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Full text of "Die Verfassung der Kirche der Zukunft, praktische Erläuterungen zu dem Briefwechsel über die deutsche Kirche, das Episkopat und Jerusalem, mit Vorwort und vollständigem Briefwechsel"

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PRESENTED 


TO 


THE UNIVERSITY OF TORONTO 


BY 
THE UNIVERSITY OF STRASSBURG, 
GERMANY. 


JANUARY IOTH, 1891 


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Die Verfaſſung 


der re der Orden. 


— 


Praktiſche Erläuterungen 
zu dem Briefwechſel über die deutſche Kirche, 
das Epiſkopat und Jeruſalem. 


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Mit Vorwort und vollſtändigem Briefwechſel 


herausgegeben von 


Chriſtian Carl Joſias Bunſen, 


der Philoſophie und der Rechte Doctor, 


Hamburg 1845. 
Agentur des Rauhen Hauſes. 


Den chriftlichen Brüdern 


der 


Synode der evangeliſchen Kirche von 
Rheinland und Weſtphalen 


und der 


kirchlichen Verſammlungen des ver⸗ 
floſſenen Jahres 


in den 


übrigen Landſchaften Preußens 


mit chriſtlicher Ehrerbietung und Liebe 


zugeeignet. 


Vorwort. 


— — 


Waͤhrend meiner letzten Anweſenheit in 
Deutſchland, im Fruͤhjahr und Sommer des 
vorigen Jahres, theilte ich einigen Freunden 
den Auszug eines vertraulichen Briefwechſels 
mit, welchen ich im Jahre 1843, auf Ver— 
anlaſſung der von Abeken herausgegebenen 
Schrift („Das evangeliſche Bisthum in Je— 
ruſalem“) mit einem befreundeten, hochgeſtell— 
ten Staatsmanne Großbrittanniens, vorzugs— 
weiſe uͤber das Epiſkopat gefuͤhrt hatte. 
Jene Freunde aͤußerten mir den Wunſch, daß 
dieſer Briefwechſel auch andern Freunden 


bekannt werden möchte, Ich entſchloß mich 
alſo, eine deutſche Ueberſetzung als „Hand— 
ſchrift für Freunde“ in wenigen Abzuͤgen 
drucken zu laſſen. Dieſe Mittheilungen ha; 
ben zur Folge gehabt, daß einzelne Stellen 
meines Briefes waͤhrend der letzten Monate 
des verfloſſenen Jahres in oͤffentliche Blaͤtter 
gerathen ſind, und zu ſehr verſchiedenen Auf— 
faſſungen, Auslegungen und Bemerkungen 
gefuͤhrt haben. Von zwei achtbaren und 
vielgeleſenen Tagesblaͤttern hat das eine in 
meinen Worten einen „Proteſt gegen das 
Epiſkopat“ geſehen; das andere meine An— 
ſicht dem entgegengeſetzt, was (nach einer un— 
begruͤndeten Vermuthung) im Vaterlande von 
der Regierung angefirebt werde.) Andere 


) Allgemeine Augsburger Zeitung. (Novbr.) Allge— 
meine Deutſche Zeitung. (Dezember.) Allgemeine 
Berliner Kirchenzeitung. (16. November). 


7 


—— 


politiſche Blaͤtter haben einzelne Saͤtze aus 
meinem Briefe ohne alle Bemerkung gegeben; 
dagegen legt mir die Berliner Allgemeine 
Kirchenzeitung in dem Schreiben eines Cor— 
reſpondenten „vom Oberrhein,“ der ſich wohl 
huͤtet irgend eins meiner Worte anzufuͤhren, 
unbedingt die Empfehlung des Epiſkopalismus 
in den Mund und giebt mir dabei einige 
vornehm belehrende Winke. Jenen und an— 
dern ehrenhaften Blaͤttern nun danke ich 
zuvoͤrderſt fuͤr die Theilnahme, die ſie dem 
Schreiben, um der Wichtigkeit des Gegen— 
ſtandes willen geſchenkt haben. Denn ich 
weiß gar wohl, daß dieſe Worte an ſich und 
um meiner geringen Perſon willen dieß nicht 
verdienen. Allein der Gegenſtand iſt aller— 
dings ein ſehr wichtiger: er gehoͤrt ohne 
Zweifel mit zu der Lebensfrage der Gegen— 
wart, nicht bloß in Deutſchland, ſondern in 


8 


den meiſten Laͤndern Europas. Es muß alſo 
jedem Freunde der Sache hoͤchſt erfreulich 
ſein, wenn dieſer Gegenſtand eine Theilnahme, 
nicht etwa unter Theologen und Rechtsgelehr— 
ten, ſondern uͤberhaupt unter den Gebildeten 
und Denkenden findet, welche ſich um die 
Öffentlichen Angelegenheiten des Vaterlandes 
bekuͤmmern. Denn eine ſolche allgemeine 
Theilnahme iſt nörhig, aber auch, bei einer 
Nation wie die deutſche, hinlaͤnglich, damit 
die wirkliche und praktiſche Wahrheit, welche 
wir ſuchen, bald zu Tage komme und allge— 
meine Anerkennung erlange: trotz ihrer Feinde, 
trotz der langen Gleichguͤltigkeit der Vaͤter, 
trotz der Abgeſtorbenheit und Verwirrung 
ſo mancher unſerer Zuſtaͤnde, und trotz der 
wechſelnden Geſtaltungen und des Streites 
von Theorien und Vorurtheilen des Tages, 
welche die Wirklichkeit uͤberdecken, und das 


9 


geſunde und gewiſſenhafte Urtheil der Ge— 
meinde erſchweren. Nur bei einer ſolchen all— 
gemeinen Theilnahme des evangeliſchen Volks 
laͤßt ſich auch hoffen, daß ein alſo gewonnenes 
richtiges Urtheil, nicht in Lehrbuͤchern nieder— 
gelegt, oder im Weingeiſte abgezogener, ſpe— 
culativer Formeln aufbewahrt, ſondern zur 
thatkraͤftigen Verwirklichung und Foͤrderung 
des als wahr Erkannten ausgebildet und ins 
Leben gefuͤhrt werde. 

Und mit dem Ausdrucke dieſes Dankes, 
dieſer Freude und dieſer Hoffnung moͤchte ich 
eigentlich gern alles beſchließen, was mir 
perſoͤnlich iſt. Aber es kommt mir vielfach 
zu Ohren, wie von gewiſſen Seiten jene 
Aeußerungen, hier und da, zu einem Gerede 
Anlaß gegeben, deſſen Summe und Bedeu— 
tung etwa da hinaus zu laufen ſcheint: daß 
ich keinen Beruf gehabt einen ſolchen Brief— 


10 


wechſel zu fuͤhren, noch weniger das uͤber 
einen ſolchen Gegenſtand Geſchriebene, auch 
nur fuͤr Freunde drucken zu laſſen. Ich 
wuͤrde (meinen jene) uͤberhaupt beſſer gethan 
haben, meine Perſon in Angelegenheiten, die 
nicht meines Amtes ſeien, namentlich in kirch— 
lichen, nicht vor die Oeffentlichkeit zu bringen. 
Gegen ſolches „Gerede“ finde ich mich ver— 
anlaßt, Folgendes zu ſagen. 

Wenn ich in den letzten ſieben Jahren 
ſchweigend, obwohl nicht gleichguͤltig zugeſehen 
habe, wie mancherlei Leute bemuͤht geweſen 
ſind, waͤhrend meiner Abweſenheit vom Vater— 
lande, meine Anſichten uͤber kirchliche Fragen 
wie uͤber Staatsangelegenheiten zu verdaͤchti— 
gen, und meinen Namen zu verunglimpfen; 
ſo hatte das, wie jeder wußte, der wollte, 
einzig und allein darin ſeinen Grund, daß 
ich uͤber jene Punkte nicht reden konnte, ohne 


22 


Dienſtgeheimniſſe zu verletzen, der Regierung 
Verlegenheiten zu bereiten und der Sache 
des gemeinſamen Vaterlandes zu ſchaden. 
So ſchwieg ich, meines guten Gewiſſens 
mich troͤſtend, und ſtellte die Sache Gott an— 
heim, zugleich dem Gerechtigkeitsgefuͤhle mei— 
ner Landsleute beider Bekenntniſſe vertrauend. 
Denn niemals werde ich glauben, daß in 
Deutſchland Feind heißt, wer eine von der 
unſrigen verſchiedene ehrliche Anſicht uͤber 
eine oͤffentliche Angelegenheit hat und mit 
Ueberzeugung darnach handelt. 

Jetzt iſt es anders. Es iſt die Rede 
von einer rein perſoͤnlichen Frage, meinen 
Anſichten uͤber Theorie und Geſchichte der 
Kirchenverfaſſung, und uͤber die Stellung 
unferer Kirche zu einem auslaͤndiſchen Epiſko— 
pate: und ich denke, ein jeder deutſcher Pro— 
teſtant hat das Recht, eine ſolche Anſicht zu 


12 


haben und auszuſprechen. Die Frage iſt in 
meinen Augen, nach Beſeitigung theologiſch— 
kanoniſtiſcher Mißverſtaͤndniſſe, eine reine Ver: 
faſſungsfrage. Aber ſie iſt deßhalb nicht 
minder eine hoch wichtige: und es wird wohl 
jeder uͤber ſie nachgedacht haben, der waͤhrend 
der letzten fünf und zwanzig Jahre die oͤffent— 
lichen Angelegenheiten des Vaterlandes, und 
die Zukunft der evangeliſchen Kirche Deutſch— 
lands zu Gegenſtaͤnden ernſter Betrachtung 
gemacht hat. Wer aber in jener Zeit, ſei 
es aus Unmuth und Verzweiflung, ſei es 
aus natuͤrlicher Dumpf- und Stumpfheit ge— 
ſchlafen, ſollte wenigſtens nicht daſſelbe von 
andern vorausſetzen, bis er den Beweis da— 
fuͤr in Haͤnden hat. 

Deßhalb ſoll mich auch jenes Gerede 
nicht einen Augenblick abhalten, ein dem 
Freunde gemachtes Bekenntniß denjenigen im 


13 


Vaterlande zu übergeben, welchen es der 
Muͤhe werth ſcheint, daſſelbe in ſeinem Zu— 
ſammenhange vollſtaͤndig kennen zu lernen. 
Von dieſen Guͤnſtigen allein erbitte ich mir 
auch noch die Erlaubniß, um jenes Gere— 
des willen, einige Worte hinzufuͤgen zu duͤr— 
fen uͤber das Verhaͤltniß dieſer Aeußerungen 
zu fruͤheren, und uͤberhaupt zu meiner ge— 
ſammten Ueberzeugung hinſichtlich jener Ver— 
faſſungsfrage. 

Es leben mehrere, die wohl wiſſen, daß 
ich ſeit mehr als 25 Jahren mich bemuͤht 
habe, mir uͤber die geſammte Darſtellung 
und Verfaſſuug der Kirche eine geſchichtlich 
und theologiſch begründete Meinung zu bilden, 
und die dasjenige kennen, was ich daruͤber 
ſeit 1822, nicht ohne ein Gefuͤhl der Wich— 
tigkeit und Zukunft des Gegenſtandes, bei 
mehreren Veranlaſſungen, geſchrieben und ge— 


24 


ſagt. Dieſe nun werden in jener gelegent— 
lichen Herzensergießung nichts finden, als was 
ihnen lange als meine Ueberzeugung bekannt 
iſt. Sie alle werden mir in dieſer Bezie— 
hung daſſelbe Zeugniß ertheilen koͤnnen, was 
jener Staatsmann mir in dieſem Briefwechſel, 
mit Ruͤckſicht auf fruͤhere Mittheilungen, ſo 
offen und edel gegeben hat. Jene Aeuße— 
rungen waren aber theils muͤndliche, theils 
in Folge hoͤherer Aufforderungen geſchrieben. 
An ſich iſt es mir alſo ganz erwuͤnſcht, daß 
eine ſo natuͤrliche und ungeſuchte Gelegenheit 
ſich dargeboten, etwas in rein ſchriftſtelleriſcher 
Form als meine perſoͤnliche Ueberzeugung Aus— 
geſprochenes, der Gemeinde, unbefangen und 
vertrauensvoll zu uͤbergeben, da es einmal 
die oͤffentliche Aufmerkſamkeit beſchaͤftigt und 
zu mehreren Mißverſtaͤndniſſen Anlaß gegeben 
hat. Gerade weil ich etwas ganz und gar 


2. 8 


außer meinem Amte gefprochen und geſchrie— 
ben, fuͤhle ich volle Freiheit, daſſelbe zu ver— 
öffentlichen und zu vertreten. 

Nichts kann jedoch ungenuͤgender ſein 
fuͤr eine eigentliche Eroͤrterung dieſer Ver— 
faſſungsfrage, als Form und Inhalt jenes 
Schreibens. Es iſt ein einfaches Bekennt— 
niß: und zwar nicht allein mit bloßer Andeu— 
tung der tieferen Gruͤnde und geſchichtlichen 
Thatſachen geſchrieben, auf welchen es zu 
ruhen glaubt, ſondern auch mit Vorausſetzung 
gleichlaufender Wahrheiten, die hier gar nicht 
zur Sprache kommen konnten. Der Brief 
ward uͤberhaupt haſtig, im Drange von Ge— 
ſchaͤften und Abhaltungen hingeworfen, ohne 
vorher auch nur aufgeſetzt zu fein: fo fern lag 
jeder Gedanke an eine kuͤnftige Veroͤffentlichung. 
Es iſt ein Freundeswort zu einem Freunde 
geſprochen, deſſen Zeit man zu ſehr ehrt, um 


RR 28 


ihm etwas auszuführen, was er beſſer weiß, 
als wir. Ja, und ich will hinzuſetzen, das 
Wort iſt mit der Freiheit und Unbefangenheit 
geredet, mit welcher hier zu Lande oͤffentliche 
Angelegenheiten beſprochen werden, und mit 
dem freudigen und herzerweiternden Ver— 
trauen auf billige Aufnahme, welche unter 
dieſem Volke jedem Ehrenmanne bei aller 
Meinungsverſchiedenheit ſicher und gewiß iſt. 

Wenn ich nun ein ſolches Schreiben der 
Oeffentlichkeit uͤbergebe, ſo darf ich wohl von 
Guͤnſtigen und Unguͤnſtigen, ſofern ich ihr 
Urtheil achten ſoll, dieſes erwarten, daß ſie 
das argloſe Freundeswort mit argloſem Her— 
zen aufnehmen, ſie moͤgen nun meiner Anſicht 
beipflichten oder nicht. Aber ein wirkliches, 
volles Verſtaͤndniß deſſen, was ich eigentlich 
will, darf ich mir, was den praktiſchen Haupt— 
punkt, die Verfaſſung der Kirche betrifft, von 


17 


jener Herzensergießung, ſelbſt bei Guͤnſtigen 
kaum verſprechen. Denn der Mißverftänd: 
niſſe und Verdaͤchtigungen ſind zu viele, als 
daß ein, ohne Beweis und Erklaͤrung dem 
Freunde zugerufenes ſprudelndes Wort, trotz 
aller Verwahrungen, nicht in ihren Wirbel 
und Strudel hineingerathen ſollte. Wiederum 
aber iſt es ſchwer, den theologiſchen, geſchicht— 
lichen und kirchenrechtlichen Unterbau eines 
ſolchen Bekenntniſſes offen zu legen, ohne 
einen ſtarken Band mindeſtens auszufuͤllen: 
namentlich da man nach einer unter deutſchen 
Gelehrten weit verbreiteten Art, in Eroͤrterung 
praktiſcher Fragen zwar ganz gut da aufhoͤren 
kann, wo das Poſitive und Praktiſche an— 
faͤngt, aber um keinen Preis anders als eine 
unendliche Zeit vor Erſchaffung der Welt 
beginnen darf. Mein erſter Gedanke war 
daher, daß dieß ungeſchmuͤckte und im Erguß 
2 


18 


eines vollen Herzens niedergeſchriebene Wort, 
da es nun einmal in die Welt treten muß, 
ſich helfen moͤge, wie es kann, nach der 
Wahrheit, die etwa in ihm iſt. Um jedoch 
dem natuͤrlichen Wunſche einer Verſtaͤndigung 
uͤber das Weſen einer praktiſchen Kirchenver— 
faſſung zu genügen, habe ich mich entfchloffen, 
zwar alle Gelehrſamkeit bei Seite zu legen, 
jedoch einfach aus weſentlich zugeſtandenen 
Grundſaͤtzen und aus den Beduͤrfniſſen der 
Gegenwart heraus dasjenige zu eroͤrtern, was 
ich in mir als die verſtaͤndige und praktiſche 
Grundlage jenes Bekenntniſſes vorfinde. Ich 
will unverhohlen diejenige Anſicht uͤber die 
Kirchenverfaſſung ausſprechen, aus welcher 
jene Herzensergießung hervorgequollen iſt. 
Keineswegs denke ich mich dadurch in eine 
ſchriftſtelleriſche Klopffechterei zu verwickeln. 
Denn wenn das, was in meiner Anſicht 


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wahr ift, es nicht dadurch wird, daß ich es 
ſage; ſo wird es auch dadurch nicht unwahr, 
daß andere es laͤugnen oder angreifen. Das 
Urtheil uͤberlaſſe ich der Gemeinde. Ich 
fuͤhle hieruͤber nicht die geringſte Unruhe 
oder Ungeduld. Am allerwenigſten werde ich 
mich in Streitigkeiten einlaſſen, welche außer— 
halb der evangeliſchen Kirche und zwar 
Deutſchlands liegen. Ich ſuche nichts und 
verlange nichts mit den Erfahrungen und 
Ueberzeugungen, die ich uͤber die mir theuerſten 
Angelegenheiten gewonnen zu haben glaube, 
als ein treues Bekenntniß dieſer Ueberzeugung 
abzulegen, Behufs einer Verſtaͤndigung mit 
denen im Vaterlande, welche ſich mit mir auf 
demſelben Glaubensgrunde fühlen. Nur dieß 
Eine erbitte ich mir von allen Leſern, daß 
wer etwa wiſſen moͤchte, was ich uͤber jenen 
Gegenſtand gedacht und denke, mich nach den 


re 


20 


ruͤckhaltsloſen Erlaͤuterungen beurtheile, welche 
ich dem Bekenntniſſe mitgebe, und nicht nach 
irgend welchen mir geliehenen Gedanken oder 
Vorausſetzungen. Was dem einen recht, iſt 
dem andern billig. Wir alle, die wir vor 
der Gemeinde auftreten, in einer Zeit, welche 
noch bedeutungsvoller iſt durch vieler Blind— 
heit uͤber ihre Zeichen, als durch das Dro— 
hende dieſer Zeichen ſelbſt, reden und handeln 
ja vor dem Angeſichte Gottes, und haben 
hier auf Erden, wenn wir nicht ungenannt 
verſchwinden, das Gericht der Geſchichte zu 
erwarten. Irrthuͤmern und Fehlern entgeht 
niemand im oͤffentlichen Leben, weder im 
Reden noch im Handeln: und wer ſich fuͤr 
unfehlbar und untruͤglich haͤlt, der hat den 
groͤßten aller Irrthuͤmer begangen, und na— 
mentlich bei geiſtlichen Dingen ſich das Ver— 
ſtaͤndniß der Wahrheit von vorn herein ab— 


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geſchnitten. Aber das Gefühl einer redlich 
im Leben feſtgehaltenen und an Erfahrungen 
gepruͤften Ueberzeugung giebt einen Glauben 
an dieſelbe, und dieſer Glaube den Muth, 
Gegenwart wie Zukunft kuͤhn ins Auge zu 
ſehen. So viel uͤber mich und uͤber Ver— 
anlaſſung und Zweck dieſer Veroͤffentlichung. 

Ueber das evangelifche Bisthum in Je— 
ruſalem habe ich dem zum Schluſſe meines 
Schreibens Geſagten hier nichts hinzuzufuͤgen. 
Eben ſo wenig beduͤrfen die Briefe meines 
verehrten Freundes, des Hoch Ehrenwerthen 
Herrn William Gladſtone, irgend einer Er— 
laͤuterung von meiner Seite. Auch das habe 
ich wohl kaum noͤthig noch beſonders zu er— 
waͤhnen, daß die Bekanntmachung derſelben 
mit ſeiner ausdruͤcklichen Genehmigung ge— 
ſchieht. Er ſtellte dabei nur Eine Bedin— 
gung: naͤmlich daß ſie vollſtaͤndig abgedruckt 


22 


würden. Dieß wird den Abdruck von Aeu— 
ßerungen entſchuldigen, in welchen ich nur 
die Beſcheidenheit und Demuth eines Chriſten 
verehre, und die Partheilichkeit und Nachſicht 
eines Freundes beſchaͤmt erkennen kann. 


London, den 28. Februar 1845. 


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Nachſchrift. 


London, den 31. Maͤrz 1845. 

Waͤhrend der Reinſchrift und Durchſicht 
der folgendenden Abſchnitte find mir die Ber: 
handlungen der rheiniſchen Provinzialſynode 
von 1844 zugegangen, zugleich mit dem 
Dezemberhefte der trefflichen Monatsſchrift 
der rheiniſch⸗weſtphaͤliſchen Kirche von Nitfch: 
und Sack. Die Unterbrechung der Waſſer— 
verbindungen und zufällige Umſtaͤnde hatten. 
es mir nicht moͤglich gemacht, dieſe Werke 
fruͤher zu erhalten. Beide, namentlich die 
Verhandlungen, haben mir Veranlaſſung ge: 
geben, Verſchiedenes im Texte Geſagte weiter 
auszufuͤhren, auch fuͤr manche Punkte hoͤchſt 


24 


erfreuliche Zeugniſſe zu gewinnen. Damit 
jedoch das Verhaͤltniß der Vorſchlaͤge und 
Beſchluͤſſe der Synode zu meiner Arbeit ſich 
ganz klar hinausſtelle, habe ich im Texte 
durchaus nichts geaͤndert, ſondern alles auf 
jene Verhandlungen Bezuͤgliche, deſſen ich 
glaubte Erwaͤhnung thun zu muͤſſen, an ge— 
eigneter Stelle in Anmerkungen eingetragen. 
Ich kann und darf aber dieſes Vorwort 
nicht ſchließen, ohne meine innige Freude 
uͤber ein ſo wichtiges und ermuthigendes Le— 
benszeichen, welches ein wahres Ereigniß fuͤr 
die deutſche evangeliſche Kirche heißen mag, 
und meinen warmen Dank fuͤr die daraus 
geſchoͤpfte Belehrung und Hoffnung oͤffentlich 
auszuſprechen. 


Briefwechſel 


über 
die deutſche Kirche, das Episcopat 


und Jeruſalem. 


Aus dem Englifchen. 


— — 


Erſtes Schreiben des Hod) - Ehrenwerthen 
Herrn Gladſtone. 


Fasque, 2. September 1843. 


Theurer Freund! 


Sie waren ſo guͤtig, vor meiner Abreiſe nach London 
das Werk in meine Haͤnde zu legen, in welchem, wie ich 
Sie verſtand, eine urkundliche Darlegung der Natur aller 
mit dem Bisthum von Jeruſalem in Verbindung ſtehen— 
den Einrichtungen dem deutſchen Publikum uͤbergeben 
wird. Ich meine „die geſchichtliche Darlegung mit Ur— 
kunden. — Ich habe es mit tiefem, aber ich fuͤhle mich 
verpflichtet, zu ſagen, mit ſchmerzlichem Intereſſe geleſen; 
ich fuͤhle, daß Freimuͤthigkeit von meiner Seite und die 
Erinnerung an tauſend Freundſchafts-Erweiſungen von 
der Ihrigen es erheiſchen, daß Sie der erſte ſein ſollten, 
dem ich alfo die Art und Weiſe meiner Eindruͤcke dar: 
legte. 


eng 

Sie werden mich nicht fo verſtehen, als wollte ich 
die Beweggruͤnde angreifen, aus denen dieſe Darlegung 
hervorgegangen iſt, oder die vollſtaͤndige Berechtigung 
des Verfaſſers — wie ich glaube, ſagten Sie mir, es ſei 
Abekens Werk — irgend eine, ihm paſſend erſcheinende, 
Anſicht zu veroͤffentlichen; aber es ſchmerzt mich tief, 
daß hiermit eine Anſicht von der engliſchen Kirche und 
der von dem Primas und dem Biſchof von London in 
Bezug auf dieſes Bisthum gethanen Schritte in Verbin: 
dung gebracht werde, welche — ich muß es geſtehen — 
mir nicht allein durchaus im Widerſpruch mit dem wahr— 
haften Weſen des Planes ſelbſt zu ſein ſcheint, ſondern 
auch durch und durch verderblich jeglichem Leben oder der 
Verwirklichung jeglicher Hoffnung fuͤr Andere oder fuͤr 
uns ſelbſt, welche in unſerer biſchoͤflichen Verfaſſung 
liegen mag. 

Ich muß meine beſtimmteſte Ueberzeugung ausfpre: 
chen, daß dieſe Praͤlaten weder mit den Lehren uͤber⸗ 
einſtimmen werden, welche dieſes Werk ihrer Kirche in 
Betreff der Kirchenverfaſſung zuſchreibt; noch mit den 
allgemeinen Grundſaͤtzen, auf welchen die dritte Abthei— 
lung deſſelben ruht, und aus denen ich entſchieden ſchließe, 
daß diejenigen, welche der Biſchof zu Jeruſalem fuͤr die 
deutſchen Gemeinden ordiniren ſoll (wenn es welche geben 


— 


wird), in den Augen des Verfaſſers der vollſtaͤndigen 
amtlichen Verbindung mit der Kirche, ſowohl ihres Landes 
als des unſrigen theilhaftig fein ſollen und hin her ſich 
begeben duͤrfen, mit dem Rechte, in beiden ein geiſtliches 
Amt zu verwalten. Ich bin eben ſo feſt uͤberzeugt, daß 
dieſes nicht die in unſerm Lande gemachte Erklaͤrung des 
Planes iſt und auch wirklich nicht die richtige genannt 
zu werden verdient. Die Frage wegen einer Verbindung 
zwiſchen religioͤſen Koͤrperſchaften kann doch augenſchein⸗ 
lich nicht durch einen Seitenſtreich abgemacht werden, 
und jeder Verſuch, ſie alſo zu behandeln, koͤnnte neue 
Verwirrung hervorrufen — aber ich fuͤrchte, das ent— 
weder Deutſchland eine unrichtige Darſtellung des Planes 
empfangen hat, oder daß in den Anſichten, unter welchen 
er auf dieſer und auf jener Seite des Waſſers befoͤrdert 
worden iſt, Grundverſchiedenheiten Statt finden. 

Meine Abſicht bei dieſem Schreiben iſt wirklich viel 
weniger, Sie um eine Erklärung zu bitten, welche Ihnen 
Muͤhe verurſachen muß, als mein eigenes Gewiſſen zu 
befreien, indem ich nur die durch ein Werk unwillkuͤhrlich 
erzeugte Anſicht ausſpreche, welches Sie mir uͤbergeben 
haben; aber ohne Zweifel wuͤrde es mir ein Troſt und 
ein Vergnuͤgen ſein, wenn Sie mir mittheilen koͤnnten, 
daß die „Geſchichtliche Darlegung“ nicht in den Einzel- 


30 


heiten, welche ich bezeichnet habe, eine verpflichtende 
Bedeutung hat, an welche der Koͤnig von Preußen ge— 
bunden waͤre. Und wenn es nicht zuviel verlangt iſt, 
moͤchte ich erfahren, ob der Erzbiſchof und der Biſchof 
von London, welche in dieſer Angelegenheit als die erkor— 
nen Repraͤſentanten jedes Mitgliedes der englifchen Kirche 
handeln, mit dem Inhalte des Werkes vertraut ſind? 

Jedoch bitte ich Sie, durchaus nicht anzuſtehen, die 
Muͤhe des Antwortens abzulehnen, wenn Sie glauben, 
daß ich nach etwas gefragt, worauf Sie nicht leicht und 
gern antworten koͤnnen. Ich verbleibe, mein theurer 
Freund, Ihr treu ergebener 

W. T. Gladſlone. 


Zweites Schreiben des Hoch- Ehrenwerthen 
Herrn Gladſtone. 


Fasque, 8. September 1843. 


Mein theurer Freund! 


rs ” ” e 
— — — — Och muß noch ein Wort hinzufügen 
in Beziehung auf meinen letzten Brief. Ich fuͤrchte, das 


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Bedauern, welches ich darin ausſprach, koͤnnte anfpruche- 
voll und anmaßend klingen. Irgend ein Gefuͤhl dieſer 
Art, ich verſichere Sie, war fern von mir, und ich bitte 
Sie, den Anſchein davon zu entſchuldigen. Obwohl ich 
in der engliſchen Kirche allenthalben die Zeichen von Wie— 
derbelebung und Beſſerung erblicke, und obwohl es eine 
Pflicht iſt, dieſe anzuerkennen und dankbar dafuͤr zu ſein; 
ſo macht doch wahrlich jedes Jahr das ich lebe, und die 
zunehmende Erfahrung in den oͤffentlichen Angelegenheiten, 
daß ich immer tiefer und ſchmerzlicher unſere Suͤnden, 
Aergerniſſe und Unwuͤrdigkeit als Kirche empfinde. Aber 


daneben erblicke ich in dem Epiſkopat, als der Baſis 


wahrhaft apoſtoliſcher Einrichtungen und apoſtoliſcher 
Zucht, die einzige lebendige und maͤchtige Hoffnung un— 
ſerer Herſtellung. Die Grundlinie dieſer Baſis und des 
Wenigen von Zucht, was damit jetzt verbunden iſt, zu 
verwiſchen oder zu ſchwaͤchen wuͤrde fuͤr uns, nach meinen 
Gefuͤhlen, ein Schaden ſein, den irgend ein, andern er— 
wachſender Vortheil nicht im Stande waͤre, aufzuwiegen. 
Immer Ihr warmer und aufrichtiger Freund 


W. T. Glaoſlone. 


32 


Schreiben des Geheimenrath Bunfen. 
Carltonhouſe Terrace, 13. Septbr. 1843. 


Theurer Freund! 


Ihren Brief vom zweiten d. M. erhielt ich vori⸗ 
gen Sonnabend, als ich eben in den Wagen ſtieg, um 
nach der Stadt zu fahren; und hier bin ich bis geſtern 
Abend dermaßen mit Geſchaͤften uͤberhaͤuft geweſen, daß 
ich erſt dieſen Morgen die Feder ergreifen kann, um 
Ihnen fuͤr die Freundlichkeit zu danken, welche Sie be— 
wog, gegen mich lieber als irgend einen Anderen ſich 
uͤber den ſchmerzlichen Eindruck auszuſprechen, welchen 
die dritte Abtheilung der „Deutſchen Darlegung“ auf 
Sie gemacht hat. 

Erlauben Sie mir, theurer Freund, vor allen Din: 
gen zu erklaͤren, daß jenes Werk ſich ſelbſt verantworten 
muß. Es iſt auf des Koͤnigs Befehl von einem Manne 
geſchrieben worden, welchem die auf meine Verhandlungen 
und auf die Ausfuͤhrung von deren Reſultate bezuͤglichen 
Aktenſtuͤcke offen ſtanden. Er hat ſolche Dokumente ganz 


33 


oder zum Theil mitgetheilt (das erzbifchofliche „Statement“ 
mit eingerechnet) wie es ihm paſſend erſchienen. Dieß 
iſt der amtliche Theil des Werkes: und ihn muß ich, 
mag er Recht oder Unrecht haben, ſich ſelbſt uͤberlaſſen. 

Das Uebrige gehoͤrt dem Verfaſſer an. Er wuͤnſchte 
des Koͤnigs Gedanken und die deſſen Ausfuͤhrung betref— 
fenden Urkunden dem deutſchen Publikum zu erlaͤu— 
tern: hat er dieſes unrichtig gethan, ſo wird er ſeines 
Irrthums uͤberfuͤhrt werden. Inwiefern er die perſoͤn— 
lichen Anſichten des Koͤnigs ausgeſprochen, iſt eine Frage, 
welche, meines Beduͤnkens, nicht zu der Kritik des Bu— 
ches gehoͤrt. 

Dieſes iſt die Antwort auf Ihre Fragen, wie ſich 
das Werk zum Koͤnige und zu den Praͤlaten verhalte. 
Natuͤrlich kannten dieſe alle Aktenſtuͤcke, alſo noch mehr 
als die hier gegebenen Auszuͤge, obwohl nicht mehr als 
Sie damals geleſen: auch iſt das Buch gleich bei ſeinem 
Erſcheinen ihnen vorgelegt worden. Eine Ueberſetzung 
wird, glaube ich, in London eben gedruckt, unter Dr. 
M' Cauls Aufſicht. 

Wenn Sie mich aber freimuͤthig fragen, ob die 
Darlegung in ihrer dritten Abtheilung meine eigenen 
Ueberzeugungen und Anſichten ausſpreche oder nicht, ſo 


erwiedere ich mit gleicher Freimuͤthigkeit, daß ich auf 
3 


34 


keinen Punkt geftoßen bin, worin das Gegentheil 
Statt faͤnde. Abeken wurde aufgefordert, nach eigener 
Ueberzeugung zu ſchreiben, dem Eindrucke gemaͤß, welchen 
die ihm bekannten Thatſachen und Urkunden auf ihn ge— 
macht; und ich war ſehr erfreut zu finden, daß ſeine 
Darſtellung, meines Erachtens, die richtige Anſchau— 
ung von dem giebt, was hier geſprochen und gethan iſt. 
Was ſeine Anſichten von der engliſchen Kirche betrifft, 
fo ſetzt er fie nicht den Engländern, ſondern den 
Deutſchen auseinander: und ich ſehe nicht, wie dieſe 
Darſtellung — weſentlich der gleich, welche in ſeinem 
Sendſchreiben an Dr. Puſey entwickelt iſt — der Eng— 
liſchen Kirche in ihrer Anſicht von Verfaſſung zu nahe 
tritt, wofern ſie nicht gegen urkundliche Symbole, wie 
Artikel und Canones verſtoͤßt. Indem er Hooker 
anfuͤhrt, zeigt er deutlich, nach welchem Geſichtspunkte 
er jene Kirche von ſeinen Landsleuten betrachtet zu ſehen 
wuͤnſcht. 

In Betreff irgend einer Abſicht von ſeiner Seite, 
der Engliſchen Kirche, durch eine Darſtellung wie er ſie 
— mit Recht oder Unrecht — in jener Abtheilung giebt, 
eine Verbruͤderung mit einer andern religioͤſen Genoſſen— 
ſchaft aufzudringen, koͤnnen Sie ganz ruhig ſein. Sie 
liegt ſeinen perſoͤnlichen Anſichten eben ſo fern als dem 


n 


35 


Werke, worauf ſie ſich bezieht: und gewiß haͤtte ihm 
nichts mehr den Weg zum Herzen eines Deutſchen — 
ich rede von dem wahrhaft erleuchteten und chriſtlichen 
Publikum — verſchließen koͤnnen, als auch nur der Schein 
einer ſolchen Abſicht. Aber offen geſtanden finde ich in 
dem Buche das nicht, was Sie (falls ich Sie richtig 
verſtanden) darin entdeckt haben, namlich „daß die Perſo— 
nen“ (die von dem Biſchof zu Jeruſalem zum Dienſte un: 
ter ihm geweihten) „zwiſchen beiden Kirchen ſich bewegen 
duͤrfen, mit dem Rechte kirchlicher Dienſtleiſtung in beiden.“ 

Dieſes iſt nicht der Fall. Sie muͤſſen von dem 
Biſchof ordinirt fein, weil die Dioͤceſe der Engliſchen 
Kirche angehoͤrt: wir ſehen ſie fuͤr vollguͤltig ordinirt an. 
Wie koͤnnen Sie dieſes tadeln, oder wie kann es das 
Epiſkopat angreifen, ſchwaͤchen oder verunglimpfen? Sie 
ſollen in keiner engliſchen Gemeinde den Gottesdienſt 
verrichten, weder in Jeruſalem noch ſonſt wo. Sicherlich 
wuͤrde eine ſolche Forderung ausgeſprochen worden ſein, 
wenn das Bisthum ein gemeinſchaftliches geworden 
wäre, und dafuͤr ſahen es auch meine Landsleute an, und 
erklaͤrten ſich deshalb gegen die Verpflichtung zur 
Weihung in Jeruſalem. Gerade in dieſer Hinſicht hat 
Abekens Schrift der Unwiſſenheit und den Vorurtheilen 
am meiſten entgegenwirkt. 


36 


11 uhr. So eben erhalte ich, theurer Freund, 
Ihren herrlichen Brief vom sten dieſes. Glauben Sie 
mir, niemals hatte ich geargwohnt, daß andere als die 
freundſchaftlichſten Beweggruͤnde Ihnen eingegeben haben 
konnten, mir zu ſchreiben, und meine vorhergehenden 
Zeilen werden Ihnen wohl bewieſen haben, daß Ihre 
freimuͤthigen Erklaͤrungen uͤber den Gegenſtand ſelbſt 
eben ſo freudig von mir begruͤßt worden waren, als fruͤh 
im Jahre 1839 die Erſcheinung Ihres Werkes, gerade 
auch in Betreff ſolcher Punkte, welchen ich nicht bei⸗ 
pflichten konnte, inſofern fie auf geſchichtlichen Annah⸗ 
men beruhten, von denen ich auf's entſchiedenſte abweichen 
mußte. Den Buchſtaben derſelben hielt ich für eben 
fo unhaltbar, als mir der Geiſt und die Abſicht, auch 
in dieſen Punkten, uͤber alles Lob erhoben und wahrhaft 
katholiſch zu fein ſchienen und noch ſcheinen. Meine 
Freimuͤthigkeit vergaben Sie mir damals, und ich hoffe, 
Sie werden auch jetzt es thun. 

Die Redlichkeit dieſes Gefuͤhls bei dieſer Gelegenheit 
kann ich nicht beſſer darthun, als indem ich Ihnen (und 
zwar etwas ſcharf, um mich kurz faſſen zu koͤnnen), 
was ich damals ausſprach, wiederhole. Fuͤr den einzig 
haltbaren Boden, worauf ſich, philologiſch, hiſtoriſch und 
theologiſch, das Epiſkopat erklaͤren, vertheidigen, als 


37 


nothwendig erweiſen laſſe, erklaͤrte ich den der Katho— 
lieität. Denn wenn Sie in ihrem zweiten Briefe ſa— 
gen, daß Sie auf das Epiſkopat Ihre Hoffnung ſeines 
Wiederauflebens Ihrer Kirche gruͤnden, ſo halte ich mich 
gegen Sie als einen Freund und einen Chriſten ver: 
pflichtet zu erklären, in welchem Sinn ich Ihnen bei: 
ſtimmen kann, in welchem ich, ſollte dieſer Punkt zu 
einem dogmatiſchen Schiboleth und zur Bedingung der 
Seligkeit ausgedehnt werden, von Ihnen abweichen wuͤrde, 
nicht inſofern ich Deutſcher Proteftant bin, ſondern in- 
ſofern ich begehre, katholiſcher Chriſt zu fein. Was ich 
ſage, iſt nicht gegen Sie gerichtet, ſondern gegen ein 
Syſtem, welches dem Epiſkopat ein unbedingtes Recht 
verleiht, das man, mit Hooker, ſelbſt nicht einmal der 
geſammten Geiſtlichkeit beilegen darf. 

Es giebt zwei Geſichtspunkte, worunter das Epi- 
ſkopat als die Grundlage wahrhaft apoſtoliſcher Inſtitu⸗ 
tionen und damit als die Grundfeſte der Kirche betrachtet, 
dem zufolge auf's ſorgfaͤltigſte und eifrigſte bewahrt 
und der Achtung der Mitchriften perſoͤnlich und nationell 
empfohlen werden kann. 

Die eine moͤchte ich die Verfaſſungsanſicht 
nennen. Die Sicherheit des Staats im Allgemeinen be— 
ruht auf der Bewahrung ſeiner Regierungsform, und 


38 


das mag auch von der Kirche gelten. Es giebt ſogar 
ſehr gewichtige Gruͤnde zu behaupten, daß die Abſchaf— 
fung oder das Abſterben des Epiſkopates in der Regel 
die Geſundheit des Lebens der Kirche gefaͤhrdet, und 
ſie innerer oder aͤußerer Zwangherrſchaft ausſetzt. Die 
Urſache davon ſuche ich nicht allein in der Gefahr, 
welche jede Aenderung in der Verfaſſung, insbeſondere 
die Schwaͤchung der Regierungsgewalt und der Achtung 
vor geheiligten Formen begleiten muß; ſondern auch in 
der weſentlichen und unheilbaren Einſeitigkeit und Man⸗ 
gelhaftigkeit einer jeden Form des Kirchen-Regiments, 
ja nach meiner Meinung, einer jeden Verfaſſungsform, 
ſtaatlich wie kirchlich, worin das Gewiſſen des indi— 
viduellen Herrſchers — mag er Biſchof, Koͤnig, Praͤſi— 
dent, Richter, Conſul, Dictator heißen — ſeiner perſoͤn— 
lichen Freiheit beraubt wird. Eine ſolche Verletzung des 
Gewiſſens finde ich, wo es keine freie und wahrhafte 
Gewalt des Veto in der Geſetzgebung und in der Aus— 
uͤbung perſoͤnlicher Pflichten giebt: denn das Gewiſſen 
iſt nichts anderes als ein Veto. Das Epiſkopat aber — 
ſo habe ich immer behauptet und werde es immer be— 
haupten — hat außerdem noch eigenthuͤmliche Anſpruͤche 
auf die Achtung chriſtlicher Genoſſenſchaften. Seine 
Einſetzung wurde (ſo glaube ich, trotz der ſchlechten 


39 


Gruͤnde, welche vorgebracht worden find, um fein Be: 
ſtehen vor dem Ausſterben der Apoſtel zu beweifen) ſehr 
bald allgemein, wenn gleich in zwei ſehr verſchiede— 
nen Geſtaltungen, was die Einſetzung (d. h. Weihe) der 
Biſchoͤfe betrifft. Ferner bewahrte unter Gottes Schutze, 
durch den Geiſt, welcher die Kirche beſeelte, das Epiſko— 
pat dieſelbe vor Trennungen, und ließ ſie vor der Welt 
leuchten als erſte Darſtellung der uͤber die Graͤnzen des 
volksthuͤmlichen Beſtehens hinaus organiſirten Menſchheit. 
Selbſt an der ſpaͤter eingetretenen Verkuͤmmerung und 
theilweiſe Zerſtoͤrung des Kirchenlebens will ich dem 
Epiſkopate keinen groͤßeren Antheil geben als irgend 
einem anderen Elemente der Verfaſſung. Zwar bahnte 
der Despotismus der Biſchoͤfe den Weg zu dem Despo— 
tismus der Paͤbſte: jedoch ging der erſtere ſelbſt erſt 
wieder hervor aus einer Verderbung der urſpruͤnglichen 
Idee des chriſtlichen Prieſterthums in ſeiner Stellung 
dem Volke gegenuͤber, und war alſo die Schuld der ge— 
ſammten Geiſtlichkeit. Dieſe Verderbung war aber end— 
lich wieder nur die natuͤrliche Folge der allmaͤligen Ver— 
kuͤmmerung jener von Gott gelehrten und von Gott 
eingeſetzten Natur des allgemeinen (und deshalb jedes 
beſondere ausſchließenden) Prieſterthums eines jeden glau— 
bigen Chriſten, als ſolchen, und daher war es die Schuld 


40 


der ganzen Kirche. Die wahre Religion raͤcht fich immer 
zuerſt durch eine Verruͤckung des Mittelpunktes 
ihres Daſeins (und was iſt die Urſuͤnde und der Fall 
des Menſchengeſchlechtes anderes als eine ſolche Ver— 
ruͤckung?) und durch die daraus hervorgehende Aufloͤſung 
aller zuſammenhaͤngenden Elemente. Was nun den goͤtt⸗ 
lich gelehrten und anbefohlenen Mittelpunkt des leben— 
digen Beſtehens, und deshalb der Entwicklung der Kirche 
betrifft, fo möchte ich ihn, pofitiv, bezeichnen, daß er 
iſt die Innerlichkeit und Geiſtigkeit ihres organi— 
ſchen Handelns als des Leibes Chriſti, folglich ihres 
Prieſterthums und ihres Opfers. Negativ bedeutet dieß: 
ihr Leben wird in feinem Mittelpunkte mehr als durch ir— 
gend einen Irrthum, ein Schisma, eine Ketzerei uͤber einen 
beſondern Punkt der theologiſchen Lehre, angegriffen durch 
die Idee eines levitiſchen Prieſterthums und eines Natur: 
Opfers von den „Elementen der Welt,“ wie der Apoſtel ſagt. 
Wenn nun die Geſchichte irgend etwas beweiſen kann, ſo 
beweiſt die der Kirche (durch unvertilgbare Urkunden) daß 
dieſe Verruͤckung fruͤh begonnen: daß ſie einen liturgiſchen 
Urſprung hatte, dann ſcholaſtiſch erklaͤrt ward, endlich fei⸗ 
erlich gutgeheißen durch die Aufſtellung des unbedingten 
und poſitiven (und deshalb ketzeriſchen) Gegenſatzes im 
Tridentiner Concil, und zwar im Artikel uͤber das 


1 


41 


Suͤhnopfer der Meſſe. Und wahrlich nimmer leuchtete 
Chriſti Verſprechen an ſeine Kirche heller als zu jener 
verhaͤngnißvollen Zeit! Da auf dieſe Weiſe die Ideen 
von Kirche, Sacrament, Prieſterſchaft, Opfer 
allmaͤlig verderbt worden ſind, ſo wuͤrde es unbillig ſein, 
Einem Elemente der Kirchenverfaſſung die Schuld dieſer 
Verderbung aufzubuͤrden: thoͤricht wäre es ſogar, irgend 
einem oder allen dieſen Elementen insgeſammt die Ver— 
derbung zur Laſt zu legen. Es iſt zwar nicht zu laͤugnen, 
daß es der Biſchoͤfe Amt wurde und lange Zeit ver— 


blieb, die, wenn auch krampfhaft, doch nach Leben rin— 


genden Beſtrebungen der Kirche gewaltſam zu erſticken: 
aber es moͤchte wohl unter jenen Umſtaͤnden eine jede 
Regierung daſſelbe gethan haben: jedenfalls waͤre es 
noch ſchlimmer, das Epiſkopat wegen dieſer Gruͤnde zu 
verdammen, als das Koͤnigthum wegen ähnlicher. 
Jedoch ich gehe noch weiter: ich behauptete, kein 
Politiker wird glauben (keiner, meine ich, welcher die 
chriſtliche Politik, die irdiſchen Beduͤrfniſſe des Reiches 
Gottes auf Erden wahrhaft und praktiſch erkennt), es 
ließe ſich das katholiſche Element einer Nationalkirche 
darſtellen, behaupten, wirkſam machen ohne die Form 
des Episkopates: ich meine des Epiſcopats in ſeinem 
urſpruͤnglichen und apoſtoliſchen Charakter, fo fern 


42 


den Apoſteln keine dogmatiſche ſondern eine rein 
disziplinariſche Abſicht untergelegt werden muß, wie 
ich fie oben naher zu bezeichnen geſucht. 

Vergeben Sie, theurer Freund, nicht bloß die Un— 
vollkommenheit ſolcher „gefluͤgelten Worte“, ſondern 
die, auch in dieſer abgeriſſenen Geſtalt, große Laͤnge 
meiner Herzensergießungen. Erlauben Sie mir, mit 
wenigen Worten anzudeuten, in welcher Hinſicht und aus 
welchen Urſachen ich jetzt und immer gegen eine andere 
gar ſehr verſchiedene Anſicht des Episkopates und ſein 
unbedingtes Recht mich erklären muß. Mag immer: 
hin eine Kirche, wie z. B. die engliſche, durch einige 
ihrer nicht amtlichen Organe wenn auch vielleicht durch 
Vaͤter und Gottesgelehrte, behaupten, daß die apoſto— 
liſche Succeſſion des verordneten Miniſteri— 
ums Chriſti (successio apostolica divini ministerii) als 
eines untheilbaren Körpers, und als einer Diener: 
ſchaft an der Kirche nicht als der Kirche ſelbſt, nur dann 
offenbar und kraͤftig ſei, wenn ſie das Epiſkopat in ſich 
ſchließe; immer heißt dieſes nicht, daß jene Succeſſion 
gleichbedeutend ſei mit biſchoͤflicher Succeſſion. 
Ich kann dieſes nicht anders betrachten als ſo manche 
andere Erſcheinung im engliſchen Leben, naͤmlich als die 
inſelhafte Idioſynkraſie in der Verkuͤndigung und 


43 


Verkoͤrperung einer katholiſchen Wahrheit, und als 
nationalen Ausdruck eines katholiſchen Prinzipes. Eine 
Volkskirche mag belieben ein Prinzip in volksthuͤmlicher 
Weiſe auszudruͤcken, gegen deren Mißverſtand ſie ſich 
durch Liturgie, durch Artikel, und durch die unbedingte 
Anerkennung der oberſten Autorität der Bibel verwahrt. 
Kein Verſtaͤndiger wird deßhalb mit ihr hadern: wiewohl 
es zutraͤglich ſein mag, wenn ſie von Zeit zu Zeit an 
den Unterſchied zwiſchen Idee und Form, zwiſchen be— 
dingtem und unbedingtem Rechte, und vor allem zwiſchen 
Geſetz und Wahrheit erinnert wird. 

Aber wenn irgendwie und zu irgend welcher Zeit 
das Episkopat zum Kennzeichen der Kirchſchaft erhoben 
werden ſollte, nicht bloß verfaſſungsmaͤßig und volks— 
thuͤmlich, was ein geſetzmaͤßiger Akt der nationalen Un: 
abhaͤngigkeit iſt: wenn die Kirche, inſofern ſie durch 
Episkopat ſich bekundet und beſteht, ſich an die Stelle 
Chriſti ſetzen will, und des Geiſtes, welcher allein wahre 
Kirchſchaft verleihen kann, weil nur er wahres Leben 
verleiht, d. h. kindliche Dankbarkeit und Selbſtverlaͤug— 
nung, hervorgegangen aus gottbefreitem, goͤttlich freiem 
Willen, ſtatt des Gefuͤhles des Fluches und der Ver— 
zweiflung uͤber die Folgen der innern Knechtſchaft: — 
wenn die verheißene Seligkeit von dieſem Epiſkopat ab— 


48 


haͤngig gemacht werden ſoll; — fo ift meines Beduͤnkens 
dadurch der Todesſtreich nach jener Kirche innerſtem 
Lebenskeime gefuͤhrt, falls ſie nicht Buße thut. 
Denn ſie ſucht Heil bei Menſchen und nicht bei Gott, 
bei den „elenden Elementen“ dieſer Welt, und nicht im 
göttlichen Geiſte, dem Urquell alles Lebens und dem 
Befreier vom Tod und Verderben: ſie greift ein in die 
„glorreiche Freiheit der Kinder Gottes“, der Erlöfeten 
Chriſti und der geborenen Buͤrger des Reiches des 
Herrn: ſie kreuziget Chriſtus, und leugnet praktiſch die 
Kraft ſeines Opfers. Nicht die Heiden, die Juden 
kreuzigten Chriſtus, und fo thun fie es bis auf den heu— 
tigen Tag. Von allem dieſem bin ich feſt uͤberzeuget, 
wie ich es bin von dem Daſein Gottes, und wie ich an 
den ſeligmachenden Tod Chriſti und an das ewig verjuͤn⸗ 
gende, allmaͤchtige Wirken des Geiſtes glaube. Ich hoffe, 
daß ich ſo denken wuͤrde, auch dann, wenn, zu meiner 
größten Bekuͤmmerniß, Gott mich in der Roͤmiſchen 
Kirche haͤtte laſſen geboren werden. Ich ſage keinen 
Theil hiervon als Proteſtant, wiewohl ich die Reforma— 
toren dafuͤr ſegne, daß ſie mich es lehrten, indem ſie 
mir den Sinn der Schrift und der Kirchengeſchichte oͤff— 
neten. Aber ich brauche nicht hinzuzufuͤgen, daß ich es 
als eine verraͤtheriſche Handlung anſehen wuͤrde (abge: 


25 


ſehen davon, daß es unter allen Umſtaͤnden in meinen 
Augen gottlos waͤre), wenn ich nicht gelobte, alle Kraͤfte 
meiner Seele (ſo gering ſie auch ſein moͤgen) und den 
letzten Tropfen meines Blutes opfern zu wollen, um vor 
einem ſolchen Epiſkopate die Kirche der Nation zu be— 
wahren, zu welcher zu gehoͤren ich ſtolz und hoffentlich 
auch dankbar bin. Und offenbarte mir ein Engel vom 
Himmel, daß, durch Einfuͤhrung, oder durch Anpreiſung 
oder auch nur Beguͤnſtigung des Einfuͤhrens eines ſol— 
chen Epiſkopates in irgend einem Theile Deutſchlands 
ich nicht allein das deutſche Volk ruhmvoll und maͤchtig 
über alle Völker des Erdbodens machen, nein auch erhe— 
ben koͤnnte zum gluͤcklichen Vorkaͤmpfer gegen den Unglau— 
ben, den Pantheismus und den Atheismus des Tages, 
ich thaͤte es nicht: ſo wahr mir Gott helfe, Amen! — 
Moͤglich daß wir beſtimmt ſind unterzugehen, Kirche und 
Staat: aber gerettet koͤnnen und duͤrfen wir nicht dadurch 
werden, daß wir Leben in Aeußerlichkeiten erſtreben. 
Theurer Freund, nehmen ſie dieſe lange, unfertige 
und ſchlecht geſchriebene Herzensergießung hin als meinen 
chriſtlichen Dank fuͤr die Freundlichkeit, Achtung und 
Liebe eines Mannes, deſſen chriſtliche Redlichkeit, deſſen 
Muth und Ernſt ich froh bin, lieben zu duͤrfen; denn 
verehren mußte ich von Anfang an jene Eigenſchaften von 


46 


Grund meines Herzens. Solchen Herzen, wie das Ihrige, 
ſolchen Freunden gegenuͤber, wie Sie ſind, fuͤhlt man 
ſich ſo bloß, ſo arm: denn man hat ihnen nichts anderes 
zu bieten, als jene ruͤckhaltsloſe Offenheit, deren 
man ſich (und nicht bloß aus Klugheitsgruͤnden) vor der 
Welt enthält. Keine Moͤglichkeit eines Mißverſtaͤndniſſes 
in Betreff meiner Ueberzeugungen und Meinungen darf in 
Ihrer Seele zuruͤckbleiben, ſonſt müßte ich mir undank⸗ 
bar vorkommen. Außerdem fuͤhlte ich, daß ich mir ſelbſt 
ſolch ein offenes Bekenntniß ſchuldig bin; denn hiermit 
werden Sie ſicherlich all mein vergangenes und (unter 
Gottes Gnade) all mein zukuͤnftiges Handeln, Schreiben, 
Reden in Einklang finden. Diplomatiſch iſt weder 
meine Theologie noch meine Amtsthaͤtigkeit in Kirchen— 
angelegenheiten hier oder ſonſt wo jemals geweſen und 
ſoll es nie ſein; waͤre ſie es je geweſen, ich haͤtte 
(Gott ſei Dank!) eben ſo ſehr in letzterer Hinſicht dem 
Willen meines Koͤniges, als in der erſteren den Ge— 
boten meines Herrn und Heilandes zuwider gehandelt. 
Dixi et salvavi animam meam. 

Nun erlauben Sie mir noch Ein Wort hinzuzufuͤ— 
gen, eine Bitte, in Betreff unſerer praktiſchen Stellung 
dem Bisthum von Jeruſalem gegenuͤber. Nach meiner 
Ueberzeugung und, wie ich glaube ſagen zu durfen, nach 


47 


der Ueberzeugung der Praͤlaten, mit denen jene Maaß— 
regeln ausgefuͤhrt ſind, iſt die Idee des Koͤniges und die 
Art, in der es verwirklicht worden, mit einem Worte das 
Bisthum von Jeruſalem, durchaus unabhängig von dem 
halb dogmatiſchen, halb hiſtoriſchen, halb Verfaſſungs— 
kampfe zweier Partheiungen in der Kirche Englands, 
der ſich durch die letzten drei Jahrhunderte hindurchzieht: 
ich moͤchte faſt ſagen, eben ſo ſehr, wie es von Torythum 
und Whigthum unabhaͤngig iſt. Es greift der Durch— 
kaͤmpſung und Beantwortung keiner der Lebensfragen 


vor, die auf jenem Felde dem Streite unterliegen; ſo 


weit natuͤrlich, als jener Streit wahrhaftig innerhalb 
der englichen Kirche iſt, von Laud bis Tenniſon, jener 
Kirche, welche auf Artikeln und Liturgie beruht. Aber 
wahrlich am allerwenigſten ſcheint es mir auf die Schwaͤ— 
chung des biſchoͤflichen Anſehens hinzuwirken: iſt es doch 
im Gegentheil die erſte oͤffentliche Anerkennung der eng— 
liſchen Kirche von außen! 

Diejenigen, welche das Werk befoͤrdert haben, moͤ— 
gen, unter andern Schwaͤchen, ihre eigenen Anfichten, _ 
Theorien und Vorurtheile befisen, und mögen dieſelben 
zeigen in dem, was ſie zur Vertheidigung deſſelben zu 
ſagen oder zu ſchreiben haben. Aber das Bisthum in 
Jeruſalem iſt und wird ſo frei und unabhaͤngig von die— 


48 


ſem bleiben, als nur immer von den Formeln, Theorien, 
und vielleicht auch Vorurtheilen derjenigen, welche es, 
wie Herr Hope, angegriffen, oder derjenigen, welche von 
demſelben Geſichtspunkte es vertheidigt haben. Das „Sta- 
tement published by authority“ greift in keine engliſche 
Kirchenfrage, die Schrift uͤber das Evangeliſche Bisthum 
in Jeruſalem in keine deutſche Kirchenfrage ein. Beide 
geben Thatſachen, und fuͤgen dieſen Erläuterungen 
bei: das eine (und nur dieſes kirchlich-amtlich) für Eng- 
land, das andere fuͤr Deutſchland. Zehn bis funfzehn 
Jahre werden darthun, ob und wie Gutes geſchafft wer— 
den kann durch chriſtliches Zuſammenwirken — nicht 
durch Mengung oder Vermengung — proteftantifch- 
chriſtlicher Kirchen zu Jeruſalem. So viel iſt offenbar, 
meine ich, daß dieß auf keine andere Weiſe erreicht 
werden konnte. Was auch die Vorſehung beſchloſſen 
haben mag, die einzige ſtaatsmaͤnniſche Anſicht ſcheint 
mir die zu ſein: dem Werke ſeinen freien Lauf zu laſſen, 
und es nicht mit den Theorieen einer beſtimmten Rich— 
tung oder Nation, und mit den Jagesſtreitigkeiten in 
Verbindung zu ſetzen. Dieſes wuͤrde aͤrger ſein als die 
Kaͤmpfe der Kreuzfahrer verſchiedener Nationen, welche 
ihre Partheifehden und ihren Nationalehrgeiz in das 
gelobte Land heruͤberbrachten. Zion ſei ein neu— 


49 


traler Boden, und insbeſondere möge das, was 
wir Deutſche in unſerer eigenthuͤmlichen Weiſe ſagen, 
nicht Sie, den Sohn der engliſchen Kirche und den Ver— 
faſſer des „Verhaͤltniſſes von Staat und Kirche“ minder 
guͤnſtig denken machen von dem Werke, welches unter 
großen Schwierigkeiten und dem vereinten Angriffe von 
Unglaͤubigen und Papiſten auf jenem heiligen Boden ge— 
trieben wird, in Glauben und Hoffnung und, wie ich 
meine hinzufuͤgen zu duͤrfen, in Liebe. In der Hoffnung, 
daß Sie dieſe Nachſicht insbeſondere den rohen Andeu— 
tungen und Ergießungen dieſes endloſen Briefes ange— 
deihen laſſen wollen, verbleibe ich, mein theurer Freund, 


Ihr treu ergebener 
WVunſen. 


Drittes Schreiben des Hoch-Ehrenwerthen 
Herrn Gladſtone. 


Fasque, 19. September 1843. 


Mein theurer Freund! 


Ich habe Ihren anziehenden Brief empfangen und 


aufmerkſam durchgeleſen. Die Offenheit und der Umfang 
4 


50 


der darin gegebenen Eroͤffnungen ſprechen fuͤr ſich ſelbſt, 
und beduͤrfen nicht einmal einer ausdruͤcklichen Anerken—⸗ 
nung. Sie reichen weiter als irgend eine Erklaͤrung uͤber 
Ihre Anſichten, die ich fruͤher empfangen hatte: aber es 
iſt wahr, ſie fuͤgen nicht ein einziges Element hinzu, das 
irgend wie im Widerſpruch ſtaͤnde mit dem, was ihnen 
vorhergegangen iſt. Was mich betrifft, ſo bin ich durch 
meine eigenen gewiſſenhaften Ueberzeugungen und durch 
das, Angeſichts der Welt abgelegte Zeugniß, deſſen 
Grund ſie waren und ſind, gefeſſelt und gebunden an 
eine Theorie des Epiſkopats und der ſichtbaren Kirche, 
welche von der Ihrigen abweicht. Aber ich bin zufrieden, 
in Geduld Zeuge zu ſein des Kampfes der Wahrheit und 
ihrem Offenbarwerden entgegen zu harren: wahrlich nicht 
mit Gleichguͤltigkeit mitten unter ſtreitenden Lehren, aber 
auf der andern Seite ohne zu verſuchen, meinen Mit: 
chriſten die Uebung der Thaͤtigkeit ihres Gewiſſens zu 
verkuͤmmern, ſelbſt in Faͤllen, wo ſie mir nicht in allen 
Erforderniſſen zur Bildung eines richtigen Urtheils uͤber— 
legen ſind, Faͤllen, ſo verſchieden von dem gegenwaͤrtigen. 
Ich wuͤnſche auch nicht für mein Vaterland von andern 
Nationen eine Zuſtimmung oder irgend eine beſondere 
Achtung zu fordern fuͤr jene Idioſynkraſieen, woran es 
ſo reich iſt. In der That Sie gehen darin viel weiter 


51 


als ich. Denn waͤhrend Sie bereit ſind, es als ein Geſetz 
unſerer bürgerlichen Ordnung zu dulden, daß wir biſchoͤf— 
liche Weihe zur Bedingung einer Gemeinſchaft des geiſt— 
lichen Amtes machen; ſo koͤnnte ich es nicht entſchuldigen 
noch leiden, daß man fuͤr eine ſolche Sache diejenigen 
Verkehrskanaͤle verſtopfte, welche alle Theile des Leibes 
Chriſti frei durchſtroͤmen und ſichtbar verknuͤpfen ſollten. 

Laſſen Sie mich Ihnen verſichern, daß ich ganz den 
praktiſchen Betrachtungen am Schluſſe Ihres Briefes 
beiſtimme. Als ich Ihnen ſchrieb, hatte ich nicht die Ab— 
ſicht, es ſollte, was auch immer Ihre Theorie uͤber das 
Bisthum ſein moͤchte, irgendwie verſucht werden, das 
Geſchehene ungeſchehen zu machen: und ich werde wahr— 
lich mich ſehr freuen, zu ſehen, ob im Verlaufe einer 
geraumen Zeit Gutes entſtehen wird (um Ihre eignen 
Ausdruͤcke zu gebrauchen), von Mitwirkung ohne Ver— 
miſchung: von einer verſuchsweiſe gemachten Anſtrengung 
in Erfahrung zu bringen, welche Faͤhigkeiten wahrer 
Vereinigung moͤglicherweiſe in beiden Kirchen beſtehen, 
ohne daß man unterdeſſen auf der einen oder andern 
Seite den eigenen Grund und Boden gefaͤhrde oder 
aufgebe. 

Was ich geneigt bin in der „Geſchichtlichen Darle— 
gung“ in Abrede zu ſtellen, iſt nicht die Freiheit, von 


52 


welcher der Verfaſſer Gebrauch macht, indem er die fuͤr 
das Bisthum getroffenen Einrichtungen in ſeiner Weiſe 
auslegt, ſondern die Auslegung, welche er den Anord— 
nungen und Erklaͤrungen der engliſchen Kirche giebt: 
eine Auslegung, die nach meiner Anſicht, gänzlich zuwider 
läuft ihrem Sinne und den neulich veroͤffentlichen Er— 
klaͤrungen des Biſchofs von London, welcher ſelbſt einer 
der vorzuͤglichſten Arbeiter bei den Verhandlungen ge— 
weſen iſt. 

Ich tadle nicht die Handlung, dem Abkommen in 
Beziehung auf die engliſche Kirche auf dieſe Weiſe eine 
Auslegung zu geben. Es mag eine Nothwendigkeit ge— 
weſen ſein (und wahrſcheinlich war es ſo, obwohl man 
es hier bei dem „Statement“ nicht unerlaͤßlich fand), zu 
zeigen, daß jene Verhandlungen nach Ihren geiſtlichen 
Einrichtungen einen beſondern Sinn tragen muͤſſen. Aber 
ich bedaure es: weil es mir ſcheint, daß das Unterneh— 
men ſelbſt, welches aus ſo bewundernswuͤrdigen Beweg— 
gruͤnden hervorgegangen, in eine falſche Stellung dadurch 
geraͤth, daß man in Deutſchland und in England im 
entgegengeſetzten Sinne erklaͤren muß, und weil, wie ich 
geſtehe, es mir auch ſcheint, daß Abekens Darſtellung 
irgend eine Art von Verwahrung erfordert, worin ausge— 
ſprochen werde, daß wir durch dieſelbe nicht gebunden ſind. 


“ 9 
4 


53 


Es iſt ganz wahr, daß ſein Sendſchreiben an Dr. 
Puſey in demſelben Sinne geſchrieben iſt, aber dieß wird 
als individueller Ausdruck einer Meinung verſtanden. 
Und von denen, welche in England fuͤr das Bisthum ge— 
ſchrieben, iſt keiner, fo weit ich fie kenne (Hook, Perce— 
val, Maurice, Palmer, Allies) einer Anſicht gefolgt, die 
jener irgendwie aͤhnlich ſaͤhe. 

Ich freue mich ſehr zu vernehmen, daß das Buch 
wahrſcheinlich uͤberſetzt werden wird. Sie haben mir alles 
geſagt, was ich jetzt verlangen oder erwarten konnte, in— 
dem Sie mir melden, daß es dem Erzbiſchof von Canter⸗ 
bury und dem Biſchofe von London mitgetheilt worden: 
und vielleicht kann ich ſpaͤter erfahren, wie ſie daſſelbe 
anſehen. 

Das Werk aber, darin ſtimme ich Ihnen bei, ſteht 
da ganz unabhaͤngig von den Auslegungen, welche daruͤber 
gegeben werden: man ſollte ihm einen freien und vollen 
Spielraum geben, mit aller Geneigtheit zu ſeinen Gun— 
ſten, und ich ſehe keinen Grund, weßhalb irgend eine 
Verſchiedenheit in der Auslegung deſſen, was geſchehen 
iſt, daſſelbige im Geringſten betheiligen duͤrfte, es müßte 
denn ſein, daß zu irgend einer Zeit eine praktiſche 
Schwierigkeit ſich herausſtellte, welche Verſtaͤndigung 
erheiſchte. Dieß iſt meine beſtimmte Anſicht der Sache, 


54 


wie es jetzt liegt: dabei aber beſorge ich, die von mir 
gefuͤrchteten Schwierigkeiten werden ſich zeigen, wenn 
Biſchof Alexander deutſche Candidaten ordiniren, und es 
ſich finden ſollte, daß dergleichen Candidaten in amtlicher 
Gemeinſchaft mit der preußiſchen Landeskirche ſtaͤnden, 
und dann eine Frage entſtehen ſollte uͤber das Verhaͤlt— 
niß jener Maͤnner zur engliſchen Kirche. 

Sein Sie verſichert, die Laͤnge Ihres Briefes konnte 
in meinen Augen kein Fehler ſein, und in Betracht der 
Wichtigkeit der zu erklaͤrenden Gegenſtaͤnde moͤchte ich 
keinen Theil deſſelben miſſen: nur mit Ausnahme der— 
jenigen Stellen, worin Sie ein viel zu guͤnſtiges Urtheil 
uͤber mich faͤllen oder durchblicken laſſen: ich kann nur 
hoffen, daß ſie einen Einfluß haben werden mir zu hel— 
fen das zu fein, wofür Sie mich nehmen... 

Immer, mein theurer Freund, Ihr aufrichtig ergebener 


W. T. Gladſlone. 


Die Verfaſſung 


der 


Kirche der Zukunft. 


J. 


Einleitung. 


Das chriſtliche Prieſterthum, der Staat und 
der kirchliche Beruf der Gegenwart. 


Die Verfaſſung einer Kirche umfaßt im weite— 
ſten Sinne das ganze Leben der chriſtlichen Gemeinde, 
als ſolcher. Dieſes Leben iſt aber, wie das jedes 
einzelnen Gliedes der Gemeinde, einestheils ein Leben 
in Gott, anderntheils ein Leben in der Welt. Das 
Geſammtleben des Chriſten in Gott, das Leben der 
Anbetung ſtellt ſich dar in dem Gottesdienſte und 
den kirchlichen Feiern: Das chriſtliche Geſammtleben 
in der Welt, das Leben der Gemeinde in ſich ſelbſt, 
nach ihrem irdiſchen Beſtehen, offenbart ſich in den 
gegenſeitigen Rechten und Pflichten, welche die Ge— 
meinde und ihre Aemter in Beziehung auf dieſes 


58 


irdiſche Beſtehen haben und uͤben. Die Anordnung 
oder Verfaſſung der einen Lebensthaͤtigkeit wie der 
andern iſt eine lebendige, thatſaͤchliche Darſtellung der 
Kirche, die Verwirklichung eines Lebens, das in ihr 
iſt. Die Gottesdienſt-Ordnung verwirklicht das un— 
mittelbare Leben der Chriſtenheit in Gott: die Ge— 
meinde- Ordnung das unmittelbare, d. h. das Leben 
der Kirche als ſolcher in der Zeitlichkeit, in welcher 
ſie ſich als eine bruͤderliche Gemeinſchaft zu erhalten 
und zu regieren hat. 

Die Rechte und Pflichten der Glaͤubigen, welche 
nicht das chriſtliche Verhaͤltniß zu Gott und den 
Glauben an daſſelbe in Anſpruch nehmen, ſondern 
das von Bürgern oder Unterthanen als ſolchen ge 
hoͤren in die ſtaatliche Verfaſſung. 

Die Eroͤrterungen dieſes Buͤchleins betreffen nur 
die kirchliche Verfaſſung im gewöhnlichen, beſchraͤnkten 
Sinne. Ueber den andern Zweig der Darſtellung 
des kirchlichen Gemeinlebens (der liturgiſchen) wer: 
den wir anderweits eine Gelegenheit haben, der 
Gemeinde unſere Anſicht vorzutragen. In dieſen 
einleitenden Worten muͤſſen wir jedoch die thatſaͤchliche 


59 


Darſtellung des kirchlichen Lebens nach ihrer ganzen 
Ausdehnung ins Auge faſſen: theils um den gemein— 
ſamen Gegenſatz beider Zweige, gegenuͤber den theo— 
logiſchen Lehrbekenntniſſen und Lehrgebaͤuden anſchau— 
lich zu machen, theils um zu zeigen, wie beide, 
Gottesdienſt- Ordnung und Gemeinde- Ordnung, im 
Evangelium und im ſittlichen Bewußtſein eine und 
dieſelbe Wurzel haben. 

Wir gehen naͤmlich davon aus, daß jene beiden 
Zweige weſentlich in der Idee des Prieſterthums 
wurzeln, und daß ihre rein chriſtliche Geſtaltung vor 
allem bedingt iſt durch das Verſtaͤndniß und die An— 
erkennung des allgemeinen Prieſterthums der Chriſten. 
Ueber dieſen Punkt muͤſſen wir uns alſo erlauben, 
einige Andeutungen und Annahmen vorauszuſchicken. 

Alle Religionen, und ganz beſonders die der 
weltgeſchichtlichen Staͤmme, haben ein Prieſterthum, 
weil Prieſter und prieſterliche Opfer. In allen Re— 
ligionen heißt Prieſter, im Sinne von Opferer, wer 
ſich unmittelbar der Gottheit nahen darf, mit Gebet 
und Fuͤrbitte. Die Natur-Religionen und das Ju— 
denthum hatten — jene unbewußt, dieſes bewußt — 


2 


ein vorbildliches, opferndes Prieſterthum. Eine 
Koͤrperſchaft, auserleſen aus dem Stamme oder 
Volke, vermittelte deſſen Verbindung mit der Gott— 
heit, im Ganzen und im Einzelnen, und unterhielt 
den Verkehr des Gemuͤths mit der Gottheit, auf 
deſſen Annahme und Bethaͤtigung alle Religion ruht. 
Dieſe Prieſterſchaft nahte der Gottheit, und war ihr 
fuͤr die treue und ehrfuͤrchtige Verwaltung des Dien— 
ſtes verantwortlich. Die Werke ihrer ſinnbildlichen 
Vermittlung waren Darbringungen des Eigenen, vor— 
zugsweiſe thieriſchen Lebens, immer in dem Sinne 
des Aufgebens und Vernichtens des Eigenthums oder 
des Einzellebens zum Dienſte und zur Ehre der 
Gottheit. Solche Darbringungen heißen Opfer. Im 
urſpruͤnglichen Gottesbewußtſein der mit Gott ſich 
einig fuͤhlenden Menſchheit koͤnnen ſolche Darbringun— 
gen nur als Sinnbilder gedacht werden, Sinnbilder 
der vollen, ſeligen Hingabe des Eigenwillens, alſo 
Zeichen des Dankes gegen Ihn, in dem und durch 
den wir leben, weben und ſind. Allein das geſchicht— 
liche Gottesbewußtſein des Menſchen iſt durch die 
Suͤnde nothwendig ein geſpaltenes, ein ſchwebendes. 


61 


Nach dem einen Pole hin zeigt es ſich als Gefuͤhl 
der Getrenntheit von Gott, nach dem anderen als 
Gefuͤhl der Abhaͤngigkeit. In jeder einzelnen Hand— 
lung, welche auf Gott ſich bezieht, wird alſo der 
eine oder andere Pol uͤberwiegen und den Ausſchlag 
geben. Ueberwiegt bei Volk und Einzelnem das 
Gefuͤhl der Getrenntheit von Gott durch die Suͤnde 
und Unvollkommenheit; ſo wird der Menſch getrieben 
wenn er der Gottheit naht, eine Suͤhne der belei— 
digten Gerechtigkeit zu verſuchen, das heißt, in der 
finn: und vorbildlichen Sprache jener Religionen, das 
Suͤhnopfer darzubringen, damit die aufgehobene oder 
verdunkelte Gemeinſchaft hergeſtellt werde durch Hin— 
gabe des Einzellebens, des Eigenen, an die erzuͤrnte 
Gottheit, zur Strafe oder Buße. Das Ueberwiegen 
des anderen Poles hingegen, des Gefuͤhles der Ab— 
haͤngigkeit, beim Empfinden der Liebe und Guͤte 
Gottes, ruft das Beduͤrfniß hervor, die Dankbar— 
keit des Herzens zu bethaͤtigen durch die Hingabe 
des Theuerſten an die Gottheit, welche alles Guten 
Geberin und Urſache iſt. 


62 


Mit naturgemaͤßer Nothwendigkeit find demnach 
alle Opfer des geſchichtlichen Heidenthums wie des 
Judenthums entweder Suͤhn- oder Dankopfer. Das 
zeigt aber auch die levitiſche Anordnung des juͤdiſchen 
Gottesdienſtes und die Geſchichte aller heidniſchen 
Religionen und Gottesdienſte. Die äußere Darbrin: 
gung iſt in allen ſinnbildlich, aber vom weltgeſchicht— 
lichen Standpunkte aus zugleich vorbildlich. Denn 
alle jene Opfer ſind Verſuche, die Vereinigung mit 
Gott herzuſtellen, deren Unterbrechung und Herſtel— 
lung der innerliche Grund und das Ziel aller Reli— 
gion iſt. Dieſe Verſuche konnten aber nie das ver— 
wirklichen was ſie bezweckten. Erſtlich ſchon nicht 
als bildliche, aͤußerliche Thaten, hier, wo es ſich um 
das eigentlichſt Innerliche, die ſittliche, auf Gott 
gerichtete Geſinnung handelt. Dann aber auch, weil 
es gerade unmoͤglich war, dieſe durch die Opfer ſinn— 
bildlich verwirklichte, innerliche That wahrhaft zu 
vollziehen. Vollkommener Dank iſt nur dem moͤglich, 
welcher ſich vollkommen mit Gott vereinigt fuͤhlt: 
alſo verhindert die den Menſchen beherrſchende Spal— 
tung des Gottesbewußtſeins, daß das ‚Gefühl der 


63 


Getrenntheit, der Sünde, des Außer : Gott + Seins 
dauernd im Danke verſchwinde. So wird alſo die 
dankende und dankbar ſich hingebende Seele noth: 
wendig zu dem andern Pole getrieben. Aber hier 
vermag ſie noch viel weniger das Opfer zu vollziehen. 
Denn es wuͤrde dazu vor Allem die vollkommene 
Schuldloſigkeit und Unſuͤndlichkeit des Opfernden 
gehoͤren: aber wie koͤnnte irgend ein Menſch dieſe 
anſprechen? Und wie nun gar fuͤr andere, fuͤr Fa— 
milie und Volk? Das Bewußtſein der Schuld, 
der Unvollkommenheit, des Getrenntſeins begleitet 
den Gott ſuchenden Menſchen zum Altar. Er giebt 
ſein theuerſtes Eigenthum hin, er ruft auf das ſtell— 
vertretende Haupt des Opferthieres alle Strafen der 
Gottheit herab, von welchen ſein eigenes Haupt, nach 
der Stimme des Gewiſſens ſich bedroht fuͤhlt: ja er 
opfert wohl gar der zuͤrnenden Gottheit im Wahnſinn 
das geliebte Haupt des Kindes. Im Herzen bleibt 
das Gefühl des Zornes Gottes: jedes Ungluͤck, jeder 
Schmerz, jeder Verluſt des Theuren iſt ihm ein 
Beweis dieſes Zornes, dieſer Getrenntheit. So be— 
wirkte das Suͤhnopfer des vorbildlichen Geſetzes eben 


64 


jo wenig als das der Natur-Religionen jenes beſeli— 
gende Gefuͤhl der Wiedervereinigung, und ſo konnte 
auch das wahre Dankopfer nie zu Stande kommen. 
Die Vollziehung des einen wie des andern wuͤrde 
eine goͤttliche Erneuerung des Herzens vorausſetzen, 
in welcher der Menſch ſich zwar noch als unvoll— 
kommen ſuͤndhaft empfaͤnde, aber nur zu feinem eige⸗ 
nen Beſten, zur Erſtarkung des goͤttlichen Lebens in 
ihm. Die freie Hingabe an das Goͤttliche ſetzt voraus 
das volle Gefuͤhl der Liebe Gottes, welche ſelbſt die 
Sünde, nach ihrem ewigen Nathichluffe zur Verherrli— 
chung des Reiches des freien Geiſtes dienen laſſen will. 

So bewegte ſich alſo durch die langen Jahrtau— 
ſende alles religioͤſe Leben der Voͤlker in ewiger Un— 
ruhe zwiſchen den beiden Polen des auseinander 
gefallenen Gottesbewußtſeins. In der That iſt die 
innere Geſchichte ihrer Religionen nichts als die 
Geſchichte von den Schwankungen des Pendels ihres 
Lebens im Unſichtbaren, zwiſchen Suͤhnen und Dank. 
Neue Suͤhnen wurden dargebracht, neue Dankgebete 
ſtiegen mit dem Rauche des Opfers zum Himmel 
empor: das wahre Opfer wurde nie vollzogen. Der 


65 


Menſch fühlte ſich immer wieder getrennt von Gott: 
das Gefuͤhl des Zornes Gottes verdunkelte das Be⸗ 
wußtſein der Liebe, und die Selbſtſucht der Natur 
fand in den Erweiſungen der goͤttlichen Liebe nur 
Veranlaſſungen groͤßerer Selbſtſucht, alſo Urſache 
groͤßerer Getrenntheit. Keine jener Religionen konnte 
das Raͤthſel der Menſchenbruſt loͤſen: der Streit 
zwiſchen dem unbeugſamen Sittengeſetze, welches 
vollkommene Heiligkeit fordert, und dem wirklichen 
Thun und Leben, welches dem Gewiſſen Unvollkom— 
menheit und Abfall zeigt, blieb ungeſchlichtet, unver— 
ſoͤhnet. Wohl ſtieg, vom Geiſte Gottes geleitet, der 
Denker in ſeine Bruſt, und erkannte das Raͤthſel, 
aber ohne es loͤſen, den Streit, aber ohne ihn zu 
ſuͤhnen. Der Menſchheit fehlte die Einſicht, weil 
ſie der Kraft ermangelte. Der Fromme und Gottes— 
fuͤrchtige lebte in Glauben auf Hoffnung. Er that 
und ehrte die aͤußeren Werke der Religion ſeines 
Volkes, als Theil ſeiner buͤrgerlichen Pflichten und 
Ehren, und zugleich als Sinnbild von etwas, deſſen 
Wirklichkeit und Weſenhaftigkeit ſich eben ſo wenig 


ablaͤugnen, als ausſprechen und darſtellen ließ. 
5 


66 


Chriſtus loͤſte dieſen unſeligen Streit durch die 
freie und liebevolle Hingebung ſeines Willens in den 
des Vaters: eine That des Lebens und Sterbens, 
in welcher Chriſtus und die chriſtliche Kirche uͤber 
den Erdkreis mit ihm, die Selbſtentaͤußerung der 
Gottheit erkennt, und welche die Wiſſenſchaft, oder 
die bewußte Vernunft, als ewige That Gottes fordert. 
Durch dieſe gottmenſchliche That der ewigen Liebe 
empfingen diejenigen Menſchen, welche daran glaub: 
ten, den neuen Geiſt, eine neue goͤttliche innere 
Kraft. Das innerliche Bewußtſein der ewigen, erloͤ— 
ſenden Liebe Gottes (der Glaube) gab die Faͤhigkeit 
ſich mit Gott vereint zu fuͤhlen, trotz der Suͤnde: 
denn es gab die Kraft die Suͤnde, als das Boͤſe, 
Feindliche vom wahren Ich zu trennen, alſo das 
Leben von aller Sünde Kern, der Selbſtſucht zu be: 
freien. Freie Hingabe in dankbarer Liebe an Gott 
und die Bruͤder ward jetzt moͤglich: eine Hingabe 
um Gottes willen, aus dem Gefuͤhle der Dankbarkeit 
gegen den, welcher uns zuerſt geliebt hat. 

In der Sprache der Ueberlieferung, der Ge— 
ſchichtlichkeit heißt dieß alſo etwa ſo. Das große 


67 


Verſoͤhnopfer der Menſchheit ward durch Chriſtus 
vollbracht, vermittelſt ſeiner perſoͤnlichen Hingabe: 
das große Dankopfer der Menſchheit ward durch 
Chriſtus moͤglich, vermittelſt des Geiſtes. Wir ſagen, 
der Menſchheit, nicht der Voͤlker: denn wie mit dem 
Gottesbewußtſein die Menſchheit aus dem Einen ins 
Viele gefallen war, ſo wurde mit der Herſtellung des Be— 
wußtſeins auch die Herſtellung der Menſchheit moͤglich. 

So war alſo, durch die in Chriſti als des ver— 
koͤrperten ewigen Wortes perſoͤnlicher That erſcheinende 
goͤttliche That, die eine der zwei Vorbildlichkeiten, 
das Suͤhnopfer, fuͤr alle Zeit und Ewigkeit erfuͤllt, 
das Angeſtrebte ein fuͤr allemal vollbracht. Die an— 
dere Vorbildlichkeit aber hatte begonnen in Erfuͤl— 
lung zu gehen. Das wahre Dankopfer trat in die 
Zeit ein, als der Pulsſchlag des goͤttlichen Lebens 
auf Erden, beſtimmt, nach Chriſti Verheißung, bis 
zum Ende der Tage fortzudauern, im Gottesdienſt und 
im ganzen Leben als der wahre, unmittelbare Verkehr 
des Menſchen mit Gott, gleichſam als die fortdauernde 
Einleibung der Menſchheit in das Goͤttliche. Die Vor— 
bildlichkeit ſollte und mußte alſo, hier wie dort aufhoͤren. 


68 


Wenden wir dieß auf die oben feſtgeſtellten Be: 
griffe von Prieſterthum und Opfer an: ſo ſcheint 
zweierlei klar zu ſein, Einmal, daß Prieſterthum und 
Opfer, in dem Sinne des Judenthums und Heiden 
thums, gaͤnzlich und fuͤr immer aufgehoͤrt haben, 
Zeichen des Gottesbewußtſeins der Menſchen zu ſein. 
Es kann nun keine menſchlichen (alſo vorbildlichen) 
Vermittler mehr geben zwiſchen Gott und Menſchen; 
denn der Vermittler, der Hoheprieſter, iſt ſelbſt Gott, 
keine vermittelnden Werke (Opfer) zwiſchen der inne 
ren Geſinnung und der inneren Beruhigung, denn 
das wahre Opfer iſt vollbracht und wird vollbracht. 
Die Vermittlung des verſoͤhnten Menſchen liegt 
einzig in ſeinem freien Glauben an die von Chri— 
ſtus verkuͤndigte Liebe Gottes, an den von ihm ver— 
heißenen Geiſt und an die vom Geiſte bewirkte 
Erneuerung des Innern und — der Welt. In 
dieſem Sinne konnte es alſo bei den Voͤlkern, 
die zu Traͤgern der fortſchreitenden ſittlichen Welt: 
ordnung (des Reiches Gottes) berufen ſind, keine 
Prieſter mehr geben. Alles Vorbildliche zuvoͤrderſt 
muß aufhoͤren, wenn die Wirklichkeit erſcheint. Die 


— 


goͤttliche Wirklichkeit, welche ſichtbar perſoͤnlich einge: 
treten war, hatte die Verſoͤhnung vollzogen: damit 
war alſo das Suͤhnopfer erledigt. Jede Hingabe 
um zu ſuͤhnen war hinfort ein Ruͤckſchritt, oder 
geradezu ein Unglaube, ein Frevel. Allerdings blieb 
noch das Gefuͤhl der Suͤnde, ja es wurde jetzt erſt 
recht klar im Bilde der goͤttlichen Vollkommenheit 
und Kraft, die in Chriſtus erſchienen war. Der 
Menſch als ſolcher ſollte der Gottheit nahen, alſo 
mit prieſterlicher Wuͤrde. Dieß konnte er, bei jenem 
Gefuͤhle der Suͤnde, nur unternehmen, indem er ſich, 
wie nie vorher, perſoͤnlich verantwortlich fuͤhlte fuͤr 
all ſein Thun und Denken. Kein anderer Menſch 
konnte fuͤr ihn die Verantwortlichkeit uͤbernehmen: ja 
auch kein eigenes aͤußerlich erſcheinendes Thun konnte 
den Mangel der innern Geſinnung des Glaubens und 
der Liebe erſetzen, welche allein mit Gott vereinigt 
und verbindet. Die ſittliche Verantwortlichkeit kam, 
als perſoͤnliches Grundgefuͤhl jedes Einzelnen, mit 
dem Chriſtenthum in die Welt. In ſo fern ſchon 
war jeder einzelne Menſch ein Prieſter des Aller— 
hoͤchſten, ihm allein ſittlich verantwortlich: ſein ganzes 


20 


Leben, in der Anbetung und in der Welt, ein fort: 
dauerndes Opfer, ein Theil des großen Werkes des 
Geiſtes der Liebe, durch welchen die Menſchheit her: 
geſtellt und das Reich des Wahren und Guten ge— 
bildet und gefoͤrdert wird. Glaube und Sittlichkeit 
waren nun unzertrennlich, und weſentlich gleichbedeu— 
tend: die Aeußerlichkeit der Religionen war innerlich 
geworden, die Geſinnung an die Stelle des aͤußeren 
Werkes getreten. 

Dieß iſt, nach unſerer Auffaſſung, das Prieſter⸗ 
thum, welches der Apoſtel Petrus der geſammten 
chriſtlichen Gemeinde, dem glaͤubigen Volke als dem 
wahren auserwaͤhlten Iſrael beilegt, wenn er ſagt: 
„Ihr ſeid das auserwaͤhlte Geſchlecht, das koͤnigliche 
„Prieſterthum, das Volk des Eigenthums, daß ihr 
„verkuͤndigen ſollt die Tugenden deß, der euch berufen 
„hat von der Finſterniß zu feinem wunderbaren Licht““ 
(1. Petr. 2, 9). Und jene fortgeſetzte Hingebung 
des Selbſt in dankbarer Liebe iſt das Opfer, zu 
welchem der Apoſtel eben daſelbſt die Gemeinde auf 
ruft: „So bauet euch nun, als die lebendigen Steine, 
„zum geiſtlichen Hauſe, zum heiligen Prieſterthum, 


21 


„zu opfern Gott geiſtliche Opfer, die Gott angenehm 
„ſind durch Jeſus Chriſtus“ (1. Petr. 2, 6). Dieß 
endlich iſt der vernuͤnftige Gottesdienſt, zu welchem 
Paulus die Roͤmer aufruft (12, 1): „So ermahne 
„ich euch nun durch die Barmherzigkeit Gottes, daß 
„ihr eure Leiber begebt zum lebendigen, Gott wohl: 
„gefaͤlligen Opfer, welches ſei euer vernuͤnftiger Got— 
tesdienft:“ dieß „das Lobopfer,“ welches nach dem 
Briefe an die Hebraͤer (13, 15) die Chriſten Gott 
allezeit darbringen ſollen. Jenes allgemeine Leben 
der Chriſtenheit aber, in Gott und in der Welt, 
jene Bethaͤtigung des allgemeinen Prieſterthums der 
Chriſten, jenes Anſtreben der Verwirklichung und 
Foͤrderung der ſittlichen Weltordnung Gottes iſt das 
allgemeine Dankopfer (Speisopfer), welches, nach 
dem Ausdruck des juͤngſten Propheten des alten Bun— 
des (Mal. 1, 13) einſt von allen Voͤlkern uͤber dem 
Erdboden dem Herrn dargebracht werden ſoll. 

Es iſt klar, daß dieſe große ſittliche Idee zu 
ihrer vollen, naturgemaͤßen und geſunden Entwicklung 
ein chriſtliches Volk und einen chriſtlichen Staat 
fordert, obwohl fie, in ihrem Keime, nur der chriſt⸗ 


22 


lichen Familie bedarf, und unter Neronen erſtarken 
kann. Die chriſtliche Idee nimmt den ganzen Men— 
ſchen, das ganze Leben in Anſpruch: aber der ganze 
Menſch entwickelt ſich nur als Theil einer freien 
Geſammtheit, das ganze Leben nur im ſtaatlichen 
Leben. Der Kirche des zweiten und dritten Jahr— 
hunderts fehlte Volk und Staat: die Verſunkenheit 
des roͤmiſch-byzantiniſchen Volkes machte das Auffom: 
men eines wahrhaft chriſtlichen Staates unmoͤglich: 
die germaniſchen Staͤmme bedurften erſt Jahrhunderte 
der Durchbildung. Das germaniſche Mittelalter em: 
pfing ſeine kirchliche Bildung von einer auslaͤndiſchen 
Prieſterkaſte. Es blieb dem Mittelalter die chriſtliche 
Grundidee, daß die Rechtsperſon der Kirche eine 
prieſterliche ſei: aber es kam ihm, nach der Natur— 
geſchichte aller Religionen, die alte heidniſch-juͤdiſche 
Vorbildlichkeit ins Chriſtliche hinein, als ſei eine 
vermittelnde Koͤrperſchaft der nothwendige Traͤger 
dieſer Prieſterlichkeit. In Folge einer ſolchen Dar— 
ſtellung des Prieſterthums durch den geiſtlichen Stand, 
als einen vermittelnden, ging die Gemeinde unter in 
der Geiſtlichkeitskirche: das chriſtliche Dankopfer der 


73 


anbetenden Gemeinde ward verwandelt in die Suͤh— 
nung der Todten und Lebenden, das Meßopfer. Eben 
ſo hielt die Kirche des Mittelalters ganz richtig feſt, 
daß das evangeliſche Leben ſich nach evangeliſchen, 
nicht nach außerchriſtlichen Geſetzen geſtalten und ver— 
walten muͤſſe. Allein vermoͤge der Verſetzung der 
Grundidee der Verfaſſung hieß ihm evangeliſch das 
Kirchliche, kirchlich aber waren ihm nur die Satzun— 
gen der Geiſtlichkeit. So trat die Kirche des Mit— 
telalters in einen Gegenſatz mit der Volksthuͤmlichkeit 
und mit dem Staate, ebenſowohl als mit der freien 
Wiſſenſchaft des Gedankens und der freien Erfor— 
ſchung der heiligen Urkunden. 

Die Reformation forderte fuͤr das chriſtliche Le— 
ben das allgemeine Prieſterthum der Gemeinde zuruͤck, 
fuͤr den chriſtlichen Staat die Selbſtaͤndigkeit des volk— 
lichſtaatlichen Lebens. Die Geiſtlichkeit wollte weder 
das Prieſterthum herausgeben, noch die Anmaßung 
der allgemeinen kirchlichen Oberherrlichkeit aufgeben, 
und die alten Herrſcherhaͤuſer unterſtuͤtzten ſie bei die— 
ſer Weigerung und liehen ihr den weltlichen Arm 
und die Gewalt um ſie geltend zu machen. So 


«4 


trennte ſich der Weſten in zwei Lager. Auf der einen 
Seite die Geiſtlichkeitskirche mit ihren byzantinifch: 
mittelalteriſchen Formen, und mit ihren mittelalter: 
lichen Satzungen und Philoſophemen uͤber dieſelben, 
deren Bewußtſein im zweiten Geſchlechte nach der 
Reformation, ein Kirchenrath zum feſten Bekenntniſſe 
der neuen Kirche des romaniſchen Weſtens gemacht 
hatte. Auf der anderen Seite die Gemeindekirche 
mit dem Stoffe neuen Lebens, der in den germani— 
ſchen Staͤmmen noch verborgen lag, nachdem dieſe 
ſich die Bildung und das Bewußtſein der alten Welt 
angeeignet, und zu den Quellen aller geſchichtlichen 
Erkenntniß, namentlich auch der Offenbarung, ſich 
durchgekaͤmpft hatten. Das Chriſtenthum machte das 
Entſtehen chriſtlicher Staaten uͤberhaupt moͤglich, die 
Reformation die Verbindung des chriſtlichen Lebens 
mit allen Zweigen des ſtaatlichen, wiſſenſchaftlichen 
und geſelligen Lebens. Die Lehre von der Rechtfer— 
tigung durch den Glauben im Gegenſatze aͤußerer 
Werke iſt uns die eine Seite des Gedankens, deſſen 
andere Seite wir anzudeuten unternommen haben, 
und in den folgenden Erlauterungen. weiter zu ent: 


75 


wickeln, vor allen aber praktiſch anſchaulich zu ma— 
chen verſuchen wollen. Die Geſinnung allein ſoll 
gelten, fo daß die Beſonderheit der That Handwerk, 
Regierung, Predigen) dagegen ganz verſchwindet. 
Dieß kann aber nur geſchehen durch Verwirklichung 
der Idee der perſoͤnlich ſittlichen Verantwortlichkeit, 
alſo durch Anerkennung voller Gewiſſensfreiheit des 
Einzelnen. 

Die Reformation, ſagen wir, machte die Heraus— 
ſtellung des allgemeinen Prieſterthums in einem welt— 
geſchichtlich gebildeten Volke und Staate moͤglich: 
aber damit nicht wirklich. Die Moͤglichkeit war 
gegeben durch Annahme der Schrift als oberſter Richt— 
ſchnur des Glaubens, durch Auſſtellung und offenes 
Bekenntniß jenes Grundſatzes und durch die unbe— 
dingte Forderung einerſeits der inneren Geſinnung 
und der perſoͤnlichen Verantwortlichkeit, andrerſeits 
der Freiheit des Gewiſſens im Staate. Die volle 
Verwirklichung erforderte die Durchbildung jener 
Grundſaͤtze in allen Grundverhaͤltniſſen des Familien— 
lebens, und des oͤffentlichen Lebens in Staat und 
Kirche. Der freie evangeliſche Glaube mit andern 


76 


Worten bedingt die Möglichkeit der geiſtigen Frei— 
heit; die Verfaſſung, in dem allgemeinſten Sinne des 
Wortes, bedingt die Verwirklichung und Bethaͤtigung 
des wahren Prieſterthums in der Gemeinde und die 
Erhaltung der Gemeinde ſelbſt. 

Die kirchliche Verfaſſung ſetzt allerdings den 
Glauben an die goͤttlichen Thatſachen der Erloͤſung 
und Stiftung der Kirche voraus. Aber das thut die 
Lehre auch. Der ewige, unzerſtoͤrbare Grund und 
Gegenſtand des Glaubens ſind drei goͤttliche Thatſa— 
chen, die Thatſache der Schöpfung der Welt und des 
Menſchen als des goͤttlichen Ebenbildes, die That— 
ſache der Erloͤſung durch Chriſtus als den Gottmen— 
ſchen, und die Thatfache der Ausgießung des Geiſtes 
als des Leiters des Bewußtſeins der Gemeinde und 
als des hoͤchſten Zeugniſſes fuͤr das geſchichtlich Be— 
zeugte (1. Joh. 5.). Auf dieſen goͤttlich gegebenen 
thatſaͤchlichen Glaubensgrund ſetzt die Theologie 
die Lehre, in der Form von Bekenntniß, Artikeln, 
Syſtem: und das hat ſie nun in der evangeliſchen 
Kirche dreihundert Jahre gethan: auf geſaͤubertem 
Grunde, allein uͤbrigens mit derſelben einſeitigen An— 


27 


ſicht, wie, durch tauſend Jahre vorher, die Geiſtlichkeit 
der alten Kirche. Naͤmlich mit der Anſicht, daß das 
Chriſtenthum vor allen andern Lehre ſei, und die 
Einheit der Lehre (d. h. des theologiſchen Syſtems) 
alle andere kirchliche Entwicklung bedinge. Die An— 
ſicht iſt die nothwendige Frucht jeder Geiſtlichkeits— 
kirche. So glaubte und ſagte man im Lateran: ſo 
bei der Unterſchrift der Concordienformel: ſo in Dort— 
recht. In der Wirklichkeit iſt es ganz anders. Alle 
Abgoͤtterei der alten Welt iſt nicht aus der Lehre 
hervorgegangen, ſondern aus der Verfaſſung; dieſe aber 
aus der Verweltlichung des Bewußtſeins und dann 
aus einer entſprechenden Vermiſchung menſchlicher 
Selbſtſucht mit dem Ueberlieferten in Gottesdienſt 
und Gemeindeordnung. Der alte Bund predigt das 
oberſte Gebot der Liebe, mit denſelben Worten, in 
welchen Chriſtus ſein neues Gebot ankuͤndigt. Aber 
durch das Geſetz und die levitiſche Verfaſſung, welche, 
wie der Apoſtel ſagt, nicht durch Gottes Werk zwi— 
ſchen die Verheißung und Erfuͤllung geſtellt, alſo im 
Zorne Gottes gebildet ward, trat das geſetzliche Werk 
ſo ſehr hervor, daß alle Sittlichkeit zur Geſetzlichkeit 


728 


wurde. Natuͤrlich fand ſich nun die Geſetzlichkeit, als 
etwas Aeußerliches, im Widerſtreit mit der freien 
inneren Geſinnung. Da entſtand der Phariſaͤismus als 
Syſtem der Werkheiligkeit. Die weſentlichen Gruͤnde, 
welche die evangeliſche Kirche von der alten Kirche 
des Oſtens trennen, liegen rein in der gottesdienſtli— 
chen und kirchlichen Verfaſſung. Ja ſelbſt die wich 
tigſten, welche uns von der roͤmiſchen Kirche trennen. 
Dieſe Kirche lehrt die ſittliche Verantwortlichkeit an 
ſich eben ſo ungefaͤhr wie die evangeliſche: wenn die 
Voͤlker unter ihr dieſe Verantwortlichkeit nicht ſo 
allgemein fuͤhlen, wenn der ausſchließliche Werth der 
Geſinnung uͤber allen Unterſchied des Werkes hinter 
dem Werthe der Ceremonien zuruͤcktritt, ſo kommt 
dies von der Verfaſſung, d. h. von dem durch die 
kirchlichen Satzungen und Werke ausgepraͤgten Leben, 
und nicht bloß von den gottesdienſtlichen Satzungen. 
Denn warum anders ſind dieſe nicht laͤngſt ver— 
aͤndert, als weil die Verfaſſung die Geiſtlichkeit 
allein als die Kirche ſetzt, d. h. als geſetzgebende 
Gemeinde, und an ihre Spitze einen unbeſchraͤnkten, 
alſo untruͤglichen Herrſcher ſtellt? Gewiß war es 


79 


weltgeſchichtlich richtig, daß durch die Forderung der 
Geſinnung, durch den Heiſcheſatz des rechtfertigenden 
Glaubens, der Verſtand einen Hebel gewann zum Um— 
ſturze dieſer Verfaſſung. Die Rechtfertigungslehre iſt 
in ihrer Weſentlichkeit (welche verſchiedene Methoden 
der philoſophiſch-theologiſchen Lehre zulaͤßt alſo for 
derte) nichts als das Poſtulat der Anerkennung der 
Wahrheit und Weſenhaftigkeit des Glaubens an die 
Gottheit Chriſti und an Chriſti Erloͤſungswerk. Eben 
ſo iſt die Lehre von der ſittlichen Verantwortlichkeit 
und dem allgemeinen Prieſterthum der Gerechtfertig— 
ten nichts als das Poſtulat der Verwirklichung des 
Glaubens an den heiligen Geiſt. Luther wollte nicht 
weniger Chriſtus, ſondern mehr: die Kirche der Zu— 
kunft bedarf nicht weniger Geiſt, ſondern mehr. Se: 
nes erſte Poſtulat macht möglich die volle Verwirkli— 
chung des Glaubens an den Sohn; denn die Recht— 
fertigung als Vermittlung des ſich ſuͤndhaft fuͤh— 
lenden menſchlichen Bewußtſeins mit dem Sittenge— 
ſetze oder der Gerechtigkeit Gottes iſt die ſittliche 
Wirklichkeit jenes Glaubens. Dieſes zweite Poſtulat 
giebt die Moͤglichkeit der vollen Verwirklichung des 


80 


Glaubens an den Geiſt, denn die Heiligung des Ein— 
zelnen und der Geſammtheit im Reiche Gottes auf 
Erden iſt die menſchliche Wirklichkeit dieſes Glaubens, 
nicht allein pſychologiſch perſoͤnlich, ſondern auch kirch— 
lich und ſtaatlich weltgeſchichtlich. Alles dieß iſt aber 
nicht moͤglich ohne Chriſtus, den Rechtfertigenden: 
der Geiſt verdraͤngt nicht den Sohn, ſondern verklaͤrt 
ihn, wie dieſer den Vater. Doch dies kann hier nur 
angedeutet werden zur Abweiſung des heuchleriſchen 
ja gotteslaͤſterlichen Mißbrauches, welcher mit dem 
Worte Geiſt getrieben wird, und zur Abwehrung des 
Mißverſtaͤndniſſes, als ſolle die Rechtfertigungslehre 
irgendwie in den Hintergrund geſtellt werden. Ver— 
faſſung und Lehre, in dieſem Sinn, ſtehen ſich alſo 
nicht feindlich gegenuͤber, noch als das Bedingte und 
das Bedingende. Die Verfaſſung iſt die Verwirklichung 
jenes Glaubens als Lebens, wie die Lehre es iſt als 
eines Gegenſtandes des vernuͤnftigen Nachdenkens. 
In ſo fern iſt die Verfaſſung das nothwendige Ge— 
gengewicht der Lehre. Die Lehre bedingt nicht die 
Verfaſſung, ſondern es ſtehen beide in Wechſelwir— 
kung in der Kirche. Ja die Lehre wird praktiſch 


sı 


verftanden nach der Verfaſſung, unendlich mehr als 
die Verfaſſung nach der Lehre. Gottesdienſtliche, im— 
mer wiederkehrende, alle Mitglieder beruͤhrende For: 
men, Sitten und Thaten und die verfaſſungsmaͤßige 
Wirkſamkeit in Regierung und Verwaltung haben 
nachweislich die wichtigſten Lehren umgebildet. Der 
Geiſt ſtrebt naturgemaͤß dahin, Einheit in Sitten 
und Satzungen zu bringen und ſucht und findet die 
Formel derſelben, indem er jene Sitten und Satzun— 
gen als Thatſachen annimmt und zwar als göttlich 
gegebene, als goͤttliche Thatſachen. Die roͤmiſche Kirche 
lehrt die Verehrung und Anbetung des Einen Got— 
tes: daß dieſe praktiſch durch die Verehrung der Hei— 
ligen verdunkelt wird, iſt urſpruͤnglich Folge der got— 
tesdienſtlichen Formen und die Lehre iſt nur die Apo— 
logie derſelben, ein Verſuch, das was man thut, einiger: 
maßen mit jener Grundlehre in Einklang zu bringen. 
Die vollſtaͤndige Lehre vom Meßopfer iſt uns ge— 
ſchichtlich nur das letzte Glied einer tauſendjaͤhrigen 
Entwicklung, welche mit dem verfaſſungsmaͤßigen 
Setzen der Geiſtlichen als der Kirche, und des Abend— 


mahls ohne Communion des Volkes als des Opfers 
6 


82 


der Gemeinde begann. Daß Theologen die Sache 
umgekehrt angeſehen, iſt ganz natuͤrlich, aber nichts 
deſto weniger ein verderblicherer Irrthum, als manche 
Lehren, welche Theologen verketzert und verurtheilt 
haben. Das vorbildliche Prieſterthum, welchem das 
Chriſtenthum ein Ende machen ſollte, ſchlich ſich in 
die kirchliche Welt wieder ein durch das natuͤrliche Hei— 
denthum im Gottesdienſte, und durch das geſetzliche 
Judenthum in der Verfaſſung. Die Lehre ward verſetzt 
und verderbt durch That und Leben, nicht umgekehrt. 

Die Idee der Reformatoren war aber nichts 
deſtoweniger die Verwirklichung, nicht bloß die Mög: 
lichmachung des innerlichen chriſtlichen Lebens, wel— 
ches ſie durch ihr Bekenntniß und ihre Heiſcheſaͤtze 
moͤglich gemacht hatten, und durch ihre hiſtoriſch— 
philoſophiſchen Entwicklungen und Lehrgebäude zu 
erklären ſuchten. Hieruͤber waren die beiden großen 
Reformatoren einig. Aber der romaniſche Refor— 
mator verſuchte dieſe Verwirklichung dadurch zu be— 
gruͤnden, daß er eine freie Stadt, deren Buͤrger alle 
Glieder der Kirche des Evangeliums waͤren, als 
Muſter des chriſtlichen Staates aufſtellte. Er gab 


s3 


dadurch feiner Kirche einen entſchiedenen Vorzug für 
Jahrhunderte: einen politiſchen Sinn fuͤr freie Ver— 
faſſungsform: aber er griff zugleich der Geſchichte 
vor, hinderte die freie Entwicklung der weltgeſchicht— 
lichen, neuen Verfaſſung der Kirche durch die Ber 
ſchraͤnktheit der damals allein moͤglichen, unvollkom— 
menen Form, und gab dieſer Form eine uͤbermaͤßige 
Bedeutung, gerade weil ſie mit der erſten Begruͤn— 
dung des gereinigten Glaubens ſich feſtgeſetzt hatte. 

Der germaniſche Reformator wies alle Anmu: 
thungen zur Aufftellung einer neuen Kirchenverfaſſung 
ab, und uͤberließ ſo dieſe aͤußerlich dem Eigennutze 
und der Raubſucht der Fuͤrſten, der Selbſtſucht des 
Adels und der Rohheit und Huͤlfloſigkeit der Ge— 
meinden. Denn ſolche Fuͤrſten, ſolchen Adel und 
ſolche Gemeinden hatte das Mittelalter erzogen und 
uͤberliefert, und insbeſondere das ruchloſeſte und gott— 
vergeſſenſte aller Jahrhunderte in ſtaatlichen und kirch— 
lichen Dingen, das funfzehnte. Aber wir glauben doch, 
daß von den beiden der germaniſche Reformator 
den hoͤhern Genius in ſich trug. Er ſah die Un’ 


moͤglichkeit ein, die Frucht des beginnenden neuen 
6* 


81 


Lebens in die Schale der untergehenden Vergangen— 
heit zu legen: und er glaubte an die Bildungsfaͤhig⸗ 
keit der Menſchheit, und die goͤttliche Kraft der 
Geſinnung und des allgemeinen Gewiſſens zu ſehr, 
um ſich vor Kaͤmpfen zu fuͤrchten, deren Ausgang 
ihm im Glauben nicht zweifelhaft ſein konnte. 

Wir halten dafuͤr, daß die Geſchichte der Welt 
dieſen Glauben beſtaͤtigt habe. 

Die Bedingung einer freien kirchlichen Ver— 
faſſung iſt volles Recht der freien Geſinnung: alſo 
Gewiſſensfreiheit: alſo buͤrgerliche Freiheit. Dieß iſt 
eben ſo gewiß, als daß dieſe buͤrgerliche Freiheit nicht 
geſichert iſt, und nicht wohlthaͤtig wirken kann, ohne 
daß das freie Volk ein lebendig chriſtliches ſei. Ohne 
innerliche Religion kann buͤrgerliche Freiheit nur zer— 
ſtoͤren: fie mag den Grund ſaͤubern zum Bau der 
Zukunft, aber ſie vermag nicht wieder aufzubauen, 
nicht zu begluͤcken. Statt als Segen in der Ge— 
ſchichte dazuſtehen, greift ſie in die Weltgeſchichte 
nur zerſtoͤrend ein. 

Die Freiheit ſtrebten alle Voͤlker an, ſeit der 
Reformation: die evangeliſchen als Schutz der Glau— 


85 


bensfreiheit, die unter der roͤmiſchen Kirche gebliebe— 
nen als Schutz gegen den doppelten Deſpotismus 
des abſolut romaniſchen Staates. 

Beide Beſtrebungen haben ſich oft bekaͤmpft 
und gehindert, und verſtehen ſich bis auf den 
heutigen Tag noch ſehr unvollkommen: aber ſie 
haben ſich im Ganzen doch gefoͤrdert und gegenſeitig 
bedingt. N 

So ſind drei Jahrhunderte vergangen. Gewiſ— 
ſensfreiheit iſt errungen, buͤrgerliche Freiheit geſichert. 

Die romaniſchen Voͤlker wollen nicht mehr Frei— 
heit ohne Religion, die germaniſchen nicht mehr Re— 
ligion ohne Freiheit. Die Wiſſenſchaft iſt unter den 
herrſchenden Voͤlkern in ihre Rechte eingeſetzt, gut— 
willig oder als unvermeidliche Folge der bürgerlichen 
Freiheit. Gewiſſensfreiheit iſt ein Poſtulat der 
Freiheit geworden, ſelbſt wo noch wenig perſoͤnliche 
ſittliche Verantwortlichkeit lebt: das eigene Urtheil in 
religioͤſen Dingen (d. h. die Anwendung von Ber: 
nunft und Gewiſſen) wird von den einen als Recht 
erkannt, von den andern als eine Pflicht, geuͤbt von 
vielen, gefordert von allen. 


x _ 


Das harmonische Spiel der Kräfte zwiſchen 
Himmel und Erde, zwiſchen Jenſeits und Dieſſeits, 
zwiſchen Unſichtbarem und Sichtbarem, iſt wieder 
eroͤffnet: die Scheidewand iſt niedergeriſſen zwiſchen 
Weltlichem und Geiſtlichem. 

Damit iſt die Welt in einen jener großen kritiſchen 
Momente eingetreten, wo die Voͤlker entweder ſich 
zu neuer Lebenskraft entfalten oder untergehen. Wir 
glauben das erſte. Jetzt oder nie iſt die Zeit, daß 
die Regierungen und Voͤlker ſich aufklaͤren uͤber das 
Chriſtenthum, uͤber die Bedeutung der Kirche und 
ihrer Verfaſſung. 

Jede Verſtaͤndigung daruͤber ſetzt einestheils die. 
allgemeinen Grundſaͤtze aller kirchlichen Verfaſſung 
voraus: andrerſeits eine zugegebene Baſis der Lehre. 
Unſere Verſtaͤndigung nun richtet ſich an das deutſche 
Volk: unſer Grund und Boden iſt das Evangelium. 
Wir faſſen dieſes Evangelium auf im Weſentlichen 
mit der proteſtantiſchen und reformirten Kirche, wie 
ſie durch die Gemeinſamkeit des Gottesdienſtes und 
der Anbetung als Eine ſich darſtellt: alſo mit der 
evangeliſchen Landeskirche Preußens. Wir behaupten 


82 


nun, daß namentlich fuͤr dieſe Kirche der weltge— 
ſchichtliche Zeitpunkt gekommen iſt, welchen das Chri— 
ſtenthum im allgemeinen, die Reformation insbeſon— 
dere moͤglich gemacht: die Darſtellung einer freien, 
nationalen, durch und durch volksthuͤmlichen Gemeinde, 
welche ſich als Theil der allgemeinen Kirche Chriſti 
erkennt, darſtellt, fortpflanzt, erhalt und regiert. 

Aus dem bisher angedeuteten Ideenkreiſe iſt 
das Bekenntniß des Schreibens hervorgegangen: aus 
demſelben Ideengange fließt die Ausfuͤhrung dieſer 
Schrift. 

Wir werden alſo zuerſt zu beweiſen ſuchen, daß 
die von der Reformation aufgeſtellten zwei Heiſche— 
ſaͤtze oder Poſtulate, das vom allgemeinen Prieſter— 
thum, und das von der Trennung der geiſtlichen und 
weltlichen Regierung, wirklich den Grund aller Her— 
ſtellung einer freien Kirchenverfaſſung enthalten, daß 
nach ihnen jede ſolche Verfaſſung geprüft werden, daß 
jede wahre, ſich als Foͤrderung und Entwicklung derſel— 
ben in der Weltgeſchichte darſtellen muß. (Abſchnitt II.) 

Dann werden wir zweitens beweiſen, daß 
alle bisherigen Verfaſſungen evangeliſcher Kirchen fuͤr 


88 


die Zukunft unhaltbar find, als entweder auf Reſte 
der aufgegebenen byzantiniſch-mittelalterlichen Geiſt— 
lichkeitsverfaſſung gebaut, oder auf reine Verneinung 
des Epiſkopats der Geiſtlichkeitskirche. Jene Reſte 
ſind nur durch die bisherige negative Stellung des 
Gegenſatzes erhalten, dieſe Verneinungen nur durch 
die Fortdauer der Einſeitigkeit, welche ſie hervorge— 
rufen. Die Kirche der Zukunft verwirft den Epiſko— 
palismus der Geiſtlichkeitskirche: damit hat aber auch 
der bloß negative Gegenſatz der alten Kirche ſeine 
Endſchaft erreicht. (Abſchnitt III. VI.) 

Nachdem wir nun ſo die allgemeine Idee der 
Verfaſſung der Zukunft in ihrem Gegenſatze zu der 
Geiſtlichkeitskirche entwickelt, werden wir drittens 
die Elemente der Herſtellung einer ſolchen Kirche in 
Deutſchland, in der Gegenwart und Wirklichkeit auf— 
ſuchen, und nach jener Idee würdigen. (Abſchn. V. VI.) 

So vorbereitet und ausgeruͤſtet werden wir 
endlich die Idee der Kirche der Zukunft auf Preußen 
anwenden, und dabei alle Fragen, ſowohl der inneren 
Verfaſſung als des Verhaͤltniſſes zu Volk, Wiſſenſchaft 
und Staat ins Auge faſſen. (Abſchn. VII. — XI.) 


S 


Die ſo dargeſtellte Verfaſſung iſt die des Be— 
kenntniſſes: wir glauben, im Weſentlichen die der 
Zukunft. Ihre Stellung im gegenwaͤrtigen Augen— 
blicke bildet den Schluß unſerer Betrachtung. (Ab—⸗ 
ſchnitt VII.) 


II. 


Die beiden Forderungen der Reformation und 
| ihre evangeliſchen Gegenſätze. 


Die erſte weſentliche Grundlage des ganzen 
Bekenntniſſes, ſowohl fuͤr die Beurtheilung der jetzt 
beſtehenden Verfaſſungen der Kirche (im engeren 
Sinne) als für die Natur der Verfaſſung der zukuͤnf— 
tigen Kirche, iſt das allgemeine Prieſterthum 
der Chriſten. Und hieruͤber moͤchte ich, nach dem 
eben im Allgemeinen Geſagten, mich gern in naͤhere 
Eroͤrterungen einlaſſen in beſonderer Beziehung auf 
die evangeliſche Gemeindeordnung, weil es mir immer 
geſchienen hat, daß unſere Kirchenrechtslehrer und 
kirchlichen Politiker jene Idee auf dieſem Gebiete 


90 


eben fo wenig vollftändig ausgebeutet und erfchöpft 
haben, als die Theologen und Liturgiker auf der an: 
dern Seite der Darſtellung der Kirche im liturgiſchen 
Gebiete. Denn es moͤchte doch vielleicht hier die 
tiefſte Beruͤhrung der Metaphyſik und Ethik liegen, 
und die ſpeculative Begruͤndung der Lehre von 
der Heiligung, auf welcher am Ende ſowohl Ver— 
faſſung als Liturgie ruhen. Allein jener Grund— 
ſatz vom allgemeinen Prieſterthum, iſt namentlich in 
Beziehung auf die Verfaſſung ſo allgemein in allen 
evangeliſchen Kirchen angenommen, und die Lehre von 
demſelben, im Gegenſatze prieſterlicher Anmaßungen, 
iſt bei uns insbeſondere ſo rein bewahrt, und ſo ſtark 
ins chriſtliche Leben eingedrungen, daß wir uns nicht 
erlauben duͤrfen, fuͤr den Zweck der folgenden Erlaͤu— 
terungen, naͤmlich die Verſtaͤndigung uͤber das Prak— 
tiſche, in ſolchen Tiefen, hier einzugehen. Es genuͤgt 
ausdruͤcklich hier zweierlei auszuſprechen, welches wir 
ſchon in der Einleitung angedeutet. Einmal, daß 
unſer ganzes Verfaſſungsgebaͤude theologiſch und ſpe— 
culativ auf der vollen Anerkennung jenes Grundſatzes 
ruht. Zweitens, daß wir hier und weiterhin fuͤr den 


91 


theologiſch-ſpeculativen Schulausdruck den ſittlichen 
Exponenten als auf dem Verfaſſungsgebiete gleichbe— 
deutend ſetzen. Das allgemeine Prieſterthum der 
Glaͤubigen iſt uns die allgemeine ſittliche Verant— 
wortlichkeit des Individuums gegen Gott. Wir 
wollen damit keineswegs ſagen, daß der alte Ausdruck 
nicht ſeine guten Rechte auf dem Gebiete der Dog— 
matik und der metaphyſiſchen Ethik habe. Allein 
im Gebiete der Verfaſſung drückt die andere Bezeich— 
nung unſern Begriff genuͤgend aus. Dabei iſt dieſe 
allgemein verſtaͤndlich und keines Myſtizismus ver— 
daͤchtig. Endlich kann es nicht zu ſtark bei jeder 
Gelegenheit betont werden, daß die evangeliſche Kirche, 
Religioſitaͤt und Sittlichkeit, alſo auch religioͤſes und 
ſittliches Bewußtſein, als im tiefſten Grunde verei— 
nigt, und als unzertrennlich betrachtet, alſo den ſitt— 
lichen Exponenten, jedes objectiven Ausdrucks uͤber 
das Verhaͤltniß des Menſchen zu Gott aufzuweiſen 
ſchuldig iſt. 

Dieſem allgemeinen Prieſterthum nun ſtellt ſich 
gegenuͤber, und ſcheinbar entgegen, die evangeliſche 
Lehre vom goͤttlichen Rechte des Amtes an der 


9 


Gemeinde, und dieſes Recht wird im Schreiben eben— 
falls ſehr ſtark betont. Nach jener Lehre kann das 
Amt ſogar ein Recht vor allem Rechte des chriſtlichen 
Volkes zu haben ſcheinen. Chriſtus ſtiftete es noch 
vor der Ausgießung des Geiſtes, und gab ihm mit 
großer Verheißung die Schluͤſſel des Himmelreichs, 
die Macht zu binden und zu loͤſen. Die chriſtliche 
Gemeinde entſteht erſt durch dieſes Amt und hoͤrt mit 
ihm auf. Bei naͤherer Betrachtung ergiebt ſich leicht, 
daß Prieſterthum nnd Amt in einem gegenſeitigen 
Verhaͤltniſſe ſtehen, und ſich auf einander beziehen, 
wie die beiden Theile eines Gegenſatzes. Das Amt 
iſt geſtiftet, damit es im goͤttlichen Auftrage verkuͤn— 
digen ſolle, was da Heil bringt und frei und ſelig 
macht und was Unheil bringt und in Unfreiheit und 
Unſeligkeit gefangen hält: und zwar fo, daß dieſes 
Heil und dieſe Seligkeit, und ihr Gegentheil nicht ein 
voruͤbergehendes, irdiſches ſei, ſondern auch ein ewiges. 
Nur wer dieſe Botſchaft des Heiles annimmt, der 
kann jenes Prieſterthum uͤben, der hat in ſeinem 
Gewiſſen, durch das goͤttliche Wort der Schrift und 
des Amtes die Kraft, das Heil zu erkennen, die 


— — 


Selbſtſucht zu bekaͤmpfen, und alle Dinge dieſer 
Welt nach dem Bewußtſein in der ſittlichen Verant— 
wortlichkeit zu behandeln. Dieß Amt ſoll nicht auf 
hoͤren bis zum Ende der Dinge, ſo wenig als die 
Kirche, d. h. es ſoll zu jeder Zeit, ſo lange die ge— 
genwaͤrtige Weltordnung auf Erden beſteht, nie an 
dem Glauben fehlen, welcher die Botſchaft des Heiles 
verkuͤndigt, ſo wenig als an dem Glauben, welcher 
ſie annimmt. 

So ſtellt ſich der erſte unſerer Gegenſaͤtze auf 
dem ſittlichen Gebiete, und dem Gebiete der Ver— 
faſſung dar. Jeder in der Wiſſenſchaft des Ge— 
dankens, wie Kant ſie begruͤndet, durch die Nach— 
weiſung der Antinomien im tranſcendentalen Denken 
nicht ganz unerfahrene weiß nun im Allgemeinen 
zuvoͤrderſt, wie alle wahre Erkenntniß dadurch be— 
dingt iſt, daß ſolche Gegenſaͤtze, oder Antinomien 
vollſtaͤndig anerkannt werden, als in der Natur 
des Denkens und im Geſetze der Verwirklichung 
der Idee begruͤndet. Nicht minder iſt aber das an— 
dere, von der deutſchen Wiſſenſchaft entdeckte Geſetz 
des Geiſtes zu beachten, wonach alle ſolche Gegenſaͤtze 


94 


— 2. 


aus einer Idee fließen, welche die hoͤhere Einheit der 
in ihnen geſpaltenen Wahrheit enthaͤlt. Durch die 
Anerkennung dieſer Idee verlieren die Gegenſaͤtze des 
Verſtandes ihr Unbedingtes, und erhalten, vermittelſt 
der gegenſeitigen Bedingtheit, erſt ihr rechtes Ver— 
ſtaͤndniß und ihre volle Wahrheit. 

Die hoͤhere Einheit fuͤr jene beiden Glieder des 
erſten Gegenſatzes iſt nun die ſittliche Weltordnung, 
oder in theologiſcher Sprache, das Reich Gottes, in 
welchem und durch welches die Menſchheit fortſchrei— 
tet. Die Naturkraft ſoll in dieſer Weltordnung 
immer mehr durch den Geiſt bewaͤltigt, und das 
Boͤſe dienſtbar gemacht werden fuͤr die Entwicklung 
des Guten. Die göttlich gegebenen Rechtsperſonen 
in jenem Reiche ſind die einzelnen Glaͤubigen, aber 
die Entwicklung der einzelnen Seele und die Foͤr— 
derung des goͤttlichen Reiches als eines Ganzen ſind 
nur verſchiedene Ausdruͤcke deſſelben Gedankens. Was 
die einzelne Seele ſelig macht, foͤrdert das Ganze, 
und dieſes Ganzen Foͤrderung iſt die Bedingung der 
vollen Entwicklung der Menſchenſeele. Das Amt des 
Wortes iſt alſo nothwendig aber nicht für ſich als 


95 


Selbſtzweck, ſondern als Mittel, obwohl als göttliches 
und allein vernunftgemaͤßes. Dies Amt bedingt das 
Daſein der Gemeinde, und dieſes Daſein bedingt die 
Entwicklung des Reiches Gottes. Alſo laͤßt ſich keine 
Darſtellung des allgemeinen Prieſterthums denken, 
außer dem Amte: denn ſonſt waͤre das Prieſterthum 
außer der Gemeinde, welche erſt durch das Amt ent— 
ſteht. Aehnlich verhaͤlt es ſich im Gebiete des Staa— 
tes, hinſichtlich des Gegenſatzes von Volk nnd Ne 
gierung. Von dem einen Begriffe ausgehend gelangt 
der Jakobinismus nie zur Regierung: von dem andern, 
der Abſolutismus nie zur Freiheit, und der Halleria 
nismus, vor lauter Privatrechten, nicht einmal zum 
Staate. Doch wir bleiben auf unſerm kirchlichen 
Gebiete. Die volle Geltendmachung des Rechtes und 
der Pflicht des allgemeinen Prieſterthums der Chri— 
ſten in der Gemeinde, d. h. im Reiche Gottes, 
beeintraͤchtigt nuch dem Obigen, fo wenig die Würde 
des geiſtlichen Amtes, auf dem Gebiete der Ver— 
faſſung, als auf dem liturgiſchen Gebiete die Wuͤrde 
der Sakramente. Vielmehr liegt fuͤr Amt und Sa— 
krament der Schluͤſſel zum Verſtaͤndniſſe der Lehre 


26 


und ihrer weltgeſchichtlichen Entwicklung, in der 
vollen Anerkennnug jener Wahrheit. Der Chriſt 
opfert, nicht der Geiſtliche: d. h. jeder in die Ge— 
meinſchaft der Glaͤubigen aufgenommene Menſch tritt 
vor Gott und ſtellt ſich Gott dar, im Gebete wie 
im Leben, mit dem Bewußtſein ſeiner ſittlichen Ver— 
antwortlichkeit. Das Opfer, d. h. jede im Glauben 
vollzogene That, iſt ein innerliches Werk, nicht ein 
aͤußerliches. Der Chriſt und die ganze glaͤubig ge— 
wordene Menſchheit giebt in freiem Gefuͤhle ihrer 
dankbaren Liebe, ſich ſelbſt, ihren ſelbſtiſchen Willen, 
ihr außergoͤttliches Naturleben auf. Dieſes ihr Glau— 
benswerk iſt das einzige, bis zur Ruͤckkehr des Herrn 
fortdauernde gottgefaͤllige Werk, wie im Gottesdienſte 
ſo im Leben. Die evangeliſche Lehre iſt hieruͤber 
nicht mißverſtaͤndlich: es iſt nur gut, daß man ſie 
jetzt nach dem philoſophiſchen Bewußtſein der Zeit 
ausſpreche. Zwiſchen dieſem chriſtlichen Prieſterthum 
nnd dem Vater iſt kein menſchlicher Vermittler denk— 
bar, ſondern nur das Menſch gewordene ewige Wort, 
der Gottmenſch: alſo Gott der Sohn. Alles levitiſche 
Prieſterthum iſt, wie wir in der Einleitung bereits 


9 


angedeutet, nur Vorbild und Vorſchatten, und zwar 
in doppelter Weiſe. Jenes einmal, geſchichtlich und 
perſoͤnlich vollzogene, freie Opfer Chriſti hat fein Vor: 
bild im Priſterthum und Opfer des alten Bundes. 
Gleichmaͤßig iſt das Prieſterthum der Geiſtlichkeits— 
kirche und ihr Meßopfer uns der Schatten der andern 
Haͤlfte der goͤttlichen Thaͤtigkeit im Menſchen, des 
freien Dankopfers des geiſtlichen (nicht des perſoͤnli— 
chen) Leibes Chriſti, d. h. der Koͤrperſchaft der glaͤu— 
bigen Menſchheit, der Gemeinde. Jenes durch Chri— 
ſtus bedingte Opfer iſt, eben ſowohl als jenes, Chriſti 
That im Geiſte, alſo goͤttliche Wirklichkeit, und 
und wie vor jenem, ſo muß vor dieſem, als vor 
goͤttlicher Wirklichkeit aller Schatten weichen: und 
das der Schrift nach, noch auf dieſer Erde. Dieß 
iſt die Grundlage der poſitiven, anti- roͤmiſchen Litur— 
gik, und die Ausfuͤhrung dieſes Punktes behalten 
wir einem andern Werke vor. Was uns hier aber 
beſchaͤftigt, iſt die rechtliche Betrachtung des Prieſter— 
thums des neuen Bundes. Auch hier muß, unſerer 
Ueberzeugung nach, Vorbild dem Weſen, Schatten 
der Wirklichkeit weichen, ſo wie das durch die Re— 


— 


« 


98 


formation geſprochene Wort angenommen iſt. Alles 
was zwitterhaft ſich ſtellen will zwiſchen Geiſtlichkeits⸗ 
kirche und Gemeindekirche iſt unhaltbar und geraͤth 
zwiſchen die Speichen der Weltgeſchichte. 

Mit dieſer Verſtaͤndigung uͤber den Sinn des 
erſten Gegenſatzes, von allgemeinem Prieſterthum 
und Amt haben wir uns auch den Weg gebahnt 
zum Verſtaͤndniſſe des zweiten unſerer Gegenſaͤtze: Ka— 
tholizitaͤt und Nationalitaͤt, oder geiſtliches und welt— 
liches Regiment, Kirche und Staat. Die Kirche iſt 
als geiſtige Perſon das durch Chriſtus erloͤſte menfch: 
liche Geſchlecht: als Anſtalt das goͤttliche Mittel zur 
Herſtellung der zerſprengten und getheilten Menſchheit. 
Und zwar iſt ſie das vom Anfang an. Sie war es 
eben ſowohl damals, wo ſie ſich noch im Kreiſe glaͤu— 
biger Familien bewegte, als nachdem ſie, dreihundert 
Jahre ſpaͤter, vom Weltreiche der Roͤmer in das 
Staatsleben aufgenonmmen wurde. Das Wort des 
Heiles iſt an alle Menſchen ergangen, und durch 
daſſelbe iſt ein goͤttliches Reich der Wahrheit und 
Liebe gegruͤndet, in welchem alle Menſchen Bruͤder 
ſind, weil Eines Vaters Kinder und zu Einem Heile 


99 


Berufene. Wie jene Familien und Gemeinden all 
maͤhlig durch die Kirche des allgemeinen Lebens der 
Menſchheit theilhaftig wurden; ſo iſt es allmaͤhlig 
der Staat geworden: unter Conſtantin, unter Carl 
dem Großen, und durch die Reformation. Nur 
durch die Aufnahme der Kirche in ſich, wird ein 
Volk Theil der goͤttlich befreiten Menſchheit, und der 
Staat wirklich die hoͤchſte ſichtbare Darſtellung der 
Sittlichkeit. Hegels Definition des Staates als hoͤchſte 
Darſtellung der Sittlichkeit, iſt erſtlich nur vom 
chriſtlichen Staate wahr, und zweitens im hoͤchſten 
Sinne, ſelbſt in dieſem chriſtlichen Staate nur ſo 
weit die kirchliche Sphaͤre in ihm wirkſam iſt. Denn 
in dem chriſtlichen Staate, als weltlichem Regimente, 
herrſcht das Recht und die That, alſo die Aeußerlich— 
keit des Sittlichen vor: nur in der Kirche oͤffnet ſich 
das innerliche, freie, eigentliche Leben der Sittlichkeit. 
In ihr gilt die Geſinnung allein, nicht das Werk: und 
zwar ſowohl im unmittelbaren Verkehre des Chriſten mit 
Gott, als im mittelbaren, durch die Welt (Menſchen 
und Dinge) vermittelten. In jener Stellung zur 


Menſchheit, welche aͤlter iſt, als das ſtaatliche Daſein 
7 * 


100 


(da das Ganze früher als das Getrennte fein muß) 
und welche, nach der chriſtlichen Lehre, die Staaten 
ſcheint uͤberleben zu ſollen, liegt auch die Begruͤndung 
der Allgemeinheit der Kirche. Das bedeutet aber 
das Wort katholiſch und Katholizitaͤt. So 
wird katholiſch, d. h. allgemein, im alten Glaubens: 
bekenntniſſe gebraucht. In dieſem Sinne allein habe 
ich auch beide Woͤrter, nach ſehr allgemeiner, engli— 
ſcher Sitte im Briefe immer angewandt. Keine 
Kirche kann eine wahre ſein, ohne ſich als Theil 
dieſer allgemeinen Kirche zu denken. Alſo auch, um: 
ſerm Gegenſatze nach, keine, welche ſich ſelbſt als die 
allgemeine Kirche ſetzt. Denn jener Wahrheit ſteht 
gegenuͤber die andere, daß, vermoͤge goͤttlicher Ord— 
nung, die Menſchheit geſchieden iſt nach Zungen und 
Voͤlkern, und daß die hoͤchſte Darſtellung des ſittlichen 
Lebens der Menſchheit im Staate verwirklicht wird. 
Solche Nationalitäten und ſolche Staaten alſo find 
chriſtliche, welche ſich anerkennen als goͤttlich berufene 
Glieder an dem Leibe (der Koͤrperſchaft) der erlöften 
Menſchheit: als Glieder an der Kette der weltge— 
ſchichtlichen Entwicklung. Die Voͤlker ſind die Ein— 


101 


heiten, und gleichſam hoͤheren Perſoͤnlichkeiten der 
Weltgeſchichte. Aber kein Volk iſt die Menſchheit, 
und keines kann ſich dafuͤr halten, ſo fern es ein 
chriſtliches iſt. Die Staaten ſind die Formen und 
Anſtalten, in welchen das allgemeine Gewiſſen der 
Menſchheit ſich ſelbſtſtaͤndig verwirklicht: aber kein 
Staat iſt ein chriſtlicher, welcher glaubt, dieſes Ge— 
wiſſen gemacht zu haben, oder machen zu koͤnnen 
oder zu duͤrfen. Das Gefuͤhl dieſer Wahrheit in 
den edlen germaniſchen Voͤlkern bildete den tiefſten 
Grund der geiſtigen Macht der Prieſter, Biſchoͤfe 
und Paͤpſte des Mittelalters. Aber als ein rein und 
bewußt chriſtlicher Staat kann nur derjenige gelten, 
welcher das Chriſtenthum nicht allein als eine goͤttlich 
gegebene Thatſache anerkennt, ſondern auch das freie 
Gewiſſen der in ihm enthaltenen Gemeinden, als den 
hoͤchſten irdiſchen Ausleger dieſer Thatſachen. Beide 
Saͤtze zuſammen ſind maßgebend fuͤr die gerechte 
Wuͤrdigung der mittelalterlichen und neuen Formen 
der Verfaſſung der Kirche und ihres Verhaltniſſes 
zum Staate. Nach dem Obigen kann uns unmoͤg— 
lich diejenige Kirchengemeinſchaft als der vollſtaͤndige 


102 


Ausdruck der Idee der Kirche gelten, welche die 
Volksthuͤmlichkeit, ſtatt ſie zu einer Darſtellung der 
Menſchheit zu verklaͤren, entweder unterdruͤckt, wie 
der Papismus, oder ganz uͤberſieht, wie der Inde— 
pendentismus. Noch kann uns derjenige Staat ein 
freier, wuͤrdiger heißen, welcher die Oberherrlichkeit 
eines andern Gewiſſens anerkennt, oder gar als Be— 
dingung ſeiner Theilhaftigkeit am Reiche Gottes 
anſieht. Jene Kirchengemeinſchaft iſt offenbar noch 
befangen in dem Gegenſatze von Natur und Geiſt, 
Volk und Menſchheit, welchen zu uͤberwinden ſie ge— 
ſtiftet iſt. Dieſer Staat aber muß uns als in der 
Unmuͤndigkeit gehalten erſcheinen, welche eben durch 
den Staat aufhoͤren ſoll. Denn unmuͤndig iſt alles 
nicht unbedingt ſittlich verantwortliche, Einzelner wie 
Geſammtheit. Die ſittliche Verantwortlichkeit des 
Volkes iſt im Staate, d. h. in dem freien Gewiſſen 
ſeiner Gemeinde oder Gemeinden: nicht außer ihm. 
Das Gewiſſen kann und ſoll ſich durch Freunde und 
Feinde aufklaͤren: aber es kann durch ihr Anſehn 
nicht erſetzt werden. Alle Kirchen ſollen Zeugen ſein 
der Wahrheit: aber kein Zeugniß hat einen Werth 


103 


vor Gott und in der Geſchichte, welches nicht das 
Zeugniß eines freien, ſittlich verantwortlichen Weſens 
iſt. Die Kirche verhaͤlt ſich alſo auf dem aͤußern 
Gebiete zum Staate, wie im innern Gebiete das 
Prieſterthum ſich zum Amte verhaͤlt. Das Prieſter— 
thum iſt nur in der Gemeinde, und die Gemeinde 
entſteht erſt durch das Amt: das Amt iſt aber kein 
Selbſtzweck, ſondern nur Mittel zur gottgefaͤlligen, 
geordneten Uebung jenes Prieſterthums, d. h. der 
gemeinſamen, ſittlichen Thaͤtigkeit der Menſchen in 
Beziehung auf Gott. Eben ſo iſt die Kirche nur 
in Voͤlkern oder Gemeinden und Familien, und dieſe 
entſtehen erſt durch den Staat, und deſſen Vorbild, 
die Ehe: der Staat aber iſt nicht Selbſtzweck, ſo 
wenig als eine volksmaͤßige Eigenthuͤmlichkeit. Dieſe 
Eigenthuͤmlichkeit iſt die natuͤrliche Grundlage fuͤr die 
Menſchheit, fuͤr das Reich Gottes, und die buͤrger— 
liche Geſellſchaft iſt das Mittel, dieſe Natur zu ver— 
klaͤren in Geiſt, und aus dem ſtarren Leben der 
Selbſtſucht und Abgeſchloſſenheit zu erheben in das 
freie Leben der Liebe: oder mit andern Worten, ſie 
der goͤttlichen Erloͤſung theilhaftig zu machen. Wie 


ZUR 


dort die höhere Einheit von Prieſterthum und Amt, 
das Reich Gottes, fo iſt die höhere Einheit von geift: 
licher und weltlicher Obrigkeit, oder von Kirche und 
Staat, der chriſtliche Staat, oder beſſer, das chriſt— 
liche Reich. 

Dieſe beiden Gegenſaͤtze: Prieſterthum und Amt, 
Kirche und Volksthuͤmlichkeit oder Staat, beherrſchen 
in ihrer allgemeinſten Geltung, die ganze Weltgeſchichte, 
in ihrer Fuͤlle die Geſchichte der chriſtlichen Voͤlker. 
Ihre gegenſeitige Bedingtheit iſt jedoch erſt zum Be— 
wußtſein gelangt durch den Kampf des Geiſtes, wel— 
cher im ſechzehnten Jahrhundert begann. Dieſer 
Kampf fuͤhrete, nach langem und entſetzlichen Blut— 
vergießen, zur Spaltung der Idee der Kirche in 
feindliche Gegenſaͤtze, und hoͤrte in Gleichguͤltigkeit 
und allgemeinem Verfall auf. Erſt jetzt ſcheint das 
naturgemaͤße Spiel der Gegenſaͤtze auf dem Gebiete 
muͤhſam errungener Gewiſſensfreiheit, und gleich ſchwer 
erkaͤmpfter buͤrgerlicher Freiheit wieder beginnen zu 
wollen. Es iſt unverkennbar, daß die alten Formen 
zuſammenſtuͤrzen, nnd daß ein neuer kirchlicher Bil— 
dungstrieb ſich allenthalben kund giebt. Dieſer Bil: 


105 


dungstrieb wird alſo, wenn das Obige wahr iſt, 
ebenſowohl die Gemeinde beruͤhren muͤſſen, als das 
Amt: ebenſowohl das Volk umfaſſen als die Geiſt— 
lichkeit: ebenſowohl die Nationalitaͤt anſtreben als die 
Katholizitaͤt. Alles dieß, nicht weil die gegenwaͤrtige 
Form der ganzen buͤrgerlichen Geſellſchaft dergleichen 
wuͤnſchenswerth oder nothwendig macht, ſobald kirch— 
licher Sinn in den Laien erwacht. Allerdings glauben 
wir, daß dem ſo ſei. Allein wir ſtellen jenen Satz 
nicht wegen irgend einer Aeußerlichkeit auf: was wir 
fordern, verlangen wir um der Heiligkeit und Hoheit 
der Idee der Kirche ſelbſt willen. Wir wollen nicht 
weniger Kirche ſondern mehr. Die Form der Ge— 
genwart, die Wirklichkeit des geſelligen Lebens iſt 
nach unſerer Ueberzeugung das was ſie iſt nur deß— 
wegen, damit jener neue, verjuͤngte Bildungstrieb die 
Menſchheit durchſtroͤmen, damit die Kirche der Zu— 
kunft erſcheinen koͤnne. Hochkirchlich kann uns in 
der Kirche der Zukunft nur die Anſicht heißen, welche 
nicht der Geiſtlichkeit (der Rechtsperſon der mittelal— 
terlichen und der bisherigen Staatskirchen) das geſetz— 
gebende Recht und die Gewalt giebt, ſondern der 


106 


ganzen Gemeinde, als der Perſon der vollftändigen, 
bewußten, muͤndigen Kirche. Denn jene mittelalterliche 
Anſicht von der Kirche iſt uns eine ganz niedrige, 
eine nur vorläufige. Sie iſt uns gleichſam das Ge: 
ſetz in der Entwickelung des Chriſtenthums: das was 
iſt, damit es nicht ſei, d. h. damit fein Gegentheil 
werde. Es iſt hiernach auch klar, daß uns die buͤr— 
gerliche und kirchliche Verfaſſung des Staates, alſo 
Staͤnde und Synoden, zwei verſchiedene Stroͤme des 
Einen nationalen Lebens ſein muͤſſen, deren Einigkeit 
am Beſten geſichert wird durch ihre vollſtaͤndige Ge— 
trenntheit. Eine evangeliſche Kirchenverfaſſung iſt uns 
hiernach nichts als die andere Seite der Verfaſſung 
für die evangelifchen Chriſten. Kein Volk iſt politiſch 
frei, ohne eine nationale Kirchenverfaſſung fuͤr die 
Bekenner des Evangeliums. Die roͤmiſch-katholiſche 
Kirche ſchließt die Theilnahme der Laien aus, und 
das nationale Element kann hier nur durch ſchuͤtzende 
Staatsgeſetze nach beiden Seiten hin, nicht durch 
Theilnahme der Gemeinde ſelbſt, gegruͤndet werden. 
Dieſe Anſicht fuͤhrt in irgend einer Art zu einem Ver— 
ſtaͤndniſſe mit den Biſchoͤfen oder dem Papſte. In 


107 


jener evangeliſchen Kirchenverfaſſung aber ift es ganz 
anders. Wir werden keinesweges nach einer Staats— 
kirche ſtreben, dem unfreien Erbtheile des Roͤmer— 
reiches und des Mittelalters. Eine Staatskirche iſt 
uns nur da naturgemaͤß, wo ihr ein Kirchenſtaat ent— 
ſpricht, d. h. wo wie in Genf und Schweden, Staat 
und Kirche ſich wirklich thatſaͤchlich decken. Es iſt 
aber ſchwer, daß dieß bei buͤrgerlicher Gewiſſensfrei— 
heit und lebendigem religioͤſen Sinne lange Zeit der 
Fall ſei, oder daß die Kirchenform nicht erſtarre oder 
verderbe waͤhrend die Staatsform fortlebt. Ueberhaupt 
aber iſt die Staatskirche eine gefaͤhrliche, politiſche 
Einrichtung, weil eine Fiktion (was zu deutſch zwi— 
ſchen Dichtung und Luͤge in gefaͤhrlicher Mitte haͤngt): 
und faſt allenthalben klebt Blut und Gewaltthat an 
ihren Fußtapfen. Dagegen werden wir nach einer 
evangeliſchen Nationalkirche ſtreben, d. h. nach 
einer Kirche welche das nationale Leben in ſeiner 
Beziehung auf Gott, im Gebiete der freien Sittlich— 
keit, eben ſo vollkommen und ſelbſtthaͤtig darſtellt, als 
der Staat (im engeren Sinne) daſſelbe Leben in ſeiner 
Beziehung auf die Welt, im Gebiete des Rechts 


108 


verwirklicht. Zwiſchen beiden, der Staatskirche und 
Nationalkirche, iſt ein großer Unterſchied. Die 
Staatskirche iſt ausſchließend, alſo verfolgend, un— 
terdruͤckend: die Nationalkirche keineswegs. Jene 
iſt kaum noch irgendwo anwendbar: dieſe allenthal— 
ben, wo die große Maſſe des Volkes ſich nicht ſo 
weit in Sekten geſpalten hat, daß keine kirchliche 
Gemeinſchaft, mehr als eine andere, fuͤr den Aus— 
druck des nationalen Lebens gelten kann. Ihre For— 
mel ſchließt keineswegs aus, daß, bei einer politiſchen 
Verfaſſung mit gleichen politiſchen Rechten aller aner— 
kannten chriſtlichen Bekenntniſſe und mit buͤrgerlicher 
Duldung aller nicht unſittlichen, alſo ſtaatsgefaͤhrlichen 
Sekten und Religionen, doch mehrere groͤßere kirch— 
liche Gemeinſchaften neben einander ſtehen, in welchen 
das nationale Bewußtſein ſich vorzugsweiſe darſtellt. 
In dem alten Staate konnte es nur Eine Kirche 
geben, die alsdann eben die Staatskirche war. In 
dem neueren kann und wird es meiſtentheils, im 
Weſten wenigſtens zwei, im Oſten mindeſtens drei na 
tionale Kirchen geben, ſobald Gewiſſensfreiheit Grund— 
ſatz der Verfaſſung iſt. Die wahre Staatsweisheit 


109 


— ——— 


hat nicht zu fragen, ob dieß an ſich ein Gluͤck oder 
Ungluͤck ſei: ſie hat vielmehr zu glauben, daß es ein 
Gluͤck ſein werde, falls ein weltgeſchichtlicher Fort— 
ſchritt dadurch bewirkt wird. Sie ſelbſt aber hat 
darauf zu ſehen, daß die Rechte einer jeden anerkann— 
ten Gemeinſchaft geſchuͤtzt ſeien, und daß ihnen die 
Mittel geboten werden zu ihrem aͤußern Beſtehen und 
zur chriſtlichen Erziehung des Volkes und der Geiſt— 
lichkeit in ihr, den kirchlichen Beduͤrfniſſen und den 
nationalen Einrichtungen entſprechend. Sie hat ferner 
daruͤber zu wachen, daß keine groͤßere Kirchengemein— 
ſchaft ihre innere Zucht auf Koſten des nationalen 
Rechtes der allgemeinen Duldung, auch der kleinſten 
Gemeinſchaften geltend mache. Endlich hat ſie dahin 
zu ſtreben, daß alle, große und kleine Gemeinſchaften, 
ſo viel als moͤglich? mit dem Geiſte der Volksthuͤm— 
lichkeit und der Liebe zu dem gemeinſamen Vater— 
lande durchdrungen werden. Es kann allerdings auch 
geben, und es giebt in der Gegenwart wirklich, na— 
tionale Zuſtaͤnde, wo eine Menge kirchlicher Formen 
neben einander ſtehen, ohne daß irgend eine ſich als 
Ausdruck des nationalen Lebens geltend machen koͤnnte. 


110 


So laͤßt fih von den Vereinigten Staaten Nord: 
amerikas, welche theoretiſch nicht einmal ein chriſt— 
licher Staat ſein wollen, nur ſo viel ſagen, daß 
die Nation eine proteſtantiſche iſt, und zwar auch 
kirchlich eine ſehr lebenskraͤftige. Ein ſolcher em— 
bryoniſcher Zuſtand der Kirchenverfaſſung mag nur in 
Laͤndern, wo, wie im Waadtlande, eine rohe Volks— 
tyrannei ſich des Heiligthums bemaͤchtigt hat, und 
z. B. ſich anmaßt zu entſcheiden, ob die Kirche ihr 
nationales Glaubensbekenntniß behaupten ſolle oder 
nicht, zu jenem ſogenannten Freiwilligkeits- Syſtem 
fuͤhren. Ein ſolcher Zuſtand erklaͤrt jenes Streben, und 
rechtfertigt Buͤcher wie die des edlen und geiſtvollen 
Vinet, welchem eine Nationalkirche nichts anders iſt 
als eine Staatskirche, und welchem alles Heil in der 
ſogenannten Trennung von Kirche und Staat zu 
liegen ſcheint. Aber fuͤr nns waͤre ein ſolches Stre— 
ben nicht allein ein Schritt der Verzweiflung und 
des Unglaubens, ſondern auch ein geſelliger und po— 
litiſcher Ruͤckſchritt. Naturgemaͤß ſtrebt jedes Volk 
dahin, ſich in religioͤſen Dingen als Einheit darzu— 
ſtellen. Aber woraus folgt, daß eine ſolche Einheit, 


— 


eine buchſtaͤbliche Einheit des Symbols, eine Einfoͤr— 
migkeit im Gottesdienſte fein follte? Warum ſollte 
es nicht hoͤher ſein, im Gefuͤhle der Glaubenseinheit 
die Anerkennung der Gemeinſchaft in der Anbetung 
anzuſtreben? ja die Einheit in Liebe feſtzuhalten und 
in Werken der chriſtlichen Liebe zu bethaͤtigen, wo 
ſie im Gottesdienſte verſagt wird? Im Großen und 
Ganzen der Weltgeſchichte find und bleiben, auch fo, 
die Voͤlker die Einheiten und Perſoͤnlichkeiten des 
Reiches Gottes: jedes Volk bildet, auch ſo, ein Glied 
an der Kette der ſich herſtellenden großen Koͤrperſchaft 
der Menſchheit. Dieß iſt aber der goͤttliche Beruf 
der Voͤlker und Staaten: oder, mit andern Worten, 
der hoͤchſte und letzte Beruf und Zweck alles ſtaat— 
lichen und nationalen Lebens iſt die Foͤrderung der 
Menſchheit und des Menſchlichen. 


112 


III. 


Die mittelalterliche und evangeliſche Geiſtlich- 
keits-Kirche und ihre evangeliſchen Hefte und 
Verneinungen. 


Wir gehen nun daran, zuerſt die Erſcheinungen 
des uns allen gemeinſamen Mittelalters, und dann 
die der evangeliſchen Kirchenverfaſſungen im Lichte der 
bisher entwickelten Idee der kirchlichen Verfaſſung zu 
betrachten. Ich habe aus jener Idee heraus einige 
ſehr ſtarke Worte in dem Bekenntniſſe geſagt, und 
gebe ſie ungeſchwaͤcht wieder, mit Auslaſſung eines 
ganz unweſentlichen, haſtigen Wortes, das mir im 
vertraulichen Briefwechſel entſchluͤpft, und unabſicht— 
lich in die „Handſchrift fuͤr Freunde“ uͤbergegangen 
war. Hier wiederhole ich nur, daß ich aus dem 
deutſchen, evangeliſchen Geſichtspunkte ſpreche, und 
ein Bekenntniß geben will: nicht eine Lehre fuͤr die 
welche draußen ſtehen. Ich habe mich hier mit Nie— 
manden zu verſtaͤndigen als mit der Kirche meines 


112 


Volkes und Glaubens, d. h. der vereinigten evangeli— 
ſchen Kirche, wie ſie in Preußen und im groͤßten 
Theile des proteſtantiſchen und reformirten Deutſch— 
lands beſteht. Mein Standpunkt iſt alſo im Allge— 
meinen der Grund und Boden der evangeliſchen 
Kirche, der Geſammtgehalt der Erklaͤrungen der 
Reformation, insbeſondere aber das geſchichtlichſte und 
ältefte aller evangeliſchen Bekenntniſſe, das augsbur— 
giſche: endlich neben ihnen, als praktiſche Erklärung, 
die Liturgie der Vereinigten evangeliſchen Kirche 
Preußens. Ich will mich aber doch noch einmal 
recht ausdruͤcklich dagegen verwahren, als laͤge in 
jenem frei ausgeſprochenem Bekenntniſſe irgendwie 
ein feindſeliges Verdammungs Urtheil uͤber unſere 
Brüder von der roͤmiſch-katholiſchen Kirche, oder ein 
unberufenes Gericht uͤber die engliſche Kirche, oder 
uͤber irgend eine andere. Wir reden hier insbeſondere 
gar nicht von Kirchen und Voͤlkern, welche entweder 
jene Anſicht vom allgemeinen Prieſterthum gar nicht 
anerkennen, oder ihre entſcheidende Wichtigkeit und 
die Nothwendigkeit derjenigen Folgerungen zu laͤugnen 


ſcheinen, welche wir, nach unſerm Gewiſſen, daraus 
8 


114 


ziehen zu muͤſſen glauben. Moͤgen ſolche Kirchen 
immerhin, wenn es ihnen Gewiſſensſache iſt, Satzun— 
gen aufrecht halten, die ihr Urtheil in dieſer Hin— 
ſicht binden, und moͤgen ſolche Voͤlker durch buͤrgerliche 
Geſetze jenen Satzungen Kraft geben. Dieſe unſere 
Brüder glauben offenbar im ſicheren Hafen evangeli— 
ſchen Chriſtenthums zu bleiben, wenn ſie uns ſcheinen, 
ſich krampfhaft an etwas feſtzuhalten, das wir nur 
als Schemen und Schatten der gemeinſamen ange— 
ſtrebten chriſtlichen Wahrheit begreifen. Wir haben 
nicht diejenigen zu richten, welche außer uns ſtehen, 
ſondern nur uns ſelbſt. Es mag nicht einer jeden 
Kirche oder eines jeden Volkes Beruf ſein, in geiſt— 
lichen Dingen die Freiheit und Selbſtthaͤtigkeit gel: 
tend zu machen, welche von allen grundſaͤtzlich in 
Anſpruch genommen wird, und welche dieſelben Voͤlker 
vielleicht auf dem Gebiete des buͤrgerlichen Lebens 
mit beſonderem Eifer und Eiferſucht bewachen. Das 
iſt ihre Sache, nicht unſere. Alle Freiheit wird nur 
möglich in dem Maaße des Glaubens an dieſelbe, 
und alſo hier an den Geiſt. Dieſer Glaube iſt aber 
„nicht jedermanns Sache.“ Die volle Durchfuͤhrung 


115 


einer neuen Wahrheit ſtreitet faft immer mit erwor— 
benen Rechten, und oft mit ehrwuͤrdiger Sitte und 
Gebrauch. Daher kommt es, daß einem politiſchen 
Verſtande ſich oft das Unvollkommene, Beſtehende, 
wenn es im Ganzen gut wirkt, unendlich mehr em— 
pfiehlt, als das Neue, wenn es ihm gleich beſſer 
ſcheint: und daß man der Wahrheit ungern nach— 
forſcht, damit Recht und Sitte nicht in Gefahr 
kommen, geſtoͤrt zu werden. Endlich aber iſt wirklich, 
von der Wahrheit und ihrem unbedingten Rechte auf 
dem geiſtigen Gebiete abgeſehen, alle Freiheit nur in 
ſo fern ein Segen fuͤr ein Volk, als ſie Bedingung 
einer hoͤheren Entwicklung zum gemeinen Beſten ſein 
will und kann. Den einzelnen Menſchen richtet erſt 
Gott, die Voͤlker ſchon die Geſchichte: und zwar 
richten beide nicht ſowohl nach dem reichen Pfunde, 
das dieſen mitgegeben, ſondern nach dem redlichen, 
gewiſſenhaften Gebrauche, den ſie von dem ihnen 
anvertrauten Pfunde gemacht haben. Dieß alles 
wollen wir uns ſagen: ihnen nur dieß, daß ſo fern 
Chriſti Geiſt in ihnen iſt, ſie uns nach denſelben 
Grundſaͤtzen beurtheilen werden. 


116 


Indem wir uns alfo, im Glauben, auf das 
hohe Meer der geiſtigen Freiheit begeben, welche dem 
deutſchen Volke immerdar die erſte und wichtigſte 
aller geduͤnkt hat, wollen wir jene andersdenkenden 
chriſtlichen Brüder in Liebe dem Einfluſſe des chriſt⸗ 
lichen Geiſtes uͤberlaſſen. Wir wollen, bei entfchie: 
dener Abweiſung von Forderungen, die uns theils 
kindiſch und widerwaͤrtig, theils den gemeinſchaftlich 
angenommenen Grundſaͤtzen widerſprechend erſcheinen, 
doch nie vergeſſen, daß der Geiſt Chriſti eben ſowohl 
ein Geiſt der Liebe und der Ordnung, als der Frei 
heit und der Entwicklung iſt. Endlich haben wir 
auch wohl zu bedenken, daß ſelbſt das Halten am 
Abbilde und Schatten im frommen Gemuͤthe auf 
dem Glauben an das Weſen ruht, und einem gei: 
ſtigeren Glauben naͤher ſteht als roher Unglaube, 
welcher in ſeinem Herzen dieſes Weſen und dieſen 
Glauben noch viel mehr haßt, als alles Sinnbild 
und Schattenbild deſſelben. Jedermann ſollte, na: 
mentlich bei uns und in unſern Tagen das herrliche 
Wort Nitzſchens zu Herzen nehmen, daß wie, nach 
altem Ausſpruche, dem Menſchen nichts Menſchliches 


fremd ſein fol, ſo dem Chriſten nichts Chriſtliches, 
d. h. nichts, was ein chriſtliches Gemuͤth beruͤhrt 
und ihm heilig iſt. 

Dem Mittelalter ward die Lehre von der Kirche 
als Geiſtlichkeitskirche zwar noch nicht dogmatiſch, 
aber doch durch Liturgie und Verfaſſung uͤberliefert. 
Wie in jener das allgemeine Prieſterthum der Glaͤu— 
bigen verdunkelt war, fo in dieſer das Oberherrlich—⸗ 
keitsrecht der Gemeinde. Die eigentliche Rechtsperſon 
der mittelalterlichen Kirche iſt daher die Geiſtlichkeit, 
als Koͤrperſchaft, und deren perſoͤnliche Spitze, der 
Biſchof. Mit anderen Worten: die germaniſchen 
Voͤlker empfingen das Chriſtenthum nicht von einem 
Volke oder von einer volksthuͤmlichen Kirche, ſondern 
von einer außervolklichen und außerſtaatlichen, geiſt⸗ 
lichen Koͤrperſchaft: und zwar kam es zu ihnen in 
einer innerlich ſchon ſehr weit gediehenen und praktiſch 
befeſtigten Verſetzung aller mit dem Begriffe der 
Kirche eng zuſammenhaͤngenden Seitenbegriffe, naͤm— 
lich der Begriffe von Prieſter und Prieſterthum, 
Opfer und Werk. Durch die Wechſelwirkung aller 
dieſer gegebenen Elemente im germaniſchen und ger— 


118 


maniſch-romaniſchen Geiſte entſtand das Mittelalter. 
Sein Gegenſatz, gegenuͤber der alten Welt und der 
durch die Reformation bedingten neuen, iſt die Tren: 
nung des Menſchlichen und Chriſtlichen, des Buͤrger— 
lichen und Geiſtlichen. Denn aus dieſer Scheidung 
und Trennung erklaͤrt ſich, wie das Mittelalter wohl 
Geiſtlichkeits- Synoden hervorbringen konnte, aber 
keine apoſtoliſchen Gemeinde-Verſammlungen: daß es 
anachoretiſche Heilige und geiſtliche Orden erzeugte, 
aber nicht glaubenskraͤftige Buͤrger, wie Jeremias 
und Cato, und eben ſo wenig ſelbſtſtaͤndige Staa— 
ten und volksthuͤmliche Verfaſſungen. Mit andern 
Worten: das Hoͤchſte war dem Mittelalter, in Folge 
jener Anſicht von der Kirche, die Trennung des 
Geiſtlichen und Natuͤrlichen, in deren Durchdringung 
das klaſſiſche Alterthum und die Gegenwart, wenn 
gleich in verſchiedener Weiſe, das geſunde, gottge— 
faͤllige Daſein und die wahre Vollkommenheit erblicken. 

Dieſe Stellung des Mittelalters zum erſten 
Gegenſatze bedingte auch nothwendig die Auffaſſung 
des zweiten Gegenſatzes, von Katholizitaͤt und Na: 
tionalität. Das Mittelalter erſcheint darin groß und 


119 


beſchraͤnkt zugleich. Groß, indem es den Begriff des 
allgemeinen Menſchlichen in demjenigen feſtgehalten, 
was es uͤber goͤttliche Dinge als Wahrheit annahm 
und glaubte. Es hat dadurch ein edles Zeugniß ab— 
gelegt fuͤr dieſe Wahrheit ſelbſt: denn alle Wahrheit 
iſt allgemein, und aller Glaube an ſie fordert Allge— 
meinheit. Beſchraͤnkt aber ſcheint mir das Mittelalter 
hierin dadurch, daß es erſtlich Weſentliches und Un— 
weſentliches nicht unterſchied, und dann zweitens 
dadurch, daß es die Unabhaͤngigkeit des nationalen 
Gewiſſens in der Darſtellung jener Idee verkannte. 
Indem es die Kirche nur in einer amtlichen Koͤrper— 
ſchaft begriff, ſetzte es die menſchliche Spitze des 
kirchlichen Lebens des Volkes in dieſe Koͤrperſchaft, 
und damit außerhalb der Volksthuͤmlichkeit. Daß, 
nach meiner Ueberzeugung, dieſe beſchraͤnkte Anſicht, 
welche das geiſtliche Gewiſſen der deutſchen Nation 
unter die Kuppel von St. Peter begrub, im innerſten 
Grunde die Folge der Verdunkelung und Verſetzung 
jener Grundideen von Kirche, Prieſter, Prieſterthum 
und Opfer geweſen, iſt in dem Schreiben klar genug 
ausgeſprochen. Man kann auch vom evangeliſchen 


120 


Standpunkte eben ſo gut ſagen, es habe, in Wechſel— 
wirkung, das von der geiſtlichen Koͤrperſchaft gebildete 
kirchliche Recht des Mittelalters die Idee der chriſt— 
lichen Wahrheit verdunkelt, und die Lehre vom 
Gehorſam gegen die Kirche (d. h. gegen die Geiſt— 
lichkeit) ſich an die Stelle des Glaubens an das 
ewige Wort, das Urtheil der Kirche (d. h. des Geift: 
lichen) an die Stelle des Gewiſſens und des inneren 
ſittlichen Bewußtſeins geſetzt. Dieſes iſt eben ſo 
wahr, und ſicher als jenes: und als man beides in 
ſeinem Widerſpruche mit Evangelium und den Apo— 
ſteln erkannte, und dieß ausſprach, da war die Re— 
formation gemacht: d. h. da trat ein in die Weltge— 
ſchichte eine Bewegung von tief bejahendem Gehalte, 
und tief in die Zukunft eingreifend ein neues Prinzip, 
das ſein Recht fordert, ganz abgeſehen von allen ver— 
beſſerlichen Mängeln und allen abzuſtreifenden Miß⸗ 
braͤuchen der alten Kirche. 

Nach dieſem Verhaͤltniſſe des Mittelalters iſt 
es einleuchtend, daß das Kirchenrecht deſſelben, wie 
es auf dem Grundbegriffe des Prieſterthums der 
Geiſtlichen ruht, fo feinen praktiſchen Mittelpunkt 


121 


im Epiſkopalismus haben muß, d. h. in dem vor 
zuͤglichen Prieſterrechte der Biſchoͤfe. Dieß war eben 
ſowohl eine nothwendige Folge jener Stellung, als 
daß die neuere roͤmiſche Kirche in dem Papismus 
ihren Mittelpunkt genommen, d. h. in der Annahme 
von der Oberherrlichkeit und Machtvollkommenheit 
des Papſtes uͤber die Biſchoͤfe, wie uͤber Gemeinden 
und Concilien. Aber nicht dieſe Anſicht bloß ward 
von der Reformation verworfen, ſondern uͤberhaupt 
die Geiſtlichkeitskirche. Dieſer Punkt iſt uns die 
eigentliche Lebensfrage aller evangeliſchen Landes— 
kirchen. 

Was nun die Verfaſſung aller evangeliſchen 
Kirchen betrifft, ſo liegt unzweifelhaft allem die rich— 
tige Annahme zu Grunde, daß die Reformation der 
Geiſtlichkeitskirche ein Ende gemacht. Dieſe Annahme 
in einen freien und friſch ſich entwickelnden und be— 
wußten Organismus geſetzt, muß nothwendig die 
wirklich bejahende bisher nur im Schatten vorgebildete 
Kirche der glaͤubigen Voͤlker erzeugen. Allein Nie— 
mand fuͤhlte mehr, als die großen Vaͤter unſerer 
Reformation, Luther an der Spitze, daß vor allem 


122 


das neue, in die Kirche aufzunehmende Element, 
das chriſtliche Volk, gebildet werden mußte. Wir 
koͤnnen es jetzt als eine geſchichtliche Thatſache be: 
greifen, wie und warum dieß in Folge innerer und 
aͤußerer Hemmniſſe, erſt durch die allmaͤhlige dreihun: 
dertjaͤhrige Bildung proteſtantiſcher Voͤlker und eines 
weltgeſchichtlichen Bewußtſeins derſelben, als Traͤger 
der Macht und der Wiſſenſchaft, moͤglich geworden 
iſt. Buͤrgerliche und geiſtige Freiheit mußte erkaͤmpft, 
der Begriff der perſoͤnlichen ſittlichen Verantwortlich— 
keit, als des Traͤgers und Exponenten des allgemei— 
nen Prieſterthums, erſt durch alle Verhaͤltniſſe des 
Lebens, und durch alle geiſtige Beſtrebungen hindurch 
gebildet werden. Waͤhrend dieſes langen, ſchwierigen 
Bildungsproceſſes verloren die proteſtantiſchen Theo— 
logen und Canoniſten Glauben und Geduld. Einige 
klammerten ſich an die Rechtsbegriffe der alten Geiſt— 
lichkeitskirche an, und bereiteten ein Syſtem vor, wel— 
ches folgerecht durchgefuͤhrt, eine Menge kleiner Paͤpſte 
und paͤpſtlicher Koͤrperſchaften haͤtte bilden muͤſſen, 
aber, durch den Gegenſchwung der Zeit gehemmt, 
bisher nur als pfaͤffiſcher Anſpruch oder unſchuldiger 


123 


Aberglaube erſchien. Maͤchtiger und bedeutender iſt 
die in unſern Tagen aus dem Gegenſatze gegen den 
Individualismus und die todten Formen des vorigen 
Jahrhunderts, welcher in Deutſchland die romaniſche 
Schule hervorrief, in England mit ſittlichem Ernſte 
und Gelehrſamkeit hervorgegangene Richtung zum 
Geltendmachen des ausſchließlichen kirchlichen Rechtes 
der Geiſtlichkeit, und zwar als geſchichtlich biſchoͤflicher. 
Der Unterſchied der entſchiedenen Hinneigung zu Rom 
und der entſchiedenen Abneigung gegen Rom iſt da— 
bei, fuͤr die Verfaſſung, ein ganz untergeordneter, ein 
verſchwindender, eine bloße Frage der kirchlichen Na— 
tionaloͤkonomie. Wir muͤſſen es fuͤr einen Irrthum 
halten anzunehmen, daß der Papismus, in der Ver— 
faſſung wie in der Lehre von der Kirche, dem Poſtulat 
jener Schule, an Dapit und an Rom klebe, und daß 
die große Bewegung der Geiſter im ſechzehnten Jahr— 
hunderte und im neunzehnten, in Gottes Willen, 
im Bewußtſein der Völker, und im Ernſte der Welt: 
geſchichte nichts anders bezwecke und bedeute, als 
einen anglikaniſchen oder lutheriſchen oder presbyte— 
rianiſchen, ſelbſtgemachten, hausbackenen Papismus 


124 


hervorzubringen. Nach der oben entwickelten Anſicht 
muͤſſen alle diejenigen in einen unaufloͤslichen Wider— 
ſpruch gerathen, welche, bewußt oder unbewußt, als 
Theologen oder Canoniſten, irgendwie und irgend— 
wo die Anſpruͤche der Geiſtlichkeitskirche mit den 
proteſtantiſchen Bekenntniſſen, dem Evangelio, den 
Apoſteln und — der Geſchichte der Kirche und ihres 
Rechtes in Einklang bringen wollen. 

Dieſer Richtung nun gegenuͤber warfen andere 
die große Idee der Kirche als der goͤttlichen Anſtalt 
fuͤr die Einheit des Menſchengeſchlechts ganz weg, 
um jenem nachtwandelnden Geſpenſte der Geiſtlich— 
keitskirche, und den Gefahren eines neuen Papismus 
zu entgehen. Die Religionskriege des ſiebenzehnten 
Jahrhunderts brachen die Lebenskraft des erwachten 
Volksbewußtſeins in kirchlichen wie in politiſchen und 
wiſſenſchaftlichen Dingen. Erſt nach ihnen begann, 
namentlich bei uns, das Syſtematiſiren der Theologen 
und Canoniſten mit gaͤnzlich todten Begriffen. So 
glauben noch jetzt offenbar viele proteſtantiſche Cano— 
niſten ganz ehrlich, daß die Kirche mit der Neforma: 
tion aufgehört habe, ſtatt daß mit ihr die volle 


_125 


Kirche erft anfing, die vorgebildete erſt begann in die 
Welt zu treten. 

Man kann hiernach ſagen, daß alle in dieſer 
ſchweren und dumpfen Zeit gebildeten oder eingebildeten 
Verfaſſungen, entweder auf einem Reſte jenes fruͤhe— 
ren Baues, alſo des mittelalteriſchen Epiſkopalismus 
ruhen, oder auf dem Gegenſatze gegen denſelben. 
In beiden Formen beſteht die Annahme des allge— 
meinen Prieſterthums der Chriſten und des allentſchei— 
denden Anſehens der Schrift: aber ſie ſind dort das 
Maaßgebende und Begraͤnzende, hier das in ſeiner 
Gegenſetzlichkeit Entſcheidende und alles Beherrſchende. 

Die Stellung der Kirche der Zukunft zu beiden 
kann uns nach dem Obigen nicht zweifelhaft ſein. 
Wir muͤſſen als Bedingung jeder lebendigen Herſtel— 
lung anſehen die Befreiung der Menſchheit eben ſo— 
wohl von jenen Truͤmmern der Rechtsbegriffe der 
Geiſtlichkeitskirchen, als von deren verneinendem 
Gegenſatze. Aber ehe wir daran gehen, dieß in 
unmittelbarer Anwendung jener Grundbegriffe auf 
die Kirche der Zukunft anſchaulich zu machen, wollen 
wir zuerſt verſuchen, das Geſagte zu erlaͤutern 


126 


durch die nähere Beleuchtung der bisherigen Kir: 
chenreformen, ſowohl des Episkopalismus als feines 
Gegenſatzes. Hierdurch werden wir die unmittelbare 
Einleitung gewinnen fuͤr den Verſuch der Herſtellung 
einer, von beiden Befangenheiten gleichmäßig befreiten 
Verfaſſung der zukuͤnftigen Kirche. Hinſichtlich des 
Epiſkopalismus ſelbſt nun habe ich in jenem 
Schreiben mich unbedingt wider jede Auffaſſung 
ausgeſprochen, welche ihm einen dogmatiſchen Werth 
beilegen wollte: ja ich habe als eine Ketzerei die An— 
ſicht erklaͤrt, welche als allgemeine Wahrheit den Satz 
aufſtellt: das geſchichtlich fortgepflanzte Biſchofthum 
ſei die Bedingung der Theilhaftigkeit des Einzelnen 
wie des Volkes, an Chriſti Kirche und ihren Ver— 
heißungen, und alſo damit nothwendig, dei folge 
rechtem Denken, die Bedingung der Sicherheit der 
Erloͤſung, welche die Schrift dem Glauben zuſichert. 
Dieß hat der Epiſkopalismus der reformirten Kirche, 
der anglikaniſchen, nie gethan: vielmehr verwarfen die 
Artikel dieſer Kirche eine ſolche Anſicht aufs allerent— 
ſchiedenſte, noch ſtaͤrker als das proteſtantiſche Glau— 
bensbekenntniß. Allein die Kirche iſt jenes Irrthums 


127 


nie ganz mächtig geworden, und zwar in Folge ihrer 
einſeitigen Verfaſſung, und ihrer nicht ganz durch— 
gebildeten Liturgie. Ueber die Verwerflichkeit des 
Epiſkopalismus in jenem Sinne, vom evangeliſchen 
Standpunkte, glaube ich mich im Schreiben ſo deut— 
lich ausgeſprochen zu haben, daß mich niemand miß— 
verſtehen kann, auch wer will. 

Ich habe aber auch zweitens geſagt, daß als 
nationale Verfaſſungsfrage ein biſchoͤfliches 
Syſtem mir ſcheine unbefangen betrachtet, ja gelobt 
und angeprieſen werden zu koͤnnen, trotz der unzu— 
laͤſſigen Anſpruͤche, die ſich hier und da an daſſelbe 
angehaͤngt haben. Ja ich habe nicht verhehlt, daß 
meine eigene perſoͤnliche Ueberzeugung dahin gehe, es 
werde ſich nicht wohl eine freie Kirche (wir meinen 
natuͤrlich die eines großen gebildeten und freien Volkes) 
mit Gewaͤhr ihrer Widerſtandskraft gegen Polizeige— 
walt, Schwaͤrmerherrſchaft und Unglauben und mit 
Faͤhigkeit im nationalen Leben das Menſchliche zu 
umfaſſen, bilden oder herſtellen laſſen, ohne daß jenem, 
im Biſchofthume dargeſtellten Elemente, des perſoͤn— 
lichen Gewiſſens, volle Gerechtigkeit widerfahre. 


128 


Bei einer ſolchen Empfehlung des biſchoͤflichen 
Elementes habe ich nun offenbar nicht die Verfaſſung 
der anglikaniſchen Kirche im Auge, wie ſie ſich im 
ſechzehnten Jahrhunderte, vor der vollen Entwicklung 
der evangeliſchen Gemeinde bildete, oder vielmehr aus 
der mittelalterlichen Kirche heruͤber genommen wurde, 
und wie ſie im ſiebenzehnten ſich im Gegenſatze von 
Presbyterianismus und von politiſchen Anſpruͤchen 
der Laien feſtſetzte. Der Epiſkopalismus dieſer Ver— 
faſſung kann mir, in ſeiner beſten Geſtalt, eben 
ſowohl nur als ein Bruchſtuͤck der evangeliſch-apoſto— 
liſchen Kirchenverfaſſung gelten, wie die Syſteme, 
welche an ſeine Stelle getreten ſind. Er iſt eben 
ſowohl in einer falſchen Gegenſaͤtzlichkeit und ſchaͤdli— 
chen Einſeitigkeit befangen, als ſein urſpruͤnglicher 
Gegenſatz: der aus der Verneinung der ungehoͤrigen 
Anſpruͤche, Anmaßungen und blutigen Verfolgungen 
jenes Epiſkopalismus hervorgegangene Presbyterianis— 
mus. Dieſer naͤmlich hatte anfangs die Abſicht, ſich 
zu einer freien, vollſtaͤndigen Verfaſſung zu entwickeln, 
ward aber, durch den Eifer der Verneinung und das 
Uebergewicht der Geiſtlichen, fruͤh ſtarr und unbild— 


129 


ſam, und zeigte fich ſchroff, eng und abgeſchloſſen, 
allenthalben wo er zur Herrſchaft gelangte. Jener 
Epiſkopalismus und dieſer Presbyterianismus erkennen 
beide in ihren Symbolen die Allgemeinheit, einestheils 
der Kirche, andrerſeits des chriſtlichen Prieſterthums 
an. Allein der Epiſkopalismus hat, ſo ſcheint es 
mir, mit dem allgemeinen Prieſterthum ſo wenig an— 
zufangen gewußt, als der Presbyterianismus mit der 
Katholizitaͤt. Wenn hiernach das alte Biſchofthum 
die Idee der Kirche ſehr unvollſtaͤndig darſtellt; ſo 
iſt deßhalb ſeine bloße Verneinung noch keine voll— 
ſtaͤndige, alſo auch nicht eine wahrhaft freie Ver— 
faſſung. Man wuͤrde gegen die Geſchichte ſuͤndigen, 
wenn man jenem Epiſkopalismus allein die Ver— 
irrungen und Gefahren zuſchreiben wollte, die er in 
Wahrheit großentheils mit ſeinem Gegenſatze gemein 
hat. Jede geiſtliche Koͤrperſchaft, ob unter Einem 
geiſtlichen Haupte (was das folgerechteſte) oder unter 
mehreren, oder in ganz demokratiſcher Geſtalt, hat 
nothwendig das Streben, das ihr anvertraute Amt 
uͤbermaͤßig hoch zu ſchaͤtzen, ſich ſelbſt fuͤr das Ganze 


zu halten, und darauf einen Anſpruch von Gewalt 
9 


130 


und Machtvollkommenheit zu gruͤnden, welcher nicht 
allein die Rechte des chriſtlichen Volkes beeintraͤchtigt, 
ſondern auch zu aberglaͤubiſchen Begriffen von jenem 
Amte führt. Solche Begriffe verdunkeln aber noth: 
wendig immer mehr das Gefuͤhl des allgemeinen 
Prieſterthums, und der rein geiſtigen Natur ſeines 
Opfers: ja ſie koͤnnen, wenn wir die Geſchichte des 
Chriſtenthums nicht ganz mißverſtehen, zur Verken— 
nung der geiſtigen Natur des Chriſtenthums uͤber— 
haupt verleiten. Das allgemeinſte Uebel aber iſt 
dieſes, daß ſie auch die buͤrgerliche Seite der kirch— 
lichen Verhaͤltniſſe ausſchließlich von einem theologi— 
ſchen Begriffe aus beurtheilen, und aus einer Ver— 
faſſungsfrage eine Gewiſſensſache zu machen geneigt 
ſind. Dieß nun nennen wir Pfaffenthum, und 
meinen, es ſei die Klippe aller Geiſtlichkeitskirchen, 
d. h. aller kirchlichen Gemeinſchaften, in welchen die 
Koͤrperſchaft der Geiſtlichkeit an die Stelle des 
chriſtlichen Volkes und der Gemeinde tritt. Die 
lutheriſchen Geiſtlichen haben jenen Geiſt des Pfaf— 
fenthums gezeigt unter der Conſiſtorialverfaſſung, und 
die calviniſchen unter der presbyterianiſchen, gerade 


a 


fo gut als die orientaliſchen, roͤmiſchen und anglika— 
niſchen Biſchoͤfe: Wittenberg, Genf und Dortrecht 
ſowohl als Jeruſalem, Rom und Canterbury. Der 
Begriff des allgemeinen Prieſterthums aller Chriſten 
iſt ihnen allen gar oft abhanden gekommen, und mit 
ihm das Bewußtſein der geiſtlichen Berechtigung des 
chriſtlichen Volkes in der Gemeinde. Aber wir wie— 
derholen, was wir im Schreiben geſagt. Im Grunde 
genommen, haben die chriſtlichen Voͤlker einen bedeu— 
tenden Theil der Schuld ſich ſelbſt zuzuſchreiben. Es 
iſt großentheils die Erkaltung ihrer Liebe, welche die 
Geiſtlichkeit in dieſe falſche und betruͤbte Stellung 
gebracht hat. Denn mit der Liebe erkaltete der 
Eifer, und ſchwand die freiwillige Thaͤtigkeit der 
Laien in der Gemeinde. So erſtarb zuerſt das alte 


Diakonat: dann wurde das Presbyterat gelaͤhmt; 


wo es Biſchoͤfe gab durch dieſe, in den nicht biſchoͤf— 
lichen Kirchen durch die Tyrannei der Theologen, zu 
deren Erben ſich, unter dem Jubelrufe der Voͤlker, 
der neue Staat machte. 

Der Epiſkopalismus hat aber allerdings Eine 
Einſeitigkeit und Gefahr, welche ihm eigenthuͤmlich 


132 


heißen muß: daß er naͤmlich die Rechtmaͤßigkeit des 
geiſtlichen Amtes nur in der fortdauernden Anweſen, 
heit des biſchoͤflichen Amtes ſieht. In ſo fern kann 
man ſagen, daß er leichter als irgend eine andere 
Form dahin fuͤhrt, den Begriff der Kirche und der 
Theilhaftigkeit ihrer Glieder an der Erloͤſung und 
dem goͤttlichen Geiſte in der aͤußerlichen geſchichtlichen 
Ueberlieferung jenes Amtes zu ſehen, und alſo die 
Lehre von der Erloͤſung, Rechtfertigung und von den 
Sakramenten im juͤdiſchen Sinne zu verderben. Das 
aber iſt uns Chriſtum verlaͤugnen und kreuzigen. Die 
ſchwediſche Kirche nun hat niemals ſolche Anwand— 
lungen gezeigt, wie denn überhaupt proteftantifche D 


) Wir gebrauchen hier und anderwärts, bei Zuſammenſtellung 
der beiden Hauptabtheilungen der evangeliſchen Chriſtenheit, 
proteſtantiſch ſtatt lutheriſch: nach dem Borgange des 
Sprachgebrauchs von reformirt ſtatt calviniſtiſch. Beide 
Ausdrücke entſprechen ſich alsdann vollkommen, während luthe- 
riſch und reformirt ſich ſprachlich gar nicht entſprechen. Auch 
ſind beide gleich begründet in der Geſchichte. Alle evangeliſche 
Kirchen erkennen ſich, im Gegenſatze der unverbeſſerten römi— 
ſchen, als reformirte oder verbeſſerte: aber die, welche durch 
Calvin ihre kirchliche Geſtalt gewannen, legten ſich dieſen 
Namen zuerſt bei. So heißen die Schweizer, Holländer, Schot⸗ 


133 


Kirchen nie ſo viel Werth auf Verfaſſungsfragen 
gelegt, als die Reformirten es unter allen Formen 
gethan haben. Aber die ſchwediſche Kirche iſt doch 
auch eine Geiſtlichkeitskirche. Die perſoͤnliche Bi⸗ 
ſchofsgewalt iſt nur gemildert durch ein Conſiſtorium 
oder Domkapitel in jedem Sprengel, und durch die 
Verbindung der ſtaͤndiſchen Reichsverfaſſung mit den 
kirchlichen. Die Geiſtlichen haben naͤmlich ein bedeu— 


tendes politiſches Wahlrecht, und alle Biſchoͤfe ein 


ten, ſelbſt die Engländer allgemein, und mit Recht reformirte 
Chriſten. Man kann aber die Engländer ſchon nach ihren 
Symbolen ſchwer Calviniſten nennen: manche deutſche refor- 
mirte Kirchen haben auch weſentlich unterſcheidende Punkte 
des dogmatiſchen Syſtems Calvins aufgegeben, ohne dadurch 
aufzuhören, reformirte Chriſten zu ſein, im Gegenſatze der 
lutheriſchen. Eben ſo ſind alle evangeliſche Kirchen proteſtan— 
tiſche. indem fie ſich anſchließen an die von den augsburgiſchen 
Glaubensgenoſſen eingelegte geſchichtliche Proteſtation (Rechts— 
Erklärung): allein dieſe haben ein beſonderes Recht für die 
Bezeichnung als proteſtantiſche Kirche, den Reformirten ge— 
genüber. Ich bemerke bei dieſer Gelegenheit, daß ich lu— 
theraniſch, zur Unterſcheidung von lutheriſch, abſichtlich 
gebrauche zur Bezeichnung des nicht ſo wohl von Luther per— 
ſönlich aufgeſtellten, als vielmehr auf ihn gebauten dogmatiſchen 
Syſtems, wie es ſich jetzt in den ſogenannten Alt-Lutheranern 
darſtellt. 


134 


Mitgliedſchaftsrecht in den Reichsſtaͤnden. Unmittel 
bares Recht der Laien giebt es nicht jenſeits der 
Pfarreien. In jeder Pfarrei beſteht naͤmlich ein 
Kirchenrath, jedoch ohne bedeutende Rechte. Das 
Wahlrecht der Gemeinde bei denjenigen Pfarren, 
welche nicht koͤnigliche oder Conſiſtorialpfarren ſind, 
beſteht in dem Rechte, aus drei oder vier, vom Con— 
ſiſtorium vorgeſchlagenen Candidaten einen zu waͤhlen. 
Synoden von Geiſtlichen und Laien giebt es gar 
nicht: die Reichsſtaͤnde ſind hier, ſo weit es die Ver— 
einigung des Kirchlichen und Staatlichen erlaubt, 
wirklich, was das engliſche Parlament nach einer 
politiſchen Fiktion ſein ſollte. Kirchenbußen ſind koͤr— 
perliche Strafen, die von geiſtlichen und weltlichen 
Gerichten verhaͤngt werden koͤnnen. Es iſt klar, daß 
dieſe Verfaſſung, gerade wie die ſchwediſche Liturgie, 
das feſtgewordene Bild einer evangeliſch- proteſtanti— 
ſchen Kirche des ſechzehnten Jahrhunderts darſtellt, 
die Staatskirche eines Kirchenſtaats. Der zweite 
Kirchenſtaat iſt oder war Genf. Sein Grundprinzip 
iſt die Selbſtergaͤnzung der Aelteſten und der Geiſt— 
lichen: und dieſes Recht ſtempelt den alten Presby— 


135 


terianismus gerade eben fo gut zur Geiſtlichkeiskirche, 
als den reformirten oder proteſtantiſchen Epiſkopa— 
lismus. 

Wer von dieſen geſchichtlichen Thatſachen ſich 
überzeugt hat, wird von keiner der bisherigen Haupt: 
formen der Nationalkirchen dasjenige Heil erwarten, 
welches uͤberhaupt in der Verfaſſung liegen kann. 
Denn jene Kirchenverfaſſungen ſind alle, mehr oder 
weniger, aus dem Geiſte des unbedingten Gegenſatzes 
hervorgegangen, und in Einſeitigkeit befangen; Bruch— 
ſtuͤcke der zerſchlagenen Idee der Kirche Chriſti. Wer 
nun dieſe Ueberzeugung gewonnen, wird auch ein 
ganz unbefangenes Urtheil behaupten koͤnnen über 
die beiden Syſteme, welche im vorigen Jahrhunderte 
ſich aus dem Gefuͤhle jener Einſeitigkeit, und im 
Gegenſatze zu jenen pfaͤffiſchen Richtungen erhohen 
haben: das eine in dem Staate, das andere in 
vollkommener Entfremdung vom Staate. Unter jenen 
verſtehen wir die Diktatur der weltlichen Regierungen. 
In Genf und in allen nach Genf gebildeten Ver— 
faſſungen kam dieſe Diktatur gleich urſpruͤnglich herein 
durch folgerechte Anwendung des Begriffs der Einheit 


136 


von Staat und Kirche: ein großartiger Irrthum zu 
Anfang und ein trauriger Anachronismus bald nach— 
her. Dort ſtand dem Staate eine geſchloſſene, 
d. h. ſich ſelbſt erneuernde Koͤrperſchaft gegenuͤber, 
bei welcher die Geiſtlichen den uͤberwiegenden Einfluß 
hatten, das Volk aber, als Gemeinde, gar keinen. 

Was nun die aus der deutſch-proteſtantiſchen 
Kirche hervorgegangene Form jener Diktatur betrifft; 
ſo ſtuͤtzte ſich dieſe ganz entſchieden auf das Gefuͤhl 
der Laien, als mit den Geiſtlichen gleichberechtigter 
Bruͤder, und wurde als Proteſtation gegen das 
lutheraniſche Pfaffenthum trotz ihrer allerdings ſehr 
unfreien Form gern angenommen und ertragen. Die 
Canoniſten thaten ihre Schuldigkeit und machten die 
Thatſache zum Recht. Die wahre oder vermeintliche 
Berechtigung einer lutheraniſchen Koͤrperſchaft ward 
auf die lutheraniſche Regierung uͤbertragen, ohne 
Beruͤckſichtigung des in den Ortsgemeinden dargeſtell— 
ten chriſtlichen Volkes: ja zuletzt ſelbſt auf die Re— 
gierung ſchlechthin als ſolche; alſo auch auf eine 
roͤmiſch-katholiſche. Wir nun koͤnnen dieſes Syſtem, 
ſelbſt in ſeiner urſpruͤnglichen Geſtalt, nicht als eine 


132 


Verfaſſung, als geſetzliche Freiheit der Kirche begreifen, 
und nennen es deßhalb, zu ſeiner Rechtfertigung, eine 
Diktatur: wir meinen aber damit das wohlbekannte 
gegenwaͤrtige Conſiſtorialſyſtem. 

Die andere Proteſtation war der Independentis— 
mus, und die darauf gegruͤndete Lehre der ſogenannten 
Sonderung der Kirche vom Staat, oder das Freiwil— 


| ligkeitsſyſtem. Wie jene Diktatur das Verdienſt hat, 


die Gemeinde vor den Anmaßungen des Pfaffen— 
thums geſchuͤtzt zu haben, ehe dieß durch eine natio— 
nale, freie Kirchenverfaſſung geſchehen konnte; ſo muß 
dem Independentismus das Verdienſt zuerkannt wer— 
den, den Staatskirchen ſowohl als den Geiſtlichkeits— 
kirchen, dem Polizismus wie dem Dogmatismus 
gegenuͤber, geltend gemacht zu haben das unver— 
aͤußerliche kirchliche Recht der Gemeinde, d. h. im 
hoͤchſten Sinne, des gemeindlich geordneten chriſtlichen 
Volkes. Es lag in der Natur des Gegenſatzes, daß 
dem Independentismus dieſe Kirchengemeinde die Orts— 
gemeinde blieb, von welcher, als der unterſten Ein: 
heit, er ausging, und daß jene kirchliche Freiheit ihm 
eine Freiheit außerhalb des nationalen Lebens wurde. 


138 


Durch die erſte Einſeitigkeit machte er ſich die Dar— 
ſtellung einer großen Kirchengemeinſchaft, praktiſch 
wenigſtens, unmoͤglich; und durch die zweite naͤherte 
er ſich wieder dem Mittelalter und dem Pabſtthum. 
Das Pabſtthum zerſtoͤrte inſtinktmaͤßig, ſo weit es 
konnte, den goͤttlich gegebenen Knotenpunkt der Ent— 
wickelung des Chriſtenthums in ſelbſtſtaͤndigen Völkern 
und Staaten. Der Independentismus, und ſein 
amerikaniſches Evangelium und Kirchenrecht, die Lehre 
der ſogenannten Trennung von Kirche und Staat, 
verlieren den Begriff der Volksthuͤmlichkeit eben ſo 
gut wie den der Allgemeinheit. Sie proteſtiren gegen 
den Staat, und es entgeht ihnen die Nation. Sie 
wollen Freiheit und ſie gerathen in arge Dienſtbarkeit; 
die Geiſtlichen unter der Schwaͤrmerei einer Orts— 
gemeinde oder ihrer Mehrheit, die Gemeinde unter 
dem einſeitigen, durch keine geſchichtliche Entwicklung 
gemilderten Dogmatismus ihres Predigers. Ganz 
beſonders hat der theoretiſche Independentismus in 
dieſer Hinſicht eine merkwuͤrdige Aehnlichkeit mit dem 
mittelalterlichen Moͤnchthum: er ſieht, wie dieſes, die 
reine Form des Chriſtlichen nicht in dem von Gott 


139 


gegebenen bürgerlichen Leben, in welches er geſetzt iſt, 
ſondern entzieht ſich dem Kampfe mit der Welt, ſtatt 
freudigen Muthes die Welt mit dem Glauben zu 
bekaͤmpfen und mit der Liebe zu durchdringen. Ber: 
zweifelnd an der Wiederbelebung der in die Sklaverei 
des Staates und in die noch viel ſchlimmere der 
Verweltlichung gerathenen Landeskirchen, vergißt er 
Zeit und Stunde, und ſieht die Gegenwart ſelbſt, 
vieler Jahrhunderte ſchwer errungenes Erbtheil, als 
ganz und gar nicht beſtehend an. In dieſer Ver— 
zweiflung will er von vorn anfangen, als wenn es 
gar keinen chriſtlichen Staat gaͤbe, und laͤßt ſich 
dabei von amerikaniſchen Rednern beſtechen, welche 
aus der Nothwendigkeit eine Tugend machen, was 
uͤbrigens viele andere auch vor ihnen gethan haben. 
So iſt man dahin gelangt, in dem embryoniſchen 
Zuſtande die hoͤchſte Vollendung, in dem dort natur— 
gemaͤßen Anfangspunkte das Ziel und den Hafen aller 
Entwicklung zu erblicken. Aber man kann dieſe Ein: 
ſeitigkeit und Taͤuſchung beklagen, und doch das große 
Verdienſt des Independentismus, als Syſtems fuͤr 
eines der Elemente der Kirchenverfaſſung anerkennen, 


140 


ſo wie den chriſtlichen Ernſt und Eifer feiner Bekenner 
und Lehrer bewundern. John Owen hat die Lehre 
der Gewiſſensfreiheit noch kraͤftiger und unbefangener 
gepredigt, als Biſchof Taylor, ſein Zeitgenoſſe: nicht, 
wie eine ſpaͤtere Zeit im Unglauben, ſondern im 
Glauben: nicht im unkirchlichen Sinne, ſondern um 
der Kirche willen. 

Dieſe Anſicht der bisherigen kirchlichen Ver— 
faſſungen mag nun wahr oder falſch ſein. Demjenigen 
aber, welcher ſie einmal in ihren weſentlichen Punk— 
ten, als eine wahre erkannt, muͤſſen natuͤrlich die 
einſeitigen Anſpruͤche irgend einer jener Verfaſſungen 
auf allgemeine Wahrheit und allgemeine Anerkennung 
ziemlich gleich unbefugt vorkommen. Wir wuͤnſchen 
jedoch, deshalb nicht ſo mißverſtanden zu werden, als 
ob wir das Heil der Kirche in einer ideenloſen Men— 
gerei widerſtreitender Prinzipien und Formen ſuchten. 
Waͤre die Sache damit abgethan, ſo duͤrfte man nur 
die Verfaſſung der biſchoͤflichen Kirche der Vereinigten 
Staaten annehmen: ohne Zweifel die bedeutendſte 
thatſaͤchliche Erſcheinung auf dem Gebiete der Kir— 
chengeſchichte der letzten hundert Jahre. Sie hat 


141 


dem Pfarrgeiſtlichen nicht allein, ſondern auch den 
Laien ihr Recht zuerkannt, und zwar gleichmaͤßig in 
der Verwaltung und in der Geſetzgebung der Kirche. 
Indem ſie dabei das perſoͤnliche Gewiſſen in der 
hoͤheren Gemeinde feſtgehalten, durch die Biſchoͤfe, 
hat ſie einerſeits Rom uͤberfluͤgelt, andrerſeits den 
ſtarren Presbyterianismus und den vereinzelnden 
Independentismus uͤberboten. Sie giebt dem Laien 
groͤßere Rechte, als der Presbyterianismus es thun 
konnte, und ſie zeigt dieſem, dem Independenten, 
neben der unabhaͤngigen Ortsgemeinde die thatſaͤchliche 
Verbindung derſelben zu organiſcher Einheit und 
bruͤderlicher, geordneter Zuſammenwirkung. Sie 
ſichert endlich die Freiheit des Einzelnen, ſowohl die 
der Geiſtlichen als die der Laien, viel beſſer als es 
dort der Fall ſein kann. Der Geiſtliche iſt kein 
Diener der Gemeinde, ſondern Beamteter der Kirche: 
und der Laie iſt vor der Schwaͤrmerei und Tyrannei 
eines Volksredners geſichert: beide ſtehen nicht auf 
einer Perſoͤnlichkeit, ſondern auf breiter geſchichtlicher 
Baſis der eigenen Kirche, der Kirche des Mutterlan— 
des und der ganzen Chriſtenheit. Der Dogmatismus 


142 


ferner iſt in ihr durch eine gefchichtliche und volks— 
thuͤmliche Liturgie gemildert, welche die Einheit beſſer 
vermittelt als dogmatiſche Formeln der Schule. Wie 
Eraftig endlich fie die Kirchenzucht handhabt, zeigt die 
neuliche Abſetzung eines Biſchofs, und die Amtsent— 
hebung eines andern, und zwar nicht um dogma: 
tiſcher ſondern um ſittlicher Gruͤnde willen. 

Es iſt alſo ganz begreiflich, daß dieſe Kirche, 
die einzige große, organiſche Bildung der neuen 
Welt, welche rein volksthuͤmlich und evangeliſch, und 
dabei doch katholiſch heißen kann, ſich von geringem 
und ſchwierigem Anfange bereits ſo lebenskraͤftig uͤber 
die ganze Union ausgebreitet hat, und immer mehr 
ſich als eine nationale Kirche erweiſt und darſtellt. 
Allein mit aller Anerkennung dieſes, in Europa und 
ſelbſt in England faſt gar nicht gewuͤrdigten Verdienſtes, 
koͤnnen wir doch in jener Kirche nicht die Loͤſung un— 
ſerer Aufgabe, nicht die vollendete Form einer Kirche 
der Zukunft erkennen. Die Gegenſaͤtze des Alten find 
in ihr nur aͤußerlich neben einander geſtellt, nicht 
innerlich vereinigt und vermittelt. Deßhalb ſtehen ſie 
einander unverſtanden und unverſoͤhnt, feindſelig gegen: 


143 


uͤber. Dieß beweiſen auch die letzten theologiſchen 
Streitigkeiten jener Kirche, denen wir uͤbrigens Mac 
Ilvaines Werk und andere herrliche, evangeliſche Zeug— 
niſſe verdanken. Durch dieſen Mangel an Durchbil— 
dung der Idee hat fie für lange, wenn nicht für im: 
mer, die Gelegenheit verloren, auf der einen Seite 
die in Amerika bekanntlich biſchoͤflichen Methodiſten 
an ſich zu ziehen, und auf der andern die rechtglaͤu— 
bigen Independenten-Gemeinden, in welchen viel ſitt— 
licher Ernſt, wahre Froͤmmigkeit und tuͤchtige kritiſche 
Gelehrſamkeit vereinigt iſt. 


IV. 


Grundſätze der Herſtellung einer vollſtändigen 
evangeliſchen Kirchenverfaſſung. 


Was denn willſt du? wird man mich hier fra— 
gen. Die bisherigen Verfaſſungen ſind dir nicht recht: 
von der Conſiſtorialverfaſſung willſt du, fo ſcheint 
es, gar nichts wiſſen. Der anglikaniſche Epiſkopa— 


144 


lismus iſt dir nur ein Bruchſtuͤck, ſein Gegenſpiel, 
der genfer-hollaͤndiſch-ſchottiſche Presbyterianismus 
nichts anders: der Independentismus endlich eine auf— 
loͤſende Verneinung; ja ſelbſt mit der amerikaniſchen 
Verfaſſung willſt du dir nicht genuͤgen laſſen: und 
bei dem allen verlangſt du doch eine biſchoͤfliche Ver— 
faſſung. Alſo was willſt du? Dieſer ganz natuͤr— 
lichen, offenen Frage fuͤhle ich mich gedrungen, da 
ich nun mein Bekenntniß zu vertheidigen begonnen, 
eine eben ſo offene Antwort entgegen zu ſtellen. Ich 
will denn, daß wir das ausbilden, was wir in der 
vereinigten, evangeliſchen Kirche Deutſchlands beſitzen. 
Und zwar will ich dieß deswegen, weil ich glaube, 
daß, wenn wir die Sache beim Lichte beſehen, und 
das Kind beim rechten Namen nennen, es ſich finden 
wird, es ſeien ſelbſt die Truͤmmer und Embryonen 
unſerer kirchlichen Einrichtungen die Anlage zu 
etwas Vollſtaͤndigerem und Hoͤherem, als alles was 
jene Kirchen erſtrebt und erreicht haben. Meine 
feſte Ueberzeugung iſt, daß aus einer furchtloſen 
und gleichmaͤßigen Anwendung der oben entwickelten 
evangeliſchen Grundſaͤtze die Herſtellung einer freien 


— 


Verfaſſung der deutſchen evangelichen Kirche uns 
von ſelbſt hervorgehen, und ſogar in anſcheinend 
unkirchlichen Erſcheinungen und Formen der Gegen— 
wart einen lebendigen Anknuͤpfungspunkt finden wird. 
Wir muͤſſen nur die Beſchraͤnktheiten und die ganze 
Sprachverwirrung der Geiſtlichkeitskirchen wegwerfen, 
und die Herſtellung aus dem innerſten Herzen der 
Gegenwart, nach der Idee der Kirche, in Glauben 
und Liebe anſtreben. Um uns der unzerſtoͤrbaren 
Grundlage einer ſolchen Herſtellung bewußt zu werden, 
wollen wir hier aus dem oben feſtgeſtellten Verhaͤlt— 
niſſe des allgemeinen Prieſterthums der Chriſten zu 
dem geiſtlichen Amte einige praktiſche Folgerungen 
ziehen. 

Es iſt an die Menſchheit das goͤttliche Wort 
der erloͤſenden Liebe ergangen: ſchon durch Gewiſſen 
und Vernunft: klarer durch Geſetz und Evangelium. 
Dadurch iſt ſie eine prieſterliche Gemeinde geworden, 
und ihre Glieder ſind als ſolche Prieſter: d. h. ſie 
haben einen unmittelbaren Verkehr mit Gott. Dieß 
heißt uns in der ethiſchen Sprache: jedem Einzelnen, 


in welchem jene Stimme erwacht, dem jene Botſchaft 
10 


126 


erklungen iſt, wohnt perſoͤnlich eine volle ſittliche 
Verantwortlichkeit bei. Alle ſolche ſind, wie berufen, 
ſo befaͤhigt, die Dinge dieſer Welt als Prieſter, d. h. 
als perſoͤnlich verantwortliche unſterbliche Weſen, zur 
Foͤrderung des Reiches der Wahrheit und der Liebe 
zu behandeln: das heißt zu handeln vom freien ſittli— 
chen Standpunkte aus, nicht von dem natuͤrlichen 
Mittelpunkte des Ich, in der Sclaverei der Selbſt— 
ſucht. Damit iſt zweierlei gegeben. Einmal das 
goͤttliche Amt der Verkuͤndigung jenes Heils, und 
zweitens das gemeindliche Recht derjenigen, die es 
annehmen. Die Gemeinde entſteht durch das Wort: 
aber das Amt dieſes Worts iſt ein Amt an der Ge— 
meinde und in der Gemeinde. Chriſtus iſt das 
Haupt der Gemeinde, ſeiner Gemeinde, welche deß— 
halb ſein Leib: d. h. gleichſam ſeine Koͤrperſchaft heißt. 
Was alſo zur Erhaltung dieſer Koͤrperſchaft nothwen— 
dig iſt, muß in Chriſti Namen geſchehen, d. h. auf 
Grund ſeines Gebots der Verkuͤndigung, und in 
unmittelbaren Bezug auf Gott. Alles in dieſer un— 
mittelbaren Beziehung auf Gott Gethane heißt kirch⸗ 
lich, im Gegenſatz des mittelbar d. h. (wermittelft 


1473 


der Welt) auf Gott bezogenen Lebens des ſtaatlichen. 
So haben wir denn nothwendig zwei Aemter. Erſtlich 
das Amt der Verkuͤndigung des Wortes, d. h. im 
ausgedehnteſten Sinne, das der Prediger und Seel— 
ſorger. Zweitens das Amt der innern Regierung ' der 
Gemeinde. Dieß Amt iſt mittelbar gegeben: durch 
jene Verbindung des Amtes der Verkuͤndigung mit 
einem, zahlreichen oder, geringen, glaͤubigen Volke, 
eine Verbindung, durch welche die Gemeinde entſtand. 
Denn eine Gemeinſamkeit kann nur alsdann ins Leben 
treten, wenn ihr inneres Leben ſich zu geſtalten 
Freiheit und Raum gewinnt. Dieſes Amt iſt alſo 
noch weniger ein Ding fuͤr ſich, als das erſte. 
Es iſt ein bloßes Mittel und Werkzeug. Es ſoll 
dazu dienen das Wort in der Gemeinde rein zu 
erhalten, und die Handhabung von chriſtlicher (alſo 
geiſtiger) Zucht und Ordnung auf dem kirchlichen 
Gebiete, dem Gebiete der Liebe, zu ſichern. Jenes 
Amt iſt von Chriſtus ſelbſt, alſo mit goͤttlichem Rechte 
eingeſetzt. Dieſes iſt goͤttlichen Rechtes durch die 
Vermittlung des goͤttlichen Rechtes der menſchlichen 


Geſellſchaft oder des Staates. Diejenigen nun, welche 
10 * 


148 


die Verkuͤndigung des Wortes und die Seelſorge an 
einer Gemeinde zu ihrem Lebensberufe gewaͤhlt, und 
zu dieſem Amte berufen ſind, nennen wir deßhalb 
vorzugsweiſe Geiſtliche. Beide aber, die Geiſtlichen 
und die Regierer, werden zu ihrem Amte Helfer ge— 
brauchen. Und ſo haben wir denn naturgemaͤß drei 
Aemter in der Gemeinde: das Hirtenamt, oder das 
Amt der Seelſorger: das Amt der Regierer, 
und das beiden zur Seite ſtehende Amt der Helfer. 
Das erſte Amt kann immer nur vor einer beſchraͤnk— 
ten, oͤrtlich verſammelten Gemeinde geuͤbt werden, 
und iſt gewoͤhnlich an eine Ortsgemeinde (Parochie) 
geknuͤpft, deren Prediger und Seelſorger deßhalb ihre 
Pfarrer genannt werden. Die Gemeinde mag nun eine 
Stadt- oder Landgemeinde fein, eine große oder kleine, 
eine vornehme oder geringe: das Hirtenamt iſt immer 
Eines und es kann darin keine Ungleichheit und 
weſentliche Verſchiedenheit geben. In dieſem Sinne 
nimmt unſre evangeliſche Kirche ganz richtig an, daß 
es dafuͤr nur Eine Ordination geben koͤnne und ſolle. 
Unſre Biſchoͤfe alſo, wenn wir deren haben ſollen, wer: 
den auf dieſem Gebiet ſicherlich gar keinen Platz haben. 


149 


Das zweite Amt war uns das der Regierer. 
Die oberſte Rechtsperſon in der Kirche iſt die Ge— 
meinde. Das Gewiſſen der glaͤubigen gemeindlich 
geordneten Menſchheit iſt die oberſte Darſtellung 
der glaubigen Geſammtheit. Dieſe Geſammtheit 
laͤßt ſich jedoch nur in der Geſchichte des Reiches 
Gottes anſchauen: in der Wirklichkeit iſt ſie ganz 
undarftellbar, Nicht als ob fie die unſichtbare 
Kirche waͤre, d. h. die Geſammtheit der innerlich 
Chriſti theilhaftig Gewordenen. Mit dieſer Geſammt— 
heit, welche Gott allein kennt, haben wir hier uͤber— 
haupt gar nichts zu thun. Dieſe goͤttliche Geſammt— 
heit iſt unſichtbar, in der Ortsgemeinde wie in der 
Weltgemeinde, in der Gegenwart wie in der Reihe 
der Geſchlechter, welche ſich vom Anfang bis zum 
heutigen Tage gefolgt ſind: und ſie wird unſichtbar 
bleiben bis zum Tage der Offenbarung des vollkom— 
menen Reiches Gottes. Unſichtbar iſt eigentlich auch 
im Staate die Schaar der wirklichen guten Buͤrger 
und wahren Vaterlandsfreunde: aber auf feinem Ge: 
biete gilt vorherrſchend die That, dort nur die Ge— 
ſinnung. Das alſo iſt die unſichtbare Kirche. Aber 


150 


die Kirche, welche Chriſtus auf Erden geſtiftet, iſt 
die ſichtbare Gemeinde ſeiner Glaͤubigen, wie Ri— 
chard Rothe und Stahl ſo unwiderleglich, auch ſpecu— 
lativ nachgewieſen. Die Unſichtbarkeit der ſichtbaren 
Kirche iſt die Erfindung der Theologen. Sie kam 
den Kanoniſten ſehr recht in ihrer Verlegenheit, die 
Rechtsperſon der Kirche wieder zu finden, welche 
ihnen mit dem Untergange der Geiſtlichkeitskirche ab— 
handen gekommen war. Was man ihnen dafuͤr in 
der Wirklichkeit nach einander geboten: die Theologen, 
die Conſiſtorial-Behoͤrde, der Landesherr, wollte alles 
nicht recht paſſen: und als jemand im vorigen Jahr— 
hundert die Kuͤhnheit hatte (geraume Zeit vor Rouſſeau) 
zu denken und zu ſagen, die verlorne Rechtsperſon ſei 
am Ende die Gemeinde, da war der Begriff derſelben 
ſchon ſo in die Ortsgemeinde zuſammen geſchrumpft, 
oder in die Staatskirche verknoͤchert, daß die welt— 
geſchichtliche Idee der Kirche daraus nicht hervor— 
keimen konnte. 

Das iſt die kurze Geſchichte der erſonnenen un— 
ſichtbaren Kirche. Wir nun reden hier und uͤberall 
in unſerer Unterſuchung von der ſichtbaren Gemeinde 


151 


des Herrn, von der, nach Familien, Gemeinden, 
Staͤmmen, Voͤlkern und Staaten ſich herſtellenden 
Menſchheit. In ihr nun, ſagen wir, iſt die Ge— 
ſammtheit nirgends darſtellbar. Denn es mag jemand 
noch ſo hoch von den allgemeinen Concilien denken, 
ſo waren ſie doch nur ſehr unvollſtaͤndige und unfreie 
Darſtellungen der Geiſtlichkeit, ja nur eines Zweiges 
der Geiſtlichkeit, der Gemeinden aber ſo gut wie gar 
nicht; es moͤchte denn jemand die Mitwirkung der 
byzantiniſchen Caͤſaren, ihrer Kaiſerinnen, Kammer: 
herren, Adjutanten, Guͤnſtlinge und des ganzen con— 
ſtantinopoliſchen Hofes, mit dem Heere im Hinter— 
grunde, als einen Erſatz fuͤr das Volksgewiſſen 
nehmen wollen. Eine ſichtbare Univerſalkirche wuͤrde 
einen Univerſalſtaat vorausſetzen, welchen das alte 
roͤmiſche Reich ſich einbildete zu ſein, als es aufhoͤrte 
eine Nation zu haben, und welchen das neue roͤmiſche 
Reich anſtrebte, als die germaniſchen Staͤmme noch 
nicht die muͤndigen Nationen des neuen Europa 
geworden waren. Es giebt keine Regierung auf 
Erden jenſeits des Staates: alſo auch nicht in kirch— 
lichen Dingen, ſobald chriſtliche Voͤlker muͤndig wer— 


152 


den, und ſich als ſolche erkennen. Eine chriſtliche 
Nation nun, ſo fern ſie ſich als eine evangeliſche 
Landeskirche darſtellt, bildet uns die Reichsgemeinde. 
Zwiſchen ihr und der Ortsgemeinde wird die Landes— 
gemeinde und die Kreis- oder Bezirksgemeinde ſtehen. 
Die Sphaͤren der kirchlichen Regierung in allen dieſen 
ſind weiter und enger: aber die geiſtliche Oberherrlich— 
keit iſt und bleibt in jeder Sphaͤre bei der Gemeinde. 
Dieß folgt eben ſo natuͤrlich aus dem eben Geſagten, 
als daß in dieſer Gemeinde das Amt der Verkuͤndi— 
gung als ein goͤttlich gegebenes gelte und beſtehe, als 
oberſte Richtſchnur, als Zweck und Ziel aller Regie— 
rung aber die Foͤrderung des Reiches Gottes, des 
Reiches des fortſchreitenden ſittlichen Bewußtſeins, 
anerkannt werde. Die Gewalt des geiſtlichen Re— 
gierungsamtes iſt uns alſo, was die Kirchenrechts— 
lehrer die Gewalt der Gerichtsbarkeit nennen, im 
Gegenſatze der Gewalt des Standes, d. h. des geiſt— 
lichen, oder des Amtes am Worte. Jeder nun, 
welcher ein kirchliches Regierungsamt bekleidet, muß 
es eben ſo von der Gemeinde und in der Gemeinde 
Chriſti empfangen, wie die Apoſtel es von Chriſtus 


153 


und in Chriſtus damals erhielten, als er die Juͤnger 
berief fuͤr die an die Zeugen des Wortes ſich an— 
ſchließende Gemeinde. Wer er auch ſei, will er an 
Chriſti Gemeinde Theil haben, jo muß ihm das 
Amt der Kirchenregierung von der Gemeinde uͤber— 
tragen werden: denn ſie iſt im Reiche des Geiſtes 
an Chriſti Stelle getreten. Er wird alſo von der 
Gemeinde berufen und verordnet werden muͤſſen. Er 
kann nun, nach dem gewoͤhnlichen Sprachgebrauche, 
entweder ein Geiſtlicher ſein oder ein Weltlicher: 
allgemein und vor allem nothwendig iſt nur dieß, 
daß er ein kirchlicher Menſch ſei, ein Prieſter im 
wahren Sinn, und als ſolcher anerkannt und berufen. 
Ob aber fuͤr ein gegebenes Regierungsamt ein Geiſt— 
licher oder ein Weltlicher den Vorzug verdiene, das 
wird davon abhaͤngen muͤſſen, ob die Amtsthaͤtigkeit 
eine Richtung habe mehr nach der goͤttlichen Seite zu, 
oder nach der weltlichen, mehr nach dem Gebiete der 
Liebe oder nach dem des Rechtes. Theologen, als fuͤr 
ſich handelnde und berathende Koͤrperſchaft, erſcheinen 
in der Geſchichte und Erfahrung immer als einſei— 
tige und befangene Geſchaͤftsmaͤnner: das Recht aber 


154 


haben felbft die froͤmmſten und weifeften der Körper: 
Schaft, wenn fie fih daran gewagt, nur verdorben. 
Jenes erklärt ſich theils aus der falſchen Stellung 
jeder Koͤrperſchaft, welche das Ganze vertreten will: 
ſie betrachtet ihr Amt als Selbſtzweck, ihr Recht als 
ein unbedingtes. Dieſe Klippe aller Koͤrperſchaften 
iſt aber ganz beſonders gefaͤhrlich auf dem geiſtlichen 
Gebiete: denn hier gielt es nicht bloß ein Recht, 
ſondern eine Wahrheit: und eine Wahrheit, die vor 
allem Rechte iſt, und uͤber allem Rechte ſteht. Das 
Recht aber wird deshalb ſo ſchlecht in den Haͤnden 
der Geiſtlichkeit, weil ſeine Handhabung ſie auf ein 
von ihrem Berufe ganz verſchiedenes Feld fuͤhrt. Es 
iſt eine Thatſache, und eine ſehr begreifliche, daß es 
den Geiſtlichen ſchwerer wird als andern, in den 
menſchlichen Dingen die unbedingte Hoheit der Ge— 
rechtigkeit anzuerkennen, das Recht wie die Schuld 
der That, als ſolcher zu wuͤrdigen, abgeſehen von der 
Geſinnung. So hat Auguſtinus das Eheſcheidungs— 
recht verdorben, indem er Geſinnung und That, 
Sittlichkeit und Recht vermiſcht: und das ganze 
Eheſcheidungsrecht der weſtlichen Kirche leidet ſeitdem 


155 


an dieſem Sentimentalismus. Die rein richterlichen 
Amtsthaͤtigkeiten werden wir alſo eben ſo wenig vor— 
ſchlagen Geiſtlichen zu uͤbertragen, als die der aͤußer— 
lichen Verwaltung, z. B. die des Vermoͤgens. Aber 
es wuͤrde doch ſeltſam ſein, wenn wir die Einſetzung 
eines Pfarrers in ſeine Gemeinde, ganz offenbar ein 
Amt der chriſtlichen Regierung in der Kirche, uns 
denken wollten, geſondert von der Perſoͤnlichkeit und 
dem Gewiſſen eines Geiſtlichen. Ebenſo wird es 
unnatuͤrlich erſcheinen, wenn wir ihm nicht einen 
perſoͤnlichen, wenn gleich nicht richterlichen Antheil 
an allem beilegen wollten, was zur Aufrechthaltung 
der inneren Kirchenzucht gehoͤrt. Sei nun der kirch— 
liche Regierungsbeamte Geiſtlicher oder Weltlicher, 
immer wird er eine doppelte Oberherrlichkeit anzuer— 
kennen haben: nach innen, die der Gemeinde, nach 
außen die der weltlichen Obrigkeit. 

über dieſe beiden Punkte iſt es noͤthig, Einiges 
zur Erklaͤrung zu ſagen und zur Vermeidung von 
Mißverſtaͤndniſſen. Hinſichtlich der erſten Behauptung 
gerathe ich vielleicht bei einigen Canoniſten oder Hal— 
lerianern in den guten Ruf eines Predigers der 


156 


Volksſouveraͤnitaͤt. Denn wie die Theologen es beque— 
mer und angenehmer finden jemanden als Ketzer und 
Laͤſterer zu verdammen, als ihn ſeines Irrthums auf 
dem Gebiete des Gedankens und der Geſchichte zu 
uͤberfuͤhren; ſo ſind die Rechtslehrer gar leicht mit 
revolutionaͤren Geſinnungen und mit Hochverrath bei 
der Hand, wenn jemand (beſonders der nicht in ihre 
Zunft gehoͤrt) etwas ſagt, das nicht in ihre Formel 
paßt. Ich will ihnen alſo hiermit ſagen, daß ich 
jenes Wort wohlbedaͤchtig gebraucht habe, und daß 
ſie vielleicht beſſer thun, ſich zu bedenken, ehe ſie es 
anfechten. Der Geiſt Gottes iſt der Gemeinde gege— 
ben, dem glaͤubigen Volk mit ſeinen Geiſtlichen, oder 
wie der Apoſtel ſagt: den Heiligen (Glaͤubigen) die 
die da find mit den Aelteſten und Diakonen (Phil. 
1, 1.). Nun giebt es doch wohl keine Oberherrlich— 
keit uͤber den Geiſt Gottes. Mit andern Worten: 
es giebt in der ſittlichen Weltordnung keine Macht, 
die hoͤher waͤre, als das allgemeine Gewiſſen, und 
zwar das freie, nicht geknechtete. Denn der Strom 
des göttlichen Geiſtes fließt rein nur aus uuvergifteter 
Quelle: dieſe Quelle aber iſt nichts Geringeres als 


Bon _ 


volle Gewiſſensfreiheit weil Selbſtverantwortlichkeit 
der Einzelnen. Dieſe ſittliche Weltordnung nun, die 
Kirche, bewegt ſich auf Erden, ſo lange der uns 
begreifliche, geſchichtliche Zuſtand der Menſchheit 
dauert, in dem Staate, d. h. in der Sphaͤre des 
Rechtes und der weltlichen Ordnung. Hier iſt die 
Regierung das Erſte in welcher Form ſie es auch ſei: 
denn Recht ſetzt Regierung voraus. Aber tief in des 
Menſchen Herzen lebt das unverloͤſchliche Gefuͤhl der 
einigen, ſeligen, freien Menſchheit, wie der Traum 
der Kindheit in den Stuͤrmen des Lebens fort, und 
erzeugt ſeltſame Zerrbilder im Hohlſpiegel der Wirk— 
lichkeit. So finden wir das Ideal der Kirche ange— 
ſtrebt, vor der Menſchwerdung Gottes, als die Kirche 
(d. h. die Menſchheit als ſolche) noch nicht ſichtbares 
Beſtehen auf der Erde gewonnen hatte. So be— 
gegnen wir, mehr als zweitauſend Jahre ſpaͤter 
in Frankreich dem Zerrbilde des Ideals der Menſch— 
heit, nach der innern Aufloͤſung und gewaltſa— 
men Zerſtoͤrung der romaniſchen Staaten: zu einer 
Zeit wo die Gewiſſensfreiheit aus der Kirche des 
abſoluten Staates getrieben, und der Glaube an das 


158 


Chriſtenthum mit der Gewiſſensfreiheit aus dem 
Gewiſſen der Voͤlker gewichen war. Jenes zeigt ſich 
am klarſten in der Republik Plato's: dieſes in den 
politiſchen Theorien der allgemeinen Menſchenrechte, 


Sm 


welche die große franzoͤſiſche Revolution einleiteten, ſo 
wie neuerdings in den Traͤumen und dem Wahnſinne 
des Communismus oder Sozialismus, oder wie dieſes 
muttermoͤrderiſche Kind der, auf den Thron von Po— 
litik und Gewiſſen gehobenen National-Oekonomie 
ſich nennt, dieſer Weheruf gegen den Goͤtzendienſt 
des Reichthums. Die Reformation rettete durch ihr 
bejahendes, an das freie Gewiſſen und die innere 
Geſinnung, das ſittliche Gefuͤhl ſich wendendes Glau— 
bensprinzip, und durch ihre Forderung des allgemei— 
nen Prieſterthums der Gemeinde, als der ſittlichen 
Verantwortlichkeit des Einzelnen, trotz Bauernkrieg, 
Scheiterhaufen und Ligue, die eine Haͤlfte Europa's 
vor dem zerſtoͤrenden Feuer, welches drittehalb Jahr— 
hunderte ſpaͤter in Frankreich ausbrach, und noch 
jetzt nach einem halben Jahrhundert fortfaͤhrt, die 
ausſchließlich roͤmiſch katholiſchen Voͤlker zu durch: 
wuͤhlen. Allein Traͤume zeugen für, den Geiſt 


159 


und Zerrbilder des Heiligen für die goͤttliche Wirk 
lichkeit, auch wider ihren Willen. Die chriſtliche 
Gemeinde hat doch die geiſtliche Oberherrlichkeit, je 
nach ihrer Sphaͤre in dem Gebiete der chriſtlichen 
Kirche, trotz aller Traͤume, Irrthuͤmer und Verzer— 
rungen, welche uͤbrigens weltgeſchichtlich mit ihr 
naͤher in Verbindung ſtehen duͤrften als befangene 
oder oberflaͤchliche Beobachter waͤhnen moͤgen. Jenes 
alſo ſei zur Erklaͤrung und zu unſerer Rechtfertigung 
hier geſagt. 

Was aber das Verhaͤltniß der kirchlichen Regie— 
rungsbeamten zu der weltlichen Obrigkeit betrifft; ſo 
ſteht uns feſt, daß die buͤrgerliche Ordnung und die 
buͤrgerliche Obrigkeit eben ſo gut von Gott ſind, als 
die Kirche. Alſo hoͤren die Kirchenbeamten durch ihr 
Amt nicht auf Unterthanen zu ſein. Aber ſie werden 
dadurch nicht Staatsbeamte, wenn man die einfach— 
ſten Begriffe nicht durch einen ungeſchickten Sprach— 
gebrauch verwirren will. In einem evangeliſchen 
Staate iſt es jedoch ganz begreiflich, daß waͤhrend 
der Belagerung Zions und der Laͤhmung der gemeind— 
lichen Regierungsthaͤtigkeit, die evangeliſche Obrigkeit 


_ 160 


zeitweilig, und als im Glauben und in der Gemeinde 
ſtehend, die Verwaltung der Kirche uͤbernommen habe. 
Die Haͤupter der Geiſtlichkeit, welche den Heils— 
brunnen Zions bewacht, verließen Stadt und Volk, 
und gingen zum Feinde uͤber: das Volk fand den 
Brunnen verſchuͤttet, und die Schluͤſſel beim Aus— 
raͤumen auf dem Boden liegen. Es uͤbergab ſie dem 
mannhaften Fuͤhrer der waffenfaͤhigen Mannſchaft als 
dem erſten evangeliſchen Chriſten, und ſah gerne, daß 
dieſer ſogar die evangeliſch geſinnten Geiſtlichen von 
der oberſten Verwaltung des Brunnens abhielt. Denn 
es befuͤrchtete mit Recht, ſie moͤchten in gleichen Irr— 
thum gerathen, wie ihre Vorgaͤnger, und ihre Koͤrper— 
ſchaft fuͤr Zion, ihr menſchliches Recht fuͤr goͤttliche 
Wahrheit, und ihre loͤcherigen Behaͤlter fuͤr den 
Brunnen des ewigen Lebens halten. Dieſem Noth— 
ſtande hat in Deutſchland erſt die Erhebung Preu— 
ßens zu einer europaͤiſchen Macht und zum Traͤger 
des geiſtigen Geſammtbewußtſeins Deutſchlands ein 
Ende bereitet. 

Wenn wir uns alſo, mit beſonderer Beziehung 
auf Preußen, nach demjenigen umſehen, was in jenen 


161 


verfchiedenen Aemtern und Kreiſen des kirchlichen 
Lebens ſich vorfindet, ſo werden wir nicht darnach 
fragen ob die innern und aͤußern Traͤger des kirchli— 
chen Lebens einen ſchwarzen Rock tragen oder einen 
blauen, ob ſie der Kirche oder dem Staat angehoͤren, 
ob ſie dem Kirchenrecht oder dem Landrechte entſtammt 
ſind. Jene Farben haben beide die Kirche gerettet 
mehr als einmal, beide durch glaͤubiges Wort und 
Bekenntniß in Leben und Tod, wie durch muthige 
That vor Gott und der Welt. Es wird uns auch 
nicht irren, ſondern troͤſten und erbauen, wenn die 
eine oder andere wiederbelebende Idee zuerſt im Ge— 
wande der Philoſophie und Wiſſenſchaft oder der 
Dichtung und des Schriftthums erſchienen iſt. Was 
die Laienſchaft als Regierung und Beamte, durch 
den Staat für die Verfaſſung der Kirche gethan in 
der Zeit der Diktatur, das hat ſie durch die Wiſſen— 
ſchaft fuͤr das chriſtliche Leben vorbereitet, in derſelben 
Zeit: d. h. in den letzten dreihundert Jahren, und 
namentlich in den letzten ſiebenzig. Sie hat dem 
kirchlichen Leben das ganze große Geſammtleben der 


Menſchheit wieder erobert: naͤmlich im evangeliſchen 
11 


162 


Deutſchland, und ganz befonders in Preußen. Die 
Freiheit des ſittlichen Bewußtſeins, auf Grund der 
Unabhaͤngigkeit des Sittengeſetzes, als des Geſetzes 
der goͤttlichen Weltordnung, welche Kant lehrte, that 
mehr fuͤr die Wiederbelebung des chriſtlichen Lebens, 
als alle trocknen Dogmatiken der Zionswaͤchter des 
Jahrhunderts. Fichte's Idealismus fuͤhrte ihn und 
viele Tauſende zu der Sehnſucht nach dem ewigen 
Leben in Gott, welches das Chriſtenthum verkuͤndigt, 
waͤhrend jene Zionswaͤchter in ihm hier nur eine 
trockene Glaubensformel, dort nur die endloſe Be— 
haglichkeit eines langweiligen Daſeins verſpuͤren 
konnten. Schellings großer Grundgedanke vom Un— 
endlichen und Unbedingten, als dem Geiſte, dem 
Urquell und Urgrund alles Endlichen und Bedingten, 
und der goͤttlichen Einheit alles gegenſaͤtzlichen Lebens, 
hat der Idee die Unabhaͤngigkeit vom aͤußerlich Ge— 
ſchichtlichen gegeben, welche das Chriſtenthum voraus— 
ſetzt und verlangt, und welche es in dem Herzen und der 
innern Erfahrung aller Glaͤubigen thatſaͤchlich bewaͤhrt. 

Endlich werden wir nicht verſchmaͤhen ſondern 
mit demuͤthigem Danke erkennen, was ſich ſtill und 


163 


meiſt unerkannt im Volke ſelbſt geſtaltet hat. Wir 
meinen nicht, was das Volk als Nation gethan. Iſt 
das Leben der evangeliſchen Voͤlker waͤhrend der letzten 
drei Jahrhunderte nicht mit leuchtender Schrift in 
die Weltgeſchichte geſchrieben? Iſt das allgemeine 
Bewußtſein der ſittlichen Verantwortlichkeit eines 
jeden Einzelnen, und die Forderung der Unzertrenn— 
lichkeit von Sittlichkeit und Religion, nicht von ihnen 
ausgegangen? ja ſind beide nicht in ihnen, wenn 
man die Maſſen im Großen und Ganzen betrachtet, 
theils ausſchließlich, theils uͤberwiegend ausgebildet? 
Nein wir reden hier von dem, was die Stillen im 
Lande namentlich in den letzten Jahrzehnden, obwohl 
ſcheinbar vereinzelt und vor der Welt unanſehnlich, auf 
dem innerſten Gebiete des Chriſtenthums, dem Felde 
der thaͤtigen, dienenden Liebe gethan haben. Ueber— 
haupt aber, was kuͤmmert es uns, ob eine menſchliche 
Wahrheit und menſchliche That in der ſogenannten 
Kirche oder in der Welt, oder gar, ob ſie bei Geiſtlichen 
oder Laien geboren ſei, wenn ſie ein chriſtliches Element 
enthaͤlt? Das aber muß jedes Gute thun, wenn es 


wahr, jedes Wahre, wenn es gut iſt: was im hoͤchſten 
j 47 


164 


Sinne daſſelbe heißt. Wer nicht glaubt, daß alles 
Wahre und Gute chriſtlich ſei, der glaubt eigentlich 
nicht an das Chriſtenthum: und wer ſich davor fuͤrchtet, 
der iſt, wo nicht unglaͤubig, doch ſehr kleinglaͤubig. 
Alles wahre Leben wurzelt im Chriſtenthume, oft 
allerdings, ohne ſich deſſen bewußt zu ſein. Wir 
leben ſeit Geſchlechtern und Jahrhunderten in einer 
chriſtlichen Luft, mehr als wir wiſſen: das Chriſten— 
thum iſt in Sprache und Verfaſſung viel tiefer ein— 
gedrungen als wir ahnden. Viele ſehen den Wald 
nicht vor lauter Baͤumen, und die Sonne nicht vor 
der Macht ihres Widerſtrahles: preiſen deßhalb aber 
nicht minder, willig oder unwillig, die Schoͤnheit des 
Waldes und das Licht der Sonne. Alſo eigentlich 
ſind alle jene Erſcheinungen fuͤr die Kirche troͤſtlich, 
und fuͤr die Zukunft bedeutungsvoll. Dazu rechnen 
wir auch beſonders, daß in dieſem Augenblicke ein 
zum mindeſten eben ſo reges Leben ſich bei den Laien 
als bei den Geiſtlichen findet, bei Großen und Klei— 
nen: endlich, daß das kraͤftigſte Leben in der Geiſt— 
lichkeit ſelbſt, entſchieden ein gemeindliches und volfe: 
thuͤmliches, bruͤderliches iſt. 


165 


Das alſo ſei uns der vorläufige Ausgangspunkt 
unſerer Unterſuchung und die Anknuͤpfung der ver— 
ſuchten Herſtellung an unſere Grundlage, das allge— 
meine Prieſterthum. Wir gehen nun daran, nach 
den verſchiedenen Sphaͤren des kirchlichen Lebens, 
die Elemente aufzuſuchen und“ zu prüfen, welche die 
evangeliſche Kirche in Preußen fuͤr die Herſtellung 
einer vollſtaͤndigen Verfaſſung der Kirche in dem oben 
angedeuteten Sinne darbietet. 


V. 


Die Verfaſſuugs- Elemente der Ortsgemeinde 
in Preußen. 


Wir beginnen die Ueberſchau der kirchlichen Ele— 
mente, welche die Gegenwart uns zu bieten ſcheint, 
mit der Ortsgemeinde. Hier finden wir in 
Preußen gegen ſechstauſend Pfarrgeiſtliche, angeſtellt 
an einer bedeutend groͤßeren Zahl von Gemeinden. 
Sie ſind ſaͤmmtlich berufene und verordnete Diener 


166 


des Wortes, groͤßtentheils anerkannt als Männer 
ernſter Bildung und ernſten Strebens, und die nicht 
bloß die allgemeine menſchliche Bildung ſich angeeig— 
net, ſondern auch das Chriſtenthum nach ſeiner phi— 
lologiſchen, geſchichtlichen und ſpeculativen Seite hin, 
auf den Hochſchulen Deutſchlands wiſſenſchaftlich und 
als Lebensberuf kennen gelernt haben. Und hier laſſe 
man ſich nicht durch Formeln und Stichworte bethoͤ⸗ 
ren, oder durch den Streit der Schulen erſchrecken. 
Wir reden nicht von einigen wenigen Pfarrern, die 
zum offenen Bruche mit dem kirchlichen Glauben an 
Chriſtus gekommen zu ſein ſcheinen. Wir bedauern, 
daß ſie weder die Gewiſſenhaftigkeit, noch das Ehrge— 
fuͤhl haben, ein Amt niederzulegen, welches mit ihren 
philoſophiſchen und geſchichtlichen Ueberzeugungen, 
nach ihrem eigenen Bekenntniß in offenem Wider— 
ſpruche ſteht. Die Regierung fuͤhlt mit Recht ein 
großes Bedenken ihre Gewalt zu gebrauchen, um 
dem Aergerniſſe ein Ende zu machen, und uͤberlaͤßt 
ſie dem Gerichte Gottes und der Gemeinde. Bei 
einer freieren Kirchenverfaſſung, wie die rheiniſch— 
weſtphaͤliſche iſt, wuͤrden ſie ſich ohne Zweifel veranlaßt 


167 


fühlen, ſich eine andere Gemeinde zu ſuchen, als die, 
deren Lehren ſie mit Fuͤßen treten, waͤhrend ſie ihr 
Brod eſſen und ihre Heerde zu weiden uͤbernommen 
haben. Wir verſtecken dieſen Punkt nicht: wir 
erlauben aber niemanden daraus einen Schluß zu 
ziehen fuͤr den Geſammtzuſtand unſerer Kirche, der 
nicht unſere Verfaſſung und die Stellung der Wiſſen— 
ſchaft zum Leben bei uns kennt und verſteht. Ohne 
Zweifel beduͤrfen wir fuͤr die weiſe und chriſtliche 


Ordnung jenes Punktes ganz beſonders des göttlichen 


Segens, und eines in Liebe und Weisheit waltenden 
Geiſtes: doch das beduͤrfen alle Kirchen mit uns fuͤr 
ihre Maͤngel und ihre Schwierigkeiten. Wir koͤnnen 
aber frei ſagen, daß die verwirrten Maſſen begonnen 
haben, ſich zu ſcheiden. Unterdeſſen hat auf der 
andern Seite vieles Schroffe ſich gemildert, und 
manche Verwirrung der Begriffe klaͤrt ſich mehr und 
mehr im Leben und in freier Beſprechung auf. Doch 
davon weiter unten ein Mehreres. Hier haben wir 
nur die allgemeine verfaſſungsmaͤßige Anlage hinſicht— 
lich der Verkuͤndigung des Wortes klar zu machen. 
Dieſe Anlage iſt zwar, wie bei allen bisherigen 


168 


Landeskirchen, nur eine Pfarrordnung, ohne bewegliche 
Prediger, wie die apoſtoliſche Zeit ſie hatte, und die 
jetzige ſie moͤglich macht und fordert. Allein auf 
jenem Gebiete iſt ſie ein achtungswerthes Ganze. 
Die Maͤngel liegen zu Tage, und die Beduͤrfniſſe 
ſind allgemein anerkannt und gewuͤnſcht. Dahin 
rechnen wir beſonders die Theilung vieler unermeßlich 
ausgedehnter Pfarrgemeinden in den großen Staͤdten 
und ſo mancher Kirchſpiele auf dem Lande, wo ent— 
fernte Tochterkirchen eingepfarrt ſind: endlich die 
Aufbeſſerung der Gehaͤlter bei leider noch mehreren 
armen Landgemeinden. Es fehlt hierbei der Regie— 
rung nicht an gutem Willen, ſondern einfach an 
Geld. Von den Gemeinden iſt aber wenig oder 
nichts zu erwarten, ſo lange ſie die Kirche als eine 
Staatseinrichtung und nicht als ihre eigene und 
eigenſte Angelegenheit anſehen. Dieß wird aber der 
Fall ſein, ſo lange ſie keine verfaſſungsmaͤßigen Rechte 
in der Kirche und keinen thaͤtigen Antheil an der 
Beſetzung der Pfarrer haben. Der Geiſtliche hieß 
urſpruͤnglich ein Aelteſter, Presbyter (woher Prie— 
ſter), oder Aufſeher, Epiſkop (woher Biſchof, 


169 


lateiniſch Superintendent), d. h. er hatte den einen 
und den andern Namen (jenen als die juͤdiſche, dieſen 
als die griechiſch-roͤmiſche Benennung: Tit. 1, 5. 7. 
1. Tim. 3, 1. 2.) gemein mit andern, von den 
Apoſteln und der Gemeinde berufenen und eingeſetzten, 
glaͤubigen und bewaͤhrten aͤlteren Maͤnnern. Wir 
finden, daß er keineswegs urſpruͤnglich ausſchließlich 
gepredigt und gelehrt: allein die Scheidung des Pre— 
digers von den uͤbrigen Aelteſten war die nothwendige 
Folge der Ausbreitung der Gemeinden und der Feſt— 
ſetzung des chriſtlichen Lebens. Die gemeindliche 
Zucht und Ordnung blieb geraume Zeit ein Gegen— 
ſtand der gemeinſchaftlichen Thaͤtigkeit der Aelteſten. 
Der Geiſtliche hatte alſo nur Theil daran, als Mit— 
glied des verwaltenden oder regierenden Gemeinde— 
vorſtandes. Dieſe Aelteſten nun, welche den mittel— 
alterlichen Kirchen ganz fehlen, und in der engliſchen 
durch die Churchwardens oder Kirchenmeiſter unvoll— 
kommen vertreten ſind, hat der eine Theil unſerer 
evangeliſchen Kirche, die reformirte Gemeinde, gleich 
bei der Reformation ſehr kraͤftig und wirkſam herge— 
ſtellt. Ein Landesgeſetz vom Jahre 1817 ordnet 


120 


ferner in Preußen die allgemeine Einfuͤhrung derſelben 
in die evangeliſche Landeskirche an, und die Verfaſ— 
fung der rheiniſch-weſtphaͤliſchen Kirche vom Jahre 
1835, ſtellt ſie in einer der großen evangeliſchen 
Landesgemeinden des Reichs wirklich dar. Wie ſie 
ſich dort, nicht allein fuͤr die Belebung des kirchlichen 
Sinnes, und fuͤr die Handhabung einer weiſen Kir— 
chenzucht in der Ortsgemeinde bewaͤhrt haben, beweiſt 
eine nun zehnjaͤhrige, ſegensreiche Erfahrung. Die 
Mitglieder des Gemeindevorſtandes (wenigſtens vier: 
zwei Aelteſten, der Kirchenmeiſter oder Rechnungs; 
fuͤhrer, und der Armenpfleger oder Diakonus) werden 
in kleinen Gemeinden bis 200 Seelen, von allen 
ſelbſtſtaͤndigen, zur Kirche und den Sakramenten ſich 
haltenden volljaͤhrigen und unbeſcholtenen Gemeinde— 
gliedern auf vier Jahre gewaͤhlt; in den groͤßeren 
vom Vorſtand und den Vertretern der Gemeinde 
(von welchen wir ſogleich reden werden) auf zwei 
Jahre: naͤmlich ſo, daß alle zwei Jahre die Haͤlfte, 
mit Moͤglichkeit der Wiedererwaͤhlung, austritt. Der 
Pfarrer iſt der bleibende Vorſitzer des Vorſtandes, 
welcher ſich regelmaͤßig jeden Monat verſammelt. 


171 


Dieſer Vorſtand handhabt die Kirchenzucht, nimmt 
die öffentlich geprüften Confirmanden in die Gemeinde 
auf, und waͤhlt Abgeordnete fuͤr die Kreisſynode aus 
den Aelteſten. Dieſe ſelbſt wachen ganz beſonders, 
mit dem Pfarrer, uͤber die Erhaltung der kirchlichen 
Ordnung und Zucht in der Gemeinde. Der urſpruͤng— 
liche Presbyterianismus ließ ſich den Gemeindevor— 
ſtand, das Presbyterium, aus ſich ſelbſt erneuern 
(durch Aufnahme, Cooptation): jene Verfaſſung laͤßt 
ſie durch Wahl der Gemeinde (unmittelbare oder 
mittelbare) hervorgehen, und alle zwei Jahre ganz 
oder zur Haͤlfte, ſich durch neue Wahl erneuern, mit 
Befugniß der Wiedererwaͤhlung. Eine Verbindung 
beider Formen moͤchte das Richtigere ſein; aber wir 
koͤnnen keineswegs einſehen, daß das Beſte die Form 
des alten Presbyterianismus ſei, welcher gerade da— 
durch unfrei iſt, daß er nichts kennt als Fortpflanzung 
von Koͤrperſchaften durch Selbſterneurung. Indem 
dieſe Form die fortdauernde Thaͤtigkeit der Gemeinde 
gaͤnzlich ausſchließt, ſchwaͤcht ſie den Gemeinſinn der— 
ſelben, und bereitet dem Vorſtande das Schickſal 
aller un verantwortlichen Koͤrperſchaften. 


172 


Der Vorſtand hat eine ſchoͤne und natürliche 
Stellung zwiſchen Pfarrer und Volk. Er kann und 
ſoll jenen chriſtlich ermahnen, wenn er durch Lehre 
oder Leben Bedenken im Gewiſſen oder Aergerniß 
erregt. Eben ſo kann er dem einzelnen Gemeinde— 
gliede, welches dergleichen Bedenken hat, lehrend, 
beſchwichtigend, ermahnend gegenüber treten. Es iſt 
ein Reſt jenes alten Pfaffenthums, welches im Evan— 
gelium fuͤr alle Zeiten als Phariſaͤismus geſchildert 
iſt, wenn die Geiſtlichen ihre Lehre uͤber das Ver— 
ſtaͤndniß und Gewiſſen der Gemeinde erhaben glauben. 
Es iſt dieß eine falſche Standes-Vornehmlichkeit und 
eine ganz unproteſtantiſche Anſicht von der Natur der 
chriſtlichen Glaubenslehre. Die Gemeinde, einſchließ— 
lich des Vorſtandes, ſoll dem Prediger mit Vertrauen 
und Achtung in Lehre wie im Leben entgegen kommen, 
und das wird ſie auch allenthalben thun: aber es gebe 
berufene Organe, durch welche er erfahre, was die 
Gemeinde uͤber beide denkt. Nur Richterin kann die 
Ortsgemeinde nicht ſein. a 

Dagegen iſt die Gemeinde, wie in der apoſto— 
liſchen, ſo auch in jener Kirche, mit dem Vorſtande 


173 


an ihrer Spitze, die hoͤchſte Behörde für die gemeind— 
lichen Angelegenheiten, welche in dieſe Sphäre gehoͤ— 
ren. Um ſo zweifelhafter kann es ſcheinen, ob eine 
neue Zuthat bei jener Verfaſſung wirklich eine Ver— 
beſſerung des alten Presbyterianismus zu nennen ſei. 
Wir meinen die Bildung der ſogenannten Repraͤſenta— 
tion, welche in allen Gemeinden, die uͤber 200 Mit— 
glieder zaͤhlen, zwiſchen den Vorſtand und die volle 
Gemeinde eingeſchoben worden. Sie hat ſechzehn bis 
ſechzig Mitglieder, wovon ein Viertel alle vier Jahre 
austritt, und wird von der Gemeinde gewaͤhlt, durch 
verſchloſſene Wahlzettel, welche ſo viele Namen ent— 
halten, als Wahlvertreter zu ernennen ſind. Sie 
wähle, mit dem Vorſtande, unter deſſen Vorſitze den 
Geiſtlichen aus den Candidaten des Kreiſes, oder 
andere, welche ſie zu hoͤren wuͤnſcht. Der Superin— 
tendent kann auch ſeinerſeits Candidaten empfehlen, 
und leitet die Wahl. Die Gemeinde hat das Recht 
des Einſpruches, uͤber deſſen Guͤltigkeit die Regierung 
des Bezirks entſcheidet. Der Vorſtand beruft die 
Vertreter: zwei Drittel werden zur Faſſung eines 
Beſchluſſes erfordert. Der Vorſtand fuͤhrt ferner die 


174 


gemeinſchaftlich gefaßten Beſchluͤſſe aus, und hat mit 
den Vertretern die Verwaltung des Vermoͤgens, ſogar 
das Recht (unter der Genehmigung der Regierung), 
Gemeindeſteuern fuͤr den kirchlichen Zweck auszuſchrei— 
ben und Grundſtuͤcke zu veraͤußern. Dieſer Körper 
tritt alſo in allen einigermaßen bedeutenden Gemein— 
den bald an die Stelle der Gemeinde, bald an die 
des Vorſtandes, und ſcheint die natuͤrlichen Rechte 
beider zu beeintraͤchtigen. Denn einestheils verkuͤm— 
mert dieſe Vertretung durch ihr Schatzungs- und 
Wahlrecht die eigenthuͤmlichſten Rechte der Gemeinde: 
andrerſeits verſchlingt ſie durch ihre uͤberwiegende 
Mehrheit (40 Mitglieder bei Gemeinden uͤber 2000 
Seelen, 60 bei denen uͤber 5000) die verfaſſungs— 
maͤßige Bedeutung des Vorſtandes, der vermittelſt 
ihres Wahlrechtes ganz in ihren Haͤnden iſt. Wir 
zweifeln deßhalb, ob dieſe Form der Ausfuͤhrung eines 
Gedankens des Landrechts (welches ausdrücklich jenen 
Namen gebraucht) ſo vollkommen ſei, daß ſie als 
Muſter gelten koͤnne. Uebte die Gemeinde fort— 
dauernd ein Wahlrecht aus bei dem Vorſtande; ſo 
koͤnnte dieſem vielleicht uͤberlaſſen werden, die Ver— 


175 


treter (gleichſam den großen Rath der Gemeinde) 
ganz oder zur Haͤlfte zu waͤhlen. Oder es koͤnnte 
jenes Syſtem bei Gemeinden uͤber 200 Seelen etwa 
bleiben: der Vorſtand aber ein Recht der eigenen 
Abſtimmung haben, und zur Faſſung eines Be— 
ſchluſſes die Zuſtimmung beider Koͤrper erfordert 
werden. Koͤnnten ſie ſich nicht vereinigen, ſo wuͤrde 
die Gemeinde berufen. Eben ſo wuͤrden wir gern 
bei allen Wahlen jener Verfaſſung, ſtatt der feſtge— 
haltenen Einfoͤrmigkeit, Sitte und Brauch der ein— 
zelnen Gemeinden beibehalten oder hergeſtellt ſehen. “) 
Aber bei allen dieſen zweifelhaften Punkten, wie iſt es 
moͤglich zu verkennen, daß durch jene reformirte Ein— 
richtung eine Luͤcke der aͤlteren Kirche, und zwar der 
biſchoͤflichen ſowohl als der Conſiſtorialkirche ausge— 


„) Auch hier begegnet unſern Wünſchen ein Antrag uud Beſchluß 
der rheiniſchen Synode von 1844 (Verhandlungen, S. 68): 
„Wo eigenthümliche Verhältniſſe einzelner Gemeinden oder 
Landestheile es nöthig! machen, können zur Ergänzung oder 
näheren Beſtimmung der K.⸗O. beſondere Statuten entworfen 
werden. Dieſe ſind zunächſt den Kreisſynoden und dann der 
Provnizialſynode zur Begutachtung vorzulegen. Gereichen fie 
nach deren Urtheil der K.⸗ O. nicht zur Verletzung, fo iſt die 
Genehmigung der kirchlichen Provinzialbehörde einzuholen.“ 


126 


fuͤllt ſei? Alle Kirchen dieſer Art erkennen freilich 
an, daß es einen ſolchen Vorſtand geben ſolle, allein 
die engliſchen und deutſch-proteſtantiſchen Kirchenvor— 
ſteher haben eigentlich nur mit der Baulichkeit der 
Kirchengebaͤude und dem Rechnungsweſen etwas zu 
ſchaffen, und hoͤchſtens die Almoſen der Gemeinde 
beim Gottesdienſte einzuſammeln. Der ſchwediſche 
Kirchenrath hat die Aufſicht uͤber die Kirchenzucht 
hinſichtlich der Wahlen. Das Richtigſte hat vielleicht 
das Landrecht: naͤmlich Wahlrecht der Gemeinde, 
verbunden mit dem Rechte des Vorſtandes, einen 
Candidaten (oder mehrere) vorzuſchlagen. Die Ge— 
meinde ſelbſt aber ſteht in allen dieſen Kirchen ganz 
oder beinahe als eine unmuͤndige da, welche alles 
ſelbſtſtaͤndigen Rechtes los und ledig iſt. So erſcheint 
uns die apoſtoliſche Gemeinde nicht: und philoſophiſch 
wuͤßten wir dieſe Form auch nur als eine Art der 
Diktatur anzuſehen, alſo als Nothſtand. ) 


) Die von der Synode von 1845 beſchloſſenen Verbeſſerungen der hier- 
her gehörigen Gemeindeordnung ſind im Weſentlichen folgende: 

1. (F. 8.) Die Mitglieder des Presbyteriums werden in den 
größeren Gemeinden, wie in den kleineren, auf vier Jahre 


122 


Auch das Recht der Gemeinde bei Patronat— 
pfarreien ſcheint uns, im Allgemeinen, am beſten 


gewählt, und die Hälfte der Mitglieder geht alle zwei 
Jahre ab. 

2. (F. 10.) Zur Wählbarkeit für das Presbyterium wird auch 
das Beitragen zu den kirchlichen Bedürfniſſen erfordert. 

3. ($. 14.) Das Presbyterium bildet auch, in den verfaſſungs⸗ 
mäßigen Gränzen, den Vorſtand der Pfarrſchulen. 

4. ($. 15.) Die Pflichten der Aelteſten in Beziehung auf 
Zucht nnd Ordnung (a. b.) werden näher beſtimmt als 
Aufſicht über Gottesdienſt und Ordnung (S. 119). Die 
beſchloſſene Faſſung iſt: „fie ſollen neben dem Prediger 
„Aufſicht führen, ſolche, welche durch Lehre und Wandel 
„oder Verachtung des Gottesdienſtes Anſtoß geben, freund⸗ 
„lich ermahnen und Anſtöße wegräumen.“ 

4. (5. 19 — 33.) Die Gemeindevertretung. Ihre An⸗ 
zahl ſoll nicht unter 12, nicht über 60 betragen, und für 
jede Gemeinde, nach Vernehmung des Presbyteriums, und 
auf Antrag der Kreisſynode, von der oberen Kirchen⸗ 
behörde für einen Zeitraum von 10 bis 40 Jahren feſtge— 
ſtellt werden. 

Zur Wählbarkeit ſoll noch erfordert werden das 
Beitragen zu den kirchlichen Bedürfniſſen: ausgeſchloſſen 
find alſo die von Almofen lebenden Gemeindeglieder. Eben 
fo die unter Kirchenzucht ſtehenden. Außerdem müjfen die 
Wählbaren entweder abgegangene Presbyteren ſein, oder 
welche ihre Geeignetheit dazu nicht verloren haben: oder 
ein öffentliches Amt bekleiden: oder einem eigenen Ge⸗ 
ſchäfte vorſtehen oder eigene Haushaltung ſichern. 

Die Vertreter verſammeln ſich nur auf Veranlaſſung 
und Beſchluß des Presbyteriums, und werden von dem 

12 


178 


und freifinnigften von dem Landrechte aufgefaßt zu 
ſein. Der Patron (Landesherr oder Privatperſon) 
kann nur einen von der geiſtlichen Behoͤrde gepruͤften 
Candidaten des Predigtamts oder einen ſchon beſtell— 
ten Pfarrer vorſchlagen: die Form des Vorſchlages 
dreier Candidaten iſt bei Patronen roͤmiſch-katholiſchen 
Bekenntniſſes vorgeſchrieben: ſonſt beibehalten wo ſie 
braͤuchlich geweſen. Die Gemeinde hat das Recht, 
nach gehaltener Probepredigt Einſpruch zu thun; 
wenn ſie Gruͤnde gegen die Wuͤrdigkeit des Vorge— 
ſchlagenen vorbringen kann: eine Ablehnung durch 
zwei Drittel derſelben genuͤgt aber, um den Patron 
zu noͤthigen, einen andern vorzuſchlagen, außer wenn 
die obere geiſtliche Behoͤrde findet, daß der Wider— 


Präſes deſſelben ſchriftlich, unter Angabe des Gegenſtan— 
des berufen. 

Zur Beſchlußnahme genügt die Hälfte der Mitglieder: 
die Unterſchrift von Präſes und ſechs Mitgliedern genügt 
für die Gültigkeit des Beſchluſſes. — 

Es iſt unmöglich, in dieſen Vorſchlägen nicht die Stimme 
der Erfahrung und Weisheit zu ſehen. Unſere Hauptbedenken 
gegen die Gemeinde- Vertreter ſcheinen uns, namentlich durch 
die hierher gehörigen Beſchlüſſe, wo nicht beſeitigt, doch ſehr 
vermindert zu ſein. 


179 


fpruch der Gemeinde nur Folge von Aufhetzungen 
und Aufwiegelungen ſei. Denn das Landrecht ſetzt 
als Grundſatz feſt, es duͤrfe der Gemeinde kein 
Prediger aufgedraͤngt werden. Dieſer Grundſatz 
ſcheint auch als das natuͤrliche Recht der Gemeinde 
anerkannt werden zu muͤſſen. Daß die Gemeinde 
jedoch Gründe angebe für ihre Ablehnung, oder 
wenigſtens nicht Richter in ihrer eigenen Sache 
ſei, ſcheint uns eben ſo natuͤrlich. Es iſt gewiß fuͤr 
den Pfarrer ſelbſt wuͤnſchenswerth, daß ihr hierbei 
die groͤßte Weite und Freiheit gegeben werde. Viel— 
leicht ließe ſich auch, bei eingerichtetem Gemeindevor⸗ 
ſtande, nach dem Vorgange der rheiniſch-weſtphaͤliſchen 
Kirche ein engeres und weiteres Ablehnungsrecht feſt— 
ſetzen, je nachdem Gemeinde und Vorſtand einſtimmig 
waͤren in der Ablehnung oder nicht. In jedem Falle 
aber muͤſſen wir ganz Eichhorn beipflichten, wenn er 
die Meinung ausſpricht, daß Beſtimmungen, wie 
jene des Landrechts, ein todter Buchſtabe bleiben, fo 
lange nicht an das Ablehnungsrecht organiſche Formen 
und Thaͤtigkeiten geknuͤpft find, welche die Ausübung 
deſſelben beſtimmen, und ſeine Geltendmachung ſichern. 


12 * 


180 


Damit ſtimmt auch die Erfahrung überein. Immer 
jedoch ſind wir dem Landrecht auch hier verpflichtet 
fuͤr die Aufſtellung des richtigen Grundſatzes. Er 
verſoͤhnt das Patronatsrecht mit dem unveraͤußerlt— 
chen Rechte der Gemeinde. Denn was den Werth 
des Wahlrechts an ſich betrifft, ſo halten wir alle 
unbedingten Ausſpruͤche zu Gunſten des einen wie 
des andern fuͤr ſehr thoͤricht. Beide beſtehen zu Recht, 
beide ſind geſchichtlich begruͤndet, und in jedem von 
beiden iſt ein ſchaͤtzbares Element chriſtlicher Freiheit 
enthalten. Es iſt uͤberhaupt ein Gluͤck in jeder Ver— 
faſſung, wenn dieſelbe dem Wuͤrdigen verſchiedene 
Wege darbietet gewaͤhlt zu werden. Die Geſchichte 
lehrt, und die Erfahrung zeigt, daß alle Wege ver— 
dorben werden koͤnnen, alle Thaͤtigkeiten gelaͤhmt, aber 
daß ſelten alle Formen ſich gleichmaͤßig verderben, und 
alles Leben zu gleicher Zeit abſtirbt. Solche Ver— 
ſchiedenheiten verhuͤten deshalb, kirchlich wie buͤrger— 
lich, bedenkliche Einſeitigkeiten, und geben der Ent— 
wickelung ein groͤßeres und freieres Spiel. 

Jenen Grundſatz nun wirkſam zu machen, ſcheint 
es vor allem der Feſtſetzung einer organiſchen Form der 


181 


Zuſtimmung der Gemeinde bei Patronatspfarren zu 
beduͤrfen. Und hier draͤngt ſich als die natuͤrliche und 
geſchichtliche Form, die der Berufung (Vokation) 
auf. Sie ſteht der Gemeinde anerkannt zu, wo ſie den 
Prediger waͤhlt: allein warum ſollte ſich bei Patronats— 
pfarren, ſobald nur der Willkuͤhr oder Befangenheit 
der Gemeinde natuͤrliche Schranken geſetzt ſind, nicht 
eine Berufung Seitens der Gemeinde neben der des 
Patrons denken laſſen? Das Band zwiſchen Seel— 
ſorger und Gemeinde iſt ein ſo heiliges, daß wo ſich 
eine chriſtliche Gemeindethaͤtigkeit geſtaltet hat, dieſelbe 
hier einen Platz finden ſollte. Endlich wie jedes Recht 
Pflichten vorausſetzt, ſo muß auch das Patronatsrecht 
an entſprechende Pflichten gebunden ſein, und auf— 
hoͤren, wenn denſelben nicht Genuͤge geſchieht. Auch 
hierin ſind die Beſtimmungen des Landrechts muſter— 
haft. Es erfordert perſoͤnliche Ehrenfeſtigkeit, chriſtli— 
ches Bekenntniß und Beitrag zur Erhaltung oder 
Wiederaufbau der Kirche. ) 


») Die Erwerbung mindeſtens eines beſchränkten Wahlrechtes für 
diejenigen Gemeinden der chriſtlichen Kirche, deren Pfarren bis 
jetzt landesherrlich beſetzt find, iſt ein ganz beſonderer Gegen⸗ 


182 


Außer dem Wahlrechte hat die Gemeinde gewiß 
Recht, daß ihr Rechnung abgelegt werde von der 
Verwaltung des Gemeinde-Vermoͤgens. Was man 
auch hinſichtlich der Vertretung überhaupt denke, ger 
wiß bedarf es deren hierbei nicht nothwendig. Der 
ganze Vorſtand mit dem Pfarrer kann die Rechnung 
des Kirchen- oder Seckelmeiſters, nachdem er ſie ge— 


ſtand der Berathungen der Synode ſeit 1841 geweſen, und ins— 
beſondre wieder im verfloſſenen Jahre. In der Synode von 
1841 ging der Vorſchlag dahin, daß in jenen Gemeinden eine 
rein kirchliche Behörde, entweder drei Candidaten zur Wahl 
vorſchlagen, oder aus drei von der Gemeinde vorgeſchlagenen, 
Einen ernennen ſollte. (Verhandlungen von 1844 S. 37) In 
der letzten Synode wurde zuerſt feſtgeſetzt (zu § 4.), daß wo 
der Staat bisher die Ernennung geübt, ohne die gemein- 
ſchaftlichen Laſten des Patrons zu tragen, vermuthet wer— 
den ſolle, er habe die Beſetzung landesherrlich vorgenommen. 
Für den ganzen Artikel über das Wahlrecht wurde endlich 
folgende Faſſung beliebt: 

„Jede kirchliche Gemeinde hat das Recht, ihren Pfarrer zu 
„wählen. Bei Gemeinden, deren Pfarramt bisher landesherr— 
„lich beſetzt worden iſt, hat das Presbyterium drei Candidaten 
„vorzuſchlagen. Erklärt das Moderamen der Kreisſynode ſich 
„damit einverſtanden, ſo wird auf dem Grunde des Vorſchla⸗ 
„ges von der Gemeinde, oder dem ordnungsmäßigen Mahl- 
„collegium zur Wahl geſchritten. Findet zwiſchen Presbyterium 
„und Moderamen eine Wahl nicht ſtatt, fo hat die obere 
„Kirchenbehörde vor der Gemeindewahl über die Feſtſtellung 
„der Wahlliſte zu entſcheiden.“ 


183 


prüft und vollzogen, durch den Druck veröffentlichen. 
Dieſe Art ſcheint, wenigſtens in unſerer Zeit, die 
natuͤrlichſte Form zu ſein, weil die einfachſte. Ver— 
aͤußerung des Vermoͤgens ſollte, auch wo eine Ver— 
tretung ſtatt findet, vielleicht nur von der vollen 
Gemeinde, auf Antrag des Vorſtandes, beſchloſſen 
werden koͤnnen: gewiß bei Verſchiedenheit der Anſicht 
des Vorſtandes und der Vertreter, wo es ſolche giebt. 
Beſchwerden muͤſſen natuͤrlich an die obere kirchliche 
Behoͤrde gehen, von welcher wir bald reden werden. 
| Von der Möglichkeit eine folche aufzuftellen und wirk— 
ſam zu machen, wird es abhangen, ob, wie gewiß 
zu wuͤnſchen, jede Beaufſichtigung der Gemeinde 
Seitens der ſtaatlichen Behoͤrde, und alles Hin- und 
Herſchreiben aufhoͤren koͤnne. 

Die Wahl des Abgeordneten fuͤr die Kreisgemeinde 
fälle dem Vorſtande anheim. Der Pfarrer iſt ihr Mit 
glied perſoͤnlich: die uͤbrigen Aelteſten ſtehen ihm und 
ſeinem perſoͤnlichen Rechte als die andere Haͤlfte, die 
Eörperfchaftliche gegenüber. Die Zahl der Laien zu 
verdoppeln, waͤre unnatuͤrlich: auch hat der Inſtinkt 
alle Kirchen zur Anerkennung jener Zweiheit gefuͤhrt. 


184 


Ehe wir aber zu der höhern Gemeinde übergehen, 
muͤſſen wir das dritte Amt bei der Ortsgemeinde 
ins Auge faſſen: das der Helfer oder zu griechiſch 
Diakonen, nach apoſtoliſchem Vorgange und 
Sprachgebrauch. 

Der erſte Gegenſtand dieſes Amtes iſt die Huͤlfe 
des Predigers: alſo entweder im Predigen allein, 
oder in der Seelſorge uͤberhaupt. Zu jenem be— 
rechtigt jetzt das Amt der Candidaten, nach uͤber— 
ſtandner erſter Prüfung, welche dem academiſchen 
Dreijahr folgt. Zu dem andern wird die zweite 
Pruͤfung erfordert, welche aber erſt nach einem bedeu— 
tenden Zwiſchenraum erfolgen kann. Hier haben 
einige unverſtandene Reſte des kanoniſchen Rechtes 
(alſo im Grund Begriffe deſſelben Rechtes welches 
man verwirft) der proteſtantiſchen Kirche gewiſſe 
Schwierigkeiten gebracht. Dieſe loͤſen ſich aber von 
ſelbſt, ſobald man jene Rechtsbegriffe der Geiſtlichkeits— 
kirche ganz und gar fahren laͤßt, und die urſpruͤngliche 
aus dem Geiſte der evangeliſchen Kirche und der 
Wirklichkeit neu herſtellt. Doch von der Einſetzung 
haben wir unten im Zuſammenhange zu reden. Es 


185 


leidet keinen Zweifel daß Huͤlfsprediger an vielen 
Gemeinden ein dringendes Beduͤrfniß ſind: es iſt eben 
ſo natuͤrlich, daß hierzu ſolche Candidaten gewaͤhlt 
werden, die von der Kirche ſchon zum Predigen be: 
faͤhigt erklaͤrt ſind. Sie alſo allein werden berufen 
werden koͤnnen, und als Predigt-Diakonen einzuſetzen 
ſein. Solche nun, wenn ſie ſich im Dienſte bewaͤhrt, 
und die zweite Pruͤfung beſtanden haben, werden 
wiederum berufen werden koͤnnen zu Huͤlfspfarrern 
(Pfarrvikaren), und als Pfarrdiakonen einzuſetzen 
ſein. Heißen moͤgen ſie wie ſie wollen. Wir reden 
hier und uͤberhaupt von Aemtern, nicht von Namen 
und Titeln, die uns gaͤnzlich gleichguͤltig ſind, wenn 
man fie zu Gegenſtaͤnden des Streits machen will. ) 
Dieſen Diakonen ſtehen zunaͤchſt die Helfer in der 
chriſtlichen Lehre und Erziehung. In der von Gott 


) Die Anſtellung ordinirter Synodal-Candidaten iſt in der 
letzten rheiniſchen Synode wieder lebhaft angeregt worden. 
Die Synode von 1841 hatte die Anſtellung von 20 beantragt, 
zur Aushülfe für das Ganze: die Ordination ſolle von dem 
Moderamen der Kreisſynode erfolgen. Angeſtellte Hülfsprediger 
(wurde 1844 vorgeſchlagen) ſollten als volle Pfarrer anzuſehen 
ſein. (Vhdlg. S. 29.) 


186 


urſpruͤnglich gegebenen Gemeinde, der chriftlichen Fa: 
milie, find Vater und Mutter wie die göttlich ge: 
weihten Priefter für die Verkündigung des Wortes, 
und die natürlichen Aelteſten für Zucht und Ordnung, 
ſo auch die natuͤrlichen chriſtlichen Lehrer. In der 
Gemeinde mußten ſich dieſe Thaͤtigkeiten bald derge— 
ſtalt ſpalten, daß zwiſchen der haͤuslichen Unterwei— 
ſung zum Glauben und zur Gottſeligkeit, und der 
unmittelbaren Vorbereitung zum Einſegnen der Er— 
wachſenen ſich die Schule ſtellte. Auch hier hat der 
Geiſt die deutſch-evangeliſche Gemeinde kirchlich und 
ſtaatlich auf das Rechte geleitet. Jede Pfarrgemeinde 
hat bei uns ordnungsmaͤßig ihre Pfarrſchule, und der 
Schulmeiſter iſt zugleich der Vorſaͤnger in der Ge— 
meinde und gewoͤhnlich auch der Organiſt beim Got— 
tesdienſt, uͤberhaupt der Kuͤſter. 

In Preußen nun ſind gegen ſiebenzehntauſend 
Volksſchullehrer bei evangeliſchen Gemeinden angeſtellt: 
faft ſaͤmmtlich Maͤnner, die, bis zum fünfzehnten 
Jahre etwa, in einer gelehrten Schule gebildet wor— 
den, und waͤhrend zwei bis drei Jahren, in einem 
der 24 evangeliſchen Schullehrerſeminare ſich theoretiſch 


187 


und praktiſch für ihr wichtiges Amt vorbereitet haben. 
Man ſpricht viel von den Entſagungen, Entbehrun— 
gen, Pruͤfungen, welchen die aͤrmeren Moͤnchsorden 
ſich unterziehen oder unterzogen. Wir laſſen den 
Werth derſelben dahin geſtellt. Wir wollen aber 
dreiſt behaupten, daß weder das Mittelalter noch die 
Gegenwart in der Wahrheit, groͤßere und zugleich 
nuͤtzlichere Aufopferung, ja Begeiſterung in dieſer 
Beziehung aufzuweiſen haben, als der bei weitem 
groͤßte Theil jener jungen Maͤnner freiwillig auf ſich 
nimmt und ertraͤgt. Meiſtentheils ohne alles Ver— 
moͤgen, kuͤmmerlich ihr Daſein friſtend, in einer Zeit, 
welche jedem, nur einigermaaßen gebildeten Manne 
ſo viel mehr Lockungen und Ausſichten darbietet als 
irgend eine vorhergegangene, weihen ſie ſich, freiwillig, 
ohne Geluͤbde, ohne andre Ausſicht als auf ein ſchwe— 
res Leben und ein, immer ſehr geringes, oft ganz 
kuͤmmerliches Gehalt (bisweilen nur 50 Thlr., ja an 
einigen Orten weniger als die Haͤlfte oder ein Vier— 
tel!) einem Geſchaͤfte, welches ohne höheren Blick 
und ohne Liebe, abſtumpfender iſt als irgend ein an— 
deres. Hier iſt die beruͤhmte Theorie eines geiſtreichen 


188 


engliſchen Domherrn von den „Preiſen in der Lotterie“ 
doch noch weniger anwendbar als bei unſern Geiſtlichen! 
Es iſt edle Wißbegierde bei allen, Liebe zur Pflege der 
Jugend des Volks und glaͤubige Hingebung bei vie— 
len, welche allein jenen Entſchluß und die beharrliche 
Ausfuͤhrung deſſelben bei Tauſenden und Zehntauſen— 
den zu erklaͤren vermag. Die mittlere Claſſe der 
Geſellſchaft wird durch jene Anſtalt noch enger mit 
der Kirche verbunden, als es hier und da durch 
Pfarrer geſchieht, die jenem Stande durch die Ge— 
burt zugehoͤren. Der chriſtliche Sinn des Handwerk— 
ſtandes wird dadurch ebenſowohl genaͤhrt, als die gei— 
ſtigen Beduͤrfniſſe in ihm befriedigt werden. Maͤnner, 
die in England Diſſenter und Diſſenterprediger wer— 
den, finden ihre Sphaͤre bei uns, in der Landeskirche, 
durch den Schulſtand. Die ganze Anſtalt der preu— 
ſiſchen Schullehrerſeminaren iſt, unſerer Anſicht nach, 
eine der wichtigſten in der ganzen Monarchie, ja eine 
der bedeutendſten Erſcheinungen der Zeit. Als ſolche 
haben ſie auch manche geiſtreiche und beruͤhmte fran— 
zoͤſiſche Gelehrte und Staatsmaͤnner anerkannt, gegen 
welche die Berichte einiger engliſcher Reiſenden ſehr 


189 


unvortheilhaft abſtechen, welche von Sprache, Litera— 
tur, Wiſſenſchaft, Geſchichte und Leben des Volkes 
im beſten Falle gar nichts wiſſen, gewoͤhnlich aber 
grade genug, um alles mißzuverſtehen, und mit ſtolzer 
Selbſtgenuͤgſamkeit zu verdammen. Daß jene Schul— 
lehrer bei einer anſtaͤndigeren Einnahme, als ſie noch 
an vielen Gemeinden haben, viel kraͤftiger und ſegens— 
reicher wirken wuͤrden, ſind wir die letzten laͤugnen 
zu wollen. Eben ſo iſt es fuͤr uns keinem Zweifel 
unterworfen, daß die Volksſchule noch mehr der Kirche 
und dem praktiſchen chriſtlichen Leben angeſchloſſen 
und dadurch der Schullehrerſtand wahrhaft gehoben 
werden ſollte. Nicht durch eitles Halbwiſſen, welches 
nur aufblaͤht, kann ihnen geholfen werden, ſondern 
durch tuͤchtiges Wiſſen ihres eigenen Berufes, welches 
demuͤthig macht. Aber daß die ganze Anlage großartig 
iſt und einem allgemeinen Beduͤrfniſſe entgegenkommt, 
und daß ſie ſchon jetzt ſegensreich wirkt, muß gewiß 
anerkannt werden. Die Anlage iſt da: großer Eifer 
und edle Geſinnung zeigt ſich bei den Leitern von 
ſehr vielen jener Seminare eben ſowohl als bei den 
Zoͤglingen. Nur in Deutſchland iſt das Amt eines 


190 


Volksſchullehrers ein Lebensberuf des Laien, ein ge— 
achteter, und ein weſentlich kirchlicher. Das aber iſt 
etwas Großes, ja bis jetzt Einziges. Die Anſtalt 
iſt da, und lebendig, alles uͤbrige laͤßt ſich beſſern. 
Die Sache iſt ſchwierig: eben weil ſie groß iſt. Die 
aͤltere, weſtliche Kirche hat dieſen nichts, die neuere 
etwa nur die „Bruͤder der Chriſtenlehre“ (die ſoge— 
nannten Ignorantinen oder Ignorantellen) entgegen 
zu ſtellen: die engliſche nur mißlungene Verſuche, 
neue Geruͤſte und einige hoͤchſt achtungswerthe, junge 
und beſchraͤnkte Anfaͤnge. Nirgends außer dem evan— 
geliſchen Deutſchland und den Fatholifchen Landes: 
kirchen, welche ihrem Beiſpiele gefolgt ſind (denn 
des edlen Fuͤrſten Egon von Fuͤrſtenberg Bemuͤhungen 
am Ende des vorigen Jahrhunderts ſtehen einzeln da), 
nirgends ſonſt, ſagen wir, iſt der Schullehrerſtand 
ein Beruf und ein volksthuͤmlicher: nirgends ſtellt 
ſich die Idee der Volksbildung und Volkserziehung 
ſo kraͤftig dar, als ein großer durchgefuͤhrter Na— 
tionalgedanke, welcher einen weſentlichen Zug des 
Staats- und Volkslebens bildet. Dieſer Zweig der 
gemeindlichen Huͤlfe waͤre alſo doch wohl ein nicht 


191 


veraͤchtliches Element der Diakonie in der Gegenwart 
fuͤr die Lehre: und es werde nie vergeſſen, daß 
er der Kirche erwachſen iſt unter der Diktatur des 
Staates, und das in ſchweren und bedraͤngten Zeiten 
der Regierung wie des Volkes. Aber eben ſo wenig 
fehlt es der evangeliſchen Kirche Deutſchlands an 
weſenhaften Elementen fuͤr die Diakonie auf dem 
Gebiete der Armen-, Kranken-, Kinder- und 
Gefangenen-Pflege, welche den Aelteſten mit 
dem Geiſtlichen der Ortsgemeinde obliegt. Die rhei— 
niſch⸗ weſtphaͤliſche Kirche, und faſt alle andern refor— 
mirten Kirchen außer ihr, auch manche proteſtantiſche, 
haben Armenpflege. Wir koͤnnen es nun zwar nicht 
organiſch und naturgemaͤß finden, daß der dem Vor— 
ſtande verantwortliche Rechnungsfuͤhrer (Kirchenmei— 
ſter) und Armenpfleger (Diakonus) in den Vorſtand 
ſelbſt aufgenommen ſeien. Vielmehr ſehen wir in 
dieſem den Diakonus, wie er ja auch dort heißt, den 
Armenpfleger, welcher unter Leitung des Vorſtandes 
ſeinem Amte obliegt, und (wie es dort auch vor— 
geſchrieben) den Aelteſten Rechenſchaft ablegt. Aber 
die Sache iſt da, wenn gleich unter anderm Namen. 


192 


Ueberhaupt haben die reformirten Gemeinden hierin 
unbeſtreitbar den Vorzug vor den proteſtantiſchen: und 
unausſprechlich iſt das Gute, welches ſie damit ge— 
ſtiftet. Und damit ſei eine Schuld der nationalen 
Dankbarkeit abgetragen, namentlich auch an die Reſte 
fo vieles edlen franzoͤſiſchen Blutes, welche, dem Tode 
und der Galeere entronnen, in Berlin und aͤnder— 
waͤrts bei uns eine Zuflucht ſuchten und fanden. 
Niemand aber, wer er auch ſei, wird in unſerer Zeit 
laͤugnen, daß die Armen, Kranken und Gefangenen 
ein ganz beſonderer Gegenſtand der gemeindlichen 
Pflege ſeien, und vieler Huͤlfe beduͤrfen. Der Staat 
und die ſtaatlichen Gemeinden haben es faſt allent— 
halben, und zwar zuerſt in England, dann in andern 
evangeliſchen Landen, als Recht der Huͤlfsbeduͤrftigen 
anerkannt, von den Gemeinden eines chriſtlichen 
Staates Unterſtuͤtzung zu erhalten. Der evangeliſche 
Staat hat dieß allmaͤhlig zum allgemeinen Bewußt— 
ſein gebracht. Aber um ſo klarer iſt dadurch gewor— 
den, wie unzureichend die Huͤlfe iſt, welche der Staat 
und ſtaatliche Gemeinden den Armen und Kranken 
leiſten koͤnnen, ſelbſt nur um ihr aͤußeres Elend zu 


193 


lindern. Wie viel Gräuel und Jammer endlich 
hinter den Riegeln der Staatsgefaͤngniſſe verborgen 
war, das hat den Staat und die Menſchheit, zuerſt 
und mit Erfolg, nicht eine Landeskirche gelehrt, ſon— 
dern die Geſellſchaft der Freunde. Aber je eifriger 
der Staat verſucht, mehr zu thun als ſeine Armen 
vor dem Hungertode zu bewahren, ſeinen Kranken 
Schlafſtaͤtte und Arzenei zu gewaͤhren, und ſeine 
Gefangene vor dem Entlaufen zu bewahren und 
zweckmaͤßig zu beſchaͤftigen, deſto offenbarer wird ſeine 
Ohnmacht. Er kann nicht Liebe befehlen, er kann 
nicht troͤſten, er kann auch nicht einmal wirklich 
beſſern. Hier nun tritt die chriſtliche Gemeinde in 
das eigentliche Feld ihres allgemeinen Prieſterthums, 
ihres ſelbſtſtaͤndigen ſittlichen Handelns ein. Ihr 
Vorſtand muß auch hier als Leiter und Verwalter 
daſtehen. Aber es ſind Maͤnner und Frauen, Juͤng— 
linge und Jungfrauen noͤthig zur Huͤlfe, und zwar 
in doppelter Weiſe. Einige um das Amt der Pflege 
bei den verwahrloſten Kindern, am Bette des Kran— 
ken und Sterbenden, in der Huͤtte des Armen, in 


der Herberge der Bettler, in der Zelle der Gefange— 
13 


194 


nen, mit Aufgeben aller andern Beſchaͤftigungen zu 
uͤben; andere um in freien Vereinen Beſuchender, 
Troͤſtender, Helfender, die Botſchaft der ewigen Liebe 
an die troſtbeduͤrftigſten Herzen zu tragen. Dieſe 
beide Arten der Huͤlfe ergaͤnzen ſich, wie ich ander— 
waͤrts naher nachgewieſen ): und geſchichtlich hat 
dieſe groͤßte und ſegensreichſte Lebensregung der Kirche 
des Evangeliums in der zweiten Form begonnen. Aber 
ſie iſt unter uns nicht dabei ſtehen geblieben. Was Falk 
in Weimar gethan, was Kopf in Berlin und das edle 
Grafenpaar der v. d. Recke in Duͤſſelthal, und endlich 
Wichern in Hamburg noch thun fuͤr die verwahrloſten 
Kinder und jungen Verbrecher: was Zeller in Beug— 
gen bei Baſel gegruͤndet fuͤr Volksſchullehrer der 
aͤrmſten und verwahrloſeſten Klaſſe: was Fliedner in 
Kaiſerswerth bei Duͤſſeldorf geſtiftet durch die ge— 
ſegnete Anſtalt von Pflegerinnen, als fuͤr kirchliche 


*) In dem Büchlein: „Eliſabeth Fry an die deutſchen Frauen 
und Jungfrauen.“ Als Handſchrift gedruckt in Bern 1840: in 
Hamburg veröffentlicht durch die Druckerei des Rauhen Hauſes 
1842. Ein weiſer Rezenſent in dem „Repertorium“ hat davon 
ſo viel verſtanden, daß er neulich herausgebracht, ich habe es 
„überſetzt aus dem Engliſchen.“ 


195 


„Diakoniſſen“: was endlich Wichern in Hamburg 
durch die freie Huͤlfe chriſtlicher Handwerker fort— 
dauernd ſchafft fuͤr die Erziehung und Beſſerung der 
Verwahrloſten, der Verbrecher, der Gefangenen und 
faſt in allen Gebieten der chriſtlichen Huͤlfe — das 
weiß, oder wenigſtens ſollte jeder wiſſen, der an 
dieſen Sachen Theil nimmt, und auch nur uͤber ſeine 
eigene Landeskirche ein andres als uͤbereinkoͤmmliches 
und taͤuſchendes Urtheil gewinnen will. Die Sachen 
ſind gethan in Stille und Demuth: aber nicht heim— 
lich, nicht im Winkel: ſondern am hellen Lichte der 
Oeffentlichkeit. Ferner aber muͤſſen ſie, ſelbſt im 
ſtrengſten Sinne, kirchliche Beſtrebungen und Thaten 
heißen. Allerdings ſind die Haͤlfte jener Apoſtel der 
Liebe Laien, alle aber ſind erklaͤrte und bewaͤhrte 
evangeliſche Chriſten der Landeskirche. Wir duͤrfen 
alſo ſagen: was dieſe evangeliſche Landeskirche hierin 
angeſtrebt, das ſind ſchon jetzt nicht Gedanken, ſon— 
dern Thaten: auch nicht mehr Thaten Einzelner, 
welche mit ihnen ſterben und untergehen koͤnnten. Es 
ſind, daß wir das Wort, das ernſte, hier ſchon aus— 


ſprechen, die werdenden Geſtaltungen des Amtes der 
18 * 


196 


Huͤlfe in der Kirche der Zukunft. Sie beginnen 
bereits auch außerhalb Deutſchland ins allgemeine 
Bewußtſein der evangeliſchen Kirche zu treten, und 
werden allenthalben vom Glauben und von der Liebe 
der Gemeinden getragen. Es bedarf nur, daß dieſes 
reiche Leben, im Mittelpunkte ordnender und bewuß— 
ter Thaͤtigkeit vereinigt werde, damit es das ganze 
Gebaͤude der evangeliſchen Kirche Deutſchlands kraͤftig 
und geſtaltend durchſtroͤme, und ſo alle vereinzelten 
Beſtrebungen zu bleibenden Stiftungen glaͤubiger Liebe 
aufwachſen. Aber ſchon jetzt iſt genug da, um uns 
zu berechtigen, von dieſem großen Zweige der Dia— 
konie in der Kirche zu reden, ohne aus der Wirk— 
lichkeit herauszutreten. Die Kirche hat ſich nur in 
ihrer Knechtsgeſtalt, in dem polizeilichen Kleide zu 
erkennen, das viele ihrer Diener tragen: ſie hat ſich 
nur von der Vereinzelung und Bewußtloſigkeit zu 
erholen, worin manches Element ihres Lebens noch 
daſteht, um ſich bewußt zu werden, was der Geiſt 
in ihr geſchafft, und was er in ihr fuͤr die große 
Zukunft will. Nicht alte Formen, nicht fremde 
Weihen, nicht ausgelebte Titel: aber eben ſo wenig 


197 


todtes und kraftloſes Schulgeſchwaͤtz, ſondern ſittliche 
Kraft und Thaͤtigkeit, volksthuͤmliches Leben aus dem 
eigenſten Herzen, urſpruͤngliches und ewig junges und 
neu belebendes. 

Das iſt die Ortsgemeinde nach den Ele— 
menten der Gegenwart: die ſichtbare Grundlage, die 
unterſte Einheit der Kirche und die Bedingung alles 
Lebens der Kirche. Es liegt unſerer Darſtellung das 
Princip der Selbſtregierung (Autonomie) zu Grunde. 
Mit dieſer iſt aber noch keine Kirchenregierung 
gegeben, ſo wenig als mit einer buͤrgerlichen Ge— 
meinde-Ordnung eine politiſche Regierung und Gewalt. 
Wenn wir uns alle Ortsgemeinden in jener Weiſe 
dargeſtellt denken, ſo haben wir eben nur ſo viele 
einzelne Gemeinden. Wir haben noch keine Behoͤrde 
zur Schlichtung innerer Mißverſtaͤndniſſe zwiſchen 
Pfarrer, Vorſtand, Gemeinde, Patron. Soll die 
Gemeinde etwa ihre Pfarrer ſelbſt einſetzen, die kirch— 
lich⸗ ehelichen Angelegenheiten, die in ihr vorkommen 
ſelbſt ſchlichten und richten? Mit einem Worte: man 
kann mit dem Begriffe von Ortsgemeinden nie zur 
Kirche gelangen. Man muß vorher anerkennen, daß 


198 


die Ortsgemeinde nur durch die Kirche eine Gemeinde 
ift, eben ſo gut als eine freie Kirche nur auf freien 
Gemeinden ruhen kann. Es gilt auch hier das all— 
gemeine Geſetz der Wahrheit in Gegenſaͤtzen. Das 
durch Gemeinde und Kirche, die Lebenskraft von unten 
und von oben, gebildete, wirkliche Ganze bedarf nun 
der Regierung: und wir koͤnnen alſo das eigentliche 
Amt der Kirchenregierung nur finden indem wir in 
die weitern Kreiſe des kirchlichen Lebens eingehen. 


WE. 
Die Verfaſſungs- Elemente der höheren 
Gemeinde in Preußen. 


Der hoͤhern Sphaͤren des kirchlichen Lebens 
ſind in Preußen im Allgemeinen vier. Zunaͤchſt 
die 333 Kreiſe, mit 386 Superintenden— 
ten. Von ihrer Stellung werden wir ſogleich 
mehr ſagen. Dann folgen die 25 Regierungs— 
bezirke, mit einer Abtheilung der Regierung 
d. h. der Behoͤrde, welche in der Hauptſtadt eines 


299 


jeden dieſer Bezirke fist, und mit der Beſetzung der 
Pfarrſtellen, Verwaltung des Kirchenvermoͤgens und 
der polizeilichen Beaufſichtigung der Gemeinden be— 
auftragt iſt. Hierauf die acht landſchaftlichen Behoͤr— 
den, oder Provinzial-Conſiſtorien, mit dem 
Ober⸗Praͤſidenten der Provinz, als ihrem verfaſſungs— 
maͤßigen Praͤſidenten, an der Spitze: zur allgemeinen 
Aufſicht und insbeſondere zur Pruͤfung der Candida— 
ten. Endlich in Berlin, das Directorium der 
geiſtlichen Angelegenheiten unter einem Mini— 
ſter. Die Kreisſynoden der rheiniſch-weſtphaͤ— 
liſchen Kirche fallen zuſammen mit den Superinten— 
denturen, alſo im Ganzen mit den landraͤthlichen 
Kreiſen, oder der erſten Kirchenſphaͤre: die beiden 
Provinzial-Synoden mit dem Umfange der bei— 
den Provinzen Rheinland und Weſtphalen, alſo mit 
der dritten Sphaͤre. Die Sphaͤre der Regierungs— 
Bezirke iſt nur eine ſtaatliche. Hier nun zeigt ſich 
fogleich dem praktiſchen Auge eine auffallende Erſchei— 
nung. Provinz und Regierungsbezirk ſind offenbar 
zu groß um als Mittelpunkt einer ſelbſtſtaͤndigen auf 
thaͤtiger Theilnahme der Gemeinden ruhenden Kirchen— 


200 


regierung angenommen zu werden. Ein Regierungs— 
bezirk in Sachſen umfaßt uͤber 30 kirchliche Kreiſe, 
und enthaͤlt gegen 400 Pfarreien. Mit richtigem 
Takte hat alſo die rheiniſch-weſtphaͤliſche Kirche, den 
gegebenen Knotenpunkt zwiſchen Ortsgemeinde und 
Regierungsbezirk feſtgehalten durch ihre Kreisgemeinde 
und Kreisſynode und ihre Superintendenten. Von 
allen gegebenen Sphaͤren iſt dieſe Mittelſphaͤre zwi— 
ſchen Pfarrei und Bezirk offenbar die einzige, in 
welcher eine ſelbſtſtaͤndige Kirchengemeinſchaft, eine 
Kirche im aͤlteſten Sinne, gebildet werden kann. Die 
erſte Frage wird nun ſein: iſt es der rheiniſch-weſt— 
phaͤliſchen Presbyterialkirche gelungen, eine ſelbſtſtaͤn— 
dige Kirchenverwaltung in ihrem Kreiſe einzurichten? 

Die Thaͤtigkeiten der Kreisſynoden koͤnnen ihrer 
Natur nach nur vorberathende ſein. Die Verwaltung 
dagegen ſollte man in jener Verfaſſung erwarten in 
den Haͤnden des Superintendenten zu treffen, welcher 
mit Stellvertreter und Schreiber, das fogenannte 
Directorium der Kreisſynode bildet. Allein es findet 
ſich in der Wirklichkeit, daß der Superintendent der 
Presbyterialkirche ſo wenig eine ſelbſtſtaͤndige Stellung 


201 


hat, als der Superintendent der reinen Conſiſtorial— 
Kirche. Woher kommt dieſer Mangel und Widerſpruch? 
Weſſen Schuld iſt er? Des Staates, oder des Pres— 
byterianismus oder der Umſtaͤnde? Und wie laͤßt ſich 
dem Mißſtande abhelfen? Um dieſe wichtigen Fra— 
gen gruͤndlich beantworten zu koͤnnen, muͤſſen wir 
etwas naͤher in das Einzelne der bisherigen Verfaſ— 
ſung eingehen, ſowohl in dieſer Sphaͤre als in der 
hoͤheren. Wir beginnen mit dem Presbyterial-Syſtem 
der Kreisgemeinde. Dieſes Syſtem hat alſo im 
Kreiſe zwei Triebraͤder neben einander geſtellt: eine 
berathende und waͤhlende Kreisſynode und einen aus— 
fuͤhrenden und verwaͤltenden Superintendenten. Dieſer 
nun wird mit einem Stellvertreter (Aſſeſſor) und 
Schreiber (Scriba), die beide Geiſtliche ſind, von 
der Synode, mit Recht der Wiedererwaͤhlung, auf 
6 Jahre gewaͤhlt. Außerdem waͤhlt die Synode alle 
drei Jahre einen der Pfarrer, und einen der Aelteſten 
des Kreiſes, fuͤr die Provinzial-Synode. Endlich 
beräth fie über die an die Provinzial: Synode zu 
ſtellenden Anträge. Zur Ausübung diefer und ihrer 
anderen Rechte und Pflichten verfammelt fie fih, auf 


202 


Berufung des Superintendenten, regelmaͤßig einmal 
des Jahres. Welches aber ſind ihre Befugniſſe in 
der eigentlichen Verwaltung? Die Kirchenordnung 
von 1835 fuͤhrt folgende Rechte auf: 

1) Aufſicht uͤber alle kirchliche Beamten der 
Ortsgemeinde, und die Candidaten des Kreiſes. Ge— 
rade dieſe Aufſicht wird auch dem Superintendenten 
zugetheilt: in die Oberaufſicht aber theilen ſich die 
zweite Abtheilung der Regierung, zu welcher der 
Kreis gehoͤrt, und das Conſiſtorium der Provinz, 
beide unter dem Miniſterium in Berlin. 

2) Handhabung der Kirchenzucht innerhalb der 
geſetzlichen Schranken. Dieß iſt bis jetzt praktiſch 
eine ganz ſchlummernde Thaͤtigkeit: auch ſieht man 
nicht, wie der Kreisſynode zwiſchen dem Kirchenzucht— 
Recht der Gemeinde und dem richterlichen Rechte der 
Provinzial-Synode irgend eine bedeutende Wirkſam— 
keit gegeben werden koͤnnte. Selbſt in der Form 
einer Berufung vor der Entſcheidung des Directo— 
riums iſt eine ſolche ſchwer zu denken. Die Kreis— 
ſynode hat weder richterliche Gewalt, noch richterliche 
Elemente in ſich. 


203 


3) Aufficht über die Verwaltung des Gemeinde; 
Vermögens. Aber die Königliche Regierungs-Behoͤrde 
hat daneben und darüber die Oberaufſicht, und na: 
mentlich die Prüfung und Beſtaͤtigung der Vor: 
ſchlaͤge, eben wie die Abnahme und Vollziehung 
der Rechnungen. Was bleibt bei dieſem Geſchaͤfts 
gange fuͤr eine jaͤhrlich ſich vereinigende Synode 
uͤbrig? 

4) Verwaltung des Stocks fuͤr die Prediger— 
Wittwen, und der eigenen Synodal-Kaſſe. Es kann 
auch hierbei offenbar nur von Nachſehen der Rech— 
nungen die Rede ſein, und bei dem erſteren Gegen— 
ſtande nicht ohne Mitwirkung der Regierung. 

5) „Leitung der Wahlangelegenheiten der Pfar— 
„rer des Kreiſes, ſo wie Ordination und Einfuͤhrung.“ 
Gerade dieſe Thaͤtigkeiten ſind aber (nach $. 59) ganz 
ausdruͤcklich dem Directorium, und alſo dem Super— 
intendenten aufgetragen, wie es auch praktiſch allein 
denkbar iſt. Die Theilnahme der Synode aber an 
der Ordination beſchraͤnkt ſich (nach §. 62) darauf, 
daß der Superintendent alle Pfarrer des Kreiſes 
(alſo die eine Haͤlfe der Synode) einladet, und daß 


204 


diejenigen, welche erfcheinen, an der feierlichen Hand: 
lung Theil nehm:n. 

In der Wirklichkeit alſo iſt es ſo, wie es der 
Natur der Sache nach allein ſein kann: die Synode 
iſt gar keine verwaltende Behoͤrde, und was ſie in 
der Kirchenordnung ſcheinbar dazu macht, iſt nicht 
viel mehr als ein todter Buchſtabe. *) 

Aber die Befugniſſe des Superintendenten werden 
doch, nach dem Buchſtaben jener Verfaſſung wenigſtens, 
bedeutender ſein? Hoͤren wir die Kirchenordnung von 


) In den Beſchlüſſen der letzten rheiniſchen Synode werden die 
Thätigkeiten der Kreisſynode ($ 37.) folgendermaßen zuſam⸗ 
mengeſtellt: fie beräth die Anträge an die Provinziulfynode: 
erklärt ſich gutachtlich über die Proponenda: empfängt 
Bericht über den Zuſtand des ganzen Kreiſes, und beſpricht 
etwa erforderliche Maßregeln und Ausgleichungen: empfängt 
Bericht über die Viſitation, insbeſondere über die Verwaltung 
des Kirchen- und Armenvermögens und das Pfarrſchulweſen: 
wählt das Directorium, auch Commiſſionen: beräth über 
alle Angelegenheiten, die zum innern Bau und Gedeihen der 
Gemeinde dienen: ſucht im Allgemeinen das Band der Ein— 
tracht zu befeſtigen, das chriſtliche, kirchliche Leben anzuregen, 
und die Hinderniſſe eines heilſamen Gebrauches der Sakra— 
mente zu beſeitigen. 

Es ſcheint uns, daß dieſe gedrängte Zuſammenſtellung unſer 
Urtheil nur beſtärkt. Das Mißverhältniß zwiſchen Aufgabe 
und Macht wird noch anſchaulicher. 


205 


1835. Es ſoll ihm nach derfelben, außer dem Rechte 
der Berufung der Synode und des Vorſitzes, die 
Ausfuͤhrung der Beſchluͤſſe der Kreisſynode zuſtehen. 
Allein erſtlich ſind die Beſchluͤſſe nicht ſehr bedeutend, 
und dann kann er nichts thun, ohne Befragung 
und Entſcheidung der Regierungsbehoͤrden. Er hat 
nämlich die Beſchluͤſſe durch den General- Superin— 
tendenten (von dem bald nachher die Rede ſein wird), 
an das Koͤnigliche Conſiſtorium einzuſenden. So 
heißt es auch dort, er habe die Aufficht über die 
Ausfuͤhrung der Kirchenordnung. Die Frage iſt aber: 
welche ſelbſtſtaͤndige Thaͤtigkeit ihm dafuͤr vergoͤnnt 
oder aufgelegt iſt? Hierbei nun finden wir zuerſt, 
daß er eine ſchiedsrichterliche Gewalt hat, um Miß— 
helligkeiten und Streitigkeiten, die in einer Ortsge— 
meinde zwiſchen Pfarrer und Gemeinde, Vorſtand, 
Candidaten oder Schulmeiſter und Kirchendiener aus— 
gebrochen ſind, zu ſchlichten und beizulegen, allein 
oder mit Zuziehung richterlicher Perſonen. Dies iſt 
alſo nur das Recht einer Vermittlung oder eines 
Suͤhneverſuchs. Die Gewalt iſt bei der Regierung 
des Bezirks oder dem Conſiſtorium der Provinz, oder 


206 


den Gerichten. Zweitens aber beſucht und beſichtigt 
er alle zwei Jahre regelmaͤßig alle Pfarren ſeines 
Kreiſes: die Durchſchnittszahl der Pfarren fuͤr einen 
Kreis iſt in der Monarchie ſiebzehn. Ueber das Er— 
gebniß ſtattet er der Kreisſynode einen Bericht ab. 
Allein dieſe hat, wie wir geſehen, hierbei nichts zu 
verfuͤgen, und die Provinzialſynode auch nicht. Wohl 
aber das Conſiſtorium. Er reicht zwar dieſem nicht 
unmittelbar den Bericht ein, ſondern der Regierung: 
dieſe aber ſendet ihn dem Conſiſtorium ein, welches ihn 
prüft, und in Folge der Prüfung, nach Veranlaſſung, 
auch eine außerordentliche Viſitation verfuͤgt, bei 
welcher alsdann derſelbe Geſchaͤftsgang ſich wieder— 
holt. Bei Erledigung einer Pfarre, ordnet der 
Superintendent den jeweiligen geiſtlichen Dienſt an 
derſelben, trifft die Vorbereitungen zur Wahl (wobei 
er Candidaten empfehlen kann), und leitet die Wahl 
ſelbſt mit dem Stellvertreter und Schreiber. Die 
Ordination nimmt er mit den anweſenden Kreis— 
pfarrern vor. Alle Geſuche der Ortsgemeinde oder 
des Pfarrers an die Regierungsbehoͤrde der Provinz, 
und alle kirchlichen Verfuͤgungen dieſer Behoͤrde an 


207 


diefelben, gehen durch den Superintendenten. Eben 
ſo auch die Verfuͤgungen uͤber die Pfarrſchulen. 

Dagegen betrachte man die Befugniſſe der koͤnig— 
lichen Behoͤrde der Provinz. Zuerſt hat die hierher 
gehoͤrige (zweite) Abtheilung der Regierung des 
Bezirks — deren jede in der Monarchie durchſchnitt— 
lich vierzehn Kreiſe umfaßt — im Allgemeinen die 
Aufſicht uͤber Alles „Aeußerliche“ der kirchlichen Ver— 
haͤltniſſe: dann, außer der landesherrlichen Beſtaͤti— 
gung aller uͤbrigen, die Beſetzung der koͤniglichen 
Patronatspfarren, Zuſammenziehung und Vertheilung 
der Pfarreien, mit Einwilligung der Patronen und 
Ortsgemeinden. Die Superintendenten find ihr um: 
tergeordnet und haben ihre Viſitationsberichte ihnen 
einzureichen, zur Pruͤfung und Einſendung an das 
Provinzialconſiſtorium. Die Regierung kann gegen 
dieſelben Strafverfuͤgungen erlaſſen und zur Ausfüh: 
rung bringen. 

Die Verhaͤltniſſe dieſer Behoͤrde nach oben ſind 
folgende: Sie berichtet an das geiſtliche Miniſterium 
immer durch den Oberpraͤſidenten der Provinz, in eini— 
gen Faͤllen aber durch Einſendung jener Berichte an das 


208 


Provinzial: Confiftorium. Die kirchlichen De 
fugniſſe dieſer Eöniglichen Behörde nun find folgende. 

1. Allgemeine Aufſicht über die Synoden; über 
die geiſtlichen Seminare, und über Amtsfuͤhrung und 
Lebenswandel der Geiſtlichen. Fuͤr den letzten Punkt 
haben die Regierungen eine gleichlaufende Befugniß. 

2. Aufſicht über den Gottesdienſt im Allgemei— 
nen: „beſonders in dogmatiſcher und liturgiſcher Be— 
„ziehung, zur Aufrechthaltung deſſelben in ſeiner 
„Reinheit und Wuͤrde.“ Hierzu gehoͤrt auch Anord— 
nung von Feſttagen, und der Buß- und Bettage mit 
Vorſchrift der Predigttexte. 

3. Pruͤfung, und nach Befinden, Berichtigung 
oder Beſtaͤtigung der Synodalbeſchluͤſſe: auch Bericht— 
erſtattung uͤber dieſe Beſchluͤſſe, ſo fern ſie erforder— 
lich iſt. N 

4. Weitere Pruͤfung der von den Regierungen 
bereits geprüften und eingeſandten Viſitationsberichte 
der Superintendenten. Die Regierungsmitglieder 
ſollen uͤberhaupt, wie es von dieſer Abtheilung der 
Regierungen in der Verordnung heißt, „dafuͤr ſor— 
„gen, daß der geiſtliche Unterricht und der Gottes— 


209 


„dienſt, ſowohl feinem Innern als feinem Aeußern 
„nach, den Vorſchriften gemaͤß, gehoͤrig beachtet 
„werde.“ Sie koͤnnen Vorſchlaͤge machen zur Ver— 
beſſerung beider, im Belange der Religioſitaͤt, Sitt— 
lichkeit und Duldung. Obwohl Aufſeher, ſollen ſie 
ſich doch zugleich als Genoſſen und Vertraute des 
geiſtlichen Standes anſehen, und ſein Anſehen zu 
erhalten ſuchen. 

5. Pruͤfung der Candidaten, fuͤr Predigen und 
fuͤr Amt. Die erſtere iſt jedoch jetzt einer Univerſitaͤts— 
commiſſion aus der theologiſchen Fakultaͤt aufgetragen. 

6. Eine richterliche Gewalt uͤber die Geiſtlichen. 
Alſo zuvoͤrderſt „Einleitung des Strafverfahrens gegen 
„diejenigen Beamten des oͤffentlichen Gottesdienſtes, 
„welche bei Fuͤhrung ihres Amtes gegen die liturgi— 
„Ihen und rein kirchlichen Anordnungen verſtoßen.“ 
Außerdem, Dienſtenthebung der Geiſtlichen und An— 
trag auf Amtsentſetzung in Folge von Amtsvergehen. 

7. Einfuͤhrung der Superintendenten. In den 
uͤbrigen Provinzen haben die Conſiſtorien außerdem 
noch den Vorſchlag zur Beſetzung der Superinten— 


denten-Stellen. 
14 


210 


Dieſe Beſetzung ſelbſt, und uͤberhaupt die ganze 
obere Leitung ſteht verfaſſungsmaͤßig dem Miniſte— 
rium der geiſtlichen Angelegenheiten zu. Von die— 
ſem muß das Conſiſtorium uͤber alles Weiſungen ein— 
holen, was uͤber Anwendung ſchon feſtgeſtellter Grund— 
ſaͤtze hinausgeht, und irgendwie von dem Beſtehen— 
den abweicht. Die 25 Regierungen ſelbſt aber be— 
richten, wie ſchon bemerkt, über alles durch Vermitt— 
lung des Oberpraͤſidenten, zuweilen auch durch die 
des Conſiſtoriums, an das Miniſterium. 

In dieſes, gewiß ſchon ſehr kuͤnſtliche allgemeine 
Raͤderwerk, wie es durch die Verordnungen von 1817 
und 1825 feſtſteht, wurden, durch eine Verordnung 
im Jahre 1829, die Generalſuperintendenten 
eingeſchoben „zur Foͤrderung des innigeren Zuſammen— 
hanges der evangeliſchen Kirche,“ mit einem perſoͤn— 
lichen Beaufſichtigungsrechte. Sie haben, mit dem 
Range von Direktoren Sitz und Stimme in den 
Regierungen, „mit Erlaubniß des Miniſteriums“, und 
in dem Conſiſtorium der Provinz „als Organſe der 
geiſtlichen Obern“, und ſie nehmen, in beiden, 
nach dem Oberpraͤſidenten die erſte Stelle ein. Fuͤr 


211 


die beiden Kirchen von Rheinland und Weſtphalen iſt 
Ein Generalſuperintendent angeſtellt, auch er mit dem 
Titel Biſchof. Er hat, nach dem inhaltſchweren 
Schluß- Artikel der Verfaſſung jener Kirche, die Ber 
aufſichtigung der in dieſer Kirche enthaltenen Super: 
intendenturen oder Sprengel, „nach den ihm vom 
„Miniſter der geiſtlichen Angelegenheiten ertheilten 
„Inſtruktionen. Er wohnt den Verſammlungen der 
„Provinzialſynode bei, um die Rechte des Staats 
„wahr zu nehmen und kann an die Synode Anträge 
„machen.“ 

Jeder der hierher gehoͤrigen Abtheilungen einer 
Regierung ſteht ein weltlicher Rath als Direktor vor, 
unter der allgemeinen Leitung des Prafidenten: außer: 
dem werden, fuͤr kirchliche und Schulangelegenheiten 
zuſammen, durchſchnittlich, außer Aſſeſſoren, Kanzel— 
liſten und Schreibern, etwa zwei Raͤthe beſchaͤftigt, 
die in den meiſten Faͤllen beide Weltliche ſind. Im 
Conſiſtorium hat der Oberpraͤſident der Provinz den 
Vorſitz, unter ihm der Generalſuperintendent. Von 
den vier oder fuͤnf Conſiſtorialraͤthen, welche durch— 


ſchnittlich, unter jener Leitung, die Kirchen- und 
14* 


212 


Schulangelegenheiten, beſorgen, ſind die meiſten Geiſt— 
liche, oder theologiſche Profeſſoren: dieſe nehmen 
jedoch nicht ſo regelmaͤßig Theil an den laufenden 
Geſchaͤften als die weltlichen Raͤthe. Man kann 
alſo etwa ſagen, daß die ſogenannten biſchoͤflichen 
Rechte, außer dem Miniſter der geiſtlichen Angele— 
genheiten und feinen Raͤthen für dieſe Abtheilung, 
und außer den acht Oberpraͤſidenten der Provinzen, 
insbeſondere ausgeuͤbt werden durch die ſieben Gene— 
ralſuperintendenten, und etwa ſechzehn, groͤßtentheils 
geiſtliche, Raͤthe der acht Conſiſtorien: endlich daß 
ſie in den 26 Bezirksregierungen, unter der oberen 
Leitung der Praͤſidenten, etwa dreißig, großentheils 
weltliche Raͤthe beſchaͤftigen. Somit erfordert die 
Verwaltung der eigentlichen Kirchenangelegenheiten, 
abgeſehen von der Wahrung der allgemeinen landes— 
herrlichen Hoheitsrechte in Beziehung auf die Kirche, 
uͤber 50 hoͤhere Beamte: die Aſſeſſoren und Kanze— 
liſten ungerechnet. Von dieſen fuͤnfzig ſind mehr als 
die Haͤlfte Weltliche. Dieſe koͤniglichen Raͤthe nun 
verwalten eigentlich die 340 Kreisgemeinden, und 
die 340 Superintendenten ſind ihre (unentgeldlichen) 


Ar 


213 


Organe. Insbeſondere haben auch in Rheinland 
und Weſtphalen, die beiden Conſiſtorien mit ihren 
acht Regierungen die obere kirchliche Verwaltung, 
und die unmittelbare Regierung uͤber die 41 Kreiſe 
oder Superintendenturen der rheiniſch-weſtphaͤliſchen 
Presbyterialkirche. 

Geht man nun bei dieſer Kirche von dem Sy— 
ſteme des reinen Presbyterianismus aus, welches jener 
Kirchenordnung zum Grunde uͤberwiegend liegt; ſo iſt 


nicht zu laͤugnen, daß die koͤnigliche Verwaltung durch 


Regierungen und Conſiſtorien mit den perſoͤnlichen 
Befugniſſen der Generalſuperintendenten, und der 
centraliſirenden Miniſterialgewalt, in jenes Syſtem 
ſehr tief und hemmend eingreift, beſonders fuͤr alles 
was uͤber die Verwaltung der Ortsgemeinden hinaus— 
liegt. Dieſer Widerſpruch wird aber noch anſchau— 
licher, wenn man die dritte und oberſte Stufe der 
kirchlichen Verwaltung nach jener Verfaſſung mit den 
entwickelten Befugniſſen der kirchlichen Behoͤrden ver— 
gleicht. 

Die Provinzialgemeinde, d. h. die Ver⸗ 
ſammlung, welche die jideale Zuſammenfaſſung aller 


214 


Kreiſe der Provinz darſtellt, heißt in jener Berfal 
fung, die Provinzialſynode. In ihr ſitzen dreier: 
lei Klaſſen von Mitgliedern: 

1. Saͤmmtliche Superintendenten, von Amts; 
wegen. 

2. Ein abgeordneter Pfarrer aus jedem Kreiſe. 

3. Ein ebenfalls von jeder Kreisſynode abgeord— 
neter Aelteſter. 

Dieſe Synode waͤhlt zum Vorſitzer einen 
Geiſtlichen, welcher „Praͤſes der Provinzialſynode“ 
heißt, und einen andern Geiſtlichen als Stellvertreter 
(Aſſeſſor): beide fuͤr ſechs Jahre mit Waͤhlbarkeit 
nach Ablauf dieſer Friſt. Ihre Wahl muß vom 
Miniſterium beſtaͤtigt werden. Waͤhrend der Dauer 
der Synode fuͤhrt das Protokoll ein dritter Geiſt— 
licher, ebenfalls von der Verſammlung gewaͤhlt 
(Scriba). Der verwaltende Vorſtand beſteht alſo 
wieder ausſchließlich aus Geiſtlichen. 

Die Synode verſammelt ſich regelmaͤßig alle drei 
Jahre in einer der Kreisſtaͤdte, nach ihrer Wahl. 
Den Vorſitz fuͤhrt der Praͤſes, im Behinderungsfalle 
der Stellvertreter. Ihre Befugniſſe ſind folgende. 


215 


1. Sie beaufſichtigt die von den Kreis ſynoden 
verwalteten Wittwen⸗ und Synodalkaſſen: natürlich 
unbeſchadet des Oberaufſichtrechts der Regierung. 

2. Sie wacht uͤber Erhaltung der reinen Lehre 
in Kirchen und Schulen und eben ſo der Kirchen— 
zucht. Sie aͤußert dieſe Beaufſichtigung durch Be— 
ſchwerden bei den Staatsbehoͤrden. 

3. Sie hat naͤmlich das Recht der Beſchwerde 
uͤber Verletzung der kirchlichen Ordnung, uͤber Miß— 
braͤuche, und uͤber die Amtsfuͤhrung und den Wandel 
der Geiſtlichen und Kirchenbeamten. 

4. Eine thaͤtige Theilnahme hat ſie nur bei 
den beiden Pruͤfungen der Candidaten ihrer Provinz. 
Sie ſendet naͤmlich dazu aus ihrer Mitte Abge— 
ordnete, von gleicher Anzahl, und mit gleichem Rechte 
der Prüfung und Abſtimmung wie die Conſiſtorialraͤthe. 

5. Sie beraͤth die Anträge der Kreisſynoden,« 
und faßt uͤber die inneren kirchlichen Angelegenheiten 
Beſchluͤſſe. Dieſe Beſchluͤſſe aber treten nur in Kraft 
durch die Beſtaͤtigung der Staats Behoͤrden, welche, 
wie wir eben geſehen, ſogar das Recht haben, die— 
ſelben zu veraͤndern, nicht bloß einfach zu verwerfen. 


216 


6. Die „geiſtliche Staatsbehoͤrde“ kann auch 
Gegenſtaͤnde zur Berathung und Begutachtung vorlegen. 

Führen wir alle dieſe Befugniſſe auf verfaſſungs— 
maͤßige Hauptpunkte zuruͤck, ſo hat die Provinzial— 
ſynode ein Beſchwerderecht, ein Berathungsrecht, und 
ein bedingtes Beaufſichtigungsrecht. Verwaltend tritt 
ſie nur auf durch die Theilnahme an den Candidaten— 
Pruͤfungen: allein dieß iſt eigentlich nicht eine Hand— 
lung der Verſammlung, ſondern die Thaͤtigkeit eines 
von ihr hierzu gewaͤhlten Ausſchuſſes. 

Der Praͤſes ihres allgemeinen Verwaltungs— 
Ausſchuſſes fuͤhrt den Vorſitz mit Stichentſcheid. 
Er faßt die Beſchluͤſſe der Mehrheit ab, und ſendet 
ſie den Staatsbehoͤrden ein, mit welchen er uͤberhaupt 
den amtlichen Verkehr fuͤr die Synode fuͤhrt. Er 
hat das Recht, der Synodal-Verſammlung eines 

„jeden Kreiſes der Provinz mit vollem Stimmrechte 
beizuwohnen. Er ſtellt endlich die Provinzial-Synode 
bei Einweihung von Kirchen dar, wie der Superin— 
tendent bei der Ordination die Kreisſynode. 

Die perſoͤnliche Thaͤtigkeit iſt uͤberhaupt ganz 
die des Superintendenten, nur mit der Verſchieden—⸗ 


212 


heit, welche aus der bedeutenderen Stellung der 
Provinzial⸗Synoden, gegenüber den Kreis -Synoden 
hervorgeht. 

Wir koͤnnen alſo nicht umhin zu erkennen, daß 
es dieſer Presbyterial-Verfaſſung weder im Kreiſe 
noch in der Provinz gelungen iſt, eine ſelbſtaͤndige 
Kirchenregierung darzuſtellen. Sie iſt darin ſehr 
hinter dem Staate zuruͤckgeblieben. Der Staat hat 
begriffen, daß ein wichtiges Amt nicht auf einige 
Jahre verliehen werden kann: wie denn auch die 
Kirche bei den Pfarrgeiſtlichen nur Beſtellung im 
Sinn einer Anſtellung auf Lebenszeit kennt. Zwei— 
tens hat der Praͤſes in der Verwaltung durchaus 
keine perſoͤnliche Verantwortlichkeit, welche uͤber die 
eines treuen Schreibers und ſorgſamen Briefboten, 
bedeutend hinausginge. Verantwortlichkeit iſt aber 
die Bedingung nicht nur perſoͤnlicher Rechte, ſondern 
auch der perſoͤnlichen Hingebung und Anſtrengung bei 
ihrer Ausuͤbung. Dieſer Grundſatz gilt fuͤr einzelne 
Beamte wie fuͤr Koͤrperſchaften, und bewaͤhrt ſich in 
der Erfahrung auf dem buͤrgerlichen und politiſchen 
Gebiete allenthalben. Denn auch rein berathende 


218 


Körperschaften, und Verſammlungen ſtehen, wie die 
Geſchichte lehrt, an dauernder Tuͤchtigkeit der Ge— 
ſinnung und That eben ſo tief unter Verſammlungen 
mit entſcheidendem Rechte, wie mißtrauiſch über: 
wachte, zu keiner freien Handlung befugte einzelne 
Beamte, unter ſolchen ſtehen, die auf eine freie 
Veranrwortlichkeit angewieſen ſind. 

Es iſt aber auch nicht zu verkennen, daß zu 
wuͤrdiger Darſtellung eines ſo hohen Amtes manche 
Befugniſſe und Freiheiten gehoͤren wuͤrden, uͤber 
welche die Synode nicht verfuͤgen kann. Alles bei 
den Kreisſynoden und Superintendenten Geſagte 
gilt auch hier. 

Der eigentliche Grund des Mißſtandes liegt 
jedoch tiefer. Der Presbyterianismus hat immer 
die Befangenheit ſchwacher Demokratieen gezeigt, die 
von berathenden koͤrperſchaftlichen Behoͤrden beherrſcht 
werden. Ein Mißtrauen dieſer Art hat ihn abge— 
halten, einem Geiſtlichen, obwohl er aus der Mitte 
der Synode genommen, und von ihr ſelbſt gewaͤhlt 
wird, eine bedeutende Gewalt anzuvertrauen. Der 
Staat aber hat, der Synode gegenüber, eine Abnei— 


219 


gung gefühlt, dieſer gemeindlichen Behörde oder dem 
Beamten ihrer ſechsjaͤhrigen Wahl, freie Hand zu 
laſſen. Alſo iſt es eigentlich ein doppelter Mangel 
an Vertrauen, der es unmoͤglich gemacht, in der 
einzig dazu geeigneten Sphaͤre eine kirchliche Regie— 
rung darzuſtellen, welche den erſten Anforderungen 
an eine praktiſche Geſchaͤftsfuͤhrung und freie Verfaſ— 
ſung entſpricht. Die Superintendenten ſind, auch 
in der rheiniſch⸗ weſtphaͤliſchen Kirche, wenn man es 
frei heraus ſagen will, wie den Kreisſynoden gegen— 
uͤber nicht viel mehr als zeitige Berichterſtatter, ſo in 
der wirklichen Verwaltung nichts als die ſtatiſtiſchen 
Durchgangspunkte und Regiſtratoren von unten der 
Berichte und Geſuche an die Staatbehoͤrden, und 
von oben der Erlaſſe und Verfuͤgungen derſelben Be— 
hoͤrden. Vieles hiervon fließt ohne Zweifel mit Noth— 
wendigkeit aus den ausgedehnten Befugniſſen und 
Pflichten der Regierungsbehoͤrden. Wenn wir aber 
oben in dieſer polizeilichen Bevormundung der kirch— 
lichen Verwaltung durchaus kein Element einer defi— 
nitiven Kirchenverfaſſung zu finden vermochten, ſo 
koͤnnen wir doch eben ſo wenig uͤberſehen, daß nicht 


220 


bloß die Luft zur Bevormundung diefe Verwicklung 
hervorgerufen, ſondern daß auch der Presbyterianis— 
mus es durch eine, ihm in ſeiner ungemiſchten Natur 
einwohnenden Befangenheit ſchwer gemacht hat, die 
Verwicklung zu loͤſen. Ich glaube, man thut beſſer, 
die Sache zu erklaͤren, als abzulaͤugnen. Daß man 
in jener Mittelſphaͤre einen Knotenpunkt der kirch— 
lichen Verwaltung geſucht, iſt naturgemaͤßer Ausdruck 
einer, in dem geſellſchaftlichen Organismus begruͤnde— 
ten Thatſache. Es iſt aber eben ſo ſehr Folge einer 
allgemeinen geſchichtlichen Thatſache des Zuſtandes 
unſerer buͤrgerlichen Geſellſchaft, daß es bisher nicht 
gelungen, in jener Sphaͤre eine lebenskraͤftige Regie— 
rung darzuſtellen. Jene erſte Thatſache iſt die Noth— 
wendigkeit eines Knotenpunktes der Kirchenregierung 
zwiſchen Orts: Gemeinde und Provinzial: Gemeinde. 
Wir haben es ſchon oben anſchaulich gemacht, daß 
die Conſiſtorial-Behoͤrde nicht unmittelbar mit den 
Gemeinden und Pfarrern verkehren und einen ſich 
ſelbſt verwaltenden Kirchenverband in ihnen darſtellen 
kann: ja daß, abgeſehen von der Ungeeignetheit einer 
rein politiſchen Provinzial-Behoͤrde die Regierungs— 


221 


bezirke für jenen Zweck zu groß ſind. Nun fallen die 
Superintendenturen bequem mit den landraͤthlichen 
Kreiſen zuſammen, die im buͤrgerlichen Leben, nicht 
bloß polizeilich, Sondern auch ſtaͤndiſch die unterften 
Einheiten bilden. Sie find faſt vom doppelten Um: 
fange der alten Landdekanate, d. h. der Zehenden 
von Pfarrern. Dieſe erſte Thatſache, von welcher 
unſere ganze praktiſche Darſtellung und Unterſtuͤtzung 
ausgegangen iſt, erklaͤrt alſo die Wahl jener Sphaͤre 
fuͤr die kirchliche Verwaltung vollkommen. Eine zweite 
Thatſache aber erklaͤrt, weßhalb gerade in dieſem 
naturgemaͤßen Knotenpunkte ſich nie eine ſelbſtaͤndige 
Regierungsbehoͤrde hat bilden koͤnnen. Dieſe That— 
ſache iſt ein doppeltes Mißtrauen: einmal das Miß— 
trauen der Pfarrgeiſtlichen in den Synoden gegen 
jede Stellung, die einem ihres Gleichen nicht ein 
Primat, ſondern den Schein deſſelben geben koͤnnte. 
Dann das Mißtrauen der Laienſchaft innerhalb und 
außerhalb der Synoden, alſo auch bei der Staats— 
regierung, gegen eine Geiſtlichkeits-Regierung. Alſo 
Mißtrauen und die Furcht, dort vor dem Primat, 
hier vor dem Pfaffenthum hat die Herſtellung einer 


222 


freien Verwaltung unmoͤglich gemacht. Wir klagen 
Niemanden an, und wir vertheidigen Niemanden: 
wir ſprechen nur unſere geſchichtliche Ueberzeugung 
aus von einer politiſchen Thatſache und wir glauben, 
daß wir ſie geſchichtlich auffaſſen und bezeichnen. 
Jenes Gefuͤhl hat den Presbyterianismus abgehalten, 
auch wo er ſich ganz frei von der Staatsgewalt ent— 
falten konnte, die Superintendenten irgendwie ſelb— 
ftändig zu machen: beide Thatſachen haben die Ne 
gierungen davon abgehalten, und alſo gewiſſermaßen 
zur Diktatur gezwungen. Wir nehmen deshalb als 
eine thatſaͤchliche politiſche Wahrheit an, einmal die 
anerkannte Nothwendigkeit eines ſolchen Knotenpunk— 
tes und dann die Unfaͤhigkeit der bisherigen kirchlichen 
ſowohl als ſtaatlichen Formen denſelben lebenskraͤftig 
zu machen. 

Es iſt wichtig, daß man das erſte ſo offen und 
ehrlich anerkenne als das zweite. Die gleiche An— 
erkennung des Strebens, eine freie Kirchenregierung 
in dem landraͤthlichen Kreiſe einzurichten, und des 
Mißlingens dieſes Strebens bildet die Grundlage 
des Gelingens einer praftifchen Herſtellung. Es ge 


223 


nügt auch hier bei der großen, gediegenen Bildung 
des chriſtiichen Volkes, und bei der Geſundheit des 
Kreiſes der kirchlichen wie der ſtaatlichen Einrichtun— 
gen, bei dem freiſinnigen Geiſte der Regierung, und 
bei der allgemein gewordenen Theilnahme der Ge— 
meinden an der Verfaſſung der Kirche, das Uebel 
zu erkennen, um das Heilmittel zu finden. 


VII. 


Die Sphäre des unabhängigen Kirchenkreiſes 
in der Kirche der Zukunft oder der bifchöf- 
liche Sprengel. 


Wir beduͤrfen eines naturgemaͤßen kirchlichen 
Kreiſes jenſeits der Ortsgemeinden, und wollen dafuͤr 
vorläufig mit der rheiniſch-weſtphaͤliſchen Kirche, und 
überhaupt mit der bisherigen Kirche, den landraͤth— 
lichen Kreis annehmen. In dieſer Mittelſphaͤre 
liegt alſo die ſelbſtaͤndige, ſich ſelbſt ver— 


224 


waltende Kirche der Zukunft, unſer biſchoͤf— 
licher Sprengel. Denn wir haben es keinen 
Hehl, daß wir uns hier einen Biſchof denken, und 
als ſolchen einen Geiſtlichen, welcher neben ſich, nicht, 
wie in der Presbyterialverfaſſung Geiſtliche, ſondern 
zwei weltliche Kirchenraͤthe hat, einen fuͤr die reinen 
Verwaltungsgeſchaͤfte, und einen fuͤr diejenigen, welche 
einen richterlichen Charakter tragen. Beide Raͤthe 
ſind uns vom Staat gebildete und gepruͤfte, fuͤr ihr 
Amt geſchickt befundene Geſchaͤftsmaͤnner, welche, 
aus den Aelteſten oder der Synode genommen, des 
Biſchofs ſtehenden Rath, und mit ihm die Behoͤrde 
eines ſelbſtaͤndigen Kirchenverbandes bilden. Neben 
dieſer Behoͤrde ſteht uns die Kreisſynode, als der 
große Rath des Sprengels. Die politiſche Aufgabe 
nun iſt, die beiden Behoͤrden, Kirchenrath und Sy— 
node, unter einander, und gegenuͤber der Provinzial— 
Synode, ſo wie dem Staate, in diejenige Selb— 
ſtaͤndigkeit zu ſetzen, welche den Grundſaͤtzen einer 
vernünftigen und freien Verfaſſung und Geſchaͤftsfuͤh— 
rung entſpricht, und zugleich hinlaͤngliche Buͤrgſchaften 
darbietet, fuͤr die chriſtliche Gemeinde, wie fuͤr die 


225 


Staats Regierung. Unterfuchungen diefer Art fcheinen 
allerdings einigen fpeculativen Theologen unferer Zeit et: 
was ferne zu liegen, oder gering vorzukommen: wir meinen 
denjenigen, welche, zum Theil mit großer Verachtung der 
Laien, als der Unwiſſenſchaftlichen (Joh. 7, 40), uns das 
Schauſpiel ſcharfſinniger, aber unfruchtbarer, logiſcher 
Gefechte, von abſtrakten Formen mit der naturwuͤchſigen 
Wirklichkeit gegeben haben. Wer aber dieſer Wirklichkeit 
und den Geſchaͤften nicht ganz fremd geblieben, der wird 
uns beiſtimmen, wenn wir ſagen, daß eine berathende Be— 
hoͤrde, ſelbſt wenn ſie nicht aus Geiſtlichen beſtaͤnde, nicht 
verwalten kann. Es laͤuft dabei alles auf Geſchreibe oder 
Geſchwaͤtz hin. Geiſt, Geduld und Thatkraft gehen in 
Hin⸗ und Herreden unter, oder erſaufen jaͤmmerlich in 
Dinte. Im beſten Falle wird das Ergebniß langwieriger 
Berathungen zuletzt im Aktenſtaube der verdienten oder 
unverdienten Vergeſſenheit uͤbergeben. Da aber die wirk— 
lichen Geſchaͤfte doch am Ende erledigt werden muͤſſen, ſo 
faͤllt ihre Fuͤhrung nothwendig, bei dem Mangel kirch— 
licher Beamten, den hoͤheren Staatsbehoͤrden zu: damit 
aber eben ſo nothwendig in der Wirklichkeit, einem großen 


Theile nach, un verantwortlichen Untergeordneten, mögen 
15 


226 


fie Direktoren oder Raͤthe oder expedirende Secretaire 
heißen. Wenn wir alſo von einer kirchlichen Behoͤrde 
reden, ſo muͤſſen wir uns an deren Spitze einen perſoͤnlich 
verantwortlichen Vorgeſetzten denken, welcher eben ſo 
wohl in der Kirche ſteht, als ſeine Beiſitzer oder Raͤthe. 
Dieſem Kirchenrathe (wie wir ihn in Gemaͤßheit eines 
ziemlich allgemeinen Sprachgebrauches nennen moͤchten) 
und dem Biſchofe perſoͤnlich, werden alſo Kirche und 
Staat einen Theil der Regierung zu uͤbergeben haben. 
Beide, Biſchof und Raͤthe, ſtehen mit der Kirche durch 
ihre Lebensthaͤtigkeit, Beruf und anerkannte Geltung in 
Verbindung. Der Staat hat die Raͤthe gebildet und ge— 
pruͤft, die Kirche ſie anerkannt: beide kennen ſie. Eben ſo 
iſt der Biſchof beiden bekannt: denn er iſt Pfarrer ge— 
weſen: er muß als ſolcher demnach ſich bereits das chriſt— 
liche Vertrauen von Gemeinde und Regierung erworben 
haben. Es bleibt alſo nur uͤbrig zu ſehen, auf welche Weiſe 
beide, ſowohl die Raͤthe als der Biſchof, mit der verfaſ— 
ſungsmaͤßigen Thaͤtigkeit der Kreisſynode und der Provin⸗ 
zial⸗Synode in eine fruchtbare Verbindung geſetzt werden 
koͤnnen. Die natuͤrlichſte und befriedigendſte Art, um 
zu ſichern, daß die Raͤthe das Vertrauen der Gemeinde 


222 


genießen, ſcheint die zu fein, daß man feſtſetze, die welt: 
lichen Kirchenraͤthe muͤſſen aus der Kreisſynode genom— 
men werden. Unter einer ſolchen Vorausſetzung koͤnnen 
wir getroſt dem Biſchofe, unter der Beſtaͤtigung der Re— 
gierung, die Wahl oder den Vorſchlag fuͤr die Regierungs— 
Ernennung übergeben. Denn es iſt noͤthig, daß die Kir: 
chenraͤthe auch fein Vertrauen haben. Ihnen ſelbſt aber 
werden wir einen, dieſem Vertrauen entſprechenden, und 
ihrer Erfahrung angemeſſenen Platz in der Provinzial— 
Synode, d. h. kirchlichen Landesgemeinde, anzuweiſen 
haben. Durch ihre Anſtellung neben dem Biſchofe werden 
die Kirchenraͤthe endlich auch Mitglieder der Ortsge— 
meinde, deren erſter Pfarrer der Biſchof iſt. So iſt, wie 
es ſcheint, die Möglichkeit gegeben, hier einen Knoten: 
punkt zu bilden, in welchem Orts- Kreis- und Landesge— 
meinde, geiſtliche und weltliche Kirchenglieder, ſich durch: 
dringen, und von welchem nach oben und nach unten 
neue Lebenskraft ausſtroͤmen kann. Die Kirchenraͤthe 
zuvoͤrderſt gehen in irgend einer Form hervor aus der 
Kreisgemeinde, und ſtehen in Verbindung mit der Pro— 
vinzialgemeinde. Aber noch wichtiger iſt, daß der von 
Kirche und Staat ausgeſtattete und betraute Biſchof 


15* 


228 


ſelbſt recht aus dem Herzen der Gemeinde hervorgehe. 
Der Biſchof der Geiſtlichkeitskirche wird, nach den alten 
kanoniſchen Vorſchriften, „von Geiſtlichkeit und Volk“ 
gewaͤhlt. In der amerikaniſchen Kirche waͤhlt die Geift: 
lichkeit des Sprengels einen Candidaten, und ſchlaͤgt 
dieſen den Abgeordneten der Laienſchaft vor, welche das 
unbedingte Recht der Annahme und Verwerfung haben. 
In der rheiniſch-weſtphaͤliſchen Kirche, denken wir uns, 
muͤßte er aus der Provinzial-Synode hervorgehen. Etwa 
ſo daß der Koͤnig aus drei von der Synode ihm vorge— 
ſchlagenen Superintendenten oder Pfarrern Einen aus— 
waͤhle und ernenne. Vielleicht iſt dieſe Form der andern 
vorzuziehen, daß naͤmlich der Landesherr, dem unbeding— 
ten Wahlrechte der Synode ein eben ſo unbedingtes Ab— 
lehnungsrecht entgegenſetze. Jede dieſer Formen hat ihre 
eigenthuͤmlichen Vortheile und Bedenken, und es laͤßt 
ſich im Allgemeinen nichts Beſtimmtes uͤber dieſen Punkt 
fagen. Uns liegt hier nur daran, die verſchiedenen mög: 
lichen Formeln zur Sprache zu bringen. Keine iſt un: 
bedingt verwerflich, keine unbedingt die beſte. Die naͤhere 
politiſche Eroͤrterung der moͤglichen Formen liegt außer— 
halb des Kreiſes dieſer Betrachtungen. Wir wuͤnſchen 


229 


nur die leitenden Grundideen anſchaulich zu machen. 
So iſt uns hier das Weſentliche nur dieſes, daß beide, 
Fuͤrſt und Gemeinde, naturgemaͤß zur Wahl und Er 
nennung des Biſchofs mitwirken: ſo daß der Fuͤrſt ent— 
weder die kirchliche Ernennung aus vorgeſchlagenen Can— 
didaten, oder die unbedingte Beſtaͤtigung und Verwer— 
fung habe. Das alfo iſt unfer Biſchof, und 
das unſer Epiſkopalismus. 

Alles was wir noch uͤber die Formen der Verfaſſung 
der Kirche der Zukunft im evangeliſchen Deutſchland fa: 
gen werden, hat nur den Zweck, dieſen Grundgedanken 
unſerer Herſtellung nach allen Seiten hin klar zu machen 
und durchzufuͤhren. Denn was wir daruͤber eben ausge— 
ſprochen, iſt allerdings nichts als der erſte, roheſte Umriß, 
nur geeignet, unſern Gedanken in ſeinen Grundzuͤgen 
ſcharf hinzuſtellen in ſeinem doppelten Gegenſatze, ſowohl 
gegen die Geiſtlichkeitskirche, welche die Laien ausſchließt, 
als gegen die diktatoriſche Kirchenverwaltung des Staats, 
welche die Gemeinde und das kirchliche Element in den 
Hintergrund draͤngt“). Wir haben dabei angenommen, 


) Zu unſrer großen Freude finden wir in den Beſchlüſſen der 
rheiniſchen Synode von 1844 dieſen, daß zwei Affejforen aus 


230 


daß der Biſchof ein Geiſtlicher ſei, und zwar ein Pfarr; 
geiſtlicher oder geiſtlicher Aelteſter. Das wird uns nun 
wohl im Ernſt Niemand anfechten: denn ſelbſt die aller: 
ſtrengſten Presbyterianer und Puritaner haben nie daran 
gedacht, daß ihr Superintendent irgend etwas anderes 
als ein Geiſtlicher ſein koͤnne. Und doch iſt dieß theoretiſch 
ein großer Irrthum. Das Verwaltungs- und Regie⸗ 
rungs⸗Amt hat an ſich gar nichts zu ſchaffen mit dem Amte 
der Verkuͤndigung des Wortes, wie wir ſchon oben ausge: 
ſprochen. Viele große und beruͤhmte Biſchoͤfe der alten 
Kirche wurden als Laien dazu gewaͤhlt. Auch beweißt noch 
die Faſſung der Conſecrations-Liturgie der alten Kirche, 
daß Conſecration der Biſchoͤfe und Ordination der Pres⸗ 
byter ſich parallel laufen, nicht jene urſpruͤnglich dieſe vor— 
ausſetzt. Aber bei der Art, wie ſich die geſellſchaftlichen 
Verhaͤltniſſe unter den chriftlichen Völkern entwickelt Ha; 
ben, wäre es allerdings praktiſch ungereimt, diejenigen 
von der Verwaltung der Kirche auszuſchließen, welche ihr 


den Aelteſten in das Direktorium der Kreisgemeinde aufgenom- 
men werden ſollen. Dieſer Antrag bezeugt das Gefühl des 
Bedürfniſſes, den kirchlichen Laien einen unmittelbaren Antheil 
an der Geſchäftsführung zu geben. 


231 


Leben der Kunde der göttlichen Dinge gewidmet, und als 
Prediger, Seelſorger und geiſtliche Lehrer gewirkt haben. 
Wir nehmen deßhalb auch an, daß unſer Biſchof eben 
Pfarrer iſt und bleibt, und Niemand Biſchof werden 
kann, der nicht als ſolcher berufen und eingeſetzt ſei, und 
ſich in Predigt und Seelſorge bewaͤhrt habe. Er kann in 
ſeinem Sprengel, ohne in die Pfarrgerechtſame irgend 
eines Pfarrers einzugreifen, predigen, wo er will, und 
jede chriſtliche Seele des Sprengels kann ſich bei ihm 
geiſtlichen Rath holen. Aber zu dem Amte des Wortes 
kommt die kirchlich-geiſtliche Regierung hinzu. Jedoch 
nicht eine unbeſchraͤnkte Regierung, noch eine gleich: 
mäßige Regierungs⸗Befugniß in allen Zweigen der kirch⸗ 
lichen Verwaltung. Vielmehr wird das der Seelſorge zu: 
naͤchſt liegende geiſtige Gebiet das eigentliche Feld der 
perſoͤnlichen Amtspflicht des Biſchofs ſein. Wie ſollte 
aber eine Kirche frei heißen koͤnnen, in welcher der 
Pfarrer der Kreisgemeinde nicht diejenigen Rechte und 
Pflichten haͤtte in der groͤßeren Sphaͤre, welche Niemand 
dem Pfarrer der Ortsgemeinde in deſſen Sphaͤre ſtreitig 
macht? Unſer Biſchof ſtehe uns alſo an der Spitze der 
Verwaltung der Kreisgemeinde, eben wie der Pfarrer es 


232 


bei der Ortsgemeinde thut. Wie dieſer neben fich die 
Aelteſten hat, und mit ihnen den Gemeinde-Vorſtand 
bildet: ſo jener die beiden Raͤthe aus der Landesge— 
meinde, welche mit ihm den Kirchenrath bilden. 
Neben jenen ſtand die Ortsgemeinde, neben dieſen 
ſtehe die Kreisgemeinde. 

Wir wollen nun verſuchen, den Geſchaͤftsbetrieb 
dieſer verſchiedenen Behoͤrden, (in der romaniſirten 
Beamtenſprache Reſſort genannt) naͤher aus der Na— 
tur der Sache hervorgehen zu laſſen, und gegenſeitig 
abzugraͤnzen. 

Es wird ſich wohl Niemand einen Biſchof den: 
ken koͤnnen, welchem nicht ein freies Gewiſſensrecht 
hinſichtlich der Einſetzung der Geiſtlichen Namens 
der Kirche (in der Sprache der Geiſtlichkeitskirche, 
die Ordination) zuſtaͤnde. Denn wenn fuͤr irgend 
etwas, ſo iſt der Biſchof dafuͤr verantwortlich, daß 
kein Wolf in den Schafſtall eindringe, deſſen obere 
Fuͤrſorge ihm von Kirche und Staat aufgetragen iſt, 
und daß kein Unwuͤrdiger in das heilige Amt des 
Wortes eintrete, welches er ſelbſt bekleidet, und in 
welches er ihn einfuͤhren ſoll. In dieſer Verantwort⸗ 


233 


lichkeit vor Gott und den Menſchen, liegt fein goͤtt— 
liches Recht des Enthaltens, alſo des Einſpruches 
gegen irgend eine andere Behoͤrde, die eine ſolche 
Handlung von ihm fordern ſollte. Ihm ſtehe nicht 
die Entſcheidung über die Prüfung zu: und wir 
moͤchten dieſe nicht einmal ihm mit dem Kirchenrathe 
zugleich übergeben, ſondern der Verwaltungs -Behoͤrde 
in der Landesgemeinde uͤbertragen ſehen, mit Zuzie— 
hung von Abgeordneten der Synode. Aber keine 
Behörde, keine Mehrheit dürfe fein Gewiſſen über: 
ſtimmen: und ſelbſt die obere Kirchenbehoͤrde habe 
nicht das Recht, ihn daruͤber zur Verantwortung zu 
ziehen, und zur Ordination zu zwingen. Es genuͤgt, 
daß er verbunden ſei, den Candidaten, der in ſeinen 
Sprengel gehoͤrt, aus demſelben zu entlaſſen. Es 
verſteht ſich von ſelbſt, daß der Biſchof dem Can⸗ 
didaten, welchen er zuruͤckweiſt, einen Entlaſſungs— 
ſchein geben muß und dieſer ſich alsdann von jedem 
andern Landesbiſchofe ordiniren laſſen kann, welcher 
die Bedenken des urſpruͤnglichen Dioͤceſans nicht 
theilt. Nicht ſo ſei es bei Einfuͤhrung eines Pfarrers 
in eine neue Gemeinde. Der Biſchof habe dabei das 


234 


Recht des Einſpruches, aber die Gültigkeit deſſelben 
unterliege der Entſcheidung der obern Verwaltungs— 
behoͤrde, und vielleicht, im letzten Zuge, der Entfcheis 
dung der Landesgemeinde (Provinzial-Synode). Denn 
es handelt ſich hier nicht um Ordination, um Ein— 
ſetzung ins prieſterliche Amt, ſondern um bloße Ber 
aͤnderung des Ortes ſeiner Thaͤtigkeit. 

Alle dieſe Freiheit verlangen wir fuͤr den Biſchof mit 
derſelben Unbedingtheit, wie wir das Einſpruchsrecht der 
Gemeinde, dem Patrone gegenuͤber verlangt, und wie 
wir das des Pfarrers bei der Einfegnung feiner Pfarr- 
kinder als eine unveraͤußerliche Gewiſſensfreiheit gefor⸗ 
dert haben. Wir fordern dieſe Freiheit noch mehr im 
Belange der Freiheit Aller, als im Belange der Rechte 
Einzelner. Anders verhält es ſich hinſichtlich der Con: 
fir mation. Es verſteht ſich, daß wir nicht vorſchlagen, 
ſie dem Biſchofe zu uͤbergeben. Das waͤre ein ungeheurer 
Ruͤckſchritt. Die Anſicht der biſchoͤflichen Kirche des 
Mittelalters beruht urſpruͤnglich auf der Vorausſetzung, 
daß der einzelne, ohne den Ausſchuß der Aelteſten beſte— 
hende Landpfarrer (der urſpruͤngliche Chorepiſkopus) 
nicht die hinlaͤngliche Kenntniß beſitze, um ein ſelbſtaͤn⸗ 


235 


diges Glied der Gemeinde zu lehren, zu pruͤfen und in die 
volle Gemeinſchaft der Glaͤubigen aufzunehmen. Auch 
hier iſt die Form nicht ein Ding fuͤr ſich ſelbſt, ſon— 
dern ein Mittel: und wer will laͤugnen, daß die bi— 
ſchoͤfliche Form eine hoͤchſt ungenuͤgende iſt, und einer 
Handlung der groͤßten Innerlichkeit, wobei die ent— 
ſchiedenſte und feierlichſte Selbſtthaͤtigkeit hervortre— 
ten ſoll, das Anſehen und die Natur eines aͤußeren 
Werkes giebt? Es waͤre leicht zu beweiſen, daß dieß 
auch aus den Ordnungen der alten Kirche hervorgeht. 
Doch Niemand wuͤrde leicht bei uns einen Beweis 
verlangen, und die entgegengeſetzte Annahme kann vor 
einer muͤndig gewordenen Philologie und hiſtoriſchen 
Kritik, wie Deutſchland ſie beſitzt, ſo wenig beſtehen 
als die Behauptung, daß im neuen Teſtament Biſchof 
und Presbyter verſchiedene Perſonen bedeuten. 

Ein zweites perſoͤnliches Recht des Biſchofs iſt 
die ſogenannte Viſitation, oder die ſeelſorgeriſche 
Beſuchung und Beauſſichtigung der einzelnen Ge— 
meinden ſeines Sprengels. Denn auch hier ruht 
das Recht auf einer entſprechenden Verantwort— 
lichkeit. 


236 . 


Alle übrigen laufenden Gefchäfte werden aber 
im Kirchenrathe ausgemacht, d. h. mit Einſtimmig— 
keit oder Mehrheit der drei, welche ihn bilden. 
Streitige Faͤlle, welche neue Verfuͤgungen, oder we— 
nigſtens neue Anwendung von Grundſaͤtzen fordern, 
werden, ihrer Natur nach, der jaͤhrlichen Kreisſynode 
oder der hoͤheren Kirchenbehoͤrde vorgelegt, und von 
derſelben entſchieden. Die Kreisſynode leitet der 
Biſchof mit feinen Beiſitzern. In Verwaltungs— 
Angelegenheiten koͤnnen wir ihm aber, der Mehr— 
heit der Kreisſynode gegenuͤber, kein Einſpruchsrecht 
(Veto) zuerkennen, ſondern nur eine Verwahrung 
ſeines Rechts, die Sache bei der Provinzialſynode 
zur Sprache zu bringen. Eben ſo koͤnnen wir es 
nicht fuͤr billig erachten, daß bei Vorberathungen 
uͤber Gegenſtaͤnde der Beſchlußfaſſung der Provin— 
zialſynode ihm mehr zuſtehe, als eine ſolche Wer: 
wahrung, in dieſer Landesgemeinde ſeine perſoͤnliche 
Ueberzeugung vorzutragen. Die Abgraͤnzung der bi— 
ſchoͤflichen Thaͤtigkeit gegen die Regierungsbehoͤrden 
wird ſich uns aus der Herſtellung der oberen Sphaͤ— 
ren ergeben. 


232 


Wir muͤſſen jedoch zunaͤchſt die Begraͤnzung 
des biſchoͤflichen Kr eiſes ſelbſt naͤher unterſuchen. 
Iſt das jetzt beſtehende und von uns vorläufig ange: 
nommene Zufammenfallen deſſelben mit dem landräth: 
lichen Kreiſe ein natuͤrliches? Wir glauben keineswegs. 
Es iſt allerdings nothwendig, daß der Biſchof, ohne 
im geringſten in die ordentliche Thaͤtigkeit der Pfarrer 
einzugreifen, nicht allein die Pfarrer ſeines Sprengels 
perſoͤnlich genau kenne, ſondern auch der oͤrtlichen 
Eigenthuͤmlichkeit einer jeden Gemeinde nicht fremd 
ſei. Denn der wahre Begriff eines Biſchofs iſt uns 
unzertrennlich davon, daß der ſeiner Fuͤrſorge anver— 
traute Kreis in ihm einen Prediger und Seelſorger 
ſehe. Eben damit er dieſes ganz ſein koͤnne, nehmen 
wir an, daß ihm bei ſeiner oͤrtlichen Hauptpfarre ein 
beſtaͤndiger Huͤlfspfarrer fuͤr die oͤrtliche Seelſorge 
und zum Aushelfen beim Predigen zur Seite ſtehe. 
Gott behuͤte uns alſo vor Sprengeln, wie die mei— 
ſten roͤmiſch- katholiſchen und engliſchen! Aber auf 
der andern Seite duͤrfen wir nicht vergeſſen, daß die 
Ausuͤbung eines wahren biſchoͤflichen Amtes eine 
Vereinigung von aͤußeren und geiſtlichen Mitteln 


238 _ 


fordert, welche in vielen unſerer Kreisſtaͤdte ſich, jetzt 
wenigſtens, noch nicht findet. Wir werden auch hier 
oͤrtliche Diakonen einer hoͤheren Art haben muͤſſen, 
und ebenfalls Gehuͤlfen fuͤr eine beſchraͤnkte Zeit. 
Warum ſollten kirchlich geſinnte und faͤhige Auscul— 
tatoren (Rechts- und Verwaltungs-Candidaten) ſich 
nicht eben ſo gut auch im Kirchenrathe fuͤr die kirch— 
lichen Geſchaͤfte bilden koͤnnen, wie jetzt bei den Re⸗ 
gierungen? Dieß iſt aber, ohne bedeutende Koſten, 
nur dann möglich, wenn in der Stadt eine Negierungs: 
behoͤrde oder ein Landgericht ſich findet. Eben fo würde 
dem Biſchof ſehr viel entgehen, wenn ihm nicht in 
ſeiner Kreisſtadt einige Maͤnner aus dem hoͤheren 
Lehrerſtande, dieſer Zierde Preußens, zur Seite ſte— 
hen. Auf jeden Fall aber muͤſſen ſich im biſchoͤflichen 
Kreiſe die hauptſaͤchlichſten Elemente vereinigt vorfin⸗ 
den, welche im Großen ſich in der Kirche des Landes 
darſtellen, im Lehr- Wehr- und Naͤhrſtande. Alſo 
werden in einer biſchoͤflichen Stadt ſich wenigſtens 
einige der Anſtalten vorfinden muͤſſen, welche das 
geiſtige Leben der Nation tragen und foͤrdern. Denn 
nur ſo kann unſre Kreisgemeinde eine ſelbſtaͤndige 


239 


fein, und als felbftändige Einheit in der Landge— 
meinde erſcheinen. 

Die natuͤrlichſte Methode hier das Wahre zu 
treffen, ſcheint mir nun dieſe zu ſein. Wir muͤſſen 
uns nicht ſtatiſtiſch nach Kreiſen umſehen, ſondern 
nach Staͤdten, und zwar ſolchen, welche jene Verei— 
nigung geiſtiger Elemente, bis zu einem gewiſſen 
Grade wenigſtens enthalten. Unter dieſen nun ſchei— 
den wir zuvoͤrderſt aus: alle rein katholiſchen oder 
wenigſtens überwiegend katholiſchen Städte, Landes 
biſchof gegen Landesbiſchof zu ſtellen, ware unbruͤder— 
lich: alſo, nach dem kanoniſchen Rechte der Kirche der 
Zukunft, unrecht. So bleiben uns von den 26 Haupt; 
ſtaͤdten der Regierungsbezirke 15 deutſche evangeliſche 
Hauptſtaͤdte uͤbrig: und dazu Poſen und Bromberg, 
in denen die evangeliſche Bevoͤlkerung, obwohl die 
Minderzahl, doch ſehr bedeutend iſt, und als faſt 
ausſchließlich deutſche, dem polniſchen Elemente ſelb— 
ſtaͤndig gegenüber ſteht. Gneſen wird uns aber eben 
ſo unberuͤhrt bleiben, wie Coͤln, Coblenz, Trier, 
Aachen, Muͤnſter und Paderborn. Außer jenen 17 
Staͤdten giebt es nur etwa 40 Staͤdte mehr, welche 


240 


jenen Bedingungen entfprechen, fo daß wir etwa 60 
Bisthuͤmer fuͤr die 6000 Pfarreien der faſt zehn 
Millionen evangeliſchen Einwohner Preußens finden, 
Dieſe ungefaͤhre Annahme giebt uns durchſchnittlich 
Bisthuͤmer von einhundert Pfarren, mit einer Bevoͤlke— 
rung von 167,000 Seelen. Natuͤrlich wuͤrde die Zahl 
der Kreisgemeinden und Kreisſynoden mit der Zahl der 
Biſchoͤfe zuſammenfallen. Die Kirche haͤtte hiernach 
180 regierende und verwaltende Beamten, (wovon 
zwei Drittel Weltliche), ſtatt 380 mit Befoͤrderung 
von Geſuchen und Befehlen belaſteter Superinten— 
denten: und wir glauben hinzufuͤgen zu koͤnnen, mit 
Erſparung von etwa 30 Raͤthen in den 25 Regierun— 
gen, und einer bedeutenden Anzahl von Schreibern, 
Kanzeliſten und Regiſtratoren. Ein ſolcher, nm den 
Mittelpunkt einer Stadt gebildeter, kirchlicher Kreis 
alſo heißt uns ein Sprengel. Wir denken ihn uns 
aber keineswegs als ein geiſtig ungegliedertes Ganze. 
Durch Anwendung der alten kirchlichen Anſtalt der 
Dekane oder Pfarrer von Zehenden, (jenes Wort 
beſteht im Wuͤrtembergiſchen) wuͤrden wir in jedem 
Sprengel etwa zehn Landdechanten gewinnen. Die 


241 


Dekanatswuͤrde muͤßte nicht an einen beſtimmten Ort 
gebunden, ſondern den jedesmal geeignetſten Maͤnnern 
unter den Pfarrern des Sprengels uͤbertragen wer— 
den, wie es in England bei den Archidiakonaten 
geſchieht. Ihre Wahl duͤrfte der Kreisſynode zuzu— 
weiſen ſein. Unter dieſen Zehenden faͤnden dann jene 
freien, etwa dreimonatlich wiederkehrenden Zuſammen— 
kuͤnfte ſtatt, welche ſich zum Austauſche von Erfah— 
rungen, und zur Erfriſchung des geiſtigen und geiſt— 
lichen Lebens an vielen Orten ſo fruchtbar und ſegens— 
reich erweiſen. Die Landdechanten wuͤrden ſie leiten. 
Auch Verwaltungs-Maßregeln des Kirchenraths duͤrf— 
ten wohl durch dieſe Organe gehen. Will man dieſe 
Zehendpfarrer nur Superintendenten nennen, ſo iſt 
dawider auch eben nichts einzuwenden. 

Auch hier bei der biſchoͤflichen Kreisgemeinde, 
wird aber in Zukunft das polizeiliche Hin- und Her— 
ſchreiben aufhoͤren, nach unten und nach oben. Jede 
Kirche verwaltet ſich ſelbſt: das heißt, der Biſchof 
mit dem Kirchenrathe und der Kreisſynode verwalten 
und pflegen die Angelegenheiten der Gemeinden ihres 
Kreiſes, wie der Pfarrer mit den Aelteſten und der 

16 


242 


Ortsgemeinde die örtlichen Gemeinden. Um dieſes an 
ſchaulicher zu machen, gehen wir nun daran, das ver— 
faſſungsmaͤßige Leben der uͤbrigen Kirchenſphaͤren von 
dem gewonnenen Mittelpunkte aus zu beleuchten. ) 


WII. 


Die Herſtellung der übrigen kirchlichen Spha- 
ren nach unten und nach oben und Ueberſicht 
der Hauptpunkte der Verfaſſung. 


Wir haben behauptet, der Mittelpunkt der Her— 
ſtellung einer freien Kirchenverfaſſung liege in der 
Herſtellung des kirchlichen Kreiſes, als der erſten 


) Wir können uns hier nicht enthalten, auf zwei Hauptſtellen 
der Verhandlungen der letzten rheiniſchen Synode aufmerkſam 
zu machen, welche eben fo kräftig als gehalten das Bedürfniß 
einer ſelbſtändigen Kirchenverwaltung ausſprechen, und ein 
getreues Bild geben von der ernſten Verwicklung der gegen— 
wärtigen kirchlichen Zuſtände, bei dem beſten Willen wie der 
Gemeinden, ſo der Landesregierung. Wir geben beide als An— 
hang am Ende des Büchleins. 


243 


natuͤrlichen Zuſammenfuͤgung des oͤrtlichen Gemeinde— 
lebens. Indem wir nun dieſen kirchlichen Kreis 
naͤher zu begraͤnzen geſucht, haben wir unſer Augen— 
merk beſonders darauf gerichtet, innerhalb des biſchoͤf— 
lichen Sprengels der Kirche der Zukunft anſchaulich 
zu machen, wie durch denſelben ſich eine unabhaͤngige 
hoͤhere Kirchenverwaltung von ſelbſt bilde und zugleich 
die voͤllige Freilaſſung der Ortsgemeinden des Kirchen— 
verbandes moͤglich werde. 

Wir wollen nun verſuchen, nach unten und nach 
oben die Wahrheit durchzufuͤhren, in welcher Weiſe 
von jenem feſten Mittelpunkte aus, die Herſtellung 
einer freien Kirche mit naturgemaͤßer Leichtigkeit ſich 
geſtalten koͤnne. Dieß wird nur eine Verbindung des 
eben Geſagten mit dem oben aufgezaͤhlten Elementen 
freier Verfaſſung in den Orts- und Landesgemeinden 
bedürfen. Wir beginnen mit der Ortsgemeinde. 
Es ſteht uns feſt, daß jede Ortsgemeinde in Zukunft 
keine andere Oberbehoͤrde kenne als den Biſchof mit 
ſeinem Kirchenrathe: ihre eigenen gemeindlichen An— 
gelegenheiten aber ſelbſt und frei verwalte. Es ſteht 


uns ferner feſt, daß ſie zur biſchoͤflichen Kreisgemeinde 
16 * 


244 


ihren Pfarrer und einen ihrer Aelteſten entſende. 
Wir fragen aber nun, auf das oben gegebene Bild 
der Ortsgemeinde hinweiſend: ſollen nur die Aelteſten 
in der Kreisgemeinde vertreten werden? und wir 
antworten unbedenklich: nein! Wir haben gefunden, 
daß der Volksſchullehrer in Preußen ein hoͤchſt be— 
deutendes Glied der Gemeinde iſt: ein Mittelglied 
in der Lehre zwiſchen ihr und dem Pfarrer, ſein 
Gehuͤlfe im Gemeinde : Unterricht, ja nach herkoͤmm— 
licher Sitte in Faͤllen der Noth ſein Vertreter im 
Gottesdienſte, ſo weit derſelbe in Lehre beſteht. Wir 
haben ſein Amt als einen Beruf gefunden, einen 
aͤcht kirchlichen und volksmaͤßigen, und wir haben 
mit Bewunderung geſehen, wie die Befaͤhigung dazu 
aus einer großen Anſtalt des evangeliſchen Staates 
hervorgeht. Die Erziehung der Volksſchullehrer iſt 
eine gemeinſchaftliche; durch alle dieſe Umſtaͤnde 
gewinnt die Geſammtheit der Schullehrer gewiſſer— 
maßen den Charakter einer Koͤrperſchaft. 

Wir haben in jedem der ſechzig Kirchenkreiſe, oder 
in jeder der fechzig unabhaͤngigen biſchoͤflichen Kirchen 
zwiſchen 200 und 300 Schullehrer: alſo in jedem 


245 


Dekanate (oder jeder Superintendentur) 20 bis 30. 
Uns nun find die Schullehrer die Diakonen der Lehre: 
und wir moͤchten vorſchlagen, wenigſtens einen Theil 
der Candidaten des Predigtamts durch dieſen Zweig 
der gemeindlichen Diakonie durchgehen zu laffen: die 
uͤbrigen durch einen der andern Zweige dieſer Diakonie. 
Der Schullehrer der Gemeinde ſchließt ſich uns naͤm— 
lich an den Armenpfleger und Kirchenmeiſter der 
rheiniſch-weſtphaͤliſchen Kirche an, und bildet mit 
ihnen ein Diakonen⸗Collegium, und mit dem Predigt: 
gehuͤlfen, welcher der natuͤrliche Vorſtand dieſes Colle— 
giums ſein wuͤrde. Sollte es alſo nicht recht und 
billig ſein, ja iſt es etwas anderes, als was jede 
Verfaffungsform in Kirche und Staat ſein ſoll, 
naͤmlich Ausdruck einer thatſaͤchlichen Wahrheit, wenn 
wir vorſchlagen: erſtlich, daß die Diakonie uͤberhaupt, 
und zweitens, daß die Schulmeiſter in ihr noch be— 
ſonders bei der Kreisgemeinde vertreten werden. ) 


») Zu unſerer großen Freude lernen wir noch aus dem Dezember— 
hefte der vortrefflichen Monatsſchrift der rheinländiſch-weſt— 
phäliſchen Kirche, daß die merkwürdige Generalſynode zu Her— 
born vom Jahre 1586 folgendes feſtſtellte (Art. II. $. 28): 


246 


Dieß aber ließe fich bei Annahme unſerer Grund-Idee 
gar leicht bewerkſtelligen. Jedes ſolches Collegium 
von Diakonen (ohne die Volksſchullehrer) ordnete 
einen Waͤhler ab, dieſer Waͤhler Einen Abgeordneten 
für die Kreisgemeinde. Die Volksſchullehrer eines 
Diakonats würden außerdem auf aͤhnliche Weiſe Er 
nen Abgeordneten fuͤr ſich waͤhlen. So wuͤrde die 
Diakonie jedes Sprengels durchſchnittlich durch 20 
Abgeordnete vertreten, welche neben den 100 abge— 
ordneten Aelteſten, ihren Sitz in der Kreisgemeinde 
nehmen, unter Vorſitz des Biſchofs. Die Diakonie 
bildete alſo neben Aelteſten und Geiſtlichen, im Ver: 
haͤltniſſe weniger als ein Zehntel der Gemeinde. ) 


„Auch die Diakonen ſollen zuſammen kommen, und ihre Ange: 
legenheiten berathen. Ihre nächſte Behörde iſt das Presbyte⸗ 
rium. (S. 317). Herr Pfarrer Goebel hat ſich den Dank 
aller Freunde der kirchlichen Freiheit verdient dadurch, daß er 
in jenem lehrreichen Artikel uns die Verfaſſung eines Theils 
des rheiniſchen Oberlandes, und einen neuen Beweis der Weis— 
heit und Größe des Verfaſſers des Heidelberger Katechismus 
(Olevianus) kurz gelehrt. 

Wir werden in dieſer Anſicht ungemein beſtärkt, durch eine 
Bemerkung, welche wir in großen Zeugniſſen des kirchlichen 
Lebens in Deutſchland finden, der Verhandlung der rheiniſchen 
Provinzialſynode von 1844. Es wird hierin bemerkt, daß die 


* 


— 


227 


Folgende Ueberſicht der jährlich ſich verſammeln— 
den Kreisgemeinde macht das Geſagte anſchaulicher. 
Wir nehmen auch hier unſere durchſchnittlichen Zah— 
len an, von 100 Kirchſpielen und 10 Dekanaten: 
A. Geiſtliche. 


J) der Vorſitzende, Biſchoß 17 
2) die Dekane der übrigen Dekanate 99 .. 100 
3) die übrigen Pfarren 900 
B. Laien. | 
1) die beiden Kirchenrathe ..... 2) 
2) die Abgeordneten der Presbyterien 100 
3) die Abgeordneten des Diakonen— 
1 


Collegiums: a) Schullehrer, einer 
für jedes Dekanae . . 10 
b) Andere Diakonen .. 10 


Zuſammen 222. 


Kirchenordnung von 1835 in 9. 14. f. die Wahl derjenigen 
Mitglieder des Presbyteriums zur Kreisſynode beſchließt, 
welche nicht Aelteſte ſind. Nun aber ſei der Kirchenmeiſter 
namentlich oft vorzugsweiſe ein verdienter, thätiger Mann und 
erfahrner Chriſt. Deßhalb ſchlägt dieſe Synode vor, auch die 
Mitglieder des Presbyteriums wählbar zu machen, welche nicht 
Aelteſten ſind. Dieß kann, nach unſerer Trennung der Diako— 
nen vom Presbyterium, ſcheint es, viel leichter geſchehen. 


248 


Der Biſchof eroͤffnet die Gemeinde: dieſe waͤhlt 
einen Kanzler (Scriba), aus den Geiſtlichen oder Ael— 
teſten: einer der Kirchenraͤthe iſt der natuͤrliche Ver— 
treter des Biſchofs in Verwaltungs- und richterlichen 
Angelegenheiten: wo es jedoch die Lehre betrifft, ver— 
tritt den Biſchof ein von der Gemeinde gewaͤhlter 
Geiſtlicher. 

Nach den bisher entwickelten Grundſaͤtzen geben 
wir dieſer Verſammlung keine Verwaltungsgeſchaͤfte: 
dagegen laſſen wir ihr nicht allein alle Rechte und 
Befugniſſe, die fie als vorberathende und beaufſich— 
tigende Behörde im Rheinlande und Weſtphalen hat, 
ſondern wir machen ſie wirklich zur Darſtellung einer 
unabhaͤngigen Kreisgemeinde. Der Biſchof, (denken 
wir) legt ihr vor, oder laͤßt ihr durch die Kirchen— 
raͤthe, mit Zuziehung der Dekane vorlegen die Ue— 
berſicht des im verfloſſenen Jahre, innerhalb des 
Sprengels, zur Foͤrderung des kirchlichen Lebens Ge— 
ſchehenen: namentlich werden ihr die Berichte uͤber 
die Viſitationen und alle wichtigeren Angelegenhei— 
ten, welche neue Verſtaͤndigung uͤber die beiſtehenden 
Grundſaͤtze der Verwaltung erforderten, zur Bera— 


249 


thung mitgetheilt. Dieſe Berathung iſt allenthalben 
wo eine neue kirchenrechtliche Vorſchrift erfordert wird, 
die der Landesgemeinde vorbehalten bleibt, eine vor: 
berathende. Die geſetzgebende Thaͤtigkeit bleibt aus— 
geſchloſſen. Die richterliche wohl am beſten auch. 
Denn die Berufung eines Geiſtlichen gegen die im 
Kirchenrathe verfuͤgte Amtsenthebung oder Entſetzung 
oder Entlaſſung wegen Amtsvergehen, gehoͤrt vor das 
Direktorium der Landgemeinde, oder vor die Provin— 
zialſynode ſelbſt, welche, wie wir ſehen werden, beide 
die Mittel haben, eine ſolche Unterſuchung vorzu— 
nehmen. 

Hinſichtlich der Berathungen nun hat der Bi— 
ſchof das Recht die ſogenannten Proponenda vor 
zulegen, d. h. Gegenſtaͤnde der Berathung zur Ab— 
gabe von Gutachten, fuͤr die Landesgemeinde. Er 
thut dies aus eigenem Antriebe, oder im Auftrage 
der Provinzialſynode. Die Kreis gemeinde duͤrfte aber 
vielleicht auch das Recht haben, wenn zwei drittel 
ihrer Mitglieder einen deshalb gemachten Antrag 
unterſtuͤtzen, uͤber einen andern Gegenſtand des 
kirchlichen Lebens, welcher ſie bewegt, eine Bera— 


250 


thung anzuftellen und einen gutachtlichen Beſchluß 
zu faſſen. 

Das Geſagte wird genuͤgen, um zu zeigen, wie 
leicht und naturgemaͤß ſich von dem gewonnenen 
Mittelpunkte aus die freie Verwaltung der Ortsge— 
meinden und ihre unmittelbare organiſche Bewegung 
in dem ſie umfaſſenden Sprengel, vermittelſt des 
biſchoͤflichen Kirchenrathes und der Kreisgemeinde ge— 
ſtalten laͤßt. 

Wir gehen nun von dieſer zu der hoͤheren 
Sphaͤre uͤber. 

Hier iſt die naͤchſte, und gewiſſermaßen die 
wichtigſte aller, die Landesgemeinde oder Pro 
vinzialſynode. Es fraͤgt ſich nun zuvoͤrderſt, wie 
viele ſolcher Landesgemeinden wir annehmen. Von 
den acht Landſchaften oder Provinzen des Reichs er: 
ſcheint zuvoͤrderſt Poſen zu unbedeutend fuͤr eine 
volle Landesgemeinde: wir denken uns alſo ein weſt— 
liches Bisthum (Poſen oder Liſſa) mit Schleſien 
verbunden: ein noͤrdliches (Bromberg nebſt Schoͤn— 
lanke) zu dem angraͤnzenden Preußen geſchlagen. 
Ferner aber ſind Rheinland und Weſtphalen durch 


251 


gemeinſchaftliche Verfaſſung und Entwicklung, und durch 
die gemeinſame Landes-Univerfitaͤt, endlich durch die 
verhaͤltnißmaͤßig beſchraͤnkte Anzahl ihrer evangeliſchen 
Einwohner ganz offenbar beſtimmt, den uͤbrigen evan— 
geliſchen Landſchaften gegenuͤber als Einheit dazuſte— 
hen. Uebrigens behalten wir die ſtaatliche Eintheilung 
bei, insbeſondere weil ſie wirklich volksthuͤmlich und 
kirchliche Perſoͤnlichkeiten ſind, in Geſchichte und in der 
Gegenwart. Aus dieſem Grunde wuͤrden wir nur vor— 
ſchlagen die 4 altmaͤrkiſchen Kreiſe, welche als jenſeits 
der Elbe liegend jetzt zum Großherzogthum Sachſen 
gehoͤren, kirchlich zu Brandenburg zu rechnen, wohin 
ſie nach der ganzen kirchlichen Geſchichte und Ver— 
faſſung gehoͤren. Wir haben hiernach ſehr paſſend fuͤr 
jede Kirchenprovinz eine evangeliſche Landes-Univerſitaͤt: 
N fuͤr Preußen Koͤnigsberg, 

fuͤr Schleſien Breslau, 

fuͤr Pommern Greifswald, 

fuͤr Brandenburg Berlin, 

fuͤr Sachſen Halle, 

fuͤr Rheinland und Weſtphalen Bonn. 
Die theologiſche Fakultät der Landes-Univerſitaͤt be 


252 


ſchickt ihre Landesgemeinde durch zwei Abgeordnete 
aus ihrer Mitte, als Vertreter der Wiſſenſchaft. 
Der ganze Organismus ergiebt folgende Ueberſicht: 
ſechs Kirchenprovinzen, jede mit durchſchnittlich tau— 
ſend Kirchſpielen, 
jede Kirchenprovinz mit durchſchnittlich zehn Bis— 
thuͤmern, 
jedes Bisthum mit durchſchnittlich zehn Dekanaten, 
jedes Dekanat mit durchſchnittlich zehn Kirchſpielen. 
Die großen Einheiten der Kirchenprovinzen und 
der in ihnen ſich darſtellenden Landesgemeinden ſind 
geſchichtlich, national, politiſch gegeben und abge— 
graͤnzt. Dieſe Einheit wird nun dargeſtellt durch 
die Landesgemeinde. Wie der Sprengel oder das 
Bisthum eine feſte Staͤtte verlangt, im gegenwaͤrtigen 
geſellſchaftlichen Zuſtande; ſo auch die hoͤhere land— 
ſchaftliche Einheit. Wir werden alſo in jeder Land— 
ſchaft die Metropole ſuchen, d. h. diejenige Stadt 
der Provinz, welche ſoviel als moͤglich durch Geſchichte 
und Wirklichkeit zugleich, als Mittelpunkt des chriſt— 
lichen Lebens der Provinz angeſehen werden kann. 
Solche ſind etwa: 


40 


« 


[43 


253 


14 


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[73 


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44 


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44 


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suaguixg used hege aun guvjufe gs W 


64 


OT vammo|n? 
Bangagdurk us pooh u 
z I usumwvolne 
:bangusquvaq vangus gu va WM 
8 uouuovlne 
: unuune - unee VÄaammoct U 
07 wowmmmv|n? 
dag U PD W 


e uva ede zZ uv quagpuum — PUNKT OT elne 


:Baagsdiuog usgnaach in 


2534 


Sechs Kirchenprovinzen mit 60 Bisthuͤmern, bei 
annaͤhernd zehn Millionen evangelifcher Einwohner. ) 
Den Biſchof einer ſolchen Metropole nun nen— 
nen wir Metropolitanbiſchof: huͤten uns aber 


*) Bloß zur Veranſchaulichung des hier Geſagten geben wir fol- 


gende Ueberſicht der vorgeſchlagenen kirchlichen Kreiſe. 


Wir 


führen fie in jeder der ſechs kirchlichen Provinzen oder Landes⸗ 
kirchen, nach der Ordnung der Regierungsbezirke auf, mit den 
oben angegebenen Abweichungen. 


I. Preußen. 
Metropole: Königsberg. 
1. Königsberg. 6. Elbing. 
2. Memel. 7. Marienwerder. 
3. Gumbinnen. 8. Marienburg. 
4. Cilſit. 9. Thorn. 
5. Danzig. 10. Bromberg. 
II. Brandenburg. 
Metropole: Brandenburg. 
1. Brandenburg. 7. Stendal. 
2. Berlin. 8. Salzwedel. 
3. Potsdam. 9. Frankfurt⸗Lebus. 
4. Prenzlow. 10. Züllichau. 
5. Neu- Ruppin. 11. Guben. 
6. Havelberg. 12. Cottbus. 
III. Pommern. 
Metropole: Stettin-Cammin. 
1. Stettin. 5. Stolpe. ö 
2. Stargard. 6. Neu- Stettin. 
3. Anclam. 7. Stralſund. 
4. Cöslin. 8, Greifswald. 


255 


wohl, ihm irgend einen Primat oder auch nur den 
Schein deſſelben zu geben. Dieſes naͤmlich machen 


IV. Schleſien. 
Metropole: Liegnitz. 


1. Liegnitz. 6. Schweidnitz. 
2. Glogau. 7. Brieg. 
3. Sagan. 8. Oels. 
4. Görlitz. tie 
5. Hirſchberg. 10. Poſen. 
V. Sachſen. 
Metropole: Magdeburg. 

1. Magdeburg. 6. Naumburg. 
2. Halberſtadt. 7. Eisleben. 
3. Quedlinburg. 8. Zeitz. 
4. Merſeburg. 9. Erfurt. 
5. Halle. 10. Nordhauſen. 

VI. Weſtphalen⸗ Rheinland. 

Metropole: Minden. 

1. Minden. 6. Elberfeld - Barmen. 
2. Bielefeld. 7. Weſel. 
3. Soeſt. 8. Neuwied. 
4. Dortmund. 9. Wetzlar. 
5. Düſſeldorf. 10. Saarbrück. 


Alle hier genannten Städte ſind entweder Sitze von Re— 
gierungsbehörden, oder haben große gelehrte evangeliſche Schulen 
oder andere wiſſenſchaftliche Anſtalten. Ohne beide ſind nur 
drei, übrigens bedeutende und zu Mittelpunkten kirchlicher 
Kreiſe geeignete Städte, nämlich: 

in Brandenburg: Havelberg und Prenzlow: 
im Rheinland: Neuwied: 
Die nähere Begränzung jedes dieſer 60 kirchlichen Kreiſe nach 


256 


wir geradezu dadurch unmöglich, daß wir ihn als 
einen Theil in die Landesgemeinde oder Provin— 
zialgemeinde ſtellen, und alſo dieſer unterordnen. 
Unter den Biſchoͤfen werden wir ihm allerdings den 
Vorſitz in der Landesgemeinde geben muͤſſen. Die 
Synode jedoch waͤhle als geiſtlichen Stellvertreter 
einen der andern Biſchoͤfe der Kirchenprovinz. Als 
oberſte Verwaltungs-Behoͤrde der Landesgemeinde den— 
ken wir uns den Kirchenrath der Metropole mit dem 
Biſchofe an der Spitze: ſo jedoch, daß hier die Zahl 
der Raͤthe verdoppelt ſei, da in dem Kirchenrathe der 
Metropole die Vorarbeiten fuͤr die Provinzialſynode 
gemacht, und zugleich die, gegen die richterlichen Ent— 
ſcheidungen des biſchoͤflichen Kirchenrathes eingelegten 


landräthlichen Kreiſen gehört nicht hierher. Dieß iſt aber eine 
einfache ſtatiſtiſche Aufgabe. Auf Gleichheit des Umfanges aller 
Sprengel einer Kirchenprovinz kann es dabei eben ſo wenig 
angeſehen ſein, als darauf, daß alle Sprengel der Monarchie 
gleich groß ſeien. Die einzelnen Pfarreien, welche in ganz 
überwiegend Eatholifchen Bezirken zerſtreut liegen, denken wir 
uns demjenigen Sprengel zugetheilt, mit welchem ſie am leich— 
teſten in Verbindung geſetzt werden können. Eine Berückſich⸗ 
tigung der Regierungsbezirke ſcheint uns überhaupt bei Abgrän— 
zung der Kirchenkreiſe zwecklos. 


25 


Berufungen gepruͤft werden muͤſſen. Alle vier Raͤthe 
denken wir uns aber auch hier als Weltliche, ſtatt 
des geiſtlichen Aſſeſſors und des geiſtlichen Scriba 
des rheiniſch weſtphaͤliſchen Praͤſidiums . Auf dieſe 
Weiſe entſteht uns der Landes-Kirchenrath, oder 
wenn es dem deutſchen Volke verſtaͤndlicher iſt, das 
Conſiſtorium. Wie nun dem Conſiſtorium im We— 
ſentlichen ſeine jetzigen Thaͤtigkeiten bleiben muͤſſen, 
wenn nicht ſtatt Vereinfachung, Verwicklung entſtehen 
ſoll; fo denken wir uns den Biſchof der Metropole 
durch das Koͤnigliche Vertrauen mit der Verwaltung 
des Patronatrechtes betraut, welches jetzt von den 
26 koͤniglichen Regierungen ausgeuͤbt, alſo als zum 
Aeußerlichen der Kirchenregierung gehoͤrig gedacht 
wird. Wir nehmen an, daß der Metropolitan-Bi— 
ſchof dem Könige für jede Pfarre des Landes, welche 
über 800 Thaler Einkommen hat, und koͤniglicher 
Verleihung iſt, drei Candidaten vorſchlage, aus welchen 


) Auch hierfür finden wir einen Anklang in den Verhandlungen 
der Synode von 1844: nämlich in dem Antrage, daß das Prä— 
ſidium ein Direktorium werde, und der Aſſeſſor Beiſtand, Bei— 
rath und Stellvertreter des Biſchofs ſei. 


17 


der König Einen ernennt. Für die übrigen Pfarrer 
(von 800 Thaler und weniger) denken wir uns den 
Biſchof jedes Kreiſes mit derſelben Befugniß ausge— 
ſtattet. Wir ſehen aber in beiden Faͤllen dieſe Be— 
ſtimmung als eine perſoͤnlich dem Biſchofe zuſtehende 
an: um ſo mehr, da wir das Einſpruchs- und 
Berufungs-Recht der einzelnen Gemeinden 
durch organiſche Formen feſtgeſtellt haben. Die 
Pruͤfung der Candidaten findet ſtatt unter 
Vorſitz des Metropolitan-Biſchofs. Er waͤhlt zu 
Examinatoren, außer den beiden Abgeordneten der 
Facultaͤt der Landes-Univerſitaͤt, noch zwei andre 
geiſtliche Mitglieder der Synode: dieſe ſelbſt endlich 
wählt, durch Stimmenmehrheit, eine gleiche Anzahl 
ſolcher geiſtlicher Abgeordnete. Es waͤre gut, daß 
beſtimmte Zeiten fuͤr die Pruͤfung feſtgeſetzt wuͤrden, 
damit jeder dabei betheiligte Biſchof, ſo oft es ihm 
beliebt, perſoͤnlich oder durch einen der Kirchenraͤthe, 
der Pruͤfung des Candidaten ſeines Sprengels bei— 
wohnen koͤnnte. Findet die Pruͤfung zur Zeit der 
Landesgemeinde ſtatt, ſo koͤnnen natuͤrlich alle Mit— 
glieder der Synode ihr beiwohnen. Der Biſchof, 


259 


zu deſſen Sprengel der Candidat gehoͤrt, hat aber 
außerdem immer das Recht, ſelbſt Fragen und Auf— 
gaben zu ſtellen. Was die laufenden Geſchaͤfte be— 
betrifft; ſo haben zwei der Raͤthe des Conſiſtoriums 
die reinen Verwaltungsgeſchaͤfte, und die zwei an— 
dern die gerichtlichen Amtsthaͤtigkeiten. Dieſe ſind 
erſtlich entweder (wie wir vorgeſchlagen) urſpruͤng— 
lich, oder in Folge von Berufung vom Urtheile der 
Kreisſynode, die Amts-Entſetzung oder Amts-Enthe— 
bung der Geiſtlichen und zweitens die kirchliche Schei— 
dung kirchlicher Ehen. Von dieſen Ehegerichten wer— 
den wir das Nähere ſagen, wenn wir die Verhaͤltniſſe 
der Kirche zum Staate beruͤhren. Was nun die 
Ernennung ſaͤmmtlicher Conſiſtorial-Raͤthe betrifft, ſo 
ſcheint es, daß wir ſie unmittelbar dem Fuͤrſten zu— 
weiſen muͤſſen: jedoch unter der Beſchraͤnkung, daß 
er ſie aus Mitgliedern der Kreisſynode oder der 
Provinzial⸗Gemeinde ernenne. Der Aeltere der Ver— 
waltungsraͤthe, und der Aeltere der Richter ſeien uns 
beide ſtehende Mitglieder der Landesgemeinde: die 
beiden andern waͤhlbar. Den Metropolitan waͤhle 


aber der Koͤnig aus den bereits ernannten Biſchoͤfen. 
17 


* 


250 


Er hat übrigens in feinem Sprengel keine andere 
Rechte, als jeder andere Bifchof, und in der Ver: 
ſammlung nur den Vorſitz und die Entſcheidung bei 
Stimmengleichheit. 

Die Landes gemeinde endlich iſt uns eine 
Verſammlung, welche im Allgemeinen der jetzigen 
Provinzial-Synode von Rheinland und Weſtphalen 
entſpricht. Unſerer Anſicht nach, wuͤrde ſie, dem 
Obigen gemaͤß, ſich etwa folgendermaßen geſtalten. 
Die in der Landesgemeinde zu vereinigenden Elemente 
wuͤrden ſein: 

Erſtlich: Saͤmmtliche, alſo durchſchnittlich zehn 
Biſchoͤfe der kirchlichen Provinz. 

Zweitens: Die beiden Kirchenraͤthe jedes Spren— 
gels kraft ihres Amtes. Fuͤr die Metropole aber nur der 
aͤltere Conſiſtorialrath und der aͤltere Conſiſtorialrichter. 

Drittens: Eben ſo viel geiſtliche als weltliche 
Abgeordnete aus jeder der biſchoͤflichen Kreisgemeinden. 
Ob aber fuͤr jede Klaſſe, wie bisher, Ein Abgeordneter 
zu waͤhlen ſei, oder mehrere das bleibe dahingeſtellt. 
Zwei aus jeder wuͤrden fuͤr dieſe beiden Ordnungen, 
nach jener Durchſchnittszahl 40 ergeben. Wie wir 


261 


nun fuͤr die Kreisſynode den Volks-Schullehrerſtand 
heranziehen zu muͤſſen glaubten; ſo iſt es uns nicht 
zweifelhaft, daß in der Landesgemeinde der Kirche 
der Zukunft die Collegien der Gymnaſial-Lehrer und 
die evangeliſche Facultaͤt der Landes-Univerſitaͤt ver— 
treten ſein ſollte. Die durchſchnittlich zwoͤlf oder 
dreizehn evangeliſchen Gymnaſien der Provinz wuͤrden 
etwa zwei Abgeordnete ernennen: die evangeliſche Facul— 
taͤt eben ſo viele. Auf dieſe Weiſe gewinnen wir folgende 
Ueberſicht der Landesgemeinde oder Provinzial: Synode. 
A. Geiſtliche. 


h 10 
%% % ee 10 
3) die Abgeordneten der Facultaͤt .. .. 232 
4) die Abgeordneten aus den Pfarren der 

dee lden 10 
B. Laien. 


1) die beiden älteren Landes-Kirchenraͤthe. . 2 
2) die beiden Kirchenraͤthe der uͤbrigen Sprengel 20 
3) die Abgeordneten der evangel. Schulcollegien 2 = 
4) die Abgeordneten der Kreisſynoden ... 20 


Durchſchnittliche Geſammtzahl 76. 


262 


Dieſe Mitglieder berathen alle gemeinſchaftlich. 
Bei der Abſtimmung aber ziehen ſich die Biſchoͤfe in 
ihren eigenen Berathungsſaal zuruͤck, um dort noch 
einmal unter ſich die Angelegenheit zu berathen, und 
unter ſich abzuſtimmen. Bei Stimmengleichheit hat 
der Metropolitan-Biſchof, wie oben geſagt, den Stich: 
Entſcheid: neben dem Vorſitze ſein einziges Vorrecht. 
Die Uebrigen ſtimmen zuſammen ab, außer wenn 
mindeſtens zwei Drittel der weltlichen Abgeordneten 
verlangen, daß nach den beiden Ordnungen abgemehrt 
werde. Fuͤr jeden Beſchluß iſt die Vereinigung der 
zwei oder drei Ordnungen nothwendig, nach welchen 
abgeſtimmt worden. Jeder alſo gefaßte Beſchluß be— 
darf natuͤrlich der koͤniglichen Beſtaͤtigung. Aber die 
Befugniß der Abaͤnderung eines zu beſtaͤtigenden 
Synodal-Beſchluſſes koͤnnen wir nicht zweckmaͤßig 
finden. Die Ausfuͤhrung des genehmigten Beſchluſſes 
fällt einzig und allein den kirchlichen Verwaltungs— 
Behoͤrden anheim. 

Wenn das kirchliche Gericht uͤber die Biſchoͤfe 
in dieſe Sphaͤre gehoͤrte, ſo wuͤrde es jedenfalls vor 
die volle Landesgemeinde gehoͤren. Wir würden ale: 


263 


dann etwa folgendes vorſchlagen. Ein Biſchof müßte 
von den uͤbrigen Biſchoͤfen oder uͤberhaupt von den 
Geiſtlichen der Provinz gerichtet werden, wenn er 
durch eine Mehrheit von zwei Dritteln der uͤbrigen, 
geiſtlichen und weltlichen, Mitglieder, oder auch nur 
dieſer letztern allein, in Anklageſtand verſetzt waͤre, 
ſo fern naͤmlich ſeine Lehre und Rechtglaͤubigkeit oder 
ſein kirchliches Leben in Frage ſteht. Ebenſo der 
Kirchenrath. Die Biſchoͤfe koͤnnten ſich rechtliche 
Beiſtaͤnde waͤhlen aus den weltlichen Kirchenraͤthen. 
Allein die ganze Annahme ſcheint uns unzulaͤſſig. 
Einmal paßt das Richteramt nicht fuͤr Geiſtliche. 
Zweitens ſind die Biſchoͤfe nicht von der Synode er— 
nannt, ſondern vom Fuͤrſten, nach dem oben Vorge— 
ſchlagenen: jedenfalls hat die Krone ſie mit einem 
Theil ihrer Rechte betraut, alſo muß ſie auch bei 
dem Verluſte des Amtes betheiligt ſein. Endlich aber 
auch ſcheint die Amtsentſetzung oder Enthebung von 
Biſchoͤfen, fo weit fie kirchlicher Natur iſt, der ober 
ſten Kirchenbehoͤrde vorbehalten bleiben zu muͤſſen, 
und am beſten einer rein richterlichen. 


264 


Anders iſt es vielleicht bei der Frage: ob nicht 
die Synode, auf Vortrag einer, aus den richtlichen 
Raͤthen der einzelnen Sprengel gebildeten Kommiſſion, 
im letzten Zuge uͤber Faͤlle von Amtsentſetzung der 
Pfarrer wegen Amtsvergehen entſcheiden ſollte, durch 
Stimmenmehrheit, falls eine Berufung eingelegt waͤre 
von der Entſcheidung des Landeskirchenraths. 

Wir ſind in alle dieſe Einzelheiten nur deßwegen 
eingegangen, weil wir nur ſo glaubten anſchaulich 
machen zu koͤnnen, wie naturgemaͤß und leicht die 
Scheidung des kirchlichen und ſtaatlichen Regiments 
iſt, ſobald man nur den Wahn gruͤndlich fahren laͤßt, 
daß die Geiſtlichkeit die Kirche ſei, und ohne Ruͤck— 
halt die daraus gefloſſene Anſicht aufgiebt, daß freie 
Kirchenregierung Pfaffenherrſchaft ſein muͤſſe, alſo 
mit der Sicherheit und Freiheit des Staates und 
ſeiner Buͤrger in Widerſpruch ſtehe. Zur Veran— 
ſchaulichung unſerer Ideen, in der oberſten Sphaͤre, 
der Reichs kirche, bedürfen wir nur weniger Worte. 

Die oberſte Verwaltung der evangeliſchen Kirche, 
welche bis jetzt vom Miniſterium der geiſtlichen An— 
gelegenheiten ausgeuͤbt worden, fällt natürlich, ihrem 


28 5 


groͤßten Theile nach, ganz weg. Es bleibt fuͤr die 
koͤnigliche Verwaltungs-Behoͤrde auf dieſem Felde nur 
die polizeiliche (politiſche) Ober-Aufſicht des Koͤnigs, 
und der Verkehr der Regierung mit den Provinzial— 
ſynoden. Dieſer wird theils in Bearbeitung und 
Mittheilung der vom Koͤnige einer ſolchen Synode zur 
Berathung vorzulegenden Antraͤge beſtehen, theils in 
der Einholung der koͤniglichen Beſtaͤtigung oder Ab— 
lehnung der gefaßten Beſchluͤſſe. Was aber die 
oberſte richterliche Entſcheidung in denjenigen Ange— 
legenheiten betrifft, welche nicht in den Landesge— 
meinden erledigt werden koͤnnen; ſo denken wir uns 
hier lieber einen von der Verwaltung ganz getrennten 
kirchlichen Reviſionshof und zwar fuͤr folgende zwei 
Fälle. Erſtlich für die Eheſcheidungs-Prozeſſe, und 
zweitens bei Entſetzung oder Amts-Enthebung eines 
Biſchofs, in Folge eines koͤniglichen Antrages oder 
einer Anklage Seitens einer Provinzial- Synode. 
Was aber die Schlichtung von Streitigkeiten betrifft, 
zwiſchen der Kirche und den Profeſſoren der Theologie 
auf der Landes : Hochichule über Reinheit der Lehre; 
ſo moͤchten wir die Entſcheidung hieruͤber weder dem 


266 


Miniſterium, noch dem kirchlichen Reviſionshof zuge 
wieſen ſehen. Unſern Vorſchlag koͤnnen wir aber 
erſt weiter unten entwickeln, wo von den Ver— 
haͤltniſſen der Kirche zur Wiſſenſchaft die Rede 
ſein wird. 

Wir ſetzen natuͤrlich voraus, daß der Miniſter 
des Koͤnigs der evangeliſchen Kirche angehoͤre, und 
mit ihr in Verbindung ſtehe, als Aelteſter, oder ſonſt 
als kirchlicher Mann. Schon wegen des Vorherrſchens 
des Rechtes in dieſer Sphaͤre wuͤrde ein Geiſtlicher 
fuͤr dieſe Stelle ungeeignet erſcheinen muͤſſen. 

Fuͤr die ihm bleibenden Geſchaͤfte duͤrfte es hin— 
laͤnglich ſein, daß der vom Koͤnige erwaͤhlte evangeli— 
ſche Mann einen vortragenden geiſtlichen und weltli— 
chen Rath (beide natuͤrlich ebenfalls evangeliſche Maͤn— 
ner) unter ſich habe, mit dem erforderlichen Kanzlei— 
perſonale. 

Ueber die Bildung des kirchlichen Gerichtshofes 
iſt es nicht noͤthig, hier in Naͤheres einzugehen. 
Denn daß die Richter kirchliche Maͤnner ſein muͤſſen, 
aber keine Geiſtliche, duͤrfen wir doch wohl kaum 
noch ausdruͤcklich bemerken. 


267 


Mit einem Worte: in der ſtehenden Verwal: 
tung der Reichskirche tritt zweierlei hervor: einmal 
die Thaͤtigkeit einer Abtheilung des Koͤniglichen Mi: 
niſteriums, Behufs der Aufſicht uͤber die Kirche und 
der Ausübung des Hoheitsrechtes im wahren Sinne 
des Wortes: anderntheils die Thaͤtigkeit eines koͤnig— 
lichen Gerichtshofes, der aus Maͤnnern der Kirche 
beſteht, und nach der Verfaſſung der Kirche ent— 
ſcheidet. Als Theil dieſer Verfaſſung ſetzen wir alſo 
die Angabe der Eheſcheidungsgruͤnde voraus: alles 
uͤbrige, die buͤrgerlichen Folgen der Ehe betreffende, 
verbleibt dem gemeinen Rechte und den gewoͤhnlichen 
Gerichtshoͤfen. Wir werden uͤber dieſen Punkt unten 
bei den Eroͤrterungen des Verhaͤltniſſes der Kirche 
zu der buͤrgerlichen Ordnung das Naͤhere beibringen. 

Fuͤr die gewoͤhnlichen Beduͤrfniſſe einer einge— 
richteten und organiſch, nach ſelbſtaͤndigen Sprengeln 
und Landesgemeinden, ſich fortpflanzenden und regie— 
renden Kirche wird es nun kaum der Reichs ge— 
meinde beduͤrfen, von welcher allein uns noch uͤbrig 
bleibt hier zu reden. Regelmaͤßige Zuſammenkuͤnfte 
einer ſolchen Reichsgemeinde feſtzuſtellen, ſcheint alſo 


268 


bei der großen Bedeutung, welche eine folche Ver— 
ſammlung immer haben muß, weder thunlich noch 
raͤthlich. Wohl aber wird, bei außerordentlichen Er— 
lebniſſen der Kirche, namentlich auch im Anfange 
ihrer Bildung, eine ſolche Reichsgemeinde ſich 
nothwendig, und fuͤr die Erhaltung der Einheit 
im Geiſte, hoͤchſt wohlthaͤtig zeigen. Dieß zu ent 
ſcheiden muß aber der Koͤniglichen Weisheit uͤber— 
laſſen bleiben. Den Wunſch einer Reichsgemeinde 
auszuſprechen, und um ihre Berufung zu bitten, 
ſteht natuͤrlich den Landesgemeinden zu. 

Die Bildung einer ſolchen Verſammlung ſcheint 
durch das Vorhergehende in den Hauptpunkten gege— 
ben. Einerſeits werden alle Biſchoͤfe in ihrem per— 
ſoͤnlichen Rechte daran Theil zu nehmen haben: 
andrerſeits eine entſprechende Anzahl von Abgeord— 
neten der Landesgemeinden. 

Wenn wir 60 Biſchoͤfe annehmen; zehn durch— 
ſchnittlich von jeder Kirchenprovinz, fo wuͤrden 12 
Abgeordnete von jeder der ſechs Gemeinden ihnen 
gegenuͤber 72 theils geiſtliche theils weltliche Reichs— 
Aelteſten bilden. Alle dieſe nun ſollten von der 


269 


Geſammtheit der Gemeinde mit Ausſchluß der Bi— 
ſchoͤfe gewaͤhlt werden: ſo jedoch, daß wenigſtens die 
Haͤlfte derſelben Weltliche, Aelteſte im gewoͤhnlichen 
Sinne ſein muͤſſen. Da die Beſchluͤſſe einer Reichs— 
gemeinde im Falle der Koͤniglichen Beſtaͤtigung von 
den Provinzial-Gemeinden und der ganzen Kirche 
anzunehmen ſein werden, welche durch ihre Vertreter 
und Abgeordnete dieſelben gefaßt hat, ſo iſt es noͤthig, 
daß das chriſtliche Volk nur ſolche Geiſtliche dorthin 
ſende, welche ſein Vertrauen haben. 

Die Berathung dieſer 132 Maͤnner, denken wir 
uns wie bei den Landesgemeinden, gemeinſchaftlich: 
die Abſtimmung der Biſchoͤfe aber beſonders. Ohne 
Zuſtimmung der Mehrheit der Biſchoͤfe kann eben ſo 
wenig ein Entſchluß gefaßt werden, als ohne die der 
zwei und ſiebenzig. In dieſen entſcheidet eine Mehr— 
heit von zwei Dritteln. 

Der Koͤnigliche Miniſter wohnte als ſolcher der 
Verſammlung nicht mitberathend bei, ſondern als 
Königlicher Amts-Abgeordneter (Commiſſar): er wäre, 
als Miniſter, das Organ des Koͤnigs bei der Ver— 
ſammlung, und dieſer bei dem Koͤnige. 


220 


Ohne Koͤnigliche Beſtaͤtigung iſt kein Beſchluß 
des Reichskirchenraths guͤltig. 

So ungefaͤhr wuͤrde, unſers Erachtens nach, 
ſich in Anwendung auf Preußen, die Verfaſſung 
einer großen und freien, auf gemeindliche Selbſtaͤn— 
digkeit und die Unabhaͤngigkeit der Verwaltung eines 
Kreiſes oder kirchlichen Sprengels gegruͤndete Kirche 
der Zukunft darſtellen: einer Nationalkirche, welche 
ſich zugleich als einen Zweig der allgemeinen, welt— 
geſchichtlichen, apoſtoliſchen Kirche Chriſti, d. h. der durch 
das Wort und den Geiſt befreiten Menſchheit erkennt. 

Damit nun das bei dieſer Herſtellung Weſent— 
liche nicht mit demjenigen in Eine Reihe geſtellt 
werde, was theils landſchaftliche Beſonderheit iſt, 
theils unſerer eigenen mangelhaften Ausführung an: 
gehoͤrt; ſo wollen wir verſuchen, hier zum Schluſſe 
dieſes Abſchnittes die Hauptpunkte zuſammen zu ſtellen, 
auf welchen, falls unſere Grundlage eine richtige iſt, 
jeder Plan einer ſolchen Herſtellung beruhen muß, 
was auch immer Art und Weiſe, Zeit und andere 
Bedingungen der Verwirklichung eines ſolchen Pla— 


nes ſein moͤgen. 


271 


Erſtlich: Die kirchliche Oberherrlichkeit iſt bei 
der vollen Kirchengemeinde in Geſetzgebung und Re— 
gierung. 

Zweitens: Die volle Kirchengemeinde ſtellt 
ſich nach unten als Ortsgemeinde dar, nach oben als 
Landesgemeinde. Zwiſchen beiden Sphaͤren liegt die 

der unabhaͤngigen Kirche des kirchlichen Kreiſes oder 
| Sprengels, mit dem Biſchof und Kirchenrath, in 
der Mitte. 

Drittens: Die Verwaltung iſt allenthalben in 
den Haͤnden von Vorſtaͤnden, an deren Spitze immer 
ein Geiſtlicher ſteht. So hat der Gemeinde- Vorſtand 
den Pfarrer, der Kirchenrath den Biſchof, der Lan— 
des: Kirchenrath den Metropolitan-Biſchof an der 
Spitze. Sowohl das Amt des Wortes, als da 
Amt der Verwaltung hat neben ſich das Amt der 
Helfer oder Diakonen, nie als Titel, immer fuͤr eine 
organiſche Thaͤtigkeit an und in der Gemeinde. 

Viertens: Jeder Vorſtand hat einen Kreis 
von perſoͤnlichen und koͤrperſchaftlichen Pflichten, fuͤr 
welche er allein verantwortlich iſt. So die Orts— 
gemeinde fuͤr die Wahl der Geiſtlichen, und der Orts— 


272 


pfarrer für die Einſegnung: fo der Bifchof für die 
Einſetzung eines Predigers in das Amt: ſo die Lan— 
desgemeinde fuͤr ihre Beſchluͤſſe. Dieſen Gewiſſens— 
pflichten entſprechen Gewiſſensrechte: alles nach dem 
oberſten Grundſatze aller evangeliſcher Verfaſſung, 
dem allgemeinen Prieſterthum, d. h. der perſoͤnlichen 
ſittlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen. 

Fuͤnftens: Das perſoͤnliche Gewiſſensrecht darf 
eben ſo wenig unterdruͤckt werden, als das koͤrper— 
ſchaftliche. 

Sechſtens: Die kirchliche Verwaltung iſt ganz 
in kirchlichen Haͤnden. 

Siebentens: Die Patronatsrechte des Staates 
find gleich den Patronatsrechten von Privatperſonen 
zu betrachten. Sie duͤrfen nie das Berufungsrecht 
der Gemeinde ganz vernichten. 

Achtens: Bei den Schullehrern wirken Staat 
und Kirche zuſammen. 

Neuntens: Die Regierung hat, als ſolche, 
das Recht der allgemeinen polizeilichen Beaufſichtigung, 
und die Ernennung der hoͤheren Verwaltungs-Beam— 
ten, d. h. des Biſchofs und feiner weltlichen Raͤthe: 


273 


— 


jedoch muß ſie dieſelben aus Maͤnnern der Gemeinde 
nehmen, Aelteſten und Abgeordneten. Den Metro— 
politan:Bifchof wähle der König aus den Biſchoͤfen 
des Reiches, den Landeskirchenrath aus den Kirchen— 
raͤthen. 

Zehntens: Weder die Regierung kann der 
Kirche, noch eine geiſtliche Kirchenverſammlung dem 
Volke und dem Fuͤrſten kirchliche Satzungen auflegen, 
oder das Beſtehende jenſeits der Befugniſſe der Landes— 
gemeinde aͤndern. Wie alle Beſchluͤſſe der Landesge— 
meinde, ſo beduͤrfen auch die der Reichsgemeinde der 
koͤniglichen Beftätigung: außerdem aber kann eine 
Reichsgemeinde ſich nicht ohne koͤnigliche Berufung 
verſammeln, und die Laien haben in ihr ein unbe— 
dingtes Veto. 

Wem es nun bewieſen iſt, daß auf dieſe Weiſe, 
bei liebevollem Entgegenkommen und gegenſeitigem 
Vertrauen von Gemeinde und Fuͤrſten, ein unberech— 
barer Fortſchritt der geſetzlichen Freiheit und des 
Lebens auf dieſem Gebiete gemacht, und die Loͤſung 
einer der ſchwierigſten Aufgaben der Zeit bei uns 


geſchafft werden koͤnnte, — fuͤr den bedarf es eigentlich 
18 


274 


keiner Beantwortung der Frage: was wuͤrden Re— 
gierung und Gemeinden aufzugeben haben 
oder gewinnen? denn beider Belange koͤnnen durch— 
aus nicht als verſchieden gedacht werden. Faſſen 
wir jedoch die Frage nach dem rechtlichen Verhaͤltniß, 
ſo iſt klar, daß die Regierung ſich im Beſitze des 
Rechtes der eigentlichen Kirchenregierung befindet, 
ſelbſt in den presbyterial geſtalteten Landſchaften. 
In den uͤbrigen Landſchaften hat die Gemeinde offen— 
bar nur Rechte zu erhalten, die ihr mangeln. Aber 
ſelbſt die Gemeinden der rheiniſch- weſtphaͤliſchen 
Kirche haben, unſerer Ueberzeugung nach, kein Recht 
aufzugeben, was fuͤr ſie von irgend einem wirklichen 
Werthe waͤre: viel weniger irgend eine Buͤrgſchaft 
gegen Geiſtlichkeit oder Regierung. Worin beſtehen 
die Veraͤnderungen, welche durch eine ſolche Geſtaltung 
der Kirche hinſichtlich der Thaͤtigkeiten der Gemeinden 
und Synoden eintreten wuͤrden? Die Ortsgemeinden 
verlieren nicht allein gar kein Recht, ſondern erwer— 
ben zum erſtenmale eine wirklich freie Verwaltung. 
Ihre Wahlen fuͤr die Kreisſynode bleiben wie ſie ſind. 
Eine neue Kreisgemeinde ſelbſt umfaßt etwa durch— 


275 


ſchnittlich vier bisherige Kreiſe, von durchſchnittlich 
100 Gemeinden, mit 10 Dechanten oder Superin⸗ 
tendenten. Dieſe erwaͤhlt die Kreisſynode auf ſechs 
Jahre, wie bisher die etwa fuͤnf Superintendenten 
des Bezirks. Die Verwaltung wird aber ſtatt des 
bisherigen Superintendenten mit zwei andern Geiſt— 
lichen, als Stellvertreter und Kanzler, von einem 
rein kirchlichen ſelbſtaͤndigen Kirchenrathe gefuͤhrt, in 
welchem ſich nur Ein Geiſtlicher befindet, gegenuͤber 
zwei Aelteſten. An der Spitze deſſelben ſteht naͤmlich 
ein Geiſtlicher, der Biſchof, hervorgegangen aus den 
Dechanten, oder uͤberhaupt aus den geiſtlichen Abge— 
ordneten der Provinzial-Synode, alſo jedenfalls mit 
voller Betheiligung der oͤffentlichen Stimme der 
Landeskirche. Die beiden Raͤthe aber, welche mit 
dem Biſchofe den, bisher von den koͤniglichen Raͤthen 
der Regierung und Conſiſtorium gefuͤhrten Geſchaͤften 
vorſtehen, werden aus den weltlichen Mitgliedern der 
Vorſtaͤnde gewaͤhlt, alſo aus den Aelteſten der Orts— 
gemeinde, oder aus den weltlichen Mitgliedern der 
Kreis: oder Provinzial-Synode: dieſe aber find wie 
der von den Gemeinden gewaͤhlt worden. Aber in 
18° 


276 


welcher andern Machtfülle ſteht dieſer Kirchenrath da, 
im Vergleich mit dem bisherigen Direktorium! Die 
Raͤthe ſind gepruͤfte Geſchaͤftsmaͤnner, an Bildung 
und amtlicher Stellung den koͤniglichen Raͤthen der 
Regierung und Conſiſtorien und den Raͤthen bei den 
koͤniglichen Gerichtshoͤfen gleich: aber ſie ſtehen ganz 
anders ſelbſtaͤndig dem koͤniglichen Miniſterium gegen— 
uͤber. Sie ſind in ihrer Sphaͤre ganz frei, und die 
amtliche Beaufſichtigung uͤber ſie iſt bei der Provin— 
zial-Synode. Die richterliche Gewalt und die ganze 
aͤußere Verwaltung iſt ganz in den Haͤnden dieſer 
weltlichen Raͤthe, und ohne ihren Beirath kann der 
Biſchof nichts thun. Die ganze Verwaltung des 
Sprengels endlich iſt zuvoͤrderſt unter den Augen der 
Kreisſynode. Vor ihr werden die wichtigſten Ange— 
legenheiten beſprochen, ſie beaufſichtigt die Verwal— 
tung, und kann Antraͤge an die Landesgemeinde 
bringen. Dann aber iſt die Verwaltung noch unter 
der oberen Aufſicht dieſer Landesgemeinde ſelbſt, oder 
der Provinzialſynode. Sie nun erhaͤlt erſt jetzt freies 
Beſchlußrecht: ihr geiſtiges Gewicht und Anſehn wird 
gar bedeutend verſtaͤrkt durch die Erfahrung der 


277 


kirchlichen Verwaltungs: Behörden in der Provinz, 
deren Mitglieder in ihr ſitzen: endlich wird ihr Wahl: 
recht eher erweitert als beſchraͤnkt. Statt dreier 
Geiſtlicher ſtuͤnde ihr ein Geiſtlicher vor, mit vier 
weltlichen, aus der Synode oder den Aelteſten 
genommenen weltlichen Raͤthen. Statt eines, mit 
hoͤchſt beſchraͤnkten Befugniſſen der Staatsbehoͤrde ge— 
genuͤberſtehenden Praͤſes, waͤre ferner an die Spitze 
ein Landeskirchenrath geſtellt, kraͤftig und geeignet, 
die gefaßten und genehmigten Beſchluͤſſe auszufuͤhren, 
ohne alle ſtaatliche Beſchraͤnkung oder Mitwirkung. 
Geſetzt alſo, die Ernennung lebenslaͤnglicher Biſchoͤfe 
und Kirchenraͤthe, ſtatt ſechsjaͤhriger Superintendenten 
und Stellvertreter, und die Feſtſtellung einer beſtimm— 
ten Stadt für die Abhaltung einer Provinzial-Synode 
waͤre eine Freiheit der Synode weniger, — was wir 
in Abrede ſtellen muͤſſen, — welcher Vernuͤnftige 
wuͤrde das in die Wagſchale legen wollen? Aber wir 
fragen weiter: wie kann das eine wahrhafte Freiheit 
ſein, was dem eigentlichen Gegenſtande der Freiheit, 
alſo hier der Kirche keinen Vortheil bringt? Daß 
dieß aber weder das eine noch das andere thut, 


278 


vielmehr die Veraͤnderung in jeder Beziehung eine 
erſprießliche ſei, bedarf, ſo ſcheint es, keiner weiteren 
Ausfuͤhrung, ſondern nur einer unbefangenen Auf, 
faſſung. 

Anders allerdings ſieht es mit der Staatsregie— 
rung aus. Ihr bleibt nur jenes Oberhoheits- und all— 
gemeine Aufſichtsrecht, welche ſie in der roͤmiſch-ka— 
tholiſchen Landeskirche, Papſt und Biſchoͤfen gegen— 
uͤber, ausuͤbt. Sie giebt alſo wohlgegruͤndete Rechte 
auf, und ſie allein. Dieß iſt ſo klar, daß kein Ver— 
ftändiger es dem freiſinnigſten Fuͤrſten rathen koͤnnte, 
die Gewalt aus den Haͤnden ſeiner Beamten in die der 
kirchlichen Gemeinden zu legen, wenn die freie Kir— 
chenverfaſſung nicht die Buͤrgſchaft der Ordnung und 
Erhaltung in ſich truͤge. Wahrlich, nicht bloß aus 
Ruͤckſicht auf die Erhaltung ihrer Rechte, nein, auch 
um des gemeinen Wohles willen, duͤrfte keine weiſe 
Regierung ohne ſolche Buͤrgſchaft die Angelegenheiten 
der evangeliſchen Landeskirche dieſer ſelbſt uͤberlaſſen. 
Pfaffenherrſchaft will Niemand: die Zeit ertraͤgt ſie 
nicht, der ganze Geiſt der evangeliſchen Kirche und Be— 
voͤlkerung iſt ihr entgegen. Aber die tief ins geiſtige 


279 


Leben der Nation eingreifende Regierung der kirchlichen 
Geſammtheit durch independentiſche Ortsgemeinden und 
ihre Vertreter, waͤre doch wahrlich noch viel unſiche— 
rer und gefaͤhrlicher! Einer aus ſolchen beweglichen 
und unberechenbaren Elementen gebildeten Verſamm— 
lung, einer ſo organiſirten, ſich ſelbſt verſchlingenden 
und vernichtenden Demokratie, ſollte die Regierung die 
heiligſten Angelegenheiten uͤbergeben? Wahrlich nicht 
deßwegen hat die Vorſehung die Schluͤſſel Zions in 
ihre Haͤnde gelegt, daß ſie dieſelben ſolchen Kirchen— 
herren uͤbergeben ſollte. Nicht deßwegen hat Regie— 
rung und Volk die ſchwierigſte aller Diktaturen uͤber— 
nommen und ertragen, und der Feſſeln der Theologen 
und Dogmatiker ſich entwunden, um in die Herrſchaft 
unvorbereiteter und unerfahrener Gemeinde-Vorſteher 
zu fallen! Es muß eine in ſich wohlbegruͤndete, ja 
es muß eine weltgeſchichtlich bedeutende Organiſation 
ſein, welche an die Stelle unſerer jetzigen, reinen 
oder gemiſchten Diktatur tritt: oder laßt uns alle 
Gott und den Koͤnig bitten, daß es beim Alten bleibe! 

Dagegen darf die evangeliſche Kirche eines jeden 
deutſchen Volkes gewiß mit Grund hoffen, daß die 


280 


Regierung, als eine geſetzliche, vaͤterlich waltende und 
chriſtliche, nicht den Buchſtaben des beſtehenden Rech— 
tes feſthalten wolle gegen das verſtaͤndige und ehrer— 
bietige Verlangen und gegen die gewiſſenhafte Ueber— 
zeugung von Geiſtlichkeit und Volk. Keiner wird in 
diktatoriſchen aus Nothſtand oder Unterdruͤckung her— 
vorgegangenen Rechten eine Staͤrke, alſo in deren 
Aufgeben an eine weiſe geordnete, glaͤubige Gemein— 
deverfaſſung eine Schwaͤchung ihrer Gewalt ſuchen, 
ſondern vielmehr in einem geordneten, ſelbſtſtaͤndigen 
Gemeindeleben einen Zuwachs und den feſteſten Grund 
ihrer Macht erblicken wollen. 


IX. 
Die Herrlichkeit der Aemter der Kirche der 
Zukunft, und die Einſetzung in dieſelben. 
Wir haben verſucht, die drei Aemter der evan— 


geliſchen Kirche der Zukunft, nach den verſchiedenen 
Kreiſen des kirchlichen Lebens von den Ortsgemeinden 


281 


an darzuſtellen, und ihre Thaͤtigkeiten gegenſeitig 
abzugraͤnzen. 

Wer die von uns angefuͤhrten Thatſachen be— 
trachtet, und mit uns von den an die Spitze dieſer 
ganzen Eroͤrterung geſtellten Grundſaͤtzen ausgeht, 
wird jedenfalls darin mit uns uͤbereinſtimmen, daß 
große und herrliche Lebens: Elemente ſich, wie in der 
Gemeinde und ihrem Wirken ſo in den Aemtern an 
denſelben zeigen. 

5 Im Hirtenamt haben wir das Pfarrſyſtem der 
alten Kirche bewahrt, und es durch die Theilnahme 
der Kirchenaͤlteſten entweder bereits verſtaͤrkt und ge— 
ſtuͤtzt gefunden, oder ein entſchiedenes Streben der 
chriſtlichen Gemeinden wie der Pfarrer bemerkt, dieſes 
Element in das gemeindliche aufzunehmen. Wir 
haben geſehen, wie man Seitens der Regierung wie 
der Gemeinden darauf hingeht, die Schaar der Ver— 
kuͤndiger des Evangeliums zu verſtaͤrken durch Pre— 
diger und Pfarrgehuͤlfen, und wie es nicht an einer 
eifrigen, aufopfernden, gebildeten und glaͤubigen juͤn— 
geren Schaar fehlt, um dieſem Beduͤrfniſſe zu ent— 
ſprechen. Hinſichtlich der Huͤlfe in der evangeliſchen 


282 


Belehrung und Erziehung des Volkes aber find wir 
einer, in ihrer Art einzigen, großen Anſtalt begegnet: 
den 17,000 Schullehrern, welche den Pfarrgeiſtlichen 
zur Seite ſtehen, und ihnen in der Gemeinde dienen. 
Was endlich die Lebens-Elemente in der Verwaltung 
des Amtes der kirchlichen Regierung betrifft; ſo haben 
wir ein Syſtem gewiſſenhafter Diktatur Seitens des 
Staates gefunden: daneben, in zwei Provinzen, das 
Geruͤſt einer presbyterianiſchen Kirchenregierung. Wir 
haben in beiden Syſtemen das redliche Beſtreben 
erkannt, die kirchlichen Geſchaͤfte zum Heil und Be— 
ſten der Gemeinde zu betreiben. Wir haben geſehen, 
wie es nur der unheilbare Fehler des Syſtems iſt, 
welcher alle Bemuͤhungen hemmt; und wie dieſer 
Fehler ſelbſt eine Folge vielfachen Ungluͤckes und 
ſchwieriger Verwicklungen der Vergangenheit heißen 
muß. Kurz, wir haben auch hier einen lebensgeſun— 
den Kern getroffen, und zwar von alten wie von 
neuen Elementen. Das Gute und Evangeliſche des 
Syſtems der Geiſtlichkeitskirche ſteht noch da, und 
lebenskraͤftige neue Schoͤßlinge treiben von allen Sei— 
ten und offenbaren das Leben einer hoffnungsreichen 


283 


Zukunft. Am uͤberraſchendſten und bedeutendſten fan— 
den wir dieß auf dem Gebiete der Huͤlfe in der 
kirchlichen Armen- Kranken- und Gefangenenpflege. 
Da trat uns eine begeiſterte Schaar von Maͤnnern 
und Frauen entgegen, welche Anſtalten der huͤlfreichen 
Liebe geſtiftet, zur Beſſerung der Verirrten, zur 
Pflege der haus- und elternloſen Kinder, zum Troſte 
der Kranken und Gefangenen: glaubensvolle Hand— 
werker und ein Chor von Diakoniſſen, welche die 
Werke der barmherzigen Schweſtern der Geiſtlichkeits— 
kirche thun, ohne Geluͤbde, in voller evangeliſcher 
Freiheit, und in der Kraft der freien, weil dankba— 
ren, Liebe. Wer nun bedenkt, wie die Diakonie am 
erſten abſtarb, und wie ſie vorzugsweiſe der Geiſt— 
lichkeitskirche mangelt, weil ſie zu ihrer vollen Ent— 
wicklung die volle Gemeinſchaft der Laien und das 
volle Bewußtſein des allgemeinen Prieſterthums for— 
dert, dem wird es leicht ſein, die weltgeſchichtliche 
Bedeutung der Thatſache zu begreifen, daß unter 
den lebenskraͤftigen Schoͤßlingen des kirchlichen Lebens 
die Diakonie vor allen andern leuchtend hervorragt. 
Dieß iſt das Amt der Liebe, und vorzugs— 


284 


weiſe das Amt der Kirche der Zukunft. Hier 
iſt das werdende Element der zukuͤnftigen Kirche, 
deren Geburtswehen wir alle empfinden, der Ge— 
meinde, auf welche das Seufzen der Kreatur, und 
der immer entſetzlicher ſich uns enthuͤllende Jammer 
der Menſchheit deutet. Hier iſt das Amt, welches 
Allen offen ſteht: hier die Bewaͤhrung des Glau— 
bens, zu welcher jeder berufen iſt: hier die Ue— 
bung des Prieſterthums, zu welcher jede Verfaſſung 
der Kirche Freiheit giebt. Hier iſt der Mittelpunkt, 
aus welchem allein die Verfaſſung dieſer Kirche der 
Zukunft innerlich hervorgehen kann. Alle Unvoll⸗ 
kommenheiten der bisherigen kirchlichen Verfaſſungen 
fließen am Ende nothwendig aus dem Mangel an 
jener Liebe und aus der Schwaͤche des Glaubens an 
ihre weltüberwindende Macht. Der Unglaube hat noch 
nie eine Kirche geſtiftet, am wenigſten wird er, das 
todte Kind der Vergangenheit, im Stande ſein, die 
Kirche der Zukunft zu ſchaffen. Der Sklave des 
Ich „des dunkeln Despoten“ kann die Form des 
Lebens der Freiheit weder begreifen noch lieben. Aber 
der Glaube, der in der Liebe thaͤtig iſt, der vermag 


285 


es: ja, er allein vermag das verſtorbene Leben des 
Glaubens wieder zu erwecken und die uͤberlieferten 
goͤttlichen Thatſachen zu einem neuen, lebendigen 
Verſtaͤndniſſe zu fuͤhren. Abgeſtorbene Formen irdi— 
ſchen Daſeins zu beleben, heißt abgethane Werke 
wieder thun wollen. Das iſt aber gegen die göttliche 
Weltordnung: eine neue Zeit kann das Gute nur 
thun (d. h. das Reich Gottes nur foͤrdern), indem 
ſie es nach einem hoͤheren Prinzipe thut: das Hoͤchſte 
aber iſt der Geiſt, der in Liebe und Freiheit handelt: 
Vollkommenes wird nie auf dieſer Erde, weder in 
Kirche noch Staat ſich bilden laſſen: in Suͤnden wird 
alles menſchliche empfangen und geboren, und die 
Suͤnde klebt auch dem Hoͤchſten und Heiligſten an. 
Aber deßhalb kann auch keine Zeit weniger thun, 
als ſich in dem verſuchen, was ihr aufgetragen iſt: 
und die Aufgaben ſteigern ſich in der Weltgeſchichte. 
Immer hoͤhere Gegenſaͤtze ſind zu uͤberwinden, und 
in hoͤherer Einheit zu verknuͤpfen, und die hoͤchſte 
Einheit, die einzige menſchliche Loͤſung aller Gegen— 
ſaͤtze iſt die einzige bis jetzt noch nirgend ernſtlich 
verſuchte: die der thaͤtigen Liebe, und alſo die der 


286 


Freiheit: denn die Liebe kennt keinen Zwang. Die 
Zeit und das Volk, welchen hiernach das Herz ent— 
brennt, hat die Kirche dieſer Zeit eingenommen, und 
reißt die Lade des neuen Bundes an ſich. Sie findet 
von hier aus leicht die zerſprengten Elemente einer 
freien, nationalen und kirchlichen Verfaſſung wieder. 
Denn die wahre Staatsweisheit der Kirche wird 
nicht aufhoͤren, wenn das Amt der Liebe in ſeine 
Rechte eingeſetzt ſein wird. Ja, es bedarf in der 
Kirche der Liebe umgekehrt noch mehr erleuchteter 
Ueberlegung, noch reiferer Erfahrung, damit die in 
Zeit und Volk liegenden Formen fuͤr das kirchliche 
Leben gefunden und bewahrt werden. Das levitiſche 
Prieſterthum bedurfte einer großen Umhegung, und 
das Prieſterthum der Geiſtlichkeit der griechiſch-roͤmi— 
ſchen Kirche hat ſich nicht halten koͤnnen ohne ſtarres 
kanoniſches Recht, ja meiſt nicht ohne das Schwert 
des weltlichen Armes. Das allgemeine Prieſterthum 
bedarf beides fo wenig als es fie vertraͤgt. Aber es 
bedarf doch, ſo lange die Reiche dieſer Welt beſtehen, 
eines Hegens und Schuͤtzens in Weisheit und Sorg— 
falt, damit der Einzelne vor Verwirrungen bewahrt, 


und das geſunde Leben des Geiſtes in der lebendigen 
Wechſelwirkung des Verkehrs mit Gott und den 
Bruͤdern erhalten werde. 

Alſo einer freien Verfaſſung iſt die evangeliſche 
Kirche der Gegenwart beduͤrftig, wenn ſie wieder be— 
lebt werden ſoll, was fuͤr den Glauben heißt, daß 
ſie deren faͤhig iſt. Aber wie nicht um ihres Unglau— 
bens willen ſondern ihres Glaubens wegen, ſo auch 
nicht hin zu der falſchen Freiheit, d. h. der blinden 
Herrſchaft der Selbſtſucht und des Unglaubens, ſon— 
dern hin zu dem Leben der wahren Freiheit in glaͤu— 
biger Liebe. Dieſer Glaube allein iſt faͤhig, die 
Feſſeln der ſchmaͤhlichen Knechtſchaft zu brechen, in 
welcher die Kirche der Gegenwart gefangen liegt: er 
allein auch ſprengt die Thore der Zukunft und bahnt 
den Weg zu der Kirche der Liebe und Freiheit. 

So viel hier, um zu zeigen, daß die Thore 
allen Herzen offen ſtehen, die ſich in Glauben und 
Liebe ſehnen nach dem Frieden der Kinder Gottes 
und der vollen Erloͤſung der Menſchheit; zugleich 
aber auch um die Unheiligen und Thoren, welche 
eine Kirche haben wollen ohne Glauben und ohne 


388 


ohne Opfer (Hingebung), von dem groͤßten Heilig— 
thume der Menſchheit abzuwehren, und unſre Sache 
von der ihrigen zu trennen. 

Die evangeliſche Kirche Deutſchlands hat alfo 
in ſich alle Elemente fuͤr die Herſtellung der drei 
Aemter der Kirche, deren Truͤmmer die mittelalterliche 
Kirche bewahrt und deren vollere und freiere Entwick— 
lung die Kirche der Zukunft erfordert. Sie hat das 
ehrwuͤrdige Alte bewahrt als ihren weltgeſchichtlichen 
Anknuͤpfungspunkt, und ſie beginnt taͤglich mehr ſich 
bewußt zu werden der neuen in die Zukunft des 
Reiches Gottes hinausreichenden Lebens-Elemente, die 
ſie in ihrem dreihundertjaͤhrigen Erdenwandel in ihrem 
Schooße entwickelt. Sie hat bewahrt das doppelte 
Zeugniß vom geſchichtlichen Chriſtus, und ſie hat 
dazu den Geiſt, den hoͤchſten aller drei Zeugen: denn 
der Geiſt iſt Wahrheit. (1. Joh. 9.) 

Wie aber ſollen die Aemter der Kirche der Zu— 
kunft in die Gemeinde eintreten? Wir antworten: 
nach allgemeinem Gebrauche und Gefuͤhle der geſamm— 
ten Chriſtenheit: das heißt, erſtlich oͤffentlich, vor 
der Gemeinde, und zweitens als vor einer chriſtlichen, 


289 


kirchlichen Gemeinde, und als zu einem kirchlichen 
Amte, mit Gebet und Segen. 

Auch hier hat die rheiniſch- weſtphaͤliſche Kirche 
uns ein ſchoͤnes Lebens-Element gegeben. Sie beſitzt 
eine ſehr wuͤrdige und feierliche Einſetzung fuͤr die 
Gemeinde- Aelteſten und Diakonen. Uns wird dieſe 
Einſetzung natuͤrlich in zwei ganz verſchiedene zerfal— 
len, weil Aelteſte und Diakonen verſchiedene Aemter 
und Thaͤtigkeiten haben. Aber wir fuͤhren mit einer 
ſolchen Theilung nur weiter aus, was jene Kirche 
angefangen. Wir gehen nur auf demſelben Wege 
weiter. Nach uns ſollte eben ſowohl auch der 
Schullehrer feierlich vom Pfarrer eingeſetzt werden, 
mit aͤhnlichem Gebete und Segen, wie die Diakonen 
am Worte und an der Verwaltung. 

Wenn nun dieſe, wie dann nicht die Mitglieder 
des Kirchenrathes durch den Vorſtand der Kreisge— 
meinde? Sie haben andere Thaͤtigkeiten, andere 
Pflichten, andere Rechte. Ihre Thaͤtigkeit und das 
Gedeihen ihres Amtes iſt der Gemeinde gewiß eben 
fo wichtig, als die des Gemeinde- Vorſtandes. Alf 


muß endlich wohl auch der Biſchof eingeſetzt werden. 
19 


290 


Wir wollen ja grade gegen das Vorurtheil anderer 
Kirchen proteſtiren, d. h. ein chriſtliches Bekenntniß 
ablegen, und dem daraus erwachſenden Aberglauben 
nach Kraͤften ſteuern, naͤmlich als haͤtte der Geiſtliche 
als ſolcher, ausſchließliches Standesrecht fuͤr die Re— 
gierung der Kirche in Anſpruch zu nehmen. Dieß 
alles wird aber doch wohl am ſicherſten und eindring— 
lichſten dadurch erreicht, daß ihm die Kirche zu dem 
neuen Amte eine neue Einſetzung giebt, gerade ſo gut 
wie den ihm zur Seite ſtehenden Kirchenraͤthen. 
Wir haben uns bei allen bisherigen Auseinan— 
derſetzungen abſichtlich aller gelehrten Nachweiſungen 
ja ſo viel als moͤglich aller Schulausdruͤcke enthalten. 
Denn was huͤlfe uns aller Beweis, daß es in alter 
Zeit alſo geweſen und alſo geheißen, ja ſelbſt in 
apoſtoliſcher Zeit, wenn es unſerer Wirklichkeit, un⸗ 
ſerem Bewußtſein nicht mehr entſpraͤche? Es giebt 
in der Kirche kein bleibendes Recht ohne Wahr— 
heit, und keine Wahrheit ohne klares Schrift: 
wort und deſſen wahr- und weſenhafte, alſo gei— 
ſtig wahre Anwendung und Bethaͤtigung. Aber 
wir wollen hier doch bemerken, daß unſer Vorſchlag 


291 


nicht mehr und nicht weniger thut, als den Grund: 
gedanken der Reformatoren ins Leben zu fuͤhren, auf 
deren Grund und Boden wir uns geſtellt haben. Die 
evangeliſche Kirche hat den alten Grundſatz: keine 
Einſetzung ohne Amt! bei den Geiſtlichen wieder 
in vollem Sinne zur Wahrheit gemacht. Wir machen 
den Grundgedanken aber erſt wirkſam, wenn wir 
jenen Satz umkehren und ſagen: kein Amt ohne 
Einſetzung! Wollte man nun dieſe Einſetzung Or— 
dination nennen: ſo waͤre das ſprachlich ganz richtig: 
denn Ordination iſt nichts als ein dem roͤmiſchen 
Kaiſerreiche entlehnter Ausdruck, die damalige geſetz— 
mäßige und übliche Bezeichnung für Amts-Einſetzung 
eines geehrten Beamten: und das iſt urſpruͤnglich 
die kirchliche Bedeutung, wie Eichhorn und Rothe 
beide nachgewieſen. Aber vielleicht erſcheint es doch 
zweckmaͤßig zu beruͤckſichtigen, daß dieſer Ausdruck 
nun einmal geſtempelt iſt fuͤr die kirchliche Einſetzung 
des Geiſtlichen, als ſolchen, in ſein heiliges Amt, 
das Amt des Wortes. Wenn wir alſo nur dieſe 
Einſetzung und keine andere, Ordination nennen; ſo 


machen wir es gewiß dem chriſtlichen Volke leichter, 
19 * 


292 


einzuſehen, daß auch in der vorgeſchlagenen Verfaſ— 
ſung die Kirche nur Eine Ordination hat, daß im 
Amte des Wortes es nur Einen Beruf giebt. Aller: 
dings wuͤrde dieß auch wahr ſein, wenn wir alle 
kirchlichen Einſetzungen Ordinationen nennten. Denn 
wenn Jemand nur fuͤr ein beſtimmtes Amt, das er 
bisher noch nicht bekleidet hat, eine beſtimmte Ordi— 
nation empfinge; ſo zeigte eine neue Ordination zum 
Beiſpiel fuͤr das Biſchofsamt, daß ihm eine Gewalt 
uͤbertragen werden ſoll, die er als Pfarrer nicht hat, 
noch als Geiſtlicher ausſchließlich anſprechen, noch ſich 
geben oder von ſeinen Standesgenoſſen allein geben 
laſſen kann, ſondern die in der Gemeinde ruht. Es 
iſt an ſich alſo nur weſentlich, daß die Einſetzung ſo 
geſchehe, daß das Recht der vollen Gemeinde ſich 
dabei darſtelle. Die Gemeinde iſt ſich das um ſo 
mehr ſchuldig, weil ſie dieſem ihrem Beamten das 
Gewiſſensrecht bei der Einſetzung anderer Diener des 
Wortes zugeſteht. Aber warum ſollen wir das an 
ſich ſchon fremde Wort noch für etwas anderes brau— 
chen, als wofuͤr es einmal geſtempelt iſt. 


293 


Wir halten alſo feſt: jedes kirchliche Amt hat 
ſeine kirchliche Einſetzung. Die Einſetzung eines 
Geiſtlichen, als Verkuͤndigers des Wortes und als 
Seelſorgers, die Einſetzung ins Hirtenamt, heißt 
aber Ordination, und fie allein. Sie kann nie wie 
derholt werden, denn das Amt iſt nur Eines. 

Die übrigen Einſetzungen nennen wir Einſeg— 
nungen oder Weihen, beides nach kirchlichem Sprach— 
gebrauche, oder wie man will. Die ſaͤmmtlichen 

Einſetzungen ſind nun folgende: 


1. Für Weltliche. 


1. Einſegnung der Helfer in der gemeind— 
lichen Verwaltung, welcher Art die Huͤlfe ſei: an 
Wort, Lehre oder Verwaltung. Dieß iſt alſo die im 
Ganzen gemeinſchaftliche Einweihung fuͤr gepruͤfte 
Candidaten des Predigamtes, fuͤr Schullehrer, fuͤr 
Helfer in der Armenpflege und aͤhnlichen Zweigen der 
huͤlfreichen Liebe. Alle ſind Diakonen: aber der kuͤnf— 
tige Geiſtliche iſt beſtimmt, nachdem er die Pflichten 
dieſes Amtes erfuͤllt, zur Seelſorge (dem eigentlichen 
geiſtlichen Stande) fortzuſchreiten. 


294 


2. Einſegnung der Aelteſten in der Orts— 
gemeinde. 

3. Einſegnung der Kirchenraͤthe. 

II. Für Geiſtliche. 

1. Einſegnung eines Candidaten des Predigt— 
amtes (Diakonen am Worte) entweder zum Huͤlfs— 
ſeelſorger (Pfarrer) oder zum ſelbſtaͤndigen Seelſorger 
bei einer beſtimmten Ortsgemeinde. Dieſe Einſetzung 
alſo, wodurch der Diakonus Pfarrer wird, iſt die 
eigentliche Ordination. 

2. Einſegnung eines Geiſtlichen zur Verwal— 
tung der Kreisgemeinden. Die Metropolitanbiſchoͤfe 
erhalten von der Kirche nichts Neues: ſie ſind dieſer 
nichts als Biſchoͤfe, obwohl der Landesherr ihnen 
bedeutende Rechte uͤbertraͤgt. Sie beduͤrfen alſo nur 
einer Einfuͤhrung. Eben ſo ſind die Verwaltungs— 
und richterlichen Befugniſſe der Landeskirchenraͤthe die— 
ſelben welche die Kirchenraͤthe beſaßen, obwohl in 
erweiterter Sphaͤre. Wir nehmen aber an, daß in 
Zukunft jeder Metaprolitanbiſchof ſchon fruͤher Biſchof 
geweſen, jedes Mitglied des Conſiſtoriums ein Mit— 
glied des Kirchenraths. 


295 


Wenn nun der Pfarrer die Diafonen und die 
Aelteſten eingeſetzt; fo wird der Biſchof die geprüften 
und zum Pfarramte berufenen Prediger einſetzen: d. 
h. er wird ſie ordiniren. Den Biſchof aber werden 
mehrere Biſchoͤfe einſetzen, den Metropolitanbiſchof 
andere Metropolitane. Allein hier wieder moͤchten 
wir vorſchlagen, daß wie dem Pfarrer Aelteſte bei— 
ſtehen ſollten bei ſeiner Einſegnung, ſo dem Biſchofe 
Aelteſte und Pfarrer, ſo dem Metropolitan Aelteſte, 
Pfarrer und Biſchoͤfe. 

Auch in allen dieſen waͤre es leicht zu beweiſen, daß 
die Einrichtung, welche uns unmittelbar aus der Natur 
der Sache hervorgeht, d. h. aus der Verbindung der Be— 
duͤrfniſſe der Gegenwart mit den Grundſaͤtzen der Refor— 
mation, doch auch zugleich in Geiſt und Weſen eine Her— 
ſtellung der aͤlteſten Kirchenverfaſſung ſei, deren Bruch— 
ſtuͤcke ſich zerſtreut und unverſtanden in den uͤbrigen kirch— 
lichen Gemeinſchaften wiederfinden. Allein wir uͤbergehen 
dieſes alles, und wenden uns zur Betrachtung der alſo 
geſchiedenen und eingeweihten Aemter der Kirche zurück, 

Es gilt in dieſer Zeit ein Zeugniß abzulegen 
fuͤr das allgemeine Prieſterthum, und kein Zeugniß 


296 


iſt fo eindringlich als das einer wiederkehrenden, 
bewußten, unmißverſtaͤndlichen, öffentlichen That. 

Allein die Kirche der Zukunft hat noch ein gro: 
ßeres, wichtigeres Zeugniß vor der chriſtlichen Mir 
und Nachwelt: naͤmlich bei ihrem Eintritte in die 
Welt, als eine freie und vereinigte Landeskirche im 
Vaterlande der Reformation. Das Amt der Regie— 
rung iſt das vorzugsweiſe katholiſche, d. h. allgemeine, 
in der Erſcheinung und im Verkehre jenſeits der 
Schranken des ſtaatlichen Verbandes. Dieß Amt 
hat die Kirche der Zukunft in ſich, waͤhrend es die 
jetzige außer ſich hat. Das Eintreten dieſes Amtes 
in die Wirklichkeit iſt alſo eine bedeutende That— 
ſache, eine geſchichtliche That in der geſammten Chri— 
ſtenheit. Es iſt nicht bloß eine gemeindliche, oder 
nationale, es iſt eine allgemein menſchlich bedeu— 
tende Begebenheit. 

Wir muͤſſen dieſen Punkt alſo noch ganz beſon— 
ders in's Auge faſſen. — 


297 


X. 


Das Verhältniß der neuen Diſchöfe zu andern 
Kirchen, oder der Eintritt der Kirche der 
Zukunft in die Chriſtenheit. 


Wie denn, (ſo hoͤre ich manche fragen) treten 
die Biſchoͤfe der neuen Kirche in die Wirklichkeit ein? 
Wie ſtellen ſie ſich zu den Biſchoͤfen der Geiſtlich— 
keitskirche? Treten ſie ins Leben durch einen Cabinets— 
befehl, oder durch einen ſtaͤndiſchen Beſchluß, oder 
durch Beſchluß und Einſetzung der Provinzial-Synode, 
oder durch fremde Weihen? Auch hier wollen wir 
mit voller Freiheit antworten, was wir denken. Aller— 
dings ſoll unſere volksthuͤmliche Kirche der Zukunft 
ſich zugleich als eine ſolche darſtellen, welche die all⸗ 
gemeine (katholiſche) Chriſtenheit, die glaͤubige Menſch— 
heit und die Einheit des goͤttlichen Heilandes ernſt 
und liebevoll im Herzen traͤgt. Sie wird alſo ihren 
Anknuͤpfungspunkt einerſeits in dem volksthuͤmlichen 
Rechte und im Beſtehenden ſuchen, andrerſeits in der 


298 


großen weltgefchichtlichen Enwicklung der Kirche Chriſti. 
Beides zuſammen iſt der geſchichtliche Grund und 
Boden ihres kirchlichen Rechtes. Jede evangeliſche 
Landeskirche, namentlich die deutſche, hat dieſen ka— 
tholiſchen Anknuͤpfungspunkt in ſich erhalten: ſogar 
aͤußerlich, in der Ueberlieferung des Amtes. Die 
neue, freie Kirche iſt eine gemeindliche: ihre Ver— 
faſſung muß alſo nicht gemacht werden von dem 
Kirchenrechte untergegangener Vergangenheit; unter— 
gegangen aber iſt fuͤr ſie der Buchſtabe des Rechtes 
der geiſtlichen Koͤrperſchaft, welche darin als Kirche 
und Rechtsperſon geſetzt iſt. Die neue Kirche wird 
uͤberhaupt nicht vom alten Kirchenrechte gemacht, 
ſondern ſie macht ſelbſt das neue Kirchenrecht; und 
das von Gottes und Rechts wegen. 

Wir haben uns ſchon oben zu der Lehre eines 
großen Vaters der engliſchen Kirche bekannt, daß die 
Gemeinde (das glaͤubige Volk) im Falle eines Abfal— 
les der Geiſtlichkeit vom Glauben das Recht hat, 
ſelbſt das Amt des Worts aus ſich hervorgehen zu 
laſſen. Und zwar deswegen, weil ſie die Pflicht hat, 
es zu thun. Sie muß, will ſie ein Theil bleiben am 


5 299 


Leibe Chriſti, (der in die göttliche Koͤrperſchaft auf: 
genommenen Menſchheit) das apoſtoliſche Amt des 
Wortes, wie Evangelium und Apoſtel es geben, wie— 
derherſtellen, dabei vor Gott und Menſchen bezeu— 
gend, daß ſie ſich von jener Geiſtlichkeit losgeſagt, 
um dieſes Evangeliums und dieſes Glaubens willen. 
Allein es iſt eine merkwuͤrdige Thatſache, daß keine 
evangeliſche Kirche ſich je in dieſem Nothfalle befun— 
den hat. Umgekehrt die evangeliſche Reformation 
ward allenthalben durch die Verkuͤndiger des Wortes 
gemacht, obwohl nur in England mit Beiſtimmung 
der Biſchoͤfe. Alle haben aber immer das Amt des 
Worts, welches ſich zum Evangelium bekennt, mit 
Ehrfurcht und Liebe bewahrt, und von Geſchlecht zu 
Geſchlecht ſorgſam, mit Gebet und Segen, vor der 
Gemeinde uͤberliefert. Um ſo weniger kann es aber 
eine Frage ſein, daß eine jede ſolche Landeskirche, 
mit ihrem evangeliſchen Landesherrn, oder, wenn der 
Landesherr eines andern Bekenntniſſes iſt, allein, unter 
dem Schutze der Gewiſſensfreiheit, das Recht hat, 
als ſolche, und kraft des Amtes des Wortes das in 
ihr iſt, das Amt der kirchlichen Regierung aus ſich 


300 


ſelbſt hervorgehen zu laſſen. Denn wer haͤtte eine 
geiſtliche Gewalt oder Recht anzuſprechen uͤber die 
von einem freien, ſelbſtaͤndigen Volke getragene freie 
Gemeinde Chriſti? Wer duͤrfte ein chriſtliches Bru— 
dervolk behandeln und anſehen wollen, wie Juda's 
Prieſterthum das von Iſrael? Wer das thate, ent: 
aͤußerte ſich ſelbſt des evangeliſchen Glaubens, und 
machte ſich zum folgewidrigen Papiſten oder zum 
heimlichen Juden. 

Es iſt klar, daß Gott chriſtliche Staaten haben 
will, und ihnen die Herrſchaft der Welt gegeben hat. 
Die evangeliſche Landeskirche eines chriſtlichen Staa— 
tes theilt, wie ſeine Verantwortlichkeit vor Gott und 
Nachwelt, ſo auch ſeine Oberherrlichkeit. 

Allerdings gruͤndet die landesherrliche Ertheilung 
des Biſchoftitels, wie dieſe in Daͤnemark und Preu— 
ßen Statt gefunden, ſo wenig eine biſchoͤfliche Kirche, 
als das Biſchofsamt ein Titel oder ein ſtaatliches 
Amt if, Bei einer ſolchen aͤußerlichen Negierungs: 
handlung laͤßt ſich auch nicht erwarten, daß andere 
Kirchen, wenn gleich deſſelben Glaubens, auf die 
chriſtlichen Aeußernngen, oder ſelbſtaͤndige chriſtliche 


301 


Mitwirkung einer ſolchen Kirche, vermittelſt ſolcher 
Biſchoͤfe irgend ein Vertrauen zeigen wuͤrden. Eben 
ſo wenig duͤrfte dies der Fall ſein, wenn eine Ge— 
meinde oder eine Koͤrperſchaft von Aelteſten, Beamte 
ohne perſoͤnliches Gewiſſensrecht, unter dem Namen 
von Biſchoͤfen ſcheinbar an die Spitze der Kirche 
ſtellte: wie die Herrnhuter. Aber ſo wie beiden For— 
derungen genuͤgt wird, indem einestheils dem Titel 
ein Amt der Verantwortlichkeit, eine Freiheit entſpricht, 
und anderntheils dieſes Amt aus der beſtehenden 
Kirche, als einer Gemeinde hervorgeht; ſo ſteht die 
Sache, wie oben geſagt, ganz anders zu Recht, und 
ganz anders in der Wirklichkeit. 

Jede beſtehende Landeskirche hat aber ihr Recht 
und ihre Freiheit nicht bloß deßwegen zu wahren, 
weil ſie ſonſt anerkennen wuͤrde, daß ihre eigne Ver— 
gangenheit bisher ungeſetzlich, ihr Amt des Wortes 
bisher unapoſtoliſch geweſen, ſondern auch um eines 
guten chriſtlichen Bekenntniſſes vor Gott und Men— 
ſchen willen. Durch Anerkennung jener Anſpruͤche 
und jenes Rechtes der Oberherrlichkeit einer, außer 
ihrer Volksthuͤmlichkeit ſtehenden Kirche, wuͤrde ſie 


302 


eine große Unwiſſenheit an den Tag legen, oder die 
Mitſchuld einer großen Suͤnde auf ſich laden. Jedes 
Binden des Amtes an eine gewiſſe Kaſte, iſt eine 
Verkennung eben ſo wohl des allgemeinen menſchlichen 
Charakters des Chriſtenthums und der Allgemeinheit 
des Prieſterthums der Glaͤubigen, als der Selbſtaͤn— 
digkeit jeder chriſtlichen Nation in kirchlichen Dingen. 
Das Chriſtenthum wuͤrde nicht goͤttlicher Natur ſein, 
wenn feine Fortdauer an levitiſch-bevorrechtete Per: 
ſonen gebunden waͤre: und die Gemeinde haͤtte nicht 
den Geiſt empfangen, der ihr verſprochen worden, 
wenn es der Willkuͤhr irgend einer Klaſſe Menſchen 
außer ihr beduͤrfte, um ihr ein Recht in der geſchicht— 
lichen Kirche Chriſti zu geben, und einen Sitz auf 
den Thronen im Reiche Gottes. Ja wozu waͤre 
das ewige Wort Menſch geworden, wozu haͤtte Chri— 
ſtus den Tod am Kreuz erlitten, wenn nicht jener 
Fluch des Geſetzes und der aͤußerlichen Satzungen 
haͤtte von uns genommen, und die Menſchheit von 
den armſeligen Elementen der Welt befreit werden 
ſollen? Man muß nach unſerer Ueberzeugung das 
Evangelium und die apoſtoliſchen Briefe umſchreiben 


303 


und die ganze Kirchengeſchichte verdrehen, um der: 
gleichen in unſerer Zeit laͤugnen zu koͤnnen. Auch 
waren die großen Maͤnner des ſechszehnten Jahrhun— 
derts, ganz augenſcheinlich vom goͤttlichen Geiſte ge— 
trieben und geleitet, ſaͤmmtlich daruͤber einig, und es 
gehoͤrt dieß mit zu den ſchlagendſten Beweiſen des 
goͤttlichen Geiſtes, der in den Reformatoren und 
ihrem ganzen Geſchlechte war, daß Niemand die 
Rechte der Gemeinde in dieſer Beziehung tiefer und 
beredter ausgefuͤhrt, als Jewett, engliſcher Biſchof 
zu jener Zeit, und ein Geſchlecht ſpaͤter Hooker, 
der Geiſtliche und Vertheidiger der biſchoͤflichen 
Kirche Englands, im letzten ſeiner acht Buͤcher uͤber 
die Kirchenverfaſſung. Dieſe Wahrheit zu verdunkeln, 
und allmaͤhlig das Gegentheil feſtzuſetzen, dazu be— 
durfte es des Unterganges der beiden folgenden Ge— 
ſchlechter des Zeitalters der Reformation in Blutver— 
gießen, in Verfolgung und Unterdruͤckung der Feinde, 
und in jaͤmmerlichen Streitigkeiten der Theologen: 
bedurfte es jenes entſetzlichen ſiebenzehnten Jahrhun— 
derts, welches das ſechszehnte begraben, und ſich ſei— 
nen eignen Schand- und Leichenſtein vom achtzehnten 


* 


304 


hat ſetzen laſſen. Aber es iſt dagegen eine wahrhaft 
troͤſtliche Erſcheinung, daß in unſerm Jahrhundert 
Niemand die Wahrheit vom allgemeinen Prieſter— 
thum der Chriſten ſo lebendig aus dem Herzen der 
Chriſtenlehre aufgefaßt, und ſo kraͤftig, eindringlich 
und faßlich geltend gemacht gegen die Anſpruͤche 
der Geiſtlichkeitskirche als wiederum ein Geiſtlicher 
der biſchoͤflichen Kirche Englands — Arnold. Jene 
Wahrheit war der Mittelpunkt feines ganzen chrift: 
lichen Denkens und Forſchens, der tiefe und uner— 
ſchuͤtterliche Glaubensgrund feiner kirchlichen Weber: 
zeugung. Der Geiſt dieſes ehrwuͤrdigen Apoſtels der 
freien Kirche der Zukunft iſt heimgegangen, ehe er 
das Werk ſeines Lebens, das Buch von der Kirche 
vollendet. Er iſt von uns genommen, ehe der ſchwere 
Kampf nach beiden Seiten recht begonnen. Aber er hat 
ſeinem Volke, deſſen Liebe und Verehrung ſein ſchoͤnſtes 
Denkmal iſt, und uns allen ein lebendiges und leben— 
zuͤndendes Zeugniß zuruͤckgelaſſen, nicht allein in ſei— 
nen Schriften, ſondern in ſeinem ganzen Leben: das 
Bild eines erleuchteten, treuen unſelbſtſuͤchtigen 
Strebens nach chriſtlicher Wahrheit, und eines Gei— 


305 


fies der Liebe und Demuth nicht weniger als der 
Freiheit und der Kraft. 

Wenn dem alſo iſt, wie viel weniger kann ein 
Zweifel ſein, daß eine große evangeliſche Landeskirche, 
welche das empfangene apoſtoliſche Amt des Wortes 
zuerſt vor allen gegen Biſchoͤfe, Pabſt und Kaiſer 
mit Muth gerettet, und gegen deren vereinte Macht 
mit Treue erhalten, vor den Augen Gottes und der 
Gemeinde von einem Geſchlechte zum andern uͤber— 
liefert, welche eine ununterbrochene Reihe von Zeugen 
des Geiſtes und der Kraft hervor gebracht hat, 
welche in unſern Tagen ſich unter der unbeſchraͤnkten 
Freiheit des Gedankens und der Speculation, ſowie 
unter dem ſchamloſen Aufdraͤngen der Erben des 
materialiſtiſchen Atheismus der franzoͤſiſchen Encyklo— 
paͤdiſten, nicht allein erhalten hat, ſondern erſtarkt 
iſt, — daß eine ſolche Kirche, ſagen wir, das Recht 
habe, auf allgemeine Anerkennung der glaͤubigen evan— 
geliſchen Chriſtenheit, mit Biſchoͤfen wie ohne Bi— 
ſchoͤfe? Ja, ſie traͤgt das Pfand ihrer Anerkennung 
in der Weltgeſchichte und von ihrem Herrn in ſich, 


wenn ſie zu irgend einer Zeit belieben ſollte aus ihrem 
20 


306 


Presbyterate Biſchoͤfe hervorgehen zu laſſen, d. h. 
einen Theil des Amtes der Verwaltung der Kirche 
in ihrem irdiſchen Beſtehen mit dem unmittelbar 
goͤttlichen Amte der Verkuͤndigung zu verbinden. 
Allerdings iſt die bruͤderliche Anerkennung des 
Biſchofthums einer Landeskirche von andern rechtglaͤu— 
bigen ein wichtiger Gegenſtand der hoͤchſten geiſtlichen 
Staatsweisheit. Das biſchoͤfliche Amt iſt, feiner 
Natur nach, das natuͤrlichſte, und gewiſſermaßen das 
einzig moͤgliche Organ eines fruchtbaren Verkehrs 
und eines bruͤderlichen Zuſammenwirkens verſchiedener 
Landeskirchen. Es iſt die perſoͤnliche Darſtellung des 
Bewußtſeins der Kirche in der Sphaͤre des hoͤheren 
kirchlichen Lebens, und in ſofern iſt es das perſoͤn— 
lichſte Zeugniß der Gemeinſamkeit des Glaubens und 
der Allgemeinheit der Kirche. Es iſt alſo prak— 
tiſch die natuͤrlichſte Darſtellung der Gemeinſamkeit 
verſchiedener Landeskirchen, als der weltgeſchichtlichen 
Glieder der großen Kirche Chriſti, d. h. der frei ge— 
wordenen Menſchheit. Denn wenn ſchon der Orts— 
geiſtliche ein Amt hat nicht bloß an der Ortsgemeinde, 
ſondern, in der Idee, an der ganzen Kirche Chriſti; 


202 


ſo muß dieß doch in einem hoͤheren Grade der Fall 
ſein bei dem geiſtlichen Vorſteher einer von der un— 
mittelbaren Oertlichkeit erhobenen, bereits ideellen Ge— 
meinde wie die Kreisgemeinde iſt. 

Wir alſo ſagen, daß um dieſer hoͤheren Ruͤckſicht 
willen, nur die Pflicht des Bekenntniſſes einer angefoch— 
tenen Grundlehre der evangeliſchen Kirche, uns abhalten 
darf, biſchoͤflichen Kirchen, wie der engliſchen und ſchwe— 
diſchen, gegenuͤber, daſſelbe zu thun, was jede Landes— 

kirche in ihrem Innern thut, wenn ſie einmal Biſchoͤfe 
hat, naͤmlich daß ſie Biſchoͤfe nicht ohne Biſchof einſetzt. 

Den Ausſchlag kann uns hierbei, wie allent— 
halben, nur das oberſte Prinzip der Kirche der Zu— 
kunft geben: die Liebe. Bringen wir die Frage von 
dem Gebiete des Rechtes der Geiſtlichkeitskirche auf 
das Feld des Rechtes dieſer Kirche, ſo geſtaltet ſich 
die ganze Frage anders. Auf dieſem Gebiete iſt 
Mac Ilvaine, der Biſchof des Staates Ohio, einer 
evangeliſchen Landeskirche in Deutſchland eben ſo nah, 
als es ein Biſchof in Magdeburg und ſeine Kirche, 
dem Biſchofe und der Kirche Berlins ſein wuͤrde: 


und ein Biſchof der armen verfolgten maͤhriſchen 
20 * 


308 


Gemeinde, (mögen fie nun ununterbrochen auch von 
biſchoͤflichen Haͤnden geweiht ſein, oder, wie alle 
alexandriniſchen Biſchoͤfe bis in das vierte Jahrhun— 
dert hinein nur von ihrem Bruder-Aelteſten) eben ſo 
groß als der Erzbiſchof von Canterbury. Im Reiche 
Chriſti giebt es keine Scheidewand, als die des Un— 
glaubens, und keine Hoheit als die des Glaubens. 
An ſich alſo iſt es von dieſem Standpunkte das 
natuͤrlichſte, daß, wenn es irgendwo im Glauben 
vereinte und von chriſtlicher Liebe beſeelte Biſchoͤfe 
giebt, dieſe deßwegen nicht uͤbergangen oder ausge— 
ſchloſſen werden ſollten, weil ſie derſelben Landeskirche 
oder demſelben Volke, oder demſelben Welttheil ange— 
hören. Das waͤre unkatholiſch, unapoſtoliſch, un 
evangeliſch: drei Ausdruͤcke, welche daſſelbe bedeuten. 
Gerade im Gegentheil, wir wiederholen es, eine Lan— 
deskirche, welche Liebe und Freudigkeit fühle, derglei 
chen bewußt zu thun, alſo in allen Glaubensbruͤdern 
Buͤrger deſſelben Reiches zu ſehen, reißt das Reich 
Gottes in Gegenwart und Zukunft an ſich. Es 
ſetzt aber auch dieſe Liebe eine entgegenkommende 
Liebe in der Schweſterkirche voraus, und ein gleiches 


309 


Gefühl der innern Freiheit, ſolchem brüderlichen Ver— 
langen zu entſprechen. 

Dieß iſt, ſo ſcheint es uns, die evangeliſche An— 
ſicht der Katholizitaͤt in ihrem Verhaͤltniſſe zur Na— 
tionalitaͤt. Jene unfreien, thoͤrigten, unevangeliſchen, 
unapoſtoliſchen, unkatholiſchen Anſpruͤche, welche wir 
hier und anderwaͤrts ſo ſtark abgewieſen, ſtehen mit 
unſerem Vorſchlage nur in ſo fern in Verbindung, 
als ſie deſſen Anwendung hier um der Pflicht des 
Bekennniſſes halber, bedenklich, dort eingedrungener 
Geiſtlichkeits- Satzungen wegen, unmoͤglich machen 
dürften. Doch iſt die proteſtantiſch-biſchoͤfliche Kirche, 
die ſchwediſche, in dieſer Beziehung ganz frei: die 
amerikaniſche (reformirte) ebenfalls: die Miſſionskirche 
der evangeliſchen deutſchen Gemeinde aber, die der 
maͤhriſchen Bruͤder, endlich freier und naͤher als alle. 
Sie wuͤrde, bei entgegenkommender Liebe und entwik— 
kelter Freiheit der Landeskirche, vielleicht bei einer 
ſolchen Veranlaſſung ihrer bisherigen zeitweiligen 
Stellung zu derſelben und zum Volke entſagen, und, 
mit Beibehaltung ihrer koͤrperſchaftlichen Unabhaͤngig— 
keit und Verfaſſung, ſich als Miffionsorden der evan— 


2310 


geliſchen Kirche erkennen, und aus dieſer ſich neu 
verjüngen und immerfort erneuern und verſtaͤrken ſtatt 
ſich familienweiſe fortpflanzen zu wollen. 

Alles das nun kann niemand weder machen noch 
wehren. Aber es iſt doch wohl nicht mir allein, ſondern 
auch manchem andern Herzen werth, den Gedanken, 
einer uͤber die ſtaatlichen Graͤnzen hinausgehenden 
Verbindung freier evangeliſcher Kirchen, als einen 
Lichtblick in der Zukunft liebend feſtzuhalten. Sei 
ner Verwirklichung ſtehen, ſelbſt jetzt, mehr Vorurtheil 
und Mißtrauen entgegen, als weſentliche Schwierig— 
keiten. Man verbanne nur recht gruͤndlich den boͤſen 
Traum von Geiſtlichen, die, (wie in der alten und 
mittelalterlichen Kirche) zuſammenkommen, um das 
Geſetz der Mehrheit oder des Kaiſers oder Pabſtes 
zu empfangen, und nachher den Gemeinden und Voͤl— 
kern aufzulegen. Man denke ſich, daß bei den Ver— 
ſammlungen und Berathungen einer freien, ein großes 
chriſtliches Volk darſtellenden gemeindlichen Kirche, 
bewaͤhrte Mitglieder einer andern großen National— 
kirche, Biſchoͤfe oder Aelteſte, Geiſtliche oder Laien, 
in ihrem Namen gegenwärtig wären: als chriſt— 


311 


liche Gemeinde („Publikum“): nicht um mitzu— 
ſtimmen und zu berathen, auch nicht aus bloßer Neu— 
gier: nein, um ein chriſtliches Urtheil zu gewinnen, 
für ſich und die Ihrigen eben fo wohl als für die, 
welche fie befuchen. Würden nicht Haß und Vorur— 
theile, welche durch das Schrifttum der Bosheit die 
Voͤlker der Gegenwart mehr trennen, als der Man— 
gel aller Mittel des nationalen Verkehrs, die das 
Mittelalter geſondert hielt; — wuͤrden nicht alle dieſe 
Scheidewaͤnde des Teufels in die Hoͤlle ſinken, welcher 
ſie entſtiegen ſind? Wuͤrde nicht, im Angeſichte der 
Thaten goͤttlichen Lebens, im Spiegel Gottes, der 
Menſch den Menſchen erkennen, der Bruder dem 
Bruder in die Arme fallen? Wuͤrde damit nicht der 
Saame, ſtatt theologiſchen Gezaͤnkes, aͤcht chriſtlicher 
Einigkeit unter den chriſtlichen Voͤlkern der Erde ge— 
hoͤrt werden? „Aber Du verlierſt Dich in Deine 
Traͤume“, hoͤre ich Einige ſagen. Laßt uns denn ſe— 
hen, und uns zum Bewußtſein bringen, was ſchon 
beſteht, frei beſteht, und zwar in Deutſchland, in der 
Schweiz, in Frankreich, in England. Hat ſich nicht 
in allen dieſen Landen bei den großen Feſten der 


212 


Miſſions- und Bibelgeſellſchaften, ganz von ſelbſt 
eine ſolche Bruͤderlichkeit dargeſtellt? Stroͤmen nicht zu 
dieſen Feſten von allen Seiten aͤußerlich Fremde, von 
nichts angezogen, als von dem unwiderſtehlichen 
Magnete der bruͤderlichen Liebe der Erlöften? Sind 
da nicht Vielen die Augen aufgegangen, dem Einen 
uͤber den untergeordneten Werth alles Dogmatismus, 
(ſelbſt den des unbedingten Wiſſens!) uͤber die wun— 
derbare Vertheilung der Gnadengaben in dem Reiche 
Gottes unter den chriſtlichen Völkern, über die goͤtt— 
liche Macht des Wortes Gottes, und des Geiſtes, 
der es deutet? Iſt nicht Manchem dabei das Herz 
der Selbſtſucht aufgegangen in Liebe, und der ſtumme 
Mund in Lobgeſang und Preis der ewigen Barm— 
herzigkeit uͤbergefloſſen? Iſt nicht manche Thraͤne 
des Elends dort getrocknet, mancher Seufzer uͤber 
den Jammer der Gegenwart geſtillt, mancher heilige 
Entſchluß gefaßt, manches Geluͤbde des Glaubens 
gelobt? Es gehoͤrt die Blindheit des Unglaubens 
oder die Verſtocktheit des Phariſaͤismus einer Geiſtlich⸗ 
keitskirche dazu, um in ſolchen lebendigen Zeugniſſen 
der Wahrheit und der Macht des Geiſtes nichts als 


313 


unorganiſche, verwilderte Taͤtigkeit zu ſehen, traurige 
Zerrbilder der alten ehrwuͤrdigen Concilien von Prie— 
fern, Biſchoͤfen und Cardinaͤlen, mit Chorroͤcken und 

ſcaͤnteln. Dergleichen Laͤugner des Geiſtes richten 
ſich ſelbſt durch ihre Unfaͤhigkeit, Leben zu erzeugen, 
und aus dem Dunkel der Schule thatkraͤftig an das 
Licht des Tages zu treten. Moͤgen ſie zur Zeit er— 
kennen, daß ſie ſich in die Gefahr ſetzen, gegen den 
heiligen Geiſt zu ſuͤndigen! Und hat ſich nicht bei 
uns ſelbſt, in der Abweſenheit aller kirchlichen Ge— 
meinſamkeit jenſeits der Staatsgraͤnzen, nur in der 
Abgeſtorbenheit der geſetzlichen Vereine der Geiſtlichen, 
Schon ſeit mehreren Jahren derſelbe Bildungs- und 
Vereinigungstrieb gezeigt, bei jenen Feſten der freien 
Miſſions- und Bibel-Vereine? Und hat ſich der 
Segen derſelben nicht in dem Maße bewaͤhrt, worin 
ſich jene Vereine und ihre Thaͤtigkeit erweitert? Duͤr— 
fen wir daſſelbe nicht auch fuͤr die Zukunft hoffen? 
Duͤrfen wir die bisherigen Graͤnzen uns nicht erwei— 
tert denken? Und wenn dieß, warum denn nicht den 
Eintritt der freien Kirchen-Verfaſſung eines großen 
Volkes in das ſelbſtaͤndige kirchliche Leben der euro— 


314 


paͤiſchen und der geſammten chriſtlichen Menſchheit, 
im Vaterlande der Reformation als eine bedeutungs— 
volle Veranlaſſung ſolch chriſtlicher Vereinigung zu 
Rath und That? Und die Theilnahme naher und 
ferner Chriſten, am Gebete der deutſchen Gemeinde 
beim Einſegnen der erſten Biſchoͤfe als eine wuͤrdige 
Gelegenheit? Ja das waͤre ein hoͤrbarer Tritt des 
Geiſtes, ein ſichtbarer Fortſchritt des Reiches Gottes, 
eine neue Stunde am Tage der Weltgeſchichte! Eine 
ſolche Vereinigung in Glauben und Liebe waͤre ein 
Bund, nicht evangeliſcher Fuͤrſten und Obrigkeiten, 
ſondern evangeliſcher Voͤlker: nicht ein Bund des 
Unglaubens, ſondern des Glaubens: nicht eine Ver 
neinung, ſondern eine Bejahung: nicht eine Prote— 
ſtantiſirung, ſondern eine Evangeliſirung der Welt. 
Die Voͤlker, welche ſie machten, thaͤten eine große 
weltgeſchichtliche That, die Niemand willkürlich 
machen, aber auch Niemand willkuͤrlich verhindern 
koͤnnte. Das waͤre eine offene Verbruͤderung, nicht 
zu Schutz und Trutz, wie die nothgedrungene unſerer 
Vaͤter, ſondern Niemanden zu Leide, allen zu Liebe. 
Gott hat in den dreihundert Jahren ſeit der Refor— 


315 


mation die evangeliſchen Voͤlker hoch geſtellt unter 
den Voͤlkern der Erde, unſcheinbare groß gemacht 
durch das Evangelium, unbekannte ruhmvoll, unfreie 
frei, ja neue ins Daſein gerufen, deren Macht und 
Reich ſchon jetzt faſt einen Erdtheil uͤberſchattet. Im 
großen, weltgeſchichtlichen Ganzen der Gegenwart iſt 
die evangeliſche Kirche in keine Banden geſchlagen, 
als die ihrer eigenen, inneren Knechtſchaft und Leblo— 
ſigkeit. — Wo ſich noch Reſte finden, von Bedruͤckung 
und Verfolgung evangeliſcher Gemeinden Seitens 
nicht evangeliſcher Regierungen, da ſind es nur die 
eiſigen Truͤmmer einer kalten Vergangenheit, boͤſe 
Morgentraͤume von Bewaͤltigung der Freiheit des 
Geiſtes durch laͤngſt gerichtete Kuͤnſte der Nacht, und 
durch verbrauchte Werkzeuge der Finſterniß, welche 
nicht einmal mehr vom Fanatismus roher Volkeshau— 
fen getragen werden. Namentlich wird was davon 
im deutſchen Vaterlande die Gemuͤther neuerdings 
bewegt hat, und viele Gewiſſen noch jetzt ſchwer 
druͤckt, bald, wenn nicht (wie wir hoffen) dem lin— 
den Fruͤhlingshauche chriſtlicher Bruderliebe weichen, 
ſicherlich dem Sonnenſtrahle der Gerechtigkeit deut— 


316 


ſcher Fürften, und dem erſtarkten Rechtsgefuͤhle aller 
deutſchen Voͤlker. Aber ein Bund der Liebe waͤre 
es, und ein Zeichen des gnaͤdigen Herannahens des 
Reiches Gottes: ein Bund der Liebe unter Bruͤdern 
und fuͤr Bruͤder: ein Bund, beſtimmt, den ganzen 
Erdkreis mit einem leuchtenden Bande der Liebe und 
Freiheit zu umziehen, nachbildend im Glauben und 
in Anbetung jene ewige Liebe, welche den Welt— 
kreis mit Banden der Liebe zuſammenhaͤlt, und das 
Dunkel der Natur mit ihrem goͤttlichen Strahle 
erhellt! — 

Alſo, um das Geſagte praktiſch zuſammenzu— 
faſſen, unſer Vorſchlag geht dahin: Die deutſche 
Kirche, von welcher wir reden, muß ihr Recht an— 
ſprechen und ausſprechen, und gegen jeden entgegen— 
ſtehenden Rechtsanſpruch mit evangelifcher Würde 
und Freiheit behaupten. Wenn aber geſchichtliche 
Biſchoͤfe anderer evangeliſchen Kirchen und Gemeinden 
ſich willig zeigen, den Bund der Einheit in Liebe zu 
beſiegeln, und ihr Gebet mit dem der nun frei in 
die Chriſtenheit eintretenden großen Gemeinde deutſcher 
Zunge zu vereinigen, ſo wollen wir ihr Anerbieten 


312 


mit Freude annehmen, und einen Tag chriſtlicher Ver— 
bruͤderung mit Dank gegen den Herrn feiern. Der 
Tag wuͤrde ein weltgeſchichtlicher ſein! 


XI. 


Das Verhältniß der Kirche der Zukunft zu 
Volk, Wiſſenſchaft und Staat. 


Wir haben bis jetzt die Herſtellung der Kirche 
in ihrer inneren Bildung betrachtet mit einfacher An— 
wendung unſerer Anſicht von dem gegenſeitig ſich be⸗ 
dingenden Rechte des Prieſterthums und des Amtes, 
der Gemeinde und der Geiſtlichkeit. 

Es bleibt uns nun noch der zweite Theil der 
Herſtellung uͤbrig: die Kirche in ihrer aͤußeren Stel— 
lung, oder die Anwendung der bedingten Gegenſaͤtze 
von Katholizitaͤt und Nationalitaͤt, von Kirche und 
Staat. 

Wir ſtreben eine Nationalkirche an, nach der 
oben gegebenen Bedeutung dieſes Wortes, und zwar 


318 


nicht in Folge einer allgemeinen, abſtrakten Formel, 
und nicht in einem die Gewiſſensfreiheit irgendwie 
beſchraͤnkenden Sinne. Wir wuͤnſchen nur die That— 
ſache dargeſtellt zu ſehen, daß bei uns das große 
evangeliſche Nationalbewußtſein Eines iſt. Unſere 
Nationalkirche iſt die der vereinigten evangeliſchen 
Kirche Preußens, mit keinem neuen Glaubensbekennt— 
niſſe, aber mit Gemeinſchaft in der Anbetung und in 
den Werken der Liebe. Eine ſolche freie nationale 
Kirche wird nun wohl noch einige Zeit Separatiſten 
oder Diſſidenten neben ſich haben. Aber fragen wir 
die Geſchichte des Separatismus: was lehrt ſie? 
Rur die über Chriſti Perſon Rechtglaͤubigen haben 
ſich gehalten, und unter dieſen haben nur diejenigen 
eine geſchichtliche Bedeutung genommen, welche nicht 
allein aͤußerlich veranlaßt wurden durch Maͤngel der 
Landeskirche, ſondern innerlich hervorgegangen ſind 
aus einem Streben chriſtlicher Liebe, welcher ein 
ſolcher Mangel vorzugsweiſe im Wege ſtand. Dieſe 
gefchichtliche in der Natur des Chriſtenthums tief 
begruͤndete Erſcheinung wird ſich auch jetzt wieder bei 
den merkwuͤrdigen Regungen einer freien Kirche inner— 


319 


halb der roͤmiſch-katholiſchen Bevölkerung Deutſchlands 
bewaͤhren. Die Herrnhuter und Methodiſten ſind 
die verhuͤllten Orden der Kirche der Zukunft fuͤr das 
Miſſionsweſen, und fuͤr das freie, an keinen Ort ge— 
bundene Predigt- Lehr- und Schulamt. Sie und 
andere ihrer Bruͤder ſind die Chryſalis der Pſyche, 
welche nur auf den milden Wind des Fruͤhlings 
wartet, um ihre Fluͤgel zu entfalten. Es kann alſo 
nicht einmal der Wunſch einer zum Bewußtſein ge— 
langten nationalen Kirche der Gegenwart ſein, daß 
jene kleineren kirchlichen Geſellſchaften untergehen. Es 
muß vielmehr ihr Gebet und Streben dahin gerichtet 
ſein, daß jene ſich aus Sekten (d. h. Familien-Ab— 
ſonderungen) verklaͤren in freie Orden der chriſtlichen 
Kirche der Liebe, welche (durch perſoͤnlichen Beruf 
vereinigt) beſondere Zweige des Amts der Liebe pfle— 
gen, in freier Eigenthuͤmlichkeit frei ſich der Landes— 
kirche anſchließend. Warum ſoll nicht einem beſon— 
deren Berufe eine beſondere Zucht und Form des 
Lebens entſprechen koͤnnen? Die Kirche des Mittel: 
alters hatte Geluͤbde: die Kirche der Zukunft hat die 
Weihe des allgemeinen Prieſterthums, und die Kraft 


329 


ſeines immer ſich frei erneuernden Opfers, als der 
That des rechtfertigenden Glaubens, d. h. der freien 
inneren auf Gott gerichteten Geſinnung. Damit muß 
ſie wuͤrken, von da aus das ganze Gebiet des kirch— 
lichen Lebens verjuͤngen, oder — untergehen. 

Die andere Seite des zweiten Gegenſatzes be— 
trifft das Verhaͤltniß der Kirche zum Staate und 
zur Regierung. Da uns die Sphaͤren des Staa— 
tes und der Kirche, und die Gebiete beider verſchie— 
den und getrennt ſind, zugleich aber auch die Anſtre— 
bung einer nationalen Darſtellung des kirchlichen Le— 
bens eine naturgemaͤße iſt; ſo muͤſſen uns auch hier 
die beiden entgegengeſetzten Syſteme der Staatskirche 
und der Trennung von Kirche und Staat gleich fern 
bleiben. Kirchliches und buͤrgerliches (ſtaatliches) Le— 
ben ſind uns zwei Stroͤme, welche das Volk am heil— 
ſamſten traͤnken, wenn ſie ſich nur in ihrem Aus— 
fluſſe aus der oberſten geſetzlichen Gewalt beruͤhren. 
Eine Verbindung beider, wie z. B. durch eine Dar— 
ſtellung der Kirche in den Staͤnden, kann uns nur 
als eine geſchichtliche, beſtehende Form gelten, welche 
fuͤr uns ſicherlich nicht paßt. Die volle Geſundheit 


321 


und das Gedeihen des Reiches wird umgekehrt in 
dem Maße geſichert ſein, als Staͤnde und Synode 
ganz getrennt ſind und bleiben. Das iſt in Preußen 
ſchon durch die Stellung der roͤmiſch katholiſchen 
Landeskirche, und die gleichen politiſchen Rechte bei— 
der Bekenntniſſe gegeben. Das Kirchliche gehoͤre alſo 
in beiden Bekenntniſſen der Kirche, das Staatliche dem 
Staate: jedoch wohlverſtanden ſo, daß der Staat bei 
ſtreitigen Einzel-Faͤllen über die Scheidungslinie kei— 
nen hoͤheren Richter auf Erden anerkennt, als das 
ſtaatliche Geſetz. Dieſe Form muß bleiben, ſo lange 
es Voͤlker giebt, und die jetzige Ordnung des Men— 
ſchengeſchlechts beſteht. Diejenige Form der Verfaſ— 
ſung wird alſo, in dieſer Beziehung, die vollkom— 
menſte ſein, welche in ſolchen ſtreitigen Faͤllen die 
Entſcheidung ganz einer von der Regierung unabhaͤn— 
gigen richterlichen Gewalt unterwerfen kann. Doch 
welche Form die buͤrgerliche Verfaſſung darbiete, der 
Staat wird um ſo ſtaͤrker ſein, je ſorgſamer er das 
kirchliche Gewiſſen in jeder ſeiner kirchlichen Gemein— 
ſchaften befragt und ehrt, und je mehr ihm daran 
liegt, daß es ſich erleuchte als daß es ſich beuge. 
21 


322 


Eine ſolche ehrerbietige Beruͤckſichtigung mag den 
Stolz einer anmaßenden Geiſtlichkeit ſchwellen und ihr 
einen ſcheinbaren, gewiß kurzen Triumph gewaͤhren: 
ſie wird aber ihre goldenen Fruͤchte im Herzen eines 
gebildeten, verſtaͤndigen, das Vaterland liebenden und 
dem Pfaffenthum im Herzen abholden Volkes tragen. 

Dieß alſo iſt unſre allgemeine Formel fuͤr das 
Verhaͤltniß der Kirche zum Staate als Regierung. 
Es bleibt uns nun uͤbrig zu betrachten, was im 
Lichte der Verfaſſung der Kirche der Zukunft von 
zwei hoͤchſt wichtigen Punkten zu halten ſei, welche 
der chriſtliche Staat in Preußen zum Schutze der 
Kirche bisher feſtgehalten hat. Wir meinen den ber 
ſtehenden geſetzlichen Zwang der Confirmation, 
als Bedingung der weiteren buͤrgerlichen Laufbahn, 
und der kirchlichen Trauung, als Bedingung 
der bürgerlichen Gültigkeit der Ehe. Beide Punkte 
berühren die zwei feierlichften und heiligſten Handlun— 
gen des bewußten und verantwortlichen Menſchen. 
Wer ſieht nicht, daß beide mit der Kirche der Zu— 
kunft unvereinbar ſind? So lange die Kirche nicht 
den Glauben hat, die polizeilichen Kruͤcken wegzuwer⸗ 


323 


fen, auf denen fie verfrüppelt ift, fo ift fie es eben 
nicht, von der wir reden. Aber wir find überzeugt, 
daß Zweifel wie der eben ausgeſprochene, oder viel: 
mehr der Glaube an die Kraft der Wahrheit und den 
Segen der Freiheit in Millionen Herzen ſchlummert, 
welche die Erniedrigung und Schwaͤchung der Kirche 
durch jenen Zwang und dieſen vermeintlichen Schutz 
erkannt haben. Immerhin noͤthige der Staat, als 
geſetzlicher Vormund der Unmuͤndigen, getaufte El— 
tern, welche nicht Wiedertaͤufer geworden ſind, ihre 
Kinder zur Taufe zu bringen. Wir glauben, dieß 
bedarf kaum einer Erklaͤrung. Niemand der im deut— 
ſchen Volk eine Stimme hat, wird es deſpotiſch fin— 
den, daß der Staat gewiſſenloſen Eltern nicht bloß 
verbiete, daß ihre Kinder koͤrperlich nackt gehen, ſon— 
dern auch ihnen nicht erlaube, dieſelben an Geiſt und 
Seele der Segnungen entbloͤßt zu laſſen, welche, 
nach dem Glauben aller Landeskirchen, die weitere 
geiſtige Ausbildung weihen. Der Staat ſchreibt da— 
bei ja keinen Glauben vor: er findet eine Gemein: 
ſchaft vor, in welcher das Kind geboren iſt und uͤber— 


giebt es derſelben. Allein die Confirmation hat uns 
21 * 


334 


nur einen Sinn, wenn fie freies Bekenntniß des 
Einzuſegnenden iſt. Nur dann wird der Tiſch des 
Herrn und die innigſte Gemeinſchaft Chriſti nicht 
ſchon von dem in die Gemeinde eintretenden Geſchlechte 
entweiht, und das Gewiſſen der Gemeinde zerdruͤckt. 
Man gebe den aus der Schule in reifem Alter ohne 
Confirmation Abgehenden, ein Entlaſſungszeugniß, 
und verfuͤge, daß dieſes fuͤr das buͤrgerliche Leben 
dem Geſetze genuͤge, ſo gut wie das Confirmations— 
zeugniß. 

Ebenſo iſt es mit der Ehe. So unvollkom— 
men und verkruͤppelt die juriſtiſche Ausbildung unſers 
Eherechtes iſt, ſo klar und unumſtoͤßlich ſind die kirch— 
lichen Annahmen von der Unzertrennlichkeit des chr iſt— 
lichen Ehebuͤndniſſes, in allen Faͤllen, wo es nicht nach 
dem Worte des Herrn getrennt werden kann. Der 
Staat hat die Kirche hierin ſchlecht genug vertreten: 
er konnte es aber auch gar nicht, haͤtte er es gewollt. 
Die kirchliche Trauung in der Kirche der Zukunft ſei 
frei: jeder moͤge ſich buͤrgerlich trauen laſſen koͤnnen, 
etwa in der durch die Anordnungen des Napoleoni— 
ſchen Geſetzbuches europaͤiſch gewordenen Art. So 


325 


wie dieſes feſtſteht wird es Jedermann klar fein, 
daß nur die Kirche das Band loͤſen kann und zwar 
nicht nach den Vorſchriften irgend eines andern Ge— 
ſetzes und Rechtes, als deſſen, welches ihr im Ge— 
wiſſen aus dem Evangelium hervorgeht. Sie kann 
das Band, welches ſie kraft des Wortes Gottes ge— 
knuͤpft hat nur in Gemaͤßheit deſſelben loͤſen. Mit 
dieſem Grundſatze kommt ſie unfehlbar auf das Schei— 
dungsrecht der Reformation zuruͤck, und hat nur 
Sorge zu tragen, daß daſſelbe von chriſtlichen Rechts— 
gelehrten klar ausgebildet werde, ſtatt, wie im ſieben— 
zehnten und achtzehnten Jahrhunderte, von unevan— 
geliſchen verwirrt und verdorben zu werden. Dieſer 
Punkt ſetzt noch manche Vorarbeiten voraus, kirchen— 
geſchichtliche und kirchenrechtliche. Aber wir ſtellen 
ſchon hier feſt, daß es ein großer Irrthum iſt, zu 
behaupten, ein Eheſcheidungsgeſetz gehoͤre, ſo weit die 
Eheſcheidungsgruͤnde und die Frage nach Beſtehen 
oder Loͤſung des kirchlichen Ehebundes betheiligt 
find, dem Staate (im engeren Sinne) zu, und um 
terliege der Berathung der Staͤnde. Die ſtaͤndiſche 
Berathung ſetzt voraus, daß das zu berathende Ge— 


326 


etz für die Unterthanen, als ſolche, bindend, alfo 
Staatsgeſetz ſei. Was aber haben die roͤmiſch— 
katholiſchen Unterthanen des Königs mit evangeliſchen 
Eheſcheidungsgruͤnden zu thun? Sofern ſie ſich zur 
Zucht ihrer Kirche halten, giebt es fuͤr ſie gar keine 
Eheſcheidung: wollen ſie ſich des Landrechts bedienen, 
ſo ſtehen ihnen ein Duzzend offen. Daſſelbe Land— 
recht bleibe ganz unverkuͤmmert, ſo weit die evange— 
liſche Kirche dabei betheiligt iſt, allen, die ſich ihrer 
Zucht entziehen und ſich buͤrgerlich trauen laſſen wol— 
len. Nach welchem Rechte aber die übrigen evange— 
liſchen Unterthanen kirchlich geſchieden werden koͤnnen, 
muß, in der Kirche der Zukunft, alſo morgen oder 
in tauſend Jahren, von der evangeliſchen Gemeinde 
beſtimmt werden, durch Beſchluͤſſe, welche natuͤrlich, 
wie alle andern, dem koͤniglichen Beſtaͤtigungsrechte 
unterliegen. Staͤnde und Kirche haben, wie wir von 
vorn herein erklaͤrt, ihren Vereinigungspunkt nur in 
der koͤniglichen Macht. Das beiden gemeinſame Be— 
ſchwerderecht wird ſich oft beruͤhren, namentlich auf 
dem Gebiete der Volkserziehung, aber nie wird das 


327 


eine Element in das andere uͤbergreifen dürfen. *) 
Die Kirche danke dem Staate fuͤr ſeinen Schutz, 
deſſen ſie nicht bedarf, ſobald ſie den Glauben hat, 
durch welchen ſie frei wird. Hieruͤber konnte man 
bis auf die letzten Jahre im Zweifel ſein. Aber nach— 
dem beide, der Glaube und der Unglaube, bei uns 
ſo ſtark hervorgetreten ſind und die paͤbſtlich bindende 
Macht des Landrechts fuͤr evangeliſche Pfarrer uns 


») Wir finden auch hier einen erfreulichen Anklang in den neu⸗ 
lichen Verhandlungen der weſtphäliſchen Synode (Verhandlun⸗ 
gen S. 97), worin es heißt: „Darauf wurde über das zu 
erwartende Ehegeſetz die Discuſſion eröffnet. Die Synode 
glaubte, darauf Anſpruch machen zu dürfen, daß daſſelbe vor 
ſeiner Publikation ihr zur Begutachtung vorgelegt werde. 
Dagegen wurde bemerkt, daß bei Geſetzen, welche ſämmtliche 
Confeſſionen und Bürger des Staats betreffen, die einzelne 
Provinzialſynode ſolchen Anſpruch nicht erheben könne. 

Dieſe Einrede wurde dadurch entkräftet, daß einzelne 
Synodalglieder behaupteten, daß die Ehe und deren Schlie— 
ßung und Trennung zu den innern und heiligen Angelegenheiten 
der Kirche gehöre, und die Eheſcheidung nur die evangeliſche 
Kirche betreffe, mithin die Provinzialſynode, als das eigentliche 
Organ der Kirche in den weſtphäliſchen Provinzen, Kraft des 
durch §. 49. der Kirchenordnung ihr anvertrauten Wächteramts 
verlangen müſſe, in einer ſo wichtigen Angelegenheit gehört zu 
werden. Dieſer Grundſatz wurde als richtig anerkannt und 
der entſprechende Antrag geſtellt.“ 


328 


durch geiftlofe Theologen und Kanoniſten, oder gar 
durch katholiſche Zeitungen oder juͤdiſch-kosmopolitiſche 
Correſpondenten vorgehalten werden, iſt wohl Nie— 
mandem, der kein verzagtes Herz hat, ein Zweifel 
geblieben, daß das Heilmittel auch hier da ſei, wo 
wir es allenthalben gefunden haben: in der chriſtlichen 
Freiheit der Gemeinde! Unterdeſſen ſei Ehre und 
Dank den Geiſtlichen, welche Glauben und Muth 
gehabt haben, hierin ihrem Gewiſſen zu folgen. Wir 
tadeln die andern nicht: denn in dem chaotifchen Zu: 
ſtande der rechtlichen Verhaͤltniſſe der Kirche, und 
bei der dumpfen Begriffsverwirrung uͤber die einfach— 
ſten Fragen, welche ſo herrſchend geworden iſt, hoͤrt 
alles Richten auf. Allein daß jene Maͤnner preis— 
wuͤrdig handelten, wird die Geſchichte und vielleicht 
ſchon die naͤchſte Zukunft anerkennen. 

Insbeſondere verſchone der Staat die Kirche 
um Gottes willen mit aller polizeilichen Huͤlfe. Ich 
habe mich immer erklaͤrt, und muß mich auch hier 
aufs allerbeſtimmteſte erklären? gegen jede polizeiliche 
Beſtrafung des Ehebruchs als ſolchen, die man neu— 
lich ſelbſt dann herſtellen gewollt hat, wenn der 


329 


beleidigte Theil nicht klagbar geworden iſt! Die 
Erfahrung Italiens und Spaniens zeigt, daß eine 
ſolche Beſtrafung des Ehebruchs nur gegen die armen 
Suͤnder etwas bedeutet, nichts aber gegen die hoͤheren 
und hoͤchſten Staͤnde, welche mit einigem Anſtande 
zu ſuͤndigen im Stande ſind. Aber koͤnnte eine 
polizeiliche Strafmacht auch goͤttliche Gerechtigkeit 
uͤben, d. h. ohne Anſehen der Perſon richten, ſo 
duͤrfte ſie es, unſerer Ueberzeugung nach, in der 
Kirche der Zukunft nicht thun, weil es gegen die Natur 
der chriſtlichen Ehe iſt. Sie wuͤrde dadurch dieſe 
chriſtliche Natur der kirchlichen Ehe verkennen, und 
das Heiligthum der Kirche entweihen. Das heißt 
uns naͤmlich koͤrperlichen Zwang, koͤrperliche Strafe, 
vielleicht buͤrgerliche Unehre in das Gebiet der geiſt— 
lichen Zucht bringen. 

Ich weiß wohl, welches Hohngelaͤchter des Un— 
glaubens mich hier erwartet, welches haͤmiſche Grin— 
ſen der Feinde der evangeliſchen Kirche, welche lieber 
alles wollten, als das Evangelium in ſeiner vollen 
Kraft und die evangeliſche Gemeinde in ihrer Freiheit 
ſehen. Dein Zwang (ſagen fie) iſt der ſchlimmere: 


330 


Beichtſtuhl und geheimes Gericht! Ja, und das 
will ich nicht laͤugnen. Die Kirche der Zukunft be— 
darf eines Beichtſtuhles und eines Gerichtes, und 
zwar eines geheimen. Aber ihr Beichtſtuhl iſt die 
Kanzel mit dem Worte Gottes, welches durch Leib 
und Seele dringt: ihr geheimes Gericht iſt das Ge 
wiſſen. Wir ehren die Sittlichkeit derjenigen, welche 
nicht kirchlich ſein wollen, zu ſehr, um voraus zu ſetzen, 
es werde der nicht Eingeſegnete und zum Abendmahl 
Vorbereitete ſich dem Tiſche des Herrn nahen wollen, 
um Ihn und Seine Kirche zu verſpotten. Wir 
glauben nicht, der freiwillig in unkirchlicher Ehe le— 
bende Ehegatte, werde ein Ehrenamt in der Kirchen— 
gemeinde anſprechen, deren Segen er nicht allein 
damals verſchmaͤhte, als er ſeine Ehe einging, ſondern 
auch fortdauernd verachtet, indem er ihn nicht nach— 
traͤglich ſich erbittet. Wir glauben auch, daß, was das 
Abendmahl betrifft, in den meiſten Faͤllen, durch 
öffentliche, allgemeine Abmahnung in der Vorberei— 
tung der Zweck der Selbſtvertheidigung erreicht, und 
das Gewiſſen der Kirche geſichert werden kann. Wo 
jedoch oͤffentliches Aergerniß iſt, wo Abmahnung und 


331 


Zuſpruch ſich als ungenuͤgend erweiſen, da allerdings 
genuͤgt jene oͤffentliche Abmahnung nicht, ſondern es 
muß der furchtbaren Verſtocktheit oder gottloſen Ver— 
wegenheit, zum Heile des Suͤnders ſelbſt die Wei— 
gerung der Kirche entgegengeſetzt werden. Es gehoͤrt 
nicht hieher zu unterſuchen, welches bei einer ſolchen 
Entſcheidung die Graͤnzen und Formen der Kirchen— 
zucht ſein ſollten. Wir halten im Allgemeinen fuͤr 
muſterhaft und hinreichend, was die rheiniſch-weſt— 
phaͤliſche Kirche, nach wiederholter Berathung, und 
nach Einholung der Gutachten der Kreisſynoden, auf: 
geſtellt und beſchloſſen, und was hierauf im vorigen 
Sommer die koͤnigliche Genehmigung erhalten hat.“) 


) Die weſtphäliſche Synode von 1844 hat ſich nach Begutachtung 
des Entw zrfs durch ſämmtliche Gemeinde Vorſtände, Presby— 
terien und nach Bericht aller Kreis-Commiſſionen zu derſel— 
ben vereinigt, wie die rheiniſche, und dem gemäß beſchloſſen 
(Verhandlungen, S. 124.): „Perſonen, die einen laſterhaften 
„und offenbar gottloſen Wandel führen, ſo wie ſolche, die den 
„Sriftlichen Glauben in beſtimmten ſchriftlichen oder mündlichen 
„Erklärungen, oder in öffentlichen Handlungen ausdrücklich ver— 
„werfen und verſpotten, werden vom Presbyterium durch 
„den Pfarrer, nachdem alle ſeelſorgeriſche Bemühungen ver— 
„gebens geweſen, vom Abendmahl und Pathenſtellen ausge— 
„ſchloſſen. Ein Recurs findet ſtatt an das Moderamen der 
„Kreisſynoden“ 


332 


In Beziehung auf die von uns vorgefchlagene 
Verfaſſung wollten wir nur wiederholen, daß uns alle 
Kirchenzucht im eigentlichen Sinne, ſowohl von der 
perſoͤnlichen Wirkung des Biſchofs getrennt fein muß, 
als von der des oͤrtlichen Seelſorgers, des Ortspfar— 
rers. Endlich auch wird in unſerer Verfaſſung im— 
mer der oberſte Grundſatz feſtzuhalten ſein, daß die 
kirchliche Gemeinde in ihrer koͤrperſchaftlichen Dar— 
ſtellung auf den hoͤheren Gebieten die hoͤchſte Behoͤrde 
iſt. Eben deßhalb mußten wir ja fuͤr die richterlichen 
Geſchaͤfte in der Landeskirche, kirchliche Conſiſtorial— 
Behoͤrden vorſchlagen, und zwar ausſchließlich aus 
ſogenannten Laien oder Weltlichen beſtehend. Denn 
wie fchon oben bemerkt worden, die Perſon des 
Geiſtlichen, hat mit dem Richterwerke nichts zu ſchaf— 
fen, koͤnnte auch angenommen werden, daß der Pfar: 
rer oder Biſchof die erforderliche Kenntniß und Er: 
fahrung beſitzen werde. Das Gebiet des Richtens 
verdirbt den Standpunkt des Amtes der Liebe. 

Es bleibt uns nun noch auf dieſem Gebiete 
eine der brennenden Fragen der Zeit zu beruͤhren: 
was iſt das Verhaͤltniß der theologiſchen Fakultaͤt zu 


333 


der Kirchenbehörde und zum Staat? Wir mußten 
ihre Behandlung bis hierher verſchieben, weil jene 
Lehrer Staatsbeamte ſind. Es tritt hier alſo das 
doppelte Verhaͤltniß der Kirche ein, einmal zum 
Staat, dann zur kirchlichen Wiſſenſchaft. 

Nach dem Vorhergehenden ſteht uns zuvoͤrderſt 
feſt, daß die Fakultaͤten, von welchen wir reden, Fa: 
kultaͤten der evangeliſchen Landeskirche ſind, und nicht 
etwa Dilettanten-Anſtalten phantaſtiſcher Experimental— 
Kirchen, erſonnen nach den Recepten von Strauß, 
Feuerbach oder Bruno Bauer, und gebaut auf den 
Grund (fuͤr den wiſſenden Menſchen), daß es weder 
eine Kirche, noch eine Offenbarung, noch einen zu 
verehrenden Gott gebe. Die evangeliſche Landeskirche 
erwartet vom Staate ihre Lehrer. Der Staat giebt 
die theologiſchen Fakultaͤten, als Theil der akademi— 
ſchen Staatsanſtalten. Er alſo ſtellt die Profeſſoren 
an. Hierbei befragt er natuͤrlich das Urtheil der 
evangeliſchen Kirche, entweder unmittelbar, oder nach 
Offenkundigkeit. Aber er kann Mißgriffe thun: die 
Gemeinde muß alſo, wenn ſie frei ſein will, das 
Beſchwerderecht haben. Dieſes Beſchwerderecht nun 


334 


iſt ein kirchliches, und der Gegenſtand ein geiftlich 
kirchlicher, ja der Mittelpunkt des wiſſenſchaftlichen 
Bewußtſeins der Kirche. Als perſoͤnlichen Huͤter der 
Lehre finden wir nun den Biſchof: ihm alſo koͤnnen 
wir das Beſchwerderecht der Kirche nicht abſprechen. 
Aber wir legen ihm keineswegs die Befugniß der 
Unterſuchung bei: dieſe bleibt der Gemeinde, in ihrem 
vollen Sinne. Und zwar nicht der Kreisgemeinde, 
deren Vorſitzer der Biſchof iſt, ſondern der Provin— 
zialiynode, in welcher er als Mitglied ſitzt. Das 
natuͤrlichſte nun ſcheint, daß wir jenes Beſchwerderecht 
und dieß Unterſuchungsrecht je auf die theologiſche 
Fakultaͤt der Provinz beſchraͤnken. Jeder Biſchof 
einer ſolchen Provinzialſynode habe alſo das Recht 
einen Antrag zu ſtellen auf Unterſuchung uͤber die 
Reinheit der Lehre eines Mitgliedes der Fakultaͤt. 
Die Synode verwirft den Antrag oder nimmt ihn 
an. Die Frage iſt im letzteren Falle: ob dieſe Ent— 
ſcheidung die Kraft eines richterlichen Ausſpruchs 
haben koͤnne? Wir ſagen unbedingt: nein! Denn 
die Univerſitaͤtslehrer haben ihre Ernennung vom 
Staate nicht von der Kirche. Die Form der Ent— 


335 


ſcheidung wird alfo diefe fein muͤſſen, daß die Synode 
den Koͤnig bittet, um ihrer Gewiſſensbedenken halber 
einen Lehrer ſeines Amtes zu entſetzen oder zu ent— 
heben. Der Landesherr aber wuͤrde dieſem Geſuche 
willfahren, nach Einholung des Urtheils des kirchlichen 
Reviſionshofes, daß allen Formen genuͤgt ſei, jedoch 
ohne daß dieſer Hof oder die Regierung in eine 
theologiſche Unterſuchung eingehe. Weder der Landes— 
herr, noch ſein Miniſter, noch der Gerichtshof wird 
ſich uͤber den Punkt der Lehre eine kirchliche Ueber— 
zeugung, Beruf und Anſehn zutrauen, welche uͤber 
die einer Landesgemeinde zu ſtellen waͤren. Nur 
durch ein Verfahren wie das vorgeſchlagene entgeht 
die Regierung einer falſchen Stellung, in welche ſie 
ſonſt unvermeidlich gerathen muß. Denn falſch muͤſ— 
ſen wir jede andere Stellung nennen, ſei es daß ſie 
ein kirchliches Urtheil faͤllt uͤber eine wiſſenſchaftliche 
Frage, ſei es daß ſie aus Furcht vor der Unbeliebt— 
heit eines ſolchen Gebrauches ihrer weltlichen Gewalt, 
ſich alles Urtheiles und Thuns enthaͤlt. Denn in 
jenem Falle ſcheint ſie den ſchweren Arm der Gewalt 
in die Wagſchale des Gewiſſens zu legen, und den 


336 


gordiſchen Knoten der Wiſſenſchaft mit dem weltlichen 
Schwerte zu zerhauen. In dem zweiten Falle aber 
ſcheint ſie die, von ihr doch uͤbernommene Pflicht zu 
verſaͤumen, naͤmlich die bevormundete chriſtliche Ge— 
meinde, deren Jugend auf die Lehren der Landes— 
Univerſitaͤt vorzugsweiſe angewieſen iſt, gegen Miß— 
brauch des Lehreramtes und gegen Verrath der Kirche 
zu ſchuͤtzen, und einem Aergerniſſe zu wehren, das ſie 
gewiſſermaßen angeſtiftet. 

Wir haben das Recht der Gemeinde, uͤber ihr 
chriſtliches Bedenken beruhigt zu fein, und nöthigen: 
falls Schutz fuͤr ihr Gewiſſen zu erlangen, als un— 
beſtreitbar angenommen. In der That wuͤrde der 
Anſpruch, daß die Beruͤckſichtigung deſſen, was ein 
theologiſcher Lehrer der Hochſchule über religioͤſe An: 
gelegenheiten ſchreibt, von vorn herein ausgeſchloſſen 
bleiben muͤſſe vom Urtheil der Gemeinde, zu der 
Annahme zwingen, daß ſolche Lehrer der evangeliſchen 
Fakultaͤt entweder Anſpruch machen auf paͤbſtliche 
Untruͤglichkeit oder Verzicht leiſten auf ein offenes, 
redliches Gewiſſen. Der Staat aber kann kein Be— 
denken haben, die evangeliſche Kirche zu befriedigen, 


337 


welche für die ganze, überwiegend aus Weltlichen be: 
ſtehende Landesgemeinde nicht mehr verlangt, als was 
das Geſetz Preußens dem roͤmiſch-katholiſchen Epi— 
ſkopat ſichert. Denn dieſes beſitzt, ſeit der erſten 
Anerkennung deſſelben, unter Friedrich dem Großen, 
ein unbedingtes Veto-Recht bei der Ernennung, und 
ſpaͤter, waͤhrend der Amtsfuͤhrung der Angeſtellten. 
Allen ſolchen Betrachtungen der Gerechtigkeit, 
der politiſchen Weisheit und der Freiheit der Ge— 
meinde wird nun das Meduſenhaupt der akademi— 
ſchen Lehrfreiheit entgegengehalten. Wir laſſen uns 
aber nicht verſteinern. Allerdings ſcheint uͤber nichts 
eine größere Verwirrung der Begriffe im proteſtanti— 
ſchen Deutſchland zu herrſchen, als über dieſe Lehr: 
freiheit. Was hieruͤber neulich wieder von manchen 
Seiten geſagt worden iſt, begreift ſich nur aus zwei, 
außer der Sache liegenden, uͤbrigens bedeutungsvollen 
Umſtaͤnden: aus dem Streben nach einer politiſchen 
Vertheidigungswaffe gegen die Staatsgewalt, und 
aus dem uͤberhand nehmenden Argwohn der Gemuͤ— 
ther in geiſtlichen Angelegenheiten. Wir nun reden 
von der Lehrfreiheit in der freien evangeliſchen Lan— 


22 


338 


deskirche, und nur von dieſer. In ihr fällt aller 
gerechte oder ungerechte, vernünftige oder unvernuͤnf— 
tige Argwohn weg, ſowohl gegen die Regierung, 
Seitens der Wiſſenſchaft, als gegen die Geiſtlichkeit, 
gegenuͤber dem Volke. Von dieſem Zuſtande alſo 
redend, erbitten wir uns unpartheiiſches Gehoͤr fuͤr 
Folgendes. Man lehrt in unſerer Zeit auf doppelte 
Weiſe: durch wiſſenſchaftliche Werke und durch Vor— 
traͤge an Lehranſtalten, deren oberſte die Univerſitaͤten 
ſind. In jenem Gebiete herrſcht bekanntlich in Preu— 
ßen eine groͤßere Freiheit als in England und Frank— 
reich. Der ſogenannte, wahre oder angenommene 
wiſſenſchaftliche Charakter eines Werkes ſichert jedem 
deutſchen Schriftſteller das Mittel, ſeine theologiſchen 
und ſpekulativen Ideen vor die Oeffentlichkeit zu 
bringen. Außerdem aber ſteht in jeder Univerſitaͤt 
die philoſophiſche Fakultaͤt da, mit vollem Rechte, die 
Wiſſenſchaft des Gedankens zu lehren, und die Prin— 
zipien ihrer Anwendung, ſo weit die allgemeinen po— 
lizeilichen Strafbeſtimmungen des Landrechtes nicht in 
Frage kommen, mit welchen die Kirche nichts zu 
thun hat. Eine ſolche Freiheit iſt gewiß die dem 


in. 


Charakter des deutſchen Volkes und der Geſchichte 
ſeiner geiſtigen Bildung angemeſſenſte. Wir werden 
des Boͤſen ſchon auf rein wiſſenſchaftlichem Wege 
maͤchtig werden. Allein die akademiſchen Vortraͤge 
einer evangeliſch-theologiſchen Fakultaͤt haben noth— 
wendig den Zweck, daß in ihnen die Lehre der Kirche 
vorgetragen werde von Maͤnnern, die ſich redlich zu 
ihr bekennen koͤnnen, weil ihre freie Ueberzeugung mit 
der Landeskirche im Weſentlichen uͤbereinſtimmt, und 
zwar fuͤr junge Maͤnner, welche ſich dem geiſtlichen 
Berufe in dieſer Kirche widmen wollen, und auf die 
Vorleſungen der Univerſitaͤt angewieſen ſind. Wie 
ſehr hierbei Sitte und Geiſt des Jahrhunderts und 
die Mannigfaltigkeit der deutſchen Staͤmme und Ein: 
richtungen eine hinlaͤngliche Weite und Buͤrgſchaft 
geſtatten, iſt keinem europaͤiſchen Staatsmanne unbe— 
kannt. Die Frage iſt bloß, ob nun dieſe kirchlichen 
Lehrer auf paͤbſtliche Untruͤglichkeit ſollen Anſpruch 
machen koͤnnen, und alſo uͤber alle Verantwortlichkeit 
erhaben ſein ſollen der Kirche gegenuͤber? Sie ſind 
nicht bloß Schriftſteller: waͤren ſie dieſes, ſo haͤtten 
ſie niemandem Rechenſchaft zu ſtehen als den Landes— 
2 


340 


geſetzen und der Wiſſenſchaft. Nein, fie haben das 
Amt der Lehrer uͤbernommen, fuͤr die heranzubildenden 
Geiſtlichen der evangeliſchen Landeskirche. Sich in 
dieſem Amte uͤber das Gewiſſen der Kirche ſtellen zu 
wollen, ſcheint uns eine unevangeliſche und tyranniſche 
Anmaßung. Aber wir erkennen als billig an, daß 
ſie nur dem perſoͤnlichen Gewiſſen der ſelbſtaͤndigen 
Kirche vor der verſammelten Landesgemeinde anklag— 
bar, und dieſer, nach voller Vertheidigung und An— 
hoͤrung verantwortlich ſeien. Aber das Urtheil der 
Kirche erhaͤlt erſt durch den Landesherrn ſeine Aus— 
fuͤhrung, nachdem die Wahrung aller Formen vom 
oberſten Gerichte der Kirche anerkannt worden. Endlich 
aber da die Profeſſoren nicht von der Kirche angeſtellt 
find, ſondern vom Staate, fo werden fie in Bezie— 
hung auf das Gehalt, alle Rechte haben, welche 
nach der allgemeinen Dienft : Pragmatik den Beam: 
ten zuſtehen. Wir wiederholen ausdruͤcklich, daß wir 
nur von den Lehrern an der theologiſchen Fakultaͤt 
reden. Die philoſophiſche Fakultaͤt gehoͤrt nicht einer 
beſtimmten Kirche an, und ſteht alſo nur unter den 
Staatsgeſetzen. — 


341 


Es bleibt uns nun in diefer Unterſuchung noch 
der bedeutende Punkt der irdiſchen Mittel uͤbrig, 
welcher die Kirche bedarf, um ihre Pflichten zu er— 
fuͤllen. Die freie Kirche bedarf in Preußen fuͤr die 
amtlichen Arbeiten, welche jetzt in der zweiten Ab— 
theilung der 26 Regierungen und in den 8 Conſiſtorien 
gethan werden, etwa 60 Geiſtliche mit biſchoͤflicher 
Verantwortlichkeit und Rechtsbefugniß: jeden mit zwei 
weltlichen Kirchenraͤthen: außerdem noch zwoͤlf welt— 
liche Raͤthe und Richter bei den ſechs Metropolitan: 
kirchen. Dieſe alle muͤſſen ihres Amtes leben, ſo gut 
als die Biſchoͤfe. Auch kann das Gehalt jener wah— 
ren Superintendenten oder Oberpfarrer nicht von den 
Pfarrgehaͤltern genommen werden: denn die Biſchoͤfe 
beduͤrfen wie wir geſehen, neben ſich eines zweiten 
Pfarrers, damit die Seelſorge und die Predigt nicht 
unter der Verwaltung leide. Ferner iſt es klar, daß 
eine ſolche evangeliſche Kirche, nicht beſtehen kann, ohne 
daß fie ihre Candidaten praktiſch heranbilde und 
ſie nach den akademiſchen Jahren und in der Zeit 
zwiſchen Prüfung und Amt, oft der Noth und dem 
Elende preisgebe, immer aber zur Theilnahmloſigkeit 


343 


an der Kirche verurtheile. Sie kann auch die Can⸗ 
didaten nicht den Pfarrern als geiſtliche Coloniſten 
ins Haus ſetzen. Das Aufbringen der Koſten aber 
von den Gemeinden fordern oder erwarten zu wollen, 
wäre gegen die Formel unſerer Kirche, als einer na— 
tionalen. Schon das finden wir ungerecht, daß die 
Gemeinden der rheiniſch-weſtphaͤliſchen Kirche jetzt die 
Koſten ihrer Synodal-Verwaltung tragen muͤſſen. 
Fuͤr alle dieſe Beduͤrfniſſe findet ſich nun in 
Preußen eine geſchichtliche und rechtliche Grundlage. 
Durch eine landesgeſetzlich gewordene Uebereinkunft 
mit Rom erhaͤlt die roͤmiſch-katholiſche Landeskirche 
eine ewige Rente von faſt 200,000, in der Wirklich— 
keit aber von etwa 250,000 Thalern, und zwar fuͤr 
folgende zwei Beduͤrfniſſe: Dioͤcaͤſan -Verwaltung: 
(Biſchof mit Curie und Kapitel), und die biſchoͤf⸗ 
lichen Seminare. Dieſen Zwecken aber entſprechen 
genau die eben angeregten Beduͤrfniſſe in der an— 
dern Landeskirche. Nehmen wir alſo das Verhaͤlt— 
niß der Bevoͤlkerung zum Maßſtabe an, ſo wird 
es klar, daß der Staat bei gleicher Gerechtigkeit 
gegen beide Landeskirchen, der evangeliſchen Kirche, 


343 


fobald fie fich frei geſtaltet, eine ewige Rente von 
mehr als 400,000 Rthlr. ſchuldet; dagegen fallen 
von dem Staatsbudget fuͤr immer weg die Haͤlfte 
der Koſten fuͤr die zweite Abtheilung der 26 Re— 
gierungen, und gewiß der groͤßere Theil der Koſten 
fuͤr die Conſiſtorien. Eingezogene und fuͤr die allge— 
meinen Staatsbeduͤrfniſſe verwandte Stifter, und 
andere Guͤter beider Kirchen, bleiben natuͤrlich dem 
Staate. Die als Theil der Staatsſchuld anzuſe— 
hende Rente tritt uͤberhaupt an die Stelle der alten 
Form des liegenden Grundbeſitzes. Auch die Einzie— 
hung der noch beſtehenden evangeliſchen Stifter fuͤr 
jene Beduͤrfniſſe ſcheint uns weder gerecht noch raͤth— 
lich. Allerdings ſind Pfruͤnden ohne Pflicht und 
Amt ein Schandfleck der evangeliſchen Kirche, und 
im Grunde nicht allein eine Ungerechtigkeit gegen 
die Kirche, ſondern eine Grauſamkeit fuͤr die, welchen 
ſie verliehen worden, falls dieſe einen klaren Begriff 
von dem Zwecke jener Stiftungen haben. Dieſe 
Wahrheit wird ſich gewiß, mit aller Achtung fuͤr 
wirklich erworbene Rechte, in diefer Zeit der Wieder: 
belebung bald geltend machen: und die evangeliſche 


314 


Wiederbelebung jener Stifter für Werke chriſtlicher 
Liebe, nicht ihre Einziehung iſt zu wuͤnſchen. Jene 
Ausſtattung der Kirche durch eine Rente waͤre wohl 
fobald als moͤglich zu treffen. Die Verwaltung der 
evangeliſchen Rente bliebe natuͤrlich bei der Regierung, 
bis ſie mit den jetzt beſtehenden oder zu berufenden 
Synoden eine freie gemeindliche Kirche ins Leben tre— 
ten laſſen kann. Wie aber wird es mit den Bedürf: 
niſſen, welche ſich nun auf das Pfarrſyſtem bezie— 
hen? Sie ſind groß und ſchreiend. Ein großer 
Theil der jetzigen evangeliſchen Pfarrer ſteht tief un: 
ter dem niedrigſten Satze, der fuͤr Land und Stadt 
angenommen werden ſollte: alſo etwa 500 und 700 
Thaler. Außerdem fehlt es an Huͤlfspredigern und 
Huͤlfspfarrern, nach dem Zeugniſſe der Synoden der 
Conſiſtorialkirchen von 1844, ſo weit ihre Beſchluͤſſe 
und Anträge bisher veröffentlicht worden find. Die 
Ordination von fogenannten Synodal: Kandidaten, 
d. h. von ſolchen, die innerhalb eines Kreiſes oder 
Bezirks verwendet werden ſollen, wird allgemein be— 
gehrt von ihnen, wie von den Presbyterial-Synoden, 
und es ſteht auch hier der dringend erſehnten Huͤlfe 


345 


nichts entgegen, als Mangel an Geld. Endlich wird 
vielfach uͤber den Mangel eines Stockes geklagt, 
durch welchen Pfarrern, deren Abgang wuͤnſchens— 
werth oder nothwendig iſt, in Ruheſtand verſetzt 
werden koͤnnten. Wir glauben, daß die evangeliſche 
Kirche ein Recht hat, von dem Staate ſo viel we— 
nigſtens zu verlangen, daß ihr für die Pfarrbeduͤrf— 
niſſe daſſelbe gezahlt werde, was die katholiſchen 
Pfarrer beziehen, d. h. im Verhaͤltniſſe der Be— 
voͤlkerung. Wir glauben aber ferner, daß ſehr viel 
daran fehlt, daß dies jetzt geſchehe. “) 


») Die Anſicht der rheiniſchen Synode iſt vollſtändig in dem zivei- 
ten der Auszüge aus den Verhandlungen gegeben, welche ſich 
als Anhang! zum Schluſſe dieſer Erörterungen abgedruckt fin- 
den. Hiernach erhalten vom Staate jährlich: 

D Ä 712,000 , 

die Evangeliſ chen 240,000 
Alſo erhielten die Evangeliſchen nur etwas mehr als ein 
Drittel, ſtatt daß fie im Verhältniſſe von 5 zu 3 erhalten 
ſollten: 240,000 , ftatt 1,186,000 . 

Im Rheinlande erhalten nach der Synode: 
die Katholiken (2 Millionen) .. , . 293,000 , 
die Evangeliſchen (500,000 33,274 


346 


XII. 
Schluß. 


Der Ausgangspunkt und die gegenwärtigen 
Zuſtände. 


Iſt das bisher Geſagte wahr, ſo iſt damit be— 
wieſen, daß die Zeit der Geiſtlichkeits- und Staats: 
kirchen voruͤber iſt, damit aber auch eben ſo gewiß die 
der Secten und Separatiſten, und daß es für die 
kirchliche Gemeinſchaft der Zukunft keine anderen 


Ihr Antheil iſt alſo faſt ein Drittel und ſie erhalten ein 
Neuntel deſſen, was die Katholiken vom Staate beziehen. 

Dieſe Zahlen als Grundlage der Ausgleichung angenommen, 
würden von den 712,000 , nach Abzug der kirchlichen Koften 
jenſeits des Pfarrverbandes (der Rente von 250,000 „B) über 
450,000 »3 (462,000 ) übrig bleiben für das Pfarrſyſtem. 
Dieß würde, nach dem Verhältniſſe von 5: 3, 770,000 „ für 
die evangeliſchen Pfarrer vorausſetzen: alſo faſt noch einmal 
fo viel (222,000 ) als alles, was die evangeliſche Kirche 
jetzt vom Staate bezieht. Dieſe Berechnung iſt übrigens ganz 
unabhängig von der von uns genommenen Baſis, behufs des 
Anſpruchs der evangeliſchen Kirche auf eine ewige Rente für 
die Bedürfniſſe jenſeits des Pfarrverbandes. 


347 


Schranken giebt, als die Grenzen der bewohnten 
Erde, keinen Weg, als durch die Liebe und Freiheit, 
keine naturgemaͤße aͤußere Trennung, als nach den 
Zungen und Voͤlkern, die Gott gegeben hat. Es iſt 
damit auch weiter bewieſen, daß die von einem jeden 
vereinten Volke anzuſtrebende Kirchengemeinſchaft alle 
in der politiſchen Natur des Menſchen und in der 
Idee der Kirche begruͤndeten Elemente des kirchlichen 
Lebens in ſich zu vereinigen ſuchen ſolle, damit ſie 
ein moͤglichſt wenig unvollkommenes Bild der goͤttlich 
befreiten Menſcheit darſtelle, und ein lebendiges ſicht— 
bares Glied am unſichtbaren Leibe ihres Herrn werde. 
Wir haben, bei dem Verſuche dieß zu beweiſen, dahin 
geſtrebt, den Dingen die Kunſt- und Stichwoͤrter 
abzuſtreifen, womit nun ſchon lange Theologen und 
Kanoniſten ihre Sprache eben ſowohl von der Wiſ— 
ſenſchaft und des Lebens getrennt, und dadurch ſich 
und die Kirche, ſo viel an ihnen lag, von Wiſſen— 
ſchaft und Leben getrennt haben. Insbeſondere aber 
haben die abſtrakten Formeln und todten Rechtsbe— 
griffe die Grundſaͤtze der evangeliſchen Kirchenverfaſſung 
verdunkelt, und bald einem form- und huͤlfloſen 


348 


Myſticismus preisgegeben, bald in einen leeren For: 
malismus verwandelt, wodurch das Leben zu Sche— 
men und Schatten verkruͤppelt wird. Bei dieſer 
Unterſuchung ſind uns hoͤchſt weſentliche, aber einfache 
Probleme chriſtlicher Staatsweisheit uͤbrig geblieben, 
deren Loͤſung, obwohl in verſchiedenen Formen, unfehl— 
bar gegeben iſt durch zwei einfache Grundſaͤtze. Einmal, 
innerlich, durch die unverzagte Anwendung der an 
die Spitze geſtellten Idee des allgemeinen Prieſter— 
thums als der bewußten Verwirklichung des auf 
Gott gerichteten, ſittlichen Bewußtſeins, auf die 
Verhaͤltniſſe und Beduͤrfniſſe der Wirklichkeit. An— 
derntheils, aͤußerlich, durch eine klare Scheidung des 
Kirchlichen und Staatlichen, aber im Staate. 

Es bleibt uns zum Schluſſe nur die Erwaͤgung 
der Frage uͤbrig: welches denn koͤnnte bei uns der 
unmittelbare Anfangs- und Ausgangspunkt der Be— 
wegung nach einem ſolchen Ziele ſein? 

Ehe wir dieſe Frage beantworten, müffen wir 
die Sache erſt etwas naͤher in ihrer allgemeinen 
Geltung betrachten. 


319 


Das Ziel des kirchlichen Verfaſſungstriebes iſt 
allerdings fuͤr alle Voͤlker, weſentlich daſſelbe: Aus— 
gang und Entwickelung koͤnnen bei jedem ſehr verſchie— 
den ſein. Eine jede nationale Entwicklung wird einen 
eignen, durch ihre innere und aͤußere Geſchichte 
bedingten Ausgangspunkt haben. An ſich liegt in 
dem Verſtaͤndniſſe jedes einzelnen Theiles eines orga— 
niſchen Lebens das Verſtaͤndniß des Ganzen: d. h. 
jenes ſetzt dieſes voraus. Aber in der Erſcheinung, 
in der Geſchichte alſo, iſt jeder Anfangs- oder Aus: 
gangspunkt ein einſeitiger. Fuͤr das Gedeihen der 
Bildung iſt, bei richtigem Verſtaͤndniſſe des Ganzen, 
die beſondere Natur dieſes Ausgangspunktes an ſich 
gänzlich gleichgültig, und nur Eins iſt dabei noth— 
wendig, naͤmlich daß dieſer Ausgangspunkt ein leben— 
diger ſei. Leben geht nur aus vom Leben und ſelbſt 
vom glaͤnzendſten Leichnam kommt nur Tod. Die 
Waſſer des Teiches Bethesda waren nur heilkraͤftig, 
wenn ſie ſich bewegten. Wo aber Leben, da iſt 
Geiſt, und Niemand kann ihm wehren, als durch 
einen hoͤheren Geiſt: wo keines, da iſt Tod, und 
Niemand kann es machen. So fuͤrchte ſich denn 


350 


Niemand vor einer Bewegung im Gebiete der Kirche, 
denn jenes Geſetz von der Bewegung, als Zeichen 
der Lebenskraͤftigkeit, muß vorzugsweiſe in dem gei— 
ſtigen Gebiete herrſchen, da hier alles Lebens und 
aller Bildung Anfang iſt. Den Ausgangspunkt giebt 
Gott und die Geſchichte, und aller Geſchichtlichkeiten 
geſchichtlichſte iſt die Wirklichkeit der Gegenwart. 
Einen Ausgangspunkt willkürlich waͤhlen kann alſo 
keine irdiſche Macht. Das Glied, welches zuerſt er— 
wacht, muß zuerſt gepflegt werden, ſelbſt wenn es 
ohne volles Bewußtſein des Ganzen erwacht waͤre, 
zu dem es gehoͤrt. Aber Regierung und Volk koͤn— 
nen und ſollen daruͤber wachen, daß der alſo vom 
goͤttlichen Anfangspunkte beginnende Bildungstrieb 
nicht gehemmt und verkuͤmmert werde. Die größte _ 
aller Gefahren hierbei, iſt die gewoͤhnlich am wenig— 
ſten geahndete. Von jedem Elemente aus, wenn es 
nur ein lebendiges, bildungsfaͤhiges iſt, kann ein voll— 
ſtaͤndiger Organismus in aller Schönheit und Voll— 
kommenheit gebildet werden. Da jedoch alles natüͤr⸗ 
liche Leben, weil ſelbſtſuͤchtig, im Gegenſatze befan— 
gen iſt; ſo wird jener Anfangspunkt verſucht ſein, 


351 
® 
fih zum Mittelpunkte der geſammten Bildung zu 


machen. Die zuerſt ins Leben getretene Form, ſtatt 
ſich als Element des Ganzen zu erkennen, wird das 
Ganze ſein wollen. Die Verneinung will das Be— 
jahende beherrſchen: der Anfang Prinzip ſein wollen, 
nach einwohnendem uralten Geluͤſte. So wollte auch 
in der apoſtoliſchen Zeit der Judaismus die chriſtliche 
Entwicklung beherrſchen: in der darauf folgenden der 
Kanonismus, und wiederum ſpaͤter der Dogmatismus, 
zuerſt nur ein theologiſcher, jetzt vorherrſchend auch 
ein rein ſpekulativer. Alle dieſe Anfangspunkte wa: 
ren geſchichtlich und ehrenwerth, und jeder hat eine 
innere Begruͤndung in einem weſentlichen Elemente 
des Chriſtenthums. Aber das chriſtliche Leben in ſei— 
ner Geſundheit und Fuͤlle iſt weder eine juͤdiſche 
Geſetzlichkeit, noch eine kanoniſtiſche Rechtsanſtalt, 
noch auch Problem oder Werk der Speculation und 
des logiſchen Begriffsſpieles. Es iſt ein evangeliſches 
und ein gemeindliches Leben, und vor allen Dingen, 
es iſt ein Leben und eine That, nicht ein Zankapfel der 
Schule und in muͤſſiges Spiel des Verſtandes. 
Nur das Leben giebt die lebendige Verſtaͤndigung 


352 


und Einigung zwiſchen den beiden Polen aller chriſt— 
lichen Erkenntniß, dem geſchichtlichen und dem fpefu: 
lativen Elemente, der Ueberlieferung und der Idee, 
der Thatſache und dem Gedanken. Nur das Leben 
bewahrt jeden Theil vor dem Verderben und Abſter— 
ben. Das geſchichtliche Element namlich iſt in Ge 
fahr auszuarten, entweder in aͤußeren Dogmatismus, 
d. h. in das Verſtandesfuͤrwahrhalten einer uͤberlie— 
ferten als einer aͤußeren Thatſache, oder in zerſtoͤrende 
Buchſtabenkritik. Das ſpekulative Element neigt ſich 
zum innern Dogmatismus, d. h. dem Formalismus, 
alſo eigentlich einem Glauben des Verſtandes an ſeine 
eigenen Abſtraktionen uͤber Geſchichtliches: oder zum 
Skeptizismus, dem Unglauben ans Geſchichtliche. Das 
innerliche chriſtliche Leben iſt der Traͤger von beiden: 
nicht gehalten von jenen beiden Polen neigt es ſich jedoch 
zum Gefuͤhls-Myſtizismus der thatloſen Beſchaulichkeit, 
oder zum Moralismus, der von der Idee Gottes ge— 
trennten Ethik. Aber in der Geſundheit des kirchlichen 
Lebens, der Einzelnen wie der Geſammtheit, bildet das 
ſittliche Gewiſſen, fuͤr jeden in der ihm paſſendſten 
Weiſe, die Verbindung und Einigung zwiſchen Ger 


353 


ſchichtlichem und Spekulativem und ſtellt die Einheit 
von Ueberlieferung und Idee thatſaͤchlich dar. Eben 
ſo iſt es nun in der Verfaſſung. Ihre Herſtellung 
kann eben ſo wohl ausgehen von einer weltlichen oder 
geiſtlichen Diktatur, alſo vom Syſtem der neuen Con: 
ſiſtorialkirche, oder vom Syſtem des einſeitigen Epi— 
ſkopalismus, oder des ſtarren Presbyterianismus: 
eben ſo wohl endlich auch von dem embryoniſchen 
Syſteme des Independentismus. Je nach dieſem 
Ausgangspunkte werden die Schwierigkeiten und Ge— 
fahren ihrer Entwicklung verſchieden ſein. Was 
z. B. in dem einen Lande ſchwer iſt, macht ſich in 
einem andern von ſelbſt: und was dort vielleicht 
unmoͤglich erſcheint, wuͤrde hier kaum als Schwierig— 
keit erkannt werden: auf dieſem, wie auf jedem andern 
Gebiete des geiſtigen Lebens. 

Aber welches auch der Ausgangspunkt ſei, es 
genuͤgt in der Gegenwart, daß das Volk die Schwie— 
rigkeit und Gefahr erkenne, damit ſie uͤberwunden ſei. 
Vorurtheile, Irrthuͤmer, Einſeitigkeiten verſchwinden 
vor der Gewalt der Wahrheit, ſobald man ihr ins 


Angeſicht ſieht, und vor der Kraft des Lebens, ſobald 
23 


354 


man es gewaͤhren laͤßt. Nur zwei Irrthuͤmer ſind 
toͤdtlich: daß man einen gegebenen Lebenspunkt nicht 
erkenne, oder daß man glaube, die Verneinung eines 
Irrthums genuͤge, um die Wahrheit lebendig zu be— 
gruͤnden. Die Gefahr iſt auf beiden Seiten ſehr 
groß: auf beiden ſind Taͤuſchungen verzeihlich. Die 
Einen laſſen ſich leicht durch die fruͤhere Herrlich— 
keit einer geſchichtlichen Erſcheinung und die Ehr— 
furcht vor dem geſchichtlichen Rechte, zu dem Glau— 
ben verleiten, daß ein abgeſtorbenes Leben wieder 
erweckt, und eine verbrauchte Form wieder lebendig 
gemacht werden koͤnne. Andere werden, im Gefuͤhle 
dieſer Abgeſtorbenheit und Verderbung der Vergan— 
genheit und Gegenwart, durch die Macht des Gegen— 
ſatzes uͤbermaͤßig dahin getrieben, daß ſie das Heil 
der Zukunft in der Zerſtoͤrung des Vergangenen ſu— 
chen, das Heil der kommenden Geſchlechter in dem 
Abſchneiden der Gegenwart von der Geſchichte. Jene 
glauben das Neue zu bauen, und das Reich Gottes 
zu foͤrdern, indem ſie ſich, der Gegenwart vergeſſend, 
in einer poetiſchen Geſchichtlichkeit ſpiegeln: dieſe in: 
dem ſie das Bejahte verneinen, und das Gebaute 


355 


niederreißen. Dieſe vergeſſen, daß wer den Gegen— 
ſatz ergreift, ſpaͤteſtens mit demjenigen Leben unter— 
geht, welchem er ſich verneinend entgegengeſetzt, oft 
aber fruͤher. Jene vergeſſen das Wort des Herrn: 
„Laſſet die Todten ihre Todten begraben:“ und das: 
„Faſſet den neuen Wein nicht in alte Schlaͤuche.“ 
Beide Beſtrebungen ſind Regungen des noch nicht 
ganz bekehrten und erleuchteten Petrus, welcher keine, 
den Juden unreine Thiere angreifen wollte, auch da 
ſie ihm vom Himmel kamen; und der einſt das 
Schwert fuͤr denjenigen ergriff, deſſen Tod und Auf— 
erſtehung er ſpaͤter als Heil der Welt verkuͤndigen 
ſollte. Petrus kam erſt durch ſchwere Verirrungen 
und Pruͤfungen zur Erkenntniß. Aber auch der Juͤn— 
ger der Liebe begann damit, daß er Feuer vom Him— 
mel verlangte, um die Unglaͤubigen zu ſtrafen, welche 
die Sendlinge des Herrn nicht aufgenommen. Was 
nun die Gefahr einer Hemmung des einmal begon— 
nenen neuen Bildungstriebes, und eines vorzeitigen 
Abſchließens betrifft; ſo wird derſelben in chriſtlichen 
Staaten menſchlicherweiſe am wirkſamſten entgegenge— 
arbeitet, durch die weiſe Foͤrderung eines großartigen 


235 


356 


und kraͤftigen Geſammtlebens der Nation, worin alle 
naturgemaͤßen Elemente leben und wirken: innerlich 
aber durch die Erleichterung eines wahrhaftigen kirch— 
lichen Gemeindelebens, mit Freiheit fuͤr alle drei 
Aemter der Kirche, und mit Beruͤckſichtigung des 
Amtes der freien Liebe insbeſondere. Denn dieſes iſt, 
wie wir oben geſagt, das eigentliche werdende Ele— 
ment der Kirche der Zukunft. Iſt es zu verwundern, 
daß ſich dieſes Leben bisher noch ſpaͤrlich und gleich— 
ſam verſtohlener Weiſe, auch oft in verachteter Ge— 
ſtalt gezeigt, daß es ſich vielfach verirrt und verwirrt 
hat, wenn die Zerriſſenheit und das Ungluͤck der 
letzten zweihundert Jahre erwogen wird? Oder ſoll 
es uns irre machen und abſchrecken, wenn die Schul— 
weisheit ſich in ihrem Uebermuthe für die Wiſſenſchaft 
des Chriſtenthums haͤlt, und von dieſem neuen Stein 
der Weiſen, der vollendeten Wiſſenſchaft, den Anfang 
des Heils erwartet? Sind alle dieſe Einſeitigkeiten 
nicht die nothwendigen Folgen unſers gemeinſamen Un— 
gluͤcks, unſerer gemeinſamen Schuld? Muß der Geiſt 
eines großen, und dem geiſtigen Gebiete mit Innig— 
keit lebenden Volkes nicht in ſolche Mißgriffe und 


23527 


Irrthuͤmer verfallen, wenn ihm eine harmoniſche 
Ausbildung, und eine thatkraͤftige Bethaͤtigung durch 
den Mangel eines oͤffentlichen Lebens, wo nicht un— 
moͤglich gemacht, doch unendlich erſchwert wird? 
Alſo werden das evangeliſche Volk Deutſchlands 
und ſeine Regenten ſich auf der großen Bahn nicht 
irre machen laſſen. Kleine ſtaͤdtiſche oder laͤndliche 
Genoſſenſchaften und weniger geiſtige Voͤlker moͤgen 
ſich vorzeitig abſchließen, und, ſtatt das Ganze in ſich 
weltgeſchichtlich darzuſtellen, ſich mit dem Bruchſtuͤcke 
begnügen, welches Zufall und Perſoͤnlichkeiten in ihnen 
zur Anerkennung gebracht haben. Sie thun vielleicht 
in dieſem Augenblicke weiſe daran, obwohl ſich ihre 
Schwierigkeiten dadurch nicht mindern, falls ſie beſte— 
hen bleiben wollen. Denn es kommt eine Zeit, wo 
ſich jede Einſeitigkeit eines Principes raͤcht, jeder 
Mangel fuͤhlbar macht. Aber ein großes, geiſtiges 
zum weltgeſchichtlichen Bewußtſein erwachtes evange— 
liſches Volk, kann ſicherlich auch auf dieſem Gebiete, 
nur dann etwas Dauerndes zu ſchaffen hoffen, wenn 
es die Aufgabe in ihrer ganzen Großheit auffaßt: 
d. h. mit andern Worten, wenn die Verfaſſung und 


358 


geſammte Geſtaltung der Kirche der Zukunft hervor: 
geht aus dem ungetruͤbten Geſammtgefuͤhle der Na— 
tur des Reiches Gottes, der Bedingungen ſeines 
irdiſchen Beſtandes, und der ihm, dem Volke, durch 
ſeine Geſchichte und Eigenthuͤmlichkeit darin angewie— 
ſenen Stelle. Und hier duͤrfen wir vor der Welt 
unſere Maͤngel frei bekennen, und unſere Suͤnden, 
die daran noch mehr Theil haben als unſer Unglück 
und unſere Widerſacher. Denn der Geiſt, welcher 
alles verjuͤngt, iſt bei uns, mindeſtens in eben ſo 
großem Maaße als bei irgend einem Volke der Ge— 
genwart: ich glaube aber mehr. Andre Kirchen ha— 
ben manches gerettet und erhalten, was uns fehlt, 
dagegen anderes eingebuͤßt, was wir beſitzen. Wir 
ſitzen unter Truͤmmern: ſie auch. Aber der Unter— 
ſchied iſt vor Allem, daß wir es wiſſen, ſie aber nicht. 
Sollten wir alſo nicht den Muth haben, dem was 
im Kampfe unſerer Nationalitaͤr, waͤhrend des eben 
verfloſſenen Jahrtauſends uns von Altem und Neuem 
umgiebt, im Lichte des Evangeliums ins Auge zu 
ſehen? Nicht fragend nach Alt oder Neu, ja nicht 
einmal nach dem Ende aller dieſer Dinge, ſondern 


359 


vorerft und vor Allem nach der göttlichen Wahrheit, 
welche allein uns belehren kann über den Werth von 
Altem und Neuem im nahenden Reiche Gottes d. h. 
in dem Reiche der Freiheit und Liebe. Dann erſt 
koͤnnen wir mit dem, was wir als unſer Fleiſch und 
Blut erkennen, freudig ans Werk der Herſtellung ge— 
hen. Allerdings, wer herſtellen will, muß hier und 
da ausreißen; das wird auch vielleicht uns begegnen. 
Aber wozu kann uns der Jammer der Zerſtoͤrung 
Zions zugeſandt ſein, als daß wir Muth gewoͤnnen, 
im Glauben die Hand anzulegen, um ihren Tempel nach 
dem angeſchauten Bilde, unvollkommen, aber doch in der 
Wahrheit, und mehr als alles vorhergehende dem goͤtt— 
lichen Bilde entſprechend, bewußt wieder aufzubauen? 
Ja, es iſt wahr, wir ſitzen unter Truͤmmern, und 
zwar unter den Truͤmmern einer untergegangenen oder 
untergehenden Welt. Aber es ſind auch bei dem 
Einſturze unſerer Mauern manche Scheidewaͤnde ge— 
fallen, welche das Verwandte trennten und ſehr oft 
das reine Himmelslicht ausſchloſſen, um deſſen Auf— 
bewahrung und Spendung das ganze Gebaͤude er— 
richtet war. Der Staat hat bei uns manches uͤber— 


360 


nommen, was beffer von der Gemeinde oder den 
Dienern des Wortes gethan wuͤrde. Aber haben alle 
drei, Regierung, Gemeinde und Geiſtlichkeit verſchie— 
dene Belaͤnge? Es iſt unſer aller Glaube, daß ſie 
es nicht haben. Weder Staat noch Gemeinde haben 
bei uns die Anmaßungen einer Prieſterkaſte zu be— 
argwohnen: die Regierung keine rohe, fanatiſche Ge— 
meinde, die Kirche keine hinterliſtige, fremdlaͤndiſche 
Regierung. 

„Aber euer Glaubensleben iſt zerſtoͤrt durch den 
„Rationalismus!“ 

Welchen? Weſſen? Der todte Rationalismus 
der Schule des achtzehnten Jahrhunderts, welcher 
neben einer erſt beginnenden Kritik nichts beſaß als 
einen, die Tiefen des Gemuͤths wie des Geiſtes nicht 
ahnenden Verſtand, hat ſich ſelbſt zu Grabe getragen, 
außer wo er von Regierungen kuͤnſtlich als Mumie 
und Hausgoͤtze im Hauſe gehalten und gepflegt wird. 
Dem wahren rationaliſtiſchen Elemente aber überhaupt, 
welches ſich innerhalb des Lehramtes der Kirche be— 
findet, d. h. dem Streben nach Verbindung von Ver— 
nunft und Offenbarung, verdankt die deutſche evan— 


361 


gelifche Kirche wenigſtens eben jo viel, als dem ent 
gegengeſetzten. Die freie Kritik der heiligen Buͤcher 
hat dem Verſtaͤndniſſe des goͤttlichen Inhaltes unend— 
lich mehr genuͤtzt als geſchadet, nicht allein im neuen, 
ſondern auch im alten Teſtamente. Man faſſe die 
Erſcheinung nur geſchichtlich als ein Ganzes auf, und 
es wird jedem klar werden, daß Geiſtlichkeit, Ge— 
lehrte und Nation im Glauben an die Wahrheit, 
und nicht im Unglauben dieſe Pruͤfung vorgenommen. 
Daſſelbe gilt von dem Einfluſſe der philoſophiſchen 
Schulen von Kant bis Schelling und Hegel. Wir 
wollen die Freiheit, welche die Wiſſenſchaft des Gei— 
ſtes, als ſolche, bei uns genießt, und insbeſondere auf 
dem Gebiete der Erforſchung der ewigen Wahrheit 
und ihres Grundes, anderen Völkern nicht aufdroͤn gen. 
Aber beneiden koͤnnen wir fie nicht um des Mangel 
an derſelben, eben weil wir uͤberzeugt ſind, daß das 
Chriſtenthum die Religion des Geiſtes ſei, der Geiſt 
aber Wahrheit. Wir wiſſen, und die Nachwelt wird 
es durch die Geſchichte wiſſen, daß die Grundbegriffe 
aller Religion: Gott, ſittliche Freiheit oder Veran—⸗ 
wortlichkeit, Unſterblichkeit, goͤttliche Weltregierung 


362 


und aͤhnliche, in der neuen Welt erſt durch jene große 
Entwicklung der deutſchen Philoſophie als an ſich 
ewig dargethan, und im freien Kampfe neu belebt 
und verjuͤngt worden ſind. Wir koͤnnen es wahrlich 
an ſich nicht fuͤr ein Ungluͤck halten, wenn Maͤnner 
der Wiſſenſchaft, welche ſich zur Kirche bekennen, 
(von den andern, welche ſich ihr, die geſetzliche Frei— 
heit benutzend, offen entgegenſtellen, kann ja hier 
keine Rede ſein) ſich ernſt bemühen zu zeigen, daß 
das Chriſtenthum auch in der Idee wahr ſei. Wie 
ſollten wir erſchrecken uͤber die Verſuche der Speku— 
lation, zu beweiſen, daß dem geſchichtlichen Zeugniſſe 
das Zeugniß des bewußten Geiſtes entſpreche, daß 
der beglaubigten offenbarten Thatſache eine ewige 
Wahrheit und ein goͤttliches erkennbares Geſetz zur 
Seite ſtehe? Ein Ungluͤck allerdings waͤre es, und 
eine unermeßliche Ihorheit, wenn ſolche Männer leh— 
ren und das evangeliſche Volk ihnen glauben ſollte, 
das chriſtliche Leben muͤſſe als unterbrochen und gleich— 
ſam aufgehoben (ſuspendirt) angeſehen werden, bis 
die Wiſſenſchaft des Gedankens ſich ganz darin zu— 
recht gefunden und vollſtaͤndig damit verſtaͤndigt habe. 


363 


Allein einer ſolchen Thorheit iſt ja wohl in unfern 
Tagen Niemand faͤhig, wo es ſelbſt den Bloͤdſinnigen 
klar geworden, daß das Chriſtenthum nicht ein Ge— 
danke, ſondern eine That ſei: nicht eine Wiſſenſchaft, 
ſondern ein Leben: und daß der hoͤchſte Beweis fuͤr 
ſeine Wahrheit ſo wenig in der Spekulation und 
Wiſſenſchaft liege, als in der Geſchichte, (1. Joh. 5.) 
fondern im Geiſte, dem Beweiſe der Kraft, dem in: 
nern Zeugniſſe des Gewiſſens und der Erfahrung im 
Leben. So viel hier gegen ſo manche theils unmuͤn— 
dige, theils boshafte Laͤſterer unſerer evangeliſchen 
Kirche und kleinglaͤubige, altweiberiſche oder heuchle— 
riſche Wehklagen uͤber die ungezuͤgelte deutſche Wiſſen— 
ſchaft und Philoſophie. 

Schon jetzt iſt es in Deutſchland jedem Unbe— 
fangenen unverkennbar, dem die Erſcheinungen auf 
dem geiſtigen Gebiete des deutſchen Lebens nicht 
fremd geblieben, daß trotz alles Geſchreies von Un— 
glauben, und trotz aller wirklichen Verwirrung im 
Reiche Gottes, die deutſche Wiſſenſchaft, und die 
deutſche Philoſophie ſich in den letzten ſiebenzig Jah— 
ren eine feſtere und unzerſtoͤrbarere, weil geiſtigere 


364 


und lebendigere, Grundlage für eine neue Form des 
chriſtlichen Lebens gebildet hat. Und ich ſetze unbe: 
denklich hinzu: nicht bloß fuͤr ſich, ſondern fuͤr die 
ganze Menſchheit. Daß dieſes alles nun fuͤr uns, 
als Volk und Einzelne, nicht zum Verderben ſei, 
ſondern zum Heile, das allerdings wird von dem 
göttlichen Segen, unſrerſeits aber von der Treue und 
dem Ernſte abhaͤngen, womit wir das große Ziel ins 
Auge faſſen, und unabgewandt verfolgen. Nicht als 
ein Spiel des Verſtandes, ſondern als den heiligen 
Ernſt des Lebens: nicht in erbaͤrmlicher Selbſt- und 
Genußſucht, auch nicht in ſchwaͤchlicher Gefuͤhligkeit 
und Selbſtbeſpiegelung: nicht in Träumen und Geis 
beln, nicht endlich vor allem in Hader und Streit, 
ſondern in liebevoller Aufopferung, und in bruͤder— 
lichem Zuſammenwirken. Und haben wir nicht im 
wirklichen Leben der Kirche hoͤchſt ermuthigende Le— 
benszeichen, dem fruͤheren Tode gegenuber? Wem 
iſt die Wiederbelebung, Ordnung und Zucht der 
rheiniſch-weſtphaͤliſchen Kirche in Preußen unbekannt? 
Ihre Synode blickt, beim Abſchluſſe des erſten Jahr— 
zehends ihrer Verfaſſung mit Dankbarkeit auf den 


365 


bisher erfahrenen göttlichen Segen zurück, und mit 
ihr ſieht eine Million treuen, gläubigen und aufge 
klaͤrten evangeliſchen Volkes, vertrauensvoll hin auf 
die Verfolgung des ihnen geſteckten Zieles. Wer will 
den redlichen Ernſt und das chriſtliche Gefuͤhl in den 
Berathungen, Vorſchlaͤgen und Antworten der geiſt— 
lichen Synoden der uͤbrigen evangeliſchen Landſchaften 
Preußens verkennen, welche eine vertrauensvolle und 
weiſe Regierung neulich hervorzurufen den Muth, 
weil den Glauben, gehabt hat? Und uͤber dieſe ganz 
neue Erſcheinung ſei es uns erlaubt fuͤr die ihr fer— 
ner ſtehenden einige erlaͤuternde Worte hinzuzufuͤgen. 
Sie iſt nicht allein eine merkwuͤrdige Begebenheit, 
ſondern eine uͤberraſchende Beſtaͤtigung der Anſicht, 
auf welcher unſere ganze Anſicht von der Kirche der 
Zukunft ruht. Seit Jahrhunderten nicht zu gemein— 
ſamer freier Berathung berufen, treten die Geiſtlichen 
in jeder der ſechs uͤbrigen Provinzen, alle Superin— 
tendenten als ſolche, und eine eben ſo große Anzahl 
frei gewaͤhlter Pfarrer unter der Leitung des General— 
Superintendenten der Provinz zuſammen, verſtaͤrkt 
durch einen Abgeordneten der Landes- Univerſitaͤt 


366 


und den Ober: Prediger des Heeres in der Provinz. 
So ſtehen auf einmal ſechs Verſammlungen von 
durchſchnittlich mehr als 100 Geiſtlichen da. Die 
Regierung legt ihr keine eigenen Antraͤge vor, ſondern 
eine Zuſammenſtellung der im Jahre 1843 uͤber faſt 
alle Theile des kirchlichen Verfaſſungslebens abgehal— 
tenen 340 Kreisverſammlungen der Geiſtlichen. Sie 
giebt ihnen dazu die volle Freiheit, auch ſolche 
Anliegen und Beduͤrfniſſe zur Verhandlung zu brin— 
gen, welche in jenen Berathungen nicht zur Sprache 
gekommen waren. Beſorgniſſe der verſchiedenſten Art 
verbreiten ſich, innerhalb und außerhalb der Ver— 
ſammlung: die Gemeinden verwahren ſich gegen 
herrſchſuͤchtige Beſchluͤſſe der Geiſtlichkeit, und die 
Gelehrten gegen Umtriebe der „Finfterlinge.“ Aber 
ſelbſt die Theologen verſchiedener Schulen treten in 
die Verſammlungen mit Mißtrauen gegen ihre Geg— 
ner ein. Unter dieſen Anzeichen verkuͤnden die Feinde 
des Evangeliums Streit, Aergerniß, und Aufdeckung 
der inneren Zerfallenheit der evangeliſchen Kirche, 
welche nach ihnen, in Deutſchland wie in England 
in den letzten Zuͤgen liegt. So werden die Ver— 


367 


ſammlungen in der Mitte November eröffnet. Und 
was geſchieht? Alle Verſammlungen beginnen mit 
wuͤrdigem Ernſt: bald ſtellt ſich Vertrauen ein: die 
Augen werden den Verſammelten geoͤffnet: Bruder 
erkennt den Bruder, im Lichte deſſen, wodurch ſie 
Bruͤder ſind. Man geht furchtlos in alle Fragen 
ein: die Verſchiedenheit der Anſicht ſcheint ſich nur 
kund zu thun, damit die hoͤhere Einheit des Glau— 
bens und der Liebe ſich offenbare. Alle Verſamm— 
lungen ſchließen mit den ruͤhrendſten Aeußerungen 
brüderlicher Liebe und des Bewußtſeins der Einheit 
in Chriſtus. Geſchaͤftlich giebt ſich eine hoͤchſt ach— 
tungswerthe Ordnung und Klarheit kund, obwohl 
jede Verſammlung ihre Geſchaͤftsordnung erſt zu ent— 
werfen hat. Hinſichtlich der Verfaſſung verlangen 
alle Verſammlungen einſtimmig die Herbeiziehung 
ihrer Bruͤder nicht geiſtlichen Standes: alle die 
Anerkennung des presbyteriſchen Elementes der Kir— 
chenverfaſſung, keine das ungemiſchte. Ueber den 
großen Punkt der Reinheit und Einheit der Lehre 
thut ſich, bei unverkennbarer Verſchiedenheit in der 
kirchlichen Formel fuͤr das wiſſenſchaftliche Bewußtſein 


368 


nicht weniger Einheit kund in dem Feſthalten der 
Worte Gottes und der rechtfertigenden Innerlichkeit 
der Geſinnung im Glauben an Chriſtus, oder, um 
die Worte der großen Mehrheit (faſt voller fünf 
Sechstel) der ſaͤchſiſchen Synode von 180 Geiſtlichen 
zu gebrauchen: „Die Norm des evangeliſchen Glau— 
„bens und Lebens ſei der Lehrinhalt der heiligen 
„Schrift, und zwar des Alten Teſtamentes, in ſo 
„fern daſſelbe auf Chriſtum hinweiſt, und des Neuen 
„Teſtamentes, in ſo fern daſſelbe auf Chriſtum zu— 
„ruͤckweiſt.“ Die hoͤchſten und heiligſten Punkte der 
Lehre werden mit gebuͤhrendem Ernſte und voller Ein— 
heit beſprochen, und die Synode ſchließt nach vier— 
zehntaͤgiger unausgeſetzter ernſter Berathung mit fol— 
gendem Ausſpruch: 

„Die Synode fuͤhlt ſich zu der Erklaͤrung ge— 
„drungen, daß ſie es zwar weder fuͤr rathſam, noch 
‚für ausfuͤhrbar erachtet, hinſichtlich des Lehrbegriffs, 
‚durch Ablaſſen auf der einen, durch Zuthun auf der 
‚anderen Seite, ein drittes Allgemeines zu erlangen 
„und feſtzuſtellen, welchem alles Beſondere ſich unter— 
„ordne, zumal ſie in dem Stehen auf der heiligen 


369 


„Schrift und in dem Glauben an Jeſum Chriſtum (dem 
„Mittelpunkt der Schrift) ein ſolches Band beſitzt und 
„mit Treue feſtzuhalten herzlich entſchloſſen iſt: daß ſie 
„aber, geſtaͤrkt und erhoben durch das bisherige bruͤ— 
„derliche, vom Geiſte des Herrn beſeelte, und durch 
„keine einzige ſchmerzliche Erfahrung getruͤbte Bei— 
„ſammenſein, nicht bloß ein großes Vertrauen auf den 
„Ernſt ihrer Glieder in Sachen, welche der Seelen 
„Seligkeit betreffen, ſondern auch die Hoffnung mit— 
„nimmt, das Hinſchauen auf die angedeuteten Wege der 
„Vermittlung und hauptſaͤchlich der Geiſt Gottes, wel: 
„cher in alle Wahrheit leitet, werde, bei anhaltendem 
„Forſchen, demuͤthigem Gebete und ernſtem Ringen nach 
„der Heiligung, jedes ihrer Mitglieder vollbereiten, 
„ſtaͤrken, kraͤftigen, gründen und dem Ziele größerer 
„Einigkeit mit der Geſammtheit, wie bereits in der 
„Geſinnung, ſo auch im Bekenntniß und in der Ver— 
„kuͤndigung entgegenfuͤhren, damit das Heil der Seelen 
„gewahrt und die Erbauung der Gemeinde Gottes 
„gefoͤrdert werde.“ 

Wir wenigſtens erblicken in dieſen Worten, nach 
ſolchem Thun ſo ernſter und wuͤrdiger Verſammlung, 


24 


820 


ein ermuthigendes Zeichen, daß der Geiſt Gottes ſich 
auch hier nicht unbezeugt bei uns laſſe, und ſehen 
der weiteren Entwicklung mit Zuverſicht entgegen. 
In ganz andern Umſtaͤnden aͤußerlich findet ſich 
die evangeliſche Kirche Baierns. Aber ihr Glauben 
hat in ihrer Pruͤfung eine deſto groͤßere Verherrlichung 
erfahren. Hat nicht das unverzagte Auftreten der 
Ansbacher Synode und das freudige Bekenntniß, daß 
ohne den groͤßten Gewiſſenszwang evangeliſchen Sol— 
daten nicht angemuthet werden koͤnne, vor der Hoſtie 
niederzufallen, einen Anklang bei allen freien deut: 
ſchen Herzen gefunden, ohne Unterſchied des Bekennt— 
niſſes, und einen Wiederklang durch ganz Europa? 
Ein Bekenntniß, durch ſeinen Ernſt und ſeine Innig— 
keit wuͤrdig der Zeit, worin die Apoſtel litten: ein 
Zeugniß, im Kampfe nicht des Einzelnen fuͤr ſtolze, 
unbeſchraͤnkte Macht: ſondern Tauſender und Millio— 
nen fuͤr Gewiſſensfreiheit: ein Auftreten vor der 
Regierung, nicht mit Pochen auf goͤttlichem Rechte, 
fondern in demuͤthiger Ergebenheit gegen die irrege— 
leitete nicht evangeliſche Obrigkeit. Und wenn eine 
ſolche ſchwere Pruͤfung viele tauſend Herzen mit 


371 


Schmerz und Wehmuth erfuͤllt, hat ſich dieß Mitge— 
fuͤhl unter den evangeliſchen deutſchen Mitbruͤdern in 
Haß und Zorn kund gegeben? Nein! der Grundzug 
der großen evangeliſchen Huͤlfsgeſellſchaft Deutſchlands, 
thaͤtige Unterſtuͤtzung beduͤrftiger Glaubensbruͤder, hat 
ſich inmitten der, durch die Kniebeugungsfrage her— 
vorgerufenen Aufregung nur noch klarer herausgeſtellt. 
Der Guftav : Adolphs : Verein ſchließt ſich mehr und 
mehr den wohlthaͤtigen chriſtlichen Vereinen an, welche 
ſeit zwei Jahrzehenden ſich frei, und fern von allem 
politiſchen Treiben geſtaltet und gebildet haben. Denn 
allerdings bedeckt ſich das ganze proteſtantiſche Deutſch— 
land, ja von ihm aus die Schweiz und Frankreich 
mit einem Netze, nicht geheimer Orden und im Stil— 
len ſchleichender fremdlaͤndiſcher Geſellſchaften, ſondern 
offener Bruͤderſchaften und freier Schweſterſchaften 
chriſtlicher Liebe; zum Troſt der armen und bedraͤng— 
ten Glaubensbruͤder. Hat aber die durch den Gu— 
ſtavs-Adolphs⸗ Verein hervorgerufene Aufregung der 
ganzen proteſtantiſchen Bevoͤlkerung Deutſchlands 
wirklich irgend eine politiſche Gefahr in ſich; ſo kann 
ſie im Augenblicke durch ein billiges Verfahren der 


24° 


32 


katholiſchen Regierungen Deutſchlands gegen ihre 
evangeliſchen Unterthanen beſeitigt werden. Iſt nicht 
unverkennbar, daß dem Ganzen keineswegs eine poli— 
tiſche Wuͤhlerei oder uͤberhaupt unchriſtliche Geſin— 
nung zu Grunde liege, ſondern ein, wenngleich dunk— 
les Gefuͤhl und ein, wenngleich noch nicht gelaͤuter— 
tes und klares Beduͤrfniß der Glaubensgemeinheit 
und der Bruderliebe? Sind nicht bereits durch den 
Gegenſtand und die Thaͤtigkeit dieſer, viele Millionen 
umfaſſenden evangeliſchen Huͤlfsgeſellſchaft, Tauſende 
geweckt worden aus dem Schlafe der Selbſtſucht und 
aus dem Tode des Unglaubens, und angetrieben zur 
Theilnahme an den Werken des in der Liebe thaͤti— 
gen Glaubens, in wenigen Monaten mehr als durch 
alle gelehrten Redensarten ſeit einem Jahrzehend? 
Wir wollen keinen Bund der Evangeliſchen im ge— 
liebten und lange genug zerriſſenen deutſchen Vater— 
lande wiederaufbauen: aber wir wiſſen ſehr wohl, 
daß man ihnen keine Ligue entgegenſetzen koͤnnte, 
wenn man auch wollte, aus dem einfachen Grunde, 
weil die katholiſchen Voͤlkerſchaften nicht mehr ſich 
von Prieſtern fanatiſiren laſſen wollen. Was inner 


373 


halb der roͤmiſchen Kirche in Deutſchland geſchehen, 
haben wir nicht hervorgerufen: ſondern es iſt offen— 
kundig das Auflehnen der Gemuͤther gegen die Strenge 
der katholiſchen Geiſtlichen, hinſichtlich der gemiſchten 
Ehen und gegen eine Richtung, die ſich bei Ausſtel— 
lung des heiligen Rockes in Trier kund gab. Die 
neuen Gemeinden wollen Freiheit, wie jeder es will. 
Ob ſie ſie erlangen und behaupten, wird von ihrer 
Stellung zum Kern des Chriſtenthums, zu Chriſtus, 
abhangen. Wir Evangeliſchen wollen nur Frieden 
und koͤnnen nur Frieden wollen. Wir haben im 
Kampfe um kirchliche Fragen uns uͤber die Kirche 
und ihre Verfaſſung zu verſtaͤndigen begonnen. Die 
Streitigkeiten uͤber die Union, die Liturgie, ja ſelbſt 
uͤber Coͤln und Jeruſalem haben uns darin weiter 
gefuͤhrt, als alle Abhandlungen uͤber die Augsburgiſche 
Confeſſion und ihre Lesarten, und ſelbſt weiter, als 
alle Spekulationen uͤber das Verhaͤltniß von Staat 
und Kirche. Man kann beſſere Beweiſe der Kraft 
verlangen, als die Streitſchriften, welche jene Ange— 
legenheiten hervorgerufen: aber wir ſind weiter ge— 
kommen mit dem allen: es hat ſich die einwohnende, 


324 


obwohl zerſplitterte und verkuͤmmerte Lebenskraft in 
uns wieder erweckt: nicht eine kuͤnſtlich gemachte, 
ſcheinbare, ſondern natuͤrlich freie, wahre. In allen 
dieſen Beſtrebungen liegt nothwendig etwas Anregen— 
des fuͤr das ganze deutſche Volk: aber ſie ſind in 
ſich keineswegs feindlich und kriegeriſch. Umgekehrt, 
wir koͤnnen, wie fuͤr das gemeinſame deutſche Vater— 
land, ſo fuͤr die Entwicklung der großen Kirchenfrage 
nur Erhaltung des Friedens und Fortſchreiten der 
geſetzlichen Freiheit wuͤnſchen. Ja wir werden allen 
Verſuchungen und Anreizungen widerſtehen, welche 
darauf hingehen moͤchten, deutſche Staͤmme und 
Bruͤder in feindliche Lager zu trennen, und wieder 
fuͤr Jahrhunderte gegen einander abzuſchließen. Wir 
ſind daran gegangen, unſere eigene Kirche wieder zu 
bauen, auf Liebe, Hoffnung, Glaube: alſo auf buͤr— 
gerliche und geiſtige Einheit und gemeindliche TIha: 
tigkeit in geſetzlicher Ordnung. 

Aber auch die Wiſſenſchaft iſt der Wirklichkeit 
nicht ſo fern geblieben, als ſie ihr noch vor zehn 
Jahren ſtand. Sie hat mehr als je vorher ihre 
Augen aus den grenzenloſen Reichen der Idee, und 


375 


von der Erforſchung untergegangener Jahrhunderte 
hinweggewandt auf die große Aufgabe der Gegenwart 
und Zukunft. Es zeigt ſich auch bei ihr uͤberwiegend, 
ſtatt der Störrigkeit der alten proteſtantiſchen und 
reformirten Theologen, eine eben ſo weitherzige und 
freie als chriſtliche und kirchliche Richtung, die nicht 
in Haß und Streit wandeln will, ſondern in Liebe 
und Verſoͤhnlichkeit: und das nicht aus Gleichguͤltig— 
keit, ſondern aus Erkenntniß und Weisheit. 

Haben die Maͤnner der Wiſſenſchaft in Bonn 
und Erlangen nicht freudigen, begeiſterten und begei— 
ſternden Antheil genommen, an dem Kampfe und Leben 
des Glaubens, der um ſie entbrannt iſt? Und hat 
das etwa ihrem wiſſenſchaftlichen Leben geſchadet und 
nicht vielmehr daſſelbe gefoͤrdert? Iſt uͤberhaupt nicht 
in der rein wiſſenſchaftlichen Behandlung die Einhel— 
ligkeit und glaͤubige Uebereinſtimmung aller namhaften 
Maͤnner der Wiſſenſchaft und Forſchung merkwuͤrdig, 
welche ſich uͤber die Grundlage der kirchlichen Ver— 
faſſungsfrage ausſpricht, und der Fortſchritt, welchen 
dieſe Betrachtung in dem letzten Jahrzehende gemacht 
hat? Ueber die Unvertraͤglichkeit des evangeliſchen 


376 


und apoftolifchen Chriſtenthums mit einer levitiſchen 
Geiſtlichkeit und kanoniſtiſchen Gerechtigkeit, alſo mit 
dem folgerechten Syſtem des hochkirchlichen Epiſkopa— 
lismus von Laud bis Newman beſteht in der deutſchen 
Wiſſenſchaft ſo wenig als im deutſchen Volke irgend 
eine Verſchiedenheit der Anſicht. Rudelbach und 
Hengſtenberg haben ſich daruͤber eben ſo beſtimmt und 
ſcharf ausgeſprochen als Schleiermacher und Nitzſch. 
Die Beſchraͤnktheit und Thorheit des Independentis— 
mus und der Lehre der Freiwilligkeitskirche ſind in kei— 
nem Lande gruͤndlicher, wenn auch hier und da klarer 
und praktiſcher dargethan, als in Deutſchland. Aber 
auch die hiſtoriſchen Irrthuͤmer und Einſeitigkeiten, 
und die Starrheit des Syſtems des alten Presbyte— 
rianismus haben ihre gerechte Wuͤrdigung gefunden, 
nicht bloß in Richard Rothe, dem begeiſterten Freunde 
des urſpruͤnglichen Biſchofthums, und in Carl Rothe, 
dem warmen Verehrer und beredten Lobredner der 
lutheriſchen Lehre von der Kirchenverfaſſung, ſon— 
dern auch bei Sack, dem eifrigen reformirten Lehrer 
und Mitgliede einer reformirten Synode, und ſelbſt 
bei Sydow, dem Apoſtel der freien ſchottiſchen Kirche 


377 


in Deuſchland. In allen dieſen herrſcht, bei merk: 
licher Verſchiedenheit in andern Punkten, doch eben 
wie in jenen praktiſchen Beſtrebungen derſelbe evan— 
geliſche Glaube, daſſelbe Verlangen nach dem Chri— 
ſtenthum, um ſeines ſelbſt willen, derſelbe Drang, 
von Wiſſen zur That, aus der Schule ins Leben zu 
treten; daſſelbe ahndungsvolle und glaͤubige Gefuͤhl 
einer beſſern Zukunft, und in allen dieſen dieſelbe 
Geiſtigkeit und Freiheit, welche das deutſche Volk in 
ſeinen beſten und groͤßten Zeiten vor allen Voͤlkern 
der Erde ausgezeichnet hat. 

Es ſind dieſe Lebenszeichen, welche mich ſeit 
1840 im Vaterlande erquickend und begeiſternd an— 
geweht haben, und wie ein belebender Fruͤhlingshauch 
mir in die Fremde nachgefolgt ſind. Es war dieſes 
freudige Bewußtſein, welches mich erfuͤllte, als mir 
mit einer fremden Kirche uͤber die Gruͤndung eines 
feſten, weltgeſchichtlichen Punktes im Morgenlande zu 
unterhandeln aufgetragen war, und ſpaͤter, als ich 
das Bekenntniß niederſchrieb, welches ich jetzt der 
Oeffentlichkeit uͤbergebe. Dieß endlich wird mir auch, 
unter allen Verhaͤltniſſen den Muth geben, meine 


378 


Ueberzeugungen frei zu bekennen. Es wird meinen 
Glauben erhalten und ſtaͤrken, an die weltgeſtaltende 
Kraft, welche auch jetzt im deutſchen Volke liegt, und 
an das Lebenspfand fuͤr eine ſchoͤne und große Zukunft 
der evangelichen Kirche meines Vaterlandes. Und 
ich danke Gott, daß ich weiß und frei ſagen darf, 
daß unter allen, die ich kenne und verehre, Niemand 
einen groͤßeren Widerwillen in ſich traͤgt gegen leere 
Aeußerlichkeiten und gegen auslaͤndiſche Formen des 
Volkslebens, Niemand Freiheit auch auf dieſem Ge— 
biete inniger ehrt und wahrhaftiger wuͤnſcht, als der 
Koͤnig, auf welchen ſo viele deutſche Herzen und ſo 
viele evangeliſche Chriſten, auch in dieſem Lande, mit 
Vertrauen, Hoffnung und Fuͤrbitte hinblicken. — 


Anhang. 


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Auszüge 
aus den Verhandlungen der rheiniſchen 
Provinzialſynode von 1844. 


3% 
Die beiden erſten Vorſchläge der kirchlichen Ver- 


faſſungscommiſſion der Synode. 


Funfzehnte Sitzung (den 10. Sept.). Der 
erſte Vorſchlag wurde folgendermaßen eingeleitet. 

Durch Staatsregierung und Verwaltung werden 
alle oͤffentlichen Funktionen des Gemeinlebens bedingt. 
Ein ſelbſtaͤndiger Staat im Staate iſt nicht zulaͤſſig. 
Die deutſch⸗evangeliſche Kirche, auch die Presbyterial— 
kirche, will ſich der Aufſicht nicht entziehen, die in dem 
Rechte und der Pflicht der Landeshoheit gegruͤndet iſt. 
Polizeiliche Aufſicht der Regierung, Schutz des Gottes— 
dienſtes, ſchirmendes und ſchiedsrichterliches Sichverhal— 
ten des Staats in Bezug auf allen Kultus, und daher 
ein Zulaſſungs⸗, Einfichts- und Aufſichtsrecht, wollen 


382 


wir Alle. Taͤgliche Erfahrungen, Einſicht in die In⸗ 
ſtruktionen der Regierungen, Kenntniß der neueren preu— 
ßiſchen Staats- und Kirchengeſchichte lehren aber, daß 
Staatsaufſicht im Kirchlichen nicht in ſo eingeſchraͤnktem 
Sinne gemeint werde. Man nimmt ſie im Sinne des 
territorialiſtiſchen Syſtems; man leitet die Kirchengewalt 
aus dem Begriff des Staats und der Landesherrſchaft 
her. Veranlaſſung dazu gab die Thatſache, daß, obgleich 
die Reformatoren kirchliche und weltliche Gewalt genau 
unterſcheiden, doch die deutſche Reformation durch lan⸗ 
desherrliche Viſitationen zu Stande kam. Die Landes- 
herren wurden Nothbiſchoͤfe, uͤbten faktiſch die Kirchen⸗ 
gewalt aus und foͤrderten zuweilen mit ſtarker Hand die 
Reformation. Der Religionsfriede geſtand den Landes— 
obrigkeiten als ſolchen das Reformationsrecht zu. Lan⸗ 
desherrliche und geiſtliche Gewalt vermiſchten, verſchmol⸗ 
zen, verwirrten ſich. Zuruͤckgehend auf den Anfang ſuchte 
man in beſondern Syſtemen die Sache aufzuklaͤren. Man 
ſagte, der Landesherr habe Epiſkopalrechte nach einer 
vorausgeſetzten Devolution (Leipziger Epiſkopalſyſtem). 
Dieß genuͤgte den Hallenſern nicht. Nach Chriſt. Tho⸗ 
maſius, deſſen Anſicht, durch J. H. Boͤhmer nicht be⸗ 
richtigt, auf die preußiſchen Staatsmaͤnner Einfluß uͤbte, 
beſtimmt der Landesherr als ſolcher die aͤußere Religion; 


383 


d. h. das Liturgiſche, Disciplinariſche, Oekonomiſche ord- 
net er aus landesherrlicher Vollmacht; die innere Reli: 
gion, das Dogmatiſche, uͤberlaͤßt er den Gemeinden und 
der Geiſtlichkeit. — Hier iſt keine Kirchengewalt, nur 
Staatsgewalt. — In andern Laͤndern beſtand noch lange 
das Konſiſtorium, ein Surrogat der biſchoͤflichen Regie— 
rung. Im preußiſchen Staate wurde ihm eine Befugniß 
nach der andern genommen, bis es endlich ganz ver— 
ſchwand. Das Kirchenregiment wurde ein Zweig der 
Staatsgewalt. Erſt Friedrich Wilhelm III. fuͤhrte wieder 
eine Art von Konſiſtorialverfaſſung ein (1817); und da 
die Regierungskollegien noch immer einen betraͤchtlichen 
Theil des Kirchenregiments behielten und das Konſiſto— 
rium zu uͤberfluͤgeln ſchienen, ſo ſtellte er noch die Ge— 
neralſuperintendenten auf. Aber auch dadurch war die 
Unkirchlichkeit der Kirchenregierung noch nicht uͤberwun— 
den; die Regierungen waren noch zu kirchlich, die Konſi— 
ſtorien noch zu wenig kirchlich. Dieſe ſchwankende unbe— 
greifliche Regierung hat die edelſten Beſtrebungen des 
Koͤnigs verkuͤmmert und zu unheilvollen Maßregeln der 
Bedruͤckung verleitet. Uns iſt mit der Kirchenordnung 
eine Herſtellung der aͤlteren Presbyterialverfaſſung ge— 
währt. Anwendung und Durchführung des territoriali— 
ſtiſchen Grundſatzes inmitten derſelben wuͤrde eine Ver— 


23384 


neinung der alten Verfaſſung ſein. Wir ſind in einem 
ſolchen Widerſpruch. Die Regierungen uͤben die ihnen 
nach den Inſtructionen von 1817 und 1825 zuſtehenden 
Befugniſſe uͤber die Provinzialkirche aus, ohne daß dieß 
mit dem Buchſtaben der Kirchenordnung und den billigen 
Vorausſetzungen, womit man dieſelbe empfing, uͤberein— 
ſtimmte. Die Regierungen von Coblenz und Trier be— 
ſetzen die Pfarraͤmter, miſchen ſich in die Frage, wie viel 
Predigten, Catechiſationen, gottesdienſtliche Zuſammen⸗ 
kuͤnfte in die Berufungsurkunde aufzunehmen ſeien, auch 
da wo Wahlrecht iſt. Sie uͤben eine antheilige Disciplin 
uͤber die Geiſtlichen, inſpiciren den Haushalt der Ge— 
meinen, und verfahren dabei gegen die eine Synode ſo, 
gegen die andere anders. Gar oft concurriren und colli- 
diren auch Konſiſtorien und Regierungen. Abgeſehen 
aber davon iſt es ein unzulaͤſſiger und druͤckender, weder 
natuͤrlicher noch rechtlicher Zuſtand, daß Collegien, welche 
theilweiſe aus Entholifchen Raͤthen, theilweiſe aus prote— 
ftantifchen, die ohne Ruͤckſicht auf kirchliche Einſicht und 
Geſinnung ernannt werden, beſtehen, einen betraͤchtlichen 
Theil der Kirchengewalt ausuͤben. Die Commiſſion traͤgt 
demnach darauf an, den Koͤnig zu erflehen, daß die 
Abſonderung der evangeliſchen Kirchenverwal⸗ 
tung vom Reſſort der Regierungen verordnet 


385 


und der Name dieſes Collegiums aus §. 148 weggelaſſen, 
§. 59 Nr. 14 mit dem des Konſiſtoriums vertauſcht, 
oder doch ein feſter, klarer Unterſchied der 
ſtaatlichen und kirchlichen Aufſicht uͤber das 
evangeliſche Gemeindeleben ausgedruͤckt werde, 
welcher nicht nach dem oft zweifelhaften Begriff von 
Innerem und Aeußerem zu bemeſſen iſt, ſondern nach 
dem Unterſchied der hoheitlichen Rechte und der Kirchen— 
gewalt. — Die Beſtatigung der Vocation (Pfarrerwahl) 
bleibt uͤbrigens immer Sache der Staatsbehoͤrde. Dieß 
fordert ſchon das Intereſſe der Paritaͤt der Confeſſionen. 
Aber die verfaſſungsmaͤßige Wahl muß der oberen Kir— 
chenbehoͤrde angezeigt, wenn der Gewaͤhlte ein Candidat 
iſt, von ihr die Ordination begehrt; endlich auch die 
Gutheißung des ſpeciellen Theils der Vocation von ihr 
ertheilt werden. Dieß Alles iſt kirchlich, kann nicht auf 
der Beſtaͤtigung der Regierung beruhen, und muß dieſer 
vorangehen. Die Kirchenbehoͤrde kann aber auch die 
politiſche Beſtatigung vermitteln, und ſammt der kirch— 
lichen dem Superintendenten zugehen laſſen. — Was aber 
die Verwaltung des Kirchenvermoͤgens betrifft, ſo reſſor— 
tirt die Genehmigung gezwungener Umlagen immer von 
der Regierung. Es bleibt bei der aus dem politiſchen 
Aufſichtsrechte reſultirenden Oberaufſicht, und es iſt da— 


25 


288 


gegen nichts Erhebliches einzuwenden, wenn nur der 
Kirche die ſelbſtaͤndige oͤkonomiſche Verwaltung nach 
ihren Inſtanzen verbleibt. Da auch dieſe erfahrungs⸗ 
maͤßig als zutraͤglich ſich herausſtellt und hinlaͤngliche 
Sicherheit darbietet, ſo ſteht jener Bitte um Abſonderung 
nichts entgegen. — Der ſo begruͤndete Antrag fand 
allgemeine Zuſtimmung. 

Der zweite Hauptvorſchlag der Commiſſion ging 
dahin, daß die Provinzialſynode bei des Koͤnigs Majeſtaͤt 
die Entwicklung des Conſiſtoriums zu einer, 
der evangeliſchen Kirche überhaupt, der Presbyterial— 
kirche insbeſondere erforderlichen, wahrhaft kirchlichen 
obern Verwaltungsſtelle beantrage. Dieſe Kirch: 
lichkeit aber ſollte nicht vom biſchoͤflichen noch vom terri⸗ 
torialiſtiſchen Prinzip emanirt, ſondern auf die innere 
Vereinigung des landesherrlichen Pflegeamts, des von 
feiner poſitiven Seite betrachteten ius eirea sacra, mit 
dem chriftlichen Gemeinderechte gebaut fein, und ſowohl 
formell als materiell beſtehen: materiell, inwiefern die 
Kirche blos nach ihren Geſetzen regiert wird, nachdem 
der Landesherr dieſelben ſactionirt hat; formell, inwie— 
fern die Vocation des Perſonals und die Conſtitution 
des Collegiums beweiſen, daß das landesherrliche Recht 
mit dem der Gemeinde zuſammengeht. Nur ſo giebt es 


38? 


in der Presbyterialkirche eine wahre Pietaͤt gegen die 
Entſcheidung der Behörden, nur fo eine vorläufige Be— 
ruhigung, zumal bei Verfuͤgungen in Lehre, Cultus und 
Disciplin, die ſich der Geſetzgebung naͤhern. Der ge— 
genwaͤrtige Zuſtand genuͤgt nicht. Das Conſiſtorium 
mit ſeiner Inſtruction hat zu viel und zu wenig Befug— 
niſſe: zu viel in Bezug auf die niedern, zu wenig in 
Bezug auf die hoͤhern Behoͤrden. Hier iſt es durch die 
Regierung zu ſehr gehindert, auch durch das Miniſterium 
beengt; dort zu politiſch geſtellt. — Iſt es nun an der 
Zeit, Conſiſtorial⸗ und Synodalverfaſſung zu vereinigen? 
Die Kirchenordnung und die Inſtruction von 1817 loͤſen 
die Aufgabe nicht. Jene beſtimmt uͤber Weſen, Befug— 
niß und Stellung des Conſiſtoriums nichts Neues und 
Feſtes. Dieſe, welche zunaͤchſt bindend fuͤr die Acte 
deſſelben bleibt, weiſt es nicht an, in Allem auf die 
verfaſſungsmaͤßige Entſcheidung der Synode zu achten 
und daran anzuknuͤpfen; ſie macht es vielmehr geneigt, 
in den innern Angelegenheiten gelegenheitlich, zumal auf 
miniſteriellen Anſtoß, verordnend an die Superintenden— 
ten ꝛc. ſich zu wenden, als gaͤbe es keine Synode. Dieß 
iſt eine Quelle haͤufiger Conflicte und Conteſtationen 
vor dem Miniſterium. Beide (Synode und Konſiſtorium) 


haben ſich gegenſeitig bei den Gemeinden um ihr An— 
25 


388 


ſehen gebracht, und die Verwaltungs- und Verfuͤgungs— 
behoͤrde druͤckt das Organ der kirchlichen Sinnesaͤuße⸗ 
rung zu einem bloß berathenden Collegium herab. Die 
Kirche hat das Fundament ihrer ordnenden und aller 
Lebensthaͤtigkeit in der koͤrperſchaftlich organiſirten Ein⸗ 
zelgemeinde. Die Presbyterialkirche verlangt aber auch 
kirchlichen Verband, und entwickelt ſich, vom Geiſte aus 
und von einer Verknuͤpfung des Kirchenregiments zur 
andern, zu einer Bewegung der Selbſtaufſicht und der 
Selbſtvervollkommnung nach dem goͤttlichen Worte und 
nach ihrer reformatoriſchen Geſchichte. Dieſe Bewegung 
kann in der landesherrlichen Theilnahme ihre Beruhigung 
und Beſtaͤtigung finden. Das landesherrliche Recht hat 
aber theils eine negative Seite: Veto und Zulaſſung, 
Schutz- und Schiedsrecht; theils eine poſitive: Pflicht 
und Recht der Pflege. Der evangeliſche Landesherr iſt 
gleichſam der Oberaͤlteſte. Landesvaterſchaft und Haus⸗ 
vaterſchaft in gleichem Bekenntniß haben eine analoge 
Bedeutung. Nur darf ſich das epiſkopaliſtiſche und 
territorialiſtiſche Prinzip nicht wieder einmiſchen. Das 
Gemeinderecht muß verfaſſungsmaͤßig vollzogen werden. 
Die Provinzialſynode faßt Beſchluͤſſe, die vom Landes⸗ 
herrn genehmigt werden; die landesherrliche Behoͤrde 
bringt Proponenda an die Synode. Es muß aber eine 


289 


beftändige Verwaltungsbehoͤrde da fein. Beide Seiten 
ſind organiſch zu verbinden, mit Unterſcheidung und ohne 
Vermiſchung. — Dieſe Anſicht ſetzt bei ihrer Verwirk— 
lichung folgenden Antrag vorans: 

Des Koͤnigs Majeſtät wird Namens der Gemein— 
den der rheiniſchen evangeliſchen Kirche angefleht, 
die Geſammtheit der landesherrlichen Rechte in 
Bezug auf dieſe Kirche zwar durch ein nur ihm 
verantwortliches geiſtliches Miniſterium auszuuͤben, 
aber durch ihre Regierungscollegien nur das allge— 
meine hoheitliche Recht ausuͤben zu laſſen, das 
Pflegerecht (als Oberaͤlteſter) dagegen durch 
eine kirliche Oberbehoͤrde, durch ein Colle— 
gium, das mit der Presbyterialkirche in organiſcher 
Verbindung ſteht, nach Vorſchlaͤgen der Provinzial— 
ſynode, deren Modalitaͤt naͤherer Beſtimmung unter— 
liegt, vom Koͤnige ernannt und mit Inſtructionen 
verſehen werde: 

1) In Gemeinſchaft mit der Provinzialſynode, in 
welcher ſeine Mitglieder Sitz und Stimme haben, 
die kirchlichen Ordnungen zu berathen und zu be— 
ſchließen; 2) die Beſchluͤſſe zur landesherrlichen 
Sanction zu bringen; 3) nach den ſactionirten Ord⸗ 
nungen die Provinzialgemeinde zu beaufſichtigen; die 


390 


Candidaten zu prüfen und zu qualificiren, die verfaf- 
ſungsmaͤßig vocirten Pfarrer und deren Vocation, 
beziehungsweiſe nach Benehmen mit den Regierun⸗ 
gen, zu beſtaͤtigen, die Lehr-, Liturgie-, Geſang- und 
Unterrichtsbuͤcher mit der Provinzialſynode zu pruͤfen 
und zu approbiren, in Anſehung der Disciplin uͤber 
Pfarrer, Aelteſte, Candidaten, und des Haushalts 
in den Gemeinden die obere Inſtanz zu bilden, ohne 
den verfaſſungsmaͤßigen Vorſtufen vorzugreifen, die 
in Eigenthums- und Ehrenſachen Recht ſuchenden 
Gemeinden durch ſeinen Juſtitiarius zu berathen und 
zu vertreten, und zur Vollziehung der Kirchenord— 
nung anweiſend, einſchreitend, beſcheidend, ſchlichtend 
zu verfuͤgen. 

Dieſe Inſtruction waͤre als integrirender Beſtand— 
theil in die Kirchenordnung aufzunehmen. 

Wie nun dieß auszufuͤhren, wie zu dem Neuen 
hinuͤberzuleiten, wie die Ausuͤbung des Vorſchlags— 
rechts der Provinzialſynode zu den Stellen des 
obern Kirchenraths naͤher zu beſtimmen ſei, ob 
3 Geiſtliche und 2 Aelteſte unter dem Praſidium der 
Generalſuperintendenten und des Juſtitiarius einzu— 
richten — dieſes alles iſt der Weisheit und dem 
hoͤhern Ermeſſen der Raͤthe des Koͤnigs zu uͤber— 


391 


laffen, mit der Zuverſicht, daß fie keine zu großen 
Schwierigkeiten darbieten werden. 

Die Synode erklaͤrt ohne weitere Discuſſion mit 
allgemeiner Zuſtimmung, daß in dieſem Antrage 
das Reſultat der weſentlichen Wuͤnſche zuſammen⸗ 
gedraͤngt ſei. 


>) 
ws 


Bericht der Commiſſion für Erwägung der con- 
feſſionellen Verhältniſſe. 


Siebenzehnte Sitzung (den 12. Sept.) Erſte 
Abtheilung des Commiſſionsberichts: Paritaͤtsver— 
haͤltniß. 

Fuͤr Katholiken und Evangeliſche in Deutſch— 
land, namentlich in Preußen, iſt Paritaͤt das Cardi⸗ 
nalgeſetz. Wir Evangeliſche billigen dieß von Herzen. 
Denn ſo will es die Gerechtigkeit, darauf beruht der 
Friede, die Staͤrke, das Wohl des Vaterlandes; und ſo 
iſt es ind den Friedensſchluͤſſen feſtgeſetzt. Jene undeutſche 
Partei aber, welche ſchon fruͤher namenloſes Elend uͤber 
Deutſchland gebracht, erhebt aufs Neue ihr Haupt, be⸗ 


BR... 


fonders in Preußen und in der Rheinprovinz. Die 
evangeliſche Kirche weicht vor dem Kampfe nicht zuruͤck 
auf dem Gebiete des Glaubens und der Wiſſenſchaft. 
Gewaffnet mit dem Worte Gottes und der Wahrheit, 
iſt ſie des endlichen voͤlligen Sieges gewiß. Daneben 
aber macht fie den Anſpruch, daß der Staat die Parität 
ganz realiſire, und der evangeliſchen Kirche die voͤllige 
Freiheit im Gebrauche ihrer Mittel gelaſſen werde, was 
bisher nicht geſchehen iſt. — Demnach moͤge die Synode 
folgende Antraͤge ſtellen: 

1) „Daß es der evangeliſchen Kirche ge— 
ſtattet werde, ſich ſelbſt zu leiten und zu regie— 
ren und die Kirchenordnung hiernach fortzu— 
bilden zu groͤßerer Freiheit der Kirche — nach 
dem Grundſatz der Paritaͤt. — In der Kirchenord— 
nung liegen die Keime einer freien Kirchenverfaſſung; dieſe 
ſind aber mit territorialiſchen Elementen bedeckt. Die 
Generalſuperintendenten und Conſiſtorien find ja Staats— 
behoͤrden, die Regierungen, die den externis vorſtehen, 
ſind ſogar weltliche, ja confeſſionell gemiſchte Behoͤrden, 
mit Uebergewicht der Katholiken. Aber auch die zeitlichen 
Intereſſen der evangeliſchen Kirche werden vielfach ver— 
kannt und immer kuͤhner angegriffen. Und die katholi⸗ 
ſchen Geiſtlichen haͤngen von den Biſchoͤfen ab, dieſe 


333 


vom Papſt. Den Biſchoͤfen ſtehen geiftliche Raͤthe und 
ein Juſtitiarius zur Seite; und in den Regierungen wird 
ihre Sache nachdruͤcklich vertreten. Da iſt Unabhaͤngig⸗ 
keit, Einheit, Macht und Schutz; bei den Evangeliſchen 
Abhängigkeit, Spaltung, Zwieſpalt im Regiment, Ge— 
bundenheit der Kräfte, verhaͤltnißmaͤßige Verlaſſenheit 
und Preisgebung. Die Parität iſt kaum ein Schatten, 
zu großem Schaden der evangeliſchen Kirche. — Der 
ſo motivirte Antrag, die Summe der Antraͤge der Com— 
miſſion fuͤr Reviſion der Kirchenordnung, hier aus dem 
Geſichtspunkte der Paritaͤt wieder aufgenommen, wurde 
zum Beſchluß erhoben. 

2) Daß das Miß verhaͤltniß, hinſichtlich 
der Unterftusung aus Staatsmitteln zwifchen 
Katholiſchen und Evangeliſchen aufgehoben 
werde. Wie in der Verfaſſung dem Staate gegen— 
uͤber die katholiſche Kirche in entſchiedenem Vortheil iſt, 
ſo auch, wie es ſcheint, in Anſehung der Mittel, die 
der Staat zu kirchlichen Zwecken hergiebt. Nach dem 
zuletzt bekannt gemachten Staatsetat erhalt die katholi— 
ſche Kirche im Ganzen 712,215 Thlr., die evangeliſche 
nur 239,775, während die Cvangeliſchen doch beinahe 
zwei Drittel der Bevölkerung betragen. Was aber ins— 
beſondere die Rheinprovinz betrifft, fo beziehen die Ka⸗ 


394 


tholiken (1,889,000 E.) 293,000 Thlr., die Evangelifchen 
(590,000 E.) nur 33,274 Thlr. Bei den vielfach drin⸗ 
genden Beduͤrfniſſen der evangeliſchen Kirche iſt um ſo 
mehr zu hoffen, daß das Erforderliche bewilligt werde, 
da dem Anſchein nach die katholiſche eine ſo bedeutende, 
unſere Beduͤrfniſſe und Forderungen fo weit uͤbertreffende 
Summe erhaͤlt. 

Der Antrag, mit hervorgerufen durch den Eindruck, 
den der Etat auf die evangeliſche Bevoͤlkerung gemacht, 
wurde in der Weiſe zum Beſchluſſe erhoben: Die Sy— 
node wuͤnſcht, daß die Pro vinzialgemeinde 
über jenes auffallende Miß verhaͤltniß aufge— 
klaͤrt und beruhigt werde, indem die Paritaͤt 
hier vermißt wird, und es wenigſtens den 
Schein hat, daß die evangeliſche Kirche bei 
den Unterſtuͤtzungen aus Staatsmitteln zuruͤck— 
geſetzt werde. Zugleich aber ſieht ſich die Sy— 
node gedrungen, in Bezug auf die beſondern 
Wohlthaten, welche durch die Gnade Sr. Ma— 
jeftät einzelnen Geiſtlichen und Gemeinden zu 
Theil geworden, ihren innigen Dank auszu— 
ſprechen. 


II. 
Original des BDriefwechfels. 


(S. oben pag. 25 — 54.) 


Casque Feltercairne, September 2. 1843. 


My dear Friend. 


Loa were so good as to place in my hands before 
my departure from London the work, in which, as 
I understood you, an authoritative exposition of the 
nature of the arrangements connected with the Bishop- 
rie at Jerusalem is given to the German publie: 1 
mean the „Geschichtliche Darlegung mit Urkunden.“ 
I have read it with deep, but I am bound to say with 
painful interest: and I feel that frankness on my part, 
and the recollection of a thousand kindnesses on yours, 
require of me that you should be the first person to 


whom I should thus state the nature of my impressions. 


396 


You will not understand me to impeach the motives 
with which this exposition has been written, or the per- 
feet title of the author — I think you told me it was 
Abeken’s — to publish any view which he may think 
fit of the German Protestant Church: but I do grieve 
that with this there should be connected a view of the 
English Church, and the proceedings of the Primate and 
the Bishop of London in relation to this Bishoprie, which 
seems to me, I confess, not only quite at variance with 
the real character of the project itself, but also utterly 
fatal to whatever life or reality, whatever of hope for 
any others or for ourselves, there may be in our Epis- 
eopal Constitution. 

i am bound to express the strongest conviction, 
that these Prelates are not parties to the statements of 
doctrine concerning the constitution of a Church, which 
are ascribed in this work to their Church; nor to the 
general principles on which the third Seetion of it is 
founded, according to which I distinetly gather, that 
the persons whom the Bishop at Jerusalem is to ordain for 
the German congregations (if any) will be, in the view of 
the author of that work, in full ministerial communion with 
the ecelesiastical establishment both of their own coun- 


try and of ours, and may move to and fro between the 


397 


one and the other, officiating in each. I am equally 
convinced, that such was not the construction put upon 
the plan in this country, and is not in point of fact the 
right construction. The question of communion between 
religious bodies cannot, it is obvious, be settled hy a bye- 
blow, and any attempt thus to deal with it could only 
introduce confusion — but I fear that either Germany 
has received an erroneous representation of the design, 
or that there are fundamental diserepaneies in the views 
with which it has been promoted on this side of the 
water and on that respectively. 

My object in thus addressing you is really not to 
ask you to satisfy my mind by taking trouble upon your- 
self, so much as to liberate my own conscience in sta- 
ting the view forced upon me by a work which you 
placed in my hands: but undoubtedly it would be a relief 
and pleasure to me if you could acquaint me, that the 
„Geschichtliche Darlegung“ does not, in the partieu- 
lars which I have named, convey an authoritative sense, 
to which the King of Prussia is pledged: and if it were 
not pressing too far I should be very glad to learn, 
whether the Archbishop and the Bishop of London, who 
act in this matter as presumed representatives of every 
member of the English Church, are acquainted with the 


contents of the work? 


328 


But I beg that you will not seruple to deeline the 
trouble of answering, if you think that I had asked 
what you cannot with the most perfeet convenience and 
propriety answer. 

I sincerely hope that you are now enjoying a holi- 
day elsewhere than in London, though I address you 
there. 


Believe me always 


sincerely and warmly yours 


(sig.) W. E. Gladstone. 


Lasque, September 8, 1843. 


My dear Friend, 


— — — — I ought to add a word with reference 
to my last letter. I am afraid the regrets I expressed in it 
may savour of assumption and arrogance. Any such fee- 
ling, Iassure you, was far from me — and I pray you to 
exeuse the appearance of it. Although I see in the Church 
of England everywhere the signs of revival and impro- 


vement, and although it is a duty to acknowledge and to be 


399 


thankful for them, yet certainly every year that I live, 
and growing experience of publie affairs, makes me more 
deeply and painfully sensible of our sins, scandals and 
unworthiness as a Church. But then it is in the Episco- 
pate as the basis of truly apostolieal institutions and 
discipline that I see the one vivid and powerful hope of 
our recovery. To efface therefore or weaken the de- 
fining lines of that basis, and of the little discipline 
now connected with it, would be as 1 feel ruin to us, 
quite uncompensated by any benefit to others. — 
Believe me ever 


most warmly and sincerely yours 


(sig.) W. E. Gladstone. 


Carlton Terrace, Sept. 13. 1843. 


My dear Friend, 


I received Your letter of the 2. last Saturday when 
I was stepping into my carriage to go to town: and here 
I have been so entangled in business up to last night, 


that I can only this morning take up my pen to thank 


400 


you for the kindness which prompted you to eommuni- 
cate to me rather than to any other the painful impres- 
sions which the third part of the German statement had 
produced upon your mind, 

Now, my dear friend, let me first state, that the 
work must tell its own tale. It was written, by the 
king’s order, by one who had access to the papers and 
communications relating to my negociation and the exe- 
eution of its result. He has given such documents and 
extracts of documents (including the „Statement“) as he 
thought fit. That is the official part of it: and I 
must leave this, right or wrong, to its own merits. 

The rest of the book is the work of the author. He 
wished to explain the king’s idea and the documents re- 
lating to its execution (Part I and II) to the German 
public. If he has done it erroneously, he will be 
convieted of his error. How far he has expressed the 
personal views of the king, is a question which appears 
to me not to belong to the book. 

This is the answer to the questions you put, as to 
the bearing of the work upon the king and the pri- 
mates. Of course, the latter knew all the documents 
— and thererefore even more than the extraets here 


given altho’ not more than you read at the time: and 


401 


the book itself was put immediately into their hands. 
A translation is, I believe, printing in London under Dr. 
Mac Caul’s auspices. 

But if you ask me frankly, whether the exposition 
sin the third part expresses or not my own conviction 
and views, I feel it my duty to answer with equal frank- 
ness, that Jam not aware of any point in which it does 
not. Abeken was desired to write according to his own 
convietion, from the impression received through the 
facts and papers he had been made acquainted with, and 
I was very thankful to find that they seemed to me to 

convey a just idea of what had been said and done 
here. As to his views of the Church of England, he 
explains them not to the English, but to the Ger- 
mans: and I cannot see how this exposition (essen- 
tially the same as put forth in his letter to Dr. Pu- 
sey) should affect the Church of England in her view 
of her constitution, unless it runs against such autho- 
ritative emanations as Articles and Canons. By 
quoting Hooker, he has clearly indicated the standard 
by which he wishes that Church to be considered by 
his countrymen. 

As to the intention of intruding upon the Church of 


England a communication with another religious body 
26 


202 


by such an explanation as he (rightly or not) gives in 
that section — you may set your mind at ease. It is 
as far from his personal views as from the work to 
which they relate: and certainly nothing could have 
more ohstructed his way to the German mind than even 
the appearance of such an intention. I mean to speak 
of the truly enlightened and christian public. But J con- 
fess to you, I do not see in the book, what you seem 
to have discovered in it (if I understand you rightly), 
I mean „that the persons (ordained by the Bishop at 
Jerusalem for the service under him) may move to and 
„fro between the one and the other ecclesiastical esta- 
„hlishment, officiating in each.“ 

This is not the case. They must be ordained by 
him: because the diocese is one ofthe anglican church. 
Being ordained at Jerusalem by him, we consider them 
well ordained. How can you find fault with this, or 
how can it attack, weaken or corrupt episcopacy? They 
are not to offieciate in an English congregation, nei- 
ther at Jerusalem nor elsewhere. Of course such a 
demand would have been made, if the Bishoprie had 
been acommon one, as was supposed by my coun- 
trymen, who therefore protested aginst the obligation 


of the Jerusalem ordination. The great, real result of 


463 


Abeken’s book has been to silence ignorance and to 
counteract prejudice in this respect. 

II o’elock. This moment I receive, my dear friend, 
your beautiful letter of the 8. Believe me, I had never 
suspected you of any but the kindest motives in writing 
to me, and I think the preceding pages will show to 
you, that your frank explanation on the subject itself 
had been welcomed by me as I welcomed, early in 1839, 
the appearance of your work, expressedly also respec- 
ting those points I could not quite agree upon, as based 
upon historical assumptions or lemmata, from which I 
was obliged most strongly to dissent. I thought the 
letter of them as untenable, as the spirit and in- 
tention seemed to’ me, also in these very points (and 
seem to me now) beyond all praise and truly catholie. 
you then forgave me my frankness, and so I hope you 
will do now. — 

I cannot testify to you the sincerity of this my 
feeling at the present occasion better than in repeating 
to you, (and rather pointedly, in order to be brief,) 
what I then told you I eonsidered to be the only tena- 
ble ground, philologieally, historically and theologi- 
cally, to explain, to defend, to enjoin Episcopacy on 


catholie grounds. For when you say in your second 
26* 


404 


letter, that you found your hope of the recovery of 
your Church on the Episcopate, as the only means the- 
refore to revive the church, I feel in my conscience 
that I owe to you, as a friend and as a Christian, to 
declare in what sense I can agree with you, and in what 
sense I should dissent from you, if this point was to 
be stretched, and made a doctrinal test and covenant of 
salvation: not as being a german protestant, but as 
desiring to be a catholic christian. What I am now 
going to say, I mean to say, not against you, but 
against a system, vesting in the episcopate an absolute 
right, which according to Hooker, cannot be given even 
to the whole ministry. 

There are two views in which the Episcopate can 
be considered as the basis of truly apostolical institu- 
tions, and thus as the safety of the Church, and there- 
fore most tenderly and jealously watched, and most 
strongly recommended to the respect of fellow-christians, 
individually and nationally. 

The one view I wish to be allowed to callthe consti- 
tutional. The safety of a state generally depends upon 
the preservation of its form of government, and thus 
may also that of the Church. There are even very 


strong reasons to assert, that the abolition or extinetion 


405 


of episcopaey generally endangers the soundness of the 
Church's life, and exposes her to despotism from within 
or from without. And the reason of this I believe to 
be, not only the danger which always must accompany 
any constitutional change, and in particular the weake- 
ning of the power of government and of the respect 
for sacred forms, but also the inherent and incurable 
onesidedness and defect of every form of ecelesiastical 
government (Ithink of any government civil as well as 
ecelesiastical) in which the conscience of the individual 
ruler — call him Bishop, King, President, Judge, Con- 
sul, Dietator — is violated. Such a violation of con- 
seience I find wherever there is no free and bona fide 
power of Veto, in legislation, and in the exereise of 
personal functions: for conscience is nothing hut a 
veto. But as to the Episcopate, Ihave always asserted, 
and shall always assert, that it has peculiar claims 
to the respect of christian communities. Its establish- 
ment (as I believe in spite of the bad arguments pro- 
duced to prove its existence before the decease of the 
surviving Apostle), became very soon general, although 
in two very different forms as to the appointment (i. e. 
eonsecration) of bishops. And under God, through the 


Spirit which animated the Church, it did save the Church 


406 


from schisms, and thus enabled her to shine to mankind 
as the first manifestation of organized humanity, beyond 
‘the limits of national life. Even in the corruption and 
almost extinetion of Church life I am ready to give to 
this institution no greater share than to any other ele- 
ment of the constitution. It is true that the despotism of 
bishops paved the way to the despotism ofthe Popes: but the 
despotism of bishops was the consequence of the eorruption 
of the original idea of Christian ministry, in its relation 
to the people and to the whole body of the Church, and thus 
was the fault of the Whole clergy. Finally this eorrup- 
tion was the natural consequence of the gradual corrup- 
tion of that divinely taught and divinely established na- 
ture of the general priesthood, and consequently the 
exclusive priesthood, of every believing Christian as 
such: and therefore it was the fault and just punishment 
of the whole Church. True Religion perishes always 
first by a metastasis, viz. by changing the centre of 
its existence (and is the original sin and fall of man- 
kind any thing else?) and only then by the corruption 
of all the composing elements. The divinely taught and 
enjoined centre of the existence and life — and therefore 
development — of the Church, in its positive expres- 


sion I wish to be allowed to call, as I am sure it is, 


207 


the inwardness and spirituality of its organie 
action as the body of Christ, consequently of its priest- 
hood and sacrıficee.e. This means negatively: that its 
life is attacked in its centre more than by any error, 
schism and heresy on a peculiar point of theological doc- 
trine, by the idea of a levitical priesthood, and an ele- 
mentary sacrifice from the „elements of the world“ 
(oroıysia tod z60uoV). Now if history can prove 
any thing, the history of the Church proves (by inde- 
-lible records) that this metastasis began early: took its 
origin liturgically, then was explained scholastically, 

finally was sanetioned by the decree of the absolute and 
positive (and therefore apostatizing) reverse of the 
christian saerifice in the Council of Trent, through 
the article on the propitiatory sacrifice of the Mass: and 
never shone Christ's promise to his church brighter 
than at this crisis! 

The ideas of Church, Sacraments, Priest- 
hood, Sacrifice thus being gradually corrupted, it 
would be hard to visit this corruption upon one of the 
elements of the constitution of the Church: it would be 
absurd even to attribute this corruption to any and all 
of the elements of that constitution. It is true, the Bi- 


shop became and remained long time the appointed means 


408 


of strangling the life of the Church in its convulsive, 
but vital, movements: but in that state of things, any 
government might have done the same: at all events to 
proseribe Episcopacy on that account would be even 
worse than proseribing royalty on similar grounds. 

But I go further still: I maintain that no zrodırı- 
20 9 d I mean nobody who understands really and 
practically the Christian polity (nosıreta), the terre- 
strial necessities of God’s Kingdom on Earth, will believe, 
that we can manifest and maintain and render efficient 
the catholic element of a national Church without the 
form of Episcopacy, in its primitive, and (as to its purely 
disciplinary, not dogmatie, intention) probably apostolie 
character, as I have attempted before to define it. 

Forgive, my dear friend, not only the imperfection 
of such Errex ITEeooEVTe as those preceding, but the 
lengthiness, even with all this abruptness, of my con- 
fessions. Allow me to add in a few words, in what 
way and for what reasons, I do and ever shall protest 
against another, and widely different view of Episcopacy, 
and its absolute right. Not, if apologetically «a 
Church, like that of England, says, through some of 
her not authoritative organs, altho’ it may be by fa- 


thers and luminaries, that the apostolie succession 


409 


of Christ’s appointed Ministers (which we callthe succes- 
sio apostolica divini ministerii, taking this minitry as an indi- 
visible body, but as a ministry in the Church, not as the 
Church itself) is only manifest and efficient if it includes 
episcopacy: that therefore, it is even identical, and exelu- 
sively identical, with episcopal succession. I certainly 
cannot consider this otherwise than many similar points 
in English life, viz. as the insular idiosyncrasy in 
declaring and embodying a catholic truth, and as the 
national expression of a catholie principle. If a national 
Church finds it convenient to express thus a prineiple in 
a national form, the misunderstanding of which she has 
guarded against by liturgy and articles and the unli- 
mited acknowledgement of the paramount authority of 
the Bible, no wise man will therefore quarrel with her, 
altho’ it may be good, she should from time to time be 
made aware of the difference between idea and form, 
of relative and of absolute right, and above all, be- 
tween right and truth. 

But if and whenever Episcopacy is to be made 
the badge of Churchship, not constitutionally and natio- 
nally, (which is a lawful act of national sovereignty,) 
but on prineiple, and catholically: — if the Church, 


as manifesting itself and existing through Episcopacy, 


4210 


is to take place of Christ and the Spirit, who alone 
can give real churchship, because new life, (viz. filial 
thankfulness and selfdevotedness, springing out of the die 
vinely free will, instead of the feeling of accursedness 
and despair, consequences of the bondage of self) —: 
if covenanted salvation is to be made depen- 
dent upon this Episcopacy, then Ithink the deathblow 
is aimed at that Church’s inmost life, the eternal decree 
of condemnation is passed upon her, unless she re- 
pent. For she is seeking salvation in man and not in God, 
in the „beggarly elements of this world“ and not in the 
divine life, source of all life, and sole deliverer from 
death and corruption: she is attacking „the glorious li- 
berty of the Children of God,“ Christ's redeemed, and 
the native eitizens of Christ's kingdom: she is erucifying 
Christ and practically denying the merits of his sacrifice. 
Not the Gentiles but the Jews erueified Christ, and so 
they do still. Of all this I feel convinced, as I feel 
convinced of the existence of God, and as I believe in 
the saving death and divinity of Christ, and in the ever 
renewing almighty power of the Spirit. I hope, I 
should feel so, altho’ to my deep afflietion, if God had 
made me to be born in the Romish church. I do not 


say any particle of this as a protestant, altho’ I bless 


411 


the Reformers for having taught it me, opening to me 
the sense of Seripture and of Church History. But it 
is unnecessary to add, that I should consider it as a par- 
rieidal act (besides its being godless in my mind at all 
events) if I did not vow to devote all the energies of my 
mind, insignificant as they are, and the last drop of my 
blood, to protest against such an Episcopate in the 
Church of that nation, to which it is my privilege (I say 
so in thankfulness) to belong. If an angel from heaven 
should manifest to me, that by introducing, or asserting 
or favouring only, the introduction of such an Episco- 
‚pacy into any part of Germany, I should not only make 
the german nation glorious and powerful over all the 
nations of the world, nay combat successfully the unbe- 
lief, pantheism, atheism of the day — I should not do 
it: so help me God. Amen! — We may be doomed 
to perish, church and state; but we must not be saved 
and cannot be saved by seeking life in externals. 

My dear friend, take this long, erude and ill writ- 
ten confession asmy christian thanks for the kind- 
ness, regard and affection of one whose christian since- 
rity, courage and earnestness I feel it a privilege to 
love, for I do, and did from the beginning, venerate 


it from the bottom of my heart. To such minds as 


412 


yours, and to such friends as you, one feels so poor 
and so naked: for one has nothing to offer them but 
that unrestrieted openness, which not alone from pruden- 
tial motives, one withholds from the world. There must 
be left no possibility of mistake as to my convictions 
and opinions in your mind: for otherwise I should feel 
ungrateful. I felt besides, that I owed such a frank 
confession to myself: for with this I am sure you will 
find me consistent in all I have done, written and said, 
and, under God’s mercy, in all I may still have to do, 
write and say. There never has been, and I trust there 
never will be, any diplomacy neither in my divinity 
nor in my official activity about Church matters here or 
elsewhere: if it had been, it would, God be thanked! not 
have been less, as to the latter, against the precepts of 
my king, than, as to the first, against the precepts of 
my God and Saviour. 

Dixi et animam servavi! Now allow me to 
add one word, a request, as to our practical position 
in the case of the Bishopric at Jerusalem. £ In my con- 
vietion, and, I belieye I may say, in that of the Prelates 
with whom that transaction was concluded, the idea of 
the king and the manner in which it has been realized, 


in one word, the Establishment itself at Jerusalem, is 


413 


entirely independent of the half doctrinal, half historical, 
half constitutional struggle of two parties in the church 
of England these three hundred years: I might almost 
say, as much as it is independent of Toryism and Whig- 
gism. It prejudges no question of vitality at issue on 
that ground: I mean, of course, as far as that struggle 
is bonä fide within the Church of England, from Laud 
to Tennison, the Church as it stands by Articles and 
Liturgy. But certainly, last of all does it seem to me 
to have a tendeney towards weakening the authority of 
the Episcopate, of which, on the contrary, it is the first 
public acknowledgment the Church of England ever re- 
ceived. 

Those who were instrumental in bringing it about, 
may, among other imperfections, have their own private 
opinions, theories, prejudices, and these may show them- 
selves in what they may have to say or to write in de- 
fence of what they have done. But the Bishoprie at 
Jerusalem is and will remain as free and independent of 
these, as it ever may be of the formulas, theories, sy- 
stems and perhaps prejudices of those who have attac- 
ked it or will attack it, like Mr. Hope, or have defended 
it, on the same ground, like Mr. Perceval. The „Sta- 


tement published by authority“ does not prejudge any 


214 


english church question, nor e the „Evangelische Bis- 
thum in Jerusalem“ (much less then any english) any 
german church question. Both give facts, and to these 
facts add explanations: the one (and that alone autho- 
ritatively, in ecelesiastical sense) for England, the other 
for Germany. Ten or fifteen years will show, whether 
and how some good can be done by christian coopear- 
tion — not fusion, or confusion — of protestant natio- 
nal churches at Jerusalem. It could evidently, I think, 
not be effected in any other way. Whatever may 
have been decreed by Providence, the only statesmanlike 
view seems to me this, to give it a fair trial, and not 
mix it up with the theories of either side or nation, 
and with the struggles of the day. This would be 
worse than the quarrels among the Crusaders of diffe- 
rent nations, when they carried their party feuds, and 
their national ambitions into the Holy Land. Let Zion 
be a neutral ground, and let in particular what we 
Germans say, in our idiomatie. and idiosynerastie way, 
not make you, the Son of the Church of England, and 
the Author of the Relation of the Church with the State, 
think less fayourabiy of the work, which under great 
- diffieulties, and the combined attack of Infidels and Pa- 


pists, is carrying on upon that holy spot, in faith and 


415 


hope, and I believe I may add, in charity. In the hope 
you will apply this request in particular to my erude 
confessions in this interminable letter, I remain my dear 
friend, with true attachment 


Yours most faithfully 


(sig.) Bunsen. 


Fasque Fettercairn, September 19. 1843. 


My dear Friend. 


Ihave received and perused with attention your very 
interesting letter, The frankness and amplitude of its 
disclosures speak for themselves, and do not require 
even to be stated in terms. They reach further than 
any explanation of your views which I had formerly 
received, but certainly they do not add any element at 
allat variance with what preceded them. I am tied and 
bound by my own conscientions convietions, and by tes- 
timony born in the face of the world of which they 
were and are the ground, to a theory of Episcopacy- 


and the visible church different from yours. But I am con- 


416 


tent to witness in patience the struggles of Truth, and to 
await her manifestation, certainly not with indifference 
among conflieting doctrines, but on the other hand 
without attempting to take out ofthe hands of my fellow 
christians (even in cases where they are not my supe- 
riors in all the qualifications for a right judgment — 
cases different from that now before me) the exereise of 
the functions of their own conscience. Neither do I on 
behalf of my country desire to exact from other nations 
a conformity or any especial regard to those idiosynera- 
sies in which it so much abounds. Indeed you go far 
beyond me in this respet: for while you are ready to 
tolerate our making Episcopal orders a condition of mi- 
nisterial communion as a law of national polity, I could 
not at all excuse or endure the obstructing for such a 
cause those channels of intercourse which ought freely 
to pervade and vitally and sensibly to comect all the 
parts of the body of Christ. 

Let me assure you that I quite agree in the prac- 
tical observations at the close of your letter. I did not 
intend in writing to you that, whatever your theory of 
the Bishoprie might be, any attempt should be made 
here to undo what has been done: and I slıall indeed be 


well contented to see whether in the lapse of a reaso- 


412 


nable time good will arise (to use your own expressions) 
from cooperation without fusion: from a tentative effort, 
intended to ascertain what potential capacities of real 
union may exist in the two, without any compromise or 
departure on either side in the mean time from its own 
ground. 

What I feel inclined to question in the „geschicht- 
liche Darlegung“ is not the freedom which the writer 
uses in affixing his own sense to the arrangements for 
the Bishoprie, but the construction which he has given 
to the ordinanees and deelarations of the Church of Eng- 
land: a construction which is, I conteive, quite contrary 
to their sense and to the recently published declarations 
of the Bishop of London, himself a principal coopera- 
tor in the proceedings. 

I do not blame the act of thus giving a construc- 
tion to the transactions on behalf of the English Church: 
in may have been and probably was a necessity, although 
in the Statement here it was not found indispensable to 
show that according to your ecelesiastical institutions 
they must bear a particular sense: but I regret it, be- 
cause it seems to me that the scheme itself, undertaken 
from motives so admirable, is placed in a false position 


by being understood and explained in contrary senses in 
27 


418 


Germany and England respectively, and because I con- 
fess it also appears to me that Abeken's interpretation 
requires, that in some manner or other it should be 
said by way of protest, we are not bound by it. 

It is quite true that his letter to Dr. Pusey was 
written in the same sense; but that was taken as an 
individual expression of opinion. And of those who have 
written for the Bishoprie in England, no one so far as 
I know them (Hook, Perceval, Maurice, Palmer, Allies,) 
has adopted any thing like it. 

I am very glad to hear, it is likely that the work 
is to be translated. You have told me everything 1 
could ask or expect at present, in saying it has been 
placed in the hands of the Archbishop and Bishop of 
London; and perhaps I may be able to learn hereafter 
in what light they view it. 

But the work, I quite agree with you stands 
quite distinet from the constructions put upon it: it 
should have a fair and a full trial with every pre- 
disposition in its favour, and I see no reason why 
any difference in the interpretation of past procee- 
dings should be allowed in the smallest degree to 
prejudice it, unless and until some practical difficulty 


requiring adjustment shall have actually arisen in its 


419 


progress. This is my distinet view ofthe case in its pre- 
sent position: at the same time I apprehend the diffi- 
eulties I have feared would occur, in case Bishop Alexan- 
ander should ordain German candidates, and when it 
was found that those candidates were in ministerial com- 
munion with the national Church establishment of Prus- 
sia any subsequent question should arise as to their 
relation to the Church of England. 

Be assured that the length of your letter could be 
no fault in my eyes, and considering the importance of 
the matters it had to explain, there was no part of it 
that I could have wished omitted; unless indeed those 
in which you pass or imply much too favourable a 
judgment upon myself, and of which I can only hope 
and pray that-they may have an influence in helping me 
to be that which you take me for. 

Believe me always my dear Friend 


Your sincerely attached 


(sig.) W. E. Gladstone. 


27 * 


III. 


Notizen 
uͤber die pag. 194 und 195 genannten 


der Diakonie und verwandten Beftrebungen 
angehoͤrenden 


deutſchen Anſtalten. 


Much die gedraͤngteſte Ueberſicht deſſen, was in 
den letzten Jahrzehenden auf dem betreffenden Gebiete 
von der glaͤubigen Liebe in den verſchiedenſten Vereinen 
und Anſtalten, welche alle durch die freiwilligen Lie⸗ 
besbeitraͤge chriſtlicher Gemeindeglieder beſtehen, ge⸗ 
wirkt iſt, wuͤrde den Raum dieſer Blaͤtter uͤberſchreiten. 
Dieſe Bemerkung moͤge nur andeuten, daß die untenge⸗ 
nannten Anſtalten als Glieder in einer großen Kette 
verwandter Beſtrebungen zu betrachten ſind. Wenn aber 
nur dieſe Anſtalten genannt werden, ſo hat das ſeinen 
Grund darin, daß gerade ſie, wenn auch keineswegs aus⸗ 
ſchließlich, entweder die erſten Glaubensunternehmungen 
der Art in Deutſchland geweſen, oder auch darin, daß 


421 


fie einen groͤßern Einfluß als andere auf die Forderung 
dieſer Ideen in der evangeliſchen Kirche Deutſchlands, 
und uͤber Deutſchlands Gränzen hinaus ausgeuͤbt haben 
und noch ausuͤben. — Haͤtte die Darſtellung ſich uͤber 
das Gebiet der chriſtlichen Vereine ausfuͤhrlicher er⸗ 
ſtrecken koͤnnen, ſo haͤtten theils noch manche andere Zwecke, 
welche die Liebe ſeit den letzten Jahrzehenden mit großem 
Erfolg zu erreichen geſtrebt, genannt werden muͤſſen; 
theils wären die erſten Anfänge dieſer Beſtrebungen noch 
deutlicher bezeichnet worden. So waͤren z. B. in Betreff 
der Kranken⸗ und Armenpflege die ſchon 1832 und 1833 
zu Stande gekommenen Krankenvereine in Berlin und 
Hamburg mit Auszeichnung zu nennen geweſen; von 
den beiden Krankenvereinen zu Berlin (dem maͤnnlichen, 
welcher der urſpruͤngliche war, und dem weiblichen) ſteht 
der weibliche mit dem aus ihm hervorgegangenen Eliſa⸗ 
bethſtift, das auch Diakoniſſen (regelmäßig ca. 20) bildet 
und entſendet, unter der Leitung des Predigers Goßner; 
der große Frauenverein fuͤr Arme und Kranke in Ham⸗ 
burg iſt von Amalie Sieveking geſtiftet, und hat 
unter deren bisheriger Leitung eine große Menge Toͤch⸗ 
tervereine namentlich im noͤrdl ichen Deutſchland entſtehen 
ſehen, auch ſchon in Daͤnemar k Schoͤßlinge getrieben. — 
Auf dem Arbeitsgebiete fuͤr Gefangene waͤre vorzugsweiſe 


422 


hier darzuſtellen geweſen die 1827 entftandene große Rhei⸗ 
niſch⸗Weſtphaͤliſche Gefaͤngnißgeſellſchaft mit 
70 Toͤchtergeſellſchaften, und der Wuͤrtembergiſche 
Verein fuͤr entlaſſene Straͤflinge mit 59 Huͤlfs⸗ 
vereinen. — Es moͤge ferner noch hingedeutet werden 
auf das weniger allgemein Bekannte, was geraͤuſchlos 
durch die ſeit etwa 1831 (zuerſt in Baſel) entſtandenen 
und ſich jährlich weiter verbreitenden ſ. g. Juͤnglings— 
vereine, die unter dem wandernden Geſellenſtand mit 
dem Evangelium wirken, im glaͤubigen Geiſte beſchafft 
wird; — ſo wie auf die zuerſt in Langenberg und Bre⸗ 
men hervorgetretenen evangeliſchen Vereine zur kirchlichen 
Huͤlfsleiſtung für die nach Amerika aus wandernden 
Deutſchen. 


Die Diaconiſſenanſtalt zu Kaiſerswerth 
am Mhein 


ſteht unter der Leitung des Pfarrers Fliedner, und iſt 
von demſelben 1836 geſtiftet. Ihr Entſtehen verdankt 
ſie dem allgemein gefuͤhlten Beduͤrfniſſe nach einer guten 
Krankenpflege in Rheinland und Weſtphalen. Die An⸗ 
ſtalt will tuͤchtige, chriftliche Krankenpflegerinnen (Diaco⸗ 


423 


niffen) erziehen, welche ihre Bildung in dem zur Anſtalt 
gehoͤrigen Krankenhauſe (ſ. unten) erhalten. Die Dia⸗ 
coniſſenanſtalt nimmt als Mutterhaus die Probepflege— 
rinnen auf; die ungeeignet befundenen werden von hier 
wieder entlaſſen, die ſich bewaͤhrenden aber nach uͤber— 
ſtandener Probezeit (d. h. nach 6 — 9 Monaten) ins 
Diaconiſſenamt eingeſegnet und ſpaͤter in Krankenhaͤuſer, 
in einzelne Familien oder in ganze Gemeinden entſandt. 
Die foͤrmlich aufgenommene Diaconiſſe iſt auf 5 Jahre 
fuͤr die Anſtalt engagirt. 

Die Vorſteherinn (die Gattinn des Pfarrers Flied— 
ner) leitet die Vorbildung der Probeſchweſtern im Allge— 
meinen und uͤbergiebt ſie der ſpeciellen Fuͤhrung einer 
Probemeiſterinn; der geiſtige Unterricht in der Religion 
und in der Methode der Seelenpflege wird von dem 
Pf. Fliedner ſelbſt oder von dem Anſtaltsprediger, der 
theoretiſche und practiſche Unterricht in der Krankenpflege 
von dem Anſtaltsarzt, Dr. Thoeniſſen, ertheilt. 

Die Anſtalt hat bald die allgemeinſte, immer ſtei— 
gende Theilnahme gefunden. Schon im erſten Jahre 
bildeten ſich an 15 verſchiedenen Orten weibliche Huͤlfs— 
vereine. Nach einiger Zeit entſtand ein groͤßerer Verein fuͤr 
chriſtliche Krankenpflege in der Rheinprovinz und Weſt— 
phalen, der mit Portofreiheit beſchenkt wurde. Durch 


AR 


den Ankauf und Anbau neuer Häufer, möglich gemacht 
durch zinſenfreie Darlehn Sr. Majeſtaͤt des Königs von 
Preußen, gelang es, die Anſtalt immer mehr zu erwei⸗ 
tern, ſo daß im Jahre 1844 ſchon von 89 Diaconiſſen 
(worunter 55 ins Diaconiſſenamt eingeſegnete) 421 Kranke 
in der Anſtalt verpflegt werden konnten. 60 andere 
waren 1844 außerhalb des Mutterhauſes thaͤtig, und 
zwar von dieſen wieder 36 in Hospitaͤlern zu Elberfeld, 
Barmen, Creuznach, Saarbruͤck, Worms, Kirchheim, 
Frankfurt a. M., Berlin, Dresden (im Diaconiſſen⸗ 
hauſe) ꝛc.; 3 andere waren als Gemeinde-Diaconiſſen 
angeſtellt und die uͤbrigen dienten der Privatpflege, außer 
5 andern, welche in den mit der Diaconiſſenanſtalt ver⸗ 
bundenen Inſtituten beſchaͤftigt waren. — Zur Diaco⸗ 
niſſenanſtalt gehoͤren naͤmlich noch folgende andere An⸗ 
ſtalten: 

1) Das Diaconiſſen-Krankenhaus, das ſich 
in einem neuen Anbau des Mutterhaufes befindet. Das 
Krankenhaus iſt Uebungsſchule fuͤr die Diaconiſſen und zu⸗ 
gleich eine Samariterherberge fuͤr Elende und Leidende 
aller Art; es nimmt auf Kranke jeglicher Confeſſion 
oder Religion, jeglichen Geſchlechts und Alters, einhei⸗ 
miſche und fremde, wie ſie die Noth dem Hauſe zufuͤhrt; 
im Jahre 1844 wurde darin ſolchen 421 Kranken eine 


485 


Pflege geboten, 181 unentgeldlich und 276 gegen Ver— 
guͤtung). Der Beſtand am Schluß des Jahres war 94. 
2) Das Lehrerinnenſeminar, (Kinder-Diaco⸗ 
niſſen) zur Heranbildung von Lehrerinnen für Kleinkinder: 
ſchulen. Da der Lehrcurſus nur die ſehr kurze Zeit von 
3 Monaten währt, fo hat natürlich ſchon eine große Zahl 
aufgenommen und entlaſſen werden koͤnnen — bis zu 
Schluß des Jahres 1844 zuſammen 182. Als wichtigſte 
practiſche Uebungsſchule dient dieſen Lehrerinnen 

3) die Kleinkinderſchule, die unter einer beſon⸗ 
deren Lehrerinn ſteht, 40 Kinder aus beiden Confeſſionen 
zaͤhlt und allmaͤhlig mit einem ſchoͤnen Apparat von An⸗ 
ſchauungsgegenſtaͤnden, Bildern ꝛc. bereichert iſt. 

4) ein Waiſenhaus, (ſeit 1841) beſtimmt fuͤr 
verwaiſete Toͤchter vorzuͤglich von Pfarrern und Lehrern 
vom 4. bis zum 14. Lebensjahre. Daſſelbe zahlt 12 Waiſen. 
Veranlaſſung zu demſelben wurde der Wunſch, aus den Zoͤg— 
lingen je nach ihrer Neigung und Gabe Diaconiſſen heranzu— 
ziehen. — Mit dem Waiſenhauſe iſt eine Vorſchule für Ele⸗ 
mentarlehrerinnen (jetzt ihrer 5) verbunden, welche kuͤnftig 
namentlich in den Naͤh⸗ und Strickſchulen arbeiten ſollen. 

Die ältefte aller Anſtalten in Kaiſerswerth iſt das 
ſchon 1833 eingerichtete Aſyl fuͤr weibliche Ent⸗ 
laſſene, das finanziell ganz geſondert von den uͤbrigen 


426 


Anſtalten beſteht; es bietet ſolchen weiblichen entlaſſenen 
Gefangenen, welche waͤhrend der Haft Hoffnung zur 
Beſſerung gegeben haben und bei der Entlaſſung nicht 
ſogleich ein Unterkommen finden koͤnnen, einen Zufluchts⸗ 
ort auf hoͤchſtens ein ganzes und mindeſtens ein halbes 
Jahr; waͤhrend dieſer Zeit empfangen ſie chriſtlichen Unter⸗ 
richt und Anleitung zu Haus-, Hand- und Landarbeiten, 
wornach ſie dem buͤrgerlichen Leben zuruͤckgegeben werden. 
Die Leitung haben 2 Diaconiſſen. In 12 Jahren ſind 
im ganzen 117 Pfleglinge aufgenommen, von denen nach 
ihrer Entlaſſung durchſchnittlich die Hälfte auf dem beſ— 
ſeren Weg geblieben iſt. 


Saͤmmtliche Anſtalten zu Kaiſerswerth beſtehen aus 
milden Beitraͤgen, die in verſchiedener Weiſe zuſammen⸗ 
gebracht werden. Jaͤhrliche Jahresberichte geben regel- 
maͤßige Kunde uͤber den Fortgang der Anſtalt. 

Das energiſche, glaͤubige Wirken in Kaiſerswerth 
hat bald die Errichtung anderer Diaconiſſenanſtalten ver⸗ 
anlaßt. Namentlich ſeit dem Jahre 1842 haben ſich im 
uͤbrigen Deutſchland, in der Schweiz, in Frankreich, in 
Holland und England glaͤubige Kraͤfte zu dieſem Zwecke 
erhoben. Der groͤßte Theil dieſer Anſtalten verdankt die 
erſte Anregung wohl dem Fliednerſchen Inſtitut. Dahin 


427 


gehören die deutſchen Diaconiſſenanſtalten zu Ludwigsburg, 
zu Dresden und zu Wechſelburg; dann das Diaconiſſen⸗ 
Etabliſſement in Echallens Canton Waadt (ſ. 1842); 
die protestant Sisters of Charity zu London (auf An⸗ 
regung der Mrs. Eliz. Fry); die Diaconiſſenanſtalt des 
Paſt. Vermeil zu Paris (ſ. 1812, mit einem Kranken⸗ 
hauſe, einem Magdalenenſtift und einer Kinderbewahran— 
ſtalt), worin 12 Schweſtern arbeiten; die gleiche Anſtalt des 
Pf. Haͤrter zu Straßburg mit 10 Schweſtern, die ein 
Krankenhaus, eine Kleinkinderſchule, und eine Elementar- 
ſchule beſorgen; zuletzt ſ. 1844 der Verein zur Diaco- 
niſſenbildung fuͤr das Koͤnigreich der Niederlande in 
Utrecht. N 


Johannes Falk in Weimar. 


Johannes Falk aus Danzig, damals Legations— 
rath in Weimar, wurde durch die Kriegsnoth im Wei— 
marſchen Lande 1813 und 1814 und etwas ſpaͤter durch 
den Verluſt von 4 eignen Kindern veranlaßt, in heiliger 
Begeiſterung ſein Leben und alle ſeine Kraͤfte den Armen 
und Elenden, namentlich aber im Bunde mit ſeinem 
Freunde, dem Prediger Horn, den großen Schaaren der 


428 


in Folge des Krieges theils verwaiſeten, theils verwil- 
derten und zu allem Boͤſen heranreifenden Jugend ſeines 
Landes hinzugeben. Als ihm und Horn bald die Arbeit 
zu viel wurde und die Fuͤrſorge auch immer mehr aͤußere 
Mittel forderte, ſtiftete er den „Verein der Freunde 
in der Noth“ und dies iſt der erſte deutſche Verein, 
der ſich der verkommenen Jugend rettend angenommen. 
Der Verein wurde von allen Seiten des Vaterlandes, 
ganz beſonders aber von England aus kraͤftig unterſtuͤtzt, 
ſo daß Falk in Weimar und deſſen Umgegend bald 
200 Kinder meiſt bei Handwerkern unterbringen konnte. 
Die bereits confirmirten verſammelte er alle 14 Tage 
und 4 Wochen um ſich in einer Sonntagsſchule, zu 
der die Theilnehmer von allen Seiten zuſammenſtroͤmten, 
die juͤngern taͤglich in einer ſ. g. Abendſchule, zu der 
fie von den Pflegeeltern entſendet wurden. Für je eins 
dieſer Kinder ſorgten auf Falk's Veranlaſſung, immer 
5 bis 10 Perſonen. — Seine Wirkſamkeit fand dadurch 
ein neues Feld, daß er ſich der 60 jungen Leute, die da⸗ 
mals in Weimar zu Landſchullehrern gebildet wurden 
und unter denen ein verderblicher Geiſt um ſich gegriffen 
hatte, perſoͤnlich annahm; die in der Stadt zerſtreut 
wohnenden jungen Maͤnner ſammelte er ebenfalls um ſein 
Werk und feſſelte ſie an ſeine taͤgliche Abendſchule. 


429 


Am Jage beſuchte er die zerſtreut wohnenden Kinder, 
Schuͤler u. a. und hatte das oͤffentliche Vertrauen bald 
in dem Maaße gewonnen, daß er der Mittelpunct aller der 
in Weimar den armen Kindern, Lehrſchuͤlern ꝛc. geſchenk⸗ 
ten Gaben wurde. — Die groͤßte Noth in die Falk ge⸗ 
rieth, als er ſein eignes geraͤumiges Wohnhaus raͤumen 
mußte, wurde die Urſache, ſeine Arbeit zur hoͤchſten Bluͤthe 
zu entwickeln: er zog in das verfallene Haus der ehe⸗ 
maligen Grafen von Orlamuͤnde, das er theils umbauen, 
theils neu bauen ließ von den ſeiner Pflege angehoͤrenden 
Handwerkslehrlingen und Geſellen. Falk ſtarb 1826. 
Wenn auch mit ihm in Weimar die Kraft des von ihm 
getragenen Vereins erloſch, (denn das dem weimar' ſchen 
Landes⸗Waiſenhauſe incorporirte „Falkſche Inſtitut“ iſt 
nicht mehr die urſpruͤngliche Falkſche Anſtalt) ſo folgten 
doch feine Werke ihm nach als fruchtbare Lebensſaat. 

Das Martinsſtift in Erfurt, geſtiftet und ge⸗ 
leitet ſeit 1820 von Dr. Reinthaler, iſt unmittelbar durch 
das Wirken Falk's veranlaßt, und von dieſem Mar⸗ 
tinsſtifte ging die erſte Anregung aus fuͤr die meiſten ſeit 
1829 in Schleſien geſtifteten Vereine fuͤr verwahrloſete 
Kinder zu Goldberg, Luͤben, Jauer, Liegnitz, Schreiber⸗ 
hau ꝛc. 


430 


Die Anſtalt zu Düſſelthal. 


geſtiftet (1819) und geleitet von dem Grafen Adelbert 
von der Recke Vollmerſtein. Als Erbtheil ihres ehrwuͤr⸗ 
Vaters uͤberkamen die beiden Bruͤder Adelbert und Werner 
von der Recke den freudigen Glaubensmuth zum Heil 
der huͤlfsbeduͤrftigen Jugend zu wirken. Schon 1816 
nahmen ſie zu Overdyk, ihrem Stammgut, die erſten 
Kinder auf; der erſtgenannte der Bruͤder ſtiftete den 
„Verein der Menſchenfreunde“ und eröffnete die An⸗ 
ſtalt zu Overdyk, wo ſeit 1822 nur die juͤngern Kin⸗ 
der (jetzt durchſchnittlich 24) verblieben, da der Graf in 
demſelben Jahre das alte Trappiſtenkloſter Duͤſſelthal 
eine halbe Stunde von Duͤſſeldorf kaͤuflich erſtanden für 
c. 50,000 F. Nur unter der Mitwirkung der größten 
Unterſtuͤtzungen von Seiten des koͤniglichen Hauſes, und 
vieler fuͤrſtlich ſpendender Freunde der Sache in ganz 
Deutſchland und weiterhin, wo ſich in den erſten Jah⸗ 
ren der Anſtalt weit und breit Vereine fuͤr Duͤſſelthal 
bildeten, namentlich aber auch durch die Beihuͤlfe groß: 
muͤthiger engliſcher Wohlthaͤter konnte ſich die Anſtalt 
bis zu dem heutigen Umfang erweitern, (ſie beſitzt gegen⸗ 
waͤrtig nach verſchiedenen Ankaͤufen, ein Areal von 475 
Morgen Land) und bis heute erhalten. Der Graf ſelbſt 


431 


überwies der Anftalt eine bedeutende Summe aus feinem 
Privatvermoͤgen. Duͤſſelthal herbergt in der Regel an 
anderthalb hundert Kinder; es iſt ein eigner Hausgeiſtlicher 
angeſtellt, mit 2 Lehrern, 3 Knaben und 4 Maͤdchenaufſehern. 
Die Kinder werden in den Morgen- und Abendſtunden 
unterrichtet. In der uͤbrigen Zeit finden die Maͤdchen 
Beſchaͤftigung im Haushalt und fuͤr denſelben, die Knaben 
aber in der großen Landwirthſchaft, bei der Feld-Gaͤrt⸗ 
nerei, in der Schneider-Schuſter⸗Tiſchler- und mancher 
andern Werkſtatt, uͤberdieß in einer Buchdruckerei und in einer 
Buchbinderei. Die Anſtalt druckt naͤmlich außer andern 
kleinern Schriften die monatlich erſcheinende „Kinder— 
zeit ung als das regelmäßige Organ der Mittheilun⸗ 
gen an ihre Befoͤrderer, und außerdem von Zeit zu Zeit 
ausfuͤhrliche Jahrsberichte, aus welchen die ſittliche Noth, 
der in Duͤſſelthal durch die Liebe Chriſti abgeholfen 
werden ſoll, nicht minder erhellt, als der Segen, mit 
welchem die dort durch viele Muͤhe glaͤubig hindurch⸗ 
gehende Arbeit gekroͤnt iſt. 

Auch Duͤſſelthal wird außer durch das, was in der An⸗ 
ſtalt ſelbſt namentlich durch die Landwirthſchaft erworben 
wird, nur durch freiwillige Beiträge erhalten. 


432 


Denggen 


(Armenſchullehrer- und Kinderrettungsanſtalt) 
unter der Leitung des Inſpector Zeller, gegruͤndet 
1820 von einem Kreiſe glaubenskraͤftiger Maͤnner in 
Baſel, denen der Großherzog von Baden das Schloß 
Beuggen, einſt Sitz eines Commenthurs des deutſchen 
Ritterordens, 4 Stunden von Baſel, gewiſſermaßen ſchenkte. 
Der Zweck der Anſtalt iſt ein doppelter; 1) arme, ver: 
waiſete, verlaſſene Kinder aufzunehmen und chriſtlich zu 
erziehen; 2) freiwillige, taugliche, junge Maͤnner vorzu⸗ 
bereiten und zu verſenden, theils zu Erziehern ſolcher Kin⸗ 
der in aͤhnlichen Anſtalten, theils als Schullehrer in Ar⸗ 
menſchulen und armen Gemeinden, in den vaterlaͤndiſchen 
Gegenden und unter den Landsleuten nah und ferne. 
Den erſten Antrieb empfingen die Stifter der Anſtalt 
theils durch den Anblick des Elendes in der theuren 
Kriegszeit der Jahre 1815—17, theils durch den Anblick 
der neu errichteten Heiden-Miſſionsanſtalt in Baſel. — 

In 24 Jahren ſind in Beuggen 351 Kinder und 
153 Schullehrer-Zoͤglinge aufgenommen; der Beſtand 
der Anſtalt betraͤgt ungefaͤhr 120 Kinder und 25 Schul⸗ 
lehrerzoͤglinge. Nach dem 23. Jahrsberichte waren 
von 335 Kindern bereits 40 wieder Vaͤter und Muͤtter 


433 


geworden, 54 ernaͤhrten ſich in bürgerlichen Gewerben, 
77 waren Dienſtboten und noch Lehrlinge; uͤbel zum 
Theil ſehr uͤbel gerathen waren 23, 23 waren geſtorben, 
von 52 hatte man keine Kunde, 23 der fruͤhern Pflege— 
kinder waren ſeit laͤngerer oder kuͤrzerer Zeit wieder ge— 
ſegnete Rettungswerkzeuge an andern, Pflegeeltern der— 
ſelben oder Schullehrer und Lehrerinnen geworden. Nach 
demſelben Bericht waren von 150 Schullehrerzoͤglingen 
verſtorben oder nach ihrem damaligen Aufenthalt unbe— 
kannt 33, in der Schweiz hielten ſich auf 56, in Deutſch— 
land 30, im europaͤiſchen und aſiatiſchen Rußland II, in 
Nordamerica 2, in Afrika 2, in Elſaß 1, die Uebrigen 
waren noch in der Anſtalt. Von obiger Zahl waren 16 
Erzieher armer Kinder an aͤhnlichen Anſtalten und 5 
wieder Lehrer von kuͤnftigen Schullehrern. 

Beuggen beſteht ganz durch milde Beitraͤge. Die 
Anſtalt iſt vom größten Einfluß für die chriſtliche Er— 
ziehung im ſuͤdlichen Deutſchland und in der Schweiz 
geworden, in welchen beiden Laͤndern ſeitdem Beuggen 
beſteht, allein in Wuͤrtemberg 23 — 24, und in der Schweiz 
15 — 16 ähnliche Kinderanſtalten enſtanden find; zu der 
Entſtehung von vielen derſelben hat Beuggen, wenn 
auch nicht gerade direct doch indirect, mitgewirkt. In 
Beziehung auf die Schweiz iſt der Einfluß der Fellen- 


28 


434 


berg-Wehrli'ſchen Wirkſamkeit in dieſer Beziehung nicht 
zu uͤberſehen. Unter den Wuͤrtembergiſchen Anſtalten 
der Art aber ſteht der Beuggener Anſtalt ihrem Urſprunge 
nach die Anſtalt zu 

Lichtenſtern unter dem Inſpector Voͤlter ſehr 
nahe. Lichtenſtern (ſeit 1836) hat ganz den Doppelzweck 
wie Beuggen und zaͤhlte 1811: 90 Kinder in einer Kna⸗ 
ben- und Maͤdchenanſtalt, und 23 Schullehrerzoͤglinge. 
Auch von dort ſind ſchon wieder einige Lehrer-Zoͤglinge 
entlaſſen, die in Rettungshaͤuſern als Vorſteher oder Ge— 
huͤlfen arbeiten; einer derſelben iſt Vorſteher eines aͤhn⸗ 
lichen Lehrerſeminars zu Sarata in Suͤdrußland. 

Beide Anſtalten geben Jahresberichte heraus; Beug— 
gen hat zum Organ der Mittheilung das „Monatsblatt 
von Beuggen“, Lichtenſtern den von Voͤlter redigirten 
„Suͤddeutſchen Schulboten.“ 


Die Erziehungsanſtalt für verwahrloſete Kinder 
a in Berlin 
ſteht unter der Leitung des Inſpect. Kopf und iſt 1825 


gegruͤndet. Der Zweck der Anſtalt iſt die Rettung ſolcher 
tief verderbten Jugend vom 6—16 Jahre, deren Beftra- 


4235 


fung durch polizeiliche oder richterliche Behoͤrden bereits 
erfolgt oder feſtgeſetzt iſt, oder bei welcher nicht bloß 
Leichtſinn und jugendliche Unbeſonnenheit als Gruͤnde 
ihrer Verſunkenheit angeſehen werden koͤnnen. Unter 
Kopfs Leitung ſteht ſowohl die Knaben- als die Maͤd— 
chen⸗Anſtalt, zwiſchen denen ſonſt keine Gemeinſchaft ftatt- 
findet. Die Knaben ſind vorzugsweiſe mit Schrauben— 
Anfertigen beſchaͤftigt, beſorgen aber außerdem noch 
andere Werkſtaͤtten, ihre Hausarbeiten, Gartenland, Sei— 
denzucht u. f. w. Im Ganzen find ſeit 1825 in die 
Anſtalten 590 Knaben und 138 Maͤdchen der oben be— 
zeichneten Art aufgenommen, 80 Knaben und 30 Maͤdchen 
bilden den Kinderbeſtand der Inſtitute. An 474 noch 
im Leben befindlichen bereits wieder entlaſſenen Knaben 
iſt das ſehr ſchoͤne Reſultat der Erziehung: daß ſich 215 
ſehr gut, 193 geſetzlich betragen; von 17 fehlen die Nach: 
richten, 49 büßen ihre Ruͤckfaͤlle in Gefaͤngniſſen. — In 
jährlichen Berichten legt die Verwaltung Rechenſchaft ab. 


Das Uanhe Haus zu Horn bei Hamburg 


beſteht ſeit 1833 unter Wichern's Leitung. Den Namen 


„Rauhes Haus“ trug ſeit Menſchengedenken das kleine mit 
28” 


436 


Stroh bedeckte Häuschen, das der Vorſteher 1833 mit weni- 
gen Knaben bezog. Seit 12 Jahren hat die Anſtalt ſich ſehr 
allmaͤhlig im Aeußern bis zu c. 150 Perſonen in 12 Gebäuden, 
die, um einen Betſaal geſammelt, in einem blühenden Gar: 
ten liegen, und zu denen noch mehreres Ackerland gehört, er: 
weitert. Das Rauhe Haus iſt weder Waiſen-, noch Zucht =, 
noch Armen-Anftalt, ſondern eine kleine Colonie geworden, 
in der die rettende Liebe ihre mannigfaltigſten Zwecke, die 
hier aber organiſch in einander wirken, pflegt und nach 
außen hin verwirklicht. Es find eigentlich 4 Hauptzweige, 
in denen die Anſtalt ſich bis jetzt ausgebreitet hat: 

1) Eine Rettungsanſtalt fuͤr Kinder, und 
zwar fuͤr ſolche Kinder bis zum 18. und 20. Jahre, an 
denen Eltern oder ſonſtige Erzieher bis dahin vergeblich 
gearbeitet. Die Anftalt ſteht, wie überhaupt, fo auch in 
dieſer Beziehung in keinem Verhaͤltniß zur Polizei, ſon⸗ 
dern bietet ſich nur den Eltern dar zum freien Dienſt der 
Liebe. Die Kinder werden ohne Unterſchied der Bildung 
und der Staͤnde aufgenommen, ſind meiſtens Hamburger, 
zum Theil aber auch aus dem uͤbrigen Deutſchland, aus der 
Schweiz, aus Holland. Die Kinder wohnen in Gruppen 
(Familien) von hoͤchſtens ihrer 12, in kleinen Haͤuſern, 
die ſie zum Theil mit eignen Haͤnden erbaut haben. 
Hinſichtlich der Beſchaͤftigung ſind ſie darauf angewieſen, 


437 


moͤglichſt alles ihnen Noͤthige ſelbſt zu beſchaffen; daher 
eine Menge Werkſtaͤtten: Schuſterei, Schneiderei, Spin⸗ 
nerei, Tiſchlerei, Bäckerei, Buchdruckerei, Buchbinderei, 
ꝛc., Landwirthſchaft und Gartenarbeit. Das Bauen 
ihrer Haͤuſer iſt ſchon vorher erwaͤhnt. Regelmaͤßig 
wohnen jetzt in der Anſtalt 90 jugendliche, maͤnnliche 
und weibliche, Zoͤglinge; doch iſt die Zahl der Kinder 
wie der Gebaͤude von Jahr zu Jahr im Zunehmen. 
Von s! bereits wieder entlaſſenen waren 1843 ihrer 74, 
die, ſo weit man von ihnen wußte, einen buͤrgerlich ge— 
rechten Wandel fuͤhrten. Im Ganzen ſind bis jetzt 186 
Kinder aufgenommen worden. 

Die dieſer Anſtalt eigenthuͤmliche Einrichtung, die 
Kinder in viele ſich kreuzende Gruppen der geſonderten 
Familien, der Arbeit, des Unterrichts ꝛc. zu bringen, 
verbunden mit dem Bemuͤhen, von der Anſtalt aus 
alle entlaſſenen Zoͤglinge regelmaͤßig in den Meiſterhaͤu— 
ſern, und alle in und um Hamburg wohnenden Eltern 
der Kinder regelmaͤßig in ihren Wohnungen zu beſuchen, 
ſo wie die vielfache Aufforderung von auswaͤrts, junge 
chriſtliche Maͤnner fuͤr mannigfache Berufskreiſe aufzu⸗ 
ſtellen, — dieſe und aͤhnliche Gruͤnde veranlaßten den 
Vorſteher, 1842 einen Aufruf an die durch Deutſchland 
und weiterhin zerſtreuten, der Anſtalt befreundeten Kreiſe 
zu erlaſſen, zur Bildung 


438 


2) der Brüderanftalt des Rauhen Haufes als 
einer Pflanzſchule für Arbeiter der innern Miſſion. 
Die Bruͤderſchaft des Rauhen Hauſes iſt in 
Folge des Aufrufs zu Stande gekommen und in ſtetem 
Zunehmen. Sie beſteht aus jungen chriſtlichgeſinnten 
Maͤnnern, welche, meiſtens fruͤher Handwerker, bereit 
ſind, der Kinderanſtalt eine Reihe von Jahren als Ge— 
huͤlfen (die Kinderzoͤglinge nennen die Gehuͤlfen „Bruͤder,“ 
daher der Name,) zu dienen und während 2 — 4 Jahren 
einen theoretiſchen und practiſchen Curſus durchzumachen, 
nach deſſen Vollendung ſie in ſelbſtſtaͤndige Wirkungs⸗ 
kreiſe der innern Miſſion entlaſſen werden ſollen. 
Unter der innern Miſſion (zum Unterſchied von der Hei⸗ 
denmiſſion) iſt naͤmlich verſtanden „die geordnete freie 
Liebesthaͤtigkeit der chriſtlichen Gemeinde zum Aufbau des 
Reiches Gottes in Kirche und Staat an allen denjenigen 
Stellen, wo bis jetzt der Kirche oder dem Staat die dazu 
noͤthigen Kräfte fehlen“; fie iſt gefaßt als die „gegen- 
wärtige Offenbarung der Herrlichkeit des allgemeinen 
Prieſterthums in der Kirche, die ſich vorzugsweiſe in dem 
freien Wirken der chriſtlichen Barmherzigkeit kund giebt.“ 
Die dieſem Unternehmen gewordene Theilnahme hat ſich 
faſt aus allen Theilen Deutſchlands und von weiter her 
bethaͤtigt; Unterſtüͤtzungs⸗Vereine haben ſich z. B. in 


439 


Mecklenburg, im Hannoͤverſchen gebildet, die Preußiſche 
Regierung hat eine Reihe von Penſionaten auf eine Reihe 
von Jahren geſtiftet um eine Zahl ſolcher Maͤnner na⸗ 
mentlich als kuͤnftige Gefangenwaͤrter zu gewinnen. 
Der Zweck naͤmlich, der durch die Zoͤglinge der Bruͤ— 
deranſtalt erſtrebt wird, iſt ein ſehr mannigfaltiger: 
die Bruͤderanſtalt faßt ins Auge die rettende Erzie— 
hung, das Gefaͤngnißweſen, das Handwerksweſen, das 
Armenweſen, das kirchliche Beduͤrfniß unter den Coloniſten. 
Im letzten Jahre wurden von der Anſtalt gefordert (vgl. 
d. Jahresbericht) 8 Vorſteher von Rettungshaufern aus 
den verſchiedenſten Gegenden Deutſchlands, Arbeitsgehuͤlfen 
und Lehrer für Rettungshaͤuſer, Landſchullehrer, die zur: 
gleich Gehuͤlfen in der Seelſorge ſein koͤnnen, Schullehrer 
fuͤr ruſſiſche Landguͤter, Oberaufſeher in Strafanſtalten, 
Aufſeher und Oeconomen in Correctionsanſtalten und 
Detentionshaͤuſern, Gefangenwaͤrter, Hausvaͤter in Ar⸗ 
menhaͤuſern, Vereinshelfer für weibliche Vereine, Colpor⸗ 
teure fuͤr Maͤßigkeitsvereine, Armenpfleger fuͤr ganze Land⸗ 
guͤter, Herbergsvaͤter! für Juͤnglingsvereine (neu ſich 
bildende Geſellenvereine), Krankenwaͤrter, Coloniſtenpre⸗ 
diger und Schullehrer] für Amerika. — Aus der Zahl 
der Gehuͤlfinnen des Rauhen Hauſes wurden Vorſtehe⸗ 
rinnen von Aſylen, von Magdalenenſtiften, von Warte⸗ 
ſchulen ꝛc. gefordert. 


440 


Die erſt aufbluͤhende Anſtalt hat bis jetzt 6 Colo⸗ 
niſtenprediger fuͤr Amerika gebildet, die dort bereits 
Gemeinden ſammeln, Kirchen und Schulen bauen; 7 Vor⸗ 
ſteher von Rettungshaͤuſern (und 2 Gehuͤlfen in aͤhnlichen 
Anſtalten) ſind bis jetzt von ihr ausgegangen, in Narwa, 
Riga, Reval, Roſtock, Luͤbeck, Celle, Bern; der jetzige 
geiſtliche Inſpector der Paſtoralhuͤlfsanſtalt der Duis⸗ 
burger Predigerconferenz zu Duisburg Candidat Brandt, 
hat ebenfalls vor Antritt ſeines Amts uͤber 4 Jahre als 
Oberhelfer im Rauhen Hauſe gearbeitet; drei der ge— 
nannten Anſtalten ſind ſchon wieder Bildungsſchulen fuͤr 
andere Inſtitu te. 

Mit der Kinder- und Bruͤderanſtalt ſind ferner noch 
die, beiden dienende, Buchdruckerei und Agentur 
verbunden, welche als Huͤlfsanſtalten der beiden erſteren 
Inſtitute betrachtet werden koͤnnen. 

3) Die Buchdruckerei, ſeit 3 Jahren in ſtetem 
Wachsthum begriffen, beſchaͤftigt regelmaͤßig 20 Perſonen 
und mehr. Ihr naͤchſter Zweck iſt ein ſittlicher: paſſende 
Beſchaͤftigung fuͤr eine gewiſſe Reihe von Zoͤglingen. 

4) Die Agentur. — Dieſelbe umfaßt: a) einen Ver⸗ 
lag wiſſenſchaftlicher und anderer Schriften, die dem Buch⸗ 
handel angehören und iſt deßwegen felbftftändige 
Verlagshandlung: b) den Verlag ſolcher groͤßern und 


441 


kleinern Schriften, die zur Volksſchriftenliteratur 
zu zählen find, für deren Betrieb bis jetzt an 50 Zweig: 
agenturen an 50 verſchiedenen Orten Norddeutſchlands 
beſtehen; e) eine Buchbinderei, die unter einem Faktor 
mit etwa 12 Arbeitern arbeitet; d) Steinzeichnerei 
mit Coloriren; e) eine Stereotypengießerei; außer⸗ 
dem liefert dieſelbe auch noch f) Holzſchnit tarbeiten. 
Dieſer ſaͤmmtliche Betrieb ſteht in Beziehung zu der 
zweckmaͤßigen Beſchaͤftigung der Kinder-Zoͤglinge. 

Die ganze Anſtalt des Rauhen Hauſes wird außer 
durch den jetzigen oder kuͤnftigen Erwerb der Druckerei 
und Agentur, nur durch milde Beitraͤge aus Hamburg und 
dem uͤbrigen Deutſchland erhalten. Jaͤhrlich werden meiſt 
ſehr ausfuͤhrliche Jahresberichte ausgegeben. Als Organ 
regelmaͤßiger Mittheilung dienen die vom Vorſteher alle 
14 Tage ausgegebenen „Fliegenden Blätter«, die zu: 
gleich fortlaufende Mittheilungen uͤber das ganze Gebiet 
der innern Miſſion (ſ. oben) darbieten. 

Außer den ſchon oben genannten Anſtalten, welche 
von fruͤhern Bruͤdern des Rauhen Hauſes in Deutſch— 
land, Rußland und der Schweiß geleitet werden, 
ſind auf Veranlaſſung des Rauhen Hauſes noch nament⸗ 
lich in Schweden derartige Beſtrebungen ins Leben 
gerufen (z. B. Roby bei Lund) und ganz beſonders in 


442 


Frankreich, wo die in neuerer Zeit entſtandenen Co- 
lonies agricoles, die ſich dort immer weiter ſowohl zum 
Beſten der catholiſchen als der proteſtantiſchen verwahr- 
loſeten oder verirrten Jugend ausbreiten, nach der Idee 
des Rauhen Hauſes organiſirt ſind; namentlich gehoͤrt 
hierher Mettray bei Tours, das bereits 300 Zoͤg— 
linge in ſeiner Colonie (10 Haͤuſer mit einer Kirche) 
herbergt, fo wie deſſen Toͤchteranſtalten. — Im noͤrdlichen 
Deutſchland beſteht ein inniges Verhaͤltniß zwiſchen der 
Anſtalt und den, mit durch ſie veranlaßten „Vereinen fuͤr 
innere Miſſion« 63. B. in Mecklenburg), in welchen 
eine organiſche Einigung der verſchiedenen Zwecke 
der chriſtlichen Aſſociation für Rettungshaͤuſer, 
fuͤr Gefangene, fuͤr Kinderbewahranſtalten, fuͤr Waiſen, 
für Armen: und Krankenbeſuche durch Frauen, für 
Juͤnglingsvereine zum Beſten der Handwerker ꝛc. zu 
Stande gekommen iſt. 


443 


Inhaltsverzeichniß. 


Vorwort. Veranlaſſung und Zweck des Buches .......... 5. 
Der Zriefwechſel. 
1. Gladſtone an Bunſen, erſtes Schreiben, 2. Sept. 1843. 27. 
2. Gladſtone an Bunſen, zweites „ Be = 30. 
3. Bunſen an Gladſtone, 19.2 2 32. 
4. Gladſtone an Bunſen, drittes > 19. „ 75 49. 


Die Derfafung der Kirche der Zukunft. 


I 
Einleitung. 

Das chriſtliche Prieſterthum, der Staat und der 

kirchliche Beruf der Gegenwart 57 —89. 
Allgemeine Idee von kirchlicher Verfaſſun gg 57. 
Idee des vorbildlichen Prieſterthums und Opfers, Sühn⸗ 

opfer und Dankopfer.... nd. 59. 
Bedeutung der That Chriſti für die Vorbildlichkeit und 

für die beiden Opfern 66. 
Das allgemeine Prieſterthum der Ehriften, als ſittliche 

Verantwortlichkeit des Einzelne˖e n 63. 
Apoſtoliſche Lehre vom allgemeinen Prieſterthum und 

vom fortdauernden Opfenrnrn 70. 
Verhältniß der Idee des allgemeinen Prieſterthums zu 

Fc Cc 71 


111 


Verhältniß der Reformation und der Rechtferti⸗ 
gungslehre zu dieſer Idee: Ende der Geiſtlich⸗ 
Feitskicche Laer x ee 

Die Reformation machte die Herſtellung des wahren 
Prieſterthums wieder möglich, nicht wirklich ... 

Verhältniß der kirchlichen Verfaſſung zur Lehre.. 

Verhältniß von Luther und Calvin zu dieſer Anſicht 

Die Entwicklung ſeit der Reformation und die 
Gegenwart. Germaniſche und romaniſche Be— 
We gung Fee ea ee 

Standpunkt und Ueberſicht der Unterfuchung..... 


II. 


Die beiden Forderungen der Reformation und 
ihre evangeliſchen Gegenſũ ge 


Das allgemeine Prieſterthum die Grundlage der 
Verfaſſung im engeren Sinnen 
Der Gegenſatz von allgemeinem Prieſterthum und 
dem göttlichen Rechte des Amtes und ihre höhere 
Einheit, das Reich Gottes see. 
Der zweite Gegenſatz: geiſtliche und weltliche Re⸗ 
gierung, Nationalität und Katholizität, Kirche 
und Staat: und ihre höhere Einheit, das chriſt⸗ 
liche Reich 
Verhältniß dieſer zwei Gegenſätze zur Weltgeſchichte, 
zur Geſchichte des Chriſtenthums, zur Geſchichte 
der drei letzten Jahrhunderte und zur Gegenwart 
und Zukunft der Kirche und der Menfchheit... 
Unterſchied von Staats- und Nationalkirche — 
das Freiwilligkeitsſyſtem̃mmnmunm 


Die mittelalterliche und evangeliſche Geift- 
lichkeitskirche und ihre evangeliſchen Reſte 
und Vernei nungen. 


73. 


75. 
76. 
82. 


84. 
86. 


91. 


98. 


104. 


Seite 


89—111. 


445 


Verhältniß diefer Unterfüchung zur deutſch evan⸗ 


Großheit und Beſchränktheit des Mittelalters ... 
Die evangeliſche Geiſtlichkeitskirche, ihre Einſeitig⸗ 
% ĩ ͤ LV 
Die allgemeine Stellung des verneinenden Gegen⸗ 
ſatzes der Geiſtlichkeitskirche zur Kirche der Zukunft 
Die Ausdrücke des Schreibens für und wider den 
22 ein eisie wer haften ei 
Alle Geiſtlichkeitskirchen find der Gefahr des Pfaffen⸗ 
thums ausgeſetzt, und unhaltbaeã eke. 
Beſondere Gefahren des Epiſkopalismuuuns 
fed Kihe 
Einſeitigkeit der beiden Gegenſätze der Geiſtlich⸗ 
keitskirche: der weltlichen Diktatur und des In⸗ 
De dennis nus daran 
Die biſchöfliche Kirche Amerikas, oder die rohe Ne- 
beneinanderſtellung der Gegenſd gen 


IV. 


Grund ſätze der Herſtellung einer vollſtändigen 


Herleitung der Aemter aus der Idee des allge— 
eefterthu nns. 
Die drei Aemter: das Hirtenamt, das Amt der 
Regierer, das Amt der Helfer. 
Die Rechtsperſon der Kirche, und die Erdichtung 
eier Kirche 
Es giebt keine naturgemäße kirchliche Regierung 
CCC)! een een 
Die Oberherrlichkeit der Gemeinde 
Die Geiſtlichkeit als ſolche, hat kein Recht zur Re⸗ 
VPV) aan eine nee 


112 
117. 


121. 


— 


126. 


129. 


131. 


133. 


135. 


140. 


24 


Seite 


446 


Seite 

Die Geiſtlichkeit verdirbt nothwendig das Recht.. 154. 
Jeder Beamte der Kirche hat eine doppelte Ober— 

herrlichkeit anzuerkennen: Gemeinde und Staat 155. 
Vertheidigung der Lehre gegen den Vorwurf des 

Predigers der Volksſouveränitätꝛeꝛ 156. 
Verhältniß der platonifhen Republik, der romani⸗ 

ſchen Revolution, und des Communismus zur 

Idee der Kirche der Zukunft... 158. 
Was die evangeliſche Laienſchaft als Regierung, 

als Wiſſenſchaft, als Volk für die Kirche gethan 159. 


N 

Die Verfaſſungs-Elemente der Ortsgemeinde 

in Preußens ia 165 — 198. 
Die 6000 evangeliſchen Pfarrer Preußens... 165. 
Der evangeliſche Gemeinde-Vorſtand, die Aelteſten 

der Presbyterial⸗Verfaſſun qq 170. 
Die Gemeinde und ihre Vertretung in der rheinifch- 

weſtphäliſchen Kirche ge 172. 
Die Gemeinde und das Patronatöreht......... 1977 
Die Elemente der Diakonie in der evangeliſchen 

Kirche Preußens 184. 
Die Hülfsprediger und Hülfspfarrer (Pfarrvikare) 185. 
Die 17,000 evangeliſchen Volksſchullehrer Preußens: 

Bedeutung dieſer Anſt allt 186. 
Die Diakonie als kirchliche Armen-, Kranken-, 

Kinder- und Gefangenen -Pflege 191. 


VI. 

Die Verfaſſungs-Elemente der höhern Ge— 

meinde in Preußen 189— 223. 
Der kirchliche Kreis, der einzige natürliche Mittel- 

punkt ſelbſtſtändiger Kirchenregierung, unter den 

vier gegebenen Sphärennndnd .. 198. 
Hat die rheiniſch-weſtphäliſche Kirche hier eine 

freie Kirche gegründet, und warum nicht? .... 199. 


447 


Seite 

Die Rechte der Kreisſy node 202. 
Die Rechte des Superintendenten .............. 204. 
Die Rechte der zweiten Abtheilungen der Regierun- 

dg tungsbezirkee 207. 
Die Rechte des Provinal⸗Conſiſtoriums ..... 208. 
Die Rechte des geiſtlichen Miniſterium s 210. 
Die Rechte des General- Superintendenten 210. 
Ueberſicht der ftaatlihen Beamten für die Kirchens 

e eee SAN AA Der ER RER RAE 212. 
elende 214. 
Urſachen des Mißlingens der Darſtellung einer freien 

„ rireiſie 217. 


Die Furcht vor dem Primat und die Furcht vor 
dem Pfaffenthum, die eigentlichen Gründe des 
ee einen inle.n.ce a neieächiae 221. 


VII. 

Die Sphäre des unabhängigen Kirchenkreiſes 

in der Kirche der Zukunft oder der biſchöf— 

CCCC%)))VTCC C 223— 243. 
Die Herſtellung eines unabhängigen Kirchenverban— 

des im Kreiſe, der Mittelpunkt der Herſtellung 

einer freien Kirchenverfaſſun e 223. 
Vorläufige Idee eines ſolchen Kreiſes als Sprengels 224. 
Unmöglichkeit, daß eine berathende Behörde ver— 


VVV 225 
Verbindung der Kirchenräthe und des Biſchofs 

mit der Synode, und dem Staat ............ 226. 
Der Biſchof geht hervor aus der Synode durch 

? 228 
Der Biſchof allgemeiner Pfarrer und Seelſorger 

CCC 231. 
Gewiſſensrecht des Biſchofs bei der Ordination .. 232. 
Die Confirmation gehört den Ortspfarrern 234. 


Der Biſchof hat die Viſitation, aber kein Veto in der 
Verwaltung, noch in den Berathungen der Synode 235. 


148 


Nähere Begränzung des Kirchenkreiſes: Mittelpunkt 
eines Sprengels muß eine anſehnliche evangeli⸗ 
ſche Sid bilde nn ee 237. 


So N etwa 60 Bisthümer in Preußen, 240. 


Jeder Sprengel hat etwa 10 Dekane (Superinten⸗ 
dente ff 240. 

Jeder ſolcher Sprengel iſt in ſeiner Verwaltung 
ſelbſtſtändig: das Geſchreibe hört auf......... 241. 


VIII. 


Die Herſtellung der übrigen kirchlichen Sphä— 
ren nach unten und nach oben und Ueberſicht 


der Hauptpunkte der Verfaſſunn g 
Herſtellung der Ortsgemeinde von dem genom— 

menen Mittelpunkte an ß 242. 
Die Diakonie muß einen befonderen Körper bilden, 

mit den Candidaten an der Spitzz ee 244. 
Die Volksſchullehrer müſſen unter ſich noch eine 

Körperſchaft bilden, und vertreten werden .... 245. 
Ueberſicht der Elemente der künftigen Kreisſynode 246. 
Der Biſchof in der Kreisſynoddee «se 248. 
Die Bildung der ſechs Landesgemeinden Preu⸗ 

ßens a = 250. 
Der Metropolitanbiſchof und der Landeskirchenrath 

(Conſiſtoriuumd̃dd ee 254. 


Der Metropolitanbiſchof und die übrigen Biſchöfe 
betraut mit Ausübung des landesherrlichen Pas 


tronatr echtes. 257 
Die Prüfung der Candid aten 258. 
Der Metropolitanbiſchof vom König ernannt aus 

den Biſchöſe n 8 259. 
Thätigkeit und Recht der beiden Conſiſtorialräthe 

und Confiſtorichtich tte ee 259. 
Der Metropolitanbiſchof hat in der Synode gar 


kein Vorrecht, nur den Vorſit zzz 260 


Seite 


242 — 280. 


449 


Ueberſicht der künftigen Landesgemeinde 260. 
Die Biſchöfe ſtimmen beſonders ab 262 
Die weltlichen Mitglieder haben ein Veto 262 
Die Regierung beſtätigt die Beſchlüſſe, oder lehnt 

fie ab, aber verändert fie nicht. 262 


Fragliches Gericht über Biſchöfe und Pfarrer.... 262. 
Der geiſtliche Miniſter mit feinen zwei Räthen . 263. 


Der oberſte kirchliche Reviſions hon. 265 
“%%% c fe lan» wor 267. 
Ueberſicht der Hauptpunkte der VBerfaflung ...... 270 


Was würde eine presbyteriale Gemeinde und was 
die Regierung bei einer ſolchen Verfaſſung auf⸗ 
zugeben haben, oder gewinnen 274 


IX. 


Die Herrlichkeit der Aemter der Kirche der 
Zukunft und die Einſetzung in diefelben... 
Ueberſicht der gefundenen Elemente der Herſtellung 
in den Aemtern der Kirche 231. 
Das eigentlich werdende Element der Kirche der 
Zukunft iſt das der Diakonie 283 
Der göttliche Beruf der Kirche der Zukunft als einer 
Kirche der Freiheit und Liebe 285 
Allgemeiner Grundſatz für den Eintritt ins Amt: 
keine Einſetzung ohne Amt, kein Amt ohne Ein⸗ 


FFPFPPPFCcCCCCcCCcccccccc 288 
Einſetzung das allgemeiner, Ordination das beſon⸗ 
ff 292 
Ueberſicht der verſchiedenen Einſetzungen in kirch⸗ 
e ee 293 
Unterſchied von Einſetzung und Einführung ..... 294. 
Wichtigkeit des Zeugniſſes für das allgemeine Prie- 
ſterthum bei der Einſetzun g. 296 


Seite 


280 — 296 


450 


X. 

Das Verhältniß der neuen Biſchöfe zu anderen 
Kirchen, oder der Eintritt der Kirche der 
Zukunft in die Chriſten heit 

Jede Kirchengemeinde kann im Nothfalle alle Yem- 
ter aus ſich hervorgehen laſſen 298. 

Keine evangelifche Landeskirche befand fich zur Zeit 
der Reformation in dieſem Nothfalle......... 299. 

Jede kann das Amt der Regierung aus ſich ſelbſt 
hervorgehen laſſe n . 299 

Sie darf hierbei keinen fremden Vorurtheilen nach⸗ 
geben, der Väter und des Zeugniſſes wegen . 301. 

Jewell, Hoocker und Ar nod 303. 

Beſondere Stellung der deutſchen Kirche 305. 

Große geſchichtliche Bedeutung der Einrichtung 
eines unabhängigen gemeindlichen Episkopats, 
und Wichtigkeit der gegenſeitigen Anerkennung 
evangeliſcher Landeskirchen 306. 

Erörterung der Frage von Theilnahme fremder 

Kirchen an der erſten Einſetzung von Biſchöfen, vom 
Standpunkte der Liebe.. 307. 

Zeichen der wahren Katholizität (Gefühls der All⸗ 
gemeinheit der chriſtlichen Kirche) in allen evan⸗ g 
geliſchen Kirchengemeinſchaften und Völkern.. 311. 

Weltgeſchichtliche Bedeutung eines brüderlichen Zu⸗ 
ſammenlebens evangeliſcher Völker und Kirchen 314. 


XI. 


Das Verhältniß der Kirche der Zukunft zu 
Volk, Wiſſenſchaft und Staat 
Die freie Nationalkirche in ihrer äußeren Stellung 317. 
Die Stellung zu den Separatiſten oder Diſſidenten 318. 
Die Herrnhuter, der unentwickelte Miſſionsorden 
der evangeliſchen Kirche Deutſchlands 319. 
Verhältniſſe der Kirche zum Staate 320 


Seite 


En 


252 


Der Zwang der Confirmation und der kirchlichen 
Trauung muß aufhören, für alle. 
Fehler im neulichen Vorſchlage des Eheſcheidungs— 
geſetzes: die Kirche der Zukunft erträgt keine 
polizeiliche Mithülfᷣ c. 
Die Kirchenzucht, als Ausſchließung von Kirchen⸗ 
Aemtern und vom Abendmahlhi !!! 
Auch hier die Gemeinde die höchſte Behörde 
Verhältniß der Kirche zu den theologiſchen Facul- 
täten der Univerſit ä ten. 
Die Biſchöſe haben die Anklage, die Landeöge- 
meinde das Urtheil, als Antrag an die Regierung 
Erörterung des Begriffes der Lehr freiheit 
Die philoſophiſche Facultät ganz unabhängig von 
den Biſchöfen und der Kirche REN 
Beſchaffung der irdifhen Mittel für die verhält: 
nißmäßige Verwaltung der Kirche und die Dia⸗ 
konenſtellung der Candidatens. 
Die evangeliſche Kirche hat vom Staate eine Rente 
für dieſe Bedürfniſſe zu erwarten nach Verhält⸗ 
niß der Rente, welche der römiſch⸗katholiſchen 
Landeskirche zugeſichert worden 
Verhältniß der Staatsausgabe für die beiden Lan⸗ 
deskirchen, nach der Angabe der rheiniſchen Synode 


XII. 
S ch lu 65 


Der Ausgangspunkt und die gegenwärtigen 
ee EEE EHER. 


Ergebniß der Unterſuchunnn g 
Wie iſt für die Bildung der Kirche der Zukunft 

der wahre Anfangs- u. Ausgangspunkt zu finden? 
Jeder Ausgangspenkt gut, der ein lebendiger ift.. 
Jeder Anfang will Prinzip werden 


322 


341. 


343. 


345. 


348. 
349, 


Seite 


346 —378 


452 


Das Leben allein vermittelt das geſchichtliche und 
das ſpekulative Element, Ueberlieferung und Idee 
Die zwei tödtlichen Irrthümer: Verkennung des 
lebendigen Ausgangspunktes, und Gründen der 
Kirche auf Verneinung 
Beides find Regungen der unfreien Natur. 
Die bisherige Einſeitigkeit im deutſchen Leben der 
Kirche leicht begreife 
Die deutſche Kirche der Zukunft muß aus dem gro= 
ßen, weltgeſchichtlichen Geſammtgefühl kirchlichen 
i eat re LE 
Gegenwärtige innere Befchaffenheit der deutſchen 
evangeliſchen Kirche, Rationalismus, Kritik, Spe⸗ 
kula tian 8 
Das Chriſtenthum iſt Leben und Weltgeſchichte, 
nicht Syſtem und ſpeculative Wiſſenſchaft .... 
Die Zeichen des neuen Lebens in der Kirche... 
Die rheiniſch-weſtphäliſche Kirche 
Die ſechs Synoden der übrigen Landſchaften Preußens 
Die evangeliſche Kirche Baierns und die Kniebeugung 
Der große evangeliſche Hülfs-Verein (Guſtav 
Adolph Verein)) 
Die freien Vereine hülfreicher Liebte 
Die neuen katholiſchen Gemeinden 
Gewinn des Kampfes um die gemiſchten Ehen 
und Jeruſ alem 
Die theologiſche Wiſſenſchaft nähert ſich dem Leben 
Einigkeit der verſchiedenen Schulen in Beziehung 
auf die Hauptpunkte der Verfaſſun gg. 
Grundzug geiſtiger Freiheit und Innerlichkeit in 
allen dieſen Regungen, und die Stellung Friedrich 
Wilhelm IV. zu dieſem Grundzugee 


352 


357 


Seite 


* 1 
rr 


— Se a 


453 


Seite 
Anhang. 
I; 
Auszüge aus den Verhandlungen der rheinı- 
ſchen Provinzialſynode von 1844 ............ 381391. 

1. Die beiden erſten Vorſchläge der kirchlichen 
Verfaſſungscommiſſion der Regierung ..... 381. 

2. Bericht der Commiſſion für Erwägung der 

confeffionellen Verhältniſſe. Erſte Abthei- 
lung: Paritätsverhältnium gag. 391. 


II. 
eeectl s 395 


III. 
Notizen über die Pag. 194 und 195 genannten, 
der Diakonie und verwandten Beſtrebungen 


angehörenden deutſchen Anftalten.......... 420 — 442 
NE REES RE 420. 
ELLE nee (ccc 422. 

TED ER Je ccc 427. 

N rn es »» 430. 

VT 432. 

Erziehungshaus in Berlin. .......ccceccceenen. 434. 

Rauhes Haus zu Horn bei Hamburr g 435 
— — 


Gedruckt im Rauhen Hauſe zu Horn bei Hamburg. 


107, 
121, 
121, 
126, 


3. 4 v. 
„ 6 U. 
„ n. 
es 
5 
1 
„10 v. 
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0 1. 

v. 

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Druckfehler. 


„ Kirche „ 7] 
fi. in der l. der. 


. fl. forderte I. fordert. 


ſt. jenes l. dieſes. 


ſt aller I. der. 


. ft. allem l. allen 


. fi. verwarfen J. verwerfen. 


. ft. pſychologiſch perſönlich I. pſych. und perſönlich. 
ft. in ſolchen Tiefen, hier J in ſolche Tiefen hier, 
nach Exponenten muß das (,) wegfallen. 


ni 


ſtreiche das (,) zwiſchen gefährliche und politiſche. 


* 


1