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LLOYD'S
ILLÜSTMTE REISEBIBLIOTHEK.
DER ORIENT.
n. TÜRKEI.
TRIEST.
LITERARISCH-ABTISTISCHE ANSTALT (JOLIDS 0H3WAL0T.)
1870.
DIE TÜRKEI.
BEISEHÄNBBÜCH
FÜE
ßUMELIEN,
DIE
UNTERE DONAU, ANATOLIEN, SYRIEN, PALÄSTINA,
RHODUS UND CYPERN.
VON
DB- MORITZ BUSCH.
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ZWEITE VERBESSERTE AUFLAGE. fe^.' ''S
TRIEST.
LITERARISCH-ARTISTISCHE ANSTALT (JULIUS 0H8WALDT.)
1870.
An die Leser:
Berichtigungen etwaiger Irrthümer oder Ungenauigkeiten,
unter der Adresse : „Literarisch-artistische Anstalt in Triest" eingesendet,
werden mit grossem Dank aufgenommen und berücksichtigt werden.
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Inlxalt.
INHALT.
Seite
Allgemeines für Orient Beiaende.
Wer kann iu den Orient reisen ? - Die rechte Zeit im Jahre. - UeiMplan
für sechs Monate. — Kostenüberschlag. — Ausrüstung. — Pass. — Geld. --
Sprachen. — Verhaltungsregeln auf der Reise, namentlich in Betreff der Geennd-
heit. — Malaria, Fieber und Ophthalmie. — Pest. — Quarantäne. — Tour von
Wien über Triest und Venedig an Bord des Lloyd-Dampfers. - Tour von Wien
die Donau hinab nach Constantinopel l
Entes Capiteli
niUisiinaim AUgemtintn. — Geographische \ind ethnographische VerhUtnisse des
Landes. — Die Eintheilung Palästina'» zur Zeit Christi. — Die geeignetste Zeit
zum Aufbruch dahin. — Der nächste Weg von Deutschland nach dem heiligen
Lande. — Ausrüstung. — Geldsorten. — Dragoraane. — Räuber. — Krankheiten.
- Verschiedene kürzere oder längere Touren. — Strassen. — Gasthöfe. -- (^u-
sulate. — Zeit- und Kostenaufwand für eine auf Palästina sich beschränkende Reise j!8
Zweites Capitel:
Jtruüületa. -- Jaffa. — Raraleh. — Allgemeines über Jerusalem. — Thore. — Stadt-
viertel. — Einwohnerzahl. — Strassen und Plätze. — Razars. — Kirchen und
Klöster. — Orte der Legende. — Synagogen. — Moscheen. -- Die Citadelle. —
Teiche und Brunnen in der Stadt und ihrer Umgebung. - Gärten. — Die Tem-
peimauer. -- Gräber. - Berge und Thäler. - Einiges über das alte Jernsalem. -
Flau, nach welchem die Stadt und ihre Kachbarschaft binnen sechs Tagen mit
Nutzen zu sehen '10
Drittes Capitel:
Touren darch <Uh Süden Piüäsiina's. — Kurzer Wegweiser und Stundenzeiger für
Ausflüge nach den Hauptpuncten in der Nachbarschaft Jerusalems. — Tour nach
Bethanien, Jericho, dem Jordan, dem Todten Meere und Mar Saba. — Tour nach
Bethlehem und Hebron und zurück über St. Philipp . Ain Karim und das Kreuz-
kloster 69
Viertes Capitel :
Towen durch den Xorden PaMstina's. — Von Jerusalem nach Nablus. — Ebal
und Garizim. — Sebastijeh. — Dschennin. — Ebene Esdrelom. — Caipha. — Kar-
VI
Inhalt.
Seite
melkloster. — Nazaretli. — Tabor. — Tiberias und See Genezareth. — Safed.
Rameh. — Akko oder St. Jean d' Acre
85
Fünftes Capitel:
Syrien. — Syrien im Allgemeinen. — Der Libanon. — Drusen und Maroniten. —
Tour von Akko durch Phönizien über Sur und Saida nach Beirut. — Touren nach
Damaskus, den Cedern des Libanon, Baalbek und Tripolis. — Die karamenische
Kaste. — Cypern 101
Sechstes Capitel:
Kleinasien. — Kleinasien im Allgemeinen. — Smyrna. — Nimfl. — Reise über Ma-
gnesia und Bergama nach der Ebene von Troja und den Dardanellen. — Drei
Routen durch das Gebiet von Troas. — Tour nach den „Sieben Kirchen" : Ephe-
sus, Laodicea, Philadelphia, Sardes, Thyatira und Pergamos. — Tour von Smyrna
über Sardes und Brussa nach Constantinopel. — Von den Dardanellen über Brussa,
Isnik und Ismid nach Constantinopel. — Tour von Adalia durch Lycien und Karlen
nach Smyrna. — Verschiedene Pläne zu Touren im Innern des Landes. — Tour
zur See von Constantinopel nach Trapezunt und von dort zu Lande nach Tripolis
und Kerasunt 125
Siebentes Capitel:
Consiantinopel. — Constantinopel im Allgemeinen. — Geschichte der Stadt. —
Gasthöfe. — Führer. — Kaiks. — Plan, Constantinopel in sechs Tagen zu sehen.
— Die Vorstädte: Galata, Pera, Tophana, Kassim Pascha, Ejub. — Stambnl. —
Die kaiserlichen Moscheen : die Aja Sophia, Sulimanijeh, Achmedijeh, Moschee
Mohammed II. — Die Turbas. — Die Bazars. — Bäder. — Khans. — Die Paläste
von Dolmabagdsche und Tschiragan. — Das alte Serail. — Thore. — Die Brücke.
— Brunnen. — Alterthümer: der Atmeidan, der Palast des Belisar. — Die Mar-
cianssäule. — Die Wasserleitung des Kaisers Valens. — Friedhöfe. — Das
Bairara und andere Feste. — Feste und Sitten. — Die Aquäducte ausserhalb
der Stadt 165
Achtes Capitel:
Di« U/er des Bosporus in Europa und Asien. — 1. Das europäische Ufer : Arta-
köi, Kuru Tschesme, Arnaut Köi, Bebek, Rumili Hissar, Balta Liman, Emirgian,
Stenia, Jeni Köi, Kalendar, Therapia, Keflli Köi, Bujukdere, Bagdschi Köi, Bel-
grad, Sarijari, Rumili Kawak, Bujuk Liman, Karibjeh, Fanaraki, Kilia. — 2. Das
asiatische Ufer : Riwa, Poiras, Filbnrun, Anadoli Kawak, der Riesenberg, Unklar
Skelfissi, Bejkos, Akbaba, Sekedereh, Sultania, In^lschir Köi, Tschibbuklu , Kand-
lija, Anadoli Hissar, Kandilli , Kalleh Bagdschessi, Dschengelli Köi, Beglerbeg,
Stavros, Kusgundschik, Skutari, Bulgerlu, Kadiköi oder Chalcedon. — Gallipoli.
— Die Dardanellen 235
Neuntes Capitel:
lotwen in der europäischen Türkei und den Bonauf ürstenthümern. — Allge-
meines über die Moldau und Walachei, Serbien, Bosnien, Bulgarien und Thracien. —
Inhalt.
vn
Seite
Ausflüge von Constantinopel über Adrianopel, Philippopel, Sophia und Nissa nach
Belgrad. — Von Constantinopel über Schumla und Rustschnk nach Bukarest. —
Von Bukarest nach Rothenthurm und Hermannstadt. — Von Belgrad die Donau
hinab nach bilistria, Ibraila, Galatz und Varna. — Die Dobrudscha. - Von
Widdin über Loftscha, Tiruowa und Schumla nach Varna. — Von Rustschnk über
Tirnowa nach Kirk Klisie. — Von Varna über Burgas nach Constantinopel. — Von
Widdin über Krajova und Bukarest nach Oalatz. — Von Turnul Severin nach Bu-
karest. — Von Bukarest nach Jassy. — Von Belgrad über Zwornik und Tnzla
nach Trawnik. — Von Trawnik nach Bosua Serai. — Von Bosna S«rai nach Mostar
und von da nach Ragusa 269
Zehntes Capitel:
Tonrtn in Xactdotiien. - Allgemeines über Macedonien. — Von Constantinopel
nach Salonik. — Von Salonik über Cassandra nach den Athosklöstern. — Die
Klöster des Agion Oros. — Von Salonik über Monastir, Elbassan und Kroia nach
Skutari 318
VIII Beiseliteratur.
REISELITERATÜR
aus dem Verlage der
Literarisch-artistischen Anstalt (J. Ohswaldt) in Triest,
zu beziehen durch jede solide Buchhandlung.
Lloyd's lllnstrirte Reisebibliothek.
Wien bis Müncheu. Reisehandbuch, eleg. geb. fl. 2.50 - Thlr 1.20
Wien bis Triest. do. „ „ „ 1.60 - „ 1. 2
Adelsberger Grotte. Ein Grottenführer „ —.80 - „ —.16
Triest und Umgebung. Reisehandbuch , , „ 2. - = „ 1.10
Trieste et ses environs. Guide . • „ „ „ 1.36 = „ —.27
Venedig. Reisehandbuch „ „ , 2.— - „ 1.10
Venise. Guide , , „ 2.50 - „ 2.20
Aegypten. Reisehandbuch „ „ „ 3.— = , 2.—
Egypte. Hand-Book for travellers . . „ „ „ 3 — - „ 2.—
Griechenland. Reisehandbuch . . . „ . „ 3.— „ 2.—
Türkei. , ■ ■ ■ „ > ,' 3.— , 2.—
mit deutschem, französischem und englischem Titel und Inhalt.
Album zur Erinnerung an Athen (12 Stahlstiche)
eleg. geb fi. 2.50 '^ Thlr. 1.20.
„ zur Erinnerung an ConstaiiliiioppI (28
Stahlstiche), eleg. geb „ 5.50 ^^ „ 3.20.
„ malerischer Ansichten aus Daliiiatien (25
Stahlstiche), eleg. geb „ 5.50 - „ 3.20.
, malerischer Donauaiisicbteii (51 Stahlstiche),
eleg. geb ., 8.- =^ , 5.10.
„ malerisch-historisches, aus Italien (50 Stahl-
stiche), eleg. geb ., 6.50 - , 4.10.
„ zur Erinnerung an Italien (18 Stahlstiche),
eleg. geb „ 5.50 - „ 3.20
„ zur Erinnerung an den Rhein (22 Stahl-
stiche), eleg. geb , 4. — - , 2.20.
„ der Südbahn von Wien bis Triest (32
Stahlstiche), eleg. geb , 3.— = , 2.— .
Land- und Seekarte des Mittelländischen
Meeres nebst den angrenzenden Ländern
von Dr. Henry Lange (9 Blatt) . . . , 7.50 - „ 5. — .
Allgemeines für Orient-Reisende
Allgemeines für Orient-Reisende.
Wer kann in den Orient reisen ? — Die rechte Zeit im Jahre. — Beiseplan für
sechs Monate. — Kostoiiüberschlag. — Ausrüstung. — Pass. — Geld. — Sp'aclien.
Verhaltungsrcgeln auf der Reise, namentlich in KetreiT der Gesundheit. — Malaria,
Fieber und Üphtlialmie. — Pest. — Quarantäne. — Tour von Wien über Triest und
Venedig an Bord des Lloyd-Dampfers. — Tour von Wien die Donau hinab nach Kon-
stantinope'.
Eine Reise in den Orient erfordert, wofern sie sich nic'it auf
den Besuch der Küstenplätze beschränkt, vor Allem einen gesunden
Körper. Ausdauer im Ertragen von Beschwerden und Entbehrungen
und einen Geist, der auf eine Weile, ja nach Befinden auf lange Zeit
absehen kann von den Freuden und Annehmlichkeiten des civilisirten
Lebens. Nach den Küstenorten und nach einigen, Theilen Aegyptens
können auch Frauen gelangen, ohne sich zu viel zumuthen zu müssen.
Bis Triest führt Post und Eisenbahn, und dort nimmt sie ein bequem
eingerichteter Dampfer auf, um sie bis hart vor die Thore Alexan-
driens, Athens, Srayrnas oder Konstantinopels ^u tragen. In Betreff
anderer Punkte genüge es vorläufig zu bemerken, dass man in Grie-
chenland und der europäischen und asiatischen Türkei nur zu Pferde
reisen kann, dass man den grössten Theil des Jahres einer glühenden
Sonne ausgesetzt ist, dass man im Innern des Landes oft die einfach-
sten Bequemlichkeiten vermisst, und dass man das Mangelnde nur
mit beträchtlichen Kosten mit sich führen kann. Unter solchen Um-
ständen zu reisen ist nur dem Kühnen und Starken vergönnt, oder dem,
welchem ein fürstliches Vermögen einen Theil der Schwierigkeiten ebnet.
Im Uebrigen bedarf es keines ungewöhnlichen Muthes, um die
interessantesten Punkte im Innern zu besuchen. Man hört Mancherlei
von Raubaufällen, wird aber, wenn man die im Folgenden angegebenen
Vorsichtsregcln befolgen wUl, selbst in den berüchtigtsten Gegenden
kaum einen Eäuber zu Gesicht bekommen. Ein Orientale reist in der
Regel mit seinem halben Vermögen im Gürtel, da er Anweisungen
und Wechsel nicht kennt, und seine Waffen und Kleider sind gewöhn-
lich so kostbar, dass es sich lohnt, ihn zu berauben. Der Franke
dagegen lässt bei Ausflügen nach gefahrvollen Gegenden (wirklich ge-
fahrvoll ist nur die Nachbarschaft von Smyrna und ein Theil Palästi-
nas und Syriens;, wenn er sich nicht von einer Escorte begleiten lassen'
und sich keiner Karavane anschliessen kann, sein Geld bis auf das
Nothwendigste in Sicherheit beim letzten Consul seiner Nation zurück,
und was er sonst mit sich führt, hat für orientalische Wegelagerer
keinen oder nur geringen Werth.
Allgemeines für Orient-Beisende.
Dazu kommt Folgendes: Jeder Beduine oder Grieche weiss,
dass, wenn ein Franke ein Schiessgewehr in der Hand hat, mit einer
an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, erstens,
dass es geladen ist, und zweitens, dass es, sobald auf den Hahn ge-
drückt wird, losgeht, was sich mit gleicher Zuversicht von dem Waffen-
magazine, welches er selbst an und um sich hängen hat, nicht annehmen
lässt. Endlich aber wird, wenn ein Frauke beleidigt worden ist. Alles
in Bewegung gesetzt, um Genugthuung, zu erlangen. Die Consuln
schreiben energische Briefe, die Paschas werden aus ihrem Phlegma
aufgestört, Soldaten, Kawassen und Tataren jagen wie toll durch das
Land, wo die Unthat vorgefallen ist, misshandeln die Bevölkerung
und leben als Exccutionstruppen in deren Häusern, bis der Mörder —
oder statt seiner ein Anderer — aufgefunden und, um den Consul zu
beschwichtigen, geköpft worden ist, während die sonstigen Verdächti-
gen die BasLonade bekommen haben. Alles dies ist sehr unangenehm,
und so ist es gekommen, dass die Bewohner der Striche, wo die Re-
gierungen überhaupt ihre Hand fühlen lassen können, schon seit Jah-
ren zu der Einsicht gekommen sind, dass bei Anfällen auf Europäer
der zu hoffende Gewinn von der zu fürchtenden Strafe überwogen wird.
Als zweite wichtige Frage drängt sich die auf, zu welcher
Zeit man die verschiedenen Länder des Orients besuchen soll. In dieser
Beziehung empfiehlt man für die, welche auf die Tour ein ganzes Jahr
und mehr Zeit verwenden können, Nachstehendes: Januar und die
erste Hälfte des Februar verbringe man in Korfu oder Athen. In
dieser Jahreszeit ist es in der Regel zu kalt und stürmisch, und die
Flüsse sind zu sehr angeschwollen, um eine Reise in das Innere
Griechenlands unternehmen zu können. März, April und Mai verwende
man auf Touren durch Nordgriechenland und Thessalien, Morea und
Albanien. Zu Reisen, welche tiefer gehende Studien zum Zwecke
haben, ist die Zeit von drei Monaten zu kurz. Derjenige aber, welcher
sich nicht an einige Strapatzen kehrt, wird in ihr im Staude sein,
alle allgemein interessanten Orte dieser Gegenden zu sehen um sich
einen guten Begriff von der Art des Landes und seiner Bewohner zu
verschaffen. Im Juni besuche man sodann die Inseln des Aegäischen
Meeres, die Sieben Kirchen Asiens und die Ebene von Troja. Die bei-
den folgenden Monate verhalte man sich ruhig in Konstantinopel und
in den kleinen Orten am Bosporus, welche in dieser Jahreszeit kühler
als irgend ein Punkt an der Küste des Mittelmeeres sind. Eine Wan-
derung durch Syrien und das heilige Land kann im September unter-
nommen und Ende October vollendet werden. NachAegypten zugehen,
um sich dort länger aufzuhalten, ist nur im Winter rathsam. Wer
endlich die Tour durch das südliche Kleinasien zu machen wünscht,
der wähle dazu die ersten Frühlingsmonate.
Der Verfasser, welcher seine Reise zu Ende December antrat
und in kürzerer Zeit zurückkehren musste, kann denen, die sich im
gleichen Falle befinden, folgenden Reiseplan empfehlen. Man begebe
sich von Wien Mitte December nach Triest, besuche in der Zwischen-
Allgemeines für Orient-Reisende.
zeit bis zur Abfahrt des Dampfers nach Alexandrien auf einige Tage
Venedig und gehe dann über Korfu nach Aegypten. Dort bleibe man,
von Kairo Ausflüge nach den ersten Pyramiden und nach Suez ma-
chend, drei bis vier Wochen (wer die Stromfahrt nach Theben und
bis zum ersten Katarakt des Nil hinzufügen will, bedarf im günstig-
sten Falle sechs Wochen mehr) und reise dann entweder durch die
Wüste nach Jerusalem oder zur See nach Jaffa und von dort nach
der heiligen Stadt. Hier und in Palästina überhaupt sich vierzehn
Tage aufzuhalten, genügt, um alle merkwürdigen Orte und Gegen-
stände des Landes in Augenschein zu nehmen. Dann kehre man ent-
weder nach Jaffa zurück, um mit dem Dampfer nach Beyrut und von
dort nach Damaskus zu reisen, oder man begebe sich auf dem Land-
wege nach Damaskus, gehe von dort nach Beyrut und von da über
Cypern und Rhodus nach Smyrna. Von Smyrna aus besuche man die
interessantesten Punkte der Nachbarschaft, schiffe sich dann nach
Griechenland ein, mache von Athen drei bis vier Wochen hindurch
Touren nach dem Norden und Morea, begebe sich hierauf vom Piräus
nach den jonischen Inseln und fahre von da direct nach Konstantino-
pel. Von hier lassen sich Ausflüge nach Salonik und dem Athos, sowie
nach Trapezunt machen. Dann mag man sich nach der Sulinamündung
begeben und von dort die Donau hinauf nach Wien zurückkehren.
Die Kosten einer solchen Reise hängen begreiflicher Weise von
dem Style ab, in welchem man dieselbe unternimmt. Etwas Bestimmtes
lässt sich somit darüber nicht mittheilen ; doch mag bemerkt werden,
dass dieselben für den, der sich einzuschränken weiss, im Durchschnitt
10 Gulden Ö. W. auf den Tag nicht übersteigen. Für die in Gesell-
schaft Reisenden, sowie für solche, welche der Landessprachen kundig
sind und sich längere Zeit an einem und demselben Orte aufhalten,
wird sich die Rechnung noch etwas niedriger stellen. Im Allgemeinen
dürfte feststehen, dass für die zuletzt bezeichnete sechsraonatliche Tour
(mit Einschluss der Fahrpreise auf den Lloyddampfern) 2100 bis 2250
Gulden Ö. W. oder 1400 bis 1500 proussische Thaler genügen, dies
aber auch der niedrigste, nur für Sparsame ausreichende Satz ist.
Auch in Betreff der Ausrüstung für eine Reise in den Orient
lassen sich allgemein giltige Regeln nicht aufstellen. Der Gelehrte
wird sich mit zahlreichen Büchern, der Bequeme mit einer Menge
von Gegenständen beladen müssen, die ihm an das Herz gewachsen
sind. Derjenige, welcher sich vor Entbehrungen nicht scheut, wird wohl
thun, so wenig wie möglich von Gepäck mitzunehmen. Derselbe -ver-
sehe sich mit soviel Wäsche, um wenigstens drei Wochen auszureichen,
ohne waschen lassen zu müssen, mit zwei Anzügen, einem feinen, um
Besuche bei Consuln und Paschas machen zu können , und einem
möglichst starken, ferner mit waschledemen Unterbeinkleidem und
einem wollenen Hemd, das unmittelbar über der Haut getragen werden
muss, endlich mit rindsledernen Stiefeln und einem breitrandigen Hute,
um den man sich in den heissen Monaten ein weisses Tuch nähen
lässt. Die Stiefel lasse man bei längern Reisen ungewichst, da die
Allgemeines für Orient-Beisende.
natürliche Farbe des Leders die Sonnenstrahlen weniger auf sich lenkt.
Dagegen bestreiche man sie gelegentlich mit etwas Oel, was sie
geschmeidig erhält. Die Farbe des Alltagsanzugs sei lichtgrau, der
Stoff AVolle. Sodann nehme man sich einen Mantel von wasserdichtem
Stoff mit, um nöthigenfalls des Nachts im Freien schlafen und durch
den Regen Weiterreisen zu können. Ein Regenschirm ist gut zu
brauchen, weniger als Schutz vor plötzlichen Regengüssen, als gegen
die Sonne.
Orientalische Kleidung anzulegen ist nur Dem zu rathen, der
die Sprache des Landes versteht. Für jeden Andern ist sie Maskerade
und nichts weniger als ein Präservativ gegen Anfälle. Indess mag man
sich des Fez bedienen, da es den Kopf gut gegen die Sonne schützt.
Dann aber kaufe man eines von den höchsten und stärksten, wie man
sie in Triest zum Preise von 3 bis 4 Gulden bekommt. Für Reisen in
das Innere nehme man sich einen ledernen Mantelsack mit, da Koffer
sich auf Pferden nicht gut transportiren lassen. Den Koffer lasse man
mit den schweren Gegenständen in sicheren Händen (im Gasthaus,
oder, wenn Empfehlungen dies ermöglichen, bei den Agenten des
Lloyd oder den Consuln) zurück, um ihn bei der Rückkehr abzuholen
oder ihn nach dem nächsten Küstenplatze, den man berühren will,
senden zu lassen. Sich mit Waffen und Munition zu versehen, ist im
Allgemeinen nicht mehr erforderlich. Wer ein guter Schütze ist, nehme
sich eine Büchse oder einen guten Revolver mit. Ausserdem versehe
man sich mit einer grünen Brille zum Schutze gegen das grelle Son-
nenlicht, mit einer überflochtenen Trinkfiasche, mit starkem Bindfaden,
einigen Riemen, einem guten Messer und Nadeln und Zwirn zu etwa
nöthig werdenden Ausbesserungen.
Ein wichtiges Stück der Ausrüstung für den Orient ist ein Pass
für das Ausland. Derselbe muss von dem österreichischen Gesandten
oder Consul in dem Lande oder Orte, von wo die Reise angetreten
wird, und später von den Gesandten oder Consuln aller der Regie-
rungen visirt sein, durch deren Gebiete man zu gehen gedenkt, d. h.
von denen der Pforte (Gesandte in Berlin und Wien, Consul in Triest),
Griechenlands (hier genügt das Visum des griechischen Consuls in
Triest) und Englands für die Insel Malta. Im Jahre 1844 machte
die türkische Regierung bekannt, dass kein Reisender das Gebiet der
Pforte betreten dürfe, der nicht mit einem regelmässigen, von einem
Gesandten oder Consul des Sultans visirten Passe versehen sei. Man
nimmt es mit dieser Anordnung seit 1869 strenger, daher wird der
Reisende wohlthun, es auch seinerseits genau damit zu nehmen, da er
sich sonst leicht Verlegenheiten aussetzt. Bei seiner Ankunft in der
ersten grössern Stadt, welche der Wohnsitz eines Pascha oder Gou-
verneurs ist, muss er sich dann mit einem regelmässigen türkischen
Passe versehen. Diese zerfallen in drei Klassen : Firmane, Buyurdi's
und Teskeres. Ein Firman kann nur vom Sultan oder einem Pascha
höchsten Ranges gewährt werden. Man erlangt ihn in Konstantinopel
durch Vermittelung der Gesandtschaften und Consulate. Er ist nicht
Allgemeines ftlr Orient-Reisende.
absolut nothwendig; denn ein Buyurdi (auch Buyuruldi genannt) oder
Tcskere entspricht in der Regel dem Zwecke vollkommen eben so gut
und macht beträchtlich weniger Kosten. Der Buyurdi ist eine Empfeh-
lung an alle Beamten, der Teskere der eigentliche Pass für den Reisen-
den. Doch gelten beide nur für die betreffende Provinz, so dass man
sich in Aegypten nicht für Kleinasien, in Kleinasien nicht für Rumelien
mit diesen Beglaubigungsschreiben versehen kann. Ausgerüstet mit
diesen Documenten, hat der Reisende das Recht, bei den Christen
in jedem Dorfe und jeder Stadt der Türkei Wohnung zu begehren
und von dem Menzil oder der Postanstalt der Regierung mit Pfer-
den zu demselben Preise versorgt zu werden, wie die grossherrlichen
Kuriere.
Selten wird der Reisende in den Fall kommen, seinen europäi-
schen Pass vorzeigen zu müssen; dies wird nur da nöthig sein, wo
er sich aus eignem Antriebe zu den Behörden begibt, um Genugthuung
oder Hilfe in schwierigen Fällen zu suchen. Indess ist es Sitte, dass
er, wenn er einem Pascha seine Aufwartung macht, seinen Pass durch
den Dolmetscher (Dragoman) seiner Excellenz oder dessen Sekretär
vorzeigt; auch dient derselbe dazu, dass sich die Consuln von der
Identität seiner Person überzeugen können. Endlich ist zu empfehlen,
dass man, um sich Aufenthalt und Verlegenheit zu ersparen, womög-
lich bewirke, dass in dem türkischen Passe der Name und der Titel
des Reisenden, die Landstriche, welche er besuchen will, und die
Pferde, welche er bedarf, deutlich angegeben werden, xind dass man
sich eine Uebersetzung des Passes ins Französische, Italienische oder
Englische verschaffe. In Aegypten bedarf es nirgends eines Passes.
Im hohen Grade nützlich sind gute Empfehlungsschreiben.
Man kann davon nicht genug mitnehmen. Die besten sind die an die
österreichische und preussische Gesandtschaft und an die österreichi-
schen und preussischen Consuln in Alexandrien, Kairo, Jerusalem, Bey-
rut, Damaskus, Athen, Salonik, Smyrna, Konstantinopel und Trapezunt.
Kann man zwei oder mehrere für einen Ort bekommen, so verschaffe
man sie sich, da es leicht geschehen kann, dass man den einen oder
den andern der Herren nicht zu Hause trifft. Für Griechenland suche
man sich ausserdem Empfehlungen an Gelehrte zu verschaffen, für
Aegypten und Kleinasien Briefe an grössere Handlungshäuser, für das
heilige Lond solche an die dort lebenden deutschen Geistlichen. Im
Innern ist der Reisende sicher, bei jedem gebildeten Deutschen Rath
und Auskunft zu finden.
Ueber die Geldsorten, welche in der Levante gelten, wird das
Nöthige später verzeichnet werden. Hier nur so viel, dass man im
ganzen Orient, so weit er in das Bereich dieses Buchs gezogen ist,
nach Piastern und Paras rechnet, dass Thal er aller Länder circuliren,
unter denen der spanische gewöhnlich 1 Piaster mehr gilt, als die
übrigen, dass von europäischen Goldmünzen englische Sovereigns und
französische Napoleons die empfehlenswerthesten sind. Die türkischen
Banknoten haben nur in Konstantinopel und an einigen andern Küsten-
Allgemeines für Orient-Reisende.
platzen Eumelieiis Werth. Man hüte sich deshalb vor ihnen, zumal
sie nirgends zu dem Betrage, den sie repräsentiren , angenommen wer-
den. Im Uebrigen ist zu bemerken, dass es nicht gerathen ist, sich
mit grossen Summen in baarem Gelde zu versehen. Bis Triest gelten
die österreichischen Banknoten. Von da nehme man sich Creditbriefe
nach Alexandrien, Athen, Smyrna, Beyrut und Konstantinopel mit,
und ausserdem versehe man sich mit einigen Sovereigns oder Napo-
leons, einigen spanischen Thalern und einigen Dutzend Piastern, um
den ersten Bedürfnissen genügen und dem unvermeidlichen Verlangen
der Orientalen nach Trinkgeldern nach Belieben gerecht werden zu
können.
Das Wort Bakschifscli ist dasjenige, mit welchem der Reisende
in der Levante zuerst vertraut wird. Es empfängt ihn, verfolgt ihn
auf Schritt und Tritt und hallt ihm bei der Heimkehr als Absclüeds-
gruss nach. Es ist damit ein freiwilliges Geldgeschenk gemeint, wel-
ches der gemeine Orientale bei jedem Znsammentreffen mit Europäern,
namentlich aber bei jeder Dienstleistung, sei sie noch so geringfügig,
erwartet und beansprucht. Niemand ist gezwungen, ein Bakschisch zu
geben, indess nöthigt oft die Klugheit dazu, und es ist nicht sowohl
Freigebigkeit, als Sparsamkeit zu nennen, wenn dem Verlangen ge-
willfahrt wird. Wird zum Beispiel das Gepäck nach der Mauth ge-
bracht und der Beamte macht Miene, es zu untersuchen, so steht er
sofort von seiner Absicht ab, wenn das Wort Bakschisch ausgesprochen
wird und ein paar Piaster aus der Hand des Reisenden in die seine
gleiten. Findet der Wanderer im Orient beim Anbruch der Nacht die
Thore eines Khan oder einer Stadt geschlossen, so ist Bakschisch der
beste Schlüssel, der sie öffnet. Ueberhaupt gibt es kaum eine Schwie-
rigkeit, die das magische Wort nicht überwände.
Andere Geschenke zu ^eben, ist im Allgemeinen nicht mehr
üblich. Früher war es Gebrauch, mit den Paschas, denen man vorge-
stellt wurde, Gaben zu wechseln. Dies ist in den letzten Jahren abge-
kommen. Wer sich indess länger an einem Orte aufliält und dort von
einem Scheik oder Gouverneur Gefälligkeiten in Anspruch zu nehmen
hat, kann den Wunsch hegen, sich erkenntlich zu bezeigen. Dann
nehme er sich für ersteren eine Pfeifenspitze von Bernstein, einen
Tarbusch oder ein hübsches Messer, für letztern ein Taschenfernrohr,
einen Revolver, Spielzeug für Kinder oder Zierrathen für Frauen mit.
Wer viel unter dem Volke im Innern zu leben gedenkt, mag sich
überdies in Wien, wo dergleichen billig ist, mit einigen Dutzenden
von recht grellfarbigen von Messing- oder Stahlzierrathen blinkenden
Armbändern und billigen Taschenspiegeln versehen. Er kann sich na-
mentlich in Syrien und Palästina manchen Freund damit machen. Den
Consuln im Innern wird man in den meisten Fällen schon durch sein
Erscheinen Freude bereiten, die durch das letzte Quartal einer oder
der andern deutschen Zeitschrift oder durch ein neues epochemachendes
Buch erhöht werden kann.
Allgemeines für Orient-Reisende.
Ueber die Spra; hen des Orients wird später das Nothwendigste
bemerkt werden. Die verbreitetsten sind das Arabische, das Türkische
und das Neugriechische. Wer sie alle versteht, wird natürlich am Bil-
ligsten, Sichersten und Bequemsten reisen und den reichsten Gewinn
an Erfahrung, das beste Bild des Volkslebens mit heimbringen. Von
dem gewöhnlichen Reisenden ist eine solche Kenntniss nicht zu er-
warten. Dieser wird sich mit dem Italieilisflien bekannt machen
müssen, der Sprache, welche von den Sprachen des Abendlandes in der
Levante am ausgebreitetsten ist. Wer nicht Italienisch kann, wird sich
in den Küstenstädten mit Französisch und Englisch durchhelfen kön-
nen; für alle Ausflüge in das Innere muss ein Dragoman genommen
werden, über dessen Wahl und dessen Leistungen weiter unten alles
Erforderliche zu sagen sein wird.
Das kostbarste Gut, welches der Reisende auf seiner Tour mit
sich führt, ist seine Gesundheit. Es ist zugleich dasjenige, welches
von allen am meisten bedroht ist, und so nehmen Regeln zum Schutze
desselben .unter allen Rathschlägen, die hier zu ertheilen sind, die
oberste Stelle ein. Was auch der Plan des Reisenden ist, wohin immer
er seine Schritte lenken möge im Morgenlande, stets sollte er die
Nothwendigkeit iin Auge behalten, sich vor allen irgend bekannten
Ursachen von Krankheiten der Länder zu hüten, wo ärztliche Hilfe in
der Regel schwer und fast nie zu rechter Zeit zu erlangen ist. Zu
diesem Zwecke merke und beachte man folgende Grundregeln :
1. Dass wir in heissen Klimaten nicht in der Weise essen und
trinken und nicht in dem Grade Strapatzen ertragen können, wie in
der nördlichen Heimath.
2. Dass die Gemüthsruhe in diesen Ländern directen Einfluss
auf die Kraft und Gesundheit der in ihnen lebenden Fremden ausübt,
und dass die Geisteskräfte und die Verdauungsfunktionen in dem
Maasse dieses Einflusses in Wechselwirkung zu einander stehen.
3. Dass man in Betreff der Diät, der Bewegung und der für
Mahlzeit, Ruhe und Geschäfte festgesetzten Stunden des Tages sich
nach Möglichkeit an das halten muss, was unter den Eingebornen der
Länder, welche man besucht, als Regel gilt.
4. Dass in allen heissen Ländern der Körper zu seiner Erhaltung
weniger Speise und namentlich weniger animalische Nahrung bedarf,
als in der kalten Zone.
5. Dass der Reisende, welcher Wein oder Bier massig geniesst,
wohl thut, dass er aber noch besser thut, sich des Genusses von bei-
den ganz zu enthalten, wenn er nicht sicher ist, sich massigen zu können.
6. Dass, was in kalten Ländern im Bereiche der Massigkeit ist,
. in heissen oft schon masslose Ausschweifung genannt werden muss .
7. Dass in Betreff der Diät für solche Länder keine allgemei-
nen und unabänderlichen Regeln gelten, sondern jeder nach seiner
Körperbeschaffenheit gemessen oder enthaltsam sein muss.
8. Dass manche Dinge, die in dem einen Landstriche gesund
sind, in dem andern als schädlich vermieden werden müssen.
8 Allgemeines für Orient-Beisende.
9. Dass Reinlichkeit, Heiterkeit, regelmässiges Leben und Ver-
meidung zu grosser und langdauernder Erhitzung und Durchnässuug,
vor Allem aber eine solche Eintheilung der Reise, dass man nicht zu
lange der Nachtluft ausgesetzt ist, die Hauptmittel sind, durch die
man sich in heissen Ländern vor Krankheit schützt.
10. Dass Aengstlichkeit, zu heftige Anstrengung und Völlerei
die gewöhnlichsten Thüren sind, durch welche der Körper dem Ein-
flüsse endemischer und contagiöser Krankheiten geöffnet wird.
11. Dass in tropischen Klimaten zu üppig wuchernde Vegetation
ein der Gesundheit nachtheiliges Miasma erzeugt (dies gilt vor Allem
von der nordöstlichen Küste Kleinasiens, wo die Riesenwälder von
Trapezunt und ganz Kolchis im Sommer die giftigste Fieberluft aus-
hauchen); weshalb als Regel bei der Wahl eines Aufenthalts für län-
gere Zeit zu gelten hat, dass der Boden und die sonstigen Naturein-
flüsse, welche dem Gedeihen von vegetabilischem Leben günstig sind,
entgegengesetzte Wirkung auf das animalische haben.
12. Dass Trübsinn und Unruhe, häufiges Nehmen von Arzneien
bei leichten Anfällen von Unwohlsein und andrerseits Vernachlässi-
gung rascher Vorsichtsmassregeln und wirksamer Gegenmittel bei
eintretendem schweren Unwohlsein Fremden in diesen Ländern gleich
verderblich sind.
Aus diesen zvt ölf Hauptsätzen der Diätetik für Reisende
im Morgenlande leiten sich dann folgende bestimmtere Regeln für
die Art, wie man sich einzurichten hat, ab : Wenn es irgend zu ermög-
lichen ist, so stehe man des Morgens um 5 Uhr auf und begebe sich
des Abends vor 10 Uhr zu Bett. Man frühstücke, wo man die Wahl
hat, um 8, esse zu Mittag nm 3 und halte seine Abendmahlzeit um
8 Uhr. Auf der Reise halte man bei heissem Wetter von 11 Uhr
Morgens bis 3 Uhr Nachmittags Rast. Man hüte sich vor starker Be-
wegung oder Anstrengung unmittelbar nach dem Essen, und man ruhe
stets vor der Mahlzeit eine halbe Stunde aus, wenn man stark gegan-
gen oder geritten ist. Man trinke lieber Wein als Rum, Cognac oder
andere Spirituosen und überhaupt kein geistiges Getränk vor dem
Mittagsessen. Man hüte sich vor sauren oder herben Weinen bei Ti-
sche. Sie sind schädlich, auch wenn sie mit Wasser gemischt sind. Wo
Wein nöthig ist, thun ein oder zwei Glas von gutem Xeres oder Ma-
deira die besten Dienste. Man nehme sich vor dem häufigen und reich-
lichen Genüsse der süssen kühlenden Getränke des Orients, der Limo-
nade, der verschiedenen Scherbet-Arten u. s. w. in Acht. Man esse die
einfachste Nahrung, vermeide es, zu viele Gerichte zu geniessen, lasse
alle Zuckerbäckerwaaren unberührt oder koste nur davon, und hüte
sich, wenigstens so lange man noch Neuling im Lande ist, vor allen
Früchten, an die man nicht gewöhnt ist, besonders vor frischen Dat-
teln, Melonen, Aprikosen und allem säuerlichen Obst.
Man nehme gelegentlich ein warmes oder Dampfbad, hüte sich
aber, in Afrika wenigstens, ohne Erlaubniss des Arztes kalte Bäder
zu nehmen, nicht weil dieselben unter Umständen nicht heilsam sein
Allgemeines für Orient-Reisende. 9
könnten, sondern weil sie Vorsichtsraassregeln erfordern, welche ein
Fremder nicht kennt. Allen und Jeden, ausgenommen allein die, welche
stark und kräftig, akklimatisirt und vollkommen frei von allen Unter-
leibsbeschwerden sind, müssen solche Bäder schädlich sein. Es sind
mehr Fälle von verhängnissvolleu Folgen kalter Bäder in heissen Län-
dern aufzuzählen, als die Hydropathen glauben mögen.
Andere Gesundheitsregeln für Reisende im Orient sind nach-
stehende :
Man trage in allen Jahreszeiten und bei allem Wetter ein
Flanellhemd auf der blossen Haut; es wird dem daran nicht Gewöhn-
ten zu Anfang sehr unbehaglich sein, aber vor Erkältung besser als
alles Andere schützen. Mau suche sich, während man schwitzt oder
dem Winde ausgesetzt ist, niemals dadurch Kühlung zu verschaffen,
dass man irgend welchen Theil der Kleidung ablegt. Man nehme sich
in Acht, des Nachts in freier Luft zu sitzen, wenn der Thau fällt.
Man schlafe, wo dies zu vermeiden, nie in Zimmern, deren Fenster
offen stellen Man gebe (wenigstens in den Sommermonaten) jeden Ge-
danken an die Freuden der Jagd in diesen Ländern auf, da Durchnäs-
sung und Sonnenbrand in den Gebüschen und Marschgründeii, in
denen das Wild haust, schon Vielen den Tod gebracht haben. Man
reise nur im Nothfall in der Zwischenzeit zwischen Sonnenuntergang
und Aufgang. Man setze sich, wenn dies nicht durch die Verhältnisse
geboten ist, nie in nassen Kleidern nieder. Man nehme seine Wohnung
niemals auf längere Zeit in einem Hause, das in der Nähe eines Ufers,
auf dem Ebbe und Flutli wechseln, oder hart bei morastigen Stellen
liegt. Man beschäftige den Geist während der Mahlzeiten nicht mit
ernsten Gedanken. Man widme nur ausnahmsweise die zum Schlafen
bestimmte Zeit dem Studium oder dem Umgang mit Freunden. Man
mache, wenn man sich an einem Orte länger aufhält, täglich entweder
zu Fuss oder zu Pferde Bewegung und wähle dazu die Stunden von 5
bis 7 Uhr Morgens oder von 6 bis 8 Uhr Abends. Man hüte sich, im
Zuge sitzen oder stehen zu bleiben. Man quäle sich nicht mit Ge-
danken an kommende Uebel, berechne nicht, welche Schwierigkeiten
sich möglicherweise auf dem Wege einstellen können, sondern halte
sich einfach an das Wahrscheinliche, folge der Bahn, die man gewählt,
mit frischem Muthe und lasse das Gespenst der atra cura denen sich
anf den Sattel setzen, welche es nicht zu bannen im Stande sind. Man
blicke der Gefahr, wo sie nicht zu umgehen ist, ruhig ins Auge und
sei in Krankheiten entschlossen, sich von ihnen nicht unterwerfen zu
lassen, sondern sie zu besiegen.
Letzteres gilt namentlich von der Seekrankheit, der wenige
entgehen, welche auf dem Mittelmeere oder auf dem Pontus zu fahren
genöthigt sind. Sie ist nichts weniger als gefährlich, niemals tödtlich,
aber vielleicht die unangenehmste und am meisten zu Verzweiflung
und Lebensüberdruss stimmende unter allen leichtern Krankheiten. Das
beste Mittel gegen sie ist, dass man so lange als möglich an der freien
Luft bleibt und der Krankheit, wenn sie sich trotzdem einstellt und
10 Allgemeines für Orient-Reisende.
uns einreden will, sie sei ein ernstliches Uebel, keinen Glauben
beimisst.
Ernster hat man es mit den Fiebern, namentlich den "Wechsel-
fiebern zu nehmen, und mit der bösen Fee Malaria, deren Kinder sie
sind. Dieses feine Gift ist nicht blos über die Urwälder der westlichen
Tropenwelt, sondern sehr stark auch über verschiedene Striche des
Orients und zwar gerade über die schönsten Landschaften ausgegossen.
Es zerstört die menschliche Gesundheit und raubt das Leben vielleicht
mehr als irgend eine andere schädliche Substanz. Bekannt nur durch
seine schädlichen Wirkungen, ist dieser unsichtbare, heimtückische
Feind unsres Geschlechts von der Heilwissenschaft bis in seine Schlupf-
winkel verfolgt und wenigstens nach einigen seiner Gewohnheiten
beobachtet worden. Man weiss, dass er vorzüglich in sumpfigen Nie-
derungen und in Waldthälern und deren Nachbarschaft wohnt, wo
grosse Massen vegetabilischen Stoffes faulen. Man weiss ferner, dass
die Malaria des Nachts gefährlicher als am Tage und besoi^ders ge-
fährlich im Herbste ist, und dass zu grosse Anstrengung, Nachtwachen
und jeder schwächende Genuss Dinge sind, welche den Körper ihrem
Einfluss zugänglicher machen. Bekanntlich ist Chinin das beste Heil-
mittel gegen das Fieber, welches sie bringt , und so sollte kein Rei-
sender, der den Orient besucht, ohne ein Fläschchen mit Chininpillen
und ohne Anweisung von seinem Arzte, wie sie zu gebrauchen, sich
auf den Weg begeben.
In Griechenland sind der August und die erste Hälfte des
September die ungesundesten Zeiten des Jahres, dann herrschen fast
überall, und namentlich in den sumpfigen Gegenden, sowie in der
Nähe von Seen allerlei Fieber, denen viele Eingeborene und Fremde
zum Opfer fallen. Muss man sich in dieser Jahreszeit dort auflialten,
so nehme man sich in Acht, nicht in freier Luft oder bei offnen Fen-
stern zu schlafen, sich um die Mittagszeit nicht den Strahlen der Sonne
auszusetzen, sich im Essen und Trinken nicht zu übernehmen, keine
rohen Pflanzenspeisen, keine Gurken, Melonen. Salate und kein Obst
zu geniessen. Die Fülle von Obst, welche das Land hervorbringt, ist
eine grosse Versuchung für Fremde, aber nichts ist gefährlicher, als
dieser Versuchung nachzugeben. Die Hauptursachen der grossen Sterb-
lichkeit unter den bayerischen Truppen, die mit König Otto nach
Griechenland kamen, war die Gier, mit welcher dieselben von dem
Obste des Landes assen und sich dem Genüsse des Weines überliessen.
Aegypten hat sehr wenige Krankheiten, ja es wird bekanntlich
die Gegend von Kairo für Brustkranke als Aufenthaltsort empfohlen.
Fieber sind äusserst selten, ausgenommen in der Nachbarschaft von
Alexandrien, Damiette und einigen anderen Orten am Ausfluss des Nil.
Als die einzigen Krankheiten, welchen Fremde im Innern ausgesetzt
sind, können Diarrhöen, Dysenterie und Ophthalmie genannt werden.
Hinsichtlich der beiden erstgenannten verschaff'e man sich Verhaltungs-
regeln bei einem der europäischen Aerzte, die sich in Alexandrien und
Kairo niedergelassen haben und unter denen sich mehre Deutsche
Allgemeines für Orient-Reisende. li
befinden. In Betreff der Ophthalmie (Augenentzündung) kann man sich
in den meisten Fällen selbst helfen. Stellt sich eine leichte Entzündung
ein, so bade man das Auge mit Rosenwasser oder Weingeist; im letz-
teren Falle natürlich so, dass das Auge festgeschlossen und nur das
Lid benetzt wird. Oft thut schon warmes Wasser oder der Dampf von
kochendem dieselben Dienste. Endlich wird auch ein fleissiges Waschen
mit einem lauen Absud von Mohnköpfen empfohlen.
Die Ursache der Ophthalmie ist häufig in dem feinen Sand
der Wüste gesucht worden. Das ist ein Irrthum. Augenentzündungen
sind in der Wüste unbekannt, sie raüssten denn aus d£m Nilthale dort-
hin gebracht worden sein, und sie hören schon nach zwei bis drei
Tagen auf, wenn der Kranke nach diesen trocknen Strichen kommt.
Wir behaupten damit nicht, dass in die Augen gewehter Sand oder ein
sehr starkes Sonnenlicht, zurückprallend von dem dürren kahlen Erd-
boden, dem Auge nicht schaden könnte; Staub und Sonnenschein auf
Schneeflächen bringen ja dieselbe Wirkung in andern Gegenden hervor ;
allein in Aegyptcn ist die eigentliche Ursache der Augenkrankheiten
anderwärts zu suchen. Sie liegt in dem Wechsel zwischen ausserordent-
licher Trockenheit und Feuchtigkeit, der hier stattfindet. Aegypten hat
vielleicht das trockenste Klima von der Welt, aber der Unterschied
zwischen der fast stets trockenen Atmosphäre und den feuchten Aus-
dünstungen des Flusses, sowie der engen und der Kühlung halber stets
besprengten Strassen Kairo's und andrer Städte ist so gross, dass das
Auge leicht davon angegriffen wird, vorzüglich wenn es in dem em-
pfänglichen Zustande ist, in welchen es durch die fühlbare und unfühl-
bare Transpiration versetzt wird, welcher die Haut unterworfen ist. So
kommt es, dass während der Ueberschwemmungen des Nil, wo jene
Ausdünstungen am stärksten sind, die Ophthalmie am häufigsten beob-
achtet wird. Die Thatsache, dass die Krankheit sich sofort vermindert
und nach wenigen Tagen ganz aufhört, wenn der Leidende in die Wüste
geht, bestätigt diese Meinung. Sehr rathsam ist es, sich vor feuchtem
Luftzuge in Acht zu nehmen, und wenn man genöthigt ist, des Nachts
aus einem warmen Gemache oder der Kajüte eines Nilbootes zu gehen,
sich Stirn und Augen, nachdem man sich vorher den Schweiss abge-
trocknet, mit etwas kaltem Wasser zu waschen, wodurch die Transpi-
ration beim Hinaustreten vor plötzlicher Unterbrechung bewahrt und
das Auge auf den Temperaturwechsel vorbereitet wird.
Ueber die Pest ausführlich zu sprechen, ist unnöthig. Jeder-
mann wird sich hüten, nach Aegypten oder Syrien zu gehen, wenn sie
dort wüthet. Jedermann wird sich sofort aus dem Lande entfernen,
wenn sich Fälle der Krankheit zeigen. Kann er letzteres nicht ermög-
lichen, so begebe er sich nach Oberägypten oder halte gleich den andern
Europäern im Lande Quarantäne. In Alexandrien kommen Pestfälle
selten in der Zeit zwischen September und Anfang Februar vor und
das nur in manchen Jahren. In Kairo ist man von Ende Juni bis Ende
März ganz sicher. Im grossen Maassstabe tritt die Pest nur alle zehn
bis zwölf Jahre auf. Man fürchtet sie übrigens bei Weitem nicht mehr
12 Allgemeines für Orient- Reisende.
so wie früher, da der Gesundheitsrath stets passende Massregeln trifft
und die Behandlung der Krauken grosse Portschritte gemacht hat.
Das erste Mittel für den, der die Vorboten herannahen fühlt, sollte
ein Brechmittel sein, welches, wenn es zu rechter Zeit genommen wird,
dem Uebel oft Halt gebietet; ein Aderlass ist nicht zu empfehlen.
Das QuarantänehaltiMi war bis vor wenigen Jahren ein sehr
dunkler Punkt inmitten des Kranzes von Genüssen, welche eine Reise
im Orient bot. Mit Grauen erinnerte sich der Tourist des Fegfeuer-
lebens, welches er in den Lazarethen der verschiedenen Küstenstädte
durchzumachen hatte, ehe man ihn für hinreichend gereinigt hielt, um
in das Paradies des civilisirten Lebens Einlass zu finden. Oft musste
ein solcher Unglücklicher volle vierzig Tage (woher das Wort Qua-
rantäne kommt) in diesen Orten sich langweilen und für schlechte
Herberge bezahlen, als ob er im ersten Gasthofe gewohnt. Selten Hess
man ihn vor 10 Tagen aus seiner Haft, gleichviel, ob das Schiff, mit
dem er gekommen, einen reinen Gesundheitspass oder nicht besass,
d. h. gleichviel, ob es von einem Orte kam, wo keine Pest oder andere
ansteckende Krankheit herrschte, oder von einem solchen, wo dies der
Fall war. Dies ist jetzt beträchtlich besser geworden. Vernünftigere
Ansichten von der Natur der Ansteckung haben Platz gegriffen, und
der Reisende ist jetzt nicht dem zehnten Theile der Plackereien aus-
gesetzt, welche ihn früher trafen. Fast in jedem Hafen der Levante ist
die Quarantäne auf eine Beobachtung beschränkt worden, welche 24
Stunden dauert, und in den meisten Fällen ist sie factisch ganz abge-
schafft, da man Dampfschiffen und Kriegsfahrzeugen die Zahl der Tage
anrechnet, welche sie auf der Fahrt sind, sobald der Capitän versichert,
dass er auf der See mit keinem Schiffe Verkehr gepflogen hat.
Die Regeln der Quarantäne sind indess steten Abänderungen
unterworfen, da sie sich in der Hauptsache nach dem Stande der Ge-
sundheit in der Türkei oder überhaupt dem Lande richten, welches
das Fahrzeug zuletzt berührt hat. Wenn die Pest, die Blattern oder
die Cholera in der Türkei, Griechenland oder sonstwo ausbrechen, so
wird in den Häfen des Mittelmeeres die Quarantäne verlängert, und
wenn der Reisende das Unglück haben sollte, mit einem Schiffe zu
segeln, das einen unreinen Gesundheitspass hat, so muss er sich auf
einen längern Aufenthalt im Lazareth der Stadt gefasst machen, wo
er an das Land steigt. Für solche wird es gut sein, sich zu erinnern,
dass die besten Lazarethe der Levante sich in Syra, Korfu, im Piräus
und in Malta befinden.
In allen diesen Anstalten wird man unter Aufsicht eines Guar-
diano (Wächters) gestellt, welcher darauf zu sehen hat, dass man nicht
mit seinen Mitgefangnen verkehrt. Versieht man es in dieser Beziehung
und berührt man einen Reisenden, der später in das Lazareth gekommen
ist, so muss man so lange eingesperrt bleiben, bis letzterer Pratica
bekommt, d. h. bis derselbe für rein gilt. Ueberall werden Trinkgelder
und andere Geldzahlungen verlangt, ehe man die Erlaubniss zum Her-
ausgehen erhält. Verletzungen der Quarantänegesetze wurden früher
Allgemeines fttr Orient-Reisende. 13
als todeswürdige Verbrechen bestraft und sie werden noch jetzt mit
grosser Strenge geahndet.
Da die Quarantäne gewisse Bezeichnungen hat, welche dem Un-
eingeweihten nicht bekannt sind, so mag noch bemerkt werden, dass
Personen und Gegenstände, die ihr unterworfen sind, coutumaci und
sporclii genannt werden, bis sie pratica, das heisst die Erlaubniss
zum Herausg-ehen und zum Verkehr mit Andern nach Belieben bekom-
men. Früher, wo lange Quarantäne gehalten wurde, konnte die Zeit
der Haft dadurch abgekürzt werden, dass der Eingesperrte sich dem
spoglio unterwarf, d. h. ein Bad nahm und seine Kleidung wie sein
Gepäck im Lazareth liess , indem er sich aus der Stadt Kleider ver-
schaffte, die entweder gekauft oder geliehen wurden. Auf diese Weise
liess sich eine Quarantäne von vierzehn Tagen auf sieben verkürzen.
Vierzehn Tage nach der Ankunft im Lazareth erhielt man seine in-
zwischen vom Guardiano durchräucherten Effecten zurück.
1. Tour von Wien über Triest und Venedig an Bord
des Lloyd-Dampfers.
Für Deutsche (und selbst für Engländer) ist die billigste,
sohuellste und bequemste Fahrgelegenheit nach den meisten
Küstenorten des Orients die über Triest führende. Der Nordwestdeutsche
fährt von Hannover oder Kassel oder Köln , der Norddeutsche von
Hamburg, Berlin oder Königsberg nach Dresden und Wien. Der Süd-
westdeutsche begibt sich während des Frühlings, Sommers und Herb-
stes auf der Donau nach der Hauptstadt Oesterreichs , wobei er die
schönsten Partien des Flusses berührt. Von Wien fährt man mit dem
Eilzuge der Südbahn bis Triest, wobei man die riesenhaften Brücken
und Tunnels des Semmering, die romantischen Alpenthäler Steiermarks
und hinter Laibach die öden Steinwüsten des Karst passirt, dessen
interessanteste Punkte man von der Station Adelsberg aus besuchen mag.
Zwischen Wien und Triest verkehren täglich ein Eilzug, der den
78 Meilen langen Weg in 16, und zwei Personenzüge, die ihn in 23
Stunden zurücklegen. Die Preise der verschiedenen Wagenklassen findet
man in jedem der zahlreichen Verzeichnisse von Eisenbahnen u. s. w.
angegeben, nur ist zu bemerken, dass dort die Preise in Silber zu ver-
stehen sind, während die Gesellschaft der Südbahn dieselben in öster-
reichischem Papiergelde zahlen lässt mit einem Agiozuschlage, der
halbmonatlich wechselt und so in allen Bahnstationen angezeigt ist.
In der Nähe von Nabresina verlässt die Bahn das dürre, wild-
romantische Karst-Plateau, dessen traurige Einöde nur selten von einigen
Steineichen und kümmerlichen Weingärten unterbrochen ist, und wendet
sich scharf nach Südost, um längs des Karst- Abhanges in starker Nei-
gung dem Seekessel zuzulaufen. Da plötzlich erscheint in der Tiefe,
amphitheatralisch an den Abhang gelehnt, umgeben von Weinbergen
und Olivenpflanzungen, aus denen zahllose, in italienischem Styl erbaute
Landhäuser hervorblicken, Triest, die Porta Orientalis, die Haupt-
14 Allgemeines für Orient-Reisende.
handelsstadt des adriatischen Meeres und ganz Oesterreichs. Rückwärts
erheben sich über einer flachen Küste in der Ferne in scharfen Um-
rissen weiss und röthlichgrau die Felshäupter der karnischen Alpen ;
gerade vorwärts ziehen sich, von Buchten gespalten und spitze Land-
zungen in das Meer hinausstreckend, die Berge Istriens hin. Unten
streckt sich, mehrere Hügel bedeckend, die weisse Stadt mit ihrem
Castell hin. Im Hafen liegen zahlreiche Dampfer und Segelschiffe von
allen Grössen, während rechts bis an den Horizont die blaue Adria
sich ausbreitet.
Schon dieser eine Eindruck ist es werth, dass der Reisende die
Tour nach der Levante über Triest und nicht über Pest, Belgrad und
Galacz macht. Wird die Reise im Spätherbst unternommen (und dies
ist schon deshalb zu empfehlen, weil man auf diese Weise den Schnee-
stürmen und der Kälte des Nordens entgeht), so ist an eine Benutzung
der Donaudampfschiffahrt ohnedies nicht zu denken. Aber auch im
Sommer sollte diese Route vorgezogen werden, da man vielleicht an
keiner Stelle den Unterschied zwischen uns.erm Norden und dem Süden
so plötzlich und so eindringlich gewahr wird, als hier zwischen der
starren grauen Welt des Karst und den selbst im Winter des Laub-
grüns nicht ganz entbehrenden Gestaden der Bucht von Triest.
Der bemittelte Reisende begebe sich vom Bahnhofe in das Hotel
de la Ville. Dasselbe ist ein palastartig eingerichtetes Gasthaus auf
der Riva Carciotti, es hat im dritten und vierten Stockwerke eine
herrliche Aussicht auf den Hafen. Die Einrichtung ist sehr elegant.
Badeanstalt mit Süss- und Meerwasser. Gespeist wird nach der Karte,
und man kann Diners von 2 bis 24 Gulden haben. Ein einfaches Zimmer
mit Bett kostet 1 '4 FL. eins mit 2 Betten 2 Fl., grössere Apparte-
ments mit eleganterer Einrichtung mehr. Lohnbediente bekommen für
den Tag 2 Fl. Andere empfehlenswerthe Gasthäuser sind : Aquila nera
am Corso, der Hauptstrasse Triests. Zimmer sind für den Preis von 1
bis 3 Fl. zu haben. Hotel Daniel in der Via S. Nicolö in nächster
Nähe der Börse. Zimmer von 80 Nkr. aufwärts. Gespeist wird ä la
carte. Ferner das Hotel de France im dritten Stocke des Strattischen
Hauses zwischen dem Tergesteum und dem grossen Platze. Ein Zimmer
mit Bett von 1 bis 1 '/^ FL, ein Zimmer mit 2 Betten von l'/, bis
2 Fl. Endlich die Locanda grande (Grand Hotel), ein geräumiges, in
neuester Zeit erweitertes und elegant eingerichtetes Gasthaus am Fisch-
platz (Pescheria), wo ein Zimmer mit Bett 1 FL, eins mit 2 Betten 2 FL
50 Kr. kostet, und das in der Nähe des Bahnhofes neu errichtete Hotel
Europa können als die besten in Triest bezeichnet werden.
Von Kaffeehäusern sind zu empfehlen: Tommaso, hart am Hafen,
agli Specchi, Stella Polare, Europa felice. Die hiesigen Landweine sind
eines Versuchs werth, namentlich der Istrianer und Costrener. Refosco
ist ein süsser, ziemlich feuriger, Prosecco ein weisser Schaumwein. Von
Fischen sind mancherlei Arten zu haben ; man versuche den Thunfisch,
Branzin und die Sfoglia. Austern sind billig, aber nicht so schmackhaft
als die der Nordsee.
Allgemeines für Orient-Reisende. 15
Wer das Leben des niedeni Volks zu beobachten wünscht, der
besuche auf eine Stunde eine der Osterien, oder begebe sich auf den
Fischmarkt, wo er besonders an Freitagen zugleich eine sehenswerthe
Auswahl der Bewohner des adriatischen Meeres kennen lernen wird.
Von Buchliandlungen mögen die Coen'sche am Corso, die Münster'sche
und die^ Schirapffsche neben der Leopoldssäule, nicht weit von der
Börse, angeführt werden. In allen Kaifeehäusem liegen zahlreiche Zei-
tungen auf. Eine Fahrt durch die Stadt kostet mit einem einspännigen
Fiaker 30 Kr., mit einem zweispännigen Fiaker 45 Kr. für die Viertel-
stunde. Die Stunde wird mit 1 Fl. 40 Kr. für Zweispänner, mit 1 Fl.
für Einspänner bezahlt.
Von der Plattform des Kastells, zu dessen Besuch es einer Er-
laubnisskarte vom Platzkommandanten bedarf, hat man eine gute Aus-
sicht über den grössten Theil der Stadt und den Hafen. Die Kirchen
Triests sind in architektonischer Hinsicht ohne Bedeutung. Der Dom,
theils im Basiliken-, theils im Rundbogenstyle erbaut, ist ein Werk
des 4. und 6. Jahrhunderts mit manchen Zusätzen aus der neuem
Zeit. Früher stand ein römischer Tempel an der Stelle, von welchem
noch Spuren sichtbar sind. Vor einem Seitenaltare rechts liegen Don
Carlos, der spanische Prätendent und seine 2 Söhne, auf dem Fried-
hofe neben der Kirche der 1768 hier in der Locanda grande ermor-
dete Winkelmann begraben. Unter den öffentlichen Gebäuden verdient
das Teatro grande, die Börse und das daneben befindliche Tergesteum
Erwähnung. Letzteres ist ein kolossales, palastartiges Gebäude, in
dessen Parterresälen jetzt die Börse abgehalten wird. Die Einrichtung
ist eben so elegant als praktisch. Eine Reihe von Zimmern enthält die
wichtigsten deutschen, italienischen, französischen, englischen, griechi-
schen und slavischen Zeitungen. Der Fremde, der von einem Iklitgliede
einem der Directoren vorgestellt wird, darf 15 Tage lang unentgeltlich
diese Lesezimmer benutzen. Im ersten und zweiten Geschosse sind die
Bureaux des Oesterreichischen Lloyd, welches wichtige, in den Welt-
handel tief eingreifende Institut 1833 gegründet wurde und aus 3
Abtheilungen, den Assecuranzkammern, der DampfschiflFahrtsgesellschaft
und der literar.-artistischen Section besteht. Die Dampfschiffahrts-
gesellschaft gehört zu den bedeutendsten in Europa, im Jahre 1868 hatte
sie 65 Dampfschiffe von zusammen 14600 Pferdekraft und 56220 Ton-
nengehalt Diese Schiffe haben im Jahre 1868 1422 Reisen gemacht und
dabei 990029 Meilen zurückgelegt. Die Zahl der Reisenden betrug
294852, die Summen der Geldsendungen 108680790 Fl. und die der
Waaren 4308282 Zollcentner. Das Lloyd- Arsenal in der Bucht von Ser-
vola ist im grossartigen Style angelegt und zerfällt in zwei Abthei-
lungen, deren eine ausschliesslich dem Schiffsbaue, die andere dem
Maschinenbaue gewidmet ist.
Von den Sprachen überwiegt in Triest die italienische, doch
wird auch das Deutsche verständlich gesprochen und fast überall ver-
standen. Sonst hört man auch viel slavisch und griechisch, französisch
und englisch sprechen. Das Klima gilt für ziemlich gesund, doch tritt
16 Allgemeines für Orient-Reisende.
oft ein plötzlicher und sehr empfindlicher Temperaturwechsel ein, der
durch die zuweilen mit grosser Heftigkeit wehende Bora (Nordostwind)
bewirkt wird.
Den interessantesten Anblick in Triest bietet das Menschenge-
wühl auf den Strassen und die Mannichfaltigkeit von Trachten, die sich
in denselben bewegen und in denen sich die Nähe des Orients schon
sehr deutlich ankündigt. Die Bäuerinnen der Umgegend mit ihren
schneeweissen Kopfliüllen, die Bauern mit ihren seltsam gestalteten
Pelzmützen, den weiten Kniehosen und den thalergrossen Westen-
knöpfen, die Facchini (Lastträger) in braunen Kaputzeumänteln, zahl-
reiche Fez, bisweilen ein Turban, die griechische Fustanella, die eigen-
thümlichen, faltenreichen, wulstigen Pluderhosen der Dalmatiner, k. k.
Militärs, Matrosen, Seecapitäne tummeln sich wie eine grosse Maske-
rade über den Corso, der Sonntags belebter wie die Hauptstrasse
mancher grössern Stadt ist.
Für Diejenigen, welche sich einige Zeit in Triest auflialten, ge-
nügen Ausflüge nach Contovello, Muggia, Capo d'Istria, Pola und vor
Allem nach Venedig.
Contovello bietet eine entzückende Aussicht auf den Golf und
die Stadt Triest. In dem benachbarten Prosecco übersieht man einen
grossen Theil des Karstes und erblickt in der grauen Steinwüste das
riesige Berghaupt des Nanos, wo nach dem Volksglauben der Wohnsitz
der Bora ist. In M.ug{;ia besucht man die malerischen ßuinen einer
alten Burg. In l'apo dlstria sieht man Venedig en miniature.
Nach Veuedig geht wöchentlich dreimal um Mitternacht ein
Lloyddampfer ab, dei gegen 7 Uhr Morgens daselbst eintrifft; doch
kann man täglich auch zweimal die Bahnzüge benutzen und in etwa
10 Stunden zu Lande dahin gelangen. Die Fahrpreise sind für die
Dampfschiffe von Triest, für die Eisenbahn von Cormons ab in Silber
zu entrichten.
Wer eine ausführliche Schilderung der alten Lagunenstadt wünscht,
um sich ihrer als vorbereitenden Führers zu bedienen und ein Andenken
an die geschaute Herrlichkeit mitzunehmen, der kaufe sich „Venedig.
Herausgegeben vom Oesterr. Lloyd. Triest." Es ist dies eine sehr
gute Zusammenstellung alles dessen, was dem Fremden in Venedig zu
wissen nöthig ist, geschmückt mit 12 hübschen Stahlstichen und ver-
sehen mit einem Plane der Stadt und der Lagunen.
In unserm Zusammenhange kann nur eine gedrängte Uebersicht
gegeben werden. Um Venedig zu studiren, bedarf es zum Mindesten
mehrerer Monate. Um es gut zu sehen, braucht man wenigstens zwei
Wochen. Die folgenden Bemerkungen sind für solche lieisende berech-
net, welche höchstens drei Tage auf einen Ausflug dahin verwenden
können.
Hotels ersten Eanges sind in Venedig :
Hotel royal Banieli an der riva degli Schiavoni ; Hotel St. Marc
am Marcusplatz ; Hotel d'Europe am grossen Kanal, Hotel Vittoria, in
der Frezzeria; Hotel d'Italia und Restaurant Bauer, heiäe emT^fehlens-
Allgemeines für Orient-Reisende 17
werth, in der Nälie des Marcusplatzes und vorwiegend deutsch ; Hotel
zur Stadt München, Hotel New-York am Canal grande, Hotel la Luua
dicht am Marcusplatze und mehre andere in der Nähe desselben. In
den Hotels ersten Ranges zahlt man für ein Zimmer täglich 3 — 15
Franken, doch kommt dabei ausser der Lage die Jahreszeit sehr in
Betracht. Gedenkt man länger in Venedig zu bleiben, so wird man
gut thun, vorher nach den Preisen der Zimmer zu fragen und sich
nacli getrotfener Wahl mit dem Wirth zu einigen. Es ist gebräuchlich
und auch wohlfeiler im KafFeehauso zu frühstücken. Auch diniren kann
man, ohne dass es auffällt, ausser dem Hause; die Table d' hote,
gewöhnlich um 5 Uhr, kostet 3-5 Franken per Couvert und dürfte
meist zu empfehlen sein. Von Kaffeehäusern sind Florian, Quadri,
Specchi, Soizzero, Frangais alle am Marcusplatz, sowie das kürzlich
wieder eröffnete Kaffeehaus im Giardinetto mit herrlicher Aussicht die
besuchtesten.
In Venedig rechnet man seit 21. October 186G in italienischen
Lire. 1 Lira ist = 100 centcsimi — 1 Frank -= 40 österr. Nkr. ^=
8 Silbergroschen. Daneben sind im gewöhnlichen Verkehr auch noch
die alten österr. Bezeichnungen nach Zwanzigern und Gulden keines-
wegs verschollen.
Fiaker gibt e.s bekanntlich in Venedig nicht, sondern man
bedient sich zu Ausflügen durch die Stadt der Gondeln. Es gibt deren
zwei- und einrudrige, von denen erstere doppelt so viel als letz-
tere kosten.
Roisende, welche mit der Eisenbahn eintreffen, finden sowohl
Omnibusbarken als Gondeln beim Ausgange am Bahnhofe zur Abfahrt
bereit. Wer sich der ersteren bedienen will, hat nur seinen Gasthof
zu nennen, um sofort an die betreffende Barke gewiesen zu werden.
Das Dampfschiff von Triest ankert der Piazzetta gegenüber und hält
also in näclister Nähe der frequentirtesten Gasthöfe. Für Gondeln mit
einem Ruder, deren Tarife an allen besuchteren Abfahrtsplätzen ange-
schlagen sind, zahlt man innerhalb der Stadt für eine Stunde 1 Lira,
und* für jede folgende halbe Stunde 25 Centesimi mehr, für 1 Tag
von 10 Stunden 5 Lire. Von der Eisenbahn-Station nach irgend einem
Puncto bis San Marco oder umgekehrt 1 Lira, vom Dampfschiffe nach
der Piazzetta oder umgekehrt 50 Centesimi. Für jedes Gepäckstück,
das nicht in der Hand getragen werden kann, bezahlt man extra 15
Centesimi.
Der Reisende, welcher nur wenige Tage auf die Besichtigung
Venedigs verwenden kann, bedarf unbedingt eines i^MÄrers, und deren
gibt es eine grosse Anzahl.
Der Reisende, den wir vor Augen haben, wird wohl thun, wenn
er sich zu beschränken weiss, sich mit Besichtigung der Hauptsehens-
würdigkeiten begnügt, und den Führer von vornherein darüber ver-
ständigt. Diese Hauptpuncte besuche man in folgender Ordnung:
1. Ta??. Marcusplatz, die alten und die neuen Procuratien, den
Torre delP orologio, den Campanile (den man der Aussicht wegen
18 Allgemeines für Orient- Reisende.
besteigen mag), die Loggetta am Fusse desselben, die Marcuskirche
und den alten Dogenpalast. Die Marcuskirche, eine Basilika, zu deren
Verschönerung alle Jahrhunderte beigetragen haben, in welcher indess
der byzantinische und der maurische Styl vorherrschen, zeichnet sich
auch durch ihren Keiclithura an Mosaikbildern und seltenen Steinarten
aus. Man betrachte die 4 Bron/epferde über dem Eingang, die aus der
Zeit Nero's stammen, die kostbaren Säulen der Fa(;ade, die Mosaik-
tateln neben den Pferden, die metallnen Thüren. die Mosaikbilder der
Decke, den Hochaltar, die Sakristei, die Capellen Zono, della Madonna
dei Mascoli, Santo Isidoro, endlich die Keliquien und Kostbarkeiten
des Kirchenschatzes. Im Dogenpalast werden ausser den mit den herr-
lichsten Gemälden geschmückten Empfangs- und Eathsälen der alten
Zeit die berühmte Marcusbibliothek, die unterirdischen Kerker (Pozzi)
und die Seufzerbrücke gezeigt. Dem Dogenpalast gegenüber liegt, an
der sogenannten Piazzetta, der königliche Palast, das Meisterwerk
Sansovino's und rechts davon das prachtvolle Münzamt da Zecca).
2. Tag. Der Canale gründe, welcher die Stadt in zwei Hälften
theilt und als ihre Hauptstrasso gelten kann. Man nimmt zu diesem
Zwecke eine Gondel an der Piazzetta und lässt sich langsam bis da-
hin rudern, wo der Kanal sich erweitert und in der Ferne die pracht-
volle Eisenbahnbrückc sichtbar wird. Auf dem Piückwege mag man
zur Besichtigung der auch im Innern sehenswerthen Gebäude aussteigen.
Zu letzteren gehören: der Palazzo Treves mit vielen guten Gemälden,
der Palazzo Morosini, nicht weit vom Canale grande entfernt und die
Bilder der acht Dogen aus dieser Familie enthaltend, der Palazzo
Giustiniani, die Paläste Foscari, Mocenigo, Pisani (mit dem berühmten
Gemälde P. Veroneses „Darius' Familie vor Alexander d. Gr." und
andern Bildern), Mangili, Sagredo, Tron mit einem sehr reichhaltigen
Museum, Manfrin mit einer der besten Sammlungen von Bildern vene-
tianischer Meister und der Palazzo Valmarana, dessen Gemälde indess
nur auf besondere Erlaubniss des Besitzers zu sehen sind. Ueber den
Canale grande führt ausser der Kialto-Brücke auch eine eiserne Brücke.
3. Tag. Früh nach der Akademie, welche die vollständigste
Sammlung der Gemälde venetianischer Schule, darunter die besten "Werke
Tizian's, Tintoretto's, Paolo Veronese's, Giorgione's, Palma Vecchio's
und Bordone's enthält, dann nach den Kirchen,\on denen ausser der
Marcuskirche die Sta. Maria gloriosa dei Frari, Sti. Giovanni e Paolo,
Sta. Maria della Salute und San Giorgio maggiore die sehenswerthesten
sind. Die Kirche Sti. Giovanni e Paolo ist das Pantheon Venedigs, da
hier die Mehrzahl seiner berühmten Männer, namentlich viele Dogen
ruhen. In der Kirche Sta. Maria gloriosa dei Frari befinden sich die
prachtvollen Mausoleen des Dogen Pesaro, Tizians und Canovas. In
den Nachmittagsstunden besuche man das Arsenal oder eine der
Inseln.
An den Abenden mag man in eines der Theater, unter denen
das Teatro la Fenice das grösste und beste ist, gehen oder in einem
der Kaffeehäuser unter den Procuratien venetianisches Leben studiren.
Allgemeines für Orient-Beisende. 19
2. Tour von Wien die Donau hinab nach Constantinopel.
Wer direct nach Constantinopel will und den Orient von der
Hauptstadt des türkischen Eeiches aus besuclien möchte, der wird heute
am besten thun, von Wien die Donau bis Rustschuk hinab zu fahren,
die neue Eisenbahn von Eustscliuk nacli Varnazu benutzen und von Varna
mit dem Lloyddampfer nach Constantinopel zu reisen. Nicht nur dass
diese Route die kürzeste ist, sie bietet auch eine Menge von Schönheiten,
die man bei der Meerfahrt, die nur für die Rückreise empfehlenswerth, nicht
zu sehen bekommt. Von Wien aus mag man mit dem Dampfschiff, das
Sonntag Morgens nach Pest fährt, oder mit dem Abendzuge der Nord-
bahn abgehen, damit man zu dem Eilschiffe, welches alle Montage um
sieben Uhr früh nach Galatz abgeht, rechtzeitig eintreffe. Wer Pest
nicht kennt, mag wohl einige Tage dort bleiben. Die prachtvollen
Bauten hängs des Donauciuais, das ganz neu eingerichtete königliche
Schloss in Ofen drüben, das in Abwesenheit der Majestäten leicht zu
sehen ist, die prachtvolle Kettenbrücke, leider noch mit Brückengold
behaftet, die wunderliche, am Pestungsberge hinangewundene Reizen-
stadt, das rege ungarische Volksleben lohnen wohl einiger Aufmerk-
samkeit.
Die Donaufahrt ist namentlich jenen Orientreisenden zu empfeh-
len, welche im Frühjahr oder Anfangs des Sommers, im Mai und Juni,
ihre Tour beginnen. Die Donau ist zu dieser Zeit ungeheuer ange-
schwollen, und die grossen Eilschiffo fahren ungehindert durch den Eng-
pass von Kazan und das Eiserne Thor. Diese Eilschiffe, deren zwischen
Pest und Galatz vier verkehren, sind vortrefflich eingerichtet und die
Reisenden geniessen auf ihnen für vier Gulden Oesterr. W. in Silber
täglich eine Verpflegung, wie man sie nur in den besten Hotels findet.
Morgens Thee oder Kaffee mit Gebäck, um eilf Uhr Frühstück, bestehend
aus fünf Gängen mit weissem und rothem Wein (eine Flasche für
Jeden), um fünf Uhr Diner, sechs Gänge mit zweierlei Wein und einem
Glas Madeira oder Sherry, alles vortrefflich zubereitet, Abends Thee.
Die Schlafcajüte ist nach Möglichkeit bequem, im Salon liegen Zei-
tungen in mehreren Sprachen auf, eine Badecabiue gewährt die Mög-
lichkeit erfrischender Donaubäder, das hohe Doppelverdeck die schönste
Aussicht auf das Ufer. Die Capitäne sind meist gebildete Leute, die
fünf bis sechs Sprachen reden und sich mit Deutschen, Rumänen,
Serben, Türken u. s. w. in deren heimatlichen Lauten verständigen.
Die Gegend zwischen Pest und Belgrad bietet sehr wenig. Wer
den Orient rasch erreichen will, von der langweiligen Fahrt erschreckt,
die bei den kolossalen Frühjahresüberschwemmungen der Donau, die
sich stundenbreit über das eigentliche Flussbett erstrecken, beinahe
einer Seefahrt ähnelt, der mag Sonntag Abends von Wien mit dem
Eilzuge, der Abends vom Nordbahnhofe abgeht, über Pest, Czegled
und Szegedin nach Bazias fahren und dort das herabkommende Eil-
schiff erwarten. Die Eisenbahnfahrt von Wien nach Bazias nimmt nur
20 Allgemeines für Orient-Reisende.
einundzwanzig Stunden in Anspruch und die thalwärts fahrenden Schiffe
sind selten so voll, dass man nicht noch ein gutes Plätzchen in der
Schlafcajüte erobern könnte. Aber man versäumt auf diese Art Belgrad,
und Belgrad ist sehr sehenswerth. Schon die Lage der Stadt und der
auf einem ziemlichen Berge gelegenen Festung ist äusserst malerisch.
Wer Belgrad näher kennen möchte, der muss in Semlin das Eilschitf
verlassen, mit dem Localdampfer über die Save fahren, seinen Pass
den an der Landungsbrücke wachehaltenden Gensdarmeu vorzeigen und
dann einen Gang durch die Stadt machen. Die neuen Theile derselben
sind sehr hübsch gebaut, die Strasse Terrazin z. B. besteht ganz aus
freundlichen modernen Häusern. Hier liegt auch der Palast (Kouak) des
Fürsten, eigentlich nur eine Villa mit hübschem Garten, in den Jeder
hineingehen und sich nach Belieben auf einen der Aussichtsplätze setzen
mag. Der Garten ist dadurch merkwürdig, dass er beinahe ausschliess-
lich mit Nussbäumen bepflanzt ist. Von der Strasse Terrazin gehe
man links hinab in das Türkenwinkel, wo noch zahlreiche Minarets
verkünden, dass einst Mohamedaner hier gewohnt und zu Gott gebetet
haben. Mit der türkischen Besatzung der Festung wanderten sämmt-
liche türkische Einwohner von Belgrad aus. Es waren ihrer über fünf-
tausend und ihre Häuser verfallen. In einigen haben sich Zigeuner und
anderes Gesindel einquartiert, viele sind niedergerissen oder von selbst
eingestürzt — es ist ein trauriges Bild der Verwüstung und Verödung.
Von hier steige man langsam zur Festung hinan, die durch ihre na-
türliche Lage noch immer stark ist. Der Eintritt ist Jedermann gestattet.
Man sieht das serbische Militär oben exerciren und geniesst von dem
höchsten Plateau, wo die Commandantur gelegen ist, eine prachtvolle
Aussicht. Sonst ist in Belgrad nicht viel zu sehen; man versäume
jedoch nicht, sich die merkwürdigen Euinen des alten Hunyadyschlosses
zeigen zu lassen und in einem Kaffeehause den ersten nach türkischer
Art zubereiteten Kaffee zu trinken. Nachmittags mache man einen
Spaziergang nach dem durch die Ermordung des Fürsten Michael be-
rühmt gewordenen Toptschider, einem freundlichen Parke, in der die
schöne Welt Belgrads spazieren geht, in dem aber zugleich höchst
sonderbarer Weise das Landeszuchthaus liegt und die Sträflinge arbeiten.
Dann kehre man nach Belgrad zurück und fahre mit dem Local-
dampfer wieder nach Semlin hinüber und nehme sein Nachtquartier im
„Löwen", wo man nicht übel speist und einen vorzüglichen Negotiner
trinkt. Wer in Belgrad übernachten will, kann anständigerweise nur
im „Hotel du Eoi Serbe" neben der Festung einkehren.
Wer auf dem Eilschiffe bleibt, der fährt an Belgrad eben nur
vorüber. Wer Zeit hat, der folge unserem Käthe, in Semlin auszusteigen
und den Tag in Belgrad zuzubringen. In &«; im ist gar nichts zusehen
als der alte verschanzte Kirchhof auf den Höhen hinter der Stadt und
die alten Quarantänegebäude. Am folgenden Morgen (Mittwoch) fährt
man mit einem kleinen Seedampfer weiter nach Orsova. Kann man
die „Diana" treffen, so ist das um so besser, denn auf ihr speist man
fast so gut wie auf den Eilschiffen. Bis Bazias ist die Gegend, obwohl
Allgemeines für Orient-Beisende. 21
hügelig, nicht besonders schön, gleich hinter dem genannten, aus
einigen Häusern bestehenden Orte aber beginnt eine der wunderbarsten
Flusslandschaften der Welt, an wildromantischer Schönheit sogar die
berühmte Rheinpartie zwischen Bingen und Coblenz übertreffend. Eine
halbe Stunde östlich von Bazias, bei den Trümmern der alten öerben-
burg Golumbacs treten die höher werdenden Berge hart in den Fluss
herein, das Katarakten- und Felsengebiet der Donau beginnt. Von hier
bis Orsova, eine Strecke, deren Befalirung sechs Stunden in Anspruch
nimmt, fliesst der in Ungarn so breite Strom in einem engen Bette
mit ungeheurer Tiefe, aus welcher spitze Klippen bis zum Wasserspie-
gel emporragen ; im Engpass von Kazan, dem Glanzpuncte der ganzen
Fahrt, verengt sich das Bett auch 80 Klafter bei vierhundert Puss
Tiefe. Die Ufer sind von unvergleichlicher Schönheit, bald nackte steile
Felswände, an denen die Adler horsten, bald tiefgrüne Wälder bis an
die Gipfel hinauf. Manchmal, wenn der Strom sich bei einer plötzlichen
Wendung ausweitet, glaubt man auf einem Alpensee in Oberbaiern oder
der Schweiz zu fahren. Man lasse sich das Golumbacser ,Mäckenloch''
zeigen, eine weite Spalte oben im Felsen, aus welcher dem Volks-
glauben nach die gefährlichen kleinen Golumbacser Mücken heraus-
kommcMi, dann die berühmte Veteranilwhle und die Trajanstafel. Die
Katarakte der Donau sieht man bei hohem Wasserstande kaum, bei
niedrigem gewähren sie ein höchst anziehendes Schauspiel, sind aber
der Schiffahrt äusserst gefährlich.
Orsova, der letzte österreichische Ort, liegt malerisch zwischen
den Bergen am Strome, ist aber ein arges Nest, das die arge Zoll-
quälerei allen aus dem Orient kommenden Reisenden unvergesslich macht.
Wer Abends mit dem Saveschiff ankommt, das überhaupt nicht weiter
geht, muss sich entschliessen. in einem der unweit der Douane gelegenen,
keineswegs comfortablen Gasthäuser Quartier zu nehmen. Er mag das
als eine Vorschule für den Orient betrachten und den folgenden Tag
zu einem AusHuge nach Mehadia verwenden. Denn das Passagierschiff
nach Galatz geht erst Freitag Morgens ab. Ist man nun nach unserem
Vorschlage mit dem Eilschiffo Montags von Pest abgegangen, Dienstags
in Belgrad geblieben, so kommt man Mittwoch Abends in Orsova an und
hat den Donnerstag für Mehadia frei. Für sechs Gulden bekommt man
in Orsova einen Wagen nach Mehadia und zurück. Es ist ein elender
Korbwagen, allein es gibt keine andern. Man fährt ausgezeichnet,
bergauf und bergab in schärfstem Trabe, wird aber gerüttelt und ge-
schüttelt, dass Einem Anfangs Hören und Sehen vergeht. Die Fahrt
geht das Czernothal aufwärts, das mit seinen im Grün zerstreuten
Häusern an die deutschen Voralpen erinnert. Römische Trümmer und
die Reste einer Wasserleitung sind an der Strasse zu bemerken. In
zwei und einer halben Stunde ist man in Mehadia, vom Juli bis Sep-
tember eines der besuchtesten Modebäder im Osten, von Russen und
walachischen Bojaren wimmelnd. Es liegt reizend in einem Felsenkessel,
voll herrlicher Wälder, über welche der an sechstausend Fuss hohe
Gipfel des Domoglett hereinragt. Das neue Curhaus ist ein wahrer
22 Allgemeines für Orient-Reisende.
Prachtbau im orientalischen Style, voll reicher färbiger Ornamentik,
das schönste in Oesterreich. Ein hübscher Spaziergang führt unter den
ruhigen Eschen an der rauschenden Dzema zur Herculesquelle, und
von da weiter zur Räuberhöhle. Für den Vormittag ist das genug,
zumal da das Diner curmässig schlecht schmeckt. Nachmittags mag
man die auf der Südseite des Bades gelegenen Bergwälder besuchen
und kann zeitig die Heimfahrt antreten.
Des andern Tages zeitig früh sagt man Oesterreich und damit
dem Abendlande Lebewohl. Unmittelbar hinter Orsova liegt auf einer
Insel das türkische Port Ada Kaie, verfallen, aber scharf bewacht. Das
weltberühmte „eiserne Thor" enttäuscht den Reisenden. Nach der herr-
lichen Gegend zwischen Bazias und Orsova ist die Partie hinter Orsova
sehr unbedeutend, so hübsch sie an und für sich genannt zu werden
verdient. Vom „eisernen Thor" sieht man absolut nichts als zwei
Felsen an beiden Ufern und ein paar kleine Wirbel im Flusse. Man
kommt nach Turn-Severin, wo das Schiif ßich gewöhnlich eine Stunde
aufliält. Diese benütze der Reisende, um auszusteigen, den alten Seve-
rusthurm und den schönen Park zu besichtigen. Von hier ab wird die
Gegend wieder sehr einförmig, nur uninteressante Ortschaften und die
Blockhäuser an beiden Ufern unterbrechen die Einsamkeit. Kurz vor
Sonnenuntergang (im Mai) fährt man in den grossen Bogen ein, den
die Donau bei Widdin macht, um die südlichste Spitze ihres Laufes zu
erreichen. Hier hat man einen überraschend schönen Anblick der
ganzen Balkankette, vollständiger als von irgend einem andern Puncto.
Widdin ist als die erste echte Türkenstadt von ganz besonderem Interesse
für den Reisenden. Er benützt die Haltezeit des Schiffes, um am Ufer
Tabak und einige der langen gesprenkelten Pfeifenrohre zu kaufen, die
man hier bekommt. In die Stadt selbst lassen die Türken in Widdin
keinen Fremden hinein; wer einige Gassen durchwandern will, kann das
nur unter dem Schutze der weissen Mütze, das heisst in Begleitung
eines Officiers oder Beamten der Donau-Dampfschiifahrts-Gesellschaft
thun. Die Nacht hindurch ankern die Schiffe gewöhnlich unterhalb
Widdin's bei der Insel unweit Lom-PalanJca. Am folgenden Tage kommt
man um elf oder zwölf Uhr nach Rustschuk und landet gleich an dem,
eine kleine halbe Stunde entfernten Bahnhofe der Rustschuk- Varnaer
Eisenbahn.
Wer dem Eilschiffe treu geblieben ist, kommt schon Mittwoch
Vormittags in Rustschuk an und wird augenblicklich weiter befördert.
Der Zug nach Varna geht immer eine halbe Stunde nach Eintroffen
des Schiffes. Wer den von uns angegebenen Reiseplan befolgt, trifft
Samstag Vormittag in Rustschuk ein. Es ist der Mühe werth, einen
Tag in Rustschuk zu bleiben und die grossen Veränderungen zu be-
wundern, die der bekannte Midhat Pascha während des einen Jahres,
als er Gouverneur des Donau-Vilagets war, in seiner Provinzialhaupt-
stadt zu Wege brachte. Der Donauhafen hat einen prächtigen Quai,
die Strassen haben Benennungen und Beleuchtung, die Häuser haben
Allgemeines für Orient-Reisende. 23
Nummern erhalten, die nach Süden gekehrten Befestigungen wurden
demolirt und an mehreren Puncten der Stadt Anlagen errichtet. Rust-
scliuk ist zu zwei Dritteln von Bulgaren, zu einem Drittel von Türken
beAvohnt; höchst sehenswerth ist das Zigeunerviertel, eine Sammlung
von Häuserruinen ohne Gleichen. In das Kloster der tanzenden Der-
wische, das sich unweit der Stadt befindet, erlangt man leicht Zutritt.
Seine Wohnung nehme man nicht im Hotel neben dem Bahnhofe, weil
man hier zu entfernt von der Stadt wohnt, sondern im ^Graml Hotel'*
(Islah-Kane, zu deutsch Waisenhaus, weil die Pachterträgnisse des
Gasthofes an das Waiseahaus abgeliefert werden) Der Pächter ist ein
Italiener, doch spricht sowohl er als ein Theil seiner Leute französisch.
Die Preise sind für orientalische Verhältnisse massig, die Betten gut,
das Essen erträglich. Ein Gang durch den Bazar, wo sehr hübsche
Sachen und ausgezeichneter Tabak zu haben sind, ist jedem Fremden
zu empfehlen Zu Fuss braucht er nicht zu gehen, denn es gibt hier
eine Menge Fiaker, die um billiges Geld sehr gut fahren. Allerdings
verstellt kaum ein einziger Kutscher eine westeuropäische Sprache.
Höchstens, was man am allerwenigsten erwarten sollte, kann ein oder
der andere etwas Deutsch.
Für jene Reisende, welche den ganzen Lauf der Donau kennen
zu lernen wünschen, wollen wir hier einige Bemerkungen einschalten.
Wenn sie den folgenden Mittag von Rustschuk Donauabwärts fahren,
geht das Schiff zuerst nach Giurgewo hinüber. Auch hier kann man die
Verladungsfrist zu einem kleinen Spaziergang benutzen, auf der Pro-
menade die elegante Welt von Giurgewo sehen und in einer Stunde
bemerken, dass daselbst nichts zu sehen ist. Die Fahrt bis Galatz
hinab bietet nui^ wenig schöne Puncte. Abends kommt man an der
Festung SUistria vorüber, die malerisch hoch auf Felsen liegt und
einen pittoresken Anblick gewährt. Aehnlich liegt Hirsova, dann aber
werden die Ufer flach und eintönig. Von Czernavoda nach Kilstenäsche
fährt wohl eine Eisenbahn, die erste in der Türkei und die kürzeste
Verbindungslinie zwischen der Donau und dem Schwarzen Meere, allein
sie wird fast nur für den Waarentransport benützt und es ist nicht
rathsam, sich nach Küstendsche hinüber zu begeben. Die Stadt ist ein
elendes Nest, der Dampferverkehr zwischen dem dortigen Hafen und
Constantinopel ein höchst unregelmässiger, so dass der Reisende in
eine Sackgasse geräth und umkehren muss. In Küstendsche auf ein
Schiff zu warten, ist zudem bei dem gänzlichen Mangel an anstän-
diger Unterkunft sehr fatal. Man verzichte also auf diesen Abstecher
und bleibe auf dem Schiffe, das von Czernavoda aus in weit kürzerer
Zeit, als man nach den Landkarten vermuthen sollte, Braila erreicht
Hier bietet sich ein doppeltes Bild dar. Erstens der Hafen mit seinen
hundert und hundert Schiffen, worunter die grössten Dreimaster, zweitens
die Balkankette südöstlich von der Donau. In einer starken Stunde
erreicht der Dampfer das Endziel seiner Fahrt, Galatz, oder wie viel-
fach, aber fälschlich, geschrieben wird, GaJacz. Die grösste Stadt der
Moldau hat eine ungeheuere Ausdehnung und ein sehr rauhes Klima.
24 Allgemeines für Orient-Reisende.
Man mag sich wolil in Acht nehmen, denn der Wind, der vom schwar-
zen Meere hereinweht, hat I^lnde Mai noch eine fast winterliche Schärfe,
und nach Sonnenuntergang tritt empfindliche Kälte ein. Sehenswürdig-
keiten besitzt Galatz ebenso wenig wie Giurgewo, ein Gang durch die
Stadt, der ihre Physiognomie kennen lehrt, erschöpft Alles. Wer Lust
hat, mag das Theater besuchen, ein elegantes Gebäude, in dem eine
leidliche französische Gesellschaft spielt. Dicht daneben liegt ein grosser
wüster Platz, auf dem eine riesige Herde Schweine weidet. Ein Besuch
in Walzel's Garten-Eestauration, zu dem man sich, da man im Freien
sitzt, einen tüchtigen Winterrock mitnehme, gibt ein anschauliches
Bild von dem Sonntagsvergnügen der Galatzer Welt und Halbwelt.
Wer in Gesellschaft reist oder mit den Capitänen der Donaudampf-
schiffahrt-Gesellschaft bekannt ist, gehe spät Abends, zwischen zehn
und elf, von Walzel weg zur , Bella Italia", einer verrufenen Kneipe,
die aber sehr charakteristische Typen des Volkslebens entwickelt. Wer
nicht sehr viel Zeit hat, der hüte sich nach Galatz zu gehen, und
noch mehr, dort zu bleiben. Denn der Lloyddarapfer, welcher den di-
recten Verkehr zwischen Galatz und Constantinopel vermittelt, geht
nur jeden Freitag; auf russische und französische Schiffe ist nur im
Juli und August Verlass, und die ersteren gehen zudem nach Odessa.
Nach der Sulinamündung hinauszukommen hält schwer, das einzige
Schiff, welches regelmässig verkehrt, ist der „Mettemich," der Eemor-
quer der Donaudampfschiffahrt-Gesellschaft, also kein Passagierschiff.
Der einz ge lohnende Ausflug ist ein Besuch in Tultscha, wofür man
eine Barke nur zu hohem Preise miethen kann. Das Beste ist, man
fährt mit demselben Schiffe, mit dem man Sonntag Mittags ange-
kommen, Montag Morgens wieder zurück nach Eustschuk. Wer dem
Oriente rasch zustrebt, verzichtet ohnedies auf den untersten Lauf
der Donau.
Die Eisenbahn von Rustschuk nach Varna ist eine Art von
Schmerzenskind der türkischen Eegierung. Sie hat enorme Summen
gekostet und ist trotzdem sehr schlecht gebaut. Verkehrsstörungen sind
so regelmässig, dass sich Niemand darüber wundert. Die Fahrzeit von
Eustschuk nach Varna ist auf sieben Stunden festgesetzt, man fährt
aber manchmal zwölf bis fünfzehn und muss, da sich ausser an den
beiden Endpuncter. auf der ganzen Strecke keine Personenhalle befindet,
oft stundenlang in der glühendsten Sonnenhitze warten, bis die ein-
geleisige Bahn frei ist. Eigentliche Unglücksfälle sind indess noch nicht
vorgekommen und die Coupes sind bequem. Der Bau dieser Bahn
wurde von einer englischen Gesellschaft unternommen, in der Erwar-
tung, dass dieselbe sich bald dem grossen türkischen Netz anschliessen
werde; allein das grosse Netz harrt noch immer auf seinen Beginn
und die Linie Eustschuk- Varna fristet, auf ihre eigenen Kräfte ange-
wiesen, jämmerlich ihr Dasein. Um einen Begriff von der ungewöhn-
lichen Bewegung auf dieser Linie zu bieten, brauchen wir blos zu
erwähnen, dass wöchentlich auf derselben vier Passagier-Trains ver-
kehren. Die Gesellschaft besass ursprünglich eilf Locpmotivc, gegen-
Allgemeines für Orient-Reisende. 25
wärtig sind aber nur noch vier marschfähig. Ein Platz erster Classe
kostet 45 Francs. Die Gardinen in den unsauberen Waggons hängen
in Fetzen, die Thüren sind kaum verschlossen. Man überschreitet bald
weite von Bergen überragte Ebenen, bald fährt man längs Sümpfen,
aus deren oft mannshohem Schilfe Büffelheerden hervorlugen. Jeden
Augenblick lässt der Maschinist ein Nothsignal ertönen und der Zug
hält stille, denn eine Büffelschaar hat sich der Strasse bemächtigt und
den Weg abgesperrt. Das Loconiotiv pfeipft aus allen Kräften und
einige Büffel ziehen sich erschreckt in das Rohrdickicht zurück, allein
die kühneren lassen sich nicht davonscheuchen ; der Train geht behut-
sam vorwärts und der Maschinist lässt auf die hartnäckigen Bestien
den Dampf entladen, so dass sie uns endlich gestatten, unsere Fahrt
fortzusetzen. Dieses Manöver muss fast jede halbe Stunde erneuert
werden. Am schlimmsten ist es, wenn man bei der Wendung um einen
Felsen auf einen Büffel geräth, denn dann droht den Reisenden wirk-
liche Gefahr.
Die Bahn, durch starke Steigungen aufTällig, geht über Rasgrad
und Schumla. Die erste grössere Hälfte des Weges bis zu der oben-
genannten Station geht durch einförmiges Hügelland, nur durch die
UeberfüUe an Rosengebüschen ausgezeichnet. Schumla selbst bekommt
man nicht zu sehen, die berühmte Festung liegt seitwärts in ihrem
Felsenkessel und man beruht nur Schumla- Wad. Um den Bahnhof
herum hat sich ein neues Städtchen entwickelt, das schon ziemlich
bevölkert ist. Von hier an wird die Bahn interessant, denn sie geht
durch ein Längenthal des Balkan. Die abenteuerlichen Formationen der
Kalk- und Kreidefelsen, die aus den tiefgrünen Wäldern bald in Schan-
zen- bald in Tempelgestalt emporstarren, fesseln das Auge und ver-
kürzen die Fahrzeit. Wie die Berge zurücktreten, verkünden die weit
hingestreckten, trefflich bebauten Felder die fruchtbare Dobrudscha.
Einige Tatarendörfer, an denen der Zug vorüberbraust, sind durch
die spitze, zeltartige Form ihrer Häuser von weitem kenntlich. Endlich
beginnen die Seen von Varna, mit einander verbunden und vom Meere
nur durch eine schmale Erdzunge getrennt, dennoch aber süsswas-
serhaltig.
Varna ist stark befestigt und hat mehrere schwere Belagerun-
gen ausgehalten; so 1828, wo Varna zuletzt in die Hände der Russen
fiel, aber nicht, wie man gewöhnlich liest, durch den Verrath seines
Commandantcn Jussuf Pascha. Die Stadt hat gegen 20,000 Einwohner
und sieht von der Rhede recht freundlich aus. Sie liegt auf der Nord-
seite einer kleinen Bucht des Pontus. das Vorgebirge, welches sich auf
der anderen Seite in die See hinausstreckt, heisst Cap Galata. Die Bai
von Varna ist ein guter Ankerplatz für Schiffe von geringer Grösse.
Man hat aber den Plan, durch einen Canal den benachbarten See von
Dewna (an dem im letzten Kriege die Truppen der Westmächte einige
Zeit lagerten, wobei sie ausserordentlich viel Leute durch die Cholera
verloren) in einen sicheren und bequemen Hafen für grosse Fahrzeuge
26 Allgemeines für Orient-Reisende.
zu verwandeln. Die Seeseite der Stadt wird von drei gewaltigen Bat-
terien, eine in der Mitte und eine an jeder Seite vertheidigt. Bei der
geringen Tiefe des Wassers an der Küste hält man diese Batterien für
hinreichend zur Vertheidigung der Ehede, denn Schiffe von einiger
Grösse könnten der Stadt nicht nahe genug kommen, um ihr beträcht-
lichen Schaden zu thun. Die Batterien sind durch eine mit Schiess-
scharten'versehene Mauer mit einander verbunden und mit schweren
englischen Kanonen armirt. Auf der Landseite ist die Stadt vollkommen
mit einer Enceinte eingeschlossen, welche der Richtung des alten Wal-
les folgt, der die Stadt einfasste, als die Russen Varna das letzte Mal
belagerten. Aber an jedem dazu passenden Orte hat man Bastionen
aufgeworfen, die nach wissenschaftlichen Grundsätzen construirt, die
Gräben vor den Courtinen flankiren und mit sehr schweren Geschützen
armirt sind. In der südwestlichen Ecke der Festung ist eine Bastei,
welche einen grossen, die Stadt von der Hügelreihe auf der anderen
Seite trennenden Sumpf beherrscht. Gegen Westen ist offenes Terrain,
welches sich nach dem Thal hinaufzieht, wo die beiden Seen von Dewna
liegen. Von dort herum nach Norden läuft eine Kette von Hügeln, die
sich ziemlich schroff von der Ebene erheben und, etwa 250 Fuss hoch,
gegen das Meer hin mit einem zuckerhutförraigen Berge endigen, auf
dem während der Belagerung durch die Russen Kaiser Nikolaus sein
Zelt aufschlagen Hess. Varna hat etwa 200 Geschütze, von denen die
meisten vom schwersten Kaliber sind. Es hat Casernen, in denen sich
5000 Mann unterbringen lassen, bedarf aber zu gehöriger Vertheidi-
gung seiner Wälle fast doppelt so viel Soldaten. Im Allgemeinen kann
man Varna als eine Festung zweiten Ranges bezeichnen, welche sich
eine gute Weile vertheidigen kann, und da es einer der besten von
den wenigen guten Häfen der Westküste des Schwarzen Meeres ist,
so ist es eine Position von der äussersten Wichtigkeit in jedem Kriege
mit Russland. Während des Jahres 1S28, wo auf seinen Wällen nicht
mehr als einige zwanzig Kanonen standen, und die Werke nicht halb
so ausgedehnt und bei Weitem nicht in so guter Ordnung waren, als
jetzt, hielt es eine Belagerung von drei Monaten aus. Man kann anneh-
men, dass es sich jetzt mindestens eben so lange halten würde. Die Bahn
führt auf dem Damme zwischen zwei Seen hindurch bis zum Bahn-
hofe. Der Lloyddampfer nach Constantinopel liegt im Hafen, der An-
schluss ist prompt. Nur mag Jeder, der nicht ein directes Billet von
Pest oder anderwärts bis Constantinopel besitzt, zusehen, wie er nach
dem Hafen hinabkommt. Hat man endlich einen Wagen aufgetrieben,
30 zahle man willig den allerdings für die viertelstundige Fahrt enormen
Preis von zwanzig Piastern, sonst fährt der Wagen davon und man
hat das Nachsehen. Die Deutschen, die sich am Bahnhofe in Varna
an jeden Landsmann mit freundlicher Dienstwilligkeit herandrängen,
fertige man barsch ab. Die Bursche sind durch den Aufenthalt längst
verdorben und keinen Schuss Pulver werth. Auf dem Schiffe bleibe
man so lange als möglich auf dem Deck, denn unten lauert die See-
krankheit. Das Schwarze Meer ist selten ruhig, gewöhnlich sogar sehr
Allgemeines für Orient-Reisende. 27
stürmisch. Die Ueberfahrt von Varna nach Constantiuopel währt zwölf
bis vierzehn Stunden, wenn kein Unwetter dazwischen kommt. Wer
auf dem Eilschiffe bis Kustschuk geblieben ist und sofort die Eisenbahn
benutzt hat, kömmt Donnerstag, also bereits am vierten Tage, zwischen
zehn und zwölf Uhr Vormittags in Constantinopel an. Die herrliche
Fahrt durch den Bosporus ist an einer andern Stelle dieses Buches
beschrieben; sie ist ein Grund mehr, die Donaufahrt der Reise über
Triest vorzuziehen.
28 Palästina im Allgemeinen.
ERSTES CAPITEL.
Palästina im .A.llg:eineiiien,
Geographische und ethnographische Verhältnisse des Landes. — Die Eintheilung
Palästina's zur Zeit Christi. — Die geeignetste Zeit zum Aufbruch dahin. — Der nächste
Weg von Deutschland nach dem heiligen Lande. — Ausrüstung. — Geldsorten. —
Dragomane. — Eänber. — Krankheiten. — Verschiedene kürzere oder längere Tonren.
— Strassen. — Gasthöfe. — Consulate. — Zeit- und Kostenaufwand für eine auf Palä-
stina sich beschränkende Beise.
Palästina, nicht bloss für Christen und Juden, sondern auch
für Bekenner des Islam, das heilige Land, hiess in der ältesten Zeit
Kanaan. Sein späterer Name Palästina stammt von der Benennung des
niedern, am Mittelmeer sich hinziehenden Strichs, welchen die Phili-
ster — Pelischthim — bewohnten. Es ist seinem Hauptcharakter nach
ein Gebirgsland. Seine Grenzen sind im Süden die arabische, im Osten
die syrische Wüste, im Norden der Dschebel Heisch, das Gebirg Naph-
thali und der Antilibanon, im Westen endlich das Mittelmeer.
Geologisch zerfällt das Land in vier von Westen nach Osten
aufeinanderfolgende Striche. Unmittelbar am Meere zieht sich ein nie-
driger, sehr fruchtbarer Ufersaum hin, dessen Südhälfte einst von den
Philistern bewohnt wurde (die Gegend von Gaza und Askalon) und der,
nachdem er im Norden von einem Vorgebirge des Karmel unterbrochen
worden, in der Nähe von Akko mit einem zweiten Vorgebirge, der so-
genannten tyrischen Leiter, endigt. Den zweiten Strich bilden Ketten
von Gebirgen, welche von schmalen und breiten Thälern unterbrochen
werden. Die Gebirge bestehen gleich den griechischen aus Kalkstein
und tragen nur auf dem Karmel Wald. Der nördlichste Theil dieses
Streifens ist das alte Galiläa. Dann folgt die von Westen nach Osten
streichende Ebene Esdrelom, auch Ebene Jesreel genannt. Südlich von
dieser erhebt sich wieder ein Hochland mit verschiedenen fruchtbaren
Thälern und den Bergen Ebal und Garizim, das alte Samaria. Ganz
im Süden endlicli liegt, ebenfalls ein Bergland, die Landschaft, welche
einst Judäa hiess. Der dritte Streifen ist das Ghor, eine breite, zum
grossen Theil tief unter dem Spiegel des Mittelmeeres gelegene, sehr
heisse Tiefebene, durch welche der Jordan fliesst und an deren südli-
chem Ende das Todte Meer liegt. Der vierte Strich endlich ist das
Land vom Ostufer des Jordan bis zur Wüste. Derselbe ist im Norden
Palästina im Allgemeinen. 29
breiter als im Süden, und besteht im Nordwesten aus Kalkstein, im
Nordosten zum Theil aus Basalt, im Süden aus Sandboden. Unmittel-
bar am Fusse des Dschebel Heisch ist diese Landschaft eine fruchtbare
Hochebene, weiter südlich schliesst sich hieran das Gebirg Gilead,
welches mit Eichenwäldern bewachsen ist, dann folgt eine baumlose,
aber fruchtbare zweite Hochebene, endlich das sandige Gebirge, welches
im Alterthum Seir hiess.
Flüsse besitzt Palästina nur wenige. Die wichtigsten sind: der
zwischen Hasbeia und Kascheia entspringende, in das Todte Meer
mündende Jordan (Scheriat El Kebir), dessen grösster Nebenfluss, der
Hieromax (Scheriat El Mandhur), welcher einen Theil von Galiläa
durchströmt, der Arnon (Wadi Modschib), ebenfalls ein Nebenfluss des
Jordan, endlich der Kison, welcher die Gewässer der Ebene Esdrelom
dem Mittelmeere zuführt. Die übrigen fliessenden Gewässer des Landes
trocknen im Sommer ein, oder strömen dann wenigstens nur eine
kleine Strecke. Stehende Gewässer hat Palästina in dem Todten Meere
und in dem See Tiberias oder Genezareth.
Palästina hat in seinen Thälern und auf seinen Ebenen Anlagen
zu grosser Fruchtbarkeit. Indess fehlt es ihm jetzt, wo seine Wälder
mit wenigen Ausnahmen ausgerottet sind, sehr an Wasser. Die Unsi-
cherheit des Besitzes ferner lässt auch die besten Striche nicht in dem
Maass anbauen, in dem es möglich wäre, und so liegt das Land auf
weite Strecken hin wüst. Indess ist in den letzten Jahren, namentlich
um Jerusalem, Manches besser geworden, und Gärten beginnen zu
grünen, wo früher nur dürres Gestein war. Von Fruchtbäumen begegnet
man am häufigsten dem Olivenbaum, dem Feigen- und Maulheerbaum;
ausserdem trifft man (besonders bei Jaffa) grosse Orangen- und Zitro-
nengärten, Pflanzungen von Granatbäumen, hin und wieder auch Man-
del- und Aprikosenbäurae. Der Apfel- und der Birnbaum kommen nur
wild, Palmen nur vereinzelt vor. Wein wird an mehren Stellen, der
beste bei Hebron und in der Nähe des Dorfes St. Philipp bei Jerusalem
gebaut. Die Bergwälder bestehen aus Eichen und Pinien. Am Jordan
finden sich Pappeln, Weiden, Tamarisken, wilde Lorbeer- und Pista-
zienbäume, sowie gewaltige blüthenreiche Oleandersträuche, die auch
die Ufer des Kison schmücken. Von Getreide säet man vorzüglich
Gerste, Weizen und Durrah. Im Uebrigen wird Sesam, etwas Tabak,
ein wenig Baumwolle, indischer Pfeffer und Hanf gebaut. Wild wach-
sende Blumen trifft man im Frühling eine grosse Menge. Am häufig-
sten sind: die Lilie, die Adonis, die Kingelblume, eine schöne Malven-
art, die Anemone und Jelängerjelieber. Die Rose von Saron ist ebenso
verschwunden, wie die Balsamstaude von Jericho. Von Hausthieren
zieht man vorzüglich Schafe (mit Fettschwänzen) und Ziegen, Büffel,
unser Rindvieh, welches indess hier klein und unansehnlich ist, Pferde,
unter denen sich manches schöne Thier findet, Esel, Maulthiere und
Kameele. Hunde laufen in den Städten in Masse herrenlos umher. Von
wilden Thieren ist der Schakal häufig. Ausserdem findet man in den
weniger bewohnten Geganden Hyänen, und in den Wäldern am Jordan
30
Palästina im Allgemeinen.
und auf dem Karmel und Tabor wilde Schweine und Panther. Der
Löwe ist allenthalben ausgerottet und ebenso der Bär. An wilden Vö-
geln ist besonders die Jordangegend reich; es gibt hier Reiher, Peli-
kane, Enten, Gänse, Störche, Rohrdommeln und Schnepfen. Von Sing-
vögeln hört man Lerchen, bisweilen auch die Nachtigall. An Raubvögeln
ist kein Mangel. Von giftigen Thieren kommen verschiedene Schlangen,
der Vierzigfuss, der Scorpion und die Tarantel vor. Sehr zahlreich ist
das Geschlecht der Eidechsen vertreten. An Ungeziefer, namentlich an
Flöhen und Mücken, fehlt es nirgends. Endlich stellen sich mitunter
Heuschreckenschwärme ein, welche das Land auf weite Strecken ver-
heeren. Jagdliebhabern bieten sich ausser den Ebern des Jordanthales
und des Karmel auf der Ebene Esdrelom gelegentlich Rudel von Ga-
zellen und im übrigen Lande Hasen, Rebhühner und anderes Federwild.
Die grosse Mehrzahl der Einwohner Palästina's besteht auS
Arabern. Die Landessprache ist die arabische, die Religion, zu der sich
bei Weitem die meisten Eingebornen bekennen, der Islam. Ausser den
ansässigen Einwohnern, den Bürgern der Städte und den Bauern (Fel-
lahin), leben in Palästina auch zahlreiche Nomaden, Wüstenaraber
Ein vornehmer Huliamedaneri
Palästina im Allgemeinen.
31
Arabische Landfranen.
(Bedauin), welche namentlich im Frühjahr das Landmit ihren Heerden
durchziehen, in mehre Stämme (z. B. die Beni Sakr, die Hauarah, die
Taamirah) zerfallen und auf ihren Wanderungen hauptsächlich die Ge-
genden am Jordan, die Striche zwischen Gaza und Hebrdn und beson-
ders die Ebene Esdrelom heimsuchen , oft aber auch bis in die Nähe
des Meeres vordringen. Ausserdem wohnen im Lande zahlreiche Juden
und Christen. Die ersteren zerfallen ihrer Abkunft und Sprache nach
in Aschkenasim und Sephardim, ihrer religiösen Haltung nach in Pe-
ruschim und Chassidim. Die Aschkenasim sprechen ein verdorbenes
Deutsch, die Sephardim spanisch, jene stammen meist aus Osteuropa,
diese aus Spanien und Marokko, jene stehen grösstentheils unter Juris-
diction der Consulate, diese sind türkische Unterthanen. Die Peruschim
kann man als orthodoxe Talmudjuden, die Chassidim als jüdische Mysti-
ker bezeichnen. Karaiten, welche den Talmud verwerfen, gibt es einige
Wenige in Jerusalem, Samariter, welche nur die fünf Bücher Mosis
anerkennen, noch etwa hundert in Nablus. Von den Christen sind alle
Hauptbekenntnisse vertreten. Am stärksten ist die Zahl der Bekenner
32 Palästina im Allgemeinen.
der orthodoxen morgenländischeii Kirche und die der Lateiner oder
Kö mischkatholischen. Ausserdem trifft man Armenier, syrische Christen,
Maroniten, Abyssinier, Kopten und Protestanten. Die Griechen und
Russen besitzen verschiedene Klöster, mit denen Pilgerherbergen ver-
bunden sind; noch grösser ist die Zahl der lateinischen Klöster, die
ebenfalls als Gasthöfe dienen. Die Protestanten, meist Deutsche und
Engländer, haben in allen bedeutenderen Städten Missionäre und stehen
unter einem Bischof, der in Jerusalem seinen Sitz hat.
Zur Zeit Christi zerfiel Palästina in verschiedene Theile: ein
kleiner Strich im Südosten hiess Idumäa; daran schloss sich die
grosse Provinz Judäa mit den Städten Jerusalem, Hebron, Jericho,
Bethlehem, Cäsarea und Joppe (Jaffa) ; dann folgte weiter nördlich
Samai'ia mit den Städten Sichern (Nablus) und Schomron, Ginnäa
(Dschenin) und Hepha (Chaifa); dann noch nördlicher Galiläa mit den
Ortschaften Nazareth, Nain, Kana, Tiberias, Kapernaum und Bethsaida.
Das transjordanische Land endlich zerfiel in die Provinzen Peräa,
die südlichste und grösste, Graulouitis, das Land östlich vom See
Genezareth umfassend, Batauäa, Auranitis und Trachonitis, die
kleinste und nördlichste. Gegenwärtig gehört der ganze Süden zum
Paschalik Jerusalem, ganz Galiläa und ein beträchtlicher Theil von
Samaria zum Paschalik Damaskus.
Die Moabiter, mit denen David kämpfte, wohnten in den Bergen
östlich vom Todten Meer, die Ammoniter in den Strichen östlich vom
Jordan. Das Gebirge Juda durchzog Judäa, das Gebirge Ephraim Sa-
maria, das oft erwähnte Gebirge Gilead Peräa.
Eine Reise durch Palästina schliesst sich am besten einer Tour
durch Egypten an. Man bricht am besten Ende Februar oder Anfang März
von Kairo auf und begibt sich entweder zu Lande auf Kameelen über Ei-
Arisch nach Gaza oder — will man den Besuch des Suezkanals dabei ver-
binden — von Kairo per Bahn nach Ismailia, von da nach Besichtigung
der wichtigsten Kanalbauten, per Postdampfschiff nach Port-Said und
von hier mittelst eines Dampfers des österr. Lloyd oder der Message-
ries Imperiales nach Jaffa, dem Haupthafen Palästinas. Der Abgang der
Schiffe von Port-Said wird in Kairo sowie in Ismailia in den betreffenden
Agentien zu erfragen sein. Die erste Reise erfordert 10 bis 12 Tage,
die letztere 18 Stunden. Jerusalem ist am interessantesten während der
Osterwoche (settimana santa), man thut daher wohl, sich so einzurichten,
dass man einige Tage vor derselben liier eintrifft. Indess muss erwähnt
werden, dass in dieser Zeit des Pilgerandranges halber die Miethe von
Pferden, Eseln und Kameelen doppelt und dreimal, ja viermal so hoch
zu stehen kommt, als gewöhnlich, und dass die Klosterherbergen dann
überfüllt sind. Wer von Deutschland direct nach Palästina reisen will
und den kürzesten Weg einzuschlagen wünscht, muss sich mit dem
Schnelldampfer des Lloyd, der jede Woche nach Constantinopel geht,
nach Syra begeben, von dort mit einem andern Lloydschiffe nach Smyrna,
dann mit demjenigen Dampfer des österr. Lloyd weiter, welcher über
Rhodos, Cypern, Beirut und Kaiffa nach Jaffa, resp. Alexandrien fährt. Da
Palästina im Allgemeinen.
jedoch dieser Dampfer nur jede zweite Woche seine Tour zurücklegt,
so ist darauf bei der Abfahrt von Triest zu achten, wenn man nicht in
die Nothwendigkeit versetzt werden will, in Smyma den Dampfer ab-
warten zu müssen, oder mit dem von Smyma nach Alexandrien direct
gehenden Dampfer zu reisen, der von letzterem Orte den Anschluss
eines andern Dampfers über Port-Said nach Jaffa vermittelt.
Im Herbst nach Palästina zu gehen, ist nicht gerathen, da das
Land dann, von der Hitze des Sommers ausgetrocknet und verbrannt,
einen trostlosen Anblick gewährt. Im Frühjahr aber, Anfangs März
eintreffend, wird der Eeisende in der Kegel noch von den Güssen der
Eegenzeit zu leiden haben, und es kann dann geschehen, dass er viel
Zeit an uninteressanten Orten zu verlieren genöthigt ist, da viele
Gegenden nach starkem Regen völlig unpassirbar sind.
Das Wichtigste, womit der Pilgor nach dem heiligen Lande sich
auszurüsten hat, ist Geduld und die Kunst, von gewohnten Genüssen
und Bequemlichkeiten auf einige Zeit abzusehen, ohne die gute Laune
zu verlieren. Dann ist es gut, Avenn er Kenntniss der italienischen Sprache
hat, und drittens rauss er reiten und, wenn ihm Zeit und Kosten nicht
gleichgiltig sind, anhaltend reiten können. Früher gingen Omnibus von
Jaffa nach Jerusalem. Diese sind neuerdings wieder eingestellt, aber
die Strasse ist in gutem Zustand; Wagen ,sind aber gar nicht vorhanden.
In Betreff der übrigen Ausrüstung lassen sich allgemein gil-
tige Regeln nicht wohl aufstellen. Auf keinen Fall bedarf es der Un-
zahl von Gegenständen, welche englische Reisehandbücher mitzunehmen
empfehlen, da die Führer, von denen sogleich die Rede sein soll, Alles,
was erforderlich ist, besitzen. Man versehe sich mit einigen Brech-
und Abführmitteln, mit etwas Chinin (über dessen Gebrauch bei Fieber-
anfällen man sich vor der Abreise von seinem Arzt Raths erholen
möge) und mit Heftpflaster. Die Mitnahme von Insectenpulver ist nicht mehr
nötliig, jedes Bett hat Muskitairen, das sind grosse Schleier, die über das
Bett herabfallen und die Muskitos vollständig abhalten. Von Waffen nehme
man eine Doppelflinte oder einen Revolver Colt'scher Construction sammt
der erforderlichen Munition mit. Man trage entweder baumwollene
Heraden oder unter leinenen ein wollenes Unterhemd. Der Hitze wegen
wähle man zu den Kleidern, die man vorzüglich zu benutzen denkt,
lichte Stoffe, welche die Sonnenstrahlen weniger . aut sich lenken, als
dunkle. Zur Bedeckung des Kopfes ist eine wattirte weisse Mütze oder
ein breitkrämpiger leichter Hut zu empfehlen, den man zum Schutz
gegen den Sonnensticli mit einem weissen Tuch turbanartig umwickelt.
Ein Visitenanzug: Frack u. s. w. ist für Den, der nicht aut den Um-
gang mit den Consulaten und der übrigen besseren Gesellschaft Jeru-
salems Verzicht leisten will, fast unerlässlich. Ein Lederbecher wird
sich als bequemer Trinkapparat erweisen; eine farbige Brille Denen,
die an leicht entzündlichen Augen leiden, gute Dienste leisten. Wer
wenig Gepäck hat, wird, wenn er dasselbe in einem ledernen Mantel-
sack mit sich führt, ein Packthier ersparen können, da ein solcher
Sack sich mit aufs Pferd oder Maulthier nehmen lässt. Von gelehrten
34 Palästina im Allgemeinen.
Werken über Palästina sind „Palästina und die angrenzenden Länder
von Robinson" (3 Bände), Jerusalem von Graf Wartensleben und Rit-
ters , Erdkunde", 2. Auflage, Band 15 und IG die brauchbarsten. Ein
Zelt, ein fränkisches Reitzeug, einen Kochapparat von Europa mitzu-
bringen, ist jetzt durchaus nicht mehr erforderlich
Sein Reisegeld nimmt man sich am besten in Gold, französi-
schem, italienischem, englischem oder in österreichischen neuen Duca-
ten oder russischen Imperialen, und ausserdem mit einer kleinen Summe
in österreichischem, französischem, russischem oder englischem Silber-
geld, mit dem man die ersten Ausgaben bei und nach der Auschiflfung
bestreitet. Creditbriefe sind durchaus nicht anzuempfehlen, da man
nicht allein jin Europa 3 — 4%, sondern auch im Orient wiederum
l'/j — 2% Verlust bei denselben hat.
Die Landesmünze, nach der hauptsächlich girechnet wird, ist
der Piaster (arabisch : Grusch), welcher etwa 19 Pfennige preussisch
werth ist. Man hat in Gold Stücke zu 100, zu 50, zu 20, zu 10 und
zu 5 Piaster ausgeprägt. Die erstgenannten standen im Frühling dieses
Jahres 108 '/^ Piaster; sie werden Goldmeschidje genannt. Der halbe
Goldmedschidje, zu 50 Piastern ausgeprägt, galt damals 54'/., Piaster.
SillDermünzen türkischen Gepräges sind: der türkische Thaler, auch
Silbermedschidje. arabisch Gasi genannt, und jetzt 21'/, Piaster werth ;
der Bischlik, 5 Piastern gleich, endlich Stücke von 3, von 2. von 1
und von ',4 Piaster. Türkische Kupfermünzen sind: der etwa thaler-
grosse Kupferpiaster, der etwa 40 Para werth ist, 20-, 10- und 5
Parastücke.
Die fränkischen Münzen hatten im April 1869 folgenden Curs:
Napoleonsd'or (sehr häufig vorkommend) . 95 Piaster
Sovereigns (das englische Pfund Sterling) . i20 „
Russische Imperiais 96 „
Oesterreichische Ducaten 57 ,
Holländische Ducaten 56
Französische Fünffrankenthaler 23^, „
Oesterreichische Mariatheresienthaler ... 26 „
Rubel 18V, „
Spanische Colonnaten 27 „
Oesterreichische neue '/, Guldenstücke . . 3'/4 „
Der englische Shilling ....... 6 „
Der Franc 4% ,
Wer des Arabischen nicht mächtig ist, muss für die Reise
durch Palästina einen Dragoman annehmen. Von diesen gibt es in
Jerusalem eine ziemliche Anzahl, und man hat keine Mühe, sie zu
finden, da sie sich in den Gasthöfen und Klöstern selbst anbieten. Man
zahlt ihnen, wenn zwei oder mehre Reisende zusammen gehen, pro
Mann täglich zwei Napoleonsdor, geht man allein, 2 '/^ —3 Napoleonsdor.
Dafür dient der Dragoman als Führer, Dolmetscher und Koch, und
besorgt zugleich Alles, was zur Reise nothwendig ist. Er bestreitet die
Palästina im Allgemeinen. 35
Mietlie der Pferde und Maiüthiere, die Beköstigung, inclusive Wein,
den Lolin der Pferdeknechte und Maulthiertreiber (Mukkarin) und die
Unterkunft in den Locanden, Khans oder Klöstern, er liefert Bett-
und Tischzeug und nimmt ein Zelt mit, für den Fall, dass im Freien
campirt werden muss.
Die Dragoniaue stehen mit wenigen Ausnahmen in üblem Ruf.
Sie sind gewandte, der Wege und Verhältnisse wohlkundige, aber
lügenhafte, verschlagene und im höchsten Grade eigennützige Bursche.
Es ist daher durchaus nothwendig, dass man mit ihnen einen schrift-
lichen Contract mache, in welchem alle Leistungen und Gegenleistun-
gen genau und bis in's Einzelne aufgeführt sind. Diesen Contract
schliesst man auf dem Consulat ab, unter dem man steht. Er muss
namentlicli auch die Veri)fiichtung für den Dragoman enthalten, den
Reisenden in so und so viel Tagen an die betreffenden Orte zu brin-
gen, bestimmte Stationen einzuhalten und dafür zu stehen, dass vom
Gepäck niclits verloren gehe. Den bedungenen Lohn zahlt man in der
Regel zur Hälfte im Voraus und lässt dies im Contract bemerken.
Was sonst in solche Verträge gehört, erfährt man auf dem Consulate.
Klug ist es, sich an einen Dragoman auf nicht zu lange Zeit zu binden.
In der heiligen Stadt selbst bedarf es keines Dragomans, da sich in
den Klöstern, in den Gasthöfen und im preussischen Hospiz immer
Leute finden, welche für eine Kleinigkeit den I^hrer durch die Stadt
und ihre Umgebung abgeben. Nach dem Jordan und dem Todten Meer,
nach Hebron sowie nach Samaria und Galiläa ist ein Dragoman uner-
lässlich, doch miethe man einen solchen immer nur für eine der ge-
nannten drei Haupttouren, da nur so Gelegenheit ist, zu wechseln,
wenn der Führer Anlass zur Unzufriedenheit gegeben hat.
Einer Escorte ist man nur auf Ausflügen nach dem Jordan
benöthigt. Dieselbe wird von den Beduinen der dort wohnenden Stämme
gestellt, von deren Schechs sich stets einige in der Nähe der jerusa-
lemer Gasthöfe aufhalten. Ausflüge in das transjordanische Land erfor-
dern besondere Vorbereitungen und Verträge mit den Schechs, welche
die einzelnen Striche als ihre speciellen Weidegründe betrachten. Ohne
Bedeckung auch nur bis Jericho zu reisen, würde gefahrlich sein. Alles
Nähere über das Beduinengeleit erfährt man auf den Consulaten, wo
man die Schechs hinführt, um mit ihnen abzuschliessen.
Raubanfälle waren frülier häufiger als jetzt. Indess ist es auch
gegenwärtig nicht zu rathen, sich, wofern man nicht in starken Kara-
wanen reist, zwischen Jaffa und Jerusalem von der Nacht im Freien
überraschen zu lassen, und selbst unmittelbar vor den Thoren der
Hauptstadt des Landes kamen noch in diesem letzten Jahre nach Ein-
bruch der Dunkelheit Räubereien und Mordthaten vor.
Im Allgemeinen kann Palästina als ein gesundes Land bezeich-
net werden. In Jerusalem kommen häufig Wechselfieber vor, welche
Folge der Ausdünstung der Cisternen sind; sie gelten indess für gut-
artig. Andere Kraukheiteu des Landes sind : Dyssenterien und Diarrhöen,
die Masern und Augenentzündungen. Man hüte sich, des Nachts ohne
36 Palästina im Allgemeinen.
Zelt im Freien zu schlafen, halte den Unterleib warm, und geniesse
nicht zu viel süsse oder säuerliche Früchte, auch nicht zu viel frische
Milch. Ebenso hüte man sich, Wasser in grossen Quantitäten zu trinken.
Endlich nehme man sich in Acht, den entblössten Kopf der Sonne
auszusetzen. Fälle von Lungenkrankheiten sind sehr selten.
Die Hitze ist pom April bis zum October sehr stark, aber in
den höher gelegenen Strichen sowie am Meere nicht unerträglich, es
wäre denn, der Scirocco (Charasin) wehte. Das Thermometer steigt in
Jerusalem nur ausnahmsweise über 24 Grad E., und es wehen hier
einen grossen Theil des Jahres in den Nachmittagsstunden von der
See her kühlende Winde.
Wir geben nun zwei Reisepläne für Palästina, einen für
Solche, die nur 14 Tage, und einen für Solche, die 4 Wochen auf die
Besichtigung des Landes verwenden können:
1. Man begibt sich von Jaffa über Ramiehund Abu Gösch nach
Jerusalem, wozu man per Pferd anderthalb Tage bedarf, widmet der
heiligen Stadt und ihrer unmittelbaren Umgebung drei Tage, besucht
Bethlehem, die Teiche Salomo's und den Frankenberg, wozu ein wei-
terer Tag genügt, macht, nach Jerusalem zurückgekehrt oder besser
sogleich von Bethlehem aus (über das Kloster Mar Saba) einen Aus-
flug nach Jericho, dem Jordan und dem Todten Meere, wozu zwei und
ein halber Tag erforderlich sind, und begibt sich endlich von Jerusa-
lem über Nablus, Dschennin und Nazareth nach Caifa — eine
Tour, zu welcher man vier Tage bedarf. Von Caifa aus geht man
nach dem eine halbe Stunde von hier entfernten Kloster auf dem Vor-
gebirg des Karmel, kehrt nach der Stadt zurück und begibt sich von
hier entweder zu Lande (durch Phönicien) nach Beirut oder mit dem
von dort kommenden Lloyddampfer nach Alexandrien und von da nach
Triest. Ein Reisender, welcher sich auf diese Tour beschränkt, bedarf
zu der ganzen Pilgerfahrt von Tiiest bis in's heilige Land und zurück
nach Triest nicht mehr als fünf Wochen. Gut ist, sich ein Zaumzeug
von Triest mitzunehmen, noch besser auch einen Sattel, beide Gegen-
stände sind bei den Arabern in sehr schlechtem Zustande. Für län-
gere Reisen im Palästina ist es Bedürfniss.
2. "Man geht von Jaffa über Abu Gösch nach Jerusalem, unter-
nimmt von hier verschiedene kürzere Ausflüge: nach dem Oelberg,
dem Berg des Aergernisses, den Gräbern der Könige und der Richter,
und nach der Höhe von Nebbi Samwil und bricht, nachdem man einen
Rasttag gehalten, zu einer grösseren Tour nach dem Jordan und dem
Todten Meere auf, mit der man die nach Bethlehem und Hebron ver-
bindet. Wer alle Orte von einiger Bedeutung zu besuchen wünscht
und nicht zu grosse Eile hat, Avird zu diesem combinirten Ausflug
eine Woche verwenden und dabei nachstehenden Plan befolgen: Jeru-
salem, Bethanien, Jericho, Wüste, wo Christus während seines vierzig-
tägigen Fastens versucht wurde, Badestelle am Jordan, Todtes Meer,
Schlucht von Endschiddi, zurück nach Jericho, Kloster Mar Saba, Beth-
lehem, Frankenberg, Artas, Teiche Salomo's, Dschedur, Ed Dirweb,
Palästina im Allgemeinen. 37
Bet Ainun, Hebron, zurück nach den Teichen Salomo's, Kloster St.
Georg, Bet Dschalah, St. Philipp, Kloster St. Johannis des Täufers
(Ain Karim), Kreuzklostcr, zurück nacli Jerusalem.
Dort macht man wieder auf einen oder einige Tage Rast und
begibt sich dann auf den Weg nach dem Norden, um, an den Grenzen
Palästina's angelangt, entweder 1. von Nazareth nach Caifa zu
gehen und dort sicli einzuschiffen, oder 2 nordostwärts nach Damas-
kus weiter zu reisen, oder endlich 3, sich über die phönizischen Städte
Akko, Sur und Saida nach Beirut zu begeben. Die Hauptpuncte, die
man im ersten Fall innerhalb der Grenzen Palästina's nach einander
berührt, sind : Birreh, Sindschil, Ain Hebrud, Silo, der Jakobsbrunnen,
Nablus (von wo man den Ebal und den Garizira besteigt), Sebastijeh
(das alte Saniaria), Dschebba, Sanur, Dschennin, Nazareth, Tabor, Kana,
Tiberias, Nazareth, Caifa und Karraelkloster. Im zweiten Falle wird
man, in Dschennin eingetroffen, wohl thun, statt von liier direct nach
Nazareth zu gehen, den Weg dahin über das Karmelkloster zu nehmen,
wobei man zunächst an den Nähr Ledschun, dann an den Kison, dann
nach den Dörfern El Jadschur und Schech Sejd und endlich nach
Caifa kommt. Der Weg von liier nach Nazareth beträgt acht Stunden
und führt zunächst am Karmel hin, dann über einen Ausläufer dieses
Gebirges in die Ebene Esdrelom und zuletzt durch das galiläische
Gebirge. Im dritten Falle ist es gerathen, zunächst wie im zweiten
nach Nazareth zu gehen, sich von hier nach Tabor und Tiberias zu
begeben und von dort über Safet, das Drusenstädtchen Rameli und
die Dörfer Masd El Krum und Berue nach Akko zu reisen. Die Tour
von Jerusalem über Nazareth und Tiberias nach Caifa und dem
Karmelkloster erfordert, wenn sie die zuletzt angegebenen Puncte alle
berühren soll, mindestens sieben, die von Jerusalem über Caifa,
Karmelkloster und Nazareth nach Damaskus elf, die von Jerusalem
über Nazareth, Tiberias, Safet und Akko nach Beirut zehn Tage
Die Pferde, deren man sich bei diesen Touren bedient, sind
nicht schön, aber sehr ausdauernd und von so sicherem Tritt, dass
man sich auch auf den gefährlichsten Bergpfaden vollkommen auf sie
verlassen kann. Ein Pferd zu miethen kostet in gewöhnlicher Zeit
für den Tag einen österreichischen Thaler. Der Dragoman zahlt dafür
kaum mehr als 15 Piaster. In der Osterzeit aber, wo grosse Nachfrage
nach Reit- und Packthieren ist, steigt die Miethe bis auf 40, ja bis-
weilen bis auf 50 Piaster. Auf Eseln zu reiten gilt in Jerusalem nicht
für anständig, dagegen bedient man sich oft der Maulthiere.
Die Strassen des Landes sind im Gebirge allenthalben schlecht,
mit Steinen besäet, steil und holpricht. Die Strasse zwischen Jaffa und
Jerusalem ist zwar fahrbar, doch existiren keine Wagen. Lasten werden
auf Maulthieren, schwereres Gepäck auf dem Rücken von Kameelen
von Ort zu Ort befördert. Damen, welche nicht reiten können, müssen
sich der Tragsessel (Tachteruan; bedienen, welche von Maulthieren
oder Kameelen getragen werden, und von denen sich in Jafta wie in
Jerusalem eine Anzahl findet, die aber sehr theuer sind.
38 Palästina im Allgemeinen.
Gasthöfe triff't man in Jaffa, Jerusalem und Caifa. Sie sind
in Betracht der Verhältnisse leidlich, und es herrscht in ihnen das
im ganzen Orient eingeführte Pensionssystem, nach welchem man für
den Tag eine bestimmte Summe — V2 Napoleon bis '/j Pfd. St. —
zu entrichten hat, wofür Wohnung, Bett, Frühstück, Mittagsessen und
Abendbrod nebst Bedienung gewährt wird. Wein und andere Getränke
sind extra zu bezahlen. Die tägliche Zeche wird dadurch, dass man
auf ein Essen oder auf die Tafel überhaupt verziijhtet, nicht vermin-
dert. Gewaschen kann man in Jaffa wie in Jerusalem bekommen. Ausser
den Gasthöfen sind auch die Klöster zur Aufnahme A'on Pilgern einge-
richtet. Doch -iarf man hier in Betreff des Essens keine grossen An-
sprüche machen. Am besten sind die lateinischen Klöster, namentlich
das in Ramleh, die griechischen leiden an zu grosser Vorliebe für
Wassersuppen und andere Fastenspeisen. Der Wein, der gereicht wird,
ist in der Regel Cyperwein. Herberge und Verköstigung sind umsonst.
Doch ist es billig und deshalb Gebrauch, per Kopf für den Tag einen
österreichischen Thaler zurückzulassen und dem Pförtner beim Abschied
ein kleines Bakschisch zu reichen. In Jerusalem ist ausserdem das
preussische Hospiz sowie das sehr elegant eingerichtete österreichische.
Ersteres zunächst für Preussen, dann für protestantische Deutsche,
dann für Deutsche überhaupt bestimmt, hat nur für eine kleine An-
zahl Gäste Raum, ist aber sonst sehr zu empfehlen. Eintritt gewährt
der Consul, dem man seinen Pass zu präsentiren hat. Letzteres, zunächst
für Oesterreicher, dann für alle Deutsche errichtet, hat für mehr als
hundert Pilger Platz, und hat man sich wegen der Aufnahme an den
Generalconsul zu wenden. In ei'sterem entrichtet man für den Tag 13
Piaster, wofür ausser der Wohnung Kaffee, Thee, Essen und Wein
gewährt wird, und ausserdem wöchentlich 7 Piaster für Bettwäsche.
In letzterem wird nichts bezahlt.
Was die orientalischen Gasthäuser (Khane) betrifft, die sich in
allen Städten und ebenso in allen an den Hauptstrassen gelegenen
grösseren Dörfern finden, so thut man klug, wenn nicht die äusserste
Noth die Einkehr gebietet, sie bei Seite liegen zu lassen und sich mit
seinem Zelt zu begnügen. Sie sind in der Regel stallartige, äusserst
schmutzige Löcher, voll Ungeziefer und gemeines Volk, und es ist in
ihnen ausser Kaffee und schlechtem Branntwein nichts zu bekommen, was
nicht jedes Bauernhaus böte.
Consul ate und Consularagenturen trifft man in allen Städten.
In Jerusalem ist Deutschland durch einen österreichischen General-
consul und einen norddeutschen Consul vertreten, während England,
Frankreich, Russland, Spanien, Sardinien, Griechenland und die Ver-
einigten Staaten von Nordamerika hier Consuln haben. Dieselben üben
über die in Palästina wohnenden Angehörigen ihrer betreffenden Staaten
die richterliche Gewalt, sind ihre Berather und Beschützer gegenüber
den Türken, und erstrecken diese Dienstleistungen auch auf die Rei-
senden, die sich ihnen als zu ihrer Flagge gehörig legitirairen. Ihre
Wohnungen sind leicht erkennbar an den Flaggenstangen, welche ihre
Palästina im Allgemeinen.
39
Dächer überragen. Der vorsichtige Reisende schliesst jeden Vertrag
von einiger Bedeutung auf seinem Consulate ab. Auch thut man in
allen Fällen, wo man in ernstliche Conflicte mit den Eingebornen oder
den türkischen Behörden kommt, wohl, sich sofort auf seinen Consul
oder den nächsten Consularagenten zu berufen.
Wir haben schliesslich noch von den Kosten einer Reise
von der Mitte Deutschlands nach Palästina und zurück zu sprechen.
Es wird dabei angenommen, dass der Reisende sich auf das eigentliche
Palästina beschränkt. Wer innerhalb dieser Beschränkung der ersten
der oben angeführten vierzehntägigen Reiserouten folgt, auf den Eisen-
bahnen und Dampfern in zweiter Classe fährt; wer ferner in Triest
beim öst. Lloyd nicht vergisst, ein Fahrbillet zu lösen, das für die
Hin- und Herreise gilt, wobei ein beträchtlicher Nachlass der Kosten
eintritt; wer sodann in Jerusalem in einem Kloster oder Hospiz wohnt,
während der Ausflüge einen Dragoraan mit Andern zusammen nimmt,
wozu sich vom März bis zum Mai stets Gelegenheit ündet, wer end-
lich allen unnützen Aufwand vermeidet, wird Alles in Allem nicht
mehr als 400 bis 450 Gulden, oder 270 bis 300 Thaler bedürfen. Rei-
sende katholischer Confession thun wohl, sich der alljährlich um die
Osterzeit nach dem heiligen Lande aufbrechenden österreichischen Pil-
gerkarawane anzuschlicssen, die meist aus Pilgern besserer Stände
besteht. Eine Tour von vier bis fünf Wochen wird, da die Ausgaben
für Eisenbahn und Dampfschiff dieselben bleiben, 150 bis 200 Gulden
mehr kosten. Die Ausgaben von luxusliebenden Reisenden lassen sich
nicht berechnen, indess ist zu bemerken, dass man — von Einkäufen
natürlich abgesehen — die ganze Tour für 800 Gulden mit allem mög-
lichen Comfort machoii kann.
40 Jerusalem.
ZWEITES CAPITEL.
Jerusalem.
Jatt'a. — Ramleh. — Allgeraeines über Jerusalem. — Thore. — Stadtviertel. —
Einwohner/ahl. - Strassen und Plätze. — Bazars. - Kircben und Klöster. — Orte
der Legende. — Synagogen. — Moscheen. Die Citadelle. — Teiche und Brunnen in
der Stadt und ihrer Umgehung. — Gärten. Die Tempelraauer. — Grräber. — Berge
und Thäler, — Einiges über das alte Jerusalem. — Plan, nach welchem die Stadt und
ihre Nachbarschaft binnen sechs Tagen mit Nutzen zu sehen.
Vor Jaffa angekoniraen, lässt man sich, nachdem das Schiff
Pratica erlangt, von einem der Bootführer, die sich einstellen, an das
Land setzen, wofür, je nach Zustand des Meeres 3 bis 5 Fr. (Francs)
ja 8 — 10 Fr. zu zahlen sind. Zuweilen, bei Sturm, ist die Aus- und
Einschiffung total gefährlich und bleibt dann nichts übrig als das
Urtheil des Schiflscapitäns einzuholen und eventuell bis nach Caifa zu
fahren und dort die Ausschiffung zu versuchen Man lässt sich dann
entweder nach dem lateinischen Kloster, welches sich in der Strasse
am Landungsplatze befindet, oder nach dem Hotel „Jerusalem" führen,
das erste liegt auf dem Gipfel des Stadthügels, das Hotel links ausser-
halb der Stadt. In beiden zahlt man für den Tag '/^ Napoleon.
In dem letztem wird deutsch gesprochen. Der Wirth ist gefällig, das
Haus nicht unsauber, das Essen gut. Es gibt in Jaffa mehre Consular-
agenten, darunter einen norddeutschen und einen österreichischen. Auch
leben hier mehre protestantische Missionäre. Die Quarantäneanstalt ist
eine der schlechtesten am Mittelmeere, der Hafen oder vielmehr die
Ehede unsicher.
Jaffa, das alte Joppe, ist eine sehr alte Stadt. Es wird schon
Josua 19, 46 erwähnt. Andere Stellen der Bibel, die sich auf die Stadt
beziehen, sind Jonas 1, 3, Apostelgesch. 9, 36 und 43. Die Stadt ist
mit einer Mauer und einem trockenen Festungsgraben umgeben und
hat zwei Thore, eines auf der See- und eines auf der Landseite. Die
Gassen sind eng und düster. Einwohner hat Jaffa gegen 12,000. Die-
selben nähren sich von Handwerken, besonders Seifensiederei und Ger-
berei, von Handel und Gartenbau. Klöster befinden sich hier drei, ein
lateinisches Franziscanerkloster, ein griechisches und ein armenisches;
Moscheen zwei, Synagogen eine. Die hier wohnenden Juden sind mit
wenigen Ausnahmen Sephardim. Von Legendenorten "zeigt man : das
a
o
>
e
JS
2
Jerusalem.
41
Jaffa.
Haus des Gerbers Simon (bei dem Petrus wohnte, als er das Gesicht
vom Tuch mit den unreinen Speisen sah) in einer Capelle des latei-
nischen Klosters, nach Andern in einem kleinen mohammedanischen
Bethause im südlichen Theile der Stadt, und das Haus der Jüngerin
Tabitha, welche derselbe Apostel vom Tode erweckte, in einem Trüm-
merhaufen eine Viertelstunde östlich von Jaffa. Sehr eines Besuches
werth sind die Orangengärten im Osten der Stadt, prächtig das Panorama
von Land und Meer, welches man von der Terrasse des Gasthauses
überschaut. Die Orangen Jaffa's sind sehr gross, aber nicht fein, vor-
trefflich dagegen seine Melonen.
Von Jaifa führt die Strasse nach Jerusalem zunächst '/^ Meile
durch Gärten, dann 2 '/, Meile durch Felder und Triften, das einstige
Gefilde Saron, dann 3 /, Meile durch die Thäler und über die Kämme
eines wilden, grösstentheils öden Gebirges. Ein guter Reiter auf einem
tüchtigen Pferde kann die Strecke in einem Tage zurücklegen. Indess
macht man in der Regel in Ramleh Nachtquartier. Die Dörfer, denen
man auf der Ebene bis Ramleh begegnet, heissen Bet Dedschen, Jasur
und Serfend. Auf der Ebene vollbrachte Simson seinen Streich mit den
Füchsen. Ramleh, 3 starke Stunden von Jaffa, 9'/, von Jerusalem
entfernt, war einst eine sehr blühende und volkreiche Stadt. Jetzt ist
es ein kleiner, ärmlicher Ort mit etwa 3000 Einwohnern. Die Archäo-
logen vermuthen, dass es die Stelle des alten Arimathia einnimmt. Es
42 Jerusalem.
hat ein zur Aufnahme von Pilgern sehr gut eingerichtetes lateinisches,
ein griechisches und ein armenisches Kloster, sowie zwei Moscheen.
Eine gute Viertelstunde von der Stadt steht ein hoher, weithin sicht-
barer viereckiger Thurm (von Qaadern, den man auf 118 Stufen er-
steigt, und von wolchem man eine gute Aussicht geniesst. Die südlich
von demselben befindlichen Ruinen mit unterirdischen Gewölben sind
Beste der Kalaun-Moschee, eines Baues des 14. Jahrhunderts, welchem
auch der Thurm angehörte.
Eine starke halbe Stunde von hier liegt das Dorf Ludd, in dem
man das Lydda (Diospolis) des Alterthums sucht, wo Petrus den
gichtbrüchigen Aeneas heilte. In der jetzt in Trümmern liegenden
Kirche des Ortes erblickt die Legende das Grab des heiligen Georg.
Die Mohammedaner des Mittelalters glaubten, dass hier Christus den
Antichrist besiegen werde.
Auf dem geraden Weg von Ramleh nach Jerusalem trifft der
Eeisende, nachdem er bei dem in Ruinen liegenden Dorfe Leitrun die
Gebirgsregion betreten, erst drei Stunden vor der heiligen Stadt einen
Ort von einiger Grösse. Es ist das Städtchen Kurjat El Enah nach
ejnem Räuber, der hier hauste, gewöhnlich Abu Gösch genannt.
Einige Gelehrte suchen hier das Emmaus des N. T., welches jedoch
von Robinson nach dem eine Viertelmeile nördlich von Latrun gele-
genen Amwas verlegt wird. Andere erblicken im Abu Gösch das Kirjat
Jearim des A. T., die , Stadt der Wälder", wo zu David's Zeit einmal
die Bundeslade stand.
1 '/j Stunde von Abu Gösch liegt links vom Wege Kulonijeh, ein
Dorf, in dessen Nähe David nach der Legende die Kiesel auflas, mit
deren einem er den Riesen Goliath tödtete. Eine Stunde von hier steigt
die Strasse einen steilen Berg hinan, auf dem der Pilger Jerusalems
zuerst ansichtig wird.
Frühere Wallfahrer stiegen hier von den Pferden, beteten und
legten die Strecke bis zu den Thoren zu Fuss zurück. Die Stadt nimmt
sich mit ihrer hohen, grauen Zinnenmauer und ihren Kuppeln und
Minarets recht gut aus, die Umgebung aber macht von hier den Ein-
druck der Dürre und Oede.
Wer im lateinischen Kloster oder im preussischen Hospiz oder
in dem zu empfehlenden Hotel des Gastwirthes Hornischer abzusteigen
wünscht, schlägt den nächsten Weg ein, wenn er durch das Jaffathor
geht. Der nächste Weg nach dem österreichischen Pilgerhaus führt
durch das Damaskusthor. Das österreichische Pilgerhaus liegt auf der
Gasse, die vom Damaskusthor nach der Amtswohnung des Pascha führt,
das Generalconsulat ebendaselbst. Das lateinische Kloster befindet sich
etwa hundert Schritte vom Jaffathor, nicht fern vom Patriarchat, das
preussischo Hospiz hart beim heiligen Grab und dicht neben dem Con-
sulat Letzteres ist nicht übel eingerichtet, und man zahlt daselbst für
den Tag '4 Pfd. St. zz 5 Gulden für Wohnung, Jessen und Bedienung.
Billiger (10 Francs per Tag), aber weniger gut, ist die Rosenthal'sche
Locanda.
Jerusalem. 43
k
Jerusalem, liebräisch Jeruschalajini, von den Arabern El Kods,
d. i. die Heilige, genannt, hat so viele Zerstörungen erlitten, dass es sehr
schwierig ist, die alten Oertlichkeiten wissenschaftlich festzustellen. Die
Legende macht sicli's leicht, da für sie Phantasie und Traditionsglaube
massgebend ist. Die Archäologie dagegen weiss selbst von manchen der alten
Thäler und Hügel noch nicht mit Genauigkeit anxuge])en, welche der
jetzigen Höhen und Vertiefungen ihnen ents])recheu. Gewiss ist nur, dass
der Moriah. auf welchem der Tempel Jehova's sich erhob, da zu suchen
ist, wo jetzt auf dem Platze Haram Esch Scherif die Öakhra- und die
Aksa-Moschee stehen; ferner, dass Zion der südwestliche Hügel der
Stadt war, auf dem die protestantische Kirche sich befindet, und wel-
cher noch jetzt wie vor Alters im Norden mit einem steilen Abhang
endigt, endlich, dass der alte viereckige Thurm der Citadelle am JafFa-
thor der Hippieus des Josephus ist. Von den Bauten des alten Jeru-
salem sind ausser diesem Thurme nur die Substructionsmaueru des
Tempelplatzes, einige Teiche und einige Grabmäler und Grotten noch
vorhanden. Sicher ist auch, dass der jetzt als der Oelberg bezeichnete
Hügel der alte Oelberg ist.
Die Stadt liegt etwa 2500 Fuss über dem Mittelländischen und
ungefähr 3680 über dem 3 /j Meilen von hier entfernten Todten Meere
auf vier Hügeln: dem bereits genannten Moriah, dem Zion. dem Akra
im Nordwesten und dem Bezetha im Nordosten. Im Westen und Süden
senkt sich diese Hügelgruppe nach dem Gihonthal, dessen südlicher
Theil das Thal Hinnom genannt wird, im Osten nach dem Kidronthal.
Jenseits des ersteren Thaies erhebt sich der Berg des bösen Rathes,
jenseits des Kidron der Berg des Aergornisses und der Oelberg. So-
wohl der Gihon wie der Kidron hat nur nach den Regengüssen des
Winters ein wenig Wasser.
So stolz und schön Jerusalem sich von aussen ausnimmt, so
wenig schön ist es im Innern. Es mag nicht mehr so schmutzig sein,
als früher, aber die Gassen sind immer noch schmutzig genug. Dazu
kommt, dass die Strassen meist eng uud schlecht gepflastert, die
Häuser mit wenigen Ausnahmen zwar massiv, aber unansehnlich sind,
dass man vielen halben und ganzen Ruinen, selten einem grösseren
Platz, fast nirgends einem Garten begegnet.
Jerusalem ist rings mit einer Matier umgeben und gilt als Festung,
obwohl es schwerlich auch nur 24 Stunden einer europäischen Belagerungs-
armee Widerstand leisten könnte. In die Stadt führen sieben Thore, von
denen jedoch gegenwärtig nur vier oifen sind. Das Jaffathor, aus dem man
nach Bethlehem und Hebron geht, befindet sich auf der Westseite, hart
neben der Citadelle. Da man vor ihm die beste Gelegenheit hat, sich von
dem im Sommer fast alle Nachmittage wehenden AVestwinde kühlen
zu lassen, so geht die fränkische Welt hier viel spazieren, und so sind
hier auch zwei ziemlich gute Kaffeehäuser entstanden. Die Araber
neimen <lieses Thor Bab El Chalil. d. h. wörtlich das Thor des Freun-
des, d h. Abrahams, in dem der Koran ebenso wie die Bibel den
Freund Gottes erblickt. Chalil ist aber auch zugleich der arabische
44 Jerusalem.
Name Hebrons, da Abraham lange Zeit dort wohnte, und so heisst
Bab El Chalil einfach Hebronthor. fJinige hundert Schritte nördlich
davon öffnet sich das Daniascusthor , ein schöner Sjjitzbogen , der
nach den Säulen, von deren Capitälern er sich erhebt, arabisch Bab
El Amud, Säulenthor genannt wird. Nicht fern von der Nordostecke
der Stadt folgt das kleine, jetzt verschlossene Herodesthor, welches die
Eingebornen mit dem Namen Bab Es Sahira, d. i. Thor der Wächterin,
bezeichnen. Auf der Ostseite der Mauer befindet sich zunächst das
Stephansthor, welches bei den Mohammedanern Bab Es Sebat, Thor
der Stämme, bei den arabischen Christen, weil von hier der Weg zum
angeblichen Grabe der Jungfrau Maria hinabführt, Bab Setti Mirjam
heisst. Seine Aussenseite schmücken vier steinerne Löwen in Hautrelief,
wesshalb Einige ihm auch den Namen Löwenthor geben. Geht man
von hier weiter nach Süden, so gelangt man an das goldene Thor,
arabisch Bab Er Eachmeh, Thor der Barmherzigkeit, einen byzantini-
schen Doppelbogen mit schönen Säulen, dessen Oeffnung jetzt vermau-
ert ist, da es direct auf den alten Tempelplatz führt und die Moham-
medaner die Sage fürchten, es werde einst durch dasselbe ein König
einziehen, welcher die Stadt und von ihr aus die ganze Welt zu be-
herrschen bestimmt sei. Auf der Südseite der Mauer trifft man das
jetzt meist verschlossene Mistthor, an der Südwestecke endlich das
Zionsthor an, welches nach dem sogenannten Grabe David's führt und
darum bei den Arabern Bab En Nebbi Daud heisst.
Die Stadt zerfällt in vier Quartiere (Hareth), die nach den
Confessionen benannt werden, indess, ohne dass die Bekenner des einen
Glaubens gehindert wären, sich im Bereich der Andersgläubigen anzu-
siedeln. Diese Stadtviertel sind: das mohammedanische, welches die
ganze Osthältte Jerusalems umfasst, in dem aber auch viele Christen
und Juden wohnen, das Christenquartier, welches die nordwestliche Ecke
der Stadt einnimmt, femer das armenische Viertel im Südwesten, end-
lich das Judenviertel, im Süden zwischen dem armenischen und mo-
hammedanischen. Im Quartier der Mohammedaner liegen: der altö
Tempelplatz, die sogenannte Via dolorosa, der Teich Bethesda und die
Caserne, in welcher der Pascha seine Amtswohnung hat ; im christli-
chen: die Grabeskirche, der Hiskiasteich, die Wohnungen des lateinischen
und griechischen Patriarchen und des protestantischen Bischofs und
die Hauptklöster der Lateiner und Griechen; im armenischen: die
Citadelle, eine zweite Caserne, die protestantische Kirche und das
grosse Kloster, in dem der armenische Patriarch wohnt. Das Juden-
viertel zeichnet sich durch eine stattliche Synagoge aus, die jedoch
noch unvollendet ist.
Wie viele Einwohner Jerusalem hat, lässt sich nicht genau
ermitteln. Man weiss nur, dass die Zahl derselben nicht unter 24,000
betragen kann, und dass darunter etwa 4000 Christen verschiedener
Bekenntnisse, und 5500 Juden sind. Von europäischen Nationen sind
die Griechen und die Italiener am stärksten vertreten. Die protestan-
tische Gemeinde zählt ungefähr 240 Mitglieder, worunter sich circa 60
Jerusalem. 45
Deutsche befinden. Die Zahl der Einwohner, welche nicht Unterthanen
des Sultans sind, sondern unter dem Schutze der Consulate leben, be-
läuft sich etwa auf 2000. Die grosse Mehrzahl derselben besteht aus
österreichischen und russischen Juden. Die Sitten der Eingebornen
gleichen im Allgemeinen denen in den andern arabischen Städten. Als
Bewohner der lieiligen Stadt halten die Angehörigen alier Confessionen
strenger als anderwärts auf die Beobachtung religiöser Gebräuche Der
Fanatismus der Mohammedaner hat in den letzten Jahrzehnten sehr
nachgelassen. Die Franken leben unter sich, soweit es die Verhältnisse
gestatten, wie in der Heimat. Europäische Stoffe, Kleider, selbst Luxus-
artikel sind — allerdings zu ziemlich hohen Preisen — in der Spitt-
ler'schen Handlung unweit des Jaffathores, welche sich auch mit Spe-
ditionsgeschäften nach Deutschland befasst. Von Zeitungen sahen wir
die Triestor und die neue Preussische. Eine ßriefpost ist mit dem
österreichischen Generalconsulat verbunden. Bälle, Theatervorstellungen,
Concerte kommen natürlich nicht vor. Aerzte gibt es mehre in Jerusa-
lem Spitäler haben die Engländer, die Preussen (in welchem die Kran-
ken von Diaconissinnen gepflegt werden, die auch eine Schule halten)
und die Juden. Das Spital für die Aussätzigen (Biut El Massakin)
bestellt in 17 elenden Hätten am Zionsthor, in welchen etwa 30 Kranke
wohnen.
Gasseu hat Jerusalem 170, doch sind die meisten kurz und
wenig belebt. Die wichtigsten sind : die Christengasse (Batrak), die
vom Jaffathor zum Haram Esch Scherif führt, die Via dolorosa, die
zwischen dem Damaskusthor und der Amtswohnung des Pascha und
die Marktgassen oder Bazare (arabisch Suk), von denen drei überwölbt
sind und welche aus langen Reihen kleiner Boutiquen bestehen, in denen
KauHeute und Handwerker ihre Geschäfte treiben. Die Kaiieehäuser
sind mit wonigen Ausnahmen schmutzige, dunkle Löcher.
Grosse öffentHche Plätze hat die Stadt mit Ausnahme des
Haram Esch Scherif, zu dem in der Regel nur Bekenner des Islam
Zutritt haben, nicht. Der Platz vor der Grabeskirche ist klein, etwas
grösser ist der im Osten der Citadelle, und der Meidan an der öst-
lichen Gasse des jüdischen Quartiers, in welchem man den alten Xy-
stus sucht. Ebenfalls wenig geräumig ist der Viehmarkt am Zionsthor.
Von den Kirchen und Klöstern Jerusalems ist zuerst die
Kirche des heiligen Grabes zu erwälinen, welche richtiger als die
Grabes- und Kalvarienkirche bezeichnet wird, da sie nach der Tradition
nicht nur die Begräbnisstätte Christi, sondern auch den Hügel Gol-
gotha einschliesst. Der Eintritt steht gegenwärtig Jedermann (mit
Ausnahme der Juden) mehre Stunden des Tages frei. Die Kirche besteht
aus drei Hauptabtheilungen, von denen die erste das Grab, die zweite
die Kreuzigungsstätte, die dritte den Ort umschliesst, wo die Kaiserin
Helena die Kreuze Christi und der Schacher fand. Vor dem Thore
befindet sich ein gepflasterter Platz, auf dem Händler mit Wachskerzen,
Rosenkränzen, allerlei Perlmutterschnitzwerk und .Jerichorosen ihre
Waaren anpreisen. Zwei Portale, von denen das eine jetzt vermauert
46
Jerusalem.
Fa^e der Orabeskirche.
ist, und über denen sich zwei gleichgrosse und gleichgeformte, jetzt
ebenfalls mit Steinen geschlossene Fenster befinden, schmücken mit
ihren von kleinen Säulen getragenen Rundbogen die Fa^ade. Das
Wächteramt an der Thüre versehen Türken, ilinige Schritte vom Ein-
gang gelangt man zu der ersten Reliquie dieses grössten Reliquien-
schreins der christlichen Welt. Es ist eine röthliche Marmorplatte, auf
welcher die Salbung des Gekreuzigten durch Joseph von Arimathia
stattgefunden haben soll. Hängelampen und Leuchter mit dicken Wachs-
kerzen werfen ihr Licht auf den heiligen Stein. Wendet man sich von
hier zur Rechten, so gelangt man an eine Treppe, die auf den Hügel
Golgotha führt; geht man zur Linken weiter, so kommt man in die
Rotunde des heiligen Grabes. Der (jipfel des Golgotha ist überbaut
und in eine Kirche verwandelt, die durch weisse Marmorsäulen in
zwei Hälften geschieden ist. Die Nordhälfte umfasst die Stelle, wo man
Jesus an das Kreuz nagelte, die südliche den Ort, wo man sein Kreuz
neben dem der beiden Schacher aufstellte. In beiden Abtheilungen
brennen an hundert Ampeln und Kerzen, lieber der Vertiefung, in
Jerusalem.
47
Kreuüigungstätle.
welcher das Kreuz Christi stand, hat man eine Silbcrplatte mit
der griechisclien Inschrift: ,,Hier bewirkte Gott, unser Koni?, vor
Jahrhunderten das Heil im Mittelpunct der Welt", befestigt. Zu beiden
Seiten werden die Stellen, wo die Kreuze der Schacher standen, gezeigft,
und dahinter schimmert ein mit Silberbloch beschlagener Altar. Nicht
fern von dem Puncte, wo das Kreuz des linken Schachers eingelassen
war, sieht man den bei Christi Verscheiden entstandenen Felsen-
spalt, der bis zum Centrum des Erdballs hinabgtdit und der einst am
jüngsten Tage die Lämmer von den Böcken scheiden soll. Der Raum
unter dieser Calvarienkirche ist ebenfalls durch eine Scheidewand in
eine Nord- und eine Südhälfte getrennt, von denen jene als Sakristei
für die griechischen Geistlichen dient, welche liier den Dienst versehen,
während die andere Abtheilung eine Capelle des Evangelisten Johannes
ist. Hier befand sich das Grab Melchisedeks. des Priesterkönigs von
Salem, und hier wurde der Schädel Adams gefunden. Vor der Capelle
aber lagen einst in ihren Steinsärgen die Kreuzfahrerkönige Gottfried
von Bouillon und Balduin der Erste. Jetzt ist von den Särgen nichts
mehr vorhanden.
Betritt man durch das Pförtchen neben der Treppe zur Kreu-
zigimgskirche den halbrunden dunklen Gang, der die Ostseite des innern
Kirchenbaues umgibt, so öffnet sieli nach einigen Schritten rechts eine
Capelle, in welcher unter dem Altar ein Stück von einer grauen.
48 Jerusalem.
schwarzgesprenkelten Säule steht. Es ist ein Rest der Säule, an
der man Jesu die Dornenkrone aufsetzte. Eine kleine Strecke weiter
führt, ebenfalls auf der rechten Seite, eine Thür auf eine Treppe von
30 Stufen, auf welcher die heilige Helena betete, als ihre Leute nach
dem Kreuze Christi suchten. Rechts von dieser Capelle, noch 11 Stufen
tiefer, steht ein Altar über dem Ort, wo jenes Kleinod sammt den
Kreuzen der Schacher, der Dornenkrone, den Nägeln u. s. w. endlich
gefunden wurde. Ein hier aufgehangenes Kreuz soll die genaue Grösse
des wirklichen haben, welches, wie man sagt, in Constantinopel ver-
loren gegangen ist.
Die Ireppe empor auf den Rundgang zurückgekehrt, trifft man,
immer zur Rechten, die kleinen Capellen der Kleidertheilung und des
Kriegsknechts Louginus, der die Seite des verschiedenen Erlösers mit
dem Speer durchstach und, später bekehrt, hier Jahre lang als Süsser
lebte. Alle diese Capellen sind je nacli der Wichtigkeit, die sie in der
Legende einnehmen, mit einer grösseren oder geringeren Zahl von
Lampen, die meisten auch mit Bildern ausgestattet, von denen indess
keines künstlerischen Werth hat.
Steigt man, um zum inncrn Hauptbau zu gelangen, in der Mitte
des Hufeisens, welches den Rundgang bildet, die halbzirkelförmigen
Stufen empor, die der Capelle der Kleidertheilung gegenüberliegen, so
kommt man in das sogenannte Katholikon oder Griechenchor, den
prachtvollsten Tbeil des ganzen Gebäudecomplexes, und zwar in den
Raum, wo hinter der Ikonostasis der Altar sich erhebt. Zwei Thüren
führen von hier durch die Wand der Ikonostasis in das Schiff, in dessen
Mitte auf dem Boden ein Stern von farbigen Steinen den Nabel der
Erde bezeichnet. Die Zierrathen der Wände sind ein Gemiscli von byzan-
tinischem und Renaissancestyl, sarazenischen und altclassischen Mustern.
Gold, Silber, Bronze und Marmor Sindbis zur Ueberladung verwendet.
Schnitzwerk und Gitterwerk, Riesenleuchter mit Kerzen von Mannes-
dicke, Hängelampen und Kronleuchter, lange Gallerien von Heiligen-
bildern, zwei hochragende Throne für die obersten Würdenträger des
Clerus lassen mit ihrer farbenreichen, funkelnden Pracht das Ganze
mehr wie einen Prunksaal, als wie eine Kirche erscheinen.
Durch drei Portale tritt man an der Westseite dieser Abtheilung
in die grosse Rotunde der eigentlichen Grabeskirche. 16 Pfeiler bilden
die Rippen dieses Kuppelbaues und haben zwischen sich 17 Arkaden,
welche sich in einer Gallerie darüber wiederholen und sich oberhalb
der Hohlkehle als Nischen fortsetzen. Auf den Zwischenwänden der
letzteren ruht die jetzt sehr schadhafte Dachkuppel, die in der höchsten
Mitte durch eine Oeffnung das Tageslicht hereinfallen lässt. Unter
dieser Oeffnung befindet sich die kleine Capelle, welche das heilige
Grab einschliesst ; ein längliches, mit röthlich weissem Marmor beklei-
detes Viereck, das, von etwa 60 Schritt Umfang und 60 Fuss Höhe,
ringsum mit Pilastern im Rokokostyl geziert und oben mit einer durch-
brochenen Brüstung versehen ist, innerhalb welcher aus dem platten
Dach eine kleine Kuppel heraustritt. Vor dem Eingang, zu welchem
Jerusalem.
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Inneres der Grabeskirche.
einige Stufen hinaufführen, stehen rechts und links Steinbänke. Ueber
dem Portal hängen Keihen von Ampeln. Davor stehen seclis grosse
prächtige Silberleuchter. Ueber der Kuppel schweben gewöhnlich zwei
schiefhängende Seidenpaniere von blauer Farbe mit weissen Sternen,
die man zu Ostern mit Tüchern vertauscht, welche den aus seiner
Gruft emporschwebenden Weltheiland darstellen.
Das Innere der Grabcapelle ist in zwei Abtheilungen geschieden,
von denen die vordere die Stelle, wo der Engel den heilige Frauen
erschien, die hintere das Grab umfasst. In der ersten wird der Fels-
50 Jerusalem.
block gezeigt, auf dem der Engel sass; man bemerkt den Abdruck,
den sein Hintertheil darauf zurückgelassen hat. Die Grabkammer ist
ein längliches Viereck von 7 Fuss Länge und 6 Fuss Breite, welches
fast zur Hälfte von einem röthlich gesprenkelten Marmorsarkophag
eingenommen wird. Ueber dem letzteren, der in der Mitte einen Biss
hat, stehen auf einem Sims goldene und silberne Leuchter, sowie Vasen
a>it Blumen, und über dem Sims wieder ist ein Gemälde der spani-
schen Schule angebracht, welches die Auferstehung darstellt. Von der
Decke des Gemachs schweben an Ketten 48 Ampeln von edlem Metall,
Geschenke katholischer Mächte.
Geht man von der Grabescapelle durch die Arkaden des nörd-
lichen Theiles der Rotunde, so gelangt man in eine den Franziscanern
gehörige dunkle Capelle, welche eine Orgel besitzt, und auf deren
Fussboden ein grauer Marmorsteiu die Stelle angibt, wo der Aufer-
standene der Maria Magdalena als Gärtner erschien, und gleich da-
neben befindet sich, drei Stufen höher, eine Capelle, die den Ort um-
schliesst, wo er seiner trauernden Mutter begegnete. Hier wird auch
hinter einem Gitter die Hälfte der Säule bewahrt, an der Christus
gegeisselt wurde. Nicht weit von hier endlich trifft man eine Nische,
welche das Gefängniss des Herrn genannt wird, da man ihn hier so lange
in Verwahrung hielt, bis das Loch zur Aufstellung des Kreuzes gegra-
ben war. Endlich ist noch das Grab des Joseph von Arimathia und
das des Nikodemus zu nennen, die sich beide westlich vom heiligen
Grabe befinden.
Aussen an die Grabeskirche sind noch verschiedene Heiligthümer
von geringerer Bedeutung angebaut, darunter eine Capelle, wo Johannes
und Maria der Kreuzigung zusahen; eine Jacobscapelle, eine Capelle
der vierzig Märtyrer, und eine Capelle über der Stätte, wo Abraham
den Isaak opfern wollte; letztere stösst östlich an die Capelle der
Kreuzanheftung. Endlich muss noch erwähnt werden, dass mit der
Grabeskirche sechs Klöster in Verbindung stehen : im Norden ein latei-
nisches, im Westen ein katholisches, im Süden ein armenisches und
zwei griechische, und hinter dem Katholikon ein abyssinisches, in dem
sich auch Nonnen befinden.
Der Complex von Kirchen und Capellen, welchen man als die
Grabeskirche bezeichnet, vertheilt sich unter die verschiedenen christ-
lichen Confessionen folgendermassen : den Lateinern gehört die Capelle,
wo Christus der heiligen Magdalena, und die, wo er seiner Mutter nach
der Auferstehung erschien, die Hälfte des heiligen Grabes, ein Stück
des Salbungssteins, die Capelle der Kreuzfindung, und die Hälfte der
Kreuzigungskirche; die Griechen besitzen das Katholikon, die Hälfte
der Grabcapelle und der Kreuzigungscapelle, die Capelle des Longinus,
das Gefängniss Christi und einige Altäre ; Eigenthum der Armenier ist
die Capelle der Helena, die der Kleidertheilung, das Grab Josephs von
Arimathia und das des heiligen Nikodemus; die Kopten besitzen nur
die ärmliche kleine Capelle, welche an die westliche Seite des heiligen
Grabes angebaut ist.
Jerusalem. 51
Ob die Grabeskirche wirklicli die Stelle einscbliesst, an 'der
Jesus begraben wurde, ist eine Frage, die sich nicht eher definitiv
entscheiden lässt, als bis der Lauf der alten Stadtmauern ermittelt ist.
Jetzt nehmen die urtheilsfähigsten Forscher an, dass die Kirche an
einer Stelle stehe, welche von der zweiten Mauer des Josephus einge-
schlossen worden sei, und so könnte das heilige Grab nicht das echte
sein, da sowohl nach dem Eeferat des Matthäus, als nach dem des
Johannes Christus ausserhalb der Stadt begraben wurde. Wäre das
aber auch zu widerlegen, so müsste immer noch entweder die Kreuzi-
gungstätte oder die des heiligen Grabes unecht sein. Beide liegen hart
neben einander, die letztere am Fusse des angeblichen Golgothahügels.
Joseph von Arimathia aber kann sein Erbbegräbniss nicht unmittelbar
unter der Schädelstätte Jerusalems haben aushauen lassen. Damals so
wenig als jetzt Hess ein reicher Man seine Angehörigen am Rabenstein
beisetzen.
Interessant ist die Ceremonie der Austheilung des heiligen
Feuers am Ostersonnabend. Dem Orte angemessen (sie findet an der
Grabcapelle statt) und erbaulich ist sie indess nicht, und der Zuschauer
hüte sich, dass er nicht in die Prügelei verwickelt wird, mit der Grie-
chen und Armenier bei dieser Gelegenheit das Grab ihres Erlösers zu
entweihen pflegen. Wir freuen uns, dass die römische Kirche sich von
dieser Posse fernhält.
Die übrigen Kirchen Jerusalems sind (mit Ausnahme der
protestantischen) ebenso wie die Grabeskirche mit Klöstern verbunden.
Lateinische Klöster sind: 1. das Salvatorkloster, arabisch Dejr El
Frandsch, von etwa fünfzig Franziscanern bewohnt, deren Guardian
den Titel Gustos des heiligen Landes führt. Ein grosser Theil der
Mönche besteht aus Laienbrüdern, welche Handwerke treiben ; mit dem
Kloster sind eine Druckerei, mehre Schulen für arabische Kinder und
in der benachbarten Casa Nuova eine Pilger herberge verbunden, welche
letztere fünfzig Personen aufnehmen kann. Die Kirche des Klosters,
welches der Mittelpunct der Franziscaner Palästina's ist, hat nichts
Sehenswerthes. Zu bemerken ist, dass man in diesem Kloster während
der Osterzeit allerlei Andenken an Jerusalem, als Perlmutterarbeiten,
Kreuze, Eosenkränze billiger als anderwärts zu kaufen bekommt.
2. Ein Nonnenkloster am Damaskusthor.
Die Griechen besitzen: 1. das Patriarcheion, arabisch Dejr
Er Rum El Kebir, in welchem der Patriarch, 5 Bischöfe, 10 Archi-
mandriten und gegen 130 Geistliche niederen Ranges wohnen, und mit
dem mehre kleine Kirchen verbunden sind. 2. Das Nikolauskloster im
Norden des grossen lateinischen. 3. Das Demetriuskloster in der Hareth
Stambulieh. 4. Das neue, hart unter dem grossen lateinischen gelegene
Georgskloster. S.^Das Michaelskloster, gleich unter dem vorigen. 6. Das
Theodorskloster, ebenfalls in der Hareth Stambulieh. 7. Ein zweites
Georgskloster im Norden 'des Hauses des Hannas. 8 Das Kloster
Johannes des Täufers in der südwestlichen Ecke des viereckigen Platzes,
wo einst das Spital der Johanniter stand. Endlich sechs Nonnenklöster.
52
Jerusalem.
Inneres des grossen armenischen Klosters.
Alle diese Klöster sind zur Aufnahme von Pilgern eingerichtet. Keines
hat besondere Sehenswürdigkeiten aufzuweisen.
Armenische Klöster sind: 1. das grosse zur Aufnahme von
2000 Pilgern eingerichtete, von mehr als 100 Geistlichen (worunter
ein Patriarch und fünf Bischöfe) bewohnte Jakohskloster, Dejr Mar
Jakub. Dasselbe liegt zwischen dem Zions- und Jaffathor. Seine Ter-
rassen bieten eine prächtige Aussicht über die Stadt und ihre Umge-
bung, der Garten des Klosters ist der umfangreichste in Jerusalem,
die dazu gehörige Kirche ungemein reich. Bemerkenswerth sind darin
die schönen Arbeiten armenischer Gitterschmiede, noch sehenswürdiger
die eingelegten, mit den elegantesten Mustern von Perlmutter- und
Schildkrotmosaik überkleideten Thüren, welche in die Schatzkammer
des Klosters, sowie in das Grab des heiligen Jacobus führen. Die Wände
des Schiffes sind unten bis auf Mannshöhe mit blauglasirten, gemu-
sterten Ziegeln belegt. Darüber laufen Keihen von Oelbildern hin,
welche meist Scenen aus den Zeiten der Christenverfolgungen darstellen.
Zu beiden Seiten des Chors stehen bunt und voll Goldschmuck die
Gestalten der Patriarchen, welche der armenischen Kirche bis jetzt
vorstanden: Jacobus, Simeon, Justus u. A. mit zur Segnung aufgeho-
benen Händen. Von der Decke hängen zahlreiche Lampen und Straussen-
eier herab. Zwischen Schiff und Chor erhebt sich ein vergoldeter
Thronsessel mit Baldachin, vor dem eine ewige Lampe brennt. Auf
ihm sitzt — nur dem verzückten Glaubensauge sichtbar — der heilige
Jacobus, der den Armeniern das ist, was Petrus der römisch-katholischen
Kirche. Daneben steht ein weniger prächtiger Stuhl für seinen Stell-
vertreter in Jerusalem, den Patriarchen. 2. Das Kloster vor dem Zions-
thor, an der Stelle, wo das Haus des Kaiphas gestanden haben soll.
Jerusalem. 53
3. Das Nonnenkloster Dejr Es Setuneh, im Osten des Jacobsklosters,
der Sage nach die Stätte bezeichnend, wo das Haus des Hannas stand.
Die Syrer besitzen ein kleines Kloster, mit dem eine Kirche verbunden
ist, nicht fern von dem Dejr Es Setuneh. Unter den Gemälden der
Kirche ist ein Marienbild, das angeblich von der Hand des Apostels
Lucas ist. Das Kloster der Kopten, arabisch Nohal Es Soltan, welches
dem heiligen Georg geweiht ist, steht in der Nähe des Demetrius-
klosters.
Die Protestanten besitzen die ChristuskircJie, auf dem Zion,
welche im Jahre 1849 eingeweiht wurde. Dieselbe gehört den Englän-
dern, doch ist an ihr auch ein deutscher Geistlicher angestellt, der
einen Sonntag um den andern in deutscher Sprache Gottesdienst hält.
Der Baustyl der Kirche ist gothisch, ihre Form das lateinische Kreuz.
Sie hat eine Orgel, eine Glocke, aber keinen Thurm. Mit ihr sind
Missionsanstalten und zwei Schulen verbunden. Der jetzige englisch-
preussische Bischof, ein Schweizer, wohnt in der Nähe.
Den Griechen, Lateinern, Armeniern und Kopten gemeinschaftlich
gehört die Marienkirche, arabisch Gesmanijeh genannt. Dieselbe liegt
vor dem Stephansthor im Kidronthal und ist eine Kellerkirche, in die
man auf 48 Stufen hinabsteigt. Das Portal ist ein schöner Spitzbogen.
Neben der Treppe befinden sich in kleinen Seitennischen die Gräber
der Mutter und des Vaters der heiligen Jungfrau: Anna und Joakim,
sowie weiter unten das Grab des Pflegevaters Joseph. Vor dem Grabe
der Maria brennen zahlreiche Lampen und Leuchter. Offen ist diese
Kirche gewöhnlich in den ersten Stunden des Vormittags. Die Legende
erzählt, dass der Leichnam Mariens von den Aposteln hier bestattet
wurde, und soll sie dann von hier gen Himmel gefahren sein.
Andere Legendenorte sind zunächst auf der Via dolorosa,
der Strasse, welche Jesus zu wandeln hatte, als er sich vom ßichthaus
des Pilatus nach Golgotha begab. Die Caserne, in welcher der Pascha
seine Amtswohnung hat, soll die Stelle bezeichnen, wo das Richthaus
stand. Weiterhin triff't man die Capelle der Dornenkrönung und die
Scala Santa, den Ort, wo Jesu das Kreuz aufgelegt wurde. Dann folgt,
rechts, die Capelle der Geisselung, den Lateinern gehörig, dann der
Ecce-Homo-Bogen, ein sehr flacher Spitzbogen, der, die Strasse über-
spannend, ein kleines Häuschen trägt, dann die Stelle, wo Jesus zum
ersten Male unter der Last des Kreuzes zusammenbrach und Simon
von Kyrene ihm dasselbe abnahm, dann weiter das Haus der heiligen
Veronica, wo Christus zum zweiten Male fiel, noch weiter das Gerichts-
thor, endlich, unter dem Gewölbe der Hareth El Chankeh, die Stelle,
wo Christus zu den weinenden Weibern sprach: Weinet nicht über
mich, sondern über euch und eure Kinder.
Man zeigt ferner hart vor dem Zionsthor in dem dortigen arme-
nischen Kloster das Haus des Hohenpriesters Kaiphas mit dem kleinen
Kerker, in dem Jesus hier verwahrt wurde, und dem Ort, wo Petrus
stand, als er den Herrn verleugnete, ja sogar der Stelle, wo der Hahn
54
Jerusalem.
Jerusalem. 55
dreimal krähte. Im Hofe des Klosters befindet sich ein riesenhafter
Weinstock. Ferner sind zu erwähnen:
1. Eine Capelle über der Stätte, wo Christus vor dem Hohen-
priester Hannas stand, beim Nonnenkloster Dejr Es Setuneh.
2. Eine den Armeniern gehörige Capelle über dem Ort, wo der
Apostel Jacobus enthauptet wurde.
3. Das Haus des reichen Mannes, vor dem der arme Lazarus
lag, ehe ihn die Engel in Abrahams Schoss trugen, der Ueberbau
einer Gasse, die vom Damaskusthor nacli der Via dolorosa hinläuft.
4. Das Haus, in dem die Mutter Maria starb, neben dem Grabe
David's vor dem Zionsthor.
5. Das Haus, wo Maria geboren wurde, nicht fern von der
Geisselungscapelle.
6. Das Haus Simon des Pharisäers, wo Maria Magdalena Busse
that, im Mittelalter eine Kirche, auf dem innerhalb der Mauer befind-
lichen Theil des Bezetha gelegen.
7. Die Stätte, wo Stephanus gesteinigt wurde vor dem Stephans-
tlior, nicht weit davon der Fleck, wo Maria der Hinrichtung zusah.
8. Das Haus des ürias und das Bad der Batliseba, nicht fern
von der Citadelle.
9. Das Haus des Apostels Marcus.
10. Das Haus des heiligen Thomas in der Arraeniergasse.
11. Das Haus des Hohenpriesters Zacharias.
12. Die Höhle, wo Petrus weinte.
13. Die Stelle, wo Christus den Aposteln das Vaterunser lehrte.
14. Die Höhle, in welcher das apostolische Glaubensbekenntniss
abgefasst wurde, wie Nr. 13 am Oelberg.
15. Die Stätte, wo Christus über Jerusalem weinte, auf dem
Mittelgipfel des Oelberges.
16. Der Ort, wo Judas sich erhängte, ein windschiefer Baum
von etwa 200 Jahren, ebenfalls auf dem Berg des Aergernisses.
17. Die Stätte, au welcher Salomo dem Moloh opferte, auf dem
Berg des Aergernisses.
18. Die Stelle, wo Maria bei ihrer Himmelfahrt den Gürtel
verlor.
19. Die Stelle, wo Jesus am ersten Palmsonntag vom Esel stieg.
Eine gute Anzahl anderer, von der kirchlichen Sage heilig ge-
sprochener Orte werden unter den Gärten, Grotten, Teichen und Grä-
bern zu erwähnen sein.
Von verfallenen Kirchen und andern Ruinen kirchlicher Gebäude
ist zunächst die Armenierkirche zu nennen, die auf dem Bezetha, nicht
fern vom Teiche Bethesda liegt, eine Basilika mit Spitzbogen, die bis
1856 der mohammedanischen Secte der Schafeiten gehörte, in diesem
Jahr aber in den Besitz der Franzosen überging. Die Kirche, im Ganzen
etwa 80 Fuss lang und 60 Fuss breit, besteht aus einem Mittelschiff,
zwei Seitenschiffen, einem Chor und einer unterirdischen Grotte. Hier
und da findet man noch Spuren christlicher Malereien. Ferner ist der
56 Jei'usalem.
Platz zu erwähnen, wo das Eitterkloster der Johanniter stand. Der-
selbe, hart beim heiligen Grabe gelegen, urafasst ein Areal von 150,000
Quadratfuss und wurde im November 1869 dem Kronprinzen von
Preussen bei seiner Anwesenheit iu Constantinopel vom Öultane zum
Geschenke gemacht. Das Portal, dessen Oeffiiung jetzt mit Steinen
gesperrt ist, ist schön. Von den übrigen Gebäuden des Convents sind
nur noch Ruinen übrig, und der Rest des Platzes ist mit Kaktusge-
sträuch und Unkraut bewachsen. Endlich muss des verfallenen Bades
auf der Via dolorosa, welches einst eine Kirche war, und wo Maria
beim Anblick des kreuztragenden Jesus in Krämpfe verfiel, sowie der
Moschee Muluwijeh nicht fern vom Damaskusthor gedacht werden,
welche durch halbverwischte Fresken daran erinnert, dass sie einst eine
Kirche des heiligen Johannes war.
Die Juden haben in Jerusalem sechs Synagogen, von denen
eine den Aschkenasim, vier den Sephardim und eine den Karaim ge-
hören. Man vergesse nicht, den Klageplatz der Juden zu besuchen, der
sich unten an der Westseite der Substructionsmauer des Tempelplatzes
befindet, und wo man jeden Freitag in den Nachmittagsstunden Massen
besonders von deutschen Juden und deren Frauen ihr Gebet verrichten
und dabei über den Untergang Jerusalems wehklagen sieht.
Von den Moscheen sind die interessantesten die beiden auf
dem Haramplatz gelegenen. Zu letzterem ist der Zutritt, wie bemerkt,
nur den Mohammedanern gestattet. Indess findet sich bisweilen Gele-
genheit, sich fürstlichen Personen anzuschliessen, zu deren Gunsten
die Türken eine Ausnahme machen. Der Verfasser besuchte ihn und
die Moscheen bei Gelegenheit des Besuchs des Grossfürsten Constantin
von Russland. Der Haramplatz oder der Ort, wo der Tempel Salomo's
und Herodes des Grossen sich erhob, ist ein ungleichseitiges Quadrat,
das im Osten etwa 1600, im Westen 1500 Länge, im Norden gegen
1000, im Süden ungefähr 900 Fuss Breite hat und im Westen und
Norden von Gebäuden, im Süden und Osten nur von der Stadtmauer
eingeschlossen ist. Den grössten Theil des Raumes nehmen Grasplätze
ein, auf denen einzelne Olivenbäume und Cypressen wachsen.
Von den Gebäuden des Platzes ist zunächst die grosse Omar-
moschee, von den Arabern Kuhhet Es SakraJi genannt, zu erwähnen,
nach den Moscheen in Mekka und Medinah das berühmteste Heiligthum
des Islam. Dieselbe steht auf einer mit Platten von bläulichem Kalk-
stein bekleideten Plattform, zu welcher von allen Seiten breite Stufen
emporführen. Die Form der Moschee ist ein Achteck, von dessen Seiten
jede etwa 60 Fuss misst und über dessen Mitte sich eine Kuppel wölbt.
In das Innere führen vier Portale. Licht erhält das Gebäude durch 52
Fenster, welche farbige Glasscheiben haben. Die äusseren Wände sind
unten mit Marmor, oben mit glasirten Ziegeln bekleidet, auf welchen
mau Koransprüche liest. Die inneren Wände sind unten einfach weiss
getüncht, oben mit Sprüchen und Arabesken geschmückt. An jeder
einzelnen erblickt man. drei mächtige Pfeiler. Die Kuppel wird von
sechzehn Säulen getragen. So zerfällt das Ganze in den von der Kup-
w
Jerusalem. 57
pel überragten Raum und zwei Gänge um denselben, einen innern und
einen äussern. Die Kuppel hat eine Höhe von 90 und einen Durch-
messer von 45 Fuss. Unmittelbar unter ihr befindet sich, umgeben von
einem schöngemusterten vergoldeten Gitter, ein mit einer rothen Bro-
katdecke verhüllter Kalksteinblock, von dem die Legenden des Islams
allerlei wundersame Dinge erzählen. Er soll vom Himmel gefallen sein.
Alle Propheten: Adam, Abraham, David u. s. w. sollen auf ihm gebe-
tet haben, Mohammed von ihm begleitet gen Himmel gefahren sein,
Abraham auf ihn Isaak zur Opferung gelegt haben. Die Juden glauben,
dass der Stein die Bundeslade einschliesse, dass aus ihm die Welt ge-
schaffen wurde. Die Christen des Mittealters hielten ihn für den Stein,
auf dem Jacob den Traum von der Himmelsleiter hatte. Unter ihm
befindet sich eine Grotte, in welcher Holzbalken den über ihr liegen-
den Steinblock stützen. Man gelangt auf der Südostseite auf einigen
Stufen hinab In den Seitenwänden der Grotte erblickt man Nischen,
in denen die Könige David und Salomo gebetet haben. Auf dem Boden
verschliesst eine Metallplatte die Oeffnung des Seelenbrunnens (Birreh
Ruach), den Eingang zum Todtenreich.
Das kleine Kuppeltempelchen hart neben dem Ostportal der
Moschee wird von den Mohammedanern der Richterstuhl David's ge-
nannt. Es bezeichnet für Den, der in der Moschee steht, die Richtung
von Mekka.
Etwa 150 Schritt südlich von der Sakrahraoschee liegt, unter-
halb der Plattform, die Aksa, welche von den Juden Midrasch Sche-
lomo genannt wird. Dieselbe ist aus einer von Justinian im ßasiliken-
styl erbauten und der Panagia geweihten Kirche entstanden, die noch
jetzt ihren Hauptkörper bildet. An diese sind später sarazenische An-
hängsel angebaut worden. Gegenwärtig besteht sie aus einem Mittel-
schiffe und sechs Seitenschiffen. Die Pfeiler, welche die Decke tragen,
sind sarazenisch, die Säulen römisch. Im äussersten Süden lässt eine
Kuppel durch gefärbte Fenster ein magisches Licht auf die Stelle fallen,
wo sich die Kanzel und die Erhöhung befinden, von welcher der Koran
verlesen wird.
Unter dieser Moschee ziehen sich weitgedehnte Gewölbe mit Pfei-
lern hin, welche von den Mohammedanern als die Pferdeställe Salomo's
bezeichnet werden, die indess wahrscheinlich nur dazu dienten, den
Platz, der sich ursprünglich in dieser Gegend senkte, in eine Ebene
zu verwandeln. Ausser den genannten Gebäuden trifft man auf dem
Haram Esch Scherif noch zwei kleine Moscheen; die Kubbet En Na-
haresch und die Kubbet Es Sakrah El Baraneh, welche letztere ein
Stück des heiligen Steins bewahrt, das von ihm absprang, als er vom
Himmel fiel. Die erstere steht zwischen der westlichen Eingangshalle
des Platzes und der Sakrahmoschee, die letztere östlich von dieser.
Sonst liegen auf dem Platze noch mehre Brunnen, ein Bad und sieben
Kuppelgräber (Welis), darunter das der Fatimeh, der Tochter Moham-
med's. Endlich ist der prachtvollen Cypressen zu gedenken, welche zum
Theil so gross wie die grössten unserer Pappeln den Platz schmücken.
58
Jerusalem.
Der Thurm David' s.
Die Gebäude im Westen enthalten Wohnungen für den Schech der
Sakrah, für Moscheediener und Pilger, sowie einige Schulen (Me-
dressen).
Von den andern Moscheen Jerusalems muss noch die Dschami
Abd Es Samed und die Muluwijeh genannt werden. Jene ist die, deren
Minaret sich unmittelbar neben der Grabeskirche erhebt. Diese ist mit
einem Kloster der Muluwijeh-Derwische (es sind tanzende) verbunden,
welches indess 1859 nur noch einen Insassen hatte. Die übrigen Mo-
scheen sind unansehnlich und ohne Interesse für den Fremden.
Die Citadelle (Karah) auf der Nordwestseite des Zionsgipfels
ist in einigen ihrer Theile jedenfalls sehr alt. Sie ist ziemlich geräu-
mig, aber zum Teil verfallen. Sie hat eine Länge von 500, eine Breite
von 350 Fuss. Im Mittelalter hiess sie Anfangs die Burg David's,
später das Pisanercastell. Wie bemerkt, steht sie an der Stelle des
Thurmes Hippicus, den Josephus erwähnt. Eines ihrer Gemächer wird
als das gezeigt, aus welchem David die badende Bathseba sah. Nicht
weit davon finden sich Reste von Mauerwerk, welches den Tliürmen
Marianne und Phasaelus angehört haben könnte. Ein türkischer Unter-
officier führt den Fremden gegen ein Trinkgeld von einigen Piastern
in der alten Burg umher und zeigt auch die inneren Räume der da-
neben liegenden neuen Caserne.
Von den Teichen und Quellen müssen wir zuerst des Teiches
gedenken, der unter dem Namen Teich Bethesda im N. T. erwähnt
wird. Ob der jetzt so genannte Graben an der Nordseite des Haram-
Jerusalem.
59
Hiskias- oder Patriarchenteich.
platzes wirklich der Teich Bethesda ist, in dem der Engel das Wasser
rührte, ist zweifelhaft. Derselbe hat eine Länge von 460, eine Breite
von 130 und eine Tiefe von etwa 75 Fuss. Woher der Teich sein
Wasser bekommen, ist noch zu erweisen. Vielleicht erhielt er es aus
einem der Wasserbehjilter vor dem nahegelegenen Stephansthor, viel-
leicht aus den Brunnen des Haram. Wahrscheinlicher ist, dass die Ver-
tiefung überhaupt nie ein Teich, sondern ein Graben war. Ferner : der
Badeteich der Maria (arabisch: Birket Es Sebat, d. h. Teich der
Stämme) einige Schritte vor dem Stephansthor, im Sommer ohne
Wasser. Das Marienbad (Hammam Setti Mirjam) auf der Nordseite der
Strasse, die durch das Stephansthor mündet, eine Art Trog, über dem sich
ein Hautrelief-Bild aus dem Mittelalter befindet. Die Quelle der Jung-
frau, auch Marienquelle oder Quelle Siloali genannt, bei den Moham-
medanern Om Ed Deradsch, Mutter der Stufen, liegt im Kidronthal
unter dem Dorfe Siluan und ist nach Robinson der echte Teich Be-
thesda, nach Anderen der Nehemias 2, 13 erwähnte Drachenbrunnen.
Es ist eine schöne klare Quelle, zu welcher 32 Stufen hinabführen, und
in welcher nach der Legende Maria die Windeln des Jesuskindes zu
waschen pflegte. Damit steht durch einen unterirdisch durch den Fels
gehauenen Kanal der Teich Siloah in Verbindung. Der Kanal ist 1750
60 Jerusalem.
Fuss lang, seine Höhe beträgt nur 17, seine Breite 18 bis 25 Zoll. Zu
dem Teich, der stets Wasser hat, führen Stufen hinab. Merkwürdig
ist das periodische Steigen und Fallen des Wassers in diesem Teich,
welches von einigen Gelehrten mit vulkanischen Oscillationen, von
andern durch den Bau des Kanals erklärt wird, während das Volk glaubt,
dass in der Höhle ein Drache liege, der, wenn er wache, das Wasser
einschlucke, wenn er schlafe, es fiiessen lasse. Mohammed hat von der
Quelle gesagt, dass sie gleich dem Semsem bei Mekka eine Quelle des
Paradieses sei. Der Nehemiasbrunnen (arabisch BirEj üb, Hiobsbrunnen)
im Kidronthal gelegen, wo es mit dem Hinnomthal zusammentrifft,
könnte der Rogel des A. T. sein. Er hat gutes und reichliches Wasser,
und in seiner Umgebung trifft man schöne Baum- und Gemüsegärten.
Die beiden Gihonteiche, von denen der untere Birket Es Soltan, der
obere Birket El Mamilla heisst, und von denen der letztere nicht weit
vom Jaffathor, der andere etwa 600 Schritt südlicher liegt, sind im
Sommer wasserlos.
Der Teich des Hiskias, jetzt gewöhnlicher Patriarchenteich
(Birket Hamniara El Batrak) genannt, befindet sich mitten im Christen-
viertel und ist rings von Häusern umgeben. Seine Länge beträgt 240,
seine Breite 142, seine Tiefe etwa 20 Fuss. Sein Wasser erhält er im
Winter aus dem obern Gihonteich, durch einen unterirdischen Kanal,
der südlich vom Jaffathor in die Stadt hineingeht. Er ist wahrschein-
lich der alte Mandelteich (Amygdalon). Die Stadt hat keine Quellen
Innerhalb der Thore, deren Wasser trinkbar wäre. Die Brunnen des
Haram erhalten ihr Wasser von dem sogenannten versiegelten Brunnen,
der bei Bethlehem sich befindet. Die Quelle Ain Esch Schefah am
Baumwollenmarkt, ist mit salzsaurer Soda geschwängert und wird des-
halb nur zum Baden benutzt. So sind die Einwohner der heiligen
Stadt auf das Wasser von Cisternen angewiesen, welches indess dem
besten Quellwasser an Geschmack wenig nachgibt, und keineswegs, wie
man bisweilen behaupten hört, ungesund ist.
Gärten hat Jerusalem innerhalb der Thore nur wenige. Zu
erwähnen sind: der ziemlich ausgedehnte, aber baumarme Garten des
grossen armenischen und der Gemüsegarten des lateinischen Klosters,
sowie der blumenreiche kleine Garten des preussischen Consulats, in
dem sich ausser einigen Orangen- und Granatbäumen auch schöne Cy-
pressen erheben.
Ausserhalb der Mauern liegt unten im Kidronthal, einige hun-
dert Schritte vom Stephansthor, der den Lateinern gehörige Garten
Gethsemane. Derselbe ist jetzt mit einer Mauer umgeben und mit
Rosen und andern Blumen bepflanzt, zwischen denen sich mehre ziem-
lich alte Oelbäume erheben. Es ist nicht unmöglich, dass hier das
wirkliche Gethsemane zu suchen ist. In der Nähe zeigt man die Höh-
lencapelle, wo Christus Blut schwitzte. Dieselbe ist in den ersten
Stunden des Morgens offen, da um diese Zeit die Franziscaner, denen
der Platz gehört, hier Messe lesen. Ein Stück davon, am Wege, der
von hier auf den Gipfel des Oelberges führt, ist der Ort, wo die Jünger
Jerusalem. 61
schliefen, während der Herr betete, noch einige Schritte südlicher die
Stelle, wo Judas ihm den Kuss des Verräthers gab. Von den Gemüse-
gärten beim Nehemiasbrunnen ist nachzutragen, dass sie die alten
2. Kön. 25, 4 erwähnten Königsgärten sein mögen. Endlich haben die
Griechen in den letzten Jahren auf den Höhen westlich über dem Gi-
honthal schöne und gutgedeihende Pflanzungen von Maulbeer- und
anderen Bäumen angelegt.
Die jetzige Stadtmauer ist, zum Theil aus Resten der alten,
vom Sultan Soliman II. in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
erbaut worden. Sie hat einen Umfang von 5800 Schritten und
ist im Westen und Norden 20 bis 30, im Osten und Süden dagegen
40 bis 88 Fuss hoch. An einigen Stellen gehen Stufen hinauf, so dass
man auf derselben hin und her wandeln kann.
Vom höchsten Interesse ist der Theil der Stadtmauer, welcher
östliche und südliche Einfassung des Haramplatzes büdet und die sich
daran schliessende Westseite der Substructionsmauer dieses Platzes.
Während die Mauer im Westen und Norden aus Steinen von gewöhn-
licher Grösse besteht, findet man hier in die Umfassungsmauern des
Haramplatzes behauene Quadern von so riesigen Massen eingefügt, Avie
sie kein neuerer Bau und ausser dem von Baalbek auch kein Bauwerk
des Alterthums zeigt. Besonders gross sind diese Quadern, welche in
der Regel längliche Vierecke präsentiren, die an den vier Seiten glatte,
vertiefte Ränder haben, während die Mitte rauher gelassen ist, auf der
Ostseite zwischen dem goldenen Thor und der Südostecke der Stadt-
mauer, an einigen Stellen der Südseite, gleichfalls nicht weit von der
Südostecke, und am Klageplatz der Juden. Dort an der Ostseite findet
man auch die horizontal wie ein Kanonenrohr aus der Mauer hervor-
stehende Säule, auf der nach arabischer Sage Mohammed einst reiten
wird, wenn er am jüngsten Tage die im Thal Josaphat versammelten
Menschenseelen richtet. Man trifft hier Steine der beschriebenen Art
von 19 bis 25 Fuss Länge und zwar bis zur achten Lage hinauf. Sehr
merkwürdig sind hier auch einige Steine, welche wie der Ansatz zu
einer über das Kidronthal nach dem Oelberg hin übergespannten Brücken-
wölbung aussehen, eine Wölbung, von der indess die Geschichte
nichts weiss.
Auf der Südseite begegnet man ebenfalls bis in die achte, an
einigen Stellen bis in die zwölfte Lage hinauf, Quadern von 16 bis 19
Fuss. Etwa fünfzig Schritt westlich von der Südostecke trifft man ein
gemauertes Thor von 12 Fuss Höhe; achtzig Schritt westlicher finden
sich^drei nebeneinanderstehende, jetzt gleichfalls vermauerte Thore. Es ist
kaum ein Zweifel, dass diese Steine aus der Zeit Salomo's stammen,
jedenfalls reichen sie bis auf Herodes zurück.
An der Stelle im Westen, wo die Juden klageni_begegnet man
dem längsten Stein, welcher 29 '/j Fuss hat, ausser vielen andern Qua-
dern von 18 bis 22 Fuss. Auch hier befindet sich eine Stelle an der
Mauer, die einem Brückenansatz gleicht. Dieselbe ist etwa sechzehn
Schritt von der Südecke entfernt und 48 Fuss lang, und könnte ein
62 Jerusalem.
Eest der Brücke sein, welche vom Moriah nach dem auf dem Zion
felegenen Palast der Hasmonäer oder vielmehr zu dem Xystus, d. h.
er Terrasse vor diesem Palast führte. Die Sehne des Bogens, welchen
der Brückenansatz bildet, beträgt 12 Fass, derEadius zwischen Bogen
und Sehne 10 Zoll. Einige Gelehrte halten den Ansatz für den Rest
eines Aquäducts, der nach dem Tempelplatz geführt habe, andere für
den Rest einer Substructionswölbung, welche eine vom Tempelplatz an
dieser Südwestecke herabgehende Treppe gestützt habe.
Höchst interessant sind die verschiedenen alten Gräber und
Grotten in der Umgebung Jerusalems. Dahin gehört zunächst das
sogenannte Grab David's vor dem Zionsthor, eine Moschee, mit welcher
verschiedene andere Gebäude verbunden sind. Mehre Kuppeln geben
dem Ganzen ein ziemlich stattliches Ansehen. Die Moschee zerfällt in
ein oberes und ein unteres Stockwerk; in jenem befindet sich ein
grosser Saal, in welchem die Einsetzung des Abendmahls stattgefunden
haben soll, im untern Stock wird das Grabmal König David's gezeigt.
Der Abendmahlsaal, in dem sich auch das Pfingstwunder begeben hat,
ist jedenfalls früher eine Kirche gewesen, sein Bogengewölbe wird von
zwei in der Mitte stehenden Säulen gestützt. Eine dritte Säule ist in
die Querwand vermauert, welche den früher grösser gewesenen Raum
in zwei Theile schied. Dem Eingang gegenüber ist eine rothbraun an-
gestrichene Holzwand angebracht, die eine Nische verbirgt. In der
Ecke links vom Eingange führt unter einem kleinen Kuppelbaldachin
eine Treppe in die Grabcapelle hinab, zu welcher Christen der Zutritt
nur ausnahmsweise gestattet wird. Die niedrige Decke ruht auf einem
dicken viereckigen Pfeiler, an den Wänden liest man Koransprüche,
der Boden ist mit Teppichen belegt, der ganze Raum ziemlich düster.
Aus der Capelle führt eine niedrige Pforte in eine Seitenkammer, die
nur durch letztere Licht erhält. Hier befindet sich an der Mauer ein
langer steinerner Sarkophag, auf dem arabische Goldschrift verkündigt,
dass in ihm der „Prophet Daud" liegt und welchen gewöhnlich eine
seidene Decke verliüUt. In dem Abendmahlssaal nehmen die Franzis-
caner, denen früher das ganze Gebäude gehörte, am Gründonnerstag
die Ceremonie der Fusswaschung vor. Es ist nicht unmöglich, dass
sich hier, wenn nicht das Grab David's doch die Gräber anderer Kö-
nige Judas befunden haben.
Das Grabmal, welches jetzt von den Führern als die Gräber der
Könige bezeichnet wird, ist wahrscheinlich die Gruft der Königin
Helena von Adiabene, die zur Zeit des Kaisers Claudius von ihrem
Reich am obern Tigris nach Jerusalem kam, dort blieb und zum Ju-
denthum übertrat. Dasselbe befindet sich eine Viertelstunde vom
Damaskusthor, nicht weit rechts von der Strasse nach Nablus, und
liegt in einer Bodenvertiefung, welche entweder ein alter Steinbruch
oder ein künstlich ausgehauener Vorhof zu dem Grabmal ist. Letzteres
besteht in Katakomben, in welche eine Art Vorhalle führt. Die Säulen
und Pfeiler, welche die Fa^ade derselben schmückten, sind wegge-
brochen. Nur der mächtige Felsendachstuhl, den sie stützten, ist ge-
Jerusalem. 63
blieben und lässt mit seinem Skulpturschmuck von Triglyphen, Trau-
benbündeln, Palmenkronen und Blumenkränzen allerdings schliessen,
dass das Grab einst vornehme Leichen barg. Ein Pförtchen in der
südlichen Seitenwand bringt in eine Kammer hinab, aus der andere
Thüren in Seitenräume führen, an deren Wände sich Steinbänke hin-
ziehen und Nischen öffnen. Hier standen einst die Sarkophage der
Königin und ihrer Kinder. Frevlerhände haben sie in unbekannter
Zeit zerschlagen. Einiges von ihren Trümmern bewahrt das Louvre
in Paris.
In derselben Gegend, eine halbe Stunde nordwestlich vom Da-
maskustlior, hart am Wege nach Nebbi Sarawil, trifft man die soge-
nannten Gräber der Bichter, vier Hauptkammern in zwei Stockwerken.
Ebenfalls vor dem Damaskusthor, nicht weit vom Exercierplatze der
türkischen Garnison, befindet sich die Grotte des Jeremias, arabisch
Mogareth El Edamijeh. Dieselbe liegt in einem Garten mit hübschen
Bäumen und ist eine künstlich ausgehauene Höhle. Man zalilt für den
Eintritt wie beim Grab David's einige Piaster Bakschisch. Nach der
Legende schrieb der Prophet hier seine Klagelieder. Interessanter ist
die Höhle, welche der Jeremiasgrotte gegenüber unter der Stadtmauer
in die grossen Steinbrüche im Innern des Bezetha hineinführt.
Wahrscheinlich stammt ein Theil der Quadern in der Tempelmauer
aus diesen unterirdischen Brücken. An mehren Stellen erblickt man
kleine Nischen, in welchen die Lampen der Steinbrecher standen, da
über denselben der Fels von liauch geschwärzt ist; hier und da trifft
man Kohlen, Knochen und vermodertes Holz.
Vom höchsten Interessejsind die Grotten und Grabmonumente,
welche sich auf der Sohle und an den Abhängen des Thaies Josaphat,
d. h. dem Theil des Kidronthales, welcher zwischen dem Oelberg und
der Südostecke der Stadtmauer liegt, befinden, namentlich die Gruppe
der Monumente, welche als die Gräber Absalom's, Zacharias', Jacobus'
und Josaphat's bezeichnet werden. Die Grabmonumente Absalom's und
Zacharias sind Monolithen, d. h. aus dem Felsen herausgehauene, aus
einem Stück bestehende Architekturwerke, die Gräber des Jacobus und
Josaphat ausgehöhlte Grüfte mit verzierten Portalen. Der Styl ist ein
Gemisch griechischer und altorientalischer Formen. Das Grab Absaloms
befindet sich über der zweiten Kidronbrücke und ist ein Würfel, auf
dem sich ein gemauertes Thürrachen von Kegelgestalt erhebt. Jede
Seite des Würfels ist aussen mit zwei Halb- und zwei Viertelsäulen
von jonischer Ordnung geschmückt. Oben herum läuft ein Fries, der
mit Eosen und Tropfen verziert ist. Das ganze Monument (es ist nur
ein Gedächtnissmal des Sohnes David's; denn er selbst lag im Walde
Ephraim unter einem Steinhaufen begraben, welchen die Verachtung
Israel's auf ihn geworfen) hat eine Höhe von 46 Fuss.
Das zweite Denkmal, jenem ähnlich, nur dass der Würfel statt
eines Kegels eine kleine Pyramide trägt, und dass das Ganze nur 31
Fuss hoch ist, soll dem Andenken des zwischen Tempel und Altar
getödteten jüdischen Märtyrers Zacharias geweiht sein, auf den Jesus
Ö4 Jerusalem.
anzuspielen scheint, wenn er die Heuchelei der Pharisäer tadelt (Mat-
thäus 23,' 29), mit der sie den todten Propheten prächtige Gräber
bauten, die lebenden verfolgten und umbrachten.
Das Grab des Jacobus, nördlich von letzterem Monument gele-
gen, hat drei hintereinander befindliche, roh gearbeitete Kammern.
Das nach dem frommen und siegreichen Josaphat benannte endlich
hat gleichfalls mehre Kammern und zeichnet sich durch ein schönes
Portal von 8 Fuss Breite aus, dessen dorische Säulen durch ihre Form
an die erinnern, welche man am Eingang der nördlichsten von den
Höhlengrüften bei Beni Hassan in Oberägypten sieht.
Andere Begräbnissstellen dieser Gegend, in der sich auch der
grosse jüdische Begräbnissplatz des modernen Jerusalem mit seinen
tausend und abertausend kleinen Steintafeln befindet, sind die soge-
nannten Grüber der Propheten, eine Anzahl theils künstlicher, theila
natürlicher Felsgrotten südöstlich vom Grabmal Absaloms, ferner der
Matth. 27, 8 erwähnte Blutacker, Uakeldama, der für Judas Ischa-
rioth's Verrätherlohn gekauft wurde, und wo man im Mittelalter noch
Pilger begrub, am Südabhang des Zion, endlich die 27 altjüdischen
Grabgrotten an dem südlichen Abhang des Hinnomthales, unter denen
sich die Höhle befindet, in welcher sich nach der Legende die Apostel
versteckten, als Christus gefangen genommen worden war.
Neue Begräbnissplätze befinden sich vor dem Zionsthor, wo sich
die Christen beerdigen lassen, im Südwesten der Siloah-Quelle, wo die
Juden ihren zweiten Gottesacker haben, am obern Gihonteich und an
der Ostseite der Stadtmauer, wo sich zahlreiche Grabsteine von Mo-
hammedanern erheben.
Wir kommen nun zu einer näheren Betrachtung der Berge und
Thäler in und um Jerusalem. Der Oelberg, arabisch Dschebel El
Tur, ist ein sehr edel geformter Berg mit drei Kuppeln, einem Adler
mit ausgebreiteten Flügeln vergleichbar. Der nördlichste Gipfel heisst
Viri Galiläi, der mittlere und höchste ist der eigentliche Oelberg.
Dieser erhebt sich etwa 500 F. über dem Bett des Kidron mit 100 P.
über dem höchsten Punct der Stadt. Aus dem Kidronthal führen mehre
Wege hinauf. Er trägt auf seinen Abhängen noch jetzt eine Anzahl
Olivenbäume, und hin und wieder ist auch ein Stück mit Getreide
besäet. Den Gipfel krönt die den Lateinern gehörige Himmelfahrts-
capelle, eine kleine Moschee, das Weli eines mohammedanischen Hei-
ligen und ein von Mohammedanern bewohntes Dorf von 20 bis 30
elenden Hütten. In der Capelle wird ein Stein gezeigt, von dem sich
Christus in den Himmel aufgeschwungen hat. Wer dies im Hinblick
auf die Stelle des N. T., nach welcher die Himmelfahrt bei Bethanien
stattfand, nicht glaubt, den wird vielleicht der Eindruck des Fusses
überzeugen, den der Erlöser bei jener Gelegenheit auf dem Steine
zurückgelassen hat.
Die Aussicht vom Oelberg ist umfassend. Im Westen sehen wir
in klaren Farben und Umrissen die weissgraue Stadt mit ihren Kup-
peln und Minarets und mit den buntschimmernden Moscheen des
Jerusalem. 65
Haram vor uns, während weiter hinaus das Terebinthenthal und der
spitze Berg mit SaraueFs Grab sich zeigt. Im Norden erblicken wir
die Berge Saraaria's. Im Osten und Süden erscheinen über den grauen
Wüstenhügeln des Vordergrundes die schroffen Felsrücken des Moabi-
tergebirges, des Morgens rosenroth überhaucht mit blauen Schatten,
am Tage in das einfache Grau aller Ferne gekleidet. In der Tiefe unter
ihnen zieht sich durch das gelbe Land fast in gerader länie der grau-
grüne Streif der Jordanufer hin, glänzt weiter südlich der hellblaue
Spiegel des Todten Meeres.
Südlich vom Üelberg erhebt sich der Berg des Aergeruisses
(Dschebel Batn Haua) mit dem Judasbaum und der Stelle, wo zu Sa-
lomo's Zeit dem Moloch geopfert wurde. Dem Zion südlich gegenüber
liegt der Berg des bösen Ratlies (Dschebel Abu Tor), so genannt,
weil hier in einem Landhaus des Hohenpriesters Kaiphas die Juden
Rath hielten, wie sie Jesum tödteten. Euinen, welche sich hier finden,
sollen die Reste jener Villa sein. Endlich ist von den Anhöhen ausser-
halb der Stadt noch der eine halbe Stunde nördlich vorn Damaskus-
thor anschwellende Hügel Scopus zu nennen, von dem man ebenfalls
eine gute Aussicht auf Jerusalem hat, und wo Titus wahrscheinlich
sein Lager aufschlug, als er zur Belagerung der Stadt schritt.
Von den übrigen Anhöhen, sowie von den Thälern Gihon, Hin-
nom (richtiger Ben Hinnom) und Josaphat ist das Nöthigste bereits
bemerkt. Was das Ti/ropäon oder Keisemacherthal betrifft, über dessen
Lage viel gestritten worden ist, so schliessen wir uns der Meinung
Toblers an, welcher dasselbe in der Senkung sucht, die, zwischen dem
Zion und dem Moriah hindurchstreichend, die Stadt in eine östliche
und eine westliche Hälfte scheidet.
Wir geben jetzt noch eine kurze Topographie des alten
Jerusalem nach den Worten des Josephus, von denen alle Archäo-
logen bei ihren Untersuchungen auszugehen haben. Die Stadt war nach
Josephus auf zwei Hügeln erbaut, die einander gegenüber lagen und
durch ein dazwischen sich hinziehendes Thal getrennt waren. Der
eine von den Hügeln, auf dem die Oberstadt lag, war beträchtlich
höher und der Länge nach gerader. Wegen seiner Festigkeit hiess
man ihn die Burg König David's. Der andere Hügel, auf dem die
Oberstadt lag, wurde Akra genannt und war allenthalben abschlüssig.
Diesem gegenüber lag eine dritte Anhöhe, die von Natur niedriger
als Akra und von demselben durch ein breites Thal geschieden war.
Später aber, als die Hasmonäer herrschten, verschütteten sie das Thal,
um die Stadt mit dem Tempel zu verbinden, und machten Akra durch
Abtragung niedriger, so dass der Tempel höher lag als der Gipfel
dieses Hügels. Das Thal, welches die Hügel der Ober- und der Unter-
stadt von einander trennte, erstreckte sich, Käsemacherthal genannt,
hinab bis Siloah, wie die Quelle heisst, die süss und reichlich fliesst.
Von Aussen aber waren die beiden Hügel der Stadt von tiefen Thälern
eingefasst, und nirgends war hier, wegen der Abhänge auf beiden
Seiten, ein Zugang.
66 Jerusalem.
Wo die Stadt von Natur nicht fest war, hatte mau sie mit
Mauern befestigt, deren es zur Zeit des Josephus drei gab. An den von
Natur unzugänglichen Stellen stand nur eine einfache Ringmauer,
Die älteste oder erste Mauer begann im Nordem beim Thurm
Hippicus, erstreckte sich zum Xystus (westlich vom heutigen Klageplatz
der Juden) und endigte hier bei der Westhalle des Tempels. Auf der
andern Seite, im Nordwesten begann diese Mauer ebenfalls am Hippi-
cus, lief durch Bethso nach dem Essenerthor, wendete sich, nach Süden
hinstreichend oberhalb der Quelle Siloah herum, bog dann wieder aus
nach Osten zum Teich Salomo's, ging durch bis zu einem Orte, der
Ophla hiess und schloss sich endlich der Osthalle des Tempels an.
Die zweite Mauer nahm ihren Anfang von einem Thor in der
ersten, welches Genath hiess, und indem sie nur die nördlich gelegene
Gegend der Stadt einschloss, ging sie hinauf bis zur Burg Antonia
(im Norden des Moriah- oder Haram-Plateaus).
Die dritte endlich begann am Hippicus, von wo sie sich nach
Norden bis zum Psephinosthurm erstreckte. Darauf zog sie sich fort
gegenüber den Gräbern der Helena (also beträchtlich weiter ini Norden
der heutigen Stadtmauer) und durch königliche Höhlen in die Länge
gedehnt, wendete sie sich bei dem sogenannten Walkergrabe um (nach
sten) und senkte, sich der alten Mauer anschliessend, sich nach dem
Kidronthal hinab. Mit dieser Mauer umgab Agrippa die hinzugebaute
Stadt (Neustadt, Bezetha, griechisch Kaenopolis), welche bis dahin
ganz bloss gelegen hatte. Die Stadt floss nämlich über von der Menge
ihrer Einwohner und trat ein wenig über die (nördlichen Theile der
alten) Mauern hinaus. Indem man sich in der nördlich vom Tempel
gelegenen Gegend an dem Hügel niederliess, schritt man nicht wenig
vor, so dass ein vierter Hügel umbaut wurde. Er lag der Burg Antonia
gegenüber, getrennt von derselben durch einen tiefen Graben, welcher
künstlich gezogen wurde, damit nicht die Grundmauern von der An-
tonia, indem sie dem Hügel sich näherten, leichter zugänglich und
weniger hoch wären.
Diese Beschreibung ist nicht sehr deutlich. Indess möchte dar-
aus hervorgehen, dass der Zion, der höchste und am längsten gestreckte
Hügel, die ganze Westhälfte der Stadt einnahm, d. h. die Strecke von
der Nordwestecke des heutigen Jerusalem bis zum Zionsthor und von
da bis hinab in die Senkung, welche sich von Süden nach Norden vom
Mistthor an, noch ziemlich erkennbar hinaufzieht und in welcher wir
das alte Käsemacherthal erblicken. Ferner, dass der Tempelberg Moriah
der Südhälfte des Zion gegenüber lag, dass die Burg Antonia sich auf
dessen Nordseite erhob, und dass Akra von den Stellen der heutigen
Stadt bedeckt wird, welche in dem Dreieck zwischen dem Stephans-,
dem Damaskusthor und der Nordwestecke der jetzigen Stadt liegen.
Für den Bezetha blieben dann die Nordostecke des heutigen Jerusalems
und eine Strecke Boden vor dem Herodcs- und Daraaskusthor übrig.
Völlig sicher ist indess von diesen Annahmen nur, was oben über die
Lage des Zion und des Tempelbergs, sowie des Hippicus gesagt wurde.
68 Jerusalem.
Eine gründliche Besichtigung Jerusalems und seiner unmittel-
baren Umgebung lässt sich sehr wohl binnen sechs Tagen bewerk-
stelligen. Wir schlagen dazu folgenden Plan vor:
Erster Tag: Grabeskirche, Johanniterconvent, Via dolorosa,
Patriarcheion und Salvatorkloster, Ba/are.
Zweiter Tag : Citadello, armenisches Patriarchat und Jakobs-
kloster, protestantische Christuskirche, Diakonissenliaus, Hütten der
Aussätzigen, Zionssynagoge, Haus des Kaijjhas und Grab David's.
- Dritter Tag: Annenkirche, österreichisches Hospiz, Bethesdateich,
Haramplatz (wofern der Zutritt wieder gestattet ist, Omar- und Aksa-
Moschee), Klageplatz der Juden, zum Schluss ein Gang um die Thore,
der eine gute Stunde erfordert, wenn mau sicli auf die Wege beschränkt,
die unmittelbar an den Mauern hinlaufen. IMirkischer Gottesacker am
goldenen Thor, Säule Moliammeds, grosse Steine in der östlichen und
südlichen Mauer des Tempelphitzcs.
Vierter Tag: durch das Stephansthor hinaus und in das Kidron-
thal hinab zu der Marienkirche, der Blutschwitzungsgrotte, dem Garten
Gethsemane. Dann auf den Oelberg, zu den Gräbern der Propheten,
auf den Berg des Aergernisses, auf der Strasse von Jericho hinab zu
den Grabmonumenten im Thale Josaphat und durch das Stephansthor
zurück.
Fünfter Tag : zum Jaffathor hinaus nach dem obern Gihonteich,
im Thal fort nach Süden zu den Bogen der Wasserleitung, die von
den Teichen Salomö's über den Berg des bösen Käthes herabkommt.
Ferner unterer Gihonteich, jüdische Felsengrütte im Hinnomthal, Gipfel
des Bergs des bösen Rathes mit den Euinen von Kaiphas' Landhaus,
Blutacker, Nehemiasbrunnen, Teich und Quelle Siloah, zurück durch
das Stephansthor.
Sechster Tag: zum Damaskusthor hinaus nach der Jeremias-
grotte und in den Steinbruch unter dem Bezetha, nach dem Scopus,
zu den Gräbern der Richter und der Könige, ins obere Kidronthal und
nach dem Gipfel A'iri Galiläi, zurück durch's Stephansthor.
Touren durch den Süden Palästina's. 69
DRITTES CAPITEL.
Touren. durcU den Süden falästinia's.
Kurzer Wegweiser und Stundenzeiger für AuHflüge nach den Hauptpuncten in der
Nachbarschaft Jerusalems. — Tonr nach Bethanien, Jericho, dem Jordan, dem Todten
Meer*» und Mar Saba. — Tour nach Bethlehem und. Hebron und zurdck über St. Pliilipp,
Ain Karira und das Kreuzklost«r.
Wir beginnen dieses Capital mit einer kurzen Aufzählung der
Orte, welche, in der Entfernung von einer halben bis drei Stunden um
Jerusalem herumliegend, sich durch Ausflüge zu Fuss erreichen
lassen, wobei wir die Namen in alphabetischer Folge geben und Beth-
lehem auf einen späteren Zusammenhang versparen.
Abu Dis, Dorf von einigen sechzig Hausern, 1 ' ', Stunden süd-
östlich von Jerusalem auf einem Berg rechts von der Strasse nach
Jericho.
Ain Karim, von den Christen St. Johann genannt, 1 */, Stunden
südwestlich vom Jaifathor, Dorf mit 800 grossentheils mohammedani-
schen Einwohnern, dabei ein festungsartiges Kloster und Ruinen aus
dem Alterthum. Eine Stunde westlich von hier ist die sogenannte
Johanneswüste mit einer Quelle und einer Grotte, in welcher Johannes
der Täufer gewohnt haben soll.
Anata, vielleicht das alte Anathot, wo Jeremias geboren wurde,
mohammedanisches Dorf mit guter Aussicht, l-'^ Stunden nordöstlich
von dem Damaskusthor.
Apostelbrunnen, arabisch Bir El Chod, % Stunden vom Ste-
phansthor am Weg nach Jericho.
Artas, halb in Trümmern liegendes Dorf an der Stelle des 2.
Chron. 11, 6 erwähnten Etham, drei kleine Stunden südwestlich von
Jerusalem, mit Fruchtgärten, welche, da reichlich Wasser vorhanden
ist, sehr wohl gedeihen. Gleich dabei sind die Teiche Salomo's.
Bet Dschala, 1 '/^ Stunden südwestlich von Jerusalem, sehr
grosses Dorf mit einer griechischen Kirche.
Bethanien, arabisch El Asarijeh, mohammedanisches Dorf von
30 bis 35 Häusern, auf der östlichen Seite des Üelbergs '/, Stunde
vom Stephansthor entfernt, lieber seine Sehenswürdigkeiten siehe
weiter unten die Tour nach Jericho.
70 Touren durch den Süden Palästina's.
Bet Hanina, wohlgebautes Dorf, 1 '4 Stunden nordwestlich vom
Damaskusthor. Man sucht hier, wohl ohne Grund, das Nehem. 11, 32
erwähnte Ananja.
Bir Nebala, Dorf, zwei Stunden nordwestlich von Jerusalem
mit Gewölben aus dem Alterthum.
Dreikönigsbrunnen, eine Stunde südlich von Jerusalem etliche
hundert Schritte vom
Eliaskloster, Dejr Mar Elias, einem stattlichen, den Griechen
gehörigen Gebäude u. s. w.
Frankenberg, arabisch Dschebel El Furidis, ein Berg mit Trüm-
mern, starke drei Stunden südöstlich von Jerusalem und l'/j Stunde
von Bethlehem entfernt. Sehr wahrscheinlich lag hier die von Josephus
beschriebene Festung Herodiura. Näheres weiter unten bei der Tour
nach Jericho.
i7 Khadr, drei kleine Stunden südwestlich von Jerusalem, ^/^
Stunden von Bet Dschala, mohammedanisches Dorf, bei dem sich das
griechische Kloster St. Georg befindet, in welchem eine Irrenanstalt ist.
Kkareitun (Chariton), ein Dort IV^ Stunden von Frankenberg.
Dabei ist eine Höhle mit mehren Gängen, die über tausend Fuss lang
sind. Tobler hat hier Inschriften, römische Asclienkrüge und Scherben
gefunden. Roth dagegen hat von dem Allem nichts gesehen.
Kreuzkloster, arabisch Dejr El Musalabeh, '/^ Stunde westlich
vom JafFathor, den Georgiern gehörig. Näheres weiter unten bei
Bethlehem.
Lifta, Dorf, eine Stunde westlich von der Stadt, mit einer guten
Quelle, einer Moschee und Ruinen. Die Franken schlagen hier im
Sommer gewöhnlich Zeltlager auf,Un denen sie die heisseste Zeit über
wohnen
Om Basras, Ruinen einer Burg, IV4 Stunde von Jerusalem an
der Strasse nach Jericho, vielleicht das alte Adumini.
Philipjishrunnen, arabisch Ain Hanijeh, 1 % Stunden südwest-
lich von der Stadt, eine schöne Quelle, in welcher der Apostel Phi-
lippus den Kämmerer der Königin Kandace taufle. In der Nähe wächst
der beste Wein Südpalästina's.
St. Samuel, arabisch Nebbi Samwil, Dorf, zwei starke Stunden
von Jerusalem und zwar im Nordwesten. Nimmt man den Weg über
Kulonieh, so braucht man drei Stunden. Das Dorf liegt auf einem
2480 Fuss hohen Kegelberg, von dem man eine sehr gute Aussicht
bis an das Mittelmeer hat, und hat nur wenige, meist schlechte Häuser.
Die Einwohner sind Mohammedaner. In der halbverfallenen Moschee
wird das Grab des Propheten Samuel gezeigt. Die Moschee steht an
der Stelle eines in Kreuzesform erbauten Klosters. Man steigt zu dem
Grabmal eine Treppe hinab in einen viereckigen Raum, dessen Ueber-
wölbung zum Theil eingebrochen ist. Hier sieht man einen gewölbten,
weissübertünchten Sarkophag, der an den vier Ecken mit kupfernen
Ezchajim, Lebensbäumen, geschmückt und gewöhnlich mit einer Decke
überhangen ist. In der Nachbarschaft der Moschee finden sich Spuren
Touren durch den Süden Palästina's. 71
alter Gebäude und einiger Cisternen. Der Gipfel des Berges soll nach
der Legende die Prophetenstadt Kama getragen haben, wogegen neuere
Forscher hier das alte Mizpa suchen, von wo Judas Makkabäus zum
Angriff auf die Heiden ausrückte.
Süuan, Dorf von 80 Wohnungen, die zum Theil Felsengrotten
sind, V4 Stunde vom Stephansthor am Westabhang des Bergs des
Aergernisses, ohne Zweifel das alte Siloam. Die Einwohner gelten für
fanatisch und räuberisch.
Simeons Haus, nach der Legende die Wohnung des greisen
Simeon, welcher das Jesuskind im Tempel segnete, ein Trümraerplatz,
eine kleine Stunde vom Jaflathor, rechts am Wege nach Bethlehem.
Wir beschreiben nun die Touren nach Jericho, dem Jordan, dem
Todten Meere und nach Mar Saba, sowie nach Bethlehem und Hebron,
wobei wir an den in der Einleitung eingetheilten Plan erinnern, nach
welchem sich dieselben verbinden lassen:
1. Ausflug nach Jericho, dem Jordan und dem Todten Meere, und über Mar Saba
nach Jerusalem zurück-
Man verlässt Jerusalem durch das Stephansthor und reitet um
den Oelberg herum nach Bethanien. Rathsam ist, um die Mittagszeit,
etwa um zwei Uhr aufzubrechen, da Jericho nur sechs Stunden ent-
fernt ist und der am Morgen dahin Aufbrechende diesen Ort so zeitig
erreicht, dass er gerade in den hier besonders heissen Nachmittags-
stundeii in dieser Gegend verweilen muss.
In Bethanien werden gezeigt: a) ein in Ruinen liegendes Ge-
bäude, welches das Haus des Lazarus sein soll: b) das Haus seiner
Schwester Maria; c) das der Martha; d) das Simons des Aussätzigen,
endlich e) das Grab des Lazarus. Letzteres ist eine Art Felsenkeller,
in welchen man auf sechsundzwanzig Stufen hinabsteigt. Von hier führen
noch zwei Stufen in ein kleineres Seitengemach, in dem Lazarus gele-
gen haben soll. Die Grabstätte, die jedenfalls sehr alt und sehr wahr-
scheinlich wirklich eine Gruft ist, steht auch bei den Bekennern des
Islam in hoher Achtung.
Eine starke Viertelstunde von hier triff't man den Apostelbrun-
nen (arabisch Bir El Chod) und daneben Ruinen eines Khans. Weiter-
hin wird die Gegend kahler und steiniger und man befindet sich end-
lich völlig in der Wüste.
Drei Stunden von Bethanien kommt man an die Trümmerstätte
Karjat El Kurd, die einst ein Nebengebäude des in der Nähe liegen-
den Khan Chadrur gewesen zu sein scheint, eines Kastells, welches die
Strasse beherrschte, jetzt aber ebenfalls in Ruinen liegt. Eine Stunde
von hier bemerkt man links auf der Höhe eine doppelte alte Wasser-
leitung. Der Weg, der von hier in das Ghor oder Jordanthal hinab-
führt, ist ziemlich steil Im Thale angelangt, hat man erst einen
schmalen Kanal, dann den in der Nachbarschaft entspringenden, an
seinen Ufern mit dichtem Gebüsch bewachsenen Bach Ain Es Soltan
72 Touren durch den Süden Palästina's.
zu passiren. Von der Fürth ist es noch eine halbe Stunde bis nach
Jericho, welches jetzt Eicha heisst und ein höchst elendes Dorf von
etwa vierzig Hütten ist, bei dem sich einige Felder und eine Gruppe
von Feigen- und andern Bäumen befinden. Das Kastell von Jericho ist
ein alter viereckiger Thunn, in welchem einige Baschibozuks als Wacht-
posten stationirt sind. Von den Palmen und Balsampflanzungen des
alten Hierichunt ist nichts, von den Prachtbauten der Stadt (welche
übrigens eine halbe Stunde westlich vom heutigen Richa lag) nur ein
Stück der Wasserleitung mit mehren Bogen noch vorhanden. Man
pflegt sein Zelt in der Nähe des Baches aufzuschlagen. Die Einwohner
des Dorfes liefern gegen Bezahlung Milch und Eier. Die Beduinen der
Escorte führen gegen ein Bakschisch eine Fantasia, d. h. eine Art Tanz
auf, bei dem sie ihre Pistolen abfeuern. Die Gegend von Jericho ist
sehr wenig angebaut, wie das ganze Jordanthal, aber nicht ohne Bäume
und Sträucher. Man findet ausser einigen Feigen- und Granatbäumen
sehr häufig den dornreichen Nabkbaum, dessen Frucht, von den Ara-
bern Dom genannt und gegessen, einer Kirsche gleicht, aber ganz
saftlos ist; ferner die Palme Christi, die das Ricinusöl liefert; die
milchreiche Asklepias Gigantea, von den Arabern Ascher geheissen, ein
Strauch, welcher die sogenannten Sodomsäpfel trägt, endlich gelegent-
lich eine Tamariske. Die sogenannte Jerichorose (arabisch Kaf Mirjam),
eine Pflanze, welche in Jerusalem als Andenken verkauft wird und zu
den kreuzblüthigen Siliquosen gehört, wächst nicht hier, sondern in
Arabien. Sie hat die Eigenschaft, ins Wasser gesetzt, aufzugehen und
sich, trocken geworden, wieder zusammenzuziehen.
Von Jericho aus kann man entweder direct nach dem Jordan
aufbrechen oder erst einen Abstecher nach der Wüste Quarantena,
Dschebel Karantel unternehmen, wohin die Legende die Stelle verlegt,
an welcher Jesus nach vierzigtägigem Fasten vom Teufel .versucht
wurde. Dieselbe liegt 1'/^ Meilen nordwestlich von Richa, über dem
sogenannten Elisänshnmnen, der Quelle des Baches Ain Es Soltan.
Dieser schöne klare Quell entspringt in einer schauerlichen Schlucht,
720 Fuss über dem Spiegel des Todten Meeres und bildet ein von
allerlei Grün umgebenes JBecken, in dem es Fische gibt. Die Wüste
Quarantena mit dem Berg der Versuchung liegt noch 600 bis 800 Fuss
höher. Es fährt ein schmaler and beschwerlicher Weg hinauf, neben
dem man eine Anzahl von Einsiedlerhöhlen trifft, die indess jetzt unbe-
wohnt sind. Auf der Ostseite des Berges befinden sich drei besonders
grosse Grotten, in denen man noch schwachen Spuren von Fresken
begegnet. Sie sind indess ebenso wie der Gipfel des Berges nur mit
Schwierigkeit zu erreichen und verlohnen die Mühe so wenig wie die
Aussicht von diesem.
In Jericho fuhr Elias gan Himmel, starb Herodes der Grosse,
fand die Begegnung Christi mit Zachäus statt.
Wer die Tour von Jericho nach dem Norden und dem Todten
Meere machen und die Nacht im Kloster Mar Saba zubringen will,
muss bei Zeiten aufbrechen, da es von Jericho bis zum Jordan I74,
Touren durch den Süden Palästina's.
73
74 Touren durch den Süden Palästina's.
von da bis zum Todten Meer 1 '/^ und von dort wieder bis nach Mar
Saba sechs Stunden ist und das Kloster nach Sonnenuntergang Niemand
mehr einlässt, wie es denn überhaupt nur solchen Fremden Einlass
gewährt, welche durch einen Empfelilungsbrief vom Patriarchen in
Jerusalem legitimirt sind. Der Weg von Jericho nach dem Jordan
führt über eine von sanften Senkungen unterbrochene Ebene, die zum
Theil mit einer dünnen Salpeterkruste bedeckt ist. An manchen Stellen,
besonders gegen den Fluss hin, finden sich Sträucher und Bäume. Die
Euinen rechts im Südosten sind Reste des Klosters Hadschla, welches
dem Täufer Johannes geweiht war, und in dem man Spuren von Wand-
gemälden antrifft, die sich auf Elias beziehen. Die Stelle, wo man den
Jordan gewöhnlich zuerst erreicht, gilt der Tradition für die, wo Chri-
stus die Taufe empfing. Der Fluss ist hier etwa 80 Fuss breit und in
der Mitte 10 bis 12 Fuss tief. Seine Ufer sind mit schönem Wald von
wilden Lorbeerbäumen, Eichen, Weiden, Akazien und Tamarisken
bedeckt. Das Wasser ist trüb und so reissend, dass auch gute Schwim-
mer, schon der steilen Schlammufer halber, wohl thun, sich nicht zu
weit hineinzuwagen. In dem Uferdickicht halten sich wilde Schweine
und, wie man sagt, auch Panther auf. Der arabische Name des Jordan
ist Scheriat, ausführlicher Scheriat El Kebir, d. i. die grosse Tränk-
stelle. Die Höhen im Osten sind die Berge der Kinder Ammon.
Zwischen dem Jordan und dem Todten Meere findet sich nir-
gends eine Quelle; man nehme sich daher Wasser zum Trinken aus
dem Flusse mit, was noch nöthiger ist, wenn man einen Ausflug bis
nach Endschiddi vorhat. Der Weg bis zum Nordeude des Todten
Meeres (arabisch Bachr Lut, Lotssee oder Bachr El Mid, Salzsee)
führt über salpetergeschwängerten Boden ohne Bäume, Sträucher und
Gras. Man pflegt gegenüber einer kleinen Insel Halt zu machen Das
Ufer ist hier mit zahlreichen, ihrer Rinde entkleideten Bäumen bedeckt,
welche der links in den See mündende Jordan herabgeschwemmt und
der See wieder an's Land geworfen hat. Die Farbe des Landsee's ist,
wenn nicht Wolken den Himmel bedecken, ein schönes Dunkelblau, die
der Berge am Nordende gelblich grau. Das stark mit Salz und Asphalt
geschwängerte Wasser lässt weder vegetabilisches noch animalisches
Leben in sich aufkommen, und so hat der See weder Fische, noch
Muscheln, noch Pflanzen irgendwelcher Art in sich. Es hat einen schar-
fen, bittersalzigen Geschmack, verursacht dem Badenden an wunden
Stellen des Leibes ein heftiges Brennen und trägt ihn, wo es tiefer
ist, wie einen Kork.
Was sonst Ausserordentliches von dem See erzählt wird, ist
Fabel. Er hat weder einen üblen Geruch, noch haucht er giftige
Dünste aus.
Die Länge des Todten Meeres beträgt 10, seine durchschnittliche
Breite zwei deutsche Meilen. Als grösste Tiefe hat man 1170 Fuss
gefunden, am Südende, wohin der räuberischen Stämme am Ufer wegen
selten ein Reisender gelangte, soll man den See durchwaten können.
Seine Oberfläche liegt zwischen 1200 und 1300 Fuss unter dem Spiegel
Touren durch den Süden Palästina's. 75
des Mittelmeeres. Entstanden ist er höchst wahrscheinlicli durch einen
Erdsturz, den vulkanische Kräfte vorbereiteten. Die Steinarten am
Ufer (das Gebirg war einst von den Moabitern bewohnt, der höchste
Gipfel soll der Neho sein) bestehen hauptsächlich aus gewöhnlichem
Kalk- und Sandstein, Stinkschiefer und bituminösem Quarz. An der
Ostküste fand man hin und wieder vulkanische Bildungen und Lava.
Im Süden erhebt sich ein dunkler Kegelberg, der vom Fuss bis zum
Gipfel mit Schlacken und Lava bedeckt ist. Oestlich von der sehr weit
in den See hinaustretenden Halbinsel Usdora (Sodom) erblickt man
über einer Schlucht und 60' über dem Wasserspiegel eine Art Säule
von Steinsalz, die eine Höhe von 40 Fuss hat und für die Säule gilt,
in welche Lot's Weib verwandelt wurde.
Wo die untergegangenen Städte gelegen haben (ausser Sodom
und Gomorrha werden von der Genesis noch Adama, Zoar und Zeboim
genannt), ist unbekannt. Schliesslich ist zu bemerken, dass die Umge-
bung des Meeres nur da dürr und baumlos ist, wo es an süssem Wasser
fehlt. In der Schlucht Eadschiddi, bis zu welcher man vom Ufer bei
der kleinen Insel im Norden etwa drei Stunden reitet, und welche
vielleicht das Engeddi ist, wo David sich als geächteter Kebell und
Eäuber vor Saul verbarg, und mit dessen Traube die Sulamith des
Hohenliedes ihren Geliebten vergleicht, wachsen neben der Quelle, die
den anmuthigen Ort bewässert, ausser Schilf, Tamarisken und Gurra-
bäumen auch einige Palmen. Flüssiges Erdharz wird in der Nachbar-
schaft des See's nirgends gefunden, wohl aber der sogenannte Moses-
oder Asphaltstein.
Auf dem Wege vom Todten Meere nach dem Kloster Mar Saba
begegnet man nirgends einer Menschenwohnung, keinem Baum oder
Strauch und nur zwei Quellen Die Kichtung desselben ist zuerst nord-
westlich, dann nördlich, zuletzt westlich. Eine halbe Stunde von der
Haltstelle bei der Insel erreicht man die mit Schilf und Tamarisken
umgebene Quelle Ain Ed Dschahir, deren Wasser zwar etwas Salzgehalt
hat, aber — namentlich mit Orangensaft gemischt — zu trinken ist.
Eine Viertelstunde weiter streift der Weg das Südende des Wadi Da-
her, einer tieferen Bodensenkung mit steilen, znm Theile felsigen
Wänden, dann steigt er allraälig bergan, führt am Wadi Abu Dis hin
und senkt sich liierauf in das Wadi Kunetereh hinab. In der Feme
erblickt man den Nehhi Musa, eine Höhe, auf deren Gipfel eine in
Euinen liegende kleine Moschee den Mohammedanern das den Christen
und Juden bekanntlich verborgen gehaltene Grab Mosis bezeichnet.
Weiterhin führt die Strasse über die Hochfläche Sahel Abu Kea und
verschiedene Wüstenthäler und Höhen nach einem Thal, in welchem
eine Cisterne mit gutem Wasser ist, und von wo man noch 1 '/, Stunde
bis Mar Saba reitet. Der Weg ist nicht besonders beschwerlich, die
Temperatur aber, vorzüglich in den engen Thälern ausserordentlich
heiss. Das Wasser der Cisterne ist vortrefflich, enthält aber rothe
Würmer, wesshalb man gut thut, es durch ein Tuch zu seihen.
76 Touren durch den Süden Palästina's.
Das Kloster Mar Saba hängt, seiner Gestalt nach einer mit-
telalterlichen Burg ähnlich, am Abhang des VVadi Nähr, einer wilden,
schauerlichen Felsenschlucht, welche eine Portsetzung des Kidronthales
ist. Die schroffen Wände der Schlucht haben eine Höhe von 400 bis
500 Fuss und zeigen eine grosse Anzahl von Höhlen und Grotten, in
welchen im Alterthum Tausende von Anachoreten wohnten. An der
einen Wand führt, vielfach sich schlängelnd, eine gute Strasse bis vor
die Klosterpforte. Damen haben in das eigentliche Kloster keinen Ein-
lass, sondern müssen in einem Seitenthurm übernachten. Nichtchristen
dürfen nur bis in den ersten Hof. Das Kloster gehört den Griechen.
Der Schlafsaal für die Pilger ist bequem eingerichtet, die Verköstigung
dagegen in der Eegel mager. Wein trinkt man hier nur. wenn man
ihn selbst mitgebracht hat. Unter den Mönchen (Kalugern) befindet
sich gewöhnlich einer, welcher, italienisch sprechend, das Führeramt
übernimmt. Er zeigt dem Fremden verschiedene düstere Kirchen und
Capellen mit vielen Heiligenbildern und mancherlei Gold- und Silber-
schmuck, eine Nische mit einem Haufen Todtenschädel, die angeblich .
von dem Blutbad herrühren, welches die Sarazenen im Jahre 812 unter
den Klosterleuten anrichteten, einen Sarkophag mit den Gebeinen des
Kirchenvaters Johannes Damascenus, und die Höhle, in welcher der
heilige Saba lange Jahre mit einem Löwen zusummengewohnt hat. Die
Palme, welche sich unter der Kirche erhebt, soll von ihm gepflanzt
worden, also etwa 1300 Jahre alt sein, hat aber höchstens 50 Jahre.
Von Mar Saba reitet man, da der Weg grossentheils gut ist, in
zwei Stunden nach Jerusalem zurück und zwar folgt die Strasse bis
vor die Stadt dem Kidronthal. Die ganze im Vorstehendon beschrie-
bene Tour kann, wenn man die Ausflüge nach der Wüste Quarantena
und nach Endschiddi weglässt, recht wohl binnen zweimal vierund-
zwanzig Stunden gemacht werden, mit Einschluss jener Ausflüge erfor-
dert sie vier Tage. Wer von Mar Saba sogleich nach Bethlehem und
Hebron weiter gehen will, i;elangt auf dem nächsten Wege, über den
Wadi und das Dorf Antubeh, binnen drei Stunden dahin.
2. Ausflug über Bethlehem nach Hebron und über die Johanneswüste und das
Kreuzkloster nach Jerusalem zurück.
Man verlässt Jerusalem durch das Jaffathor, steigt in das Gi-
honthal hinab und ersteigt in der Nähe von Montefiores Windmühle
die jenseitige Thalwand wieder. Dann führt der Weg über die Ebene
nach dem Dreikönigsbrunneu und am Kloster Mar Elias vorüber an
der Wand eines in mehre Senkungen getheilten Kessels hin nach Beth-
lehem, welches zwei Stunden von Jerusalem entfernt ist. Das kleine,
weiss schimmernde Grabmal, welches man auf der Mitte des Weges
zwischen Mar Elias und Bethlehem zur ßechten erblickt, ist das Grab
Bacheis, der Lieblingsfrau des Patriarchen Jakob, der grosse Ort weiter
oben am ßerghang Bet Dschala. Bethlehem liegt recht hübsch auf
einem Hügel vorsprung, dessen Seiten mit Baumgärten und etwas Wein
Touren durch den Süden Palästina's.
78 Touren durch den Süden Palästina's.
bepflanzt sind. Es hat gegen 3000 Einwohner, die fast alle Christen
sind. Die Frauen tragen eine eigene Kleidung, die in einer über das
blaue arabische Hemd geworfenen rothen Tunica besteht. Die Bethle-
hemiten beschäftigen sich mit Garten- und Feldbau, und ausser andern
Handwerken mit der Anfertigung von Andenken für Pilger: Dosen mit
dem Bild des heiligen Abendmahls, Eosenkränzen, Krucifixen, Trink-
schalen u. a. Das Innere des St<ädtchens ist schmutzig.
Die Klöster — es sind drei, ein lateinisches, ein griechisches,
ein armenisches — bilden einen Stadttheil für sich. Sie sind allesammt
von einer hohen, mit mächtigen Strebepfeilern gestützten Mauer um-
geben und schliessen drei Kirchen ein. Durch ein grosses Thor gelangt
man auf einen gepflasterten, von Arkaden eingefassten H^, aus dem
eine Pforte in die Kirche führt, welche die Höhle, in der die Sage
Jesum geboren sein lässt, einschliesst. Die Kirche ist nächst der Gra-
beskirche in Jerusalem die schönste in Palästina. In ihr wurde 1101
der Kreuzritterkönig Balduin gekrönt. Ihrer Grundform nach ist sie
eine Basilika, ihre jetzige Ausschmückung stammt von den Griechen
her, welche sie 1842 ausbesserten, 48 gelbliche Marmorsäulen mit
korinthischen Kapitalem tragen die Decke, die aus Cedernholz vom
Libanon gefertigt sein soll. Grosse Fenster erhellen das Schiff, welches
ein Kreuz vorstellt. An den Wänden erblickt man griechische Inschrif-
ten, Spuren musivischer Darstellungen und einige Gemälde auf Holz-
tafeln. Der Chor, vom Schiffe durch eine Querraauer geschieden und
drei Stufen höher als dieses, enthält einen den drei Weisen aus dem
Morgenlande geweihten Altar, vor dem ein Marmorstern am Boden die
Stelle andeutet, über Avelcher der Wegweiserstern stille stand „oben
über, da das Kindlein war". Rechts und links von dem Altar führen
Stufen in die Geburtshöhle hinab.
Während die Kirche ziemlicli schmucklos ist, kommt die Capelle,
in die man die Höhle verwandelt hat, an Pracht der Grabeskirche
gleich. Wände und Boden des unterirdischen Raums sind mit weissen
Marmorplatten belegt. Gegen dreissig Hängelampen werfen im Verein
mit mehren grossen Leuchtern ein helles Licht auf die verschiedenen
heiligen Gegenstände in der Grotte. Die besonders verehrten Stellen
sind mit seidenen Stoffen behangen. Hinten im Osten der Grotte ist
die Stelle, wo nach der Legende Maria entbunden wurde. Sie wird
durch einen Altar bezeichnet, unter dem sich in einer Nische eine Ta-
fel von weissem Marmor befindet, auf welcher von den Strahlen einer
Sonne von Silber und Jaspis umgeben die Worte zu lesen: „Hie de
virgine Maria Jesus Christus natus est.** Etwa fünf Schritte südlich
von hier steigt man auf sechs Stufen in die kleine Nebengrotte hin-
unter, wo die Krippe stand, die dem Jesuskind als Wiege diente. Ein
ausgehöhlter Marmorblock stellt jetzt die Krippe vor, die drei grossen
Silberleuchter davor sollen die Hirten, die hier anbeteten, nach anderer
Deutung die lateinische, die griechische und die armenische Kirche
vorstellen, die sie gestiftet haben. Der Krippe gegenüber begegnet man
dem Altar der drei Könige oder Weisen, der an dem Ort stehen soll.
Touren durch den Süden Palästina's.
79
Geburtskirche in Bethlehem.
WO dieselben dem göttlichen Kinde Gold, Weihrauch und Myrrhen
opferten. Die Lampen der Krippengrotte tragen das österreichische
Wappen. Die (xemälde, welche die Capelle schmücken, sind meist Co-
pien nach Raphael, auch ist ein Originalbild von Giacomo Palma dar-
unter. Endlich besitzt das unterirdische Heiligthum auch eine kleine Orgel.
Um die Geburtsgrotte herum liegen vier kleinere Höhlen: eine,
in welcher die Gebeine der heiligen Paula ruhen, die von Rom hier-
her pilgerte, um ihre Tage als Siedlerin neben der Wiege Christi zu
beschliessen, eine zweite, in der man St. Eusebius von Cremona begrub,
eine dritte, in welcher der Kirchenvater Hieronymus das Alte Testa-
ment übersetzt haben soll, endlich eine vierte, in welcher die Schaar
der von Herodes ermordeten bethlehemitischen Kinder bestattet sein
soll. Ueber der zuletzt genannten Höhle befindet sich eine der heiligen
Katharina geweihte, recht freundliche Kirche, welche im Besitz der
lateinischen Mönche ist.
Die Umgebung ist reich an Legondenorten :
Im Südosten des Klosters, in. welchem man beiläufig gute Her-
berge findet, liegt die sogenannte Milchgrotte, in der sich Maria mit
dem Jesuskinde eine Zeitlang verborgen haben soll, bevor sie nach
Aegypten floh. Dieselbe ist etwa zehn Schritt lang, und man zeigt auf
dem Boden nicht weit von dem dort befindlichen Altar noch die
Tropfen der Milch, welche die heilige Mutter beim Säugen verlor —
eine mergelartige Masse, die gut für Frauen sein soll, welche nicht
stillen können.
80 Touren durch, den Süden Palästina's.
Gegen Osten, etwa eine halbe Stunde von der Stadt, wird das
Feld der Hirten gezeigt, wo das Gloria Deo in excelsis der Engel
erschallte. Daselbst trifft man den Ort der Hirten (Dejr Er Kawat)
der mit einer Mauer umgeben ist und in dem sich eine ziemlich tiefe
und 30 Fuss lange Höhle befindet, welche man zu einer Capelle umge-
schaften hat. Etwas weiter südlich liegt das Dorf Bet Sahur En Nas-
sara, in welchem die Hirten gewohnt haben sollen.
Zwischen der Stadt und dem Ort der Hirten bezeichnet die Le-
prende eine Stelle als die, wo Joseph den Traum hatte, in welchem ihm
die Flucht nach Aegypten befohlen wurde.
Beim Grabe Rachels endlich findet man das so<?enannte Erh-
senfeld, eine Stelle mit vielen kleinen Steinchen, in welche Maria die
Erbsen hartherziger Bauern verwandelte, weil sie ihr dieselben ab-
schlugen.
Von Bethlehem kann man Ausflüge nach den Teichen Salomo's,
nach Artas und nach dem Frankenberg unternehmen, und zwar lassen
sich dieselben in der Weise verbinden, dass man zuerst nach den
Teichen geht, von dort sich nach Artas begibt und dann durch die
Wadis Et Tauahin, Dejr Dia imd Wia nach dem genannten Ruinenberg
reitet, von wo man in zwei Stunden nach Bethlehem zurückkommen
kann. Der ganze Ausflug erfordert etwa sieben Stunden.
Die Teiche Salomo's sind eines der merkwürdigsten Bauwerke
Palästina's. Dass sie von Salomo herrühren, ist nicht zu erweisen, indess
sind sie jedenfalls sehr alt. Es sind drei stufenweise übereinander
angebrachte, in den Fels gehauene, auf dem Boden und an den Wän-
den mit Tropfsteinen bekleidete Becken, die theils vom Regen des
Winters, theils von einer Quelle ihr Wasser erhalten, die mit eiuem
grossen Stein verschlossen ist und von der Legende als der .versie-
gelte Brunnen" des Hohenliedes bezeichnet wird. Der oberste Teich ist
380 Fuss lang und 230 Fuss breit; der in der Mitte hat eine Länge
von 424 und eine Breite von durchschnittlich 210 Fuss, der unterste
endlich ist 585 Fuss lang und an der schmälsten Stelle 150, an der
weitesten 210 Fuss breit. Neben dem Teiche liegt ein Khan, der einst
ein Castell war und den Namen Kalat El Borak führt.
Bei Artas trifft man die verschlossenen Gärten Salomo's, und
ringsum grünt das Thal von neuen Pflanzungen, welche von dem ge-
tauften Juden Meschulam auf Veranlassung des englischen Consuls
Finn angelegt wurden. Das Dorf Artas liegt halb in Ruinen.
Der Frankenberg, ein Hügel von vulkanischer Gestalt, soll nach
Einigen das Bethulia getragen haben, vor dem die Geschichte von
Judith und Holofernes spielte, nach Andern ist er die Jer. 6, 1 erwähnte
Warte Beth Cherem. Letzteres ist nicht unmöglich, noch wahrschein-
licher aber ist, dass die Ruinen, die man auf ihm trifft, der von Jose-
phus erwähnten Festung Herodium angehört haben. Auf der nördlichen
Seite unten finden sich viele Mauertrümmer. An der Nordwestseite
kann man die Spur einer gepflasterten in gerader Richtung nach dem
Gipfel führenden Strasse verfolgen. Der Gipfel ist, wahrscheinlich
Touren durch den Süden Palästina's. 81
künstlich, geebnet. An jeder der vier Himmelsgegenden erhob sich ein
runder Thurm. Man sieht von hier deutlicli ein Stück des Todten
Meeres.
Der Weg von Bethlehem nach Hebron, welches von Jerusalem
sieben Stunden entfernt ist, führt bei den Teichen Salomo's vorbei
einen steilen Bergrücken hinauf. Oben auf der Höhe wird die Strasse
besser, und man trifft eine ziemlich üppige Vegetation von Krüppel-
eichen, Lentiscus und Erbeerbäumen an. 1 '/, Stunde von den Teichen
kommt man an einen mit Oelbäumen bewachsenen Berg, auf dessen
Gipfel sich Trümmerstätten und alte Gräber befinden. 1 '/^ Stunden
weiter liegt an der Strasse ein antiker Trog, in den sich eine Quelle
ergiesst. Ueber diesem Brunnen ziehen sich Reste einer alten Ortschaft
hin, die von den Arabern Ed Dirweh genannt werden. Diesen Ruinen
gegenüber steht auf einer Anhöhe ein Thurm mit kolossalen Grund-
mauern. Die Trümmer über der Quelle sind neuester Forschung zufolge
wahrscheinlich das alte Bethzur. Auch von andern im A. T. erwähnten
Orten glaubt man hier in der Nähe der Strasse Spuren entdeckt zu
haben, so von Gedor in dem Dorf Dschedor, von Beth Anoth in Bet
Ainun, von Maarath in Bet Ommar, und der Weg zwischen den Wein-
bergen von der Stadt Hebron hinab ist vermuthlich eine alte Rö-
merstrasse.
Hebron, arabisch El Chalil, d. h. der Freund (seil. Gottes, also
Abraham), in der Urzeit Kirjat Arba genannt, ist die älteste Stadt
Palästina's und eine der vier heiligen Städte der Juden (die andern
drei sind Jerusalem, Safet und Tiberias). Die Zahl ihrer Einwohner
beträgt jetzt etwa 10,000. Die Lage ist sehr schön, ?die Umgebung
fruchtbar. Ein Gasthaus existirt hier nicht, man bleibt daher in seinem
Zelt. Merkwürdigkeiten der Stadt und ihrer Nachbarschaft sind:
i. der Abrahamsbrunnen, der Hebron das ganze Jahr mit
Wasser versieht. Er liegt auf einer steinigen Höhe über dem türkischen
Gottesacker.
2. Das Grab Isais, des Vaters David's, eine kleine, halbverfal-
lene Halle, vor welcher einige Trümmer liegen und in welcher eine
schlachtähnliclie Vertiefung in den Boden hinabgeht. Dieser Schacht
soll mit dem sogleich zu schildernden Grabe Abrahams in Verbindung
stehen. Die hiesigen Juden werfen Haarbüschel von Kranken in die
Tiefe hinab, indem sie davon Genesung für die Leidenden hoffen. Die
Aussicht von der Höhe, auf der dieses Grabmal liegt, ist sehr anmu-
thig. Alte Oelbäume, hin und wieder ein Nusabaum, zahlreiche Feigen-
und Granatbäurae grünen in allen Farbenschattirungen auf den Wiesen.
Hügel mit Rebstöcken bepflanzt, erinnern an Bacchus' Gabe, auf den
Feldern blühen mancherlei Blumen.
3. Das Grab Abners^ des Feldherm Saul's, im Hofe eines tür-
kischen Hauses. Es ist eine überkuppelte Capelle, in welche 26 Stufen
hinabführen, und in der man hinter einem Baumwollenvorhang einen
etwa 9 Fuss langen weissangestrichenen Steinsarg erblickt.
82 Touren durch den Süden Falästina's.
4. Das grosse Uaram, eine Moschee, die früher eine christliche
Kirche war, jetzt aber nur Mohammedanern geöffnet ist, und von der
die Tradition behauptet, es befinde sich unter ihr die Doppelhöhle
Maehpelah, in welcher Abraham sich begraben liess. Die Moschee ist
mit einer Mauer umgeben, welche ein Viereck von etwa 200 Fuss
Länge und 140 Fuss Breite bildet. Die Steine des Unterbaues dieser
Umfassungsmauer zeigen gleich denen der Substructionsmauer des
Haram in Jerusalem die uralte Fugenränderung, und man findet unter
ihnen Quadern von 38 Fuss Länge. Die Moschee selbst bildet ebenfalls
ein längliches Viereck. Der D. Fränkel in Jerusalem will in der Grab-
höhle unter der Moschee gewesen sein und dort drei mit grünem Sei-
denstoff behangene Sarkophage gesehen haben, auf denen die Namen
der drei Erzväter in arabischer und hebräischer Goldschrift zu lesen
gewesen. Ein anderer Jude, der zum Islam übergetreten, wollte auch
die Särge von drei Patriarchenfrauen erblickt haben. Das Grab ist un-
zweifelhaft sehr alt. Man besitzt eine Votivtafel aus den ersten Jahr-
hunderten nach Christus, welche am Grabmale Abrahams eingefügt
war. Ob Abraham, Isaak und Jakob wirklich hier ruhen, ist eine andere
Frage. Die Behauptung, dass auch Adam hier bestattet sei, ist talmu-
distische Faselei, hergenommen von dem alten Namen Kirjat Arba,
welches von den jüdischen Erklärern mit , Stadt der Vier", d. h. der
vier Patriarchen Adam, Abraham, Isaak und Jakob übersetzt wurde,
während es die Stadt Arbas (eines der Enakssöhne) bedeutet. Ebenso
abgeschmackt sind die Behauptungen, dass Adam hier geschaffen worden,
Abel hier von Kain erschlagen worden sei u. A.
5. Zwei jedenfalls dem Alterthum angehörige Teiche, von welchen
der grössere untere 136 Fuss lang und ebenso breit ist, während der
obere 86 Fuss Länge und 56 Fuss Breite hat.
6. Das Haus Abrahams (Rachmet El Chalil), Ruinen eines sehr
grossen Gebäudes, welches mit dem Erzvater nichts zu thun hat, da
dieser in Zelten wohnte.
7. Reste einer Citadelle nördlich vom Haramplatz, vielleicht die
Stelle bedeckend, wo David^s Burg stand, ehe er König über ganz
Israel wurde und nach Jerusalem übersiedelte. Endlich
8. der sogenannte Hain Mamre oder vielmehr der Baum, unter
dem Abraham sein Zelt aufgeschlagen hatte und wo ihm der Unter-
gang Sodoms vom Engel angekündigt wurde. Josephus nennt diesen
Baum eine Terebinthe, es ist indess eine Eiche. Dieselbe steht etwa
eine Stunde von der Stadt auf einem massig geneigten Wiesenplatz
und hat 23 Fuss im Umfang, ein wenig über dem Boden theilt sie
sich in drei Hauptäste. Der Baum, in dessen Nähe sich ein Brunnen
befindet, ist dicht belaubt. Er mag über tausend Jahr alt sein. Dass
er zu Abrahams Zeit schon vorhanden gewesen, ist Fabel. Die Juden
halten übrigens einen andern Ort, etwa eine Stunde nördlich von Je-
richo für die, wo Abrahams Zelte sich erhoben hätten. Man trifft hier
antike Mauerreste, welche, aus Lagen kolossaler Quadern bestehend,
einen viereckigen Raum auf zwei Seiten umfassen, in dem sich eine
Touren durch den Süden Palästina's. 83
Cisterne befindet. Möglich ist, dass das alte Hebron hier oben lag.
Wo die heutige Stadt, steht, kann es nicht gelegen haben, da es im
Buch Josua heisst, es liege »auf dem Gebirg Ju da," und da nach einer
Stelle der Mischna angenommen werden kann, man habe es von Jeru-
salem sehen können, was von dem jetzigen Hebron nicht gilt.
Eine Haupterwerbsquelle der Bewohner von Hebron, unter denen
sich 400 Juden (meist Sephardim) befinden, ist der Weinbau. Ausserdem
gibt es hier Glasfabriken, in denen besonders Finger- und Armringe
für arabische Frauen verfertigt werden, Fabriken von Wasserschläuchen
und eine Baumwollentuchfabrik. Die Häuser der Stadt sind denen von
Jerusalem ähnlich, die meisten sind gut und hoch aus gelbgrauen Qua-
dern erbaut und haben zahlreiche Terrassen, sowie über allen Zimmern
kleine, weissgetünchte Kuppeln.
Von Jericho nach Jerusalem zurückkehrend, mag man bei den
Teichen Salomo's nach Nordwesten abbiegen, und statt über Bethlehem
über St Georg, St. Philipp und St. Johann nach Jerusalem gehen. Es
ist dies eine Tour, die sich lohnt und nur 4'/, Stunden erfordert. Von
den Teichen führt der Weg zuerst im Thal hin, dann eine Höhe hinauf
zu dem griechischen Kloster St. Georg (arabisch El Chadr), neben
welchem ein kleines Dorf liegt. Die Gegend ist ziemlich gut angebaut
und hat viele Weingärten. Nachdem man wieder zwei Bergrücken über-
schritten, erreicht man das nordöstlich von St. Georg gelegene grosse
christliche Dorf Bet Dschala, von dem es unter dem Volke heisst,
dass in ihm kein Bekenner des Islam älter als zwei Jahre würde, wess-
halb die Türken und Araber sich hier nicht niederzulassen wagen. Die
Strecke Land zwischen hier und dem Grab Rachels ist nach der Le-
gende die Stelle, wo das Heer Sanheribs sich gelagert hatte, als der
Würgengel unter ihm erschien.
Von hier bis nach dem Dorf St. Philipp (arabisch El Weled-
scheh) geht man eine starke Stunde. Der Weg, theilweise und nament-
lich zu Anfang rauh, führt durch das Wadi Achmed, dann, bei Ain
Jalo links ab durch das Wadi Ain Hanijeh. Der reichlich sprudelnde
Quell bei dem (beiläufig mohammedanischen) Dorf von der kirchlichen
Sage als der bezeichnet, in welchem der Apostel Philippus nach Apo-
stelgesch. 8, 26 — 39 den Kämmerer der Königin Kandace taufte. Das
Dorf hat eine anmuthige Lage zwischen stattlichen Baumgruppen und
Eebenpflanzungen. Der Wein, dem man in Jerusalem und Bethlehem,
an letzterem Ort bei dem Deutschen Schäfer, als Landwein trinkt,
wird grossentheils aus Trauben von St. Philipp gekeltert.
Von St. Philipp kann man durch das Wadi Malcha in l'/j
Stunden nach Jerusalem zurückgelangen. Doch thut man wohl, von
hier aus gleich die Tour nach der sogenannten Johanneswüste (ara-
bisch Ain El Habis) zu machen. Man steigt von St. Phüipp in einer
halben Stunde über einen öden Berg, von dem man eine weite Aus-
sicht hat, bei welcher die Ruinen beim Dorfe Suda, die nach der
Legende Reste der Makkabäerstadt Modin sind, das Auge vorzüglich
fesseln, in einen Seitenzweig des Terehinthenthales hinab und gelangt,
84 Touren durch den Süden Palästina's.
in dieses selbst einbiegend, vor die Stelle, wo der Täufer gewohnt
haben soll. In Baumptianzungen erhebt sich ein schroffer Fels, an
dessen Fuss eine Quelle zwei Becken mit Wasser füllt. Neben diesen
Becken führen Stufen zu einer mit Schlafbänken und einem Fenster
versehenen Höhle empor. Weitere Stufen erleichtern aussen die Erstei-
gung des Felsens, auf dessen Gipfel man eingestürzte Gewölbe einer
Kirche und eines Klosters antrifft. In der Johannishöhle wird von den
Mönchen des eine halbe Stunde von hier entfernten Klosters St. Johan-
nes zu gewissen Zeiten des Jahres Gottesdienst gehalten.
Auf dem Wege nach dem Johanneskloster (arabisch Ain Karim)
passirt man eine kleine Grottencapelle, deren Altar das Grab Elisa-
beths, der Mutter des Täufers, deckt. Gleich dabei ragen zwischen
grossen Feigenbäumen die Wölbungen und Bogen eines zerstörten
Klosters, welche Mar Zacharia heissen, da sie nach der Legende an
der Stelle stehen, wo der heilige Zacharias, der Vater des Täufers,
wohnte. Einige hundert Schritte von hier ist eine Quelle, bei der sich
Elisabeth und Maria begegnet haben sollen. Das Johanneskloster, burg-
artig gebaut und von einem Cypressenhain umgeben, ist ein von spa-
nischen Mönchen bewohntes Franziscanerstift. Pilger finden hier Unter-
kunft. Die Klosterkirche steht auf der Stelle, wo Johannes geboren
wurde. Ihre Orgel ist eine der besten in Palästina. Unter den Bildern,
welche sie schmücken, befindet sich eines von Murillo. Der Garten des
Klosters ist gut bewässert und so gelegen, dass in ihm Pflanzen und
Früchte reifen, die sonst im Gebirg Juda nicht vorkommen, oder doch
erst später im Jahre geniessbar werden.
Dreiviertel Stunden östlich von hier liegt das Kloster des hei-
ligen Kreuzes (arabisch DejrEl Musullabeh), ebenfalls in der Gestalt
einer kleinen Burg aufgeführt und von Georgiern bewohnt. Es enthält
viele Bilder georgischer Fürsten und eine Sammlung georgischer Ma-
nuscripte. Die Ueberlieferug lässt es die Stelle einnehmen, an welcher
der Oelbaum stand, aus dem das Kreuz Christi gezimmert wurde. Von
hier gelangt man in zwanzig Minuten nach dem Jaffathor zurück.
Touren durch den Norden Falästina's. 85
VIERTES KAPITEL.
Touren durch den T<J"orden Palästina'».
Von Jerusiilem nach Nablus. — Ebal und Garizim. — Sebastijeli. — Dschennin. —
Ebene Esdreloin. — Caipha. - Karmelkloster. — Nazareth. -- Tabor. — Tiberias und
See Genezareth. — Safed. — Kameh. — Akko oder St. Jean d'Acre.
Der Weg von Jerusalem nach Samaria und Galiläa führt zunächst
zum Damaskusthor hinaus und über den ökopus hinweg immer in
nördlicher Richtung. Nach 2 ".j Stunden erblickt man westlich am Wege
in einer Senkung Ruinen, über denen sich die Höhe Er Ram erhebt.
Die Trümmer bezeichnen wahrscheinlich die Lage des alten Rama
Benjamin, welches sieben Meilen (genau zwei Stunden zwanzig Min.)
nördlich von Jerusalem gegen Bethel hin lag. Eine gute Stunde von
hier erreicht man den grossen alten Brunnen, neben dem, rechts von
der Strasse, das Dorf El Birreh steht. Der Ort, von Bekennem des
Islam bewohnt, könnte das alte Beeroth (Jos. 9, 17; sein. Nach der
Legende war es hier, wo die von Jerusalem nach Nazareth zurückkeh-
renden Eltern Jesu den im Tempel zurückgebliebenen Sohn vermissten.
Wer des Nachmitags von Jerusalem aufgebrochen ist, pflegt hier zu
übernachten. Es befindet sich in dem Ort ein Khan, dessen Gebäude
früher ein Kloster war. Sodann trifft man hier die Ruinen einer christ-
lichen Kirche, deren Spitzbogenstyl auf ihre Erbauung in der Zeit der
Kreuzzüge schliessen lässt, während die Sage behauptet, dass schon
Helena, die Mutter Constantins, hier ein Gotteshaus errichtet habe.
Bergauf, bergab durch sehr gut angebaute Gegenden voll Fei-
gen-, Granaten- und Oliveupflanzungen, kommt man in drei Stunden
von Birreh an die im Wadi Tin unter einer schroffen Wand gelegene
Räuberqiielle, arabisch Ain EI Haramijeh. Wieder eine Stunde von hier
liegt am Abhang eines Bergrückens über Feldern und Olivenhainen
das grosse mohammedanische Dorf Simlschil, wo sich wieder Gelegen-
heit zum Uebernachten findet, wofern man es nicht vorgezogen hat, in
dem zwei Stunden von Birreh entfernten Khan Lubban zu bleiben.
Auf dem Weiterweg sieht man links von der Strasse das Dorf
Ain Hebrud und die Ruine Bordsch Garab, rechts in der Ferne auf
einem Berggipfel das Dorf Sejlun, Avahrscheinllch das alte Silo, wo von
Josuas bis auf Samuels Zeit die Stiftshütte mit der Bundeslade stand.
Von Sindschil hat man sechs Stunden bis Nablus. Die letzten beiden
86 Touren durch den Norden Palästina's.
Stunden führt der Weg durch ein tiefes Thal, dessen breite Sohle sehr
fruchtbar ist und über dem sich am Anfang eines von Südost nach
Nordwest hinstreichenden Seitenthaies links (d. h. im Norden des
Seitenthaies) der Garizim, rechts oder südlich der Ebal erhebt. Eine
halbe Stunde vor Nablus, am Fusse des Garizim, und noch im Haupt-
thal befindet sich hart neben der Strasse der Jakobsbrunnen, an dem
Jesus das Gespräch mit der Samariterin hatte. Der Brunnen soll einst
sehr tief gewesen sein, ist aber jetzt verschüttet. Daneben bezeichnet
ein Trümmerhaufen die Stelle, wo jenes Gespräch vom Wasser des
ewigen Lebens stattgefunden habe.
Etwa einen Büchsenschuss nördlich vor dem Brunnen erblickt
man am Fuss des Ebal ein weissgetünchtes Gebäude von der Gestalt
eines mohammedanischen Weli, welches das Grab Josephs, des Sohnes
Jakobs, sein soll. Es besteht aus einem Mauer\'iereck ohne Dach, welches
von einem Hof umgeben ist. Im Innern befindet sich rechts ein ein-
facher Sarkophag, zu dessen beiden Enden sich niedrige Säulchen
erheben. An der Wand daneben sieht man zwei Nischen, von denen
die eine zwei Marmortafeln enthält, auf welchen die auf den Tod und
die Bestattung des Patriarchen bezüglichen Stellen des ersten und
zweiten Buchs Mosis in hebräischen Charakteren verzeichnet sind.
Einige hundert Schritte rechts von der Strasse ist die Quelle
Ain El Asker, welche von einigen Topographen Palästina's für den
eigentlichen Jakobsbrunnen gehalten wird.
Nablus, auf der Wasserscheide zwischen dem Todten und dem
Mittelmeere gelegen, hiess im Alterthum Sichern (Schechem), in der
römischen Kaiserzeit Flavia Neapolis, woher der heutige Name. Das
Thal, in welchem es liegt, ist eng, aber auf seiner Sohle des Wasser-
reichthums der Gegend wegen sehr fruchtbar. Die Stadt ist gut gebaut
und nimmt sich mit ihren Minarets und Kuppeln, die mit einem grünen
Kranz von Feigen-, Orangen- und Olivengärten umgeben, sehr anmu-
thig aus. Im Innern trifft man hoho steinerne Häuser, einen gut ver-
sehenen Bazar und mehre schöne Brunnen. Die Zahl der Einwohner
mag 12,000 betragen. Herberge gewährt das kleine griechische Kloster,
welches sonst nichts von Interesse bietet. Als Hauptsehenswürdigkeit
der Stadt gilt das Quartier der Samariter, welches, auf der Seite des
Garizim gelegen, aus mehren sehr grossen und sehr massiv gebauten
Häusern besteht. Angehörige der Secte führen den Fremden gegen ein
Bakschisch herum. Man zeigt hier eine kleine Synagoge, neben welcher
in einer Art Alkoven der berühmte, nach der Behauptung der Sama-
riter von Abisua, den Sohn des Pinehas, geschriebene und 3664 Jahre
alte Pentateuch verwahrt wird. Derselbe liegt in einem schmalen
Kupferkasten, der mit Silber eingelegt ist und den Namen des Meisters
trägt, der ihn vor etwa einem halben Jahrtausend verfertigte. Nablus
ist der einzige Ort, wo es noch Samariter gibt, und zwar beträgt ihre
Zahl jetzt nur noch 140. Sie glauben nur an die fünf Bücher Mosis,
hoffen auf den Messias, den sie Hataib nennen, und leben in ärmlichen
Verhältnissen. Ihr Charakter wird im Allgemeinen nicht gelobt. Das
c3
n"':'iil;il;iqi'. i
Touren durch den Norden Palästina's. 87
Thal, in welchem Nablus liegt, ist reich an historischen Erinnerungen.
Schon Abraham kam bis hierher, und Jakob wohnte geraume Zeit hier
bei Sichem. In dieser Gegend wurde Joseph von seinen Brüdern ver-
kauft. In Sichem rächten die Söhne Jakobs die ihrer Schwester Dinah
angethane Schmach. Auf dem Ebal baute Josua einen Altar für den
Gott Israels. Auf dem Garizim stand später der grosse Tempel der
Samariter, bis ihn der Makkabäer Johannes Hyrcanus zerstörte. In
?^ichem spielten die Hauptacte des blutigen Dramas, welches der Bru-
dermörder Abimeleoh, Gideons Sohn, autführte.
Von Nablus kann man einen Ausflug nach dem Gipfel des Ga-
rizim und einen andern nach den Ruinen von Sebastijeh machen. Zu
dem ersteren lässt man sich am besten von einem der Samariter führen.
Der Garizim, arabisch Dschebel Et Tor, erhebt sich gegen 800 Fuss
über der Sohle des Thaies von Nablus und 2300 Fuss über dem Spie-
gel des Mittelraeeres. Vom Samariterciuartier erreicht man seinen Gipfel,
der in einem langgezogenen Tafelland besteht, in einer halben Stunde.
Auf einer kleinen Erhöhung am Rande des Berges befindet sich ein
mohammedanisches Grab oder Weli, welches sehr weit hin sichtbar ist.
Hier verrichten die Samariter am Neujahrs-, Versöhuungs- und Laub-
hüttenfest Gebete und am Passafest Opfer von Lämmern. Die Stelle
zu letzteren ist durch zwei Reihen von Steinen und eine gemauerte
Grube bezeichnet Hinter der Erhöhung mit dem Weli erblickt man
ziemlich umfängliche Ruinen von Mauern und Thürmen, unter denen
sich Quadern mit Fugenränderung finden. Sie werden von den Sama-
ritern mit dem Wort „Kasr-", d. i. Burg, bezeichnet und mögen Reste
einer von den Römern zur Sicherung des Passes angelegten Festung
sein. Etwas tiefer zeigt der Führer in einigen grossen Felsblöcken -die
zwölf Steine, welche die Kinder Israels als Denkzeichen ihres trocke-
nen Durchgangs durch den Jordan mitnahmen". Dieselben wurden aber
(vergl. Josua 4. 20) zu Gilgal, nicht auf dem Garizim aufgerichtet.
Nicht fern von hier findet sich eine ziemlich ausgedehnte Abplattung
de-} Berges, auf welcher die Stiftshütte mit der Bundeslade gestanden
haben soll. Vielleicht deuten die an den Seiten sichtbaren Spuren einer
Mauer an, dass hier der Samaritertempel sich befand. (Auch die Stelle,
wo Abraham den Isaak opfern wollte, wird von den Samaritern hier
gezeigt.) Die Bundeslade hat aber nicht auf dem Garizim, sondern
auf dem Ebal gestanden, als der siegreiche Feldherr der Israeliten das
Volk hier (vergl. Josua 8, 30) auf das Gesetz verpflichtete. Den Stand -
punct der ßundeslade hat man sich etwa in der Nähe des heutigen
Nablus zu denken. Um sie schaarten sich die Leviten mit dem Gesicht
gegen Morgen gekehrt, sie hatten somit zur rechten (vornehmeren)
Seite den Garizim, zur linken den Ebal, und so erklärt es sich, warum
die am ersteren Berge aufgestellten Volksmassen den Segen, die am
Ebal, trotz des auf ihm errichteten Altars den Fluch sprachen.
Sebustijeh mit den Trümmern von Samaria (Schomron) oder,
wie es später hiess, Sebaste, liegt zwei Stunden nordwestlich von
Nablus. Auf dem Weg dahin trifft man bei Bet Ajaba eine Wasser-
Touren durch den Norden Palästina's.
leitung mit zwölf Bogen. Nachdem mehre Quellen passirL sind, gelangt
man in ein weites Thal, aus dem sich der schön gerundete Berg von
Samaria erhebt Von König Amri gegründet, wurde diese Stadt unter
Herodes dem Grossen die Königin der Städte Palästina's, aber zugleich
der Schauplatz mancher Blutthaten. Hier ermordete Herodes seine
Gemahlin und seine beiden Söhne, hier liess (nach der Legende , Euse-
bius sagt: am Todten Meer) sein Sohn Antipas Johannes den Täufer
enthaupten. Die Stadt scheint noch in der Zeit kurz vor den Kreuz-
zügen einige Bedeutung besessen zu haben, da sie noch im zehnten
Jahrhundert Bischöfe zu den Concilien sandte.
Das Erste, was man beim Ersteigen des Berges erblickt, sind
die Ruinen der Kirche, welclie nach der Legende das Grab Johannes
des Täufers einschliesst. Das Ostende dieses Gebäudes ist noch wohl
erhalten und bildet die hohe, achteckige Altarnische, einen Bau
gemischten, vorwiegend griechischen Styls. Die Fenster dieser reich-
verzierten Nische sind gleich den Gewölben der Kirche Spitzbogen.
Die Capitäle der Säulen gehören dem korinthischen Styl an, haben
aber Verzierungen, die von der Form des Palmeustammes hergenom-
men sind. Die Südmauer des Gebäudes wird von schlanken Strebepfei-
lern gestützt; die Fenster befinden sich auffallend hoch oben. Die
Kirche selbst, die man durch einen schmalen Vorhof im Westen betritt,
hat ein schönes Portal und ist 156 Fuss lang und 78 Fuss breit. Ihre
Mauern umfassen eine Moschee und einen kleineren Raum, in dem sich
das Grab des Täufers befindet. Letzteres ist eine kleine unterirdische
Felsenkammer, zu welcher man 21 Stufen hinabsteigt, und die mit
Steinplatten getäfelt ist. In den obern Mauern erblickt man mehre
Marmortäfeln mit verstümmelten Johanniterkreuzen,
Die Kirche, in die man übrigens nur gegen ein gutes Bakschisch
gelangt, ist jedenfalls das Erzeugniss verschiedener Zeiten. Einiges mag
von der heiligen Helena stammen, die so viele heilige Stätten Palästi-
na's mit Kirchen zierte. Der ganze Oberbau aber rührt wahrscheinlich
von den Johanniterrittern her, welche dazu Bruchstücke der benach-
barten Architekturwerke des Herodes verwendet haben dürften.
Steigt man den Gipfel des Berges über der Kirche hinauf, so
gelangt man zu einem Raum, der mit Säulen von Kalkstein umgeben
war. Von denselben stehen noch fünfzehn aufrecht, während zwei
gebrochen am Boden liegen. Das Gebäude, dem sie angehörten, scheint
ein heidnischer Tempel gewesen zu sein. Die Aussicht von diesem
Puncte ist grossartig und reicht über einen grossen Theil Samaria's,
sowie bis hinab zum Spiegel des Mittelmeeres. Eine noch grossartigere
Erinnerung an die Prachtliebe des Herodes als jene Säulen begegnet
uns weiter unten am Abhang des Berges in der doppelten Säulenreihe,
die von Nordwesten auf die Höhe strebend, sich südlich um den Gipfel
herumzieht, und welche vielleicht den Eingang zur Stadt Sebaste bil-
dete. Am Westende dieser Colonnade von 50 Fuss Breite und 300 bis
350 Fuss Länge stehen noch gegen achtzig Säulen, zum Theil bis auf
die Capitäle erhalten, zum grössern Theil blosse Stümpfe. Die höchsten
Touren durch den Norden Palästina's. 89
dieser Säulenfragraente sind 16 Fuss hoch. Der Durchmesser beträgt
ziemlich anderthalb Fuss Der Styl ist der jonische. Den Anfang des
Säulenganges bildet im Westen ein Trümmerhaufen, welcher der Kest
eines Thores oder Triumphbogens sein könnte. Am südlichen Fuss des
Berges endlich finden sich noch etwa zwanzig vereinzelte Säulenstürapfe
in verschiedener Entfernung von einander auf jetzt bebautem Boden.
Der nächste Weg von Sebustijeh nach Dschennin, wo Samaria
aufliört und die Ebene von Esdrelom beginnt, geht über den hohen
Eücken, der das Thalbecken im Norden einschliesst und von welchem
man im Nordosten, wohin sich die Strasse |,dann wendet, [Ruinen
erblickt, in denen Einige das alte Bethulia gefunden haben wollen.
Der nächste Weg von Nablus nach Dschennin führt zunächst über den
Ebal und dann durch verschiedene Thäler und Kessel an Dscheba
(vielleicht Gibea), einem stattlichen, hochgelegenen Dorfe, wo man
neben der Moschee Nachtquartier findet, an Sanur, einem burgartigen
Orte über einem weiten Thalkessel, dessen Boden sich in der Eegen-
zeit in einen seichten See verwandelt, und zuletzt an dem Dorfe Keba-
tijeh vorüber. Von Nablus Dscheba ist es vierthalb, von dort bis Sanur
anderthalb, von da bis Kebatijeh eine, und von hier bis Dschennin
dreiviertel Stunden.
Dscheuuin, ein hübscher Ort mit einer Moschee und den Ruinen
eines Klosters, die aus Palmengruppen und Hainen von Kaktusfeigen-,
Maulbeer-, Feigen-, Granaten- und Orangenbäumen malerisch hervor-
schauen, ist sehr wahrscheinlich das Ginaea des Joäephus, und viel-
leicht das Sunem, wo der Prophet Elisa das Söhnchen seiner Wohl-
thäterin vom Tode erweckte. Eine Wasserleitung, die durch das Dorf
geht, bietet schöne Gelegenheit, ein erfrischendes Bad zu nehmen.
Von Dschennin reitet man auf grossentheils ebenem Wege in
etwe sechs Stunden nach Nazareth, wobei man keine Ortschaft berührt,
wohl aber auf der Ebene Esdrelom, welche die Strasse durchschneidet,
zahlreichen Herden und Zelten von Beduinen begegnet. Zieht man es
vor, zuerst das Karmelkloster zu besuchen, so erfordert die Tour von
Dschennin bis dahin einen starken Marsch von zwölf Stunden. Auf
dem letzteren Wege gelangt der Reisende nach ungefähr drei Stunden
an den Nähr Ledschun, einem im Sommer wasserlosen Bach, in dessen
Nähe man eine Trümmerstätte, die von Einigen für das alte Legio
gehalten wird, und einen Khan trifft. Nach drei weitern Stunden
kommt man an den Fuss des Karmel, einen steil ansteigenden Gebirgs-
stock mit mehren Gipfeln, welcher mit seinen finstern Wäldern
und seinen wilden Schluchten nicht an die Bedeutung seines Namens
„Gottesgarteu" erinnert. Bald darauf sieht man den in tief eingeschnit-
tenem Bette hinfliessenden, mit prächtigblühenden Oleanderbüschen an
seinen Ufern geschmückten Kison, der nach dem Sieg Baraks und
Deboras über Sissera die Leichen der Erschlagenen wälzte und andern
später Elias die Baalspfaifen schlachtete, wesshalb er mit Recht Me-
giddo (noch jetzt Nähr i]l Mekatta) d. i. Mordbach heisst. An vielen
Beduinenzelten vorüber führt der Weg dann, immer westlich, nach
90 Touren durch den Norden Palästina's.
dem neun Stunden von Dschennin entfernten, am Fuss des Karmel
gelegenen Dorfe El Jadschur, und bald nachher zu einem zweiten
Orte, welcher Scheck Sejd heisst, und bei dem sich ein klarer Gebirgs-
bach, der Nähr Saadeh, in den Kison ergiesst. Von hier reitet man
auf gutem Weg noch l'/j Stunden bis Caipha, wo man Gelegenheit
hat, sich wieder europäische Genüsse zu verschaffen, da Griechen hier
mehre Trinkhäuser und eine Locanda halten, welche ziemlich gut ist.
Caipha, das Hepha oder Kepha des A. T., vielleicht auch das
alte Porphyrion der Griechen, ist eine kleine, ziemlich hübsch gebaute
See- und Handelsstadt, in der sich mehre Consuln, Agenturen des
Lloyd und anderer Dampfschiffahrts-Gesellschaften, ein armenisches
Kloster, eine Kirche und zwei kleine Moscheen befinden und dessen
Markt häufig von den Beduinen der Ebene besucht wird. Von hier bis
zum Karmetklostei' reitet man in zwanzig Minuten. Das letztere liegt
auf einem Vorgebirge des genannten Bergzuges etwa 850 Fuss über
dem Meere. Die Wälder des Karmel bestehen vorzüglich aus Pinien
und St«ineichen. In ihnen hausen wilde Schweine und Panther. Auf
dem Karmel wohnten mehre israelitische Propheten als Einsiedler oder
Flüchtlinge vor dem Zorne ihrer abgöttischen Könige Auf ihm opferten
die Baalspriester vergeblich, während Elias das erbetene Feuer auf
seinen Farren herabfallen sah ; auf dem Karmel besuchte die Sunamitin
ihren Gastfreund Elisa. Den Griechen galt der Berg ebenfalls für
heilig, vermuthlich auf den Vorgang der Phönizier hin, welche hier
den Baal-Melkarth verehrten. Hier soll Pythagoras als Eremit gelebt
haben. Hier wurde dem Vespasian seine Erwählung zum römischen
Kiiiser geweissagt. Nach dem Sieg des Christenthums gründete die
heilige Helena hier eine christliche Kirche. Während der Kreuzzüge
siedelten sich Mönche auf dem Vorgebirge an, die in Höhlen lebten.
1217 bauten die Tempelherren hier einen Wartthurm auf. Erst zu
Anfang des vorigen Jahrhunderts entstand auf dem Karmel ein eigenes
Kloster. Dieses wurde 1799, nach der Belagerung von St. Jean d'Acre
von den Türken zerstörst, weil die Mönche französische Verwundete
von Napoleons Armee aufgenommen und verpflegt hatten. Durch die
Bemühungen des Mönclis Fra Giovanni Battista wurde das Kloster in
einer Weise wieder aufgebaut, nach welcher es das schönste und stol-
zeste in ganz Syrien ist Der unermüdliche Mönch war elfmal im
Abendland, um Beiträge zur Erreichung seines Zweckes zu sammeln,
und es gelang ihm, mehr als 600,000 Francs zusammenzubringen, die
alle auf den Ausbau des Klosters verwendet wurden. Beim Hinauf-
steigen nach dem Kloster bemerkt man links in der Felswand verschie-
dene Grotten, die Spuren des Meisseis zeigen. Oben angelangt, sieht
man ein Haupt- und ein grosses Nebengebäude, von denen ersteres
drei Stock hoch ist. Die Mönche sind sehr gut für den P^mpfang und
die Beherbergung von Pilgern eingerichtet und ungemein freundlich
und zuvorkommend. Wir fanden unter den Laienbrüdern auch einen
deutschsprechenden Oesterreichcr. Die Kirche des Klosters ist gross
und, wie das Kloster selbst, dem heiligen Elias geweiht. Das Altarbild
Touren durch den Norden Palästina's. 91
besteht in einer Darstellung der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind,
einer Holzflgur, welche ein schönes seidenes Kleid und auf dem Kopfe
eine von Edelsteinen funkelnde Krone trägt. Unter dem Altar zeigt
man die Grotte, in welcher Elias gewohnt haben und von Gottes Ra-
ben mit Speisen versorgt worden sein soll. In der Sakristei befindet
sich eine sehr kunstreiche Holzschnitzarbeit eines spanischen Meisters,
welche den Elias darstellt, wie er mit llammendem Schwert einen der
Baalspriester erschlägt. Die schöne Lage des Klosters, der Luftstrora,
der im Sommer, vom Libanon und dem noch 1500 Fuss über das
Kloster aufragenden Gipfel des Karmel kommend, die Atmosphäre
kühlt und reinigt, die herrliche Aussicht, die saubere und geschmack-
volle Einrichtung der für die Fremden bestimmten Zimmer, die gute
Küche und die angenehmen Getränke, welche die Klosterapotheke aus
den würzigen Pflanzen des Berges bereitet, vermögen manchen Wan-
derer, sich hier mehr als einen Kasttag zu gestatten. Am Westfuss des
Berges wird eine zweite Eliashöhle gezeigt, welche 20 Fuss in den
Felsen hineingeht und sich durch ein eigenthümliches Echo auszeichnet.
Sie wird auch von den Mohammedanern als Heiligthum verehrt. Ein
Ausflug nach El Mohraka, dem „verbrannten Ort", wo Elias Feuer
vom Himmel fallen liess (derselbe liegt auf der südwestlichen Kuppe
des Gebirgsstocks), erfordert (hin und zurück) einen besondem Tag
und bietet nichts besonders Sehenswerthes. Dagegen lasse man sich
nach der sogenannten Höhle der Ordensbrüder führen, in der man noch
gegen vierhundert Felsenzellen, jede mit einem besondem Fenster und
einer aus dem Felsen herausgearbeiteten Schlafbank findet.
Der Weg von Caipha nach Nazareth führt zunächst wieder nach
dem Dorfe El Jadschur zurück, dann in dessen Nähe durch eine Fürth
des Kison (man hüte sich hier vor den Rohrsümpfen, welche der Fluss
auf seinem rechten Ufer bildet und welche bis in den Sommer hinein
gefährliche Stellen haben), hinauf über eine mit schönen Steineichen
bewachsene Hügelwelle, die ein Ausläufer des Karmel ist. Eine beson-
ders grosse Eiche am östlichen Ende des Waldes bezeichnet die Hälfte
des Weges von Caipha nach Nazareth, der nun etwa 1'4 Stunden
durch die Ebene Esdrelom, dann am Nordrand derselben und endlich
durch mehre Thäler des galiläischen Gebirges hinführt.
Die Ebene Esdrelom, von den Arabern Merdsch Ihn Amr
genannt, im A. T. auch als Gefilde Jesreel bezeichnet, ist ein weites
von AVesten nach Osten laufendes Thal, welches Samaria von Galiläa
scheidet. Sie ist, vom Mittelmeer bis fast an den Jordan reichend, etwa
fünf deutsche Meilen lang und durchschnittlich halb so breit, und zer-
fällt in drei durch ziemlich hohe Bergketten geschiedene Zweige : einen
im Norden, einen in der Mitte und einen im Süden. Sie ist ausser-
ordentlich fruchtbar, jetzt aber wenig bebaut und im Allgemeinen nur
ein Weidegrund für die hier umherwandernden Beduinen In ihrem
mannshohen Gras und Kraut weidet die Gazelle, bergen sich Panther.
In den Sümpfen, die ihre Quellen bilden, wälzt sich der Eber des
Karmel und des Tabor. Von der Urzeit an bis auf Napoleons Feldzug
92
Touren durch den Norden Palästina's.
nach Syrien war sie das grosse Schlachtfeld des Landes Hier am Kison
schlugen Deborah die Prophetin und Barak an der Spitze der nörd-
lichen Stämme Israels Sissera, den Peldhauptmann des Königs von
Chazor und seine neunhundert eisernen Kriegswagen. Hier erfocht der
Held und Richter Gideon den glänzenden Sieg über die Midianiter
Sebas und Zalraunas, die Vorväter der Beduinen, die jetzt diese Strecken
durchziehen. Hier, im Angesicht der Berge von Gilboa (wahrscheinlich
etwas östlich von Dschennin) starb Saul, der erste König Israels, den
Heldentod im Streit mit den Fürsten der Philister. Am Hauptbach der
f^beno endlich , dem Wasser Megiddo, durchbohrten die Pfeile der
Schützen Pharao Nechos den König Josias, der sich dem mächtigen
Aegypter auf seinem Zuge nach Karchemisch unbesonnen entgegen-
gestellt. Hier, in der Nähe von Hattin, nicht fern vom See Genezareth,
brachte am 5. Juli 1187 Saladin dem Kreuzfahrerheer König Veits von
Lusignan die verhängnissvolle Niederlage bei, welche den Fall Jerusa-
lems zur Folge hatte. Hier endlich fand 1799 das Treffen statt, in
welchem General Kleber mit 2300 Franzosen 25,000 Türken schlug.
Jetzt ist die Ebene der Weideplatz für den Beduinenstamm der
Beni Saker. Da dieser wiederholt sich Räubereien erlaubte, so siedelte
die türkische Regierung hier den Stamm der Hauara an, mit der Ver-
pflichtung, das Land gegen die Nomaden zu unterstützen Diese neu-
geschaffenen Grenzer arteten jedoch bald aus und bekämpften zwar die
Beni Saker, machten es aber im Uebrigen wenig besser als sie. Darauf
wurden Abtheilungen von Kurden hieher geschickt, die eine Zeitlang
Ordnung hielten, endlich aber auch in den Geruch geriethen, Mein
nicht immer von Dein unterscheiden zu können, so dass die Gegend
1859 für ziemlich unsicher galt.
Indessen ist der Verfasser dieser Blätter ohne Escorte «inen
ganzen Nachmittag durch die Beduinenlager gereist, und weder ihm
noch anderen Reisenden, die er sprach, wurde ungebührlich begegnet.
Die Furcht vor den Beduinen möchte demnach bisweilen grösser als
die Gefahr sein.
Der hohe Berg mit den drei Gipfeln, der, mit einem weiss
schimmernden Weli gekrönt, sich gegen Osten hin zwischen zwei Ar-
men der Ebene erhebt, ist der sogenannte kleine Hermon, der bienen-
korbförmige Gipfel weiter nordöstlich der Tahor.
In die Berge gelangt, erblickt man eine halbe Stunde vor Na-
zareth am Abhang eines Thaies das sehr anmuthig in Palmen, Orangen-
und Feigenbäumen gelegene Dörfchen Jafa, welches durch seinen Namen
an das Jos. 19, 12 genannte Japhia erinnert, und hinter demselben
auf einer Anhöhe den grösseren Ort Semunijeh. Vorher hat man einen
guten Brunnen passirt, der für den Reisenden um so mehr Werth hat,
als die Quellen zwischen dem Kison und hier schlechtes, dumpfig
schmeckendes Wasser enthalten. Die ganze Entfernung von Caipha
bis Nazareth beträgt etwa 8 '/, Stunden und ist an keiner Stelle
beschwerlich. Ein guter Reiter ohne Gepäck legt sie darum in fünf
Stunden zurück.
Touren durch den Norden Palästina's.
93
Kazareth.
Nazareth, arabisch En Nasirah genannt, am Westrand eines
länglichen Gebirgsbeckens amphitlieatralisch gelegen, auf drei Seiten
von Bergen überragt, macht einen recht freundlichen Eindruck. Den
Mittelpunct des Städtchens bildet das grosse lateinische Kloster, das
mit seinen hohen Umfassungsmauern Aehnlichkeit mit einer mittel-
alterlichen Burg hat. Etwas höher liegt, von alten Cypressen überragt,
die Moschee der Stadt mit einem Minaret und einer Kuppel. Der Ort
mag zwischen drei- und viertausend Einwohner haben, von denen die
Mehrzahl — wie an den vielen blauen und schwarzen Turbanen, auf
den Gassen zu ersehen — lateinische oder griechische Christen sind.
Auch ein protestantischer Missionär lebt hier, der eine Schule hält
Juden dagegen werden in Nazareth nicht geduldet. Man steigt in der
Casa Nuova, der Pilgerherberge des lateinischen Klosters ab, wo die
Mönche mit freundlichen Gesichtern, trinkbarem Cyperwein und guten
Betten aufwarten.
Die Merkwürdigkeiten Nazareth 's sind:
1. das Franziscanerkloster mit der dazu gehörigen Kirche der
Verkündigung ;
2. das griechische Kloster, dessen Kirche ebenfalls darauf An-
spruch macht, die Stelle einzunehmen, wo der Engel Marien ihre
Beschattung vom heiligen Geiste verkündete;
3. die Werkstätte des Zimmermanns Joseph, der Jesu Pflege-
vater wurde, jetzt eine kleine Capelle;
94
Touren durch den Norden Palästina's.
4. die Synagoge, in welcher Christus gelehrt haben soll;
5. eine Capelle, über der Stelle erbaut, wo Jesus nach seiner
Auferstehung mit mehren Jüngern zu Tische sass, endlich
5. der Felsen, von dem ihn die Juden herabstürzen wollten,
nachdem er gesagt, dass kein Prophet in seiner Vaterstadt etwas gelte.
Das Kloster der Franziscaner ist nicht so alt, wie es aussieht,
da es erst 1620 gestiftet und seine Räumlichkeiten erst 1730 erbaut
wurden. Mönche befinden sich darin in der Regel zehn bis zwölf. Die
damit verbundene Schule ertheilt arabischen Kindern christlichen
Glaubens-Unterricht in ihrer Muttersprache und im Italienischen, sowie
im Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Kirche der Verkündigung, die
sich innerhalb der Klostermauern befindet, ist nächst der Geburts-
kirche in Bethlehem und der Kirche des heiligen Grabes in Jerusalem
das schönste Gotteshaus Palästina's. Das Innere ist nicht sehr gross,
in einfachem, edlem Styl gehalten, mit massiven Bogen versehen. Die
Wände sind mit Tapeten von Damaststoff behangen, auf welchen Scenen
aus der Kindheitsgeschichte Jesu gestickt sind. Unter den Gemälden
der Kirche, die auch eine gute Orgel besitzt, sind einige gute, unter
denen wieder eine Mater dolorosa und eine Verkündigung sich beson-
ders auszeichnen. Nach dem Hochaltar hin ist der Fussboden erhöht
und es führen einige Stufen zu ihm hinauf, die mit Eisengeländern
versehen sind. Unter diesem Altar schimmert im Strahl mehrer kost-
barer Lampen das eigentliche Heiligthum, die Grotte der Verkündi-
gung, zu welcher man auf sechzehn Marmorstufen hinabsteigt. Unten
findet man einen kleinen Altar, und das Gemach ist durch den Meissel
in eine viereckige Capelle verwandelt. Nicht fern von dem Altar stehen
zwei Säulen, welche die Stelle bezeichnen, wo die Jungfrau Maria und
der Engel standen, als die Verkündigung stattfand. Von einer der
Säulen haben die Sarazenen unten ein Stück abgeschlagen, so dass nur
der obere Theil noch an der Decke hängt. Noch zeigt man hier in
der Nähe zwei andere Felsenhöhlen, von denen die eine Mariens Küche,
die andere eine Gaststube gewesen sein und während des Besuchs des
Engels eine Freundin Mariens beherbergt haben soll.
Ueber der Grotte der Verkündigung stand bis zum Jahre 1291
das Haus der Eltern Jesu, die Santa Casa, die jetzt sich zu Loretto
befindet. Bekanntlich wurde es von Engeln dorthin getragen. Als Grund
der Wegführung wird angegeben, dass die Mutter Gottes gefürchtet
habe, ihre Wohnung von den Sarazenen, welche damals Nazareth be-
drohten, verunehrt sehen zu müssen.
Das griechische Kloster ist sehr ansehnlich und hat ebenfalls
eine Kirche, die, aussen einfach, innen sehr reich an Gold- und Silber-
geräthen, Bildern und anderem Schmuck, über einem Quell errichtet
ist, an dem nach der griechischen Legende Maria den Gruss Gabriel's
empfing. Der Quell sprudelt unter der Mauer der Kirche hervor und
ergiesst sich, durch eine steinerne Wasserleitung gegen fünfzig Schritte
fortströmend, zuletzt in einen grossen Marmortrog, der die Gestalt
eines antiken Sarkophages hat und der Marienhrunnen heisst.
Touren durch den Norden Palästina's. 95
Die Werkstätte des heiligen Joseph, auch Joseph's Haus genannt,
wo also Jesus bei seinen Eltern gelebt hätte, ist eine kleine Kirche,
die gleich am lateinischen Kloster liegt und früher mit diesem zusam-
menhing, jetzt aber von einem besondern Hof umschlossen ist, den
Wohnungen von Mohammedanern umgeben. Die Kirche ist durch eine
Wand in zwei Hälften geschieden, von denen die eine den Bekennern
des Islam gehört. Ein hier befindlicher Pfeiler von porösem Gestein
soll ein Rest von der wirklichen Wohnung Jesu und seiner Eltern sein.
Die Stelle, wo Christus nach seiner Auferstehung mit den Jün-
gern zu Tisch gesessen, findet man in einer Grotte, welche man in
einer Schlucht auf der südwestlichen Seite der Stadt antrifft. Es liegt
darin eine grosse, runde Felsenplatte, welche Aehnlichkeit mit einem
niedrigen Tische hat. Auf den Felsen ist das Bild des Erlösers gemalt,
nach der Legende eine Copie des bekannten an den Fürsten Abgar
von Edessa gesandten Porträts Christi.
Der Berg des Herabstürzens ist ein schroffer, etwa 300 Fuss
hoher Abhang, südöstlich von Nazareth, am Ausgang des Thaies sich
erhebend. Andere suchen die Stelle, da bei Lucas von der Stadt ge-
sprochen wird, auf dem dicht bei Nazareth selbst befindlichen Felsen,
in dessen Nähe jetzt die kleine Capelle der Maroniten steht.
Von Nazareth macht man einen Ausflug nach dem Tabor, bis
zu dessen Gipfel man von dort etwa drei Stunden hat. Der Weg geht
an der Quelle der Maria vorüber, über die südöstlich von Nazareth
sich erhebende Thaleinfassung und dann auf einer Art Hochebene fort,
die sich rechts nach der Ebene Esdrelom abflacht, endlich durch ein
mit niedrigen Eichenbüschen bewachsenes Thal, bis endlich der von
Hügeln oder Ausläufern umgebene Fass des Tabor erreicht ist. Rechts
sieht man hier das Dorf Deburijeh, welches man für das im A. T.
erwähnte, zum Stamm Isaschar gehörige Debrat hält. Zur Ersteigung
des Gipfels bedarf man etwa vierzig Minuten. Der Tabor, arabisch
Dschebel El Tor genannt, ist, wie viele Berge Palästina's, ein Kalk-
steinkegel, der sich 1755 Fuss über dem Spiegel des Mittelmeeres und
etwa 1000 Fuss über die niedrigsten Stellen der Ebene Esdrelom erhebt.
Er ist vom Fuss bis zum Rand seines Gipfels mit Bäumen und Sträu-
chern bewachsen, unter denen man hauptsächlich Eichen von den
Gattungen Angilops und Hex, sowie wilde Pistazienbäume sieht. Der
Gipfel bildet eine Art Krater, dessen Vertiefung ohne Baumwuchs ist.
Im Walde hausen Eber und andere wilde Thiere. Auf dem Rande der
Höhe kann man Spuren einer Umfassungsmauer verfolgen, und auch
an anderen Stellen trifft man Ruinen, zerstörte Festungswerke, in den
Felsen gemeisselte Keller und Cisternen, zerbrochene Wölbungen und
umhergestreute Quadern. Eine einzige von den Cisternen enthält noch
Wasser, auch steht noch ein Thor aufrecht, welches von den Arabern
Bab El Haua, Thor der Winde, genannt wird. Mitten unter den Trüm-
mern ist ein kleines unterirdisches Gewölbe, in welchem ein Altar
steht, an dem die Mönche alljährlich das Andenken an die Verklärung
Christi durch eine Messe feiern. Die Legende verlegt nämlich die Ver-
96 Touren durch den Norden Palästina's.
klärungsgeschichte Matth. 17, 2 auf den Tabor, aber ohne Grund, da
das N. T. den Berg Tabor nicht nennt, und zu der Zeit Christi hier
oben eine Festung lag, die Erzählung von dem Wunder aber voraus-
setzen lässt, dass dasselbe auf einem einsamen Gipfel stattgefunden habe.
Dagegen kann man wohl bei der Aussicht, die der Gipfel ge-
währt, an das Wort denken: „Hier lasst uns Hütten bauen." Im Osten
glänzt der schöne blaue Spiegel des Sees Genezareth und jenseits des-
selben das röthliche Gebirge von Basan und Gilead. Im Norden schim-
mert Safed, vielleicht (vergl. Matth. 5, 14) die „Stadt, die auf dem
Berge liegt", und dahinter der schneebedeckte 9500 F. höhe Gipfel
des Dschebel Esch Schech, welcher der grosse Hermon ist. Nach Süden
und Westen hin dehnt sich die weite Ebene Esdrelom aus, im Süd-
westen ragt der dunkle, vielgipfelige Karrael auf, neben dem das
Mittelmeer als bläulicher Streifen erscheint, im Südosten endlich erblickt
man den kahlen, kleinen Hermon und den Dschebel Fekua, den man
für das Gebirge Gilboa des A. T. liält.
Vom Tabor kann man direct nach Tiberias aufbrechen oder nach
Nazareth zurückkehren und von dort den Weg nach Tiberias ein-
schlagen. Im ersteren Falle braucht man sechs Stunden, und die Strasse
berühi't dann eine Stunde vom Tabor den Khan Et Tudschar, wo sich
einige Fellahhütten und die Euinen eines Castells finden; weiterhin
trifft man am Wege selbst keine menschliche Wohnung mehr, wohl
aber Berg auf Berg. Seitwärts indess erblickt man das Dörfchen Lu-
bijeh, den elenden Ort Kafr Kenna und Hattin, wo Saladin die Kreuz-
ritter schlug, und wo sich der Hügel erhebt, den die Araber seiner
Gestalt nach die „Hörner von Hattin" nennen, während er von den
Mönchen als der Berg bezeichnet wird, auf dem Jesus die Bergpre-
digt hielt.
Der Weg von Nazareth jiach Tiberias erfordert gleichfalls sechs
Stunden und ist stellenweise sehr «steil und beschwerlich. Anderthalb
Stunden von Nazareth erblickt man am Abhang einer Schlucht zur
Linken das Dorf Reineh. Ein Stück weiter findet sich an der Strasse
ein Brunnen, der einige Gärten tränkt. Gleich dabei liegt das Dorf
Kafr Kenna, das nach der Meinung der Mönche jenes Kana ist, wo
Christus bei einer Hochzeit sein erstes Wunder verrichtete, indem er
Wasser in Wein verwandelte. Man zeigt noch heute in einem Trüm-
merhaufen das „Haus des Bartholomäus", in welchem die Hochzeit
stattgefunden haben soll. Die neuere Forschung hat indess nachge-
wiesen, dass das Kana des N. T. nicht hier, sondern vielmehr in dem
drei Stunden nördlich von hier gelegenen, jetzt zerstörten Orte Kana
El Dschelil zu suchen sei. Weiterhin liegt rechts vom Wege auf einer
mit Oliven- und Feigenbäumen bepflanzten Anhöhe Lubijeh. Dann führt
der Weg durch unbewohnte Gegenden, bis er sich endlich einen tiefen
Abhang hinab nach Tiberias und See Genezareth hinunterwindet.
Tiberias, arabisch Tabarijeh, ist eine kleine, ziemlich hübsche
Stadt mit etwa 2000 Einwohnern. Hart über dem galiläischen Meer
oder See Genezareth gelegen, gehört es zu den heisseaten Orten Palä-
Touren durch den Norden Palästina's.
97
98 Touren durch den Norden Falästina's.
stina's. Nach dem Talmud stand früher hier die Stadt Hamath. Tibe-
rias wurde von Herodes II. Antipas erbaut und nach dem Kaiser Ti-
berias benannt. Es ist eine der heiligen Städte der Juden, da hier der
berühmte Rabbi Akiba lehrte und 24,000 Schüler um sich sammelte,
die sämmtlich hier begraben liegen, und da ein Theil des Talmud hier
verfasst wurde. Noch jetzt wohnen gegen 1600 Juden hier, unter denen
viele deutsch sprechen, und von denen einer — ein Herr Weissmann
— hier eine Locanda hält, in der man ziemlich gut isst. Wer ein Zelt
mit sich führt, thut indess wohl, nicht in der Stadt zu schlafen, da
sie mehr wie jede andere in Syrien voll Ungeziefer ist (sagt doch das
Sprichwort, dass der König der Flöhe hier seinen Hof hält) und da
man keinen Augenblick sicher ist, dass die Erdbeben sich wiederholen,
die in den letzten Jahrzehnten wiederholt Hunderten von Einwohnern
den Tod brachten und von deren grauenvollen Verwüstungen noch
jetzt zahlreiche Euinen in der Stadt Zeugniss ablegen.
Merkwürdigkeiten von Tiberias sind die warmen Bäder im
Südosten der Stadt, einige Fuss über und etwa zwanzig Schritte von
dem Rande des Sees. Dieselben sind von Ibrahim Pascha von Aegypten
erbaut worden. Das Gebäude ist indess schon sehr verfallen. Aus einer
offenen Halle tritt man in eine zweite, aus dieser in eine Rotunde, mit
einem von Säulen getragenen Kuppeldach. Ringsum sind marraorbelegte
Gänge, aus denen man in die Badegemächer tritt. In der Halle neben
der Rotunde befindet sich eine schöne weissmarraorne Badewanne. Das
Wasser der vier heissen Quellen hat 49" R., schmeckt scharf salzig und
hat einen Schwefelgeruch. Sein Bodensatz enthält kohlensauren Kalk
und etwas Kochsalz und hat Aehnlichkeit mit dem des Todten Meeres.
Die Bäder werden mit Erfolg von Gichtkranken und an Rheumatismen
Leidenden gebraucht.
Ferner besuche man die Grabstätten der gelehrten Juden, die
sich nicht fern vom Thore auf einer massigen Anhöhe befinden. Man
nehme dazu den Wirth aus der Judenlocanda oder einen andern Juden
als Führer mit, da diese am besten Bescheid wissen. Hier liegen in
Gräbern ohne Inschrift zunächst die berühmten Rabbinen Jochannan
Ben Jokai, Raw Ami und Raw Aschi, dann folgt weiter oben auf dem
Berge das Grab des Rabbi Akiba, dann weiter unten die Gräber des
Rabbi Chias, Raw Hamnunas, des Meier Ben Ness u. a. Am dreiund-
dreissigsten Tage der Sefira zieht eine grosse Judenprocession hier her-
auf, zündet Kerzen und Lampen an und schlägt Zelte auf, um eine Art
Todtengottesdienst zu feiern. An dem Grabe Raw Hamnunas betet man
bei langer Dürre um Regen, an dem Grabe des Meier Ben Ness um
Heilung von Krankheiten. Auf dem nicht weit von hier entfernten tür-
kischen Friedhofe trifft man eine Anzahl zerbrochener und umgestürzter
Säulen von Granit und Syenit. Dieselben sollen Reste eines Palastes
sein, den Herodes Antipas hier gehabt hätte. In der Nachbarschaft
befinden sich Höhlengräber mit Eingängen von Mauerwerk. Auf der
Höhe des Felsenkammes darüber hat nach jüdischer Sage Bathseba,
Touren durch den Norden Palästina's.
99
die Mutter Salomo's, ein Schloss gehabt, und ein verfallenes Gebäude
am Fuss des Berges soll — ein Meierhof der Mutter Abrahams sein !
Die Mohammedaner haben in Tiberias eine Moschee, die Christen
(es sind deren nur wenige hier) eine Capelle, die auf der Stelle steht,
wo St. Petrus gewohnt hat, uud die dem Franziskanerkloster in Naza-
reth gehört. Sie ist klein und sehr einfacli und wird nur durch die
Thür erleuchtet.
Der See Genezareth, in den Büchern Mosis See Kinnroth
genannt, ist fünf bis sechs Stunden lang bei einer Breite von zwei bis
drei Stunden. Seine tiefsten Stellen befinden sich 160 Fuss unter der
Oberfläche, sein Spiegel liegt 653 Fuss unter dem des Mittelmeeres.
Er ist reich an Fischen, besonders an Karpfen und Schollen. Während
im Alterthum allein Tiberias 230 Schiffe und Boote auf ihm hatte,
gibt es auf ihm jetzt nur einen einzigen Kahn. Man woiss aus dem
N. T., dass Jesus auf ihm wandelte, dass er auf ihm dem Sturm
Schweigen gebot, dass er an seinen Gestaden seine ersten Jünger warb.
Im Osten begrenzt ihn eine hohe Kalkfelsenwand. Am Nordende liegt
das Dörfchen Medschdel, wo der Keisende Wilson eine Colonie von
Zigeunern traf und wo man noch mit den alterthümlichen Dreschschlitten
drischt. Es ist hier vielleicht Magdala, die Geburtsstätte der Maria
Magdalena, zu suchen. Eine Stunde von Medschdel trifft man den Khan
Minjeh, wo Eobinson die Stätte des alten Kapernaum zu finden
glaubte, während Eitter die Stelle bei Teil Hum sucht. Möglich, dass
Hum der Kest des hebräischen Namens Kapharnahum, d. i. Ort der
Lieblichkeit ist. Robinson sucht hier die Stadt Chorazim und an der
Quelle Tabigha die Stadt Bethsaida.
Der Weg von Tiberias nach Safed führt zunächst am Ufer des
Sees über verschiedene, zum Theil kahle, zum Theil mit Eichenkraut
bewachsene Bergwellen. Die Gestade unten am See bestehen hin und
wieder aus Wiesen, und wo Quellen sind, schimmern rothblühende
Oleanderbüsche. Vier Stunden von Tiberias trifft man die Quelle Ain
Kaleh, von wo man noch zwei Stunden bis Safed hat.
Safed, vielleicht das Zeph des Josephus, liegt auf einem hohen,
steinigen Berge und hat in seinen Mauern nächst Jerusalem unter allen
Städten Palästina's die meisten jüdischen Einwohner, nämlich 2100,
Wie Tiberias ist auch Safed in den letzten Jahrzehnten mehrmals von
furchtbaren Erdstössen heimgesucht worden, und noch im Jahre 1837
begrub ein solcher binnen wenigen Secunden 1500 Menschen unter den
Trümmern ihrer Wohnungen. Die Juden leben mit wenigen Ausnahmen
von Almosen, die ihnen aus Europa zukommen. Die neue Synagoge,
von dem Triester Kaufmann Queda erbaut, ist sehenswerth ; sie gehört
den spanischredenden Juden oder Sephardim. Fremde finden hier Unter-
kommen in der Weinschenke des Herrn Barner, wo auch deutsch ge-
sprochen wird.
Von Safed bis Rameh sind es 5'/.j Stunden. Der Weg ist gros-
sentheils sehr beschwerlich. Die Puncte, an denen man vorüberkommt,
sind: Ain Masadum, links von der Strasse, ein kleines Dorf, Marun,
100 Touren durch den Norden Falästina's.
rechts hoch in den Bergen, mit einem weisscliimmernden Grabe, in
welchem der Verfasser des Sohar ruht, Samoi, ebenfalls rechts am
Abhänge, weiterhin die Dörfer Bethanan und Faradah, wo an der
Strasse ein Quell ist. Rameh ist ein grosses, festungsartig gebautes,
theilweise mit einer Zinnenmauer umgebenes Dorf, welches nur von
Christen und Drusen bewohnt ist, und wo man im Hause des Christen
Daud Jakub Unterkunft findet. Man ist hier bereits in den Vorbergen
des Libanon. Man hat von hier bis Akko oder St. Jean d'Acre vier
Stunden zu reiten, und zwar geht der Weg zuerst noch zwei Stunden
durch das Gebirge, dessen Thäler hier gut angebaut und mit Feigen-
und Olivenbäumen bepflanzt sind. Von Dörfern berührt man eine Stunde
von Kameh das auf der Höhe gelegene Masd El Kr um und eine Stunde
später Berue. Die Meerebene, die hier beginnt, heisst Sahel Akka,
Ebene von Akka.
Akko oder Ptolemais, wie es im Mittelalter hiess, ist eine befe-
stigte Stadt von etwa 10,000 Einwohnern, welche nichts von Interesse
bietet, als die Ruinen, welche das Bombardement von 1840 allenthalben
zurückgelassen hat. Es war die letzte Stadt Palästina's, welche von den
Kreuzfahrern, die erst 1291 von hier wichen, behauptet wurde. Man
findet hier im lateinischen Kloster Herberge. Ausserhalb der Mauern
zu bleiben, ist nur dann gerathen, wenn man in starker, gutbewaffneter
Gesellschaft reist. Im Nordosten der Stadt befinden sich schöne und
grosse Gärten, durch die eine grossartige Wasserleitung hindurch führt,
und in denen mehre Landhäuser liegen. Eine Viertelstunde südöstlich
von Akko mündet der Nähr Ahmar in das Meer, ein Fluss, welcher
der Belus des Alterthums ist, an dessen Ufern phönizische Kaufleute
das Glas erfunden haben sollen. Die Berge, welche sich von hier an
bis Sur, dem alten Tyrus, hinter dem ebenen Gestade hinziehen, sind
fast nur von Drusen bewohnt, die auch weiter nördlich, bis über Saida
hinaus noch Theile des Gebirges inne haben, und über die im folgenden
Capitel das Nöthigste bemerkt werden soll.
Von Akko bis Caipha zurück sind es drei Stunden. In Caipha
findet sich jede Woche Gelegenheit, mit Dampfern über Aegypten oder
Beirut und Smyrna nach Europa zurückzugelangen.
Sjrrien. 101
FÜNFTES CAPITEL.
Syrien.
Syrien im Allgemeinen. — Der Libanon. — Drusen und Maroniten. — Tour von
Akko durch Phönizien über Sur und Saida nach Beirut. — Touren nach Damaskuiä, den
Cedern des Libanon, Baalbek und Tripolis. — Die karameniiche Küste. — Cypem.
Syrien heisst das 2100 Quadratmeilen grosse Hochland, welches
sich 20 bis 30 Meilen breit und etwa 90 Meilen lang an der Ostseite
des Mittelmeeres zwischen Kleinasien und Palästina hinzieht und im
Osten von der grossen syrischen Wüste begrenzt wird. Sein Gebirge
gehört im Norden dem Taurus an. Im Süden durchstreichen es der
Libanon und der Antilibanon. Es bildet im Ganzen eine grosse Gebirgs-
platte, die in der Mitte ein bald schmaleres, bald breiteres Thal hat
und von bedeutenden Erhebungen überragt wird. Jene Thalfurche be-
ginnt mit dem oberen Jordanthal, wo sie sehr eng ist, breitet sich
dann zwischen dem Libanon und Antilibanon zu dem Thal von Cöle-
syrien aus und wird im Norden vom oberen Orontes und zuletzt, am
Südl'uss des Taurus, von dem See von Antiochia bewässert. So zerfällt
die erwähnte Gebirgsplatte in einen östlichen und einen westlichen
Streifen. Der östliche steigt im Westen steil an und dacht sich im
Osten allmälig zu dem grossen Plateau der syrischen Wüste ab. Der
westliche, der an den meisten Stellen hart an das Meer herantritt, ist
an drei Stellen von Querthälern durchbrochen: im Norden durch das
Thal des Orontes, in der Mitte, nördlich von Tripolis, und wo der
alte Lykos, jetzt Nähr El Kelb mündet, endlich südlich, wo der Leon-
tes das Gebirge verlässt.
Das Klima des Landes ist dem von Palästina gleich, nur sind
die Gebirge beträchtlich höher. Ebenso sind die Verhältnisse, die den
Reisenden zunächt interessiren, denen Palästina ähnlich. Der Charakter
der Berge ist Dürre und Vegetationsarmuth. Nur wo Wasser sich findet,
grünen die Thäler und Berge von subtropischen Gewächsen. Grössere
Waldungen sind selten. Der Hauptbestandtheil der Gebirge ist in Li-
banon Kalk, im Antilibanon Kreide. In den Wildnissen finden sich
Bären, Panther, wilde Büflfel und Hyänen. Einwohner hat das Land
etwa 1 '/j Millionen. Sie sind grösstentheils semitischen Stammes. Etwa
die Hälfte derselben bekennt sich zum Islam, die übrigen gehören ver-
schiedenen christlichen Secten und den Religionen der Drusen, Motu-
102 Syrien.
walis und Ansarijeh an. Griecliische Christen gibt es 250,000, Maro-
niten 200,000, römische Katholiken 40,000, Armenier etwa 30,000 im
Lande. In politischer Beziehung bildet Syrien unter dem Namen Scham
eine Provinz des türkischen Reiches, die in die Ejalets Aleppo, Da-
maskus, Tripolis und (da Palästina mit zu der Provinz gerechnet wird)
Jerusalem zerfällt.
Wir können hier nur die am häufigsten von europäischen Rei-
senden besuchten Theile Syriens, also nur die Küsten, den Libanon und
die grösste Stadt des Landes, Damaskus, berücksichtigen, wobei wir
im Voraus bemerken, dass, was im Vorigen über Reisen iu Palästina,
Geldsorten, Dragoraane, Strassen, Ausrüstung u. d. m. gesagt wurde,
auch von Syrien gilt. Gute Gasthöfe gibt es nur in Beirut und Da-
maskus. Von Dragomanen findet sich eine Auswahl in den beiden
Haupthötels in Beirut. Consulate trifft man in Damaskus, Aleppo und
allen, auch den kleineren Küstenorten. Pferde bekommt mau allent-
halben zu 15 bis 20 Piaster per Tag zu miethen. Die Klöster üben
überall dieselbe Gastlichkeit wie in Palästina. Räuber sind jetzt nur
im Osten von Damaskus zu fürchten. Europäische Waaren kauft man
in den Bazars von Beirut, Erzeugnisse der Gewerbthätigkeit der Ein-
gebornen am besten und wohlfeilsten in Damaskus.
Der Libanon, arabisch Dschebel El Liban, d. i. der weisse
Berg, ist in dem engeren Sinne, in dem das GebiKge uns besonders
interessirt, das sechs Meilen lange von Süden nach Norden ansteigende
Plateau, welches südlich den 7780 Fuss hohen Dschebel Sanin, nörd-
lich den 8800 Fuss hohen Dschebel Makrael zu Eckpfeilern hat und
sich zwischen Beirut und Tripolis erhebt Von Beirut führt ein Fahrweg,
von Tripolis führt nur. ein Saumthierweg über dasselbe. Die Gipfel haben
nicht die den Kalkgebirgen eigenthümliche Kegelform. Das Gebirge ist
vielfach zerklüftet, voll wilder Schluchten und jäher Abgründe, reich an
Quellen und Bächen und in den Thälern sowie an den culturfähigen
Abhängen von den fleissigen Bewohnern, soweit es möglich ist, ange-
baut. Namentlich der dem Meere zugekehrte Abhang ist vortrefflich
angebaut und trägt eine grosse Menge von Maulbeerpflanzungen. Der
Antilibanon, Dschebel Esch Schark bei den Arabern, ist durchschnitt-
lich ebenso breit wie der Libanon, aber im Allgemeinen nicht so hoch,
obwohl sein höchster Punct, der grosse Hermon, sich über 9000 Fuss
erhebt. Das Thal zwischen beiden Bergzügen — Cölesyrien, jetzt Beka
— hat bei den Ruinen von Baalbek seinen Scheitelpunct, in dem hier
die Wasserscheide zwischen dem nach Norden abfliessenden Orontes
und dem sich südwärts wendenden Leontes ist.
Von den Bewohnern des Gebirges interessiren uns vorzüglich
die beiden herrschenden Stämme oder Secten der Drusen und der
Maroniten. Beide leben unter der Oberhoheit der Pforte in zwei von
einander abgesonderten Vasallenstaaten, die, unter Kaimakamen oder
Emiren stehend, nach Konstantinopel Tribut zahlen, sonst aber fast
ganz unabhängig sind — ein Verhältniss, welches nach dem Aufstande
von 1842, wo Drusen und Maroniten vereint der türkischen Regierung
Syrien. 103
die Spitze boten und bei dem Dorfe Eden nicht fern von dem berühm-
ten Cedernhain das türkische Heer schlugen, und der zweiten Erhebung
von 1845, wo die Maroniten den mit den Drusen verbündeten Türken
erlagen, auf Vermittelung der Grossmächte festgestellt wurde. Indess
sind die Streitigkeiten dadurch nicht vollständig erledigt.
Die Drusen bewohnen den Süden des Libanon und fast den
ganzen Antilibanon. Sie sollen 150,000 Köpfe zähfen und können gegen
20,UÜU Krieger in's Feld stellen. Ihre Verfassung ist eine Art Demo-
kratie, die durch den EinÜuss alter Geschlechter gemässigt wird. Die Ver-
treter dieser Geschlechter (Emirs und Schechs) bilden eine Art von Land-
ständen, welche, zu Dar El Kamr tagend, die Abgaben und überhaupt die
öffentlichen Angelegenheiten bestimmen. Sie gelten für arbeitsam, reinlich
und massig, tapfer und gastfrei, aber zugleich für treulos, rachsüchtig
und stolz. Die Blutrache ist ihnen Gesetz. Nur Wenige haben mehr
als eine Frau. Ihre Religion ist eine Geheimlehre. Als Stifter derselben
gilt der fatimitische Chalif Hakera, der um das Jahr 1000 unserer
Zeitrechnung lebte. Ueber ihre Glaubenssätze sind wir noch sehr we-
nig unterrichtet. Indess weiss man , daas sie der Secte der Ismaeliten
beizuzählen sind, dass pantheistische Ideen und der Glaube an Seelen-
wanderung und an verschiedene Menschwerdungen Gottes eine KoUe
darin spielen, endlich dass Reste des altorientalischen Gottesdienstes,
sowie jüdische, christliche und mohammedanische Lehren sich darin
mischen. Priester haben die Drusen nicht: sie theilen sich nur in Ein-
geweihte (Akal) und Uneingeweihte (Dsiahels). Zu ersteren gehören die
meisten Emirs und Schechs, und es bilden dieselben einen Geheirabund,
der allein die heiligen Bücher besitzt und sich in geheimen Versamm-
lungen, zu denen in gewissen Abstufungen auch Weiber zugelassen
werden, zum Gottesdienst vereinigt.
Die Maroniten sind eine Secte, die im 8. Jahrhundert n. Chr.
in Folge der monotheletischen Streitigkeiten entstand. Ihr erstes Ober-
haupt war der Mönch Johannes Maro, der den Titel eines Patriarchen
von Antiochia annahm. Ihr jetziger Hauptsitz ist das von ihnen fast
allein bewohnte Kesrawan, ein syrischer District in der Gegend von
Tripolis, doch wohnen auch südlich von hier sehr viele von ihnen, und
ebenso trifft man Colonien von Maroniten bis in die Gegend von Aleppo.
Ihre politische Verfassung ist die eines militärischen Freistaats. Zum
Zeichen ihres Adels tragen sie den grünen Turban. Sie sind tapfere
Krieger und fleissige Ackerbauer, Seiden wurmzüchter und Winzer, gast-
frei und sehr massig. Auch unter ihnen gilt noch die Blutrache. Ihre
Kirchensprache ist die syrische, ,im gewöhnlichen Leben sprechen sie
indess gleich den Drusen nur arabisch. Sie haben sich dem Papst un-
terworfen und 173G die Beschlüsse des Concils von Trident angenommen,
halten aber doch auf einige Einrichtungen, welche die römisch-katho-
lische Kirche nicht duldet. Sie folgen dem abendländischen Kalender,
beobachten dieselben Fasten wie die katholische Kirche, und feiern jetzt
auch das Abendmahl wie diese. Andererseits aber verehren sie einige
Heilige, welche vom Papst nicht canonisirt sind, z. B. ihren Patron
10^ Syrien.
Mar Maron und lassen ihre Geistlichen (mit Ausnahme der Mönche
natürlich) heirathen. Ihr geistliches Oberhaupt nennt sich noch jetzt
Patriarch von Antiochicn, wohnt im Kloster Kanobin auf dem Libanon
und legt dem Papst alle zehn Jahre Eechenschaft von der maroniti-
schen Kirche ab. Unter ihm stehen zahlreiche Bischöfe und andere
Geistliche. Ueberall im Libanon findet man maronitische Mönchs- und
Nonnenklöster, die der Kegel des heiligen Antonius folgen. Zur Bildung
ihrer Geistlichen besteht seit 1584 ein maronitisches Collegium in
Eom, uud in neuerer Zeit hat der Patriarch zu Ain Warkah im Kes-
rawau für dieselben eine Schule errichtet, welche eine der besten in
Syrien ist und in der man auch Lateinisch und Italienisch studirt.
Endlich ist zu erwähnen, dass sich in Kascheiah, nicht weit vom Kloster
Kanobin, eine Druckerei befindet, in welcher die Maroniten ihre Kir-
chenbücher drucken.
Wir gehen jetzt zu den interessantesten Touren über, die man
in Syrien macht und nehmen an, dass der Reisende, den wir bis Akko
gefüiart, von dort durch Phönizien nach Beirut und von da nach Da-
maskus geht.
1. Tour von Akko nach Beirut.
Zu der Reise von Akko nach Beirut bedarf man drei Tage, und
zwar reitet man (im Karawanenschritt) von Akko bis Sur zehn, von
da bis Saida, dem zweiten Nachtquartier neun, und von dort bis Beirut
acht Stunden. In Sur findet sich eine schlechte Herberge bei einem
Christen, Namens Michael, in Saida ein grosses lateinisches Kloster,
mit dem ein , Hotel" verbunden ist, welches indess nur aus einer dun-
keln Stube mit einem Tisch und drei Pritschen besteht. Dörfer trifft
man nur selten, Quellen dagegen in hinreichender Menge.
Nachdem man über die Wasserleitung und die Gärten von Akko
hinaus ist, und das ziemlich steile Kap Nakurah überstiegen hat, kommt
man an eine Stelle, welche Om El Amid genannt wird, und wo sich
die Reste einer Stadt der Urzeit finden. Welchen Namen sie trug, ist
unbekannt. Man sieht auf den Höhen rechts von der Strasse zwei jo-
nische Säulen, die vielleicht einem Tempel angehört haben, und im
Gebüsch daneben Häusermauern im sogenannten cyclopischen Styl. Die
Steine sind unbehauen, schliessen nur lückenhaft zusammen und die
Zwischenräume sind mit kleinen Steinen ausgefüllt. Dazwischen stehen
pyramidal geneigte Thürpfeiler ; namentlich eine Pforte, deren oberer
Quersteiu jetzt zerbrochen daneben liegt, ist bemerkenswerth, da sie
lebhaft an den Eingang zum sogenannten Grab des Agamemnon bei
Mykenä in Peloponnes erinnert.
Weiter nordwärts überklettert man das Capo Bianco, auch Scala
die Sur, die Treppe von Tyrus genannt, ein steiles Vorgebirge von
Kreidefelsen, an dessen Abhang sich eine breite Strasse hinauf und
hinab windet, unter der sich das Meer mit furchtbarer Brandung an
den Klippen bricht. Von hier sieht man bereits Sur liegen, indess hat
Syrien. 105
man noch mehr als drei Stunden bis dahin. Sur, das alte Tor oder
Tyrus, ist jetzt eine offene Stadt von etwa 7000 Einwohnern. Es liegt
auf einer sandigen Landzunge und erinnert nicht im Entferntesten
daran, dass hier einst die reichste Handelsstadt des ganzen Mittelineeres
stand. Der Hafen ist versandet und wird nur von wenigen kleinen
Schiffen besucht ; die Stadt liegt zum Theil wüst.
Ein Theil von einer christlichen Kirche steht als Buinfe da. Man
nimmt an, dass sie von den Christen der Kreuzfahrerzeit erbaut wurde,
dabei liegen die Trümmer gewaltiger Granitsäulen, die ursprünglich
einem Tempel angehört haben mögen.
Alt-Tyrus lag zum grösseren Theil auf dem Festlande, später
zogen sich die Bewohner auf eine Insel, welche bei der Belagerung
durch Alexander den Grossen durch einen Damm mit den liande ver-
bunden wurde. Auf diesem Damm und der Nordhälfte der Insel liegt
das jetzige Sur. Noch jetzt werden hier bisweilen alte Werkstücke aus
dem Sande gegraben, und am Westufer der einstigen Insel bricht sich
das Meer an umgefallenen Säulen und Klippen, die wie altes Mauer-
werk aussehen. Interessant sind die Eeste aus dem Alterthum, welche
sich ausserhalb der Stadt finden. Dahin gehört die Wasserleitung von
Bas El Ain, eine Stunde südöstlich von der Stadt. Dieselbe wird auch
Salmnd's Brunnen genannt und bildet an ihren Ende einen Bach, der
mehre Mühlen treibt. Der Aquäduct stannnt aus verschiedenen Zeitaltem
und läuft auf Bogen, die mit Tropfstein bekleidet und mit Gebüschen
bewachsen sind, eine geraume Strecke fort Bei einem kleinen Dorfe
wird das Wasser in einen Behälter gefasst. Man sieht ein grosses vier-
eckiges Gebäude, das sich 25 Fuss über dem Boden erhebt. Dasselbe
enthält ein achteckiges Becken von ungeheurer Grösse. Die Mauern
bestehen aus kleinen Kieseln und Cement, sind aber so hart wie Granit.
Man hat gefunden, dass der Behälter unter der Oberfläche mit regel-
mässigen Stufen im Durchmesser abnimmt, in der Mitte will man
keinen Grund getroffen haben. Weiter oben sind noch andere zwei
Behälter, ihr Wasser strömt durch einen andern Aquäduct in den ersten.
Dass Salomo diesen Brunnen gebaut, um Hiram, den König von Tyrus
für die beim Tempelbau in Jerusalem geleistete Hilfe zu danken, ist
blosse Sage. Man weiss bis jetzt nur, dass einige Theile des Bauwerks
in die vorchristliche Zeit hinausreichen.
Eine Stunde nordöstlich von Sur überschreitet man auf einer
spitzgewölbten Brücke den von Oleandern umblühten, ziemlich breiten
Nähr El Litani oder Leontes, der aus dem Hochthal von Cölesyrien
durch enge Felsschluchten herabkommt und in seinem untern Lauf
Aschmijeh oder Kaschmijeh heisst. Einige Stunden von der Brücke
aufwärts bei dem Castell Schefik (im Mittelalter Beifort) finden sich
gewaltige Wasserfälle in Klüften, durch die sich der Fluss hindurch-
drängt. Die Schlucht ist hier kaum 100 Fuss breit, und an einer
Stelle haben von den höhern Bergen herabgerollte Felsmassen sich so
in die Spalte geklemmt, dass sie eine natürliche Brücke bilden. Das
Castell ruht auf uraltem Unterbau mit Fugenränderung und nimmt
106 Syrien
wahrscheinlich die Stelle einer altphönizischen Burg ein, durch welche
die Tyrier oder Sidonier sich den Uebergang in die Ebene der Jordan-
quellen sicherten. Das Gebirg wird hier von den Motuwalis bewohnt,
einer 20,000 Köpfe zählenden Secte, die zu den Schiiten gezählt wird,
deren Bekenner aber so fanatisch sind, dass sie den Krug zerschlagen,
aus dem sie uns Andersgläubigen zu trinken geben.
Das alte Tyrus reichte bis an den Leontes, und die Nekropolis
oder Todtenstadt lag sogar noch eine Stunde weiter nördlich und zog
sich fast bis in die Haltte des Weges nach Sidon hin. Man trifft von
ihr noch eine Menge von Ueberresten in den Felsen rechts vom Wege.
Es sind leere Kammern, meist von quadratischer Form, die sich nach
den Seiten in halbrunde Nischen vertiefen. Dazmschen soll sich in den
Felsen auch eine jener ägyptischen Gedenktafeln finden, welche nach
Herodot der Eroberer Sesostris in Syrien zurückgelassen hat und von
denen man noch eine am Nähr El Kelb nördlich von Beirut trifft.
Eine halbe Stunde nördlich von der Metropole von Tyrus folgt
bei einem von einem Bogen überspannten Bache die Stätte von Sarepta,
wo Europa von dem in einen Stier verwandelten Zeus entführt wurde,
und wo der Prophet Elias die l. Kön. 17 erzählten Wunder verrichtete
(der nicht versiegende Oelkrug und die Jlrweckung des Sohnes der
Witwe vom Tode). Von hier bis Sidon oder Saida sind es noch vier
Stunden. Bei der Quelle Ain El Kanterah ist in den dieselbe umge-
benden Gärten ein passender Platz, um Mittagsrast zu halten.
Saida oder Sidon ist ein sehr anmuthig in den Gärten gelegener
stattlicher Ort mit engen Gassen und auffallend hohen, zum Theil
vierstöckigen Häusern. Es soll 12,000 Einwohner haben. Die Bazars
sind gut versehen und zum Theil überwölbt. Ein malerisch gethürmtes
Castell, das nordwärts auf einer Felsenklippe im Meer liegt, ist durch
eine Bogenbrücke mit der Stadt verbunden. Auf der Westseite dieses
Castells, welches im Mittelalter erbaut wurde, soll man noch einen
vermuthlich altphönizischen Unterbau von kolossalen Quadern sehen.
Auf der Landseite der Brücke befindet sich der kleine seichte Hafen
der Stadt, der nur den Küstenfahrern Unterkunft gewährt, und über-
haupt wenig besucht ist. Sidon ist eine der ältesten Städte der Welt.
Es hat, nach der Bibel, schon vor der Erbauung des Babelthurms exi-
stirt, und schon zu Homer's Zeit war es durch Handel, Schiffahrt und
Kunstfertigkeit berühmt. Menelaus schenkt dem Telemach einen sido-
nischen silbernen Mischkrug mit vergoldetem Eand. Achill setzt bei
den Leichen spielen des Patroklus als Siegespreis einen „von kunstreichen
sidonischen Männern geschaff'enen" Krug von Silber aus. Ihren Unter-
gang fand die alte Stadt durch die Perser unter Artaxerxes. Der Ueber-
muth persischer Statthalter hatte zum Aufstand gereizt, und in Ver-
bindung mit dem ägyptischen Kebellenkönig Nektanebo und zahlreichen
griechischen Söldnern wurde erst siegreich gekänipft, bis die belagerte
Stadt durch ihren Oberbefehlshaber Tennes ven^athen wurde. Die Si-
donier hatten bereits ihre Schiffe verbrannt, jetzt verbrannten sie sich
selbst mit Weib und Kind. Der Schutthaufen der Stadt soll des vielen
Syrien. 107
geschmolzenen Goldes und Silbers wegen von hohem Werth gewesen
sein. Im siebzehnten Jahrhundert machte der berühmte Drusenemir
Fachr Eddin, ein Mann von europäischer Bildung, Saida zu seiner
glanzvollen Kesidenz.
Der Weg von Saida nach Beirut führt zunächst am sandigen
Ufer hin und dann durch eine Fürth des Stromes Nähr El Autoaleh,
welcher der Bostrenus des Alterthums ist, und dessen Thal ebenfalls
hinauf nach der Hochebene von Cölesyrien geht. Die Abhänge des
Gebirges sind hier voll von Dörfern und Terrassen mit Oliven- und
Feigenbäumen und besonders mit Maulbeerpflanzungen.
Zwei Stunden nördlich von Saida ist der kleine Khan Nebbi
Juna, der Sage nach auf der Stelle stehend, wo der Fisch den Pro-
pheten Jonas an's Land spie.
Weiter nordwärts, vor und hinter dem Khan El Kaldeh, trifft
man viele Grabdenkmale, die in freistehenden Sarkophagen bestehen.
Ihre Seitenwände sind mit Skulpturen, Genien und Porträtköpfen rö-
mischen Styls, Friesen von Triglyphen, die mit Rundschilden wechseln
u. A. verziert. Die Deckel haben die Form von Dächern, lassen aber
ihre vier Ecken in Gestalt eines Halbkugelviertels sich wieder aufbäumen.
Die meisten sind abgehoben und zerschlagen. Wo dies nicht möglich
war, hat man in die Seitenwände Löcher gebrochen, um die Todten
ihres Schmuckes berauben zu können. Nördlich von El Kaldeh verlässt
der Weg das Ufer, das er bisher verfolgt hat, um seine rein nördliche
Richtung fortzusetzen, während das Gestade sich nach Westen hinaus-
beugt und das sandige Vorgebirge Ras Berut bildet. Es ist das eine
Sandwüste, deren Fortschritt von den Gärten der Stadt Beirut, die wir
nun eine halbe Stunde lang durchziehen, nur durch Pinienpflanzungen
abgehalten wird.
Rechts am Fuss des mit grossen Maronitendörfern und Klöstern
besetzten Abhanges des Gebirges strecken sich ungeheure Oliven-
wälder hin.
Beirut hat mehre europäisch eingerichtete Gasthöfe, und ausser
andern Consuln einen preussischen und einen österreichischen, deren
Wohnungen an den Flaggen erkannt werden. Von den Gasthöfen sind
die beiden zu empfehlen, welche den Namen „Belle vue* führen, und
von denen der eine, in der äussern Stadt gegen Süden hin gelegen,
besonders von Engländern, der andere, in der Innern Stadt, nicht fern
von den Bazars und dem Hafen befindlich, vorzüglich von deutschen
Schweizern besucht wird. Im ersteren zahlt man '/, Pfund Sterl., im
letzteren 10 Franken täglich (hier mit, dort ohne Wein). Wer länger hier
bleiben will, findet Pensionen, die billiger sind, über die sich indess,
da sie ebenso schnell vergehen, als sie entstehen, nichts aul die Dauer
Giltiges mittheilen lässt. Beirut ist das altphönizische Berji;os, hat
jetzt, seit dem Bombardement, welches die Stadt im letzten türkisch-
ägyptischen Kriege in einen Trümmerhaufen verwandelte, ausserordent-
lich aufgeblüht, gegen 80,000 Einwohner, unter denen sich eine beträcht-
liche Anzahl Franken und viele Griechen befinden, und ist nächst Con-
108 Sjnrien.
stantinopel und Smyrna die lebhafteste und schönste Küstenstadt der
Türkei. Es ist die Hafenstadt für Damaskus und den ganzen Libanon
und durch verschiedene Dampferlinien mit Smyrna und Alexandrien,
Palästina und Caramanien, sowie Ehodus und Cypern verbunden. Beirut
hat von Eesten des Alterthums nur einige zwischen Häusern verbaute
römische Säulen und die Spuren alter Grundmauern in den felsigen
Ufern ausserhalb der Stadt aufzuweisen.
2. Von Beirut über den Libanon nach Damaskus und Baalbek.
Zu einem Ausflug von Beirut nach Damaskus, von dort nach
Baalbek, dann nach dem Cedernhain und hierauf nach Tripolis und an
der Küste zurück nach Beirut, bedarf man 7 bis 8 Tage, wobei auf
den Aufenthalt in Damaskus 2 Tage gerechnet sind.
Täglich fährt eine Diligence zu 20 Personen von Beirut nach
Damaskus und eine andere zurück. Die Abfahrtzeit ist für beide Mor-
gens 4 Uhr, die Ankunft Abends 5 Uhr, so dass also eine Strecke von
21 Meilen in 13 Stunden zurückgelegt wird. Es wird stets scharfer
Trab oder Galopp gefahren und alle 2 Stunden in grösster Schnellig-
keit umgespannt. Nur an einer Station, in Stora, am Üstfusse des Li-
banon, wird V, Stunden zu Mittag gehalten.
Es gibt in der Diligence zwei Plätze; der erste zu 3 der zweite
zu 2 Napoleonsd'or. Der Verkehr ist ein so bedeutender, dass man
namentlich im Sommer 5 bis 6 Tage vorher seinen Platz bestellen muss.
Leider hat der Eeisende, der die Diligence benutzt, keine Gele-
genheit, eine Zwischen- oder Nachtstation zu machen. Ein sehr pas-
sender Ort würde Stora, die Mittagsstation der Diligence sein. Man
erreicht es von Beirut nach siebenstündiger Fahrt und der Beisende,
der bis dahin im Wagen eng eingeschlossen gesessen hat, bei einer
grossen, tödtenden Hitze, würde gerne den zweiten sechsstündigen
Theil der Eeise auf den andern Tag verschieben; dazu kommt, dass
Stora in einem sehr schönen und interessanten Abschnitt der ganzen
Tour liegt. Jedoch der dort etablirte Wirth, ein Franzose, hat von der
Compagnie nur die Erlaubniss erhalten, seine Gäste zu speisen, aber
er darf ihnen kein Nachtquartier geben, damit sie gezwungen sind, die
ganze Tour bis Damaskus die Diligence zu benutzen.
Jedem, der nicht in Geschäften nach Damaskus reist und nicht
die Eeise so schnell wie möglich zurücklegen muss, ist zu rathen, es
so zu machen, wie ich es gemacht habe. Ich habe die Eeise mit einem
Bekannten zurückgelegt und jeder von uns hatte ein Eeitpferd und
ausserdem hatten wir zusammen ein Packpferd, auf dem ein Zelt und
alles Nöthige zur Eeise transportirt wurde. Auf dem Packpferd sass der
Diener, der uns und die Pferde bediente. Ein Zelt bekommt man hier
zu Lande in jedem grösseren Orte zu kaufen, in der Eegel für den
Preis von 10 Pfd. St. und wenn man es benutzt hat, was ein halbes
Jahr lang dauern kann, verkauft man es wieder mit einem geringen
Syrien. 109
Verlust. In Storn wurde danu das Zelt aufgeschlagen, übernachtet und
am andern Tage mit Sonnenaufgang weiter geritten. Auf diese Weise
habe ich die Reise viel billiger, unstreitig interessanter und bedeutend
weniger anstrengend zurückgelegt. Die Strasse, welche jetzt von Beirut
über den Libanon nach Damaskus führt, ist in ganz Syrien und Palä-
stina die einzige Fahrstrasse und wurde von den Grafen Pertius, Vater
und Sohn, gebaut und im Frühjahr 1863 in ihrer ganzen Länge dem
Verkehr übergeben. Jeder übrige Verkehr im Gebirge findet ausserhalb
derselben heute noch, wie vor 1000 Jahren, auf Eseln, Pferden, Maul-
thieren und Kameelen auf den schmälsten, oft nur fassbreiten Pfa-
den statt.
Jeder Fuss- oder Schleichweg in einem deutschen Gebirge ist
in einem bessern Zustande, als diese Strassen, auf denen der allein
schon durch seine Seiden- und Leinenstoffe so reiche Verkehr in und
über dem Libanon stattfindet. Es lässt sich darnach ermessen, welch'
eine Wohlthat eine fahrbare, gute Strasse für jenes Land ist. Die
Strasse führt zunächst von Beirut aus durch das schmale Vorland, das
sich längs des Meeres bis nördlich Beirut hinzieht und das mit üppigen
Obstgärten und Feldern reich angepflanzt ist. Schon nach l Stunde
Weges beginnt das Aufsteigen. Die Strasse geht in einer Schlangenlinie
von einer Höhe zur andern, immer eine herrliche Aussicht auf das
untere Stufenlaud bietend, die sich, je höher man steigt, immer mehr
erweitert. Sie fährt über den Knissepass am Fusse des Berges gleichen
Namens (Kirchberg) Hier, von dem höchsten Puncto der Strasse, hat
man einen letzten Blick den Libanon abwärts, der mit seinen terrassen-
förmigen Abfällen allmälig bis zum Fusse und seinem vorliegenden
Küstenlande, je weiter desto mehr, in der Luft verschwimmt, bis die
dunkelblaue Fläche des Meeres die Küste in scharfer Zickzacklinie
abgrenzt. Die Strasse führt nun horizontal in einigen Windungen an
dem Fuss der höchsten Gipfel entlang. Kechts die Berglehnen und links
ein unheimliches zerrissenes Felsenthal. Da wendet sich aber die Strasse
und ein ganz neues Bild, welches den Reisenden so überrascht, dass
er unwillkürlich die Zügel seines Pferdes anzieht, stellt sich ihm
dar: der Pass ist durchschritten und man steht am obern Rande des
Ostabhanges des Libanon. Vor den Augen ist das Bergland verschwun-
den, und in einer Tiefe von einigen tausend Fuss breitet sich die
%uchtbare Ebene der Bekaa aus, ein grünes weites Feld, auf dem die
Bewohner bei den verschiedensten landwirthschaftlichen Arbeiten thätig
sind. Dörfer liegen zerstreut hier und da. Dieses Bild der Ruhe und
des Friedens fesselt um so mehr, da es gar nicht zu dem Charakter
des Libanon gehört, welcher mit wenigen Ausnahmen — nur wilde
und zerrissene Zerklüftungen hat.
In kurzen Windungen steigt die Strasse den steilen Ostabhang
in die Bekaa hinab und führt zwei Stunden durch die culturreiche
Ebene, worauf sie sich in das schroffe schluchtenreiche Gebirge des
Antilibanon, welches an diesen Stellen gänzlich ohne Cultur ist, ver-
110 Syrien.
liert. Die Nähe von Damaskus ist gekennzeichnet durch das Wieder-
erscheinen der Vegetation und der Cultur. Das letzte Thal, durch das
man kommt, ist von hohen Felsen eingeschlossen, aber zum Ergötzen
der Eeisenden ist der Weg begleitet von dem Rauschen des herrlichen
Barradaflusses, dessen sprudelndes, klares Nass ganz Damaskus mit
Wasser versieht. Der letzte Abfall der Berge zu beiden Seiten der
Strasse heisst ßabue, d. h, Säge, so genannt, weil die Seitenansicht
des Abfalles die Gestalt einer Säge hat; der Eeisende tritt aus der
Umgebung des Gebirges und vor ihm liegt die altberühmte, die heilige
mohammedanische Stadt, umgeben von den schönsten und üppigsten
Obstgärten, von welchen der Eeisende gleich beim Eintritt in die Stadt
einen herrlichen Eindruck empfängt. Es ist Damaskus, die , Paradies-
duftige", das , Muttermal auf der Wange der Welt", das „Gefieder
der Paradiesespfauen", das „Halsband der Schönheit", wie die Stadt
von den überschwänglichen arabischen Geographen bezeichnet wird.
Nach einer Stunde etwa kommt man an die ersten Gärten, dann zwischen
den Lehmmauern vielgewundener Strassen hindurch nach dem griecbi-
schen Gasthof (Preis '4 Pfund Sterl. per Tag), der alle Bequemlich-
keiten des europäischen Lebens mit orientalischem Luxus verbindet,
und der deshalb von den Reisenden jetzt fast ausschliesslich besucht
wird, während man früher im lateinischen Kloster Herberge nahm.
Damaskus, arabisch'Diraeschk genannt, ist eine Stadt von min-
destens 200,000 Einwohnern, unter denen etwa 10,000 Christen und
5000 Juden sind. Es hat über zweihundert Moscheen und gilt den Ara-
bern für eines der vier irdischen Paradiese. (Die andern drei sind
Obolla in Chaldäa, Scheb Baoran in Persien und Sogdiana oder das
Thal von Samarkand.) Mohammed schätzte die Stadt dreimal selig,
weil die Engel über sie die Fittiche gebreitet haben, und soll bei
ihrem Anblick sie nicht eingenommen haben, weil dem Menschen nur
ein Paradies bestimmt sei, und er das seine im Himmel finden werde.
Auf den ersten Anblick scheint solch ein Lob nicht zu überschwänglich ;
kommt man aber in die Gassen, so wird man beim Anblick ihrer Enge
und ihres Schmutzes, sowie der grauen Lehmwände, welche die Häuser
dem Wege zukehren, andern Sinnes. Hat man dann wiederum Gelegen-
heit, ausser dem Hotel ein anderes grösseres Haus im Innern zu sehen
(wozu die hier befindlichen Consuln, die selbst sehr schön wohnen, gern
behilflich sind), so wird man wieder zu seinem ersten Urtheil zurück-
geführt und preist sich glücklich, die Reise hierher unternommen m
haben; denn man sieht das Morgenland hier in seinem vollen bunten
märchenhaften Glänze und weniger wie irgendwo in dieser Entfernung
von der Küste mit europäischem Wesen und Treiben gemischt. Da-
maskus verdankt seine Gartenpracht einzig dem Baradas, einem Flusse,
der südlich von der Stadt in die grosse Ebene tritt und die Stadt dann
in sieben Armen durchströmt, um sich zuletzt in einen kleinen See zu
verlaufen. Es ist der Chryäorrhoas des Alterthums, der vielgepriesene
Farfar der Dichter des Morgenlandes.
Ausser dem norddeutschen und österreichischen Consul leben
WMmim^\■m^^^\M^ i' 'iniiüiii; ,.;i,r;:;ti~:^;iiirTi!Pi!W¥"i
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iliiCI: h llülilutiilii'.i jM^i^
Syrien. 111
in Damaskus noch nnehre Deutsche, von denen sich Viele durch Gast-
freundschaft gegen ihre Landsleute auszeichnen.
Die Stadt gehört zu den ältesten Städten der Welt. Nach der
Sage der orientalischen Christen wurde Adam aus der röthlichen Erde
dieser Gegend gebildet, und auf dem benachbarten Berge Kasiun
erschlug nach der Legende Kain seinen Bruder Abel. Endlich zeigt
man nicht fern von dem einen Thor die Stelle, wo Paulus bekehrt
wurde, und die jetzt von den Christen nach dem Apostel benannte
Strasse soll ,die richtige" der Apostelgeschichte sein, unter den Mo-
scheen der Stadt zeichnet sich die der Ommajaden durch ihre sieben
Thürme, ihre Grösse und ihre schöne Architektur aus. Sie steht an
der Stelle einer von Kaiser Heraclius erbauten Johanniskirche, und
man verwahrt in ihr das Exemplar des Koran, welches im Besitz des
dritten Chalifen Othman war, der hier ermordet wurde. Vierzig Jahre
nach dem Untergang der Welt soll in dieser Moschee noch zu Allah
gebetet werden. Merkwürdig ist ferner das mit mehren Thürmen ver-
sehene, aus der Zeit der Kreuzzüge stammende Schloss, welches jetzt
als CitadoUe dient. Sehr interessant sind endlich mehre der grossen
Khans, in denen die Kaufleuto von Damaskus ihre Waaren aufstapeln.
Die berühmten Säbelfabriken sind nicht mehr vorhanden. Dagegen ver-
fertigen die Einwohner noch immer schöne Seidenstoffe, Stickereien,
Teppiche, Glas- und Lederwaaren. Auch treiben sie beträchtlichen Han-
del mit diesen Erzeugnissen, sowie mit Oel, Baumwolle und einge-
machten Früchten. Berühmt sind die stark duftenden Damascenerrosen,
aus denen man hier Eosenöl bereitet, und die Damascenertrauben,
welche, am Stock getrocknet, die besten Rosinen geben. Die Moslemin
von Damaskus gelten für sehr fanatisch, und es ist hier fast unmöglich,
Zutritt in eine der Moscheen zu erlangen.
Es sind weniger einzelne Merkwürdigkeiten, welche die Tour
nacli Damaskus lohnen, als das raorgenländische Leben auf den Strassen
und in den Häusern. Besonders lohnend ist ein Gang durch die Ba-
zare, in denen die einzelnen Gewerbszweige wie in allen orientalischen
Städten ihre Läden und Werkstätten bei einander haben. Im Bazar der
Goldarbeiter sieht man sehr geschmackvolle, reich mit Edelsteinen be-
setzte Arbeiten. Anderswo blitzen Reihen von Läden von krummen
Säbeln, eingelegten Flinten und Pistolen , Dolchen und Yatagans.
Die Kleiderhändler bieten seidene und wollene, mit Gold- und Sil-
berfäden in phantastischen Mustern durchwirkte Stoffe, Mäntel und
Röcke feil. Die Beduinen'der Wüste ttnden hier ihre rauhhaarigen, was-
serdichten Abajen, türkische Beamte ihre europäisch geformten Uni-
formen. Im Bazar der Schuhmacher trifft man Hunderttausende von
hellgelben Ledersocken und ebenso viele rothe Schnabelschuhe. Wieder
in einer andern Bazarstrasse werden Tschibbuks und Nargilehs feil-
geboten. Besonders schön sind die kunstreichen, mit Silberbeschlägen,
Gold- und Silberstickereien und anderen Zierrathen bedeckten Arbeiten
der Sattler. Sehr reich endlich ist die Auswahl von Teppichen, von
Spezereien und wohlriechenden Essenzen. Zur Seite laden Kafieehäuser
112 Syrien.
an plätschernden Springbrunnen zum Niedersitzen ein, wo man den
braunen Trank Arabiens oder Scherbet, gekühlt mit Schnee vom Liba-
non, trinkt. Hier und da geht man an einem der grossen Khans vorbei,
von denen der eine, Asad Paschas Khan, mit einer ungeheuren Kuppel
überwölbt ist. Man sieht einen Hof mit Marmor gepflastert, in welchem
Springbrunnen rauschen, und um den sich in mehren Stockwerken die
im prächtigsten Sarazenenstyl erbauten Lagerräume und Läden der
grösseren Kaufleute reihen. In jenem grössten von diesen Gebäuden
sollen 2000 Kameele und doppelt so viele Menschen Raum haben, und
es drängen sich hier die Karawanen, welche nach Aleppo und durch
die grosse Wüste nach Bagdad ziehen.
Zu erwähnen ist noch, dass in Damaskus auch Abdelkader, der
Beduinenheld von Algerien, lebt, und dass es nicht schwer hält, von
ihm empfangen zu Averden. Er wohnt in einem kleinen Hause und ist
sehr einfach eingerichtet, indem er das Jahrgehalt, welches ihm Frank-
reich zahlt, meist für schöne Pferde und Frauen ausgibt. Wir bemer-
ken, dass man seinem Diener für den Besuch ein Bakschisch zahlt, zu
dem ein Napoleon hinreicht. Ein Sovereign wird indess lieber gesehen.
Auch pflegt Abdelkader seinem Gast in der Regel ein Geschenk zu
machen, welches natürlich mit einem andern von gleichem Werthe zu
erwiedern ist und oft für einen Reisenden keinen VVerth hat.
Wir schliessen unsere Bemerkungen über Damaskus mit einem
kurzen Blick auf die wechselvolle Geschichte der Stadt. Dameschek
existirte bereits zu Abrahams Zeit. Später war es die Hauptstadt eines
kleinen syrischen Königreichs, welches von David unterjocht wurde,
weil sein Beherrscher dem König von Zoba Hilfe geleistet hatte. Unter
Salomo machte es sich wieder unabhängig. Den höchsten Glanz erreichte
das alte Damaskus unter dem König Hasael, der sowohl gegen das
Reich Juda, als gegen Israel glücklich kämpfte, doch schon dessen
Sohn Benhadad wurde wieder den Königen von Israel tributpflichtig.
Um 800 V. Chr. ging das damascenische Reich durch die Assyrer unter,
indess behielt die Stadt ihre Bedeutung durch ihre günstige Lage für
den Handel. Nach Alexanders des Grossen Sieg über Persien gerieth
Damaskus mit ganz Syrien in dessen Gewalt, und nach dem Tode des-
selben fiel es den Seleuciden zu, welche zu Autiochia residirten. 64 v.
Chr. kam es unter die Botmässigkeit der Römer, welche es durch
eigene Könige regieren Hessen, unter denen die Stadt von Neuem auf-
blühte. Später wurde Damaskus dem oströmischen Reich einverleibt
und Sitz eines christlichen Bischofs. 632 nach Chr. aber nahm es der
Chalif Omar nach zweimonatlicher Belagerung ein. Omar residirte ab-
wechselnd hier und in Mekka. Der Chalif Moawijja, der Stammvater
der Omajadendynastie, verlegte den Sitz des Chalifats ganz hierher, und
seine Nachkommen sowie die Abassiden residirten von 660 bis 753 hier, bis
Almansor Bagdad zu seiner Residenz wählte Von da an wurde Damaskus
durch Statthalter verwaltet, von denen mehre ein eigenes Sultanat be-
gründeten. So wurde es der Sitz der Tuluniden im IX., der Fatimiden im
X., der Seldschucken-Dynastie im XI. Jahrhundert. Während der Kreuz-
Syi-ien. 113
Züge wurden heftige Kämpfe um den Besitz der Stadt geführt. Im
Jahre 1154 von Nureddin erobert und mit Aleppo und Aegypten zu
einem Reiche vereinigt, kam Damaskus nach Nureddins Tod in die
Gewalt Öaladins, der von hier aus das christliche Königreich Jerusalem
unterwarf. 1401 erschienen Timur Lengs Mongolen vor der Stadt, nah-
men sie ein und zerstörten sie last ganz ; doch wurde sie sehr bald
wieder aufgebaut. Später waren die Mamelucken als Beherrscher Aegyp-
tens auch HeiTen von Damaskus, bis es im Jahre 1516 dem türkischen
Sultan Selim I. gelang, Stadt und Gebiet denselben zu entreissen, seit
welcher Zeit ein türkischer Statthalter hier die Regierung übte. Iö32
eroberte es Ibrahim Pascha für Mehmed Ali, welcher letzte es jedoch
schon 1840 der Pforte zurückgeben musste.
Von Damaskus geht jedes Jahr am Ende des Monats Ramadan
die grosse Mekka-Karavane, zu der sich alle Pilger der nördlichen
Provinzen der Türkei vereinigen, ab. Ausserdem bricht jedes Jahr drei-
mal eine Karavane nach Bagdad und jeden Monat zwei- bis dreimal
eine Karavane nach Aleppo auf. Der Wege von hier nach Jerusalem
geht zunächst anderthalb Tage durch wüste Gegenden, dann um den
Fuss des grossen Hermon herum nach den Quellen des Jordan und
dem kleinen See Merom, und von da über Tiberias und Nablus weiter.
Eine Tour durch die Wüste nach den Rttinen von Pahm/ra erfordert
eine sehr ausdauernde Natur und (da allein das unbedingt nothwendige
Beduinengeleit mindestens 50 Napoleons beträgt, wofür noch immer
keine voUkomraone Sicherheit vor Räubern erkauft wird^ Geldkräfte,
über die wenige Reisende zu verfügen haben, wesshalb wir das Nähere
über einen solchen Ausflug übergehen.
Von Damaskus aus pflegt man in der Regel zaerst Baalbek
und dann die Cedern des Libanon zu besuchen. Der Weg nach Baal-
beck erfordert zehn bis elf Stunden, und führt zunächst über den Berg
Kasiun, dann durch die Schluchten, welche der Barada in die Felsen
gewühlt hat, und zuletzt über die oft noch im Mai mit Schnee bedeckten
Höhen des Antilibanon, etwa nach der Mitte der Längenfurche zwischen
diesem und dem Libanon. Hier, auf der Wasserscheide, zwischen dem
Nähr El Asi (Orontes) und dem Nähr El Litani (Leontes), liegen nicht
fern von einem Städtchen, an dem ein Bach vorüberfliesst, Ruinen,
welche zu den grossartigsten der Welt gehören.
Man hat, ohne einen vollständigen Beweis führen zu können,
angenommen, dass die Stadt Baalbek oder Heliopolis von Salomo
erbaut Avorden sei, indem man meinte, dass das im A. T. als von diesem
Herrscher gegründet bezeichnete Barlath dieses Baalbek sei. Wir wissen
aber aus Josephus, dass Barlath im Lande der Philister lag. Möglich
dagegen ist, dass der Prophet Arnos die Sonnenstadt Baalbek nennt,
wenn er vom Götzendienst in der Ebene Avan spricht. Der Styl der
Ruinen, welche in einem grossen und einem kleinern Tempel bestehen,
scheint griechisch-römisch zu sein. Richtiger aber werden die Trümmer
von Braun als „eine lateinische Uebersetzung oder Ergänzung altsy-
rischer Formen" bezeichnet. Man thut wohl, die Betrachtung der
114 Syrien.
Boincn mit der Ostseite zu begiunen. Dort war <iie Vorderfront des
ganzen Baues, eine breite Säulenhalle von zwölf Säulen, deren Fuss-
gestelle noch jetzt stehen, weil eine neuere Mauer sie aufgenommen
hat. Die breite Treppe, die einst herauflFührte, ist verschwunden. Zu
beiden Seiten der Halle waren vierseitige, geschlossene Flügel, die aussen
mit korinthischen Pilastern geschmückt sind und aus welchen die Sara-
zenen Festungsthürme gemacht haben. Durch die Rückwand der Halle
tritt man in einen secllsseitigen mit Kammern gesäumten Hof. Die
Breite jeder seiner sechs Seiten, also auch die Breite derjenigen, mit
welcher er sich dem Bücken der Vorhalle anschliesst, ist geringer als
diese letztere, so dass deren Flügel oder Thürme ihn rechts und links
überragen. Aus diesem sechsseitigen Hofe gelangt man in einen bei
Weitem grösseren vierseitigen, der rechts und links noch weiter sich
ausdehnt, als selbst die Vorhalle mit ihren Flügeln. Er ist allenthal-
ben mit abwechselnd viereckigen und lialbrunden, nach vom offenen
Kammern gesäumt. Diese Kammern hatten am Eingang Säulen aus
ägyptischem Granit, welche jetzt fehlen, indem sie zum Theil zer-
trümmert umherliegen, theils in die ruinenhafte Moschee des Städt-
chens verbaut sind. Die halbrunden Räume des Hofes haben im Innern
Rnndbogennischen, zwei übereinander, zwischen korinthischen Pilastern.
Diese Nischen scheinen für Bildsäulen bestimmt gewesen zu sein. Die
gestreckten viereckigen Räume zwischen diesen halbrunden Kammern
sind gleichfalls mit Pilastern bezeichnet, von denen immer eine obere
Ordnung auf dem Kopf der untern steht. Der grosse, viereckige Hof
ist nur nach der Seite offen, an der sich in der Mitte der grosse Tem-
pel anschlos.s, welcher nur die Breite des ersten sechseckigen Hofes
hatte. Er hatte in der Front zehn, an den beiden Seiten rechts und
links, wie es scheint, neunzehn Säulen. Das geht aus den noch sicht-
baren Fussgestellen hervoj; denn von den Säulen selbst stehen nur
noch sechs aufrecht. Diese letzteren, welche ihr Steingebälk noch
tragen, sind ohne dieses 70, mit diesem 72 Fuss hoch und haben unten
einen Durchmesser von 8'/,, oben einen solchen von 5'/j Fuss. Sie
bestehen jede nur aus drei Stücken und sind aus ägyptischem Granit
gemeisselt. Eine Anzahl anderer gleichgrosser liegen zerfallen auf dem
Boden umher. Die Ordnung ist die korinthische, und zwar gehören die
Säuleu mit ihren im Verhältnisa zum Schaft zu wenig starken Kapi-
talen der Zeit des Verfalls dieses Styles an. Der Tempel ist vollendet
gewesen, sonst hätte man nicht ihm zur Seite, links an die Südwest-
ecke des vierseitigen Hofes, später ein neues Stück zu der Terrasse
gefügt, auf der sich die Ruinen erheben, und auf diesen tieferen Grund,
der die Symmetrie der Anlage stört, einen weniger kolossalen Tem-
pel gestellt, parallel mit dem grossen, der, wie noch hinzuzufügen, mit
der Vorhalle und den beiden Höfen eine Länge von ungeföhr tausend
Fuss hat.
Auf jenem zweiten, kleineren Tempel dürfte es zu beziehen sein.
wenn wir lesen, dass der römische Kaiser Antoninus in Syrien einen
Jttpitertempd baute, der ein Weltwunder war. Einen Tempel des Ju-
Syrien. 115
piter nämlich deuten die Darstellungen über seiner noch ziemlich gut
erhaltenen Flankenhalle an, derselben, welche der höheren Terrasse
des grossen Tempels zugekehrt ist. In den dortigen Deckenfeldern,
von denen sich noch einige oben befinden, während andere herabge-
stürzt sind, trifft man unter Anderm Leda mit dem Schwan, Ganymed,
vom Adler entführt. Der grosse Tempel aber wird dem Baal Schemesch,
dem syrischen Sonnengott geweiht gewesen sein, und auf ihn bexog
sich's, wenn Baalbek einst Heliopolis genannt wurde.
Der zweite Tempel ist besser erhalten als der grössere. Er ist
225 Fuss lang und 120 Fuss breit. Dreissig jetzt zertrümmerte Stufen
führten nach der Plattform, die ihn trägt, empor; neben der obersten
Stufe befanden sich rechts und links 15 Fuss hohe Piedestale, auf
denen Bildsäulen standen. Um ihn herum lief ein Peristyl, der auf
den Längenseiten fünfzehn, auf den schmalen acht Säulen hatte. An
der Ostseite waren nach innen noch acht Säulen angebracht, welche
die Vorhalle bildeten. Die Höhe der noch aufrecht stehenden dreizehn
Säulen beträgt 40 Fuss. Das auf ihnen ruhende Steingebälk ist mit
der Cella durch Platten, in deren Mitte sich Sechsecke befinden, ver-
bunden, die mit Basreliefs, welche jetzt bis auf jene Leda und jenen
Ganymed, völlig unkenntlich geworden sind, geschmückt waren. Die
Sarazenen haben, indem sie die Trümmer von Baalbek in eine Festung
verwandelten, die Vorderseite dieses Tempels durch Festungsmauem
verbaut und ihre Zinnenmauer an der Aussenseite selbst auf dem Stein-
gebälk über den Säulen herumgeführt. Nur durch Klettern über zer-
fallene Säulen und kolossale Mauerquadem kommt man zu dem Tempel
empor, und man muss durch ein enges Loch schlüpfen, wenn man zu
dem grossen Prachtportal des Heiligthums gelangen will. Dieses Portal,
das mit einem reichen Omamentenband gesäumt ist, ist wohl das gross-
artigste auf Erden. Die zu ihm liihrende Vorhalle ist tief und lässt
nur die Breite desselben, 21 Fuss, sehen. Die steinernen Seitenpfeiler
des Portals sind Monolithen und mit schön gemeisseltem Blumenwerk
verziert. Der Schluss-Stein des Thorgewölbes hängt scheinbar nur
ganz lose noch oben und bedroht den Eintretenden mit plötzlichem
Niedersturz. Auf dem Blocke erkennt man einen Adler, der auf dem
Kopf einen Federbusch und in den Krallen eine Schlange hat. Von
seinem Schnabel gehen Blumenketten aus, die mit jetzt kaum noch
erkennbaren Gestalten von Genien zusammenhängen. Treten wir in
das Innere des Tempels, die Cella, die hoch mit Schutt angefüllt ist,
so bemerken wir, dass sie — gleich dem Parthenon in Athen — keine
Decke hatte. Die Seitenwände sind mit kannelirten Halbsäulen korin-
thischen Styls geschmückt, zwischen denen sich eine doppelte Nischen-
reihe hinzieht. Die im Hintorgrund vorspringenden Piedestale lassen
schliessen, dass sich in ihnen Statuen befanden. Die Nischen zu ebener
Erde sind halbrund oder muschelförmig, die symmetrisch sich öffnen-
den haben einen dreieckigen Giebel. Die Länge der Cella beträgt 90,
die Breitu etwa 70 Fuss.
Treten wir wieder hinaus duroh das Portal und das Loch in
116 Syrien,
der sarazenischen Mauer davor, so stehen wir vor einem hübschen Qaa-
derthurm, der zu den Bauten gehört, mit denen die Araber die Tem-
pelruinen zur Burg umwandelten, üeber seinem Eingang nach dem
Hofe zu findet man ein zierliches Tropfsteingewölbe
Endlich ist noch des kleinen runden Tcmpelchens zu gedenken,
das sich in einiger Entfernung von hier befindet, und welches im
Mittelalter gleich dem zuletzt geschilderten als Kirche benutzt wurde.
Die Cella hat acht korinthische Säulen, zwischen denen sich Nischen
öffnen. Im Innern trifft man zwei Reihen von Säulen, von denen die
eine der korinthischen, die andere der jonischen Ordnung angehört.
Die Wände sind zerborsten und durch das eingesunkene Dach schaut
der Himmel herein.
Kehren wir zu der Terrasse zurück, welche den grossen Tempel
trägt. 80 bemerken wir, dass der ganze viereckige Hof dieses Bauwerks
ganz so wie die Südseite des Tempelplatzes in Jerusalem auf (iewölben
ruht. Wir können in den Tunnel eintreten, der sich zwischen den beiden
Tempeln, dem höher und dem tiefer stehenden, öffnet und unter der
ganzen südlichen Längenseite des Hofes hindurchführt. Wie wir be-
merkten, überragt der grosse zweite Hof mit seiner Breite nach beiden
Seiten sowohl den grossen Tempel im Westen, als den sechseckigen
ersten Hof, der sich im Osten ihm anschliesst. Diese überragende Breite
längs der ganzen nördlichen Seite mit jenem Nischensaum, ruht auf
zwei Tonnengewölben von derselben Richtung. Dieselben waren einst
durch Quertunnels verbunden, welche jetzt vermauert sind. Der Tunnel
auf der Südseite zeigt in seinen Schluss-Steinen zuweilen Porträtbüsten
und römische Buchstaben; aber trotzdem dürfte ein älterer Unterbau
zu unterscheiden sein, der sich an den grösseren Blöcken, anderer
Farbe des Gesteins und durch den Ansatz eines wenig hochgespannten
Gewölbes erkennen lässt.
Mit noch grösserer Wahrscheinlichkeit gehören einer älteren
Zeit als der römische Bau die ungeheuren, nirgends so «ross gefun-
denen Quaderblöcke an, die man in der westlichen und nördlichen
Wand der Tempelterrasse erblickt. Im Westen, wo einst das Hinter-
ende des grossen Tempels stand, finden wir in einer Höhe von 30 Fuss
an der Mauer eine Reihe von drei Quadern, von denen jeder bei 14
Fuss Höhe, über 60 Fuss (der eine 62, der andere 64, der dritte 68)
Länge hat. Man findet das Ende kaum, wenn man einen davon in der
Quadermauer mit dem Auge zu verfolgen anfängt. Damit war aber auch,
wie es scheint, die altsyrische Kraft erschöpft. Der obere Theil der
Wand über diese Blöcke hinaus ist römischen und arabischen Ursprun-
ges, und nur in dem benachbarten Steinbruch findet sich noch ein
solcher Block oder Quader vor, der auf seine Beförderung Each der
Mauer harrt. Auf der ganzen Nordseite ist gleichfalls ein altsyrischer
Unterbau kolossaler Quadern, die gleich denen der Substructionsmauer
des jerusalemer Harem immer nur an den Fugen glatt behauen oder
gerändert sind, zu verfolgen. Dort aber hat die römische Mauer sich
nicht auf sie gesetzt, sondern erhebt sich eine Strecke hinterwärts, da
Syrien. 117
sie die einstige Nordttanke des grossen Tempels zu tragen hatte. Zwischen
beiden Wänden ist eine Art Graben, der jetzt als Garten bebaut wird.
Sehr weit gebracht also hatte es die einheimische Baukunst nicht, als
sie von der römischen ersetzt wurde. Zu welcher Zeit jene diese Rie-
senqiiadern auf einander schichtete, wird immer unbekannt bleiben
müssen. Da indess der Handelsweg von Sidon und Tyrus herauf nach
Baalbek und von hier weiter nach Damaskus und Palmyra seinen ganzen
Schwung vermuthlich erst in der Glanzperiode Palmyras erreicht hat,
so wird der gewaltige Entwurf, der unvollendet bleiben musste, kaum
in viel früherer Zeit gemacht worden sein.
Das in der Nähe liegende Städtchen ist von Christen und Mo-
hammedanern bewohnt. Man trifft in den Häusermauern mancherlei
Bruchstücke der Tempel eingefügt. In der kleinen Moschee des Ortes
stammen die Säulen jedenfalls aus den Nischen des grossen Tempel-
hofes. Ebenso mögen die schöngeformten Säulen am Altar der Capelle
im benachbarten Kloster antiken Ursprunges sein.
Einige hundert Schritte vom Dorf trifft man die Steinbrüche
an, aus denen die Steine zu den Tempeln geholt wurden. Interessant
ist hier eine Anzahl vom Felsen losgebrochener und schon theilweise
bearbeiteter und geglätteter Steinblöcke, die seit zwei Jahrtausenden
liegen gelassen, den Eindruck machen, als ob sie die Steinmetzen eben
erst vorlassen hätten. Einer dieser Blöcke zieht vorzüglich die Auf-
merkeamkeit des Reisenden auf sich. Von einer senkrechten Felswand
von oben und zu beiden Seiten abgelöst, steht er da wie ein Pfeiler,
der nur nocli mit dem Grunde zusammengewachsen ist, 72 Fusa in
der Länge, 17 in der Breite und 15 in der Höhe.
Endlich mag noch der altern zertrümmerten Moschee an der
schönen Quelle von Baalbek Erwähnung gethan werden. In einem vier-
eckigen Vorhof erhebt sich ein GraMenkmal mit einer arabischen
Inschrift auf kleinen zerbrochenen Säulen von rothem Porphyr. Ein
schattiger Kastanienbaum breitet über einen Theil des Hofes sein
Wipfeldach, daneben, imr durch eine halbzerfallene Mauer getrennt,
ragen in einem Längenviereck zwei Reihen 9 Fuss hoher Säulen em-
por, die zum Theil noch durch Bogen verbunden sind, aber kein Dach
mehr tragen. In der einen Ecke des Hofes erhebt sich ein Thunn,
dessen sehr gebrechliche Wendeltreppe man hinaufsteigen kann. Oben
hat man eine weite Aussicht über die grüne Ebene.
3. Von Baalbek nach dem Cederahain tind über Tripolü nach Beirut snrück.
Von Baalbek nach den Cedern des Libanon reitet man mit guten
Pferden in acht, im gewöhnlichen Karavanenschritt neun bis zehn
Stunden. Der Weg geht zunächst über die Ebene mit ihren Getroide-
und Tabakfeldern. Eine halbe Stunde von Baalbek sieht man mitten
in den Saatfeldern eine hohe, einsame Säule, über deren Bedeutung
sich nichts Bestimmtes sagen lässt. Nach drei Stunden gelangt man
nach dem Dorfe Dejr El Achmar. Nicht weit davon befindet sich ein
118 Syrien.
zweites El Horsch. Das erstere ist grossentheils von Christen bewohnt
und hat eine Kirche, die der heiligen Barbara geweiht ist. Hinter Dejr
El Achmar betritt man das hier mit Zwergeichen bewachsene Gebirge.
Dritthalb Stunden von hier berührt die Strasse das auf einer Höhe
über einem gutgebauten Thal gelegene Dorf Ainitha, von dem man
bis zu den Cedern noch drei Stunden hat. Vor dem Eeisenden erhebt
sich der zu Ende Mai noch mit Schnee und Eis bedeckte Dschebel El
Makmel, der fast 9000 Fuss Höhe hat. Gewöhnlich macht man hier
in Ainitha Nachtquartier. Um über das Hochgebirge zu gelangen und
die Cedern, die sich auf der andern Seite befinden, nicht zu verfehlen,
thut man wohl, im Dorfe einen Führer mitzunehmen. Man reitet erst
wieder in das Thal hinab, durch das ein Bach rauscht, dann geht es
steil und immer steiler hinauf am Rande schroffer Abgründe und
Schluchten, wo nur noch spärliche Sträucher wachsen.
Nachdem man eine Höhe von etwa 7000 Fuss erreicht hat, von
der man bis in die Gegend von Tripolis und weit auf das Meer hinaus
schauen kann, erblickt man neben sich ein tiefes Thal, in dem sich
etwas wie Gesträuch zeigt. Hinabreitend gewahrt man, wie die Sträucher
grösser und endlich zu Bäumen werden. Es sind die berühmten Cedern
des Libanon, nach denen der Berg, zu dem der Thalkessel gehört,
Dschebel El Arz heisst Man reitet zuerst zwischen jüngeren, schlank
aufstrebenden und ziemlich weit auseinander stehenden Stämmen hin
und 'gelangt auf einen Rasenplatz, auf dem sich eine kleine dunkle
Capelle erhebt. Der hier weilende maronitische Priester liefert den
Reisenden Lebensmittel. Früher stand hier nur ein Altar unter freiem
Himmel, an dem alljährlich der Patriarch der Maroniten eine Messe
las. Das Wäldchen hat etwa 350 Cedern, doch sind darunter nur sehr
wenige, die ein Alter von mehr als einigen hundert Jahren haben. Von
den Urbäumen, die schon zu Salomo's Zeiten vorhanden gewesen sein
könnten, fanden sich im 16. Jahrhundert noch achtundzwanzig, im 18.
noch sechzehn vor. Jetzt gibt es von ihnen nur noch neun. Dieselben
theilen sich schon vom Boden aus in mehre Aeste oder Stämme, von
denen die stärksten einen Umfang von 18 bis 20 Fuss haben. Man
kann ohne Mühe an ihnen emporsteigen und in ihrem Gezweig umher-
gehen. Sie sind mit Namen von Reisenden bedeckt, unter denen man
auch den bekannten abenteuerlichen Freiherrn von Geramb findet, der
als Trappist starb.
Dieser Cedernhain ist nicht der einzige auf dem Libanon, aber
keiner der übrigen hat so alte Stämme aufzuzeigen, und keiner liegt
so nahe an den Strassen, welche die fränkischen Reisenden zu wandern
pflegen. Das Holz der Cedern ist weisslich, leicht zerbrechlich und ver-
breitet einen angenehmen Geruch.
Von den Cedern bis hinab nach Tripolis hat man neun bis zehn
Stunden. Der Weg führt zunächst aus dem Thalkessel, dessen Boden
6000 Fuss über dem Meer liegt, wieder nach dem Rande hinauf und
dann über einsame öde Berge und Thälerau dem Dorf Bischerreh vor-
über in einen mit Weinreben, Cjpressen und Olivenbäumen bepflanzten
Syrien. 119
Kessel hinab, in welchem nicht weit von einem schönen Wasserfall das
grosse Dorf Ehden liegt, welches von den Cedern drei Stunden ent-
fernt ist, und wo das oben erwähnte Treffen stattfand, in dem die
verbündeten Drusen und Maroniten die Türken schlugen. Von hier sieht
man bei heller Luft deutlich Tripolis tief drunten über Berggipfeln
und Schluchten liegen. Immer bergab steigend, zuweilen auf halsbre-
chenden Pfaden, gelangt man von Ehden in drei Stunden nach dem
prächtig auf der Höhe gelegenen Dorfe Mileh, wo man einen mit
Oleander bewachsenen Pluss überschreitet und bald darauf zu ebenen
Wegen gelangt, die sich zwischen üppigen Maulbeer-, Feigen- und
Citronen-Gärten hinschlängelu. Nach zwei Stunden erreicht man eine
weitgedehnte Hochebene, die sich nur noch 1000 Fuss über dem Meer
erhebt, und von der man auf einer sanft geneigten Abdachung nach
Tripolis hinabsteigt, das mit seinem weitläufigen alten Kastell und
seineu weissgrau aus grünen Gärten auftauchenden Häusern und Mo-
scheen recht stattlich aussieht. Von hier hat man noch eine halbe
Stunde zwischen den Cactuswänden von Baumpflanzungen zu reiten,
um nach der Vorstadt oder Hafenstadt von Tripolis zu gelangen, wo
man bei richtiger Eintheilung der Zeit Gelegenheit findet, sich auf
dem Lloyddampfer nach Cypern oder den Küstcuorten Nordsyriens und
Karamaniens einzuschiffen.
Tripolis, arabisch Tarablus, hat gegen 12,000 Einwohner. Der
Fluss, der es bespült, ist der vom Dschebel El Makmel kommende
Nähr Kadischa. Die Hafenstadt heisst El Mina. Wer den Dampfer ver-
säumt hat. mag von hier einen Ausflug nach den zehn Stunden nörd-
licher gelegenen Trümmerstätten von Tartus und Ruad unternehmen.
Dieselben liegen am Meer, da, wo sich das breite Thal des Nähr El
Kebir fim Alterthum Eleutherus) zwischen dem Nordende des Libanon
und dem Nosairiergebirg öfihet, und bezeichnen die Stellen, wo die
altphönizischen Städte Arad und Marathos standen.
Arad, das jetzige Ruad, liegt auf einer Insel und war im 8.
Jahrhundert v. Chr. eine volkreiche Stadt mit hohen Häusern und
einem von Hallen umgebenen Marktplatz, eine Art phönizisches Ve-
nedig. Von dieser sind zunächst die ungeheuren Mauern mit Fugen-
ränderung noch übrig, die man auf der Nord- und Südseite der Insel
antrifft. Nach Osten öffnete sich der Haupthafen. Der innere erhöhte
Pelsboden der Insel ist voll von alten Cisternen und Felsenkammern.
Die jetzigen Bewohner der Insel nähren sich von Schiffahrt und Schwamm-
fischerei. Auf Ruad sowohl, wie auf der benachbarten Küste findet sich
die echte Aloe.
Von der Stadt Marathos, jetzt Tartus, die der Insel auf dem
Festland gegenüber liegt, steht noch ein gewaltiges Castell mit dop-
pelter Mauer und doppeltem in den Fels gehauenen Graben, dessen
äussere Mauer, theilweise noch gegen 60 Fuss hoch, unten Lagen von
alterthümlichen Quadern zeigt. Im Innern Hofe befindet sich ein mit-
telalterlicher Saal mit grossen Fenstern und von Grauitsäulen getra-
genen Gewölben. Die Stadt hiess im Mittelalter Tortosa. Von damals
120 Syrien.
stammt auch die Euine der grossen Kirche, die man im Bereich der
alten Stadt antrifft.
Noch wichtiger ist die NekropoUs der alten phönizischen Städte,
die sich auf dem Wege von Tripolis nach Tartus ausdehnt. Hier
zwischen den Steinbrüchen und Gebüschen sieht man bald einen kolos-
salen Steihwürfel, nach dem Stufen hinaufführen und vielleicht einst
einen Thurm wie Absaloms Grab trug, bald einen quadratischen Bau
aus gewaltigen Quadern mit Kammern im Innern, bald einen ganzen
in den Felsen gehauenen Hof, in dessen Mitte ein altarartiger Würfel
steht. Man kennt namentlich zwei fast 30 Fuss hohe Grabaufsätze, die
in geringer Entfernung von einander im Angesicht der Insel Euad
liegen, und von denen der eine über einem viereckigen Felsblock sich
in Walzenform erhebt und mit einer kurzen Spitze endigt, während
der andere, gleichfalls von Walzenform, sich nach oben kegelartig ver-
jüngt. Ein doppeltes Band von Stufenzinnen umzeichnet den obersten
und den mittleren Theil. Darunter, zwischen Schutt und Gestrüpp sind
grosse Grabkammern mit Nischen und Bänken zu sehen.
Der Weg von Tripolis nach Beirut zurück erfordert neun bis
zehn Stunden, im Karavanenschritt elf bis zwölf. Er führt vierthalb
Stunden südlich von Tripolis über ein Kap, welches, im Alterthum
Theuprosopon, d. i. Gottesstirn, genannt, sich fast 1000 Fuss senk-
recht über das Meer erhebt. Steile Pfade führen an der weissen Krei-
dewand empoK Oben liegen einige griechische Klöster. Dritthalb
Stunden von hier berührt man das elende Städtchen Dschcbil, wo einst
die Stadt Byblos, syrisch Gehul, die Heimat der phönizischen Stein-
metzen, lag, welche Tyrus ausbesserten und dem König Salomo seine
Quadern behieben. Man findet hier in der Nähe ein Castell, dessen
untere Mauern Fugenränderuug zeigen, während die obern Lagen, in
die mehre Granitsäulen verbaut sind, von den Römern oder Sarazenen
herrühren.
Von hier wendet sich der Weg nach Osten und geht, nachdem
er den Fluss Nähr Ibrahim durchschritten, um die tiefausgeschweifte
Bucht von Dschuneh herum. Der Nähr Ibrahim ist der alte Adonis,
an dem die altasiatische Sage entstand, welche, später von den Griechen
ausgeschmückt und umgewandelt, vom Dichter Panyasis besungen
wurde. Der Fluss kommt, wie die meisten Gewässer des Libanon, von
Nordosten, und ist von hier aus nicht aufwärts zu verfolgen. Indess
Aveiss man, dass er im Gebirg aus einer grossen Höhle hervorbricht
und sich dann in einer Reihenfolge von Wasserfällen herabstürzt. Nicht
fern von seinem Quell liegen die Ruinen eines alten Venustempels, in
dem im Alterthum grosse Ausschweifungen stattfanden.
Am Südende der Bucht von Dschuneh ergiesst sich wieder ein
Gebirgswasser in die See, der Nähr El Kelh, im Alterthum Li/kos
genannt. Nicht fern von der hohen Bogenbrücke, auf der ma,n ihn
überschreitet, am Berge über seinem Südufer finden sich zwischen
wilden Feigensträuchern die berühmten altägiiptischen und altsi/risdten
Bhamseshüder. Es sind drei ägyptische. Sie gehören, wie der noch
Syrien. 121
wohl erkennbare Namensschild auf der einen Tafel besagt, der Zeit des
zweiten Rharases oder Seostris an, der sie hier als Denkmal seiner Sie-
gosziige in Syrien und Phönizien zurückliess. üeber den Tafeln befindet
sich das bekannte ägyptische Hohlgesims. Die öculpturen sind sehr
verwittert. Indess erkennt man doch noch den König, wie er einen
Gefangenen am Schopf gefasst hat, um ihn vor verschiedenen Göttern,
in der einen Tafel vor Amun, in der andern vor dem Sonnengott und
in der dritten vor Ptah niederzuschlagen. Die darunter befindlichen
Hieroglyphen sind kaum noch zu erkennen. In den vier Ecken der
Rahmen finden sich Löcher, welche auf Angeln deuten, in welclien sich
die Thüren drehten, mit denen die Sculpturen bedeckt wurden. Neben
jeder ägyptischen Tafel erblickt man eine nach oben gerundete assy-
rische. Sie enthält die Figur des Sanherib, der mehre Jahrhunderte
nach Sesostris hier als Eroberer auftrat Der König trägt einen langen
Rock und erhebt den rechten Arm. Die Figur sowohl, wie der leer
gelassene innere Raum im Rahmen, ist mit halbverwitterter Keilschrift
bedeckt. Diese Tafel wiederholt sich noch mehrmals, auch wo sich
keine ägyptische findet.
Am Felsen links von der Brücke im Thal begegnet man noch
einer dritten Sprachprobe, die gleichfalls an einen grossen Eroberer
erinnert. Es ist eine gleichfalls sehr verwitterte Tafel des Sultan Se-
lira I., des Besiegers Aegyptens. An der Brücke ladet ein Khan zur
Rast ein. Dem Fluss stromaufwärts zu folgen, ist unmöglich. Seine
Quelle ist hoch oben im Gebirge, von wo er sich, oft in unterirdischen
Seen und Tropfsteingrotten verschwindend, raschen Laufes herabstürzt.
Ganz oben, an einem seiner Quellbäche, liegt unter dem Dschebel
Sannin die Trümnierstätte von Fakrah. Man trifit hier Tempelruiuen
und eine kleine Pyramide. Die letztere hat unten 50 Fuss im Quadrat,
lässt ihre Seitenwände in einer Höhe von 9 Fuss zu Stufen werden,
und schliesst oben mit einer vierseitigen Fläche. Im Innern trifft man
eine Grabkaramer, zu der zwei Eingänge führen: einer auf der Nord-
seite und ein höher gelegener im Osten.
Nach Beirut zurückgekehrt, kann man entweder über Cypern
und Rhodus oder über Lattakiah, Alexandretta, Mersina und Adalia
nach Smyrna fahren. Für beide Fälle kann der Reisende Lloyddampfer
benutzen.
Die Orte der zuletzt angegebenen Linie bieten dem Reisenden
nur geringes Interesse. Lattakiah, das von Seleucus Nicator gegrün-
dete Laod'cea des Alterthums, liegt sehr anrauthig in Gärten und
Hainen, und ist seines Tabaks wegen berühmt. Die beste Sorte heisst
Abu Richa, wörtlich „Vater des Wohlgeruchs'' und kostet jetzt 60 bis
80 Piaster die Okka (2V4 Pfund). Derselbe erhält keine Beize, sondern
wird über einem Feuer geräuchert, in welches wohlriechendes Holz
geworfen wird Von Altertiiümern trifft man hier ausserhalb der Stadt
einen noch gut erhaltenen römischen Triumphbogen, und in die Mauern
des verfallenen Castells am Meer sind eine Menge Säulentrümmer von
Cipollin, Verde Antico und andern kostbaren Marmorarten eingemauert.
122 Syrien.
Alexandrette, am Meerbusen von Skanderuu in sehr ungesunder Ge-
gend gelegen, ist der Hafen für Aleppo, welches von hier fünf Tage-
reisen entfernt ist. Mersina ist ein trübseliger Ort ohne alle Sehens-
würdigkeiten, der nur dadurch Bedeutung hat, dass er der Hafenplatz
für Tarsus ist. Adalia ist eine hübsche, gleich Mersina schon zu Klein-
asien gehörige Stadt, die in Hainen von Maulbeer-, Feigen- und Oran-
genbäumen auf einer schroffen Klippe hart über der See liegt und
mancherlei zertrümmerte Reste alter Gebäude in sich birgt.
Interessanter ist die Tour über Cypern und Rhodus. Vor der
ersteren Insel hält der Lloyddampfer zehn, vor der letzteren fünfzehn
Stunden.
Die Haupthandelsstadt von Cypern, vor welcher das Schiflf
anlegt, ist Larnaca, ein flach hingestreckter, weitläufiger Ort, über
dem viele Consulatsflaggen wehen, und der an der Stelle des alten
Kition liegt. Die Häuser sind aus Stein gebaut und haben noch flache
Dächer, wie in Syrien. Merkwürdigkeiten besitzt die Stadt keine. Die
Insel, die gegenwärtig von etwa 110,000 Menschen bewohnt wird, unter
denen gegen 90,000 Griechen sind, ist berühmt als ehemaliger Wohn-
sitz der Liebesgöttin der Griechen, was damit zusammenhängt, dass
in der Urzeit die Einwohner (sie waren syrischen Stammes) einen sehr
ausschweifenden Cultus der Astarte feierten. Wer Zeit hat, sich hier
länger aufzuhalten, möge folgende Puncte besuchen: Delin, einst Ida-
lion, 3 /j Stunden landeinwärts, nordöstlich von Larnaca, wo man noch
Mauerreste der alten Oberstadt antrifft und wo eine höchst merkwür-
dige Erzplatte gefunden wurde, welche eine Proclamation des ägypti-
schen Königs Amasis an die Cyprier in alterthümlichen Schriftzeichen
enthält. Ferner Leukosia mit 15,000 Einwohnern, die gegenwärtige
Hauptstadt der Insel, die von fern mit ihren venetianischen Festungs-
werken, ihrer gothischen Sophienkirche, ihren Minarets und ihren vielen
Palmen recht stattlich aussieht, im Innern aber voll Schmutz und
Verfall ist. Hier residirt der griechische Erzbischof von Cypern, der
sich seit alter Zeit in Purpur kleiden darf und den Titel „der Selige"
führt. Die Sophienkirche, in welcher einst die Könige der Insel gekrönt
wurden, ist jetzt Moschee. Von ihren Thürmen überblickt man die
Hauptebene des Insellandes. Der Berg im Südwesten ist die cyprische
Olympos. Im Südosten begegnet das Auge den Thürmen von Famago-
sta, der einstigen glanzvollen Hafenstadt der Veuetianer, von der zahl-
reiche Kirchen- und Palastruinen neben einigen noch jetzt bewohnten
Häusern übrig sind. Nordwärts davon erblickt man die Trümmer des
alten Salamis.
Noch wichtiger als das bisher Erwähnte sind für den Freund
des Alterthums die Stätten, wo einst Faphos und Amathus lag. Orte,
wo die cyprische Aphrodite besonders eifrig verehrt wurde. Zu Amathus,
auf der Höhe des einstigen Berghügels, der nach der See flach, nach
dem Innern steil abfällt, steht im Gebüsch ein kolossales Steingefäss
Es hat die Gestalt einer von oben gedrückten Kuppel, deren obere
Oeffnung etwa die Hälfte der äussern Bauchweite, 7 Fuss, misst- Starke
Syrien. 123
Henkel sind auf allen 4 Seiten der äussern Rundung und zeigen das
halberhabene Bild eines Stiers innerhalb ihrer Wölbung. In der Nähe
liegen die Bruchstücke eines ähnlichen Gefässes. Beide könnten andeuten,
dass hier der Tempel der Aphrodite gestanden habe.
Eine beträchtliche Strecke weiter nach Westen und jenseits von
Limasol oder Limessos, einem lebhaften Hafenort, wo man Cyperwein
verschifft, folgt die Stätte von Paphos. Von dem Tempel sind nur noch
einige grosse Quadern übrig, auf einem Hügel, der ausser ihnen jetzt
ein Dorf und einen mittelalterlichen Thurm trägt. Westwärts von hier
lag einst der Hafenplatz Neu-Paphos, von wo die Festprocessionen
nach dem Heiligthum heraufkamen. In der Nähe erhebt sich ein mit
Gräbern ausgehöhlter Hügel aus der Ebene, der in dem an Denkmälern
armen Ovpern die bedeutsamsten architektonischen Reste enthält. Es
sind Gräberhöfe, die man (gleich dem Grabe der Helena von Adiabene
bei Jerusalem) in den Fels gesenkt und von 3 Seiten mit einer dorischen
Säulenstellung umgeben hat. Die Säulen sind ohne Hohlstreifen und
tragen, nur wenig von der Felswand abstehend, das über sie hervor-
ragende Gestein. Diese Decke zeigt über dem glattgelassenen Band
eines nur angedeuteten Architravs einen dorischen Triglyphenfries, nur
sind es hier eigentlich keine Triglyphen. keine Dreischlitze. sondern
Vierschlitze. Urter den Säulen öffnen sich die Grabkararaern, die den
benachbarten Hirten zu Stätten für ihre Herden dienen und deshalb
so wie der Hof hoch mit Schaf- und Ziegendünger angefüllt sind.
Die Tour durch Cyperu wird am geeignetsten in folgender
Weise gemacht : Larnaca nach dem Barnabaskloster am Berg Santa
Croce (griechisch Stavros Bunos) 5 Stunden, Moni 5, Limasol 4, Epi-
skopi 2'/,, Pissuri 4, Kuklia 8, Paphos 3, Chysorogiatissa 5, Berg
Olympos oder Troodos 6, Cicco 4, Levka 3, Morpho 4, Acheropiti 7,
St. Hilarion 3, Cerinea 1%, St. Chrysostomo (via Delapais und Buffa-
vento) 4, Nikosia 2, Citrea 2, Hagios Ilias 9, Kantara 2, St. Barnabas
5, Pamagostjj, 2, Larnaca 8 Stunden. Man reist auf Mauleseln, die man
für 10 bis 11 Piaster per Tag zu miethen bekommt. Von Gasthöfen
ist mit Ausnahme von Tiarnaca, wo es eine Locanda gibt, nirgends die
Rede. Aber das Landvolk ist gastfrei und mit einer geringen Vergütung
zufrieden. Wein, Eier, Geflügel, Honig, Brot und Käse sind allenthalben
leicht zu haben. Räuber gibt es in Cypern nicht. Zur Jagd gibt es
allenthalben Gelegenheit, da die Insel reich an Hasen, Rebhühnern,
Schnepfen, Frankolinen und Enten ist. Besonders reich an solchem
Wild ist die Gegend von Kuklia und Pissuri, sowie das ganze Thal
von Maratassa, und in den Ilinöden um das Gap Epiphemios trifft man
selbst wilde Schafe, wilde Schweine und wild gewordene Esel, Ochsen
und Pferde an.
Die Insel ist 250 Quadratmeilen gross und bildet ein Ejalet des
türkischen Reiches. Das Klima ist mild und gesund, der Erdboden
durchschnittlich sehr fruchtbar, der Anbau im Allgemeinen vernach-
lässigt. xVusfahrartikel sind Hanf, Tabak, Oel, Südfrüchte und Wein.
Von den Cyperweinen ist der Commanderia der beste. Der Pechge-
124 Syrien.
schmack der Cyperweine kommt davon, dass man sie Anfangs in ver-
pichte Schläuche füllt. Er verliert sich mit den Jahren ebenso wie die
rothe Farbe der Weine. Dem Ackerbau schaden die Heuschrecken und
die Dürre des Sommers.
Rhodus, jetzt Ehodi, gehört seiner Natur, sowie seiner son-
stigen Verhältnisse zufolge schon zu Kleinasien. Es ist eine 9 Meilen
lange, etwa 4 '4 Meilen breite dreieckige Insel, deren Inneres gebirgig
ist und sich im Artemira 5000 Fuss über den Meeresspiegel erhebt.
Im Alterthura sehr fruchtbar, ist es jetzt nicht so gut angebaut, als
es sein sollte. Einwohner hat es gegen 40,000, von denen ^4 Griechen
sind. In frühern Zeiten hatte allein jede der drei Hauptstädte der
Insel so viele Bewohner. Der von Virgil als Göttertrank gepriesene
Wein von Rhodus ist jetzt sehr mittelmässig. Das Klima dagegen ist
noch immer so mild und schön wie" damals. Die Stadt Mkodus liegt
an der Nordostecke der Insel und nimmt sich, in der Form eines Am-
phitheaters an den Bergen erbaut, sehr stattlich aus. Im Innern ist
sie hässlich und schmutzig. Reste aus dem Alterthum sind nicht mehr
vorhanden, und was aus der Zeit der Johanniterherrschaft erhalten
war, die Johanneskirche, die alterthümlichen bürgerlichen Häuser der
Eitterstrasse, der schöne gothische Thorbogen u. s. w. ist durch die
furchtbare Explosion eines Pulvermagazins, welche im Jahre 1857
stattfand, in traurige Ruinen verwandelt worden. Näheres über das
Innere von Rhodus und seine Geschichte findet man in unserm „Reise-
handbuch für Griechenland' (Triest, Literarisch-Artistische Anstalt
1859), wo auch die übrigen türkischen Inseln auf dem Wege von Syrien
nach Smyrna geschildert sind.
Kleinasien. 125
SECHSTES CAPITEL
X£leiiiasien.
Kleinasien im Allgemoinen. — Smyrna. — Nimfl. — Reise über Afagnesia und Ber-
gama nach der Ebene von Troja und den Dardanellen. — Drei Routen durch das Gebiet
von Troas. — Tour nach den „Sieben Kirchen" : Ephesus, Laodiceu, Pliiladelphia, Sar-
des, Thyatira und Perganios. — Tour von Smyrna über Sardes und Brussa nach Con-
stantinopel. — Von den Dardanellen über Brussa, tsnik und Ismid nach Constantinopel.
— Tour von Adalia durch Lycien und Karlen nach Smyrna. - Verschiedene Pläne zn
Touren im Innern des Landes. — Tour zur See von Constantinopel nach Trapeznnt und
von dort zn Lande nacli Tripolis und Kerasunt.
In Smyrna gelandet, fiudeh man sich, wenn auch noch von raor-
genländischen Bildern umgeben, doch schon in einer sehr andern Welt
als in Syrien, Palästina und Aegy])ten. Man hat den Süden, die ara-
bische Hälfte des türkischen Reiches hinter sich gelassen und sieht
sich in der griechisch-türkischen. Und dasselbe gilt vom grössten Theil
Kleinasiens, namentlich von den Küstenstrichen. Die Farben der Land-
schaft sind nicht mehr so warm. Statt an die Wüste wird man mehr
an das Meer erinnert. Während im Süden die Palme den Charakter
der Gegenden bestimmt, sind hier der Oelbaum und die Cypresse die
charakteristischen Bäume. Während in Syrien und Palästina die Häuser
von Stein, einfarbig weissgrau sind und stets flache Dächer haben, hat
das Haus des Kleinasiaten ein schiefes, mit rothen Ziegeln gedecktes
Dach, Wände von Holz und in der Regel einen bunten Anstrich.
Während die Friedhöfe im Süden meist halbwüste Stätten ohne Baum
und Strauch sind, bepflanzt der Türke im Norden seine Gräber mit
Cypressen, die dann schöne stolze Haine bilden. Im Süden wurde ara-
bisch als Landessprache geredet, hier nur türkisch und griechisch. Dort
sind blaue oder graue Augen eine Seltenheit, hier begegnen sie uns
häufig; dort lässt mau sich den ganzen Bart wachsen, hier gewöhnlich
nur den Schnurrbart; dort trägt die Mehrzahl der Männer noch den
Turban und die lang herabgehende kaftanartige Abaje, die Mehrzahl
der Frauen den schneeweissen Mantel, hier herrscht als Kopfbedeckung
schon das Fez, als Bekleidung des Leibes die Jacke vor, und die Frauen
tragen bunte Mäntel. Verschieden ist endlich, um manches Andere zu
übergehen, auch der Tabak, indem man im Süden fast nur den schwar-
zen Lattakiah raucht, während im Norden der Pfeifenkopf oder die
Cigarrette mit dem gelben Kraut von Stambul gefüllt wird.
126 Kleinasien.
Kleinasien, lateinisch Asia Minor, von den Türken Anadoli
genannt, ist die grosse Halbinsel, die sich westlich vom Euphrat bis
an das ägäische und das Marmorameer ausdehnt und sich vom Süd-
rande des armenischen Hochlandes bis zum Taurus und vom Schwarzen
Meer bis zu den Pässen Ciliciens senkt. Es hat bei einer Grösse von
8000 Quadratmeilen nur 5 bis 6 Millionen Einwohner, während es im
Alterthum mindestens die zehnfache Zahl erreicht haben wird. Hier,
unter dem milden Himmel Joniens war die Heimath der Sagen von
Troja und der homerischen Gesänge. Hier breitet sich uord-, ost- und
südwärts das fruchtreiche Binnenland aus, um dessen Besitz seit den
dunkeln Zeiten der Semiramis dreitausend Jahre hindurch die mäch-
tigsten Eroberer und die ruhmvollsten Völker der Geschichte gekämpft
haben. In diesen drei Jahrtausenden entstanden, blühten und verblühten
hier mächtige Staaten, reiche Königs- und Handelsstädte, Künste und
Wissenschaften. Von hier aus erschütterte Alexander der Grosse den
ganzen Orient bis nach Indien und Persien hinein, und hier erstritt
sich Kom im letzten Jahrhundert v. Chr. die Herrschaft über die civi-
lisirte Welt. So viele Staaten und Städte dabei ihren Untergang fanden,
die Civilisation erhielt sich doch. Erst als die Türken unter Osman
im alten Bithynien sich festsetzten und von hier aus die ganze grosse
Halbinsel unterwarfen und verheerten, fiel ein Werk der Cultur nach
dem andern in Trümmer, und nur die Natur mit ihrem Segen blieb
dem Lande treu, so dass es noch jetzt zu den schönsten und im Ver-
gleich zu seiner nachlässigen Bebauung zu den reichsten Ländern der
Erde gehört.
Die Bergketten des Landes gehen von dem armenischen Plateau
aus. Die eine begrenzt zuerst das Euphratthal und durchschneidet es
dann bei Samosata, die andere läuft an der Nordküste hin. Diese bei-
den Bergzüge sind durch gebirgige Districte verbunden, die sich von
Angora bis zum Arjisch Dag strecken, dessen mit ewigem Schnee be-
deckte Gipfel eine Höhe von 13,000 Puss erreichen. Die südliche Kette
des Taurus bildet die Nordgrenze von Cilicien, ein getrennter Zweig
dieses Gebirgs, der Alma Dag, trennt Cilicien von Syrien. Zwei andere
Bergreihen, die vom Westen des Mittelplateaus auslaufen, sind der
Babadag, der nach Samos und Chios hin, wo er Tmolus heisst, mit
verschiedenen Caps endigt, und eine zweite, zu welcher der Ida und
der asiatische Olymp gehören, und der sich nordwestlich nach Mysien
und Bithynien hineinzieht. Endlich nimmt die Kette des Olgasys den
Strich zwischen dem Halys und dem Sangarius, das alte Paphlagonien
ein. Am Fuss dieser Gebirgszüge liegen wellenförmige Ebenen, die mit
Heidekraut, Myrthen, Ehododendron und zahlreichen wohlriechenden
Sträuchern, Disteln und Gras bedeckt sind. Die Flüsse des Landes sind
unbedeutend, die grössten ergiessen sich in das schwarze Meer. Unter
diesen sind zu nennen : Der Irmak (einst Iris), der Kissil Irmak (Halys),
der Bartan (Parthenius), der Filbas (Billaeus) und die Sakaria (San-
garius). Seen hat Kleinasien eine grosse Anzahl, und zwar sind es meist
Salzseen. Der grösste derselben ist der See von Tusslar, der eine Länge
Kleinasien. 127
von 7 deutschen Meilen hat. An der Küste bilden die zahlreichen
Vorgebirge schöne Buchten und Häfen, von denen jetzt aber die
meisten unbenutzt, ohne Schiffe und Handel sind. Einst volkreiche
Städte sind zu elenden Dörfern oder blossen Trümraerstätten geworden.
Der Ackerbau wird in der rohesten Weise betrieben, gibt aber trotz-
dem reiche Ernten. Man erzeugt Weizen, Gerste, Oel, Wein, Südfrüchte
und namentlich an der Küste des Schwarzen Meeres ungeheure Massen
von Wall- und Haselnüssen, Aprikosen, Pflaumen und Kirschen. Ebenso
reich sind diese Küsten an schönen Waldbäumen, vorzüglich Eichen,
während die kalten Höhen des Taurus mit Cypressen, Cedern und
Wachholdern gekrönt sind. Von Erzen liefern die Berge vorzüglich
Kupfer und silberhaltiges Blei. Die Einwohner sind im Innern meist
Mohammedaner, die türkisch sprechen. An der Küste wohnen viele
Griechen, namentlich in den grössern Städten. Im Alterthum zerfiel
Kleinasien in die Eeiche (später Provinzen) Mysien, Lydien, Karlen,
Lycien, Pamphylien, Pisidien, Phrygien, Galatien, Kappadocien, Lycao-
nien, Bithynien, Cilicien und Pontus. Jetzt ist es in acht Paschaliks
oder Ejalets getheilt, welche Chudavendkiar (Theile von Bithynien,
Phrygien und Mysien umfassend), Kastamuni (das alte Paphlagonien),
Aidin (Lydien, Karlen und Pisidien in sich begreifend), Karaman (Ly-
cien, Pampliylien und Theile von Cilicien und Phrygien vereinigend),
Adaua (der Rest von Cilicien), Bossok und Sivas (Galatien und Kap-
padocien) und Tarabosan (Pontus) heissen.
Für Reisen in Kleinasien ist ein Firman oder Teskereh sehr
wohl zu brauchen, während ein Teskereh in den von uns geschilderten
Strichen Syriens nicht nothwendig ist. Die Geldverhältnisse sind die-
selben wie in Syrien, doch versehe man sich für Touren in das Innere
mit einem reichlichen Vorrath von Scheidemünze. Dragomane, die tür-
kisch und griechisch sprechen, findet man in den Gasthöfen von Smyrna.
Wer sich auf die Küstenstädte beschränkt, bedarf ihrer nicht, da hier
die meisten Einwohner etwas Italienisch verstehen. Gasthöfe gibt es
nur in Smyrna, Brussa und Trapezunt; in letzterer Stadt existirt nur
eine schlechte Locanda. An allen andern Orten ist der Reisende auf
die Khans oder Privathäuser angewiesen, welche letzteren ihm sein
türkischer Pass öffnet. Man reist auch hier nur zu Pferde. Für ein
Pferd wird bei längeren Touren ein türkischer Thaler (20 Piaster) für
den Tag bezahlt. Doch thut man wohl, dies wie alles Andere, was zur
Reise gehört, dem Dragoman zu überlassen, dem man für seine Be-
mühung und seine Auslagen ungefähr dasselbe gibt, was in Syrien
gezahlt wird. Hinsichtlich der Wahl eines solchen wende man sich an
sein Consulat in Smyrna. Ob die Gegenden, die man zu durchreisen
gedenkt, sicher sind, erfährt man ebenfalls am besten bei seinem
Consul. Nicht selten kommen Raubanfälle selbst wenige Stunden von
Smyrna vor. Die beste Karte von Kleinasien ist die zu Berlin in ö
Blättern erschienene Kiepertsche. Die geeignetste Zeit zum Reisen in
Anatolien ist das Frühjahr und der Herbst. Wer im April hier an-
kommt, thut wohl, mit den südlichen Gegenden zu beginnen und sich
128 Kleinasien.
allraälig nach den nördlichen zu begeben. Die Hitze des Sommers ist
in den ebenen Gegenden so gross wie in Syrien, und es ist nicht ge-
rathen, Mittags zwischen 11 uud 4 Uhr zu reisen, während wieder im
Gebirge oder auf den Hochflächen des Innern die Abende und Nächte
zu kalt sind. Man reise nicht in sumpfigen Ebenen nach Sonnenunter-
gang, schlafe nicht unter Olivenbäumen, da die Nichtbeachtung dieser
Eegeln bösartige Fieber zur Folge hat, man sehe endlich nach, dass
der Dragoman ein gutes Zelt mitnimmt, da die Orte, wo man ein
Dach für die Nacht trifft, oft sehr weit auseinander liegen.
1. Smyrna und seine TJmgebung.
Die Hotels Smyrna's belinden sich alle in der Nähe des Lan-
dungsplatzes. Das beste ist das „Hotel Mille", wo man per Tag 12
Franken zahlt. Im „Hotel Müller" (Preusse) und im „Hotel Europe*
gibt man per Tag 8 Franken.
Von sonstigen Preisen merke man noch:
Man zahlt per Tag für einen Lohndiener 3 Franken, für einen
Wagen 10—15 Franken, für ein Tragthier 8 Franken und für ein
Eeitpferd 5 Franken.
Eintrittspreis in das italienische Schauspiel beträgt 1 Frank, in
die italienische Oper 3 Franken, eine Loge kostet 5 — 10 Franken, ein
Sitz im Parterre '/j — l Frank.
Die Geldverhältnisse sind hier, wie im ganzen Orient, etwas
verwickelt. Zum Verständniss der gegenwärtig bestehenden vier Wäh-
rungen ist zu bemerken, dass sie sich (1870) folgendermassen zu ein-
ander vorhalten:
Conrentes Geld
Legales Geld
Tarifgeld
Wechselgeld
1 Lira turca . .
114 Pstr.
100 Pstr.
126 Pstr.
117 Pstr.
1 Lira inglese .
128
110 „
138
128
1 Napoleond'or .
99
87 „
109% ,
101% ,
1 Talaro Medjid
22% „
5 Franken
24.30 „
1 Allilik
6.20 „
1 Beschlik
5.20 „
Courentes Geld ist für den allgemeinen Verkehr in der ganzen
Stadt, legales Geld für den Privatverkehr, Tarifgeld für den Import
und endlich Wechselgeld für den Export in Geltung. Das norddeutsche
und österreichische Generalconsulat erkennt man an den Flaggenstangen.
Deutsche finden sich in Smyrna eine ziemliche Anzahl. Man trifft deren
immer einige in dem von einem Deutschen gehaltenen Kaffeehaus am
Hafendamme, wenige Schritte von der Lloyd-Agentie. Ein italienisches
Theater, welches sich indess auf nicht sehr hoher Stufe befindet, trifft
man im Frankenquartier in einer Ecke der Rue des Roses. In den Kauf-
läden der grossen Strasse des Frankenquartiers bekommt man alle
Erzeugnisse europäischer Fabriken zu kaufen. In den bessern Kaffee-
Kleinasien. 129
hänsern, sowie in den verschiedenen Clubs, liest man englische, fran-
zösische und deutsche Zeitungen. Für Krankheitsfälle wende man sich
an den deutschen Prediger, der die Aufnahme in das holländische
Hospital vermitteln wird, welches trefflich eingerichtet ist. Katholiken
finden Pflege in dem österr.-ungarischen Hospitale St. Antonio, dem
Barmherzige Schwestern vorstehen.
Smi/rna war bis zum Jahre 1825 der Hauptstapelplatz der Le-
vante. Dann aber kamen in Folge der Dampfschiffahrtseröffnung sowohl
Syrien als auch Persien in vielfachen directen Verkehr mit Europa,
was nur zum Schaden Smyrnas ausschlug.
Immerliin aber wird es eine der hauptsächlichsten Handelsstädte
des ottomanischen Kaiserreiches bleiben, denn es hat ein an werthvoUen
Bodenproducten gesegnetes Hinterland, für deren Verwerthung es den
Centralpunct bildet und bietet zugleich den Seefahrern einen sicheren
geräumigen Hafen und guten Ankerplatz.
Smyrna, von den Türken Ismir genannt, die Königin von Ana-
tolien, von den Alten als „die liebliche", die „Krone Joniens", die
„Zierde Asiens" gepriesen, macht, von der Ehede aus gesehen, nicht
den Eindruck, der diesen poetischen Schwung erklärte. Dagegen ist es,
von den' Höhen über der Stadt betrachtet und verbunden mit der
prachtvollen Bucht, an der es liegt, allerdings eine der schönsten
Städte dieser Küsten. Die Bucht ist 8 deutsche Meilen lang und •/,
bis 1 Meile breit Schöngeformte Berge, die im Morgen- und Abend-
licht in jenem wunderbar schönen violetten Lichte leuchten, welches
diesen Gegenden eigen ist, und von denen sich die Pratelli gegen
1500, der hinter der Stadt aufsteigende Pagos gegen 1000 F. über das
Meer erheben, und anmuthige grüne Strandebenen schmücken sie. Am
Eingang liegen mehre felsige Inseln, die einst Schlupfwinkel von See-
räubern waren. Die Form der Stadt ist elliptisch, ein Theil liegt auf
ebenem Boden und zieht sich fast eine halbe Stunde hart am Strande
hin. Hier wohnen, grossentheils in Häusern von Stein, die fast ohne
Ausnahme nur ein Stockwerk haben, die Christen, unmittelbar am
Ufer die Franken, weiter landeinwärts die Griechen, dann die Armenier.
Noch weiter zurück liegt das Quartier der Türken mit vielen Moscheen,
welches sich am Pagos so wie an der Höhe im Westen hinaufzieht.
Endlich ist das Judenviertel zu erwähnen, welches zivei schmale Win-
kel zwischen dem" türfischen und dem armenischen einnimmt. Im Tür-
ken- sowie im Judencj[uartier sind beinahe alle Häuser von Holz, und
d^er Schmutz der engen Gassen übersteigt an manchen Stellen auch die
Erwartungen eines an orientalische Unreinlichkeit gewöhnten Gemüths.
Reinlicher ist das Griechen- und Frankenviertel, und man blickt hier
in manchen Gassen fast durch jede geöfliiete Hausthür in einen hüb-
schen, mit einer Fontäne geschmückten Garten. Die Bevölkerung beläuft
sich jetzt auf etwa 180,000 Seelen, unter denen 70,000 Türken, 65,000
Griechen, etwa 15,000 Armenier, 20,000 Juden und gegen 10,000 Pranken
sind. Die Griechen und Franken besitzen mehre Kirchen und Klöster,
die Armenier eine schöne neue Kirche, die Protestanten ein Diakonis-
9
130 Kleinasien.
senhaus mit einem Mädchenpensionat, welches das eleganteste Institut
seiner Art im ganzen Morgenland ist. Der Eintritt in die Moscheen
ist in Smyrna auch dem Giaur unverwehrt, nur muss er dabei die
Schuhe ablegen. Es ist indess für den, der die Moscheen von Kairo
oder Constantinopel gesehen hat, wenig von Interesse darin. Eines
Besuches werth sind die grossen, zum Theil überwölbten Bazars am
Ende der Prankenstrasse, prachtvoll die gewaltigen Cypressenhaiue, die
sich über den mohammedanischen Friedhöfen, zum Theil mitten in der
Türkenstadt, zum Theil auf den Höhen über derselben erheben. Die
neue Caseme im Westen der Marina (des Theiles der Stadt, der unmit-
telbar am Meere liegt) ist nach europäischem System eingerichtet und
kann 3000 Mann fassen. Das kleine Port, welches dem in die Bucht
Einfahrenden eine halbe Stunde vor dem Landungsplatz zur Rechten
erscheint, heisst SandschaJc Kalessi, die Ruinen auf dem Gipfel des
Pagos sind Reste einer mittelalterlichen Burg, in welche Theile des
altgriechischen Smyrna verbaut sind. Andere Reste der alten Stadt, die am
Ostabhang des Pagos lag, sind bei den Grabmälern des einen mohamme-
danischen Priedhofs verwendet worden. Wo das verfallene Castell steht,
wird die Akropolis sich erhoben haben. Archäologen haben hier Spuren
eines Zeustempels und die Stelle des Stadions entdeckt, wo der heilige Po-
lykarp den Märtyrertod erlitten haben soll. Die verfallene Moschee
innerhalb der Mauern des Castells soll die erste Kirche Smyrna's ge-
wesen sein. Lohnender als diese dürftigen Reste Alt-Smyrnas ist die
grossartige Aussicht, die man von den Ruinen aus geniesst, und die,
wenn der Abend seine röthlichen Lichter und seine blauen Schatten
über die Berge und das Meer giesst, wahrhaft bezaubernd ist. Von der
Höhe überschaut man die p]bene im Osten, durch welche sich der
Hermus windet und das Thal im Süden, wo über den Meles, einen
kleinen Bach, dessen Gewässer die Stadt bespülen, und an dessen Ufer
Sagengläubige sich die Höhle zeigen lassen, in der Homer seine unsterb-
lichen Gesänge dichtete, eine Wasserleitung führt.
Interessant ist die Karavanenbrücke, die über den Meles führt
und in deren Nähe sich unter den schattigen Bäumen eine Anzahl
eleganter Kaffeehäuser findet, in denen namentlich Sonntags ein reges,
buntes Leben herrscht. Ueber die Brücke passiren oft Hunderte von
beladenen Kameelen auf einmal, und auf dem Haltplatz daneben sieht
man bisweilen Tausende dieser Thiere gelagert. Nicht fern von hier
aber erhebt sich jetzt der Bahnhof der neuen Eisenbahn nach Magnesia
und Kassaba, die später noch weiter in das Innere des Landes fortge-
führt werden soll und so nicht nur die Verwerthung der Producte
desselben erleichtern, sondern auch den Europäer ein bequemeres Reisen
vermitteln wird. Eine zweite Eisenbahn führt von Smyrna nach Bur-
nabat und eine dritte endlich von Smyrna nach Aidin.
Von Smyrna kann man zunächst Ausflüge mit der Bahn nach
Burnabat, dann zu Pferde oder mit einem Miniaturdampfboot, welches
täglich mehrmals von den Landungsbrücken der Marina abgeht, nach
Kleinasien. 131
den schön gelegenen Dörfern Budscha und Sediköi machen, wo sich
die Landsitze der Consuln und der reicheren Kaufleute befinden.
Eine andere interessante Excursion, die zur Noth in einem Tage
zu machen ist, würde die nach Nimfi sein, wo man das bekannte Mo-
nument sieht, welches eine Zeit lang dem Sesostris zugeschrieben
wurde, aber wohl eher einen kleinasiatischen oder ii'gend einen andern
nicht cägyptischen Herrscher vorstellt. Das Dorf Nymfi liegt fünf
Stunden von Smyrna an der Strasse nach Sardes. Der Weg von dort
nach dem Denkmal geht erst östlich und wendet sich dann allraälig
mehr südlich um die Berge in einen Pass hinein. Anderthalb Stunden
bringen uns an einen Ort, wo Felsen dicht mit Strauchwerk und Bäumen
bekleidet, sich auf jeder Seite erheben. Auf der Linken befindet sich
ein Pelsblock , auf dessen Fläche sich im rechten Winkel mit dem
Wege Sculpturen zeigen. Es ist eine in ßelief ausgeführte Krieger-
gestalt, die von einem Rahmen umgeben ist. Herodot, der dieselbe für
den Sesostris hält, sagt, es sei „ein Mann, fünf Spannen hoch, den
Speer in der Rechten, den Bogen in der Linken, in ägyptischer Rü-
stung" — eine Beschreibung, die in sofern unrichtig ist, als die Figur
den Bogen in der Rechten und den Speer in der Linken hält.
2. Keise über Magnesia und Bergama nach der Ebene von Troja und den
Dardanellen.
Diese Tour, eine der interessantesten in Kleinasien, erfordert
mindestens sechzehn Tage und berührt nacli einander folgende Orte:
Manissa (das alte Magnesia), Aksa (einst Thyatira), Soma, Bergama
(Pergamos), Karaweren, Kimer'^h, Adramiti, Chetme, Biaram (Assos),
Eski Stambul (Alexandria Troas), Eiiaeh, Bunarbaschi (angeblich Troja's
Stätte); hierauf kehrt man zurück nach Eriaeh und geht über Scheblak,
Hallil Elli und Chemak Kalessi (Dardanellenschloss) nach Abydos.
Auf der Bahn von Smyrna nach Magnesia, jetzt Manissa oder
Manser, passirt man zunächst die Karavaneu brücke und geht dann
durch schöne Thäler voll Feigen- und Olivenpflanzungeu , Platanen,
wilde Birnbäume und Bergfichten weiter, bis 2'/j Meilen von Smyrna
die Strasse ein erhöhetes Thal voll prächtiger Cypressen und Platanen
erreicht, von wo man noch vier Stunden bis Magnesia hat.
Maguesia liegt am Südufer des Flusses Hennus unter einer
schöngeformten Hügelkette, über der sich der Sipylus erhebt, in dessen
schroffen Wänden man Grabgrotten sehr alter Zeit findet. Die Stadt
hat gegen 40,000 Einwohner, unter denen 15,000 Griechen sind. In der
Nachbarschaft wird viel Safran gebaut. Hier erfocht Scipio im Jahre
190 V. Chr. einen grossen Sieg über den syrischen König Antiochus
III. Der Khan in der Stadt ist aasserordentlich geräumig und unge-
wöhnlich reinlich. Seine Gemächer werden von den Kuppeln überragt.
Die Strasse geht jetzt anf einer Brücke über den Hermus. dann setzt
man auf einer Fähre über den Hyllus und wendet sich hinauf nach
Osten in das Thal des zuletzt genannten Flusses. Auf dem halben Wege
132 Kleinasien.
nach dem aclit Stunden von Magnesia entfernten Aksa, welches in nie-
driger, sumpfiger Gegend liegt, trifft man bei einem einsamen Hause
Bruchsti3cke von Säulen aus weissem und rothem Marmor, die von
Sardes hierher gebracht sein sollen.
Aksa ist das alte Thyatira, eine der sieben Kirchen Asiens. Es
finden sich hier zahlreiche Reste der altgriechischen Stadt, von der
iudess kein Stein mehr auf dem andern steht. Die Strassen sind an
vielen Stellen mit Fragmenten von Sculpturwerken gepflastert und in
die Grabmäler des Friedhofes hat man zahllose Säulen eingemauert,
und ebenso hat man die Brunnen in der Nachbarschaft des Ortes fast
allenthalben mit den Kapitalen korinthischer Säulen verziert. Die Strasse
geht von hier in der Richtung vonW. N. W. durch reiches, gut ange-
bautes und aumuthiges Land. 4'/j Meilen von Aksa öffnet sich ein
schönes Thal, in dem man Kirkagatsch und unmittelbar dabei Bakir
erblickt. Der Weg führt hier hart unter den Felswänden hin, an denen
prächtige Fichten und andere Bäume stehen. Die Hecken bestehen aus
Jasmin, Arbutus und Myrthen.
Soma, das dritte Nachtlager auf dieser Tour, liegt sechs Stun-
den von Aksa. Anderthalb Stunden von hier liegen auf einem steilen
Felsgipfel die Ruinen einer byzantinischen Stadt, die man durch eine
mit Wallnussbäumen und mächtigen Platanen bewachsene Schlucht
erreicht. Nachdem man Soma verlassen, erblickt man von einer Erhe-
bung des Thaies plötzlich vor sich die P^bene von Bergama, die der
Caicus bewässert. Auf dem halben Wege zwischen Soma und Bergama
steht am Wege ein Trog, welcher der umgekehrte Deckel eines antiken
Sarkophags ist, und ein Stück weiter reitet man an Quellen mit langen
griechischen Inschriften vorüber.
Bergama oder Pergamos, acht Stunden von Soma gelegen, war
ebenfalls eine der sieben Kirchen. Man bedarf hier keines Führers zu
den Ruinen ; denn die grossartigen Trümmer kündigen sich dem Auge
selbst an. Bergama liegt am Kaystros und war einst dio Hauptstadt
des pergamenischen Reiches, welches von Philetärus, dem Statthalter
des Lysimachus, 283 v. Chr. gegründet wurde. Er und sein Nachfolger
Eumenes behaupteten ihre Unabhängigkeit gegen die Seleuciden, und
Attalus, der von 241 bis 197 v. Chr. herrschte, nahm zuerst den Kö-
nigstitel an. Dieser wurde Freund und Bundesgenosse der Römer, ein
Verhältniss, welches sich unter seinem Nachfolger fortsetzte und 133
damit endigte, dass Attalus III. bei seinem Ableben sein Reich und
seine Schätze an Rom vermachte. Die Stadt Pergamos war sehr präch-
tig und bosass unter Anderm auch eine höchst werthvolle Bibliothek.
Im Mittelpunct der jetzigen (nicht bedeutenden) Stadt liegt die
Ruine eines kolossalen Palastes , der zum Theil auf einer Brücke von
schönem Quaderwerk ruht. Die Brücke ist so breit, dass sie einen
Tunnel von hundert Schritt Länge bildet. Ausser ihr gibt es vier andere.
Viele von den Khans und Moscheen der Stadt nehmen die Stelle alter
Bauwerke ein. Darunter ist eine Moschee, welche nach ihrem Styl
ohne Zweifel einst eine christliche Kirche war. Das Amphitheater, süd-
Kleinasien. 133
westlich vom Castell der Stadt, ist ein prachtvolles Gebäude, durch
welches ein Bach hindurchfliesst. Die Bogen desselben sind von vor-
trefflicher Ausführung. Triuraphpforten und zerfallene Häuser mischen
sich mit türkischen Hütten, und die Begräbnissplätze sind voll von
den schönsten Eeliquien alter Architektur.
Von Bergaraa kann man auf zwei verschiedenen Wegen nach
Bearam (Athos) gehen, entweder über Adramiti oder über Aivali und
von dort in einem Boot weiter.
a) Die Strasse über Adrajniti geht über Karaweren (sechs
Stunden), Kimereh (acht Stunden), Adramiti (dritthalb Stunden) und
Chetme (vier Stunden) und führt durch wildes Gebirg, das mit Fichten
und Zwergeichen und in den Thälern mit schönen Platanen bewachsen
ist. Zwei Stunden von Bergama sieht man rechts vom Wege die Reste
eines Aquäducts, dem weiterhin ähnliche Ruinen folgen. Karaweren ist
ein Gebirgsdorf von wenigen Hütten, Kimereh liegt in einem wohl-
angebauten Thal, in dem man einige Säulen und andere Fragmente
aus römischer Zeit findet. Ueber Adramiti hinaus geht die Strasse am
Ufer eines Golfs durch grosse Oelwälder, dann durch schönen Wald
von Myrthen-, Lorber- und Erdbeerbäumen. Chetme ist ein Dörfchen
hoch über der See, ohne Khan, so dass man auf sein Zelt angewiesen
ist. Weiterhin geht der Weg zwischen dem Meer und den Bergen hin,
die vom Fuss bis zum Gipfel mit Immergrün bekleidet sind.
b) Die Route über Aiioali ist weit kürzer als die vorbei gehende
und kann zur Noth in einem Tage gemacht werden, da sie bei nur
zwölf Stunden Länge immer über guten Weg führt. Man passirt auf
ihr mehre kleine Khans und zwei Dörfer. Von Aiwali, über das wir
im nächsten Abschnitt Genaueres mittheilen, fährt man in einem Boot
binnen vier bis fünf Stunden hinüber nach Athos.
Die Ruinen von Athos geben vielleicht von allen, die exi-
stiren, den besten Begriff von der Gestalt einer altgriechischen Stadt.
Ein Wäldchen in der Nähe der Stadt liegt voll von alten Sarkophag-
deckeln. Die Unter- wie die Oberstadt sind beide mit einer hellenischen
Mauer umgeben, die gut erhalten und an manchen Stellen noch 50
Fuss hoch ist. Die Felsen um die Stadt erheben sich als steile Klippen
von 60 bis 80 Fuss Höhe, von denen jede einst mit einem Tempel
gekrönt war. In der Akropolis oder Oberstadt liegen Massen von Säulen,
Triglyphen und Friesbruchstücke umher, an einer Stelle findet man
dreissig dorische Säulen in einer Reihe wie Pallisaden aufgestellt, und
der ganze Hügel, von dem man eine gute Aussicht auf das Meer und
die Insel Mitylene hat, ist mit Trümmern von Tempeln, Bädern und
Theatern besäet. Zahlreiche Inschriften sind auf ihnen zn lesen. Die
Sitzplätze des Theaters sind noch vorhanden, aber (vermuthlich durch
ein Erdbeben) umhergeworfen. Die Via Sacra oder Gräberstrasse ist
fast eine Stunde weit zu verfolgen, und manche von den Grabmälern
sind noch gut erhalten. In der Reihe derselben erblickt man runde
Sitzplätze wie in Pompeji. Nicht fern von der Via Sacra begegnet
man einer Mauer von uralter cyklopischer Construction.
134 Kleinasien.
Der Weg von Athös nach Eski Stambul ist neun Stunden lang
und führt zum Theil über waldiges Gebirgsland. In den Eichenwäldern
sammelt man Galläpfel. Auf der Hälfte des Weges passirt der Eeisende
das Dorf Dusla. In der Nähe von Eski Stambul bestehen die Hügel
aus Muschelschalen, und an einem derselben entspringt ein heisser Quell.
Eski Stambul steht auf der Stätte einer alten Stadt, die bald
Alexandria, bald Troas genannt wjirde. Der heutige Ort besteht nur
aus einem Dutzend Hütten. Die alte Stadt aber muss sehr gross ge-
wesen sein. Ihre Trümmer sind gegenwärtig mit Eichenwald überwachsen,
so dass man keinen Gesammteindruck erhält. Besonders interessant ist
der frühere Hafen, wo nach allen Eichtungen hin Hunderte von Säulen
umhergestreut sind, und wo die Wellen der Brandung zeigen, dass
sich der alte Hafendamra noch unter dem Wasser hinstreckt. Gerade
gegenüber sieht man die Insel Tenedos, und gegen N. W. hin Imbros.
Einen starken Büchsenschuss vom Ufer erblickt man grossartige Kuinen,
welche als der Palast des Priamus bezeichnet werden. Es sind schöne
Bogenwölbungen eines Gebäudes, welches ein Bad gewesen zu sein und
die eine Seite eines öffentlichen Platzes gebildet zu haben scheint.
Innerhalb seiner Mauern ist der Boden mit Bruchstücken von Sculptur-
werken besäet. Nicht fern davon befindet sich eine von Wölbungen
getragene rechtwmkelige Plattform, auf der ein Tempel gestanden haben
könnte und von der man eine gute Aussicht hat. Gleich dabei trifft
man eine zweite ähnliche aber halbrunde Plattform. In einigen andern
Ruinen sind die Steine so gelegt, dass sie eine Art Mosaik bilden.
Unter den wenigen Einwohnern des Ortes ist Einer, der sich Consul
nennt und zugleich den Gastwirth macht.
Vom höchsten Interesse für den Freund des Alterthums ist die
drei Stunden südöstlich von Eski Stambul gelegene althellenische Fe-
stung von Tschigri. Dieselbe krönt einen steilen Felsenhügel von
oblonger Gestalt. Die Mauern, welche vortrefflich erhalten sind, laufen
um den Rand des Gipfels herum, wobei sie Rücksicht auf die natür-
lichen Einbiegungen nehmen. Die Länge der Festung beträgt 1900,
ihre Breite 530 Schritte. In Zwischenräumen von einander trifft man
Thore, deren Seitenpfeiler und Decksteine Monolithen sind. Im Innern
zeigen sich Spuren von Häusern. Nirgends findet sich eine Inschrift,
und nur an dem einen Thorweg begegnet man einigen Sculpturen. Das
Ganze ist aus rechtwinkelig behauenen Granitblöcken ohne Anwendung
von Mörtel erbaut. Diese Burg ist wahrscheinlich nicht so alt wie die
Cyklopenbauten von Argos und Mykenä, aber weit besser erhalten und
um Vieles grösser.
Die Strasse nach Enaeh führt östlich nach einem Berge mit
heissen Quellen, der mit den zahlreichen überwölbten Bädern und
Brunnenhäusern an seinen Abhängen wie eine Honigwabe aussieht.
Indem wir einer gepflasterten Strasse eine halbe Stunde weit folgen,
finden wir neben dem Wege eine ungeheure Granitsäule im Gebüsche.
Nach zwei Stunden erreicht man Gaikle, in dessen Nähe man in einem
Steinbruch noch sieben solche Säulen trifft. Sie haben eine Länge von
Eleinasien. 135
39 Fuss, und ihr Durchmesser beträgt oben 4^,, an der Basis 6 Fuss.
Sie sind mit Ausnahme der Pompejussäule in Alexandrien, der sie^
gleichen, die grössten Monolithsäulen in der Levante.
Nicht fern von hier liegen auf zwei nebeneinander aufragenden
Gipfeln die Ruinen von Krisul und Krisa. Nachdem man eine waldige
Höhe passirt, überschaut das Auge plötzlich die ganze Ebene von
TroJH, den mit Schnee bedeckten Idu und das Amphitheater von
Höhen, welche das Thal des Mendereh, des alten Skamatider einfassen.
Enaeh, vier Stunden von Eski Stambul entfernt, ist ein grosses,
von Türken und Griechen bewohntes Dorf von Lehmhütten mit einem
hübschen Bade und einem ziemlich bequemen Khan. Von hier hat man
noch S'/j Stunden bis zu der Stätte zu reiten, wo das Troja oder
Ilion Homer's stand. Gleich bei Enaeh liegt ein Grabhügel, den man
das Grab des Aeneas nennt, und der jetzt den Türken des Ortes als
Friedhof dient. Der Mendereh oder Skamander nimmt den Bach auf,
an dem das Dorf liegt, und ist ein grosser Fluss, über den eine Holz-
brücko führt. Sonst kann man nur in der hcissen Jahreszeit an einer
andern Stelle als hier und ganz unten an der Mündung des Flusses
auf das rechte Ufer gelangen. Der Ritt am Westufer hin führt durch
eine malerische Gegend. Eine kleine Stunde vor Bunarbaschi verlässt
die Strasse den Fluss und überschreitet eine Hügelkette, von der man
Strecken des Festlandes von Europa und Asien und die Inseln Imbroa
und Tenedos überblickt. Dieser Thöil der Küste Troja's, der von der
Insel Tenedos im Südwesten geschützt wird, bildet die bekannte Besika-
Bucht, wo die englisch-französische Flotte vor Ausbruch des letzten
orientalischen Krieges sich sammelte.
Bunarbaschi, von den Franken Alttroja genannt. st«ht am Fuss
einer Bergkette, die mit zwei Gipfeln endigt, zwischen denen der Fluss
sich in die Ebene hinabdrängt. Letztere dehnt sich bis an die See
etwa drei deutsche Meilen weit aus. In dem Lehm der Hütten des
Dorfes findet man gelegentlich eine Reliquie antiker Bauten verklebt,
aber die eigentliche Stelle, wo Ilion gestanden haben mag, trifft man
etwa eine halbe Stunde östlich von dem Dorfe. Indem man die Höhe
in dieser Richtung ersteigt, erblickt man zwei Grabhügel, von denen
man den einen für das Grabmal Hector's erklärt hat, da er, mit der
Beschreibung Homer's übereinstimmend, aus einer Schicht lose aufein-
ander geworfener Steine besteht. Es ist auf dem Hügel nichts zu ent-
decken, was mit einiger Sicherheit dem heroischen Zeitalter zugeschrieben
werden könnte Die Quellen des Skamander, von denen die eine kalt,
die andere lau ist. können dazu dienen, die Stelle des skäischen Thores
zu bestimmen; man findet sie im Südwesten des Dorfes. Alles, was
sonst in Bezug auf das Ilion Homer's hier gezeigt wird, ist Erfindung,
die sich allerdings von altgriechischer Zeit herschreiben mag, sich aber
gewiss nicht bis auf den trojanischen Krieg zurückleiten lässt, von
dem man überhaupt nicht einmal bestimmt weiss, ob seine Helden und
seine einzelnen Ereignisse, wie sie bei Homer vorkommen, Wahrheit
oder Dichtung sind. Alexander der Grosse veranstaltete um diese Hügel
136 Kleinasien.
glänzende Leichenspiele, da er die Sage von ihnen entweder glaubte,
oder doch wie wir ehrte. Aber schon zu Strabo'a Zeit war die Stelle
der alten Stadt nicht mehr zu finden, und seihst die spätere äolische
Colonie Neu-Ilium ist fast spurlos verschwunden. Dass aber die Gegend
um Bunarbaschi diejenige ist, welche Homer bei seiner Schilderung
der Oertlichkeiten in der Iliade vor Augen hat, ist nach dem Obigen
nicht zu bezweifeln, und so bleibt dem Eeisenden immer noch Gele-
genheit zu poetischen Empfindungen.
Von Bunarbaschi kehrt man nach Enaeh zurück. Die Strasse
von hier nach Scheblak folgt etwa vierthalb Stunden dem Ostufer des
Flusses und passirt dann den Hügel, welcher dem gegenüber liegt, auf
den man Alttroja verlegt. Von hier nördlich weiter führend, geht sie
nach Scheblak, wo jenes Neutroja gestanden haben soll, und wo man
auf einem türkischen Friedhof eine Anzahl von Säulen und andern
Resten antiker Tempel findet. In der Fläche unten erhebt sich ein
kleiner Hügel, welcher das Grabmal des Hos sein soll.
HaUil Eli, sieben Stunden von Enaeh, ist ein Ort, wo sich wieder
Reste einer antiken Stadt zeigen. Namentlich sieht man die Grund-
mauern einiger kleinen Tempel. Einer derselben könnte der des thym-
brischen Apollo sein, bei welchem Achilles von dem Pfeil des Paris
fiel. Der Bach, der hier vorbeiströmt, führt den Namen Tumbreck, was
vielleicht eine Verstümmelung seines alten Namens ist. Die Strasse
läuft weiter über niedrige Kalksteinhügel, welche weiter hin beim
Dorfe Renköi die asiatische Grenze der Dardanellenstrasse bilden. Von
hier ist es noch sechs Stunden bis zu dem Dardanellenschloss Chanak
Kalessi, neben dem sich ein Städtchen befindet, in welchem viele Töpfer
wohnen, welche besonders eigenthümlich gestaltete glasirte und ver-
goldete Töpfe verfertigen, woher der Name des Schlosses „Töpferburg"
kommt. Von hier ist es noch eine kleine deutsche Meile bis nach der
Landspitze Nagara Burun, wo einst Äbydos stand, der Ort, an den
sich die Sage von Hero und Lander knüpft, und wo Xerxes den Helles-
pont überbrücken Hess und Alexander der Grosse mit seinem Heere
über die Meerenge ging. Das Dardanellenschloss auf dem gegenüber-
liegenden europäischen Ufer heisst Chilil Bahri, Vorlegschloss der See.
Beide Schlösser zusammen werden von den Türken Bogass His Sarleri
genannt. Der Name der Dardanellen ist abgeleitet von der alten Stadt
Dardan US, die in dieser Gegend stand.
Hier ist wöchentlich mehrmals Gelegenheit, sich mit dem Dampfer
nach Constantinopel einzuschiffen.
Wir geben nun noch zwei Routen durch das Gebiet des alten
Troas für solche Reisende, welche dieselbe gründlich zu durchforschen
wünschen.
a) Von Bergama über den Borg Ida nach dem Gefilde Ton Troja und Kum Kaleli.
Diese Tour kann in fünf, zur Noth auch in vier Tagen gemacht
werden, und berührt folgende Hauptpuncte: Avvriamasti, Adraniiti,
Narlen, Bairamitsch, Enaeh, Eski Stambul und Kura Kaleh. Die Gegen-
Kleinasien. 137
den, welche die Strasse durchschneidet, sind bezaubernd schön, allent-
halben prächtige Bergformen und schöne Blicke auf das Meer. In den
zahlreichen Dörfern am Wege findet der Reisende Khans zur Nacht-
ruhe, in den einzeln gelegenen Kaffeehäusern mancherlei Erfrischungen.
Awriamasti liegt acht Stunden von Bergama. Zu Armutlu, füntthalb
Stunden von da, geht ein Weg nach Aiwali oder Kidonia ab, einer
zwei Stunden von dort gelegenen Küstenstadt, die ihres Schicksals
wegen Erwähnung verdient. Dieselbe erhob sich nämlich durch die
Bemühungen eines Griechen, Namens Oikonomos, vom Eange eines
Dorfes in kurzer Zeit zu einer der ersten Handels- und Fabriksstädte
dieser Küsten. Oikonomos wusste sich bei der Pforte einen Perraan zu
verschaffen, welcher den Türken verbot, sich in Aiwali niederzulassen.
Darauf strömten von allen Seiten Griechen hier zusammen, und so
wuchs die Einwohnerzalil und der Reichthum der Stadt mit wahrhaft
staunenswerther Schnelligkeit. Zu Anfang dieses Jahrhunderts gab es
hier dreissig Seifenfabriken, vierzig Oelmühlen, sechs Kirchen, zwei
wohleingerichtete Spitäler und eine Gelehrtenschule, die sich in einem
eleganten Gebäude befand. Die Stadt regierte sich selbst und war
gewissermassen eine kleine Republik unter dem Schutze des Sultans.
Diese schöne Entwickelung wurde im Jahre 1821 völlig vernichtet, und
zwar an einem einzigen Tage. Die Führer der Revolution in Griechen-
land, ermuthigt durch verschiedene Erfolge, dachten an Ausbreitung
des Aufständes unter ihren Landsleuten in Asien. Sie wollten zuerst
Smyrna zu nehmen versuchen. Da meldete man ihnen von Aiwali, dass
■ die Türken die Stadt bedrohten. Der Pascha von Brussa hatte Truppen
zum Schutz derselben gegen einen Handstreich der Insurgenten beor-
dert. Diese misshandelten bei ihrem Einzug die auf den Strassen um-
herstehcndon Einwohner und wurden in Folge dessen verjagt. Am
nächsten 'l'agc kehrten sie verstärkt wieder und besetzten die Stadt
Darauf erschien die griechische Flotte, siebzig Segel stark, vor dem
benachbarten Eiland Moskonisi, wohin sich der grösste Theil der Ein-
wohner von Aiwali geflüchtet, und zwei Tage später griff'en 3000
Griechen unter dem Schutz der Schiffsgeschütze die Stadt an und trieben
nach hartem Kampfe die Türken hinaus. Letztere aber steckten bei
ihrem Rückzug die Stadt an allen vier Ecken in Brand, und dieselbe
sank in Asche. Eine Stadt von 80,000 Einwohnern war in einem ein-
zigen Tage zur Trümmerstätte geworden. Noch heute hat sie sich
nicht wieder erholt.
Kimair, vierthalb Stunden von Armutlu, ist ein Ort von etwa
3000 Einwohnern, der in einer sumjifigen, mit Olivenbäumen bewach-
senen Fläche liegt und ausser zwei Moscheen auch eine kleine grie-
chische Kirche besitzt. Adramiti ist zehn Stunden von hier. (Vergl. die
vorhergehende Route.) Narlen, sieben Stunden von Adramiti, ein hüb-
sches Dorf, das am Abhang eines anmuthigen, mit Olivenhainen be-
deckten, sich nach der See hin öffnenden Thaies liegt. Von hier bis
Bairaniitsch sind es neunthalb Stunden. Auf dem Wege dahin über-
schreitet die Strasse den Abhang des Berges Ida, welcher der Schau-
138 Kleinasien.
platz vieler griechischer Sagen und Mythen ist, wo Paris den Streit
zwischen Aphrodite, Here und Pallas Athene um den goldenen Apfel
entschied, und von wo Zeus in Adlersgestalt den Ganymed entführte.
Die Gebirgsnatur ist hier sehr wild und grossartig, die Strasse führt
auf hölzernen Brücken über tiefe Thäler, deren Wände mit Fichten
bewachsen sind; die Aussicht von der Höhe des Passes ist prachtvoll.
Bairamitsch ist ein Städtchen, das recht freundlich von dem Gipfel
des Hügels herabschaut, auf dem es steht. Von hier kann man der
Quelle des Simois einen Besuch abstatten. Man geht zuerst nach dem
vierthalb Stunden von Bairamitsch im Gebirg gelegenen Dorfe Eve-
gelli, wohin ein sehr steiler und rauher Pfad führt, und von wo man
bis zu der Quelle des Flusses noch dritthalb Stunden hat. Das Wasser
strömt aus einer viereclTigen Grotte in den Felsen und stürzt sich bald
darnach, durch kleine Eieselbäche, die aus benachbarten Spalten her-
vorrinnen, geschwellt, über eine 50 Fuss hohe Wand in die Tiefe. Die
Aussicht von hier ist sehr umfassend, denn man sieht bei heiterem
Wetter nicht bloss die ganze P^bene von Troja vor sich bis nach den
Dardanellen, sondern überblickt das ganze Küstenland bis in die Ge-
gend von Srayrna. Von Bairamitsch hat man bis Enaeh fünfthalb, von
da nach Eski Stambul drei, von hier nach Bunarbaschi dritthalb und
von dort nach dem Küstenort Kum Kaleh noch drei Stunden.
b) Ton Bairamitsch fiber Kodschunia Tepeh nach dem Berg Gargarns.
Dieser Ausflug erfordert hin und zurück drei Tage, und man
berührt dabei die Puncte Kodschunlu Tepeh und Godschillar. Der
erstere ist zwei, der andere fünf Stunden von Bairamitsch entfernt.
Das Ersteigen des Gargarus kostet sechs Stunden. Der Kodschunlu
ist ein kegelförmiger Hügel, welcher sich am Fuss des Gargarus wie
ein vorgeschobener Posten erhebt. An seinem Fuss strömt der Simois
hin. Auf der halben Höhe des Hügels finden sich beträchtliche Reste
aus dem Alterthum. Das erste, was man erblickt, ist ein länglich
runder Raum von etwa zweiundvierzig Schritt Länge und fünfundzwan-
zig Schritt Breite, an dessen Nordseite sich eine Mauer befindet, wäh-
rend man auf der Westseite die Ruine eines Bades trift't, deren Wände an
manchen Stellen noch mit Stuck überzogen sind, lieber dieser Stelle be-
gegnet man Gräbern und einem Bogengewölbe. In der Nähe ist ein
zweites Bad, dem nur das Dach fehlt, und neben dem mehre Säule von
1 '/, Fuss Durchmesser und viele Marmorfragmente, sowie Scherben
von antiken Gefässen liegen. Noch höher hinauf stösst man auf die
Ruinen eines Tempels. Auf dem Gipfel endlich finden sich Alterthümer
der Urzeit. Eine Art cyklopischer Mauer von Steinen so wenig behauen,
als die in Tiryns, wird sichtbar hinter alten Eichen. Im Osten und
Westen der Bäume sind andere Steine in der Weise der sogenannten
Druidenkreise zusammengelegt. Sehr wahrscheinlich hat man hier das
uns von Homer, Aeschylus und Strabo geschilderte Heiligthum des
Idäischen Zeuß zu suchen. Die Aussicht von hier auf den Gargarus
und das Thal des Simois ist sehr schön.
Kleinasien. 139
Von hier nach Godschilar ist es drei Stunden. Dort beginnt
man den Gargarus zu ersteigen, der eine dreifache Zone hat: zuerst
bebautes Land, dann Wald, zuletzt (im Winter und Frühling) Schnee
und Eis und keine Vegetation mehr. Die erste dieser Zonen kann zu
Pferde durchschnitten werden. Während der ersten Stunde passirt man
eine Anzahl griechischer Capellen, von denen die eine in sehr roman-
tischer Umgebung über einem brausenden Gebirgswasser liegt. Die
Gegend wird immer wilder und grossartiger, der Weg immer beschwer-
licher und rauher. In der Waldregion gibt es wilde Schweine. Weiter
hinauf ist alles öde und still. Der Berg hat vier Gipfel, von denen
immer einer etwas höher als der andere ist. Wer das Wetter so trifft,
dass sich der höchste erreichen lässt, der sich gegen 7000 Fuss über
das Meer erhebt, wird durch das Schauspiel, das sich ihm hier bietet,
reichlich für die Mühsal belohnt sein, die ihm die Ersteigung kostete.
Man überblickt von hier einen sehr grossen Theil von Eumelien und
Anatolien, das ganze Marmorameer bis nach Constantinopel hin und
eine Menge von den Sporaden, die Berge von Brussa. die Insel Euböa,
die Bucht von Smyrna, fast ganz Mysien und Bithynien und den grös-
seren Theil des südlichen Thracien und Macedonien — in der That,
ein Panorama, welches seines Gleichen sucht!
3. Sie Tour nach den „Sieben Kirchen Asiens".
Diese Rundreise nach den Städten, welche sich rühmten, die
ersten zu sein, wo grössere christliche Gemeinden entstanden waren,
und die desshalb schon in der Apokalypse erwähr;^ sind, erfordert, von
Smyrna aus unternommen, mindestens zwei Wochen. Man wird wohl
thun, wenn man folgenden Plan verfolgt: Smyrna, Ephesus, Giussel
His.sar, Geyra, Laodicea, Hierapolis (zurück nach Laodicea) Tripolis,
Bulladan, Philadelphia, Sardes, Thyatira, Pergamus, Awriamasti,
Smyrna.
Ephesus ist von Smyrna auf dem nächsten Wege in zwölf, auf
der weniger beschwerlichen Strasse über Hypsile in vierzehn Stunden
zu erreichen.
Hi/psile, ein kleines Dorf, liegt auf einem hochragenden Vor-
gebirge, wenig nördlich von einer Stelle, wo man noch einige Spuren
der alten, von Lysimachus zerstörten Stadt Lebedos antrifft. Zilli, auf
der Stätte von Klaros gelegen, hat ebenfalls einige Alterthümer. Hier
stand ein Orakeltempel von Apollo, von dem man noch die Höhle der
Weissagung zeigt. In der Nachbarschaft begegnet man mehren zer-
trümmerten christlichen Kirchen. Zwischen Lebedos und Klaros liegt
eine kleine Insel, die einst der Diana geweiht war und jetzt Pendiko-
nisi heisst. Von der alten Stadt Kolophon, die sich rühmte, der Ge-
burtsort Homers zu sein, ist keine Spur mehr vorhanden. Eine halbe
Stunde vor Ephesus überschreitet man den Kayster vermittels einer
Brücke.
140 Kleinasien.
Auch Ephesus ist zur Trümraerstätte geworden, und wo einst
die grösste, volkreichste und wohlhabendste Stadt Kleinasiens stand,
liegt jetzt nur noch ein ärmliches Dörfchen Namens Aiasoluk. Ephe-
sus, im Alterthum der Mittelpunct alles vorderasiatischen Handels,
wozu der geräumige Hafen viel beitrug, sollte von den Amazonen erbaut
worden sein. Besondere Berühmtheit gewann die Stadt durch den über-
aus prachtvollen Dianentempel, der das Arteraision hiess und zuerst
von einem kretischen Baumeister errichtet worden sein soll. Er war
im jonischen Styl erbaut, 425 Fuss lang, 200 Fuss breit und mit 127
Säulen, jede von 60 Fuss Höhe, geschmückt. Man zählte ihn zu den
sieben Wundern der Welt. Im Jahre 356 v. Chr. durch Herostratus
niedergebrannt, wurde er von den Ephesiern noch prächtiger wieder
aufgebaut. So stand er, von Kaiser Nero nur seiner Schätze beraubt,
bis ihn 262 n. Chr. die Gothen niederbrannten. Ephesus wurde eben-
falls wiederholt zerstört, aber sein jetziger Zustand datirt sich erst
vom Einbruch der Mongolen, welche unter Timur die Stadt erstürmten
und zur Trümmerstätte machten. Ephesus liegt auf einer Strandebene,
die im Norden vom Galessus, im Süden vom Koressus eingeschlossen
ist Auf der Niederung stehen zwei vereinzelte Hügel, auf dem einen
liegt jetzt das Dorf Aiasoluk, der andere ist der Prion, an welchen
sich die alte Stadt lehnte, und der noch jetzt der Mittelpunct des
Trümmerfeldes ist, in das sie zusammengefallen. Man darf sich keine
zu grossartige Vorstellung machen von den Euinen, sie sind in der
That sehr ausgedehnt, da man mindestens vier Stunden braucht, um
sie zu durchwandern, fallen aber nur an einigen Stellen sehr in die
Augen, lieber die Stelle des Theaters, wo der Goldschmied Demetrius
den Tumult gegen *den Apostel Paulus erregte, kann kein Zweifel
obwalten, aber die steinernen Sitze sind jetzt verschwunden, und das
Prosceniura ist ein Euinenhaufen. Ziemlich gut erhalten ist ein Stadion
von 690 Fuss Länge, welches sich an dem Hügel Prion befindet, und
an dem man noch die Bogenwölbungen bemerkt, welche es zum Theil
trugen. Ferner sieht man noch einen gigantischen Trümmersturz, der
entweder ein grosser Palast oder ein Gymnasium gewesen ist. Die
alten Mauerreste am Berg Koressus im Süden sind Beispiele althelle-
nischer Architektur. Die Euinen von Aiasoluk bestehen fast nur aus
Bruchstücken von Gebäuden des alten Ephesus. Die zerfallene Moschee,
die sich da findet, soll früher eine Kirche des Apostels Johannes ge-
wesen sein, mit dessen Namen auch der des Dorfes (Aiasoluk zusam-
mengezogen aus Hagios Theologos, Hagios vulgär wie Ai ausgesprochen)
erklärt wird. Von dem Dianentempel und seinen Eiesensäulen ist ein
gewaltiger Trümmerhaufen am Ende des Hafens übrig. Wenigstens
deutet man diesen so nach Strabo. In der Nähe sollen sich in einer
Höhle eine grosse Menge Marmorstatuen befinden — eine Behauptung
der Bauern des Ortes, die indess die Stelle nur gegen hohe Belohnung
zeigen wollen. Vielleicht sind diese Statuen, wenn anders die Sache
nicht ein Märchen ist, Statuen vom Dianentempel. Wir bemerken noch,
dass man in der Nähe der Steinbrüche am Prion das Grab St. Johannes
Kleinasien. 141
des Apostels, der hier eine Zeitlang lebte und vielleicht auch hier
starb, und am Koressus das Grab der Jungfrau Maria zeigt.
Von Ephesus oder Aiasoluk, wo man in Khan Unterkunft findet,
nach Giussel Hissar oder Aidin hat man eine starke Tagereise von
zwölf Stunden. Zwischen beiden Orten, bei dem Kaffeehaus Balitschek
Kanessi, fünf Stunden von Ephesus, führt ein Weg zur rechten Seite
der Strasse über die Ebene und den Kamm einer Hügelreihe nach den
Ruinen von Magnesia ad Mäandrum. Dieselben sind von Kaffeehaus
eine kleine Stunde entfernt und ziemlich ausgedehnt. Man trifft an
verschiedenen Stellen Bruchstücke von Säulen, Mauerquaderu u. a. Im
Südwesten des Stadtaerals, nahe dem Gipfel der Höhe, ist das Stadium,
vou dem die Gestalt und ein Theil der Sitzplätze erhalten ist. Im
Osten erhebt sich ein Stück Mauer, neben dem sich, wie ein grosser
Kuineuhaufen andeutet, ein dorischer Tempel erliob. Unter den Trüm-
mern hat man mehre sehr schöne Basreliefs gefunden.
Aidin oder Giussel Hissar, von Balitschek Kanessi noch sieben
Stunden, steht an der Stelle des alten Tralles auf einem schönen Hügel.
Von der alten Stadt sind hier und da noch Grundmauern und die
Ruinen eines Palastes übrig, dessen Bogenwölbungen man schon aus
weiter Ferne erblickt. Die moderne Stadt hat dreiviertel deutsche
Meilen im Umfang, ist die Residenz eines Pascha und gehört zu den
lebhaftesten Handelsstädten der asiatischen Türkei. Sie liegt recht
aninuthig in Obst- und Gemüsegärten über der Ebene. Bazars, von
Bäumen beschattet, bilden die Hauptstrasse. Mehre hübsche Moscheen
fesseln den Blick, die Griechen haben einige Kirchen, die Juden mehre
Synagogen hier.
Von hier führt der weitere Weg durch die Peigengärten und
Getreidefelder der Ebene nach Sultan Hissar, einem Dorfe, von Türken
bewohnt, welches an der Stelle des alten Nysa steht. Man hat bis
dahin fünf Stunden. Etwa drei Stunden weiter folgt das grosse Dorf
Nasi, nicht weit von der Stelle, wo Mastaicra stand. Zwei Stunden weiter
erhebt sich das alte Castell von Jeni Scheher, wieder drei Stunden
weiter kommt man )iach Karajasu. Am Südufer des Mäander, da wo
der Karasu in ihn mündet , trifft man Ruinen, welche die Stätte von
Antiochia ad Mäandrum bezeichnen. Indem man dem Karasu etwa
neun Stunden weit nach Süden folgt, gelangt man nach Geyra, einem
Orte, der die Stelle des alten Aphrodisias einnimmt. Laodicea, jetzt
Eski Hissar, liegt nordöstlich von Geyra. Am Eingang in die alte
Stadt, deren Stätte jetzt ohne irgendwelche Bewohner ist, stehen die
mächtigen Trümmer einer Brücke. Eine gepflasterte Strasse führt zu
einem Thor mit drei Bogenwölbungen. An dem Abhang des Hügels,
an dem die Stadt lag, finden sich zwei Theater, deren Sitzplätze noch
wohl erhalten sind. Das eine, im Osten, ist sehr elegant gewesen: die
Sitze waren alle von Marmor und stützten sich auf Löwenfüsse. Die
Tempel der Stadt sind zu blossen Steinhaufen zusammengesunken.
Einige noch erhaltene Mauern scheinen christlichen Kirchen angehört
zu haben.
142 Kleinasien.
Von hier geht die Strasse in das Thal Likos hinab, welches
von ihr in nördlicher Richtung quer durchschnitten wird. Nach dritt-
halb Stunden kommt man nach Barabuk Kalessi, dem wegen seiner
heissen Mineralquellen im Alterthum berühmten Hierapolis. Der
Berg, auf dem die Reste der alten Stadt liegen, ein Ausläufer des
Messogis, bietet einen eigenthümlichen Anblick. Die Felsblöcke unter
den Ruinen sehen aus wie gefrorene Wasserfälle, was von den Incru-
stationen der Mineralquellen herkommt, welche als kleine Bäche zwischen
und über den Ruinen hervorbrechen. Die von ihnen abgesetzten erdigen
Bestandtheile, über welche die Wasser dann wieder fliessen und neue
Mineralien absetzen, haben die Oberfläche des Grundes und Bodens an
manchen Stellen 15 bis 20 Fuss erhöht und Massen eines bröckeligen
gelblichen Gesteins gebildet, welches das Gehen zwischen den Trüm-
mern sehr erschwert. Von den Resten der Stadt sind mehre Bäder, ein
Theater, ein Triumphbogen, die massiven Wände von Tempeln, eine
ziemliche Anzahl von Säulen, von denen einige noch aufrecht stehen,
und die Ruinen mehrer christlicher Kirchen besonders beraerkenswerth.
Der Umfang der ganzen Trümmerstätte beträgt etwa dreiviertel Stunden.
Drei Stunden von Laodicea liegt das sehr ausgedehnte Trümmer-
feld von Chonas, in welchem einige Archäologen die Reste der Stadt
Kolossä erkennen wollen, an deren Einwohner der Apostel Paulus die
bekannte Epistel schrieb. Die Stadt hiess in späterer Zeit Chöna,
woher der heutige Name.
Wir kehren jetzt nach Laodicea zurück, von wo die Strasse in
das Thal des Mäander abbiegt und in der Nähe vnn Kasch Jenidschi
über den Fluss geht. Hier, vier Stunden von Laodicea, stand einst
Tripolis, wo St. Bartholomäus gelehrt uud der Apostel Philippus den
Märtyrertod erlitten haben soll. Man trifft Spuren eines Theaters, einer
Burg und anderer Gebäude, aber Alles ist bis auf die Grundmauern
zerstört. Von hier geht man über das neun Stunden entfernte BuUadan,
Aineh Giul und den Berg Tmolus auf sehr schlechtem Wege nach
Allah Scheher, dem alten Philadelphia, welches etwa sechs Stunden
von Bulladan entfernt ist. Die Stadt ist noch jetzt ziemlich gross und
mag 12 bis 15,000 Einwohner haben, unter denen sich gegen 2000
Griechen befinden, die hier einen Bischof haben. Man trifft sechs Mo-
scheen, zwei Kirchen, mehre Bäder und einen ziemlich guten Khan.
Von der alten Stadt, die viel durch Erdbeben gelitten hat, ist nur
wenig noch übrig. Man sieht auf den Hügeln, die sie einnahm, noch
Reste ihrer Umfassungsmauern und Gemäuer von grossen Gebäuden,
welche christliche Kirchen gewesen sein sollen, möglicherweise aber
auch Tempel waren.
Von hier hat mau bis Sart, der Stätte des alten Sai'des, neun
Stunden zu reiten, wobei wir, wie bei den früheren und den folgenden
Distanzenberechnungen annehmen, dass man gute Pferde hat und etwa
dreiviertel deutsche Meilen in der Stunde zurücklegt. Die Umgebung
von Sardes ist öde und menschenleer, die Lage desselben aber sehr
schön. Der heutige Ort besteht nur aus wenigen Schäferhütten und
Kleinasien. 143
einer Mühle, die von den Fluthen des berühmten Paktolus in Bewegung
gesetzt wird. Der Besitzer dieser Mühle' ist der einzige Christ an der
Stelle, welche einst der Sitz eines Bischofs war und zu den ältesten
Sitzen des Christenthums in Asiens Ländern gehörte. Sardes war in
der Urzeit die glänzende Hauptstadt des lydischen Reiches und die
Eesidenz des goldreichen Crösus. Nach dessen Besiegung durch die
Perser (575 v, Chr ) war es der Sitz eines persischen Satrapen. Nach-
dem die Stadt bei dem Aufstand der Jonier unter Aristagoras von
Darius (500 v. Chr.) erobert und mit Feuer verwüstet worden, erhob
sie sich rasch wieder aus der Asche und war noch zur Zeit Alexanders
d. Gr. und seiner nächsten Nachfolger eine der schönsten Städte Klein-
asiens. 215 v. Chr. aber wurde sie von Antiochus nach langer Belage-
rung eingenommen und zerstört. Nach Besiegung des Antiochus ge-
langte sie in den Besitz Rom's, und erhielt sich, wenn auch sehr
herabgekommen, selbst noch unter der Herrschaft der Mohammedaner,
die sich ihrer im 11. Jahrhundert bemächtigten. Endljch wurde sie zu
Ende des 14. Jahrhunderts von den Mongolenhorden Timurs dem Erd-
boden gleichgemacht und auch das Castell, das sich über ihr auf
einem Gipfel des Tmolus erhob, wurde zerstört. Die Reste der Stadt
sind sehr verschiedenen Datums. Der älteste Theil, bestehend in Spuren
eines Stadiums und eines Theaters, sowie in Trümmern von Tempeln,
lässt sich leicht herausfinden. Alles Andere ist, mit Ausnahme der
Ruinen eines Gebäudes, welches der Palast des Crösus genannt wird,
nur in sofern von Interesse, als es die Ausdehnung der Stadt andeutet.
Eine halbe Stunde von der Stadt stehen am Ufer die Ruinen des ko-
lossalen Cf/heletempels, der vor dem Einbruch der Perser gegründet,
fast so gross wie der von Agrigent war. Von dem gewaltigen Gebäude
sind nur noch zwei aufrecht stehende und vier liegende jonische Säulen,
sowie einige verwirrt durcheinandergesttirzte Mauerquadern übrig Sehr
eigenthümlich ist der Anblick des von Erdbeben zerrissenen Hügels,
auf dem die Burg von Sardes stand.
Thi/atira, die fünfte der Kirchen Asiens, zehn Stunden von Sart
entfernt, ist oben (Route von Smyrna nach Troja), Pergamos, die
dritte der sieben Kirchen, zwölf Stunden von Thyatira gelegen, eben-
daselbst geschildert. Von Pergamos gelangt man über Awriaraasti in
zwanzig Stunden nach Smyrna zurück.
4. Sie Tour von Smyrna über Sardes und Bnusa nach Constantinopel.
Diese Reise erfordert mindestens zwei Wochen, wenn sie über
die folgenden Puncto gehen soll: Ephesus, Tyria, Supetram, Sardes,
Thyatira, Galembie, Gülgüt, Mandragora, Susugürli, Ulubat, Chetalor-
gulj Brussa, Mudania
Der Weg von Smyrna nach Ephesus ist in der vorigen Route
angegeben, und wir fügen nur noch hinzu, dass man, da vierzehn
Stunden für eine Tagereise zu viel sind, wohl thut, Smyrna in den letzten
Nachmittagsstunden zu verlassen und in dem hübschen Dorfe Sediköi
144 Kleinasien.
dritthalb Stunden von Smyrna, zu übernachten Von Ephesus nach
Tyria sind es neun Stunden. Der Weg folgt dem Lauf des Kayster
durch ein schönes, sehr fruchtbares aber wenig angebautes Thal. Die
malerisch geformten Berge, welche dasselbe einschliessen, gehören den
Ketten des Messogis und Tmolus an. Sie sind durchaus mit Wald
bewachsen. Das Thal ist in der Nähe der See nur eine starke Viertel-
stunde, weiter oben eine bis anderthalb Stunden breit. Auf dem Wege
trifft man die Hütte eines Kafedschi, wo man ruhen und Erfrischungen
einnehmen kann. Tyria ist eine ziemlich grosse, fast nur von Türken
bewohnte Stadt am Abhang des Tmolusgebirges. Jedes Haus steht
einzeln und ist gewöhnlich von einem Garten umgeben Zahlreiche
Moscheen mit ihren Kuppeln und Minarets, umgrünt von den Wipfeln
schöner alter Bäume, geben der Stadt ein Aussehen von Eeichthum
und Bedeutung, welche sie nicht besitzt. Man glaubt, dass sie die
Stelle des alten Tyrinthio einnimmt, indess finden sich nirgends Spuren
von Alterthümern
Die Strasse führt nun nordöstlich durch ausgedehnte Weingärten,
in denen sich viele kleine Warfcthürme befinden, über die Ebene hin,
überschreitet mehrmals den Fluss und berührt dann das lebhafte
Städtchen Odemes, wo sich ein grosser Khan und mehre Kaffeehäuser
befinden. Von hier aus gelangt man auf beschwerlichen Felsenpfaden
in drei Stunden auf den Gipfel des Tmolus, von dem man eine pracht-
volle Aussicht auf das Thal des Kayster und die weitausgedehnte
Bergkette des Messogis hat. Man befindet sich jetzt auf der Hochfläche
von Supetram, die mit ihrer Abwechslung von schönen Wiesen, pracht-
vollen Wallnussbäumen, herrlichen Eichen und anderen Bäumen, die
theils einzeln, theils in kleinen Wäldchen beisammen stehen, Aehn-
lichkeit mit einem künstlich angelegten Park hat. Durch die Mitte der
Ebene rauscht ein wasserreicher Bach, der an einigen Stellen Gärten
bewässert, während der grösste Theil der Ebene mit den Herden wan-
dernder Turkomanen bedeckt ist, welche den Einwohnern des Dorfes
Kapai unten im Thal diese Weiden abpachten. Man findet bei den
Turkomanenhütten gastfreie Aufnahme, indess haben diese Hirten nicht
viel mehr als Milch und Brot zu bieten. Der Weg geht um zwei
Stunden über die Hochfläche hin, indem er dem Ufer des Baches folgt
Nach vier weiteren Stunden gelangt man auf sehr schroffen und be-
schwerlichen Pfaden hinab nach Sardes, über welches in der vorigen
Route das Erforderliche gesagt ist.
Von Sardes führt die Strasse zunächst nach einer Furt in dem
Flusse Giediskai (dem alten Hermus), nach welcher man einen Führer
mitnehmen muss, da der Weg durch die gefahrvollen Moräste an den
Ufern schwer zu finden ist Der Fluss ist breit und ziemlich tief. Das
Land zwischen ihm und dem gleichfalls von sumpfigen Ufern einge-
fassten Gygäischen See ist voll von den Grabhügeln des Volkes und
der Könige des alten Lydien. Dieselben sind von konischer Gestalt
und mit Easen überzogen. Die grossen bergen die Leichen vornehmer,
die kleinen die geringer Leute. Man zählt noch heute über sechzig
Kleinasien. 145
solche Grabdenkmale, die zum Theil hundert bis dreihundert Schritte
Umfang haben, und unter denen drei durch ihre besondere Grösse her-
vorragen. Da von den altgriechischen Schriftstellern die Gräber des
Attf/s, des Gyges und des Alyattes besonders genannt werden, so
werden wir wohl in jenen drei grossen Hügeln die Gräber jener drei
lydischen Herrscher zu suchen haben. Gewiss ist, dass der grösste der
drei das Denkmal ist, welches Crösus seinem Vater, dem siegreichen
König Alyattes errichtete. Herodot sagt von diesem, dass es nach den
Bauwerken der Babylonier und Aegypter das grösste Bauwerk der
Welt gewesen sei. Der Unterbau sei von Stein, sechs Stadien und zwei
Plethren im Umfang (3800 Fuss), die Länge betrage dreizehn Plethren
(1300 Fuss) und die Breite sechs Plethren (600 Fuss). Ueber diesem
Unterbau sei ein Hügel von Erde hoch aufgeschüttet. „Auf diesem
Hügel standen," fährt Herodot fort, ,bis auf meine Zeit fünf Säulen.
An diesen war verzeichnet, wie viel von diesem Werk die Handels-
leute des Marktes, die Handwerker und die Freudenmädchen gemacht
hatten, und nach dem Maasse war das, was die Freudenmädchen ge-
macht, das grösste." Nach Xenophon bezeugte eine andere dieser Säulen
auch das, was die Eunuchen gethan, deren es in dem alten Lydien
eine grosse Anzahl gab. Die Eeste des Grabes des Äli/attes messen
noch jetzt über 8400 Fuss im Umfang, die schräge Höhe beträgt 650
Fuss. Auf dem Gipfel der aufgeschütteten Erde erhebt sich ein Stein-
bau von 18 Fuss Länge und ebenso viel Breite, auf dem eine stumpfe
Säule steht, die wahrscheinlich eine der fünf von Herodot erwähnten
ist, und an die Gestalt eines Phallus erinnert. Der Grabhügel, der dem
des Alyattes am Grösse am nächsten kommt, misst ebenfalls über 3000
Fuss im Umfang, und über 000 Fuss schräge Höhe Der dritte hat
einen Umfang von etwa 2000 und eine Höhe von 400 Fuss.
Die Gräber liegen etwa eine deutsche Meile von Sardes. Viert-
halb Stunden weiter liegt Marmora, ein von Griechen bewohntes Dorf,
auf dessen Begräbnissplatz sich Säulentrümmer und andere Spuren
einer alten Stadt finden.
Neun Stunden von Marmora ist Aksa (Thyatira), welches oben
beschrieben ist. Zwei Stunden von hier liegen am Abhang eines Berges
verschiedene Felsenkämmern, welche Grüfte gewesen zu sein scheinen.
Die Strasse passirt mehre IBegräbnissplätze oder Dörfer oder Städte,
dann fünf Stunden von Aksa das grosse türkische Dorf Galembie; hier-
auf nach weiteren fünf Stunden, zum Theil sehr beschwerlichen Weges
über einen steilen Bergpass das in der Ebene gelegene Dorf Gülgüt,
worauf sie wieder in's Gebirge hinaufsteigt. Zwei Stunden von Gülgüt
kommt man an den Ruinen eines Gebäudes vorbei, an das sich eine
seltsame Sage knüpft. Das Gebäude war ein Kloster, welches von
zwölf frommen Derwischen gegründet wurde. Dieselben waren weithin
berühmt wegen ihres heiligen Wandels und ihres tiefen Wissens, und
es hiess sogar, dass sie Wunder verrichten könnten. Besonders sollten
sie unfruchtbare Weiber heilen, und da Unfruchtbarkeit im Orient
nicht bloss für ein Unglück, sondern für eine Schande gilt, so stellten
10
146 Kleinasien.
sich zahlreiclie Frauen zur Cur ein. Die heiligen Männer nahmen
solche Hilfesuchende in ihr Kloster auf, beteten mit ihnen, hingen
ihnen Amulete um, gaben ihnen Pulver ein, und entliessen sie nicht
eher, als bis ihre Mittel geholfen oder sich als gänzlich erfolglos be-
wiesen hatten, was sehr selten vorkam. Ueber Alles, was mit den
Damen vorgenommen wurde, mussten sie eidlich Schweigen angeloben.
Indess brach eine der Geheilten endlich ihren Schwur, und die Folge
war, dass der Gatte zum Pascha klagen ging, und dieser mit Soldaten
nach dem Kloster zog und die zwölf Heiligen an die um dasselbe her-
umstehenden Bäume hängen Hess. Die Frauen aber, welche sich hier
hatten curiren lassen, wurden theils in Säcke genäht und in's Meer
geworfen, theils lebendig begraben. Dem Volke jedoch leuchtete die
Erzählung der Dame nicht ein, es hält die Gehenkten noch jetzt für
Heilige und Märtyrer,und häufig sieht man Leute auf ihrem Grabe beten.
Weiterhin verlässt die Strasse wieder die Berge und führt über
eine weite, theilweise angebaute, Ebene nach dem Dorfe Mandragora,
welches zehn Stunden von Gülgüt entfernt ist, und wo man in dem
Hause eines Griechen Nachtherberge findet. Zwei Stunden von hier
sieht man ein eigenthümliches Naturspiel in einem von unzähligen
Feldmäusen vollständig durchlöcherten Hügel. Die Thiere sind von
ungewöhnlicher Grösse, dunkelbraun von Farbe und ohne Schwänze.
Zehn Stunden von Mandragora gelangt man nach dem grossen Dorfe
Süsugirli, welches am Ufer des Flusses gleiches Namens steht. Eine
Tour von sieben weiteren Stunden, welche über eine langgestreckte
morastige Fläche geht, bringt den Eeisenden nach JJluhat, griechisch
Lupathron, einer Stadt, welche fast nur von Griechen bewohnt ist und
im Alterthum Lopadium hiess. Dieselbe war einst volkreich und rings
mit hohen Mauern und Thürmen umgeben, welche zum Theil noch
stehen, obwohl sie jetzt nur zur Wohnung von Eulen, Fledermäusen
und zahllosen Störchen dienen. Die wenigen Häuser, welche in dieser
Umfassung noch existiren, befinden sich in ähnlicher Verfassung, und
der grösste Theil des Areals innerhalb der Mauern wird von Gärten
und ßebenpflanzungen eingenommen. Hart bei der Stadt trifft man
die Kuinen einer grossen byzantinischen Burg. Die Einwohner haben
ein bleiches, abgezehrtes Aussehen, eine Folge der ungesunden Lage
der Stadt, die am Ufer eines Flusses steht, der hinter der Stadt aus
einem See kommt und vor ihr einen ungeheuren Morast bildet. Her-
berge findet der Reisende hier in einem grossen, aber halb in Trüm-
mern liegenden Kloster, in welchem jetzt nur noch wenige Mönche
wohnen. Zu bemerken ist, dass die Griechen in dieser Stadt wie in
vielen andern Städten und Dörfern des Innern von Kleinasien nicht
mehr griechisch, sondern lediglich türkisch sprechen, obwohl der Got-
tesdienst in griechischer Sprache abgehalten wird.
Der Pluss von Ulubat ist der Ehyndacus der alten Schriftsteller.
Man überschreitet, oder vielmehr, man überklettert ihn auf einer sehr
baufälligen, zum guten Theil verfaulten Brücke. Die Pferde müssen
durch das Wasser schwimmen. Dann führt der Weg durch eine schöne
Kleinasien, 147
Ebene längs des See's Apollonia hin, dessen zahlreiche Inseln stark
bewohnt sind.
Nach fünf Stunden erreicht man das schmucke Dorf Chatatorgul,
dessen Einwohner, ohne Ausnahme Griechen, fleissige Ackerbauer und
Winzer sind. Von hier geht die Strasse über eine prachtvolle Fläche,
die vortrefflich bebaut und zum Theil mit prächtigen Waldbäumen
bewachsen ist und auf der man in der Ferne den gewaltigen Schnee-
gipfel des asiatischen Olymp vor sich hat, nach der grossen Stadt
Brussa, welche nach sechs Stunden erreicht wird.
In Brussa findet sich in dem wohleingerichteten Hotel d'Olympe
Gelegenheit, wieder in der Weise civilisirter Leute zu essen und zu
schlafen. Der Preis dafür ist für den Tag zehn Franken. Diese Stadt,
im Alterthum der Sitz der bithynischen Könige, ist nach Prusias. dem
Gönner und Beschützer Hannibals benannt, der 200 v. Chr. lebte. Unter
der Römerherrschaft hören wir wenig von Brussa, obwohl es stets wegen
seiner Bäder und seiner anmuthigen Lage berühmt war. Hier wohnten
die Gouverneure der Provinz Bithynien, unter denen Plinius war. Später
(1326) wurde es den schwachen Händen der oströmischen Kaiser durch
Orchan, den Sohn Othman's, entrissen, welcher die ottomanische Dyna-
stie gründete und die Stadt, die er zu seiner Residenz wählte, mit
einer Moschee, einem Medresse und einem Hospital schmückte. Nach
der Schlacht bei Angora von Timur erstürmt und zerstört, wurde es
von Mohammed II. wieder aufgebaut und blieb die Residenz der tür-
kischen Sultane, bis Amurath dieselbe nach Adrianopel verlebe. Jetzt
ist es die Hauptstadt des Ejalets Kudawendkjar, welches Südbithyuien
und das Innere von Mysien umfasst. Die Einwohnerzahl beträgt jetzt
gegen 70,000, unter denen etwa 10,000 Armenier und 6000 Griechen,
sowie 3000 Juden sind. Das Erdbeben von 1855 hatte einen grossen
Theil der Stadt in einen Ruinenhaufen verwandelt, indess ist das Ein-
gestürzte, da die Häuser mit wenigen Ausnahmen aus Holz erbaut sind,
jetzt meist wieder hergestellt. Brussa liegt am südwestlichen Ende
eines schönen Thaies, welches vier deutsche Meilen lang und durch-
schnittlich eine Meile breit ist, auf dem Abhang des Gebirges, so dass
man von der Stadt eine weite Aussicht über die Ebene hat. Die Strassen
sind ausserordentlich eng, aber reinlicher als sonst in der Türkei. Die
eigentliche Stadt steht zum Theil auf senkrecht abfallenden Felsen,
zwischen welchen schöne alte Bäume ihre laubigen Wipfel zeigen, ist
mit Mauern und Wällen umgeben, und wird durch ein auf einem andern
Felsen erbautes Castell, dessen cyklopische Mauern von hohem Alter-
thum Zeugniss geben, beherrscht. Der Hauptschmuck Brussas sind seine
Moscheen, die, über dreihundert an der Zahl, freilich jetzt zum Theil
zusammengestürzt sind, und von denen sich die der Drei Sultane
(Murad I , Bajasid I. und Mohammed I.), die Moschee Sultan Orchans
und die Murads I. durch ihre Grösse auszeichnen. Ausserdem besitzt
Brussa mehre griechische und armenische Kirchen und drei Synagogen,
anmuthige Spaziergänge, schöne schattige Gärten, warme Quellen und
Bäder, Springbrunnen und mehre grosse Khans. Einige der Quellen
148 Kleinasien.
sind Stahlwässer, andere schwefelhaltig. Das schönste und grösste der
Bäder, Kalputscha Hamman genannt, liegt eine halbe Stunde von dem
Thore, welches sich im Nordwesten der Stadt öffnet. Die Quelle ist
schwach schwefelhaltig und hat eine Wärme von 180" Fahrenheit. Hier
ist ein rundes Becken, das mit Marmorplatten belegt und mit bunten
Ziegeln geschmückt ist, und in welchem man sich mit Schwimmen
vergnügt. Daneben sind andere Badegemächer, in denen klare Spring-
brunnen kühles Trinkwasser hervorsprudeln. Die Bazare von Brussa
sind gross und wohlversehen, namentlich mit den hier gefertigten
Seiden- und BaumwollenstoiFen, aber auch mit europäischen Waaren
aller Art. Die Seidengewebe Brussa's haben einen grossen Ruf nicht
bloss in der Türkei, sondern auch im westlichen Europa. Ausserdem
verfertigen die Einwohner Flor, Leinwand, Tapeten, Gold- und Silber-
brokat, Pfeifenköpfe, und treiben beträchtlichen Handel, besonders mit
roher Seide, von der sie jährlich an 4000 Centner ausführen. Die
Griechen und Armenier leben streng von einander geschieden in den
beiden am Puss des Berges gelegenen Vorstädten, die mit Gräben
versehen sind, über welche Zugbrücken führen. Sehenswerth ist noch
das mit Marmor und Jaspis geschmückte Denkmal des Sultans Osman
I., welches ausserhalb der Stadt in der Nähe des ebenerwähnten grossen
Bades liegt. Im nahen Gebirge Eski Schehir, sowie bei Kiltschik, wird
viel Meerschaum gegraben, der dann in Brussa zu Pfeifenköpfen gebohrt
wird. Endlich ist des vortrefflichen weissen und rosenrothen Brussa-
weines zu erwähnen, der zu den besten Sorten Kleinasiens gehört.
Von Brussa pflegt man den asiatischen Olymp zu besteigen,
welcher eine Höhe von 4500 Fuss hat und bis in den April und Mai
hinein mit Schnee bedeckt ist. Die Tour ist, wenn das Wetter sich
nicht ungünstig gestaltet, nichts weniger als besonders beschwerlich,
und die Mühe des Ersteigen s lohnt sich reichlich durch die Aussicht,
die man auf dem Gipfel geniesst, und die bis über Constantinopel und
das Marmorameer hinausreioht. Man kann sich für diese Excursion Pferde
in Brussa miethen, und zwar zahlt man für das Pferd per Tag 25 bis
30 Piaster, und 15 bis 18 Piaster für den halben Tag. Nach vier- bis
fünfstündigem Reiten den Berg hinan, muss man des beschwerlicher
werdenden Weges halber absteigen und die letzte Stunde zu Fuss
zurücklegen. Am besten thut man, in den Nachmittagsstunden von der
Stadt aufzubrechen, die Nacht in der Nähe des Gipfels zuzubringen
und vor Sonnenaufgang den höchsten Punct zu ersteigen. In diesem
Falle sieht man die Landschaft im Morgenlicht und kann in der Mit-
tagsstunde wieder in der Stadt sein.
Von Brussa nach Constantinopel reist man am raschesten und
wohlfeilsten über das sieben Stunden von Brussa entfernte Küstendorf
Mudania, von wo man zur See nach der türkischen Hauptstadt geht.
Mudania ist ein grosses griechisches Dorf, dessen einzeln liegende
Häuser sich weit am Gestade hinziehen, und dessen Umgebung anmu-
thig und wohl angebaut ist. Man kann von hier in einem Kaik (Ruder-
boot) nach Constantinopel fahren, wofür Eingeborne nicht mehr als
Kleinasien. 149
100 Piaster zahlen, während dem Fremden, namentlich wenn nicht
viele Boote da sind, das Doppelte abverlangt wird. Man bedarf zu
einer solchen Boottahrt bei günstigem Wind und Wetter sechs bis
sieben Stunden. Ausserdem aber fährt ein türkischer Dampfer wöchentlich
mehrmals zwischen hier und Constantinopel, und da derselbe nur fünf
Stunden zur Fahrt braucht und der Fahrpreis nur 80 Piaster beträgt,
eine Bootfahrt bei Gegenwind aber mehre Tage, bei gar keinem Wind
mindestens zwölf Stunden dauert, so wird der Eeisende den Dampfer
vorziehen.
Auf der Fahrt von Mudania nach Constantinopel 'passirt man
die Prinzeuinseln, die man von Constantinopel aus besuchen mag.
Dieselben liegen ungemein schön und sind von Landhäusern der vor-
nehmen Welt Stambuls und Peras bedeckt, in denen sie die heissen
Monate über wohnen. Die Inseln erheben sich etwa zwei Meilen südlich
von Constantinopel und sind an der Zahl neun. Die grössten davon
heissen: Prote, Chalki und Prinkipo. Prote ist weniger besucht, Chalkl
etwas mehr, Prinkipo ist ein Lieblingspunct der Bewohner der Haupt-
stadt, von der jeden Nachmittag ein Dampfer dahin abgeht, der am
nächsten Morgen zurückkommt. Es gibt mehre Hotels auf Prinkipo.
Interessant ist der Besuch eines der griechischen Klöster auf Chalki,
wo sich jetzt ein Seminar zur Ausbildung von Geistlichen befindet.
Das Kloster wurde von dein byzantinischen Kaiser Basilius II. gegründet,
den man den Bulgarentödter nannte und der hier voll Reue über seine
Grausamkeiten sein Leben beschloss. In früherer Zeit nannte man die
Inseln Demonesi. Sie sind übrigens die einzigen Inseln im Marmo-
rameer.
Die Landreise von Brussa naeh Constantinopel ist in 'der nun
folgenden Eoute zu Ende beschrieben. Man bedarf zu ihr vier Tage.
5. Von den Dardanellen über Brussa, Ismik und Ismid nach Constantinopel.
Zu diesem Ausflug hat man zehn Tage nöthig, und zwar berührt
der Reisende folgende Puncto: Lampsacus, Demotikon, Salsdereh, Ben-
dramo, Muhalitsch, Ulubat, Brussa, Isnik, Ismid, Gebse, Kartal und
Scutari. Lampsacus liegt sechs Stunden von den Dardanellen, und
ist bekannt als eine der drei Städte, welche Xerxes dem Theraistokles
zu seinem Unterhalt anwies ; von hier sollte er seinen Wein, von Myrus
sein Fleisch und von Magnesia sein Brot haben. Das jetzt hier stehende
Dorf Lamsaki hat ausser seiner anmuthigen Lage auf einer mit Oliven-
und Reben-Pflanzungen bedeckten Landzunge nichts Bemerkenswerthes.
Der gegenüber auf dem europäischen Ufer der Dardanellenstrasse mün-
dende Fluss ist der darch Lysander's Sieg berühmte Aegospotamos.
Zwölf Stunden weiter passirt man den Karakasu, welcher der Gra-
nicus des Alterthums ist, an dem Alexander der Grosse den ersten
Sieg über die Perser erfocht. Man trifi't hier die Ruinen einer römi-
schen Brücke von acht Bogen. Der Fluss hat an dieser Stelle eine
Breite von etwa achtzig Fuss. Anderthalb Stunden weiter gelangt man
löO Kleinasien.
nach Demotikon, von hier in neun Stunden nach dem ärmlichen Dörf-
chen Salsdereh und von da in siebenthalb Stunden nach der Stadt
Bendramo. Zwischen den beiden letzten Orten liegt die berühmte
Halbinsel von Kyzicus und Artaki, welcher der Eeisende einen Tag
widmen sollte. Man thut wohl, sie von Bendramo aus zu besuchen.
Bendramo hat vier Moscheen und etwa 1000 hölzerne Häuser. Es liegt
sehr hübsch am Südufer einer schönen 3 7, Meilen tiefen und durch-
schnittlich 1 Meile breiten Bucht, die auf allen Seiten von Bergen
eingeschlossen ist.
Kyzikus ist eine schöngeformte Halbinsel, die früher eine Insel
war. Die Verbindung mit dem Festland ist durch einen schmalen Land-
streifen hergestellt, der sich aus den Euinen von zwei antiken Brücken
gebildet hat. Die Alterthümer von Kyzikus bestehen zunächst aus
einem ziemlich grossen römischen Amphitheater, welches eine halbe
Stunde vom Ufer an zwei Hügeln liegt; die Arena wird von dem
dazwischen eingesenkten kleinen Thal gebildet. Die Mauern und Bo-
genwölbungen sind gegen 60 Fuss hoch, der Durchmesser des Theaters
beträgt etwa 300 Fuss. Das Innere ist mit Strauchwerk und Bäumen
bewachsen, in der Mitte rieselt ein kleiner Bach hindurch. Man trifft
hier ferner zwischen Gesträuch und Büschen ein zweites, ebenfalls
grosses Theater, beträchtliche Beste der Stadtmauern, Ueberbleibsel
von zwei achteckigen Thürmen und sehr ausgedehnte, aus grossen
Quadern aufgeführte Substructionen mit Gewölben. Indess ist alles
dies nicht leicht zu übersehen, da die ganze Stätte mit Gestrüpp, Wald-
bäumen, Obstgärten und Rebenpflanzungen bedeckt ist. Die Ruinen
dürften übrigens keiner frühern als der römischen Zeit angehören.
Ocstlich von der Stadt, zum Theil an der erwähnten schmalen Land-
zunge, trifft man Spuren alter Hafenbauten, sowie einen gemauerten
Kanal. Der Ort, der jetzt hier steht, heisst Balkis. Viele Marmor-
fragmente aus den Ruinen von Kyzikus sind nach dem Städtchen
Aidindschik gebracht worden, welches 6 Stunden von hier an dem
See Manias Gol oder Milepotamo liegt. An der Westseite dieses fisch-
reichen Sees, 3 Stunden von Aidinschik, findet man eine Niederlassung
von Kossaken, die 1770 aus der Gegend von Ismail hierher auswan-
derten und zum Theil ihre heimischen Sitten bewahrt haben. Das Land
zwischen Kyzikus und Artaki (türkisch Erdek), wo sich Ueberbleibsel
eines antiken Hafendammes befinden, ist mit Rebenpflanzungen bedeckt,
die einen in Constantinopel sehr geschätzten Wein geben.
Mulialitsch, 4 Stunden von Bendramo, ist eine grosse und
volkreiche Stadt mit 9 Moscheen und 3 Khans. Die Mehrzahl der Ein-
wohner, welche lebhaften Handel treiben, sind Griechen und Armenier.
Der vorüberfliessende Fluss ist der Rhyndacus des Alterthums, Die
Entfernung zwischen hier und der See beträgt 4 Stunden. Von hier
nach Ulubat (s. d. vor. Route) sind es 4, von da bis Brussa (s. d. vor.
Route) 9 Stunden.
Die Landreise von Brussa nach Constantinopel geht über Isnik
und Ismid. Isnik, zwölf Stunden von Brussa entfernt, ist das alte
Kleinasien. 151
Micäa. Die berühmte Stadt ist jetzt ein elendes Dorf von etwa sechzig
Hütten, die von Türken und einigen Griechen bewohnt sind. Letztere
haben hier eine kleine Kirche, die der Gottesgebärerin geweiht ist,
und deren Priester den Keisenden als Führer durch die Ruinen, sowie
als Gastwirth dient. Die Lage des Oertchcns am Südostende des 2 '/^
Meilen langen und durchschnittlich y, Meilen breiten Sees Askauius
ist sehr schön. In der Ferne ragt der Olympus auf, die näheren Höhen
sind mit Wäldern von Eichen verschiedener Gattung und Immergrün
bewachsen, zwischen denen man die sehr grossartigen Ruinen der alten
Stadt, gewaltige Mauern, Thore und Thürrae, ähnlich denen von Con-
stantinopel, eine Wasserleitung und den sogenannten Palast des Theo-
dorus erblickt. Die Stadtmauern umschliessen ein Areal von mehr als
einer halben Quadratmeile. Sie bestehen meist aus abwechselnden La-
gen römischer Ziegel und grosser Quader, die mit Mörtel verbunden
sind. An einigen Stellen sind Bruchstücke von Säulen und Architraven
eingefügt, die vermuthlich der ältesten Stadt angehören. Ruinen von
Moscheen, Bädern und Häusern, zwischen den Getreidefeldern und
Gärten zerstreut, die jetzt den Raum innerhalb der alten Ringmauern
einnehmen, zeigen, dass auch das türkische Isnik einst eine beträcht-
liche Stadt war.
Nicüa wurde von Antigonus, dem Sohn des Philippus bald nach
dem Tode Alexanders des Grossen erbaut und nach diesem ihrem
Erbauer Antigonia genannt. Erst später erhielt sie von Perdikkos, nach
dem Namen von dessen Gemahlin, den Namen Nicäa. Die Stadt ist
besonders berühmt wegen der Kirchenversammlungen, die hier gehalten
wurden (das erste und das siebente ökumenische Concil). Die erste
derselben wurde 325 n. Chr. von Constantin d. Gr. zur Schlichtung
der arianischen Streitigkeiten veranstaltet. Durch den persönlichen
Eintiuss des Kaisers und die Beredsamkeit des alexandrinischen Dia-
kons Athanasius trug die orthodoxe Kirche den Sieg davon. Die Lehre
des Arius wurde verdammt, und das, auf den Grund des alten aposto-
lischen Symbolums gebaute Glaubensbekenntniss angenommen, welches
unter dem Namen des nicänischen in unseren Katechismen steht.
Ausserdem wurde die Gleichzeitigkeit der Osterfeier in allen christlichen
Gemeinden angeordnet und Verschiedenes über die Kirchenzucht fest-
gesetzt. Das zweite nicänische Concil hielt im Jahre 787 die Kaiserin
Irene. Sie wusste auf demselben den folgenreichen Beachluss durch-
zusetzen, dass den Bildern Jesu und der Heiligen eine durch Küssen,
Kniebeugung, Beräucherung und Lichteranzünden zu erzeigende Ver-
ehrung zu widmen sei. Auch wurde das Aufbewahren von Reliquien
in den Kirchen anbefohlen. 325 wurde die Stadt durch ein Erdbeben
zerstört, aber durch Kaiser Valens wieder aufgebaut. Im Jahre 1080
eroberte sie mit Hilfe der Türken Nicephorus Melissenus, 1097 erstürmten
sie die Kreuzfahrer unter Gottfried von Bouillon. Nach Begründung
des lateinischen Kaiserthums in Constantinopel stiftete Theodor Las-
karis hier ein eigenes griechisches Kaiserthum, welches von 1206 bis
1261 bestand, wo Michael Paläologus den Sitz der Kaiser wieder nach
152 Klein asien.
Constantinopel zurückverlegte. 1330 kam es durch Orchau für immer
in die Gewalt der Türken. Die Stelle, wo die Kirchenversammlungen
abgehalten worden sein sollen, wird ausserhalb der Mauern am Ufer
des Sees gezeigt.
Von Isnik reitet man in etwa 7'/j Stunden nach Ismid oder
Isnikmid, dem alten Nikomedia. Die Stadt, welche etwa 13,000 Ein-
wohner hat, unter denen sich 5 — 6000 Griechen befinden, liegt am
Abhang eines Hügels an dem tiefen Meerbusen, der nach ihr benannt
ist und ist der Sitz eines Paschas. Die Einwohner treiben nicht unbe-
deutenden Handel. Die Stadt hiess in der ältesten Zeit Olbia. Niko-
medes, König von Bithinien, der sie vergrösserte und verschönerte,
nannte sie nach sich. Diocletian erhob sie zur zweiten Hauptstadt des
römischen Keiches, einem Rang, den es bald nachher an das günstiger
gelegene Constantinopel abtreten musste. 1339 fiel es in die Hände
der Türken. Ueberreste seines früheren Glanzes finden sich nur sehr
spärlich. Man kann von hier jeden Dienstag früh per Dampfer nach
Constantinopel gelangen, und zwar dauert die Fahrt nur sieben bis
acht Stunden. Wer es vorzieht, den Rest des Weges zu Lande zurück-
zulegen, bedarf dazu zwei Tage. Der Weg führt erst durch bergiges
Land, dann am Ufer des Marmorameeres hin, wo die Prinzeninseln sich
sehr vortheilhaft präsentiren, dann durch eine Anzahl von Dörfern,
von denen wir Gebse (zwölf Stunden von Isnik) und Kartal (fünf
Stunden von Gebse) nennen, nach Scutari (vier Stunden von Kartal),
wo man sich entweder mit einem Kaik nach Pera hinüberbegibt, oder
eine der Dampfiahren benutzt, welche zwischen Scutari und der Brücke
über das Gold'ne Hörn alle Stunden hin- und herfahren. Der Anblick
von Constantinopel ist von den Höhen über Skutari überaus herrlich
und prachtvoll.
6. Von Adalia durch Lyoien und Karlen über Ephesus , Laodicea und Sardes
nach Smyma.
Diese Tour erfordert vierzehn bis fünfzehn Tage und berührt
folgende Puncte : Tekrowa (zur See zu erreichen), Deliktasch (Olympus),
Berg Chimära (Yanar), Atresarni, Hadschi-Thal (Gagä), Phineka, Myra,
Kassabar, Antiphcllus, Suaret, Basirian, Köi, Petara, Kunik, Xanthus,
Dimelhir, Duwa, Ilos, zurück nach Duwa, Makri (Telmessus). Dollomon,
Kuges, Hula, Mula, Akri Köi, Eski Hissar (Stratonicäa), Melassa, Baffl,
Palattia (Milet), Sansun, Chauli (Neapolis), Scala Nuova, Ayasoluk
(Ephesus), Aidin (Tralles), Geyra, Laodicea (Eski Hissar), Hierapolis,
Aineh Giul, Philadelphia, Sardes, Kassaba und Smyrna.
Nach Tekrowa, dem alten Phaseiis, von dem noch Hafen-
dämme sowie Spuren eines Tempels und eines Theaters übrig sind,
gelangt man mit einem Boot in fünf Stunden. Von hier fährt man
in drei Stunden nach Deliktasch, dem alten Olympus, wo man die
Reste einer Stadt der Venetianer antrifft. Dreiviertel Stunden von der
Küste findet der Reisende, erst eine fruchtbare Ebene durchschreitend,
Eleiuasien. 153
dann eine waldbewachsene Schlucht emporsteigend den Yanar oder
die vulkanische Flamme des im Alterthum vielerwähnten Berges Chi-
mära, die bisweilen selbst auf dem Meere gesehen wird. Von Deliktasch
geht man zu Lande weiter nach dem drei Stunden entfernten Atra-
sarni, von da nach dem Hadschi-Thal, wo sich Reste des Theaters von
Gagä finden, von dort nach Phineka, Avobei man die Ueberreste Limy-
ras und eine Anzahl altlycischer Grabgrotten passirt. Von Atrasarni
nach dem Hadschi-Thal ist es sieben, von da nach Phineka fünfthalb
Stunden. Die Felsengräber liegen zwei Stunden nordöstlich von Phi-
neka. Eines der letzteren hat eine Inschrift in griechischer Sprache
und zugleich in lycischer. Zahlreiche Basreliefs über den Gräbern
zeigen, dass sie einst roth und blau bemalt waren. Zwei von den
Grüften sind mit jonischen Säulen geschmückt. Ein Stück davon triftt
man die Ruine eines Theaters, in deren Nähe ein schöner mit Sculp-
turen verzierter Sarkophag steht. Phineka ist ein Dörfchen an einem
schiffbaren Fluss, eine Stunde von der See gelegen, wo man viele wild
wachsende Palmen findet. Von hier kann man in einem Boot den fünf
Stunden entfernten Trümmerplatz des alten Ägurä, jetzt Kakava,
besuchen. Nach Phineka zurückgekehrt, schlägt man den Weg nach
Myra ein, welches neun Stunden von hier liegt. Der Pfad, der dahin
führt, ist einer der beschwerlichsten und gefährlichsten im ganzen
Orient. Auf einer der Höhen, die man passirt, finden sich Sarkophage,
alte Mauern und verschiedene viereckige Thürme von antiker Bauart;
am Puss des Berges steht eine alte türkische Feste. Die Aussicht hinab
auf das Kap Chelidonia (Proraontorrum Sacrum) ist prachtvoll.
Myra, wo Paulus auf seiner Reise nach Rom einsprach, liegt
am Fuss eines felsigen Berges, der die eine Seite der Ebene von Dembre
Chai zukehrt und auf der andern sich längs des Flusses Andraki bis
zu dem einstigen Hafen der Stadt Andriace hinstreckt. Im Westen
steht ein Konak, der ein gutes Beispiel für die Art ist, wie man früher
in der Türkei die Häuser decorirte. Das Theater von Myra ist eines
der imposantesten Ueberbleibsel altrömischer Baukunst in Kleinasien,
ja, es erinnert mit seinen gewaltigen und auf's sorgfältigste ausge-
führten Corridoren und doppelten Galerien an die Bauten von Rom
selbst. Ein breites Diazoma und eine Mauer, welche die beiden Flächen
der Sitze trennt, hat hinten eine Statue mit einer griechischen Inschrift
darüber. Dieselbe scheint das Glück der Stadt dargestellt zu haben,
indem man Embleme, wie Früchte, ein Füllhorn und ein Steuerruder
erkennt. Die architektonischen Fragmente, die man findet, zeigen einen
guten Styl. Auf einem Stück Deckenfüllung sieht man eine grosse tra-
gische Maske. Das Proscenium ist, namentlich in der Ostecke, trefflich
erhalten. Ueber einer Seitenthür erblickt man ein Medusenhaupt. Eine
schöne Säule und ein Pfeiler stützen noch jetzt die Entabulatur, die
reich verziert ist. Der Durchmesser des Theaters beträgt 360 Fuss,
unter dem Diazoma hat es zwanzig, über demselben sieben Sitzreihen.
In der unmittelbaren Nähe desselben sind die Felsen voll von Grüften,
von denen einige von wunderbarer Schönheit und mit Inschriften und
154 Kleinaßien.
Basreliefs verziert sind, welche letzteren Begräbniss-Sceneii darstellen.
Eine andere Gruppe von Felsengräbern triift man in einer steilen Wand,
nicht weit vom türkischen Gottesacker. Nach dem einen derselben steigt
man eine Treppe hinauf. An der Fafade stehen. mehre lebensgrosse
Bildsäulen, im Innern finden sich mit Farbe bemalte Sculpturen, welche
häusliche Scenen vorstellen. Auf der andern Seite des Felsens, über
das Theater und den türkischen Konak hinaus trifft man die jetzt
mit Palmen überwachsene Ruine eines ausgedehnten Gebäudes, das
ebenfalls antik ist. Noch weiter nach dem Flusse hin stehen die Ruinen
der Kirche und des Klosters St Nikolaus, in denen eine kleine grie-
chische Kirche liegt, deren Priester dem Fremden in den noch bewohn-
baren Gemächern des Klosters Herberge gewährt. In derselben Richtung
weitergehend, trifft man am Flusse die Reste eines Bades mit zwei
grossen Bogen und sechs Nischen, und nicht weit davon Spuren eines
Tempels und ein grosses Felsengrab. Auf der linken Seite des Flusses
liegen die Ruinen eines andern Tempels hoch oben auf einem bewal-
deten Berge. Endlich stösst man an der Einfahrt in den Fluss auf
ein sehr ausgedehntes römisches Gebäude, welches nach der Inschrift
auf seiner Front ein Speicher war.
Ksissabar, sieben Stunden von hier, ist ein hübsches Dorf mit
einem Konak, in dem ein Aga wohnt, einem Bazar und einer grossen
Kuppelmoschee. Auf dem Wege dahin trifft man ebenfalls mehre
Grottengrüfte. Antiphellus, zwei Stunden von Kassabar, ist ein meist
von Griechen bewohntes recht lebhaftes Städtchen, welches als Hafen-
platz für die gegenüber gelegene kleine Insel Castellovizzo dient und
wo man eine bequeme Herberge antrifft. Letztere liegt am Ende der
Landzunge, auf der das Oertchen steht. Man findet hier die Trümmer
eines Theaters und verschiedene Felsengräber mit einst gefärbt gewe-
senen Basreliefs. Üben auf den Bergen über der Strasse, die nach dem
Städtchen herabführt, steht ein grosses, viereckiges Gebäude mit do-
rischen Pilastern, dessen Thür vollkommen gut erhalten ist.
Suaret, fünfthalb Stunden sehr steilen Weges von hier, scheint
nach den ausgedehnten Mauerresten, die man hier findet, das alte
Phellus zu sein, welches in dieser Gegend lag. Weiterhin passirt der
Reisende das sehr hoch über dem See gelegene Basirian Köi (6 '4 St.)
und Fornas, ein lebhaftes Türkendorf. Fatara, vier Stunden von Ba-
sirian Köi, war im Alterthum eine blühende Seestadt, in welcher Apollo
Orakel spendete. Man stösst liier auf zahlreiche Alterthum er, griechische
Gräber, Spuren von Tempeln, einen 24 Fuss hohen Triumphbogen mit
korinthischen Ornamenten, ein grosses, jetzt mit Palmen bewachsenes
Gebäude, welches ein Gymnasium gewesen sein kann, ein Stadtthor
mit drei gewölbten Eingängen und Nischen, über dem man in grie-
chischen Charakteren die Inschrift liest: „Patara die Metropole des lyci-
schen Volkes". Das Theater, etwas versandet, lehnt sich an einen kleinen
Hügel im Norden. Es hat einen Durchmesser von 265 Fuss, vierund-
dreissig Sitzreihen und ein wohlerhaltenes Proscenium, an dessen Ost-
wand eine Inschrift sagt, dass es von Q. Velius Titianus im 4. Con-
Kleinasien. 155
sulat des Antoninus Pius erbaut wurde (145 v. Chr.). Am Abhang
derselben Anhöhe steht ein kleiner, halb zerfallener Tempel, und etwas
höher stösst man auf einen tiefen , kreisrunden Schacht, in welchen
Stufen hinabführen, und aus dem vielleicht die Apollo-Orakel kamen.
Kuuik, drei Stunden von hier, liegt in der Nähe der Ruinen
von Xauthus, der alten Hauptstadt Lyciens. Das WerthvoUste in
diesen Ruinen, z. B. das sogenannte Löwengrab, ist weggeschafft und
ziert die Sammlung des britischen Museums in London Indess findet
man noch manches Interessante, Gräber mit lycischen Inschriften,
Polygonenmauern von sorgfältigster Bauart, ein weithin sichtbares,
mit weissem Marmor bekleidetes Grabmonuraent u. a. Sehenswerth ist
die sehr ausgedehnte Ruinengruppe aus christlicher Zeit, welche auf
den felsigen Höhen im Süden liegt. Die Form der ältesten christlichen
Kirche mit der runden Apsis ist deutlich erkennbar. Am Theater ist
das Prosceniuni verschwunden, aber die Sitzplätze sind grossen theils
erhalten Endlich müssen die Trümmer eines Stadtthors erwähnt werden,
welches, wie eine Inschrift auf der Westseite sagt, unter Vespasian
erbaut wurde. Jenseits des Flusses erblickt man die Ruinen eines tür-
kischen Forts. Die Umgebung ist reich an wildwachsenden Feigen-
bäumen und eine schöne Palme beschattet den Fluss und die nicht
fern davon sich erhebende kleine Moschee.
Von Xanthus geht die Strasse durch eines der schönsten Thäler
Kleinasiens. Sie überschreitet eine halbe Stunde unterhalb der alten
Stadt den Fluss, passirt die Ortschafton Dimelhir (4 '/, St. von Xanthus)
und Duwa (5 St. von Dimelhir) uud steigt dann allmälig nach dem
dritthalb Stunden weiter oben gelegenen Trümmerplatz von Ilos em-
por, wo man ein Theater mit Marmorsitzen und die Reste von sehr
massiv gebauten Palästen römischen Styls, Bruchstücke der Stadtmauer
und in den Abhängen der Akropolis eine Menge von Felsengräbern in
der Form von Tempelchen findet. Eines der grössten diet^er Felsen-
gräber hat einen hübschen Porticus und ist mit einem Basrelief ge-
schmückt, welches Bellerophon auf dem Pegasus darstellt
Von hier kehrt man nach Duwa zurück, von wo sich nun der
Weg durch waldbewachsenes Gebirg hinwindet, bis er nach sieben
Stunden das Städtchen Makri erreicht, welches die Stelle des alten
Telmessus einnimmt. Die Einwohner sind meist Griechen. Von der
alten Stadt ist noch das Theater und eine Anzahl mit Säulen ge-
schmückter Grabgrotten zu sehen. Von Makri geht der Weg, erst über
die Ebene, dann über bewaldete Höhennach Dollomon (12 St.),Kugess
(8 St.) und die Gebirgsorte Hula (12 St.), Mula (4 St ), Akri Köi
(7 St.) nach Eski Hissar, dem alten Stratonicea, welches von Akri
Köi dritthalb Stunden entfernt ist. Die alte Stadt, eine der grössten
Binneustädte Cariens, muss aus sehr grossen Gebäuden bestanden haben.
Man trifi"t hier Spuren von sechs Tempeln und einem Theater, mehre
noch aufrecht stehende Säulenstümpfe und einige Thorgewölbe. Im
Ceiitnira der Stadt steht die Cella eines sehr grossen und nach den
Steinen zu schliessen, sehr alten Tempels. Die Strasse nach dem sieben
156 Kleinasien.
Stunden von hier gelegenen Melassa geht zuerst über Berge, dann sehr
steil hinab in die Ebene. Melasiia, das alte Mi/lasa, zeigt in den
Mauern der modernen Stadt, die beiläufig ziemlich gross ist, zahlreiche
Fragmente der antiken. In einem Hause ist die sehr schöne Figur
eines Kindes eingemauert. Ausserdem findet man ein prächtiges korin-
thisches Thor und eine kannelirto Säule, die noch aufrecht steht. Auf
dem Weiterwege gelangt man nach dritthalb Stunden nach Takli, in
dessen Nähe in einer Schlucht ein wohlerhaltener korinthischer Tempel
liegt. Derselbe scheint nicht vollendet worden zu sein, da von seinen
sechzehn Säulen nur zwölf Kannelüren haben. Auf einem kleinen Hügel
nordwestlich von hier hat man Grundmauern von anderen Gebäuden
entdeckt. Eine halbe Stunde weiter erblickt mau vor sich das malerische
Dorf Kisledschik. Baffi, ein Dorf zwischen Waldhügeln, wird nach
sieben Stunden erreicht. Palattia, in der Nähe eines See's, in den ein
Arm des Mäander mündet, sechs Stunden weiter, ist wahrscheinlich
das alte Myus. Die Gegend ist sehr ungesund, der Ort besteht nur
aus einigen Hütten. Die Alterthümer desselben bestehen aus einem
sehr grossen Theater, den Besten einer Wasserleitung und einigem
Mauerwerk. Sansun, elf Stunden von hier, ist ein hübsch an einem
Felsenabhang gelegenes Griechendorf. Eine halbe Stunde von hier nach
dem See hin erblickt man auf einem schroffen Felsen Euinen, welche
vermuthlich das alte Priene sind. Auf beschwerlichen Gebirgspfaden
gelangt man von hier in fünfthalb Stunden hinab nach Chauli, von
da in zehn Stunden nach Scala Nuova, von dort in drei Stunden nach
Ephesus. üeber die weiteren Haltpuncte dieser Tour ist im Obigen
(vergl. die Touren 3 und 4) das Erforderliche berichtet, und wir haben
hier nur zu bemerken, dass Aidin oder Tralles von Ephesus zwölf,
Geyra von Aidin vierzehn bis fünfzehn, Laodicea von Geyra dreizehn,
Hierapolis von Laodicea anderthalb, Aineh Giul von Hierapolis sechzehn,
Philadelphia von Aineh Giul fünf, Sardes von Philadelphia neun Stunden
entfernt ist. In Kassaba, welches neunthalb Stunden von Sardes liegt,
trifft man auf die grosse Karawanenstrasse , die aus dem Innern des
Landes hierher führt. Hier besteigt man die Eisenbahn und ist dann
in wenigen Stunden in Smyrna.
7. Verschiedene Pläne zu Touren im Innern Kleinasiens.
Bei den Grenzen, die diesem Reisehandbuch gesteckt sind, ist
es nicht möglich, auf die weit von der Küste entlegenen Theile Klein-
asiens ausführlich einzugehen. Auch wird es nur selten vorkommen,
dass Europäer ihre Touren weiter als nach den im Vorigen beschrie-
benen Orten ausdehnen. Um indess auch Denen, welche dazu Neigung
oder Veranlassung haben, einigermassen an die Hand zu gehen und
ihnen wenigstens ein Schema der etwa in Betracht kommenden Touren,
der Hauptpuncte auf ihnen und der Eintheilung der Tagereisen zu
geben, theilen wir im Nachstehenden nach der dritten Auflage von Mur-
Elleinasien. 157
ray'c „Handbook für Trevellers in Turkey", dem wir auch im Vorher-
gehenden theilweise folgten, einige Routen mit.
a) Von CoHstantinopel über Amasia uml Tokat nach Erzerum
und Wem: Gaibassa 6 St, Israid 5%, Sabnja 4^/^, Khan Dag 6,
Dusclii 7'^, Boli 6'/,, Garidi 6, Hamamlu 5',',, Karadschular 6V4, Ka-
radschorem 4, Kadschasir 4'/^, Tosia 5'/,, dann am Kissil Irmak oder
Halys bis nach Hadschi Hamssa 5^/^, Osmandschik 4'/,, Marsiwan
(Eudocia) 8, Amasia (wo eine prachtvolle Moschee und die Gräber der
alten Könige von Pontus) 4y^, Torkal 7'/,, Tokat (Phazemou) eino
Stadt von 30 bis 35,000 Einwohnern, 8, Niksar (Neocäaarea) 9, Koila-
hissar 14, Karahissar (von wo eine Strasse nach dem drei Tagereisen
von hier entfernten, von Lloyddampfern besuchten Kerasunt geht) 12,
Schairan 12'/^, Kalket 2%, Karukulah 7'/,, Aschkala lO'/i, Erzerum
(Stadt von 70,000 Einwohnern in einer vorzüglich von Armeniern be-
wohnten Gegend, 600O Fuss über dem Meeresspiegel) 6 '/^ , Hassan Kaleh
5, Ohuli 10 Stunden. Man ist hier im Quellgebiet des Araxes, den
man eine halbe Stunde von Chuli überschreitet. Dann folgen bis Wan
die Orte: Kanus Kuremai 8, Yangali (ein von Christen bewohntes
Dorf, nach welchem man gelangt, nachdem man den Ostarm des Eu-
phrat überschritten hat). Lata 5, Taschkun 6, Ardschieh (wo man den
grossen See von Wan erreicht) 11, Dschanik 12, Wan (Stadt von 12
13,000) Einwohnern 8 Stunden. Zu bemerken ist, dass der Weg in
seiner letzten Hälfte von Kurden unsicher gemacht wird, und dass man
ihn deshalb hier nur mit starkem militärischen Geleit oder in grossen
Karawanen zurücklegen kann.
b) Von Constantinopel nach Kastamuni: Zuerst nach Boli (s.
oben) und Hamamlu, dann folgen die Orte: Hadschi Abassi 10, Aschar
12, endlich Kastamuni 10 Stunden; letzteres ist eine Stadt von etwa
13,000 Einwohnern, dreissig Moscheen, fünfundzwanzig öffentlichen
Bädern und meliren grossen Khans, die an der Stelle des alten Ger-
manicopolis steht.
c) Von Constantinoxiel über Samsun, 3Iossul und Bagdad nach
Basrah: Samsun (mit dem Dampfer in zwanzig Stunden zu erreichen),
Kawak 6, Ladik 8, Amasia 6, Tarchal 12, Tokat 10, Sivas 20, Delik-
tasch (der höchste Punct der Tauruskette) 10, Allajah 10, Hakim Khan
11, Ogli Oglu 12. Denesli 8, Kebhan Maden, der Uebergangspunct
über den Euphrates, 2, Karput 10, Arganeh 16, Diarbekir, 12, Merdin
18, Nisibin 12, Asnauer 12, Dschessireh 12, Saku 12, Semil 12, Mossul
12, Jesid Köi (Uebergang über den Sabliuss) 9, Tasch Tepeh 12,
Kerkus 14, Tasseh Kormat 16, Kara Tepeh 18, Hozoz 15, Bagdad 9
Stunden. Diese Reise erfordert einen sehr ausdauernden Körper. Die
Pferde kosten per Stunde 2'^'.^ Piaster. Wenn die Beduinen unruhig
sind, was jetzt oft der Fall ist, so kann dio Tour durch die Wüste
zwischen Mordin und Mossul nicht gemacht werden, sondern man
muss dann durch das Gebirge gehen. In Mossul und Basrah, nach
welchem letzteren Ort man von Bagdad auf einem Boot gelangt, sind
englische Viceconsuln, in Bagdad ein englischer Generalconsul, in
158 Kleinasien.
Diarbekir ein Consul. In der Nähe von Mossul trifft man die Euinen von
Niniveh. Die Khans in Mesopotamien sind zum grossen Theil vor-
trefflich.
d) Von Tokat nach Trapesunt: Niksar 9, Koilahissar 14, Ka-
rahissar 12, Ulescheran 16, Gümisch Chaneh 12, Trapezunt 18 Stunden.
e) Von Trapezunt über Batum und Kars nach Erzerum: Bainm
(mit dem Lloyddampfer zu erreichen, Tschoruk zu Wasser 4 Stunden,
dann Dschagat 5, Didewadschi 7, Ako 7, Kulah 7, Danesworola 5, Digwir
9, Luramel 5, Ardaha 8, Kars 16, Karahamssa 8, Messingherd 10,
Chorassan 4, Hassan Kaleh 8, Erzerum 6 Stunden.
f) Von Erzerum nach Kaisar ijeh über Diarhekir und Siwas:
Yenköi 10, Kargan 10, Erssingen 12, Kemach 12, Herhemeh 10, Edschin
12, Arab Dschir 10, Karput 10, Argana Maden 12, Stadt Argana 3,
Diarbekir 12, zurück nach Karput, Eissoglu 12, Aspusi-Malatijeh 6,
Hakim Khan 14, Gurun 15, Mandschelik 9, Ulasch 9, Siwas 6, Sagileh
12, Dschemerek 6, Kaisarijeh 12 Stunden. Auch auf dieser Eoute sind
die Räuberbanden der Kurden zu fürchten. Diarbekir ist eine grosse,
von Mauern aus schwarzer Lava umgebene Stadt von 40,000 Einwohnern
am rechten Ufer des Tigris. Arabdschir hat gegen 30,000, Siwas unge-
fähr ebenso viele Einwohner. Kaisarijeh, am Puss des 12,400 Puss
hohen Argisch gelegen, besitzt ausgedehnte Bazare, in denen man selbst
deutsche Waaren findet und hat gegen 40,000 Einwohner, von denen
10 bis 12,000 Armenier und 3000 Griechen sind.
g) Von Kaisarijeh nach dem Argisch und dann nach Karaman:
Griechisches Kloster am Abhang des Argisch 3 '4, Ewerek Köi 8
Stunden. Von hier aus besteigt man den Gipfel des Berges, der ein
ausgebrannter Vulkan ist, und kehrt nach dem zuletzt genannten Orte
zurück, ein Ausflug, der zwei Tage kostet. Von Ewerek Köi geht es
dann weiter über Kara Hissar 8, Misli 5, Nigdeh 5, Bor 5\/^, Kiss
Hissar 1, Erekli 12, Karaday 12, nach Karaman 12 Stunden. Man
passirt auf diesem Wege häufig die Lager von wandernden Tur-
komanen.
7t) Von Karaman über Bejschehr nach Smyrna: Kassaba 4,
Elmasun 4, Hadschilar 8, Tris Maden 2 V^, Kara Euran 7, Sejdi Schehr
4, Bejschehr 6 Stunden, Kereli 1, Kara Agatsch 1, Oluborlu (Apollonia)
2, Dinair 1, Ischekli 1, Demirdschi Köi 1, Aineh Giul 2, Philadelphia
1, Sardes 1, Kassaba 1 und Smyrna 1 Tagereise von circa 9 bis 10
Stunden.
i) Von Skutari nach Konia, Tarsus und Baias: Kartal 4,
Gebse 5, Kissderwend 9, Isnik 5, Lefke 6, Wessir Khan 4, Schogschot
8, Eski Schehr 10, Sejd El Gasi 9, Kosru Pascha Khani 7, Bolawadnu
12, Ak Schehr 11, Jorgan Ladik 12, Konia 9, Jeschil 9, Karabunar 10,
Erekli 12, Pylä Ciliciä 29, Tarsus 12, Adana 8, Messis 6, Kastanleh
6, Kara Kepeh 2'/a, Karabolat 3%, Baias 2'/^ Stunden. Bei Schogschot
befindet sich in einem schönen Hain von Eichen und Cypressen das
prächtige Grabmal Ali Othmans, des Gründers der türkischen Dynastie.
Kleinasien. 159
Zwischen Sejd El Gasi und Kosru Khani finden sich im Thal Doganlu
höchst merkwürdige seltsam verzierte Grabgrotten, welche im Alter-
thum für das Grab des Königs Midas gehalten wurden und jedenfalls
Beispiele altphrygischer Kunst sind. Ak Schehr ist eine Stadt von
10,000 Einwohnern, vor deren westlichem ITior das Grab Nurredin
Hodscha's, eines berühmten türkischen Heiligen ist, zu dem man wall-
fahrtet Konia, der Sitz eines Paschas und eines griechischen Metro-
politen, hat gegen 30,000 Einwohner und wimmelt von Derwischen.
Hier liegt in einem grünangestrichenen cylinderförmigen Thurm, den
eine Kuppel krönt, der berühmte Stifter der tanzenden Derwische
(Mewlewi) begraben, wesshalb die Stadt sich in der ganzen Türkei des
Rufes besonderer Heiligkeit erfreut. Konia ist das alte Ikonium, welches
im 11. Jahrhundert zur Residenz der Seldschukensultane von Rum
wurde. Tarsus (die Geburtsstadt des Apostels Paulus) und Adana sind
Städte von 28 bis 30,000 Einwohner.
k) Von Constantinopel über Aidindschik nach Koniah und
Kaisarijeh : Man fährt mit dem Dampfer nach Mudania und geht dann
weiter über Abullionte ö'/,, Ulubat 4, Muhelisch 2, Aidinschik 10,
Mülwer Köi 8, Manias 1, Susugirli 4, Ildiss 3, Kofsat 4, Bugaditza 7,
Singerli 4, Simal 18, Kulah 8, Medere Köi 18, Demerdschi Köi 4'/,,
Ischekli 9, Sandukli 11, Aijun Karahissar 12, Bolawadun 11, Ak Schehr
11, Arkut Khan 7, Ladik 12, Konia 9, Karabunar 10, Ak Serai 16,
Kodsch Hissar 16, Tatlar 20, Nem Schehr (3, Bektasch 9, Kaisarijeh
9 Stunden. Etwa 4 Meilen von da, am Puss des Hassan Dag und an
dem Weg nach Bor, findet sich eine sehr interessante uralte Stadt,
deren Häuser noch gut erkennbar und deren Ringmauern von cyklo-
pischer Bauart sind. Bei Kodsch Hissar liegt ein Salzsee, dessen Wasser
so stark mit Salz geschwängert ist, dass in ihm keine Fische leben
können.
l) Von Konia nach Gulnar an der Küste: Tschomra 6, Kas-
saba 9, Karaman 4, Khan im Gebirg 8 Stunden. In der Nähe liegen
bei einem Felsen, der Aehnlichkeit mit einem Thurm hat, viele mit
Sculpturen geschmückte römische Sarkophage. Femer Mut 11, Schech
Amer 12, Gulnar (ein Hafenort, in dessen Nachbarschaft sich ein gut
erhaltener viereckiger Thurm und ein Marmordenkmal korinthischen
Styls befinden) 6 Stunden.
m) Von Kaisarijeh nach Angara: Dschenesin 11, Bektasch 5,
Kir Scheher 9, Hamid 8, Denek Maden 4, Akschehan 8, Angora 12
Stunden. Kir Scheher ist eine Stadt von 25 bis 30,000 Einwohnern,
unter denen gegen 5000 Derwische sind. Angora ist das alte Ancyra.
Es hat 20,000 Einwohner, unter denen 6 bis 7000 Armenier sind. In
der Nähe befindet sich ein, mit Ausnahme des Daches, sehr gut erhal-
tener Tempel aus römischer Zeit, welcher dem Augustus und der Roma
geweiht war.
n) Von Brussa über Sulimanll nach Smyrna: Hassan Aga 6,
Kermasli 6, Kesterlik 4, Adranos 6, Haidar 4, Harmandschik, wo man
frische Pferde bekommen kann, 4, Eschen Köi 4, Tauschanli 8, Azani
160 Kleinasien.
10, Giediss (Kados) 8, Uschak 10 (hier werden schöne Teppiche ge-
macht), Ahad Köi 6, Sedschikler 5, Gobek 8, Öulimanli (mit I'uinen)
2, Takmak 6, Kula (in der sogenannten Katakekaumene) 8, Adala 8,
Sardes 12 Stunden. Von hier gelangt man über Sardes in 23 bis 24
Stunden nach Smyrna.
6) Von Sinope über Ämasia nach Ängora und Afijun Kara-
hissar: Niksar 8, Gumenek 7, Tokat 1, Torkat 8, Zilleh 4, Amasia 8,
Hadschi Köi 12, Chorum 6, Jusgat 16, Sangurlu 16, Kaladschik 18,
Augora 12, Balok Kujumdschi 6, Ufer des Sangarius von Angora 15,
Malk von Baluhujumi 12, Sewri Hissar 8, Alekiam 6, Hamsa Hadschi
6, Euinen von Amorium 1, ßejat 7, Eski Karahissar 5, Afijun Kara-
hissar 4 Stunden. Zwischen Chorum, einer ziemlich grossen, nur von
Mohammedanern bewohnten Stadt, und Jusgat liegen an einem Felsen,
der sich schroff aus der welligen Ebene erhebt, Ruinen einer alten
Stadt. Noch interessanter aber ist ein Denkmal des Alterthums, welches
sich in einem benachbarten Turkomanendorfe befindet. Es besteht das-
selbe aus einem Thorweg, der auf beiden Seiten noch ein Stück Mauer
hat, und dessen Seitenpfeiler von gewaltigen Steinblöcken gebildet
werden. Auf der Aussenseite ist eine groteske Figur mit einem Men-
schenkopf von ägyptischem Charakter und einem Körper, der einen
Vogel darzustellen scheint und an dem Löwenklauen die Füsse vertreten.
Auf der untern Steinlage der Mauern sieht man ein plump ausge-
führtes Basrelief, welches eine Procession, ein Opfer und Thiere, die
zum Altar getrieben werden, vorstellt.
p) Von Trapesunt nach Bajasid: Dscheweslik 5, Stawros Bo-
gass.'j'/j, Sugarni SV^, Ballahur 5, Mimansur 4' 2, Erzerum 6'/j, Has-
san Kaleh 6, Kumansur 5 '4, Eschek Hias6, Sidkhan S'/i, Kara Kilisa,
ö'/j. Odsch Kilisa 8, Bajasid 9 Stunden. 3 /^ deutsche Meilen süd-
westlich von Bajasid, einer Stadt von 18 bis 20,000 Einwohnern, erhebt
sich der Agri Dag oder Berg Ararat, der eine Höhe von 16,250 Fuss
hat und vom Gipfel herab 3000 Fuss mit ewigem Schnee bedeckt ist.
9. Tour zur See von Constantinopel nach Trapezunt und zurück zu Lsmde nach
Tripolis und Kerasunt,
Nach Trapezunt reist man am bequemsten und schnellsten mit
den Dampfern, die von Constantinopel dahin abgehen, und zwar fahren
zwischen den beiden Städten ausser dem Lloyd auch englische und tür-
kische Schiffe, indess sind die letztem nicht zu empfehlen. Die Lloyd-
schiffe fahren bis Samsun etwa 1, bis Trapezunt 2\/^ Tag. Die Land-
schaft an der Küste ist ausserordentlich schön, das Meer im Winter
und im Frühjahr sehr stünniach. Die hauptsächlichsten Küstenpuncte
sind: Ei-ekli, Ineboli, Sinope, Samsun, Kerasunt, Tripolis und Trapezunt.
Erekli, das alte Heraklea, hat keinerlei Sehenswürdigkeiten. In
der Nähe hat man ein ausgedehntes Kohlenlager entdeckt, welches
indess den Erwartungen, die man von ihm anfangs hegte, nicht völlig
entsprochen hat, da die hier gegrabene Kahle keinen Vergleich mit
Kleinasien. 161
der englischen aushält. lueboli ist ein hübsches Städtchen am Ein-
gang einer Schlucht, über der sich hohe Bäume thürmen. Sinope,
jetzt Sinub genannt, ist eine hässliche, ärmliche und schmutzige Stadt
von etwa 6000 Einwohnern, die zum Theil in Ruinen liegt. Dieselbe
erhebt sich über einer Bucht, welche von einem hammerförmigen Vor-
gebirge gebildet wird und den sichersten Ankerplatz zwischen dem
Bosporus und Batum bietet. In dieser Bucht wurde am 30. November
1853 ein Theil der türkischen Flotte von einem überlegenen russischen
Geschwader, das meist aus Linienschiffen bestand, angegriffen und in
den Grund gebohrt. Die Masten der versunkenen türkischen Fregatten
stehen noch jetzt aus der Fluth empor. Von der alten hellenischen
Stadt Sinope, dem Geburtsorte des Diogenes, und der Eesidenz des
Mithridates, ist nichts mehr übrig, als eine grosse Menge zusammen-
gefallener korinthischer Säulen, Friese, Grabsteine, Inschriften (die
meist aus der Zeit der Antonine sind) und Statuen, die in die Mauern
der alten byzantinischen Festungswerke und des Castells eingefügt
sind, welches, von drei Mauern und einem Graben umgeben, auf dem
Isthmus steht. Einige von den Franzosen 1808 errichtete Schanzen
sind jetzt zusammengefallen. Die Türken haben hier Werften, wo sie
Kriegsschiffe bauen, zu denen ihnen die benachbarten schönen Wälder
das Material liefern. Einige Meilen über Sinub hinaus ergiesst sich
der Fluss Kissil Irmak, der alte Halys, in die See. An seinen Ufern
steht das Städtchen Bafra.
Samsun ist ein blühender Seehandelsplatz, der wichtigste auf
dieser Küste nächst Trapezunt, da von hier die grosse Karavanenstrasse
nach Tokat und Diarbekir ausgeht. Eine Viertelstunde nordwestlich
von hier findet man Reste des Hafendarames und der Akropolis von
Amisus, jetzt Eski Samsun.
Kerasunt, das alte Phamacia, ist ein nettes Oertchen, bei dem
sich Reste altgriechischer Mauern zeigen, auf welche Genuesen und
Türken weitere Steinlagen geschichtet haben. Folgt man der Linie
um das Vorgebirge, so passirt man zwischen Kerasunt und Tripolis die
Insel Ärctias, welche indess jetzt keinerlei Erinnerungen an die Ama-
zonenköuiginnen mehr bewahrt.
Tripolis, am Fusse dicht bewaldeter Berge, eine Stunde von
dem grossen Fluss gelegen, der von Gumisch Khane und Zigana her-
abkommt. An dem Ausfluss des letzteren sind ausgedehnte Kupfer- und
Silbergruben, die indess jetzt nicht mehr bearbeitet werden , da eine
Ueberschwemmuug des Stromes sie mit Wasser gefüllt hat. Man glaubt,
dass sie die Argyria der Alten sind. Die Strasse von Tripolis oder
Tireboli führt durch einen ununterbrochenen Wald von blühenden
Bäumen und Sträuchern, Azaleen, Myrthen, Rhododendrons und schönen
Schlingpflanzen, dessen Thäler von zahlreichen Bächen durchströmt
sind, und die Gegend hat nur einen Fehler, den nämlich, dass sie, wie
alle Küsten des Schwarzen Meeres, besonders die asiatischen, einen
grossen Theil des Jahres giftige Fieber der schlimmsten Art aushaucht.
11
162 Kleinasien.
Trapezunt, italienisch Trebisonda, türkisch Tarabosan, die
Hauptstadt des Ejalets gleiches Namens, liegt im ehemaligen kappa-
docischen Pontus zwischen zwei hohen Felsgipfeln. Durch seinen guten
Hafen und seine glückliche Lage war es seit der Zeit seiner Gründung
bis heute mit wenigen Unterbrechungen eine Stadt von Wichtigkeit.
Es war von Colonisten aus Sinope erbaut, wurde aber in der Staaten-
geschichte erst bedeutend, als es im Mittelalter Hauptstadt des kleinen
Kaiserthums Trapezunt wurde. Als nämlich durch die Streitigkeiten
in der byzantinischen Kaiserfamilie die Kreuzfahrer veranlasst wurden,
Constantinopel anzugreifen und nach Eroberung der Stadt die kaiser-
liche Familie von ihnen vertrieben wurde (1204), errichtete der Prinz
Alexius in Kleinasien einen neuen kleinen Staat und nahm seinen Sitz
in Trapezunt, wo er früher Statthalter gewesen war. Seine Nachfolger,
die den Familiennamen der Konmonen fortführten, nn Urnen den Kaiser-
titel an und herrschten hier bis zur Mitte des 15. .Jahrhunderts, und
zwar noch nach der Eroberung Constantinopels durch die Türken.
Endlich aber erlagen auch sie. David Komnenus, der letzte Kaiser
dieses Restes des oströmischen Reiches, wurde 1461 von Mohammed
II. in seiner Hauptstadt belagert und musste sich, da ihm alle aus-
wärtige Hilfe fehlte, ergeben. Das Land wurde dem Türkenreich ein-
verleibt, der gefangene Kaiser samrat seiner Familie 1462 in Adria-
nopel hingerichtet. Der Name der Stadt ist von dem griechischen
Worte Trapeza, Tisch, abgeleitet, da dieselbe auf einem Terrain steht,
welches einige Aehnlichkeit mit einem Tisch hat. Das jetzige Trape-
zunt hat gegen 30,000 Einwohner, unter denen etwa 10,000 Griechen
und einige Franken sind. Oesterreich und England haben hier Con-
sulate. Der türkische Stadttheil ist mit einer zinnengekrönten Mauer
umgeben, vor der sich tiefe Schluchten senken, über welche Brücken
führen. Die Citadelle ist sehr verfallen, sie beherrscht die Stadt, wird
aber ihrerseits von den benachbarten Höhen beherrscht. Alterthüraer
aus vorchristlicher Zeit finden sich, mit Ausnahme eines Tempels aus
Hadrians Zeit, der ausserhalb der Stadt liegt, hier nicht; dagegen
trifft man zahlreiche Gebäude aus der Komnenenzeit. Abgesehen von
den zehn griechischen Kirchen, in denen noch christlicher Gottesdienst
gehalten wird, sind fast alle Moscheen, deren es hier gegen dreissig
gibt, ursprünglich Kirchen gewesen. Die schönste der letzteren ist die
Santa Sofia, dreiviertel Stunden westlich von der Stadtmauer. Ueber
einem der Hauptthore liest man eine lange griechische Inschrift, die
sich augenscheinlich nicht an ihrer ursprünglichen Stelle befindet, da
sie sich auf einen Bischof und einen byzantinischen Kaiser bezieht.
In zwei kleinen griechischen Kirchen sieht man seltsame, ziemlich
wohlerhaltene Fresken aus dem 12. Jahrhundert, welche byzantinische
Fürsten u. A. vorstellen, in einer andern Kirche ein Denkmal Salo-
mon's, des Königs von Georgien. Die Stadtmauer und die Citadelle
stammen gleichfalls aus der Periode vor der Türkenherrschaft. Weit
interessanter als durch ihre Alterthüraer ist die Stadt, welche beiläufig
fast nur einstöckige Häuser hat und so in Gärten versteckt ist, dass
E!leina43ien. 163
man im grössten Tlieil des Jalires von der Rhede aus nur wenig von
ihr sieht, durch das Völkergemisch, das sich in ihren sehr wohl ver-
sehenen Bazars und vor ihren Thoren tummelt. Slan sieht hier die
Stämme des Kaukasus, Lasen, Georgier. Armenier, Tscherkessen, man
begegnet Persern und Kurden; denn Trapezunt ist jetzt das Centrum
des Waarenaustausches. der auf dem Landwege vom Schwarzen Meer
an zwischen Teheran und Constantinopel stattfindet. Im Jahre 1852
belief sich die Einfuhr von Europa aus auf etwa 15 Millionen Thaler,
und zwar war das Meiste davon europäisches, vorzüglich englisches
Fabrikat, und drei Viertel davon ging nach Persien. Die Ausfuhr be-
trug etwa (j Millionen Thaler an Werth, und bestand besonders in
Seide, dann in Safran, Nüssen, Tabak, Kupfer, Wachs. Blutigeln und
Galläpfeln. Zu erwähnen ist, dass man hier niedliche Armbänder von
Silberdraht macht, die nicht theuer sind. Zum Schluss die Erini>erung,
dass es sehr wahrscheinlich hier bei Trapezunt war, wo Xenophon
bei seinem berühmten Rückzug mit den zehntausend Griechen nach
der Schlacht bei Kunaxa zuerst das Meer erreichte; denn der jetzt
gebräuchliche Pass von hier in das Innere ist der einzige, der aach
im Winter, wo der Rückzug stattfand, zugänglich ist.
Von Trapezunt kann der Reisende bei günstiger Gelegenheit noch
einen kurzen Ausflug nach Batum. der Grenzstadt der kleinasiatischen
Türkei gegen Russland hier unternehmen, wo man den Gebirgsvölkern
des Kaukasus noch näher ist. Ausser diesen ist jedoch hier nichts zu
sehen, als etwa hundert Holzhäuser mit Verkaufsläden und eine kleine
Moschee. Ein anderer lohnender Ausflug ist der nach dem berühmten
Kloster Sumelas, welches in einer prachtvollen Waldgegend zwei
Tagereisen von Trapezunt liegt und wo man ein vom Evangelisten
Lukas gemaltes Bild der Panagia zeigt.
Wer die Küste zwischen Trapezunt und dem Bosporus näher kennen
zu lernen wünscht, mag von Trapezunt nach Tripolis zu Lande gehen,
von hier mit einem Boot nach Kerasunt und von dort mit dem Dampfer
nach Stambul zurückkehren. Man engagirt zu diesem Zweck in Trapezunt
einen Tatar oder Kawasch. Die Gegend, durch die der Weg führt, ist einer
der schönsten Walddistricte der Levante, theilweise aber auch gut
angebaut, der Weg selbst aber sehr beschwerlich und hin und wieder
nur zu Fuss zu passiren. 1 '/, Stunde von der Stadt führt er über
einen Bach, weiterhin über den Fluss Gera, dann über den Kalanoma
Dere Su, dann durch das Städtchen Platana. wo sich eine sehenswerthe,
altbyzantinische Kirche befindet und wo man im Kaffeehause über-
nachten kann. Eine Stunde von hier ersteigt man das niedrige Vorge-
birge Zitun Burun, dann passirt man, immer nicht fern vom Meere
eine Iteihenfolge schöngeformter bewaldeter Kaps, gelangt nach dem
verfallenen Fort Akjah Kaleh, das auf einem Basaltfelsen liegt und
wahrscheivilich das alte Kordyle ist. Dann folgen das Kap Thoros und
die kleine Bucht Jedschi Liman. Hierauf wendet sich der Weg nach
Südwesten, überschreitet den Iskefeh Dere Su, passirt das in Trümmern
liegende Fort Dschellita Kaleh. das am Rande einer mit Azaleen und
164 Kleinasien.
Eliododendrons bewachsenen Schlucht liegt, geht, in eine Ebene hin-
absteigend, über einen breiten Bach, dann über Hügelland, dann über
den Karasun Dere Su, um an dem Dorfe Fol und der verlassenen Fac-
torei Kerte Khana vorüber, das mit einem Kramladen verbundene Gast-
haus Bujuk Liman zu erreichen, wo man (dasselbe ist O'/^ Stunden
von Platana entfernt) die zweite Nacht bleibt.
Von hier gelangt man über den Aksa Uere Su und an dem Cap
Kaledschik mit seinem zerfallenen Fort vorbei über sehr gefährliche
Pfade am Felsen über der See nach dem Cap Kireli, wo einst Koralla
stand. Dann überschreitet man den Audschenesin Dere Su und dessen
wohlbebautes Thal, bald nachher den Tschausli Dere Su, der gleich-
falls eine fruchtreiche Thalebene durchströmt, passirt das Dorf Eleheu,
setzt jenseits desselben über den wasserreich aus waldigem Grund her-
vorströmenden Kara Burun Tschai und erblickt hier das schroife Vor-
gebirge von Kara Burun. Dann [folgen die Euinen von Gulak Kaleh
auf einzeln stehender Klippe über dem Gestade, dann die Flüsse Baba
Dere Su und Basar Tschai, deren Ufer in Keisfelder verwandelt sind.
Hier betritt man die von den Anschwemmungen des Tireboli Su, einem
breiten Fluss, über den eine Fähre geht, gebildete Ebene und gelangt
bald nachher nach Tripolis, wo man zum dritten Mal übernachtet, und
zwar findet man (gegen ein gutes Bakschisch, welches der Dienerschaft
gezahlt wird) im Konak des Gouverneurs Unterkommen.
Der Weg zwischen Tripolis und Kerasunt ist für Thiere, die
mit Gepäck beladen sind, nicht wohl zu passiren ; man thut daher gut,
sich nach Kerasunt ein Boot zu nehmen, welches die Fahrt bei gutem
Wind in vier Stunden zurücklegt. Man passirt auf diesem Wege zuerst
Cap Sefreh und eine Stunde weiter westlich ein Felseneiland, von dem
Hamilton, dem wir bei der Beschreibung dieser Tour folgen, meint,
es möge die Philyreis-Insel der Agonautensage sein. Etwas weiter süd-
lich triift man eine andere kleine Insel, die Kerasunt Ada heisst und
vielleicht die Insel Aretias des Apollonius Rhodius ist, welche im
Alterthura einen von zwei Amazonenköniginnen errichteten Marstempel
trug, der indess jetzt spurlos verschwunden ist. Von dieser Insel ist
es noch anderthalb Stunden bis zur Stadt Kerasunt, wo man den nach
Constantinopel zurückkehrenden Dampfer erwartet.
Wir bemerken, dass auf dieser letzten Tour nichts von Räubern
zu fürchten ist, dass man sich aber sehr hüten muss, in den Wald-
gegenden und an den Flüssen im Freien zu übernachten, da eine ein-
zige so zugebrachte Nacht ein tödtliches Fieber zur Folge haben kann
und von ärztlicher Hilfe in diesen Regionen nirgends die Rede ist.
Constantinopel; 165
SIEBENTES CAPITEL.
Oonstantinopel.
Constantinopel im Allgemeinen. - Geschichte der Stadt. — Gasthöfe. — Führer.
— Kaiks. — Plan, Constantinopel in sechs Tagen zu sehen. — Die Vorstädte: Galata,
Pera, Tophana, Kassim Pascha, Bjub. — Stambul. — Die kaiserlichen Moscheen: die Aja
Sophia, Snlimanijeh, Achmedijeh, Moschee Mahomed II. — Die Turbas. — Die Bazars.
— Bäder. — Khans. — Die Palaste von Dohnabagdsche und Tschiragan. — Das alte
Serail. — Thore. — Die Brücke. — Brunnen. — Alterthümer : der Atraeidan, der Pa-
last des Belisar. — Die Marcianssäule. — Die Wasserleitung des Kaisers Valens. —
Friedhöfe. — Das Bairam und andere Feste. — Feste und Sitten. — Die Aqnäducte
ausserhalb der Stadt.
„Ich sah Athens heilige Räume, ich sah die Tempel von Ephe-
sus und war in Delphi, ich habe Europa durchstreift von einem Ende
zum andern und die schönsten Länder Asiens besucht, aber nirgends
erfreute mein Auge ein Anblick, dem von Constantinopel zu verglei-
chen." So sagt Lord Byron, und sein Spruch ist wahr. Es gibt in
Europa nur einen Punct, der einen Vergleich erlaubt — Neapel, und
manche Reisende, welche die Schönheiten des Golfs unter dem Vesuv
mit denen des Bosporus vergleichen, haben dem ersteren die Palme
zuerkannt. W^ir nennen das eine irrige Ansicht. Man darf verschiedene
Schönheiten mit einander vergleichen, aber man kann nicht sagen,
dass dies als Ganzes mehr, das andere minder schön sei. Der Golf von
Neapel hat mehr Majestät, mehr Ausdehnung, er hat den hohen, schön-
geformten Vulkan mit der geheimnissvollen Rauchwolke. Am Bosporus
aber findet man einen feenhaftem Duft, einen reicheren und zarteren
Farbenschmelz und bei Weitem mannigfaltigere Formen. Sodann aber
ist die Ausdehnung des Halbkreises der Bucht von Neapel so gross,
dass man immer nur einige Puncte zugleich deutlich überschaut. Auf
den Höhen von Skutari oder Pera aber beherrscht das Auge das ganze
Panorama, das sich in wunderbar harmonischer Reihenfolge vom Vor-
dergrund dunkler Cypressenhaine oder blauer Gewässer bis nach dem
fernen, nebelhaften Schleier der Berge hinstreckt, ohne dass die Haupt-
sache, Constantinopel selbst mit dem goldenen Hörn und seinen sieben
terrassenförmig mit Häusern, Palästen und Moscheen zwischen Gärten
und Baumwipfeln bebauten Hügeln in seinen Einzelheiten verschwömme.
So präsentirt sich Constantinopel aber nur dem zur See, vom
Schwarzen oder vom Marmoraraeer Ankommenden oder dem Reisenden,
der aus dem Innern Kleinasiens sich ihm nähert. Wer ihm von der
europäischen Seite naht, erblickt zuerst seine Ruinen und seinen Schmutz,
166
CoDstautinopel.
Constantinopel. 1^7
mit dem es alle Städte des Südens ebenso sehr übertriflFt, wie mit
seiner äusseren Schönheit. Und so grossartif? seine öffentlichen Bauten,
namentlich viele seiner Moscheen sind, so überaus hässlich sind, nahe
betrachtet, seine Privathäuser, die mit Ausnahme eines Theils von
Pera fast durchgehends von Holz sind. Je mehr man sich beeilt, bald
unter jene prächtigen Hallen und in die Schatten jener grünen Baum-
gruppen zu gelangen, die malerisch neben den Häusergruppeu auf-
streben, um se mehr beklagt man nach dem ersten Eindruck, den jene
windschiefen, verräucherten Holzbarracken und jene schlechtgepiiasterten,
bei Regenwetter von Kothbächen durchfiossenen, winkeligen Strassen
machen, sich nicht mit dem blossen Anblick von ferne begnügt
zu haben.
Coustantiuopel liegt auf 41" n. Br. und 47° öst. L., auf einer
am südwestlichen Ausgang des thrazischen Bosporus befindlichen drei-
eckigen Landzunge, die durch eine von jeuer Meerenge aus fast eine
Meile in das Land hineingehende schmale Bucht (das Goldene Hörn)
und das Marmorameer — jene im Norden, diese im Süden der Stadt
— gebildet wird. Constantinopel hängt somit an seiner Westseite, der
Basis des Dreiecks, die ^'4 Meilen lang ist, mit dem festen Lande
Thraziens (jetzt Eumeliens) zusammen und erstreckt sich zwischen den
genannten beiden Gewässern nach Osten bis zu dem Puncte, wo das
Goldene Hörn, der Bosporus und das Marmorameer zusammentreten
und die Landzunge mit einer abgerundeten Spitze endigt. Dies ist das
eigentliche Constantinopel, welches bei einem Umfang von 2' 4 deut-
schen Meilen mit eiußr an der Landseite dreifachen Ringmauer umge-
ben ist, die zum Theil aus der Zeit der byzantinischen Kaiser herrührt,
und durch welche achtundzwanzig Thore und neun Pforten führen. Um
die eigentliche Stadt, türkiscli Istambol, von th t/jv tiöXiv, von den
Slaven Zaregrad, Kaiserstadt, genannt, liegen fünfzehn Vorstädte, von
denen Galata, Tophane und Pera, an und auf dem Hügel im Norden
des Goldenen Horns, Ejub im Nordwesten desselben, Dolmabagdsche,
nordöstlich am Bosporus, und Skutari, auf dem asiatischen Ufer dieser
Meerenge die wichtigsten sind. Das alte Schloss an der Südwestecke
der Stadt, welches man bei der Annäherung an das Ende des Marrao-
rameeres vom Dampfer aus gewahrt, ist das Schloss der sieben Thürme,
in das man früher bisweilen die Gesandten der europäischen Mächte
sperrte, der Thurm mitten im Meer vor Skutari der sogenannte Lean-
derthurm. Stambul, Skutari sind fast nur von Türken und Juden be-
wohnt. In Galata und Pera wohnen ausser vielen Griechen und Arme-
niern auch mehre tausend Franken, darunter eine beträchtliche Anzahl
Deutsche. Hier werden alle Sprachen gesprochen, man findet gute euro-
päisch eingerichtete Gasthäuser, Conditoreien, Concerte, Casinos (wor-
unter zwei deutsche), eine italienische Oper, elegante Läden, Daguer-
reotypisten und Photographen, Buchhandlungen, pariser Moden und
europäischen Luxus; auch wohnen hier (in Pera) die europäischen
Gesandten. Auf den Höhen über und neben Stambul und den Vor-
städten stehen zehn bis zwölf grosse, nach europäischer Weise gebaute
168 Constantinopel.
Kasernen, in denen gewöhnlich eine Garnison von 20 bis 25,000
Mann liegt.
Constantinopel zählt sammt seinen Vorstädten gegen 90,000
Häuser und über eine Million Einwohner, unter denen sich 150,000
Griechen, 230,000 Armenier, 30,000 Juden und etwa 15,000 Franken
befinden. Die Zahl der Moscheen beträgt über 300, von denen mehre
sehr gross und mit vier bis sechs Minarets geschmückt sind. Die
Griechen haben vierzehn, die Armenier drei, die Katholiken neun
Kirchen und mehre Klöster, die Jud^n zahlreiche Synagogen. Die
Griechen stehen unter einem Patriarchen, der seinen Sitz im soge-
nannten Fanar am Meer hat. Die Armenier haben hier gleichfalls einen
Patriarchen, die Katholiken einen Bischof. An Unterrichtsanstalten
mangelt es nicht. Die Mohammedaner besitzen dreihundert Medressen,
in welchen die Ulema gebildet werden, und viele, freilich sehr unvoll-
kommene, Elementar-Schulen. Mit den Kirchen und Klöstern sind
Schulen für die verschiedenen christlichen Eeligionsparteien verbunden.
Ausserdem gibt es eine Marineschule auf der Insel Chalki, eine Artil-
lerie- und Ingenieurschule, weicher 1859 der deutsch gebildete Galib
Pascha vorstand, und das Galata Serai, eine medicinische Schule, welche
von deutschen Aerzten geleitet wird, deren in Pera und Galata eine
beträchtliche Zahl prakticiren. Spitäler, in welchen Arme unentgeltlich
Aufnahme finden, gibt es zwei deutsche, ein englisches, ein französisches
und ein österreichisches. In den dreizehn türkischen Bibliotheken Con-
stantinopels, von denen die des Serails die bedeutendste ist, liegen für
den Orientalisten noch grosse Schätze. Deutsche Buchhandlungen finden
sich in Pera zwei, beide an der Hauptstrasse dieses Stadttheils. Zei-
tungen erscheinen hier mehre türkische, zwei französische, zwei italie-
nische und eine griechische. Bäder soll die Stadt mehre tausend haben,
Kaffeehäuser ebensoviele. Die besten der letzteren trifft man ausserhalb
der Stadt und in Pera auf dem kleinen Campo. Der Gewerbfleiss der
türkischen Einwohner ist noch immer in den dem Orient eigenen Fa-
brikaten, z. B. Teppichen, Sattlerarbeiten, Gold- und Silberstickereien,
Waffen, Essenzen und Parfuraerien nicht unbedeutend. Noch wichtiger
aber ist bei der unvergleichlichen Lage Constantinopels der hier ge-
triebene Handel, der ausser zahlreichen Karawanen jährlich zwischen
6 und 7000 Segelschiffe und 450 bis 500 Dampfer hierherführt; doch
muss bemerkt werden, dass der Grosshandel sich bis vor kurzer Zeit
ganz in den Händen der Griechen, Armenier und Franken befand und
erst in den letzten Jahren auch die Türken angefangen haben, daran
theilzunehraen.
Die Natur hat für die gesunde Beschaffenheit Constantinopels
mehr gethan, als für viele andere grosse Städte. Es liegt auf Hügeln,
zwischen denen Thäler sich strecken, die den Durchzug der Luft ge-
statten. Eine beständige Strömung, genährt durch die Gewässer der
Bäche Ali Bei und Kihat Ghana, die sich oberhalb Ejub zu einem
Fluss vereinigen, duldet in dem fluthlosen Goldenen Hörn nur wenig
stehendes Wasser und hört nur dann auf, wenn Südwind dem Drang
Constantinopel. 16^
des Bosporus sich entgegensteramt, zwischen den Wassern des Kanals
und denen des Marmorameeres einen Zusamraenstoss veranlasst und
einen Theil der Strömung im Goldenen Hörn zurückhält. Andererseits
geht die Strömung aus dem Schwarzen in das Marmoraraeer mit der
Geschwindigkeit von einer Viertelmeile in der Stunde an Tophana
vorüber auf die Serailspitze zu und schwemmt allen Unrath, der sich
dort vom Goldenen Hörn her anhäufen würde, hinweg, so dass die See
hier stets klar und hell wie Krystall ist. Im Durchschnitt herrschen
nördliche Winde vor. Im Sommer weht einige Stunden nach Tages-
anbruch ein gelinder Südwind von dem asiatischen Olymp herüber.
Obgleich der Kegen im Frühling und im Herbst in grösserer Menge
fallt, ist er doch nicht periodisch. Bei Nacht fällt wenig Thau, daher
wird die Vegetation auf den Gipfeln der Berge bald welk, und die
Früchte und Gemüse mit Ausnahme derer, welche im Frühjahr und
an feuchten Orten wachsen, sind unschmackhaft und nicht von langer
Dauer. Der Winter beginnt mit dem December und ist gewöhnlich
nicht streng. Es fällt oft Schnee, aber nur selten bleibt er einige Tage
liegen. Der Sommer ist sehr heiss, der Herbst ausserordentlich mild
und schön. Der Frühling tritt erst spät ein und ist hier die unfreund-
lichste der vier Jahreszeiten; denn es wehen dann wie zu Ende des
Winters die „Kara Jell", Nord-, Nordost- und Nordwestwinde, die
vorn Balkan und vom Kaukasus her kommen und sehr scharf und
schneidend sind. Trotzt seiner gesunden Lage ist Constantinopel kein i
gesunder Aufenthalt. p]s kommen in Folge der Unreinlichkeit der j
Strassen, die übrigens im Griechen- und Armenierquartier grösser als ;
unter den Türken ist, häufig Fieber, in Folge des plötzlichen Tempe- j
raturwechsels, der oft zwischen Mittag und Abend eine Differenz von :
30" Fahrenheit eintreten lässt, Eubr, gastrische Leiden anderer Art j
und Luiigenkrankheiten vor. j
In Betreff der Geschichte Constantinopels kann hier nur !
an das Nöthigste erinnert werden. In der ältesten Zeit stand da, wo ;
jetzt das alte Serail mit seinen Gärten sich erhebt, die von Megären- j
sern um das Jahr 660 v. Ch.» gegründete Stadt Byzantiura, deren vor- |
treffliche Lage sie in vorchristlichen Jahrhunderten wiederholt zum j
Gegenstand des Streites zwischen Persern, Spartanern und Athenern i
machte. 300 v. Ch. halfen sie die Athener gegen Philipp von Macedo-
nien vertheidigen. Während dieser Belagerung waren die Belagerer in
einer dunkeln Nacht bereits dabei, die Mauern zu ersteigen, als der
aufgehende Mond den Bürgern der Stadt die Gefahr offenbarte. Zum
Dank setzten sie — so geht die Sage — den Halbmond auf ihre
Münzen, der später von den Sultanen adoptirt wurde. Bekannt ist, wie
Byzanz später mit der übrigen griechisch-macedonischen Welt in die
Gewalt der Römer fiel und wie es 330 n. Ch. von Constantin d. Gr.
umgetauft und zur Reichshauptstadt gemacht wurde. Justinian trug
um die Mitte des 6. Jahrhunderts viel zur Verschönerung der Stadt
bei. 616 wurde dieselbe vom Perserkönig Chosroes belagert, zehn Jahre
später von den Avaren. 668 erscliienen zum ersten Male die Araber
170 Constantinopel.
vor der Stadt, wurden indess mit Hilfe des griechischen Feuers zurück-
geschlagen. 716 bis 718 belagerton sie dieselbe abermals und mussten
wieder abziehen. Im neunten, zehnten und elften Jahrhundert bedrängten
russische Völker Constantinopel. 1204 eroberten fränkische Kreuzfahrer
die Stadt und stifteten ein lateinisches Kaiserthum, welches indess
schon 1261 wieder byzantinischen Herrschern Platz machen musste,
1422 erschienen die ersten Türken unter Amurath II. vor den Mauern.
Sie wurden zurückgewiesen. Aber 1453 kamen sie wieder, und am 29.
Mai desselben Jahres wurde die Stadt von ihnen mit Sturm genommen.
Der letzte oströmische Kaiser fiel tapfer kämpfend am Thor des hei-
ligen Komanus (jetzt Top Kapussi) und die Hagia Sophia-Kirche wurde
eine Moschee. Der Erbe des Chalifen trat auch di'3 Erbschaft der
Cäsaren an.
Die Lloyddampfer von Syra und Smyrna legen in der Kegel ebenso
wie die von Odessa, Galatz und Varna kommenden Schiffe vor dem Ein-
gang in das Goldene Hörn an. Sofort stellen sich Massen von Lohn-
bedienten und Kaikdschis ein. Man lässt sich nach dem Zollhaus über-
setzen, wofür man nicht mehr als 1 Fr. per Person und Gepäck zu
zahlen nöthig hat, obwohl der Kaikdschi in der Kegel das Doppelte
fordert, und begibt sich nach Untersuchung der Sachen nach der
grossen Strasse von Pera, wobei man sich von einem der zahlreichen,
am Landungsplatz versammelten Hamals (Lastträger) seinen Koff'er
tragen lässt. Der Hamal wird für den Gang bis zu einem der an oder
nahe bei jener Strasse befindlichen Gasthöfe mit 4 bis 5 Piastern
zufrieden sein. Zu den ersten Hotels zählt gegenwärtig das Hotel
iV Angleterre und Hutel Misury in der Hauptstrasse von Pera. In
beiden beträgt der Pensionspreis einen Napoleondor für den Tag. Diese
Hotels haben ihren eigenen Dragoman. Etwas billiger ist das Hotel
Luxemhourg (14 Fr. per Tag) ebenfalls in der Hauptstrasse von Pera,
nur sehr weit oben. Hier speist man am besten in ganz Constantinopel,
das Couvert zu 5, 6 und 7 Pranken. Allen Europäern, die Constanti-
nopel besuchen, möchten wir rathen, in diesem Hotel zu essen und
im Deutschen Hotel Zu7- Stadt Pest zu wohnen. Dasselbe liegt in
einer Seitengasse der Peraer Hauptstrasse, der Rue de Venedik und
enthält hübsche Zimmer mit guten Betten, zu 3 bis 10 Franken täglich.
Essen darf man in diesem Hotel nicht, wenn man an gute Kost gewöhnt
ist. Fernere Hotels sind das Hotel de Bi/zance, das Hotel de VEurope
in der Strasse, die von Tophana hinauf nach Pera führt, Hotel de
France, Hotel du Globe, Hotel Pera, letzteres fordert für Kost und
Wohnung nur zehn Franken täglich. Ob es für einen gebildeten Men-
schen möglich ist, darin auszudauern, können wir allerdings nicht
versichern. Wir bemerken übrigens, dass alle Gasthöfe Peras die gleiche
Unbequemlichkeit für den Keisenden haben. Sie liegen alle auf der
steilen Höhe oben und es ist furchtbar ermüdend, drei, viermal des
Tages hinaufklettern zu müssen. Wer also Constantinopel bequemer
sehen will und keine zu grossen Ansprüche macht, der gehe in das
englische Hotel in Galata, ein kleines , unscheinbares Haus, wo man
Constantinopel.
171
gutes ßoostbeuf und echtos Ale bekömmt. Es ist das nächste Gasthaus
am Hafen.
Besonders zu empfehlen ist das Haus des deutschen Zucker-
bäckers Baltzer, welches ebenfalls für Gäste eingerichtet ist und für
10 Franken täglich eine vortreffliche Table d'hote Mittags und Abends,
gutes Frühstück, in den Zimmern der 3. Etage die schönste Aussicht
und von Seiten des Wirthes verständigen, uneigennützigen llath in
allen den Dingen bietet, welche als stetem Wechsel unterworfen, hier
nicht besprochen werden können. Dasselbe liegt auf der grossen Strasse
von Pera, dem einen lateinischen Kloster gegenüber und uicht fern
vom Palais der österreichischen Internuntiatur. In der Conditorei trifft
man jeden Morgen Deutsche. Eine Menge von Landsleuten findet man
auch in des Wieners Vogl Weinstube in der Rue Voyvoda in Galata.
Dort trinkt man das einzige gute Wiener Bier in ganz Constantinopel
und reine Oesterreicher Weine. Man bekommt auch kalte Küche und
Vormittags bis zwölf Uhr Beefsteaks, alles gut und ordentlich, während
man in Pera oben in den mit pompösen Aushängschildern versehenen
Localeu wie Palais crystal. Alcazar u. s. w. zwar elegante Säle, aber
schlechte Getränke findet.
Um sich in Constantinopel zurecht zu finden, bedarf mau, we-
nigstens für die ersten Tage, eines Führers oder Platzdragomans,
den man für 40 bis 50 Piaster per Tag in jedem Hotel haben kann.
Man miethe einen solchen indess zunächst ijur auf einen Tag, und entspricht
er den Erwartungen, so verhandle man mit ihm über einen bestimmten
Zeitraum in dem man die Puncte, die man zu sehen wünscht, gezeigt haben
will. Besondere Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit darf mau von diesen
Leuten nicht voraussetzen, ebenso wenig eine verlässliche Kenntniss
von den Alterthümern der Stadt. Man hüte sich, wo möglich, in den
von ihnen empfohlenen Läden Einkäute zu machen, da man dann in
der Regel das Trinkgeld mit bezahlt, welches sie von gewissen Kauf-
leuten für die Zuführung von Käufern erhalten und welches bisweilen
40 Procent des Werthes der Waare beträgt. Man hüte sich ferner, sie
mit Besorgung eines der Fermans zu beauftragen, welche dem Rei-
senden die grossen Moscheen und die Räume des alten Serails öffnen,
sondern besorge sich einen solchen Ferman bei seiner Gesandtschaft,
die ihn bei der Pforte vermittelt, selbst. Die Kosten eines solchen-
Fermans hängen von der Zahl der Moscheen ab, die man zu besuchen
wünscht, und betragen 6 bis 700 Piaster. Folgendes gibt eine Ueber-
sicht: der mit Ausfertigung des Fermans beauftragte türkische Beamte
erhält 200, der Kawasch der Gesandtschaft 20, der Serailbeamte 150,
die Pfortenhüter der Aja Sophia Moschee 100 Piaster ; für den Eintritt
in die übrigen kaiserlichen Moscheen (die Ejubmoschee ist in der Regel
Christen nicht zugänglich) sind an jede einzelne 40 Piaster zu ent-
richten. Wenn ein Dragoman mehr fordert, so ist das Prellerei. Im
Uebrigen findet sich in den Gasthöfen stets Gelegenheit, einen solchen
Ferman in Gesellschaft mit mehrern zu benutzen, wo sich die Kosten
beträchtlich ermässigen ; nur ist zu bemerken, dass in diesem Fall nur
172 Constantinopel.
so viele Personen davon Gebrauch machen können, als auf demselben
genannt sind.
lieber Geldverhältnisse ist zu dem im Capitel über Srayrna
Gesagten hinzuzufügen, dass auch hier alle europäischen Münzen bis
zum Schilling, Frank und Zwanziger herab gelten, dass man aber nach
Piastern Metallique rechnet, von denen jetzt stets mehr auf das Pfund
Sterling, den Napoleon und die übrigen Gold- und Silbermünzen gehen,
als bei geregelten Verhältnissen der Fall sein würde. Den Curs der
verschiedenen Münzen in Kaime findet man in allen Zeitungen Con-
stantinopels. Näheres auch nur andeutend anzugeben ist unmöglich,
da dieser Curs ausserordentlichen Schwankungen unterworfen ist. Pa-
piergeld (Kaime) gibt ea seit einigen Jahren in der Türkei nicht mehr.
Für jeden Gang über die grosse Brücke zwischen Galata und
Stambul sind an den Einnehmer 5 Para zu zahlen. Fast ebenso häufig
kommt der Eeisende bei der Lage Constantinopels in den Fall, die
Dienste der Kaikdschi's in Anspruch zu nehmen, welche allenthalben
am Bosporus wie am Goldnen Hörn mit ihren Booten halten. Dieselben
unternehmen mit ihren ausserordentlich leichtgebauten Fahrzeugen
grössere und kleinere Fahrten. Beim Einsteigen ist Vorsicht nöthig,
da sie leicht umschlagen, und bei der Fahrt hat man sich auf den
Boden zu setzen und nach Möglichkeit das Gleichgewicht zu bewahren.
Im Goldnen Hörn kommt man» wenn man allein oder zu Zweien fahren
will, mit einem einrudrigen Kaik aus. Wer weit am Bosporus hinauf-
fahren will oder über die Serailspitze hinaus einen Punct zu besuchen
gedenkt, hat ein zweirudriges nöthig Um die Prinzeninseln zu besuchen,
wozu man bei gutem Wetter dritthalb Stunden braucht, thut man
wohl, ein grosses, vierrudriges Kielboot zu miethen, welches ein Steuer
hat; denn in dieser landumschlossenen, plötzlichen Windwechseln und
unverhofften Stürmen ausgesetzten See bietet ein gewöhnliches Kaik
nur wenig Sicherheit. Noch besser aber fährt man nach den Prinzen-
inseln mit dem Dampfboot. Die Kaikdschi's sind eine Zunft, die nahe
an 20,000 Glieder und lö bis 17,000 Boote zählt, unter strengen Poli-
zeigesetzen steht und Vater Noah zum Patron hat. Die Bootführer von
Stambul sind Türken, die von Galata und Tophana meist Griechen.
Die Taxen betragen für ein Ruderpaar innerhalb des Goldnen Horns,
je nach den Entfernungen, für die Person 1 bis 2 Piaster, nach Sku-
tari 3, nach Kihat Kaneh, den sogenannten Süssen Wassern von Europa
5, nach Kadiköi und Ortaköi 4 Piaster. Ein zweiruderiges Boot kostet
das Doppelte ; indess ist ein solches, wenn man es für den ganzen Tag
miethet, mit 40 Piastern und einem Nebenbakschisch von 2 Piastern
für jeden Kuderer hinlänglich bezahlt. Ein Kaik von zwei Ruderern
ka,nn man für einen Mondmonat von 28 Tagen um etwa 600 Piaster
miethen. Diese Taxen werden indess von den Forderungen der Kaik-
dschi's, wenn man nicht vorher mit ihnen accordirt, gewöhnlich um
das Doppelte überschritten, und zwar sind die griechischen in dieser
Hinsicht gewöhnlich unverschämter, als ihre türkischen Kameraden,
Constantinopel. 1^3
wie der Türke überhaupt mit sehr wenigen Ausnahmen ehrlicher ist,
als der Grieche.
Für Den, der Eile hat, oder sich den schwankenden Kaiks anzu-
vertrauen Bedenken trägt, stehen an der ersten grossen Brücke über
das Goldene Hörn kleine Dampfer bereit, die zwischen hier und den
Dörfern am Bosporus fahren. Die Preise für die Fahrt in diesen stets
wohlgefüllten Wasseromnibussen betragen, je nach der Entfernung, 1
bis 4 Piaster. Die ausgetheilten Billets behalte man, da sie am Lan-
dungsplatz abgefordert werden. Man findet bei solchen Fahrten gute
Gelegenheit, die untere Classc des Volkes mit Müsse zu betrachten.
Tarife : Für einen Wagen zahlt man , wenn solcher auf einen
ganzen Tag genommen wird, 40 Frcs Lohtidiener und Dragoman
begehren 10 Frcs., ein Pferd kostet per Tag ebenfalls 10 Frcs., Senf-
tenträger, deren es der schlechten Strassen wegen eine grosse Anzahl
gibt, zahlt man für eine Tour in Pera 2% Francs, von Galata nach
Pera 5 Francs.
Belustigungs-Etablisspments sind in der Wintersaison: das
Theater Naum mit guter italienischer Oper , das Theatre franQais
mit Schauspiel und Üffenbach'schen Operetten, an manchen Tagen wird
auch ein griechisches Schau- oder Trauerspiel gegeben. Es gibt femer
mehrere Cafes chantants, unter denen die bemerkenswerthesten sind :
das Cafö zur Stadt Leipzig, das Cafe Concordia mit schönem Garten,
Alcazar de Bysance, Palais und jardin des fleurs etc. Im Sommer sind
die Theater geschlossen, da die vornehme Gesellschaft Pera's aufs
Land geht.
Wir geben im Folgenden nur einen Plan, nach dem man die
Sehenswürdigkeiteu Constantiuopels binnen secJi,s Tagen in
Augenschein nehmen kann.
Erster Tag: Man nehme ein Kaik in Tophana, gegenüber der
Moschee von Kilidsch Ali Pascha, dem schönen Brunnengebäude, der
Kanonengiesserei und der Artilleriekaserne, fahre hinüber nach dem
Landungsplatz am Gartenthor (Bagdsche Kapu), betrachte die Biblio-
thek und die Arraenküche Sultan Abdul Hamid's, folge der Diwan-
strasse nach dem Alai Kiosk au der Ecke des kaiserlichen Serails,
wende sich rechts um das Thor des Grossvezirs und die benachbarte
grosse Cisterne Yere Batara Serai, betrachte sich dann das Aeussere
der Sophienmoschee und widme den Best des Tages der Betrach-
tung des Serails im Innern und Auesseren, so weit es den grossen Brand
überlebt hat, der vor einigen Jahren nicht nur einen beträchtlichen
Theil des Serails, sondern auch mehrere tausend Häuser Stambuls vom
goldenen H«rn über den Hügel hinweg bis zum Marmorameer in Asche
legte. Der Eintritt in die Serailgärten, früher streng verwehrt und durch
starke Wachen verhindert, steht heute Jedermann frei. Weit offen steht
das Thor, an welchem früher die Haremswächter schilderten, die einst
prachtvollen Gärten mit den riesigen Bäumen, unter welchen die Oda-
lisken so vieler Sultane wandelten, sind verwildert ; an Stelle der
Blumenbeete hat man vielfach Gemüse angebaut. Auch die „hohe
174
Constantinopel.
Achmedmoschee und Obelisk des Atmeidan.
Pforte" (mitunter , goldene Pforte" genannt) kann man jetzt in der
Nähe besehen. In den ersten Vorhof wird man von den Soldaten, die
da Wache stehen, ohne alle Schwierigkeit eingelassen. Wer türkisch
versteht, erhält zugleich von den Officieren bereitwillig Auskunft auf
alle Fragen. Seit dem Brande wird auch jener Theil der alten Stadt-
mauer, der von der grossen Brücke bis zum Serail reicht, niedergerissen,
die angrenzenden Häuser demolirt. Man will hier am Ufer des gol-
denen Horns einen grossen Platz gewinnen und beabsichtigt dereinst
Constantinopel. 175
den Bahnhof hier anzulegen, wo dann der Schienenweg bis Belgrad
laufen soll.
Zweiter Tag: Man folge demselben Wege, Avie am vorhergehen-
den Tag, bis zur Aja Sophia, und gehe von da nach dem Serailthor
und an den Wagenschuppen vorbei nach dem Hippodrom oder Atraei-
dan, wo die Achmedmoschee, der Obelisk und die gewundene Säule
stehen. Von hier begebe man sich zu der sogenannten Oisterne der
tausend und ein Säulen, von da nach dem Quartier von Kondoscala,
wo sich die griechischen Kirchen Hagia Kyriake und Panagia Elpidos
befinden, von dort nach dem sogenannten Galeerenhafen, dann nach
der kleinen Sophienmoschee, deren Betrachtung mit einem Ferman in
der Hand unmittelbar nach dem Besuch der grossen Moschee gleiches
Namens gute Belehrung über die byzantinische Baukunst im grossen
und kleinen Styl bietet. Von Tschatladeh Kapu kehre man zu Wasser
nach Tophana zurück. Man fährt dabei längs der Mauern der Stadt
und des Serails hin und landet, wo es beliebt, um das, was am Ufer
interessant ist, mit mehr Müsse zu besehen, als es das rasch hinglei-
tende Kaik gestattet. Man mag die Ställe des Sultans, das Stallthor
Achör Kapu, den Brunnen des Scharfrichters, Dschellal Tschesmessi,
und die heilige Quelle des P>lösers, Agiasrao tu Sotiros, den Kiosk
der Bestrafungen, Adab Köschki, den der Perlen, Indschu Köschki, den
neuen Kiosk Selims IL, Jeni Köschki, den Marmorkiosk, Mermer
Köschki, das Spital Sultan Mahmud's, den Ausgang aus dem Serail,
die kleine eiserne Pforte Demir Kapu und das grosse Kanonenthor Top
Kapu sammt den Batterien, von denen es seinen Namen hat, auf der
Seite der Serailspitze in Augenschein nehmen, während auf der andern
Seite der Ort, wo die Kaiks des Sultans und die beiden schönen Kiosks
Sepeldschiler und Jalli Köschki die Aufmerksamkeit fesseln werden.
Von diesen prachtvollen Amtssitzen des Bostandschi Baschi kehrt man
nach Tophana, dem Mittelpunct des Wirkungskreises des Topdschi
Baschi zurück.
Dritter Tag: Man lande am Fischerthor, besuche die Moschee
der Sultanin Walideh, den Aesyptermarkt Misr Tscharschi, die Werk-
stätten der KaflFeestampfer, Tamis, und gehe durch die Läden des
langen Marktes, Usun Tscharschi, nach denen des Yeni Khan und des
Walideh Khan und nach der neben dem Besestan gelegenen Moschee
Sultan Osmans. Von da durch die lange Gasse längs des alten Serails
nach dem früheren Sclavenmarkt und dem Wessir Khan. Von hier
weiter nach der Porphyrsäule Dikilitasch und von dort durch die Strasse
zur Rechten nach der Moschee Ali Pascha's und Sultan Bajasid's. Hart
neben dem alten Serail ist der Markt der Kesselschmiede, Kasan-
dschillar, und der Geflügelmarkt, Tauk Basar. Dann weiter zur Rodran
Dschamissi, in deren Nachbarschaft sich die griechischen Kirchen Hagios
Theodoros und Narthos befinden. Dann steigt man wieder empor zur
Laleli Moschee und zur Bibliothek Radschib Pascha's, in welchen beiden
sich Grabmäler ihrer Gründer befinden. Weiterhin trifft man die neun
Brunnen, Tschukar Tschesme, und die Stelle, wo früher die Janitscharen-
i76 Constantinopel.
Kaserne stand, deren Thor sich der Schahsadeh-Moschee gegenüber
öffnete. Von hier geht man nach der Sulimanijeh, vor welcher einst
das Rendezvous der Opiuraesser war. Gegenüber der Strasse, welche
auf der einen Seite vom Rundgang der Sulimanijeh und auf der andern
vom ehemaligen Janitscharen-Hospital gebildet wird, ist die einstige
Residenz des Janitscharen-Aga und der Wachtthurm der Feuerwächter,
Yangin Köschki. Von hier steigt man hinab nach dem Wasserpalast,
Sulu Serai, sieht sich die Moschee Rüstern Pascha's an sowie das
Pettwaaren- und Honig-Magazin, Yag Kapu und Bai Kapu, schifft sich
am Kerkerthor wieder ein und landet am Thor des Bleiraagazins, wo
man die Moscheen Sultan Mahmuds und Yeralti Dschamissi und die
Kirchen trifft, die früher den Jesuiten und Kapuzinern gehörten. Dann
kehrt man entweder durch das Thor von Kitschab Killi Kapussi oder
durch das von Tophana Kapussi nach Pera zurück.
Vierter Tag: Man bricht von Galata auf, besteigt zuerst den
Galata-Thurm, geht dann durch das Frankenquartier an der Moschee
Arab Dschamissi vorüber und schifft sich an der Todtentreppe, Meit
Skelessi, nach dem gegenüberliegenden Blumenthor, Un Kapu, ein. Von
hier geht man durch die Mühlgasse, Digirmen Sokagi, nach der neuen
Sultana-Moschee und steigt rechts über den Hügel von Sirek nach
der Kirchen-Moschee Kilissi Dschamissi und der benachbarten grossen
Cisterne. Von da nach dem Bade und der Moschee Mahomed's II. Hier
in der Nähe ist der Rossmarkt, At Basar, und dabei befinden sich die
Werkstätten der Sattler. Weiter unter der Wasserleitung des Valens
durch (Bosdogan Kimeri) geht man nach den Moscheen Serradscho-
bane Dschamissi und Kawaf Khan Dschamissi, nach der Marcians-
Säule, Kistaschi, und dem südlich von hier gelegenen grossen Janit-
scharenplatz, wo die Moschee Hakira Baschi Dschamissi steht. Von der
Marcians-Säule kehrt man durch die Strasse Deweh Khane um nach
dem Grabmal Soliman Pascha's und den Moscheen Nischandschi Pa-
scha, Schemli Hamam, Karagamrak und Sultan Selim. Vor der letztern
sieht man den Garten Tschukar Bostan. Dann weiter nach der Rosen-
Moschee, Gül Dschamissi, an der Stadtmauer hin zu den Thoren Aja
Kapussi und Jeni Kapussi, durch das Thor Petri Kapussi nach dem
Fanar, wo man das Patriarchat, verschiedene griechische Kirchen, den
walachischen Palast und die Moschee Fotijeh Dschamissi in Augen-
schein nimmt. Dann besteigt man in Fener Iskelessi das Boot und
landet wieder in Meit Iskelessi, wo man diesmal über den sogenannten
kleinen Cainpo nach Pera zurückkehrt.
Fünfter Tag: Man geht von Pera über den kleinen Campo
zunächst nach dem Mewlewi-Kloster, der angrenzenden Vorstadt Kassim
Pascha (wo die Derwische jeden Freitag 3 Uhr Nachmittags ihre
Tänze aufführen, eine Ceremonie, zu der Jedermann Zutritt hat, der
man indess bei Befolgung dieses Planes nicht beiwohnen kann, man
müsste es denn so einrichten, dass man den Plan für diesen fünften
Tag in umgekehrter Reihenfolge ausführte, wobei man jedoch sehr
früh aufbrechen müsste), dann hinab nach den sehr ausgedehnten
Constantinopel. 177
Etablissements des Arsenals, vor dem stets mehre Kriegsschiffe liegen,
dann auf dieser Seite des Goldenen Horns fort nach dem Agasma des
Allbarmherzigen (Fantelemonos), nach der Moschee Sultan Mahomed's,
nach der Kirche Ilagia Paraskewi und nach Kasköi, wo viele Juden
wohnen und die Ingenieurschule ist. Weiterhin liegt die Kaserne der
Bombardiere und die Ankerschmiede, und dahinter ist der Okmeidan.
ein Platz, auf dem sich frülier die Sultane im Bogenschiessen übten.
Nachdem man diese Puncte in Augenschein genommen, lässt man sich
hinüberfahren nach dem Haiwar Serai, wo man in das Viertel der
Blacherner kommt. Hier trifft man in der Nähe des Holzthores, Xylo
Porta, des entlegensten in diesem Theil der Stadt, die griechische De-
metriuskirche und, bei dem Löwen-Landungsplatz. Arslan Iskelessi,
eine Synagoge. Weiterhin stösst man auf die ßasiliuskirche und beim
Thor Balat auf die armenische Johanniskirchc (Paläos Taxiarches\ dann
beim Tlior Egri Kayu und der nach demselben benannten Moschee
auf die Panagiakirche und den Brunnen des heiligen Niketas, sowie
das Tekir Serai, den altgriechischen Palast En Hebdomo. Femer beim
Thor von Adrianopel die Moschee Kahrijeh und die der Walideh, die
Kirche der Kyria Touranu und im Quartier Salina Tombak die alte
Cisterne von Bonus Auf der Strasse nach dem Kanonenthor, Top
Kapu, trifft man die Nikolauskirche und die Moschee Schech Solinian.
Alsdann hinaus nach den Vorstädten Daud Pa.scha und Topdschilar
und den Ijandgütern Tzitzo und Sultansohiftlik , hierauf nach Ejub
und an dessen grosser Moschee vorüber nach dem Landungsplatz, wo
man sich entvv(>der nach den 8ü§seu Wassern von Europa einschiffen,
oder eine Fahrt über den ganzen Hafen von seiner innersten Ecke bis
hinab nach Tophana unternehmen kann. Der Besuch des ersteren Ortes
ist besonders an Froitagsnachniittagen zu empfehlen, da sich dann
Tausende von buntgekleideten türkischen Frauen auf Kaiks hierher
begeben, um sich entweder mit Freundinnen oder ihren Kindern hier
im Freien zu belustigen. Auch ein Sonntagsnachmittag ist für den
Ausflug nach den „Süssen Wässern" sehr geeignet. An diesem Tage
herrscht natürlich die christliche Welt vor, sie ist aber nicht weniger
interessant und sehenswerth als die türkische, von deren weibliclier
Hälfte man ausser dem hässlichen Uebergewand und dem mit der Zeit
dünner gewordenen, aber noch immer die Züge verhüllenden Schleier,
dem Yaschmak, nichts sieht. Am Sonntage sind es die Griechinnen,
Armenierinnen und fränkischen Praiien, deren elegante, meist die
abenteuerlichsten Pariser Moden noch überbietenden Toiletten man hier
studiren kann. Die weiten grünen Wiesen sind von Tausenden bedeckt,
die theils auf und nieder wandeln, theils in malerischen Gruppen auf
dem Boden lagern und die mitgebrachten V^orräthe verzehren. Da es
auch Sonntags der Türken genug gibt, ist das Bild um so bunter und
bewegter. Die feine Halbwelt von Pera rauscht in langen Seidenschlepp-
kleidern vorüber, und lässt sich von emancipirten Türken in Lackstie-
feln, Pariser Handschuhen und weisser Weste den Hof machen. Hier
und da liegt ein Kreis von Deutschen um einen Korb mit Weinflaschen
12
178 Constantinopel
und ein deutsches Lied tönt schallend in die Ohren der Moslims. Au
den „Süssen Wässern" liegen zwei grossherrliche Lustschlösser, ein
älteres und ein neueres, letzteres von dem gegenwärtigen Öultan erbaut
und von sehr hübschen Gartenanlagen umgeben Die Anlagen stehen
dem Publicum offen und die Menge wogt in den Baumgängen, an den
kleinen (Jascaden auf und nieder. Das neue Lustschloss ist unter allen
dem Sultan gehörigen Gebäuden für den Fremden am leichtesten zu
besichtigen. Es bedarf hiezu weder eines Fermans, noch besonderer Empfeh-
lungen, sondern nur einer kurzen Verhandlung mit der Dienerschaft,
die natürlich ein des Türkischen kundiger Mann führen muss. Gegen
Erlag von einem oder zwei Medschidjes (22 — 44 Piaster) wird eine
Geseilschaft von 6 — 12 Personen in das Innern eingelassen. Die per-
sischen Shawls auf dem Fussboden, die europäischen Fauteuils neben
den türkischen Divans, die zahlreichen in Böhmen gefertigten, pracht-
vollen Glasluster und besonders das weiss und blau gestreifte Schlaf-
zimmer mit dem goldbrokatenen Himmelbett geben jedem Besucher ein
prägnantes Bild von dem Landaufenthalte eines türkischen Sultans.
Die Einrichtung ist übrigens keineswegs allzuprachtvoll, mit Ausnahme
des Schlafzimmers beinahe einfach.
Sechster Tag: Man schiflt sich direct nach Yeni Kapu ein, be-
sucht das neue arabische Quartier und begibt sich von dort nach Vlan-
gabostan, wo man nicht weniger als drei heilige Brunnen trifft, von
denen der eine dem St. Phokas geweiht ist. Von hier steigt man zu
der Moschee Chassaki oder zum VVeibermarkt, Awret Basar, hinauf,
wo man die Säule des Arkadius und die Moschee des Barbiers, Dscher-
reb Pascha, sowie nicht weit davon die des Arztes, Hakim Ali Pascha,
findet. Nördlich von da ist die Kirche Egi Marmora und die Moschee
gleiches Namens, in deren Nähe man die in einen Garten verwandelte
alte Cisterne Mocisia erblickt. Von da geht man nach dem Thor Psa-
raatia Kapussi, wo die neue armenische Kirche Sulu Monastir und die
Kirchen des lieiligen Polykarp und Nikolaus liegen. Weiter besucht
man die Moschee Kodscha Mustafa Pascha, die Paraskewikirche und
die von Belgrad, im Garten Ismael Pascha's. Dann verlässt man die
Stadt durch das Thor von Selivria und geht nach Balakli und von dort
zurück nach dem Schloss der sieben Thürme, wo man aussen das Gol-
dene Thor und innen, so weit es gestattet ist, die Staatsgefängnisse
in Augenschein nimmt. Von den Sieben Thürmen begibt man sich ?ur
Moschee des Stallmeisters, von dort nach Narli Kapussi, wo man einen
unterirdischen Gang trifft, welcher mit den unterirdischen Gängen von
Tschemetjeh in Verbindung stehen soll. Hier beim Thor Narli Kapu
besteigt man wieder das Boot und fährt an der Seite der Stadt hin,
welche nach dem Marmorameer hinausblickt.
Wir werfen jetzt einen kurzen Blick auf die Vorstädte, und
zwar zunächst auf Galata, den Hauptsitz des Handels von Constan-
tinopel. Dasselbe ist im Westen durch einengrossen Friedhof getrennt
von Kassim Pascha und hängt im Osten mit Tophana zusammen. Dieser
Theil der Stadt ist von den Genuesen gegründet worden. Dieselben
Constantinopel. 179
legten 1216 hier eine Handelscolonie an, welche schon im nächsten
Jahrhundert eine solche Wichtigkeit erlangt hatte, dass sie von den
griechischen Kaisern das Privileg erlangte, sich nach eigenen Gesetzen
zu regieren und sich mit Befestigungen von Mauern und Thümien zu
umgeben, die sich bis auf diesen Tag erhalten haben. Die Genuesen
vergalten diese Begünstigung mit Undank, indem sie, in der Hoffnung,
von den Türken günstigere Bedingungen zu erhalten, bei der letzten
Belagerung der Stadt durch Mohammed II. den Belagerern Vorschub
leisteten. Das half ihnen indess nichts, denn sie erlangten die gehoflfte
pjrneuerung ihrer Privilegien nicht, sondern die lateinische Oolonie
endigte mit dem griechischen Reiche.
Die alten Mauern sind an den meisten StelleJi so mit Häusern
verbaut, dass man sie nicht herausfindet. Galata hat mehre lateinische
Kirchen und Klösti^r, verschiedene griechische und armenische Kirchen,
aber nur eine Moschee. Eine lange, schmale und schmutzige Haupt-
strasse geht durch diese Vorstadt von einem Ende bis zum andern.
Die Wohnh<äuser sind mit geringen Ausnahmen von Holz, die Maga-
zine der Feuersgefahr halber von Stein, gewölbt und mit starken
eisernen Thoren und Läden versehen. Das berühmteste Gebäude Ga-
lata's ist der weithin sichtbare, gewaltige Genuei^erthurm Derselbe
wurde um das Jahr 1850 erbaut und bildete das Hauptbollwerk einer
starken, jetzt zerstörten Citadelle, welche sehr viel dazu beitrug, die
Macht der Genuesen gegenüber den Byzantinern nicht nur in Galata.
sondern am ganzen Bosporus zu verstärken. Jetzt nutzlos für militä-
rische Zwecke, wird er seiner hohen Lage wegen als Wachthaus für
Feuersbrünste benutzt. Im obersten Zimmer befinden sich stets vier
Wächter, deren Pflicht es ist, auf der Brüstung, die um dasselbe her-
umläuft, abwechselnd umherzugehen und zu spähen, ob irgendwo in
der Stadt oder den Vorstädten Flammen oder verdächtiger Rauch auf-
steigen. In diesem Falle geben sie sofort mit einer grossen Trommel
ein Signal, welches von den Wachen auf dem über dem andern Ufer
des Goldenen Horns stehenden Thurm des Kriegsrainisteriums (Serias-
kerthurra) beantwortet wird. Darauf feuern gewisse Batterien drei,
fünf oder sieben Schüsse ab, je nach der Gegend, wo das Feuer aus-
gebrochen ist. Zu gleicher Zeit laufen die am Galatathurm stationirten
Läufer unter dem Geschrei: .Jangun Var!" auf die Hauptstrasse zu,
wo die gewöhnlichen Strassenwächter aufgestellt sind. Nun rennen
auch diese herum und wiederholen das Geschrei mit Angabe des
Quartiers, wo es brennt. Darauf eilen die Soldaten der verschiedenen
Kulaks (Wachtposten) nach dem Schauplatz der Gefahr, bewaffnet mit
Aexten, Feuerhaken und ledernen Eimern. Die Tulambadschi (Feuer-
männer) stürzen mit ihren tragbaren Spritzen herbei, die Saka (Was-
serträger) folgen ihrem Beispiel, und die Strassen hallen wieder von
dem Geschrei „Jangun Var!- und dem Echo der Keulen, mit denen
die Wächter auf den Boden stampfen. Von der Höhe des Thurmes
geniesst man eine der schönsten Aussichten der Welt, die nur von
dem wanderprächtigen Panorama übertroffen wird, welches sich in
180 Constantinopel.
unermosslicher Weite zu unseren Füssen ausbreitet, wenn wir auf dem
Hügel Bulgerlu, eine Stunde nordöstlich von Skutari, stehen.
Pera, von dem griechischen Worte, welches „jenseits" heisst,
indem Pera jenseits oder ausserhalb Galata entstand, ist in seinen
unteren Theilen ebenso schmutzig und hölzern, als Galata. Dagegen
sind die oberen Strassen massiv gebaut, und die grosse Hauptstrasse
auf dem Gipfel des Hügels unterscheidet sich mit ihren eleganten
Läden, ihren stattlichen Häusern wenig von denen in Südwesteuropa
Sie hat theilweise sogar Trottoirs und ist des Nachts gut beleuchtet.
Im Nordosten liegt der fränkische und der grosse armenische Kirch-
hof. Im Westen, zwischen Kassim Pascha und Galata befindet sich
der sogenannte Piccolo Campo, ein sehr ausgedehnter türkischer Be-
gräbnissplatz mit riesenhaften Cypressen, in dessen Nähe mehre Wirth-
schaften sind, in deren Gärten dos Abends vielbesuchte Concerte statt-
finden. Hier triff't man zwei deutsche Klubs, zwei deutsche Buchhand-
lungen und eine sehr gute deutsche Conditorei, diese sowie die Buch-
handlungen auf der Hauptstrasse. Die Gesandten residiren nur im
Winter in ihren hiesigen Hotels, den Sommer bringen sie in Bujuk-
dere zu.
Tophana bildet die Fortsetzung von Galata am Nordufer des
Bosporus. Es hat seinen Namen von der grossen Kanonengiesserei, die
sich hier befindet. Nicht weit vom Strande liegt hier die Artillerie-
kaserne, ein ausgedehntes Gebäude mit mehren Kuppeln. In der Nähe
des Landungsplatzes (Skelessi) kann man beobachten wie die Türken
ihre Kaiks bauen. Der Brunnen des Marktes von Tophana ist sehens-
werth. Er ist ein schönes Bauwerk orientalischen Styls, von weissem
Marmor, mit einem vortretenden Dache, umgeben von einer Balustrade,
geschmückt mit Arabesken und Koransprüchen. Nicht fern von hier
sind zwei Kafi^eehäuser, in denen man vorzüglich Tscherkessen und
andere Bewohner der östlichen Provinzen triff't.
Kassim Pascha ist eine sehr ausgedehnte, fast nur von Türken
bewohnte Vorstadt im Westen von Galata und Pera, von denen es
durch den Piccolo Can)i)0 getrennt ist. Die einzige Merkwürdigkeit,
die es für den Fremden hat, ist ein Kloster der Mewlewi-Derwische,
welche Allah durch Tanz verehren. Diese mystische Secte wurde im
14. Jahrhundert unserer Zeitrechnung von dem berühmten Schech
Mewlana Dschellaleddin Rurai gestiftet, der im Orient als Sultan El
Ulema, d. i. König der Gelehrten, bekannt ist, und ist der einzige
unter den vielen Derwischorden, welcher noch einer gewissen Achtung
geniesst. Einige dieser Derwische, namentlich die Schechs, sind wirk-
lich würdige und gelehrte Männer. Die Musik, nach der sie tanzen,
ist nicht übel, ihre Manieren sind artig, auch halten sie sich und ihr
Haus sehr reinlich. Ihr Drehen, sowie ihr tactmässiges Umherschreiten
ist keineswegs eine blosse Kunstproduction ohne Bedeutung, sondern
man sieht darin Symbole für zwei Mysterien der Secte. Die kreisför-
mige Bewegung bedeutet, dass sie die Allgegenwart der Gottheit aner-
kenner und ihre Nähe allenthalben suchen. Die vorschreitende Bewe-
Coustantinopel. 181
gung dagegen versinnbildet den Gang des Mensclien durch das Leben,
der schwach und hingsara anfängt, sodann mit unaufhaltsamer Geschwin-
digkeit weiter eilt, bis er endlich durch die Hand des Todes gehemmt
wird. Auch soll es ein bildlicher Ausdruck für die Entsagung Derje-
nigen sein, die mit Hintansetzung aller weltlichen Beschäftigung sich
ausschliesslich dem Dienste Gottes geweiht haben. Die Ausstreckung
der rechten Hand mit der Fläche nach oben bedeutet die Bitte um
himmlische Wohlthaten, die des linken Armes mit der nach unten
gekehrten Handfläche hat den Sinn, dass sie^ die Güter der Erde An-
dern überlassen.
Unter dieser Vorstadt liegen am Ufer des Goldenen Horns die
weitläufigen Gebäude der türkischen Admiralität (Tershana) sammt
Werften, Ankerschmiede u. s. w. Vor denselben ankert in der Regel
ein Theil der Flotte des Sultans.
Hinter Kassim Pascha auf der Höhe ist das von Griechen be-
wohnte Quartier St. Demetri. Weiter hinab nach dem Hafen zu ist der
Okmeiäan, d. h. der Platz der Pfeile, wo frühere Sultane bis auf Mah-
mud II. sich mit ihren Freunden im Bogenschiessen übten, wobei
wenigen- auf genaues Zielen, als auf weites Schiessen gesehen wurde.
Man findet hier eine Menge kleiner Obelisken, welche die Puncte
angeben, wo die Pfeile des letzten Sultans abgeschossen wurden und
niederfielen.
Ejub ist eine sehr malerische Vorstadt auf dem andern Ufer
des Goldenen Hörn, nicht fern von der Mündung des Perami-Kanals
gelegen und umgeben von Gärten und türkischen Begräbnissplätzen.
Es hat seinen Namen von Ejub (Hiob), dem Fahnen- und Waffenträger
des Propheten Mohammed, welcher bei der ersten Belagerung Constan-
tinopels durch die Sarazenen im Jahre 668 fiel und hier begraben
worden sein soll. Nachdem seine Grabstätte von einem mit Mohammed
IL zur letzten Belagerung der Stadt gekommenen Gelehrten entdeckt
worden, wurde an der Stelle ein Mausoleum und eine Moschee erbaut.
In der Moschee, welche sehr schön aus weissem Marmor errichtet ist,
liegt der liebenswürdige unglückliche Sultan Selim begruben. Auch
werden hier die Sultane beim Regierungsantritt mit dem Schwert des
Propheten umgürtet. Die Grabstätte Ejubs befindet sich im Westen des
von Mauern umgebenen, von schönen alten Bäumen beschatteten Mo-
scheehofes. Der Ort wird für so heilig gehalten, dass es für Franken
sehr schwer ist, die Moschee und das Grabmal zu betreten. Indess,
ganz unmöglich ist es nicht, wenigstens einen Blick in das letztere
zu werfen. Der Sarkophag oder die Sanduka ist mit reichgestickter
Seide, Ueberbleibseln der Kaaba-Decke umhüllt. Der obere Tlieil oder
das Kopfende desselben trägt eine grosse Filzkappe, die mit einem
grünen Turban umwunden ist. Ein silbernes Gittergeländer fasst den
JSarkophag ein. Ringsum stehen sechs ungeheure silberne Leuchter mit
riesigen Wachskerzen, und dazwischen liegen auf Lesepulten Exemplare
des Koran, die von berühmten Schreibern geschrieben sind. Darüber
hängt ein grünes Banner. Die Wände sind mit Inschriften verziert,
182 Constantinopel.
die von Sultanen auf Porzellanfliessen oder Täfelcheu geschrieben
worden sind. Von der Decke hängen Larapen und Strausseneier herab.
Der Brunnen im Hofe nebenan soll mit dem berühmten iSemsem in
Mekka durch unterirdische Kanäle in Verbindung stehen. Auf den
Friedhöfen in der Nähe von Ejub liegen viele vornehme Türken be-
graben. Auch ist hier die Fabrik, in welcher die Fess der türkischen
Armee gefertigt werden.
Stambul, die eigentliche Stadt, wo sich fast alle grossen Mo-
scheen, alle Alterthümer und das Serail befinden, hat zur Nordgrenze
den Hafen oder das Goldene Hörn, zur Südgrenze das Marmorameer,
im Westen bildet die Stadtmauer, im Osten der Bosporus die Grenze
derselben. Die Mauer, auf lange Strecken hin wohlerhalten, ist aus ab-
wechselnden Lagen von Ziegeln und Steinen erbaut. Auf der Seite des
Marmorameeres ist sie etwas länger als eine deutsche Meile, auf der
des Hafens ungefähr eine Stunde lang, während die Strecke zwischen
den sieben Thürmen und dem Goldenen Hörn ziemlich anderthalb
Stunden Länge hat. Die beste Strasse ist die, welche von der hohen
Pforte nach dem Thor von Adrianopel führt. Die zahlreichen Gassen
sind reinlicher als die von Galata, die Häuser orientalischer in ihrem
Charakter als in den Vorstädten.
Die Moscheen Constantinopels zerfallen in zwei Classeii : kai-
serliche Versammlungshäuser (Dschami Es Salatin) und Medschid (Bet-
capellen). Von den erstem gibt es 16, von den letztern gegen 150. Zu
den kaiserlichen Moscheen gehören: die Aja Sofia mit einem Jahres-
einkommen von anderthalb Mill. Piast., die bereits erwähnte Ejub-
Moschee, die Moschee Mohammed IL, ferner die Moscheen Bajasids IL,
Selinis L, die Schahsade (Kronprinzen-Moschee), dann die Achmeds L,
Solimans L, die Yeni-Dschami, die Walideh. die Ajasnia (in Skutari),
die Nuri Osmanjeh, die Laleli (Tulpenmoschee), die Abdul Hamid (in
Stavros auf der asiatischen Seite des Bosporus), die Seliras III. (in
Skutari vor der grossen Gardekaserne) und die Nusredjeh, vom vorigen
Sultan in Tophana erbaut. Letztere zeichnet sich durch die Leichtig-
keit ihrer Minarets aus, deren Spitzen vergoldet sind.
Die Aja Sofia war die Cathedrale Constantinopels, als es noch
christlich war. Sie war der Weisheit, d. h. der zweiten Person der Tri-
nität geweiht, die nach Salomo bei Erschaffung der Welt mitwirkte
und ein und dasselbe mit dem Logos, dem Wort oder der göttlichen
Intelligenz späterer Auffassungen ist. Die älteste Kirche, welche hier
stand, war ein Werk Constantin's d. Gr., welcher 325 n. Chr. den Bau
begann. Dreizehn Jahre später wurde dieselbe durch Constantinus
erweitert. Unter Arkadius (404 n. Chr.) brannte sie, von der Partei
des Johannes Chrysostomus angezündet, nieder. Theodosius IL baute
sie 415 wieder auf. 532 brannte sie währenddes berühmten Aufstandes
des Hippodrom abermals nieder. Sechs Jahre später begann Justinian
sie mit grösserer Pracht wieder aufzubauen. Zwanzig Jahre darauf
stürzte die östliche Hälfte der grossen Kuppel zusammen, aber Justi-
nian stellte die beschädigte Kirche schöner und dauerhafter wieder
93
O
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Constantlnopel. 183
her, und seit dem Jahre 5ö8, wo ihre Einweihung stattfand, ist sie
nur noch mannigfach verändert, nicht wieder zerstört worden. Die
Architekten welche Justinian zu diesem Meisterstück der byzantinischen
Baukunst verwendete, waren Anthemius von Tralles und Isidorus von
Milet. Die Kosten waren so gross, dass man sie durch neue Steuern
und Abzüge von den Gehalten der Beamten decken musste. Die Mauern
und Gewölbe wurden von Ziegeln aufgeführt, aber die Pracht der
Säulen übertraf Alles, was bis dahin gesehen worden. Alle möglichen
Arten von Marmor, Granit und Porphyr wurden verwendet : phrygischor
weisser Marmor mit rosafarbenen Streifen, grüner Marmor von Lako-
nika, blauer aus Lybien, schwarzer celtischer mit weissen, weisser vom
Bosporus mit schwarzen Adern, thessalischer und molossischer Marmor,
egyptischer gesternter Granit und Porphyrsäulen, welche Aurelius vom
Sonnentempel zu Baalbek entführt und die Wittwe Marina nach Kom
geschickt hatte, die acht grünen Säulen, welche vom Dianentempel zu
Ephesus geholt, und die, welche von Troas, Kyzikus und Athen, sowie
von den Cykladen herbeigeschafft worden waren. So hatten alle grossen
Heidentempel, die der Isis in Aegypten, der des olympischen Zeus in
Athen, der grosse Dianentempel in Ephesus und der des Phöbus Apollo
auf Delos beitragen müssen, das Reichsheiligthum der Byzantiner zu
verzieren. Auch die Türken haben dasselbe später weiter geschmückt.
Mohannned II. erbaute die beiden Pfeiler, welche die südöstliche Seite
nach der See hin stützen, sowie das eine Minaret. Sultan Selim II.
fügte das nächste Minaret hinzu, welches etwas niedriger ist. Murad
III. errichtete die Minarets auf der andei*en, nordöstlichen Seite. Die
Hagia Sofia wurde nach ihrer Wiederherstellung unter Justinian der
Schauplatz der Haupt- und Staatsactionen der byzantinischen Kaiser:
ihrer Vermählungen, Krönungen und kirchlichen Handlungen. Die Sage
und die Geschichte vereinigten sich, um sie zum ersten Tempel der
östlichen Christenheit zu machen. Hundert Baumeister, von denen jeder
hundert Maurer unter sich hatte, leiteten den Bau, 5000 Arbeiter waren
auf der rechten, eben so viele auf der linken Seite beschäftigt. Der
Plan war dem Kaiser durch einen Engel übergeben worden, der ihm
im Traume erschienen. Der Engel erschien abermals, und zwar als
Eunuch im glänzendem Gewände, an einem Sonnabend in der Feier-
stunde einem Knaben, welcher die Werkzeuge der Maurer hütete, und
befahl ihm, die Arbeitsleute schnell zu holen, damit das Werk geför-
dert werde. Als der Knabe sich weigerte, schwur der glänzende Eunuch
bei der göttlichen Weisheit, dass er nicht hinweggehen werde, bis
er zurückkäme, und dass er den Bau inzwischen bewachen wolle. Als
der Knabe zum Kaiser geführt wurde, und in der ganzen Schaar der
Eunuchen den, der ihm erschienen war, nicht fand, erkannte der Kaiser,
dass es ein Engel gewesen, und damit dieser auf ewig an seinen Eid,
den Tempel zu bewachen, gebunden sei, verwies er den Knaben, nach-
dem er ihn reich beschenkt, auf Lebenszeit nach den Cykladen, und
beschloss, nach dem Schwur des Engels die Kirche der göttlichen
Weisheit zu weihen. Zum dritten Mai erschien der Engel als Eunuch
184
Constantinopel
im glänzenden Gewand, als das Gebäude bis auf die Kuppel vollendet,
zu dieser aber das erCorderliclie Gold nicht vorhanden war. Er führte
die Maulthiere des Schatzes in ein unterirdisches Gewölbe und belud
sie mit achtzig Centnern Goldes, welche sie dem Kaiser brachten, der
in dieser unverrautheten Goldkarawane sofort die Hand des Himmels
erkannte. So hatte also ein Engel Namen, Plan und Gold zum Bau
dieses Weltwunders des Mittelalters hergegeben. Der Kaiser förderte
den Bau jeden Tag durch sein persönliches Erscheinen, indem er sich
seinen Mittagschlaf versagte und an die Fleissigsten reiche Gaben ver-
theilte. Er kam dann in einfaches Linnen gekleidet, den Kopf mit
einem Tuch umwunden, in der Hand einen Stab Der Mörtel wurde
mit Gerstenwasser angemacht, und die Steine der Grundmauern durch
eine breiartige, ebenfalls mit Gersten wasser angefeuchtete Masse ver-
kittet. Als die Mauern sich zwei Ellen über den Grund erhoben hatten,
waren bereits 452 Centner Goldes ausgegeben. Die Ziegel zu dem Ge-
wölbe der Kuppel, die durch ihre Kleinheit und Leichtigkeit alle Welt
erstaunen Hessen, wurden zu Rhodus aus besonders leichtem Thou
verl'ertigt; sie waren so leicht, dass zwölf derselben nicht mehr als ein
gewöhnlicher Mauerziegel wogen. Diese kreideweissen Ziegel trugen die
Inschrift: ,Gott hat sie gegründet, und sie wird nicht erschüttert
werden. Gott wird ihr beistehen im Morgenroth.* Als der Bau der
Kuppel begann, wurden je zwölf Ziegel gelegt, und nach jeder Lage
von zwölfen mauerte man Reliquien ein, während die Priester Hymnen
und Bittgesänge für die Dauerhaftigkeit des Baues und den Bestand
der Kirche anstimmten.
Als die muschelförmige Nische auf der Ostseite der Kirche, in
welche der Altar zu stehen kam, gebaut wurde, und der Kaiser und
seine Baumeister verschiedener Meinung über die JZahl der Fenster
waren, durch die das Licht auf den Altar fallen sollte, erschien dem
Kaiser wiederum aer Engel, diesmal aber im Kaiserpurpur und rothen
Schuhen, imd belelirte ihn, dass auf den Altar durch drei Fenster
Licht fallen sollte, zu Ehren dos Vaters, des Sohnes und des heiligen
Geistes Der Altar sollte noch kostbarer als Gold sein, und so wurde
derselbe aus allerhand kostbaren Stoffen, aus Gold und Silber mit
zerstossenen Perlen und Edelsteinen zusammengeschmolzen, und die
Vertiefung in demselben, welche das Meer hiess, dann noch mit den
reichsten Steinen besetzt. Ueber dem Altar erhob sich thurmartig das
Tabernakel oder Ciborium, auf dem eine goldene Kuppel, geschmückt
mit goldenen Lilien, ruhte, zwischen denen sich ein 75 Pfund schweres,
mit Edelsteinen besetztes Kreuz erhob. Die sieben Sessel der Priester
sammt dem Throne des Patriarchen, welche den Altar im Halbkreise
von hinten her umgaben, waren von vergoldetem Silber. Der Altar
stand auf erhöhtem Boden und war den Augen der Menge durch eine
mit vergoldeten Heiligenbildern bedeckte Holzwand (Ikonostasis) ent-
zogen, durch welche drei Thüren führten. An der Ikonostasis befanden
sich zwölf vergoldete Säulen. Vor derselben stand das Evangelienpult
mit dein goldenen Dach, auf dem sich ein 100 Pfund schweres, mit
Constantinopel. 185
Karfunkeln und Ferien besetztes üoldkreuz erhob. Ein anderes Kreuz,
von Silber und stark vergoldet, stand iü der Kammer, in der man die
heiligen Gefässe verwahrte. Letzteres war genau so gross, als das. ah
welchem der Erlöser gestorben, und that Wunder, indem es Kranke
heilte und Teufel austrieb. Die für die zwölf grossen Feste des Jahres
bestimmten Gefässe als Kannen, Kelche, Schüsseln u. a. waren aus dem
reinsten Golde, und der mit Perlen und Edelsteinen durchwirkten
Kelchdecken hatte man nicht weniger als 42,000. Es gab ferner vier-
undzwanzig grosse Evangelionbücher. deren jedes mit seinen Goldbe-
schlägen 2 Ctr. wog. Die Rebstöcke darstellenden Candelaber für den
Hoclialtar, die Kanzel, die Emporkirche für die Frauen und die Vor-
halle wogen zusammen 6000 Centner und waren vom reinsten Golde.
Ausserdem gab es in der Kirche noch zwei goldene Hängeleuchter mit
Sculpturen geziert, jeder 111 Pfund schwer, und sieben goldene Kreuze,
von denen jedes einen Centner wog. Die Thürrae waren theils von
Elfenbein, theils von Bernstein, theils von Cedernholz, das Hauptthor
silbern und vergoldet, und di*ei derselben waren sogar mit Brettern
fournirt, welche von der Arche Noah's herstammten ! Die Einfassung
des Taufbeckens in der Kirche war die des berühmten Jakobsbrunnens
bei Sichem (vgl. Nablus), und die vier Trompeten, welche über dem-
selben von Engeln geblasen wurden, waren dieselben, von deren Schall
die Mauern Jericho's zusammengestürzt ! Der Boden war mit vielfar-
bigem Marmor gepflastert, dessen Wellenlinien wogende Fluten nach-
ahmten. Im Vorhof, dem jetzigen Haram, stand ein grosses Wasser-
becken aus Jaspis, in dem sich die Andächtigen vor dem Eintritt in
das Heiligthura die Füsse waschen mussten. Die Priester hatten ihren
besonderen Waschort innerhalb der Kirche, rechts von der Emporkirche
der Frauen, wo zwölf Muscheln das Regenwasser auffingen, zwölf Lö-
wen, zwölf Pardol und zwölf Damhirsche dasselbe wieder ausspien. Von
den Löwen, als den ältesten Brunnenköpfen, wurde dieser Ort Leon-
tarium genannt.
Sieben und ein halbes Jahr hatte die HerbeischafFung und Vor-
bereitung der Baumaterialien, acht und ein halbes Jahr der Bau selbst
gedauert. Als die Kirche mit allem Zubehör vollendet war, fuhr am
Weihnachtsabend des Jahres 538 der Kaiser vierspännig über das
Augasteum nach der Kirche, schlachtete 1000 Ochsen, 1000 Schafe,
1000 Schweine, 10,000 Hühner und 600 Hirsche, während zu gleicher
Zeit 30.000 Metzen Getreide und später 300 Centner Gold unter das
Volk vertheilt wurden. Vom Patriarchen Eutychius begleitet, ging
Justinian dann in die Kirche, wo er allein vom Eingange der Hallen
bis zum Betpult lief und hier mit emporgestreckten Armen ausrief:
„Gott sei gepriesen, dass er mich für würdig erachtete, solch ein Werk
zu vollenden. Salomon, ich habe dich besiegt!" Am folgenden Morgen,
dem ersten Feiertage, wurde die Kirche dem Volke geöffnet und Brand-
opfer und Dankfeste währten vierzehn Tage nach einander.
Als später, wie gemeldet, bei einem Erdbeben die östliche Hälfte
der Kuppel zusammenstürzte und die ganze Herrlichkeit des Altar-
186 Constantinopel.
tisches, der Kanzel und der Ikonostasis zerschlug, schoben die Bau-
meister die Schuld darauf, dass man das Baugerüst ohne die erforder-
liche Vorsicht weggeräumt habe. Die Kuppel wurde wieder aus denselben
leichten Ziegeln von Khodus aufgeführt, aber um 15 Ellen niedriger
fehalten und das Gerüste blieb ein ganzes Jahr stehen. Dann wurde
ie Kirche 8 Ellen hoch mit Wasser gefüllt und die Balken und Quer-
riegel des Gerüstes darein geworfen, damit nicht, wie früher, durch den
Widerstoss des Falles derselben die Grundmauern des Baues und die
Kuppel erschüttert werden möchten.
Als Justiuian den Bau des Tempels begann, gehörte der Grund
und Boden, worauf der rechte Theil der Frauengalerie steht, einem
Eunuchen, der linke einem Schuster. Jener verkaufte sein Grundstück
gern und billig, dieser aber verlangte nicht nur den doppelten Preis,
sondern forderte auch noch, dass an den Tagen des festlichen Wett-
fahrens auf dem Hippodrom von den vier Parteien des Rennplatzes
ihm gleicher Lebehochruf wie dem Kaiser zuerkannt würde. Der Kaiser
gewährte ihm den Wunsch, verordnete aber zugleich, dass zum ewigen
Andenken an die Unverschämtheit dieses Menschen bei jedem Wett-
rennen ein Schuster in der Mitte des Platzes mit dem Rücken gegen
die auslaufenden Wagen gekehrt sitzen und dass diesem die Wagen-
lenker, ehe sie ihre Wagen bestiegen, von rückwärts in spöttischer
Weise langes Leben zurufen sollten.
Die Sophienkirche hat die Form eines griechischen Kreuzes,
dessen oberes Ende (das, wo der Altar stand) wie üblich nach Osten
gekehrt ist. Drei von den Seiten derselben sind mit gewölbten Säulen-
gängen umgeben, über denen sich Kuppeln erheben. Die vierte oder
Westseite bildet die Eingangseite. Unmittelbar zur Rechten der Haupt-
eingangspforte erblickt man den alten Glockenthurm, der indess mit
den Minarets verglichen, die neben ihm emporstreben, von sehr beschei-
dener Grösse erscheint. Hart neben diesem Glockenthurm. zur Rechten
desselben, fliesst das Wasser der grossen Cisterne, welche den grössten
Theil der Ausdehnung des Tempels mit unterirdischen gewölbten
Wasserbehältern einnimmt. Ausserdem gibt es noch drei Brunnen,
einen im Mittelpunct des Vorhofes, wo früher das grosse Jaspis-Bassin
stand, einen zweiten unmittelbar aussen an der Mauer des Vorhofes in
der Gasse, welche von der Hauptstrasse nach der Seitenpforte führt,
und einen dritten neben dem Minaret im Südosten. Die östliche Seite
des Vorhofes bildet zugleich das erste Vestibulum der Kirche, wohin
aus dem Hofe drei Thüren, zwei grosse an den beiden Ecken und eine
kleine hart neben dem alten Glockenthurrae führen. Dieser erste Vor-
hof der Kirche hiess im Alterthum Narfchex, und war für solche, die
Kirchenbusse zu thun hatten, sowie für die Katechumenen bestimmt.
Jene hatten hier zu warten, bis ihre Vergehungen abgebüsst waren,
diese, bis ihnen die Taufe den Eintritt in die Kirche selbst gestattete.
Dieser Theil des Heiligthums ist desshalb ^hr einlach gehalten und
ohne den architektonischen Schmuck des Innern.
Constantinopel. 187
Der zweite innere Vorhof, länger, breiter und schöner als der
erste, hat sechzehn Bronzethüren. die mit Kreuzen verziert sind, welche
die Türken verstümmelt haben. Der Raum zwischen denselben ist mit
schönem gewässerten Mariuor belegt, und darüber sieht man noch
Reste der Mosaikbilder, welche früher als Schmuck der Thore dienten.
Die kleinen bunten, mit einem Ueborzug von Vergoldung versehenen
Glasstifte, deren man sich zur Anfertigung jener Mosaik bediente,
fallen oft von der Decke herab, und werden von Judenknaben gesam-
melt, die sie dann an Fremde verkaufen, als Andenken an den Besuch
der grossen Basilika des Oströmerreiches. Charakteristischer als diese
Glasstoffe sind die Mosaiktrümmer aus den Säulen, die aus den feinsten
Steinen bestehen, mit Gold durchsprenkelt sind und einen deutlichen
Beweis dafür liefern, mit welchem kostbaren Materiale der Bau der
Sophienkirche aufgeführt wird. Diese Mosaiktrümmer bekömmt man
für ein Bakschisch von 5—10 Piastern von dem Türken, der die
Fremden in der Aja Sophia herumführt, er bricht sie ganz gemüthlich
aus einer Säule aus, die schon lange für diese Speculation herhalten
muss und aussieht, als wäre sie von Mäusen angenagt. Die beiden Sei-
tenthüren des Innern Hofes führen jede in ein Vestibulum, und durch
dieses zu dem sanft aufsteigenden Autgang des Gynaikites oder Frauen-
chores, welcher, um drei Seiten der Kirche herumlaufend, die ganze
Breite des Innern Vorhofes einnimmt. Er ist 60 Schritt breit und hat
auf jeder Seite vier Aufgänge. Zwei von diesen kann man auf jeder
Seite von aussen erreichen, da sie für die zur Kirche kommenden
Frauen erreichbar waren: zwei dagegen sind nur kleine Treppen, die
vom Innern aus zugänzlich sind und zum Gebrauch der Priester und
Diakonen dienten. Nachdem man (was von den Reisenden in der Regel
geschieht) die zwölf Stufen von der Seitenpforte der südlichen Front
hinabgestiegen und dann den sanft ansteigenden Aufgang zum Gynai-
kites emporgeschritten ist, sieht man in der Mitte des letztern, gerade
über der inneren Halle und den drei Mittelpforten, plötzlich das ganze
Innere des gewaltigen Baues vor sich : die wunderbare Häuptkuppel,
die gleichsam in der Luft schwebt, dann im Osten und Westen die
kleineren Halbkuppeln, denen sich wieder auf jeder Seite die drei kleinen
Kuppeln anschliessen, so dass das Dach des Tempels aus neun solchen
Kuppeln besteht, von denen die grösste die oberste Stelle einnimmt.
Die Letztere ist so flach gewölbt, dass ihre Höhe nur den sechsten
Theil ihres Durchmessers ausmacht, welcher letztere 115 Fuss beträgt.
Die Mitte der Kuppel befindet sich 180 Fuss über dem Boden. Das
Innere der Kirche hat eine Länge von 270 und eine Breite von
245 Fuss.
Neben den vier grossen Pfeilern, welche die Hauptkuppel tragen,
sind vier Säulen, zwei im Osten und zwei im Westen, welche, im Halb-
kreis mit den Pfeilern aufgestellt, die drei halbkreisförmigen Kuppeln
auf jeder Seite tragen. In den vier Zwischenräumen zwischen den
Pfeilern und Säulen stehen zwei und zwei Pilaster beisammen mit
Capitälern und Piedestalen von trefflich bearbeitetem weissem Marmor.
188 Constantmopel.
Dies sind die acht Porphyrsäulen vom Tempel zu Baalbek, deren oben
Erwähnung geschah. Auf der Süd- und der Nordseite zwischen den
Pfeilern rechts und links stehen je vier Pilaster vom schönsten grünen
Granit als Stützen der Prauengalerie. Es sind die ebenfalls schon
erwähnten Säulen vom Dianen tempel zu Ephesus. Die anderen vierund-
zwanzig Säulen von ägyptischem Granit, welche die Wucht der Galerien
auf beiden Seiten tragen, sind zu vier und vier in den sechs vier-
eckigen Abtheilungen aufgestellt, welche von den grossen Pfeilern und
den Aufgängen zum Frauenchor auf der südlichen und nördlichen Seite
der Kirche gebildet werden. Diese vierundzwanzig Säulen von ägyp-
tischem Granit machen zusammen mit den acht grünen Marmorpilastern
und den acht Porphyrsäulen vierzig — eine Zahl, die bei orientalischen
Prachtgebäuden, z. B. bei den liuinen von Persepolis, eine EoUe spielt.
Auf diesen vierzig Säulen des Erdgeschosses ruhen dann die sechzig
der Frauengalerie. Endlich findet man noch vier mittelgrosse und drei
kleine Säulen über den Pforten, so dass im Ganzen hundertsieben
Säulen sind — die mystische Säulenzahl, welche das Haus der göttli-
chen Weisheit tragen sollte. Diese siebenundsechzig Säulen sind eben-
falls theils von Granit oder rothfarbigem Marmor und mit den feinsten
Kannelüren versehen, aber mit den verschiedensten Capitälern gekrönt,
welche zu keiner von unsern fünf Ordnungen zu zählen sind.
Von den vier grossen Gewölbbogen, welche auf den vier Pfeilern
ruhen, sind nur die im Norden und Süden gleichsam vermittelst einer
Mauer durch die Säulen des unteren und die Fenster des obern
Fraueuchores geschlossen. Durch die Wölbungen im Osten und Westen
erstreckt sich die Aussicht ununterbrochen vom Eingangsthore bis zu
dem Halbkreis des Altars. In den vier Ecken des grossen Kuppelge-
wölbes befinden sich vier Seraphim von Mosaik, und auf den vier ge-
wölbten Bogen sind noch jetzt die Figuren verschiedener Heiligen zu
erkennen. Mehre andere schmückten früher die Mauer, sind aber jetzt
durch Koransprüche und heilige Namen des Islam in kolossalen Zügen
ersetzt worden. Die Namen der vier Gefährten des Propheten: Abu-
bekr, Omar, Osraan und Ali figuriren jetzt als die Seitenstücke zu den
vier sechsflügeligen Seraphim, welche der mohammedanische Glaube
unter den Namen Gabriel, Michael, Kafael und Israfil anerkennt. In
der Kuppel selbst liest man in den schönen, von Jakut eingeführten
Schriftzeichen den wohlbekannten Koranspruch: „Gott ist das Licht
des Himmels und der Erde." Diese Inschriften sind das Kunstwerk
eines berühmten Kalligraphen, Namens Bitschakjisadeh Mustapha Tsche-
lebi, welcher unter Murad IV. lebte. Die Länge der stehenden Buch-
staben, z. B. die des Elif, soll nicht weniger als 30 Fuss betragen.
Nach einer Volkssage waren die vier Erzengelgestalten einst Talismane,
welche vor der Geburt des Propheten in Zeiten schweren Unglücks zu
sprechen pflegten und ausserordentliche Ereignisse weissagten, seitdem
aber stillgeschwiegen haben. Der erwähnte Koranvers wird in den
Nächten des Ramadan durch das Strahlenmeer von tausend und aber
tausend Lampen, die in dreifachem Kreis über einander hangend das
Constantinopel. 189
Gewölbe der Kuppel nachzeichnen und zwischen denen Strausseneier
und Bündel künstlicher Blumen und Goldflitter schweben ^ zauberhaft
schön erleuchtet. Die grosse Hauptkuppel empfängt das Tageslicht
durch vierundzwanzig Fenster. Die Sakristei und der Taufplatz wurden
aussen an der Kirche errichtet, und zwar auf der Stelle eines Hauses,
welches einer Wittwe Namens Anna gehörte. Dasselbe war auf 85
Pfund Gold abgeschätzt, aber die Frau erklärte den wegen des Ver-
kaufs mit ihr unterhandelnden Beamten, es sei ihr nicht für 50 Centner
feil. Darauf kam der Kaiser selbst zu ihr, um sie zur Nachgiebigkeit
zu bewegen. Gerührt von so viel Milde und Herablassung, warf sich
die Witwe ihm zu Füssen und erklärte, dass sie für ihren Grund und
Boden überhaupt kein Geld nehme, sondern sich nur ausbitte, neben
der Kirche begraben zn werden, um am Tage des Gerichts ihren Kauf-
schilling im Himmel zu bekommen. Der Kaiser sagte dies zu, und sie
wurde hart neben der Kammer der heiligen Gefässe beerdigt.
Die vertiefte Muschel (Apsis), in welcher der Hochaltar mit dem
Tabernakel stand, war der Mittelpunct des grossen Halbkreises, um
welchen die sieben Stufen der Priestersitze liefen. Da dieser Punct
genau nach Osten steht, so konnte er nicht als Mihrab, das heisst als
muselmännisches AUerheiligstes oder Gebetsnische gebraucht werden,
da die Bekenner des Islam bei ihren Gebeten sich stets nach der
Kiblah, d. h. nach der Richtung der Kaabah zu Mekka richten müssen,
welche Richtung von dem Mihrab eben angegeben wird. Nach der Lage
Constantinopels müssen die dortigen Moscheen ihr Mihrab im Süd-
westen haben. So kommt es, dass in allen hiesigen Moscheen, welche
früher christliche Kirchen waren, die betende Gemeinde nie in gerader
Richtung gegen den Altar, sondern immer in einer Diagonale querüber
zu stehen kommt. Es sieht nicht symmetrisch aus, wenn die ganze
Versammlung, statt mit dem Gesicht nach Osten, wo der christliche
Altar stand, zu sehen, sich nach Südwesten auf eine Gebetsnische hin-
wendet: aber man hat in diesen Diagonalen gewisserraassen ein spre-
chendes Symbol für den grossen Querstrich, welchen der Islam durch
das Christenthum des Orients gemacht hat.
Gegenüber dem Hochaltar, im Centrum der Kirche, wo das
Presbyteriura endigte, stand die christliche Kanzel. Auf derselben Linie,
obschon nicht in der Mitte, sondern seitwärts am südöstlichen Pfeiler,
erhebt sich das Mimbar oder die Kanzel für den mohammedanischen
Freitagsgottesdienst, von welcher der Chatib oder Prediger alle Frei-
tage das Gebet für den Sultan spricht; bisweilen wird auch gepredigt,
aber nicht auf dieser, sondern auf einer anderen Kanzel in der Mitte
der Moschee. Hier wie in allen Moscheen, die einst Kirchen waren, be-
steigt zum Zeichen der Erinnerung an den Propheten, der, den Koran
in der einen, das Schwert in der andern Hand, die Länder des Ostens
dem Islam unterwarf, noch jetzt der Prediger die Kanzel mit einem
hölzernen Schwert. Die beiden rechts und links auf der Kanzel aus-
gesteckten Fahnen bedeuten den Sieg des Islam über Christen- und
Judenthum, des Korans über das Alte und das Neue Testament. Das
190 Constantinopel.
Mimbar ist nur in den grössten Moscheen zu finden, welclic das Recht
zu jenem Gebet für den Sultan haben. Die jetzige Kanzel rührt von
Murad IV. her. Sein Vorgänger Murad III. restaurirte das Heiligthura
und schmückte es mit den beiden gewaltigen Marmorvasen, welche im
unteren Theile des Gebäudes, eine auf jeder Seite zwischen den beiden
Porphyrpilastern von Baalbek stehen, und von denen jede 1000 Mass
Getreide halten soll. Sie werden alle Tage mit Wasser zur Erfrischung
der Gläubigen gefüllt und nehmen sich wie riesige Weihwasserbecken
aus. Auf den Spitzen der Minarets glänzen stark vergoldete Halb-
monde, der grösste auf der Hauptkuppel, wo einst das Kreuz schim-
merte. Derselbe hat von Korn zu Hörn 50 Ellen Durchmesser und es
heisst, Sultan Murad III. habe anf seine Vergoldung nicht weniger
als 50,000 Ducaten verwendet. Er ist bei sonnenhellem Wetter an 20
Stunden weit auf der See erkennbar, und selbst auf dem Gipfel des
bithynischen Olymp kann man ihn in den Strahlen der Sonne funkeln sehen.
Die fromme Ueberlieferung der Türken hat zu den historisch
begründeten Erzählungen von der Moschee noch etliche Sagen hinzu-
gefügt, welche muselraännischen Pilgern zu mehrer Erbauung mitge-
theilt zu werden pflegen. So zeigt man hier die Stätte der Propheten,
die Stätte Salomonis auf der rechten Seite der Freitagskanzel; ferner
die Wiege des Herrn Jesu (ein ausgehöhlter Block röthlichen Marmors
auf der obern Galerie im Süden) , endlich nicht weit davon eine Art
Kufe, in welcher Jesus von Maria gebadet worden sein soll, und die
gleich der Wiege von Bethlehem hierher geschafft worden ist. Des-
gleichen weist man hier die Stätte der zwölf Apostel Christi auf.
Endlich sind noch die schwitzende Säule, das kalte Fenster und der
leuchtende Stein vielbesuchte Wallfahrtspuncte der Moslim. Die schwi-
tzende Säule befindet sich in dem untersten Viereck auf der linken
Seite des Einganges der aus dem Vorhof herausführenden Nordpforte,
und die Feuchtigkeit, welche sie ausschwitzt, gilt als wunderthätiges
Heilmittel. Nicht fern von dem Thor, durch welches sich der Sultan
aus dem Viereck des Serails in die Moschee begibt, und in der Nähe
des Mihrab ist ein nach Norden gelegenes Fenster, wo immer ein
frischer Wind weht, und wo der berühmte Schech Ak Schemseddin, der
Begleiter Mohammeds IL, in dieser Kirche zuerst den Koran auslegte.
Von dieser Zeit an wurde dieser Ort ein heiliger für alle Ijohrer und
Prediger des Islam. Schon der bekannte türkische Reisende Ewlia weiss
in seiner Beschreibung von Constantinopel von den Segnungen des
kalten Fensters zu berichten, und noch jetzt glaubt man, dass er
Lehrer besonders weise mache, vermutblich, weil der Nordwind es hier
im Sommer kühler als an andern Stellen der Moschee sein lässt und
so den Vortragenden vor dem Schläfrigwerden bewahrt. Der leuch-
tende Stein befindet sich in der obern Gallerie an einem nach Westen
gerichteten Fenster und ist ein heller, durchsichtiger Stein, den Manche
für einen Onyx halten, der indess in Wirklichkeit ein persischer Mar-
mor ist, welcher die Lichtstrahlen einsaugt, und wenn die Sonne auf
ihn scheint, sie funkelnd zurückwirft.
Constantinopel. 1^1
Weit wunderbarer als dieser Stein ist die Beleuchtung der Mo-
scheen selbst in den sieben heiligen Nächten des Islam, besonders in
der Lejlet El Kadr, der Nacht der Vorherbestimmung (27. Ramadan),
in welcher der Koran vom Himmel gesandt wurde. In dieser Nacht
begibt sich der Sultan in grosser Procession nach der Aja Sofia, und
nachdem er dort dem Gottesdienst beigewohnt, zieht er unter Vor-
tragung einer Menge farbiger Laternen in's Serail zurück, wo ihm die
Sultanin Mutter eine noch unberührte Jungfrau zuführt. An diesem
Tage fungiren alle bei der Moschee angestellten Imams, Schachs, Cha-
tibs, Mueddins sammt den niederen Bediensteten, und so kann man
da den Islam in seinem höchsten Pomp sehen.
Die Moschee SoUmans des Grossen oder Solimanileh ist das
glänzendste Werk türkischer Baukunst, errichtet in der Zeit, wo das
Tärkenreich den höchsten Gipfel seiner Entwickelung erreicht hatte,
ein würdiges Denkmal des grossen Sinnes, des Stolzes und der Pracht-
liebe jenes mächtigen Herrschers. Ihr Erbauer war Sinan, der berühm-
teste Architekt des ottomanischen Reiches. Der Bau begann 1550 und
wurde binnen fünf Jahren vollendet. Der Plan der Moschee ist nach
ihren Abtheilungen derselbe, wie bei allen andern Hauptraoscheen, d. h.
er ist eine Nachahmung der Aja Sofia. Das Viereck der Moschee ist
auf der Eingangsseite von einem Vorhof eingeschlossen, auf der Seite
des Mihrab von einem Kirchhof. In der Mitte des ersteren, welcher
Haram genannt wird, befindet sich der Brunnen, in dessen Wasser die
regelmässigen Abwaschungen vor dem Gebet vorgenommen werden ; im
zweiten, welcher den Namen Bostan (Garten) führt, erheben sich die
Kuppeln der Mausoleen des Gründers, seiner Gemahlin und seiner
Kinder. Diese drei Vierecke, welche zusammen ein Oblong bilden, sind
von einer Mauer umgeben, die den grossen äusseren Hof bildet. Der
dem Eingang unmittelbar gegenüberliegende Hof. in dessen Mitte sich
das überkuppelte Brunnenhaus befindet, ist auf den drei andern Seiten
mit Colonnaden umgeben, über denen sich dreiundzwanzig kleine Kup-
peln, von welchen sich sieben rechts und sieben links vom Eingang
in die Moschee erheben und neun in einer Reihe dem Eingang gegen-
über stehen. In den vier Ecken des Vorhofs ragen die vier Minarets
empor. Dieselben sind von ungleicher Höhe, indem die beiden hart
neben der Moschee stehenden höher sind, als die am andern Ende des
Hofes und diese letztern nur zwei, jene dagegen drei Galerien für den
Rufer zum Gebet haben. Der Haram hat drei Thüren, eine der Moschee
gegenüber genau in der Mitte zwischen den beiden Minarets, und zwei
andere an der Seite neben den beiden höheren. Die Moschee ist, wie
bemerkt, nach dem Muster der Aja Sofia erbaut, doch mit der Absicht,
sie zu übertreffen, und dieser Wunsch ist, was die Vollkommenheit der
einzelnen Theile und die Harmonie des Ganzen betrifft, in der That
erreicht worden. Das Auge schreckt hier nicht wie dort vor der Ver-
drehung und Verkehrung des reinen griechischen Geschmacks zurück.
Man erblickt ein Meisterwerk echt sarazenischen Styls nach dem Mu-
ster der grosser Bauten der Ommajaden in Syrien und Aegypten sowie
192 Constantinopel.
in Spanien, obwohl nicht ohne den Einfluss spätgriechischer Architektur
im Kuppelbau. Die grosse Hauptkuppel wircl von vier Säulen getragen,
zwischen welchen sich rechts und links (zwei auf jeder Seite) die vier
grössten Säulen Constantinopels befinden. Diese letzteren messen an
der Basis 13 Fuss im Umfang, und ihre Höhe steht damit im Ver-
hältniss. Dieselben stammen aus altbyzantinischer Zeit; die eine trug
im Heidenthum eine Statue der Venus, die andere stand unter Justi-
nian und später, mit dem Bilde dieses Kaisers geschmückt, auf dem
Augusteumsplatz. Die beiden andern sind wahrscheinlich die rothen
Säulen, auf welchen die Standbilder der Theodoraund der Eudoxiaim
Palast der Kaiser standen. Die Kapitaler dieser vier Säulen sind von
weissem Marmor. Sie stützen die Doppelgalerie, welche um beide
Seiten herumläuft, und in welcher sich Schatzkammern befinden, in
denen Privatpersonen ihr baares Geld niederlegen, wenn sie verreisen
oder wenn sie es nicht sicher halten vor der Hand des Despotismus,
die sich an diesen geheiligten Räumen nicht zu vergreifen wagt. Unter
den Galerien findet man auf dem Boden terrassenförmige Steinsophas
errichtet, welche auf niederen Säulenstürapfen ruhen und für Koran-
vorleser bestimmt sind. Die Gebetsnische, die Kanzel und der Gebets-
platz für den Sultan sind aus weissem Marmor und mit schönen Sculp-
turen geschmückt Neben dem Mihrab stehen zwei riesige Kandelaber
von vergoldetem Metall, auf denen dicke Wachskerzen des Abends das
Sonnenlicht ersetzen, das durch das geschlifleue Glas der Fenster fällt.
Diese Glasfenster, von denen viele mit bunten Blumen oder mit dem
Namen Gottes geziert sind, stammen aus der Glasfabrik von Serkosch
Ibrahim, die zur Zeit der Erbauung der Moschee in grossem Ruf stand.
Die Hauptkuppel der Solimanijeh hat denselben Umfang wie
die der Aja Sofia, ist aber 20 Fuss höher und deshalb weniger kühn
und ausserordentlich, obwohl die Türken diese grössere Höhe als ein
grösseres Wunder der Baukunst ansehen. Im Innern der Kuppel liest
man denselben Vers, wie in der Aja Sophia (24. Sure des Koran, Vers
36): „Gott ist das Licht dos Himmels und der Erde. Sein Lieht ist
eine Weisheit auf den Mauern, in welcher eine Lampe, bedeckt mit
Glas, brennt. Das Glas glänzt wie ein Stern, die Lampe ist gefüllt
mit dem Oel des heiligen Baumes. Kein östliches, kein westliches Oel,
sie leuchtet für Jeden, der sie will."
Die Moschee mit ihrem Vorhof (Haram) und ihrem Begräbniss-
platz, ist von einem äusseren Hof umgeben, dessen Seiten 1000 Schritt
lang sind und welcher zehn Thore hat. Von diesen öffnen sich zwei
auf der Seite des Mihrab, nach dem alten Serail, vier andere: die
Thore der Schule, des Markts, der Akademie, des Oberarztes sind im Süden ;
drei andere, die Thore der Armenküche, des Hospitals und der Janit-
scharen-Agas sind im Westen. Im Norden ist ein Thor, vor welchem man
auf einer Treppe von zwanzig Stufen nach einem Bade hinabsteigt.
Hier hat man eine prächtige Aussicht auf den Hafen, die Brücken, die
Volrstädte Galata und Pera, und auf die Küste von Kleinasien und den
Kanal des Bosporus. Mit der Moschee sind gelehrte und mildthätige
Constantinopel. 193
Stiftungen: drei Schulen, vier Akademien für die vier orthodoxen
Secten des Islam, die Hanafiten, Malikiten, Hambaliten und Schafeiten,
eine medicinische Schule, ein Hospital, eine Armenküche, eine Herberge
für Fremde und eine Bibliothek verbunden. Das Einkommen der Mo-
schee beträgt jährlich 360,000 Piaster.
Die Moschee Sultan AchmecVs I. oder Achmedijeli, welche
am Atnaeidan liegt und einen Theil des alten Hippodrom einnimmt,
wurde im Jahre 1614 dem Gottesdienst übergeben und hat eine Ein-
nahme von 710,000 Piastern Sie ist die grösste aller Moscheen Stam-
buls und die einzige im ottomanischen Reiche, welche sechs Minarets
hat, d. h. zwei mehr als die Aja Sophia und selbst als die grosse Mo-
schee in Mekka. Die grösste Merkwürdigkeit in derselben sind die vier
Riesensäulen, welche die Hauptkuppel stützen. Sie bestehen jede aus
drei Stücken und haben einen Umfang von nicht weniger als 36 Ellen,
ein Maass, zu dem ihre Höhe nicht im Verhältniss steht. Sie erheben
sich nach aussen neben der Kuppel wie ebenso viele kleine Thürme.
Die Hauptkuppel ist von vier Halbkuppeln umgeben, an die sich wieder
je zwei ganz runde Kuppeln anschliessen , welche, genau hinter den
vier Riesensäulen, die vier Ecken der Moschee bilden, die so von aussen
gesehen aus neun Kuppeln zu bestehen scheint. Um beide Seiten der
Moschee läuft rechts und links eine Doppelgallerie hin, eine aussen
und eine innen, in welchen sich unten die Bänke für die Koranleser
und darüber Schatzgewölbe als Niederlagen für Geld und Kostbarkeiten
von Privatleuten, wie in der Solimanijeh, befinden. Rechts und links
vom Mihrab stehen gewaltige Leuchter mit Wacliskerzen, deren Grösse
sie wie Säulen erscheinen lässt. Rechts vom Mihrab ist das Mimbar,
ein Meisterwerk der Bildhauerkunst, geschaffen nach dem Muster der
Kanzel in Mekka, überragt von einer grossen vergoldeten Krone, auf
der ein Halbmond funkelt. Keine andere Moschee Constantinopels ist
so reich an Curiositäten und Kleinodien als diese. Dieselben sind theils
in Schränken und Kasten verwahrt, theils an den Kränzen der Lampen
oder sonst wo aufgehangen. Sultan Achmed, ein sehr gottesfürchtiger
Herr, beschenkte seinen Lieblingsbau auf das reichste, und seinem Bei-
spiele folgten die Grossen seines Staates. So schickte unter Anderem
Dschafer Pascha,' der Statthalter von Abyssinien, sechs goldene, mit
Smaragden besetzte Lampen, welche an Goldketten in der Achmedijeh
aufgehangen wurden. Koranexemplare von allen Formen aufs schönste
geschrieben und eingebunden liegen hier auf golddurchwirkten Kissen
und Pulten, die mit Perlmuttermosaik geschmückt sind. An der Wand
wird jedesmal die letzte Decke der Kaaba aufgehangen, welche die
jährliche Mekkakarawane für das Geldgeschenk, das ihr der Sultan
mitgibt, bei der Rückkehr von der heiligen Stadt mitbringt. In dem
grossen Vorhofe der Moschee, zu deren Eingängen Treppen hinauf-
führen, stehen Reihen schöner, alter Bäume, und in Folge ihrer freien
Lage am Atmeidan ist dieselbe der Schauplatz der meisten grossen
kirchlichen Processionen des Hofes. Wenn man die Aja Sofia wegen
ihrer Lage neben dem alten Serail die Hofkirche Constantinopels nennen
13
194 Constantinopel
kann, so muss die Achmedijeh als die Reichskathedrale bezeichnet
werden. Hierher begibt sich der Sultan mit seinem ganzen Gefolge an
den muselraännischen Oster- und Pfingstfesten (Bairam und Kurban
Bairam). Von hier bricht die Mekkakarawane auf, hierher kehrt sie
beim Wiedereinzug zurück, und hier wird hauptsächlich das von Murad
III. gestiftete Mulid En Nebbi, das Geburtsfest des Propheten, gefeiert.
Bei letzterer Gelegenheit erscheint der Sultan im grössten Pomp, um-
geben von allen grossen Würdenträgern des Hofes und Staates, um
den Lobgesängen auf den Propheten beizuwohnen, welche von den be-
sten Sängern des Landes vorgetragen werden.
Die Moschee Sultan Mohammed's II., im Jahre 1496 voll-
endet, hat ein Jahreseinkommen von 670,000 Piastern. Nachdem der
Eroberer Constantinopels die grössten und prächtigsten der Kirchen
der Stadt in Moscheen verwandelt, dachte er daran, selbst Moscheen
zu errichten, ein Vorrecht, welches nach dem Gesetz des Islam nur
solchen Fürsten zukam, welche der Religion des Propheten neue Län-
der oder Städte unterworfen hatten. Diese durften nicht nur zu diesem
Zweck das Geld ihrer Unterthanen verwenden, sondern auch das Löse-
geld von Gefangenen und die Tribute neu erworbener Länder. Auch
sollten nur in diesem Falle die neuen Moscheen den Namen ihrer
Erbauer führen. Die sieben Hauptmoscheen, welche vor Mohammed II.
Kirchen waren, sind: die grosse und die kleine Aja Sofia, die Setijeh,
die Kachrijeh, die Rosen-Moschee, die Kilissi Dschami und die Moschee
der sechs Marmorsäulen. Fünf andere wurden von ihm neu erbaut,
nämlich die sogleich »zu beschreibende, welche den Namen des Eroberers
trägt, die des Schech Abul Wefa, die des Schech Bochari, die der
Janitscharen und die schon geschilderte Ejubmoschee. Die nach seinem
Namen genannte steht auf der Stelle einer den zwölf Aposteln ge-
weihten Kirche und des Grabes der Kaiser. Der Erbauer war der grie-
chische Architekt Christodulos, den der Sultan dafür mit der ganzen
anstossenden Strasse beschenkte. Die Sage erzählt, dass der Sultan,
erzürnt darüber, dass Christodulos seine Moschee niedriger als die
Aja Sofia gebaut und zwei der grössten und schönsten Säulen absicht-
lich zerschnitten, den Befehl ertheilt habe, ihm beide Hände abzuhauen.
Am folgenden Tage sei der Architekt vor dem Richter erschienen und
hätte über die ihm widerfahrene grausame Behandlung Klage geführt,
worauf der Kadi dem Sultan den Befehl zugefertigt, sich zur Verant-
wortung zu stellen. Der Sultan gehorchte der Stimme des Gesetzes,
steckte aber, ehe er vor Gericht ging, seine Streitaxt unter sein Ober-
gewand. Vor dem Richter angelangt, wollte der Sultan sich setzen,
jener aber befahl ihm, stehen zu bleiben wie der Kläger. Der letztere
trug nun seine Klage vor, indem er sagte, er habe die Säulen und die
ganze Moschee der häufigen Erdbeben wegen niedriger und damit
dauerhafter machen müssen. Dafür habe ihm der Padischa die Hände
abgehauen und ihn so der Möglichkeit beraubt, sich seinen Unterhalt
ferner zu verdienen ; der Richter möge dem Gesetz seinen Lauf lassen.
Der Sultan gab das Abhauen der Hände zu, wollte es aber als gerechte
Constantinopel. 195
Strafe betrachtet wissen. Der Eichter erwiederte: „Padischa, Glanz
erzeugt oft Unglück. Die Niedrigkeit Deiner Moschee hindert Niemand,
darin andächtig zu sein. Selbst wenn alle Steine Deiner Moschee Ju-
welen wären, so würden sie doch in den Augen Gottes nicht mehr als
Koth gelten. Dadurch, dass Du diesem Mann die Hände abhiebst, hast
Du Dich einer gesetzwidrigen Handlung schuldig gemacht. Er kann
nichts mehr verdienen. Die Pflicht, für seine Familie zu sorgen, geht
auf Dich über. Was antwortest Du?" Der Sultan erwiederte: „Es ist,
wie es ist. Lasst das Gesetz entscheiden." Darauf der Richter: „Das
Gesetz bestimmt, dass, wenn der Mann bei seiner Klage beharrt, Deine
Hände ebenfalls abgehauen werden." Der Sultan entgegnete: „Ich
werde ihm ein Jahrgehalt aus dem öflFentlichen Schatz anweisen.* —
„Nein," sagte der Richter, „nicht aus dem Schatz. Die Schuld ist Dein,
Du musst aus Deiner Tasche bezahlen. Dies ist das Urtheil." Da sagte
der Eroberer: „Ich will ihm täglich zwanzig Goldstücke geben. Ist
das billig?" Der Architekt erklärte sich damit zufrieden, und damit
war die Sache beendigt. Jetzt bezeigte der Richter dem Padischa seine
Ehrfurcht. Dieser aber sagte: „0 Richter, Du hast wohl gethan. Denn
hättest Du das Urtheil aus Rücksicht auf mich zum Schaden des Bau-
meisters gefällt, so hätte ich Dich mit dieser Streitkeule erschlagen."
Mit diesen Worten entblösste er das Ende seiner furchtbaren Waflfe.
Der Richter aber erwiederte unerschrocken: „0 Padischa, hättest Du,
statt die Hoheit des Gesetzes anzuerkennen. Dich als halsstarrig erwiesen
— siehe, so hätte ich diesem Drachen befohlen, Dich zu zwingen."
Damit hob er den Zipfel seines Teppichs auf und zeigte einen grossen
Drachen, der sofort aufsprang und Feuer spie.
Diese Sage ist schön, aber die Nachricht, dass Christodulos die
Moschee ohne Unfall vollendet und mit einer ganzen Strasse dafür
belohnt worden, scheint mehr Recht auf Glaubwürdigkeit zu haben,
schon deshalb, weil Kantemir sich unter Achmed III. auf diese Schen-
kung bezog, um die in ihr wohnenden Christen gegen die Türken zu
beschützen, welche sie daraus vertreiben wollten.
Der kaiserliche Begräbnissplatz in der Apostelkirche hiess das
Heroon, und hier schliefen die Herrscher des byzantinischen Kaiserreichs
in Steinsarkophagen von Granit und Serpentin, grünem, weissem imd
rothem Marmor von Thessalien und Faros, bekleidet mit ihren Pracht-
gewändern. Jetzt ist von dieser Kaisergruft nichts mehr vorhanden.
Aber nicht die Türken waren es, welche die Ruhe der alten Kaiser
störten, sondern die Lateiner, als sie in der Zeit der Kreuzzüge Con-
stantinopel mit Sturm nahmen. Diese Barbaren, welche die heiligen
Gefässe der Kirchen als Pferdeeimer und Tröge benutzten, die Bischofs-
mützen in Helme, die Messgewänder in Reitdecken verwandelten, brachen
auch in die Kaisergruft, beraabten die Leichen, warfen sie aus ihren
Särgen und Hessen zugleich die Kirche der Apostel in Flammen auf-
gehen. Nach fünfjähriger Arbeit erhob sich nördlich von den Ruinen
derselben in dem genannten Jahre die Moschee Mohammed's, des „Va-
ters der Eroberung". Dieselbe steht auf dem vierten der sieben Hügel
196 Constantinopel.
Stambuls zwischen zwei Plätzen, welche der grosse und der kleine
Karaman heissen. Die ganze Moschee sammt dem Vorhof und dem
Begräbnissplatz hinter dem Mihrab steht auf einer 12 Fuss hohen
Terrasse, und hat vom Boden bis zum Dach eine Höhe von 87 Ellen.
Das Mihrab oder die Mekkanische steht hier in angenehmer Symme-
trie, nicht in schiefer Stellung zum Hauptportal, sondern in gerader
Eichtung diesem gegenüber.
Diese Nische, die Kanzel des Freitagspredigers, die Tribüne der
Sultane und der Platz der Gebetvorleser sind von weissem Marmor
in der alten einfachen Weise ausgeführt. Kechts von dem Hauptein-
gang liest man auf einer Marmorplatte in einem Felde von Lapis La-
zuli in erhabenen Goldbuchstaben die Weissagung des Propheten in
Betreff Constantinopels : „Sie werden Stambul einnehmen, und Heil
dem (Fürsten, Heil dem Heere, das dies ausrichtet!" Der Vorhof
(Haram) ist auf drei Seiten mit Säulenhallen umgeben, deren bleige-
deckte Kuppeln auf Pfeilern von Granit und Marmor ruhen. An den
Seiten der Colonnaden läuft eine glänzende Marmorbank hin, die nur
durch die Thüren unterbrochen wird. In der Mitte ist ein Brunnen,
der von bleigedeckten Kuppeln überspannt wird, und neben dem ringsum
Cypressen stehen. Hinter einem kunstreichen Metallgitter stürzt das
Wasser aus mehren Hähnen. Die Fenster des Vorhofes, mit starken
Gittern verwahrt, sind auf der Aussenseite mit vielfarbigen Marmor-
tafeln gesckmückt, über denen die erste Sure des Korans in schönge-
meisselten Schriftzügen hinläuft. Auf der Seite, wo sich in der Moschee
das Mihrab erhebt, und wo folglich kein Ausgang ist, schliesst sich
aussen der Hof mit den Begräbnissen des Eroberers und seiner Familie
an. Dieser Kirchhof heisst hier wie überall in den Moscheen Bostan
(Garten), was von der Moschee in Medina hergenommen ist, in welcher
der Prophet begraben liegt.
Die Umgebungen der Moschee auf beiden Seiten bestehen aus
acht Akademien (Medressen), die von Mohammed II. gegründet sind,
den Wohnungen der Studenten, einem Speisehause für Arme, einem
Hospital, einer Karawanserai und einem Bade, Gebäuden, die allesammt
bleigedeckte Kuppeln haben. Auf der, welche das Dach der einen
Schule bildet, befindet sich eine Sonnenuhr, errichtet von dem berühm-
ten Astrologen Ali Kuschdji, welche die Inschrift aus dem Koran
trägt: „Sähest Du nicht Deinen Herrn, wie er Deinen Schatten aus-
dehnte V
In Betreff der übrigen Moscheen müssen wir kurz sein. Die
Bajasids II. wurde im Jahre 1505, die Selims I. 1526 vollendet. Die
Schachsadeh wurde von Soliman dem Grossen 1549 errichtet und zwar
zu Ehren seines Lieblingssohnes Mohammed, der mit seinem jüngeren
Bruder Mustafa in dem anstossenden Mausoleum begraben liegt. Die
Yeni, zwischen dem Aegyptermarkt und dem Landungsplatz am Bagtschi
Kapussi gelegen, stammt aus dem Jahre 1665, und ihre. Erbauerin war
Terkan Suitana, die Mutter Mohammed'sIV. DieNuri Osmanjeh, eines
der anmuthigsten Bauwerke Stambuls, wurde von Osman III. im Jahre
Constantinopel. 197
1745 vollendet. Die Laleli, von Mustafa III. 1760 erbaut, hat ihren
Namen nicht, wie man oft hört, von der Tulpengestalt ihres Minarcta,
sondern von dem berühmten Schech Lala, der hier predigte, und dessen
Name mehr galt, als der des Erbauers. Die älteste Moschee in ganz
Constantinopel ist die Arabdschelar, die sich in Galata nicht weit von
der Brücke über das Goldene Hörn befindet und von Moslema, dem
Bruder des ommajadischen Chalifen Soliman I., als er 715 an der
Spitze einer arabischen Armee Constantinopel belagerte, errichtet
worden sein soll. Sie zeichnet sich durch die Form ilires Minarets aus,
das eher einem Glockenthurm, als der türkischen Nadelgestalt gleicht.
Einige Moschen haben sehr wunderliche Namen: so heisst eine
Tadki Dschedim, d. i. nimm an, ich hätte es gegessen; eine andere
Alti Bogadascha, d. h. sechs Kuchen, eine dritte Adsch Baschi, d. i.
drei Köpfe, wieder eine andere Sogan Merdschian Agas, Zwiebel- und
Korallenherren, u. s. w. Die Tadki Dschedim, nicht weit vom Psamatia
Kapussi, soll von einem Schlemmer erbaut worden sein, welcher, plötz-
lich in sich gehend, jeden Tag das Geld, welches er früher auf Tafel-
freuden verwendete, in einen Kasten warf und davon eine Moschee
errichtete. Seinem Haushofmeister, der ihn das erste Mal erstaunt dar-
über befragte, antwortete er: Nimm an, ich hätte es (das nämlich,
was auf der ihm von jenem überreichten Speisekarte stand) gegessen."
Die Sechs-Kuchen-Moschee hat zu ihrem Gründer einen Holbäcker,
der dem Sultan Mohammed II. täglich sechs warme Kuchen zu liefern
hatte, durch das ihm dafür verliehene Monopol des Mehlverkaufs aller
Pferdiemühlen der Stadt reich wurde, endlich aber Gewissensbisse empfand,
und, um diese zu beschwichtigen, die Moschee erbaute. Vor dem über
.seinen Wucher erbitterten Volke half ihm das nichts; denn bald nach
Vollendung des Baues brach es in seine Bäckerei und erstickte ihn in
einem seiner Teigtröge.
Die Turbas oder Mausoleen der Sultane und anderer reicher
und vornehmer Türken gehören zu dem Interessantesten, was Stambul
bietet. Man trifl't sie mitten in den belebtesten Strassen, und zwar
liegen sie fast immer auf der Mekka-Seite der Moscheen, eine Andeu-
tung der Pilgerreise zu Mohammed, welche die Todten angetreten
haben. Das imposanteste dieser Mausoleen ist das Soliman's des Grossen,
ein Muster sarazenischer Architektur, das prächtigste möchte das Mah-
mud's II. sein, welches sich nicht weit von der sogenannten „verbrannten
Säule" befindet und ein Gemisch griechischen und italienischen Styla
ist. Die meisten dieser Turbas sind hohe, von vielen Fenstern, die bis-
weilen bunte Scheiben haben, hell erleuchtete Gebäude. Ihre Wände
sind in der Kegel mit Arabesken, Koransprüchen und Stellen aus dem
Burda, d. h. dem Gedicht vom heiligen Rock (Mohammed's) in golde-
nen Buchstaben auf grünem oder blauem Grunde verziert. Kronleuch-
ter, Lampen und Strausseneier mit seidenen Quasten hängen von der
Decke herab, und der Marmorboden ist, wo ihn nicht die Bahre mit
dem Sarkophag einnimmt, mit Teppichen belegt. Sämmtliche Turbas
sind über dem Boden erhaben, einige mit einem kleinen, bedeckten
198 Constantinopel.
Säulengang umgeben. Viele haben vor dem Eingang einen Vorhof, auf
dessen Thüren Inschriften die Namen des Gründers und das Datum
der Vollendung angeben. Die Leichen werden in die Erde gesenkt und
über der Gruft liegt eine etwa '/^ Fuss hohe, in der Mitte mit einer
Oeffinung versehene Marmorplatte, auf welche dann der leere Sarkophag
(Sanduka) gestellt wird. Letzterer ist bei den kaiserlichen Grüften von
bedeutender Grösse und zuerst mit einem Streifen des gestickten Vor-
hanges der Kaabah in Mekka und mit sieben Shawls bedeckt. Sechs
dieser letzteren werden der Länge nach gefaltet und einzeln über den
eckigen Deckel gelegt, den siebenten windet man als Turban um das
Fess, welches sich am Kopfende des Sarkophags erhebt. Die oberen
Enden dieser Sarkophage sind in Constantinopel stets nach Südwest
gekehrt und gewöhnlich mit Inschriften in Goldstickerei auf rothem
Grunde geziert, welche Namen und Titel des Verstorbenen angeben. Oft
umgibt ein Parmaklik, d. h. eine Gallerie von Cedernholz, reich geschmückt
und mit Perlmutter belegt, den Sarg. Kolossale Leuchter mit Kerzen
stehen neben demselben, und auf Stühlen liegen verschiedene Exem-
plare des Koran umher. Die Särge der Sultane und Kronprinzen zeichnen
sich durch Aigretten an den Turbanen aus, die der Sultaninnen sind
kleiner, ohne Turbane und nur mit zwei Shawls bedeckt. Nur Sultane,
deren Mütter und deren Kinder werden in kaiserlichen Mausoleen bei-
gesetzt. Im Nachstehenden folgt ein Verzeichniss der kaiserlichen Tur-
bas mit den Namen der darin beigesetzten Sultane und dem Datum
des Todes oder der Gründung des Grabmals:
Mohammed IL (1481) bei seiner Moschee. Hier liegt der „Vater
der Eroberung- in einem Gebäude allein. Eine Strecke davon steht das
prächtige Grab seiner Mutter Ailima, der Gemahlin Murad's IL, die
eine Tochter König Karl's VII. von Frankreich gewesen sein soll (blosse
Sage) und sich durch Gelehrsamkeit auszeichnete. Auch befinden sich
hier noch viele Sarkophage seiner Kinder, von denen ihm achtzehn in
das Grab vorangingen.
Bajasid IL (1512) im Garten neben seiner Moschee. In dem-
selben Mausoleum liegt auch die Mutter des Sultans, Gül Bahar, d h.
Frühlingsrose.
Selim I. (1520) hart neben seiner Moschee, die sich auf dem
fünften Hügel von Stambul erhebt. Hier ruht er allein. Zwei benach-
barte Turbas enthalten die Ueberreste seiner Enkel Mahmud, Abdallah
und Murad, und die der Mutter Soliman's des Grossen, Hafisa.
Schaehsadeh (1544) im Garten der Moschee gleiches Namens.
Hier liegen die Prinzen Mohammed und Mustafa. Der erste war der
Lieblingssohn Soliman's des Grossen, der zweite ebenfalls ein Sohn
dieses Sultans; letzterer Prinz fiel sammt seiner Mutter Kasseki als
ein Opfer der Eifersucht einer andern Frau Soliman's, der berühmten
Charrem.
Soliman der Grosse (1566), bei seiner Moschee. Hier stehen auch
die Särge Soliman's LL. (1690) und Achmed's IL
Coustantinopel. 199
Selim IL (1575) im südlichen Hofe der Aja Sofia, wo er neben
Nur Banu (Lichtfrau), der Gemahlin seines Sohnes Murad, beerdigt ist-
Murad III. (1595) beim Vorigen. In dieser Turba liegen bei
einander die siebzehn gemordeten Brüder und der Sohn Mohammed's
III. sammt diesem Sultan, welcher im Jahre 1602 neben die Opfer
seiner Grausamkeit gebettet wurde
Achmed I. (1617) an der nordöstlichen Ecke seiner Moschee.
Diese Turba, weniger elegant als massiv, enthält eine ganze Anzahl
von Särgen, unter andern die der Sultane Osman IL, der 1622 von
den Janitscharen erdrosselt wurde, und Murad IV., der 1640 starb,
sowie die der Prinzen Mohammed und Bajasid, von welchen der eine
von seinem altern Bruder Osman II., der andere, der Held des Kaci-
ne'schen Trauerspiels, von seinem Jüngern Bruder Mustafa I. umge-
bracht wurde.
Mustafa I. (1623) im Hofe der Aja Sofia, doch so gebaut, dasa
es auf die Diwan Dscholli hinausgeht. Es enthält auch die Eeste des
Prinzen Ibrahim, der gleich dem Sultan, nach dem die Turba benannt
ist, den Tod der Erdrosselung starb.
Walide Terkan Suitana (1665), Gründerin der benachbarten
Moschee, bei Balik Basari. Hier findet man zugleich die Särge ihres
Sohnes iklohammed IV., der 1687, und ihres Enkels Mustafa U., der
1705 starb, sowie die der Sultane Achmed III., der 1730, Mahmud L,
der 1754, und Osman, der 1757 mit Tode abging.
Mustafa III. (1775), südöstlich von der Laleli-Moschee, Hier
ist auch Selim III. beerdigt, welcher im Jahre 1807 ermordet wurde.
Abdul Hamid (1789) in der Strasse Wessir Dscholli, die vom
Bagdschi Kapussi nach dem Serail führt. Dieses Gebäude, welches eine
der geräumigsten Turbas ist, birgt ausser dem Leichnam des Stifters
auch die des gemordeten Sultans Mustafa IV. und vieler Kinder und
Schwestern des Ersterwähnten.
Mahmud IL Das Grabmal dieses drittletzten Padischa (er ver-
schied bekanntlich 1839 am Delirium tremens, das er sich durch vieles
Trinken von Spirituosen zugezogen) übertrifft an Pracht alle übrigen.
Es besteht aus weissem Marmor, hat eine achteckige Form und wird
von sieben grossen Fenstern erleuchtet, welche durch sehr elegant ge-
arbeitete, reich vergoldete Eisengitter geschützt sind. Im Innern ist
es mit Sophas, Armsesseln , weiss-seidenen Behängen, Glascandelabern
und Uhren versehen. Die Balustraden, die Shawls, die Candelaber und
alles übrige Beiwerk, alles ist von gleicher Pracht. Der Sarg des Sul-
tans, auf welchem das mit einer Feder geschmückte Fess ruht, ist von
ungewöhnlicher Grösse. Die Plügelthüren schmücken goldene Gesimse.
Fünf Fenster gehen auf die Strasse Diwan Dscholli, die andern auf
einen Garten hinaus, der im Sommer von Blumen duftet. In der Nähe
befindet sich ein anmuthiges Brunnenhaus. Die Leichtigkeit und der
innere Möbelschmuck dieses Mausoleums thun der Würde desselben
Eintrag ; denn es gleicht mehr einem abendländischen Salon, als einem
Sultansgrabe. Es enthält übrigens ausser den irdischen Resten des
200 Constantinopel.
Eetormators der Türkei auch die seiner Schwester Habait üllah und
seiner Töchter Soliha und Kaiidscha;
Walide Grülnar Suitana (1804). Dieses hübsche Gebäude wurde
von Selim III. zu Ehren seiner verstorbenen Mutter errichtet. Es bildet
die Hauptzierde der Strasse, welche vom Landungsplatz bei Ejub zu
der grossen Moschee dieses Stadttheils führt. Obschon diese Turba an
Pracht von mancher andern übertroffen wird, so zeichnet sie sich doch
vor allen durch die Ausdehnung der damit verbundenen wohlthätigen
Anstalten aus, welche fast drei Viertheile der westlichen Seite dieser
Gräberstrasse einnehmen. Am südlichen Ende steht das Mausoleum mit
den Ueberresten der Walide und zweier ihrer Töchter. Gegen Norden
liegt ein anmuthiger Garten, welcher mit Grabstätten berühmter Per-
sonen angefüllt ist. Zu den merkwürdigsten gehört das von Kudschuk
Hossejn Pascha, Gemahl der Sultanin Esma und Kapudan Pascha
(Grossadmiral) , welcher mit dem englischen Seeofficier Smith Jean
d'Acre so tapfer vertheidigte und im Jahre 1804 starb. Diese Turba
sowie andere hier befindliche Gräber, die der Wessir-Turban auszeich-
net, sind mit grünen Drahtgittern eingeschlossen, die mit vergoldeten
Rosetten verziert und von Rosen- und Jasminbüschen beschattet sind.
Nur Singvögel fehlen, um ihnen das Aussehen von Volieren zu geben.
An diesen Begrab nissgarten stösst ein Gebäude, welches eine
Gelehrtenschule für vierzig Zöglinge, eine Elementarschule für ebenso
viele Kinder und eine Küche enthält, welche täglich an vierzig Arme
Speisen vertheilt. Die Front ist durch eine hohe Mauer geschützt, die
von vergitterten Fenstern durchbrochen ist und in welche Tafeln ein-
gelassen sind, auf deren grünem Grunde man goldene Inschriften er-
blickt. Links von dieser milden Stiftung steht ein sehr malerisches
Brunnenhaus (Sebil Khana) von buntem Marmor im schmuckreichen
orientalischen Style. Ueberall herrscht hier Ordnung und Reinlichkeit,
und das Ganze ist ein schönes Bild morgenländischer Frömmigkeit und
Wohlthätigkeit.
Ausser den hier aufgeführten Turbas gibt es hier noch mehre
hundert, doch bieten diese nichts, was sehenswerth wäre.
Die Bazars oder Märkte von Stambul zerfallen in bedeckte
(Besestans), die in der Nähe des Seriaskerthurms liegen, und unbe-
deckte (Tscharschis), welche man in verschiedenen Gegenden der Stadt
trifft. Die ersteren sind die interessanteren, der Fremde lenkt daher
seine Schritte zuerst nach diesen. Dieselben sind ein ungeheures La-
byrinth oben überwölbter Gassen, in deren Seitenwänden die Kaufleute
in einer Art Nischen Mann an Mann ihre Waaren auslegen. Jeder
Gewerbszweig hat in der Regel seine eigene Strasse in diesem riesigen
Bau. In der einen sieht man auf hundert Schritte weit rechts und links
nichts als gelbe Lederstrümpfe oder rothe Schnabelschuhe, in einer
andern entwickeln lediglich indische und persische Shawls ihr präch-
tiges Farbenspiel, in einer dritten schimmern die Verkaufsnischen von
Goldfäden und Silberstickereien, in einer vierten haben Pelzhändler die
Seitenwände mit kostbaren Pelzen drapirt, wieder in andern sieht man
Constantinopel. 201
alle Läden von Waffen starren. Aehnlich ist es mit den offenen Ba-
zars oder Tscharschis. So findet man in At Bazar neben Pferdehänd-
lern fast nur Lederarbeiter und zwar meist Sattler und Riemer, im
Misr Tscharschi nur iJroguisten, im Tamis Bazar Kaffeehändler und
Kaffeestampfer, im Tusuk Bazar Buchhändler, Bücherabschreiber und
Buchbinder.
Besestan heisst eigentlich Leinwandhalle, von Bes, Leinwand.
Die Besestan bestanden ursprünglich aus vereinzelten Gebäuden, jedes
mit vier Thoren, die man nach den Handwerken benannte, welche in
den Buden rings um die Bogengänge o^er unter denselben betrieben
Wurden. Allmälig häuften sich um diese Niederlagen neue Läden und
Verkaufsstrassen, bis das Ganze mit einer Mauer eingeschlossen, über-
wölbt und mit Thoren verwahrt wurde. Unter den letzteren sind zwölf
grosse und zwanzig kleine. Sie wurden darauf denselben Kegeln unter-
worfen, wie die alten Gebäude, nur mit dem Unterschiede, dass diese
letzteren am Freitag gänzlich und in der übrigen Zeit um die Mit-
tagsstunde geschlossen werden. Geöffnet wird der bedeckte Bazar schon
in der Frühe, während des Ramadan aber erst um Mittag, geschlossen
wird er, mit Ausnahme jener alten Besestans, gegen ' 5 Uhr Nachmit-
tags. Der Seiden-Besestan, ausschliesslich im Besitz der Armenier, wird
an Sonntagen und an allen andern religiösen Festtagen — zusammen
etwa an 80 Tagen dos Jahres — gänzlich geschlossen. Obgleich das
Religionsgesetz den Mohammedanern Handel und Gewerbe am Freitag
nicht verbietet, so erscheinen doch an diesen Tagen nur wenige tür-
kische Kaufleute nach 12 Uhr in ihren Läden. Der Dschwasir Bese-
stani oder Juwelen-Besestan wird immer um Mittag geschlossen Der
ganze von den Peroten mit dem Namen Bazar belegte F'latz nimmt ein
unregelmässiges Viereck von etwa siebentausend Quadratklaftern ein.
Begrenzt ist er im Norden durch die Mauern verschiedener Klians, die
zwischen den Strassen Mahmud Pascha und Merdschian DschoUi stehen,
im Süden durch die Moschee Sultan ßajasid's und ihre Nebengebäude,
im Osten durch die Moschee Nur Osmanja und einige Khans, im Westen
endlich durch verschiedene andere Magazine und Speicher, welche auf
die abschüssige Merdschian DschoUi (Korallenstrasse) hinausgehen, die
von dem grossen Walide Khan nach dem Seriaskeriat hinführt. Mit
Ausnahme von zwei Besestans haben die Bazars keine Kuppeln, mit
denen sonst alle älteren öffentlichen Gebäude geziert sind. Die Dächer,
welche die gewölbten Gänge schützen, bestehen aus Sparrwerk, das
mit Ziegeln überdeckt ist, so dass die ganze Oberfläche vom Thurm
des Seriasker gesehen , ein ungeheures Ziegelfeld ohne die mindeste
architektonische Abwechslung darbietet. Das Licht fällt oben durch
Glasfenster herein.
.Wer Erinnerungen an Constantinopel mitbringen Avill, kauft sie
natürlich im Bazar. Die Auswahl an schönen und werthvollen Gegen-
ständen ist enorm, die Preise sind billig. Nur muss man nicht bei den
Griechen und Armeniern, sondern bei den Türken kaufen. Die grösse-
ren Kaufleute unter den Letzteren sprechen meist französisch oder ita-
202 Constantinopel.
lienisch, so dass sich der Fremde wohl mit ihnen verständigen kann.
Sie schlagen stark vor und man darf ihnen dreist dreissig, auch vier-
zig Procent weniger bieten. Jeder Handel dauert lange, aber der tür-
kische Kaufmann, der an Höflichkeit und Zuvorkommenheit nicht seines
Gleichen hat, weiss dem Käufer die Zeit zu verkürzen. Er bietet zuerst
einen Platz, dann eine Cigarette, wohl auch eine Tasse KaflFee, ein Glas
Limonade oder eine andere Erfrischung an. Betrug hat man bei den
Türken nicht zu fürchten. Jede Waare ist das wirklich, wofür sie aus-
gegeben wird. Wer reich ist, dem brauchen wir nicht zu sagen, was
er sich kauten soll; er wird des Schönen genug nach seinem Belieben
wählen. Wer aber nicht reich ist und für eine geringe Summe hübsche
Sachen nach Hause bringen will, dem empfehlen wir folgende Ein-
käufe. Ist er Raucher, so versteht es sich von selbst, dass er einige
Tschibucks mitnimmt. Man kauft diese billiger als im Bazar selbst in
der Strasse, die zum Misr Tscharschi führt. Weichsel- und Jasminrohre
um 20 — 50 Piaster das Stück sind schon sehr schön. Bei sehr langen
Exemplaren achte man darauf, ob sie nicht zusammengesetzt sind, denn
in diesem Falle sind sie nur halb so viel werth. Die Mundstücke (Dutten)
lasse man zu Hause machen. Gelber Bernstein ist in der Türkei schlecht,
der schwarze ungemein theuer. Die Pfeifenköpfe kosten 1 '4 bis 3
Piaster das Stück, die einfachsten, ohne alle Goldverzierung, sind die
besten und theuersten. Tabak kaufe man nicht zu viel, er leidet durch
die Reise, ausser wenn er in Blättern transportirt wird. Um 100 Piaster
pr. Oka (2 '/^ Pfd.) bekömmt man sehr guten, auch halb so theure Sorten
sind nicht zu verachten. Als Andenken, im Bazar zu kaufen, schlagen
wir vor: Taschentücher aus Brussa, mit weisser oder gelber Seide
gestickt, 5—6 Franken das Stück, goldgestickte Pantoffel (diese sind
übrigens nicht türkisches, sondern Wiener Fabricat) um 30 — 60 Piaster
das Paar, Tischdecken, mit Koransprüchen in färbiger Seide ausgen'iht,
zu 20 — 40 Franken, den originellen türkischen Silbergeldschmuck, aus
doppelten, einfachen und halben Piastern bestehend, auch vergoldet
zu haben, die Garnitur aus Ohrgehängen, Collier und Bracelet im Durch-
schnitt 20 Franken, die sehr billigen, wohlriechenden Schmucksachen
aus Rosenholz und Gewürzmassa, schliesslich einige Fläschchen Ro-
senöl. Wer einen echt algerischen Burnus mitnehmen mag und kann,
wird grosse Ehre mit diesem Geschenke einlegen; ein solcher Burnus
ist der schönste Theatermantel für eine Dame, kostet indess 100— 120
Pranken, auch mehr.
Ausser dem grossen Centralbazar ist der ägyptische (Misr
Tscharschi), der bei der schönen Yeni- oder Walide-Moschee liegt und
ebenfalls überdacht ist, von besonderem Interesse. Hier sieht man nur
Specereien, und die Verkäufer sind mit wenigen Ausnahmen Türken
oder Araber. Hier stört keinerlei Erzeugniss englischer oder franzö-
sischer Manufacturen, die im grossen Hauptbazar sehr stark vertreten
i sind, das Auge. Man ist unter diesen Verkaufsnischen, die mit Maschal-
I lahs und anderen frommen Sprüchen, Abbildungen von Schiffen, Straus-
seneiern und seltsamen Vogelkäfigen geschmückt sind, vollkommen im
Constantinopel. 203
Orient. Die hier feilgebotenen Waaren begreifen Alles in sich, was von
Apothekern, Färbern und Parfumeurs gebraucht wird, und namentlich
der Technolog findet Mancherlei darunter, was ihn interessirt. Hier
kauft man Sandel- und Aloeholz, Tamarinden, Henna zum Färben der
Fingernägel, Ambra, Borax, das beste Eosenöl, alle Gewürze und Far-
behölzer, Wachs und die seltensten Erzeugnisse Fersiens und Indiens.
Die Kautieute sind meist Männer von einiger Bildung und stehen im
Kufe, nicht vorzuschlagen.
Bäder gibt es in Constantinopel, wie bemerkt, eine sehr grosse
Anzahl, sowohl in den Vorstädten als in Stambul, wo die besten sind.
Man erkennt sie an den grossen, bemalten oder mit Vorhängen ver-
sehenen Thüren und den mit rothen Ziegeln gedeckten Kuppeln, aus
denen dünne Köhren hervorstehen. Als besonders gut sind zu empfehlen :
das Tschukur, von Mohammed II. über den Ruinen der arkadischen
Cisterne erbaut, das Walide Hammam, bei der sogenannten verbrannten
Säule, das Yenni Hamman oder Dschigal Oglu, nicht weit nördlich von
der Aja Sophia, und das Dscherrah Pascha auf dem Awret Bazari. Die
grössten Bäder sind: das Tochtikahla am ägyptischen Bazar und das
Bad Mahmud Pascha's, nicht fern vom Centralbazar; doch werden
diese nur von Leuten der unteren Classen, Lastträgern, Bootsknechten
u. A. besucht. Ebenso wenig können die Bäder Kasseki, am Awret
Bazari, und Aja Sophia, am südlichen Hofe der gleichnamigen Moschee
empfohlen werden, da dieselben viel von Frauenspersonen einer ge-
wissen Classe frequentirt und deshalb von anständigen Leuten ge-
mieden sind.
Es ist hier vielleicht der Ort, den Reisenden, der so häufig mit
abenteuerlichen Gedanken in den Orient reist, vor den gefälligen
Schönen des Ostens zu warnen. Sie sind allerdings im Ueberflusse vor-
handen, aber man darf ihnen in keiner Hinsicht trauen. Von den Tür-
kinnen wollen wir gar nicht reden. Obwohl die beschäftigungslosen
Dragomans und andere Lungerer in der Peraer Hauptstrasse zu dem
Fremden, der an ihnen vorübergeht „des femmes turques" anbieten, so
sind dies doch meist nur verkleidete Türkinnen, oder, wenn wirklich
mohammedanische Weiber, ein wahrer Abschaum. Schon Mancher, der
einer solchen Einladung folgte, ist nicht nur beraubt, sondern ermordet
worden ; — er verschwand, ohne dass man jemals wieder von ihm hörte.
Wer die Prostitution in Constantinopel kennen lernen will, der gehe
gegen Abend im Hafenquartier von Galata umher, wo der Venus Vul-
givaga nicht einzelne Häuser, sondern ganze Gassen gewidmet sind.
Die Bewohnerinnen derselben stehen theils vor den Thüren und ver-
sinnlichen so den lateinischen Namen ihres Gewerbes, theils liegen und
sitzen sie in malerisch sein sollenden Stellungen im Innern. Es gibt
keine europäische Nationalität, die nicht unter ihnen vertreten wäre ;
der Fremde wird in allen Sprachen angerufen. Leider gibt es unter
diesen Mädchen viele Oesterreicherinneii, namentlich Ungarinnen, meist
blutjunge Geschöpfe, die nach Constantinopel gelockt und dort an die
Besitzer der verrufenen Häuser verkauft werden. Der Menschenhandel
204 Constantinopel.
steht, obwohl der öffentliche Weihermarkt in Stamhul abgeschafft ist,
in voller Blüte und aus Ungarn wird fortwährend frische Waare ein-
geführt. Die Neugier, das Innere eines solchen Etablissements in Galata
zu sehen, bezähme man unbedingt, wenn man nicht in grösserer Gesell-
schaft und bewaffnet ist. Denn diese Venusberge wimmeln Abends von
betrunkenen Matrosen, Abenteurern und Gaunern aller Art. Der ganze
Menschenkehricht der Levante findet sich hier zusammen, und man
weiss nicht recht, was gefährlicher und mehr zu scheuen ist"; die Zärt-
lichkeit der Schönen oder die Brutalität der männlichen Stammgäste.
Es nehme sich also Jeder wohl vor beiden in Acht, doppelt Derjenige,
welcher allein reist und in Constantinopel weder Freunde noch Be-
kannte hat.
Alle grossen Haramams, mögen sie einfach oder doppelt sein,
d. h. mögen sie nur eine Eeihe von Zimmern haben, welche abwech-
selnd zu verschiedenen Tagen oder Tagesstunden dem einen oder dem
andern Geschlecht zur Verfügung stehen, oder zwei Reihen, eine für
Frauen, andere für Männer, in die man durch verschiedene Thüren
tritt, enthalten drei Räume; ein grosses Vorgemach (Dschamakjan),
wo man sich aus- und ankleidet, ein erstes Dampfzimmer (Saukluk)
und ein zweites heisses (Sidschaklik). Der Dschamakjan ist ein läng-
liches Viereck mit hoher Kuppel, von oben und den Seiten her durch
Fenster erhellt und auf dem Boden mit Marmor gepflastert. In der
Mitte befindet sich ein Springbrunnen oder ein Bassin von Marmor.
An den Wänden laufen erhöhte Gallerien mit Sophas hin, über den-
selben wird eine ähnliche Gallerie von Stein- oder Holzsäulen getragen.
Die Thüre ist aussen durch einen Vorhang vor Zugluft geschützt.
Neben ihr hat der Hammandschi oder Badeinspector seinen Sitz, der
auf Ordnung sieht und den Badegästen ihre Uhren und ihr Geld auf-
bewahrt. Ihm zur Seite steht ein Oberbadewärter, welcher den Betrag
für die Bäder einnimmt. Ausserdem hat hier ein Kaffeewirth und ein
Scherbetverkäufer seinen Platz. Nachdem man eingetreten ist, wird man
auf eines der Sophas geführt, wo man sich entkleidet und die Stücke
Baurawollenzeug anlegt, mit denen die Badenden sich von den Hüften
an verhüllen. Dann erhält mau ein Paar Holzpantoffeln an die Püsse
und geht nun, von einem Badewärter geleitet, in das Saukluk, wo man
zehn Minuten bleibt und bald die Wirkung des heissen Dampfes, der
dieses halbdunkle Gemach erfüllt, zu spüren beginnt. Nachdem man
bemerkt, dass der Schweiss stärker ausbricht, begibt man sich in das
Sidschaklik, wo [die Hitze, 120 bis 130 Grad Fahrenheit, anfänglich
äusserst drückend ist. Dieses Gemach ist mit einem Gewölbe überdeckt,
das mit runden convexen Gläsern zum Einlassen des Lichts und mit
Löchern versehen ist, in welches dünne Röhren einen Theil des Dam-
pfes auslassen. Der Fussboden ist mit Marmor gepflastert und gegen
die Mitte hin leicht geneigt, damit das Wasser abfliessen kann. An
den Wänden stehen halbkreisförmige Brunnen, jeder mit zwei Hähnen
versehen, von denen der eine heisses, der andere kaltes Wasser liefert.
Die Mitte dieses dritten Zimmers nimmt eine breite Steinplatte ein,
Constantinopel; 205
die sich 2 Puss über den Boden erhebt. Auf diese legen sich die
Badenden, um sich entweder bloss abreiben oder durchkneten und die
Gelenke bis zum Knacken biegen zu lasser., was nicht eben angenehm
ist, aber gesund sein soll. Nach diesem Verfaliren steht der Badende
auf und nimmt Besitz von einem Bänkchen, das bei einem der Brunnen
an der Seitenwand steht. Hier findet er eine kleine Messingschale, die
er wiederholt an dem halbkreisförmigen Brunnenbeckeu neben sich
füllt, um sich Kopf und Schultern damit zu begiessen. Die Brunnen
an den Ecken gelten für die besten und zahlt man für deren Gebrauch
etwas mehr. In grossen Bädern findet man auch am obern Ende des
Sidschaklik ein grosses Marmorbecken, in dem man untertauchen kann.
Hat der Badende sich eine Zeitlang an diesem Brunnen begossen, so
kommt der Telak oder Badewärter und reibt ihn mit rauhen Hand-
schuhen so kräftig ab, dass die obere Haut sich ablöst. Dann bringt
er ein Becken mit wohlriechendem Seifenschaum, womit er den Körper
des Badegastes bedeckt. Nachdem dieser eine Zeitlang in diesem Schaum-
mantel dagesessen, wird ihm derselbe abgespült, und er kehrt in das
Saukluk zurück, wo er seines Baumwollenzeugs entkleidet und in lei-
nene Tücher gehüllt wird. Zwei derselben bedecken Kopf, Brust und
Schulter, ein drittes wird um die Hüften geschlungen und hängt bis
auf den Boden herab. Die Verschiedenheit der Temperatur mindert
den Schweiss. Nach einer Viertelstunde bedeutet der Telak dem Bade-
gast, er könne in das Dschamakjan zurückkehren. Hier nimmt man von
einem der Sophas in den Gallerien Besitz, hüllt sich in trockene Lein-
tücher und verbringt dann bei einem Tschibbuk oder Nargileh mit
Kaffee oder Scherbet eine Zeitlang in behaglicher, träumerischer Ruhe,
voll Wohlwollen gegen die ganze Welt.
Dann kleidet man sich an und entfernt sich. Dies kann selbst
bei rauhem Wetter ohne besondere Schutzmittel gegen die Kälte ge-
schehen. Selten erkältet man sich, es sei denn, dass man über den
Hafen fahren müsste, in welchem Falle die scharfen Winde und der
Mangel an Bewegung einen warmen Anzug erfordern. Sonst ist der
allmälige Uebergang aus dem heissen in das warme und das kühle
Gemach ein sicheres Mittel gegen Verkühlung durch die äussere At-
mosphäre.
Die ganze " Procedur dauert ungefähr zwei Stunden, und mit
Ausnahme der Erfrischungen betragen die Kosten etwa 6 Piaster.
Werden Kaffee, Scherbet und Pfeife gereicht, so sind 10 Piaster eine
reichliche Bezahlung. Grosse Bäder sind mit mehreren Reihen von Privatge-
mächern versehen, von denen jede aus drei Zimmerchen besteht. Man
zahlt für deren Gebrauch in der Regel die Hälfte mehr als in den
öffentlichen Badegemächern. Die Frauenbäder unterscheiden sich von
den geschilderten nur dadurch, dass in ihnen die Bedienung und üeber-
wachung weiblichen Geschlechts ist.
Khans hat Constantinopel gegen 180. Es sind grosse steinerne
Gebäude ohne irgend welche architektonische Schönheiten, bestimmt
zu Herbergen und Niederlagen reisender Kaufleute, gleichviel, welcher
206 Constantinopel.
Religion oder Nation. Diese Leute wohnen hier umsonst, das heisst,
sie zahlen nur dem Aufwärter beim Abschied ein kleines Trinkgeld.
Eines der besten dieser Gebäude ist der Walide Khan. Der Hof des-
selben ist mit einigen Bäumen und zwei hübschen Brunnen geschmückt,
und das Gebäude hat, abgesehen von den Ställen und Waarenmaga-
zinen im Erdgeschoss drei Gallerien übereinander, auf welche Reihen
kleiner Gemächer münden, die sehr sauber gehalten und mit den Tep-
pichen und sonstigen Geräthen des jedesmaligen Inhabers möblirt sind.
Niemand bekommt hier mehr als ein Gemach, das er sich selbst aus-
zumöbliren hat, und der Aermste wohnt genau so, wie der Reichste.
Man kann hier Kaufleute und Waaren von den fernsten Grenzländern
des türkischen Reiches sehen.
Von den kaiserlichen Palästen sind vorzüglich drei zu erwähnen :
der von Tschiragan, der von Dolmabagdsche, neben dem sich der Gar-
tenpalast von Beschiktasch befindet, endlich das alte Serail. Von diesen
ist der letztere gegen einen Ferman immer zu sehen ; der von Dolma-
bagdsche, die jetzige Residenz des Sultans, nur selten zugänglich.
Der Palast von Tschiragan ist am weitesten entfernt vom
Mittelpunct der Stadt, indem er ungefähr anderthalb Stunden von der
grossen Brücke liegt. Man begibt sich am besten mit einem Kaik dahin.
Dieses Schloss wurde von Sultan Mahmud II. im Jahre 1836 erbaut
und bildet eine der anmuthigsten Zierden der Ufer des Bosporus. Näher
kommend, findet man freilich, dass der Palast, mit Ausnahme der
Treppen, Säulen und Grundmauern, aus Holz besteht. Er ist sehr gross,
indem seine Front gegen das Meer hin über 1000 Fuss einnimmt. Das
Innere ist prächtig ausgestattet. Das Ganze besteht aus einem mit
dreissig Marmorsäulen verzierten Selamlik, einem glänzenden Diwan
Khan oder Audienzsaal, dessen Peristyl auf acht korinthischen Säulen
ruht und innen mit vierzig anderen verziert ist, endlich aus dem Harem,
dessen Front vierzig Marmorsäulen zieren und wo jedes Stockwerk
durch fünfundvierzig Fenster Licht empfängt. Hinter dem Selamlik
liegt ein schöner mit prächtigen Kiosks besetzter Garten. Einer von den
letzteren, im Süden gelegen, steht mit dem Harem in Verbindung und
enthält die Gemächer, welche der Sultan bewohnt, wenn er sich hier
aufhält. Ausserdem gehören zu dem Palaste noch eine gute Anzahl von
Gebäuden für den Hofstaat und das Hofgesinde. Tschiragan heisst
übrigens auf türkisch „der Beleuchtete".
Der Palast von Dolmabagdsche sammt dem von Beschik-
tasch steht ebenfalls hart am Ufer des Bosporus, aber näher an To-
phana. Er ist von Stein erbaut und noch ganz neu. Der Styl ist eine
Art Rokoko, in welchem korinthische und maurische Formen vorwiegen.
Das Ganze sieht von Weitem nicht übel aus, während bei näherer
Betrachtung Manches unsymmetrisch. Vieles überladen scheint. Die
Baukosten sollen 200 Millionen Piaster betragen haben. Durch mehre
mit allerlei Emblemen gezierte Thore gelangt man in einen mit eisernen,
vergoldeten Stäben abgeschlossenen Hofraum, dann eine Treppe empor-
steigend in eine auf Säulen ruhende hohe Halle, deren Kuppel mit
Constantinopel. 207
Rubiiiglas gedockt ist, welches auf den Stuck und Marmor der Wände
und des Fussbodens ein zauberhaftes Licht wirft. In der Mitte des
Palastes befindet sich der grosse Audienzsaal, ein längliches Viereck,
das von einer auf Säulen ruhenden Decke überwölbt ist. In der Mitte
hängt der grosse Glaskronleuchter, der mit seiner schönen Form und
seinen 10,000 Flammen auf der Pariser Industrie- Ausstellung Staunen
erregte. Der gewöhnliche Empfangssaal und das Arbeitszimmer des
Sultans haben Wände, die aus Marmor zu sein scheinen, aber blosser
Stuck sind. Der Boden ist mosaikartig getäfelt und mit kostbaren
Teppichen belegt. Neben hohen Spiegeln sind grosse Glaskandelaber
angebracht. Recht niedlich ist der Rauchkiosk, der einer Riesenlaterne
gleicht. In den Feldern der Friese sind Landschaften angebracht, der
Fussboden ist mit Porcellanplatten bekleidet, in deren Mitte sich ein
Springbrunnen aus Krystall in eine weite, glänzende Schale ergiesst.
Ebenfalls sehr hübsch ist das Bad des Sultans, in welchem Decke und
Wände mit ägyptischem Alabaster belegt sind, der wie leicht ange-
rauchter Meerschaum aussieht. Die aussen mit Gittern versehenen
Gemächer des Palastes enthalten das Harem. Hinter demselben ziehen
sich grosse und geschmackvoll geordnete Gärten hin, die ein Deutscher,
Namens Sester, angelegt hat. Hart neben dem Palast von Dolmabag-
dsche liegt der kleine Sommerpalast von Beschiktasch mit seinen Gärten,
der in den achtziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts erbaut
wurde. Hohe Mauern verbergen die Schönheit seiner Anlagen, die aus
anmuthigen Cypressenhainen, Bosquets und prächtigen Blumenbeeten
bestehen.
Das Serail (Serai Burnu) nimmt mit seinen zahlreichen Palä-
sten, Kiosks, Pavillons und Gärten die Spitze der Halbinsel zwischen
dem Marmorameer und dem Goldenen Hörn ein, auf welcher das alte
Byzanz lag. Von Mohammed II. angelegt, bildet es ein Dreieck von
fast % Meilen Umfang. Es ist allenthalben mit Mauern umgeben. Die
Gebäude liegen auf der Höhe des Vorgebirges, dem ersten, oder wenn
man will, dem letzten der sieben Hügel, welche Stambul tragen. Nach
der Stadt, wie nach der See hin ist das Serail von Gärten mit
hohen alten Bäumen umgeben. Der Sultan besucht den Palast jetzt
nur bei feierlichen Gelegenheiten, und derselbe ist nur noch von frü-
heren Sultaninnen und deren Hofhalt, sowie von einigen andern Beamten
und Würdenträgern bewohnt. Da das Serail das Werk vieler Jahrhun-
derte ist, so besteht es aus einer grossen Anzahl von Gebäuden ohne
durchgehenden Plan. Der Haupteingang ist ein grosser Pavillon mit
acht üeffnungen über dem Thor. Letzteres, die hohe Pforte, von welcher
die türkische Regierung benannt ist, hat in der That eine beträcht-
liche Höhe. Sie ist ein Rundbogen, an dem sich eine arabische Inschrift
und rechts und links Nischen befinden. Sonst ist sie ganz einfach und
sieht mehr wie ein Wachthaus, als wie das Portal zu einem Kaiser-
palast aus. An ihr halten fünfzig Kapidschis oder Thorwärter Wache.
Zuerst tritt man in einen langen Hof. Rechts sind Krankenstuben, links
wohnen die Asankoglans, welche für die Reinlichkeit des Serails zu
208 Constantinopel.
sorgen haben. Jedermann hat Zutritt in diesen ersten Hof, aber Alles
beobachtet die grösste Stille. Vom ersten Hof gelangt man durcli ein
Thor in den zweiten, der ebenfalls von Kapidschis bewacht ist. Der-
selbe ist ein Quadrat, dessen Seiten 300 Schritte messen. Die Fuss-
wege sind gepflastert, die Alleen gut gehalten, auf schönen, frischgrünen
Rasenplätzen plätschern Springbrunnen. Links befindet sich der Schatz
des Sultans und ein kleiner Stall. Hier zeigt man einen Brunnen, an
dem früher die zum Verlust ihres Kopfes verurtheilten Paschas ent-
hauptet wurden. Rechts ziehen sich Bureaux und Küchen hin, die mit
Kuppeln geschmückt, aber ohne Schornsteine sind. Von den Küchen
war früher eine für den Sultan, eine für seine Hauptgemahlinnen, eine
für die andern Frauen bestimmt ; in einer vierten wurde für den Kapu
Agassi (Überbefehlshaber der Thorhüter), in einer fünften für die Bei-
sitzer des Divans, in einer sechsten für die Pagen des Sultans ge-
kocht, die siebente gehörte den Beamten des Serails, die. achte den
Dieustleuten, die neunte endlich kochte für alle Die, welche an Ses-
sionstagen verpflichtet waren, zu Hofe zu kommen. Es sollen früher
hier alljährlich allein 40,000 Ochsen verspeisst worden sein, ungerechnet
die Hunderttausende von Schafen, Gänsen, Tauben und Hühnern, welche
gebraucht wurden.
Rings um den Hof läuft eine niedrige von Marmorsäulen getra-
gene und mit Blei gedeckte Gallerie. Niemand als der Sultan darf in
diesem Hofe zu Pferde erscheinen ; deshalb befindet sich hier der kleine
Stall, der aber nur Raum für dreissig Pferde hat Ueber demselben
verwahrt man eine Anzahl kaiserlicher Reitzeuge, die ausserordentlich
reich an Juwelen sind. Der grosse Stall für die Beamten des Sultans,
wo Raum für tausend Pferde ist, liegt weiter hinunter am Bosporus.
Die Halle, wo der Di van gehalten wurde, befindet sich links am äus-
sersten Ende dieses Hofes. Rechts ist ein Thor, welches in das Innere
des Serails führt. Die Thronhalle ist geräumig, aber niedrig, mit Blei
gedeckt, mit Getäfel bekleidet und in maurischer Weise vergoldet, im
Ganzen nicht besonders imposant. Hier pflegte früher der Grossvezier
als oberste Instanz alle Civil- und Crirainalsachen zu entscheiden, und
hier war es, wo die Gesandten fremder Mächte Audienz erhielten.
Interessant ist im Serail ferner eine Art Zeughaus oder Rüstkammer,
in welcher man alttürkische Waffen und die zum Theil malerischen,
zum Theil mehr seltsamen Anzüge findet, welche früher die Würden-
träger des kaiserlichen Hofes bei feierlichen Gelegenheiten anlegten.
Noch interessanter ist die Kammer, in welcher die Reliquien vom Pro-
pheten und den ersten Chalifen verwahrt werden. Diese Reliquien be-
laufen sich auf sieben, von denen fünf in einer Kapelle oder Kammer
des oberen Serails liegen. Diese letztere öffnet sich nach einer Gallerie
nordwestlich vom Thronsaal und liegt dem schönen, achteckigen Eri-
wan-Kiosk gegenüber. Sie heisst Hirkai Scherif Odassi, d. i. Kammer
des heiligen Mantels. Christen, gleichviel welchen Ranges sie sein
mögen, haben nur, durch ganz besondere Glücksfälle begünstigt, Zutritt
zu diesem überaus heilig gehaltenen Raum. Ja, ausser dem Sultan, dem
Constantinopel. 209
Palast-Iramaras und den Kapidschi Baschis, welche Tag nnd Nacht
hier Wache halten, werden nicht einmal Moslemin in das Innere
gelassen. Am 15. Ramadan aber begibt sich der Sultan in grosser Pro-
cession in die Capelle, um seine Huldigung darzubringen, und" dann
werden sämmtliche Eeliquien ausgestellt. Charles White hatte das
Glück einen Theil derselben zu sehen, und wir folgen im Nachstehen-
den seinem Bericht.
,Die in der heiligen Kammer aufbewahrten Reliquien bestehen :
1) in dem Sandschak Scherif. Diese Fahne diente nach den Versiche-
rungen einiger arabischer Schriftsteller ursprünglich als Vorhang vor
dem Eingang in das Zelt Ayeschas, der Lieblingsfrau des Propheten.
Nach Andern war sie zuerst das Turbangewinde eines von eifriger
Gegnerschaft zu ebenso eifrigem Glauben bekehrten Jüngers Moham-
meds. Dieser Mann, Namens Sehmi, statt den Propheten, wie ihm die
Schechs von Mekka befohlen, mit einer Reiterabtheilung anzugreifen,
warf sich auf die Knie, riss das Tuch vom Kopfe, heftete es an die
Spitze seiner Lanze und widmete es nebst seiner eigenen Person fortan
dem Dienst und Ruhm des Propheten. Nachdem das heilige Banner
durch die Hände der Ommajadcn und Abassiden gegangen und durch
die letztern nach Kairo gebracht worden, kam es bei der Eroberung
Aegyptens durch Selira L 1512 in die Gewalt der türkischen Sultane.
Dieselben verwahrten es anfänglich in der grossen Moschee von
Damaskus. Murad III. aber liess die heilige Fahne nach Stambul
bringen, von wo sie 1595 den Peldzug nach Ungarn mitmachte. Zu Ende
dieses Jahres kam sie nach Stambul zurück. Von dieser Zeit an wurde
sie nur dann wieder gezeigt, wenn der Sultan oder der Grossvezier
sich in Person zu der im Felde stehenden Armee begaben, wie dies
zwischen 1595 und 1829 wiederholt geschah, oder wenn der Staat in
Geftihr erklärt wurde, wie 1826 bei der Vernichtung der Janitscharen.
Gegenwärtig ist diese Reliquie von ihrer Stange abgenommen und in
einen mit Schildkrot, Perlmutter und Edelsteinen besetzten Kasten von
Rosenholz eingeschlossen. Sie ist in eine andere Fahne gewickelt, die
dem Chalifen Omar gehört haben soll, und diese ist wieder in vierzig
verschiedene Hüllen aus kostbaren Stoffen gesteckt, deren innerste aus
grüner Seide gefertigt und mit goldenen Inschriften bestickt ist, z. B.
Maschallah! (Wie Gott will!) Bismillah! (Im Namen Gottes!) JaHifis!
(0 Erhalter !) u. a. m. Die Schlüssel zn diesem wie zu dem andern
Reliquienkasten hat der Kislar Agassi als Aufseher und Verwalter der
heiligen Stätten in Verwahrung. Die Fahnenstange ist an der Spitze
mit einer hohlen, vergoldeten Silberkugel versehen, in welcher ein der
Sage nach vom Chalifen Omar geschriebenes Exemplar des Koran ein-
geschlossen ist. Eine andere Abschrift des , Buches", die vom Chalifen
Osman herrühren soll, ist im Knopf der erwähnten zweiten Fahne
verborgen.
Die zweite Reliquie, ein Gegenstand höchster Verehrung, ist der
Mantel Mohammed's, den derselbe einem Araber, Namens Keab, als
Belohnung für ein Gedicht geschenkt haben soll, das derselbe auf die
14
210 Gonstantinopel.
Herrlichkeit deä Allmächtigen und die unsterblichen Verdienste seines
Gesandten gemacht Dieser gefeierte Dichter war einer der sechs heid-
nischen Gelehrten, welche Mohammed dadurch zu bekehren suchte, dass
er sie auftorderte ihm ein Buch vorzulegen, welches schöner sei als der
Koran. Fünf derselben bekannten ihre Unfähigkeit dazu und Hessen
sich bekehren. Keab dagegen wusste Mancherlei am Koran auszusetzen
und behielt seinen Glauben Er wurde verfolgt und floh in die Wüste,
wo er sich in eine Höhle verbarg. Dort scheint er Reue über seine
Hartnäckigkeit empfunden zu haben, und um dies zu beweisen, machte
er das erwähnte Gedicht, in welchem er um Verzeihung bat. Dasselbe
gilt den türkischen Gelehrten als Meisterwerk und soll an Schönheit
und Vollendung des Styls nur dem Koran nachstehen Es führt den
Titel „Burdai Scherifl". Stellen aus demselben sind in Jedermanns
Mund, auch liest man deren häufig auf Brunnen, Gebäuden und Grab-
mälern.
Die dritte der Reliquien ist der Bart des Propheten, der nach
dessen Tode' von seinem Günstling, dem Barbier Selman, am Kinn
abgenommen wurde, in Gegenwart Abu Kekrs, der als Ober-Imam fun-
girte, sowie Alis und anderer hervorragender Jünger. Derselbe ist etwa
3 Zoll lang, lichtbraun von Farbe und ohne graue Haare. Er wird in
einem hermetisch verschlossenen, reichverzierten Glasschrank auf-
bewahrt.
Nummer Vier ist einer der vier Zähne, Welche dem Propheten
in der furchtbaren Schlacht bei Bedr, wo der Erzengel Gabriel an der
Spitze von dreitausend andern Himmelskriegern (unsichtbar) an seiner
Seite kämpfte, mit einer Streitaxt ausgeschlagen wurden.
Die fünfte Reliquie besteht in einer Fusstapfe auf einem vier-
eckigen Stück Kalkstein. Man hält sie für eine Fussspur Mohammed's,
und zwar soll dieselbe von ihm zurückgelassen worden sein, als er beim
Bau der Kaaba den Maurern einen schweren Stein aufheben half. Nach
Andern entstand sie, als der Prophet den linken Fuss in den Steig-
bügel des Himmelrosses Borak setzte, mit dem er bekanntlich alle
Himmel durchflog. Abbildungen von diesem Stein sammt dem Fuss-
tritt, vergoldet unter Glas und Rahmen und mit frommen Inschriften
versehen, werden in den Buchläden zum Verkauf ausgestellt, namentlich
während des Ramadan, und oft sehr theuer — bis zu 2000 Piastern
— bezahlt. Diese, sowie die vorhergehend beschriebene Reliquie wird
in einem mit durchbrochener Silberarbeit und Edelsteinen geschmückten
Kasten aufbewahrt. Sie stehen ungefähr in der Mitte der Capelle, auf
einer Art Altar, dessen Seiten mit reichgesticktem Behänge bedeckt
sind. An der Südwand des Raumes trifft man verschiedene Glasschränke
mit Waffen und andere Merkwürdigkeiten, die ebenfalls mit Stoffen
verhangen sind. Ueber den Reliquienschreinen hängen silberne Lampen
und Strausseneier. Die Lampen werden jeden Abend mit Sonnenunter-
gang angezündet. An den Enden stehen zwei ungeheure, massiv gol-
dene Leuchter mit mächtigen Wachskerzen. Die Capelle hat ungefähr
50 Fuss im Quadrat. Der Boden ist mit Matten und kostbaren Tep-
Constantinopel. 211
pichen belegt. Das Licht fällt durch ein zum Theil mit Fenstern
versehenes Gewölbe. In einer Nische auf der andern Seite stehen ein
Divan, ein Sopha und Stühle für den Sultan, der bisweilen hier sein
Gebet verrichtet. Zu beiden Seiten der Thüre, die der gewöhnliche
rothe, mit silbernen Inschriften bestickte Vorhang verhüllt, befinden
sich zwei grosse Uhren.
Thore hat Stambul 28, von denen mehre in der Geschichte der
Stadt eine Eolle gespielt haben. Wir betrachten sie im Folgenden ein-
zeln, indem wir am Serail beginnen und der Mauer längs dem Goldneu
Hörn folgen, um dann die Thore auf der Landseite und zuletzt die
am Marmorameer aufzuzählen. Das erste Thor, welches sich am Serail
auf das Goldne Hörn öffnet, ist das Talli Köschk Kapussi, so genannt
nach dem benachbarten Pavillon. Dann folgt das Bagdschi Rapussi,
d. h das Gai-tentlior, wo gewöhnlich Diejenigen landen, welche mit
dem Kaik von Tophana kommen. In der Nähe dieses Thores befindet
sich ein Pavillon, welcher der Kiosk des Tschauschbaschi heisst, da
hier dieser Beamte, eine Art Hofceremonienmeister, bei Audienztagen
die fremden Gesandten zu empfangen pflegte, um sie durch die Divan-
strasse nach der hohen Pforte zu geleiten. Weiter hinauf am Hafen
folgt Tschufut Kapu, das Judenthor, in dessen Nähe viele Juden
wohnen, und welches von einer benachbarten Moschee auch Walide
Kapu, das Thor der Sultanin Mutter, heisst. Dann kommt das Baluk-
bazar Kapussi, oder Fischmarkt-Thor, an der Stelle, wo das Goldne
Hörn am schmälsten ist ; dann folgen das Sindan Kapussi, Gefangniss-
thor, bei dem früher ein Gefangenhaus stand, das Odun Kapussi,
in dessen Nähe sich Bauholzniagazine befinden, das Dschub Ali Ka-
pussi, das von einem reichen Glaser, Namens Ali, erbaut sein soll, das
Ajasma Kapussi, so genannt nach dem anstossenden Brunnen, der von
den Byzantinern vor der Eroberung als ein Heiliger verehrt wurde und
noch jetzt im Geruch der Heiligkeit steht ; das Yeni Kapussi oder
Neuthor, das Petri Kapussi oder Petersthor, das Fener Kapussi, so
getauft nach dem einst hier stehenden Leuchtthurm — Fanar — nach
welchem das Griechenviertel benannt wurde. Dann das Balat Kapussi,
d. h. Palastthor, früher Basilica genannt, nach dem benachbarten Pa-
last der Blacherner. Endlich das Haiwan Serai Kapussi, das Thor der
wilden Thiere oder Meuageriethor. Es soll nach dem Amphitheater so
heissen, welches einst hier sich befunden habe. Bei der letzten Bela-
gerung von Constantinopel standen die Venetianer und Griechen, welche
die Stadt gegen die verbündeten Türken und Genueser vertheidigten,
zwischen diesem und dem zuletzt erwähnten Thore. Hier commandirte
Davala, am Fanarthore aber der verrätherische Grossfürst Lucas
Notaras.
Auf der Landseite gab es früher nicht weniger als sieben Thore,
von denen aber jetzt nur einige noch existiren, obwohl man zwei der
alten noch von aussen sehen kann. In dieser Ecke der Stadt befanden
sich die beiden Paläste der Blacherner und Hebdomon, wo die byzan-
tinischen Kaiser in den letzten Jahren ihrer Herrschaft residirten. Das
212 Constantinopel.
erste der Thore, welche sich jetzt auf der Landseite öftnen, ist das
Egri Kapu oder das schiefe Thor, so genannt, weil es in einem Winkel
der Mauer errichtet ist. Früher hiess es Charsisch, was von Charsias,
einem Aufseher der Mauerer, abgeleitet wird, die hier arbeiteten. Man
nennt es auch das bulgarische Thor. In byzantinischer Zeit wurde es
eine Zeitlang von deutschen Söldnern bewacht, und Arno Gilpracht
liess hier den Alexius Komnenus ein, der sich sofort des Thrones be-
mächtigte. Ferner zog durch dieses Thor Justinian als Triumphator
ein, wobei ihn hier der Präfect der Stadt und der Senat erwartete, um
ihn nach der Apostelkirche zu geleiten, auf deren Stätte jetzt die Mo-
schee Mohammed's II. steht Das Edreneh Kapussi oder Adrianopel-
Thor wird in der alten Geschichte unter dem Namen Polyandrii erwähnt.
Im fünften Jahre der Eegierung des Kaisers Heraklius, 625 n. Chr.,
als Constantinopel von den Avaren belagert wurde, wurde vor diesem
Thore am härtesten gestritten. Bei Gelegenheit dieser Belagerung ge-
schah es, dass die Kirche des heiligen Schreins, in welcher ein Gewand
der Mutter Christi verwahrt wird, in die Mauer eingeschlossen wurde.
Zwischen diesem Thor und dem nächsten, Top Kapussi, fiiesst der Bach
Lycus. Das Top Kapussi hiess früher das Thor des heiligen Eomanus.
Seinen jetzigen Namen: Kanonenthor, hat es von einer früher hier
befindlichen Batterie. Hier war es, wo am 29. Mai 1453 der letzte der
Paläologen in tapferer Vertheidigung seiner Hauptstadt gegen die
Türken den Heldentod starb. Sieben Wochen lang hatten die Schaaren
Mohammed's II. die Stadt vergeblich belagert, obwohl die Griechen
von Parteiungen zerrissen waren, nur 6000 von ihnen auf den Mauern
kämpften und sich unter den Fremden, welche für sie stritten, ja unter
ihnen selbst Verräther befanden. Endlich, nachdem Mohammed den
Kaiser noch einmal umsonst zur Ergebung aufgefordert, begann am
29. Mai in der Frühe der letzte grosse Sturm. Der Kampf war furcht-
bar. Am Thor des heiligen Eomanus stand der edle Kaiser selbst, und
neben ihm Giustiniani mit 300 auserlesenen Genuesern, sowie Don
Francesco von Toledo. Am Adrianopelthor befehligte Theodorus aus
Karystos eine Compagnie Armbrustschützen und ein deutscher Feld-
zeugmeister die Artillerie. An diesen Posten bis zum Egri Kapu und
weiter am Hafen hin reihten sich Slaven und Bulgaren, an deren Spitze
der römische Cardinal Isidorus, Erzbischof von Kiew, kämpfte. Wei-
terhin stritt eine auserwählte Schaar Italiener, geführt von demvene-
tianischen Bailo Hieronymus Mainotte und Leonardo de Langosco. Den
grössten Theil der Hafenseite vertheidigte, wie bereits erwähnt, der
Grossfürst Notaras. Der Venetianer Gabriel Trevisano mit 400 seiner
Landsleute stand bei der Akropolis, Contarino, ein anderer Venetianer,
am Goldenen Thor, der Genuese Maurizio Cataneo am Thor von Se-
lymbria und der spanische Consul Pedro Giuliani kämpfte an der Spitze
wackerer Katalonier auf derselben Seite der Stadt. Der Sturm hatte
zwei Stunden gewährt, als Giustiniani verwundet wurde. Er liess sich
trotz aller Bitten des Kaisers nach Galata schaffen , und mit ihm zog
ein grosser Theil seiner Leute dahin ab. Darauf drangen die Türken
Constantinopel. 213
durch die entstandene Lücke ein, im Getümmel wurde der Kaiser
erschlagen, und" wenige Stunden später befand sich die ganze Stadt
in der Gewalt Mohammed's. Notaras wurde hingerichtet, Giustiniani
erlag in Galata seinen Wunden, der Cardinal gerieth in die Sclaverei,
wusste sich jedoch loszukaufen und gelangte glücklich nach Rom zurück.
Auf das Kanonenthor, vor dem sich ein grosser Friedhof und
mehre elegante Kaffeehäuser befinden, folgt das Mewlaneh Kapussi, so
genannt von einem benachbarten Derwischkloster. Es heisst auch das
neue (Yeni), weil es von Sultan Achmed aus den Resten des hier be-
findlichen alten Thores aufgerichtet wurde, auf dieses zunächst das
Silivri oder Selyrabriathor, dann neben dem Schloss der sieben Thürme
das Jedi Kuli Kapussi. Hier in der Nähe war früher das Goldene
Thor, durch welches die Kaiser in der Regel ihre Triumphzüge hielten.
Auf der Seite des Marmorameeres befindet sich zunächst das
Narli Kapu oder Granatapfelthor. Auf dieses folgt das Psammatia Ka-
pussi oder Sandthor. Es hat seine griechische Benennung behalten, da
sich hier viele Griechen angesiedelt haben. In der Nähe desselben muss
sich das alte Thor des heiligen Aemilian befunden haben. Das nächste
Thor ist das Daud Pascha Kapussi, das seinen Namen von einem
Pascha hat, welcher seinen Namen der benachbarten schönen Moschee
und dem umliegenden Theil der Stadt gegeben hat. Es heisst auch
Planga Kapussi und ist die Stelle, wo die grosse Feuersbrunst von 1755,
welche vom Dschub Ali Thor sich quer durch die ganze Stadt hin-
durch frass, zum Stillstand kam. Das Yeni Kapu, Neuthor, nahe bei
dem ebengenannten, führt in ein vorzüglich von Armeniern bewohntes
Quartier. Das Kum Kapu hiess früher das eiserne Thor. In der unmit-
telbaren Nähe des Tschatladdi Kapu, wo sich ein grosses Schlachthaus
befindet, sieht man ein paar Löwen und die Thorsäulen eines Palastes
in die Mauer liineingesetzt. Sie gehörten entweder zu dem Bukoleon,
welches von Theodosius, oder zu einem andern Palast, der von Leo
Marcellus erbaut wurde. Das letzte Thor auf dieser Seite ist das Achar
Kapussi oder Stall thor, so benannt von den in der Nachbarschaft befind-
lichen kaiserlichen Marställen. Hier stösst die Stadtmauer mit der des
Serails zusammen, welche letztere drei grosse Thore und einige Pfört-
chen hat.
Die grosse Brücke über das Goldne Hörn wurde im Jahre 1838
nach dem Plane des Griechen Giorgi erbaut. Sie besteht aus verschie-
denen Abtheilungen starker Holzflösse, die an den Enden zusammen-
gefügt sind. Jede Abtheilung zählt vier Lagen von Balken, deren
oberste die Pahrstrasse bildet. Die unterste Lage besteht aus starken
Stämmen, welche gegen die Strömung einen scharfen Winkel und so
einen festen Grund bilden. Auf diesen sind viereckige Balken in die
Quere befestigt, in regelmässigen Zwischenräumen von 40 Zoll, welche
die Grundlage für hölzerne Bogen bilden, die eine Höhe von 3 Fuss
haben, und auf denen wieder die Querbalken ruhen, welche die Platt-
form der Brücke mit der Fahrstrasse tragen Jede Abtheilung ist auf
jeder ihrer Seiten durch zwei Anker befestigt. An den Seiten der
214 Constantinopel.
obersten Schicht läuft ein starkes Geländer hin. Da weder Fluth noch
Ebbe stattfindet, und die Geschwindigkeit der Strömung im Goldnen
Hörn nicht gross ist, so ist die Reibung unbedeutend. Da die Enden
der Brücke sich in gleicher Höhe mit den Ufern befinden und an den-
selben befestigt sind, so kann das grosse Floss sich weder in gefahr-
drohender Weise heben noch fallen, und gegen plötzlichen durch Eegen-
güsse oder anhaltende Südwinde herbeigeführten Wasserandrang ist die
Brücke durch die Bogen geschützt, durchweiche das Wasser ungehin-
dert fliessen kann. Um den freien Verkehr kleiner Fahrzeuge zu
erleichtern, hat man zwei Durchfahrten offen gelassen, von denen jeder
300 Fuss vom Ufer entfernt und 80 Fuss weit ist. Der auf der Gala-
taseite ist zur Einfahrt in den Hafen, der auf der Stambul-Seite für
die hinausfahrenden Boote bestimmt. Diese Durchgänge sind mit halb-
kreisförmigen Bogen überbaut, die mit Räderfuhrwerken etwas be-
schwerlich zu passiren sind, aber dem Ganzen ein leichtes Ansehen
geben und die lange horizontale Linie angenehm unterbrechen. Damit
grosse Schiffe hin- und hergehen können, ist die mittlere südliche
Abtheilung so gebaut, dass sie eine Zugbrücke bildet, die mittelst
schwerer eiserner Angeln aufgezogen werden kann. Die Tiefe des Was-
sers beträgt an dieser Stelle 12, sonst durchschnittlich 8 Faden. Die
ganze Länge des Bretterweges belauft sich auf 1500, die Breite des
Fahrweges auf 30 Fuss. An den Enden der Brücke befinden sich kleine
Moscheen, von denen die auf dem Galata-Ufer Asab (von den leichten
Truppen, deren Caserne hier lag), die auf der Stambul-Seite die Mehl-
magazin-Moschee heisst. Für den Uebergang zahlt man an die Ein-
nehmer, welche an beiden I^ndpuncten stehen, beim Betreten der Brücke
jedesmal 5 Para. Ein Stück weiter hinauf führt eine andere Brücke
über das Goldne Hörn, die aber weniger benützt wird.
Wasser ist den Morgenländern das Symbol des Lebens, und der
Koranspruch: „Durch Wasser lebt alles Ding", bildet die Inschrift fast
aller der zahlreichen öffentlichen Brunnen Stambuls. Die interessan-
testen der letzteren sind folgende :
Der Brunnen vor der Hauptpforte des Serails, erbaut von Ach-
med HL Er ist ein grosses, viereckiges Gebäude, dessen Dach sich
wie das einer Pagode ausbiegt, und dessen Ecken abgestumpft sind.
Sowohl auf den Seitenwänden, wie auf den Flächen der abgestumpften
Ecken liest man auf blauem Grund goldne Inschriften, welche den
Wasserschatz im Innern preisen, dessen „Fluthen bei Weitem den
Semsem von Mekka und den Selsebil oder Paradiesesbrunnen über-
treffen". Suk Tschesme, eine kalte Quelle gleich neben dem Serailthor,
welches nach ihr benannt istj, zwischen dem Alai Köschki und der
grossen Hauptpforte. Trotz des Lobes, welches jene Inschriften der
erstgenannten Quelle ertheilen, gilt sie doch noch nicht für die beste.
Als solche sieht man den Simeonsbrunnen an, der sich vor dem Serail-
thor befindet, welches sich nach Osten öffnet. Mohammed IL, der nach
der Eroberung alle Quellen der Stadt untersuchen Hess, fand, dass
diese das leichteste Wasser gab, und befahl, dass jeden Tag drei
C onstantin opel . 215
Pferdelasteii davon, jede von 20 Oka, in Öilbertlaächen nach dem Se-
rail gebracht würden. Endlich mögen noch die Brunnen Sultan Ach-
med's in der Pfortenstrasse, nahe bei dem eisernen Thor des Seraila,
und der Suitana Sejnab, der Aja Sofia gegenüber, sowie der in Tophana
als besonders schöne Gebäude erwähnt werden.
Von den Alterthümern Constantinopels muss zunächst des
Atmeidan gedacht werden, der einen Theil des einstigen Hippodroms
oder Rennplatzes einnimmt. Er ist der grösste freie Platz in Stambul,
indem er 250 Schritt lang und etwa 150 breit ist. Man findet ihn süd-
östlich von der Aja Sofia. Vor Errichtung der Achmed-Moache«.', deren
Hof ihn begrenzt, war er noch einmal so breit. Der Hippodrom wurde
vom Kaiser Severus angelegt, der ihn jedoch unvollendet lassen rausste,
da das Reich damals durch Barbaren schwer bedrängt wurde. Derselbe
war in der Zeit seiner Vollendung mit schönen Gallerien, Statuen,
Säulen und Marmorstufen geschmückt. Auch standen hier bis 1204 die
ehernen Rosse, die jetzt das Portal der Markuskirche in Venedig zieren.
Die Marmorstufen wurden unter Soliman dem Grossen durch den
Grossvezier Ibrahim Pascha weggenommen, der seinen in der Nähe
gelegenen Palast damit schmückte, während die damals noch vorhan-
denen Säulen zum Bau der Soliraanijeh verwendet wurden. Der Hippo-
drom spielt eine grosse Rolle in den blutigen Empörungen, welche in
der byzantinischen Zeit so oft das Reich erschütterten, und obwohl
sie — z. B. durch Belisar — wiederholt hart gezüchtigt wurden, bis
in's siebente Jahi'hundert sich erhielten. Apollonius von Tyana, der
bekannte mystische Philosoph, errichtete hier wie auf andern Plätzen
der Stadt verschiedene Bildsäulen mit geheimnissvollen Inschriften,
aus denen man später Weissagungen auf die Schicksale der Stadt her-
auslas. Andere Statuen schaffte man von Athen, Kyzikus, Cäsarea,
Tralles, Sardes, Antiochia, Cypern, Kreta, Rhodus und Nicäa herbei.
Alle diese Kunstwerke wurden zerstört, als die barbarischen Pranken
unter Balduin und Dandolo die Stadt erstünnten. Nur drei von den
Zierden des Platzes sind erhalten, und auch diese nur theilweise: zwei
Obelisken und eine Bronzesäule. Der eine Obelisk, von ägyptischem
Granit, aus einem Stück gemeisselt, hat eine Höhe von 50 Fuss und
ist auf allen vier Seiten mit Hieroglyphen bedeckt. Griechische und
lateinische Inschriften an der Basis sagen, dass der Kaiser Theodosius
ihn wieder aufrichten liess, nachdem er eine Zeitlang am Boden gelegen.
Dabei sind die Maschinen, die man zu seiner Aufstellung verwendet,
in Reliefplatten abgebildet. Einst zierte die Spitze ein eherner Fich-
tenzapfen. Nicht weit davon steht ein anderer aus verschiedenen Stücken
zusammengesetzter Obelisk, der früher mit Erzplatten überzogen war.
Diese sind wahrscheinlich mit Darstellungen in getriebener Arbeit ver-
sehen und grosse Kunstwerke gewesen , da die Inschrift darunter von
dem Obelisken als von einem Wunderwerk spricht. Vielleicht trug er
die einige Schritte davon aus einer Vertiefung aufragende eherne
Sehlang ensäule. Diese ist etwa 16 Fuss hoch und wird von drei
Schlangen gebildet, welche sich spiralförmig, etwa wie eine Rolle Ta-
216 Constantinopel.
bak, emporwinden. Oben bildeten ihre hervorgestreckten Hälse eine Art
Dreifuss, der als Capital gelten konnte. Sultan Murad soll einen der
Köpfe abgeschlagen haben. Auch die andern kamen später abhanden
und die iSäule wurde umgeworfen. Jetzt hat man sie wieder aufge-
richtet. Sie ist jedenfalls ein Werk des höchsten Alterthums, wenn es
sich auch nicht beweisen lässt, dass sie, wie Manche vermuthen, aus
Delphi hierher geschafft worden, wo sie den Dreifuss der Pythia ge-
tragen habe.
Der Palast des Belisar liegt auf einer Anhöhe im Quartier
Chasköi. Es ist die Kuine eines weitläufigen Baues, der zum Theil aus
rothem Sandstein, zum Theil aus Ziegeln besteht. Hier und da ist
auch noch ein Marmorstück sichtbar. Im Innern der Stockwerke haben
arme Juden ihre Wohnung aufgeschlagen. Dass er der Eest des Pala-
stes des berühmten Feldherrn sei, ist blosse Sage.
Die Säule des Theodosius befindet sich im Garten des Se-
rails, gehört der korinthischen Ordnung an und hat eine Höhe von
50 Puss. Sie ist mit einem schönen Capital von Verde Antico gekrönt
und trägt die Inschrift: „Fortuna; reduci ob devictos Gothos".
Die Verbrauute Säul« steht in der Adrianopler Strasse und
verdient ihren Namen in gewissem Sinn, da sie von den Feuersbrünsteu,
welche diesen Theil der Stadt wiederholt in Asche legten, schwarz
angeräuchert worden ist. Bei näherer Betrachtung sieht man, dass sie
von PorphjT erbaut ist. Sie besteht aus mehren Stücken, die Zwischen-
räume zwischen denselben werden von Kupfer ringen verborgen. Es
heisst, sie habe eine Statue Constantins getragen. Aus der Inschrift
erfährt man, dass dieses „bewundernswerthe Bauwerk von dem frommen
Kaiser Manuel Komnenus wieder hergestellt wurde." Glycas meldet,
dass sie unter der Kegierung des Nicephorus Botoniates vom Blitz
getroffen Avurde, welcher die Statue des Constantin, die ursprünglich
den Apollo dargestellt hatte, zertrümmerte.
Die Marciaussäule liegt etwa dreissig Schritt südlich vom
östlichen Eir^ang des Schuhmacherbazars im Garten eines Türken, ist
aber so vov Häusern eingeschlossen, dass man leicht an ihr vorbeigeht.
Die Türken nennen sie Kis Taschi, d. i. Mädchenstein, eine Benennung,
welche ihren Ursprung einer Verwechslung dieser Granitsäule mit einer
Marmorsäule verdankt, die unweit des Fanars, im Mittelpunct eines
von liederlichen Frauenzimmern bewohnten Quartiers stand. Letztere
Säule nämlich trug eine Venusstatue, die nach der Versicherung alter
Geschichtsschreiber die seltsame Eigenschaft hatte, Frauen von zwei-
felhafter Tugend, die au ihr vorbeigingen, die Kleider emporfliegen
zu lassen. Als dies einst auch der Kaiserin Sophia, Gemahlin Justi-
nian's II. begegnete, wurde die boshafte Göttin herabgerissen und in's
Meer geworfen. Ihre Säule aber blieb stehen bis 1553, wo sie wegge-
nommen wurde, um das Innere der Solimanijeh zu verschönern. Die
Marcianssäule, im Jahre 455 errichtet, besteht aus einem einfachen
Schaft von röthlich-grauem ägyptischen Granit, welcher aus zwei Stücken
Coustantinopel. 217
besteht. Das Fussgestell wird durch fünf ungleich grosse Blöcke Mar-
mora-Marraors gebildet. Der mittlere Block, von etwa 7 Quadratfuss,
ist auf drei Seiten mit griechischen Kreuzen in kreisförmigen Medail-
lons geschmückt. Auf der Westseite befinden sich die sehr verstüm-
melten Gestalten zweier Genien, die eine Erdkugel halten. Auf derselben
Seite liest man die Inschrift: ,Principis hanc statuam Marciani cerne
torumque ter vovit quod Tatianus opus". Auf dem korinthischen Knauf,
der ebenfalls von weissem Marmor ist, sind die südlichen Schnörkel
noch fast ganz unbeschädigt. Auf demselben ruht ein grosser vierecki-
gen Marmorblock mit Adlern an den Ecken, der wahrscheinlich der
Statue Marcians als Fussgestell diente. Man zahlt für den Eintritt in
den Garten ein kleines Bakschisch.
Sehr bedeutend und zum Theil interessant sind die ßeste der
alten Wasserleitungen, von denen die des Kaisers Valens, jetzt
Bosdoijan Kemari genannt, die wichtigste ist. Dieselbe überspannt
mit ihren Ueberresten das Thal, welches den dritten Hügel Constan-
tinopels vom vierten trennt und führt das aus den sumpfigen Höhen
westlich von Kihat Khana quellende Wasser dem grossen Serai Taksim
zu. Nach den besten Quellen wurde der Aquäduct vor der Umgestaltung
der Stadt durch Constantin d. G. vom Kaiser Hadrian erbaut, und
zwar in einer einzigen Bogenlinie. Da aber der Bau mangelhaft war
und durch Erdbeben bald zerstört wurde, Hess Valens ihn von Grund
aus auf einer doppelten Bogenreihc neu aufbauen. Dieser Neubau, der
um das Jahr 3ü7 n. Chr. vollendet wurde, stürzte 558 wiederum ein.
570 wieder hergestellt, wurde er 617 von den Avaren zerstört, und jetzt
blieb er liegen, bis 76G Constautinos Kopronymos seinen Wiederaufbau
in solidester Weise anordnete. So versorgte das grossartige Werk das
Viertel der Aja Sofia und die um die Akropolis gruppirten kaiserlichen
Paläste drei Jahrhunderte hindurch mit Wasser. Als sich Spuren von
Verfall zeigten, und da man fand, dass die Kanäle theils zerfallen,
theils verstopft waren, Hess der Kaiser Basilius im Jahre 1020 das
Ganze nochmals herstellen. Dreizehn Jahre später wurde der Aquäduct
wieder durch ein Erdbeben beschädigt. Dann wieder restaurirt, blieb
das Werk in gutem Zustande bis auf Soliraan den Grossen, der es im
.lahre 1540 von dem grossen Architekten Sinan wieder ausbessern Hess,
es leider aber zugleich verunstaltete. Da er fand, dass die vom Gipfel
des vierten Hügels nach dem dritten üiessende Wassermasse durch
Niederreissung eines Theils der oberen Bogenreihe nicht beeinträchtigt
werden könnte, so beschloss er dieselbe abzutragen, um von der Schach-
sadeh-Moschee eine Aussicht nach der nördlichen Seite des Hafens zu
gewinnen. Aber im Laufe des Zerstörungswerks entdeckte der Sultan,
dass der Zweck desselben nicht zu erreichen sei, und so blieb die
Hälfte der oberen Bogenreihe stehen. Bei Sonnenuntergang bietet dieser
über die Niederung des Thaies und die benachbarten Häuser hervor-
ragende, verstümmelte alte Eömerbau einen höchst malerischen, impo-
santen Anblick dar, indem dann das Tagesgestirn sein scheidendes
Licht durch die noch stehenden Bogen ergiesst und Alles ringsum in
218 Constantinopel.
jene unbeschreibliche aus Gold und Pyrpur gemischte Fluth taucht, die
dem Bosporus so eigenthümlich ist.
Die Höhe des Aquäduct wechselt nach der Tiefe des wellenför-
migen Bodens, ihr Maximum beträgt 78 Fuss, die Länge von der
Mohammed-Moschee bis zum Eski Serai ungefähr 1250, die Breite des
Mauerwerks 11 Fuss.
Die BimhirDirek-Cisterne (Bimbir Direk heisst tausend und
eine Säule) ist die berühmte Cisterne des Philoxenes der byzantinischen
Zeit; jetzt ist sie eine Fabrik, in welcher arme, elend aussehende
Knaben Seide spinnen. Sie hat im Innern eine grosse Anzahl von
Säulen.
Diese Säulen, deren man 672 gezählt hat, stehen in drei Eeihen
übereinander, so dass das Dach eigentlich nur von 224 getragen wird.
Der vorspringende Fuss der obern Reihe ist etwas ausgehöhlt und
dient der untern als Capital. Da sie sich gegenseitig das Gleichgewicht
halten, so haben sie trotz der häufigen Erdbeben ihre gerade Stellung
bewahrt. Man hat berechnet, das diese Cisterne, wenn sie von dem
Schutt, der sie jetzt bis auf 6 Fuss vom Knauf der mittleren Säulen-
reihe füllt, gereinigt würde, 1,270,900 Kubikfuss Wasser halten könnte,
eine hinreichende Menge, um den grossen Stadttheil, den sie eigentlich
versorgen sollte, auf zwei volle Monate mit Wasser zu versehen. Die
auf den Capitälen einiger Säulen zu lesenden Anfangsbuchstaben sind
neuer als der ursprüngliche Bau, welcher seine Dauerhaftigkeit vor-
züglich dem trefflichen Mörtel dankt, der die Backsteine der Wände
und Wölbungen verbindet. Wann und von wem die Cisterne erbaut
worden ist, weiss man nicht. Sie liegt nicht fern von der Verbrannten
Säule in einem Stadttheil, der im Alterthum den Namen Lausus führte.
Andere Cisternen mit Säulen findet man in der Nähe der Sieben
Thürme und auf dem dritten Hügel in der Nähe der Laleli-Moschee.
Wir kommen jetzt zu den ungeheuren Friedhöfen, welche
ganz Constantinopel sammt seinen Vorstädten umgeben und zu den
sehenswerthesten Puncten der Stadt gehören. Sie nehmen mit ihren
dunklen Cypressengruppen jede geschützte Stelle und jede nicht bebaute
Höhe ein und drängen sich selbst in die Strassen der Stadt, so dass
sie die Lebenden stets an den Tod mahnen und jene Ergebung erzeugen,
mit welcher jeder Moslem der letzten Stunde entgegensieht. Zu den
merkwürdigsten dieser Stätten des Todes gehört der ungeheure Fried-
hof der Juden oberhalb Chasköi, eine Verlängerung des Okmeidan.
Dieses einsame Begräbnissfeld zeichnet sich vor allen andern durch
den Mangel an Bäumen und durch die fünfeckige Gestalt der Sarko-
phage auf seinen Grabsteinen aus. Ein anderer sehr interessanter Fried-
hof, der von Ejub, ist bereits erwähnt, ebenso der fränkische und der
armenische hinter Pera.
Auf den offenen Friedhöfen findet man dreierlei Classen von
Grabsteinen. Die der Armen bestehen nur aus zwei senkrechten Steinen,
von denen der untere etwa 3 Fuss, der obere etwas höher ist. Die
mittleren Classen haben ausser dem Kopf- und Fussstein noch eine
Constantinopel. 219
flache Platte auf dem Grabe, die in der Mitte einen langen Spalt hat.
Letzterer wird gemacht, um dem Gesetz zu genügen, welches die gänz-
liche Ueberdeckung der Gräber mit festen Substanzen untersagt. Das
Volk glaubt, dass durch die Oeffnung die beiden Engel Monker und
Naker ein- und ausgehen, welche nach mohammedanischem Glauben
die Todten zu verhören haben. An den Ecken der flachen Platte sind
runde Vertiefungen angebracht, die dazu dienen, dass sich in ihnen
das Eegenwasser sammelt, wo sie dann den auf den benachbarten Cy-
pressen nistenden Vögeln als Trinknäpfchen dienen — ein Zeichen,
dass der Türke auch manche liebenswerthe Seite hat. Die Vornehmen
bedecken ihre Gräber gewöhnlich mit hübschen Sarkophagen, die sich
in der ersten Zeit recht gefällig ausnehmen, aber bald vernachlässigt
werden, es wäre denn, dass unter ihnen für besonders heilig gehaltene
Männer ruhten. Die Gräber der letztern sind gewöhnlich mit Gittern
umgeben. An diesen flndet man oft Lappen und Petzen angeheftet. Es
herrscht nämlich unter dem Volke der Glaube, dass, wenn man vom
Kleide odoi' Hemde eines Kranken ein Stück abreisst und an das Grab
eines Frommen heftet, dies dem Leidenden Gesundheit, wenigstens
Linderung bringt.
Obgleich vornehme Leute gewöhnlich verordnen, dass ihre Ruhe-
stätte nur mit einer niedrigen Säule verziert werden solle, sind doch
die meisten Gräber mit prächtigen Inschriften und mehr oder weniger
Sculpturen versehen. Die Kopfsteine bei Männern tragen stets einen
Turban oder ein Fess, das bisweilen roth bemalt ist und aus demselben
Stück wie der Grabstein besteht. Bei Frauen endigen sie mit einer
Spitze, mit der Form eines ausgebreiteten Blattes oder einer Kamm-
Muschel. Die Fuss-Steine zieren ausgehauene Blumen, bisweilen auch
bloss gemalte. Die Grabschriften sind nicht oft so poetisch, als sich
von der lebhaften Einbildungskraft der Orientalen erwarten lässt. Sie
enthalten den Namen, die einstige Beschäftigung, den Todestag des
Verstorbenen und bisweilen noch einige Zeilen, die mehr vom künfti-
gen, als vom vergangenen Leben sprechen. Anfangs wird immer der
Allmächtige angerufen, wie z. B. : „Er, der Unsterbliche", oder „Gott
allein ist unvergänglich". Darauf folgen einige Worte, wie :
„Der in Gott entschlafene und auf Vergebung hoffende Sejd
Osman Aga, Hauptmann der 44. Janitscharen-Compagnie. Ein Gebet
für seine Seele. 10. Silhidsche 1211."
Einige Inschriften auf Frauengräbern zeigen mehr Aufwand von
Kunst. Sie sind in der Regel in Versen geschrieben und in Goldbuch-
staben auf blauem Grunde. Beispiels halber führen wir noch einige
Grabschriften an, und zwar zuerst die des berühmten Ali Pascha von
Janina. Das Grab desselben liegt auf dem Friedhof vor dem Silivri
Kapussi auf einer erhöhten Plattform. Bei ihm ruher seine Söhne,
Weli Pascha von Trikala, Muklar Pascha von Avlona, Salik Pascha
von Lepanto und sein Enkel Mohammed, welcher Pascha von Delvino
war. Die Sarkophage sind von weissem Marmor. Die goldenen Inschrif-
220 Constantinopel.
ten nennen die Namen der Todten, und deuten an, dass sie durch
Enthauptung starben. Die auf Ali's Grab lautet:
„Er allein ist ewig l*
Der Gouverneur der Provinz Janina, der seine Unabhängigkeit
länger als dreissig Jahre behauptete — der berühmte Ali Pascha. Hier
ruht sein Haupt! 5. Dschamessi Eli Auwei 1227" (1812). Hier wird
für die Seele des Todten kein Gebet verlangt, weil er hingerichtet und
sein Körper anderswo beerdigt wurde.
Auf dem Grabe eines Studenten im Friedhof zu Pera:
„Einheit und Ewigkeit sind Sein."
,Ach wehe ! der Mehlthau des Herbstes hat den Frühling meines
Daseins verderbt. Das Schicksal sprach und rief vor der Zeit meine
Seele ab. Tag und Nacht arbeitete ich fleissig im Weinberg der Wis-
senschaft, aber ich wurde von hinnen gerufen, ehe ich die lebensreife
Frucht gekostet, und meine Seele schwang sich, aufwärts strebend,
empor zu den Gärten der Ewigkeit. Der in Gott und seiner Gnade
verschiedene Mohammed Sejd Effendi, Sohn Hadschi Ismail Sadehs,
Aeltesten der Schneiderinnung. Ein Gebet 'für seine Seele. 1251."
Auf dem Grabe einer Dame im Friedhof der malerisch gelegenen
Moschee Piali Paschas am Ok Meidan :
„Gott ist unvergänglich,*
„Verzeihe mir, o Herr, kraft Deines glänzenden Himmelsgewölbes
und der Leuchte des Korans. Tretet an mein Grab, o Freunde, und
gönnt meiner Seele ein Gebet. Die in Gott entschlafene Hannifa Cha-
nem, Gemahlin Ali Agas. Der Allmächtige erbarme sich ihrer Seele.
Betet für sie! 1184.«
Auf dem Kopfsteine Bonnevals im Friedhof der Mewlewi-Der-
wische in Pera:
„Im Namen des allmächtigen Gottes.*
„Möge er, der Höchste und Heiligste, Gnade gewähren den Gläu-
bigen beiderlei Geschlechts, und dem Befehlshaber des Bombardier-
corps, Achmed Pascha, vergeben. Üedschib 1160."
Bonneval war bekanntlich, nachdem er längere Zeit in der
österreichischen Armee mit Auszeichnung gedient, nach Constantinopel
gegangen, dort General der Artillerie geworden, zum Islam überge-
treten, zum Statthalter von Chios emporgestiegen , endlich aber abge-
setzt worden, worauf er 1747 in Constantinopel starb.
Wir fügen hieran einige Mittheilungen über türkische Gebräuche
^sser dem Hause, namentlich über religiöse Festlichkeiten.
Das türkische Jahr besteht aus 12 Mondmonaten, von denen
jeder 29 Tage und 13 Stunden hat. So enthält das Jahr 354 Tage 9
Stunden. Da indess ein solches Jahr unbequem wäre, so beschloss man,
dass immer 19 Jahre 354 und 11 Jahre 355 Tage haben sollten, so
dass die mohammedanische Zeit sich in Cyklen von je 30 Jahren ent-
wickelt. Dabei rechnet man das Jahr der Hedschra oder Flucht Mo-
hammed's von Mekka, in welchem er zuerst als Prophet auftrat, als
das Jahr Eins. Dieses begann Freitag den 16. Juli 622, und das 538.
Constantinopel. 221
Jahr der Hedschra begann ebenfalls Freitags am 16. Juli. Dieses Jahr
aber entspricht dem Jahr 1143 nach Christi Geburt, und so sind 521
unserer Jahre gleich 537 türkischen. Der Tag wird von Sonnenunter-
gang an gerechnet, dies ist die zwölfte Stunde. Eine Stunde später
ist es an der türkischen Uhr um Eins und so fort bis zur zwölften
Stunde am Morgen, wo sie von vorn zu zählen beginnen. Die Folge
dieser Art zu rechnen, ist, dass die Uhren, wenn sie richtig gehen
sollen, bei dem Wechsel der natürlichen Tageslänge jeden Abend anders
gestellt werden müssen.
Unter den Festen der Mohammedaner ist das Bairam das wich-
tigste. Es schliesst den Fastenmonat Ramadan, während dessen Jeder-
mann sich von Sonnenaufgang bis Untergang streng alles Essens und
Trinkens, des Rauchens und Schnupfens, ja selbst des Riechens von
Blumen und Essenzen zu enthalten hat. Der Ramadan beginnt mit
dem Erscheinen des Mondes nach Sonnenuntergang am letzten Tage
des vorhergehenden Monats Schasban. Bei Tagesanbruch und bei Son-
nenuntergang wird von jeder der Hauptbatterien des Bosporus eine
Kanone gelöst, um der Bevölkerung den Beginn und das Ende ihres
täglichen Fastens zu verkündigen. Nach dem Kalender sollte der Ra-
madan stets 30 Tage haben, allein die Fasten werden in der Haupt-
stadt bisweilen auf 29 Tage beschränkt, wenn nämlich der neue Mond
des Schawal nach Ablauf dieser Periode sichtbar ist. Der Ramadan
ist eine Nachahmung der griechischen Fastenzeit, nur mit dem Unter-
schied, dass man einerseits den Tag über gar nichts geniesst, und
andererseits sich des Nachts dafür entschädigt. Mohammed wählte die-
sen Monat für die Fasten, weil ihm am 19. desselben Gott seine
Erwähluug zum Propheten und am folgenden Tage das erste Capitel
des Koran offenbart hatte. Unter die verschiedenen Uebertretungen,
■welche das tägliche Fasten ungiltig machen, und durch ausserordent-
liche Gebete und Kasteiungen gesühnt werden müssen, gehört nach
türkischem Glauben das Verleumden — es wäre schön, wenn dieses
moralische Fasten auch in christlichen Ländern eingeführt würde.
Bairam heisst türkisch überhaupt: Fest- oder Feiertag. Ara-
bisch nennt man es Id El Fitr. Es dauert vier Tage, vom Sonnen-
untergang am letzten Tag des Ramadan bis Sonnenuntergang am 3.
Schawal und kann als der Carneval der Moslerain bezeichnet werden.
Man macht sicli so lußtig als möglich, putzt sich mit neuen Kleidern
und verpufft besonders viel Schiesspulver.
Kurbau Bairam, arabisch Id Ed Dha, beginnt stets 70 Tage
nach dem vorigen mit Sonnenuntergang am 10. Silhidsche, und endigt
am Abend des 15. Es wurde zum Andenken an das unterbrochene
Opfer Ismaels (nach dem Koran wollte Abraham diesen, nicht Isaak,
opfern) eingesetzt. An diesem, wie an dem vorhergehenden Feste ent-
halten sich die Türken aller Arbeit, die Geschäfte ruhen. Freunde und
Verwandte besuchen und beschenken sich, und Tag wie Nacht sind
dem Schwärmen und Schwelgen geweiht. Am Kurbau Bairam vertheilt
man aber auch reiche Almosen, erhebt Zehnten zu milden Zwecken
222 Constantinopel.
und schlachtet Massen von Schafen und Ziegen, um sie an die Armen
zu vertheilen. Schon mehre Tage vor diesem Fest wimmeln die Anhöhen
um die Stadt und deren Hauptstrassen von Herden, welche zu diesem
Zweck aus den benachbarten Districten, ja selbst aus dem Innern von
Rumelien und Anatolien herbeigetrieben werden. Die bulgarischen
Schäfer des Sultans, die ein Dorf nordwestlich von den sogenannten
Süssen Wassern Europa's bewohnen, kommen ebenfalls mit einer Herde
solcher Thiere, von denen ein Theil durch den Sultan selbst, andere
durch Hofbearate geopfert werden. Die Hörner der Thiere sind ver-
goldet, die Vliesse blau, roth und gelb bemalt, mit breiten Bändern
und kleinen Papierstreifchen verziert, die Köpfe und Schwänze mit
Talismanen behangen. Die Herde zieht, die Treiber in festlicher Klei-
dung voran, begleitet von lärmender Musik und grossen Hunden, durch
das Egri Kapussi in Stambul ein Die Zahl der an diesem Fest in Con-
stantinopel geschlachteten Schafe und Ziegen soll sich auf 200,000
belaufen. Ungeheure Herden werden zu demselben Zwecke nach allen
grossen Städten getrieben, so dass das Landvolk beträchtlichen Gewinn
daraus zieht, zumal, da ein Schaf um diese Zeit nicht unter 40, ein
Lamm nicht unter 30 Piaster zu haben ist.
Mulid, genauer Mulid En Nebhi, der Geburtstag des Propheten,
ist einer von den Tagen, an denen der Sultan sich in Gala nach der
Achmed-Moschee begibt, diesmal um dort den Brief des Scherifs von
Mekka in Empfang zu nehmen, worin die glückliche Ankunft der grossen
Pilgerkarawane und der Geschenke gemeldet wird. Allgemeine Lustbar-
keiten aber finden an diesem Tage in Constantinopel nicht statt.
Ausser den angeführten Festen haben die Moslemin noch sieben
Nächte, die als besonders heilig gelten. Dieselben werden Lejiat Mu-
baraka, heilige Nächte, genannt, und man feiert sie durch Erleuchtung
der Moscheen, sowie durch Behängung der Gallerien der Minarete mit
Laternen. Dieselben sind nach der E«ihenfolge des mohammedanischen
Kalenders :
1. Die Nacht vor dem Mulid, am 12. Rebi El Aual.
2 Die Nacht der Enthüllung (Lejiat Er Eegib), in welcher die
Empfängniss des Propheten stattgefunden haben soll. Sie fällt auf den
ersten Freitag des Redschib und wird türkisch Utsch Ailar genannt.
3. Die Nacht der Himmelfahrt des Propheten (Lejiat El Miradsch),
die auf den 27. Redschib fällt.
4. Die Nacht der Rechtfertigung (Lejiat El Berat); sie ist die
Nacht des 15. Schaban, und in ihr schliessen die über die Thaten der
Menschen Bericht erstattenden Engel ihre Bücher und erhalten neue;
der Todesengel aber schreibt die Namen derjenigen auf, die im Ver-
lauf des kommenden Jahres sterben sollen.
5. Die Nacht der Allmacht (Lejiat El Kadr) fällt auf den 27.
Ramadan und ist die gefürchtetste und geheimnissvollste unter allen
Nächten des Jahres. Erde und Luft, Land und Meer, die Thiere, Pflan-
zen und Steine, kurz, die ganze Natur ist dem Einfluss dieser Nacht
unterworfen und erkennt durch menschlichen Augen unsichtbare Kund-
Constantinopel. 223
gebungen die Macht und Majestät des Schöpfers an. In dieser Nacht
begibt sich der Sultan, wenn das Wetter es erlaubt, in Gala nach der
kaiserlichen Moschee von Tophana, wobei ihn zahlreiche Begleiter mit
bunten Laternen umgeben. Dann verfügt er sich in einen Kiosk des
benachbarten Arsenals, um ein vor demselben veranstaltetes Feuerwerk
anzusehen. Schliesslich kehrt derselbe in seinen Palast zurück , wo man
ihm eine neue jungfräuliche Knospe zuführt. Erwächst daraus der
kaiserlichen Familie eine Vermehrung, so wird dies als ein Ereigniss
von guter Bedeutung für das Eeich angesehen. Nach Einigen ist dieser
Gebrauch jetzt aus der Uebung gekommen.
Die sechste heilige Nacht ist die, welche dem Bairam, die sie-
bente die, welche dem Kurban Bairam vorangeht. Der 10. Moharrem
wird ebenfalls heilig gehalten; es ist der Tag von Kerbeiah, wo flos^
sejn, der Sohn des Chalifen Ali verrätherischer Weise von Jesid ge-
tödtet wurde. Oeffentlich gefeiert wird derselbe nur von den Schiiten.
Aber auch bei den Sunniten finden an demselben weder Gelage, noch
Hochzeiten oder Beschneidungen statt, und er gilt überhaupt als Un-
glückstag. Arabisch wird er Aschura, von aschr, zehn, genannt.
Sehr interessant und gewissermassen auch ein Fest ist die Ce-
remonie des Abzugs der grossen Mekkakarawane. Sie ist ein Fest,
bei dem das Publicum die Hauptrolle, der Hof nur den Zuschauer
spielt, und wurde 1517 von Selim I. eingesetzt, der zugleich das Amt
eines Sarra Emini oder Schatzmeisters und Führers der Karawane
stiftete. Damals soll sich der Werth der Geschenke, die der Sultan der
Karawane mitgab, auf mehr als eine Million Thaler belaufen haben.
In neuern Zeiten haben diese Gaben sehr abgenommen, indess sind
sie noch immer beträchtlich, da sie nicht bloss aus der Privatcasse
des Sultans, seiner Gemahlinnen und anderer reichen Personen, sondern
zugleich aus verschiedenen frommen Stiftungen (Wakuf) fliessen. Die
jährlich für Mekka bestimmten Summen werden vom Kislar Agassi
und dem Finanzminister festgesetzt und dem Sarra Emini übergeben,
von dessen Gutdünken die Vertheilung hauptsächlich abhängt. Die
Wallfahrt nach Mekka, von Mohammed im 9. Jahr der Hedschra (631
n. Chr.) eingesetzt, ist eine der fünf Hauptpfiichten der Moslemin. Nur
aus triftigen Gründen wird davon dispensirt, und dann hat der betref-
fende einen Ersatzmann zu stellen oder reichliche Almosen zu geben,
die unter die armen Pilger vertheilt werden. Die alten Chalifen unter-
zogen sich der Pflicht wiederholt. Seitdem aber das Chalifat in die
Hände des Hauses Osman übergegangen ist, hat nur ein einziger Sultan
den Versuch gemacht, sie zu erfüllen. Es war dies Osman II. Als aber
dessen Absicht den Janitscharen kund wurde, deren Vernichtung er
mit Hilfe der ägyptischen Truppen beabsichtigte, erhoben sie sich in
offenem Aufruhr, und der Sultan verlor das Leben. Prinzen und Sul-
taninnen der jetzigen Dynastie haben nur zwei die Wallfalirt unter-
nommen: eine Tochter Mohammeds I., welche die Eeise glücklich voll-
brachte und später im Geruch einer Heiligen starb, und Sultan Dschem,
der Bruder Bajasids IL, welcher ebenfalls glücklich zurückkehrte,
224 Constantinopel.
später aber in der Verbannung zu Civita Vecchia starb. Da man es
für unpolitisch hält, dass Sultane die Wallfahrt antreten, so werden
für sie Stellvertreter gewählt. Der eine derselben ist der erwähnte
Sarra Eraini, der andere der oberste Mollah von Mekka, der innerhalb
der Kaabah sowie in Medina als Eepräsentant des Sultans und obersten
Priesters der Gläubigen fungirt. Auch der Pascha von Damaskus pflegt
als Emir El Hadsch mitzuziehen, wofern es nicht die Verhältnisse ver-
bieten. Von dem Gelde (jetzt etwa 60,000 Thaler) welches ersterer
mitbekommt, bekommen einen Theil die Armen der heiligen Städte,
einen anderen Theil die Wüstenaraber auf dem Wege (als Geleitsge-
bühr oder Tribut), einiges wird auf Erhaltung der Strassen, Brücken
und Brunnen zwischen Damaskus und Mekka verwendet, manches fliesst
auch in die Tasche des Serra Eraini und anderer Würdenträger. Die
Pilgerkarawane (Hadsch) ist doppelter Art: die gewöhnliche jährliche
und die ausserordentliche, welche alle sieben Jahre abgeht. Bei gewöhn-
lichen betheiligen sich selten mehr als 25 bis 30,000 Menschen , bei den
ausserordentlichen steigt die Zahl auf das Doppelte. Es herrscht der
Aberglaube, dass der Hadsch, um nicht erfolglos zu sein, aus wenig-
stens 60,000 Seelen bestehen müsse, und wenn diese Zahl nicht erreicht
werde, steige der Erzengel Gabriel mit einer hinlänglichen Zahl von
Engeln hernieder, um das Fehlende zu ergänzen. Der erste Sammelplatz
der Karawane ist Constantinopel, wo die Pilger aus Eumelien aus den
Ländern am Schwarzen Meer und den Inseln des Archipelagus zusam-
mentreffen. Der zweite grosse Vereinigungspunct ist Damaskus, wo die
gläubigen Schaaren aus dem Innern von Kleinasien, aus Syrien und
Mesopotamien zur Karawane stossen. Der dritte Sammelpunct ist da,
wo das ägyptische Gebiet an die grosse Wüste grenzt und wo die
afrikanische Karawane sich mit der nördlichen vereinigt.
Die Abreise des Hadsch findet in der Eegel am 12. Schewal
(Januar) statt. Indess wird sie bisweilen verschoben, wenn der nächst-
folgende Tag ein besonders glücklicher, etwa ein Freitag, ist. Die Stadt
ist in grosser Bewegung. Der Sultan begibt sich dann gewöhnlich
aus seinem Palast in das alte Serail, und hält hier Cour (Richiab,
d. h. Steigbügel), umgeben von den Grosswürdenträgern des Reiches.
Nachdem diese vorbei, eilen die Theilnehmer dieser Ceremonie in den
ersten oder äusseren Hof des Serails, während der Sultan sich zu
Pferde in den dritten Hof begibt. Von hier verfügt er sich durch das
Thor der Glückseligkeit in den zweiten Hof, auf dessen Nordseite der
Kiosk steht, in welchem früher die Grossveziere die fremden Gesandten
zu empfangen pflegten, und sodann in den äussern Hof, wo sich ihm
die Grosswürdenträger wieder anschliessen, um ihm nach einer der
kaiserlichen Moscheen zum Mittagsgebet zu folgen. Nachdem dieses
vorüber ist, kehrt der Zug in das Serail zurück und der Sultan nimmt
in dem über dem Mittelthor befindlichen Kiosk an einem Fenster Platz,
um die Procession der Pilger die Revue passiren zu lassen. Derselben
reitet eine Abtheilung türkischer Cavallerie voraus. Dann kommt der
oberste Emir und andere Nachkommen des Propheten mit neuen, grünen
Constantinopel. 225
Kaftans und grüuen mit Gold gestickten Turbanen, alle auf schönen,
reich geschmückten Pferden. Hinter diesen reiten die Bürgermeister
(Effendassi) von Starabul, Galata und Pera, die Grossrichter von Ru-
rnelien und Anatolien und ein langer Zug von Mollas und andern
Gelehrten, alle von ihren Secretären zu Pferde und ihren Reitknechten
zu Fuss begleitet. Hierauf folgen kaiserliche Hausbeamte, Pagen und
Diener in grünen und blauen, mit Gold oder Silber verzierten Unifor-
men. Einige derselben tragen silberne Räucherpfannen mit Bernstein,
Aloeholz und sonstigem Räuchervverk, während Andere eine Hymne
singen, die wiederholt durch das Geschrei: „Allah! Allah hu akbar!"
(Gott ist gross!) unterbrochen wird. Hinter diesen kommt dann der
Sarra Emini, begleitet von Beamten und Dienern seines Departements,
alle wohlberitten und in grüne, goldgestickte Röcke gekleidet. Ihnen
zunächst kommt der Musdadschi Baschi, ein Beamter, der den Auftrag
hat, dem Scherif von Mekka das eigenhändige Begrüssungsschreiben
des Sultans zu überbringen. Dieser Brief ist in drei seidene, säinmtlich
mit dem kaiserlichen Siegel versehene Beutel eingeschlossen, die wie-
derum in einer Kapsel von grüner mit Goldstickerei geschmückter Seide
stecken. Der Musdadschi Basclii hält das Gehäuse mit beiden Händen
auf dem Sattelknopf, während sein Pferd von zwei Reitknechten ge-
führt wird.
Endlich erscheinen die beiden heiligen Kameele Machmili Sche-
rifi, welche die Hauptrolle bei der Ceremonie spielen. Diese Thiere
werden niemals zu weltlichen Zwecken verwendet. Ihr Stambaum ist
sehr alt und soll bis zu dem Kameel hinaufreichen, welches den Pro-
pheten am Tage der Flucht trug. Das erste ist prächtig aufgezäumt.
Zaum, Schwanzriemen und Gurt sind von grünem, mit Goldknöpfen
und Edelsteinen besetztem Leder. Nacken und Schwanz sind mit Talis-
manen und Amuleten behangen, den Kopf schmückt eine Krone von
Straussenfedern. Auf dem Rücken desselben erhebt sich ein mit Zinnen
versehener Kasten mit der heiligen für die Kaabah bestimmten Decke,
die einmal vom Sultan, das audere Mal vom Pascha von Aegypten
geliefert wird. Der Kasten hat etwa 6 Fuss Höhe und 2 im Durch-
messer, ist senkrecht auf dem Sattel befestigt, mit Decken von Gold-
stoft behangeil und mit kleinen Fahnen und Federn von verschiedenen
Farben besteckt. Reiche Decken von gleichem Stoff hängen zu beiden
Seiten herunter und verbergen fast das ganze Thier. Das zweite Ka-
meel trägt keine andere Last, als eine Nachahmung des Sattels (Machfil),
auf dem ^der Prophet zu sitzen pflegte, wenn er Recht sprach oder
Suren des Koran vorlas. Er ist von grünem Sammt mit Silber gestickt.
Von gleichem Stoff ist der Zaum und das übrige Geschirr. Beide Thiere
werden von zahlreichen Stallknechten und einer Ehrenwache begleitet.
Hinter ihnen kommt der Richter der Karawane (Hakim El] Hadsch)
mit seinen Kawassen, der während der Reise Rechtshändel schlichtet
und die Polizei handhabt. Dann verkündet eine wilde Musik von Trom-
meln und Tamburins mit noch wilderen Gesängen, angestimmt von
einer Schaar zerlumpter Derwische und Bänkelsänger, die Ankunft der
15
226 Constantinopel.
Pilger. Diese Leute, meist den untersten Classen angehörig, zielien in
ungeordneten Gruppen, auf lange Stäbe gestützt und unter dem bestän-
digen Gebrüll: .Allah! Allah! hu! hu!" einher. Ihnen folgt eine Ab-
theilung Infanterie als Bedeckung für die sieben heiligen mit dem Schatz
der Karawane und den Geschenken beladen en Maulthiere. Der erste
befindet sich in starken, mit grünem Tuch überzogenen Kasten, die
letzteren in kleinen Behältern, die ähnlich gestaltet und verziert sind,
wie der vom ersten Kameel getragene. Zäume und Sättel dieser Thiere
sind von rothera Leder und mit feiner Stickerei verziert. Drei derselben
tragen die Zelte, in welchen die heilige Decke und der Brief des Sul-
tans bei Nacht aufbewahrt werden. Die Zeltstangen sind oben mit
grossen metallenen Kugeln und grünseidenen Wimpeln geschmückt. Auf
die Maulthiere folgt eine zweite Musikbande und eine noch grössere
Schaar von Pilgern, die ebenso zerlumpt und schmut/Jg aussehen, als
die andern. Anständige Leute wohnen diesem Zuge selten als Theil-
nehmer bei, sondern schliessen sich ihm entweder in Skutari oder in
Damaskus an. Die Strassen, durch welche sich die Procession bewegt,
sind mit Militär besetzt, hinter dem sich fast die ganze muselmännische
Bevölkerung sammelt, auf der einen Seite die Männer, auf der andern
die Frauen. Die Fenster der obern Häuser sind ebenfalls mit Frauen
besetzt, während ihre Männer und männlichen Verwandten unten sitzen.
Hunderte von vergoldeten Arabas mit den schönsten Damen von Stam-
bul nehmen die oftenen Plätze ein.
Sobald die Spitze des Zuges den Landungsplatz am Bagdschi
Kapussi oder Gartenthor erreicht hat, schwenkt sie rechts ab, um für
die Lastthiere Platz zu machen. Diesen wird, sobald sie am Rand des
Wassers angelangt sind, ihre Last abgenommen, um an Bord eines
bereitstehenden Dampfers nach Skutari gebracht zn werden. Die Thiere
kehren unter Bedeckung einer Ehrenwache nach ihren Ställea im Serail
zurück. Der Sarra Emini aber und die übrigen Beamten der Karawane
schiffen sich unter einer Salve von 21 Kanonenschüssen nach Skutari
ein, wohin ihnen auch die Pilger folgen, mit denen sie einige Tage
später nach Mekka aufbrechen.
Diese jährlichen Pilgerfahrten haben gegen früher an Originalität
bedeutende Einbusse erlitten. Die Organisation dieser islamitischen
Wallfahrtsreisen (Hadschi), welche noch heutzutage zu den Hauptbe-
schäftigungen zählt, womit sich der syrische General-Gouverneur zu
befassen hat, war in früherer Zeit viel bedeutender als eben jetzt Der
genannte Grosswürdenträger führte unter anderen Titeln auch jenen
eines Prinzen der Karawanen (Emir-el-Hadschi), er war in dieser Eigen-
schaft verpflichtet, persönlich den Oberbefehl über die Karawane zu
übernehmen, dieselbe von Damaskus nacli Mekka zu führen, gleichzeitig
auch für die Sicherheit mehrerer tausend Hadschis während einer Reise
von 4 /j Monaten auf eine Entfernung von yOO Meilen in der Wüste,
die Damaskus von den zwei heiligen Städten trennt, nach Möglichkeit
Sorge zu tragen. Damaskus war damals der Rendezvousplatz der per-
sischen, sowie auch der aus Constantinopel kommenden Pilger, die dort
Constantinopel. 227
nach ihrer Vereinigung eigentlich die grosse Mekkapilger-Karawane
bildeten. Am zahlreichsten waren die Perser vertreten; seit jedoch der
persische Meerbusen bis Dscheddah durch Dampfer befahren wird, be-
nützen dieselben diese beiweitem minder beschwerliche Route. Früher
zog die Karawane vom asiatischen Ufer des Bosporus mit sämmtlichen
Hadschis der europäischen Türkei durch zahlreiche anatolische und
syrische Städte, überall Pilger aufnehmend, die dann zu Tausenden
zählten, nach Damaskus. Seit einigen Jahren finden diese romantischen
Wallfahrten aus ökonomischen Gründen nicht mehr statt, einige wenige
Syrier, ziemlich viel Damascener, sowie auch noch theilweise Perser,
bilden heutzutage die Landkarawanen. Die Mehrzahl der Pilger bedient
sich französischer, österreichischer und russischer Dampfer bis Port-
Said oder Alexandrien, von wo aus dieselben durch den Kanal oder
per Eisenbahn nach Suez gelangen, um von da durch egyjitische
Dampfer der Azizie-Gesellschaft nach Dscheddah überführt zu werden.
Seit der Gouverneur von Syrien die Karawane nicht mehr per-
sönlich führt, wird alljährlich abwechselnd ein pensionirter Civil- oder
Militär-Pascha zum Führer (Suri Emini) ernannt; derselbe überbringt
die Präsente des Grossherrn an die heiligen Städte, zugleich auch eine
Art Subvention, richtiger Tribut an gewisse Beduinen-Chefs, um die
Karawane durch ihr Gebiet, dass heisst durch die Wüste, ungefährdet
ziehen zu lassen. Die Direction der Pilger-Karawane führt ein anderer
Pascha unter dem Namen Mohafaz-el-Hadschi ; derselbe ist gleichzeitig
Comniandant der Escorte, die früher aus regulären Truppen bestand,
jetzt aber aus berittenen Beduinen, irregulärer arabischer Cavallerie
und Zapties (Polizeimännern) zusammengesetzt ist, da Letztere die
Strapazen leichter zn eintragen vermögen. Zwei Feldgeschütze werden
stets mitgefnhrt. Die Auslagen des Staatsschatzes für diese Karawanen
sind noch immer sehr bedeutend. Der Vali von Syrien ist verpflichtet,
den Betrag von 10 Millionen Piaster, hiezii für übliche Geschenke
wenigstens 0 Millionen, herzugeben ; rechnet man die Verpflegung der
Pilger und der Escorte auf der Reise hin und retour, den Aufenthalt
in den heiligen Städten, sowie auch unvermuthete Auslagen, so maclit
der Gesammtbetrag die runde Summe von 20, sage zwanzig Millionen
zz 5 Millionen Francs, die wahrlich zu einem viel nützlicheren Zweck
verwendet werden könnten. Der Grossherr ist indess der Beherrscher
der Gläubigen, der legitime Nachkomme der Chalifen; ohne Gefahr,
das Prestige der herrschenden Dynastie zu gefährden, kann diese alte
Sitte nicht so leicht auf einmal über Bord geworfen werden. Indessen,
obwohl die Türkei, Aegypten, Tunis, der Kaiser von Marokko, ja selbst
Frankreich den Hadschis theilweise freie Ueberfahrten und auch son-
stige Unterstützung gewähren, vermindert sich die Zahl derselben den-
noch von Jahr zu Jahr sehr erheblich. Die Zeit ist nicht mehr ferne,
wo auch diese heilige Spazierfahrt fanatischer mahommedanischer
Pilger nach dem Grabe des Propheten sich überlebt haben wird.
Was den Charakter der Türken betriffst, so darf man ihn
nicht nach Dem beurtheilen, was man in Constantinopel an den Classen
228 Constantinopel.
sieht, mit welchen der Fremde am ehesten zusammenkommt, und am
wenigsten nach den Jungtürken, die sich mit europäischer Bildung
brüsten, sich aber in der Eegel mehr von den Lastern, als von den
Tugenden der civilisirten Welt angewöhnt haben. Die vornehme Welt
in der Türkei ist auf das tiefste verfault und verdorben, die Beamten
räuberisch und bestechlich. Das Volk, die Mittelclassen, dagegen und
ebenso die untere, namentlich auf dem Lande, sind bei weitem besser,
ehrlicher und wahrhaftiger, als man oft annimmt, bei weitem besser
als die Griechen, besonders die von Constantinopel, unter denen auch
die niedere Classe mit wenigen Ausnahmen aufs Aeusserste verdorben
ist. Der türkische Bauer und Handwerker zeichnet sich durch eine grosse
Anzahl von Tugenden aus. Er ist religiös, ein guter Gatte und Vater
(nur sehr selten bedienen sich diese Classen der Erlaubniss des Pro-
pheten, mehr als eine Frau zu besitzen), gastfrei und mildthätig. Er
ist ein fleissiger Arbeiter, ein getreuer Freund, vor Allem aber ohne
Falsch. Das Lügen, Stehlen und Betrügen überlässt er den Griechen
und Armeniern. Er ist endlich massig und ungemein gutherzig in der
Behandlung der Thiere. Selten sieht man Türken betteln, fast die
einzigen Ausnahmen sind Blinde oder Wanderderwische. Der türkische
Soldat rauss mit seiner Tapferkeit und noch mehr mit seiner Ausdauer
bei Ertragung von Strapatzen und Entbehrungen der beste der Welt
sein, wenn er gut befehligt wird. Das Officierscorps, früher meist aus
herzlich unwissenden Türken bestehend, hat in neuester Zeit sehr gewonnen.
Erstens sind selir viele der Jüngern Officiere auf auswärtigen Kriegs-
schulen gebildet, sprechen fremde Sprachen und sind mit der modernen
Kriegskunst vertraut, zweitens ist eine ganze Masse von Fremden in
türkische Kriegsdienste getreten Die Letzteren sind in der überwie-
genden Mehrzahl Franzosen und Deutsche, namentlich Norddeutsche.
Die ganze Armee hat bekanntlich durch die preussischeu, zu Paschas
erhobenen Instructoren die europäische Taktik gelernt und grosse
Theile derselben -sind bereits mit Hinterladern, leider nach verschie-
denen Systemen, versehen. Die Uniformen der türkischen Soldaten sind
ebenso malerisch als zweckmässig, die Leute durchweg stattlich und
kräftig, ihre Kost gut, die neuen Kasernen gesund und ein wahres
Muster von Reinlichkeit. Die türkische Artillerie soll zu den besten in
Europa gehören, jene Batterien wenigstens, die in Constantinopel gar-
nisoniren. In Asien drüben sieht es freilich noch vielfach anders aus
und es soll dort noch Bataillone geben, welche Gewehre mit Feuer-
steinschlössern führen, weil der und jener Pascha das Geld, welches er
zum Ankaufe neuer Waffen hätte verwenden sollen, in seine Tasche
steckte. Viele der Paschas und Minister sind auf den schmutzigsten
Wegen zu Rang und Würden gelangt, und so kluge Diplomaten manche
von ihnen sind, keiner hat einen fruchtbaren Gedanken, einen festen
Willen, die Uebel, die an Staat und Gesellschaft nagen, abzustellen.
Zum Schluss dieses Capitels fügen wir noch Einiges über die
grossen Wasserleitungen ausserhalb Constantinopel s hinzu, deren
Besichtigung sehr wohl einen Ausflug verdient, Die ganze Wassermasse,
Constantinopel. 229
welche die grossen Becken (Taksiin) Stambuls und seiner Vorstädte
füllt und von da in die öffentlichen und Privatbrunnen fliesst, kommt
von den Quellen und Bächen, die auf den waldigen Höhen bei den
Dörfern Belgrad, Pyrgos, Aiwal Bend, Dschebedschi Köi, Petinochori
und Bagdschi Köi entspringen. Diese Anhöhen erheben sich 5 bis 700
Fuss über die Meerestiäche, während der höchste Panct in Stambul
und Pera nicht 410 Fuss übersteigt. Diese Quellen werden sorgfältig
bewacht. Innerhalb dos Wasserbezirks, wie man diese Gegend nennen
kann, darf kein Baum gefällt werden, damit die Quellen nicht aus-
trocknen. Das Landvolk darf keine Brunnen graben und das Wasser
zur Berieselung der Felder nur aus solchen Quellen ziehen, die tiefer
als die Kanäle liegen, welche die Behälter ausserhalb der Stadt mit
den Innern verbinden. Auch dürfen keine ' Büffel oder andere Thiere
sich den Quellen oder Bäclxen nähern und sie trüben. Das Wasser wird
in sieben grosse Gruben oder Becken geleitet, die Beiide genannt
werden und mit solidem Mauerwerk eingefasst, sowie mit Schleussen
versehen sind. Das tiberfliessende Wasser läuft in ebenfalls ausgemau-
erte Nebenbecken — Basch Hawuss — ab, die als Vermittler zwischen
den Brunnen dienen. Die Bende liegen an den Ausgängen von Schluchten,
die von den höchsten Puncten auslaufen und nach unten breiter wer-
dend die Thäler von Pyrgos, Belgrad, Ewaheddin, Pascha Deressi und
bagdschi Köi bilden.
Der erste Bend, 176.5 von Mustafa III. erbaut und nordwestlich
vom Dorfe Belgrad gelegen, heisst Aiwat oder der Bend von Pyrgos.
Der zweite, südlich von Belgrad befindlich, im Thale Ewaheddin, heisst
der grosse (Bujuk), der dritte, in demselben Thale nördlich von Bel-
grad, wird Eski Bend, der alte Bend genannt. Jener stammt aus dem
Jahre 1714 und wurde von Achmed III. angelegt, dieser wird dem
Sultan Soliman dem Grossen zugeschrieben. Der vierte, südwestlich
von Belgrad, ist der von Pascha Deressi und wird gleichfalls für ein
Werk Solimans gehalten. Der fünfte, Jeni Bend, d. h. der neue Was-
serbehälter genannt, wurde 1817 vom vorletztverstorbenen Sultan Mah-
mud II. aufgeführt und ist das schönste dieser Bauwerke. Der sechste
und siebente, Walide und Mahmud geheissen, liegen nördlich von Bag-
dschi Köi. Der erste wurde von Mahmud's I. Mutter, der letztere von
diesem Sultan selbst erbaut.
Diese Wasserbecken werden in der Regel so hergestellt, dass
man den obern Theil einer Schlucht vermittelst eines massiven 18 bis
20 Fuss dicken, von Strebepfeilern gestützten Quaderdammes einschliesst.
Der fünfte und sechste Bend haben Marmorbekleidung. Oben auf dem
Damm läuft ein breiter, gepflasterter Weg mit Steinsitzen hin. Einige
sind mit goldenen Inschriften auf grünem Grunde verziert, welche die
Namen der Gründer nennen. Die Inschrift auf dem Bujuk Bend lautet:
«Die Gewässer, erschrocken über das Riesenwerk, weichen zurück bei
dem Anblick "
Die Basch Hawuss sind kreisförmige Cisternen, deren gemauerte
Wände mit einem aus Korassancement und Werg gemachten Stuck
230 Constantinopel.
überzogen sind. Ihr Durchmesser beträgt 30 bis 40, ihre Tiefe 15 bis
20 Fuss. Steinerne Treppen führen auf den Boden hinab. Den Ueber-
fluss der Bendc nehmen sie durch gewölbte Kanäle auf, die das Wasser
vermittelst ihrer Verzweigungen nach allen erforderlichen Eichtungen
führen. Ist zu viel Wasser vorhanden, so läuft es durch besondere
Röhren ab und dient dann zur Speisung der benachbarten Bäche. Der
grösste Basch Hawuss ist bei Pyrgos. Er wurde im Jahre 1620 durch
den unglücklichen Osman II. erbaut. Sein Wasser fliesst ihm durch
zwei Aquäducte zu, die Ossun (der lange) und Gasseischi Kemari (der
schöne Kanal) heissen. Aus diesem grossen Becken strömt die Wasser-
masse durch zwei Leitungen, die Justinianische and die von Dschebed-
schi Köi über das Thal Ali nach dem Egri Kapu hin.
Von den Aquäducten verdienen sechs eine genauere Beschreibung.
Der erste oder östlichste, der, vom Bosporus aus betrachtet,
sich äusserst stattlich ausnimmt, läuft über das Thal von Bagdschi
Köi an der Stelle, wo es in das von Bujukdere mündet. Er wurde von
Mahmud errichtet und nimmt das Wasser des Walide- und des Mah-
mud-Bend auf, welches sofort mittelst unterirdischer Kanäle nach dem
grossen Taksim von Pera und jenem auf den nördlicheren Höhen
zwischen dem Begräbnissplatz und dem neuen Spital geleitet wird.
Das erstere dieser Taksim versieht sämmtliche Vorstädte auf dem
linken Ufer des Goldenen Horns, also Chasköi, Kassim Pascha, Galata,
Pera und Tophana mit Wasser, während das letztere Dolmabagdsche
und Besiktasch versorgt. Ein drittes Taksim auf den Höhen von Orta-
köi liefert den benachbarten Dörfern und dem Palast Tschiragan ihr
Wasser. Alle andern Orte von Kuru Tschesme bis Bujukdere beziehen
ihr Wasser aus dem obengenannten Aquäduct oder unmittelbar aus
den beiden anstossenden Benden, die denselben speisen. Die äusserste
Länge des Aquäducts, von Bagdschi Köi beträgt 1270 Fuss, seine Höhe
in der Mitte 82 Fuss'. Die Strasse von Bujukdere nach Belgrad, eine
der schönsten Partien in der Umgebung von Constantinopel, läuft dar-
unter weg.
Der zweite Aquäduct, welcher in der Nähe von Pyrgos das Thal
von Petinochori überspannt, heisst Ossun Kemari (lange Wasserleitung).
Er hat eine Länge von 2000 und eine Höhe von 80 Fuss. Soliman der
Grosse soll ihn erbaut oder vollständig umgebaut haben.
Der dritte, von Einigen Gusseischi (der schöne), von Andern
seiner Gestalt wegen Dirsekdschi (der Ellenbogen) genannt, ist durch
den schmalen Hügelkamm zwischen dem Thal von Pyrgos und Bejlik
Mandra in zwei Theile getrennt. Die Länge der beiden Theile, die auf
dem Gipfel der dazwischenliegenden Höhe zusammentreffen, beträgt
1025 Fuss, ihre Höhe 100 Fuss. Dieser Aquäduct wird ebenfaAls dem
Sultan Soliman zugeschrieben, und zwar soll ihn dessen grosser Bau-
meister Sinan errichtet haben. Nach byzantinischen Schrifstellern aber
war sein Erbauer ein oströmischer Kaiser des zwölften Jahrhunderts.
Der vierte Aquäduct, von den Franken dem Kaiser Justinian
zugeschrieben, von den Türken Muallak Kemari genannt, zieht sich
Constantinopel. 231
nicht sehr weit von dem kleinen Gartenpalast des Sultans an den so-
genannten ISüssen Wässern von Europa (siehe Seite 177) über das
Thal von Ali Bej Köi. Man thut wohl, den Ausflug hierher an einem
Freitag zu unternehmen, wo Tausende von türkischen Frauen in ihren
bunten Gewändern mit ihren Sclaven und Kindern sich hier versam-
meln, um, auf dem Käsen gelagert, den Nachmittag zu verbringen,
zahlreiche Kutschen und Arabas eine Art Corso beginnen, verschiedene
Orchester sich hören lassen und häufig auch die Frauen des kaiser-
lichen Harems erscheinen. Man fährt von Galata in einem Kaik in
etwa einer Stunde dahin. Die Länge des Aquäducts beträgt 725, seine
Höhe in der Mitte des Thaies 110 F. Er besteht aus zwei gewölbten
Stockwerken, von denen das untere weitere und höhere Bogen hat, als
das obere. Zwischen beiden wölben sich noch kleinere Bogen, welche
die Leichtigkeit des Bauwerks erhöhen, ohne seine Festigkeit zu beein-
trächtigen. Die Basis ist 56 Fuss breit, aber diese Breite vermindert
sich allraälig, so dass sie 4 Fuss unter dem Kamm des Ganzen nur
noch 50 Zoll beträgt. Auf diesem verengerten Eaume laufen zwei paral-
lele Kanäle, jeder 15 Zoll breit. Diese sind mit starken Blechplatten
gedeckt, welche den Sujoldschi, die den Bau in gutem Stande zu
erhalten haben, einen schmalen Pfad darbieten. Wenn man sagt, dass
dieser Kanal von Justinian um das Jahr 538 erbaut worden sei, und
sogar wissen will, derselbe stamme von den beiden Erbauern der Aja
Sofia, so ist das wahrscheinlich ein Irrthum. Wenigstens thut Prokopius
in seinem Buch über die Bauwerke, in welchem alle grossen Gebäude,
die Justinian von 527 bis 565 errichtete, aufgezählt sind, dieses Aquä-
ducts keine Erwähnung. Einige byzantinische Schriftsteller schreiben
das Werk dem Tyrannen Androuicus Komnenus zu, aber der zuverläs-
sigere Niketas Choniates bemerkt, Andronicus, der kaum zwei Jahre
den Thron inne hatte, habe das Gebäude blos wieder hergestellt. Viel
Wahrscheinliches hat die Meinung Andreossi's, welcher den Aquäduct
Constantin dem Grossen zuschreibt ; denn sie hat grosse Aehnlichkeit
mit andern Ueberresten der byzantinisch-griechischen Periode.
Der fünfte Aquäduct, Pascha Deressi Keraari genannt, und süd-
westlich vom Dorfe Belgrad gelegen, ist'einer der merkwürdigsten. Seine
Länge beträgt 1340, seine Höhe 80 Fuss. Er leitet den Wasserzufluss
der Thäler und Bende von Eski, Bujuk, Jeni und Pascha Deressi nach
der grossen Cisterne, welche den EUenbogen-Aquäduct speist.
Der sechste geht westlich von Dschewedschi Köi über das Thal
und gilt für den ältesten von allen. Nichts destoweniger hat es das
Ansehen eines noch ziemlich neuen Bauwerks, und wird von den Türken
dem Sultan Mohammed IL zugeschrieben. Er ist 475 Fuss lang und
hat eine Höhe von 85 Fuss. Etwas weiter südlich liegt ein mit diesem
Aquäduct in Verbindung stehender Basch Hawuss.
Ueber den malerisch gelegenen Aquäduct des Kaisers Valens ist
im Vorhergehenden das Erforderliche berichtet worden.
Die Wasserraasse des Justinianischen Aquäducts wird durch eine
Eeihe von gewölbten Kanälen dem grossen Taksim am Thor Egri Ka-
232 Constantinopel.
puss zugeführt. Dieser von Gonstantin d. G. errichtete und seinen
Inschriften zufolge von Achmed III. und Mohammed Il.'restaurirte
Behälter liegt gerade südlich vor dem Thore, von dem er seinen Namen
hat. Er versieht Stambulmit reichlichem Wasser vermittelst gewölbter
Kanäle, welche die Nebenbehälter des Serails, von Aja Sofia, Jeni
Bagdschi, Narli Kapu u. a. speisen. Diese letztern wieder vertheilen
ihr Wasser in die zahlreichen Cisternen, Bäder, Moscheenbrunnen und
Sebil Khanas (öffentliche Brunnenhäuser) bis zu den Sieben-Thürraen
hin. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das grosse System der Was-
versorgung Constantinopels, von einem unregelmässigen Kreise aus-
gehend, dessen Mittelpunct das Dorf Belgrad ist, in zwei Hauptkanäle
zerfällt, von denen der eine nach dem linken, der andere nach dem
rechten Ufer des Goldnen Horns hinläuft, so dass die beiden Bende
und der Aquäduct von Bagdschi Köi ausschliesslich für das erstere
bestimmt sind, während alle übrigen Behälter und Kanäle das letztere,
also Stambul, zu versorgen haben. Es braucht kaum bemerkt zu werden,
dass dieses System die Vertheidigung Constantinopels gegen einen von
der europäischen Seite kommenden Feind sehr schwierig machen würde.
Die Höhe des grossen Taksim von Pera über der Meeresfiäche
beträgt 330 Fuss. Er liegt folglich 120 Fuss unter der mittleren Höhe
seiner Quellen. Die Höhe des Taksim von Egri Kapu beträgt nicht
mehr als 120 Fuss über dem Meer; er liegt also 230. Fuss unter der
geringsten Höhe seiner Quellen.
Der Bau fortlaufender Aquäducte würde bei der grossen Anzahl
von Thäleru und Thälchen in der Nachbarschaft von Constantinopel
unerschwingliche Koston verursacht haben; ist doch schon der einzige
Kanal von Basch Hawuss von Pyrgos bis zum Egri Kapu Thor über
4 Stunden lang. Nachdem daher die ersten grossen Leitungen herge-
stellt waren, nahmen mehre Sultane hintereinander den einfacheren
und minder kostspieligen Plan der hydraulischen Nivellirung auf, wo-
bei sie sich durch die in Syrien und Arabien gebräuchlichen Wasser-
wagen halfen. Diese bestehen aus abgestumpften Pyramiden von ver-
schiedener Grösse, je nach der Lage und der Masse des Wassers, das
sie leiten sollen. Sie werden in Thälern, Schluchten und anderen Orten
angebracht und 'dienen als umgekehrte Heber. Sie mögen gross oder
klein sein, ihre Einrichtung ist stets dieselbe. An der Seite, die dem
Kanal zugekehrt ist, sind sie mit irdenen Röhren versehen, in welchen
das durch seinen eigenen Druck emporgetriebene Wasser aufsteigt.
Oben, wo die Röhren endigen, fiiesst es in eine kleine Cisterne. Auf
der entgegengesetzten Seile befinden sich einige Mündungen, die 2 bis
3 Zoll niedriger sind, als die Einlassröhren. Nachdem nun das Wasser
oben circulirt hat und dem Druck der Luft ausgesetzt gewesen ist,
fällt es durch diese Oelfnung in Röhren, die mit unterirdischen Kanälen
in Verbindung stehen, welche es den nächsten Behältern zuführen.
Durch solche Pyramiden werden nicht nur die Wasserleitungen
ersetzt und damit beträchtliche Ausgaben erspart, sondern die Berüh-
rung des Wassers oben auf der Höhe mit der reinen Luft dient auch
Constantinopel.
233
zur Eeinigung und Erfrischung des Elements. Auch werden dadurch
die Aufseher in den Stand gesetzt, wenn in den unterirdischen Kanälen
Eisse oder Verstopfungen entstehen, die schadhafte Stelle sofort zu
entdecken. Dergleichen Wasserwagen findet man auch in der t^tadt an
verschiedenen Orten, z. B. auf der Colonnade bei der Schahsadeh-Mo-
schee; einige haben an den Seiten steinerne oder eiserne Vorsprünge,
die als Leitern dienen. Andere, wie die im Thal des Pulvermagazins
unweit Piali Pascha und die bei dem Maslak zwischen Pera und Bujuk-
dere sind inwendig 'mit Treppen versehen. Dieser Maslak (Behälter,
eigentlich Spund oder Hahn) erhält sein Wasser aus den Benden von
Bagdschi Köi und versorgt mehre Dörfer am Bosporus von Bebek bis
Jeni Köi.
Die beiden grossen Taksim oder Wasservertheiler in Pera und
am Egri Kapussi sind dem Princip nach gleich gebaut, r.ur die Form
ist etwas verschieden. Sie zerfallen, wie alle Taksim in zwei Abthei-
lungen: die Behälter und die Vertheilungskaramern. Erstere sind läng-
liche Bauwerke mit starken Mauern und gewölbten Decken, die mit
starken Ziegeln oder Steinplatten belegt sind. Das Innere ist mit einem
dauerhaften Kitt überzogen, der so undurchdringlich und so zähe ist,
dass, obgleich einige Taksim sich ganz unter der Erde befinden, und
folglich den Einsickerungen von Aussen wie dem Druck von Innen
ausgesetzt sind, doch noch keinerlei Ausbesserung nöthig geworden ist,
was um so mehr Wunder nimmt, als diese gerade die ältesten sind.
An deu Dächern haben die Behälter eiserne Platten, die geöftnet werden
können, um Luft und Licht hereinzulassen. Auf der einen Seite befindet
sich eine Thür. Ihr Umfang ist so gross, dass sie viele tausend von
Tonnen Wasser aus den Benden aufnehmen können. Eine gewölbte
Leitung führt es der Vertheilungskammer zu. Das aus den Taksim
fliessende Wasser ist nicht gut trinkbar. Der lange Weg durch die
Kanäle aber und seine Erfrischung in der Wasserwage verbessern es,
so dass es von den Aerzten nicht für ungesund gehalten wird. Wer
indess vollkommen wohlschmeckendes Wasser trinken will, muss sich
an die Wasserverkäufer wenden, welche an verschiedenen berühmten
Quellen kleine Pässer füllen lassen.
Zu den geschätztesten Quellen auf dem europäischen Ufer ge-
hören die von Defterdar Skelessi, nicht weit von Ejub, die von Mir
Akhor bei den Süssen Wässern von Europa, die von Jeni Köi und
Stenia in dem anmuthigen Thale beim Landgut Tahir Pascha's, endlich
die Sultansquelle im Eosenthai von Bujukdere, welche letztere die Ehre
hat, den kaiserlichen Harem zu erfrischen. Die berühmteste Quelle auf
der asiatischen Seite des Bosporus ist die von Kara Kulak.
Wir schliessen mit einem Blick auf die Sieben Thüpme, die
auf türkisch Jedi Kuli heissen. Dieses Gebäude steht isolirt am äus-
sersten westlichen Ende von Stambul, wo die über das Vorgebirg lau-
fende Mauer am Marmorameer endigt. Es ist ein altes Schloss, welches
einst als Staatsgefängniss diente, und welches jetzt von Jahr zu Jahr
mehr verfällt. Drei von den Thürmen sind fast ganz verschwunden,
'^^^54 Constantinopel.
die noch übrigen sind etwa 200 Fuss hoch. Dieses Fort wurde wahr-
scheinlich sehr bald nach Gründung der Stadt erbaut. Theodosius ver-
stärkte es durch zwei Thürme. Als Mohammed II. die Stadt einnahm,
war das Schloss der Sieben Thürme eine Euine. Er baute es wieder
auf, und dasselbe wurde später eine Janitscharenkaserne. Dann war
es, wie bemerkt, Staatsgefängniss. Ein kleiner Hof, wo man die Köpfe
der hier Enthaupteten aufschichtete, bis sie über die Mauer schauten,
heisst noch jetzt der Platz der Köpfe. Die Garnison besteht jetzt nur
aus einigen Soldaten, die in der Kegel gegen ein kleines Bakschisch
den Eintritt in das Innere gestatten. Bekannt ist, dass mau hier noch
im vorigen Jahrhundert die Gesandten einsperren liess, mit deren Ge-
bietern der Sultan in Krieg verwickelt wurde.
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 235
ACHTES CAPITEL.
X>ie Uier des ^Bosporus in. £}ux*opa. und .A.sien-
1. Das europiiioche Ufer: Artaköi, Kuru Tschesme, Arnaut Köi, Bebek, Buniili
Hissar, Balta Linian, Emirgiau, Stenia, Jeiii Köi, Kaleiidar. Therapia, Keüli Köi, Bu-
jukdere, Bagdschi Köi, Belgrad, Sarijari, Ruinili Kawak, Bujuk Limau, Karibjeh, Fana-
raici, Kilia. — 2. Das asiatische Ufer: Riwa, Poiras, Filburun, Anadoli Kawak, der
Riesenberg, Unkiar Skelessi. Bejkos, Äkbaba. Sekedereh, Sultania, Indschir Köi, Tschib-
buklu. Kandlija, Auadoli Hissar. Kandilli, Kalleh Bagdschessi, DscheiigelH Köi, Beg-
lerbeg, Stavros, Kusgundschik, Skutari, Bulgerlu, Kadiköi oder chalcedou. — Gallipoli.
— Die Dardanellen.
Wir betrachten die Strasse zwischen dem Schwarzen und dem
Marmoraraeer zuerst kurz vom militärischen Standpunct, und bemerken
zunächst, dass die Länge des europäischen Ufers des Bosporus gegen
vier, die des asiatischen ungefähr fünf deutsche Meilen beträgt, und
dass die Forts und Batterien auf jenem mit 251, die auf diesem mit
235 Kanonen armirt sind, ganz abgesehen von 17 Geschützen, welche
grosse Steine schleudern. Diese Forts und Batterien sind gegenwärtig
nichts weniger als im verfallenen Zustande, sondern im Gegentheil in
der besten Verfassung, und sehr wohl geeignet, das Durchsegeln einer
Flotte unmöglich zu machen. Diese Vertheidigungsmittel des Bosporus
bestehen in Batterien, die mit 6 bis 10 Geschützen schweren Calibers
armirt sind und in Forts oder Schlössern, die auf den Landvorsprüngen
an den schmälsten Stellen des Kanals stehen und so angebracht sind,
dass ihr Feuer sich kreuzt. Die Batterien befinden sich in dem süd-
lichen Theile des Bosporus und laufen, ein wenig unterhalb Constan-
tinopels beginnend, an beiden Ufern bis an die Bucht von Bujukdere
hin, wo dann die Forts beginnen. Zu ßumili Kawak, auf dem euro-
päischen Ufer, befinden sich zwei Forts, eines mit 28, das andere mit
45 Feuerschlünden. Auf der asiatischen Seite, jenen beiden gegenüber,
liegen zwei andere Forts, eines zu Riwa, das andere zu Anadoli Kawak,
jenes mit 45, dieses mit 30 Geschützen bewaffnet. Der Bosporus ist
hier nicht breiter als 3600 Fuss, und wird nach dem Gesagten von
etwa 130 Feuerschlünden vertheidigt, die grossentheils 36 Pfünder, zum
Theil auch Paixhans sind. Eine Flotte, selbst wenn sie aus Dampfern
bestünde, hätte das Feuer dieser Geschützmassen wenigstens 20 Mi-
nuten auszuhalten Vier andere Forts vertheidigen die Durchfahrt nach
dem oder von dem Schwarzen Meere auf eine halbe deutsche Meile
hin. Die vier zu Bujuk Liman und Karibjeh auf der europäischen und
Die Ufer des Bosporus in Buropa und Asien. 237
zu Filburuu und Poiras auf der asiatischen Seite haben zusammen etwa
100 Kanonen, und die Meerenge ist hier etwa 6000 Fuss breit. Diese
vier Forts sind ein fast ebenso grosses Hinderniss für die Forcirung
des Bosporus, als die genannten. Wo die Meerenge in das Schwarze
Meer mündet, sind wieder zwei Forts, welche jedes 20 bis 30 Geschütze
führen. Endlich befinden sich an der Küste des Schwarzen Meeres noch
zwei solche Schlösser, die so eingerichtet sind, dass sie eine etwa beab-
sichtigte Landung von Truppen zur Erstürmung der genannten Befe-
stigungen unmöglich machen.
Nichts kann schöner sein, als die Scenerie an den Ufern des
vielgeschlängelten, an Wechsel in Formen und Farben überaus reichen
Bosporus. Der Khein, die Donau in ihren schönsten Stellen, die Hud-
son zwischen Newyork und Albany bieten nichts dem Aehnliches. Indem
wir von Dorf zu Dorf gehen, werden wir das ganze europäische Ufer bis zu
den cyaneischen Felsen am Eingang in's Schwarze Meer beschreiben
und dann auf dem asiatischen Ufer nach Süden umkehrend ebenfalls
Ort für Ort bis nach Skutari und Kadiköi herab schildern.
Der Bosporus, dieser eigenthümliche Kanal zwischen der Pro-
pontis und dem Pontus bildet durch seine Windungen eine Kette gleich-
sam von sieben See'n. Diese Windungen werden auf jeder Seite durch
sieben Vorgebirge bedingt, die auf dem gegenüberliegenden Ufer ebenso
viele Buchten bilden. Sieben Strömungen von verschiedener Kichtung
folgen den Windungen der Küste. Jede hat ihre Gegenströmung, durch
welche das Wasser, mit Heftigkeit in die verschiedeneu Buclxten ge-
trieben, von dort in entgegengesetzter Eichtung aufwärts in die andere
Hälfte des Kanals fliesst. Das erste Vorgebirge auf der europäischen
Seite ist das von Tophana (das alte Metopon), welches zu gleicher Zeit
den Hafen von Constantinopel schliesst und den Bosporus beginnt. Das
nächste, zu dem wir gelangen, ist das von Ortaköi, das dritte das
von Arnaut Köi oder Defterdar Buruni, das vierte das von Eumili
Hissar, wo der Bosporus am engsten ist. Dann folgt als fünftes das
von Jeni Köi, dann das von Eumili Kawak, endlich als siebentes das
Vorgebirge am Eingang in's Schwarze Meer, auf dem der Leuchtthurm
steht. Die Buchten auf der asiatischen Seite, welche diesen Vorgebirgen
entsprechen, sind folgende: Ortaköi gegenüber die von Tschengel Köi,
Eumili Hissar gegenüber die, in welche der Göksu mündet, Jeni Köi
gegenüber der Bucht von Tschibbukli, fünftens die von Unklar Ske-
lessi, sechstens die Ehede von Anadoli Kawak, siebentens die beiden
Eheden von Ketscheli Liman und Poiras Liman.
Die Vorgebirge der asiatischen Seite sind, von Süden angefangen :
das von Skutari, das von Kandilli, das von Kandlijah, die Therapia
gegenüber sich in den Kanal hinausstreckende Landspitze von Unar
Köi, dann der Fluss des Eiesenberges, dann sechstens das Vorgebirge
von Anadoli Kawak an der obern Enge des Bosporus, endlich siebentens
das mit dem Leuchtthurm auf der asiatischen Seite der Mündung des
Pontus. Die sieben grossen Buchten auf dem europäischen Ufer aber
238 Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
sind die zwischen Dolmabagdsche und Ortaköi, die von Kuru Tschesrae,
die von Bebek, dann die von Balta Liman und Bujukdere.
Die Ortschaften auf dem europäischen Ufer sind folgende :
Funduklu, eine Porsetzung von Tophana. Hier stand im Alterthum
ein Altar des Ajax und ein Tempel des Ptolemäus Philadelphus, dem
die Byzantiner göttliche Ehre erwiesen. Dolmabagdsche, dessen Palast
ira vorigen Capitel erwähnt wurde, ein ziemlich ausgedehnter Ort auf
einem Hügel, der das Pentekorikon des Alterthums ist. Hier liegt die
Moschee von Auni Effendi, und ein Stück weiter nördlich das Denk-
mal des türkischen Seehelden Chaireddin Barbarossa, welches indess
von der See aus nicht zu sehen ist. Dann folgt das ebenfalls bereits
erwähnte Beschiktasch, in dessen Nachbarschaft ein sehr anrauthig hart
am Ufer gelegenes Derwischkloster und nicht weit davon das Kloster
von Jahia Effendi, einem frommen Türken, erblickt, dem Murad III.
hier ein Denkmal setzte. Der griechische Name von Beschiktasch war
Dipdokion, d. h. die Doppelsäule. Hier Hess Mohammed II. die flachen
Boote und Schiff"e bauen, die er auf dem Landwege (wenn die ganze
Erzählung überhaupt richtig ist) nach dem Innern Ende des Goldenen
Horns schaffte, als er den letzten Sturm auf Constantinopel zu unter-
nehmen ira Begriff war. Es sollen 80 Galeeren, jede zu .30 oder .50
Eudern, gewesen sein, die er auf Rollen und mit Benutzung von Segeln
hinter Galata herum in die Gewässer von Kosmidion (Ejub) geschafft
haben soll.
Der nächste Punct nördlich von Beschiktasch ist der Palast von
Tsehiragan. Dann folgt das Dorf Ortaköi, ein schmutziger, von vielen
Christen und Juden bewohnter Ort, der ausser einer grossen Moschee
und dem Palast eines reichen armenischen Bankiers nichts für das Auge
bietet. Auf dem Gipfel des Hügels über dem Dorfe steht das Jildiss
Köschki oder Sternkiosk, der mit seiner weiss-schimmernden Umfassungs-
mauer eine weithin sichtbare Landmarke bildet, und in welchem in den
letztverflossenen Jahren die Sultanin Mutter ihre Residenz hatte. Rechts
von hier mündet eine gute Pahrstrasse auf die grosse Strasse zwischen
Pera und Bujukdere. Die zur Linken führl über die Militärschule und
die Artilleriekaserne nach Pera zurück, wobei sie zuerst das schöne
Thal von Plamur durchschneidet, in welchem man auf Terrassen an
den Seiten der Thalwände eine Art Park von Lindenbäumen mit Gar-
tenhäuschen und Springbrunnen trifft. Der Ort ist ein Lieblings-Spa-
ziergang für die türkischen Damen, und man kann sie hier bisweilen
eben so zahlreich versammelt sehen, als an den Süssen Wässern.
Dieser Spaziergang nebst einem grossen Kaffeehause liegt, wenn
man von Pera über den Okmeidan herunter kömmt, rechts von der
Strasse, die hier steil in das Thal hinabfällt, welches von den schönen
Lindenbäumen (Plamur =^ Linde) seinen Namen hat. Links von der Strasse
liegt ein neues grossherrliches Lustschloss mit einem kleinen englischen
Garten. Er ist etwas verwildert, aber unendlich schattig, voll reizender
Plätzchen in dichtem Grün versteckt und reich an duftenden seltenen
Blumen. Zwei Kiöschke liegen in seiner Mitte, beide in jener präch-
Die irfer des Bosporus in Europa und Asien. 239
tigen, nur mit Schnörkeln überladenen Architektur gebaut, welche den
neuen Palast von Dohna-Bagdsche auszeichnet ; der eine für den Sultan,
der andere, kleinere und weniger pomphafte, für die Prinzen des gross-
herrlicheu Hauses. Beide sind aus reinem Marmor gebaut und würden
einen überaus schönen Eindruck machen, wenn man nicht den ver-
rückten Einfall gehabt hätte, die Marmorquadern von oben bis unten
mit gemeinem Kalke zu übertünchen. Nun sehen die Kiöschke wie ge-
wöhnliche mit Mörtel beworfene Ziegelbauten aus. Gegen ein Bakschisch
von 10 — 15 Piastern lässt der Grartenwächter 3 — 4 Personen sehr gerne
ein, nur in das Innere der Kjöschke kommt man nicht leicht Der
Sultan liebte es früher, hier im Sommer zu frühstücken. Seit er den
Prachtpalast von Beglerbeg in Asien drüben besitzt, der sein Lieblings-
aufenthalt im Sommer geworden ist, besucht er Flaraur nur mehr drei-
bis viermal im Jahre. So verödet der reizende Landsitz allmälig.
lieber Ortaköi hinaus macht der Bosporus eine plötzliche Wen-
dung nach links, wodurch er das Cap von Defterdar Burnu bildet, bei
welchem während starker Nordwinde die Strömung sehr reissend ist.
Auf dieser Landspitze steht eine grosse Villa von apfelgrüner Farbe,
die einem Schwager des Sultans gehört. Ein Stück weiter hinauf erblickt
man einen gelben, mit orientalischen Säulen geschmückten Palast, der
das Eigenthum desselben Herrn ist. In demselben wohnte früher Esma
Suitana, die Schwester Mahmud's IL, deren Name in Stambul noch oft
genannt wird. Sie war die Heldin manches tragisch endigenden Lie-
besabenteuers, und noch zeigt man hier einen Bogen, unter dem das
Wasser des Bosporus aus dem Palast geworfene todte Körper her-
vorspülte.
Eine kleine Strecke weiter hinauf am Bosporus liegt Kuru
Tschesmc Unter dieser Bezeichnung begreift man nicht nur das grosse
Dorf dieses Namens, sondern auch alle Gebäude, welche zwischen den
beiden Landspitzen Defterdar- und Akindi Buruni liegen. Hier stand
in alter Zeit ein Lorbeerbaum, den Medea gepflanzt haben sollte, als
sie auf ihrer Flucht von Kolchis mit Jason hier landete. Der Hügel
in der Nähe üieses Baumes, der natürlich längst verschwunden ist,
wurde von den alten Byzantinern die Beere der Isis genannt. Es ist
wahrscheinlich das vortretende Stück Ufer, bei welchem das Dorf Kuru
Tschesme beginnt. Dieses letztere hiess früher Estias, Anaplus oder
Vicus Michaelicus, von der berühmten Kirche des Erzengels Michael,
die Constantin d. Gr. hier erbaute und Kaiser Justinian wiederher-
stellte. Diese Kirche war berühmt wegen der Styliten oder Säulen-
heiligen, welche im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung hier ihr
Wesen trieben. Der bekannte Schwärmer Simeon und eben so Daniel
Stylites producirten hier ihre Verrücktheiten, wofür das Volk sie als
Halbgötter verehrte. Wir fügen bei, was Cedrenus über die Sache
mittheilt :
,In diesen Tagen erstieg der grosse Simeon, genannt der Säulen-
heilige, die Säule, um sich Denen zu entziehen, die seine Kleider zu
berühren wünschten, die von Thierfellen (wie die der bocharischen
240 Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
Derwische) gemacht waren. Zuerst Hess er sich die Säule 18 Fuss hoch
inacheu, dann 36, dann 66, zuletzt 108 Fuss. Ich glaube, dass diese
Art zu leben nicht möglich gewesen wäre, ohne göttliche Hilfe zur
Besserung der Gottlosen. Als der Herr Jesaias nackt und baarfuss
gehen hiess, und Jeremias gebot, nur mit einem Gürtel und häufig
mit hölzernen und eisernen Schellen um den Hals zu prophezeien, als
er Hoseas befahl, sich eine Hure zu nehmen und die Ehebrecher zu
lieben, als er Ezechiel 40 Tage auf der rechten und 150 Tage auf der
linken Seite liegen, das Schwert schärfen, sich den Kopf scheeren, sich
das Haar in vier Theile scheiteln hiess — in derselben Weise, als der
Herr alle diese Dinge anordnete, damit alle Die, welche seinem Worte
nicht gehorchten, durch die Eigenthümlichkeit des Schauspiels ange-
zogen würden, dessen Neuheit Gelegenheit zur Verbreitung des Evan-
geliums bot: ebenso verbreitete dieses grosse Licht Symeons, gleichsam
auf einen Leuchter gesteckt, überall hin seine Strahlen, so dass Ibe-
rier, Armenier und Perser täglich kamen und sich taufen Hessen."
Nach Simeon bestieg der erwähnte Daniel die Säule und blieb
auf ihr stehen bis zum vierten Jahre der Regierung Leo's des Grossen,
das heisst nicht weniger als 28 Jahre.
Arnaut Köi, d. h, das Albanesendorf, liegt jenseits Kuru
Tschesme, an der Spitze des felsigen Vorgebirges, welches hier den
Bosporus einengt und dadurch eine starke Strömung hervorruft. Hier,
auf der Halbinsel Estias, stand einst die Kirche der heiligen Theodora,
in welcher unter Alexius, dem Sohn von Manuel Komnenus eine Ver-
sammlung vornehmer Byzantiner sich gegen den Sebastokrator ver-
schwor. Die Gewalt und Gefährlichkeit der Strömung ist so gross, dass
die Euderer hier ihre Arbeit aufzugeben und sich an Tauen durch
dieselbe hindurch ziehen zu lassen genöthigt sind. Wenn mehre Kaiks
zusammenkommen, laufen sie Gefahr, zerschmettert oder auf die Küste
geschleudert zu werden , und bei stürmischem Wetter ist diese Stelle
nur von Dampfern zu passiren. Man nehme sich daher bei Ausflügen
mit einem Kaikdschi in Acht, und kehre, wenn Wind droht, lieber zu
Fuss oder zu Pferde, als in dem gebrechlichen Boote zurück. Ein
Brunnen hart am Ufer ist das einzige Zeichen moslemischen Geschmacks
in Arnaut Köi, da das Dorf, wie sein Name sagt, eine Ansiedelung
von Albanesen ist. Ausser diesen leben hier nur Griechen und Juden.
Die Strasse um das Vorgebirge herum ist mit Läden und Verkaufs-
ständen besetzt, die nach der See zugekehrt sind. Darüber erheben
sich zerfallene Terrassen, auf denen man an Sonn- und Festtagen
Massen griechischer Frauen sitzen sieht, die sich des schönen Wetters
und des Anblicks der unten auf der blauen Flut hingleitenden Kaiks
erfreuen. Die Nordseite dieses Kaps hat eine Menge schöner Land-
häuser, deren schönstes einem andern Schwager des Sultans gehört.
Am griechischen Epiphaniasfeste (18. Februar neueren Styls) kann mau
hier einem seltsamen Schauspiele beiwohnen. Eine Masse von Griechen
beiderlei Geschlechts versammelt sich dann an der Spitze des Kaps,
gleichviel, ob der unbarmherzigste Sturm wüthet, oder tiefer Schnee-
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 241
die Gegend bedeckt. Ein Bischof erscheint mit einem Kreuz, welches
er segnet und dann in die Flut wirft. Sofort stürzen sich kühne Tau-
cher hastig in die dahinschiessende Strömung, xim das Kreuz zu erha-
sithen, und der Glückliche, der es aus dem wüthenden Kampfe im
Wasser zurückbringt, erhält eine reiche Belohnung, die nicht nnr in
klingender Münze, sondern auch im Geruch erhöhter Heiligkeit besteht
— beides ein hinreichender Antrieb für ein geldgieriges und fanatisches
Volk, sich des angebornen. Abscheues vor kaltem Wasser einmal zu
entschlagen.
Bebek. Die liebliche Lage dieser ringsum von araphitheatralisch
aufsteigenden öden Bergen eingeschlossenen Bucht zog bald die Auf-
merksamkeit der osmanischen Sultane auf sich, und Selim I. beeilte
sich, hier einen Kiosk als Soramerresidenz anzulegen. Im Sommer 1725
war die ganze üferstrecke vom Landhaus Hassan Chalifs bis zu dem
felsumschlosseneit Hafen unmittelbar unter Kumili Hissar angekauft
und ein Palast, eirr Bad und eine Moschee erbaut, welche zusammen
den Namen Humaiunabad, d. h Kaiserschlo.ss, erhielten. Ausser diesen
verdienen hier noch zwei andere Gebäude: die Bäckerei, welche für die
türkische Flotte den Schiffszwieback liefert, und der Berathungskiosk,
die Aufmerksamkeit des lloisenden. Es gibt wohl kaum eiqen schöner
gelegenen Kathssaal, als diesen. Zu bemerken ist, dass hier in der
Nähe einst ein Tempel der Diana Diktynna stand. Bebek ist übrigens
von mehren vornehmen Franken bewohnt, es befindet sich hier eine
von amerikanischen Missionären geleitete Schule und ein CoUeg, welches
französische Lazaristen unterhalten.
Wir kommen nun zu dem prachtvollsten Theil des ganzen Bos-
porus, wo die fast ununterbrochene Reihe von Strassen und Häusern
am Ufer zum ersten Mal seit Tophana durch einen romantisch aut
schroffem Folsvorsprung gelegenen Friedhof und dessen dunkelgrünen
Cypressen und Fichten unterbrochen wird. An den steilabfalienden
Klippen ziehen sich die vielgewandenen Mauern des alten Schlosses
Rumili Hissar hin, dessen mächtige Thürme sich hoch über die benach-
barten Räume erheben und mit diesen und den buntbemalten Häus-
chen, die man unter den Ruinen gleichsam angeklebt sieht, eines der
prächtigsten Landschaftsbilder der Welt bieten. Hier ist der Bosporus
am schmälsten, und hier schiesst die Strömung mit solcher Gewalt
vorüber, dass sie in der That den Namen Scheitan Akindisi (Teufels-
strom) verdient, den ihr die Türken gegeben haben. Hier muss bei
Nordwind jedes Boot einige Leute haben, welche es (man zahlt dann
für den Mann einen Piaster) gQgen die Strömung ziehen. Mit dem Teu-
felsstrom verknüpft sich eine Sage. Man erzählt nämlich, dass eine fa-
natische Sultaniu den Befehl erthetlt habe, die christliche Kirche in
dem benachbarten Dorfe Neochori niederzureissen, während die Ge-
meinde gerade dem Gottesdienst beiwohnte. Bei ihrer Rückkehr wurde
ihr Kaik von der Strömung ergriffen, und die einzige, welche das Leben
verlor, war die grausame Fürstin.
16
242 Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
Bumili Hissar, d. h. das Schloss von Rumelien. — Die Erbau-
ung dieser wichtigen Festung am engsten Punct des Kanals ging der
Eroberung von Constantinopel vorher. Schon wäbrend der Regierung
des Kaisers Manuel Paläologus hatte Mohammed I. auf dem asiatischen
Ufer die Burg Anadoli Hissar erbaut. Mohammed II. errichtete dieser
gegenüber eine zweite Zwingburg zwei Jahre vor seinem siegreichen
Sturm auf die Kaiserstadt am Gold'nen Hörn. Dies geschah zum grössten
Schrecken des zitternden Kaisers. Umsonst liess er dem Barbaren-Sultan
durch eine Gesandtschaft alle Gegengründe auseinandersetzen, die ihm
der eben abgeschlossene Friede in die Hand gab. Mohammed gab barsch
zur Antwort, er werde thun, was ihm beliebe, und der nächste Ge-
sandte, der ihm nahte, werde lebendig geschunden werden. Er hatte
bei Beginn des Winters gegen tausend Maurer und ebenso viele Kalk-
brenner zusammengetrieben, und ehe der Frühling erschien, war der
gebrannte Kalk vom andern Ufer, das nothwendige Bauholz von Niko-
media und Heraklea am Schwarzen Meer herbeigeschafft, und der Sul-
tan selbst kam von Adrianopel herbei, um mit Genauigkeit den Plan
und die Lage der neuen Festung zu bestimmen. Im Hafen von Soste-
nios, an der Stelle, die jetzt von dem lauten Rauschen der Strömung
Phonias, d. i. Echo, genannt wird, gab er die Richtung der Grund-
mauern an,- die er nach der wunderlichen Idee, dass sie die arabischen
Buchstaben des Namens Mohammed darstellen sollten, ziehen hiess. So
kam ein Thurm an die Stelle zu stehen, wo in arabischer Schrift der
Bnchstabe Mim (M) einen Ring bildet, und das Ganze bekam die nn-
regelmässigste und sinnloseste Gestalt, die jemals eine Festung hatte.
Dreien seiner Generale, Chalil Pascha, Tschakan und Saritscha, über-
trug er den Bau der drei grossen Thürme, welche der Festung auf
den ersten Blick das Ansehen eines vollkommenen Dreiecks gaben. Jedem
der tausend Maurer war die Aufgabe gestellt, eine Strecke von 6 Fuss
zu bauen, tausend Handlanger standen ihnen bei der Arbeit zur Seite,
ungezählt die Menge von Arbeitern, welche, von den Türken in Ana-
tolien genöthigt, Bauholz, Kalk und Ziegeln herbeischafften. Bei dieser
Gelegenheit wurden verschiedene christliche Kirchen niedergerissen und
mit ihren Pfeilern und Altären in die Veste verbaut, z. B. die Kirche
des Erzengels Michael auf der asiatischen Seite, die der zu Anaplus
(Kuru Tschesme) gegenüber lag. Mohammed nannte das Schloss Bogass
Kessen, d. i. Zerschneider der Meerenge. Dasselbe wurde binnen drei
Monaten vollendet. Die Mauern waren 30 Fuss dick und 60 Fuss hoch.
Auf dem von Chalil Pascha erbauten Thurm wurden gewaltige Kanonen
aufgestellt, welche Steine von mehr als 6 Centner schleuderten. Firass
Aga besetzte das Schloss mit 400 auserlesenen Leuten, wobei er Auf-
trag erhielt, von jedem vorbeifahrenden Schiffe Zoll zu verlangen.
Obwohl kein Zweifel darüber obwaltet, dass am Fusse dieses
Vorgebirges als der schmälsten Stelle des Bosporus Mandrokles von
Samos die berühmte Brücke baute, über welche Darius die persische
Armee nach dem Scythenlande führte, so muss man sich die Lage
dieser Brücke doch nicht in gerader Linie zwischen Rumili und Ana-
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 243
doli Hissar denken. Hier würde die Gewalt der Strömung keine Brücke
geduldet baben. Man wird sich dieselbe also etwas weiter oben im
Norden, wo die See ruhiger ist, ungefähr in der Eichtung von Rumili
Hissar nach dem gegenübergelegen,en Dorf Korfas Bagdschessi vor-
stellen müssen. Auf dem Vorgebirge Hermäon selbst, wo jetzt Rumili
Hissar liegt, befand sich der zum Thron umgestaltete Felsen, auf
welchem Darius sass, als er den Uebergang seiner Leute beobachtete.
Dieser Felsen hiess noch in späterer Zeit der Thron des Darius, und
hart neben demselben standen die berühmten Säulen, auf welchen die
Beschreibung des Uebergangs in assyrischen und griechischen Schrift-
zeichen eingegraben war. Möglich, dass man dieselben noch einmal ent-
deckt, wenn das jetzt entwaffnete und dem Verfall entgegengehende
Fort niedergerissen werden sollte.
Balta Lim in, d. h. Bucht der Streitaxt. Das Vorgebirge Hermäon
trennt die Buchten von Balta Liman und Bebek und erhebt sich über
verschiedene andere kleine Baien und Häfen, obschon es nicht so hoch
als das von Defterdar Buruni ist. Zu Balta Liman befindet sich die
Villa, in welcher der berühmte türkische Staatsmann und Reformator
Redschid Pascha einst lebte. Später kaufte sie der Sultan Abdulraed-
schid und schenkte sie seiner Tochter Fatmeh, welche sich mit Red-
schid's Sohn vermählte. Hier wurden verschiedene wichtige Verträge,
z. B. der Tractat der fünf Grossmächte von 1841 und die Convention
in Betreff der Donauf ürstenthümer von 1849 abgeschlossen. Das Kap,
auf welchem das Dorf und Schloss von Balta Liman liegt, erhebt sich
allmälig zu einem hohen Gipfel eine Viertelmeile vom Ufer, welcher
Schehidler, d. i der Platz der Märtyrer, genannt wird, indem hier in
einer Turba, umgeben von Bäumen, mehre rauselmännische Heilige
begraben sind. Dies ist ein beliebter Ort zum Ausreiten für die Be-
wohner Pera's und ein Platz, wo die am Bosporus wohnenden Fremden
häufig Picknicks veranstalten.
Emirgian. — Das Ufer biegt hier zu einer kleinen Bucht ein,
die sehr schön mit Cypressen bepflanzt ist. wesshalb der Ort früher
Kyparode, d. i. der Cypressenhain hiess.
Stenia. - Die schönste, grösste und merkwürdigste Rhede am
Bosporus, eine Bucht, geformt von der Natur zur Erbauung und Bei gung
von Schiffen, und auf Grund dessen von den ältesten Zeiten her als
der Schauplatz zahlreicher Schiffs-Unternelimungen und Seegefechte
berühmt. Es hiess bei den Byzantinern mit dreifachem Namen : Stenos,
Leothenius und Sosthenius. Der erste Name (Engpass) kommt von den
benachbarten Engen des Bosporus, der zweite von dem Gründer Megaras
Leosthenes, der dritte von den Argonauten, welche hier aus Dankbarkeit für
ihre Rettung aus den Händen ihres Bedrängers Amykus einen Tempel bauten.
Nachdem Amykus, der König der Bebrycer, welcher am Fuss des Riesen-
bergs auf der andern Seite des Bosporus herrschte, den Argonauten mit
Gewalt die Weiterfahrt verwehrt, liefen sie in die waldige Bucht bei
Stenia ein, wo sie, ermuthigt durch die Erscheinung eines Genius mit
Adlersschwingen, den Kampf mit dem feindlichen König wieder auf-
244 Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
nahmen und später, nachdem sie gesiegt, dem Genius einen Tempel
errichteten. Constantin der Grosse, der hier den Tem))el und das Stand-
bild eines geflügelten Genius fand, verwandelte jenen in ein Kloster,
und den Genius in den Erzengel Michael, den Befehlshaber der himm-
lischen Heerschaaren. Als die Barbaren weiter gegen die Hauptstadt
des sinkenden byzantinischen Reiches vordrangen, und ihre Flotten
wiederholt im Bosporus erschienen, wurde Stenia ihr Ruheplatz. Später,
im Jahre 712, nahmen die Bulgaren Stenia ein und dehnten ihre Streif-
züge bis zur Goldenen Pforte aus. Im Jahre 912 verbrannten sie den
kaiserlichen Palast in Stenia, und zwanzig Jahre später zerstörten die
Russen die ganze Stadt so gründlich, dass fast keine Spur von ihr
übrig blieb. Ein sehr anmuthiger Weg führt von hier durch das Thal
hinauf nach Maschlak, einem neuen Dorfe auf der Höhe. Ebenfalls ein
sehr schöner S])aziergang ist es, wenn man sich von hier über Kosref
Pascha's Gut und durch den Wald nach Balta Liman begibt. Ein kurzer
Weg endlich führt von hier rechts ab über den Weinberg des Logo-
theten Aristarchi nach Therapia.
Jeni Köi. — Dieses Dorf hat eine beträchtliche griechiBche und
armenische Bevölkerung, die reicheren unter den Einwohnern besitzen
hübsche Landhäuser am Seeufer. Die Höhen hinter dem Dorfe bieten
namentlich da, wo sie mit Weinbergen und Nadelholz bedeckt sind,
schöne Spaziergänge.
Kalendar. — So heisst die nächste kleine malerische Bucht im
Norden, welche das Stelldichein aller Liebhaber der Fischerei in den
benachbarten Ortschaften ist. Da die See in dieser fast auf allen Seiten
eingeschlossenen Bucht sehr ruhig und der Schiffahrt günstig ist, so
nannten die Byzantiner sie die Bai der stillen See. Der Sultan besitzt
hier einen kleinen Palast, welcher der Schauplatz des ersten jener
langen Reihe diplomatischer Triumphe war, welche Lord Stratford de
Redcliffe in der Türkei erfocht, indem hier zwischen ihm und den
Ministem der Pforte die Bedingungen des Tractates von Bukarest
(1812) vereinbart wurden.
Therapia. — In Therapia befinden sich zwei ganz erträgliche
Hotels, von denen das Hotel d'Angleterre das beste ist. Im letzteren
zahlt man für Kost und Wohnung täglich 50 Piaster. Die Bai von
Therapia bildet einen ebenso geräumigen als sicheren Hafen, der nur
dem von Stenia an Werth nachsteht. Nach Süden hin ist sie von einer
Hügelkette eingeschlossen, die sie von dem kleinen Busen von Kalendar
trennen, und im Norden von einem gewöhnlichen Vorgebirge. Man
nannte die Bucht früher Pharmakia, wegen des Giftes, welches Medea
hier auf der thracischen Seite ausgestreut haben sollte. Später verwan-
delte man Pharmakia in Therapia, Gift in Gesundheit. Das letztere ist
symbolisch für die gesunde Lage des Ortes, der an der Bucht hier
entstanden ist. Die kühlen Lüfte, welche vom Schwarzen Meer herein-
wehen, kühlen die sommerliche Hitze hier mehr wie anderwärts und
machen Therapia zu einem der angenehmsten Aufenthaltsorte am ganzen
Bosporus. So wurde Therapia ein Lieblingsaufenthalt zunächst der
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 245
vornehmen Griechen. Die fürstlichen Familien des Fanar hatten früher
besonders in dieser Gegend ihre Villen und Paläste. Der Palast, welcher
früher dem Fürsten Ypsilanti gehörte, wurde nach dessen Empörung gegen
den Sultan couflscirt und von der Pforte dem französischen Gesandten
geschenkt. Der Palast der Familie Soutzo fiel in die Hände des Sultans,
der ihn bisweilen im Sommer bewohnte und ihn mit einem schönen
Park umgab. Die Grundstücke, welche früher dem Fürsten Mavrojeni
gehörten, sind sehr malerisch gelegen, das Gebäude darauf aber hat
nichts Merkwürdiges. Dieser Fürst wurde enthauptet, weil er eine
Kirche erbaut hatte ; letztere wurde niedergerissen , und man kann
noch jetzt ihre Ruinen sehen. Die Rhede von Therapia ist ebenso oft
wie die von Stenia der Schauplatz von Seetreflfen gewesen, nameutlich
kämpften früher hier oft genuesische und venetianische Galeeren mit
einander. Sie war der Punct, wohin sich Nicolö Pisani zurückzog, nach-
dem er am 13. und 14. Februar 1352 zu Stenia zu gleicher Zeit mit
dem Feinde und den Stürmen gekämpft hatte. Die Bucht von Therapia
ist der Ausgang eines anmuthigen Thaies, welches nach einer frischen
Quelle führt und deshalb das Thal des kühlen Brunnens heisst. Da
Therapia der Wohnsitz mehrer fränkischer Kaufleute ist und verschie-
dene bequeme Häuser besitzt, so ist vielleicht kein Ort geeigneter, das
Hauptquartier für Reisende vom Mai bis zum October zu bilden. Das
Dorf hat eine Bevölkeruiig von 4000 Seelen, die mit wenigen Aus-
nahmen Griechen sind. Die Nachbarschaft ist reich an schönen Spa-
ziergängen, und es ist das höchste Vergnügen für Freunde ländlicher
Anmuth, im Mai oder Juni im sanften Zwielicht eines heiteren Abends
hier herumzustreifen zwischen Cypressen und Pinien und hinabzuschauen
auf den klaren blauen Bosporus. An wenigen Orten kann man den
Zauber der so oft besungenen südlichen Nächte so voll und reich ge-
messen als hier.
Keßli-Köi. — Die felsige Küste, welche unmittelbar auf den
Strand von Therapia folgt, hiess früher der Schlüssel des Euxinus, weil
man hier den ersten Blick auf die Mündung des Bosporus in das
Schwarze Meer hat. Das Ende dieser Felsenreihe ist die kleine Spitze
von Kiredsch Buniu, d. h. das Kreidevorgebirge, wo ein Agiasma oder
ein den Griechen heiliger Brunnen, der Agia Euphemia geweiht und
von schönen Platanen beschattet, einen willkommenen Ruheplatz und
eine prächtige Aussicht auf das Schwarze Meer bietet. Dieser Platz
wird häufig von Liebhabern von Wasserpartien besucht, besonders in
der Zeit der Feigenernte.
BujiiMere. — Die Sommerresidenz des grösseren Theiles der
fränkischen Gesandtschaften hat ihren Namen von dem grossen Thale,
welches sich von hier fast anderthalb deutsche Meilen in's Innere streckt.
Dasselbe ist eine Fortsetzung der tiefen Bucht vor dem Orte und geht
bis zu den waldigen Höhen über der Wasserleitung von Bagdschi-Köi.
Die schöne Bucht hiess im Alterthum Bathy Kolpos, die tiefe Bai. Das
grosse Thal ist ein fast ebenso beliebter Spaziergang als die Prome-
nade bei)n Friedhof von Pera. Auf der Sohle desselben, die mit schönen
246 Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
Wiesen bedeckt ist, und zwar im unteren Tlieil des Thaies, steht die
berühmte Baumgruppe der sieben Brüder, Jedi Kardasch, von denen
die Sage behauptet, dass Gottfried von Bouillon sie gepflegt oder unter
ihnen mit seinem Heere gelagert habe, als er 1096 hier nach Jeru-
salem vorbeigezogen sei. Die Schriftsteller, welche diesen Kreuzzug
beschrieben haben, wissen davon nichts, auch ist es nicht glaublich,
dass die Kreuzfahrer, welche von Kosmidion, d. h. von Ejub nach
Chalcedon, d. h. Kadiköi, übersetzten, dabei diesen ungeheuren Umweg
gemacht haben sollten. Das Dorf Bujukdere besteht aus einer untern
und einer obern Hälfte. In jener wohnen Griechen, Armenier und einige
wenige Türken, in dieser befinden sich die Paläste und Gärten der
europäischen Gesandtschaften Der schönste und imposanteste dieser
Sommerpaläste ist der des russischen Botschafters, der sich auch durch
seinen herrlichen Garten auszeichnet. An schönen Mondscheinabenden,
wenn das lichte Blau des Himmels sich mit dem tiefen Dunkelblau
des Bosporus mischt und das Glitzern des himmlischen Lichts auf den
Wellen sich dem phosphorischen Leuchten des letzteren beigesellt,
wenn Kaiks voll griechischer Sänger und Guitarrenspieler an den Ufern
hingleiten und der duftige Nacntwind die sanftesten Melodien über
das Wasser hinträgt und bisweilen das leise Plätschern der Wellen
sich hören lässt, versteht man das Lob, welches die Bewunderer dieses
Punctes ihm ertheilen. Zwei grosse Hotels bieten bequeme Unterkunft,
auch beendet sich hier ein schönes Kaffeehaus, welches jeden Abend
den Son^mer hindurch erleuchtet ist und wo fast unablässig Musik-
chöre spielen. Spaziergänge gibt es in Menge um Bujukdere, und man
kann es als die beste Operationsbasis für den Reisenden bezeichnen,
welcher, den Wald von Belgrad, seine Bende und Aquäducte, die Wild-
nisse am obern Bosporus, den Kiesenberg, das Genueserschloss und die
lieblichen Thäler von Unklar Skelessi und Bej kos zu besuchen wünscht.
Niemand daher, der die Hauptstadt zwischen Mai und October besucht,
sollte sie (wofern er Zeit hat) verlassen, ohne in Bujukdere eine Woche
zugebracht zu haben. Wer nicht so viel Zeit erübrigen kann, könnte
wenigstens Gelegenheit suchen, einem dieser Orte einen Besuch abzu-
statten, indem er mit dem Dampfer nach Bujukdere führe, hier eine
Nacht im Hotel du Croissant bliebe, am andern Morgen einen Ausflug
unternähme und Nachmittags nach Stambul zurückkehrte Das Bosen-
thal, Kesteneh Suju, die Quelle der Kastanienbäume oder Kiredsch
Burnu, wären entzückende Ziele von Spaziergängen, wenn ein paar
Stunden übrig bleiben sollten. An dem letztern schattigen Orte fladet
der Reisende in die Rinde des grössten unter den Bäumen ein ganzes
Gedicht in schönen persischen Schriftzeichen eingeschnitten. Es soll
von einem Shawlverkäufer aus Ispahan sein, und die Zeilen beklagen
die vergängliche Natur des Schreibers, während die Schrift geraume
Zeit bleiben würde. Nach Kesteneh Suju kann man den Weg durch
das Rosenthal nehmen und dann durch den Garten des russischen
Gesandtschaftspalastes zurückkehren, wo mau beim Herabsteigen von
der Höhe eine prachtvolle Aussicht geniesst.
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 247
Sehr lohnend ist auch ein Ausflug längs des Ufers hin nach
Domasdere, einem Dorf am Schwarzen Meer; auf dem Rückweg kann
man einen Theil der Gegend von Belgrad sehen, das heisst den dor-
tigen Wald, der den Hauptreiz dieses Dorfes ausmacht. Dieser Aus-
flug kann, wenn man zu Pferde ist und sich nicht zu lange aufhält,
in etwa acht Stunden gemacht werden.
Bagdschi Köi. — Wir wenden uns jetzt zum ersten Mal vom
Meeresufer nach dem Innern des Landes, um zwei Dörfer zu besuchen,
welche sehr häufig von den Pranken in Constantinopel und Bujukdero
zum Ziel ihrer Ausflüge und bisweilen zum Landaufenthalt gewählt
werden. Das erste dieser Dörfer ist Bagdschi Köi, gelegen auf dem
Kamme der Höhenkette, nach welcher das lange und allmälig veren-
gernde Thal von Bujukdere sich erhebt, etwa 1 '/^ Stunde von der See.
Der Vordergrund wird von malerischen Platanen und Cypressen ge-
bildet, und der Aquäduct Mahmud's I. schliesst das Thal. Einer der
besten Puncte, sich der schönen Aussicht zu erfreuen, ist der unmit-
telbar unter dem grossen Bogen, durch den die Strasse von Bujukdere
nach Bagdschi Köi hinaufführt. Man steht gleichsam unter dem Thor-
gewölbe einer Mauer, welche hier ein persisches Paradies einschliessen
könnte; denn innerhalb dieser wasserleitenden Mauerbogen findet man
Wälder und Waldwiesen, die einen Park zu bilden scheinen, aber indem
sich das Auge nach der See wendet, schweift es durch das grosse,
schöne, wohlbewässerte und mit reicher Vegetation bekleidete Thal
hinab nach den Ufern des Bosporus, dessen asiatische Ufer anmuths-
voll den Horizont schliessen. Auf der einen Seite erblickt man die
blaue Meerenge und die Flaggen zahlreicher Schiffe, die Ruder von
Kaiks, auf der andern Seite schaut man in den grünen Wald und auf
eine Menge von Arabas oder vergoldete Ochsenkarren, die buntgeklei-
dete türkische Damen spazieren fahren. Ueber die Wasserleitungen und
ihre Becken ist im vorigen Capitel alles Erforderliche bemerkt.
Das zweite Dorf, Belgrad, liegt eine starke Stunde weiter im
Innern des Landes, umgeben von einem Walde, der einen Umfang von
etwa 4 deutschen Meilen hat. Ausser der Wichtigkeit, die dem Dorfe
die hier befindlichen Wasserbecken und Aquäducte verleihen, ist es
deshalb eines Besuches werth, weil es die lieblichsten Spaziergänge
auf der ganzen thracischen Seite des Bosporus besitzt, während die
dichten Waldpartien den nordischen Reisenden lebhaft an die Wälder
seiner Heimat erinnern. Es gibt indess hier keinen Wald, der ganz oder
vorwiegend aus einer Art von Bäumen bestünde, ein Eichen-, Buchen-
oder Fichtenwald wäre. Diese Eigenschaft macht die hiesigen Wälder
aber nur um so schöner. Sie sind ein Gemisch von Buchen, Birken,
Eichen, Platanen, Pichten, von Pappeln und Ulmen, die ihre verschie-
denen Farben im Frühling und Frühsommer auf das wohlgefälligste
für das Auge entfalten. Man trifft hier an schönen Tagen fast immer
zahlreiche Griechen, Franken und Armenier unter den Wipfeln gelagert.
Die letztern verweilen oft ganze Wochen hier in glücklichem Nichts-
thun. Sie nennen den Ort Defigam, Sorgenbrecher, und in der That, kaum
248
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
lässt sich ein lieblicheres Sanssouci denken, als hier in den schattigen
Hainen, auf den von grünen Wipfeln überdachten Waldwiesen von
Belgrad. Der schöne Dorfbrunnen ist schon vor Jahren in den bekann-
ten Briefen der Lady Wortley Montagu gepriesen, die hier ihre Som-
merresidenz aufschlug, und deren Haus von den Dorfbewohnern noch
jetzt den Fremden gezeigt wird. Früher wohnten mehre der fremden
Gesandten den Sommer über hier; da indess gegen das Ende des
Sommers in Folge der feuchten Stellen im Walde Fieber vorkommen,
so wurden Therapia und Bujukdere, wo die Luft stets gut und gesund
ist, vorgezogen. Jetzt wohnen nur im Mai, Juni und Juli Franken in
Belgrad. Wer Zeit und Neigung hat, sechs Monate der schönsten Jah-
reszeit im schönsten Theil der Umgebungen von Constantinopel zu
verleben, wird sich so einrichten, dass er den Mai auf den Prinzen-
inseln, den Juni in Belgrad, Juli bis September in Bujukdere und den
October wieder auf den Prinzeninseln verbringen kann.
Wir kehren jetzt wieder aus dem Innern zum Ufer des Bospo-
rus zurück, um unsern Gang bis an dessen Mündung in's Schwarze
Meer fortzusetzen und zunächst nach Sarijari zu gehen. Die Land-
spitze, mit welcher die grosse Bucht von Bujukdere im Norden endigt,
heisst Mesar Burnu oder das Gräbervorgebirge, weil auf der andern
Seite der von Bäumen beschattete Friedhof des Dorfes Sarijari liegt.
Sarijari heisst auf türkisch der gelbe Platz, eine Bezeichnung, welche
von den vielen hier vorkonnnenden von Ücher und Schwefel gelbge-
färbten Felsen hergenommen ist. Das Dorf wird vorzüglich von Fischern,
Schiffern und Gärtnern bewohnt. Die hiesigen Obstgärten sind vorzüg-
lich wegen ihrer Kirschen berühmt. Murad IV. rief, als er hier den
Garten eines gewissen Polak besuchte, aus: , Ich, der Diener der beiden
edelsten Harems (er meinte Mekka und Medina) besitze keinen solchen
Garten wie diesen!" Im Alterthum hiess die Landspitze Mesar Burnu
Sinias und die Bucht von Sarijari Skletrinas. Auf dem Vorgebirge von
Pirnas aber stand eine Statue der Venus Meretricia, welcher die Schiffer
besonders eifrig geopfert haben sollen. Am Ende des Thaies von Sari-
jari führt ein Weg nach dem Brunnen Kastanessu, dessen Wasser nur
dem von Dschamljidja an Güte nachstehen soll.
Mumili Katvak. — Das Vorgebirge unmittelbar über Sarijari
hinaus war in alten Zeiten unter dem Namen Amilton bekannt. Am
Puss desselben liegt die neue Batterie von Dili Talian, die in Verbin-
dung mit der gegenüber befindlichen Batterie von Juscha 1794 von
dem französischen Ingenieur Monnier angelegt wurde. Auf der andern
Seite des Kaps erhebt sich das Fort von Eumili Kawak, welches zugleich
mit der gegenüberliegenden Festung Anadoli Kawak vom Sultan Mu-
rad IV. erbaut wurde, um den Bosporus gegen die Streifzüge der da-
mals sehr gefährlichen Kosackengeschwader zu beschützen. Jason soll
hier, nachdem er auf der asiatischen Seite den zwölf grossen Göttern
geopfert, der Cybele einen Altar errichtet haben, was er bereits auf
dem Berg Dindymos bei Kyzikus und an der Mündung des Phasis
gethan hatte. In der Zeit der byzantinischen Kaiser lagen die beiden
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 249
Burgeu, welche die Einfahrt in den Bosporus vertheidigten, auf dem
Gipfel der beiden sich gegenüber liegenden Hügel; von ihnen liefen
Mauern bis an das Ufer herab. Die Meerenge selbst aber war durch
eine Kette gesperrt, welche da anfing, wo diesseits und jenseits die
Mauer aufhörte, so dass die Vertheidigungslinie in gewissem Sinn von
Gipfel zu Gipfel reichte. Diese alten Burgen, von denen die auf dem
europäischen Ufer ganz in Trümmern liegt, während die auf der asia-
tischen Seite noch ziemlich wohl erhalten ist, werden jetzt die Genue-
serschlösser genannt, und in der That gehörte das asiatische Schloss
in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters den Genuesen, welche
sich von den ein- und aussegelnden Sclüffen einen Zoll entrichten
Hessen.
Das nächste schmale Thal nach dem Grabhügel Mauro Molo's
führt zu einer Quelle, über welcher in der byzantinischen Zeit eine
Capelle der Panagia von Kastanienbäumen stand. Auf dem Gipfel der
Höhe, za welcher dieses Defile führt, trifft man einen grossen alten
Rundthurm, welcher Turris Timäa hiess. Es war der Leuchtthurm, auf
welchem man des Nachts Packeln eraporhielt, deren Licht, in gerade
Linie mit denen an der Mündung des Bosporus gebracht, die auf dem
Schwarzen Meer fahrenden Schiffe vor dem Scheitern an den cyaneischen
Klippen oder der thracischen Küste bewahrte. Man erzählt, dass die
ältesten Bewohner, ein grausames und raubgieriges Geschlecht, statt
dessen gerade an den gefährlichsten Stellen Fackeln leuchten Hessen,
so dass viele Schiffer, die sie für den Leuchtthurm hielten, an dem
Felsen scheiterten, worauf sie von den Schurken ihrer Ladungen be-
raubt wurden.
Jenseits des Defiles von Mauros Molos führt längs des Ufers
kein Pfad mehr hin, da hier die Küste sich als schroffe Felswand über
das Meer erhebt. Aber die Strasse ersteigt die Höhen und führt nicht
fern von deren Rande weiter. Wo die Felsen in ein Kap endigen, bildet
die Biegung des Landes einen Hafen, der einst der Hafen der Ephe-
sier hiess, jetzt aber den Namen Btijuk Liman führt. Dies ist der
erste Zufluchtsort auf dieser Seite für Schiffe, welche vom Pontus
Euxinus einlaufen, dessen stürmische Natur den sichern Port oft will-
kommen heissen lässt. Das Vorgebirg, welches den genannten Hafen
eiuschliesst, wird in Folge seiner öden, dürren und unwirthlichen Fel-
sennatur Taschlandschik, d. i. das felsige, genannt. An seiner Spitze
erheben sich die Wälle der Festung Karibjeh. Dieses Cap hiess im
Alterthum Gygopolis, d. h. die Geierstadt. Hierher verlegt die Sage
den Hof des Königs Phineus, der hier die Argonauten, seine Retter
von der Gefrässigkeit der Harpyen, bewirthete,
Fanaraki oder Fener Köi, d. i. das Leuchtthurmdorf, liegt auf
der äussersten Spitze der europäischen Seite des Bosporus. Ihm gegen-
über liegen die cyaneischen Klippen oder Symplejaden der Argonauten-
Mythe. Die cyaneischen Klippen hiessen sie von ihrer dunkelblauen
Farbe, Symplejaden von ihrer Eigenschaft, fortwährend gleich den Kinn-
laden eines kauenden Ungeheuers zusammenzuschlagen. Die Fabel von
250 Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
dieser Beweglichkeit entstand, wie man gemeint hat, daraus, dass sie
(was freilich auch von allen andern Klippen gilt) bei bewegter See bald
sichtbar wurden , bald verschwanden, da sie eben nur 8 bis 12 Puss
über dem Wasserspiegel hervorstehen. Jason, welcher nach Kolchis
segelte, um dort das goldne Vliess zu rauben (nach einigen prosaisch
denkenden Gelehrten wollte er dort nur besonders schöne Schafwolle
einkaufen), wagte sich hindurch und es gelang ihm das Wagestück,
nachdem ihm der gute König Phineus den Eath gegeben, den Versuch
nicht eher zu machen, als bis er eine Taube hindurch geschickt. Diese
wegfindeude Taube ist entweder eine Erinnerung an das uralte Auspi-
cium oder an die Ursage von der Taube Noah's. Wenn die Mythe
erzählt, die Taube habe ihren Plug glücklich vollendet, indess in den
zusammenschlagenden Klippen ihren Schwanz lassen müssen, so wissen
die erwähnten Gelehrten sofort die rechte Erklärung. Nach jenen war
die Taube ein Schiff, welches auf Recognoscirung voraus geschickt
wurde Dabei verlor sie an einer der Klippen ihr Steuerruder — den
Schwanz der Taube.
Die Symplejaden sind der Schlusstein unserer Wanderungen auf
dieser Seite des Bosporus. Ein Steinblock, gleich dem Piedestal einer
Säule, welcher sich hier findet, scheint der Rest eines Altars zu sein,
den die Römer hier dem Apollo errichteten. Prüher hiess man ihn die
Säule des Pompejus, mit demselben Recht, mit dem man die Säule in
Alexandrien so nennt, und mit dem man den Thurm über Mauros
Molos den Thurm Ovids, den vor Skutari den Leanderthurm heisst.
Nicht unwahrscheinlich dagegen ist, dass hier die riesige Urne stand,
die Pausanias am Ausgang des Bosporus aufstellte, und welche, von
Erz gegossen, nicht weniger als 600 Amphoren fasste.
Ehe wir dieses Ufer des Bosporus verlassen, möge noch kurz
der Dörfer Jerliköi, Demirdschi Köi und Domasdere gedacht werden,
die an einem sich gegen das Schwarze Meer öffnenden Thale liegen,
in dem man Lagen versteinerten Holzes antrifft. Endlich sei noch der
kleinen Festung Kilia gedacht, die in einer Bucht des genannten
Meeres gelegen, das Aussenwerk ist, welches die europäische Seite des
Bosporus in derselben Weise schützt, wie Riva die asiatische. Die
Bucht ist eine berühmte Station für Fischer. Der nächste Platz am
Schwarzen Meere ist Derkos, das alte Denelton, eine Tagereise von
Constantinopel entfernt. Zwischen diesem Orte und Selymbria (Silivri)
war die grosse anastasische Mauer, welche die Bestimmung hatte, die
Hauptstadt gegen die Angriffe der Barbaren zu schützen.
Nach dem asiatischen Ufer übersetzend, kommen wir zunächst
nach der kleinen Festung Biva, an der Mündung des Flüsschens gleiches
Namens, welches drei Stunden landeinwärts bei dem Dorfe Abdular
entspringt. Die Schönheit der Ufer dieses Flusses ist vifel und ver-
dientermassen gepriesen worden. Am andern Ende der kleinen Bucht
von Riva erhebt sich der Felsen Kromion, d. i. der zwiebeiförmige,
früher Kolone geheissen. Er war einst eine rings von Wasser umspülte
Klippe, jetzt ist er durch Sandanschwemmung mit dem Festland ver-
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 251
banden. Von hier kommen wir zunächst nach dem Cap Jaraburun,
welches sich schroff und spitz in das Meer hinausschiebt und wo eine
heftige Brandung tobt. Es hiess im Alterthum Ancyräura, von dem
Anker, den Jason hier mitnahm. Dieser Anker war ein schwerer Stein,
der von den Argonauten später am Phasis zurückgelassen wurde. In
der byzantinischen Zeit wurde das Ankercap heilig gesprochen, indem
die christliche Legende aus dem Anker einen Heiligen machte, so dass
die Bucht, welche das Cap einschliesst, von griechischen Schiffern, jetzt
die Bucht des heiligen Sideros, d. h. des heiligen Ankers genannt wird.
Gleich daneben, auf der andern Seite des Vorgebirges, öffnet sich die
kleine Bucht von Kabakos, in der sich zwei ziemlich grosse Grotten
finden, von welchen die eine bei 72 Puss Weite eine Höhe von 40 und
eine Tiefe von 70 Puss hat. Weiterhin folgt Fanaraki, wo der asia-
tische Leuchtthurm steht. Dann Poiras, wohl eine Corruptiou aus
Boreas, da dieser Punct dem Nordwind sehr ausgesetzt ist. Das hier
befindliche Port wurde zu gleicher Zeit mit dem von Karibjeh erbaut.
Weiterhin treffen wir Filburun, d. i. das Elephantenkap, dann Anadoli
Kmoak, unmittelbar dem Fort von Rumili Kawak gegenüber, an einer
der schmälsten Stellen des Bosporus, welche einst die «heilige Mün-
dung" hiess. Mit diesem Kap tritt die grosse bithynische Bergkette
des Olympus in die See hinaus, wie auf der andern Seite die grosse
thracische Kette des Hämus, und man kann sagen, dass beide sich
unter dem Wasser der Meerenge die Hände reichen. Die Parallele der
natürlichen Lage und der künstlichen Befestigung, die wir bis hierher
von der Mündung des Bosporus verfolgten, wird hier noch greifbarer.
In derselben Weise, wie sich die Byzantiner auf den Höhen, die Türken
am Ufer der europäischen Seite befestigten, ganz ebenso verfuhren sie
hier. Nur das Genuesercastell ist, wie schon bemerkt, grossentheils
erhalten, während das byzantinische auf der andern Küste zusammen-
gefallen ist. In alten Zeiten hiess das Vorgebirge Hieron, das Heilig-
thum, nach dem Tempel der zwölf Götter, deren Dienst nach der
Sage zuerst Phrygos, dann Jason hier eingerichtet haben soll. Ausser
diesem Tempel hatten Zeus und Poseidon hier besondere Heiligthümer,
die von den alten Schriftstellern häufig erwähnt werden, von denen
aber jetzt ebenso wenig noch eine Spur zu finden ist, als von den
Tempeln der Cybele und des Sarapis, welche auf dem andern Ufer
(wahrscheinlich erst in der Römerzeit) gestanden haben sollen. Die
Engen von Hieron galten schon in der ältesten Zeit als die Stelle, wo
Europa und Asien sich am meisten näherten, und als der eigentliche
Vorposten des Bosporus, welcher denselben vor den Angriffen nörd-
licher Barbaren zu vertheidigen habe. Noch vor Constantin dem Grossen,
im Jahre 248, erschienen die Heruler vor Constantinopel mit einer
Flotte von 500 Booten, mit der sie Chrysopolis, das heutige Skutari,
blockirten, von wo sie sich indess nach einem unglücklichen Seetreffen
nach Hieron zurückziehen mussten. Ungefähr zu derselben Zeit waren
die Gothen hier über die Meerenge gegangen, um Bithynieu bis in die
Gegend von Nikomedien zu verwüsten. Odenatus, Oberfeldherr im öst-
252 Die Ufer des Bospoi-us in Europa und Asien.
liehen- Theil des lömischen Kelches, verfolgte sie bis Heraklea am
Schwarzen Meer. 865 erschienen die Russen zum ersten Mal mit einer
Flotte im Bosporus und drangen bis nach Hierou vor. Sie mussten sich
diesmal zurückziehen. Aber 941 kamen sie wieder und verbrannten
Hieron, Stenia und einen Theil der byzantinischen Flotte. Mit 10,000
schnellsegelnden Schilfen (Dromites) gingen sie auf Constantiuopel los,
wurden jedoch zuletzt von dem Patrizier Theophanes zurückgetrieben.
Vermöge seiner Lage war Hieron der geeignetste Ort, Zoll für die
Erlaubniss zur Durchfahrt durch den Bosporus zu erheben, und so
legten schon die ersten byzantinischen Herrscher hier eine Zolls tätte
an. Diese Anstalten Messen Commercia. woher das jetzige türkische
Wort Gumerk, Zollhaus, abzuleiten ist. Das Zollhaus für den Bosporus
war in Ilieron, das für den Hellespont in Abydos. Die Kaiserin Irene
erraässigte diese Zölle. Als die Genueser von Galata aus den Kaiser
in seinem Palast za bedrohen und ihr Augenmerk auf die Herrschaft
in diesen Meeren zu richten anfingen, waren sie ganz besonders darauf
bedacht, sich Hierons und mit diesem des Schlüssels zum Bosporus zu
be nächtigen, und im 14. Jahrhundert hatten sie es in ihrer Gewalt.
1360 erschien vor der Burg von Hieron eine venetianische Flotte von
33 Galeeren, um den Genuesern den alleinigen Besitz der Herrschaft
streitig zu machen, und später wurde hier wiederholt zwischen Byzan-
tinern und Genuesern gekämpft, und Hieron scheint wieder in die
Hände der ersteren zurückgelangt zu sein. Wenigstens war, als die
Türken die Hauptstadt bedrohten, in Hieron eine byzantinische Be-
satzung. — Auf den Ruinen des alten Heidentempels baute Justinian
eine Kirche, die er dem Erzengel Michael weihte und so dem Obersten
der himmlischen Heerschaaren die Bewachung des Bosporus gegen die
Barbaren anvertraute. Bis auf den heutigen Tag sieht man auf den
Mauern der alten Burg die Wappen von Genua und Byzanz, Die jetzigen
Bewohner desselben sind ein ruhiges, meist von Acker- und Gartenbau
lebendes Völkchen, das nur unter sich heirathen soll und eine eigene
Religion hat, über die man indess nichts Gewisses erfährt.
Weiter nach Süden folgt ein Berg, welcher, Bujukdere gegen-
über gelegen, der höchste am ganzen Bosporus ist und von den frän-
kischen Reisenden gewöhnlich der Riesenberg, von den Türken nach
dem Hühnengrab auf seinem Gipfel, welches sie für Josua's Grab
halten, Juscha Dagh, Josuasberg genannt wird. Die classischen Schrift-
steller nahmen an, dass jenes Grabmal den Leib des Bebrycerkönigs
Amycus in sich berge, welcher Alle, die landeten, zu einem Zweikampf
auf den Cestus herauszufordern pflegte, in welcher Waffe er sich be-
sonders auszeichnete. Pollux nahm diese Herausforderung bei der
Rückkehr der Argonauten von Kolchis an und erschlug den König. Der
Fuss des Berges theilt sich in zwei Aeste, welche als Vorgebirge in die
See hinaustreten. Das nördliche heisst JVIadschar Burun, das Vorge-
birge der Ungarn, das südliche Mesar Burun, das Kap der Todten.
Zwischen beiden öffnet sich eine kleine Bucht, in welcher das Dorf
Uraurköi liegt. Die Batterie am Fuss des erstgenannten Kaps, gleich
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 253
den gegenüberliegenden von Deli Talian das Werk des französischen
Ingenieurs Monnier, heisst die Josuasbatterie. Darüber erblickt man
die Ruinen einer von Justinian erbauten Kirche des heiligen Pantaleon.
Die Höhe des Berges beträgt 520 Puss, und man hat von seinem Gipfel
eine zauberhaft schöne Aussicht über einen grossen Theil des Kanals.
Das Gestein ist Kreide, welche am Puss gebrochen und gebrannt wird.
Das Grabmal oben ist 20 Puss lang und 6 Puss breit, mit einer stei-
nernen Einfriedigung versehen und mit Büschen und Blumen umpflanzt.
Zwei Derwische pflegen es zu bewachen Warum gerade Josua hier
liegen soll, ist nicht gut zu erklären. Vielleicht versetzte man sein
Grab hierher auf den Berg, weil er während des bekannten Wunders,
wo er die Sonne still stehen hiess, auf einem Berge stand. Nach tür-
kischer Vorstellung war übrigens Josua ein furchtbarer Riese; denn
er hatte die Gewohnheit, sich, während er auf dem Berge sass, im
Bosporus die Püsse zu waschen. Die vielen Fetzen von Heraden und
andern Kleidungsstücken, welche man an dem Grabe aufgehangen sieht,
haben Bezug auf den im vorigen Capitel erwähnten Aberglauben, nach
welchem das Volk meint, wenn es solche Fetzen an den Gräbern hei-
liger Personen aufhängt, werde in demselben Maasse, wie der Wind
dieselben auslüftet, auch die Krankheit allmälig weichen, welche den
Träger des Restes jener Kleidungsstücke ergrilfen hat.
TJnkiar Skelessi, d. i. der Landungsplatz des Menschentödters
(letzteres ist einer der Titel des Sultans), liegt am Ausgang eines der
schönsten Thäler auf der asiatischen Seite des Bosporus und ist in
Folge dessen schon seit Jahrhunderten einer der Lieblingswohnplätze
der türkischen Herrscher gewesen. Mohammed IL bereits erbaute hier
einen Kiosk, den er, da ihm zu dieser Zeit gerade die Nachricht der Ein-
nahme von Tokat zuging, mit jenem blutigen Namen belegte. Später
errichtete Soliman der Grosse an dieser Stelle einen Palast, der indess
allmälig verfiel. 1746 baute ihn Mahmud I. wieder auf und schmückte
ihn mit Springbrunnen, Cisternen und Parksophas. Auch dieses Gebäude
sammt allem Zubehör ist jetzt zusammengefallen. An seine Stelle setzte
Selim III. eine Papiermühle, die, wenn ihr Erzeugniss so schön wäre,
als das Gebäude, das vorzüglichste Papier der Welt liefern würde. Alles
ist von Marmor, der Salon ist geräumig und hell und das Ganze könnte
eher als ein Peehpalast, wie als eine prosaische Papierfabrik gelten.
Auf einem Hügel, der in die See hinaustritt, steht jetzt ein neuer Pa-
last des Sultans von rothem und weissem Marmor, den ihm der Pascha
von Aegypten gebaut hat und der zwar nicht gross ist, aber eine sehr
hübsche Lage hat. Im Alterthum hiess das Vorgebirge von Madschar
Burun Argyconium, das von Mesar Burun Actorechon und die Bucht
von Unklar Skelessi Maucoporis. Das Thal und der dahinter aufstei-
gende Riesenberg sind der Schauplatz, wo 1833 die russische Armee
lagerte und wo der bekannte Vertrag vom 26. Juni jenes Jahres ab-
geschlossen wurde, nach welchem „im Fall der Noth" (dessen Bestim-
mung dem russischen Botschafter anheimgegeben wurde) die Türkei
verpflichtet war, die Dardanellen aller fremden Flotten zu schliessen.
254 Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
Weiter südlich kommen wir nach dem grossen türkischen Dorfe
Bejkos, welches am Ausgang eines Thaies vor einer Bucht liegt, die
im Alterthum den Namen jenes Königs Amykus führte, bisweilen aber
auch die Bucht des wüthenden Lorbeers genannt wird. Hier soll der
wilde Bebrycerfürst sein Hoflager und seine Ochsenställe gehabt, hier
mit Pollux gekämpft haben. Hier stand auch sein Grab, auf das man
einen Lorbeerbaum pflanzte, der später den seltsamsten Spuk anrich-
tete. Wer nämlich Blätter von demselben abbrach und diese mit sich
führte, der nmsste unwillkürlich gegen Jedermann in Schimpfreden
ausbrechen, woraus sich dann Mord und Todtschlag entwickelte. In
früheren Zeiten gab es in der Bucht von Bejkos viele Schwertfische,
die sich indess jetzt nicht blos von hier, sondern aus dem Bosporus
überhaupt zurückgezogen haben sollen.
Alcbaba und SeJcedere. Von Bejkos gelangt man auf anmuthig-
stem Wege in etwa zwei Stunden nach den Dörfern Akbaba und Se-
kedere, die im Innern in einem romantischen Thale liegen. Letzteres
ist berühmt wegen einer stahlhaltigen Heilquelle. Von hier kann man
seinen Spaziergang fortsetzten bis zu dem am Fuss der bithynischen
Bergketten gelegenen Dorfe 'Arnautköi. Das Thal von Akbaba wird
deutsche Reisende, welche die Umgegend von Wien kennen, lebhaft an
die Schönheiten der einsamen Thäler hinter dem Kahlenberg, von
Dornbach bis Mauerbach erinnern ^ während sein reichverzierter Mar-
morbrunnen wieder an türkische Prachtliebe denken lässt
SuUania heisst sowohl die Bucht, welche auf die von Bejkos
folgt, als auch das araphitheatralisch in der Mitte derselben gelegene
grosse Dorf. Der Name soll von einem Garten herrühren, der von Ba-
jasid IL hier angelegt wurde. Derselbe ist jedoch anderen Ursprungs.
Als unter Sultan Murad III. der türkische Feldherr Usdemir Oglu
Osman Pascha Armenien und einen Theil Persiens eroberte und bis
Täbris, der Hauptstadt von Aserbeidschan vordrang, schickte er die
Fenster, Thüren und Möbel der Paläste, die er in den eroberten Städten
fand, an den Sultan, welcher diese Trophäen, zur Erbauung einer Som-
merresidenz an dieser Bucht verwendete. Dieselbe war ganz im persi-
schen Geschmak eingerichtet und erhielt ihren Namen Sultania von
einer der schönsten Städte in Aserbeidschan. Gegenwärtig existirt von
diesem Palast, welcher vermuthlich wie viele andere türkische Sultans-
schlösser von Holz war, keine Spur mehr, sondern man sieht ein mo-
dernes Gebäude, welches von irgend einem Reis Effendi erbaut worden
sein soll.
Der nächste Ort nach Süden hin ist Indschir Köi, d. i. das
Feigendorf, so genannt nach der Vertrelflichkeit der Feigen, die hier
sowie in Sultania wachsen. Unter den Obstbäumen dieser Gegend findet
sich ein seltsames Naturspiel in Gestalt von zwei Cypressen, die mit
zwei Feigenbäumen so verwachsen sind, dass die Cypressen Feigen zu
tragen scheinen.
TschibbuMu, das nächstfolgende Dorf, war im fünften Jahrhun-
dert unserer Zeitrechnung sehr berühmt wegen des grossen Klosters
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 255
der Schlaflosen (axoijin^Kov), welches der Abt Alexander gegründet. Die
Mönche in diesem Kloster zeichneten sich dadurch von allen andern
aus, dass sie nicht bloss zu den gewöhnlichen vier Gebetstunden sangen,
sondern ihren Gottesdienst ohne Unterbrechung Tag und Nacht fort-
setzten. .
Kandlija, das „blutige Dorf". Nichts kann die Anmuth dieses
Ortes und seiner araphitheatralisch aufsteigenden Terrassengärten über-
treffen, wenn man sie vom Kaik aus in einer Entfernung von einem
kleinen Plintenschuss von den Kiosks betrachtet, welche sich hart über
dem Wasser erheben, das mit seinem Spiegel die Bilder der Minarets,
Moscheen und Brunnen droben auf dem Ufer wieder strahlt,
Anaäoli Hissar. — Dieses alte Schloss, dem von Rumili Hissar
unmittelbar gegenüber gelegen, und vor demselben erbaut, hiess ursprüng-
lich Gussei Hissar, d. i. Schönburg. Später nannte man es gewöhnlich
den schwarzen Thurm, und es war ein gefürchtetes Staatsgefängniss,
in welchem viele Gefangene an schlechter Behandlung und unter Mar-
tern starben. Gleich neben dem dabei sich hinziehenden Dorfe fliesst
der Bach Göksu, d. i. Himmelsgewässer, an dessen Mündung sich ein
von Mahmud I. erbauter und von Selim I. wieder hergestellter Palast
erhebt. Das schöne Thal, welches sich von seinem Ausfluss in die
Berge hinaufzieht, ist unbestritten eines der lieblichsten dieser para-
. diesischen Gegend, vielleicht der ganzen Levante. Ja, der türkische
Dichter Malheni gibt ihm den Vorzug vor den vier schönsten Puncten
Asiens : der prächtigen Ebene von Damaskus, der schönen Wiesenland-
schaften von Obolla bei Bassora, der Ebene von Sogd und dem herr-
lichen Thal von Schaab Bewan in Südpersien.
In demselben Maasse, in welchem das ebenerwähnte Thal alle
andern Thäler des Bosporus an Schönheit übertrifft, ist das unter und
auf dem nächstfolgenden Vorgebirge erbaute Dorf Kandilli allen andern
Dörfern dieser Wasserstrasse an Lieblichkeit der Lage und reiner Luft
vorzuziehen. Sein Name war im Alterthum Ttepf^^ouv, d. i. das Um-
strömte, von der heftigen Strömung, welche von dem gegenüber auf-
ragenden Kap zurückprallend seinen Fuss umrauscht. Von den Häusern
auf der Höhe geniesst man die lieblichsten Blicke auf den obem und
den untern Bosporus, sowie auf das Marmorameer. Kandilli heisst das
Laternenerleuchtete, und wenige Orte mögen diese Bezeichnung so
wohl verdienen, indem es gleichsam wie eine vom Himmelsgewölbe
herabgelassene bunte Laterne dasteht, die ihre Strahlen voll Schönheit
weithin über die Höhen und die Gewässer der Gegend leuchten lässt
— Strahlen, die gleich denen einer Zauberlaterne, auf diese Höhe und
an diese Gewässer die bunteste, vielgestaltigste Mannigfaltigkeit von
Formen und Farben hinzuzaubern scheinen, mit dem einzigen Unter-
schiede, dass man hier nicht blosse Bilder, sondern Wirklichkeiten vor
sich hat. Kein Reisender, der Constantinopel besucht, sollte diese Höhe
von Kandilli übersehen. Keine Feder beschreibt das Gesammtbild oder
die einzelnen Gruppen dieses Panorama's mit seinem Wechsel von
Hügel und Thal, Buchten und Vorgebirgen, Wiesen, Wäldchen und
256 Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
Brunnen, seinen dunklen Cypressenhainen und lichten Rosenbeeten,
seinen rauschenden Strömungen und murmelnden Rieselbächen, seinen
vergoldeten Kiosks und seinen marmornen Springbrunnen — dieses
zaubervolle Durcheinander von flaggentragenden Masten und hochra-
genden weiss-schimmernden Minarets, von mächtigen Kuppeln und zahl-
losen, von Baumwipfeln unterbrochenen rothen Hausdächern Indem
man von der Ecke eines Kiosks an eine der Säulen desselben gelehnt,
ohne sich zu bewegen, nur durch die Wendung des Kopfes bald zur
Rechten, bald zur Linken den ganzen Bosporus vom Pontus bis zur
Propontis überschaut, blickt man in die sieben Landseen, in welche die
Meerenge zu zerfallen scheint, wie in sieben magische Kessel, von denen
einer dem Auge immer mehr Entzücken aufsteigen lässt, als der andere,
und während man in der Ferne im Norden die Stelle erblickt, wo die
schwarzblauen Symplejaden einst als Rachen der Unterwelt drohten,
sieht man auf der andern Seite in dem Spiegel des Marmorameeres die
Prinzeninseln friedlich, schön und heiter gleich den Inseln der Seligen.
Kalleh Bagdschessi, der „Garten des Thurms", leitet seinen
Namen von einer Sage her, nach welcher Sultan Selim L, erzürnt über
seinen Sohn Soliman, dem Bostandschi Baschi den Befehl ertheilte,
denselben zu erdrosseln. Der letztere fühlte indess Mittleid mit dem
Prinzen und verbarg ihn, mit Gefahr seines eigenen Lebens, auf drei
Jahre an dieser Stelle. Nachdem Selim von seinem siegreichen Zuge
nach Aegypten heimgekehrt war, reute ihn jener Befehl, da ihm sein
Mangel an Kindern schwer auf's Herz fiel, und jetzt gestand der Bo-
standschi Baschi seinen Ungehorsam, der ihm vom Sultan natürlich
gern verziehen wurde. Als Soliman später den Thron bestieg, verwan-
delte er den alten Thurm in einen prächtigen Garten mit Springbrunnen,
und pflanzte hier eine Cypresse, die noch jetzt gezeigt wird. Im ge-
wöhnlichen Leben wird der Ort kurz Kalleli genannt, welchen Namen
man deshalb den Kaikdschis gegenüber anwenden muss. Früher stand
hier eine Michaelskirche. Jetzt ist das auffallendste Gebäude des Ortes
eine grosse im gewöhnlichen türkischen Styl erbaute Reiterkaserne, die
unmittelbar am Wasser steht. Halbwegs die Höhe hinauf hinter Kal-
leli trifft man einen Kiosk des Sultans, der in einem schönen Hain
wie in einer Laube liegt. Ein höchst anmuthiger Weg führt von Kul-
leli links hinauf nach Kandilli. Derselbe windet sich um einen Hügel,
den ein anderer Kiosk des Grossherrn krönt und bietet bei jeder seiner
Wendungen neue überraschende Ausblicke auf den Bosporus.
Tschengelli Köi, d. i. das Hakendorf, so genannt nach dem
alterthümlichen eisernen Anker, den Mohammed II hier fand. Der
kaiserliche Garten am Ufer war der Schauplatz der blutigen Execu-
tionen unter Murad IV.
Begier beg liegt gerade über von Orta Köi und ist erst in den
letzten zwanzig Jahren zu dem Wohlstand gelangt, dessen es sich jetzt
erfreut. Unter den byzantinischen Kaisern zeichnete sich der Ort durch
die Grösse und Pracht seiner Gebäude aus. Zur Zeit des Gyllius hiess
es Chrysokeramos von einer Kirche, deren Dach mit goldenen Ziegeln
Die Ufer des Bosporus in Eiiropa und Asien. 257
gedeckt war. Unter dem Sultan Mahmud erhielt er den Namen Ferach-
fesa, d. i. wachsende Freude, ein Name, der ein Seitenstück zu dem
berühmten Garten Dilkuscha (Herzensöftner) ist, welchen Timür Leng
zu Herat anlegte. Hier in Beglerbeg liegt, wie schon erwähnt, die
eigentliche Sommerresidenz des Sultans, das asiatische Gegenstück zu
Dolma-Bagdsche. Der Palast von Begierheg, hart am Meeresufer gele-
gen und mit seiner weissleuchtenden ausgedehnten Fronte von weither
sichtbar, ist der grösste von allen Palästen des Sultans und noch immer
wird mit unsinniger Verschwendung daran gebaut. Abdul-Aziz hat diese
Stelle so lieb gewonnen, dass er alle seine anderen Lustschlösser über
Beglerbeg vernachlässigt. Weil er im Sommer fast beständig dort wohnt,
ist dieser Palast um diese Jahreszeit auch gänzlich unzugänglich
für Fremde.
Istavros, Beschiktasch gegenüber gelegen, zog schon in frühen
Zeiten durch seine der Hauptstadt nahe und schöne Lage die Aufmerk-
samkeit der Sultane auf sich, und Achmed I. baute hier eine Moschee
und legte 1613 einen kaiserlichen Garten an.
Kuskimdschik, hart neben Istavros und nahe bei Skutari, erhielt
seinen Namen vou Kusgun Baba, einem türkischen Heiligen, der unter
der Kegierung Mohammed's II. lebte. In dem Namen des benachbarten
kleinen Hafens Jukus Limani (Ochsenhafen) ist eine Erinnerung an die
Bedeutung des Wortes Bosporus (Ochsenfurt) aufbewahrt. Mit dem
Dorfe Kusgundschik oder vielmehr mit dem benachbarten Vorgebirg
Chrysopolis enden die Engen des Bosporus; denn die See auf der
andern Seite wird bereits Propontis oder Marmorameer genannt.
Indem wir nun einen Eückblick auf die Orte werfen, die wir
auf beiden Seiten des Kanals durchwandert haben, finden wir, dass
das asiatische Ufer die mehr begünstigte und geliebte Residenz der
ottomanischen Sultane gewesen ist, während die Westseite mehr von
den Franken und Griechen zum Aufenthalt während des Sommers ge-
wählt worden ist. Die Zahl der kaiserlichen Gärten und Gartenpaläste
ist auf dem asiatischen Ufer grösser, als auf dem europäischen; denn
während wir zwischen Tophana und Rumili Hissar nur fünf (Dolma-
bagdsche, Beschiktasch, Tschiragan, Flamur und Bebek) und weiter
hinauf nur zwei (die Villen von Kalendar und Therapia) derselben
linden, begegnen wir auf dem asiatischen Gestade doppelt so vielen.
Den eben erwähnten vier gegenüber haben wir die Gärten und Garten-
schlösser von Istavros, Beglerbeg, Tschengelli Köi, KaUeh Bagdschessi
und Kandilli erwähnt. Dann folgt das Thal des Himmelswassers, durch-
strömt von den Bächen Gök Su und Kutschuk Su, und weiterhinauf
treffen wird die kaiserlichen Gärten und Somraerpaläste von Kandüja,
Tschibbuklu, Sultania, Bejkos und Unklar Skelessi.
Wir kommen nun nach Skutari, der grössten von den Vor-
städten Constantinopels, welches, auf sieben niedrigen Hügeln erbaut,
auch als eine Stadt für sich betrachtet werden kann. Der Thurm, der
sich vor demselben auf einer isolirten Klippe 74 Fuss hoch auf der
Grenze zwischen Propontis und Bosporus erhebt und jetzt als eine Art
17
258 Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
Wachthaus dient, wird von den Türken Kiskulessi, d. i. Jungfern- oder
Mädchenthurm genannt. Die Franken haben dies irrthümlich auf die
Jungfrau bezogen, die in der Sage von Hero und Leander eine Kolle
spielt, und nennen dies Gebäude deshalb den Leanderthurm. Derselbe
hat mit der Sage, deren Schauplatz bekanntlich der Hellespont, nicht
der Bosporus ist, nichts zu thun. Er hiess im Alterthum Damalit und
wurde 1143 von Manuel Komnenus zum Behuf der Absperrung des
Goldenen Horns und des Bosporus mit eisernen Ketten erbaut. Seine
jetzige Gestalt erhielt er durch Achmed III. und Mahmud II. Skutari
ist eine sehr alte Stadt. Es wurde schon in den ältesten Zeiten der
grossen persischen Monarchie erbaut und erhielt seinen alten Namen
Chrysopolis sehr wahrscheinlich davon, dass hier der Tribut zusammenfioss,
den die Perserkönige von den umliegenden Theilen ihres Reiches erhielten,
nicht von Chryses dem Sohn der Chryseis und des Agamemnon, den die
spätere Sage vor Aegisth und Klytemnästra hierher fliehen und hier
an einer Krankheit sterben lässt. Der orientalische Name der Stadt,
Uskudar ist persischen Ursprunges und wohl so alt als die Stadt selbst,
denn Uskudar bedeutet auf persisch einen Courier oder Postboten,
welcher die königlichen Befelile von Station zu Station befördert. Sku-
tari war daher schon im Alterthum, was es jetzt ist, die grosse Post-
station für die asiatischen Couriere, für die Karawanen und für die
Eeisenden, welche, von Europa kommend, in das Innere von Klein-
asien und Mesopotamien gehen. Das Vorgebirge, welches hier die
Grenze zwischen dem Marmorameer und der Meerenge bildet, hiess im
eigentlichsten Sinne der Bosporus, d. i. Ochsen- oder Rinderfurt, ein
Name, der von der Sage herkommt, dass lo, in eine Kuh verwandelt,
auf ihrer Flucht von der rachsüchtigen Juno hier von Europa nach
Asien hinüberschwamm. Hier standen die drei 16 Ellen hohen Kolos-
salstatuen, welche die alten Byzantiner zur Erinnerung an die durch
Athen bewirkte Befreiung ihrer Stadt von der Belagerung derselben
durch den Lacedämonier Philipp errichteten.
Das zweite Vorgebirge Skutari's, welches im Süden am Ufer
des Marmorameeres liegt und den alten, jetzt halb eingegangenen
Hafen der Stadt eiiifasst, hiess in der Zeit der Byzantiner Hieron. In
und bei Chrysopolis machten Xenophon und die griechischen Hilfs-
völker, welche er aus dem Peldzug gegen Artaxerxes Mneraon zurück-
geführt, auf sieben Tage Halt, während welcher Zeit die Soldaten ihre
Beute verkauften. In seinen Werken bemerkt er, dass Chrysopolis von
dem damaligen attischen Befehlshaber mit Mauern umgeben worden
sei und als Zollstätte gedient habe, bei welcher die Athener (wie später
die Genuesen am Bosporus) von den durchsegelnden Schiffen eine Abgabe
erhoben.
Skutari hat acht Moscheen, von denen fünf von Sultaninnen und
drei von Sultanen erbaut wurden. Die Moschee der Sultanin Walide
erfreut sich des Vorrechtes, in den Nächten des Ramadan ebenso
erleuchtet zu werden, wie die kaiserlichen Moscheen in Stambul. Die
Kreise von Lampen, die man dann an den Minarets erblickt, werden
Die Ufer des Bosporus in £uropa und Asien. 259
Mahije, d. h. Mondkreise, genannt. Sultan Soliman, welcher die Mo-
schee Ibrik Dschemi (Moschee der Kanne) erbaute, stiftete hier zugleich
eine Arraenküche (Imaret), wo jeder Dürftige zwei Mahlzeiten, eine
Schüssel Suppe und ein Brotchen erhielt. Fremde bekommen dasselbe
und zugleich Futter für ihre Thiere, indess nur drei Tage lang — die
gewöhnliche Begrenzung der morgenländischen Gastlichkeit. Dieses
vortreffliche Beispiel wurde von mehren Sultaninnen nachgeahmt, so
dass Skutari ziemlich reich an Wohlthätigkeitsanstalten ist. Zahlreich
sind in Skutari auch die Badeanstalten. Als die besten können das
Sultan-Hammara am Marktplatze und das Bad Kossem Pascha's be-
zeichnet werden.
Sehr interessant ist ein Besuch in dem Kloster der Rufai-
Derwische. Dasselbe war 1859 abgebrannt, wird aber jetzt wieder
aufgebaut sein. Diese Derwische gehören zu den sogenannt i-n heulenden.
Ihre gottesdienstlichen Uebungen beginnen mit dem gewöhnlichen
Gebet, nur mit dem Unterschied, dass sie sich dabei statt der Tep-
piche ein Schaffell unterbreiten. Nach dem üblichen Gebet (Namaz),
welches von jedem frommen Moslem täglich fünfmal gesprochen wird,
setzen sie sich in einen Kreis und sagen die Fatha, d. h. die erste
Sure des Koran her, auf welche sie verschiedene fromme Ausrufungen,
wie z. ß. „Gesegnet sei unser Prophet, der Fürst der Gottesgesandten,
und seine Familie und seine Gefährten, gesegnet auch Abraham und
seine Familie und seine Gefährten!* folgen lassen. Diese Formeln
sprechen sie langsam, mit eintöniger Stimme, halb singend, etwa wie
unsere Priester beim Messelesen aus. Nachdem dies vorüber ist, erheben
sie sich, im Kreise bleibend, und beginnen langsam das Glaubens-
bekenntniss des Islam: „La ilah illah la* (es ist kein Gott ausser
Gott) herzusagen, welches sie in sechs einzelnen Sylben : la-i-lah-il-lah-la
zerlegen. Während sie die erste Sylbe ansprechen, beugen sie sich nach
vorwärts, bei der zweiten erheben sie sich wieder und bei der dritten
beugen sie sich nach hinten über, eine Bewegung, die sich bei den
drei letzten Sylben wiederholt. Bisweilen auch wechseln sie mit der
Richtung so, dass sie sich bei der ersten Sylbe zur Eechten beugen,
bei der zweiten aufrecht stehen und bei der dritten sich nach links
neigen, ein Verfahren, welches sich bei den drei letzten Silben des
Bekenntnisses wiederholt. Dieser Chorgesang beginnt ganz langsam,
so dass die Bewegung stets gleichen Schritt mit dem Gesang hält oder
vielmehr mit dem Geschrei. Bald jedoch wird die Bewegung so rasch,
dass der Singende oder Schreiende genöthigt ist, zwei Silben bei einer
Bewegung auszusprechen, und wenn die Raschheit sich noch mehr
steigert, die beiden Sylben wie eine einzige auszustossen, wo man dann
nichts mehr hört, als aen tactmässig hervorgekeuchten wilden Schrei
11-Lah. Je schneller die Bewegung in Dreivierteltact , desto grösser
die Wuth der sich Beugenden und Brüllenden, und so wird die Cere-
monie allmälig zu einer religiösen Orgie, bei der man nicht weiss, was
man mehr bewundern soll, die Kraft der Muskeln oder die Ausdauer
der Lungen, die sie feiern. Während dieser wüste Chor sein Gebrüll
260 Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
hören lässt, tragen zwei Sänger mit melodischer Stimme Verse aus
der Borda, dem berühmten Mantellied (siehe d. vor. Cap.) oder aus
anderen Lobliedern auf den Propheten und seine Jünger, auf die grossen
Schechs Abdelkader Gilani oder Sejd Achmed Kufai vor. Diese sanfte
Musik tönt wie das Läuten eines Capellenglöckchens im Donner der
Brandung und im Heulen des Sturmes. Das Signal zur höchsten An-
strengung der Muskeln und Lungen ist es, wenn der Schech oder
Vorsteher der Gesellschaft zu stampfen beginnt. Dann bücken sich
Alle wie besessen, und man hört nichts mehr als den einzigen Ton
„Iah" aus diesem Wirbel verschluckter Sylben, der dann und wann
von einem besonders Verzückten durch den Aufschrei „hu!" unter-
brochen wird.
Wenn die Bewegung nach vorn und hinten geht, accentuiren
sie die Sylben in der lolgenden Weise u u — u u — , d. h. so dass die
erste und zweite, und die vierte und fünfte sehr kurz, kaum hörbar,
ausgesprochen werden; geht sie dagegen seitwärts nach rechts und
links, so wird der Ausruf als dreifüssiger Jambus u — u — u — ausge-
sprochen. Zu Anfang, wo das Glaubensbekenntniss langsam gebetet
wird, ist das Ganze sehr wohl verständlich, weiterhin erscheint es ein-
fach als ein brüllendes Lallen ohne Sinn und Bedeutung. Früher traten,
wenn die Ceremonie bei dem Theil angelangt war, wo die gottesfürch-
tige Gesellschaft sich gegenseitig die Arme auf die Schulter legend,
in Dreivierteltact sich nach vorn und rückwärts oder nach rechts und
links zu schlenkern begann, Mitglieder des Ordens in die Mitte des
Kreises, um Wunder der Unverbrennbarkeit zu thun. Der Eine trug
ein glühend rothes Hufeisen in der Hand, ein Anderer nahm eine
feurige Kohle in den Mund, wieder Andere Hessen sich mit glühenden
Haken fassen. Alle, ohne das geringste Zeichen von Schmerz von sich
zu geben Diese Kunsstücke hat man indess jetzt aufgegeben, und nur
das Brüllen und Bücken wird fortgesetzt. Das geht stundenlang mit
geringen Unterbrechungen fort. Das Getöse wächst immer mehr, ebenso
wird das Schlenkern der Glieder immer gewaltsamer. Viele stürzen mit
Schaum vor dem Munde zuckend und zappelnd zu Boden, Andere
werden ohnmächtig in eine Ecke getragen. Einige schreien „Ja hu!"
(o Lebendiger) Andere „Ja meded!" (o Hilfe), während der Choral oder
Hymnus der beiden Sänger in dieses Getöse und Gewirr silberstimmig
Ausrufungen wie: „0 Mittler! 0 Geliebter! 0, Du' Arzt der Seelen!
0, Du, der erwählt ward! 0, Du Sachwalter am Tage des Gerichts,
wenn man ausrufen wird: 0 meine Seele! 0 meine Seele! und Du
sagen wirst: 0 mein Volk, mein Volk!" hineintönen lässt.
Es wird von Kundigen behauptet, dass wie verzückt und ver-
rückt auch die ganze Gesellschaft dem Zuschauer erscheinen möge, doch
Alle, mit Ausnahme einiger Fanatiker, in Wahrheit vollkommen ruhig
und ihrer selbst bewusst seien, und dass die ganze Ekstase und Begei-
sterung ganz eben so wie früher das Wunder der Unverbrennbarkeit,
eben ein Humbug oder Puflf sei, einfach darauf berechnet, die Zuschauer,
welche sich stets zahlreich im Kloster einfinden, zu täuschen. Verfasser
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 261
dieser Zeilen ist nicht völlig dieser Ansicht. Es läuft jedenfalls viel
Handwerksmässiges mit unter, im Ganzen aber ist die Ceremonie etwa
den Vorfällen bei den amerikanischen Eevivals und Carapmeetings an
die Seite zu stellen, nur dass sie Verzückungen und Verrenkungen hier,
bei den Derwischen mehr durch äusserliche Mittel hervorgebracht
werden. Das Ende ist hier wie dort genau dasselbe — gottesfürchtiger
Blödsinn.
Das Geschenk, welches europäische Zuschauer zurückzulassen
pflegen, ist durchaus freiwillig; denn niemals wird von diesen Der-
wischen eine Gabe verlangt. Die Orgien der Rufai haben übrigens,
weder ihrer Bedeutung nach, noch in ihrem Charakter Aehnlichkeit
mit den Tänzen der Mewlewi in Kassim Pascha. In den Ceremonien
der letzteren ist uns vielleicht der Sphärentanz der samothracischen
Mysterien aufbewahrt, während das wüste Schlenkern und Verrenken
der Rufai-Derwische möglicherweise der alte persische xvi<T{jid? ist.
Der grosse Friedhof hinter Skutari ist der ausgedehnteste und
schönste in der g anzen Welt. Der Boden Asiens gilt den Türken für
heiliger als der europäische, vielleicht weil sie dorther stammen,
vielleicht weil ihr Prophet hier lebte, vielleicht auch liegt darin eine
Ahnung, dass sie in Europa keine bleibende Stätte haben und über
kurz oder lang nach Asien zurückwandern müssen So lassen sich sehr
viele Bewohner Stambuls hier im grossen Leichenhof von Skutari
beerdigen, und da dies vorzüglich wohlhabende Leute sind, so trifft
man hier weit mehr schöne oder doch reich verzierte Grabmäler als
auf irgend einem Begräbnissplatz Constantinopels und seiner Vorstädte.
Der grosse Friedhof ist über eine halbe Quadratmeile gross, und es
mögen hier mehr als zwei Millionen, ja vielleicht doppelt so viele
Türken begraben sein. Ein Grab in der Mitte der Masse von Grabsteinen
lenkt die Aufmerksamkeit der Beschauer durch besondere Grösse und
Eleganz auf sich. Unter dem von sechs Säulen getragenen Dache liegt
aber nur — das Leibross Sultan Mahmud's.
Ein Gang durch diesen grossen Campo von Skutari ist äusserst
interessant, aber auch sehr ermüdend. Fremde, die nicht an südliches
Klima gewöhnt sind, mögen es vermeiden, den Campo um die Mittags-
zeit zu besuchen, denn die Hitze zwischen den von der Sonne erwärm-
ten zahllosen, übereinandergethürmten Grabsteinen und den schatten-
losen steifen Cypressen ist im Sommer ungemein drückend, da die
frische Seeluft, die sonst überall in Constantinopel und seiner Umge-
bung weht, in den Campo nicht, hineinstreift. Am besten besichtigt
man ihn, wenn man vom Dschamlidscha herab, von dem gleich die
Rede sein soll, durch den südwestlichen Theil von Skutari und dann
quer durch den Campo nach Kadiköi hinübergeht. Den Ausflug auf den
Dschamlidscha darf man nicht zu spät antreten, am besten um sieben
Uhr Morgens. Man fährt mit einem Kaik nach Skutari lünüber, mie-
thet dort am Landungsplatze Pferde und reitet dann, soweit die Fahr-
strasse geht, den Berg hinan. Die letzte Stelle geht man zu Fusse.
262 Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
Dschamlidscha. — In der Entfernung von einer halben deutschen
Meile östlich von Skutari erhebt sich mit sanften Abhängen der Berg
Dschamlidscha, von dessen Gipfel der Reisende die schönste und aus-
gedehnteste Aussicht über beide Ufer des Bosporus, sowie über den
grössten Theil des Marmorameeres geniesst. Von allen Puncten am
Bosporus ist Dschamlidscha derjenige, welcher von der Damenwelt
Constantinopels, und zwar in gleicher Weise von den Türkinnen, den
Perotinnen und den fränkischen Damen am häufigsten besucht wird,
und mit vollstem Recht. Wir haben bereits alle schönen Puncte in
der Umgebung der Stadt, die sich zu Ausflügen eignen, beschrieben.
Da sind auf der europäischen Seite die Spaziergänge aii den Süssen
Wassern am innern Ende des Goldenen Horns, die Platanen- und Lin-
denhaine von Jahia hinter Beschiktasch, die Aussicht von Schechler,
der Höhe unmittelbar hinter dem Schloss von Rumili Hissar, der Spa-
ziergang auf den Wiesen bei Bujukdere und der nach den Wasserlei-
tungen und Reservoirs von Bagdschiköi, Belgrad und Burgas. Da sind
femer auf dem asiatischen Ufer die schönen Thäler bei Unklar Ske-
lessi, das romantische Thal von Akbaba mit dem Genucser-Castell, das
Srachtvolle Panorama vom Riesenberge, sowie das vom Kandilli in
er Mitte der Bosporuswindung. Aber alle diese Thäler und Höhen
stehen zurück in der Meinung der Türken gegen die Aussicht vom
Dschamlidscha, welche mit den schönsten Ausblicken über Land und
See den von allen Morgenländern hochgeschätzten Vorzug verbindet,
vortreffliches Wasser zu besitzen. Die Aussicht ist darum so wundervoll,
weil sie eine förmliche Rundschau ist. Blickt man von dem mit spär-
lichem Gras bewachsenen, ziemlich flachen Gipfel, an dessen nördlichem
Abhänge einige Platanen stehen, gegen Norden, so hat man das pracht-
vollste Bild der Stadt, des Marmorameeres und des Bosporus. Man
sieht von den Prinzeninseln im Südwesten bis nach Rumili. Hissar im
Nordosten, dies allein ein Panorama, dem sich wenige anf Erden ver-
gleichen können. Dreht man sich um und sieht gegen Süden, so hat
man eine prachtvolle Berglandschaft vor sich mit den reichsten wech-
selndsten Formen, im Vordergrunde den waldbedeckten Bulgerlu oder
Bürgerin, der häufig mit dem Dschamlidscha verAvechselt wird, aber viel
höher und nicht ohne einige Mühe zu besteigen ist, dahinter die inter-
essanten Spitzen der Berge am Golfe von Maltepeh mit der silbern
schimmernden Schneekette der Brussaberge als Abschluss. Wer nicht
auf dem Dschamlidscha war, kennt die Perle des Bosporus und einen
der schönsten Puncte der Welt nicht. Zwei Dörfer, nicht fern vom
Gipfel des Berges führen den Namen Gross- und Klein-D-fchamlidscha,
nach Einigen eine Corruption des Namens Damatrys, den der Berg im
Alterthum führte, wahrscheinlicher aber abzuleiten von dem türkischen
Worte für Pinie oder Fichte, von welcher Baumgattung sich hier noch
einige finden. Man kann sich denken, dass die Türken nicht zuerst die
Entdeckung machten, wie hier ein schöner Punct sei, und in der That
wussten die byzantinischen Kaiser diesen Berg mit seiner Aussicht
und seinen köstlichen Quellen schon sehr wohl zu würdigen. So ge-
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 263
schall es, dass die Kaiser Tiberius und Mauritius auf dem Daraatrys
Paläste errichteten. Es waren Jagdschlösser, die als Ruhepuncte bei den
Jagden, die hier veranstaltet wurden, oder als erstes und letztes Nacht-
quartier dienten, wenn der Hof eine Keise in Asien unternahm. Die
Lage des Berges Dschamlidscha eignet sich besser als die irgend eines
andern in der Nähe von Constantinopel zu einer Telegraphenstation.
Die letzte Station der alten Telegraphenlinie war nicht hier, sondern
auf dem Leuchtthurm des grossen Palastes, nicht weit von der Stelle,
wo jetzt der Leuchtthurm für die vom Mannorameer heransegelnden
Schifte steht. Wir bemerken hierbei, dass es unrichtig ist, wenn man
die Telegraphen als eine Erfindung der neueren Zeit preist. Die Ehre
dieser Erfindung gebührt Leo dem Philosophen, welcher unter der
Regierung des Kaisers Theophilus vermittelst einer Art von Ziffer-
blättern, die des Nachts erleuchtet wurden, eine Telegraphenlinie von
den sarazenischen Grenzen Ciliciens bis nach der Hauptstadt einrich-
tete. Es gab nicht mehr als acht Stationen von Tarsus bis Constanti-
nopel, nämlich Kulu, die Burg bei Tarsus, die Höhen von Argeos,
Isamos, Aegylos, Memas Kyriros und Mokilos, endlich der Gipfel des
heiligen Ausentios, welcher direct mit dem Wachtthunn beim grossen
Kaiserpalast correspondirte.
Einer der ottomanischen Sultane, Mohammed IV., erbaute das
noch stehende Serai und die Kuppel über der berühmten Quelle von
Dschamlidscha.
Kadiköi steht auf der Stätte des alten Chalcedon. Zwischen ihm
und Skutari streckt sich die Ebene von Taghan dschillar (Tummelplatz
der Falkner), welche das Rendezvous der Truppen ist, die von Constan-
tinopel zu einem Feldzug in Asien ausrücken. Es entspricht demzu-
folge der Ebene von Daud Pascha auf der europäischen Seite, wo sich
die zu Feldzügen in Europa ausrückenden Truppen zu sammeln pflegen.
Auf der Höhe nach Skutari hin erhebt sich eine grosse Gardecaseme,
die sehr gut eingerichtet ist. Im Hintergrunde der kleinen Bucht, links,
von welcher sich die Landzunge in 's Äleer hinausstreckt, auf deren
Spitze Kadiköi liegt, ist ein schöner Garten mit einem schattigen
Platanen Wäldchen und einem Brunnen, der in alten Zeiten der Quell
des Hermagoras hiess. Kadiköi, d. i. das Dorf des Richters, steht, wie
bemerkt, auf der Stelle des alten Chalcedon. Dieses wurde nach der
Sage vor der Gründung von Byzanz erbaut, und es heisst, dass das
Orakel, nach welchem für letzteres die Stätte bezeichnet wurde, den
Rath ertheilte, man solle sich ,den Blinden gegenüber" ansiedeln, womit
die Götterstimme andeutete, dass die Gründer von Chalcedon blind
gewesen sein müssten, um die für die Anlage einer Stadt überaus
günstig gelegene Landzunge neben dem Goldenen Hörn zu übersehen.
Nach Anderen soll der persische Satrap Megabyzes diesen Ausspruch
gethan haben, was seinem Scharfblick alle Ehre machen würde. Auch
Chalcedon war im Alterthum keine unbedeutende Stadt. Später litt es
sehr durch die aufeinanderfolgenden Kriege zwischen Helenen, Römern,
Byzantinern, Gothen, Arabern und Persern. In der Vorstadt von Chal-
264
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
cedon stand noch vor vier Jahrhunderten ein Rest von einem Palaste
Belisars; erst Soliman der Grosse Hess ihn wegreissen, um mit den
Säulen desselben seine Moscheen in Stambul zu schmücken. Der am
weitesten in's Meer hinaustretende Punct des Vorgebirges, auf dessen
Westseite Kadiköi steht, heisst MoUa Burun, er bildet mit dem gegen-
über befindlichen Kap von Fener Burun einen geräumigen Hafen, der
im Alterthum der Hafen des Eutropius hiess. Auf der Landspitze von
Fener Bagdschessi nimmt ein Leuchtthurm die Stelle des alten Tem-
Sels der Venus Marina ein. Das Vorgebirge der Aphrodite lag zwischen
em der Here (Kawak Burun) und dem des Poseidon (Boss Burun).
Alle diese Vorgebirge waren in heidnischer Zeit mit Tempeln gekrönt.
Jenseits Chalcedon stand ein Landhaus Belisars, Panteichon genannt.
Hier lebte der berühmte Feldherr Justinians, nachdem er vom Kaiser
abberufen und durch Narses ersetzt worden, noch geraume Zeit im
ruhigen Genuss seiner Reichthümer. Die Geschichte, dass er in seinen
letzten Jahren als blinder Bettler umhergezogen, beruht auf einer Anek-
dote bei Tzetzes, der ein guter Grammatiker, aber ein herzlich schlechter
Historiker war. In der Nähe von Panteichon (jetzt Pendik) ist der
grosse Platz, wo die Mekkakarawauen für die erste Nacht nach ihrem
Aufbruch von Skutari ihr Lager aufschlagen.
Kadiköi ist, obwohl in Asien gelegen, ein rein europäischer Ort
und man begegnet in seinen Strassen fast nur den elegantesten fran-
zösischen Toiletten. Eine Menge reicher Griechen und Armenier, ferner
fremde Kaufieute haben hier ihre Landhäuser. Mehrere derselben sind
wahrhaft prächtig und von den reizendsten Gärten umgeben. Un nach
Kadiköi hinüberzukommen, benützt man einen der jede halbe Stunde
von der grossen Brücke abgehenden Localdampfer, oder man miethet
eine Segelbarke. Mit letzterer fährt man fast ebenso schnell wie mit
dem Dampfer, da der Wind frisch bläst und die reissende Strömung
am Ausflusse des Bosporus in das Marmorameer das Boot wie einen
Pfeil durch die Wogen schiesst. Bei Südwind fährt kein Schiffer nach
Kadiköi hinüber, ganz ungefährlich ist indess die Partie selbst bei
Nordwind nicht und wer ängstlich ist, bleibe auf dem Dampfer. Am
Strande gegen Skutari hin steht die riesige Kaserne, welche die
Verbündeten während des Krimkrieges erbauten, vor derselben der
Obelisk zum Andenken der hier an Wunden und Krankheiten gestor-
benen Engländer und Franzosen. In Kadiköi gibt es zwei europäische
Restaurationen, die Tothfalussys am Ufer des Meeres, wo eine böhmische
Capelle jeden Nachmittag Strauss'sche Walzer und Offenbach'sche Me-
lodien spielt, und jene von Kittrey in der Nähe des französischen
Jesuitenconvicts bei dem alten Hafen von Chalcedon. Aus den Fenstern
des obersten Stockwerks derselben hat man eine prachtvolle Aussicht
auf die Prinzeninseln, die Bulwerinsel und die Schneeberge von Brussa.
Wir knüpfen hieran einiges Ausführlichere über die Prinzen-
inseln und den Hellespont.
Die Prinzeninseln können bequem in einem Tage besucht
werden. Sie sind an Zahl neun: Prote, Antigone, Kalki, Plate, Oxeia,
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 265
Pyti, Antirobidos, Nanidro und Prinkipo. Ein Dampfer verlässt die
Brücke am Goldenen Hörn jeden Nachmittag etwa zwei Stunden vor
Sonnenuntergang, um hierher zu fahren, von wo er jeden Morgen nach
Constartinopel zurückkehrt. Die Strecke wird binnen anderthalb Stun-
den zurückgelegt, und man zahlt dafür 6 Piaster. In Prinkipo gibt ea
zwei gute Gasthöfe, die man zum Hauptquartier bei etwaigen Ausflügen
über die Eilande machen kann. Diese Gasthöfe sind übrigens unver-
schämt theuer.
Kallci erhielt seineu Namen von einem Kupferbergwerk, welches
im Alterthum hier geöffnet wurde. Es ist die schönste dieser Inseln
und hat drei Hügel und drei Klöster, von denen das eine der Panagia,
eines dem heiligen Georg und eines der Dreieinigkeit geweiht ist. Eines
dieser Klöster ist jetzt eine Gelehrtenschule, in weither ein Director
mit drei Lehrern Alt- und Neugriechisch, Rechnen, Schreiben und
Französisch docirt. Die Schüler sind alle Griechen, einige aus Odessa,
die Mehrzahl aus Constantinopel. Es ist ein Lieblingsplatz der Raja's
im Frühling und ist, ungleich seinen öden Nachbareilanden Plate und
Oxeia, nie als Verbannungsort verwendet worden.
Prinkipo. Auf der südwestlichen Landspitze dieser Insel befindet
sich das St. Georgskloster, von dem man eine köstliche Aussicht auf
die benachbarten Höhen hat. Dabei trifft man zwei schöne Brunnen.
Wie Belgrad in der zweiten Hälfte des Mai das Paradies der Armenier
ist, so ist Prinkipo in dieser Zeit das Paradies der Griechen von Con-
stantinopel. An beiden Stellen theilen Franken die Genüsse der Levan-
tiner. Die Abende und Morgen sind hier ausserordentlich schön, die
Luft weich und rein, wie kaum irgendwo in diesen Gegenden, die See
vortrefflich zum Baden geeignet. Kaiser und Kaiserinnen haben die
Insel zu ihrem Wohnplatz gewählt, manche freilich gezwungen. Das
grösste Schauspiel gefallener Grösse und verblichenen Glanzes, welches
die Prinzeninseln sahen, war das im ersten Jahr des neunten Jahrhun-
derts, wo Irene, die grosse Zeitgenossin Harun Alraschid's und Karl's
des Grossen, vom Throne gestossen, in das Kloster von Prinkipo ver-
bannt wurde, welches sie selbst — sicher nicht zu diesem Zweck -
erbaut hatte. Sie verhandelte eben mit dem Gesandten Karl's des
Grossen die Bedingungen eines Vertrags zwischen ihnen, durch welchen
die Kronen des Ostens und des Westens sich auf einem Haupt verei-
nigen sollten, als der Patrizier und Reichskanzler Nikephorus plötzlich
in den Palast drang und zuerst in freundlichen Worten von ihr ver-
langte, sie solle ihm alle Schätze des Palastes entdecken, wofür er ihr
den eleutherischen Palast als Witwensitz zu überlassen versprach, dann
aber, als sie ihm geschworen, nichts zu verbergen, sie nach Prinkipo
verbannte, ohne dass der Gesandte Karl's dies abzuwenden im Stande
gewesen wäre. Von Prinkipo wurde sie einen Monat später nach Lera-
nos gebracht, wo sie wenige Monate darauf starb. Sie wurde in ihrem
Kloster zu Prinkipo begraben. Die fränkischen Eroberer Constantino-
pels, welche den Staub der byzantinischen Kaiser in alle vier Winde
zerstreuten und ihre Sarkophage in Stücke schlugen, verschonten das
266
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
Kloster auf den Prinzeninseln, und so blieb von allen Kaisergräbern
allein das Irene's unverwüstet.
Es gibt keinen Tag in der Woche, an welchem nicht Dampfer
nach Smyrna oder andern jenseits der Dardanellen gelegenen Städten
die Rhede von Constantinopel verliessen, und so findet man fast jeden
Tag Gelegenheit, von hier nach dem Hellespont zu gelangen." Man
kann mit französischen, englischen, türkischen, russischen und österrei-
chischen (Lloyd-) Dampfern dahin und von dort wieder wegkommen,
so dass man jeden beliebigen Tag zu dem Ausflug wählen kann und
auf die genaue Expedition hin und zurück nicht mehr als etwa vier
Tage zu verwenden braucht. Eegelmässig gehen indess nur die Lloyd-
Dampfer, die französischen und die russischen Schiffe.
Der erste Haltpunct für dieselben ist Gallipoii, eine ziemlich
grosse, fast ganz hölzerne Stadt auf der Stätte des alten Kallipolis,
am nördlichen Ende der Propontis an einer Stelle gelegen, wo der
Hellespont schon über eine deutsche Meile breit ist. Die Stadt liegt
ungefähr 5 deutsche Meilen von den Dardanellen, 18 von Adrianopel
und 22 von der Hauptstadt der Türkei Man fährt von letzterer mit dem
Dampfer in etwa 14 Stunden bis Gallipoii. Auf einer Halbinsel gelegen, die
zwei gute Häfen bietet, einen im Norden und einen im Süden, sieht Gallipoii
häufig die türkische Flotte hier erscheinen, ja es ist als eine der Haupt-
stationen des Kapudan Pascha zu betrachten. 1810 hatte es nur 15,000 Ein-
wohner, jetzt soll es gegen 60,000 haben. Die Stadt war einst befestigt,
jetzt ist sie ohne Mauern und Wälle, und ihre einzige Vertheidigung
besteht in einigen von den Alliirten im Jahre 1853 angelegten Schan-
zen ausserhalb der Stadt, sowie in einem halbverfallenen Castell mit
einem kleinen, viereckigen Thurm, der von Bajasid erbaut wurde. Zu
sehen ist im Innern nichts als schmutzige Strassen und gichtbrüchige
Holzbaracken. Die Bazars sind gut versehen und sehr ausgedehnt.
Gallipoii, welches der Sitz eines griechischen Bischofs ist, war die erste
europäische Stadt, die in die Hände der Türken fiel. Es wurde fast
ein ganzes Jahrhundert vor dem Fall Constantinopels (im Jahre 1357)
von ihnen eingenommen. Der Kaiser Johann Paläologus sagte sich über
die Nachricht davon selbst tröstend, er „habe nur einen Krug Wein
und einen Schweinstall verloren, womit er auf die grossen von Justi-
nian erbauten Magazine und Keller anspielte, deren Reste man noch
jetzt hier antrifft. Bajasid I., der die Wichtigkeit dieses Postens für
den Verkehr zwischen Brussa und Adrianopel erkannte, Hess Gallipoii
1391 wieder herstellen, befestigte es mit einem grossen Thurm und
liess daselbst einen guten Hafen für seine Galeeren anlegen. Auf der
Südseite der Stadt trifft man einige Grabhügel, in denen alte thra-
cische Könige ruhen sollen, und im Norden gewahrt man einige nicht
gut zu enthräthselnde Trümmer, die vielleicht Reste der alten Stadt sind.
Eine kleine Stunde südlich von hier liegt auf der asiatischen
Seite Lain^aki (das alte Lampsakus), welches eine angenehme l^age
zwischen Olivenpflanzungen und Weingärten mit einem Hintergrund
bewaldeter Höhen hat. Die jetzige Stadt ist unbedeutend und bietet
Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien. 267
ausser einer hübschen Moschee nichts Sehenswerthes. Auf dem euro-
päischen Ufer, gegenüber der Landzunge, auf welcher Lamsaki steht,
mündet der Aegospotamos (jetzt von den Türken Karaovasu genannt),
wo der Spartaner Lysander das Seetreffen gewann, welches den pelo-
ponnesischen Krieg beendigte. Der Hellespont ist hier etwa drei Vier-
telstunden breit. Auf dem asiatischen Ufer, zwei bis drei Stunden
nördlicher, ist die Mündung des Demotiko, der Granicus der Alten,
an dessen Ufer Alexander der Grosse die Perser schlug. Weiter hinab
trifft man die Mündungen des Praticus (jetzt Mussa Köi Su) und des
Perkote (Burgas Su). Eine ziemliche Strecke weit bewahrt jetzt der
Hellespont eine gleiche Breite . und die Ufer auf beiden Seiten bieten
eine Aufeinanderfolge von Feldern, Weingärten, Hecken, Büschen und
zahlreichen Dörfern, Landschaftsbildern von angenehmem, aber nicht
malerischem Eindruck. Ein etwas felsiges Stück des Strandes an einem
engeren Puncto heisst Gasilar Skelessi, Siegerhafen, zum Andenken an
die Landung der ersten osmanischen Erobererschaaren. Eine halbe
deutsche Meile weiter hinab erblickt man einen Hügel, auf dem sich
eine Ruine zeigt. Dieselbe heisst Semenik und soll die Stelle des
alten Choiridokastron (Schweinsburg) einnehmen, wo die Standarte
Solimans, des Sohnes Orchans, zuerst in den Boden Thraciens gepflanzt
wurde. Nicht weit davon ist die Bucht Akbaschi Liman, der alte
Hafen von Sestos, noch weiter unten streckt sich eine schmale Bucht
tief in's Land hinein, welche Koilia (die hohle) heisst, und nicht fern
von da öffnet sich die Bucht von Maito (Madytus). Eine starke halbe
Stunde unter der westlichen Landspitze dieser Bucht endlich befinden
sich die vielgenannten Dardanellenschlösser, von denen das eine
im Capitel Kleinasien erwähnt ist. Das auf der europäischen Seite heisst
Kilidhari un.i hat 155 Geschütze, darunter mehre von ungeheurem
Kaliber, soll aber weniger stark sein, als das gegenüberliegende 0ha-
nak Kalessi, welches 196 Kanonen hat. In der Nähe zeigt man in einem
Grabhügel die Stelle, wo Hekuba, die Gemahlin des Priamus, begraben
sein soll. Auch soll es der Hügel sein, auf welchem die Athener in
der letzten Zeit des peloponnesischen Krieges ein Siegeszeichen errich-
teten. Vergl. Thucydides VIII.
Man hat lange Zeit gemeint, dass diese Schlösser die Stelle der
alten Städte Sestos und Abydos einnehmen, wo die Geschichte von
Hero und Leander spielte. Es scheint dies jedoch ein Irrthum zu sein.
Nördlich vom asiatischen Dardan ellenschloss bildet der Hellespont eine
lange Bucht, die mit einer niedrigen Landzunge endigt, welche Pes-
quies-Spitze oder türkisch Nagara Burun heisst. Hier wird von mehren
Archäologen die Stätte von Abydos gesucht, und in der That finden
sich hier freilich sehr schwache Eeste einer alten Niederlassung. Die
thracische Seite ist, dem Nagara Kap gegenüber, ein Streifen steinigen
Gestades, welches sich zwischen zwei ziemlich hohen Klippen hervor-
drängt, und an dieser Stelle muss das europäische Ende von Xer-
xes' Brücke angebracht gewesen sein, denn die Höhe der benachbarten
Felswände würde den Perserkönig verhindert haben, sie anderwärts
268 Die Ufer des Bosporus in Europa und Asien.
aufzustellen. Man hat sicherlich Grund, dies für die rechte Stelle zu
halten, weU es sonst in der Nähe kein flaches Ufer auf der thracischen
Seite gibt, ausgenommen im Hintergrunde tiefer Buchten, deren Wahl
die Breite der Passage verdoppelt haben würde. Hier scheint die Meer-
enge enger als irgend wo anders zu sein, wenn sie auch die sieben
Stadien (875 Schritte), welche die Alten angeben, nicht unbeträchtlich
übersteigt. Sestos lag nicht der asiatischen Stadt Abydos gerade ge-
genüber, und ebenso wenig hiess der Hellespont an dieser Stelle die
Meerenge von Sestos und Abydos, sondern nur die Meerenge von Aby-
dos. Sestos lag der Propontis soviel näher, als die andere Stadt, dass
die Entfernung zwischen beiden dreissig Stadien, d. h. ungefähr ^|^
Meilen betrug. Die Brücken befanden sich auf der nördlichen Seite von
Abydos, aber im Süden von Sestos, also an der Küste zwischen beiden
Orten, jedoch etwas näher nach Abydos hin. Bekanntlich überschritt
hier auch Alexanders Armee unter Parmenio die Meerenge. Hier setzte
Soliman, der Sohn Orchans, nach Europa über. Hier stellte Leander,
wenn die Geschichte wahr ist, seine Schwimmpartien zu Hero's Haus
an. Hier that es ihm Lord Byron nach, wozu er eine Stunde und zehn
Minuten brauchte, und wodurch er sich — wie nicht zu vergessen —
das Fieber zuzog.
Die Mündung der Dardanellen hat eine Breite von 1'/, Meilen.
Dieselbe wird vertheidigt von den neuen Schlössern, die im Jahre 1659
von Mohammed IV. erbaut wurden, um seine Flotte gegen die Vene-
tianer zu sichern, welche seine Schiffe im Angesichte der alten Forts
anzugreifen pflegten. In neuerer Zeit hat man noch an verschiedenen
Puncten der Meerenge Befestigungen angelegt, so dass dieselbe ohne
Landungstruppen, welche die Batterien von hinten nehmen könnten,
für eine Kriegsflotte vollkommen geschlossen erscheint. Die Strömung
in der Meerenge ist übrigens so stark und reissend, als ob die Gewässer
von einem Bergstrom herrührten. Kein Schiff, es wäre denn ein Dampfer,
kann vorwärts fahren, wenn Nordwind weht, während, wenn Südwind
ist, man kaum etwas von einer Strömung merkt. Das Schloss auf der
asiatischen Seite steht an dem berühmten Hafen zwischen dem Ehe-
tischen und dem Sigäischen Vorgebirge, wo die hellenische Flotte
während des trojanischen Krieges an's Ufer gezogen wurde. Das Sigäische
Vorgebirge — jetzt Janissari Burnu genannt — ist mit zahlreichen
Windmühlen bedeckt. Die Forts und Schanzen der europäischen Seite
des Hellespont haben zusammen 332 Kanonen und 4 Mörser, die der
asiatischen 482 Kanonen und ebenfalls 4 Mörser.
Touren in der europäischen Türkei.
269
NEUNTES CAPITEL.
Touren in der europäisolien Türkei und den Donau-
fürstenthümern.
Allgemeines üter die Moldau und Walachei, Serbien, Bosnien, Bulgarien und
Thracien. — Ausflüge von Constantinopel über Adrianopel, Philippopel Sophia und Nissa
nach Belgrad. — Von Constantinopel über Schumla und Rustschuk nach Bukarest. —
Von Bukarest nach Kothenthurm und Uermannstadt. — Von Belgrad die Donau hinab
nach Silistriii, Ibraila, Galatz und Varna. — Die Dobrudscha. - Von Widdin über
Loftscha, Tirnowa und Schumla nach Varna. — Von Rustechuk über Tirnowa nach
Kirk Klisie. — Von Varna über Bnrgas nach Constantinopel. — Von Widdin über Kra-
jova und Bukarest nach Galatz. — Von Turnnl Severin nach Bukarest. — Von Buka-
rest nach Jussy. — Von Belgrad über Zwornik und Tnzla nach Trawnik. — Von
Trawnik nach Bosna Serai. — Von Bosna Serai nach Mostar und von da nach Ragnsa.
Auch in der europäiachen Türkei werden alle Reisen zu Pferde
gemacht. In einigen Strichen Serbiens sowie in den ebenen Theilen
der Moldau und Walachei gibt es Fahrposten. Von Geldsorten nehme
mau sich kaiserliche Ducaten und türkisches und österreichisches Sil-
bergold mit. Gute Gasthöfe trifft man in Galatz, Bukarest, Jassy und
Belgrad, in allen übrigen Orten finden sich nur elende Herbergen und
Khans. Auf der Donau fahren die Lloyddampfer nur bis Galatz. Dort
aber treten die sehr eleganten und bequemen Schiffe der Donaudampf-
schiffahrtgesellschaft für sie ein, welche den Reisenden, der Eile hat,
binnen vier Tagen nach Wien befördern.
Auf den Hauptstrassen nach Constantinopel finden sich Post-
einrichtungen, wo stets Pferde zu haben sind. Die Miethe derselben
ist sehr wohlfeil, und man wird, da nur Türken zu Postmeistern
erwählt werden, nicht leicht betrogefn oder übertheuert. Da, wo keine
Hauptstrasse ist, bekommt man leicht Miethpferde von Privatleuten.
Die Vermiether derselben heissen, wenn sie Türken oder Bulgaren sind,
Kiradschis, wenn sie Griechen oder Albanesen sind, Agiogati. Bei län-
geren Reisen tbut man am besten, eigene Pferde zu kaufen. Dieselben
sind nicht theuer, auch kostet der Unterhalt eines Pferdes für den Tag
nicht leicht mehr als 5 bis 6 Piaster. Die Miethpferde sind fast immer
theurer als die Postpferde, auch gehen letztere weit schneller, aber man
zieht das Reisen mit ersteren vor, da mau mit ihnen nicht an eine
bestimmte Route gebunden ist und so das Land nach Belieben durch-
streifen kann. Wer das Reiten auf türkischen Sätteln nicht vertragen
kann, muss sich in Pera einen fränkischen Sattel mitnehmen, letztere
270 Touren in der europäischen Türkei
sind auch in Galata, Jassy und Bukarest, sonst aber nirgends zu
bekommen.
Um in den nördlichen Provinzen bequem und unangefochten
reisen zu können, ist ein türkischer Pass unerlässlich. Die gewöhnlichen
kleinen Pässe heissen Teskere, die Pascha's und Veziere aber geben
Pässe in der Divanschrift ausgefertigt, worin sie bestimmen, dass dem
Eeisenden Wohnung und alle erforderliche Handreichung zu gewähren
sei. Die Pforte endlich ertheilt in den Fermans Pässe, die für das
ganze Eeich gelten. Die letzteren kann man durch die Gesandtschaften
erhalten und es kosten dieselben gewöhnlich ,3 V^ Thaler. Nach Ver-
schiedenheit der Personen enthält ein solcher Ferman bisweilen die
Anweisung, dass der Pascha den Taim zu liefern habe, d. h. das Essen
für den Eeisenden öder das Futter für die Pferde oder auch kosten-
freie Postpferde.
In jeder Beziehung ist es rathsam, einen Tataren, d. h. einen
türkischen Eeisediener oder Courier mitzunehmen. Die Tataren bilden
eine Art Zunft in Constantinopel, deren Mitglieder in ein Buch ein-
getragen sind. Jeder Pascha hat einige solche Leute zu seiner Verfü-
gung, ebenso hat jede Gesandtschaft einige derselben. Alle stehen unter
dem Tatar Agassi, bei dem man sie zu miethen hat. Man zahlt an diesen
für einen Tataren gewöhnlich 30 Thaler; je nach der Anzahl der Eei-
senden, die sich einen zusammen nehmen, wird verhältnissmässig mehr
entrichtet. Die Belohnung für den Tataren muss wo möglich ohne
Dazwischenkunft eines Dritten vorausbedungen werden. Gewöhnlich
gibt man ihm täglich 1 '/^ Thaler und ausserdem den Unterhalt und
das Futter für sein Pferd. Bei der Massigkeit des Orientalen ist dies
unbedeutend, und so zieht man es vor, ihnen dasselbe in Natura zu
reichen, statt sie mit Geld dafür abzufinden. Die Tataren können lesen
und etwas schreiben, sie sprechen fast immer mehre Sprachen, auch
behandelt man sie nicht als niedere Diener, sondern nennt sie EfFendi
(Herr) oder Tartara, d. h. abgekürzt Tartar Aga. Die Eückreise muss
ihnen natürlich auch bezahlt werden, auch wenn man nicht mit ihnen
zurückkehrt. Wenn man es versteht, sie bei guter Laune zu erhalten,
leisten sie vortreffliche Dienste, auf alle Fälle reist man mit ihnen
sehr sicher, da es ihre Pflicht ist, den Eeisenden bei strengster Strafe
glücklich an den Ort seiner Bestimmung zu bringen. Entsprechen sie
den Erwartungen nicht, so kann man sich in den Hauptstädten bei den
Pascha's, in den andern Städten bei den Ayans und in den Dörfern bei
den Agas oder Malbaschis beschweren. Soll irgendwo die Nacht geblieben
werden, so werden die christlichen Eeisenden der Eeihe nach bei den
im Orte wohnenden Glaubensgenossen untergebracht. Diese machen in
der Eegel zuerst saure Mienen, doch lässt sie HoflEhung auf ein Trink-
geld bald freundlicher werden. Diese Einrichtung verhindert die Anle-
gung ordentlicher Wirthshäuser und ist für den Eeisenden um so
drückender, als er auf die Vorurtheile seines Tataren Eücksicht nehmen
muss. Man würde z. B. bei diesem Anstoss geben oder sich ihm ver-
dächtig machen, wenn man seinen Wirth oder etwa den Vorsteher der
und den Donaufürstenthümern. 271
Gemeinde an seinen Tisch nötliigen oder bedeutende Trinkgelder geben
wollte. Am besten ist es, den Kindern heimlich etwas in die Hand zu
stecken oder unter dem Vorwand, die Kirche sehen zu wollen, dieser
ein Opfer zu bringen. Oft ist es gut, den Tataren die Rechnung mit
dem Wirth abmachen zu lassen, der, wenn er gegen den Franken un-
verschämt ist, von dem stolzen Türken die grössteu Schimptworte, ja
nach Befinden ein paar Ohrfeigen gelassen hinnimmt. Bisweilen macht
aber auch der Tatar gemeinschaftliche Sache mit dem Wirth, um den
Fremden zu prellen. Wollte man sich auf italienische Weise, wie bei
den Vetturinis, bei den Tataren in die Kost geben, so würde man mit
einem Brotfiaden, einigen Zwiebeln, weichem Käse und Kaffee abgespeist
und im Galopp an's Ziel der Reise geführt werden, üa man dem Ge-
brauch folgen luuss, dem Tataren stets einen Theil des bedungenen
Lohnes vorauszubezahlen, so ist es nicht gut thunlich, denselbeö auf
der Reise abzudanken, wenn er Anlass zur Unzufriedenheit gibt. Zu
den Fehlern der Tataren gehört, dass sie, obwohl den Tag über sehr
massig, sich des Abends zu betrinken pflegen. Oft nehmen sie unter-
wegs andere Reisende mit, und erwarten, dass man sie mitbeköstigt.
Remonstrationen dagegen bringen die Burschen sofort in üble Laune.
Im Winter in der Türkei zu reisen, ist äusserst beschwerlich, ja
fast unmöglich, theils wegen des tiefen Schnees in den Gebirgsgegenden,
besonders im Balkan, theils wegen des Anschwellens der Flüsse, von
denen viele keine Brücken haben. Auch gibt es ausserhalb Constanti-
nopel nur selten Oefen. Dagegen herrscht im Juli und August in den
Thälern und auf den Ebenen eine so drückende Hitze, dass man Ge-
fahr läuft, das Klimafieber zu bekommen.
Zu Dienern nimmt man am besten Bulgaren. Die Griechen
und Albanesen pflegen zu betrügen, die Walachen stehen im Rufe
der Treulosigkeit und Verschmitztheit, auch verstehen sie es weniger,
sich mit den Türken und Slaven zu vertragen. In der Regel bekommt
ein Bedienter monatlich 8 bis 10 Thaler, ein Pferdeknecht 6 bis 8
Thaler. Ein Dragoman erhält gewöhnlich den doppelten Lohn eines
Bedienten, indess verlangen Manche an Orten, wo Mangel an Dol-
metschern ist, einen Ducaten für den Tag. Die beste Auswahl hat man
in Constantinopel und Salonik, und hier sind Manche auch so einge-
richtet, dass sie dem Reisenden gegen eine bestimmte Summe für den
Tag (2 bis 3 Ducaten) als Führer und Dolmetscher dienen und ihm
zugleich alles andere zur Reise Erforderliche: Pferde, Lebensmittel,
Betten und Geschirr liefern, auch alle Trinkgelder bestreiten.
Wer dies alles selbst zu besorgen vorzieht, muss alle zur Be-
quemlichkeit erforderlichen Gegenstände mit sich führen, vorzüglich
eine Bettdecke und ein Stück Wachstuch oder anderes wasserdichtes
Zeug, theils, um das Gepäck auf dem Rücken der Packthiere vor Re-
gengüssen zu schützen, theils um das wasserdichte Zeug des Nachts
unter sein Lager zu breiten und so sich vor der Feuchtigkeit, die aus
dem Boden steigt, zu bewahren. Handtücherund Servietten muss man
mitnehmen, dagegen von Kleidern nur das Nothwendigste. Handschuhe
272 . Touren in der europäischen Türkei
und einen Frack zu tragen, kommt man in der Türkei nicht in den
Fall; dagegen werden solche Dinge noth wendig, wenn man in Jassy
und Bukarest in die Kreise der vornehmen Welt eingeführt sein will.
Am besten vertheilt man sein Gepäck in zwei lederne Säcke, wie sich
deren die Türken bedienen, oder auch in zwei gewöhnliche Mantel-
säcke, hölzerne Kofter sind weniger gut zu brauchen. Man nimmt ferner
einen kleinen Kessel mit, der an der über jedem Herd befindlichen
Kette mit Haken aufgehangen werden kann, sodann eine Blechkanne
zur Bereitung des Kaffees oder Thees, eine grosse, landesübliche Holz-
flasche, für Wein oder Spirituosen, einige Wachslichter, Leuchter,
Feuerzeug, Kaffee, Thee, Zucker, Reis, Bohnen, Erbsen, Würste, Cho-
kolade und Bouillontafeln. Um den gemahlen mitzunehmenden Kaffee
gut zu erhalten, kauft man sich einen ledernen Beutel, den man über-
all in sehr zweckmässiger Einrichtung zu kaufen bekommt. Ebenso
bekommt man fast allenthalben jene Etuis mit kleinen türkischen Kaf-
feetässchen, mit denen man sich zu versehen pflegt, um jeden Besuch
sogleich nach Landessitte bewirthen zu können. Eine Gabel mitzur
nehmen, ist ebenfalls erforderlich, da man diesen Luxus unter den
Bewohnern Rumeliens fast so wenig kennt, wie in den asiatischen
Provinzen. Auch ein silberner oder zinnerner Teller gehört in die
Reiseausstattung.
Da man auf der Reise nur selten einen Arzt und nur in den
grössten Städten Apotheken findet, so muss man sich mit den gewöhn-
lichsten Mitteln gegen die Krankheiten versehen, denen man hier zu
Lande ausgesetzt ist. Diese sind hauptsächlich Fieber, Durchfall, ünter-
leibsentzündung und Rheumatismus. Man nehme sich daher Brech-
weinstein, Rhabarber, Ricinusöl, Chinin, Kamillen und Opodeldoc mit,
am besten gleich in die üblichen Gaben vertheilt. Da das Landvolk
hier jeden Europäer für einen Arzt hält, so kann man sich sehr beliebt
machen, wenn man die Bitte um ein Heilmittel, die sehr oft gestellt
wird, zu erfüllen im Stande ist.
Angemessen ist es, nach der Sitte des Landes mit einem Schurr-
bart, aber ohne Backen- und Kinnbart zu reisen. Auch ist es gerathen,
sich für die Reise mit Waffen zu versehen und zwar mit einem Dop-
pelgewehr oder einem Revolver, Die Waffen dürfen aber nicht reich
aussehen, da diese die in manchen Gegenden noch nicht ausgerotteten
Räuber (Haiducken) anlocken würden. Die Begegnenden grüssen ein-
ander mit dem Wunsch einer glücklichen Reise — Ugurallah — wobei
sie die rechte Hand auf das Herz legen. Wasser verlangt man beim
Vorüberreiten vor einem Wirthshaase, ohne dass dafür ein Trinkgeld
gegeben würde; auch finden sich an der Strasse häufig Plätze zum
Anhalten bei frischen Quellen und Brunnen, die von Bäumen beschattet
sind. Wo man in katholischen Ländern als Beweis seiner Frömmigkeit
Heiligenbilder aufstellt, lässt der Türke Brunnen graben und Bäume
pflanzen oder stiftet Khans für müde Wanderer.
In der Regel bricht man sehr zeitig auf und ruht im Sommer
während der Stunden von 11 bis 3 Uhr. Türkische Frauen scharf
und den Donaufürstenthümern. 273
anzusehen, gilt für unanständig, sich na«;h der Frau vom Hause zu erkun-
digen, für tactlos. Durch langen Aufenthalt bei alten Denkmälern,
durch Schreiben und Zeichnen, zieht man leicht Verdacht auf sich.
Weniger ist dies beim Botanisiren der Fall, weil man hierbei für einen
Arzt gilt. Auch blosse Erkundigungen erregen oft schon Verdacht, doch
weniger, wenn sie sich bloss auf die Sitten und Gewohnheiten der
Leute beziehen. Von einer genauen Bestimmung der Zeit hat das
Landvolk keine Vorstellung, und fragt man, ob man noch weit bis
an's Ziel seiner Reise habe, so wird oft geantwortet, ganz nahe, wäh-
rend man noch mehre Stunden davon entfernt ist.
Die beste Karte von der Türkei ist die von Heinrich Kiepert in
Berlin herausgegebene.
Die Provinz Bulgarien hat nicht ganz eine Million Einwohner,
aber der Stamm der Bulgaren bewohnt auch grosse Tlioile Thraciens
und Macedoniens und soll über vier Millionen Menschen zählen. Die
Bulgaren waren ursprünglich ein finnisches Volk wie die Magyaren,
nahmen aber schon vor Jahrhunderten slavische Sprache und Sitte an .
Sie sind fleissige Ackerbauer und Gärtner. Der Balkan macht eine
nicht unmerkliche Scheidung zwischen ihnen ; die auf dem Nordabhang
des Gebirges wohnenden Bulgaren sind roher, ihre Sprache gleicht der
russischen, viele sindhier Mohammedaner geworden, die Kinder fürchten
sich vor den Fremden; die im Süden dagegen haben mehr von der
serbischen Sprache und von grieclüscher Sitte angenommen , sie sind
gesitteter, und ihre Kinder kommen den Reisenden freundlich entgegen.
Auch die Natur ist verschieden: denn südlich vom Balkan bringt der
Boden fast alle Erzeugnisse Griechenlands hervor, während er im
Norden die Producte Ungarns bietet. Die Städte Bulgariens sind meist
von Holz erbaut und bestehen in der Regel aus einer Citadelle (Grad),
einer Handwerker- und Handelsstadt (Warosch) und aus einer Solda-
tenstadt (Palanka), die mit Pallisaden umgeben ist. Die Dörfer haben
zum Theil halb in die Erde gegrabene Hütten, theils zeltartige Woh-
nungen von Weidenruthen geflochten. Im Innern aber herrscht grosse
Reinlichkeit, und auf dem Dache nistet oft der gesellige Storch. Der
Bulgar ist gut gewachsen, sehr massig und in der Regel ehrlich, dienst-
fertig und gastfrei. Die bulgarischen Frauen sind von schlankem Wuchs
und durchschnittlich sehr schön. Auffallend ist ihr reicher Haarwuchs.
Die grosse Mehrzahl der Bulgaren bekennt sich zur griechisch-katho-
lischen Kirche, und sie haben sechzehn Bisthümer und vier Erzbis-
thümer oder Metropolen. Die Geistlichen sind meist Griechen, da sie
von dem Patriarchen von Constantinopel abhängen. Jeder Geistliche
kauft seine Stelle, der Bischof von den Türken, der Pope vom Bischof.
Die höhere Geistlichkeit saugt das Volk nach Kräften aus und be-
trachtet ihre Stellen überhaupt lediglich als Mittel, sich zu bereichern.
Eine Aristokratie, gleich den Bojaren in der Moldau und Wallachei,
gibt es unter den Bulgaren nicht. Der Balkan ist ein vielverzweigtes,
mit dichten Eichen- und Ulmenwäldern bewachsenes Granitgebirge,
welches sich in seinen höchsten Puncten über 5000 Fuss erhebt, in
18
274 Touren in der europäischen Türkei
seinem westlichen Theil sehr rauh und unwegsam ist. Im Nordosten
tritt wie eine Halbinsel zwischen der Donau und dem Schwarzen Meere
die Dobrudscha als Hochfläche auf. meist mit Steppengewächsen bedeckt,
zum Theil aber auch ausgedehnte Getreidefluren zeigend. Die Wal-
dungen bedecken hier nur kleine Strecken und werden erst gegen den
Balkan hin dichter. Der Westen ist weniger einförmig, die Wälder
werden umfangreicher, die Gegenden besser bebaut. Im Frühjahr regnet
es sehr viel, was die Verkehrswege oft unpassirbar macht, aber zugleich
alle Pflanzen und namentlich die Futterkräuter üppig gedeihen lässt.
Die Sommerhitze aber verwandelt das grüne Bild schnell in einen
versengten Anger und trocknet häufig Bäche und Quellen aus. Aus-
fuhrartikel sind Wein, Holz, etwas Eisen, Honig, Wachs und vor Allem
Getreide.
Die moldau und Walachei, jetzt unter Einei.\ Fürsten, sind
reinchristliche Länder, in denen man keine Moschee und keinen Grund
besitzenden Türken findet. Die Pforte ist ihnen gegenüber nur Süze-
räne Macht, sie hat hier keine andere Bedeutung, als dass sie einen
Jahrestribut empfängt, die gewählten Fürsten bestätigt und bei Ver-
fassuugsvoränderungen eine Stimme, nach Befinden ein Veto hat. Die
Hauptmasse der Bevölkerung besteht in W^alachen oder wie sie selbst
sich nennen, Rumänen, die ein verdorbenes Latein, gemischt mit \'ieleu
slavischen, türkischen, griechischen und einigen deutschen Worten spre-
chen und Nachkommen römischer Colonisten sind, denen sich später
magyarisches, slavisches und wohl auch germanisches Blut beimischte.
Ausserdem wohnen in den beiden Fürstenthümern viele Deutsche, welche
vorzüglich den Handwerkerstand in den Städten bilden, eine grosse
Menge Juden, welche fast alle Dorfschenken und Kramläden in ihren
Besitz gebracht haben, und eine Anzahl Zigeuner, die theils als Musi-
kanten oder Kesselflicker und Schmiede umherziehen, theils sesshaft
sind. Das Land ist fruchtbar, indess sind die Bauern meist arm, und
Ackerbau wie Viehzucht stehen auf der niedrigsten Stufe. Die Verkehrs-
wege sind schlecht, bei Regenwetter in der Ebene kaum zu passiren.
im Gebirge von derselben Beschaffenheit wie die in der Türkei und
Griechenland. Die Rumänen bekennen sich ohne Ausnahme zur grie-
chisch-katholischen Kirche. Consuln findet man in Bukarest, Galatz
und Jassy, Consularagenten in vielen kleineren Orten. Alle Gebildeten
sprechen französisch. Viele auch deutsch, welche letztere Sprache (aller-
dings sehr verdorben) auch von den hiesigen Juden gesprochen wird.
Haupterzeugniss des Landes ist Getreide. Im Alterthum wurde das,
was jetzt die Moldau und Walachei umfassl, mit dem Namen Dacien
bezeichnet. Man nimmt an, dass die Einwohnerzahl beider Länder
zusammen etwa 4:% Millionen beträgt. Wer sich genauer über das
Land zu unterrichten wünscht, dem sei „Neigebaur, Beschreibung der
Moldau und Walachei, zweite Auflage. Breslau, J. ü. Kern 1854«,
empfohlen.
Serbien begreift in sich Theile des alten Mösien und Illyrien.
Im Mittelalter bildete es ein unabhängiges Königreich, welches auch
und den Donaufürstenthümern. 275
Theile von Bosnien, Bulgarien und Albanien urafasste. Zu Ende des
14. Jahrhunderts wurde es von den Türken erobert, aber zu Anfang
des gegenwärtigen Jahrhunderts brach ein erfolgreicher Aufstand aus,
durch den sich Serbien fast ganz von der Überherrschaft der Pforte
befreite, so dass der letzteren nur noch ein Jahrestribut, das Recht
der Bestätigung der Fürsten und der etwaigen Verfassungsverände-
rungen, verblieben ist. Das Recht, in Belgrad und einigen andern Festun-
gen des Landes türkische Garnisonen zu halten, hat aufgehört. Der Boden
ist vorwiegend gebirgiger Natur, indess erhebt sich keine der verschie-
denen Bergketten hölier als 4000 Fuss, und zwischen den Gebirgszügen
strecken sich zahlreiche fruchtbare Thäler. Das Klima ist gemässigt
und gesund. Der Boden eignet sich sowohl zum Acker- als zum Wein-
bau, auch wird viel Viehzucht, besonders Schweinezucht, getrieben. Die
Wälder bestehen meist aus Laubholz, besonders Eichen, auch bildet
der Birnbaum in den Niederungen förmliche Wälder. Haupterzeugnisse
des Landes sind Mais, Wein, Obst, Flachs und Producte der Viehzucht.
Die Einwohner, dem Stamm der illyrischen Slaven angehörig und circa
eine Million Seelen stark, bekennen sich zur griechisch-katholischen
Kirche. Durch einen kräftigen Körper, grosse Tapferkeit und Freiheits-
liebe ausgezeichnet, Musik und Gesang liebend, sind sie einer der be-
gabtesten und interessantesten Zweige der Slavenfarailie.
Ausser von Serben wird das Land noch von Walachen, welche
vorzüglich Ackerbau, einigen Armeniern, Griechen und Juden, welche
Handel treiben, bewohnt. Der Gewerbefleiss beschränkt sich auf
die bäuerliche Hausindustrie. Das Land zerfällt in 17 Kreise (Nahien),
die wieder in 55 Bezirke unter Kapitanis getheilt sind. An der Spitze
des Ganzen steht ein Fürst, welcher oberster Befehlshaber des Heeres
und Vorstand der unabhängigen innem Verwaltung ist. Die letztere
wird von ihm durch Minister ausgeübt. Neben dem Fürsten gibt es
einen Senat, welcher berathende Stimme hat. und eine Nationalver-
sammhing (Skuptschina), die indess nur in ausserordentlichen Fällen
berufen wird. Die Rechtspflege im Lande ist durchaus geordnet, für
den Unterricht wurde besonders in den letzten beiden Jahrzehnten
viel gethan. Die kirchlichen Angelegenheiten stehen unter dem Metro-
politen von Belgrad und den Bischöfen von Uschitza, Schabatz und
Negotin. Die Geistlichkeit darf nur aus der Nation selbst gewählt
werden. Die regelmässige Macht zählt nicht mehr als 10,000 Mann,
unter denen Artillerie und Cavallerie. Da indess jeder Serbe mit
Waffen versehen und zum Kriegsdienst verpflichtet ist, so kann das
Land ein Heer von 50 bis 60,000 Maini aufstellen, wenn es Noth
thun sollte.
Bosnien ist die nordwestlichste Provinz der europäischen Türkei.
Es zerfällt in türkisch Kroatien, ein Stück von Dalmatien und die
Herzegowina. An zwei Puncten reicht es au das Adriatische Meer. Mit
Ausnahme des nördlichen, an der Sau sich hinstreckenden Strichs, ist
das Land allenthalben Gebirgsland, und zwar wird es von den Dina-
rischen Alpen durchzogen, deren Gipfel, bis zur Höhe von 7600 Fuss
276 Touren in der europäischen Türkei
ansteigend, den grössten Theil des Jahres, vom September bis zum
Juni, mit Schnee bedeckt sind. Die Berge sind meist dicht bewaldet,
der Ackerbau ist nur in der Ebene einigermassen bedeutend. Die
Erzeugnisse des Landes sind dieselben, wie in Serbien. In allen Gegenden
Bosniens gibt es Wälder von Kastanienbäumen. Handel und Industrie
gibt es nur in den Städten, und zwar wird ersterer fast nur von den
hier angesiedelten Juden, Griechen, Armeniern, Deutschen und Italie-
nern betrieben. Der Gewerbfleiss beschränkt sich auf die Anfertigung
von Waffen, Leder und groben Wollen Stoffen, die hauptsächlicli im
Lande verbraucht werden, doch zeichnet sich die Hauptstadt Sarajewo
auch noch durch grosse Fabriken von Kupfergeschirren, Baumwollen-
waaren und Goldschmiedarbeiten aus. Die Einwohner des Landes zer-
fallen in mehre Stämme ; es gibt hier ausser vielen Ungarn, Italienern
und Deutschen hauptsächlich Bosniaken, Kroaten, Türken, Moriachen
und Zigeuner. Im Ganzen soll die Zahl der Einwohner Bosniens sich
auf etwa 850,000 belaufen. Die Bosniaken, 370,000 Köpfe stark und
ihrer Sprache nach ein Zweig der Serben, bekennen sich theils zum
Islam, theils zur römisch-katholischen, theils auch zur griechischen
Kirche. Sie sind rauh und barsch gegen Fremde, raubsüchtig und grau-
sam, aber tapfer, ehrlich, fleissig und massig. Sie treiben etwas Acker-
bau und Viehzucht, mit Vorliebe jedoch Jagd und Fischfang. Frauen
wie Männer sind meist gut gewachsen und oft von hübschen Zügen.
Die Kroaten, deren Zahl 180,000 betragen soll, bekennen sich theils
zur griechischen, theils zur römisch-katholischen Kirche, nur einige
Hundert sind Mohammedaner. Sie beschäftigen sich mit Ackerbau, Vieh-
zucht und Tauschhandel. Ihre Sprache weicht erheblich von der ser-
bischen ab, obwohl sie demselben Hauptzweige des Slavischen angehört.
Die Moriachen, 145,000 Köpfe stark, bewohnen grossentheils die soge-
nannte Herzegowina. Sie sind ein höfliches, sehr anstelliges und im
Handel ungemein gewandtes Volk, den Türken sehr feindlich gesinnt,
zum grösseren Theil der griechischen, zum kleineren der katholischen
Kirche angehörig. Die Anzahl der Osmanen im Lande soll 200,000
betragen, doch sind damit wohl nicht Türken, sondern überhaupt alle
Bekenner des Islam gemeint. Das niedere Volk wurde lange Zeit und
wird noch jetzt schwer von dem Adel bedrückt, welcher von seinen
Burgen aus verschiedene Steuern zu erzwingen wusste, und als die
Pforte Reformen eintreten Hess, welche den Bauer besser stellten, sich
wiederholt dagegen auflehnte. Das Land würde weit blühender und
reicher sein, wenn dieser bosnische Adel, welcher beiläufig sich zum
Islam bekennt, während die Bauern dem Christenthum grossentheils
treu geblieben sind, nicht existirte. Bosnien gehörte im 12. und 13.
Jahrhundert zu Ungarn, später zum Königreich Serbien, dann, in der
letzten Hälfte des 14. Jahrhunderts, war es ein selbständiges König-
reich, 1528 endlich wurde es eine Provinz des osmanischen Reiches.
Thracien oder Rumelien im engeren Sinn, heisst der Theil der
europäischen Türkei, welcher im Norden an den Balkan, im Osten an
das Schwarze Meer und den Bosporus, im Süden an das Marmorameer
und den Donaufürstenthümern. 277
und das ägäisehe Meer und im Westen an Macedonien grenzt. Die
Bewohner dieser Gegend sind vorzüglich Türken, Bulgaren und Griechen.
Von Gebirgen durchziehen das Land ausser dem Balkan der Despoto
Dagh und der Pangäus des Alterthums, jetzt Kastagmatz. Der Haupt-
fluss, die Marizza, ist nächst der Donau zugleich der grösste Strom
der ganzen illyrischen Halbinsel.
Wir gehen nunmehr zur Schilderung einiger der Haupttouren über:
1. Von Constantinopel i'iber Adrianopel, Philippopel, Sophia und Kissa nach Belgrad.
Diese Route führt über den Balkan (im Alterthum Hämus, tür-
kisch Emineh Dagh genannt), die grosse militärische Schranke der
europäischen Türkei, in welcher es zwei Hauptpässe gibt, von welchen
der eine auf Semlin in Ungarn, der andere auf die Strasse von Rothen-
thurm in Siebenbürgen hinstrebt. Der Weg von Constantinopel nach
Belgrad, durch die Defileen von Tatar Basardschik ist von Couriren,
die Tag und Nacht ritten, in sechs Tagen zurückgelegt worden. Ge-
wöhnliche Reisende bedürfen dazu, wenn sie, wie unter allen Umständen
wünschenswert!! ist, einen Tag in Adrianopel und einen zweiten in
Nissa bleiben wollen, mindestens zwei Wochen. Der Reisende bedarf
ferner fünf bis sechs Pferde für sich, sein Gepäck, den Tataren und
einen Diener. Die Pferde werden, wenn es Postpferde sind, regelmässig
auf den Stationen gewechselt, welche sich aller 3 bis 4 Meilen finden.
Die Kosten der Tour werden, wenn man fünf Pferde mitnimmt, 140
Thaler nicht übersteigen, wobei alle Ausgaben ohne Ausnahme, also
Pferde, Lebensmittel, Wein, Herberge, Pferdefutter uud Trinkgelder
eingerechnet sind. Ein türkischer Shawl, eine Leibbinde, Lederhosen,
ein Luftkissen für den Sattel, ein tüchtiger Kaputzenmantel und eine
gute Decke sind in den Pässen des Balkan fast unerlässlich. Im Winter
muss man einen tüchtigen Pelz haben. Von Constantinopel bis an die
Grenze Serbiens ist türkisches Silber das beste Reisegeld, doch kommt
auch der österreichische Thaler, der Zwanziger und der Ducaten oft
vor. Den Tataren bezahlt mau in der Weise, dass man ihm ein Dritt-
theil der ausgemachten Summe in Adrianopel, ein Drittheil in Nissa
und das letzte Drittheil in Belgrad gibt, wo man ihm, wenn er sich
gut aufführte, zugleich ein Extra-Bakschisch von zwei Ducaten oder
mehr verabreichen mag. Der nächste Weg bei dieser Route berührt
folgende Ortschaften : Kütschük Tschekmedsche, 5 Stunden von Constan-
tinopel, Bujuk Tschekmedjeh, 3 Stunden weiter, Selivria (3 St., Tschorlu
8 St., Lulej Burgas 10, Eski Baba 5, Adrianopel 9, Mustapha Pascha
6, Hirmanli 8, Papaslu 14, Philippopolis 4, Tatar Basardschik 13, So-
Shia 13, Nissa 15, Alexinitza 2, Jagodina 7, Belgrad 15 Stunden, wobei
araut gerechnet ist, dass der Reisende in der Ebene soviel als möglich
Galopp reitet.
Wir geben eine kurze Beschreibung der Hauptpuncte dieser Route :
Der Reisende, welcher zum Erstenmale die Türkei betritt, wird
einen total verschiedenen Eindruck empfangen, je nachdem er seinen
278 Touren in der europäischen Türkei
Weg von Ötambul nach Westen oder von der österreichischen Grenze
gegen Osten nimmt: denn Thracien ist der vollste Gegensatz zu Bosnien.
Bosnien, ein herrliches Gebirgsland. ein Labyrinth von Bergen, Felsen
und Schluchten, mit Sümpfen und Urwäldern, voll Abwechslung in der
Gestaltung, voll landschaftlichen Reizes, schön in wilder Naturpracht.
Von Constantinopel nach Adrianopel aber kann man reisen, ohne einen
Baum und ohne einen Berg zu sehen, ja man kann hier fast wie ein
Seemann in gerader Eichtung nach dem Compass steuern, ohne Gefahr,
auf den flachen Terrainwellen eines endlos scheinenden Steppen- und
Weidelandes, wo es keinen Weg gibt, weil Alles Weg ist, seinen Weg
zu verlieren.
Bei dem einförmigen Steppencharakter der Landschaft auf der
thracischen Halbinsel darf es nicht verwundern, wenn man in Constan-
tinopel kaum Jemanden findet, der die Reise nach Adrianopel zu Land
gemacht hat, oder der Aufschluss geben kann, wie es landeinwärts
aussieht. Wer von Stambul nach Edirne (Adrianopel) reisen will, be-
nützt in der Regel das Dampfboot bis Rodosto an der Küste des Mar-
mora-Meeres und fährt von da mittelst einer türkischen Talika oder
einer russischen Pritschka, eines erst seit dem Krimkriege in der
Türkei eingeführten Fuhrwerks, in 24 Stunden nach der alten Haupt-
stadt der Türkei. Die Poststrasse über Siliwri und Tschorlu — wenn
man eine Strasse so nennen darf, die schon gleich vor den Thoren von
Stambul nicht viel mehr ist als ein Feldweg, der neben den Resten
einer alten gepflasterten Römerstrasse hinläuft und an der sich Tele-
graphenstangen und Telegraphendrähtc wie ein Anachronismus aus-
nehmen — diese Poststrasse wird nur von Ochsenwagen benützt oder
von dem Posttataren, für welchen die dreissig Meilen bis Adrianopel
eine einzige Station sind, die derselbe in ununterbrochenem Ritt, bloss
mit gewechselten Pferden, in 36 bis 40 Stunden zurücklegt.
Nach der Landseite ist Stambul von einer gewaltigen Mauer
mit alterthümlichen Zinnen und Thürmen abgeschlossen. Stück für
Stück fällt jetzt von ihr, sie dient nur mehr als Steinbruch für den
Neubau der Stadt; denn auch Stambul ist im Stadium der Stadterwei-
terung und Stadtverschönerung. Aber diese Mauer hat so lange die
Welt des Bosporus vollständig von Europa getrennt. Wie der Boden
von Constantinopel geologisch noch ein Stück von Asien ist, so gra-
vitirt hier auch das ganze Leben der Menschen nach der asiatischen Seite
Von der Grossstadt verliert man ausserhalb des Thores der
sieben Thürme bald jede Spur. Ausgedehnte Begräbnissplätze, Gemüse-
und Obstgärten umsäumen die Stadt. Weiterhin an der Meeresküste
eine Waffen- und Pulverfabrik, und auf der das Goldene Hörn beherr-
schenden Höhe die Daud-Pascha-Kaserne, dann noch das aTufblühende
Städtchen St. Stephan o mit den Villen reicher Kaufleute an dem rei-
zenden Gestade des Marmorameeres, darüber hinaus verräth nichts mehr
die Nähe der Riesenstadt von über Eine Million Einwohner.
Bei der Lagune von Kütschük Tschekmedsche, drei Stunden von
Stambul, bildet ein hölzernes Brückenthor den Einlass in das Innere
und den Donaufürstenthümern. 279
des Landes. Von diesem Thor bis zu dem zweiten Bretterthor bei
Alexinatz, welches durch den Holzzaun führt, mit welchem Fürst Mi-
loach sein schönes Serbien umgrenzen Hess, sind hundert Meilen, für
die Possttataren, welche diese btrecke in fünf Tagen zurücklegen, nur
drei Stationen.
Bald hinter Tschadaltsche beginnen die einförmigen, baumlosen,
von trockenen Wasserrinnen durchfurchten Plateauflächen der thracischen
Landschaft, die ihren Charakter bis Adrianopel nur wenig verändert.
Der Bodea besteht aus Sand, Lehm und eisenschüssigen Geröllmassen
und hebt sich nur ganz allmälig gegen Norden und Süden zu den
niederen Küstengebirgsketten ara Schwarzen Meere einerseits und am
Marmorameer andererseits. Die Wasserläufe fliessen von beiden Seiten
nach der Mitte des Beckens und entleeren sich al Erkene gegen Westen
zwischen Enos und Adrianopel in die Marizza
Das Innere des Beckens ist grösstentheils Weideland oder zwerg-
haftes Eichengestrüpp. Felder, Wein- und Obstgärten und schattige
Bäume finden sich immer nur in der Nähe der Dörfer und Städte oder
der vereinzelt liegenden Tschiftliks. Alle Ausiedlungen liegen weit aus-
einander; denn, die Bevölkerung, vorherrschend griechisch, aber unter-
mischt mit türkisch und bulgarisch, ist in diesem Theile des Landes
ziemlich spärlich. Einzelne tscherkessische Niederlassungen sind ganz
neuen Datums. Auf den Feldern wird eine zweijährige Wechselwirthschaft
getrieben und das Getreide mittelst eigen thümlicher Schlitten, an deren
unteren Seite scharfe Feuersteinraesser eingelassen sind, ausgefahren
und gleichzeitig das Stroh zu Häckerling geschnitten. Die ausgedehnten
Weiden enthalten eine Vegetation, wie sie dem warmen Klima und dem
trockenen Erdreiche entspricht, die sich ebensowenig durch Ueppigkeit
als durch Futterreichthura auszeichnet. Man sieht mehr wilden Senf,
Malven, Disteln und Camillen als Gras, und im Verhältnis^ zur Aus-
dehnung der, der Viehzucht gewidmeten Triften, begegnet man auch
nur wenigen Herden von Schafen, Rindvieh, Büffeln und Pferden.
Schildkröten, Geier und Krähen sind fast die einzige lebendige Staffage
der öden Landschaft.
Der Weg bis Kütschük Tschekmedsche iind weiterhin bietet
schöne Ausblicke auf das Marmorameer, die Gegend aber ist von bös-
artigen Fiebern heimgesucht. Dasselbe gilt von Bujak Tschekmedsche
(d. i. die grosse Brücke), wo sich ein schmaler Meerbusen in das Land
hineinstreckt, der mit einer langen, fast bis zum Schwarzen Meer rei-
chenden Kette von Teichen und Morästen in Verbindung steht, über
welche eine Reihe von vier Steinbrücken führt Die Höhen hinter dem
Orte bilden eine starke Position für die Vertheidigung von Constan-
tinopel. Hier in der Nähe des Dorfes Ghettos nahm im Jahre 559 der
alte Belisar Stellung, als es die Hauptstadt gegen die Angriffe der
Bulgaren unter Zabergan zu vertheidigen galt. Obschon er unter seinen
Befehlen nicht mehr als dreihundert gediente Soldaten und einige
Tausend ungeübte Recruten hatte, wusste er sich durch geschickte
Befestigung des Passes und verständige Aufstellung seiner kleinen
280 Touren in der europäischen Türkei
Scbaar doch gegen die Ueberzahl der Barbaren zu behaupten, und
gewann sogar ein Treffen, welches die Gegner zum Rückzug nöthigte
und Constantinopel vor der Plünderung bewahrte. Auf dem weiteren
Wege geniesst man wieder schöne Aussichten auf die Propontis und
den asiatischen Olymp, Selivria, das alte Sel,ymbria, ist ein Städtchen
mit einer Brücke von dreissig Bogen, und einem alten Schloss, welches
einen Besuch verlohnt. Der Khan, wo man das erste Nachtlager zu
nehmen pflegt, ist klein, aber ziemlich reinlich. Tschorlii, eine kleine,
alte Stadt, war einer der ersten Orte Europa's, welche von den aus
Asien kommenden Türken genommen wurde. Luleh Burgas hat seinen
Namen theils von den Pfeifenköpfen, die hier fabrieirt werden, theils
von dem griechischen Wort j:üpYo;, welches Thurm bedeutet. Die hie-
sigen Töpfer machen ausser Pfeifenköpfen auch hübsch vergoldete
Kannen, Schalen und Tintenfässchen, die sehr wohlfeil sind. In Eski
Baha findet man gute Herberge im Hause eines Griechen.
Adriauopel (türkisch Edirne), nach dem römischen Kaiser
Hadrian benannt, einst die Hauptstadt der europäischen Türkei und
noch unter Mahomed IV. und Solimau II. im 17. Jahrhundert die Re-
sidenz der Sultane, ist von seiner einstigen Grösse tief herabgesunken.
Aber Eine Eigenschaft hat die Stadt nicht verlieren können, die Eigen-
schaft einer höchst ausgezeichneten und zugleich wundervoll schönen
Lage. Und dieser Eigenschaft wird sie, wenn einmal die türkischen
Eisenbahnen zur Wirklichkeit geworden sind, einen Autschwung ver-
danken, welcher alle vergangene Grösse verdunkeln kann. Die Stadt
liegt im Knotenpunct der ostwestlichen Linie von Constantinopel nach
Philippopel und der nordsüdlichen Linie, die Burgas am Schwarzen
Meere mit Enos am Aegäischen Meere verbinden wird, und da diese
Linie von Aarianopel aus schon nächstens in Angriff genommen werden
soll, so wird sich hier zuerst die neubelebende Wunderkraft des mo-
dernen Verkehrsmittels zugleich als Culturmittel auf das Alttürkenthum
geltend machen, dessen Sitz die Stadt der alten Sultane noch immer ist.
Zwei ansehnliche Flüsse, die Arda von Südwesten her und die
Tundscha aus dem Balkan von Norden kommend, vereinigen sich bei
der Stadt mit der Marizza, dem Hauptstrome Thraciens. An ihrem
Zusammenflusse breiten sich weite fruchtbare Ebenen aus, begrenzt
von Hügelland, über dem in blauer Ferne die Gipfel der Gebirge auf-
ragen. Welche Abwechslung in dieser Ebene von Gärten, Maulbeer-
plantagen, Obstbäumen, Feldern und Wiesen, und wie wird all der
Reichthum der Natur in ein wahres Paradies verwandelt werden können,
wenn erst die Bewohner aus ihrer trägen Ruhe und aus ihrer mono-
polistischen Glüskseligkeit aufgerüttelt sind und zum vollen Bewusst-
sein eines frischen Lebensgenusses durch Arbeit kommen. ,
Die Stadt, die 90,000 Einwohner zählen soll — ^ -, Türken, Vj
Bulgaren und '/s Griechen, Juden und sogenannte Franken — ist ihrem
äusseren Ansehen nach wie alle türkischen Städte, ohne viel Abwechs-
lung, eine Strasse fast wie die andere winkelig, schlecht gepflastert,
schmutzig, ohne hervorstechende Bauten, und auch, was sich stolz
■>
und den Donaufürsten thümern, 281
, Hotel de TEtoile" nennt, ist derzeit nichts Anderes, als ein ordinärer
türkischer Han, der nicht einmal' soviel bietet, als das zweite grosse
Einkehrwirthshaus der Stadt, das noch den alttürkischen Namen Göra-
rük-Han führt. Nur das von einem Griechen gehaltene , Hotel de
Rumelie" macht eine Ausnahme, ist aber kein Hotel, sondern eine
Restauration, wo man nach der Karte speisen kann. Altes Mauerwerk
und dicke halbverfallene Thürme, die zum Theil den Kömern, zum
Theil den Genuesern zugeschrieben werden, erinnern an längst vergan-
gene Zeiten. Die Residenz der Sultane, das alte Serail, ausserhalb der
Stadt im Tundschathale gelegen, ist eine Ruine. In dem Prachtgemache
des ersten Stockwerkes, wo ein Selim, ein Mahommed, ein Soliman, und
wie sie alle heissen, auf weichem Divan beim Plätschern eines Spring-
brunnens, dessen prachtvolles Marmorbassin noch gut erhalten ist,
träumten, f^ruden wir eine Schafherde gelagert, die sich offenbar recht
behaglich fühlte an dem kühlen Ort. Der Marmorboden aber war mit
dicken Schichten von Mist bedeckt, dass einem intelligenten LandAvirth
das Herz lachen könnte. Es ist fast lebensgefährlich, sich die alten
Herrlichkeiten, das Schlafzimmer, dessen Wände mit Majolikaziegeln
belegt sind, die Bäder, den alten Harem u. s. w. zu besehen, denn
Alles, was nicht schon zusammengebrochen, droht den Einsturz. Ein
paar Invaliden leben hier von den Trinkgeldern, die die alte Pracht
noch einträgt.
Um so überraschender ist die gute Erhaltung der grossen Mo-
schee Selim''s IL, die sich auf dem höchsten Punct der Stadt mit ihrer
Riesenkuppel*) und mit ihren vier schlanken Minarets, Alles überragend,
erhebt. Sie gilt für die prächtigste und grösste Moschee des ganzen
osmanischen Reiches, und wer den Geist des Islams auf sich wirken
lassen will, der trete ein in diese geheiligten Hallen. Der Eindruck ist,
selbst nachdem man die Aja Sofia, die Achmedje und die Suliraanieh
in Stambul gesehen hat, ein überwältigend grossartiger. Wahrhaftig,
es ist den Türken nicht zu verdenken ,dass sie, nachdem es einmal eine
Santa Sofia gab, stationär geblieben sind im Baustyl ihrer Moscheen.
In den weiten Räumen unter der Riesenkuppel der Selimieh verspürt
man mehr von Religion, als in allen Jesuitenkirchen der Welt. Das
Innere der Moschee ist teppichartig im Weiss, Roth und Blau ausge-
malt, mit Goldinschriften auf grünem Grund. Unter der Kuppel führt
ringsherum eine Gallerie und das Licht empfängt der riesige Raum
durch 999 Fenster, wie die Türken sagen. Nicht weniger grossartig
ist die Säulenhalle vor der Moschee, mit riesigen Monolithsäulen aus
ägyptischem Porphyr und Granit. Die zierlichen, aussen cannelirten
Minarets aber haben eine F]igenthümlichkeit , die man bei keiner
anderen Moschee findet; sie tragen drei Kränze übereinander, und
unten beginnen an den drei verschiedenen Seiten der kreisrunden Basis
drei Wendeltreppen mit 250 Stufen, die, schraubenförmig übereinander-
*) Diese Kuppel hat einen Durchmesser von 102 Wiener Fnss, während die
Knppel von Aja Sofia in Stamhul 100 Fuss, die des Pantheon in Born 134 Fuss misst.
282 Touren in der europäischen Türkei
laufend, ohne dass man von einer Treppe auf die andere gelangen
könnte, in die Höhe führen, eine Treppe auf den ersten, eine zweite
auf den zweiten, die dritte auf den dritten Kranz. Vom Kranz dieser
Minarets überblickt man die ganze Stadt und die Landschaft bis zum
Fuss der entfernten Gebirge. Sehr sehenswerth ist auch die Marad-
Moschee, sie hat ebenfalls vier Minarets und nicht weniger als neun Kup-
peln ; sie wird von den Türken Utsch Serfeli genannt. Der Bazar Ali
Paschas ist ein mächtiges Gebäude mit Gewölben, welche abwechselnd
aus Lagen weisser und rother Ziegeln bestehen. Die Länge desselben
beträgt gegen 600 Schritte, an jedem Ende führt ein grosses Thor
hinein, ausserdem hat er vier Seitengänge. Der Blick durch die ganze
Länge dieses Bazars hindurch ist grossartiger, als irgend etwas in den
Besestans von Constantinopel. Man findet hier vorzüglich kostbare
Waaren, als Juwelierarbeiten, Shawls, Musseline und Seidenstoffe. Ferner
verdienen einen Besuch: die schöne Wasserleitung, die Brücke über
die Tundscha, die von den Römern erbauten Mauern und Thore, der
12 Fuss hohe Schaft einer Säule, auf welcher ein Staudbild des Kaisers
Hadrian gestanden haben soll, und das leider sehr verfallene Eski Serai
mit seinem schönen Portal und seinem achteckigen von hübschen Kiosks
umgebenen Thurme, welches ausserhalb der Stadt am Ufer der Tund-
scha liegt. Erwähnen wir nun noch die 5 grossen steinernen Brücken,
die über die verschiedenen Flüsse und Flussarme bei der Stadt führen,
eine grosse Kaserne und die neugebaute Militär-Akademie hinter der
Selim-Moschee, so glauben wir alles Wesentliche von Bauwerken ange-
führt zu haben.
Adrianopel wurde von Hadrian in der Nähe einer älteren Stadt
Namens Uskudiama angelegt. Eine Sage behauptete, dass hier Orestes
Sühne vom Verbrechen des Muttermordes gefunden habe, wes&halb
byzantinische Schriftsteller die Stadt bisweilen Orestias nennen. 1360
wurde Adrianopel von den Türken unter Murad I. erobert. Nach der
Einnahme von Constantinopel verlegten die Sultane ihre Residenz von
hier nach der alten Kaiserstadt. Aber noch lange nachher kam es vor,
dass dieselben mehre Monate des Jahres in Adrianopel zubrachten, ja
Mohammed IV. und Mustapha zogen sich sogar ganz von Constanti-
nopel hierher zurück, was indess von den Janitscharen so übel genommen
wurde, dass sie sich empörten und die Entthronung der missliebig
gewordenen Herrscher veranlassten.
In der neueren Geschichte ist Adrian opel von Bedeutung als
der Ort, wo 1829 ein für die Pforte sehr ungünstiger Friedensvertrag
abgeschlossen wurde, dessen Bestimmungen erst durch d^s Jahr 1856
theilweise wieder rückgängig gemacht wurden. Die Russen waren über
den Balkan vorgedrungen und hatten sich Adrianopels bemächtigt. Sie
hatten indess während ihres Marsches von der Donau bis hierher durch
Gefechte und noch mehr durch Krankheiten so grosse Verluste erlitten,
dass sie, zumal da der Pascha von Skodra mit einem Heer von 30,000
Arnauten in wenigen Tagen eintreffen musste, mit den 13,000 Mann,
und den Donaufilrstenthümern. 283
die ihnen geblieben waren, die grösste Gefahr liefen und nicht im
Entferntesten daran denken konnten, Constantinopel mit seiner halben
Million türkischer Einwohner anzugreifen. Dennoch schloss der Sultan,
von der fränkischen Diplomatie getäuscht, jenen nachtheiligen Frieden,
der ihm das ganze Litoral des Schwarzen Meeres von der Mündung
des Kuban bis zum Hafen S. Nikolaus, dem grössten Tlicil des Pascha-
liks Achalzik, fast allen Einfluss auf Serbien, die Moldau und die Wa-
lachei entriss, die Anerkennung des Königreichs Griechenland bedingte
und den Russen Handelsfreiheit in der ganzen Türkei und freie Schiff-
fahrt auf der Donau und allen der Pforte gehörigen Meeren verschaffte,
ausserdem aber das Uebergewicht Russlands im Norden der Türkei so
befestigte, dass der Sultan in den nächst«!» Jahrzehnten fast wie ein
Vasall des Czaren erschien.
Adrianopel ist gegenwärtig der Sitz des General-Gouverneurs
des Vilajet Edirne, welches die alten Paschaliks von Adrianopel, Phi-
lippopel und Gallipoli mit einer Gesanmitoberfläche von 900 Quadrat-
raeilen umfasst, also beinahe das ganze alte Thracien. Es hat eine
Besatzung von einigen Escadrouen Gardekosaken und Dragonern, die
zu den beiden einzigen Regimentern gehören, denen es erlaubt ist, sich
auch aus den christlichen Elementen der Bevölkerung zu recrutiren.
Die Officiere dieser* Regimenter sind meist Polen.
In Handel, Gewerbe und Industrie kann sich Adrianopel weitaus
nicht messen mit Philippopel. Die früher so blühende Seidenzucht ist
in Folge der Seideraupen-Krankheit sehr zurückgegangen. Von einer
grösseren Anzahl von Seidenspinnereien arbeitet gegenwärtig nur eine,
die Cocons werden meist als solche auf dem Landweg nach Rodosto
gebracht und von dort nach Marseille verschifft. Der Handel ist in den
Händen weniger Monopolisten, die aus Furcht, durch Concurronz ihr
Privilegium zu verlieren, dem Eisenbahn-Unternehmen wenig günstig
gestimmt sind, ebenso wie der Landadel oder die Beys, welche in Adria-
nopel residiren. Gärberei, Kuchenbäckerei, Verfertigung von Schuh-
waaren, Traubenverkauf sind noch heute ein ausschliessliches Vorrecht
der Emirs, die sich durch grüne Turbane als Nachkommen des Pro-
pheten kennzeichnen.
Nichtsdestoweniger hat Adrianopel schon Manches von west-
europäischer Civilisation und Cultur an- und aufgenommen. Die soge-
nannte fränkische Colonie zählt 25 Familien, zu welchen vor Allem die
Familien der fremden Consuln gehören, die sich hier zum Theil zu
bedeutendem Reichthum und Einfluss aufgeschwungen haben. Im
Sommer leben die Franken in Karagadsch, einem eine Stunde von
Adrianopel am rechten Ufer der Marizza gelegenen Dorfe, das grössten-
theils aus Villen besteht.
Vor einigen Jahren gründete der österr. Consul hier ein Casino,
das einen ganz unerwarteten Erfolg hatte. Dieser Casino-Gesellschaft
gehören nicht nur sämmtliche Consuln mit ihren Familien und die
Mitglieder der fränkischen Colonie, sondern auch die Spitzen der tür-
kischen Behörden — der Pascha ist Ehrenpräsident — und die Hono-
284 Touren in der europäischen Türkei
ratioren aller anderen Nationalitäten an; auch spanische Juden sind
Mitglieder. Sie hat ein Winteriocale in der Stadt, mit zwei Billards
und einem Lesezimmer, und gibt hier im Winter vier bis fünf grosse
Bälle. Das Sommerlocal in Karagadsch ist verbunden mit einer Kegel-
bahn und einem Biergarten, wo Schwechater Bier geschänkt wird; und
noch niemals haben sich die Herren Türken, Griechen und Bulgaren
darüber beschwert, dass sie auf diese Weise germanisirt werden. So
bildet das Casino einen Culturmittelpunct, der als solcher allseitig an-
erkannt ist und die verschiedenartigsten Elemente zu freundlichem
Verkehr vereinigt.
Aber auch eine Art Prater hat Adrianopel. Ein prächtiger, von
riesigen Platanen beschatteter Wiesenplatz , beim alten Serail, der von
zwei Armen|der Tundschaumschlossen ist, also wieder Wiener Prater eine
Insel — Serai Idschi, Serail-Insel — bildet, ist durch Anlagen seit
einigen Jahren zu einem Volksgarten umgewandelt. Hier spielt jeden
Sonntag Militärmusik — wir haben von der Bande der Gardekosaken
sogar den Walzer „An der schönen blauen Donau" gehört. l3er Garten
ist das Rendezvous der schönen Welt und bietet an Sonntag-Nachmit-
tagen ein äusserst belebtes Bild. Auf den Wiesenplätzen lagern grie-
chische und bulgarische Familien, die Mädchen bunt aufgeputzt, jedoch
alle ä la frcinca, die malerische Nationaltracht ist leider verschwunden ;
dazwischen Equipagen, die türkischen Officiere in ihrer kleidsamen Uni-
form, Damen der fränkischen Colonie zu Pferd, und damit kein
Element fehlt, finden sich auch die Haremsbewohnerinnen ein; ihre
vermummten und verschleierten Gestalten allein geben dem Bild den
orientalischen Anstrich.
Zu dem Allen wird nun Adrianopel die erste türkische Stadt
südlich vom Balkan sein, welche die Eisenbahn bekommt. Der Haupt-
bahnhof ist in der Nähe von Karagadsch am rechten Marizza-Ufer, am
Kreuzungspuncte der Enos-Linie mit der Philippopeier Linie projectirt.
Adrianopel treibt ziemlich lebhafte Schiffahrt auf der Marizza,
die vom October bis zum Juni auch für grössere Fahrzeuge schiffbar
ist. Am Ausfiuss derselben, drei Tagereisen von Adrianopel, steht die
Hafenstadt Enos am Archipelagus, die, auf einem felsigen Isthmus
gelegen, meist von Griechen bewohnt ist und ein altes Castell aus
der Genueserzeit hat.
Die Strasse von Adrianopel nach Philippopel geht immer in
der Ebene und zwar zunächst an der Marizza hin. Die Gegenden, die
man durchschneidet, sind oft sehr malerisch und zum grossen Theil
gut angebaut. Die Khans oder Kaffeehäuser, in denen mtai übernachten
muss, entbehren aller Bequemlichkeit, und die Hauptorte: Mustapha
Pascha, Hirmanli und Papaslu bieten nichts von Interesse.
Das untere Marizzabecken oder die Ebene von Adrianopel ist
von dem um 300 Fuss höher gelegenen oberen Marizzabecken oder der
Ebene von Philippopel geschieden durch ein stark coupirtes Hügelland,
das bei Mustapha Pascha beginnt und jenseits Uzundschowa sich wieder
allmälig in die Ebene verläuft. Auf dieser Strecke verbindet sich näm-
und den Donaulürstenthümern. 285
lieh das ürgebirgsmassiv der Rhodope südlich der Marizza mit einem
auf den bisherigen Karten der Türkei noch nicht vorhandenen Urge-
birgsstock, der nördlich von der Marizza, zwischen dieser und der
Tundscha, liegt und eine Meereshöhe von 2800 Puss erreicht. Die Marizza
durchbricht in einem theilweise sehr engen und felsigen Defile diese
aus Gneiss und Granit bestehende Urgebirgsbrücke und erreicht bei
Harmanli die tiefere Stufe des unteren Marizzabeckens. Abgesehen von
diesem kurzen Defilö, stellt sich dem Project einer Eisenbahn auf der
32 Meilen langen Strecke von Adrianopel und Philippopel keinerlei
Schwierigkeit entgegen. Die Poststrasse nimmt einen etwas anderen
Weg. Sie hält sich von Adrianopel bis Mustapha Pascha am nörd-
lichen Ufer der Marizza, übersetzt in dieser Stadt den Fluss, entfernt
sich dann mehr und mehr südlich vom Flussthal und kommt erst kurz
vor Philippopel wieder in der Nähe des Flusses. Die Strasse, die in
eine Chaussee umgewandelt wird, ist seit fünf Jahren im Bau unter
der Leitung von polnischen Ingenieuren.
Da die Reisenden gewöhnlich nur der Poststrasse folgen, so ist
es erklärlich, dass trotz der vielbefahrenen Route Adrianopel-Philip-
popel das Marizzathal oberhalb Mustapha Pascha gänzlich unbekannt
blieb. Da selbst die neuesten und besten Karten der Türkei aufwärts
von Mustapha Pascha im Marizzathal fast keine Ortschaften anzeigten,
so erwarteten wir eine unbewohnte Sumpfwildniss oder dschungelartiges
Dickicht. Um so grösser war unser Erstaunen, überall offenes, vor-
trefflich bebautes Land zu finden und das ganze Thal entlang Ortschaft
an Ortschaft sich reihen zu sehen, Nicht weniger als 24 grosse, stark
bevölkerte, grösstentheils bulgarische Dörfer, passirten wir in diesen
zwei Tagreisen der Marizza entlang. Freilich konnten wir uns später,
als wir in die Balkangegenden bei Kisanlik, bei Kalofer, bei Ichtiman,
bei Banja, bei Saraakov und Sofia kamen, überzeugen, dass auch unsere
besten Karten in der Darstellung dieser Gegenden reine Phantasie-
gebilde enthielten, und dass da nicht blos Städte und Dörfer, sondern
sogar hohe Gebirge, weite Ebenen und grosse Flüsse unseren Karten
entweder vollständig fehlten oder in gänzlich falscher Lage erschienen.
Das Eisenbahn-Unternehmen wird daher nebenbei auch das Verdienst
haben, endlich einmal die Geographie der Türkei in den wichtigsten
Puncten und auf den Hauptlinien festzustellen.
Halbwegs Philippopel, etwas seitwärts von der Poststrasse, liegt
der grosse Marktflecken Üzundschowa, berühmt durch eine der grössten
Messen in der Türkei, welche hier alljährlich im September abgehalten
wird. 20- bis 30,000 Menschen strömen zu dieser Zeit hier zusammen,
und der Umsatz allein an österreichischen Waaren (Tüchern, Manu-
facturwaaren, Glas, Garne u. s. w.) auf dieser Messe beträgt 15 bis 20
Millionen Piaster. Oesterreichischer Handel und Industrie kämpfen hier,
wenigstens bis jetzt noch, erfolgreich gegen englische Waaren, welche
von persischen Häusern in Constantinopel auf den Markt gebracht
werden.
286 Touren in der europäischen Türkei
Philippopel (türkisch Filibe) erkennt man schon- aus grosser
Entfernung. Mitten in der weiten fruchtbaren Ebene zwischen Rhodope
und Balkan erhebt sich, gleichsam wie die Spitzen eines untergesun-
kenen Gebirgswracks, am rechten Marizza-Ufer weithin sichtbar eine
Gruppe von Syenitfelsen. Theilweise auf, theilweise um diese Felsen
liegt die Philippsstadt. Alle alten Schrifsteller stimmen darin überein,
dass sie von Philipp, dem Vater Alexander's d. G., gegründet wurde,
und noch heute finden sich in Ruinen, Basreliefs, griechischen In-
^ Schriften, Statuen, Münzen u. s. w. zahlreiche Zeugnisse ihres Ursprungs.
Wie die Römer dazu kamen, die Stadt Trimontium zu nennen, ist nicht
recht einzusehen; denn eigentlich ist es eine Siebe nhügelstadt. Drei
dieser 7 Hügel, die zwei grössten und der kleinste — letzterer nach
bulgarischer Sage das Grab des Marko Kral — liegen ausserhalb der
Stadt an deren Südwestseite; die 4 übrigen, von denen je zwei sattel-
förmig derart zusammenhängen, dass man auch nur zwei zählen kann,
gehören mit zur Stadt. Der Sahä-Tepe trägt einen Glockenthurm und
heisst deshalb auch Campanahügel, der daran anstossende Toplar-Tepe
oder Kanonenhügel ist so genannt nach drei AUarmkanonen, die auf
seinem Gipfel stehen. Die zwei westlichen Hügel endlich, die nur durch
eine schwache Einsattelung von einander getrennt sind, der Tscham-
pas-Tepe (Gaukler-Berg) und Nepe-Tepe, sind ganz mit Häusern tiber-
baut, und zwar ist gerade dieser hochgelegene Theil der Stadt das
gesündeste und vornehmste Viertel, in welchem die reichen griechischen
Kaufleute und die Consuln wohnen, während die türkischen, bulgarischen
und jüdischen Viertel sich am Fusse jener Sj'enitfelsen in zum Theil
sehr ungesunden und der Ueberschwemmung ausgesetzten Niederungen
ausdehnen. Diese eigenthümliche Topographie , wodurch gerade die
besten und schönsten Häuser der Stadt, indem sie an den Hügeln ter-
rassenförmig übereinander gebaut sind, weithin sichtbar werden, das
verhältnissmässig gute Pflaster, die vielen Verkaufsgewölbe, welche
österreichische und englische Waaren aufgestapelt haben, alles dieses
trägt dazu bei, dass Philippopel mehr als irgend eine andere Stadt im
Innern der Türkei, auch in seinem äusseren Ansehen unseren Begriffen
von einer Stadt entspricht. In den meisten anderen türkischen Städten
bekommt man die Wohnhäuser, da diese im Innern eines gewöhnlich
mit grossen schattigen Bäumen bepflanzten Hofes oder Gartens liegen,
der gegen die Strasse durch eine hohe Mauer abgespenrt ist, gar nicht
zu sehen. Wenigstens in den Balkanstädten, wie in Sliwno, in Kisantik
u. s. w., geht man in den Strassen immer zwischen Lehramauern und
von den umliegenden Anhöhen sieht man nur riesige Baumkronen und
die Minarets.
Von den Zimmern und den Salons der auf der Höhe des Tscham-
pas-Tepe und des Nepe-Tepe gelegenen Häuser, zu denen auch das
österreichische Consulat gehört, hat man die reizendste Fernsicht. Wie
von unsern alten Ritterburgen und Schlössern blickt man weit in's
Land hinein von Gebirg zu Gebirg. Von den prall ansteigenden Berg-
massen der Rhodope im Süden schweift der Blick über die reichbe-
und den DonauHirstenthümern. 287
baute Marizza-Ebene bis zu der in blauer Ferne aufsteigenden Gebirgs-
mauer des Balkan im Norden. Man kann sich eine schönere Lage
kaum denken.
Zu interessanten Ausflügen hat man nach allen Richtungen hin
Gelegenheit Eine Fahrt von einer bis zwei Stunden bringt uns an
den Puss der Blwdope, in denen wir eine ganze Auswahl haben von
malerischen Gebirgsthälern und Schluchten, wie das Derraen-Dere, das
Thal von Kuklina, von Wodena, von Steni maka u. s. w. Die vorderen
Gehänge des Gebirges sind leider entwaldet, aber tiefer im Gebirge
gibt es noch die prächtigsten Tannen- und Fichtenwälder. Und da in
den meisten dieser Thäler irgendwo an einem besonders schönen und
zugleicli möglichst versteckt gelegenen Punct das eine oder das andere
griechische Kloster liegt, so kann man auch darauf rechnen, auf seinen
Excursionen ein anständiges Quartier zu finden. In den ßhodope sowohl,
wie im Balkan sind diese Klöster auf Premdenbesuch eingerichtet und
dienen als Villeggiaturen, wo die Städter, um frische Gebirgslutt zu
gemessen, in den heissen Sommermonaten gerne zwei bis drei Wochen
zubringen. Eine halbe Tagereise nördlich von Philippopel in den Vor-
bergen des Balkan liegt auch ein vielbesuchtes warmes Bad, Hissar
Lidscha, dessen Baulichkeiten theilweise noch aus der Römerzeit her-
stammen.
Was für einen Völkerwechsel müssen diese Gegenden nicht schon
erlebt haben? Tausende und aber Tausende von alten Grabhügeln
(Tumuli) liegen zerstreut in den Ebenen und Thalbecken zwischen Balkan
und Rhodope, bald sind sie gross, vierzig bis fünfzig Fuss hoch, bald
klein ; hier liegen sie einzeln, dort in Gruppen beisammen, niemals im
Gebirge, immer nur in den fruchtbaren Ebenen. Es sind dieselben aus
Lehm aufgehäuften kegelförmigen Hügel, die man in Spanien und
Portugal als Antas, in Nordafrika als Dolmen, in Deutschland als
Hünen- oder Wendengräber, in Ungarn als Kumanierhügel kennt ; auch
in Südrussland erstrecken sie sich, und B. v. Cotta hat sie bis zum
Altai in Sibirien gesehen. Noch ist das Geheimuiss dieser Grabhügel
nicht enthüllt, sie weisen zurück auf eine uralte Geschichte und Völ-
kerwanderung. Nirgends kommen sie so zahlreich vor, wie bei Phi-
lippopel.
Durch die vortheilhafte Lage und den Fleiss seiner Bewohner
ist Philippopel der Mittelpunct eines bedeutenden Handels und Exports,
und übertrilft in dieser Beziehung weitaus das fast doppelt so grosse
Adrianopel. Die Bevölkerungszahl wird auf 30 — 50,000 angegeben,
Türken, Griechen, Bulgaren und Juden. Ohne Zweifel ist die rausel-
mahische Bevölkerung der Zahl nach vorwiegend, das griechische Ele-
ment aber ebenso entschieden durch Bildung und Reichthum vorherr-
schend. Von sechzig grossen Handlungshäusern in Philippopel sollen
mit Ausnahme von vier alle griechisch sein. Man kann sich daher
vorstellen, welche Bestürzung in Philippopel herrschte, als während
des Aufstandes auf Kreta mitten im Winter der Pascha den Befehl
ergehen liess, dass innerhalb 24 Stunden alle Griechen, die uicht otto-
288 Touren in der europäischen Türkei
manische Unterthanen geworden, die Stadt verlassen müssten- Glück-
licherweise kam es nicht zur Ausführung dieses barbarischen Befehles.
Nirgends tritt einem die Thatsache, dass das griechische Ele-
ment vorzugsweise das culturtragende ist, so schlagend entgegen, wie
in Philippopel. Handel und Industrie sind hier in den Händen der
Griechen, griechische Familien sind die gebildetsten und einflussreichsten,
die griechische Sprache ist nicht bloss in der Stadt, sondern auch auf
dem flachen Lande die vorherrschende. Die schönsten Dörfer am Fusse
der Rhodope, wie Stenimaka, Kuklina, Wodena, sind griechisch. Die
griechischen Schulen sind die besten, die griechischen Kirchen und
Klöster die reichsten. So ist es heute noch und so war es in der alten
Philippsstadt seit undenklichen Zeiten Diese Thatsachen genügen aber,
um den ganzen Hass der panslavistischen Parteiführer der grossen
bulgarischen Nation gegen die modernen Hellenen zu erregen. Der
Kampf der Deutschen und Czechen in Böhmen wiederholt sich in
Thracien und Macedonien als ein Kampf der Griechen und Bulgaren
und wird mit erbitterter Leidenschaft namentlich in Philippopel geführt.
Da es hier keine Deutschen gibt, denen man Germanisirungsgelüste in
die Schuhe schieben könnte, so wird über Hellenisirung geklagt, und
da man keine hellenische Regierung dafür schmähen und anklagen
kann, so sind die Vorwürfe gegen das Patriarchat in Constantinopel
gerichtet. Um eine geistige und moralische Entwicklung des Volkes
handelt es sich bei den bulgarischen Parteiführern nicht; aber die
friechischen Schulen müssen jetzt alle slavisch-bulgarisch werden, und
a man keine historisch-politische Basis für einen Bulgaren-Staat auf-
zufinden weiss, 80 handelt es sich zunächst um die Gründung einer
unabhängigen bulgarischen Nationalkirche, um Emancipation von dem
Patriarchat in Constantinopel.
Tatar Basardschik, eine Stadt, die 10,000 Einwohner haben
soll, besitzt einen Khan, in dem sich ein paar erträgliche Zimmer
finden. In der Nähe liegt die Stätte der alten Stadt Bissapara, die
indess keinerlei Sehenswürdigkeiten bietet.
Nicht fern von hier beginnt die Strasse den Balkan zu über-
steigen, und zwar führt sie durch den Pass oder die Pforte Trajans.
Die Höhe desselben beträgt nicht mehr als 1800 Fuss, aber der Weg
ist sehr beschwerlich, mehr Ziegenpfad als Strasse. Die Berge sind
mit dichtem Wald bedeckt, nur in den Thälern sieht man Felsen. Die
Aussicht von der Höhe des Passes über die fruchtbaren Ebenen Bul-
gariens ist sehr schön. Da sich hier bisAveilen Räuber zeigen, so pflegt
man sich von Tatar Basardschik einige Soldaten als Bedeckung mit-
zunehmen, die von den türkischen Behörden nicht verweigert werden,
und die man, in Sophia angekommen, nach Befinden auch eher, mit
einem Bakschisch wieder nach Hause schickt.
Sophia, das alte Sardica, bulgarisch Triaditza genannt, zwischen
dem Imsker und der Nissawa gelegen und von hohen Bergen umgeben,
ist eine ausgedehnte, aber schlecht gebaute Stadt von etwa 40,000
Einwohnern, die sich von Seiden- und Wollen Webereien, Gerberei und
und den Donaulürstenthümern.
289
der Erzeugung von ßauchtabak nähren, und unter denen gegen 20,000
Griechen sind. Man findet hier warme Heilquellen und mehre gute
Khans. Die Strasse von hier nach Nissa windet sich sehr malerisch
am Fasse des Berges Tesowitsch hin, eines der vielen Ausläufer der
grossen Balkankettc. Kurz vor Nissa soll sich ein Thurm mit vielen
eingemauerten Menschenschädeln finden — ein Denkmal alttürkischen
Geschmacks, welches das Andenken an einen von dem berühmten Ku-
murgi über die Serben erfochtenen Sieges zu verewigen bestimmt war.
Nissa oder Nisch, einst Naissos, nur bei scharfem Keiten in 15
Stunden von Sophia aus zu erreichen, ist Festung. Einst war es die
Hauptstadt des serbischen Reiches. Es liegt auf einer fruchtbaren
Ebene, die von der Nissawa durchströmt wird und bietet nichts von
besonderem Interesse für den Reisenden. Die westliche Vorstadt wird
von Zigeunern bewohnt. Nissa war der Geburtsort Constantin's des
Grossen, der 272 n. Gh. hier das Licht der Welt erblickte. Zu bemerken
ist, dass hier, wie überhaupt jenseits des Balkans, die türkische Be-
völkerung, besonders in den Dörfern, abnimmt und den Bulgaren und
Serben Platz macht.
Alexiuitza, eine kleine Stadt im Fürstenthum Serbien. Hier
ist die Quarantäneanstalt (Kostumanzä). Die Strasse überschreitet nun
mittelst der malerischen Brücke von Rawenatz — der einzigen auf
dieser ganzen Route, mit Ausnahme der Brücken zu Adrianopel und
Philippopel — den Fluss Mornoe. Ein Abstecher von wenigen Stunden
östlich von der Strasse zum Besuch der altserbischen Klöster Bawa-
nitza und Manassia verlohnt sich sehr wohl. Das erstere wurde von
dem berühmten serbischen Helden Knäs Lazar gegründet, dessen burg-
artige Wohnung noch jetzt innerhalb der Klostermauern zu sehen ist
Eben so findet sich hier ein viereckiger Thurm, in dem sich der Schwie-
gersohn Lazar's, Milosch Obilowitsch aufliielt, welcher in der Schlacht
bei Kossowa den Sultan Murad erschlug. Das befestigte Kloster Ma-
nassia, welches ausserordentlich malerisch liegt, wurde von dem Des-
poten Stephan, dem Sohne Knäs Lazars, erbaut. Auch hier zeigt man
noch die Reste des Hauses, welches der Fürst bewohnte. In einer
benachbarten Felsenschlucht liegt eine Pulvermühle für den Gebrauch
der serbischen Armee. Um diese beiden Klöster zu besuchen, verlässt
man die grosse Strasse bei dem Städtchen Kiupri, von wo man bis
Rawanitza 1 '/, Meilen hat, ein Ritt von 2 Meilen bringt den Reisenden
von da nach Manassia und nach weitereu 1 ' ^ Meilen erreicht er die
makadamisirte Strasse in der Nähe des Dorfes Medwedia.
Jagodiua bietet ziemlich gute Nachtherberge. Dann geht die
Strasse durch prachtvollen Wald, der bei Hassan Palanka und Semen-
dria parkartige Landschaften bildet, im Thal der Morawa hin. Endlich,
auf der Höhe über Semeudria, erblickt mau die Donau, und einige
Stunden später wird Belgrad erreicht, wo man sich sofort nach Semlin,
auf österreichisches Gebiet übersetzen lassen kann.
Belgrad, die Hauptstadt Serbiens, hat etwa 30,000 Einwohner.
Es liegt am Zusaramenfluss der Save und der Donau. Sein Name be-
19
290 Touren in der europäischen Türkei
deutet: Weissburg, türkisch heisst es: Darol Dschihad, d. i. Haus des
Eeligionskrieges, ungarisch wird es Nandor Fejervär genannt. Es zer-
fällt in fünf Theile : die Festung, welche früher nicht als serbischer Boden
betrachtet wurde, sondern als zur Türkei gehörig und von den übrigen Stadt-
theilen durch ein 400 Schritt breites Glacis geschieden ist; die Was-
serstadt, die gegen Norden am Zusammenfluss der beiden Ströme liegt
und ebenfalls mit Wall und Graben umgeben ist; die mit Palissaden
eingefasste Serben- oder Raitzenstadt, westlich an der Save, endlich
die im Süden und Osten gelegene sogenannte Palanka. Belgrad hat
noch viel vom Charakter einer morgenländischen Stadt. Von ferne
gesehen bietet es einen ungemein schönen Anblick. Die glitzernde
Fläche der beiden Ströme neben dem fels gen Hügel, der die Festung
mit ihren Thürmen und Wäldern trägt, zahlreiche weisse Minarets, an
den Ufern bunte, orientalische Trachten, im Hintergrund ein griinbe-
wachsener Höhenzug — das Alles erfreut das Auge. Es geht der Stadt
aber wie manchen Gesichtern: sie sieht nur von ferne gut aus. Nahe
besehen, im Innern, ist sie genau eben so verfallen, so unordentlich
und so unreinlich, wie alle andern Städte der untern Donau, und wenn
das Auge hier vor ihrer Hässlichkeit erschrickt, so noch viel mehr die
Nase vor den pestilenzialischen Gerüchen von Knoblauch, faulenden
Hunden, Mistpfützen und Kehrichthaufen, die sie allenthalben belei-
digen. Von Weitem eine orientalische Prachtblume, ist Belgrad in der
Nähe eine ganz gemeiner Düngerhaufen.
Drei Thore führen aus den Vorstädten Sava Mala, Theresia und
der Widdiner Vorstadt in das Innere. Sie heissen Warosch Kapu,
Starabul Kapu und Widdin Kapu. Das grösste ist das von dem öster-
reichischen Feldherrn Laudon im edlen Styl erbaute, jetzt sehr ver-
fallene Stambul Kapu. Die beiden andern Thore sind gleichfalls halbe
Ruinen, besonders das Warosch Kapu. Man denke sich den Stadtwall
von einer Passage durchschnitten, die Dossirung mit Lehmklumpen
eingefasst und auf das Ganze, auf einigen querübergelegten Balken,
ein vollständiges Haus gebaut, aus dessen Fensterlöchern Taubenpaare
herausschauen Fährt ein Wagen hindurch, so wackelt das Taubenhaus,
und es kann geschehen, dass dem Fuhrmann ein Dachstein auf den
Kopf fällt. Dem entsprechend ist die Brücke, die über den zugeschüt-
teten Stadtgraben führt. Im Innern trifft man ein halsbrechendes Stras-
senpflaster, enge krumme Gassen und elende, windschiefe gebrechliche
Häuser. Die weit in die Strasse hinausreichenden Schindeldächer dieser
Baracken sind so morsch, dass sie über den darunter hin Gehenden
zusammenzubrechen drohen. Bei Regenwetter ist jede Strasse ein Bach,
der verfaultes Stroh, Lumpen und ähnliche Dinge mit sich führt.
Schweine und Kühe treiben sich auf den Gassen herum. Die Kaffee-
häuser sind verräucherte, schmutzige Spelunken, die Kaufläden meist
elende Boutiken. Keine hundert Häuser haben Glasfenster aufzuweisen.
Der Konak des Fürsten ist ein leidlich hübsches Gartenhaus, von den
übrigen Regierungsgebäuden verlohnt keines das Ansehen. Hübsch ist
die eine griechische Kirche, sonst ist nur das österreichische Consulat,
und den Donaufttrstenthümem. 291
welches am Landungsplatz liegt und in dessen Erdgeschoss sich die
Douane befindet, als imposant zu erwähnen, und einige andere Consu-
late, sowie die neue Zdania, das einzige gute Gasthaus der Stadt,
mögen als schmucke Häuser gelten. Interessant endlich ist der Best
des Palastes „ Prinz Eugens des edlen Ritters, " von dem indess nur
die Vorderseite noch steht. Aus den Mauerritzen wächst allerlei Un-
kraut heraus, und an die Wände hat allerlei schmutziges Gesindel
seine Nester geklebt. Das Leben auf den Strassen zeigt allenthalben
noch die ungezwungene Oeflentlichkeit des orientalischen Geschäfts-
lebens. Hier sitzen die Babuschenmacher, die Tschibbukdrechsler, die
Kupferschmiede, die Bäcker u. A. auf ihren respectiven Ladentischen,
arbeiten oder feiern, warten, die Pfeife im Munde, auf Kunden oder
streiten sich mit solchen.
Die Moscheen, deren Belgrad vierzehn besitzt, sind für Den, der
aus Constantinopel kommt, ohne Interesse und überdies halbe Ruinen.
Das hier bestandene Derwischkloster gehörte der Secte der Bidaui,
welche zu den heulenden Derwischen zählen.
Die Festung Belgrad befindet sich jetzt in etwas besserem Zu-
stand, als vor dem letzten orientalischen Kriege. Sie würde aber auch
in dieser Gestalt eine regelmässige Belagerung schwerlich lange aus-
halten. Von eigentlichem System ist bei ihren Werken kaum die Rede.
Man hat sie angelegt, wie es die Gestalt des steilen Kalkfelsens eben
vorzuschreiben schien. Dieselbe hat auf der Landseite vier Hauptthore,
ist aber auch von der Stromseite her zugänglich. Der ältere Tneil der
Befestigungen ist der auf dem Felsen gelegene. Dieser Theil ist mit
doppelten trockenen Gräben, grossen Ravelins oder Halbmondschanzen,
kleinen Courtinen (Mittelwällen) und flachen Bastionen mit Orillons
(Seitenbrustwehren) versehen. Alles ist ziemlich bauf-illig.
Das Glacis besteht aus einem halbkreisförmigen Platze und
heisst Kalamachtan oder Kalameidan. Die Kasematten sind von unge-
sunden Dünsten erfüllt. Nach der Donau und Save hinab zieht sich
eine doppelte Brustwehr mit Schiess-Scharten. Uebrigens ist die ganze
Festung jetzt vollständig desarmirt, war es wenigstens im Mai 1868.
Sämmtliche von den Türken zurückgelassenen Kanonen, über hundert
an der Zahl, darunter Prachtstücke aus dem fünfzehnten und sech-
zehnten Jahrhundert, wurden damals an den Meistbietenden verstei-
gert ; neue Geschütze sind nur in sehr geringer Anzahl zu Salutschüssen
vorhanden. Das Plateau um den ehemaligen Parnass des Paschas ist
geebnet und mit Gartenanlagen versehen worden, an denen wohl jetzt
noch die Zuchthaussträflinge arbeiten, von denen ein Theil hier oben
untergebracht ist.
Besser sieht es im untern Theil der Festung aus, nach welchem
man vom obern über eine schlechte, halb zerfallene Treppe hinabge-
langt. Man trifft hier zuerst eine Caseme, der gegenüber ein kleiner
Bazar für die Soldaten und eine Moschee liegt. Die andern Gebäude
sind entweder ebenfalls Casernen oder Schuppen, Magazine und Labo-
ratorien. Sie gehören der Zeit ihrer Entstehung nach meist in die
292 Touren in der europäischen Türkei
Periode, wo Oesterreich diese Festung besass, sind solid gebaut und
deshalb gut erhalten. In der grossen Caserne herrscht musterhafte
Ordnung und Eeinlichkeit. Sonst ist noch von Interesse der an der
äussersten Landspitze zwischen Save und Donau gelegene alte stumpfe
Thurm, das ehemalige Staatsgefängniss der Türken, Neboise, d. i.
„Fürchte Dich nicht" genannt. Hier sass unter Andern Jefrem, der
Bruder des Fürsten Milosch, den die Türken gefangen genommen
hatten, mehre Monate. Er soll dabei bis an die Brust im Wasser ge-
standen haben — jedenfalls Uebertreibung.
Die Geschichte Belgrad's ist wechselvoll und reich an blutigen
Ereignissen bis in das zweite Jahrzehnt des jetzigen Jahrhunderts.
Durch seise Lage zwischen Constantinopel und Wien, und als Schlüssel
des südöstlichen Ungarn ist es von hoher strategischer Wichtigkeit,
und so war es namentlich in den Kriegen Oesterreichs mit der Pforte
wiederholt der Zankapfel der streitenden Parteien. Die Stadt, im Alter-
thume Taurunum genannt, war im Besitz der byzantinischen Kaiser,
bis sie 1073 vom ungarischen König Salomo erobert wurde. Später bald
in den Händen der Byzantiner oder Bulgaren, bald in denen der Serben,
wurde sie zu Anfang des 15. Jahrhunderts von den letzteren an den
Kaiser Sigismund verkauft. Lange Zeit versuchten die Türken ihre
damals noch ungeschwächte Kraft an ihr, ohne sie nehmen zu können.
Sie wurde 1442 von ihnen mit grossem Aufwand von Zeit und Kosten
vergeblich belagert, 1456, wo Hunyad und Capistrano die Vertheidigung
leiteten, umsonst mit wüthender Tapferkeit gestürmt. Erst 1521 wurde
sie von Solinian dem Grossen eingenommen. Vom Jahre 1688 an, wo
sich der Kurfürst von Bayern mit stürmender Hand in ihren Besitz
setzte und sämmtliche Einwohner niederhauen liess, wechselte sie wie-
derholt den Herrn. Bald wehte die schwarzgelbe Fahne, bald blitzte
der Halbmond über ihren Wällen. 1690 schon nahmen die Türken nach
einer Belagerung, bei welcher die Besatzung zuletzt bis auf 500 Mann
geschmolzen war, die Stadt wieder ein. 1693 wurde sie vom Herzog
von Cleve ohne Erfolg belagert. 1717 fand die Uebergabe statt, welche
das bekannte Lied vom Prinz Eugen feiert. Der Prinz wurde, als er
die Stadt belagerte, von 150,000 Türken eingeschlossen, er wendete
sich zuerst geyen diese Entsatzarmee und sehlug sie in die Flucht,
worauf die Festung ohne Verzug capitulirte. Dieselbe verblieb indess
nur wenige Jahre in Oesterreichs Besitz. Schon 1739 wurde sie, ohne
dass die Garnison Widerstand versucht hätte, den heranziehenden
Türken wieder überlassen, und der bald nachher abgeschlossene Friede
bestätigte die Wiedereinsetzung der Pforte in den vorigen Besitzstand ;
indess mussten die Festungswerke vorher geschleift werden. 1789 von
Laudon abermals erobert, wurde sie zwei Jahre darauf dem Sultan
zurückgegeben. Dann +iel sie in die Hände der Serben. Als diese unter-
worfen wurden, erhielt sie die Pforte zurück. Als 1804 der Schwarze
Georg an der Spitze der Serben das Joch der Dahis abzuschütteln ver-
suchte, diese in Belgrad einschloss und 1807 durch Capitulation in
den Besitz der Stadt gelangte, wurde hierher die oberste Behörde des
und den Donauf ürstenthümern. 293
befreiten Landes, der Senat, verlegt, bei welchem Russland einen Ge-
sandten hielt. Da indess Serbien im Jahre 1812 des russischen Schutzes
verlustig ging, rausste auch Belgrad nach vielen äusserst blutigen Auf-
tritten (bei einer Gelegenheit wurden vor den Thoren Belgrad's 150
Serben enthauptet und 37 andere, darunter ein Igumenos oder Abt,
durch Pföhlung hingerichtet) sich wieder der türkischen Ueberraacht
ergeben, und selbst als Serbien endlich seine jetzige, nur wenig be-
schränkte Selbstständigkeit erkämpft hatte, verblieb der Pforte wenig-
stens das Recht, die Festung mit 3000 Mann besetzt zu halten. Im
Jahre 1867 verlor sie auch dieses und die Serben sind jetzt die allei-
nigen Herren von Belgrad. Mit der türkischen Festungsgarnison zog
auch die Bevölkerung der Türkenstadt fort, ihre Häuser liegen in
Ruinen oder sind von zerlumptem Gesindel bewohnt. Die Serben sind
darüber natürlich ausserordentlich erfreut, aber Belgrad hat mit der
Auswanderung der Türken viel von seinem früheren interessanten Cha-
rakter verloren ; es ist nicht mehr wie früher die Schwelle des Orients.
^ 2. Von Const«ntinopel über Schumla und RuBtschuk nach Bnkaresti
Ueber den ersten Theil dieser Route bis Burgas vergleiche Route
1. In Burgas zweigt die directe Strasse nach Schumla und Bukarest
von der nach Adrianopel und Belgrad ab. Zu der ganzen Reise von
Constantinopel nach Bukarest bedarf man, wofern man nicht in der
Weise der Couriere reiten will, 10 Tage. Die Hauptpuncte sind : Has-
selbaleni, G Stunden von Burgas. Kirk Klissi, 2 Stunden weiter, Her-
celea 4. Kannara 4, Fachi 4, Bejmiliko 5, Kornabad 5, Dobralle 4,
Dschali Kawak 4, Dagroela 4, Schumla 4, Tatscheköi 3. Rasgrad 6,
Torlak 5, Rustschuk 7, Giurgewo, wohin man auf der Donaufähre in
einer halben Stunde gelangt, Tiza 3, Kapoka, 6, endlich Bukarest 4
Stunden weiter.
Hasselbalem liegt ein Stück seitwärts von der grossen Strasse;
von hier reitet man in 15 Stunden nach dem Hafen Ineada am schwar-
zen Meer.
Kirk Klissi, d. i. die vierzig Kirchen, ist eine ziemlich aus-
gedehnte, von 15 bis 16,000 Menschen bewohnte sehr hässliche Stadt
am Fusse des Balkan, berühmt durch ein Gebäck, das aus eingesot-
tenem Traubensaft mit Nusskernen besteht. Die Bewohner, welche
Handel mit Wein und Korn treiben, sind Bulgaren, Türken und Griechen.
Der Weg zwischen den nächsten drei Orten führt durch gebirgige, gut
bawaldete Gegenden. Bejiniliko, ein ziemlich elendes Dorf, steht im
Rtif, besonders schöne Frauen zu haben. Kamabad ist ein Städtchen,
das mit seinen Minarets recht freundlich aussieht und etwa 200 Häuser
hat. Die Gegend ringsum ist gut angebaut Von hier führt die Strasse
bald wieder über Berge, um in der Nähe von DobraUe, welches etwas
vom Wege abliegt, wieder in die p]bene hinabzusteigen. Ein Stück
weiter betritt man den Bogass oder den Engpass des Balkan, der aber
durchaus nichts Grossartiges und Romantisches, weder Felsen, noch
294 Touren in der europäischen Türkei
eine besondere Höhe hat, sondern einfach ein bewaldeter Einschnitt
zwischen ebenfalls bewaldeten Bergen ist, in dessen Mitte man den
rasch dahinströmenden Kamdschi Sa zu überschreiten hat. Dschali
Kawak ist ein grosses zerstreut liegendes Dorf, nicht fern vom Passe
an dessen Fuss. Weiterhin wird das Gebirge wilder und die Strasse
gewährt mehre schöne Ausblicke. Bei Dragorla, einem Bulgarendorfe,
findet man das Land wohl angebaut, die Ebene mit Getreide bestellt,
die Berge mit Weinpflanzungen bedeckt bis hinauf zu den Gipfeln.
Kurz vor Schumla überschreitet die Strasse nochmals den Kamdschi Su.
Schumla oder Schumna, eine der stärksten Festungen der
Türkei, ist eine Stadt von etwa 40,000 Einwohnern. Es ist 14 deutsche
Meilen von Silistria und 12 von Varna entfernt, und liegt am östlichen
Fusse einer Gruppe von Hügeln, die durch den Kamdschik vom Balkan
getrennt sind, in einem hufeisenförmigen Thale, dessen Seiten steil und
zum Theil felsig sind. Der Gipfel dieser Höhen ist ein weites Tafel-
land, bedeckt mit Gebüsch. Die Stadt liegt grossentheils unten in der
Tiefe, während die Pestungswerke die Höhen krönen. Die Gassen der
Stadt laufen bergab und bilden lange Keihen von staffeiförmigen Häu-
sermassen, in deren Mitte sich eine mehrfach überbrückte Schlucht
hinzieht. Eine Anzahl von Minarets und die im byzantinischen Style
erbaute Hauptmoschee geben der Stadt ein stattliches Ansehen, und
einige auf Hügeln, welche von Gärten umgeben sind, angelegte grosse
Gebäude verleihen der Gegend einen besonderen ßeiz. Die Einwohner
sind der Mehrzahl nach Türken, die sich mit Wein- und Getreidebau,
Seidenraupenzucht, Gerberei und der Verfertigung von Kupfer- und
Blechwaaren nähren. Bei Schumla vereinigen sich die Strassen, welche
von den Donaufestungen nach Kumelien führen. Es ist daher ein stra-
tegisch sehr wichtiger Punct und bildete in allen Kriegen der Pforte
mit Kussland das Hauptbollwerk für erstere. Es enthält ein Arsenal,
ein grosses Militärhospital, mehrere Casernen, eine hoch gelegene, mit
hohen und dicken Mauern versehene Citadelle und ist ausserdem 1853
noch durch eine Eeihe von Forts und Schanzwerken verstärkt worden.
Ausserdem aber befindet sich in der Nähe ein für 50,000 Mann berech-
netes verschanztes Lager, welches ebenfalls eine sehr feste Lage hat.
Der Ort konrnit schon im 9. Jahrhundert vor. 811 wurde Schumla,
damals der Simeonshügel genannt , vom byzantinischen Kaiser Niko-
phorus verbrannt, 1387 nahmen es die Türken &m. Zur starken Festung
wurde es erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, und zwar durch
den Grossvezier Hassan Pascha, dessen Grabmal sich hier befindet. In
allen folgenden Kriegen mit Kussland war es das Hauptquartier der
Grossveziere. Drei Mal wurden die russischen Heere von diesem Boll-
werk aufgehalten, 1774 unter Kumjanzoff, 1810 unter Kaminskoi, 1828
unter Wittgenstein. 1829 schlug zwei Meilen östlich von hier, beim
Dorfe Kulewtscha der russische General Diebitsch den Grossvezier
Keschid. Zu erwähnen ist noch das unweit Schumla's am Fiüsschen
Parawadi gelegene Dorf Marda. Dasselbe hatte früher nur eine weib-
liche Bevölkerung, und zwar war es der Zufluchtsort aller wegen un-
und den Donaufürstenthümern. 295
getreuen Verhaltens von ihren Ehemännern verfolgten Türkinnen. 1829
lebten hier gegen 2000 Mohammedanerinnen, die unverschleiert gingen,
keine alten und hässlichen Weiber unter sich duldeten und alle Eei-
senden gastfreundlich und in jeder Beziehung gefällig aufnahmen.
Tadscheköi ist ein türkisches Dorf, Basgrad eine Stadt von
15 bis 16,000 Einwohnern, die grösstentheils Mohammedaner sind. In
der Nachbarschaft begegnet man vielen alten Grabhügeln, die verrauth-
lich Denkmäler einer Schlacht sind. Man kann dabei an die Expedition
des Darius Hystapsis denken, der auf seinem Marsche gegen die Skythen,
kurz bevor er den Ister erreichte, mit einem Getenheer zusammenstiess,
oder auch an Alexander den Grossen, der in diesen Gegenden mit den
Gelten kämpfte.
Torlak ist ein ziemlich grosses Dorf in gut bebauter Gegend.
Rustschuk, auf den südlichen Ufer der Donau gelegen und
mit seinen 30,000 Einwohnern eine der grössten Städte Bulgariens, bietet
mit seinen zahlreichen Moscheen und Minarets und seinen hübschen
Obstgärten von weitem einen sehr anmuthigen Anblick. Die Donau ist
hier sehr breit, aber voll Untiefen und Inselchen, und das gegenüber-
liegende walachische Ufer ist flach und unschön. Rustschuk ist mit
Wällen und einem Graben umgeben, über welchen Zugbrücken führen.
Merkwürdigkeiten gibt es hier nicht. Die Stadt treibt lebhaften Handel
mit Wien, mit dem sie durch die Dampfer der Dorauschiifahrts-Ge-
sellschaft in Verbindung steht. Hauptausiuhrartikel sind Getreide, Wein
und Indigo. Auch das gegenüberliegende Giurgewo ist eine ziemlich
regsame Handelsstadt. Es war ursprünglich nur der befestigte Brücken-
kopf von Eustschuk, bis der Vertrag von Adrianopel die Pforte nöthigte,
seine Werke zu schleifen. Von hier führt eine fahrbare Strasse nach
Bukarest, aber bei regnerischem Wetter reiset man auf derselben sehr
langsam, da der fette weiche Schlammboden die Räder tief einsinken
lässt. Die Ortschaften Tiza (wohl das alte Tiasum) und Kapoka sind
ajmselig und unbedeutend, die Gegend flach, baumlos und nichtssagend,
doch bemerkt man kurz vor Bukarest bei heiterem Wetter in der Feme
die schneeigen Gipfel Siebenbürgens.
Bukarest oder Bukareseht, d. i. die Freudenstadt, ist die
Hauptstadt der Walachei. An dem trüben Flüsschen Dumbowitza in
der Ebene gelegen, wurde es erst gegen das Ende des 17. Jahrhunderts
zur Residenz der walachischen Fürsten erhoben. Von den Gasthöfen
sind das Hotel de France und das Hotel Concordia zu empfehlen. Ein-
wohner soll die Stadt über 180,000 haben. Von den Anhöhen im Süden
gesehen, gewährt dieselbe einen grossartigen Anblick, aus dem Häuser-
meer erheben sich eine Menge von Kirchen und Capellen, die meist
mit hell schimmernden Blech gedeckt sind; das Ganze umgeben weit-
läufige Gärten. Das Innere ist unschön, man geht durch enge krumme
Strassen, zwischen Hütten und Palästen in weitläufigen Höfen hin. Der
Schmutz bei Regen, der Staub bei trockener Witterung ist unbeschreib-
lich. Kirchen von einiger Bedeutung gibt es hier 130, die öffentlichen
Plätze sind nicht der Rede werth, erwähnenswerthe Monumente, schön
296 Touren in der europäischen Türkei
verzierte Brunnen gibt es eben so wenig. Die Witterung ist unbe-
ständig, häufig kommen im Sommer Klimafleber vor, die besonders
Fremden gefährlich werden. Ein Theil der Strassen ist jetzt gepflastert,
früher waren dieselben nur mit Holzdielen belegt. Die Hauptstrassen
sind: Podu Moyoschoi, nach Siebenbürgen, Podu Scherban Woda, nach
der Türkei, Podu Tergu de Aftare, nach der Moldau, Podu Kalitsch,
nach der kleinen Walachei hinführend, femer die Podu Mihaiwoda, die
Podu de Pemunt, die Ulitza Tergowesti und die Ulitza Dobrestschi.
Mauern oder Wälle gibt es nicht, Thore ebensowenig, sondern nur
Barrieren, an denen die Pässe abgegeben werden. Von den Kirchen ist
zunächst die auf einem Hügel gelegene Metropolitankirche zu erwähnen,
die sich aber weder durch hohes Alter, noch durch Schönheit aus-
zeichnet. Unter den übrigen verdient die Curte Wekie Erwähnung, in
ihr, die 1383 von Mirtsa Bessaraba erbaut worden, pflegte man bis auf
die neueste Zeit die Hospodare zu salben. Ausser diesen beiden ist
keine des Besuches werth; doch muss bemerkt werden, dass darunter
2 protestantische, 1 katholische und eine armenische sind. Die schönsten
Privatgebäude sind der Brankowan'sche Palast, die Paläste der Familie
Ghika, der Palast Stirbey u. a. An Caff"eehäusern, Conditoreien, Anstalten,
wo Bälle stattfinden, Clubs und Casino's fehlt es nicht; unter den
geschlossenen Gesellschaften ist auch eine deutsche. Deutsche wohnen
in der Zahl von etwa 5000 hier; sie sind grossentheils Handwerker,
und einige haben es zu grossem Wohlstand gebracht. Ein Volksbelu-
stigungsort ist die Baumwiese. Auch die Thailwiese von Philaret
wird viel besucht. Interessant sind die Corsofahrten vor den Thoren,
wo man oft Hunderten eleganter Equipagen mit Damen im Pariser
Putz begegnet. Man rechnet, dass Bukarest an 10,000 Privatequipagen
und gegen 40,000 Luxuspferde besitzt. Fiaker sind ebenfalls zahlreich
vorhanden, und pflegt man für die Stunde gewöhnlich zwei Zwanziger
zu zahlen. Sehenswerth ist die archäologische Sammlung im Collegiura
St. Saba, wo sich römische Sarkophage, dacische Münzen und mehre
grosse Goldgefässe befinden, welche in der Gegrend von Buseo ausge-
graben worden sind. Von ausländischen Behörden gibt es hier einen
russischen, einen englischen, einen französischen, einen norddeutschen und
einen österreichischen Generalconsul, Consuln für Sachsen, Belgien, Hol-
land und Griechenland. Industrielle Etablissements von Bedeutung gibt es
in Bukarest nicht. Dagegen treibt die Stadt jeinen sehr bedeutenden
Consumtionshandel. Man findet hier alle Bedürfnisse des Luxus in
reichster Auswahl, wogegen in den übrigen Städten des Landes bei-
nahe nichts zu hajjen ist. In den eleganteren Läden trifft man alle
Modeartikel, Schnitt-, Galanterie- und Bijouteriewaaren deutscher und
französischer Fabriken. In den Buden der Griechen und Armenier sind
orientalische Teppiche, öhawls. Specereien, türkischer Tabak und andere
Erzeugnisse des Südostens vereinigt, in den russischen Buden oder
Marketanien Juchten, russisches Porzellan, Messing, Eisen und Thee,
in den sogenannten Kronstädter Gewölben oder Brassowenien Holz-
waaren, Rosshaararbeiten, Wollen- und Leinenstoffe. Unter den Buch-
und den Donaufürstenthümern. 297
handlungen ist die Ulrichsche zu empfehlen, die in deutscher und
französischer Literatur gut assortirt ist. Das Theater in Bukarest
ist ziemlich gut. Man führt hier französische Vaudevilles, bisweilen
auch deutsche und italienische Opern , mitunter selbst deutsche Schau-
spiele auf.
Puncte, die sich zu Ausflügen eignen, gibt es in der Nachbar-
schaft von Bukarest mehre, z. B. Baniessa, eine halbe Stunde von der
Stadt entfernt und besonders am 1. Mai stark besucht, welcher Tag
von den Bekennern der griechischen Kirche sehr gefeiert wird, Che-
restren mit einer guten Quelle, Floreaska, anrauthig bei einem Teich
gelegen, Colentina mit einem schönen Schlosse und einer geschmack-
vollen reich geschmückten Kirche, in welcher sich das Grabmal des
Fürsten Gregor Ghika befindet ; ferner Paschkan mit einem Palast und
einem anmuthigen Garten, Dudeschti mit einem grossen Schlaclithaus,
endlich das Kloster Penteleimon, wo am 27. August jedes Jahres ein
grosses vielbesuchtes Fest zu Ehren des Patrons stattfindet. Etwas
weiter entfernt sind die Mönchsklöster Esermika und Kelderuschan,
sowie das Nonnenkloster Ziganescht.
3. Von'''Bukaxett nach Hermannstadt,
Diese Tour erfordert 5 Tage. Die Hauptpuncte, welche man dabei
berührt, sind folgende: Bulentin, 4 Stunden von Bukarest, Florescht,
ebenfalls 4 St., dann Maronches 3, Gaiescht 3, Kirchinhof 3, Piteschti
4, Munichescht 3, Argisch 3, Salatroik 5, Perichan G, Kinnin 7, Laza-
ret 2, Rothenthurm 2, Hermannstadt 4 Stunden weiter. Der Weg geht
zuerst über die weite walachische Ebene, dann, jenseits Kirchinhof,
über die Dumbowitza, über die eine Fähre führt. Pitef>chti ist ein
wohlhabendes Dorf von etwa 100 Häusern, wo man guten Wein bekommt.
Argisch ist eine sehr alte Stadt, die schon in der Römerzeit bestanden
und damals Ardiskus geheissen haben soll. Der Begründer des Wala-
chenreiches, Badu Negru, welcher sich zuerst in Kimpulung niederge-
lassen, verlegte den Sitz der Regierung hieher und nannte die Stadt
Gurte d'Argik. Er gründete hier das schönste Kloster und die merk-
würdigste Kirche der Walachei, welche von seinen Nachfolgern aussen
durchaus mit Verzierungen in erhabener Arbeit bedeckt wurde. Der
Anblick der Stadt mit ihrer Kirche, den waldigen Bergen dahinter,
und den noch höheren Schneegipfeln der Karpathenkette hinter diesen,
erinnert an Landschaften bei Innsbruck. Die Häuser sind klein, sehr
reinlich gehalten und sämmtlich aus Holz. Zu erwähnen ist. dass man
hier viele mit Kröpfen behaftete Personen antrifft. Man bezeichnet
Quellen in der Nachbarschaft, die dieses Uebel heilen. In Argisch
beginnt die Strasse zu steigen, und bald befindet man sich mitten im
wilden Gebirge. Salatroik ist ein kleines ärmliches Dorf mit reinlich
gehaltenen Holzhäuschen. Der Weg wird hier noch wilder, die Berge
bedeckt dichter Wald. Bei Perichan führt die Strasse durch ein Defile
mit steilen zerklüfteten Wänden. Kurz bevor man Kinnin, die letzte
298 Touren in der europäischen Türkei
Stadt in der Walachei erreicht, passirt man einen reissenden Bergstrom.
Ein Stück weiter bildet ein Bach, der durch eine Kluft fiiesst, die
Grenze zwischen Oesterreich und der Walachei. Nachdem man den-
selben, der sich in die Aluta ergiesst, überschritten hat, steigt man
auf sehr gefahrvollem Pfade, der an manchen Stellen nur aus einigen
Planken über einem tiefen Abgrund besteht, nach der Stelle hinauf,
wo das Contumazhaus steht. Die Landschaft ist hier ausserordentlich
grossartig, schroffe Felswände, mächtige Waldbäume, der in der Tiefe
dahinrauschende Fluss vereinigen sich zu einem Bilde, wie man sie
nicht häufig triflt. Im Contumazhaus, wo man seinen Pass visiren und
das Gepäck untersuchen zu lassen hat, kann man Nachtherberge be-
kommen. Contumaz wird nicht mehr gehalten. Der weitere Weg gehört
nicht in dieses Handbuch für die Türkei.
4. Von Belgrad die Donau hinab nach ConstantinopeL
Diese Tour wurde schon bei der Donaureise von Wien nach
Constantinopel eingehend beschrieben. Man beliebe darüber Seite 19
und folgende das Nähere einzusehen.
5. Von Widdin über Timowa und Sohumla nach Vama.
Zu dieser Tour bedarf man mindestens eine Woche. Die von
ihr berührten Hauptpuncte sind: Aktschar, 5 Stunden von Widdin,
Dschibra 11, Ostrowa 12, Glawa 4, Plewna 5, Loftscha 6, Selwi 7,
Timowa 5, Osmanbasar 14, Eski Dschuma 4, Schumla 5, Prawadi 6,
Varna 5 Stunden weiter Die inneren Districte Bulgariens sind eine
grosse, wellenförmige Ebene, die gut angebaut und zum Theil bewaldet
ist. Die grösseren Dörfer bieten erträgliche Nachtherberge, wenn man
sich an die türkischen Behörden wendet.
Plewna ist die erste Stadt auf dieser Strasse, welche, bevor sie
hierher gelangt, die Flüsse Aktschar, Smorden, Lom, Dschibra, Ugu-
stul, Sidul, Insikru, Isker und Wid entweder vermittelst Furthen oder
mittelst Fähren überschreitet. Plewna besitzt eine Bevölkerung von
etwa 20,000 Seelen, meist Bulgaren, und treibt ziemlich lebhaften
Binnenhandel, auch mancherlei Gewerbe. Zugleich war es früher eine
der Hauptpflanzschulen politischer Intriguen , , indem Eussland hier
mehre Schulen angelegt hatte, in welchen ausser manchen nützlichen
Dingen auch fleissig die Lehren des Panslavismus vorgetragen wurden.
Der hier befindliche Khan ist gut. Nachdem die Strasse eine beträcht-
liche Höhe erklimmt hat, erreicht sie einen Punct, wo man eine weite
Aussicht auf das breite Thal der Donau einerseits, auf die waldbe-
wachsenen Höhen des Balkan andrerseits geniesst. Indem sie dann
wieder in eine kleine Ebene hinabsteigt, bringt sie den ßeisenden nach
Loftscha. Diese Stadt, welche gegen 15,000 Einwohner hat, von denen
nur der zehnte Theil aus Christen besteht, ist der Herd der musel-
männischen Opposition gegen die Bestrebungen der mit dem ortho-
und den Donaufilrstenthümern. 299
doxen griechischen Christenthum verbundenen russischen Propaganda.
Nicht weniger als neun Moscheen verschönern mit ihren Minarets und
ihren Kuppeln die Stadt.
Tirnowa kann auf zwei fast gleich langen Wegen erreicht werden,
von denen der eine über Selvi führt, während der andere über Kakrina
und längs der Eusitza hingeht, welcher Pluss bei Munia durchwatet
werden muss. Die letztere ßoute geht über mehre unbequeme Berge
und soll bisweilen unsicher sein. Tirnowa ist, obwohl es nicht mehr
als 15,000 Einwohner hat, wegen seiner Lage im Mittelpunct des Landes
thatsächlich die Hauptstadt der Bulgarei. Von den Einwohnern gehört
etwa die Hälfte dem Islam an, nach andern Berichten überwiegt das
christliche Element bedeutend. Die Stadt, über welcher die Ruinen
des Schlosses liegen, in welchem die alten Bulgarenkönige residirten,
wird vom Yantrafluss bespült.
Es ist hier viel Handelsverkehr, und man findet mehre gute
Khans und Kaffeehäuser.
Die Strasse folgt nun dem Thal des Saltar durch eine Berggegend,
die nicht ohne malerische Puncto ist, passirt Osmanbasar, wo man
nur einen sehr schlechten, für Maulthiertreiber passenden Khan trifft,
und geht dann hinab an den Kirkgetschi, d. i. den vierzig Purthen,
eine Strecke des Flusses, die deshalb so heisst, weil hier das Wasser
oft durchwatet werden muss.
Eski Dschuma ist ohne irgend welches Interesse. Schunüa ist
in Route 2 geschildert. Prawadi liegt in einem engen, von hohen
Wänden eingeschlossenen Thal. Quer über das Thal ist ein Wall auf-
geworfen, der an beiden Seiten mit Batterien endigt, welche das Ter-
rain vor demselben beherrschen. Ferner sind Schanzen an den Seiten
des Thaies und auf den Gipfeln der Höhen angelegt, und natürlich
fehlt es auch an Blockhäusern nicht, da die Türken diese bei ihren
Befestigungen sehr lieben. Die Stadt selbst wurde 1829 von den Russen
zerstört und ist erst jetzt theilweise wieder aufgebaut worden. — Ueber
Varna vergl. Route 4.
6. Von Vaxna über den Balkan nach Constantinopel.
Mehre steile Gebirgspfade führen über den Arm des Balkan,
der gegen das Schwarze Meer hin mit dem Vorgebirg Galata Burnu
endigt. In der Nähe des Dorfes Podkaschi wird der zwischen Sümpfen
hinschleichende Fluss Kamdschik, der eine Breite von etwa hundert
Fuss hat, vermittelst einer fliegenden Brücke überschritten. In der
Nähe von Derwischjowan finden sich Reste türkischer Befestigungen.
Hier trennen sich zwei Pfade nach Burgas , die beide über das östliche
Ende des Balkan und durch Gebüsch führen, welches nur, wo der Weg
hindurchführt, durchdringlich ist. Man durchschneidet das tiefe Thal
Kossakdere und einige kleinere Bodensenkungen, die nach Regenwetter
nur mit grosser Schwierigkeit zu passiren sind und wo man in dem
dichten Walde fortwährend Einer hinter dem Andern reiten muss.
300 Touren in der europäischen Türkei
Endlich gelangt man nach Burgas. Von hier fuhrt eine Seitenstrasse
nordwestlich nach Aülos, einer Stadt, die nicht fern von merkwürdigen
warmen Quellen liegt und einen wichtigen militärischen Posten an der
südlichen Basis des Balkan bildet, wo die Strassen von Varna und
Schumla debouchiren.
7. Von Widdin über Krajowa und Bukarest nach ßalatz.
Die Tour lässt sich bequem in fünf Tagen machen, und die
Hauptpuncte sind folgende: Kalafat '/^ Stunde von Widdin, Krajowa
10, Slatina 5, Tekutscii 9, Bukarest 10, Urtsitscheni 7, Ibraila 9, Ga-
latz 2 Stunden weiter. Die Tour wird nicht zu Pferde, sondern gleich
der von Giurgewo nach Bukarest mit der Fahrpost gemacht, die aller-
dings zu den primitivsten F]inrichtungen der Welt gehört und sehr
unbequem ist, aber sich durch rasches Fahren und im Verhältniss zur
Zahl der Pferde wohlfeile Fahrpreise auszeichnet. Man zahlt für die
Meile bei vier Pferden, die bei trockenem Wetter das gewöhnliche
Vorspann sind, 12 Silbergroscheu, und legt bei trockenen Wegen in
der Stunde fast 2 Meilen zurück. Die Poststationen sind fast ohne
Ausnahme elende Oertchen. in denen nichts Geniessbares zu haben ist.
wesshalb der Reisende wohlthut, sich beim Aufbruch nach Bedürfniss
mit Wein und kalter Küche zu versehen, sowie Thee und gemahlenen
Kaflfee mit sich zu führen. In den Städten gibt es (meist von Juden
gehaltene und deshalb nicht allzu reinliche und ordentliche) Gasthäuser,
wo ein Bett zu haben ist, und so sollte man nur in diesen übernachten.
Krajoica, nicht weit vom Fluss Schiul gelegen und von etwa
22,000 Menschen bewohnt, ist die Hauptstadt der sogenannten kleinen
Walachei. Es ist, da viele Bojaren hier wohnen, eine ziemlich wohl-
habende Stadt, aber eben so unordentlich gebaut, so schlecht gepflastert
und so schmutzig, wie die übrigen Orte dieser Gegenden. Das hiesige
Gymnasium ist für eine Avalachische Gelehrtenschule recht gut. Der
Bojar Bibesko hat vor der Stadt einen geschmackvollen Park angelegt,
welcher dem Publicum geöffnet ist. Alterthümer findet man hier nicht,
auch sonst keine Sehenswürdigkeiten. Dagegen begegnet man nicht
fern von hier bei Karakol einigen Eesten aus altrömischer Zeit. Das
Hotel in Krajowa ist ziemlich gut. Indem man mit seinem sprungfe-
derlosen Postfuhrwerk weiterpoltert und in Mirda die Pferde wechselt,
erscheint endlich auf der Fläche Slatina, eine Stadt, die recht hübsch
auf den Ufern der Aluta liegt, über welche hier eine hölzerne Brücke
führt. Die Stadt soll 10,000 Einwohner haben. Die übrigen Stationen
bis Bukarest und von dort bis Galatz liegen alle auf derselben lang-
weiligen Ebene, wie Krajowa. Kein Baum, nur dann und wann nie-
driges Gestrüpp begegnet dem Auge.
8. Von Tumul Severin nach Bukarest.
Diese Tour kann in sechs Tagen gemacht werden, und wenn der
Reisende keine grosse Eile hat, so würde er diesen Weg nach Buka-
und den Donaufürstenthümern.
301
rest weit interessanter, als den zuletzt beschriebenen finden, da er auf
douiselbon die Karpathenklöster und den schönsten Theil der Walachei
berührt. Die Hauptpuncte, welche die Strasse berührt, sind folgende:
Czernetz 1 Stunde von Turnul Severin, Glogowa 3, Tismana 2, Tir-
gudschilu 6, Polowratz 5, Horezul 2, Bistritza 1, Monastir Diutr'un
leiuu 2, Oknitza 2, Eimnik Walcea 1, Argisch 6, Kimpulung 5, Ter-
gowist G, Piteschti 8, Gaeschti ü, Bukarest 8 Stunden weiter.
Czernetz ist ein volkreiches Dorf, das in einer Bodensenkung
liegt und Zeichen von Wohlstand hat. Von hier bis Tismana ist das
Land fast ein ununterbrochenes Feld von Kukurutz, bis der Boden sich
endlich zu jener Bergkette erhebt, von welcher jeder Pass mit Klöstern
besetzt ist. Diese Klöster wurden jedenfalls mit der Absicht hier an-
gelegt, ausser religiösen Bedürfnissen auch militäi'ischen und commer-
ciellen Zwecken zu dienen, Sie sind in alter Zeit zugleich Festungen
und Pilgerherbergen gewesen, und noch jetzt sind die Mönche ver-
pflichtet, Jedermann drei Tage lang freies Quartier nobst Kost zu ge-
währen. Tismana ist ein sehr malerisch in einem Waldgrund der
Karpathen gelegenes Mönchskloster, welches älter als das Fürstenthum
der Walachei ist, denn der erste der Fürsten, der schwarze Rudolf,
stellte CS im Jahre 1366 wieder her. In einer Grotte zeigt man die
Zelle des heiligen Nikodemus, eines Serben, welcher hier vor fünf
Jahrhunderten als Einsiedler lebte, und dessen Körper während eines
Krieges zwischen den Serben und Walachen von seinen Landsleuten
nach Montenegro gebracht wurde. Eine Quelle mit klarem Wasser rinnt
aus dem Felsen hervor und stürzt sich in einem Wasserfall von 150
Fuss Höhe von dem Plateau, auf welchem das Kloster steht, in einen
Bach hinab. Die Gebäude des Klosters sind in neuester Zeit, wo die
Hospodare oft ihre Sommerresidenz hier aufschlugen, weiss angestrichen
worden, was nicht recht zu ihrem Alter passt. AuT einer Felsenspitze
steht eine uralte Capelle, die man mit dieser modernisirenden Schminke
verschont hat. Ueber dem Thor der Hauptkirche des Klosters sieht
man „fleur de lis", ein Oompliment, welches Radu Negru seiner Ge-
mahlin machte, die eine römisch-katholische Prinzessin war. — Ueber
die grossentheils aus Blockhütten bestehenden Dörfer Pustischani und
Tergowist erreicht man bei raschem Fahren in sechs Stunden Tirgud-
schilu, einen unbedeutenden Ort am Schiul, wo man im Hause des
Isprawnik Unterkunft findet. Von da bis Horezul führt der Weg durch
eine ungemein schöne Gegend. Ausgedehnte Wiesen vom hellsten Grün
wechseln mit Baumgruppeu und steilen Hügeln, die mit dichtem Eichen-
wald bekleidet sind. Der Oltezzo, ein rascher Gebirgsbach, der von den
hohen Bergen zur Linken durch eine Felsenschlucht herabströmt und
an dessen Mündung wieder ein Kloster steht, wird überschritten, und
bald darauf erscheint, umgeben von waldigen Bergen Horezul, das
reichste dieser Klöster. Dasselbe soll ein Jahreseinkommen von nicht
weniger als 32,000 Thalern haben und wird nur von 36 Mönchen
bewohnt. Die Gebäude sind stattlicher Art, haben aber eben keine
grossen Ansprüche auf architektonische Schönheit. Das Kloster ist
302 Touren in der europäischen Türkei
etwa 200 Jahre alt. Seine Lage in einer engen Schlucht, die von
Klippen überragt wird, ist sehr romantisch und es gibt in der Nach-
barschaft so viele schöne Spaziergänge und so viele malerische Puncte,
dass ein Freund der Natur sich wohl geneigt finden kann, die Gast-
treundschaft des Igumenos auf zwei Tage in Anspruch zu nehmen.
Das eine Stunde von hier am Fusse hoher Klippen gelegene
Bistritza ist wieder ein solcher Mönchspalast im Gebirge. Hart dabei
strömt das Flüsschen gleiches Namens, welches Gold und kleine Rubinen
führt, die von Zigeunern durch Waschen gewonnen werden. In der
Felswand über dem Kloster befindet sich eine grosse Höhle, in der in
Zeiten der Noth gegen tausend Menschen Zuflucht gefunden haben
sollen. Dieselbe war einst von einem Einsiedler bewohnt, der ein Ge-
lübde gethan, nie mehr zu sprechen. Noch jetzt schaut aus dem Ein-
fang der Grotte ein Balken mit den Resten eines Seiles heraus, mit
essen Hilfe der fromme Narr sich die Nahrung heraufzog, die ihm
die gläubige Menge herzutrug. Während des Aufstandes von 1821 zog
man Frauen, Kinder und Kisten mit Werthsachen in gleicher Weise
in die Höhle hinauf. Auf der Höhe über der Grotte erheben sich die
beiden kleinen Klöster Papusa und Arnuta, nach denen man Ausflüge
machen kann, die sich lohnen.
Indem man sich so dem Hochgebirge der Karpathen nähert,
werden die Linien der Landschaft immer grossartiger. Wendet man
sich aber wieder nach der Ebene zurück, so durchstreift der Weg eine
Zeit lang wieder ein schön bewaldetes Gebiet von weniger wildem Aus-
sehen. Derselbe windet sich eine Weile an einem von niedrigen Thal-
wänden eingeschlossenen Flusse hin und erreicht zuletzt einzelne Felder.
An der Stelle, wo der Wald endigt, trifft man das Nonnenkloster Diutr'
un lemu, welches so genannt worden sein soll, weil man seine Kirche
aus dem Holz eines einzigen Baumes erbaut habe. Nach einer andern
Version der Sage lebte liier ein Eremit, der bald unter dem, bald unter
jenem Baum im Walde schlief, aber stets mit Tagesanbruch zu einer
grossen Eiche zurückkehrte, in eines von deren Astlöcher er ein Hei-
ligenbild gestellt hatte, vor dem er den Tag über betete. Eines Tages
nun zerschmetterte ein Gewitter die Eiche, aber siehe da, das Bild
blieb unbeschädigt ; dieses Erzeigniss verbreitete sich nah' und fern,
und , Unsere liebe Frau vom Baum" wurde zu einem wunderthätigen
Bilde; man erbaute für dasselbe eine hölzerne Capelle und gründete
dabei ein Kloster frommer Schwestern zur Pflege und Verehrung des
Bildes. Es befinden sich in dem Kloster jetzt gegen 70 Nonnen, von
denen indess die meisten den Eindruck blosser Bauemmädchen machen.
Okiiitza ist ein grosses Dorf in einem wilden Grunde. Die Ein-
wohner sind meist Bergleute, die in den benachbarten grossen Salz-
bergwerken arbeiten. Letztere kann man ohne grosse Beschwerde be-
suchen, und ein solcher Besuch verlohnt sich reichlich, da diese Minen
fast so ausgedehnt wie die zu Wielitzka sind und gleich diesen breite
unterirdische Gänge haben, in denen sich die Strahlen der Lichter in
den Krystallen der Wände brechen. Bimnik Walea ist ein recht an-
und den Donaufdrstenthümern. 303
sprechendes Städtchen mit 800 Einwohnern, die Häuser sind besser als
in vielen anderen Orten der Walachei, die Strassen breit und ziemlich
reinlich. Dieser Ort steht an der Stelle der altröraischen Stadt Komula
Valis, in welcher die Oberbehörde Daciens unter Trajan ihren Sitz
hatte. Trajan baute nach Zerstörung Sarmatogetusas, der Hauptstadt
des Königs Decebalus, eine Strasse von seiner Donaubrücke hierher,
von welcher Strasse noch jetzt einige Spuren nicht fern von der Stadt
zu erkennen sind. Femer befindet sich hier eine seltsame alte Kirche,
die aus dem 12. Jahrhundert stammen soll, wo Rimnik Sitz eines
Bischofs war. Ein Gasthof existirt hier nicht, doch pflegt der Isprawnik
Fremde zu beherbergen. Argisch ist bereits erwähnt, doch mag hier
noch hinzugefügt \yerden, dass sich in der Kirche die Gebeine der
heiligen Philoftea befinden, welche ein junges Mädchen zu Tirnowa in
Bulgarien, die Tochter eines Taglöhners, eines heftigen Charakters
und grossen Essers, war. Er hatte sie im Verdacht, ihm von dem
Essen, das sie ihm aufs Feld zu bringen pflegte, etwas zu nehmen,
und als er sie darauf beobachtete, sah er, dass sie es den Armen gab.
Er schlug sie auf der Stelle todt, die Kirche aber sprach sie als Mär-
tyrerin der Barmherzigkeit heilig. — In der Nähe von Argisch erschlug
Michael der Tapfere, einer der tüchtigsten Fürsten der Walachei, drei-
tausend Tataren, die ihm in's Land gefallen waren.
Die Strasse führt jetzt über parallel laufende Reihen von Bergen
und über Berggewässer in tiefen Thälern, die mit schönem Wald be-
wachsen sind. Ehe man nach Kimpulung gelangt, passirt man die
beiden grossen Dörfer Domneschti und Albeschti, von denen das erstere
am Bache Donmul, das andere an einem andern Flüsschen liegt.
Kimpulung war die erste Hauptstadt Radu Negru's, und sein
Name ist eine Corruption von Campus Longus. Die Lage des Städt-
chens ist sehr eigenthümlich , indem es auf allen Seiten von Hügeln
eingeschlossen ist, während von fern die gigantischen Gipfel der Kar-
pathen herabschauen, diese aber so nahe zu sein scheinen, dass man
glauben möchte, jeden Baum auf ihren steilen, zerklüfteten Flanken
zählen zu können. Die Bevölkerung von Kimpulung war, ehe die Hospo-
dare ihren Hofhalt von hier nach Tergowist verlegten, sehr bedeutend,
jetzt ist der Ort nur noch ein Marktflecken von etwa 5000 Einwohnern.
An die alte Bliithezeit erinnern mehre Kirchen und verschiedene grosse
Gebäude, von denen indess keines merkwürdig ist, als das, welches zu
dem Palast des schwarzen Rudolf gehörte. Dasselbe ist jetzt ein
Kloster, aber die alten Befestigungen sammt dem Thorthurm am Flusse
sind noch wohl erhalten. In der Kirche des Klosters zeigt man ein
Porträt des Gründers und einen Kelch aus der Zeit des Fürsten Mathias
Bessaraba. Der Kelch ist von Gold und gilt als verehrungswerthe
Reliquie.
Ferner trifft man hier eine seltsame kleine römische Capelle»
welche sich die Gemahlin Rudolfs für ihren eigenen Gebrauch erbaute.
Endlich befindet sich hier in der Nachbarschaft (eine Stunde entfernt)
304 Touren in der europäischen Türkei
das sehenswerthe Nonnenkloster Nemoest, der Sage nach auf Grund
einer Aeusserung Eudolfs so benannt, die derselbe that, als er von
hier das Land überblickte und fand, dass es in Folge des Krieges fast
unbewohnt sei. Es soll dies im Jahre 1240 stattgefunden haben. In
den Jahren vorher hatten die Mongolen die Donauebene verwüstet.
Der byzantinische Kaiser Theodor Koranenus Laskari schickte seine
Gemahlin au Ludwig den Heiligen, um gegen das Versprechen der
Dornenkrone Christi, die in seinem Besitz war, Hilfe zu erbitten Es
kam ein Vertrag zu Stande, der Feind wurde vom Süden zurückge-
worfen und stürzte sich nun auf die nördlichen Provinzen des alten
Dacien, die er unter Batu Chan, dem Enkel Dschinghischans, besetzte.
Da zog der Häuptling von Fragorosch Eadu Negru (der schwarze
Rudolf) Bessaraba über die Karpathen gegen die Mongolen und schlug
sie, worauf er mit neun Säcken voll Ohren in sein Land zurückkehrte.
Bald darauf erschien er von Neuem durch diesen Pass bei Nemoest
und gründete jene erste Niederlassung Kimpulung an den Quellen der
Dumbowitza, die der Kern des späteren walachischen ßeiches wurde.
Die Klostercapelle von Nemoest ist eine Felsengrotte. Die Legende
erzählt, dass einem Schäfer, der hier eingeschlafen, die Jungfrau Maria
im Traume erschien, welche ihm sagte, dass sich ihr Bild unter seinem
Kopf befinde. Er grub nach, bis er die Capelle in ihrem jetzigen Zu-
stand sammt dem Bilde auf dem Altar ausgegraben hatte. Um dieselbe
leichter zugänglich zu machen, brach er eine Seitenthür durch, welche
ebenso wie die andere Thür noch jetzt existirt. Dieses Ereigniss, welches
vor etwa dreihundert Jahren stattgefunden haben soll, machte so
grosses Aufsehen in der Gegend, dass eine Anzahl frommer Frauen
sich Zellen um die Felsenkirche bauten, um der Pflege und Verehrung
derselben den Rest ihres Lebens zu widmen. Es befinden sich jetzt 30
Nonnen hier. Sie sollen behaupten, dass man in der Nähe bisweilen
im Berge singen höre, und hoffen, dass, wenn sie nachgraben könnten,
sich eine zweite Capelle finden werde.
Tergowist, an der Jalonitza, ist gegenwärtig eine Stadt von
10,000 Einwohnern. Es war nach Kimpulung die Hauptstadt der Wa-
lachei, hatte damals eine Bevölkerung von mehr als 30,000 Seelen und
zeigt von seiner einstigen Grösse noch manche Spuren. Man begegnet
hier den Ruinen des Fürstenpalastes, dem Grabmal Michaels des
Tapfern, dem Kloster Dialu, welches modernisirt worden ist, einer
kleinen alterthümlichen Kirche, deren Steine mit Sculpturen bedeckt
sind, und in welcher sich jenes Grabmal befindet, den Ruinen eines
grossen Hauses mit einer Capelle in der Hauptstrasse der Stadt. Dieses
Haus ist vierthalb Jahrhunderte unbewohnt geblieben und allmälig
Ruine geworden, weil sein letzter Bewohner, Fürst Radu IV., von dem
Erzbischof Nyphon wegen einer illegitimen Heirath sammt seiner Woh-
nung mit dem Kirchenbann belegt wurde.
Piteschti und Gaeschti sind kleine Gebirgsstädtchen ohne Sehens-
würdigkeiten.
und den Donaufürstenthümern. 305
9. Von Bukarest über Fokschani nach Jaasy.
Die Hauptpuncte dieser Route sind: Buseo, 12 Stunden von
Bukarest entfernt, Slam Eininik 6, Fokschani 6, Azut 3, Bakau 4,
Romano 3, Tirgu Porraos 4, Podlealoi 3, Jassy 2 Stunden weiter. Die
Gegend, die von dieser Strasse durchschnitten wird, ist flach und mo-
noton, gelegentlich erscheint ein kleines Eichenwäldchen, bisweilen
passirt man eine Brücke oder eine Furt. Statt sich der springfeder-
losen Postkarutza anzuvertrauen, kann man sich, wofern man zurück-
kehrt, in Bukarest eine bequemere Kalesche miethen, die für 6 bis 7
Ducaten zu haben ist. Indess muss bemerkt werden, dass man in diesem
Fall mindestens acht Pferde zu miethen genöthigt ist. Buseo ist eine
hübsche kleine Stadt von 6000 Einwohnern, am Flusse gleiches Namens
gelegen, und Sitz eines Bischofs, der in einem schmucken Hause wohnt,
mit dem ein Priesterserainar verbunden ist. Man hat hier verschiedene
alterthümliche Geräthe: Lampen, Vasen und kleine Statuen gefunden.
Dieselben waren von byzantinischer Arbeit und wahrscheinlich das
Geschenk eines Kaisers an irgend einen Barbarenhäuptling, der sie,
von Feinden bedroht, hier vergrub. Gegenwärtig befinden sie sich, wie
bemerkt, im Collegium des heiligen Saba zu Bukarest.
Slam Rimnik, eine Stadt von etwa 9000 Einwohnern, liegt an
dem tiefen und reissenden Rimnik, den man hier passirt. 1789 schlug
hier Suwaroff die Türken, 1809 ertrank hier sein Sohn.
Fokschani, am Grenzfluss Milkow gelegen und halb zur Wala-
chei, halb zur Moldau gehörig, ist eine bedeutende Handelsstadt mit
25,000 Einwohnern. In der Nähe sind die Rebenpflanzungen von Üdo-
bescht, wo der beste Wein der Moldau wächst. Ausser einem alten
Kloster gibt es hier nichts von Interesse. 1720 fand in Fokschani ein
Congress türkischer und russischer Diplomaten statt.
Nachdem man die Moldau betreten, passirt man zuerst die
Putna durch eine Furt, dann den Croatus vermittelst einer langen
Holzbrücke. Dann erreicht man die kleine, aus Holzhütteu bestehende
Stadt Azut am Ende des Sereththales. Hierauf folgt die Strasse dem
Sereth in nördlicher Richtung bis Bakau an der Mündung der Bistritza
in dem ebengenannten Fluss. Bakau hat gegen 10,000 Einwohner und
es befindet sich ein leidlicher Gasthof hier. In der Geschichte wird es
als der Ort genannt, wo der unglückliche P^lenkönig Stanislaus Le-
scynski, der die Hauptursache des Krieges zwischen Peter dem Grossen
und Karl XII. gewesen, von dem moldauischen Fürsten Nikolaus Ma-
wrokordato gefangen genommen wurde. Hier beginnt eine ziemlich
gute Chaussee, auf welcher man in drei Stunden nach Roman fahrt.
Letzteres ist eine kleine freundliche Stadt von etwa 5000 Einwohnern,
welche vorzüglich Ackerbau treiben. Es residirt hier ein Bischof, der
in einer schönen Kirche Gottesdienst hält. Der hiesige Gasthof ist gut.
In der Nähe vereinigt sich die Moldau mit dem Sereth. Nicht fern
von hier lag eine alte Stadt, Seraendrova, welche von Einigen für die
römische Colonie Prätoria Augusta gehalten wird.
20
306 Touren in der europäischen Türkei
Nachdem mau den Sereth wiederholt passirt, kommt man nach
Tirgu Formos, einem Städtchen auf einer bewaldeten Höhe, wo Pferde-
wechsel stattfindet.
Jassy, die Hauptstadt der Moldau, liegt am Abhang des vom
linken Ufer des Baglui sanft ansteigenden Berges Kopo, zwei Stunden
vom Pruth, welcher die Grenze zwischen Eussland und der Moldau
bildet. Die Lage der Stadt, welche etwa 70,000 Einwohner zählt, ist
malerisch, das Innere wo möglich noch hässlicher als Bukarest. In der
Geschichte ist sie durch den Frieden von 1792, durch die Empörung
Ipsilantis und der Hetäristen, durch die Plünderung, welche sie 1822
in Folge jenes Aufstandes heimsuchte, sowie dadurch bekannt, dass sie
wiederholt auf lange Zeit von den Russen besetzt gehalten wurde. Auch
der grossen Feuersbrünste von 1827 und 1844 muss gedacht werden.
Die Strassen sind krumm, eng und voll Schmutz, nur einige derselben
haben Pflaster. Unter den Einwohnern spielen die Bojaren, deren Fa-
milien gegen 5000 Köpfe zählen sollen, und die Juden, von denen nicht
weniger als 30,000 hier (ansässig sind , eine Hauptrolle. Kirchen hat
Jassy gegen siebenzig. In der Metropole wird der Leichnam der hei-
ligen Paraskewa, das grösste Heiligthum der Moldau, aufbewahrt. Die
Kirche zu den drei Heiligen ist die älteste in Jassy. Sie stammt aus
dem 14. Jahrhundert, und die Quadern, aus denen sie erbaut ist, sind
von unten bis oben mit Verzierungen in Relief bedeckt. Andere grös-
sere Kirchen sind die, welche zu dem Spiridion- und die, welche zu
dem Gholiakloster gehört. Von weltlichen Gebäuden ist das grösste der
Fürstenhof, der auf dem hohen Thalrande des Baglui liegt, und in dem
sich die obersten Behörden des Landes befinden. Obwohl durch seine
freie Lage und seine Ausdehnung ausgezeichnet, ist dieses Gebäude
doch unbedeutend, wenn man den Maassstab des Geschmacks anlegt.
Nicht viel Günstigeres lässt sich von der Residenz sagen. Geschmack-
voller sind die Paläste einiger Bojaren, z. B. der des Nikola Rosetti
die Roznowano in der Hauptstrasse Jassy's. Recht hübsch ist der im
höchsten Theil der Stadt angelegte Volksgarten, dessen üppige Vege-
tation zeigt, was hier für schöne Anlagen geschaffen werden könnten,
wenn man Sinn für dergleichen hätte.
Die Promenade der vornehmen Welt ist eine wüste Steppe auf
dem Kopo, wo man Hunderte eleganter Wagen die pariser Moden der
Damen zur Schau fahren sieht. Die Gasthöfe Jassy's sind nicht viel
werth. Ein deutscher, „Hotel de Petersbourg" genannt, zeichnet sich
durch hohe Preise, Schmutz und schlechte Küche aus; besser soll das
„Hotel d' Italic" sein. Wer sich nicht an morgenländischer Küche stösst,
findet in den zahlreichen Khans der Stadt Zimmer und Essen für
geringes Geld. Die Handwerke sind in Jassy fast nur in den Händen
der Juden und der eingewanderten Deutschen, von welchen letztern
sich gegen 2000 hier niedergelassen haben. Die Kaufläden gleichen
denen in Bukarest, und man erhält in ihnen nicht nur Alles, was die
Civilisation zum Bedürfniss gemacht hat, sondern auch Alles, was zum
Luxus gehört, die feinsten Delicatessen u. A. Von Bankhäusern ist die
und den Donaufilrstenthümern. 307
Firma Michael Daniel das beste; die Buchhandlungen von Bell und
Hennig haben einen guten Vorrath deutscher und französischer Werke.
Droschken, wo die Fahrt einen Zwanziger kostet, und Karutza's, die
man für die Fahrt mit 20 Kreuzern österreichischer Wcährung bezahlt,
gibt es in Jassy gegen 600. Ein Wagen kostet für den ganzen Tag 3
bis 4 Gulden zu miethen.
Ist Jassy ohne eigentliche Sehenswürdigkeiten, so bietet die
Nachbarschaft Gelegenheit zu lohnenden Ausflügen. Dahin gehört na-
mentlich Sokala, der Landsitz des Fürsten Stourdza, in einem freund-
lichen Thal mit üppigen Weinbergen. Der Fürst hat hier in einem
geschmackvoll angelegten Park, der dem Publicum offen steht, ein sehr
schmuckes Palais Sodann muss iS'^mÄ;a genannt werden, zwei Stunden
von Jassy auf dem hohen Thalrand dor Pyia gelegen, wo sich ebenfalls
ein grosser, schöner Park befindet. Nicht fern von hier liegt das rus-
sische Zollamt und die Quarantäneanstalt Skuleni, wohin sich im
Sommer viele Bewohner Jassy's begeben, um im Pruth Bäder zu
nehmen. Andere hübsche Puncte sind : Galata. ein sehr malerisch auf
dem rechten Ufer des Baglui der Stadt gegenüber gelegenes Kloster,
der schöne Landsitz Miroslmoa, das Kloster Citaznie, Galata gegenüber,
wo sich früher die Citadelle von Jassy befand, und der steile Berg
Mepidje, mit einer Wasserheilanstalt, bei der man eine sehr anmuthige
Aussicht auf das Thal von Sokala und den Baglui geniesst. Für Den
endlich, welcher die Umgebung Jassy's zu Pferde sehen will, bilden
der Zusammenfluss des Baglui mit dem Pruth bei Christesti und der
mit verschiedenen Gärten und Eebenpfianzungen bedeckte Gipfel des
Kopo ebenfalls recht angenehme Zielpuncte.
10. Von Belgrad über Zwornik und Tuzla nach Trawnik und Bosna Serai.
Diese Tour erfordert 5 bis 6 Tage, und die Hauptpuncte, welche
beiührt werden, sind folgende : Palesch 4, Schabatz 4, Kaksa 5, Zwor-
nik 10, Tuzla 8, Zepsche 13, Wranduk 5 und Trawnik 8 Stunden weiter.
Nachdem die Strasse Belgrad verlassen, geht sie erst eine Strecke
auf dem rechten Ufer der Save hin und wendet sich dann nach Süden,
bis sie den tiefen langsam fliessenden Fluss Golubara erreicht, der sich
durch einen schönen Eichenwald hindurchwindet. Nachdem man den-
selben auf einer Fähre überschritten, kommt man nach Palesch, einer
kleinen Stadt mit einem ziemlich guten Wirthshaus. Ueber schönes
Weideland wieder an die Save gelangend, erreicht man das auf dem
anderen Ufer gelegene Schahatz, eine blühende Stadt mit 10,000 christ-
lichen und 2000 mohammedanischen Einwohnern, vertheidigt durch
eine von Mohammed II. erbaute Festung. Letztere wurde 1475 von dem
König Mathias von Ungarn vergeblich belagert, auch wurde während
der Insurrection des schwarzen Georg zwischen den Türken und den
serbischen Insurgenten um dieselbe gestritten, doch verblieb sie im
Besitz der Serben. Der Handel von Schabatz ist beträchtlich, und man
sagt, dass die hiesigen Handelsleute so schlau und gewandt sind, dass,
308 Touren in der europäischen Türkei
wo auf einem Markt Schabatzer erscheinen, selbst Juden und Griechen
sich fortmachen, da sie nicht im Stande sind, gegen jene aufzukommen.
Die Strasse ist gut und führt weiter über eine flache, wohlbebaute,
zum Theil bewaldete Ebene nach Balisa, wo man die bosnische Grenze
erreicht. Hier fällt, dem österreichischen Grenzdorf Raksa gegenüber,
der Fluss Drina in die Save. Das serbische Raksa ist ganz unbedeutend,
doch findet man in einer Art Kaffeeschenke für die Nacht Unterkunft.
Eine Fähre bringt den Reisenden hinüber auf das bosnische Ufer der
Drina, deren Lauf er in südlicher Richtung folgt, um nach Zioornik
zu gelangen. Dies ist eine stark befestigte Stadt, die das schmale, von
hohen Bergen eingeschlossene Thal der Drina beherrscht. Sie steht
auf dem linken Ufer dieses Flusses, von dem sie mit langgedehnten
Mauern und Reihen von Thürmen bis zum Gipfel eines Hügels hinan-
steigt. Einwohner hat Zwornik etwa 16,000 und sind dieselben gros-
sentheils Moslemin. Die Citadelle war früher erblich in der grossen
mohammedanischen Adelsfamilie der Widaitsch, bis im Jahre 1829
Ali, das damalige Haupt dieser Familie und einer der Helden des Auf-
standes gegen die Reformen Mahmud's II. nach Trapezunt verbannt
wurde, bei welcher Gelegenheit die Festung der Familie verloren ging.
Um hier Unterkunft zu finden, thut man am besten, sich vom Mudir
Herberge zu erbitten.
In einem grossen Theil Serbiens kann man ebenso wie in der
Moldau und Walachei in einem Wagen reisen. In Bosnien dagegen
sind die Strassen blosse Maulthierpfade und zwar sehr schlechte, da
das Land gebirgig und der Weg durch häufige Regengüsse sehr zer-
rissen und aufgewühlt ist" Man kann deshalb hier nur zu Pferde reisen.
Die Gegenden aber sind meist malerisch, da es nicht an Wald fehlt.
Tuzla, eine Stadt von 8000 Einwohnern, die sich vorzüglich
von der Bereitung des Salzes nähren, ist der Sitz eines Pascha's. Die
Bereitung des Salzes geht in sehr einfacher Weise vor sich, indem
man eben nur Salzwasser in Kesseln verdunsten lässt. In der Mitte
der Stadt befindet sich ein im vorigen Jahrhundert erbautes Castell.
Der hiesige Khan ist gut.
Die Strasse folgt jetzt dem Thal des Flusses Spressa und erklimmt
dann eine waldbedeckte Hügelreihe zur Linken, um, nachdem sie eine
Strecke über die Höhe gegangen, wieder in ein anmuthiges Thal
hinabzusteigen. Dieses erweitert sich endlich und man trifft häufiger
Spuren von Anbau. Dann hat man eine mächtige Bergkette, Zarugie
genannt, zu erklettern, welche zum Theil mit Fichten und Wachholdern
bewachsen ist. Ein Ritt von zwei Stunden bergab, der durch schönen
Wald führt, bringt den Reisenden zum Flusse Bosna, welcher auf einer
Fähre überschritten wird, worauf man nach dem kleinen Oertchen
Zepsche gelangt. Der hiesige Khan ist schlecht. Von hier folgt die
Strasse dem Lauf des Flusses bis zu dem Dörfchen WranduJc, welches
aus 5 oder 6 Hütten unter den Mauern eines hoch über dem Flusse
gelegenen alten Schlosses besteht. Die Gegend ist sehr romantisch. Da
man indess nicht gut hier übernachten kann und auf dem weitern
und den Donaufürstenthümern. 309
Wege bis Trawnik noch weniger Gelegenheit ist, Unterkunft zu finden,
so thut man klug, sich hier nicht lange aufzuhalten, auch Zepsche
zeitig zu verlassen. Wer das nicht will oder kann, mag den Umweg
über Zenitza machen, wo man Herberge findet.
Trawnik ist die militärische Hauptstadt von Bosnien und zwar
auf Grund seiner Lage im Mittelpunct des Landes und seiner Verthei-
digungswerke, welche aus einem hochgelegenen Fort) und mehren stark
befestigten Casernen bestehen. Die Stadt liegt eigenthümlich am Ende
einer Schlucht, durch welche die Loftscha strömt. Die stehende Bevöl-
kerung beträgt nicht mehr als 10,000 Seelen, aber gewöhnlich garni-
soniren hier mehre tausend Mann Soldaten. Man findet hier verschie-
dene ziemlich gute Khans.
Von Trawnik nach JBosna Serai hat man IG starke Stunden. Die
Hauptorte, welche die Strasse berührt, sind Witesch, 3 Stunden von
Trawnik, Bussowatscha 2, Ekschi Su 4, dann Bosna Serai 7 Stunden
weiter. Der Weg folgt zuerst ,dem Thale der Loftscha, bis er durch
Witesch, eine kleine Stadt von etwa 2000 Einwohnern, geht, in deren
Nähe eines jener vielen Treffen stattfand, in welchen die Truppen die
fast alljährlich sich wiederholenden Aufstände der Bosnier niederzu-
schlagen hatten. Hier biegt die Strasse nach Westen in einen Arm des
Hauptthaies ein, führt dann durch eine Schlucht hinab, aus der man
endlich in das malerisch gelegene Städtchen Bussowatscha gelangt.
Hier ist ein guter Khan ; indess ist es gerathener, zeitig von Trawnik
aufzubrechen, um noch diesen Tag bis Ekschi Su gelangen zu können,
wo man noch bessere Unterkunft findet. Der Weg dahin führt zwischen
rundlichen, mit Wald bewachsenen Höhen hin. Ekschi Su, d. h. Sauer -
Wasser, ist ein Oertchen, welches seiner Heilquellen wegen bekannt
ist. Es entspringen hier nämlich zwei reiche Quellen, deren Wasser
dem Seizerwasser gleicht. Für die Trinker ist ein grosser, bequem ein-
gerichteter Khan vorhanden. Das Wasser wird auch auf Flaschen ge-
füllt und ausgeführt, zugleich benutzt man es zum Backen, indem es
dem Brot einen besonders angenehmen Geschmack mittheilt. Die Um-
gebung des Ortes ist sehr schön. Wenn man eine zweite Hügelreihe
erstiegen hat, trifft man zwischen dichtem Baumwuchs eine dritte
säuerliche Quelle, und zwar hart bei der Strasse, und nachdem man
eine Weile durch ein vielgewundenes Thal geritten ist, deutet eine
weite Fläche, umgeben von Bergen, an, dass man sich der Hauptstadt
des Landes, Bosna Serai, nähert. Rechts vom Wege findet sich die
Quelle der Bosna. Auf der Ebene begegnet man zahlreichen Plüsschen,
über welche steinerne Brücken führen und einigen Landhäusern, die
zum Theil recht hübsch liegen.
Bosna Serai oder Sarajewo, italienisch Seraglio genannt, liegt
am Einfluss der Migliazza in die Bosna und ist das Damaskus des
Nordens genannt worden, wegen seiner schönen Lage und seiner zahl-
reichen Gärten. Es wird von der Migliazza in zwei Hälften zerschnitten,
die durch vier hübsche steinerne Brücken mit einander verbunden sind.
Einwohner hat es gegen 50,000 die zum grösseren Theil Mohamme-
310 'Touren in der europäischen Türkei
daner sind, Häuser, die grossentheils aus Holz erbaut und in türkischer
Manier mit vergitterten Fenstern versehen sind, an 15,000. Mehr als
anderthalbhundert Moscheen, unter denen sich indess sehr viele ganz
unbedeutende befinden , mehre griechische und römisch-katholische
Kirchen tragen mit ihren Thürmen, Minarets und Kuppeln bei, die
Reize der Stadt zu erhöhen, während ein altes auf einem Hügel bei
der Stadt gelegenes Fort die Romantik des Mittelalters in das Bild
mischt. Diese Burg, jetzt ohne militärische Bedeutung, wurde von dem
ungarischen Feldherrn Kotroman im dreizehnten Jahrhundert erbaut.
Endlich verdient das von Sultan Mohammed II. erbaute Serai Erwäh-
nung. Früher residirten in Serajewo die Häupter des mohammedanischen
Adels, welche Bosnien in geringer Abhängigkeit von Constantinopel
beherrschten, deren Macht aber jetzt in der Hauptsache gebrochen ist.
An Khans und Kaffeehäusern ist kein Mangel. Der Bazar ist wohl
versehen. Wegen seiner zahlreichen Waffen-, Blech- und Kupfergeschirr-
fabriken, seiner guten Messerschmiedearbeiten, seiner Goldschraiede-
waaren. Wollen- und Baumwollenwebereien und Gerbereien ist Bosna
Serai eine der wichtigsten Städte der europäischen Türkei, Mittelpunct
des bosnischen Handels und des sehr bedeutenden Karawanenverkehrs
zwischen Janina in Albanien und Salonik in Macedonien.
11. Von Bosna Serai (Sarajewo) über Mostar nach Ragusa.
Zu dieser Tour bedarf man mindestens eine Woche. Der kür-
zeste Weg von Bosna Serai nach Mostar geht über Koguitza, da der-
selbe aber keine guten Herbergen bietet, so wird man wohlfchun, die
folgende Route vorzuziehen. Beide Wege sind sehr beschwerlich und
nur für Reisende, welche an Strapazen, ,Ziegeupfade und anhaltende
Ritte gewöhnt sind. Die von uns empfohlene Strasse berührt folgende
Puncte: Pratza, 7 Stunden von Sarajewo, Goresta 6, Fotscha 3, Schu-
rawa 6, Gutzko 10, Dobropolieh 3, Nevesigna 6, Mostar 8 Stun-
den weiter.
Croresta muss das erste Nachtquartier sein ; obwohl die Herberge
hier sehr schlecht beschaffen ist, kann man mit gewöhnlichen Pferden
nicht bis nach Fotscha kommen. Bei dem letztern Orte passirt man
eine Holzbrücke, die über den Fluss Tschiolina führt. Dem Eingang
des Thaies von Uluk gegenüber liegt das Zigeunerdorf Brod, eine Sel-
tenheit in diesen Strichen, in welchen die Zigeuner meist noch No-
maden sind. Eine Strecke weiterhin setzt mau auf einer Fähre über
die Drina, und nachdem man über ausgedehntes Wiesenland geritten,
kommt man an den Zusammenfluss der Bäche Tara, Piva und Suschetza.
Die Gegend wird hier den Schweizerlandschaften ähnlich, und in der
That befindet man sich in einem Gebirge, welches das "Verbindungsglied
zwischen den Alpen und dem Balkan bildet. Nachdem man lange auf
sehr rauhem Pfad emporgeklettert, erreicht man das Oertchen Schu-
raioa, wo sich ein guter Khan befindet. Dann folgt man dem Thal
der Suschetza eine Strecke, klimmt wieder über wilde Felsenberge
und den Donaufürstenthümern. 311
empor, steigt abermals nach dem Flusse hinab und gelangt endlich
nach dem Thurm von Gatzko, dessen Bey die hier über das Gebirge
zerstreuten Wohnungen und Dörfchen beherrscht. Derselbe erwies sich
früher sehr gastfrei gegen jeden Wanderer, gleichviel, welchen Glauben
derselbe hatte. DobropoUeh ist ein Dorf ohne Khan, in der Nähe des
See's von Dobritza gelegen. Dann steigt der Eeisende in die Ebene
hinab, in deren Mitte er das Dorf Nevesigna erblickt, welches etwa
1000 Einwohner, drei kleine Moscheen und einen guten Khan hat.
Hierauf hat man zunächst den Berg Trusina, dann den Velesch zu
übersteigen; dann folgt das Dorf Blagai mit einem alten Cast.'U, und
endlich ist die Ebene erreicht, in welcher Mostar, die Hauptstadt der
Herzegowina, liegt Die Stadt hat ihren Namen von der hübschen
Brücke, die hier über die Narenta führt, und welche das einzige Bau-
werk von einiger Bedeutung ist. Von 20,000 Einwohnern gehört die
grössere Hälfte dem Christenthum an. Die Khans sind so gut, als man
sie in diesem halbwilden Lande erwarten kann. Oesterreich hat hier
ein Consulat.
Nicht viel weniger beschwerlich ist der Weg von hier nach
Ragusa, der über die Orte Stolatz, 6, Slano 14 und Bargat 6 Stunden,
führt, von wo man noch 2 Stunden bis Ragusa hat. Nachdem man die
Ebene überschritten, gelangt man in eine öde, baumlose Berggegend,
wo die kleine Stadt Stolatz mit einem Castell liegt, welches die Burg
des bosnischen Rebellenhäuptlings Ali Pascha war, derl851 von Omer
Pascha's Truppen geschlagen und getödtet wurde. Dann steigt man
über die Glubin-Berge nach dem Dorfe Slano, wo man zum zweiten
Male übernachtet. Hierauf wendet sich die Strasse nach Westen, über-
schreitet die Trebinschitza, geht an Bargat vorüber und mündet end-
lich in der österreichischen Stadt Ragusa, wo man in einem guten
Gasthaus von den Beschwerden der Gebirgsreise ausruht und sich dann
auf einem Lloyddampfer nach Belieben, entweder nach einer der benach-
barten Städte Dalmatiens oder nach Triest einschifft.
312 Touren in Macedonien.
ZEHNTES CAPITEL.
Touren in IM. a.ced.onien.
Allgeraeines über Macedonien. — Von Constantinopel nach Salonik. — Von Salonik
über Cassandra nach den Athosklöstern. — Die Klöster des Agion Oros. — Von Salonik
über Mona.stir, Elbassan und Eroia nach Skutari.
Macedonien hiess im Alterthum die Landschaft nördlich von
Griechenland, welche sich nördlich vom Olymp bis zur Mündung des
Flusses Lydias erstreckte; später, unter Philipp und Alexander dem
Grossen, waren ihre Grenzen im Westen der See Lychnis, im Norden
die skardischen Berge, im Osten der Pluss Nestus und im Süden der
Olymp und das ägäische Meer. Jetzt gehört es zu der türkischen Pro-
vinz Pilibeh Ejaleti und hat auf 720 Quadratmeilen etwa 700,000 Ein-
wohner. Im Alterthum war es seiner Gold- und Silberbergwerke halber
berühmt, und zählte mehre blühende Städte, von denen Pella, Pydna,
Thessalonika, Potidäa, Olynthos, Amphipolis und Philipp! in der Ge-
schichte eine Rolle spielen. Jetzt ist es sehr heruntergekommen, doch
verdient es wegen mancher Reste aus der alten Welt und namentlich
auch der Athosklöster, des Mittelpunctes und grössten Heiligthums
der morgenländischeu Welt halber noch sehr wohl einen Besuch. Die
Einwohner sind theils Griechen, theils Bulgaren, theils Türken. In
Bezug auf Reisegelegenheit passt im Allgemeinen Das, was im vorigen
Capitel über diesen Punct gesagt ist. Am besten unternimmt man den
Ausflug dahin von Constantinopel mit einem der Lloyddampfer, welche
zwischen der Hauptstadt und Salonik fahren. Wer die Landreise vorzieht,
zu der man mindestens eine Woche bedarf und auf der man nicht viel
Sehenswerthes antrifft, möge sich an das Nachfolgende halten:
1. Von Constantinopel nach Salonik.
Diese Tour berührt, nachdem sie im vorigen Capitel (Route 1)
beschriebene Strecke bis Selivria zurückgelegt hat, folgende Haupt-
puncte: Eski Erekli 3, Rodosto 9, Jenidschik 4, Malgara 8, Kischan
4, Phere 8, Gummurdschine 16, Jenitscheh 8, Fähre über den Karasu
4, Cavalla 4, Pravista 3, Khan Kunarga 3, Orphano 4, Kutschuk Be-
schek 8, Klisali 2 '4 , Salonik 7 Stunden.
Touren in Macedonien. 313
Auf dem Wege von Selivria nach Eski Erekli, einem kleinen
Orte, trifft man Spuren einer alten Römerstrasse, die mit schwarzem
Marmor gepflastert war. Auf dem weiteren Weg^, 2 Stunden von Eski
Erekli, sind die Ruinen und der Hafen des alten Perinthus, jetzt
Bujuk Erikli genannt, zu erkennen und ausserdem begegnet man hier
zahlreichen Grabhügeln aus dem Alterthum. Sonst findet sich hier in
der sehr öden Gegend nichts von Interesse. Rodosto, eine ziemlich
grosse Handelsstadt am Marmorameere, wo die Dampfer anlegen, ist
das alte Bisanthe, doch gibt es hier keine Antiquitäten. Die ganze
Gegend, welche weiterhin bei den Orten Jenidschik, Malgara und Ki-
schan durchschritten wird, ist eine öde monotone Steppe, fast ohne
Baum und Hügel. Diese Ebene setzt sich fort bis an die Marizza, dem
Hebrus des Alterthums, der hier das Land der Absynthier von dem
der Likonen schied. Die grosse Küstenebene aber hiess damals Doris-
kus. Auf derselben hielt Xerxes Heerschau über seine Völker, bevor er
nach Griechenland aufbrach.
Phere ist ein unbedeutendes Städtchen auf der östlichen Flanke
des Berges, der im Alterthum Serrium hiess; auf dem Wege von hier
nach Gummurdschine passirt der Reisende zunächst die rauhen Berge,
in welchen die Cibonen wohnten, welche den Trojanern gegen die
Griechen beistanden. Man hat hier zuerst verschiedene schöne Ausblicke
auf den Golf von Aen.s mit der Insel Samothrace, dann ein nicht
weniger schönes Bild des ägäischen Meeres mit Imbros und Leranos;
auch bemerkt man bei einiger Aufmerksamkeit bisweilen Spuren von
der alten grossen Heerstrasse, welche Rom im Alterthurae mit Con-
stantinopel verband.
Nachdem man vom Gehirge in westlicher Richtung hinabge-
stiegen ist, passirt man einen kleinen Fluss, über den eine alte Brücke
von 8 Bogen führt. 1 V^ Stunde weiter folgt eine ähnliche Brücke.
Dann führt der Weg über eine öde Ebene nach Gummurdschine, einer
Stadt von etwa tausend Häusern, die sich vorzüglich vom Handel mit
Getreide, Tabak und Wolle nährt, l'/. Stunden weiter passirt man
einige Ruinen, dann mehrere Friedhöfe, sowie einzelne Grabmäler von
türkischen Heiligen. Etwa 6 Stunden von Gummurdschine kommt man
an einen Salzwassersee, der mit dem Meer durch einen schmalen Zugang
in Verbindung steht. Derselbe ist der Palus Bistonis der Alten. Am
Nordende desselben erblickt man eine grosse malerische Ruine, die ein
Kloster gewesen sein soll, und bei der man Bruchstücke griechischer
Sculpturen gefunden hat. 2 Stunden weiter folgt das Städtchen Jenitsche
oder Jannitza, wieder 2 Stunden weiter besteigt man die Fähre, die
über den Karasu, den Nestus des Alterthums, führt. Darauf folgt wieder
eine steppenartigo Fläche. Dann ersteigt der Reisende einen Berg, hier-
auf geht der Weg in eine Ebene hinab, welche eine Bucht begrenzt,
wo man in der Ferne gegen Südosten die Insel Thasos, gegen Osten
die Gipfel von Samothrace und im Süden das Vorgebirge des heiligen
Athos erblickt. Bald darauf ist ein Ausläufer des Berges Pangäus zu
übersteigen. Die Strasse zeigt hier wieder Spuren alter Pflasterung,
314 Touren in Macedonien.
eine Wasserleitung geht über dieselbe hinweg, und rechts auf dem
Gipfel des Berges bemerkt man Eeste von alten Stadtmauern.
Nach vierstündigem Eitt von der Fähre aus gelangt der Reisende
nach Cavalla, dem alten Neaj)olis, wo der Apostel Paulus nach seiner
Reise von Troas landete. Die Stadt liegt auf einem Vorgebirge und
hat rechts und links einen Hafen, eine sehr günstige Lage für den
Handel zur See, der sich indess jetzt auf die Ausfuhr von etwas Tabak
und Baumwolle beschränkt. Die Citadelle der Stadt ist sehr verfallen.
Zu erwähnen ist, dass Cavalla der Geburtsort Mehemed Alis von
Aegypten ist.
Der nächste Ort, den diese Strasse berührt, Pravista, ist ein
schmutziges elendes Städtchen. Die Strasse dahin durchschneidet eine
Ebene in der Richtung von Nordost nach Südwest. Rechts erheben
sich die Berge von Drama, in deren Nähe man die Ruinen der Stadt
Philippi antriift, wo der Apostel Paulus mit seinem Begleiter Silas
im Jahre 53 n. Chr. eingekerkert wurde und in deren Nachbarschaft
Octavianus und Antonius im Jahre 42 v. Chr. den bekannten Sieg
über Brutus und Cassius erfochten. Die Ruinen bestehen in den Resten
eines Amphitheaters, mehreren grossen Grabmälern von weissem Mar-
mor, den kolossalen Trümmern eines Tempels aus der Zeit des Kaisers
Claudius, und mehren gewaltigen Marmorsäulen.
4 Stunden weiter steht der Khan von Kunarga am Fusse hoher
wilder Berge. An der Strasse dahin begegnet man türkischen Fried-
höfen, in denen häufig Bruchstücke antiker Säulen zum Schmucke der
Gräber verwendet sind. Nachdem man wieder eine Ebene durchzogen,
die gut angebaut und mit zahlreichen türkischen Dörfern und Brunnen
besetzt ist, gelangt man an einen Bergzug, an dem das Dörfchen
Orphano mit einem kleinen Castell liegt. 5 Stunden weiter kom.nt
man an den oft erwähnten strymonischen Golf und zu den Ruinen
der Stadt Amphipolis, die hauptsächlich aus Mauern von mehr römi-
scher als griechischer Bauart, Resten einer Wasserleitung und Spuren
der Burg oder Akroj)olis bestehen. Amphipolis spielte in der griechi-
schen Geschichte eine nicht unbedeutende Rolle. Von den Athenern
gegründet, lag es auf einer Anhöhe auf dem linken Ufer des Strymon,
unmittelbar unterhalb seines Austrittes aus dem See Prasias, der auch
Palus Cercinitis hiess, und etwa l'!\ Stunde vom Meere. Der Name der
Stadt kam daher, dass der Fluss die Stadt fast ganz umströmte. In
noch früherer Zeit hiess es Ennea Hodoi, von den neun Strassen, die
hier zusammentrafen, und war von den Edoniern, einem thracischen
Stamm bewohnt. Diese wussten eine Zeit lang die Versuche der Athe-
ner, hier eine Niederlassung zu gründen, zu vereiteln ; indess im Jahre
437 V. Chr. gelang der Versuch. Die Stadt ergab sich 424 den Lace-
dämoniern unter Brasidas, doch rettete Thucydides, der bekannte grosse
Geschichtsschreiber, wenigstens deii Hafen Eion an der Mündung des
Strymon. Seine Landsleute verbannten ihn, weil er nicht auch die Stadt
zu halten vermocht hatte. Ein Feldzug, zum Zweck der Wiedereroberung
der Stadt unternommen, schlug fehl. Brasidas und der Befehlshaber
Touren in Macedonien. 315
der Athener Cleon fielen beide im Gefecht. Später verleibte Philipp
von Macedonien die Stadt seinem Eeiche ein (358). Die ßöraör endlich
machten sie zur Hauptstadt eines der vier Bezirke, in welche sie das
eroberte Macedonien theilten. Jetzt liegt hier in der Nähe das von
Griechen bewohnte Dorf Neochori
Indem man um den Rand der Bucht lierumreitet, passirt man
zunächst auf einer fliegenden Brücke den Strymon. Dann passirt die
Strasse über eine Landzunge und erreicht einen Khan. Von hier geht
der Weg durch einen wilden Felsenpass, dessen Seiten mit einzelnen
Platanen und Eichen bewachsen sind und wo man links die Euinen
eines Klosters erblickt. Dann folgt auf einem Vorgebirge das roman-
tisch gelegene Oertchen Kutschuk Beschek, von den Griechen Wesikia
genannt und bald nachher Bujuk Beschek, am Ufer des Sees von
Bolbe. Der Weg von hier nach Kiisali führt zuerst ■über eine Ebene
und zwischen zwei isolirten Felsblöcken hindurch, die aus der Fläche
wie die Ruinen einer Cyklopenburg herausstehen, dann über eine Höhe,
hierauf wieder durch eine Ebene, in welcher links von der Strasse der
Basilius-See glänzt, dann durch ein Defile, über dem man eine alte
Burg und Reste eines Aquäducts sieht und endlich an einem grossen
Grabhügel vorüber vor das östliche Thor von Salonik.
Salonik, von den alten Griechen Therraa, dann in der Zeit
Alexanders des Grossen nach einer Schwester desselben Thessalonike
genannt, türkisch Saloniki, im Hintergrunde des grossen nach ihm be-
nannten Golfs, am Berge Kortia gelegen, ist nach Constantinopel die
grösste und blühendste Seehandelsstadt der europäischen Türkei. Die
Stadt zählt mindestens 70,000 Einwohner, unter denen etwa 20,000
Türken, eben so viele Griechen und gegen 30,000 Juden, welche nicht
weniger als 27 Synagogen besitzen. Von Meer gesehen gleicht der An-
blick Saloniks einem alterthümlichen Theater, indem die Häuser sich
in übereinanderliegenden Halbkreisen bis fast zur Hälfte der Höhe
erheben, an welche die Stadt sich lehnt. Mehre hundert Schiffe aus
allen Theilen des Mittelländischen und des Schwarzen Meeres laufen
jährlich hier ein, und es befinden sich hier mehre grosse fränkische
Firmen, auch haben fast alle europäischen Mächte, unter Andern auch
Oesterreich, Consuln hier. Auch als Fabrikstadt nimmt Salonik einen
hohen Rang in Anspruch; es hat beträchtliche Baumwollenwebereien
und fertigt Teppiche und Seidenzeage, Saffian und Artikel aus Eisen,
Stahl und Kupfer. Die Türken haben einen Obermollah hier, die Griechen
einen Erzbischof, die Juden einen Chacham Baschi oder Oberrabbiner.
Letztere hatten früher in Salonik eine berühmte Sclmle. Sie sprechen,
mit wenig Ausnahmen, spanisch, da sie Nachkommen der zu Ende des
15. Jahrhunderts aus Spanien vertriebenen Israeliten sind, und leben
vorzüglich vom Handel. Als Merkwürdigkeit muss erwähnt werden,
dass ein grosser Theil der Salonik bewohnenden Moslemin ihrer Abkunft
nach Juden sein sollen. Gewiss ist indess nur, dass es hier eine Secte
unter den Mohammedanern gibt, welche sich Sabatei Zewi nennt, wäh-
rend das Volk sie mit dem Worte Mamini bezeichnet, und welche eine
316
Touren in Macedonien.
"Art Kryptohebräer sein sollen. Sie halten sich sowohl von den Türken
als von den Juden gesondert, üben öffentlich die Gebräuche des Islam
und werden" von der Regierung als Mohammedaner angesehen, schliessen
aber niemals Ehen mit wirklichen Moslemin, lesen insgeheim den Tal-
mud und besonders das Buch Zoar, und sollen, gleichfalls heimlich,
auch jüdische Gebr<äuche haben. Indess halten sie in Betreff dieser
Dinge so sehr auf Verschwiegenheit, dass man durchaus nichts Be-
stimmtes darüber weiss. Sie zerfallen übi-igens unter sich wieder in
drei Secten, die sich auf das heftigste hassen und verunglimpfen.
Die Locanda in Salonik ist nicht schlecht. Eigentliche Befesti-
gungen hat die Stadt nicht, doch ist sie von einer auf Grundlagen
von gewaltigen Quadern ruhenden, mit Thürraen flankirten Mauer
umgeben, welche eine Ausdehnung von einer reichlichen deutschen
Meile hat, oben eine in militärischer Beziehung unbedeutende Gitadelle
einschliesst und mit ihrer grell weissen Uebertünchung auf eine weite
Strecke hin sichtbar ist. Das Innere der Stadt ist genau eben so
schmutzig und hässlich als die hässlichsten Theile von Constantinopel.
Bekannt ist, dass der Apostel Paulus mit den Einwohnern des alten
Thessalonike in mündlichem und brieflichein Verkehr stand, weniger
bekannt wohl, dass Cicero einen Theil der Zeit, wo er von Rom ver-
bannt war, hier zubrachte Salonik ist reich an Alterthümern aus rö-
mischer und byzantinischer Zeit; fast jedes Jahr hat man neue Münzen,
Basreliefs und Mosaiken aufgefunden. Die Citadelle ist die alte Akro-
polis. Man findet hier mehre Säulen aus Verde Antico und einen
Triumphbogen, der unter Marcus Aurelius errichtet wurde. Im Grie-
chenquartier steht noch der Rest der Propyläen zum alten Hippodrom,
eine Art Halle mit 5 Pfeilern, die eine Tafel tragen. Ueber derselben
erblickt man 8 Figuren, von den Juden „Las Encantadas" (die Ver-
zauberten), genannt, weil sie glauben, dass dieselben einst gelebt haben
und durch Zauber in Steinbilder verwandelt worden seien. Die Türken
dagegen bezeichnen sie als ,Sureti Malek", d. h. Engelsgestalten. Diese
Colonade soll von Nero erbaut worden sein. Andere Alterthüraer siad :
das Vardarthor, ein Triumphbogen, der wahrscheinlich dem Augustus
errichtet wurde, und welcher das Ende einer Strasse bildete, die von
Ost nach West durch die Stadt lief, und der theilweise noch recht
wohl erhaltene Triumphbogen am anderen Ende jener (einstigen)
Strasse, der als Bogen des Constantin bezeichnet wird. Dieser letztere
ist jetzt in der Mitte seiner Marmorbekleidung beraubt und eine blosse
Masse römischer Ziegel, die mit Mörtel verbunden sind. Die Seiten-
pfeiler aber haben jene Marmorbekleidung bewahrt und zeigen auf
derselben eine doppelte Reihe vou Basrelief-Figuren, Gefechte, Bela-
gerungen und Triumphzüge eines römischen Imperators. Einige wollen
darin die Verherrlichung eines Sieges Constantin's über die Sarmaten
sehen, Andere verlegen die Entstehung des Bauwerkes in die Zeit Kaiser
Antonius
Salonik war im Mittelalter wegen seiner schönen Kirchen berühmt.
Die meisten derselben sind jetzt in Moscheen verwandelt. Man kann
Touren in Macedonien. 317
dieselben ohne Anstand besuchen, wenn man den Kawaschen seines
Consulats als Begleiter mitnimmt Die interessantesten sind folgende :
die, welche von den Griechen als die alte Metropole bezeichnet wird,
eine Rotunde, die nach dem Muster des römischen Pantheon erbaut
und im Innern mit Mosaik bedeckt ist. Man will wissen, dass dieselbe
ursprünglich ein heidnischer Tempel, erbaut von Trajan und dem vom
benachbarten Samothrace hierher verpflanzten Mysteriendienst der
Kabiren geweiht, gewesen sei. Ferner: die Moschee, welche einst der
Hagia Sophia geweiht war, eine Nachahmung der Aja Sofia in Con-
stantinopel, die mehre Säulen und eine Kanzel von Verde Antico hat,
aber weit kleiner als ihr berühmtes Vorbild ist. Die Griechen glauben,
dass Paulus auf dieser Kanzel gepredigt habe, andere wollen es besser
wissen, indem sie behaupten, er ' habe in einer unterirdischen Capelle
unter derselben seine Vorträge gehalten. Dann: die Moschee Chassin,
eine ehemalige St Georgskirche. Dann weiter: die Moschee, welche
früher eine dem heiligen Demetrius geweihte Kirche war. Dieselbe war
die Hauptkirche der Stadt und ist in Form eines Kreuzes gebaut. Das
ganze Innere war früher mit Marmor bekleidet, und auf jeder Seite
befindet sich eine doppelte Reihe von Säulen aus Verde Antico. Endlich :
die Eski Dschami war im Alterthum ein der thermäischen Venus ge-
weihter Tempel. Auf jeder Langseite standen 12 jonische Säulen. Die
6 Säulen des Pronaos sind noch vorhanden, obwohl halb verborgen
vor der Mauer, die man dazwisclien aufgeführt hat. Dieselbe liesse
sich leicht in ihrer ursprünglichen jForm wiederherstellen und würde
dann eines der besterhaltenen Baudenkmäler des griechischen Alter-
thumes sein.
Wir bemerken noch, dass hier ein Pascha residirt, dass die Stadt
viel von bösartigen Fiebern zu leiden hat, denen Fremde besonders
ausgesetzt sind, und dass die Nachbarschaft eine vortreffliche Jagd,
besonders auf wildes Geflügel, Fasanen, Waldschnepfen u. a. m. bietet.
Ausflüge kann man von Salonik nach dem in der Nähe gelegenen Dorfe
Sedes, wo sich Mineralquellen befinden, und nach dem 10 Stunden
entfernten Städtchen Jenidsche Vardar machen, in dessen Nähe man
Reste von Pella, der Geburtsstadt Alexanders des Grossen, antrifft
und wo der beste Tabak in Macedonien wächst.
2. Von Salonik über Kassandra nach dem Berg Athos und zurück nach Salonik.
Die im Folgenden angegebene Route nach dem Berg Athos ist
nicht die nächste (welche über Galatista und Elerigoba führt), aber sie
ist die geeignetste, dem Reisenden alle sehenswürdigen Puncte der
chalcidischen Halbinsel zu zeigen, deren höchstes und am weitesten in
die See hinaustretendes Vorgebirge eben der Athos ist, während die
beiden anderen Kassandra (einst Pallene) und Longos (einst Sithonia)
heissen. Die Puncte, welche unsere Route berührt, sind folgende: Pi-
naka 9 Stunden von Salonik, Kaiandria 5 Stunden weiter (Rückkehr
nach Pinaka), Agios Mamas 1 Stunde von Pinaka, Molibopyrgo 1, Po-
318 Touren in Maeedonien.
ligyro 3, Ormylia 3, Nikita 4, Reveniko 5, Gomati 2, Frisso 4, Berg
Athos ('worüber Tour 3. zu vergleichen) ; dann zurück über Nisvoro 5,
Elerigoba 5, Galatista 6 und Salonik 8 Stunden.
Unmittelbar nachdem man Salonik verlassen, trifft man fast nur
wüstliegendes Land, die Folge des griechischen Freiheitskampfes, an
dem sich die Bewohner dieser Gegenden betheiligten. Hier und da
trifft man ein ärmliches Dörfchen, weiterhin einige Metochia, d. h.
Maierhöfe der Klöster des Agion Gros. Rechts in der Ferne über dem
Golf erhebt sich mit Schnee bedeckt der Glymp, weiterhin ragen, in
blauen Duft gehüllt, der Ossa und der Pelion empor. Pinaka ist ein
Dorf, welches am Anfang des schmalen Isthmus liegt, der die Halb-
insel Kassandra mit dem Festlande verbindet. Ein verfallener Damm
mit Thürmen streckt sich von Ufer zu Ufer. Wir erkennen an dem-
selben die hellenischen Quadern, welche einst die bekannte Dorische
Colonie Potidäa als Mauer umgaben, die eine der Hauptursachen des
peloponnesischen Krieges war und später, von Philipp von Maceaonien
zerstört und von Kassander wieder aufgebaut, nach dem letzteren Kas-
sandria genannt wurde, woher der heutige Name des Vorgebirges Pal-
lene stammt. Ein Sumpf bezeichnet die Stelle, wo der Hafen der alten
Stadt war. Nachdem man die Halbinsel betreten, schreitet man durch
niederes Gebüsch und Gestrüpp weiter, bis man eine Anhöhe erreicht,
wo plötzlich der toronische Golf erscheint. Der Athos taucht auf
zwischen dem Vorgebirge von Sithonia und dem östlichen Gesichts-
kreise und zur rechten sind die Walder von Pallene.
Zu Athi/to, 3 Stunden von den Ruinen von Potidäa, finden sich
einige Spuren der alten Stadt Aphi/tis. Vor der griechischen Revolution
war die Halbinsel Kassandra von 700 griechischen Familien bewohnt,
die einen Viehstand von 2500 Stück Rindern und gegen 30,000 Schafe und
Ziegen besassen. Diese Griechen schlössen sich dem Aufstand an, wurden
aber dafür von Abdulabul, Pascha von Salonik, so furchtbar gezüchtigt,
dass sich das Land noch jetzt nicht davon erholt hat.
Kaiandria liegt auf einer Landspitze, welche, noch jetzt Posidio
genannt, die Ruinen der alten Stadt Posidium trägt. Von hier kehrt
der Reisende nach Pinaka zurück, um sich nun nach Hagios oder
Agios Mamas zu begeben. Dieses Dorf versteckt sich hinter Bäumen,
aber dahinter liegen 4 durch Lehmmauern mit einander verbundene
weisse Thürme, wo man zahlreiche Alterthümer findet An allen Brunnen
trifft der Reisende Bruchstücke alter Säulen, und zwei Stellen sind mit
Resten von Tempeln bedeckt. Ferner finden sich hier viele zerbrochene
Inschriften auf Grabsteinen, und am Eingang des Dorfes steht ein Altar
noch aufrecht, aber halb in die Erde begraben. Alle diese Ueberreste
lassen keinen Zweifel, dass diess die Stätte des alten Oh/nthos, der
Hauptstadt von Chalcidice ist. Der seltsame Thurm, der sich nicht
weit von hier erhebt, hat früher einem Metochi oder Maierhof der
Athosklöster angehört. Molibopyrgo soll auf der Stätte Mekybernas
stehen, Poligyro war eines der Dörfer, die einst die Gold- und Silber-
gruben der Halbinsel ausbeuteten, Ormylia, ein kleines, aber sehr
Touren in Macedonien. 319
anmuthiges Dorf am Rande einer fruchtbaren Ebene, nimmt die Stelle
des alten Öerrayle ein.
Nikita, in der Nordostecke des toronischen Golfes gelegen, lehnt
sich an die Seite einer Schlucht, über der sich ein eigenthümlich ge-
stalteter und gefärbter Felsen erhebt. Eine grosse Anzahl Ruinen von
Häusern ist über die Wände der Schlucht zerstreut. Unter ihnen be-
gegnet man an der Stelle, wo die Kirche stand, 7 weissen Säulen, die
dicht bei einander stehen.
Wir wenden uns nun nördlich durch eine sehr anmuthige Gegend
voll Wald- und Gartenbäume und kommen, an dem Dörfchen Bevetiiko
vorüber, in ein Thal mit steilen waldbewachsenen Wänden, in welchem
das Dorf Gomati liegt. Von hier steigt man in ein von niedrigen
gerundeten Höhen umgebenes Becken hiiiab. Noch etwas tiefer liegt,
von Wiesen umgeben, das Dorf Frisso, das alte Akantfms. Der Blick
von der Höhe über demselben ist ausserordentlich grossartig. Vor uns
liegt das heiligste Stück Erde, welches die griechische Kirche kennt,
die Halbinsel Akte mit ihren schwellenden Waldhügelketten, mit dem
gewaltigen Kegel des Athos am äussersten Ende, auf dem nach grie-
chischer Tradition Christus vom Satan versucht wurde, auf dem später,
im Jahre 1820, ein Mönch das grosse Lichtkreuz erblickte, welches
Constantin einst zum Siege geführt, und welches jetzt den Sieg der
Revolution über die Türken verhiess. Man sieht am Isthmus des Athos
die Stelle, wo Xerxes ihn durchstochen haben soll, um seine Flotte
hindurch zu führen. Fern im Westen sind der Olymp, der Ossa "und
der Pelion sichtbar, im Norden erheben sich die Gipfel des Plangäus.
Fern im Süden streckt sich mit seinen zahlreichen Inseln das ägäische
Meer hin.
Erisso, ein zerstreut liegendes Dorf am strymonischen Golf, der
auch der Golf von Comtessa heisst, hat über sich die Ruine eines
mittelalterlichen Ca.stells, dessen Grundmauern aus althellenischer Zeit
sind, und vor sich ein Stück von einem alten Hafendamm, aus welchen
Resten man schliesst, dass hier Akanthus gestanden, eine Stadt, die
eine der Stationen des Xerxes bei seinem Marsch nach Griechen-
land war.
Von Erisso aus macht man die Rundreise nach den Klöstern
des Athos, die im folgenden Abschnitte geschildert ist, und kehrt dann
auf dem nächsten Wege, über Nisvoro, Elerigova (wo gute Nachther-
berge zu finden), Galatista und Basilika nach Salonik zurück. Bei
Nisvoro oder Isboro, einem grossen Dorfe, findet man Grundmauern
einer alten Stadt, besonders in einer Bodensenkung im Westen, woraus
Bowen geschlossen hat, dass hier Stagirus, der Geburtsort des Aristo-
teles, gestanden habe. Die Gegend zwischen hier und Elerigova, eben-
falls einem grossen Dorfe, gleicht mit ihrem schönen Rasen und ihren
Baumgruppen einem englischen Park, Galatista ist eine Stadt von
mehren Tausend Einwohnern, in welcher ein griechischer Bischof
residirt.
320 Touren in Macedonien.
3. Rundreise zu den Athosklöstern.
Um in den Klöstern des Athos wohl aufgenommen zu werden,
verschaflFe man sich in Constantinopel dnrch seine Gesandtschaft einen
Empfehlungsbrief des griechischen Patriarchen an die Synode der Klo-
sterleute. Um alle Klöster einigermassen gründlicli zu sehen, bedarf
man 14 Tage, wobei die Hin- und Zurückreise von Salonik nicht ein-
gerechnet ist. Die hauptsächlichsten Klöster kann man nach folgendem
Plan in einer Woche sehen: 1. Tag: Von Erisso nach Chiliandarion
und Karyes. 2. Tag : Besuch von Karyes und dem benachbarten Kloster
Kutlumusi und Ritt über die Halbinsel nach dem Paulskloster. 3. Tag:
Tour vom Paulskloster nach Laura. 4. Tag: Von Laura zu den Ibe-
riern über Karakallus u. a. 5. Tag: Vom Kloster der Iberier über
Constamonites, Zographos, Russikon u. a. nach Esphigmenu. 6. Tag:
Von Esphigmenu und Batopädion zurück nach Erisso.
Der Berg Athos und die ganze Halbinsel Akte, deren Südspitze
derselbe bildet, ist in der ganzen Levante als "Aytov "Opoc, Monte Santo,
heiliger Berg bekannt. Auf ihm befinden sich 20 Klöster, von denen
einige schon in den ersten Jahren des byzantinischen Kaiserthums ge-
gründet sind, und eine beträchtliche Anzahl von Kirchen und Capellen.
Jede der verschiedenen zur orthodoxen morgenländischen Kirche gehö-
rigen Nationen hat hier ein oder mehre Klöster, und Massen von Pil-
gern aus Griechenland, Bulgarien, Russland, den Donaufürstenthüinem
und . Kleinasien stellen sich alljährlich hier ein. Die Länge der Halb-
insel beträgt etwa 8'/, deutsche Meilen, ihre durchschnittliche Breite
etwa 1 Meile. Dieselbe ist im Nordende nur hügelig, und zwar erheben
sich die Anhöhen hier nicht über 600 Fuss. Weiterhin werden die
Hügel zu Bergen von 1200—1600 Fuss. Noch weiter südlich steigen
die Berge bis zu 2000 Fuss an, bis endlich der Athos, ein weisslicher
Kegelberg von Kalkstein, der mit dunklem Wald bedeckt ist, steil
ansteigend die Höhe von 6350 Fuss erreicht.
In der Vorzeit war diese Halbinsel von Pelasgern bewohnt,
später befanden sich hier hellenische Niederlassungen, wie Akanthus,
Sane, Dium, Olophyxus, Thyssus und Kleonä. Die ersten Klöster sollen
von der Kaiserin Helena, der Mutter Costantin des Grossen, gegründet
worden sein. Andere Kaiser und Fürsten griechischen Glaubens schmückten
die Thäler und Wälder des heiligen Berges mit Klöstern und Kirchen,
und verschiedene derselben zogen sich gegen das Ende ihrer Tage in
diese grossartig schöne Einsamkeit zurück. Die Türken haben die
Mönche immer mit Rücksicht behandelt, so dass dieselben sich bis auf
die neuere Zeit grosser Unabhängigkeit erfreuten. Der einzige Moslem,
der auf der Halbinsel wohnt, ist ein türkischer Beamter, durch den
die Regierung in Constantinopel mit der heiligen Synode von Karyes,
der obersten Behörde dieser Mönchsrepublik, m Verbindung steht. Da
auf der Halbinsel keine Frauen, ja nicht einmal weibliche Thiere
geduldet werden, darf dieser Beamte nicht verheirathet sein. Die Sy-
node besteht aus 20 Abgeordneten, einer aus jedem Kloster, jährlich
Touren in Macedonien. 321
neugewählt, und ausser diesen aus 4 Verwaltern (OTurraxai) oder Prä-
sidenten, von denen wieder einer den Vorrang vor den anderen hat
und in dieser Eigenschaft ö TcpwTo; xou "AfJwvo;, der Erste auf dem
Athos, heisst. Dieser Mönchscongress, welcher jede Woche einmal
Sitzung hält, leitet die weltlichen Angelegenheiten der Klöster, nimmt
Kenntniss von allem, was die Gesammtheit derselben angeht und legt
jedem einzelnen den Tribut auf, den es statt der Steuern an die Pforte zu
erlegen hat. Jedes Kloster hat eine Anzahl Laienbrüder (/oj;j.'.xo/),
welche Wasser holen, Holz hauen und andere Arbeiten verrichten. Wer
sich zum Mönch meldet und eine Sum;:ne mitbringt, die etwa 100
preussische Thaler beträgt, wird in die Gemeinschaft aufgenommen,
ohne verpflichtet zu sein, körperliche Arbeiten zu verrichten. Nur wenige
Mönche nehmen die vollen Weihen, da der Kirchendienst sehr anstren-
gend ist. Die meisten begnügen sich mit dem einfachen Titel Kaluger,
statt des Namens 'tspsu;, Priester. Drei Jahre lang bleibt der neue
Ankömmling Novize (oöxiixo;), dann gelobt er Gehorsam gegen die
Oberen und Keuschheit, Avorauf er den Titel xaXoyepo?, d. i. guter
Greis, erhält. Jedes Kloster erfreut sich in allen Angelegenheiten, die
nicht allgemein sind, der Selbstregierung. Die meisten sind reich be-
gütert, theils auf der Halbinsel, theils in Macedonien, Thessalien und
in den Donaufürstenthümern. 10 derselben sind xotvdßta, die andern 10
?Si6^pjöua. In jenen haben die Mitglieder alles, namentlich Kleidung
und Tisch geraein, und die Verfassung ist monarchisch, indem ein Abt
oder Iguraenos an der Spitze steht, der auf Lebenszeit gewählt .und
von der Synode von Karyes sowie vom Patriarchen in Constantinopel
bestätigt wird. Bei der Wahl gibt nicht sowohl die grössere Bildung
oder Frömmigkeit, in welchen Beziehungen die Mönche sich ziemlich
gleichkommen, sondern das grösste Verwaltungstalent in weltlichen
Angelegenheiten den Ausschlag. Die idiorhythmischen Klöster sind mehr
Republiken. Sie werden von Vertrauensmännern (i7:(Tpo7:ot) regiert,
welche jährlich neu gewählt werden und sich nur um die Verwaltung
des Klosterbesitzes zu kümmern haben. Auch erhalten die Mitglieder
dieser Klöster aus dem gemeinschaftlichen Vermögen lediglich Brod
und Wein und haben für alles Uebrige selbst zu sorgen. Die Eefec-
torien sind grosse Hallen mit langen Tafeln ringsherum. Während des
Essens ptlegt ein Diakon von einer Kanzel ein Stück aus dem Evan-
gelium vorzulesen. Gleich den Refectorien sind auch die Kirchen des
Athos alle nach demselben Plan gebaut : Gebäude byzantinischen Styles,
geschmückt mit Kuppeln, Zinnen, Fresken, Mosaiken, Reliquien und
zahlreichen farbenreichen Heiligenbildern sowie alterthümlichen Lampen
und Leuchtern von Silber. Die Gesammtzahl der Mönche des Athos
soll sich auf 3000 belaufen. Gelehrsamkeit findet man nicht unter
ihnen. Die Bibliotheken, die früher verschiedene Manuscripte alter
Schriftsteller von Werth enthielten, haben nichts der Art mehr und
sind völlig ungeordnet. Man hat hier dafür keinen Sinn, der eine Theil
der Mönche verbringt sein Leben in der Hauptsache mit Beten, der
andere mit Arbeiten für die Nahrung und Nothdurft des Lebens.
21
322 Touren in Macedonien.
Der Reisende thut am Besten, sich zuerst nach der 7 Stunden
von Erisso gelegenen Hauptstadt der Klosterrepublick, Kart/es, zu ver-
fügen und dort seine Empfehlungsschreiben bei der Synode abzugeben.
Er wird dann ein empfehlendes Kundschreiben an alle Klöster empfangen
und mit Führern und JMaulthieren versehen werden. In den Klöstern
wird man ihn freundlich aufnehmen, ihm Herberge und Kost, so gut
sie der Tag erlaubt, geben und ihm alles zeigen, was er zu sehen
wünscht. Der Wein in den Klöstern ist gut, dagegen bekommt man
selten Fleisch, da die Mönche, der strengen Regel des heiligen Basilius
folgend, selten etwas anderes als Fische, Gemüse, Reis, Käse und Obst
essen, ja während der Fasten (159 Tage im Jahre) nichts geniessen
dürfen als Brotsuppe und Gemüse. Des Nachts wird man dem Reisenden
von Teppichen und Decken ein Lager bereiten auf den Polstern, auf
denen er sein Mittagsessen verzehrte, und wenn es dann geschehen
sollte, dass ihm die ganzen Familien gewisser Insecten, die ihn im
Schlaife stören, unbequem fielen, so wird er zwar bedauern, dass es den
guten Vätern nicht gelungen ist, alle weiblichen Thiere von ihrem
Asyl fern zu halten, aber nicht über sie klagen dürfen. Beim Abschied
aus jedem einzelnen Kloster pflegt man den Laienbrüdern, welche den
Reisenden bedienen, ein Geldgeschenk zu machen. Für die Aufnahme
und Beköstigung ist hier nichts zu bezahlen, da die Klöster reich genug
sind,- um gastfrei zu sein.
Eine halbe Stunde, nachdem mau Erisso verlassen, passirt die
Strasse einen Maierhof, der auf der Hügelreihe liegt, welche die Ebene
von Erisso von dem Thal von Provlalca trennt. In diesem Thale lief
der Kanal des Xerxes hin, welcher etwa 7600 Puss lang und 40 bis
50 Fuss breit war und von dem man noch Spuren findet. Man glaubt
sogar, dass derselbe ohne zu grosse Kosten wieder herzustellen wäre,
und da die griechischen Schiffer das Vorgebirge des Athos wegen seiner
Strömungen und Stürme sehr fürchten, so würde ein solches Unter-
nehmen eine grosse Wohlthat für die Schiffahrt sein. Eine Strecke von
zwei Stunden weit besteht der Isthmus aus einer wellenförmigen
Ebene ohne viel Wald. Man trifft hier verschiedene den Klöstern gehörige
Maierhöfe mit guten Gebäuden, tüchtigen Zäunen, Viehherden und
anderen Zeichen von Wohlstand. Die Aufseher dieser Metochicn sind
Kaluger, die einige Laienbrüder unter sich haben.
Etwa drei Stunden von Erisso streckt sich ein niedriger aber
steiler Hügelzug qner über die ganze Halbinsel. Indem man diesen
natürlichen Wall vor dem heiligen Gebiete auf einem Zickzackpfade
übersteigt, passirt man die Station der Grenzwächter, welche die Be-
stimmung haben, die Klöster vor Räubern und vor dem Eindringen
von Weibern und weiblichen Thieren, als Stuten, Kühen, Hennen u. A.
zu hüten. Von hier hat man noch vierthalb Stunden bis nach Karyes.
Der nördlichste Theil der Strecke, die man bis dahin zu durchwandern
hat, besteht aus Höhen, die von tiefen Schluchten mit rauschenden
Gebirgsbächen durchschnitten sind. Das Meeresufer zeigt viele kleine,
schöngeformte Buchten. Die Berge sind mit der duftigen isthmischen
Touren in Macedonien. 323
Fichte und zahlreichen Laubholzbäumen und Sträuchern bewachsen.
Weiter südlich mischen sich die Gewächse des Südens mit denen des
Nordens, die Olive mit der Eiche, die Orange mit der Tanne. Man
sieht weite Strecken mit Haselnuss-Stauden bedeckt, und eine Menge
von Weinbergen.
Karfjes oder Karyä bedeckt einen beträchtlichen Kaum zwischen
den bewaldeten Hügeln und hat gegen 1000 Einwohner, darunter auch
den türkischen Beamten, der oben erwähnt wurde. Der Ort, wo die
Synode tagt, ist ein massig grosser Saal, in welchem auf drei Seiten
die Abgeordneten mit gekreuzten Beinen herumsitzen, während auf di r
vierten die Schreiber und andere Beamte Platz nehmen. Jedes Kloster
hat hier ein Haus, in welchem sein Vertreter bei der Synode wohnt,
und wo jetzt zugleich die jüngeren Mönche sich aufhalten, welche die
in der neuesten Zeit hier gegründete Schule besuchen. In letzterer
wird von Lehrern, die aus Athen verschrieben wurden, Altgriechisch,
Geschichte , Geographie und Anderes gelehrt. Die Hauptkirche von
Karyes soll das älteste Bauwerk der ganzen Halbinsel sein und ver-
dient sehr wohl einen Besuch. Der Bazar ist ziemlich gut versehen,
und man verkauft hier Kleiderstoffe, Colonialwaaren, und auch Fleisch.
Der Reisende wird staunen über eine Stadt ohne Frauen und einen
Markt ohne Lärm. Er wird wohlthun, sich hier einige von den Schnitz-
arbeiten, Kreuzen u. A. mitzunehmen, welche die Bewohner der Klöster
zum Verkauf hierhersenden, oder einige von den unförmlichen Heili-
genbildern und Ansichten der Athosklöster, welche die hiesige Druckerei
für die Wallfahrer druckt. Jeder mag von hier aus die Tour nach den
einzelnen Klöstern nach seinem Geschmack und Belieben unternehmen.
Wir geben im Folgenden eine Beschreibung der einzelnen Klöster, die
im Nordosten der Halbinsel beginnt und mit dem nordwestlichsten
Puncte derselben endigt. Zehn von den Klöstern liegen auf der Ost-
und zehn auf der Westseite des Vorgebirges.
1. Das Kloster Chiliandarion ist das nördlichste auf der öst-
lichen Seite, es liegt eine halbe Stunde von der See in einem Thale,
welches von einem Gebirgsbach durchströmt wird und von fichtenbe-
wachsenen Höhen eingeschlossen ist. Die Mönche sind Serben und Bul-
garen, und die Sprache, die von ihnen beim Gottesdienst gebraucht
wird, ist die altslavonische. Nur Wenige von den Mönchen verstehen
etwas Griechisch. Der Name des Klosters soll davon herkommen, dass
es ursprünglich für tausend Mönche erbaut worden sein soll. Die Bi-
bliothek ist unbedeutend und besteht hauptsächlich aus Büchern in
slavischer Sprache. Interessant sind in ihr die zum Theil uralten Schen-
kungsurkunden griechischer Kaiser und serbischer und bulgarischer
Fürsten, und die Fermane von Sultanen und Veziren, welche dem
Kloster Schutz verheissen. Die Gebäude sind sehr stattlich und male-
risch, und das Kloster gehört zu den angesehensten und reichsten der
Halbinsel. Die Gründer sollen zwei serbische Büsser gewesen sein, der
Hauptwohlthäter des Klosters aber war ein Schwiegersohn des Kaisers
Romanus, König Stephan von Serbien.
324 Touren in Macedonien.
2. Esphigmenu liegt etwa eine halbe Stunde von dem eben
beschriebenen Kloster in einem kleinen engen Thale an der Mündung
eines Wildbaches in das Meer. Sein Name kommt von der gleichsam
eingeklemmten Lage, die es hat. Ein Theil des Klosters wurde bereits
durch den Sturz eines Felsblocks, der darüber gehangen, zerstört, und
jetzt unterwühlt ihm das Wasser die Grundlagen. Dieses Haus wurde
von Theodosius dem Jüngern und dessen Schwester Pulcheria im 5.
Jahrhundert gegründet und im 11. restaurirt.
3. Batopüdion, nach Eoss richtiger Batopedion, d. i. Dornen-
feld, wurde von Constantin d. Gr. gegründet und von Theodosius,
nachdem es von Julian dem Abtrünnigen zerstört worden, wieder her-
gestellt. Die Mönche erklären den Namen anders, indem sie erzählen,
Kaiser Theodosius habe einst den Athos umschifft, da habe sich ein
Sturm erhoben und das Schiff, in dem sich ein Kind des Kaisers be-
funden, an der Küste zerschmettert, die heilige Jungfrau aber habe
das Kind gerettet und es unter einen Busch (ßaTo?) gelegt, wo es der
Vater später gefunden. Zum Dank dafür habe er das Kloster erbaut.
Batopädion liegt zwei Stunden von dem zuletzt erwähnten
Kloster und ist nächst Laura das grösste der Athosklöster. Es
zählt mehre Kaiser unter seinen Wohlthätern, von denen Einer,
Johannes Kantakuzeno, hier als Mönch starb. Mit seinen hohen Thürmen
und Zinnen, seinen massiven Portalen und eisernen Thüren, seinen
Kuppeln und Thürmchen hat es grosse Aehnlichkeit mit einer alten
Kitterburg. Es liegt sehr schön auf einer von der See durch sanfte
Abhänge, die mit Oliven- und Orangenpflanzungen bedeckt sind, ge-
trennten Anhöhe. Auf einem Hügel in der Nachbarschaft liegen die
ausgedehnten und malerischen Ruinen der Schule, in welcher während
des letztverflossenen Jahrhunderts der Gelehrte Eugenius Bulgari von
Corfü eine grosse Anzahl von Schülern aus allen Theilen der griechisch
sprechenden Welt versammelte, welche aber endlich den Eänken der
andern Mönche, die nichts von Gelehrsamkeit hielten, erlag.
4. Kutlumusi, 2'/, Stunde von Batopädion entfernt und hart
bei Karyes gelegen, ist das kleinste der Athosklöster und hat nur
etwa dreissig Kaluger. Es steht in dem fruchtbarsten Theil der Halb-
insel und ist von Getreidefeldern, Olivenpflanzungen, Gärten und Wein-
bergen umgeben Es wurde um das Jahr 1800 von Constantin Kutlu-
musch, einem mit den Seldschuken-Sultanen verwandten Türken gegründet,
der nach dem Tode seiner Mutter, einer Christin, selbst zum Christen-
thum übertrat und als Mönch des Athos seine Tage endigte.
5. Pmitokrator, d. i. das Kloster des Allmächtigen oder des
Allbeherrschers, liegt in der Nähe der östlichen Küste der Halbinsel
zwischen Batopädion und dem Kloster der Iberier. Es wurden im 13.
Jahrhundert von Alexius, dem Feldherrn des Kaisers Michael Paläo-
logus, gegründet, welcher den Lateinern Constantinopel wieder abnahm.
6. Stavronilietes, nicht fern vom letztgenannten Kloster, wurde
um das Jahr 1540 von einem Patriarchen zu Ehren Dessen erbaut,
„der am Kreuz Hölle und Tod besiegte".
Touren in Macedonien. 325
7. looron oder das Kloster der Iberier, 'H Movrj twv 'Ißr;p(ov,
liegt zwei Stunden von Karyes, auf dem Ostufer der Halbinsel. Es hat
seinen Namen daher, dass es von reichen Iberiern, d. h. Georgiern,
gegründet wurde. Das Jahr seiner Stiftung fällt in die Eegierungszeit
des Kaisers Basilius II. (976 bis 1025.) Die Bibliothek desselben besitzt
einige wichtige Handschriften in georgischer Sprache. Von hier bis
Laura reitet man fünf Stunden, wobei man die Klöster Philotheus und
Karakallus passirt, von denen das eine im zehnten, das andere im
elften Jahrhundert von einem gewissen Antonius, dem Sohne des rö-
mischen Fürsten Karakallus, gegründet worden sein soll.
10. Laura ist das grösste aller Klöster des Athos, auf dessen
südlichster Spitze es liegt. Der Name bedeutet im Altgriechischen eine
enge Gasse, dann ein enges Gemach, eine Zelle und im kirchlichen
Griechisch ein Kloster. Laura war ursprünglich die Wohnung eines
einzelnen Siedlers, Athanasius, der im zehnten Jahrhundert Irier hauste.
Später entstand aus der Eremitenhütte ein Kloster, welches durch Schen-
kungen byzantinischer Kaiser und anderer vornehmer Personen allmälig
eines der reichsten in der Levante wurde. Jetzt steht es an Reichthum
mehren andern auf dem Athos nach, indem ein grosser Theil seiner
Besitzungen im südlichen Griechenland lag und von Capodistria nach
dem Siege der griechischen Revolution confiscirt wurde. In den Felsen
und Wäldern bei demselben trifft man mehre Einsiedlerwohnungen, die
zum Kloster gehören. Gleich den meisten übrigen Klöstern des heiligen
Berges hat Laura das Aussehen eines befestigten Dorfes. Man gelangt
zu demselben durch einen langen, vielgewundenen, gewölbten Gang,
der mit schweren Eisenthoren verschlossen wird. Man übersehe hier
nicht die uralten Malereien, welche dem Michael Panselinos zugeschrieben
werden. In dem kleinen Hafen unten liegt die Flotte der Mönche, be-
schützt gegen Seeräuber durch einen Thurm. Unmittelbar über Laura
ragt der mächtige Gipfel des Athos mit seinen weissen Kalkfelsen und
seinen Klüften und Schluchten empor. Auf der höchsten Spitze des-
selben steht eine Capelle, in welcher alljährlich am Tage der Verklä-
rung, also nach griechischem Kalender am 18. August, Gottesdienst
gehalten wird. Man kann den Gipfel besteigen, wozu man, hin und
zurück, einen Tag bedarf. Die Aussicht ist bei klarem Wetter ungemein
grossartig.
Von Laura begeben wir uns nach Norden, um die Klöster auf
der Westseite der Halbinsel zu besuchen, wo die Landschaft einen
ernsteren und düsteren Charakter hat, was nicht ohne Einfiuss auf
die Deukungs- und Lebensart der hier wohnenden Mönche gewesen zu
sein scheint. Das erste Kloster, welches wir hier antreffen, ist das
Pauluskloster. J]s ist fünf Stunden von Laura entfernt Der Weg dahin
ist oft nur ein schmaler Sims an den Felsklippen, indess ist nichts zu
befürchten, da die Maulthiere, mit denen man in den Klöstern ver-
sehen wird, einen sehr sichern Tritt haben. Unterwegs findet man das
zu Laura gehörige Asketerion der heiligen Anna , unter welchem die
Klippen den singitischen Golf bilden, eine Stelle, die im Alterthum
326
Touren in Macedonien.
das Nijmphäum hiess. Die Kirche der Heiligen steht, uiugeben von
Bäumen und einigen kleinen Häuschen in einer Felsschlucht hoch über
der See. Dieselbe besitzt einen Puss der heiligen Anna, der in einer
silbernen, mit Edelsteinen besetzten Schachtel verwahrt und von den
Mönchen so hoch verehrt wird, dass sie, wenn sie ihn dem Fremden
zeigen, jedesmal erst Kerzen anzünden und ihre priesterlichen Gewänder
anlegen.
11. Hagios Pavlos ist ein Kloster, welches ursprünglich für
Serben und Walachen gestiftet wurde, jetzt aber meist von Mönchen
bewohnt ist, die von den jonisohen Inseln stammen, und von denen
deshalb Viele auch Italienisch sprechen. Man findet hier etwas mehr
von abendländischer Civilisation als in den andern Klöstern des Athos.
Das Paulskloster hat übrigens seinen Namen nicht vom Apostel Paulus,
sondern von einem seiner Hauptwohlthäter, dem Sohne des byzanti-
nischen Kaisers Mauritius, der um das Jahr 600 regierte. Von hier
hat man vier Stunden bis Karyes.
12. Hagios Dionysios, das nächstfolgende Kloster, ist auf An-
regung des Erzbischofs Dionysius von Trapezunt vom Kaiser Alexius
III. im Jahre 1375 gegründet.
13. Hagios Gregorios wurde von einem Heiligen dieses Namens
im vierzehnten Jahrhundert unter Johannes Kantakuzenos angelegt.
14. Simopetra, nicht fern vom Paulskloster, hat seinen Namen
von seiner Lage auf einer Klippe über der See und dem Eremiten
Simon, der sich im 13. Jahrhundert zuerst hier niederliess.
15. Xeropotamos , nach der Angabe der Mönche von der Kai-
serin Pulcheria erbaut, hat seinen Namen von dem im Sommer wasser-
losen Bach, der hier nach dem singitischen Meerbusen hinabfliesst.
16. Russikon ist ein Kloster, welches im zwölften Jahrhundert
für russische Mönche gestiftet wurde. Die Mehrzahl der Mönche gehört
indess jetzt der griechischen Nationalität an. Das Kloster hat zwei
Kirchen, in der einen wird der Gottesdienst in altslavischer, in der
andern in griechischer Sprache gehalten.
17. Hagios Xenophon heisst so nach seinem Stifter, einem gi"ie-
chischen Heiligen des elften Jahrhunderts.
18. Docheiarion, abgekürzt Docheiru, wurde während der Regie-
rung des Nikephorus Phokas von einem Mönch Namens Euthymius
gegründet, welcher Pförtner in Laura gewesen war.
19. Constamonites ist ein kleines Kloster, welches in einer ro-
mantischen Felsenwildniss links von der Strasse zwischen Karyes und
Zographos liegt und nach der Angabe der Mönche von Constans, einem
Sohne Constantin's d. Gr., wahrscheinlicher aber erst im elften Jahr-
hundert, gegründet wurde.
20. Zographos ist ein grosses, von Mönchen aus Serbien und
Bulgarien bewohntes Kloster, welches im neunten Jahrhundert während
der Regierung Leo's des Philosophen von slavischen Edelleuten oder
Fürsten gegründet worden sein soll. Die Kirche desselben, in welcher
der Gottesdienst in altslavischer Sprache gehalten wird, ist berühmt
I
Touren in Macedonien. 327
wegen eines wunderthätigen Bildes des heiligen Georg, welches sein
erstes Wunder an sich selbst verrichtete, indem es sich selbst malte,
woher der Name Zographos, d. i. Maler. Auch sein zweites Wunder
bezog sich auf das Bild selbst: es flog von Palästina, wo es entstanden,
nach dem Athos herüber. Ein drittes war weniger harmlos. Man sieht
auf dem Bilde in der N<ähe der Augen ein kleines Loch , welches mit
folgender Geschichte zusammenhängt. Ein freidenkerischer Bischof von
Constantinopel ging in seinem Zweifel an dem göttlichen Ursprung des
Bildes so weit, dass er, als man es ihm zeigte, den Finger hindurch-
stiess. Aber siehe da, kaum hatte er dies gethan, als er fühlte, dass
er nicht zurück konnte, er mochte ziehen, wie er wollte, der vorwitzige
Finger blieb in dem Bilde stecken, und der Frevler musste, um fort-
zukommen, ihn abschneiden lassen.
Zographos liegt in einem Thale in einiger Entfernung vom
Meere und ist das nördlichste der Klöster auf der Westseite. Man hat
von hier zwei Stunden zu reiten, um über die Berge nach Esphigraenu
zu kommen, von wo man in etwa V/^ Stunden nach Erisso zurück-
gelangt.
Ein Eückblick auf die Gesammtheit der Athosklöster zeigt Vieles
von Interesse, wenn auch nichts oder wenig, was dem Gebildeten Rei-
senden erfreulich wäre. Im Mittelalter der Sitz der griechischen Ge-
lehrsamkeit, ist der Athos jetzt der Grundstock aller der Narrheit,
Verkommenheit und Bornirtheit, welche das Wesen der morgenländischen
orthodoxen Kirche ausmacht. Dennoch wird Niemand den Besuch der
Klöster bereuen, da ihn derselbe gleichsam in längst vergangene Jahr-
hunderte zurückversetzt, ganz abgesehen von den wunderherrlichen
Landschaften, den schönen Thälern und Wäldern der Halbinsel und
den eigeuLhüralichen Formen der Bauwerke, welche sie schmücken.
Der Liebhaber des Alterthums wird hier ein vollständiges Earitäten-
cabinet byzantinischer Denkmäler, uralter Pergamente, kaiserlicher
Handsiegel, mit Malereien geschmückter Manuscripte, von Gemilden
aus den frühesten Jahrhunderten, von seltsamen Schnitzereien, Perl-
mutterarbeiten und Kunstwerken alter Gold- und Silberschmiede finden,
wie es die Welt nirgends so wundersam bietet. Der Freund der Kir-
chengeschichte wird hier die Religion des Mittelalters noch bei Leben
und Athem antreffen, etwas greisenhaft zwar, aber mit dem ganzen
Apparat ihrer Wallfahrten und Wunder, ihrem weitläufigen, prunk-
vollen Ceremoniell, ihrer Einfalt und Leichtgläubigkeit und ihrer tief-
dunklen Ignoranz. Er wird den langhingezogenen Gottesdienst der
morgenländischen Kirche mit peinlicher Genauigkeit und feierlicher
Andacht von Leuten durchmachen sehen, von denen die Wenigsten
auch nur drei Worte von Dem verstehen, was ihnen vorgelesen, vor-
gesungen wird. Er wird von Allen eine strenge Regel befolgt sehen,
von Einigen, die von den Andern als halbe Heilige betrachtet werden,
eine noch strengere. Er wird Bauern sehen, wo er Mönche zu finden
glaubte, und Mönche in Leuten entdecken, die er für Bauern hielt. Er
wird keine gelehrten Theologen, aber lauter gründlichst orthodoxe
328
Touren in Macedonien.
Geister finden, und endlich trotz aller Verkommenheit, Unwissenheit
und allen blöden Aberglaubens dieser Mönche erkennen, dass die Ka-
luger-Eepublik des Athos recht eigentlich das Herz und der Kern der
morgenländischen Kirche ist.
4. Von Salonik über Honastir, Xllbassan und Kroia nach Skutari.
Diese Eoute, zu der man, massig schnell reisend, zwölf Tage
braucht, folgt zum Theil der alten Via Egnatia und ist eine Strasse
für die türkische Eeitpost, weshalb man fast überall leicht Pferae
bekommt. Wer Eile hat und anhaltendes Eciten verträgt, kann die
Strecke auch binnen acht Tagen zurücklegen. Man thut wohl, ausser
seinem regelmässigen türkischen Pass, Empfehlungsschreiben von Salonik
an die Gouverneure in Monastir, Elbassan und Skutari mitzunehmen.
Von Skutari gelangt man in drei Tagen nach Cattaro, von wo man
mit dem Lloyddampfer nach Triest fährt.
Im Folgenden geben wir die Entfernungen zwischen den Haupt-
puncten der Tour. Von Salonik bis Jenidsche Vardar hat man 10 bis
11 Stunden. Dann folgen Wodena 10, Ostrowo 5, Monastir 10, Eesna
6, Achrida 5, Kukussa 12, Elbassan 11, Tyrana 1, Kroia 8, Alessio 10,
Skutari 8 bis 9 Stunden.
Indem wir Salonik durch das Vardarthor verlassen, kommen wir
nach einem Eitt über eine wellenförmige Ebene an die lange Holzbrücke,
die über den Pluss Vardari, den Axius des Alterthums, führt. Wieder
über grossentheils ebenes Land reitend, gelangen wir nach Jenidsche
oder Jannitza, in dessen Nähe man die Stätte zeigt, wo Pella, die
alte Eesidenz der macedonischen Könige gestanden. Die neuere Stadt
liegt recht freundlich in Bäumen und Sträuchern, über die sich ihre
drei weiss-schimmernden Minarets erheben. Der Khan ist leidlich. Die
Weiterreise geht immer über die grosse Centralebene Macedoniens, die
hier ohne viel Baumwuchs ist. Erst jenseits des Karesmak oder Ma-
vronero, des Lydias der Alten, über den eine Brücke führt, trifft man
zahlreiche Platanen und andere Bäume. Wodena ist das alte Edessa.
Dieses Städtchen liegt ungemein schön. Ein Amphitheater bildet den
Hintergrund des Gemäldes, während im Vordergrund auf bewaldeter
Höhe mit mehren Moscheen und Minarets das Städtchen schimmert
und von den Felsen funkelnde Wasserfälle herunterstürzen. Die nach
dem Orte hinaufführende Strasse ist mit breitwipfeligen Platanen und
Wallnussbäumen beschattet, und wenn bei heller Luft noch der Golf
von Salonik und der Olymp sich in das Bikl einfügen, wird es zu einem
der schönsten in diesen Gegenden. Edessa war die älteste Hauptstadt
Macedoniens und, als die Könige ihre Eesidenz nach Pella hinab ver-
legt hatten, das Nationalheiligthum und die Begräbnis's-Stätte der
Herrscher des Landes. Auch unter den Eömern und Byzantinern war
die Stadt wegen ihrer Lage an der Eguatischen Strasse von Bedeutung.
Dennoch findet man nur noch geringe Ueberbleibsel aus dem Alterthum
Touren in Macedonien. 329
hier. Dahin gehören die Reste einer althellenischen Mauer an einem
der Häuser am Rande der Klippen. Auch trifft man hin und wieder
Bruchstücke von Steinen mit Inschriften aus römischer Zeit. Der Weg
von hier nach Ostroioo, einem Dörfchen an einem Gebirgssee, führt
zuerst durch ein enges, wohlbebautes Thal, dann steil den Berg hinauf.
Die ganze Gegend ist voll wilder Schönheit. Von hier führt die Strasse
zuerst um jenen See herum, dann im Zickzack die Höhen hinan, dann
wieder vor einem See vorüber, in dessen Mitte auf einer Halbinsel die
alterthümliche, sehr verfallene Festung Castoria, das alte Celetrum,
steht. Weiterhin passirt der Reisende mehre Stunden über öde Abhänge
ohne Interesse, wo er dem Dorfe Tibbeli begegnet, dann steigt er in
die grosse Ebene von Monastir hinab, wo ihn der Anblick einer freund-
lich in Gärten und Baumwipfeln gelegenen Stadt mit weissen Mina-
rets erfreut.
Monastip, das militärische Centrum des heutigen Macedonien,
hat zugleich einige Bedeutung als Handelsplatz. Es zählt gegen 15,000
Einwohner, und unterscheidet sich auf erfreuliche Weise von anderen
orientalischen Städten dadurch, dass es nicht so schmutzig wie jene
ist, und dass die Hauptstrassen breit und gut gepflastert sind. Man
findet hier wohlversehene, sehr belebte Bazars und mehre grosse Casernen.
Die hier wohnenden Türken sind fast nur Soldaten oder Beamte, die
Mehrzahl der Einwohner besteht aus Griechen, Bulgaren und Alba-
nesen, auch trifft man viele Juden hier. Durch die Stadt strömt ein
breiter, raschfliessender GelnrgsbacTi, über den zwei hübsche Brücken
von Stein und mehre hölzerne führen; besonders malerisch ist das
Judenviertel, welches da beginnt, wo der Bach breiter wird.
Von liier führt die Strasse zuerst durch zwei Thäler oder Pässe
zwischen hohen Bergen, dann in eine Ebene, in der ein Landsee er-
scheint, und nach Resna, von wo man die Centralkette des Pindus auf
sehr rauhem Pfade übersteigt. Die Aussicht auf dem Gipfel ist beson-
ders nach der illyrischen Seite hin sehr schön. Hier schimmert dem
Reisenden aus einer wohlbebauten Ebene die helle breite Wasserfläche
des See's von Achrida mit der Festung und Stadt gleiches Na-
mens entgegen. Achrida ist das alte Äkris, der See hiess einst
Lychnites. Die Stadt steht unter dem Berge, der das Castell trägt,
hart am Rande des Wassers. In der Feme, am entgegengesetzten Ende
des Wasserspiegels schimmern die weissen Mauern des Klosters Naum,
bis zu dem man sechs Stunden reitet. Im Castell von Achrida wohnt
der Gouverneur dieses Districts. In der Stadt triff't man viele prächtig
gekleidete Albanesen vom Stamm der Geg, der sich von allen Alba-
nesen am buntesten trägt.
Der Weg von Achrida nach Elbassan ist wieder höchst beschwer-
lich. Er führt erst zwei Stunden am See hin, dann beim Dorfe Struga,
w^o der Drin abfliesst, bergauf durch einen mit Krüppeleichen bewach-
senen Pass, dann wieder bergab in ein enges, ödes Thal, wo sich,
sieben Stunden von Achrida, ein Khan findet, hierauf über eine Kette
niederer Hügel in ein anderes Thal, in dem sich zwischen Fels und
22
330 Touren in Maeedonien.
Wald der Skumbi (der Genuesus des Alterthums) hinwindet. Vier Stun-
den von dem Khan überschreitet man den Fluss vermittelst einer Stein-
brücke und erklettert die Höhen seines linken Ufers, auf denen das
Dorf Kukussa liegt. Hier ist ein schlechter Khan, in dem man indess
übernachten muss. Dann geht der Weg an den Höhen auf dem linken
Ufer des Skuinbi weiter hinauf bis zu einem fünf Stunden von Kukussa
gelegenen Khan und dann noch drei Stunden an schrecklichen Abgrün-
den und Schluchten durch die Gebirgslandschaft, worauf er in das
Thal hinabsteigt, den Fluss auf einer hochgewölbten Brücke über-
schreitet und noch zwei starke Stunden auf schmalem Rande zwischen
den Felswänden und dem Wasser hinführt. Endlich kommt der Rei-
sende in weitere Thäler, und bald nachher erscheint auf einer Ebene,
durch welche der Skumbi als breiter Strom sich nach dem Adriatischen
Meere hinanwindet, in Hainen von Olivenbäumen das malerische
Elbassan. Dasselbe ist von mittelalterlichen Festungswerken, einem
tiefen Graben und einer hohen, dicken Mauer umgeben, die ein Quadrat
bildet. In jeder Ecke, sowie an jedem der vier Thore erheben sich
Streitthürme. Alle diese Werke sind verfallen, das Innere der Stadt
voll Ruin, Verödung und Schmutz. Die Vorstadt verbreitet sich über
ein weites Terrain, über den Fluss führt eine alte Brücke mit unre-
gelmässigen Bogen. Man hält Elbassan für das Albanopolis des
Alterthums.
Von Elbassan nach Tyrana passirt man zunächst verschiedene
Heckengassen und Gärten, dann das Thal eines Nebenflusses des
Skumbi, hierauf einen Berg mit grossartigster Aussicht nach Norden
und Süden, dann wieder ein breites, gewelltes Thal, dann durch eine
Furt und über jenseits sich hinziehende Hügel nach der Ebene von
Tyrana. Vor sich erblickt man hier die prachtvoll zerklüfteten Berg-
massen von Kroia, wo Georg Kastriota oder Skanderbeg seine letzten
Schlachten gegen die Ungläubigen schlug.*)
Tyrana ist eine kleine albanesische Stadt mit zwei malerischen
Moscheen und mehren Khans; auch kann man hier Unterkunft in Pri-
vathäusern finden. Von hier hat man auf directem Wege nicht weiter als
acht Stunden. Allein der Reisende wird geneigt sein, einen Umweg über
Kroia, die Stadt Skanderbeg's zu machen. Der Pfad dahin führt zunächst
nordwärts durch ein weites Thal, und erreicht nach fünf Stunden einen
Khan, wo er sich rechts wendet und zuerst durch Wald, dann durch
*) Skanderberg, der Albanesenheld, wurde 1404 geboren und als Geissei in Con-
stantinopel zum Moslem erzogen. Erbittert darüber, dass der Sultan nach dem Tode
seines Vaters dessen Fürstenthum einzog, entwich er in seine Heimat, bemäcktigte sich
durch List Kroia's, erregte einen allgemeinen Aufstand der Albanesen, schlug wieder-
holt übermächtige türkische Heere, wasste alle Belagerungen Kroia's zu vereiteln und
brachte es nach langen blutigen Kämpfen dahin, dass Mohammed IL ihm 1461 in einem
Friedensvertrag das Land zuerkannte. Drei Jahre später griff er, überredet durch
päpstliche und venetianische Gesandte, die Türken nochmals an und schlug sie wieder
mehrmals, so dass er sich bis zu seinem 1466 erfolgten Tode in seiner Stellung behaup-
tete. Zwölf Jahre später gelang es den Türken, Kroia einzunehmen und das ganze Land
zu erobern.
Touren in Macedonien.
331
nacktes Gebirge sich an dem Felsen hinaufwindet, an welchem die
Häuser hängen. Auf einem steilen Felsenvorsprung steht ein zerstörtes
Castell, unten im Halbkreis ein Bazar und Wohnhäuser, über welche
sich der Palast des Bei's und ein schlankes, weisses Minaret erhebt.
Die Aussicht von hier über die weite Ebene nördlich und südlich von
Skodra ist ungemein grossartig.
Von Kroia bedarf man vier Stunden, um die Poststrasse nach
Lesch oder Alessio wieder zu erreichen, welche den Reisenden dann
in sechs [Stunden nach diesem Orte bringt, der das alte Lissus ist.
Die Reise von Alessio nach Skodra oder Skutari ist in unserem „Beise-
Handbuch für Griechenland" beschrieben, wo man auch das Noth-
wendigste über die übrigen albanesischen Landschaften, sowie über die
Tour von Skutari nach Cattaro findet.
Buchdruckern des Oesterr. Lloyd in Triest.
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^ Land
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DR
B8
1870
Busch, Moritz
Die Türkei