  unter  leinenen  ein  wollenes  Unterhemd.  Der  Hitze  wegen 
wähle  man  zu  den  Kleidern,  die  man  vorzüglich  zu  benutzen  denkt, 
lichte  Stoffe,  welche  die  Sonnenstrahlen  weniger .  aut  sich  lenken,  als 
dunkle.  Zur  Bedeckung  des  Kopfes  ist  eine  wattirte  weisse  Mütze  oder 
ein  breitkrämpiger  leichter  Hut  zu  empfehlen,  den  man  zum  Schutz 
gegen  den  Sonnensticli  mit  einem  weissen  Tuch  turbanartig  umwickelt. 
Ein  Visitenanzug:  Frack  u.  s.  w.  ist  für  Den,  der  nicht  aut  den  Um- 
gang mit  den  Consulaten  und  der  übrigen  besseren  Gesellschaft  Jeru- 
salems Verzicht  leisten  will,  fast  unerlässlich.  Ein  Lederbecher  wird 
sich  als  bequemer  Trinkapparat  erweisen;  eine  farbige  Brille  Denen, 
die  an  leicht  entzündlichen  Augen  leiden,  gute  Dienste  leisten.  Wer 
wenig  Gepäck  hat,  wird,  wenn  er  dasselbe  in  einem  ledernen  Mantel- 
sack mit  sich  führt,  ein  Packthier  ersparen  können,  da  ein  solcher 
Sack  sich  mit  aufs  Pferd  oder  Maulthier  nehmen  lässt.  Von  gelehrten 


34  Palästina  im  Allgemeinen. 

Werken  über  Palästina  sind  „Palästina  und  die  angrenzenden  Länder 
von  Robinson"  (3  Bände),  Jerusalem  von  Graf  Wartensleben  und  Rit- 
ters , Erdkunde",  2.  Auflage,  Band  15  und  IG  die  brauchbarsten.  Ein 
Zelt,  ein  fränkisches  Reitzeug,  einen  Kochapparat  von  Europa  mitzu- 
bringen, ist  jetzt  durchaus  nicht  mehr  erforderlich 

Sein  Reisegeld  nimmt  man  sich  am  besten  in  Gold,  französi- 
schem, italienischem,  englischem  oder  in  österreichischen  neuen  Duca- 
ten  oder  russischen  Imperialen,  und  ausserdem  mit  einer  kleinen  Summe 
in  österreichischem,  französischem,  russischem  oder  englischem  Silber- 
geld, mit  dem  man  die  ersten  Ausgaben  bei  und  nach  der  Auschiflfung 
bestreitet.  Creditbriefe  sind  durchaus  nicht  anzuempfehlen,  da  man 
nicht  allein  jin  Europa  3 — 4%,  sondern  auch  im  Orient  wiederum 
l'/j — 2%  Verlust  bei  denselben  hat. 

Die  Landesmünze,  nach  der  hauptsächlich  girechnet  wird,  ist 
der  Piaster  (arabisch :  Grusch),  welcher  etwa  19  Pfennige  preussisch 
werth  ist.  Man  hat  in  Gold  Stücke  zu  100,  zu  50,  zu  20,  zu  10  und 
zu  5  Piaster  ausgeprägt.  Die  erstgenannten  standen  im  Frühling  dieses 
Jahres  108 '/^  Piaster;  sie  werden  Goldmeschidje  genannt.  Der  halbe 
Goldmedschidje,  zu  50  Piastern  ausgeprägt,  galt  damals  54'/.,  Piaster. 
SillDermünzen  türkischen  Gepräges  sind:  der  türkische  Thaler,  auch 
Silbermedschidje.  arabisch  Gasi  genannt,  und  jetzt  21'/,  Piaster  werth ; 
der  Bischlik,  5  Piastern  gleich,  endlich  Stücke  von  3,  von  2.  von  1 
und  von  ',4  Piaster.  Türkische  Kupfermünzen  sind:  der  etwa  thaler- 
grosse  Kupferpiaster,  der  etwa  40  Para  werth  ist,  20-,  10-  und  5 
Parastücke. 

Die  fränkischen  Münzen  hatten  im  April  1869  folgenden  Curs: 
Napoleonsd'or  (sehr  häufig  vorkommend)      .      95  Piaster 
Sovereigns  (das  englische  Pfund  Sterling)   .     i20      „ 

Russische  Imperiais 96      „ 

Oesterreichische  Ducaten 57       , 

Holländische  Ducaten 56 

Französische  Fünffrankenthaler 23^,  „ 

Oesterreichische  Mariatheresienthaler  ...       26      „ 

Rubel 18V,  „ 

Spanische  Colonnaten 27       „ 

Oesterreichische  neue   '/,  Guldenstücke    .     .        3'/4  „ 
Der  englische  Shilling  .......        6       „ 

Der  Franc 4%  , 

Wer  des  Arabischen  nicht  mächtig  ist,  muss  für  die  Reise 
durch  Palästina  einen  Dragoman  annehmen.  Von  diesen  gibt  es  in 
Jerusalem  eine  ziemliche  Anzahl,  und  man  hat  keine  Mühe,  sie  zu 
finden,  da  sie  sich  in  den  Gasthöfen  und  Klöstern  selbst  anbieten.  Man 
zahlt  ihnen,  wenn  zwei  oder  mehre  Reisende  zusammen  gehen,  pro 
Mann  täglich  zwei  Napoleonsdor,  geht  man  allein,  2  '/^  —3  Napoleonsdor. 
Dafür  dient  der  Dragoman  als  Führer,  Dolmetscher  und  Koch,  und 
besorgt  zugleich  Alles,  was  zur  Reise  nothwendig  ist.  Er  bestreitet  die 


Palästina  im  Allgemeinen.  35 

Mietlie  der  Pferde  und  Maiüthiere,  die  Beköstigung,  inclusive  Wein, 
den  Lolin  der  Pferdeknechte  und  Maulthiertreiber  (Mukkarin)  und  die 
Unterkunft  in  den  Locanden,  Khans  oder  Klöstern,  er  liefert  Bett- 
und  Tischzeug  und  nimmt  ein  Zelt  mit,  für  den  Fall,  dass  im  Freien 
campirt  werden  muss. 

Die  Dragoniaue  stehen  mit  wenigen  Ausnahmen  in  üblem  Ruf. 
Sie  sind  gewandte,  der  Wege  und  Verhältnisse  wohlkundige,  aber 
lügenhafte,  verschlagene  und  im  höchsten  Grade  eigennützige  Bursche. 
Es  ist  daher  durchaus  nothwendig,  dass  man  mit  ihnen  einen  schrift- 
lichen Contract  mache,  in  welchem  alle  Leistungen  und  Gegenleistun- 
gen genau  und  bis  in's  Einzelne  aufgeführt  sind.  Diesen  Contract 
schliesst  man  auf  dem  Consulat  ab,  unter  dem  man  steht.  Er  muss 
namentlicli  auch  die  Veri)fiichtung  für  den  Dragoman  enthalten,  den 
Reisenden  in  so  und  so  viel  Tagen  an  die  betreffenden  Orte  zu  brin- 
gen, bestimmte  Stationen  einzuhalten  und  dafür  zu  stehen,  dass  vom 
Gepäck  niclits  verloren  gehe.  Den  bedungenen  Lohn  zahlt  man  in  der 
Regel  zur  Hälfte  im  Voraus  und  lässt  dies  im  Contract  bemerken. 
Was  sonst  in  solche  Verträge  gehört,  erfährt  man  auf  dem  Consulate. 
Klug  ist  es,  sich  an  einen  Dragoman  auf  nicht  zu  lange  Zeit  zu  binden. 
In  der  heiligen  Stadt  selbst  bedarf  es  keines  Dragomans,  da  sich  in 
den  Klöstern,  in  den  Gasthöfen  und  im  preussischen  Hospiz  immer 
Leute  finden,  welche  für  eine  Kleinigkeit  den  I^hrer  durch  die  Stadt 
und  ihre  Umgebung  abgeben.  Nach  dem  Jordan  und  dem  Todten  Meer, 
nach  Hebron  sowie  nach  Samaria  und  Galiläa  ist  ein  Dragoman  uner- 
lässlich,  doch  miethe  man  einen  solchen  immer  nur  für  eine  der  ge- 
nannten drei  Haupttouren,  da  nur  so  Gelegenheit  ist,  zu  wechseln, 
wenn  der  Führer  Anlass  zur  Unzufriedenheit  gegeben  hat. 

Einer  Escorte  ist  man  nur  auf  Ausflügen  nach  dem  Jordan 
benöthigt.  Dieselbe  wird  von  den  Beduinen  der  dort  wohnenden  Stämme 
gestellt,  von  deren  Schechs  sich  stets  einige  in  der  Nähe  der  jerusa- 
lemer Gasthöfe  aufhalten.  Ausflüge  in  das  transjordanische  Land  erfor- 
dern besondere  Vorbereitungen  und  Verträge  mit  den  Schechs,  welche 
die  einzelnen  Striche  als  ihre  speciellen  Weidegründe  betrachten.  Ohne 
Bedeckung  auch  nur  bis  Jericho  zu  reisen,  würde  gefahrlich  sein.  Alles 
Nähere  über  das  Beduinengeleit  erfährt  man  auf  den  Consulaten,  wo 
man  die  Schechs  hinführt,  um  mit  ihnen  abzuschliessen. 

Raubanfälle  waren  frülier  häufiger  als  jetzt.  Indess  ist  es  auch 
gegenwärtig  nicht  zu  rathen,  sich,  wofern  man  nicht  in  starken  Kara- 
wanen reist,  zwischen  Jaffa  und  Jerusalem  von  der  Nacht  im  Freien 
überraschen  zu  lassen,  und  selbst  unmittelbar  vor  den  Thoren  der 
Hauptstadt  des  Landes  kamen  noch  in  diesem  letzten  Jahre  nach  Ein- 
bruch der  Dunkelheit  Räubereien  und  Mordthaten  vor. 

Im  Allgemeinen  kann  Palästina  als  ein  gesundes  Land  bezeich- 
net werden.  In  Jerusalem  kommen  häufig  Wechselfieber  vor,  welche 
Folge  der  Ausdünstung  der  Cisternen  sind;  sie  gelten  indess  für  gut- 
artig. Andere  Kraukheiteu  des  Landes  sind :  Dyssenterien  und  Diarrhöen, 
die  Masern  und  Augenentzündungen.   Man  hüte  sich,  des  Nachts  ohne 


36  Palästina  im  Allgemeinen. 

Zelt  im  Freien  zu  schlafen,  halte  den  Unterleib  warm,  und  geniesse 
nicht  zu  viel  süsse  oder  säuerliche  Früchte,  auch  nicht  zu  viel  frische 
Milch.  Ebenso  hüte  man  sich,  Wasser  in  grossen  Quantitäten  zu  trinken. 
Endlich  nehme  man  sich  in  Acht,  den  entblössten  Kopf  der  Sonne 
auszusetzen.  Fälle  von  Lungenkrankheiten  sind  sehr  selten. 

Die  Hitze  ist  pom  April  bis  zum  October  sehr  stark,  aber  in 
den  höher  gelegenen  Strichen  sowie  am  Meere  nicht  unerträglich,  es 
wäre  denn,  der  Scirocco  (Charasin)  wehte.  Das  Thermometer  steigt  in 
Jerusalem  nur  ausnahmsweise  über  24  Grad  E.,  und  es  wehen  hier 
einen  grossen  Theil  des  Jahres  in  den  Nachmittagsstunden  von  der 
See  her  kühlende  Winde. 

Wir  geben  nun  zwei  Reisepläne  für  Palästina,  einen  für 
Solche,  die  nur  14  Tage,  und  einen  für  Solche,  die  4  Wochen  auf  die 
Besichtigung  des  Landes  verwenden  können: 

1.  Man  begibt  sich  von  Jaffa  über  Ramiehund  Abu  Gösch  nach 
Jerusalem,  wozu  man  per  Pferd  anderthalb  Tage  bedarf,  widmet  der 
heiligen  Stadt  und  ihrer  unmittelbaren  Umgebung  drei  Tage,  besucht 
Bethlehem,  die  Teiche  Salomo's  und  den  Frankenberg,  wozu  ein  wei- 
terer Tag  genügt,  macht,  nach  Jerusalem  zurückgekehrt  oder  besser 
sogleich  von  Bethlehem  aus  (über  das  Kloster  Mar  Saba)  einen  Aus- 
flug nach  Jericho,  dem  Jordan  und  dem  Todten  Meere,  wozu  zwei  und 
ein  halber  Tag  erforderlich  sind,  und  begibt  sich  endlich  von  Jerusa- 
lem über  Nablus,  Dschennin  und  Nazareth  nach  Caifa  —  eine 
Tour,  zu  welcher  man  vier  Tage  bedarf.  Von  Caifa  aus  geht  man 
nach  dem  eine  halbe  Stunde  von  hier  entfernten  Kloster  auf  dem  Vor- 
gebirg  des  Karmel,  kehrt  nach  der  Stadt  zurück  und  begibt  sich  von 
hier  entweder  zu  Lande  (durch  Phönicien)  nach  Beirut  oder  mit  dem 
von  dort  kommenden  Lloyddampfer  nach  Alexandrien  und  von  da  nach 
Triest.  Ein  Reisender,  welcher  sich  auf  diese  Tour  beschränkt,  bedarf 
zu  der  ganzen  Pilgerfahrt  von  Tiiest  bis  in's  heilige  Land  und  zurück 
nach  Triest  nicht  mehr  als  fünf  Wochen.  Gut  ist,  sich  ein  Zaumzeug 
von  Triest  mitzunehmen,  noch  besser  auch  einen  Sattel,  beide  Gegen- 
stände sind  bei  den  Arabern  in  sehr  schlechtem  Zustande.  Für  län- 
gere Reisen  im  Palästina  ist  es  Bedürfniss. 

2. "Man  geht  von  Jaffa  über  Abu  Gösch  nach  Jerusalem,  unter- 
nimmt von  hier  verschiedene  kürzere  Ausflüge:  nach  dem  Oelberg, 
dem  Berg  des  Aergernisses,  den  Gräbern  der  Könige  und  der  Richter, 
und  nach  der  Höhe  von  Nebbi  Samwil  und  bricht,  nachdem  man  einen 
Rasttag  gehalten,  zu  einer  grösseren  Tour  nach  dem  Jordan  und  dem 
Todten  Meere  auf,  mit  der  man  die  nach  Bethlehem  und  Hebron  ver- 
bindet. Wer  alle  Orte  von  einiger  Bedeutung  zu  besuchen  wünscht 
und  nicht  zu  grosse  Eile  hat,  Avird  zu  diesem  combinirten  Ausflug 
eine  Woche  verwenden  und  dabei  nachstehenden  Plan  befolgen:  Jeru- 
salem, Bethanien,  Jericho,  Wüste,  wo  Christus  während  seines  vierzig- 
tägigen Fastens  versucht  wurde,  Badestelle  am  Jordan,  Todtes  Meer, 
Schlucht  von  Endschiddi,  zurück  nach  Jericho,  Kloster  Mar  Saba,  Beth- 
lehem, Frankenberg,  Artas,    Teiche   Salomo's,    Dschedur,   Ed   Dirweb, 


Palästina  im  Allgemeinen.  37 

Bet  Ainun,  Hebron,  zurück  nach  den  Teichen  Salomo's,  Kloster  St. 
Georg,  Bet  Dschalah,  St.  Philipp,  Kloster  St.  Johannis  des  Täufers 
(Ain  Karim),  Kreuzklostcr,  zurück  nacli  Jerusalem. 

Dort  macht  man  wieder  auf  einen  oder  einige  Tage  Rast  und 
begibt  sich  dann  auf  den  Weg  nach  dem  Norden,  um,  an  den  Grenzen 
Palästina's  angelangt,  entweder  1.  von  Nazareth  nach  Caifa  zu 
gehen  und  dort  sicli  einzuschiffen,  oder  2  nordostwärts  nach  Damas- 
kus weiter  zu  reisen,  oder  endlich  3,  sich  über  die  phönizischen  Städte 
Akko,  Sur  und  Saida  nach  Beirut  zu  begeben.  Die  Hauptpuncte,  die 
man  im  ersten  Fall  innerhalb  der  Grenzen  Palästina's  nach  einander 
berührt,  sind :  Birreh,  Sindschil,  Ain  Hebrud,  Silo,  der  Jakobsbrunnen, 
Nablus  (von  wo  man  den  Ebal  und  den  Garizira  besteigt),  Sebastijeh 
(das  alte  Saniaria),  Dschebba,  Sanur,  Dschennin,  Nazareth,  Tabor,  Kana, 
Tiberias,  Nazareth,  Caifa  und  Karraelkloster.  Im  zweiten  Falle  wird 
man,  in  Dschennin  eingetroffen,  wohl  thun,  statt  von  liier  direct  nach 
Nazareth  zu  gehen,  den  Weg  dahin  über  das  Karmelkloster  zu  nehmen, 
wobei  man  zunächst  an  den  Nähr  Ledschun,  dann  an  den  Kison,  dann 
nach  den  Dörfern  El  Jadschur  und  Schech  Sejd  und  endlich  nach 
Caifa  kommt.  Der  Weg  von  liier  nach  Nazareth  beträgt  acht  Stunden 
und  führt  zunächst  am  Karmel  hin,  dann  über  einen  Ausläufer  dieses 
Gebirges  in  die  Ebene  Esdrelom  und  zuletzt  durch  das  galiläische 
Gebirge.  Im  dritten  Falle  ist  es  gerathen,  zunächst  wie  im  zweiten 
nach  Nazareth  zu  gehen,  sich  von  hier  nach  Tabor  und  Tiberias  zu 
begeben  und  von  dort  über  Safet,  das  Drusenstädtchen  Rameli  und 
die  Dörfer  Masd  El  Krum  und  Berue  nach  Akko  zu  reisen.  Die  Tour 
von  Jerusalem  über  Nazareth  und  Tiberias  nach  Caifa  und  dem 
Karmelkloster  erfordert,  wenn  sie  die  zuletzt  angegebenen  Puncte  alle 
berühren  soll,  mindestens  sieben,  die  von  Jerusalem  über  Caifa, 
Karmelkloster  und  Nazareth  nach  Damaskus  elf,  die  von  Jerusalem 
über  Nazareth,  Tiberias,  Safet  und  Akko  nach  Beirut  zehn  Tage 

Die  Pferde,  deren  man  sich  bei  diesen  Touren  bedient,  sind 
nicht  schön,  aber  sehr  ausdauernd  und  von  so  sicherem  Tritt,  dass 
man  sich  auch  auf  den  gefährlichsten  Bergpfaden  vollkommen  auf  sie 
verlassen  kann.  Ein  Pferd  zu  miethen  kostet  in  gewöhnlicher  Zeit 
für  den  Tag  einen  österreichischen  Thaler.  Der  Dragoman  zahlt  dafür 
kaum  mehr  als  15  Piaster.  In  der  Osterzeit  aber,  wo  grosse  Nachfrage 
nach  Reit-  und  Packthieren  ist,  steigt  die  Miethe  bis  auf  40,  ja  bis- 
weilen bis  auf  50  Piaster.  Auf  Eseln  zu  reiten  gilt  in  Jerusalem  nicht 
für  anständig,  dagegen  bedient  man  sich  oft  der  Maulthiere. 

Die  Strassen  des  Landes  sind  im  Gebirge  allenthalben  schlecht, 
mit  Steinen  besäet,  steil  und  holpricht.  Die  Strasse  zwischen  Jaffa  und 
Jerusalem  ist  zwar  fahrbar,  doch  existiren  keine  Wagen.  Lasten  werden 
auf  Maulthieren,  schwereres  Gepäck  auf  dem  Rücken  von  Kameelen 
von  Ort  zu  Ort  befördert.  Damen,  welche  nicht  reiten  können,  müssen 
sich  der  Tragsessel  (Tachteruan;  bedienen,  welche  von  Maulthieren 
oder  Kameelen  getragen  werden,  und  von  denen  sich  in  Jafta  wie  in 
Jerusalem  eine  Anzahl  findet,  die  aber  sehr  theuer  sind. 


38  Palästina  im  Allgemeinen. 

Gasthöfe  triff't  man  in  Jaffa,  Jerusalem  und  Caifa.  Sie  sind 
in  Betracht  der  Verhältnisse  leidlich,  und  es  herrscht  in  ihnen  das 
im  ganzen  Orient  eingeführte  Pensionssystem,  nach  welchem  man  für 
den  Tag  eine  bestimmte  Summe  —  V2  Napoleon  bis  '/j  Pfd.  St.  — 
zu  entrichten  hat,  wofür  Wohnung,  Bett,  Frühstück,  Mittagsessen  und 
Abendbrod  nebst  Bedienung  gewährt  wird.  Wein  und  andere  Getränke 
sind  extra  zu  bezahlen.  Die  tägliche  Zeche  wird  dadurch,  dass  man 
auf  ein  Essen  oder  auf  die  Tafel  überhaupt  verziijhtet,  nicht  vermin- 
dert. Gewaschen  kann  man  in  Jaffa  wie  in  Jerusalem  bekommen.  Ausser 
den  Gasthöfen  sind  auch  die  Klöster  zur  Aufnahme  A'on  Pilgern  einge- 
richtet. Doch  -iarf  man  hier  in  Betreff  des  Essens  keine  grossen  An- 
sprüche machen.  Am  besten  sind  die  lateinischen  Klöster,  namentlich 
das  in  Ramleh,  die  griechischen  leiden  an  zu  grosser  Vorliebe  für 
Wassersuppen  und  andere  Fastenspeisen.  Der  Wein,  der  gereicht  wird, 
ist  in  der  Regel  Cyperwein.  Herberge  und  Verköstigung  sind  umsonst. 
Doch  ist  es  billig  und  deshalb  Gebrauch,  per  Kopf  für  den  Tag  einen 
österreichischen  Thaler  zurückzulassen  und  dem  Pförtner  beim  Abschied 
ein  kleines  Bakschisch  zu  reichen.  In  Jerusalem  ist  ausserdem  das 
preussische  Hospiz  sowie  das  sehr  elegant  eingerichtete  österreichische. 
Ersteres  zunächst  für  Preussen,  dann  für  protestantische  Deutsche, 
dann  für  Deutsche  überhaupt  bestimmt,  hat  nur  für  eine  kleine  An- 
zahl Gäste  Raum,  ist  aber  sonst  sehr  zu  empfehlen.  Eintritt  gewährt 
der  Consul,  dem  man  seinen  Pass  zu  präsentiren  hat.  Letzteres,  zunächst 
für  Oesterreicher,  dann  für  alle  Deutsche  errichtet,  hat  für  mehr  als 
hundert  Pilger  Platz,  und  hat  man  sich  wegen  der  Aufnahme  an  den 
Generalconsul  zu  wenden.  In  ei'sterem  entrichtet  man  für  den  Tag  13 
Piaster,  wofür  ausser  der  Wohnung  Kaffee,  Thee,  Essen  und  Wein 
gewährt  wird,  und  ausserdem  wöchentlich  7  Piaster  für  Bettwäsche. 
In  letzterem  wird  nichts  bezahlt. 

Was  die  orientalischen  Gasthäuser  (Khane)  betrifft,  die  sich  in 
allen  Städten  und  ebenso  in  allen  an  den  Hauptstrassen  gelegenen 
grösseren  Dörfern  finden,  so  thut  man  klug,  wenn  nicht  die  äusserste 
Noth  die  Einkehr  gebietet,  sie  bei  Seite  liegen  zu  lassen  und  sich  mit 
seinem  Zelt  zu  begnügen.  Sie  sind  in  der  Regel  stallartige,  äusserst 
schmutzige  Löcher,  voll  Ungeziefer  und  gemeines  Volk,  und  es  ist  in 
ihnen  ausser  Kaffee  und  schlechtem  Branntwein  nichts  zu  bekommen,  was 
nicht  jedes  Bauernhaus  böte. 

Consul ate  und  Consularagenturen  trifft  man  in  allen  Städten. 
In  Jerusalem  ist  Deutschland  durch  einen  österreichischen  General- 
consul und  einen  norddeutschen  Consul  vertreten,  während  England, 
Frankreich,  Russland,  Spanien,  Sardinien,  Griechenland  und  die  Ver- 
einigten Staaten  von  Nordamerika  hier  Consuln  haben.  Dieselben  üben 
über  die  in  Palästina  wohnenden  Angehörigen  ihrer  betreffenden  Staaten 
die  richterliche  Gewalt,  sind  ihre  Berather  und  Beschützer  gegenüber 
den  Türken,  und  erstrecken  diese  Dienstleistungen  auch  auf  die  Rei- 
senden, die  sich  ihnen  als  zu  ihrer  Flagge  gehörig  legitirairen.  Ihre 
Wohnungen  sind  leicht  erkennbar  an  den  Flaggenstangen,  welche  ihre 


Palästina  im  Allgemeinen. 


39 


Dächer  überragen.  Der  vorsichtige  Reisende  schliesst  jeden  Vertrag 
von  einiger  Bedeutung  auf  seinem  Consulate  ab.  Auch  thut  man  in 
allen  Fällen,  wo  man  in  ernstliche  Conflicte  mit  den  Eingebornen  oder 
den  türkischen  Behörden  kommt,  wohl,  sich  sofort  auf  seinen  Consul 
oder  den  nächsten  Consularagenten  zu  berufen. 

Wir  haben  schliesslich  noch  von  den  Kosten  einer  Reise 
von  der  Mitte  Deutschlands  nach  Palästina  und  zurück  zu  sprechen. 
Es  wird  dabei  angenommen,  dass  der  Reisende  sich  auf  das  eigentliche 
Palästina  beschränkt.  Wer  innerhalb  dieser  Beschränkung  der  ersten 
der  oben  angeführten  vierzehntägigen  Reiserouten  folgt,  auf  den  Eisen- 
bahnen und  Dampfern  in  zweiter  Classe  fährt;  wer  ferner  in  Triest 
beim  öst.  Lloyd  nicht  vergisst,  ein  Fahrbillet  zu  lösen,  das  für  die 
Hin-  und  Herreise  gilt,  wobei  ein  beträchtlicher  Nachlass  der  Kosten 
eintritt;  wer  sodann  in  Jerusalem  in  einem  Kloster  oder  Hospiz  wohnt, 
während  der  Ausflüge  einen  Dragoraan  mit  Andern  zusammen  nimmt, 
wozu  sich  vom  März  bis  zum  Mai  stets  Gelegenheit  ündet,  wer  end- 
lich allen  unnützen  Aufwand  vermeidet,  wird  Alles  in  Allem  nicht 
mehr  als  400  bis  450  Gulden,  oder  270  bis  300  Thaler  bedürfen.  Rei- 
sende katholischer  Confession  thun  wohl,  sich  der  alljährlich  um  die 
Osterzeit  nach  dem  heiligen  Lande  aufbrechenden  österreichischen  Pil- 
gerkarawane anzuschlicssen,  die  meist  aus  Pilgern  besserer  Stände 
besteht.  Eine  Tour  von  vier  bis  fünf  Wochen  wird,  da  die  Ausgaben 
für  Eisenbahn  und  Dampfschiff  dieselben  bleiben,  150  bis  200  Gulden 
mehr  kosten.  Die  Ausgaben  von  luxusliebenden  Reisenden  lassen  sich 
nicht  berechnen,  indess  ist  zu  bemerken,  dass  man  —  von  Einkäufen 
natürlich  abgesehen  —  die  ganze  Tour  für  800  Gulden  mit  allem  mög- 
lichen Comfort  machoii  kann. 


40  Jerusalem. 


ZWEITES  CAPITEL. 


Jerusalem. 

Jatt'a.  —  Ramleh.  —  Allgeraeines  über  Jerusalem.  —  Thore.  —  Stadtviertel.  — 
Einwohner/ahl.  -  Strassen  und  Plätze.  —  Bazars.  -  Kircben  und  Klöster.  —  Orte 
der  Legende.  —  Synagogen.  —  Moscheen.  Die  Citadelle.  —  Teiche  und  Brunnen  in 
der  Stadt  und  ihrer  Umgehung.  —  Gärten.  Die  Tempelraauer.  —  Grräber.  —  Berge 
und  Thäler,  —  Einiges  über  das  alte  Jerusalem.  —  Plan,  nach  welchem  die  Stadt  und 
ihre  Nachbarschaft  binnen  sechs  Tagen  mit  Nutzen  zu  sehen. 

Vor  Jaffa  angekoniraen,  lässt  man  sich,  nachdem  das  Schiff 
Pratica  erlangt,  von  einem  der  Bootführer,  die  sich  einstellen,  an  das 
Land  setzen,  wofür,  je  nach  Zustand  des  Meeres  3  bis  5  Fr.  (Francs) 
ja  8 — 10  Fr.  zu  zahlen  sind.  Zuweilen,  bei  Sturm,  ist  die  Aus-  und 
Einschiffung  total  gefährlich  und  bleibt  dann  nichts  übrig  als  das 
Urtheil  des  Schiflscapitäns  einzuholen  und  eventuell  bis  nach  Caifa  zu 
fahren  und  dort  die  Ausschiffung  zu  versuchen  Man  lässt  sich  dann 
entweder  nach  dem  lateinischen  Kloster,  welches  sich  in  der  Strasse 
am  Landungsplatze  befindet,  oder  nach  dem  Hotel  „Jerusalem"  führen, 
das  erste  liegt  auf  dem  Gipfel  des  Stadthügels,  das  Hotel  links  ausser- 
halb der  Stadt.  In  beiden  zahlt  man  für  den  Tag  '/^  Napoleon. 
In  dem  letztem  wird  deutsch  gesprochen.  Der  Wirth  ist  gefällig,  das 
Haus  nicht  unsauber,  das  Essen  gut.  Es  gibt  in  Jaffa  mehre  Consular- 
agenten,  darunter  einen  norddeutschen  und  einen  österreichischen.  Auch 
leben  hier  mehre  protestantische  Missionäre.  Die  Quarantäneanstalt  ist 
eine  der  schlechtesten  am  Mittelmeere,  der  Hafen  oder  vielmehr  die 
Ehede  unsicher. 

Jaffa,  das  alte  Joppe,  ist  eine  sehr  alte  Stadt.  Es  wird  schon 
Josua  19,  46  erwähnt.  Andere  Stellen  der  Bibel,  die  sich  auf  die  Stadt 
beziehen,  sind  Jonas  1,  3,  Apostelgesch.  9,  36  und  43.  Die  Stadt  ist 
mit  einer  Mauer  und  einem  trockenen  Festungsgraben  umgeben  und 
hat  zwei  Thore,  eines  auf  der  See-  und  eines  auf  der  Landseite.  Die 
Gassen  sind  eng  und  düster.  Einwohner  hat  Jaffa  gegen  12,000.  Die- 
selben nähren  sich  von  Handwerken,  besonders  Seifensiederei  und  Ger- 
berei, von  Handel  und  Gartenbau.  Klöster  befinden  sich  hier  drei,  ein 
lateinisches  Franziscanerkloster,  ein  griechisches  und  ein  armenisches; 
Moscheen  zwei,  Synagogen  eine.  Die  hier  wohnenden  Juden  sind  mit 
wenigen  Ausnahmen  Sephardim.    Von  Legendenorten  "zeigt  man :   das 


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2 


Jerusalem. 


41 


Jaffa. 


Haus  des  Gerbers  Simon  (bei  dem  Petrus  wohnte,  als  er  das  Gesicht 
vom  Tuch  mit  den  unreinen  Speisen  sah)  in  einer  Capelle  des  latei- 
nischen Klosters,  nach  Andern  in  einem  kleinen  mohammedanischen 
Bethause  im  südlichen  Theile  der  Stadt,  und  das  Haus  der  Jüngerin 
Tabitha,  welche  derselbe  Apostel  vom  Tode  erweckte,  in  einem  Trüm- 
merhaufen eine  Viertelstunde  östlich  von  Jaffa.  Sehr  eines  Besuches 
werth  sind  die  Orangengärten  im  Osten  der  Stadt,  prächtig  das  Panorama 
von  Land  und  Meer,  welches  man  von  der  Terrasse  des  Gasthauses 
überschaut.  Die  Orangen  Jaffa's  sind  sehr  gross,  aber  nicht  fein,  vor- 
trefflich dagegen  seine  Melonen. 

Von  Jaifa  führt  die  Strasse  nach  Jerusalem  zunächst  '/^  Meile 
durch  Gärten,  dann  2 '/,  Meile  durch  Felder  und  Triften,  das  einstige 
Gefilde  Saron,  dann  3  /,  Meile  durch  die  Thäler  und  über  die  Kämme 
eines  wilden,  grösstentheils  öden  Gebirges.  Ein  guter  Reiter  auf  einem 
tüchtigen  Pferde  kann  die  Strecke  in  einem  Tage  zurücklegen.  Indess 
macht  man  in  der  Regel  in  Ramleh  Nachtquartier.  Die  Dörfer,  denen 
man  auf  der  Ebene  bis  Ramleh  begegnet,  heissen  Bet  Dedschen,  Jasur 
und  Serfend.  Auf  der  Ebene  vollbrachte  Simson  seinen  Streich  mit  den 
Füchsen.  Ramleh,  3  starke  Stunden  von  Jaffa,  9'/,  von  Jerusalem 
entfernt,  war  einst  eine  sehr  blühende  und  volkreiche  Stadt.  Jetzt  ist 
es  ein  kleiner,  ärmlicher  Ort  mit  etwa  3000  Einwohnern.  Die  Archäo- 
logen vermuthen,  dass  es  die  Stelle  des  alten  Arimathia  einnimmt.  Es 


42  Jerusalem. 


hat  ein  zur  Aufnahme  von  Pilgern  sehr  gut  eingerichtetes  lateinisches, 
ein  griechisches  und  ein  armenisches  Kloster,  sowie  zwei  Moscheen. 
Eine  gute  Viertelstunde  von  der  Stadt  steht  ein  hoher,  weithin  sicht- 
barer viereckiger  Thurm  (von  Qaadern,  den  man  auf  118  Stufen  er- 
steigt, und  von  wolchem  man  eine  gute  Aussicht  geniesst.  Die  südlich 
von  demselben  befindlichen  Ruinen  mit  unterirdischen  Gewölben  sind 
Beste  der  Kalaun-Moschee,  eines  Baues  des  14.  Jahrhunderts,  welchem 
auch  der  Thurm  angehörte. 

Eine  starke  halbe  Stunde  von  hier  liegt  das  Dorf  Ludd,  in  dem 
man  das  Lydda  (Diospolis)  des  Alterthums  sucht,  wo  Petrus  den 
gichtbrüchigen  Aeneas  heilte.  In  der  jetzt  in  Trümmern  liegenden 
Kirche  des  Ortes  erblickt  die  Legende  das  Grab  des  heiligen  Georg. 
Die  Mohammedaner  des  Mittelalters  glaubten,  dass  hier  Christus  den 
Antichrist  besiegen  werde. 

Auf  dem  geraden  Weg  von  Ramleh  nach  Jerusalem  trifft  der 
Eeisende,  nachdem  er  bei  dem  in  Ruinen  liegenden  Dorfe  Leitrun  die 
Gebirgsregion  betreten,  erst  drei  Stunden  vor  der  heiligen  Stadt  einen 
Ort  von  einiger  Grösse.  Es  ist  das  Städtchen  Kurjat  El  Enah  nach 
ejnem  Räuber,  der  hier  hauste,  gewöhnlich  Abu  Gösch  genannt. 
Einige  Gelehrte  suchen  hier  das  Emmaus  des  N.  T.,  welches  jedoch 
von  Robinson  nach  dem  eine  Viertelmeile  nördlich  von  Latrun  gele- 
genen Amwas  verlegt  wird.  Andere  erblicken  im  Abu  Gösch  das  Kirjat 
Jearim  des  A.  T.,  die  , Stadt  der  Wälder",  wo  zu  David's  Zeit  einmal 
die  Bundeslade  stand. 

1  '/j  Stunde  von  Abu  Gösch  liegt  links  vom  Wege  Kulonijeh,  ein 
Dorf,  in  dessen  Nähe  David  nach  der  Legende  die  Kiesel  auflas,  mit 
deren  einem  er  den  Riesen  Goliath  tödtete.  Eine  Stunde  von  hier  steigt 
die  Strasse  einen  steilen  Berg  hinan,  auf  dem  der  Pilger  Jerusalems 
zuerst  ansichtig  wird. 

Frühere  Wallfahrer  stiegen  hier  von  den  Pferden,  beteten  und 
legten  die  Strecke  bis  zu  den  Thoren  zu  Fuss  zurück.  Die  Stadt  nimmt 
sich  mit  ihrer  hohen,  grauen  Zinnenmauer  und  ihren  Kuppeln  und 
Minarets  recht  gut  aus,  die  Umgebung  aber  macht  von  hier  den  Ein- 
druck der  Dürre  und  Oede. 

Wer  im  lateinischen  Kloster  oder  im  preussischen  Hospiz  oder 
in  dem  zu  empfehlenden  Hotel  des  Gastwirthes  Hornischer  abzusteigen 
wünscht,  schlägt  den  nächsten  Weg  ein,  wenn  er  durch  das  Jaffathor 
geht.  Der  nächste  Weg  nach  dem  österreichischen  Pilgerhaus  führt 
durch  das  Damaskusthor.  Das  österreichische  Pilgerhaus  liegt  auf  der 
Gasse,  die  vom  Damaskusthor  nach  der  Amtswohnung  des  Pascha  führt, 
das  Generalconsulat  ebendaselbst.  Das  lateinische  Kloster  befindet  sich 
etwa  hundert  Schritte  vom  Jaffathor,  nicht  fern  vom  Patriarchat,  das 
preussischo  Hospiz  hart  beim  heiligen  Grab  und  dicht  neben  dem  Con- 
sulat  Letzteres  ist  nicht  übel  eingerichtet,  und  man  zahlt  daselbst  für 
den  Tag  '4  Pfd.  St.  zz  5  Gulden  für  Wohnung,  Jessen  und  Bedienung. 
Billiger  (10  Francs  per  Tag),  aber  weniger  gut,  ist  die  Rosenthal'sche 
Locanda. 


Jerusalem.  43 


k 


Jerusalem,  liebräisch  Jeruschalajini,  von  den  Arabern  El  Kods, 
d.  i.  die  Heilige,  genannt,  hat  so  viele  Zerstörungen  erlitten,  dass  es  sehr 
schwierig  ist,  die  alten  Oertlichkeiten  wissenschaftlich  festzustellen.  Die 
Legende  macht  sicli's  leicht,  da  für  sie  Phantasie  und  Traditionsglaube 
massgebend  ist.  Die  Archäologie  dagegen  weiss  selbst  von  manchen  der  alten 
Thäler  und  Hügel  noch  nicht  mit  Genauigkeit  anxuge])en,  welche  der 
jetzigen  Höhen  und  Vertiefungen  ihnen  ents])recheu.  Gewiss  ist  nur,  dass 
der  Moriah.  auf  welchem  der  Tempel  Jehova's  sich  erhob,  da  zu  suchen 
ist,  wo  jetzt  auf  dem  Platze  Haram  Esch  Scherif  die  Öakhra-  und  die 
Aksa-Moschee  stehen;  ferner,  dass  Zion  der  südwestliche  Hügel  der 
Stadt  war,  auf  dem  die  protestantische  Kirche  sich  befindet,  und  wel- 
cher noch  jetzt  wie  vor  Alters  im  Norden  mit  einem  steilen  Abhang 
endigt,  endlich,  dass  der  alte  viereckige  Thurm  der  Citadelle  am  JafFa- 
thor  der  Hippieus  des  Josephus  ist.  Von  den  Bauten  des  alten  Jeru- 
salem sind  ausser  diesem  Thurme  nur  die  Substructionsmaueru  des 
Tempelplatzes,  einige  Teiche  und  einige  Grabmäler  und  Grotten  noch 
vorhanden.  Sicher  ist  auch,  dass  der  jetzt  als  der  Oelberg  bezeichnete 
Hügel  der  alte  Oelberg  ist. 

Die  Stadt  liegt  etwa  2500  Fuss  über  dem  Mittelländischen  und 
ungefähr  3680  über  dem  3  /j  Meilen  von  hier  entfernten  Todten  Meere 
auf  vier  Hügeln:  dem  bereits  genannten  Moriah,  dem  Zion.  dem  Akra 
im  Nordwesten  und  dem  Bezetha  im  Nordosten.  Im  Westen  und  Süden 
senkt  sich  diese  Hügelgruppe  nach  dem  Gihonthal,  dessen  südlicher 
Theil  das  Thal  Hinnom  genannt  wird,  im  Osten  nach  dem  Kidronthal. 
Jenseits  des  ersteren  Thaies  erhebt  sich  der  Berg  des  bösen  Rathes, 
jenseits  des  Kidron  der  Berg  des  Aergornisses  und  der  Oelberg.  So- 
wohl der  Gihon  wie  der  Kidron  hat  nur  nach  den  Regengüssen  des 
Winters  ein   wenig  Wasser. 

So  stolz  und  schön  Jerusalem  sich  von  aussen  ausnimmt,  so 
wenig  schön  ist  es  im  Innern.  Es  mag  nicht  mehr  so  schmutzig  sein, 
als  früher,  aber  die  Gassen  sind  immer  noch  schmutzig  genug.  Dazu 
kommt,  dass  die  Strassen  meist  eng  uud  schlecht  gepflastert,  die 
Häuser  mit  wenigen  Ausnahmen  zwar  massiv,  aber  unansehnlich  sind, 
dass  man  vielen  halben  und  ganzen  Ruinen,  selten  einem  grösseren 
Platz,  fast  nirgends  einem  Garten  begegnet. 

Jerusalem  ist  rings  mit  einer  Matier  umgeben  und  gilt  als  Festung, 
obwohl  es  schwerlich  auch  nur  24  Stunden  einer  europäischen  Belagerungs- 
armee Widerstand  leisten  könnte.  In  die  Stadt  führen  sieben  Thore,  von 
denen  jedoch  gegenwärtig  nur  vier  oifen  sind.  Das  Jaffathor,  aus  dem  man 
nach  Bethlehem  und  Hebron  geht,  befindet  sich  auf  der  Westseite,  hart 
neben  der  Citadelle.  Da  man  vor  ihm  die  beste  Gelegenheit  hat,  sich  von 
dem  im  Sommer  fast  alle  Nachmittage  wehenden  AVestwinde  kühlen 
zu  lassen,  so  geht  die  fränkische  Welt  hier  viel  spazieren,  und  so  sind 
hier  auch  zwei  ziemlich  gute  Kaffeehäuser  entstanden.  Die  Araber 
neimen  <lieses  Thor  Bab  El  Chalil.  d.  h.  wörtlich  das  Thor  des  Freun- 
des, d  h.  Abrahams,  in  dem  der  Koran  ebenso  wie  die  Bibel  den 
Freund  Gottes   erblickt.   Chalil  ist  aber  auch   zugleich  der  arabische 


44  Jerusalem. 


Name  Hebrons,  da  Abraham  lange  Zeit  dort  wohnte,  und  so  heisst 
Bab  El  Chalil  einfach  Hebronthor.  fJinige  hundert  Schritte  nördlich 
davon  öffnet  sich  das  Daniascusthor ,  ein  schöner  Sjjitzbogen ,  der 
nach  den  Säulen,  von  deren  Capitälern  er  sich  erhebt,  arabisch  Bab 
El  Amud,  Säulenthor  genannt  wird.  Nicht  fern  von  der  Nordostecke 
der  Stadt  folgt  das  kleine,  jetzt  verschlossene  Herodesthor,  welches  die 
Eingebornen  mit  dem  Namen  Bab  Es  Sahira,  d.  i.  Thor  der  Wächterin, 
bezeichnen.  Auf  der  Ostseite  der  Mauer  befindet  sich  zunächst  das 
Stephansthor,  welches  bei  den  Mohammedanern  Bab  Es  Sebat,  Thor 
der  Stämme,  bei  den  arabischen  Christen,  weil  von  hier  der  Weg  zum 
angeblichen  Grabe  der  Jungfrau  Maria  hinabführt,  Bab  Setti  Mirjam 
heisst.  Seine  Aussenseite  schmücken  vier  steinerne  Löwen  in  Hautrelief, 
wesshalb  Einige  ihm  auch  den  Namen  Löwenthor  geben.  Geht  man 
von  hier  weiter  nach  Süden,  so  gelangt  man  an  das  goldene  Thor, 
arabisch  Bab  Er  Eachmeh,  Thor  der  Barmherzigkeit,  einen  byzantini- 
schen Doppelbogen  mit  schönen  Säulen,  dessen  Oeffnung  jetzt  vermau- 
ert ist,  da  es  direct  auf  den  alten  Tempelplatz  führt  und  die  Moham- 
medaner die  Sage  fürchten,  es  werde  einst  durch  dasselbe  ein  König 
einziehen,  welcher  die  Stadt  und  von  ihr  aus  die  ganze  Welt  zu  be- 
herrschen bestimmt  sei.  Auf  der  Südseite  der  Mauer  trifft  man  das 
jetzt  meist  verschlossene  Mistthor,  an  der  Südwestecke  endlich  das 
Zionsthor  an,  welches  nach  dem  sogenannten  Grabe  David's  führt  und 
darum  bei  den  Arabern  Bab  En  Nebbi  Daud  heisst. 

Die  Stadt  zerfällt  in  vier  Quartiere  (Hareth),  die  nach  den 
Confessionen  benannt  werden,  indess,  ohne  dass  die  Bekenner  des  einen 
Glaubens  gehindert  wären,  sich  im  Bereich  der  Andersgläubigen  anzu- 
siedeln. Diese  Stadtviertel  sind:  das  mohammedanische,  welches  die 
ganze  Osthältte  Jerusalems  umfasst,  in  dem  aber  auch  viele  Christen 
und  Juden  wohnen,  das  Christenquartier,  welches  die  nordwestliche  Ecke 
der  Stadt  einnimmt,  femer  das  armenische  Viertel  im  Südwesten,  end- 
lich das  Judenviertel,  im  Süden  zwischen  dem  armenischen  und  mo- 
hammedanischen. Im  Quartier  der  Mohammedaner  liegen:  der  altö 
Tempelplatz,  die  sogenannte  Via  dolorosa,  der  Teich  Bethesda  und  die 
Caserne,  in  welcher  der  Pascha  seine  Amtswohnung  hat ;  im  christli- 
chen: die  Grabeskirche,  der  Hiskiasteich,  die  Wohnungen  des  lateinischen 
und  griechischen  Patriarchen  und  des  protestantischen  Bischofs  und 
die  Hauptklöster  der  Lateiner  und  Griechen;  im  armenischen:  die 
Citadelle,  eine  zweite  Caserne,  die  protestantische  Kirche  und  das 
grosse  Kloster,  in  dem  der  armenische  Patriarch  wohnt.  Das  Juden- 
viertel  zeichnet  sich  durch  eine  stattliche  Synagoge  aus,  die  jedoch 
noch  unvollendet  ist. 

Wie  viele  Einwohner  Jerusalem  hat,  lässt  sich  nicht  genau 
ermitteln.  Man  weiss  nur,  dass  die  Zahl  derselben  nicht  unter  24,000 
betragen  kann,  und  dass  darunter  etwa  4000  Christen  verschiedener 
Bekenntnisse,  und  5500  Juden  sind.  Von  europäischen  Nationen  sind 
die  Griechen  und  die  Italiener  am  stärksten  vertreten.  Die  protestan- 
tische Gemeinde  zählt  ungefähr  240  Mitglieder,  worunter  sich  circa  60 


Jerusalem.  45 

Deutsche  befinden.  Die  Zahl  der  Einwohner,  welche  nicht  Unterthanen 
des  Sultans  sind,  sondern  unter  dem  Schutze  der  Consulate  leben,  be- 
läuft sich  etwa  auf  2000.  Die  grosse  Mehrzahl  derselben  besteht  aus 
österreichischen  und  russischen  Juden.  Die  Sitten  der  Eingebornen 
gleichen  im  Allgemeinen  denen  in  den  andern  arabischen  Städten.  Als 
Bewohner  der  lieiligen  Stadt  halten  die  Angehörigen  alier  Confessionen 
strenger  als  anderwärts  auf  die  Beobachtung  religiöser  Gebräuche  Der 
Fanatismus  der  Mohammedaner  hat  in  den  letzten  Jahrzehnten  sehr 
nachgelassen.  Die  Franken  leben  unter  sich,  soweit  es  die  Verhältnisse 
gestatten,  wie  in  der  Heimat.  Europäische  Stoffe,  Kleider,  selbst  Luxus- 
artikel sind  —  allerdings  zu  ziemlich  hohen  Preisen  —  in  der  Spitt- 
ler'schen  Handlung  unweit  des  Jaffathores,  welche  sich  auch  mit  Spe- 
ditionsgeschäften nach  Deutschland  befasst.  Von  Zeitungen  sahen  wir 
die  Triestor  und  die  neue  Preussische.  Eine  ßriefpost  ist  mit  dem 
österreichischen  Generalconsulat  verbunden.  Bälle,  Theatervorstellungen, 
Concerte  kommen  natürlich  nicht  vor.  Aerzte  gibt  es  mehre  in  Jerusa- 
lem Spitäler  haben  die  Engländer,  die  Preussen  (in  welchem  die  Kran- 
ken von  Diaconissinnen  gepflegt  werden,  die  auch  eine  Schule  halten) 
und  die  Juden.  Das  Spital  für  die  Aussätzigen  (Biut  El  Massakin) 
bestellt  in  17  elenden  Hätten  am  Zionsthor,  in  welchen  etwa  30  Kranke 
wohnen. 

Gasseu  hat  Jerusalem  170,  doch  sind  die  meisten  kurz  und 
wenig  belebt.  Die  wichtigsten  sind :  die  Christengasse  (Batrak),  die 
vom  Jaffathor  zum  Haram  Esch  Scherif  führt,  die  Via  dolorosa,  die 
zwischen  dem  Damaskusthor  und  der  Amtswohnung  des  Pascha  und 
die  Marktgassen  oder  Bazare  (arabisch  Suk),  von  denen  drei  überwölbt 
sind  und  welche  aus  langen  Reihen  kleiner  Boutiquen  bestehen,  in  denen 
KauHeute  und  Handwerker  ihre  Geschäfte  treiben.  Die  Kaiieehäuser 
sind  mit  wonigen  Ausnahmen  schmutzige,  dunkle  Löcher. 

Grosse  öffentHche  Plätze  hat  die  Stadt  mit  Ausnahme  des 
Haram  Esch  Scherif,  zu  dem  in  der  Regel  nur  Bekenner  des  Islam 
Zutritt  haben,  nicht.  Der  Platz  vor  der  Grabeskirche  ist  klein,  etwas 
grösser  ist  der  im  Osten  der  Citadelle,  und  der  Meidan  an  der  öst- 
lichen Gasse  des  jüdischen  Quartiers,  in  welchem  man  den  alten  Xy- 
stus  sucht.  Ebenfalls  wenig  geräumig  ist  der  Viehmarkt  am  Zionsthor. 

Von  den  Kirchen  und  Klöstern  Jerusalems  ist  zuerst  die 
Kirche  des  heiligen  Grabes  zu  erwälinen,  welche  richtiger  als  die 
Grabes-  und  Kalvarienkirche  bezeichnet  wird,  da  sie  nach  der  Tradition 
nicht  nur  die  Begräbnisstätte  Christi,  sondern  auch  den  Hügel  Gol- 
gotha  einschliesst.  Der  Eintritt  steht  gegenwärtig  Jedermann  (mit 
Ausnahme  der  Juden)  mehre  Stunden  des  Tages  frei.  Die  Kirche  besteht 
aus  drei  Hauptabtheilungen,  von  denen  die  erste  das  Grab,  die  zweite 
die  Kreuzigungsstätte,  die  dritte  den  Ort  umschliesst,  wo  die  Kaiserin 
Helena  die  Kreuze  Christi  und  der  Schacher  fand.  Vor  dem  Thore 
befindet  sich  ein  gepflasterter  Platz,  auf  dem  Händler  mit  Wachskerzen, 
Rosenkränzen,  allerlei  Perlmutterschnitzwerk  und  .Jerichorosen  ihre 
Waaren  anpreisen.   Zwei  Portale,  von  denen  das  eine  jetzt  vermauert 


46 


Jerusalem. 


Fa^e  der  Orabeskirche. 


ist,  und  über  denen  sich  zwei  gleichgrosse  und  gleichgeformte,  jetzt 
ebenfalls  mit  Steinen  geschlossene  Fenster  befinden,  schmücken  mit 
ihren  von  kleinen  Säulen  getragenen  Rundbogen  die  Fa^ade.  Das 
Wächteramt  an  der  Thüre  versehen  Türken,  ilinige  Schritte  vom  Ein- 
gang gelangt  man  zu  der  ersten  Reliquie  dieses  grössten  Reliquien- 
schreins der  christlichen  Welt.  Es  ist  eine  röthliche  Marmorplatte,  auf 
welcher  die  Salbung  des  Gekreuzigten  durch  Joseph  von  Arimathia 
stattgefunden  haben  soll.  Hängelampen  und  Leuchter  mit  dicken  Wachs- 
kerzen werfen  ihr  Licht  auf  den  heiligen  Stein.  Wendet  man  sich  von 
hier  zur  Rechten,  so  gelangt  man  an  eine  Treppe,  die  auf  den  Hügel 
Golgotha  führt;  geht  man  zur  Linken  weiter,  so  kommt  man  in  die 
Rotunde  des  heiligen  Grabes.  Der  (jipfel  des  Golgotha  ist  überbaut 
und  in  eine  Kirche  verwandelt,  die  durch  weisse  Marmorsäulen  in 
zwei  Hälften  geschieden  ist.  Die  Nordhälfte  umfasst  die  Stelle,  wo  man 
Jesus  an  das  Kreuz  nagelte,  die  südliche  den  Ort,  wo  man  sein  Kreuz 
neben  dem  der  beiden  Schacher  aufstellte.  In  beiden  Abtheilungen 
brennen  an    hundert  Ampeln  und  Kerzen,   lieber   der    Vertiefung,  in 


Jerusalem. 


47 


Kreuüigungstätle. 


welcher  das  Kreuz  Christi  stand,  hat  man  eine  Silbcrplatte  mit 
der  griechisclien  Inschrift:  ,,Hier  bewirkte  Gott,  unser  Koni?,  vor 
Jahrhunderten  das  Heil  im  Mittelpunct  der  Welt",  befestigt.  Zu  beiden 
Seiten  werden  die  Stellen,  wo  die  Kreuze  der  Schacher  standen,  gezeigft, 
und  dahinter  schimmert  ein  mit  Silberbloch  beschlagener  Altar.  Nicht 
fern  von  dem  Puncte,  wo  das  Kreuz  des  linken  Schachers  eingelassen 
war,  sieht  man  den  bei  Christi  Verscheiden  entstandenen  Felsen- 
spalt, der  bis  zum  Centrum  des  Erdballs  hinabgtdit  und  der  einst  am 
jüngsten  Tage  die  Lämmer  von  den  Böcken  scheiden  soll.  Der  Raum 
unter  dieser  Calvarienkirche  ist  ebenfalls  durch  eine  Scheidewand  in 
eine  Nord-  und  eine  Südhälfte  getrennt,  von  denen  jene  als  Sakristei 
für  die  griechischen  Geistlichen  dient,  welche  liier  den  Dienst  versehen, 
während  die  andere  Abtheilung  eine  Capelle  des  Evangelisten  Johannes 
ist.  Hier  befand  sich  das  Grab  Melchisedeks.  des  Priesterkönigs  von 
Salem,  und  hier  wurde  der  Schädel  Adams  gefunden.  Vor  der  Capelle 
aber  lagen  einst  in  ihren  Steinsärgen  die  Kreuzfahrerkönige  Gottfried 
von  Bouillon  und  Balduin  der  Erste.  Jetzt  ist  von  den  Särgen  nichts 
mehr  vorhanden. 

Betritt  man  durch  das  Pförtchen  neben  der  Treppe  zur  Kreu- 
zigimgskirche  den  halbrunden  dunklen  Gang,  der  die  Ostseite  des  innern 
Kirchenbaues  umgibt,  so  öffnet  sieli  nach  einigen  Schritten  rechts  eine 
Capelle,   in    welcher   unter  dem   Altar    ein    Stück    von  einer  grauen. 


48  Jerusalem. 


schwarzgesprenkelten  Säule  steht.  Es  ist  ein  Rest  der  Säule,  an 
der  man  Jesu  die  Dornenkrone  aufsetzte.  Eine  kleine  Strecke  weiter 
führt,  ebenfalls  auf  der  rechten  Seite,  eine  Thür  auf  eine  Treppe  von 
30  Stufen,  auf  welcher  die  heilige  Helena  betete,  als  ihre  Leute  nach 
dem  Kreuze  Christi  suchten.  Rechts  von  dieser  Capelle,  noch  11  Stufen 
tiefer,  steht  ein  Altar  über  dem  Ort,  wo  jenes  Kleinod  sammt  den 
Kreuzen  der  Schacher,  der  Dornenkrone,  den  Nägeln  u.  s.  w.  endlich 
gefunden  wurde.  Ein  hier  aufgehangenes  Kreuz  soll  die  genaue  Grösse 
des  wirklichen  haben,  welches,  wie  man  sagt,  in  Constantinopel  ver- 
loren gegangen  ist. 

Die  Ireppe  empor  auf  den  Rundgang  zurückgekehrt,  trifft  man, 
immer  zur  Rechten,  die  kleinen  Capellen  der  Kleidertheilung  und  des 
Kriegsknechts  Louginus,  der  die  Seite  des  verschiedenen  Erlösers  mit 
dem  Speer  durchstach  und,  später  bekehrt,  hier  Jahre  lang  als  Süsser 
lebte.  Alle  diese  Capellen  sind  je  nacli  der  Wichtigkeit,  die  sie  in  der 
Legende  einnehmen,  mit  einer  grösseren  oder  geringeren  Zahl  von 
Lampen,  die  meisten  auch  mit  Bildern  ausgestattet,  von  denen  indess 
keines  künstlerischen  Werth  hat. 

Steigt  man,  um  zum  inncrn  Hauptbau  zu  gelangen,  in  der  Mitte 
des  Hufeisens,  welches  den  Rundgang  bildet,  die  halbzirkelförmigen 
Stufen  empor,  die  der  Capelle  der  Kleidertheilung  gegenüberliegen,  so 
kommt  man  in  das  sogenannte  Katholikon  oder  Griechenchor,  den 
prachtvollsten  Tbeil  des  ganzen  Gebäudecomplexes,  und  zwar  in  den 
Raum,  wo  hinter  der  Ikonostasis  der  Altar  sich  erhebt.  Zwei  Thüren 
führen  von  hier  durch  die  Wand  der  Ikonostasis  in  das  Schiff,  in  dessen 
Mitte  auf  dem  Boden  ein  Stern  von  farbigen  Steinen  den  Nabel  der 
Erde  bezeichnet.  Die  Zierrathen  der  Wände  sind  ein  Gemiscli  von  byzan- 
tinischem und  Renaissancestyl,  sarazenischen  und  altclassischen  Mustern. 
Gold,  Silber,  Bronze  und  Marmor  Sindbis  zur  Ueberladung verwendet. 
Schnitzwerk  und  Gitterwerk,  Riesenleuchter  mit  Kerzen  von  Mannes- 
dicke, Hängelampen  und  Kronleuchter,  lange  Gallerien  von  Heiligen- 
bildern, zwei  hochragende  Throne  für  die  obersten  Würdenträger  des 
Clerus  lassen  mit  ihrer  farbenreichen,  funkelnden  Pracht  das  Ganze 
mehr  wie  einen  Prunksaal,  als  wie  eine  Kirche  erscheinen. 

Durch  drei  Portale  tritt  man  an  der  Westseite  dieser  Abtheilung 
in  die  grosse  Rotunde  der  eigentlichen  Grabeskirche.  16  Pfeiler  bilden 
die  Rippen  dieses  Kuppelbaues  und  haben  zwischen  sich  17  Arkaden, 
welche  sich  in  einer  Gallerie  darüber  wiederholen  und  sich  oberhalb 
der  Hohlkehle  als  Nischen  fortsetzen.  Auf  den  Zwischenwänden  der 
letzteren  ruht  die  jetzt  sehr  schadhafte  Dachkuppel,  die  in  der  höchsten 
Mitte  durch  eine  Oeffnung  das  Tageslicht  hereinfallen  lässt.  Unter 
dieser  Oeffnung  befindet  sich  die  kleine  Capelle,  welche  das  heilige 
Grab  einschliesst ;  ein  längliches,  mit  röthlich  weissem  Marmor  beklei- 
detes Viereck,  das,  von  etwa  60  Schritt  Umfang  und  60  Fuss  Höhe, 
ringsum  mit  Pilastern  im  Rokokostyl  geziert  und  oben  mit  einer  durch- 
brochenen Brüstung  versehen  ist,  innerhalb  welcher  aus  dem  platten 
Dach  eine  kleine  Kuppel   heraustritt.   Vor  dem  Eingang,  zu  welchem 


Jerusalem. 


49 


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Inneres  der  Grabeskirche. 


einige  Stufen  hinaufführen,  stehen  rechts  und  links  Steinbänke.  Ueber 
dem  Portal  hängen  Keihen  von  Ampeln.  Davor  stehen  seclis  grosse 
prächtige  Silberleuchter.  Ueber  der  Kuppel  schweben  gewöhnlich  zwei 
schiefhängende  Seidenpaniere  von  blauer  Farbe  mit  weissen  Sternen, 
die  man  zu  Ostern  mit  Tüchern  vertauscht,  welche  den  aus  seiner 
Gruft  emporschwebenden  Weltheiland  darstellen. 

Das  Innere  der  Grabcapelle  ist  in  zwei  Abtheilungen  geschieden, 
von  denen  die  vordere  die  Stelle,  wo  der  Engel  den  heilige  Frauen 
erschien,  die  hintere  das  Grab  umfasst.    In  der  ersten  wird  der  Fels- 


50  Jerusalem. 

block  gezeigt,  auf  dem  der  Engel  sass;  man  bemerkt  den  Abdruck, 
den  sein  Hintertheil  darauf  zurückgelassen  hat.  Die  Grabkammer  ist 
ein  längliches  Viereck  von  7  Fuss  Länge  und  6  Fuss  Breite,  welches 
fast  zur  Hälfte  von  einem  röthlich  gesprenkelten  Marmorsarkophag 
eingenommen  wird.  Ueber  dem  letzteren,  der  in  der  Mitte  einen  Biss 
hat,  stehen  auf  einem  Sims  goldene  und  silberne  Leuchter,  sowie  Vasen 
a>it  Blumen,  und  über  dem  Sims  wieder  ist  ein  Gemälde  der  spani- 
schen Schule  angebracht,  welches  die  Auferstehung  darstellt.  Von  der 
Decke  des  Gemachs  schweben  an  Ketten  48  Ampeln  von  edlem  Metall, 
Geschenke  katholischer  Mächte. 

Geht  man  von  der  Grabescapelle  durch  die  Arkaden  des  nörd- 
lichen Theiles  der  Rotunde,  so  gelangt  man  in  eine  den  Franziscanern 
gehörige  dunkle  Capelle,  welche  eine  Orgel  besitzt,  und  auf  deren 
Fussboden  ein  grauer  Marmorsteiu  die  Stelle  angibt,  wo  der  Aufer- 
standene der  Maria  Magdalena  als  Gärtner  erschien,  und  gleich  da- 
neben befindet  sich,  drei  Stufen  höher,  eine  Capelle,  die  den  Ort  um- 
schliesst,  wo  er  seiner  trauernden  Mutter  begegnete.  Hier  wird  auch 
hinter  einem  Gitter  die  Hälfte  der  Säule  bewahrt,  an  der  Christus 
gegeisselt  wurde.  Nicht  weit  von  hier  endlich  trifft  man  eine  Nische, 
welche  das  Gefängniss  des  Herrn  genannt  wird,  da  man  ihn  hier  so  lange 
in  Verwahrung  hielt,  bis  das  Loch  zur  Aufstellung  des  Kreuzes  gegra- 
ben war.  Endlich  ist  noch  das  Grab  des  Joseph  von  Arimathia  und 
das  des  Nikodemus  zu  nennen,  die  sich  beide  westlich  vom  heiligen 
Grabe  befinden. 

Aussen  an  die  Grabeskirche  sind  noch  verschiedene  Heiligthümer 
von  geringerer  Bedeutung  angebaut,  darunter  eine  Capelle,  wo  Johannes 
und  Maria  der  Kreuzigung  zusahen;  eine  Jacobscapelle,  eine  Capelle 
der  vierzig  Märtyrer,  und  eine  Capelle  über  der  Stätte,  wo  Abraham 
den  Isaak  opfern  wollte;  letztere  stösst  östlich  an  die  Capelle  der 
Kreuzanheftung.  Endlich  muss  noch  erwähnt  werden,  dass  mit  der 
Grabeskirche  sechs  Klöster  in  Verbindung  stehen :  im  Norden  ein  latei- 
nisches, im  Westen  ein  katholisches,  im  Süden  ein  armenisches  und 
zwei  griechische,  und  hinter  dem  Katholikon  ein  abyssinisches,  in  dem 
sich  auch  Nonnen  befinden. 

Der  Complex  von  Kirchen  und  Capellen,  welchen  man  als  die 
Grabeskirche  bezeichnet,  vertheilt  sich  unter  die  verschiedenen  christ- 
lichen Confessionen  folgendermassen :  den  Lateinern  gehört  die  Capelle, 
wo  Christus  der  heiligen  Magdalena,  und  die,  wo  er  seiner  Mutter  nach 
der  Auferstehung  erschien,  die  Hälfte  des  heiligen  Grabes,  ein  Stück 
des  Salbungssteins,  die  Capelle  der  Kreuzfindung,  und  die  Hälfte  der 
Kreuzigungskirche;  die  Griechen  besitzen  das  Katholikon,  die  Hälfte 
der  Grabcapelle  und  der  Kreuzigungscapelle,  die  Capelle  des  Longinus, 
das  Gefängniss  Christi  und  einige  Altäre ;  Eigenthum  der  Armenier  ist 
die  Capelle  der  Helena,  die  der  Kleidertheilung,  das  Grab  Josephs  von 
Arimathia  und  das  des  heiligen  Nikodemus;  die  Kopten  besitzen  nur 
die  ärmliche  kleine  Capelle,  welche  an  die  westliche  Seite  des  heiligen 
Grabes  angebaut  ist. 


Jerusalem.  51 


Ob  die  Grabeskirche  wirklicli  die  Stelle  einscbliesst,  an  'der 
Jesus  begraben  wurde,  ist  eine  Frage,  die  sich  nicht  eher  definitiv 
entscheiden  lässt,  als  bis  der  Lauf  der  alten  Stadtmauern  ermittelt  ist. 
Jetzt  nehmen  die  urtheilsfähigsten  Forscher  an,  dass  die  Kirche  an 
einer  Stelle  stehe,  welche  von  der  zweiten  Mauer  des  Josephus  einge- 
schlossen worden  sei,  und  so  könnte  das  heilige  Grab  nicht  das  echte 
sein,  da  sowohl  nach  dem  Eeferat  des  Matthäus,  als  nach  dem  des 
Johannes  Christus  ausserhalb  der  Stadt  begraben  wurde.  Wäre  das 
aber  auch  zu  widerlegen,  so  müsste  immer  noch  entweder  die  Kreuzi- 
gungstätte oder  die  des  heiligen  Grabes  unecht  sein.  Beide  liegen  hart 
neben  einander,  die  letztere  am  Fusse  des  angeblichen  Golgothahügels. 
Joseph  von  Arimathia  aber  kann  sein  Erbbegräbniss  nicht  unmittelbar 
unter  der  Schädelstätte  Jerusalems  haben  aushauen  lassen.  Damals  so 
wenig  als  jetzt  Hess  ein  reicher  Man  seine  Angehörigen  am  Rabenstein 
beisetzen. 

Interessant  ist  die  Ceremonie  der  Austheilung  des  heiligen 
Feuers  am  Ostersonnabend.  Dem  Orte  angemessen  (sie  findet  an  der 
Grabcapelle  statt)  und  erbaulich  ist  sie  indess  nicht,  und  der  Zuschauer 
hüte  sich,  dass  er  nicht  in  die  Prügelei  verwickelt  wird,  mit  der  Grie- 
chen und  Armenier  bei  dieser  Gelegenheit  das  Grab  ihres  Erlösers  zu 
entweihen  pflegen.  Wir  freuen  uns,  dass  die  römische  Kirche  sich  von 
dieser  Posse  fernhält. 

Die  übrigen  Kirchen  Jerusalems  sind  (mit  Ausnahme  der 
protestantischen)  ebenso  wie  die  Grabeskirche  mit  Klöstern  verbunden. 
Lateinische  Klöster  sind:  1.  das  Salvatorkloster,  arabisch  Dejr  El 
Frandsch,  von  etwa  fünfzig  Franziscanern  bewohnt,  deren  Guardian 
den  Titel  Gustos  des  heiligen  Landes  führt.  Ein  grosser  Theil  der 
Mönche  besteht  aus  Laienbrüdern,  welche  Handwerke  treiben ;  mit  dem 
Kloster  sind  eine  Druckerei,  mehre  Schulen  für  arabische  Kinder  und 
in  der  benachbarten  Casa  Nuova  eine  Pilger herberge  verbunden,  welche 
letztere  fünfzig  Personen  aufnehmen  kann.  Die  Kirche  des  Klosters, 
welches  der  Mittelpunct  der  Franziscaner  Palästina's  ist,  hat  nichts 
Sehenswerthes.  Zu  bemerken  ist,  dass  man  in  diesem  Kloster  während 
der  Osterzeit  allerlei  Andenken  an  Jerusalem,  als  Perlmutterarbeiten, 
Kreuze,  Eosenkränze  billiger  als  anderwärts  zu  kaufen  bekommt. 
2.  Ein  Nonnenkloster  am  Damaskusthor. 

Die  Griechen  besitzen:  1.  das  Patriarcheion,  arabisch  Dejr 
Er  Rum  El  Kebir,  in  welchem  der  Patriarch,  5  Bischöfe,  10  Archi- 
mandriten  und  gegen  130  Geistliche  niederen  Ranges  wohnen,  und  mit 
dem  mehre  kleine  Kirchen  verbunden  sind.  2.  Das  Nikolauskloster  im 
Norden  des  grossen  lateinischen.  3.  Das  Demetriuskloster  in  der  Hareth 
Stambulieh.  4.  Das  neue,  hart  unter  dem  grossen  lateinischen  gelegene 
Georgskloster.  S.^Das  Michaelskloster,  gleich  unter  dem  vorigen.  6.  Das 
Theodorskloster,  ebenfalls  in  der  Hareth  Stambulieh.  7.  Ein  zweites 
Georgskloster  im  Norden  'des  Hauses  des  Hannas.  8  Das  Kloster 
Johannes  des  Täufers  in  der  südwestlichen  Ecke  des  viereckigen  Platzes, 
wo  einst  das  Spital  der  Johanniter  stand.  Endlich  sechs  Nonnenklöster. 


52 


Jerusalem. 


Inneres  des  grossen  armenischen  Klosters. 


Alle  diese  Klöster  sind  zur  Aufnahme  von  Pilgern  eingerichtet.  Keines 
hat  besondere  Sehenswürdigkeiten  aufzuweisen. 

Armenische  Klöster  sind:  1.  das  grosse  zur  Aufnahme  von 
2000  Pilgern  eingerichtete,  von  mehr  als  100  Geistlichen  (worunter 
ein  Patriarch  und  fünf  Bischöfe)  bewohnte  Jakohskloster,  Dejr  Mar 
Jakub.  Dasselbe  liegt  zwischen  dem  Zions-  und  Jaffathor.  Seine  Ter- 
rassen bieten  eine  prächtige  Aussicht  über  die  Stadt  und  ihre  Umge- 
bung, der  Garten  des  Klosters  ist  der  umfangreichste  in  Jerusalem, 
die  dazu  gehörige  Kirche  ungemein  reich.  Bemerkenswerth  sind  darin 
die  schönen  Arbeiten  armenischer  Gitterschmiede,  noch  sehenswürdiger 
die  eingelegten,  mit  den  elegantesten  Mustern  von  Perlmutter-  und 
Schildkrotmosaik  überkleideten  Thüren,  welche  in  die  Schatzkammer 
des  Klosters,  sowie  in  das  Grab  des  heiligen  Jacobus  führen.  Die  Wände 
des  Schiffes  sind  unten  bis  auf  Mannshöhe  mit  blauglasirten,  gemu- 
sterten Ziegeln  belegt.  Darüber  laufen  Keihen  von  Oelbildern  hin, 
welche  meist  Scenen  aus  den  Zeiten  der  Christenverfolgungen  darstellen. 
Zu  beiden  Seiten  des  Chors  stehen  bunt  und  voll  Goldschmuck  die 
Gestalten  der  Patriarchen,  welche  der  armenischen  Kirche  bis  jetzt 
vorstanden:  Jacobus,  Simeon,  Justus  u.  A.  mit  zur  Segnung  aufgeho- 
benen Händen.  Von  der  Decke  hängen  zahlreiche  Lampen  und  Straussen- 
eier  herab.  Zwischen  Schiff  und  Chor  erhebt  sich  ein  vergoldeter 
Thronsessel  mit  Baldachin,  vor  dem  eine  ewige  Lampe  brennt.  Auf 
ihm  sitzt  —  nur  dem  verzückten  Glaubensauge  sichtbar  —  der  heilige 
Jacobus,  der  den  Armeniern  das  ist,  was  Petrus  der  römisch-katholischen 
Kirche.  Daneben  steht  ein  weniger  prächtiger  Stuhl  für  seinen  Stell- 
vertreter in  Jerusalem,  den  Patriarchen.  2.  Das  Kloster  vor  dem  Zions- 
thor,  an  der  Stelle,  wo   das  Haus  des   Kaiphas  gestanden  haben  soll. 


Jerusalem.  53 


3.  Das  Nonnenkloster  Dejr  Es  Setuneh,  im  Osten  des  Jacobsklosters, 
der  Sage  nach  die  Stätte  bezeichnend,  wo  das  Haus  des  Hannas  stand. 
Die  Syrer  besitzen  ein  kleines  Kloster,  mit  dem  eine  Kirche  verbunden 
ist,  nicht  fern  von  dem  Dejr  Es  Setuneh.  Unter  den  Gemälden  der 
Kirche  ist  ein  Marienbild,  das  angeblich  von  der  Hand  des  Apostels 
Lucas  ist.  Das  Kloster  der  Kopten,  arabisch  Nohal  Es  Soltan,  welches 
dem  heiligen  Georg  geweiht  ist,  steht  in  der  Nähe  des  Demetrius- 
klosters. 

Die  Protestanten  besitzen  die  ChristuskircJie,  auf  dem  Zion, 
welche  im  Jahre  1849  eingeweiht  wurde.  Dieselbe  gehört  den  Englän- 
dern, doch  ist  an  ihr  auch  ein  deutscher  Geistlicher  angestellt,  der 
einen  Sonntag  um  den  andern  in  deutscher  Sprache  Gottesdienst  hält. 
Der  Baustyl  der  Kirche  ist  gothisch,  ihre  Form  das  lateinische  Kreuz. 
Sie  hat  eine  Orgel,  eine  Glocke,  aber  keinen  Thurm.  Mit  ihr  sind 
Missionsanstalten  und  zwei  Schulen  verbunden.  Der  jetzige  englisch- 
preussische  Bischof,  ein  Schweizer,  wohnt  in  der  Nähe. 

Den  Griechen,  Lateinern,  Armeniern  und  Kopten  gemeinschaftlich 
gehört  die  Marienkirche,  arabisch  Gesmanijeh  genannt.  Dieselbe  liegt 
vor  dem  Stephansthor  im  Kidronthal  und  ist  eine  Kellerkirche,  in  die 
man  auf  48  Stufen  hinabsteigt.  Das  Portal  ist  ein  schöner  Spitzbogen. 
Neben  der  Treppe  befinden  sich  in  kleinen  Seitennischen  die  Gräber 
der  Mutter  und  des  Vaters  der  heiligen  Jungfrau:  Anna  und  Joakim, 
sowie  weiter  unten  das  Grab  des  Pflegevaters  Joseph.  Vor  dem  Grabe 
der  Maria  brennen  zahlreiche  Lampen  und  Leuchter.  Offen  ist  diese 
Kirche  gewöhnlich  in  den  ersten  Stunden  des  Vormittags.  Die  Legende 
erzählt,  dass  der  Leichnam  Mariens  von  den  Aposteln  hier  bestattet 
wurde,  und  soll  sie  dann  von  hier  gen  Himmel  gefahren  sein. 

Andere  Legendenorte  sind  zunächst  auf  der  Via  dolorosa, 
der  Strasse,  welche  Jesus  zu  wandeln  hatte,  als  er  sich  vom  ßichthaus 
des  Pilatus  nach  Golgotha  begab.  Die  Caserne,  in  welcher  der  Pascha 
seine  Amtswohnung  hat,  soll  die  Stelle  bezeichnen,  wo  das  Richthaus 
stand.  Weiterhin  triff't  man  die  Capelle  der  Dornenkrönung  und  die 
Scala  Santa,  den  Ort,  wo  Jesu  das  Kreuz  aufgelegt  wurde.  Dann  folgt, 
rechts,  die  Capelle  der  Geisselung,  den  Lateinern  gehörig,  dann  der 
Ecce-Homo-Bogen,  ein  sehr  flacher  Spitzbogen,  der,  die  Strasse  über- 
spannend, ein  kleines  Häuschen  trägt,  dann  die  Stelle,  wo  Jesus  zum 
ersten  Male  unter  der  Last  des  Kreuzes  zusammenbrach  und  Simon 
von  Kyrene  ihm  dasselbe  abnahm,  dann  weiter  das  Haus  der  heiligen 
Veronica,  wo  Christus  zum  zweiten  Male  fiel,  noch  weiter  das  Gerichts- 
thor, endlich,  unter  dem  Gewölbe  der  Hareth  El  Chankeh,  die  Stelle, 
wo  Christus  zu  den  weinenden  Weibern  sprach:  Weinet  nicht  über 
mich,  sondern  über  euch  und  eure  Kinder. 

Man  zeigt  ferner  hart  vor  dem  Zionsthor  in  dem  dortigen  arme- 
nischen Kloster  das  Haus  des  Hohenpriesters  Kaiphas  mit  dem  kleinen 
Kerker,  in  dem  Jesus  hier  verwahrt  wurde,  und  dem  Ort,  wo  Petrus 
stand,  als  er  den  Herrn  verleugnete,  ja  sogar  der  Stelle,  wo  der  Hahn 


54 


Jerusalem. 


Jerusalem.  55 


dreimal  krähte.    Im   Hofe  des  Klosters  befindet   sich  ein  riesenhafter 
Weinstock.  Ferner  sind  zu  erwähnen: 

1.  Eine  Capelle  über  der  Stätte,  wo  Christus  vor  dem  Hohen- 
priester Hannas  stand,  beim  Nonnenkloster  Dejr  Es  Setuneh. 

2.  Eine  den  Armeniern  gehörige  Capelle  über  dem  Ort,  wo  der 
Apostel  Jacobus  enthauptet  wurde. 

3.  Das  Haus  des  reichen  Mannes,  vor  dem  der  arme  Lazarus 
lag,  ehe  ihn  die  Engel  in  Abrahams  Schoss  trugen,  der  Ueberbau 
einer  Gasse,  die  vom  Damaskusthor  nacli  der  Via  dolorosa  hinläuft. 

4.  Das  Haus,  in  dem  die  Mutter  Maria  starb,  neben  dem  Grabe 
David's  vor  dem  Zionsthor. 

5.  Das  Haus,  wo  Maria  geboren  wurde,  nicht  fern  von  der 
Geisselungscapelle. 

6.  Das  Haus  Simon  des  Pharisäers,  wo  Maria  Magdalena  Busse 
that,  im  Mittelalter  eine  Kirche,  auf  dem  innerhalb  der  Mauer  befind- 
lichen Theil  des  Bezetha  gelegen. 

7.  Die  Stätte,  wo  Stephanus  gesteinigt  wurde  vor  dem  Stephans- 
tlior,  nicht  weit  davon  der  Fleck,  wo  Maria  der  Hinrichtung  zusah. 

8.  Das  Haus  des  ürias  und  das  Bad  der  Batliseba,  nicht  fern 
von  der  Citadelle. 

9.  Das  Haus  des  Apostels  Marcus. 

10.  Das  Haus  des  heiligen  Thomas  in  der  Arraeniergasse. 

11.  Das  Haus  des  Hohenpriesters  Zacharias. 

12.  Die  Höhle,  wo  Petrus  weinte. 

13.  Die  Stelle,  wo  Christus  den  Aposteln  das  Vaterunser  lehrte. 

14.  Die  Höhle,  in  welcher  das  apostolische  Glaubensbekenntniss 
abgefasst  wurde,  wie  Nr.  13  am  Oelberg. 

15.  Die  Stätte,  wo  Christus  über  Jerusalem  weinte,  auf  dem 
Mittelgipfel  des  Oelberges. 

16.  Der  Ort,  wo  Judas  sich  erhängte,  ein  windschiefer  Baum 
von  etwa  200  Jahren,  ebenfalls  auf  dem  Berg  des  Aergernisses. 

17.  Die  Stätte,  au  welcher  Salomo  dem  Moloh  opferte,  auf  dem 
Berg  des  Aergernisses. 

18.  Die  Stelle,  wo  Maria  bei  ihrer  Himmelfahrt  den  Gürtel 
verlor. 

19.  Die  Stelle,  wo  Jesus  am  ersten  Palmsonntag  vom  Esel  stieg. 

Eine  gute  Anzahl  anderer,  von  der  kirchlichen  Sage  heilig  ge- 
sprochener Orte  werden  unter  den  Gärten,  Grotten,  Teichen  und  Grä- 
bern zu   erwähnen  sein. 

Von  verfallenen  Kirchen  und  andern  Ruinen  kirchlicher  Gebäude 
ist  zunächst  die  Armenierkirche  zu  nennen,  die  auf  dem  Bezetha,  nicht 
fern  vom  Teiche  Bethesda  liegt,  eine  Basilika  mit  Spitzbogen,  die  bis 
1856  der  mohammedanischen  Secte  der  Schafeiten  gehörte,  in  diesem 
Jahr  aber  in  den  Besitz  der  Franzosen  überging.  Die  Kirche,  im  Ganzen 
etwa  80  Fuss  lang  und  60  Fuss  breit,  besteht  aus  einem  Mittelschiff, 
zwei  Seitenschiffen,  einem  Chor  und  einer  unterirdischen  Grotte.  Hier 
und  da  findet  man  noch  Spuren  christlicher  Malereien.  Ferner  ist  der 


56  Jei'usalem. 

Platz  zu  erwähnen,  wo  das  Eitterkloster  der  Johanniter  stand.  Der- 
selbe, hart  beim  heiligen  Grabe  gelegen,  urafasst  ein  Areal  von  150,000 
Quadratfuss  und  wurde  im  November  1869  dem  Kronprinzen  von 
Preussen  bei  seiner  Anwesenheit  iu  Constantinopel  vom  Öultane  zum 
Geschenke  gemacht.  Das  Portal,  dessen  Oeffiiung  jetzt  mit  Steinen 
gesperrt  ist,  ist  schön.  Von  den  übrigen  Gebäuden  des  Convents  sind 
nur  noch  Ruinen  übrig,  und  der  Rest  des  Platzes  ist  mit  Kaktusge- 
sträuch und  Unkraut  bewachsen.  Endlich  muss  des  verfallenen  Bades 
auf  der  Via  dolorosa,  welches  einst  eine  Kirche  war,  und  wo  Maria 
beim  Anblick  des  kreuztragenden  Jesus  in  Krämpfe  verfiel,  sowie  der 
Moschee  Muluwijeh  nicht  fern  vom  Damaskusthor  gedacht  werden, 
welche  durch  halbverwischte  Fresken  daran  erinnert,  dass  sie  einst  eine 
Kirche  des  heiligen  Johannes  war. 

Die  Juden  haben  in  Jerusalem  sechs  Synagogen,  von  denen 
eine  den  Aschkenasim,  vier  den  Sephardim  und  eine  den  Karaim  ge- 
hören. Man  vergesse  nicht,  den  Klageplatz  der  Juden  zu  besuchen,  der 
sich  unten  an  der  Westseite  der  Substructionsmauer  des  Tempelplatzes 
befindet,  und  wo  man  jeden  Freitag  in  den  Nachmittagsstunden  Massen 
besonders  von  deutschen  Juden  und  deren  Frauen  ihr  Gebet  verrichten 
und  dabei  über  den  Untergang  Jerusalems  wehklagen  sieht. 

Von  den  Moscheen  sind  die  interessantesten  die  beiden  auf 
dem  Haramplatz  gelegenen.  Zu  letzterem  ist  der  Zutritt,  wie  bemerkt, 
nur  den  Mohammedanern  gestattet.  Indess  findet  sich  bisweilen  Gele- 
genheit, sich  fürstlichen  Personen  anzuschliessen,  zu  deren  Gunsten 
die  Türken  eine  Ausnahme  machen.  Der  Verfasser  besuchte  ihn  und 
die  Moscheen  bei  Gelegenheit  des  Besuchs  des  Grossfürsten  Constantin 
von  Russland.  Der  Haramplatz  oder  der  Ort,  wo  der  Tempel  Salomo's 
und  Herodes  des  Grossen  sich  erhob,  ist  ein  ungleichseitiges  Quadrat, 
das  im  Osten  etwa  1600,  im  Westen  1500  Länge,  im  Norden  gegen 
1000,  im  Süden  ungefähr  900  Fuss  Breite  hat  und  im  Westen  und 
Norden  von  Gebäuden,  im  Süden  und  Osten  nur  von  der  Stadtmauer 
eingeschlossen  ist.  Den  grössten  Theil  des  Raumes  nehmen  Grasplätze 
ein,  auf  denen  einzelne  Olivenbäume  und  Cypressen  wachsen. 

Von  den  Gebäuden  des  Platzes  ist  zunächst  die  grosse  Omar- 
moschee, von  den  Arabern  Kuhhet  Es  SakraJi  genannt,  zu  erwähnen, 
nach  den  Moscheen  in  Mekka  und  Medinah  das  berühmteste  Heiligthum 
des  Islam.  Dieselbe  steht  auf  einer  mit  Platten  von  bläulichem  Kalk- 
stein bekleideten  Plattform,  zu  welcher  von  allen  Seiten  breite  Stufen 
emporführen.  Die  Form  der  Moschee  ist  ein  Achteck,  von  dessen  Seiten 
jede  etwa  60  Fuss  misst  und  über  dessen  Mitte  sich  eine  Kuppel  wölbt. 
In  das  Innere  führen  vier  Portale.  Licht  erhält  das  Gebäude  durch  52 
Fenster,  welche  farbige  Glasscheiben  haben.  Die  äusseren  Wände  sind 
unten  mit  Marmor,  oben  mit  glasirten  Ziegeln  bekleidet,  auf  welchen 
mau  Koransprüche  liest.  Die  inneren  Wände  sind  unten  einfach  weiss 
getüncht,  oben  mit  Sprüchen  und  Arabesken  geschmückt.  An  jeder 
einzelnen  erblickt  man.  drei  mächtige  Pfeiler.  Die  Kuppel  wird  von 
sechzehn   Säulen  getragen.    So  zerfällt  das  Ganze  in  den  von  der  Kup- 


w 


Jerusalem.  57 


pel  überragten  Raum  und  zwei  Gänge  um  denselben,  einen  innern  und 
einen  äussern.  Die  Kuppel  hat  eine  Höhe  von  90  und  einen  Durch- 
messer von  45  Fuss.  Unmittelbar  unter  ihr  befindet  sich,  umgeben  von 
einem  schöngemusterten  vergoldeten  Gitter,  ein  mit  einer  rothen  Bro- 
katdecke verhüllter  Kalksteinblock,  von  dem  die  Legenden  des  Islams 
allerlei  wundersame  Dinge  erzählen.  Er  soll  vom  Himmel  gefallen  sein. 
Alle  Propheten:  Adam,  Abraham,  David  u.  s.  w.  sollen  auf  ihm  gebe- 
tet haben,  Mohammed  von  ihm  begleitet  gen  Himmel  gefahren  sein, 
Abraham  auf  ihn  Isaak  zur  Opferung  gelegt  haben.  Die  Juden  glauben, 
dass  der  Stein  die  Bundeslade  einschliesse,  dass  aus  ihm  die  Welt  ge- 
schaffen wurde.  Die  Christen  des  Mittealters  hielten  ihn  für  den  Stein, 
auf  dem  Jacob  den  Traum  von  der  Himmelsleiter  hatte.  Unter  ihm 
befindet  sich  eine  Grotte,  in  welcher  Holzbalken  den  über  ihr  liegen- 
den Steinblock  stützen.  Man  gelangt  auf  der  Südostseite  auf  einigen 
Stufen  hinab  In  den  Seitenwänden  der  Grotte  erblickt  man  Nischen, 
in  denen  die  Könige  David  und  Salomo  gebetet  haben.  Auf  dem  Boden 
verschliesst  eine  Metallplatte  die  Oeffnung  des  Seelenbrunnens  (Birreh 
Ruach),  den  Eingang  zum  Todtenreich. 

Das  kleine  Kuppeltempelchen  hart  neben  dem  Ostportal  der 
Moschee  wird  von  den  Mohammedanern  der  Richterstuhl  David's  ge- 
nannt. Es  bezeichnet  für  Den,  der  in  der  Moschee  steht,  die  Richtung 
von  Mekka. 

Etwa  150  Schritt  südlich  von  der  Sakrahraoschee  liegt,  unter- 
halb der  Plattform,  die  Aksa,  welche  von  den  Juden  Midrasch  Sche- 
lomo  genannt  wird.  Dieselbe  ist  aus  einer  von  Justinian  im  ßasiliken- 
styl  erbauten  und  der  Panagia  geweihten  Kirche  entstanden,  die  noch 
jetzt  ihren  Hauptkörper  bildet.  An  diese  sind  später  sarazenische  An- 
hängsel angebaut  worden.  Gegenwärtig  besteht  sie  aus  einem  Mittel- 
schiffe und  sechs  Seitenschiffen.  Die  Pfeiler,  welche  die  Decke  tragen, 
sind  sarazenisch,  die  Säulen  römisch.  Im  äussersten  Süden  lässt  eine 
Kuppel  durch  gefärbte  Fenster  ein  magisches  Licht  auf  die  Stelle  fallen, 
wo  sich  die  Kanzel  und  die  Erhöhung  befinden,  von  welcher  der  Koran 
verlesen  wird. 

Unter  dieser  Moschee  ziehen  sich  weitgedehnte  Gewölbe  mit  Pfei- 
lern hin,  welche  von  den  Mohammedanern  als  die  Pferdeställe  Salomo's 
bezeichnet  werden,  die  indess  wahrscheinlich  nur  dazu  dienten,  den 
Platz,  der  sich  ursprünglich  in  dieser  Gegend  senkte,  in  eine  Ebene 
zu  verwandeln.  Ausser  den  genannten  Gebäuden  trifft  man  auf  dem 
Haram  Esch  Scherif  noch  zwei  kleine  Moscheen;  die  Kubbet  En  Na- 
haresch  und  die  Kubbet  Es  Sakrah  El  Baraneh,  welche  letztere  ein 
Stück  des  heiligen  Steins  bewahrt,  das  von  ihm  absprang,  als  er  vom 
Himmel  fiel.  Die  erstere  steht  zwischen  der  westlichen  Eingangshalle 
des  Platzes  und  der  Sakrahmoschee,  die  letztere  östlich  von  dieser. 
Sonst  liegen  auf  dem  Platze  noch  mehre  Brunnen,  ein  Bad  und  sieben 
Kuppelgräber  (Welis),  darunter  das  der  Fatimeh,  der  Tochter  Moham- 
med's.  Endlich  ist  der  prachtvollen  Cypressen  zu  gedenken,  welche  zum 
Theil  so  gross  wie  die  grössten  unserer  Pappeln  den  Platz  schmücken. 


58 


Jerusalem. 


Der  Thurm  David' s. 


Die  Gebäude  im  Westen  enthalten  Wohnungen  für  den  Schech  der 
Sakrah,  für  Moscheediener  und  Pilger,  sowie  einige  Schulen  (Me- 
dressen). 

Von  den  andern  Moscheen  Jerusalems  muss  noch  die  Dschami 
Abd  Es  Samed  und  die  Muluwijeh  genannt  werden.  Jene  ist  die,  deren 
Minaret  sich  unmittelbar  neben  der  Grabeskirche  erhebt.  Diese  ist  mit 
einem  Kloster  der  Muluwijeh-Derwische  (es  sind  tanzende)  verbunden, 
welches  indess  1859  nur  noch  einen  Insassen  hatte.  Die  übrigen  Mo- 
scheen sind  unansehnlich  und  ohne  Interesse  für  den  Fremden. 

Die  Citadelle  (Karah)  auf  der  Nordwestseite  des  Zionsgipfels 
ist  in  einigen  ihrer  Theile  jedenfalls  sehr  alt.  Sie  ist  ziemlich  geräu- 
mig, aber  zum  Teil  verfallen.  Sie  hat  eine  Länge  von  500,  eine  Breite 
von  350  Fuss.  Im  Mittelalter  hiess  sie  Anfangs  die  Burg  David's, 
später  das  Pisanercastell.  Wie  bemerkt,  steht  sie  an  der  Stelle  des 
Thurmes  Hippicus,  den  Josephus  erwähnt.  Eines  ihrer  Gemächer  wird 
als  das  gezeigt,  aus  welchem  David  die  badende  Bathseba  sah.  Nicht 
weit  davon  finden  sich  Reste  von  Mauerwerk,  welches  den  Tliürmen 
Marianne  und  Phasaelus  angehört  haben  könnte.  Ein  türkischer  Unter- 
officier  führt  den  Fremden  gegen  ein  Trinkgeld  von  einigen  Piastern 
in  der  alten  Burg  umher  und  zeigt  auch  die  inneren  Räume  der  da- 
neben liegenden  neuen  Caserne. 

Von  den  Teichen  und  Quellen  müssen  wir  zuerst  des  Teiches 
gedenken,  der  unter  dem  Namen  Teich  Bethesda  im  N.  T.  erwähnt 
wird.  Ob  der  jetzt  so  genannte  Graben  an  der  Nordseite  des   Haram- 


Jerusalem. 


59 


Hiskias-  oder  Patriarchenteich. 


platzes  wirklich  der  Teich  Bethesda  ist,  in  dem  der  Engel  das  Wasser 
rührte,  ist  zweifelhaft.  Derselbe  hat  eine  Länge  von  460,  eine  Breite 
von  130  und  eine  Tiefe  von  etwa  75  Fuss.  Woher  der  Teich  sein 
Wasser  bekommen,  ist  noch  zu  erweisen.  Vielleicht  erhielt  er  es  aus 
einem  der  Wasserbehjilter  vor  dem  nahegelegenen  Stephansthor,  viel- 
leicht aus  den  Brunnen  des  Haram.  Wahrscheinlicher  ist,  dass  die  Ver- 
tiefung überhaupt  nie  ein  Teich,  sondern  ein  Graben  war.  Ferner :  der 
Badeteich  der  Maria  (arabisch:  Birket  Es  Sebat,  d.  h.  Teich  der 
Stämme)  einige  Schritte  vor  dem  Stephansthor,  im  Sommer  ohne 
Wasser.  Das  Marienbad  (Hammam  Setti  Mirjam)  auf  der  Nordseite  der 
Strasse,  die  durch  das  Stephansthor  mündet,  eine  Art  Trog,  über  dem  sich 
ein  Hautrelief-Bild  aus  dem  Mittelalter  befindet.  Die  Quelle  der  Jung- 
frau, auch  Marienquelle  oder  Quelle  Siloali  genannt,  bei  den  Moham- 
medanern Om  Ed  Deradsch,  Mutter  der  Stufen,  liegt  im  Kidronthal 
unter  dem  Dorfe  Siluan  und  ist  nach  Robinson  der  echte  Teich  Be- 
thesda, nach  Anderen  der  Nehemias  2,  13  erwähnte  Drachenbrunnen. 
Es  ist  eine  schöne  klare  Quelle,  zu  welcher  32  Stufen  hinabführen,  und 
in  welcher  nach  der  Legende  Maria  die  Windeln  des  Jesuskindes  zu 
waschen  pflegte.  Damit  steht  durch  einen  unterirdisch  durch  den  Fels 
gehauenen  Kanal  der  Teich  Siloah  in  Verbindung.  Der  Kanal  ist  1750 


60  Jerusalem. 


Fuss  lang,  seine  Höhe  beträgt  nur  17,  seine  Breite  18  bis  25  Zoll.  Zu 
dem  Teich,  der  stets  Wasser  hat,  führen  Stufen  hinab.  Merkwürdig 
ist  das  periodische  Steigen  und  Fallen  des  Wassers  in  diesem  Teich, 
welches  von  einigen  Gelehrten  mit  vulkanischen  Oscillationen,  von 
andern  durch  den  Bau  des  Kanals  erklärt  wird,  während  das  Volk  glaubt, 
dass  in  der  Höhle  ein  Drache  liege,  der,  wenn  er  wache,  das  Wasser 
einschlucke,  wenn  er  schlafe,  es  fiiessen  lasse.  Mohammed  hat  von  der 
Quelle  gesagt,  dass  sie  gleich  dem  Semsem  bei  Mekka  eine  Quelle  des 
Paradieses  sei.  Der  Nehemiasbrunnen  (arabisch  BirEj üb,  Hiobsbrunnen) 
im  Kidronthal  gelegen,  wo  es  mit  dem  Hinnomthal  zusammentrifft, 
könnte  der  Rogel  des  A.  T.  sein.  Er  hat  gutes  und  reichliches  Wasser, 
und  in  seiner  Umgebung  trifft  man  schöne  Baum-  und  Gemüsegärten. 
Die  beiden  Gihonteiche,  von  denen  der  untere  Birket  Es  Soltan,  der 
obere  Birket  El  Mamilla  heisst,  und  von  denen  der  letztere  nicht  weit 
vom  Jaffathor,  der  andere  etwa  600  Schritt  südlicher  liegt,  sind  im 
Sommer  wasserlos. 

Der  Teich  des  Hiskias,  jetzt  gewöhnlicher  Patriarchenteich 
(Birket  Hamniara  El  Batrak)  genannt,  befindet  sich  mitten  im  Christen- 
viertel und  ist  rings  von  Häusern  umgeben.  Seine  Länge  beträgt  240, 
seine  Breite  142,  seine  Tiefe  etwa  20  Fuss.  Sein  Wasser  erhält  er  im 
Winter  aus  dem  obern  Gihonteich,  durch  einen  unterirdischen  Kanal, 
der  südlich  vom  Jaffathor  in  die  Stadt  hineingeht.  Er  ist  wahrschein- 
lich der  alte  Mandelteich  (Amygdalon).  Die  Stadt  hat  keine  Quellen 
Innerhalb  der  Thore,  deren  Wasser  trinkbar  wäre.  Die  Brunnen  des 
Haram  erhalten  ihr  Wasser  von  dem  sogenannten  versiegelten  Brunnen, 
der  bei  Bethlehem  sich  befindet.  Die  Quelle  Ain  Esch  Schefah  am 
Baumwollenmarkt,  ist  mit  salzsaurer  Soda  geschwängert  und  wird  des- 
halb nur  zum  Baden  benutzt.  So  sind  die  Einwohner  der  heiligen 
Stadt  auf  das  Wasser  von  Cisternen  angewiesen,  welches  indess  dem 
besten  Quellwasser  an  Geschmack  wenig  nachgibt,  und  keineswegs,  wie 
man  bisweilen  behaupten  hört,  ungesund  ist. 

Gärten  hat  Jerusalem  innerhalb  der  Thore  nur  wenige.  Zu 
erwähnen  sind:  der  ziemlich  ausgedehnte,  aber  baumarme  Garten  des 
grossen  armenischen  und  der  Gemüsegarten  des  lateinischen  Klosters, 
sowie  der  blumenreiche  kleine  Garten  des  preussischen  Consulats,  in 
dem  sich  ausser  einigen  Orangen-  und  Granatbäumen  auch  schöne  Cy- 
pressen  erheben. 

Ausserhalb  der  Mauern  liegt  unten  im  Kidronthal,  einige  hun- 
dert Schritte  vom  Stephansthor,  der  den  Lateinern  gehörige  Garten 
Gethsemane.  Derselbe  ist  jetzt  mit  einer  Mauer  umgeben  und  mit 
Rosen  und  andern  Blumen  bepflanzt,  zwischen  denen  sich  mehre  ziem- 
lich alte  Oelbäume  erheben.  Es  ist  nicht  unmöglich,  dass  hier  das 
wirkliche  Gethsemane  zu  suchen  ist.  In  der  Nähe  zeigt  man  die  Höh- 
lencapelle,  wo  Christus  Blut  schwitzte.  Dieselbe  ist  in  den  ersten 
Stunden  des  Morgens  offen,  da  um  diese  Zeit  die  Franziscaner,  denen 
der  Platz  gehört,  hier  Messe  lesen.  Ein  Stück  davon,  am  Wege,  der 
von  hier  auf  den  Gipfel  des  Oelberges  führt,  ist  der  Ort,  wo  die  Jünger 


Jerusalem.  61 


schliefen,  während  der  Herr  betete,  noch  einige  Schritte  südlicher  die 
Stelle,  wo  Judas  ihm  den  Kuss  des  Verräthers  gab.  Von  den  Gemüse- 
gärten beim  Nehemiasbrunnen  ist  nachzutragen,  dass  sie  die  alten 
2.  Kön.  25,  4  erwähnten  Königsgärten  sein  mögen.  Endlich  haben  die 
Griechen  in  den  letzten  Jahren  auf  den  Höhen  westlich  über  dem  Gi- 
honthal  schöne  und  gutgedeihende  Pflanzungen  von  Maulbeer-  und 
anderen  Bäumen  angelegt. 

Die  jetzige  Stadtmauer  ist,  zum  Theil  aus  Resten  der  alten, 
vom  Sultan  Soliman  II.  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 
erbaut  worden.  Sie  hat  einen  Umfang  von  5800  Schritten  und 
ist  im  Westen  und  Norden  20  bis  30,  im  Osten  und  Süden  dagegen 
40  bis  88  Fuss  hoch.  An  einigen  Stellen  gehen  Stufen  hinauf,  so  dass 
man  auf  derselben  hin  und  her  wandeln  kann. 

Vom  höchsten  Interesse  ist  der  Theil  der  Stadtmauer,  welcher 
östliche  und  südliche  Einfassung  des  Haramplatzes  büdet  und  die  sich 
daran  schliessende  Westseite  der  Substructionsmauer  dieses  Platzes. 
Während  die  Mauer  im  Westen  und  Norden  aus  Steinen  von  gewöhn- 
licher Grösse  besteht,  findet  man  hier  in  die  Umfassungsmauern  des 
Haramplatzes  behauene  Quadern  von  so  riesigen  Massen  eingefügt,  Avie 
sie  kein  neuerer  Bau  und  ausser  dem  von  Baalbek  auch  kein  Bauwerk 
des  Alterthums  zeigt.  Besonders  gross  sind  diese  Quadern,  welche  in 
der  Regel  längliche  Vierecke  präsentiren,  die  an  den  vier  Seiten  glatte, 
vertiefte  Ränder  haben,  während  die  Mitte  rauher  gelassen  ist,  auf  der 
Ostseite  zwischen  dem  goldenen  Thor  und  der  Südostecke  der  Stadt- 
mauer, an  einigen  Stellen  der  Südseite,  gleichfalls  nicht  weit  von  der 
Südostecke,  und  am  Klageplatz  der  Juden.  Dort  an  der  Ostseite  findet 
man  auch  die  horizontal  wie  ein  Kanonenrohr  aus  der  Mauer  hervor- 
stehende Säule,  auf  der  nach  arabischer  Sage  Mohammed  einst  reiten 
wird,  wenn  er  am  jüngsten  Tage  die  im  Thal  Josaphat  versammelten 
Menschenseelen  richtet.  Man  trifft  hier  Steine  der  beschriebenen  Art 
von  19  bis  25  Fuss  Länge  und  zwar  bis  zur  achten  Lage  hinauf.  Sehr 
merkwürdig  sind  hier  auch  einige  Steine,  welche  wie  der  Ansatz  zu 
einer  über  das  Kidronthal  nach  dem  Oelberg  hin  übergespannten  Brücken- 
wölbung aussehen,  eine  Wölbung,  von  der  indess  die  Geschichte 
nichts  weiss. 

Auf  der  Südseite  begegnet  man  ebenfalls  bis  in  die  achte,  an 
einigen  Stellen  bis  in  die  zwölfte  Lage  hinauf,  Quadern  von  16  bis  19 
Fuss.  Etwa  fünfzig  Schritt  westlich  von  der  Südostecke  trifft  man  ein 
gemauertes  Thor  von  12  Fuss  Höhe;  achtzig  Schritt  westlicher  finden 
sich^drei  nebeneinanderstehende,  jetzt  gleichfalls  vermauerte  Thore.  Es  ist 
kaum  ein  Zweifel,  dass  diese  Steine  aus  der  Zeit  Salomo's  stammen, 
jedenfalls  reichen  sie  bis  auf  Herodes  zurück. 

An  der  Stelle  im  Westen,  wo  die  Juden  klageni_begegnet  man 
dem  längsten  Stein,  welcher  29  '/j  Fuss  hat,  ausser  vielen  andern  Qua- 
dern von  18  bis  22  Fuss.  Auch  hier  befindet  sich  eine  Stelle  an  der 
Mauer,  die  einem  Brückenansatz  gleicht.  Dieselbe  ist  etwa  sechzehn 
Schritt  von  der   Südecke   entfernt  und  48  Fuss  lang,  und  könnte  ein 


62  Jerusalem. 


Eest  der  Brücke  sein,  welche   vom  Moriah  nach  dem   auf  dem  Zion 

felegenen  Palast  der  Hasmonäer  oder  vielmehr  zu  dem  Xystus,  d.  h. 
er  Terrasse  vor  diesem  Palast  führte.  Die  Sehne  des  Bogens,  welchen 
der  Brückenansatz  bildet,  beträgt  12  Fass,  derEadius  zwischen  Bogen 
und  Sehne  10  Zoll.  Einige  Gelehrte  halten  den  Ansatz  für  den  Rest 
eines  Aquäducts,  der  nach  dem  Tempelplatz  geführt  habe,  andere  für 
den  Rest  einer  Substructionswölbung,  welche  eine  vom  Tempelplatz  an 
dieser  Südwestecke  herabgehende  Treppe  gestützt  habe. 

Höchst  interessant  sind  die  verschiedenen  alten  Gräber  und 
Grotten  in  der  Umgebung  Jerusalems.  Dahin  gehört  zunächst  das 
sogenannte  Grab  David's  vor  dem  Zionsthor,  eine  Moschee,  mit  welcher 
verschiedene  andere  Gebäude  verbunden  sind.  Mehre  Kuppeln  geben 
dem  Ganzen  ein  ziemlich  stattliches  Ansehen.  Die  Moschee  zerfällt  in 
ein  oberes  und  ein  unteres  Stockwerk;  in  jenem  befindet  sich  ein 
grosser  Saal,  in  welchem  die  Einsetzung  des  Abendmahls  stattgefunden 
haben  soll,  im  untern  Stock  wird  das  Grabmal  König  David's  gezeigt. 
Der  Abendmahlsaal,  in  dem  sich  auch  das  Pfingstwunder  begeben  hat, 
ist  jedenfalls  früher  eine  Kirche  gewesen,  sein  Bogengewölbe  wird  von 
zwei  in  der  Mitte  stehenden  Säulen  gestützt.  Eine  dritte  Säule  ist  in 
die  Querwand  vermauert,  welche  den  früher  grösser  gewesenen  Raum 
in  zwei  Theile  schied.  Dem  Eingang  gegenüber  ist  eine  rothbraun  an- 
gestrichene Holzwand  angebracht,  die  eine  Nische  verbirgt.  In  der 
Ecke  links  vom  Eingange  führt  unter  einem  kleinen  Kuppelbaldachin 
eine  Treppe  in  die  Grabcapelle  hinab,  zu  welcher  Christen  der  Zutritt 
nur  ausnahmsweise  gestattet  wird.  Die  niedrige  Decke  ruht  auf  einem 
dicken  viereckigen  Pfeiler,  an  den  Wänden  liest  man  Koransprüche, 
der  Boden  ist  mit  Teppichen  belegt,  der  ganze  Raum  ziemlich  düster. 
Aus  der  Capelle  führt  eine  niedrige  Pforte  in  eine  Seitenkammer,  die 
nur  durch  letztere  Licht  erhält.  Hier  befindet  sich  an  der  Mauer  ein 
langer  steinerner  Sarkophag,  auf  dem  arabische  Goldschrift  verkündigt, 
dass  in  ihm  der  „Prophet  Daud"  liegt  und  welchen  gewöhnlich  eine 
seidene  Decke  verliüUt.  In  dem  Abendmahlssaal  nehmen  die  Franzis- 
caner,  denen  früher  das  ganze  Gebäude  gehörte,  am  Gründonnerstag 
die  Ceremonie  der  Fusswaschung  vor.  Es  ist  nicht  unmöglich,  dass 
sich  hier,  wenn  nicht  das  Grab  David's  doch  die  Gräber  anderer  Kö- 
nige Judas  befunden  haben. 

Das  Grabmal,  welches  jetzt  von  den  Führern  als  die  Gräber  der 
Könige  bezeichnet  wird,  ist  wahrscheinlich  die  Gruft  der  Königin 
Helena  von  Adiabene,  die  zur  Zeit  des  Kaisers  Claudius  von  ihrem 
Reich  am  obern  Tigris  nach  Jerusalem  kam,  dort  blieb  und  zum  Ju- 
denthum  übertrat.  Dasselbe  befindet  sich  eine  Viertelstunde  vom 
Damaskusthor,  nicht  weit  rechts  von  der  Strasse  nach  Nablus,  und 
liegt  in  einer  Bodenvertiefung,  welche  entweder  ein  alter  Steinbruch 
oder  ein  künstlich  ausgehauener  Vorhof  zu  dem  Grabmal  ist.  Letzteres 
besteht  in  Katakomben,  in  welche  eine  Art  Vorhalle  führt.  Die  Säulen 
und  Pfeiler,  welche  die  Fa^ade  derselben  schmückten,  sind  wegge- 
brochen. Nur  der  mächtige  Felsendachstuhl,  den  sie  stützten,  ist  ge- 


Jerusalem.  63 

blieben  und  lässt  mit  seinem  Skulpturschmuck  von  Triglyphen,  Trau- 
benbündeln, Palmenkronen  und  Blumenkränzen  allerdings  schliessen, 
dass  das  Grab  einst  vornehme  Leichen  barg.  Ein  Pförtchen  in  der 
südlichen  Seitenwand  bringt  in  eine  Kammer  hinab,  aus  der  andere 
Thüren  in  Seitenräume  führen,  an  deren  Wände  sich  Steinbänke  hin- 
ziehen und  Nischen  öffnen.  Hier  standen  einst  die  Sarkophage  der 
Königin  und  ihrer  Kinder.  Frevlerhände  haben  sie  in  unbekannter 
Zeit  zerschlagen.  Einiges  von  ihren  Trümmern  bewahrt  das  Louvre 
in  Paris. 

In  derselben  Gegend,  eine  halbe  Stunde  nordwestlich  vom  Da- 
maskustlior,  hart  am  Wege  nach  Nebbi  Sarawil,  trifft  man  die  soge- 
nannten Gräber  der  Bichter,  vier  Hauptkammern  in  zwei  Stockwerken. 
Ebenfalls  vor  dem  Damaskusthor,  nicht  weit  vom  Exercierplatze  der 
türkischen  Garnison,  befindet  sich  die  Grotte  des  Jeremias,  arabisch 
Mogareth  El  Edamijeh.  Dieselbe  liegt  in  einem  Garten  mit  hübschen 
Bäumen  und  ist  eine  künstlich  ausgehauene  Höhle.  Man  zalilt  für  den 
Eintritt  wie  beim  Grab  David's  einige  Piaster  Bakschisch.  Nach  der 
Legende  schrieb  der  Prophet  hier  seine  Klagelieder.  Interessanter  ist 
die  Höhle,  welche  der  Jeremiasgrotte  gegenüber  unter  der  Stadtmauer 
in  die  grossen  Steinbrüche  im  Innern  des  Bezetha  hineinführt. 
Wahrscheinlich  stammt  ein  Theil  der  Quadern  in  der  Tempelmauer 
aus  diesen  unterirdischen  Brücken.  An  mehren  Stellen  erblickt  man 
kleine  Nischen,  in  welchen  die  Lampen  der  Steinbrecher  standen,  da 
über  denselben  der  Fels  von  liauch  geschwärzt  ist;  hier  und  da  trifft 
man  Kohlen,  Knochen  und  vermodertes  Holz. 

Vom  höchsten  Interessejsind  die  Grotten  und  Grabmonumente, 
welche  sich  auf  der  Sohle  und  an  den  Abhängen  des  Thaies  Josaphat, 
d.  h.  dem  Theil  des  Kidronthales,  welcher  zwischen  dem  Oelberg  und 
der  Südostecke  der  Stadtmauer  liegt,  befinden,  namentlich  die  Gruppe 
der  Monumente,  welche  als  die  Gräber  Absalom's,  Zacharias',  Jacobus' 
und  Josaphat's  bezeichnet  werden.  Die  Grabmonumente  Absalom's  und 
Zacharias  sind  Monolithen,  d.  h.  aus  dem  Felsen  herausgehauene,  aus 
einem  Stück  bestehende  Architekturwerke,  die  Gräber  des  Jacobus  und 
Josaphat  ausgehöhlte  Grüfte  mit  verzierten  Portalen.  Der  Styl  ist  ein 
Gemisch  griechischer  und  altorientalischer  Formen.  Das  Grab  Absaloms 
befindet  sich  über  der  zweiten  Kidronbrücke  und  ist  ein  Würfel,  auf 
dem  sich  ein  gemauertes  Thürrachen  von  Kegelgestalt  erhebt.  Jede 
Seite  des  Würfels  ist  aussen  mit  zwei  Halb-  und  zwei  Viertelsäulen 
von  jonischer  Ordnung  geschmückt.  Oben  herum  läuft  ein  Fries,  der 
mit  Eosen  und  Tropfen  verziert  ist.  Das  ganze  Monument  (es  ist  nur 
ein  Gedächtnissmal  des  Sohnes  David's;  denn  er  selbst  lag  im  Walde 
Ephraim  unter  einem  Steinhaufen  begraben,  welchen  die  Verachtung 
Israel's  auf  ihn  geworfen)  hat  eine  Höhe  von  46  Fuss. 

Das  zweite  Denkmal,  jenem  ähnlich,  nur  dass  der  Würfel  statt 
eines  Kegels  eine  kleine  Pyramide  trägt,  und  dass  das  Ganze  nur  31 
Fuss  hoch  ist,  soll  dem  Andenken  des  zwischen  Tempel  und  Altar 
getödteten  jüdischen  Märtyrers  Zacharias  geweiht  sein,  auf  den  Jesus 


Ö4  Jerusalem. 


anzuspielen  scheint,  wenn  er  die  Heuchelei  der  Pharisäer  tadelt  (Mat- 
thäus 23,'  29),  mit  der  sie  den  todten  Propheten  prächtige  Gräber 
bauten,  die  lebenden  verfolgten  und  umbrachten. 

Das  Grab  des  Jacobus,  nördlich  von  letzterem  Monument  gele- 
gen, hat  drei  hintereinander  befindliche,  roh  gearbeitete  Kammern. 
Das  nach  dem  frommen  und  siegreichen  Josaphat  benannte  endlich 
hat  gleichfalls  mehre  Kammern  und  zeichnet  sich  durch  ein  schönes 
Portal  von  8  Fuss  Breite  aus,  dessen  dorische  Säulen  durch  ihre  Form 
an  die  erinnern,  welche  man  am  Eingang  der  nördlichsten  von  den 
Höhlengrüften  bei  Beni  Hassan  in  Oberägypten  sieht. 

Andere  Begräbnissstellen  dieser  Gegend,  in  der  sich  auch  der 
grosse  jüdische  Begräbnissplatz  des  modernen  Jerusalem  mit  seinen 
tausend  und  abertausend  kleinen  Steintafeln  befindet,  sind  die  soge- 
nannten Grüber  der  Propheten,  eine  Anzahl  theils  künstlicher,  theila 
natürlicher  Felsgrotten  südöstlich  vom  Grabmal  Absaloms,  ferner  der 
Matth.  27,  8  erwähnte  Blutacker,  Uakeldama,  der  für  Judas  Ischa- 
rioth's  Verrätherlohn  gekauft  wurde,  und  wo  man  im  Mittelalter  noch 
Pilger  begrub,  am  Südabhang  des  Zion,  endlich  die  27  altjüdischen 
Grabgrotten  an  dem  südlichen  Abhang  des  Hinnomthales,  unter  denen 
sich  die  Höhle  befindet,  in  welcher  sich  nach  der  Legende  die  Apostel 
versteckten,  als  Christus  gefangen  genommen  worden  war. 

Neue  Begräbnissplätze  befinden  sich  vor  dem  Zionsthor,  wo  sich 
die  Christen  beerdigen  lassen,  im  Südwesten  der  Siloah-Quelle,  wo  die 
Juden  ihren  zweiten  Gottesacker  haben,  am  obern  Gihonteich  und  an 
der  Ostseite  der  Stadtmauer,  wo  sich  zahlreiche  Grabsteine  von  Mo- 
hammedanern erheben. 

Wir  kommen  nun  zu  einer  näheren  Betrachtung  der  Berge  und 
Thäler  in  und  um  Jerusalem.  Der  Oelberg,  arabisch  Dschebel  El 
Tur,  ist  ein  sehr  edel  geformter  Berg  mit  drei  Kuppeln,  einem  Adler 
mit  ausgebreiteten  Flügeln  vergleichbar.  Der  nördlichste  Gipfel  heisst 
Viri  Galiläi,  der  mittlere  und  höchste  ist  der  eigentliche  Oelberg. 
Dieser  erhebt  sich  etwa  500  F.  über  dem  Bett  des  Kidron  mit  100  P. 
über  dem  höchsten  Punct  der  Stadt.  Aus  dem  Kidronthal  führen  mehre 
Wege  hinauf.  Er  trägt  auf  seinen  Abhängen  noch  jetzt  eine  Anzahl 
Olivenbäume,  und  hin  und  wieder  ist  auch  ein  Stück  mit  Getreide 
besäet.  Den  Gipfel  krönt  die  den  Lateinern  gehörige  Himmelfahrts- 
capelle,  eine  kleine  Moschee,  das  Weli  eines  mohammedanischen  Hei- 
ligen und  ein  von  Mohammedanern  bewohntes  Dorf  von  20  bis  30 
elenden  Hütten.  In  der  Capelle  wird  ein  Stein  gezeigt,  von  dem  sich 
Christus  in  den  Himmel  aufgeschwungen  hat.  Wer  dies  im  Hinblick 
auf  die  Stelle  des  N.  T.,  nach  welcher  die  Himmelfahrt  bei  Bethanien 
stattfand,  nicht  glaubt,  den  wird  vielleicht  der  Eindruck  des  Fusses 
überzeugen,  den  der  Erlöser  bei  jener  Gelegenheit  auf  dem  Steine 
zurückgelassen  hat. 

Die  Aussicht  vom  Oelberg  ist  umfassend.  Im  Westen  sehen  wir 
in  klaren  Farben  und  Umrissen  die  weissgraue  Stadt  mit  ihren  Kup- 
peln  und   Minarets    und   mit    den    buntschimmernden   Moscheen    des 


Jerusalem.  65 


Haram  vor  uns,  während  weiter  hinaus  das  Terebinthenthal  und  der 
spitze  Berg  mit  SaraueFs  Grab  sich  zeigt.  Im  Norden  erblicken  wir 
die  Berge  Saraaria's.  Im  Osten  und  Süden  erscheinen  über  den  grauen 
Wüstenhügeln  des  Vordergrundes  die  schroffen  Felsrücken  des  Moabi- 
tergebirges,  des  Morgens  rosenroth  überhaucht  mit  blauen  Schatten, 
am  Tage  in  das  einfache  Grau  aller  Ferne  gekleidet.  In  der  Tiefe  unter 
ihnen  zieht  sich  durch  das  gelbe  Land  fast  in  gerader  länie  der  grau- 
grüne Streif  der  Jordanufer  hin,  glänzt  weiter  südlich  der  hellblaue 
Spiegel  des  Todten  Meeres. 

Südlich  vom  Üelberg  erhebt  sich  der  Berg  des  Aergeruisses 
(Dschebel  Batn  Haua)  mit  dem  Judasbaum  und  der  Stelle,  wo  zu  Sa- 
lomo's  Zeit  dem  Moloch  geopfert  wurde.  Dem  Zion  südlich  gegenüber 
liegt  der  Berg  des  bösen  Ratlies  (Dschebel  Abu  Tor),  so  genannt, 
weil  hier  in  einem  Landhaus  des  Hohenpriesters  Kaiphas  die  Juden 
Rath  hielten,  wie  sie  Jesum  tödteten.  Euinen,  welche  sich  hier  finden, 
sollen  die  Reste  jener  Villa  sein.  Endlich  ist  von  den  Anhöhen  ausser- 
halb der  Stadt  noch  der  eine  halbe  Stunde  nördlich  vorn  Damaskus- 
thor anschwellende  Hügel  Scopus  zu  nennen,  von  dem  man  ebenfalls 
eine  gute  Aussicht  auf  Jerusalem  hat,  und  wo  Titus  wahrscheinlich 
sein  Lager  aufschlug,  als  er  zur  Belagerung  der  Stadt  schritt. 

Von  den  übrigen  Anhöhen,  sowie  von  den  Thälern  Gihon,  Hin- 
nom  (richtiger  Ben  Hinnom)  und  Josaphat  ist  das  Nöthigste  bereits 
bemerkt.  Was  das  Ti/ropäon  oder  Keisemacherthal  betrifft,  über  dessen 
Lage  viel  gestritten  worden  ist,  so  schliessen  wir  uns  der  Meinung 
Toblers  an,  welcher  dasselbe  in  der  Senkung  sucht,  die,  zwischen  dem 
Zion  und  dem  Moriah  hindurchstreichend,  die  Stadt  in  eine  östliche 
und  eine  westliche  Hälfte  scheidet. 

Wir  geben  jetzt  noch  eine  kurze  Topographie  des  alten 
Jerusalem  nach  den  Worten  des  Josephus,  von  denen  alle  Archäo- 
logen bei  ihren  Untersuchungen  auszugehen  haben.  Die  Stadt  war  nach 
Josephus  auf  zwei  Hügeln  erbaut,  die  einander  gegenüber  lagen  und 
durch  ein  dazwischen  sich  hinziehendes  Thal  getrennt  waren.  Der 
eine  von  den  Hügeln,  auf  dem  die  Oberstadt  lag,  war  beträchtlich 
höher  und  der  Länge  nach  gerader.  Wegen  seiner  Festigkeit  hiess 
man  ihn  die  Burg  König  David's.  Der  andere  Hügel,  auf  dem  die 
Oberstadt  lag,  wurde  Akra  genannt  und  war  allenthalben  abschlüssig. 
Diesem  gegenüber  lag  eine  dritte  Anhöhe,  die  von  Natur  niedriger 
als  Akra  und  von  demselben  durch  ein  breites  Thal  geschieden  war. 
Später  aber,  als  die  Hasmonäer  herrschten,  verschütteten  sie  das  Thal, 
um  die  Stadt  mit  dem  Tempel  zu  verbinden,  und  machten  Akra  durch 
Abtragung  niedriger,  so  dass  der  Tempel  höher  lag  als  der  Gipfel 
dieses  Hügels.  Das  Thal,  welches  die  Hügel  der  Ober-  und  der  Unter- 
stadt von  einander  trennte,  erstreckte  sich,  Käsemacherthal  genannt, 
hinab  bis  Siloah,  wie  die  Quelle  heisst,  die  süss  und  reichlich  fliesst. 
Von  Aussen  aber  waren  die  beiden  Hügel  der  Stadt  von  tiefen  Thälern 
eingefasst,  und  nirgends  war  hier,  wegen  der  Abhänge  auf  beiden 
Seiten,  ein  Zugang. 


66  Jerusalem. 

Wo  die  Stadt  von  Natur  nicht  fest  war,  hatte  mau  sie  mit 
Mauern  befestigt,  deren  es  zur  Zeit  des  Josephus  drei  gab.  An  den  von 
Natur  unzugänglichen  Stellen  stand  nur  eine  einfache  Ringmauer, 

Die  älteste  oder  erste  Mauer  begann  im  Nordem  beim  Thurm 
Hippicus,  erstreckte  sich  zum  Xystus  (westlich  vom  heutigen  Klageplatz 
der  Juden)  und  endigte  hier  bei  der  Westhalle  des  Tempels.  Auf  der 
andern  Seite,  im  Nordwesten  begann  diese  Mauer  ebenfalls  am  Hippi- 
cus, lief  durch  Bethso  nach  dem  Essenerthor,  wendete  sich,  nach  Süden 
hinstreichend  oberhalb  der  Quelle  Siloah  herum,  bog  dann  wieder  aus 
nach  Osten  zum  Teich  Salomo's,  ging  durch  bis  zu  einem  Orte,  der 
Ophla  hiess  und  schloss  sich  endlich  der  Osthalle  des  Tempels  an. 

Die  zweite  Mauer  nahm  ihren  Anfang  von  einem  Thor  in  der 
ersten,  welches  Genath  hiess,  und  indem  sie  nur  die  nördlich  gelegene 
Gegend  der  Stadt  einschloss,  ging  sie  hinauf  bis  zur  Burg  Antonia 
(im  Norden  des  Moriah-  oder  Haram-Plateaus). 

Die  dritte  endlich  begann  am  Hippicus,  von  wo  sie  sich  nach 
Norden  bis  zum  Psephinosthurm  erstreckte.  Darauf  zog  sie  sich  fort 
gegenüber  den  Gräbern  der  Helena  (also  beträchtlich  weiter  ini  Norden 
der  heutigen  Stadtmauer)  und   durch  königliche  Höhlen  in  die  Länge 

gedehnt,  wendete  sie  sich  bei  dem  sogenannten  Walkergrabe  um  (nach 
sten)  und  senkte,  sich  der  alten  Mauer  anschliessend,  sich  nach  dem 
Kidronthal  hinab.  Mit  dieser  Mauer  umgab  Agrippa  die  hinzugebaute 
Stadt  (Neustadt,  Bezetha,  griechisch  Kaenopolis),  welche  bis  dahin 
ganz  bloss  gelegen  hatte.  Die  Stadt  floss  nämlich  über  von  der  Menge 
ihrer  Einwohner  und  trat  ein  wenig  über  die  (nördlichen  Theile  der 
alten)  Mauern  hinaus.  Indem  man  sich  in  der  nördlich  vom  Tempel 
gelegenen  Gegend  an  dem  Hügel  niederliess,  schritt  man  nicht  wenig 
vor,  so  dass  ein  vierter  Hügel  umbaut  wurde.  Er  lag  der  Burg  Antonia 
gegenüber,  getrennt  von  derselben  durch  einen  tiefen  Graben,  welcher 
künstlich  gezogen  wurde,  damit  nicht  die  Grundmauern  von  der  An- 
tonia, indem  sie  dem  Hügel  sich  näherten,  leichter  zugänglich  und 
weniger  hoch  wären. 

Diese  Beschreibung  ist  nicht  sehr  deutlich.  Indess  möchte  dar- 
aus hervorgehen,  dass  der  Zion,  der  höchste  und  am  längsten  gestreckte 
Hügel,  die  ganze  Westhälfte  der  Stadt  einnahm,  d.  h.  die  Strecke  von 
der  Nordwestecke  des  heutigen  Jerusalem  bis  zum  Zionsthor  und  von 
da  bis  hinab  in  die  Senkung,  welche  sich  von  Süden  nach  Norden  vom 
Mistthor  an,  noch  ziemlich  erkennbar  hinaufzieht  und  in  welcher  wir 
das  alte  Käsemacherthal  erblicken.  Ferner,  dass  der  Tempelberg  Moriah 
der  Südhälfte  des  Zion  gegenüber  lag,  dass  die  Burg  Antonia  sich  auf 
dessen  Nordseite  erhob,  und  dass  Akra  von  den  Stellen  der  heutigen 
Stadt  bedeckt  wird,  welche  in  dem  Dreieck  zwischen  dem  Stephans-, 
dem  Damaskusthor  und  der  Nordwestecke  der  jetzigen  Stadt  liegen. 
Für  den  Bezetha  blieben  dann  die  Nordostecke  des  heutigen  Jerusalems 
und  eine  Strecke  Boden  vor  dem  Herodcs-  und  Daraaskusthor  übrig. 
Völlig  sicher  ist  indess  von  diesen  Annahmen  nur,  was  oben  über  die 
Lage  des  Zion  und  des  Tempelbergs,  sowie  des  Hippicus  gesagt  wurde. 


68  Jerusalem. 


Eine  gründliche  Besichtigung  Jerusalems  und  seiner  unmittel- 
baren Umgebung  lässt  sich  sehr  wohl  binnen  sechs  Tagen  bewerk- 
stelligen. Wir  schlagen  dazu  folgenden  Plan  vor: 

Erster  Tag:  Grabeskirche,  Johanniterconvent,  Via  dolorosa, 
Patriarcheion  und  Salvatorkloster,  Ba/are. 

Zweiter  Tag :  Citadello,  armenisches  Patriarchat  und  Jakobs- 
kloster, protestantische  Christuskirche,  Diakonissenliaus,  Hütten  der 
Aussätzigen,  Zionssynagoge,  Haus  des  Kaijjhas  und  Grab  David's. 

-  Dritter  Tag:  Annenkirche,  österreichisches  Hospiz,  Bethesdateich, 
Haramplatz  (wofern  der  Zutritt  wieder  gestattet  ist,  Omar-  und  Aksa- 
Moschee),  Klageplatz  der  Juden,  zum  Schluss  ein  Gang  um  die  Thore, 
der  eine  gute  Stunde  erfordert,  wenn  mau  sicli  auf  die  Wege  beschränkt, 
die  unmittelbar  an  den  Mauern  hinlaufen.  IMirkischer  Gottesacker  am 
goldenen  Thor,  Säule  Moliammeds,  grosse  Steine  in  der  östlichen  und 
südlichen  Mauer  des  Tempelphitzcs. 

Vierter  Tag:  durch  das  Stephansthor  hinaus  und  in  das  Kidron- 
thal hinab  zu  der  Marienkirche,  der  Blutschwitzungsgrotte,  dem  Garten 
Gethsemane.  Dann  auf  den  Oelberg,  zu  den  Gräbern  der  Propheten, 
auf  den  Berg  des  Aergernisses,  auf  der  Strasse  von  Jericho  hinab  zu 
den  Grabmonumenten  im  Thale  Josaphat  und  durch  das  Stephansthor 
zurück. 

Fünfter  Tag :  zum  Jaffathor  hinaus  nach  dem  obern  Gihonteich, 
im  Thal  fort  nach  Süden  zu  den  Bogen  der  Wasserleitung,  die  von 
den  Teichen  Salomö's  über  den  Berg  des  bösen  Käthes  herabkommt. 
Ferner  unterer  Gihonteich,  jüdische  Felsengrütte  im  Hinnomthal,  Gipfel 
des  Bergs  des  bösen  Rathes  mit  den  Euinen  von  Kaiphas'  Landhaus, 
Blutacker,  Nehemiasbrunnen,  Teich  und  Quelle  Siloah,  zurück  durch 
das  Stephansthor. 

Sechster  Tag:  zum  Damaskusthor  hinaus  nach  der  Jeremias- 
grotte  und  in  den  Steinbruch  unter  dem  Bezetha,  nach  dem  Scopus, 
zu  den  Gräbern  der  Richter  und  der  Könige,  ins  obere  Kidronthal  und 
nach  dem  Gipfel  A'iri  Galiläi,  zurück  durch's  Stephansthor. 


Touren  durch  den  Süden  Palästina's.  69 


DRITTES  CAPITEL. 
Touren.   durcU   den   Süden  falästinia's. 


Kurzer  Wegweiser  und  Stundenzeiger  für  AuHflüge  nach  den  Hauptpuncten  in  der 
Nachbarschaft  Jerusalems.  —  Tonr  nach  Bethanien,  Jericho,  dem  Jordan,  dem  Todten 
Meer*»  und  Mar  Saba.  —  Tour  nach  Bethlehem  und.  Hebron  und  zurdck  über  St.  Pliilipp, 
Ain  Karira  und  das   Kreuzklost«r. 


Wir  beginnen  dieses  Capital  mit  einer  kurzen  Aufzählung  der 
Orte,  welche,  in  der  Entfernung  von  einer  halben  bis  drei  Stunden  um 
Jerusalem  herumliegend,  sich  durch  Ausflüge  zu  Fuss  erreichen 
lassen,  wobei  wir  die  Namen  in  alphabetischer  Folge  geben  und  Beth- 
lehem auf  einen  späteren  Zusammenhang  versparen. 

Abu  Dis,  Dorf  von  einigen  sechzig  Hausern,  1 ' ',  Stunden  süd- 
östlich von  Jerusalem  auf  einem  Berg  rechts  von  der  Strasse  nach 
Jericho. 

Ain  Karim,  von  den  Christen  St.  Johann  genannt,  1  */,  Stunden 
südwestlich  vom  Jaifathor,  Dorf  mit  800  grossentheils  mohammedani- 
schen Einwohnern,  dabei  ein  festungsartiges  Kloster  und  Ruinen  aus 
dem  Alterthum.  Eine  Stunde  westlich  von  hier  ist  die  sogenannte 
Johanneswüste  mit  einer  Quelle  und  einer  Grotte,  in  welcher  Johannes 
der  Täufer  gewohnt  haben  soll. 

Anata,  vielleicht  das  alte  Anathot,  wo  Jeremias  geboren  wurde, 
mohammedanisches  Dorf  mit  guter  Aussicht,  l-'^  Stunden  nordöstlich 
von  dem  Damaskusthor. 

Apostelbrunnen,  arabisch  Bir  El  Chod,  %  Stunden  vom  Ste- 
phansthor am  Weg  nach   Jericho. 

Artas,  halb  in  Trümmern  liegendes  Dorf  an  der  Stelle  des  2. 
Chron.  11,  6  erwähnten  Etham,  drei  kleine  Stunden  südwestlich  von 
Jerusalem,  mit  Fruchtgärten,  welche,  da  reichlich  Wasser  vorhanden 
ist,  sehr  wohl  gedeihen.  Gleich  dabei  sind  die  Teiche  Salomo's. 

Bet  Dschala,  1  '/^  Stunden  südwestlich  von  Jerusalem,  sehr 
grosses  Dorf  mit  einer  griechischen  Kirche. 

Bethanien,  arabisch  El  Asarijeh,  mohammedanisches  Dorf  von 
30  bis  35  Häusern,  auf  der  östlichen  Seite  des  Üelbergs  '/,  Stunde 
vom  Stephansthor  entfernt,  lieber  seine  Sehenswürdigkeiten  siehe 
weiter  unten  die  Tour  nach  Jericho. 


70  Touren  durch  den  Süden  Palästina's. 

Bet  Hanina,  wohlgebautes  Dorf,  1  '4  Stunden  nordwestlich  vom 
Damaskusthor.  Man  sucht  hier,  wohl  ohne  Grund,  das  Nehem.  11,  32 
erwähnte  Ananja. 

Bir  Nebala,  Dorf,  zwei  Stunden  nordwestlich  von  Jerusalem 
mit  Gewölben  aus  dem  Alterthum. 

Dreikönigsbrunnen,  eine  Stunde  südlich  von  Jerusalem  etliche 
hundert  Schritte  vom 

Eliaskloster,  Dejr  Mar  Elias,  einem  stattlichen,  den  Griechen 
gehörigen  Gebäude  u.  s.  w. 

Frankenberg,  arabisch  Dschebel  El  Furidis,  ein  Berg  mit  Trüm- 
mern, starke  drei  Stunden  südöstlich  von  Jerusalem  und  l'/j  Stunde 
von  Bethlehem  entfernt.  Sehr  wahrscheinlich  lag  hier  die  von  Josephus 
beschriebene  Festung  Herodiura.  Näheres  weiter  unten  bei  der  Tour 
nach  Jericho. 

i7  Khadr,  drei  kleine  Stunden  südwestlich  von  Jerusalem,  ^/^ 
Stunden  von  Bet  Dschala,  mohammedanisches  Dorf,  bei  dem  sich  das 
griechische  Kloster  St.  Georg  befindet,  in  welchem  eine  Irrenanstalt  ist. 

Kkareitun  (Chariton),  ein  Dort  IV^  Stunden  von  Frankenberg. 
Dabei  ist  eine  Höhle  mit  mehren  Gängen,  die  über  tausend  Fuss  lang 
sind.  Tobler  hat  hier  Inschriften,  römische  Asclienkrüge  und  Scherben 
gefunden.  Roth  dagegen  hat  von  dem  Allem  nichts  gesehen. 

Kreuzkloster,  arabisch  Dejr  El  Musalabeh,  '/^  Stunde  westlich 
vom  JafFathor,  den  Georgiern  gehörig.  Näheres  weiter  unten  bei 
Bethlehem. 

Lifta,  Dorf,  eine  Stunde  westlich  von  der  Stadt,  mit  einer  guten 
Quelle,  einer  Moschee  und  Ruinen.  Die  Franken  schlagen  hier  im 
Sommer  gewöhnlich  Zeltlager  auf,Un  denen  sie  die  heisseste  Zeit  über 
wohnen 

Om  Basras,  Ruinen  einer  Burg,  IV4  Stunde  von  Jerusalem  an 
der  Strasse  nach  Jericho,  vielleicht  das  alte  Adumini. 

Philipjishrunnen,  arabisch  Ain  Hanijeh,  1  %  Stunden  südwest- 
lich von  der  Stadt,  eine  schöne  Quelle,  in  welcher  der  Apostel  Phi- 
lippus  den  Kämmerer  der  Königin  Kandace  taufle.  In  der  Nähe  wächst 
der  beste  Wein  Südpalästina's. 

St.  Samuel,  arabisch  Nebbi  Samwil,  Dorf,  zwei  starke  Stunden 
von  Jerusalem  und  zwar  im  Nordwesten.  Nimmt  man  den  Weg  über 
Kulonieh,  so  braucht  man  drei  Stunden.  Das  Dorf  liegt  auf  einem 
2480  Fuss  hohen  Kegelberg,  von  dem  man  eine  sehr  gute  Aussicht 
bis  an  das  Mittelmeer  hat,  und  hat  nur  wenige,  meist  schlechte  Häuser. 
Die  Einwohner  sind  Mohammedaner.  In  der  halbverfallenen  Moschee 
wird  das  Grab  des  Propheten  Samuel  gezeigt.  Die  Moschee  steht  an 
der  Stelle  eines  in  Kreuzesform  erbauten  Klosters.  Man  steigt  zu  dem 
Grabmal  eine  Treppe  hinab  in  einen  viereckigen  Raum,  dessen  Ueber- 
wölbung  zum  Theil  eingebrochen  ist.  Hier  sieht  man  einen  gewölbten, 
weissübertünchten  Sarkophag,  der  an  den  vier  Ecken  mit  kupfernen 
Ezchajim,  Lebensbäumen,  geschmückt  und  gewöhnlich  mit  einer  Decke 
überhangen  ist.  In  der  Nachbarschaft  der  Moschee  finden  sich  Spuren 


Touren  durch  den  Süden  Palästina's.  71 

alter  Gebäude  und  einiger  Cisternen.  Der  Gipfel  des  Berges  soll  nach 
der  Legende  die  Prophetenstadt  Kama  getragen  haben,  wogegen  neuere 
Forscher  hier  das  alte  Mizpa  suchen,  von  wo  Judas  Makkabäus  zum 
Angriff  auf  die  Heiden  ausrückte. 

Süuan,  Dorf  von  80  Wohnungen,  die  zum  Theil  Felsengrotten 
sind,  V4  Stunde  vom  Stephansthor  am  Westabhang  des  Bergs  des 
Aergernisses,  ohne  Zweifel  das  alte  Siloam.  Die  Einwohner  gelten  für 
fanatisch  und  räuberisch. 

Simeons  Haus,  nach  der  Legende  die  Wohnung  des  greisen 
Simeon,  welcher  das  Jesuskind  im  Tempel  segnete,  ein  Trümraerplatz, 
eine  kleine  Stunde   vom   Jaflathor,    rechts  am  Wege  nach  Bethlehem. 

Wir  beschreiben  nun  die  Touren  nach  Jericho,  dem  Jordan,  dem 
Todten  Meere  und  nach  Mar  Saba,  sowie  nach  Bethlehem  und  Hebron, 
wobei  wir  an  den  in  der  Einleitung  eingetheilten  Plan  erinnern,  nach 
welchem  sich  dieselben  verbinden  lassen: 

1.   Ausflug  nach  Jericho,  dem  Jordan  und  dem  Todten  Meere,  und  über  Mar  Saba 
nach  Jerusalem  zurück- 

Man  verlässt  Jerusalem  durch  das  Stephansthor  und  reitet  um 
den  Oelberg  herum  nach  Bethanien.  Rathsam  ist,  um  die  Mittagszeit, 
etwa  um  zwei  Uhr  aufzubrechen,  da  Jericho  nur  sechs  Stunden  ent- 
fernt ist  und  der  am  Morgen  dahin  Aufbrechende  diesen  Ort  so  zeitig 
erreicht,  dass  er  gerade  in  den  hier  besonders  heissen  Nachmittags- 
stundeii  in  dieser  Gegend  verweilen  muss. 

In  Bethanien  werden  gezeigt:  a)  ein  in  Ruinen  liegendes  Ge- 
bäude, welches  das  Haus  des  Lazarus  sein  soll:  b)  das  Haus  seiner 
Schwester  Maria;  c)  das  der  Martha;  d)  das  Simons  des  Aussätzigen, 
endlich  e)  das  Grab  des  Lazarus.  Letzteres  ist  eine  Art  Felsenkeller, 
in  welchen  man  auf  sechsundzwanzig  Stufen  hinabsteigt.  Von  hier  führen 
noch  zwei  Stufen  in  ein  kleineres  Seitengemach,  in  dem  Lazarus  gele- 
gen haben  soll.  Die  Grabstätte,  die  jedenfalls  sehr  alt  und  sehr  wahr- 
scheinlich wirklich  eine  Gruft  ist,  steht  auch  bei  den  Bekennern  des 
Islam  in  hoher  Achtung. 

Eine  starke  Viertelstunde  von  hier  triff't  man  den  Apostelbrun- 
nen (arabisch  Bir  El  Chod)  und  daneben  Ruinen  eines  Khans.  Weiter- 
hin wird  die  Gegend  kahler  und  steiniger  und  man  befindet  sich  end- 
lich völlig  in  der  Wüste. 

Drei  Stunden  von  Bethanien  kommt  man  an  die  Trümmerstätte 
Karjat  El  Kurd,  die  einst  ein  Nebengebäude  des  in  der  Nähe  liegen- 
den Khan  Chadrur  gewesen  zu  sein  scheint,  eines  Kastells,  welches  die 
Strasse  beherrschte,  jetzt  aber  ebenfalls  in  Ruinen  liegt.  Eine  Stunde 
von  hier  bemerkt  man  links  auf  der  Höhe  eine  doppelte  alte  Wasser- 
leitung. Der  Weg,  der  von  hier  in  das  Ghor  oder  Jordanthal  hinab- 
führt, ist  ziemlich  steil  Im  Thale  angelangt,  hat  man  erst  einen 
schmalen  Kanal,  dann  den  in  der  Nachbarschaft  entspringenden,  an 
seinen  Ufern  mit  dichtem  Gebüsch    bewachsenen  Bach   Ain   Es  Soltan 


72  Touren  durch  den  Süden  Palästina's. 

zu  passiren.  Von  der  Fürth  ist  es  noch  eine  halbe  Stunde  bis  nach 
Jericho,  welches  jetzt  Eicha  heisst  und  ein  höchst  elendes  Dorf  von 
etwa  vierzig  Hütten  ist,  bei  dem  sich  einige  Felder  und  eine  Gruppe 
von  Feigen-  und  andern  Bäumen  befinden.  Das  Kastell  von  Jericho  ist 
ein  alter  viereckiger  Thunn,  in  welchem  einige  Baschibozuks  als  Wacht- 
posten stationirt  sind.  Von  den  Palmen  und  Balsampflanzungen  des 
alten  Hierichunt  ist  nichts,  von  den  Prachtbauten  der  Stadt  (welche 
übrigens  eine  halbe  Stunde  westlich  vom  heutigen  Richa  lag)  nur  ein 
Stück  der  Wasserleitung  mit  mehren  Bogen  noch  vorhanden.  Man 
pflegt  sein  Zelt  in  der  Nähe  des  Baches  aufzuschlagen.  Die  Einwohner 
des  Dorfes  liefern  gegen  Bezahlung  Milch  und  Eier.  Die  Beduinen  der 
Escorte  führen  gegen  ein  Bakschisch  eine  Fantasia,  d.  h.  eine  Art  Tanz 
auf,  bei  dem  sie  ihre  Pistolen  abfeuern.  Die  Gegend  von  Jericho  ist 
sehr  wenig  angebaut,  wie  das  ganze  Jordanthal,  aber  nicht  ohne  Bäume 
und  Sträucher.  Man  findet  ausser  einigen  Feigen-  und  Granatbäumen 
sehr  häufig  den  dornreichen  Nabkbaum,  dessen  Frucht,  von  den  Ara- 
bern Dom  genannt  und  gegessen,  einer  Kirsche  gleicht,  aber  ganz 
saftlos  ist;  ferner  die  Palme  Christi,  die  das  Ricinusöl  liefert;  die 
milchreiche  Asklepias  Gigantea,  von  den  Arabern  Ascher  geheissen,  ein 
Strauch,  welcher  die  sogenannten  Sodomsäpfel  trägt,  endlich  gelegent- 
lich eine  Tamariske.  Die  sogenannte  Jerichorose  (arabisch  Kaf  Mirjam), 
eine  Pflanze,  welche  in  Jerusalem  als  Andenken  verkauft  wird  und  zu 
den  kreuzblüthigen  Siliquosen  gehört,  wächst  nicht  hier,  sondern  in 
Arabien.  Sie  hat  die  Eigenschaft,  ins  Wasser  gesetzt,  aufzugehen  und 
sich,  trocken  geworden,  wieder  zusammenzuziehen. 

Von  Jericho  aus  kann  man  entweder  direct  nach  dem  Jordan 
aufbrechen  oder  erst  einen  Abstecher  nach  der  Wüste  Quarantena, 
Dschebel  Karantel  unternehmen,  wohin  die  Legende  die  Stelle  verlegt, 
an  welcher  Jesus  nach  vierzigtägigem  Fasten  vom  Teufel  .versucht 
wurde.  Dieselbe  liegt  1'/^  Meilen  nordwestlich  von  Richa,  über  dem 
sogenannten  Elisänshnmnen,  der  Quelle  des  Baches  Ain  Es  Soltan. 
Dieser  schöne  klare  Quell  entspringt  in  einer  schauerlichen  Schlucht, 
720  Fuss  über  dem  Spiegel  des  Todten  Meeres  und  bildet  ein  von 
allerlei  Grün  umgebenes  JBecken,  in  dem  es  Fische  gibt.  Die  Wüste 
Quarantena  mit  dem  Berg  der  Versuchung  liegt  noch  600  bis  800  Fuss 
höher.  Es  fährt  ein  schmaler  and  beschwerlicher  Weg  hinauf,  neben 
dem  man  eine  Anzahl  von  Einsiedlerhöhlen  trifft,  die  indess  jetzt  unbe- 
wohnt sind.  Auf  der  Ostseite  des  Berges  befinden  sich  drei  besonders 
grosse  Grotten,  in  denen  man  noch  schwachen  Spuren  von  Fresken 
begegnet.  Sie  sind  indess  ebenso  wie  der  Gipfel  des  Berges  nur  mit 
Schwierigkeit  zu  erreichen  und  verlohnen  die  Mühe  so  wenig  wie  die 
Aussicht  von  diesem. 

In  Jericho  fuhr  Elias  gan  Himmel,  starb  Herodes  der  Grosse, 
fand  die  Begegnung  Christi  mit  Zachäus  statt. 

Wer  die  Tour  von  Jericho  nach  dem  Norden  und  dem  Todten 
Meere  machen  und  die  Nacht  im  Kloster  Mar  Saba  zubringen  will, 
muss  bei  Zeiten  aufbrechen,   da  es  von  Jericho   bis  zum  Jordan  I74, 


Touren  durch  den  Süden  Palästina's. 


73 


74  Touren  durch  den  Süden  Palästina's. 

von  da  bis  zum  Todten  Meer  1  '/^  und  von  dort  wieder  bis  nach  Mar 
Saba  sechs  Stunden  ist  und  das  Kloster  nach  Sonnenuntergang  Niemand 
mehr  einlässt,  wie  es  denn  überhaupt  nur  solchen  Fremden  Einlass 
gewährt,  welche  durch  einen  Empfelilungsbrief  vom  Patriarchen  in 
Jerusalem  legitimirt  sind.  Der  Weg  von  Jericho  nach  dem  Jordan 
führt  über  eine  von  sanften  Senkungen  unterbrochene  Ebene,  die  zum 
Theil  mit  einer  dünnen  Salpeterkruste  bedeckt  ist.  An  manchen  Stellen, 
besonders  gegen  den  Fluss  hin,  finden  sich  Sträucher  und  Bäume.  Die 
Euinen  rechts  im  Südosten  sind  Reste  des  Klosters  Hadschla,  welches 
dem  Täufer  Johannes  geweiht  war,  und  in  dem  man  Spuren  von  Wand- 
gemälden antrifft,  die  sich  auf  Elias  beziehen.  Die  Stelle,  wo  man  den 
Jordan  gewöhnlich  zuerst  erreicht,  gilt  der  Tradition  für  die,  wo  Chri- 
stus die  Taufe  empfing.  Der  Fluss  ist  hier  etwa  80  Fuss  breit  und  in 
der  Mitte  10  bis  12  Fuss  tief.  Seine  Ufer  sind  mit  schönem  Wald  von 
wilden  Lorbeerbäumen,  Eichen,  Weiden,  Akazien  und  Tamarisken 
bedeckt.  Das  Wasser  ist  trüb  und  so  reissend,  dass  auch  gute  Schwim- 
mer, schon  der  steilen  Schlammufer  halber,  wohl  thun,  sich  nicht  zu 
weit  hineinzuwagen.  In  dem  Uferdickicht  halten  sich  wilde  Schweine 
und,  wie  man  sagt,  auch  Panther  auf.  Der  arabische  Name  des  Jordan 
ist  Scheriat,  ausführlicher  Scheriat  El  Kebir,  d.  i.  die  grosse  Tränk- 
stelle. Die  Höhen  im  Osten  sind  die  Berge  der  Kinder  Ammon. 

Zwischen  dem  Jordan  und  dem  Todten  Meere  findet  sich  nir- 
gends eine  Quelle;  man  nehme  sich  daher  Wasser  zum  Trinken  aus 
dem  Flusse  mit,  was  noch  nöthiger  ist,  wenn  man  einen  Ausflug  bis 
nach  Endschiddi  vorhat.  Der  Weg  bis  zum  Nordeude  des  Todten 
Meeres  (arabisch  Bachr  Lut,  Lotssee  oder  Bachr  El  Mid,  Salzsee) 
führt  über  salpetergeschwängerten  Boden  ohne  Bäume,  Sträucher  und 
Gras.  Man  pflegt  gegenüber  einer  kleinen  Insel  Halt  zu  machen  Das 
Ufer  ist  hier  mit  zahlreichen,  ihrer  Rinde  entkleideten  Bäumen  bedeckt, 
welche  der  links  in  den  See  mündende  Jordan  herabgeschwemmt  und 
der  See  wieder  an's  Land  geworfen  hat.  Die  Farbe  des  Landsee's  ist, 
wenn  nicht  Wolken  den  Himmel  bedecken,  ein  schönes  Dunkelblau,  die 
der  Berge  am  Nordende  gelblich  grau.  Das  stark  mit  Salz  und  Asphalt 
geschwängerte  Wasser  lässt  weder  vegetabilisches  noch  animalisches 
Leben  in  sich  aufkommen,  und  so  hat  der  See  weder  Fische,  noch 
Muscheln,  noch  Pflanzen  irgendwelcher  Art  in  sich.  Es  hat  einen  schar- 
fen, bittersalzigen  Geschmack,  verursacht  dem  Badenden  an  wunden 
Stellen  des  Leibes  ein  heftiges  Brennen  und  trägt  ihn,  wo  es  tiefer 
ist,  wie   einen  Kork. 

Was  sonst  Ausserordentliches  von  dem  See  erzählt  wird,  ist 
Fabel.  Er  hat  weder  einen  üblen  Geruch,  noch  haucht  er  giftige 
Dünste  aus. 

Die  Länge  des  Todten  Meeres  beträgt  10,  seine  durchschnittliche 
Breite  zwei  deutsche  Meilen.  Als  grösste  Tiefe  hat  man  1170  Fuss 
gefunden,  am  Südende,  wohin  der  räuberischen  Stämme  am  Ufer  wegen 
selten  ein  Reisender  gelangte,  soll  man  den  See  durchwaten  können. 
Seine  Oberfläche  liegt  zwischen  1200  und  1300  Fuss  unter  dem  Spiegel 


Touren  durch  den  Süden  Palästina's.  75 

des  Mittelmeeres.  Entstanden  ist  er  höchst  wahrscheinlicli  durch  einen 
Erdsturz,  den  vulkanische  Kräfte  vorbereiteten.  Die  Steinarten  am 
Ufer  (das  Gebirg  war  einst  von  den  Moabitern  bewohnt,  der  höchste 
Gipfel  soll  der  Neho  sein)  bestehen  hauptsächlich  aus  gewöhnlichem 
Kalk-  und  Sandstein,  Stinkschiefer  und  bituminösem  Quarz.  An  der 
Ostküste  fand  man  hin  und  wieder  vulkanische  Bildungen  und  Lava. 
Im  Süden  erhebt  sich  ein  dunkler  Kegelberg,  der  vom  Fuss  bis  zum 
Gipfel  mit  Schlacken  und  Lava  bedeckt  ist.  Oestlich  von  der  sehr  weit 
in  den  See  hinaustretenden  Halbinsel  Usdora  (Sodom)  erblickt  man 
über  einer  Schlucht  und  60'  über  dem  Wasserspiegel  eine  Art  Säule 
von  Steinsalz,  die  eine  Höhe  von  40  Fuss  hat  und  für  die  Säule  gilt, 
in  welche  Lot's  Weib  verwandelt  wurde. 

Wo  die  untergegangenen  Städte  gelegen  haben  (ausser  Sodom 
und  Gomorrha  werden  von  der  Genesis  noch  Adama,  Zoar  und  Zeboim 
genannt),  ist  unbekannt.  Schliesslich  ist  zu  bemerken,  dass  die  Umge- 
bung des  Meeres  nur  da  dürr  und  baumlos  ist,  wo  es  an  süssem  Wasser 
fehlt.  In  der  Schlucht  Eadschiddi,  bis  zu  welcher  man  vom  Ufer  bei 
der  kleinen  Insel  im  Norden  etwa  drei  Stunden  reitet,  und  welche 
vielleicht  das  Engeddi  ist,  wo  David  sich  als  geächteter  Kebell  und 
Eäuber  vor  Saul  verbarg,  und  mit  dessen  Traube  die  Sulamith  des 
Hohenliedes  ihren  Geliebten  vergleicht,  wachsen  neben  der  Quelle,  die 
den  anmuthigen  Ort  bewässert,  ausser  Schilf,  Tamarisken  und  Gurra- 
bäumen  auch  einige  Palmen.  Flüssiges  Erdharz  wird  in  der  Nachbar- 
schaft des  See's  nirgends  gefunden,  wohl  aber  der  sogenannte  Moses- 
oder Asphaltstein. 

Auf  dem  Wege  vom  Todten  Meere  nach  dem  Kloster  Mar  Saba 
begegnet  man  nirgends  einer  Menschenwohnung,  keinem  Baum  oder 
Strauch  und  nur  zwei  Quellen  Die  Kichtung  desselben  ist  zuerst  nord- 
westlich, dann  nördlich,  zuletzt  westlich.  Eine  halbe  Stunde  von  der 
Haltstelle  bei  der  Insel  erreicht  man  die  mit  Schilf  und  Tamarisken 
umgebene  Quelle  Ain  Ed  Dschahir,  deren  Wasser  zwar  etwas  Salzgehalt 
hat,  aber  —  namentlich  mit  Orangensaft  gemischt  —  zu  trinken  ist. 
Eine  Viertelstunde  weiter  streift  der  Weg  das  Südende  des  Wadi  Da- 
her, einer  tieferen  Bodensenkung  mit  steilen,  znm  Theile  felsigen 
Wänden,  dann  steigt  er  allraälig  bergan,  führt  am  Wadi  Abu  Dis  hin 
und  senkt  sich  liierauf  in  das  Wadi  Kunetereh  hinab.  In  der  Feme 
erblickt  man  den  Nehhi  Musa,  eine  Höhe,  auf  deren  Gipfel  eine  in 
Euinen  liegende  kleine  Moschee  den  Mohammedanern  das  den  Christen 
und  Juden  bekanntlich  verborgen  gehaltene  Grab  Mosis  bezeichnet. 
Weiterhin  führt  die  Strasse  über  die  Hochfläche  Sahel  Abu  Kea  und 
verschiedene  Wüstenthäler  und  Höhen  nach  einem  Thal,  in  welchem 
eine  Cisterne  mit  gutem  Wasser  ist,  und  von  wo  man  noch  1 '/,  Stunde 
bis  Mar  Saba  reitet.  Der  Weg  ist  nicht  besonders  beschwerlich,  die 
Temperatur  aber,  vorzüglich  in  den  engen  Thälern  ausserordentlich 
heiss.  Das  Wasser  der  Cisterne  ist  vortrefflich,  enthält  aber  rothe 
Würmer,  wesshalb  man  gut  thut,  es  durch  ein  Tuch  zu  seihen. 


76  Touren  durch  den  Süden  Palästina's. 


Das  Kloster  Mar  Saba  hängt,  seiner  Gestalt  nach  einer  mit- 
telalterlichen Burg  ähnlich,  am  Abhang  des  VVadi  Nähr,  einer  wilden, 
schauerlichen  Felsenschlucht,  welche  eine  Portsetzung  des  Kidronthales 
ist.  Die  schroffen  Wände  der  Schlucht  haben  eine  Höhe  von  400  bis 
500  Fuss  und  zeigen  eine  grosse  Anzahl  von  Höhlen  und  Grotten,  in 
welchen  im  Alterthum  Tausende  von  Anachoreten  wohnten.  An  der 
einen  Wand  führt,  vielfach  sich  schlängelnd,  eine  gute  Strasse  bis  vor 
die  Klosterpforte.  Damen  haben  in  das  eigentliche  Kloster  keinen  Ein- 
lass,  sondern  müssen  in  einem  Seitenthurm  übernachten.  Nichtchristen 
dürfen  nur  bis  in  den  ersten  Hof.  Das  Kloster  gehört  den  Griechen. 
Der  Schlafsaal  für  die  Pilger  ist  bequem  eingerichtet,  die  Verköstigung 
dagegen  in  der  Eegel  mager.  Wein  trinkt  man  hier  nur.  wenn  man 
ihn  selbst  mitgebracht  hat.  Unter  den  Mönchen  (Kalugern)  befindet 
sich  gewöhnlich  einer,  welcher,  italienisch  sprechend,  das  Führeramt 
übernimmt.  Er  zeigt  dem  Fremden  verschiedene  düstere  Kirchen  und 
Capellen  mit  vielen  Heiligenbildern  und  mancherlei  Gold-  und  Silber- 
schmuck, eine  Nische  mit  einem  Haufen  Todtenschädel,  die  angeblich  . 
von  dem  Blutbad  herrühren,  welches  die  Sarazenen  im  Jahre  812  unter 
den  Klosterleuten  anrichteten,  einen  Sarkophag  mit  den  Gebeinen  des 
Kirchenvaters  Johannes  Damascenus,  und  die  Höhle,  in  welcher  der 
heilige  Saba  lange  Jahre  mit  einem  Löwen  zusummengewohnt  hat.  Die 
Palme,  welche  sich  unter  der  Kirche  erhebt,  soll  von  ihm  gepflanzt 
worden,  also   etwa  1300  Jahre  alt  sein,    hat  aber  höchstens  50  Jahre. 

Von  Mar  Saba  reitet  man,  da  der  Weg  grossentheils  gut  ist,  in 
zwei  Stunden  nach  Jerusalem  zurück  und  zwar  folgt  die  Strasse  bis 
vor  die  Stadt  dem  Kidronthal.  Die  ganze  im  Vorstehendon  beschrie- 
bene Tour  kann,  wenn  man  die  Ausflüge  nach  der  Wüste  Quarantena 
und  nach  Endschiddi  weglässt,  recht  wohl  binnen  zweimal  vierund- 
zwanzig Stunden  gemacht  werden,  mit  Einschluss  jener  Ausflüge  erfor- 
dert sie  vier  Tage.  Wer  von  Mar  Saba  sogleich  nach  Bethlehem  und 
Hebron  weiter  gehen  will,  i;elangt  auf  dem  nächsten  Wege,  über  den 
Wadi  und  das  Dorf  Antubeh,  binnen  drei  Stunden  dahin. 

2.    Ausflug  über  Bethlehem  nach  Hebron  und  über  die  Johanneswüste  und  das 
Kreuzkloster  nach  Jerusalem  zurück. 

Man  verlässt  Jerusalem  durch  das  Jaffathor,  steigt  in  das  Gi- 
honthal  hinab  und  ersteigt  in  der  Nähe  von  Montefiores  Windmühle 
die  jenseitige  Thalwand  wieder.  Dann  führt  der  Weg  über  die  Ebene 
nach  dem  Dreikönigsbrunneu  und  am  Kloster  Mar  Elias  vorüber  an 
der  Wand  eines  in  mehre  Senkungen  getheilten  Kessels  hin  nach  Beth- 
lehem, welches  zwei  Stunden  von  Jerusalem  entfernt  ist.  Das  kleine, 
weiss  schimmernde  Grabmal,  welches  man  auf  der  Mitte  des  Weges 
zwischen  Mar  Elias  und  Bethlehem  zur  ßechten  erblickt,  ist  das  Grab 
Bacheis,  der  Lieblingsfrau  des  Patriarchen  Jakob,  der  grosse  Ort  weiter 
oben  am  ßerghang  Bet  Dschala.  Bethlehem  liegt  recht  hübsch  auf 
einem  Hügel vorsprung,  dessen  Seiten  mit  Baumgärten  und  etwas  Wein 


Touren  durch  den  Süden  Palästina's. 


78  Touren  durch  den  Süden  Palästina's. 

bepflanzt  sind.  Es  hat  gegen  3000  Einwohner,  die  fast  alle  Christen 
sind.  Die  Frauen  tragen  eine  eigene  Kleidung,  die  in  einer  über  das 
blaue  arabische  Hemd  geworfenen  rothen  Tunica  besteht.  Die  Bethle- 
hemiten  beschäftigen  sich  mit  Garten-  und  Feldbau,  und  ausser  andern 
Handwerken  mit  der  Anfertigung  von  Andenken  für  Pilger:  Dosen  mit 
dem  Bild  des  heiligen  Abendmahls,  Eosenkränzen,  Krucifixen,  Trink- 
schalen u.    a.    Das  Innere  des  St<ädtchens  ist  schmutzig. 

Die  Klöster  —  es  sind  drei,  ein  lateinisches,  ein  griechisches, 
ein  armenisches  —  bilden  einen  Stadttheil  für  sich.  Sie  sind  allesammt 
von  einer  hohen,  mit  mächtigen  Strebepfeilern  gestützten  Mauer  um- 
geben und  schliessen  drei  Kirchen  ein.  Durch  ein  grosses  Thor  gelangt 
man  auf  einen  gepflasterten,  von  Arkaden  eingefassten  H^,  aus  dem 
eine  Pforte  in  die  Kirche  führt,  welche  die  Höhle,  in  der  die  Sage 
Jesum  geboren  sein  lässt,  einschliesst.  Die  Kirche  ist  nächst  der  Gra- 
beskirche in  Jerusalem  die  schönste  in  Palästina.  In  ihr  wurde  1101 
der  Kreuzritterkönig  Balduin  gekrönt.  Ihrer  Grundform  nach  ist  sie 
eine  Basilika,  ihre  jetzige  Ausschmückung  stammt  von  den  Griechen 
her,  welche  sie  1842  ausbesserten,  48  gelbliche  Marmorsäulen  mit 
korinthischen  Kapitalem  tragen  die  Decke,  die  aus  Cedernholz  vom 
Libanon  gefertigt  sein  soll.  Grosse  Fenster  erhellen  das  Schiff,  welches 
ein  Kreuz  vorstellt.  An  den  Wänden  erblickt  man  griechische  Inschrif- 
ten, Spuren  musivischer  Darstellungen  und  einige  Gemälde  auf  Holz- 
tafeln. Der  Chor,  vom  Schiffe  durch  eine  Querraauer  geschieden  und 
drei  Stufen  höher  als  dieses,  enthält  einen  den  drei  Weisen  aus  dem 
Morgenlande  geweihten  Altar,  vor  dem  ein  Marmorstern  am  Boden  die 
Stelle  andeutet,  über  Avelcher  der  Wegweiserstern  stille  stand  „oben 
über,  da  das  Kindlein  war".  Rechts  und  links  von  dem  Altar  führen 
Stufen  in  die  Geburtshöhle  hinab. 

Während  die  Kirche  ziemlicli  schmucklos  ist,  kommt  die  Capelle, 
in  die  man  die  Höhle  verwandelt  hat,  an  Pracht  der  Grabeskirche 
gleich.  Wände  und  Boden  des  unterirdischen  Raums  sind  mit  weissen 
Marmorplatten  belegt.  Gegen  dreissig  Hängelampen  werfen  im  Verein 
mit  mehren  grossen  Leuchtern  ein  helles  Licht  auf  die  verschiedenen 
heiligen  Gegenstände  in  der  Grotte.  Die  besonders  verehrten  Stellen 
sind  mit  seidenen  Stoffen  behangen.  Hinten  im  Osten  der  Grotte  ist 
die  Stelle,  wo  nach  der  Legende  Maria  entbunden  wurde.  Sie  wird 
durch  einen  Altar  bezeichnet,  unter  dem  sich  in  einer  Nische  eine  Ta- 
fel von  weissem  Marmor  befindet,  auf  welcher  von  den  Strahlen  einer 
Sonne  von  Silber  und  Jaspis  umgeben  die  Worte  zu  lesen:  „Hie  de 
virgine  Maria  Jesus  Christus  natus  est.**  Etwa  fünf  Schritte  südlich 
von  hier  steigt  man  auf  sechs  Stufen  in  die  kleine  Nebengrotte  hin- 
unter, wo  die  Krippe  stand,  die  dem  Jesuskind  als  Wiege  diente.  Ein 
ausgehöhlter  Marmorblock  stellt  jetzt  die  Krippe  vor,  die  drei  grossen 
Silberleuchter  davor  sollen  die  Hirten,  die  hier  anbeteten,  nach  anderer 
Deutung  die  lateinische,  die  griechische  und  die  armenische  Kirche 
vorstellen,  die  sie  gestiftet  haben.  Der  Krippe  gegenüber  begegnet  man 
dem  Altar  der  drei  Könige  oder  Weisen,  der  an  dem  Ort  stehen  soll. 


Touren  durch  den  Süden  Palästina's. 


79 


Geburtskirche  in  Bethlehem. 


WO  dieselben  dem  göttlichen  Kinde  Gold,  Weihrauch  und  Myrrhen 
opferten.  Die  Lampen  der  Krippengrotte  tragen  das  österreichische 
Wappen.  Die  (xemälde,  welche  die  Capelle  schmücken,  sind  meist  Co- 
pien  nach  Raphael,  auch  ist  ein  Originalbild  von  Giacomo  Palma  dar- 
unter. Endlich  besitzt  das  unterirdische  Heiligthum  auch  eine  kleine  Orgel. 

Um  die  Geburtsgrotte  herum  liegen  vier  kleinere  Höhlen:  eine, 
in  welcher  die  Gebeine  der  heiligen  Paula  ruhen,  die  von  Rom  hier- 
her pilgerte,  um  ihre  Tage  als  Siedlerin  neben  der  Wiege  Christi  zu 
beschliessen,  eine  zweite,  in  der  man  St.  Eusebius  von  Cremona  begrub, 
eine  dritte,  in  welcher  der  Kirchenvater  Hieronymus  das  Alte  Testa- 
ment übersetzt  haben  soll,  endlich  eine  vierte,  in  welcher  die  Schaar 
der  von  Herodes  ermordeten  bethlehemitischen  Kinder  bestattet  sein 
soll.  Ueber  der  zuletzt  genannten  Höhle  befindet  sich  eine  der  heiligen 
Katharina  geweihte,  recht  freundliche  Kirche,  welche  im  Besitz  der 
lateinischen  Mönche  ist. 

Die  Umgebung  ist  reich  an  Legondenorten : 

Im  Südosten  des  Klosters,  in.  welchem  man  beiläufig  gute  Her- 
berge findet,  liegt  die  sogenannte  Milchgrotte,  in  der  sich  Maria  mit 
dem  Jesuskinde  eine  Zeitlang  verborgen  haben  soll,  bevor  sie  nach 
Aegypten  floh.  Dieselbe  ist  etwa  zehn  Schritt  lang,  und  man  zeigt  auf 
dem  Boden  nicht  weit  von  dem  dort  befindlichen  Altar  noch  die 
Tropfen  der  Milch,  welche  die  heilige  Mutter  beim  Säugen  verlor  — 
eine  mergelartige  Masse,  die  gut  für  Frauen  sein  soll,  welche  nicht 
stillen  können. 


80  Touren  durch,  den  Süden  Palästina's. 

Gegen  Osten,  etwa  eine  halbe  Stunde  von  der  Stadt,  wird  das 
Feld  der  Hirten  gezeigt,  wo  das  Gloria  Deo  in  excelsis  der  Engel 
erschallte.  Daselbst  trifft  man  den  Ort  der  Hirten  (Dejr  Er  Kawat) 
der  mit  einer  Mauer  umgeben  ist  und  in  dem  sich  eine  ziemlich  tiefe 
und  30  Fuss  lange  Höhle  befindet,  welche  man  zu  einer  Capelle  umge- 
schaften  hat.  Etwas  weiter  südlich  liegt  das  Dorf  Bet  Sahur  En  Nas- 
sara,  in  welchem  die  Hirten  gewohnt  haben  sollen. 

Zwischen  der  Stadt  und  dem  Ort  der  Hirten  bezeichnet  die  Le- 
prende eine  Stelle  als  die,  wo  Joseph  den  Traum  hatte,  in  welchem  ihm 
die  Flucht  nach  Aegypten  befohlen  wurde. 

Beim  Grabe  Rachels  endlich  findet  man  das  so<?enannte  Erh- 
senfeld,  eine  Stelle  mit  vielen  kleinen  Steinchen,  in  welche  Maria  die 
Erbsen  hartherziger  Bauern  verwandelte,  weil  sie  ihr  dieselben  ab- 
schlugen. 

Von  Bethlehem  kann  man  Ausflüge  nach  den  Teichen  Salomo's, 
nach  Artas  und  nach  dem  Frankenberg  unternehmen,  und  zwar  lassen 
sich  dieselben  in  der  Weise  verbinden,  dass  man  zuerst  nach  den 
Teichen  geht,  von  dort  sich  nach  Artas  begibt  und  dann  durch  die 
Wadis  Et  Tauahin,  Dejr  Dia  imd  Wia  nach  dem  genannten  Ruinenberg 
reitet,  von  wo  man  in  zwei  Stunden  nach  Bethlehem  zurückkommen 
kann.  Der  ganze  Ausflug  erfordert  etwa  sieben  Stunden. 

Die  Teiche  Salomo's  sind  eines  der  merkwürdigsten  Bauwerke 
Palästina's.  Dass  sie  von  Salomo  herrühren,  ist  nicht  zu  erweisen,  indess 
sind  sie  jedenfalls  sehr  alt.  Es  sind  drei  stufenweise  übereinander 
angebrachte,  in  den  Fels  gehauene,  auf  dem  Boden  und  an  den  Wän- 
den mit  Tropfsteinen  bekleidete  Becken,  die  theils  vom  Regen  des 
Winters,  theils  von  einer  Quelle  ihr  Wasser  erhalten,  die  mit  eiuem 
grossen  Stein  verschlossen  ist  und  von  der  Legende  als  der  .versie- 
gelte Brunnen"  des  Hohenliedes  bezeichnet  wird.  Der  oberste  Teich  ist 
380  Fuss  lang  und  230  Fuss  breit;  der  in  der  Mitte  hat  eine  Länge 
von  424  und  eine  Breite  von  durchschnittlich  210  Fuss,  der  unterste 
endlich  ist  585  Fuss  lang  und  an  der  schmälsten  Stelle  150,  an  der 
weitesten  210  Fuss  breit.  Neben  dem  Teiche  liegt  ein  Khan,  der  einst 
ein  Castell  war  und  den  Namen  Kalat  El  Borak  führt. 

Bei  Artas  trifft  man  die  verschlossenen  Gärten  Salomo's,  und 
ringsum  grünt  das  Thal  von  neuen  Pflanzungen,  welche  von  dem  ge- 
tauften Juden  Meschulam  auf  Veranlassung  des  englischen  Consuls 
Finn  angelegt  wurden.  Das  Dorf  Artas  liegt  halb  in  Ruinen. 

Der  Frankenberg,  ein  Hügel  von  vulkanischer  Gestalt,  soll  nach 
Einigen  das  Bethulia  getragen  haben,  vor  dem  die  Geschichte  von 
Judith  und  Holofernes  spielte,  nach  Andern  ist  er  die  Jer.  6,  1  erwähnte 
Warte  Beth  Cherem.  Letzteres  ist  nicht  unmöglich,  noch  wahrschein- 
licher aber  ist,  dass  die  Ruinen,  die  man  auf  ihm  trifft,  der  von  Jose- 
phus  erwähnten  Festung  Herodium  angehört  haben.  Auf  der  nördlichen 
Seite  unten  finden  sich  viele  Mauertrümmer.  An  der  Nordwestseite 
kann  man  die  Spur  einer  gepflasterten  in  gerader  Richtung  nach  dem 
Gipfel    führenden   Strasse   verfolgen.    Der   Gipfel  ist,    wahrscheinlich 


Touren   durch  den  Süden  Palästina's.  81 

künstlich,  geebnet.  An  jeder  der  vier  Himmelsgegenden  erhob  sich  ein 
runder  Thurm.  Man  sieht  von  hier  deutlicli  ein  Stück  des  Todten 
Meeres. 

Der  Weg  von  Bethlehem  nach  Hebron,  welches  von  Jerusalem 
sieben  Stunden  entfernt  ist,  führt  bei  den  Teichen  Salomo's  vorbei 
einen  steilen  Bergrücken  hinauf.  Oben  auf  der  Höhe  wird  die  Strasse 
besser,  und  man  trifft  eine  ziemlich  üppige  Vegetation  von  Krüppel- 
eichen, Lentiscus  und  Erbeerbäumen  an.  1 '/,  Stunde  von  den  Teichen 
kommt  man  an  einen  mit  Oelbäumen  bewachsenen  Berg,  auf  dessen 
Gipfel  sich  Trümmerstätten  und  alte  Gräber  befinden.  1  '/^  Stunden 
weiter  liegt  an  der  Strasse  ein  antiker  Trog,  in  den  sich  eine  Quelle 
ergiesst.  Ueber  diesem  Brunnen  ziehen  sich  Reste  einer  alten  Ortschaft 
hin,  die  von  den  Arabern  Ed  Dirweh  genannt  werden.  Diesen  Ruinen 
gegenüber  steht  auf  einer  Anhöhe  ein  Thurm  mit  kolossalen  Grund- 
mauern. Die  Trümmer  über  der  Quelle  sind  neuester  Forschung  zufolge 
wahrscheinlich  das  alte  Bethzur.  Auch  von  andern  im  A.  T.  erwähnten 
Orten  glaubt  man  hier  in  der  Nähe  der  Strasse  Spuren  entdeckt  zu 
haben,  so  von  Gedor  in  dem  Dorf  Dschedor,  von  Beth  Anoth  in  Bet 
Ainun,  von  Maarath  in  Bet  Ommar,  und  der  Weg  zwischen  den  Wein- 
bergen von  der  Stadt  Hebron  hinab  ist  vermuthlich  eine  alte  Rö- 
merstrasse. 

Hebron,  arabisch  El  Chalil,  d.  h.  der  Freund  (seil.  Gottes,  also 
Abraham),  in  der  Urzeit  Kirjat  Arba  genannt,  ist  die  älteste  Stadt 
Palästina's  und  eine  der  vier  heiligen  Städte  der  Juden  (die  andern 
drei  sind  Jerusalem,  Safet  und  Tiberias).  Die  Zahl  ihrer  Einwohner 
beträgt  jetzt  etwa  10,000.  Die  Lage  ist  sehr  schön,  ?die  Umgebung 
fruchtbar.  Ein  Gasthaus  existirt  hier  nicht,  man  bleibt  daher  in  seinem 
Zelt.  Merkwürdigkeiten  der  Stadt  und  ihrer  Nachbarschaft  sind: 

i.  der  Abrahamsbrunnen,  der  Hebron  das  ganze  Jahr  mit 
Wasser  versieht.  Er  liegt  auf  einer  steinigen  Höhe  über  dem  türkischen 
Gottesacker. 

2.  Das  Grab  Isais,  des  Vaters  David's,  eine  kleine,  halbverfal- 
lene Halle,  vor  welcher  einige  Trümmer  liegen  und  in  welcher  eine 
schlachtähnliclie  Vertiefung  in  den  Boden  hinabgeht.  Dieser  Schacht 
soll  mit  dem  sogleich  zu  schildernden  Grabe  Abrahams  in  Verbindung 
stehen.  Die  hiesigen  Juden  werfen  Haarbüschel  von  Kranken  in  die 
Tiefe  hinab,  indem  sie  davon  Genesung  für  die  Leidenden  hoffen.  Die 
Aussicht  von  der  Höhe,  auf  der  dieses  Grabmal  liegt,  ist  sehr  anmu- 
thig.  Alte  Oelbäume,  hin  und  wieder  ein  Nusabaum,  zahlreiche  Feigen- 
und  Granatbäurae  grünen  in  allen  Farbenschattirungen  auf  den  Wiesen. 
Hügel  mit  Rebstöcken  bepflanzt,  erinnern  an  Bacchus'  Gabe,  auf  den 
Feldern  blühen  mancherlei  Blumen. 

3.  Das  Grab  Abners^  des  Feldherm  Saul's,  im  Hofe  eines  tür- 
kischen Hauses.  Es  ist  eine  überkuppelte  Capelle,  in  welche  26  Stufen 
hinabführen,  und  in  der  man  hinter  einem  Baumwollenvorhang  einen 
etwa  9  Fuss  langen  weissangestrichenen  Steinsarg  erblickt. 


82  Touren  durch  den  Süden  Falästina's. 

4.  Das  grosse  Uaram,  eine  Moschee,  die  früher  eine  christliche 
Kirche  war,  jetzt  aber  nur  Mohammedanern  geöffnet  ist,  und  von  der 
die  Tradition  behauptet,  es  befinde  sich  unter  ihr  die  Doppelhöhle 
Maehpelah,  in  welcher  Abraham  sich  begraben  liess.  Die  Moschee  ist 
mit  einer  Mauer  umgeben,  welche  ein  Viereck  von  etwa  200  Fuss 
Länge  und  140  Fuss  Breite  bildet.  Die  Steine  des  Unterbaues  dieser 
Umfassungsmauer  zeigen  gleich  denen  der  Substructionsmauer  des 
Haram  in  Jerusalem  die  uralte  Fugenränderung,  und  man  findet  unter 
ihnen  Quadern  von  38  Fuss  Länge.  Die  Moschee  selbst  bildet  ebenfalls 
ein  längliches  Viereck.  Der  D.  Fränkel  in  Jerusalem  will  in  der  Grab- 
höhle unter  der  Moschee  gewesen  sein  und  dort  drei  mit  grünem  Sei- 
denstoff behangene  Sarkophage  gesehen  haben,  auf  denen  die  Namen 
der  drei  Erzväter  in  arabischer  und  hebräischer  Goldschrift  zu  lesen 
gewesen.  Ein  anderer  Jude,  der  zum  Islam  übergetreten,  wollte  auch 
die  Särge  von  drei  Patriarchenfrauen  erblickt  haben.  Das  Grab  ist  un- 
zweifelhaft sehr  alt.  Man  besitzt  eine  Votivtafel  aus  den  ersten  Jahr- 
hunderten nach  Christus,  welche  am  Grabmale  Abrahams  eingefügt 
war.  Ob  Abraham,  Isaak  und  Jakob  wirklich  hier  ruhen,  ist  eine  andere 
Frage.  Die  Behauptung,  dass  auch  Adam  hier  bestattet  sei,  ist  talmu- 
distische  Faselei,  hergenommen  von  dem  alten  Namen  Kirjat  Arba, 
welches  von  den  jüdischen  Erklärern  mit  , Stadt  der  Vier",  d.  h.  der 
vier  Patriarchen  Adam,  Abraham,  Isaak  und  Jakob  übersetzt  wurde, 
während  es  die  Stadt  Arbas  (eines  der  Enakssöhne)  bedeutet.  Ebenso 
abgeschmackt  sind  die  Behauptungen,  dass  Adam  hier  geschaffen  worden, 
Abel  hier  von  Kain  erschlagen  worden  sei  u.  A. 

5.  Zwei  jedenfalls  dem  Alterthum  angehörige  Teiche,  von  welchen 
der  grössere  untere  136  Fuss  lang  und  ebenso  breit  ist,  während  der 
obere  86  Fuss  Länge  und  56  Fuss  Breite  hat. 

6.  Das  Haus  Abrahams  (Rachmet  El  Chalil),  Ruinen  eines  sehr 
grossen  Gebäudes,  welches  mit  dem  Erzvater  nichts  zu  thun  hat,  da 
dieser  in  Zelten  wohnte. 

7.  Reste  einer  Citadelle  nördlich  vom  Haramplatz,  vielleicht  die 
Stelle  bedeckend,  wo  David^s  Burg  stand,  ehe  er  König  über  ganz 
Israel  wurde  und  nach  Jerusalem  übersiedelte.  Endlich 

8.  der  sogenannte  Hain  Mamre  oder  vielmehr  der  Baum,  unter 
dem  Abraham  sein  Zelt  aufgeschlagen  hatte  und  wo  ihm  der  Unter- 
gang Sodoms  vom  Engel  angekündigt  wurde.  Josephus  nennt  diesen 
Baum  eine  Terebinthe,  es  ist  indess  eine  Eiche.  Dieselbe  steht  etwa 
eine  Stunde  von  der  Stadt  auf  einem  massig  geneigten  Wiesenplatz 
und  hat  23  Fuss  im  Umfang,  ein  wenig  über  dem  Boden  theilt  sie 
sich  in  drei  Hauptäste.  Der  Baum,  in  dessen  Nähe  sich  ein  Brunnen 
befindet,  ist  dicht  belaubt.  Er  mag  über  tausend  Jahr  alt  sein.  Dass 
er  zu  Abrahams  Zeit  schon  vorhanden  gewesen,  ist  Fabel.  Die  Juden 
halten  übrigens  einen  andern  Ort,  etwa  eine  Stunde  nördlich  von  Je- 
richo für  die,  wo  Abrahams  Zelte  sich  erhoben  hätten.  Man  trifft  hier 
antike  Mauerreste,  welche,  aus  Lagen  kolossaler  Quadern  bestehend, 
einen  viereckigen  Raum   auf   zwei  Seiten  umfassen,  in  dem  sich  eine 


Touren  durch  den  Süden  Palästina's.  83 

Cisterne  befindet.  Möglich  ist,  dass  das  alte  Hebron  hier  oben  lag. 
Wo  die  heutige  Stadt,  steht,  kann  es  nicht  gelegen  haben,  da  es  im 
Buch  Josua  heisst,  es  liege  »auf  dem  Gebirg  Ju da,"  und  da  nach  einer 
Stelle  der  Mischna  angenommen  werden  kann,  man  habe  es  von  Jeru- 
salem sehen  können,  was  von  dem  jetzigen  Hebron  nicht  gilt. 

Eine  Haupterwerbsquelle  der  Bewohner  von  Hebron,  unter  denen 
sich  400  Juden  (meist  Sephardim)  befinden,  ist  der  Weinbau.  Ausserdem 
gibt  es  hier  Glasfabriken,  in  denen  besonders  Finger-  und  Armringe 
für  arabische  Frauen  verfertigt  werden,  Fabriken  von  Wasserschläuchen 
und  eine  Baumwollentuchfabrik.  Die  Häuser  der  Stadt  sind  denen  von 
Jerusalem  ähnlich,  die  meisten  sind  gut  und  hoch  aus  gelbgrauen  Qua- 
dern erbaut  und  haben  zahlreiche  Terrassen,  sowie  über  allen  Zimmern 
kleine,  weissgetünchte   Kuppeln. 

Von  Jericho  nach  Jerusalem  zurückkehrend,  mag  man  bei  den 
Teichen  Salomo's  nach  Nordwesten  abbiegen,  und  statt  über  Bethlehem 
über  St  Georg,  St.  Philipp  und  St.  Johann  nach  Jerusalem  gehen.  Es 
ist  dies  eine  Tour,  die  sich  lohnt  und  nur  4'/,  Stunden  erfordert.  Von 
den  Teichen  führt  der  Weg  zuerst  im  Thal  hin,  dann  eine  Höhe  hinauf 
zu  dem  griechischen  Kloster  St.  Georg  (arabisch  El  Chadr),  neben 
welchem  ein  kleines  Dorf  liegt.  Die  Gegend  ist  ziemlich  gut  angebaut 
und  hat  viele  Weingärten.  Nachdem  man  wieder  zwei  Bergrücken  über- 
schritten, erreicht  man  das  nordöstlich  von  St.  Georg  gelegene  grosse 
christliche  Dorf  Bet  Dschala,  von  dem  es  unter  dem  Volke  heisst, 
dass  in  ihm  kein  Bekenner  des  Islam  älter  als  zwei  Jahre  würde,  wess- 
halb  die  Türken  und  Araber  sich  hier  nicht  niederzulassen  wagen.  Die 
Strecke  Land  zwischen  hier  und  dem  Grab  Rachels  ist  nach  der  Le- 
gende die  Stelle,  wo  das  Heer  Sanheribs  sich  gelagert  hatte,  als  der 
Würgengel  unter  ihm  erschien. 

Von  hier  bis  nach  dem  Dorf  St.  Philipp  (arabisch  El  Weled- 
scheh)  geht  man  eine  starke  Stunde.  Der  Weg,  theilweise  und  nament- 
lich zu  Anfang  rauh,  führt  durch  das  Wadi  Achmed,  dann,  bei  Ain 
Jalo  links  ab  durch  das  Wadi  Ain  Hanijeh.  Der  reichlich  sprudelnde 
Quell  bei  dem  (beiläufig  mohammedanischen)  Dorf  von  der  kirchlichen 
Sage  als  der  bezeichnet,  in  welchem  der  Apostel  Philippus  nach  Apo- 
stelgesch.  8,  26 — 39  den  Kämmerer  der  Königin  Kandace  taufte.  Das 
Dorf  hat  eine  anmuthige  Lage  zwischen  stattlichen  Baumgruppen  und 
Eebenpflanzungen.  Der  Wein,  dem  man  in  Jerusalem  und  Bethlehem, 
an  letzterem  Ort  bei  dem  Deutschen  Schäfer,  als  Landwein  trinkt, 
wird  grossentheils  aus  Trauben  von  St.  Philipp  gekeltert. 

Von  St.  Philipp  kann  man  durch  das  Wadi  Malcha  in  l'/j 
Stunden  nach  Jerusalem  zurückgelangen.  Doch  thut  man  wohl,  von 
hier  aus  gleich  die  Tour  nach  der  sogenannten  Johanneswüste  (ara- 
bisch Ain  El  Habis)  zu  machen.  Man  steigt  von  St.  Phüipp  in  einer 
halben  Stunde  über  einen  öden  Berg,  von  dem  man  eine  weite  Aus- 
sicht hat,  bei  welcher  die  Ruinen  beim  Dorfe  Suda,  die  nach  der 
Legende  Reste  der  Makkabäerstadt  Modin  sind,  das  Auge  vorzüglich 
fesseln,  in  einen  Seitenzweig  des  Terehinthenthales  hinab  und  gelangt, 


84  Touren  durch  den  Süden  Palästina's. 

in  dieses  selbst  einbiegend,  vor  die  Stelle,  wo  der  Täufer  gewohnt 
haben  soll.  In  Baumptianzungen  erhebt  sich  ein  schroffer  Fels,  an 
dessen  Fuss  eine  Quelle  zwei  Becken  mit  Wasser  füllt.  Neben  diesen 
Becken  führen  Stufen  zu  einer  mit  Schlafbänken  und  einem  Fenster 
versehenen  Höhle  empor.  Weitere  Stufen  erleichtern  aussen  die  Erstei- 
gung des  Felsens,  auf  dessen  Gipfel  man  eingestürzte  Gewölbe  einer 
Kirche  und  eines  Klosters  antrifft.  In  der  Johannishöhle  wird  von  den 
Mönchen  des  eine  halbe  Stunde  von  hier  entfernten  Klosters  St.  Johan- 
nes zu  gewissen  Zeiten  des  Jahres  Gottesdienst  gehalten. 

Auf  dem  Wege  nach  dem  Johanneskloster  (arabisch  Ain  Karim) 
passirt  man  eine  kleine  Grottencapelle,  deren  Altar  das  Grab  Elisa- 
beths, der  Mutter  des  Täufers,  deckt.  Gleich  dabei  ragen  zwischen 
grossen  Feigenbäumen  die  Wölbungen  und  Bogen  eines  zerstörten 
Klosters,  welche  Mar  Zacharia  heissen,  da  sie  nach  der  Legende  an 
der  Stelle  stehen,  wo  der  heilige  Zacharias,  der  Vater  des  Täufers, 
wohnte.  Einige  hundert  Schritte  von  hier  ist  eine  Quelle,  bei  der  sich 
Elisabeth  und  Maria  begegnet  haben  sollen.  Das  Johanneskloster,  burg- 
artig gebaut  und  von  einem  Cypressenhain  umgeben,  ist  ein  von  spa- 
nischen Mönchen  bewohntes  Franziscanerstift.  Pilger  finden  hier  Unter- 
kunft. Die  Klosterkirche  steht  auf  der  Stelle,  wo  Johannes  geboren 
wurde.  Ihre  Orgel  ist  eine  der  besten  in  Palästina.  Unter  den  Bildern, 
welche  sie  schmücken,  befindet  sich  eines  von  Murillo.  Der  Garten  des 
Klosters  ist  gut  bewässert  und  so  gelegen,  dass  in  ihm  Pflanzen  und 
Früchte  reifen,  die  sonst  im  Gebirg  Juda  nicht  vorkommen,  oder  doch 
erst  später  im  Jahre  geniessbar  werden. 

Dreiviertel  Stunden  östlich  von  hier  liegt  das  Kloster  des  hei- 
ligen Kreuzes  (arabisch  DejrEl  Musullabeh),  ebenfalls  in  der  Gestalt 
einer  kleinen  Burg  aufgeführt  und  von  Georgiern  bewohnt.  Es  enthält 
viele  Bilder  georgischer  Fürsten  und  eine  Sammlung  georgischer  Ma- 
nuscripte.  Die  Ueberlieferug  lässt  es  die  Stelle  einnehmen,  an  welcher 
der  Oelbaum  stand,  aus  dem  das  Kreuz  Christi  gezimmert  wurde.  Von 
hier  gelangt  man  in  zwanzig  Minuten  nach  dem  Jaffathor  zurück. 


Touren  durch  den  Norden  Falästina's.  85 


VIERTES  KAPITEL. 
Touren   durch   den  T<J"orden   Palästina'». 

Von  Jerusiilem  nach  Nablus.  —  Ebal  und  Garizim.  —  Sebastijeli.  —  Dschennin.  — 
Ebene  Esdreloin.  —  Caipha.  -  Karmelkloster.  —  Nazareth.  --  Tabor.  —  Tiberias  und 
See  Genezareth.  —  Safed.  —  Kameh.  —  Akko  oder  St.  Jean  d'Acre. 

Der  Weg  von  Jerusalem  nach  Samaria  und  Galiläa  führt  zunächst 
zum  Damaskusthor  hinaus  und  über  den  ökopus  hinweg  immer  in 
nördlicher  Richtung.  Nach  2  ".j  Stunden  erblickt  man  westlich  am  Wege 
in  einer  Senkung  Ruinen,  über  denen  sich  die  Höhe  Er  Ram  erhebt. 
Die  Trümmer  bezeichnen  wahrscheinlich  die  Lage  des  alten  Rama 
Benjamin,  welches  sieben  Meilen  (genau  zwei  Stunden  zwanzig  Min.) 
nördlich  von  Jerusalem  gegen  Bethel  hin  lag.  Eine  gute  Stunde  von 
hier  erreicht  man  den  grossen  alten  Brunnen,  neben  dem,  rechts  von 
der  Strasse,  das  Dorf  El  Birreh  steht.  Der  Ort,  von  Bekennem  des 
Islam  bewohnt,  könnte  das  alte  Beeroth  (Jos.  9,  17;  sein.  Nach  der 
Legende  war  es  hier,  wo  die  von  Jerusalem  nach  Nazareth  zurückkeh- 
renden Eltern  Jesu  den  im  Tempel  zurückgebliebenen  Sohn  vermissten. 
Wer  des  Nachmitags  von  Jerusalem  aufgebrochen  ist,  pflegt  hier  zu 
übernachten.  Es  befindet  sich  in  dem  Ort  ein  Khan,  dessen  Gebäude 
früher  ein  Kloster  war.  Sodann  trifft  man  hier  die  Ruinen  einer  christ- 
lichen Kirche,  deren  Spitzbogenstyl  auf  ihre  Erbauung  in  der  Zeit  der 
Kreuzzüge  schliessen  lässt,  während  die  Sage  behauptet,  dass  schon 
Helena,  die  Mutter  Constantins,  hier  ein  Gotteshaus  errichtet  habe. 

Bergauf,  bergab  durch  sehr  gut  angebaute  Gegenden  voll  Fei- 
gen-, Granaten-  und  Oliveupflanzungen,  kommt  man  in  drei  Stunden 
von  Birreh  an  die  im  Wadi  Tin  unter  einer  schroffen  Wand  gelegene 
Räuberqiielle,  arabisch  Ain  EI  Haramijeh.  Wieder  eine  Stunde  von  hier 
liegt  am  Abhang  eines  Bergrückens  über  Feldern  und  Olivenhainen 
das  grosse  mohammedanische  Dorf  Simlschil,  wo  sich  wieder  Gelegen- 
heit zum  Uebernachten  findet,  wofern  man  es  nicht  vorgezogen  hat,  in 
dem  zwei  Stunden  von  Birreh  entfernten  Khan  Lubban  zu  bleiben. 

Auf  dem  Weiterweg  sieht  man  links  von  der  Strasse  das  Dorf 
Ain  Hebrud  und  die  Ruine  Bordsch  Garab,  rechts  in  der  Ferne  auf 
einem  Berggipfel  das  Dorf  Sejlun,  Avahrscheinllch  das  alte  Silo,  wo  von 
Josuas  bis  auf  Samuels  Zeit  die  Stiftshütte  mit  der  Bundeslade  stand. 
Von  Sindschil  hat  man   sechs  Stunden  bis  Nablus.  Die  letzten  beiden 


86  Touren  durch  den  Norden  Palästina's. 

Stunden  führt  der  Weg  durch  ein  tiefes  Thal,  dessen  breite  Sohle  sehr 
fruchtbar  ist  und  über  dem  sich  am  Anfang  eines  von  Südost  nach 
Nordwest  hinstreichenden  Seitenthaies  links  (d.  h.  im  Norden  des 
Seitenthaies)  der  Garizim,  rechts  oder  südlich  der  Ebal  erhebt.  Eine 
halbe  Stunde  vor  Nablus,  am  Fusse  des  Garizim,  und  noch  im  Haupt- 
thal befindet  sich  hart  neben  der  Strasse  der  Jakobsbrunnen,  an  dem 
Jesus  das  Gespräch  mit  der  Samariterin  hatte.  Der  Brunnen  soll  einst 
sehr  tief  gewesen  sein,  ist  aber  jetzt  verschüttet.  Daneben  bezeichnet 
ein  Trümmerhaufen  die  Stelle,  wo  jenes  Gespräch  vom  Wasser  des 
ewigen  Lebens  stattgefunden  habe. 

Etwa  einen  Büchsenschuss  nördlich  vor  dem  Brunnen  erblickt 
man  am  Fuss  des  Ebal  ein  weissgetünchtes  Gebäude  von  der  Gestalt 
eines  mohammedanischen  Weli,  welches  das  Grab  Josephs,  des  Sohnes 
Jakobs,  sein  soll.  Es  besteht  aus  einem  Mauer\'iereck  ohne  Dach,  welches 
von  einem  Hof  umgeben  ist.  Im  Innern  befindet  sich  rechts  ein  ein- 
facher Sarkophag,  zu  dessen  beiden  Enden  sich  niedrige  Säulchen 
erheben.  An  der  Wand  daneben  sieht  man  zwei  Nischen,  von  denen 
die  eine  zwei  Marmortafeln  enthält,  auf  welchen  die  auf  den  Tod  und 
die  Bestattung  des  Patriarchen  bezüglichen  Stellen  des  ersten  und 
zweiten  Buchs  Mosis  in   hebräischen  Charakteren  verzeichnet  sind. 

Einige  hundert  Schritte  rechts  von  der  Strasse  ist  die  Quelle 
Ain  El  Asker,  welche  von  einigen  Topographen  Palästina's  für  den 
eigentlichen  Jakobsbrunnen  gehalten  wird. 

Nablus,  auf  der  Wasserscheide  zwischen  dem  Todten  und  dem 
Mittelmeere  gelegen,  hiess  im  Alterthum  Sichern  (Schechem),  in  der 
römischen  Kaiserzeit  Flavia  Neapolis,  woher  der  heutige  Name.  Das 
Thal,  in  welchem  es  liegt,  ist  eng,  aber  auf  seiner  Sohle  des  Wasser- 
reichthums  der  Gegend  wegen  sehr  fruchtbar.  Die  Stadt  ist  gut  gebaut 
und  nimmt  sich  mit  ihren  Minarets  und  Kuppeln,  die  mit  einem  grünen 
Kranz  von  Feigen-,  Orangen-  und  Olivengärten  umgeben,  sehr  anmu- 
thig  aus.  Im  Innern  trifft  man  hoho  steinerne  Häuser,  einen  gut  ver- 
sehenen Bazar  und  mehre  schöne  Brunnen.  Die  Zahl  der  Einwohner 
mag  12,000  betragen.  Herberge  gewährt  das  kleine  griechische  Kloster, 
welches  sonst  nichts  von  Interesse  bietet.  Als  Hauptsehenswürdigkeit 
der  Stadt  gilt  das  Quartier  der  Samariter,  welches,  auf  der  Seite  des 
Garizim  gelegen,  aus  mehren  sehr  grossen  und  sehr  massiv  gebauten 
Häusern  besteht.  Angehörige  der  Secte  führen  den  Fremden  gegen  ein 
Bakschisch  herum.  Man  zeigt  hier  eine  kleine  Synagoge,  neben  welcher 
in  einer  Art  Alkoven  der  berühmte,  nach  der  Behauptung  der  Sama- 
riter von  Abisua,  den  Sohn  des  Pinehas,  geschriebene  und  3664  Jahre 
alte  Pentateuch  verwahrt  wird.  Derselbe  liegt  in  einem  schmalen 
Kupferkasten,  der  mit  Silber  eingelegt  ist  und  den  Namen  des  Meisters 
trägt,  der  ihn  vor  etwa  einem  halben  Jahrtausend  verfertigte.  Nablus 
ist  der  einzige  Ort,  wo  es  noch  Samariter  gibt,  und  zwar  beträgt  ihre 
Zahl  jetzt  nur  noch  140.  Sie  glauben  nur  an  die  fünf  Bücher  Mosis, 
hoffen  auf  den  Messias,  den  sie  Hataib  nennen,  und  leben  in  ärmlichen 
Verhältnissen.    Ihr  Charakter   wird  im  Allgemeinen  nicht  gelobt.  Das 


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Touren  durch  den  Norden  Palästina's.  87 

Thal,  in  welchem  Nablus  liegt,  ist  reich  an  historischen  Erinnerungen. 
Schon  Abraham  kam  bis  hierher,  und  Jakob  wohnte  geraume  Zeit  hier 
bei  Sichem.  In  dieser  Gegend  wurde  Joseph  von  seinen  Brüdern  ver- 
kauft. In  Sichem  rächten  die  Söhne  Jakobs  die  ihrer  Schwester  Dinah 
angethane  Schmach.  Auf  dem  Ebal  baute  Josua  einen  Altar  für  den 
Gott  Israels.  Auf  dem  Garizim  stand  später  der  grosse  Tempel  der 
Samariter,  bis  ihn  der  Makkabäer  Johannes  Hyrcanus  zerstörte.  In 
?^ichem  spielten  die  Hauptacte  des  blutigen  Dramas,  welches  der  Bru- 
dermörder Abimeleoh,  Gideons  Sohn,  autführte. 

Von  Nablus  kann  man  einen  Ausflug  nach  dem  Gipfel  des  Ga- 
rizim und  einen  andern  nach  den  Ruinen  von  Sebastijeh  machen.  Zu 
dem  ersteren  lässt  man  sich  am  besten  von  einem  der  Samariter  führen. 
Der  Garizim,  arabisch  Dschebel  Et  Tor,  erhebt  sich  gegen  800  Fuss 
über  der  Sohle  des  Thaies  von  Nablus  und  2300  Fuss  über  dem  Spie- 
gel des  Mittelraeeres.  Vom  Samariterciuartier  erreicht  man  seinen  Gipfel, 
der  in  einem  langgezogenen  Tafelland  besteht,  in  einer  halben  Stunde. 
Auf  einer  kleinen  Erhöhung  am  Rande  des  Berges  befindet  sich  ein 
mohammedanisches  Grab  oder  Weli,  welches  sehr  weit  hin  sichtbar  ist. 
Hier  verrichten  die  Samariter  am  Neujahrs-,  Versöhuungs-  und  Laub- 
hüttenfest Gebete  und  am  Passafest  Opfer  von  Lämmern.  Die  Stelle 
zu  letzteren  ist  durch  zwei  Reihen  von  Steinen  und  eine  gemauerte 
Grube  bezeichnet  Hinter  der  Erhöhung  mit  dem  Weli  erblickt  man 
ziemlich  umfängliche  Ruinen  von  Mauern  und  Thürmen,  unter  denen 
sich  Quadern  mit  Fugenränderung  finden.  Sie  werden  von  den  Sama- 
ritern mit  dem  Wort  „Kasr-",  d.  i.  Burg,  bezeichnet  und  mögen  Reste 
einer  von  den  Römern  zur  Sicherung  des  Passes  angelegten  Festung 
sein.  Etwas  tiefer  zeigt  der  Führer  in  einigen  grossen  Felsblöcken  -die 
zwölf  Steine,  welche  die  Kinder  Israels  als  Denkzeichen  ihres  trocke- 
nen Durchgangs  durch  den  Jordan  mitnahmen".  Dieselben  wurden  aber 
(vergl.  Josua  4.  20)  zu  Gilgal,  nicht  auf  dem  Garizim  aufgerichtet. 
Nicht  fern  von  hier  findet  sich  eine  ziemlich  ausgedehnte  Abplattung 
de-}  Berges,  auf  welcher  die  Stiftshütte  mit  der  Bundeslade  gestanden 
haben  soll.  Vielleicht  deuten  die  an  den  Seiten  sichtbaren  Spuren  einer 
Mauer  an,  dass  hier  der  Samaritertempel  sich  befand.  (Auch  die  Stelle, 
wo  Abraham  den  Isaak  opfern  wollte,  wird  von  den  Samaritern  hier 
gezeigt.)  Die  Bundeslade  hat  aber  nicht  auf  dem  Garizim,  sondern 
auf  dem  Ebal  gestanden,  als  der  siegreiche  Feldherr  der  Israeliten  das 
Volk  hier  (vergl.  Josua  8,  30)  auf  das  Gesetz  verpflichtete.  Den  Stand - 
punct  der  ßundeslade  hat  man  sich  etwa  in  der  Nähe  des  heutigen 
Nablus  zu  denken.  Um  sie  schaarten  sich  die  Leviten  mit  dem  Gesicht 
gegen  Morgen  gekehrt,  sie  hatten  somit  zur  rechten  (vornehmeren) 
Seite  den  Garizim,  zur  linken  den  Ebal,  und  so  erklärt  es  sich,  warum 
die  am  ersteren  Berge  aufgestellten  Volksmassen  den  Segen,  die  am 
Ebal,  trotz  des  auf  ihm  errichteten  Altars  den  Fluch  sprachen. 

Sebustijeh  mit  den  Trümmern  von  Samaria  (Schomron)  oder, 
wie  es  später  hiess,  Sebaste,  liegt  zwei  Stunden  nordwestlich  von 
Nablus.  Auf   dem    Weg  dahin   trifft  man  bei  Bet  Ajaba  eine  Wasser- 


Touren  durch  den  Norden  Palästina's. 


leitung  mit  zwölf  Bogen.  Nachdem  mehre  Quellen  passirL  sind,  gelangt 
man  in  ein  weites  Thal,  aus  dem  sich  der  schön  gerundete  Berg  von 
Samaria  erhebt  Von  König  Amri  gegründet,  wurde  diese  Stadt  unter 
Herodes  dem  Grossen  die  Königin  der  Städte  Palästina's,  aber  zugleich 
der  Schauplatz  mancher  Blutthaten.  Hier  ermordete  Herodes  seine 
Gemahlin  und  seine  beiden  Söhne,  hier  liess  (nach  der  Legende ,  Euse- 
bius  sagt:  am  Todten  Meer)  sein  Sohn  Antipas  Johannes  den  Täufer 
enthaupten.  Die  Stadt  scheint  noch  in  der  Zeit  kurz  vor  den  Kreuz- 
zügen einige  Bedeutung  besessen  zu  haben,  da  sie  noch  im  zehnten 
Jahrhundert  Bischöfe  zu  den  Concilien  sandte. 

Das  Erste,  was  man  beim  Ersteigen  des  Berges  erblickt,  sind 
die  Ruinen  der  Kirche,  welclie  nach  der  Legende  das  Grab  Johannes 
des  Täufers  einschliesst.  Das  Ostende  dieses  Gebäudes  ist  noch  wohl 
erhalten  und  bildet  die  hohe,  achteckige  Altarnische,  einen  Bau 
gemischten,  vorwiegend  griechischen  Styls.  Die  Fenster  dieser  reich- 
verzierten Nische  sind  gleich  den  Gewölben  der  Kirche  Spitzbogen. 
Die  Capitäle  der  Säulen  gehören  dem  korinthischen  Styl  an,  haben 
aber  Verzierungen,  die  von  der  Form  des  Palmeustammes  hergenom- 
men sind.  Die  Südmauer  des  Gebäudes  wird  von  schlanken  Strebepfei- 
lern gestützt;  die  Fenster  befinden  sich  auffallend  hoch  oben.  Die 
Kirche  selbst,  die  man  durch  einen  schmalen  Vorhof  im  Westen  betritt, 
hat  ein  schönes  Portal  und  ist  156  Fuss  lang  und  78  Fuss  breit.  Ihre 
Mauern  umfassen  eine  Moschee  und  einen  kleineren  Raum,  in  dem  sich 
das  Grab  des  Täufers  befindet.  Letzteres  ist  eine  kleine  unterirdische 
Felsenkammer,  zu  welcher  man  21  Stufen  hinabsteigt,  und  die  mit 
Steinplatten  getäfelt  ist.  In  den  obern  Mauern  erblickt  man  mehre 
Marmortäfeln  mit  verstümmelten  Johanniterkreuzen, 

Die  Kirche,  in  die  man  übrigens  nur  gegen  ein  gutes  Bakschisch 
gelangt,  ist  jedenfalls  das  Erzeugniss  verschiedener  Zeiten.  Einiges  mag 
von  der  heiligen  Helena  stammen,  die  so  viele  heilige  Stätten  Palästi- 
na's mit  Kirchen  zierte.  Der  ganze  Oberbau  aber  rührt  wahrscheinlich 
von  den  Johanniterrittern  her,  welche  dazu  Bruchstücke  der  benach- 
barten Architekturwerke  des  Herodes  verwendet  haben  dürften. 

Steigt  man  den  Gipfel  des  Berges  über  der  Kirche  hinauf,  so 
gelangt  man  zu  einem  Raum,  der  mit  Säulen  von  Kalkstein  umgeben 
war.  Von  denselben  stehen  noch  fünfzehn  aufrecht,  während  zwei 
gebrochen  am  Boden  liegen.  Das  Gebäude,  dem  sie  angehörten,  scheint 
ein  heidnischer  Tempel  gewesen  zu  sein.  Die  Aussicht  von  diesem 
Puncte  ist  grossartig  und  reicht  über  einen  grossen  Theil  Samaria's, 
sowie  bis  hinab  zum  Spiegel  des  Mittelmeeres.  Eine  noch  grossartigere 
Erinnerung  an  die  Prachtliebe  des  Herodes  als  jene  Säulen  begegnet 
uns  weiter  unten  am  Abhang  des  Berges  in  der  doppelten  Säulenreihe, 
die  von  Nordwesten  auf  die  Höhe  strebend,  sich  südlich  um  den  Gipfel 
herumzieht,  und  welche  vielleicht  den  Eingang  zur  Stadt  Sebaste  bil- 
dete. Am  Westende  dieser  Colonnade  von  50  Fuss  Breite  und  300  bis 
350  Fuss  Länge  stehen  noch  gegen  achtzig  Säulen,  zum  Theil  bis  auf 
die  Capitäle  erhalten,  zum  grössern  Theil  blosse  Stümpfe.  Die  höchsten 


Touren  durch  den  Norden  Palästina's.  89 


dieser  Säulenfragraente  sind  16  Fuss  hoch.  Der  Durchmesser  beträgt 
ziemlich  anderthalb  Fuss  Der  Styl  ist  der  jonische.  Den  Anfang  des 
Säulenganges  bildet  im  Westen  ein  Trümmerhaufen,  welcher  der  Kest 
eines  Thores  oder  Triumphbogens  sein  könnte.  Am  südlichen  Fuss  des 
Berges  endlich  finden  sich  noch  etwa  zwanzig  vereinzelte  Säulenstürapfe 
in  verschiedener  Entfernung  von   einander   auf  jetzt  bebautem  Boden. 

Der  nächste  Weg  von  Sebustijeh  nach  Dschennin,  wo  Samaria 
aufliört  und  die  Ebene  von  Esdrelom  beginnt,  geht  über  den  hohen 
Eücken,  der  das  Thalbecken  im  Norden  einschliesst  und  von  welchem 
man  im  Nordosten,  wohin  sich  die  Strasse  |,dann  wendet,  [Ruinen 
erblickt,  in  denen  Einige  das  alte  Bethulia  gefunden  haben  wollen. 
Der  nächste  Weg  von  Nablus  nach  Dschennin  führt  zunächst  über  den 
Ebal  und  dann  durch  verschiedene  Thäler  und  Kessel  an  Dscheba 
(vielleicht  Gibea),  einem  stattlichen,  hochgelegenen  Dorfe,  wo  man 
neben  der  Moschee  Nachtquartier  findet,  an  Sanur,  einem  burgartigen 
Orte  über  einem  weiten  Thalkessel,  dessen  Boden  sich  in  der  Eegen- 
zeit  in  einen  seichten  See  verwandelt,  und  zuletzt  an  dem  Dorfe  Keba- 
tijeh  vorüber.  Von  Nablus  Dscheba  ist  es  vierthalb,  von  dort  bis  Sanur 
anderthalb,  von  da  bis  Kebatijeh  eine,  und  von  hier  bis  Dschennin 
dreiviertel  Stunden. 

Dscheuuin,  ein  hübscher  Ort  mit  einer  Moschee  und  den  Ruinen 
eines  Klosters,  die  aus  Palmengruppen  und  Hainen  von  Kaktusfeigen-, 
Maulbeer-,  Feigen-,  Granaten-  und  Orangenbäumen  malerisch  hervor- 
schauen, ist  sehr  wahrscheinlich  das  Ginaea  des  Joäephus,  und  viel- 
leicht das  Sunem,  wo  der  Prophet  Elisa  das  Söhnchen  seiner  Wohl- 
thäterin  vom  Tode  erweckte.  Eine  Wasserleitung,  die  durch  das  Dorf 
geht,  bietet  schöne  Gelegenheit,  ein  erfrischendes  Bad  zu  nehmen. 

Von  Dschennin  reitet  man  auf  grossentheils  ebenem  Wege  in 
etwe  sechs  Stunden  nach  Nazareth,  wobei  man  keine  Ortschaft  berührt, 
wohl  aber  auf  der  Ebene  Esdrelom,  welche  die  Strasse  durchschneidet, 
zahlreichen  Herden  und  Zelten  von  Beduinen  begegnet.  Zieht  man  es 
vor,  zuerst  das  Karmelkloster  zu  besuchen,  so  erfordert  die  Tour  von 
Dschennin  bis  dahin  einen  starken  Marsch  von  zwölf  Stunden.  Auf 
dem  letzteren  Wege  gelangt  der  Reisende  nach  ungefähr  drei  Stunden 
an  den  Nähr  Ledschun,  einem  im  Sommer  wasserlosen  Bach,  in  dessen 
Nähe  man  eine  Trümmerstätte,  die  von  Einigen  für  das  alte  Legio 
gehalten  wird,  und  einen  Khan  trifft.  Nach  drei  weitern  Stunden 
kommt  man  an  den  Fuss  des  Karmel,  einen  steil  ansteigenden  Gebirgs- 
stock  mit  mehren  Gipfeln,  welcher  mit  seinen  finstern  Wäldern 
und  seinen  wilden  Schluchten  nicht  an  die  Bedeutung  seines  Namens 
„Gottesgarteu"  erinnert.  Bald  darauf  sieht  man  den  in  tief  eingeschnit- 
tenem Bette  hinfliessenden,  mit  prächtigblühenden  Oleanderbüschen  an 
seinen  Ufern  geschmückten  Kison,  der  nach  dem  Sieg  Baraks  und 
Deboras  über  Sissera  die  Leichen  der  Erschlagenen  wälzte  und  andern 
später  Elias  die  Baalspfaifen  schlachtete,  wesshalb  er  mit  Recht  Me- 
giddo  (noch  jetzt  Nähr  i]l  Mekatta)  d.  i.  Mordbach  heisst.  An  vielen 
Beduinenzelten   vorüber  führt   der    Weg  dann,   immer   westlich,    nach 


90  Touren  durch  den  Norden  Palästina's. 

dem  neun  Stunden  von  Dschennin  entfernten,  am  Fuss  des  Karmel 
gelegenen  Dorfe  El  Jadschur,  und  bald  nachher  zu  einem  zweiten 
Orte,  welcher  Scheck  Sejd  heisst,  und  bei  dem  sich  ein  klarer  Gebirgs- 
bach,  der  Nähr  Saadeh,  in  den  Kison  ergiesst.  Von  hier  reitet  man 
auf  gutem  Weg  noch  l'/j  Stunden  bis  Caipha,  wo  man  Gelegenheit 
hat,  sich  wieder  europäische  Genüsse  zu  verschaffen,  da  Griechen  hier 
mehre  Trinkhäuser  und  eine  Locanda  halten,  welche  ziemlich  gut  ist. 
Caipha,  das  Hepha  oder  Kepha  des  A.  T.,  vielleicht  auch  das 
alte  Porphyrion  der  Griechen,  ist  eine  kleine,  ziemlich  hübsch  gebaute 
See-  und  Handelsstadt,  in  der  sich  mehre  Consuln,  Agenturen  des 
Lloyd  und  anderer  Dampfschiffahrts-Gesellschaften,  ein  armenisches 
Kloster,  eine  Kirche  und  zwei  kleine  Moscheen  befinden  und  dessen 
Markt  häufig  von  den  Beduinen  der  Ebene  besucht  wird.  Von  hier  bis 
zum  Karmetklostei'  reitet  man  in  zwanzig  Minuten.  Das  letztere  liegt 
auf  einem  Vorgebirge  des  genannten  Bergzuges  etwa  850  Fuss  über 
dem  Meere.  Die  Wälder  des  Karmel  bestehen  vorzüglich  aus  Pinien 
und  St«ineichen.  In  ihnen  hausen  wilde  Schweine  und  Panther.  Auf 
dem  Karmel  wohnten  mehre  israelitische  Propheten  als  Einsiedler  oder 
Flüchtlinge  vor  dem  Zorne  ihrer  abgöttischen  Könige  Auf  ihm  opferten 
die  Baalspriester  vergeblich,  während  Elias  das  erbetene  Feuer  auf 
seinen  Farren  herabfallen  sah  ;  auf  dem  Karmel  besuchte  die  Sunamitin 
ihren  Gastfreund  Elisa.  Den  Griechen  galt  der  Berg  ebenfalls  für 
heilig,  vermuthlich  auf  den  Vorgang  der  Phönizier  hin,  welche  hier 
den  Baal-Melkarth  verehrten.  Hier  soll  Pythagoras  als  Eremit  gelebt 
haben.  Hier  wurde  dem  Vespasian  seine  Erwählung  zum  römischen 
Kiiiser  geweissagt.  Nach  dem  Sieg  des  Christenthums  gründete  die 
heilige  Helena  hier  eine  christliche  Kirche.  Während  der  Kreuzzüge 
siedelten  sich  Mönche  auf  dem  Vorgebirge  an,  die  in  Höhlen  lebten. 
1217  bauten  die  Tempelherren  hier  einen  Wartthurm  auf.  Erst  zu 
Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  entstand  auf  dem  Karmel  ein  eigenes 
Kloster.  Dieses  wurde  1799,  nach  der  Belagerung  von  St.  Jean  d'Acre 
von  den  Türken  zerstörst,  weil  die  Mönche  französische  Verwundete 
von  Napoleons  Armee  aufgenommen  und  verpflegt  hatten.  Durch  die 
Bemühungen  des  Mönclis  Fra  Giovanni  Battista  wurde  das  Kloster  in 
einer  Weise  wieder  aufgebaut,  nach  welcher  es  das  schönste  und  stol- 
zeste in  ganz  Syrien  ist  Der  unermüdliche  Mönch  war  elfmal  im 
Abendland,  um  Beiträge  zur  Erreichung  seines  Zweckes  zu  sammeln, 
und  es  gelang  ihm,  mehr  als  600,000  Francs  zusammenzubringen,  die 
alle  auf  den  Ausbau  des  Klosters  verwendet  wurden.  Beim  Hinauf- 
steigen nach  dem  Kloster  bemerkt  man  links  in  der  Felswand  verschie- 
dene Grotten,  die  Spuren  des  Meisseis  zeigen.  Oben  angelangt,  sieht 
man  ein  Haupt-  und  ein  grosses  Nebengebäude,  von  denen  ersteres 
drei  Stock  hoch  ist.  Die  Mönche  sind  sehr  gut  für  den  P^mpfang  und 
die  Beherbergung  von  Pilgern  eingerichtet  und  ungemein  freundlich 
und  zuvorkommend.  Wir  fanden  unter  den  Laienbrüdern  auch  einen 
deutschsprechenden  Oesterreichcr.  Die  Kirche  des  Klosters  ist  gross 
und,  wie  das  Kloster  selbst,  dem  heiligen  Elias  geweiht.  Das  Altarbild 


Touren  durch  den  Norden  Palästina's.  91 

besteht  in  einer  Darstellung  der  Jungfrau  Maria  mit  dem  Jesuskind, 
einer  Holzflgur,  welche  ein  schönes  seidenes  Kleid  und  auf  dem  Kopfe 
eine  von  Edelsteinen  funkelnde  Krone  trägt.  Unter  dem  Altar  zeigt 
man  die  Grotte,  in  welcher  Elias  gewohnt  haben  und  von  Gottes  Ra- 
ben mit  Speisen  versorgt  worden  sein  soll.  In  der  Sakristei  befindet 
sich  eine  sehr  kunstreiche  Holzschnitzarbeit  eines  spanischen  Meisters, 
welche  den  Elias  darstellt,  wie  er  mit  llammendem  Schwert  einen  der 
Baalspriester  erschlägt.  Die  schöne  Lage  des  Klosters,  der  Luftstrora, 
der  im  Sommer,  vom  Libanon  und  dem  noch  1500  Fuss  über  das 
Kloster  aufragenden  Gipfel  des  Karmel  kommend,  die  Atmosphäre 
kühlt  und  reinigt,  die  herrliche  Aussicht,  die  saubere  und  geschmack- 
volle Einrichtung  der  für  die  Fremden  bestimmten  Zimmer,  die  gute 
Küche  und  die  angenehmen  Getränke,  welche  die  Klosterapotheke  aus 
den  würzigen  Pflanzen  des  Berges  bereitet,  vermögen  manchen  Wan- 
derer, sich  hier  mehr  als  einen  Kasttag  zu  gestatten.  Am  Westfuss  des 
Berges  wird  eine  zweite  Eliashöhle  gezeigt,  welche  20  Fuss  in  den 
Felsen  hineingeht  und  sich  durch  ein  eigenthümliches  Echo  auszeichnet. 
Sie  wird  auch  von  den  Mohammedanern  als  Heiligthum  verehrt.  Ein 
Ausflug  nach  El  Mohraka,  dem  „verbrannten  Ort",  wo  Elias  Feuer 
vom  Himmel  fallen  liess  (derselbe  liegt  auf  der  südwestlichen  Kuppe 
des  Gebirgsstocks),  erfordert  (hin  und  zurück)  einen  besondem  Tag 
und  bietet  nichts  besonders  Sehenswerthes.  Dagegen  lasse  man  sich 
nach  der  sogenannten  Höhle  der  Ordensbrüder  führen,  in  der  man  noch 
gegen  vierhundert  Felsenzellen,  jede  mit  einem  besondem  Fenster  und 
einer  aus  dem  Felsen  herausgearbeiteten  Schlafbank  findet. 

Der  Weg  von  Caipha  nach  Nazareth  führt  zunächst  wieder  nach 
dem  Dorfe  El  Jadschur  zurück,  dann  in  dessen  Nähe  durch  eine  Fürth 
des  Kison  (man  hüte  sich  hier  vor  den  Rohrsümpfen,  welche  der  Fluss 
auf  seinem  rechten  Ufer  bildet  und  welche  bis  in  den  Sommer  hinein 
gefährliche  Stellen  haben),  hinauf  über  eine  mit  schönen  Steineichen 
bewachsene  Hügelwelle,  die  ein  Ausläufer  des  Karmel  ist.  Eine  beson- 
ders grosse  Eiche  am  östlichen  Ende  des  Waldes  bezeichnet  die  Hälfte 
des  Weges  von  Caipha  nach  Nazareth,  der  nun  etwa  1'4  Stunden 
durch  die  Ebene  Esdrelom,  dann  am  Nordrand  derselben  und  endlich 
durch  mehre  Thäler  des  galiläischen  Gebirges  hinführt. 

Die  Ebene  Esdrelom,  von  den  Arabern  Merdsch  Ihn  Amr 
genannt,  im  A.  T.  auch  als  Gefilde  Jesreel  bezeichnet,  ist  ein  weites 
von  AVesten  nach  Osten  laufendes  Thal,  welches  Samaria  von  Galiläa 
scheidet.  Sie  ist,  vom  Mittelmeer  bis  fast  an  den  Jordan  reichend,  etwa 
fünf  deutsche  Meilen  lang  und  durchschnittlich  halb  so  breit,  und  zer- 
fällt in  drei  durch  ziemlich  hohe  Bergketten  geschiedene  Zweige :  einen 
im  Norden,  einen  in  der  Mitte  und  einen  im  Süden.  Sie  ist  ausser- 
ordentlich fruchtbar,  jetzt  aber  wenig  bebaut  und  im  Allgemeinen  nur 
ein  Weidegrund  für  die  hier  umherwandernden  Beduinen  In  ihrem 
mannshohen  Gras  und  Kraut  weidet  die  Gazelle,  bergen  sich  Panther. 
In  den  Sümpfen,  die  ihre  Quellen  bilden,  wälzt  sich  der  Eber  des 
Karmel  und  des  Tabor.  Von  der  Urzeit  an  bis  auf  Napoleons  Feldzug 


92 


Touren  durch  den  Norden  Palästina's. 


nach  Syrien  war  sie  das  grosse  Schlachtfeld  des  Landes  Hier  am  Kison 
schlugen  Deborah  die  Prophetin  und  Barak  an  der  Spitze  der  nörd- 
lichen Stämme  Israels  Sissera,  den  Peldhauptmann  des  Königs  von 
Chazor  und  seine  neunhundert  eisernen  Kriegswagen.  Hier  erfocht  der 
Held  und  Richter  Gideon  den  glänzenden  Sieg  über  die  Midianiter 
Sebas  und  Zalraunas,  die  Vorväter  der  Beduinen,  die  jetzt  diese  Strecken 
durchziehen.  Hier,  im  Angesicht  der  Berge  von  Gilboa  (wahrscheinlich 
etwas  östlich  von  Dschennin)  starb  Saul,  der  erste  König  Israels,  den 
Heldentod  im  Streit  mit  den  Fürsten  der  Philister.  Am  Hauptbach  der 
f^beno  endlich ,  dem  Wasser  Megiddo,  durchbohrten  die  Pfeile  der 
Schützen  Pharao  Nechos  den  König  Josias,  der  sich  dem  mächtigen 
Aegypter  auf  seinem  Zuge  nach  Karchemisch  unbesonnen  entgegen- 
gestellt. Hier,  in  der  Nähe  von  Hattin,  nicht  fern  vom  See  Genezareth, 
brachte  am  5.  Juli  1187  Saladin  dem  Kreuzfahrerheer  König  Veits  von 
Lusignan  die  verhängnissvolle  Niederlage  bei,  welche  den  Fall  Jerusa- 
lems zur  Folge  hatte.  Hier  endlich  fand  1799  das  Treffen  statt,  in 
welchem  General  Kleber  mit  2300  Franzosen  25,000  Türken  schlug. 

Jetzt  ist  die  Ebene  der  Weideplatz  für  den  Beduinenstamm  der 
Beni  Saker.  Da  dieser  wiederholt  sich  Räubereien  erlaubte,  so  siedelte 
die  türkische  Regierung  hier  den  Stamm  der  Hauara  an,  mit  der  Ver- 
pflichtung, das  Land  gegen  die  Nomaden  zu  unterstützen  Diese  neu- 
geschaffenen Grenzer  arteten  jedoch  bald  aus  und  bekämpften  zwar  die 
Beni  Saker,  machten  es  aber  im  Uebrigen  wenig  besser  als  sie.  Darauf 
wurden  Abtheilungen  von  Kurden  hieher  geschickt,  die  eine  Zeitlang 
Ordnung  hielten,  endlich  aber  auch  in  den  Geruch  geriethen,  Mein 
nicht  immer  von  Dein  unterscheiden  zu  können,  so  dass  die  Gegend 
1859  für  ziemlich  unsicher  galt. 

Indessen  ist  der  Verfasser  dieser  Blätter  ohne  Escorte  «inen 
ganzen  Nachmittag  durch  die  Beduinenlager  gereist,  und  weder  ihm 
noch  anderen  Reisenden,  die  er  sprach,  wurde  ungebührlich  begegnet. 
Die  Furcht  vor  den  Beduinen  möchte  demnach  bisweilen  grösser  als 
die  Gefahr  sein. 

Der  hohe  Berg  mit  den  drei  Gipfeln,  der,  mit  einem  weiss 
schimmernden  Weli  gekrönt,  sich  gegen  Osten  hin  zwischen  zwei  Ar- 
men der  Ebene  erhebt,  ist  der  sogenannte  kleine  Hermon,  der  bienen- 
korbförmige  Gipfel  weiter  nordöstlich  der  Tahor. 

In  die  Berge  gelangt,  erblickt  man  eine  halbe  Stunde  vor  Na- 
zareth  am  Abhang  eines  Thaies  das  sehr  anmuthig  in  Palmen,  Orangen- 
und  Feigenbäumen  gelegene  Dörfchen  Jafa,  welches  durch  seinen  Namen 
an  das  Jos.  19,  12  genannte  Japhia  erinnert,  und  hinter  demselben 
auf  einer  Anhöhe  den  grösseren  Ort  Semunijeh.  Vorher  hat  man  einen 
guten  Brunnen  passirt,  der  für  den  Reisenden  um  so  mehr  Werth  hat, 
als  die  Quellen  zwischen  dem  Kison  und  hier  schlechtes,  dumpfig 
schmeckendes  Wasser  enthalten.  Die  ganze  Entfernung  von  Caipha 
bis  Nazareth  beträgt  etwa  8 '/,  Stunden  und  ist  an  keiner  Stelle 
beschwerlich.  Ein  guter  Reiter  ohne  Gepäck  legt  sie  darum  in  fünf 
Stunden  zurück. 


Touren  durch  den  Norden  Palästina's. 


93 


Kazareth. 


Nazareth,  arabisch  En  Nasirah  genannt,  am  Westrand  eines 
länglichen  Gebirgsbeckens  amphitlieatralisch  gelegen,  auf  drei  Seiten 
von  Bergen  überragt,  macht  einen  recht  freundlichen  Eindruck.  Den 
Mittelpunct  des  Städtchens  bildet  das  grosse  lateinische  Kloster,  das 
mit  seinen  hohen  Umfassungsmauern  Aehnlichkeit  mit  einer  mittel- 
alterlichen Burg  hat.  Etwas  höher  liegt,  von  alten  Cypressen  überragt, 
die  Moschee  der  Stadt  mit  einem  Minaret  und  einer  Kuppel.  Der  Ort 
mag  zwischen  drei-  und  viertausend  Einwohner  haben,  von  denen  die 
Mehrzahl  —  wie  an  den  vielen  blauen  und  schwarzen  Turbanen,  auf 
den  Gassen  zu  ersehen  —  lateinische  oder  griechische  Christen  sind. 
Auch  ein  protestantischer  Missionär  lebt  hier,  der  eine  Schule  hält 
Juden  dagegen  werden  in  Nazareth  nicht  geduldet.  Man  steigt  in  der 
Casa  Nuova,  der  Pilgerherberge  des  lateinischen  Klosters  ab,  wo  die 
Mönche  mit  freundlichen  Gesichtern,  trinkbarem  Cyperwein  und  guten 
Betten  aufwarten. 

Die  Merkwürdigkeiten  Nazareth 's  sind: 

1.  das  Franziscanerkloster  mit  der  dazu  gehörigen  Kirche  der 
Verkündigung ; 

2.  das  griechische  Kloster,  dessen  Kirche  ebenfalls  darauf  An- 
spruch macht,  die  Stelle  einzunehmen,  wo  der  Engel  Marien  ihre 
Beschattung  vom  heiligen  Geiste  verkündete; 

3.  die  Werkstätte  des  Zimmermanns  Joseph,  der  Jesu  Pflege- 
vater wurde,  jetzt  eine  kleine  Capelle; 


94 


Touren  durch  den  Norden  Palästina's. 


4.  die  Synagoge,  in  welcher  Christus  gelehrt  haben  soll; 

5.  eine  Capelle,  über  der  Stelle  erbaut,  wo  Jesus  nach  seiner 
Auferstehung  mit  mehren  Jüngern  zu  Tische  sass,  endlich 

5.  der  Felsen,  von  dem  ihn  die  Juden  herabstürzen  wollten, 
nachdem  er  gesagt,  dass  kein  Prophet  in  seiner  Vaterstadt  etwas  gelte. 

Das  Kloster  der  Franziscaner  ist  nicht  so  alt,  wie  es  aussieht, 
da  es  erst  1620  gestiftet  und  seine  Räumlichkeiten  erst  1730  erbaut 
wurden.  Mönche  befinden  sich  darin  in  der  Regel  zehn  bis  zwölf.  Die 
damit  verbundene  Schule  ertheilt  arabischen  Kindern  christlichen 
Glaubens-Unterricht  in  ihrer  Muttersprache  und  im  Italienischen,  sowie 
im  Lesen,  Schreiben  und  Rechnen.  Die  Kirche  der  Verkündigung,  die 
sich  innerhalb  der  Klostermauern  befindet,  ist  nächst  der  Geburts- 
kirche in  Bethlehem  und  der  Kirche  des  heiligen  Grabes  in  Jerusalem 
das  schönste  Gotteshaus  Palästina's.  Das  Innere  ist  nicht  sehr  gross, 
in  einfachem,  edlem  Styl  gehalten,  mit  massiven  Bogen  versehen.  Die 
Wände  sind  mit  Tapeten  von  Damaststoff  behangen,  auf  welchen  Scenen 
aus  der  Kindheitsgeschichte  Jesu  gestickt  sind.  Unter  den  Gemälden 
der  Kirche,  die  auch  eine  gute  Orgel  besitzt,  sind  einige  gute,  unter 
denen  wieder  eine  Mater  dolorosa  und  eine  Verkündigung  sich  beson- 
ders auszeichnen.  Nach  dem  Hochaltar  hin  ist  der  Fussboden  erhöht 
und  es  führen  einige  Stufen  zu  ihm  hinauf,  die  mit  Eisengeländern 
versehen  sind.  Unter  diesem  Altar  schimmert  im  Strahl  mehrer  kost- 
barer Lampen  das  eigentliche  Heiligthum,  die  Grotte  der  Verkündi- 
gung, zu  welcher  man  auf  sechzehn  Marmorstufen  hinabsteigt.  Unten 
findet  man  einen  kleinen  Altar,  und  das  Gemach  ist  durch  den  Meissel 
in  eine  viereckige  Capelle  verwandelt.  Nicht  fern  von  dem  Altar  stehen 
zwei  Säulen,  welche  die  Stelle  bezeichnen,  wo  die  Jungfrau  Maria  und 
der  Engel  standen,  als  die  Verkündigung  stattfand.  Von  einer  der 
Säulen  haben  die  Sarazenen  unten  ein  Stück  abgeschlagen,  so  dass  nur 
der  obere  Theil  noch  an  der  Decke  hängt.  Noch  zeigt  man  hier  in 
der  Nähe  zwei  andere  Felsenhöhlen,  von  denen  die  eine  Mariens  Küche, 
die  andere  eine  Gaststube  gewesen  sein  und  während  des  Besuchs  des 
Engels  eine  Freundin  Mariens  beherbergt  haben  soll. 

Ueber  der  Grotte  der  Verkündigung  stand  bis  zum  Jahre  1291 
das  Haus  der  Eltern  Jesu,  die  Santa  Casa,  die  jetzt  sich  zu  Loretto 
befindet.  Bekanntlich  wurde  es  von  Engeln  dorthin  getragen.  Als  Grund 
der  Wegführung  wird  angegeben,  dass  die  Mutter  Gottes  gefürchtet 
habe,  ihre  Wohnung  von  den  Sarazenen,  welche  damals  Nazareth  be- 
drohten, verunehrt  sehen  zu  müssen. 

Das  griechische  Kloster  ist  sehr  ansehnlich  und  hat  ebenfalls 
eine  Kirche,  die,  aussen  einfach,  innen  sehr  reich  an  Gold-  und  Silber- 
geräthen,  Bildern  und  anderem  Schmuck,  über  einem  Quell  errichtet 
ist,  an  dem  nach  der  griechischen  Legende  Maria  den  Gruss  Gabriel's 
empfing.  Der  Quell  sprudelt  unter  der  Mauer  der  Kirche  hervor  und 
ergiesst  sich,  durch  eine  steinerne  Wasserleitung  gegen  fünfzig  Schritte 
fortströmend,  zuletzt  in  einen  grossen  Marmortrog,  der  die  Gestalt 
eines  antiken  Sarkophages  hat  und  der  Marienhrunnen  heisst. 


Touren  durch  den  Norden  Palästina's.  95 

Die  Werkstätte  des  heiligen  Joseph,  auch  Joseph's  Haus  genannt, 
wo  also  Jesus  bei  seinen  Eltern  gelebt  hätte,  ist  eine  kleine  Kirche, 
die  gleich  am  lateinischen  Kloster  liegt  und  früher  mit  diesem  zusam- 
menhing, jetzt  aber  von  einem  besondern  Hof  umschlossen  ist,  den 
Wohnungen  von  Mohammedanern  umgeben.  Die  Kirche  ist  durch  eine 
Wand  in  zwei  Hälften  geschieden,  von  denen  die  eine  den  Bekennern 
des  Islam  gehört.  Ein  hier  befindlicher  Pfeiler  von  porösem  Gestein 
soll  ein  Rest  von  der  wirklichen  Wohnung  Jesu  und  seiner  Eltern  sein. 

Die  Stelle,  wo  Christus  nach  seiner  Auferstehung  mit  den  Jün- 
gern zu  Tisch  gesessen,  findet  man  in  einer  Grotte,  welche  man  in 
einer  Schlucht  auf  der  südwestlichen  Seite  der  Stadt  antrifft.  Es  liegt 
darin  eine  grosse,  runde  Felsenplatte,  welche  Aehnlichkeit  mit  einem 
niedrigen  Tische  hat.  Auf  den  Felsen  ist  das  Bild  des  Erlösers  gemalt, 
nach  der  Legende  eine  Copie  des  bekannten  an  den  Fürsten  Abgar 
von  Edessa  gesandten  Porträts  Christi. 

Der  Berg  des  Herabstürzens  ist  ein  schroffer,  etwa  300  Fuss 
hoher  Abhang,  südöstlich  von  Nazareth,  am  Ausgang  des  Thaies  sich 
erhebend.  Andere  suchen  die  Stelle,  da  bei  Lucas  von  der  Stadt  ge- 
sprochen wird,  auf  dem  dicht  bei  Nazareth  selbst  befindlichen  Felsen, 
in  dessen  Nähe  jetzt  die  kleine  Capelle  der  Maroniten  steht. 

Von  Nazareth  macht  man  einen  Ausflug  nach  dem  Tabor,  bis 
zu  dessen  Gipfel  man  von  dort  etwa  drei  Stunden  hat.  Der  Weg  geht 
an  der  Quelle  der  Maria  vorüber,  über  die  südöstlich  von  Nazareth 
sich  erhebende  Thaleinfassung  und  dann  auf  einer  Art  Hochebene  fort, 
die  sich  rechts  nach  der  Ebene  Esdrelom  abflacht,  endlich  durch  ein 
mit  niedrigen  Eichenbüschen  bewachsenes  Thal,  bis  endlich  der  von 
Hügeln  oder  Ausläufern  umgebene  Fass  des  Tabor  erreicht  ist.  Rechts 
sieht  man  hier  das  Dorf  Deburijeh,  welches  man  für  das  im  A.  T. 
erwähnte,  zum  Stamm  Isaschar  gehörige  Debrat  hält.  Zur  Ersteigung 
des  Gipfels  bedarf  man  etwa  vierzig  Minuten.  Der  Tabor,  arabisch 
Dschebel  El  Tor  genannt,  ist,  wie  viele  Berge  Palästina's,  ein  Kalk- 
steinkegel, der  sich  1755  Fuss  über  dem  Spiegel  des  Mittelmeeres  und 
etwa  1000  Fuss  über  die  niedrigsten  Stellen  der  Ebene  Esdrelom  erhebt. 
Er  ist  vom  Fuss  bis  zum  Rand  seines  Gipfels  mit  Bäumen  und  Sträu- 
chern bewachsen,  unter  denen  man  hauptsächlich  Eichen  von  den 
Gattungen  Angilops  und  Hex,  sowie  wilde  Pistazienbäume  sieht.  Der 
Gipfel  bildet  eine  Art  Krater,  dessen  Vertiefung  ohne  Baumwuchs  ist. 
Im  Walde  hausen  Eber  und  andere  wilde  Thiere.  Auf  dem  Rande  der 
Höhe  kann  man  Spuren  einer  Umfassungsmauer  verfolgen,  und  auch 
an  anderen  Stellen  trifft  man  Ruinen,  zerstörte  Festungswerke,  in  den 
Felsen  gemeisselte  Keller  und  Cisternen,  zerbrochene  Wölbungen  und 
umhergestreute  Quadern.  Eine  einzige  von  den  Cisternen  enthält  noch 
Wasser,  auch  steht  noch  ein  Thor  aufrecht,  welches  von  den  Arabern 
Bab  El  Haua,  Thor  der  Winde,  genannt  wird.  Mitten  unter  den  Trüm- 
mern ist  ein  kleines  unterirdisches  Gewölbe,  in  welchem  ein  Altar 
steht,  an  dem  die  Mönche  alljährlich  das  Andenken  an  die  Verklärung 
Christi  durch  eine  Messe  feiern.  Die  Legende  verlegt  nämlich  die  Ver- 


96  Touren  durch  den  Norden  Palästina's. 

klärungsgeschichte  Matth.  17,  2  auf  den  Tabor,  aber  ohne  Grund,  da 
das  N.  T.  den  Berg  Tabor  nicht  nennt,  und  zu  der  Zeit  Christi  hier 
oben  eine  Festung  lag,  die  Erzählung  von  dem  Wunder  aber  voraus- 
setzen lässt,  dass  dasselbe  auf  einem  einsamen  Gipfel  stattgefunden  habe. 

Dagegen  kann  man  wohl  bei  der  Aussicht,  die  der  Gipfel  ge- 
währt, an  das  Wort  denken:  „Hier  lasst  uns  Hütten  bauen."  Im  Osten 
glänzt  der  schöne  blaue  Spiegel  des  Sees  Genezareth  und  jenseits  des- 
selben das  röthliche  Gebirge  von  Basan  und  Gilead.  Im  Norden  schim- 
mert Safed,  vielleicht  (vergl.  Matth.  5,  14)  die  „Stadt,  die  auf  dem 
Berge  liegt",  und  dahinter  der  schneebedeckte  9500  F.  höhe  Gipfel 
des  Dschebel  Esch  Schech,  welcher  der  grosse  Hermon  ist.  Nach  Süden 
und  Westen  hin  dehnt  sich  die  weite  Ebene  Esdrelom  aus,  im  Süd- 
westen ragt  der  dunkle,  vielgipfelige  Karrael  auf,  neben  dem  das 
Mittelmeer  als  bläulicher  Streifen  erscheint,  im  Südosten  endlich  erblickt 
man  den  kahlen,  kleinen  Hermon  und  den  Dschebel  Fekua,  den  man 
für  das  Gebirge  Gilboa  des  A.  T.  liält. 

Vom  Tabor  kann  man  direct  nach  Tiberias  aufbrechen  oder  nach 
Nazareth  zurückkehren  und  von  dort  den  Weg  nach  Tiberias  ein- 
schlagen. Im  ersteren  Falle  braucht  man  sechs  Stunden,  und  die  Strasse 
berühi't  dann  eine  Stunde  vom  Tabor  den  Khan  Et  Tudschar,  wo  sich 
einige  Fellahhütten  und  die  Euinen  eines  Castells  finden;  weiterhin 
trifft  man  am  Wege  selbst  keine  menschliche  Wohnung  mehr,  wohl 
aber  Berg  auf  Berg.  Seitwärts  indess  erblickt  man  das  Dörfchen  Lu- 
bijeh,  den  elenden  Ort  Kafr  Kenna  und  Hattin,  wo  Saladin  die  Kreuz- 
ritter schlug,  und  wo  sich  der  Hügel  erhebt,  den  die  Araber  seiner 
Gestalt  nach  die  „Hörner  von  Hattin"  nennen,  während  er  von  den 
Mönchen  als  der  Berg  bezeichnet  wird,  auf  dem  Jesus  die  Bergpre- 
digt hielt. 

Der  Weg  von  Nazareth  jiach  Tiberias  erfordert  gleichfalls  sechs 
Stunden  und  ist  stellenweise  sehr  «steil  und  beschwerlich.  Anderthalb 
Stunden  von  Nazareth  erblickt  man  am  Abhang  einer  Schlucht  zur 
Linken  das  Dorf  Reineh.  Ein  Stück  weiter  findet  sich  an  der  Strasse 
ein  Brunnen,  der  einige  Gärten  tränkt.  Gleich  dabei  liegt  das  Dorf 
Kafr  Kenna,  das  nach  der  Meinung  der  Mönche  jenes  Kana  ist,  wo 
Christus  bei  einer  Hochzeit  sein  erstes  Wunder  verrichtete,  indem  er 
Wasser  in  Wein  verwandelte.  Man  zeigt  noch  heute  in  einem  Trüm- 
merhaufen das  „Haus  des  Bartholomäus",  in  welchem  die  Hochzeit 
stattgefunden  haben  soll.  Die  neuere  Forschung  hat  indess  nachge- 
wiesen, dass  das  Kana  des  N.  T.  nicht  hier,  sondern  vielmehr  in  dem 
drei  Stunden  nördlich  von  hier  gelegenen,  jetzt  zerstörten  Orte  Kana 
El  Dschelil  zu  suchen  sei.  Weiterhin  liegt  rechts  vom  Wege  auf  einer 
mit  Oliven-  und  Feigenbäumen  bepflanzten  Anhöhe  Lubijeh.  Dann  führt 
der  Weg  durch  unbewohnte  Gegenden,  bis  er  sich  endlich  einen  tiefen 
Abhang  hinab  nach  Tiberias  und  See  Genezareth  hinunterwindet. 

Tiberias,  arabisch  Tabarijeh,  ist  eine  kleine,  ziemlich  hübsche 
Stadt  mit  etwa  2000  Einwohnern.  Hart  über  dem  galiläischen  Meer 
oder  See  Genezareth  gelegen,  gehört  es  zu  den  heisseaten  Orten  Palä- 


Touren  durch  den  Norden  Palästina's. 


97 


98  Touren  durch  den  Norden  Falästina's. 

stina's.  Nach  dem  Talmud  stand  früher  hier  die  Stadt  Hamath.  Tibe- 
rias  wurde  von  Herodes  II.  Antipas  erbaut  und  nach  dem  Kaiser  Ti- 
berias  benannt.  Es  ist  eine  der  heiligen  Städte  der  Juden,  da  hier  der 
berühmte  Rabbi  Akiba  lehrte  und  24,000  Schüler  um  sich  sammelte, 
die  sämmtlich  hier  begraben  liegen,  und  da  ein  Theil  des  Talmud  hier 
verfasst  wurde.  Noch  jetzt  wohnen  gegen  1600  Juden  hier,  unter  denen 
viele  deutsch  sprechen,  und  von  denen  einer  —  ein  Herr  Weissmann 
—  hier  eine  Locanda  hält,  in  der  man  ziemlich  gut  isst.  Wer  ein  Zelt 
mit  sich  führt,  thut  indess  wohl,  nicht  in  der  Stadt  zu  schlafen,  da 
sie  mehr  wie  jede  andere  in  Syrien  voll  Ungeziefer  ist  (sagt  doch  das 
Sprichwort,  dass  der  König  der  Flöhe  hier  seinen  Hof  hält)  und  da 
man  keinen  Augenblick  sicher  ist,  dass  die  Erdbeben  sich  wiederholen, 
die  in  den  letzten  Jahrzehnten  wiederholt  Hunderten  von  Einwohnern 
den  Tod  brachten  und  von  deren  grauenvollen  Verwüstungen  noch 
jetzt  zahlreiche  Euinen  in  der  Stadt  Zeugniss  ablegen. 

Merkwürdigkeiten  von  Tiberias  sind  die  warmen  Bäder  im 
Südosten  der  Stadt,  einige  Fuss  über  und  etwa  zwanzig  Schritte  von 
dem  Rande  des  Sees.  Dieselben  sind  von  Ibrahim  Pascha  von  Aegypten 
erbaut  worden.  Das  Gebäude  ist  indess  schon  sehr  verfallen.  Aus  einer 
offenen  Halle  tritt  man  in  eine  zweite,  aus  dieser  in  eine  Rotunde,  mit 
einem  von  Säulen  getragenen  Kuppeldach.  Ringsum  sind  marraorbelegte 
Gänge,  aus  denen  man  in  die  Badegemächer  tritt.  In  der  Halle  neben 
der  Rotunde  befindet  sich  eine  schöne  weissmarraorne  Badewanne.  Das 
Wasser  der  vier  heissen  Quellen  hat  49"  R.,  schmeckt  scharf  salzig  und 
hat  einen  Schwefelgeruch.  Sein  Bodensatz  enthält  kohlensauren  Kalk 
und  etwas  Kochsalz  und  hat  Aehnlichkeit  mit  dem  des  Todten  Meeres. 
Die  Bäder  werden  mit  Erfolg  von  Gichtkranken  und  an  Rheumatismen 
Leidenden  gebraucht. 

Ferner  besuche  man  die  Grabstätten  der  gelehrten  Juden,  die 
sich  nicht  fern  vom  Thore  auf  einer  massigen  Anhöhe  befinden.  Man 
nehme  dazu  den  Wirth  aus  der  Judenlocanda  oder  einen  andern  Juden 
als  Führer  mit,  da  diese  am  besten  Bescheid  wissen.  Hier  liegen  in 
Gräbern  ohne  Inschrift  zunächst  die  berühmten  Rabbinen  Jochannan 
Ben  Jokai,  Raw  Ami  und  Raw  Aschi,  dann  folgt  weiter  oben  auf  dem 
Berge  das  Grab  des  Rabbi  Akiba,  dann  weiter  unten  die  Gräber  des 
Rabbi  Chias,  Raw  Hamnunas,  des  Meier  Ben  Ness  u.  a.  Am  dreiund- 
dreissigsten  Tage  der  Sefira  zieht  eine  grosse  Judenprocession  hier  her- 
auf, zündet  Kerzen  und  Lampen  an  und  schlägt  Zelte  auf,  um  eine  Art 
Todtengottesdienst  zu  feiern.  An  dem  Grabe  Raw  Hamnunas  betet  man 
bei  langer  Dürre  um  Regen,  an  dem  Grabe  des  Meier  Ben  Ness  um 
Heilung  von  Krankheiten.  Auf  dem  nicht  weit  von  hier  entfernten  tür- 
kischen Friedhofe  trifft  man  eine  Anzahl  zerbrochener  und  umgestürzter 
Säulen  von  Granit  und  Syenit.  Dieselben  sollen  Reste  eines  Palastes 
sein,  den  Herodes  Antipas  hier  gehabt  hätte.  In  der  Nachbarschaft 
befinden  sich  Höhlengräber  mit  Eingängen  von  Mauerwerk.  Auf  der 
Höhe  des  Felsenkammes   darüber  hat   nach  jüdischer  Sage  Bathseba, 


Touren  durch  den  Norden  Palästina's. 


99 


die  Mutter  Salomo's,  ein  Schloss  gehabt,  und  ein  verfallenes  Gebäude 
am  Fuss  des  Berges  soll  —  ein  Meierhof  der  Mutter  Abrahams    sein ! 

Die  Mohammedaner  haben  in  Tiberias  eine  Moschee,  die  Christen 
(es  sind  deren  nur  wenige  hier)  eine  Capelle,  die  auf  der  Stelle  steht, 
wo  St.  Petrus  gewohnt  hat,  uud  die  dem  Franziskanerkloster  in  Naza- 
reth  gehört.  Sie  ist  klein  und  sehr  einfacli  und  wird  nur  durch  die 
Thür  erleuchtet. 

Der  See  Genezareth,  in  den  Büchern  Mosis  See  Kinnroth 
genannt,  ist  fünf  bis  sechs  Stunden  lang  bei  einer  Breite  von  zwei  bis 
drei  Stunden.  Seine  tiefsten  Stellen  befinden  sich  160  Fuss  unter  der 
Oberfläche,  sein  Spiegel  liegt  653  Fuss  unter  dem  des  Mittelmeeres. 
Er  ist  reich  an  Fischen,  besonders  an  Karpfen  und  Schollen.  Während 
im  Alterthum  allein  Tiberias  230  Schiffe  und  Boote  auf  ihm  hatte, 
gibt  es  auf  ihm  jetzt  nur  einen  einzigen  Kahn.  Man  woiss  aus  dem 
N.  T.,  dass  Jesus  auf  ihm  wandelte,  dass  er  auf  ihm  dem  Sturm 
Schweigen  gebot,  dass  er  an  seinen  Gestaden  seine  ersten  Jünger  warb. 
Im  Osten  begrenzt  ihn  eine  hohe  Kalkfelsenwand.  Am  Nordende  liegt 
das  Dörfchen  Medschdel,  wo  der  Keisende  Wilson  eine  Colonie  von 
Zigeunern  traf  und  wo  man  noch  mit  den  alterthümlichen  Dreschschlitten 
drischt.  Es  ist  hier  vielleicht  Magdala,  die  Geburtsstätte  der  Maria 
Magdalena,  zu  suchen.  Eine  Stunde  von  Medschdel  trifft  man  den  Khan 
Minjeh,  wo  Eobinson  die  Stätte  des  alten  Kapernaum  zu  finden 
glaubte,  während  Eitter  die  Stelle  bei  Teil  Hum  sucht.  Möglich,  dass 
Hum  der  Kest  des  hebräischen  Namens  Kapharnahum,  d.  i.  Ort  der 
Lieblichkeit  ist.  Robinson  sucht  hier  die  Stadt  Chorazim  und  an  der 
Quelle  Tabigha  die  Stadt  Bethsaida. 

Der  Weg  von  Tiberias  nach  Safed  führt  zunächst  am  Ufer  des 
Sees  über  verschiedene,  zum  Theil  kahle,  zum  Theil  mit  Eichenkraut 
bewachsene  Bergwellen.  Die  Gestade  unten  am  See  bestehen  hin  und 
wieder  aus  Wiesen,  und  wo  Quellen  sind,  schimmern  rothblühende 
Oleanderbüsche.  Vier  Stunden  von  Tiberias  trifft  man  die  Quelle  Ain 
Kaleh,  von  wo  man  noch  zwei  Stunden  bis  Safed  hat. 

Safed,  vielleicht  das  Zeph  des  Josephus,  liegt  auf  einem  hohen, 
steinigen  Berge  und  hat  in  seinen  Mauern  nächst  Jerusalem  unter  allen 
Städten  Palästina's  die  meisten  jüdischen  Einwohner,  nämlich  2100, 
Wie  Tiberias  ist  auch  Safed  in  den  letzten  Jahrzehnten  mehrmals  von 
furchtbaren  Erdstössen  heimgesucht  worden,  und  noch  im  Jahre  1837 
begrub  ein  solcher  binnen  wenigen  Secunden  1500  Menschen  unter  den 
Trümmern  ihrer  Wohnungen.  Die  Juden  leben  mit  wenigen  Ausnahmen 
von  Almosen,  die  ihnen  aus  Europa  zukommen.  Die  neue  Synagoge, 
von  dem  Triester  Kaufmann  Queda  erbaut,  ist  sehenswerth ;  sie  gehört 
den  spanischredenden  Juden  oder  Sephardim.  Fremde  finden  hier  Unter- 
kommen in  der  Weinschenke  des  Herrn  Barner,  wo  auch  deutsch  ge- 
sprochen wird. 

Von  Safed  bis  Rameh  sind  es  5'/.j  Stunden.  Der  Weg  ist  gros- 
sentheils  sehr  beschwerlich.  Die  Puncte,  an  denen  man  vorüberkommt, 
sind:  Ain   Masadum,    links  von  der  Strasse,  ein  kleines  Dorf,  Marun, 


100  Touren  durch  den  Norden  Falästina's. 

rechts  hoch  in  den  Bergen,  mit  einem  weisscliimmernden  Grabe,  in 
welchem  der  Verfasser  des  Sohar  ruht,  Samoi,  ebenfalls  rechts  am 
Abhänge,  weiterhin  die  Dörfer  Bethanan  und  Faradah,  wo  an  der 
Strasse  ein  Quell  ist.  Rameh  ist  ein  grosses,  festungsartig  gebautes, 
theilweise  mit  einer  Zinnenmauer  umgebenes  Dorf,  welches  nur  von 
Christen  und  Drusen  bewohnt  ist,  und  wo  man  im  Hause  des  Christen 
Daud  Jakub  Unterkunft  findet.  Man  ist  hier  bereits  in  den  Vorbergen 
des  Libanon.  Man  hat  von  hier  bis  Akko  oder  St.  Jean  d'Acre  vier 
Stunden  zu  reiten,  und  zwar  geht  der  Weg  zuerst  noch  zwei  Stunden 
durch  das  Gebirge,  dessen  Thäler  hier  gut  angebaut  und  mit  Feigen- 
und  Olivenbäumen  bepflanzt  sind.  Von  Dörfern  berührt  man  eine  Stunde 
von  Kameh  das  auf  der  Höhe  gelegene  Masd  El  Kr  um  und  eine  Stunde 
später  Berue.  Die  Meerebene,  die  hier  beginnt,  heisst  Sahel  Akka, 
Ebene  von  Akka. 

Akko  oder  Ptolemais,  wie  es  im  Mittelalter  hiess,  ist  eine  befe- 
stigte Stadt  von  etwa  10,000  Einwohnern,  welche  nichts  von  Interesse 
bietet,  als  die  Ruinen,  welche  das  Bombardement  von  1840  allenthalben 
zurückgelassen  hat.  Es  war  die  letzte  Stadt  Palästina's,  welche  von  den 
Kreuzfahrern,  die  erst  1291  von  hier  wichen,  behauptet  wurde.  Man 
findet  hier  im  lateinischen  Kloster  Herberge.  Ausserhalb  der  Mauern 
zu  bleiben,  ist  nur  dann  gerathen,  wenn  man  in  starker,  gutbewaffneter 
Gesellschaft  reist.  Im  Nordosten  der  Stadt  befinden  sich  schöne  und 
grosse  Gärten,  durch  die  eine  grossartige  Wasserleitung  hindurch  führt, 
und  in  denen  mehre  Landhäuser  liegen.  Eine  Viertelstunde  südöstlich 
von  Akko  mündet  der  Nähr  Ahmar  in  das  Meer,  ein  Fluss,  welcher 
der  Belus  des  Alterthums  ist,  an  dessen  Ufern  phönizische  Kaufleute 
das  Glas  erfunden  haben  sollen.  Die  Berge,  welche  sich  von  hier  an 
bis  Sur,  dem  alten  Tyrus,  hinter  dem  ebenen  Gestade  hinziehen,  sind 
fast  nur  von  Drusen  bewohnt,  die  auch  weiter  nördlich,  bis  über  Saida 
hinaus  noch  Theile  des  Gebirges  inne  haben,  und  über  die  im  folgenden 
Capitel  das  Nöthigste  bemerkt  werden  soll. 

Von  Akko  bis  Caipha  zurück  sind  es  drei  Stunden.  In  Caipha 
findet  sich  jede  Woche  Gelegenheit,  mit  Dampfern  über  Aegypten  oder 
Beirut  und  Smyrna  nach  Europa  zurückzugelangen. 


Sjrrien.  101 


FÜNFTES  CAPITEL. 
Syrien. 

Syrien  im  Allgemeinen.  —  Der  Libanon.  —  Drusen  und  Maroniten.  —  Tour  von 
Akko  durch  Phönizien  über  Sur  und  Saida  nach  Beirut.  —  Touren  nach  Damaskuiä,  den 
Cedern  des  Libanon,  Baalbek  und  Tripolis.  —  Die  karameniiche  Küste.  —  Cypem. 

Syrien  heisst  das  2100  Quadratmeilen  grosse  Hochland,  welches 
sich  20  bis  30  Meilen  breit  und  etwa  90  Meilen  lang  an  der  Ostseite 
des  Mittelmeeres  zwischen  Kleinasien  und  Palästina  hinzieht  und  im 
Osten  von  der  grossen  syrischen  Wüste  begrenzt  wird.  Sein  Gebirge 
gehört  im  Norden  dem  Taurus  an.  Im  Süden  durchstreichen  es  der 
Libanon  und  der  Antilibanon.  Es  bildet  im  Ganzen  eine  grosse  Gebirgs- 
platte,  die  in  der  Mitte  ein  bald  schmaleres,  bald  breiteres  Thal  hat 
und  von  bedeutenden  Erhebungen  überragt  wird.  Jene  Thalfurche  be- 
ginnt mit  dem  oberen  Jordanthal,  wo  sie  sehr  eng  ist,  breitet  sich 
dann  zwischen  dem  Libanon  und  Antilibanon  zu  dem  Thal  von  Cöle- 
syrien  aus  und  wird  im  Norden  vom  oberen  Orontes  und  zuletzt,  am 
Südl'uss  des  Taurus,  von  dem  See  von  Antiochia  bewässert.  So  zerfällt 
die  erwähnte  Gebirgsplatte  in  einen  östlichen  und  einen  westlichen 
Streifen.  Der  östliche  steigt  im  Westen  steil  an  und  dacht  sich  im 
Osten  allmälig  zu  dem  grossen  Plateau  der  syrischen  Wüste  ab.  Der 
westliche,  der  an  den  meisten  Stellen  hart  an  das  Meer  herantritt,  ist 
an  drei  Stellen  von  Querthälern  durchbrochen:  im  Norden  durch  das 
Thal  des  Orontes,  in  der  Mitte,  nördlich  von  Tripolis,  und  wo  der 
alte  Lykos,  jetzt  Nähr  El  Kelb  mündet,  endlich  südlich,  wo  der  Leon- 
tes  das  Gebirge  verlässt. 

Das  Klima  des  Landes  ist  dem  von  Palästina  gleich,  nur  sind 
die  Gebirge  beträchtlich  höher.  Ebenso  sind  die  Verhältnisse,  die  den 
Reisenden  zunächt  interessiren,  denen  Palästina  ähnlich.  Der  Charakter 
der  Berge  ist  Dürre  und  Vegetationsarmuth.  Nur  wo  Wasser  sich  findet, 
grünen  die  Thäler  und  Berge  von  subtropischen  Gewächsen.  Grössere 
Waldungen  sind  selten.  Der  Hauptbestandtheil  der  Gebirge  ist  in  Li- 
banon Kalk,  im  Antilibanon  Kreide.  In  den  Wildnissen  finden  sich 
Bären,  Panther,  wilde  Büflfel  und  Hyänen.  Einwohner  hat  das  Land 
etwa  1  '/j  Millionen.  Sie  sind  grösstentheils  semitischen  Stammes.  Etwa 
die  Hälfte  derselben  bekennt  sich  zum  Islam,  die  übrigen  gehören  ver- 
schiedenen christlichen  Secten   und  den  Religionen  der  Drusen,  Motu- 


102  Syrien. 

walis  und  Ansarijeh  an.  Griecliische  Christen  gibt  es  250,000,  Maro- 
niten  200,000,  römische  Katholiken  40,000,  Armenier  etwa  30,000  im 
Lande.  In  politischer  Beziehung  bildet  Syrien  unter  dem  Namen  Scham 
eine  Provinz  des  türkischen  Reiches,  die  in  die  Ejalets  Aleppo,  Da- 
maskus, Tripolis  und  (da  Palästina  mit  zu  der  Provinz  gerechnet  wird) 
Jerusalem  zerfällt. 

Wir  können  hier  nur  die  am  häufigsten  von  europäischen  Rei- 
senden besuchten  Theile  Syriens,  also  nur  die  Küsten,  den  Libanon  und 
die  grösste  Stadt  des  Landes,  Damaskus,  berücksichtigen,  wobei  wir 
im  Voraus  bemerken,  dass,  was  im  Vorigen  über  Reisen  iu  Palästina, 
Geldsorten,  Dragoraane,  Strassen,  Ausrüstung  u.  d.  m.  gesagt  wurde, 
auch  von  Syrien  gilt.  Gute  Gasthöfe  gibt  es  nur  in  Beirut  und  Da- 
maskus. Von  Dragomanen  findet  sich  eine  Auswahl  in  den  beiden 
Haupthötels  in  Beirut.  Consulate  trifft  man  in  Damaskus,  Aleppo  und 
allen,  auch  den  kleineren  Küstenorten.  Pferde  bekommt  mau  allent- 
halben zu  15  bis  20  Piaster  per  Tag  zu  miethen.  Die  Klöster  üben 
überall  dieselbe  Gastlichkeit  wie  in  Palästina.  Räuber  sind  jetzt  nur 
im  Osten  von  Damaskus  zu  fürchten.  Europäische  Waaren  kauft  man 
in  den  Bazars  von  Beirut,  Erzeugnisse  der  Gewerbthätigkeit  der  Ein- 
gebornen  am  besten  und  wohlfeilsten  in  Damaskus. 

Der  Libanon,  arabisch  Dschebel  El  Liban,  d.  i.  der  weisse 
Berg,  ist  in  dem  engeren  Sinne,  in  dem  das  GebiKge  uns  besonders 
interessirt,  das  sechs  Meilen  lange  von  Süden  nach  Norden  ansteigende 
Plateau,  welches  südlich  den  7780  Fuss  hohen  Dschebel  Sanin,  nörd- 
lich den  8800  Fuss  hohen  Dschebel  Makrael  zu  Eckpfeilern  hat  und 
sich  zwischen  Beirut  und  Tripolis  erhebt  Von  Beirut  führt  ein  Fahrweg, 
von  Tripolis  führt  nur.  ein  Saumthierweg  über  dasselbe.  Die  Gipfel  haben 
nicht  die  den  Kalkgebirgen  eigenthümliche  Kegelform.  Das  Gebirge  ist 
vielfach  zerklüftet,  voll  wilder  Schluchten  und  jäher  Abgründe,  reich  an 
Quellen  und  Bächen  und  in  den  Thälern  sowie  an  den  culturfähigen 
Abhängen  von  den  fleissigen  Bewohnern,  soweit  es  möglich  ist,  ange- 
baut. Namentlich  der  dem  Meere  zugekehrte  Abhang  ist  vortrefflich 
angebaut  und  trägt  eine  grosse  Menge  von  Maulbeerpflanzungen.  Der 
Antilibanon,  Dschebel  Esch  Schark  bei  den  Arabern,  ist  durchschnitt- 
lich ebenso  breit  wie  der  Libanon,  aber  im  Allgemeinen  nicht  so  hoch, 
obwohl  sein  höchster  Punct,  der  grosse  Hermon,  sich  über  9000  Fuss 
erhebt.  Das  Thal  zwischen  beiden  Bergzügen  —  Cölesyrien,  jetzt  Beka 
—  hat  bei  den  Ruinen  von  Baalbek  seinen  Scheitelpunct,  in  dem  hier 
die  Wasserscheide  zwischen  dem  nach  Norden  abfliessenden  Orontes 
und  dem  sich  südwärts  wendenden  Leontes  ist. 

Von  den  Bewohnern  des  Gebirges  interessiren  uns  vorzüglich 
die  beiden  herrschenden  Stämme  oder  Secten  der  Drusen  und  der 
Maroniten.  Beide  leben  unter  der  Oberhoheit  der  Pforte  in  zwei  von 
einander  abgesonderten  Vasallenstaaten,  die,  unter  Kaimakamen  oder 
Emiren  stehend,  nach  Konstantinopel  Tribut  zahlen,  sonst  aber  fast 
ganz  unabhängig  sind  —  ein  Verhältniss,  welches  nach  dem  Aufstande 
von  1842,  wo  Drusen  und  Maroniten  vereint  der  türkischen  Regierung 


Syrien.  103 

die  Spitze  boten  und  bei  dem  Dorfe  Eden  nicht  fern  von  dem  berühm- 
ten Cedernhain  das  türkische  Heer  schlugen,  und  der  zweiten  Erhebung 
von  1845,  wo  die  Maroniten  den  mit  den  Drusen  verbündeten  Türken 
erlagen,  auf  Vermittelung  der  Grossmächte  festgestellt  wurde.  Indess 
sind  die  Streitigkeiten  dadurch  nicht  vollständig  erledigt. 

Die  Drusen  bewohnen  den  Süden  des  Libanon  und  fast  den 
ganzen  Antilibanon.  Sie  sollen  150,000  Köpfe  zähfen  und  können  gegen 
20,UÜU  Krieger  in's  Feld  stellen.  Ihre  Verfassung  ist  eine  Art  Demo- 
kratie, die  durch  den  EinÜuss  alter  Geschlechter  gemässigt  wird.  Die  Ver- 
treter dieser  Geschlechter  (Emirs  und  Schechs)  bilden  eine  Art  von  Land- 
ständen, welche,  zu  Dar  El  Kamr  tagend,  die  Abgaben  und  überhaupt  die 
öffentlichen  Angelegenheiten  bestimmen.  Sie  gelten  für  arbeitsam,  reinlich 
und  massig,  tapfer  und  gastfrei,  aber  zugleich  für  treulos,  rachsüchtig 
und  stolz.  Die  Blutrache  ist  ihnen  Gesetz.  Nur  Wenige  haben  mehr 
als  eine  Frau.  Ihre  Religion  ist  eine  Geheimlehre.  Als  Stifter  derselben 
gilt  der  fatimitische  Chalif  Hakera,  der  um  das  Jahr  1000  unserer 
Zeitrechnung  lebte.  Ueber  ihre  Glaubenssätze  sind  wir  noch  sehr  we- 
nig unterrichtet.  Indess  weiss  man ,  daas  sie  der  Secte  der  Ismaeliten 
beizuzählen  sind,  dass  pantheistische  Ideen  und  der  Glaube  an  Seelen- 
wanderung und  an  verschiedene  Menschwerdungen  Gottes  eine  KoUe 
darin  spielen,  endlich  dass  Reste  des  altorientalischen  Gottesdienstes, 
sowie  jüdische,  christliche  und  mohammedanische  Lehren  sich  darin 
mischen.  Priester  haben  die  Drusen  nicht:  sie  theilen  sich  nur  in  Ein- 
geweihte (Akal)  und  Uneingeweihte  (Dsiahels).  Zu  ersteren  gehören  die 
meisten  Emirs  und  Schechs,  und  es  bilden  dieselben  einen  Geheirabund, 
der  allein  die  heiligen  Bücher  besitzt  und  sich  in  geheimen  Versamm- 
lungen, zu  denen  in  gewissen  Abstufungen  auch  Weiber  zugelassen 
werden,  zum  Gottesdienst  vereinigt. 

Die  Maroniten  sind  eine  Secte,  die  im  8.  Jahrhundert  n.  Chr. 
in  Folge  der  monotheletischen  Streitigkeiten  entstand.  Ihr  erstes  Ober- 
haupt war  der  Mönch  Johannes  Maro,  der  den  Titel  eines  Patriarchen 
von  Antiochia  annahm.  Ihr  jetziger  Hauptsitz  ist  das  von  ihnen  fast 
allein  bewohnte  Kesrawan,  ein  syrischer  District  in  der  Gegend  von 
Tripolis,  doch  wohnen  auch  südlich  von  hier  sehr  viele  von  ihnen,  und 
ebenso  trifft  man  Colonien  von  Maroniten  bis  in  die  Gegend  von  Aleppo. 
Ihre  politische  Verfassung  ist  die  eines  militärischen  Freistaats.  Zum 
Zeichen  ihres  Adels  tragen  sie  den  grünen  Turban.  Sie  sind  tapfere 
Krieger  und  fleissige  Ackerbauer,  Seiden wurmzüchter  und  Winzer,  gast- 
frei und  sehr  massig.  Auch  unter  ihnen  gilt  noch  die  Blutrache.  Ihre 
Kirchensprache  ist  die  syrische,  ,im  gewöhnlichen  Leben  sprechen  sie 
indess  gleich  den  Drusen  nur  arabisch.  Sie  haben  sich  dem  Papst  un- 
terworfen und  173G  die  Beschlüsse  des  Concils  von  Trident  angenommen, 
halten  aber  doch  auf  einige  Einrichtungen,  welche  die  römisch-katho- 
lische Kirche  nicht  duldet.  Sie  folgen  dem  abendländischen  Kalender, 
beobachten  dieselben  Fasten  wie  die  katholische  Kirche,  und  feiern  jetzt 
auch  das  Abendmahl  wie  diese.  Andererseits  aber  verehren  sie  einige 
Heilige,  welche  vom   Papst   nicht   canonisirt  sind,  z.  B.  ihren  Patron 


10^  Syrien. 

Mar  Maron  und  lassen  ihre  Geistlichen  (mit  Ausnahme  der  Mönche 
natürlich)  heirathen.  Ihr  geistliches  Oberhaupt  nennt  sich  noch  jetzt 
Patriarch  von  Antiochicn,  wohnt  im  Kloster  Kanobin  auf  dem  Libanon 
und  legt  dem  Papst  alle  zehn  Jahre  Eechenschaft  von  der  maroniti- 
schen Kirche  ab.  Unter  ihm  stehen  zahlreiche  Bischöfe  und  andere 
Geistliche.  Ueberall  im  Libanon  findet  man  maronitische  Mönchs-  und 
Nonnenklöster,  die  der  Kegel  des  heiligen  Antonius  folgen.  Zur  Bildung 
ihrer  Geistlichen  besteht  seit  1584  ein  maronitisches  Collegium  in 
Eom,  uud  in  neuerer  Zeit  hat  der  Patriarch  zu  Ain  Warkah  im  Kes- 
rawau  für  dieselben  eine  Schule  errichtet,  welche  eine  der  besten  in 
Syrien  ist  und  in  der  man  auch  Lateinisch  und  Italienisch  studirt. 
Endlich  ist  zu  erwähnen,  dass  sich  in  Kascheiah,  nicht  weit  vom  Kloster 
Kanobin,  eine  Druckerei  befindet,  in  welcher  die  Maroniten  ihre  Kir- 
chenbücher drucken. 

Wir  gehen  jetzt  zu  den  interessantesten  Touren  über,  die  man 
in  Syrien  macht  und  nehmen  an,  dass  der  Reisende,  den  wir  bis  Akko 
gefüiart,  von  dort  durch  Phönizien  nach  Beirut  und  von  da  nach  Da- 
maskus geht. 

1.  Tour  von  Akko  nach  Beirut. 

Zu  der  Reise  von  Akko  nach  Beirut  bedarf  man  drei  Tage,  und 
zwar  reitet  man  (im  Karawanenschritt)  von  Akko  bis  Sur  zehn,  von 
da  bis  Saida,  dem  zweiten  Nachtquartier  neun,  und  von  dort  bis  Beirut 
acht  Stunden.  In  Sur  findet  sich  eine  schlechte  Herberge  bei  einem 
Christen,  Namens  Michael,  in  Saida  ein  grosses  lateinisches  Kloster, 
mit  dem  ein  , Hotel"  verbunden  ist, welches  indess  nur  aus  einer  dun- 
keln Stube  mit  einem  Tisch  und  drei  Pritschen  besteht.  Dörfer  trifft 
man  nur  selten,  Quellen  dagegen  in  hinreichender  Menge. 

Nachdem  man  über  die  Wasserleitung  und  die  Gärten  von  Akko 
hinaus  ist,  und  das  ziemlich  steile  Kap  Nakurah  überstiegen  hat,  kommt 
man  an  eine  Stelle,  welche  Om  El  Amid  genannt  wird,  und  wo  sich 
die  Reste  einer  Stadt  der  Urzeit  finden.  Welchen  Namen  sie  trug,  ist 
unbekannt.  Man  sieht  auf  den  Höhen  rechts  von  der  Strasse  zwei  jo- 
nische Säulen,  die  vielleicht  einem  Tempel  angehört  haben,  und  im 
Gebüsch  daneben  Häusermauern  im  sogenannten  cyclopischen  Styl.  Die 
Steine  sind  unbehauen,  schliessen  nur  lückenhaft  zusammen  und  die 
Zwischenräume  sind  mit  kleinen  Steinen  ausgefüllt.  Dazwischen  stehen 
pyramidal  geneigte  Thürpfeiler ;  namentlich  eine  Pforte,  deren  oberer 
Quersteiu  jetzt  zerbrochen  daneben  liegt,  ist  bemerkenswerth,  da  sie 
lebhaft  an  den  Eingang  zum  sogenannten  Grab  des  Agamemnon  bei 
Mykenä  in  Peloponnes  erinnert. 

Weiter  nordwärts  überklettert  man  das  Capo  Bianco,  auch  Scala 
die  Sur,  die  Treppe  von  Tyrus  genannt,  ein  steiles  Vorgebirge  von 
Kreidefelsen,  an  dessen  Abhang  sich  eine  breite  Strasse  hinauf  und 
hinab  windet,  unter  der  sich  das  Meer  mit  furchtbarer  Brandung  an 
den  Klippen  bricht.  Von  hier  sieht  man  bereits  Sur  liegen,  indess  hat 


Syrien.  105 

man  noch  mehr  als  drei  Stunden  bis  dahin.  Sur,  das  alte  Tor  oder 
Tyrus,  ist  jetzt  eine  offene  Stadt  von  etwa  7000  Einwohnern.  Es  liegt 
auf  einer  sandigen  Landzunge  und  erinnert  nicht  im  Entferntesten 
daran,  dass  hier  einst  die  reichste  Handelsstadt  des  ganzen  Mittelineeres 
stand.  Der  Hafen  ist  versandet  und  wird  nur  von  wenigen  kleinen 
Schiffen  besucht ;  die  Stadt  liegt  zum  Theil  wüst. 

Ein  Theil  von  einer  christlichen  Kirche  steht  als  Buinfe  da.  Man 
nimmt  an,  dass  sie  von  den  Christen  der  Kreuzfahrerzeit  erbaut  wurde, 
dabei  liegen  die  Trümmer  gewaltiger  Granitsäulen,  die  ursprünglich 
einem  Tempel  angehört  haben  mögen. 

Alt-Tyrus  lag  zum  grösseren  Theil  auf  dem  Festlande,  später 
zogen  sich  die  Bewohner  auf  eine  Insel,  welche  bei  der  Belagerung 
durch  Alexander  den  Grossen  durch  einen  Damm  mit  den  liande  ver- 
bunden wurde.  Auf  diesem  Damm  und  der  Nordhälfte  der  Insel  liegt 
das  jetzige  Sur.  Noch  jetzt  werden  hier  bisweilen  alte  Werkstücke  aus 
dem  Sande  gegraben,  und  am  Westufer  der  einstigen  Insel  bricht  sich 
das  Meer  an  umgefallenen  Säulen  und  Klippen,  die  wie  altes  Mauer- 
werk aussehen.  Interessant  sind  die  Eeste  aus  dem  Alterthum,  welche 
sich  ausserhalb  der  Stadt  finden.  Dahin  gehört  die  Wasserleitung  von 
Bas  El  Ain,  eine  Stunde  südöstlich  von  der  Stadt.  Dieselbe  wird  auch 
Salmnd's  Brunnen  genannt  und  bildet  an  ihren  Ende  einen  Bach,  der 
mehre  Mühlen  treibt.  Der  Aquäduct  stannnt  aus  verschiedenen  Zeitaltem 
und  läuft  auf  Bogen,  die  mit  Tropfstein  bekleidet  und  mit  Gebüschen 
bewachsen  sind,  eine  geraume  Strecke  fort  Bei  einem  kleinen  Dorfe 
wird  das  Wasser  in  einen  Behälter  gefasst.  Man  sieht  ein  grosses  vier- 
eckiges Gebäude,  das  sich  25  Fuss  über  dem  Boden  erhebt.  Dasselbe 
enthält  ein  achteckiges  Becken  von  ungeheurer  Grösse.  Die  Mauern 
bestehen  aus  kleinen  Kieseln  und  Cement,  sind  aber  so  hart  wie  Granit. 
Man  hat  gefunden,  dass  der  Behälter  unter  der  Oberfläche  mit  regel- 
mässigen Stufen  im  Durchmesser  abnimmt,  in  der  Mitte  will  man 
keinen  Grund  getroffen  haben.  Weiter  oben  sind  noch  andere  zwei 
Behälter,  ihr  Wasser  strömt  durch  einen  andern  Aquäduct  in  den  ersten. 
Dass  Salomo  diesen  Brunnen  gebaut,  um  Hiram,  den  König  von  Tyrus 
für  die  beim  Tempelbau  in  Jerusalem  geleistete  Hilfe  zu  danken,  ist 
blosse  Sage.  Man  weiss  bis  jetzt  nur,  dass  einige  Theile  des  Bauwerks 
in  die  vorchristliche  Zeit  hinausreichen. 

Eine  Stunde  nordöstlich  von  Sur  überschreitet  man  auf  einer 
spitzgewölbten  Brücke  den  von  Oleandern  umblühten,  ziemlich  breiten 
Nähr  El  Litani  oder  Leontes,  der  aus  dem  Hochthal  von  Cölesyrien 
durch  enge  Felsschluchten  herabkommt  und  in  seinem  untern  Lauf 
Aschmijeh  oder  Kaschmijeh  heisst.  Einige  Stunden  von  der  Brücke 
aufwärts  bei  dem  Castell  Schefik  (im  Mittelalter  Beifort)  finden  sich 
gewaltige  Wasserfälle  in  Klüften,  durch  die  sich  der  Fluss  hindurch- 
drängt. Die  Schlucht  ist  hier  kaum  100  Fuss  breit,  und  an  einer 
Stelle  haben  von  den  höhern  Bergen  herabgerollte  Felsmassen  sich  so 
in  die  Spalte  geklemmt,  dass  sie  eine  natürliche  Brücke  bilden.  Das 
Castell  ruht  auf  uraltem    Unterbau   mit   Fugenränderung  und  nimmt 


106  Syrien 

wahrscheinlich  die  Stelle  einer  altphönizischen  Burg  ein,  durch  welche 
die  Tyrier  oder  Sidonier  sich  den  Uebergang  in  die  Ebene  der  Jordan- 
quellen sicherten.  Das  Gebirg  wird  hier  von  den  Motuwalis  bewohnt, 
einer  20,000  Köpfe  zählenden  Secte,  die  zu  den  Schiiten  gezählt  wird, 
deren  Bekenner  aber  so  fanatisch  sind,  dass  sie  den  Krug  zerschlagen, 
aus  dem  sie  uns  Andersgläubigen  zu  trinken  geben. 

Das  alte  Tyrus  reichte  bis  an  den  Leontes,  und  die  Nekropolis 
oder  Todtenstadt  lag  sogar  noch  eine  Stunde  weiter  nördlich  und  zog 
sich  fast  bis  in  die  Haltte  des  Weges  nach  Sidon  hin.  Man  trifft  von 
ihr  noch  eine  Menge  von  Ueberresten  in  den  Felsen  rechts  vom  Wege. 
Es  sind  leere  Kammern,  meist  von  quadratischer  Form,  die  sich  nach 
den  Seiten  in  halbrunde  Nischen  vertiefen.  Dazmschen  soll  sich  in  den 
Felsen  auch  eine  jener  ägyptischen  Gedenktafeln  finden,  welche  nach 
Herodot  der  Eroberer  Sesostris  in  Syrien  zurückgelassen  hat  und  von 
denen  man  noch  eine  am  Nähr  El  Kelb  nördlich  von  Beirut  trifft. 

Eine  halbe  Stunde  nördlich  von  der  Metropole  von  Tyrus  folgt 
bei  einem  von  einem  Bogen  überspannten  Bache  die  Stätte  von  Sarepta, 
wo  Europa  von  dem  in  einen  Stier  verwandelten  Zeus  entführt  wurde, 
und  wo  der  Prophet  Elias  die  l.  Kön.  17  erzählten  Wunder  verrichtete 
(der  nicht  versiegende  Oelkrug  und  die  Jlrweckung  des  Sohnes  der 
Witwe  vom  Tode).  Von  hier  bis  Sidon  oder  Saida  sind  es  noch  vier 
Stunden.  Bei  der  Quelle  Ain  El  Kanterah  ist  in  den  dieselbe  umge- 
benden Gärten  ein  passender  Platz,  um  Mittagsrast  zu  halten. 

Saida  oder  Sidon  ist  ein  sehr  anmuthig  in  den  Gärten  gelegener 
stattlicher  Ort  mit  engen  Gassen  und  auffallend  hohen,  zum  Theil 
vierstöckigen  Häusern.  Es  soll  12,000  Einwohner  haben.  Die  Bazars 
sind  gut  versehen  und  zum  Theil  überwölbt.  Ein  malerisch  gethürmtes 
Castell,  das  nordwärts  auf  einer  Felsenklippe  im  Meer  liegt,  ist  durch 
eine  Bogenbrücke  mit  der  Stadt  verbunden.  Auf  der  Westseite  dieses 
Castells,  welches  im  Mittelalter  erbaut  wurde,  soll  man  noch  einen 
vermuthlich  altphönizischen  Unterbau  von  kolossalen  Quadern  sehen. 
Auf  der  Landseite  der  Brücke  befindet  sich  der  kleine  seichte  Hafen 
der  Stadt,  der  nur  den  Küstenfahrern  Unterkunft  gewährt,  und  über- 
haupt wenig  besucht  ist.  Sidon  ist  eine  der  ältesten  Städte  der  Welt. 
Es  hat,  nach  der  Bibel,  schon  vor  der  Erbauung  des  Babelthurms  exi- 
stirt,  und  schon  zu  Homer's  Zeit  war  es  durch  Handel,  Schiffahrt  und 
Kunstfertigkeit  berühmt.  Menelaus  schenkt  dem  Telemach  einen  sido- 
nischen  silbernen  Mischkrug  mit  vergoldetem  Eand.  Achill  setzt  bei 
den  Leichen  spielen  des  Patroklus  als  Siegespreis  einen  „von  kunstreichen 
sidonischen  Männern  geschaff'enen"  Krug  von  Silber  aus.  Ihren  Unter- 
gang fand  die  alte  Stadt  durch  die  Perser  unter  Artaxerxes.  Der  Ueber- 
muth  persischer  Statthalter  hatte  zum  Aufstand  gereizt,  und  in  Ver- 
bindung mit  dem  ägyptischen  Kebellenkönig  Nektanebo  und  zahlreichen 
griechischen  Söldnern  wurde  erst  siegreich  gekänipft,  bis  die  belagerte 
Stadt  durch  ihren  Oberbefehlshaber  Tennes  ven^athen  wurde.  Die  Si- 
donier hatten  bereits  ihre  Schiffe  verbrannt,  jetzt  verbrannten  sie  sich 
selbst  mit  Weib  und  Kind.  Der  Schutthaufen  der  Stadt  soll  des  vielen 


Syrien.  107 

geschmolzenen  Goldes  und  Silbers  wegen  von  hohem  Werth  gewesen 
sein.  Im  siebzehnten  Jahrhundert  machte  der  berühmte  Drusenemir 
Fachr  Eddin,  ein  Mann  von  europäischer  Bildung,  Saida  zu  seiner 
glanzvollen  Kesidenz. 

Der  Weg  von  Saida  nach  Beirut  führt  zunächst  am  sandigen 
Ufer  hin  und  dann  durch  eine  Fürth  des  Stromes  Nähr  El  Autoaleh, 
welcher  der  Bostrenus  des  Alterthums  ist,  und  dessen  Thal  ebenfalls 
hinauf  nach  der  Hochebene  von  Cölesyrien  geht.  Die  Abhänge  des 
Gebirges  sind  hier  voll  von  Dörfern  und  Terrassen  mit  Oliven-  und 
Feigenbäumen  und  besonders  mit  Maulbeerpflanzungen. 

Zwei  Stunden  nördlich  von  Saida  ist  der  kleine  Khan  Nebbi 
Juna,  der  Sage  nach  auf  der  Stelle  stehend,  wo  der  Fisch  den  Pro- 
pheten Jonas  an's  Land  spie. 

Weiter  nordwärts,  vor  und  hinter  dem  Khan  El  Kaldeh,  trifft 
man  viele  Grabdenkmale,  die  in  freistehenden  Sarkophagen  bestehen. 
Ihre  Seitenwände  sind  mit  Skulpturen,  Genien  und  Porträtköpfen  rö- 
mischen Styls,  Friesen  von  Triglyphen,  die  mit  Rundschilden  wechseln 
u.  A.  verziert.  Die  Deckel  haben  die  Form  von  Dächern,  lassen  aber 
ihre  vier  Ecken  in  Gestalt  eines  Halbkugelviertels  sich  wieder  aufbäumen. 
Die  meisten  sind  abgehoben  und  zerschlagen.  Wo  dies  nicht  möglich 
war,  hat  man  in  die  Seitenwände  Löcher  gebrochen,  um  die  Todten 
ihres  Schmuckes  berauben  zu  können.  Nördlich  von  El  Kaldeh  verlässt 
der  Weg  das  Ufer,  das  er  bisher  verfolgt  hat,  um  seine  rein  nördliche 
Richtung  fortzusetzen,  während  das  Gestade  sich  nach  Westen  hinaus- 
beugt und  das  sandige  Vorgebirge  Ras  Berut  bildet.  Es  ist  das  eine 
Sandwüste,  deren  Fortschritt  von  den  Gärten  der  Stadt  Beirut,  die  wir 
nun  eine  halbe  Stunde  lang  durchziehen,  nur  durch  Pinienpflanzungen 
abgehalten  wird. 

Rechts  am  Fuss  des  mit  grossen  Maronitendörfern  und  Klöstern 
besetzten  Abhanges  des  Gebirges  strecken  sich  ungeheure  Oliven- 
wälder hin. 

Beirut  hat  mehre  europäisch  eingerichtete  Gasthöfe,  und  ausser 
andern  Consuln  einen  preussischen  und  einen  österreichischen,  deren 
Wohnungen  an  den  Flaggen  erkannt  werden.  Von  den  Gasthöfen  sind 
die  beiden  zu  empfehlen,  welche  den  Namen  „Belle  vue*  führen,  und 
von  denen  der  eine,  in  der  äussern  Stadt  gegen  Süden  hin  gelegen, 
besonders  von  Engländern,  der  andere,  in  der  Innern  Stadt,  nicht  fern 
von  den  Bazars  und  dem  Hafen  befindlich,  vorzüglich  von  deutschen 
Schweizern  besucht  wird.  Im  ersteren  zahlt  man  '/,  Pfund  Sterl.,  im 
letzteren  10  Franken  täglich  (hier  mit,  dort  ohne  Wein).  Wer  länger  hier 
bleiben  will,  findet  Pensionen,  die  billiger  sind,  über  die  sich  indess, 
da  sie  ebenso  schnell  vergehen,  als  sie  entstehen,  nichts  aul  die  Dauer 
Giltiges  mittheilen  lässt.  Beirut  ist  das  altphönizische  Berji;os,  hat 
jetzt,  seit  dem  Bombardement,  welches  die  Stadt  im  letzten  türkisch- 
ägyptischen Kriege  in  einen  Trümmerhaufen  verwandelte,  ausserordent- 
lich aufgeblüht,  gegen  80,000  Einwohner,  unter  denen  sich  eine  beträcht- 
liche Anzahl  Franken  und  viele  Griechen  befinden,  und  ist  nächst  Con- 


108  Sjnrien. 

stantinopel  und  Smyrna  die  lebhafteste  und  schönste  Küstenstadt  der 
Türkei.  Es  ist  die  Hafenstadt  für  Damaskus  und  den  ganzen  Libanon 
und  durch  verschiedene  Dampferlinien  mit  Smyrna  und  Alexandrien, 
Palästina  und  Caramanien,  sowie  Ehodus  und  Cypern  verbunden.  Beirut 
hat  von  Eesten  des  Alterthums  nur  einige  zwischen  Häusern  verbaute 
römische  Säulen  und  die  Spuren  alter  Grundmauern  in  den  felsigen 
Ufern  ausserhalb  der  Stadt  aufzuweisen. 


2.    Von  Beirut  über  den  Libanon  nach  Damaskus  und  Baalbek. 

Zu  einem  Ausflug  von  Beirut  nach  Damaskus,  von  dort  nach 
Baalbek,  dann  nach  dem  Cedernhain  und  hierauf  nach  Tripolis  und  an 
der  Küste  zurück  nach  Beirut,  bedarf  man  7  bis  8  Tage,  wobei  auf 
den  Aufenthalt  in  Damaskus  2  Tage  gerechnet  sind. 

Täglich  fährt  eine  Diligence  zu  20  Personen  von  Beirut  nach 
Damaskus  und  eine  andere  zurück.  Die  Abfahrtzeit  ist  für  beide  Mor- 
gens 4  Uhr,  die  Ankunft  Abends  5  Uhr,  so  dass  also  eine  Strecke  von 
21  Meilen  in  13  Stunden  zurückgelegt  wird.  Es  wird  stets  scharfer 
Trab  oder  Galopp  gefahren  und  alle  2  Stunden  in  grösster  Schnellig- 
keit umgespannt.  Nur  an  einer  Station,  in  Stora,  am  Üstfusse  des  Li- 
banon, wird  V,  Stunden  zu  Mittag  gehalten. 

Es  gibt  in  der  Diligence  zwei  Plätze;  der  erste  zu  3  der  zweite 
zu  2  Napoleonsd'or.  Der  Verkehr  ist  ein  so  bedeutender,  dass  man 
namentlich  im  Sommer  5  bis  6  Tage  vorher  seinen  Platz  bestellen  muss. 

Leider  hat  der  Eeisende,  der  die  Diligence  benutzt,  keine  Gele- 
genheit, eine  Zwischen-  oder  Nachtstation  zu  machen.  Ein  sehr  pas- 
sender Ort  würde  Stora,  die  Mittagsstation  der  Diligence  sein.  Man 
erreicht  es  von  Beirut  nach  siebenstündiger  Fahrt  und  der  Beisende, 
der  bis  dahin  im  Wagen  eng  eingeschlossen  gesessen  hat,  bei  einer 
grossen,  tödtenden  Hitze,  würde  gerne  den  zweiten  sechsstündigen 
Theil  der  Eeise  auf  den  andern  Tag  verschieben;  dazu  kommt,  dass 
Stora  in  einem  sehr  schönen  und  interessanten  Abschnitt  der  ganzen 
Tour  liegt.  Jedoch  der  dort  etablirte  Wirth,  ein  Franzose,  hat  von  der 
Compagnie  nur  die  Erlaubniss  erhalten,  seine  Gäste  zu  speisen,  aber 
er  darf  ihnen  kein  Nachtquartier  geben,  damit  sie  gezwungen  sind,  die 
ganze  Tour  bis  Damaskus  die  Diligence  zu  benutzen. 

Jedem,  der  nicht  in  Geschäften  nach  Damaskus  reist  und  nicht 
die  Eeise  so  schnell  wie  möglich  zurücklegen  muss,  ist  zu  rathen,  es 
so  zu  machen,  wie  ich  es  gemacht  habe.  Ich  habe  die  Eeise  mit  einem 
Bekannten  zurückgelegt  und  jeder  von  uns  hatte  ein  Eeitpferd  und 
ausserdem  hatten  wir  zusammen  ein  Packpferd,  auf  dem  ein  Zelt  und 
alles  Nöthige  zur  Eeise  transportirt  wurde.  Auf  dem  Packpferd  sass  der 
Diener,  der  uns  und  die  Pferde  bediente.  Ein  Zelt  bekommt  man  hier 
zu  Lande  in  jedem  grösseren  Orte  zu  kaufen,  in  der  Eegel  für  den 
Preis  von  10  Pfd.  St.  und  wenn  man  es  benutzt  hat,  was  ein  halbes 
Jahr  lang  dauern  kann,  verkauft   man   es  wieder   mit   einem  geringen 


Syrien.  109 

Verlust.  In  Storn  wurde  danu  das  Zelt  aufgeschlagen,  übernachtet  und 
am  andern  Tage  mit  Sonnenaufgang  weiter  geritten.  Auf  diese  Weise 
habe  ich  die  Reise  viel  billiger,  unstreitig  interessanter  und  bedeutend 
weniger  anstrengend  zurückgelegt.  Die  Strasse,  welche  jetzt  von  Beirut 
über  den  Libanon  nach  Damaskus  führt,  ist  in  ganz  Syrien  und  Palä- 
stina die  einzige  Fahrstrasse  und  wurde  von  den  Grafen  Pertius,  Vater 
und  Sohn,  gebaut  und  im  Frühjahr  1863  in  ihrer  ganzen  Länge  dem 
Verkehr  übergeben.  Jeder  übrige  Verkehr  im  Gebirge  findet  ausserhalb 
derselben  heute  noch,  wie  vor  1000  Jahren,  auf  Eseln,  Pferden,  Maul- 
thieren  und  Kameelen  auf  den  schmälsten,  oft  nur  fassbreiten  Pfa- 
den statt. 

Jeder  Fuss-  oder  Schleichweg  in  einem  deutschen  Gebirge  ist 
in  einem  bessern  Zustande,  als  diese  Strassen,  auf  denen  der  allein 
schon  durch  seine  Seiden-  und  Leinenstoffe  so  reiche  Verkehr  in  und 
über  dem  Libanon  stattfindet.  Es  lässt  sich  darnach  ermessen,  welch' 
eine  Wohlthat  eine  fahrbare,  gute  Strasse  für  jenes  Land  ist.  Die 
Strasse  führt  zunächst  von  Beirut  aus  durch  das  schmale  Vorland,  das 
sich  längs  des  Meeres  bis  nördlich  Beirut  hinzieht  und  das  mit  üppigen 
Obstgärten  und  Feldern  reich  angepflanzt  ist.  Schon  nach  l  Stunde 
Weges  beginnt  das  Aufsteigen.  Die  Strasse  geht  in  einer  Schlangenlinie 
von  einer  Höhe  zur  andern,  immer  eine  herrliche  Aussicht  auf  das 
untere  Stufenlaud  bietend,  die  sich,  je  höher  man  steigt,  immer  mehr 
erweitert.  Sie  fährt  über  den  Knissepass  am  Fusse  des  Berges  gleichen 
Namens  (Kirchberg)  Hier,  von  dem  höchsten  Puncto  der  Strasse,  hat 
man  einen  letzten  Blick  den  Libanon  abwärts,  der  mit  seinen  terrassen- 
förmigen Abfällen  allmälig  bis  zum  Fusse  und  seinem  vorliegenden 
Küstenlande,  je  weiter  desto  mehr,  in  der  Luft  verschwimmt,  bis  die 
dunkelblaue  Fläche  des  Meeres  die  Küste  in  scharfer  Zickzacklinie 
abgrenzt.  Die  Strasse  führt  nun  horizontal  in  einigen  Windungen  an 
dem  Fuss  der  höchsten  Gipfel  entlang.  Kechts  die  Berglehnen  und  links 
ein  unheimliches  zerrissenes  Felsenthal.  Da  wendet  sich  aber  die  Strasse 
und  ein  ganz  neues  Bild,  welches  den  Reisenden  so  überrascht,  dass 
er  unwillkürlich  die  Zügel  seines  Pferdes  anzieht,  stellt  sich  ihm 
dar:  der  Pass  ist  durchschritten  und  man  steht  am  obern  Rande  des 
Ostabhanges  des  Libanon.  Vor  den  Augen  ist  das  Bergland  verschwun- 
den, und  in  einer  Tiefe  von  einigen  tausend  Fuss  breitet  sich  die 
%uchtbare  Ebene  der  Bekaa  aus,  ein  grünes  weites  Feld,  auf  dem  die 
Bewohner  bei  den  verschiedensten  landwirthschaftlichen  Arbeiten  thätig 
sind.  Dörfer  liegen  zerstreut  hier  und  da.  Dieses  Bild  der  Ruhe  und 
des  Friedens  fesselt  um  so  mehr,  da  es  gar  nicht  zu  dem  Charakter 
des  Libanon  gehört,  welcher  mit  wenigen  Ausnahmen  —  nur  wilde 
und  zerrissene  Zerklüftungen  hat. 

In  kurzen  Windungen  steigt  die  Strasse  den  steilen  Ostabhang 
in  die  Bekaa  hinab  und  führt  zwei  Stunden  durch  die  culturreiche 
Ebene,  worauf  sie  sich  in  das  schroffe  schluchtenreiche  Gebirge  des 
Antilibanon,  welches   an   diesen  Stellen  gänzlich  ohne  Cultur  ist,  ver- 


110  Syrien. 

liert.  Die  Nähe  von  Damaskus  ist  gekennzeichnet  durch  das  Wieder- 
erscheinen der  Vegetation  und  der  Cultur.  Das  letzte  Thal,  durch  das 
man  kommt,  ist  von  hohen  Felsen  eingeschlossen,  aber  zum  Ergötzen 
der  Eeisenden  ist  der  Weg  begleitet  von  dem  Rauschen  des  herrlichen 
Barradaflusses,  dessen  sprudelndes,  klares  Nass  ganz  Damaskus  mit 
Wasser  versieht.  Der  letzte  Abfall  der  Berge  zu  beiden  Seiten  der 
Strasse  heisst  ßabue,  d.  h,  Säge,  so  genannt,  weil  die  Seitenansicht 
des  Abfalles  die  Gestalt  einer  Säge  hat;  der  Eeisende  tritt  aus  der 
Umgebung  des  Gebirges  und  vor  ihm  liegt  die  altberühmte,  die  heilige 
mohammedanische  Stadt,  umgeben  von  den  schönsten  und  üppigsten 
Obstgärten,  von  welchen  der  Eeisende  gleich  beim  Eintritt  in  die  Stadt 
einen  herrlichen  Eindruck  empfängt.  Es  ist  Damaskus,  die  , Paradies- 
duftige",  das  , Muttermal  auf  der  Wange  der  Welt",  das  „Gefieder 
der  Paradiesespfauen",  das  „Halsband  der  Schönheit",  wie  die  Stadt 
von  den  überschwänglichen  arabischen  Geographen  bezeichnet  wird. 
Nach  einer  Stunde  etwa  kommt  man  an  die  ersten  Gärten,  dann  zwischen 
den  Lehmmauern  vielgewundener  Strassen  hindurch  nach  dem  griecbi- 
schen  Gasthof  (Preis  '4  Pfund  Sterl.  per  Tag),  der  alle  Bequemlich- 
keiten des  europäischen  Lebens  mit  orientalischem  Luxus  verbindet, 
und  der  deshalb  von  den  Reisenden  jetzt  fast  ausschliesslich  besucht 
wird,  während  man  früher  im  lateinischen  Kloster  Herberge  nahm. 

Damaskus,  arabisch'Diraeschk  genannt,  ist  eine  Stadt  von  min- 
destens 200,000  Einwohnern,  unter  denen  etwa  10,000  Christen  und 
5000  Juden  sind.  Es  hat  über  zweihundert  Moscheen  und  gilt  den  Ara- 
bern für  eines  der  vier  irdischen  Paradiese.  (Die  andern  drei  sind 
Obolla  in  Chaldäa,  Scheb  Baoran  in  Persien  und  Sogdiana  oder  das 
Thal  von  Samarkand.)  Mohammed  schätzte  die  Stadt  dreimal  selig, 
weil  die  Engel  über  sie  die  Fittiche  gebreitet  haben,  und  soll  bei 
ihrem  Anblick  sie  nicht  eingenommen  haben,  weil  dem  Menschen  nur 
ein  Paradies  bestimmt  sei,  und  er  das  seine  im  Himmel  finden  werde. 
Auf  den  ersten  Anblick  scheint  solch  ein  Lob  nicht  zu  überschwänglich ; 
kommt  man  aber  in  die  Gassen,  so  wird  man  beim  Anblick  ihrer  Enge 
und  ihres  Schmutzes,  sowie  der  grauen  Lehmwände,  welche  die  Häuser 
dem  Wege  zukehren,  andern  Sinnes.  Hat  man  dann  wiederum  Gelegen- 
heit, ausser  dem  Hotel  ein  anderes  grösseres  Haus  im  Innern  zu  sehen 
(wozu  die  hier  befindlichen  Consuln,  die  selbst  sehr  schön  wohnen,  gern 
behilflich  sind),  so  wird  man  wieder  zu  seinem  ersten  Urtheil  zurück- 
geführt und  preist  sich  glücklich,  die  Reise  hierher  unternommen  m 
haben;  denn  man  sieht  das  Morgenland  hier  in  seinem  vollen  bunten 
märchenhaften  Glänze  und  weniger  wie  irgendwo  in  dieser  Entfernung 
von  der  Küste  mit  europäischem  Wesen  und  Treiben  gemischt.  Da- 
maskus verdankt  seine  Gartenpracht  einzig  dem  Baradas,  einem  Flusse, 
der  südlich  von  der  Stadt  in  die  grosse  Ebene  tritt  und  die  Stadt  dann 
in  sieben  Armen  durchströmt,  um  sich  zuletzt  in  einen  kleinen  See  zu 
verlaufen.  Es  ist  der  Chryäorrhoas  des  Alterthums,  der  vielgepriesene 
Farfar  der  Dichter  des   Morgenlandes. 

Ausser   dem   norddeutschen  und    österreichischen   Consul  leben 


WMmim^\■m^^^\M^  i'  'iniiüiii;  ,.;i,r;:;ti~:^;iiirTi!Pi!W¥"i 


5 


iliiCI:  h  llülilutiilii'.i  jM^i^ 


Syrien.  111 

in  Damaskus  noch  nnehre  Deutsche,  von  denen  sich  Viele  durch  Gast- 
freundschaft gegen  ihre  Landsleute  auszeichnen. 

Die  Stadt  gehört  zu  den  ältesten  Städten  der  Welt.  Nach  der 
Sage  der  orientalischen  Christen  wurde  Adam  aus  der  röthlichen  Erde 
dieser  Gegend  gebildet,  und  auf  dem  benachbarten  Berge  Kasiun 
erschlug  nach  der  Legende  Kain  seinen  Bruder  Abel.  Endlich  zeigt 
man  nicht  fern  von  dem  einen  Thor  die  Stelle,  wo  Paulus  bekehrt 
wurde,  und  die  jetzt  von  den  Christen  nach  dem  Apostel  benannte 
Strasse  soll  ,die  richtige"  der  Apostelgeschichte  sein,  unter  den  Mo- 
scheen der  Stadt  zeichnet  sich  die  der  Ommajaden  durch  ihre  sieben 
Thürme,  ihre  Grösse  und  ihre  schöne  Architektur  aus.  Sie  steht  an 
der  Stelle  einer  von  Kaiser  Heraclius  erbauten  Johanniskirche,  und 
man  verwahrt  in  ihr  das  Exemplar  des  Koran,  welches  im  Besitz  des 
dritten  Chalifen  Othman  war,  der  hier  ermordet  wurde.  Vierzig  Jahre 
nach  dem  Untergang  der  Welt  soll  in  dieser  Moschee  noch  zu  Allah 
gebetet  werden.  Merkwürdig  ist  ferner  das  mit  mehren  Thürmen  ver- 
sehene, aus  der  Zeit  der  Kreuzzüge  stammende  Schloss,  welches  jetzt 
als  CitadoUe  dient.  Sehr  interessant  sind  endlich  mehre  der  grossen 
Khans,  in  denen  die  Kaufleuto  von  Damaskus  ihre  Waaren  aufstapeln. 
Die  berühmten  Säbelfabriken  sind  nicht  mehr  vorhanden.  Dagegen  ver- 
fertigen die  Einwohner  noch  immer  schöne  Seidenstoffe,  Stickereien, 
Teppiche,  Glas-  und  Lederwaaren.  Auch  treiben  sie  beträchtlichen  Han- 
del mit  diesen  Erzeugnissen,  sowie  mit  Oel,  Baumwolle  und  einge- 
machten Früchten.  Berühmt  sind  die  stark  duftenden  Damascenerrosen, 
aus  denen  man  hier  Eosenöl  bereitet,  und  die  Damascenertrauben, 
welche,  am  Stock  getrocknet,  die  besten  Rosinen  geben.  Die  Moslemin 
von  Damaskus  gelten  für  sehr  fanatisch,  und  es  ist  hier  fast  unmöglich, 
Zutritt  in  eine  der  Moscheen  zu  erlangen. 

Es  sind  weniger  einzelne  Merkwürdigkeiten,  welche  die  Tour 
nacli  Damaskus  lohnen,  als  das  raorgenländische  Leben  auf  den  Strassen 
und  in  den  Häusern.  Besonders  lohnend  ist  ein  Gang  durch  die  Ba- 
zare,  in  denen  die  einzelnen  Gewerbszweige  wie  in  allen  orientalischen 
Städten  ihre  Läden  und  Werkstätten  bei  einander  haben.  Im  Bazar  der 
Goldarbeiter  sieht  man  sehr  geschmackvolle,  reich  mit  Edelsteinen  be- 
setzte Arbeiten.  Anderswo  blitzen  Reihen  von  Läden  von  krummen 
Säbeln,  eingelegten  Flinten  und  Pistolen ,  Dolchen  und  Yatagans. 
Die  Kleiderhändler  bieten  seidene  und  wollene,  mit  Gold-  und  Sil- 
berfäden in  phantastischen  Mustern  durchwirkte  Stoffe,  Mäntel  und 
Röcke  feil.  Die  Beduinen'der  Wüste  ttnden  hier  ihre  rauhhaarigen,  was- 
serdichten Abajen,  türkische  Beamte  ihre  europäisch  geformten  Uni- 
formen. Im  Bazar  der  Schuhmacher  trifft  man  Hunderttausende  von 
hellgelben  Ledersocken  und  ebenso  viele  rothe  Schnabelschuhe.  Wieder 
in  einer  andern  Bazarstrasse  werden  Tschibbuks  und  Nargilehs  feil- 
geboten. Besonders  schön  sind  die  kunstreichen,  mit  Silberbeschlägen, 
Gold-  und  Silberstickereien  und  anderen  Zierrathen  bedeckten  Arbeiten 
der  Sattler.  Sehr  reich  endlich  ist  die  Auswahl  von  Teppichen,  von 
Spezereien  und  wohlriechenden  Essenzen.  Zur  Seite  laden  Kafieehäuser 


112  Syrien. 

an  plätschernden  Springbrunnen  zum  Niedersitzen  ein,  wo  man  den 
braunen  Trank  Arabiens  oder  Scherbet,  gekühlt  mit  Schnee  vom  Liba- 
non, trinkt.  Hier  und  da  geht  man  an  einem  der  grossen  Khans  vorbei, 
von  denen  der  eine,  Asad  Paschas  Khan,  mit  einer  ungeheuren  Kuppel 
überwölbt  ist.  Man  sieht  einen  Hof  mit  Marmor  gepflastert,  in  welchem 
Springbrunnen  rauschen,  und  um  den  sich  in  mehren  Stockwerken  die 
im  prächtigsten  Sarazenenstyl  erbauten  Lagerräume  und  Läden  der 
grösseren  Kaufleute  reihen.  In  jenem  grössten  von  diesen  Gebäuden 
sollen  2000  Kameele  und  doppelt  so  viele  Menschen  Raum  haben,  und 
es  drängen  sich  hier  die  Karawanen,  welche  nach  Aleppo  und  durch 
die  grosse  Wüste  nach  Bagdad  ziehen. 

Zu  erwähnen  ist  noch,  dass  in  Damaskus  auch  Abdelkader,  der 
Beduinenheld  von  Algerien,  lebt,  und  dass  es  nicht  schwer  hält,  von 
ihm  empfangen  zu  Averden.  Er  wohnt  in  einem  kleinen  Hause  und  ist 
sehr  einfach  eingerichtet,  indem  er  das  Jahrgehalt,  welches  ihm  Frank- 
reich zahlt,  meist  für  schöne  Pferde  und  Frauen  ausgibt.  Wir  bemer- 
ken, dass  man  seinem  Diener  für  den  Besuch  ein  Bakschisch  zahlt,  zu 
dem  ein  Napoleon  hinreicht.  Ein  Sovereign  wird  indess  lieber  gesehen. 
Auch  pflegt  Abdelkader  seinem  Gast  in  der  Regel  ein  Geschenk  zu 
machen,  welches  natürlich  mit  einem  andern  von  gleichem  Werthe  zu 
erwiedern  ist  und  oft  für  einen  Reisenden  keinen  VVerth  hat. 

Wir  schliessen  unsere  Bemerkungen  über  Damaskus  mit  einem 
kurzen  Blick  auf  die  wechselvolle  Geschichte  der  Stadt.  Dameschek 
existirte  bereits  zu  Abrahams  Zeit.  Später  war  es  die  Hauptstadt  eines 
kleinen  syrischen  Königreichs,  welches  von  David  unterjocht  wurde, 
weil  sein  Beherrscher  dem  König  von  Zoba  Hilfe  geleistet  hatte.  Unter 
Salomo  machte  es  sich  wieder  unabhängig.  Den  höchsten  Glanz  erreichte 
das  alte  Damaskus  unter  dem  König  Hasael,  der  sowohl  gegen  das 
Reich  Juda,  als  gegen  Israel  glücklich  kämpfte,  doch  schon  dessen 
Sohn  Benhadad  wurde  wieder  den  Königen  von  Israel  tributpflichtig. 
Um  800  V.  Chr.  ging  das  damascenische  Reich  durch  die  Assyrer  unter, 
indess  behielt  die  Stadt  ihre  Bedeutung  durch  ihre  günstige  Lage  für 
den  Handel.  Nach  Alexanders  des  Grossen  Sieg  über  Persien  gerieth 
Damaskus  mit  ganz  Syrien  in  dessen  Gewalt,  und  nach  dem  Tode  des- 
selben fiel  es  den  Seleuciden  zu,  welche  zu  Autiochia  residirten.  64  v. 
Chr.  kam  es  unter  die  Botmässigkeit  der  Römer,  welche  es  durch 
eigene  Könige  regieren  Hessen,  unter  denen  die  Stadt  von  Neuem  auf- 
blühte. Später  wurde  Damaskus  dem  oströmischen  Reich  einverleibt 
und  Sitz  eines  christlichen  Bischofs.  632  nach  Chr.  aber  nahm  es  der 
Chalif  Omar  nach  zweimonatlicher  Belagerung  ein.  Omar  residirte  ab- 
wechselnd hier  und  in  Mekka.  Der  Chalif  Moawijja,  der  Stammvater 
der  Omajadendynastie,  verlegte  den  Sitz  des  Chalifats  ganz  hierher,  und 
seine  Nachkommen  sowie  die  Abassiden  residirten  von  660  bis  753  hier,  bis 
Almansor  Bagdad  zu  seiner  Residenz  wählte  Von  da  an  wurde  Damaskus 
durch  Statthalter  verwaltet,  von  denen  mehre  ein  eigenes  Sultanat  be- 
gründeten. So  wurde  es  der  Sitz  der  Tuluniden  im  IX.,  der  Fatimiden  im 
X.,  der  Seldschucken-Dynastie  im  XI.  Jahrhundert.  Während  der  Kreuz- 


Syi-ien.  113 

Züge  wurden  heftige  Kämpfe  um  den  Besitz  der  Stadt  geführt.  Im 
Jahre  1154  von  Nureddin  erobert  und  mit  Aleppo  und  Aegypten  zu 
einem  Reiche  vereinigt,  kam  Damaskus  nach  Nureddins  Tod  in  die 
Gewalt  Öaladins,  der  von  hier  aus  das  christliche  Königreich  Jerusalem 
unterwarf.  1401  erschienen  Timur  Lengs  Mongolen  vor  der  Stadt,  nah- 
men sie  ein  und  zerstörten  sie  last  ganz ;  doch  wurde  sie  sehr  bald 
wieder  aufgebaut.  Später  waren  die  Mamelucken  als  Beherrscher  Aegyp- 
tens  auch  HeiTen  von  Damaskus,  bis  es  im  Jahre  1516  dem  türkischen 
Sultan  Selim  I.  gelang,  Stadt  und  Gebiet  denselben  zu  entreissen,  seit 
welcher  Zeit  ein  türkischer  Statthalter  hier  die  Regierung  übte.  Iö32 
eroberte  es  Ibrahim  Pascha  für  Mehmed  Ali,  welcher  letzte  es  jedoch 
schon  1840  der  Pforte  zurückgeben  musste. 

Von  Damaskus  geht  jedes  Jahr  am  Ende  des  Monats  Ramadan 
die  grosse  Mekka-Karavane,  zu  der  sich  alle  Pilger  der  nördlichen 
Provinzen  der  Türkei  vereinigen,  ab.  Ausserdem  bricht  jedes  Jahr  drei- 
mal eine  Karavane  nach  Bagdad  und  jeden  Monat  zwei-  bis  dreimal 
eine  Karavane  nach  Aleppo  auf.  Der  Wege  von  hier  nach  Jerusalem 
geht  zunächst  anderthalb  Tage  durch  wüste  Gegenden,  dann  um  den 
Fuss  des  grossen  Hermon  herum  nach  den  Quellen  des  Jordan  und 
dem  kleinen  See  Merom,  und  von  da  über  Tiberias  und  Nablus  weiter. 
Eine  Tour  durch  die  Wüste  nach  den  Rttinen  von  Pahm/ra  erfordert 
eine  sehr  ausdauernde  Natur  und  (da  allein  das  unbedingt  nothwendige 
Beduinengeleit  mindestens  50  Napoleons  beträgt,  wofür  noch  immer 
keine  voUkomraone  Sicherheit  vor  Räubern  erkauft  wird^  Geldkräfte, 
über  die  wenige  Reisende  zu  verfügen  haben,  wesshalb  wir  das  Nähere 
über  einen  solchen  Ausflug  übergehen. 

Von  Damaskus  aus  pflegt  man  in  der  Regel  zaerst  Baalbek 
und  dann  die  Cedern  des  Libanon  zu  besuchen.  Der  Weg  nach  Baal- 
beck erfordert  zehn  bis  elf  Stunden,  und  führt  zunächst  über  den  Berg 
Kasiun,  dann  durch  die  Schluchten,  welche  der  Barada  in  die  Felsen 
gewühlt  hat,  und  zuletzt  über  die  oft  noch  im  Mai  mit  Schnee  bedeckten 
Höhen  des  Antilibanon,  etwa  nach  der  Mitte  der  Längenfurche  zwischen 
diesem  und  dem  Libanon.  Hier,  auf  der  Wasserscheide,  zwischen  dem 
Nähr  El  Asi  (Orontes)  und  dem  Nähr  El  Litani  (Leontes),  liegen  nicht 
fern  von  einem  Städtchen,  an  dem  ein  Bach  vorüberfliesst,  Ruinen, 
welche  zu  den  grossartigsten  der  Welt  gehören. 

Man  hat,  ohne  einen  vollständigen  Beweis  führen  zu  können, 
angenommen,  dass  die  Stadt  Baalbek  oder  Heliopolis  von  Salomo 
erbaut  Avorden  sei,  indem  man  meinte,  dass  das  im  A.  T.  als  von  diesem 
Herrscher  gegründet  bezeichnete  Barlath  dieses  Baalbek  sei.  Wir  wissen 
aber  aus  Josephus,  dass  Barlath  im  Lande  der  Philister  lag.  Möglich 
dagegen  ist,  dass  der  Prophet  Arnos  die  Sonnenstadt  Baalbek  nennt, 
wenn  er  vom  Götzendienst  in  der  Ebene  Avan  spricht.  Der  Styl  der 
Ruinen,  welche  in  einem  grossen  und  einem  kleinern  Tempel  bestehen, 
scheint  griechisch-römisch  zu  sein.  Richtiger  aber  werden  die  Trümmer 
von  Braun  als  „eine  lateinische  Uebersetzung  oder  Ergänzung  altsy- 
rischer  Formen"    bezeichnet.    Man  thut   wohl,    die    Betrachtung   der 


114  Syrien. 

Boincn  mit  der  Ostseite  zu  begiunen.  Dort  war  <iie  Vorderfront  des 
ganzen  Baues,  eine  breite  Säulenhalle  von  zwölf  Säulen,  deren  Fuss- 
gestelle  noch  jetzt  stehen,  weil  eine  neuere  Mauer  sie  aufgenommen 
hat.  Die  breite  Treppe,  die  einst  herauflFührte,  ist  verschwunden.  Zu 
beiden  Seiten  der  Halle  waren  vierseitige,  geschlossene  Flügel,  die  aussen 
mit  korinthischen  Pilastern  geschmückt  sind  und  aus  welchen  die  Sara- 
zenen Festungsthürme  gemacht  haben.  Durch  die  Rückwand  der  Halle 
tritt  man  in  einen  secllsseitigen  mit  Kammern  gesäumten  Hof.  Die 
Breite  jeder  seiner  sechs  Seiten,  also  auch  die  Breite  derjenigen,  mit 
welcher  er  sich  dem  Bücken  der  Vorhalle  anschliesst,  ist  geringer  als 
diese  letztere,  so  dass  deren  Flügel  oder  Thürme  ihn  rechts  und  links 
überragen.  Aus  diesem  sechsseitigen  Hofe  gelangt  man  in  einen  bei 
Weitem  grösseren  vierseitigen,  der  rechts  und  links  noch  weiter  sich 
ausdehnt,  als  selbst  die  Vorhalle  mit  ihren  Flügeln.  Er  ist  allenthal- 
ben mit  abwechselnd  viereckigen  und  lialbrunden,  nach  vom  offenen 
Kammern  gesäumt.  Diese  Kammern  hatten  am  Eingang  Säulen  aus 
ägyptischem  Granit,  welche  jetzt  fehlen,  indem  sie  zum  Theil  zer- 
trümmert umherliegen,  theils  in  die  ruinenhafte  Moschee  des  Städt- 
chens verbaut  sind.  Die  halbrunden  Räume  des  Hofes  haben  im  Innern 
Rnndbogennischen,  zwei  übereinander,  zwischen  korinthischen  Pilastern. 
Diese  Nischen  scheinen  für  Bildsäulen  bestimmt  gewesen  zu  sein.  Die 
gestreckten  viereckigen  Räume  zwischen  diesen  halbrunden  Kammern 
sind  gleichfalls  mit  Pilastern  bezeichnet,  von  denen  immer  eine  obere 
Ordnung  auf  dem  Kopf  der  untern  steht.  Der  grosse,  viereckige  Hof 
ist  nur  nach  der  Seite  offen,  an  der  sich  in  der  Mitte  der  grosse  Tem- 
pel anschlos.s,  welcher  nur  die  Breite  des  ersten  sechseckigen  Hofes 
hatte.  Er  hatte  in  der  Front  zehn,  an  den  beiden  Seiten  rechts  und 
links,  wie  es  scheint,  neunzehn  Säulen.  Das  geht  aus  den  noch  sicht- 
baren Fussgestellen  hervoj;  denn  von  den  Säulen  selbst  stehen  nur 
noch  sechs  aufrecht.  Diese  letzteren,  welche  ihr  Steingebälk  noch 
tragen,  sind  ohne  dieses  70,  mit  diesem  72  Fuss  hoch  und  haben  unten 
einen  Durchmesser  von  8'/,,  oben  einen  solchen  von  5'/j  Fuss.  Sie 
bestehen  jede  nur  aus  drei  Stücken  und  sind  aus  ägyptischem  Granit 
gemeisselt.  Eine  Anzahl  anderer  gleichgrosser  liegen  zerfallen  auf  dem 
Boden  umher.  Die  Ordnung  ist  die  korinthische,  und  zwar  gehören  die 
Säuleu  mit  ihren  im  Verhältnisa  zum  Schaft  zu  wenig  starken  Kapi- 
talen der  Zeit  des  Verfalls  dieses  Styles  an.  Der  Tempel  ist  vollendet 
gewesen,  sonst  hätte  man  nicht  ihm  zur  Seite,  links  an  die  Südwest- 
ecke des  vierseitigen  Hofes,  später  ein  neues  Stück  zu  der  Terrasse 
gefügt,  auf  der  sich  die  Ruinen  erheben,  und  auf  diesen  tieferen  Grund, 
der  die  Symmetrie  der  Anlage  stört,  einen  weniger  kolossalen  Tem- 
pel gestellt,  parallel  mit  dem  grossen,  der,  wie  noch  hinzuzufügen,  mit 
der  Vorhalle  und  den  beiden  Höfen  eine  Länge  von  ungeföhr  tausend 
Fuss  hat. 

Auf  jenem  zweiten,  kleineren  Tempel  dürfte  es  zu  beziehen  sein. 
wenn  wir  lesen,  dass  der  römische  Kaiser  Antoninus  in  Syrien  einen 
Jttpitertempd  baute,  der  ein  Weltwunder  war.  Einen  Tempel  des  Ju- 


Syrien.  115 

piter  nämlich  deuten  die  Darstellungen  über  seiner  noch  ziemlich  gut 
erhaltenen  Flankenhalle  an,  derselben,  welche  der  höheren  Terrasse 
des  grossen  Tempels  zugekehrt  ist.  In  den  dortigen  Deckenfeldern, 
von  denen  sich  noch  einige  oben  befinden,  während  andere  herabge- 
stürzt sind,  trifft  man  unter  Anderm  Leda  mit  dem  Schwan,  Ganymed, 
vom  Adler  entführt.  Der  grosse  Tempel  aber  wird  dem  Baal  Schemesch, 
dem  syrischen  Sonnengott  geweiht  gewesen  sein,  und  auf  ihn  bexog 
sich's,  wenn  Baalbek  einst  Heliopolis  genannt  wurde. 

Der  zweite  Tempel  ist  besser  erhalten  als  der  grössere.  Er  ist 
225  Fuss  lang  und  120  Fuss  breit.  Dreissig  jetzt  zertrümmerte  Stufen 
führten  nach  der  Plattform,  die  ihn  trägt,  empor;  neben  der  obersten 
Stufe  befanden  sich  rechts  und  links  15  Fuss  hohe  Piedestale,  auf 
denen  Bildsäulen  standen.  Um  ihn  herum  lief  ein  Peristyl,  der  auf 
den  Längenseiten  fünfzehn,  auf  den  schmalen  acht  Säulen  hatte.  An 
der  Ostseite  waren  nach  innen  noch  acht  Säulen  angebracht,  welche 
die  Vorhalle  bildeten.  Die  Höhe  der  noch  aufrecht  stehenden  dreizehn 
Säulen  beträgt  40  Fuss.  Das  auf  ihnen  ruhende  Steingebälk  ist  mit 
der  Cella  durch  Platten,  in  deren  Mitte  sich  Sechsecke  befinden,  ver- 
bunden, die  mit  Basreliefs,  welche  jetzt  bis  auf  jene  Leda  und  jenen 
Ganymed,  völlig  unkenntlich  geworden  sind,  geschmückt  waren.  Die 
Sarazenen  haben,  indem  sie  die  Trümmer  von  Baalbek  in  eine  Festung 
verwandelten,  die  Vorderseite  dieses  Tempels  durch  Festungsmauem 
verbaut  und  ihre  Zinnenmauer  an  der  Aussenseite  selbst  auf  dem  Stein- 
gebälk über  den  Säulen  herumgeführt.  Nur  durch  Klettern  über  zer- 
fallene Säulen  und  kolossale  Mauerquadem  kommt  man  zu  dem  Tempel 
empor,  und  man  muss  durch  ein  enges  Loch  schlüpfen,  wenn  man  zu 
dem  grossen  Prachtportal  des  Heiligthums  gelangen  will.  Dieses  Portal, 
das  mit  einem  reichen  Omamentenband  gesäumt  ist,  ist  wohl  das  gross- 
artigste auf  Erden.  Die  zu  ihm  liihrende  Vorhalle  ist  tief  und  lässt 
nur  die  Breite  desselben,  21  Fuss,  sehen.  Die  steinernen  Seitenpfeiler 
des  Portals  sind  Monolithen  und  mit  schön  gemeisseltem  Blumenwerk 
verziert.  Der  Schluss-Stein  des  Thorgewölbes  hängt  scheinbar  nur 
ganz  lose  noch  oben  und  bedroht  den  Eintretenden  mit  plötzlichem 
Niedersturz.  Auf  dem  Blocke  erkennt  man  einen  Adler,  der  auf  dem 
Kopf  einen  Federbusch  und  in  den  Krallen  eine  Schlange  hat.  Von 
seinem  Schnabel  gehen  Blumenketten  aus,  die  mit  jetzt  kaum  noch 
erkennbaren  Gestalten  von  Genien  zusammenhängen.  Treten  wir  in 
das  Innere  des  Tempels,  die  Cella,  die  hoch  mit  Schutt  angefüllt  ist, 
so  bemerken  wir,  dass  sie  —  gleich  dem  Parthenon  in  Athen  —  keine 
Decke  hatte.  Die  Seitenwände  sind  mit  kannelirten  Halbsäulen  korin- 
thischen Styls  geschmückt,  zwischen  denen  sich  eine  doppelte  Nischen- 
reihe hinzieht.  Die  im  Hintorgrund  vorspringenden  Piedestale  lassen 
schliessen,  dass  sich  in  ihnen  Statuen  befanden.  Die  Nischen  zu  ebener 
Erde  sind  halbrund  oder  muschelförmig,  die  symmetrisch  sich  öffnen- 
den haben  einen  dreieckigen  Giebel.  Die  Länge  der  Cella  beträgt  90, 
die  Breitu  etwa  70  Fuss. 

Treten   wir  wieder  hinaus  duroh  das  Portal  und  das  Loch  in 


116  Syrien, 

der  sarazenischen  Mauer  davor,  so  stehen  wir  vor  einem  hübschen  Qaa- 
derthurm,  der  zu  den  Bauten  gehört,  mit  denen  die  Araber  die  Tem- 
pelruinen zur  Burg  umwandelten,  üeber  seinem  Eingang  nach  dem 
Hofe  zu    findet  man  ein  zierliches  Tropfsteingewölbe 

Endlich  ist  noch  des  kleinen  runden  Tcmpelchens  zu  gedenken, 
das  sich  in  einiger  Entfernung  von  hier  befindet,  und  welches  im 
Mittelalter  gleich  dem  zuletzt  geschilderten  als  Kirche  benutzt  wurde. 
Die  Cella  hat  acht  korinthische  Säulen,  zwischen  denen  sich  Nischen 
öffnen.  Im  Innern  trifft  man  zwei  Reihen  von  Säulen,  von  denen  die 
eine  der  korinthischen,  die  andere  der  jonischen  Ordnung  angehört. 
Die  Wände  sind  zerborsten  und  durch  das  eingesunkene  Dach  schaut 
der  Himmel  herein. 

Kehren  wir  zu  der  Terrasse  zurück,  welche  den  grossen  Tempel 
trägt.  80  bemerken  wir,  dass  der  ganze  viereckige  Hof  dieses  Bauwerks 
ganz  so  wie  die  Südseite  des  Tempelplatzes  in  Jerusalem  auf  (iewölben 
ruht.  Wir  können  in  den  Tunnel  eintreten,  der  sich  zwischen  den  beiden 
Tempeln,  dem  höher  und  dem  tiefer  stehenden,  öffnet  und  unter  der 
ganzen  südlichen  Längenseite  des  Hofes  hindurchführt.  Wie  wir  be- 
merkten, überragt  der  grosse  zweite  Hof  mit  seiner  Breite  nach  beiden 
Seiten  sowohl  den  grossen  Tempel  im  Westen,  als  den  sechseckigen 
ersten  Hof,  der  sich  im  Osten  ihm  anschliesst.  Diese  überragende  Breite 
längs  der  ganzen  nördlichen  Seite  mit  jenem  Nischensaum,  ruht  auf 
zwei  Tonnengewölben  von  derselben  Richtung.  Dieselben  waren  einst 
durch  Quertunnels  verbunden,  welche  jetzt  vermauert  sind.  Der  Tunnel 
auf  der  Südseite  zeigt  in  seinen  Schluss-Steinen  zuweilen  Porträtbüsten 
und  römische  Buchstaben;  aber  trotzdem  dürfte  ein  älterer  Unterbau 
zu  unterscheiden  sein,  der  sich  an  den  grösseren  Blöcken,  anderer 
Farbe  des  Gesteins  und  durch  den  Ansatz  eines  wenig  hochgespannten 
Gewölbes  erkennen  lässt. 

Mit  noch  grösserer  Wahrscheinlichkeit  gehören  einer  älteren 
Zeit  als  der  römische  Bau  die  ungeheuren,  nirgends  so  «ross  gefun- 
denen Quaderblöcke  an,  die  man  in  der  westlichen  und  nördlichen 
Wand  der  Tempelterrasse  erblickt.  Im  Westen,  wo  einst  das  Hinter- 
ende des  grossen  Tempels  stand,  finden  wir  in  einer  Höhe  von  30  Fuss 
an  der  Mauer  eine  Reihe  von  drei  Quadern,  von  denen  jeder  bei  14 
Fuss  Höhe,  über  60  Fuss  (der  eine  62,  der  andere  64,  der  dritte  68) 
Länge  hat.  Man  findet  das  Ende  kaum,  wenn  man  einen  davon  in  der 
Quadermauer  mit  dem  Auge  zu  verfolgen  anfängt.  Damit  war  aber  auch, 
wie  es  scheint,  die  altsyrische  Kraft  erschöpft.  Der  obere  Theil  der 
Wand  über  diese  Blöcke  hinaus  ist  römischen  und  arabischen  Ursprun- 
ges, und  nur  in  dem  benachbarten  Steinbruch  findet  sich  noch  ein 
solcher  Block  oder  Quader  vor,  der  auf  seine  Beförderung  Each  der 
Mauer  harrt.  Auf  der  ganzen  Nordseite  ist  gleichfalls  ein  altsyrischer 
Unterbau  kolossaler  Quadern,  die  gleich  denen  der  Substructionsmauer 
des  jerusalemer  Harem  immer  nur  an  den  Fugen  glatt  behauen  oder 
gerändert  sind,  zu  verfolgen.  Dort  aber  hat  die  römische  Mauer  sich 
nicht  auf  sie  gesetzt,  sondern  erhebt  sich  eine  Strecke  hinterwärts,  da 


Syrien.  117 

sie  die  einstige  Nordttanke  des  grossen  Tempels  zu  tragen  hatte.  Zwischen 
beiden  Wänden  ist  eine  Art  Graben,  der  jetzt  als  Garten  bebaut  wird. 
Sehr  weit  gebracht  also  hatte  es  die  einheimische  Baukunst  nicht,  als 
sie  von  der  römischen  ersetzt  wurde.  Zu  welcher  Zeit  jene  diese  Rie- 
senqiiadern  auf  einander  schichtete,  wird  immer  unbekannt  bleiben 
müssen.  Da  indess  der  Handelsweg  von  Sidon  und  Tyrus  herauf  nach 
Baalbek  und  von  hier  weiter  nach  Damaskus  und  Palmyra  seinen  ganzen 
Schwung  vermuthlich  erst  in  der  Glanzperiode  Palmyras  erreicht  hat, 
so  wird  der  gewaltige  Entwurf,  der  unvollendet  bleiben  musste,  kaum 
in  viel  früherer  Zeit  gemacht  worden  sein. 

Das  in  der  Nähe  liegende  Städtchen  ist  von  Christen  und  Mo- 
hammedanern bewohnt.  Man  trifft  in  den  Häusermauern  mancherlei 
Bruchstücke  der  Tempel  eingefügt.  In  der  kleinen  Moschee  des  Ortes 
stammen  die  Säulen  jedenfalls  aus  den  Nischen  des  grossen  Tempel- 
hofes. Ebenso  mögen  die  schöngeformten  Säulen  am  Altar  der  Capelle 
im  benachbarten  Kloster  antiken  Ursprunges  sein. 

Einige  hundert  Schritte  vom  Dorf  trifft  man  die  Steinbrüche 
an,  aus  denen  die  Steine  zu  den  Tempeln  geholt  wurden.  Interessant 
ist  hier  eine  Anzahl  vom  Felsen  losgebrochener  und  schon  theilweise 
bearbeiteter  und  geglätteter  Steinblöcke,  die  seit  zwei  Jahrtausenden 
liegen  gelassen,  den  Eindruck  machen,  als  ob  sie  die  Steinmetzen  eben 
erst  vorlassen  hätten.  Einer  dieser  Blöcke  zieht  vorzüglich  die  Auf- 
merkeamkeit  des  Reisenden  auf  sich.  Von  einer  senkrechten  Felswand 
von  oben  und  zu  beiden  Seiten  abgelöst,  steht  er  da  wie  ein  Pfeiler, 
der  nur  nocli  mit  dem  Grunde  zusammengewachsen  ist,  72  Fusa  in 
der  Länge,  17  in  der  Breite  und  15  in  der  Höhe. 

Endlich  mag  noch  der  altern  zertrümmerten  Moschee  an  der 
schönen  Quelle  von  Baalbek  Erwähnung  gethan  werden.  In  einem  vier- 
eckigen Vorhof  erhebt  sich  ein  GraMenkmal  mit  einer  arabischen 
Inschrift  auf  kleinen  zerbrochenen  Säulen  von  rothem  Porphyr.  Ein 
schattiger  Kastanienbaum  breitet  über  einen  Theil  des  Hofes  sein 
Wipfeldach,  daneben,  imr  durch  eine  halbzerfallene  Mauer  getrennt, 
ragen  in  einem  Längenviereck  zwei  Reihen  9  Fuss  hoher  Säulen  em- 
por, die  zum  Theil  noch  durch  Bogen  verbunden  sind,  aber  kein  Dach 
mehr  tragen.  In  der  einen  Ecke  des  Hofes  erhebt  sich  ein  Thunn, 
dessen  sehr  gebrechliche  Wendeltreppe  man  hinaufsteigen  kann.  Oben 
hat  man  eine  weite  Aussicht  über  die  grüne  Ebene. 

3.  Von  Baalbek  nach  dem  Cederahain  tind  über  Tripolü  nach  Beirut  snrück. 

Von  Baalbek  nach  den  Cedern  des  Libanon  reitet  man  mit  guten 
Pferden  in  acht,  im  gewöhnlichen  Karavanenschritt  neun  bis  zehn 
Stunden.  Der  Weg  geht  zunächst  über  die  Ebene  mit  ihren  Getroide- 
und  Tabakfeldern.  Eine  halbe  Stunde  von  Baalbek  sieht  man  mitten 
in  den  Saatfeldern  eine  hohe,  einsame  Säule,  über  deren  Bedeutung 
sich  nichts  Bestimmtes  sagen  lässt.  Nach  drei  Stunden  gelangt  man 
nach  dem  Dorfe  Dejr  El  Achmar.    Nicht  weit   davon  befindet  sich  ein 


118  Syrien. 

zweites  El  Horsch.  Das  erstere  ist  grossentheils  von  Christen  bewohnt 
und  hat  eine  Kirche,  die  der  heiligen  Barbara  geweiht  ist.  Hinter  Dejr 
El  Achmar  betritt  man  das  hier  mit  Zwergeichen  bewachsene  Gebirge. 
Dritthalb  Stunden  von  hier  berührt  die  Strasse  das  auf  einer  Höhe 
über  einem  gutgebauten  Thal  gelegene  Dorf  Ainitha,  von  dem  man 
bis  zu  den  Cedern  noch  drei  Stunden  hat.  Vor  dem  Eeisenden  erhebt 
sich  der  zu  Ende  Mai  noch  mit  Schnee  und  Eis  bedeckte  Dschebel  El 
Makmel,  der  fast  9000  Fuss  Höhe  hat.  Gewöhnlich  macht  man  hier 
in  Ainitha  Nachtquartier.  Um  über  das  Hochgebirge  zu  gelangen  und 
die  Cedern,  die  sich  auf  der  andern  Seite  befinden,  nicht  zu  verfehlen, 
thut  man  wohl,  im  Dorfe  einen  Führer  mitzunehmen.  Man  reitet  erst 
wieder  in  das  Thal  hinab,  durch  das  ein  Bach  rauscht,  dann  geht  es 
steil  und  immer  steiler  hinauf  am  Rande  schroffer  Abgründe  und 
Schluchten,  wo  nur  noch  spärliche  Sträucher  wachsen. 

Nachdem  man  eine  Höhe  von  etwa  7000  Fuss  erreicht  hat,  von 
der  man  bis  in  die  Gegend  von  Tripolis  und  weit  auf  das  Meer  hinaus 
schauen  kann,  erblickt  man  neben  sich  ein  tiefes  Thal,  in  dem  sich 
etwas  wie  Gesträuch  zeigt.  Hinabreitend  gewahrt  man,  wie  die  Sträucher 
grösser  und  endlich  zu  Bäumen  werden.  Es  sind  die  berühmten  Cedern 
des  Libanon,  nach  denen  der  Berg,  zu  dem  der  Thalkessel  gehört, 
Dschebel  El  Arz  heisst  Man  reitet  zuerst  zwischen  jüngeren,  schlank 
aufstrebenden  und  ziemlich  weit  auseinander  stehenden  Stämmen  hin 
und  'gelangt  auf  einen  Rasenplatz,  auf  dem  sich  eine  kleine  dunkle 
Capelle  erhebt.  Der  hier  weilende  maronitische  Priester  liefert  den 
Reisenden  Lebensmittel.  Früher  stand  hier  nur  ein  Altar  unter  freiem 
Himmel,  an  dem  alljährlich  der  Patriarch  der  Maroniten  eine  Messe 
las.  Das  Wäldchen  hat  etwa  350  Cedern,  doch  sind  darunter  nur  sehr 
wenige,  die  ein  Alter  von  mehr  als  einigen  hundert  Jahren  haben.  Von 
den  Urbäumen,  die  schon  zu  Salomo's  Zeiten  vorhanden  gewesen  sein 
könnten,  fanden  sich  im  16.  Jahrhundert  noch  achtundzwanzig,  im  18. 
noch  sechzehn  vor.  Jetzt  gibt  es  von  ihnen  nur  noch  neun.  Dieselben 
theilen  sich  schon  vom  Boden  aus  in  mehre  Aeste  oder  Stämme,  von 
denen  die  stärksten  einen  Umfang  von  18  bis  20  Fuss  haben.  Man 
kann  ohne  Mühe  an  ihnen  emporsteigen  und  in  ihrem  Gezweig  umher- 
gehen. Sie  sind  mit  Namen  von  Reisenden  bedeckt,  unter  denen  man 
auch  den  bekannten  abenteuerlichen  Freiherrn  von  Geramb  findet,  der 
als  Trappist  starb. 

Dieser  Cedernhain  ist  nicht  der  einzige  auf  dem  Libanon,  aber 
keiner  der  übrigen  hat  so  alte  Stämme  aufzuzeigen,  und  keiner  liegt 
so  nahe  an  den  Strassen,  welche  die  fränkischen  Reisenden  zu  wandern 
pflegen.  Das  Holz  der  Cedern  ist  weisslich,  leicht  zerbrechlich  und  ver- 
breitet einen  angenehmen  Geruch. 

Von  den  Cedern  bis  hinab  nach  Tripolis  hat  man  neun  bis  zehn 
Stunden.  Der  Weg  führt  zunächst  aus  dem  Thalkessel,  dessen  Boden 
6000  Fuss  über  dem  Meer  liegt,  wieder  nach  dem  Rande  hinauf  und 
dann  über  einsame  öde  Berge  und  Thälerau  dem  Dorf  Bischerreh  vor- 
über in  einen  mit  Weinreben,  Cjpressen  und  Olivenbäumen  bepflanzten 


Syrien.  119 

Kessel  hinab,  in  welchem  nicht  weit  von  einem  schönen  Wasserfall  das 
grosse  Dorf  Ehden  liegt,  welches  von  den  Cedern  drei  Stunden  ent- 
fernt ist,  und  wo  das  oben  erwähnte  Treffen  stattfand,  in  dem  die 
verbündeten  Drusen  und  Maroniten  die  Türken  schlugen.  Von  hier  sieht 
man  bei  heller  Luft  deutlich  Tripolis  tief  drunten  über  Berggipfeln 
und  Schluchten  liegen.  Immer  bergab  steigend,  zuweilen  auf  halsbre- 
chenden Pfaden,  gelangt  man  von  Ehden  in  drei  Stunden  nach  dem 
prächtig  auf  der  Höhe  gelegenen  Dorfe  Mileh,  wo  man  einen  mit 
Oleander  bewachsenen  Pluss  überschreitet  und  bald  darauf  zu  ebenen 
Wegen  gelangt,  die  sich  zwischen  üppigen  Maulbeer-,  Feigen-  und 
Citronen-Gärten  hinschlängelu.  Nach  zwei  Stunden  erreicht  man  eine 
weitgedehnte  Hochebene,  die  sich  nur  noch  1000  Fuss  über  dem  Meer 
erhebt,  und  von  der  man  auf  einer  sanft  geneigten  Abdachung  nach 
Tripolis  hinabsteigt,  das  mit  seinem  weitläufigen  alten  Kastell  und 
seineu  weissgrau  aus  grünen  Gärten  auftauchenden  Häusern  und  Mo- 
scheen recht  stattlich  aussieht.  Von  hier  hat  man  noch  eine  halbe 
Stunde  zwischen  den  Cactuswänden  von  Baumpflanzungen  zu  reiten, 
um  nach  der  Vorstadt  oder  Hafenstadt  von  Tripolis  zu  gelangen,  wo 
man  bei  richtiger  Eintheilung  der  Zeit  Gelegenheit  findet,  sich  auf 
dem  Lloyddampfer  nach  Cypern  oder  den  Küstcuorten  Nordsyriens  und 
Karamaniens  einzuschiffen. 

Tripolis,  arabisch  Tarablus,  hat  gegen  12,000  Einwohner.  Der 
Fluss,  der  es  bespült,  ist  der  vom  Dschebel  El  Makmel  kommende 
Nähr  Kadischa.  Die  Hafenstadt  heisst  El  Mina.  Wer  den  Dampfer  ver- 
säumt hat.  mag  von  hier  einen  Ausflug  nach  den  zehn  Stunden  nörd- 
licher gelegenen  Trümmerstätten  von  Tartus  und  Ruad  unternehmen. 
Dieselben  liegen  am  Meer,  da,  wo  sich  das  breite  Thal  des  Nähr  El 
Kebir  fim  Alterthum  Eleutherus)  zwischen  dem  Nordende  des  Libanon 
und  dem  Nosairiergebirg  öfihet,  und  bezeichnen  die  Stellen,  wo  die 
altphönizischen  Städte  Arad  und  Marathos  standen. 

Arad,  das  jetzige  Ruad,  liegt  auf  einer  Insel  und  war  im  8. 
Jahrhundert  v.  Chr.  eine  volkreiche  Stadt  mit  hohen  Häusern  und 
einem  von  Hallen  umgebenen  Marktplatz,  eine  Art  phönizisches  Ve- 
nedig. Von  dieser  sind  zunächst  die  ungeheuren  Mauern  mit  Fugen- 
ränderung  noch  übrig,  die  man  auf  der  Nord-  und  Südseite  der  Insel 
antrifft.  Nach  Osten  öffnete  sich  der  Haupthafen.  Der  innere  erhöhte 
Pelsboden  der  Insel  ist  voll  von  alten  Cisternen  und  Felsenkammern. 
Die  jetzigen  Bewohner  der  Insel  nähren  sich  von  Schiffahrt  und  Schwamm- 
fischerei. Auf  Ruad  sowohl,  wie  auf  der  benachbarten  Küste  findet  sich 
die  echte  Aloe. 

Von  der  Stadt  Marathos,  jetzt  Tartus,  die  der  Insel  auf  dem 
Festland  gegenüber  liegt,  steht  noch  ein  gewaltiges  Castell  mit  dop- 
pelter Mauer  und  doppeltem  in  den  Fels  gehauenen  Graben,  dessen 
äussere  Mauer,  theilweise  noch  gegen  60  Fuss  hoch,  unten  Lagen  von 
alterthümlichen  Quadern  zeigt.  Im  Innern  Hofe  befindet  sich  ein  mit- 
telalterlicher Saal  mit  grossen  Fenstern  und  von  Grauitsäulen  getra- 
genen Gewölben.  Die  Stadt  hiess  im  Mittelalter  Tortosa.    Von  damals 


120  Syrien. 

stammt  auch  die  Euine  der  grossen  Kirche,  die  man  im  Bereich  der 
alten  Stadt  antrifft. 

Noch  wichtiger  ist  die  NekropoUs  der  alten  phönizischen  Städte, 
die  sich  auf  dem  Wege  von  Tripolis  nach  Tartus  ausdehnt.  Hier 
zwischen  den  Steinbrüchen  und  Gebüschen  sieht  man  bald  einen  kolos- 
salen Steihwürfel,  nach  dem  Stufen  hinaufführen  und  vielleicht  einst 
einen  Thurm  wie  Absaloms  Grab  trug,  bald  einen  quadratischen  Bau 
aus  gewaltigen  Quadern  mit  Kammern  im  Innern,  bald  einen  ganzen 
in  den  Felsen  gehauenen  Hof,  in  dessen  Mitte  ein  altarartiger  Würfel 
steht.  Man  kennt  namentlich  zwei  fast  30  Fuss  hohe  Grabaufsätze,  die 
in  geringer  Entfernung  von  einander  im  Angesicht  der  Insel  Euad 
liegen,  und  von  denen  der  eine  über  einem  viereckigen  Felsblock  sich 
in  Walzenform  erhebt  und  mit  einer  kurzen  Spitze  endigt,  während 
der  andere,  gleichfalls  von  Walzenform,  sich  nach  oben  kegelartig  ver- 
jüngt. Ein  doppeltes  Band  von  Stufenzinnen  umzeichnet  den  obersten 
und  den  mittleren  Theil.  Darunter,  zwischen  Schutt  und  Gestrüpp  sind 
grosse  Grabkammern  mit  Nischen  und  Bänken  zu  sehen. 

Der  Weg  von  Tripolis  nach  Beirut  zurück  erfordert  neun  bis 
zehn  Stunden,  im  Karavanenschritt  elf  bis  zwölf.  Er  führt  vierthalb 
Stunden  südlich  von  Tripolis  über  ein  Kap,  welches,  im  Alterthum 
Theuprosopon,  d.  i.  Gottesstirn,  genannt,  sich  fast  1000  Fuss  senk- 
recht über  das  Meer  erhebt.  Steile  Pfade  führen  an  der  weissen  Krei- 
dewand empoK  Oben  liegen  einige  griechische  Klöster.  Dritthalb 
Stunden  von  hier  berührt  man  das  elende  Städtchen  Dschcbil,  wo  einst 
die  Stadt  Byblos,  syrisch  Gehul,  die  Heimat  der  phönizischen  Stein- 
metzen, lag,  welche  Tyrus  ausbesserten  und  dem  König  Salomo  seine 
Quadern  behieben.  Man  findet  hier  in  der  Nähe  ein  Castell,  dessen 
untere  Mauern  Fugenränderuug  zeigen,  während  die  obern  Lagen,  in 
die  mehre  Granitsäulen  verbaut  sind,  von  den  Römern  oder  Sarazenen 
herrühren. 

Von  hier  wendet  sich  der  Weg  nach  Osten  und  geht,  nachdem 
er  den  Fluss  Nähr  Ibrahim  durchschritten,  um  die  tiefausgeschweifte 
Bucht  von  Dschuneh  herum.  Der  Nähr  Ibrahim  ist  der  alte  Adonis, 
an  dem  die  altasiatische  Sage  entstand,  welche,  später  von  den  Griechen 
ausgeschmückt  und  umgewandelt,  vom  Dichter  Panyasis  besungen 
wurde.  Der  Fluss  kommt,  wie  die  meisten  Gewässer  des  Libanon,  von 
Nordosten,  und  ist  von  hier  aus  nicht  aufwärts  zu  verfolgen.  Indess 
Aveiss  man,  dass  er  im  Gebirg  aus  einer  grossen  Höhle  hervorbricht 
und  sich  dann  in  einer  Reihenfolge  von  Wasserfällen  herabstürzt.  Nicht 
fern  von  seinem  Quell  liegen  die  Ruinen  eines  alten  Venustempels,  in 
dem  im  Alterthum  grosse  Ausschweifungen  stattfanden. 

Am  Südende  der  Bucht  von  Dschuneh  ergiesst  sich  wieder  ein 
Gebirgswasser  in  die  See,  der  Nähr  El  Kelh,  im  Alterthum  Li/kos 
genannt.  Nicht  fern  von  der  hohen  Bogenbrücke,  auf  der  ma,n  ihn 
überschreitet,  am  Berge  über  seinem  Südufer  finden  sich  zwischen 
wilden  Feigensträuchern  die  berühmten  altägiiptischen  und  altsi/risdten 
Bhamseshüder.    Es  sind    drei   ägyptische.    Sie   gehören,   wie  der  noch 


Syrien.  121 

wohl  erkennbare  Namensschild  auf  der  einen  Tafel  besagt,  der  Zeit  des 
zweiten  Rharases  oder  Seostris  an,  der  sie  hier  als  Denkmal  seiner  Sie- 
gosziige  in  Syrien  und  Phönizien  zurückliess.  üeber  den  Tafeln  befindet 
sich  das  bekannte  ägyptische  Hohlgesims.  Die  öculpturen  sind  sehr 
verwittert.  Indess  erkennt  man  doch  noch  den  König,  wie  er  einen 
Gefangenen  am  Schopf  gefasst  hat,  um  ihn  vor  verschiedenen  Göttern, 
in  der  einen  Tafel  vor  Amun,  in  der  andern  vor  dem  Sonnengott  und 
in  der  dritten  vor  Ptah  niederzuschlagen.  Die  darunter  befindlichen 
Hieroglyphen  sind  kaum  noch  zu  erkennen.  In  den  vier  Ecken  der 
Rahmen  finden  sich  Löcher,  welche  auf  Angeln  deuten,  in  welclien  sich 
die  Thüren  drehten,  mit  denen  die  Sculpturen  bedeckt  wurden.  Neben 
jeder  ägyptischen  Tafel  erblickt  man  eine  nach  oben  gerundete  assy- 
rische. Sie  enthält  die  Figur  des  Sanherib,  der  mehre  Jahrhunderte 
nach  Sesostris  hier  als  Eroberer  auftrat  Der  König  trägt  einen  langen 
Rock  und  erhebt  den  rechten  Arm.  Die  Figur  sowohl,  wie  der  leer 
gelassene  innere  Raum  im  Rahmen,  ist  mit  halbverwitterter  Keilschrift 
bedeckt.  Diese  Tafel  wiederholt  sich  noch  mehrmals,  auch  wo  sich 
keine  ägyptische  findet. 

Am  Felsen  links  von  der  Brücke  im  Thal  begegnet  man  noch 
einer  dritten  Sprachprobe,  die  gleichfalls  an  einen  grossen  Eroberer 
erinnert.  Es  ist  eine  gleichfalls  sehr  verwitterte  Tafel  des  Sultan  Se- 
lira  I.,  des  Besiegers  Aegyptens.  An  der  Brücke  ladet  ein  Khan  zur 
Rast  ein.  Dem  Fluss  stromaufwärts  zu  folgen,  ist  unmöglich.  Seine 
Quelle  ist  hoch  oben  im  Gebirge,  von  wo  er  sich,  oft  in  unterirdischen 
Seen  und  Tropfsteingrotten  verschwindend,  raschen  Laufes  herabstürzt. 
Ganz  oben,  an  einem  seiner  Quellbäche,  liegt  unter  dem  Dschebel 
Sannin  die  Trümnierstätte  von  Fakrah.  Man  trifit  hier  Tempelruiuen 
und  eine  kleine  Pyramide.  Die  letztere  hat  unten  50  Fuss  im  Quadrat, 
lässt  ihre  Seitenwände  in  einer  Höhe  von  9  Fuss  zu  Stufen  werden, 
und  schliesst  oben  mit  einer  vierseitigen  Fläche.  Im  Innern  trifft  man 
eine  Grabkaramer,  zu  der  zwei  Eingänge  führen:  einer  auf  der  Nord- 
seite und  ein  höher  gelegener  im  Osten. 

Nach  Beirut  zurückgekehrt,  kann  man  entweder  über  Cypern 
und  Rhodus  oder  über  Lattakiah,  Alexandretta,  Mersina  und  Adalia 
nach  Smyrna  fahren.  Für  beide  Fälle  kann  der  Reisende  Lloyddampfer 
benutzen. 

Die  Orte  der  zuletzt  angegebenen  Linie  bieten  dem  Reisenden 
nur  geringes  Interesse.  Lattakiah,  das  von  Seleucus  Nicator  gegrün- 
dete Laod'cea  des  Alterthums,  liegt  sehr  anrauthig  in  Gärten  und 
Hainen,  und  ist  seines  Tabaks  wegen  berühmt.  Die  beste  Sorte  heisst 
Abu  Richa,  wörtlich  „Vater  des  Wohlgeruchs''  und  kostet  jetzt  60  bis 
80  Piaster  die  Okka  (2V4  Pfund).  Derselbe  erhält  keine  Beize,  sondern 
wird  über  einem  Feuer  geräuchert,  in  welches  wohlriechendes  Holz 
geworfen  wird  Von  Altertiiümern  trifft  man  hier  ausserhalb  der  Stadt 
einen  noch  gut  erhaltenen  römischen  Triumphbogen,  und  in  die  Mauern 
des  verfallenen  Castells  am  Meer  sind  eine  Menge  Säulentrümmer  von 
Cipollin,  Verde  Antico  und  andern  kostbaren  Marmorarten  eingemauert. 


122  Syrien. 

Alexandrette,  am  Meerbusen  von  Skanderuu  in  sehr  ungesunder  Ge- 
gend gelegen,  ist  der  Hafen  für  Aleppo,  welches  von  hier  fünf  Tage- 
reisen entfernt  ist.  Mersina  ist  ein  trübseliger  Ort  ohne  alle  Sehens- 
würdigkeiten, der  nur  dadurch  Bedeutung  hat,  dass  er  der  Hafenplatz 
für  Tarsus  ist.  Adalia  ist  eine  hübsche,  gleich  Mersina  schon  zu  Klein- 
asien gehörige  Stadt,  die  in  Hainen  von  Maulbeer-,  Feigen-  und  Oran- 
genbäumen auf  einer  schroffen  Klippe  hart  über  der  See  liegt  und 
mancherlei  zertrümmerte  Reste  alter  Gebäude  in   sich  birgt. 

Interessanter  ist  die  Tour  über  Cypern  und  Rhodus.  Vor  der 
ersteren  Insel  hält  der  Lloyddampfer  zehn,  vor  der  letzteren  fünfzehn 
Stunden. 

Die  Haupthandelsstadt  von  Cypern,  vor  welcher  das  Schiflf 
anlegt,  ist  Larnaca,  ein  flach  hingestreckter,  weitläufiger  Ort,  über 
dem  viele  Consulatsflaggen  wehen,  und  der  an  der  Stelle  des  alten 
Kition  liegt.  Die  Häuser  sind  aus  Stein  gebaut  und  haben  noch  flache 
Dächer,  wie  in  Syrien.  Merkwürdigkeiten  besitzt  die  Stadt  keine.  Die 
Insel,  die  gegenwärtig  von  etwa  110,000  Menschen  bewohnt  wird,  unter 
denen  gegen  90,000  Griechen  sind,  ist  berühmt  als  ehemaliger  Wohn- 
sitz der  Liebesgöttin  der  Griechen,  was  damit  zusammenhängt,  dass 
in  der  Urzeit  die  Einwohner  (sie  waren  syrischen  Stammes)  einen  sehr 
ausschweifenden  Cultus  der  Astarte  feierten.  Wer  Zeit  hat,  sich  hier 
länger  aufzuhalten,  möge  folgende  Puncte  besuchen:  Delin,  einst  Ida- 
lion,  3  /j  Stunden  landeinwärts,  nordöstlich  von  Larnaca,  wo  man  noch 
Mauerreste  der  alten  Oberstadt  antrifft  und  wo  eine  höchst  merkwür- 
dige Erzplatte  gefunden  wurde,  welche  eine  Proclamation  des  ägypti- 
schen Königs  Amasis  an  die  Cyprier  in  alterthümlichen  Schriftzeichen 
enthält.  Ferner  Leukosia  mit  15,000  Einwohnern,  die  gegenwärtige 
Hauptstadt  der  Insel,  die  von  fern  mit  ihren  venetianischen  Festungs- 
werken, ihrer  gothischen  Sophienkirche,  ihren  Minarets  und  ihren  vielen 
Palmen  recht  stattlich  aussieht,  im  Innern  aber  voll  Schmutz  und 
Verfall  ist.  Hier  residirt  der  griechische  Erzbischof  von  Cypern,  der 
sich  seit  alter  Zeit  in  Purpur  kleiden  darf  und  den  Titel  „der  Selige" 
führt.  Die  Sophienkirche,  in  welcher  einst  die  Könige  der  Insel  gekrönt 
wurden,  ist  jetzt  Moschee.  Von  ihren  Thürmen  überblickt  man  die 
Hauptebene  des  Insellandes.  Der  Berg  im  Südwesten  ist  die  cyprische 
Olympos.  Im  Südosten  begegnet  das  Auge  den  Thürmen  von  Famago- 
sta,  der  einstigen  glanzvollen  Hafenstadt  der  Veuetianer,  von  der  zahl- 
reiche Kirchen-  und  Palastruinen  neben  einigen  noch  jetzt  bewohnten 
Häusern  übrig  sind.  Nordwärts  davon  erblickt  man  die  Trümmer  des 
alten  Salamis. 

Noch  wichtiger  als  das  bisher  Erwähnte  sind  für  den  Freund 
des  Alterthums  die  Stätten,  wo  einst  Faphos  und  Amathus  lag.  Orte, 
wo  die  cyprische  Aphrodite  besonders  eifrig  verehrt  wurde.  Zu  Amathus, 
auf  der  Höhe  des  einstigen  Berghügels,  der  nach  der  See  flach,  nach 
dem  Innern  steil  abfällt,  steht  im  Gebüsch  ein  kolossales  Steingefäss 
Es  hat  die  Gestalt  einer  von  oben  gedrückten  Kuppel,  deren  obere 
Oeffnung  etwa  die  Hälfte  der  äussern  Bauchweite,  7  Fuss,  misst-  Starke 


Syrien.  123 

Henkel  sind  auf  allen  4  Seiten  der  äussern  Rundung  und  zeigen  das 
halberhabene  Bild  eines  Stiers  innerhalb  ihrer  Wölbung.  In  der  Nähe 
liegen  die  Bruchstücke  eines  ähnlichen  Gefässes.  Beide  könnten  andeuten, 
dass  hier  der  Tempel  der  Aphrodite  gestanden  habe. 

Eine  beträchtliche  Strecke  weiter  nach  Westen  und  jenseits  von 
Limasol  oder  Limessos,  einem  lebhaften  Hafenort,  wo  man  Cyperwein 
verschifft,  folgt  die  Stätte  von  Paphos.  Von  dem  Tempel  sind  nur  noch 
einige  grosse  Quadern  übrig,  auf  einem  Hügel,  der  ausser  ihnen  jetzt 
ein  Dorf  und  einen  mittelalterlichen  Thurm  trägt.  Westwärts  von  hier 
lag  einst  der  Hafenplatz  Neu-Paphos,  von  wo  die  Festprocessionen 
nach  dem  Heiligthum  heraufkamen.  In  der  Nähe  erhebt  sich  ein  mit 
Gräbern  ausgehöhlter  Hügel  aus  der  Ebene,  der  in  dem  an  Denkmälern 
armen  Ovpern  die  bedeutsamsten  architektonischen  Reste  enthält.  Es 
sind  Gräberhöfe,  die  man  (gleich  dem  Grabe  der  Helena  von  Adiabene 
bei  Jerusalem)  in  den  Fels  gesenkt  und  von  3  Seiten  mit  einer  dorischen 
Säulenstellung  umgeben  hat.  Die  Säulen  sind  ohne  Hohlstreifen  und 
tragen,  nur  wenig  von  der  Felswand  abstehend,  das  über  sie  hervor- 
ragende Gestein.  Diese  Decke  zeigt  über  dem  glattgelassenen  Band 
eines  nur  angedeuteten  Architravs  einen  dorischen  Triglyphenfries,  nur 
sind  es  hier  eigentlich  keine  Triglyphen.  keine  Dreischlitze.  sondern 
Vierschlitze.  Urter  den  Säulen  öffnen  sich  die  Grabkararaern,  die  den 
benachbarten  Hirten  zu  Stätten  für  ihre  Herden  dienen  und  deshalb 
so  wie  der  Hof  hoch  mit  Schaf-  und  Ziegendünger  angefüllt  sind. 

Die  Tour  durch  Cyperu  wird  am  geeignetsten  in  folgender 
Weise  gemacht :  Larnaca  nach  dem  Barnabaskloster  am  Berg  Santa 
Croce  (griechisch  Stavros  Bunos)  5  Stunden,  Moni  5,  Limasol  4,  Epi- 
skopi  2'/,,  Pissuri  4,  Kuklia  8,  Paphos  3,  Chysorogiatissa  5,  Berg 
Olympos  oder  Troodos  6,  Cicco  4,  Levka  3,  Morpho  4,  Acheropiti  7, 
St.  Hilarion  3,  Cerinea  1%,  St.  Chrysostomo  (via  Delapais  und  Buffa- 
vento)  4,  Nikosia  2,  Citrea  2,  Hagios  Ilias  9,  Kantara  2,  St.  Barnabas 
5,  Pamagostjj,  2,  Larnaca  8  Stunden.  Man  reist  auf  Mauleseln,  die  man 
für  10  bis  11  Piaster  per  Tag  zu  miethen  bekommt.  Von  Gasthöfen 
ist  mit  Ausnahme  von  Tiarnaca,  wo  es  eine  Locanda  gibt,  nirgends  die 
Rede.  Aber  das  Landvolk  ist  gastfrei  und  mit  einer  geringen  Vergütung 
zufrieden.  Wein,  Eier,  Geflügel,  Honig,  Brot  und  Käse  sind  allenthalben 
leicht  zu  haben.  Räuber  gibt  es  in  Cypern  nicht.  Zur  Jagd  gibt  es 
allenthalben  Gelegenheit,  da  die  Insel  reich  an  Hasen,  Rebhühnern, 
Schnepfen,  Frankolinen  und  Enten  ist.  Besonders  reich  an  solchem 
Wild  ist  die  Gegend  von  Kuklia  und  Pissuri,  sowie  das  ganze  Thal 
von  Maratassa,  und  in  den  Ilinöden  um  das  Gap  Epiphemios  trifft  man 
selbst  wilde  Schafe,  wilde  Schweine  und  wild  gewordene  Esel,  Ochsen 
und  Pferde  an. 

Die  Insel  ist  250  Quadratmeilen  gross  und  bildet  ein  Ejalet  des 
türkischen  Reiches.  Das  Klima  ist  mild  und  gesund,  der  Erdboden 
durchschnittlich  sehr  fruchtbar,  der  Anbau  im  Allgemeinen  vernach- 
lässigt. xVusfahrartikel  sind  Hanf,  Tabak,  Oel,  Südfrüchte  und  Wein. 
Von  den  Cyperweinen  ist   der  Commanderia   der  beste.    Der  Pechge- 


124  Syrien. 

schmack  der  Cyperweine  kommt  davon,  dass  man  sie  Anfangs  in  ver- 
pichte  Schläuche  füllt.  Er  verliert  sich  mit  den  Jahren  ebenso  wie  die 
rothe  Farbe  der  Weine.  Dem  Ackerbau  schaden  die  Heuschrecken  und 
die  Dürre  des  Sommers. 

Rhodus,  jetzt  Ehodi,  gehört  seiner  Natur,  sowie  seiner  son- 
stigen Verhältnisse  zufolge  schon  zu  Kleinasien.  Es  ist  eine  9  Meilen 
lange,  etwa  4 '4  Meilen  breite  dreieckige  Insel,  deren  Inneres  gebirgig 
ist  und  sich  im  Artemira  5000  Fuss  über  den  Meeresspiegel  erhebt. 
Im  Alterthura  sehr  fruchtbar,  ist  es  jetzt  nicht  so  gut  angebaut,  als 
es  sein  sollte.  Einwohner  hat  es  gegen  40,000,  von  denen  ^4  Griechen 
sind.  In  frühern  Zeiten  hatte  allein  jede  der  drei  Hauptstädte  der 
Insel  so  viele  Bewohner.  Der  von  Virgil  als  Göttertrank  gepriesene 
Wein  von  Rhodus  ist  jetzt  sehr  mittelmässig.  Das  Klima  dagegen  ist 
noch  immer  so  mild  und  schön  wie"  damals.  Die  Stadt  Mkodus  liegt 
an  der  Nordostecke  der  Insel  und  nimmt  sich,  in  der  Form  eines  Am- 
phitheaters an  den  Bergen  erbaut,  sehr  stattlich  aus.  Im  Innern  ist 
sie  hässlich  und  schmutzig.  Reste  aus  dem  Alterthum  sind  nicht  mehr 
vorhanden,  und  was  aus  der  Zeit  der  Johanniterherrschaft  erhalten 
war,  die  Johanneskirche,  die  alterthümlichen  bürgerlichen  Häuser  der 
Eitterstrasse,  der  schöne  gothische  Thorbogen  u.  s.  w.  ist  durch  die 
furchtbare  Explosion  eines  Pulvermagazins,  welche  im  Jahre  1857 
stattfand,  in  traurige  Ruinen  verwandelt  worden.  Näheres  über  das 
Innere  von  Rhodus  und  seine  Geschichte  findet  man  in  unserm  „Reise- 
handbuch für  Griechenland'  (Triest,  Literarisch-Artistische  Anstalt 
1859),  wo  auch  die  übrigen  türkischen  Inseln  auf  dem  Wege  von  Syrien 
nach  Smyrna  geschildert  sind. 


Kleinasien.  125 


SECHSTES  CAPITEL 

X£leiiiasien. 

Kleinasien  im  Allgemoinen.  —  Smyrna.  —  Nimfl.  —  Reise  über  Afagnesia  und  Ber- 
gama  nach  der  Ebene  von  Troja  und  den  Dardanellen.  —  Drei  Routen  durch  das  Gebiet 
von  Troas.  —  Tour  nach  den  „Sieben  Kirchen"  :  Ephesus,  Laodiceu,  Pliiladelphia,  Sar- 
des,  Thyatira  und  Perganios.  —  Tour  von  Smyrna  über  Sardes  und  Brussa  nach  Con- 
stantinopel.  —  Von  den  Dardanellen  über  Brussa,  tsnik  und  Ismid  nach  Constantinopel. 
—  Tour  von  Adalia  durch  Lycien  und  Karlen  nach  Smyrna.  -  Verschiedene  Pläne  zn 
Touren  im  Innern  des  Landes.  —  Tour  zur  See  von  Constantinopel  nach  Trapeznnt  und 
von  dort  zn  Lande  nacli  Tripolis  und  Kerasunt. 

In  Smyrna  gelandet,  fiudeh  man  sich,  wenn  auch  noch  von  raor- 
genländischen  Bildern  umgeben,  doch  schon  in  einer  sehr  andern  Welt 
als  in  Syrien,  Palästina  und  Aegy])ten.  Man  hat  den  Süden,  die  ara- 
bische Hälfte  des  türkischen  Reiches  hinter  sich  gelassen  und  sieht 
sich  in  der  griechisch-türkischen.  Und  dasselbe  gilt  vom  grössten  Theil 
Kleinasiens,  namentlich  von  den  Küstenstrichen.  Die  Farben  der  Land- 
schaft sind  nicht  mehr  so  warm.  Statt  an  die  Wüste  wird  man  mehr 
an  das  Meer  erinnert.  Während  im  Süden  die  Palme  den  Charakter 
der  Gegenden  bestimmt,  sind  hier  der  Oelbaum  und  die  Cypresse  die 
charakteristischen  Bäume.  Während  in  Syrien  und  Palästina  die  Häuser 
von  Stein,  einfarbig  weissgrau  sind  und  stets  flache  Dächer  haben,  hat 
das  Haus  des  Kleinasiaten  ein  schiefes,  mit  rothen  Ziegeln  gedecktes 
Dach,  Wände  von  Holz  und  in  der  Regel  einen  bunten  Anstrich. 
Während  die  Friedhöfe  im  Süden  meist  halbwüste  Stätten  ohne  Baum 
und  Strauch  sind,  bepflanzt  der  Türke  im  Norden  seine  Gräber  mit 
Cypressen,  die  dann  schöne  stolze  Haine  bilden.  Im  Süden  wurde  ara- 
bisch als  Landessprache  geredet,  hier  nur  türkisch  und  griechisch.  Dort 
sind  blaue  oder  graue  Augen  eine  Seltenheit,  hier  begegnen  sie  uns 
häufig;  dort  lässt  mau  sich  den  ganzen  Bart  wachsen,  hier  gewöhnlich 
nur  den  Schnurrbart;  dort  trägt  die  Mehrzahl  der  Männer  noch  den 
Turban  und  die  lang  herabgehende  kaftanartige  Abaje,  die  Mehrzahl 
der  Frauen  den  schneeweissen  Mantel,  hier  herrscht  als  Kopfbedeckung 
schon  das  Fez,  als  Bekleidung  des  Leibes  die  Jacke  vor,  und  die  Frauen 
tragen  bunte  Mäntel.  Verschieden  ist  endlich,  um  manches  Andere  zu 
übergehen,  auch  der  Tabak,  indem  man  im  Süden  fast  nur  den  schwar- 
zen Lattakiah  raucht,  während  im  Norden  der  Pfeifenkopf  oder  die 
Cigarrette  mit  dem  gelben  Kraut  von  Stambul  gefüllt  wird. 


126  Kleinasien. 

Kleinasien,  lateinisch  Asia  Minor,  von  den  Türken  Anadoli 
genannt,  ist  die  grosse  Halbinsel,  die  sich  westlich  vom  Euphrat  bis 
an  das  ägäische  und  das  Marmorameer  ausdehnt  und  sich  vom  Süd- 
rande des  armenischen  Hochlandes  bis  zum  Taurus  und  vom  Schwarzen 
Meer  bis  zu  den  Pässen  Ciliciens  senkt.  Es  hat  bei  einer  Grösse  von 
8000  Quadratmeilen  nur  5  bis  6  Millionen  Einwohner,  während  es  im 
Alterthum  mindestens  die  zehnfache  Zahl  erreicht  haben  wird.  Hier, 
unter  dem  milden  Himmel  Joniens  war  die  Heimath  der  Sagen  von 
Troja  und  der  homerischen  Gesänge.  Hier  breitet  sich  uord-,  ost-  und 
südwärts  das  fruchtreiche  Binnenland  aus,  um  dessen  Besitz  seit  den 
dunkeln  Zeiten  der  Semiramis  dreitausend  Jahre  hindurch  die  mäch- 
tigsten Eroberer  und  die  ruhmvollsten  Völker  der  Geschichte  gekämpft 
haben.  In  diesen  drei  Jahrtausenden  entstanden,  blühten  und  verblühten 
hier  mächtige  Staaten,  reiche  Königs-  und  Handelsstädte,  Künste  und 
Wissenschaften.  Von  hier  aus  erschütterte  Alexander  der  Grosse  den 
ganzen  Orient  bis  nach  Indien  und  Persien  hinein,  und  hier  erstritt 
sich  Kom  im  letzten  Jahrhundert  v.  Chr.  die  Herrschaft  über  die  civi- 
lisirte  Welt.  So  viele  Staaten  und  Städte  dabei  ihren  Untergang  fanden, 
die  Civilisation  erhielt  sich  doch.  Erst  als  die  Türken  unter  Osman 
im  alten  Bithynien  sich  festsetzten  und  von  hier  aus  die  ganze  grosse 
Halbinsel  unterwarfen  und  verheerten,  fiel  ein  Werk  der  Cultur  nach 
dem  andern  in  Trümmer,  und  nur  die  Natur  mit  ihrem  Segen  blieb 
dem  Lande  treu,  so  dass  es  noch  jetzt  zu  den  schönsten  und  im  Ver- 
gleich zu  seiner  nachlässigen  Bebauung  zu  den  reichsten  Ländern  der 
Erde  gehört. 

Die  Bergketten  des  Landes  gehen  von  dem  armenischen  Plateau 
aus.  Die  eine  begrenzt  zuerst  das  Euphratthal  und  durchschneidet  es 
dann  bei  Samosata,  die  andere  läuft  an  der  Nordküste  hin.  Diese  bei- 
den Bergzüge  sind  durch  gebirgige  Districte  verbunden,  die  sich  von 
Angora  bis  zum  Arjisch  Dag  strecken,  dessen  mit  ewigem  Schnee  be- 
deckte Gipfel  eine  Höhe  von  13,000  Puss  erreichen.  Die  südliche  Kette 
des  Taurus  bildet  die  Nordgrenze  von  Cilicien,  ein  getrennter  Zweig 
dieses  Gebirgs,  der  Alma  Dag,  trennt  Cilicien  von  Syrien.  Zwei  andere 
Bergreihen,  die  vom  Westen  des  Mittelplateaus  auslaufen,  sind  der 
Babadag,  der  nach  Samos  und  Chios  hin,  wo  er  Tmolus  heisst,  mit 
verschiedenen  Caps  endigt,  und  eine  zweite,  zu  welcher  der  Ida  und 
der  asiatische  Olymp  gehören,  und  der  sich  nordwestlich  nach  Mysien 
und  Bithynien  hineinzieht.  Endlich  nimmt  die  Kette  des  Olgasys  den 
Strich  zwischen  dem  Halys  und  dem  Sangarius,  das  alte  Paphlagonien 
ein.  Am  Fuss  dieser  Gebirgszüge  liegen  wellenförmige  Ebenen,  die  mit 
Heidekraut,  Myrthen,  Ehododendron  und  zahlreichen  wohlriechenden 
Sträuchern,  Disteln  und  Gras  bedeckt  sind.  Die  Flüsse  des  Landes  sind 
unbedeutend,  die  grössten  ergiessen  sich  in  das  schwarze  Meer.  Unter 
diesen  sind  zu  nennen  :  Der  Irmak  (einst  Iris),  der  Kissil  Irmak  (Halys), 
der  Bartan  (Parthenius),  der  Filbas  (Billaeus)  und  die  Sakaria  (San- 
garius). Seen  hat  Kleinasien  eine  grosse  Anzahl,  und  zwar  sind  es  meist 
Salzseen.  Der  grösste  derselben  ist  der  See  von  Tusslar,  der  eine  Länge 


Kleinasien.  127 


von  7  deutschen  Meilen  hat.  An  der  Küste  bilden  die  zahlreichen 
Vorgebirge  schöne  Buchten  und  Häfen,  von  denen  jetzt  aber  die 
meisten  unbenutzt,  ohne  Schiffe  und  Handel  sind.  Einst  volkreiche 
Städte  sind  zu  elenden  Dörfern  oder  blossen  Trümraerstätten  geworden. 
Der  Ackerbau  wird  in  der  rohesten  Weise  betrieben,  gibt  aber  trotz- 
dem reiche  Ernten.  Man  erzeugt  Weizen,  Gerste,  Oel,  Wein,  Südfrüchte 
und  namentlich  an  der  Küste  des  Schwarzen  Meeres  ungeheure  Massen 
von  Wall-  und  Haselnüssen,  Aprikosen,  Pflaumen  und  Kirschen.  Ebenso 
reich  sind  diese  Küsten  an  schönen  Waldbäumen,  vorzüglich  Eichen, 
während  die  kalten  Höhen  des  Taurus  mit  Cypressen,  Cedern  und 
Wachholdern  gekrönt  sind.  Von  Erzen  liefern  die  Berge  vorzüglich 
Kupfer  und  silberhaltiges  Blei.  Die  Einwohner  sind  im  Innern  meist 
Mohammedaner,  die  türkisch  sprechen.  An  der  Küste  wohnen  viele 
Griechen,  namentlich  in  den  grössern  Städten.  Im  Alterthum  zerfiel 
Kleinasien  in  die  Eeiche  (später  Provinzen)  Mysien,  Lydien,  Karlen, 
Lycien,  Pamphylien,  Pisidien,  Phrygien,  Galatien,  Kappadocien,  Lycao- 
nien,  Bithynien,  Cilicien  und  Pontus.  Jetzt  ist  es  in  acht  Paschaliks 
oder  Ejalets  getheilt,  welche  Chudavendkiar  (Theile  von  Bithynien, 
Phrygien  und  Mysien  umfassend),  Kastamuni  (das  alte  Paphlagonien), 
Aidin  (Lydien,  Karlen  und  Pisidien  in  sich  begreifend),  Karaman  (Ly- 
cien, Pampliylien  und  Theile  von  Cilicien  und  Phrygien  vereinigend), 
Adaua  (der  Rest  von  Cilicien),  Bossok  und  Sivas  (Galatien  und  Kap- 
padocien) und  Tarabosan  (Pontus)  heissen. 

Für  Reisen  in  Kleinasien  ist  ein  Firman  oder  Teskereh  sehr 
wohl  zu  brauchen,  während  ein  Teskereh  in  den  von  uns  geschilderten 
Strichen  Syriens  nicht  nothwendig  ist.  Die  Geldverhältnisse  sind  die- 
selben wie  in  Syrien,  doch  versehe  man  sich  für  Touren  in  das  Innere 
mit  einem  reichlichen  Vorrath  von  Scheidemünze.  Dragomane,  die  tür- 
kisch und  griechisch  sprechen,  findet  man  in  den  Gasthöfen  von  Smyrna. 
Wer  sich  auf  die  Küstenstädte  beschränkt,  bedarf  ihrer  nicht,  da  hier 
die  meisten  Einwohner  etwas  Italienisch  verstehen.  Gasthöfe  gibt  es 
nur  in  Smyrna,  Brussa  und  Trapezunt;  in  letzterer  Stadt  existirt  nur 
eine  schlechte  Locanda.  An  allen  andern  Orten  ist  der  Reisende  auf 
die  Khans  oder  Privathäuser  angewiesen,  welche  letzteren  ihm  sein 
türkischer  Pass  öffnet.  Man  reist  auch  hier  nur  zu  Pferde.  Für  ein 
Pferd  wird  bei  längeren  Touren  ein  türkischer  Thaler  (20  Piaster)  für 
den  Tag  bezahlt.  Doch  thut  man  wohl,  dies  wie  alles  Andere,  was  zur 
Reise  gehört,  dem  Dragoman  zu  überlassen,  dem  man  für  seine  Be- 
mühung und  seine  Auslagen  ungefähr  dasselbe  gibt,  was  in  Syrien 
gezahlt  wird.  Hinsichtlich  der  Wahl  eines  solchen  wende  man  sich  an 
sein  Consulat  in  Smyrna.  Ob  die  Gegenden,  die  man  zu  durchreisen 
gedenkt,  sicher  sind,  erfährt  man  ebenfalls  am  besten  bei  seinem 
Consul.  Nicht  selten  kommen  Raubanfälle  selbst  wenige  Stunden  von 
Smyrna  vor.  Die  beste  Karte  von  Kleinasien  ist  die  zu  Berlin  in  ö 
Blättern  erschienene  Kiepertsche.  Die  geeignetste  Zeit  zum  Reisen  in 
Anatolien  ist  das  Frühjahr  und  der  Herbst.  Wer  im  April  hier  an- 
kommt, thut  wohl,  mit  den  südlichen  Gegenden  zu  beginnen  und  sich 


128  Kleinasien. 


allraälig  nach  den  nördlichen  zu  begeben.  Die  Hitze  des  Sommers  ist 
in  den  ebenen  Gegenden  so  gross  wie  in  Syrien,  und  es  ist  nicht  ge- 
rathen,  Mittags  zwischen  11  uud  4  Uhr  zu  reisen,  während  wieder  im 
Gebirge  oder  auf  den  Hochflächen  des  Innern  die  Abende  und  Nächte 
zu  kalt  sind.  Man  reise  nicht  in  sumpfigen  Ebenen  nach  Sonnenunter- 
gang, schlafe  nicht  unter  Olivenbäumen,  da  die  Nichtbeachtung  dieser 
Eegeln  bösartige  Fieber  zur  Folge  hat,  man  sehe  endlich  nach,  dass 
der  Dragoman  ein  gutes  Zelt  mitnimmt,  da  die  Orte,  wo  man  ein 
Dach  für  die  Nacht  trifft,  oft  sehr  weit  auseinander  liegen. 

1.  Smyrna  und  seine  TJmgebung. 

Die  Hotels  Smyrna's  belinden  sich  alle  in  der  Nähe  des  Lan- 
dungsplatzes. Das  beste  ist  das  „Hotel  Mille",  wo  man  per  Tag  12 
Franken  zahlt.  Im  „Hotel  Müller"  (Preusse)  und  im  „Hotel  Europe* 
gibt  man  per  Tag  8  Franken. 

Von  sonstigen  Preisen  merke  man  noch: 

Man  zahlt  per  Tag  für  einen  Lohndiener  3  Franken,  für  einen 
Wagen  10—15  Franken,  für  ein  Tragthier  8  Franken  und  für  ein 
Eeitpferd  5  Franken. 

Eintrittspreis  in  das  italienische  Schauspiel  beträgt  1  Frank,  in 
die  italienische  Oper  3  Franken,  eine  Loge  kostet  5 — 10  Franken,  ein 
Sitz  im  Parterre  '/j — l  Frank. 

Die  Geldverhältnisse  sind  hier,  wie  im  ganzen  Orient,  etwas 
verwickelt.  Zum  Verständniss  der  gegenwärtig  bestehenden  vier  Wäh- 
rungen ist  zu  bemerken,  dass  sie  sich  (1870)  folgendermassen  zu  ein- 
ander vorhalten: 


Conrentes  Geld 

Legales  Geld 

Tarifgeld 

Wechselgeld 

1  Lira  turca  .  . 

114      Pstr. 

100  Pstr. 

126       Pstr. 

117      Pstr. 

1  Lira  inglese  . 

128 

110      „ 

138 

128 

1  Napoleond'or . 

99 

87      „ 

109%      , 

101%      , 

1  Talaro  Medjid 

22%      „ 

5  Franken 

24.30     „ 

1  Allilik 

6.20     „ 

1  Beschlik 

5.20     „ 

Courentes  Geld  ist  für  den  allgemeinen  Verkehr  in  der  ganzen 
Stadt,  legales  Geld  für  den  Privatverkehr,  Tarifgeld  für  den  Import 
und  endlich  Wechselgeld  für  den  Export  in  Geltung.  Das  norddeutsche 
und  österreichische  Generalconsulat  erkennt  man  an  den  Flaggenstangen. 
Deutsche  finden  sich  in  Smyrna  eine  ziemliche  Anzahl.  Man  trifft  deren 
immer  einige  in  dem  von  einem  Deutschen  gehaltenen  Kaffeehaus  am 
Hafendamme,  wenige  Schritte  von  der  Lloyd-Agentie.  Ein  italienisches 
Theater,  welches  sich  indess  auf  nicht  sehr  hoher  Stufe  befindet,  trifft 
man  im  Frankenquartier  in  einer  Ecke  der  Rue  des  Roses.  In  den  Kauf- 
läden der  grossen  Strasse  des  Frankenquartiers  bekommt  man  alle 
Erzeugnisse  europäischer  Fabriken   zu  kaufen.  In  den  bessern  Kaffee- 


Kleinasien.  129 


hänsern,  sowie  in  den  verschiedenen  Clubs,  liest  man  englische,  fran- 
zösische und  deutsche  Zeitungen.  Für  Krankheitsfälle  wende  man  sich 
an  den  deutschen  Prediger,  der  die  Aufnahme  in  das  holländische 
Hospital  vermitteln  wird,  welches  trefflich  eingerichtet  ist.  Katholiken 
finden  Pflege  in  dem  österr.-ungarischen  Hospitale  St.  Antonio,  dem 
Barmherzige  Schwestern  vorstehen. 

Smi/rna  war  bis  zum  Jahre  1825  der  Hauptstapelplatz  der  Le- 
vante. Dann  aber  kamen  in  Folge  der  Dampfschiffahrtseröffnung  sowohl 
Syrien  als  auch  Persien  in  vielfachen  directen  Verkehr  mit  Europa, 
was  nur  zum  Schaden  Smyrnas  ausschlug. 

Immerliin  aber  wird  es  eine  der  hauptsächlichsten  Handelsstädte 
des  ottomanischen  Kaiserreiches  bleiben,  denn  es  hat  ein  an  werthvoUen 
Bodenproducten  gesegnetes  Hinterland,  für  deren  Verwerthung  es  den 
Centralpunct  bildet  und  bietet  zugleich  den  Seefahrern  einen  sicheren 
geräumigen  Hafen  und  guten  Ankerplatz. 

Smyrna,  von  den  Türken  Ismir  genannt,  die  Königin  von  Ana- 
tolien,  von  den  Alten  als  „die  liebliche",  die  „Krone  Joniens",  die 
„Zierde  Asiens"  gepriesen,  macht,  von  der  Ehede  aus  gesehen,  nicht 
den  Eindruck,  der  diesen  poetischen  Schwung  erklärte.  Dagegen  ist  es, 
von  den'  Höhen  über  der  Stadt  betrachtet  und  verbunden  mit  der 
prachtvollen  Bucht,  an  der  es  liegt,  allerdings  eine  der  schönsten 
Städte  dieser  Küsten.  Die  Bucht  ist  8  deutsche  Meilen  lang  und  •/, 
bis  1  Meile  breit  Schöngeformte  Berge,  die  im  Morgen-  und  Abend- 
licht in  jenem  wunderbar  schönen  violetten  Lichte  leuchten,  welches 
diesen  Gegenden  eigen  ist,  und  von  denen  sich  die  Pratelli  gegen 
1500,  der  hinter  der  Stadt  aufsteigende  Pagos  gegen  1000  F.  über  das 
Meer  erheben,  und  anmuthige  grüne  Strandebenen  schmücken  sie.  Am 
Eingang  liegen  mehre  felsige  Inseln,  die  einst  Schlupfwinkel  von  See- 
räubern waren.  Die  Form  der  Stadt  ist  elliptisch,  ein  Theil  liegt  auf 
ebenem  Boden  und  zieht  sich  fast  eine  halbe  Stunde  hart  am  Strande 
hin.  Hier  wohnen,  grossentheils  in  Häusern  von  Stein,  die  fast  ohne 
Ausnahme  nur  ein  Stockwerk  haben,  die  Christen,  unmittelbar  am 
Ufer  die  Franken,  weiter  landeinwärts  die  Griechen,  dann  die  Armenier. 
Noch  weiter  zurück  liegt  das  Quartier  der  Türken  mit  vielen  Moscheen, 
welches  sich  am  Pagos  so  wie  an  der  Höhe  im  Westen  hinaufzieht. 
Endlich  ist  das  Judenviertel  zu  erwähnen,  welches  zivei  schmale  Win- 
kel zwischen  dem" türfischen  und  dem  armenischen  einnimmt.  Im  Tür- 
ken- sowie  im  Judencj[uartier  sind  beinahe  alle  Häuser  von  Holz,  und 
d^er  Schmutz  der  engen  Gassen  übersteigt  an  manchen  Stellen  auch  die 
Erwartungen  eines  an  orientalische  Unreinlichkeit  gewöhnten  Gemüths. 
Reinlicher  ist  das  Griechen-  und  Frankenviertel,  und  man  blickt  hier 
in  manchen  Gassen  fast  durch  jede  geöfliiete  Hausthür  in  einen  hüb- 
schen, mit  einer  Fontäne  geschmückten  Garten.  Die  Bevölkerung  beläuft 
sich  jetzt  auf  etwa  180,000  Seelen,  unter  denen  70,000  Türken,  65,000 
Griechen,  etwa  15,000  Armenier,  20,000  Juden  und  gegen  10,000  Pranken 
sind.  Die  Griechen  und  Franken  besitzen  mehre  Kirchen  und  Klöster, 
die  Armenier  eine  schöne  neue  Kirche,  die  Protestanten  ein  Diakonis- 


9 


130  Kleinasien. 


senhaus  mit  einem  Mädchenpensionat,  welches  das  eleganteste  Institut 
seiner  Art  im  ganzen  Morgenland  ist.  Der  Eintritt  in  die  Moscheen 
ist  in  Smyrna  auch  dem  Giaur  unverwehrt,  nur  muss  er  dabei  die 
Schuhe  ablegen.  Es  ist  indess  für  den,  der  die  Moscheen  von  Kairo 
oder  Constantinopel  gesehen  hat,  wenig  von  Interesse  darin.  Eines 
Besuches  werth  sind  die  grossen,  zum  Theil  überwölbten  Bazars  am 
Ende  der  Prankenstrasse,  prachtvoll  die  gewaltigen  Cypressenhaiue,  die 
sich  über  den  mohammedanischen  Friedhöfen,  zum  Theil  mitten  in  der 
Türkenstadt,  zum  Theil  auf  den  Höhen  über  derselben  erheben.  Die 
neue  Caseme  im  Westen  der  Marina  (des  Theiles  der  Stadt,  der  unmit- 
telbar am  Meere  liegt)  ist  nach  europäischem  System  eingerichtet  und 
kann  3000  Mann  fassen.  Das  kleine  Port,  welches  dem  in  die  Bucht 
Einfahrenden  eine  halbe  Stunde  vor  dem  Landungsplatz  zur  Rechten 
erscheint,  heisst  SandschaJc  Kalessi,  die  Ruinen  auf  dem  Gipfel  des 
Pagos  sind  Reste  einer  mittelalterlichen  Burg,  in  welche  Theile  des 
altgriechischen  Smyrna  verbaut  sind.  Andere  Reste  der  alten  Stadt,  die  am 
Ostabhang  des  Pagos  lag,  sind  bei  den  Grabmälern  des  einen  mohamme- 
danischen Priedhofs  verwendet  worden.  Wo  das  verfallene  Castell  steht, 
wird  die  Akropolis  sich  erhoben  haben.  Archäologen  haben  hier  Spuren 
eines  Zeustempels  und  die  Stelle  des  Stadions  entdeckt,  wo  der  heilige  Po- 
lykarp  den  Märtyrertod  erlitten  haben  soll.  Die  verfallene  Moschee 
innerhalb  der  Mauern  des  Castells  soll  die  erste  Kirche  Smyrna's  ge- 
wesen sein.  Lohnender  als  diese  dürftigen  Reste  Alt-Smyrnas  ist  die 
grossartige  Aussicht,  die  man  von  den  Ruinen  aus  geniesst,  und  die, 
wenn  der  Abend  seine  röthlichen  Lichter  und  seine  blauen  Schatten 
über  die  Berge  und  das  Meer  giesst,  wahrhaft  bezaubernd  ist.  Von  der 
Höhe  überschaut  man  die  p]bene  im  Osten,  durch  welche  sich  der 
Hermus  windet  und  das  Thal  im  Süden,  wo  über  den  Meles,  einen 
kleinen  Bach,  dessen  Gewässer  die  Stadt  bespülen,  und  an  dessen  Ufer 
Sagengläubige  sich  die  Höhle  zeigen  lassen,  in  der  Homer  seine  unsterb- 
lichen Gesänge  dichtete,  eine  Wasserleitung  führt. 

Interessant  ist  die  Karavanenbrücke,  die  über  den  Meles  führt 
und  in  deren  Nähe  sich  unter  den  schattigen  Bäumen  eine  Anzahl 
eleganter  Kaffeehäuser  findet,  in  denen  namentlich  Sonntags  ein  reges, 
buntes  Leben  herrscht.  Ueber  die  Brücke  passiren  oft  Hunderte  von 
beladenen  Kameelen  auf  einmal,  und  auf  dem  Haltplatz  daneben  sieht 
man  bisweilen  Tausende  dieser  Thiere  gelagert.  Nicht  fern  von  hier 
aber  erhebt  sich  jetzt  der  Bahnhof  der  neuen  Eisenbahn  nach  Magnesia 
und  Kassaba,  die  später  noch  weiter  in  das  Innere  des  Landes  fortge- 
führt werden  soll  und  so  nicht  nur  die  Verwerthung  der  Producte 
desselben  erleichtern,  sondern  auch  den  Europäer  ein  bequemeres  Reisen 
vermitteln  wird.  Eine  zweite  Eisenbahn  führt  von  Smyrna  nach  Bur- 
nabat  und  eine  dritte  endlich  von  Smyrna  nach  Aidin. 

Von  Smyrna  kann  man  zunächst  Ausflüge  mit  der  Bahn  nach 
Burnabat,  dann  zu  Pferde  oder  mit  einem  Miniaturdampfboot,  welches 
täglich  mehrmals  von  den  Landungsbrücken  der  Marina  abgeht,  nach 


Kleinasien.  131 

den  schön  gelegenen  Dörfern   Budscha   und  Sediköi  machen,  wo  sich 
die  Landsitze  der  Consuln  und  der  reicheren  Kaufleute  befinden. 

Eine  andere  interessante  Excursion,  die  zur  Noth  in  einem  Tage 
zu  machen  ist,  würde  die  nach  Nimfi  sein,  wo  man  das  bekannte  Mo- 
nument sieht,  welches  eine  Zeit  lang  dem  Sesostris  zugeschrieben 
wurde,  aber  wohl  eher  einen  kleinasiatischen  oder  ii'gend  einen  andern 
nicht  cägyptischen  Herrscher  vorstellt.  Das  Dorf  Nymfi  liegt  fünf 
Stunden  von  Smyrna  an  der  Strasse  nach  Sardes.  Der  Weg  von  dort 
nach  dem  Denkmal  geht  erst  östlich  und  wendet  sich  dann  allraälig 
mehr  südlich  um  die  Berge  in  einen  Pass  hinein.  Anderthalb  Stunden 
bringen  uns  an  einen  Ort,  wo  Felsen  dicht  mit  Strauchwerk  und  Bäumen 
bekleidet,  sich  auf  jeder  Seite  erheben.  Auf  der  Linken  befindet  sich 
ein  Pelsblock ,  auf  dessen  Fläche  sich  im  rechten  Winkel  mit  dem 
Wege  Sculpturen  zeigen.  Es  ist  eine  in  ßelief  ausgeführte  Krieger- 
gestalt, die  von  einem  Rahmen  umgeben  ist.  Herodot,  der  dieselbe  für 
den  Sesostris  hält,  sagt,  es  sei  „ein  Mann,  fünf  Spannen  hoch,  den 
Speer  in  der  Rechten,  den  Bogen  in  der  Linken,  in  ägyptischer  Rü- 
stung" —  eine  Beschreibung,  die  in  sofern  unrichtig  ist,  als  die  Figur 
den  Bogen  in  der  Rechten  und  den  Speer  in  der  Linken  hält. 

2.    Keise  über  Magnesia  und  Bergama  nach  der  Ebene  von  Troja  und  den 
Dardanellen. 

Diese  Tour,  eine  der  interessantesten  in  Kleinasien,  erfordert 
mindestens  sechzehn  Tage  und  berührt  nacli  einander  folgende  Orte: 
Manissa  (das  alte  Magnesia),  Aksa  (einst  Thyatira),  Soma,  Bergama 
(Pergamos),  Karaweren,  Kimer'^h,  Adramiti,  Chetme,  Biaram  (Assos), 
Eski  Stambul  (Alexandria  Troas),  Eiiaeh,  Bunarbaschi  (angeblich  Troja's 
Stätte);  hierauf  kehrt  man  zurück  nach  Eriaeh  und  geht  über  Scheblak, 
Hallil  Elli  und  Chemak  Kalessi  (Dardanellenschloss)  nach  Abydos. 

Auf  der  Bahn  von  Smyrna  nach  Magnesia,  jetzt  Manissa  oder 
Manser,  passirt  man  zunächst  die  Karavaneu brücke  und  geht  dann 
durch  schöne  Thäler  voll  Feigen-  und  Olivenpflanzungeu ,  Platanen, 
wilde  Birnbäume  und  Bergfichten  weiter,  bis  2'/j  Meilen  von  Smyrna 
die  Strasse  ein  erhöhetes  Thal  voll  prächtiger  Cypressen  und  Platanen 
erreicht,  von  wo  man  noch  vier  Stunden  bis  Magnesia  hat. 

Maguesia  liegt  am  Südufer  des  Flusses  Hennus  unter  einer 
schöngeformten  Hügelkette,  über  der  sich  der  Sipylus  erhebt,  in  dessen 
schroffen  Wänden  man  Grabgrotten  sehr  alter  Zeit  findet.  Die  Stadt 
hat  gegen  40,000  Einwohner,  unter  denen  15,000  Griechen  sind.  In  der 
Nachbarschaft  wird  viel  Safran  gebaut.  Hier  erfocht  Scipio  im  Jahre 
190  V.  Chr.  einen  grossen  Sieg  über  den  syrischen  König  Antiochus 
III.  Der  Khan  in  der  Stadt  ist  aasserordentlich  geräumig  und  unge- 
wöhnlich reinlich.  Seine  Gemächer  werden  von  den  Kuppeln  überragt. 
Die  Strasse  geht  jetzt  anf  einer  Brücke  über  den  Hermus.  dann  setzt 
man  auf  einer  Fähre  über  den  Hyllus  und  wendet  sich  hinauf  nach 
Osten  in  das  Thal  des  zuletzt  genannten  Flusses.  Auf  dem  halben  Wege 


132  Kleinasien. 


nach  dem  aclit  Stunden  von  Magnesia  entfernten  Aksa,  welches  in  nie- 
driger, sumpfiger  Gegend  liegt,  trifft  man  bei  einem  einsamen  Hause 
Bruchsti3cke  von  Säulen  aus  weissem  und  rothem  Marmor,  die  von 
Sardes  hierher  gebracht  sein  sollen. 

Aksa  ist  das  alte  Thyatira,  eine  der  sieben  Kirchen  Asiens.  Es 
finden  sich  hier  zahlreiche  Reste  der  altgriechischen  Stadt,  von  der 
iudess  kein  Stein  mehr  auf  dem  andern  steht.  Die  Strassen  sind  an 
vielen  Stellen  mit  Fragmenten  von  Sculpturwerken  gepflastert  und  in 
die  Grabmäler  des  Friedhofes  hat  man  zahllose  Säulen  eingemauert, 
und  ebenso  hat  man  die  Brunnen  in  der  Nachbarschaft  des  Ortes  fast 
allenthalben  mit  den  Kapitalen  korinthischer  Säulen  verziert.  Die  Strasse 
geht  von  hier  in  der  Richtung  vonW.  N.  W.  durch  reiches,  gut  ange- 
bautes und  aumuthiges  Land.  4'/j  Meilen  von  Aksa  öffnet  sich  ein 
schönes  Thal,  in  dem  man  Kirkagatsch  und  unmittelbar  dabei  Bakir 
erblickt.  Der  Weg  führt  hier  hart  unter  den  Felswänden  hin,  an  denen 
prächtige  Fichten  und  andere  Bäume  stehen.  Die  Hecken  bestehen  aus 
Jasmin,  Arbutus   und  Myrthen. 

Soma,  das  dritte  Nachtlager  auf  dieser  Tour,  liegt  sechs  Stun- 
den von  Aksa.  Anderthalb  Stunden  von  hier  liegen  auf  einem  steilen 
Felsgipfel  die  Ruinen  einer  byzantinischen  Stadt,  die  man  durch  eine 
mit  Wallnussbäumen  und  mächtigen  Platanen  bewachsene  Schlucht 
erreicht.  Nachdem  man  Soma  verlassen,  erblickt  man  von  einer  Erhe- 
bung des  Thaies  plötzlich  vor  sich  die  P^bene  von  Bergama,  die  der 
Caicus  bewässert.  Auf  dem  halben  Wege  zwischen  Soma  und  Bergama 
steht  am  Wege  ein  Trog,  welcher  der  umgekehrte  Deckel  eines  antiken 
Sarkophags  ist,  und  ein  Stück  weiter  reitet  man  an  Quellen  mit  langen 
griechischen  Inschriften  vorüber. 

Bergama  oder  Pergamos,  acht  Stunden  von  Soma  gelegen,  war 
ebenfalls  eine  der  sieben  Kirchen.  Man  bedarf  hier  keines  Führers  zu 
den  Ruinen ;  denn  die  grossartigen  Trümmer  kündigen  sich  dem  Auge 
selbst  an.  Bergama  liegt  am  Kaystros  und  war  einst  dio  Hauptstadt 
des  pergamenischen  Reiches,  welches  von  Philetärus,  dem  Statthalter 
des  Lysimachus,  283  v.  Chr.  gegründet  wurde.  Er  und  sein  Nachfolger 
Eumenes  behaupteten  ihre  Unabhängigkeit  gegen  die  Seleuciden,  und 
Attalus,  der  von  241  bis  197  v.  Chr.  herrschte,  nahm  zuerst  den  Kö- 
nigstitel an.  Dieser  wurde  Freund  und  Bundesgenosse  der  Römer,  ein 
Verhältniss,  welches  sich  unter  seinem  Nachfolger  fortsetzte  und  133 
damit  endigte,  dass  Attalus  III.  bei  seinem  Ableben  sein  Reich  und 
seine  Schätze  an  Rom  vermachte.  Die  Stadt  Pergamos  war  sehr  präch- 
tig und  bosass  unter  Anderm  auch  eine  höchst  werthvolle  Bibliothek. 
Im  Mittelpunct  der  jetzigen  (nicht  bedeutenden)  Stadt  liegt  die 
Ruine  eines  kolossalen  Palastes ,  der  zum  Theil  auf  einer  Brücke  von 
schönem  Quaderwerk  ruht.  Die  Brücke  ist  so  breit,  dass  sie  einen 
Tunnel  von  hundert  Schritt  Länge  bildet.  Ausser  ihr  gibt  es  vier  andere. 
Viele  von  den  Khans  und  Moscheen  der  Stadt  nehmen  die  Stelle  alter 
Bauwerke  ein.  Darunter  ist  eine  Moschee,  welche  nach  ihrem  Styl 
ohne  Zweifel  einst  eine  christliche  Kirche  war.  Das  Amphitheater,  süd- 


Kleinasien.  133 


westlich  vom  Castell  der  Stadt,  ist  ein  prachtvolles  Gebäude,  durch 
welches  ein  Bach  hindurchfliesst.  Die  Bogen  desselben  sind  von  vor- 
trefflicher Ausführung.  Triuraphpforten  und  zerfallene  Häuser  mischen 
sich  mit  türkischen  Hütten,  und  die  Begräbnissplätze  sind  voll  von 
den  schönsten  Eeliquien  alter  Architektur. 

Von  Bergaraa  kann  man  auf  zwei  verschiedenen  Wegen  nach 
Bearam  (Athos)  gehen,  entweder  über  Adramiti  oder  über  Aivali  und 
von  dort  in  einem  Boot  weiter. 

a)  Die  Strasse  über  Adrajniti  geht  über  Karaweren  (sechs 
Stunden),  Kimereh  (acht  Stunden),  Adramiti  (dritthalb  Stunden)  und 
Chetme  (vier  Stunden)  und  führt  durch  wildes  Gebirg,  das  mit  Fichten 
und  Zwergeichen  und  in  den  Thälern  mit  schönen  Platanen  bewachsen 
ist.  Zwei  Stunden  von  Bergama  sieht  man  rechts  vom  Wege  die  Reste 
eines  Aquäducts,  dem  weiterhin  ähnliche  Ruinen  folgen.  Karaweren  ist 
ein  Gebirgsdorf  von  wenigen  Hütten,  Kimereh  liegt  in  einem  wohl- 
angebauten Thal,  in  dem  man  einige  Säulen  und  andere  Fragmente 
aus  römischer  Zeit  findet.  Ueber  Adramiti  hinaus  geht  die  Strasse  am 
Ufer  eines  Golfs  durch  grosse  Oelwälder,  dann  durch  schönen  Wald 
von  Myrthen-,  Lorber-  und  Erdbeerbäumen.  Chetme  ist  ein  Dörfchen 
hoch  über  der  See,  ohne  Khan,  so  dass  man  auf  sein  Zelt  angewiesen 
ist.  Weiterhin  geht  der  Weg  zwischen  dem  Meer  und  den  Bergen  hin, 
die  vom  Fuss  bis  zum  Gipfel  mit  Immergrün  bekleidet  sind. 

b)  Die  Route  über  Aiioali  ist  weit  kürzer  als  die  vorbei  gehende 
und  kann  zur  Noth  in  einem  Tage  gemacht  werden,  da  sie  bei  nur 
zwölf  Stunden  Länge  immer  über  guten  Weg  führt.  Man  passirt  auf 
ihr  mehre  kleine  Khans  und  zwei  Dörfer.  Von  Aiwali,  über  das  wir 
im  nächsten  Abschnitt  Genaueres  mittheilen,  fährt  man  in  einem  Boot 
binnen  vier  bis  fünf  Stunden  hinüber  nach  Athos. 

Die  Ruinen  von  Athos  geben  vielleicht  von  allen,  die  exi- 
stiren,  den  besten  Begriff  von  der  Gestalt  einer  altgriechischen  Stadt. 
Ein  Wäldchen  in  der  Nähe  der  Stadt  liegt  voll  von  alten  Sarkophag- 
deckeln. Die  Unter-  wie  die  Oberstadt  sind  beide  mit  einer  hellenischen 
Mauer  umgeben,  die  gut  erhalten  und  an  manchen  Stellen  noch  50 
Fuss  hoch  ist.  Die  Felsen  um  die  Stadt  erheben  sich  als  steile  Klippen 
von  60  bis  80  Fuss  Höhe,  von  denen  jede  einst  mit  einem  Tempel 
gekrönt  war.  In  der  Akropolis  oder  Oberstadt  liegen  Massen  von  Säulen, 
Triglyphen  und  Friesbruchstücke  umher,  an  einer  Stelle  findet  man 
dreissig  dorische  Säulen  in  einer  Reihe  wie  Pallisaden  aufgestellt,  und 
der  ganze  Hügel,  von  dem  man  eine  gute  Aussicht  auf  das  Meer  und 
die  Insel  Mitylene  hat,  ist  mit  Trümmern  von  Tempeln,  Bädern  und 
Theatern  besäet.  Zahlreiche  Inschriften  sind  auf  ihnen  zn  lesen.  Die 
Sitzplätze  des  Theaters  sind  noch  vorhanden,  aber  (vermuthlich  durch 
ein  Erdbeben)  umhergeworfen.  Die  Via  Sacra  oder  Gräberstrasse  ist 
fast  eine  Stunde  weit  zu  verfolgen,  und  manche  von  den  Grabmälern 
sind  noch  gut  erhalten.  In  der  Reihe  derselben  erblickt  man  runde 
Sitzplätze  wie  in  Pompeji.  Nicht  fern  von  der  Via  Sacra  begegnet 
man  einer  Mauer  von  uralter  cyklopischer  Construction. 


134  Kleinasien. 

Der  Weg  von  Athös  nach  Eski  Stambul  ist  neun  Stunden  lang 
und  führt  zum  Theil  über  waldiges  Gebirgsland.  In  den  Eichenwäldern 
sammelt  man  Galläpfel.  Auf  der  Hälfte  des  Weges  passirt  der  Eeisende 
das  Dorf  Dusla.  In  der  Nähe  von  Eski  Stambul  bestehen  die  Hügel 
aus  Muschelschalen,  und  an  einem  derselben  entspringt  ein  heisser  Quell. 

Eski  Stambul  steht  auf  der  Stätte  einer  alten  Stadt,  die  bald 
Alexandria,  bald  Troas  genannt  wjirde.  Der  heutige  Ort  besteht  nur 
aus  einem  Dutzend  Hütten.  Die  alte  Stadt  aber  muss  sehr  gross  ge- 
wesen sein.  Ihre  Trümmer  sind  gegenwärtig  mit  Eichenwald  überwachsen, 
so  dass  man  keinen  Gesammteindruck  erhält.  Besonders  interessant  ist 
der  frühere  Hafen,  wo  nach  allen  Eichtungen  hin  Hunderte  von  Säulen 
umhergestreut  sind,  und  wo  die  Wellen  der  Brandung  zeigen,  dass 
sich  der  alte  Hafendamra  noch  unter  dem  Wasser  hinstreckt.  Gerade 
gegenüber  sieht  man  die  Insel  Tenedos,  und  gegen  N.  W.  hin  Imbros. 
Einen  starken  Büchsenschuss  vom  Ufer  erblickt  man  grossartige  Kuinen, 
welche  als  der  Palast  des  Priamus  bezeichnet  werden.  Es  sind  schöne 
Bogenwölbungen  eines  Gebäudes,  welches  ein  Bad  gewesen  zu  sein  und 
die  eine  Seite  eines  öffentlichen  Platzes  gebildet  zu  haben  scheint. 
Innerhalb  seiner  Mauern  ist  der  Boden  mit  Bruchstücken  von  Sculptur- 
werken  besäet.  Nicht  fern  davon  befindet  sich  eine  von  Wölbungen 
getragene  rechtwmkelige  Plattform,  auf  der  ein  Tempel  gestanden  haben 
könnte  und  von  der  man  eine  gute  Aussicht  hat.  Gleich  dabei  trifft 
man  eine  zweite  ähnliche  aber  halbrunde  Plattform.  In  einigen  andern 
Ruinen  sind  die  Steine  so  gelegt,  dass  sie  eine  Art  Mosaik  bilden. 
Unter  den  wenigen  Einwohnern  des  Ortes  ist  Einer,  der  sich  Consul 
nennt  und  zugleich  den  Gastwirth  macht. 

Vom  höchsten  Interesse  für  den  Freund  des  Alterthums  ist  die 
drei  Stunden  südöstlich  von  Eski  Stambul  gelegene  althellenische  Fe- 
stung von  Tschigri.  Dieselbe  krönt  einen  steilen  Felsenhügel  von 
oblonger  Gestalt.  Die  Mauern,  welche  vortrefflich  erhalten  sind,  laufen 
um  den  Rand  des  Gipfels  herum,  wobei  sie  Rücksicht  auf  die  natür- 
lichen Einbiegungen  nehmen.  Die  Länge  der  Festung  beträgt  1900, 
ihre  Breite  530  Schritte.  In  Zwischenräumen  von  einander  trifft  man 
Thore,  deren  Seitenpfeiler  und  Decksteine  Monolithen  sind.  Im  Innern 
zeigen  sich  Spuren  von  Häusern.  Nirgends  findet  sich  eine  Inschrift, 
und  nur  an  dem  einen  Thorweg  begegnet  man  einigen  Sculpturen.  Das 
Ganze  ist  aus  rechtwinkelig  behauenen  Granitblöcken  ohne  Anwendung 
von  Mörtel  erbaut.  Diese  Burg  ist  wahrscheinlich  nicht  so  alt  wie  die 
Cyklopenbauten  von  Argos  und  Mykenä,  aber  weit  besser  erhalten  und 
um  Vieles  grösser. 

Die  Strasse  nach  Enaeh  führt  östlich  nach  einem  Berge  mit 
heissen  Quellen,  der  mit  den  zahlreichen  überwölbten  Bädern  und 
Brunnenhäusern  an  seinen  Abhängen  wie  eine  Honigwabe  aussieht. 
Indem  wir  einer  gepflasterten  Strasse  eine  halbe  Stunde  weit  folgen, 
finden  wir  neben  dem  Wege  eine  ungeheure  Granitsäule  im  Gebüsche. 
Nach  zwei  Stunden  erreicht  man  Gaikle,  in  dessen  Nähe  man  in  einem 
Steinbruch  noch  sieben  solche  Säulen  trifft.  Sie  haben  eine  Länge  von 


Eleinasien.  135 


39  Fuss,  und  ihr  Durchmesser  beträgt  oben  4^,,  an  der  Basis  6  Fuss. 
Sie   sind  mit   Ausnahme    der   Pompejussäule  in  Alexandrien,   der   sie^ 
gleichen,  die  grössten  Monolithsäulen  in  der  Levante. 

Nicht  fern  von  hier  liegen  auf  zwei  nebeneinander  aufragenden 
Gipfeln  die  Ruinen  von  Krisul  und  Krisa.  Nachdem  man  eine  waldige 
Höhe  passirt,  überschaut  das  Auge  plötzlich  die  ganze  Ebene  von 
TroJH,  den  mit  Schnee  bedeckten  Idu  und  das  Amphitheater  von 
Höhen,  welche  das  Thal  des  Mendereh,  des  alten  Skamatider  einfassen. 

Enaeh,  vier  Stunden  von  Eski  Stambul  entfernt,  ist  ein  grosses, 
von  Türken  und  Griechen  bewohntes  Dorf  von  Lehmhütten  mit  einem 
hübschen  Bade  und  einem  ziemlich  bequemen  Khan.  Von  hier  hat  man 
noch  S'/j  Stunden  bis  zu  der  Stätte  zu  reiten,  wo  das  Troja  oder 
Ilion  Homer's  stand.  Gleich  bei  Enaeh  liegt  ein  Grabhügel,  den  man 
das  Grab  des  Aeneas  nennt,  und  der  jetzt  den  Türken  des  Ortes  als 
Friedhof  dient.  Der  Mendereh  oder  Skamander  nimmt  den  Bach  auf, 
an  dem  das  Dorf  liegt,  und  ist  ein  grosser  Fluss,  über  den  eine  Holz- 
brücko  führt.  Sonst  kann  man  nur  in  der  hcissen  Jahreszeit  an  einer 
andern  Stelle  als  hier  und  ganz  unten  an  der  Mündung  des  Flusses 
auf  das  rechte  Ufer  gelangen.  Der  Ritt  am  Westufer  hin  führt  durch 
eine  malerische  Gegend.  Eine  kleine  Stunde  vor  Bunarbaschi  verlässt 
die  Strasse  den  Fluss  und  überschreitet  eine  Hügelkette,  von  der  man 
Strecken  des  Festlandes  von  Europa  und  Asien  und  die  Inseln  Imbroa 
und  Tenedos  überblickt.  Dieser  Thöil  der  Küste  Troja's,  der  von  der 
Insel  Tenedos  im  Südwesten  geschützt  wird,  bildet  die  bekannte  Besika- 
Bucht,  wo  die  englisch-französische  Flotte  vor  Ausbruch  des  letzten 
orientalischen  Krieges  sich  sammelte. 

Bunarbaschi,  von  den  Franken  Alttroja  genannt.  st«ht  am  Fuss 
einer  Bergkette,  die  mit  zwei  Gipfeln  endigt,  zwischen  denen  der  Fluss 
sich  in  die  Ebene  hinabdrängt.  Letztere  dehnt  sich  bis  an  die  See 
etwa  drei  deutsche  Meilen  weit  aus.  In  dem  Lehm  der  Hütten  des 
Dorfes  findet  man  gelegentlich  eine  Reliquie  antiker  Bauten  verklebt, 
aber  die  eigentliche  Stelle,  wo  Ilion  gestanden  haben  mag,  trifft  man 
etwa  eine  halbe  Stunde  östlich  von  dem  Dorfe.  Indem  man  die  Höhe 
in  dieser  Richtung  ersteigt,  erblickt  man  zwei  Grabhügel,  von  denen 
man  den  einen  für  das  Grabmal  Hector's  erklärt  hat,  da  er,  mit  der 
Beschreibung  Homer's  übereinstimmend,  aus  einer  Schicht  lose  aufein- 
ander geworfener  Steine  besteht.  Es  ist  auf  dem  Hügel  nichts  zu  ent- 
decken, was  mit  einiger  Sicherheit  dem  heroischen  Zeitalter  zugeschrieben 
werden  könnte  Die  Quellen  des  Skamander,  von  denen  die  eine  kalt, 
die  andere  lau  ist.  können  dazu  dienen,  die  Stelle  des  skäischen  Thores 
zu  bestimmen;  man  findet  sie  im  Südwesten  des  Dorfes.  Alles,  was 
sonst  in  Bezug  auf  das  Ilion  Homer's  hier  gezeigt  wird,  ist  Erfindung, 
die  sich  allerdings  von  altgriechischer  Zeit  herschreiben  mag,  sich  aber 
gewiss  nicht  bis  auf  den  trojanischen  Krieg  zurückleiten  lässt,  von 
dem  man  überhaupt  nicht  einmal  bestimmt  weiss,  ob  seine  Helden  und 
seine  einzelnen  Ereignisse,  wie  sie  bei  Homer  vorkommen,  Wahrheit 
oder  Dichtung  sind.  Alexander  der  Grosse  veranstaltete  um  diese  Hügel 


136  Kleinasien. 


glänzende  Leichenspiele,  da  er  die  Sage  von  ihnen  entweder  glaubte, 
oder  doch  wie  wir  ehrte.  Aber  schon  zu  Strabo'a  Zeit  war  die  Stelle 
der  alten  Stadt  nicht  mehr  zu  finden,  und  seihst  die  spätere  äolische 
Colonie  Neu-Ilium  ist  fast  spurlos  verschwunden.  Dass  aber  die  Gegend 
um  Bunarbaschi  diejenige  ist,  welche  Homer  bei  seiner  Schilderung 
der  Oertlichkeiten  in  der  Iliade  vor  Augen  hat,  ist  nach  dem  Obigen 
nicht  zu  bezweifeln,  und  so  bleibt  dem  Eeisenden  immer  noch  Gele- 
genheit zu  poetischen  Empfindungen. 

Von  Bunarbaschi  kehrt  man  nach  Enaeh  zurück.  Die  Strasse 
von  hier  nach  Scheblak  folgt  etwa  vierthalb  Stunden  dem  Ostufer  des 
Flusses  und  passirt  dann  den  Hügel,  welcher  dem  gegenüber  liegt,  auf 
den  man  Alttroja  verlegt.  Von  hier  nördlich  weiter  führend,  geht  sie 
nach  Scheblak,  wo  jenes  Neutroja  gestanden  haben  soll,  und  wo  man 
auf  einem  türkischen  Friedhof  eine  Anzahl  von  Säulen  und  andern 
Resten  antiker  Tempel  findet.  In  der  Fläche  unten  erhebt  sich  ein 
kleiner  Hügel,  welcher  das  Grabmal  des  Hos  sein  soll. 

HaUil  Eli,  sieben  Stunden  von  Enaeh,  ist  ein  Ort,  wo  sich  wieder 
Reste  einer  antiken  Stadt  zeigen.  Namentlich  sieht  man  die  Grund- 
mauern einiger  kleinen  Tempel.  Einer  derselben  könnte  der  des  thym- 
brischen  Apollo  sein,  bei  welchem  Achilles  von  dem  Pfeil  des  Paris 
fiel.  Der  Bach,  der  hier  vorbeiströmt,  führt  den  Namen  Tumbreck,  was 
vielleicht  eine  Verstümmelung  seines  alten  Namens  ist.  Die  Strasse 
läuft  weiter  über  niedrige  Kalksteinhügel,  welche  weiter  hin  beim 
Dorfe  Renköi  die  asiatische  Grenze  der  Dardanellenstrasse  bilden.  Von 
hier  ist  es  noch  sechs  Stunden  bis  zu  dem  Dardanellenschloss  Chanak 
Kalessi,  neben  dem  sich  ein  Städtchen  befindet,  in  welchem  viele  Töpfer 
wohnen,  welche  besonders  eigenthümlich  gestaltete  glasirte  und  ver- 
goldete Töpfe  verfertigen,  woher  der  Name  des  Schlosses  „Töpferburg" 
kommt.  Von  hier  ist  es  noch  eine  kleine  deutsche  Meile  bis  nach  der 
Landspitze  Nagara  Burun,  wo  einst  Äbydos  stand,  der  Ort,  an  den 
sich  die  Sage  von  Hero  und  Lander  knüpft,  und  wo  Xerxes  den  Helles- 
pont  überbrücken  Hess  und  Alexander  der  Grosse  mit  seinem  Heere 
über  die  Meerenge  ging.  Das  Dardanellenschloss  auf  dem  gegenüber- 
liegenden europäischen  Ufer  heisst  Chilil  Bahri,  Vorlegschloss  der  See. 
Beide  Schlösser  zusammen  werden  von  den  Türken  Bogass  His  Sarleri 
genannt.  Der  Name  der  Dardanellen  ist  abgeleitet  von  der  alten  Stadt 
Dardan  US,  die  in  dieser  Gegend  stand. 

Hier  ist  wöchentlich  mehrmals  Gelegenheit,  sich  mit  dem  Dampfer 
nach  Constantinopel  einzuschiffen. 

Wir  geben  nun  noch  zwei  Routen  durch  das  Gebiet  des  alten 
Troas  für  solche  Reisende,  welche  dieselbe  gründlich  zu  durchforschen 
wünschen. 

a)   Von  Bergama  über  den  Borg  Ida  nach  dem  Gefilde  Ton  Troja  und  Kum  Kaleli. 

Diese  Tour  kann  in  fünf,  zur  Noth  auch  in  vier  Tagen  gemacht 
werden,  und  berührt  folgende  Hauptpuncte:  Avvriamasti,  Adraniiti, 
Narlen,  Bairamitsch,  Enaeh,  Eski  Stambul  und  Kura  Kaleh.  Die  Gegen- 


Kleinasien.  137 


den,  welche  die  Strasse  durchschneidet,  sind  bezaubernd  schön,  allent- 
halben prächtige  Bergformen  und  schöne  Blicke  auf  das  Meer.  In  den 
zahlreichen  Dörfern  am  Wege  findet  der  Reisende  Khans  zur  Nacht- 
ruhe, in  den  einzeln  gelegenen  Kaffeehäusern  mancherlei  Erfrischungen. 
Awriamasti  liegt  acht  Stunden  von  Bergama.  Zu  Armutlu,  füntthalb 
Stunden  von  da,  geht  ein  Weg  nach  Aiwali  oder  Kidonia  ab,  einer 
zwei  Stunden  von  dort  gelegenen  Küstenstadt,  die  ihres  Schicksals 
wegen  Erwähnung  verdient.  Dieselbe  erhob  sich  nämlich  durch  die 
Bemühungen  eines  Griechen,  Namens  Oikonomos,  vom  Eange  eines 
Dorfes  in  kurzer  Zeit  zu  einer  der  ersten  Handels-  und  Fabriksstädte 
dieser  Küsten.  Oikonomos  wusste  sich  bei  der  Pforte  einen  Perraan  zu 
verschaffen,  welcher  den  Türken  verbot,  sich  in  Aiwali  niederzulassen. 
Darauf  strömten  von  allen  Seiten  Griechen  hier  zusammen,  und  so 
wuchs  die  Einwohnerzalil  und  der  Reichthum  der  Stadt  mit  wahrhaft 
staunenswerther  Schnelligkeit.  Zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  gab  es 
hier  dreissig  Seifenfabriken,  vierzig  Oelmühlen,  sechs  Kirchen,  zwei 
wohleingerichtete  Spitäler  und  eine  Gelehrtenschule,  die  sich  in  einem 
eleganten  Gebäude  befand.  Die  Stadt  regierte  sich  selbst  und  war 
gewissermassen  eine  kleine  Republik  unter  dem  Schutze  des  Sultans. 
Diese  schöne  Entwickelung  wurde  im  Jahre  1821  völlig  vernichtet,  und 
zwar  an  einem  einzigen  Tage.  Die  Führer  der  Revolution  in  Griechen- 
land, ermuthigt  durch  verschiedene  Erfolge,  dachten  an  Ausbreitung 
des  Aufständes  unter  ihren  Landsleuten  in  Asien.  Sie  wollten  zuerst 
Smyrna  zu  nehmen  versuchen.  Da  meldete  man  ihnen  von  Aiwali,  dass 
■  die  Türken  die  Stadt  bedrohten.  Der  Pascha  von  Brussa  hatte  Truppen 
zum  Schutz  derselben  gegen  einen  Handstreich  der  Insurgenten  beor- 
dert. Diese  misshandelten  bei  ihrem  Einzug  die  auf  den  Strassen  um- 
herstehcndon  Einwohner  und  wurden  in  Folge  dessen  verjagt.  Am 
nächsten  'l'agc  kehrten  sie  verstärkt  wieder  und  besetzten  die  Stadt 
Darauf  erschien  die  griechische  Flotte,  siebzig  Segel  stark,  vor  dem 
benachbarten  Eiland  Moskonisi,  wohin  sich  der  grösste  Theil  der  Ein- 
wohner von  Aiwali  geflüchtet,  und  zwei  Tage  später  griff'en  3000 
Griechen  unter  dem  Schutz  der  Schiffsgeschütze  die  Stadt  an  und  trieben 
nach  hartem  Kampfe  die  Türken  hinaus.  Letztere  aber  steckten  bei 
ihrem  Rückzug  die  Stadt  an  allen  vier  Ecken  in  Brand,  und  dieselbe 
sank  in  Asche.  Eine  Stadt  von  80,000  Einwohnern  war  in  einem  ein- 
zigen Tage  zur  Trümmerstätte  geworden.  Noch  heute  hat  sie  sich 
nicht  wieder  erholt. 

Kimair,  vierthalb  Stunden  von  Armutlu,  ist  ein  Ort  von  etwa 
3000  Einwohnern,  der  in  einer  sumjifigen,  mit  Olivenbäumen  bewach- 
senen Fläche  liegt  und  ausser  zwei  Moscheen  auch  eine  kleine  grie- 
chische Kirche  besitzt.  Adramiti  ist  zehn  Stunden  von  hier.  (Vergl.  die 
vorhergehende  Route.)  Narlen,  sieben  Stunden  von  Adramiti,  ein  hüb- 
sches Dorf,  das  am  Abhang  eines  anmuthigen,  mit  Olivenhainen  be- 
deckten, sich  nach  der  See  hin  öffnenden  Thaies  liegt.  Von  hier  bis 
Bairaniitsch  sind  es  neunthalb  Stunden.  Auf  dem  Wege  dahin  über- 
schreitet die  Strasse  den  Abhang  des  Berges  Ida,  welcher  der  Schau- 


138  Kleinasien. 


platz  vieler  griechischer  Sagen  und  Mythen  ist,  wo  Paris  den  Streit 
zwischen  Aphrodite,  Here  und  Pallas  Athene  um  den  goldenen  Apfel 
entschied,  und  von  wo  Zeus  in  Adlersgestalt  den  Ganymed  entführte. 
Die  Gebirgsnatur  ist  hier  sehr  wild  und  grossartig,  die  Strasse  führt 
auf  hölzernen  Brücken  über  tiefe  Thäler,  deren  Wände  mit  Fichten 
bewachsen  sind;  die  Aussicht  von  der  Höhe  des  Passes  ist  prachtvoll. 
Bairamitsch  ist  ein  Städtchen,  das  recht  freundlich  von  dem  Gipfel 
des  Hügels  herabschaut,  auf  dem  es  steht.  Von  hier  kann  man  der 
Quelle  des  Simois  einen  Besuch  abstatten.  Man  geht  zuerst  nach  dem 
vierthalb  Stunden  von  Bairamitsch  im  Gebirg  gelegenen  Dorfe  Eve- 
gelli,  wohin  ein  sehr  steiler  und  rauher  Pfad  führt,  und  von  wo  man 
bis  zu  der  Quelle  des  Flusses  noch  dritthalb  Stunden  hat.  Das  Wasser 
strömt  aus  einer  viereclTigen  Grotte  in  den  Felsen  und  stürzt  sich  bald 
darnach,  durch  kleine  Eieselbäche,  die  aus  benachbarten  Spalten  her- 
vorrinnen, geschwellt,  über  eine  50  Fuss  hohe  Wand  in  die  Tiefe.  Die 
Aussicht  von  hier  ist  sehr  umfassend,  denn  man  sieht  bei  heiterem 
Wetter  nicht  bloss  die  ganze  P^bene  von  Troja  vor  sich  bis  nach  den 
Dardanellen,  sondern  überblickt  das  ganze  Küstenland  bis  in  die  Ge- 
gend von  Srayrna.  Von  Bairamitsch  hat  man  bis  Enaeh  fünfthalb,  von 
da  nach  Eski  Stambul  drei,  von  hier  nach  Bunarbaschi  dritthalb  und 
von  dort  nach  dem  Küstenort  Kum  Kaleh  noch  drei  Stunden. 

b)   Ton  Bairamitsch  fiber  Kodschunia  Tepeh  nach  dem  Berg  Gargarns. 

Dieser  Ausflug  erfordert  hin  und  zurück  drei  Tage,  und  man 
berührt  dabei  die  Puncte  Kodschunlu  Tepeh  und  Godschillar.  Der 
erstere  ist  zwei,  der  andere  fünf  Stunden  von  Bairamitsch  entfernt. 
Das  Ersteigen  des  Gargarus  kostet  sechs  Stunden.  Der  Kodschunlu 
ist  ein  kegelförmiger  Hügel,  welcher  sich  am  Fuss  des  Gargarus  wie 
ein  vorgeschobener  Posten  erhebt.  An  seinem  Fuss  strömt  der  Simois 
hin.  Auf  der  halben  Höhe  des  Hügels  finden  sich  beträchtliche  Reste 
aus  dem  Alterthum.  Das  erste,  was  man  erblickt,  ist  ein  länglich 
runder  Raum  von  etwa  zweiundvierzig  Schritt  Länge  und  fünfundzwan- 
zig Schritt  Breite,  an  dessen  Nordseite  sich  eine  Mauer  befindet,  wäh- 
rend man  auf  der  Westseite  die  Ruine  eines  Bades  trift't,  deren  Wände  an 
manchen  Stellen  noch  mit  Stuck  überzogen  sind,  lieber  dieser  Stelle  be- 
gegnet man  Gräbern  und  einem  Bogengewölbe.  In  der  Nähe  ist  ein 
zweites  Bad,  dem  nur  das  Dach  fehlt,  und  neben  dem  mehre  Säule  von 
1 '/,  Fuss  Durchmesser  und  viele  Marmorfragmente,  sowie  Scherben 
von  antiken  Gefässen  liegen.  Noch  höher  hinauf  stösst  man  auf  die 
Ruinen  eines  Tempels.  Auf  dem  Gipfel  endlich  finden  sich  Alterthümer 
der  Urzeit.  Eine  Art  cyklopischer  Mauer  von  Steinen  so  wenig  behauen, 
als  die  in  Tiryns,  wird  sichtbar  hinter  alten  Eichen.  Im  Osten  und 
Westen  der  Bäume  sind  andere  Steine  in  der  Weise  der  sogenannten 
Druidenkreise  zusammengelegt.  Sehr  wahrscheinlich  hat  man  hier  das 
uns  von  Homer,  Aeschylus  und  Strabo  geschilderte  Heiligthum  des 
Idäischen  Zeuß  zu  suchen.  Die  Aussicht  von  hier  auf  den  Gargarus 
und  das  Thal  des  Simois  ist  sehr  schön. 


Kleinasien.  139 


Von  hier  nach  Godschilar  ist  es  drei  Stunden.  Dort  beginnt 
man  den  Gargarus  zu  ersteigen,  der  eine  dreifache  Zone  hat:  zuerst 
bebautes  Land,  dann  Wald,  zuletzt  (im  Winter  und  Frühling)  Schnee 
und  Eis  und  keine  Vegetation  mehr.  Die  erste  dieser  Zonen  kann  zu 
Pferde  durchschnitten  werden.  Während  der  ersten  Stunde  passirt  man 
eine  Anzahl  griechischer  Capellen,  von  denen  die  eine  in  sehr  roman- 
tischer Umgebung  über  einem  brausenden  Gebirgswasser  liegt.  Die 
Gegend  wird  immer  wilder  und  grossartiger,  der  Weg  immer  beschwer- 
licher und  rauher.  In  der  Waldregion  gibt  es  wilde  Schweine.  Weiter 
hinauf  ist  alles  öde  und  still.  Der  Berg  hat  vier  Gipfel,  von  denen 
immer  einer  etwas  höher  als  der  andere  ist.  Wer  das  Wetter  so  trifft, 
dass  sich  der  höchste  erreichen  lässt,  der  sich  gegen  7000  Fuss  über 
das  Meer  erhebt,  wird  durch  das  Schauspiel,  das  sich  ihm  hier  bietet, 
reichlich  für  die  Mühsal  belohnt  sein,  die  ihm  die  Ersteigung  kostete. 
Man  überblickt  von  hier  einen  sehr  grossen  Theil  von  Eumelien  und 
Anatolien,  das  ganze  Marmorameer  bis  nach  Constantinopel  hin  und 
eine  Menge  von  den  Sporaden,  die  Berge  von  Brussa.  die  Insel  Euböa, 
die  Bucht  von  Smyrna,  fast  ganz  Mysien  und  Bithynien  und  den  grös- 
seren Theil  des  südlichen  Thracien  und  Macedonien  —  in  der  That, 
ein  Panorama,  welches  seines  Gleichen  sucht! 


3.  Sie  Tour  nach  den  „Sieben  Kirchen  Asiens". 

Diese  Rundreise  nach  den  Städten,  welche  sich  rühmten,  die 
ersten  zu  sein,  wo  grössere  christliche  Gemeinden  entstanden  waren, 
und  die  desshalb  schon  in  der  Apokalypse  erwähr;^  sind,  erfordert,  von 
Smyrna  aus  unternommen,  mindestens  zwei  Wochen.  Man  wird  wohl 
thun,  wenn  man  folgenden  Plan  verfolgt:  Smyrna,  Ephesus,  Giussel 
His.sar,  Geyra,  Laodicea,  Hierapolis  (zurück  nach  Laodicea)  Tripolis, 
Bulladan,  Philadelphia,  Sardes,  Thyatira,  Pergamus,  Awriamasti, 
Smyrna. 

Ephesus  ist  von  Smyrna  auf  dem  nächsten  Wege  in  zwölf,  auf 
der  weniger  beschwerlichen  Strasse  über  Hypsile  in  vierzehn  Stunden 
zu  erreichen. 

Hi/psile,  ein  kleines  Dorf,  liegt  auf  einem  hochragenden  Vor- 
gebirge, wenig  nördlich  von  einer  Stelle,  wo  man  noch  einige  Spuren 
der  alten,  von  Lysimachus  zerstörten  Stadt  Lebedos  antrifft.  Zilli,  auf 
der  Stätte  von  Klaros  gelegen,  hat  ebenfalls  einige  Alterthümer.  Hier 
stand  ein  Orakeltempel  von  Apollo,  von  dem  man  noch  die  Höhle  der 
Weissagung  zeigt.  In  der  Nachbarschaft  begegnet  man  mehren  zer- 
trümmerten christlichen  Kirchen.  Zwischen  Lebedos  und  Klaros  liegt 
eine  kleine  Insel,  die  einst  der  Diana  geweiht  war  und  jetzt  Pendiko- 
nisi  heisst.  Von  der  alten  Stadt  Kolophon,  die  sich  rühmte,  der  Ge- 
burtsort Homers  zu  sein,  ist  keine  Spur  mehr  vorhanden.  Eine  halbe 
Stunde  vor  Ephesus  überschreitet  man  den  Kayster  vermittels  einer 
Brücke. 


140  Kleinasien. 


Auch  Ephesus  ist  zur  Trümraerstätte  geworden,  und  wo  einst 
die  grösste,  volkreichste  und  wohlhabendste  Stadt  Kleinasiens  stand, 
liegt  jetzt  nur  noch  ein  ärmliches  Dörfchen  Namens  Aiasoluk.  Ephe- 
sus, im  Alterthum  der  Mittelpunct  alles  vorderasiatischen  Handels, 
wozu  der  geräumige  Hafen  viel  beitrug,  sollte  von  den  Amazonen  erbaut 
worden  sein.  Besondere  Berühmtheit  gewann  die  Stadt  durch  den  über- 
aus prachtvollen  Dianentempel,  der  das  Arteraision  hiess  und  zuerst 
von  einem  kretischen  Baumeister  errichtet  worden  sein  soll.  Er  war 
im  jonischen  Styl  erbaut,  425  Fuss  lang,  200  Fuss  breit  und  mit  127 
Säulen,  jede  von  60  Fuss  Höhe,  geschmückt.  Man  zählte  ihn  zu  den 
sieben  Wundern  der  Welt.  Im  Jahre  356  v.  Chr.  durch  Herostratus 
niedergebrannt,  wurde  er  von  den  Ephesiern  noch  prächtiger  wieder 
aufgebaut.  So  stand  er,  von  Kaiser  Nero  nur  seiner  Schätze  beraubt, 
bis  ihn  262  n.  Chr.  die  Gothen  niederbrannten.  Ephesus  wurde  eben- 
falls wiederholt  zerstört,  aber  sein  jetziger  Zustand  datirt  sich  erst 
vom  Einbruch  der  Mongolen,  welche  unter  Timur  die  Stadt  erstürmten 
und  zur  Trümmerstätte  machten.  Ephesus  liegt  auf  einer  Strandebene, 
die  im  Norden  vom  Galessus,  im  Süden  vom  Koressus  eingeschlossen 
ist  Auf  der  Niederung  stehen  zwei  vereinzelte  Hügel,  auf  dem  einen 
liegt  jetzt  das  Dorf  Aiasoluk,  der  andere  ist  der  Prion,  an  welchen 
sich  die  alte  Stadt  lehnte,  und  der  noch  jetzt  der  Mittelpunct  des 
Trümmerfeldes  ist,  in  das  sie  zusammengefallen.  Man  darf  sich  keine 
zu  grossartige  Vorstellung  machen  von  den  Euinen,  sie  sind  in  der 
That  sehr  ausgedehnt,  da  man  mindestens  vier  Stunden  braucht,  um 
sie  zu  durchwandern,  fallen  aber  nur  an  einigen  Stellen  sehr  in  die 
Augen,  lieber  die  Stelle  des  Theaters,  wo  der  Goldschmied  Demetrius 
den  Tumult  gegen  *den  Apostel  Paulus  erregte,  kann  kein  Zweifel 
obwalten,  aber  die  steinernen  Sitze  sind  jetzt  verschwunden,  und  das 
Prosceniura  ist  ein  Euinenhaufen.  Ziemlich  gut  erhalten  ist  ein  Stadion 
von  690  Fuss  Länge,  welches  sich  an  dem  Hügel  Prion  befindet,  und 
an  dem  man  noch  die  Bogenwölbungen  bemerkt,  welche  es  zum  Theil 
trugen.  Ferner  sieht  man  noch  einen  gigantischen  Trümmersturz,  der 
entweder  ein  grosser  Palast  oder  ein  Gymnasium  gewesen  ist.  Die 
alten  Mauerreste  am  Berg  Koressus  im  Süden  sind  Beispiele  althelle- 
nischer Architektur.  Die  Euinen  von  Aiasoluk  bestehen  fast  nur  aus 
Bruchstücken  von  Gebäuden  des  alten  Ephesus.  Die  zerfallene  Moschee, 
die  sich  da  findet,  soll  früher  eine  Kirche  des  Apostels  Johannes  ge- 
wesen sein,  mit  dessen  Namen  auch  der  des  Dorfes  (Aiasoluk  zusam- 
mengezogen aus  Hagios  Theologos,  Hagios  vulgär  wie  Ai  ausgesprochen) 
erklärt  wird.  Von  dem  Dianentempel  und  seinen  Eiesensäulen  ist  ein 
gewaltiger  Trümmerhaufen  am  Ende  des  Hafens  übrig.  Wenigstens 
deutet  man  diesen  so  nach  Strabo.  In  der  Nähe  sollen  sich  in  einer 
Höhle  eine  grosse  Menge  Marmorstatuen  befinden  —  eine  Behauptung 
der  Bauern  des  Ortes,  die  indess  die  Stelle  nur  gegen  hohe  Belohnung 
zeigen  wollen.  Vielleicht  sind  diese  Statuen,  wenn  anders  die  Sache 
nicht  ein  Märchen  ist,  Statuen  vom  Dianentempel.  Wir  bemerken  noch, 
dass  man  in  der  Nähe  der  Steinbrüche  am  Prion  das  Grab  St.  Johannes 


Kleinasien.  141 


des  Apostels,  der  hier  eine  Zeitlang  lebte  und  vielleicht  auch  hier 
starb,  und  am  Koressus  das  Grab  der  Jungfrau  Maria  zeigt. 

Von  Ephesus  oder  Aiasoluk,  wo  man  in  Khan  Unterkunft  findet, 
nach  Giussel  Hissar  oder  Aidin  hat  man  eine  starke  Tagereise  von 
zwölf  Stunden.  Zwischen  beiden  Orten,  bei  dem  Kaffeehaus  Balitschek 
Kanessi,  fünf  Stunden  von  Ephesus,  führt  ein  Weg  zur  rechten  Seite 
der  Strasse  über  die  Ebene  und  den  Kamm  einer  Hügelreihe  nach  den 
Ruinen  von  Magnesia  ad  Mäandrum.  Dieselben  sind  von  Kaffeehaus 
eine  kleine  Stunde  entfernt  und  ziemlich  ausgedehnt.  Man  trifft  an 
verschiedenen  Stellen  Bruchstücke  von  Säulen,  Mauerquaderu  u.  a.  Im 
Südwesten  des  Stadtaerals,  nahe  dem  Gipfel  der  Höhe,  ist  das  Stadium, 
vou  dem  die  Gestalt  und  ein  Theil  der  Sitzplätze  erhalten  ist.  Im 
Osten  erhebt  sich  ein  Stück  Mauer,  neben  dem  sich,  wie  ein  grosser 
Kuineuhaufen  andeutet,  ein  dorischer  Tempel  erliob.  Unter  den  Trüm- 
mern hat  man  mehre  sehr  schöne  Basreliefs  gefunden. 

Aidin  oder  Giussel  Hissar,  von  Balitschek  Kanessi  noch  sieben 
Stunden,  steht  an  der  Stelle  des  alten  Tralles  auf  einem  schönen  Hügel. 
Von  der  alten  Stadt  sind  hier  und  da  noch  Grundmauern  und  die 
Ruinen  eines  Palastes  übrig,  dessen  Bogenwölbungen  man  schon  aus 
weiter  Ferne  erblickt.  Die  moderne  Stadt  hat  dreiviertel  deutsche 
Meilen  im  Umfang,  ist  die  Residenz  eines  Pascha  und  gehört  zu  den 
lebhaftesten  Handelsstädten  der  asiatischen  Türkei.  Sie  liegt  recht 
aninuthig  in  Obst-  und  Gemüsegärten  über  der  Ebene.  Bazars,  von 
Bäumen  beschattet,  bilden  die  Hauptstrasse.  Mehre  hübsche  Moscheen 
fesseln  den  Blick,  die  Griechen  haben  einige  Kirchen,  die  Juden  mehre 
Synagogen  hier. 

Von  hier  führt  der  weitere  Weg  durch  die  Peigengärten  und 
Getreidefelder  der  Ebene  nach  Sultan  Hissar,  einem  Dorfe,  von  Türken 
bewohnt,  welches  an  der  Stelle  des  alten  Nysa  steht.  Man  hat  bis 
dahin  fünf  Stunden.  Etwa  drei  Stunden  weiter  folgt  das  grosse  Dorf 
Nasi,  nicht  weit  von  der  Stelle,  wo  Mastaicra  stand.  Zwei  Stunden  weiter 
erhebt  sich  das  alte  Castell  von  Jeni  Scheher,  wieder  drei  Stunden 
weiter  kommt  man  )iach  Karajasu.  Am  Südufer  des  Mäander,  da  wo 
der  Karasu  in  ihn  mündet ,  trifft  man  Ruinen,  welche  die  Stätte  von 
Antiochia  ad  Mäandrum  bezeichnen.  Indem  man  dem  Karasu  etwa 
neun  Stunden  weit  nach  Süden  folgt,  gelangt  man  nach  Geyra,  einem 
Orte,  der  die  Stelle  des  alten  Aphrodisias  einnimmt.  Laodicea,  jetzt 
Eski  Hissar,  liegt  nordöstlich  von  Geyra.  Am  Eingang  in  die  alte 
Stadt,  deren  Stätte  jetzt  ohne  irgendwelche  Bewohner  ist,  stehen  die 
mächtigen  Trümmer  einer  Brücke.  Eine  gepflasterte  Strasse  führt  zu 
einem  Thor  mit  drei  Bogenwölbungen.  An  dem  Abhang  des  Hügels, 
an  dem  die  Stadt  lag,  finden  sich  zwei  Theater,  deren  Sitzplätze  noch 
wohl  erhalten  sind.  Das  eine,  im  Osten,  ist  sehr  elegant  gewesen:  die 
Sitze  waren  alle  von  Marmor  und  stützten  sich  auf  Löwenfüsse.  Die 
Tempel  der  Stadt  sind  zu  blossen  Steinhaufen  zusammengesunken. 
Einige  noch  erhaltene  Mauern  scheinen  christlichen  Kirchen  angehört 
zu  haben. 


142  Kleinasien. 

Von  hier  geht  die  Strasse  in  das  Thal  Likos  hinab,  welches 
von  ihr  in  nördlicher  Richtung  quer  durchschnitten  wird.  Nach  dritt- 
halb Stunden  kommt  man  nach  Barabuk  Kalessi,  dem  wegen  seiner 
heissen  Mineralquellen  im  Alterthum  berühmten  Hierapolis.  Der 
Berg,  auf  dem  die  Reste  der  alten  Stadt  liegen,  ein  Ausläufer  des 
Messogis,  bietet  einen  eigenthümlichen  Anblick.  Die  Felsblöcke  unter 
den  Ruinen  sehen  aus  wie  gefrorene  Wasserfälle,  was  von  den  Incru- 
stationen  der  Mineralquellen  herkommt,  welche  als  kleine  Bäche  zwischen 
und  über  den  Ruinen  hervorbrechen.  Die  von  ihnen  abgesetzten  erdigen 
Bestandtheile,  über  welche  die  Wasser  dann  wieder  fliessen  und  neue 
Mineralien  absetzen,  haben  die  Oberfläche  des  Grundes  und  Bodens  an 
manchen  Stellen  15  bis  20  Fuss  erhöht  und  Massen  eines  bröckeligen 
gelblichen  Gesteins  gebildet,  welches  das  Gehen  zwischen  den  Trüm- 
mern sehr  erschwert.  Von  den  Resten  der  Stadt  sind  mehre  Bäder,  ein 
Theater,  ein  Triumphbogen,  die  massiven  Wände  von  Tempeln,  eine 
ziemliche  Anzahl  von  Säulen,  von  denen  einige  noch  aufrecht  stehen, 
und  die  Ruinen  mehrer  christlicher  Kirchen  besonders  beraerkenswerth. 
Der  Umfang  der  ganzen  Trümmerstätte  beträgt  etwa  dreiviertel  Stunden. 

Drei  Stunden  von  Laodicea  liegt  das  sehr  ausgedehnte  Trümmer- 
feld von  Chonas,  in  welchem  einige  Archäologen  die  Reste  der  Stadt 
Kolossä  erkennen  wollen,  an  deren  Einwohner  der  Apostel  Paulus  die 
bekannte  Epistel  schrieb.  Die  Stadt  hiess  in  späterer  Zeit  Chöna, 
woher  der  heutige  Name. 

Wir  kehren  jetzt  nach  Laodicea  zurück,  von  wo  die  Strasse  in 
das  Thal  des  Mäander  abbiegt  und  in  der  Nähe  vnn  Kasch  Jenidschi 
über  den  Fluss  geht.  Hier,  vier  Stunden  von  Laodicea,  stand  einst 
Tripolis,  wo  St.  Bartholomäus  gelehrt  uud  der  Apostel  Philippus  den 
Märtyrertod  erlitten  haben  soll.  Man  trifft  Spuren  eines  Theaters,  einer 
Burg  und  anderer  Gebäude,  aber  Alles  ist  bis  auf  die  Grundmauern 
zerstört.  Von  hier  geht  man  über  das  neun  Stunden  entfernte  BuUadan, 
Aineh  Giul  und  den  Berg  Tmolus  auf  sehr  schlechtem  Wege  nach 
Allah  Scheher,  dem  alten  Philadelphia,  welches  etwa  sechs  Stunden 
von  Bulladan  entfernt  ist.  Die  Stadt  ist  noch  jetzt  ziemlich  gross  und 
mag  12  bis  15,000  Einwohner  haben,  unter  denen  sich  gegen  2000 
Griechen  befinden,  die  hier  einen  Bischof  haben.  Man  trifft  sechs  Mo- 
scheen, zwei  Kirchen,  mehre  Bäder  und  einen  ziemlich  guten  Khan. 
Von  der  alten  Stadt,  die  viel  durch  Erdbeben  gelitten  hat,  ist  nur 
wenig  noch  übrig.  Man  sieht  auf  den  Hügeln,  die  sie  einnahm,  noch 
Reste  ihrer  Umfassungsmauern  und  Gemäuer  von  grossen  Gebäuden, 
welche  christliche  Kirchen  gewesen  sein  sollen,  möglicherweise  aber 
auch  Tempel  waren. 

Von  hier  hat  mau  bis  Sart,  der  Stätte  des  alten  Sai'des,  neun 
Stunden  zu  reiten,  wobei  wir,  wie  bei  den  früheren  und  den  folgenden 
Distanzenberechnungen  annehmen,  dass  man  gute  Pferde  hat  und  etwa 
dreiviertel  deutsche  Meilen  in  der  Stunde  zurücklegt.  Die  Umgebung 
von  Sardes  ist  öde  und  menschenleer,  die  Lage  desselben  aber  sehr 
schön.    Der  heutige   Ort  besteht  nur  aus  wenigen  Schäferhütten  und 


Kleinasien.  143 

einer  Mühle,  die  von  den  Fluthen  des  berühmten  Paktolus  in  Bewegung 
gesetzt  wird.  Der  Besitzer  dieser  Mühle'  ist  der  einzige  Christ  an  der 
Stelle,  welche  einst  der  Sitz  eines  Bischofs  war  und  zu  den  ältesten 
Sitzen  des  Christenthums  in  Asiens  Ländern  gehörte.  Sardes  war  in 
der  Urzeit  die  glänzende  Hauptstadt  des  lydischen  Reiches  und  die 
Eesidenz  des  goldreichen  Crösus.  Nach  dessen  Besiegung  durch  die 
Perser  (575  v,  Chr )  war  es  der  Sitz  eines  persischen  Satrapen.  Nach- 
dem die  Stadt  bei  dem  Aufstand  der  Jonier  unter  Aristagoras  von 
Darius  (500  v.  Chr.)  erobert  und  mit  Feuer  verwüstet  worden,  erhob 
sie  sich  rasch  wieder  aus  der  Asche  und  war  noch  zur  Zeit  Alexanders 
d.  Gr.  und  seiner  nächsten  Nachfolger  eine  der  schönsten  Städte  Klein- 
asiens. 215  v.  Chr.  aber  wurde  sie  von  Antiochus  nach  langer  Belage- 
rung eingenommen  und  zerstört.  Nach  Besiegung  des  Antiochus  ge- 
langte sie  in  den  Besitz  Rom's,  und  erhielt  sich,  wenn  auch  sehr 
herabgekommen,  selbst  noch  unter  der  Herrschaft  der  Mohammedaner, 
die  sich  ihrer  im  11.  Jahrhundert  bemächtigten.  Endljch  wurde  sie  zu 
Ende  des  14.  Jahrhunderts  von  den  Mongolenhorden  Timurs  dem  Erd- 
boden gleichgemacht  und  auch  das  Castell,  das  sich  über  ihr  auf 
einem  Gipfel  des  Tmolus  erhob,  wurde  zerstört.  Die  Reste  der  Stadt 
sind  sehr  verschiedenen  Datums.  Der  älteste  Theil,  bestehend  in  Spuren 
eines  Stadiums  und  eines  Theaters,  sowie  in  Trümmern  von  Tempeln, 
lässt  sich  leicht  herausfinden.  Alles  Andere  ist,  mit  Ausnahme  der 
Ruinen  eines  Gebäudes,  welches  der  Palast  des  Crösus  genannt  wird, 
nur  in  sofern  von  Interesse,  als  es  die  Ausdehnung  der  Stadt  andeutet. 
Eine  halbe  Stunde  von  der  Stadt  stehen  am  Ufer  die  Ruinen  des  ko- 
lossalen Cf/heletempels,  der  vor  dem  Einbruch  der  Perser  gegründet, 
fast  so  gross  wie  der  von  Agrigent  war.  Von  dem  gewaltigen  Gebäude 
sind  nur  noch  zwei  aufrecht  stehende  und  vier  liegende  jonische  Säulen, 
sowie  einige  verwirrt  durcheinandergesttirzte  Mauerquadern  übrig  Sehr 
eigenthümlich  ist  der  Anblick  des  von  Erdbeben  zerrissenen  Hügels, 
auf  dem  die  Burg  von  Sardes  stand. 

Thi/atira,  die  fünfte  der  Kirchen  Asiens,  zehn  Stunden  von  Sart 
entfernt,  ist  oben  (Route  von  Smyrna  nach  Troja),  Pergamos,  die 
dritte  der  sieben  Kirchen,  zwölf  Stunden  von  Thyatira  gelegen,  eben- 
daselbst geschildert.  Von  Pergamos  gelangt  man  über  Awriaraasti  in 
zwanzig  Stunden  nach  Smyrna  zurück. 

4.  Sie  Tour  von  Smyrna  über  Sardes  und  Bnusa  nach  Constantinopel. 

Diese  Reise  erfordert  mindestens  zwei  Wochen,  wenn  sie  über 
die  folgenden  Puncto  gehen  soll:  Ephesus,  Tyria,  Supetram,  Sardes, 
Thyatira,  Galembie,  Gülgüt,  Mandragora,  Susugürli,  Ulubat,  Chetalor- 
gulj  Brussa,  Mudania 

Der  Weg  von  Smyrna  nach  Ephesus  ist  in  der  vorigen  Route 
angegeben,  und  wir  fügen  nur  noch  hinzu,  dass  man,  da  vierzehn 
Stunden  für  eine  Tagereise  zu  viel  sind,  wohl  thut,  Smyrna  in  den  letzten 
Nachmittagsstunden  zu  verlassen  und  in  dem  hübschen  Dorfe  Sediköi 


144  Kleinasien. 

dritthalb  Stunden  von  Smyrna,  zu  übernachten  Von  Ephesus  nach 
Tyria  sind  es  neun  Stunden.  Der  Weg  folgt  dem  Lauf  des  Kayster 
durch  ein  schönes,  sehr  fruchtbares  aber  wenig  angebautes  Thal.  Die 
malerisch  geformten  Berge,  welche  dasselbe  einschliessen,  gehören  den 
Ketten  des  Messogis  und  Tmolus  an.  Sie  sind  durchaus  mit  Wald 
bewachsen.  Das  Thal  ist  in  der  Nähe  der  See  nur  eine  starke  Viertel- 
stunde, weiter  oben  eine  bis  anderthalb  Stunden  breit.  Auf  dem  Wege 
trifft  man  die  Hütte  eines  Kafedschi,  wo  man  ruhen  und  Erfrischungen 
einnehmen  kann.  Tyria  ist  eine  ziemlich  grosse,  fast  nur  von  Türken 
bewohnte  Stadt  am  Abhang  des  Tmolusgebirges.  Jedes  Haus  steht 
einzeln  und  ist  gewöhnlich  von  einem  Garten  umgeben  Zahlreiche 
Moscheen  mit  ihren  Kuppeln  und  Minarets,  umgrünt  von  den  Wipfeln 
schöner  alter  Bäume,  geben  der  Stadt  ein  Aussehen  von  Eeichthum 
und  Bedeutung,  welche  sie  nicht  besitzt.  Man  glaubt,  dass  sie  die 
Stelle  des  alten  Tyrinthio  einnimmt,  indess  finden  sich  nirgends  Spuren 
von  Alterthümern 

Die  Strasse  führt  nun  nordöstlich  durch  ausgedehnte  Weingärten, 
in  denen  sich  viele  kleine  Warfcthürme  befinden,  über  die  Ebene  hin, 
überschreitet  mehrmals  den  Fluss  und  berührt  dann  das  lebhafte 
Städtchen  Odemes,  wo  sich  ein  grosser  Khan  und  mehre  Kaffeehäuser 
befinden.  Von  hier  aus  gelangt  man  auf  beschwerlichen  Felsenpfaden 
in  drei  Stunden  auf  den  Gipfel  des  Tmolus,  von  dem  man  eine  pracht- 
volle Aussicht  auf  das  Thal  des  Kayster  und  die  weitausgedehnte 
Bergkette  des  Messogis  hat.  Man  befindet  sich  jetzt  auf  der  Hochfläche 
von  Supetram,  die  mit  ihrer  Abwechslung  von  schönen  Wiesen,  pracht- 
vollen Wallnussbäumen,  herrlichen  Eichen  und  anderen  Bäumen,  die 
theils  einzeln,  theils  in  kleinen  Wäldchen  beisammen  stehen,  Aehn- 
lichkeit  mit  einem  künstlich  angelegten  Park  hat.  Durch  die  Mitte  der 
Ebene  rauscht  ein  wasserreicher  Bach,  der  an  einigen  Stellen  Gärten 
bewässert,  während  der  grösste  Theil  der  Ebene  mit  den  Herden  wan- 
dernder Turkomanen  bedeckt  ist,  welche  den  Einwohnern  des  Dorfes 
Kapai  unten  im  Thal  diese  Weiden  abpachten.  Man  findet  bei  den 
Turkomanenhütten  gastfreie  Aufnahme,  indess  haben  diese  Hirten  nicht 
viel  mehr  als  Milch  und  Brot  zu  bieten.  Der  Weg  geht  um  zwei 
Stunden  über  die  Hochfläche  hin,  indem  er  dem  Ufer  des  Baches  folgt 
Nach  vier  weiteren  Stunden  gelangt  man  auf  sehr  schroffen  und  be- 
schwerlichen Pfaden  hinab  nach  Sardes,  über  welches  in  der  vorigen 
Route  das  Erforderliche  gesagt  ist. 

Von  Sardes  führt  die  Strasse  zunächst  nach  einer  Furt  in  dem 
Flusse  Giediskai  (dem  alten  Hermus),  nach  welcher  man  einen  Führer 
mitnehmen  muss,  da  der  Weg  durch  die  gefahrvollen  Moräste  an  den 
Ufern  schwer  zu  finden  ist  Der  Fluss  ist  breit  und  ziemlich  tief.  Das 
Land  zwischen  ihm  und  dem  gleichfalls  von  sumpfigen  Ufern  einge- 
fassten  Gygäischen  See  ist  voll  von  den  Grabhügeln  des  Volkes  und 
der  Könige  des  alten  Lydien.  Dieselben  sind  von  konischer  Gestalt 
und  mit  Easen  überzogen.  Die  grossen  bergen  die  Leichen  vornehmer, 
die  kleinen  die   geringer  Leute.    Man   zählt   noch  heute  über  sechzig 


Kleinasien.  145 


solche  Grabdenkmale,  die  zum  Theil  hundert  bis  dreihundert  Schritte 
Umfang  haben,  und  unter  denen  drei  durch  ihre  besondere  Grösse  her- 
vorragen. Da  von  den  altgriechischen  Schriftstellern  die  Gräber  des 
Attf/s,  des  Gyges  und  des  Alyattes  besonders  genannt  werden,  so 
werden  wir  wohl  in  jenen  drei  grossen  Hügeln  die  Gräber  jener  drei 
lydischen  Herrscher  zu  suchen  haben.  Gewiss  ist,  dass  der  grösste  der 
drei  das  Denkmal  ist,  welches  Crösus  seinem  Vater,  dem  siegreichen 
König  Alyattes  errichtete.  Herodot  sagt  von  diesem,  dass  es  nach  den 
Bauwerken  der  Babylonier  und  Aegypter  das  grösste  Bauwerk  der 
Welt  gewesen  sei.  Der  Unterbau  sei  von  Stein,  sechs  Stadien  und  zwei 
Plethren  im  Umfang  (3800  Fuss),  die  Länge  betrage  dreizehn  Plethren 
(1300  Fuss)  und  die  Breite  sechs  Plethren  (600  Fuss).  Ueber  diesem 
Unterbau  sei  ein  Hügel  von  Erde  hoch  aufgeschüttet.  „Auf  diesem 
Hügel  standen,"  fährt  Herodot  fort,  ,bis  auf  meine  Zeit  fünf  Säulen. 
An  diesen  war  verzeichnet,  wie  viel  von  diesem  Werk  die  Handels- 
leute des  Marktes,  die  Handwerker  und  die  Freudenmädchen  gemacht 
hatten,  und  nach  dem  Maasse  war  das,  was  die  Freudenmädchen  ge- 
macht, das  grösste."  Nach  Xenophon  bezeugte  eine  andere  dieser  Säulen 
auch  das,  was  die  Eunuchen  gethan,  deren  es  in  dem  alten  Lydien 
eine  grosse  Anzahl  gab.  Die  Eeste  des  Grabes  des  Äli/attes  messen 
noch  jetzt  über  8400  Fuss  im  Umfang,  die  schräge  Höhe  beträgt  650 
Fuss.  Auf  dem  Gipfel  der  aufgeschütteten  Erde  erhebt  sich  ein  Stein- 
bau von  18  Fuss  Länge  und  ebenso  viel  Breite,  auf  dem  eine  stumpfe 
Säule  steht,  die  wahrscheinlich  eine  der  fünf  von  Herodot  erwähnten 
ist,  und  an  die  Gestalt  eines  Phallus  erinnert.  Der  Grabhügel,  der  dem 
des  Alyattes  am  Grösse  am  nächsten  kommt,  misst  ebenfalls  über  3000 
Fuss  im  Umfang,  und  über  000  Fuss  schräge  Höhe  Der  dritte  hat 
einen  Umfang  von  etwa  2000  und  eine  Höhe  von  400  Fuss. 

Die  Gräber  liegen  etwa  eine  deutsche  Meile  von  Sardes.  Viert- 
halb Stunden  weiter  liegt  Marmora,  ein  von  Griechen  bewohntes  Dorf, 
auf  dessen  Begräbnissplatz  sich  Säulentrümmer  und  andere  Spuren 
einer  alten  Stadt  finden. 

Neun  Stunden  von  Marmora  ist  Aksa  (Thyatira),  welches  oben 
beschrieben  ist.  Zwei  Stunden  von  hier  liegen  am  Abhang  eines  Berges 
verschiedene  Felsenkämmern,  welche  Grüfte  gewesen  zu  sein  scheinen. 
Die  Strasse  passirt  mehre  IBegräbnissplätze  oder  Dörfer  oder  Städte, 
dann  fünf  Stunden  von  Aksa  das  grosse  türkische  Dorf  Galembie;  hier- 
auf nach  weiteren  fünf  Stunden,  zum  Theil  sehr  beschwerlichen  Weges 
über  einen  steilen  Bergpass  das  in  der  Ebene  gelegene  Dorf  Gülgüt, 
worauf  sie  wieder  in's  Gebirge  hinaufsteigt.  Zwei  Stunden  von  Gülgüt 
kommt  man  an  den  Ruinen  eines  Gebäudes  vorbei,  an  das  sich  eine 
seltsame  Sage  knüpft.  Das  Gebäude  war  ein  Kloster,  welches  von 
zwölf  frommen  Derwischen  gegründet  wurde.  Dieselben  waren  weithin 
berühmt  wegen  ihres  heiligen  Wandels  und  ihres  tiefen  Wissens,  und 
es  hiess  sogar,  dass  sie  Wunder  verrichten  könnten.  Besonders  sollten 
sie  unfruchtbare  Weiber  heilen,  und  da  Unfruchtbarkeit  im  Orient 
nicht  bloss  für  ein  Unglück,  sondern  für  eine  Schande  gilt,  so  stellten 


10 


146  Kleinasien. 


sich  zahlreiclie  Frauen  zur  Cur  ein.  Die  heiligen  Männer  nahmen 
solche  Hilfesuchende  in  ihr  Kloster  auf,  beteten  mit  ihnen,  hingen 
ihnen  Amulete  um,  gaben  ihnen  Pulver  ein,  und  entliessen  sie  nicht 
eher,  als  bis  ihre  Mittel  geholfen  oder  sich  als  gänzlich  erfolglos  be- 
wiesen hatten,  was  sehr  selten  vorkam.  Ueber  Alles,  was  mit  den 
Damen  vorgenommen  wurde,  mussten  sie  eidlich  Schweigen  angeloben. 
Indess  brach  eine  der  Geheilten  endlich  ihren  Schwur,  und  die  Folge 
war,  dass  der  Gatte  zum  Pascha  klagen  ging,  und  dieser  mit  Soldaten 
nach  dem  Kloster  zog  und  die  zwölf  Heiligen  an  die  um  dasselbe  her- 
umstehenden Bäume  hängen  Hess.  Die  Frauen  aber,  welche  sich  hier 
hatten  curiren  lassen,  wurden  theils  in  Säcke  genäht  und  in's  Meer 
geworfen,  theils  lebendig  begraben.  Dem  Volke  jedoch  leuchtete  die 
Erzählung  der  Dame  nicht  ein,  es  hält  die  Gehenkten  noch  jetzt  für 
Heilige  und  Märtyrer,und  häufig  sieht  man  Leute  auf  ihrem  Grabe  beten. 

Weiterhin  verlässt  die  Strasse  wieder  die  Berge  und  führt  über 
eine  weite,  theilweise  angebaute,  Ebene  nach  dem  Dorfe  Mandragora, 
welches  zehn  Stunden  von  Gülgüt  entfernt  ist,  und  wo  man  in  dem 
Hause  eines  Griechen  Nachtherberge  findet.  Zwei  Stunden  von  hier 
sieht  man  ein  eigenthümliches  Naturspiel  in  einem  von  unzähligen 
Feldmäusen  vollständig  durchlöcherten  Hügel.  Die  Thiere  sind  von 
ungewöhnlicher  Grösse,  dunkelbraun  von  Farbe  und  ohne  Schwänze. 
Zehn  Stunden  von  Mandragora  gelangt  man  nach  dem  grossen  Dorfe 
Süsugirli,  welches  am  Ufer  des  Flusses  gleiches  Namens  steht.  Eine 
Tour  von  sieben  weiteren  Stunden,  welche  über  eine  langgestreckte 
morastige  Fläche  geht,  bringt  den  Eeisenden  nach  JJluhat,  griechisch 
Lupathron,  einer  Stadt,  welche  fast  nur  von  Griechen  bewohnt  ist  und 
im  Alterthum  Lopadium  hiess.  Dieselbe  war  einst  volkreich  und  rings 
mit  hohen  Mauern  und  Thürmen  umgeben,  welche  zum  Theil  noch 
stehen,  obwohl  sie  jetzt  nur  zur  Wohnung  von  Eulen,  Fledermäusen 
und  zahllosen  Störchen  dienen.  Die  wenigen  Häuser,  welche  in  dieser 
Umfassung  noch  existiren,  befinden  sich  in  ähnlicher  Verfassung,  und 
der  grösste  Theil  des  Areals  innerhalb  der  Mauern  wird  von  Gärten 
und  ßebenpflanzungen  eingenommen.  Hart  bei  der  Stadt  trifft  man 
die  Kuinen  einer  grossen  byzantinischen  Burg.  Die  Einwohner  haben 
ein  bleiches,  abgezehrtes  Aussehen,  eine  Folge  der  ungesunden  Lage 
der  Stadt,  die  am  Ufer  eines  Flusses  steht,  der  hinter  der  Stadt  aus 
einem  See  kommt  und  vor  ihr  einen  ungeheuren  Morast  bildet.  Her- 
berge findet  der  Reisende  hier  in  einem  grossen,  aber  halb  in  Trüm- 
mern liegenden  Kloster,  in  welchem  jetzt  nur  noch  wenige  Mönche 
wohnen.  Zu  bemerken  ist,  dass  die  Griechen  in  dieser  Stadt  wie  in 
vielen  andern  Städten  und  Dörfern  des  Innern  von  Kleinasien  nicht 
mehr  griechisch,  sondern  lediglich  türkisch  sprechen,  obwohl  der  Got- 
tesdienst in  griechischer  Sprache  abgehalten  wird. 

Der  Pluss  von  Ulubat  ist  der  Ehyndacus  der  alten  Schriftsteller. 
Man  überschreitet,  oder  vielmehr,  man  überklettert  ihn  auf  einer  sehr 
baufälligen,  zum  guten  Theil  verfaulten  Brücke.  Die  Pferde  müssen 
durch  das  Wasser  schwimmen.  Dann  führt  der  Weg  durch  eine  schöne 


Kleinasien,  147 

Ebene  längs  des  See's  Apollonia  hin,  dessen  zahlreiche  Inseln  stark 
bewohnt  sind. 

Nach  fünf  Stunden  erreicht  man  das  schmucke  Dorf  Chatatorgul, 
dessen  Einwohner,  ohne  Ausnahme  Griechen,  fleissige  Ackerbauer  und 
Winzer  sind.  Von  hier  geht  die  Strasse  über  eine  prachtvolle  Fläche, 
die  vortrefflich  bebaut  und  zum  Theil  mit  prächtigen  Waldbäumen 
bewachsen  ist  und  auf  der  man  in  der  Ferne  den  gewaltigen  Schnee- 
gipfel des  asiatischen  Olymp  vor  sich  hat,  nach  der  grossen  Stadt 
Brussa,  welche  nach  sechs  Stunden  erreicht  wird. 

In  Brussa  findet  sich  in  dem  wohleingerichteten  Hotel  d'Olympe 
Gelegenheit,  wieder  in  der  Weise  civilisirter  Leute  zu  essen  und  zu 
schlafen.  Der  Preis  dafür  ist  für  den  Tag  zehn  Franken.  Diese  Stadt, 
im  Alterthum  der  Sitz  der  bithynischen  Könige,  ist  nach  Prusias.  dem 
Gönner  und  Beschützer  Hannibals  benannt,  der  200  v.  Chr.  lebte.  Unter 
der  Römerherrschaft  hören  wir  wenig  von  Brussa,  obwohl  es  stets  wegen 
seiner  Bäder  und  seiner  anmuthigen  Lage  berühmt  war.  Hier  wohnten 
die  Gouverneure  der  Provinz  Bithynien,  unter  denen  Plinius  war.  Später 
(1326)  wurde  es  den  schwachen  Händen  der  oströmischen  Kaiser  durch 
Orchan,  den  Sohn  Othman's,  entrissen,  welcher  die  ottomanische  Dyna- 
stie gründete  und  die  Stadt,  die  er  zu  seiner  Residenz  wählte,  mit 
einer  Moschee,  einem  Medresse  und  einem  Hospital  schmückte.  Nach 
der  Schlacht  bei  Angora  von  Timur  erstürmt  und  zerstört,  wurde  es 
von  Mohammed  II.  wieder  aufgebaut  und  blieb  die  Residenz  der  tür- 
kischen Sultane,  bis  Amurath  dieselbe  nach  Adrianopel  verlebe.  Jetzt 
ist  es  die  Hauptstadt  des  Ejalets  Kudawendkjar,  welches  Südbithyuien 
und  das  Innere  von  Mysien  umfasst.  Die  Einwohnerzahl  beträgt  jetzt 
gegen  70,000,  unter  denen  etwa  10,000  Armenier  und  6000  Griechen, 
sowie  3000  Juden  sind.  Das  Erdbeben  von  1855  hatte  einen  grossen 
Theil  der  Stadt  in  einen  Ruinenhaufen  verwandelt,  indess  ist  das  Ein- 
gestürzte, da  die  Häuser  mit  wenigen  Ausnahmen  aus  Holz  erbaut  sind, 
jetzt  meist  wieder  hergestellt.  Brussa  liegt  am  südwestlichen  Ende 
eines  schönen  Thaies,  welches  vier  deutsche  Meilen  lang  und  durch- 
schnittlich eine  Meile  breit  ist,  auf  dem  Abhang  des  Gebirges,  so  dass 
man  von  der  Stadt  eine  weite  Aussicht  über  die  Ebene  hat.  Die  Strassen 
sind  ausserordentlich  eng,  aber  reinlicher  als  sonst  in  der  Türkei.  Die 
eigentliche  Stadt  steht  zum  Theil  auf  senkrecht  abfallenden  Felsen, 
zwischen  welchen  schöne  alte  Bäume  ihre  laubigen  Wipfel  zeigen,  ist 
mit  Mauern  und  Wällen  umgeben,  und  wird  durch  ein  auf  einem  andern 
Felsen  erbautes  Castell,  dessen  cyklopische  Mauern  von  hohem  Alter- 
thum Zeugniss  geben,  beherrscht.  Der  Hauptschmuck  Brussas  sind  seine 
Moscheen,  die,  über  dreihundert  an  der  Zahl,  freilich  jetzt  zum  Theil 
zusammengestürzt  sind,  und  von  denen  sich  die  der  Drei  Sultane 
(Murad  I ,  Bajasid  I.  und  Mohammed  I.),  die  Moschee  Sultan  Orchans 
und  die  Murads  I.  durch  ihre  Grösse  auszeichnen.  Ausserdem  besitzt 
Brussa  mehre  griechische  und  armenische  Kirchen  und  drei  Synagogen, 
anmuthige  Spaziergänge,  schöne  schattige  Gärten,  warme  Quellen  und 
Bäder,  Springbrunnen   und  mehre   grosse  Khans.   Einige   der  Quellen 


148  Kleinasien. 

sind  Stahlwässer,  andere  schwefelhaltig.  Das  schönste  und  grösste  der 
Bäder,  Kalputscha  Hamman  genannt,  liegt  eine  halbe  Stunde  von  dem 
Thore,  welches  sich  im  Nordwesten  der  Stadt  öffnet.  Die  Quelle  ist 
schwach  schwefelhaltig  und  hat  eine  Wärme  von  180"  Fahrenheit.  Hier 
ist  ein  rundes  Becken,  das  mit  Marmorplatten  belegt  und  mit  bunten 
Ziegeln  geschmückt  ist,  und  in  welchem  man  sich  mit  Schwimmen 
vergnügt.  Daneben  sind  andere  Badegemächer,  in  denen  klare  Spring- 
brunnen kühles  Trinkwasser  hervorsprudeln.  Die  Bazare  von  Brussa 
sind  gross  und  wohlversehen,  namentlich  mit  den  hier  gefertigten 
Seiden-  und  BaumwollenstoiFen,  aber  auch  mit  europäischen  Waaren 
aller  Art.  Die  Seidengewebe  Brussa's  haben  einen  grossen  Ruf  nicht 
bloss  in  der  Türkei,  sondern  auch  im  westlichen  Europa.  Ausserdem 
verfertigen  die  Einwohner  Flor,  Leinwand,  Tapeten,  Gold-  und  Silber- 
brokat, Pfeifenköpfe,  und  treiben  beträchtlichen  Handel,  besonders  mit 
roher  Seide,  von  der  sie  jährlich  an  4000  Centner  ausführen.  Die 
Griechen  und  Armenier  leben  streng  von  einander  geschieden  in  den 
beiden  am  Puss  des  Berges  gelegenen  Vorstädten,  die  mit  Gräben 
versehen  sind,  über  welche  Zugbrücken  führen.  Sehenswerth  ist  noch 
das  mit  Marmor  und  Jaspis  geschmückte  Denkmal  des  Sultans  Osman 
I.,  welches  ausserhalb  der  Stadt  in  der  Nähe  des  ebenerwähnten  grossen 
Bades  liegt.  Im  nahen  Gebirge  Eski  Schehir,  sowie  bei  Kiltschik,  wird 
viel  Meerschaum  gegraben,  der  dann  in  Brussa  zu  Pfeifenköpfen  gebohrt 
wird.  Endlich  ist  des  vortrefflichen  weissen  und  rosenrothen  Brussa- 
weines  zu  erwähnen,  der  zu  den  besten  Sorten  Kleinasiens  gehört. 

Von  Brussa  pflegt  man  den  asiatischen  Olymp  zu  besteigen, 
welcher  eine  Höhe  von  4500  Fuss  hat  und  bis  in  den  April  und  Mai 
hinein  mit  Schnee  bedeckt  ist.  Die  Tour  ist,  wenn  das  Wetter  sich 
nicht  ungünstig  gestaltet,  nichts  weniger  als  besonders  beschwerlich, 
und  die  Mühe  des  Ersteigen  s  lohnt  sich  reichlich  durch  die  Aussicht, 
die  man  auf  dem  Gipfel  geniesst,  und  die  bis  über  Constantinopel  und 
das  Marmorameer  hinausreioht.  Man  kann  sich  für  diese  Excursion  Pferde 
in  Brussa  miethen,  und  zwar  zahlt  man  für  das  Pferd  per  Tag  25  bis 
30  Piaster,  und  15  bis  18  Piaster  für  den  halben  Tag.  Nach  vier-  bis 
fünfstündigem  Reiten  den  Berg  hinan,  muss  man  des  beschwerlicher 
werdenden  Weges  halber  absteigen  und  die  letzte  Stunde  zu  Fuss 
zurücklegen.  Am  besten  thut  man,  in  den  Nachmittagsstunden  von  der 
Stadt  aufzubrechen,  die  Nacht  in  der  Nähe  des  Gipfels  zuzubringen 
und  vor  Sonnenaufgang  den  höchsten  Punct  zu  ersteigen.  In  diesem 
Falle  sieht  man  die  Landschaft  im  Morgenlicht  und  kann  in  der  Mit- 
tagsstunde wieder  in  der  Stadt  sein. 

Von  Brussa  nach  Constantinopel  reist  man  am  raschesten  und 
wohlfeilsten  über  das  sieben  Stunden  von  Brussa  entfernte  Küstendorf 
Mudania,  von  wo  man  zur  See  nach  der  türkischen  Hauptstadt  geht. 
Mudania  ist  ein  grosses  griechisches  Dorf,  dessen  einzeln  liegende 
Häuser  sich  weit  am  Gestade  hinziehen,  und  dessen  Umgebung  anmu- 
thig  und  wohl  angebaut  ist.  Man  kann  von  hier  in  einem  Kaik  (Ruder- 
boot) nach  Constantinopel  fahren,  wofür  Eingeborne  nicht  mehr  als 


Kleinasien.  149 


100  Piaster  zahlen,  während  dem  Fremden,  namentlich  wenn  nicht 
viele  Boote  da  sind,  das  Doppelte  abverlangt  wird.  Man  bedarf  zu 
einer  solchen  Boottahrt  bei  günstigem  Wind  und  Wetter  sechs  bis 
sieben  Stunden.  Ausserdem  aber  fährt  ein  türkischer  Dampfer  wöchentlich 
mehrmals  zwischen  hier  und  Constantinopel,  und  da  derselbe  nur  fünf 
Stunden  zur  Fahrt  braucht  und  der  Fahrpreis  nur  80  Piaster  beträgt, 
eine  Bootfahrt  bei  Gegenwind  aber  mehre  Tage,  bei  gar  keinem  Wind 
mindestens  zwölf  Stunden  dauert,  so  wird  der  Eeisende  den  Dampfer 
vorziehen. 

Auf  der  Fahrt  von  Mudania  nach  Constantinopel  'passirt  man 
die  Prinzeuinseln,  die  man  von  Constantinopel  aus  besuchen  mag. 
Dieselben  liegen  ungemein  schön  und  sind  von  Landhäusern  der  vor- 
nehmen Welt  Stambuls  und  Peras  bedeckt,  in  denen  sie  die  heissen 
Monate  über  wohnen.  Die  Inseln  erheben  sich  etwa  zwei  Meilen  südlich 
von  Constantinopel  und  sind  an  der  Zahl  neun.  Die  grössten  davon 
heissen:  Prote,  Chalki  und  Prinkipo.  Prote  ist  weniger  besucht,  Chalkl 
etwas  mehr,  Prinkipo  ist  ein  Lieblingspunct  der  Bewohner  der  Haupt- 
stadt, von  der  jeden  Nachmittag  ein  Dampfer  dahin  abgeht,  der  am 
nächsten  Morgen  zurückkommt.  Es  gibt  mehre  Hotels  auf  Prinkipo. 
Interessant  ist  der  Besuch  eines  der  griechischen  Klöster  auf  Chalki, 
wo  sich  jetzt  ein  Seminar  zur  Ausbildung  von  Geistlichen  befindet. 
Das  Kloster  wurde  von  dein  byzantinischen  Kaiser  Basilius  II.  gegründet, 
den  man  den  Bulgarentödter  nannte  und  der  hier  voll  Reue  über  seine 
Grausamkeiten  sein  Leben  beschloss.  In  früherer  Zeit  nannte  man  die 
Inseln  Demonesi.  Sie  sind  übrigens  die  einzigen  Inseln  im  Marmo- 
rameer. 

Die  Landreise  von  Brussa  naeh  Constantinopel  ist  in  'der  nun 
folgenden  Eoute  zu  Ende  beschrieben.   Man  bedarf  zu   ihr  vier  Tage. 

5.  Von  den  Dardanellen  über  Brussa,  Ismik  und  Ismid  nach  Constantinopel. 

Zu  diesem  Ausflug  hat  man  zehn  Tage  nöthig,  und  zwar  berührt 
der  Reisende  folgende  Puncto:  Lampsacus,  Demotikon,  Salsdereh,  Ben- 
dramo,  Muhalitsch,  Ulubat,  Brussa,  Isnik,  Ismid,  Gebse,  Kartal  und 
Scutari.  Lampsacus  liegt  sechs  Stunden  von  den  Dardanellen,  und 
ist  bekannt  als  eine  der  drei  Städte,  welche  Xerxes  dem  Theraistokles 
zu  seinem  Unterhalt  anwies ;  von  hier  sollte  er  seinen  Wein,  von  Myrus 
sein  Fleisch  und  von  Magnesia  sein  Brot  haben.  Das  jetzt  hier  stehende 
Dorf  Lamsaki  hat  ausser  seiner  anmuthigen  Lage  auf  einer  mit  Oliven- 
und  Reben-Pflanzungen  bedeckten  Landzunge  nichts  Bemerkenswerthes. 
Der  gegenüber  auf  dem  europäischen  Ufer  der  Dardanellenstrasse  mün- 
dende Fluss  ist  der  darch  Lysander's  Sieg  berühmte  Aegospotamos. 
Zwölf  Stunden  weiter  passirt  man  den  Karakasu,  welcher  der  Gra- 
nicus  des  Alterthums  ist,  an  dem  Alexander  der  Grosse  den  ersten 
Sieg  über  die  Perser  erfocht.  Man  trifi't  hier  die  Ruinen  einer  römi- 
schen Brücke  von  acht  Bogen.  Der  Fluss  hat  an  dieser  Stelle  eine 
Breite  von  etwa  achtzig  Fuss.  Anderthalb  Stunden  weiter  gelangt  man 


löO  Kleinasien. 


nach  Demotikon,  von  hier  in  neun  Stunden  nach  dem  ärmlichen  Dörf- 
chen Salsdereh  und  von  da  in  siebenthalb  Stunden  nach  der  Stadt 
Bendramo.  Zwischen  den  beiden  letzten  Orten  liegt  die  berühmte 
Halbinsel  von  Kyzicus  und  Artaki,  welcher  der  Eeisende  einen  Tag 
widmen  sollte.  Man  thut  wohl,  sie  von  Bendramo  aus  zu  besuchen. 
Bendramo  hat  vier  Moscheen  und  etwa  1000  hölzerne  Häuser.  Es  liegt 
sehr  hübsch  am  Südufer  einer  schönen  3  7,  Meilen  tiefen  und  durch- 
schnittlich 1  Meile  breiten  Bucht,  die  auf  allen  Seiten  von  Bergen 
eingeschlossen  ist. 

Kyzikus  ist  eine  schöngeformte  Halbinsel,  die  früher  eine  Insel 
war.  Die  Verbindung  mit  dem  Festland  ist  durch  einen  schmalen  Land- 
streifen hergestellt,  der  sich  aus  den  Euinen  von  zwei  antiken  Brücken 
gebildet  hat.  Die  Alterthümer  von  Kyzikus  bestehen  zunächst  aus 
einem  ziemlich  grossen  römischen  Amphitheater,  welches  eine  halbe 
Stunde  vom  Ufer  an  zwei  Hügeln  liegt;  die  Arena  wird  von  dem 
dazwischen  eingesenkten  kleinen  Thal  gebildet.  Die  Mauern  und  Bo- 
genwölbungen  sind  gegen  60  Fuss  hoch,  der  Durchmesser  des  Theaters 
beträgt  etwa  300  Fuss.  Das  Innere  ist  mit  Strauchwerk  und  Bäumen 
bewachsen,  in  der  Mitte  rieselt  ein  kleiner  Bach  hindurch.  Man  trifft 
hier  ferner  zwischen  Gesträuch  und  Büschen  ein  zweites,  ebenfalls 
grosses  Theater,  beträchtliche  Beste  der  Stadtmauern,  Ueberbleibsel 
von  zwei  achteckigen  Thürmen  und  sehr  ausgedehnte,  aus  grossen 
Quadern  aufgeführte  Substructionen  mit  Gewölben.  Indess  ist  alles 
dies  nicht  leicht  zu  übersehen,  da  die  ganze  Stätte  mit  Gestrüpp,  Wald- 
bäumen, Obstgärten  und  Rebenpflanzungen  bedeckt  ist.  Die  Ruinen 
dürften  übrigens  keiner  frühern  als  der  römischen  Zeit  angehören. 
Ocstlich  von  der  Stadt,  zum  Theil  an  der  erwähnten  schmalen  Land- 
zunge, trifft  man  Spuren  alter  Hafenbauten,  sowie  einen  gemauerten 
Kanal.  Der  Ort,  der  jetzt  hier  steht,  heisst  Balkis.  Viele  Marmor- 
fragmente aus  den  Ruinen  von  Kyzikus  sind  nach  dem  Städtchen 
Aidindschik  gebracht  worden,  welches  6  Stunden  von  hier  an  dem 
See  Manias  Gol  oder  Milepotamo  liegt.  An  der  Westseite  dieses  fisch- 
reichen Sees,  3  Stunden  von  Aidinschik,  findet  man  eine  Niederlassung 
von  Kossaken,  die  1770  aus  der  Gegend  von  Ismail  hierher  auswan- 
derten und  zum  Theil  ihre  heimischen  Sitten  bewahrt  haben.  Das  Land 
zwischen  Kyzikus  und  Artaki  (türkisch  Erdek),  wo  sich  Ueberbleibsel 
eines  antiken  Hafendammes  befinden,  ist  mit  Rebenpflanzungen  bedeckt, 
die  einen  in  Constantinopel  sehr  geschätzten  Wein  geben. 

Mulialitsch,  4  Stunden  von  Bendramo,  ist  eine  grosse  und 
volkreiche  Stadt  mit  9  Moscheen  und  3  Khans.  Die  Mehrzahl  der  Ein- 
wohner, welche  lebhaften  Handel  treiben,  sind  Griechen  und  Armenier. 
Der  vorüberfliessende  Fluss  ist  der  Rhyndacus  des  Alterthums,  Die 
Entfernung  zwischen  hier  und  der  See  beträgt  4  Stunden.  Von  hier 
nach  Ulubat  (s.  d.  vor.  Route)  sind  es  4,  von  da  bis  Brussa  (s.  d.  vor. 
Route)  9  Stunden. 

Die  Landreise  von  Brussa  nach  Constantinopel  geht  über  Isnik 
und  Ismid.    Isnik,   zwölf  Stunden  von  Brussa  entfernt,    ist  das  alte 


Kleinasien.  151 


Micäa.  Die  berühmte  Stadt  ist  jetzt  ein  elendes  Dorf  von  etwa  sechzig 
Hütten,  die  von  Türken  und  einigen  Griechen  bewohnt  sind.  Letztere 
haben  hier  eine  kleine  Kirche,  die  der  Gottesgebärerin  geweiht  ist, 
und  deren  Priester  den  Keisenden  als  Führer  durch  die  Ruinen,  sowie 
als  Gastwirth  dient.  Die  Lage  des  Oertchcns  am  Südostende  des  2  '/^ 
Meilen  langen  und  durchschnittlich  y,  Meilen  breiten  Sees  Askauius 
ist  sehr  schön.  In  der  Ferne  ragt  der  Olympus  auf,  die  näheren  Höhen 
sind  mit  Wäldern  von  Eichen  verschiedener  Gattung  und  Immergrün 
bewachsen,  zwischen  denen  man  die  sehr  grossartigen  Ruinen  der  alten 
Stadt,  gewaltige  Mauern,  Thore  und  Thürrae,  ähnlich  denen  von  Con- 
stantinopel,  eine  Wasserleitung  und  den  sogenannten  Palast  des  Theo- 
dorus  erblickt.  Die  Stadtmauern  umschliessen  ein  Areal  von  mehr  als 
einer  halben  Quadratmeile.  Sie  bestehen  meist  aus  abwechselnden  La- 
gen römischer  Ziegel  und  grosser  Quader,  die  mit  Mörtel  verbunden 
sind.  An  einigen  Stellen  sind  Bruchstücke  von  Säulen  und  Architraven 
eingefügt,  die  vermuthlich  der  ältesten  Stadt  angehören.  Ruinen  von 
Moscheen,  Bädern  und  Häusern,  zwischen  den  Getreidefeldern  und 
Gärten  zerstreut,  die  jetzt  den  Raum  innerhalb  der  alten  Ringmauern 
einnehmen,  zeigen,  dass  auch  das  türkische  Isnik  einst  eine  beträcht- 
liche Stadt  war. 

Nicüa  wurde  von  Antigonus,  dem  Sohn  des  Philippus  bald  nach 
dem  Tode  Alexanders  des  Grossen  erbaut  und  nach  diesem  ihrem 
Erbauer  Antigonia  genannt.  Erst  später  erhielt  sie  von  Perdikkos,  nach 
dem  Namen  von  dessen  Gemahlin,  den  Namen  Nicäa.  Die  Stadt  ist 
besonders  berühmt  wegen  der  Kirchenversammlungen,  die  hier  gehalten 
wurden  (das  erste  und  das  siebente  ökumenische  Concil).  Die  erste 
derselben  wurde  325  n.  Chr.  von  Constantin  d.  Gr.  zur  Schlichtung 
der  arianischen  Streitigkeiten  veranstaltet.  Durch  den  persönlichen 
Eintiuss  des  Kaisers  und  die  Beredsamkeit  des  alexandrinischen  Dia- 
kons Athanasius  trug  die  orthodoxe  Kirche  den  Sieg  davon.  Die  Lehre 
des  Arius  wurde  verdammt,  und  das,  auf  den  Grund  des  alten  aposto- 
lischen Symbolums  gebaute  Glaubensbekenntniss  angenommen,  welches 
unter  dem  Namen  des  nicänischen  in  unseren  Katechismen  steht. 
Ausserdem  wurde  die  Gleichzeitigkeit  der  Osterfeier  in  allen  christlichen 
Gemeinden  angeordnet  und  Verschiedenes  über  die  Kirchenzucht  fest- 
gesetzt. Das  zweite  nicänische  Concil  hielt  im  Jahre  787  die  Kaiserin 
Irene.  Sie  wusste  auf  demselben  den  folgenreichen  Beachluss  durch- 
zusetzen, dass  den  Bildern  Jesu  und  der  Heiligen  eine  durch  Küssen, 
Kniebeugung,  Beräucherung  und  Lichteranzünden  zu  erzeigende  Ver- 
ehrung zu  widmen  sei.  Auch  wurde  das  Aufbewahren  von  Reliquien 
in  den  Kirchen  anbefohlen.  325  wurde  die  Stadt  durch  ein  Erdbeben 
zerstört,  aber  durch  Kaiser  Valens  wieder  aufgebaut.  Im  Jahre  1080 
eroberte  sie  mit  Hilfe  der  Türken  Nicephorus  Melissenus,  1097  erstürmten 
sie  die  Kreuzfahrer  unter  Gottfried  von  Bouillon.  Nach  Begründung 
des  lateinischen  Kaiserthums  in  Constantinopel  stiftete  Theodor  Las- 
karis  hier  ein  eigenes  griechisches  Kaiserthum,  welches  von  1206  bis 
1261  bestand,  wo  Michael  Paläologus  den  Sitz  der  Kaiser  wieder  nach 


152  Klein  asien. 


Constantinopel  zurückverlegte.  1330  kam  es  durch  Orchau  für  immer 
in  die  Gewalt  der  Türken.  Die  Stelle,  wo  die  Kirchenversammlungen 
abgehalten  worden  sein  sollen,  wird  ausserhalb  der  Mauern  am  Ufer 
des  Sees  gezeigt. 

Von  Isnik  reitet  man  in  etwa  7'/j  Stunden  nach  Ismid  oder 
Isnikmid,  dem  alten  Nikomedia.  Die  Stadt,  welche  etwa  13,000  Ein- 
wohner hat,  unter  denen  sich  5 — 6000  Griechen  befinden,  liegt  am 
Abhang  eines  Hügels  an  dem  tiefen  Meerbusen,  der  nach  ihr  benannt 
ist  und  ist  der  Sitz  eines  Paschas.  Die  Einwohner  treiben  nicht  unbe- 
deutenden Handel.  Die  Stadt  hiess  in  der  ältesten  Zeit  Olbia.  Niko- 
medes,  König  von  Bithinien,  der  sie  vergrösserte  und  verschönerte, 
nannte  sie  nach  sich.  Diocletian  erhob  sie  zur  zweiten  Hauptstadt  des 
römischen  Keiches,  einem  Rang,  den  es  bald  nachher  an  das  günstiger 
gelegene  Constantinopel  abtreten  musste.  1339  fiel  es  in  die  Hände 
der  Türken.  Ueberreste  seines  früheren  Glanzes  finden  sich  nur  sehr 
spärlich.  Man  kann  von  hier  jeden  Dienstag  früh  per  Dampfer  nach 
Constantinopel  gelangen,  und  zwar  dauert  die  Fahrt  nur  sieben  bis 
acht  Stunden.  Wer  es  vorzieht,  den  Rest  des  Weges  zu  Lande  zurück- 
zulegen, bedarf  dazu  zwei  Tage.  Der  Weg  führt  erst  durch  bergiges 
Land,  dann  am  Ufer  des  Marmorameeres  hin,  wo  die  Prinzeninseln  sich 
sehr  vortheilhaft  präsentiren,  dann  durch  eine  Anzahl  von  Dörfern, 
von  denen  wir  Gebse  (zwölf  Stunden  von  Isnik)  und  Kartal  (fünf 
Stunden  von  Gebse)  nennen,  nach  Scutari  (vier  Stunden  von  Kartal), 
wo  man  sich  entweder  mit  einem  Kaik  nach  Pera  hinüberbegibt,  oder 
eine  der  Dampfiahren  benutzt,  welche  zwischen  Scutari  und  der  Brücke 
über  das  Gold'ne  Hörn  alle  Stunden  hin-  und  herfahren.  Der  Anblick 
von  Constantinopel  ist  von  den  Höhen  über  Skutari  überaus  herrlich 
und  prachtvoll. 

6.    Von  Adalia  durch  Lyoien  und  Karlen  über  Ephesus ,  Laodicea  und  Sardes 
nach  Smyma. 

Diese  Tour  erfordert  vierzehn  bis  fünfzehn  Tage  und  berührt 
folgende  Puncte :  Tekrowa  (zur  See  zu  erreichen),  Deliktasch  (Olympus), 
Berg  Chimära  (Yanar),  Atresarni,  Hadschi-Thal  (Gagä),  Phineka,  Myra, 
Kassabar,  Antiphcllus,  Suaret,  Basirian,  Köi,  Petara,  Kunik,  Xanthus, 
Dimelhir,  Duwa,  Ilos,  zurück  nach  Duwa,  Makri  (Telmessus).  Dollomon, 
Kuges,  Hula,  Mula,  Akri  Köi,  Eski  Hissar  (Stratonicäa),  Melassa,  Baffl, 
Palattia  (Milet),  Sansun,  Chauli  (Neapolis),  Scala  Nuova,  Ayasoluk 
(Ephesus),  Aidin  (Tralles),  Geyra,  Laodicea  (Eski  Hissar),  Hierapolis, 
Aineh  Giul,  Philadelphia,  Sardes,  Kassaba  und  Smyrna. 

Nach  Tekrowa,  dem  alten  Phaseiis,  von  dem  noch  Hafen- 
dämme sowie  Spuren  eines  Tempels  und  eines  Theaters  übrig  sind, 
gelangt  man  mit  einem  Boot  in  fünf  Stunden.  Von  hier  fährt  man 
in  drei  Stunden  nach  Deliktasch,  dem  alten  Olympus,  wo  man  die 
Reste  einer  Stadt  der  Venetianer  antrifft.  Dreiviertel  Stunden  von  der 
Küste  findet  der  Reisende,  erst  eine  fruchtbare  Ebene  durchschreitend, 


Eleiuasien.  153 

dann  eine  waldbewachsene  Schlucht  emporsteigend  den  Yanar  oder 
die  vulkanische  Flamme  des  im  Alterthum  vielerwähnten  Berges  Chi- 
mära,  die  bisweilen  selbst  auf  dem  Meere  gesehen  wird.  Von  Deliktasch 
geht  man  zu  Lande  weiter  nach  dem  drei  Stunden  entfernten  Atra- 
sarni,  von  da  nach  dem  Hadschi-Thal,  wo  sich  Reste  des  Theaters  von 
Gagä  finden,  von  dort  nach  Phineka,  Avobei  man  die  Ueberreste  Limy- 
ras  und  eine  Anzahl  altlycischer  Grabgrotten  passirt.  Von  Atrasarni 
nach  dem  Hadschi-Thal  ist  es  sieben,  von  da  nach  Phineka  fünfthalb 
Stunden.  Die  Felsengräber  liegen  zwei  Stunden  nordöstlich  von  Phi- 
neka. Eines  der  letzteren  hat  eine  Inschrift  in  griechischer  Sprache 
und  zugleich  in  lycischer.  Zahlreiche  Basreliefs  über  den  Gräbern 
zeigen,  dass  sie  einst  roth  und  blau  bemalt  waren.  Zwei  von  den 
Grüften  sind  mit  jonischen  Säulen  geschmückt.  Ein  Stück  davon  triftt 
man  die  Ruine  eines  Theaters,  in  deren  Nähe  ein  schöner  mit  Sculp- 
turen  verzierter  Sarkophag  steht.  Phineka  ist  ein  Dörfchen  an  einem 
schiffbaren  Fluss,  eine  Stunde  von  der  See  gelegen,  wo  man  viele  wild 
wachsende  Palmen  findet.  Von  hier  kann  man  in  einem  Boot  den  fünf 
Stunden  entfernten  Trümmerplatz  des  alten  Ägurä,  jetzt  Kakava, 
besuchen.  Nach  Phineka  zurückgekehrt,  schlägt  man  den  Weg  nach 
Myra  ein,  welches  neun  Stunden  von  hier  liegt.  Der  Pfad,  der  dahin 
führt,  ist  einer  der  beschwerlichsten  und  gefährlichsten  im  ganzen 
Orient.  Auf  einer  der  Höhen,  die  man  passirt,  finden  sich  Sarkophage, 
alte  Mauern  und  verschiedene  viereckige  Thürme  von  antiker  Bauart; 
am  Puss  des  Berges  steht  eine  alte  türkische  Feste.  Die  Aussicht  hinab 
auf  das  Kap  Chelidonia  (Proraontorrum  Sacrum)  ist  prachtvoll. 

Myra,  wo  Paulus  auf  seiner  Reise  nach  Rom  einsprach,  liegt 
am  Fuss  eines  felsigen  Berges,  der  die  eine  Seite  der  Ebene  von  Dembre 
Chai  zukehrt  und  auf  der  andern  sich  längs  des  Flusses  Andraki  bis 
zu  dem  einstigen  Hafen  der  Stadt  Andriace  hinstreckt.  Im  Westen 
steht  ein  Konak,  der  ein  gutes  Beispiel  für  die  Art  ist,  wie  man  früher 
in  der  Türkei  die  Häuser  decorirte.  Das  Theater  von  Myra  ist  eines 
der  imposantesten  Ueberbleibsel  altrömischer  Baukunst  in  Kleinasien, 
ja,  es  erinnert  mit  seinen  gewaltigen  und  auf's  sorgfältigste  ausge- 
führten Corridoren  und  doppelten  Galerien  an  die  Bauten  von  Rom 
selbst.  Ein  breites  Diazoma  und  eine  Mauer,  welche  die  beiden  Flächen 
der  Sitze  trennt,  hat  hinten  eine  Statue  mit  einer  griechischen  Inschrift 
darüber.  Dieselbe  scheint  das  Glück  der  Stadt  dargestellt  zu  haben, 
indem  man  Embleme,  wie  Früchte,  ein  Füllhorn  und  ein  Steuerruder 
erkennt.  Die  architektonischen  Fragmente,  die  man  findet,  zeigen  einen 
guten  Styl.  Auf  einem  Stück  Deckenfüllung  sieht  man  eine  grosse  tra- 
gische Maske.  Das  Proscenium  ist,  namentlich  in  der  Ostecke,  trefflich 
erhalten.  Ueber  einer  Seitenthür  erblickt  man  ein  Medusenhaupt.  Eine 
schöne  Säule  und  ein  Pfeiler  stützen  noch  jetzt  die  Entabulatur,  die 
reich  verziert  ist.  Der  Durchmesser  des  Theaters  beträgt  360  Fuss, 
unter  dem  Diazoma  hat  es  zwanzig,  über  demselben  sieben  Sitzreihen. 
In  der  unmittelbaren  Nähe  desselben  sind  die  Felsen  voll  von  Grüften, 
von  denen  einige  von  wunderbarer  Schönheit  und  mit  Inschriften  und 


154  Kleinaßien. 

Basreliefs  verziert  sind,  welche  letzteren  Begräbniss-Sceneii  darstellen. 
Eine  andere  Gruppe  von  Felsengräbern  triift  man  in  einer  steilen  Wand, 
nicht  weit  vom  türkischen  Gottesacker.  Nach  dem  einen  derselben  steigt 
man  eine  Treppe  hinauf.  An  der  Fafade  stehen. mehre  lebensgrosse 
Bildsäulen,  im  Innern  finden  sich  mit  Farbe  bemalte  Sculpturen,  welche 
häusliche  Scenen  vorstellen.  Auf  der  andern  Seite  des  Felsens,  über 
das  Theater  und  den  türkischen  Konak  hinaus  trifft  man  die  jetzt 
mit  Palmen  überwachsene  Ruine  eines  ausgedehnten  Gebäudes,  das 
ebenfalls  antik  ist.  Noch  weiter  nach  dem  Flusse  hin  stehen  die  Ruinen 
der  Kirche  und  des  Klosters  St  Nikolaus,  in  denen  eine  kleine  grie- 
chische Kirche  liegt,  deren  Priester  dem  Fremden  in  den  noch  bewohn- 
baren Gemächern  des  Klosters  Herberge  gewährt.  In  derselben  Richtung 
weitergehend,  trifft  man  am  Flusse  die  Reste  eines  Bades  mit  zwei 
grossen  Bogen  und  sechs  Nischen,  und  nicht  weit  davon  Spuren  eines 
Tempels  und  ein  grosses  Felsengrab.  Auf  der  linken  Seite  des  Flusses 
liegen  die  Ruinen  eines  andern  Tempels  hoch  oben  auf  einem  bewal- 
deten Berge.  Endlich  stösst  man  an  der  Einfahrt  in  den  Fluss  auf 
ein  sehr  ausgedehntes  römisches  Gebäude,  welches  nach  der  Inschrift 
auf  seiner  Front  ein  Speicher  war. 

Ksissabar,  sieben  Stunden  von  hier,  ist  ein  hübsches  Dorf  mit 
einem  Konak,  in  dem  ein  Aga  wohnt,  einem  Bazar  und  einer  grossen 
Kuppelmoschee.  Auf  dem  Wege  dahin  trifft  man  ebenfalls  mehre 
Grottengrüfte.  Antiphellus,  zwei  Stunden  von  Kassabar,  ist  ein  meist 
von  Griechen  bewohntes  recht  lebhaftes  Städtchen,  welches  als  Hafen- 
platz für  die  gegenüber  gelegene  kleine  Insel  Castellovizzo  dient  und 
wo  man  eine  bequeme  Herberge  antrifft.  Letztere  liegt  am  Ende  der 
Landzunge,  auf  der  das  Oertchen  steht.  Man  findet  hier  die  Trümmer 
eines  Theaters  und  verschiedene  Felsengräber  mit  einst  gefärbt  gewe- 
senen Basreliefs.  Üben  auf  den  Bergen  über  der  Strasse,  die  nach  dem 
Städtchen  herabführt,  steht  ein  grosses,  viereckiges  Gebäude  mit  do- 
rischen Pilastern,  dessen  Thür  vollkommen  gut  erhalten  ist. 

Suaret,  fünfthalb  Stunden  sehr  steilen  Weges  von  hier,  scheint 
nach  den  ausgedehnten  Mauerresten,  die  man  hier  findet,  das  alte 
Phellus  zu  sein,  welches  in  dieser  Gegend  lag.  Weiterhin  passirt  der 
Reisende  das  sehr  hoch  über  dem  See  gelegene  Basirian  Köi  (6 '4  St.) 
und  Fornas,  ein  lebhaftes  Türkendorf.  Fatara,  vier  Stunden  von  Ba- 
sirian Köi,  war  im  Alterthum  eine  blühende  Seestadt,  in  welcher  Apollo 
Orakel  spendete.  Man  stösst  liier  auf  zahlreiche  Alterthum  er,  griechische 
Gräber,  Spuren  von  Tempeln,  einen  24  Fuss  hohen  Triumphbogen  mit 
korinthischen  Ornamenten,  ein  grosses,  jetzt  mit  Palmen  bewachsenes 
Gebäude,  welches  ein  Gymnasium  gewesen  sein  kann,  ein  Stadtthor 
mit  drei  gewölbten  Eingängen  und  Nischen,  über  dem  man  in  grie- 
chischen Charakteren  die  Inschrift  liest:  „Patara  die  Metropole  des  lyci- 
schen  Volkes".  Das  Theater,  etwas  versandet,  lehnt  sich  an  einen  kleinen 
Hügel  im  Norden.  Es  hat  einen  Durchmesser  von  265  Fuss,  vierund- 
dreissig  Sitzreihen  und  ein  wohlerhaltenes  Proscenium,  an  dessen  Ost- 
wand eine  Inschrift  sagt,  dass  es  von  Q.    Velius   Titianus  im  4.  Con- 


Kleinasien.  155 


sulat  des  Antoninus  Pius  erbaut  wurde  (145  v.  Chr.).  Am  Abhang 
derselben  Anhöhe  steht  ein  kleiner,  halb  zerfallener  Tempel,  und  etwas 
höher  stösst  man  auf  einen  tiefen ,  kreisrunden  Schacht,  in  welchen 
Stufen  hinabführen,  und  aus   dem   vielleicht  die  Apollo-Orakel  kamen. 

Kuuik,  drei  Stunden  von  hier,  liegt  in  der  Nähe  der  Ruinen 
von  Xauthus,  der  alten  Hauptstadt  Lyciens.  Das  WerthvoUste  in 
diesen  Ruinen,  z.  B.  das  sogenannte  Löwengrab,  ist  weggeschafft  und 
ziert  die  Sammlung  des  britischen  Museums  in  London  Indess  findet 
man  noch  manches  Interessante,  Gräber  mit  lycischen  Inschriften, 
Polygonenmauern  von  sorgfältigster  Bauart,  ein  weithin  sichtbares, 
mit  weissem  Marmor  bekleidetes  Grabmonuraent  u.  a.  Sehenswerth  ist 
die  sehr  ausgedehnte  Ruinengruppe  aus  christlicher  Zeit,  welche  auf 
den  felsigen  Höhen  im  Süden  liegt.  Die  Form  der  ältesten  christlichen 
Kirche  mit  der  runden  Apsis  ist  deutlich  erkennbar.  Am  Theater  ist 
das  Prosceniuni  verschwunden,  aber  die  Sitzplätze  sind  grossen theils 
erhalten  Endlich  müssen  die  Trümmer  eines  Stadtthors  erwähnt  werden, 
welches,  wie  eine  Inschrift  auf  der  Westseite  sagt,  unter  Vespasian 
erbaut  wurde.  Jenseits  des  Flusses  erblickt  man  die  Ruinen  eines  tür- 
kischen Forts.  Die  Umgebung  ist  reich  an  wildwachsenden  Feigen- 
bäumen und  eine  schöne  Palme  beschattet  den  Fluss  und  die  nicht 
fern  davon  sich  erhebende  kleine  Moschee. 

Von  Xanthus  geht  die  Strasse  durch  eines  der  schönsten  Thäler 
Kleinasiens.  Sie  überschreitet  eine  halbe  Stunde  unterhalb  der  alten 
Stadt  den  Fluss,  passirt  die  Ortschafton  Dimelhir  (4 '/,  St.  von  Xanthus) 
und  Duwa  (5  St.  von  Dimelhir)  uud  steigt  dann  allmälig  nach  dem 
dritthalb  Stunden  weiter  oben  gelegenen  Trümmerplatz  von  Ilos  em- 
por, wo  man  ein  Theater  mit  Marmorsitzen  und  die  Reste  von  sehr 
massiv  gebauten  Palästen  römischen  Styls,  Bruchstücke  der  Stadtmauer 
und  in  den  Abhängen  der  Akropolis  eine  Menge  von  Felsengräbern  in 
der  Form  von  Tempelchen  findet.  Eines  der  grössten  diet^er  Felsen- 
gräber hat  einen  hübschen  Porticus  und  ist  mit  einem  Basrelief  ge- 
schmückt, welches  Bellerophon  auf  dem  Pegasus  darstellt 

Von  hier  kehrt  man  nach  Duwa  zurück,  von  wo  sich  nun  der 
Weg  durch  waldbewachsenes  Gebirg  hinwindet,  bis  er  nach  sieben 
Stunden  das  Städtchen  Makri  erreicht,  welches  die  Stelle  des  alten 
Telmessus  einnimmt.  Die  Einwohner  sind  meist  Griechen.  Von  der 
alten  Stadt  ist  noch  das  Theater  und  eine  Anzahl  mit  Säulen  ge- 
schmückter Grabgrotten  zu  sehen.  Von  Makri  geht  der  Weg,  erst  über 
die  Ebene,  dann  über  bewaldete  Höhennach  Dollomon  (12  St.),Kugess 
(8  St.)  und  die  Gebirgsorte  Hula  (12  St.),  Mula  (4  St ),  Akri  Köi 
(7  St.)  nach  Eski  Hissar,  dem  alten  Stratonicea,  welches  von  Akri 
Köi  dritthalb  Stunden  entfernt  ist.  Die  alte  Stadt,  eine  der  grössten 
Binneustädte  Cariens,  muss  aus  sehr  grossen  Gebäuden  bestanden  haben. 
Man  trifi"t  hier  Spuren  von  sechs  Tempeln  und  einem  Theater,  mehre 
noch  aufrecht  stehende  Säulenstümpfe  und  einige  Thorgewölbe.  Im 
Ceiitnira  der  Stadt  steht  die  Cella  eines  sehr  grossen  und  nach  den 
Steinen  zu  schliessen,  sehr  alten  Tempels.  Die  Strasse  nach  dem  sieben 


156  Kleinasien. 


Stunden  von  hier  gelegenen  Melassa  geht  zuerst  über  Berge,  dann  sehr 
steil  hinab  in  die  Ebene.  Melasiia,  das  alte  Mi/lasa,  zeigt  in  den 
Mauern  der  modernen  Stadt,  die  beiläufig  ziemlich  gross  ist,  zahlreiche 
Fragmente  der  antiken.  In  einem  Hause  ist  die  sehr  schöne  Figur 
eines  Kindes  eingemauert.  Ausserdem  findet  man  ein  prächtiges  korin- 
thisches Thor  und  eine  kannelirto  Säule,  die  noch  aufrecht  steht.  Auf 
dem  Weiterwege  gelangt  man  nach  dritthalb  Stunden  nach  Takli,  in 
dessen  Nähe  in  einer  Schlucht  ein  wohlerhaltener  korinthischer  Tempel 
liegt.  Derselbe  scheint  nicht  vollendet  worden  zu  sein,  da  von  seinen 
sechzehn  Säulen  nur  zwölf  Kannelüren  haben.  Auf  einem  kleinen  Hügel 
nordwestlich  von  hier  hat  man  Grundmauern  von  anderen  Gebäuden 
entdeckt.  Eine  halbe  Stunde  weiter  erblickt  mau  vor  sich  das  malerische 
Dorf  Kisledschik.  Baffi,  ein  Dorf  zwischen  Waldhügeln,  wird  nach 
sieben  Stunden  erreicht.  Palattia,  in  der  Nähe  eines  See's,  in  den  ein 
Arm  des  Mäander  mündet,  sechs  Stunden  weiter,  ist  wahrscheinlich 
das  alte  Myus.  Die  Gegend  ist  sehr  ungesund,  der  Ort  besteht  nur 
aus  einigen  Hütten.  Die  Alterthümer  desselben  bestehen  aus  einem 
sehr  grossen  Theater,  den  Besten  einer  Wasserleitung  und  einigem 
Mauerwerk.  Sansun,  elf  Stunden  von  hier,  ist  ein  hübsch  an  einem 
Felsenabhang  gelegenes  Griechendorf.  Eine  halbe  Stunde  von  hier  nach 
dem  See  hin  erblickt  man  auf  einem  schroffen  Felsen  Euinen,  welche 
vermuthlich  das  alte  Priene  sind.  Auf  beschwerlichen  Gebirgspfaden 
gelangt  man  von  hier  in  fünfthalb  Stunden  hinab  nach  Chauli,  von 
da  in  zehn  Stunden  nach  Scala  Nuova,  von  dort  in  drei  Stunden  nach 
Ephesus.  üeber  die  weiteren  Haltpuncte  dieser  Tour  ist  im  Obigen 
(vergl.  die  Touren  3  und  4)  das  Erforderliche  berichtet,  und  wir  haben 
hier  nur  zu  bemerken,  dass  Aidin  oder  Tralles  von  Ephesus  zwölf, 
Geyra  von  Aidin  vierzehn  bis  fünfzehn,  Laodicea  von  Geyra  dreizehn, 
Hierapolis  von  Laodicea  anderthalb,  Aineh  Giul  von  Hierapolis  sechzehn, 
Philadelphia  von  Aineh  Giul  fünf,  Sardes  von  Philadelphia  neun  Stunden 
entfernt  ist.  In  Kassaba,  welches  neunthalb  Stunden  von  Sardes  liegt, 
trifft  man  auf  die  grosse  Karawanenstrasse ,  die  aus  dem  Innern  des 
Landes  hierher  führt.  Hier  besteigt  man  die  Eisenbahn  und  ist  dann 
in  wenigen  Stunden  in  Smyrna. 


7.  Verschiedene  Pläne  zu  Touren  im  Innern  Kleinasiens. 

Bei  den  Grenzen,  die  diesem  Reisehandbuch  gesteckt  sind,  ist 
es  nicht  möglich,  auf  die  weit  von  der  Küste  entlegenen  Theile  Klein- 
asiens ausführlich  einzugehen.  Auch  wird  es  nur  selten  vorkommen, 
dass  Europäer  ihre  Touren  weiter  als  nach  den  im  Vorigen  beschrie- 
benen Orten  ausdehnen.  Um  indess  auch  Denen,  welche  dazu  Neigung 
oder  Veranlassung  haben,  einigermassen  an  die  Hand  zu  gehen  und 
ihnen  wenigstens  ein  Schema  der  etwa  in  Betracht  kommenden  Touren, 
der  Hauptpuncte  auf  ihnen  und  der  Eintheilung  der  Tagereisen  zu 
geben,  theilen  wir  im  Nachstehenden  nach  der  dritten  Auflage  von  Mur- 


Elleinasien.  157 


ray'c  „Handbook  für  Trevellers  in  Turkey",  dem  wir  auch  im  Vorher- 
gehenden theilweise  folgten,  einige  Routen  mit. 

a)  Von  CoHstantinopel  über  Amasia  uml  Tokat  nach  Erzerum 
und  Wem:  Gaibassa  6  St,  Israid  5%,  Sabnja  4^/^,  Khan  Dag  6, 
Dusclii  7'^,  Boli  6'/,,  Garidi  6,  Hamamlu  5',',,  Karadschular  6V4,  Ka- 
radschorem  4,  Kadschasir  4'/^,  Tosia  5'/,,  dann  am  Kissil  Irmak  oder 
Halys  bis  nach  Hadschi  Hamssa  5^/^,  Osmandschik  4'/,,  Marsiwan 
(Eudocia)  8,  Amasia  (wo  eine  prachtvolle  Moschee  und  die  Gräber  der 
alten  Könige  von  Pontus)  4y^,  Torkal  7'/,,  Tokat  (Phazemou)  eino 
Stadt  von  30  bis  35,000  Einwohnern,  8,  Niksar  (Neocäaarea)  9,  Koila- 
hissar  14,  Karahissar  (von  wo  eine  Strasse  nach  dem  drei  Tagereisen 
von  hier  entfernten,  von  Lloyddampfern  besuchten  Kerasunt  geht)  12, 
Schairan  12'/^,  Kalket  2%,  Karukulah  7'/,,  Aschkala  lO'/i,  Erzerum 
(Stadt  von  70,000  Einwohnern  in  einer  vorzüglich  von  Armeniern  be- 
wohnten Gegend,  600O  Fuss  über  dem  Meeresspiegel)  6 '/^ ,  Hassan  Kaleh 
5,  Ohuli  10  Stunden.  Man  ist  hier  im  Quellgebiet  des  Araxes,  den 
man  eine  halbe  Stunde  von  Chuli  überschreitet.  Dann  folgen  bis  Wan 
die  Orte:  Kanus  Kuremai  8,  Yangali  (ein  von  Christen  bewohntes 
Dorf,  nach  welchem  man  gelangt,  nachdem  man  den  Ostarm  des  Eu- 
phrat  überschritten  hat).  Lata  5,  Taschkun  6,  Ardschieh  (wo  man  den 
grossen  See  von  Wan  erreicht)  11,  Dschanik  12,  Wan  (Stadt  von  12 
13,000)  Einwohnern  8  Stunden.  Zu  bemerken  ist,  dass  der  Weg  in 
seiner  letzten  Hälfte  von  Kurden  unsicher  gemacht  wird,  und  dass  man 
ihn  deshalb  hier  nur  mit  starkem  militärischen  Geleit  oder  in  grossen 
Karawanen  zurücklegen  kann. 

b)  Von  Constantinopel  nach  Kastamuni:  Zuerst  nach  Boli  (s. 
oben)  und  Hamamlu,  dann  folgen  die  Orte:  Hadschi  Abassi  10,  Aschar 
12,  endlich  Kastamuni  10  Stunden;  letzteres  ist  eine  Stadt  von  etwa 
13,000  Einwohnern,  dreissig  Moscheen,  fünfundzwanzig  öffentlichen 
Bädern  und  meliren  grossen  Khans,  die  an  der  Stelle  des  alten  Ger- 
manicopolis   steht. 

c)  Von  Constantinoxiel  über  Samsun,  3Iossul  und  Bagdad  nach 
Basrah:  Samsun  (mit  dem  Dampfer  in  zwanzig  Stunden  zu  erreichen), 
Kawak  6,  Ladik  8,  Amasia  6,  Tarchal  12,  Tokat  10,  Sivas  20,  Delik- 
tasch (der  höchste  Punct  der  Tauruskette)  10,  Allajah  10,  Hakim  Khan 

11,  Ogli  Oglu  12.  Denesli  8,  Kebhan  Maden,  der  Uebergangspunct 
über  den  Euphrates,  2,  Karput  10,  Arganeh  16,  Diarbekir,  12,  Merdin 
18,  Nisibin  12,  Asnauer  12,  Dschessireh  12,  Saku  12,  Semil  12,  Mossul 

12,  Jesid  Köi  (Uebergang  über  den  Sabliuss)  9,  Tasch  Tepeh  12, 
Kerkus  14,  Tasseh  Kormat  16,  Kara  Tepeh  18,  Hozoz  15,  Bagdad  9 
Stunden.  Diese  Reise  erfordert  einen  sehr  ausdauernden  Körper.  Die 
Pferde  kosten  per  Stunde  2'^'.^  Piaster.  Wenn  die  Beduinen  unruhig 
sind,  was  jetzt  oft  der  Fall  ist,  so  kann  dio  Tour  durch  die  Wüste 
zwischen  Mordin  und  Mossul  nicht  gemacht  werden,  sondern  man 
muss  dann  durch  das  Gebirge  gehen.  In  Mossul  und  Basrah,  nach 
welchem  letzteren  Ort  man  von  Bagdad  auf  einem  Boot  gelangt,  sind 
englische  Viceconsuln,   in  Bagdad   ein    englischer    Generalconsul,    in 


158  Kleinasien. 

Diarbekir  ein  Consul.  In  der  Nähe  von  Mossul  trifft  man  die  Euinen  von 
Niniveh.  Die  Khans  in  Mesopotamien  sind  zum  grossen  Theil  vor- 
trefflich. 

d)  Von  Tokat  nach  Trapesunt:  Niksar  9,  Koilahissar  14,  Ka- 
rahissar  12,  Ulescheran  16,  Gümisch  Chaneh  12,  Trapezunt  18  Stunden. 

e)  Von  Trapezunt  über  Batum  und  Kars  nach  Erzerum:  Bainm 
(mit  dem  Lloyddampfer  zu  erreichen,  Tschoruk  zu  Wasser  4  Stunden, 
dann  Dschagat  5,  Didewadschi  7,  Ako  7,  Kulah  7,  Danesworola  5,  Digwir 
9,  Luramel  5,  Ardaha  8,  Kars  16,  Karahamssa  8,  Messingherd  10, 
Chorassan  4,  Hassan  Kaleh  8,  Erzerum  6  Stunden. 

f)  Von  Erzerum  nach  Kaisar ijeh  über  Diarhekir  und  Siwas: 
Yenköi  10,  Kargan  10,  Erssingen  12,  Kemach  12,  Herhemeh  10,  Edschin 
12,  Arab  Dschir  10,  Karput  10,  Argana  Maden  12,  Stadt  Argana  3, 
Diarbekir  12,  zurück  nach  Karput,  Eissoglu  12,  Aspusi-Malatijeh  6, 
Hakim  Khan  14,  Gurun  15,  Mandschelik  9,  Ulasch  9,  Siwas  6,  Sagileh 
12,  Dschemerek  6,  Kaisarijeh  12  Stunden.  Auch  auf  dieser  Eoute  sind 
die  Räuberbanden  der  Kurden  zu  fürchten.  Diarbekir  ist  eine  grosse, 
von  Mauern  aus  schwarzer  Lava  umgebene  Stadt  von  40,000  Einwohnern 
am  rechten  Ufer  des  Tigris.  Arabdschir  hat  gegen  30,000,  Siwas  unge- 
fähr ebenso  viele  Einwohner.  Kaisarijeh,  am  Puss  des  12,400  Puss 
hohen  Argisch  gelegen,  besitzt  ausgedehnte  Bazare,  in  denen  man  selbst 
deutsche  Waaren  findet  und  hat  gegen  40,000  Einwohner,  von  denen 
10  bis  12,000  Armenier  und  3000  Griechen  sind. 

g)  Von  Kaisarijeh  nach  dem  Argisch  und  dann  nach  Karaman: 
Griechisches  Kloster  am  Abhang  des  Argisch  3 '4,  Ewerek  Köi  8 
Stunden.  Von  hier  aus  besteigt  man  den  Gipfel  des  Berges,  der  ein 
ausgebrannter  Vulkan  ist,  und  kehrt  nach  dem  zuletzt  genannten  Orte 
zurück,  ein  Ausflug,  der  zwei  Tage  kostet.  Von  Ewerek  Köi  geht  es 
dann  weiter  über  Kara  Hissar  8,  Misli  5,  Nigdeh  5,  Bor  5\/^,  Kiss 
Hissar  1,  Erekli  12,  Karaday  12,  nach  Karaman  12  Stunden.  Man 
passirt  auf  diesem  Wege  häufig  die  Lager  von  wandernden  Tur- 
komanen. 

7t)  Von  Karaman  über  Bejschehr  nach  Smyrna:  Kassaba  4, 
Elmasun  4,  Hadschilar  8,  Tris  Maden  2  V^,  Kara  Euran  7,  Sejdi  Schehr 
4,  Bejschehr  6  Stunden,  Kereli  1,  Kara  Agatsch  1,  Oluborlu  (Apollonia) 
2,  Dinair  1,  Ischekli  1,  Demirdschi  Köi  1,  Aineh  Giul  2,  Philadelphia 
1,  Sardes  1,  Kassaba  1  und  Smyrna  1  Tagereise  von  circa  9  bis  10 
Stunden. 

i)  Von  Skutari  nach  Konia,  Tarsus  und  Baias:  Kartal  4, 
Gebse  5,  Kissderwend  9,  Isnik  5,  Lefke  6,  Wessir  Khan  4,  Schogschot 
8,  Eski  Schehr  10,  Sejd  El  Gasi  9,  Kosru  Pascha  Khani  7,  Bolawadnu 
12,  Ak  Schehr  11,  Jorgan  Ladik  12,  Konia  9,  Jeschil  9,  Karabunar  10, 
Erekli  12,  Pylä  Ciliciä  29,  Tarsus  12,  Adana  8,  Messis  6,  Kastanleh 
6,  Kara  Kepeh  2'/a,  Karabolat  3%,  Baias  2'/^  Stunden.  Bei  Schogschot 
befindet  sich  in  einem  schönen  Hain  von  Eichen  und  Cypressen  das 
prächtige  Grabmal  Ali  Othmans,  des  Gründers  der  türkischen  Dynastie. 


Kleinasien.  159 


Zwischen  Sejd  El  Gasi  und  Kosru  Khani  finden  sich  im  Thal  Doganlu 
höchst  merkwürdige  seltsam  verzierte  Grabgrotten,  welche  im  Alter- 
thum  für  das  Grab  des  Königs  Midas  gehalten  wurden  und  jedenfalls 
Beispiele  altphrygischer  Kunst  sind.  Ak  Schehr  ist  eine  Stadt  von 
10,000  Einwohnern,  vor  deren  westlichem  ITior  das  Grab  Nurredin 
Hodscha's,  eines  berühmten  türkischen  Heiligen  ist,  zu  dem  man  wall- 
fahrtet Konia,  der  Sitz  eines  Paschas  und  eines  griechischen  Metro- 
politen, hat  gegen  30,000  Einwohner  und  wimmelt  von  Derwischen. 
Hier  liegt  in  einem  grünangestrichenen  cylinderförmigen  Thurm,  den 
eine  Kuppel  krönt,  der  berühmte  Stifter  der  tanzenden  Derwische 
(Mewlewi)  begraben,  wesshalb  die  Stadt  sich  in  der  ganzen  Türkei  des 
Rufes  besonderer  Heiligkeit  erfreut.  Konia  ist  das  alte  Ikonium,  welches 
im  11.  Jahrhundert  zur  Residenz  der  Seldschukensultane  von  Rum 
wurde.  Tarsus  (die  Geburtsstadt  des  Apostels  Paulus)  und  Adana  sind 
Städte  von  28  bis  30,000  Einwohner. 

k)  Von  Constantinopel  über  Aidindschik  nach  Koniah  und 
Kaisarijeh :  Man  fährt  mit  dem  Dampfer  nach  Mudania  und  geht  dann 
weiter  über  Abullionte  ö'/,,  Ulubat  4,  Muhelisch  2,  Aidinschik  10, 
Mülwer  Köi  8,  Manias  1,  Susugirli  4,  Ildiss  3,  Kofsat  4,  Bugaditza  7, 
Singerli  4,  Simal  18,  Kulah  8,  Medere  Köi  18,  Demerdschi  Köi  4'/,, 
Ischekli  9,  Sandukli  11,  Aijun  Karahissar  12,  Bolawadun  11,  Ak  Schehr 
11,  Arkut  Khan  7,  Ladik  12,  Konia  9,  Karabunar  10,  Ak  Serai  16, 
Kodsch  Hissar  16,  Tatlar  20,  Nem  Schehr  (3,  Bektasch  9,  Kaisarijeh 
9  Stunden.  Etwa  4  Meilen  von  da,  am  Puss  des  Hassan  Dag  und  an 
dem  Weg  nach  Bor,  findet  sich  eine  sehr  interessante  uralte  Stadt, 
deren  Häuser  noch  gut  erkennbar  und  deren  Ringmauern  von  cyklo- 
pischer  Bauart  sind.  Bei  Kodsch  Hissar  liegt  ein  Salzsee,  dessen  Wasser 
so  stark  mit  Salz  geschwängert  ist,  dass  in  ihm  keine  Fische  leben 
können. 

l)  Von  Konia  nach  Gulnar  an  der  Küste:  Tschomra  6,  Kas- 
saba  9,  Karaman  4,  Khan  im  Gebirg  8  Stunden.  In  der  Nähe  liegen 
bei  einem  Felsen,  der  Aehnlichkeit  mit  einem  Thurm  hat,  viele  mit 
Sculpturen  geschmückte  römische  Sarkophage.  Femer  Mut  11,  Schech 
Amer  12,  Gulnar  (ein  Hafenort,  in  dessen  Nachbarschaft  sich  ein  gut 
erhaltener  viereckiger  Thurm  und  ein  Marmordenkmal  korinthischen 
Styls  befinden)  6  Stunden. 

m)  Von  Kaisarijeh  nach  Angara:  Dschenesin  11,  Bektasch  5, 
Kir  Scheher  9,  Hamid  8,  Denek  Maden  4,  Akschehan  8,  Angora  12 
Stunden.  Kir  Scheher  ist  eine  Stadt  von  25  bis  30,000  Einwohnern, 
unter  denen  gegen  5000  Derwische  sind.  Angora  ist  das  alte  Ancyra. 
Es  hat  20,000  Einwohner,  unter  denen  6  bis  7000  Armenier  sind.  In 
der  Nähe  befindet  sich  ein,  mit  Ausnahme  des  Daches,  sehr  gut  erhal- 
tener Tempel  aus  römischer  Zeit,  welcher  dem  Augustus  und  der  Roma 
geweiht  war. 

n)  Von  Brussa  über  Sulimanll  nach  Smyrna:  Hassan  Aga  6, 
Kermasli  6,  Kesterlik  4,  Adranos  6,  Haidar  4,  Harmandschik,  wo  man 
frische  Pferde  bekommen  kann,   4,  Eschen  Köi  4,  Tauschanli  8,  Azani 


160  Kleinasien. 

10,  Giediss  (Kados)  8,  Uschak  10  (hier  werden  schöne  Teppiche  ge- 
macht), Ahad  Köi  6,  Sedschikler  5,  Gobek  8,  Öulimanli  (mit  I'uinen) 
2,  Takmak  6,  Kula  (in  der  sogenannten  Katakekaumene)  8,  Adala  8, 
Sardes  12  Stunden.  Von  hier  gelangt  man  über  Sardes  in  23  bis  24 
Stunden  nach  Smyrna. 

6)  Von  Sinope  über  Ämasia  nach  Ängora  und  Afijun  Kara- 
hissar:  Niksar  8,  Gumenek  7,  Tokat  1,  Torkat  8,  Zilleh  4,  Amasia  8, 
Hadschi  Köi  12,  Chorum  6,  Jusgat  16,  Sangurlu  16,  Kaladschik  18, 
Augora  12,  Balok  Kujumdschi  6,  Ufer  des  Sangarius  von  Angora  15, 
Malk  von  Baluhujumi  12,  Sewri  Hissar  8,  Alekiam  6,  Hamsa  Hadschi 
6,  Euinen  von  Amorium  1,  ßejat  7,  Eski  Karahissar  5,  Afijun  Kara- 
hissar  4  Stunden.  Zwischen  Chorum,  einer  ziemlich  grossen,  nur  von 
Mohammedanern  bewohnten  Stadt,  und  Jusgat  liegen  an  einem  Felsen, 
der  sich  schroff  aus  der  welligen  Ebene  erhebt,  Ruinen  einer  alten 
Stadt.  Noch  interessanter  aber  ist  ein  Denkmal  des  Alterthums,  welches 
sich  in  einem  benachbarten  Turkomanendorfe  befindet.  Es  besteht  das- 
selbe aus  einem  Thorweg,  der  auf  beiden  Seiten  noch  ein  Stück  Mauer 
hat,  und  dessen  Seitenpfeiler  von  gewaltigen  Steinblöcken  gebildet 
werden.  Auf  der  Aussenseite  ist  eine  groteske  Figur  mit  einem  Men- 
schenkopf von  ägyptischem  Charakter  und  einem  Körper,  der  einen 
Vogel  darzustellen  scheint  und  an  dem  Löwenklauen  die  Füsse  vertreten. 
Auf  der  untern  Steinlage  der  Mauern  sieht  man  ein  plump  ausge- 
führtes Basrelief,  welches  eine  Procession,  ein  Opfer  und  Thiere,  die 
zum  Altar  getrieben  werden,  vorstellt. 

p)  Von  Trapesunt  nach  Bajasid:  Dscheweslik  5,  Stawros  Bo- 
gass.'j'/j,  Sugarni  SV^,  Ballahur  5,  Mimansur  4' 2,  Erzerum  6'/j,  Has- 
san Kaleh  6,  Kumansur  5 '4,  Eschek  Hias6,  Sidkhan  S'/i,  Kara  Kilisa, 
ö'/j.  Odsch  Kilisa  8,  Bajasid  9  Stunden.  3 /^  deutsche  Meilen  süd- 
westlich von  Bajasid,  einer  Stadt  von  18  bis  20,000  Einwohnern,  erhebt 
sich  der  Agri  Dag  oder  Berg  Ararat,  der  eine  Höhe  von  16,250  Fuss 
hat  und  vom  Gipfel  herab  3000  Fuss  mit  ewigem  Schnee  bedeckt  ist. 

9.    Tour  zur  See  von  Constantinopel  nach  Trapezunt  und  zurück  zu  Lsmde  nach 
Tripolis  und  Kerasunt, 

Nach  Trapezunt  reist  man  am  bequemsten  und  schnellsten  mit 
den  Dampfern,  die  von  Constantinopel  dahin  abgehen,  und  zwar  fahren 
zwischen  den  beiden  Städten  ausser  dem  Lloyd  auch  englische  und  tür- 
kische Schiffe,  indess  sind  die  letztem  nicht  zu  empfehlen.  Die  Lloyd- 
schiffe fahren  bis  Samsun  etwa  1,  bis  Trapezunt  2\/^  Tag.  Die  Land- 
schaft an  der  Küste  ist  ausserordentlich  schön,  das  Meer  im  Winter 
und  im  Frühjahr  sehr  stünniach.  Die  hauptsächlichsten  Küstenpuncte 
sind:  Ei-ekli,  Ineboli,  Sinope,  Samsun,  Kerasunt,  Tripolis  und  Trapezunt. 

Erekli,  das  alte  Heraklea,  hat  keinerlei  Sehenswürdigkeiten.  In 
der  Nähe  hat  man  ein  ausgedehntes  Kohlenlager  entdeckt,  welches 
indess  den  Erwartungen,  die  man  von  ihm  anfangs  hegte,  nicht  völlig 
entsprochen  hat,  da  die  hier   gegrabene   Kahle   keinen  Vergleich  mit 


Kleinasien.  161 


der  englischen  aushält.  lueboli  ist  ein  hübsches  Städtchen  am  Ein- 
gang einer  Schlucht,  über  der  sich  hohe  Bäume  thürmen.  Sinope, 
jetzt  Sinub  genannt,  ist  eine  hässliche,  ärmliche  und  schmutzige  Stadt 
von  etwa  6000  Einwohnern,  die  zum  Theil  in  Ruinen  liegt.  Dieselbe 
erhebt  sich  über  einer  Bucht,  welche  von  einem  hammerförmigen  Vor- 
gebirge gebildet  wird  und  den  sichersten  Ankerplatz  zwischen  dem 
Bosporus  und  Batum  bietet.  In  dieser  Bucht  wurde  am  30.  November 
1853  ein  Theil  der  türkischen  Flotte  von  einem  überlegenen  russischen 
Geschwader,  das  meist  aus  Linienschiffen  bestand,  angegriffen  und  in 
den  Grund  gebohrt.  Die  Masten  der  versunkenen  türkischen  Fregatten 
stehen  noch  jetzt  aus  der  Fluth  empor.  Von  der  alten  hellenischen 
Stadt  Sinope,  dem  Geburtsorte  des  Diogenes,  und  der  Eesidenz  des 
Mithridates,  ist  nichts  mehr  übrig,  als  eine  grosse  Menge  zusammen- 
gefallener korinthischer  Säulen,  Friese,  Grabsteine,  Inschriften  (die 
meist  aus  der  Zeit  der  Antonine  sind)  und  Statuen,  die  in  die  Mauern 
der  alten  byzantinischen  Festungswerke  und  des  Castells  eingefügt 
sind,  welches,  von  drei  Mauern  und  einem  Graben  umgeben,  auf  dem 
Isthmus  steht.  Einige  von  den  Franzosen  1808  errichtete  Schanzen 
sind  jetzt  zusammengefallen.  Die  Türken  haben  hier  Werften,  wo  sie 
Kriegsschiffe  bauen,  zu  denen  ihnen  die  benachbarten  schönen  Wälder 
das  Material  liefern.  Einige  Meilen  über  Sinub  hinaus  ergiesst  sich 
der  Fluss  Kissil  Irmak,  der  alte  Halys,  in  die  See.  An  seinen  Ufern 
steht  das  Städtchen  Bafra. 

Samsun  ist  ein  blühender  Seehandelsplatz,  der  wichtigste  auf 
dieser  Küste  nächst  Trapezunt,  da  von  hier  die  grosse  Karavanenstrasse 
nach  Tokat  und  Diarbekir  ausgeht.  Eine  Viertelstunde  nordwestlich 
von  hier  findet  man  Reste  des  Hafendarames  und  der  Akropolis  von 
Amisus,  jetzt  Eski  Samsun. 

Kerasunt,  das  alte  Phamacia,  ist  ein  nettes  Oertchen,  bei  dem 
sich  Reste  altgriechischer  Mauern  zeigen,  auf  welche  Genuesen  und 
Türken  weitere  Steinlagen  geschichtet  haben.  Folgt  man  der  Linie 
um  das  Vorgebirge,  so  passirt  man  zwischen  Kerasunt  und  Tripolis  die 
Insel  Ärctias,  welche  indess  jetzt  keinerlei  Erinnerungen  an  die  Ama- 
zonenköuiginnen  mehr  bewahrt. 

Tripolis,  am  Fusse  dicht  bewaldeter  Berge,  eine  Stunde  von 
dem  grossen  Fluss  gelegen,  der  von  Gumisch  Khane  und  Zigana  her- 
abkommt. An  dem  Ausfluss  des  letzteren  sind  ausgedehnte  Kupfer-  und 
Silbergruben,  die  indess  jetzt  nicht  mehr  bearbeitet  werden ,  da  eine 
Ueberschwemmuug  des  Stromes  sie  mit  Wasser  gefüllt  hat.  Man  glaubt, 
dass  sie  die  Argyria  der  Alten  sind.  Die  Strasse  von  Tripolis  oder 
Tireboli  führt  durch  einen  ununterbrochenen  Wald  von  blühenden 
Bäumen  und  Sträuchern,  Azaleen,  Myrthen,  Rhododendrons  und  schönen 
Schlingpflanzen,  dessen  Thäler  von  zahlreichen  Bächen  durchströmt 
sind,  und  die  Gegend  hat  nur  einen  Fehler,  den  nämlich,  dass  sie,  wie 
alle  Küsten  des  Schwarzen  Meeres,  besonders  die  asiatischen,  einen 
grossen  Theil  des  Jahres  giftige  Fieber  der  schlimmsten  Art  aushaucht. 

11 


162  Kleinasien. 

Trapezunt,  italienisch  Trebisonda,  türkisch  Tarabosan,  die 
Hauptstadt  des  Ejalets  gleiches  Namens,  liegt  im  ehemaligen  kappa- 
docischen  Pontus  zwischen  zwei  hohen  Felsgipfeln.  Durch  seinen  guten 
Hafen  und  seine  glückliche  Lage  war  es  seit  der  Zeit  seiner  Gründung 
bis  heute  mit  wenigen  Unterbrechungen  eine  Stadt  von  Wichtigkeit. 
Es  war  von  Colonisten  aus  Sinope  erbaut,  wurde  aber  in  der  Staaten- 
geschichte erst  bedeutend,  als  es  im  Mittelalter  Hauptstadt  des  kleinen 
Kaiserthums  Trapezunt  wurde.  Als  nämlich  durch  die  Streitigkeiten 
in  der  byzantinischen  Kaiserfamilie  die  Kreuzfahrer  veranlasst  wurden, 
Constantinopel  anzugreifen  und  nach  Eroberung  der  Stadt  die  kaiser- 
liche Familie  von  ihnen  vertrieben  wurde  (1204),  errichtete  der  Prinz 
Alexius  in  Kleinasien  einen  neuen  kleinen  Staat  und  nahm  seinen  Sitz 
in  Trapezunt,  wo  er  früher  Statthalter  gewesen  war.  Seine  Nachfolger, 
die  den  Familiennamen  der  Konmonen  fortführten,  nn Urnen  den  Kaiser- 
titel an  und  herrschten  hier  bis  zur  Mitte  des  15.  .Jahrhunderts,  und 
zwar  noch  nach  der  Eroberung  Constantinopels  durch  die  Türken. 
Endlich  aber  erlagen  auch  sie.  David  Komnenus,  der  letzte  Kaiser 
dieses  Restes  des  oströmischen  Reiches,  wurde  1461  von  Mohammed 
II.  in  seiner  Hauptstadt  belagert  und  musste  sich,  da  ihm  alle  aus- 
wärtige Hilfe  fehlte,  ergeben.  Das  Land  wurde  dem  Türkenreich  ein- 
verleibt, der  gefangene  Kaiser  samrat  seiner  Familie  1462  in  Adria- 
nopel hingerichtet.  Der  Name  der  Stadt  ist  von  dem  griechischen 
Worte  Trapeza,  Tisch,  abgeleitet,  da  dieselbe  auf  einem  Terrain  steht, 
welches  einige  Aehnlichkeit  mit  einem  Tisch  hat.  Das  jetzige  Trape- 
zunt hat  gegen  30,000  Einwohner,  unter  denen  etwa  10,000  Griechen 
und  einige  Franken  sind.  Oesterreich  und  England  haben  hier  Con- 
sulate.  Der  türkische  Stadttheil  ist  mit  einer  zinnengekrönten  Mauer 
umgeben,  vor  der  sich  tiefe  Schluchten  senken,  über  welche  Brücken 
führen.  Die  Citadelle  ist  sehr  verfallen,  sie  beherrscht  die  Stadt,  wird 
aber  ihrerseits  von  den  benachbarten  Höhen  beherrscht.  Alterthüraer 
aus  vorchristlicher  Zeit  finden  sich,  mit  Ausnahme  eines  Tempels  aus 
Hadrians  Zeit,  der  ausserhalb  der  Stadt  liegt,  hier  nicht;  dagegen 
trifft  man  zahlreiche  Gebäude  aus  der  Komnenenzeit.  Abgesehen  von 
den  zehn  griechischen  Kirchen,  in  denen  noch  christlicher  Gottesdienst 
gehalten  wird,  sind  fast  alle  Moscheen,  deren  es  hier  gegen  dreissig 
gibt,  ursprünglich  Kirchen  gewesen.  Die  schönste  der  letzteren  ist  die 
Santa  Sofia,  dreiviertel  Stunden  westlich  von  der  Stadtmauer.  Ueber 
einem  der  Hauptthore  liest  man  eine  lange  griechische  Inschrift,  die 
sich  augenscheinlich  nicht  an  ihrer  ursprünglichen  Stelle  befindet,  da 
sie  sich  auf  einen  Bischof  und  einen  byzantinischen  Kaiser  bezieht. 
In  zwei  kleinen  griechischen  Kirchen  sieht  man  seltsame,  ziemlich 
wohlerhaltene  Fresken  aus  dem  12.  Jahrhundert,  welche  byzantinische 
Fürsten  u.  A.  vorstellen,  in  einer  andern  Kirche  ein  Denkmal  Salo- 
mon's,  des  Königs  von  Georgien.  Die  Stadtmauer  und  die  Citadelle 
stammen  gleichfalls  aus  der  Periode  vor  der  Türkenherrschaft.  Weit 
interessanter  als  durch  ihre  Alterthüraer  ist  die  Stadt,  welche  beiläufig 
fast  nur  einstöckige  Häuser  hat  und  so  in  Gärten  versteckt  ist,  dass 


E!leina43ien.  163 

man  im  grössten  Tlieil  des  Jalires  von  der  Rhede  aus  nur  wenig  von 
ihr  sieht,  durch  das  Völkergemisch,  das  sich  in  ihren  sehr  wohl  ver- 
sehenen Bazars  und  vor  ihren  Thoren  tummelt.  Slan  sieht  hier  die 
Stämme  des  Kaukasus,  Lasen,  Georgier.  Armenier,  Tscherkessen,  man 
begegnet  Persern  und  Kurden;  denn  Trapezunt  ist  jetzt  das  Centrum 
des  Waarenaustausches.  der  auf  dem  Landwege  vom  Schwarzen  Meer 
an  zwischen  Teheran  und  Constantinopel  stattfindet.  Im  Jahre  1852 
belief  sich  die  Einfuhr  von  Europa  aus  auf  etwa  15  Millionen  Thaler, 
und  zwar  war  das  Meiste  davon  europäisches,  vorzüglich  englisches 
Fabrikat,  und  drei  Viertel  davon  ging  nach  Persien.  Die  Ausfuhr  be- 
trug etwa  (j  Millionen  Thaler  an  Werth,  und  bestand  besonders  in 
Seide,  dann  in  Safran,  Nüssen,  Tabak,  Kupfer,  Wachs.  Blutigeln  und 
Galläpfeln.  Zu  erwähnen  ist,  dass  man  hier  niedliche  Armbänder  von 
Silberdraht  macht,  die  nicht  theuer  sind.  Zum  Schluss  die  Erini>erung, 
dass  es  sehr  wahrscheinlich  hier  bei  Trapezunt  war,  wo  Xenophon 
bei  seinem  berühmten  Rückzug  mit  den  zehntausend  Griechen  nach 
der  Schlacht  bei  Kunaxa  zuerst  das  Meer  erreichte;  denn  der  jetzt 
gebräuchliche  Pass  von  hier  in  das  Innere  ist  der  einzige,  der  aach 
im  Winter,  wo  der  Rückzug  stattfand,  zugänglich  ist. 

Von  Trapezunt  kann  der  Reisende  bei  günstiger  Gelegenheit  noch 
einen  kurzen  Ausflug  nach  Batum.  der  Grenzstadt  der  kleinasiatischen 
Türkei  gegen  Russland  hier  unternehmen,  wo  man  den  Gebirgsvölkern 
des  Kaukasus  noch  näher  ist.  Ausser  diesen  ist  jedoch  hier  nichts  zu 
sehen,  als  etwa  hundert  Holzhäuser  mit  Verkaufsläden  und  eine  kleine 
Moschee.  Ein  anderer  lohnender  Ausflug  ist  der  nach  dem  berühmten 
Kloster  Sumelas,  welches  in  einer  prachtvollen  Waldgegend  zwei 
Tagereisen  von  Trapezunt  liegt  und  wo  man  ein  vom  Evangelisten 
Lukas  gemaltes  Bild  der  Panagia  zeigt. 

Wer  die  Küste  zwischen  Trapezunt  und  dem  Bosporus  näher  kennen 
zu  lernen  wünscht,  mag  von  Trapezunt  nach  Tripolis  zu  Lande  gehen, 
von  hier  mit  einem  Boot  nach  Kerasunt  und  von  dort  mit  dem  Dampfer 
nach  Stambul  zurückkehren.  Man  engagirt  zu  diesem  Zweck  in  Trapezunt 
einen  Tatar  oder  Kawasch.  Die  Gegend,  durch  die  der  Weg  führt,  ist  einer 
der  schönsten  Walddistricte  der  Levante,  theilweise  aber  auch  gut 
angebaut,  der  Weg  selbst  aber  sehr  beschwerlich  und  hin  und  wieder 
nur  zu  Fuss  zu  passiren.  1 '/,  Stunde  von  der  Stadt  führt  er  über 
einen  Bach,  weiterhin  über  den  Fluss  Gera,  dann  über  den  Kalanoma 
Dere  Su,  dann  durch  das  Städtchen  Platana.  wo  sich  eine  sehenswerthe, 
altbyzantinische  Kirche  befindet  und  wo  man  im  Kaffeehause  über- 
nachten kann.  Eine  Stunde  von  hier  ersteigt  man  das  niedrige  Vorge- 
birge Zitun  Burun,  dann  passirt  man,  immer  nicht  fern  vom  Meere 
eine  Iteihenfolge  schöngeformter  bewaldeter  Kaps,  gelangt  nach  dem 
verfallenen  Fort  Akjah  Kaleh,  das  auf  einem  Basaltfelsen  liegt  und 
wahrscheivilich  das  alte  Kordyle  ist.  Dann  folgen  das  Kap  Thoros  und 
die  kleine  Bucht  Jedschi  Liman.  Hierauf  wendet  sich  der  Weg  nach 
Südwesten,  überschreitet  den  Iskefeh  Dere  Su,  passirt  das  in  Trümmern 
liegende  Fort  Dschellita  Kaleh.  das  am  Rande  einer  mit  Azaleen  und 


164  Kleinasien. 

Eliododendrons  bewachsenen  Schlucht  liegt,  geht,  in  eine  Ebene  hin- 
absteigend, über  einen  breiten  Bach,  dann  über  Hügelland,  dann  über 
den  Karasun  Dere  Su,  um  an  dem  Dorfe  Fol  und  der  verlassenen  Fac- 
torei  Kerte  Khana  vorüber,  das  mit  einem  Kramladen  verbundene  Gast- 
haus Bujuk  Liman  zu  erreichen,  wo  man  (dasselbe  ist  O'/^  Stunden 
von  Platana  entfernt)  die  zweite  Nacht  bleibt. 

Von  hier  gelangt  man  über  den  Aksa  Uere  Su  und  an  dem  Cap 
Kaledschik  mit  seinem  zerfallenen  Fort  vorbei  über  sehr  gefährliche 
Pfade  am  Felsen  über  der  See  nach  dem  Cap  Kireli,  wo  einst  Koralla 
stand.  Dann  überschreitet  man  den  Audschenesin  Dere  Su  und  dessen 
wohlbebautes  Thal,  bald  nachher  den  Tschausli  Dere  Su,  der  gleich- 
falls eine  fruchtreiche  Thalebene  durchströmt,  passirt  das  Dorf  Eleheu, 
setzt  jenseits  desselben  über  den  wasserreich  aus  waldigem  Grund  her- 
vorströmenden Kara  Burun  Tschai  und  erblickt  hier  das  schroife  Vor- 
gebirge von  Kara  Burun.  Dann  [folgen  die  Euinen  von  Gulak  Kaleh 
auf  einzeln  stehender  Klippe  über  dem  Gestade,  dann  die  Flüsse  Baba 
Dere  Su  und  Basar  Tschai,  deren  Ufer  in  Keisfelder  verwandelt  sind. 
Hier  betritt  man  die  von  den  Anschwemmungen  des  Tireboli  Su,  einem 
breiten  Fluss,  über  den  eine  Fähre  geht,  gebildete  Ebene  und  gelangt 
bald  nachher  nach  Tripolis,  wo  man  zum  dritten  Mal  übernachtet,  und 
zwar  findet  man  (gegen  ein  gutes  Bakschisch,  welches  der  Dienerschaft 
gezahlt  wird)  im  Konak  des  Gouverneurs  Unterkommen. 

Der  Weg  zwischen  Tripolis  und  Kerasunt  ist  für  Thiere,  die 
mit  Gepäck  beladen  sind,  nicht  wohl  zu  passiren ;  man  thut  daher  gut, 
sich  nach  Kerasunt  ein  Boot  zu  nehmen,  welches  die  Fahrt  bei  gutem 
Wind  in  vier  Stunden  zurücklegt.  Man  passirt  auf  diesem  Wege  zuerst 
Cap  Sefreh  und  eine  Stunde  weiter  westlich  ein  Felseneiland,  von  dem 
Hamilton,  dem  wir  bei  der  Beschreibung  dieser  Tour  folgen,  meint, 
es  möge  die  Philyreis-Insel  der  Agonautensage  sein.  Etwas  weiter  süd- 
lich triift  man  eine  andere  kleine  Insel,  die  Kerasunt  Ada  heisst  und 
vielleicht  die  Insel  Aretias  des  Apollonius  Rhodius  ist,  welche  im 
Alterthura  einen  von  zwei  Amazonenköniginnen  errichteten  Marstempel 
trug,  der  indess  jetzt  spurlos  verschwunden  ist.  Von  dieser  Insel  ist 
es  noch  anderthalb  Stunden  bis  zur  Stadt  Kerasunt,  wo  man  den  nach 
Constantinopel  zurückkehrenden  Dampfer  erwartet. 

Wir  bemerken,  dass  auf  dieser  letzten  Tour  nichts  von  Räubern 
zu  fürchten  ist,  dass  man  sich  aber  sehr  hüten  muss,  in  den  Wald- 
gegenden und  an  den  Flüssen  im  Freien  zu  übernachten,  da  eine  ein- 
zige so  zugebrachte  Nacht  ein  tödtliches  Fieber  zur  Folge  haben  kann 
und  von  ärztlicher  Hilfe  in  diesen  Regionen  nirgends  die  Rede  ist. 


Constantinopel;  165 


SIEBENTES  CAPITEL. 
Oonstantinopel. 

Constantinopel    im  Allgemeinen.    -  Geschichte  der  Stadt.  —  Gasthöfe.  —  Führer. 

—  Kaiks.  —  Plan,  Constantinopel  in  sechs  Tagen  zu  sehen.  —  Die  Vorstädte:  Galata, 
Pera,  Tophana,  Kassim  Pascha,  Bjub.  —  Stambul.  —  Die  kaiserlichen  Moscheen:  die  Aja 
Sophia,  Snlimanijeh,  Achmedijeh,  Moschee   Mahomed  II.  —  Die  Turbas.  —  Die  Bazars. 

—  Bäder.  —  Khans.  —  Die  Palaste  von  Dohnabagdsche  und  Tschiragan.  —  Das  alte 
Serail.  —  Thore.  —  Die  Brücke.  —  Brunnen.  —  Alterthümer :  der  Atraeidan,  der  Pa- 
last des  Belisar.  —  Die  Marcianssäule.  —  Die  Wasserleitung  des  Kaisers  Valens.  — 
Friedhöfe.  —  Das  Bairam  und  andere  Feste.  —  Feste  und  Sitten.  —  Die  Aqnäducte 
ausserhalb  der  Stadt. 

„Ich  sah  Athens  heilige  Räume,  ich  sah  die  Tempel  von  Ephe- 
sus  und  war  in  Delphi,  ich  habe  Europa  durchstreift  von  einem  Ende 
zum  andern  und  die  schönsten  Länder  Asiens  besucht,  aber  nirgends 
erfreute  mein  Auge  ein  Anblick,  dem  von  Constantinopel  zu  verglei- 
chen." So  sagt  Lord  Byron,  und  sein  Spruch  ist  wahr.  Es  gibt  in 
Europa  nur  einen  Punct,  der  einen  Vergleich  erlaubt  —  Neapel,  und 
manche  Reisende,  welche  die  Schönheiten  des  Golfs  unter  dem  Vesuv 
mit  denen  des  Bosporus  vergleichen,  haben  dem  ersteren  die  Palme 
zuerkannt.  W^ir  nennen  das  eine  irrige  Ansicht.  Man  darf  verschiedene 
Schönheiten  mit  einander  vergleichen,  aber  man  kann  nicht  sagen, 
dass  dies  als  Ganzes  mehr,  das  andere  minder  schön  sei.  Der  Golf  von 
Neapel  hat  mehr  Majestät,  mehr  Ausdehnung,  er  hat  den  hohen,  schön- 
geformten Vulkan  mit  der  geheimnissvollen  Rauchwolke.  Am  Bosporus 
aber  findet  man  einen  feenhaftem  Duft,  einen  reicheren  und  zarteren 
Farbenschmelz  und  bei  Weitem  mannigfaltigere  Formen.  Sodann  aber 
ist  die  Ausdehnung  des  Halbkreises  der  Bucht  von  Neapel  so  gross, 
dass  man  immer  nur  einige  Puncte  zugleich  deutlich  überschaut.  Auf 
den  Höhen  von  Skutari  oder  Pera  aber  beherrscht  das  Auge  das  ganze 
Panorama,  das  sich  in  wunderbar  harmonischer  Reihenfolge  vom  Vor- 
dergrund dunkler  Cypressenhaine  oder  blauer  Gewässer  bis  nach  dem 
fernen,  nebelhaften  Schleier  der  Berge  hinstreckt,  ohne  dass  die  Haupt- 
sache, Constantinopel  selbst  mit  dem  goldenen  Hörn  und  seinen  sieben 
terrassenförmig  mit  Häusern,  Palästen  und  Moscheen  zwischen  Gärten 
und  Baumwipfeln  bebauten  Hügeln  in  seinen  Einzelheiten  verschwömme. 

So  präsentirt  sich  Constantinopel  aber  nur  dem  zur  See,  vom 
Schwarzen  oder  vom  Marmoraraeer  Ankommenden  oder  dem  Reisenden, 
der  aus  dem  Innern  Kleinasiens  sich  ihm  nähert.  Wer  ihm  von  der 
europäischen  Seite  naht,  erblickt  zuerst  seine  Ruinen  und  seinen  Schmutz, 


166 


CoDstautinopel. 


Constantinopel.  1^7 


mit  dem  es  alle  Städte  des  Südens  ebenso  sehr  übertriflFt,  wie  mit 
seiner  äusseren  Schönheit.  Und  so  grossartif?  seine  öffentlichen  Bauten, 
namentlich  viele  seiner  Moscheen  sind,  so  überaus  hässlich  sind,  nahe 
betrachtet,  seine  Privathäuser,  die  mit  Ausnahme  eines  Theils  von 
Pera  fast  durchgehends  von  Holz  sind.  Je  mehr  man  sich  beeilt,  bald 
unter  jene  prächtigen  Hallen  und  in  die  Schatten  jener  grünen  Baum- 
gruppen zu  gelangen,  die  malerisch  neben  den  Häusergruppeu  auf- 
streben, um  se  mehr  beklagt  man  nach  dem  ersten  Eindruck,  den  jene 
windschiefen,  verräucherten  Holzbarracken  und  jene  schlechtgepiiasterten, 
bei  Regenwetter  von  Kothbächen  durchfiossenen,  winkeligen  Strassen 
machen,  sich  nicht  mit  dem  blossen  Anblick  von  ferne  begnügt 
zu  haben. 

Coustantiuopel  liegt  auf  41"  n.  Br.  und  47°  öst.  L.,  auf  einer 
am  südwestlichen  Ausgang  des  thrazischen  Bosporus  befindlichen  drei- 
eckigen Landzunge,  die  durch  eine  von  jeuer  Meerenge  aus  fast  eine 
Meile  in  das  Land  hineingehende  schmale  Bucht  (das  Goldene  Hörn) 
und  das  Marmorameer  — jene  im  Norden,  diese  im  Süden  der  Stadt 
—  gebildet  wird.  Constantinopel  hängt  somit  an  seiner  Westseite,  der 
Basis  des  Dreiecks,  die  ^'4  Meilen  lang  ist,  mit  dem  festen  Lande 
Thraziens  (jetzt  Eumeliens)  zusammen  und  erstreckt  sich  zwischen  den 
genannten  beiden  Gewässern  nach  Osten  bis  zu  dem  Puncte,  wo  das 
Goldene  Hörn,  der  Bosporus  und  das  Marmorameer  zusammentreten 
und  die  Landzunge  mit  einer  abgerundeten  Spitze  endigt.  Dies  ist  das 
eigentliche  Constantinopel,  welches  bei  einem  Umfang  von  2' 4  deut- 
schen Meilen  mit  eiußr  an  der  Landseite  dreifachen  Ringmauer  umge- 
ben ist,  die  zum  Theil  aus  der  Zeit  der  byzantinischen  Kaiser  herrührt, 
und  durch  welche  achtundzwanzig  Thore  und  neun  Pforten  führen.  Um 
die  eigentliche  Stadt,  türkiscli  Istambol,  von  th  t/jv  tiöXiv,  von  den 
Slaven  Zaregrad,  Kaiserstadt,  genannt,  liegen  fünfzehn  Vorstädte,  von 
denen  Galata,  Tophane  und  Pera,  an  und  auf  dem  Hügel  im  Norden 
des  Goldenen  Horns,  Ejub  im  Nordwesten  desselben,  Dolmabagdsche, 
nordöstlich  am  Bosporus,  und  Skutari,  auf  dem  asiatischen  Ufer  dieser 
Meerenge  die  wichtigsten  sind.  Das  alte  Schloss  an  der  Südwestecke 
der  Stadt,  welches  man  bei  der  Annäherung  an  das  Ende  des  Marrao- 
rameeres  vom  Dampfer  aus  gewahrt,  ist  das  Schloss  der  sieben  Thürme, 
in  das  man  früher  bisweilen  die  Gesandten  der  europäischen  Mächte 
sperrte,  der  Thurm  mitten  im  Meer  vor  Skutari  der  sogenannte  Lean- 
derthurm.  Stambul,  Skutari  sind  fast  nur  von  Türken  und  Juden  be- 
wohnt. In  Galata  und  Pera  wohnen  ausser  vielen  Griechen  und  Arme- 
niern auch  mehre  tausend  Franken,  darunter  eine  beträchtliche  Anzahl 
Deutsche.  Hier  werden  alle  Sprachen  gesprochen,  man  findet  gute  euro- 
päisch eingerichtete  Gasthäuser,  Conditoreien,  Concerte,  Casinos  (wor- 
unter zwei  deutsche),  eine  italienische  Oper,  elegante  Läden,  Daguer- 
reotypisten  und  Photographen,  Buchhandlungen,  pariser  Moden  und 
europäischen  Luxus;  auch  wohnen  hier  (in  Pera)  die  europäischen 
Gesandten.  Auf  den  Höhen  über  und  neben  Stambul  und  den  Vor- 
städten stehen  zehn  bis  zwölf  grosse,  nach  europäischer  Weise  gebaute 


168  Constantinopel. 


Kasernen,  in  denen  gewöhnlich  eine  Garnison  von  20  bis  25,000 
Mann  liegt. 

Constantinopel  zählt  sammt  seinen  Vorstädten  gegen  90,000 
Häuser  und  über  eine  Million  Einwohner,  unter  denen  sich  150,000 
Griechen,  230,000  Armenier,  30,000  Juden  und  etwa  15,000  Franken 
befinden.  Die  Zahl  der  Moscheen  beträgt  über  300,  von  denen  mehre 
sehr  gross  und  mit  vier  bis  sechs  Minarets  geschmückt  sind.  Die 
Griechen  haben  vierzehn,  die  Armenier  drei,  die  Katholiken  neun 
Kirchen  und  mehre  Klöster,  die  Jud^n  zahlreiche  Synagogen.  Die 
Griechen  stehen  unter  einem  Patriarchen,  der  seinen  Sitz  im  soge- 
nannten Fanar  am  Meer  hat.  Die  Armenier  haben  hier  gleichfalls  einen 
Patriarchen,  die  Katholiken  einen  Bischof.  An  Unterrichtsanstalten 
mangelt  es  nicht.  Die  Mohammedaner  besitzen  dreihundert  Medressen, 
in  welchen  die  Ulema  gebildet  werden,  und  viele,  freilich  sehr  unvoll- 
kommene, Elementar-Schulen.  Mit  den  Kirchen  und  Klöstern  sind 
Schulen  für  die  verschiedenen  christlichen  Eeligionsparteien  verbunden. 
Ausserdem  gibt  es  eine  Marineschule  auf  der  Insel  Chalki,  eine  Artil- 
lerie- und  Ingenieurschule,  weicher  1859  der  deutsch  gebildete  Galib 
Pascha  vorstand,  und  das  Galata  Serai,  eine  medicinische  Schule,  welche 
von  deutschen  Aerzten  geleitet  wird,  deren  in  Pera  und  Galata  eine 
beträchtliche  Zahl  prakticiren.  Spitäler,  in  welchen  Arme  unentgeltlich 
Aufnahme  finden,  gibt  es  zwei  deutsche,  ein  englisches,  ein  französisches 
und  ein  österreichisches.  In  den  dreizehn  türkischen  Bibliotheken  Con- 
stantinopels,  von  denen  die  des  Serails  die  bedeutendste  ist,  liegen  für 
den  Orientalisten  noch  grosse  Schätze.  Deutsche  Buchhandlungen  finden 
sich  in  Pera  zwei,  beide  an  der  Hauptstrasse  dieses  Stadttheils.  Zei- 
tungen erscheinen  hier  mehre  türkische,  zwei  französische,  zwei  italie- 
nische und  eine  griechische.  Bäder  soll  die  Stadt  mehre  tausend  haben, 
Kaffeehäuser  ebensoviele.  Die  besten  der  letzteren  trifft  man  ausserhalb 
der  Stadt  und  in  Pera  auf  dem  kleinen  Campo.  Der  Gewerbfleiss  der 
türkischen  Einwohner  ist  noch  immer  in  den  dem  Orient  eigenen  Fa- 
brikaten, z.  B.  Teppichen,  Sattlerarbeiten,  Gold-  und  Silberstickereien, 
Waffen,  Essenzen  und  Parfuraerien  nicht  unbedeutend.  Noch  wichtiger 
aber  ist  bei  der  unvergleichlichen  Lage  Constantinopels  der  hier  ge- 
triebene Handel,  der  ausser  zahlreichen  Karawanen  jährlich  zwischen 
6  und  7000  Segelschiffe  und  450  bis  500  Dampfer  hierherführt;  doch 
muss  bemerkt  werden,  dass  der  Grosshandel  sich  bis  vor  kurzer  Zeit 
ganz  in  den  Händen  der  Griechen,  Armenier  und  Franken  befand  und 
erst  in  den  letzten  Jahren  auch  die  Türken  angefangen  haben,  daran 
theilzunehraen. 

Die  Natur  hat  für  die  gesunde  Beschaffenheit  Constantinopels 
mehr  gethan,  als  für  viele  andere  grosse  Städte.  Es  liegt  auf  Hügeln, 
zwischen  denen  Thäler  sich  strecken,  die  den  Durchzug  der  Luft  ge- 
statten. Eine  beständige  Strömung,  genährt  durch  die  Gewässer  der 
Bäche  Ali  Bei  und  Kihat  Ghana,  die  sich  oberhalb  Ejub  zu  einem 
Fluss  vereinigen,  duldet  in  dem  fluthlosen  Goldenen  Hörn  nur  wenig 
stehendes  Wasser  und  hört  nur  dann  auf,  wenn  Südwind  dem  Drang 


Constantinopel.  16^ 


des  Bosporus  sich  entgegensteramt,  zwischen  den  Wassern  des  Kanals 
und  denen    des   Marmorameeres  einen  Zusamraenstoss   veranlasst  und 
einen  Theil  der  Strömung  im  Goldenen  Hörn  zurückhält.  Andererseits 
geht  die  Strömung  aus  dem   Schwarzen  in  das  Marmoraraeer   mit  der 
Geschwindigkeit  von  einer    Viertelmeile    in    der  Stunde   an    Tophana 
vorüber  auf  die  Serailspitze  zu  und  schwemmt  allen  Unrath,  der  sich 
dort  vom  Goldenen  Hörn  her  anhäufen  würde,  hinweg,  so  dass  die  See 
hier  stets  klar  und  hell  wie  Krystall  ist.  Im   Durchschnitt  herrschen 
nördliche  Winde  vor.   Im  Sommer  weht  einige   Stunden    nach  Tages- 
anbruch ein  gelinder   Südwind   von    dem   asiatischen   Olymp  herüber. 
Obgleich  der  Kegen  im   Frühling  und  im  Herbst  in  grösserer  Menge 
fallt,  ist  er  doch  nicht  periodisch.  Bei  Nacht  fällt  wenig  Thau,  daher 
wird  die  Vegetation  auf  den   Gipfeln    der   Berge    bald   welk,  und  die 
Früchte  und    Gemüse  mit   Ausnahme  derer,  welche  im  Frühjahr  und 
an  feuchten  Orten  wachsen,  sind  unschmackhaft  und  nicht  von  langer 
Dauer.  Der  Winter  beginnt  mit  dem  December   und   ist   gewöhnlich 
nicht  streng.  Es  fällt  oft  Schnee,  aber  nur  selten  bleibt  er  einige  Tage 
liegen.    Der  Sommer   ist  sehr  heiss,  der  Herbst  ausserordentlich  mild 
und  schön.  Der  Frühling  tritt  erst  spät  ein  und  ist  hier  die  unfreund- 
lichste der  vier   Jahreszeiten;   denn   es    wehen  dann  wie  zu  Ende  des 
Winters  die    „Kara   Jell",   Nord-,    Nordost-   und  Nordwestwinde,  die 
vorn    Balkan    und  vom   Kaukasus   her   kommen    und  sehr  scharf  und 
schneidend   sind.  Trotzt  seiner  gesunden  Lage  ist  Constantinopel  kein    i 
gesunder   Aufenthalt.   p]s   kommen    in    Folge    der   Unreinlichkeit    der    j 
Strassen,  die  übrigens  im  Griechen-  und  Armenierquartier  grösser  als    ; 
unter  den  Türken  ist,  häufig  Fieber,  in   Folge  des  plötzlichen  Tempe-    j 
raturwechsels,  der  oft  zwischen   Mittag  und  Abend  eine  Differenz  von    : 
30"   Fahrenheit   eintreten   lässt,   Eubr,    gastrische  Leiden  anderer  Art   j 
und  Luiigenkrankheiten  vor.  j 

In  Betreff  der  Geschichte   Constantinopels   kann   hier  nur    ! 
an  das  Nöthigste  erinnert   werden.  In   der  ältesten  Zeit  stand  da,  wo    ; 
jetzt  das  alte  Serail  mit  seinen  Gärten  sich  erhebt,  die  von  Megären-    j 
sern  um  das  Jahr  660  v.  Ch.»  gegründete  Stadt  Byzantiura,  deren  vor-    | 
treffliche  Lage  sie   in   vorchristlichen  Jahrhunderten    wiederholt  zum    j 
Gegenstand  des   Streites  zwischen   Persern,    Spartanern  und  Athenern    i 
machte.  300  v.  Ch.  halfen  sie  die  Athener  gegen  Philipp  von  Macedo- 
nien  vertheidigen.  Während  dieser  Belagerung  waren  die  Belagerer  in 
einer  dunkeln  Nacht   bereits  dabei,   die  Mauern   zu  ersteigen,  als  der 
aufgehende  Mond  den  Bürgern  der   Stadt   die  Gefahr  offenbarte.   Zum 
Dank   setzten   sie   —    so    geht   die   Sage  —   den  Halbmond  auf  ihre 
Münzen,  der  später  von  den  Sultanen  adoptirt  wurde.  Bekannt  ist,  wie 
Byzanz  später  mit  der  übrigen  griechisch-macedonischen  Welt  in  die 
Gewalt  der  Römer   fiel    und  wie   es  330  n.  Ch.  von  Constantin  d.  Gr. 
umgetauft  und  zur   Reichshauptstadt  gemacht  wurde.   Justinian   trug 
um  die  Mitte  des  6.  Jahrhunderts  viel  zur   Verschönerung  der  Stadt 
bei.  616  wurde  dieselbe  vom  Perserkönig  Chosroes  belagert,  zehn  Jahre 
später  von  den  Avaren.   668  erscliienen   zum  ersten  Male  die  Araber 


170  Constantinopel. 


vor  der  Stadt,  wurden  indess  mit  Hilfe  des  griechischen  Feuers  zurück- 
geschlagen. 716  bis  718  belagerton  sie  dieselbe  abermals  und  mussten 
wieder  abziehen.  Im  neunten,  zehnten  und  elften  Jahrhundert  bedrängten 
russische  Völker  Constantinopel.  1204  eroberten  fränkische  Kreuzfahrer 
die  Stadt  und  stifteten  ein  lateinisches  Kaiserthum,  welches  indess 
schon  1261  wieder  byzantinischen  Herrschern  Platz  machen  musste, 
1422  erschienen  die  ersten  Türken  unter  Amurath  II.  vor  den  Mauern. 
Sie  wurden  zurückgewiesen.  Aber  1453  kamen  sie  wieder,  und  am  29. 
Mai  desselben  Jahres  wurde  die  Stadt  von  ihnen  mit  Sturm  genommen. 
Der  letzte  oströmische  Kaiser  fiel  tapfer  kämpfend  am  Thor  des  hei- 
ligen Komanus  (jetzt  Top  Kapussi)  und  die  Hagia  Sophia-Kirche  wurde 
eine  Moschee.  Der  Erbe  des  Chalifen  trat  auch  di'3  Erbschaft  der 
Cäsaren  an. 

Die  Lloyddampfer  von  Syra  und  Smyrna  legen  in  der  Kegel  ebenso 
wie  die  von  Odessa,  Galatz  und  Varna  kommenden  Schiffe  vor  dem  Ein- 
gang in  das  Goldene  Hörn  an.  Sofort  stellen  sich  Massen  von  Lohn- 
bedienten  und  Kaikdschis  ein.  Man  lässt  sich  nach  dem  Zollhaus  über- 
setzen, wofür  man  nicht  mehr  als  1  Fr.  per  Person  und  Gepäck  zu 
zahlen  nöthig  hat,  obwohl  der  Kaikdschi  in  der  Kegel  das  Doppelte 
fordert,  und  begibt  sich  nach  Untersuchung  der  Sachen  nach  der 
grossen  Strasse  von  Pera,  wobei  man  sich  von  einem  der  zahlreichen, 
am  Landungsplatz  versammelten  Hamals  (Lastträger)  seinen  Koff'er 
tragen  lässt.  Der  Hamal  wird  für  den  Gang  bis  zu  einem  der  an  oder 
nahe  bei  jener  Strasse  befindlichen  Gasthöfe  mit  4  bis  5  Piastern 
zufrieden  sein.  Zu  den  ersten  Hotels  zählt  gegenwärtig  das  Hotel 
iV  Angleterre  und  Hutel  Misury  in  der  Hauptstrasse  von  Pera.  In 
beiden  beträgt  der  Pensionspreis  einen  Napoleondor  für  den  Tag.  Diese 
Hotels  haben  ihren  eigenen  Dragoman.  Etwas  billiger  ist  das  Hotel 
Luxemhourg  (14  Fr.  per  Tag)  ebenfalls  in  der  Hauptstrasse  von  Pera, 
nur  sehr  weit  oben.  Hier  speist  man  am  besten  in  ganz  Constantinopel, 
das  Couvert  zu  5,  6  und  7  Pranken.  Allen  Europäern,  die  Constanti- 
nopel besuchen,  möchten  wir  rathen,  in  diesem  Hotel  zu  essen  und 
im  Deutschen  Hotel  Zu7-  Stadt  Pest  zu  wohnen.  Dasselbe  liegt  in 
einer  Seitengasse  der  Peraer  Hauptstrasse,  der  Rue  de  Venedik  und 
enthält  hübsche  Zimmer  mit  guten  Betten,  zu  3  bis  10  Franken  täglich. 
Essen  darf  man  in  diesem  Hotel  nicht,  wenn  man  an  gute  Kost  gewöhnt 
ist.  Fernere  Hotels  sind  das  Hotel  de  Bi/zance,  das  Hotel  de  VEurope 
in  der  Strasse,  die  von  Tophana  hinauf  nach  Pera  führt,  Hotel  de 
France,  Hotel  du  Globe,  Hotel  Pera,  letzteres  fordert  für  Kost  und 
Wohnung  nur  zehn  Franken  täglich.  Ob  es  für  einen  gebildeten  Men- 
schen möglich  ist,  darin  auszudauern,  können  wir  allerdings  nicht 
versichern.  Wir  bemerken  übrigens,  dass  alle  Gasthöfe  Peras  die  gleiche 
Unbequemlichkeit  für  den  Keisenden  haben.  Sie  liegen  alle  auf  der 
steilen  Höhe  oben  und  es  ist  furchtbar  ermüdend,  drei,  viermal  des 
Tages  hinaufklettern  zu  müssen.  Wer  also  Constantinopel  bequemer 
sehen  will  und  keine  zu  grossen  Ansprüche  macht,  der  gehe  in  das 
englische  Hotel  in  Galata,  ein  kleines ,  unscheinbares   Haus,   wo  man 


Constantinopel. 


171 


gutes  ßoostbeuf  und  echtos  Ale  bekömmt.  Es  ist  das  nächste  Gasthaus 
am  Hafen. 

Besonders  zu  empfehlen  ist  das  Haus  des  deutschen  Zucker- 
bäckers Baltzer,  welches  ebenfalls  für  Gäste  eingerichtet  ist  und  für 
10  Franken  täglich  eine  vortreffliche  Table  d'hote  Mittags  und  Abends, 
gutes  Frühstück,  in  den  Zimmern  der  3.  Etage  die  schönste  Aussicht 
und  von  Seiten  des  Wirthes  verständigen,  uneigennützigen  llath  in 
allen  den  Dingen  bietet,  welche  als  stetem  Wechsel  unterworfen,  hier 
nicht  besprochen  werden  können.  Dasselbe  liegt  auf  der  grossen  Strasse 
von  Pera,  dem  einen  lateinischen  Kloster  gegenüber  und  uicht  fern 
vom  Palais  der  österreichischen  Internuntiatur.  In  der  Conditorei  trifft 
man  jeden  Morgen  Deutsche.  Eine  Menge  von  Landsleuten  findet  man 
auch  in  des  Wieners  Vogl  Weinstube  in  der  Rue  Voyvoda  in  Galata. 
Dort  trinkt  man  das  einzige  gute  Wiener  Bier  in  ganz  Constantinopel 
und  reine  Oesterreicher  Weine.  Man  bekommt  auch  kalte  Küche  und 
Vormittags  bis  zwölf  Uhr  Beefsteaks,  alles  gut  und  ordentlich,  während 
man  in  Pera  oben  in  den  mit  pompösen  Aushängschildern  versehenen 
Localeu  wie  Palais  crystal.  Alcazar  u.  s.  w.  zwar  elegante  Säle,  aber 
schlechte  Getränke  findet. 

Um  sich  in  Constantinopel  zurecht  zu  finden,  bedarf  mau,  we- 
nigstens für  die  ersten  Tage,  eines  Führers  oder  Platzdragomans, 
den  man  für  40  bis  50  Piaster  per  Tag  in  jedem  Hotel  haben  kann. 
Man  miethe  einen  solchen  indess  zunächst  ijur  auf  einen  Tag,  und  entspricht 
er  den  Erwartungen,  so  verhandle  man  mit  ihm  über  einen  bestimmten 
Zeitraum  in  dem  man  die  Puncte,  die  man  zu  sehen  wünscht,  gezeigt  haben 
will.  Besondere  Ehrlichkeit  und  Uneigennützigkeit  darf  mau  von  diesen 
Leuten  nicht  voraussetzen,  ebenso  wenig  eine  verlässliche  Kenntniss 
von  den  Alterthümern  der  Stadt.  Man  hüte  sich,  wo  möglich,  in  den 
von  ihnen  empfohlenen  Läden  Einkäute  zu  machen,  da  man  dann  in 
der  Regel  das  Trinkgeld  mit  bezahlt,  welches  sie  von  gewissen  Kauf- 
leuten für  die  Zuführung  von  Käufern  erhalten  und  welches  bisweilen 
40  Procent  des  Werthes  der  Waare  beträgt.  Man  hüte  sich  ferner,  sie 
mit  Besorgung  eines  der  Fermans  zu  beauftragen,  welche  dem  Rei- 
senden die  grossen  Moscheen  und  die  Räume  des  alten  Serails  öffnen, 
sondern  besorge  sich  einen  solchen  Ferman  bei  seiner  Gesandtschaft, 
die  ihn  bei  der  Pforte  vermittelt,  selbst.  Die  Kosten  eines  solchen- 
Fermans  hängen  von  der  Zahl  der  Moscheen  ab,  die  man  zu  besuchen 
wünscht,  und  betragen  6  bis  700  Piaster.  Folgendes  gibt  eine  Ueber- 
sicht:  der  mit  Ausfertigung  des  Fermans  beauftragte  türkische  Beamte 
erhält  200,  der  Kawasch  der  Gesandtschaft  20,  der  Serailbeamte  150, 
die  Pfortenhüter  der  Aja  Sophia  Moschee  100  Piaster ;  für  den  Eintritt 
in  die  übrigen  kaiserlichen  Moscheen  (die  Ejubmoschee  ist  in  der  Regel 
Christen  nicht  zugänglich)  sind  an  jede  einzelne  40  Piaster  zu  ent- 
richten. Wenn  ein  Dragoman  mehr  fordert,  so  ist  das  Prellerei.  Im 
Uebrigen  findet  sich  in  den  Gasthöfen  stets  Gelegenheit,  einen  solchen 
Ferman  in  Gesellschaft  mit  mehrern  zu  benutzen,  wo  sich  die  Kosten 
beträchtlich  ermässigen ;  nur  ist  zu  bemerken,  dass  in  diesem  Fall  nur 


172  Constantinopel. 


so  viele  Personen  davon  Gebrauch  machen  können,  als  auf  demselben 
genannt  sind. 

lieber  Geldverhältnisse  ist  zu  dem  im  Capitel  über  Srayrna 
Gesagten  hinzuzufügen,  dass  auch  hier  alle  europäischen  Münzen  bis 
zum  Schilling,  Frank  und  Zwanziger  herab  gelten,  dass  man  aber  nach 
Piastern  Metallique  rechnet,  von  denen  jetzt  stets  mehr  auf  das  Pfund 
Sterling,  den  Napoleon  und  die  übrigen  Gold-  und  Silbermünzen  gehen, 
als  bei  geregelten  Verhältnissen  der  Fall  sein  würde.  Den  Curs  der 
verschiedenen  Münzen  in  Kaime  findet  man  in  allen  Zeitungen  Con- 
stantinopels.  Näheres  auch  nur  andeutend  anzugeben  ist  unmöglich, 
da  dieser  Curs  ausserordentlichen  Schwankungen  unterworfen  ist.  Pa- 
piergeld (Kaime)  gibt  ea  seit  einigen  Jahren  in  der  Türkei  nicht  mehr. 

Für  jeden  Gang  über  die  grosse  Brücke  zwischen  Galata  und 
Stambul  sind  an  den  Einnehmer  5  Para  zu  zahlen.  Fast  ebenso  häufig 
kommt  der  Eeisende  bei  der  Lage  Constantinopels  in  den  Fall,  die 
Dienste  der  Kaikdschi's  in  Anspruch  zu  nehmen,  welche  allenthalben 
am  Bosporus  wie  am  Goldnen  Hörn  mit  ihren  Booten  halten.  Dieselben 
unternehmen  mit  ihren  ausserordentlich  leichtgebauten  Fahrzeugen 
grössere  und  kleinere  Fahrten.  Beim  Einsteigen  ist  Vorsicht  nöthig, 
da  sie  leicht  umschlagen,  und  bei  der  Fahrt  hat  man  sich  auf  den 
Boden  zu  setzen  und  nach  Möglichkeit  das  Gleichgewicht  zu  bewahren. 
Im  Goldnen  Hörn  kommt  man»  wenn  man  allein  oder  zu  Zweien  fahren 
will,  mit  einem  einrudrigen  Kaik  aus.  Wer  weit  am  Bosporus  hinauf- 
fahren will  oder  über  die  Serailspitze  hinaus  einen  Punct  zu  besuchen 
gedenkt,  hat  ein  zweirudriges  nöthig  Um  die  Prinzeninseln  zu  besuchen, 
wozu  man  bei  gutem  Wetter  dritthalb  Stunden  braucht,  thut  man 
wohl,  ein  grosses,  vierrudriges  Kielboot  zu  miethen,  welches  ein  Steuer 
hat;  denn  in  dieser  landumschlossenen,  plötzlichen  Windwechseln  und 
unverhofften  Stürmen  ausgesetzten  See  bietet  ein  gewöhnliches  Kaik 
nur  wenig  Sicherheit.  Noch  besser  aber  fährt  man  nach  den  Prinzen- 
inseln mit  dem  Dampfboot.  Die  Kaikdschi's  sind  eine  Zunft,  die  nahe 
an  20,000  Glieder  und  lö  bis  17,000  Boote  zählt,  unter  strengen  Poli- 
zeigesetzen steht  und  Vater  Noah  zum  Patron  hat.  Die  Bootführer  von 
Stambul  sind  Türken,  die  von  Galata  und  Tophana  meist  Griechen. 
Die  Taxen  betragen  für  ein  Ruderpaar  innerhalb  des  Goldnen  Horns, 
je  nach  den  Entfernungen,  für  die  Person  1  bis  2  Piaster,  nach  Sku- 
tari  3,  nach  Kihat  Kaneh,  den  sogenannten  Süssen  Wassern  von  Europa 
5,  nach  Kadiköi  und  Ortaköi  4  Piaster.  Ein  zweiruderiges  Boot  kostet 
das  Doppelte ;  indess  ist  ein  solches,  wenn  man  es  für  den  ganzen  Tag 
miethet,  mit  40  Piastern  und  einem  Nebenbakschisch  von  2  Piastern 
für  jeden  Kuderer  hinlänglich  bezahlt.  Ein  Kaik  von  zwei  Ruderern 
ka,nn  man  für  einen  Mondmonat  von  28  Tagen  um  etwa  600  Piaster 
miethen.  Diese  Taxen  werden  indess  von  den  Forderungen  der  Kaik- 
dschi's, wenn  man  nicht  vorher  mit  ihnen  accordirt,  gewöhnlich  um 
das  Doppelte  überschritten,  und  zwar  sind  die  griechischen  in  dieser 
Hinsicht  gewöhnlich  unverschämter,    als   ihre   türkischen   Kameraden, 


Constantinopel.  1^3 


wie  der  Türke  überhaupt  mit   sehr  wenigen  Ausnahmen  ehrlicher  ist, 
als  der  Grieche. 

Für  Den,  der  Eile  hat,  oder  sich  den  schwankenden  Kaiks  anzu- 
vertrauen Bedenken  trägt,  stehen  an  der  ersten  grossen  Brücke  über 
das  Goldene  Hörn  kleine  Dampfer  bereit,  die  zwischen  hier  und  den 
Dörfern  am  Bosporus  fahren.  Die  Preise  für  die  Fahrt  in  diesen  stets 
wohlgefüllten  Wasseromnibussen  betragen,  je  nach  der  Entfernung,  1 
bis  4  Piaster.  Die  ausgetheilten  Billets  behalte  man,  da  sie  am  Lan- 
dungsplatz abgefordert  werden.  Man  findet  bei  solchen  Fahrten  gute 
Gelegenheit,  die  untere  Classc  des  Volkes  mit  Müsse  zu  betrachten. 

Tarife :  Für  einen  Wagen  zahlt  man ,  wenn  solcher  auf  einen 
ganzen  Tag  genommen  wird,  40  Frcs  Lohtidiener  und  Dragoman 
begehren  10  Frcs.,  ein  Pferd  kostet  per  Tag  ebenfalls  10  Frcs.,  Senf- 
tenträger,  deren  es  der  schlechten  Strassen  wegen  eine  grosse  Anzahl 
gibt,  zahlt  man  für  eine  Tour  in  Pera  2%  Francs,  von  Galata  nach 
Pera  5  Francs. 

Belustigungs-Etablisspments  sind  in  der  Wintersaison:  das 
Theater  Naum  mit  guter  italienischer  Oper ,  das  Theatre  franQais 
mit  Schauspiel  und  Üffenbach'schen  Operetten,  an  manchen  Tagen  wird 
auch  ein  griechisches  Schau-  oder  Trauerspiel  gegeben.  Es  gibt  femer 
mehrere  Cafes  chantants,  unter  denen  die  bemerkenswerthesten  sind : 
das  Cafö  zur  Stadt  Leipzig,  das  Cafe  Concordia  mit  schönem  Garten, 
Alcazar  de  Bysance,  Palais  und  jardin  des  fleurs  etc.  Im  Sommer  sind 
die  Theater  geschlossen,  da  die  vornehme  Gesellschaft  Pera's  aufs 
Land  geht. 

Wir  geben  im  Folgenden  nur  einen  Plan,  nach  dem  man  die 
Sehenswürdigkeiteu  Constantiuopels  binnen  secJi,s  Tagen  in 
Augenschein  nehmen  kann. 

Erster  Tag:  Man  nehme  ein  Kaik  in  Tophana,  gegenüber  der 
Moschee  von  Kilidsch  Ali  Pascha,  dem  schönen  Brunnengebäude,  der 
Kanonengiesserei  und  der  Artilleriekaserne,  fahre  hinüber  nach  dem 
Landungsplatz  am  Gartenthor  (Bagdsche  Kapu),  betrachte  die  Biblio- 
thek und  die  Arraenküche  Sultan  Abdul  Hamid's,  folge  der  Diwan- 
strasse nach  dem  Alai  Kiosk  au  der  Ecke  des  kaiserlichen  Serails, 
wende  sich  rechts  um  das  Thor  des  Grossvezirs  und  die  benachbarte 
grosse  Cisterne  Yere  Batara  Serai,  betrachte  sich  dann  das  Aeussere 
der  Sophienmoschee  und  widme  den  Best  des  Tages  der  Betrach- 
tung des  Serails  im  Innern  und  Auesseren,  so  weit  es  den  grossen  Brand 
überlebt  hat,  der  vor  einigen  Jahren  nicht  nur  einen  beträchtlichen 
Theil  des  Serails,  sondern  auch  mehrere  tausend  Häuser  Stambuls  vom 
goldenen  H«rn  über  den  Hügel  hinweg  bis  zum  Marmorameer  in  Asche 
legte.  Der  Eintritt  in  die  Serailgärten,  früher  streng  verwehrt  und  durch 
starke  Wachen  verhindert,  steht  heute  Jedermann  frei.  Weit  offen  steht 
das  Thor,  an  welchem  früher  die  Haremswächter  schilderten,  die  einst 
prachtvollen  Gärten  mit  den  riesigen  Bäumen,  unter  welchen  die  Oda- 
lisken  so  vieler  Sultane  wandelten,  sind  verwildert ;  an  Stelle  der 
Blumenbeete    hat  man   vielfach  Gemüse  angebaut.   Auch    die   „hohe 


174 


Constantinopel. 


Achmedmoschee  und  Obelisk  des  Atmeidan. 


Pforte"  (mitunter  , goldene  Pforte"  genannt)  kann  man  jetzt  in  der 
Nähe  besehen.  In  den  ersten  Vorhof  wird  man  von  den  Soldaten,  die 
da  Wache  stehen,  ohne  alle  Schwierigkeit  eingelassen.  Wer  türkisch 
versteht,  erhält  zugleich  von  den  Officieren  bereitwillig  Auskunft  auf 
alle  Fragen.  Seit  dem  Brande  wird  auch  jener  Theil  der  alten  Stadt- 
mauer, der  von  der  grossen  Brücke  bis  zum  Serail  reicht,  niedergerissen, 
die  angrenzenden  Häuser  demolirt.  Man  will  hier  am  Ufer  des  gol- 
denen Horns  einen  grossen  Platz  gewinnen   und   beabsichtigt  dereinst 


Constantinopel.  175 


den  Bahnhof  hier  anzulegen,  wo  dann  der  Schienenweg  bis  Belgrad 
laufen   soll. 

Zweiter  Tag:  Man  folge  demselben  Wege,  Avie  am  vorhergehen- 
den Tag,  bis  zur  Aja  Sophia,  und  gehe  von  da  nach  dem  Serailthor 
und  an  den  Wagenschuppen  vorbei  nach  dem  Hippodrom  oder  Atraei- 
dan,  wo  die  Achmedmoschee,  der  Obelisk  und  die  gewundene  Säule 
stehen.  Von  hier  begebe  man  sich  zu  der  sogenannten  Oisterne  der 
tausend  und  ein  Säulen,  von  da  nach  dem  Quartier  von  Kondoscala, 
wo  sich  die  griechischen  Kirchen  Hagia  Kyriake  und  Panagia  Elpidos 
befinden,  von  dort  nach  dem  sogenannten  Galeerenhafen,  dann  nach 
der  kleinen  Sophienmoschee,  deren  Betrachtung  mit  einem  Ferman  in 
der  Hand  unmittelbar  nach  dem  Besuch  der  grossen  Moschee  gleiches 
Namens  gute  Belehrung  über  die  byzantinische  Baukunst  im  grossen 
und  kleinen  Styl  bietet.  Von  Tschatladeh  Kapu  kehre  man  zu  Wasser 
nach  Tophana  zurück.  Man  fährt  dabei  längs  der  Mauern  der  Stadt 
und  des  Serails  hin  und  landet,  wo  es  beliebt,  um  das,  was  am  Ufer 
interessant  ist,  mit  mehr  Müsse  zu  besehen,  als  es  das  rasch  hinglei- 
tende Kaik  gestattet.  Man  mag  die  Ställe  des  Sultans,  das  Stallthor 
Achör  Kapu,  den  Brunnen  des  Scharfrichters,  Dschellal  Tschesmessi, 
und  die  heilige  Quelle  des  P>lösers,  Agiasrao  tu  Sotiros,  den  Kiosk 
der  Bestrafungen,  Adab  Köschki,  den  der  Perlen,  Indschu  Köschki,  den 
neuen  Kiosk  Selims  IL,  Jeni  Köschki,  den  Marmorkiosk,  Mermer 
Köschki,  das  Spital  Sultan  Mahmud's,  den  Ausgang  aus  dem  Serail, 
die  kleine  eiserne  Pforte  Demir  Kapu  und  das  grosse  Kanonenthor  Top 
Kapu  sammt  den  Batterien,  von  denen  es  seinen  Namen  hat,  auf  der 
Seite  der  Serailspitze  in  Augenschein  nehmen,  während  auf  der  andern 
Seite  der  Ort,  wo  die  Kaiks  des  Sultans  und  die  beiden  schönen  Kiosks 
Sepeldschiler  und  Jalli  Köschki  die  Aufmerksamkeit  fesseln  werden. 
Von  diesen  prachtvollen  Amtssitzen  des  Bostandschi  Baschi  kehrt  man 
nach  Tophana,  dem  Mittelpunct  des  Wirkungskreises  des  Topdschi 
Baschi   zurück. 

Dritter  Tag:  Man  lande  am  Fischerthor,  besuche  die  Moschee 
der  Sultanin  Walideh,  den  Aesyptermarkt  Misr  Tscharschi,  die  Werk- 
stätten der  KaflFeestampfer,  Tamis,  und  gehe  durch  die  Läden  des 
langen  Marktes,  Usun  Tscharschi,  nach  denen  des  Yeni  Khan  und  des 
Walideh  Khan  und  nach  der  neben  dem  Besestan  gelegenen  Moschee 
Sultan  Osmans.  Von  da  durch  die  lange  Gasse  längs  des  alten  Serails 
nach  dem  früheren  Sclavenmarkt  und  dem  Wessir  Khan.  Von  hier 
weiter  nach  der  Porphyrsäule  Dikilitasch  und  von  dort  durch  die  Strasse 
zur  Rechten  nach  der  Moschee  Ali  Pascha's  und  Sultan  Bajasid's.  Hart 
neben  dem  alten  Serail  ist  der  Markt  der  Kesselschmiede,  Kasan- 
dschillar,  und  der  Geflügelmarkt,  Tauk  Basar.  Dann  weiter  zur  Rodran 
Dschamissi,  in  deren  Nachbarschaft  sich  die  griechischen  Kirchen  Hagios 
Theodoros  und  Narthos  befinden.  Dann  steigt  man  wieder  empor  zur 
Laleli  Moschee  und  zur  Bibliothek  Radschib  Pascha's,  in  welchen  beiden 
sich  Grabmäler  ihrer  Gründer  befinden.  Weiterhin  trifft  man  die  neun 
Brunnen,  Tschukar  Tschesme,  und  die  Stelle,  wo  früher  die  Janitscharen- 


i76  Constantinopel. 


Kaserne  stand,  deren  Thor  sich  der  Schahsadeh-Moschee  gegenüber 
öffnete.  Von  hier  geht  man  nach  der  Sulimanijeh,  vor  welcher  einst 
das  Rendezvous  der  Opiuraesser  war.  Gegenüber  der  Strasse,  welche 
auf  der  einen  Seite  vom  Rundgang  der  Sulimanijeh  und  auf  der  andern 
vom  ehemaligen  Janitscharen-Hospital  gebildet  wird,  ist  die  einstige 
Residenz  des  Janitscharen-Aga  und  der  Wachtthurm  der  Feuerwächter, 
Yangin  Köschki.  Von  hier  steigt  man  hinab  nach  dem  Wasserpalast, 
Sulu  Serai,  sieht  sich  die  Moschee  Rüstern  Pascha's  an  sowie  das 
Pettwaaren-  und  Honig-Magazin,  Yag  Kapu  und  Bai  Kapu,  schifft  sich 
am  Kerkerthor  wieder  ein  und  landet  am  Thor  des  Bleiraagazins,  wo 
man  die  Moscheen  Sultan  Mahmuds  und  Yeralti  Dschamissi  und  die 
Kirchen  trifft,  die  früher  den  Jesuiten  und  Kapuzinern  gehörten.  Dann 
kehrt  man  entweder  durch  das  Thor  von  Kitschab  Killi  Kapussi  oder 
durch  das  von  Tophana  Kapussi  nach  Pera  zurück. 

Vierter  Tag:  Man  bricht  von  Galata  auf,  besteigt  zuerst  den 
Galata-Thurm,  geht  dann  durch  das  Frankenquartier  an  der  Moschee 
Arab  Dschamissi  vorüber  und  schifft  sich  an  der  Todtentreppe,  Meit 
Skelessi,  nach  dem  gegenüberliegenden  Blumenthor,  Un  Kapu,  ein.  Von 
hier  geht  man  durch  die  Mühlgasse,  Digirmen  Sokagi,  nach  der  neuen 
Sultana-Moschee  und  steigt  rechts  über  den  Hügel  von  Sirek  nach 
der  Kirchen-Moschee  Kilissi  Dschamissi  und  der  benachbarten  grossen 
Cisterne.  Von  da  nach  dem  Bade  und  der  Moschee  Mahomed's  II.  Hier 
in  der  Nähe  ist  der  Rossmarkt,  At  Basar,  und  dabei  befinden  sich  die 
Werkstätten  der  Sattler.  Weiter  unter  der  Wasserleitung  des  Valens 
durch  (Bosdogan  Kimeri)  geht  man  nach  den  Moscheen  Serradscho- 
bane  Dschamissi  und  Kawaf  Khan  Dschamissi,  nach  der  Marcians- 
Säule,  Kistaschi,  und  dem  südlich  von  hier  gelegenen  grossen  Janit- 
scharenplatz,  wo  die  Moschee  Hakira  Baschi  Dschamissi  steht.  Von  der 
Marcians-Säule  kehrt  man  durch  die  Strasse  Deweh  Khane  um  nach 
dem  Grabmal  Soliman  Pascha's  und  den  Moscheen  Nischandschi  Pa- 
scha, Schemli  Hamam,  Karagamrak  und  Sultan  Selim.  Vor  der  letztern 
sieht  man  den  Garten  Tschukar  Bostan.  Dann  weiter  nach  der  Rosen- 
Moschee,  Gül  Dschamissi,  an  der  Stadtmauer  hin  zu  den  Thoren  Aja 
Kapussi  und  Jeni  Kapussi,  durch  das  Thor  Petri  Kapussi  nach  dem 
Fanar,  wo  man  das  Patriarchat,  verschiedene  griechische  Kirchen,  den 
walachischen  Palast  und  die  Moschee  Fotijeh  Dschamissi  in  Augen- 
schein nimmt.  Dann  besteigt  man  in  Fener  Iskelessi  das  Boot  und 
landet  wieder  in  Meit  Iskelessi,  wo  man  diesmal  über  den  sogenannten 
kleinen  Cainpo  nach  Pera  zurückkehrt. 

Fünfter  Tag:  Man  geht  von  Pera  über  den  kleinen  Campo 
zunächst  nach  dem  Mewlewi-Kloster,  der  angrenzenden  Vorstadt  Kassim 
Pascha  (wo  die  Derwische  jeden  Freitag  3  Uhr  Nachmittags  ihre 
Tänze  aufführen,  eine  Ceremonie,  zu  der  Jedermann  Zutritt  hat,  der 
man  indess  bei  Befolgung  dieses  Planes  nicht  beiwohnen  kann,  man 
müsste  es  denn  so  einrichten,  dass  man  den  Plan  für  diesen  fünften 
Tag  in  umgekehrter  Reihenfolge  ausführte,  wobei  man  jedoch  sehr 
früh    aufbrechen   müsste),   dann   hinab   nach   den  sehr    ausgedehnten 


Constantinopel.  177 


Etablissements  des  Arsenals,  vor  dem  stets  mehre  Kriegsschiffe  liegen, 
dann  auf  dieser  Seite  des  Goldenen  Horns  fort  nach  dem  Agasma  des 
Allbarmherzigen  (Fantelemonos),  nach  der  Moschee  Sultan  Mahomed's, 
nach  der  Kirche  Ilagia  Paraskewi  und  nach  Kasköi,  wo  viele  Juden 
wohnen  und  die  Ingenieurschule  ist.  Weiterhin  liegt  die  Kaserne  der 
Bombardiere  und  die  Ankerschmiede,  und  dahinter  ist  der  Okmeidan. 
ein  Platz,  auf  dem  sich  frülier  die  Sultane  im  Bogenschiessen  übten. 
Nachdem  man  diese  Puncte  in  Augenschein  genommen,  lässt  man  sich 
hinüberfahren  nach  dem  Haiwar  Serai,  wo  man  in  das  Viertel  der 
Blacherner  kommt.  Hier  trifft  man  in  der  Nähe  des  Holzthores,  Xylo 
Porta,  des  entlegensten  in  diesem  Theil  der  Stadt,  die  griechische  De- 
metriuskirche  und,  bei  dem  Löwen-Landungsplatz.  Arslan  Iskelessi, 
eine  Synagoge.  Weiterhin  stösst  man  auf  die  ßasiliuskirche  und  beim 
Thor  Balat  auf  die  armenische  Johanniskirchc  (Paläos  Taxiarches\  dann 
beim  Tlior  Egri  Kayu  und  der  nach  demselben  benannten  Moschee 
auf  die  Panagiakirche  und  den  Brunnen  des  heiligen  Niketas,  sowie 
das  Tekir  Serai,  den  altgriechischen  Palast  En  Hebdomo.  Femer  beim 
Thor  von  Adrianopel  die  Moschee  Kahrijeh  und  die  der  Walideh,  die 
Kirche  der  Kyria  Touranu  und  im  Quartier  Salina  Tombak  die  alte 
Cisterne  von  Bonus  Auf  der  Strasse  nach  dem  Kanonenthor,  Top 
Kapu,  trifft  man  die  Nikolauskirche  und  die  Moschee  Schech  Solinian. 
Alsdann  hinaus  nach  den  Vorstädten  Daud  Pa.scha  und  Topdschilar 
und  den  Ijandgütern  Tzitzo  und  Sultansohiftlik ,  hierauf  nach  Ejub 
und  an  dessen  grosser  Moschee  vorüber  nach  dem  Landungsplatz,  wo 
man  sich  entvv(>der  nach  den  8ü§seu  Wassern  von  Europa  einschiffen, 
oder  eine  Fahrt  über  den  ganzen  Hafen  von  seiner  innersten  Ecke  bis 
hinab  nach  Tophana  unternehmen  kann.  Der  Besuch  des  ersteren  Ortes 
ist  besonders  an  Froitagsnachniittagen  zu  empfehlen,  da  sich  dann 
Tausende  von  buntgekleideten  türkischen  Frauen  auf  Kaiks  hierher 
begeben,  um  sich  entweder  mit  Freundinnen  oder  ihren  Kindern  hier 
im  Freien  zu  belustigen.  Auch  ein  Sonntagsnachmittag  ist  für  den 
Ausflug  nach  den  „Süssen  Wässern"  sehr  geeignet.  An  diesem  Tage 
herrscht  natürlich  die  christliche  Welt  vor,  sie  ist  aber  nicht  weniger 
interessant  und  sehenswerth  als  die  türkische,  von  deren  weibliclier 
Hälfte  man  ausser  dem  hässlichen  Uebergewand  und  dem  mit  der  Zeit 
dünner  gewordenen,  aber  noch  immer  die  Züge  verhüllenden  Schleier, 
dem  Yaschmak,  nichts  sieht.  Am  Sonntage  sind  es  die  Griechinnen, 
Armenierinnen  und  fränkischen  Praiien,  deren  elegante,  meist  die 
abenteuerlichsten  Pariser  Moden  noch  überbietenden  Toiletten  man  hier 
studiren  kann.  Die  weiten  grünen  Wiesen  sind  von  Tausenden  bedeckt, 
die  theils  auf  und  nieder  wandeln,  theils  in  malerischen  Gruppen  auf 
dem  Boden  lagern  und  die  mitgebrachten  V^orräthe  verzehren.  Da  es 
auch  Sonntags  der  Türken  genug  gibt,  ist  das  Bild  um  so  bunter  und 
bewegter.  Die  feine  Halbwelt  von  Pera  rauscht  in  langen  Seidenschlepp- 
kleidern vorüber,  und  lässt  sich  von  emancipirten  Türken  in  Lackstie- 
feln, Pariser  Handschuhen  und  weisser  Weste  den  Hof  machen.  Hier 
und  da  liegt  ein  Kreis  von  Deutschen  um  einen  Korb  mit  Weinflaschen 

12 


178  Constantinopel 


und  ein  deutsches  Lied  tönt  schallend  in  die  Ohren  der  Moslims.  Au 
den  „Süssen  Wässern"  liegen  zwei  grossherrliche  Lustschlösser,  ein 
älteres  und  ein  neueres,  letzteres  von  dem  gegenwärtigen  Öultan  erbaut 
und  von  sehr  hübschen  Gartenanlagen  umgeben  Die  Anlagen  stehen 
dem  Publicum  offen  und  die  Menge  wogt  in  den  Baumgängen,  an  den 
kleinen  (Jascaden  auf  und  nieder.  Das  neue  Lustschloss  ist  unter  allen 
dem  Sultan  gehörigen  Gebäuden  für  den  Fremden  am  leichtesten  zu 
besichtigen.  Es  bedarf  hiezu  weder  eines  Fermans,  noch  besonderer  Empfeh- 
lungen, sondern  nur  einer  kurzen  Verhandlung  mit  der  Dienerschaft, 
die  natürlich  ein  des  Türkischen  kundiger  Mann  führen  muss.  Gegen 
Erlag  von  einem  oder  zwei  Medschidjes  (22 — 44  Piaster)  wird  eine 
Geseilschaft  von  6 — 12  Personen  in  das  Innern  eingelassen.  Die  per- 
sischen Shawls  auf  dem  Fussboden,  die  europäischen  Fauteuils  neben 
den  türkischen  Divans,  die  zahlreichen  in  Böhmen  gefertigten,  pracht- 
vollen Glasluster  und  besonders  das  weiss  und  blau  gestreifte  Schlaf- 
zimmer mit  dem  goldbrokatenen  Himmelbett  geben  jedem  Besucher  ein 
prägnantes  Bild  von  dem  Landaufenthalte  eines  türkischen  Sultans. 
Die  Einrichtung  ist  übrigens  keineswegs  allzuprachtvoll,  mit  Ausnahme 
des  Schlafzimmers  beinahe  einfach. 

Sechster  Tag:  Man  schiflt  sich  direct  nach  Yeni  Kapu  ein,  be- 
sucht das  neue  arabische  Quartier  und  begibt  sich  von  dort  nach  Vlan- 
gabostan,  wo  man  nicht  weniger  als  drei  heilige  Brunnen  trifft,  von 
denen  der  eine  dem  St.  Phokas  geweiht  ist.  Von  hier  steigt  man  zu 
der  Moschee  Chassaki  oder  zum  VVeibermarkt,  Awret  Basar,  hinauf, 
wo  man  die  Säule  des  Arkadius  und  die  Moschee  des  Barbiers,  Dscher- 
reb  Pascha,  sowie  nicht  weit  davon  die  des  Arztes,  Hakim  Ali  Pascha, 
findet.  Nördlich  von  da  ist  die  Kirche  Egi  Marmora  und  die  Moschee 
gleiches  Namens,  in  deren  Nähe  man  die  in  einen  Garten  verwandelte 
alte  Cisterne  Mocisia  erblickt.  Von  da  geht  man  nach  dem  Thor  Psa- 
raatia  Kapussi,  wo  die  neue  armenische  Kirche  Sulu  Monastir  und  die 
Kirchen  des  lieiligen  Polykarp  und  Nikolaus  liegen.  Weiter  besucht 
man  die  Moschee  Kodscha  Mustafa  Pascha,  die  Paraskewikirche  und 
die  von  Belgrad,  im  Garten  Ismael  Pascha's.  Dann  verlässt  man  die 
Stadt  durch  das  Thor  von  Selivria  und  geht  nach  Balakli  und  von  dort 
zurück  nach  dem  Schloss  der  sieben  Thürme,  wo  man  aussen  das  Gol- 
dene Thor  und  innen,  so  weit  es  gestattet  ist,  die  Staatsgefängnisse 
in  Augenschein  nimmt.  Von  den  Sieben  Thürmen  begibt  man  sich  ?ur 
Moschee  des  Stallmeisters,  von  dort  nach  Narli  Kapussi,  wo  man  einen 
unterirdischen  Gang  trifft,  welcher  mit  den  unterirdischen  Gängen  von 
Tschemetjeh  in  Verbindung  stehen  soll.  Hier  beim  Thor  Narli  Kapu 
besteigt  man  wieder  das  Boot  und  fährt  an  der  Seite  der  Stadt  hin, 
welche  nach  dem  Marmorameer  hinausblickt. 

Wir  werfen  jetzt  einen  kurzen  Blick  auf  die  Vorstädte,  und 
zwar  zunächst  auf  Galata,  den  Hauptsitz  des  Handels  von  Constan- 
tinopel. Dasselbe  ist  im  Westen  durch  einengrossen  Friedhof  getrennt 
von  Kassim  Pascha  und  hängt  im  Osten  mit  Tophana  zusammen.  Dieser 
Theil  der  Stadt  ist  von  den   Genuesen   gegründet   worden.    Dieselben 


Constantinopel.  179 


legten  1216  hier  eine  Handelscolonie  an,  welche  schon  im  nächsten 
Jahrhundert  eine  solche  Wichtigkeit  erlangt  hatte,  dass  sie  von  den 
griechischen  Kaisern  das  Privileg  erlangte,  sich  nach  eigenen  Gesetzen 
zu  regieren  und  sich  mit  Befestigungen  von  Mauern  und  Thümien  zu 
umgeben,  die  sich  bis  auf  diesen  Tag  erhalten  haben.  Die  Genuesen 
vergalten  diese  Begünstigung  mit  Undank,  indem  sie,  in  der  Hoffnung, 
von  den  Türken  günstigere  Bedingungen  zu  erhalten,  bei  der  letzten 
Belagerung  der  Stadt  durch  Mohammed  II.  den  Belagerern  Vorschub 
leisteten.  Das  half  ihnen  indess  nichts,  denn  sie  erlangten  die  gehoflfte 
pjrneuerung  ihrer  Privilegien  nicht,  sondern  die  lateinische  Oolonie 
endigte  mit  dem  griechischen  Reiche. 

Die  alten  Mauern  sind  an  den  meisten  StelleJi  so  mit  Häusern 
verbaut,  dass  man  sie  nicht  herausfindet.  Galata  hat  mehre  lateinische 
Kirchen  und  Klösti^r,  verschiedene  griechische  und  armenische  Kirchen, 
aber  nur  eine  Moschee.  Eine  lange,  schmale  und  schmutzige  Haupt- 
strasse geht  durch  diese  Vorstadt  von  einem  Ende  bis  zum  andern. 
Die  Wohnh<äuser  sind  mit  geringen  Ausnahmen  von  Holz,  die  Maga- 
zine der  Feuersgefahr  halber  von  Stein,  gewölbt  und  mit  starken 
eisernen  Thoren  und  Läden  versehen.  Das  berühmteste  Gebäude  Ga- 
lata's  ist  der  weithin  sichtbare,  gewaltige  Genuei^erthurm  Derselbe 
wurde  um  das  Jahr  1850  erbaut  und  bildete  das  Hauptbollwerk  einer 
starken,  jetzt  zerstörten  Citadelle,  welche  sehr  viel  dazu  beitrug,  die 
Macht  der  Genuesen  gegenüber  den  Byzantinern  nicht  nur  in  Galata. 
sondern  am  ganzen  Bosporus  zu  verstärken.  Jetzt  nutzlos  für  militä- 
rische Zwecke,  wird  er  seiner  hohen  Lage  wegen  als  Wachthaus  für 
Feuersbrünste  benutzt.  Im  obersten  Zimmer  befinden  sich  stets  vier 
Wächter,  deren  Pflicht  es  ist,  auf  der  Brüstung,  die  um  dasselbe  her- 
umläuft, abwechselnd  umherzugehen  und  zu  spähen,  ob  irgendwo  in 
der  Stadt  oder  den  Vorstädten  Flammen  oder  verdächtiger  Rauch  auf- 
steigen. In  diesem  Falle  geben  sie  sofort  mit  einer  grossen  Trommel 
ein  Signal,  welches  von  den  Wachen  auf  dem  über  dem  andern  Ufer 
des  Goldenen  Horns  stehenden  Thurm  des  Kriegsrainisteriums  (Serias- 
kerthurra)  beantwortet  wird.  Darauf  feuern  gewisse  Batterien  drei, 
fünf  oder  sieben  Schüsse  ab,  je  nach  der  Gegend,  wo  das  Feuer  aus- 
gebrochen ist.  Zu  gleicher  Zeit  laufen  die  am  Galatathurm  stationirten 
Läufer  unter  dem  Geschrei:  .Jangun  Var!"  auf  die  Hauptstrasse  zu, 
wo  die  gewöhnlichen  Strassenwächter  aufgestellt  sind.  Nun  rennen 
auch  diese  herum  und  wiederholen  das  Geschrei  mit  Angabe  des 
Quartiers,  wo  es  brennt.  Darauf  eilen  die  Soldaten  der  verschiedenen 
Kulaks  (Wachtposten)  nach  dem  Schauplatz  der  Gefahr,  bewaffnet  mit 
Aexten,  Feuerhaken  und  ledernen  Eimern.  Die  Tulambadschi  (Feuer- 
männer) stürzen  mit  ihren  tragbaren  Spritzen  herbei,  die  Saka  (Was- 
serträger) folgen  ihrem  Beispiel,  und  die  Strassen  hallen  wieder  von 
dem  Geschrei  „Jangun  Var!-  und  dem  Echo  der  Keulen,  mit  denen 
die  Wächter  auf  den  Boden  stampfen.  Von  der  Höhe  des  Thurmes 
geniesst  man  eine  der  schönsten  Aussichten  der  Welt,  die  nur  von 
dem   wanderprächtigen    Panorama  übertroffen    wird,    welches    sich    in 


180  Constantinopel. 


unermosslicher  Weite  zu  unseren  Füssen  ausbreitet,  wenn  wir  auf  dem 
Hügel  Bulgerlu,  eine  Stunde  nordöstlich  von  Skutari,  stehen. 

Pera,  von  dem  griechischen  Worte,  welches  „jenseits"  heisst, 
indem  Pera  jenseits  oder  ausserhalb  Galata  entstand,  ist  in  seinen 
unteren  Theilen  ebenso  schmutzig  und  hölzern,  als  Galata.  Dagegen 
sind  die  oberen  Strassen  massiv  gebaut,  und  die  grosse  Hauptstrasse 
auf  dem  Gipfel  des  Hügels  unterscheidet  sich  mit  ihren  eleganten 
Läden,  ihren  stattlichen  Häusern  wenig  von  denen  in  Südwesteuropa 
Sie  hat  theilweise  sogar  Trottoirs  und  ist  des  Nachts  gut  beleuchtet. 
Im  Nordosten  liegt  der  fränkische  und  der  grosse  armenische  Kirch- 
hof. Im  Westen,  zwischen  Kassim  Pascha  und  Galata  befindet  sich 
der  sogenannte  Piccolo  Campo,  ein  sehr  ausgedehnter  türkischer  Be- 
gräbnissplatz mit  riesenhaften  Cypressen,  in  dessen  Nähe  mehre  Wirth- 
schaften  sind,  in  deren  Gärten  dos  Abends  vielbesuchte  Concerte  statt- 
finden. Hier  triff't  man  zwei  deutsche  Klubs,  zwei  deutsche  Buchhand- 
lungen und  eine  sehr  gute  deutsche  Conditorei,  diese  sowie  die  Buch- 
handlungen auf  der  Hauptstrasse.  Die  Gesandten  residiren  nur  im 
Winter  in  ihren  hiesigen  Hotels,  den  Sommer  bringen  sie  in  Bujuk- 
dere  zu. 

Tophana  bildet  die  Fortsetzung  von  Galata  am  Nordufer  des 
Bosporus.  Es  hat  seinen  Namen  von  der  grossen  Kanonengiesserei,  die 
sich  hier  befindet.  Nicht  weit  vom  Strande  liegt  hier  die  Artillerie- 
kaserne, ein  ausgedehntes  Gebäude  mit  mehren  Kuppeln.  In  der  Nähe 
des  Landungsplatzes  (Skelessi)  kann  man  beobachten  wie  die  Türken 
ihre  Kaiks  bauen.  Der  Brunnen  des  Marktes  von  Tophana  ist  sehens- 
werth.  Er  ist  ein  schönes  Bauwerk  orientalischen  Styls,  von  weissem 
Marmor,  mit  einem  vortretenden  Dache,  umgeben  von  einer  Balustrade, 
geschmückt  mit  Arabesken  und  Koransprüchen.  Nicht  fern  von  hier 
sind  zwei  Kafi^eehäuser,  in  denen  man  vorzüglich  Tscherkessen  und 
andere  Bewohner  der  östlichen  Provinzen  triff't. 

Kassim  Pascha  ist  eine  sehr  ausgedehnte,  fast  nur  von  Türken 
bewohnte  Vorstadt  im  Westen  von  Galata  und  Pera,  von  denen  es 
durch  den  Piccolo  Can)i)0  getrennt  ist.  Die  einzige  Merkwürdigkeit, 
die  es  für  den  Fremden  hat,  ist  ein  Kloster  der  Mewlewi-Derwische, 
welche  Allah  durch  Tanz  verehren.  Diese  mystische  Secte  wurde  im 
14.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  von  dem  berühmten  Schech 
Mewlana  Dschellaleddin  Rurai  gestiftet,  der  im  Orient  als  Sultan  El 
Ulema,  d.  i.  König  der  Gelehrten,  bekannt  ist,  und  ist  der  einzige 
unter  den  vielen  Derwischorden,  welcher  noch  einer  gewissen  Achtung 
geniesst.  Einige  dieser  Derwische,  namentlich  die  Schechs,  sind  wirk- 
lich würdige  und  gelehrte  Männer.  Die  Musik,  nach  der  sie  tanzen, 
ist  nicht  übel,  ihre  Manieren  sind  artig,  auch  halten  sie  sich  und  ihr 
Haus  sehr  reinlich.  Ihr  Drehen,  sowie  ihr  tactmässiges  Umherschreiten 
ist  keineswegs  eine  blosse  Kunstproduction  ohne  Bedeutung,  sondern 
man  sieht  darin  Symbole  für  zwei  Mysterien  der  Secte.  Die  kreisför- 
mige Bewegung  bedeutet,  dass  sie  die  Allgegenwart  der  Gottheit  aner- 
kenner und  ihre  Nähe  allenthalben  suchen.    Die  vorschreitende  Bewe- 


Coustantinopel.  181 


gung  dagegen  versinnbildet  den  Gang  des  Mensclien  durch  das  Leben, 
der  schwach  und  hingsara  anfängt,  sodann  mit  unaufhaltsamer  Geschwin- 
digkeit weiter  eilt,  bis  er  endlich  durch  die  Hand  des  Todes  gehemmt 
wird.  Auch  soll  es  ein  bildlicher  Ausdruck  für  die  Entsagung  Derje- 
nigen sein,  die  mit  Hintansetzung  aller  weltlichen  Beschäftigung  sich 
ausschliesslich  dem  Dienste  Gottes  geweiht  haben.  Die  Ausstreckung 
der  rechten  Hand  mit  der  Fläche  nach  oben  bedeutet  die  Bitte  um 
himmlische  Wohlthaten,  die  des  linken  Armes  mit  der  nach  unten 
gekehrten  Handfläche  hat  den  Sinn,  dass  sie^  die  Güter  der  Erde  An- 
dern überlassen. 

Unter  dieser  Vorstadt  liegen  am  Ufer  des  Goldenen  Horns  die 
weitläufigen  Gebäude  der  türkischen  Admiralität  (Tershana)  sammt 
Werften,  Ankerschmiede  u.  s.  w.  Vor  denselben  ankert  in  der  Regel 
ein  Theil  der  Flotte  des  Sultans. 

Hinter  Kassim  Pascha  auf  der  Höhe  ist  das  von  Griechen  be- 
wohnte Quartier  St.  Demetri.  Weiter  hinab  nach  dem  Hafen  zu  ist  der 
Okmeiäan,  d.  h.  der  Platz  der  Pfeile,  wo  frühere  Sultane  bis  auf  Mah- 
mud II.  sich  mit  ihren  Freunden  im  Bogenschiessen  übten,  wobei 
wenigen-  auf  genaues  Zielen,  als  auf  weites  Schiessen  gesehen  wurde. 
Man  findet  hier  eine  Menge  kleiner  Obelisken,  welche  die  Puncte 
angeben,  wo  die  Pfeile  des  letzten  Sultans  abgeschossen  wurden  und 
niederfielen. 

Ejub  ist  eine  sehr  malerische  Vorstadt  auf  dem  andern  Ufer 
des  Goldenen  Hörn,  nicht  fern  von  der  Mündung  des  Perami-Kanals 
gelegen  und  umgeben  von  Gärten  und  türkischen  Begräbnissplätzen. 
Es  hat  seinen  Namen  von  Ejub  (Hiob),  dem  Fahnen-  und  Waffenträger 
des  Propheten  Mohammed,  welcher  bei  der  ersten  Belagerung  Constan- 
tinopels  durch  die  Sarazenen  im  Jahre  668  fiel  und  hier  begraben 
worden  sein  soll.  Nachdem  seine  Grabstätte  von  einem  mit  Mohammed 
IL  zur  letzten  Belagerung  der  Stadt  gekommenen  Gelehrten  entdeckt 
worden,  wurde  an  der  Stelle  ein  Mausoleum  und  eine  Moschee  erbaut. 
In  der  Moschee,  welche  sehr  schön  aus  weissem  Marmor  errichtet  ist, 
liegt  der  liebenswürdige  unglückliche  Sultan  Selim  begruben.  Auch 
werden  hier  die  Sultane  beim  Regierungsantritt  mit  dem  Schwert  des 
Propheten  umgürtet.  Die  Grabstätte  Ejubs  befindet  sich  im  Westen  des 
von  Mauern  umgebenen,  von  schönen  alten  Bäumen  beschatteten  Mo- 
scheehofes. Der  Ort  wird  für  so  heilig  gehalten,  dass  es  für  Franken 
sehr  schwer  ist,  die  Moschee  und  das  Grabmal  zu  betreten.  Indess, 
ganz  unmöglich  ist  es  nicht,  wenigstens  einen  Blick  in  das  letztere 
zu  werfen.  Der  Sarkophag  oder  die  Sanduka  ist  mit  reichgestickter 
Seide,  Ueberbleibseln  der  Kaaba-Decke  umhüllt.  Der  obere  Tlieil  oder 
das  Kopfende  desselben  trägt  eine  grosse  Filzkappe,  die  mit  einem 
grünen  Turban  umwunden  ist.  Ein  silbernes  Gittergeländer  fasst  den 
JSarkophag  ein.  Ringsum  stehen  sechs  ungeheure  silberne  Leuchter  mit 
riesigen  Wachskerzen,  und  dazwischen  liegen  auf  Lesepulten  Exemplare 
des  Koran,  die  von  berühmten  Schreibern  geschrieben  sind.  Darüber 
hängt  ein  grünes  Banner.   Die   Wände   sind   mit   Inschriften  verziert, 


182  Constantinopel. 


die  von  Sultanen  auf  Porzellanfliessen  oder  Täfelcheu  geschrieben 
worden  sind.  Von  der  Decke  hängen  Larapen  und  Strausseneier  herab. 
Der  Brunnen  im  Hofe  nebenan  soll  mit  dem  berühmten  iSemsem  in 
Mekka  durch  unterirdische  Kanäle  in  Verbindung  stehen.  Auf  den 
Friedhöfen  in  der  Nähe  von  Ejub  liegen  viele  vornehme  Türken  be- 
graben. Auch  ist  hier  die  Fabrik,  in  welcher  die  Fess  der  türkischen 
Armee  gefertigt  werden. 

Stambul,  die  eigentliche  Stadt,  wo  sich  fast  alle  grossen  Mo- 
scheen, alle  Alterthümer  und  das  Serail  befinden,  hat  zur  Nordgrenze 
den  Hafen  oder  das  Goldene  Hörn,  zur  Südgrenze  das  Marmorameer, 
im  Westen  bildet  die  Stadtmauer,  im  Osten  der  Bosporus  die  Grenze 
derselben.  Die  Mauer,  auf  lange  Strecken  hin  wohlerhalten,  ist  aus  ab- 
wechselnden Lagen  von  Ziegeln  und  Steinen  erbaut.  Auf  der  Seite  des 
Marmorameeres  ist  sie  etwas  länger  als  eine  deutsche  Meile,  auf  der 
des  Hafens  ungefähr  eine  Stunde  lang,  während  die  Strecke  zwischen 
den  sieben  Thürmen  und  dem  Goldenen  Hörn  ziemlich  anderthalb 
Stunden  Länge  hat.  Die  beste  Strasse  ist  die,  welche  von  der  hohen 
Pforte  nach  dem  Thor  von  Adrianopel  führt.  Die  zahlreichen  Gassen 
sind  reinlicher  als  die  von  Galata,  die  Häuser  orientalischer  in  ihrem 
Charakter  als  in  den  Vorstädten. 

Die  Moscheen  Constantinopels  zerfallen  in  zwei  Classeii :  kai- 
serliche Versammlungshäuser  (Dschami  Es  Salatin)  und  Medschid  (Bet- 
capellen).  Von  den  erstem  gibt  es  16,  von  den  letztern  gegen  150.  Zu 
den  kaiserlichen  Moscheen  gehören:  die  Aja  Sofia  mit  einem  Jahres- 
einkommen von  anderthalb  Mill.  Piast.,  die  bereits  erwähnte  Ejub- 
Moschee,  die  Moschee  Mohammed  IL,  ferner  die  Moscheen  Bajasids  IL, 
Selinis  L,  die  Schahsade  (Kronprinzen-Moschee),  dann  die  Achmeds  L, 
Solimans  L,  die  Yeni-Dschami,  die  Walideh.  die  Ajasnia  (in  Skutari), 
die  Nuri  Osmanjeh,  die  Laleli  (Tulpenmoschee),  die  Abdul  Hamid  (in 
Stavros  auf  der  asiatischen  Seite  des  Bosporus),  die  Seliras  III.  (in 
Skutari  vor  der  grossen  Gardekaserne)  und  die  Nusredjeh,  vom  vorigen 
Sultan  in  Tophana  erbaut.  Letztere  zeichnet  sich  durch  die  Leichtig- 
keit ihrer  Minarets  aus,  deren  Spitzen  vergoldet  sind. 

Die  Aja  Sofia  war  die  Cathedrale  Constantinopels,  als  es  noch 
christlich  war.  Sie  war  der  Weisheit,  d.  h.  der  zweiten  Person  der  Tri- 
nität  geweiht,  die  nach  Salomo  bei  Erschaffung  der  Welt  mitwirkte 
und  ein  und  dasselbe  mit  dem  Logos,  dem  Wort  oder  der  göttlichen 
Intelligenz  späterer  Auffassungen  ist.  Die  älteste  Kirche,  welche  hier 
stand,  war  ein  Werk  Constantin's  d.  Gr.,  welcher  325  n.  Chr.  den  Bau 
begann.  Dreizehn  Jahre  später  wurde  dieselbe  durch  Constantinus 
erweitert.  Unter  Arkadius  (404  n.  Chr.)  brannte  sie,  von  der  Partei 
des  Johannes  Chrysostomus  angezündet,  nieder.  Theodosius  IL  baute 
sie  415  wieder  auf.  532  brannte  sie  währenddes  berühmten  Aufstandes 
des  Hippodrom  abermals  nieder.  Sechs  Jahre  später  begann  Justinian 
sie  mit  grösserer  Pracht  wieder  aufzubauen.  Zwanzig  Jahre  darauf 
stürzte  die  östliche  Hälfte  der  grossen  Kuppel  zusammen,  aber  Justi- 
nian stellte   die    beschädigte   Kirche   schöner   und  dauerhafter  wieder 


93 
O 

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Constantlnopel.  183 


her,  und  seit  dem  Jahre  5ö8,  wo  ihre  Einweihung  stattfand,  ist  sie 
nur  noch  mannigfach  verändert,  nicht  wieder  zerstört  worden.  Die 
Architekten  welche  Justinian  zu  diesem  Meisterstück  der  byzantinischen 
Baukunst  verwendete,  waren  Anthemius  von  Tralles  und  Isidorus  von 
Milet.  Die  Kosten  waren  so  gross,  dass  man  sie  durch  neue  Steuern 
und  Abzüge  von  den  Gehalten  der  Beamten  decken  musste.  Die  Mauern 
und  Gewölbe  wurden  von  Ziegeln  aufgeführt,  aber  die  Pracht  der 
Säulen  übertraf  Alles,  was  bis  dahin  gesehen  worden.  Alle  möglichen 
Arten  von  Marmor,  Granit  und  Porphyr  wurden  verwendet :  phrygischor 
weisser  Marmor  mit  rosafarbenen  Streifen,  grüner  Marmor  von  Lako- 
nika,  blauer  aus  Lybien,  schwarzer  celtischer  mit  weissen,  weisser  vom 
Bosporus  mit  schwarzen  Adern,  thessalischer  und  molossischer  Marmor, 
egyptischer  gesternter  Granit  und  Porphyrsäulen,  welche  Aurelius  vom 
Sonnentempel  zu  Baalbek  entführt  und  die  Wittwe  Marina  nach  Kom 
geschickt  hatte,  die  acht  grünen  Säulen,  welche  vom  Dianentempel  zu 
Ephesus  geholt,  und  die,  welche  von  Troas,  Kyzikus  und  Athen,  sowie 
von  den  Cykladen  herbeigeschafft  worden  waren.  So  hatten  alle  grossen 
Heidentempel,  die  der  Isis  in  Aegypten,  der  des  olympischen  Zeus  in 
Athen,  der  grosse  Dianentempel  in  Ephesus  und  der  des  Phöbus  Apollo 
auf  Delos  beitragen  müssen,  das  Reichsheiligthum  der  Byzantiner  zu 
verzieren.  Auch  die  Türken  haben  dasselbe  später  weiter  geschmückt. 
Mohannned  II.  erbaute  die  beiden  Pfeiler,  welche  die  südöstliche  Seite 
nach  der  See  hin  stützen,  sowie  das  eine  Minaret.  Sultan  Selim  II. 
fügte  das  nächste  Minaret  hinzu,  welches  etwas  niedriger  ist.  Murad 
III.  errichtete  die  Minarets  auf  der  andei*en,  nordöstlichen  Seite.  Die 
Hagia  Sofia  wurde  nach  ihrer  Wiederherstellung  unter  Justinian  der 
Schauplatz  der  Haupt-  und  Staatsactionen  der  byzantinischen  Kaiser: 
ihrer  Vermählungen,  Krönungen  und  kirchlichen  Handlungen.  Die  Sage 
und  die  Geschichte  vereinigten  sich,  um  sie  zum  ersten  Tempel  der 
östlichen  Christenheit  zu  machen.  Hundert  Baumeister,  von  denen  jeder 
hundert  Maurer  unter  sich  hatte,  leiteten  den  Bau,  5000  Arbeiter  waren 
auf  der  rechten,  eben  so  viele  auf  der  linken  Seite  beschäftigt.  Der 
Plan  war  dem  Kaiser  durch  einen  Engel  übergeben  worden,  der  ihm 
im  Traume  erschienen.  Der  Engel  erschien  abermals,  und  zwar  als 
Eunuch  im  glänzendem  Gewände,  an  einem  Sonnabend  in  der  Feier- 
stunde einem  Knaben,  welcher  die  Werkzeuge  der  Maurer  hütete,  und 
befahl  ihm,  die  Arbeitsleute  schnell  zu  holen,  damit  das  Werk  geför- 
dert werde.  Als  der  Knabe  sich  weigerte,  schwur  der  glänzende  Eunuch 
bei  der  göttlichen  Weisheit,  dass  er  nicht  hinweggehen  werde,  bis 
er  zurückkäme,  und  dass  er  den  Bau  inzwischen  bewachen  wolle.  Als 
der  Knabe  zum  Kaiser  geführt  wurde,  und  in  der  ganzen  Schaar  der 
Eunuchen  den,  der  ihm  erschienen  war,  nicht  fand,  erkannte  der  Kaiser, 
dass  es  ein  Engel  gewesen,  und  damit  dieser  auf  ewig  an  seinen  Eid, 
den  Tempel  zu  bewachen,  gebunden  sei,  verwies  er  den  Knaben,  nach- 
dem er  ihn  reich  beschenkt,  auf  Lebenszeit  nach  den  Cykladen,  und 
beschloss,  nach  dem  Schwur  des  Engels  die  Kirche  der  göttlichen 
Weisheit  zu  weihen.  Zum  dritten   Mai  erschien  der  Engel  als  Eunuch 


184 


Constantinopel 


im  glänzenden  Gewand,  als  das  Gebäude  bis  auf  die  Kuppel  vollendet, 
zu  dieser  aber  das  erCorderliclie  Gold  nicht  vorhanden  war.  Er  führte 
die  Maulthiere  des  Schatzes  in  ein  unterirdisches  Gewölbe  und  belud 
sie  mit  achtzig  Centnern  Goldes,  welche  sie  dem  Kaiser  brachten,  der 
in  dieser  unverrautheten  Goldkarawane  sofort  die  Hand  des  Himmels 
erkannte.  So  hatte  also  ein  Engel  Namen,  Plan  und  Gold  zum  Bau 
dieses  Weltwunders  des  Mittelalters  hergegeben.  Der  Kaiser  förderte 
den  Bau  jeden  Tag  durch  sein  persönliches  Erscheinen,  indem  er  sich 
seinen  Mittagschlaf  versagte  und  an  die  Fleissigsten  reiche  Gaben  ver- 
theilte.  Er  kam  dann  in  einfaches  Linnen  gekleidet,  den  Kopf  mit 
einem  Tuch  umwunden,  in  der  Hand  einen  Stab  Der  Mörtel  wurde 
mit  Gerstenwasser  angemacht,  und  die  Steine  der  Grundmauern  durch 
eine  breiartige,  ebenfalls  mit  Gersten wasser  angefeuchtete  Masse  ver- 
kittet. Als  die  Mauern  sich  zwei  Ellen  über  den  Grund  erhoben  hatten, 
waren  bereits  452  Centner  Goldes  ausgegeben.  Die  Ziegel  zu  dem  Ge- 
wölbe der  Kuppel,  die  durch  ihre  Kleinheit  und  Leichtigkeit  alle  Welt 
erstaunen  Hessen,  wurden  zu  Rhodus  aus  besonders  leichtem  Thou 
verl'ertigt;  sie  waren  so  leicht,  dass  zwölf  derselben  nicht  mehr  als  ein 
gewöhnlicher  Mauerziegel  wogen.  Diese  kreideweissen  Ziegel  trugen  die 
Inschrift:  ,Gott  hat  sie  gegründet,  und  sie  wird  nicht  erschüttert 
werden.  Gott  wird  ihr  beistehen  im  Morgenroth.*  Als  der  Bau  der 
Kuppel  begann,  wurden  je  zwölf  Ziegel  gelegt,  und  nach  jeder  Lage 
von  zwölfen  mauerte  man  Reliquien  ein,  während  die  Priester  Hymnen 
und  Bittgesänge  für  die  Dauerhaftigkeit  des  Baues  und  den  Bestand 
der  Kirche  anstimmten. 

Als  die  muschelförmige  Nische  auf  der  Ostseite  der  Kirche,  in 
welche  der  Altar  zu  stehen  kam,  gebaut  wurde,  und  der  Kaiser  und 
seine  Baumeister  verschiedener  Meinung  über  die  JZahl  der  Fenster 
waren,  durch  die  das  Licht  auf  den  Altar  fallen  sollte,  erschien  dem 
Kaiser  wiederum  aer  Engel,  diesmal  aber  im  Kaiserpurpur  und  rothen 
Schuhen,  imd  belelirte  ihn,  dass  auf  den  Altar  durch  drei  Fenster 
Licht  fallen  sollte,  zu  Ehren  dos  Vaters,  des  Sohnes  und  des  heiligen 
Geistes  Der  Altar  sollte  noch  kostbarer  als  Gold  sein,  und  so  wurde 
derselbe  aus  allerhand  kostbaren  Stoffen,  aus  Gold  und  Silber  mit 
zerstossenen  Perlen  und  Edelsteinen  zusammengeschmolzen,  und  die 
Vertiefung  in  demselben,  welche  das  Meer  hiess,  dann  noch  mit  den 
reichsten  Steinen  besetzt.  Ueber  dem  Altar  erhob  sich  thurmartig  das 
Tabernakel  oder  Ciborium,  auf  dem  eine  goldene  Kuppel,  geschmückt 
mit  goldenen  Lilien,  ruhte,  zwischen  denen  sich  ein  75  Pfund  schweres, 
mit  Edelsteinen  besetztes  Kreuz  erhob.  Die  sieben  Sessel  der  Priester 
sammt  dem  Throne  des  Patriarchen,  welche  den  Altar  im  Halbkreise 
von  hinten  her  umgaben,  waren  von  vergoldetem  Silber.  Der  Altar 
stand  auf  erhöhtem  Boden  und  war  den  Augen  der  Menge  durch  eine 
mit  vergoldeten  Heiligenbildern  bedeckte  Holzwand  (Ikonostasis)  ent- 
zogen, durch  welche  drei  Thüren  führten.  An  der  Ikonostasis  befanden 
sich  zwölf  vergoldete  Säulen.  Vor  derselben  stand  das  Evangelienpult 
mit  dein   goldenen  Dach,  auf  dem  sich  ein   100  Pfund  schweres,  mit 


Constantinopel.  185 


Karfunkeln  und  Ferien  besetztes  üoldkreuz  erhob.  Ein  anderes  Kreuz, 
von  Silber  und  stark  vergoldet,  stand  iü  der  Kammer,  in  der  man  die 
heiligen  Gefässe  verwahrte.  Letzteres  war  genau  so  gross,  als  das.  ah 
welchem  der  Erlöser  gestorben,  und  that  Wunder,  indem  es  Kranke 
heilte  und  Teufel  austrieb.  Die  für  die  zwölf  grossen  Feste  des  Jahres 
bestimmten  Gefässe  als  Kannen,  Kelche,  Schüsseln  u.  a.  waren  aus  dem 
reinsten  Golde,  und  der  mit  Perlen  und  Edelsteinen  durchwirkten 
Kelchdecken  hatte  man  nicht  weniger  als  42,000.  Es  gab  ferner  vier- 
undzwanzig grosse  Evangelionbücher.  deren  jedes  mit  seinen  Goldbe- 
schlägen 2  Ctr.  wog.  Die  Rebstöcke  darstellenden  Candelaber  für  den 
Hoclialtar,  die  Kanzel,  die  Emporkirche  für  die  Frauen  und  die  Vor- 
halle wogen  zusammen  6000  Centner  und  waren  vom  reinsten  Golde. 
Ausserdem  gab  es  in  der  Kirche  noch  zwei  goldene  Hängeleuchter  mit 
Sculpturen  geziert,  jeder  111  Pfund  schwer,  und  sieben  goldene  Kreuze, 
von  denen  jedes  einen  Centner  wog.  Die  Thürrae  waren  theils  von 
Elfenbein,  theils  von  Bernstein,  theils  von  Cedernholz,  das  Hauptthor 
silbern  und  vergoldet,  und  di*ei  derselben  waren  sogar  mit  Brettern 
fournirt,  welche  von  der  Arche  Noah's  herstammten !  Die  Einfassung 
des  Taufbeckens  in  der  Kirche  war  die  des  berühmten  Jakobsbrunnens 
bei  Sichem  (vgl.  Nablus),  und  die  vier  Trompeten,  welche  über  dem- 
selben von  Engeln  geblasen  wurden,  waren  dieselben,  von  deren  Schall 
die  Mauern  Jericho's  zusammengestürzt !  Der  Boden  war  mit  vielfar- 
bigem Marmor  gepflastert,  dessen  Wellenlinien  wogende  Fluten  nach- 
ahmten. Im  Vorhof,  dem  jetzigen  Haram,  stand  ein  grosses  Wasser- 
becken aus  Jaspis,  in  dem  sich  die  Andächtigen  vor  dem  Eintritt  in 
das  Heiligthura  die  Füsse  waschen  mussten.  Die  Priester  hatten  ihren 
besonderen  Waschort  innerhalb  der  Kirche,  rechts  von  der  Emporkirche 
der  Frauen,  wo  zwölf  Muscheln  das  Regenwasser  auffingen,  zwölf  Lö- 
wen, zwölf  Pardol  und  zwölf  Damhirsche  dasselbe  wieder  ausspien.  Von 
den  Löwen,  als  den  ältesten  Brunnenköpfen,  wurde  dieser  Ort  Leon- 
tarium  genannt. 

Sieben  und  ein  halbes  Jahr  hatte  die  HerbeischafFung  und  Vor- 
bereitung der  Baumaterialien,  acht  und  ein  halbes  Jahr  der  Bau  selbst 
gedauert.  Als  die  Kirche  mit  allem  Zubehör  vollendet  war,  fuhr  am 
Weihnachtsabend  des  Jahres  538  der  Kaiser  vierspännig  über  das 
Augasteum  nach  der  Kirche,  schlachtete  1000  Ochsen,  1000  Schafe, 
1000  Schweine,  10,000  Hühner  und  600  Hirsche,  während  zu  gleicher 
Zeit  30.000  Metzen  Getreide  und  später  300  Centner  Gold  unter  das 
Volk  vertheilt  wurden.  Vom  Patriarchen  Eutychius  begleitet,  ging 
Justinian  dann  in  die  Kirche,  wo  er  allein  vom  Eingange  der  Hallen 
bis  zum  Betpult  lief  und  hier  mit  emporgestreckten  Armen  ausrief: 
„Gott  sei  gepriesen,  dass  er  mich  für  würdig  erachtete,  solch  ein  Werk 
zu  vollenden.  Salomon,  ich  habe  dich  besiegt!"  Am  folgenden  Morgen, 
dem  ersten  Feiertage,  wurde  die  Kirche  dem  Volke  geöffnet  und  Brand- 
opfer und  Dankfeste  währten  vierzehn  Tage  nach  einander. 

Als  später,  wie  gemeldet,  bei  einem  Erdbeben  die  östliche  Hälfte 
der  Kuppel   zusammenstürzte  und  die   ganze    Herrlichkeit   des   Altar- 


186  Constantinopel. 


tisches,  der  Kanzel  und  der  Ikonostasis  zerschlug,  schoben  die  Bau- 
meister die  Schuld  darauf,  dass  man  das  Baugerüst  ohne  die  erforder- 
liche Vorsicht  weggeräumt  habe.  Die  Kuppel  wurde  wieder  aus  denselben 
leichten  Ziegeln  von  Khodus   aufgeführt,    aber  um  15  Ellen  niedriger 

fehalten  und  das  Gerüste  blieb  ein  ganzes  Jahr  stehen.  Dann  wurde 
ie  Kirche  8  Ellen  hoch  mit  Wasser  gefüllt  und  die  Balken  und  Quer- 
riegel des  Gerüstes  darein  geworfen,  damit  nicht,  wie  früher,  durch  den 
Widerstoss  des  Falles  derselben  die  Grundmauern  des  Baues  und  die 
Kuppel  erschüttert  werden  möchten. 

Als  Justiuian  den  Bau  des  Tempels  begann,  gehörte  der  Grund 
und  Boden,  worauf  der  rechte  Theil  der  Frauengalerie  steht,  einem 
Eunuchen,  der  linke  einem  Schuster.  Jener  verkaufte  sein  Grundstück 
gern  und  billig,  dieser  aber  verlangte  nicht  nur  den  doppelten  Preis, 
sondern  forderte  auch  noch,  dass  an  den  Tagen  des  festlichen  Wett- 
fahrens  auf  dem  Hippodrom  von  den  vier  Parteien  des  Rennplatzes 
ihm  gleicher  Lebehochruf  wie  dem  Kaiser  zuerkannt  würde.  Der  Kaiser 
gewährte  ihm  den  Wunsch,  verordnete  aber  zugleich,  dass  zum  ewigen 
Andenken  an  die  Unverschämtheit  dieses  Menschen  bei  jedem  Wett- 
rennen ein  Schuster  in  der  Mitte  des  Platzes  mit  dem  Rücken  gegen 
die  auslaufenden  Wagen  gekehrt  sitzen  und  dass  diesem  die  Wagen- 
lenker, ehe  sie  ihre  Wagen  bestiegen,  von  rückwärts  in  spöttischer 
Weise  langes  Leben  zurufen  sollten. 

Die  Sophienkirche  hat  die  Form  eines  griechischen  Kreuzes, 
dessen  oberes  Ende  (das,  wo  der  Altar  stand)  wie  üblich  nach  Osten 
gekehrt  ist.  Drei  von  den  Seiten  derselben  sind  mit  gewölbten  Säulen- 
gängen umgeben,  über  denen  sich  Kuppeln  erheben.  Die  vierte  oder 
Westseite  bildet  die  Eingangseite.  Unmittelbar  zur  Rechten  der  Haupt- 
eingangspforte erblickt  man  den  alten  Glockenthurm,  der  indess  mit 
den  Minarets  verglichen,  die  neben  ihm  emporstreben,  von  sehr  beschei- 
dener Grösse  erscheint.  Hart  neben  diesem  Glockenthurm.  zur  Rechten 
desselben,  fliesst  das  Wasser  der  grossen  Cisterne,  welche  den  grössten 
Theil  der  Ausdehnung  des  Tempels  mit  unterirdischen  gewölbten 
Wasserbehältern  einnimmt.  Ausserdem  gibt  es  noch  drei  Brunnen, 
einen  im  Mittelpunct  des  Vorhofes,  wo  früher  das  grosse  Jaspis-Bassin 
stand,  einen  zweiten  unmittelbar  aussen  an  der  Mauer  des  Vorhofes  in 
der  Gasse,  welche  von  der  Hauptstrasse  nach  der  Seitenpforte  führt, 
und  einen  dritten  neben  dem  Minaret  im  Südosten.  Die  östliche  Seite 
des  Vorhofes  bildet  zugleich  das  erste  Vestibulum  der  Kirche,  wohin 
aus  dem  Hofe  drei  Thüren,  zwei  grosse  an  den  beiden  Ecken  und  eine 
kleine  hart  neben  dem  alten  Glockenthurrae  führen.  Dieser  erste  Vor- 
hof der  Kirche  hiess  im  Alterthum  Narfchex,  und  war  für  solche,  die 
Kirchenbusse  zu  thun  hatten,  sowie  für  die  Katechumenen  bestimmt. 
Jene  hatten  hier  zu  warten,  bis  ihre  Vergehungen  abgebüsst  waren, 
diese,  bis  ihnen  die  Taufe  den  Eintritt  in  die  Kirche  selbst  gestattete. 
Dieser  Theil  des  Heiligthums  ist  desshalb  ^hr  einlach  gehalten  und 
ohne  den  architektonischen  Schmuck  des  Innern. 


Constantinopel.  187 


Der  zweite  innere  Vorhof,  länger,  breiter  und  schöner  als  der 
erste,  hat  sechzehn  Bronzethüren.  die  mit  Kreuzen  verziert  sind,  welche 
die  Türken  verstümmelt  haben.  Der  Raum  zwischen  denselben  ist  mit 
schönem  gewässerten  Mariuor  belegt,  und  darüber  sieht  man  noch 
Reste  der  Mosaikbilder,  welche  früher  als  Schmuck  der  Thore  dienten. 
Die  kleinen  bunten,  mit  einem  Ueborzug  von  Vergoldung  versehenen 
Glasstifte,  deren  man  sich  zur  Anfertigung  jener  Mosaik  bediente, 
fallen  oft  von  der  Decke  herab,  und  werden  von  Judenknaben  gesam- 
melt, die  sie  dann  an  Fremde  verkaufen,  als  Andenken  an  den  Besuch 
der  grossen  Basilika  des  Oströmerreiches.  Charakteristischer  als  diese 
Glasstoffe  sind  die  Mosaiktrümmer  aus  den  Säulen,  die  aus  den  feinsten 
Steinen  bestehen,  mit  Gold  durchsprenkelt  sind  und  einen  deutlichen 
Beweis  dafür  liefern,  mit  welchem  kostbaren  Materiale  der  Bau  der 
Sophienkirche  aufgeführt  wird.  Diese  Mosaiktrümmer  bekömmt  man 
für  ein  Bakschisch  von  5—10  Piastern  von  dem  Türken,  der  die 
Fremden  in  der  Aja  Sophia  herumführt,  er  bricht  sie  ganz  gemüthlich 
aus  einer  Säule  aus,  die  schon  lange  für  diese  Speculation  herhalten 
muss  und  aussieht,  als  wäre  sie  von  Mäusen  angenagt.  Die  beiden  Sei- 
tenthüren  des  Innern  Hofes  führen  jede  in  ein  Vestibulum,  und  durch 
dieses  zu  dem  sanft  aufsteigenden  Autgang  des  Gynaikites  oder  Frauen- 
chores, welcher,  um  drei  Seiten  der  Kirche  herumlaufend,  die  ganze 
Breite  des  Innern  Vorhofes  einnimmt.  Er  ist  60  Schritt  breit  und  hat 
auf  jeder  Seite  vier  Aufgänge.  Zwei  von  diesen  kann  man  auf  jeder 
Seite  von  aussen  erreichen,  da  sie  für  die  zur  Kirche  kommenden 
Frauen  erreichbar  waren:  zwei  dagegen  sind  nur  kleine  Treppen,  die 
vom  Innern  aus  zugänzlich  sind  und  zum  Gebrauch  der  Priester  und 
Diakonen  dienten.  Nachdem  man  (was  von  den  Reisenden  in  der  Regel 
geschieht)  die  zwölf  Stufen  von  der  Seitenpforte  der  südlichen  Front 
hinabgestiegen  und  dann  den  sanft  ansteigenden  Aufgang  zum  Gynai- 
kites emporgeschritten  ist,  sieht  man  in  der  Mitte  des  letztern,  gerade 
über  der  inneren  Halle  und  den  drei  Mittelpforten,  plötzlich  das  ganze 
Innere  des  gewaltigen  Baues  vor  sich :  die  wunderbare  Häuptkuppel, 
die  gleichsam  in  der  Luft  schwebt,  dann  im  Osten  und  Westen  die 
kleineren  Halbkuppeln,  denen  sich  wieder  auf  jeder  Seite  die  drei  kleinen 
Kuppeln  anschliessen,  so  dass  das  Dach  des  Tempels  aus  neun  solchen 
Kuppeln  besteht,  von  denen  die  grösste  die  oberste  Stelle  einnimmt. 
Die  Letztere  ist  so  flach  gewölbt,  dass  ihre  Höhe  nur  den  sechsten 
Theil  ihres  Durchmessers  ausmacht,  welcher  letztere  115  Fuss  beträgt. 
Die  Mitte  der  Kuppel  befindet  sich  180  Fuss  über  dem  Boden.  Das 
Innere  der  Kirche  hat  eine  Länge  von  270  und  eine  Breite  von 
245  Fuss. 

Neben  den  vier  grossen  Pfeilern,  welche  die  Hauptkuppel  tragen, 
sind  vier  Säulen,  zwei  im  Osten  und  zwei  im  Westen,  welche,  im  Halb- 
kreis mit  den  Pfeilern  aufgestellt,  die  drei  halbkreisförmigen  Kuppeln 
auf  jeder  Seite  tragen.  In  den  vier  Zwischenräumen  zwischen  den 
Pfeilern  und  Säulen  stehen  zwei  und  zwei  Pilaster  beisammen  mit 
Capitälern  und  Piedestalen  von  trefflich  bearbeitetem  weissem  Marmor. 


188  Constantmopel. 


Dies  sind  die  acht  Porphyrsäulen  vom  Tempel  zu  Baalbek,  deren  oben 
Erwähnung  geschah.  Auf  der  Süd-  und  der  Nordseite  zwischen  den 
Pfeilern  rechts  und  links  stehen  je  vier  Pilaster  vom  schönsten  grünen 
Granit  als  Stützen  der  Prauengalerie.  Es  sind  die  ebenfalls  schon 
erwähnten  Säulen  vom  Dianen tempel  zu  Ephesus.  Die  anderen  vierund- 
zwanzig Säulen  von  ägyptischem  Granit,  welche  die  Wucht  der  Galerien 
auf  beiden  Seiten  tragen,  sind  zu  vier  und  vier  in  den  sechs  vier- 
eckigen Abtheilungen  aufgestellt,  welche  von  den  grossen  Pfeilern  und 
den  Aufgängen  zum  Frauenchor  auf  der  südlichen  und  nördlichen  Seite 
der  Kirche  gebildet  werden.  Diese  vierundzwanzig  Säulen  von  ägyp- 
tischem Granit  machen  zusammen  mit  den  acht  grünen  Marmorpilastern 
und  den  acht  Porphyrsäulen  vierzig  —  eine  Zahl,  die  bei  orientalischen 
Prachtgebäuden,  z.  B.  bei  den  liuinen  von  Persepolis,  eine  EoUe  spielt. 
Auf  diesen  vierzig  Säulen  des  Erdgeschosses  ruhen  dann  die  sechzig 
der  Frauengalerie.  Endlich  findet  man  noch  vier  mittelgrosse  und  drei 
kleine  Säulen  über  den  Pforten,  so  dass  im  Ganzen  hundertsieben 
Säulen  sind  —  die  mystische  Säulenzahl,  welche  das  Haus  der  göttli- 
chen Weisheit  tragen  sollte.  Diese  siebenundsechzig  Säulen  sind  eben- 
falls theils  von  Granit  oder  rothfarbigem  Marmor  und  mit  den  feinsten 
Kannelüren  versehen,  aber  mit  den  verschiedensten  Capitälern  gekrönt, 
welche  zu  keiner  von  unsern  fünf  Ordnungen  zu  zählen  sind. 

Von  den  vier  grossen  Gewölbbogen,  welche  auf  den  vier  Pfeilern 
ruhen,  sind  nur  die  im  Norden  und  Süden  gleichsam  vermittelst  einer 
Mauer  durch  die  Säulen  des  unteren  und  die  Fenster  des  obern 
Fraueuchores  geschlossen.  Durch  die  Wölbungen  im  Osten  und  Westen 
erstreckt  sich  die  Aussicht  ununterbrochen  vom  Eingangsthore  bis  zu 
dem  Halbkreis  des  Altars.  In  den  vier  Ecken  des  grossen  Kuppelge- 
wölbes befinden  sich  vier  Seraphim  von  Mosaik,  und  auf  den  vier  ge- 
wölbten Bogen  sind  noch  jetzt  die  Figuren  verschiedener  Heiligen  zu 
erkennen.  Mehre  andere  schmückten  früher  die  Mauer,  sind  aber  jetzt 
durch  Koransprüche  und  heilige  Namen  des  Islam  in  kolossalen  Zügen 
ersetzt  worden.  Die  Namen  der  vier  Gefährten  des  Propheten:  Abu- 
bekr,  Omar,  Osraan  und  Ali  figuriren  jetzt  als  die  Seitenstücke  zu  den 
vier  sechsflügeligen  Seraphim,  welche  der  mohammedanische  Glaube 
unter  den  Namen  Gabriel,  Michael,  Kafael  und  Israfil  anerkennt.  In 
der  Kuppel  selbst  liest  man  in  den  schönen,  von  Jakut  eingeführten 
Schriftzeichen  den  wohlbekannten  Koranspruch:  „Gott  ist  das  Licht 
des  Himmels  und  der  Erde."  Diese  Inschriften  sind  das  Kunstwerk 
eines  berühmten  Kalligraphen,  Namens  Bitschakjisadeh  Mustapha  Tsche- 
lebi,  welcher  unter  Murad  IV.  lebte.  Die  Länge  der  stehenden  Buch- 
staben, z.  B.  die  des  Elif,  soll  nicht  weniger  als  30  Fuss  betragen. 
Nach  einer  Volkssage  waren  die  vier  Erzengelgestalten  einst  Talismane, 
welche  vor  der  Geburt  des  Propheten  in  Zeiten  schweren  Unglücks  zu 
sprechen  pflegten  und  ausserordentliche  Ereignisse  weissagten,  seitdem 
aber  stillgeschwiegen  haben.  Der  erwähnte  Koranvers  wird  in  den 
Nächten  des  Ramadan  durch  das  Strahlenmeer  von  tausend  und  aber 
tausend  Lampen,  die  in    dreifachem   Kreis  über  einander  hangend  das 


Constantinopel.  189 


Gewölbe  der  Kuppel  nachzeichnen  und  zwischen  denen  Strausseneier 
und  Bündel  künstlicher  Blumen  und  Goldflitter  schweben ^  zauberhaft 
schön  erleuchtet.  Die  grosse  Hauptkuppel  empfängt  das  Tageslicht 
durch  vierundzwanzig  Fenster.  Die  Sakristei  und  der  Taufplatz  wurden 
aussen  an  der  Kirche  errichtet,  und  zwar  auf  der  Stelle  eines  Hauses, 
welches  einer  Wittwe  Namens  Anna  gehörte.  Dasselbe  war  auf  85 
Pfund  Gold  abgeschätzt,  aber  die  Frau  erklärte  den  wegen  des  Ver- 
kaufs mit  ihr  unterhandelnden  Beamten,  es  sei  ihr  nicht  für  50  Centner 
feil.  Darauf  kam  der  Kaiser  selbst  zu  ihr,  um  sie  zur  Nachgiebigkeit 
zu  bewegen.  Gerührt  von  so  viel  Milde  und  Herablassung,  warf  sich 
die  Witwe  ihm  zu  Füssen  und  erklärte,  dass  sie  für  ihren  Grund  und 
Boden  überhaupt  kein  Geld  nehme,  sondern  sich  nur  ausbitte,  neben 
der  Kirche  begraben  zn  werden,  um  am  Tage  des  Gerichts  ihren  Kauf- 
schilling im  Himmel  zu  bekommen.  Der  Kaiser  sagte  dies  zu,  und  sie 
wurde  hart  neben  der  Kammer  der  heiligen  Gefässe  beerdigt. 

Die  vertiefte  Muschel  (Apsis),  in  welcher  der  Hochaltar  mit  dem 
Tabernakel  stand,  war  der  Mittelpunct  des  grossen  Halbkreises,  um 
welchen  die  sieben  Stufen  der  Priestersitze  liefen.  Da  dieser  Punct 
genau  nach  Osten  steht,  so  konnte  er  nicht  als  Mihrab,  das  heisst  als 
muselmännisches  AUerheiligstes  oder  Gebetsnische  gebraucht  werden, 
da  die  Bekenner  des  Islam  bei  ihren  Gebeten  sich  stets  nach  der 
Kiblah,  d.  h.  nach  der  Richtung  der  Kaabah  zu  Mekka  richten  müssen, 
welche  Richtung  von  dem  Mihrab  eben  angegeben  wird.  Nach  der  Lage 
Constantinopels  müssen  die  dortigen  Moscheen  ihr  Mihrab  im  Süd- 
westen haben.  So  kommt  es,  dass  in  allen  hiesigen  Moscheen,  welche 
früher  christliche  Kirchen  waren,  die  betende  Gemeinde  nie  in  gerader 
Richtung  gegen  den  Altar,  sondern  immer  in  einer  Diagonale  querüber 
zu  stehen  kommt.  Es  sieht  nicht  symmetrisch  aus,  wenn  die  ganze 
Versammlung,  statt  mit  dem  Gesicht  nach  Osten,  wo  der  christliche 
Altar  stand,  zu  sehen,  sich  nach  Südwesten  auf  eine  Gebetsnische  hin- 
wendet: aber  man  hat  in  diesen  Diagonalen  gewisserraassen  ein  spre- 
chendes Symbol  für  den  grossen  Querstrich,  welchen  der  Islam  durch 
das  Christenthum  des  Orients  gemacht  hat. 

Gegenüber  dem  Hochaltar,  im  Centrum  der  Kirche,  wo  das 
Presbyteriura  endigte,  stand  die  christliche  Kanzel.  Auf  derselben  Linie, 
obschon  nicht  in  der  Mitte,  sondern  seitwärts  am  südöstlichen  Pfeiler, 
erhebt  sich  das  Mimbar  oder  die  Kanzel  für  den  mohammedanischen 
Freitagsgottesdienst,  von  welcher  der  Chatib  oder  Prediger  alle  Frei- 
tage das  Gebet  für  den  Sultan  spricht;  bisweilen  wird  auch  gepredigt, 
aber  nicht  auf  dieser,  sondern  auf  einer  anderen  Kanzel  in  der  Mitte 
der  Moschee.  Hier  wie  in  allen  Moscheen,  die  einst  Kirchen  waren,  be- 
steigt zum  Zeichen  der  Erinnerung  an  den  Propheten,  der,  den  Koran 
in  der  einen,  das  Schwert  in  der  andern  Hand,  die  Länder  des  Ostens 
dem  Islam  unterwarf,  noch  jetzt  der  Prediger  die  Kanzel  mit  einem 
hölzernen  Schwert.  Die  beiden  rechts  und  links  auf  der  Kanzel  aus- 
gesteckten Fahnen  bedeuten  den  Sieg  des  Islam  über  Christen-  und 
Judenthum,  des  Korans  über  das  Alte  und   das  Neue  Testament.   Das 


190  Constantinopel. 


Mimbar  ist  nur  in  den  grössten  Moscheen  zu  finden,  welclic  das  Recht 
zu  jenem  Gebet  für  den  Sultan  haben.  Die  jetzige  Kanzel  rührt  von 
Murad  IV.  her.  Sein  Vorgänger  Murad  III.  restaurirte  das  Heiligthura 
und  schmückte  es  mit  den  beiden  gewaltigen  Marmorvasen,  welche  im 
unteren  Theile  des  Gebäudes,  eine  auf  jeder  Seite  zwischen  den  beiden 
Porphyrpilastern  von  Baalbek  stehen,  und  von  denen  jede  1000  Mass 
Getreide  halten  soll.  Sie  werden  alle  Tage  mit  Wasser  zur  Erfrischung 
der  Gläubigen  gefüllt  und  nehmen  sich  wie  riesige  Weihwasserbecken 
aus.  Auf  den  Spitzen  der  Minarets  glänzen  stark  vergoldete  Halb- 
monde, der  grösste  auf  der  Hauptkuppel,  wo  einst  das  Kreuz  schim- 
merte. Derselbe  hat  von  Korn  zu  Hörn  50  Ellen  Durchmesser  und  es 
heisst,  Sultan  Murad  III.  habe  anf  seine  Vergoldung  nicht  weniger 
als  50,000  Ducaten  verwendet.  Er  ist  bei  sonnenhellem  Wetter  an  20 
Stunden  weit  auf  der  See  erkennbar,  und  selbst  auf  dem  Gipfel  des 
bithynischen  Olymp  kann  man  ihn  in  den  Strahlen  der  Sonne  funkeln  sehen. 
Die  fromme  Ueberlieferung  der  Türken  hat  zu  den  historisch 
begründeten  Erzählungen  von  der  Moschee  noch  etliche  Sagen  hinzu- 
gefügt, welche  muselraännischen  Pilgern  zu  mehrer  Erbauung  mitge- 
theilt  zu  werden  pflegen.  So  zeigt  man  hier  die  Stätte  der  Propheten, 
die  Stätte  Salomonis  auf  der  rechten  Seite  der  Freitagskanzel;  ferner 
die  Wiege  des  Herrn  Jesu  (ein  ausgehöhlter  Block  röthlichen  Marmors 
auf  der  obern  Galerie  im  Süden) ,  endlich  nicht  weit  davon  eine  Art 
Kufe,  in  welcher  Jesus  von  Maria  gebadet  worden  sein  soll,  und  die 
gleich  der  Wiege  von  Bethlehem  hierher  geschafft  worden  ist.  Des- 
gleichen weist  man  hier  die  Stätte  der  zwölf  Apostel  Christi  auf. 
Endlich  sind  noch  die  schwitzende  Säule,  das  kalte  Fenster  und  der 
leuchtende  Stein  vielbesuchte  Wallfahrtspuncte  der  Moslim.  Die  schwi- 
tzende Säule  befindet  sich  in  dem  untersten  Viereck  auf  der  linken 
Seite  des  Einganges  der  aus  dem  Vorhof  herausführenden  Nordpforte, 
und  die  Feuchtigkeit,  welche  sie  ausschwitzt,  gilt  als  wunderthätiges 
Heilmittel.  Nicht  fern  von  dem  Thor,  durch  welches  sich  der  Sultan 
aus  dem  Viereck  des  Serails  in  die  Moschee  begibt,  und  in  der  Nähe 
des  Mihrab  ist  ein  nach  Norden  gelegenes  Fenster,  wo  immer  ein 
frischer  Wind  weht,  und  wo  der  berühmte  Schech  Ak  Schemseddin,  der 
Begleiter  Mohammeds  IL,  in  dieser  Kirche  zuerst  den  Koran  auslegte. 
Von  dieser  Zeit  an  wurde  dieser  Ort  ein  heiliger  für  alle  Ijohrer  und 
Prediger  des  Islam.  Schon  der  bekannte  türkische  Reisende  Ewlia  weiss 
in  seiner  Beschreibung  von  Constantinopel  von  den  Segnungen  des 
kalten  Fensters  zu  berichten,  und  noch  jetzt  glaubt  man,  dass  er 
Lehrer  besonders  weise  mache,  vermutblich,  weil  der  Nordwind  es  hier 
im  Sommer  kühler  als  an  andern  Stellen  der  Moschee  sein  lässt  und 
so  den  Vortragenden  vor  dem  Schläfrigwerden  bewahrt.  Der  leuch- 
tende Stein  befindet  sich  in  der  obern  Gallerie  an  einem  nach  Westen 
gerichteten  Fenster  und  ist  ein  heller,  durchsichtiger  Stein,  den  Manche 
für  einen  Onyx  halten,  der  indess  in  Wirklichkeit  ein  persischer  Mar- 
mor ist,  welcher  die  Lichtstrahlen  einsaugt,  und  wenn  die  Sonne  auf 
ihn  scheint,  sie  funkelnd  zurückwirft. 


Constantinopel.  1^1 


Weit  wunderbarer  als  dieser  Stein  ist  die  Beleuchtung  der  Mo- 
scheen selbst  in  den  sieben  heiligen  Nächten  des  Islam,  besonders  in 
der  Lejlet  El  Kadr,  der  Nacht  der  Vorherbestimmung  (27.  Ramadan), 
in  welcher  der  Koran  vom  Himmel  gesandt  wurde.  In  dieser  Nacht 
begibt  sich  der  Sultan  in  grosser  Procession  nach  der  Aja  Sofia,  und 
nachdem  er  dort  dem  Gottesdienst  beigewohnt,  zieht  er  unter  Vor- 
tragung einer  Menge  farbiger  Laternen  in's  Serail  zurück,  wo  ihm  die 
Sultanin  Mutter  eine  noch  unberührte  Jungfrau  zuführt.  An  diesem 
Tage  fungiren  alle  bei  der  Moschee  angestellten  Imams,  Schachs,  Cha- 
tibs,  Mueddins  sammt  den  niederen  Bediensteten,  und  so  kann  man 
da  den  Islam  in  seinem  höchsten  Pomp  sehen. 

Die  Moschee  SoUmans  des  Grossen  oder  Solimanileh  ist  das 
glänzendste  Werk  türkischer  Baukunst,  errichtet  in  der  Zeit,  wo  das 
Tärkenreich  den  höchsten  Gipfel  seiner  Entwickelung  erreicht  hatte, 
ein  würdiges  Denkmal  des  grossen  Sinnes,  des  Stolzes  und  der  Pracht- 
liebe jenes  mächtigen  Herrschers.  Ihr  Erbauer  war  Sinan,  der  berühm- 
teste Architekt  des  ottomanischen  Reiches.  Der  Bau  begann  1550  und 
wurde  binnen  fünf  Jahren  vollendet.  Der  Plan  der  Moschee  ist  nach 
ihren  Abtheilungen  derselbe,  wie  bei  allen  andern  Hauptraoscheen,  d.  h. 
er  ist  eine  Nachahmung  der  Aja  Sofia.  Das  Viereck  der  Moschee  ist 
auf  der  Eingangsseite  von  einem  Vorhof  eingeschlossen,  auf  der  Seite 
des  Mihrab  von  einem  Kirchhof.  In  der  Mitte  des  ersteren,  welcher 
Haram  genannt  wird,  befindet  sich  der  Brunnen,  in  dessen  Wasser  die 
regelmässigen  Abwaschungen  vor  dem  Gebet  vorgenommen  werden ;  im 
zweiten,  welcher  den  Namen  Bostan  (Garten)  führt,  erheben  sich  die 
Kuppeln  der  Mausoleen  des  Gründers,  seiner  Gemahlin  und  seiner 
Kinder.  Diese  drei  Vierecke,  welche  zusammen  ein  Oblong  bilden,  sind 
von  einer  Mauer  umgeben,  die  den  grossen  äusseren  Hof  bildet.  Der 
dem  Eingang  unmittelbar  gegenüberliegende  Hof.  in  dessen  Mitte  sich 
das  überkuppelte  Brunnenhaus  befindet,  ist  auf  den  drei  andern  Seiten 
mit  Colonnaden  umgeben,  über  denen  sich  dreiundzwanzig  kleine  Kup- 
peln, von  welchen  sich  sieben  rechts  und  sieben  links  vom  Eingang 
in  die  Moschee  erheben  und  neun  in  einer  Reihe  dem  Eingang  gegen- 
über stehen.  In  den  vier  Ecken  des  Vorhofs  ragen  die  vier  Minarets 
empor.  Dieselben  sind  von  ungleicher  Höhe,  indem  die  beiden  hart 
neben  der  Moschee  stehenden  höher  sind,  als  die  am  andern  Ende  des 
Hofes  und  diese  letztern  nur  zwei,  jene  dagegen  drei  Galerien  für  den 
Rufer  zum  Gebet  haben.  Der  Haram  hat  drei  Thüren,  eine  der  Moschee 
gegenüber  genau  in  der  Mitte  zwischen  den  beiden  Minarets,  und  zwei 
andere  an  der  Seite  neben  den  beiden  höheren.  Die  Moschee  ist,  wie 
bemerkt,  nach  dem  Muster  der  Aja  Sofia  erbaut,  doch  mit  der  Absicht, 
sie  zu  übertreffen,  und  dieser  Wunsch  ist,  was  die  Vollkommenheit  der 
einzelnen  Theile  und  die  Harmonie  des  Ganzen  betrifft,  in  der  That 
erreicht  worden.  Das  Auge  schreckt  hier  nicht  wie  dort  vor  der  Ver- 
drehung und  Verkehrung  des  reinen  griechischen  Geschmacks  zurück. 
Man  erblickt  ein  Meisterwerk  echt  sarazenischen  Styls  nach  dem  Mu- 
ster der  grosser  Bauten  der  Ommajaden  in  Syrien  und  Aegypten  sowie 


192  Constantinopel. 


in  Spanien,  obwohl  nicht  ohne  den  Einfluss  spätgriechischer  Architektur 
im  Kuppelbau.  Die  grosse  Hauptkuppel  wircl  von  vier  Säulen  getragen, 
zwischen  welchen  sich  rechts  und  links  (zwei  auf  jeder  Seite)  die  vier 
grössten  Säulen  Constantinopels  befinden.  Diese  letzteren  messen  an 
der  Basis  13  Fuss  im  Umfang,  und  ihre  Höhe  steht  damit  im  Ver- 
hältniss.  Dieselben  stammen  aus  altbyzantinischer  Zeit;  die  eine  trug 
im  Heidenthum  eine  Statue  der  Venus,  die  andere  stand  unter  Justi- 
nian  und  später,  mit  dem  Bilde  dieses  Kaisers  geschmückt,  auf  dem 
Augusteumsplatz.  Die  beiden  andern  sind  wahrscheinlich  die  rothen 
Säulen,  auf  welchen  die  Standbilder  der  Theodoraund  der  Eudoxiaim 
Palast  der  Kaiser  standen.  Die  Kapitaler  dieser  vier  Säulen  sind  von 
weissem  Marmor.  Sie  stützen  die  Doppelgalerie,  welche  um  beide 
Seiten  herumläuft,  und  in  welcher  sich  Schatzkammern  befinden,  in 
denen  Privatpersonen  ihr  baares  Geld  niederlegen,  wenn  sie  verreisen 
oder  wenn  sie  es  nicht  sicher  halten  vor  der  Hand  des  Despotismus, 
die  sich  an  diesen  geheiligten  Räumen  nicht  zu  vergreifen  wagt.  Unter 
den  Galerien  findet  man  auf  dem  Boden  terrassenförmige  Steinsophas 
errichtet,  welche  auf  niederen  Säulenstürapfen  ruhen  und  für  Koran- 
vorleser bestimmt  sind.  Die  Gebetsnische,  die  Kanzel  und  der  Gebets- 
platz für  den  Sultan  sind  aus  weissem  Marmor  und  mit  schönen  Sculp- 
turen  geschmückt  Neben  dem  Mihrab  stehen  zwei  riesige  Kandelaber 
von  vergoldetem  Metall,  auf  denen  dicke  Wachskerzen  des  Abends  das 
Sonnenlicht  ersetzen,  das  durch  das  geschlifleue  Glas  der  Fenster  fällt. 
Diese  Glasfenster,  von  denen  viele  mit  bunten  Blumen  oder  mit  dem 
Namen  Gottes  geziert  sind,  stammen  aus  der  Glasfabrik  von  Serkosch 
Ibrahim,  die  zur  Zeit  der  Erbauung  der  Moschee  in  grossem  Ruf  stand. 

Die  Hauptkuppel  der  Solimanijeh  hat  denselben  Umfang  wie 
die  der  Aja  Sofia,  ist  aber  20  Fuss  höher  und  deshalb  weniger  kühn 
und  ausserordentlich,  obwohl  die  Türken  diese  grössere  Höhe  als  ein 
grösseres  Wunder  der  Baukunst  ansehen.  Im  Innern  der  Kuppel  liest 
man  denselben  Vers,  wie  in  der  Aja  Sophia  (24.  Sure  des  Koran,  Vers 
36):  „Gott  ist  das  Licht  dos  Himmels  und  der  Erde.  Sein  Lieht  ist 
eine  Weisheit  auf  den  Mauern,  in  welcher  eine  Lampe,  bedeckt  mit 
Glas,  brennt.  Das  Glas  glänzt  wie  ein  Stern,  die  Lampe  ist  gefüllt 
mit  dem  Oel  des  heiligen  Baumes.  Kein  östliches,  kein  westliches  Oel, 
sie  leuchtet  für  Jeden,  der  sie  will." 

Die  Moschee  mit  ihrem  Vorhof  (Haram)  und  ihrem  Begräbniss- 
platz, ist  von  einem  äusseren  Hof  umgeben,  dessen  Seiten  1000  Schritt 
lang  sind  und  welcher  zehn  Thore  hat.  Von  diesen  öffnen  sich  zwei 
auf  der  Seite  des  Mihrab,  nach  dem  alten  Serail,  vier  andere:  die 
Thore  der  Schule,  des  Markts,  der  Akademie,  des  Oberarztes  sind  im  Süden ; 
drei  andere,  die  Thore  der  Armenküche,  des  Hospitals  und  der  Janit- 
scharen-Agas  sind  im  Westen.  Im  Norden  ist  ein  Thor,  vor  welchem  man 
auf  einer  Treppe  von  zwanzig  Stufen  nach  einem  Bade  hinabsteigt. 
Hier  hat  man  eine  prächtige  Aussicht  auf  den  Hafen,  die  Brücken,  die 
Volrstädte  Galata  und  Pera,  und  auf  die  Küste  von  Kleinasien  und  den 
Kanal  des  Bosporus.    Mit   der  Moschee  sind  gelehrte  und  mildthätige 


Constantinopel.  193 


Stiftungen:  drei  Schulen,  vier  Akademien  für  die  vier  orthodoxen 
Secten  des  Islam,  die  Hanafiten,  Malikiten,  Hambaliten  und  Schafeiten, 
eine  medicinische  Schule,  ein  Hospital,  eine  Armenküche,  eine  Herberge 
für  Fremde  und  eine  Bibliothek  verbunden.  Das  Einkommen  der  Mo- 
schee beträgt  jährlich  360,000  Piaster. 

Die  Moschee  Sultan  AchmecVs  I.  oder  Achmedijeli,  welche 
am  Atnaeidan  liegt  und  einen  Theil  des  alten  Hippodrom  einnimmt, 
wurde  im  Jahre  1614  dem  Gottesdienst  übergeben  und  hat  eine  Ein- 
nahme von  710,000  Piastern  Sie  ist  die  grösste  aller  Moscheen  Stam- 
buls  und  die  einzige  im  ottomanischen  Reiche,  welche  sechs  Minarets 
hat,  d.  h.  zwei  mehr  als  die  Aja  Sophia  und  selbst  als  die  grosse  Mo- 
schee in  Mekka.  Die  grösste  Merkwürdigkeit  in  derselben  sind  die  vier 
Riesensäulen,  welche  die  Hauptkuppel  stützen.  Sie  bestehen  jede  aus 
drei  Stücken  und  haben  einen  Umfang  von  nicht  weniger  als  36  Ellen, 
ein  Maass,  zu  dem  ihre  Höhe  nicht  im  Verhältniss  steht.  Sie  erheben 
sich  nach  aussen  neben  der  Kuppel  wie  ebenso  viele  kleine  Thürme. 
Die  Hauptkuppel  ist  von  vier  Halbkuppeln  umgeben,  an  die  sich  wieder 
je  zwei  ganz  runde  Kuppeln  anschliessen ,  welche,  genau  hinter  den 
vier  Riesensäulen,  die  vier  Ecken  der  Moschee  bilden,  die  so  von  aussen 
gesehen  aus  neun  Kuppeln  zu  bestehen  scheint.  Um  beide  Seiten  der 
Moschee  läuft  rechts  und  links  eine  Doppelgallerie  hin,  eine  aussen 
und  eine  innen,  in  welchen  sich  unten  die  Bänke  für  die  Koranleser 
und  darüber  Schatzgewölbe  als  Niederlagen  für  Geld  und  Kostbarkeiten 
von  Privatleuten,  wie  in  der  Solimanijeh,  befinden.  Rechts  und  links 
vom  Mihrab  stehen  gewaltige  Leuchter  mit  Wacliskerzen,  deren  Grösse 
sie  wie  Säulen  erscheinen  lässt.  Rechts  vom  Mihrab  ist  das  Mimbar, 
ein  Meisterwerk  der  Bildhauerkunst,  geschaffen  nach  dem  Muster  der 
Kanzel  in  Mekka,  überragt  von  einer  grossen  vergoldeten  Krone,  auf 
der  ein  Halbmond  funkelt.  Keine  andere  Moschee  Constantinopels  ist 
so  reich  an  Curiositäten  und  Kleinodien  als  diese.  Dieselben  sind  theils 
in  Schränken  und  Kasten  verwahrt,  theils  an  den  Kränzen  der  Lampen 
oder  sonst  wo  aufgehangen.  Sultan  Achmed,  ein  sehr  gottesfürchtiger 
Herr,  beschenkte  seinen  Lieblingsbau  auf  das  reichste,  und  seinem  Bei- 
spiele folgten  die  Grossen  seines  Staates.  So  schickte  unter  Anderem 
Dschafer  Pascha,'  der  Statthalter  von  Abyssinien,  sechs  goldene,  mit 
Smaragden  besetzte  Lampen,  welche  an  Goldketten  in  der  Achmedijeh 
aufgehangen  wurden.  Koranexemplare  von  allen  Formen  aufs  schönste 
geschrieben  und  eingebunden  liegen  hier  auf  golddurchwirkten  Kissen 
und  Pulten,  die  mit  Perlmuttermosaik  geschmückt  sind.  An  der  Wand 
wird  jedesmal  die  letzte  Decke  der  Kaaba  aufgehangen,  welche  die 
jährliche  Mekkakarawane  für  das  Geldgeschenk,  das  ihr  der  Sultan 
mitgibt,  bei  der  Rückkehr  von  der  heiligen  Stadt  mitbringt.  In  dem 
grossen  Vorhofe  der  Moschee,  zu  deren  Eingängen  Treppen  hinauf- 
führen, stehen  Reihen  schöner,  alter  Bäume,  und  in  Folge  ihrer  freien 
Lage  am  Atmeidan  ist  dieselbe  der  Schauplatz  der  meisten  grossen 
kirchlichen  Processionen  des  Hofes.  Wenn  man  die  Aja  Sofia  wegen 
ihrer  Lage  neben  dem  alten  Serail  die  Hofkirche  Constantinopels  nennen 

13 


194  Constantinopel 


kann,  so  muss  die  Achmedijeh  als  die  Reichskathedrale  bezeichnet 
werden.  Hierher  begibt  sich  der  Sultan  mit  seinem  ganzen  Gefolge  an 
den  muselraännischen  Oster-  und  Pfingstfesten  (Bairam  und  Kurban 
Bairam).  Von  hier  bricht  die  Mekkakarawane  auf,  hierher  kehrt  sie 
beim  Wiedereinzug  zurück,  und  hier  wird  hauptsächlich  das  von  Murad 
III.  gestiftete  Mulid  En  Nebbi,  das  Geburtsfest  des  Propheten,  gefeiert. 
Bei  letzterer  Gelegenheit  erscheint  der  Sultan  im  grössten  Pomp,  um- 
geben von  allen  grossen  Würdenträgern  des  Hofes  und  Staates,  um 
den  Lobgesängen  auf  den  Propheten  beizuwohnen,  welche  von  den  be- 
sten Sängern  des  Landes  vorgetragen  werden. 

Die  Moschee  Sultan  Mohammed's  II.,  im  Jahre  1496  voll- 
endet, hat  ein  Jahreseinkommen  von  670,000  Piastern.  Nachdem  der 
Eroberer  Constantinopels  die  grössten  und  prächtigsten  der  Kirchen 
der  Stadt  in  Moscheen  verwandelt,  dachte  er  daran,  selbst  Moscheen 
zu  errichten,  ein  Vorrecht,  welches  nach  dem  Gesetz  des  Islam  nur 
solchen  Fürsten  zukam,  welche  der  Religion  des  Propheten  neue  Län- 
der oder  Städte  unterworfen  hatten.  Diese  durften  nicht  nur  zu  diesem 
Zweck  das  Geld  ihrer  Unterthanen  verwenden,  sondern  auch  das  Löse- 
geld von  Gefangenen  und  die  Tribute  neu  erworbener  Länder.  Auch 
sollten  nur  in  diesem  Falle  die  neuen  Moscheen  den  Namen  ihrer 
Erbauer  führen.  Die  sieben  Hauptmoscheen,  welche  vor  Mohammed  II. 
Kirchen  waren,  sind:  die  grosse  und  die  kleine  Aja  Sofia,  die  Setijeh, 
die  Kachrijeh,  die  Rosen-Moschee,  die  Kilissi  Dschami  und  die  Moschee 
der  sechs  Marmorsäulen.  Fünf  andere  wurden  von  ihm  neu  erbaut, 
nämlich  die  sogleich  »zu  beschreibende,  welche  den  Namen  des  Eroberers 
trägt,  die  des  Schech  Abul  Wefa,  die  des  Schech  Bochari,  die  der 
Janitscharen  und  die  schon  geschilderte  Ejubmoschee.  Die  nach  seinem 
Namen  genannte  steht  auf  der  Stelle  einer  den  zwölf  Aposteln  ge- 
weihten Kirche  und  des  Grabes  der  Kaiser.  Der  Erbauer  war  der  grie- 
chische Architekt  Christodulos,  den  der  Sultan  dafür  mit  der  ganzen 
anstossenden  Strasse  beschenkte.  Die  Sage  erzählt,  dass  der  Sultan, 
erzürnt  darüber,  dass  Christodulos  seine  Moschee  niedriger  als  die 
Aja  Sofia  gebaut  und  zwei  der  grössten  und  schönsten  Säulen  absicht- 
lich zerschnitten,  den  Befehl  ertheilt  habe,  ihm  beide  Hände  abzuhauen. 
Am  folgenden  Tage  sei  der  Architekt  vor  dem  Richter  erschienen  und 
hätte  über  die  ihm  widerfahrene  grausame  Behandlung  Klage  geführt, 
worauf  der  Kadi  dem  Sultan  den  Befehl  zugefertigt,  sich  zur  Verant- 
wortung zu  stellen.  Der  Sultan  gehorchte  der  Stimme  des  Gesetzes, 
steckte  aber,  ehe  er  vor  Gericht  ging,  seine  Streitaxt  unter  sein  Ober- 
gewand. Vor  dem  Richter  angelangt,  wollte  der  Sultan  sich  setzen, 
jener  aber  befahl  ihm,  stehen  zu  bleiben  wie  der  Kläger.  Der  letztere 
trug  nun  seine  Klage  vor,  indem  er  sagte,  er  habe  die  Säulen  und  die 
ganze  Moschee  der  häufigen  Erdbeben  wegen  niedriger  und  damit 
dauerhafter  machen  müssen.  Dafür  habe  ihm  der  Padischa  die  Hände 
abgehauen  und  ihn  so  der  Möglichkeit  beraubt,  sich  seinen  Unterhalt 
ferner  zu  verdienen ;  der  Richter  möge  dem  Gesetz  seinen  Lauf  lassen. 
Der  Sultan  gab  das  Abhauen  der  Hände  zu,  wollte  es  aber  als  gerechte 


Constantinopel.  195 


Strafe  betrachtet  wissen.  Der  Eichter  erwiederte:  „Padischa,  Glanz 
erzeugt  oft  Unglück.  Die  Niedrigkeit  Deiner  Moschee  hindert  Niemand, 
darin  andächtig  zu  sein.  Selbst  wenn  alle  Steine  Deiner  Moschee  Ju- 
welen wären,  so  würden  sie  doch  in  den  Augen  Gottes  nicht  mehr  als 
Koth  gelten.  Dadurch,  dass  Du  diesem  Mann  die  Hände  abhiebst,  hast 
Du  Dich  einer  gesetzwidrigen  Handlung  schuldig  gemacht.  Er  kann 
nichts  mehr  verdienen.  Die  Pflicht,  für  seine  Familie  zu  sorgen,  geht 
auf  Dich  über.  Was  antwortest  Du?"  Der  Sultan  erwiederte:  „Es  ist, 
wie  es  ist.  Lasst  das  Gesetz  entscheiden."  Darauf  der  Richter:  „Das 
Gesetz  bestimmt,  dass,  wenn  der  Mann  bei  seiner  Klage  beharrt,  Deine 
Hände  ebenfalls  abgehauen  werden."  Der  Sultan  entgegnete:  „Ich 
werde  ihm  ein  Jahrgehalt  aus  dem  öflFentlichen  Schatz  anweisen.*  — 
„Nein,"  sagte  der  Richter,  „nicht  aus  dem  Schatz.  Die  Schuld  ist  Dein, 
Du  musst  aus  Deiner  Tasche  bezahlen.  Dies  ist  das  Urtheil."  Da  sagte 
der  Eroberer:  „Ich  will  ihm  täglich  zwanzig  Goldstücke  geben.  Ist 
das  billig?"  Der  Architekt  erklärte  sich  damit  zufrieden,  und  damit 
war  die  Sache  beendigt.  Jetzt  bezeigte  der  Richter  dem  Padischa  seine 
Ehrfurcht.  Dieser  aber  sagte:  „0  Richter,  Du  hast  wohl  gethan.  Denn 
hättest  Du  das  Urtheil  aus  Rücksicht  auf  mich  zum  Schaden  des  Bau- 
meisters gefällt,  so  hätte  ich  Dich  mit  dieser  Streitkeule  erschlagen." 
Mit  diesen  Worten  entblösste  er  das  Ende  seiner  furchtbaren  Waflfe. 
Der  Richter  aber  erwiederte  unerschrocken:  „0  Padischa,  hättest  Du, 
statt  die  Hoheit  des  Gesetzes  anzuerkennen.  Dich  als  halsstarrig  erwiesen 
—  siehe,  so  hätte  ich  diesem  Drachen  befohlen,  Dich  zu  zwingen." 
Damit  hob  er  den  Zipfel  seines  Teppichs  auf  und  zeigte  einen  grossen 
Drachen,  der  sofort  aufsprang  und  Feuer  spie. 

Diese  Sage  ist  schön,  aber  die  Nachricht,  dass  Christodulos  die 
Moschee  ohne  Unfall  vollendet  und  mit  einer  ganzen  Strasse  dafür 
belohnt  worden,  scheint  mehr  Recht  auf  Glaubwürdigkeit  zu  haben, 
schon  deshalb,  weil  Kantemir  sich  unter  Achmed  III.  auf  diese  Schen- 
kung bezog,  um  die  in  ihr  wohnenden  Christen  gegen  die  Türken  zu 
beschützen,  welche  sie  daraus  vertreiben  wollten. 

Der  kaiserliche  Begräbnissplatz  in  der  Apostelkirche  hiess  das 
Heroon,  und  hier  schliefen  die  Herrscher  des  byzantinischen  Kaiserreichs 
in  Steinsarkophagen  von  Granit  und  Serpentin,  grünem,  weissem  imd 
rothem  Marmor  von  Thessalien  und  Faros,  bekleidet  mit  ihren  Pracht- 
gewändern. Jetzt  ist  von  dieser  Kaisergruft  nichts  mehr  vorhanden. 
Aber  nicht  die  Türken  waren  es,  welche  die  Ruhe  der  alten  Kaiser 
störten,  sondern  die  Lateiner,  als  sie  in  der  Zeit  der  Kreuzzüge  Con- 
stantinopel mit  Sturm  nahmen.  Diese  Barbaren,  welche  die  heiligen 
Gefässe  der  Kirchen  als  Pferdeeimer  und  Tröge  benutzten,  die  Bischofs- 
mützen in  Helme,  die  Messgewänder  in  Reitdecken  verwandelten,  brachen 
auch  in  die  Kaisergruft,  beraabten  die  Leichen,  warfen  sie  aus  ihren 
Särgen  und  Hessen  zugleich  die  Kirche  der  Apostel  in  Flammen  auf- 
gehen. Nach  fünfjähriger  Arbeit  erhob  sich  nördlich  von  den  Ruinen 
derselben  in  dem  genannten  Jahre  die  Moschee  Mohammed's,  des  „Va- 
ters der  Eroberung".  Dieselbe  steht  auf  dem  vierten  der  sieben  Hügel 


196  Constantinopel. 


Stambuls  zwischen  zwei  Plätzen,  welche  der  grosse  und  der  kleine 
Karaman  heissen.  Die  ganze  Moschee  sammt  dem  Vorhof  und  dem 
Begräbnissplatz  hinter  dem  Mihrab  steht  auf  einer  12  Fuss  hohen 
Terrasse,  und  hat  vom  Boden  bis  zum  Dach  eine  Höhe  von  87  Ellen. 
Das  Mihrab  oder  die  Mekkanische  steht  hier  in  angenehmer  Symme- 
trie, nicht  in  schiefer  Stellung  zum  Hauptportal,  sondern  in  gerader 
Eichtung  diesem  gegenüber. 

Diese  Nische,  die  Kanzel  des  Freitagspredigers,  die  Tribüne  der 
Sultane  und  der  Platz  der  Gebetvorleser  sind  von  weissem  Marmor 
in  der  alten  einfachen  Weise  ausgeführt.  Kechts  von  dem  Hauptein- 
gang liest  man  auf  einer  Marmorplatte  in  einem  Felde  von  Lapis  La- 
zuli  in  erhabenen  Goldbuchstaben  die  Weissagung  des  Propheten  in 
Betreff  Constantinopels :  „Sie  werden  Stambul  einnehmen,  und  Heil 
dem  (Fürsten,  Heil  dem  Heere,  das  dies  ausrichtet!"  Der  Vorhof 
(Haram)  ist  auf  drei  Seiten  mit  Säulenhallen  umgeben,  deren  bleige- 
deckte Kuppeln  auf  Pfeilern  von  Granit  und  Marmor  ruhen.  An  den 
Seiten  der  Colonnaden  läuft  eine  glänzende  Marmorbank  hin,  die  nur 
durch  die  Thüren  unterbrochen  wird.  In  der  Mitte  ist  ein  Brunnen, 
der  von  bleigedeckten  Kuppeln  überspannt  wird,  und  neben  dem  ringsum 
Cypressen  stehen.  Hinter  einem  kunstreichen  Metallgitter  stürzt  das 
Wasser  aus  mehren  Hähnen.  Die  Fenster  des  Vorhofes,  mit  starken 
Gittern  verwahrt,  sind  auf  der  Aussenseite  mit  vielfarbigen  Marmor- 
tafeln gesckmückt,  über  denen  die  erste  Sure  des  Korans  in  schönge- 
meisselten  Schriftzügen  hinläuft.  Auf  der  Seite,  wo  sich  in  der  Moschee 
das  Mihrab  erhebt,  und  wo  folglich  kein  Ausgang  ist,  schliesst  sich 
aussen  der  Hof  mit  den  Begräbnissen  des  Eroberers  und  seiner  Familie 
an.  Dieser  Kirchhof  heisst  hier  wie  überall  in  den  Moscheen  Bostan 
(Garten),  was  von  der  Moschee  in  Medina  hergenommen  ist,  in  welcher 
der  Prophet  begraben  liegt. 

Die  Umgebungen  der  Moschee  auf  beiden  Seiten  bestehen  aus 
acht  Akademien  (Medressen),  die  von  Mohammed  II.  gegründet  sind, 
den  Wohnungen  der  Studenten,  einem  Speisehause  für  Arme,  einem 
Hospital,  einer  Karawanserai  und  einem  Bade,  Gebäuden,  die  allesammt 
bleigedeckte  Kuppeln  haben.  Auf  der,  welche  das  Dach  der  einen 
Schule  bildet,  befindet  sich  eine  Sonnenuhr,  errichtet  von  dem  berühm- 
ten Astrologen  Ali  Kuschdji,  welche  die  Inschrift  aus  dem  Koran 
trägt:  „Sähest  Du  nicht  Deinen  Herrn,  wie  er  Deinen  Schatten  aus- 
dehnte V 

In  Betreff  der  übrigen  Moscheen  müssen  wir  kurz  sein.  Die 
Bajasids  II.  wurde  im  Jahre  1505,  die  Selims  I.  1526  vollendet.  Die 
Schachsadeh  wurde  von  Soliman  dem  Grossen  1549  errichtet  und  zwar 
zu  Ehren  seines  Lieblingssohnes  Mohammed,  der  mit  seinem  jüngeren 
Bruder  Mustafa  in  dem  anstossenden  Mausoleum  begraben  liegt.  Die 
Yeni,  zwischen  dem  Aegyptermarkt  und  dem  Landungsplatz  am  Bagtschi 
Kapussi  gelegen,  stammt  aus  dem  Jahre  1665,  und  ihre.  Erbauerin  war 
Terkan  Suitana,  die  Mutter  Mohammed'sIV.  DieNuri  Osmanjeh,  eines 
der  anmuthigsten  Bauwerke  Stambuls,  wurde  von  Osman  III.  im  Jahre 


Constantinopel.  197 


1745  vollendet.  Die  Laleli,  von  Mustafa  III.  1760  erbaut,  hat  ihren 
Namen  nicht,  wie  man  oft  hört,  von  der  Tulpengestalt  ihres  Minarcta, 
sondern  von  dem  berühmten  Schech  Lala,  der  hier  predigte,  und  dessen 
Name  mehr  galt,  als  der  des  Erbauers.  Die  älteste  Moschee  in  ganz 
Constantinopel  ist  die  Arabdschelar,  die  sich  in  Galata  nicht  weit  von 
der  Brücke  über  das  Goldene  Hörn  befindet  und  von  Moslema,  dem 
Bruder  des  ommajadischen  Chalifen  Soliman  I.,  als  er  715  an  der 
Spitze  einer  arabischen  Armee  Constantinopel  belagerte,  errichtet 
worden  sein  soll.  Sie  zeichnet  sich  durch  die  Form  ilires  Minarets  aus, 
das  eher  einem  Glockenthurm,  als  der  türkischen  Nadelgestalt  gleicht. 

Einige  Moschen  haben  sehr  wunderliche  Namen:  so  heisst  eine 
Tadki  Dschedim,  d.  i.  nimm  an,  ich  hätte  es  gegessen;  eine  andere 
Alti  Bogadascha,  d.  h.  sechs  Kuchen,  eine  dritte  Adsch  Baschi,  d.  i. 
drei  Köpfe,  wieder  eine  andere  Sogan  Merdschian  Agas,  Zwiebel-  und 
Korallenherren,  u.  s.  w.  Die  Tadki  Dschedim,  nicht  weit  vom  Psamatia 
Kapussi,  soll  von  einem  Schlemmer  erbaut  worden  sein,  welcher,  plötz- 
lich in  sich  gehend,  jeden  Tag  das  Geld,  welches  er  früher  auf  Tafel- 
freuden verwendete,  in  einen  Kasten  warf  und  davon  eine  Moschee 
errichtete.  Seinem  Haushofmeister,  der  ihn  das  erste  Mal  erstaunt  dar- 
über befragte,  antwortete  er:  Nimm  an,  ich  hätte  es  (das  nämlich, 
was  auf  der  ihm  von  jenem  überreichten  Speisekarte  stand)  gegessen." 
Die  Sechs-Kuchen-Moschee  hat  zu  ihrem  Gründer  einen  Holbäcker, 
der  dem  Sultan  Mohammed  II.  täglich  sechs  warme  Kuchen  zu  liefern 
hatte,  durch  das  ihm  dafür  verliehene  Monopol  des  Mehlverkaufs  aller 
Pferdiemühlen  der  Stadt  reich  wurde,  endlich  aber  Gewissensbisse  empfand, 
und,  um  diese  zu  beschwichtigen,  die  Moschee  erbaute.  Vor  dem  über 
.seinen  Wucher  erbitterten  Volke  half  ihm  das  nichts;  denn  bald  nach 
Vollendung  des  Baues  brach  es  in  seine  Bäckerei  und  erstickte  ihn  in 
einem  seiner  Teigtröge. 

Die  Turbas  oder  Mausoleen  der  Sultane  und  anderer  reicher 
und  vornehmer  Türken  gehören  zu  dem  Interessantesten,  was  Stambul 
bietet.  Man  trifl't  sie  mitten  in  den  belebtesten  Strassen,  und  zwar 
liegen  sie  fast  immer  auf  der  Mekka-Seite  der  Moscheen,  eine  Andeu- 
tung der  Pilgerreise  zu  Mohammed,  welche  die  Todten  angetreten 
haben.  Das  imposanteste  dieser  Mausoleen  ist  das  Soliman's  des  Grossen, 
ein  Muster  sarazenischer  Architektur,  das  prächtigste  möchte  das  Mah- 
mud's  II.  sein,  welches  sich  nicht  weit  von  der  sogenannten  „verbrannten 
Säule"  befindet  und  ein  Gemisch  griechischen  und  italienischen  Styla 
ist.  Die  meisten  dieser  Turbas  sind  hohe,  von  vielen  Fenstern,  die  bis- 
weilen bunte  Scheiben  haben,  hell  erleuchtete  Gebäude.  Ihre  Wände 
sind  in  der  Kegel  mit  Arabesken,  Koransprüchen  und  Stellen  aus  dem 
Burda,  d.  h.  dem  Gedicht  vom  heiligen  Rock  (Mohammed's)  in  golde- 
nen Buchstaben  auf  grünem  oder  blauem  Grunde  verziert.  Kronleuch- 
ter, Lampen  und  Strausseneier  mit  seidenen  Quasten  hängen  von  der 
Decke  herab,  und  der  Marmorboden  ist,  wo  ihn  nicht  die  Bahre  mit 
dem  Sarkophag  einnimmt,  mit  Teppichen  belegt.  Sämmtliche  Turbas 
sind  über  dem    Boden    erhaben,  einige   mit   einem   kleinen,  bedeckten 


198  Constantinopel. 


Säulengang  umgeben.  Viele  haben  vor  dem  Eingang  einen  Vorhof,  auf 
dessen  Thüren  Inschriften  die  Namen  des  Gründers  und  das  Datum 
der  Vollendung  angeben.  Die  Leichen  werden  in  die  Erde  gesenkt  und 
über  der  Gruft  liegt  eine  etwa  '/^  Fuss  hohe,  in  der  Mitte  mit  einer 
Oeffinung  versehene  Marmorplatte,  auf  welche  dann  der  leere  Sarkophag 
(Sanduka)  gestellt  wird.  Letzterer  ist  bei  den  kaiserlichen  Grüften  von 
bedeutender  Grösse  und  zuerst  mit  einem  Streifen  des  gestickten  Vor- 
hanges der  Kaabah  in  Mekka  und  mit  sieben  Shawls  bedeckt.  Sechs 
dieser  letzteren  werden  der  Länge  nach  gefaltet  und  einzeln  über  den 
eckigen  Deckel  gelegt,  den  siebenten  windet  man  als  Turban  um  das 
Fess,  welches  sich  am  Kopfende  des  Sarkophags  erhebt.  Die  oberen 
Enden  dieser  Sarkophage  sind  in  Constantinopel  stets  nach  Südwest 
gekehrt  und  gewöhnlich  mit  Inschriften  in  Goldstickerei  auf  rothem 
Grunde  geziert,  welche  Namen  und  Titel  des  Verstorbenen  angeben.  Oft 
umgibt  ein  Parmaklik,  d.  h.  eine  Gallerie  von  Cedernholz,  reich  geschmückt 
und  mit  Perlmutter  belegt,  den  Sarg.  Kolossale  Leuchter  mit  Kerzen 
stehen  neben  demselben,  und  auf  Stühlen  liegen  verschiedene  Exem- 
plare des  Koran  umher.  Die  Särge  der  Sultane  und  Kronprinzen  zeichnen 
sich  durch  Aigretten  an  den  Turbanen  aus,  die  der  Sultaninnen  sind 
kleiner,  ohne  Turbane  und  nur  mit  zwei  Shawls  bedeckt.  Nur  Sultane, 
deren  Mütter  und  deren  Kinder  werden  in  kaiserlichen  Mausoleen  bei- 
gesetzt. Im  Nachstehenden  folgt  ein  Verzeichniss  der  kaiserlichen  Tur- 
bas  mit  den  Namen  der  darin  beigesetzten  Sultane  und  dem  Datum 
des  Todes  oder  der  Gründung  des  Grabmals: 

Mohammed  IL  (1481)  bei  seiner  Moschee.  Hier  liegt  der  „Vater 
der  Eroberung-  in  einem  Gebäude  allein.  Eine  Strecke  davon  steht  das 
prächtige  Grab  seiner  Mutter  Ailima,  der  Gemahlin  Murad's  IL,  die 
eine  Tochter  König  Karl's  VII.  von  Frankreich  gewesen  sein  soll  (blosse 
Sage)  und  sich  durch  Gelehrsamkeit  auszeichnete.  Auch  befinden  sich 
hier  noch  viele  Sarkophage  seiner  Kinder,  von  denen  ihm  achtzehn  in 
das  Grab  vorangingen. 

Bajasid  IL  (1512)  im  Garten  neben  seiner  Moschee.  In  dem- 
selben Mausoleum  liegt  auch  die  Mutter  des  Sultans,  Gül  Bahar,  d  h. 
Frühlingsrose. 

Selim  I.  (1520)  hart  neben  seiner  Moschee,  die  sich  auf  dem 
fünften  Hügel  von  Stambul  erhebt.  Hier  ruht  er  allein.  Zwei  benach- 
barte Turbas  enthalten  die  Ueberreste  seiner  Enkel  Mahmud,  Abdallah 
und  Murad,  und  die  der  Mutter  Soliman's  des  Grossen,  Hafisa. 

Schaehsadeh  (1544)  im  Garten  der  Moschee  gleiches  Namens. 
Hier  liegen  die  Prinzen  Mohammed  und  Mustafa.  Der  erste  war  der 
Lieblingssohn  Soliman's  des  Grossen,  der  zweite  ebenfalls  ein  Sohn 
dieses  Sultans;  letzterer  Prinz  fiel  sammt  seiner  Mutter  Kasseki  als 
ein  Opfer  der  Eifersucht  einer  andern  Frau  Soliman's,  der  berühmten 
Charrem. 

Soliman  der  Grosse  (1566),  bei  seiner  Moschee.  Hier  stehen  auch 
die  Särge  Soliman's  LL.  (1690)  und  Achmed's  IL 


Coustantinopel.  199 


Selim  IL  (1575)  im  südlichen  Hofe  der  Aja  Sofia,  wo  er  neben 
Nur  Banu  (Lichtfrau),  der  Gemahlin  seines  Sohnes  Murad,  beerdigt  ist- 

Murad  III.  (1595)  beim  Vorigen.  In  dieser  Turba  liegen  bei 
einander  die  siebzehn  gemordeten  Brüder  und  der  Sohn  Mohammed's 
III.  sammt  diesem  Sultan,  welcher  im  Jahre  1602  neben  die  Opfer 
seiner  Grausamkeit  gebettet  wurde 

Achmed  I.  (1617)  an  der  nordöstlichen  Ecke  seiner  Moschee. 
Diese  Turba,  weniger  elegant  als  massiv,  enthält  eine  ganze  Anzahl 
von  Särgen,  unter  andern  die  der  Sultane  Osman  IL,  der  1622  von 
den  Janitscharen  erdrosselt  wurde,  und  Murad  IV.,  der  1640  starb, 
sowie  die  der  Prinzen  Mohammed  und  Bajasid,  von  welchen  der  eine 
von  seinem  altern  Bruder  Osman  II.,  der  andere,  der  Held  des  Kaci- 
ne'schen  Trauerspiels,  von  seinem  Jüngern  Bruder  Mustafa  I.  umge- 
bracht wurde. 

Mustafa  I.  (1623)  im  Hofe  der  Aja  Sofia,  doch  so  gebaut,  dasa 
es  auf  die  Diwan  Dscholli  hinausgeht.  Es  enthält  auch  die  Eeste  des 
Prinzen  Ibrahim,  der  gleich  dem  Sultan,  nach  dem  die  Turba  benannt 
ist,  den  Tod  der  Erdrosselung  starb. 

Walide  Terkan  Suitana  (1665),  Gründerin  der  benachbarten 
Moschee,  bei  Balik  Basari.  Hier  findet  man  zugleich  die  Särge  ihres 
Sohnes  iklohammed  IV.,  der  1687,  und  ihres  Enkels  Mustafa  U.,  der 
1705  starb,  sowie  die  der  Sultane  Achmed  III.,  der  1730,  Mahmud  L, 
der  1754,  und  Osman,  der  1757  mit  Tode  abging. 

Mustafa  III.  (1775),  südöstlich  von  der  Laleli-Moschee,  Hier 
ist  auch  Selim  III.  beerdigt,  welcher  im  Jahre    1807  ermordet  wurde. 

Abdul  Hamid  (1789)  in  der  Strasse  Wessir  Dscholli,  die  vom 
Bagdschi  Kapussi  nach  dem  Serail  führt.  Dieses  Gebäude,  welches  eine 
der  geräumigsten  Turbas  ist,  birgt  ausser  dem  Leichnam  des  Stifters 
auch  die  des  gemordeten  Sultans  Mustafa  IV.  und  vieler  Kinder  und 
Schwestern  des  Ersterwähnten. 

Mahmud  IL  Das  Grabmal  dieses  drittletzten  Padischa  (er  ver- 
schied bekanntlich  1839  am  Delirium  tremens,  das  er  sich  durch  vieles 
Trinken  von  Spirituosen  zugezogen)  übertrifft  an  Pracht  alle  übrigen. 
Es  besteht  aus  weissem  Marmor,  hat  eine  achteckige  Form  und  wird 
von  sieben  grossen  Fenstern  erleuchtet,  welche  durch  sehr  elegant  ge- 
arbeitete, reich  vergoldete  Eisengitter  geschützt  sind.  Im  Innern  ist 
es  mit  Sophas,  Armsesseln ,  weiss-seidenen  Behängen,  Glascandelabern 
und  Uhren  versehen.  Die  Balustraden,  die  Shawls,  die  Candelaber  und 
alles  übrige  Beiwerk,  alles  ist  von  gleicher  Pracht.  Der  Sarg  des  Sul- 
tans, auf  welchem  das  mit  einer  Feder  geschmückte  Fess  ruht,  ist  von 
ungewöhnlicher  Grösse.  Die  Plügelthüren  schmücken  goldene  Gesimse. 
Fünf  Fenster  gehen  auf  die  Strasse  Diwan  Dscholli,  die  andern  auf 
einen  Garten  hinaus,  der  im  Sommer  von  Blumen  duftet.  In  der  Nähe 
befindet  sich  ein  anmuthiges  Brunnenhaus.  Die  Leichtigkeit  und  der 
innere  Möbelschmuck  dieses  Mausoleums  thun  der  Würde  desselben 
Eintrag ;  denn  es  gleicht  mehr  einem  abendländischen  Salon,  als  einem 
Sultansgrabe.  Es   enthält    übrigens   ausser   den  irdischen  Resten  des 


200  Constantinopel. 


Eetormators  der  Türkei  auch  die  seiner  Schwester  Habait  üllah  und 
seiner  Töchter  Soliha  und  Kaiidscha; 

Walide  Grülnar  Suitana  (1804).  Dieses  hübsche  Gebäude  wurde 
von  Selim  III.  zu  Ehren  seiner  verstorbenen  Mutter  errichtet.  Es  bildet 
die  Hauptzierde  der  Strasse,  welche  vom  Landungsplatz  bei  Ejub  zu 
der  grossen  Moschee  dieses  Stadttheils  führt.  Obschon  diese  Turba  an 
Pracht  von  mancher  andern  übertroffen  wird,  so  zeichnet  sie  sich  doch 
vor  allen  durch  die  Ausdehnung  der  damit  verbundenen  wohlthätigen 
Anstalten  aus,  welche  fast  drei  Viertheile  der  westlichen  Seite  dieser 
Gräberstrasse  einnehmen.  Am  südlichen  Ende  steht  das  Mausoleum  mit 
den  Ueberresten  der  Walide  und  zweier  ihrer  Töchter.  Gegen  Norden 
liegt  ein  anmuthiger  Garten,  welcher  mit  Grabstätten  berühmter  Per- 
sonen angefüllt  ist.  Zu  den  merkwürdigsten  gehört  das  von  Kudschuk 
Hossejn  Pascha,  Gemahl  der  Sultanin  Esma  und  Kapudan  Pascha 
(Grossadmiral) ,  welcher  mit  dem  englischen  Seeofficier  Smith  Jean 
d'Acre  so  tapfer  vertheidigte  und  im  Jahre  1804  starb.  Diese  Turba 
sowie  andere  hier  befindliche  Gräber,  die  der  Wessir-Turban  auszeich- 
net, sind  mit  grünen  Drahtgittern  eingeschlossen,  die  mit  vergoldeten 
Rosetten  verziert  und  von  Rosen-  und  Jasminbüschen  beschattet  sind. 
Nur  Singvögel  fehlen,  um  ihnen  das  Aussehen  von  Volieren  zu  geben. 

An  diesen  Begrab nissgarten  stösst  ein  Gebäude,  welches  eine 
Gelehrtenschule  für  vierzig  Zöglinge,  eine  Elementarschule  für  ebenso 
viele  Kinder  und  eine  Küche  enthält,  welche  täglich  an  vierzig  Arme 
Speisen  vertheilt.  Die  Front  ist  durch  eine  hohe  Mauer  geschützt,  die 
von  vergitterten  Fenstern  durchbrochen  ist  und  in  welche  Tafeln  ein- 
gelassen sind,  auf  deren  grünem  Grunde  man  goldene  Inschriften  er- 
blickt. Links  von  dieser  milden  Stiftung  steht  ein  sehr  malerisches 
Brunnenhaus  (Sebil  Khana)  von  buntem  Marmor  im  schmuckreichen 
orientalischen  Style.  Ueberall  herrscht  hier  Ordnung  und  Reinlichkeit, 
und  das  Ganze  ist  ein  schönes  Bild  morgenländischer  Frömmigkeit  und 
Wohlthätigkeit. 

Ausser  den  hier  aufgeführten  Turbas  gibt  es  hier  noch  mehre 
hundert,  doch  bieten  diese  nichts,  was  sehenswerth  wäre. 

Die  Bazars  oder  Märkte  von  Stambul  zerfallen  in  bedeckte 
(Besestans),  die  in  der  Nähe  des  Seriaskerthurms  liegen,  und  unbe- 
deckte (Tscharschis),  welche  man  in  verschiedenen  Gegenden  der  Stadt 
trifft.  Die  ersteren  sind  die  interessanteren,  der  Fremde  lenkt  daher 
seine  Schritte  zuerst  nach  diesen.  Dieselben  sind  ein  ungeheures  La- 
byrinth oben  überwölbter  Gassen,  in  deren  Seitenwänden  die  Kaufleute 
in  einer  Art  Nischen  Mann  an  Mann  ihre  Waaren  auslegen.  Jeder 
Gewerbszweig  hat  in  der  Regel  seine  eigene  Strasse  in  diesem  riesigen 
Bau.  In  der  einen  sieht  man  auf  hundert  Schritte  weit  rechts  und  links 
nichts  als  gelbe  Lederstrümpfe  oder  rothe  Schnabelschuhe,  in  einer 
andern  entwickeln  lediglich  indische  und  persische  Shawls  ihr  präch- 
tiges Farbenspiel,  in  einer  dritten  schimmern  die  Verkaufsnischen  von 
Goldfäden  und  Silberstickereien,  in  einer  vierten  haben  Pelzhändler  die 
Seitenwände  mit  kostbaren  Pelzen  drapirt,  wieder  in  andern  sieht  man 


Constantinopel.  201 


alle  Läden  von  Waffen  starren.  Aehnlich  ist  es  mit  den  offenen  Ba- 
zars  oder  Tscharschis.  So  findet  man  in  At  Bazar  neben  Pferdehänd- 
lern fast  nur  Lederarbeiter  und  zwar  meist  Sattler  und  Riemer,  im 
Misr  Tscharschi  nur  iJroguisten,  im  Tamis  Bazar  Kaffeehändler  und 
Kaffeestampfer,  im  Tusuk  Bazar  Buchhändler,  Bücherabschreiber  und 
Buchbinder. 

Besestan  heisst  eigentlich  Leinwandhalle,  von  Bes,  Leinwand. 
Die  Besestan  bestanden  ursprünglich  aus  vereinzelten  Gebäuden,  jedes 
mit  vier  Thoren,  die  man  nach  den  Handwerken  benannte,  welche  in 
den  Buden  rings  um  die  Bogengänge  o^er  unter  denselben  betrieben 
Wurden.  Allmälig  häuften  sich  um  diese  Niederlagen  neue  Läden  und 
Verkaufsstrassen,  bis  das  Ganze  mit  einer  Mauer  eingeschlossen,  über- 
wölbt und  mit  Thoren  verwahrt  wurde.  Unter  den  letzteren  sind  zwölf 
grosse  und  zwanzig  kleine.  Sie  wurden  darauf  denselben  Kegeln  unter- 
worfen, wie  die  alten  Gebäude,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  diese 
letzteren  am  Freitag  gänzlich  und  in  der  übrigen  Zeit  um  die  Mit- 
tagsstunde geschlossen  werden.  Geöffnet  wird  der  bedeckte  Bazar  schon 
in  der  Frühe,  während  des  Ramadan  aber  erst  um  Mittag,  geschlossen 
wird  er,  mit  Ausnahme  jener  alten  Besestans,  gegen  '  5  Uhr  Nachmit- 
tags. Der  Seiden-Besestan,  ausschliesslich  im  Besitz  der  Armenier,  wird 
an  Sonntagen  und  an  allen  andern  religiösen  Festtagen  —  zusammen 
etwa  an  80  Tagen  dos  Jahres  —  gänzlich  geschlossen.  Obgleich  das 
Religionsgesetz  den  Mohammedanern  Handel  und  Gewerbe  am  Freitag 
nicht  verbietet,  so  erscheinen  doch  an  diesen  Tagen  nur  wenige  tür- 
kische Kaufleute  nach  12  Uhr  in  ihren  Läden.  Der  Dschwasir  Bese- 
stani  oder  Juwelen-Besestan  wird  immer  um  Mittag  geschlossen  Der 
ganze  von  den  Peroten  mit  dem  Namen  Bazar  belegte  F'latz  nimmt  ein 
unregelmässiges  Viereck  von  etwa  siebentausend  Quadratklaftern  ein. 
Begrenzt  ist  er  im  Norden  durch  die  Mauern  verschiedener  Klians,  die 
zwischen  den  Strassen  Mahmud  Pascha  und  Merdschian  DschoUi  stehen, 
im  Süden  durch  die  Moschee  Sultan  ßajasid's  und  ihre  Nebengebäude, 
im  Osten  durch  die  Moschee  Nur  Osmanja  und  einige  Khans,  im  Westen 
endlich  durch  verschiedene  andere  Magazine  und  Speicher,  welche  auf 
die  abschüssige  Merdschian  DschoUi  (Korallenstrasse)  hinausgehen,  die 
von  dem  grossen  Walide  Khan  nach  dem  Seriaskeriat  hinführt.  Mit 
Ausnahme  von  zwei  Besestans  haben  die  Bazars  keine  Kuppeln,  mit 
denen  sonst  alle  älteren  öffentlichen  Gebäude  geziert  sind.  Die  Dächer, 
welche  die  gewölbten  Gänge  schützen,  bestehen  aus  Sparrwerk,  das 
mit  Ziegeln  überdeckt  ist,  so  dass  die  ganze  Oberfläche  vom  Thurm 
des  Seriasker  gesehen ,  ein  ungeheures  Ziegelfeld  ohne  die  mindeste 
architektonische  Abwechslung  darbietet.  Das  Licht  fällt  oben  durch 
Glasfenster  herein. 

.Wer  Erinnerungen  an  Constantinopel  mitbringen  Avill,  kauft  sie 
natürlich  im  Bazar.  Die  Auswahl  an  schönen  und  werthvollen  Gegen- 
ständen ist  enorm,  die  Preise  sind  billig.  Nur  muss  man  nicht  bei  den 
Griechen  und  Armeniern,  sondern  bei  den  Türken  kaufen.  Die  grösse- 
ren Kaufleute  unter  den  Letzteren  sprechen  meist  französisch  oder  ita- 


202  Constantinopel. 


lienisch,  so  dass  sich  der  Fremde  wohl  mit  ihnen  verständigen  kann. 
Sie  schlagen  stark  vor  und  man  darf  ihnen  dreist  dreissig,  auch  vier- 
zig Procent  weniger  bieten.  Jeder  Handel  dauert  lange,  aber  der  tür- 
kische Kaufmann,  der  an  Höflichkeit  und  Zuvorkommenheit  nicht  seines 
Gleichen  hat,  weiss  dem  Käufer  die  Zeit  zu  verkürzen.  Er  bietet  zuerst 
einen  Platz,  dann  eine  Cigarette,  wohl  auch  eine  Tasse  KaflFee,  ein  Glas 
Limonade  oder  eine  andere  Erfrischung  an.  Betrug  hat  man  bei  den 
Türken  nicht  zu  fürchten.  Jede  Waare  ist  das  wirklich,  wofür  sie  aus- 
gegeben wird.  Wer  reich  ist,  dem  brauchen  wir  nicht  zu  sagen,  was 
er  sich  kauten  soll;  er  wird  des  Schönen  genug  nach  seinem  Belieben 
wählen.  Wer  aber  nicht  reich  ist  und  für  eine  geringe  Summe  hübsche 
Sachen  nach  Hause  bringen  will,  dem  empfehlen  wir  folgende  Ein- 
käufe. Ist  er  Raucher,  so  versteht  es  sich  von  selbst,  dass  er  einige 
Tschibucks  mitnimmt.  Man  kauft  diese  billiger  als  im  Bazar  selbst  in 
der  Strasse,  die  zum  Misr  Tscharschi  führt.  Weichsel-  und  Jasminrohre 
um  20 — 50  Piaster  das  Stück  sind  schon  sehr  schön.  Bei  sehr  langen 
Exemplaren  achte  man  darauf,  ob  sie  nicht  zusammengesetzt  sind,  denn 
in  diesem  Falle  sind  sie  nur  halb  so  viel  werth.  Die  Mundstücke  (Dutten) 
lasse  man  zu  Hause  machen.  Gelber  Bernstein  ist  in  der  Türkei  schlecht, 
der  schwarze  ungemein  theuer.  Die  Pfeifenköpfe  kosten  1  '4  bis  3 
Piaster  das  Stück,  die  einfachsten,  ohne  alle  Goldverzierung,  sind  die 
besten  und  theuersten.  Tabak  kaufe  man  nicht  zu  viel,  er  leidet  durch 
die  Reise,  ausser  wenn  er  in  Blättern  transportirt  wird.  Um  100  Piaster 
pr.  Oka  (2  '/^  Pfd.)  bekömmt  man  sehr  guten,  auch  halb  so  theure  Sorten 
sind  nicht  zu  verachten.  Als  Andenken,  im  Bazar  zu  kaufen,  schlagen 
wir  vor:  Taschentücher  aus  Brussa,  mit  weisser  oder  gelber  Seide 
gestickt,  5—6  Franken  das  Stück,  goldgestickte  Pantoffel  (diese  sind 
übrigens  nicht  türkisches,  sondern  Wiener  Fabricat)  um  30 — 60  Piaster 
das  Paar,  Tischdecken,  mit  Koransprüchen  in  färbiger  Seide  ausgen'iht, 
zu  20 — 40  Franken,  den  originellen  türkischen  Silbergeldschmuck,  aus 
doppelten,  einfachen  und  halben  Piastern  bestehend,  auch  vergoldet 
zu  haben,  die  Garnitur  aus  Ohrgehängen,  Collier  und  Bracelet  im  Durch- 
schnitt 20  Franken,  die  sehr  billigen,  wohlriechenden  Schmucksachen 
aus  Rosenholz  und  Gewürzmassa,  schliesslich  einige  Fläschchen  Ro- 
senöl. Wer  einen  echt  algerischen  Burnus  mitnehmen  mag  und  kann, 
wird  grosse  Ehre  mit  diesem  Geschenke  einlegen;  ein  solcher  Burnus 
ist  der  schönste  Theatermantel  für  eine  Dame,  kostet  indess  100— 120 
Pranken,  auch  mehr. 

Ausser  dem  grossen  Centralbazar  ist  der  ägyptische  (Misr 
Tscharschi),  der  bei  der  schönen  Yeni-  oder  Walide-Moschee  liegt  und 
ebenfalls  überdacht  ist,  von  besonderem  Interesse.  Hier  sieht  man  nur 
Specereien,  und  die  Verkäufer  sind  mit  wenigen  Ausnahmen  Türken 
oder  Araber.  Hier  stört  keinerlei  Erzeugniss  englischer  oder  franzö- 
sischer Manufacturen,  die  im  grossen  Hauptbazar  sehr  stark  vertreten 
i  sind,  das  Auge.  Man  ist  unter  diesen  Verkaufsnischen,  die  mit  Maschal- 
I  lahs  und  anderen  frommen  Sprüchen,  Abbildungen  von  Schiffen,  Straus- 
seneiern  und  seltsamen  Vogelkäfigen  geschmückt  sind,  vollkommen  im 


Constantinopel.  203 


Orient.  Die  hier  feilgebotenen  Waaren  begreifen  Alles  in  sich,  was  von 
Apothekern,  Färbern  und  Parfumeurs  gebraucht  wird,  und  namentlich 
der  Technolog  findet  Mancherlei  darunter,  was  ihn  interessirt.  Hier 
kauft  man  Sandel-  und  Aloeholz,  Tamarinden,  Henna  zum  Färben  der 
Fingernägel,  Ambra,  Borax,  das  beste  Eosenöl,  alle  Gewürze  und  Far- 
behölzer, Wachs  und  die  seltensten  Erzeugnisse  Fersiens  und  Indiens. 
Die  Kautieute  sind  meist  Männer  von  einiger  Bildung  und  stehen  im 
Kufe,  nicht  vorzuschlagen. 

Bäder  gibt  es  in  Constantinopel,  wie  bemerkt,  eine  sehr  grosse 
Anzahl,  sowohl  in  den  Vorstädten  als  in  Stambul,  wo  die  besten  sind. 
Man  erkennt  sie  an  den  grossen,  bemalten  oder  mit  Vorhängen  ver- 
sehenen Thüren  und  den  mit  rothen  Ziegeln  gedeckten  Kuppeln,  aus 
denen  dünne  Köhren  hervorstehen.  Als  besonders  gut  sind  zu  empfehlen  : 
das  Tschukur,  von  Mohammed  II.  über  den  Ruinen  der  arkadischen 
Cisterne  erbaut,  das  Walide  Hammam,  bei  der  sogenannten  verbrannten 
Säule,  das  Yenni  Hamman  oder  Dschigal  Oglu,  nicht  weit  nördlich  von 
der  Aja  Sophia,  und  das  Dscherrah  Pascha  auf  dem  Awret  Bazari.  Die 
grössten  Bäder  sind:  das  Tochtikahla  am  ägyptischen  Bazar  und  das 
Bad  Mahmud  Pascha's,  nicht  fern  vom  Centralbazar;  doch  werden 
diese  nur  von  Leuten  der  unteren  Classen,  Lastträgern,  Bootsknechten 
u.  A.  besucht.  Ebenso  wenig  können  die  Bäder  Kasseki,  am  Awret 
Bazari,  und  Aja  Sophia,  am  südlichen  Hofe  der  gleichnamigen  Moschee 
empfohlen  werden,  da  dieselben  viel  von  Frauenspersonen  einer  ge- 
wissen Classe  frequentirt  und  deshalb  von  anständigen  Leuten  ge- 
mieden sind. 

Es  ist  hier  vielleicht  der  Ort,  den  Reisenden,  der  so  häufig  mit 
abenteuerlichen  Gedanken  in  den  Orient  reist,  vor  den  gefälligen 
Schönen  des  Ostens  zu  warnen.  Sie  sind  allerdings  im  Ueberflusse  vor- 
handen, aber  man  darf  ihnen  in  keiner  Hinsicht  trauen.  Von  den  Tür- 
kinnen wollen  wir  gar  nicht  reden.  Obwohl  die  beschäftigungslosen 
Dragomans  und  andere  Lungerer  in  der  Peraer  Hauptstrasse  zu  dem 
Fremden,  der  an  ihnen  vorübergeht  „des  femmes  turques"  anbieten,  so 
sind  dies  doch  meist  nur  verkleidete  Türkinnen,  oder,  wenn  wirklich 
mohammedanische  Weiber,  ein  wahrer  Abschaum.  Schon  Mancher,  der 
einer  solchen  Einladung  folgte,  ist  nicht  nur  beraubt,  sondern  ermordet 
worden ;  —  er  verschwand,  ohne  dass  man  jemals  wieder  von  ihm  hörte. 
Wer  die  Prostitution  in  Constantinopel  kennen  lernen  will,  der  gehe 
gegen  Abend  im  Hafenquartier  von  Galata  umher,  wo  der  Venus  Vul- 
givaga  nicht  einzelne  Häuser,  sondern  ganze  Gassen  gewidmet  sind. 
Die  Bewohnerinnen  derselben  stehen  theils  vor  den  Thüren  und  ver- 
sinnlichen so  den  lateinischen  Namen  ihres  Gewerbes,  theils  liegen  und 
sitzen  sie  in  malerisch  sein  sollenden  Stellungen  im  Innern.  Es  gibt 
keine  europäische  Nationalität,  die  nicht  unter  ihnen  vertreten  wäre ; 
der  Fremde  wird  in  allen  Sprachen  angerufen.  Leider  gibt  es  unter 
diesen  Mädchen  viele  Oesterreicherinneii,  namentlich  Ungarinnen,  meist 
blutjunge  Geschöpfe,  die  nach  Constantinopel  gelockt  und  dort  an  die 
Besitzer  der  verrufenen  Häuser  verkauft  werden.  Der  Menschenhandel 


204  Constantinopel. 


steht,  obwohl  der  öffentliche  Weihermarkt  in  Stamhul  abgeschafft  ist, 
in  voller  Blüte  und  aus  Ungarn  wird  fortwährend  frische  Waare  ein- 
geführt. Die  Neugier,  das  Innere  eines  solchen  Etablissements  in  Galata 
zu  sehen,  bezähme  man  unbedingt,  wenn  man  nicht  in  grösserer  Gesell- 
schaft und  bewaffnet  ist.  Denn  diese  Venusberge  wimmeln  Abends  von 
betrunkenen  Matrosen,  Abenteurern  und  Gaunern  aller  Art.  Der  ganze 
Menschenkehricht  der  Levante  findet  sich  hier  zusammen,  und  man 
weiss  nicht  recht,  was  gefährlicher  und  mehr  zu  scheuen  ist";  die  Zärt- 
lichkeit der  Schönen  oder  die  Brutalität  der  männlichen  Stammgäste. 
Es  nehme  sich  also  Jeder  wohl  vor  beiden  in  Acht,  doppelt  Derjenige, 
welcher  allein  reist  und  in  Constantinopel  weder  Freunde  noch  Be- 
kannte hat. 

Alle  grossen  Haramams,  mögen  sie  einfach  oder  doppelt  sein, 
d.  h.  mögen  sie  nur  eine  Eeihe  von  Zimmern  haben,  welche  abwech- 
selnd zu  verschiedenen  Tagen  oder  Tagesstunden  dem  einen  oder  dem 
andern  Geschlecht  zur  Verfügung  stehen,  oder  zwei  Reihen,  eine  für 
Frauen,  andere  für  Männer,  in  die  man  durch  verschiedene  Thüren 
tritt,  enthalten  drei  Räume;  ein  grosses  Vorgemach  (Dschamakjan), 
wo  man  sich  aus-  und  ankleidet,  ein  erstes  Dampfzimmer  (Saukluk) 
und  ein  zweites  heisses  (Sidschaklik).  Der  Dschamakjan  ist  ein  läng- 
liches Viereck  mit  hoher  Kuppel,  von  oben  und  den  Seiten  her  durch 
Fenster  erhellt  und  auf  dem  Boden  mit  Marmor  gepflastert.  In  der 
Mitte  befindet  sich  ein  Springbrunnen  oder  ein  Bassin  von  Marmor. 
An  den  Wänden  laufen  erhöhte  Gallerien  mit  Sophas  hin,  über  den- 
selben wird  eine  ähnliche  Gallerie  von  Stein-  oder  Holzsäulen  getragen. 
Die  Thüre  ist  aussen  durch  einen  Vorhang  vor  Zugluft  geschützt. 
Neben  ihr  hat  der  Hammandschi  oder  Badeinspector  seinen  Sitz,  der 
auf  Ordnung  sieht  und  den  Badegästen  ihre  Uhren  und  ihr  Geld  auf- 
bewahrt. Ihm  zur  Seite  steht  ein  Oberbadewärter,  welcher  den  Betrag 
für  die  Bäder  einnimmt.  Ausserdem  hat  hier  ein  Kaffeewirth  und  ein 
Scherbetverkäufer  seinen  Platz.  Nachdem  man  eingetreten  ist,  wird  man 
auf  eines  der  Sophas  geführt,  wo  man  sich  entkleidet  und  die  Stücke 
Baurawollenzeug  anlegt,  mit  denen  die  Badenden  sich  von  den  Hüften 
an  verhüllen.  Dann  erhält  mau  ein  Paar  Holzpantoffeln  an  die  Püsse 
und  geht  nun,  von  einem  Badewärter  geleitet,  in  das  Saukluk,  wo  man 
zehn  Minuten  bleibt  und  bald  die  Wirkung  des  heissen  Dampfes,  der 
dieses  halbdunkle  Gemach  erfüllt,  zu  spüren  beginnt.  Nachdem  man 
bemerkt,  dass  der  Schweiss  stärker  ausbricht,  begibt  man  sich  in  das 
Sidschaklik,  wo  [die  Hitze,  120  bis  130  Grad  Fahrenheit,  anfänglich 
äusserst  drückend  ist.  Dieses  Gemach  ist  mit  einem  Gewölbe  überdeckt, 
das  mit  runden  convexen  Gläsern  zum  Einlassen  des  Lichts  und  mit 
Löchern  versehen  ist,  in  welches  dünne  Röhren  einen  Theil  des  Dam- 
pfes auslassen.  Der  Fussboden  ist  mit  Marmor  gepflastert  und  gegen 
die  Mitte  hin  leicht  geneigt,  damit  das  Wasser  abfliessen  kann.  An 
den  Wänden  stehen  halbkreisförmige  Brunnen,  jeder  mit  zwei  Hähnen 
versehen,  von  denen  der  eine  heisses,  der  andere  kaltes  Wasser  liefert. 
Die  Mitte  dieses  dritten   Zimmers   nimmt   eine  breite  Steinplatte  ein, 


Constantinopel;  205 


die  sich  2  Puss  über  den  Boden  erhebt.  Auf  diese  legen  sich  die 
Badenden,  um  sich  entweder  bloss  abreiben  oder  durchkneten  und  die 
Gelenke  bis  zum  Knacken  biegen  zu  lasser.,  was  nicht  eben  angenehm 
ist,  aber  gesund  sein  soll.  Nach  diesem  Verfaliren  steht  der  Badende 
auf  und  nimmt  Besitz  von  einem  Bänkchen,  das  bei  einem  der  Brunnen 
an  der  Seitenwand  steht.  Hier  findet  er  eine  kleine  Messingschale,  die 
er  wiederholt  an  dem  halbkreisförmigen  Brunnenbeckeu  neben  sich 
füllt,  um  sich  Kopf  und  Schultern  damit  zu  begiessen.  Die  Brunnen 
an  den  Ecken  gelten  für  die  besten  und  zahlt  man  für  deren  Gebrauch 
etwas  mehr.  In  grossen  Bädern  findet  man  auch  am  obern  Ende  des 
Sidschaklik  ein  grosses  Marmorbecken,  in  dem  man  untertauchen  kann. 
Hat  der  Badende  sich  eine  Zeitlang  an  diesem  Brunnen  begossen,  so 
kommt  der  Telak  oder  Badewärter  und  reibt  ihn  mit  rauhen  Hand- 
schuhen so  kräftig  ab,  dass  die  obere  Haut  sich  ablöst.  Dann  bringt 
er  ein  Becken  mit  wohlriechendem  Seifenschaum,  womit  er  den  Körper 
des  Badegastes  bedeckt.  Nachdem  dieser  eine  Zeitlang  in  diesem  Schaum- 
mantel dagesessen,  wird  ihm  derselbe  abgespült,  und  er  kehrt  in  das 
Saukluk  zurück,  wo  er  seines  Baumwollenzeugs  entkleidet  und  in  lei- 
nene Tücher  gehüllt  wird.  Zwei  derselben  bedecken  Kopf,  Brust  und 
Schulter,  ein  drittes  wird  um  die  Hüften  geschlungen  und  hängt  bis 
auf  den  Boden  herab.  Die  Verschiedenheit  der  Temperatur  mindert 
den  Schweiss.  Nach  einer  Viertelstunde  bedeutet  der  Telak  dem  Bade- 
gast, er  könne  in  das  Dschamakjan  zurückkehren.  Hier  nimmt  man  von 
einem  der  Sophas  in  den  Gallerien  Besitz,  hüllt  sich  in  trockene  Lein- 
tücher und  verbringt  dann  bei  einem  Tschibbuk  oder  Nargileh  mit 
Kaffee  oder  Scherbet  eine  Zeitlang  in  behaglicher,  träumerischer  Ruhe, 
voll  Wohlwollen  gegen  die  ganze  Welt. 

Dann  kleidet  man  sich  an  und  entfernt  sich.  Dies  kann  selbst 
bei  rauhem  Wetter  ohne  besondere  Schutzmittel  gegen  die  Kälte  ge- 
schehen. Selten  erkältet  man  sich,  es  sei  denn,  dass  man  über  den 
Hafen  fahren  müsste,  in  welchem  Falle  die  scharfen  Winde  und  der 
Mangel  an  Bewegung  einen  warmen  Anzug  erfordern.  Sonst  ist  der 
allmälige  Uebergang  aus  dem  heissen  in  das  warme  und  das  kühle 
Gemach  ein  sicheres  Mittel  gegen  Verkühlung  durch  die  äussere  At- 
mosphäre. 

Die  ganze  "  Procedur  dauert  ungefähr  zwei  Stunden,  und  mit 
Ausnahme  der  Erfrischungen  betragen  die  Kosten  etwa  6  Piaster. 
Werden  Kaffee,  Scherbet  und  Pfeife  gereicht,  so  sind  10  Piaster  eine 
reichliche  Bezahlung.  Grosse  Bäder  sind  mit  mehreren  Reihen  von  Privatge- 
mächern versehen,  von  denen  jede  aus  drei  Zimmerchen  besteht.  Man 
zahlt  für  deren  Gebrauch  in  der  Regel  die  Hälfte  mehr  als  in  den 
öffentlichen  Badegemächern.  Die  Frauenbäder  unterscheiden  sich  von 
den  geschilderten  nur  dadurch,  dass  in  ihnen  die  Bedienung  und  üeber- 
wachung  weiblichen  Geschlechts  ist. 

Khans  hat  Constantinopel  gegen  180.  Es  sind  grosse  steinerne 
Gebäude  ohne  irgend  welche  architektonische  Schönheiten,  bestimmt 
zu  Herbergen  und  Niederlagen  reisender  Kaufleute,  gleichviel,  welcher 


206  Constantinopel. 


Religion  oder  Nation.  Diese  Leute  wohnen  hier  umsonst,  das  heisst, 
sie  zahlen  nur  dem  Aufwärter  beim  Abschied  ein  kleines  Trinkgeld. 
Eines  der  besten  dieser  Gebäude  ist  der  Walide  Khan.  Der  Hof  des- 
selben ist  mit  einigen  Bäumen  und  zwei  hübschen  Brunnen  geschmückt, 
und  das  Gebäude  hat,  abgesehen  von  den  Ställen  und  Waarenmaga- 
zinen  im  Erdgeschoss  drei  Gallerien  übereinander,  auf  welche  Reihen 
kleiner  Gemächer  münden,  die  sehr  sauber  gehalten  und  mit  den  Tep- 
pichen und  sonstigen  Geräthen  des  jedesmaligen  Inhabers  möblirt  sind. 
Niemand  bekommt  hier  mehr  als  ein  Gemach,  das  er  sich  selbst  aus- 
zumöbliren  hat,  und  der  Aermste  wohnt  genau  so,  wie  der  Reichste. 
Man  kann  hier  Kaufleute  und  Waaren  von  den  fernsten  Grenzländern 
des  türkischen  Reiches  sehen. 

Von  den  kaiserlichen  Palästen  sind  vorzüglich  drei  zu  erwähnen : 
der  von  Tschiragan,  der  von  Dolmabagdsche,  neben  dem  sich  der  Gar- 
tenpalast von  Beschiktasch  befindet,  endlich  das  alte  Serail.  Von  diesen 
ist  der  letztere  gegen  einen  Ferman  immer  zu  sehen ;  der  von  Dolma- 
bagdsche, die  jetzige  Residenz  des  Sultans,  nur  selten  zugänglich. 

Der  Palast  von  Tschiragan  ist  am  weitesten  entfernt  vom 
Mittelpunct  der  Stadt,  indem  er  ungefähr  anderthalb  Stunden  von  der 
grossen  Brücke  liegt.  Man  begibt  sich  am  besten  mit  einem  Kaik  dahin. 
Dieses  Schloss  wurde  von  Sultan  Mahmud  II.  im  Jahre  1836  erbaut 
und  bildet  eine  der  anmuthigsten  Zierden  der  Ufer  des  Bosporus.  Näher 
kommend,  findet  man  freilich,  dass  der  Palast,  mit  Ausnahme  der 
Treppen,  Säulen  und  Grundmauern,  aus  Holz  besteht.  Er  ist  sehr  gross, 
indem  seine  Front  gegen  das  Meer  hin  über  1000  Fuss  einnimmt.  Das 
Innere  ist  prächtig  ausgestattet.  Das  Ganze  besteht  aus  einem  mit 
dreissig  Marmorsäulen  verzierten  Selamlik,  einem  glänzenden  Diwan 
Khan  oder  Audienzsaal,  dessen  Peristyl  auf  acht  korinthischen  Säulen 
ruht  und  innen  mit  vierzig  anderen  verziert  ist,  endlich  aus  dem  Harem, 
dessen  Front  vierzig  Marmorsäulen  zieren  und  wo  jedes  Stockwerk 
durch  fünfundvierzig  Fenster  Licht  empfängt.  Hinter  dem  Selamlik 
liegt  ein  schöner  mit  prächtigen  Kiosks  besetzter  Garten.  Einer  von  den 
letzteren,  im  Süden  gelegen,  steht  mit  dem  Harem  in  Verbindung  und 
enthält  die  Gemächer,  welche  der  Sultan  bewohnt,  wenn  er  sich  hier 
aufhält.  Ausserdem  gehören  zu  dem  Palaste  noch  eine  gute  Anzahl  von 
Gebäuden  für  den  Hofstaat  und  das  Hofgesinde.  Tschiragan  heisst 
übrigens  auf  türkisch  „der  Beleuchtete". 

Der  Palast  von  Dolmabagdsche  sammt  dem  von  Beschik- 
tasch steht  ebenfalls  hart  am  Ufer  des  Bosporus,  aber  näher  an  To- 
phana.  Er  ist  von  Stein  erbaut  und  noch  ganz  neu.  Der  Styl  ist  eine 
Art  Rokoko,  in  welchem  korinthische  und  maurische  Formen  vorwiegen. 
Das  Ganze  sieht  von  Weitem  nicht  übel  aus,  während  bei  näherer 
Betrachtung  Manches  unsymmetrisch.  Vieles  überladen  scheint.  Die 
Baukosten  sollen  200  Millionen  Piaster  betragen  haben.  Durch  mehre 
mit  allerlei  Emblemen  gezierte  Thore  gelangt  man  in  einen  mit  eisernen, 
vergoldeten  Stäben  abgeschlossenen  Hofraum,  dann  eine  Treppe  empor- 
steigend in  eine   auf  Säulen    ruhende  hohe   Halle,   deren  Kuppel  mit 


Constantinopel.  207 


Rubiiiglas  gedockt  ist,  welches  auf  den  Stuck  und  Marmor  der  Wände 
und  des  Fussbodens  ein  zauberhaftes  Licht  wirft.  In  der  Mitte  des 
Palastes  befindet  sich  der  grosse  Audienzsaal,  ein  längliches  Viereck, 
das  von  einer  auf  Säulen  ruhenden  Decke  überwölbt  ist.  In  der  Mitte 
hängt  der  grosse  Glaskronleuchter,  der  mit  seiner  schönen  Form  und 
seinen  10,000  Flammen  auf  der  Pariser  Industrie- Ausstellung  Staunen 
erregte.  Der  gewöhnliche  Empfangssaal  und  das  Arbeitszimmer  des 
Sultans  haben  Wände,  die  aus  Marmor  zu  sein  scheinen,  aber  blosser 
Stuck  sind.  Der  Boden  ist  mosaikartig  getäfelt  und  mit  kostbaren 
Teppichen  belegt.  Neben  hohen  Spiegeln  sind  grosse  Glaskandelaber 
angebracht.  Recht  niedlich  ist  der  Rauchkiosk,  der  einer  Riesenlaterne 
gleicht.  In  den  Feldern  der  Friese  sind  Landschaften  angebracht,  der 
Fussboden  ist  mit  Porcellanplatten  bekleidet,  in  deren  Mitte  sich  ein 
Springbrunnen  aus  Krystall  in  eine  weite,  glänzende  Schale  ergiesst. 
Ebenfalls  sehr  hübsch  ist  das  Bad  des  Sultans,  in  welchem  Decke  und 
Wände  mit  ägyptischem  Alabaster  belegt  sind,  der  wie  leicht  ange- 
rauchter Meerschaum  aussieht.  Die  aussen  mit  Gittern  versehenen 
Gemächer  des  Palastes  enthalten  das  Harem.  Hinter  demselben  ziehen 
sich  grosse  und  geschmackvoll  geordnete  Gärten  hin,  die  ein  Deutscher, 
Namens  Sester,  angelegt  hat.  Hart  neben  dem  Palast  von  Dolmabag- 
dsche  liegt  der  kleine  Sommerpalast  von  Beschiktasch  mit  seinen  Gärten, 
der  in  den  achtziger  Jahren  des  siebzehnten  Jahrhunderts  erbaut 
wurde.  Hohe  Mauern  verbergen  die  Schönheit  seiner  Anlagen,  die  aus 
anmuthigen  Cypressenhainen,  Bosquets  und  prächtigen  Blumenbeeten 
bestehen. 

Das  Serail  (Serai  Burnu)  nimmt  mit  seinen  zahlreichen  Palä- 
sten, Kiosks,  Pavillons  und  Gärten  die  Spitze  der  Halbinsel  zwischen 
dem  Marmorameer  und  dem  Goldenen  Hörn  ein,  auf  welcher  das  alte 
Byzanz  lag.  Von  Mohammed  II.  angelegt,  bildet  es  ein  Dreieck  von 
fast  %  Meilen  Umfang.  Es  ist  allenthalben  mit  Mauern  umgeben.  Die 
Gebäude  liegen  auf  der  Höhe  des  Vorgebirges,  dem  ersten,  oder  wenn 
man  will,  dem  letzten  der  sieben  Hügel,  welche  Stambul  tragen.  Nach 
der  Stadt,  wie  nach  der  See  hin  ist  das  Serail  von  Gärten  mit 
hohen  alten  Bäumen  umgeben.  Der  Sultan  besucht  den  Palast  jetzt 
nur  bei  feierlichen  Gelegenheiten,  und  derselbe  ist  nur  noch  von  frü- 
heren Sultaninnen  und  deren  Hofhalt,  sowie  von  einigen  andern  Beamten 
und  Würdenträgern  bewohnt.  Da  das  Serail  das  Werk  vieler  Jahrhun- 
derte ist,  so  besteht  es  aus  einer  grossen  Anzahl  von  Gebäuden  ohne 
durchgehenden  Plan.  Der  Haupteingang  ist  ein  grosser  Pavillon  mit 
acht  üeffnungen  über  dem  Thor.  Letzteres,  die  hohe  Pforte,  von  welcher 
die  türkische  Regierung  benannt  ist,  hat  in  der  That  eine  beträcht- 
liche Höhe.  Sie  ist  ein  Rundbogen,  an  dem  sich  eine  arabische  Inschrift 
und  rechts  und  links  Nischen  befinden.  Sonst  ist  sie  ganz  einfach  und 
sieht  mehr  wie  ein  Wachthaus,  als  wie  das  Portal  zu  einem  Kaiser- 
palast aus.  An  ihr  halten  fünfzig  Kapidschis  oder  Thorwärter  Wache. 
Zuerst  tritt  man  in  einen  langen  Hof.  Rechts  sind  Krankenstuben,  links 
wohnen  die   Asankoglans,   welche   für  die  Reinlichkeit  des  Serails  zu 


208  Constantinopel. 


sorgen  haben.  Jedermann  hat  Zutritt  in  diesen  ersten  Hof,  aber  Alles 
beobachtet  die  grösste  Stille.  Vom  ersten  Hof  gelangt  man  durcli  ein 
Thor  in  den  zweiten,  der  ebenfalls  von  Kapidschis  bewacht  ist.  Der- 
selbe ist  ein  Quadrat,  dessen  Seiten  300  Schritte  messen.  Die  Fuss- 
wege  sind  gepflastert,  die  Alleen  gut  gehalten,  auf  schönen,  frischgrünen 
Rasenplätzen  plätschern  Springbrunnen.  Links  befindet  sich  der  Schatz 
des  Sultans  und  ein  kleiner  Stall.  Hier  zeigt  man  einen  Brunnen,  an 
dem  früher  die  zum  Verlust  ihres  Kopfes  verurtheilten  Paschas  ent- 
hauptet wurden.  Rechts  ziehen  sich  Bureaux  und  Küchen  hin,  die  mit 
Kuppeln  geschmückt,  aber  ohne  Schornsteine  sind.  Von  den  Küchen 
war  früher  eine  für  den  Sultan,  eine  für  seine  Hauptgemahlinnen,  eine 
für  die  andern  Frauen  bestimmt ;  in  einer  vierten  wurde  für  den  Kapu 
Agassi  (Überbefehlshaber  der  Thorhüter),  in  einer  fünften  für  die  Bei- 
sitzer des  Divans,  in  einer  sechsten  für  die  Pagen  des  Sultans  ge- 
kocht, die  siebente  gehörte  den  Beamten  des  Serails,  die. achte  den 
Dieustleuten,  die  neunte  endlich  kochte  für  alle  Die,  welche  an  Ses- 
sionstagen verpflichtet  waren,  zu  Hofe  zu  kommen.  Es  sollen  früher 
hier  alljährlich  allein  40,000  Ochsen  verspeisst  worden  sein,  ungerechnet 
die  Hunderttausende  von  Schafen,  Gänsen,  Tauben  und  Hühnern,  welche 
gebraucht  wurden. 

Rings  um  den  Hof  läuft  eine  niedrige  von  Marmorsäulen  getra- 
gene und  mit  Blei  gedeckte  Gallerie.  Niemand  als  der  Sultan  darf  in 
diesem  Hofe  zu  Pferde  erscheinen ;  deshalb  befindet  sich  hier  der  kleine 
Stall,  der  aber  nur  Raum  für  dreissig  Pferde  hat  Ueber  demselben 
verwahrt  man  eine  Anzahl  kaiserlicher  Reitzeuge,  die  ausserordentlich 
reich  an  Juwelen  sind.  Der  grosse  Stall  für  die  Beamten  des  Sultans, 
wo  Raum  für  tausend  Pferde  ist,  liegt  weiter  hinunter  am  Bosporus. 
Die  Halle,  wo  der  Di  van  gehalten  wurde,  befindet  sich  links  am  äus- 
sersten  Ende  dieses  Hofes.  Rechts  ist  ein  Thor,  welches  in  das  Innere 
des  Serails  führt.  Die  Thronhalle  ist  geräumig,  aber  niedrig,  mit  Blei 
gedeckt,  mit  Getäfel  bekleidet  und  in  maurischer  Weise  vergoldet,  im 
Ganzen  nicht  besonders  imposant.  Hier  pflegte  früher  der  Grossvezier 
als  oberste  Instanz  alle  Civil-  und  Crirainalsachen  zu  entscheiden,  und 
hier  war  es,  wo  die  Gesandten  fremder  Mächte  Audienz  erhielten. 
Interessant  ist  im  Serail  ferner  eine  Art  Zeughaus  oder  Rüstkammer, 
in  welcher  man  alttürkische  Waffen  und  die  zum  Theil  malerischen, 
zum  Theil  mehr  seltsamen  Anzüge  findet,  welche  früher  die  Würden- 
träger des  kaiserlichen  Hofes  bei  feierlichen  Gelegenheiten  anlegten. 
Noch  interessanter  ist  die  Kammer,  in  welcher  die  Reliquien  vom  Pro- 
pheten und  den  ersten  Chalifen  verwahrt  werden.  Diese  Reliquien  be- 
laufen sich  auf  sieben,  von  denen  fünf  in  einer  Kapelle  oder  Kammer 
des  oberen  Serails  liegen.  Diese  letztere  öffnet  sich  nach  einer  Gallerie 
nordwestlich  vom  Thronsaal  und  liegt  dem  schönen,  achteckigen  Eri- 
wan-Kiosk  gegenüber.  Sie  heisst  Hirkai  Scherif  Odassi,  d.  i.  Kammer 
des  heiligen  Mantels.  Christen,  gleichviel  welchen  Ranges  sie  sein 
mögen,  haben  nur,  durch  ganz  besondere  Glücksfälle  begünstigt,  Zutritt 
zu  diesem  überaus  heilig  gehaltenen  Raum.  Ja,  ausser  dem  Sultan,  dem 


Constantinopel.  209 


Palast-Iramaras  und  den  Kapidschi  Baschis,  welche  Tag  nnd  Nacht 
hier  Wache  halten,  werden  nicht  einmal  Moslemin  in  das  Innere 
gelassen.  Am  15.  Ramadan  aber  begibt  sich  der  Sultan  in  grosser  Pro- 
cession  in  die  Capelle,  um  seine  Huldigung  darzubringen,  und"  dann 
werden  sämmtliche  Eeliquien  ausgestellt.  Charles  White  hatte  das 
Glück  einen  Theil  derselben  zu  sehen,  und  wir  folgen  im  Nachstehen- 
den seinem  Bericht. 

,Die  in  der  heiligen  Kammer  aufbewahrten  Reliquien  bestehen : 
1)  in  dem  Sandschak  Scherif.  Diese  Fahne  diente  nach  den  Versiche- 
rungen einiger  arabischer  Schriftsteller  ursprünglich  als  Vorhang  vor 
dem  Eingang  in  das  Zelt  Ayeschas,  der  Lieblingsfrau  des  Propheten. 
Nach  Andern  war  sie  zuerst  das  Turbangewinde  eines  von  eifriger 
Gegnerschaft  zu  ebenso  eifrigem  Glauben  bekehrten  Jüngers  Moham- 
meds. Dieser  Mann,  Namens  Sehmi,  statt  den  Propheten,  wie  ihm  die 
Schechs  von  Mekka  befohlen,  mit  einer  Reiterabtheilung  anzugreifen, 
warf  sich  auf  die  Knie,  riss  das  Tuch  vom  Kopfe,  heftete  es  an  die 
Spitze  seiner  Lanze  und  widmete  es  nebst  seiner  eigenen  Person  fortan 
dem  Dienst  und  Ruhm  des  Propheten.  Nachdem  das  heilige  Banner 
durch  die  Hände  der  Ommajadcn  und  Abassiden  gegangen  und  durch 
die  letztern  nach  Kairo  gebracht  worden,  kam  es  bei  der  Eroberung 
Aegyptens  durch  Selira  L  1512  in  die  Gewalt  der  türkischen  Sultane. 

Dieselben  verwahrten  es  anfänglich  in  der  grossen  Moschee  von 
Damaskus.  Murad  III.  aber  liess  die  heilige  Fahne  nach  Stambul 
bringen,  von  wo  sie  1595  den  Peldzug  nach  Ungarn  mitmachte.  Zu  Ende 
dieses  Jahres  kam  sie  nach  Stambul  zurück.  Von  dieser  Zeit  an  wurde 
sie  nur  dann  wieder  gezeigt,  wenn  der  Sultan  oder  der  Grossvezier 
sich  in  Person  zu  der  im  Felde  stehenden  Armee  begaben,  wie  dies 
zwischen  1595  und  1829  wiederholt  geschah,  oder  wenn  der  Staat  in 
Geftihr  erklärt  wurde,  wie  1826  bei  der  Vernichtung  der  Janitscharen. 
Gegenwärtig  ist  diese  Reliquie  von  ihrer  Stange  abgenommen  und  in 
einen  mit  Schildkrot,  Perlmutter  und  Edelsteinen  besetzten  Kasten  von 
Rosenholz  eingeschlossen.  Sie  ist  in  eine  andere  Fahne  gewickelt,  die 
dem  Chalifen  Omar  gehört  haben  soll,  und  diese  ist  wieder  in  vierzig 
verschiedene  Hüllen  aus  kostbaren  Stoffen  gesteckt,  deren  innerste  aus 
grüner  Seide  gefertigt  und  mit  goldenen  Inschriften  bestickt  ist,  z.  B. 
Maschallah!  (Wie  Gott  will!)  Bismillah!  (Im Namen  Gottes!)  JaHifis! 
(0  Erhalter !)  u.  a.  m.  Die  Schlüssel  zn  diesem  wie  zu  dem  andern 
Reliquienkasten  hat  der  Kislar  Agassi  als  Aufseher  und  Verwalter  der 
heiligen  Stätten  in  Verwahrung.  Die  Fahnenstange  ist  an  der  Spitze 
mit  einer  hohlen,  vergoldeten  Silberkugel  versehen,  in  welcher  ein  der 
Sage  nach  vom  Chalifen  Omar  geschriebenes  Exemplar  des  Koran  ein- 
geschlossen ist.  Eine  andere  Abschrift  des  , Buches",  die  vom  Chalifen 
Osman  herrühren  soll,  ist  im  Knopf  der  erwähnten  zweiten  Fahne 
verborgen. 

Die  zweite  Reliquie,  ein  Gegenstand  höchster  Verehrung,  ist  der 
Mantel  Mohammed's,  den  derselbe  einem  Araber,  Namens  Keab,  als 
Belohnung  für  ein  Gedicht  geschenkt  haben  soll,  das  derselbe  auf  die 

14 


210  Gonstantinopel. 


Herrlichkeit  deä  Allmächtigen  und  die  unsterblichen  Verdienste  seines 
Gesandten  gemacht  Dieser  gefeierte  Dichter  war  einer  der  sechs  heid- 
nischen Gelehrten,  welche  Mohammed  dadurch  zu  bekehren  suchte,  dass 
er  sie  auftorderte  ihm  ein  Buch  vorzulegen,  welches  schöner  sei  als  der 
Koran.  Fünf  derselben  bekannten  ihre  Unfähigkeit  dazu  und  Hessen 
sich  bekehren.  Keab  dagegen  wusste  Mancherlei  am  Koran  auszusetzen 
und  behielt  seinen  Glauben  Er  wurde  verfolgt  und  floh  in  die  Wüste, 
wo  er  sich  in  eine  Höhle  verbarg.  Dort  scheint  er  Reue  über  seine 
Hartnäckigkeit  empfunden  zu  haben,  und  um  dies  zu  beweisen,  machte 
er  das  erwähnte  Gedicht,  in  welchem  er  um  Verzeihung  bat.  Dasselbe 
gilt  den  türkischen  Gelehrten  als  Meisterwerk  und  soll  an  Schönheit 
und  Vollendung  des  Styls  nur  dem  Koran  nachstehen  Es  führt  den 
Titel  „Burdai  Scherifl".  Stellen  aus  demselben  sind  in  Jedermanns 
Mund,  auch  liest  man  deren  häufig  auf  Brunnen,  Gebäuden  und  Grab- 
mälern. 

Die  dritte  der  Reliquien  ist  der  Bart  des  Propheten,  der  nach 
dessen  Tode'  von  seinem  Günstling,  dem  Barbier  Selman,  am  Kinn 
abgenommen  wurde,  in  Gegenwart  Abu  Kekrs,  der  als  Ober-Imam  fun- 
girte,  sowie  Alis  und  anderer  hervorragender  Jünger.  Derselbe  ist  etwa 
3  Zoll  lang,  lichtbraun  von  Farbe  und  ohne  graue  Haare.  Er  wird  in 
einem  hermetisch  verschlossenen,  reichverzierten  Glasschrank  auf- 
bewahrt. 

Nummer  Vier  ist  einer  der  vier  Zähne,  Welche  dem  Propheten 
in  der  furchtbaren  Schlacht  bei  Bedr,  wo  der  Erzengel  Gabriel  an  der 
Spitze  von  dreitausend  andern  Himmelskriegern  (unsichtbar)  an  seiner 
Seite  kämpfte,  mit  einer  Streitaxt  ausgeschlagen  wurden. 

Die  fünfte  Reliquie  besteht  in  einer  Fusstapfe  auf  einem  vier- 
eckigen Stück  Kalkstein.  Man  hält  sie  für  eine  Fussspur  Mohammed's, 
und  zwar  soll  dieselbe  von  ihm  zurückgelassen  worden  sein,  als  er  beim 
Bau  der  Kaaba  den  Maurern  einen  schweren  Stein  aufheben  half.  Nach 
Andern  entstand  sie,  als  der  Prophet  den  linken  Fuss  in  den  Steig- 
bügel des  Himmelrosses  Borak  setzte,  mit  dem  er  bekanntlich  alle 
Himmel  durchflog.  Abbildungen  von  diesem  Stein  sammt  dem  Fuss- 
tritt,  vergoldet  unter  Glas  und  Rahmen  und  mit  frommen  Inschriften 
versehen,  werden  in  den  Buchläden  zum  Verkauf  ausgestellt,  namentlich 
während  des  Ramadan,  und  oft  sehr  theuer  —  bis  zu  2000  Piastern 
—  bezahlt.  Diese,  sowie  die  vorhergehend  beschriebene  Reliquie  wird 
in  einem  mit  durchbrochener  Silberarbeit  und  Edelsteinen  geschmückten 
Kasten  aufbewahrt.  Sie  stehen  ungefähr  in  der  Mitte  der  Capelle,  auf 
einer  Art  Altar,  dessen  Seiten  mit  reichgesticktem  Behänge  bedeckt 
sind.  An  der  Südwand  des  Raumes  trifft  man  verschiedene  Glasschränke 
mit  Waffen  und  andere  Merkwürdigkeiten,  die  ebenfalls  mit  Stoffen 
verhangen  sind.  Ueber  den  Reliquienschreinen  hängen  silberne  Lampen 
und  Strausseneier.  Die  Lampen  werden  jeden  Abend  mit  Sonnenunter- 
gang angezündet.  An  den  Enden  stehen  zwei  ungeheure,  massiv  gol- 
dene Leuchter  mit  mächtigen  Wachskerzen.  Die  Capelle  hat  ungefähr 
50  Fuss  im  Quadrat.   Der  Boden  ist  mit  Matten  und  kostbaren  Tep- 


Constantinopel.  211 


pichen  belegt.  Das  Licht  fällt  durch  ein  zum  Theil  mit  Fenstern 
versehenes  Gewölbe.  In  einer  Nische  auf  der  andern  Seite  stehen  ein 
Divan,  ein  Sopha  und  Stühle  für  den  Sultan,  der  bisweilen  hier  sein 
Gebet  verrichtet.  Zu  beiden  Seiten  der  Thüre,  die  der  gewöhnliche 
rothe,  mit  silbernen  Inschriften  bestickte  Vorhang  verhüllt,  befinden 
sich  zwei  grosse  Uhren. 

Thore  hat  Stambul  28,  von  denen  mehre  in  der  Geschichte  der 
Stadt  eine  Eolle  gespielt  haben.  Wir  betrachten  sie  im  Folgenden  ein- 
zeln, indem  wir  am  Serail  beginnen  und  der  Mauer  längs  dem  Goldneu 
Hörn  folgen,  um  dann  die  Thore  auf  der  Landseite  und  zuletzt  die 
am  Marmorameer  aufzuzählen.  Das  erste  Thor,  welches  sich  am  Serail 
auf  das  Goldne  Hörn  öffnet,  ist  das  Talli  Köschk  Kapussi,  so  genannt 
nach  dem  benachbarten  Pavillon.  Dann  folgt  das  Bagdschi  Rapussi, 
d.  h  das  Gai-tentlior,  wo  gewöhnlich  Diejenigen  landen,  welche  mit 
dem  Kaik  von  Tophana  kommen.  In  der  Nähe  dieses  Thores  befindet 
sich  ein  Pavillon,  welcher  der  Kiosk  des  Tschauschbaschi  heisst,  da 
hier  dieser  Beamte,  eine  Art  Hofceremonienmeister,  bei  Audienztagen 
die  fremden  Gesandten  zu  empfangen  pflegte,  um  sie  durch  die  Divan- 
strasse  nach  der  hohen  Pforte  zu  geleiten.  Weiter  hinauf  am  Hafen 
folgt  Tschufut  Kapu,  das  Judenthor,  in  dessen  Nähe  viele  Juden 
wohnen,  und  welches  von  einer  benachbarten  Moschee  auch  Walide 
Kapu,  das  Thor  der  Sultanin  Mutter,  heisst.  Dann  kommt  das  Baluk- 
bazar  Kapussi,  oder  Fischmarkt-Thor,  an  der  Stelle,  wo  das  Goldne 
Hörn  am  schmälsten  ist ;  dann  folgen  das  Sindan  Kapussi,  Gefangniss- 
thor, bei  dem  früher  ein  Gefangenhaus  stand,  das  Odun  Kapussi, 
in  dessen  Nähe  sich  Bauholzniagazine  befinden,  das  Dschub  Ali  Ka- 
pussi, das  von  einem  reichen  Glaser,  Namens  Ali,  erbaut  sein  soll,  das 
Ajasma  Kapussi,  so  genannt  nach  dem  anstossenden  Brunnen,  der  von 
den  Byzantinern  vor  der  Eroberung  als  ein  Heiliger  verehrt  wurde  und 
noch  jetzt  im  Geruch  der  Heiligkeit  steht ;  das  Yeni  Kapussi  oder 
Neuthor,  das  Petri  Kapussi  oder  Petersthor,  das  Fener  Kapussi,  so 
getauft  nach  dem  einst  hier  stehenden  Leuchtthurm  —  Fanar  —  nach 
welchem  das  Griechenviertel  benannt  wurde.  Dann  das  Balat  Kapussi, 
d.  h.  Palastthor,  früher  Basilica  genannt,  nach  dem  benachbarten  Pa- 
last der  Blacherner.  Endlich  das  Haiwan  Serai  Kapussi,  das  Thor  der 
wilden  Thiere  oder  Meuageriethor.  Es  soll  nach  dem  Amphitheater  so 
heissen,  welches  einst  hier  sich  befunden  habe.  Bei  der  letzten  Bela- 
gerung von  Constantinopel  standen  die  Venetianer  und  Griechen,  welche 
die  Stadt  gegen  die  verbündeten  Türken  und  Genueser  vertheidigten, 
zwischen  diesem  und  dem  zuletzt  erwähnten  Thore.  Hier  commandirte 
Davala,  am  Fanarthore  aber  der  verrätherische  Grossfürst  Lucas 
Notaras. 

Auf  der  Landseite  gab  es  früher  nicht  weniger  als  sieben  Thore, 
von  denen  aber  jetzt  nur  einige  noch  existiren,  obwohl  man  zwei  der 
alten  noch  von  aussen  sehen  kann.  In  dieser  Ecke  der  Stadt  befanden 
sich  die  beiden  Paläste  der  Blacherner  und  Hebdomon,  wo  die  byzan- 
tinischen Kaiser  in  den  letzten  Jahren  ihrer  Herrschaft  residirten.  Das 


212  Constantinopel. 


erste  der  Thore,  welche  sich  jetzt  auf  der  Landseite  öftnen,  ist  das 
Egri  Kapu  oder  das  schiefe  Thor,  so  genannt,  weil  es  in  einem  Winkel 
der  Mauer  errichtet  ist.  Früher  hiess  es  Charsisch,  was  von  Charsias, 
einem  Aufseher  der  Mauerer,  abgeleitet  wird,  die  hier  arbeiteten.  Man 
nennt  es  auch  das  bulgarische  Thor.  In  byzantinischer  Zeit  wurde  es 
eine  Zeitlang  von  deutschen  Söldnern  bewacht,  und  Arno  Gilpracht 
liess  hier  den  Alexius  Komnenus  ein,  der  sich  sofort  des  Thrones  be- 
mächtigte. Ferner  zog  durch  dieses  Thor  Justinian  als  Triumphator 
ein,  wobei  ihn  hier  der  Präfect  der  Stadt  und  der  Senat  erwartete,  um 
ihn  nach  der  Apostelkirche  zu  geleiten,  auf  deren  Stätte  jetzt  die  Mo- 
schee Mohammed's  II.  steht  Das  Edreneh  Kapussi  oder  Adrianopel- 
Thor  wird  in  der  alten  Geschichte  unter  dem  Namen  Polyandrii  erwähnt. 
Im  fünften  Jahre  der  Eegierung  des  Kaisers  Heraklius,  625  n.  Chr., 
als  Constantinopel  von  den  Avaren  belagert  wurde,  wurde  vor  diesem 
Thore  am  härtesten  gestritten.  Bei  Gelegenheit  dieser  Belagerung  ge- 
schah es,  dass  die  Kirche  des  heiligen  Schreins,  in  welcher  ein  Gewand 
der  Mutter  Christi  verwahrt  wird,  in  die  Mauer  eingeschlossen  wurde. 
Zwischen  diesem  Thor  und  dem  nächsten,  Top  Kapussi,  fiiesst  der  Bach 
Lycus.  Das  Top  Kapussi  hiess  früher  das  Thor  des  heiligen  Eomanus. 
Seinen  jetzigen  Namen:  Kanonenthor,  hat  es  von  einer  früher  hier 
befindlichen  Batterie.  Hier  war  es,  wo  am  29.  Mai  1453  der  letzte  der 
Paläologen  in  tapferer  Vertheidigung  seiner  Hauptstadt  gegen  die 
Türken  den  Heldentod  starb.  Sieben  Wochen  lang  hatten  die  Schaaren 
Mohammed's  II.  die  Stadt  vergeblich  belagert,  obwohl  die  Griechen 
von  Parteiungen  zerrissen  waren,  nur  6000  von  ihnen  auf  den  Mauern 
kämpften  und  sich  unter  den  Fremden,  welche  für  sie  stritten,  ja  unter 
ihnen  selbst  Verräther  befanden.  Endlich,  nachdem  Mohammed  den 
Kaiser  noch  einmal  umsonst  zur  Ergebung  aufgefordert,  begann  am 
29.  Mai  in  der  Frühe  der  letzte  grosse  Sturm.  Der  Kampf  war  furcht- 
bar. Am  Thor  des  heiligen  Eomanus  stand  der  edle  Kaiser  selbst,  und 
neben  ihm  Giustiniani  mit  300  auserlesenen  Genuesern,  sowie  Don 
Francesco  von  Toledo.  Am  Adrianopelthor  befehligte  Theodorus  aus 
Karystos  eine  Compagnie  Armbrustschützen  und  ein  deutscher  Feld- 
zeugmeister die  Artillerie.  An  diesen  Posten  bis  zum  Egri  Kapu  und 
weiter  am  Hafen  hin  reihten  sich  Slaven  und  Bulgaren,  an  deren  Spitze 
der  römische  Cardinal  Isidorus,  Erzbischof  von  Kiew,  kämpfte.  Wei- 
terhin stritt  eine  auserwählte  Schaar  Italiener,  geführt  von  demvene- 
tianischen  Bailo  Hieronymus  Mainotte  und  Leonardo  de  Langosco.  Den 
grössten  Theil  der  Hafenseite  vertheidigte,  wie  bereits  erwähnt,  der 
Grossfürst  Notaras.  Der  Venetianer  Gabriel  Trevisano  mit  400  seiner 
Landsleute  stand  bei  der  Akropolis,  Contarino,  ein  anderer  Venetianer, 
am  Goldenen  Thor,  der  Genuese  Maurizio  Cataneo  am  Thor  von  Se- 
lymbria  und  der  spanische  Consul  Pedro  Giuliani  kämpfte  an  der  Spitze 
wackerer  Katalonier  auf  derselben  Seite  der  Stadt.  Der  Sturm  hatte 
zwei  Stunden  gewährt,  als  Giustiniani  verwundet  wurde.  Er  liess  sich 
trotz  aller  Bitten  des  Kaisers  nach  Galata  schaffen ,  und  mit  ihm  zog 
ein  grosser  Theil  seiner  Leute  dahin  ab.    Darauf  drangen  die  Türken 


Constantinopel.  213 


durch  die  entstandene  Lücke  ein,  im  Getümmel  wurde  der  Kaiser 
erschlagen,  und"  wenige  Stunden  später  befand  sich  die  ganze  Stadt 
in  der  Gewalt  Mohammed's.  Notaras  wurde  hingerichtet,  Giustiniani 
erlag  in  Galata  seinen  Wunden,  der  Cardinal  gerieth  in  die  Sclaverei, 
wusste  sich  jedoch  loszukaufen  und  gelangte  glücklich  nach  Rom  zurück. 

Auf  das  Kanonenthor,  vor  dem  sich  ein  grosser  Friedhof  und 
mehre  elegante  Kaffeehäuser  befinden,  folgt  das  Mewlaneh  Kapussi,  so 
genannt  von  einem  benachbarten  Derwischkloster.  Es  heisst  auch  das 
neue  (Yeni),  weil  es  von  Sultan  Achmed  aus  den  Resten  des  hier  be- 
findlichen alten  Thores  aufgerichtet  wurde,  auf  dieses  zunächst  das 
Silivri  oder  Selyrabriathor,  dann  neben  dem  Schloss  der  sieben  Thürme 
das  Jedi  Kuli  Kapussi.  Hier  in  der  Nähe  war  früher  das  Goldene 
Thor,  durch  welches  die  Kaiser  in  der  Regel  ihre  Triumphzüge  hielten. 

Auf  der  Seite  des  Marmorameeres  befindet  sich  zunächst  das 
Narli  Kapu  oder  Granatapfelthor.  Auf  dieses  folgt  das  Psammatia  Ka- 
pussi oder  Sandthor.  Es  hat  seine  griechische  Benennung  behalten,  da 
sich  hier  viele  Griechen  angesiedelt  haben.  In  der  Nähe  desselben  muss 
sich  das  alte  Thor  des  heiligen  Aemilian  befunden  haben.  Das  nächste 
Thor  ist  das  Daud  Pascha  Kapussi,  das  seinen  Namen  von  einem 
Pascha  hat,  welcher  seinen  Namen  der  benachbarten  schönen  Moschee 
und  dem  umliegenden  Theil  der  Stadt  gegeben  hat.  Es  heisst  auch 
Planga  Kapussi  und  ist  die  Stelle,  wo  die  grosse  Feuersbrunst  von  1755, 
welche  vom  Dschub  Ali  Thor  sich  quer  durch  die  ganze  Stadt  hin- 
durch frass,  zum  Stillstand  kam.  Das  Yeni  Kapu,  Neuthor,  nahe  bei 
dem  ebengenannten,  führt  in  ein  vorzüglich  von  Armeniern  bewohntes 
Quartier.  Das  Kum  Kapu  hiess  früher  das  eiserne  Thor.  In  der  unmit- 
telbaren Nähe  des  Tschatladdi  Kapu,  wo  sich  ein  grosses  Schlachthaus 
befindet,  sieht  man  ein  paar  Löwen  und  die  Thorsäulen  eines  Palastes 
in  die  Mauer  liineingesetzt.  Sie  gehörten  entweder  zu  dem  Bukoleon, 
welches  von  Theodosius,  oder  zu  einem  andern  Palast,  der  von  Leo 
Marcellus  erbaut  wurde.  Das  letzte  Thor  auf  dieser  Seite  ist  das  Achar 
Kapussi  oder  Stall thor,  so  benannt  von  den  in  der  Nachbarschaft  befind- 
lichen kaiserlichen  Marställen.  Hier  stösst  die  Stadtmauer  mit  der  des 
Serails  zusammen,  welche  letztere  drei  grosse  Thore  und  einige  Pfört- 
chen  hat. 

Die  grosse  Brücke  über  das  Goldne  Hörn  wurde  im  Jahre  1838 
nach  dem  Plane  des  Griechen  Giorgi  erbaut.  Sie  besteht  aus  verschie- 
denen Abtheilungen  starker  Holzflösse,  die  an  den  Enden  zusammen- 
gefügt sind.  Jede  Abtheilung  zählt  vier  Lagen  von  Balken,  deren 
oberste  die  Pahrstrasse  bildet.  Die  unterste  Lage  besteht  aus  starken 
Stämmen,  welche  gegen  die  Strömung  einen  scharfen  Winkel  und  so 
einen  festen  Grund  bilden.  Auf  diesen  sind  viereckige  Balken  in  die 
Quere  befestigt,  in  regelmässigen  Zwischenräumen  von  40  Zoll,  welche 
die  Grundlage  für  hölzerne  Bogen  bilden,  die  eine  Höhe  von  3  Fuss 
haben,  und  auf  denen  wieder  die  Querbalken  ruhen,  welche  die  Platt- 
form der  Brücke  mit  der  Fahrstrasse  tragen  Jede  Abtheilung  ist  auf 
jeder  ihrer   Seiten  durch  zwei  Anker   befestigt.    An   den    Seiten    der 


214  Constantinopel. 


obersten  Schicht  läuft  ein  starkes  Geländer  hin.  Da  weder  Fluth  noch 
Ebbe  stattfindet,  und  die  Geschwindigkeit  der  Strömung  im  Goldnen 
Hörn  nicht  gross  ist,  so  ist  die  Reibung  unbedeutend.  Da  die  Enden 
der  Brücke  sich  in  gleicher  Höhe  mit  den  Ufern  befinden  und  an  den- 
selben befestigt  sind,  so  kann  das  grosse  Floss  sich  weder  in  gefahr- 
drohender Weise  heben  noch  fallen,  und  gegen  plötzlichen  durch  Eegen- 
güsse  oder  anhaltende  Südwinde  herbeigeführten  Wasserandrang  ist  die 
Brücke  durch  die  Bogen  geschützt,  durchweiche  das  Wasser  ungehin- 
dert fliessen  kann.  Um  den  freien  Verkehr  kleiner  Fahrzeuge  zu 
erleichtern,  hat  man  zwei  Durchfahrten  offen  gelassen,  von  denen  jeder 
300  Fuss  vom  Ufer  entfernt  und  80  Fuss  weit  ist.  Der  auf  der  Gala- 
taseite  ist  zur  Einfahrt  in  den  Hafen,  der  auf  der  Stambul-Seite  für 
die  hinausfahrenden  Boote  bestimmt.  Diese  Durchgänge  sind  mit  halb- 
kreisförmigen Bogen  überbaut,  die  mit  Räderfuhrwerken  etwas  be- 
schwerlich zu  passiren  sind,  aber  dem  Ganzen  ein  leichtes  Ansehen 
geben  und  die  lange  horizontale  Linie  angenehm  unterbrechen.  Damit 
grosse  Schiffe  hin-  und  hergehen  können,  ist  die  mittlere  südliche 
Abtheilung  so  gebaut,  dass  sie  eine  Zugbrücke  bildet,  die  mittelst 
schwerer  eiserner  Angeln  aufgezogen  werden  kann.  Die  Tiefe  des  Was- 
sers beträgt  an  dieser  Stelle  12,  sonst  durchschnittlich  8  Faden.  Die 
ganze  Länge  des  Bretterweges  belauft  sich  auf  1500,  die  Breite  des 
Fahrweges  auf  30  Fuss.  An  den  Enden  der  Brücke  befinden  sich  kleine 
Moscheen,  von  denen  die  auf  dem  Galata-Ufer  Asab  (von  den  leichten 
Truppen,  deren  Caserne  hier  lag),  die  auf  der  Stambul-Seite  die  Mehl- 
magazin-Moschee heisst.  Für  den  Uebergang  zahlt  man  an  die  Ein- 
nehmer, welche  an  beiden  I^ndpuncten  stehen,  beim  Betreten  der  Brücke 
jedesmal  5  Para.  Ein  Stück  weiter  hinauf  führt  eine  andere  Brücke 
über  das  Goldne  Hörn,  die  aber  weniger  benützt  wird. 

Wasser  ist  den  Morgenländern  das  Symbol  des  Lebens,  und  der 
Koranspruch:  „Durch  Wasser  lebt  alles  Ding",  bildet  die  Inschrift  fast 
aller  der  zahlreichen  öffentlichen  Brunnen  Stambuls.  Die  interessan- 
testen der  letzteren  sind  folgende : 

Der  Brunnen  vor  der  Hauptpforte  des  Serails,  erbaut  von  Ach- 
med HL  Er  ist  ein  grosses,  viereckiges  Gebäude,  dessen  Dach  sich 
wie  das  einer  Pagode  ausbiegt,  und  dessen  Ecken  abgestumpft  sind. 
Sowohl  auf  den  Seitenwänden,  wie  auf  den  Flächen  der  abgestumpften 
Ecken  liest  man  auf  blauem  Grund  goldne  Inschriften,  welche  den 
Wasserschatz  im  Innern  preisen,  dessen  „Fluthen  bei  Weitem  den 
Semsem  von  Mekka  und  den  Selsebil  oder  Paradiesesbrunnen  über- 
treffen". Suk  Tschesme,  eine  kalte  Quelle  gleich  neben  dem  Serailthor, 
welches  nach  ihr  benannt  istj,  zwischen  dem  Alai  Köschki  und  der 
grossen  Hauptpforte.  Trotz  des  Lobes,  welches  jene  Inschriften  der 
erstgenannten  Quelle  ertheilen,  gilt  sie  doch  noch  nicht  für  die  beste. 
Als  solche  sieht  man  den  Simeonsbrunnen  an,  der  sich  vor  dem  Serail- 
thor befindet,  welches  sich  nach  Osten  öffnet.  Mohammed  IL,  der  nach 
der  Eroberung  alle  Quellen  der  Stadt  untersuchen  Hess,  fand,  dass 
diese  das   leichteste   Wasser   gab,    und   befahl,   dass   jeden    Tag  drei 


C  onstantin  opel .  215 


Pferdelasteii  davon,  jede  von  20  Oka,  in  Öilbertlaächen  nach  dem  Se- 
rail gebracht  würden.  Endlich  mögen  noch  die  Brunnen  Sultan  Ach- 
med's  in  der  Pfortenstrasse,  nahe  bei  dem  eisernen  Thor  des  Seraila, 
und  der  Suitana  Sejnab,  der  Aja  Sofia  gegenüber,  sowie  der  in  Tophana 
als  besonders  schöne  Gebäude  erwähnt  werden. 

Von  den  Alterthümern  Constantinopels  muss  zunächst  des 
Atmeidan  gedacht  werden,  der  einen  Theil  des  einstigen  Hippodroms 
oder  Rennplatzes  einnimmt.  Er  ist  der  grösste  freie  Platz  in  Stambul, 
indem  er  250  Schritt  lang  und  etwa  150  breit  ist.  Man  findet  ihn  süd- 
östlich von  der  Aja  Sofia.  Vor  Errichtung  der  Achmed-Moache«.',  deren 
Hof  ihn  begrenzt,  war  er  noch  einmal  so  breit.  Der  Hippodrom  wurde 
vom  Kaiser  Severus  angelegt,  der  ihn  jedoch  unvollendet  lassen  rausste, 
da  das  Reich  damals  durch  Barbaren  schwer  bedrängt  wurde.  Derselbe 
war  in  der  Zeit  seiner  Vollendung  mit  schönen  Gallerien,  Statuen, 
Säulen  und  Marmorstufen  geschmückt.  Auch  standen  hier  bis  1204  die 
ehernen  Rosse,  die  jetzt  das  Portal  der  Markuskirche  in  Venedig  zieren. 
Die  Marmorstufen  wurden  unter  Soliman  dem  Grossen  durch  den 
Grossvezier  Ibrahim  Pascha  weggenommen,  der  seinen  in  der  Nähe 
gelegenen  Palast  damit  schmückte,  während  die  damals  noch  vorhan- 
denen Säulen  zum  Bau  der  Soliraanijeh  verwendet  wurden.  Der  Hippo- 
drom spielt  eine  grosse  Rolle  in  den  blutigen  Empörungen,  welche  in 
der  byzantinischen  Zeit  so  oft  das  Reich  erschütterten,  und  obwohl 
sie  —  z.  B.  durch  Belisar  —  wiederholt  hart  gezüchtigt  wurden,  bis 
in's  siebente  Jahi'hundert  sich  erhielten.  Apollonius  von  Tyana,  der 
bekannte  mystische  Philosoph,  errichtete  hier  wie  auf  andern  Plätzen 
der  Stadt  verschiedene  Bildsäulen  mit  geheimnissvollen  Inschriften, 
aus  denen  man  später  Weissagungen  auf  die  Schicksale  der  Stadt  her- 
auslas. Andere  Statuen  schaffte  man  von  Athen,  Kyzikus,  Cäsarea, 
Tralles,  Sardes,  Antiochia,  Cypern,  Kreta,  Rhodus  und  Nicäa  herbei. 
Alle  diese  Kunstwerke  wurden  zerstört,  als  die  barbarischen  Pranken 
unter  Balduin  und  Dandolo  die  Stadt  erstünnten.  Nur  drei  von  den 
Zierden  des  Platzes  sind  erhalten,  und  auch  diese  nur  theilweise:  zwei 
Obelisken  und  eine  Bronzesäule.  Der  eine  Obelisk,  von  ägyptischem 
Granit,  aus  einem  Stück  gemeisselt,  hat  eine  Höhe  von  50  Fuss  und 
ist  auf  allen  vier  Seiten  mit  Hieroglyphen  bedeckt.  Griechische  und 
lateinische  Inschriften  an  der  Basis  sagen,  dass  der  Kaiser  Theodosius 
ihn  wieder  aufrichten  liess,  nachdem  er  eine  Zeitlang  am  Boden  gelegen. 
Dabei  sind  die  Maschinen,  die  man  zu  seiner  Aufstellung  verwendet, 
in  Reliefplatten  abgebildet.  Einst  zierte  die  Spitze  ein  eherner  Fich- 
tenzapfen. Nicht  weit  davon  steht  ein  anderer  aus  verschiedenen  Stücken 
zusammengesetzter  Obelisk,  der  früher  mit  Erzplatten  überzogen  war. 
Diese  sind  wahrscheinlich  mit  Darstellungen  in  getriebener  Arbeit  ver- 
sehen und  grosse  Kunstwerke  gewesen ,  da  die  Inschrift  darunter  von 
dem  Obelisken  als  von  einem  Wunderwerk  spricht.  Vielleicht  trug  er 
die  einige  Schritte  davon  aus  einer  Vertiefung  aufragende  eherne 
Sehlang ensäule.  Diese  ist  etwa  16  Fuss  hoch  und  wird  von  drei 
Schlangen  gebildet,  welche  sich  spiralförmig,  etwa  wie  eine  Rolle  Ta- 


216  Constantinopel. 


bak,  emporwinden.  Oben  bildeten  ihre  hervorgestreckten  Hälse  eine  Art 
Dreifuss,  der  als  Capital  gelten  konnte.  Sultan  Murad  soll  einen  der 
Köpfe  abgeschlagen  haben.  Auch  die  andern  kamen  später  abhanden 
und  die  iSäule  wurde  umgeworfen.  Jetzt  hat  man  sie  wieder  aufge- 
richtet. Sie  ist  jedenfalls  ein  Werk  des  höchsten  Alterthums,  wenn  es 
sich  auch  nicht  beweisen  lässt,  dass  sie,  wie  Manche  vermuthen,  aus 
Delphi  hierher  geschafft  worden,  wo  sie  den  Dreifuss  der  Pythia  ge- 
tragen habe. 

Der  Palast  des  Belisar  liegt  auf  einer  Anhöhe  im  Quartier 
Chasköi.  Es  ist  die  Kuine  eines  weitläufigen  Baues,  der  zum  Theil  aus 
rothem  Sandstein,  zum  Theil  aus  Ziegeln  besteht.  Hier  und  da  ist 
auch  noch  ein  Marmorstück  sichtbar.  Im  Innern  der  Stockwerke  haben 
arme  Juden  ihre  Wohnung  aufgeschlagen.  Dass  er  der  Eest  des  Pala- 
stes des  berühmten  Feldherrn  sei,  ist  blosse  Sage. 

Die  Säule  des  Theodosius  befindet  sich  im  Garten  des  Se- 
rails, gehört  der  korinthischen  Ordnung  an  und  hat  eine  Höhe  von 
50  Puss.  Sie  ist  mit  einem  schönen  Capital  von  Verde  Antico  gekrönt 
und  trägt  die  Inschrift:  „Fortuna;  reduci  ob  devictos  Gothos". 

Die  Verbrauute  Säul«  steht  in  der  Adrianopler  Strasse  und 
verdient  ihren  Namen  in  gewissem  Sinn,  da  sie  von  den  Feuersbrünsteu, 
welche  diesen  Theil  der  Stadt  wiederholt  in  Asche  legten,  schwarz 
angeräuchert  worden  ist.  Bei  näherer  Betrachtung  sieht  man,  dass  sie 
von  PorphjT  erbaut  ist.  Sie  besteht  aus  mehren  Stücken,  die  Zwischen- 
räume zwischen  denselben  werden  von  Kupfer  ringen  verborgen.  Es 
heisst,  sie  habe  eine  Statue  Constantins  getragen.  Aus  der  Inschrift 
erfährt  man,  dass  dieses  „bewundernswerthe  Bauwerk  von  dem  frommen 
Kaiser  Manuel  Komnenus  wieder  hergestellt  wurde."  Glycas  meldet, 
dass  sie  unter  der  Kegierung  des  Nicephorus  Botoniates  vom  Blitz 
getroffen  Avurde,  welcher  die  Statue  des  Constantin,  die  ursprünglich 
den  Apollo  dargestellt  hatte,  zertrümmerte. 

Die  Marciaussäule  liegt  etwa  dreissig  Schritt  südlich  vom 
östlichen  Eir^ang  des  Schuhmacherbazars  im  Garten  eines  Türken,  ist 
aber  so  vov  Häusern  eingeschlossen,  dass  man  leicht  an  ihr  vorbeigeht. 
Die  Türken  nennen  sie  Kis  Taschi,  d.  i.  Mädchenstein,  eine  Benennung, 
welche  ihren  Ursprung  einer  Verwechslung  dieser  Granitsäule  mit  einer 
Marmorsäule  verdankt,  die  unweit  des  Fanars,  im  Mittelpunct  eines 
von  liederlichen  Frauenzimmern  bewohnten  Quartiers  stand.  Letztere 
Säule  nämlich  trug  eine  Venusstatue,  die  nach  der  Versicherung  alter 
Geschichtsschreiber  die  seltsame  Eigenschaft  hatte,  Frauen  von  zwei- 
felhafter Tugend,  die  au  ihr  vorbeigingen,  die  Kleider  emporfliegen 
zu  lassen.  Als  dies  einst  auch  der  Kaiserin  Sophia,  Gemahlin  Justi- 
nian's  II.  begegnete,  wurde  die  boshafte  Göttin  herabgerissen  und  in's 
Meer  geworfen.  Ihre  Säule  aber  blieb  stehen  bis  1553,  wo  sie  wegge- 
nommen wurde,  um  das  Innere  der  Solimanijeh  zu  verschönern.  Die 
Marcianssäule,  im  Jahre  455  errichtet,  besteht  aus  einem  einfachen 
Schaft  von  röthlich-grauem  ägyptischen  Granit,  welcher  aus  zwei  Stücken 


Coustantinopel.  217 


besteht.  Das  Fussgestell  wird  durch  fünf  ungleich  grosse  Blöcke  Mar- 
mora-Marraors  gebildet.  Der  mittlere  Block,  von  etwa  7  Quadratfuss, 
ist  auf  drei  Seiten  mit  griechischen  Kreuzen  in  kreisförmigen  Medail- 
lons geschmückt.  Auf  der  Westseite  befinden  sich  die  sehr  verstüm- 
melten Gestalten  zweier  Genien,  die  eine  Erdkugel  halten.  Auf  derselben 
Seite  liest  man  die  Inschrift:  ,Principis  hanc  statuam  Marciani  cerne 
torumque  ter  vovit  quod  Tatianus  opus".  Auf  dem  korinthischen  Knauf, 
der  ebenfalls  von  weissem  Marmor  ist,  sind  die  südlichen  Schnörkel 
noch  fast  ganz  unbeschädigt.  Auf  demselben  ruht  ein  grosser  vierecki- 
gen Marmorblock  mit  Adlern  an  den  Ecken,  der  wahrscheinlich  der 
Statue  Marcians  als  Fussgestell  diente.  Man  zahlt  für  den  Eintritt  in 
den  Garten  ein  kleines  Bakschisch. 

Sehr  bedeutend  und  zum  Theil  interessant  sind  die  ßeste  der 
alten  Wasserleitungen,  von  denen  die  des  Kaisers  Valens,  jetzt 
Bosdoijan  Kemari  genannt,  die  wichtigste  ist.  Dieselbe  überspannt 
mit  ihren  Ueberresten  das  Thal,  welches  den  dritten  Hügel  Constan- 
tinopels  vom  vierten  trennt  und  führt  das  aus  den  sumpfigen  Höhen 
westlich  von  Kihat  Khana  quellende  Wasser  dem  grossen  Serai  Taksim 
zu.  Nach  den  besten  Quellen  wurde  der  Aquäduct  vor  der  Umgestaltung 
der  Stadt  durch  Constantin  d.  G.  vom  Kaiser  Hadrian  erbaut,  und 
zwar  in  einer  einzigen  Bogenlinie.  Da  aber  der  Bau  mangelhaft  war 
und  durch  Erdbeben  bald  zerstört  wurde,  Hess  Valens  ihn  von  Grund 
aus  auf  einer  doppelten  Bogenreihc  neu  aufbauen.  Dieser  Neubau,  der 
um  das  Jahr  3ü7  n.  Chr.  vollendet  wurde,  stürzte  558  wiederum  ein. 
570  wieder  hergestellt,  wurde  er  617  von  den  Avaren  zerstört,  und  jetzt 
blieb  er  liegen,  bis  76G  Constautinos  Kopronymos  seinen  Wiederaufbau 
in  solidester  Weise  anordnete.  So  versorgte  das  grossartige  Werk  das 
Viertel  der  Aja  Sofia  und  die  um  die  Akropolis  gruppirten  kaiserlichen 
Paläste  drei  Jahrhunderte  hindurch  mit  Wasser.  Als  sich  Spuren  von 
Verfall  zeigten,  und  da  man  fand,  dass  die  Kanäle  theils  zerfallen, 
theils  verstopft  waren,  Hess  der  Kaiser  Basilius  im  Jahre  1020  das 
Ganze  nochmals  herstellen.  Dreizehn  Jahre  später  wurde  der  Aquäduct 
wieder  durch  ein  Erdbeben  beschädigt.  Dann  wieder  restaurirt,  blieb 
das  Werk  in  gutem  Zustande  bis  auf  Soliraan  den  Grossen,  der  es  im 
.lahre  1540  von  dem  grossen  Architekten  Sinan  wieder  ausbessern  Hess, 
es  leider  aber  zugleich  verunstaltete.  Da  er  fand,  dass  die  vom  Gipfel 
des  vierten  Hügels  nach  dem  dritten  üiessende  Wassermasse  durch 
Niederreissung  eines  Theils  der  oberen  Bogenreihe  nicht  beeinträchtigt 
werden  könnte,  so  beschloss  er  dieselbe  abzutragen,  um  von  der  Schach- 
sadeh-Moschee  eine  Aussicht  nach  der  nördlichen  Seite  des  Hafens  zu 
gewinnen.  Aber  im  Laufe  des  Zerstörungswerks  entdeckte  der  Sultan, 
dass  der  Zweck  desselben  nicht  zu  erreichen  sei,  und  so  blieb  die 
Hälfte  der  oberen  Bogenreihe  stehen.  Bei  Sonnenuntergang  bietet  dieser 
über  die  Niederung  des  Thaies  und  die  benachbarten  Häuser  hervor- 
ragende, verstümmelte  alte  Eömerbau  einen  höchst  malerischen,  impo- 
santen Anblick  dar,  indem  dann  das  Tagesgestirn  sein  scheidendes 
Licht  durch  die  noch  stehenden  Bogen   ergiesst  und  Alles  ringsum  in 


218  Constantinopel. 


jene  unbeschreibliche  aus  Gold  und  Pyrpur  gemischte  Fluth  taucht,  die 
dem  Bosporus  so  eigenthümlich  ist. 

Die  Höhe  des  Aquäduct  wechselt  nach  der  Tiefe  des  wellenför- 
migen Bodens,  ihr  Maximum  beträgt  78  Fuss,  die  Länge  von  der 
Mohammed-Moschee  bis  zum  Eski  Serai  ungefähr  1250,  die  Breite  des 
Mauerwerks  11  Fuss. 

Die  BimhirDirek-Cisterne  (Bimbir  Direk  heisst  tausend  und 
eine  Säule)  ist  die  berühmte  Cisterne  des  Philoxenes  der  byzantinischen 
Zeit;  jetzt  ist  sie  eine  Fabrik,  in  welcher  arme,  elend  aussehende 
Knaben  Seide  spinnen.  Sie  hat  im  Innern  eine  grosse  Anzahl  von 
Säulen. 

Diese  Säulen,  deren  man  672  gezählt  hat,  stehen  in  drei  Eeihen 
übereinander,  so  dass  das  Dach  eigentlich  nur  von  224  getragen  wird. 
Der  vorspringende  Fuss  der  obern  Reihe  ist  etwas  ausgehöhlt  und 
dient  der  untern  als  Capital.  Da  sie  sich  gegenseitig  das  Gleichgewicht 
halten,  so  haben  sie  trotz  der  häufigen  Erdbeben  ihre  gerade  Stellung 
bewahrt.  Man  hat  berechnet,  das  diese  Cisterne,  wenn  sie  von  dem 
Schutt,  der  sie  jetzt  bis  auf  6  Fuss  vom  Knauf  der  mittleren  Säulen- 
reihe füllt,  gereinigt  würde,  1,270,900  Kubikfuss  Wasser  halten  könnte, 
eine  hinreichende  Menge,  um  den  grossen  Stadttheil,  den  sie  eigentlich 
versorgen  sollte,  auf  zwei  volle  Monate  mit  Wasser  zu  versehen.  Die 
auf  den  Capitälen  einiger  Säulen  zu  lesenden  Anfangsbuchstaben  sind 
neuer  als  der  ursprüngliche  Bau,  welcher  seine  Dauerhaftigkeit  vor- 
züglich dem  trefflichen  Mörtel  dankt,  der  die  Backsteine  der  Wände 
und  Wölbungen  verbindet.  Wann  und  von  wem  die  Cisterne  erbaut 
worden  ist,  weiss  man  nicht.  Sie  liegt  nicht  fern  von  der  Verbrannten 
Säule  in  einem  Stadttheil,  der  im  Alterthum  den  Namen  Lausus  führte. 
Andere  Cisternen  mit  Säulen  findet  man  in  der  Nähe  der  Sieben 
Thürme  und  auf  dem  dritten   Hügel  in  der  Nähe  der  Laleli-Moschee. 

Wir  kommen  jetzt  zu  den  ungeheuren  Friedhöfen,  welche 
ganz  Constantinopel  sammt  seinen  Vorstädten  umgeben  und  zu  den 
sehenswerthesten  Puncten  der  Stadt  gehören.  Sie  nehmen  mit  ihren 
dunklen  Cypressengruppen  jede  geschützte  Stelle  und  jede  nicht  bebaute 
Höhe  ein  und  drängen  sich  selbst  in  die  Strassen  der  Stadt,  so  dass 
sie  die  Lebenden  stets  an  den  Tod  mahnen  und  jene  Ergebung  erzeugen, 
mit  welcher  jeder  Moslem  der  letzten  Stunde  entgegensieht.  Zu  den 
merkwürdigsten  dieser  Stätten  des  Todes  gehört  der  ungeheure  Fried- 
hof der  Juden  oberhalb  Chasköi,  eine  Verlängerung  des  Okmeidan. 
Dieses  einsame  Begräbnissfeld  zeichnet  sich  vor  allen  andern  durch 
den  Mangel  an  Bäumen  und  durch  die  fünfeckige  Gestalt  der  Sarko- 
phage auf  seinen  Grabsteinen  aus.  Ein  anderer  sehr  interessanter  Fried- 
hof, der  von  Ejub,  ist  bereits  erwähnt,  ebenso  der  fränkische  und  der 
armenische  hinter  Pera. 

Auf  den  offenen  Friedhöfen  findet  man  dreierlei  Classen  von 
Grabsteinen.  Die  der  Armen  bestehen  nur  aus  zwei  senkrechten  Steinen, 
von  denen  der  untere  etwa  3  Fuss,  der  obere  etwas  höher  ist.  Die 
mittleren  Classen  haben  ausser   dem  Kopf-  und   Fussstein   noch  eine 


Constantinopel.  219 


flache  Platte  auf  dem  Grabe,  die  in  der  Mitte  einen  langen  Spalt  hat. 
Letzterer  wird  gemacht,  um  dem  Gesetz  zu  genügen,  welches  die  gänz- 
liche Ueberdeckung  der  Gräber  mit  festen  Substanzen  untersagt.  Das 
Volk  glaubt,  dass  durch  die  Oeffnung  die  beiden  Engel  Monker  und 
Naker  ein-  und  ausgehen,  welche  nach  mohammedanischem  Glauben 
die  Todten  zu  verhören  haben.  An  den  Ecken  der  flachen  Platte  sind 
runde  Vertiefungen  angebracht,  die  dazu  dienen,  dass  sich  in  ihnen 
das  Eegenwasser  sammelt,  wo  sie  dann  den  auf  den  benachbarten  Cy- 
pressen  nistenden  Vögeln  als  Trinknäpfchen  dienen  —  ein  Zeichen, 
dass  der  Türke  auch  manche  liebenswerthe  Seite  hat.  Die  Vornehmen 
bedecken  ihre  Gräber  gewöhnlich  mit  hübschen  Sarkophagen,  die  sich 
in  der  ersten  Zeit  recht  gefällig  ausnehmen,  aber  bald  vernachlässigt 
werden,  es  wäre  denn,  dass  unter  ihnen  für  besonders  heilig  gehaltene 
Männer  ruhten.  Die  Gräber  der  letztern  sind  gewöhnlich  mit  Gittern 
umgeben.  An  diesen  flndet  man  oft  Lappen  und  Petzen  angeheftet.  Es 
herrscht  nämlich  unter  dem  Volke  der  Glaube,  dass,  wenn  man  vom 
Kleide  odoi'  Hemde  eines  Kranken  ein  Stück  abreisst  und  an  das  Grab 
eines  Frommen  heftet,  dies  dem  Leidenden  Gesundheit,  wenigstens 
Linderung  bringt. 

Obgleich  vornehme  Leute  gewöhnlich  verordnen,  dass  ihre  Ruhe- 
stätte nur  mit  einer  niedrigen  Säule  verziert  werden  solle,  sind  doch 
die  meisten  Gräber  mit  prächtigen  Inschriften  und  mehr  oder  weniger 
Sculpturen  versehen.  Die  Kopfsteine  bei  Männern  tragen  stets  einen 
Turban  oder  ein  Fess,  das  bisweilen  roth  bemalt  ist  und  aus  demselben 
Stück  wie  der  Grabstein  besteht.  Bei  Frauen  endigen  sie  mit  einer 
Spitze,  mit  der  Form  eines  ausgebreiteten  Blattes  oder  einer  Kamm- 
Muschel.  Die  Fuss-Steine  zieren  ausgehauene  Blumen,  bisweilen  auch 
bloss  gemalte.  Die  Grabschriften  sind  nicht  oft  so  poetisch,  als  sich 
von  der  lebhaften  Einbildungskraft  der  Orientalen  erwarten  lässt.  Sie 
enthalten  den  Namen,  die  einstige  Beschäftigung,  den  Todestag  des 
Verstorbenen  und  bisweilen  noch  einige  Zeilen,  die  mehr  vom  künfti- 
gen, als  vom  vergangenen  Leben  sprechen.  Anfangs  wird  immer  der 
Allmächtige  angerufen,  wie  z.  B. :  „Er,  der  Unsterbliche",  oder  „Gott 
allein  ist  unvergänglich".  Darauf  folgen  einige  Worte,  wie : 

„Der  in  Gott  entschlafene  und  auf  Vergebung  hoffende  Sejd 
Osman  Aga,  Hauptmann  der  44.  Janitscharen-Compagnie.  Ein  Gebet 
für  seine  Seele.  10.  Silhidsche  1211." 

Einige  Inschriften  auf  Frauengräbern  zeigen  mehr  Aufwand  von 
Kunst.  Sie  sind  in  der  Regel  in  Versen  geschrieben  und  in  Goldbuch- 
staben auf  blauem  Grunde.  Beispiels  halber  führen  wir  noch  einige 
Grabschriften  an,  und  zwar  zuerst  die  des  berühmten  Ali  Pascha  von 
Janina.  Das  Grab  desselben  liegt  auf  dem  Friedhof  vor  dem  Silivri 
Kapussi  auf  einer  erhöhten  Plattform.  Bei  ihm  ruher  seine  Söhne, 
Weli  Pascha  von  Trikala,  Muklar  Pascha  von  Avlona,  Salik  Pascha 
von  Lepanto  und  sein  Enkel  Mohammed,  welcher  Pascha  von  Delvino 
war.  Die  Sarkophage  sind  von  weissem  Marmor.  Die  goldenen  Inschrif- 


220  Constantinopel. 


ten  nennen    die   Namen    der    Todten,    und  deuten    an,  dass  sie  durch 
Enthauptung  starben.  Die  auf  Ali's  Grab  lautet: 
„Er  allein  ist  ewig  l* 

Der  Gouverneur  der  Provinz  Janina,  der  seine  Unabhängigkeit 
länger  als  dreissig  Jahre  behauptete  —  der  berühmte  Ali  Pascha.  Hier 
ruht  sein  Haupt!  5.  Dschamessi  Eli  Auwei  1227"  (1812).  Hier  wird 
für  die  Seele  des  Todten  kein  Gebet  verlangt,  weil  er  hingerichtet  und 
sein  Körper  anderswo  beerdigt  wurde. 

Auf  dem  Grabe  eines  Studenten  im  Friedhof  zu  Pera: 

„Einheit  und  Ewigkeit  sind  Sein." 

,Ach  wehe !  der  Mehlthau  des  Herbstes  hat  den  Frühling  meines 
Daseins  verderbt.  Das  Schicksal  sprach  und  rief  vor  der  Zeit  meine 
Seele  ab.  Tag  und  Nacht  arbeitete  ich  fleissig  im  Weinberg  der  Wis- 
senschaft, aber  ich  wurde  von  hinnen  gerufen,  ehe  ich  die  lebensreife 
Frucht  gekostet,  und  meine  Seele  schwang  sich,  aufwärts  strebend, 
empor  zu  den  Gärten  der  Ewigkeit.  Der  in  Gott  und  seiner  Gnade 
verschiedene  Mohammed  Sejd  Effendi,  Sohn  Hadschi  Ismail  Sadehs, 
Aeltesten  der  Schneiderinnung.  Ein  Gebet  'für  seine  Seele.  1251." 

Auf  dem  Grabe  einer  Dame  im  Friedhof  der  malerisch  gelegenen 
Moschee  Piali  Paschas  am  Ok  Meidan : 

„Gott  ist  unvergänglich,* 

„Verzeihe  mir,  o  Herr,  kraft  Deines  glänzenden  Himmelsgewölbes 
und  der  Leuchte  des  Korans.  Tretet  an  mein  Grab,  o  Freunde,  und 
gönnt  meiner  Seele  ein  Gebet.  Die  in  Gott  entschlafene  Hannifa  Cha- 
nem,  Gemahlin  Ali  Agas.  Der  Allmächtige  erbarme  sich  ihrer  Seele. 
Betet  für  sie!  1184.« 

Auf  dem  Kopfsteine  Bonnevals  im  Friedhof  der  Mewlewi-Der- 
wische  in  Pera: 

„Im  Namen  des  allmächtigen  Gottes.* 

„Möge  er,  der  Höchste  und  Heiligste,  Gnade  gewähren  den  Gläu- 
bigen beiderlei  Geschlechts,  und  dem  Befehlshaber  des  Bombardier- 
corps, Achmed  Pascha,  vergeben.  Üedschib  1160." 

Bonneval  war  bekanntlich,  nachdem  er  längere  Zeit  in  der 
österreichischen  Armee  mit  Auszeichnung  gedient,  nach  Constantinopel 
gegangen,  dort  General  der  Artillerie  geworden,  zum  Islam  überge- 
treten, zum  Statthalter  von  Chios  emporgestiegen ,  endlich  aber  abge- 
setzt worden,  worauf  er  1747  in  Constantinopel  starb. 

Wir  fügen  hieran  einige  Mittheilungen  über  türkische  Gebräuche 
^sser  dem  Hause,  namentlich  über  religiöse  Festlichkeiten. 

Das  türkische  Jahr  besteht  aus  12  Mondmonaten,  von  denen 
jeder  29  Tage  und  13  Stunden  hat.  So  enthält  das  Jahr  354  Tage  9 
Stunden.  Da  indess  ein  solches  Jahr  unbequem  wäre,  so  beschloss  man, 
dass  immer  19  Jahre  354  und  11  Jahre  355  Tage  haben  sollten,  so 
dass  die  mohammedanische  Zeit  sich  in  Cyklen  von  je  30  Jahren  ent- 
wickelt. Dabei  rechnet  man  das  Jahr  der  Hedschra  oder  Flucht  Mo- 
hammed's  von  Mekka,  in  welchem  er  zuerst  als  Prophet  auftrat,  als 
das  Jahr  Eins.  Dieses  begann  Freitag  den  16.  Juli  622,  und  das  538. 


Constantinopel.  221 


Jahr  der  Hedschra  begann  ebenfalls  Freitags  am  16.  Juli.  Dieses  Jahr 
aber  entspricht  dem  Jahr  1143  nach  Christi  Geburt,  und  so  sind  521 
unserer  Jahre  gleich  537  türkischen.  Der  Tag  wird  von  Sonnenunter- 
gang an  gerechnet,  dies  ist  die  zwölfte  Stunde.  Eine  Stunde  später 
ist  es  an  der  türkischen  Uhr  um  Eins  und  so  fort  bis  zur  zwölften 
Stunde  am  Morgen,  wo  sie  von  vorn  zu  zählen  beginnen.  Die  Folge 
dieser  Art  zu  rechnen,  ist,  dass  die  Uhren,  wenn  sie  richtig  gehen 
sollen,  bei  dem  Wechsel  der  natürlichen  Tageslänge  jeden  Abend  anders 
gestellt  werden  müssen. 

Unter  den  Festen  der  Mohammedaner  ist  das  Bairam  das  wich- 
tigste. Es  schliesst  den  Fastenmonat  Ramadan,  während  dessen  Jeder- 
mann sich  von  Sonnenaufgang  bis  Untergang  streng  alles  Essens  und 
Trinkens,  des  Rauchens  und  Schnupfens,  ja  selbst  des  Riechens  von 
Blumen  und  Essenzen  zu  enthalten  hat.  Der  Ramadan  beginnt  mit 
dem  Erscheinen  des  Mondes  nach  Sonnenuntergang  am  letzten  Tage 
des  vorhergehenden  Monats  Schasban.  Bei  Tagesanbruch  und  bei  Son- 
nenuntergang wird  von  jeder  der  Hauptbatterien  des  Bosporus  eine 
Kanone  gelöst,  um  der  Bevölkerung  den  Beginn  und  das  Ende  ihres 
täglichen  Fastens  zu  verkündigen.  Nach  dem  Kalender  sollte  der  Ra- 
madan stets  30  Tage  haben,  allein  die  Fasten  werden  in  der  Haupt- 
stadt bisweilen  auf  29  Tage  beschränkt,  wenn  nämlich  der  neue  Mond 
des  Schawal  nach  Ablauf  dieser  Periode  sichtbar  ist.  Der  Ramadan 
ist  eine  Nachahmung  der  griechischen  Fastenzeit,  nur  mit  dem  Unter- 
schied, dass  man  einerseits  den  Tag  über  gar  nichts  geniesst,  und 
andererseits  sich  des  Nachts  dafür  entschädigt.  Mohammed  wählte  die- 
sen Monat  für  die  Fasten,  weil  ihm  am  19.  desselben  Gott  seine 
Erwähluug  zum  Propheten  und  am  folgenden  Tage  das  erste  Capitel 
des  Koran  offenbart  hatte.  Unter  die  verschiedenen  Uebertretungen, 
■welche  das  tägliche  Fasten  ungiltig  machen,  und  durch  ausserordent- 
liche Gebete  und  Kasteiungen  gesühnt  werden  müssen,  gehört  nach 
türkischem  Glauben  das  Verleumden  —  es  wäre  schön,  wenn  dieses 
moralische  Fasten  auch  in  christlichen  Ländern  eingeführt  würde. 

Bairam  heisst  türkisch  überhaupt:  Fest-  oder  Feiertag.  Ara- 
bisch nennt  man  es  Id  El  Fitr.  Es  dauert  vier  Tage,  vom  Sonnen- 
untergang am  letzten  Tag  des  Ramadan  bis  Sonnenuntergang  am  3. 
Schawal  und  kann  als  der  Carneval  der  Moslerain  bezeichnet  werden. 
Man  macht  sicli  so  lußtig  als  möglich,  putzt  sich  mit  neuen  Kleidern 
und  verpufft  besonders  viel  Schiesspulver. 

Kurbau  Bairam,  arabisch  Id  Ed  Dha,  beginnt  stets  70  Tage 
nach  dem  vorigen  mit  Sonnenuntergang  am  10.  Silhidsche,  und  endigt 
am  Abend  des  15.  Es  wurde  zum  Andenken  an  das  unterbrochene 
Opfer  Ismaels  (nach  dem  Koran  wollte  Abraham  diesen,  nicht  Isaak, 
opfern)  eingesetzt.  An  diesem,  wie  an  dem  vorhergehenden  Feste  ent- 
halten sich  die  Türken  aller  Arbeit,  die  Geschäfte  ruhen.  Freunde  und 
Verwandte  besuchen  und  beschenken  sich,  und  Tag  wie  Nacht  sind 
dem  Schwärmen  und  Schwelgen  geweiht.  Am  Kurbau  Bairam  vertheilt 
man  aber  auch   reiche   Almosen,    erhebt   Zehnten    zu  milden  Zwecken 


222  Constantinopel. 


und  schlachtet  Massen  von  Schafen  und  Ziegen,  um  sie  an  die  Armen 
zu  vertheilen.  Schon  mehre  Tage  vor  diesem  Fest  wimmeln  die  Anhöhen 
um  die  Stadt  und  deren  Hauptstrassen  von  Herden,  welche  zu  diesem 
Zweck  aus  den  benachbarten  Districten,  ja  selbst  aus  dem  Innern  von 
Rumelien  und  Anatolien  herbeigetrieben  werden.  Die  bulgarischen 
Schäfer  des  Sultans,  die  ein  Dorf  nordwestlich  von  den  sogenannten 
Süssen  Wassern  Europa's  bewohnen,  kommen  ebenfalls  mit  einer  Herde 
solcher  Thiere,  von  denen  ein  Theil  durch  den  Sultan  selbst,  andere 
durch  Hofbearate  geopfert  werden.  Die  Hörner  der  Thiere  sind  ver- 
goldet, die  Vliesse  blau,  roth  und  gelb  bemalt,  mit  breiten  Bändern 
und  kleinen  Papierstreifchen  verziert,  die  Köpfe  und  Schwänze  mit 
Talismanen  behangen.  Die  Herde  zieht,  die  Treiber  in  festlicher  Klei- 
dung voran,  begleitet  von  lärmender  Musik  und  grossen  Hunden,  durch 
das  Egri  Kapussi  in  Stambul  ein  Die  Zahl  der  an  diesem  Fest  in  Con- 
stantinopel geschlachteten  Schafe  und  Ziegen  soll  sich  auf  200,000 
belaufen.  Ungeheure  Herden  werden  zu  demselben  Zwecke  nach  allen 
grossen  Städten  getrieben,  so  dass  das  Landvolk  beträchtlichen  Gewinn 
daraus  zieht,  zumal,  da  ein  Schaf  um  diese  Zeit  nicht  unter  40,  ein 
Lamm  nicht  unter  30  Piaster  zu  haben  ist. 

Mulid,  genauer  Mulid  En  Nebhi,  der  Geburtstag  des  Propheten, 
ist  einer  von  den  Tagen,  an  denen  der  Sultan  sich  in  Gala  nach  der 
Achmed-Moschee  begibt,  diesmal  um  dort  den  Brief  des  Scherifs  von 
Mekka  in  Empfang  zu  nehmen,  worin  die  glückliche  Ankunft  der  grossen 
Pilgerkarawane  und  der  Geschenke  gemeldet  wird.  Allgemeine  Lustbar- 
keiten aber  finden  an  diesem   Tage  in  Constantinopel  nicht  statt. 

Ausser  den  angeführten  Festen  haben  die  Moslemin  noch  sieben 
Nächte,  die  als  besonders  heilig  gelten.  Dieselben  werden  Lejiat  Mu- 
baraka,  heilige  Nächte,  genannt,  und  man  feiert  sie  durch  Erleuchtung 
der  Moscheen,  sowie  durch  Behängung  der  Gallerien  der  Minarete  mit 
Laternen.  Dieselben  sind  nach  der  E«ihenfolge  des  mohammedanischen 
Kalenders : 

1.  Die  Nacht  vor  dem  Mulid,  am  12.  Rebi  El  Aual. 

2  Die  Nacht  der  Enthüllung  (Lejiat  Er  Eegib),  in  welcher  die 
Empfängniss  des  Propheten  stattgefunden  haben  soll.  Sie  fällt  auf  den 
ersten  Freitag  des  Redschib  und   wird  türkisch  Utsch  Ailar  genannt. 

3.  Die  Nacht  der  Himmelfahrt  des  Propheten  (Lejiat  El  Miradsch), 
die  auf  den  27.  Redschib  fällt. 

4.  Die  Nacht  der  Rechtfertigung  (Lejiat  El  Berat);  sie  ist  die 
Nacht  des  15.  Schaban,  und  in  ihr  schliessen  die  über  die  Thaten  der 
Menschen  Bericht  erstattenden  Engel  ihre  Bücher  und  erhalten  neue; 
der  Todesengel  aber  schreibt  die  Namen  derjenigen  auf,  die  im  Ver- 
lauf des  kommenden  Jahres  sterben  sollen. 

5.  Die  Nacht  der  Allmacht  (Lejiat  El  Kadr)  fällt  auf  den  27. 
Ramadan  und  ist  die  gefürchtetste  und  geheimnissvollste  unter  allen 
Nächten  des  Jahres.  Erde  und  Luft,  Land  und  Meer,  die  Thiere,  Pflan- 
zen und  Steine,  kurz,  die  ganze  Natur  ist  dem  Einfluss  dieser  Nacht 
unterworfen  und  erkennt  durch  menschlichen  Augen  unsichtbare  Kund- 


Constantinopel.  223 


gebungen  die  Macht  und  Majestät  des  Schöpfers  an.  In  dieser  Nacht 
begibt  sich  der  Sultan,  wenn  das  Wetter  es  erlaubt,  in  Gala  nach  der 
kaiserlichen  Moschee  von  Tophana,  wobei  ihn  zahlreiche  Begleiter  mit 
bunten  Laternen  umgeben.  Dann  verfügt  er  sich  in  einen  Kiosk  des 
benachbarten  Arsenals,  um  ein  vor  demselben  veranstaltetes  Feuerwerk 
anzusehen.  Schliesslich  kehrt  derselbe  in  seinen  Palast  zurück ,  wo  man 
ihm  eine  neue  jungfräuliche  Knospe  zuführt.  Erwächst  daraus  der 
kaiserlichen  Familie  eine  Vermehrung,  so  wird  dies  als  ein  Ereigniss 
von  guter  Bedeutung  für  das  Eeich  angesehen.  Nach  Einigen  ist  dieser 
Gebrauch  jetzt  aus  der  Uebung  gekommen. 

Die  sechste  heilige  Nacht  ist  die,  welche  dem  Bairam,  die  sie- 
bente die,  welche  dem  Kurban  Bairam  vorangeht.  Der  10.  Moharrem 
wird  ebenfalls  heilig  gehalten;  es  ist  der  Tag  von  Kerbeiah,  wo  flos^ 
sejn,  der  Sohn  des  Chalifen  Ali  verrätherischer  Weise  von  Jesid  ge- 
tödtet  wurde.  Oeffentlich  gefeiert  wird  derselbe  nur  von  den  Schiiten. 
Aber  auch  bei  den  Sunniten  finden  an  demselben  weder  Gelage,  noch 
Hochzeiten  oder  Beschneidungen  statt,  und  er  gilt  überhaupt  als  Un- 
glückstag. Arabisch  wird  er  Aschura,  von  aschr,  zehn,  genannt. 

Sehr  interessant  und  gewissermassen  auch  ein  Fest  ist  die  Ce- 
remonie  des  Abzugs  der  grossen  Mekkakarawane.  Sie  ist  ein  Fest, 
bei  dem  das  Publicum  die  Hauptrolle,  der  Hof  nur  den  Zuschauer 
spielt,  und  wurde  1517  von  Selim  I.  eingesetzt,  der  zugleich  das  Amt 
eines  Sarra  Emini  oder  Schatzmeisters  und  Führers  der  Karawane 
stiftete.  Damals  soll  sich  der  Werth  der  Geschenke,  die  der  Sultan  der 
Karawane  mitgab,  auf  mehr  als  eine  Million  Thaler  belaufen  haben. 
In  neuern  Zeiten  haben  diese  Gaben  sehr  abgenommen,  indess  sind 
sie  noch  immer  beträchtlich,  da  sie  nicht  bloss  aus  der  Privatcasse 
des  Sultans,  seiner  Gemahlinnen  und  anderer  reichen  Personen,  sondern 
zugleich  aus  verschiedenen  frommen  Stiftungen  (Wakuf)  fliessen.  Die 
jährlich  für  Mekka  bestimmten  Summen  werden  vom  Kislar  Agassi 
und  dem  Finanzminister  festgesetzt  und  dem  Sarra  Emini  übergeben, 
von  dessen  Gutdünken  die  Vertheilung  hauptsächlich  abhängt.  Die 
Wallfahrt  nach  Mekka,  von  Mohammed  im  9.  Jahr  der  Hedschra  (631 
n.  Chr.)  eingesetzt,  ist  eine  der  fünf  Hauptpfiichten  der  Moslemin.  Nur 
aus  triftigen  Gründen  wird  davon  dispensirt,  und  dann  hat  der  betref- 
fende einen  Ersatzmann  zu  stellen  oder  reichliche  Almosen  zu  geben, 
die  unter  die  armen  Pilger  vertheilt  werden.  Die  alten  Chalifen  unter- 
zogen sich  der  Pflicht  wiederholt.  Seitdem  aber  das  Chalifat  in  die 
Hände  des  Hauses  Osman  übergegangen  ist,  hat  nur  ein  einziger  Sultan 
den  Versuch  gemacht,  sie  zu  erfüllen.  Es  war  dies  Osman  II.  Als  aber 
dessen  Absicht  den  Janitscharen  kund  wurde,  deren  Vernichtung  er 
mit  Hilfe  der  ägyptischen  Truppen  beabsichtigte,  erhoben  sie  sich  in 
offenem  Aufruhr,  und  der  Sultan  verlor  das  Leben.  Prinzen  und  Sul- 
taninnen der  jetzigen  Dynastie  haben  nur  zwei  die  Wallfalirt  unter- 
nommen: eine  Tochter  Mohammeds  I.,  welche  die  Eeise  glücklich  voll- 
brachte und  später  im  Geruch  einer  Heiligen  starb,  und  Sultan  Dschem, 
der    Bruder  Bajasids    IL,    welcher   ebenfalls   glücklich    zurückkehrte, 


224  Constantinopel. 


später  aber  in  der  Verbannung  zu  Civita  Vecchia  starb.  Da  man  es 
für  unpolitisch  hält,  dass  Sultane  die  Wallfahrt  antreten,  so  werden 
für  sie  Stellvertreter  gewählt.  Der  eine  derselben  ist  der  erwähnte 
Sarra  Eraini,  der  andere  der  oberste  Mollah  von  Mekka,  der  innerhalb 
der  Kaabah  sowie  in  Medina  als  Eepräsentant  des  Sultans  und  obersten 
Priesters  der  Gläubigen  fungirt.  Auch  der  Pascha  von  Damaskus  pflegt 
als  Emir  El  Hadsch  mitzuziehen,  wofern  es  nicht  die  Verhältnisse  ver- 
bieten. Von  dem  Gelde  (jetzt  etwa  60,000  Thaler)  welches  ersterer 
mitbekommt,  bekommen  einen  Theil  die  Armen  der  heiligen  Städte, 
einen  anderen  Theil  die  Wüstenaraber  auf  dem  Wege  (als  Geleitsge- 
bühr oder  Tribut),  einiges  wird  auf  Erhaltung  der  Strassen,  Brücken 
und  Brunnen  zwischen  Damaskus  und  Mekka  verwendet,  manches  fliesst 
auch  in  die  Tasche  des  Serra  Eraini  und  anderer  Würdenträger.  Die 
Pilgerkarawane  (Hadsch)  ist  doppelter  Art:  die  gewöhnliche  jährliche 
und  die  ausserordentliche,  welche  alle  sieben  Jahre  abgeht.  Bei  gewöhn- 
lichen betheiligen  sich  selten  mehr  als  25  bis  30,000  Menschen ,  bei  den 
ausserordentlichen  steigt  die  Zahl  auf  das  Doppelte.  Es  herrscht  der 
Aberglaube,  dass  der  Hadsch,  um  nicht  erfolglos  zu  sein,  aus  wenig- 
stens 60,000  Seelen  bestehen  müsse,  und  wenn  diese  Zahl  nicht  erreicht 
werde,  steige  der  Erzengel  Gabriel  mit  einer  hinlänglichen  Zahl  von 
Engeln  hernieder,  um  das  Fehlende  zu  ergänzen.  Der  erste  Sammelplatz 
der  Karawane  ist  Constantinopel,  wo  die  Pilger  aus  Eumelien  aus  den 
Ländern  am  Schwarzen  Meer  und  den  Inseln  des  Archipelagus  zusam- 
mentreffen. Der  zweite  grosse  Vereinigungspunct  ist  Damaskus,  wo  die 
gläubigen  Schaaren  aus  dem  Innern  von  Kleinasien,  aus  Syrien  und 
Mesopotamien  zur  Karawane  stossen.  Der  dritte  Sammelpunct  ist  da, 
wo  das  ägyptische  Gebiet  an  die  grosse  Wüste  grenzt  und  wo  die 
afrikanische  Karawane  sich  mit  der  nördlichen  vereinigt. 

Die  Abreise  des  Hadsch  findet  in  der  Eegel  am  12.  Schewal 
(Januar)  statt.  Indess  wird  sie  bisweilen  verschoben,  wenn  der  nächst- 
folgende Tag  ein  besonders  glücklicher,  etwa  ein  Freitag,  ist.  Die  Stadt 
ist  in  grosser  Bewegung.  Der  Sultan  begibt  sich  dann  gewöhnlich 
aus  seinem  Palast  in  das  alte  Serail,  und  hält  hier  Cour  (Richiab, 
d.  h.  Steigbügel),  umgeben  von  den  Grosswürdenträgern  des  Reiches. 
Nachdem  diese  vorbei,  eilen  die  Theilnehmer  dieser  Ceremonie  in  den 
ersten  oder  äusseren  Hof  des  Serails,  während  der  Sultan  sich  zu 
Pferde  in  den  dritten  Hof  begibt.  Von  hier  verfügt  er  sich  durch  das 
Thor  der  Glückseligkeit  in  den  zweiten  Hof,  auf  dessen  Nordseite  der 
Kiosk  steht,  in  welchem  früher  die  Grossveziere  die  fremden  Gesandten 
zu  empfangen  pflegten,  und  sodann  in  den  äussern  Hof,  wo  sich  ihm 
die  Grosswürdenträger  wieder  anschliessen,  um  ihm  nach  einer  der 
kaiserlichen  Moscheen  zum  Mittagsgebet  zu  folgen.  Nachdem  dieses 
vorüber  ist,  kehrt  der  Zug  in  das  Serail  zurück  und  der  Sultan  nimmt 
in  dem  über  dem  Mittelthor  befindlichen  Kiosk  an  einem  Fenster  Platz, 
um  die  Procession  der  Pilger  die  Revue  passiren  zu  lassen.  Derselben 
reitet  eine  Abtheilung  türkischer  Cavallerie  voraus.  Dann  kommt  der 
oberste  Emir  und  andere  Nachkommen  des  Propheten  mit  neuen,  grünen 


Constantinopel.  225 


Kaftans  und  grüuen  mit  Gold  gestickten  Turbanen,  alle  auf  schönen, 
reich  geschmückten  Pferden.  Hinter  diesen  reiten  die  Bürgermeister 
(Effendassi)  von  Starabul,  Galata  und  Pera,  die  Grossrichter  von  Ru- 
rnelien  und  Anatolien  und  ein  langer  Zug  von  Mollas  und  andern 
Gelehrten,  alle  von  ihren  Secretären  zu  Pferde  und  ihren  Reitknechten 
zu  Fuss  begleitet.  Hierauf  folgen  kaiserliche  Hausbeamte,  Pagen  und 
Diener  in  grünen  und  blauen,  mit  Gold  oder  Silber  verzierten  Unifor- 
men. Einige  derselben  tragen  silberne  Räucherpfannen  mit  Bernstein, 
Aloeholz  und  sonstigem  Räuchervverk,  während  Andere  eine  Hymne 
singen,  die  wiederholt  durch  das  Geschrei:  „Allah!  Allah  hu  akbar!" 
(Gott  ist  gross!)  unterbrochen  wird.  Hinter  diesen  kommt  dann  der 
Sarra  Emini,  begleitet  von  Beamten  und  Dienern  seines  Departements, 
alle  wohlberitten  und  in  grüne,  goldgestickte  Röcke  gekleidet.  Ihnen 
zunächst  kommt  der  Musdadschi  Baschi,  ein  Beamter,  der  den  Auftrag 
hat,  dem  Scherif  von  Mekka  das  eigenhändige  Begrüssungsschreiben 
des  Sultans  zu  überbringen.  Dieser  Brief  ist  in  drei  seidene,  säinmtlich 
mit  dem  kaiserlichen  Siegel  versehene  Beutel  eingeschlossen,  die  wie- 
derum in  einer  Kapsel  von  grüner  mit  Goldstickerei  geschmückter  Seide 
stecken.  Der  Musdadschi  Basclii  hält  das  Gehäuse  mit  beiden  Händen 
auf  dem  Sattelknopf,  während  sein  Pferd  von  zwei  Reitknechten  ge- 
führt wird. 

Endlich  erscheinen  die  beiden  heiligen  Kameele  Machmili  Sche- 
rifi,  welche  die  Hauptrolle  bei  der  Ceremonie  spielen.  Diese  Thiere 
werden  niemals  zu  weltlichen  Zwecken  verwendet.  Ihr  Stambaum  ist 
sehr  alt  und  soll  bis  zu  dem  Kameel  hinaufreichen,  welches  den  Pro- 
pheten am  Tage  der  Flucht  trug.  Das  erste  ist  prächtig  aufgezäumt. 
Zaum,  Schwanzriemen  und  Gurt  sind  von  grünem,  mit  Goldknöpfen 
und  Edelsteinen  besetztem  Leder.  Nacken  und  Schwanz  sind  mit  Talis- 
manen und  Amuleten  behangen,  den  Kopf  schmückt  eine  Krone  von 
Straussenfedern.  Auf  dem  Rücken  desselben  erhebt  sich  ein  mit  Zinnen 
versehener  Kasten  mit  der  heiligen  für  die  Kaabah  bestimmten  Decke, 
die  einmal  vom  Sultan,  das  audere  Mal  vom  Pascha  von  Aegypten 
geliefert  wird.  Der  Kasten  hat  etwa  6  Fuss  Höhe  und  2  im  Durch- 
messer, ist  senkrecht  auf  dem  Sattel  befestigt,  mit  Decken  von  Gold- 
stoft  behangeil  und  mit  kleinen  Fahnen  und  Federn  von  verschiedenen 
Farben  besteckt.  Reiche  Decken  von  gleichem  Stoff  hängen  zu  beiden 
Seiten  herunter  und  verbergen  fast  das  ganze  Thier.  Das  zweite  Ka- 
meel trägt  keine  andere  Last,  als  eine  Nachahmung  des  Sattels  (Machfil), 
auf  dem  ^der  Prophet  zu  sitzen  pflegte,  wenn  er  Recht  sprach  oder 
Suren  des  Koran  vorlas.  Er  ist  von  grünem  Sammt  mit  Silber  gestickt. 
Von  gleichem  Stoff  ist  der  Zaum  und  das  übrige  Geschirr.  Beide  Thiere 
werden  von  zahlreichen  Stallknechten  und  einer  Ehrenwache  begleitet. 
Hinter  ihnen  kommt  der  Richter  der  Karawane  (Hakim  El]  Hadsch) 
mit  seinen  Kawassen,  der  während  der  Reise  Rechtshändel  schlichtet 
und  die  Polizei  handhabt.  Dann  verkündet  eine  wilde  Musik  von  Trom- 
meln und  Tamburins  mit  noch  wilderen  Gesängen,  angestimmt  von 
einer  Schaar  zerlumpter  Derwische  und  Bänkelsänger,  die  Ankunft  der 

15 


226  Constantinopel. 


Pilger.  Diese  Leute,  meist  den  untersten  Classen  angehörig,  zielien  in 
ungeordneten  Gruppen,  auf  lange  Stäbe  gestützt  und  unter  dem  bestän- 
digen Gebrüll:  .Allah!  Allah!  hu!  hu!"  einher.  Ihnen  folgt  eine  Ab- 
theilung Infanterie  als  Bedeckung  für  die  sieben  heiligen  mit  dem  Schatz 
der  Karawane  und  den  Geschenken  beladen en  Maulthiere.  Der  erste 
befindet  sich  in  starken,  mit  grünem  Tuch  überzogenen  Kasten,  die 
letzteren  in  kleinen  Behältern,  die  ähnlich  gestaltet  und  verziert  sind, 
wie  der  vom  ersten  Kameel  getragene.  Zäume  und  Sättel  dieser  Thiere 
sind  von  rothera  Leder  und  mit  feiner  Stickerei  verziert.  Drei  derselben 
tragen  die  Zelte,  in  welchen  die  heilige  Decke  und  der  Brief  des  Sul- 
tans bei  Nacht  aufbewahrt  werden.  Die  Zeltstangen  sind  oben  mit 
grossen  metallenen  Kugeln  und  grünseidenen  Wimpeln  geschmückt.  Auf 
die  Maulthiere  folgt  eine  zweite  Musikbande  und  eine  noch  grössere 
Schaar  von  Pilgern,  die  ebenso  zerlumpt  und  schmut/Jg  aussehen,  als 
die  andern.  Anständige  Leute  wohnen  diesem  Zuge  selten  als  Theil- 
nehmer  bei,  sondern  schliessen  sich  ihm  entweder  in  Skutari  oder  in 
Damaskus  an.  Die  Strassen,  durch  welche  sich  die  Procession  bewegt, 
sind  mit  Militär  besetzt,  hinter  dem  sich  fast  die  ganze  muselmännische 
Bevölkerung  sammelt,  auf  der  einen  Seite  die  Männer,  auf  der  andern 
die  Frauen.  Die  Fenster  der  obern  Häuser  sind  ebenfalls  mit  Frauen 
besetzt,  während  ihre  Männer  und  männlichen  Verwandten  unten  sitzen. 
Hunderte  von  vergoldeten  Arabas  mit  den  schönsten  Damen  von  Stam- 
bul  nehmen  die  oftenen  Plätze  ein. 

Sobald  die  Spitze  des  Zuges  den  Landungsplatz  am  Bagdschi 
Kapussi  oder  Gartenthor  erreicht  hat,  schwenkt  sie  rechts  ab,  um  für 
die  Lastthiere  Platz  zu  machen.  Diesen  wird,  sobald  sie  am  Rand  des 
Wassers  angelangt  sind,  ihre  Last  abgenommen,  um  an  Bord  eines 
bereitstehenden  Dampfers  nach  Skutari  gebracht  zn  werden.  Die  Thiere 
kehren  unter  Bedeckung  einer  Ehrenwache  nach  ihren  Ställea  im  Serail 
zurück.  Der  Sarra  Emini  aber  und  die  übrigen  Beamten  der  Karawane 
schiffen  sich  unter  einer  Salve  von  21  Kanonenschüssen  nach  Skutari 
ein,  wohin  ihnen  auch  die  Pilger  folgen,  mit  denen  sie  einige  Tage 
später  nach  Mekka  aufbrechen. 

Diese  jährlichen  Pilgerfahrten  haben  gegen  früher  an  Originalität 
bedeutende  Einbusse  erlitten.  Die  Organisation  dieser  islamitischen 
Wallfahrtsreisen  (Hadschi),  welche  noch  heutzutage  zu  den  Hauptbe- 
schäftigungen zählt,  womit  sich  der  syrische  General-Gouverneur  zu 
befassen  hat,  war  in  früherer  Zeit  viel  bedeutender  als  eben  jetzt  Der 
genannte  Grosswürdenträger  führte  unter  anderen  Titeln  auch  jenen 
eines  Prinzen  der  Karawanen  (Emir-el-Hadschi),  er  war  in  dieser  Eigen- 
schaft verpflichtet,  persönlich  den  Oberbefehl  über  die  Karawane  zu 
übernehmen,  dieselbe  von  Damaskus  nacli  Mekka  zu  führen,  gleichzeitig 
auch  für  die  Sicherheit  mehrerer  tausend  Hadschis  während  einer  Reise 
von  4  /j  Monaten  auf  eine  Entfernung  von  yOO  Meilen  in  der  Wüste, 
die  Damaskus  von  den  zwei  heiligen  Städten  trennt,  nach  Möglichkeit 
Sorge  zu  tragen.  Damaskus  war  damals  der  Rendezvousplatz  der  per- 
sischen, sowie  auch  der  aus  Constantinopel  kommenden  Pilger,  die  dort 


Constantinopel.  227 


nach  ihrer  Vereinigung  eigentlich  die  grosse  Mekkapilger-Karawane 
bildeten.  Am  zahlreichsten  waren  die  Perser  vertreten;  seit  jedoch  der 
persische  Meerbusen  bis  Dscheddah  durch  Dampfer  befahren  wird,  be- 
nützen dieselben  diese  beiweitem  minder  beschwerliche  Route.  Früher 
zog  die  Karawane  vom  asiatischen  Ufer  des  Bosporus  mit  sämmtlichen 
Hadschis  der  europäischen  Türkei  durch  zahlreiche  anatolische  und 
syrische  Städte,  überall  Pilger  aufnehmend,  die  dann  zu  Tausenden 
zählten,  nach  Damaskus.  Seit  einigen  Jahren  finden  diese  romantischen 
Wallfahrten  aus  ökonomischen  Gründen  nicht  mehr  statt,  einige  wenige 
Syrier,  ziemlich  viel  Damascener,  sowie  auch  noch  theilweise  Perser, 
bilden  heutzutage  die  Landkarawanen.  Die  Mehrzahl  der  Pilger  bedient 
sich  französischer,  österreichischer  und  russischer  Dampfer  bis  Port- 
Said  oder  Alexandrien,  von  wo  aus  dieselben  durch  den  Kanal  oder 
per  Eisenbahn  nach  Suez  gelangen,  um  von  da  durch  egyjitische 
Dampfer  der  Azizie-Gesellschaft  nach  Dscheddah  überführt  zu  werden. 

Seit  der  Gouverneur  von  Syrien  die  Karawane  nicht  mehr  per- 
sönlich führt,  wird  alljährlich  abwechselnd  ein  pensionirter  Civil-  oder 
Militär-Pascha  zum  Führer  (Suri  Emini)  ernannt;  derselbe  überbringt 
die  Präsente  des  Grossherrn  an  die  heiligen  Städte,  zugleich  auch  eine 
Art  Subvention,  richtiger  Tribut  an  gewisse  Beduinen-Chefs,  um  die 
Karawane  durch  ihr  Gebiet,  dass  heisst  durch  die  Wüste,  ungefährdet 
ziehen  zu  lassen.  Die  Direction  der  Pilger-Karawane  führt  ein  anderer 
Pascha  unter  dem  Namen  Mohafaz-el-Hadschi ;  derselbe  ist  gleichzeitig 
Comniandant  der  Escorte,  die  früher  aus  regulären  Truppen  bestand, 
jetzt  aber  aus  berittenen  Beduinen,  irregulärer  arabischer  Cavallerie 
und  Zapties  (Polizeimännern)  zusammengesetzt  ist,  da  Letztere  die 
Strapazen  leichter  zn  eintragen  vermögen.  Zwei  Feldgeschütze  werden 
stets  mitgefnhrt.  Die  Auslagen  des  Staatsschatzes  für  diese  Karawanen 
sind  noch  immer  sehr  bedeutend.  Der  Vali  von  Syrien  ist  verpflichtet, 
den  Betrag  von  10  Millionen  Piaster,  hiezii  für  übliche  Geschenke 
wenigstens  0  Millionen,  herzugeben ;  rechnet  man  die  Verpflegung  der 
Pilger  und  der  Escorte  auf  der  Reise  hin  und  retour,  den  Aufenthalt 
in  den  heiligen  Städten,  sowie  auch  unvermuthete  Auslagen,  so  maclit 
der  Gesammtbetrag  die  runde  Summe  von  20,  sage  zwanzig  Millionen 
zz  5  Millionen  Francs,  die  wahrlich  zu  einem  viel  nützlicheren  Zweck 
verwendet  werden  könnten.  Der  Grossherr  ist  indess  der  Beherrscher 
der  Gläubigen,  der  legitime  Nachkomme  der  Chalifen;  ohne  Gefahr, 
das  Prestige  der  herrschenden  Dynastie  zu  gefährden,  kann  diese  alte 
Sitte  nicht  so  leicht  auf  einmal  über  Bord  geworfen  werden.  Indessen, 
obwohl  die  Türkei,  Aegypten,  Tunis,  der  Kaiser  von  Marokko,  ja  selbst 
Frankreich  den  Hadschis  theilweise  freie  Ueberfahrten  und  auch  son- 
stige Unterstützung  gewähren,  vermindert  sich  die  Zahl  derselben  den- 
noch von  Jahr  zu  Jahr  sehr  erheblich.  Die  Zeit  ist  nicht  mehr  ferne, 
wo  auch  diese  heilige  Spazierfahrt  fanatischer  mahommedanischer 
Pilger  nach  dem  Grabe  des  Propheten  sich  überlebt  haben  wird. 

Was  den  Charakter  der  Türken  betriffst,  so  darf  man  ihn 
nicht  nach  Dem  beurtheilen,  was  man  in  Constantinopel  an  den  Classen 


228  Constantinopel. 


sieht,  mit  welchen  der  Fremde  am  ehesten  zusammenkommt,  und  am 
wenigsten  nach  den  Jungtürken,  die  sich  mit  europäischer  Bildung 
brüsten,  sich  aber  in  der  Eegel  mehr  von  den  Lastern,  als  von  den 
Tugenden  der  civilisirten  Welt  angewöhnt  haben.  Die  vornehme  Welt 
in  der  Türkei  ist  auf  das  tiefste  verfault  und  verdorben,  die  Beamten 
räuberisch  und  bestechlich.  Das  Volk,  die  Mittelclassen,  dagegen  und 
ebenso  die  untere,  namentlich  auf  dem  Lande,  sind  bei  weitem  besser, 
ehrlicher  und  wahrhaftiger,  als  man  oft  annimmt,  bei  weitem  besser 
als  die  Griechen,  besonders  die  von  Constantinopel,  unter  denen  auch 
die  niedere  Classe  mit  wenigen  Ausnahmen  aufs  Aeusserste  verdorben 
ist.  Der  türkische  Bauer  und  Handwerker  zeichnet  sich  durch  eine  grosse 
Anzahl  von  Tugenden  aus.  Er  ist  religiös,  ein  guter  Gatte  und  Vater 
(nur  sehr  selten  bedienen  sich  diese  Classen  der  Erlaubniss  des  Pro- 
pheten, mehr  als  eine  Frau  zu  besitzen),  gastfrei  und  mildthätig.  Er 
ist  ein  fleissiger  Arbeiter,  ein  getreuer  Freund,  vor  Allem  aber  ohne 
Falsch.  Das  Lügen,  Stehlen  und  Betrügen  überlässt  er  den  Griechen 
und  Armeniern.  Er  ist  endlich  massig  und  ungemein  gutherzig  in  der 
Behandlung  der  Thiere.  Selten  sieht  man  Türken  betteln,  fast  die 
einzigen  Ausnahmen  sind  Blinde  oder  Wanderderwische.  Der  türkische 
Soldat  rauss  mit  seiner  Tapferkeit  und  noch  mehr  mit  seiner  Ausdauer 
bei  Ertragung  von  Strapatzen  und  Entbehrungen  der  beste  der  Welt 
sein,  wenn  er  gut  befehligt  wird.  Das  Officierscorps,  früher  meist  aus 
herzlich  unwissenden  Türken  bestehend,  hat  in  neuester  Zeit  sehr  gewonnen. 
Erstens  sind  selir  viele  der  Jüngern  Officiere  auf  auswärtigen  Kriegs- 
schulen gebildet,  sprechen  fremde  Sprachen  und  sind  mit  der  modernen 
Kriegskunst  vertraut,  zweitens  ist  eine  ganze  Masse  von  Fremden  in 
türkische  Kriegsdienste  getreten  Die  Letzteren  sind  in  der  überwie- 
genden Mehrzahl  Franzosen  und  Deutsche,  namentlich  Norddeutsche. 
Die  ganze  Armee  hat  bekanntlich  durch  die  preussischeu,  zu  Paschas 
erhobenen  Instructoren  die  europäische  Taktik  gelernt  und  grosse 
Theile  derselben  -sind  bereits  mit  Hinterladern,  leider  nach  verschie- 
denen Systemen,  versehen.  Die  Uniformen  der  türkischen  Soldaten  sind 
ebenso  malerisch  als  zweckmässig,  die  Leute  durchweg  stattlich  und 
kräftig,  ihre  Kost  gut,  die  neuen  Kasernen  gesund  und  ein  wahres 
Muster  von  Reinlichkeit.  Die  türkische  Artillerie  soll  zu  den  besten  in 
Europa  gehören,  jene  Batterien  wenigstens,  die  in  Constantinopel  gar- 
nisoniren.  In  Asien  drüben  sieht  es  freilich  noch  vielfach  anders  aus 
und  es  soll  dort  noch  Bataillone  geben,  welche  Gewehre  mit  Feuer- 
steinschlössern führen,  weil  der  und  jener  Pascha  das  Geld,  welches  er 
zum  Ankaufe  neuer  Waffen  hätte  verwenden  sollen,  in  seine  Tasche 
steckte.  Viele  der  Paschas  und  Minister  sind  auf  den  schmutzigsten 
Wegen  zu  Rang  und  Würden  gelangt,  und  so  kluge  Diplomaten  manche 
von  ihnen  sind,  keiner  hat  einen  fruchtbaren  Gedanken,  einen  festen 
Willen,  die  Uebel,  die  an  Staat  und  Gesellschaft  nagen,  abzustellen. 
Zum  Schluss  dieses  Capitels  fügen  wir  noch  Einiges  über  die 
grossen  Wasserleitungen  ausserhalb  Constantinopel s  hinzu,  deren 
Besichtigung  sehr  wohl  einen  Ausflug  verdient,  Die  ganze  Wassermasse, 


Constantinopel.  229 


welche  die  grossen  Becken  (Taksiin)  Stambuls  und  seiner  Vorstädte 
füllt  und  von  da  in  die  öffentlichen  und  Privatbrunnen  fliesst,  kommt 
von  den  Quellen  und  Bächen,  die  auf  den  waldigen  Höhen  bei  den 
Dörfern  Belgrad,  Pyrgos,  Aiwal  Bend,  Dschebedschi  Köi,  Petinochori 
und  Bagdschi  Köi  entspringen.  Diese  Anhöhen  erheben  sich  5  bis  700 
Fuss  über  die  Meerestiäche,  während  der  höchste  Panct  in  Stambul 
und  Pera  nicht  410  Fuss  übersteigt.  Diese  Quellen  werden  sorgfältig 
bewacht.  Innerhalb  dos  Wasserbezirks,  wie  man  diese  Gegend  nennen 
kann,  darf  kein  Baum  gefällt  werden,  damit  die  Quellen  nicht  aus- 
trocknen. Das  Landvolk  darf  keine  Brunnen  graben  und  das  Wasser 
zur  Berieselung  der  Felder  nur  aus  solchen  Quellen  ziehen,  die  tiefer 
als  die  Kanäle  liegen,  welche  die  Behälter  ausserhalb  der  Stadt  mit 
den  Innern  verbinden.  Auch  dürfen  keine '  Büffel  oder  andere  Thiere 
sich  den  Quellen  oder  Bäclxen  nähern  und  sie  trüben.  Das  Wasser  wird 
in  sieben  grosse  Gruben  oder  Becken  geleitet,  die  Beiide  genannt 
werden  und  mit  solidem  Mauerwerk  eingefasst,  sowie  mit  Schleussen 
versehen  sind.  Das  tiberfliessende  Wasser  läuft  in  ebenfalls  ausgemau- 
erte Nebenbecken  —  Basch  Hawuss  —  ab,  die  als  Vermittler  zwischen 
den  Brunnen  dienen.  Die  Bende  liegen  an  den  Ausgängen  von  Schluchten, 
die  von  den  höchsten  Puncten  auslaufen  und  nach  unten  breiter  wer- 
dend die  Thäler  von  Pyrgos,  Belgrad,  Ewaheddin,  Pascha  Deressi  und 
bagdschi  Köi  bilden. 

Der  erste  Bend,  176.5  von  Mustafa  III.  erbaut  und  nordwestlich 
vom  Dorfe  Belgrad  gelegen,  heisst  Aiwat  oder  der  Bend  von  Pyrgos. 
Der  zweite,  südlich  von  Belgrad  befindlich,  im  Thale  Ewaheddin,  heisst 
der  grosse  (Bujuk),  der  dritte,  in  demselben  Thale  nördlich  von  Bel- 
grad, wird  Eski  Bend,  der  alte  Bend  genannt.  Jener  stammt  aus  dem 
Jahre  1714  und  wurde  von  Achmed  III.  angelegt,  dieser  wird  dem 
Sultan  Soliman  dem  Grossen  zugeschrieben.  Der  vierte,  südwestlich 
von  Belgrad,  ist  der  von  Pascha  Deressi  und  wird  gleichfalls  für  ein 
Werk  Solimans  gehalten.  Der  fünfte,  Jeni  Bend,  d.  h.  der  neue  Was- 
serbehälter genannt,  wurde  1817  vom  vorletztverstorbenen  Sultan  Mah- 
mud II.  aufgeführt  und  ist  das  schönste  dieser  Bauwerke.  Der  sechste 
und  siebente,  Walide  und  Mahmud  geheissen,  liegen  nördlich  von  Bag- 
dschi Köi.  Der  erste  wurde  von  Mahmud's  I.  Mutter,  der  letztere  von 
diesem  Sultan  selbst  erbaut. 

Diese  Wasserbecken  werden  in  der  Regel  so  hergestellt,  dass 
man  den  obern  Theil  einer  Schlucht  vermittelst  eines  massiven  18  bis 
20  Fuss  dicken,  von  Strebepfeilern  gestützten  Quaderdammes  einschliesst. 
Der  fünfte  und  sechste  Bend  haben  Marmorbekleidung.  Oben  auf  dem 
Damm  läuft  ein  breiter,  gepflasterter  Weg  mit  Steinsitzen  hin.  Einige 
sind  mit  goldenen  Inschriften  auf  grünem  Grunde  verziert,  welche  die 
Namen  der  Gründer  nennen.  Die  Inschrift  auf  dem  Bujuk  Bend  lautet: 
«Die  Gewässer,  erschrocken  über  das  Riesenwerk,  weichen  zurück  bei 
dem  Anblick  " 

Die  Basch  Hawuss  sind  kreisförmige  Cisternen,  deren  gemauerte 
Wände   mit   einem   aus   Korassancement   und  Werg  gemachten  Stuck 


230  Constantinopel. 


überzogen  sind.  Ihr  Durchmesser  beträgt  30  bis  40,  ihre  Tiefe  15  bis 
20  Fuss.  Steinerne  Treppen  führen  auf  den  Boden  hinab.  Den  Ueber- 
fluss  der  Bendc  nehmen  sie  durch  gewölbte  Kanäle  auf,  die  das  Wasser 
vermittelst  ihrer  Verzweigungen  nach  allen  erforderlichen  Eichtungen 
führen.  Ist  zu  viel  Wasser  vorhanden,  so  läuft  es  durch  besondere 
Röhren  ab  und  dient  dann  zur  Speisung  der  benachbarten  Bäche.  Der 
grösste  Basch  Hawuss  ist  bei  Pyrgos.  Er  wurde  im  Jahre  1620  durch 
den  unglücklichen  Osman  II.  erbaut.  Sein  Wasser  fliesst  ihm  durch 
zwei  Aquäducte  zu,  die  Ossun  (der  lange)  und  Gasseischi  Kemari  (der 
schöne  Kanal)  heissen.  Aus  diesem  grossen  Becken  strömt  die  Wasser- 
masse durch  zwei  Leitungen,  die  Justinianische  and  die  von  Dschebed- 
schi  Köi  über  das  Thal  Ali  nach  dem  Egri  Kapu  hin. 

Von  den  Aquäducten  verdienen  sechs  eine  genauere  Beschreibung. 

Der  erste  oder  östlichste,  der,  vom  Bosporus  aus  betrachtet, 
sich  äusserst  stattlich  ausnimmt,  läuft  über  das  Thal  von  Bagdschi 
Köi  an  der  Stelle,  wo  es  in  das  von  Bujukdere  mündet.  Er  wurde  von 
Mahmud  errichtet  und  nimmt  das  Wasser  des  Walide-  und  des  Mah- 
mud-Bend  auf,  welches  sofort  mittelst  unterirdischer  Kanäle  nach  dem 
grossen  Taksim  von  Pera  und  jenem  auf  den  nördlicheren  Höhen 
zwischen  dem  Begräbnissplatz  und  dem  neuen  Spital  geleitet  wird. 
Das  erstere  dieser  Taksim  versieht  sämmtliche  Vorstädte  auf  dem 
linken  Ufer  des  Goldenen  Horns,  also  Chasköi,  Kassim  Pascha,  Galata, 
Pera  und  Tophana  mit  Wasser,  während  das  letztere  Dolmabagdsche 
und  Besiktasch  versorgt.  Ein  drittes  Taksim  auf  den  Höhen  von  Orta- 
köi  liefert  den  benachbarten  Dörfern  und  dem  Palast  Tschiragan  ihr 
Wasser.  Alle  andern  Orte  von  Kuru  Tschesme  bis  Bujukdere  beziehen 
ihr  Wasser  aus  dem  obengenannten  Aquäduct  oder  unmittelbar  aus 
den  beiden  anstossenden  Benden,  die  denselben  speisen.  Die  äusserste 
Länge  des  Aquäducts,  von  Bagdschi  Köi  beträgt  1270  Fuss,  seine  Höhe 
in  der  Mitte  82  Fuss'.  Die  Strasse  von  Bujukdere  nach  Belgrad,  eine 
der  schönsten  Partien  in  der  Umgebung  von  Constantinopel,  läuft  dar- 
unter weg. 

Der  zweite  Aquäduct,  welcher  in  der  Nähe  von  Pyrgos  das  Thal 
von  Petinochori  überspannt,  heisst  Ossun  Kemari  (lange  Wasserleitung). 
Er  hat  eine  Länge  von  2000  und  eine  Höhe  von  80  Fuss.  Soliman  der 
Grosse  soll  ihn  erbaut  oder  vollständig  umgebaut  haben. 

Der  dritte,  von  Einigen  Gusseischi  (der  schöne),  von  Andern 
seiner  Gestalt  wegen  Dirsekdschi  (der  Ellenbogen)  genannt,  ist  durch 
den  schmalen  Hügelkamm  zwischen  dem  Thal  von  Pyrgos  und  Bejlik 
Mandra  in  zwei  Theile  getrennt.  Die  Länge  der  beiden  Theile,  die  auf 
dem  Gipfel  der  dazwischenliegenden  Höhe  zusammentreffen,  beträgt 
1025  Fuss,  ihre  Höhe  100  Fuss.  Dieser  Aquäduct  wird  ebenfaAls  dem 
Sultan  Soliman  zugeschrieben,  und  zwar  soll  ihn  dessen  grosser  Bau- 
meister Sinan  errichtet  haben.  Nach  byzantinischen  Schrifstellern  aber 
war  sein  Erbauer  ein  oströmischer  Kaiser  des  zwölften  Jahrhunderts. 

Der  vierte  Aquäduct,  von  den  Franken  dem  Kaiser  Justinian 
zugeschrieben,   von  den  Türken   Muallak  Kemari  genannt,  zieht  sich 


Constantinopel.  231 


nicht  sehr  weit  von  dem  kleinen  Gartenpalast  des  Sultans  an  den  so- 
genannten ISüssen  Wässern  von  Europa  (siehe  Seite  177)  über  das 
Thal  von  Ali  Bej  Köi.  Man  thut  wohl,  den  Ausflug  hierher  an  einem 
Freitag  zu  unternehmen,  wo  Tausende  von  türkischen  Frauen  in  ihren 
bunten  Gewändern  mit  ihren  Sclaven  und  Kindern  sich  hier  versam- 
meln, um,  auf  dem  Käsen  gelagert,  den  Nachmittag  zu  verbringen, 
zahlreiche  Kutschen  und  Arabas  eine  Art  Corso  beginnen,  verschiedene 
Orchester  sich  hören  lassen  und  häufig  auch  die  Frauen  des  kaiser- 
lichen Harems  erscheinen.  Man  fährt  von  Galata  in  einem  Kaik  in 
etwa  einer  Stunde  dahin.  Die  Länge  des  Aquäducts  beträgt  725,  seine 
Höhe  in  der  Mitte  des  Thaies  110  F.  Er  besteht  aus  zwei  gewölbten 
Stockwerken,  von  denen  das  untere  weitere  und  höhere  Bogen  hat,  als 
das  obere.  Zwischen  beiden  wölben  sich  noch  kleinere  Bogen,  welche 
die  Leichtigkeit  des  Bauwerks  erhöhen,  ohne  seine  Festigkeit  zu  beein- 
trächtigen. Die  Basis  ist  56  Fuss  breit,  aber  diese  Breite  vermindert 
sich  allraälig,  so  dass  sie  4  Fuss  unter  dem  Kamm  des  Ganzen  nur 
noch  50  Zoll  beträgt.  Auf  diesem  verengerten  Eaume  laufen  zwei  paral- 
lele Kanäle,  jeder  15  Zoll  breit.  Diese  sind  mit  starken  Blechplatten 
gedeckt,  welche  den  Sujoldschi,  die  den  Bau  in  gutem  Stande  zu 
erhalten  haben,  einen  schmalen  Pfad  darbieten.  Wenn  man  sagt,  dass 
dieser  Kanal  von  Justinian  um  das  Jahr  538  erbaut  worden  sei,  und 
sogar  wissen  will,  derselbe  stamme  von  den  beiden  Erbauern  der  Aja 
Sofia,  so  ist  das  wahrscheinlich  ein  Irrthum.  Wenigstens  thut  Prokopius 
in  seinem  Buch  über  die  Bauwerke,  in  welchem  alle  grossen  Gebäude, 
die  Justinian  von  527  bis  565  errichtete,  aufgezählt  sind,  dieses  Aquä- 
ducts keine  Erwähnung.  Einige  byzantinische  Schriftsteller  schreiben 
das  Werk  dem  Tyrannen  Androuicus  Komnenus  zu,  aber  der  zuverläs- 
sigere Niketas  Choniates  bemerkt,  Andronicus,  der  kaum  zwei  Jahre 
den  Thron  inne  hatte,  habe  das  Gebäude  blos  wieder  hergestellt.  Viel 
Wahrscheinliches  hat  die  Meinung  Andreossi's,  welcher  den  Aquäduct 
Constantin  dem  Grossen  zuschreibt ;  denn  sie  hat  grosse  Aehnlichkeit 
mit  andern  Ueberresten  der  byzantinisch-griechischen  Periode. 

Der  fünfte  Aquäduct,  Pascha  Deressi  Keraari  genannt,  und  süd- 
westlich vom  Dorfe  Belgrad  gelegen,  ist'einer  der  merkwürdigsten.  Seine 
Länge  beträgt  1340,  seine  Höhe  80  Fuss.  Er  leitet  den  Wasserzufluss 
der  Thäler  und  Bende  von  Eski,  Bujuk,  Jeni  und  Pascha  Deressi  nach 
der  grossen  Cisterne,  welche  den  EUenbogen-Aquäduct  speist. 

Der  sechste  geht  westlich  von  Dschewedschi  Köi  über  das  Thal 
und  gilt  für  den  ältesten  von  allen.  Nichts  destoweniger  hat  es  das 
Ansehen  eines  noch  ziemlich  neuen  Bauwerks,  und  wird  von  den  Türken 
dem  Sultan  Mohammed  IL  zugeschrieben.  Er  ist  475  Fuss  lang  und 
hat  eine  Höhe  von  85  Fuss.  Etwas  weiter  südlich  liegt  ein  mit  diesem 
Aquäduct  in  Verbindung  stehender  Basch  Hawuss. 

Ueber  den  malerisch  gelegenen  Aquäduct  des  Kaisers  Valens  ist 
im  Vorhergehenden  das  Erforderliche  berichtet  worden. 

Die  Wasserraasse  des  Justinianischen  Aquäducts  wird  durch  eine 
Eeihe  von  gewölbten  Kanälen  dem  grossen  Taksim  am  Thor  Egri  Ka- 


232  Constantinopel. 


puss  zugeführt.  Dieser  von  Gonstantin  d.  G.  errichtete  und  seinen 
Inschriften  zufolge  von  Achmed  III.  und  Mohammed  Il.'restaurirte 
Behälter  liegt  gerade  südlich  vor  dem  Thore,  von  dem  er  seinen  Namen 
hat.  Er  versieht  Stambulmit  reichlichem  Wasser  vermittelst  gewölbter 
Kanäle,  welche  die  Nebenbehälter  des  Serails,  von  Aja  Sofia,  Jeni 
Bagdschi,  Narli  Kapu  u.  a.  speisen.  Diese  letztern  wieder  vertheilen 
ihr  Wasser  in  die  zahlreichen  Cisternen,  Bäder,  Moscheenbrunnen  und 
Sebil  Khanas  (öffentliche  Brunnenhäuser)  bis  zu  den  Sieben-Thürraen 
hin.  Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich,  dass  das  grosse  System  der  Was- 
versorgung  Constantinopels,  von  einem  unregelmässigen  Kreise  aus- 
gehend, dessen  Mittelpunct  das  Dorf  Belgrad  ist,  in  zwei  Hauptkanäle 
zerfällt,  von  denen  der  eine  nach  dem  linken,  der  andere  nach  dem 
rechten  Ufer  des  Goldnen  Horns  hinläuft,  so  dass  die  beiden  Bende 
und  der  Aquäduct  von  Bagdschi  Köi  ausschliesslich  für  das  erstere 
bestimmt  sind,  während  alle  übrigen  Behälter  und  Kanäle  das  letztere, 
also  Stambul,  zu  versorgen  haben.  Es  braucht  kaum  bemerkt  zu  werden, 
dass  dieses  System  die  Vertheidigung  Constantinopels  gegen  einen  von 
der  europäischen  Seite  kommenden  Feind  sehr  schwierig  machen  würde. 

Die  Höhe  des  grossen  Taksim  von  Pera  über  der  Meeresfiäche 
beträgt  330  Fuss.  Er  liegt  folglich  120  Fuss  unter  der  mittleren  Höhe 
seiner  Quellen.  Die  Höhe  des  Taksim  von  Egri  Kapu  beträgt  nicht 
mehr  als  120  Fuss  über  dem  Meer;  er  liegt  also  230.  Fuss  unter  der 
geringsten  Höhe  seiner  Quellen. 

Der  Bau  fortlaufender  Aquäducte  würde  bei  der  grossen  Anzahl 
von  Thäleru  und  Thälchen  in  der  Nachbarschaft  von  Constantinopel 
unerschwingliche  Koston  verursacht  haben;  ist  doch  schon  der  einzige 
Kanal  von  Basch  Hawuss  von  Pyrgos  bis  zum  Egri  Kapu  Thor  über 
4  Stunden  lang.  Nachdem  daher  die  ersten  grossen  Leitungen  herge- 
stellt waren,  nahmen  mehre  Sultane  hintereinander  den  einfacheren 
und  minder  kostspieligen  Plan  der  hydraulischen  Nivellirung  auf,  wo- 
bei sie  sich  durch  die  in  Syrien  und  Arabien  gebräuchlichen  Wasser- 
wagen halfen.  Diese  bestehen  aus  abgestumpften  Pyramiden  von  ver- 
schiedener Grösse,  je  nach  der  Lage  und  der  Masse  des  Wassers,  das 
sie  leiten  sollen.  Sie  werden  in  Thälern,  Schluchten  und  anderen  Orten 
angebracht  und  'dienen  als  umgekehrte  Heber.  Sie  mögen  gross  oder 
klein  sein,  ihre  Einrichtung  ist  stets  dieselbe.  An  der  Seite,  die  dem 
Kanal  zugekehrt  ist,  sind  sie  mit  irdenen  Röhren  versehen,  in  welchen 
das  durch  seinen  eigenen  Druck  emporgetriebene  Wasser  aufsteigt. 
Oben,  wo  die  Röhren  endigen,  fiiesst  es  in  eine  kleine  Cisterne.  Auf 
der  entgegengesetzten  Seile  befinden  sich  einige  Mündungen,  die  2  bis 
3  Zoll  niedriger  sind,  als  die  Einlassröhren.  Nachdem  nun  das  Wasser 
oben  circulirt  hat  und  dem  Druck  der  Luft  ausgesetzt  gewesen  ist, 
fällt  es  durch  diese  Oelfnung  in  Röhren,  die  mit  unterirdischen  Kanälen 
in  Verbindung  stehen,  welche  es  den  nächsten  Behältern  zuführen. 

Durch  solche  Pyramiden  werden  nicht  nur  die  Wasserleitungen 
ersetzt  und  damit  beträchtliche  Ausgaben  erspart,  sondern  die  Berüh- 
rung des  Wassers  oben  auf  der  Höhe   mit  der  reinen  Luft  dient  auch 


Constantinopel. 


233 


zur  Eeinigung  und  Erfrischung  des  Elements.  Auch  werden  dadurch 
die  Aufseher  in  den  Stand  gesetzt,  wenn  in  den  unterirdischen  Kanälen 
Eisse  oder  Verstopfungen  entstehen,  die  schadhafte  Stelle  sofort  zu 
entdecken.  Dergleichen  Wasserwagen  findet  man  auch  in  der  t^tadt  an 
verschiedenen  Orten,  z.  B.  auf  der  Colonnade  bei  der  Schahsadeh-Mo- 
schee;  einige  haben  an  den  Seiten  steinerne  oder  eiserne  Vorsprünge, 
die  als  Leitern  dienen.  Andere,  wie  die  im  Thal  des  Pulvermagazins 
unweit  Piali  Pascha  und  die  bei  dem  Maslak  zwischen  Pera  und  Bujuk- 
dere  sind  inwendig  'mit  Treppen  versehen.  Dieser  Maslak  (Behälter, 
eigentlich  Spund  oder  Hahn)  erhält  sein  Wasser  aus  den  Benden  von 
Bagdschi  Köi  und  versorgt  mehre  Dörfer  am  Bosporus  von  Bebek  bis 
Jeni  Köi. 

Die  beiden  grossen  Taksim  oder  Wasservertheiler  in  Pera  und 
am  Egri  Kapussi  sind  dem  Princip  nach  gleich  gebaut,  r.ur  die  Form 
ist  etwas  verschieden.  Sie  zerfallen,  wie  alle  Taksim  in  zwei  Abthei- 
lungen: die  Behälter  und  die  Vertheilungskaramern.  Erstere  sind  läng- 
liche Bauwerke  mit  starken  Mauern  und  gewölbten  Decken,  die  mit 
starken  Ziegeln  oder  Steinplatten  belegt  sind.  Das  Innere  ist  mit  einem 
dauerhaften  Kitt  überzogen,  der  so  undurchdringlich  und  so  zähe  ist, 
dass,  obgleich  einige  Taksim  sich  ganz  unter  der  Erde  befinden,  und 
folglich  den  Einsickerungen  von  Aussen  wie  dem  Druck  von  Innen 
ausgesetzt  sind,  doch  noch  keinerlei  Ausbesserung  nöthig  geworden  ist, 
was  um  so  mehr  Wunder  nimmt,  als  diese  gerade  die  ältesten  sind. 
An  deu  Dächern  haben  die  Behälter  eiserne  Platten,  die  geöftnet  werden 
können,  um  Luft  und  Licht  hereinzulassen.  Auf  der  einen  Seite  befindet 
sich  eine  Thür.  Ihr  Umfang  ist  so  gross,  dass  sie  viele  tausend  von 
Tonnen  Wasser  aus  den  Benden  aufnehmen  können.  Eine  gewölbte 
Leitung  führt  es  der  Vertheilungskammer  zu.  Das  aus  den  Taksim 
fliessende  Wasser  ist  nicht  gut  trinkbar.  Der  lange  Weg  durch  die 
Kanäle  aber  und  seine  Erfrischung  in  der  Wasserwage  verbessern  es, 
so  dass  es  von  den  Aerzten  nicht  für  ungesund  gehalten  wird.  Wer 
indess  vollkommen  wohlschmeckendes  Wasser  trinken  will,  muss  sich 
an  die  Wasserverkäufer  wenden,  welche  an  verschiedenen  berühmten 
Quellen  kleine  Pässer  füllen  lassen. 

Zu  den  geschätztesten  Quellen  auf  dem  europäischen  Ufer  ge- 
hören die  von  Defterdar  Skelessi,  nicht  weit  von  Ejub,  die  von  Mir 
Akhor  bei  den  Süssen  Wässern  von  Europa,  die  von  Jeni  Köi  und 
Stenia  in  dem  anmuthigen  Thale  beim  Landgut  Tahir  Pascha's,  endlich 
die  Sultansquelle  im  Eosenthai  von  Bujukdere,  welche  letztere  die  Ehre 
hat,  den  kaiserlichen  Harem  zu  erfrischen.  Die  berühmteste  Quelle  auf 
der  asiatischen  Seite  des  Bosporus  ist   die  von  Kara  Kulak. 

Wir  schliessen  mit  einem  Blick  auf  die  Sieben  Thüpme,  die 
auf  türkisch  Jedi  Kuli  heissen.  Dieses  Gebäude  steht  isolirt  am  äus- 
sersten  westlichen  Ende  von  Stambul,  wo  die  über  das  Vorgebirg  lau- 
fende Mauer  am  Marmorameer  endigt.  Es  ist  ein  altes  Schloss,  welches 
einst  als  Staatsgefängniss  diente,  und  welches  jetzt  von  Jahr  zu  Jahr 
mehr  verfällt.   Drei   von   den   Thürmen  sind  fast  ganz  verschwunden, 


'^^^54  Constantinopel. 


die  noch  übrigen  sind  etwa  200  Fuss  hoch.  Dieses  Fort  wurde  wahr- 
scheinlich sehr  bald  nach  Gründung  der  Stadt  erbaut.  Theodosius  ver- 
stärkte es  durch  zwei  Thürme.  Als  Mohammed  II.  die  Stadt  einnahm, 
war  das  Schloss  der  Sieben  Thürme  eine  Euine.  Er  baute  es  wieder 
auf,  und  dasselbe  wurde  später  eine  Janitscharenkaserne.  Dann  war 
es,  wie  bemerkt,  Staatsgefängniss.  Ein  kleiner  Hof,  wo  man  die  Köpfe 
der  hier  Enthaupteten  aufschichtete,  bis  sie  über  die  Mauer  schauten, 
heisst  noch  jetzt  der  Platz  der  Köpfe.  Die  Garnison  besteht  jetzt  nur 
aus  einigen  Soldaten,  die  in  der  Kegel  gegen  ein  kleines  Bakschisch 
den  Eintritt  in  das  Innere  gestatten.  Bekannt  ist,  dass  mau  hier  noch 
im  vorigen  Jahrhundert  die  Gesandten  einsperren  liess,  mit  deren  Ge- 
bietern der  Sultan  in  Krieg  verwickelt  wurde. 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.      235 


ACHTES  CAPITEL. 


X>ie   Uier   des  ^Bosporus  in.  £}ux*opa.   und  .A.sien- 

1.  Das  europiiioche  Ufer:  Artaköi,  Kuru  Tschesme,  Arnaut  Köi,  Bebek,  Buniili 
Hissar,  Balta  Linian,  Emirgiau,  Stenia,  Jeiii  Köi,  Kaleiidar.  Therapia,  Keüli  Köi,  Bu- 
jukdere,  Bagdschi  Köi,  Belgrad,  Sarijari,  Ruinili  Kawak,  Bujuk  Limau,  Karibjeh,  Fana- 
raici,  Kilia.  —  2.  Das  asiatische  Ufer:  Riwa,  Poiras,  Filburun,  Anadoli  Kawak,  der 
Riesenberg,  Unkiar  Skelessi.  Bejkos,  Äkbaba.  Sekedereh,  Sultania,  Indschir  Köi,  Tschib- 
buklu.  Kandlija,  Auadoli  Hissar.  Kandilli,  Kalleh  Bagdschessi,  DscheiigelH  Köi,  Beg- 
lerbeg,  Stavros,  Kusgundschik,  Skutari,  Bulgerlu,  Kadiköi  oder  chalcedou.  —  Gallipoli. 
—  Die  Dardanellen. 

Wir  betrachten  die  Strasse  zwischen  dem  Schwarzen  und  dem 
Marmoraraeer  zuerst  kurz  vom  militärischen  Standpunct,  und  bemerken 
zunächst,  dass  die  Länge  des  europäischen  Ufers  des  Bosporus  gegen 
vier,  die  des  asiatischen  ungefähr  fünf  deutsche  Meilen  beträgt,  und 
dass  die  Forts  und  Batterien  auf  jenem  mit  251,  die  auf  diesem  mit 
235  Kanonen  armirt  sind,  ganz  abgesehen  von  17  Geschützen,  welche 
grosse  Steine  schleudern.  Diese  Forts  und  Batterien  sind  gegenwärtig 
nichts  weniger  als  im  verfallenen  Zustande,  sondern  im  Gegentheil  in 
der  besten  Verfassung,  und  sehr  wohl  geeignet,  das  Durchsegeln  einer 
Flotte  unmöglich  zu  machen.  Diese  Vertheidigungsmittel  des  Bosporus 
bestehen  in  Batterien,  die  mit  6  bis  10  Geschützen  schweren  Calibers 
armirt  sind  und  in  Forts  oder  Schlössern,  die  auf  den  Landvorsprüngen 
an  den  schmälsten  Stellen  des  Kanals  stehen  und  so  angebracht  sind, 
dass  ihr  Feuer  sich  kreuzt.  Die  Batterien  befinden  sich  in  dem  süd- 
lichen Theile  des  Bosporus  und  laufen,  ein  wenig  unterhalb  Constan- 
tinopels  beginnend,  an  beiden  Ufern  bis  an  die  Bucht  von  Bujukdere 
hin,  wo  dann  die  Forts  beginnen.  Zu  ßumili  Kawak,  auf  dem  euro- 
päischen Ufer,  befinden  sich  zwei  Forts,  eines  mit  28,  das  andere  mit 
45  Feuerschlünden.  Auf  der  asiatischen  Seite,  jenen  beiden  gegenüber, 
liegen  zwei  andere  Forts,  eines  zu  Riwa,  das  andere  zu  Anadoli  Kawak, 
jenes  mit  45,  dieses  mit  30  Geschützen  bewaffnet.  Der  Bosporus  ist 
hier  nicht  breiter  als  3600  Fuss,  und  wird  nach  dem  Gesagten  von 
etwa  130  Feuerschlünden  vertheidigt,  die  grossentheils  36  Pfünder,  zum 
Theil  auch  Paixhans  sind.  Eine  Flotte,  selbst  wenn  sie  aus  Dampfern 
bestünde,  hätte  das  Feuer  dieser  Geschützmassen  wenigstens  20  Mi- 
nuten auszuhalten  Vier  andere  Forts  vertheidigen  die  Durchfahrt  nach 
dem  oder  von  dem  Schwarzen  Meere  auf  eine  halbe  deutsche  Meile 
hin.  Die  vier  zu  Bujuk  Liman  und  Karibjeh  auf  der  europäischen  und 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Buropa  und  Asien.      237 

zu  Filburuu  und  Poiras  auf  der  asiatischen  Seite  haben  zusammen  etwa 
100  Kanonen,  und  die  Meerenge  ist  hier  etwa  6000  Fuss  breit.  Diese 
vier  Forts  sind  ein  fast  ebenso  grosses  Hinderniss  für  die  Forcirung 
des  Bosporus,  als  die  genannten.  Wo  die  Meerenge  in  das  Schwarze 
Meer  mündet,  sind  wieder  zwei  Forts,  welche  jedes  20  bis  30  Geschütze 
führen.  Endlich  befinden  sich  an  der  Küste  des  Schwarzen  Meeres  noch 
zwei  solche  Schlösser,  die  so  eingerichtet  sind,  dass  sie  eine  etwa  beab- 
sichtigte Landung  von  Truppen  zur  Erstürmung  der  genannten  Befe- 
stigungen unmöglich  machen. 

Nichts  kann  schöner  sein,  als  die  Scenerie  an  den  Ufern  des 
vielgeschlängelten,  an  Wechsel  in  Formen  und  Farben  überaus  reichen 
Bosporus.  Der  Khein,  die  Donau  in  ihren  schönsten  Stellen,  die  Hud- 
son zwischen  Newyork  und  Albany  bieten  nichts  dem  Aehnliches.  Indem 
wir  von  Dorf  zu  Dorf  gehen,  werden  wir  das  ganze  europäische  Ufer  bis  zu 
den  cyaneischen  Felsen  am  Eingang  in's  Schwarze  Meer  beschreiben 
und  dann  auf  dem  asiatischen  Ufer  nach  Süden  umkehrend  ebenfalls 
Ort  für  Ort  bis  nach  Skutari  und  Kadiköi  herab   schildern. 

Der  Bosporus,  dieser  eigenthümliche  Kanal  zwischen  der  Pro- 
pontis  und  dem  Pontus  bildet  durch  seine  Windungen  eine  Kette  gleich- 
sam von  sieben  See'n.  Diese  Windungen  werden  auf  jeder  Seite  durch 
sieben  Vorgebirge  bedingt,  die  auf  dem  gegenüberliegenden  Ufer  ebenso 
viele  Buchten  bilden.  Sieben  Strömungen  von  verschiedener  Kichtung 
folgen  den  Windungen  der  Küste.  Jede  hat  ihre  Gegenströmung,  durch 
welche  das  Wasser,  mit  Heftigkeit  in  die  verschiedeneu  Buclxten  ge- 
trieben, von  dort  in  entgegengesetzter  Eichtung  aufwärts  in  die  andere 
Hälfte  des  Kanals  fliesst.  Das  erste  Vorgebirge  auf  der  europäischen 
Seite  ist  das  von  Tophana  (das  alte  Metopon),  welches  zu  gleicher  Zeit 
den  Hafen  von  Constantinopel  schliesst  und  den  Bosporus  beginnt.  Das 
nächste,  zu  dem  wir  gelangen,  ist  das  von  Ortaköi,  das  dritte  das 
von  Arnaut  Köi  oder  Defterdar  Buruni,  das  vierte  das  von  Eumili 
Hissar,  wo  der  Bosporus  am  engsten  ist.  Dann  folgt  als  fünftes  das 
von  Jeni  Köi,  dann  das  von  Eumili  Kawak,  endlich  als  siebentes  das 
Vorgebirge  am  Eingang  in's  Schwarze  Meer,  auf  dem  der  Leuchtthurm 
steht.  Die  Buchten  auf  der  asiatischen  Seite,  welche  diesen  Vorgebirgen 
entsprechen,  sind  folgende:  Ortaköi  gegenüber  die  von  Tschengel  Köi, 
Eumili  Hissar  gegenüber  die,  in  welche  der  Göksu  mündet,  Jeni  Köi 
gegenüber  der  Bucht  von  Tschibbukli,  fünftens  die  von  Unklar  Ske- 
lessi,  sechstens  die  Ehede  von  Anadoli  Kawak,  siebentens  die  beiden 
Eheden  von  Ketscheli  Liman  und  Poiras  Liman. 

Die  Vorgebirge  der  asiatischen  Seite  sind,  von  Süden  angefangen : 
das  von  Skutari,  das  von  Kandilli,  das  von  Kandlijah,  die  Therapia 
gegenüber  sich  in  den  Kanal  hinausstreckende  Landspitze  von  Unar 
Köi,  dann  der  Fluss  des  Eiesenberges,  dann  sechstens  das  Vorgebirge 
von  Anadoli  Kawak  an  der  obern  Enge  des  Bosporus,  endlich  siebentens 
das  mit  dem  Leuchtthurm  auf  der  asiatischen  Seite  der  Mündung  des 
Pontus.  Die  sieben  grossen   Buchten  auf  dem  europäischen  Ufer  aber 


238      Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 


sind  die  zwischen  Dolmabagdsche  und  Ortaköi,  die  von  Kuru  Tschesrae, 
die  von  Bebek,  dann  die  von  Balta  Liman  und  Bujukdere. 

Die  Ortschaften  auf  dem  europäischen  Ufer  sind  folgende  : 
Funduklu,  eine  Porsetzung  von  Tophana.  Hier  stand  im  Alterthum 
ein  Altar  des  Ajax  und  ein  Tempel  des  Ptolemäus  Philadelphus,  dem 
die  Byzantiner  göttliche  Ehre  erwiesen.  Dolmabagdsche,  dessen  Palast 
ira  vorigen  Capitel  erwähnt  wurde,  ein  ziemlich  ausgedehnter  Ort  auf 
einem  Hügel,  der  das  Pentekorikon  des  Alterthums  ist.  Hier  liegt  die 
Moschee  von  Auni  Effendi,  und  ein  Stück  weiter  nördlich  das  Denk- 
mal des  türkischen  Seehelden  Chaireddin  Barbarossa,  welches  indess 
von  der  See  aus  nicht  zu  sehen  ist.  Dann  folgt  das  ebenfalls  bereits 
erwähnte  Beschiktasch,  in  dessen  Nachbarschaft  ein  sehr  anrauthig  hart 
am  Ufer  gelegenes  Derwischkloster  und  nicht  weit  davon  das  Kloster 
von  Jahia  Effendi,  einem  frommen  Türken,  erblickt,  dem  Murad  III. 
hier  ein  Denkmal  setzte.  Der  griechische  Name  von  Beschiktasch  war 
Dipdokion,  d.  h.  die  Doppelsäule.  Hier  Hess  Mohammed  II.  die  flachen 
Boote  und  Schiff"e  bauen,  die  er  auf  dem  Landwege  (wenn  die  ganze 
Erzählung  überhaupt  richtig  ist)  nach  dem  Innern  Ende  des  Goldenen 
Horns  schaffte,  als  er  den  letzten  Sturm  auf  Constantinopel  zu  unter- 
nehmen ira  Begriff  war.  Es  sollen  80  Galeeren,  jede  zu  .30  oder  .50 
Eudern,  gewesen  sein,  die  er  auf  Rollen  und  mit  Benutzung  von  Segeln 
hinter  Galata  herum  in  die  Gewässer  von  Kosmidion  (Ejub)  geschafft 
haben  soll. 

Der  nächste  Punct  nördlich  von  Beschiktasch  ist  der  Palast  von 
Tsehiragan.  Dann  folgt  das  Dorf  Ortaköi,  ein  schmutziger,  von  vielen 
Christen  und  Juden  bewohnter  Ort,  der  ausser  einer  grossen  Moschee 
und  dem  Palast  eines  reichen  armenischen  Bankiers  nichts  für  das  Auge 
bietet.  Auf  dem  Gipfel  des  Hügels  über  dem  Dorfe  steht  das  Jildiss 
Köschki  oder  Sternkiosk,  der  mit  seiner  weiss-schimmernden  Umfassungs- 
mauer eine  weithin  sichtbare  Landmarke  bildet,  und  in  welchem  in  den 
letztverflossenen  Jahren  die  Sultanin  Mutter  ihre  Residenz  hatte.  Rechts 
von  hier  mündet  eine  gute  Pahrstrasse  auf  die  grosse  Strasse  zwischen 
Pera  und  Bujukdere.  Die  zur  Linken  führl  über  die  Militärschule  und 
die  Artilleriekaserne  nach  Pera  zurück,  wobei  sie  zuerst  das  schöne 
Thal  von  Plamur  durchschneidet,  in  welchem  man  auf  Terrassen  an 
den  Seiten  der  Thalwände  eine  Art  Park  von  Lindenbäumen  mit  Gar- 
tenhäuschen und  Springbrunnen  trifft.  Der  Ort  ist  ein  Lieblings-Spa- 
ziergang für  die  türkischen  Damen,  und  man  kann  sie  hier  bisweilen 
eben  so  zahlreich  versammelt  sehen,  als  an  den  Süssen  Wässern. 

Dieser  Spaziergang  nebst  einem  grossen  Kaffeehause  liegt,  wenn 
man  von  Pera  über  den  Okmeidan  herunter  kömmt,  rechts  von  der 
Strasse,  die  hier  steil  in  das  Thal  hinabfällt,  welches  von  den  schönen 
Lindenbäumen  (Plamur  =^  Linde)  seinen  Namen  hat.  Links  von  der  Strasse 
liegt  ein  neues  grossherrliches  Lustschloss  mit  einem  kleinen  englischen 
Garten.  Er  ist  etwas  verwildert,  aber  unendlich  schattig,  voll  reizender 
Plätzchen  in  dichtem  Grün  versteckt  und  reich  an  duftenden  seltenen 
Blumen.  Zwei  Kiöschke  liegen  in  seiner  Mitte,  beide  in   jener  präch- 


Die  irfer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.      239 

tigen,  nur  mit  Schnörkeln  überladenen  Architektur  gebaut,  welche  den 
neuen  Palast  von  Dohna-Bagdsche  auszeichnet ;  der  eine  für  den  Sultan, 
der  andere,  kleinere  und  weniger  pomphafte,  für  die  Prinzen  des  gross- 
herrlicheu  Hauses.  Beide  sind  aus  reinem  Marmor  gebaut  und  würden 
einen  überaus  schönen  Eindruck  machen,  wenn  man  nicht  den  ver- 
rückten Einfall  gehabt  hätte,  die  Marmorquadern  von  oben  bis  unten 
mit  gemeinem  Kalke  zu  übertünchen.  Nun  sehen  die  Kiöschke  wie  ge- 
wöhnliche mit  Mörtel  beworfene  Ziegelbauten  aus.  Gegen  ein  Bakschisch 
von  10 — 15  Piastern  lässt  der  Grartenwächter  3 — 4  Personen  sehr  gerne 
ein,  nur  in  das  Innere  der  Kjöschke  kommt  man  nicht  leicht  Der 
Sultan  liebte  es  früher,  hier  im  Sommer  zu  frühstücken.  Seit  er  den 
Prachtpalast  von  Beglerbeg  in  Asien  drüben  besitzt,  der  sein  Lieblings- 
aufenthalt im  Sommer  geworden  ist,  besucht  er  Flaraur  nur  mehr  drei- 
bis  viermal  im  Jahre.  So  verödet  der  reizende  Landsitz  allmälig. 

lieber  Ortaköi  hinaus  macht  der  Bosporus  eine  plötzliche  Wen- 
dung nach  links,  wodurch  er  das  Cap  von  Defterdar  Burnu  bildet,  bei 
welchem  während  starker  Nordwinde  die  Strömung  sehr  reissend  ist. 
Auf  dieser  Landspitze  steht  eine  grosse  Villa  von  apfelgrüner  Farbe, 
die  einem  Schwager  des  Sultans  gehört.  Ein  Stück  weiter  hinauf  erblickt 
man  einen  gelben,  mit  orientalischen  Säulen  geschmückten  Palast,  der 
das  Eigenthum  desselben  Herrn  ist.  In  demselben  wohnte  früher  Esma 
Suitana,  die  Schwester  Mahmud's  IL,  deren  Name  in  Stambul  noch  oft 
genannt  wird.  Sie  war  die  Heldin  manches  tragisch  endigenden  Lie- 
besabenteuers, und  noch  zeigt  man  hier  einen  Bogen,  unter  dem  das 
Wasser  des  Bosporus  aus  dem  Palast  geworfene  todte  Körper  her- 
vorspülte. 

Eine  kleine  Strecke  weiter  hinauf  am  Bosporus  liegt  Kuru 
Tschesmc  Unter  dieser  Bezeichnung  begreift  man  nicht  nur  das  grosse 
Dorf  dieses  Namens,  sondern  auch  alle  Gebäude,  welche  zwischen  den 
beiden  Landspitzen  Defterdar-  und  Akindi  Buruni  liegen.  Hier  stand 
in  alter  Zeit  ein  Lorbeerbaum,  den  Medea  gepflanzt  haben  sollte,  als 
sie  auf  ihrer  Flucht  von  Kolchis  mit  Jason  hier  landete.  Der  Hügel 
in  der  Nähe  üieses  Baumes,  der  natürlich  längst  verschwunden  ist, 
wurde  von  den  alten  Byzantinern  die  Beere  der  Isis  genannt.  Es  ist 
wahrscheinlich  das  vortretende  Stück  Ufer,  bei  welchem  das  Dorf  Kuru 
Tschesme  beginnt.  Dieses  letztere  hiess  früher  Estias,  Anaplus  oder 
Vicus  Michaelicus,  von  der  berühmten  Kirche  des  Erzengels  Michael, 
die  Constantin  d.  Gr.  hier  erbaute  und  Kaiser  Justinian  wiederher- 
stellte. Diese  Kirche  war  berühmt  wegen  der  Styliten  oder  Säulen- 
heiligen, welche  im  fünften  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  hier  ihr 
Wesen  trieben.  Der  bekannte  Schwärmer  Simeon  und  eben  so  Daniel 
Stylites  producirten  hier  ihre  Verrücktheiten,  wofür  das  Volk  sie  als 
Halbgötter  verehrte.  Wir  fügen  bei,  was  Cedrenus  über  die  Sache 
mittheilt : 

,In  diesen  Tagen  erstieg  der  grosse  Simeon,  genannt  der  Säulen- 
heilige, die  Säule,  um  sich  Denen  zu  entziehen,  die  seine  Kleider  zu 
berühren   wünschten,   die  von   Thierfellen  (wie  die    der   bocharischen 


240      Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 

Derwische)  gemacht  waren.  Zuerst  Hess  er  sich  die  Säule  18  Fuss  hoch 
inacheu,  dann  36,  dann  66,  zuletzt  108  Fuss.  Ich  glaube,  dass  diese 
Art  zu  leben  nicht  möglich  gewesen  wäre,  ohne  göttliche  Hilfe  zur 
Besserung  der  Gottlosen.  Als  der  Herr  Jesaias  nackt  und  baarfuss 
gehen  hiess,  und  Jeremias  gebot,  nur  mit  einem  Gürtel  und  häufig 
mit  hölzernen  und  eisernen  Schellen  um  den  Hals  zu  prophezeien,  als 
er  Hoseas  befahl,  sich  eine  Hure  zu  nehmen  und  die  Ehebrecher  zu 
lieben,  als  er  Ezechiel  40  Tage  auf  der  rechten  und  150  Tage  auf  der 
linken  Seite  liegen,  das  Schwert  schärfen,  sich  den  Kopf  scheeren,  sich 
das  Haar  in  vier  Theile  scheiteln  hiess  —  in  derselben  Weise,  als  der 
Herr  alle  diese  Dinge  anordnete,  damit  alle  Die,  welche  seinem  Worte 
nicht  gehorchten,  durch  die  Eigenthümlichkeit  des  Schauspiels  ange- 
zogen würden,  dessen  Neuheit  Gelegenheit  zur  Verbreitung  des  Evan- 
geliums bot:  ebenso  verbreitete  dieses  grosse  Licht  Symeons,  gleichsam 
auf  einen  Leuchter  gesteckt,  überall  hin  seine  Strahlen,  so  dass  Ibe- 
rier,  Armenier  und  Perser  täglich  kamen  und  sich  taufen  Hessen." 

Nach  Simeon  bestieg  der  erwähnte  Daniel  die  Säule  und  blieb 
auf  ihr  stehen  bis  zum  vierten  Jahre  der  Regierung  Leo's  des  Grossen, 
das  heisst  nicht  weniger  als  28  Jahre. 

Arnaut  Köi,  d.  h,  das  Albanesendorf,  liegt  jenseits  Kuru 
Tschesme,  an  der  Spitze  des  felsigen  Vorgebirges,  welches  hier  den 
Bosporus  einengt  und  dadurch  eine  starke  Strömung  hervorruft.  Hier, 
auf  der  Halbinsel  Estias,  stand  einst  die  Kirche  der  heiligen  Theodora, 
in  welcher  unter  Alexius,  dem  Sohn  von  Manuel  Komnenus  eine  Ver- 
sammlung vornehmer  Byzantiner  sich  gegen  den  Sebastokrator  ver- 
schwor. Die  Gewalt  und  Gefährlichkeit  der  Strömung  ist  so  gross,  dass 
die  Euderer  hier  ihre  Arbeit  aufzugeben  und  sich  an  Tauen  durch 
dieselbe  hindurch  ziehen  zu  lassen  genöthigt  sind.  Wenn  mehre  Kaiks 
zusammenkommen,  laufen  sie  Gefahr,  zerschmettert  oder  auf  die  Küste 
geschleudert  zu  werden ,  und  bei  stürmischem  Wetter  ist  diese  Stelle 
nur  von  Dampfern  zu  passiren.  Man  nehme  sich  daher  bei  Ausflügen 
mit  einem  Kaikdschi  in  Acht,  und  kehre,  wenn  Wind  droht,  lieber  zu 
Fuss  oder  zu  Pferde,  als  in  dem  gebrechlichen  Boote  zurück.  Ein 
Brunnen  hart  am  Ufer  ist  das  einzige  Zeichen  moslemischen  Geschmacks 
in  Arnaut  Köi,  da  das  Dorf,  wie  sein  Name  sagt,  eine  Ansiedelung 
von  Albanesen  ist.  Ausser  diesen  leben  hier  nur  Griechen  und  Juden. 
Die  Strasse  um  das  Vorgebirge  herum  ist  mit  Läden  und  Verkaufs- 
ständen besetzt,  die  nach  der  See  zugekehrt  sind.  Darüber  erheben 
sich  zerfallene  Terrassen,  auf  denen  man  an  Sonn-  und  Festtagen 
Massen  griechischer  Frauen  sitzen  sieht,  die  sich  des  schönen  Wetters 
und  des  Anblicks  der  unten  auf  der  blauen  Flut  hingleitenden  Kaiks 
erfreuen.  Die  Nordseite  dieses  Kaps  hat  eine  Menge  schöner  Land- 
häuser, deren  schönstes  einem  andern  Schwager  des  Sultans  gehört. 
Am  griechischen  Epiphaniasfeste  (18.  Februar  neueren  Styls)  kann  mau 
hier  einem  seltsamen  Schauspiele  beiwohnen.  Eine  Masse  von  Griechen 
beiderlei  Geschlechts  versammelt  sich  dann  an  der  Spitze  des  Kaps, 
gleichviel,    ob  der   unbarmherzigste  Sturm  wüthet,   oder  tiefer  Schnee- 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.       241 


die  Gegend  bedeckt.  Ein  Bischof  erscheint  mit  einem  Kreuz,  welches 
er  segnet  und  dann  in  die  Flut  wirft.  Sofort  stürzen  sich  kühne  Tau- 
cher hastig  in  die  dahinschiessende  Strömung,  xim  das  Kreuz  zu  erha- 
sithen,  und  der  Glückliche,  der  es  aus  dem  wüthenden  Kampfe  im 
Wasser  zurückbringt,  erhält  eine  reiche  Belohnung,  die  nicht  nnr  in 
klingender  Münze,  sondern  auch  im  Geruch  erhöhter  Heiligkeit  besteht 
—  beides  ein  hinreichender  Antrieb  für  ein  geldgieriges  und  fanatisches 
Volk,  sich  des  angebornen.  Abscheues  vor  kaltem  Wasser  einmal  zu 
entschlagen. 

Bebek.  Die  liebliche  Lage  dieser  ringsum  von  araphitheatralisch 
aufsteigenden  öden  Bergen  eingeschlossenen  Bucht  zog  bald  die  Auf- 
merksamkeit der  osmanischen  Sultane  auf  sich,  und  Selim  I.  beeilte 
sich,  hier  einen  Kiosk  als  Soramerresidenz  anzulegen.  Im  Sommer  1725 
war  die  ganze  üferstrecke  vom  Landhaus  Hassan  Chalifs  bis  zu  dem 
felsumschlosseneit  Hafen  unmittelbar  unter  Kumili  Hissar  angekauft 
und  ein  Palast,  eirr  Bad  und  eine  Moschee  erbaut,  welche  zusammen 
den  Namen  Humaiunabad,  d.  h  Kaiserschlo.ss,  erhielten.  Ausser  diesen 
verdienen  hier  noch  zwei  andere  Gebäude:  die  Bäckerei,  welche  für  die 
türkische  Flotte  den  Schiffszwieback  liefert,  und  der  Berathungskiosk, 
die  Aufmerksamkeit  des  lloisenden.  Es  gibt  wohl  kaum  eiqen  schöner 
gelegenen  Kathssaal,  als  diesen.  Zu  bemerken  ist,  dass  hier  in  der 
Nähe  einst  ein  Tempel  der  Diana  Diktynna  stand.  Bebek  ist  übrigens 
von  mehren  vornehmen  Franken  bewohnt,  es  befindet  sich  hier  eine 
von  amerikanischen  Missionären  geleitete  Schule  und  ein  CoUeg,  welches 
französische  Lazaristen  unterhalten. 

Wir  kommen  nun  zu  dem  prachtvollsten  Theil  des  ganzen  Bos- 
porus, wo  die  fast  ununterbrochene  Reihe  von  Strassen  und  Häusern 
am  Ufer  zum  ersten  Mal  seit  Tophana  durch  einen  romantisch  aut 
schroffem  Folsvorsprung  gelegenen  Friedhof  und  dessen  dunkelgrünen 
Cypressen  und  Fichten  unterbrochen  wird.  An  den  steilabfalienden 
Klippen  ziehen  sich  die  vielgewandenen  Mauern  des  alten  Schlosses 
Rumili  Hissar  hin,  dessen  mächtige  Thürme  sich  hoch  über  die  benach- 
barten Räume  erheben  und  mit  diesen  und  den  buntbemalten  Häus- 
chen, die  man  unter  den  Ruinen  gleichsam  angeklebt  sieht,  eines  der 
prächtigsten  Landschaftsbilder  der  Welt  bieten.  Hier  ist  der  Bosporus 
am  schmälsten,  und  hier  schiesst  die  Strömung  mit  solcher  Gewalt 
vorüber,  dass  sie  in  der  That  den  Namen  Scheitan  Akindisi  (Teufels- 
strom) verdient,  den  ihr  die  Türken  gegeben  haben.  Hier  muss  bei 
Nordwind  jedes  Boot  einige  Leute  haben,  welche  es  (man  zahlt  dann 
für  den  Mann  einen  Piaster)  gQgen  die  Strömung  ziehen.  Mit  dem  Teu- 
felsstrom verknüpft  sich  eine  Sage.  Man  erzählt  nämlich,  dass  eine  fa- 
natische Sultaniu  den  Befehl  erthetlt  habe,  die  christliche  Kirche  in 
dem  benachbarten  Dorfe  Neochori  niederzureissen,  während  die  Ge- 
meinde gerade  dem  Gottesdienst  beiwohnte.  Bei  ihrer  Rückkehr  wurde 
ihr  Kaik  von  der  Strömung  ergriffen,  und  die  einzige,  welche  das  Leben 
verlor,  war  die  grausame  Fürstin. 

16 


242       Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 

Bumili  Hissar,  d.  h.  das  Schloss  von  Rumelien.  —  Die  Erbau- 
ung dieser  wichtigen  Festung  am  engsten  Punct  des  Kanals  ging  der 
Eroberung  von  Constantinopel  vorher.  Schon  wäbrend  der  Regierung 
des  Kaisers  Manuel  Paläologus  hatte  Mohammed  I.  auf  dem  asiatischen 
Ufer  die  Burg  Anadoli  Hissar  erbaut.  Mohammed  II.  errichtete  dieser 
gegenüber  eine  zweite  Zwingburg  zwei  Jahre  vor  seinem  siegreichen 
Sturm  auf  die  Kaiserstadt  am  Gold'nen  Hörn.  Dies  geschah  zum  grössten 
Schrecken  des  zitternden  Kaisers.  Umsonst  liess  er  dem  Barbaren-Sultan 
durch  eine  Gesandtschaft  alle  Gegengründe  auseinandersetzen,  die  ihm 
der  eben  abgeschlossene  Friede  in  die  Hand  gab.  Mohammed  gab  barsch 
zur  Antwort,  er  werde  thun,  was  ihm  beliebe,  und  der  nächste  Ge- 
sandte, der  ihm  nahte,  werde  lebendig  geschunden  werden.  Er  hatte 
bei  Beginn  des  Winters  gegen  tausend  Maurer  und  ebenso  viele  Kalk- 
brenner zusammengetrieben,  und  ehe  der  Frühling  erschien,  war  der 
gebrannte  Kalk  vom  andern  Ufer,  das  nothwendige  Bauholz  von  Niko- 
media  und  Heraklea  am  Schwarzen  Meer  herbeigeschafft,  und  der  Sul- 
tan selbst  kam  von  Adrianopel  herbei,  um  mit  Genauigkeit  den  Plan 
und  die  Lage  der  neuen  Festung  zu  bestimmen.  Im  Hafen  von  Soste- 
nios,  an  der  Stelle,  die  jetzt  von  dem  lauten  Rauschen  der  Strömung 
Phonias,  d.  i.  Echo,  genannt  wird,  gab  er  die  Richtung  der  Grund- 
mauern an,-  die  er  nach  der  wunderlichen  Idee,  dass  sie  die  arabischen 
Buchstaben  des  Namens  Mohammed  darstellen  sollten,  ziehen  hiess.  So 
kam  ein  Thurm  an  die  Stelle  zu  stehen,  wo  in  arabischer  Schrift  der 
Bnchstabe  Mim  (M)  einen  Ring  bildet,  und  das  Ganze  bekam  die  nn- 
regelmässigste  und  sinnloseste  Gestalt,  die  jemals  eine  Festung  hatte. 
Dreien  seiner  Generale,  Chalil  Pascha,  Tschakan  und  Saritscha,  über- 
trug er  den  Bau  der  drei  grossen  Thürme,  welche  der  Festung  auf 
den  ersten  Blick  das  Ansehen  eines  vollkommenen  Dreiecks  gaben.  Jedem 
der  tausend  Maurer  war  die  Aufgabe  gestellt,  eine  Strecke  von  6  Fuss 
zu  bauen,  tausend  Handlanger  standen  ihnen  bei  der  Arbeit  zur  Seite, 
ungezählt  die  Menge  von  Arbeitern,  welche,  von  den  Türken  in  Ana- 
tolien  genöthigt,  Bauholz,  Kalk  und  Ziegeln  herbeischafften.  Bei  dieser 
Gelegenheit  wurden  verschiedene  christliche  Kirchen  niedergerissen  und 
mit  ihren  Pfeilern  und  Altären  in  die  Veste  verbaut,  z.  B.  die  Kirche 
des  Erzengels  Michael  auf  der  asiatischen  Seite,  die  der  zu  Anaplus 
(Kuru  Tschesme)  gegenüber  lag.  Mohammed  nannte  das  Schloss  Bogass 
Kessen,  d.  i.  Zerschneider  der  Meerenge.  Dasselbe  wurde  binnen  drei 
Monaten  vollendet.  Die  Mauern  waren  30  Fuss  dick  und  60  Fuss  hoch. 
Auf  dem  von  Chalil  Pascha  erbauten  Thurm  wurden  gewaltige  Kanonen 
aufgestellt,  welche  Steine  von  mehr  als  6  Centner  schleuderten.  Firass 
Aga  besetzte  das  Schloss  mit  400  auserlesenen  Leuten,  wobei  er  Auf- 
trag erhielt,  von  jedem  vorbeifahrenden  Schiffe  Zoll  zu  verlangen. 

Obwohl  kein  Zweifel  darüber  obwaltet,  dass  am  Fusse  dieses 
Vorgebirges  als  der  schmälsten  Stelle  des  Bosporus  Mandrokles  von 
Samos  die  berühmte  Brücke  baute,  über  welche  Darius  die  persische 
Armee  nach  dem  Scythenlande  führte,  so  muss  man  sich  die  Lage 
dieser  Brücke  doch  nicht  in  gerader  Linie  zwischen  Rumili  und  Ana- 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.      243 

doli  Hissar  denken.  Hier  würde  die  Gewalt  der  Strömung  keine  Brücke 
geduldet  baben.  Man  wird  sich  dieselbe  also  etwas  weiter  oben  im 
Norden,  wo  die  See  ruhiger  ist,  ungefähr  in  der  Eichtung  von  Rumili 
Hissar  nach  dem  gegenübergelegen,en  Dorf  Korfas  Bagdschessi  vor- 
stellen müssen.  Auf  dem  Vorgebirge  Hermäon  selbst,  wo  jetzt  Rumili 
Hissar  liegt,  befand  sich  der  zum  Thron  umgestaltete  Felsen,  auf 
welchem  Darius  sass,  als  er  den  Uebergang  seiner  Leute  beobachtete. 
Dieser  Felsen  hiess  noch  in  späterer  Zeit  der  Thron  des  Darius,  und 
hart  neben  demselben  standen  die  berühmten  Säulen,  auf  welchen  die 
Beschreibung  des  Uebergangs  in  assyrischen  und  griechischen  Schrift- 
zeichen eingegraben  war.  Möglich,  dass  man  dieselben  noch  einmal  ent- 
deckt, wenn  das  jetzt  entwaffnete  und  dem  Verfall  entgegengehende 
Fort   niedergerissen  werden  sollte. 

Balta  Lim  in,  d.  h.  Bucht  der  Streitaxt.  Das  Vorgebirge  Hermäon 
trennt  die  Buchten  von  Balta  Liman  und  Bebek  und  erhebt  sich  über 
verschiedene  andere  kleine  Baien  und  Häfen,  obschon  es  nicht  so  hoch 
als  das  von  Defterdar  Buruni  ist.  Zu  Balta  Liman  befindet  sich  die 
Villa,  in  welcher  der  berühmte  türkische  Staatsmann  und  Reformator 
Redschid  Pascha  einst  lebte.  Später  kaufte  sie  der  Sultan  Abdulraed- 
schid  und  schenkte  sie  seiner  Tochter  Fatmeh,  welche  sich  mit  Red- 
schid's  Sohn  vermählte.  Hier  wurden  verschiedene  wichtige  Verträge, 
z.  B.  der  Tractat  der  fünf  Grossmächte  von  1841  und  die  Convention 
in  Betreff  der  Donauf ürstenthümer  von  1849  abgeschlossen.  Das  Kap, 
auf  welchem  das  Dorf  und  Schloss  von  Balta  Liman  liegt,  erhebt  sich 
allmälig  zu  einem  hohen  Gipfel  eine  Viertelmeile  vom  Ufer,  welcher 
Schehidler,  d.  i  der  Platz  der  Märtyrer,  genannt  wird,  indem  hier  in 
einer  Turba,  umgeben  von  Bäumen,  mehre  rauselmännische  Heilige 
begraben  sind.  Dies  ist  ein  beliebter  Ort  zum  Ausreiten  für  die  Be- 
wohner Pera's  und  ein  Platz,  wo  die  am  Bosporus  wohnenden  Fremden 
häufig  Picknicks  veranstalten. 

Emirgian.  —  Das  Ufer  biegt  hier  zu  einer  kleinen  Bucht  ein, 
die  sehr  schön  mit  Cypressen  bepflanzt  ist.  wesshalb  der  Ort  früher 
Kyparode,  d.  i.  der  Cypressenhain  hiess. 

Stenia.  -  Die  schönste,  grösste  und  merkwürdigste  Rhede  am 
Bosporus,  eine  Bucht,  geformt  von  der  Natur  zur  Erbauung  und  Bei  gung 
von  Schiffen,  und  auf  Grund  dessen  von  den  ältesten  Zeiten  her  als 
der  Schauplatz  zahlreicher  Schiffs-Unternelimungen  und  Seegefechte 
berühmt.  Es  hiess  bei  den  Byzantinern  mit  dreifachem  Namen :  Stenos, 
Leothenius  und  Sosthenius.  Der  erste  Name  (Engpass)  kommt  von  den 
benachbarten  Engen  des  Bosporus,  der  zweite  von  dem  Gründer  Megaras 
Leosthenes,  der  dritte  von  den  Argonauten,  welche  hier  aus  Dankbarkeit  für 
ihre  Rettung  aus  den  Händen  ihres  Bedrängers  Amykus  einen  Tempel  bauten. 
Nachdem  Amykus,  der  König  der  Bebrycer,  welcher  am  Fuss  des  Riesen- 
bergs auf  der  andern  Seite  des  Bosporus  herrschte,  den  Argonauten  mit 
Gewalt  die  Weiterfahrt  verwehrt,  liefen  sie  in  die  waldige  Bucht  bei 
Stenia  ein,  wo  sie,  ermuthigt  durch  die  Erscheinung  eines  Genius  mit 
Adlersschwingen,  den  Kampf  mit  dem  feindlichen  König  wieder  auf- 


244       Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 

nahmen  und  später,  nachdem  sie  gesiegt,  dem  Genius  einen  Tempel 
errichteten.  Constantin  der  Grosse,  der  hier  den  Tem))el  und  das  Stand- 
bild eines  geflügelten  Genius  fand,  verwandelte  jenen  in  ein  Kloster, 
und  den  Genius  in  den  Erzengel  Michael,  den  Befehlshaber  der  himm- 
lischen Heerschaaren.  Als  die  Barbaren  weiter  gegen  die  Hauptstadt 
des  sinkenden  byzantinischen  Reiches  vordrangen,  und  ihre  Flotten 
wiederholt  im  Bosporus  erschienen,  wurde  Stenia  ihr  Ruheplatz.  Später, 
im  Jahre  712,  nahmen  die  Bulgaren  Stenia  ein  und  dehnten  ihre  Streif- 
züge bis  zur  Goldenen  Pforte  aus.  Im  Jahre  912  verbrannten  sie  den 
kaiserlichen  Palast  in  Stenia,  und  zwanzig  Jahre  später  zerstörten  die 
Russen  die  ganze  Stadt  so  gründlich,  dass  fast  keine  Spur  von  ihr 
übrig  blieb.  Ein  sehr  anmuthiger  Weg  führt  von  hier  durch  das  Thal 
hinauf  nach  Maschlak,  einem  neuen  Dorfe  auf  der  Höhe.  Ebenfalls  ein 
sehr  schöner  S])aziergang  ist  es,  wenn  man  sich  von  hier  über  Kosref 
Pascha's  Gut  und  durch  den  Wald  nach  Balta  Liman  begibt.  Ein  kurzer 
Weg  endlich  führt  von  hier  rechts  ab  über  den  Weinberg  des  Logo- 
theten  Aristarchi  nach  Therapia. 

Jeni  Köi.  —  Dieses  Dorf  hat  eine  beträchtliche  griechiBche  und 
armenische  Bevölkerung,  die  reicheren  unter  den  Einwohnern  besitzen 
hübsche  Landhäuser  am  Seeufer.  Die  Höhen  hinter  dem  Dorfe  bieten 
namentlich  da,  wo  sie  mit  Weinbergen  und  Nadelholz  bedeckt  sind, 
schöne  Spaziergänge. 

Kalendar.  —  So  heisst  die  nächste  kleine  malerische  Bucht  im 
Norden,  welche  das  Stelldichein  aller  Liebhaber  der  Fischerei  in  den 
benachbarten  Ortschaften  ist.  Da  die  See  in  dieser  fast  auf  allen  Seiten 
eingeschlossenen  Bucht  sehr  ruhig  und  der  Schiffahrt  günstig  ist,  so 
nannten  die  Byzantiner  sie  die  Bai  der  stillen  See.  Der  Sultan  besitzt 
hier  einen  kleinen  Palast,  welcher  der  Schauplatz  des  ersten  jener 
langen  Reihe  diplomatischer  Triumphe  war,  welche  Lord  Stratford  de 
Redcliffe  in  der  Türkei  erfocht,  indem  hier  zwischen  ihm  und  den 
Ministem  der  Pforte  die  Bedingungen  des  Tractates  von  Bukarest 
(1812)  vereinbart  wurden. 

Therapia.  —  In  Therapia  befinden  sich  zwei  ganz  erträgliche 
Hotels,  von  denen  das  Hotel  d'Angleterre  das  beste  ist.  Im  letzteren 
zahlt  man  für  Kost  und  Wohnung  täglich  50  Piaster.  Die  Bai  von 
Therapia  bildet  einen  ebenso  geräumigen  als  sicheren  Hafen,  der  nur 
dem  von  Stenia  an  Werth  nachsteht.  Nach  Süden  hin  ist  sie  von  einer 
Hügelkette  eingeschlossen,  die  sie  von  dem  kleinen  Busen  von  Kalendar 
trennen,  und  im  Norden  von  einem  gewöhnlichen  Vorgebirge.  Man 
nannte  die  Bucht  früher  Pharmakia,  wegen  des  Giftes,  welches  Medea 
hier  auf  der  thracischen  Seite  ausgestreut  haben  sollte.  Später  verwan- 
delte man  Pharmakia  in  Therapia,  Gift  in  Gesundheit.  Das  letztere  ist 
symbolisch  für  die  gesunde  Lage  des  Ortes,  der  an  der  Bucht  hier 
entstanden  ist.  Die  kühlen  Lüfte,  welche  vom  Schwarzen  Meer  herein- 
wehen, kühlen  die  sommerliche  Hitze  hier  mehr  wie  anderwärts  und 
machen  Therapia  zu  einem  der  angenehmsten  Aufenthaltsorte  am  ganzen 
Bosporus.    So    wurde  Therapia    ein    Lieblingsaufenthalt    zunächst  der 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.       245 

vornehmen  Griechen.  Die  fürstlichen  Familien  des  Fanar  hatten  früher 
besonders  in  dieser  Gegend  ihre  Villen  und  Paläste.  Der  Palast,  welcher 
früher  dem  Fürsten  Ypsilanti  gehörte,  wurde  nach  dessen  Empörung  gegen 
den  Sultan  couflscirt  und  von  der  Pforte  dem  französischen  Gesandten 
geschenkt.  Der  Palast  der  Familie  Soutzo  fiel  in  die  Hände  des  Sultans, 
der  ihn  bisweilen  im  Sommer  bewohnte  und  ihn  mit  einem  schönen 
Park  umgab.  Die  Grundstücke,  welche  früher  dem  Fürsten  Mavrojeni 
gehörten,  sind  sehr  malerisch  gelegen,  das  Gebäude  darauf  aber  hat 
nichts  Merkwürdiges.  Dieser  Fürst  wurde  enthauptet,  weil  er  eine 
Kirche  erbaut  hatte ;  letztere  wurde  niedergerissen ,  und  man  kann 
noch  jetzt  ihre  Ruinen  sehen.  Die  Rhede  von  Therapia  ist  ebenso  oft 
wie  die  von  Stenia  der  Schauplatz  von  Seetreflfen  gewesen,  nameutlich 
kämpften  früher  hier  oft  genuesische  und  venetianische  Galeeren  mit 
einander.  Sie  war  der  Punct,  wohin  sich  Nicolö  Pisani  zurückzog,  nach- 
dem er  am  13.  und  14.  Februar  1352  zu  Stenia  zu  gleicher  Zeit  mit 
dem  Feinde  und  den  Stürmen  gekämpft  hatte.  Die  Bucht  von  Therapia 
ist  der  Ausgang  eines  anmuthigen  Thaies,  welches  nach  einer  frischen 
Quelle  führt  und  deshalb  das  Thal  des  kühlen  Brunnens  heisst.  Da 
Therapia  der  Wohnsitz  mehrer  fränkischer  Kaufleute  ist  und  verschie- 
dene bequeme  Häuser  besitzt,  so  ist  vielleicht  kein  Ort  geeigneter,  das 
Hauptquartier  für  Reisende  vom  Mai  bis  zum  October  zu  bilden.  Das 
Dorf  hat  eine  Bevölkeruiig  von  4000  Seelen,  die  mit  wenigen  Aus- 
nahmen Griechen  sind.  Die  Nachbarschaft  ist  reich  an  schönen  Spa- 
ziergängen, und  es  ist  das  höchste  Vergnügen  für  Freunde  ländlicher 
Anmuth,  im  Mai  oder  Juni  im  sanften  Zwielicht  eines  heiteren  Abends 
hier  herumzustreifen  zwischen  Cypressen  und  Pinien  und  hinabzuschauen 
auf  den  klaren  blauen  Bosporus.  An  wenigen  Orten  kann  man  den 
Zauber  der  so  oft  besungenen  südlichen  Nächte  so  voll  und  reich  ge- 
messen als  hier. 

Keßli-Köi.  —  Die  felsige  Küste,  welche  unmittelbar  auf  den 
Strand  von  Therapia  folgt,  hiess  früher  der  Schlüssel  des  Euxinus,  weil 
man  hier  den  ersten  Blick  auf  die  Mündung  des  Bosporus  in  das 
Schwarze  Meer  hat.  Das  Ende  dieser  Felsenreihe  ist  die  kleine  Spitze 
von  Kiredsch  Buniu,  d.  h.  das  Kreidevorgebirge,  wo  ein  Agiasma  oder 
ein  den  Griechen  heiliger  Brunnen,  der  Agia  Euphemia  geweiht  und 
von  schönen  Platanen  beschattet,  einen  willkommenen  Ruheplatz  und 
eine  prächtige  Aussicht  auf  das  Schwarze  Meer  bietet.  Dieser  Platz 
wird  häufig  von  Liebhabern  von  Wasserpartien  besucht,  besonders  in 
der  Zeit  der  Feigenernte. 

BujiiMere.  —  Die  Sommerresidenz  des  grösseren  Theiles  der 
fränkischen  Gesandtschaften  hat  ihren  Namen  von  dem  grossen  Thale, 
welches  sich  von  hier  fast  anderthalb  deutsche  Meilen  in's  Innere  streckt. 
Dasselbe  ist  eine  Fortsetzung  der  tiefen  Bucht  vor  dem  Orte  und  geht 
bis  zu  den  waldigen  Höhen  über  der  Wasserleitung  von  Bagdschi-Köi. 
Die  schöne  Bucht  hiess  im  Alterthum  Bathy  Kolpos,  die  tiefe  Bai.  Das 
grosse  Thal  ist  ein  fast  ebenso  beliebter  Spaziergang  als  die  Prome- 
nade bei)n  Friedhof  von  Pera.  Auf  der  Sohle  desselben,  die  mit  schönen 


246      Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 

Wiesen  bedeckt  ist,  und  zwar  im  unteren  Tlieil  des  Thaies,  steht  die 
berühmte  Baumgruppe  der  sieben  Brüder,  Jedi  Kardasch,  von  denen 
die  Sage  behauptet,  dass  Gottfried  von  Bouillon  sie  gepflegt  oder  unter 
ihnen  mit  seinem  Heere  gelagert  habe,  als  er  1096  hier  nach  Jeru- 
salem vorbeigezogen  sei.  Die  Schriftsteller,  welche  diesen  Kreuzzug 
beschrieben  haben,  wissen  davon  nichts,  auch  ist  es  nicht  glaublich, 
dass  die  Kreuzfahrer,  welche  von  Kosmidion,  d.  h.  von  Ejub  nach 
Chalcedon,  d.  h.  Kadiköi,  übersetzten,  dabei  diesen  ungeheuren  Umweg 
gemacht  haben  sollten.  Das  Dorf  Bujukdere  besteht  aus  einer  untern 
und  einer  obern  Hälfte.  In  jener  wohnen  Griechen,  Armenier  und  einige 
wenige  Türken,  in  dieser  befinden  sich  die  Paläste  und  Gärten  der 
europäischen  Gesandtschaften  Der  schönste  und  imposanteste  dieser 
Sommerpaläste  ist  der  des  russischen  Botschafters,  der  sich  auch  durch 
seinen  herrlichen  Garten  auszeichnet.  An  schönen  Mondscheinabenden, 
wenn  das  lichte  Blau  des  Himmels  sich  mit  dem  tiefen  Dunkelblau 
des  Bosporus  mischt  und  das  Glitzern  des  himmlischen  Lichts  auf  den 
Wellen  sich  dem  phosphorischen  Leuchten  des  letzteren  beigesellt, 
wenn  Kaiks  voll  griechischer  Sänger  und  Guitarrenspieler  an  den  Ufern 
hingleiten  und  der  duftige  Nacntwind  die  sanftesten  Melodien  über 
das  Wasser  hinträgt  und  bisweilen  das  leise  Plätschern  der  Wellen 
sich  hören  lässt,  versteht  man  das  Lob,  welches  die  Bewunderer  dieses 
Punctes  ihm  ertheilen.  Zwei  grosse  Hotels  bieten  bequeme  Unterkunft, 
auch  beendet  sich  hier  ein  schönes  Kaffeehaus,  welches  jeden  Abend 
den  Son^mer  hindurch  erleuchtet  ist  und  wo  fast  unablässig  Musik- 
chöre spielen.  Spaziergänge  gibt  es  in  Menge  um  Bujukdere,  und  man 
kann  es  als  die  beste  Operationsbasis  für  den  Reisenden  bezeichnen, 
welcher,  den  Wald  von  Belgrad,  seine  Bende  und  Aquäducte,  die  Wild- 
nisse am  obern  Bosporus,  den  Kiesenberg,  das  Genueserschloss  und  die 
lieblichen  Thäler  von  Unklar  Skelessi  und  Bej  kos  zu  besuchen  wünscht. 
Niemand  daher,  der  die  Hauptstadt  zwischen  Mai  und  October  besucht, 
sollte  sie  (wofern  er  Zeit  hat)  verlassen,  ohne  in  Bujukdere  eine  Woche 
zugebracht  zu  haben.  Wer  nicht  so  viel  Zeit  erübrigen  kann,  könnte 
wenigstens  Gelegenheit  suchen,  einem  dieser  Orte  einen  Besuch  abzu- 
statten, indem  er  mit  dem  Dampfer  nach  Bujukdere  führe,  hier  eine 
Nacht  im  Hotel  du  Croissant  bliebe,  am  andern  Morgen  einen  Ausflug 
unternähme  und  Nachmittags  nach  Stambul  zurückkehrte  Das  Bosen- 
thal,  Kesteneh  Suju,  die  Quelle  der  Kastanienbäume  oder  Kiredsch 
Burnu,  wären  entzückende  Ziele  von  Spaziergängen,  wenn  ein  paar 
Stunden  übrig  bleiben  sollten.  An  dem  letztern  schattigen  Orte  fladet 
der  Reisende  in  die  Rinde  des  grössten  unter  den  Bäumen  ein  ganzes 
Gedicht  in  schönen  persischen  Schriftzeichen  eingeschnitten.  Es  soll 
von  einem  Shawlverkäufer  aus  Ispahan  sein,  und  die  Zeilen  beklagen 
die  vergängliche  Natur  des  Schreibers,  während  die  Schrift  geraume 
Zeit  bleiben  würde.  Nach  Kesteneh  Suju  kann  man  den  Weg  durch 
das  Rosenthal  nehmen  und  dann  durch  den  Garten  des  russischen 
Gesandtschaftspalastes  zurückkehren,  wo  mau  beim  Herabsteigen  von 
der  Höhe  eine  prachtvolle  Aussicht  geniesst. 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.       247 

Sehr  lohnend  ist  auch  ein  Ausflug  längs  des  Ufers  hin  nach 
Domasdere,  einem  Dorf  am  Schwarzen  Meer;  auf  dem  Rückweg  kann 
man  einen  Theil  der  Gegend  von  Belgrad  sehen,  das  heisst  den  dor- 
tigen Wald,  der  den  Hauptreiz  dieses  Dorfes  ausmacht.  Dieser  Aus- 
flug kann,  wenn  man  zu  Pferde  ist  und  sich  nicht  zu  lange  aufhält, 
in  etwa  acht  Stunden  gemacht  werden. 

Bagdschi  Köi.  —  Wir  wenden  uns  jetzt  zum  ersten  Mal  vom 
Meeresufer  nach  dem  Innern  des  Landes,  um  zwei  Dörfer  zu  besuchen, 
welche  sehr  häufig  von  den  Pranken  in  Constantinopel  und  Bujukdero 
zum  Ziel  ihrer  Ausflüge  und  bisweilen  zum  Landaufenthalt  gewählt 
werden.  Das  erste  dieser  Dörfer  ist  Bagdschi  Köi,  gelegen  auf  dem 
Kamme  der  Höhenkette,  nach  welcher  das  lange  und  allmälig  veren- 
gernde Thal  von  Bujukdere  sich  erhebt,  etwa  1  '/^  Stunde  von  der  See. 
Der  Vordergrund  wird  von  malerischen  Platanen  und  Cypressen  ge- 
bildet, und  der  Aquäduct  Mahmud's  I.  schliesst  das  Thal.  Einer  der 
besten  Puncte,  sich  der  schönen  Aussicht  zu  erfreuen,  ist  der  unmit- 
telbar unter  dem  grossen  Bogen,  durch  den  die  Strasse  von  Bujukdere 
nach  Bagdschi  Köi  hinaufführt.  Man  steht  gleichsam  unter  dem  Thor- 
gewölbe einer  Mauer,  welche  hier  ein  persisches  Paradies  einschliessen 
könnte;  denn  innerhalb  dieser  wasserleitenden  Mauerbogen  findet  man 
Wälder  und  Waldwiesen,  die  einen  Park  zu  bilden  scheinen,  aber  indem 
sich  das  Auge  nach  der  See  wendet,  schweift  es  durch  das  grosse, 
schöne,  wohlbewässerte  und  mit  reicher  Vegetation  bekleidete  Thal 
hinab  nach  den  Ufern  des  Bosporus,  dessen  asiatische  Ufer  anmuths- 
voll  den  Horizont  schliessen.  Auf  der  einen  Seite  erblickt  man  die 
blaue  Meerenge  und  die  Flaggen  zahlreicher  Schiffe,  die  Ruder  von 
Kaiks,  auf  der  andern  Seite  schaut  man  in  den  grünen  Wald  und  auf 
eine  Menge  von  Arabas  oder  vergoldete  Ochsenkarren,  die  buntgeklei- 
dete türkische  Damen  spazieren  fahren.  Ueber  die  Wasserleitungen  und 
ihre  Becken  ist  im  vorigen  Capitel  alles  Erforderliche  bemerkt. 

Das  zweite  Dorf,  Belgrad,  liegt  eine  starke  Stunde  weiter  im 
Innern  des  Landes,  umgeben  von  einem  Walde,  der  einen  Umfang  von 
etwa  4  deutschen  Meilen  hat.  Ausser  der  Wichtigkeit,  die  dem  Dorfe 
die  hier  befindlichen  Wasserbecken  und  Aquäducte  verleihen,  ist  es 
deshalb  eines  Besuches  werth,  weil  es  die  lieblichsten  Spaziergänge 
auf  der  ganzen  thracischen  Seite  des  Bosporus  besitzt,  während  die 
dichten  Waldpartien  den  nordischen  Reisenden  lebhaft  an  die  Wälder 
seiner  Heimat  erinnern.  Es  gibt  indess  hier  keinen  Wald,  der  ganz  oder 
vorwiegend  aus  einer  Art  von  Bäumen  bestünde,  ein  Eichen-,  Buchen- 
oder Fichtenwald  wäre.  Diese  Eigenschaft  macht  die  hiesigen  Wälder 
aber  nur  um  so  schöner.  Sie  sind  ein  Gemisch  von  Buchen,  Birken, 
Eichen,  Platanen,  Pichten,  von  Pappeln  und  Ulmen,  die  ihre  verschie- 
denen Farben  im  Frühling  und  Frühsommer  auf  das  wohlgefälligste 
für  das  Auge  entfalten.  Man  trifft  hier  an  schönen  Tagen  fast  immer 
zahlreiche  Griechen,  Franken  und  Armenier  unter  den  Wipfeln  gelagert. 
Die  letztern  verweilen  oft  ganze  Wochen  hier  in  glücklichem  Nichts- 
thun.  Sie  nennen  den  Ort  Defigam,  Sorgenbrecher,  und  in  der  That,  kaum 


248 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 


lässt  sich  ein  lieblicheres  Sanssouci  denken,  als  hier  in  den  schattigen 
Hainen,  auf  den  von  grünen  Wipfeln  überdachten  Waldwiesen  von 
Belgrad.  Der  schöne  Dorfbrunnen  ist  schon  vor  Jahren  in  den  bekann- 
ten Briefen  der  Lady  Wortley  Montagu  gepriesen,  die  hier  ihre  Som- 
merresidenz  aufschlug,  und  deren  Haus  von  den  Dorfbewohnern  noch 
jetzt  den  Fremden  gezeigt  wird.  Früher  wohnten  mehre  der  fremden 
Gesandten  den  Sommer  über  hier;  da  indess  gegen  das  Ende  des 
Sommers  in  Folge  der  feuchten  Stellen  im  Walde  Fieber  vorkommen, 
so  wurden  Therapia  und  Bujukdere,  wo  die  Luft  stets  gut  und  gesund 
ist,  vorgezogen.  Jetzt  wohnen  nur  im  Mai,  Juni  und  Juli  Franken  in 
Belgrad.  Wer  Zeit  und  Neigung  hat,  sechs  Monate  der  schönsten  Jah- 
reszeit im  schönsten  Theil  der  Umgebungen  von  Constantinopel  zu 
verleben,  wird  sich  so  einrichten,  dass  er  den  Mai  auf  den  Prinzen- 
inseln, den  Juni  in  Belgrad,  Juli  bis  September  in  Bujukdere  und  den 
October   wieder  auf  den  Prinzeninseln  verbringen  kann. 

Wir  kehren  jetzt  wieder  aus  dem  Innern  zum  Ufer  des  Bospo- 
rus zurück,  um  unsern  Gang  bis  an  dessen  Mündung  in's  Schwarze 
Meer  fortzusetzen  und  zunächst  nach  Sarijari  zu  gehen.  Die  Land- 
spitze, mit  welcher  die  grosse  Bucht  von  Bujukdere  im  Norden  endigt, 
heisst  Mesar  Burnu  oder  das  Gräbervorgebirge,  weil  auf  der  andern 
Seite  der  von  Bäumen  beschattete  Friedhof  des  Dorfes  Sarijari  liegt. 
Sarijari  heisst  auf  türkisch  der  gelbe  Platz,  eine  Bezeichnung,  welche 
von  den  vielen  hier  vorkonnnenden  von  Ücher  und  Schwefel  gelbge- 
färbten Felsen  hergenommen  ist.  Das  Dorf  wird  vorzüglich  von  Fischern, 
Schiffern  und  Gärtnern  bewohnt.  Die  hiesigen  Obstgärten  sind  vorzüg- 
lich wegen  ihrer  Kirschen  berühmt.  Murad  IV.  rief,  als  er  hier  den 
Garten  eines  gewissen  Polak  besuchte,  aus:  , Ich,  der  Diener  der  beiden 
edelsten  Harems  (er  meinte  Mekka  und  Medina)  besitze  keinen  solchen 
Garten  wie  diesen!"  Im  Alterthum  hiess  die  Landspitze  Mesar  Burnu 
Sinias  und  die  Bucht  von  Sarijari  Skletrinas.  Auf  dem  Vorgebirge  von 
Pirnas  aber  stand  eine  Statue  der  Venus  Meretricia,  welcher  die  Schiffer 
besonders  eifrig  geopfert  haben  sollen.  Am  Ende  des  Thaies  von  Sari- 
jari führt  ein  Weg  nach  dem  Brunnen  Kastanessu,  dessen  Wasser  nur 
dem  von  Dschamljidja  an  Güte  nachstehen  soll. 

Mumili  Katvak.  —  Das  Vorgebirge  unmittelbar  über  Sarijari 
hinaus  war  in  alten  Zeiten  unter  dem  Namen  Amilton  bekannt.  Am 
Puss  desselben  liegt  die  neue  Batterie  von  Dili  Talian,  die  in  Verbin- 
dung mit  der  gegenüber  befindlichen  Batterie  von  Juscha  1794  von 
dem  französischen  Ingenieur  Monnier  angelegt  wurde.  Auf  der  andern 
Seite  des  Kaps  erhebt  sich  das  Fort  von  Eumili  Kawak,  welches  zugleich 
mit  der  gegenüberliegenden  Festung  Anadoli  Kawak  vom  Sultan  Mu- 
rad IV.  erbaut  wurde,  um  den  Bosporus  gegen  die  Streifzüge  der  da- 
mals sehr  gefährlichen  Kosackengeschwader  zu  beschützen.  Jason  soll 
hier,  nachdem  er  auf  der  asiatischen  Seite  den  zwölf  grossen  Göttern 
geopfert,  der  Cybele  einen  Altar  errichtet  haben,  was  er  bereits  auf 
dem  Berg  Dindymos  bei  Kyzikus  und  an  der  Mündung  des  Phasis 
gethan  hatte.  In  der  Zeit  der  byzantinischen  Kaiser  lagen  die  beiden 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.      249 

Burgeu,  welche  die  Einfahrt  in  den  Bosporus  vertheidigten,  auf  dem 
Gipfel  der  beiden  sich  gegenüber  liegenden  Hügel;  von  ihnen  liefen 
Mauern  bis  an  das  Ufer  herab.  Die  Meerenge  selbst  aber  war  durch 
eine  Kette  gesperrt,  welche  da  anfing,  wo  diesseits  und  jenseits  die 
Mauer  aufhörte,  so  dass  die  Vertheidigungslinie  in  gewissem  Sinn  von 
Gipfel  zu  Gipfel  reichte.  Diese  alten  Burgen,  von  denen  die  auf  dem 
europäischen  Ufer  ganz  in  Trümmern  liegt,  während  die  auf  der  asia- 
tischen Seite  noch  ziemlich  wohl  erhalten  ist,  werden  jetzt  die  Genue- 
serschlösser  genannt,  und  in  der  That  gehörte  das  asiatische  Schloss 
in  den  letzten  Jahrhunderten  des  Mittelalters  den  Genuesen,  welche 
sich  von  den  ein-  und  aussegelnden  Sclüffen  einen  Zoll  entrichten 
Hessen. 

Das  nächste  schmale  Thal  nach  dem  Grabhügel  Mauro  Molo's 
führt  zu  einer  Quelle,  über  welcher  in  der  byzantinischen  Zeit  eine 
Capelle  der  Panagia  von  Kastanienbäumen  stand.  Auf  dem  Gipfel  der 
Höhe,  za  welcher  dieses  Defile  führt,  trifft  man  einen  grossen  alten 
Rundthurm,  welcher  Turris  Timäa  hiess.  Es  war  der  Leuchtthurm,  auf 
welchem  man  des  Nachts  Packeln  eraporhielt,  deren  Licht,  in  gerade 
Linie  mit  denen  an  der  Mündung  des  Bosporus  gebracht,  die  auf  dem 
Schwarzen  Meer  fahrenden  Schiffe  vor  dem  Scheitern  an  den  cyaneischen 
Klippen  oder  der  thracischen  Küste  bewahrte.  Man  erzählt,  dass  die 
ältesten  Bewohner,  ein  grausames  und  raubgieriges  Geschlecht,  statt 
dessen  gerade  an  den  gefährlichsten  Stellen  Fackeln  leuchten  Hessen, 
so  dass  viele  Schiffer,  die  sie  für  den  Leuchtthurm  hielten,  an  dem 
Felsen  scheiterten,  worauf  sie  von  den  Schurken  ihrer  Ladungen  be- 
raubt wurden. 

Jenseits  des  Defiles  von  Mauros  Molos  führt  längs  des  Ufers 
kein  Pfad  mehr  hin,  da  hier  die  Küste  sich  als  schroffe  Felswand  über 
das  Meer  erhebt.  Aber  die  Strasse  ersteigt  die  Höhen  und  führt  nicht 
fern  von  deren  Rande  weiter.  Wo  die  Felsen  in  ein  Kap  endigen,  bildet 
die  Biegung  des  Landes  einen  Hafen,  der  einst  der  Hafen  der  Ephe- 
sier  hiess,  jetzt  aber  den  Namen  Btijuk  Liman  führt.  Dies  ist  der 
erste  Zufluchtsort  auf  dieser  Seite  für  Schiffe,  welche  vom  Pontus 
Euxinus  einlaufen,  dessen  stürmische  Natur  den  sichern  Port  oft  will- 
kommen heissen  lässt.  Das  Vorgebirg,  welches  den  genannten  Hafen 
eiuschliesst,  wird  in  Folge  seiner  öden,  dürren  und  unwirthlichen  Fel- 
sennatur Taschlandschik,  d.  i.  das  felsige,  genannt.  An  seiner  Spitze 
erheben  sich  die  Wälle  der  Festung  Karibjeh.  Dieses  Cap  hiess  im 
Alterthum  Gygopolis,  d.  h.  die  Geierstadt.  Hierher  verlegt  die  Sage 
den  Hof  des  Königs  Phineus,  der  hier  die  Argonauten,  seine  Retter 
von  der  Gefrässigkeit  der  Harpyen,  bewirthete, 

Fanaraki  oder  Fener  Köi,  d.  i.  das  Leuchtthurmdorf,  liegt  auf 
der  äussersten  Spitze  der  europäischen  Seite  des  Bosporus.  Ihm  gegen- 
über liegen  die  cyaneischen  Klippen  oder  Symplejaden  der  Argonauten- 
Mythe.  Die  cyaneischen  Klippen  hiessen  sie  von  ihrer  dunkelblauen 
Farbe,  Symplejaden  von  ihrer  Eigenschaft,  fortwährend  gleich  den  Kinn- 
laden eines  kauenden  Ungeheuers  zusammenzuschlagen.  Die  Fabel  von 


250      Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 

dieser  Beweglichkeit  entstand,  wie  man  gemeint  hat,  daraus,  dass  sie 
(was  freilich  auch  von  allen  andern  Klippen  gilt)  bei  bewegter  See  bald 
sichtbar  wurden ,  bald  verschwanden,  da  sie  eben  nur  8  bis  12  Puss 
über  dem  Wasserspiegel  hervorstehen.  Jason,  welcher  nach  Kolchis 
segelte,  um  dort  das  goldne  Vliess  zu  rauben  (nach  einigen  prosaisch 
denkenden  Gelehrten  wollte  er  dort  nur  besonders  schöne  Schafwolle 
einkaufen),  wagte  sich  hindurch  und  es  gelang  ihm  das  Wagestück, 
nachdem  ihm  der  gute  König  Phineus  den  Eath  gegeben,  den  Versuch 
nicht  eher  zu  machen,  als  bis  er  eine  Taube  hindurch  geschickt.  Diese 
wegfindeude  Taube  ist  entweder  eine  Erinnerung  an  das  uralte  Auspi- 
cium  oder  an  die  Ursage  von  der  Taube  Noah's.  Wenn  die  Mythe 
erzählt,  die  Taube  habe  ihren  Plug  glücklich  vollendet,  indess  in  den 
zusammenschlagenden  Klippen  ihren  Schwanz  lassen  müssen,  so  wissen 
die  erwähnten  Gelehrten  sofort  die  rechte  Erklärung.  Nach  jenen  war 
die  Taube  ein  Schiff,  welches  auf  Recognoscirung  voraus  geschickt 
wurde  Dabei  verlor  sie  an  einer  der  Klippen  ihr  Steuerruder  —  den 
Schwanz  der  Taube. 

Die  Symplejaden  sind  der  Schlusstein  unserer  Wanderungen  auf 
dieser  Seite  des  Bosporus.  Ein  Steinblock,  gleich  dem  Piedestal  einer 
Säule,  welcher  sich  hier  findet,  scheint  der  Rest  eines  Altars  zu  sein, 
den  die  Römer  hier  dem  Apollo  errichteten.  Prüher  hiess  man  ihn  die 
Säule  des  Pompejus,  mit  demselben  Recht,  mit  dem  man  die  Säule  in 
Alexandrien  so  nennt,  und  mit  dem  man  den  Thurm  über  Mauros 
Molos  den  Thurm  Ovids,  den  vor  Skutari  den  Leanderthurm  heisst. 
Nicht  unwahrscheinlich  dagegen  ist,  dass  hier  die  riesige  Urne  stand, 
die  Pausanias  am  Ausgang  des  Bosporus  aufstellte,  und  welche,  von 
Erz  gegossen,  nicht  weniger  als  600  Amphoren  fasste. 

Ehe  wir  dieses  Ufer  des  Bosporus  verlassen,  möge  noch  kurz 
der  Dörfer  Jerliköi,  Demirdschi  Köi  und  Domasdere  gedacht  werden, 
die  an  einem  sich  gegen  das  Schwarze  Meer  öffnenden  Thale  liegen, 
in  dem  man  Lagen  versteinerten  Holzes  antrifft.  Endlich  sei  noch  der 
kleinen  Festung  Kilia  gedacht,  die  in  einer  Bucht  des  genannten 
Meeres  gelegen,  das  Aussenwerk  ist,  welches  die  europäische  Seite  des 
Bosporus  in  derselben  Weise  schützt,  wie  Riva  die  asiatische.  Die 
Bucht  ist  eine  berühmte  Station  für  Fischer.  Der  nächste  Platz  am 
Schwarzen  Meere  ist  Derkos,  das  alte  Denelton,  eine  Tagereise  von 
Constantinopel  entfernt.  Zwischen  diesem  Orte  und  Selymbria  (Silivri) 
war  die  grosse  anastasische  Mauer,  welche  die  Bestimmung  hatte,  die 
Hauptstadt  gegen  die  Angriffe  der  Barbaren  zu  schützen. 

Nach  dem  asiatischen  Ufer  übersetzend,  kommen  wir  zunächst 
nach  der  kleinen  Festung  Biva,  an  der  Mündung  des  Flüsschens  gleiches 
Namens,  welches  drei  Stunden  landeinwärts  bei  dem  Dorfe  Abdular 
entspringt.  Die  Schönheit  der  Ufer  dieses  Flusses  ist  vifel  und  ver- 
dientermassen  gepriesen  worden.  Am  andern  Ende  der  kleinen  Bucht 
von  Riva  erhebt  sich  der  Felsen  Kromion,  d.  i.  der  zwiebeiförmige, 
früher  Kolone  geheissen.  Er  war  einst  eine  rings  von  Wasser  umspülte 
Klippe,  jetzt  ist  er  durch  Sandanschwemmung  mit  dem  Festland  ver- 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.      251 

banden.  Von  hier  kommen  wir  zunächst  nach  dem  Cap  Jaraburun, 
welches  sich  schroff  und  spitz  in  das  Meer  hinausschiebt  und  wo  eine 
heftige  Brandung  tobt.  Es  hiess  im  Alterthum  Ancyräura,  von  dem 
Anker,  den  Jason  hier  mitnahm.  Dieser  Anker  war  ein  schwerer  Stein, 
der  von  den  Argonauten  später  am  Phasis  zurückgelassen  wurde.  In 
der  byzantinischen  Zeit  wurde  das  Ankercap  heilig  gesprochen,  indem 
die  christliche  Legende  aus  dem  Anker  einen  Heiligen  machte,  so  dass 
die  Bucht,  welche  das  Cap  einschliesst,  von  griechischen  Schiffern,  jetzt 
die  Bucht  des  heiligen  Sideros,  d.  h.  des  heiligen  Ankers  genannt  wird. 
Gleich  daneben,  auf  der  andern  Seite  des  Vorgebirges,  öffnet  sich  die 
kleine  Bucht  von  Kabakos,  in  der  sich  zwei  ziemlich  grosse  Grotten 
finden,  von  welchen  die  eine  bei  72  Puss  Weite  eine  Höhe  von  40  und 
eine  Tiefe  von  70  Puss  hat.  Weiterhin  folgt  Fanaraki,  wo  der  asia- 
tische Leuchtthurm  steht.  Dann  Poiras,  wohl  eine  Corruptiou  aus 
Boreas,  da  dieser  Punct  dem  Nordwind  sehr  ausgesetzt  ist.  Das  hier 
befindliche  Port  wurde  zu  gleicher  Zeit  mit  dem  von  Karibjeh  erbaut. 
Weiterhin  treffen  wir  Filburun,  d.  i.  das  Elephantenkap,  dann  Anadoli 
Kmoak,  unmittelbar  dem  Fort  von  Rumili  Kawak  gegenüber,  an  einer 
der  schmälsten  Stellen  des  Bosporus,  welche  einst  die  «heilige  Mün- 
dung" hiess.  Mit  diesem  Kap  tritt  die  grosse  bithynische  Bergkette 
des  Olympus  in  die  See  hinaus,  wie  auf  der  andern  Seite  die  grosse 
thracische  Kette  des  Hämus,  und  man  kann  sagen,  dass  beide  sich 
unter  dem  Wasser  der  Meerenge  die  Hände  reichen.  Die  Parallele  der 
natürlichen  Lage  und  der  künstlichen  Befestigung,  die  wir  bis  hierher 
von  der  Mündung  des  Bosporus  verfolgten,  wird  hier  noch  greifbarer. 
In  derselben  Weise,  wie  sich  die  Byzantiner  auf  den  Höhen,  die  Türken 
am  Ufer  der  europäischen  Seite  befestigten,  ganz  ebenso  verfuhren  sie 
hier.  Nur  das  Genuesercastell  ist,  wie  schon  bemerkt,  grossentheils 
erhalten,  während  das  byzantinische  auf  der  andern  Küste  zusammen- 
gefallen ist.  In  alten  Zeiten  hiess  das  Vorgebirge  Hieron,  das  Heilig- 
thum,  nach  dem  Tempel  der  zwölf  Götter,  deren  Dienst  nach  der 
Sage  zuerst  Phrygos,  dann  Jason  hier  eingerichtet  haben  soll.  Ausser 
diesem  Tempel  hatten  Zeus  und  Poseidon  hier  besondere  Heiligthümer, 
die  von  den  alten  Schriftstellern  häufig  erwähnt  werden,  von  denen 
aber  jetzt  ebenso  wenig  noch  eine  Spur  zu  finden  ist,  als  von  den 
Tempeln  der  Cybele  und  des  Sarapis,  welche  auf  dem  andern  Ufer 
(wahrscheinlich  erst  in  der  Römerzeit)  gestanden  haben  sollen.  Die 
Engen  von  Hieron  galten  schon  in  der  ältesten  Zeit  als  die  Stelle,  wo 
Europa  und  Asien  sich  am  meisten  näherten,  und  als  der  eigentliche 
Vorposten  des  Bosporus,  welcher  denselben  vor  den  Angriffen  nörd- 
licher Barbaren  zu  vertheidigen  habe.  Noch  vor  Constantin  dem  Grossen, 
im  Jahre  248,  erschienen  die  Heruler  vor  Constantinopel  mit  einer 
Flotte  von  500  Booten,  mit  der  sie  Chrysopolis,  das  heutige  Skutari, 
blockirten,  von  wo  sie  sich  indess  nach  einem  unglücklichen  Seetreffen 
nach  Hieron  zurückziehen  mussten.  Ungefähr  zu  derselben  Zeit  waren 
die  Gothen  hier  über  die  Meerenge  gegangen,  um  Bithynieu  bis  in  die 
Gegend  von  Nikomedien  zu  verwüsten.  Odenatus,  Oberfeldherr  im  öst- 


252      Die  Ufer  des  Bospoi-us  in  Europa  und  Asien. 

liehen-  Theil  des  lömischen  Kelches,  verfolgte  sie  bis  Heraklea  am 
Schwarzen  Meer.  865  erschienen  die  Russen  zum  ersten  Mal  mit  einer 
Flotte  im  Bosporus  und  drangen  bis  nach  Hierou  vor.  Sie  mussten  sich 
diesmal  zurückziehen.  Aber  941  kamen  sie  wieder  und  verbrannten 
Hieron,  Stenia  und  einen  Theil  der  byzantinischen  Flotte.  Mit  10,000 
schnellsegelnden  Schilfen  (Dromites)  gingen  sie  auf  Constantiuopel  los, 
wurden  jedoch  zuletzt  von  dem  Patrizier  Theophanes  zurückgetrieben. 
Vermöge  seiner  Lage  war  Hieron  der  geeignetste  Ort,  Zoll  für  die 
Erlaubniss  zur  Durchfahrt  durch  den  Bosporus  zu  erheben,  und  so 
legten  schon  die  ersten  byzantinischen  Herrscher  hier  eine  Zolls tätte 
an.  Diese  Anstalten  Messen  Commercia.  woher  das  jetzige  türkische 
Wort  Gumerk,  Zollhaus,  abzuleiten  ist.  Das  Zollhaus  für  den  Bosporus 
war  in  Ilieron,  das  für  den  Hellespont  in  Abydos.  Die  Kaiserin  Irene 
erraässigte  diese  Zölle.  Als  die  Genueser  von  Galata  aus  den  Kaiser 
in  seinem  Palast  za  bedrohen  und  ihr  Augenmerk  auf  die  Herrschaft 
in  diesen  Meeren  zu  richten  anfingen,  waren  sie  ganz  besonders  darauf 
bedacht,  sich  Hierons  und  mit  diesem  des  Schlüssels  zum  Bosporus  zu 
be  nächtigen,  und  im  14.  Jahrhundert  hatten  sie  es  in  ihrer  Gewalt. 
1360  erschien  vor  der  Burg  von  Hieron  eine  venetianische  Flotte  von 
33  Galeeren,  um  den  Genuesern  den  alleinigen  Besitz  der  Herrschaft 
streitig  zu  machen,  und  später  wurde  hier  wiederholt  zwischen  Byzan- 
tinern und  Genuesern  gekämpft,  und  Hieron  scheint  wieder  in  die 
Hände  der  ersteren  zurückgelangt  zu  sein.  Wenigstens  war,  als  die 
Türken  die  Hauptstadt  bedrohten,  in  Hieron  eine  byzantinische  Be- 
satzung. —  Auf  den  Ruinen  des  alten  Heidentempels  baute  Justinian 
eine  Kirche,  die  er  dem  Erzengel  Michael  weihte  und  so  dem  Obersten 
der  himmlischen  Heerschaaren  die  Bewachung  des  Bosporus  gegen  die 
Barbaren  anvertraute.  Bis  auf  den  heutigen  Tag  sieht  man  auf  den 
Mauern  der  alten  Burg  die  Wappen  von  Genua  und  Byzanz,  Die  jetzigen 
Bewohner  desselben  sind  ein  ruhiges,  meist  von  Acker-  und  Gartenbau 
lebendes  Völkchen,  das  nur  unter  sich  heirathen  soll  und  eine  eigene 
Religion  hat,  über  die  man  indess  nichts  Gewisses  erfährt. 

Weiter  nach  Süden  folgt  ein  Berg,  welcher,  Bujukdere  gegen- 
über gelegen,  der  höchste  am  ganzen  Bosporus  ist  und  von  den  frän- 
kischen Reisenden  gewöhnlich  der  Riesenberg,  von  den  Türken  nach 
dem  Hühnengrab  auf  seinem  Gipfel,  welches  sie  für  Josua's  Grab 
halten,  Juscha  Dagh,  Josuasberg  genannt  wird.  Die  classischen  Schrift- 
steller nahmen  an,  dass  jenes  Grabmal  den  Leib  des  Bebrycerkönigs 
Amycus  in  sich  berge,  welcher  Alle,  die  landeten,  zu  einem  Zweikampf 
auf  den  Cestus  herauszufordern  pflegte,  in  welcher  Waffe  er  sich  be- 
sonders auszeichnete.  Pollux  nahm  diese  Herausforderung  bei  der 
Rückkehr  der  Argonauten  von  Kolchis  an  und  erschlug  den  König.  Der 
Fuss  des  Berges  theilt  sich  in  zwei  Aeste,  welche  als  Vorgebirge  in  die 
See  hinaustreten.  Das  nördliche  heisst  JVIadschar  Burun,  das  Vorge- 
birge der  Ungarn,  das  südliche  Mesar  Burun,  das  Kap  der  Todten. 
Zwischen  beiden  öffnet  sich  eine  kleine  Bucht,  in  welcher  das  Dorf 
Uraurköi  liegt.  Die  Batterie   am    Fuss  des  erstgenannten  Kaps,  gleich 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.      253 


den  gegenüberliegenden  von  Deli  Talian  das  Werk  des  französischen 
Ingenieurs  Monnier,  heisst  die  Josuasbatterie.  Darüber  erblickt  man 
die  Ruinen  einer  von  Justinian  erbauten  Kirche  des  heiligen  Pantaleon. 
Die  Höhe  des  Berges  beträgt  520  Puss,  und  man  hat  von  seinem  Gipfel 
eine  zauberhaft  schöne  Aussicht  über  einen  grossen  Theil  des  Kanals. 
Das  Gestein  ist  Kreide,  welche  am  Puss  gebrochen  und  gebrannt  wird. 
Das  Grabmal  oben  ist  20  Puss  lang  und  6  Puss  breit,  mit  einer  stei- 
nernen Einfriedigung  versehen  und  mit  Büschen  und  Blumen  umpflanzt. 
Zwei  Derwische  pflegen  es  zu  bewachen  Warum  gerade  Josua  hier 
liegen  soll,  ist  nicht  gut  zu  erklären.  Vielleicht  versetzte  man  sein 
Grab  hierher  auf  den  Berg,  weil  er  während  des  bekannten  Wunders, 
wo  er  die  Sonne  still  stehen  hiess,  auf  einem  Berge  stand.  Nach  tür- 
kischer Vorstellung  war  übrigens  Josua  ein  furchtbarer  Riese;  denn 
er  hatte  die  Gewohnheit,  sich,  während  er  auf  dem  Berge  sass,  im 
Bosporus  die  Püsse  zu  waschen.  Die  vielen  Fetzen  von  Heraden  und 
andern  Kleidungsstücken,  welche  man  an  dem  Grabe  aufgehangen  sieht, 
haben  Bezug  auf  den  im  vorigen  Capitel  erwähnten  Aberglauben,  nach 
welchem  das  Volk  meint,  wenn  es  solche  Fetzen  an  den  Gräbern  hei- 
liger Personen  aufhängt,  werde  in  demselben  Maasse,  wie  der  Wind 
dieselben  auslüftet,  auch  die  Krankheit  allmälig  weichen,  welche  den 
Träger  des  Restes  jener  Kleidungsstücke  ergrilfen  hat. 

TJnkiar  Skelessi,  d.  i.  der  Landungsplatz  des  Menschentödters 
(letzteres  ist  einer  der  Titel  des  Sultans),  liegt  am  Ausgang  eines  der 
schönsten  Thäler  auf  der  asiatischen  Seite  des  Bosporus  und  ist  in 
Folge  dessen  schon  seit  Jahrhunderten  einer  der  Lieblingswohnplätze 
der  türkischen  Herrscher  gewesen.  Mohammed  IL  bereits  erbaute  hier 
einen  Kiosk,  den  er,  da  ihm  zu  dieser  Zeit  gerade  die  Nachricht  der  Ein- 
nahme von  Tokat  zuging,  mit  jenem  blutigen  Namen  belegte.  Später 
errichtete  Soliman  der  Grosse  an  dieser  Stelle  einen  Palast,  der  indess 
allmälig  verfiel.  1746  baute  ihn  Mahmud  I.  wieder  auf  und  schmückte 
ihn  mit  Springbrunnen,  Cisternen  und  Parksophas.  Auch  dieses  Gebäude 
sammt  allem  Zubehör  ist  jetzt  zusammengefallen.  An  seine  Stelle  setzte 
Selim  III.  eine  Papiermühle,  die,  wenn  ihr  Erzeugniss  so  schön  wäre, 
als  das  Gebäude,  das  vorzüglichste  Papier  der  Welt  liefern  würde.  Alles 
ist  von  Marmor,  der  Salon  ist  geräumig  und  hell  und  das  Ganze  könnte 
eher  als  ein  Peehpalast,  wie  als  eine  prosaische  Papierfabrik  gelten. 
Auf  einem  Hügel,  der  in  die  See  hinaustritt,  steht  jetzt  ein  neuer  Pa- 
last des  Sultans  von  rothem  und  weissem  Marmor,  den  ihm  der  Pascha 
von  Aegypten  gebaut  hat  und  der  zwar  nicht  gross  ist,  aber  eine  sehr 
hübsche  Lage  hat.  Im  Alterthum  hiess  das  Vorgebirge  von  Madschar 
Burun  Argyconium,  das  von  Mesar  Burun  Actorechon  und  die  Bucht 
von  Unklar  Skelessi  Maucoporis.  Das  Thal  und  der  dahinter  aufstei- 
gende Riesenberg  sind  der  Schauplatz,  wo  1833  die  russische  Armee 
lagerte  und  wo  der  bekannte  Vertrag  vom  26.  Juni  jenes  Jahres  ab- 
geschlossen wurde,  nach  welchem  „im  Fall  der  Noth"  (dessen  Bestim- 
mung dem  russischen  Botschafter  anheimgegeben  wurde)  die  Türkei 
verpflichtet  war,  die  Dardanellen   aller  fremden  Flotten  zu  schliessen. 


254      Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 

Weiter  südlich  kommen  wir  nach  dem  grossen  türkischen  Dorfe 
Bejkos,  welches  am  Ausgang  eines  Thaies  vor  einer  Bucht  liegt,  die 
im  Alterthum  den  Namen  jenes  Königs  Amykus  führte,  bisweilen  aber 
auch  die  Bucht  des  wüthenden  Lorbeers  genannt  wird.  Hier  soll  der 
wilde  Bebrycerfürst  sein  Hoflager  und  seine  Ochsenställe  gehabt,  hier 
mit  Pollux  gekämpft  haben.  Hier  stand  auch  sein  Grab,  auf  das  man 
einen  Lorbeerbaum  pflanzte,  der  später  den  seltsamsten  Spuk  anrich- 
tete. Wer  nämlich  Blätter  von  demselben  abbrach  und  diese  mit  sich 
führte,  der  nmsste  unwillkürlich  gegen  Jedermann  in  Schimpfreden 
ausbrechen,  woraus  sich  dann  Mord  und  Todtschlag  entwickelte.  In 
früheren  Zeiten  gab  es  in  der  Bucht  von  Bejkos  viele  Schwertfische, 
die  sich  indess  jetzt  nicht  blos  von  hier,  sondern  aus  dem  Bosporus 
überhaupt  zurückgezogen  haben  sollen. 

Alcbaba  und  SeJcedere.  Von  Bejkos  gelangt  man  auf  anmuthig- 
stem  Wege  in  etwa  zwei  Stunden  nach  den  Dörfern  Akbaba  und  Se- 
kedere,  die  im  Innern  in  einem  romantischen  Thale  liegen.  Letzteres 
ist  berühmt  wegen  einer  stahlhaltigen  Heilquelle.  Von  hier  kann  man 
seinen  Spaziergang  fortsetzten  bis  zu  dem  am  Fuss  der  bithynischen 
Bergketten  gelegenen  Dorfe  'Arnautköi.  Das  Thal  von  Akbaba  wird 
deutsche  Reisende,  welche  die  Umgegend  von  Wien  kennen,  lebhaft  an 
die  Schönheiten  der  einsamen  Thäler  hinter  dem  Kahlenberg,  von 
Dornbach  bis  Mauerbach  erinnern  ^  während  sein  reichverzierter  Mar- 
morbrunnen wieder  an  türkische  Prachtliebe  denken  lässt 

SuUania  heisst  sowohl  die  Bucht,  welche  auf  die  von  Bejkos 
folgt,  als  auch  das  araphitheatralisch  in  der  Mitte  derselben  gelegene 
grosse  Dorf.  Der  Name  soll  von  einem  Garten  herrühren,  der  von  Ba- 
jasid  IL  hier  angelegt  wurde.  Derselbe  ist  jedoch  anderen  Ursprungs. 
Als  unter  Sultan  Murad  III.  der  türkische  Feldherr  Usdemir  Oglu 
Osman  Pascha  Armenien  und  einen  Theil  Persiens  eroberte  und  bis 
Täbris,  der  Hauptstadt  von  Aserbeidschan  vordrang,  schickte  er  die 
Fenster,  Thüren  und  Möbel  der  Paläste,  die  er  in  den  eroberten  Städten 
fand,  an  den  Sultan,  welcher  diese  Trophäen,  zur  Erbauung  einer  Som- 
merresidenz an  dieser  Bucht  verwendete.  Dieselbe  war  ganz  im  persi- 
schen Geschmak  eingerichtet  und  erhielt  ihren  Namen  Sultania  von 
einer  der  schönsten  Städte  in  Aserbeidschan.  Gegenwärtig  existirt  von 
diesem  Palast,  welcher  vermuthlich  wie  viele  andere  türkische  Sultans- 
schlösser von  Holz  war,  keine  Spur  mehr,  sondern  man  sieht  ein  mo- 
dernes Gebäude,  welches  von  irgend  einem  Reis  Effendi  erbaut  worden 
sein  soll. 

Der  nächste  Ort  nach  Süden  hin  ist  Indschir  Köi,  d.  i.  das 
Feigendorf,  so  genannt  nach  der  Vertrelflichkeit  der  Feigen,  die  hier 
sowie  in  Sultania  wachsen.  Unter  den  Obstbäumen  dieser  Gegend  findet 
sich  ein  seltsames  Naturspiel  in  Gestalt  von  zwei  Cypressen,  die  mit 
zwei  Feigenbäumen  so  verwachsen  sind,  dass  die  Cypressen  Feigen  zu 
tragen  scheinen. 

TschibbuMu,  das  nächstfolgende  Dorf,  war  im  fünften  Jahrhun- 
dert unserer  Zeitrechnung  sehr  berühmt  wegen  des  grossen    Klosters 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.      255 


der  Schlaflosen  (axoijin^Kov),  welches  der  Abt  Alexander  gegründet.  Die 
Mönche  in  diesem  Kloster  zeichneten  sich  dadurch  von  allen  andern 
aus,  dass  sie  nicht  bloss  zu  den  gewöhnlichen  vier  Gebetstunden  sangen, 
sondern  ihren  Gottesdienst  ohne  Unterbrechung  Tag  und  Nacht  fort- 
setzten. . 

Kandlija,  das  „blutige  Dorf".  Nichts  kann  die  Anmuth  dieses 
Ortes  und  seiner  araphitheatralisch  aufsteigenden  Terrassengärten  über- 
treffen, wenn  man  sie  vom  Kaik  aus  in  einer  Entfernung  von  einem 
kleinen  Plintenschuss  von  den  Kiosks  betrachtet,  welche  sich  hart  über 
dem  Wasser  erheben,  das  mit  seinem  Spiegel  die  Bilder  der  Minarets, 
Moscheen  und  Brunnen  droben  auf  dem  Ufer  wieder  strahlt, 

Anaäoli  Hissar.  —  Dieses  alte  Schloss,  dem  von  Rumili  Hissar 
unmittelbar  gegenüber  gelegen,  und  vor  demselben  erbaut,  hiess  ursprüng- 
lich Gussei  Hissar,  d.  i.  Schönburg.  Später  nannte  man  es  gewöhnlich 
den  schwarzen  Thurm,  und  es  war  ein  gefürchtetes  Staatsgefängniss, 
in  welchem  viele  Gefangene  an  schlechter  Behandlung  und  unter  Mar- 
tern starben.  Gleich  neben  dem  dabei  sich  hinziehenden  Dorfe  fliesst 
der  Bach  Göksu,  d.  i.  Himmelsgewässer,  an  dessen  Mündung  sich  ein 
von  Mahmud  I.  erbauter  und  von  Selim  I.  wieder  hergestellter  Palast 
erhebt.  Das  schöne  Thal,  welches  sich  von  seinem  Ausfluss  in  die 
Berge  hinaufzieht,  ist  unbestritten  eines  der  lieblichsten  dieser  para- 
.  diesischen  Gegend,  vielleicht  der  ganzen  Levante.  Ja,  der  türkische 
Dichter  Malheni  gibt  ihm  den  Vorzug  vor  den  vier  schönsten  Puncten 
Asiens :  der  prächtigen  Ebene  von  Damaskus,  der  schönen  Wiesenland- 
schaften von  Obolla  bei  Bassora,  der  Ebene  von  Sogd  und  dem  herr- 
lichen Thal  von  Schaab  Bewan  in  Südpersien. 

In  demselben  Maasse,  in  welchem  das  ebenerwähnte  Thal  alle 
andern  Thäler  des  Bosporus  an  Schönheit  übertrifft,  ist  das  unter  und 
auf  dem  nächstfolgenden  Vorgebirge  erbaute  Dorf  Kandilli  allen  andern 
Dörfern  dieser  Wasserstrasse  an  Lieblichkeit  der  Lage  und  reiner  Luft 
vorzuziehen.  Sein  Name  war  im  Alterthum  Ttepf^^ouv,  d.  i.  das  Um- 
strömte, von  der  heftigen  Strömung,  welche  von  dem  gegenüber  auf- 
ragenden Kap  zurückprallend  seinen  Fuss  umrauscht.  Von  den  Häusern 
auf  der  Höhe  geniesst  man  die  lieblichsten  Blicke  auf  den  obem  und 
den  untern  Bosporus,  sowie  auf  das  Marmorameer.  Kandilli  heisst  das 
Laternenerleuchtete,  und  wenige  Orte  mögen  diese  Bezeichnung  so 
wohl  verdienen,  indem  es  gleichsam  wie  eine  vom  Himmelsgewölbe 
herabgelassene  bunte  Laterne  dasteht,  die  ihre  Strahlen  voll  Schönheit 
weithin  über  die  Höhen  und  die  Gewässer  der  Gegend  leuchten  lässt 
—  Strahlen,  die  gleich  denen  einer  Zauberlaterne,  auf  diese  Höhe  und 
an  diese  Gewässer  die  bunteste,  vielgestaltigste  Mannigfaltigkeit  von 
Formen  und  Farben  hinzuzaubern  scheinen,  mit  dem  einzigen  Unter- 
schiede, dass  man  hier  nicht  blosse  Bilder,  sondern  Wirklichkeiten  vor 
sich  hat.  Kein  Reisender,  der  Constantinopel  besucht,  sollte  diese  Höhe 
von  Kandilli  übersehen.  Keine  Feder  beschreibt  das  Gesammtbild  oder 
die  einzelnen  Gruppen  dieses  Panorama's  mit  seinem  Wechsel  von 
Hügel   und  Thal,  Buchten   und  Vorgebirgen,   Wiesen,  Wäldchen  und 


256      Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 

Brunnen,  seinen  dunklen  Cypressenhainen  und  lichten  Rosenbeeten, 
seinen  rauschenden  Strömungen  und  murmelnden  Rieselbächen,  seinen 
vergoldeten  Kiosks  und  seinen  marmornen  Springbrunnen  —  dieses 
zaubervolle  Durcheinander  von  flaggentragenden  Masten  und  hochra- 
genden weiss-schimmernden  Minarets,  von  mächtigen  Kuppeln  und  zahl- 
losen, von  Baumwipfeln  unterbrochenen  rothen  Hausdächern  Indem 
man  von  der  Ecke  eines  Kiosks  an  eine  der  Säulen  desselben  gelehnt, 
ohne  sich  zu  bewegen,  nur  durch  die  Wendung  des  Kopfes  bald  zur 
Rechten,  bald  zur  Linken  den  ganzen  Bosporus  vom  Pontus  bis  zur 
Propontis  überschaut,  blickt  man  in  die  sieben  Landseen,  in  welche  die 
Meerenge  zu  zerfallen  scheint,  wie  in  sieben  magische  Kessel,  von  denen 
einer  dem  Auge  immer  mehr  Entzücken  aufsteigen  lässt,  als  der  andere, 
und  während  man  in  der  Ferne  im  Norden  die  Stelle  erblickt,  wo  die 
schwarzblauen  Symplejaden  einst  als  Rachen  der  Unterwelt  drohten, 
sieht  man  auf  der  andern  Seite  in  dem  Spiegel  des  Marmorameeres  die 
Prinzeninseln  friedlich,  schön  und  heiter  gleich  den  Inseln  der  Seligen. 

Kalleh  Bagdschessi,  der  „Garten  des  Thurms",  leitet  seinen 
Namen  von  einer  Sage  her,  nach  welcher  Sultan  Selim  L,  erzürnt  über 
seinen  Sohn  Soliman,  dem  Bostandschi  Baschi  den  Befehl  ertheilte, 
denselben  zu  erdrosseln.  Der  letztere  fühlte  indess  Mittleid  mit  dem 
Prinzen  und  verbarg  ihn,  mit  Gefahr  seines  eigenen  Lebens,  auf  drei 
Jahre  an  dieser  Stelle.  Nachdem  Selim  von  seinem  siegreichen  Zuge 
nach  Aegypten  heimgekehrt  war,  reute  ihn  jener  Befehl,  da  ihm  sein 
Mangel  an  Kindern  schwer  auf's  Herz  fiel,  und  jetzt  gestand  der  Bo- 
standschi Baschi  seinen  Ungehorsam,  der  ihm  vom  Sultan  natürlich 
gern  verziehen  wurde.  Als  Soliman  später  den  Thron  bestieg,  verwan- 
delte er  den  alten  Thurm  in  einen  prächtigen  Garten  mit  Springbrunnen, 
und  pflanzte  hier  eine  Cypresse,  die  noch  jetzt  gezeigt  wird.  Im  ge- 
wöhnlichen Leben  wird  der  Ort  kurz  Kalleli  genannt,  welchen  Namen 
man  deshalb  den  Kaikdschis  gegenüber  anwenden  muss.  Früher  stand 
hier  eine  Michaelskirche.  Jetzt  ist  das  auffallendste  Gebäude  des  Ortes 
eine  grosse  im  gewöhnlichen  türkischen  Styl  erbaute  Reiterkaserne,  die 
unmittelbar  am  Wasser  steht.  Halbwegs  die  Höhe  hinauf  hinter  Kal- 
leli trifft  man  einen  Kiosk  des  Sultans,  der  in  einem  schönen  Hain 
wie  in  einer  Laube  liegt.  Ein  höchst  anmuthiger  Weg  führt  von  Kul- 
leli  links  hinauf  nach  Kandilli.  Derselbe  windet  sich  um  einen  Hügel, 
den  ein  anderer  Kiosk  des  Grossherrn  krönt  und  bietet  bei  jeder  seiner 
Wendungen  neue  überraschende  Ausblicke  auf  den  Bosporus. 

Tschengelli  Köi,  d.  i.  das  Hakendorf,  so  genannt  nach  dem 
alterthümlichen  eisernen  Anker,  den  Mohammed  II  hier  fand.  Der 
kaiserliche  Garten  am  Ufer  war  der  Schauplatz  der  blutigen  Execu- 
tionen  unter  Murad  IV. 

Begier beg  liegt  gerade  über  von  Orta  Köi  und  ist  erst  in  den 
letzten  zwanzig  Jahren  zu  dem  Wohlstand  gelangt,  dessen  es  sich  jetzt 
erfreut.  Unter  den  byzantinischen  Kaisern  zeichnete  sich  der  Ort  durch 
die  Grösse  und  Pracht  seiner  Gebäude  aus.  Zur  Zeit  des  Gyllius  hiess 
es  Chrysokeramos  von  einer  Kirche,  deren  Dach  mit  goldenen  Ziegeln 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Eiiropa  und  Asien.       257 

gedeckt  war.  Unter  dem  Sultan  Mahmud  erhielt  er  den  Namen  Ferach- 
fesa,  d.  i.  wachsende  Freude,  ein  Name,  der  ein  Seitenstück  zu  dem 
berühmten  Garten  Dilkuscha  (Herzensöftner)  ist,  welchen  Timür  Leng 
zu  Herat  anlegte.  Hier  in  Beglerbeg  liegt,  wie  schon  erwähnt,  die 
eigentliche  Sommerresidenz  des  Sultans,  das  asiatische  Gegenstück  zu 
Dolma-Bagdsche.  Der  Palast  von  Begierheg,  hart  am  Meeresufer  gele- 
gen und  mit  seiner  weissleuchtenden  ausgedehnten  Fronte  von  weither 
sichtbar,  ist  der  grösste  von  allen  Palästen  des  Sultans  und  noch  immer 
wird  mit  unsinniger  Verschwendung  daran  gebaut.  Abdul-Aziz  hat  diese 
Stelle  so  lieb  gewonnen,  dass  er  alle  seine  anderen  Lustschlösser  über 
Beglerbeg  vernachlässigt.  Weil  er  im  Sommer  fast  beständig  dort  wohnt, 
ist  dieser  Palast  um  diese  Jahreszeit  auch  gänzlich  unzugänglich 
für  Fremde. 

Istavros,  Beschiktasch  gegenüber  gelegen,  zog  schon  in  frühen 
Zeiten  durch  seine  der  Hauptstadt  nahe  und  schöne  Lage  die  Aufmerk- 
samkeit der  Sultane  auf  sich,  und  Achmed  I.  baute  hier  eine  Moschee 
und  legte  1613  einen  kaiserlichen  Garten  an. 

Kuskimdschik,  hart  neben  Istavros  und  nahe  bei  Skutari,  erhielt 
seinen  Namen  vou  Kusgun  Baba,  einem  türkischen  Heiligen,  der  unter 
der  Kegierung  Mohammed's  II.  lebte.  In  dem  Namen  des  benachbarten 
kleinen  Hafens  Jukus  Limani  (Ochsenhafen)  ist  eine  Erinnerung  an  die 
Bedeutung  des  Wortes  Bosporus  (Ochsenfurt)  aufbewahrt.  Mit  dem 
Dorfe  Kusgundschik  oder  vielmehr  mit  dem  benachbarten  Vorgebirg 
Chrysopolis  enden  die  Engen  des  Bosporus;  denn  die  See  auf  der 
andern  Seite  wird  bereits  Propontis  oder  Marmorameer  genannt. 

Indem  wir  nun  einen  Eückblick  auf  die  Orte  werfen,  die  wir 
auf  beiden  Seiten  des  Kanals  durchwandert  haben,  finden  wir,  dass 
das  asiatische  Ufer  die  mehr  begünstigte  und  geliebte  Residenz  der 
ottomanischen  Sultane  gewesen  ist,  während  die  Westseite  mehr  von 
den  Franken  und  Griechen  zum  Aufenthalt  während  des  Sommers  ge- 
wählt worden  ist.  Die  Zahl  der  kaiserlichen  Gärten  und  Gartenpaläste 
ist  auf  dem  asiatischen  Ufer  grösser,  als  auf  dem  europäischen;  denn 
während  wir  zwischen  Tophana  und  Rumili  Hissar  nur  fünf  (Dolma- 
bagdsche,  Beschiktasch,  Tschiragan,  Flamur  und  Bebek)  und  weiter 
hinauf  nur  zwei  (die  Villen  von  Kalendar  und  Therapia)  derselben 
linden,  begegnen  wir  auf  dem  asiatischen  Gestade  doppelt  so  vielen. 
Den  eben  erwähnten  vier  gegenüber  haben  wir  die  Gärten  und  Garten- 
schlösser von  Istavros,  Beglerbeg,  Tschengelli  Köi,  KaUeh  Bagdschessi 
und  Kandilli  erwähnt.  Dann  folgt  das  Thal  des  Himmelswassers,  durch- 
strömt von  den  Bächen  Gök  Su  und  Kutschuk  Su,  und  weiterhinauf 
treffen  wird  die  kaiserlichen  Gärten  und  Somraerpaläste  von  Kandüja, 
Tschibbuklu,  Sultania,  Bejkos  und  Unklar  Skelessi. 

Wir  kommen  nun  nach  Skutari,  der  grössten  von  den  Vor- 
städten Constantinopels,  welches,  auf  sieben  niedrigen  Hügeln  erbaut, 
auch  als  eine  Stadt  für  sich  betrachtet  werden  kann.  Der  Thurm,  der 
sich  vor  demselben  auf  einer  isolirten  Klippe  74  Fuss  hoch  auf  der 
Grenze  zwischen  Propontis  und  Bosporus  erhebt  und  jetzt  als  eine  Art 

17 


258      Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 

Wachthaus  dient,  wird  von  den  Türken  Kiskulessi,  d.  i.  Jungfern-  oder 
Mädchenthurm  genannt.  Die  Franken  haben  dies  irrthümlich  auf  die 
Jungfrau  bezogen,  die  in  der  Sage  von  Hero  und  Leander  eine  Kolle 
spielt,  und  nennen  dies  Gebäude  deshalb  den  Leanderthurm.  Derselbe 
hat  mit  der  Sage,  deren  Schauplatz  bekanntlich  der  Hellespont,  nicht 
der  Bosporus  ist,  nichts  zu  thun.  Er  hiess  im  Alterthum  Damalit  und 
wurde  1143  von  Manuel  Komnenus  zum  Behuf  der  Absperrung  des 
Goldenen  Horns  und  des  Bosporus  mit  eisernen  Ketten  erbaut.  Seine 
jetzige  Gestalt  erhielt  er  durch  Achmed  III.  und  Mahmud  II.  Skutari 
ist  eine  sehr  alte  Stadt.  Es  wurde  schon  in  den  ältesten  Zeiten  der 
grossen  persischen  Monarchie  erbaut  und  erhielt  seinen  alten  Namen 
Chrysopolis  sehr  wahrscheinlich  davon,  dass  hier  der  Tribut  zusammenfioss, 
den  die  Perserkönige  von  den  umliegenden  Theilen  ihres  Reiches  erhielten, 
nicht  von  Chryses  dem  Sohn  der  Chryseis  und  des  Agamemnon,  den  die 
spätere  Sage  vor  Aegisth  und  Klytemnästra  hierher  fliehen  und  hier 
an  einer  Krankheit  sterben  lässt.  Der  orientalische  Name  der  Stadt, 
Uskudar  ist  persischen  Ursprunges  und  wohl  so  alt  als  die  Stadt  selbst, 
denn  Uskudar  bedeutet  auf  persisch  einen  Courier  oder  Postboten, 
welcher  die  königlichen  Befelile  von  Station  zu  Station  befördert.  Sku- 
tari war  daher  schon  im  Alterthum,  was  es  jetzt  ist,  die  grosse  Post- 
station für  die  asiatischen  Couriere,  für  die  Karawanen  und  für  die 
Eeisenden,  welche,  von  Europa  kommend,  in  das  Innere  von  Klein- 
asien und  Mesopotamien  gehen.  Das  Vorgebirge,  welches  hier  die 
Grenze  zwischen  dem  Marmorameer  und  der  Meerenge  bildet,  hiess  im 
eigentlichsten  Sinne  der  Bosporus,  d.  i.  Ochsen-  oder  Rinderfurt,  ein 
Name,  der  von  der  Sage  herkommt,  dass  lo,  in  eine  Kuh  verwandelt, 
auf  ihrer  Flucht  von  der  rachsüchtigen  Juno  hier  von  Europa  nach 
Asien  hinüberschwamm.  Hier  standen  die  drei  16  Ellen  hohen  Kolos- 
salstatuen, welche  die  alten  Byzantiner  zur  Erinnerung  an  die  durch 
Athen  bewirkte  Befreiung  ihrer  Stadt  von  der  Belagerung  derselben 
durch  den  Lacedämonier  Philipp  errichteten. 

Das  zweite  Vorgebirge  Skutari's,  welches  im  Süden  am  Ufer 
des  Marmorameeres  liegt  und  den  alten,  jetzt  halb  eingegangenen 
Hafen  der  Stadt  eiiifasst,  hiess  in  der  Zeit  der  Byzantiner  Hieron.  In 
und  bei  Chrysopolis  machten  Xenophon  und  die  griechischen  Hilfs- 
völker, welche  er  aus  dem  Peldzug  gegen  Artaxerxes  Mneraon  zurück- 
geführt, auf  sieben  Tage  Halt,  während  welcher  Zeit  die  Soldaten  ihre 
Beute  verkauften.  In  seinen  Werken  bemerkt  er,  dass  Chrysopolis  von 
dem  damaligen  attischen  Befehlshaber  mit  Mauern  umgeben  worden 
sei  und  als  Zollstätte  gedient  habe,  bei  welcher  die  Athener  (wie  später 
die  Genuesen  am  Bosporus)  von  den  durchsegelnden  Schiffen  eine  Abgabe 
erhoben. 

Skutari  hat  acht  Moscheen,  von  denen  fünf  von  Sultaninnen  und 
drei  von  Sultanen  erbaut  wurden.  Die  Moschee  der  Sultanin  Walide 
erfreut  sich  des  Vorrechtes,  in  den  Nächten  des  Ramadan  ebenso 
erleuchtet  zu  werden,  wie  die  kaiserlichen  Moscheen  in  Stambul.  Die 
Kreise  von  Lampen,  die  man   dann   an  den  Minarets  erblickt,  werden 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  £uropa  und  Asien.       259 

Mahije,  d.  h.  Mondkreise,  genannt.  Sultan  Soliman,  welcher  die  Mo- 
schee Ibrik  Dschemi  (Moschee  der  Kanne)  erbaute,  stiftete  hier  zugleich 
eine  Arraenküche  (Imaret),  wo  jeder  Dürftige  zwei  Mahlzeiten,  eine 
Schüssel  Suppe  und  ein  Brotchen  erhielt.  Fremde  bekommen  dasselbe 
und  zugleich  Futter  für  ihre  Thiere,  indess  nur  drei  Tage  lang  —  die 
gewöhnliche  Begrenzung  der  morgenländischen  Gastlichkeit.  Dieses 
vortreffliche  Beispiel  wurde  von  mehren  Sultaninnen  nachgeahmt,  so 
dass  Skutari  ziemlich  reich  an  Wohlthätigkeitsanstalten  ist.  Zahlreich 
sind  in  Skutari  auch  die  Badeanstalten.  Als  die  besten  können  das 
Sultan-Hammara  am  Marktplatze  und  das  Bad  Kossem  Pascha's  be- 
zeichnet werden. 

Sehr  interessant  ist  ein  Besuch  in  dem  Kloster  der  Rufai- 
Derwische.  Dasselbe  war  1859  abgebrannt,  wird  aber  jetzt  wieder 
aufgebaut  sein.  Diese  Derwische  gehören  zu  den  sogenannt i-n  heulenden. 
Ihre  gottesdienstlichen  Uebungen  beginnen  mit  dem  gewöhnlichen 
Gebet,  nur  mit  dem  Unterschied,  dass  sie  sich  dabei  statt  der  Tep- 
piche ein  Schaffell  unterbreiten.  Nach  dem  üblichen  Gebet  (Namaz), 
welches  von  jedem  frommen  Moslem  täglich  fünfmal  gesprochen  wird, 
setzen  sie  sich  in  einen  Kreis  und  sagen  die  Fatha,  d.  h.  die  erste 
Sure  des  Koran  her,  auf  welche  sie  verschiedene  fromme  Ausrufungen, 
wie  z.  ß.  „Gesegnet  sei  unser  Prophet,  der  Fürst  der  Gottesgesandten, 
und  seine  Familie  und  seine  Gefährten,  gesegnet  auch  Abraham  und 
seine  Familie  und  seine  Gefährten!*  folgen  lassen.  Diese  Formeln 
sprechen  sie  langsam,  mit  eintöniger  Stimme,  halb  singend,  etwa  wie 
unsere  Priester  beim  Messelesen  aus.  Nachdem  dies  vorüber  ist,  erheben 
sie  sich,  im  Kreise  bleibend,  und  beginnen  langsam  das  Glaubens- 
bekenntniss  des  Islam:  „La  ilah  illah  la*  (es  ist  kein  Gott  ausser 
Gott)  herzusagen,  welches  sie  in  sechs  einzelnen  Sylben :  la-i-lah-il-lah-la 
zerlegen.  Während  sie  die  erste  Sylbe  ansprechen,  beugen  sie  sich  nach 
vorwärts,  bei  der  zweiten  erheben  sie  sich  wieder  und  bei  der  dritten 
beugen  sie  sich  nach  hinten  über,  eine  Bewegung,  die  sich  bei  den 
drei  letzten  Sylben  wiederholt.  Bisweilen  auch  wechseln  sie  mit  der 
Richtung  so,  dass  sie  sich  bei  der  ersten  Sylbe  zur  Eechten  beugen, 
bei  der  zweiten  aufrecht  stehen  und  bei  der  dritten  sich  nach  links 
neigen,  ein  Verfahren,  welches  sich  bei  den  drei  letzten  Silben  des 
Bekenntnisses  wiederholt.  Dieser  Chorgesang  beginnt  ganz  langsam, 
so  dass  die  Bewegung  stets  gleichen  Schritt  mit  dem  Gesang  hält  oder 
vielmehr  mit  dem  Geschrei.  Bald  jedoch  wird  die  Bewegung  so  rasch, 
dass  der  Singende  oder  Schreiende  genöthigt  ist,  zwei  Silben  bei  einer 
Bewegung  auszusprechen,  und  wenn  die  Raschheit  sich  noch  mehr 
steigert,  die  beiden  Sylben  wie  eine  einzige  auszustossen,  wo  man  dann 
nichts  mehr  hört,  als  aen  tactmässig  hervorgekeuchten  wilden  Schrei 
11-Lah.  Je  schneller  die  Bewegung  in  Dreivierteltact ,  desto  grösser 
die  Wuth  der  sich  Beugenden  und  Brüllenden,  und  so  wird  die  Cere- 
monie  allmälig  zu  einer  religiösen  Orgie,  bei  der  man  nicht  weiss,  was 
man  mehr  bewundern  soll,  die  Kraft  der  Muskeln  oder  die  Ausdauer 
der  Lungen,  die  sie  feiern.    Während   dieser  wüste  Chor  sein  Gebrüll 


260       Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 

hören  lässt,  tragen  zwei  Sänger  mit  melodischer  Stimme  Verse  aus 
der  Borda,  dem  berühmten  Mantellied  (siehe  d.  vor.  Cap.)  oder  aus 
anderen  Lobliedern  auf  den  Propheten  und  seine  Jünger,  auf  die  grossen 
Schechs  Abdelkader  Gilani  oder  Sejd  Achmed  Kufai  vor.  Diese  sanfte 
Musik  tönt  wie  das  Läuten  eines  Capellenglöckchens  im  Donner  der 
Brandung  und  im  Heulen  des  Sturmes.  Das  Signal  zur  höchsten  An- 
strengung der  Muskeln  und  Lungen  ist  es,  wenn  der  Schech  oder 
Vorsteher  der  Gesellschaft  zu  stampfen  beginnt.  Dann  bücken  sich 
Alle  wie  besessen,  und  man  hört  nichts  mehr  als  den  einzigen  Ton 
„Iah"  aus  diesem  Wirbel  verschluckter  Sylben,  der  dann  und  wann 
von  einem  besonders  Verzückten  durch  den  Aufschrei  „hu!"  unter- 
brochen wird. 

Wenn  die  Bewegung  nach  vorn  und  hinten  geht,  accentuiren 
sie  die  Sylben  in  der  lolgenden  Weise  u  u  —  u  u  — ,  d.  h.  so  dass  die 
erste  und  zweite,  und  die  vierte  und  fünfte  sehr  kurz,  kaum  hörbar, 
ausgesprochen  werden;  geht  sie  dagegen  seitwärts  nach  rechts  und 
links,  so  wird  der  Ausruf  als  dreifüssiger  Jambus  u  —  u  — u —  ausge- 
sprochen. Zu  Anfang,  wo  das  Glaubensbekenntniss  langsam  gebetet 
wird,  ist  das  Ganze  sehr  wohl  verständlich,  weiterhin  erscheint  es  ein- 
fach als  ein  brüllendes  Lallen  ohne  Sinn  und  Bedeutung.  Früher  traten, 
wenn  die  Ceremonie  bei  dem  Theil  angelangt  war,  wo  die  gottesfürch- 
tige  Gesellschaft  sich  gegenseitig  die  Arme  auf  die  Schulter  legend, 
in  Dreivierteltact  sich  nach  vorn  und  rückwärts  oder  nach  rechts  und 
links  zu  schlenkern  begann,  Mitglieder  des  Ordens  in  die  Mitte  des 
Kreises,  um  Wunder  der  Unverbrennbarkeit  zu  thun.  Der  Eine  trug 
ein  glühend  rothes  Hufeisen  in  der  Hand,  ein  Anderer  nahm  eine 
feurige  Kohle  in  den  Mund,  wieder  Andere  Hessen  sich  mit  glühenden 
Haken  fassen.  Alle,  ohne  das  geringste  Zeichen  von  Schmerz  von  sich 
zu  geben  Diese  Kunsstücke  hat  man  indess  jetzt  aufgegeben,  und  nur 
das  Brüllen  und  Bücken  wird  fortgesetzt.  Das  geht  stundenlang  mit 
geringen  Unterbrechungen  fort.  Das  Getöse  wächst  immer  mehr,  ebenso 
wird  das  Schlenkern  der  Glieder  immer  gewaltsamer.  Viele  stürzen  mit 
Schaum  vor  dem  Munde  zuckend  und  zappelnd  zu  Boden,  Andere 
werden  ohnmächtig  in  eine  Ecke  getragen.  Einige  schreien  „Ja  hu!" 
(o  Lebendiger)  Andere  „Ja  meded!"  (o  Hilfe),  während  der  Choral  oder 
Hymnus  der  beiden  Sänger  in  dieses  Getöse  und  Gewirr  silberstimmig 
Ausrufungen  wie:  „0  Mittler!  0  Geliebter!  0,  Du' Arzt  der  Seelen! 
0,  Du,  der  erwählt  ward!  0,  Du  Sachwalter  am  Tage  des  Gerichts, 
wenn  man  ausrufen  wird:  0  meine  Seele!  0  meine  Seele!  und  Du 
sagen  wirst:  0  mein  Volk,  mein  Volk!"  hineintönen  lässt. 

Es  wird  von  Kundigen  behauptet,  dass  wie  verzückt  und  ver- 
rückt auch  die  ganze  Gesellschaft  dem  Zuschauer  erscheinen  möge,  doch 
Alle,  mit  Ausnahme  einiger  Fanatiker,  in  Wahrheit  vollkommen  ruhig 
und  ihrer  selbst  bewusst  seien,  und  dass  die  ganze  Ekstase  und  Begei- 
sterung ganz  eben  so  wie  früher  das  Wunder  der  Unverbrennbarkeit, 
eben  ein  Humbug  oder  Puflf  sei,  einfach  darauf  berechnet,  die  Zuschauer, 
welche  sich  stets  zahlreich  im  Kloster  einfinden,  zu  täuschen.  Verfasser 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.       261 

dieser  Zeilen  ist  nicht  völlig  dieser  Ansicht.  Es  läuft  jedenfalls  viel 
Handwerksmässiges  mit  unter,  im  Ganzen  aber  ist  die  Ceremonie  etwa 
den  Vorfällen  bei  den  amerikanischen  Eevivals  und  Carapmeetings  an 
die  Seite  zu  stellen,  nur  dass  sie  Verzückungen  und  Verrenkungen  hier, 
bei  den  Derwischen  mehr  durch  äusserliche  Mittel  hervorgebracht 
werden.  Das  Ende  ist  hier  wie  dort  genau  dasselbe  —  gottesfürchtiger 
Blödsinn. 

Das  Geschenk,  welches  europäische  Zuschauer  zurückzulassen 
pflegen,  ist  durchaus  freiwillig;  denn  niemals  wird  von  diesen  Der- 
wischen eine  Gabe  verlangt.  Die  Orgien  der  Rufai  haben  übrigens, 
weder  ihrer  Bedeutung  nach,  noch  in  ihrem  Charakter  Aehnlichkeit 
mit  den  Tänzen  der  Mewlewi  in  Kassim  Pascha.  In  den  Ceremonien 
der  letzteren  ist  uns  vielleicht  der  Sphärentanz  der  samothracischen 
Mysterien  aufbewahrt,  während  das  wüste  Schlenkern  und  Verrenken 
der  Rufai-Derwische  möglicherweise  der  alte  persische  xvi<T{jid?  ist. 

Der  grosse  Friedhof  hinter  Skutari  ist  der  ausgedehnteste  und 
schönste  in  der  g  anzen  Welt.  Der  Boden  Asiens  gilt  den  Türken  für 
heiliger  als  der  europäische,  vielleicht  weil  sie  dorther  stammen, 
vielleicht  weil  ihr  Prophet  hier  lebte,  vielleicht  auch  liegt  darin  eine 
Ahnung,  dass  sie  in  Europa  keine  bleibende  Stätte  haben  und  über 
kurz  oder  lang  nach  Asien  zurückwandern  müssen  So  lassen  sich  sehr 
viele  Bewohner  Stambuls  hier  im  grossen  Leichenhof  von  Skutari 
beerdigen,  und  da  dies  vorzüglich  wohlhabende  Leute  sind,  so  trifft 
man  hier  weit  mehr  schöne  oder  doch  reich  verzierte  Grabmäler  als 
auf  irgend  einem  Begräbnissplatz  Constantinopels  und  seiner  Vorstädte. 
Der  grosse  Friedhof  ist  über  eine  halbe  Quadratmeile  gross,  und  es 
mögen  hier  mehr  als  zwei  Millionen,  ja  vielleicht  doppelt  so  viele 
Türken  begraben  sein.  Ein  Grab  in  der  Mitte  der  Masse  von  Grabsteinen 
lenkt  die  Aufmerksamkeit  der  Beschauer  durch  besondere  Grösse  und 
Eleganz  auf  sich.  Unter  dem  von  sechs  Säulen  getragenen  Dache  liegt 
aber  nur  —  das  Leibross  Sultan  Mahmud's. 

Ein  Gang  durch  diesen  grossen  Campo  von  Skutari  ist  äusserst 
interessant,  aber  auch  sehr  ermüdend.  Fremde,  die  nicht  an  südliches 
Klima  gewöhnt  sind,  mögen  es  vermeiden,  den  Campo  um  die  Mittags- 
zeit zu  besuchen,  denn  die  Hitze  zwischen  den  von  der  Sonne  erwärm- 
ten zahllosen,  übereinandergethürmten  Grabsteinen  und  den  schatten- 
losen steifen  Cypressen  ist  im  Sommer  ungemein  drückend,  da  die 
frische  Seeluft,  die  sonst  überall  in  Constantinopel  und  seiner  Umge- 
bung weht,  in  den  Campo  nicht,  hineinstreift.  Am  besten  besichtigt 
man  ihn,  wenn  man  vom  Dschamlidscha  herab,  von  dem  gleich  die 
Rede  sein  soll,  durch  den  südwestlichen  Theil  von  Skutari  und  dann 
quer  durch  den  Campo  nach  Kadiköi  hinübergeht.  Den  Ausflug  auf  den 
Dschamlidscha  darf  man  nicht  zu  spät  antreten,  am  besten  um  sieben 
Uhr  Morgens.  Man  fährt  mit  einem  Kaik  nach  Skutari  lünüber,  mie- 
thet  dort  am  Landungsplatze  Pferde  und  reitet  dann,  soweit  die  Fahr- 
strasse geht,  den  Berg  hinan.  Die  letzte  Stelle  geht  man  zu  Fusse. 


262      Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 

Dschamlidscha.  —  In  der  Entfernung  von  einer  halben  deutschen 
Meile  östlich  von  Skutari  erhebt  sich  mit  sanften  Abhängen  der  Berg 
Dschamlidscha,  von  dessen  Gipfel  der  Reisende  die  schönste  und  aus- 
gedehnteste Aussicht  über  beide  Ufer  des  Bosporus,  sowie  über  den 
grössten  Theil  des  Marmorameeres  geniesst.  Von  allen  Puncten  am 
Bosporus  ist  Dschamlidscha  derjenige,  welcher  von  der  Damenwelt 
Constantinopels,  und  zwar  in  gleicher  Weise  von  den  Türkinnen,  den 
Perotinnen  und  den  fränkischen  Damen  am  häufigsten  besucht  wird, 
und  mit  vollstem  Recht.  Wir  haben  bereits  alle  schönen  Puncte  in 
der  Umgebung  der  Stadt,  die  sich  zu  Ausflügen  eignen,  beschrieben. 
Da  sind  auf  der  europäischen  Seite  die  Spaziergänge  aii  den  Süssen 
Wassern  am  innern  Ende  des  Goldenen  Horns,  die  Platanen-  und  Lin- 
denhaine von  Jahia  hinter  Beschiktasch,  die  Aussicht  von  Schechler, 
der  Höhe  unmittelbar  hinter  dem  Schloss  von  Rumili  Hissar,  der  Spa- 
ziergang auf  den  Wiesen  bei  Bujukdere  und  der  nach  den  Wasserlei- 
tungen und  Reservoirs  von  Bagdschiköi,  Belgrad  und  Burgas.  Da  sind 
femer  auf  dem  asiatischen  Ufer  die  schönen  Thäler  bei  Unklar  Ske- 
lessi,  das  romantische  Thal  von  Akbaba  mit  dem  Genucser-Castell,  das 

Srachtvolle  Panorama  vom  Riesenberge,  sowie  das  vom  Kandilli  in 
er  Mitte  der  Bosporuswindung.  Aber  alle  diese  Thäler  und  Höhen 
stehen  zurück  in  der  Meinung  der  Türken  gegen  die  Aussicht  vom 
Dschamlidscha,  welche  mit  den  schönsten  Ausblicken  über  Land  und 
See  den  von  allen  Morgenländern  hochgeschätzten  Vorzug  verbindet, 
vortreffliches  Wasser  zu  besitzen.  Die  Aussicht  ist  darum  so  wundervoll, 
weil  sie  eine  förmliche  Rundschau  ist.  Blickt  man  von  dem  mit  spär- 
lichem Gras  bewachsenen,  ziemlich  flachen  Gipfel,  an  dessen  nördlichem 
Abhänge  einige  Platanen  stehen,  gegen  Norden,  so  hat  man  das  pracht- 
vollste Bild  der  Stadt,  des  Marmorameeres  und  des  Bosporus.  Man 
sieht  von  den  Prinzeninseln  im  Südwesten  bis  nach  Rumili.  Hissar  im 
Nordosten,  dies  allein  ein  Panorama,  dem  sich  wenige  anf  Erden  ver- 
gleichen können.  Dreht  man  sich  um  und  sieht  gegen  Süden,  so  hat 
man  eine  prachtvolle  Berglandschaft  vor  sich  mit  den  reichsten  wech- 
selndsten Formen,  im  Vordergrunde  den  waldbedeckten  Bulgerlu  oder 
Bürgerin,  der  häufig  mit  dem  Dschamlidscha  verAvechselt  wird,  aber  viel 
höher  und  nicht  ohne  einige  Mühe  zu  besteigen  ist,  dahinter  die  inter- 
essanten Spitzen  der  Berge  am  Golfe  von  Maltepeh  mit  der  silbern 
schimmernden  Schneekette  der  Brussaberge  als  Abschluss.  Wer  nicht 
auf  dem  Dschamlidscha  war,  kennt  die  Perle  des  Bosporus  und  einen 
der  schönsten  Puncte  der  Welt  nicht.  Zwei  Dörfer,  nicht  fern  vom 
Gipfel  des  Berges  führen  den  Namen  Gross-  und  Klein-D-fchamlidscha, 
nach  Einigen  eine  Corruption  des  Namens  Damatrys,  den  der  Berg  im 
Alterthum  führte,  wahrscheinlicher  aber  abzuleiten  von  dem  türkischen 
Worte  für  Pinie  oder  Fichte,  von  welcher  Baumgattung  sich  hier  noch 
einige  finden.  Man  kann  sich  denken,  dass  die  Türken  nicht  zuerst  die 
Entdeckung  machten,  wie  hier  ein  schöner  Punct  sei,  und  in  der  That 
wussten  die  byzantinischen  Kaiser  diesen  Berg  mit  seiner  Aussicht 
und  seinen  köstlichen  Quellen  schon  sehr   wohl  zu  würdigen.    So  ge- 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.      263 

schall  es,  dass  die  Kaiser  Tiberius  und  Mauritius  auf  dem  Daraatrys 
Paläste  errichteten.  Es  waren  Jagdschlösser,  die  als  Ruhepuncte  bei  den 
Jagden,  die  hier  veranstaltet  wurden,  oder  als  erstes  und  letztes  Nacht- 
quartier dienten,  wenn  der  Hof  eine  Keise  in  Asien  unternahm.  Die 
Lage  des  Berges  Dschamlidscha  eignet  sich  besser  als  die  irgend  eines 
andern  in  der  Nähe  von  Constantinopel  zu  einer  Telegraphenstation. 
Die  letzte  Station  der  alten  Telegraphenlinie  war  nicht  hier,  sondern 
auf  dem  Leuchtthurm  des  grossen  Palastes,  nicht  weit  von  der  Stelle, 
wo  jetzt  der  Leuchtthurm  für  die  vom  Mannorameer  heransegelnden 
Schifte  steht.  Wir  bemerken  hierbei,  dass  es  unrichtig  ist,  wenn  man 
die  Telegraphen  als  eine  Erfindung  der  neueren  Zeit  preist.  Die  Ehre 
dieser  Erfindung  gebührt  Leo  dem  Philosophen,  welcher  unter  der 
Regierung  des  Kaisers  Theophilus  vermittelst  einer  Art  von  Ziffer- 
blättern, die  des  Nachts  erleuchtet  wurden,  eine  Telegraphenlinie  von 
den  sarazenischen  Grenzen  Ciliciens  bis  nach  der  Hauptstadt  einrich- 
tete. Es  gab  nicht  mehr  als  acht  Stationen  von  Tarsus  bis  Constanti- 
nopel, nämlich  Kulu,  die  Burg  bei  Tarsus,  die  Höhen  von  Argeos, 
Isamos,  Aegylos,  Memas  Kyriros  und  Mokilos,  endlich  der  Gipfel  des 
heiligen  Ausentios,  welcher  direct  mit  dem  Wachtthunn  beim  grossen 
Kaiserpalast  correspondirte. 

Einer  der  ottomanischen  Sultane,  Mohammed  IV.,  erbaute  das 
noch  stehende  Serai  und  die  Kuppel  über  der  berühmten  Quelle  von 
Dschamlidscha. 

Kadiköi  steht  auf  der  Stätte  des  alten  Chalcedon.  Zwischen  ihm 
und  Skutari  streckt  sich  die  Ebene  von  Taghan dschillar  (Tummelplatz 
der  Falkner),  welche  das  Rendezvous  der  Truppen  ist,  die  von  Constan- 
tinopel zu  einem  Feldzug  in  Asien  ausrücken.  Es  entspricht  demzu- 
folge der  Ebene  von  Daud  Pascha  auf  der  europäischen  Seite,  wo  sich 
die  zu  Feldzügen  in  Europa  ausrückenden  Truppen  zu  sammeln  pflegen. 
Auf  der  Höhe  nach  Skutari  hin  erhebt  sich  eine  grosse  Gardecaseme, 
die  sehr  gut  eingerichtet  ist.  Im  Hintergrunde  der  kleinen  Bucht,  links, 
von  welcher  sich  die  Landzunge  in 's  Äleer  hinausstreckt,  auf  deren 
Spitze  Kadiköi  liegt,  ist  ein  schöner  Garten  mit  einem  schattigen 
Platanen  Wäldchen  und  einem  Brunnen,  der  in  alten  Zeiten  der  Quell 
des  Hermagoras  hiess.  Kadiköi,  d.  i.  das  Dorf  des  Richters,  steht,  wie 
bemerkt,  auf  der  Stelle  des  alten  Chalcedon.  Dieses  wurde  nach  der 
Sage  vor  der  Gründung  von  Byzanz  erbaut,  und  es  heisst,  dass  das 
Orakel,  nach  welchem  für  letzteres  die  Stätte  bezeichnet  wurde,  den 
Rath  ertheilte,  man  solle  sich  ,den  Blinden  gegenüber"  ansiedeln,  womit 
die  Götterstimme  andeutete,  dass  die  Gründer  von  Chalcedon  blind 
gewesen  sein  müssten,  um  die  für  die  Anlage  einer  Stadt  überaus 
günstig  gelegene  Landzunge  neben  dem  Goldenen  Hörn  zu  übersehen. 
Nach  Anderen  soll  der  persische  Satrap  Megabyzes  diesen  Ausspruch 
gethan  haben,  was  seinem  Scharfblick  alle  Ehre  machen  würde.  Auch 
Chalcedon  war  im  Alterthum  keine  unbedeutende  Stadt.  Später  litt  es 
sehr  durch  die  aufeinanderfolgenden  Kriege  zwischen  Helenen,  Römern, 
Byzantinern,  Gothen,  Arabern  und  Persern.  In  der  Vorstadt  von  Chal- 


264 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 


cedon  stand  noch  vor  vier  Jahrhunderten  ein  Rest  von  einem  Palaste 
Belisars;  erst  Soliman  der  Grosse  Hess  ihn  wegreissen,  um  mit  den 
Säulen  desselben  seine  Moscheen  in  Stambul  zu  schmücken.  Der  am 
weitesten  in's  Meer  hinaustretende  Punct  des  Vorgebirges,  auf  dessen 
Westseite  Kadiköi  steht,  heisst  MoUa  Burun,  er  bildet  mit  dem  gegen- 
über befindlichen  Kap  von  Fener  Burun  einen  geräumigen  Hafen,  der 
im  Alterthum  der  Hafen  des  Eutropius  hiess.  Auf  der  Landspitze  von 
Fener  Bagdschessi  nimmt  ein  Leuchtthurm  die  Stelle  des  alten  Tem- 

Sels  der  Venus  Marina  ein.  Das  Vorgebirge  der  Aphrodite  lag  zwischen 
em  der  Here  (Kawak  Burun)  und  dem  des  Poseidon  (Boss  Burun). 
Alle  diese  Vorgebirge  waren  in  heidnischer  Zeit  mit  Tempeln  gekrönt. 
Jenseits  Chalcedon  stand  ein  Landhaus  Belisars,  Panteichon  genannt. 
Hier  lebte  der  berühmte  Feldherr  Justinians,  nachdem  er  vom  Kaiser 
abberufen  und  durch  Narses  ersetzt  worden,  noch  geraume  Zeit  im 
ruhigen  Genuss  seiner  Reichthümer.  Die  Geschichte,  dass  er  in  seinen 
letzten  Jahren  als  blinder  Bettler  umhergezogen,  beruht  auf  einer  Anek- 
dote bei  Tzetzes,  der  ein  guter  Grammatiker,  aber  ein  herzlich  schlechter 
Historiker  war.  In  der  Nähe  von  Panteichon  (jetzt  Pendik)  ist  der 
grosse  Platz,  wo  die  Mekkakarawauen  für  die  erste  Nacht  nach  ihrem 
Aufbruch  von  Skutari  ihr  Lager  aufschlagen. 

Kadiköi  ist,  obwohl  in  Asien  gelegen,  ein  rein  europäischer  Ort 
und  man  begegnet  in  seinen  Strassen  fast  nur  den  elegantesten  fran- 
zösischen Toiletten.  Eine  Menge  reicher  Griechen  und  Armenier,  ferner 
fremde  Kaufieute  haben  hier  ihre  Landhäuser.  Mehrere  derselben  sind 
wahrhaft  prächtig  und  von  den  reizendsten  Gärten  umgeben.  Un  nach 
Kadiköi  hinüberzukommen,  benützt  man  einen  der  jede  halbe  Stunde 
von  der  grossen  Brücke  abgehenden  Localdampfer,  oder  man  miethet 
eine  Segelbarke.  Mit  letzterer  fährt  man  fast  ebenso  schnell  wie  mit 
dem  Dampfer,  da  der  Wind  frisch  bläst  und  die  reissende  Strömung 
am  Ausflusse  des  Bosporus  in  das  Marmorameer  das  Boot  wie  einen 
Pfeil  durch  die  Wogen  schiesst.  Bei  Südwind  fährt  kein  Schiffer  nach 
Kadiköi  hinüber,  ganz  ungefährlich  ist  indess  die  Partie  selbst  bei 
Nordwind  nicht  und  wer  ängstlich  ist,  bleibe  auf  dem  Dampfer.  Am 
Strande  gegen  Skutari  hin  steht  die  riesige  Kaserne,  welche  die 
Verbündeten  während  des  Krimkrieges  erbauten,  vor  derselben  der 
Obelisk  zum  Andenken  der  hier  an  Wunden  und  Krankheiten  gestor- 
benen Engländer  und  Franzosen.  In  Kadiköi  gibt  es  zwei  europäische 
Restaurationen,  die  Tothfalussys  am  Ufer  des  Meeres,  wo  eine  böhmische 
Capelle  jeden  Nachmittag  Strauss'sche  Walzer  und  Offenbach'sche  Me- 
lodien spielt,  und  jene  von  Kittrey  in  der  Nähe  des  französischen 
Jesuitenconvicts  bei  dem  alten  Hafen  von  Chalcedon.  Aus  den  Fenstern 
des  obersten  Stockwerks  derselben  hat  man  eine  prachtvolle  Aussicht 
auf  die  Prinzeninseln,  die  Bulwerinsel  und  die  Schneeberge  von  Brussa. 
Wir  knüpfen  hieran  einiges  Ausführlichere  über  die  Prinzen- 
inseln und  den  Hellespont. 

Die  Prinzeninseln   können  bequem  in   einem   Tage   besucht 
werden.  Sie  sind  an  Zahl  neun:  Prote,  Antigone,  Kalki,  Plate,  Oxeia, 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.      265 

Pyti,  Antirobidos,  Nanidro  und  Prinkipo.  Ein  Dampfer  verlässt  die 
Brücke  am  Goldenen  Hörn  jeden  Nachmittag  etwa  zwei  Stunden  vor 
Sonnenuntergang,  um  hierher  zu  fahren,  von  wo  er  jeden  Morgen  nach 
Constartinopel  zurückkehrt.  Die  Strecke  wird  binnen  anderthalb  Stun- 
den zurückgelegt,  und  man  zahlt  dafür  6  Piaster.  In  Prinkipo  gibt  ea 
zwei  gute  Gasthöfe,  die  man  zum  Hauptquartier  bei  etwaigen  Ausflügen 
über  die  Eilande  machen  kann.  Diese  Gasthöfe  sind  übrigens  unver- 
schämt theuer. 

Kallci  erhielt  seineu  Namen  von  einem  Kupferbergwerk,  welches 
im  Alterthum  hier  geöffnet  wurde.  Es  ist  die  schönste  dieser  Inseln 
und  hat  drei  Hügel  und  drei  Klöster,  von  denen  das  eine  der  Panagia, 
eines  dem  heiligen  Georg  und  eines  der  Dreieinigkeit  geweiht  ist.  Eines 
dieser  Klöster  ist  jetzt  eine  Gelehrtenschule,  in  weither  ein  Director 
mit  drei  Lehrern  Alt-  und  Neugriechisch,  Rechnen,  Schreiben  und 
Französisch  docirt.  Die  Schüler  sind  alle  Griechen,  einige  aus  Odessa, 
die  Mehrzahl  aus  Constantinopel.  Es  ist  ein  Lieblingsplatz  der  Raja's 
im  Frühling  und  ist,  ungleich  seinen  öden  Nachbareilanden  Plate  und 
Oxeia,  nie  als  Verbannungsort  verwendet  worden. 

Prinkipo.  Auf  der  südwestlichen  Landspitze  dieser  Insel  befindet 
sich  das  St.  Georgskloster,  von  dem  man  eine  köstliche  Aussicht  auf 
die  benachbarten  Höhen  hat.  Dabei  trifft  man  zwei  schöne  Brunnen. 
Wie  Belgrad  in  der  zweiten  Hälfte  des  Mai  das  Paradies  der  Armenier 
ist,  so  ist  Prinkipo  in  dieser  Zeit  das  Paradies  der  Griechen  von  Con- 
stantinopel. An  beiden  Stellen  theilen  Franken  die  Genüsse  der  Levan- 
tiner.  Die  Abende  und  Morgen  sind  hier  ausserordentlich  schön,  die 
Luft  weich  und  rein,  wie  kaum  irgendwo  in  diesen  Gegenden,  die  See 
vortrefflich  zum  Baden  geeignet.  Kaiser  und  Kaiserinnen  haben  die 
Insel  zu  ihrem  Wohnplatz  gewählt,  manche  freilich  gezwungen.  Das 
grösste  Schauspiel  gefallener  Grösse  und  verblichenen  Glanzes,  welches 
die  Prinzeninseln  sahen,  war  das  im  ersten  Jahr  des  neunten  Jahrhun- 
derts, wo  Irene,  die  grosse  Zeitgenossin  Harun  Alraschid's  und  Karl's 
des  Grossen,  vom  Throne  gestossen,  in  das  Kloster  von  Prinkipo  ver- 
bannt wurde,  welches  sie  selbst  —  sicher  nicht  zu  diesem  Zweck  - 
erbaut  hatte.  Sie  verhandelte  eben  mit  dem  Gesandten  Karl's  des 
Grossen  die  Bedingungen  eines  Vertrags  zwischen  ihnen,  durch  welchen 
die  Kronen  des  Ostens  und  des  Westens  sich  auf  einem  Haupt  verei- 
nigen sollten,  als  der  Patrizier  und  Reichskanzler  Nikephorus  plötzlich 
in  den  Palast  drang  und  zuerst  in  freundlichen  Worten  von  ihr  ver- 
langte, sie  solle  ihm  alle  Schätze  des  Palastes  entdecken,  wofür  er  ihr 
den  eleutherischen  Palast  als  Witwensitz  zu  überlassen  versprach,  dann 
aber,  als  sie  ihm  geschworen,  nichts  zu  verbergen,  sie  nach  Prinkipo 
verbannte,  ohne  dass  der  Gesandte  Karl's  dies  abzuwenden  im  Stande 
gewesen  wäre.  Von  Prinkipo  wurde  sie  einen  Monat  später  nach  Lera- 
nos  gebracht,  wo  sie  wenige  Monate  darauf  starb.  Sie  wurde  in  ihrem 
Kloster  zu  Prinkipo  begraben.  Die  fränkischen  Eroberer  Constantino- 
pels,  welche  den  Staub  der  byzantinischen  Kaiser  in  alle  vier  Winde 
zerstreuten  und  ihre  Sarkophage  in  Stücke  schlugen,  verschonten  das 


266 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 


Kloster  auf  den  Prinzeninseln,  und  so  blieb  von  allen  Kaisergräbern 
allein  das  Irene's  unverwüstet. 

Es  gibt  keinen  Tag  in  der  Woche,  an  welchem  nicht  Dampfer 
nach  Smyrna  oder  andern  jenseits  der  Dardanellen  gelegenen  Städten 
die  Rhede  von  Constantinopel  verliessen,  und  so  findet  man  fast  jeden 
Tag  Gelegenheit,  von  hier  nach  dem  Hellespont  zu  gelangen."  Man 
kann  mit  französischen,  englischen,  türkischen,  russischen  und  österrei- 
chischen (Lloyd-)  Dampfern  dahin  und  von  dort  wieder  wegkommen, 
so  dass  man  jeden  beliebigen  Tag  zu  dem  Ausflug  wählen  kann  und 
auf  die  genaue  Expedition  hin  und  zurück  nicht  mehr  als  etwa  vier 
Tage  zu  verwenden  braucht.  Eegelmässig  gehen  indess  nur  die  Lloyd- 
Dampfer,  die  französischen  und  die  russischen  Schiffe. 

Der  erste  Haltpunct  für  dieselben  ist  Gallipoii,  eine  ziemlich 
grosse,  fast  ganz  hölzerne  Stadt  auf  der  Stätte  des  alten  Kallipolis, 
am  nördlichen  Ende  der  Propontis  an  einer  Stelle  gelegen,  wo  der 
Hellespont  schon  über  eine  deutsche  Meile  breit  ist.  Die  Stadt  liegt 
ungefähr  5  deutsche  Meilen  von  den  Dardanellen,  18  von  Adrianopel 
und  22  von  der  Hauptstadt  der  Türkei  Man  fährt  von  letzterer  mit  dem 
Dampfer  in  etwa  14  Stunden  bis  Gallipoii.  Auf  einer  Halbinsel  gelegen,  die 
zwei  gute  Häfen  bietet,  einen  im  Norden  und  einen  im  Süden,  sieht  Gallipoii 
häufig  die  türkische  Flotte  hier  erscheinen,  ja  es  ist  als  eine  der  Haupt- 
stationen des  Kapudan  Pascha  zu  betrachten.  1810  hatte  es  nur  15,000  Ein- 
wohner, jetzt  soll  es  gegen  60,000  haben.  Die  Stadt  war  einst  befestigt, 
jetzt  ist  sie  ohne  Mauern  und  Wälle,  und  ihre  einzige  Vertheidigung 
besteht  in  einigen  von  den  Alliirten  im  Jahre  1853  angelegten  Schan- 
zen ausserhalb  der  Stadt,  sowie  in  einem  halbverfallenen  Castell  mit 
einem  kleinen,  viereckigen  Thurm,  der  von  Bajasid  erbaut  wurde.  Zu 
sehen  ist  im  Innern  nichts  als  schmutzige  Strassen  und  gichtbrüchige 
Holzbaracken.  Die  Bazars  sind  gut  versehen  und  sehr  ausgedehnt. 
Gallipoii,  welches  der  Sitz  eines  griechischen  Bischofs  ist,  war  die  erste 
europäische  Stadt,  die  in  die  Hände  der  Türken  fiel.  Es  wurde  fast 
ein  ganzes  Jahrhundert  vor  dem  Fall  Constantinopels  (im  Jahre  1357) 
von  ihnen  eingenommen.  Der  Kaiser  Johann  Paläologus  sagte  sich  über 
die  Nachricht  davon  selbst  tröstend,  er  „habe  nur  einen  Krug  Wein 
und  einen  Schweinstall  verloren,  womit  er  auf  die  grossen  von  Justi- 
nian  erbauten  Magazine  und  Keller  anspielte,  deren  Reste  man  noch 
jetzt  hier  antrifft.  Bajasid  I.,  der  die  Wichtigkeit  dieses  Postens  für 
den  Verkehr  zwischen  Brussa  und  Adrianopel  erkannte,  Hess  Gallipoii 
1391  wieder  herstellen,  befestigte  es  mit  einem  grossen  Thurm  und 
liess  daselbst  einen  guten  Hafen  für  seine  Galeeren  anlegen.  Auf  der 
Südseite  der  Stadt  trifft  man  einige  Grabhügel,  in  denen  alte  thra- 
cische  Könige  ruhen  sollen,  und  im  Norden  gewahrt  man  einige  nicht 
gut  zu  enthräthselnde  Trümmer,  die  vielleicht  Reste  der  alten  Stadt  sind. 

Eine  kleine  Stunde  südlich  von  hier  liegt  auf  der  asiatischen 
Seite  Lain^aki  (das  alte  Lampsakus),  welches  eine  angenehme  l^age 
zwischen  Olivenpflanzungen  und  Weingärten  mit  einem  Hintergrund 
bewaldeter  Höhen  hat.  Die  jetzige  Stadt  ist  unbedeutend  und  bietet 


Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien.      267 

ausser  einer  hübschen  Moschee  nichts  Sehenswerthes.  Auf  dem  euro- 
päischen Ufer,  gegenüber  der  Landzunge,  auf  welcher  Lamsaki  steht, 
mündet  der  Aegospotamos  (jetzt  von  den  Türken  Karaovasu  genannt), 
wo  der  Spartaner  Lysander  das  Seetreffen  gewann,  welches  den  pelo- 
ponnesischen  Krieg  beendigte.  Der  Hellespont  ist  hier  etwa  drei  Vier- 
telstunden breit.  Auf  dem  asiatischen  Ufer,  zwei  bis  drei  Stunden 
nördlicher,  ist  die  Mündung  des  Demotiko,  der  Granicus  der  Alten, 
an  dessen  Ufer  Alexander  der  Grosse  die  Perser  schlug.  Weiter  hinab 
trifft  man  die  Mündungen  des  Praticus  (jetzt  Mussa  Köi  Su)  und  des 
Perkote  (Burgas  Su).  Eine  ziemliche  Strecke  weit  bewahrt  jetzt  der 
Hellespont  eine  gleiche  Breite .  und  die  Ufer  auf  beiden  Seiten  bieten 
eine  Aufeinanderfolge  von  Feldern,  Weingärten,  Hecken,  Büschen  und 
zahlreichen  Dörfern,  Landschaftsbildern  von  angenehmem,  aber  nicht 
malerischem  Eindruck.  Ein  etwas  felsiges  Stück  des  Strandes  an  einem 
engeren  Puncto  heisst  Gasilar  Skelessi,  Siegerhafen,  zum  Andenken  an 
die  Landung  der  ersten  osmanischen  Erobererschaaren.  Eine  halbe 
deutsche  Meile  weiter  hinab  erblickt  man  einen  Hügel,  auf  dem  sich 
eine  Ruine  zeigt.  Dieselbe  heisst  Semenik  und  soll  die  Stelle  des 
alten  Choiridokastron  (Schweinsburg)  einnehmen,  wo  die  Standarte 
Solimans,  des  Sohnes  Orchans,  zuerst  in  den  Boden  Thraciens  gepflanzt 
wurde.  Nicht  weit  davon  ist  die  Bucht  Akbaschi  Liman,  der  alte 
Hafen  von  Sestos,  noch  weiter  unten  streckt  sich  eine  schmale  Bucht 
tief  in's  Land  hinein,  welche  Koilia  (die  hohle)  heisst,  und  nicht  fern 
von  da  öffnet  sich  die  Bucht  von  Maito  (Madytus).  Eine  starke  halbe 
Stunde  unter  der  westlichen  Landspitze  dieser  Bucht  endlich  befinden 
sich  die  vielgenannten  Dardanellenschlösser,  von  denen  das  eine 
im  Capitel  Kleinasien  erwähnt  ist.  Das  auf  der  europäischen  Seite  heisst 
Kilidhari  un.i  hat  155  Geschütze,  darunter  mehre  von  ungeheurem 
Kaliber,  soll  aber  weniger  stark  sein,  als  das  gegenüberliegende  0ha- 
nak  Kalessi,  welches  196  Kanonen  hat.  In  der  Nähe  zeigt  man  in  einem 
Grabhügel  die  Stelle,  wo  Hekuba,  die  Gemahlin  des  Priamus,  begraben 
sein  soll.  Auch  soll  es  der  Hügel  sein,  auf  welchem  die  Athener  in 
der  letzten  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  ein  Siegeszeichen  errich- 
teten. Vergl.  Thucydides  VIII. 

Man  hat  lange  Zeit  gemeint,  dass  diese  Schlösser  die  Stelle  der 
alten  Städte  Sestos  und  Abydos  einnehmen,  wo  die  Geschichte  von 
Hero  und  Leander  spielte.  Es  scheint  dies  jedoch  ein  Irrthum  zu  sein. 
Nördlich  vom  asiatischen  Dardan ellenschloss  bildet  der  Hellespont  eine 
lange  Bucht,  die  mit  einer  niedrigen  Landzunge  endigt,  welche  Pes- 
quies-Spitze  oder  türkisch  Nagara  Burun  heisst.  Hier  wird  von  mehren 
Archäologen  die  Stätte  von  Abydos  gesucht,  und  in  der  That  finden 
sich  hier  freilich  sehr  schwache  Eeste  einer  alten  Niederlassung.  Die 
thracische  Seite  ist,  dem  Nagara  Kap  gegenüber,  ein  Streifen  steinigen 
Gestades,  welches  sich  zwischen  zwei  ziemlich  hohen  Klippen  hervor- 
drängt, und  an  dieser  Stelle  muss  das  europäische  Ende  von  Xer- 
xes'  Brücke  angebracht  gewesen  sein,  denn  die  Höhe  der  benachbarten 
Felswände   würde    den  Perserkönig  verhindert   haben,  sie  anderwärts 


268      Die  Ufer  des  Bosporus  in  Europa  und  Asien. 

aufzustellen.  Man  hat  sicherlich  Grund,  dies  für  die  rechte  Stelle  zu 
halten,  weU  es  sonst  in  der  Nähe  kein  flaches  Ufer  auf  der  thracischen 
Seite  gibt,  ausgenommen  im  Hintergrunde  tiefer  Buchten,  deren  Wahl 
die  Breite  der  Passage  verdoppelt  haben  würde.  Hier  scheint  die  Meer- 
enge enger  als  irgend  wo  anders  zu  sein,  wenn  sie  auch  die  sieben 
Stadien  (875  Schritte),  welche  die  Alten  angeben,  nicht  unbeträchtlich 
übersteigt.  Sestos  lag  nicht  der  asiatischen  Stadt  Abydos  gerade  ge- 
genüber, und  ebenso  wenig  hiess  der  Hellespont  an  dieser  Stelle  die 
Meerenge  von  Sestos  und  Abydos,  sondern  nur  die  Meerenge  von  Aby- 
dos. Sestos  lag  der  Propontis  soviel  näher,  als  die  andere  Stadt,  dass 
die  Entfernung  zwischen  beiden  dreissig  Stadien,  d.  h.  ungefähr  ^|^ 
Meilen  betrug.  Die  Brücken  befanden  sich  auf  der  nördlichen  Seite  von 
Abydos,  aber  im  Süden  von  Sestos,  also  an  der  Küste  zwischen  beiden 
Orten,  jedoch  etwas  näher  nach  Abydos  hin.  Bekanntlich  überschritt 
hier  auch  Alexanders  Armee  unter  Parmenio  die  Meerenge.  Hier  setzte 
Soliman,  der  Sohn  Orchans,  nach  Europa  über.  Hier  stellte  Leander, 
wenn  die  Geschichte  wahr  ist,  seine  Schwimmpartien  zu  Hero's  Haus 
an.  Hier  that  es  ihm  Lord  Byron  nach,  wozu  er  eine  Stunde  und  zehn 
Minuten  brauchte,  und  wodurch  er  sich  —  wie  nicht  zu  vergessen  — 
das  Fieber  zuzog. 

Die  Mündung  der  Dardanellen  hat  eine  Breite  von  1'/,  Meilen. 
Dieselbe  wird  vertheidigt  von  den  neuen  Schlössern,  die  im  Jahre  1659 
von  Mohammed  IV.  erbaut  wurden,  um  seine  Flotte  gegen  die  Vene- 
tianer  zu  sichern,  welche  seine  Schiffe  im  Angesichte  der  alten  Forts 
anzugreifen  pflegten.  In  neuerer  Zeit  hat  man  noch  an  verschiedenen 
Puncten  der  Meerenge  Befestigungen  angelegt,  so  dass  dieselbe  ohne 
Landungstruppen,  welche  die  Batterien  von  hinten  nehmen  könnten, 
für  eine  Kriegsflotte  vollkommen  geschlossen  erscheint.  Die  Strömung 
in  der  Meerenge  ist  übrigens  so  stark  und  reissend,  als  ob  die  Gewässer 
von  einem  Bergstrom  herrührten.  Kein  Schiff,  es  wäre  denn  ein  Dampfer, 
kann  vorwärts  fahren,  wenn  Nordwind  weht,  während,  wenn  Südwind 
ist,  man  kaum  etwas  von  einer  Strömung  merkt.  Das  Schloss  auf  der 
asiatischen  Seite  steht  an  dem  berühmten  Hafen  zwischen  dem  Ehe- 
tischen und  dem  Sigäischen  Vorgebirge,  wo  die  hellenische  Flotte 
während  des  trojanischen  Krieges  an's  Ufer  gezogen  wurde.  Das  Sigäische 
Vorgebirge  —  jetzt  Janissari  Burnu  genannt  —  ist  mit  zahlreichen 
Windmühlen  bedeckt.  Die  Forts  und  Schanzen  der  europäischen  Seite 
des  Hellespont  haben  zusammen  332  Kanonen  und  4  Mörser,  die  der 
asiatischen  482  Kanonen  und  ebenfalls  4  Mörser. 


Touren  in  der  europäischen  Türkei. 


269 


NEUNTES  CAPITEL. 


Touren  in  der  europäisolien  Türkei  und  den  Donau- 
fürstenthümern. 


Allgemeines  üter  die  Moldau  und  Walachei,  Serbien,  Bosnien,  Bulgarien  und 
Thracien.  —  Ausflüge  von  Constantinopel  über  Adrianopel,  Philippopel  Sophia  und  Nissa 
nach  Belgrad.  —  Von  Constantinopel  über  Schumla  und  Rustschuk  nach  Bukarest.  — 
Von  Bukarest  nach  Kothenthurm  und  Uermannstadt.  —  Von  Belgrad  die  Donau  hinab 
nach  Silistriii,  Ibraila,  Galatz  und  Varna.  —  Die  Dobrudscha.  -  Von  Widdin  über 
Loftscha,  Tirnowa  und  Schumla  nach  Varna.  —  Von  Rustechuk  über  Tirnowa  nach 
Kirk  Klisie.  —  Von  Varna  über  Bnrgas  nach  Constantinopel.  —  Von  Widdin  über  Kra- 
jova  und  Bukarest  nach  Galatz.  —  Von  Turnnl  Severin  nach  Bukarest.  —  Von  Buka- 
rest nach  Jussy.  —  Von  Belgrad  über  Zwornik  und  Tnzla  nach  Trawnik.  —  Von 
Trawnik  nach  Bosna  Serai.  —  Von  Bosna  Serai  nach   Mostar  und  von  da  nach  Ragnsa. 


Auch  in  der  europäiachen  Türkei  werden  alle  Reisen  zu  Pferde 
gemacht.  In  einigen  Strichen  Serbiens  sowie  in  den  ebenen  Theilen 
der  Moldau  und  Walachei  gibt  es  Fahrposten.  Von  Geldsorten  nehme 
mau  sich  kaiserliche  Ducaten  und  türkisches  und  österreichisches  Sil- 
bergold mit.  Gute  Gasthöfe  trifft  man  in  Galatz,  Bukarest,  Jassy  und 
Belgrad,  in  allen  übrigen  Orten  finden  sich  nur  elende  Herbergen  und 
Khans.  Auf  der  Donau  fahren  die  Lloyddampfer  nur  bis  Galatz.  Dort 
aber  treten  die  sehr  eleganten  und  bequemen  Schiffe  der  Donaudampf- 
schiffahrtgesellschaft für  sie  ein,  welche  den  Reisenden,  der  Eile  hat, 
binnen  vier  Tagen  nach  Wien  befördern. 

Auf  den  Hauptstrassen  nach  Constantinopel  finden  sich  Post- 
einrichtungen, wo  stets  Pferde  zu  haben  sind.  Die  Miethe  derselben 
ist  sehr  wohlfeil,  und  man  wird,  da  nur  Türken  zu  Postmeistern 
erwählt  werden,  nicht  leicht  betrogefn  oder  übertheuert.  Da,  wo  keine 
Hauptstrasse  ist,  bekommt  man  leicht  Miethpferde  von  Privatleuten. 
Die  Vermiether  derselben  heissen,  wenn  sie  Türken  oder  Bulgaren  sind, 
Kiradschis,  wenn  sie  Griechen  oder  Albanesen  sind,  Agiogati.  Bei  län- 
geren Reisen  tbut  man  am  besten,  eigene  Pferde  zu  kaufen.  Dieselben 
sind  nicht  theuer,  auch  kostet  der  Unterhalt  eines  Pferdes  für  den  Tag 
nicht  leicht  mehr  als  5  bis  6  Piaster.  Die  Miethpferde  sind  fast  immer 
theurer  als  die  Postpferde,  auch  gehen  letztere  weit  schneller,  aber  man 
zieht  das  Reisen  mit  ersteren  vor,  da  mau  mit  ihnen  nicht  an  eine 
bestimmte  Route  gebunden  ist  und  so  das  Land  nach  Belieben  durch- 
streifen kann.  Wer  das  Reiten  auf  türkischen  Sätteln  nicht  vertragen 
kann,  muss  sich  in  Pera  einen  fränkischen  Sattel  mitnehmen,  letztere 


270  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

sind  auch  in  Galata,  Jassy  und  Bukarest,  sonst  aber  nirgends  zu 
bekommen. 

Um  in  den  nördlichen  Provinzen  bequem  und  unangefochten 
reisen  zu  können,  ist  ein  türkischer  Pass  unerlässlich.  Die  gewöhnlichen 
kleinen  Pässe  heissen  Teskere,  die  Pascha's  und  Veziere  aber  geben 
Pässe  in  der  Divanschrift  ausgefertigt,  worin  sie  bestimmen,  dass  dem 
Eeisenden  Wohnung  und  alle  erforderliche  Handreichung  zu  gewähren 
sei.  Die  Pforte  endlich  ertheilt  in  den  Fermans  Pässe,  die  für  das 
ganze  Eeich  gelten.  Die  letzteren  kann  man  durch  die  Gesandtschaften 
erhalten  und  es  kosten  dieselben  gewöhnlich  ,3  V^  Thaler.  Nach  Ver- 
schiedenheit der  Personen  enthält  ein  solcher  Ferman  bisweilen  die 
Anweisung,  dass  der  Pascha  den  Taim  zu  liefern  habe,  d.  h.  das  Essen 
für  den  Eeisenden  öder  das  Futter  für  die  Pferde  oder  auch  kosten- 
freie Postpferde. 

In  jeder  Beziehung  ist  es  rathsam,  einen  Tataren,  d.  h.  einen 
türkischen  Eeisediener  oder  Courier  mitzunehmen.  Die  Tataren  bilden 
eine  Art  Zunft  in  Constantinopel,  deren  Mitglieder  in  ein  Buch  ein- 
getragen sind.  Jeder  Pascha  hat  einige  solche  Leute  zu  seiner  Verfü- 
gung, ebenso  hat  jede  Gesandtschaft  einige  derselben.  Alle  stehen  unter 
dem  Tatar  Agassi,  bei  dem  man  sie  zu  miethen  hat.  Man  zahlt  an  diesen 
für  einen  Tataren  gewöhnlich  30  Thaler;  je  nach  der  Anzahl  der  Eei- 
senden, die  sich  einen  zusammen  nehmen,  wird  verhältnissmässig  mehr 
entrichtet.  Die  Belohnung  für  den  Tataren  muss  wo  möglich  ohne 
Dazwischenkunft  eines  Dritten  vorausbedungen  werden.  Gewöhnlich 
gibt  man  ihm  täglich  1  '/^  Thaler  und  ausserdem  den  Unterhalt  und 
das  Futter  für  sein  Pferd.  Bei  der  Massigkeit  des  Orientalen  ist  dies 
unbedeutend,  und  so  zieht  man  es  vor,  ihnen  dasselbe  in  Natura  zu 
reichen,  statt  sie  mit  Geld  dafür  abzufinden.  Die  Tataren  können  lesen 
und  etwas  schreiben,  sie  sprechen  fast  immer  mehre  Sprachen,  auch 
behandelt  man  sie  nicht  als  niedere  Diener,  sondern  nennt  sie  EfFendi 
(Herr)  oder  Tartara,  d.  h.  abgekürzt  Tartar  Aga.  Die  Eückreise  muss 
ihnen  natürlich  auch  bezahlt  werden,  auch  wenn  man  nicht  mit  ihnen 
zurückkehrt.  Wenn  man  es  versteht,  sie  bei  guter  Laune  zu  erhalten, 
leisten  sie  vortreffliche  Dienste,  auf  alle  Fälle  reist  man  mit  ihnen 
sehr  sicher,  da  es  ihre  Pflicht  ist,  den  Eeisenden  bei  strengster  Strafe 
glücklich  an  den  Ort  seiner  Bestimmung  zu  bringen.  Entsprechen  sie 
den  Erwartungen  nicht,  so  kann  man  sich  in  den  Hauptstädten  bei  den 
Pascha's,  in  den  andern  Städten  bei  den  Ayans  und  in  den  Dörfern  bei 
den  Agas  oder  Malbaschis  beschweren.  Soll  irgendwo  die  Nacht  geblieben 
werden,  so  werden  die  christlichen  Eeisenden  der  Eeihe  nach  bei  den 
im  Orte  wohnenden  Glaubensgenossen  untergebracht.  Diese  machen  in 
der  Eegel  zuerst  saure  Mienen,  doch  lässt  sie  HoflEhung  auf  ein  Trink- 
geld bald  freundlicher  werden.  Diese  Einrichtung  verhindert  die  Anle- 
gung ordentlicher  Wirthshäuser  und  ist  für  den  Eeisenden  um  so 
drückender,  als  er  auf  die  Vorurtheile  seines  Tataren  Eücksicht  nehmen 
muss.  Man  würde  z.  B.  bei  diesem  Anstoss  geben  oder  sich  ihm  ver- 
dächtig machen,  wenn  man  seinen  Wirth  oder  etwa  den  Vorsteher  der 


und  den  Donaufürstenthümern.  271 


Gemeinde  an  seinen  Tisch  nötliigen  oder  bedeutende  Trinkgelder  geben 
wollte.  Am  besten  ist  es,  den  Kindern  heimlich  etwas  in  die  Hand  zu 
stecken  oder  unter  dem  Vorwand,  die  Kirche  sehen  zu  wollen,  dieser 
ein  Opfer  zu  bringen.  Oft  ist  es  gut,  den  Tataren  die  Rechnung  mit 
dem  Wirth  abmachen  zu  lassen,  der,  wenn  er  gegen  den  Franken  un- 
verschämt ist,  von  dem  stolzen  Türken  die  grössteu  Schimptworte,  ja 
nach  Befinden  ein  paar  Ohrfeigen  gelassen  hinnimmt.  Bisweilen  macht 
aber  auch  der  Tatar  gemeinschaftliche  Sache  mit  dem  Wirth,  um  den 
Fremden  zu  prellen.  Wollte  man  sich  auf  italienische  Weise,  wie  bei 
den  Vetturinis,  bei  den  Tataren  in  die  Kost  geben,  so  würde  man  mit 
einem  Brotfiaden,  einigen  Zwiebeln,  weichem  Käse  und  Kaffee  abgespeist 
und  im  Galopp  an's  Ziel  der  Reise  geführt  werden,  üa  man  dem  Ge- 
brauch folgen  luuss,  dem  Tataren  stets  einen  Theil  des  bedungenen 
Lohnes  vorauszubezahlen,  so  ist  es  nicht  gut  thunlich,  denselbeö  auf 
der  Reise  abzudanken,  wenn  er  Anlass  zur  Unzufriedenheit  gibt.  Zu 
den  Fehlern  der  Tataren  gehört,  dass  sie,  obwohl  den  Tag  über  sehr 
massig,  sich  des  Abends  zu  betrinken  pflegen.  Oft  nehmen  sie  unter- 
wegs andere  Reisende  mit,  und  erwarten,  dass  man  sie  mitbeköstigt. 
Remonstrationen  dagegen  bringen  die  Burschen  sofort  in  üble  Laune. 

Im  Winter  in  der  Türkei  zu  reisen,  ist  äusserst  beschwerlich,  ja 
fast  unmöglich,  theils  wegen  des  tiefen  Schnees  in  den  Gebirgsgegenden, 
besonders  im  Balkan,  theils  wegen  des  Anschwellens  der  Flüsse,  von 
denen  viele  keine  Brücken  haben.  Auch  gibt  es  ausserhalb  Constanti- 
nopel  nur  selten  Oefen.  Dagegen  herrscht  im  Juli  und  August  in  den 
Thälern  und  auf  den  Ebenen  eine  so  drückende  Hitze,  dass  man  Ge- 
fahr läuft,  das  Klimafieber  zu  bekommen. 

Zu  Dienern  nimmt  man  am  besten  Bulgaren.  Die  Griechen 
und  Albanesen  pflegen  zu  betrügen,  die  Walachen  stehen  im  Rufe 
der  Treulosigkeit  und  Verschmitztheit,  auch  verstehen  sie  es  weniger, 
sich  mit  den  Türken  und  Slaven  zu  vertragen.  In  der  Regel  bekommt 
ein  Bedienter  monatlich  8  bis  10  Thaler,  ein  Pferdeknecht  6  bis  8 
Thaler.  Ein  Dragoman  erhält  gewöhnlich  den  doppelten  Lohn  eines 
Bedienten,  indess  verlangen  Manche  an  Orten,  wo  Mangel  an  Dol- 
metschern ist,  einen  Ducaten  für  den  Tag.  Die  beste  Auswahl  hat  man 
in  Constantinopel  und  Salonik,  und  hier  sind  Manche  auch  so  einge- 
richtet, dass  sie  dem  Reisenden  gegen  eine  bestimmte  Summe  für  den 
Tag  (2  bis  3  Ducaten)  als  Führer  und  Dolmetscher  dienen  und  ihm 
zugleich  alles  andere  zur  Reise  Erforderliche:  Pferde,  Lebensmittel, 
Betten  und  Geschirr  liefern,  auch  alle  Trinkgelder  bestreiten. 

Wer  dies  alles  selbst  zu  besorgen  vorzieht,  muss  alle  zur  Be- 
quemlichkeit erforderlichen  Gegenstände  mit  sich  führen,  vorzüglich 
eine  Bettdecke  und  ein  Stück  Wachstuch  oder  anderes  wasserdichtes 
Zeug,  theils,  um  das  Gepäck  auf  dem  Rücken  der  Packthiere  vor  Re- 
gengüssen zu  schützen,  theils  um  das  wasserdichte  Zeug  des  Nachts 
unter  sein  Lager  zu  breiten  und  so  sich  vor  der  Feuchtigkeit,  die  aus 
dem  Boden  steigt,  zu  bewahren.  Handtücherund  Servietten  muss  man 
mitnehmen,  dagegen  von  Kleidern  nur  das  Nothwendigste.  Handschuhe 


272  .  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

und  einen  Frack  zu  tragen,  kommt  man  in  der  Türkei  nicht  in  den 
Fall;  dagegen  werden  solche  Dinge  noth wendig,  wenn  man  in  Jassy 
und  Bukarest  in  die  Kreise  der  vornehmen  Welt  eingeführt  sein  will. 
Am  besten  vertheilt  man  sein  Gepäck  in  zwei  lederne  Säcke,  wie  sich 
deren  die  Türken  bedienen,  oder  auch  in  zwei  gewöhnliche  Mantel- 
säcke, hölzerne  Kofter  sind  weniger  gut  zu  brauchen.  Man  nimmt  ferner 
einen  kleinen  Kessel  mit,  der  an  der  über  jedem  Herd  befindlichen 
Kette  mit  Haken  aufgehangen  werden  kann,  sodann  eine  Blechkanne 
zur  Bereitung  des  Kaffees  oder  Thees,  eine  grosse,  landesübliche  Holz- 
flasche, für  Wein  oder  Spirituosen,  einige  Wachslichter,  Leuchter, 
Feuerzeug,  Kaffee,  Thee,  Zucker,  Reis,  Bohnen,  Erbsen,  Würste,  Cho- 
kolade  und  Bouillontafeln.  Um  den  gemahlen  mitzunehmenden  Kaffee 
gut  zu  erhalten,  kauft  man  sich  einen  ledernen  Beutel,  den  man  über- 
all in  sehr  zweckmässiger  Einrichtung  zu  kaufen  bekommt.  Ebenso 
bekommt  man  fast  allenthalben  jene  Etuis  mit  kleinen  türkischen  Kaf- 
feetässchen,  mit  denen  man  sich  zu  versehen  pflegt,  um  jeden  Besuch 
sogleich  nach  Landessitte  bewirthen  zu  können.  Eine  Gabel  mitzur 
nehmen,  ist  ebenfalls  erforderlich,  da  man  diesen  Luxus  unter  den 
Bewohnern  Rumeliens  fast  so  wenig  kennt,  wie  in  den  asiatischen 
Provinzen.  Auch  ein  silberner  oder  zinnerner  Teller  gehört  in  die 
Reiseausstattung. 

Da  man  auf  der  Reise  nur  selten  einen  Arzt  und  nur  in  den 
grössten  Städten  Apotheken  findet,  so  muss  man  sich  mit  den  gewöhn- 
lichsten Mitteln  gegen  die  Krankheiten  versehen,  denen  man  hier  zu 
Lande  ausgesetzt  ist.  Diese  sind  hauptsächlich  Fieber,  Durchfall,  ünter- 
leibsentzündung  und  Rheumatismus.  Man  nehme  sich  daher  Brech- 
weinstein, Rhabarber,  Ricinusöl,  Chinin,  Kamillen  und  Opodeldoc  mit, 
am  besten  gleich  in  die  üblichen  Gaben  vertheilt.  Da  das  Landvolk 
hier  jeden  Europäer  für  einen  Arzt  hält,  so  kann  man  sich  sehr  beliebt 
machen,  wenn  man  die  Bitte  um  ein  Heilmittel,  die  sehr  oft  gestellt 
wird,  zu  erfüllen  im  Stande  ist. 

Angemessen  ist  es,  nach  der  Sitte  des  Landes  mit  einem  Schurr- 
bart, aber  ohne  Backen-  und  Kinnbart  zu  reisen.  Auch  ist  es  gerathen, 
sich  für  die  Reise  mit  Waffen  zu  versehen  und  zwar  mit  einem  Dop- 
pelgewehr oder  einem  Revolver,  Die  Waffen  dürfen  aber  nicht  reich 
aussehen,  da  diese  die  in  manchen  Gegenden  noch  nicht  ausgerotteten 
Räuber  (Haiducken)  anlocken  würden.  Die  Begegnenden  grüssen  ein- 
ander mit  dem  Wunsch  einer  glücklichen  Reise  —  Ugurallah  —  wobei 
sie  die  rechte  Hand  auf  das  Herz  legen.  Wasser  verlangt  man  beim 
Vorüberreiten  vor  einem  Wirthshaase,  ohne  dass  dafür  ein  Trinkgeld 
gegeben  würde;  auch  finden  sich  an  der  Strasse  häufig  Plätze  zum 
Anhalten  bei  frischen  Quellen  und  Brunnen,  die  von  Bäumen  beschattet 
sind.  Wo  man  in  katholischen  Ländern  als  Beweis  seiner  Frömmigkeit 
Heiligenbilder  aufstellt,  lässt  der  Türke  Brunnen  graben  und  Bäume 
pflanzen  oder  stiftet  Khans  für  müde  Wanderer. 

In  der  Regel  bricht  man  sehr  zeitig  auf  und  ruht  im  Sommer 
während  der  Stunden  von    11  bis   3    Uhr.    Türkische   Frauen   scharf 


und  den  Donaufürstenthümern.  273 

anzusehen,  gilt  für  unanständig,  sich  na«;h  der  Frau  vom  Hause  zu  erkun- 
digen, für  tactlos.  Durch  langen  Aufenthalt  bei  alten  Denkmälern, 
durch  Schreiben  und  Zeichnen,  zieht  man  leicht  Verdacht  auf  sich. 
Weniger  ist  dies  beim  Botanisiren  der  Fall,  weil  man  hierbei  für  einen 
Arzt  gilt.  Auch  blosse  Erkundigungen  erregen  oft  schon  Verdacht,  doch 
weniger,  wenn  sie  sich  bloss  auf  die  Sitten  und  Gewohnheiten  der 
Leute  beziehen.  Von  einer  genauen  Bestimmung  der  Zeit  hat  das 
Landvolk  keine  Vorstellung,  und  fragt  man,  ob  man  noch  weit  bis 
an's  Ziel  seiner  Reise  habe,  so  wird  oft  geantwortet,  ganz  nahe,  wäh- 
rend man  noch  mehre  Stunden  davon  entfernt  ist. 

Die  beste  Karte  von  der  Türkei  ist  die  von  Heinrich  Kiepert  in 
Berlin  herausgegebene. 

Die  Provinz  Bulgarien  hat  nicht  ganz  eine  Million  Einwohner, 
aber  der  Stamm  der  Bulgaren  bewohnt  auch  grosse  Tlioile  Thraciens 
und  Macedoniens  und  soll  über  vier  Millionen  Menschen  zählen.  Die 
Bulgaren  waren  ursprünglich  ein  finnisches  Volk  wie  die  Magyaren, 
nahmen  aber  schon  vor  Jahrhunderten  slavische  Sprache  und  Sitte  an . 
Sie  sind  fleissige  Ackerbauer  und  Gärtner.  Der  Balkan  macht  eine 
nicht  unmerkliche  Scheidung  zwischen  ihnen ;  die  auf  dem  Nordabhang 
des  Gebirges  wohnenden  Bulgaren  sind  roher,  ihre  Sprache  gleicht  der 
russischen,  viele  sindhier  Mohammedaner  geworden,  die  Kinder  fürchten 
sich  vor  den  Fremden;  die  im  Süden  dagegen  haben  mehr  von  der 
serbischen  Sprache  und  von  grieclüscher  Sitte  angenommen ,  sie  sind 
gesitteter,  und  ihre  Kinder  kommen  den  Reisenden  freundlich  entgegen. 
Auch  die  Natur  ist  verschieden:  denn  südlich  vom  Balkan  bringt  der 
Boden  fast  alle  Erzeugnisse  Griechenlands  hervor,  während  er  im 
Norden  die  Producte  Ungarns  bietet.  Die  Städte  Bulgariens  sind  meist 
von  Holz  erbaut  und  bestehen  in  der  Regel  aus  einer  Citadelle  (Grad), 
einer  Handwerker-  und  Handelsstadt  (Warosch)  und  aus  einer  Solda- 
tenstadt (Palanka),  die  mit  Pallisaden  umgeben  ist.  Die  Dörfer  haben 
zum  Theil  halb  in  die  Erde  gegrabene  Hütten,  theils  zeltartige  Woh- 
nungen von  Weidenruthen  geflochten.  Im  Innern  aber  herrscht  grosse 
Reinlichkeit,  und  auf  dem  Dache  nistet  oft  der  gesellige  Storch.  Der 
Bulgar  ist  gut  gewachsen,  sehr  massig  und  in  der  Regel  ehrlich,  dienst- 
fertig und  gastfrei.  Die  bulgarischen  Frauen  sind  von  schlankem  Wuchs 
und  durchschnittlich  sehr  schön.  Auffallend  ist  ihr  reicher  Haarwuchs. 
Die  grosse  Mehrzahl  der  Bulgaren  bekennt  sich  zur  griechisch-katho- 
lischen Kirche,  und  sie  haben  sechzehn  Bisthümer  und  vier  Erzbis- 
thümer  oder  Metropolen.  Die  Geistlichen  sind  meist  Griechen,  da  sie 
von  dem  Patriarchen  von  Constantinopel  abhängen.  Jeder  Geistliche 
kauft  seine  Stelle,  der  Bischof  von  den  Türken,  der  Pope  vom  Bischof. 
Die  höhere  Geistlichkeit  saugt  das  Volk  nach  Kräften  aus  und  be- 
trachtet ihre  Stellen  überhaupt  lediglich  als  Mittel,  sich  zu  bereichern. 
Eine  Aristokratie,  gleich  den  Bojaren  in  der  Moldau  und  Wallachei, 
gibt  es  unter  den  Bulgaren  nicht.  Der  Balkan  ist  ein  vielverzweigtes, 
mit  dichten  Eichen-  und  Ulmenwäldern  bewachsenes  Granitgebirge, 
welches  sich  in  seinen   höchsten   Puncten  über  5000  Fuss  erhebt,  in 

18 


274  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

seinem  westlichen  Theil  sehr  rauh  und  unwegsam  ist.  Im  Nordosten 
tritt  wie  eine  Halbinsel  zwischen  der  Donau  und  dem  Schwarzen  Meere 
die  Dobrudscha  als  Hochfläche  auf.  meist  mit  Steppengewächsen  bedeckt, 
zum  Theil  aber  auch  ausgedehnte  Getreidefluren  zeigend.  Die  Wal- 
dungen bedecken  hier  nur  kleine  Strecken  und  werden  erst  gegen  den 
Balkan  hin  dichter.  Der  Westen  ist  weniger  einförmig,  die  Wälder 
werden  umfangreicher,  die  Gegenden  besser  bebaut.  Im  Frühjahr  regnet 
es  sehr  viel,  was  die  Verkehrswege  oft  unpassirbar  macht,  aber  zugleich 
alle  Pflanzen  und  namentlich  die  Futterkräuter  üppig  gedeihen  lässt. 
Die  Sommerhitze  aber  verwandelt  das  grüne  Bild  schnell  in  einen 
versengten  Anger  und  trocknet  häufig  Bäche  und  Quellen  aus.  Aus- 
fuhrartikel sind  Wein,  Holz,  etwas  Eisen,  Honig,  Wachs  und  vor  Allem 
Getreide. 

Die  moldau  und  Walachei,  jetzt  unter  Einei.\  Fürsten,  sind 
reinchristliche  Länder,  in  denen  man  keine  Moschee  und  keinen  Grund 
besitzenden  Türken  findet.  Die  Pforte  ist  ihnen  gegenüber  nur  Süze- 
räne Macht,  sie  hat  hier  keine  andere  Bedeutung,  als  dass  sie  einen 
Jahrestribut  empfängt,  die  gewählten  Fürsten  bestätigt  und  bei  Ver- 
fassuugsvoränderungen  eine  Stimme,  nach  Befinden  ein  Veto  hat.  Die 
Hauptmasse  der  Bevölkerung  besteht  in  W^alachen  oder  wie  sie  selbst 
sich  nennen,  Rumänen,  die  ein  verdorbenes  Latein,  gemischt  mit  \'ieleu 
slavischen,  türkischen,  griechischen  und  einigen  deutschen  Worten  spre- 
chen und  Nachkommen  römischer  Colonisten  sind,  denen  sich  später 
magyarisches,  slavisches  und  wohl  auch  germanisches  Blut  beimischte. 
Ausserdem  wohnen  in  den  beiden  Fürstenthümern  viele  Deutsche,  welche 
vorzüglich  den  Handwerkerstand  in  den  Städten  bilden,  eine  grosse 
Menge  Juden,  welche  fast  alle  Dorfschenken  und  Kramläden  in  ihren 
Besitz  gebracht  haben,  und  eine  Anzahl  Zigeuner,  die  theils  als  Musi- 
kanten oder  Kesselflicker  und  Schmiede  umherziehen,  theils  sesshaft 
sind.  Das  Land  ist  fruchtbar,  indess  sind  die  Bauern  meist  arm,  und 
Ackerbau  wie  Viehzucht  stehen  auf  der  niedrigsten  Stufe.  Die  Verkehrs- 
wege sind  schlecht,  bei  Regenwetter  in  der  Ebene  kaum  zu  passiren. 
im  Gebirge  von  derselben  Beschaffenheit  wie  die  in  der  Türkei  und 
Griechenland.  Die  Rumänen  bekennen  sich  ohne  Ausnahme  zur  grie- 
chisch-katholischen Kirche.  Consuln  findet  man  in  Bukarest,  Galatz 
und  Jassy,  Consularagenten  in  vielen  kleineren  Orten.  Alle  Gebildeten 
sprechen  französisch.  Viele  auch  deutsch,  welche  letztere  Sprache  (aller- 
dings sehr  verdorben)  auch  von  den  hiesigen  Juden  gesprochen  wird. 
Haupterzeugniss  des  Landes  ist  Getreide.  Im  Alterthum  wurde  das, 
was  jetzt  die  Moldau  und  Walachei  umfassl,  mit  dem  Namen  Dacien 
bezeichnet.  Man  nimmt  an,  dass  die  Einwohnerzahl  beider  Länder 
zusammen  etwa  4:%  Millionen  beträgt.  Wer  sich  genauer  über  das 
Land  zu  unterrichten  wünscht,  dem  sei  „Neigebaur,  Beschreibung  der 
Moldau  und  Walachei,  zweite  Auflage.  Breslau,  J.  ü.  Kern  1854«, 
empfohlen. 

Serbien  begreift  in  sich  Theile  des  alten  Mösien  und  Illyrien. 
Im  Mittelalter  bildete  es  ein   unabhängiges  Königreich,  welches  auch 


und  den  Donaufürstenthümern.  275 

Theile  von  Bosnien,  Bulgarien  und  Albanien  urafasste.  Zu  Ende  des 
14.  Jahrhunderts  wurde  es  von  den  Türken  erobert,  aber  zu  Anfang 
des  gegenwärtigen  Jahrhunderts  brach  ein  erfolgreicher  Aufstand  aus, 
durch  den  sich  Serbien  fast  ganz  von  der  Überherrschaft  der  Pforte 
befreite,  so  dass  der  letzteren  nur  noch  ein  Jahrestribut,  das  Recht 
der  Bestätigung  der  Fürsten  und  der  etwaigen  Verfassungsverände- 
rungen, verblieben  ist.  Das  Recht,  in  Belgrad  und  einigen  andern  Festun- 
gen des  Landes  türkische  Garnisonen  zu  halten,  hat  aufgehört.  Der  Boden 
ist  vorwiegend  gebirgiger  Natur,  indess  erhebt  sich  keine  der  verschie- 
denen Bergketten  hölier  als  4000  Fuss,  und  zwischen  den  Gebirgszügen 
strecken  sich  zahlreiche  fruchtbare  Thäler.  Das  Klima  ist  gemässigt 
und  gesund.  Der  Boden  eignet  sich  sowohl  zum  Acker-  als  zum  Wein- 
bau, auch  wird  viel  Viehzucht,  besonders  Schweinezucht,  getrieben.  Die 
Wälder  bestehen  meist  aus  Laubholz,  besonders  Eichen,  auch  bildet 
der  Birnbaum  in  den  Niederungen  förmliche  Wälder.  Haupterzeugnisse 
des  Landes  sind  Mais,  Wein,  Obst,  Flachs  und  Producte  der  Viehzucht. 
Die  Einwohner,  dem  Stamm  der  illyrischen  Slaven  angehörig  und  circa 
eine  Million  Seelen  stark,  bekennen  sich  zur  griechisch-katholischen 
Kirche.  Durch  einen  kräftigen  Körper,  grosse  Tapferkeit  und  Freiheits- 
liebe ausgezeichnet,  Musik  und  Gesang  liebend,  sind  sie  einer  der  be- 
gabtesten und  interessantesten   Zweige  der  Slavenfarailie. 

Ausser  von  Serben  wird  das  Land  noch  von  Walachen,  welche 
vorzüglich  Ackerbau,  einigen  Armeniern,  Griechen  und  Juden,  welche 
Handel  treiben,  bewohnt.  Der  Gewerbefleiss  beschränkt  sich  auf 
die  bäuerliche  Hausindustrie.  Das  Land  zerfällt  in  17  Kreise  (Nahien), 
die  wieder  in  55  Bezirke  unter  Kapitanis  getheilt  sind.  An  der  Spitze 
des  Ganzen  steht  ein  Fürst,  welcher  oberster  Befehlshaber  des  Heeres 
und  Vorstand  der  unabhängigen  innem  Verwaltung  ist.  Die  letztere 
wird  von  ihm  durch  Minister  ausgeübt.  Neben  dem  Fürsten  gibt  es 
einen  Senat,  welcher  berathende  Stimme  hat.  und  eine  Nationalver- 
sammhing  (Skuptschina),  die  indess  nur  in  ausserordentlichen  Fällen 
berufen  wird.  Die  Rechtspflege  im  Lande  ist  durchaus  geordnet,  für 
den  Unterricht  wurde  besonders  in  den  letzten  beiden  Jahrzehnten 
viel  gethan.  Die  kirchlichen  Angelegenheiten  stehen  unter  dem  Metro- 
politen von  Belgrad  und  den  Bischöfen  von  Uschitza,  Schabatz  und 
Negotin.  Die  Geistlichkeit  darf  nur  aus  der  Nation  selbst  gewählt 
werden.  Die  regelmässige  Macht  zählt  nicht  mehr  als  10,000  Mann, 
unter  denen  Artillerie  und  Cavallerie.  Da  indess  jeder  Serbe  mit 
Waffen  versehen  und  zum  Kriegsdienst  verpflichtet  ist,  so  kann  das 
Land  ein  Heer  von  50  bis  60,000  Maini  aufstellen,  wenn  es  Noth 
thun  sollte. 

Bosnien  ist  die  nordwestlichste  Provinz  der  europäischen  Türkei. 
Es  zerfällt  in  türkisch  Kroatien,  ein  Stück  von  Dalmatien  und  die 
Herzegowina.  An  zwei  Puncten  reicht  es  au  das  Adriatische  Meer.  Mit 
Ausnahme  des  nördlichen,  an  der  Sau  sich  hinstreckenden  Strichs,  ist 
das  Land  allenthalben  Gebirgsland,  und  zwar  wird  es  von  den  Dina- 
rischen Alpen  durchzogen,    deren  Gipfel,  bis  zur  Höhe  von  7600  Fuss 


276  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

ansteigend,  den  grössten  Theil  des  Jahres,  vom  September  bis  zum 
Juni,  mit  Schnee  bedeckt  sind.  Die  Berge  sind  meist  dicht  bewaldet, 
der  Ackerbau  ist  nur  in  der  Ebene  einigermassen  bedeutend.  Die 
Erzeugnisse  des  Landes  sind  dieselben,  wie  in  Serbien.  In  allen  Gegenden 
Bosniens  gibt  es  Wälder  von  Kastanienbäumen.  Handel  und  Industrie 
gibt  es  nur  in  den  Städten,  und  zwar  wird  ersterer  fast  nur  von  den 
hier  angesiedelten  Juden,  Griechen,  Armeniern,  Deutschen  und  Italie- 
nern betrieben.  Der  Gewerbfleiss  beschränkt  sich  auf  die  Anfertigung 
von  Waffen,  Leder  und  groben  Wollen  Stoffen,  die  hauptsächlicli  im 
Lande  verbraucht  werden,  doch  zeichnet  sich  die  Hauptstadt  Sarajewo 
auch  noch  durch  grosse  Fabriken  von  Kupfergeschirren,  Baumwollen- 
waaren  und  Goldschmiedarbeiten  aus.  Die  Einwohner  des  Landes  zer- 
fallen in  mehre  Stämme ;  es  gibt  hier  ausser  vielen  Ungarn,  Italienern 
und  Deutschen  hauptsächlich  Bosniaken,  Kroaten,  Türken,  Moriachen 
und  Zigeuner.  Im  Ganzen  soll  die  Zahl  der  Einwohner  Bosniens  sich 
auf  etwa  850,000  belaufen.  Die  Bosniaken,  370,000  Köpfe  stark  und 
ihrer  Sprache  nach  ein  Zweig  der  Serben,  bekennen  sich  theils  zum 
Islam,  theils  zur  römisch-katholischen,  theils  auch  zur  griechischen 
Kirche.  Sie  sind  rauh  und  barsch  gegen  Fremde,  raubsüchtig  und  grau- 
sam, aber  tapfer,  ehrlich,  fleissig  und  massig.  Sie  treiben  etwas  Acker- 
bau und  Viehzucht,  mit  Vorliebe  jedoch  Jagd  und  Fischfang.  Frauen 
wie  Männer  sind  meist  gut  gewachsen  und  oft  von  hübschen  Zügen. 
Die  Kroaten,  deren  Zahl  180,000  betragen  soll,  bekennen  sich  theils 
zur  griechischen,  theils  zur  römisch-katholischen  Kirche,  nur  einige 
Hundert  sind  Mohammedaner.  Sie  beschäftigen  sich  mit  Ackerbau,  Vieh- 
zucht und  Tauschhandel.  Ihre  Sprache  weicht  erheblich  von  der  ser- 
bischen ab,  obwohl  sie  demselben  Hauptzweige  des  Slavischen  angehört. 
Die  Moriachen,  145,000  Köpfe  stark,  bewohnen  grossentheils  die  soge- 
nannte Herzegowina.  Sie  sind  ein  höfliches,  sehr  anstelliges  und  im 
Handel  ungemein  gewandtes  Volk,  den  Türken  sehr  feindlich  gesinnt, 
zum  grösseren  Theil  der  griechischen,  zum  kleineren  der  katholischen 
Kirche  angehörig.  Die  Anzahl  der  Osmanen  im  Lande  soll  200,000 
betragen,  doch  sind  damit  wohl  nicht  Türken,  sondern  überhaupt  alle 
Bekenner  des  Islam  gemeint.  Das  niedere  Volk  wurde  lange  Zeit  und 
wird  noch  jetzt  schwer  von  dem  Adel  bedrückt,  welcher  von  seinen 
Burgen  aus  verschiedene  Steuern  zu  erzwingen  wusste,  und  als  die 
Pforte  Reformen  eintreten  Hess,  welche  den  Bauer  besser  stellten,  sich 
wiederholt  dagegen  auflehnte.  Das  Land  würde  weit  blühender  und 
reicher  sein,  wenn  dieser  bosnische  Adel,  welcher  beiläufig  sich  zum 
Islam  bekennt,  während  die  Bauern  dem  Christenthum  grossentheils 
treu  geblieben  sind,  nicht  existirte.  Bosnien  gehörte  im  12.  und  13. 
Jahrhundert  zu  Ungarn,  später  zum  Königreich  Serbien,  dann,  in  der 
letzten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts,  war  es  ein  selbständiges  König- 
reich, 1528  endlich  wurde  es  eine  Provinz  des  osmanischen  Reiches. 

Thracien  oder  Rumelien  im  engeren  Sinn,  heisst  der  Theil  der 
europäischen  Türkei,  welcher  im  Norden  an  den  Balkan,  im  Osten  an 
das  Schwarze  Meer  und  den  Bosporus,  im  Süden  an  das  Marmorameer 


und  den  Donaufürstenthümern.  277 

und  das  ägäisehe  Meer  und  im  Westen  an  Macedonien  grenzt.  Die 
Bewohner  dieser  Gegend  sind  vorzüglich  Türken,  Bulgaren  und  Griechen. 
Von  Gebirgen  durchziehen  das  Land  ausser  dem  Balkan  der  Despoto 
Dagh  und  der  Pangäus  des  Alterthums,  jetzt  Kastagmatz.  Der  Haupt- 
fluss,  die  Marizza,  ist  nächst  der  Donau  zugleich  der  grösste  Strom 
der  ganzen  illyrischen   Halbinsel. 

Wir  gehen  nunmehr  zur  Schilderung  einiger  der  Haupttouren  über: 

1.  Von  Constantinopel  i'iber  Adrianopel,  Philippopel,  Sophia  und  Kissa  nach  Belgrad. 

Diese  Route  führt  über  den  Balkan  (im  Alterthum  Hämus,  tür- 
kisch Emineh  Dagh  genannt),  die  grosse  militärische  Schranke  der 
europäischen  Türkei,  in  welcher  es  zwei  Hauptpässe  gibt,  von  welchen 
der  eine  auf  Semlin  in  Ungarn,  der  andere  auf  die  Strasse  von  Rothen- 
thurm  in  Siebenbürgen  hinstrebt.  Der  Weg  von  Constantinopel  nach 
Belgrad,  durch  die  Defileen  von  Tatar  Basardschik  ist  von  Couriren, 
die  Tag  und  Nacht  ritten,  in  sechs  Tagen  zurückgelegt  worden.  Ge- 
wöhnliche Reisende  bedürfen  dazu,  wenn  sie,  wie  unter  allen  Umständen 
wünschenswert!!  ist,  einen  Tag  in  Adrianopel  und  einen  zweiten  in 
Nissa  bleiben  wollen,  mindestens  zwei  Wochen.  Der  Reisende  bedarf 
ferner  fünf  bis  sechs  Pferde  für  sich,  sein  Gepäck,  den  Tataren  und 
einen  Diener.  Die  Pferde  werden,  wenn  es  Postpferde  sind,  regelmässig 
auf  den  Stationen  gewechselt,  welche  sich  aller  3  bis  4  Meilen  finden. 
Die  Kosten  der  Tour  werden,  wenn  man  fünf  Pferde  mitnimmt,  140 
Thaler  nicht  übersteigen,  wobei  alle  Ausgaben  ohne  Ausnahme,  also 
Pferde,  Lebensmittel,  Wein,  Herberge,  Pferdefutter  uud  Trinkgelder 
eingerechnet  sind.  Ein  türkischer  Shawl,  eine  Leibbinde,  Lederhosen, 
ein  Luftkissen  für  den  Sattel,  ein  tüchtiger  Kaputzenmantel  und  eine 
gute  Decke  sind  in  den  Pässen  des  Balkan  fast  unerlässlich.  Im  Winter 
muss  man  einen  tüchtigen  Pelz  haben.  Von  Constantinopel  bis  an  die 
Grenze  Serbiens  ist  türkisches  Silber  das  beste  Reisegeld,  doch  kommt 
auch  der  österreichische  Thaler,  der  Zwanziger  und  der  Ducaten  oft 
vor.  Den  Tataren  bezahlt  mau  in  der  Weise,  dass  man  ihm  ein  Dritt- 
theil  der  ausgemachten  Summe  in  Adrianopel,  ein  Drittheil  in  Nissa 
und  das  letzte  Drittheil  in  Belgrad  gibt,  wo  man  ihm,  wenn  er  sich 
gut  aufführte,  zugleich  ein  Extra-Bakschisch  von  zwei  Ducaten  oder 
mehr  verabreichen  mag.  Der  nächste  Weg  bei  dieser  Route  berührt 
folgende  Ortschaften :  Kütschük  Tschekmedsche,  5  Stunden  von  Constan- 
tinopel, Bujuk  Tschekmedjeh,  3  Stunden  weiter,  Selivria  (3  St.,  Tschorlu 
8  St.,  Lulej  Burgas  10,  Eski  Baba  5,  Adrianopel  9,  Mustapha  Pascha 
6,  Hirmanli  8,  Papaslu  14,  Philippopolis  4,  Tatar  Basardschik  13,  So- 

Shia  13,  Nissa  15,  Alexinitza  2,  Jagodina  7,  Belgrad  15  Stunden,  wobei 
araut  gerechnet  ist,  dass  der  Reisende  in  der  Ebene  soviel  als  möglich 
Galopp  reitet. 

Wir  geben  eine  kurze  Beschreibung  der  Hauptpuncte  dieser  Route : 

Der  Reisende,  welcher  zum  Erstenmale  die  Türkei  betritt,  wird 

einen  total  verschiedenen  Eindruck  empfangen,  je   nachdem  er  seinen 


278  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

Weg  von  Ötambul  nach  Westen  oder  von  der  österreichischen  Grenze 
gegen  Osten  nimmt:  denn  Thracien  ist  der  vollste  Gegensatz  zu  Bosnien. 
Bosnien,  ein  herrliches  Gebirgsland.  ein  Labyrinth  von  Bergen,  Felsen 
und  Schluchten,  mit  Sümpfen  und  Urwäldern,  voll  Abwechslung  in  der 
Gestaltung,  voll  landschaftlichen  Reizes,  schön  in  wilder  Naturpracht. 
Von  Constantinopel  nach  Adrianopel  aber  kann  man  reisen,  ohne  einen 
Baum  und  ohne  einen  Berg  zu  sehen,  ja  man  kann  hier  fast  wie  ein 
Seemann  in  gerader  Eichtung  nach  dem  Compass  steuern,  ohne  Gefahr, 
auf  den  flachen  Terrainwellen  eines  endlos  scheinenden  Steppen-  und 
Weidelandes,  wo  es  keinen  Weg  gibt,  weil  Alles  Weg  ist,  seinen  Weg 
zu  verlieren. 

Bei  dem  einförmigen  Steppencharakter  der  Landschaft  auf  der 
thracischen  Halbinsel  darf  es  nicht  verwundern,  wenn  man  in  Constan- 
tinopel kaum  Jemanden  findet,  der  die  Reise  nach  Adrianopel  zu  Land 
gemacht  hat,  oder  der  Aufschluss  geben  kann,  wie  es  landeinwärts 
aussieht.  Wer  von  Stambul  nach  Edirne  (Adrianopel)  reisen  will,  be- 
nützt in  der  Regel  das  Dampfboot  bis  Rodosto  an  der  Küste  des  Mar- 
mora-Meeres  und  fährt  von  da  mittelst  einer  türkischen  Talika  oder 
einer  russischen  Pritschka,  eines  erst  seit  dem  Krimkriege  in  der 
Türkei  eingeführten  Fuhrwerks,  in  24  Stunden  nach  der  alten  Haupt- 
stadt der  Türkei.  Die  Poststrasse  über  Siliwri  und  Tschorlu  —  wenn 
man  eine  Strasse  so  nennen  darf,  die  schon  gleich  vor  den  Thoren  von 
Stambul  nicht  viel  mehr  ist  als  ein  Feldweg,  der  neben  den  Resten 
einer  alten  gepflasterten  Römerstrasse  hinläuft  und  an  der  sich  Tele- 
graphenstangen und  Telegraphendrähtc  wie  ein  Anachronismus  aus- 
nehmen —  diese  Poststrasse  wird  nur  von  Ochsenwagen  benützt  oder 
von  dem  Posttataren,  für  welchen  die  dreissig  Meilen  bis  Adrianopel 
eine  einzige  Station  sind,  die  derselbe  in  ununterbrochenem  Ritt,  bloss 
mit  gewechselten  Pferden,  in  36  bis  40  Stunden  zurücklegt. 

Nach  der  Landseite  ist  Stambul  von  einer  gewaltigen  Mauer 
mit  alterthümlichen  Zinnen  und  Thürmen  abgeschlossen.  Stück  für 
Stück  fällt  jetzt  von  ihr,  sie  dient  nur  mehr  als  Steinbruch  für  den 
Neubau  der  Stadt;  denn  auch  Stambul  ist  im  Stadium  der  Stadterwei- 
terung und  Stadtverschönerung.  Aber  diese  Mauer  hat  so  lange  die 
Welt  des  Bosporus  vollständig  von  Europa  getrennt.  Wie  der  Boden 
von  Constantinopel  geologisch  noch  ein  Stück  von  Asien  ist,  so  gra- 
vitirt  hier  auch  das  ganze  Leben  der  Menschen  nach  der  asiatischen  Seite 

Von  der  Grossstadt  verliert  man  ausserhalb  des  Thores  der 
sieben  Thürme  bald  jede  Spur.  Ausgedehnte  Begräbnissplätze,  Gemüse- 
und  Obstgärten  umsäumen  die  Stadt.  Weiterhin  an  der  Meeresküste 
eine  Waffen-  und  Pulverfabrik,  und  auf  der  das  Goldene  Hörn  beherr- 
schenden Höhe  die  Daud-Pascha-Kaserne,  dann  noch  das  aTufblühende 
Städtchen  St.  Stephan  o  mit  den  Villen  reicher  Kaufleute  an  dem  rei- 
zenden Gestade  des  Marmorameeres,  darüber  hinaus  verräth  nichts  mehr 
die  Nähe  der  Riesenstadt  von  über  Eine  Million  Einwohner. 

Bei  der  Lagune  von  Kütschük  Tschekmedsche,  drei  Stunden  von 
Stambul,  bildet  ein  hölzernes  Brückenthor  den  Einlass  in   das  Innere 


und  den  Donaufürstenthümern.  279 

des  Landes.  Von  diesem  Thor  bis  zu  dem  zweiten  Bretterthor  bei 
Alexinatz,  welches  durch  den  Holzzaun  führt,  mit  welchem  Fürst  Mi- 
loach  sein  schönes  Serbien  umgrenzen  Hess,  sind  hundert  Meilen,  für 
die  Possttataren,  welche  diese  btrecke  in  fünf  Tagen  zurücklegen,  nur 
drei  Stationen. 

Bald  hinter  Tschadaltsche  beginnen  die  einförmigen,  baumlosen, 
von  trockenen  Wasserrinnen  durchfurchten  Plateauflächen  der  thracischen 
Landschaft,  die  ihren  Charakter  bis  Adrianopel  nur  wenig  verändert. 
Der  Bodea  besteht  aus  Sand,  Lehm  und  eisenschüssigen  Geröllmassen 
und  hebt  sich  nur  ganz  allmälig  gegen  Norden  und  Süden  zu  den 
niederen  Küstengebirgsketten  ara  Schwarzen  Meere  einerseits  und  am 
Marmorameer  andererseits.  Die  Wasserläufe  fliessen  von  beiden  Seiten 
nach  der  Mitte  des  Beckens  und  entleeren  sich  al  Erkene  gegen  Westen 
zwischen  Enos  und  Adrianopel  in  die  Marizza 

Das  Innere  des  Beckens  ist  grösstentheils  Weideland  oder  zwerg- 
haftes Eichengestrüpp.  Felder,  Wein-  und  Obstgärten  und  schattige 
Bäume  finden  sich  immer  nur  in  der  Nähe  der  Dörfer  und  Städte  oder 
der  vereinzelt  liegenden  Tschiftliks.  Alle  Ausiedlungen  liegen  weit  aus- 
einander; denn,  die  Bevölkerung,  vorherrschend  griechisch,  aber  unter- 
mischt mit  türkisch  und  bulgarisch,  ist  in  diesem  Theile  des  Landes 
ziemlich  spärlich.  Einzelne  tscherkessische  Niederlassungen  sind  ganz 
neuen  Datums.  Auf  den  Feldern  wird  eine  zweijährige  Wechselwirthschaft 
getrieben  und  das  Getreide  mittelst  eigen thümlicher  Schlitten,  an  deren 
unteren  Seite  scharfe  Feuersteinraesser  eingelassen  sind,  ausgefahren 
und  gleichzeitig  das  Stroh  zu  Häckerling  geschnitten.  Die  ausgedehnten 
Weiden  enthalten  eine  Vegetation,  wie  sie  dem  warmen  Klima  und  dem 
trockenen  Erdreiche  entspricht,  die  sich  ebensowenig  durch  Ueppigkeit 
als  durch  Futterreichthura  auszeichnet.  Man  sieht  mehr  wilden  Senf, 
Malven,  Disteln  und  Camillen  als  Gras,  und  im  Verhältnis^  zur  Aus- 
dehnung der,  der  Viehzucht  gewidmeten  Triften,  begegnet  man  auch 
nur  wenigen  Herden  von  Schafen,  Rindvieh,  Büffeln  und  Pferden. 
Schildkröten,  Geier  und  Krähen  sind  fast  die  einzige  lebendige  Staffage 
der  öden  Landschaft. 

Der  Weg  bis  Kütschük  Tschekmedsche  iind  weiterhin  bietet 
schöne  Ausblicke  auf  das  Marmorameer,  die  Gegend  aber  ist  von  bös- 
artigen Fiebern  heimgesucht.  Dasselbe  gilt  von  Bujak  Tschekmedsche 
(d.  i.  die  grosse  Brücke),  wo  sich  ein  schmaler  Meerbusen  in  das  Land 
hineinstreckt,  der  mit  einer  langen,  fast  bis  zum  Schwarzen  Meer  rei- 
chenden Kette  von  Teichen  und  Morästen  in  Verbindung  steht,  über 
welche  eine  Reihe  von  vier  Steinbrücken  führt  Die  Höhen  hinter  dem 
Orte  bilden  eine  starke  Position  für  die  Vertheidigung  von  Constan- 
tinopel.  Hier  in  der  Nähe  des  Dorfes  Ghettos  nahm  im  Jahre  559  der 
alte  Belisar  Stellung,  als  es  die  Hauptstadt  gegen  die  Angriffe  der 
Bulgaren  unter  Zabergan  zu  vertheidigen  galt.  Obschon  er  unter  seinen 
Befehlen  nicht  mehr  als  dreihundert  gediente  Soldaten  und  einige 
Tausend  ungeübte  Recruten  hatte,  wusste  er  sich  durch  geschickte 
Befestigung   des   Passes   und   verständige   Aufstellung  seiner  kleinen 


280  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

Scbaar  doch  gegen  die  Ueberzahl  der  Barbaren  zu  behaupten,  und 
gewann  sogar  ein  Treffen,  welches  die  Gegner  zum  Rückzug  nöthigte 
und  Constantinopel  vor  der  Plünderung  bewahrte.  Auf  dem  weiteren 
Wege  geniesst  man  wieder  schöne  Aussichten  auf  die  Propontis  und 
den  asiatischen  Olymp,  Selivria,  das  alte  Sel,ymbria,  ist  ein  Städtchen 
mit  einer  Brücke  von  dreissig  Bogen,  und  einem  alten  Schloss,  welches 
einen  Besuch  verlohnt.  Der  Khan,  wo  man  das  erste  Nachtlager  zu 
nehmen  pflegt,  ist  klein,  aber  ziemlich  reinlich.  Tschorlii,  eine  kleine, 
alte  Stadt,  war  einer  der  ersten  Orte  Europa's,  welche  von  den  aus 
Asien  kommenden  Türken  genommen  wurde.  Luleh  Burgas  hat  seinen 
Namen  theils  von  den  Pfeifenköpfen,  die  hier  fabrieirt  werden,  theils 
von  dem  griechischen  Wort  j:üpYo;,  welches  Thurm  bedeutet.  Die  hie- 
sigen Töpfer  machen  ausser  Pfeifenköpfen  auch  hübsch  vergoldete 
Kannen,  Schalen  und  Tintenfässchen,  die  sehr  wohlfeil  sind.  In  Eski 
Baha  findet  man  gute  Herberge  im  Hause  eines  Griechen. 

Adriauopel  (türkisch  Edirne),  nach  dem  römischen  Kaiser 
Hadrian  benannt,  einst  die  Hauptstadt  der  europäischen  Türkei  und 
noch  unter  Mahomed  IV.  und  Solimau  II.  im  17.  Jahrhundert  die  Re- 
sidenz der  Sultane,  ist  von  seiner  einstigen  Grösse  tief  herabgesunken. 
Aber  Eine  Eigenschaft  hat  die  Stadt  nicht  verlieren  können,  die  Eigen- 
schaft einer  höchst  ausgezeichneten  und  zugleich  wundervoll  schönen 
Lage.  Und  dieser  Eigenschaft  wird  sie,  wenn  einmal  die  türkischen 
Eisenbahnen  zur  Wirklichkeit  geworden  sind,  einen  Autschwung  ver- 
danken, welcher  alle  vergangene  Grösse  verdunkeln  kann.  Die  Stadt 
liegt  im  Knotenpunct  der  ostwestlichen  Linie  von  Constantinopel  nach 
Philippopel  und  der  nordsüdlichen  Linie,  die  Burgas  am  Schwarzen 
Meere  mit  Enos  am  Aegäischen  Meere  verbinden  wird,  und  da  diese 
Linie  von  Aarianopel  aus  schon  nächstens  in  Angriff  genommen  werden 
soll,  so  wird  sich  hier  zuerst  die  neubelebende  Wunderkraft  des  mo- 
dernen Verkehrsmittels  zugleich  als  Culturmittel  auf  das  Alttürkenthum 
geltend  machen,  dessen  Sitz  die  Stadt  der  alten  Sultane  noch  immer  ist. 

Zwei  ansehnliche  Flüsse,  die  Arda  von  Südwesten  her  und  die 
Tundscha  aus  dem  Balkan  von  Norden  kommend,  vereinigen  sich  bei 
der  Stadt  mit  der  Marizza,  dem  Hauptstrome  Thraciens.  An  ihrem 
Zusammenflusse  breiten  sich  weite  fruchtbare  Ebenen  aus,  begrenzt 
von  Hügelland,  über  dem  in  blauer  Ferne  die  Gipfel  der  Gebirge  auf- 
ragen. Welche  Abwechslung  in  dieser  Ebene  von  Gärten,  Maulbeer- 
plantagen, Obstbäumen,  Feldern  und  Wiesen,  und  wie  wird  all  der 
Reichthum  der  Natur  in  ein  wahres  Paradies  verwandelt  werden  können, 
wenn  erst  die  Bewohner  aus  ihrer  trägen  Ruhe  und  aus  ihrer  mono- 
polistischen Glüskseligkeit  aufgerüttelt  sind  und  zum  vollen  Bewusst- 
sein  eines  frischen  Lebensgenusses  durch  Arbeit  kommen. , 

Die  Stadt,  die  90,000  Einwohner  zählen  soll  —  ^  -,  Türken,  Vj 
Bulgaren  und  '/s  Griechen,  Juden  und  sogenannte  Franken  —  ist  ihrem 
äusseren  Ansehen  nach  wie  alle  türkischen  Städte,  ohne  viel  Abwechs- 
lung, eine  Strasse  fast  wie  die  andere  winkelig,  schlecht  gepflastert, 
schmutzig,   ohne   hervorstechende   Bauten,    und  auch,  was   sich  stolz 


■> 


und  den  Donaufürsten thümern,  281 

, Hotel  de  TEtoile"  nennt,  ist  derzeit  nichts  Anderes,  als  ein  ordinärer 
türkischer  Han,  der  nicht  einmal'  soviel  bietet,  als  das  zweite  grosse 
Einkehrwirthshaus  der  Stadt,  das  noch  den  alttürkischen  Namen  Göra- 
rük-Han  führt.  Nur  das  von  einem  Griechen  gehaltene  ,  Hotel  de 
Rumelie"  macht  eine  Ausnahme,  ist  aber  kein  Hotel,  sondern  eine 
Restauration,  wo  man  nach  der  Karte  speisen  kann.  Altes  Mauerwerk 
und  dicke  halbverfallene  Thürme,  die  zum  Theil  den  Kömern,  zum 
Theil  den  Genuesern  zugeschrieben  werden,  erinnern  an  längst  vergan- 
gene Zeiten.  Die  Residenz  der  Sultane,  das  alte  Serail,  ausserhalb  der 
Stadt  im  Tundschathale  gelegen,  ist  eine  Ruine.  In  dem  Prachtgemache 
des  ersten  Stockwerkes,  wo  ein  Selim,  ein  Mahommed,  ein  Soliman,  und 
wie  sie  alle  heissen,  auf  weichem  Divan  beim  Plätschern  eines  Spring- 
brunnens, dessen  prachtvolles  Marmorbassin  noch  gut  erhalten  ist, 
träumten,  f^ruden  wir  eine  Schafherde  gelagert,  die  sich  offenbar  recht 
behaglich  fühlte  an  dem  kühlen  Ort.  Der  Marmorboden  aber  war  mit 
dicken  Schichten  von  Mist  bedeckt,  dass  einem  intelligenten  LandAvirth 
das  Herz  lachen  könnte.  Es  ist  fast  lebensgefährlich,  sich  die  alten 
Herrlichkeiten,  das  Schlafzimmer,  dessen  Wände  mit  Majolikaziegeln 
belegt  sind,  die  Bäder,  den  alten  Harem  u.  s.  w.  zu  besehen,  denn 
Alles,  was  nicht  schon  zusammengebrochen,  droht  den  Einsturz.  Ein 
paar  Invaliden  leben  hier  von  den  Trinkgeldern,  die  die  alte  Pracht 
noch  einträgt. 

Um  so  überraschender  ist  die  gute  Erhaltung  der  grossen  Mo- 
schee Selim''s  IL,  die  sich  auf  dem  höchsten  Punct  der  Stadt  mit  ihrer 
Riesenkuppel*)  und  mit  ihren  vier  schlanken  Minarets,  Alles  überragend, 
erhebt.  Sie  gilt  für  die  prächtigste  und  grösste  Moschee  des  ganzen 
osmanischen  Reiches,  und  wer  den  Geist  des  Islams  auf  sich  wirken 
lassen  will,  der  trete  ein  in  diese  geheiligten  Hallen.  Der  Eindruck  ist, 
selbst  nachdem  man  die  Aja  Sofia,  die  Achmedje  und  die  Suliraanieh 
in  Stambul  gesehen  hat,  ein  überwältigend  grossartiger.  Wahrhaftig, 
es  ist  den  Türken  nicht  zu  verdenken  ,dass  sie,  nachdem  es  einmal  eine 
Santa  Sofia  gab,  stationär  geblieben  sind  im  Baustyl  ihrer  Moscheen. 
In  den  weiten  Räumen  unter  der  Riesenkuppel  der  Selimieh  verspürt 
man  mehr  von  Religion,  als  in  allen  Jesuitenkirchen  der  Welt.  Das 
Innere  der  Moschee  ist  teppichartig  im  Weiss,  Roth  und  Blau  ausge- 
malt, mit  Goldinschriften  auf  grünem  Grund.  Unter  der  Kuppel  führt 
ringsherum  eine  Gallerie  und  das  Licht  empfängt  der  riesige  Raum 
durch  999  Fenster,  wie  die  Türken  sagen.  Nicht  weniger  grossartig 
ist  die  Säulenhalle  vor  der  Moschee,  mit  riesigen  Monolithsäulen  aus 
ägyptischem  Porphyr  und  Granit.  Die  zierlichen,  aussen  cannelirten 
Minarets  aber  haben  eine  F]igenthümlichkeit ,  die  man  bei  keiner 
anderen  Moschee  findet;  sie  tragen  drei  Kränze  übereinander,  und 
unten  beginnen  an  den  drei  verschiedenen  Seiten  der  kreisrunden  Basis 
drei  Wendeltreppen  mit  250  Stufen,  die,  schraubenförmig  übereinander- 


*)  Diese   Kuppel   hat   einen  Durchmesser   von  102  Wiener  Fnss,  während  die 
Knppel  von  Aja  Sofia  in  Stamhul  100  Fuss,   die  des  Pantheon  in  Born  134  Fuss  misst. 


282  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

laufend,  ohne  dass  man  von  einer  Treppe  auf  die  andere  gelangen 
könnte,  in  die  Höhe  führen,  eine  Treppe  auf  den  ersten,  eine  zweite 
auf  den  zweiten,  die  dritte  auf  den  dritten  Kranz.  Vom  Kranz  dieser 
Minarets  überblickt  man  die  ganze  Stadt  und  die  Landschaft  bis  zum 
Fuss  der  entfernten  Gebirge.  Sehr  sehenswerth  ist  auch  die  Marad- 
Moschee,  sie  hat  ebenfalls  vier  Minarets  und  nicht  weniger  als  neun  Kup- 
peln ;  sie  wird  von  den  Türken  Utsch  Serfeli  genannt.  Der  Bazar  Ali 
Paschas  ist  ein  mächtiges  Gebäude  mit  Gewölben,  welche  abwechselnd 
aus  Lagen  weisser  und  rother  Ziegeln  bestehen.  Die  Länge  desselben 
beträgt  gegen  600  Schritte,  an  jedem  Ende  führt  ein  grosses  Thor 
hinein,  ausserdem  hat  er  vier  Seitengänge.  Der  Blick  durch  die  ganze 
Länge  dieses  Bazars  hindurch  ist  grossartiger,  als  irgend  etwas  in  den 
Besestans  von  Constantinopel.  Man  findet  hier  vorzüglich  kostbare 
Waaren,  als  Juwelierarbeiten,  Shawls,  Musseline  und  Seidenstoffe.  Ferner 
verdienen  einen  Besuch:  die  schöne  Wasserleitung,  die  Brücke  über 
die  Tundscha,  die  von  den  Römern  erbauten  Mauern  und  Thore,  der 
12  Fuss  hohe  Schaft  einer  Säule,  auf  welcher  ein  Staudbild  des  Kaisers 
Hadrian  gestanden  haben  soll,  und  das  leider  sehr  verfallene  Eski  Serai 
mit  seinem  schönen  Portal  und  seinem  achteckigen  von  hübschen  Kiosks 
umgebenen  Thurme,  welches  ausserhalb  der  Stadt  am  Ufer  der  Tund- 
scha liegt.  Erwähnen  wir  nun  noch  die  5  grossen  steinernen  Brücken, 
die  über  die  verschiedenen  Flüsse  und  Flussarme  bei  der  Stadt  führen, 
eine  grosse  Kaserne  und  die  neugebaute  Militär-Akademie  hinter  der 
Selim-Moschee,  so  glauben  wir  alles  Wesentliche  von  Bauwerken  ange- 
führt zu  haben. 

Adrianopel  wurde  von  Hadrian  in  der  Nähe  einer  älteren  Stadt 
Namens  Uskudiama  angelegt.  Eine  Sage  behauptete,  dass  hier  Orestes 
Sühne  vom  Verbrechen  des  Muttermordes  gefunden  habe,  wes&halb 
byzantinische  Schriftsteller  die  Stadt  bisweilen  Orestias  nennen.  1360 
wurde  Adrianopel  von  den  Türken  unter  Murad  I.  erobert.  Nach  der 
Einnahme  von  Constantinopel  verlegten  die  Sultane  ihre  Residenz  von 
hier  nach  der  alten  Kaiserstadt.  Aber  noch  lange  nachher  kam  es  vor, 
dass  dieselben  mehre  Monate  des  Jahres  in  Adrianopel  zubrachten,  ja 
Mohammed  IV.  und  Mustapha  zogen  sich  sogar  ganz  von  Constanti- 
nopel hierher  zurück,  was  indess  von  den  Janitscharen  so  übel  genommen 
wurde,  dass  sie  sich  empörten  und  die  Entthronung  der  missliebig 
gewordenen  Herrscher  veranlassten. 

In  der  neueren  Geschichte  ist  Adrian  opel  von  Bedeutung  als 
der  Ort,  wo  1829  ein  für  die  Pforte  sehr  ungünstiger  Friedensvertrag 
abgeschlossen  wurde,  dessen  Bestimmungen  erst  durch  d^s  Jahr  1856 
theilweise  wieder  rückgängig  gemacht  wurden.  Die  Russen  waren  über 
den  Balkan  vorgedrungen  und  hatten  sich  Adrianopels  bemächtigt.  Sie 
hatten  indess  während  ihres  Marsches  von  der  Donau  bis  hierher  durch 
Gefechte  und  noch  mehr  durch  Krankheiten  so  grosse  Verluste  erlitten, 
dass  sie,  zumal  da  der  Pascha  von  Skodra  mit  einem  Heer  von  30,000 
Arnauten  in  wenigen  Tagen  eintreffen  musste,  mit  den  13,000  Mann, 


und  den  Donaufilrstenthümern.  283 

die  ihnen  geblieben  waren,  die  grösste  Gefahr  liefen  und  nicht  im 
Entferntesten  daran  denken  konnten,  Constantinopel  mit  seiner  halben 
Million  türkischer  Einwohner  anzugreifen.  Dennoch  schloss  der  Sultan, 
von  der  fränkischen  Diplomatie  getäuscht,  jenen  nachtheiligen  Frieden, 
der  ihm  das  ganze  Litoral  des  Schwarzen  Meeres  von  der  Mündung 
des  Kuban  bis  zum  Hafen  S.  Nikolaus,  dem  grössten  Tlicil  des  Pascha- 
liks  Achalzik,  fast  allen  Einfluss  auf  Serbien,  die  Moldau  und  die  Wa- 
lachei entriss,  die  Anerkennung  des  Königreichs  Griechenland  bedingte 
und  den  Russen  Handelsfreiheit  in  der  ganzen  Türkei  und  freie  Schiff- 
fahrt auf  der  Donau  und  allen  der  Pforte  gehörigen  Meeren  verschaffte, 
ausserdem  aber  das  Uebergewicht  Russlands  im  Norden  der  Türkei  so 
befestigte,  dass  der  Sultan  in  den  nächst«!»  Jahrzehnten  fast  wie  ein 
Vasall  des  Czaren  erschien. 

Adrianopel  ist  gegenwärtig  der  Sitz  des  General-Gouverneurs 
des  Vilajet  Edirne,  welches  die  alten  Paschaliks  von  Adrianopel,  Phi- 
lippopel und  Gallipoli  mit  einer  Gesanmitoberfläche  von  900  Quadrat- 
raeilen  umfasst,  also  beinahe  das  ganze  alte  Thracien.  Es  hat  eine 
Besatzung  von  einigen  Escadrouen  Gardekosaken  und  Dragonern,  die 
zu  den  beiden  einzigen  Regimentern  gehören,  denen  es  erlaubt  ist,  sich 
auch  aus  den  christlichen  Elementen  der  Bevölkerung  zu  recrutiren. 
Die  Officiere  dieser* Regimenter  sind  meist  Polen. 

In  Handel,  Gewerbe  und  Industrie  kann  sich  Adrianopel  weitaus 
nicht  messen  mit  Philippopel.  Die  früher  so  blühende  Seidenzucht  ist 
in  Folge  der  Seideraupen-Krankheit  sehr  zurückgegangen.  Von  einer 
grösseren  Anzahl  von  Seidenspinnereien  arbeitet  gegenwärtig  nur  eine, 
die  Cocons  werden  meist  als  solche  auf  dem  Landweg  nach  Rodosto 
gebracht  und  von  dort  nach  Marseille  verschifft.  Der  Handel  ist  in  den 
Händen  weniger  Monopolisten,  die  aus  Furcht,  durch  Concurronz  ihr 
Privilegium  zu  verlieren,  dem  Eisenbahn-Unternehmen  wenig  günstig 
gestimmt  sind,  ebenso  wie  der  Landadel  oder  die  Beys,  welche  in  Adria- 
nopel residiren.  Gärberei,  Kuchenbäckerei,  Verfertigung  von  Schuh- 
waaren,  Traubenverkauf  sind  noch  heute  ein  ausschliessliches  Vorrecht 
der  Emirs,  die  sich  durch  grüne  Turbane  als  Nachkommen  des  Pro- 
pheten kennzeichnen. 

Nichtsdestoweniger  hat  Adrianopel  schon  Manches  von  west- 
europäischer Civilisation  und  Cultur  an-  und  aufgenommen.  Die  soge- 
nannte fränkische  Colonie  zählt  25  Familien,  zu  welchen  vor  Allem  die 
Familien  der  fremden  Consuln  gehören,  die  sich  hier  zum  Theil  zu 
bedeutendem  Reichthum  und  Einfluss  aufgeschwungen  haben.  Im 
Sommer  leben  die  Franken  in  Karagadsch,  einem  eine  Stunde  von 
Adrianopel  am  rechten  Ufer  der  Marizza  gelegenen  Dorfe,  das  grössten- 
theils  aus  Villen  besteht. 

Vor  einigen  Jahren  gründete  der  österr.  Consul  hier  ein  Casino, 
das  einen  ganz  unerwarteten  Erfolg  hatte.  Dieser  Casino-Gesellschaft 
gehören  nicht  nur  sämmtliche  Consuln  mit  ihren  Familien  und  die 
Mitglieder  der  fränkischen  Colonie,  sondern  auch  die  Spitzen  der  tür- 
kischen Behörden  —  der  Pascha  ist  Ehrenpräsident  —  und  die  Hono- 


284  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

ratioren  aller  anderen  Nationalitäten  an;  auch  spanische  Juden  sind 
Mitglieder.  Sie  hat  ein  Winteriocale  in  der  Stadt,  mit  zwei  Billards 
und  einem  Lesezimmer,  und  gibt  hier  im  Winter  vier  bis  fünf  grosse 
Bälle.  Das  Sommerlocal  in  Karagadsch  ist  verbunden  mit  einer  Kegel- 
bahn und  einem  Biergarten,  wo  Schwechater  Bier  geschänkt  wird;  und 
noch  niemals  haben  sich  die  Herren  Türken,  Griechen  und  Bulgaren 
darüber  beschwert,  dass  sie  auf  diese  Weise  germanisirt  werden.  So 
bildet  das  Casino  einen  Culturmittelpunct,  der  als  solcher  allseitig  an- 
erkannt ist  und  die  verschiedenartigsten  Elemente  zu  freundlichem 
Verkehr  vereinigt. 

Aber  auch  eine  Art  Prater  hat  Adrianopel.  Ein  prächtiger,  von 
riesigen  Platanen  beschatteter  Wiesenplatz ,  beim  alten  Serail,  der  von 
zwei  Armen|der  Tundschaumschlossen  ist,  also  wieder  Wiener  Prater  eine 
Insel  —  Serai  Idschi,  Serail-Insel  —  bildet,  ist  durch  Anlagen  seit 
einigen  Jahren  zu  einem  Volksgarten  umgewandelt.  Hier  spielt  jeden 
Sonntag  Militärmusik  —  wir  haben  von  der  Bande  der  Gardekosaken 
sogar  den  Walzer  „An  der  schönen  blauen  Donau"  gehört.  l3er  Garten 
ist  das  Rendezvous  der  schönen  Welt  und  bietet  an  Sonntag-Nachmit- 
tagen ein  äusserst  belebtes  Bild.  Auf  den  Wiesenplätzen  lagern  grie- 
chische und  bulgarische  Familien,  die  Mädchen  bunt  aufgeputzt,  jedoch 
alle  ä  la  frcinca,  die  malerische  Nationaltracht  ist  leider  verschwunden ; 
dazwischen  Equipagen,  die  türkischen  Officiere  in  ihrer  kleidsamen  Uni- 
form, Damen  der  fränkischen  Colonie  zu  Pferd,  und  damit  kein 
Element  fehlt,  finden  sich  auch  die  Haremsbewohnerinnen  ein;  ihre 
vermummten  und  verschleierten  Gestalten  allein  geben  dem  Bild  den 
orientalischen  Anstrich. 

Zu  dem  Allen  wird  nun  Adrianopel  die  erste  türkische  Stadt 
südlich  vom  Balkan  sein,  welche  die  Eisenbahn  bekommt.  Der  Haupt- 
bahnhof ist  in  der  Nähe  von  Karagadsch  am  rechten  Marizza-Ufer,  am 
Kreuzungspuncte  der  Enos-Linie  mit  der  Philippopeier  Linie  projectirt. 

Adrianopel  treibt  ziemlich  lebhafte  Schiffahrt  auf  der  Marizza, 
die  vom  October  bis  zum  Juni  auch  für  grössere  Fahrzeuge  schiffbar 
ist.  Am  Ausfiuss  derselben,  drei  Tagereisen  von  Adrianopel,  steht  die 
Hafenstadt  Enos  am  Archipelagus,  die,  auf  einem  felsigen  Isthmus 
gelegen,  meist  von  Griechen  bewohnt  ist  und  ein  altes  Castell  aus 
der  Genueserzeit  hat. 

Die  Strasse  von  Adrianopel  nach  Philippopel  geht  immer  in 
der  Ebene  und  zwar  zunächst  an  der  Marizza  hin.  Die  Gegenden,  die 
man  durchschneidet,  sind  oft  sehr  malerisch  und  zum  grossen  Theil 
gut  angebaut.  Die  Khans  oder  Kaffeehäuser,  in  denen  mtai  übernachten 
muss,  entbehren  aller  Bequemlichkeit,  und  die  Hauptorte:  Mustapha 
Pascha,  Hirmanli  und  Papaslu  bieten  nichts  von  Interesse. 

Das  untere  Marizzabecken  oder  die  Ebene  von  Adrianopel  ist 
von  dem  um  300  Fuss  höher  gelegenen  oberen  Marizzabecken  oder  der 
Ebene  von  Philippopel  geschieden  durch  ein  stark  coupirtes  Hügelland, 
das  bei  Mustapha  Pascha  beginnt  und  jenseits  Uzundschowa  sich  wieder 
allmälig  in  die  Ebene  verläuft.  Auf  dieser  Strecke  verbindet  sich  näm- 


und  den  Donaulürstenthümern.  285 


lieh  das  ürgebirgsmassiv  der  Rhodope  südlich  der  Marizza  mit  einem 
auf  den  bisherigen  Karten  der  Türkei  noch  nicht  vorhandenen  Urge- 
birgsstock,  der  nördlich  von  der  Marizza,  zwischen  dieser  und  der 
Tundscha,  liegt  und  eine  Meereshöhe  von  2800  Puss  erreicht.  Die  Marizza 
durchbricht  in  einem  theilweise  sehr  engen  und  felsigen  Defile  diese 
aus  Gneiss  und  Granit  bestehende  Urgebirgsbrücke  und  erreicht  bei 
Harmanli  die  tiefere  Stufe  des  unteren  Marizzabeckens.  Abgesehen  von 
diesem  kurzen  Defilö,  stellt  sich  dem  Project  einer  Eisenbahn  auf  der 
32  Meilen  langen  Strecke  von  Adrianopel  und  Philippopel  keinerlei 
Schwierigkeit  entgegen.  Die  Poststrasse  nimmt  einen  etwas  anderen 
Weg.  Sie  hält  sich  von  Adrianopel  bis  Mustapha  Pascha  am  nörd- 
lichen Ufer  der  Marizza,  übersetzt  in  dieser  Stadt  den  Fluss,  entfernt 
sich  dann  mehr  und  mehr  südlich  vom  Flussthal  und  kommt  erst  kurz 
vor  Philippopel  wieder  in  der  Nähe  des  Flusses.  Die  Strasse,  die  in 
eine  Chaussee  umgewandelt  wird,  ist  seit  fünf  Jahren  im  Bau  unter 
der  Leitung  von  polnischen  Ingenieuren. 

Da  die  Reisenden  gewöhnlich  nur  der  Poststrasse  folgen,  so  ist 
es  erklärlich,  dass  trotz  der  vielbefahrenen  Route  Adrianopel-Philip- 
popel das  Marizzathal  oberhalb  Mustapha  Pascha  gänzlich  unbekannt 
blieb.  Da  selbst  die  neuesten  und  besten  Karten  der  Türkei  aufwärts 
von  Mustapha  Pascha  im  Marizzathal  fast  keine  Ortschaften  anzeigten, 
so  erwarteten  wir  eine  unbewohnte  Sumpfwildniss  oder  dschungelartiges 
Dickicht.  Um  so  grösser  war  unser  Erstaunen,  überall  offenes,  vor- 
trefflich bebautes  Land  zu  finden  und  das  ganze  Thal  entlang  Ortschaft 
an  Ortschaft  sich  reihen  zu  sehen,  Nicht  weniger  als  24  grosse,  stark 
bevölkerte,  grösstentheils  bulgarische  Dörfer,  passirten  wir  in  diesen 
zwei  Tagreisen  der  Marizza  entlang.  Freilich  konnten  wir  uns  später, 
als  wir  in  die  Balkangegenden  bei  Kisanlik,  bei  Kalofer,  bei  Ichtiman, 
bei  Banja,  bei  Saraakov  und  Sofia  kamen,  überzeugen,  dass  auch  unsere 
besten  Karten  in  der  Darstellung  dieser  Gegenden  reine  Phantasie- 
gebilde enthielten,  und  dass  da  nicht  blos  Städte  und  Dörfer,  sondern 
sogar  hohe  Gebirge,  weite  Ebenen  und  grosse  Flüsse  unseren  Karten 
entweder  vollständig  fehlten  oder  in  gänzlich  falscher  Lage  erschienen. 
Das  Eisenbahn-Unternehmen  wird  daher  nebenbei  auch  das  Verdienst 
haben,  endlich  einmal  die  Geographie  der  Türkei  in  den  wichtigsten 
Puncten  und  auf  den  Hauptlinien  festzustellen. 

Halbwegs  Philippopel,  etwas  seitwärts  von  der  Poststrasse,  liegt 
der  grosse  Marktflecken  Üzundschowa,  berühmt  durch  eine  der  grössten 
Messen  in  der  Türkei,  welche  hier  alljährlich  im  September  abgehalten 
wird.  20-  bis  30,000  Menschen  strömen  zu  dieser  Zeit  hier  zusammen, 
und  der  Umsatz  allein  an  österreichischen  Waaren  (Tüchern,  Manu- 
facturwaaren,  Glas,  Garne  u.  s.  w.)  auf  dieser  Messe  beträgt  15  bis  20 
Millionen  Piaster.  Oesterreichischer  Handel  und  Industrie  kämpfen  hier, 
wenigstens  bis  jetzt  noch,  erfolgreich  gegen  englische  Waaren,  welche 
von  persischen  Häusern  in  Constantinopel  auf  den  Markt  gebracht 
werden. 


286  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

Philippopel  (türkisch  Filibe)  erkennt  man  schon-  aus  grosser 
Entfernung.  Mitten  in  der  weiten  fruchtbaren  Ebene  zwischen  Rhodope 
und  Balkan  erhebt  sich,  gleichsam  wie  die  Spitzen  eines  untergesun- 
kenen Gebirgswracks,  am  rechten  Marizza-Ufer  weithin  sichtbar  eine 
Gruppe  von  Syenitfelsen.  Theilweise  auf,  theilweise  um  diese  Felsen 
liegt  die  Philippsstadt.  Alle  alten  Schrifsteller  stimmen  darin  überein, 
dass  sie  von  Philipp,  dem  Vater  Alexander's  d.  G.,  gegründet  wurde, 
und  noch  heute  finden  sich  in  Ruinen,  Basreliefs,  griechischen  In- 
^ Schriften,  Statuen,  Münzen  u.  s.  w.  zahlreiche  Zeugnisse  ihres  Ursprungs. 
Wie  die  Römer  dazu  kamen,  die  Stadt  Trimontium  zu  nennen,  ist  nicht 
recht  einzusehen;  denn  eigentlich  ist  es  eine  Siebe nhügelstadt.  Drei 
dieser  7  Hügel,  die  zwei  grössten  und  der  kleinste  —  letzterer  nach 
bulgarischer  Sage  das  Grab  des  Marko  Kral  —  liegen  ausserhalb  der 
Stadt  an  deren  Südwestseite;  die  4  übrigen,  von  denen  je  zwei  sattel- 
förmig derart  zusammenhängen,  dass  man  auch  nur  zwei  zählen  kann, 
gehören  mit  zur  Stadt.  Der  Sahä-Tepe  trägt  einen  Glockenthurm  und 
heisst  deshalb  auch  Campanahügel,  der  daran  anstossende  Toplar-Tepe 
oder  Kanonenhügel  ist  so  genannt  nach  drei  AUarmkanonen,  die  auf 
seinem  Gipfel  stehen.  Die  zwei  westlichen  Hügel  endlich,  die  nur  durch 
eine  schwache  Einsattelung  von  einander  getrennt  sind,  der  Tscham- 
pas-Tepe  (Gaukler-Berg)  und  Nepe-Tepe,  sind  ganz  mit  Häusern  tiber- 
baut, und  zwar  ist  gerade  dieser  hochgelegene  Theil  der  Stadt  das 
gesündeste  und  vornehmste  Viertel,  in  welchem  die  reichen  griechischen 
Kaufleute  und  die  Consuln  wohnen,  während  die  türkischen,  bulgarischen 
und  jüdischen  Viertel  sich  am  Fusse  jener  Sj'enitfelsen  in  zum  Theil 
sehr  ungesunden  und  der  Ueberschwemmung  ausgesetzten  Niederungen 
ausdehnen.  Diese  eigenthümliche  Topographie ,  wodurch  gerade  die 
besten  und  schönsten  Häuser  der  Stadt,  indem  sie  an  den  Hügeln  ter- 
rassenförmig übereinander  gebaut  sind,  weithin  sichtbar  werden,  das 
verhältnissmässig  gute  Pflaster,  die  vielen  Verkaufsgewölbe,  welche 
österreichische  und  englische  Waaren  aufgestapelt  haben,  alles  dieses 
trägt  dazu  bei,  dass  Philippopel  mehr  als  irgend  eine  andere  Stadt  im 
Innern  der  Türkei,  auch  in  seinem  äusseren  Ansehen  unseren  Begriffen 
von  einer  Stadt  entspricht.  In  den  meisten  anderen  türkischen  Städten 
bekommt  man  die  Wohnhäuser,  da  diese  im  Innern  eines  gewöhnlich 
mit  grossen  schattigen  Bäumen  bepflanzten  Hofes  oder  Gartens  liegen, 
der  gegen  die  Strasse  durch  eine  hohe  Mauer  abgespenrt  ist,  gar  nicht 
zu  sehen.  Wenigstens  in  den  Balkanstädten,  wie  in  Sliwno,  in  Kisantik 
u.  s.  w.,  geht  man  in  den  Strassen  immer  zwischen  Lehramauern  und 
von  den  umliegenden  Anhöhen  sieht  man  nur  riesige  Baumkronen  und 
die  Minarets. 

Von  den  Zimmern  und  den  Salons  der  auf  der  Höhe  des  Tscham- 
pas-Tepe  und  des  Nepe-Tepe  gelegenen  Häuser,  zu  denen  auch  das 
österreichische  Consulat  gehört,  hat  man  die  reizendste  Fernsicht.  Wie 
von  unsern  alten  Ritterburgen  und  Schlössern  blickt  man  weit  in's 
Land  hinein  von  Gebirg  zu  Gebirg.  Von  den  prall  ansteigenden  Berg- 
massen der  Rhodope  im    Süden  schweift   der  Blick  über  die  reichbe- 


und  den  DonauHirstenthümern.  287 

baute  Marizza-Ebene  bis  zu  der  in  blauer  Ferne  aufsteigenden  Gebirgs- 
mauer  des  Balkan  im  Norden.  Man  kann  sich  eine  schönere  Lage 
kaum  denken. 

Zu  interessanten  Ausflügen  hat  man  nach  allen  Richtungen  hin 
Gelegenheit  Eine  Fahrt  von  einer  bis  zwei  Stunden  bringt  uns  an 
den  Puss  der  Blwdope,  in  denen  wir  eine  ganze  Auswahl  haben  von 
malerischen  Gebirgsthälern  und  Schluchten,  wie  das  Derraen-Dere,  das 
Thal  von  Kuklina,  von  Wodena,  von  Steni  maka  u.  s.  w.  Die  vorderen 
Gehänge  des  Gebirges  sind  leider  entwaldet,  aber  tiefer  im  Gebirge 
gibt  es  noch  die  prächtigsten  Tannen-  und  Fichtenwälder.  Und  da  in 
den  meisten  dieser  Thäler  irgendwo  an  einem  besonders  schönen  und 
zugleicli  möglichst  versteckt  gelegenen  Punct  das  eine  oder  das  andere 
griechische  Kloster  liegt,  so  kann  man  auch  darauf  rechnen,  auf  seinen 
Excursionen  ein  anständiges  Quartier  zu  finden.  In  den  ßhodope  sowohl, 
wie  im  Balkan  sind  diese  Klöster  auf  Premdenbesuch  eingerichtet  und 
dienen  als  Villeggiaturen,  wo  die  Städter,  um  frische  Gebirgslutt  zu 
gemessen,  in  den  heissen  Sommermonaten  gerne  zwei  bis  drei  Wochen 
zubringen.  Eine  halbe  Tagereise  nördlich  von  Philippopel  in  den  Vor- 
bergen des  Balkan  liegt  auch  ein  vielbesuchtes  warmes  Bad,  Hissar 
Lidscha,  dessen  Baulichkeiten  theilweise  noch  aus  der  Römerzeit  her- 
stammen. 

Was  für  einen  Völkerwechsel  müssen  diese  Gegenden  nicht  schon 
erlebt  haben?  Tausende  und  aber  Tausende  von  alten  Grabhügeln 
(Tumuli)  liegen  zerstreut  in  den  Ebenen  und  Thalbecken  zwischen  Balkan 
und  Rhodope,  bald  sind  sie  gross,  vierzig  bis  fünfzig  Fuss  hoch,  bald 
klein ;  hier  liegen  sie  einzeln,  dort  in  Gruppen  beisammen,  niemals  im 
Gebirge,  immer  nur  in  den  fruchtbaren  Ebenen.  Es  sind  dieselben  aus 
Lehm  aufgehäuften  kegelförmigen  Hügel,  die  man  in  Spanien  und 
Portugal  als  Antas,  in  Nordafrika  als  Dolmen,  in  Deutschland  als 
Hünen-  oder  Wendengräber,  in  Ungarn  als  Kumanierhügel  kennt ;  auch 
in  Südrussland  erstrecken  sie  sich,  und  B.  v.  Cotta  hat  sie  bis  zum 
Altai  in  Sibirien  gesehen.  Noch  ist  das  Geheimuiss  dieser  Grabhügel 
nicht  enthüllt,  sie  weisen  zurück  auf  eine  uralte  Geschichte  und  Völ- 
kerwanderung. Nirgends  kommen  sie  so  zahlreich  vor,  wie  bei  Phi- 
lippopel. 

Durch  die  vortheilhafte  Lage  und  den  Fleiss  seiner  Bewohner 
ist  Philippopel  der  Mittelpunct  eines  bedeutenden  Handels  und  Exports, 
und  übertrilft  in  dieser  Beziehung  weitaus  das  fast  doppelt  so  grosse 
Adrianopel.  Die  Bevölkerungszahl  wird  auf  30 — 50,000  angegeben, 
Türken,  Griechen,  Bulgaren  und  Juden.  Ohne  Zweifel  ist  die  rausel- 
mahische  Bevölkerung  der  Zahl  nach  vorwiegend,  das  griechische  Ele- 
ment aber  ebenso  entschieden  durch  Bildung  und  Reichthum  vorherr- 
schend. Von  sechzig  grossen  Handlungshäusern  in  Philippopel  sollen 
mit  Ausnahme  von  vier  alle  griechisch  sein.  Man  kann  sich  daher 
vorstellen,  welche  Bestürzung  in  Philippopel  herrschte,  als  während 
des  Aufstandes  auf  Kreta  mitten  im  Winter  der  Pascha  den  Befehl 
ergehen  liess,  dass  innerhalb  24  Stunden  alle  Griechen,  die  uicht  otto- 


288  Touren  in  der  europäischen  Türkei 


manische  Unterthanen  geworden,  die  Stadt  verlassen  müssten-  Glück- 
licherweise kam  es  nicht  zur  Ausführung  dieses  barbarischen  Befehles. 
Nirgends  tritt  einem  die  Thatsache,  dass  das  griechische  Ele- 
ment vorzugsweise  das  culturtragende  ist,  so  schlagend  entgegen,  wie 
in  Philippopel.  Handel  und  Industrie  sind  hier  in  den  Händen  der 
Griechen,  griechische  Familien  sind  die  gebildetsten  und  einflussreichsten, 
die  griechische  Sprache  ist  nicht  bloss  in  der  Stadt,  sondern  auch  auf 
dem  flachen  Lande  die  vorherrschende.  Die  schönsten  Dörfer  am  Fusse 
der  Rhodope,  wie  Stenimaka,  Kuklina,  Wodena,  sind  griechisch.  Die 
griechischen  Schulen  sind  die  besten,  die  griechischen  Kirchen  und 
Klöster  die  reichsten.  So  ist  es  heute  noch  und  so  war  es  in  der  alten 
Philippsstadt  seit  undenklichen  Zeiten  Diese  Thatsachen  genügen  aber, 
um  den  ganzen  Hass  der  panslavistischen  Parteiführer  der  grossen 
bulgarischen  Nation  gegen  die  modernen  Hellenen  zu  erregen.  Der 
Kampf  der  Deutschen  und  Czechen  in  Böhmen  wiederholt  sich  in 
Thracien  und  Macedonien  als  ein  Kampf  der  Griechen  und  Bulgaren 
und  wird  mit  erbitterter  Leidenschaft  namentlich  in  Philippopel  geführt. 
Da  es  hier  keine  Deutschen  gibt,  denen  man  Germanisirungsgelüste  in 
die  Schuhe  schieben  könnte,  so  wird  über  Hellenisirung  geklagt,  und 
da  man  keine  hellenische  Regierung  dafür  schmähen  und  anklagen 
kann,  so  sind  die  Vorwürfe  gegen  das  Patriarchat  in  Constantinopel 
gerichtet.  Um  eine  geistige  und  moralische  Entwicklung  des  Volkes 
handelt  es  sich  bei    den    bulgarischen    Parteiführern    nicht;    aber  die 

friechischen  Schulen  müssen  jetzt  alle  slavisch-bulgarisch  werden,  und 
a  man  keine  historisch-politische  Basis  für  einen  Bulgaren-Staat  auf- 
zufinden weiss,  80  handelt  es  sich  zunächst  um  die  Gründung  einer 
unabhängigen  bulgarischen  Nationalkirche,  um  Emancipation  von  dem 
Patriarchat  in  Constantinopel. 

Tatar  Basardschik,  eine  Stadt,  die  10,000  Einwohner  haben 
soll,  besitzt  einen  Khan,  in  dem  sich  ein  paar  erträgliche  Zimmer 
finden.  In  der  Nähe  liegt  die  Stätte  der  alten  Stadt  Bissapara,  die 
indess  keinerlei  Sehenswürdigkeiten  bietet. 

Nicht  fern  von  hier  beginnt  die  Strasse  den  Balkan  zu  über- 
steigen, und  zwar  führt  sie  durch  den  Pass  oder  die  Pforte  Trajans. 
Die  Höhe  desselben  beträgt  nicht  mehr  als  1800  Fuss,  aber  der  Weg 
ist  sehr  beschwerlich,  mehr  Ziegenpfad  als  Strasse.  Die  Berge  sind 
mit  dichtem  Wald  bedeckt,  nur  in  den  Thälern  sieht  man  Felsen.  Die 
Aussicht  von  der  Höhe  des  Passes  über  die  fruchtbaren  Ebenen  Bul- 
gariens ist  sehr  schön.  Da  sich  hier  bisAveilen  Räuber  zeigen,  so  pflegt 
man  sich  von  Tatar  Basardschik  einige  Soldaten  als  Bedeckung  mit- 
zunehmen, die  von  den  türkischen  Behörden  nicht  verweigert  werden, 
und  die  man,  in  Sophia  angekommen,  nach  Befinden  auch  eher,  mit 
einem  Bakschisch  wieder  nach  Hause  schickt. 

Sophia,  das  alte  Sardica,  bulgarisch  Triaditza  genannt,  zwischen 
dem  Imsker  und  der  Nissawa  gelegen  und  von  hohen  Bergen  umgeben, 
ist  eine  ausgedehnte,  aber  schlecht  gebaute  Stadt  von  etwa  40,000 
Einwohnern,  die  sich  von  Seiden-  und  Wollen  Webereien,  Gerberei  und 


und  den  Donaulürstenthümern. 


289 


der  Erzeugung  von  ßauchtabak  nähren,  und  unter  denen  gegen  20,000 
Griechen  sind.  Man  findet  hier  warme  Heilquellen  und  mehre  gute 
Khans.  Die  Strasse  von  hier  nach  Nissa  windet  sich  sehr  malerisch 
am  Fasse  des  Berges  Tesowitsch  hin,  eines  der  vielen  Ausläufer  der 
grossen  Balkankettc.  Kurz  vor  Nissa  soll  sich  ein  Thurm  mit  vielen 
eingemauerten  Menschenschädeln  finden  —  ein  Denkmal  alttürkischen 
Geschmacks,  welches  das  Andenken  an  einen  von  dem  berühmten  Ku- 
murgi  über  die  Serben  erfochtenen  Sieges  zu  verewigen  bestimmt  war. 
Nissa  oder  Nisch,  einst  Naissos,  nur  bei  scharfem  Keiten  in  15 
Stunden  von  Sophia  aus  zu  erreichen,  ist  Festung.  Einst  war  es  die 
Hauptstadt  des  serbischen  Reiches.  Es  liegt  auf  einer  fruchtbaren 
Ebene,  die  von  der  Nissawa  durchströmt  wird  und  bietet  nichts  von 
besonderem  Interesse  für  den  Reisenden.  Die  westliche  Vorstadt  wird 
von  Zigeunern  bewohnt.  Nissa  war  der  Geburtsort  Constantin's  des 
Grossen,  der  272  n.  Gh.  hier  das  Licht  der  Welt  erblickte.  Zu  bemerken 
ist,  dass  hier,  wie  überhaupt  jenseits  des  Balkans,  die  türkische  Be- 
völkerung, besonders  in  den  Dörfern,  abnimmt  und  den  Bulgaren  und 
Serben  Platz  macht. 

Alexiuitza,  eine  kleine  Stadt  im  Fürstenthum  Serbien.  Hier 
ist  die  Quarantäneanstalt  (Kostumanzä).  Die  Strasse  überschreitet  nun 
mittelst  der  malerischen  Brücke  von  Rawenatz  —  der  einzigen  auf 
dieser  ganzen  Route,  mit  Ausnahme  der  Brücken  zu  Adrianopel  und 
Philippopel  —  den  Fluss  Mornoe.  Ein  Abstecher  von  wenigen  Stunden 
östlich  von  der  Strasse  zum  Besuch  der  altserbischen  Klöster  Bawa- 
nitza  und  Manassia  verlohnt  sich  sehr  wohl.  Das  erstere  wurde  von 
dem  berühmten  serbischen  Helden  Knäs  Lazar  gegründet,  dessen  burg- 
artige Wohnung  noch  jetzt  innerhalb  der  Klostermauern  zu  sehen  ist 
Eben  so  findet  sich  hier  ein  viereckiger  Thurm,  in  dem  sich  der  Schwie- 
gersohn Lazar's,  Milosch  Obilowitsch  aufliielt,  welcher  in  der  Schlacht 
bei  Kossowa  den  Sultan  Murad  erschlug.  Das  befestigte  Kloster  Ma- 
nassia, welches  ausserordentlich  malerisch  liegt,  wurde  von  dem  Des- 
poten Stephan,  dem  Sohne  Knäs  Lazars,  erbaut.  Auch  hier  zeigt  man 
noch  die  Reste  des  Hauses,  welches  der  Fürst  bewohnte.  In  einer 
benachbarten  Felsenschlucht  liegt  eine  Pulvermühle  für  den  Gebrauch 
der  serbischen  Armee.  Um  diese  beiden  Klöster  zu  besuchen,  verlässt 
man  die  grosse  Strasse  bei  dem  Städtchen  Kiupri,  von  wo  man  bis 
Rawanitza  1 '/,  Meilen  hat,  ein  Ritt  von  2  Meilen  bringt  den  Reisenden 
von  da  nach  Manassia  und  nach  weitereu  1 '  ^  Meilen  erreicht  er  die 
makadamisirte  Strasse  in  der  Nähe  des  Dorfes  Medwedia. 

Jagodiua  bietet  ziemlich  gute  Nachtherberge.  Dann  geht  die 
Strasse  durch  prachtvollen  Wald,  der  bei  Hassan  Palanka  und  Semen- 
dria parkartige  Landschaften  bildet,  im  Thal  der  Morawa  hin.  Endlich, 
auf  der  Höhe  über  Semeudria,  erblickt  mau  die  Donau,  und  einige 
Stunden  später  wird  Belgrad  erreicht,  wo  man  sich  sofort  nach  Semlin, 
auf  österreichisches  Gebiet  übersetzen  lassen  kann. 

Belgrad,  die  Hauptstadt  Serbiens,  hat  etwa  30,000  Einwohner. 
Es  liegt  am  Zusaramenfluss  der  Save  und  der  Donau.  Sein  Name  be- 


19 


290  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

deutet:  Weissburg,  türkisch  heisst  es:  Darol  Dschihad,  d.  i.  Haus  des 
Eeligionskrieges,  ungarisch  wird  es  Nandor  Fejervär  genannt.  Es  zer- 
fällt in  fünf  Theile :  die  Festung,  welche  früher  nicht  als  serbischer  Boden 
betrachtet  wurde,  sondern  als  zur  Türkei  gehörig  und  von  den  übrigen  Stadt- 
theilen  durch  ein  400  Schritt  breites  Glacis  geschieden  ist;  die  Was- 
serstadt, die  gegen  Norden  am  Zusammenfluss  der  beiden  Ströme  liegt 
und  ebenfalls  mit  Wall  und  Graben  umgeben  ist;  die  mit  Palissaden 
eingefasste  Serben-  oder  Raitzenstadt,  westlich  an  der  Save,  endlich 
die  im  Süden  und  Osten  gelegene  sogenannte  Palanka.  Belgrad  hat 
noch  viel  vom  Charakter  einer  morgenländischen  Stadt.  Von  ferne 
gesehen  bietet  es  einen  ungemein  schönen  Anblick.  Die  glitzernde 
Fläche  der  beiden  Ströme  neben  dem  fels  gen  Hügel,  der  die  Festung 
mit  ihren  Thürmen  und  Wäldern  trägt,  zahlreiche  weisse  Minarets,  an 
den  Ufern  bunte,  orientalische  Trachten,  im  Hintergrund  ein  griinbe- 
wachsener  Höhenzug  —  das  Alles  erfreut  das  Auge.  Es  geht  der  Stadt 
aber  wie  manchen  Gesichtern:  sie  sieht  nur  von  ferne  gut  aus.  Nahe 
besehen,  im  Innern,  ist  sie  genau  eben  so  verfallen,  so  unordentlich 
und  so  unreinlich,  wie  alle  andern  Städte  der  untern  Donau,  und  wenn 
das  Auge  hier  vor  ihrer  Hässlichkeit  erschrickt,  so  noch  viel  mehr  die 
Nase  vor  den  pestilenzialischen  Gerüchen  von  Knoblauch,  faulenden 
Hunden,  Mistpfützen  und  Kehrichthaufen,  die  sie  allenthalben  belei- 
digen. Von  Weitem  eine  orientalische  Prachtblume,  ist  Belgrad  in  der 
Nähe  eine  ganz  gemeiner  Düngerhaufen. 

Drei  Thore  führen  aus  den  Vorstädten  Sava  Mala,  Theresia  und 
der  Widdiner  Vorstadt  in  das  Innere.  Sie  heissen  Warosch  Kapu, 
Starabul  Kapu  und  Widdin  Kapu.  Das  grösste  ist  das  von  dem  öster- 
reichischen Feldherrn  Laudon  im  edlen  Styl  erbaute,  jetzt  sehr  ver- 
fallene Stambul  Kapu.  Die  beiden  andern  Thore  sind  gleichfalls  halbe 
Ruinen,  besonders  das  Warosch  Kapu.  Man  denke  sich  den  Stadtwall 
von  einer  Passage  durchschnitten,  die  Dossirung  mit  Lehmklumpen 
eingefasst  und  auf  das  Ganze,  auf  einigen  querübergelegten  Balken, 
ein  vollständiges  Haus  gebaut,  aus  dessen  Fensterlöchern  Taubenpaare 
herausschauen  Fährt  ein  Wagen  hindurch,  so  wackelt  das  Taubenhaus, 
und  es  kann  geschehen,  dass  dem  Fuhrmann  ein  Dachstein  auf  den 
Kopf  fällt.  Dem  entsprechend  ist  die  Brücke,  die  über  den  zugeschüt- 
teten Stadtgraben  führt.  Im  Innern  trifft  man  ein  halsbrechendes  Stras- 
senpflaster,  enge  krumme  Gassen  und  elende,  windschiefe  gebrechliche 
Häuser.  Die  weit  in  die  Strasse  hinausreichenden  Schindeldächer  dieser 
Baracken  sind  so  morsch,  dass  sie  über  den  darunter  hin  Gehenden 
zusammenzubrechen  drohen.  Bei  Regenwetter  ist  jede  Strasse  ein  Bach, 
der  verfaultes  Stroh,  Lumpen  und  ähnliche  Dinge  mit  sich  führt. 
Schweine  und  Kühe  treiben  sich  auf  den  Gassen  herum.  Die  Kaffee- 
häuser sind  verräucherte,  schmutzige  Spelunken,  die  Kaufläden  meist 
elende  Boutiken.  Keine  hundert  Häuser  haben  Glasfenster  aufzuweisen. 
Der  Konak  des  Fürsten  ist  ein  leidlich  hübsches  Gartenhaus,  von  den 
übrigen  Regierungsgebäuden  verlohnt  keines  das  Ansehen.  Hübsch  ist 
die  eine  griechische  Kirche,  sonst  ist  nur  das  österreichische  Consulat, 


und  den  Donaufttrstenthümem.  291 


welches  am  Landungsplatz  liegt  und  in  dessen  Erdgeschoss  sich  die 
Douane  befindet,  als  imposant  zu  erwähnen,  und  einige  andere  Consu- 
late,  sowie  die  neue  Zdania,  das  einzige  gute  Gasthaus  der  Stadt, 
mögen  als  schmucke  Häuser  gelten.  Interessant  endlich  ist  der  Best 
des  Palastes  „  Prinz  Eugens  des  edlen  Ritters, "  von  dem  indess  nur 
die  Vorderseite  noch  steht.  Aus  den  Mauerritzen  wächst  allerlei  Un- 
kraut heraus,  und  an  die  Wände  hat  allerlei  schmutziges  Gesindel 
seine  Nester  geklebt.  Das  Leben  auf  den  Strassen  zeigt  allenthalben 
noch  die  ungezwungene  Oeflentlichkeit  des  orientalischen  Geschäfts- 
lebens. Hier  sitzen  die  Babuschenmacher,  die  Tschibbukdrechsler,  die 
Kupferschmiede,  die  Bäcker  u.  A.  auf  ihren  respectiven  Ladentischen, 
arbeiten  oder  feiern,  warten,  die  Pfeife  im  Munde,  auf  Kunden  oder 
streiten  sich  mit  solchen. 

Die  Moscheen,  deren  Belgrad  vierzehn  besitzt,  sind  für  Den,  der 
aus  Constantinopel  kommt,  ohne  Interesse  und  überdies  halbe  Ruinen. 
Das  hier  bestandene  Derwischkloster  gehörte  der  Secte  der  Bidaui, 
welche  zu  den  heulenden  Derwischen  zählen. 

Die  Festung  Belgrad  befindet  sich  jetzt  in  etwas  besserem  Zu- 
stand, als  vor  dem  letzten  orientalischen  Kriege.  Sie  würde  aber  auch 
in  dieser  Gestalt  eine  regelmässige  Belagerung  schwerlich  lange  aus- 
halten. Von  eigentlichem  System  ist  bei  ihren  Werken  kaum  die  Rede. 
Man  hat  sie  angelegt,  wie  es  die  Gestalt  des  steilen  Kalkfelsens  eben 
vorzuschreiben  schien.  Dieselbe  hat  auf  der  Landseite  vier  Hauptthore, 
ist  aber  auch  von  der  Stromseite  her  zugänglich.  Der  ältere  Tneil  der 
Befestigungen  ist  der  auf  dem  Felsen  gelegene.  Dieser  Theil  ist  mit 
doppelten  trockenen  Gräben,  grossen  Ravelins  oder  Halbmondschanzen, 
kleinen  Courtinen  (Mittelwällen)  und  flachen  Bastionen  mit  Orillons 
(Seitenbrustwehren)  versehen.  Alles  ist  ziemlich  bauf-illig. 

Das  Glacis  besteht  aus  einem  halbkreisförmigen  Platze  und 
heisst  Kalamachtan  oder  Kalameidan.  Die  Kasematten  sind  von  unge- 
sunden Dünsten  erfüllt.  Nach  der  Donau  und  Save  hinab  zieht  sich 
eine  doppelte  Brustwehr  mit  Schiess-Scharten.  Uebrigens  ist  die  ganze 
Festung  jetzt  vollständig  desarmirt,  war  es  wenigstens  im  Mai  1868. 
Sämmtliche  von  den  Türken  zurückgelassenen  Kanonen,  über  hundert 
an  der  Zahl,  darunter  Prachtstücke  aus  dem  fünfzehnten  und  sech- 
zehnten Jahrhundert,  wurden  damals  an  den  Meistbietenden  verstei- 
gert ;  neue  Geschütze  sind  nur  in  sehr  geringer  Anzahl  zu  Salutschüssen 
vorhanden.  Das  Plateau  um  den  ehemaligen  Parnass  des  Paschas  ist 
geebnet  und  mit  Gartenanlagen  versehen  worden,  an  denen  wohl  jetzt 
noch  die  Zuchthaussträflinge  arbeiten,  von  denen  ein  Theil  hier  oben 
untergebracht  ist. 

Besser  sieht  es  im  untern  Theil  der  Festung  aus,  nach  welchem 
man  vom  obern  über  eine  schlechte,  halb  zerfallene  Treppe  hinabge- 
langt. Man  trifft  hier  zuerst  eine  Caseme,  der  gegenüber  ein  kleiner 
Bazar  für  die  Soldaten  und  eine  Moschee  liegt.  Die  andern  Gebäude 
sind  entweder  ebenfalls  Casernen  oder  Schuppen,  Magazine  und  Labo- 
ratorien.   Sie  gehören  der  Zeit  ihrer  Entstehung  nach  meist  in  die 


292  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

Periode,  wo  Oesterreich  diese  Festung  besass,  sind  solid  gebaut  und 
deshalb  gut  erhalten.  In  der  grossen  Caserne  herrscht  musterhafte 
Ordnung  und  Eeinlichkeit.  Sonst  ist  noch  von  Interesse  der  an  der 
äussersten  Landspitze  zwischen  Save  und  Donau  gelegene  alte  stumpfe 
Thurm,  das  ehemalige  Staatsgefängniss  der  Türken,  Neboise,  d.  i. 
„Fürchte  Dich  nicht"  genannt.  Hier  sass  unter  Andern  Jefrem,  der 
Bruder  des  Fürsten  Milosch,  den  die  Türken  gefangen  genommen 
hatten,  mehre  Monate.  Er  soll  dabei  bis  an  die  Brust  im  Wasser  ge- 
standen haben  —  jedenfalls  Uebertreibung. 

Die  Geschichte  Belgrad's  ist  wechselvoll  und  reich  an  blutigen 
Ereignissen  bis  in  das  zweite  Jahrzehnt  des  jetzigen  Jahrhunderts. 
Durch  seise  Lage  zwischen  Constantinopel  und  Wien,  und  als  Schlüssel 
des  südöstlichen  Ungarn  ist  es  von  hoher  strategischer  Wichtigkeit, 
und  so  war  es  namentlich  in  den  Kriegen  Oesterreichs  mit  der  Pforte 
wiederholt  der  Zankapfel  der  streitenden  Parteien.  Die  Stadt,  im  Alter- 
thume  Taurunum  genannt,  war  im  Besitz  der  byzantinischen  Kaiser, 
bis  sie  1073  vom  ungarischen  König  Salomo  erobert  wurde.  Später  bald 
in  den  Händen  der  Byzantiner  oder  Bulgaren,  bald  in  denen  der  Serben, 
wurde  sie  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  von  den  letzteren  an  den 
Kaiser  Sigismund  verkauft.  Lange  Zeit  versuchten  die  Türken  ihre 
damals  noch  ungeschwächte  Kraft  an  ihr,  ohne  sie  nehmen  zu  können. 
Sie  wurde  1442  von  ihnen  mit  grossem  Aufwand  von  Zeit  und  Kosten 
vergeblich  belagert,  1456,  wo  Hunyad  und  Capistrano  die  Vertheidigung 
leiteten,  umsonst  mit  wüthender  Tapferkeit  gestürmt.  Erst  1521  wurde 
sie  von  Solinian  dem  Grossen  eingenommen.  Vom  Jahre  1688  an,  wo 
sich  der  Kurfürst  von  Bayern  mit  stürmender  Hand  in  ihren  Besitz 
setzte  und  sämmtliche  Einwohner  niederhauen  liess,  wechselte  sie  wie- 
derholt den  Herrn.  Bald  wehte  die  schwarzgelbe  Fahne,  bald  blitzte 
der  Halbmond  über  ihren  Wällen.  1690  schon  nahmen  die  Türken  nach 
einer  Belagerung,  bei  welcher  die  Besatzung  zuletzt  bis  auf  500  Mann 
geschmolzen  war,  die  Stadt  wieder  ein.  1693  wurde  sie  vom  Herzog 
von  Cleve  ohne  Erfolg  belagert.  1717  fand  die  Uebergabe  statt,  welche 
das  bekannte  Lied  vom  Prinz  Eugen  feiert.  Der  Prinz  wurde,  als  er 
die  Stadt  belagerte,  von  150,000  Türken  eingeschlossen,  er  wendete 
sich  zuerst  geyen  diese  Entsatzarmee  und  sehlug  sie  in  die  Flucht, 
worauf  die  Festung  ohne  Verzug  capitulirte.  Dieselbe  verblieb  indess 
nur  wenige  Jahre  in  Oesterreichs  Besitz.  Schon  1739  wurde  sie,  ohne 
dass  die  Garnison  Widerstand  versucht  hätte,  den  heranziehenden 
Türken  wieder  überlassen,  und  der  bald  nachher  abgeschlossene  Friede 
bestätigte  die  Wiedereinsetzung  der  Pforte  in  den  vorigen  Besitzstand ; 
indess  mussten  die  Festungswerke  vorher  geschleift  werden.  1789  von 
Laudon  abermals  erobert,  wurde  sie  zwei  Jahre  darauf  dem  Sultan 
zurückgegeben.  Dann  +iel  sie  in  die  Hände  der  Serben.  Als  diese  unter- 
worfen wurden,  erhielt  sie  die  Pforte  zurück.  Als  1804  der  Schwarze 
Georg  an  der  Spitze  der  Serben  das  Joch  der  Dahis  abzuschütteln  ver- 
suchte, diese  in  Belgrad  einschloss  und  1807  durch  Capitulation  in 
den  Besitz  der  Stadt  gelangte,  wurde  hierher  die  oberste  Behörde  des 


und  den  Donauf ürstenthümern.  293 

befreiten  Landes,  der  Senat,  verlegt,  bei  welchem  Russland  einen  Ge- 
sandten hielt.  Da  indess  Serbien  im  Jahre  1812  des  russischen  Schutzes 
verlustig  ging,  rausste  auch  Belgrad  nach  vielen  äusserst  blutigen  Auf- 
tritten (bei  einer  Gelegenheit  wurden  vor  den  Thoren  Belgrad's  150 
Serben  enthauptet  und  37  andere,  darunter  ein  Igumenos  oder  Abt, 
durch  Pföhlung  hingerichtet)  sich  wieder  der  türkischen  Ueberraacht 
ergeben,  und  selbst  als  Serbien  endlich  seine  jetzige,  nur  wenig  be- 
schränkte Selbstständigkeit  erkämpft  hatte,  verblieb  der  Pforte  wenig- 
stens das  Recht,  die  Festung  mit  3000  Mann  besetzt  zu  halten.  Im 
Jahre  1867  verlor  sie  auch  dieses  und  die  Serben  sind  jetzt  die  allei- 
nigen Herren  von  Belgrad.  Mit  der  türkischen  Festungsgarnison  zog 
auch  die  Bevölkerung  der  Türkenstadt  fort,  ihre  Häuser  liegen  in 
Ruinen  oder  sind  von  zerlumptem  Gesindel  bewohnt.  Die  Serben  sind 
darüber  natürlich  ausserordentlich  erfreut,  aber  Belgrad  hat  mit  der 
Auswanderung  der  Türken  viel  von  seinem  früheren  interessanten  Cha- 
rakter verloren ;  es  ist  nicht  mehr  wie  früher  die  Schwelle  des  Orients. 

^  2.  Von  Const«ntinopel  über  Schumla  und  RuBtschuk  nach  Bnkaresti 

Ueber  den  ersten  Theil  dieser  Route  bis  Burgas  vergleiche  Route 
1.  In  Burgas  zweigt  die  directe  Strasse  nach  Schumla  und  Bukarest 
von  der  nach  Adrianopel  und  Belgrad  ab.  Zu  der  ganzen  Reise  von 
Constantinopel  nach  Bukarest  bedarf  man,  wofern  man  nicht  in  der 
Weise  der  Couriere  reiten  will,  10  Tage.  Die  Hauptpuncte  sind :  Has- 
selbaleni,  G  Stunden  von  Burgas.  Kirk  Klissi,  2  Stunden  weiter,  Her- 
celea  4.  Kannara  4,  Fachi  4,  Bejmiliko  5,  Kornabad  5,  Dobralle  4, 
Dschali  Kawak  4,  Dagroela  4,  Schumla  4,  Tatscheköi  3.  Rasgrad  6, 
Torlak  5,  Rustschuk  7,  Giurgewo,  wohin  man  auf  der  Donaufähre  in 
einer  halben  Stunde  gelangt,  Tiza  3,  Kapoka,  6,  endlich  Bukarest  4 
Stunden  weiter. 

Hasselbalem  liegt  ein  Stück  seitwärts  von  der  grossen  Strasse; 
von  hier  reitet  man  in  15  Stunden  nach  dem  Hafen  Ineada  am  schwar- 
zen Meer. 

Kirk  Klissi,  d.  i.  die  vierzig  Kirchen,  ist  eine  ziemlich  aus- 
gedehnte, von  15  bis  16,000  Menschen  bewohnte  sehr  hässliche  Stadt 
am  Fusse  des  Balkan,  berühmt  durch  ein  Gebäck,  das  aus  eingesot- 
tenem Traubensaft  mit  Nusskernen  besteht.  Die  Bewohner,  welche 
Handel  mit  Wein  und  Korn  treiben,  sind  Bulgaren,  Türken  und  Griechen. 
Der  Weg  zwischen  den  nächsten  drei  Orten  führt  durch  gebirgige,  gut 
bawaldete  Gegenden.  Bejiniliko,  ein  ziemlich  elendes  Dorf,  steht  im 
Rtif,  besonders  schöne  Frauen  zu  haben.  Kamabad  ist  ein  Städtchen, 
das  mit  seinen  Minarets  recht  freundlich  aussieht  und  etwa  200  Häuser 
hat.  Die  Gegend  ringsum  ist  gut  angebaut  Von  hier  führt  die  Strasse 
bald  wieder  über  Berge,  um  in  der  Nähe  von  DobraUe,  welches  etwas 
vom  Wege  abliegt,  wieder  in  die  p]bene  hinabzusteigen.  Ein  Stück 
weiter  betritt  man  den  Bogass  oder  den  Engpass  des  Balkan,  der  aber 
durchaus  nichts  Grossartiges   und   Romantisches,    weder   Felsen,  noch 


294  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

eine  besondere  Höhe  hat,  sondern  einfach  ein  bewaldeter  Einschnitt 
zwischen  ebenfalls  bewaldeten  Bergen  ist,  in  dessen  Mitte  man  den 
rasch  dahinströmenden  Kamdschi  Sa  zu  überschreiten  hat.  Dschali 
Kawak  ist  ein  grosses  zerstreut  liegendes  Dorf,  nicht  fern  vom  Passe 
an  dessen  Fuss.  Weiterhin  wird  das  Gebirge  wilder  und  die  Strasse 
gewährt  mehre  schöne  Ausblicke.  Bei  Dragorla,  einem  Bulgarendorfe, 
findet  man  das  Land  wohl  angebaut,  die  Ebene  mit  Getreide  bestellt, 
die  Berge  mit  Weinpflanzungen  bedeckt  bis  hinauf  zu  den  Gipfeln. 
Kurz  vor  Schumla  überschreitet  die  Strasse  nochmals  den  Kamdschi  Su. 
Schumla  oder  Schumna,  eine  der  stärksten  Festungen  der 
Türkei,  ist  eine  Stadt  von  etwa  40,000  Einwohnern.  Es  ist  14  deutsche 
Meilen  von  Silistria  und  12  von  Varna  entfernt,  und  liegt  am  östlichen 
Fusse  einer  Gruppe  von  Hügeln,  die  durch  den  Kamdschik  vom  Balkan 
getrennt  sind,  in  einem  hufeisenförmigen  Thale,  dessen  Seiten  steil  und 
zum  Theil  felsig  sind.  Der  Gipfel  dieser  Höhen  ist  ein  weites  Tafel- 
land, bedeckt  mit  Gebüsch.  Die  Stadt  liegt  grossentheils  unten  in  der 
Tiefe,  während  die  Pestungswerke  die  Höhen  krönen.  Die  Gassen  der 
Stadt  laufen  bergab  und  bilden  lange  Keihen  von  staffeiförmigen  Häu- 
sermassen, in  deren  Mitte  sich  eine  mehrfach  überbrückte  Schlucht 
hinzieht.  Eine  Anzahl  von  Minarets  und  die  im  byzantinischen  Style 
erbaute  Hauptmoschee  geben  der  Stadt  ein  stattliches  Ansehen,  und 
einige  auf  Hügeln,  welche  von  Gärten  umgeben  sind,  angelegte  grosse 
Gebäude  verleihen  der  Gegend  einen  besonderen  ßeiz.  Die  Einwohner 
sind  der  Mehrzahl  nach  Türken,  die  sich  mit  Wein-  und  Getreidebau, 
Seidenraupenzucht,  Gerberei  und  der  Verfertigung  von  Kupfer-  und 
Blechwaaren  nähren.  Bei  Schumla  vereinigen  sich  die  Strassen,  welche 
von  den  Donaufestungen  nach  Kumelien  führen.  Es  ist  daher  ein  stra- 
tegisch sehr  wichtiger  Punct  und  bildete  in  allen  Kriegen  der  Pforte 
mit  Kussland  das  Hauptbollwerk  für  erstere.  Es  enthält  ein  Arsenal, 
ein  grosses  Militärhospital,  mehrere  Casernen,  eine  hoch  gelegene,  mit 
hohen  und  dicken  Mauern  versehene  Citadelle  und  ist  ausserdem  1853 
noch  durch  eine  Eeihe  von  Forts  und  Schanzwerken  verstärkt  worden. 
Ausserdem  aber  befindet  sich  in  der  Nähe  ein  für  50,000  Mann  berech- 
netes verschanztes  Lager,  welches  ebenfalls  eine  sehr  feste  Lage  hat. 
Der  Ort  konrnit  schon  im  9.  Jahrhundert  vor.  811  wurde  Schumla, 
damals  der  Simeonshügel  genannt ,  vom  byzantinischen  Kaiser  Niko- 
phorus  verbrannt,  1387  nahmen  es  die  Türken  &m.  Zur  starken  Festung 
wurde  es  erst  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts,  und  zwar  durch 
den  Grossvezier  Hassan  Pascha,  dessen  Grabmal  sich  hier  befindet.  In 
allen  folgenden  Kriegen  mit  Kussland  war  es  das  Hauptquartier  der 
Grossveziere.  Drei  Mal  wurden  die  russischen  Heere  von  diesem  Boll- 
werk aufgehalten,  1774  unter  Kumjanzoff,  1810  unter  Kaminskoi,  1828 
unter  Wittgenstein.  1829  schlug  zwei  Meilen  östlich  von  hier,  beim 
Dorfe  Kulewtscha  der  russische  General  Diebitsch  den  Grossvezier 
Keschid.  Zu  erwähnen  ist  noch  das  unweit  Schumla's  am  Fiüsschen 
Parawadi  gelegene  Dorf  Marda.  Dasselbe  hatte  früher  nur  eine  weib- 
liche Bevölkerung,  und  zwar  war  es  der  Zufluchtsort  aller  wegen  un- 


und  den  Donaufürstenthümern.  295 

getreuen  Verhaltens  von  ihren  Ehemännern  verfolgten  Türkinnen.  1829 
lebten  hier  gegen  2000  Mohammedanerinnen,  die  unverschleiert  gingen, 
keine  alten  und  hässlichen  Weiber  unter  sich  duldeten  und  alle  Eei- 
senden  gastfreundlich  und  in  jeder  Beziehung  gefällig  aufnahmen. 

Tadscheköi  ist  ein  türkisches  Dorf,  Basgrad  eine  Stadt  von 
15  bis  16,000  Einwohnern,  die  grösstentheils  Mohammedaner  sind.  In 
der  Nachbarschaft  begegnet  man  vielen  alten  Grabhügeln,  die  verrauth- 
lich  Denkmäler  einer  Schlacht  sind.  Man  kann  dabei  an  die  Expedition 
des  Darius  Hystapsis  denken,  der  auf  seinem  Marsche  gegen  die  Skythen, 
kurz  bevor  er  den  Ister  erreichte,  mit  einem  Getenheer  zusammenstiess, 
oder  auch  an  Alexander  den  Grossen,  der  in  diesen  Gegenden  mit  den 
Gelten  kämpfte. 

Torlak  ist  ein  ziemlich  grosses  Dorf  in   gut   bebauter  Gegend. 

Rustschuk,  auf  den  südlichen  Ufer  der  Donau  gelegen  und 
mit  seinen  30,000  Einwohnern  eine  der  grössten  Städte  Bulgariens,  bietet 
mit  seinen  zahlreichen  Moscheen  und  Minarets  und  seinen  hübschen 
Obstgärten  von  weitem  einen  sehr  anmuthigen  Anblick.  Die  Donau  ist 
hier  sehr  breit,  aber  voll  Untiefen  und  Inselchen,  und  das  gegenüber- 
liegende walachische  Ufer  ist  flach  und  unschön.  Rustschuk  ist  mit 
Wällen  und  einem  Graben  umgeben,  über  welchen  Zugbrücken  führen. 
Merkwürdigkeiten  gibt  es  hier  nicht.  Die  Stadt  treibt  lebhaften  Handel 
mit  Wien,  mit  dem  sie  durch  die  Dampfer  der  Dorauschiifahrts-Ge- 
sellschaft  in  Verbindung  steht.  Hauptausiuhrartikel  sind  Getreide,  Wein 
und  Indigo.  Auch  das  gegenüberliegende  Giurgewo  ist  eine  ziemlich 
regsame  Handelsstadt.  Es  war  ursprünglich  nur  der  befestigte  Brücken- 
kopf von  Eustschuk,  bis  der  Vertrag  von  Adrianopel  die  Pforte  nöthigte, 
seine  Werke  zu  schleifen.  Von  hier  führt  eine  fahrbare  Strasse  nach 
Bukarest,  aber  bei  regnerischem  Wetter  reiset  man  auf  derselben  sehr 
langsam,  da  der  fette  weiche  Schlammboden  die  Räder  tief  einsinken 
lässt.  Die  Ortschaften  Tiza  (wohl  das  alte  Tiasum)  und  Kapoka  sind 
ajmselig  und  unbedeutend,  die  Gegend  flach,  baumlos  und  nichtssagend, 
doch  bemerkt  man  kurz  vor  Bukarest  bei  heiterem  Wetter  in  der  Feme 
die  schneeigen  Gipfel  Siebenbürgens. 

Bukarest  oder  Bukareseht,  d.  i.  die  Freudenstadt,  ist  die 
Hauptstadt  der  Walachei.  An  dem  trüben  Flüsschen  Dumbowitza  in 
der  Ebene  gelegen,  wurde  es  erst  gegen  das  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
zur  Residenz  der  walachischen  Fürsten  erhoben.  Von  den  Gasthöfen 
sind  das  Hotel  de  France  und  das  Hotel  Concordia  zu  empfehlen.  Ein- 
wohner soll  die  Stadt  über  180,000  haben.  Von  den  Anhöhen  im  Süden 
gesehen,  gewährt  dieselbe  einen  grossartigen  Anblick,  aus  dem  Häuser- 
meer erheben  sich  eine  Menge  von  Kirchen  und  Capellen,  die  meist 
mit  hell  schimmernden  Blech  gedeckt  sind;  das  Ganze  umgeben  weit- 
läufige Gärten.  Das  Innere  ist  unschön,  man  geht  durch  enge  krumme 
Strassen,  zwischen  Hütten  und  Palästen  in  weitläufigen  Höfen  hin.  Der 
Schmutz  bei  Regen,  der  Staub  bei  trockener  Witterung  ist  unbeschreib- 
lich. Kirchen  von  einiger  Bedeutung  gibt  es  hier  130,  die  öffentlichen 
Plätze  sind  nicht  der  Rede  werth,  erwähnenswerthe  Monumente,  schön 


296  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

verzierte  Brunnen  gibt  es  eben  so  wenig.  Die  Witterung  ist  unbe- 
ständig, häufig  kommen  im  Sommer  Klimafleber  vor,  die  besonders 
Fremden  gefährlich  werden.  Ein  Theil  der  Strassen  ist  jetzt  gepflastert, 
früher  waren  dieselben  nur  mit  Holzdielen  belegt.  Die  Hauptstrassen 
sind:  Podu  Moyoschoi,  nach  Siebenbürgen,  Podu  Scherban  Woda,  nach 
der  Türkei,  Podu  Tergu  de  Aftare,  nach  der  Moldau,  Podu  Kalitsch, 
nach  der  kleinen  Walachei  hinführend,  femer  die  Podu  Mihaiwoda,  die 
Podu  de  Pemunt,  die  Ulitza  Tergowesti  und  die  Ulitza  Dobrestschi. 
Mauern  oder  Wälle  gibt  es  nicht,  Thore  ebensowenig,  sondern  nur 
Barrieren,  an  denen  die  Pässe  abgegeben  werden.  Von  den  Kirchen  ist 
zunächst  die  auf  einem  Hügel  gelegene  Metropolitankirche  zu  erwähnen, 
die  sich  aber  weder  durch  hohes  Alter,  noch  durch  Schönheit  aus- 
zeichnet. Unter  den  übrigen  verdient  die  Curte  Wekie  Erwähnung,  in 
ihr,  die  1383  von  Mirtsa  Bessaraba  erbaut  worden,  pflegte  man  bis  auf 
die  neueste  Zeit  die  Hospodare  zu  salben.  Ausser  diesen  beiden  ist 
keine  des  Besuches  werth;  doch  muss  bemerkt  werden,  dass  darunter 
2  protestantische,  1  katholische  und  eine  armenische  sind.  Die  schönsten 
Privatgebäude  sind  der  Brankowan'sche  Palast,  die  Paläste  der  Familie 
Ghika,  der  Palast  Stirbey  u.  a.  An  Caff"eehäusern,  Conditoreien,  Anstalten, 
wo  Bälle  stattfinden,  Clubs  und  Casino's  fehlt  es  nicht;  unter  den 
geschlossenen  Gesellschaften  ist  auch  eine  deutsche.  Deutsche  wohnen 
in  der  Zahl  von  etwa  5000  hier;  sie  sind  grossentheils  Handwerker, 
und  einige  haben  es  zu  grossem  Wohlstand  gebracht.  Ein  Volksbelu- 
stigungsort ist  die  Baumwiese.  Auch  die  Thailwiese  von  Philaret 
wird  viel  besucht.  Interessant  sind  die  Corsofahrten  vor  den  Thoren, 
wo  man  oft  Hunderten  eleganter  Equipagen  mit  Damen  im  Pariser 
Putz  begegnet.  Man  rechnet,  dass  Bukarest  an  10,000  Privatequipagen 
und  gegen  40,000  Luxuspferde  besitzt.  Fiaker  sind  ebenfalls  zahlreich 
vorhanden,  und  pflegt  man  für  die  Stunde  gewöhnlich  zwei  Zwanziger 
zu  zahlen.  Sehenswerth  ist  die  archäologische  Sammlung  im  Collegiura 
St.  Saba,  wo  sich  römische  Sarkophage,  dacische  Münzen  und  mehre 
grosse  Goldgefässe  befinden,  welche  in  der  Gegrend  von  Buseo  ausge- 
graben worden  sind.  Von  ausländischen  Behörden  gibt  es  hier  einen 
russischen,  einen  englischen,  einen  französischen,  einen  norddeutschen  und 
einen  österreichischen  Generalconsul,  Consuln  für  Sachsen,  Belgien,  Hol- 
land und  Griechenland.  Industrielle  Etablissements  von  Bedeutung  gibt  es 
in  Bukarest  nicht.  Dagegen  treibt  die  Stadt  jeinen  sehr  bedeutenden 
Consumtionshandel.  Man  findet  hier  alle  Bedürfnisse  des  Luxus  in 
reichster  Auswahl,  wogegen  in  den  übrigen  Städten  des  Landes  bei- 
nahe nichts  zu  hajjen  ist.  In  den  eleganteren  Läden  trifft  man  alle 
Modeartikel,  Schnitt-,  Galanterie-  und  Bijouteriewaaren  deutscher  und 
französischer  Fabriken.  In  den  Buden  der  Griechen  und  Armenier  sind 
orientalische  Teppiche,  öhawls.  Specereien,  türkischer  Tabak  und  andere 
Erzeugnisse  des  Südostens  vereinigt,  in  den  russischen  Buden  oder 
Marketanien  Juchten,  russisches  Porzellan,  Messing,  Eisen  und  Thee, 
in  den  sogenannten  Kronstädter  Gewölben  oder  Brassowenien  Holz- 
waaren,  Rosshaararbeiten,  Wollen-  und  Leinenstoffe.  Unter  den  Buch- 


und  den  Donaufürstenthümern.  297 

handlungen  ist  die  Ulrichsche  zu  empfehlen,  die  in  deutscher  und 
französischer  Literatur  gut  assortirt  ist.  Das  Theater  in  Bukarest 
ist  ziemlich  gut.  Man  führt  hier  französische  Vaudevilles,  bisweilen 
auch  deutsche  und  italienische  Opern ,  mitunter  selbst  deutsche  Schau- 
spiele auf. 

Puncte,  die  sich  zu  Ausflügen  eignen,  gibt  es  in  der  Nachbar- 
schaft von  Bukarest  mehre,  z.  B.  Baniessa,  eine  halbe  Stunde  von  der 
Stadt  entfernt  und  besonders  am  1.  Mai  stark  besucht,  welcher  Tag 
von  den  Bekennern  der  griechischen  Kirche  sehr  gefeiert  wird,  Che- 
restren  mit  einer  guten  Quelle,  Floreaska,  anrauthig  bei  einem  Teich 
gelegen,  Colentina  mit  einem  schönen  Schlosse  und  einer  geschmack- 
vollen reich  geschmückten  Kirche,  in  welcher  sich  das  Grabmal  des 
Fürsten  Gregor  Ghika  befindet ;  ferner  Paschkan  mit  einem  Palast  und 
einem  anmuthigen  Garten,  Dudeschti  mit  einem  grossen  Schlaclithaus, 
endlich  das  Kloster  Penteleimon,  wo  am  27.  August  jedes  Jahres  ein 
grosses  vielbesuchtes  Fest  zu  Ehren  des  Patrons  stattfindet.  Etwas 
weiter  entfernt  sind  die  Mönchsklöster  Esermika  und  Kelderuschan, 
sowie  das  Nonnenkloster  Ziganescht. 

3.  Von'''Bukaxett  nach  Hermannstadt, 

Diese  Tour  erfordert  5  Tage.  Die  Hauptpuncte,  welche  man  dabei 
berührt,  sind  folgende:  Bulentin,  4  Stunden  von  Bukarest,  Florescht, 
ebenfalls  4  St.,  dann  Maronches  3,  Gaiescht  3,  Kirchinhof  3,  Piteschti 
4,  Munichescht  3,  Argisch  3,  Salatroik  5,  Perichan  G,  Kinnin  7,  Laza- 
ret  2,  Rothenthurm  2,  Hermannstadt  4  Stunden  weiter.  Der  Weg  geht 
zuerst  über  die  weite  walachische  Ebene,  dann,  jenseits  Kirchinhof, 
über  die  Dumbowitza,  über  die  eine  Fähre  führt.  Pitef>chti  ist  ein 
wohlhabendes  Dorf  von  etwa  100  Häusern,  wo  man  guten  Wein  bekommt. 
Argisch  ist  eine  sehr  alte  Stadt,  die  schon  in  der  Römerzeit  bestanden 
und  damals  Ardiskus  geheissen  haben  soll.  Der  Begründer  des  Wala- 
chenreiches,  Badu  Negru,  welcher  sich  zuerst  in  Kimpulung  niederge- 
lassen, verlegte  den  Sitz  der  Regierung  hieher  und  nannte  die  Stadt 
Gurte  d'Argik.  Er  gründete  hier  das  schönste  Kloster  und  die  merk- 
würdigste Kirche  der  Walachei,  welche  von  seinen  Nachfolgern  aussen 
durchaus  mit  Verzierungen  in  erhabener  Arbeit  bedeckt  wurde.  Der 
Anblick  der  Stadt  mit  ihrer  Kirche,  den  waldigen  Bergen  dahinter, 
und  den  noch  höheren  Schneegipfeln  der  Karpathenkette  hinter  diesen, 
erinnert  an  Landschaften  bei  Innsbruck.  Die  Häuser  sind  klein,  sehr 
reinlich  gehalten  und  sämmtlich  aus  Holz.  Zu  erwähnen  ist.  dass  man 
hier  viele  mit  Kröpfen  behaftete  Personen  antrifft.  Man  bezeichnet 
Quellen  in  der  Nachbarschaft,  die  dieses  Uebel  heilen.  In  Argisch 
beginnt  die  Strasse  zu  steigen,  und  bald  befindet  man  sich  mitten  im 
wilden  Gebirge.  Salatroik  ist  ein  kleines  ärmliches  Dorf  mit  reinlich 
gehaltenen  Holzhäuschen.  Der  Weg  wird  hier  noch  wilder,  die  Berge 
bedeckt  dichter  Wald.  Bei  Perichan  führt  die  Strasse  durch  ein  Defile 
mit  steilen  zerklüfteten   Wänden.  Kurz  bevor  man  Kinnin,  die  letzte 


298  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

Stadt  in  der  Walachei  erreicht,  passirt  man  einen  reissenden  Bergstrom. 
Ein  Stück  weiter  bildet  ein  Bach,  der  durch  eine  Kluft  fiiesst,  die 
Grenze  zwischen  Oesterreich  und  der  Walachei.  Nachdem  man  den- 
selben, der  sich  in  die  Aluta  ergiesst,  überschritten  hat,  steigt  man 
auf  sehr  gefahrvollem  Pfade,  der  an  manchen  Stellen  nur  aus  einigen 
Planken  über  einem  tiefen  Abgrund  besteht,  nach  der  Stelle  hinauf, 
wo  das  Contumazhaus  steht.  Die  Landschaft  ist  hier  ausserordentlich 
grossartig,  schroffe  Felswände,  mächtige  Waldbäume,  der  in  der  Tiefe 
dahinrauschende  Fluss  vereinigen  sich  zu  einem  Bilde,  wie  man  sie 
nicht  häufig  triflt.  Im  Contumazhaus,  wo  man  seinen  Pass  visiren  und 
das  Gepäck  untersuchen  zu  lassen  hat,  kann  man  Nachtherberge  be- 
kommen. Contumaz  wird  nicht  mehr  gehalten.  Der  weitere  Weg  gehört 
nicht  in  dieses  Handbuch  für  die  Türkei. 

4.  Von  Belgrad  die  Donau  hinab  nach  ConstantinopeL 

Diese  Tour  wurde  schon  bei  der  Donaureise  von  Wien  nach 
Constantinopel  eingehend  beschrieben.  Man  beliebe  darüber  Seite  19 
und  folgende  das  Nähere  einzusehen. 

5.  Von  Widdin  über  Timowa  und  Sohumla  nach  Vama. 

Zu  dieser  Tour  bedarf  man  mindestens  eine  Woche.  Die  von 
ihr  berührten  Hauptpuncte  sind:  Aktschar,  5  Stunden  von  Widdin, 
Dschibra  11,  Ostrowa  12,  Glawa  4,  Plewna  5,  Loftscha  6,  Selwi  7, 
Timowa  5,  Osmanbasar  14,  Eski  Dschuma  4,  Schumla  5,  Prawadi  6, 
Varna  5  Stunden  weiter  Die  inneren  Districte  Bulgariens  sind  eine 
grosse,  wellenförmige  Ebene,  die  gut  angebaut  und  zum  Theil  bewaldet 
ist.  Die  grösseren  Dörfer  bieten  erträgliche  Nachtherberge,  wenn  man 
sich  an  die  türkischen  Behörden  wendet. 

Plewna  ist  die  erste  Stadt  auf  dieser  Strasse,  welche,  bevor  sie 
hierher  gelangt,  die  Flüsse  Aktschar,  Smorden,  Lom,  Dschibra,  Ugu- 
stul,  Sidul,  Insikru,  Isker  und  Wid  entweder  vermittelst  Furthen  oder 
mittelst  Fähren  überschreitet.  Plewna  besitzt  eine  Bevölkerung  von 
etwa  20,000  Seelen,  meist  Bulgaren,  und  treibt  ziemlich  lebhaften 
Binnenhandel,  auch  mancherlei  Gewerbe.  Zugleich  war  es  früher  eine 
der  Hauptpflanzschulen  politischer  Intriguen , ,  indem  Eussland  hier 
mehre  Schulen  angelegt  hatte,  in  welchen  ausser  manchen  nützlichen 
Dingen  auch  fleissig  die  Lehren  des  Panslavismus  vorgetragen  wurden. 
Der  hier  befindliche  Khan  ist  gut.  Nachdem  die  Strasse  eine  beträcht- 
liche Höhe  erklimmt  hat,  erreicht  sie  einen  Punct,  wo  man  eine  weite 
Aussicht  auf  das  breite  Thal  der  Donau  einerseits,  auf  die  waldbe- 
wachsenen Höhen  des  Balkan  andrerseits  geniesst.  Indem  sie  dann 
wieder  in  eine  kleine  Ebene  hinabsteigt,  bringt  sie  den  ßeisenden  nach 
Loftscha.  Diese  Stadt,  welche  gegen  15,000  Einwohner  hat,  von  denen 
nur  der  zehnte  Theil  aus  Christen  besteht,  ist  der  Herd  der  musel- 
männischen Opposition   gegen   die  Bestrebungen  der  mit  dem  ortho- 


und  den  Donaufilrstenthümern.  299 

doxen  griechischen  Christenthum  verbundenen  russischen  Propaganda. 
Nicht  weniger  als  neun  Moscheen  verschönern  mit  ihren  Minarets  und 
ihren  Kuppeln  die  Stadt. 

Tirnowa  kann  auf  zwei  fast  gleich  langen  Wegen  erreicht  werden, 
von  denen  der  eine  über  Selvi  führt,  während  der  andere  über  Kakrina 
und  längs  der  Eusitza  hingeht,  welcher  Pluss  bei  Munia  durchwatet 
werden  muss.  Die  letztere  ßoute  geht  über  mehre  unbequeme  Berge 
und  soll  bisweilen  unsicher  sein.  Tirnowa  ist,  obwohl  es  nicht  mehr 
als  15,000  Einwohner  hat,  wegen  seiner  Lage  im  Mittelpunct  des  Landes 
thatsächlich  die  Hauptstadt  der  Bulgarei.  Von  den  Einwohnern  gehört 
etwa  die  Hälfte  dem  Islam  an,  nach  andern  Berichten  überwiegt  das 
christliche  Element  bedeutend.  Die  Stadt,  über  welcher  die  Ruinen 
des  Schlosses  liegen,  in  welchem  die  alten  Bulgarenkönige  residirten, 
wird  vom  Yantrafluss  bespült. 

Es  ist  hier  viel  Handelsverkehr,  und  man  findet  mehre  gute 
Khans  und  Kaffeehäuser. 

Die  Strasse  folgt  nun  dem  Thal  des  Saltar  durch  eine  Berggegend, 
die  nicht  ohne  malerische  Puncto  ist,  passirt  Osmanbasar,  wo  man 
nur  einen  sehr  schlechten,  für  Maulthiertreiber  passenden  Khan  trifft, 
und  geht  dann  hinab  an  den  Kirkgetschi,  d.  i.  den  vierzig  Purthen, 
eine  Strecke  des  Flusses,  die  deshalb  so  heisst,  weil  hier  das  Wasser 
oft  durchwatet  werden  muss. 

Eski  Dschuma  ist  ohne  irgend  welches  Interesse.  Schunüa  ist 
in  Route  2  geschildert.  Prawadi  liegt  in  einem  engen,  von  hohen 
Wänden  eingeschlossenen  Thal.  Quer  über  das  Thal  ist  ein  Wall  auf- 
geworfen, der  an  beiden  Seiten  mit  Batterien  endigt,  welche  das  Ter- 
rain vor  demselben  beherrschen.  Ferner  sind  Schanzen  an  den  Seiten 
des  Thaies  und  auf  den  Gipfeln  der  Höhen  angelegt,  und  natürlich 
fehlt  es  auch  an  Blockhäusern  nicht,  da  die  Türken  diese  bei  ihren 
Befestigungen  sehr  lieben.  Die  Stadt  selbst  wurde  1829  von  den  Russen 
zerstört  und  ist  erst  jetzt  theilweise  wieder  aufgebaut  worden.  —  Ueber 
Varna  vergl.  Route   4. 

6.   Von  Vaxna  über  den  Balkan  nach  Constantinopel. 

Mehre  steile  Gebirgspfade  führen  über  den  Arm  des  Balkan, 
der  gegen  das  Schwarze  Meer  hin  mit  dem  Vorgebirg  Galata  Burnu 
endigt.  In  der  Nähe  des  Dorfes  Podkaschi  wird  der  zwischen  Sümpfen 
hinschleichende  Fluss  Kamdschik,  der  eine  Breite  von  etwa  hundert 
Fuss  hat,  vermittelst  einer  fliegenden  Brücke  überschritten.  In  der 
Nähe  von  Derwischjowan  finden  sich  Reste  türkischer  Befestigungen. 
Hier  trennen  sich  zwei  Pfade  nach  Burgas ,  die  beide  über  das  östliche 
Ende  des  Balkan  und  durch  Gebüsch  führen,  welches  nur,  wo  der  Weg 
hindurchführt,  durchdringlich  ist.  Man  durchschneidet  das  tiefe  Thal 
Kossakdere  und  einige  kleinere  Bodensenkungen,  die  nach  Regenwetter 
nur  mit  grosser  Schwierigkeit  zu  passiren  sind  und  wo  man  in  dem 
dichten  Walde   fortwährend   Einer  hinter   dem    Andern   reiten  muss. 


300  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

Endlich  gelangt  man  nach  Burgas.  Von  hier  fuhrt  eine  Seitenstrasse 
nordwestlich  nach  Aülos,  einer  Stadt,  die  nicht  fern  von  merkwürdigen 
warmen  Quellen  liegt  und  einen  wichtigen  militärischen  Posten  an  der 
südlichen  Basis  des  Balkan  bildet,  wo  die  Strassen  von  Varna  und 
Schumla  debouchiren. 

7.  Von  Widdin  über  Krajowa  und  Bukarest  nach  ßalatz. 

Die  Tour  lässt  sich  bequem  in  fünf  Tagen  machen,  und  die 
Hauptpuncte  sind  folgende:  Kalafat  '/^  Stunde  von  Widdin,  Krajowa 
10,  Slatina  5,  Tekutscii  9,  Bukarest  10,  Urtsitscheni  7,  Ibraila  9,  Ga- 
latz 2  Stunden  weiter.  Die  Tour  wird  nicht  zu  Pferde,  sondern  gleich 
der  von  Giurgewo  nach  Bukarest  mit  der  Fahrpost  gemacht,  die  aller- 
dings zu  den  primitivsten  F]inrichtungen  der  Welt  gehört  und  sehr 
unbequem  ist,  aber  sich  durch  rasches  Fahren  und  im  Verhältniss  zur 
Zahl  der  Pferde  wohlfeile  Fahrpreise  auszeichnet.  Man  zahlt  für  die 
Meile  bei  vier  Pferden,  die  bei  trockenem  Wetter  das  gewöhnliche 
Vorspann  sind,  12  Silbergroscheu,  und  legt  bei  trockenen  Wegen  in 
der  Stunde  fast  2  Meilen  zurück.  Die  Poststationen  sind  fast  ohne 
Ausnahme  elende  Oertchen.  in  denen  nichts  Geniessbares  zu  haben  ist. 
wesshalb  der  Reisende  wohlthut,  sich  beim  Aufbruch  nach  Bedürfniss 
mit  Wein  und  kalter  Küche  zu  versehen,  sowie  Thee  und  gemahlenen 
Kaflfee  mit  sich  zu  führen.  In  den  Städten  gibt  es  (meist  von  Juden 
gehaltene  und  deshalb  nicht  allzu  reinliche  und  ordentliche)  Gasthäuser, 
wo  ein  Bett  zu  haben  ist,  und  so  sollte  man  nur  in  diesen  übernachten. 

Krajoica,  nicht  weit  vom  Fluss  Schiul  gelegen  und  von  etwa 
22,000  Menschen  bewohnt,  ist  die  Hauptstadt  der  sogenannten  kleinen 
Walachei.  Es  ist,  da  viele  Bojaren  hier  wohnen,  eine  ziemlich  wohl- 
habende Stadt,  aber  eben  so  unordentlich  gebaut,  so  schlecht  gepflastert 
und  so  schmutzig,  wie  die  übrigen  Orte  dieser  Gegenden.  Das  hiesige 
Gymnasium  ist  für  eine  Avalachische  Gelehrtenschule  recht  gut.  Der 
Bojar  Bibesko  hat  vor  der  Stadt  einen  geschmackvollen  Park  angelegt, 
welcher  dem  Publicum  geöffnet  ist.  Alterthümer  findet  man  hier  nicht, 
auch  sonst  keine  Sehenswürdigkeiten.  Dagegen  begegnet  man  nicht 
fern  von  hier  bei  Karakol  einigen  Eesten  aus  altrömischer  Zeit.  Das 
Hotel  in  Krajowa  ist  ziemlich  gut.  Indem  man  mit  seinem  sprungfe- 
derlosen Postfuhrwerk  weiterpoltert  und  in  Mirda  die  Pferde  wechselt, 
erscheint  endlich  auf  der  Fläche  Slatina,  eine  Stadt,  die  recht  hübsch 
auf  den  Ufern  der  Aluta  liegt,  über  welche  hier  eine  hölzerne  Brücke 
führt.  Die  Stadt  soll  10,000  Einwohner  haben.  Die  übrigen  Stationen 
bis  Bukarest  und  von  dort  bis  Galatz  liegen  alle  auf  derselben  lang- 
weiligen Ebene,  wie  Krajowa.  Kein  Baum,  nur  dann  und  wann  nie- 
driges Gestrüpp  begegnet  dem  Auge. 

8.  Von  Tumul  Severin  nach  Bukarest. 

Diese  Tour  kann  in  sechs  Tagen  gemacht  werden,  und  wenn  der 
Reisende  keine  grosse  Eile  hat,  so  würde  er  diesen  Weg  nach  Buka- 


und  den  Donaufürstenthümern. 


301 


rest  weit  interessanter,  als  den  zuletzt  beschriebenen  finden,  da  er  auf 
douiselbon  die  Karpathenklöster  und  den  schönsten  Theil  der  Walachei 
berührt.  Die  Hauptpuncte,  welche  die  Strasse  berührt,  sind  folgende: 
Czernetz  1  Stunde  von  Turnul  Severin,  Glogowa  3,  Tismana  2,  Tir- 
gudschilu  6,  Polowratz  5,  Horezul  2,  Bistritza  1,  Monastir  Diutr'un 
leiuu  2,  Oknitza  2,  Eimnik  Walcea  1,  Argisch  6,  Kimpulung  5,  Ter- 
gowist  G,  Piteschti  8,  Gaeschti  ü,  Bukarest  8  Stunden  weiter. 

Czernetz  ist  ein  volkreiches  Dorf,  das  in  einer  Bodensenkung 
liegt  und  Zeichen  von  Wohlstand  hat.  Von  hier  bis  Tismana  ist  das 
Land  fast  ein  ununterbrochenes  Feld  von  Kukurutz,  bis  der  Boden  sich 
endlich  zu  jener  Bergkette  erhebt,  von  welcher  jeder  Pass  mit  Klöstern 
besetzt  ist.  Diese  Klöster  wurden  jedenfalls  mit  der  Absicht  hier  an- 
gelegt, ausser  religiösen  Bedürfnissen  auch  militäi'ischen  und  commer- 
ciellen  Zwecken  zu  dienen,  Sie  sind  in  alter  Zeit  zugleich  Festungen 
und  Pilgerherbergen  gewesen,  und  noch  jetzt  sind  die  Mönche  ver- 
pflichtet, Jedermann  drei  Tage  lang  freies  Quartier  nobst  Kost  zu  ge- 
währen. Tismana  ist  ein  sehr  malerisch  in  einem  Waldgrund  der 
Karpathen  gelegenes  Mönchskloster,  welches  älter  als  das  Fürstenthum 
der  Walachei  ist,  denn  der  erste  der  Fürsten,  der  schwarze  Rudolf, 
stellte  CS  im  Jahre  1366  wieder  her.  In  einer  Grotte  zeigt  man  die 
Zelle  des  heiligen  Nikodemus,  eines  Serben,  welcher  hier  vor  fünf 
Jahrhunderten  als  Einsiedler  lebte,  und  dessen  Körper  während  eines 
Krieges  zwischen  den  Serben  und  Walachen  von  seinen  Landsleuten 
nach  Montenegro  gebracht  wurde.  Eine  Quelle  mit  klarem  Wasser  rinnt 
aus  dem  Felsen  hervor  und  stürzt  sich  in  einem  Wasserfall  von  150 
Fuss  Höhe  von  dem  Plateau,  auf  welchem  das  Kloster  steht,  in  einen 
Bach  hinab.  Die  Gebäude  des  Klosters  sind  in  neuester  Zeit,  wo  die 
Hospodare  oft  ihre  Sommerresidenz  hier  aufschlugen,  weiss  angestrichen 
worden,  was  nicht  recht  zu  ihrem  Alter  passt.  AuT  einer  Felsenspitze 
steht  eine  uralte  Capelle,  die  man  mit  dieser  modernisirenden  Schminke 
verschont  hat.  Ueber  dem  Thor  der  Hauptkirche  des  Klosters  sieht 
man  „fleur  de  lis",  ein  Oompliment,  welches  Radu  Negru  seiner  Ge- 
mahlin machte,  die  eine  römisch-katholische  Prinzessin  war.  —  Ueber 
die  grossentheils  aus  Blockhütten  bestehenden  Dörfer  Pustischani  und 
Tergowist  erreicht  man  bei  raschem  Fahren  in  sechs  Stunden  Tirgud- 
schilu,  einen  unbedeutenden  Ort  am  Schiul,  wo  man  im  Hause  des 
Isprawnik  Unterkunft  findet.  Von  da  bis  Horezul  führt  der  Weg  durch 
eine  ungemein  schöne  Gegend.  Ausgedehnte  Wiesen  vom  hellsten  Grün 
wechseln  mit  Baumgruppeu  und  steilen  Hügeln,  die  mit  dichtem  Eichen- 
wald bekleidet  sind.  Der  Oltezzo,  ein  rascher  Gebirgsbach,  der  von  den 
hohen  Bergen  zur  Linken  durch  eine  Felsenschlucht  herabströmt  und 
an  dessen  Mündung  wieder  ein  Kloster  steht,  wird  überschritten,  und 
bald  darauf  erscheint,  umgeben  von  waldigen  Bergen  Horezul,  das 
reichste  dieser  Klöster.  Dasselbe  soll  ein  Jahreseinkommen  von  nicht 
weniger  als  32,000  Thalern  haben  und  wird  nur  von  36  Mönchen 
bewohnt.  Die  Gebäude  sind  stattlicher  Art,  haben  aber  eben  keine 
grossen   Ansprüche   auf  architektonische  Schönheit.    Das  Kloster  ist 


302  Touren  in  der  europäischen  Türkei 


etwa  200  Jahre  alt.  Seine  Lage  in  einer  engen  Schlucht,  die  von 
Klippen  überragt  wird,  ist  sehr  romantisch  und  es  gibt  in  der  Nach- 
barschaft so  viele  schöne  Spaziergänge  und  so  viele  malerische  Puncte, 
dass  ein  Freund  der  Natur  sich  wohl  geneigt  finden  kann,  die  Gast- 
treundschaft  des  Igumenos  auf  zwei  Tage  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Das  eine  Stunde  von  hier  am  Fusse  hoher  Klippen  gelegene 
Bistritza  ist  wieder  ein  solcher  Mönchspalast  im  Gebirge.  Hart  dabei 
strömt  das  Flüsschen  gleiches  Namens,  welches  Gold  und  kleine  Rubinen 
führt,  die  von  Zigeunern  durch  Waschen  gewonnen  werden.  In  der 
Felswand  über  dem  Kloster  befindet  sich  eine  grosse  Höhle,  in  der  in 
Zeiten  der  Noth  gegen  tausend  Menschen  Zuflucht  gefunden  haben 
sollen.  Dieselbe  war  einst  von  einem  Einsiedler  bewohnt,  der  ein  Ge- 
lübde gethan,  nie  mehr  zu  sprechen.  Noch  jetzt  schaut  aus  dem  Ein- 
fang  der  Grotte  ein  Balken  mit  den  Resten  eines  Seiles  heraus,  mit 
essen  Hilfe  der  fromme  Narr  sich  die  Nahrung  heraufzog,  die  ihm 
die  gläubige  Menge  herzutrug.  Während  des  Aufstandes  von  1821  zog 
man  Frauen,  Kinder  und  Kisten  mit  Werthsachen  in  gleicher  Weise 
in  die  Höhle  hinauf.  Auf  der  Höhe  über  der  Grotte  erheben  sich  die 
beiden  kleinen  Klöster  Papusa  und  Arnuta,  nach  denen  man  Ausflüge 
machen  kann,  die  sich  lohnen. 

Indem  man  sich  so  dem  Hochgebirge  der  Karpathen  nähert, 
werden  die  Linien  der  Landschaft  immer  grossartiger.  Wendet  man 
sich  aber  wieder  nach  der  Ebene  zurück,  so  durchstreift  der  Weg  eine 
Zeit  lang  wieder  ein  schön  bewaldetes  Gebiet  von  weniger  wildem  Aus- 
sehen. Derselbe  windet  sich  eine  Weile  an  einem  von  niedrigen  Thal- 
wänden eingeschlossenen  Flusse  hin  und  erreicht  zuletzt  einzelne  Felder. 
An  der  Stelle,  wo  der  Wald  endigt,  trifft  man  das  Nonnenkloster  Diutr' 
un  lemu,  welches  so  genannt  worden  sein  soll,  weil  man  seine  Kirche 
aus  dem  Holz  eines  einzigen  Baumes  erbaut  habe.  Nach  einer  andern 
Version  der  Sage  lebte  liier  ein  Eremit,  der  bald  unter  dem,  bald  unter 
jenem  Baum  im  Walde  schlief,  aber  stets  mit  Tagesanbruch  zu  einer 
grossen  Eiche  zurückkehrte,  in  eines  von  deren  Astlöcher  er  ein  Hei- 
ligenbild gestellt  hatte,  vor  dem  er  den  Tag  über  betete.  Eines  Tages 
nun  zerschmetterte  ein  Gewitter  die  Eiche,  aber  siehe  da,  das  Bild 
blieb  unbeschädigt ;  dieses  Erzeigniss  verbreitete  sich  nah'  und  fern, 
und  , Unsere  liebe  Frau  vom  Baum"  wurde  zu  einem  wunderthätigen 
Bilde;  man  erbaute  für  dasselbe  eine  hölzerne  Capelle  und  gründete 
dabei  ein  Kloster  frommer  Schwestern  zur  Pflege  und  Verehrung  des 
Bildes.  Es  befinden  sich  in  dem  Kloster  jetzt  gegen  70  Nonnen,  von 
denen  indess  die  meisten  den  Eindruck  blosser  Bauemmädchen  machen. 
Okiiitza  ist  ein  grosses  Dorf  in  einem  wilden  Grunde.  Die  Ein- 
wohner sind  meist  Bergleute,  die  in  den  benachbarten  grossen  Salz- 
bergwerken arbeiten.  Letztere  kann  man  ohne  grosse  Beschwerde  be- 
suchen, und  ein  solcher  Besuch  verlohnt  sich  reichlich,  da  diese  Minen 
fast  so  ausgedehnt  wie  die  zu  Wielitzka  sind  und  gleich  diesen  breite 
unterirdische  Gänge  haben,  in  denen  sich  die  Strahlen  der  Lichter  in 
den  Krystallen  der  Wände  brechen.  Bimnik  Walea  ist  ein  recht  an- 


und  den  Donaufdrstenthümern.  303 

sprechendes  Städtchen  mit  800  Einwohnern,  die  Häuser  sind  besser  als 
in  vielen  anderen  Orten  der  Walachei,  die  Strassen  breit  und  ziemlich 
reinlich.  Dieser  Ort  steht  an  der  Stelle  der  altröraischen  Stadt  Komula 
Valis,  in  welcher  die  Oberbehörde  Daciens  unter  Trajan  ihren  Sitz 
hatte.  Trajan  baute  nach  Zerstörung  Sarmatogetusas,  der  Hauptstadt 
des  Königs  Decebalus,  eine  Strasse  von  seiner  Donaubrücke  hierher, 
von  welcher  Strasse  noch  jetzt  einige  Spuren  nicht  fern  von  der  Stadt 
zu  erkennen  sind.  Femer  befindet  sich  hier  eine  seltsame  alte  Kirche, 
die  aus  dem  12.  Jahrhundert  stammen  soll,  wo  Rimnik  Sitz  eines 
Bischofs  war.  Ein  Gasthof  existirt  hier  nicht,  doch  pflegt  der  Isprawnik 
Fremde  zu  beherbergen.  Argisch  ist  bereits  erwähnt,  doch  mag  hier 
noch  hinzugefügt  \yerden,  dass  sich  in  der  Kirche  die  Gebeine  der 
heiligen  Philoftea  befinden,  welche  ein  junges  Mädchen  zu  Tirnowa  in 
Bulgarien,  die  Tochter  eines  Taglöhners,  eines  heftigen  Charakters 
und  grossen  Essers,  war.  Er  hatte  sie  im  Verdacht,  ihm  von  dem 
Essen,  das  sie  ihm  aufs  Feld  zu  bringen  pflegte,  etwas  zu  nehmen, 
und  als  er  sie  darauf  beobachtete,  sah  er,  dass  sie  es  den  Armen  gab. 
Er  schlug  sie  auf  der  Stelle  todt,  die  Kirche  aber  sprach  sie  als  Mär- 
tyrerin der  Barmherzigkeit  heilig.  —  In  der  Nähe  von  Argisch  erschlug 
Michael  der  Tapfere,  einer  der  tüchtigsten  Fürsten  der  Walachei,  drei- 
tausend Tataren,  die  ihm  in's  Land  gefallen  waren. 

Die  Strasse  führt  jetzt  über  parallel  laufende  Reihen  von  Bergen 
und  über  Berggewässer  in  tiefen  Thälern,  die  mit  schönem  Wald  be- 
wachsen sind.  Ehe  man  nach  Kimpulung  gelangt,  passirt  man  die 
beiden  grossen  Dörfer  Domneschti  und  Albeschti,  von  denen  das  erstere 
am  Bache  Donmul,  das  andere  an  einem  andern  Flüsschen  liegt. 

Kimpulung  war  die  erste  Hauptstadt  Radu  Negru's,  und  sein 
Name  ist  eine  Corruption  von  Campus  Longus.  Die  Lage  des  Städt- 
chens ist  sehr  eigenthümlich ,  indem  es  auf  allen  Seiten  von  Hügeln 
eingeschlossen  ist,  während  von  fern  die  gigantischen  Gipfel  der  Kar- 
pathen  herabschauen,  diese  aber  so  nahe  zu  sein  scheinen,  dass  man 
glauben  möchte,  jeden  Baum  auf  ihren  steilen,  zerklüfteten  Flanken 
zählen  zu  können.  Die  Bevölkerung  von  Kimpulung  war,  ehe  die  Hospo- 
dare  ihren  Hofhalt  von  hier  nach  Tergowist  verlegten,  sehr  bedeutend, 
jetzt  ist  der  Ort  nur  noch  ein  Marktflecken  von  etwa  5000  Einwohnern. 
An  die  alte  Bliithezeit  erinnern  mehre  Kirchen  und  verschiedene  grosse 
Gebäude,  von  denen  indess  keines  merkwürdig  ist,  als  das,  welches  zu 
dem  Palast  des  schwarzen  Rudolf  gehörte.  Dasselbe  ist  jetzt  ein 
Kloster,  aber  die  alten  Befestigungen  sammt  dem  Thorthurm  am  Flusse 
sind  noch  wohl  erhalten.  In  der  Kirche  des  Klosters  zeigt  man  ein 
Porträt  des  Gründers  und  einen  Kelch  aus  der  Zeit  des  Fürsten  Mathias 
Bessaraba.  Der  Kelch  ist  von  Gold  und  gilt  als  verehrungswerthe 
Reliquie. 

Ferner  trifft  man  hier  eine  seltsame  kleine  römische  Capelle» 
welche  sich  die  Gemahlin  Rudolfs  für  ihren  eigenen  Gebrauch  erbaute. 
Endlich  befindet  sich  hier  in  der  Nachbarschaft  (eine  Stunde  entfernt) 


304  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

das  sehenswerthe  Nonnenkloster  Nemoest,  der  Sage  nach  auf  Grund 
einer  Aeusserung  Eudolfs  so  benannt,  die  derselbe  that,  als  er  von 
hier  das  Land  überblickte  und  fand,  dass  es  in  Folge  des  Krieges  fast 
unbewohnt  sei.  Es  soll  dies  im  Jahre  1240  stattgefunden  haben.  In 
den  Jahren  vorher  hatten  die  Mongolen  die  Donauebene  verwüstet. 
Der  byzantinische  Kaiser  Theodor  Koranenus  Laskari  schickte  seine 
Gemahlin  au  Ludwig  den  Heiligen,  um  gegen  das  Versprechen  der 
Dornenkrone  Christi,  die  in  seinem  Besitz  war,  Hilfe  zu  erbitten  Es 
kam  ein  Vertrag  zu  Stande,  der  Feind  wurde  vom  Süden  zurückge- 
worfen und  stürzte  sich  nun  auf  die  nördlichen  Provinzen  des  alten 
Dacien,  die  er  unter  Batu  Chan,  dem  Enkel  Dschinghischans,  besetzte. 
Da  zog  der  Häuptling  von  Fragorosch  Eadu  Negru  (der  schwarze 
Rudolf)  Bessaraba  über  die  Karpathen  gegen  die  Mongolen  und  schlug 
sie,  worauf  er  mit  neun  Säcken  voll  Ohren  in  sein  Land  zurückkehrte. 
Bald  darauf  erschien  er  von  Neuem  durch  diesen  Pass  bei  Nemoest 
und  gründete  jene  erste  Niederlassung  Kimpulung  an  den  Quellen  der 
Dumbowitza,  die  der  Kern  des  späteren  walachischen  ßeiches  wurde. 
Die  Klostercapelle  von  Nemoest  ist  eine  Felsengrotte.  Die  Legende 
erzählt,  dass  einem  Schäfer,  der  hier  eingeschlafen,  die  Jungfrau  Maria 
im  Traume  erschien,  welche  ihm  sagte,  dass  sich  ihr  Bild  unter  seinem 
Kopf  befinde.  Er  grub  nach,  bis  er  die  Capelle  in  ihrem  jetzigen  Zu- 
stand sammt  dem  Bilde  auf  dem  Altar  ausgegraben  hatte.  Um  dieselbe 
leichter  zugänglich  zu  machen,  brach  er  eine  Seitenthür  durch,  welche 
ebenso  wie  die  andere  Thür  noch  jetzt  existirt.  Dieses  Ereigniss,  welches 
vor  etwa  dreihundert  Jahren  stattgefunden  haben  soll,  machte  so 
grosses  Aufsehen  in  der  Gegend,  dass  eine  Anzahl  frommer  Frauen 
sich  Zellen  um  die  Felsenkirche  bauten,  um  der  Pflege  und  Verehrung 
derselben  den  Rest  ihres  Lebens  zu  widmen.  Es  befinden  sich  jetzt  30 
Nonnen  hier.  Sie  sollen  behaupten,  dass  man  in  der  Nähe  bisweilen 
im  Berge  singen  höre,  und  hoffen,  dass,  wenn  sie  nachgraben  könnten, 
sich  eine  zweite  Capelle  finden  werde. 

Tergowist,  an  der  Jalonitza,  ist  gegenwärtig  eine  Stadt  von 
10,000  Einwohnern.  Es  war  nach  Kimpulung  die  Hauptstadt  der  Wa- 
lachei, hatte  damals  eine  Bevölkerung  von  mehr  als  30,000  Seelen  und 
zeigt  von  seiner  einstigen  Grösse  noch  manche  Spuren.  Man  begegnet 
hier  den  Ruinen  des  Fürstenpalastes,  dem  Grabmal  Michaels  des 
Tapfern,  dem  Kloster  Dialu,  welches  modernisirt  worden  ist,  einer 
kleinen  alterthümlichen  Kirche,  deren  Steine  mit  Sculpturen  bedeckt 
sind,  und  in  welcher  sich  jenes  Grabmal  befindet,  den  Ruinen  eines 
grossen  Hauses  mit  einer  Capelle  in  der  Hauptstrasse  der  Stadt.  Dieses 
Haus  ist  vierthalb  Jahrhunderte  unbewohnt  geblieben  und  allmälig 
Ruine  geworden,  weil  sein  letzter  Bewohner,  Fürst  Radu  IV.,  von  dem 
Erzbischof  Nyphon  wegen  einer  illegitimen  Heirath  sammt  seiner  Woh- 
nung mit  dem  Kirchenbann  belegt  wurde. 

Piteschti  und  Gaeschti  sind  kleine  Gebirgsstädtchen  ohne  Sehens- 
würdigkeiten. 


und  den  Donaufürstenthümern.  305 

9.    Von  Bukarest  über  Fokschani  nach  Jaasy. 

Die  Hauptpuncte  dieser  Route  sind:  Buseo,  12  Stunden  von 
Bukarest  entfernt,  Slam  Eininik  6,  Fokschani  6,  Azut  3,  Bakau  4, 
Romano  3,  Tirgu  Porraos  4,  Podlealoi  3,  Jassy  2  Stunden  weiter.  Die 
Gegend,  die  von  dieser  Strasse  durchschnitten  wird,  ist  flach  und  mo- 
noton, gelegentlich  erscheint  ein  kleines  Eichenwäldchen,  bisweilen 
passirt  man  eine  Brücke  oder  eine  Furt.  Statt  sich  der  springfeder- 
losen Postkarutza  anzuvertrauen,  kann  man  sich,  wofern  man  zurück- 
kehrt, in  Bukarest  eine  bequemere  Kalesche  miethen,  die  für  6  bis  7 
Ducaten  zu  haben  ist.  Indess  muss  bemerkt  werden,  dass  man  in  diesem 
Fall  mindestens  acht  Pferde  zu  miethen  genöthigt  ist.  Buseo  ist  eine 
hübsche  kleine  Stadt  von  6000  Einwohnern,  am  Flusse  gleiches  Namens 
gelegen,  und  Sitz  eines  Bischofs,  der  in  einem  schmucken  Hause  wohnt, 
mit  dem  ein  Priesterserainar  verbunden  ist.  Man  hat  hier  verschiedene 
alterthümliche  Geräthe:  Lampen,  Vasen  und  kleine  Statuen  gefunden. 
Dieselben  waren  von  byzantinischer  Arbeit  und  wahrscheinlich  das 
Geschenk  eines  Kaisers  an  irgend  einen  Barbarenhäuptling,  der  sie, 
von  Feinden  bedroht,  hier  vergrub.  Gegenwärtig  befinden  sie  sich,  wie 
bemerkt,  im  Collegium  des  heiligen  Saba  zu  Bukarest. 

Slam  Rimnik,  eine  Stadt  von  etwa  9000  Einwohnern,  liegt  an 
dem  tiefen  und  reissenden  Rimnik,  den  man  hier  passirt.  1789  schlug 
hier  Suwaroff  die  Türken,  1809  ertrank  hier  sein  Sohn. 

Fokschani,  am  Grenzfluss  Milkow  gelegen  und  halb  zur  Wala- 
chei, halb  zur  Moldau  gehörig,  ist  eine  bedeutende  Handelsstadt  mit 
25,000  Einwohnern.  In  der  Nähe  sind  die  Rebenpflanzungen  von  Üdo- 
bescht,  wo  der  beste  Wein  der  Moldau  wächst.  Ausser  einem  alten 
Kloster  gibt  es  hier  nichts  von  Interesse.  1720  fand  in  Fokschani  ein 
Congress  türkischer  und  russischer  Diplomaten  statt. 

Nachdem  man  die  Moldau  betreten,  passirt  man  zuerst  die 
Putna  durch  eine  Furt,  dann  den  Croatus  vermittelst  einer  langen 
Holzbrücke.  Dann  erreicht  man  die  kleine,  aus  Holzhütteu  bestehende 
Stadt  Azut  am  Ende  des  Sereththales.  Hierauf  folgt  die  Strasse  dem 
Sereth  in  nördlicher  Richtung  bis  Bakau  an  der  Mündung  der  Bistritza 
in  dem  ebengenannten  Fluss.  Bakau  hat  gegen  10,000  Einwohner  und 
es  befindet  sich  ein  leidlicher  Gasthof  hier.  In  der  Geschichte  wird  es 
als  der  Ort  genannt,  wo  der  unglückliche  P^lenkönig  Stanislaus  Le- 
scynski,  der  die  Hauptursache  des  Krieges  zwischen  Peter  dem  Grossen 
und  Karl  XII.  gewesen,  von  dem  moldauischen  Fürsten  Nikolaus  Ma- 
wrokordato  gefangen  genommen  wurde.  Hier  beginnt  eine  ziemlich 
gute  Chaussee,  auf  welcher  man  in  drei  Stunden  nach  Roman  fahrt. 
Letzteres  ist  eine  kleine  freundliche  Stadt  von  etwa  5000  Einwohnern, 
welche  vorzüglich  Ackerbau  treiben.  Es  residirt  hier  ein  Bischof,  der 
in  einer  schönen  Kirche  Gottesdienst  hält.  Der  hiesige  Gasthof  ist  gut. 
In  der  Nähe  vereinigt  sich  die  Moldau  mit  dem  Sereth.  Nicht  fern 
von  hier  lag  eine  alte  Stadt,  Seraendrova,  welche  von  Einigen  für  die 
römische  Colonie  Prätoria  Augusta  gehalten  wird. 

20 


306  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

Nachdem  mau  den  Sereth  wiederholt  passirt,  kommt  man  nach 
Tirgu  Formos,  einem  Städtchen  auf  einer  bewaldeten  Höhe,  wo  Pferde- 
wechsel stattfindet. 

Jassy,  die  Hauptstadt  der  Moldau,  liegt  am  Abhang  des  vom 
linken  Ufer  des  Baglui  sanft  ansteigenden  Berges  Kopo,  zwei  Stunden 
vom  Pruth,  welcher  die  Grenze  zwischen  Eussland  und  der  Moldau 
bildet.  Die  Lage  der  Stadt,  welche  etwa  70,000  Einwohner  zählt,  ist 
malerisch,  das  Innere  wo  möglich  noch  hässlicher  als  Bukarest.  In  der 
Geschichte  ist  sie  durch  den  Frieden  von  1792,  durch  die  Empörung 
Ipsilantis  und  der  Hetäristen,  durch  die  Plünderung,  welche  sie  1822 
in  Folge  jenes  Aufstandes  heimsuchte,  sowie  dadurch  bekannt,  dass  sie 
wiederholt  auf  lange  Zeit  von  den  Russen  besetzt  gehalten  wurde.  Auch 
der  grossen  Feuersbrünste  von  1827  und  1844  muss  gedacht  werden. 
Die  Strassen  sind  krumm,  eng  und  voll  Schmutz,  nur  einige  derselben 
haben  Pflaster.  Unter  den  Einwohnern  spielen  die  Bojaren,  deren  Fa- 
milien gegen  5000  Köpfe  zählen  sollen,  und  die  Juden,  von  denen  nicht 
weniger  als  30,000  hier  (ansässig  sind ,  eine  Hauptrolle.  Kirchen  hat 
Jassy  gegen  siebenzig.  In  der  Metropole  wird  der  Leichnam  der  hei- 
ligen Paraskewa,  das  grösste  Heiligthum  der  Moldau,  aufbewahrt.  Die 
Kirche  zu  den  drei  Heiligen  ist  die  älteste  in  Jassy.  Sie  stammt  aus 
dem  14.  Jahrhundert,  und  die  Quadern,  aus  denen  sie  erbaut  ist,  sind 
von  unten  bis  oben  mit  Verzierungen  in  Relief  bedeckt.  Andere  grös- 
sere Kirchen  sind  die,  welche  zu  dem  Spiridion-  und  die,  welche  zu 
dem  Gholiakloster  gehört.  Von  weltlichen  Gebäuden  ist  das  grösste  der 
Fürstenhof,  der  auf  dem  hohen  Thalrande  des  Baglui  liegt,  und  in  dem 
sich  die  obersten  Behörden  des  Landes  befinden.  Obwohl  durch  seine 
freie  Lage  und  seine  Ausdehnung  ausgezeichnet,  ist  dieses  Gebäude 
doch  unbedeutend,  wenn  man  den  Maassstab  des  Geschmacks  anlegt. 
Nicht  viel  Günstigeres  lässt  sich  von  der  Residenz  sagen.  Geschmack- 
voller sind  die  Paläste  einiger  Bojaren,  z.  B.  der  des  Nikola  Rosetti 
die  Roznowano  in  der  Hauptstrasse  Jassy's.  Recht  hübsch  ist  der  im 
höchsten  Theil  der  Stadt  angelegte  Volksgarten,  dessen  üppige  Vege- 
tation zeigt,  was  hier  für  schöne  Anlagen  geschaffen  werden  könnten, 
wenn  man  Sinn  für  dergleichen  hätte. 

Die  Promenade  der  vornehmen  Welt  ist  eine  wüste  Steppe  auf 
dem  Kopo,  wo  man  Hunderte  eleganter  Wagen  die  pariser  Moden  der 
Damen  zur  Schau  fahren  sieht.  Die  Gasthöfe  Jassy's  sind  nicht  viel 
werth.  Ein  deutscher,  „Hotel  de  Petersbourg"  genannt,  zeichnet  sich 
durch  hohe  Preise,  Schmutz  und  schlechte  Küche  aus;  besser  soll  das 
„Hotel  d'  Italic"  sein.  Wer  sich  nicht  an  morgenländischer  Küche  stösst, 
findet  in  den  zahlreichen  Khans  der  Stadt  Zimmer  und  Essen  für 
geringes  Geld.  Die  Handwerke  sind  in  Jassy  fast  nur  in  den  Händen 
der  Juden  und  der  eingewanderten  Deutschen,  von  welchen  letztern 
sich  gegen  2000  hier  niedergelassen  haben.  Die  Kaufläden  gleichen 
denen  in  Bukarest,  und  man  erhält  in  ihnen  nicht  nur  Alles,  was  die 
Civilisation  zum  Bedürfniss  gemacht  hat,  sondern  auch  Alles,  was  zum 
Luxus  gehört,  die  feinsten  Delicatessen  u.  A.  Von  Bankhäusern  ist  die 


und  den  Donaufilrstenthümern.  307 

Firma  Michael  Daniel  das  beste;  die  Buchhandlungen  von  Bell  und 
Hennig  haben  einen  guten  Vorrath  deutscher  und  französischer  Werke. 
Droschken,  wo  die  Fahrt  einen  Zwanziger  kostet,  und  Karutza's,  die 
man  für  die  Fahrt  mit  20  Kreuzern  österreichischer  Wcährung  bezahlt, 
gibt  es  in  Jassy  gegen  600.  Ein  Wagen  kostet  für  den  ganzen  Tag  3 
bis  4  Gulden  zu  miethen. 

Ist  Jassy  ohne  eigentliche  Sehenswürdigkeiten,  so  bietet  die 
Nachbarschaft  Gelegenheit  zu  lohnenden  Ausflügen.  Dahin  gehört  na- 
mentlich Sokala,  der  Landsitz  des  Fürsten  Stourdza,  in  einem  freund- 
lichen Thal  mit  üppigen  Weinbergen.  Der  Fürst  hat  hier  in  einem 
geschmackvoll  angelegten  Park,  der  dem  Publicum  offen  steht,  ein  sehr 
schmuckes  Palais  Sodann  muss  iS'^mÄ;a  genannt  werden,  zwei  Stunden 
von  Jassy  auf  dem  hohen  Thalrand  dor  Pyia  gelegen,  wo  sich  ebenfalls 
ein  grosser,  schöner  Park  befindet.  Nicht  fern  von  hier  liegt  das  rus- 
sische Zollamt  und  die  Quarantäneanstalt  Skuleni,  wohin  sich  im 
Sommer  viele  Bewohner  Jassy's  begeben,  um  im  Pruth  Bäder  zu 
nehmen.  Andere  hübsche  Puncte  sind :  Galata.  ein  sehr  malerisch  auf 
dem  rechten  Ufer  des  Baglui  der  Stadt  gegenüber  gelegenes  Kloster, 
der  schöne  Landsitz  Miroslmoa,  das  Kloster  Citaznie,  Galata  gegenüber, 
wo  sich  früher  die  Citadelle  von  Jassy  befand,  und  der  steile  Berg 
Mepidje,  mit  einer  Wasserheilanstalt,  bei  der  man  eine  sehr  anmuthige 
Aussicht  auf  das  Thal  von  Sokala  und  den  Baglui  geniesst.  Für  Den 
endlich,  welcher  die  Umgebung  Jassy's  zu  Pferde  sehen  will,  bilden 
der  Zusammenfluss  des  Baglui  mit  dem  Pruth  bei  Christesti  und  der 
mit  verschiedenen  Gärten  und  Eebenpfianzungen  bedeckte  Gipfel  des 
Kopo  ebenfalls  recht  angenehme  Zielpuncte. 

10.  Von  Belgrad  über  Zwornik  und  Tuzla  nach  Trawnik  und  Bosna  Serai. 

Diese  Tour  erfordert  5  bis  6  Tage,  und  die  Hauptpuncte,  welche 
beiührt  werden,  sind  folgende :  Palesch  4,  Schabatz  4,  Kaksa  5,  Zwor- 
nik  10,  Tuzla  8,  Zepsche  13,  Wranduk  5  und  Trawnik  8  Stunden  weiter. 

Nachdem  die  Strasse  Belgrad  verlassen,  geht  sie  erst  eine  Strecke 
auf  dem  rechten  Ufer  der  Save  hin  und  wendet  sich  dann  nach  Süden, 
bis  sie  den  tiefen  langsam  fliessenden  Fluss  Golubara  erreicht,  der  sich 
durch  einen  schönen  Eichenwald  hindurchwindet.  Nachdem  man  den- 
selben auf  einer  Fähre  überschritten,  kommt  man  nach  Palesch,  einer 
kleinen  Stadt  mit  einem  ziemlich  guten  Wirthshaus.  Ueber  schönes 
Weideland  wieder  an  die  Save  gelangend,  erreicht  man  das  auf  dem 
anderen  Ufer  gelegene  Schahatz,  eine  blühende  Stadt  mit  10,000  christ- 
lichen und  2000  mohammedanischen  Einwohnern,  vertheidigt  durch 
eine  von  Mohammed  II.  erbaute  Festung.  Letztere  wurde  1475  von  dem 
König  Mathias  von  Ungarn  vergeblich  belagert,  auch  wurde  während 
der  Insurrection  des  schwarzen  Georg  zwischen  den  Türken  und  den 
serbischen  Insurgenten  um  dieselbe  gestritten,  doch  verblieb  sie  im 
Besitz  der  Serben.  Der  Handel  von  Schabatz  ist  beträchtlich,  und  man 
sagt,  dass  die  hiesigen  Handelsleute  so  schlau  und  gewandt  sind,  dass, 


308  Touren  in  der  europäischen  Türkei 

wo  auf  einem  Markt  Schabatzer  erscheinen,  selbst  Juden  und  Griechen 
sich  fortmachen,  da  sie  nicht  im  Stande  sind,  gegen  jene  aufzukommen. 
Die  Strasse  ist  gut  und  führt  weiter  über  eine  flache,  wohlbebaute, 
zum  Theil  bewaldete  Ebene  nach  Balisa,  wo  man  die  bosnische  Grenze 
erreicht.  Hier  fällt,  dem  österreichischen  Grenzdorf  Raksa  gegenüber, 
der  Fluss  Drina  in  die  Save.  Das  serbische  Raksa  ist  ganz  unbedeutend, 
doch  findet  man  in  einer  Art  Kaffeeschenke  für  die  Nacht  Unterkunft. 
Eine  Fähre  bringt  den  Reisenden  hinüber  auf  das  bosnische  Ufer  der 
Drina,  deren  Lauf  er  in  südlicher  Richtung  folgt,  um  nach  Zioornik 
zu  gelangen.  Dies  ist  eine  stark  befestigte  Stadt,  die  das  schmale,  von 
hohen  Bergen  eingeschlossene  Thal  der  Drina  beherrscht.  Sie  steht 
auf  dem  linken  Ufer  dieses  Flusses,  von  dem  sie  mit  langgedehnten 
Mauern  und  Reihen  von  Thürmen  bis  zum  Gipfel  eines  Hügels  hinan- 
steigt. Einwohner  hat  Zwornik  etwa  16,000  und  sind  dieselben  gros- 
sentheils  Moslemin.  Die  Citadelle  war  früher  erblich  in  der  grossen 
mohammedanischen  Adelsfamilie  der  Widaitsch,  bis  im  Jahre  1829 
Ali,  das  damalige  Haupt  dieser  Familie  und  einer  der  Helden  des  Auf- 
standes gegen  die  Reformen  Mahmud's  II.  nach  Trapezunt  verbannt 
wurde,  bei  welcher  Gelegenheit  die  Festung  der  Familie  verloren  ging. 
Um  hier  Unterkunft  zu  finden,  thut  man  am  besten,  sich  vom  Mudir 
Herberge  zu  erbitten. 

In  einem  grossen  Theil  Serbiens  kann  man  ebenso  wie  in  der 
Moldau  und  Walachei  in  einem  Wagen  reisen.  In  Bosnien  dagegen 
sind  die  Strassen  blosse  Maulthierpfade  und  zwar  sehr  schlechte,  da 
das  Land  gebirgig  und  der  Weg  durch  häufige  Regengüsse  sehr  zer- 
rissen und  aufgewühlt  ist"  Man  kann  deshalb  hier  nur  zu  Pferde  reisen. 
Die  Gegenden  aber  sind  meist  malerisch,  da  es  nicht  an  Wald  fehlt. 

Tuzla,  eine  Stadt  von  8000  Einwohnern,  die  sich  vorzüglich 
von  der  Bereitung  des  Salzes  nähren,  ist  der  Sitz  eines  Pascha's.  Die 
Bereitung  des  Salzes  geht  in  sehr  einfacher  Weise  vor  sich,  indem 
man  eben  nur  Salzwasser  in  Kesseln  verdunsten  lässt.  In  der  Mitte 
der  Stadt  befindet  sich  ein  im  vorigen  Jahrhundert  erbautes  Castell. 
Der  hiesige  Khan  ist  gut. 

Die  Strasse  folgt  jetzt  dem  Thal  des  Flusses  Spressa  und  erklimmt 
dann  eine  waldbedeckte  Hügelreihe  zur  Linken,  um,  nachdem  sie  eine 
Strecke  über  die  Höhe  gegangen,  wieder  in  ein  anmuthiges  Thal 
hinabzusteigen.  Dieses  erweitert  sich  endlich  und  man  trifft  häufiger 
Spuren  von  Anbau.  Dann  hat  man  eine  mächtige  Bergkette,  Zarugie 
genannt,  zu  erklettern,  welche  zum  Theil  mit  Fichten  und  Wachholdern 
bewachsen  ist.  Ein  Ritt  von  zwei  Stunden  bergab,  der  durch  schönen 
Wald  führt,  bringt  den  Reisenden  zum  Flusse  Bosna,  welcher  auf  einer 
Fähre  überschritten  wird,  worauf  man  nach  dem  kleinen  Oertchen 
Zepsche  gelangt.  Der  hiesige  Khan  ist  schlecht.  Von  hier  folgt  die 
Strasse  dem  Lauf  des  Flusses  bis  zu  dem  Dörfchen  WranduJc,  welches 
aus  5  oder  6  Hütten  unter  den  Mauern  eines  hoch  über  dem  Flusse 
gelegenen  alten  Schlosses  besteht.  Die  Gegend  ist  sehr  romantisch.  Da 
man  indess  nicht  gut  hier   übernachten   kann  und   auf  dem   weitern 


und  den  Donaufürstenthümern.  309 

Wege  bis  Trawnik  noch  weniger  Gelegenheit  ist,  Unterkunft  zu  finden, 
so  thut  man  klug,  sich  hier  nicht  lange  aufzuhalten,  auch  Zepsche 
zeitig  zu  verlassen.  Wer  das  nicht  will  oder  kann,  mag  den  Umweg 
über  Zenitza  machen,  wo  man  Herberge  findet. 

Trawnik  ist  die  militärische  Hauptstadt  von  Bosnien  und  zwar 
auf  Grund  seiner  Lage  im  Mittelpunct  des  Landes  und  seiner  Verthei- 
digungswerke,  welche  aus  einem  hochgelegenen  Fort)  und  mehren  stark 
befestigten  Casernen  bestehen.  Die  Stadt  liegt  eigenthümlich  am  Ende 
einer  Schlucht,  durch  welche  die  Loftscha  strömt.  Die  stehende  Bevöl- 
kerung beträgt  nicht  mehr  als  10,000  Seelen,  aber  gewöhnlich  garni- 
soniren  hier  mehre  tausend  Mann  Soldaten.  Man  findet  hier  verschie- 
dene ziemlich  gute  Khans. 

Von  Trawnik  nach  JBosna  Serai  hat  man  IG  starke  Stunden.  Die 
Hauptorte,  welche  die  Strasse  berührt,  sind  Witesch,  3  Stunden  von 
Trawnik,  Bussowatscha  2,  Ekschi  Su  4,  dann  Bosna  Serai  7  Stunden 
weiter.  Der  Weg  folgt  zuerst  ,dem  Thale  der  Loftscha,  bis  er  durch 
Witesch,  eine  kleine  Stadt  von  etwa  2000  Einwohnern,  geht,  in  deren 
Nähe  eines  jener  vielen  Treffen  stattfand,  in  welchen  die  Truppen  die 
fast  alljährlich  sich  wiederholenden  Aufstände  der  Bosnier  niederzu- 
schlagen hatten.  Hier  biegt  die  Strasse  nach  Westen  in  einen  Arm  des 
Hauptthaies  ein,  führt  dann  durch  eine  Schlucht  hinab,  aus  der  man 
endlich  in  das  malerisch  gelegene  Städtchen  Bussowatscha  gelangt. 
Hier  ist  ein  guter  Khan ;  indess  ist  es  gerathener,  zeitig  von  Trawnik 
aufzubrechen,  um  noch  diesen  Tag  bis  Ekschi  Su  gelangen  zu  können, 
wo  man  noch  bessere  Unterkunft  findet.  Der  Weg  dahin  führt  zwischen 
rundlichen,  mit  Wald  bewachsenen  Höhen  hin.  Ekschi  Su,  d.  h.  Sauer - 
Wasser,  ist  ein  Oertchen,  welches  seiner  Heilquellen  wegen  bekannt 
ist.  Es  entspringen  hier  nämlich  zwei  reiche  Quellen,  deren  Wasser 
dem  Seizerwasser  gleicht.  Für  die  Trinker  ist  ein  grosser,  bequem  ein- 
gerichteter Khan  vorhanden.  Das  Wasser  wird  auch  auf  Flaschen  ge- 
füllt und  ausgeführt,  zugleich  benutzt  man  es  zum  Backen,  indem  es 
dem  Brot  einen  besonders  angenehmen  Geschmack  mittheilt.  Die  Um- 
gebung des  Ortes  ist  sehr  schön.  Wenn  man  eine  zweite  Hügelreihe 
erstiegen  hat,  trifft  man  zwischen  dichtem  Baumwuchs  eine  dritte 
säuerliche  Quelle,  und  zwar  hart  bei  der  Strasse,  und  nachdem  man 
eine  Weile  durch  ein  vielgewundenes  Thal  geritten  ist,  deutet  eine 
weite  Fläche,  umgeben  von  Bergen,  an,  dass  man  sich  der  Hauptstadt 
des  Landes,  Bosna  Serai,  nähert.  Rechts  vom  Wege  findet  sich  die 
Quelle  der  Bosna.  Auf  der  Ebene  begegnet  man  zahlreichen  Plüsschen, 
über  welche  steinerne  Brücken  führen  und  einigen  Landhäusern,  die 
zum  Theil  recht  hübsch  liegen. 

Bosna  Serai  oder  Sarajewo,  italienisch  Seraglio  genannt,  liegt 
am  Einfluss  der  Migliazza  in  die  Bosna  und  ist  das  Damaskus  des 
Nordens  genannt  worden,  wegen  seiner  schönen  Lage  und  seiner  zahl- 
reichen Gärten.  Es  wird  von  der  Migliazza  in  zwei  Hälften  zerschnitten, 
die  durch  vier  hübsche  steinerne  Brücken  mit  einander  verbunden  sind. 
Einwohner  hat  es  gegen  50,000  die    zum    grösseren    Theil   Mohamme- 


310  'Touren  in  der  europäischen  Türkei 

daner  sind,  Häuser,  die  grossentheils  aus  Holz  erbaut  und  in  türkischer 
Manier  mit  vergitterten  Fenstern  versehen  sind,  an  15,000.  Mehr  als 
anderthalbhundert  Moscheen,  unter  denen  sich  indess  sehr  viele  ganz 
unbedeutende  befinden ,  mehre  griechische  und  römisch-katholische 
Kirchen  tragen  mit  ihren  Thürmen,  Minarets  und  Kuppeln  bei,  die 
Reize  der  Stadt  zu  erhöhen,  während  ein  altes  auf  einem  Hügel  bei 
der  Stadt  gelegenes  Fort  die  Romantik  des  Mittelalters  in  das  Bild 
mischt.  Diese  Burg,  jetzt  ohne  militärische  Bedeutung,  wurde  von  dem 
ungarischen  Feldherrn  Kotroman  im  dreizehnten  Jahrhundert  erbaut. 
Endlich  verdient  das  von  Sultan  Mohammed  II.  erbaute  Serai  Erwäh- 
nung. Früher  residirten  in  Serajewo  die  Häupter  des  mohammedanischen 
Adels,  welche  Bosnien  in  geringer  Abhängigkeit  von  Constantinopel 
beherrschten,  deren  Macht  aber  jetzt  in  der  Hauptsache  gebrochen  ist. 
An  Khans  und  Kaffeehäusern  ist  kein  Mangel.  Der  Bazar  ist  wohl 
versehen.  Wegen  seiner  zahlreichen  Waffen-,  Blech-  und  Kupfergeschirr- 
fabriken, seiner  guten  Messerschmiedearbeiten,  seiner  Goldschraiede- 
waaren.  Wollen-  und  Baumwollenwebereien  und  Gerbereien  ist  Bosna 
Serai  eine  der  wichtigsten  Städte  der  europäischen  Türkei,  Mittelpunct 
des  bosnischen  Handels  und  des  sehr  bedeutenden  Karawanenverkehrs 
zwischen  Janina  in  Albanien  und  Salonik  in  Macedonien. 

11.  Von  Bosna  Serai  (Sarajewo)  über  Mostar  nach  Ragusa. 

Zu  dieser  Tour  bedarf  man  mindestens  eine  Woche.  Der  kür- 
zeste Weg  von  Bosna  Serai  nach  Mostar  geht  über  Koguitza,  da  der- 
selbe aber  keine  guten  Herbergen  bietet,  so  wird  man  wohlfchun,  die 
folgende  Route  vorzuziehen.  Beide  Wege  sind  sehr  beschwerlich  und 
nur  für  Reisende,  welche  an  Strapazen,  ,Ziegeupfade  und  anhaltende 
Ritte  gewöhnt  sind.  Die  von  uns  empfohlene  Strasse  berührt  folgende 
Puncte:  Pratza,  7  Stunden  von  Sarajewo,  Goresta  6,  Fotscha  3,  Schu- 
rawa  6,  Gutzko  10,  Dobropolieh  3,  Nevesigna  6,  Mostar  8  Stun- 
den weiter. 

Croresta  muss  das  erste  Nachtquartier  sein ;  obwohl  die  Herberge 
hier  sehr  schlecht  beschaffen  ist,  kann  man  mit  gewöhnlichen  Pferden 
nicht  bis  nach  Fotscha  kommen.  Bei  dem  letztern  Orte  passirt  man 
eine  Holzbrücke,  die  über  den  Fluss  Tschiolina  führt.  Dem  Eingang 
des  Thaies  von  Uluk  gegenüber  liegt  das  Zigeunerdorf  Brod,  eine  Sel- 
tenheit in  diesen  Strichen,  in  welchen  die  Zigeuner  meist  noch  No- 
maden sind.  Eine  Strecke  weiterhin  setzt  mau  auf  einer  Fähre  über 
die  Drina,  und  nachdem  man  über  ausgedehntes  Wiesenland  geritten, 
kommt  man  an  den  Zusammenfluss  der  Bäche  Tara,  Piva  und  Suschetza. 
Die  Gegend  wird  hier  den  Schweizerlandschaften  ähnlich,  und  in  der 
That  befindet  man  sich  in  einem  Gebirge,  welches  das  "Verbindungsglied 
zwischen  den  Alpen  und  dem  Balkan  bildet.  Nachdem  man  lange  auf 
sehr  rauhem  Pfad  emporgeklettert,  erreicht  man  das  Oertchen  Schu- 
raioa,  wo  sich  ein  guter  Khan  befindet.  Dann  folgt  man  dem  Thal 
der  Suschetza    eine    Strecke,    klimmt  wieder   über   wilde    Felsenberge 


und  den  Donaufürstenthümern.  311 

empor,  steigt  abermals  nach  dem  Flusse  hinab  und  gelangt  endlich 
nach  dem  Thurm  von  Gatzko,  dessen  Bey  die  hier  über  das  Gebirge 
zerstreuten  Wohnungen  und  Dörfchen  beherrscht.  Derselbe  erwies  sich 
früher  sehr  gastfrei  gegen  jeden  Wanderer,  gleichviel,  welchen  Glauben 
derselbe  hatte.  DobropoUeh  ist  ein  Dorf  ohne  Khan,  in  der  Nähe  des 
See's  von  Dobritza  gelegen.  Dann  steigt  der  Eeisende  in  die  Ebene 
hinab,  in  deren  Mitte  er  das  Dorf  Nevesigna  erblickt,  welches  etwa 
1000  Einwohner,  drei  kleine  Moscheen  und  einen  guten  Khan  hat. 
Hierauf  hat  man  zunächst  den  Berg  Trusina,  dann  den  Velesch  zu 
übersteigen;  dann  folgt  das  Dorf  Blagai  mit  einem  alten  Cast.'U,  und 
endlich  ist  die  Ebene  erreicht,  in  welcher  Mostar,  die  Hauptstadt  der 
Herzegowina,  liegt  Die  Stadt  hat  ihren  Namen  von  der  hübschen 
Brücke,  die  hier  über  die  Narenta  führt,  und  welche  das  einzige  Bau- 
werk von  einiger  Bedeutung  ist.  Von  20,000  Einwohnern  gehört  die 
grössere  Hälfte  dem  Christenthum  an.  Die  Khans  sind  so  gut,  als  man 
sie  in  diesem  halbwilden  Lande  erwarten  kann.  Oesterreich  hat  hier 
ein  Consulat. 

Nicht  viel  weniger  beschwerlich  ist  der  Weg  von  hier  nach 
Ragusa,  der  über  die  Orte  Stolatz,  6,  Slano  14  und  Bargat  6  Stunden, 
führt,  von  wo  man  noch  2  Stunden  bis  Ragusa  hat.  Nachdem  man  die 
Ebene  überschritten,  gelangt  man  in  eine  öde,  baumlose  Berggegend, 
wo  die  kleine  Stadt  Stolatz  mit  einem  Castell  liegt,  welches  die  Burg 
des  bosnischen  Rebellenhäuptlings  Ali  Pascha  war,  derl851  von  Omer 
Pascha's  Truppen  geschlagen  und  getödtet  wurde.  Dann  steigt  man 
über  die  Glubin-Berge  nach  dem  Dorfe  Slano,  wo  man  zum  zweiten 
Male  übernachtet.  Hierauf  wendet  sich  die  Strasse  nach  Westen,  über- 
schreitet die  Trebinschitza,  geht  an  Bargat  vorüber  und  mündet  end- 
lich in  der  österreichischen  Stadt  Ragusa,  wo  man  in  einem  guten 
Gasthaus  von  den  Beschwerden  der  Gebirgsreise  ausruht  und  sich  dann 
auf  einem  Lloyddampfer  nach  Belieben,  entweder  nach  einer  der  benach- 
barten Städte  Dalmatiens  oder  nach  Triest  einschifft. 


312  Touren  in  Macedonien. 


ZEHNTES  CAPITEL. 


Touren   in    IM. a.ced.onien. 

Allgeraeines  über  Macedonien.  —  Von  Constantinopel  nach  Salonik.  —  Von  Salonik 
über  Cassandra  nach  den  Athosklöstern.  —  Die  Klöster  des  Agion  Oros.  —  Von  Salonik 
über  Mona.stir,  Elbassan  und  Eroia  nach  Skutari. 

Macedonien  hiess  im  Alterthum  die  Landschaft  nördlich  von 
Griechenland,  welche  sich  nördlich  vom  Olymp  bis  zur  Mündung  des 
Flusses  Lydias  erstreckte;  später,  unter  Philipp  und  Alexander  dem 
Grossen,  waren  ihre  Grenzen  im  Westen  der  See  Lychnis,  im  Norden 
die  skardischen  Berge,  im  Osten  der  Pluss  Nestus  und  im  Süden  der 
Olymp  und  das  ägäische  Meer.  Jetzt  gehört  es  zu  der  türkischen  Pro- 
vinz Pilibeh  Ejaleti  und  hat  auf  720  Quadratmeilen  etwa  700,000  Ein- 
wohner. Im  Alterthum  war  es  seiner  Gold-  und  Silberbergwerke  halber 
berühmt,  und  zählte  mehre  blühende  Städte,  von  denen  Pella,  Pydna, 
Thessalonika,  Potidäa,  Olynthos,  Amphipolis  und  Philipp!  in  der  Ge- 
schichte eine  Rolle  spielen.  Jetzt  ist  es  sehr  heruntergekommen,  doch 
verdient  es  wegen  mancher  Reste  aus  der  alten  Welt  und  namentlich 
auch  der  Athosklöster,  des  Mittelpunctes  und  grössten  Heiligthums 
der  morgenländischeu  Welt  halber  noch  sehr  wohl  einen  Besuch.  Die 
Einwohner  sind  theils  Griechen,  theils  Bulgaren,  theils  Türken.  In 
Bezug  auf  Reisegelegenheit  passt  im  Allgemeinen  Das,  was  im  vorigen 
Capitel  über  diesen  Punct  gesagt  ist.  Am  besten  unternimmt  man  den 
Ausflug  dahin  von  Constantinopel  mit  einem  der  Lloyddampfer,  welche 
zwischen  der  Hauptstadt  und  Salonik  fahren.  Wer  die  Landreise  vorzieht, 
zu  der  man  mindestens  eine  Woche  bedarf  und  auf  der  man  nicht  viel 
Sehenswerthes  antrifft,  möge  sich  an  das  Nachfolgende  halten: 

1.  Von  Constantinopel  nach  Salonik. 

Diese  Tour  berührt,  nachdem  sie  im  vorigen  Capitel  (Route  1) 
beschriebene  Strecke  bis  Selivria  zurückgelegt  hat,  folgende  Haupt- 
puncte:  Eski  Erekli  3,  Rodosto  9,  Jenidschik  4,  Malgara  8,  Kischan 
4,  Phere  8,  Gummurdschine  16,  Jenitscheh  8,  Fähre  über  den  Karasu 
4,  Cavalla  4,  Pravista  3,  Khan  Kunarga  3,  Orphano  4,  Kutschuk  Be- 
schek  8,  Klisali  2  '4 ,  Salonik  7  Stunden. 


Touren  in  Macedonien.  313 

Auf  dem  Wege  von  Selivria  nach  Eski  Erekli,  einem  kleinen 
Orte,  trifft  man  Spuren  einer  alten  Römerstrasse,  die  mit  schwarzem 
Marmor  gepflastert  war.  Auf  dem  weiteren  Weg^,  2  Stunden  von  Eski 
Erekli,  sind  die  Ruinen  und  der  Hafen  des  alten  Perinthus,  jetzt 
Bujuk  Erikli  genannt,  zu  erkennen  und  ausserdem  begegnet  man  hier 
zahlreichen  Grabhügeln  aus  dem  Alterthum.  Sonst  findet  sich  hier  in 
der  sehr  öden  Gegend  nichts  von  Interesse.  Rodosto,  eine  ziemlich 
grosse  Handelsstadt  am  Marmorameere,  wo  die  Dampfer  anlegen,  ist 
das  alte  Bisanthe,  doch  gibt  es  hier  keine  Antiquitäten.  Die  ganze 
Gegend,  welche  weiterhin  bei  den  Orten  Jenidschik,  Malgara  und  Ki- 
schan  durchschritten  wird,  ist  eine  öde  monotone  Steppe,  fast  ohne 
Baum  und  Hügel.  Diese  Ebene  setzt  sich  fort  bis  an  die  Marizza,  dem 
Hebrus  des  Alterthums,  der  hier  das  Land  der  Absynthier  von  dem 
der  Likonen  schied.  Die  grosse  Küstenebene  aber  hiess  damals  Doris- 
kus.  Auf  derselben  hielt  Xerxes  Heerschau  über  seine  Völker,  bevor  er 
nach  Griechenland  aufbrach. 

Phere  ist  ein  unbedeutendes  Städtchen  auf  der  östlichen  Flanke 
des  Berges,  der  im  Alterthum  Serrium  hiess;  auf  dem  Wege  von  hier 
nach  Gummurdschine  passirt  der  Reisende  zunächst  die  rauhen  Berge, 
in  welchen  die  Cibonen  wohnten,  welche  den  Trojanern  gegen  die 
Griechen  beistanden.  Man  hat  hier  zuerst  verschiedene  schöne  Ausblicke 
auf  den  Golf  von  Aen.s  mit  der  Insel  Samothrace,  dann  ein  nicht 
weniger  schönes  Bild  des  ägäischen  Meeres  mit  Imbros  und  Leranos; 
auch  bemerkt  man  bei  einiger  Aufmerksamkeit  bisweilen  Spuren  von 
der  alten  grossen  Heerstrasse,  welche  Rom  im  Alterthurae  mit  Con- 
stantinopel   verband. 

Nachdem  man  vom  Gehirge  in  westlicher  Richtung  hinabge- 
stiegen ist,  passirt  man  einen  kleinen  Fluss,  über  den  eine  alte  Brücke 
von  8  Bogen  führt.  1 V^  Stunde  weiter  folgt  eine  ähnliche  Brücke. 
Dann  führt  der  Weg  über  eine  öde  Ebene  nach  Gummurdschine,  einer 
Stadt  von  etwa  tausend  Häusern,  die  sich  vorzüglich  vom  Handel  mit 
Getreide,  Tabak  und  Wolle  nährt,  l'/.  Stunden  weiter  passirt  man 
einige  Ruinen,  dann  mehrere  Friedhöfe,  sowie  einzelne  Grabmäler  von 
türkischen  Heiligen.  Etwa  6  Stunden  von  Gummurdschine  kommt  man 
an  einen  Salzwassersee,  der  mit  dem  Meer  durch  einen  schmalen  Zugang 
in  Verbindung  steht.  Derselbe  ist  der  Palus  Bistonis  der  Alten.  Am 
Nordende  desselben  erblickt  man  eine  grosse  malerische  Ruine,  die  ein 
Kloster  gewesen  sein  soll,  und  bei  der  man  Bruchstücke  griechischer 
Sculpturen  gefunden  hat.  2  Stunden  weiter  folgt  das  Städtchen  Jenitsche 
oder  Jannitza,  wieder  2  Stunden  weiter  besteigt  man  die  Fähre,  die 
über  den  Karasu,  den  Nestus  des  Alterthums,  führt.  Darauf  folgt  wieder 
eine  steppenartigo  Fläche.  Dann  ersteigt  der  Reisende  einen  Berg,  hier- 
auf geht  der  Weg  in  eine  Ebene  hinab,  welche  eine  Bucht  begrenzt, 
wo  man  in  der  Ferne  gegen  Südosten  die  Insel  Thasos,  gegen  Osten 
die  Gipfel  von  Samothrace  und  im  Süden  das  Vorgebirge  des  heiligen 
Athos  erblickt.  Bald  darauf  ist  ein  Ausläufer  des  Berges  Pangäus  zu 
übersteigen.  Die  Strasse  zeigt  hier  wieder    Spuren   alter   Pflasterung, 


314  Touren  in  Macedonien. 

eine  Wasserleitung  geht  über  dieselbe  hinweg,  und  rechts  auf  dem 
Gipfel  des  Berges  bemerkt  man  Eeste  von  alten  Stadtmauern. 

Nach  vierstündigem  Eitt  von  der  Fähre  aus  gelangt  der  Reisende 
nach  Cavalla,  dem  alten  Neaj)olis,  wo  der  Apostel  Paulus  nach  seiner 
Reise  von  Troas  landete.  Die  Stadt  liegt  auf  einem  Vorgebirge  und 
hat  rechts  und  links  einen  Hafen,  eine  sehr  günstige  Lage  für  den 
Handel  zur  See,  der  sich  indess  jetzt  auf  die  Ausfuhr  von  etwas  Tabak 
und  Baumwolle  beschränkt.  Die  Citadelle  der  Stadt  ist  sehr  verfallen. 
Zu  erwähnen  ist,  dass  Cavalla  der  Geburtsort  Mehemed  Alis  von 
Aegypten   ist. 

Der  nächste  Ort,  den  diese  Strasse  berührt,  Pravista,  ist  ein 
schmutziges  elendes  Städtchen.  Die  Strasse  dahin  durchschneidet  eine 
Ebene  in  der  Richtung  von  Nordost  nach  Südwest.  Rechts  erheben 
sich  die  Berge  von  Drama,  in  deren  Nähe  man  die  Ruinen  der  Stadt 
Philippi  antriift,  wo  der  Apostel  Paulus  mit  seinem  Begleiter  Silas 
im  Jahre  53  n.  Chr.  eingekerkert  wurde  und  in  deren  Nachbarschaft 
Octavianus  und  Antonius  im  Jahre  42  v.  Chr.  den  bekannten  Sieg 
über  Brutus  und  Cassius  erfochten.  Die  Ruinen  bestehen  in  den  Resten 
eines  Amphitheaters,  mehreren  grossen  Grabmälern  von  weissem  Mar- 
mor, den  kolossalen  Trümmern  eines  Tempels  aus  der  Zeit  des  Kaisers 
Claudius,  und  mehren  gewaltigen  Marmorsäulen. 

4  Stunden  weiter  steht  der  Khan  von  Kunarga  am  Fusse  hoher 
wilder  Berge.  An  der  Strasse  dahin  begegnet  man  türkischen  Fried- 
höfen, in  denen  häufig  Bruchstücke  antiker  Säulen  zum  Schmucke  der 
Gräber  verwendet  sind.  Nachdem  man  wieder  eine  Ebene  durchzogen, 
die  gut  angebaut  und  mit  zahlreichen  türkischen  Dörfern  und  Brunnen 
besetzt  ist,  gelangt  man  an  einen  Bergzug,  an  dem  das  Dörfchen 
Orphano  mit  einem  kleinen  Castell  liegt.  5  Stunden  weiter  kom.nt 
man  an  den  oft  erwähnten  strymonischen  Golf  und  zu  den  Ruinen 
der  Stadt  Amphipolis,  die  hauptsächlich  aus  Mauern  von  mehr  römi- 
scher als  griechischer  Bauart,  Resten  einer  Wasserleitung  und  Spuren 
der  Burg  oder  Akroj)olis  bestehen.  Amphipolis  spielte  in  der  griechi- 
schen Geschichte  eine  nicht  unbedeutende  Rolle.  Von  den  Athenern 
gegründet,  lag  es  auf  einer  Anhöhe  auf  dem  linken  Ufer  des  Strymon, 
unmittelbar  unterhalb  seines  Austrittes  aus  dem  See  Prasias,  der  auch 
Palus  Cercinitis  hiess,  und  etwa  l'!\  Stunde  vom  Meere.  Der  Name  der 
Stadt  kam  daher,  dass  der  Fluss  die  Stadt  fast  ganz  umströmte.  In 
noch  früherer  Zeit  hiess  es  Ennea  Hodoi,  von  den  neun  Strassen,  die 
hier  zusammentrafen,  und  war  von  den  Edoniern,  einem  thracischen 
Stamm  bewohnt.  Diese  wussten  eine  Zeit  lang  die  Versuche  der  Athe- 
ner, hier  eine  Niederlassung  zu  gründen,  zu  vereiteln ;  indess  im  Jahre 
437  V.  Chr.  gelang  der  Versuch.  Die  Stadt  ergab  sich  424  den  Lace- 
dämoniern  unter  Brasidas,  doch  rettete  Thucydides,  der  bekannte  grosse 
Geschichtsschreiber,  wenigstens  deii  Hafen  Eion  an  der  Mündung  des 
Strymon.  Seine  Landsleute  verbannten  ihn,  weil  er  nicht  auch  die  Stadt 
zu  halten  vermocht  hatte.  Ein  Feldzug,  zum  Zweck  der  Wiedereroberung 
der  Stadt  unternommen,   schlug  fehl.  Brasidas   und  der  Befehlshaber 


Touren  in  Macedonien.  315 

der  Athener  Cleon  fielen  beide  im  Gefecht.  Später  verleibte  Philipp 
von  Macedonien  die  Stadt  seinem  Eeiche  ein  (358).  Die  ßöraör  endlich 
machten  sie  zur  Hauptstadt  eines  der  vier  Bezirke,  in  welche  sie  das 
eroberte  Macedonien  theilten.  Jetzt  liegt  hier  in  der  Nähe  das  von 
Griechen  bewohnte  Dorf  Neochori 

Indem  man  um  den  Rand  der  Bucht  lierumreitet,  passirt  man 
zunächst  auf  einer  fliegenden  Brücke  den  Strymon.  Dann  passirt  die 
Strasse  über  eine  Landzunge  und  erreicht  einen  Khan.  Von  hier  geht 
der  Weg  durch  einen  wilden  Felsenpass,  dessen  Seiten  mit  einzelnen 
Platanen  und  Eichen  bewachsen  sind  und  wo  man  links  die  Euinen 
eines  Klosters  erblickt.  Dann  folgt  auf  einem  Vorgebirge  das  roman- 
tisch gelegene  Oertchen  Kutschuk  Beschek,  von  den  Griechen  Wesikia 
genannt  und  bald  nachher  Bujuk  Beschek,  am  Ufer  des  Sees  von 
Bolbe.  Der  Weg  von  hier  nach  Kiisali  führt  zuerst  ■über  eine  Ebene 
und  zwischen  zwei  isolirten  Felsblöcken  hindurch,  die  aus  der  Fläche 
wie  die  Ruinen  einer  Cyklopenburg  herausstehen,  dann  über  eine  Höhe, 
hierauf  wieder  durch  eine  Ebene,  in  welcher  links  von  der  Strasse  der 
Basilius-See  glänzt,  dann  durch  ein  Defile,  über  dem  man  eine  alte 
Burg  und  Reste  eines  Aquäducts  sieht  und  endlich  an  einem  grossen 
Grabhügel  vorüber  vor  das  östliche  Thor  von  Salonik. 

Salonik,  von  den  alten  Griechen  Therraa,  dann  in  der  Zeit 
Alexanders  des  Grossen  nach  einer  Schwester  desselben  Thessalonike 
genannt,  türkisch  Saloniki,  im  Hintergrunde  des  grossen  nach  ihm  be- 
nannten Golfs,  am  Berge  Kortia  gelegen,  ist  nach  Constantinopel  die 
grösste  und  blühendste  Seehandelsstadt  der  europäischen  Türkei.  Die 
Stadt  zählt  mindestens  70,000  Einwohner,  unter  denen  etwa  20,000 
Türken,  eben  so  viele  Griechen  und  gegen  30,000  Juden,  welche  nicht 
weniger  als  27  Synagogen  besitzen.  Von  Meer  gesehen  gleicht  der  An- 
blick Saloniks  einem  alterthümlichen  Theater,  indem  die  Häuser  sich 
in  übereinanderliegenden  Halbkreisen  bis  fast  zur  Hälfte  der  Höhe 
erheben,  an  welche  die  Stadt  sich  lehnt.  Mehre  hundert  Schiffe  aus 
allen  Theilen  des  Mittelländischen  und  des  Schwarzen  Meeres  laufen 
jährlich  hier  ein,  und  es  befinden  sich  hier  mehre  grosse  fränkische 
Firmen,  auch  haben  fast  alle  europäischen  Mächte,  unter  Andern  auch 
Oesterreich,  Consuln  hier.  Auch  als  Fabrikstadt  nimmt  Salonik  einen 
hohen  Rang  in  Anspruch;  es  hat  beträchtliche  Baumwollenwebereien 
und  fertigt  Teppiche  und  Seidenzeage,  Saffian  und  Artikel  aus  Eisen, 
Stahl  und  Kupfer.  Die  Türken  haben  einen  Obermollah  hier,  die  Griechen 
einen  Erzbischof,  die  Juden  einen  Chacham  Baschi  oder  Oberrabbiner. 
Letztere  hatten  früher  in  Salonik  eine  berühmte  Sclmle.  Sie  sprechen, 
mit  wenig  Ausnahmen,  spanisch,  da  sie  Nachkommen  der  zu  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  aus  Spanien  vertriebenen  Israeliten  sind,  und  leben 
vorzüglich  vom  Handel.  Als  Merkwürdigkeit  muss  erwähnt  werden, 
dass  ein  grosser  Theil  der  Salonik  bewohnenden  Moslemin  ihrer  Abkunft 
nach  Juden  sein  sollen.  Gewiss  ist  indess  nur,  dass  es  hier  eine  Secte 
unter  den  Mohammedanern  gibt,  welche  sich  Sabatei  Zewi  nennt,  wäh- 
rend das  Volk  sie  mit  dem  Worte  Mamini  bezeichnet,  und  welche  eine 


316 


Touren  in  Macedonien. 


"Art  Kryptohebräer  sein  sollen.  Sie  halten  sich  sowohl  von  den  Türken 
als  von  den  Juden  gesondert,  üben  öffentlich  die  Gebräuche  des  Islam 
und  werden"  von  der  Regierung  als  Mohammedaner  angesehen,  schliessen 
aber  niemals  Ehen  mit  wirklichen  Moslemin,  lesen  insgeheim  den  Tal- 
mud und  besonders  das  Buch  Zoar,  und  sollen,  gleichfalls  heimlich, 
auch  jüdische  Gebr<äuche  haben.  Indess  halten  sie  in  Betreff  dieser 
Dinge  so  sehr  auf  Verschwiegenheit,  dass  man  durchaus  nichts  Be- 
stimmtes darüber  weiss.  Sie  zerfallen  übi-igens  unter  sich  wieder  in 
drei  Secten,  die  sich  auf  das  heftigste  hassen  und  verunglimpfen. 

Die  Locanda  in  Salonik  ist  nicht  schlecht.  Eigentliche  Befesti- 
gungen hat  die  Stadt  nicht,  doch  ist  sie  von  einer  auf  Grundlagen 
von  gewaltigen  Quadern  ruhenden,  mit  Thürraen  flankirten  Mauer 
umgeben,  welche  eine  Ausdehnung  von  einer  reichlichen  deutschen 
Meile  hat,  oben  eine  in  militärischer  Beziehung  unbedeutende  Gitadelle 
einschliesst  und  mit  ihrer  grell  weissen  Uebertünchung  auf  eine  weite 
Strecke  hin  sichtbar  ist.  Das  Innere  der  Stadt  ist  genau  eben  so 
schmutzig  und  hässlich  als  die  hässlichsten  Theile  von  Constantinopel. 
Bekannt  ist,  dass  der  Apostel  Paulus  mit  den  Einwohnern  des  alten 
Thessalonike  in  mündlichem  und  brieflichein  Verkehr  stand,  weniger 
bekannt  wohl,  dass  Cicero  einen  Theil  der  Zeit,  wo  er  von  Rom  ver- 
bannt war,  hier  zubrachte  Salonik  ist  reich  an  Alterthümern  aus  rö- 
mischer und  byzantinischer  Zeit;  fast  jedes  Jahr  hat  man  neue  Münzen, 
Basreliefs  und  Mosaiken  aufgefunden.  Die  Citadelle  ist  die  alte  Akro- 
polis.  Man  findet  hier  mehre  Säulen  aus  Verde  Antico  und  einen 
Triumphbogen,  der  unter  Marcus  Aurelius  errichtet  wurde.  Im  Grie- 
chenquartier  steht  noch  der  Rest  der  Propyläen  zum  alten  Hippodrom, 
eine  Art  Halle  mit  5  Pfeilern,  die  eine  Tafel  tragen.  Ueber  derselben 
erblickt  man  8  Figuren,  von  den  Juden  „Las  Encantadas"  (die  Ver- 
zauberten), genannt,  weil  sie  glauben,  dass  dieselben  einst  gelebt  haben 
und  durch  Zauber  in  Steinbilder  verwandelt  worden  seien.  Die  Türken 
dagegen  bezeichnen  sie  als  ,Sureti  Malek",  d.  h.  Engelsgestalten.  Diese 
Colonade  soll  von  Nero  erbaut  worden  sein.  Andere  Alterthüraer  siad : 
das  Vardarthor,  ein  Triumphbogen,  der  wahrscheinlich  dem  Augustus 
errichtet  wurde,  und  welcher  das  Ende  einer  Strasse  bildete,  die  von 
Ost  nach  West  durch  die  Stadt  lief,  und  der  theilweise  noch  recht 
wohl  erhaltene  Triumphbogen  am  anderen  Ende  jener  (einstigen) 
Strasse,  der  als  Bogen  des  Constantin  bezeichnet  wird.  Dieser  letztere 
ist  jetzt  in  der  Mitte  seiner  Marmorbekleidung  beraubt  und  eine  blosse 
Masse  römischer  Ziegel,  die  mit  Mörtel  verbunden  sind.  Die  Seiten- 
pfeiler aber  haben  jene  Marmorbekleidung  bewahrt  und  zeigen  auf 
derselben  eine  doppelte  Reihe  vou  Basrelief-Figuren,  Gefechte,  Bela- 
gerungen und  Triumphzüge  eines  römischen  Imperators.  Einige  wollen 
darin  die  Verherrlichung  eines  Sieges  Constantin's  über  die  Sarmaten 
sehen,  Andere  verlegen  die  Entstehung  des  Bauwerkes  in  die  Zeit  Kaiser 
Antonius 

Salonik  war  im  Mittelalter  wegen  seiner  schönen  Kirchen  berühmt. 
Die  meisten  derselben   sind  jetzt  in  Moscheen  verwandelt.    Man  kann 


Touren  in  Macedonien.  317 

dieselben  ohne  Anstand  besuchen,  wenn  man  den  Kawaschen  seines 
Consulats  als  Begleiter  mitnimmt  Die  interessantesten  sind  folgende : 
die,  welche  von  den  Griechen  als  die  alte  Metropole  bezeichnet  wird, 
eine  Rotunde,  die  nach  dem  Muster  des  römischen  Pantheon  erbaut 
und  im  Innern  mit  Mosaik  bedeckt  ist.  Man  will  wissen,  dass  dieselbe 
ursprünglich  ein  heidnischer  Tempel,  erbaut  von  Trajan  und  dem  vom 
benachbarten  Samothrace  hierher  verpflanzten  Mysteriendienst  der 
Kabiren  geweiht,  gewesen  sei.  Ferner:  die  Moschee,  welche  einst  der 
Hagia  Sophia  geweiht  war,  eine  Nachahmung  der  Aja  Sofia  in  Con- 
stantinopel,  die  mehre  Säulen  und  eine  Kanzel  von  Verde  Antico  hat, 
aber  weit  kleiner  als  ihr  berühmtes  Vorbild  ist.  Die  Griechen  glauben, 
dass  Paulus  auf  dieser  Kanzel  gepredigt  habe,  andere  wollen  es  besser 
wissen,  indem  sie  behaupten,  er '  habe  in  einer  unterirdischen  Capelle 
unter  derselben  seine  Vorträge  gehalten.  Dann:  die  Moschee  Chassin, 
eine  ehemalige  St  Georgskirche.  Dann  weiter:  die  Moschee,  welche 
früher  eine  dem  heiligen  Demetrius  geweihte  Kirche  war.  Dieselbe  war 
die  Hauptkirche  der  Stadt  und  ist  in  Form  eines  Kreuzes  gebaut.  Das 
ganze  Innere  war  früher  mit  Marmor  bekleidet,  und  auf  jeder  Seite 
befindet  sich  eine  doppelte  Reihe  von  Säulen  aus  Verde  Antico.  Endlich : 
die  Eski  Dschami  war  im  Alterthum  ein  der  thermäischen  Venus  ge- 
weihter Tempel.  Auf  jeder  Langseite  standen  12  jonische  Säulen.  Die 
6  Säulen  des  Pronaos  sind  noch  vorhanden,  obwohl  halb  verborgen 
vor  der  Mauer,  die  man  dazwisclien  aufgeführt  hat.  Dieselbe  liesse 
sich  leicht  in  ihrer  ursprünglichen  jForm  wiederherstellen  und  würde 
dann  eines  der  besterhaltenen  Baudenkmäler  des  griechischen  Alter- 
thumes  sein. 

Wir  bemerken  noch,  dass  hier  ein  Pascha  residirt,  dass  die  Stadt 
viel  von  bösartigen  Fiebern  zu  leiden  hat,  denen  Fremde  besonders 
ausgesetzt  sind,  und  dass  die  Nachbarschaft  eine  vortreffliche  Jagd, 
besonders  auf  wildes  Geflügel,  Fasanen,  Waldschnepfen  u.  a.  m.  bietet. 
Ausflüge  kann  man  von  Salonik  nach  dem  in  der  Nähe  gelegenen  Dorfe 
Sedes,  wo  sich  Mineralquellen  befinden,  und  nach  dem  10  Stunden 
entfernten  Städtchen  Jenidsche  Vardar  machen,  in  dessen  Nähe  man 
Reste  von  Pella,  der  Geburtsstadt  Alexanders  des  Grossen,  antrifft 
und  wo  der  beste  Tabak  in  Macedonien  wächst. 

2.  Von  Salonik  über  Kassandra  nach  dem  Berg  Athos  und  zurück  nach  Salonik. 

Die  im  Folgenden  angegebene  Route  nach  dem  Berg  Athos  ist 
nicht  die  nächste  (welche  über  Galatista  und  Elerigoba  führt),  aber  sie 
ist  die  geeignetste,  dem  Reisenden  alle  sehenswürdigen  Puncte  der 
chalcidischen  Halbinsel  zu  zeigen,  deren  höchstes  und  am  weitesten  in 
die  See  hinaustretendes  Vorgebirge  eben  der  Athos  ist,  während  die 
beiden  anderen  Kassandra  (einst  Pallene)  und  Longos  (einst  Sithonia) 
heissen.  Die  Puncte,  welche  unsere  Route  berührt,  sind  folgende:  Pi- 
naka  9  Stunden  von  Salonik,  Kaiandria  5  Stunden  weiter  (Rückkehr 
nach  Pinaka),  Agios  Mamas  1  Stunde  von  Pinaka,  Molibopyrgo  1,  Po- 


318  Touren  in  Maeedonien. 

ligyro  3,  Ormylia  3,  Nikita  4,  Reveniko  5,  Gomati  2,  Frisso  4,  Berg 
Athos  ('worüber  Tour  3.  zu  vergleichen) ;  dann  zurück  über  Nisvoro  5, 
Elerigoba  5,  Galatista  6  und  Salonik  8  Stunden. 

Unmittelbar  nachdem  man  Salonik  verlassen,  trifft  man  fast  nur 
wüstliegendes  Land,  die  Folge  des  griechischen  Freiheitskampfes,  an 
dem  sich  die  Bewohner  dieser  Gegenden  betheiligten.  Hier  und  da 
trifft  man  ein  ärmliches  Dörfchen,  weiterhin  einige  Metochia,  d.  h. 
Maierhöfe  der  Klöster  des  Agion  Gros.  Rechts  in  der  Ferne  über  dem 
Golf  erhebt  sich  mit  Schnee  bedeckt  der  Glymp,  weiterhin  ragen,  in 
blauen  Duft  gehüllt,  der  Ossa  und  der  Pelion  empor.  Pinaka  ist  ein 
Dorf,  welches  am  Anfang  des  schmalen  Isthmus  liegt,  der  die  Halb- 
insel Kassandra  mit  dem  Festlande  verbindet.  Ein  verfallener  Damm 
mit  Thürmen  streckt  sich  von  Ufer  zu  Ufer.  Wir  erkennen  an  dem- 
selben die  hellenischen  Quadern,  welche  einst  die  bekannte  Dorische 
Colonie  Potidäa  als  Mauer  umgaben,  die  eine  der  Hauptursachen  des 
peloponnesischen  Krieges  war  und  später,  von  Philipp  von  Maceaonien 
zerstört  und  von  Kassander  wieder  aufgebaut,  nach  dem  letzteren  Kas- 
sandria  genannt  wurde,  woher  der  heutige  Name  des  Vorgebirges  Pal- 
lene  stammt.  Ein  Sumpf  bezeichnet  die  Stelle,  wo  der  Hafen  der  alten 
Stadt  war.  Nachdem  man  die  Halbinsel  betreten,  schreitet  man  durch 
niederes  Gebüsch  und  Gestrüpp  weiter,  bis  man  eine  Anhöhe  erreicht, 
wo  plötzlich  der  toronische  Golf  erscheint.  Der  Athos  taucht  auf 
zwischen  dem  Vorgebirge  von  Sithonia  und  dem  östlichen  Gesichts- 
kreise und  zur  rechten  sind  die  Walder  von  Pallene. 

Zu  Athi/to,  3  Stunden  von  den  Ruinen  von  Potidäa,  finden  sich 
einige  Spuren  der  alten  Stadt  Aphi/tis.  Vor  der  griechischen  Revolution 
war  die  Halbinsel  Kassandra  von  700  griechischen  Familien  bewohnt, 
die  einen  Viehstand  von  2500  Stück  Rindern  und  gegen  30,000  Schafe  und 
Ziegen  besassen.  Diese  Griechen  schlössen  sich  dem  Aufstand  an,  wurden 
aber  dafür  von  Abdulabul,  Pascha  von  Salonik,  so  furchtbar  gezüchtigt, 
dass  sich  das  Land  noch  jetzt  nicht  davon  erholt  hat. 

Kaiandria  liegt  auf  einer  Landspitze,  welche,  noch  jetzt  Posidio 
genannt,  die  Ruinen  der  alten  Stadt  Posidium  trägt.  Von  hier  kehrt 
der  Reisende  nach  Pinaka  zurück,  um  sich  nun  nach  Hagios  oder 
Agios  Mamas  zu  begeben.  Dieses  Dorf  versteckt  sich  hinter  Bäumen, 
aber  dahinter  liegen  4  durch  Lehmmauern  mit  einander  verbundene 
weisse  Thürme,  wo  man  zahlreiche  Alterthümer  findet  An  allen  Brunnen 
trifft  der  Reisende  Bruchstücke  alter  Säulen,  und  zwei  Stellen  sind  mit 
Resten  von  Tempeln  bedeckt.  Ferner  finden  sich  hier  viele  zerbrochene 
Inschriften  auf  Grabsteinen,  und  am  Eingang  des  Dorfes  steht  ein  Altar 
noch  aufrecht,  aber  halb  in  die  Erde  begraben.  Alle  diese  Ueberreste 
lassen  keinen  Zweifel,  dass  diess  die  Stätte  des  alten  Oh/nthos,  der 
Hauptstadt  von  Chalcidice  ist.  Der  seltsame  Thurm,  der  sich  nicht 
weit  von  hier  erhebt,  hat  früher  einem  Metochi  oder  Maierhof  der 
Athosklöster  angehört.  Molibopyrgo  soll  auf  der  Stätte  Mekybernas 
stehen,  Poligyro  war  eines  der  Dörfer,  die  einst  die  Gold-  und  Silber- 
gruben   der   Halbinsel    ausbeuteten,    Ormylia,   ein    kleines,  aber  sehr 


Touren  in  Macedonien.  319 

anmuthiges  Dorf  am  Rande  einer  fruchtbaren  Ebene,  nimmt  die  Stelle 
des  alten  Öerrayle  ein. 

Nikita,  in  der  Nordostecke  des  toronischen  Golfes  gelegen,  lehnt 
sich  an  die  Seite  einer  Schlucht,  über  der  sich  ein  eigenthümlich  ge- 
stalteter und  gefärbter  Felsen  erhebt.  Eine  grosse  Anzahl  Ruinen  von 
Häusern  ist  über  die  Wände  der  Schlucht  zerstreut.  Unter  ihnen  be- 
gegnet man  an  der  Stelle,  wo  die  Kirche  stand,  7  weissen  Säulen,  die 
dicht  bei  einander  stehen. 

Wir  wenden  uns  nun  nördlich  durch  eine  sehr  anmuthige  Gegend 
voll  Wald-  und  Gartenbäume  und  kommen,  an  dem  Dörfchen  Bevetiiko 
vorüber,  in  ein  Thal  mit  steilen  waldbewachsenen  Wänden,  in  welchem 
das  Dorf  Gomati  liegt.  Von  hier  steigt  man  in  ein  von  niedrigen 
gerundeten  Höhen  umgebenes  Becken  hiiiab.  Noch  etwas  tiefer  liegt, 
von  Wiesen  umgeben,  das  Dorf  Frisso,  das  alte  Akantfms.  Der  Blick 
von  der  Höhe  über  demselben  ist  ausserordentlich  grossartig.  Vor  uns 
liegt  das  heiligste  Stück  Erde,  welches  die  griechische  Kirche  kennt, 
die  Halbinsel  Akte  mit  ihren  schwellenden  Waldhügelketten,  mit  dem 
gewaltigen  Kegel  des  Athos  am  äussersten  Ende,  auf  dem  nach  grie- 
chischer Tradition  Christus  vom  Satan  versucht  wurde,  auf  dem  später, 
im  Jahre  1820,  ein  Mönch  das  grosse  Lichtkreuz  erblickte,  welches 
Constantin  einst  zum  Siege  geführt,  und  welches  jetzt  den  Sieg  der 
Revolution  über  die  Türken  verhiess.  Man  sieht  am  Isthmus  des  Athos 
die  Stelle,  wo  Xerxes  ihn  durchstochen  haben  soll,  um  seine  Flotte 
hindurch  zu  führen.  Fern  im  Westen  sind  der  Olymp,  der  Ossa  "und 
der  Pelion  sichtbar,  im  Norden  erheben  sich  die  Gipfel  des  Plangäus. 
Fern  im  Süden  streckt  sich  mit  seinen  zahlreichen  Inseln  das  ägäische 
Meer  hin. 

Erisso,  ein  zerstreut  liegendes  Dorf  am  strymonischen  Golf,  der 
auch  der  Golf  von  Comtessa  heisst,  hat  über  sich  die  Ruine  eines 
mittelalterlichen  Ca.stells,  dessen  Grundmauern  aus  althellenischer  Zeit 
sind,  und  vor  sich  ein  Stück  von  einem  alten  Hafendamm,  aus  welchen 
Resten  man  schliesst,  dass  hier  Akanthus  gestanden,  eine  Stadt,  die 
eine  der  Stationen  des  Xerxes  bei  seinem  Marsch  nach  Griechen- 
land  war. 

Von  Erisso  aus  macht  man  die  Rundreise  nach  den  Klöstern 
des  Athos,  die  im  folgenden  Abschnitte  geschildert  ist,  und  kehrt  dann 
auf  dem  nächsten  Wege,  über  Nisvoro,  Elerigova  (wo  gute  Nachther- 
berge zu  finden),  Galatista  und  Basilika  nach  Salonik  zurück.  Bei 
Nisvoro  oder  Isboro,  einem  grossen  Dorfe,  findet  man  Grundmauern 
einer  alten  Stadt,  besonders  in  einer  Bodensenkung  im  Westen,  woraus 
Bowen  geschlossen  hat,  dass  hier  Stagirus,  der  Geburtsort  des  Aristo- 
teles, gestanden  habe.  Die  Gegend  zwischen  hier  und  Elerigova,  eben- 
falls einem  grossen  Dorfe,  gleicht  mit  ihrem  schönen  Rasen  und  ihren 
Baumgruppen  einem  englischen  Park,  Galatista  ist  eine  Stadt  von 
mehren  Tausend  Einwohnern,  in  welcher  ein  griechischer  Bischof 
residirt. 


320  Touren  in  Macedonien. 

3.  Rundreise  zu  den  Athosklöstern. 

Um  in  den  Klöstern  des  Athos  wohl  aufgenommen  zu  werden, 
verschaflFe  man  sich  in  Constantinopel  dnrch  seine  Gesandtschaft  einen 
Empfehlungsbrief  des  griechischen  Patriarchen  an  die  Synode  der  Klo- 
sterleute. Um  alle  Klöster  einigermassen  gründlicli  zu  sehen,  bedarf 
man  14  Tage,  wobei  die  Hin-  und  Zurückreise  von  Salonik  nicht  ein- 
gerechnet ist.  Die  hauptsächlichsten  Klöster  kann  man  nach  folgendem 
Plan  in  einer  Woche  sehen:  1.  Tag:  Von  Erisso  nach  Chiliandarion 
und  Karyes.  2.  Tag :  Besuch  von  Karyes  und  dem  benachbarten  Kloster 
Kutlumusi  und  Ritt  über  die  Halbinsel  nach  dem  Paulskloster.  3.  Tag: 
Tour  vom  Paulskloster  nach  Laura.  4.  Tag:  Von  Laura  zu  den  Ibe- 
riern  über  Karakallus  u.  a.  5.  Tag:  Vom  Kloster  der  Iberier  über 
Constamonites,  Zographos,  Russikon  u.  a.  nach  Esphigmenu.  6.  Tag: 
Von  Esphigmenu  und  Batopädion  zurück  nach  Erisso. 

Der  Berg  Athos  und  die  ganze  Halbinsel  Akte,  deren  Südspitze 
derselbe  bildet,  ist  in  der  ganzen  Levante  als  "Aytov  "Opoc,  Monte  Santo, 
heiliger  Berg  bekannt.  Auf  ihm  befinden  sich  20  Klöster,  von  denen 
einige  schon  in  den  ersten  Jahren  des  byzantinischen  Kaiserthums  ge- 
gründet sind,  und  eine  beträchtliche  Anzahl  von  Kirchen  und  Capellen. 
Jede  der  verschiedenen  zur  orthodoxen  morgenländischen  Kirche  gehö- 
rigen Nationen  hat  hier  ein  oder  mehre  Klöster,  und  Massen  von  Pil- 
gern aus  Griechenland,  Bulgarien,  Russland,  den  Donaufürstenthüinem 
und .  Kleinasien  stellen  sich  alljährlich  hier  ein.  Die  Länge  der  Halb- 
insel beträgt  etwa  8'/,  deutsche  Meilen,  ihre  durchschnittliche  Breite 
etwa  1  Meile.  Dieselbe  ist  im  Nordende  nur  hügelig,  und  zwar  erheben 
sich  die  Anhöhen  hier  nicht  über  600  Fuss.  Weiterhin  werden  die 
Hügel  zu  Bergen  von  1200—1600  Fuss.  Noch  weiter  südlich  steigen 
die  Berge  bis  zu  2000  Fuss  an,  bis  endlich  der  Athos,  ein  weisslicher 
Kegelberg  von  Kalkstein,  der  mit  dunklem  Wald  bedeckt  ist,  steil 
ansteigend  die  Höhe  von  6350  Fuss  erreicht. 

In  der  Vorzeit  war  diese  Halbinsel  von  Pelasgern  bewohnt, 
später  befanden  sich  hier  hellenische  Niederlassungen,  wie  Akanthus, 
Sane,  Dium,  Olophyxus,  Thyssus  und  Kleonä.  Die  ersten  Klöster  sollen 
von  der  Kaiserin  Helena,  der  Mutter  Costantin  des  Grossen,  gegründet 
worden  sein.  Andere  Kaiser  und  Fürsten  griechischen  Glaubens  schmückten 
die  Thäler  und  Wälder  des  heiligen  Berges  mit  Klöstern  und  Kirchen, 
und  verschiedene  derselben  zogen  sich  gegen  das  Ende  ihrer  Tage  in 
diese  grossartig  schöne  Einsamkeit  zurück.  Die  Türken  haben  die 
Mönche  immer  mit  Rücksicht  behandelt,  so  dass  dieselben  sich  bis  auf 
die  neuere  Zeit  grosser  Unabhängigkeit  erfreuten.  Der  einzige  Moslem, 
der  auf  der  Halbinsel  wohnt,  ist  ein  türkischer  Beamter,  durch  den 
die  Regierung  in  Constantinopel  mit  der  heiligen  Synode  von  Karyes, 
der  obersten  Behörde  dieser  Mönchsrepublik,  m  Verbindung  steht.  Da 
auf  der  Halbinsel  keine  Frauen,  ja  nicht  einmal  weibliche  Thiere 
geduldet  werden,  darf  dieser  Beamte  nicht  verheirathet  sein.  Die  Sy- 
node besteht  aus  20  Abgeordneten,    einer  aus  jedem  Kloster,  jährlich 


Touren  in  Macedonien.  321 

neugewählt,  und  ausser  diesen  aus  4  Verwaltern  (OTurraxai)  oder  Prä- 
sidenten, von  denen  wieder  einer  den  Vorrang  vor  den  anderen  hat 
und  in  dieser  Eigenschaft  ö  TcpwTo;  xou  "AfJwvo;,  der  Erste  auf  dem 
Athos,  heisst.  Dieser  Mönchscongress,  welcher  jede  Woche  einmal 
Sitzung  hält,  leitet  die  weltlichen  Angelegenheiten  der  Klöster,  nimmt 
Kenntniss  von  allem,  was  die  Gesammtheit  derselben  angeht  und  legt 
jedem  einzelnen  den  Tribut  auf,  den  es  statt  der  Steuern  an  die  Pforte  zu 
erlegen  hat.  Jedes  Kloster  hat  eine  Anzahl  Laienbrüder  (/oj;j.'.xo/), 
welche  Wasser  holen,  Holz  hauen  und  andere  Arbeiten  verrichten.  Wer 
sich  zum  Mönch  meldet  und  eine  Sum;:ne  mitbringt,  die  etwa  100 
preussische  Thaler  beträgt,  wird  in  die  Gemeinschaft  aufgenommen, 
ohne  verpflichtet  zu  sein,  körperliche  Arbeiten  zu  verrichten.  Nur  wenige 
Mönche  nehmen  die  vollen  Weihen,  da  der  Kirchendienst  sehr  anstren- 
gend ist.  Die  meisten  begnügen  sich  mit  dem  einfachen  Titel  Kaluger, 
statt  des  Namens  'tspsu;,  Priester.  Drei  Jahre  lang  bleibt  der  neue 
Ankömmling  Novize  (oöxiixo;),  dann  gelobt  er  Gehorsam  gegen  die 
Oberen  und  Keuschheit,  Avorauf  er  den  Titel  xaXoyepo?,  d.  i.  guter 
Greis,  erhält.  Jedes  Kloster  erfreut  sich  in  allen  Angelegenheiten,  die 
nicht  allgemein  sind,  der  Selbstregierung.  Die  meisten  sind  reich  be- 
gütert, theils  auf  der  Halbinsel,  theils  in  Macedonien,  Thessalien  und 
in  den  Donaufürstenthümern.  10  derselben  sind  xotvdßta,  die  andern  10 
?Si6^pjöua.  In  jenen  haben  die  Mitglieder  alles,  namentlich  Kleidung 
und  Tisch  geraein,  und  die  Verfassung  ist  monarchisch,  indem  ein  Abt 
oder  Iguraenos  an  der  Spitze  steht,  der  auf  Lebenszeit  gewählt  .und 
von  der  Synode  von  Karyes  sowie  vom  Patriarchen  in  Constantinopel 
bestätigt  wird.  Bei  der  Wahl  gibt  nicht  sowohl  die  grössere  Bildung 
oder  Frömmigkeit,  in  welchen  Beziehungen  die  Mönche  sich  ziemlich 
gleichkommen,  sondern  das  grösste  Verwaltungstalent  in  weltlichen 
Angelegenheiten  den  Ausschlag.  Die  idiorhythmischen  Klöster  sind  mehr 
Republiken.  Sie  werden  von  Vertrauensmännern  (i7:(Tpo7:ot)  regiert, 
welche  jährlich  neu  gewählt  werden  und  sich  nur  um  die  Verwaltung 
des  Klosterbesitzes  zu  kümmern  haben.  Auch  erhalten  die  Mitglieder 
dieser  Klöster  aus  dem  gemeinschaftlichen  Vermögen  lediglich  Brod 
und  Wein  und  haben  für  alles  Uebrige  selbst  zu  sorgen.  Die  Eefec- 
torien  sind  grosse  Hallen  mit  langen  Tafeln  ringsherum.  Während  des 
Essens  ptlegt  ein  Diakon  von  einer  Kanzel  ein  Stück  aus  dem  Evan- 
gelium vorzulesen.  Gleich  den  Refectorien  sind  auch  die  Kirchen  des 
Athos  alle  nach  demselben  Plan  gebaut :  Gebäude  byzantinischen  Styles, 
geschmückt  mit  Kuppeln,  Zinnen,  Fresken,  Mosaiken,  Reliquien  und 
zahlreichen  farbenreichen  Heiligenbildern  sowie  alterthümlichen  Lampen 
und  Leuchtern  von  Silber.  Die  Gesammtzahl  der  Mönche  des  Athos 
soll  sich  auf  3000  belaufen.  Gelehrsamkeit  findet  man  nicht  unter 
ihnen.  Die  Bibliotheken,  die  früher  verschiedene  Manuscripte  alter 
Schriftsteller  von  Werth  enthielten,  haben  nichts  der  Art  mehr  und 
sind  völlig  ungeordnet.  Man  hat  hier  dafür  keinen  Sinn,  der  eine  Theil 
der  Mönche  verbringt  sein  Leben  in  der  Hauptsache  mit  Beten,  der 
andere  mit  Arbeiten  für  die  Nahrung  und  Nothdurft  des  Lebens. 

21 


322  Touren  in  Macedonien. 

Der  Reisende  thut  am  Besten,  sich  zuerst  nach  der  7  Stunden 
von  Erisso  gelegenen  Hauptstadt  der  Klosterrepublick,  Kart/es,  zu  ver- 
fügen und  dort  seine  Empfehlungsschreiben  bei  der  Synode  abzugeben. 
Er  wird  dann  ein  empfehlendes  Kundschreiben  an  alle  Klöster  empfangen 
und  mit  Führern  und  JMaulthieren  versehen  werden.  In  den  Klöstern 
wird  man  ihn  freundlich  aufnehmen,  ihm  Herberge  und  Kost,  so  gut 
sie  der  Tag  erlaubt,  geben  und  ihm  alles  zeigen,  was  er  zu  sehen 
wünscht.  Der  Wein  in  den  Klöstern  ist  gut,  dagegen  bekommt  man 
selten  Fleisch,  da  die  Mönche,  der  strengen  Regel  des  heiligen  Basilius 
folgend,  selten  etwas  anderes  als  Fische,  Gemüse,  Reis,  Käse  und  Obst 
essen,  ja  während  der  Fasten  (159  Tage  im  Jahre)  nichts  geniessen 
dürfen  als  Brotsuppe  und  Gemüse.  Des  Nachts  wird  man  dem  Reisenden 
von  Teppichen  und  Decken  ein  Lager  bereiten  auf  den  Polstern,  auf 
denen  er  sein  Mittagsessen  verzehrte,  und  wenn  es  dann  geschehen 
sollte,  dass  ihm  die  ganzen  Familien  gewisser  Insecten,  die  ihn  im 
Schlaife  stören,  unbequem  fielen,  so  wird  er  zwar  bedauern,  dass  es  den 
guten  Vätern  nicht  gelungen  ist,  alle  weiblichen  Thiere  von  ihrem 
Asyl  fern  zu  halten,  aber  nicht  über  sie  klagen  dürfen.  Beim  Abschied 
aus  jedem  einzelnen  Kloster  pflegt  man  den  Laienbrüdern,  welche  den 
Reisenden  bedienen,  ein  Geldgeschenk  zu  machen.  Für  die  Aufnahme 
und  Beköstigung  ist  hier  nichts  zu  bezahlen,  da  die  Klöster  reich  genug 
sind,-  um  gastfrei  zu  sein. 

Eine  halbe  Stunde,  nachdem  mau  Erisso  verlassen,  passirt  die 
Strasse  einen  Maierhof,  der  auf  der  Hügelreihe  liegt,  welche  die  Ebene 
von  Erisso  von  dem  Thal  von  Provlalca  trennt.  In  diesem  Thale  lief 
der  Kanal  des  Xerxes  hin,  welcher  etwa  7600  Puss  lang  und  40  bis 
50  Fuss  breit  war  und  von  dem  man  noch  Spuren  findet.  Man  glaubt 
sogar,  dass  derselbe  ohne  zu  grosse  Kosten  wieder  herzustellen  wäre, 
und  da  die  griechischen  Schiffer  das  Vorgebirge  des  Athos  wegen  seiner 
Strömungen  und  Stürme  sehr  fürchten,  so  würde  ein  solches  Unter- 
nehmen eine  grosse  Wohlthat  für  die  Schiffahrt  sein.  Eine  Strecke  von 
zwei  Stunden  weit  besteht  der  Isthmus  aus  einer  wellenförmigen 
Ebene  ohne  viel  Wald.  Man  trifft  hier  verschiedene  den  Klöstern  gehörige 
Maierhöfe  mit  guten  Gebäuden,  tüchtigen  Zäunen,  Viehherden  und 
anderen  Zeichen  von  Wohlstand.  Die  Aufseher  dieser  Metochicn  sind 
Kaluger,  die  einige  Laienbrüder  unter  sich  haben. 

Etwa  drei  Stunden  von  Erisso  streckt  sich  ein  niedriger  aber 
steiler  Hügelzug  qner  über  die  ganze  Halbinsel.  Indem  man  diesen 
natürlichen  Wall  vor  dem  heiligen  Gebiete  auf  einem  Zickzackpfade 
übersteigt,  passirt  man  die  Station  der  Grenzwächter,  welche  die  Be- 
stimmung haben,  die  Klöster  vor  Räubern  und  vor  dem  Eindringen 
von  Weibern  und  weiblichen  Thieren,  als  Stuten,  Kühen,  Hennen  u.  A. 
zu  hüten.  Von  hier  hat  man  noch  vierthalb  Stunden  bis  nach  Karyes. 
Der  nördlichste  Theil  der  Strecke,  die  man  bis  dahin  zu  durchwandern 
hat,  besteht  aus  Höhen,  die  von  tiefen  Schluchten  mit  rauschenden 
Gebirgsbächen  durchschnitten  sind.  Das  Meeresufer  zeigt  viele  kleine, 
schöngeformte  Buchten.  Die  Berge  sind  mit  der  duftigen  isthmischen 


Touren  in  Macedonien.  323 

Fichte  und  zahlreichen  Laubholzbäumen  und  Sträuchern  bewachsen. 
Weiter  südlich  mischen  sich  die  Gewächse  des  Südens  mit  denen  des 
Nordens,  die  Olive  mit  der  Eiche,  die  Orange  mit  der  Tanne.  Man 
sieht  weite  Strecken  mit  Haselnuss-Stauden  bedeckt,  und  eine  Menge 
von  Weinbergen. 

Karfjes  oder  Karyä  bedeckt  einen  beträchtlichen  Kaum  zwischen 
den  bewaldeten  Hügeln  und  hat  gegen  1000  Einwohner,  darunter  auch 
den  türkischen  Beamten,  der  oben  erwähnt  wurde.  Der  Ort,  wo  die 
Synode  tagt,  ist  ein  massig  grosser  Saal,  in  welchem  auf  drei  Seiten 
die  Abgeordneten  mit  gekreuzten  Beinen  herumsitzen,  während  auf  di  r 
vierten  die  Schreiber  und  andere  Beamte  Platz  nehmen.  Jedes  Kloster 
hat  hier  ein  Haus,  in  welchem  sein  Vertreter  bei  der  Synode  wohnt, 
und  wo  jetzt  zugleich  die  jüngeren  Mönche  sich  aufhalten,  welche  die 
in  der  neuesten  Zeit  hier  gegründete  Schule  besuchen.  In  letzterer 
wird  von  Lehrern,  die  aus  Athen  verschrieben  wurden,  Altgriechisch, 
Geschichte ,  Geographie  und  Anderes  gelehrt.  Die  Hauptkirche  von 
Karyes  soll  das  älteste  Bauwerk  der  ganzen  Halbinsel  sein  und  ver- 
dient sehr  wohl  einen  Besuch.  Der  Bazar  ist  ziemlich  gut  versehen, 
und  man  verkauft  hier  Kleiderstoffe,  Colonialwaaren,  und  auch  Fleisch. 
Der  Reisende  wird  staunen  über  eine  Stadt  ohne  Frauen  und  einen 
Markt  ohne  Lärm.  Er  wird  wohlthun,  sich  hier  einige  von  den  Schnitz- 
arbeiten, Kreuzen  u.  A.  mitzunehmen,  welche  die  Bewohner  der  Klöster 
zum  Verkauf  hierhersenden,  oder  einige  von  den  unförmlichen  Heili- 
genbildern und  Ansichten  der  Athosklöster,  welche  die  hiesige  Druckerei 
für  die  Wallfahrer  druckt.  Jeder  mag  von  hier  aus  die  Tour  nach  den 
einzelnen  Klöstern  nach  seinem  Geschmack  und  Belieben  unternehmen. 
Wir  geben  im  Folgenden  eine  Beschreibung  der  einzelnen  Klöster,  die 
im  Nordosten  der  Halbinsel  beginnt  und  mit  dem  nordwestlichsten 
Puncte  derselben  endigt.  Zehn  von  den  Klöstern  liegen  auf  der  Ost- 
und  zehn  auf  der  Westseite  des  Vorgebirges. 

1.  Das  Kloster  Chiliandarion  ist  das  nördlichste  auf  der  öst- 
lichen Seite,  es  liegt  eine  halbe  Stunde  von  der  See  in  einem  Thale, 
welches  von  einem  Gebirgsbach  durchströmt  wird  und  von  fichtenbe- 
wachsenen Höhen  eingeschlossen  ist.  Die  Mönche  sind  Serben  und  Bul- 
garen, und  die  Sprache,  die  von  ihnen  beim  Gottesdienst  gebraucht 
wird,  ist  die  altslavonische.  Nur  Wenige  von  den  Mönchen  verstehen 
etwas  Griechisch.  Der  Name  des  Klosters  soll  davon  herkommen,  dass 
es  ursprünglich  für  tausend  Mönche  erbaut  worden  sein  soll.  Die  Bi- 
bliothek ist  unbedeutend  und  besteht  hauptsächlich  aus  Büchern  in 
slavischer  Sprache.  Interessant  sind  in  ihr  die  zum  Theil  uralten  Schen- 
kungsurkunden griechischer  Kaiser  und  serbischer  und  bulgarischer 
Fürsten,  und  die  Fermane  von  Sultanen  und  Veziren,  welche  dem 
Kloster  Schutz  verheissen.  Die  Gebäude  sind  sehr  stattlich  und  male- 
risch, und  das  Kloster  gehört  zu  den  angesehensten  und  reichsten  der 
Halbinsel.  Die  Gründer  sollen  zwei  serbische  Büsser  gewesen  sein,  der 
Hauptwohlthäter  des  Klosters  aber  war  ein  Schwiegersohn  des  Kaisers 
Romanus,  König  Stephan  von  Serbien. 


324  Touren  in  Macedonien. 

2.  Esphigmenu  liegt  etwa  eine  halbe  Stunde  von  dem  eben 
beschriebenen  Kloster  in  einem  kleinen  engen  Thale  an  der  Mündung 
eines  Wildbaches  in  das  Meer.  Sein  Name  kommt  von  der  gleichsam 
eingeklemmten  Lage,  die  es  hat.  Ein  Theil  des  Klosters  wurde  bereits 
durch  den  Sturz  eines  Felsblocks,  der  darüber  gehangen,  zerstört,  und 
jetzt  unterwühlt  ihm  das  Wasser  die  Grundlagen.  Dieses  Haus  wurde 
von  Theodosius  dem  Jüngern  und  dessen  Schwester  Pulcheria  im  5. 
Jahrhundert  gegründet  und  im  11.  restaurirt. 

3.  Batopüdion,  nach  Eoss  richtiger  Batopedion,  d.  i.  Dornen- 
feld,  wurde  von  Constantin  d.  Gr.  gegründet  und  von  Theodosius, 
nachdem  es  von  Julian  dem  Abtrünnigen  zerstört  worden,  wieder  her- 
gestellt. Die  Mönche  erklären  den  Namen  anders,  indem  sie  erzählen, 
Kaiser  Theodosius  habe  einst  den  Athos  umschifft,  da  habe  sich  ein 
Sturm  erhoben  und  das  Schiff,  in  dem  sich  ein  Kind  des  Kaisers  be- 
funden, an  der  Küste  zerschmettert,  die  heilige  Jungfrau  aber  habe 
das  Kind  gerettet  und  es  unter  einen  Busch  (ßaTo?)  gelegt,  wo  es  der 
Vater  später  gefunden.   Zum  Dank  dafür  habe  er  das  Kloster  erbaut. 

Batopädion  liegt  zwei  Stunden  von  dem  zuletzt  erwähnten 
Kloster  und  ist  nächst  Laura  das  grösste  der  Athosklöster.  Es 
zählt  mehre  Kaiser  unter  seinen  Wohlthätern,  von  denen  Einer, 
Johannes  Kantakuzeno,  hier  als  Mönch  starb.  Mit  seinen  hohen  Thürmen 
und  Zinnen,  seinen  massiven  Portalen  und  eisernen  Thüren,  seinen 
Kuppeln  und  Thürmchen  hat  es  grosse  Aehnlichkeit  mit  einer  alten 
Kitterburg.  Es  liegt  sehr  schön  auf  einer  von  der  See  durch  sanfte 
Abhänge,  die  mit  Oliven-  und  Orangenpflanzungen  bedeckt  sind,  ge- 
trennten Anhöhe.  Auf  einem  Hügel  in  der  Nachbarschaft  liegen  die 
ausgedehnten  und  malerischen  Ruinen  der  Schule,  in  welcher  während 
des  letztverflossenen  Jahrhunderts  der  Gelehrte  Eugenius  Bulgari  von 
Corfü  eine  grosse  Anzahl  von  Schülern  aus  allen  Theilen  der  griechisch 
sprechenden  Welt  versammelte,  welche  aber  endlich  den  Eänken  der 
andern  Mönche,  die  nichts  von  Gelehrsamkeit  hielten,  erlag. 

4.  Kutlumusi,  2'/,  Stunde  von  Batopädion  entfernt  und  hart 
bei  Karyes  gelegen,  ist  das  kleinste  der  Athosklöster  und  hat  nur 
etwa  dreissig  Kaluger.  Es  steht  in  dem  fruchtbarsten  Theil  der  Halb- 
insel und  ist  von  Getreidefeldern,  Olivenpflanzungen,  Gärten  und  Wein- 
bergen umgeben  Es  wurde  um  das  Jahr  1800  von  Constantin  Kutlu- 
musch,  einem  mit  den  Seldschuken-Sultanen  verwandten  Türken  gegründet, 
der  nach  dem  Tode  seiner  Mutter,  einer  Christin,  selbst  zum  Christen- 
thum  übertrat  und  als  Mönch  des  Athos  seine  Tage  endigte. 

5.  Pmitokrator,  d.  i.  das  Kloster  des  Allmächtigen  oder  des 
Allbeherrschers,  liegt  in  der  Nähe  der  östlichen  Küste  der  Halbinsel 
zwischen  Batopädion  und  dem  Kloster  der  Iberier.  Es  wurden  im  13. 
Jahrhundert  von  Alexius,  dem  Feldherrn  des  Kaisers  Michael  Paläo- 
logus,  gegründet,  welcher  den  Lateinern  Constantinopel  wieder  abnahm. 

6.  Stavronilietes,  nicht  fern  vom  letztgenannten  Kloster,  wurde 
um  das  Jahr  1540  von  einem  Patriarchen  zu  Ehren  Dessen  erbaut, 
„der  am  Kreuz  Hölle  und  Tod  besiegte". 


Touren  in  Macedonien.  325 

7.  looron  oder  das  Kloster  der  Iberier,  'H  Movrj  twv  'Ißr;p(ov, 
liegt  zwei  Stunden  von  Karyes,  auf  dem  Ostufer  der  Halbinsel.  Es  hat 
seinen  Namen  daher,  dass  es  von  reichen  Iberiern,  d.  h.  Georgiern, 
gegründet  wurde.  Das  Jahr  seiner  Stiftung  fällt  in  die  Eegierungszeit 
des  Kaisers  Basilius  II.  (976  bis  1025.)  Die  Bibliothek  desselben  besitzt 
einige  wichtige  Handschriften  in  georgischer  Sprache.  Von  hier  bis 
Laura  reitet  man  fünf  Stunden,  wobei  man  die  Klöster  Philotheus  und 
Karakallus  passirt,  von  denen  das  eine  im  zehnten,  das  andere  im 
elften  Jahrhundert  von  einem  gewissen  Antonius,  dem  Sohne  des  rö- 
mischen Fürsten  Karakallus,  gegründet  worden  sein  soll. 

10.  Laura  ist  das  grösste  aller  Klöster  des  Athos,  auf  dessen 
südlichster  Spitze  es  liegt.  Der  Name  bedeutet  im  Altgriechischen  eine 
enge  Gasse,  dann  ein  enges  Gemach,  eine  Zelle  und  im  kirchlichen 
Griechisch  ein  Kloster.  Laura  war  ursprünglich  die  Wohnung  eines 
einzelnen  Siedlers,  Athanasius,  der  im  zehnten  Jahrhundert  Irier  hauste. 
Später  entstand  aus  der  Eremitenhütte  ein  Kloster,  welches  durch  Schen- 
kungen byzantinischer  Kaiser  und  anderer  vornehmer  Personen  allmälig 
eines  der  reichsten  in  der  Levante  wurde.  Jetzt  steht  es  an  Reichthum 
mehren  andern  auf  dem  Athos  nach,  indem  ein  grosser  Theil  seiner 
Besitzungen  im  südlichen  Griechenland  lag  und  von  Capodistria  nach 
dem  Siege  der  griechischen  Revolution  confiscirt  wurde.  In  den  Felsen 
und  Wäldern  bei  demselben  trifft  man  mehre  Einsiedlerwohnungen,  die 
zum  Kloster  gehören.  Gleich  den  meisten  übrigen  Klöstern  des  heiligen 
Berges  hat  Laura  das  Aussehen  eines  befestigten  Dorfes.  Man  gelangt 
zu  demselben  durch  einen  langen,  vielgewundenen,  gewölbten  Gang, 
der  mit  schweren  Eisenthoren  verschlossen  wird.  Man  übersehe  hier 
nicht  die  uralten  Malereien,  welche  dem  Michael  Panselinos  zugeschrieben 
werden.  In  dem  kleinen  Hafen  unten  liegt  die  Flotte  der  Mönche,  be- 
schützt gegen  Seeräuber  durch  einen  Thurm.  Unmittelbar  über  Laura 
ragt  der  mächtige  Gipfel  des  Athos  mit  seinen  weissen  Kalkfelsen  und 
seinen  Klüften  und  Schluchten  empor.  Auf  der  höchsten  Spitze  des- 
selben steht  eine  Capelle,  in  welcher  alljährlich  am  Tage  der  Verklä- 
rung, also  nach  griechischem  Kalender  am  18.  August,  Gottesdienst 
gehalten  wird.  Man  kann  den  Gipfel  besteigen,  wozu  man,  hin  und 
zurück,  einen  Tag  bedarf.  Die  Aussicht  ist  bei  klarem  Wetter  ungemein 
grossartig. 

Von  Laura  begeben  wir  uns  nach  Norden,  um  die  Klöster  auf 
der  Westseite  der  Halbinsel  zu  besuchen,  wo  die  Landschaft  einen 
ernsteren  und  düsteren  Charakter  hat,  was  nicht  ohne  Einfiuss  auf 
die  Deukungs-  und  Lebensart  der  hier  wohnenden  Mönche  gewesen  zu 
sein  scheint.  Das  erste  Kloster,  welches  wir  hier  antreffen,  ist  das 
Pauluskloster.  J]s  ist  fünf  Stunden  von  Laura  entfernt  Der  Weg  dahin 
ist  oft  nur  ein  schmaler  Sims  an  den  Felsklippen,  indess  ist  nichts  zu 
befürchten,  da  die  Maulthiere,  mit  denen  man  in  den  Klöstern  ver- 
sehen wird,  einen  sehr  sichern  Tritt  haben.  Unterwegs  findet  man  das 
zu  Laura  gehörige  Asketerion  der  heiligen  Anna ,  unter  welchem  die 
Klippen  den  singitischen   Golf  bilden,  eine  Stelle,   die  im  Alterthum 


326 


Touren  in  Macedonien. 


das  Nijmphäum  hiess.  Die  Kirche  der  Heiligen  steht,  uiugeben  von 
Bäumen  und  einigen  kleinen  Häuschen  in  einer  Felsschlucht  hoch  über 
der  See.  Dieselbe  besitzt  einen  Puss  der  heiligen  Anna,  der  in  einer 
silbernen,  mit  Edelsteinen  besetzten  Schachtel  verwahrt  und  von  den 
Mönchen  so  hoch  verehrt  wird,  dass  sie,  wenn  sie  ihn  dem  Fremden 
zeigen,  jedesmal  erst  Kerzen  anzünden  und  ihre  priesterlichen  Gewänder 
anlegen. 

11.  Hagios  Pavlos  ist  ein  Kloster,  welches  ursprünglich  für 
Serben  und  Walachen  gestiftet  wurde,  jetzt  aber  meist  von  Mönchen 
bewohnt  ist,  die  von  den  jonisohen  Inseln  stammen,  und  von  denen 
deshalb  Viele  auch  Italienisch  sprechen.  Man  findet  hier  etwas  mehr 
von  abendländischer  Civilisation  als  in  den  andern  Klöstern  des  Athos. 
Das  Paulskloster  hat  übrigens  seinen  Namen  nicht  vom  Apostel  Paulus, 
sondern  von  einem  seiner  Hauptwohlthäter,  dem  Sohne  des  byzanti- 
nischen Kaisers  Mauritius,  der  um  das  Jahr  600  regierte.  Von  hier 
hat  man  vier  Stunden  bis  Karyes. 

12.  Hagios  Dionysios,  das  nächstfolgende  Kloster,  ist  auf  An- 
regung des  Erzbischofs  Dionysius  von  Trapezunt  vom  Kaiser  Alexius 
III.  im  Jahre  1375  gegründet. 

13.  Hagios  Gregorios  wurde  von  einem  Heiligen  dieses  Namens 
im  vierzehnten  Jahrhundert  unter  Johannes  Kantakuzenos  angelegt. 

14.  Simopetra,  nicht  fern  vom  Paulskloster,  hat  seinen  Namen 
von  seiner  Lage  auf  einer  Klippe  über  der  See  und  dem  Eremiten 
Simon,  der  sich  im  13.  Jahrhundert  zuerst  hier  niederliess. 

15.  Xeropotamos ,  nach  der  Angabe  der  Mönche  von  der  Kai- 
serin Pulcheria  erbaut,  hat  seinen  Namen  von  dem  im  Sommer  wasser- 
losen Bach,  der  hier  nach  dem  singitischen  Meerbusen  hinabfliesst. 

16.  Russikon  ist  ein  Kloster,  welches  im  zwölften  Jahrhundert 
für  russische  Mönche  gestiftet  wurde.  Die  Mehrzahl  der  Mönche  gehört 
indess  jetzt  der  griechischen  Nationalität  an.  Das  Kloster  hat  zwei 
Kirchen,  in  der  einen  wird  der  Gottesdienst  in  altslavischer,  in  der 
andern  in  griechischer  Sprache  gehalten. 

17.  Hagios  Xenophon  heisst  so  nach  seinem  Stifter,  einem  gi"ie- 
chischen  Heiligen  des  elften  Jahrhunderts. 

18.  Docheiarion,  abgekürzt  Docheiru,  wurde  während  der  Regie- 
rung des  Nikephorus  Phokas  von  einem  Mönch  Namens  Euthymius 
gegründet,  welcher  Pförtner  in  Laura  gewesen  war. 

19.  Constamonites  ist  ein  kleines  Kloster,  welches  in  einer  ro- 
mantischen Felsenwildniss  links  von  der  Strasse  zwischen  Karyes  und 
Zographos  liegt  und  nach  der  Angabe  der  Mönche  von  Constans,  einem 
Sohne  Constantin's  d.  Gr.,  wahrscheinlicher  aber  erst  im  elften  Jahr- 
hundert, gegründet  wurde. 

20.  Zographos  ist  ein  grosses,  von  Mönchen  aus  Serbien  und 
Bulgarien  bewohntes  Kloster,  welches  im  neunten  Jahrhundert  während 
der  Regierung  Leo's  des  Philosophen  von  slavischen  Edelleuten  oder 
Fürsten  gegründet  worden  sein  soll.  Die  Kirche  desselben,  in  welcher 
der  Gottesdienst  in  altslavischer   Sprache  gehalten  wird,  ist  berühmt 


I 


Touren  in  Macedonien.  327 

wegen  eines  wunderthätigen  Bildes  des  heiligen  Georg,  welches  sein 
erstes  Wunder  an  sich  selbst  verrichtete,  indem  es  sich  selbst  malte, 
woher  der  Name  Zographos,  d.  i.  Maler.  Auch  sein  zweites  Wunder 
bezog  sich  auf  das  Bild  selbst:  es  flog  von  Palästina,  wo  es  entstanden, 
nach  dem  Athos  herüber.  Ein  drittes  war  weniger  harmlos.  Man  sieht 
auf  dem  Bilde  in  der  N<ähe  der  Augen  ein  kleines  Loch ,  welches  mit 
folgender  Geschichte  zusammenhängt.  Ein  freidenkerischer  Bischof  von 
Constantinopel  ging  in  seinem  Zweifel  an  dem  göttlichen  Ursprung  des 
Bildes  so  weit,  dass  er,  als  man  es  ihm  zeigte,  den  Finger  hindurch- 
stiess.  Aber  siehe  da,  kaum  hatte  er  dies  gethan,  als  er  fühlte,  dass 
er  nicht  zurück  konnte,  er  mochte  ziehen,  wie  er  wollte,  der  vorwitzige 
Finger  blieb  in  dem  Bilde  stecken,  und  der  Frevler  musste,  um  fort- 
zukommen, ihn  abschneiden  lassen. 

Zographos  liegt  in  einem  Thale  in  einiger  Entfernung  vom 
Meere  und  ist  das  nördlichste  der  Klöster  auf  der  Westseite.  Man  hat 
von  hier  zwei  Stunden  zu  reiten,  um  über  die  Berge  nach  Esphigraenu 
zu  kommen,  von  wo  man  in  etwa  V/^  Stunden  nach  Erisso  zurück- 
gelangt. 

Ein  Eückblick  auf  die  Gesammtheit  der  Athosklöster  zeigt  Vieles 
von  Interesse,  wenn  auch  nichts  oder  wenig,  was  dem  Gebildeten  Rei- 
senden erfreulich  wäre.  Im  Mittelalter  der  Sitz  der  griechischen  Ge- 
lehrsamkeit, ist  der  Athos  jetzt  der  Grundstock  aller  der  Narrheit, 
Verkommenheit  und  Bornirtheit,  welche  das  Wesen  der  morgenländischen 
orthodoxen  Kirche  ausmacht.  Dennoch  wird  Niemand  den  Besuch  der 
Klöster  bereuen,  da  ihn  derselbe  gleichsam  in  längst  vergangene  Jahr- 
hunderte zurückversetzt,  ganz  abgesehen  von  den  wunderherrlichen 
Landschaften,  den  schönen  Thälern  und  Wäldern  der  Halbinsel  und 
den  eigeuLhüralichen  Formen  der  Bauwerke,  welche  sie  schmücken. 
Der  Liebhaber  des  Alterthums  wird  hier  ein  vollständiges  Earitäten- 
cabinet  byzantinischer  Denkmäler,  uralter  Pergamente,  kaiserlicher 
Handsiegel,  mit  Malereien  geschmückter  Manuscripte,  von  Gemilden 
aus  den  frühesten  Jahrhunderten,  von  seltsamen  Schnitzereien,  Perl- 
mutterarbeiten  und  Kunstwerken  alter  Gold-  und  Silberschmiede  finden, 
wie  es  die  Welt  nirgends  so  wundersam  bietet.  Der  Freund  der  Kir- 
chengeschichte wird  hier  die  Religion  des  Mittelalters  noch  bei  Leben 
und  Athem  antreffen,  etwas  greisenhaft  zwar,  aber  mit  dem  ganzen 
Apparat  ihrer  Wallfahrten  und  Wunder,  ihrem  weitläufigen,  prunk- 
vollen Ceremoniell,  ihrer  Einfalt  und  Leichtgläubigkeit  und  ihrer  tief- 
dunklen Ignoranz.  Er  wird  den  langhingezogenen  Gottesdienst  der 
morgenländischen  Kirche  mit  peinlicher  Genauigkeit  und  feierlicher 
Andacht  von  Leuten  durchmachen  sehen,  von  denen  die  Wenigsten 
auch  nur  drei  Worte  von  Dem  verstehen,  was  ihnen  vorgelesen,  vor- 
gesungen wird.  Er  wird  von  Allen  eine  strenge  Regel  befolgt  sehen, 
von  Einigen,  die  von  den  Andern  als  halbe  Heilige  betrachtet  werden, 
eine  noch  strengere.  Er  wird  Bauern  sehen,  wo  er  Mönche  zu  finden 
glaubte,  und  Mönche  in  Leuten  entdecken,  die  er  für  Bauern  hielt.  Er 
wird  keine   gelehrten    Theologen,    aber   lauter   gründlichst   orthodoxe 


328 


Touren  in  Macedonien. 


Geister  finden,  und  endlich  trotz  aller  Verkommenheit,  Unwissenheit 
und  allen  blöden  Aberglaubens  dieser  Mönche  erkennen,  dass  die  Ka- 
luger-Eepublik  des  Athos  recht  eigentlich  das  Herz  und  der  Kern  der 
morgenländischen  Kirche  ist. 


4.   Von  Salonik  über  Honastir,  Xllbassan  und  Kroia  nach  Skutari. 

Diese  Eoute,  zu  der  man,  massig  schnell  reisend,  zwölf  Tage 
braucht,  folgt  zum  Theil  der  alten  Via  Egnatia  und  ist  eine  Strasse 
für  die  türkische  Eeitpost,  weshalb  man  fast  überall  leicht  Pferae 
bekommt.  Wer  Eile  hat  und  anhaltendes  Eciten  verträgt,  kann  die 
Strecke  auch  binnen  acht  Tagen  zurücklegen.  Man  thut  wohl,  ausser 
seinem  regelmässigen  türkischen  Pass,  Empfehlungsschreiben  von  Salonik 
an  die  Gouverneure  in  Monastir,  Elbassan  und  Skutari  mitzunehmen. 
Von  Skutari  gelangt  man  in  drei  Tagen  nach  Cattaro,  von  wo  man 
mit  dem  Lloyddampfer  nach  Triest  fährt. 

Im  Folgenden  geben  wir  die  Entfernungen  zwischen  den  Haupt- 
puncten  der  Tour.  Von  Salonik  bis  Jenidsche  Vardar  hat  man  10  bis 
11  Stunden.  Dann  folgen  Wodena  10,  Ostrowo  5,  Monastir  10,  Eesna 
6,  Achrida  5,  Kukussa  12,  Elbassan  11,  Tyrana  1,  Kroia  8,  Alessio  10, 
Skutari  8  bis  9  Stunden. 

Indem  wir  Salonik  durch  das  Vardarthor  verlassen,  kommen  wir 
nach  einem  Eitt  über  eine  wellenförmige  Ebene  an  die  lange  Holzbrücke, 
die  über  den  Pluss  Vardari,  den  Axius  des  Alterthums,  führt.  Wieder 
über  grossentheils  ebenes  Land  reitend,  gelangen  wir  nach  Jenidsche 
oder  Jannitza,  in  dessen  Nähe  man  die  Stätte  zeigt,  wo  Pella,  die 
alte  Eesidenz  der  macedonischen  Könige  gestanden.  Die  neuere  Stadt 
liegt  recht  freundlich  in  Bäumen  und  Sträuchern,  über  die  sich  ihre 
drei  weiss-schimmernden  Minarets  erheben.  Der  Khan  ist  leidlich.  Die 
Weiterreise  geht  immer  über  die  grosse  Centralebene  Macedoniens,  die 
hier  ohne  viel  Baumwuchs  ist.  Erst  jenseits  des  Karesmak  oder  Ma- 
vronero,  des  Lydias  der  Alten,  über  den  eine  Brücke  führt,  trifft  man 
zahlreiche  Platanen  und  andere  Bäume.  Wodena  ist  das  alte  Edessa. 
Dieses  Städtchen  liegt  ungemein  schön.  Ein  Amphitheater  bildet  den 
Hintergrund  des  Gemäldes,  während  im  Vordergrund  auf  bewaldeter 
Höhe  mit  mehren  Moscheen  und  Minarets  das  Städtchen  schimmert 
und  von  den  Felsen  funkelnde  Wasserfälle  herunterstürzen.  Die  nach 
dem  Orte  hinaufführende  Strasse  ist  mit  breitwipfeligen  Platanen  und 
Wallnussbäumen  beschattet,  und  wenn  bei  heller  Luft  noch  der  Golf 
von  Salonik  und  der  Olymp  sich  in  das  Bikl  einfügen,  wird  es  zu  einem 
der  schönsten  in  diesen  Gegenden.  Edessa  war  die  älteste  Hauptstadt 
Macedoniens  und,  als  die  Könige  ihre  Eesidenz  nach  Pella  hinab  ver- 
legt hatten,  das  Nationalheiligthum  und  die  Begräbnis's-Stätte  der 
Herrscher  des  Landes.  Auch  unter  den  Eömern  und  Byzantinern  war 
die  Stadt  wegen  ihrer  Lage  an  der  Eguatischen  Strasse  von  Bedeutung. 
Dennoch  findet  man  nur  noch  geringe  Ueberbleibsel  aus  dem  Alterthum 


Touren  in  Macedonien.  329 

hier.  Dahin  gehören  die  Reste  einer  althellenischen  Mauer  an  einem 
der  Häuser  am  Rande  der  Klippen.  Auch  trifft  man  hin  und  wieder 
Bruchstücke  von  Steinen  mit  Inschriften  aus  römischer  Zeit.  Der  Weg 
von  hier  nach  Ostroioo,  einem  Dörfchen  an  einem  Gebirgssee,  führt 
zuerst  durch  ein  enges,  wohlbebautes  Thal,  dann  steil  den  Berg  hinauf. 
Die  ganze  Gegend  ist  voll  wilder  Schönheit.  Von  hier  führt  die  Strasse 
zuerst  um  jenen  See  herum,  dann  im  Zickzack  die  Höhen  hinan,  dann 
wieder  vor  einem  See  vorüber,  in  dessen  Mitte  auf  einer  Halbinsel  die 
alterthümliche,  sehr  verfallene  Festung  Castoria,  das  alte  Celetrum, 
steht.  Weiterhin  passirt  der  Reisende  mehre  Stunden  über  öde  Abhänge 
ohne  Interesse,  wo  er  dem  Dorfe  Tibbeli  begegnet,  dann  steigt  er  in 
die  grosse  Ebene  von  Monastir  hinab,  wo  ihn  der  Anblick  einer  freund- 
lich in  Gärten  und  Baumwipfeln  gelegenen  Stadt  mit  weissen  Mina- 
rets  erfreut. 

Monastip,  das  militärische  Centrum  des  heutigen  Macedonien, 
hat  zugleich  einige  Bedeutung  als  Handelsplatz.  Es  zählt  gegen  15,000 
Einwohner,  und  unterscheidet  sich  auf  erfreuliche  Weise  von  anderen 
orientalischen  Städten  dadurch,  dass  es  nicht  so  schmutzig  wie  jene 
ist,  und  dass  die  Hauptstrassen  breit  und  gut  gepflastert  sind.  Man 
findet  hier  wohlversehene,  sehr  belebte  Bazars  und  mehre  grosse  Casernen. 
Die  hier  wohnenden  Türken  sind  fast  nur  Soldaten  oder  Beamte,  die 
Mehrzahl  der  Einwohner  besteht  aus  Griechen,  Bulgaren  und  Alba- 
nesen,  auch  trifft  man  viele  Juden  hier.  Durch  die  Stadt  strömt  ein 
breiter,  raschfliessender  GelnrgsbacTi,  über  den  zwei  hübsche  Brücken 
von  Stein  und  mehre  hölzerne  führen;  besonders  malerisch  ist  das 
Judenviertel,  welches  da  beginnt,  wo  der  Bach  breiter  wird. 

Von  liier  führt  die  Strasse  zuerst  durch  zwei  Thäler  oder  Pässe 
zwischen  hohen  Bergen,  dann  in  eine  Ebene,  in  der  ein  Landsee  er- 
scheint, und  nach  Resna,  von  wo  man  die  Centralkette  des  Pindus  auf 
sehr  rauhem  Pfade  übersteigt.  Die  Aussicht  auf  dem  Gipfel  ist  beson- 
ders nach  der  illyrischen  Seite  hin  sehr  schön.  Hier  schimmert  dem 
Reisenden  aus  einer  wohlbebauten  Ebene  die  helle  breite  Wasserfläche 
des  See's  von  Achrida  mit  der  Festung  und  Stadt  gleiches  Na- 
mens entgegen.  Achrida  ist  das  alte  Äkris,  der  See  hiess  einst 
Lychnites.  Die  Stadt  steht  unter  dem  Berge,  der  das  Castell  trägt, 
hart  am  Rande  des  Wassers.  In  der  Feme,  am  entgegengesetzten  Ende 
des  Wasserspiegels  schimmern  die  weissen  Mauern  des  Klosters  Naum, 
bis  zu  dem  man  sechs  Stunden  reitet.  Im  Castell  von  Achrida  wohnt 
der  Gouverneur  dieses  Districts.  In  der  Stadt  triff't  man  viele  prächtig 
gekleidete  Albanesen  vom  Stamm  der  Geg,  der  sich  von  allen  Alba- 
nesen  am  buntesten  trägt. 

Der  Weg  von  Achrida  nach  Elbassan  ist  wieder  höchst  beschwer- 
lich. Er  führt  erst  zwei  Stunden  am  See  hin,  dann  beim  Dorfe  Struga, 
w^o  der  Drin  abfliesst,  bergauf  durch  einen  mit  Krüppeleichen  bewach- 
senen Pass,  dann  wieder  bergab  in  ein  enges,  ödes  Thal,  wo  sich, 
sieben  Stunden  von  Achrida,  ein  Khan  findet,  hierauf  über  eine  Kette 
niederer  Hügel  in   ein   anderes  Thal,  in   dem  sich  zwischen  Fels  und 

22 


330  Touren  in  Maeedonien. 

Wald  der  Skumbi  (der  Genuesus  des  Alterthums)  hinwindet.  Vier  Stun- 
den von  dem  Khan  überschreitet  man  den  Fluss  vermittelst  einer  Stein- 
brücke und  erklettert  die  Höhen  seines  linken  Ufers,  auf  denen  das 
Dorf  Kukussa  liegt.  Hier  ist  ein  schlechter  Khan,  in  dem  man  indess 
übernachten  muss.  Dann  geht  der  Weg  an  den  Höhen  auf  dem  linken 
Ufer  des  Skuinbi  weiter  hinauf  bis  zu  einem  fünf  Stunden  von  Kukussa 
gelegenen  Khan  und  dann  noch  drei  Stunden  an  schrecklichen  Abgrün- 
den und  Schluchten  durch  die  Gebirgslandschaft,  worauf  er  in  das 
Thal  hinabsteigt,  den  Fluss  auf  einer  hochgewölbten  Brücke  über- 
schreitet und  noch  zwei  starke  Stunden  auf  schmalem  Rande  zwischen 
den  Felswänden  und  dem  Wasser  hinführt.  Endlich  kommt  der  Rei- 
sende in  weitere  Thäler,  und  bald  nachher  erscheint  auf  einer  Ebene, 
durch  welche  der  Skumbi  als  breiter  Strom  sich  nach  dem  Adriatischen 
Meere  hinanwindet,  in  Hainen  von  Olivenbäumen  das  malerische 
Elbassan.  Dasselbe  ist  von  mittelalterlichen  Festungswerken,  einem 
tiefen  Graben  und  einer  hohen,  dicken  Mauer  umgeben,  die  ein  Quadrat 
bildet.  In  jeder  Ecke,  sowie  an  jedem  der  vier  Thore  erheben  sich 
Streitthürme.  Alle  diese  Werke  sind  verfallen,  das  Innere  der  Stadt 
voll  Ruin,  Verödung  und  Schmutz.  Die  Vorstadt  verbreitet  sich  über 
ein  weites  Terrain,  über  den  Fluss  führt  eine  alte  Brücke  mit  unre- 
gelmässigen Bogen.  Man  hält  Elbassan  für  das  Albanopolis  des 
Alterthums. 

Von  Elbassan  nach  Tyrana  passirt  man  zunächst  verschiedene 
Heckengassen  und  Gärten,  dann  das  Thal  eines  Nebenflusses  des 
Skumbi,  hierauf  einen  Berg  mit  grossartigster  Aussicht  nach  Norden 
und  Süden,  dann  wieder  ein  breites,  gewelltes  Thal,  dann  durch  eine 
Furt  und  über  jenseits  sich  hinziehende  Hügel  nach  der  Ebene  von 
Tyrana.  Vor  sich  erblickt  man  hier  die  prachtvoll  zerklüfteten  Berg- 
massen von  Kroia,  wo  Georg  Kastriota  oder  Skanderbeg  seine  letzten 
Schlachten  gegen  die  Ungläubigen  schlug.*) 

Tyrana  ist  eine  kleine  albanesische  Stadt  mit  zwei  malerischen 
Moscheen  und  mehren  Khans;  auch  kann  man  hier  Unterkunft  in  Pri- 
vathäusern finden.  Von  hier  hat  man  auf  directem  Wege  nicht  weiter  als 
acht  Stunden.  Allein  der  Reisende  wird  geneigt  sein,  einen  Umweg  über 
Kroia,  die  Stadt  Skanderbeg's  zu  machen.  Der  Pfad  dahin  führt  zunächst 
nordwärts  durch  ein  weites  Thal,  und  erreicht  nach  fünf  Stunden  einen 
Khan,  wo  er  sich  rechts  wendet   und  zuerst  durch   Wald,  dann  durch 


*)  Skanderberg,  der  Albanesenheld,  wurde  1404  geboren  und  als  Geissei  in  Con- 
stantinopel  zum  Moslem  erzogen.  Erbittert  darüber,  dass  der  Sultan  nach  dem  Tode 
seines  Vaters  dessen  Fürstenthum  einzog,  entwich  er  in  seine  Heimat,  bemäcktigte  sich 
durch  List  Kroia's,  erregte  einen  allgemeinen  Aufstand  der  Albanesen,  schlug  wieder- 
holt übermächtige  türkische  Heere,  wasste  alle  Belagerungen  Kroia's  zu  vereiteln  und 
brachte  es  nach  langen  blutigen  Kämpfen  dahin,  dass  Mohammed  IL  ihm  1461  in  einem 
Friedensvertrag  das  Land  zuerkannte.  Drei  Jahre  später  griff  er,  überredet  durch 
päpstliche  und  venetianische  Gesandte,  die  Türken  nochmals  an  und  schlug  sie  wieder 
mehrmals,  so  dass  er  sich  bis  zu  seinem  1466  erfolgten  Tode  in  seiner  Stellung  behaup- 
tete. Zwölf  Jahre  später  gelang  es  den  Türken,  Kroia  einzunehmen  und  das  ganze  Land 
zu  erobern. 


Touren  in  Macedonien. 


331 


nacktes  Gebirge  sich  an  dem  Felsen  hinaufwindet,  an  welchem  die 
Häuser  hängen.  Auf  einem  steilen  Felsenvorsprung  steht  ein  zerstörtes 
Castell,  unten  im  Halbkreis  ein  Bazar  und  Wohnhäuser,  über  welche 
sich  der  Palast  des  Bei's  und  ein  schlankes,  weisses  Minaret  erhebt. 
Die  Aussicht  von  hier  über  die  weite  Ebene  nördlich  und  südlich  von 
Skodra  ist  ungemein  grossartig. 

Von  Kroia  bedarf  man  vier  Stunden,  um  die  Poststrasse  nach 
Lesch  oder  Alessio  wieder  zu  erreichen,  welche  den  Reisenden  dann 
in  sechs  [Stunden  nach  diesem  Orte  bringt,  der  das  alte  Lissus  ist. 
Die  Reise  von  Alessio  nach  Skodra  oder  Skutari  ist  in  unserem  „Beise- 
Handbuch  für  Griechenland"  beschrieben,  wo  man  auch  das  Noth- 
wendigste  über  die  übrigen  albanesischen  Landschaften,  sowie  über  die 
Tour  von  Skutari  nach  Cattaro  findet. 


Buchdruckern  des  Oesterr.  Lloyd  in  Triest. 


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DR 

B8 
1870 


Busch,  Moritz 
Die  Türkei