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DIE
Wiener Revolutiotst
1848.
DIE
Wiener Revolution
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1848
IN IHREN
SOCIALEN VORAUSSETZUNGEN UND BEZIEHUNGEN
VON
ERNST VICTOR ZENKER.
WIEN. PEST. LEIPZIG.
A. HARTLEBEN 'S VERLAG.
d897.
ALLE RECHTE TORBEHALTEN. .
K. n. k. Uorbaebdrsckerel Carl Fromm« In Wl«n.
Vorwort
Das kommende Jahr wird für Oesterreich ein
Jubeljahr sein: mit seltenem Festgepränge wird der
Tag begangen werden, an dem vor fünfzig Jahren
Kaiser Franz Joseph I. den Thron des Reiches bestiegen
hat. Oesterreichs Völker können auf eine lange, wechsel-
volle und lehrreiche und stellenweise auch glückliche
Epoche zurückblicken. Trotz künstlich aufgezüchtetem
Classenhass und Racenhass ward es in den fünfzig
Jahren doch auch in diesem Lande manchmal offen-
bar, dass über allen Abgründen, die Völker und Stände
trennen können, ein höherer Geist der Menschenbrüder-
schaft, der Freiheit und des Fortschrittes schwebt.
Ein Segen seiner Hand ist's, was über Oesterreich an
Frucht und Blüthen ausgegossen ist. Vor fünfzig Jahren
war der Geist der Freiheit, Gleichheit und Brüder-
lichkeit leibhaftig bei uns eingekehrt und sass zu Wien
am Throne, ein wildlockiger Knabe — vor fünfzig Jahren.
Heute hat man seiner vergessen. Das Volk wird nicht
die ruhmvollen und tragischen Erinnerungen des grossen
Jahres 1848 feiern — und es thut gut daran, denn
es müsste ein Trauerfest sein, dessen düstere Accorde
übel zu den Jubelfanfaren passen würden, die künftiges
■i.
— VI —
Jahr vom Ost zum Westen und vom Nord zum Süden
des Reiches schmettern werden.
Vieles, was die Revolution gewollt, blieb immer
unerfüllt. Alles, was sie gegeben, ist heute in Frage
gestellt. Alles zu wirken und nichts zu unterlassen,
was Noth thut, um das Errungene zu erhalten und im
Geiste der grossen Vergangenheit, nach den besseren
Erkenntnissen der Gegenwart auszubauen, das wird
die würdigste und schönste Gedächtnissfeier der denk-
würdigen Ereignisse des Jahres 1848 sein. Wer seiner
Zeit recht leben und für die Zukunft wirken will, muss
die Vergangenheit erkennen — besser, als sie sich
selbst erkannt hat. Das Geschlecht der Revolutionszeit
erlitt ebenso an einer Ueberschätzung des rein poli-
tischen Factors Schiffbruch, wie die Generation von
heute durch die einseitige Betonung der wirthschaft-
lichen Fragen politisch bankerott geworden ist. Das
Facit ist in beiden Fällen das gleiche, die persönliche
Freiheit geht zugleich mit der wirthschaftlichen ver-
loren. Die Lösung der socialen Fragen kann nur am
Herde glühender Begeisterung und reinen Mitgefühles
erfolgen, aber mit dem Gefühle allein ward noch
niemals ein gesellschaftliches Problem gelöst, wie
die Revolution des Jahres 1848 schlagend beweist.
Die Absichten der Männer jener Zeit waren gross und
rein und edel, aber ihre Einsicht dürftig und gering,
die grosse Zeit traf sie geistig nicht gerüstet. Sehen
wir, dass uns die Zukunft besser gewappnet, besser
vorbereitet finde.
Als einen schwachen Beitrag zu diesem Zwecke
lege ich dies Buch in aller Bescheidenheit in die Hände
des Lesers. Möge es der wissenschaftlichen Erkenntniss
— YII —
der wahren socialen Voraussetzungen unserer vater-
ländischen Geschichte dienen, möge es aber zugleich
recht Viele an die Pflicht jener Pietät erinnern, ohne
welche ein Geschlecht nie Anspruch auf politische
Reife hat. Sollte dieser Zweck erreicht sein, dann
dürfte ich mir wohl schmeicheln, einen wahrhaft pa-
triotischen Beitrag zur Jubelfeier des Jahres 1898 ge-
liefert zu haben.
Darum sei dies Buch dem Andenken all der Braven
gewidmet, welche vor fünfzig Jahren für Recht und
Freiheit gestritten und gelitten und eine lasterhafte
Gesellschaftsordnung niedergerungen, um — so viel
an ihnen lag — auf der Freiheit Aller, die Wohlfahrt
Aller zu begründen; es sei aber auch allen denen
gewidmet, die jener Männer heute noch, nach fünfzig
Jahren, in Däqjcbarkeit und Wehmuth gedenken und
für die das grosse Sturm jähr immer noch mehr be-
deutet, als eine blosse Verirrung der Massen, oder im
besten Falle als eine verblasste Erinnerung aus der
tollen Kinderzeit.
Ernst Victor Zenker.
Inhaltsverzeichniss.
Seite
Vorwort V— VII
Erstes Buch: Die socialen Verhältnisse vor Aus-
bruch der Revolution 1 — 106
Erstes Capitel: Die landwirthschaftlichen Verhält-
nisse 1—28
Zweites Capitel: Die Lage des Gewerbes .... 28— 55
Drittes Capitel: Die Lage ber Arbeiterclasse . . . 55 — 91
Viertes Capitel: Vor dem Sturm 91—106
Zweites Buch: Die socialen Kreignisse der Revo-
lution 107—242
Fünftes Capilel: Die sociale Bedeutung der März-
tage 109-181
Sechstes Capitel: Die Mairevolution und der Sieg
der Demokratie 131—179
Siebentes Capitel: Die Unruhen des August und
September 179—225
Achtes Capitel: Die Octoberrevolution. Schluss . .225—242
Noten 248—289
Noten zum ersten Capitel 245 — 254
Noten zum zweiten Capitel 254—260
Noten zum dritten Capitel . . , , . 260—271
- X -
Seite
Noten zum vierten Capitel 271 — 272
Noten zum fünften Capitel 272—275
Noten zum sechsten Capitel 276 — 284
Noten zum siebenten Capitel 284—287
Noten zum achten Capitel 287—289
Sachregister 290-293
Namensregister 294—296
ERSTES BUCH.
Die socialen Verbflltnlsse vor Aasbrucb der Revolution.
Erstes Capitel.
t Die landwiTthschaftlichen Teihältnisse.
So wenig man bisher die wirthschaf tlichen Antriebe
der österreichischen Revolution von 1848 würdigte,
und so wenig sich die stossenden und gestossenen
Gruppen des wilden Parteilebens jener Zeit selbst
dieser Antriebe bewusst waren, nach einer Richtung
hin hat man den socialen Charakter dieser historischen
Bewegung nie ganz verkannt. Dass die von Grund aus
verrotteten Besitz- und Productionsverhältnisse der
landwirthschaftlichen Bevölkerung eines der wichtigsten
und kräftigsten Fermente für den grossen Gährungs-
process gebildet haben, sahen zuletzt auch Jene ein,
welche in einer Revolution durchaus nichts als das
Werk einzelner Hetzer und Stänkerer erblicken wollen,
welche immer nur das Rad der Mühle klappern hören
und niemals die Wasser sehen, die Rad und Mühle
in Bewegung setzen. Es war also eine nicht sehr weither-
geholte Weisheit, wenn die alle Errungenschaften der
Revolution verzehrende Reaction der folgenden Jahre
sich ängstlich davor hütete, auch die den Bauern ge-
machten Zugeständnisse rückgängig zu machen. Die
Unhaltbarkeit der bäuerlichen Zustände des Vormärz
und der damit verbundenen socialen Verhältnisse über-
Zenker: Wiener Revolution. 1
— 2 —
haupt darf — selbst bei dem in derlei Dingen just
etwas vergesslichen Volke von heute - — noch als so
allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass wir uns
hier wohl mit einer flüchtigen Skizze über einen
Gegenstand begnügen können, der sich allerdings kaum
in Bänden erschöpfen liesse.
Die durch das Rechtsverhältniss der Grundherrlich-
keit und Unterthänigkeit (nexus subditelae) bezeich-
neten und in Oesterreich, ^) wie im übrigen Europa
ehemals herrschenden Verhältnisse, waren die letzten
Nachwirkungen der in ihrem Lebensmarke längst ver-
dorrten wirthschaftlichen Organisation des mittelalter-
lichen Lehenstaates. Das Rechtsverhältniss zwischen
dem mittelalterlichen Lehensherrn und seinen Unter-
thanen beruhte auf jener primitiven, ständischen Arbeits-
theilung, welche uns in der Entstehungsgeschichte
höherer socialer Gebilde ganz allgemein begegnet:
der eine Stand, meist der dominirende, widmet sich
den Aufgaben der Landesvertheidigung, dem Kriegs-
handwerke, der andere der wirthschaftlichen Production,
der Arbeit. Das Kriegshandwerk war edel, Sache der
Adeligen; aber auch der Bauer war oft frei und
keineswegs zu allen Zeiten jener Metöke und Helot,
der er später geworden. Die Beziehungen der Stände
zu einander beruhten auf Gegenseitigkeit, und selbst
dort, wo der grosse Lehensbesitzer Parcellen seines
Grundes seinen Dienstleuten als vorübergehendes oder
erbliches Nutzeigenthum überliess — also ein neues
Lehensverhältniss zweiten Grades schuf — und dafür
gewisse wirthschaftliche Gegenleistungen in der Form
von Naturalabgaben und Arbeit (Diensten) erhielt, war
doch auch er seinen Mannen und Hörigen gegenüber
— 3 —
verpflichtet, und zwar zum Schutze gegen Feindesmacht.
Der Edle schützte mit seinem Schwerte den die Scholle
bebauenden Landwirth, und das Bedürfniss nach
einem solchen Schutze war in der waffenklirrenden
Zeit des Mittelalters so gross, dass sich oft auch freie
Bauern in diesen Schutz flüchteten und um desselben
willen den Adeligen ein Obereigenthumsrecht an ihrem
Besitze freiwillig einräumten. Noch öfter kam es freilich
vor, dass die grossen Grundherren kleine, freie Besitzer
mit Gewalt in eine von ihnen abhängige Stellung
brachten und sich über deren Besitz ein Obereigenthums-
recht anmassten. Das ewig gleiche Schauspiel, dass der
Starke den Schwachen, der Grosse den Kleinen aufzehrt,
die ins Politische und Wirthschaftliche übersetzte
Anthropophagie blieb also auch der frommen, vom
Geiste des alles reglementirenden und regimentirenden
Socialismus und vom Geiste der christlichen Kirche —
um nicht zu sagen vom christlich-socialen Geiste —
vollkommen beherrschten Zeit des Mittelalters nicht
erspart; und so kam es, dass es in wenigen Jahr-
hunderten neben dem feudalen Grossgrundbesitzer
überhaupt keinen freien Bauer mehr gab.
Hand in Hand mit diesem Entwickelungsprocess,
war eine vollständige Verschiebung der Rechtsbezie-
hungen zwischen Grundherren und Grundunterthanen
vor sich gegangen, hatte sich das, was ursprünglich
die natürlichste und passendste Wirthschaftsorgani-
sation gewesen, in einen Apparat der ungeheuerlichsten
Ausbeutung der Einen durch die Anderen umgewandelt.
Aus dem Schutzherrn war der Bedrücker geworden,
der alle Rechte im Staate ausschliesslich für sich recla-
mirte, während der Bauer ebenso ausschliesslich alle
1*
- 4 —
Lasten zu tragen hatte und obendrein dem Grundherrn
mit Leib und Leben angehorte, als eine Sache, wie der
Sklave jeder anderen Zeit.
Es bleibt zum mindesten ein Zeugniss für die
grössere Klugheit, wenn schon nicht für ein tieferes social-
politisches Verständniss des sogenannten aufgeklärten
Despotismus in Oesterreich, dass er die Sklavenketten
des Bauernstandes etwas lockerte und wenigstens die
Leibeigenschaft aufhob.^) Freilich, um aus den Hörigen
wirklich Freie zu machen, dazu hätte eine Neuorgani-
sation der landwirthschaftlichen Besitzverhältnisse
überhaupt gehört, und um eine solche grundstürzende
Revolution durchzuführen, um einen solchen Kampf
auf Leben und Tod mit dem Grundadel aufzunehmen,
dazu fehlte es den gekrönten Staatssocialisten des
vorigen Jahrhunderts an der nöthigen Macht und
vermuthlich auch an der ernsten Absicht. Man hatte
dem übermüthigen Adel ein wenig die Faust gezeigt,
man hatte durch einige geschickte Handgriffe den
im Volke angesammelten Expansivgasen in einem
sehr gefährlichen Augenblicke einen Ausweg ge-
geben;^) in dem Momente, wo es sich zeigte, dass
die phrygische Mütze mit der Cocarde die öster-
reichische Grenze nicht zu überschreiten drohe, dass
der Bundschuh nicht umgehe, in dem Momente legte
man das Reformwerk wieder beiseite und zog es
vor, den mächtigen Adel bei gutem Muthe zu er-
halten, statt sich um den Bauern zu bekümmern, der
trotz der nominellen Aufhebung der Leibeigenschaft
seine fast ungemindert schwere Bürde weiter zu
schleppen hatte, bis ihm ein Retter von anderer Seite
erstand. Es zeugt aber klarer als tausend Ziffern, wie
— 6 —
schwer und stark auf dem Bauer der Druck gelastet
haben musste, wenn er einen derartigen geistigen und
moralischen Tiefstand erzeugen konnte, dass der
österreichische Bauer, statt seinem Befreier im Augen-
blicke der Bedrängniss durch eine Jacquerie zuhilfe
zu eilen, diesen schmählich im Stiche liess und an
seinen grimmigsten Feind verrieth.
Doch wir eilen voraus. Augenblicklich stehen wir
noch im Vormärz und haben vor allem die Rechts-
formen zu betrachten, in welchen das Grundunter-
thänigkeitsverhältniss — die Quelle allen Uebels —
speciell in Oesterreich zum Ausdrucke kam.^)
Der gesammte Grund und Boden theilte sich in
Dominical- und unterthänige Gründe. Dominicalgründe
oder herrschaftliche Gründe waren in der Landtafel,
d. h. einem öffentlichen, bei dem Gerichtsstande des
Adels erliegenden Buche und ebenso in einem Buche
bei den Ständen der Provinz, dem Kataster oder
Gültbuche eingetragen. Diese landtäflichen Güter waren
in der für uns in Betracht kommenden Zeit fast aus-
schliesslich in den Händen des Adels und der Geistlich-
keit.'^)
Die unterthänigen Gründe waren entweder „ein-
gekaufte*' oder „uneingekaufte". Eingekaufte Gründe
wurden diejenigen genannt, die aus dem Dominical-
complexe herrührten, deren Nutzungseigenthum die
ünterthanen ihren Gutsherren abgekauft hatten, die sohin
rusticalisirt, d. h. aus der Dominical- in die Rustical-
fassion und in das Grundbuch übertragen worden
waren. Diejenigen Gründe dagegen, für deren Nutzungs-
eigenthum die Herrschaft keinen Kaufschilling er-
halten hatte, deren Nutzung den Ünterthanen viel-
— 6 —
mehr durch einen Erbpachtvertrag überlassen wurde
und die ihre Dominicaleigenschaft nicht verloren
hatten, wurden „uneingekaufte" Gründe und ihre
Besitzer „Dominicalisten" zum Unterschiede von
den „Rusticalisten" genannt. Die rechtlichen Folgen
dieser Unterscheidung beider Kategorien und besonders
die Vortheile, welche der Dominicalist in Bezug auf
die Steuerlast vor dem Rusticalisten ehedem voraus
hatte, waren im Vormärz längst (seit 1821) verschwunden.
Eine wichtigere Unterscheidung, weil von prak-
tischer Bedeutung für die aus dem Unterthansverbande
entspringenden Leistungspflichten war die in „In-
leute", „Grundholden" und „Unterthanen" im engeren
Sinne. Die Ersteren besassen keinen Grund und Boden
und unterstanden jener Grundobrigkeit, auf deren
Gebiet sie wohnten. ,^Grundholden" besassen zwar eine
unterthänige, d. i. in dem herrschaftlichen Grund-
buche erscheinende Realität, unterstanden aber für
ihre Person einem anderen Gerichtsstande, z. B. die
Geistlichen. Die eigentlichen Unterthanen endlich unter-
standen sowohl ihrer Person als ihrer Sache nach der
„Grundobrigkeit". Diese letztere Kategorie unterschied
sich nun mit Rücksicht auf das dem Unterthansver-
bande zugrunde liegende oder doch angenommene
Vertragsverhältniss in „Erbpächter" — denen das
Nutzungseigenthum gegen Entrichtung einer im Ver-
hältnisse zu dem jährlichen Ertrage stehenden Gegen-
leistung an Geld, Naturalien oder Dienst überlassen
war; in „Erbzinsleute" — die dem Grundherrn nur eine
geringe, in keinem Verhältnisse zum jährlichen Ertrage
stehende Abgabe zur Anerkennung des Obereigen-
thumsrechtes zu entrichten hatten, und in „Boden-
— 7 —
zinsleute" — wenn das Eigenthum dergestalt getheilt
war,dass die Substanz des Grundes sammt dem Nutzungs-
recht des unter der Oberfläche liegenden Theiles dem
Grundherrn, die erbliche Nutzung der Oberfläche —
wofür der „Bodenzins'' zu entrichten war — aber
dem Unterthanen gehörte. Endlich wurden die Unter-
thanen nach der später zu erörternden Leistungs-
pflicht, was aber keineswegs mit dem Umfange des
Besitzes zu verwechseln ist, in Ganzlehner, Halb- und
Viertellehner und Kleinhäusler eingetheilt.
Der Inbegriff aller Gründe, die zu einem steuer-
baren Hause unmittelbar gehörten und demselben in
Grundbuch und Kataster angeschrieben waren, bildeten
die „Bestiftung*', das Bauerngut Dasselbe unterlag
dem „Bestiftungszwang", d. h. es durfte ohne höhere
Bewilligung unter keinerlei Umständen, auch nur der
kleinste Theil von demselben abgetrennt werden. Kein
Unterthan durfte zugleich zwei steuerbare, für sich
bestehende Häuser und Wirthschaften besitzen, ausser
er hätte hierzu von der Landesstelle und den Land
ständen die Bewilligung erhalten. Aber auch die Herr-
schaft durfte die in ihr Grundbuch dienstbaren Rea-
litäten nicht an sich ziehen und selbst nutzen, sondern
musste, falls ein Unterthan ohne Erbfolger gestorben
und dessen Besitz sonach an sie als Obereigenthümerin
gefallen war, sofort wieder einen neuen unterthänigen
Besitzer auf die betreffende Realität stiften. Im Rahmen
des Bestiftungszwanges durfte der Bauer für sein Gut
testamentarisch einen Erbnachfolger für den Todes-
fall bestimmen; er durfte bei Lebzeiten sein Gut ohne
obrigkeitlichen Consens mit Schulden belasten, doch
durfte — bei Strafe der Abstiftung -— die Schulden-
— 8 —
last nicht zwei Drittel des liegenden Vermögens über-
steigen. Die Bauern konnten — so weit es nicht zum
Nachtheile der grundherrlichen Gerechtsame ausschlug
— ihren Besitz verpfänden, vertauschen, verkaufen
und nach Gutdünken benützen : sie konnten Wiesen in
Felder, Felder in Weingärten umwandeln und um-
gekehrt, und konnten auch — wie es in einem Jagd-
patente vom Jahre 1786 mit unfreiwilliger, aber un-
widerstehlicher Komik heisst — ihre an die Wälder
grenzenden Gründe mit Planken und Zäunen um-
geben, „ohne dass sie für jenen Schaden zu haften
hätten, welchen sich das Wild durch das Springen
hierüber zufügt''.^)
Alle diese „Rechte'' waren natürlich rein nega-
tiven Charakters und bedeuteten bloss die theilweise
Beseitigung der gröbsten und unhaltbarsten Beschrän-
kungen früherer Zeit An positiven Rechten entsprang
dem Unterthänigkeitsverbande für den Unterthanen ab-
solut keines, man wollte denn als ein solches den —
bei den damaligen Verhältnissen der Armenpflege —
rein illusorischen Anspruch auf die Armenversorgung
im Falle der Verarmung oder Hilfslosigkeit, oder das
„Klaubrecht'' von dürrem Holz im herrschaftlichen
Walde gelten lassen. Umsomehr Pflichten und Lasten
erwuchsen dem Landwirthe aus dem nexus subditelae.
Diese Pflichten bestanden zunächst in gewissen
Naturaldiensten (Robot) und in verschiedenen Ab-
gaben, welche der Herrschaft zu leisten waren.
Die Robot, der Frohndienst, war die vollkommen
unabgeschwächte und unvermäntelte wirthschaftliche
Erscheinungsform einer socialen Entwickelung, welche
.als den einzigen gesellschaftserhaltenden Stand den
der Krieger betrachtete, während die produeirenden
Classen lediglich als Mittel zum Zwecke der Ernährung
jener einzig Freien, und daher als diesen gehörig,
hörig, eigen angesehen wurden. Der unwiderstehliche
Geist der Entwickelung hatte zwar den Mächtigen das
äusserliche Zugeständniss abgerungen, dass auch der
ewig zinsende und steuernde Bauer ein Mensch mit
Eigenbestimniungsrecht und nicht bloss ein hornloses
Zug\-ieh sei, wie die fromme Geistlichkeit lehrte;')
allein an der Thatsache, auf die es ankam, dass
nämlich der Bauer zuerst für seinen Herrn und
erst in zweiter Linie, so weit es ihm dieser gestattete,
für sich produciren durfte, daran war durch die
nominelle Aufhebung der Leibeigenschaft nichts
geändert, und so blieb die Robot, das Zeichen der
nach wie vor weiterbestehenden persönlichen Unfreiheit
und Hörigkeit, mochte der zu seinem Luxus stets Geld
bedürfende Adel immerhin sich gern zu zeitweiser
oder dauernder Ablösung der Robot (Robotreluition,
Robotabolition) durch Geld bereit erklären, mochte
auch eine feile Juristerei die feine Distinction treffen,
dass das Recht auf Robot kein persönliches, sondern
ein dingliches sei und an Grund und Boden, nicht
aber an der Person des Landwirthos hafte. In den
wirthschaftlichen und socialen Verhältnissen änderten
derartige Kunststücke nicht nur nichts, es scheint
sogar, dass man mit Hilfe derselben nur neue Ketten
für den frohndenden Bauer schmiedete. Wenn die Last
des Dienstes nicht auf dem Unterthancn als Person,
sondern auf seinem unterthänigen Besitz lastete, dann
begründete der grössere Besitz für den Herrn nicht
den Anspruch grösserer Leistungen; aber der Ujnstaad,
— 10 —
dass ein Unterthan, der zur Zugrobot verpflichtet
war, gar keinen Zug hielt, konnte der Obrigkeit in
ihrem Rechte auch nichts nehmen. Nach dem Gesetze/)
mussten die zur Zugrobot verpflichteten Unterthanen
die hierzu nöthigen Pferde und Ochsen halten, von
welcher Verpflichtung sie das Nichtwollen oder Nicht-
können keineswegs befreite. Man sieht also, dass die
Robot gerade auf dem Schwachen am schwersten lastete,
und den Reichen kaum bedrückte, gerade das Gegen-
theil von dem, was die gewissen Laudatores temporum
actorum uns von den socialen Wirkungen der „christ-
lichen" Gesellschaftsorganisation glauben machen
wollen.
In Niederösterreich bestanden bezüglich der Ro-
bot folgende allgemeine Grundsätze. Der Ganzlehner
musste mit einem vierspännigen, der Halblehner mit
einem zweispännigen Ochsen- oder Pferdezug frohnden;
der Viertellehner, Kleinhäusler und Inmann hatten
Hand- und Fussrobot (Gänge) zu leisten. Der Ganz-,
Halb- und Viertellehner musste 104 Tage im Jahre,
der Kleinhäusler (Batzenhäusler) je nach der Grösse
des Besitzes 52 oder nur 26 Tage, der Inmann 12 Tage
roboten. Der Robottag wurde mit 10 Stunden wirk-
licher Arbeit gerechnet. Die Robot war von den Unter-
thanen mit ihrem eigenen Pfluge oder Arbeitszeug
zu leisten. Befreit von der Robot waren nur die alten
Ausnehmer, verheiratete, jedoch bei ihren Eltern als
Knecht dienende Bauernsöhne, verabschiedete Invaliden,
die keine robotpflichtigen Häuser besassen, und press-
hafte oder über 60 Jahre alte Inleute, so lange sie
keinen robotsamen Grund hatten — also nur sehr
wenige.
— 11 —
War schon die Robotverpflichtung ein Brandmal
der Unfreiheit und zugleich ein Hinderniss jeder ge-
sunden Entwickelung der landwirthschaftlichen Ver-
hältnisse überhaupt,^) so bildeten die Abgaben,
welche an die verschiedenen „Herrschaften" zu ent-
richten waren, geradezu die Quelle sicheren Ruines
für den Landwirth. Bei dem Erfindungsreichthum,
welchen die Geldlüsternheit in den menschlichen
Schädeln, selbst in solchen, die durch künstliche
Zuchtwahl vieler Jahrhunderte nicht aufs Erfinden
eingerichtet sind, zu wecken weiss, darf man sicher
sein, dass es der Rechts- und Unrechtstitel gerade
auf diesem Gebiete so viele gab, und dass die-
selben von Land zu Land, ja oft von Herrschaft
zu Herrschaft so wechselten, dass eine ausführliche
Behandlung derselben den Rahmen dieses Buches weit
überschreiten würde. Wir begnügen uns daher, die in
Niederösterreich, also in den dem Reichscentrum
zunächst gelegenen Gebieten, allgemein geltenden Be-
stimmungen kurz zu beleuchten.
Vor allem hatte der Unterthan dem Grundherrn
den „Grunddienst'' zu entrichten, d. h. eine jährliche
Abgabe für die Nutzung des Grundes und zur Aner-
kennung des Obereigenthumsrechtes (Erbzins). Der
Betrag des Grunddienstes war zumeist gering, war aber
auch dann zu entrichten, wenn wegen Misswachs oder
aus anderen Ursachen wenig oder gar nichts geerntet
wurde. Eine weit grössere Last war das „Veränderungs-
pfundgeld", welches bei jeder Besitzveränderung dem
Grundherrn zu entrichten war. Es hatte die doppelte
Form des „Mortuariums" und des „Laudemiums". Das
Mortuar war eine Art Erbsteuer, die nur bei Besitz-
— 12 —
Veränderungen im Todesfall, und zwar in der Höhe
von 5^0 von allem beweglichen und unbeweglichen
Verlassenschaftsvermögen nach Abzug der Schulden
dem Grundherrn zu leisten war. Das Laudemium
wurde bei jeder Besitz Veränderung unter Lebenden
als auch bei Erbschaften entrichtet, und zwar im Be-
trage von 57o des gesammten unbeweglichen, in an-
deren Besitz gelangenden Vermögens ohne Rücksicht
auf die darauf lastenden Schulden. Wie für jede Ver-
änderung, so war auch dafür dem Grundherrn ein
Antheil zu entrichten, wenn jemand mit seinem Ver-
mögen das Gebiet des Grundherrn verliess, um sich
irgend anderswo anzusiedeln. Diese Abgabe, das Ab-
fahrtsgeld genannt, betrug 57o des gesammten, schulden-
freien, beweglichen und unbeweglichen Vermögens.
Zu diesen Leistungen kamen dann noch eine Legion
von Gebühren und Taxen, welche dem Grundherrn
als Grundbuchführer bei jeder Gelegenheit zu ent-
richten waren.
Diese Abgaben waren vom wirthschaftlichen
Standpunkte um so bedenklicher, als sie nicht aus
dem Ertrage flössen und nicht die Besitzvermehrung
trafen, sondern beständig den Grundstock, das Lebens-
mark angriffen. Und doch erschöpften sie noch lange
nicht die Litanei von Lasten und bildeten kaum den
Schwerpunkt derselben. Die Grundherrschaft war nur
Ein Herr, der Bauer hatte deren aber viele — wenig-
stens dem Namen nach. - Da war auch noch die
„Dorf her r schaff ' , die „geistliche Lehensherrschaft' '
und die „Vogteiherrschaft", die „Bergherrschaft'' und
die „Zehentherrschaft". Eigentlich waren alle diese
„Herrschaften" — mit einziger Ausnahme der Zehent-
— 13 —
herrschaft, welche sehr oft bei den Geistlichen ruhte
— ein und dieselbe Person in ihren verschiedenen
Beziehungen zum Unterthanen aufgefasst Wie aber
die verschiedenen Eigenschaften des Obergottes Zeus
oder Wodan, sein personificirter Muth, seine Weisheit,
sein Zorn, seine Verschlagenheit, zuletzt als eigene
selbständige Gottheiten dem schwachen Menschen-
kinde erschienen und von ihm die duftenden Opfer
verlangten, so traten auch die Sonderungen desjenigen,
welcher für den Bauer mehr als Gott und Kaiser der
„Herr" xax'iSo^iJi/ war, als eigene „Herrschaften" auf und
forderten ihr Opfer mit olympischer Rücksichtslosig-
keit. Den Namen „Grundherr" führte der Herr bloss als
Obereigenthümer, und bloss aus diesem Rechtstitel zog
er den Anspruch auf Robot, Grunddienst, Ver-
änderungspfundgeld, Abfahrtgeld, Taxen und Gebühren.
Erschien der Gewaltige als der Ordnungmacher,
als die Polizei, dann hiess er „Dorfherrschaft" oder
„DorfobrigkeiJ", als welche er neben dem Rechte der
Gerichtsbarkeit in politischen und schweren Polizei-
übertretungen der öffentlichen Sicherheits- und Markt-
polizei und dem dazu gehörigen Rechte der Gewerbe-
verleihung und der Schankgerechtigkeit auch noch
den Anspruch auf die sogenannte „Mitwaide und das
Blumensuchen" genoss, dessen wesentlicher Theil
natürlich nicht das Blumensuchen, sondern die aus-
giebige Mitbenützung der Gemeindetriften bildete.
Trat der „Herr" als Kirchenpatron auf, so führte
er den Namen „Geist;Jiche Lehensherrschaft" und übte
als solche das Präsentationsrecht der Geistlichen, wie
auch heute noch der Kirchenpatron. Unter anderen
Rechten, die er in dieser Eigenschaft genoss, befand
— 14 —
sich auch der Anspruch auf den Ueberschuss der
Kircheneinkünfte zu seiner Ernährung für den Fall,
als er durch unvorhergesehene Unglücksfälle in Ar-
muth gerathen könnte, ferner .das Aufsichtsrecht über
das Gebaren und die Verwaltung des Kirchenver-
mögens und dessen Einkünfte. Es ist übrigens zu er-
wähnen, dass die „geistliche Lehensherrschaft'' die
umschriebenste von allen, nur eine Art constitutioneller
Herrschaft war, da die Geistlichkeit in frommer Ein-
falt die Rechte des Lehensherrn mit Schranken um-
geben hatte und das Patronatsrecht auch verloren
gehen konnte, wenn der Patron z. B. seinen Lehens-
pfarrer verwundete oder gar tödtete, wenn er sich die
Güter seiner Lehenspfarre „gefährlich anmasste oder
auf andere Art derselben Schaden zufügte" ^^) u. s.w.
Um so unbeschränkter war dagegen die weltliche
Lehensherrschaft, „die Vogteiherrschaff; das war im
Mittelalter diejenige, welche den Unterthanen in allen
Gefahren ihren Schutz verlieh, und dafür von diesen
„Vogtholden" gewisse Abgaben zu fordern hatte, welche
aber weder in den Gesetzen bestimmt, noch durch
eine allgemeine Landesgewohnheit festgesetzt, sondern
immer nur „durch besondere Rechtsverhältnisse und
die gewöhnlichen Rechtstitel und Erwerbungsarten
begründet sind".") Die Verpflichtung des Vogtherrn
zum Schutze des Vogtholden hatte natürlich schon in
Folge des Emporkommens der landesfürstlichen Vor-
rechte aufgehört, dagegen bestand der Dienst, welcher
für diesen Schutz zu entrichten war und der bald in
m
Naturalien, bald in Geld, bald auch in Robot bestand,
weiter, auf Grund von „altem Herkommen und verjährtem
Besitze", wie es in dem authentischen Commentar heisst.
— 16 —
Die „Bergherrschaft'' gewährte das Recht, von
bergmässigen, d. h. zum Weinbaue benützten Gründen
einen gewissen jährlichen Dienst zu fordern, den „Berg-
dienst", der in einer Abgabe von Wein oder indem ent-
sprechenden Geldrelutum bestand. Der Bergdienst war
absolut nicht so hoch, betrug 2, 3, 4, 5 fl. C.-M., aber er
war gleichwohl die ungerechteste und verhassteste aller
Abgaben; denn er bedeutete ein „bis", ja ein „ter in
idem" und war, da das Recht auf dem Grunde haftete,
auch von solchen Gründen zu entrichten, auf denen
schon seit Menschengedenken kein Wein mehr wuchs,
wenn sie gleichwohl als bergmässig eingetragen waren ;
„von der Verbindlichkeit, den Bergdienst zu zahlen,
befreit nicht die Unfruchtbarkeit, minderes Erträgniss
oder ein gänzliches Fehljahr, sondern nur wenn der
Berggrund ohne Schuld des Bergholden gänzlich ver-
ödet".^^)
Last not least kam die „Zehentherrschaft", welche
den Anspruch erhob, . von jedem Besitzer eines als
zehentpflichtig eingeschriebenen Grundes (Zehent-
holden) einen verhältnissmässigen Theil, meist den
zehnten, von dessen Früchten jährlich einzuziehen. Das
Zehentrecht war oft in geistlichen Händen; dort, wo
aber — wie bei den zahlreichen geistlichen Stiften -
der Grundherr ein geistlicher Herr war, fiel auch die
Zehentherrschaft mit den anderen Herrschaften zu-
sammen. Die Verbindlichkeit des Zehents hing dem
Grunde wie das Bergrecht für ewige Zeiten an, mochte
der zehentpflichtige Boden welche culturelle Wandlung
immer durchgemacht haben. Auch schloss die Ent-
richtung des Bergdienstes von einem zehentpflichtigen
Weingarten die des Zehenten nicht aus, mochte auch
— 16 -
Berg- und Zehentherr eine und dieselbe Person sein,
mochte auch der Weinberg längst keine Traube mehr
tragen. In diesem Falle nahm die Herrschaft die
Schätzung vor und der arme Hauer hatte 127o, 137o
und mehr noch, berechnet nach dem Ertrage eines
reichen Weingartens, für sein Grundstück abzuführen,
welches vielleicht nur Futter für seine Schweine und
Ziegen hergab. Wie drückend gerade der Zehent aber
selbst unter normalen Verhältnissen sein konnte,
rechnete nachmals dem constituirenden Reichstage
während der Debatte über den Kudlich'schen Antrag
der Tiroler Deputirte Dr. Pretis vor. Es gebe in
Oesterreich, namentlich im Hochlande, sehr viele
Gründe, die ihrem Besitzer nicht mehr als höchstens
den vier- bis fünffachen Samen abwerfen. Die Besitzer,
die fünf Hetzen Weizen säeten, ernteten im Durch-
schnitte nicht mehr als zwanzig Hetzen, und von
diesen zwanzig Hetzen mussten zwei als Zehent ab-
gegeben werden. Da nun aber bei diesen zwanzig
Hetzen schon die fünf Hetzen Samen mitbegriffen
sind, die er bereits im vorigen Jahre verzehentet hatte,
so verbleiben von einem Jahre zum anderen nur fünf-
zehn Hetzen. Wenn der Bauer nun von diesen fünf-
zehn Hetzen zwei dem Zehentherrn geben musste, so
bedeutete das, dass er alle sechs bis sieben Jahre ein
Jahr zum ausschliesslichen Vortheile des Zehentherrn
sein Grundstück bearbeiten und dafür Steuern und
Abgaben entrichten musste.
Angesichts solcher Thatsachen darf man wohl
fragen, woher kommt die durch den Glauben eines
ganzen Zeitalters scheinbar sanctionirte Lehre, dass
gerade die individuelle und freie Wirthschaft den
- 17 —
Schwachen an das Messer des Starken lieferte? War
nicht vielmehr der Bauer durch den wirthschaftlichen
Zwang bereits so ruinirt, dass das spätere System der
Freiheit und Wahrheit seine Proletarisirung bloss an den
Tag brachte? Keine wirthschaftliche und gesellschaftliche
Organisation kann es natürlich verhindern, dass der
Schwache leichter im Kampfe ums Dasein erliegt, als
der Starke. So lange das Sigillum Salomonis nicht ge-
lunden ist, welches diesen Unterschied zwischen Stark
und Schwach an und für sich aufhebt, so lange wird
die traurige Folgeerscheinung fortwähren; daran wird
so wenig wie der Liberalismus der viel höherer, über-
natürlicher Kräfte sich rühmende Socialismus etwas
ändern können. Wenn aber eine Gesellschaftsciasse
nicht dazu berufen ist, uns Predigten über den Schutz
der Schwachen zu halten, so sind es jene Leute, welche
die Abschaffung des trefflichen Unterthanenverbandes
und der Zehentherrlichkeit ja doch noch immer nicht
verschmerzt haben und heute gerade unter Ausnützung
des socialistischen Windes mit geblähten Segeln diesem
retrograden Ziele wieder zusteuern. Das Unterthänig-
keitsverhältniss und der Bestiftungszwang — welcher
den Bauer behinderte, Todtes vom Lebenden aus-
zuscheiden — schützte den Schwachen in einer Weise,
dass er auf seinen Hüben thatsächlich weder leben
noch sterben konnte. Es gab für den Aermsten keine
Hilfe und das reichste Jahr war für ihn das grösste
Unglück; denn dann hatte er von seinem unfrucht-
baren, schlecht bebauten Felde gerade so viel Grund-
dienst, Bergrecht, Zehent und Vogteidienst zu leisten,
wie ein anderer von dem gleich grossen, aber frucht-
bareren und besser bestellten Acker. Und es hiess
Zenker: Wiener Revolution. 2
- 18 —
I
zum Jammer den Hohn gesellen, wenn man den Armen
auf seinen Rechtsweg wies, denn der Richter über
seine Sache war sein Gegner selbst.
Das wesentlichste aller Vorrechte des grossen
Grundadels war das der Gerichtsbarkeit, das dem
Grundherrn zustehende Recht, alle Amtshandlungen
rücksichtlich der in seinem grundherrlichen Bezirke
liegenden unter thänigen Güter vorzunehmen und die-
selben betreffende Streitigkeiten in erster Instanz zu
entscheiden (dingliche Gerichtsbarkeit), sowie dem
Unterthanen im politischen und Civilrechtswege „zu
seinem Rechte zu verhelfen' ' (persönliche Gerichts-
barkeit). In einer Zeit, in welcher der Grundherr die
• Herrschaft (autoritas) schlechtweg, die Provinz aber
' nur ein loser, kaum integrirter Verband einzelner
kleiner, aber vollkommen selbständiger Localherr-
schaften war, musste diese wirthschaftliche und po-
litische Autorität des Territorialchefs als organisch
und natürlich bezeichnet werden. In einer Zeit aber,
wo der staatliche Centralismus bereits Anwälte, wie
Maria Theresia, Josef IL und Franz besessen hatte, in
einer Zeit, wo der Bauer dem Staate Steuern zu ent-
richten und Kriegsdienste zu leisten hatte, bedeutete
es einen heillosen Widerspruch, wenn die Gerichts-
barkeit auf dem Standpunkte der alten Territorial-
herrschaft belassen, die Rechtsprechung in erster In-
stanz mit Ausnahme von Strafsachen dem Grundherrn
überlassen wurde. War dieses Verhältniss dem modernen
Rechtsgefühle schon in allen jenen Fällen unerträglich,
wo der Herr über den „Ungehorsam des Unterthanen
gegen die Herrschaft", oder gar wegen politischer
Vergehen zu Gerichte sass, so bedeutete es wohl den
— 19 —
Gipfelpunkt der Ungerechtigkeit, wenn der Unterthan
in allen ex nexu subditelae entsprungenen Streitig-
keiten (Beschwerden über grundherrliche Abgaben,
Grundbuchsgebühren, über den Grunddienst, Streitig-
keiten über Naturaldienste und Robot etc.), in allen
Streitigkeiten über dorfobrigkeitliche Rechte, Zehent-
streitigkeiten (so weit es sich nicht um das Recht
selbst handelte), Bergrechtstreitigkeiten, Streitigkeiten
"zwischen weltlichen Vogtherren und Vogtholden, an
denselben Grundherrn gewiesen wurde, gegen den er
processiren wollte. Da sollte dann nicht selten der-
selbe Beamte über eine Beschwerde entscheiden, über
Verfügungen, die er selbst in anderer Eigenschaft ge-
troffen hatte. In jedem Falle war aber der Richter
zugleich die eine der interessirten Parteien. In welcher
Weise da Recht gesprochen und dem Unterthanen
überhaupt „zu seinem Rechte verholfen wurde' ^ lässt
sich denken; der Anschaulichkeit halber möge dazu
aber doch ein Zeitgenosse, der bekannte Reichstags-
abgeordnete von 1848 Ernst Violand^) das Wort er-
greifen.
;,Hatte der Bauer eine Forderung, z. B. aus dem
Titel des Kaufes u. dgl. gegen seine Herrschaft, glaubte
er nicht verpflichtet zu sein, eine geforderte Abgabe
wegen Vergleiches und Verjährung ferner zu leisten,
so konnte er nicht gleich, wie ein anderer Mensch bei
dem Civiljustizrichter klagen, sondern da ging noch
eine Menge voraus. Der Bauer, welcher eine Forde-
rung gegen die Herrschaft hatte, musste zuerst seine
Klage an einem Amtstage bei der Kanzlei der Herrschaft
zu Protokoll geben. Erhielt er binnen 30 Tagen keine
erwünschte Erledigung, dann hatte er das Recht, eine
2*
— 20 —
Protokollabschrift der Klage zu verlangen, und hierauf
war er erst befugt, sich an das Kreisamt, eine landes-
fürstliche politische Behörde zu wenden und daselbst
seine Klage mit Behelfen anzubringen. Das Kreisamt
sandte dann eine Abschrift des KlageprotokoUes und
der Behelfe an die Herrschaft und lud sie mit dem
Kläger zu einer angeordneten Tagsatzung. Bei dieser
Tagsatzung war das Kreisamt verpflichtet, auf das
Zustandekommen eines Vergleiches hinzuwirken. Kam
der Vergleich nicht zu Stande, dann schickte erst das
Kreisamt die Klage des Bauers an das Fiscalamt mit
der Anfrage, ob es als durch das Gesetz bestimmter
unentgeltlicher Unterthansadvocat die Angelegenheit
des Unterthans im Rechtswege vertreten könne und
wolle. Nahm sich das Fiscalamt der Klage des Unter-
thans an, so begann endlich ein langwieriger Process,
der bei den vielen Geschäften des Fiscalamtes ge-
wöhnlich zwei bis drei Jahre, manchmal aber auch
zehn Jahre und darüber dauerte und überdies sehr
schlecht geführt wurde. Erklärte aber das Fiscalamt,
die Sache des Unterthans nicht vertreten zu können,
dann hatte der Bauer das Recht, sich einen gewöhn-
lichen Advocaten zu bezahlen. Er konnte sich zwar
jedesmal statt des Fiscalamtes eines Advocaten be-
dienen, aber immer musste früher der kreisamtliche
Vergleichsversuch vorausgehen, denn sonst hatte jede
Gerichtsbehörde die Klage des Unterthans zurück-
zuweisen, und, was wohl zu erwägen, bei der kreis-
amtlichen Verhandlung durfte kein Rechtsfreund er-
scheinen, und die Kreisämter bestanden durchgehends
aus lauter Adeligen und Protectionskindern, welche
von der Civiljustiz und den Gesetzen des österreichischen
— 21 —
Privat- oder bürgerlichen Rechtes nicht das Mindeste
wussten. Jedesmal — eine Ausnahme wäre ein Wunder
gewesen — wurde dem unwissenden Bauer, und wenn
er offenbar Recht ^ehafet hätte, Unrecht gegeben und
ihm stets zugeredet, ja nur einen Vergleich einzu-
gehen/'
Die ganze Gerichtsorganisation lief also darauf
hinaus, das geringe, in den parteiischen Gesetzen
den Bauern eingeräumte Recht auf alle Weise, durch
Abschreckung, Zurede und endlich durch Verzögerung
zu vereiteln. Das ganze Unterthanenverhältniss war
ein Netz, welches den Bauer mit unzerreissbaren
Maschen umstrickte und ganz seinem Vogtherrn
preisgab.
Bedurfte es zum vollständigen Ruin des Land-
wirthes noch eines weiteren Factors, so war er durch
die unerschwingliche Steuerlast und die ungleich-
massige Vertheilung derselben mehr als reichlich ge-
L^eben. Das franciscinische Katasterwerk und die damit
verbundene Steuerreform^^) war ein grosses und ver-
dienstvolles Werk, vielleicht das verdienstvollste der
franciscinischen Regierung überhaupt. Sie legte der
Besteuerung einen gleichheitlichen, auf Grund quali-
tativer und quantitativer Schätzungen erhaltenen
Massstab zugrunde und bestinmite die Steuer nicht
mehr vom Rohertrage, sondern vom Reiner trägniss.
Allein, dieses grosse Reformwerk war in der für uns
in Betracht kommenden Zeit noch keineswegs ab-
geschlossen und bloss in einem Kronlande, dem Erz-
herzogthum Niederösterreich (seit 1834) thatsächlich
in Kraft. In allen anderen Provinzen bestanden lieber-
gangszustände, zum Theile auch noch die Besteuerung
— 22 —
vom Rohertrage. Die Steuereinhebungsbehörde war der
Grundherr, und es lässt sich daher leicht vorstellen,
wie es oft bei den geschilderten Gerichtsverhältnissen
mit der Einhaltung der in de^ Hand des Grundherrn
befindlichen Repartitionslisten bestellt war. Dazu kam
die Höhe der Grundsteuer. Unter normalen Zuständen
betrug sie 1840 in Niederösterreich 16 fl. 55 kr. C.-M.
von 100 fl. C.-M. des Reinertrages, d. i. 177o^*); ^^ ^^"
deren Provinzen stieg sie bis auf 247o oder noch
höher. Kamen aber die Staatsfinanzen in eine jener
zahllosen Verlegenheiten, welche die Geschichte Oester-
reichs bis zum Vormärz aufzuweisen hat und von denen
wir noch öfter werden handeln müssen — allsogleich
warf man sich auf den Grundbesitz und legte ihm
eine neue 10- bis Iby^ige Grundsteuer auf. Gewöhn-
lich verschlang die Grundsteuer zusanmien mit den
oben geschilderten Urbarialgiebigkeiten in Jahren
mittelguter Ernte bis zu 707o des Reinerträgnisses. ^^)
Nehmen wir den ganz gewöhnlichen Fall an, dass
ein Sohn das Erbe seines Vaters in vollkommen
intactem Zustande und in einem sehr günstigen Jahre
übernahm. Derselbe hatte zunächst Laudemium und
Mortuar im Mindestbetrage von 10% des Gesammt-
besitzes oder — sehr günstig gerechnet — den Rein-
ertrag eines ganzen Jahres zu entrichten, sodann im
ersten Jahre gleich 707o des Reinerträgnisses an
Urbarialgiebigkeiten und Steuern, so dass eine Ver-
schuldung von Grund und Boden ganz unvermeid-
lich war.
Wen kann es wundern, dass unter solchen Ver-
hältnissen, bei einem solchen System der Aus-
beutung die kräftigsten Antriebe zur Production
- 23 —
wegfielen, und damit diese selbst unterbunden war?
Von einer rationellen Landwirthschaft besteht im
Vormärz Iceine Spur; bloss in Oberösterreich hatte
man ernstere und ausgedehntere Versuche mit der
Fruchtwechselwirthschaft gemacht, fast überall ander-
wärts bestand die Dreifelderwirthschaft in unge-
schwächter Alleinherrschaft; Dünger und Düngungs-
methoden waren wenig bekannt, in Galizien blieb ein
grosser Theil der Felder oft acht bis zehn Jahre un-
gedüngt.^^) Die Viehzucht war unbedeutend, die Futter-
pflege vernachlässigt, die Jagd ausschliessliches Recht
der „Herren". Der Reichthum des Bodens harrte ver-
geblich der Ausbeutung. Was die Ausnutzung des
Bodens für Ackerbauzwecke betrifft, stand Oesterreich
hinter allen bedeutenderen Ländern Deutschlands
zurück;^**) nach dem Antheil des Ackerlandes vom be-
bauten Land überhaupt verhielt sich Oesterreich zu
Württemberg wie 11:14, zu Preussen wie 11:15, zum
Königreich Sachsen wie 11 : 16*8. In Bezug auf die Er-
giebigkeit wurde die landwirthschaftliche Production
in Oesterreich gleichfalls von allen Ländern Deutschlands
mit fast alleiniger Ausnahme des von der Natur so
stiefmütterlich behandelten Preussen übertroffen. ^^)
Ein schwer belastendes Zeugniss für die Mängel
der landwirthschaftlichen Verhältnisse in Oesterreich
bilden die Ausweise über den österreichischen Handel. ^^)
Der Werth der Industriegegenstände betrug bloss 467o>
der der Natur- und landwirthschaftlichen Producte
dagegen 547o ^^^ Gesammteinfuhr, während in Frank-
reich die letztere Kategorie von Producten bloss
23-77o> in den Zollvereinsstaaten 30*47o von dem Werthe
der Gesammteinfuhr ausmachte. Die eingeführten
— 24 ~
Producte auf die Bevölkerung nach der Kopfzahl
vertheilt, betrug der Werth des Verbrauches ein-
geführter Natur- und landwirthschaftlicher Erzeug-
nisse
in Oesterreich 1 fl 20 kr. C.-M. pro Kopf
in Frankreich 1 „ 31 „ „ „ „
im Zollverein 2 „ 41 „ „ „ „
Es wurde also nicht nur im Lande nicht genug
producirt, sondern auch — trotz der für ein Agri-
culturland ganz enormen Einfuhr — immer noch nicht
genug eingeführt, d. h. die Einfuhr hätte, um in
Oesterreich einen ähnlichen Verbrauch wie in Frank-
reich und im Zollverein möglich zu machen, noch
viel grösser sein müssen. Dazu ist zu bemerken, dass
der grösste Theil der eingeführten Producte nicht
etwa Colonialwaaren, sondern thatsächlich Gegenstände
der heimischen Production waren; Oele, Vieh, Ge-
treide und andere Felderzeugnisse repräsentirten zu-
sammen einen Werth von 23,540.584 fl., also mehr als
die Hälfte (51 7o) der eingeführten Natur- und land-
wirthschaftlichen Producte und mehr als ein Viertel
(27'47o) vom Werthe der Gesammteinfuhr überhaupt.
Dieser Einfuhr stand eine nur geringe Ausfuhr gegen-
über,**) welche das Gesammtbild nicht wesentlich zu
ändern vermag.
Und diesem Bilde entspricht genau das, was uns an
düsteren Schilderungen der Armuth und des Elendes
unter dem Landvolke aus jener Zeit überliefert
ist. Die schwere Bürde der Steuern, die ungerechte
Last der Urbarialgiebigkeiten, die ungezählten Robote,
welche bei jedem Bau einer Strasse, Kirche, Kaserne
oder dergleichen von den Bauern geleistet werden
-- 25 —
mussten, die Militäreinquartierungen ohne Ende, die
Vorspanndienste bei Militärtransporten, von welchen
oft der Zug nicht mehr heimkehrte und von denen
die Herrschaften ausgenommen waren, all das bildete
eine bleierne Riesenlast, welche den Landmann zu
Boden drückte. „In manchen Provinzen, wie in Galizien,
in Böhmen, waren viele Bauern des Jahres nur ein-
oder zweimal im Stande, sich Fleisch als Leckerbissen
zu verschaffen und das Elend der Riesengebirgs- oder
sonstigen österreichischen Gebirgsbewohner ist nicht
mit Worten zu beschreiben.''^^) Um vor dem Hunger
einigermassen geschützt zu sein, mussten grosse Massen
der ländlichen Bevölkerung neben der Landwirthschaft
Hausindustrie treiben, und was war das für ein Leben,
welches so errackert wurde? Eine amtliche Quelle, ^^)
also ungetrübt von Sentimentalität für das „Land-
gesindeP' — sagt: „In den böhmischen Grenzgegenden
von Nachod bis Tetschen beschäftigt sich der vierte
Theil der Bevölkerung wenigstens zeitweise mit der
Spindel oder dem Spinnrade, und davon sind die Hälfte
beständige Spinner, deren Zahl etwa 90.000 beträgt.
Auf der Herrschaft Hohenelbe allein leben über 7000,
auf der Herrschaft Nachod über 8000 Spinner. Bei
den niedrigen Preisen der Leinwand und der wach-
senden Concurrenz des für die Verwebung sich vortheil-
haft zeigenden Maschinengarnes ist der Spinnlohn auf
eine so niedrige Stufe gesunken, dass er nur noch
2 bis 3 kr. täglich, manchmal auch weniger beträgt."
Im böhmischen Erzgebirge, wo Hunger und Hunger-
typhus zu Hause waren, war ein Mensch schon zu-
frieden, wenn er täglich 4 bis 6 kr. verdiente. In
Mähren gab es mit Robot gedrückte Häusler und
— 26 —
Inleute im Gebirge, welche sich bei Fleiss und Arbeit-
samkeit täglich 2 kr. W. W. verdienten, das macht im
Jahre 6 fl. Davon mussten sie leben, wenn^ sie
nicht manchmal irgendwo nebenbei auf Taglohn um
4 Groschen arbeiteten.^*) Ein gewisser Göhring,^*) ein
Schriftsteller von ausgesprochen conservativer Ge-
sinnung, ist entsetzt über die grenzenlose Unwissen-
heit des galizischen Bauers, welcher er Schuld giebt
an der Gleichgiltigkeit gegen alles, an „seiner Blind-
heit für jedes Mittel, welches man ihm freundlich ent-
gegenbrachte, damit er durch dasselbe sich aus seiner
niedrigen, ihn entwürdigenden Lage emporhelfen
möchte''. Wenn man die Schilderung liest, welche
dieser Schriftsteller — weit entfernt, grau in Grau
malen zu wollen — von der durchschnittlichen Lage
und Lebensweise eines galizischen Bauers um 1840
entwirft, so glaubt man sich unwillkürlich auf den
Standpunkt der Naturvölker versetzt, und der Vergleich
fällt dann noch immer nicht in allen Punkten zu
Gunsten der galizischen Bauern aus.
Man braucht keineswegs zu Berichten radicaler
Zeitungen aus dem Sturmjahre zu greifen, um ein
Bild grenzenloser Verarmung und Verelendung unter
dem ländlichen Volke aufzudecken, welches an die
Lage der irischen Pächter erinnert.
Nachgerade Hessen sich diese Zustände auch seitens
der Regierung nicht mehr als die besten der Welt
hinstellen. Man merkte mit Entsetzen, in welchen
Sumpf der Karren gerathen war, allein das ganze
System erlaubte nicht die Anwendung der allein rich-
tigen Reformmittel, und Halbheiten, wie das Robot-
abolitionsdecret vom Jahre 1846, mussten eher provo-
-- 27 —
catorisch auf die verzweifelten Bauern wirken. Sie
riefen nach Brot und man gab ihnen Steine. Denn was
sollte das praktisch bedeuten, wenn eine allerhöchste
Vorschrift von der „Beförderung des Zustandekommens
freiwilliger Abfindungen zwischen den Grund- und
Zehentherren und ihren Grund- und Zehentholden über
die Natur alfr ohne und Naturalzehente'' schwatzte,
während der Bauer keinen rothen Heller hatte, um
sich abzufinden?
Einer der reactionärsten und bornirtesten Chro-
nisten des Jahres 1848-^) berichtet: „Der Bauer zeigte
sich störrisch. Dankbarkeit ist nicht seine Sache. Das
die Zehent- und Frohnsablösung betreffende Patent
stiess auf keine erkenntliche Gesinnung, vielmehr auf
das Bögehren, statt weniger als vorher, jetzt ent-
schieden gar nichts mehr zu leisten. In den beiden
Vierteln ob und unter dem Mannhartsberge musste
man 1847 den Widerspenstigen, welche die Frohn-
dienste verweigerten, mit militärischer Gewalt be-
gegnen.'' Wie das Robotablösungspatent aber auch
von den Adeligen aufgefasst wurde, bewiesen die Vor-
fälle in Steiermark, im Cillier Kreis, wo die Bauern
zur Abschliessung von Abolitionsverträgen durch
Militärexecution und Stockprügel genöthigt wurden.*')
Das meiste Verständniss für die Bedeutung und
Grösse der Frage beweisen noch die galizischen Land-
stände, die, um den Bauer für die politischen Pläne
der Schlachta zu gewinnen, schon auf den Landtagen
von 1842, 1843 und 1844 weitgehende Reformen unter
bedingungsweiser Aufhebung der Robote begehrten
und im Jahre 1845 sogar eine Commission zur Be-
arbeitung dieses Planes einsetzten. Die Regierung
— 28
Untersagte es jedoch der Commission, sich mit dieser
Frage zu beschäftigen; es sollte keinen anderen Aus-
weg aus dem Labyrinthe geben als die Revolution.
Zweites Capitel.
Die Lage des Gewerbes.
Die Entwickelung der österreichischen Industrie^
welche wir hier vor Augen haben, reicht in ihrem Ur-
sprünge nicht über das XVIII. Jahrhundert zurück.
Jene österreichischen Herrscher aus der Zeit der
Gegenreformation, welche ihre Regentenpflicht darin
erblickten, Oesterreich zu einer unbestrittenen Domäne
des Katholicismus und Jesuitismus und den Staat zu
einem willfährigen Werkzeug der römischen Curie zu
machen, nahmen natürlich in ihres Herzens frommer
Einfalt auf wirthschaftliche Hindernisse, welche etwa
den Absichten der Gegenreformation im Wege standen^
keine Rücksicht. Da aber nach dem natürlichen Laufe
der Dinge die intelligentesten Bürgerkreise protestantisch
und gleichzeitig die hervorragendsten Träger des Ge-
werbefleisses waren, so wurde die Drangsalirung und
massenhafte Auswanderung der Protestanten aus Oester-
reich gleichbedeutend mit einer Schädigung des öster-
reichischen Gewerbes in dessen tüchtigsten Vertretern.
Was fähig war, verliess das Land, die träge, unfähige
Masse blieb zurück. Es war eine Zuchtwahl im übelsten
Sinne. Die von der Gegenreformation beabsichtigte
Wirkung blieb auch nicht aus — eine tiefe Ruhe trat
ein, die Ruhe des Friedhofes leider auch auf wirth-
schaftlichem Gebiete.
Unter unsäglichen Mühen mussten die Herrscher
des XVni, Jahrhunderts gut zu machen trachten, was
ihre allzu katholischen Vorfahren an dem ehemals
blühenden Handwerke versündigt hatten. Josef I,,
Karl VL, Maria Theresia und Josef IL richteten das
Gewerbe durch eine freie Handhabung der Gesetze,
welche der Gewerbefreiheit fast gleichkam und der
individuellen Initiative, der Bethätigung des ünter-
nehmunjrsgeistes, wie der Intelligenz freie Bahn liess,
aus ihrer Bedeutungslosigkeit und Lethargie wieder
empor.
Durch die Ertheilung der „Befugnisse" wurden
auch protestantische Handwerker — die man jetzt
wieder herbeirief, denen aber die Zunft verschlossen
blieb — mit allen Rechten zünftiger Meister aus-
gestattet Fabrikanten und ihrem Arbeiterpersonale
wurde vollste Religionsfreiheit zugesichert, die Er-
theilung der Fabriksbefugnisse wurde nicht von der
österreichischen Staatsbürgerschaft abhängig gemacht,
grösseren Unternehmungen wurden Steuerfreiheiten,
unverzinsliche Staatsvorschüsse u. dgL gewährt, und
nicht nur den Unternehmern wurden Privilegien ertheilt,
auch die Fabriksarbeiter und Lehrlinge genossen eine
privilegirte Stellung, indem sie von der Militärpflicht
befreit wurden. Ja der Staat ging damals so weit, bei
zeitweiligen Stockungen im Industriebetriebe den Glas-
arbeitern, Spinnern, Wehern etc. — um sie vor Noth
zu bewahren — tägliche Provisionen, und zwar den
Oesellen und Frauen je 5 kr., den Kindern je 3 kr.
pro T&g aus Staatsmitteln zu gewähren.
— 30 —
Die österreichische Textilindustrie verdankt vor-
wiegend diesen Begünstigungen ihr Entstehen und
ihre Bedeutung. Die in Böhmen und Schlesien be-
stehende Leinenmanufactur erfuhr besonders durch
Josef IL lebhafte Förderung, nicht minder die Wollen-
manufactur. Vor allem war es aber die Baumwollen-
industrie, welche sich unter den protectionistischen
Massregeln der Regierungen in Oesterreich zu grosser
Bedeutung erhob. ^) Das Wiener Gewerbe erlangte bald
einen guten Ruf, der selbst neben dem alten Renommee
der Pariser und Londoner Industrie bestehen konnte,
und es war gewiss kein Zufall, dass sich dieser Auf-
schwung fast ausnahmslos an die ausser der Zunft
stehenden Handwerkskreise knüpfte.
Maria Theresia und ihr Sohn Josef IL Hessen,
wie in jeder anderen, so auch in wirthschaftlicher
Hinsicht keine Spur von Liberalismus erkennen und
erwiesen sich wohl weit eher als Anhänger einer
landesväterlichen Social- und Wirthschaftspolitik, wie
sie Friedrich von Preussen zum hohen Muster erhoben
hatte. Den damals angebahnten Entwickelungsprocess
dem wirthschaftlichen oder politischen Liberalismus
zuzuschreiben, ist — wenn man den Thatsachen nicht
Gewalt anthun will — unmöglich, mag auch die Frucht
des geförderten Industrialismus in letzter Linie wirk-
lich der Liberalismus und dessen Sieg gewesen sein.
Allein, die Regierung nahm der auf dem Welttheater
sich vollziehenden wirthschaftlichen Revolution gegen-
über keineswegs die Rolle eines unthätigen Zuschauers
ein. Dem Grundsatze des Gehenlassens (laisser faire)
huldigten höchstens die Zünfte. Diese mittelalterlichen
Institute vermochten weder die individualistische
— 31 —
Richtung des Industrialismus aufzuhalten, noch ver-
suchten sie es, den veränderten Bedingungen der Pro-
duction sich anzupassen. Damals, wo der Gedanke und
die Möglichkeit, den rasch aufkeimenden Gross- und
Maschinenbetrieb der zünftlerischen Organisation zum
Zwecke einer coUectivistischen Production zu ver-
mählen, noch viel näher gelegen gewesen wäre, damals
kam es den Zünftlern gar nicht in den Kopf, von den
grossen Impulsen einer neuen Zeit etwas für ihre steril
gewordene Einrichtung zu profitiren. Sie, die nachmals
alle üebel auf das angeblich so verhängnissvolle
Princip des laisser faire schoben, liessen in dem
grossen Augenblicke, wo auch ihnen eine Frage an den
Weltgeist frei stand, thatsächlich alles gehen, wie es
wollte, überliessen die Neuerungen der Production gleich-
müthig der individuellen Initiative, den ausser der
Zunft Stehenden, den „befugten" Meistern und privi-
legirten Fabrikanten, ohne zu merken, wie die Zunft
allmählich auf das Niveau einer frommen Bruderschaft
herabsank.
Es war gewiss nicht diese Versumpfung der
zünftigen Verhältnisse, was an der Neige des Jahr-
hunderts eine neuerliche Stockung und Lähmung des
gewerblichen Lebens verursachte; es war im Gegen-
theile neben den traurigen Folgeerscheinungen der
unablässigen Kriege vielmehr die reactionäre Wirth-
schaftspolitik, die Kaiser Franz im Gegensatze zu
seinen zwar nicht freisinnigen, aber aufgeklärten Vor-
fahren betrieb, was das Gewerbe von seiner mühselig
erklommenen Höhe wieder herabzog. Franz hasste den
Industrialismus instinctiv als den Nährboden des
Liberalismus und suchte ihm in offenem Widerspruche
— 32 —
ZU seinen Berathern, wo es nur möglich war, Fall-
stricke und Fussangeln zu legen. Es war nur natür-
lich, dass die alten Zünfte, die sich ganz unfähig er-
wiesen hatten, den Entwickelungsprocess des Gewerbes
aufzuhalten oder in ihre Bahnen zu lenken, jetzt über-
müthig ihr Haupt erhoben und den Niedergang des
Gewerbes als Folge der Verkennung ihres Werthes,
ihre Wiedereinsetzung in die alte Monopolstellung aber
als einzigen Ausweg aus dem irdischen Jammerthale
hinstellten. Wiederholt versuchte man es während der
Regierungszeit Franz I., mit der Einschränkung der
Gewerbefreiheit dem Handwerke zu helfen. Immer
wieder musste man das gesperrte Gewerbe freigeben.
Die erste Etappe dieses Feldzuges wider die Frei-
heit der österreichischen Industrie fällt in die Zeit
der grossen finanziellen Calamitäten während der
Coalitionskriege, in die Blüthezeit des Bancozettels
und seiner nicht minder famosen Nachfolger. Es fehlte
den leitenden Staatsmännern jener Zeit nicht an klaren
Plänen und gutem Willen, um dem leider schon chro-
nisch gewordenen, verrotteten Zustande der öster-
reichischen Finanzen ein Ende zu machen, und der
wohlgemeinten Projecte hierzu gab es nicht wenige.*'^)
Aber von all den guten Vornahmen zur Tilgung der
immensen Schuld, zur Einlösung des erbärmlichen
Papiergeldes und der eines modernen Staates un-
würdigen Kippermünzen, sowie zur Convertirung des
Zinsfusses, von alledem kam nie etwas zur Ausführung.
Man Hess es sich genügen, unter allen erdenklichen
Namen Steuern und Zuschläge^) auszuschreiben, um
deren Ertrag zur allmählichen Sanirung der finan-
ziellen Lage zu verwenden, und man scheute vor
— 33 —
solchen Operationen umsoweniger zurück, als man von
der Meinung ausging, „dass eine geringe Belastung
ohnehin für ein Volk schädlich sei, indem sie dem
Müssiggange Thür und Thor öffne und die Betrieb-
samkeit erschlaffe''.^) Sobald natürlich die Steuern
eingeflossen waren, wurden sie mit nichten ihrer Be-
stimmung zugeführt, sondern vielmehr zu abermaligen
Rüstungen verwendet; und falls sie hierzu nicht aus-
reichten, schritt man ohne Furcht und Grauen zu
neuerlichen Emissionen von Bancozetteln oder ähn-
lichen Werthzeichen.
Die Schwankungen von Cours und Zinsfuss in
jenen Tagen dürften wohl einzig in der Geschichto
dastehen und spotten allen Vorstellungen der kühnsten
Phantasie. Der Werth der Bancozettel war von 177i>
bis 1811 auf ein Fünftel gefallen und betrug an ein-
zelnen Tagen des Jahres 1811 nur noch ein Zwölftel
des Nominalbetrages. Aber auch die „Einlösungs-
scheine" Wiener Währung, welche die Bancozettel-
wirthschaft beseitigen sollten, waren trotz des Zwangs-
courses schon im Mai 1812, d. i. also 3 Monate nach
ihrer Emission, um mehr als 507o gefallen und stürzten
allmählich bis auf ein Viertel ihres Nominales. Ihnen
folgtan die „Anticipationsscheine'', welche nur bis
zum Betrage von 45 Millionen begeben werden sollten,
bald aber die immense Höhe von 500 Millionen er-
reichten. Sie wandelten dieselben Bahnen der De-
preciation, wie ihre Vorgänger. Solche Geldverhält-
nisse machten natürlich eine jede geschäftliche Vor-
aussicht unmöglich und griffen ebenso tief in das
wirthschaftliche Leben des Volkes ein, wie die wieder-
holten Zinsreductionen, die in den privatwirthschaft-
Zenker: Wiener Revolution. 3
— 34 —
liehen Verhältnissen eine mächtige Verwirrung her-
vorriefen. Es braucht nicht erst erwähnt zu werden,
dass diesen Finanzkrisen des Staates zahlreiche Exi-
stenzen zum Opfer fielen, und dass in erster Linie
unter einer solchen unreellen Finanz- und Steuer-
politik das Gewerbe zu leiden hatte.
In einer hochamtlichen „Denkschrift über die
inneren Zustände Oesterreichs*' aus dem Jahre 1806^)
werden Handel und Industrie als in tiefsten Verfall
gesunken, die Werkstätten des Fleisses als verlassen,
der unbemittelte Gewerbsmann als verarmt und mit
seiner Familie dem Hunger preisgegeben dargestellt
„Eiji Geist des ünmuthes und der Gleichgiltigkeit
gegen das öffentliche Wohl scheint sich auszubreiten,"
hiess es am Schlüsse. „Der offenste und gutmüthigste
Volkscharaker, den es vielleicht giebt, fängt an ver-
schlossener und (wenigstens in der Freude) minder
theilnehmend zu werden. Geselligkeit und Frohsinn
nehmen zusehends ab. Der Mensch isolirt sich, wenn er
leidet. Der karge Erwerb verschafft höchstens dem
Einzelnen sein nothdürftiges Auskommen, die Ehen
werden täglich seltener. Seit dem Jahre 1802 hat die
Zahl der jährlich geschlossenen Ehen in der Haupt-
stadt stufenweise und mehr als um den vierten Theil
ihres ehemaligen Belauf es abgenommen. Das Jahr 1802
zeigt ein Maximum von 2965 in Wien geschehenen
Trauungen. Im Jahre 1803 waren deren um 227
weniger, im Jahre 1804 um 271 weniger als 1803, im
Jahre 1805 abermals um 254 weniger als im Jahre
1804 und das Total der im vorigen Jahre (1805) ge-
schlossenen Ehen betrug nicht mehr als 2213; hin-
gegen ist die Zahl der Gestorbenen im Jahre 1802
- 3ö —
14.522, 1803 14.385, 1804 14.035 und 1805 16.742. Be-
darf es eines noch stärkeren Beweises von dem ab-
nehmenden Wohlstande des Volkes? von seinem ge-
sunkenen Muthe, von den Erwartungen, die es sich
von der Zukunft macht?''
Es zeigt von der tiefen Abneigung des Kaisers
gegen den Industrialismus, wenn er gerade den durch
die fluctuirenden Finanzverhältnisse am schwersten
getroffenen und zur Steuerleistung in erster Linie
herangezogenen Stand mitten in dieser Krise in die
Fessel eines Numerus clausus zu schlagen suchte, die
Errichtung von Fabriken in Wien und den Vorstädten
aber gänzlich einzustellen befahl (1802).
Die Mitglieder der österreichisch-böhmischen Hof-
kanzlei, an welche dieser Auftrag gerichtet war, wie
die Rathgeber des Kaisers überhaupt, waren sicherlich,
wie er selbst, frei von „manchesterlichen" Anwand-
lungen jeder Art und empfanden die Zumuthung, ein
sogenanntes „Liberalitätssystem" zu betreiben, geradezu
als persönliche Beschimpfung und Verleumdung. Aber
sie sahen klar genug, imi zu merken, dass es für die
Dauer nicht angehe, der Kuh mit der einen Hand das
Futter vom Munde wegzunehmen und mit der anderen
Hand sie zu melken. Die Protection, welche die In-
dustrie bei der österreichischen Regierung und Bureau-
kratie überhaupt während der ganzen Zeit bis zur
Revolution fand, hatte sehr nüchterne Anlässe und
eine sehr brutale Moral. Irgendwoher musste der Staat
seine Einkünfte nehmen. Bei der Landwirthschaft waren
sie nicht zu holen, wie wir gezeigt haben, und eine
Besserung, eine grössere Steuerkraft auf dieser Seite
wäre nur durch eine vollständige Revolution der agra-
— 30 —
Tischen Verhältnisse zu erzielen gewesen, an die man
auch nicht in den kühnsten Träumen dachte. Es blieb
also der österreichischen Regierung nichts übrig, als
ihre Mittel bei der Industrie und beim Handel zu
suchen und zu holen und dieselben deshalb vor über-
flüssigen Beschränkungen zu bewahren.
Die genannte Hofkanzlei bemühte sich daher, dem
Kaiser die wesentlichen Nachtheile klar zu machen,
die aus der Durchführung seiner Anordnungen ent-
springen mussten; wie es eine Menge von Gewerben
und Fabriken gäbe, die nur in der Hauptstadt ge-
deihen könnten, dass demnach die Verweisung der
Fabriken auf das flache Land der Vernichtung von
mehr als zwei Drittel der Fabriken überhaupt gleich-
käme; es wird darauf hingewiesen, dass die in Wien
herrschende Theuerung aus anderen Quellen, als
aus der Ueberfüllung der Stadt mit Fabriken und
Gewerben entspringe, dass jene Meister, die weniger
erfüllt von ihren Innungsvorzügen nur mit dem Ge-
deihen ihres Gewerbes beschäftigt wären, den grössten
Nachtheil erleiden würden, „dass überhaupt der amt-
liche Einfluss, das Verordnen und jeder Zwang im
Erwerbsfache die gefährlichste aller Klippen sei" u. s. w.
In einem der zahl- und endlosen Schriftstücke,
welche über diesen Gegenstand hin- und hergeschickt
wurden, kam aber auch der wahre Grund der von
dem Kaiser intentirten Gewerbesperre zum klaren Aus-
drucke. Es heisst da^) nämlich zur Beschwichtigung
des Kaisers, es „könne ohne Ungerechtigkeit gegen
einen ganzen, seiner Bestimmung nach so schätzbaren
bürgerlichen Stand die untere Gewerbsclasse für die
öffentliche Ruhe nicht für bedenklicher als andere
Stände gehalten werden, da auch diese Classe ihre
Anhänglichkeit an Fürst und Vaterland während der
feindlichen Invasion erprobt habe''. Auch wurde auf
den Vortheil der Beschäftigung „des in jeder Haupt-
stadt befindlichen Gesindels" hingewiesen, „welches
erst nach Entfernung der Fabriken und Gewerbe
wirklich furchtbar werden dürfte, und bei so vielen
Reizen zum Erwerbe auf keinen Fall sich so leicht
wegschaffen Hesse". Der Grund der reactionären
Wirth Schaftspolitik des Kaisers lag also keineswegs
in der Fürsorge für den Gewerbestand, sondern in
der Furcht vor den des politischen Freisinns ver-
dächtigen Fabrikanten und in der Angst vor den Massen
der Arbeiter.
Alle Vorstellungen und Beschwichtigungen ver-
fingen nicht bei Franz. Derselbe erklärte, die ver-
schiedenen „unaufgeforderten" behördlichen und hof-
kanzleilichen Gutachten „dienten zu keinem Gebrauche"
und bestand auf der Gewerbesperre, und erst der un-
ausweichliche Bankerott von 1811 brachte über An-
trag der Bancohofdeputation die Aufhebung des Ver-
botes, neue Gewerbe und Fabriken in dem Umkreise
von 'zwei Meilen um die Residenz zu errichten und
die Bewilligung dazu zu ertheilen. Der Bankerott
scheint der besseren Einsicht der Staatsräthe vorüber-
gehend den Sieg über die Abneigung des Kaisers gegen
die Industrie verschafft zu haben.
Schon im Jahre 1822 wiederholte Kaiser Franz
auf Grund verschiedener Beschwerdeschriften aus den
Kreisen der Handelstreibenden das Verbot neuer Ge-
werbeverleihungen, eine Massregel, welche nach aber-
maligem heissen Bemühen der Hofstellen zu Gunsten
- 38 —
einer leidlichen Gewerbefreiheit im Jahre 1827 wieder
aufgehoben wurde. Abermals waren es die Folgen
einer die Production und den Handel empfindlich
schädigenden Finanzpolitik gewesen, welche den An-
hängern der Zunft — diesmal vorwiegend Mitgliedern
der Kaufmannschaft — Anlass zu erneutem Sturm
wider die Gewerbefreiheit geboten hatten.
Das Jahr 1831 endlich brachte eine neuerliche
Gewerbesperre. Die Zünfte suchten diesmal mit be-
sonderem Nachdrucke die illiberale Gesinnung des
Kaisers in ihrem Sinne auszubeuten, und weitere ra-
dicale Massregeln gegen die Befugnisse zu erwirken,
wozu ihnen die in Folge der Cholera entstandene Ge-
werbestörung einen willkommenen Anlass geboten
haben dürfte. Es schien diesmal ein förmlicher Ge-
neralsturm gegen das sogenannte Liberalitätsprincip
geplant, und obwohl die Anhänger dieses Principes
im Anfange Sieger zu bleiben schienen, machte der
Kaiser doch urplötzlich Miene, einen letzten ent-
scheidenden Schritt in der seit drei Decennien ob-
schwebenden Frage zu thun, der wohl kaum zu Gunsten
der Gewerbefreiheit ausgefallen wäre.
In einem Handschreiben vom 17. August 1832
trug der Kaiser der Hofkammer auf, da der Wunsch
nach Beschränkung der liberalen Commercialgrund-
sätze immer lauter werde, „diesen Gegenstand in reife
Prüfung und Berathung nehmen zu lassen und nach
Einvernehmung der Unterbehörden die reif erwogenen
gutachtlichen Anträge zu stellen: ob und bei welchen
Handels- und Gewerbsclassen eine dergleichen Be-
schränkung allenfalls einzutreten hätte?'' Diesem Auf-
trage zufolge traf die allgemeine Hofkammer sofort
— 39 —
alle Vorbereitungen zu einer umfassenden Einver-
nehmung der Länderstellen, der Kreisämter und der
als Gewerbebehörden erster Instanz fungirenden herr-
schaftlichen Obrigkeiten. An alle diese Behörden wurden
Fragebogen versendet, sowie auch an die Handels-
gremien und an die 82 Wiener Zünfte. Das Resultat
dieser ersten österreichischen Gewerbeenquete war erst
im Jahre 1834 zu übersehen und wurde am 5. Januar
1835 dem Kaiser überreicht. Derselbe dürfte die Denk-
schrift jedoch nicht mehr studirt haben, denn er starb
schon wenige Wochen später (am 2. März 1835) und
damit hatte denn der dreissigjährige Krieg um das
sogenannte Liberalitätsprincip in Oesterreich vorläufig
ein Ende erreicht und auch das Project eines ein-
heitlichen Gewerbegesetzes, mit dem Franz in den
letzten Lebenstagen noch hervorgetreten, war und blieb
unverwirklicht, vielleicht zum Segen, vielleicht zum
ünheile der gewerblichen Entwickelung in Oesterreich.
Wir mussten es uns leider hier versagen, auf die
oft sehr interessanten Einzelheiten dieser wechselvollen
Gewerbepolitik in den ersten drei Decennien unseres
Jahrhunderts näher einzugehen. Noch weniger möchten
wir über dieselbe ein Urtheil fällen, das bei dem Um-
stände, dass wir über alle Vorkommnisse nur höchst
einseitig unterrichtet sind, auch kaum gerecht und
recht ausfallen könnte. Dagegen setzt uns das ge-
botene Materiale in den Stand, einige Schlüsse auf die
thatsächlichen Verhältnisse des österreichischen Ge-
werbes zu ziehen, welche vortrefflich zum Verständniss
des Kommenden hinüberleiten.
Was aus dem langwierigen und wechselvollen
Kampfe der Handwerkerzünfte und Kaufmannsgremien
-^ 40 —
um Einschränkung der Gewerbeverleihung ganz un-
zweifelhaft hervorgeht, ist eine thatsächliehe Misslage
des Gewerbestandes und vorwiegend des städtischen
Handwerkes während des ganzen Zeitraumes. Der.
Zunftgeist und Brotneid mag ja vieles in dunkleren
Tönen gemalt haben, als es in Wirklichkeit aussah,
aber auch die Schilderungen der Gegenpartei lassen
den Zustand der Gewerbe und den Wohlstand in den
gewerbetreibenden Kreisen keineswegs als besonders
rosig erscheinen.
Wir haben weiter oben die Lage in diesen Kreisen
um das Jahr 1806 an der Hand einer hochamtlichen
Denkschrift geschildert. Manches an den Verhältnissen
hatte sich seither geändert, vielleicht auch gebessert;
die Gesammtlage der österreichischen Industrie war
besonders im Hinblick auf den Activhandel gewiss
eine tröstlichere geworden, allein ein Blick auf die
Ergebnisse des österreichischen Aussenhandels beweist
rasch, wie sehr Oesterreich in seiner Production noch
vom Auslande abhängig war; und die Richtigkeit dessen,
was die Hofkammer in ihrer Einbegleitung zu den
Ergebnissen der obengedachten Enquete im Jahre 1835
aussprach, dass Oesterreich an einer grell in die Augen
springenden Unterproduction litt, unterliegt nicht dem
geringsten Zweifel. Wohl war seit den napoleonischen
Kriegen der Friede eingekehrt, aber die ewige Finanz-
misere bestand fort und fuhr fort, alle Verhältnisse
der Industrie und des Handels im Labilen, ewig
Schwankenden zu erhalten. Wohl war von Staatswegen
so manches zur Förderung der Gewerbe geschehen,
aber auch die Steuerlasten waren unaufhörlich ge-
stiegen. In Wien war die Häusersteuer von 745.895 fl.
— 41 —
Bancozettel im Jahre 1810 auf 1,333.833 fl. C.-M. im
Jahre 1832, d. i. im Verhältnisse von 3:23;') die
Erwerbsteuer war in der gleichen Zeit von 284.251 fl.
Bancozettel auf 758.501 fl. C.-M. = 3 : 34, der Betrag der
Bürgertaxe nebst der Gewerbs- und Befugnisstaxe von
18.481 fl. Bancozettel auf 161.111 fl. C.-M. = 3: 112 ge-
stiegen. Dazu kamen, wie die erwähnte Einbegleitungs-
note ausdrücklich hervorhebt, eine Menge von öffent-
lichen und Privatabgaben, die beim Antritte des Gewerbes
zu entrichten waren und viele geschickte, aber mittel-
lose, arbeitende Hände an dem Antritte selbständiger
Unternehmungen hinderten.
„Nachdem der Gewerbsmann sich durch den drei-
fachen Recursinstanzenzug durchgearbeitet, für Agenten
und leider hie und da bei den Unterbehörden sich ein-
geschlichene ungebührliche Auslagen für die Gewerbs-
antritts- und. Incorporirungstaxen, für die Einrich-
tungen der Gewerbslocalitäten, Herbeischaffung der
Werkzeuge, Maschinen und Vorräthe, Wohnungsein-
richtungen u. dgl. sein oft sauer erworbenes und er-
spartes Geld aufgezehrt hat, ist er gehalten, nebst dem
Unterhalte für Lehrjungen und Gesellen und den fort-
laufenden Betriebsanlagen, nebst den. Beiträgen für
die Zunftauslagen und verschiedenen Gewerbesteuern,
auch die jährliche Erwerbssteuer zu bezahlen, welche
für sein Gewerbe bemessen isf
Einer der Krebsschäden des kleinen Gewerbes
waren die Formen des Gesellen- und Lehrlingswesens,
welche dem Gewerbe einen gesunden Nachwuchs zu
verschaffen und tüchtige Meister zuzuführen nicht ge-
eignet waren. Die Ausbildung der Lehrlinge war in
den Vierziger Jahren vollkommen vernachlässigt, und
— 42 —
der Wiener Magistrat bricht in die Klage aus: „Die
Lehrlinge lernen nichts mehr, weil von ganzen Classen
von Gewerbetreibenden nur mehr einzelne Artikel
erzeugt werden und es zur Maxime geworden ist, sich
ausschliessend oder doch grösstentheils mit Lehrjungen
zu behelfen." Aber nicht bloss die Arbeitstheilung,
welche in diesem Falle nicht die Wirkung der Ge-
werbefreiheit, sondern geradezu die der Gewerbe-
unfreiheit ^) war, sondern auch die ausgesprochene Ver-
nachlässigung der Meister verschuldete diese mangel-
hafte Ausbildung des nachwachsenden Handwerker-
geschlechtes. Die amtliche Commission, welche im
Jahre 1835 den Entwurf eines Gewerbegesetzes vor-
bereitete, klagt, wie wenig in den Handwerken auf
die Ausbildung der Lehrlinge geachtet wird; „sie sind
dem harten und rohen Verfahren der Meister und Ge-
sellen, die meistens in gleicher Roheit aufgewachsen,
ausgesetzt, auf ihre Ausbildung im Gewerbefache selbst,
dem sie sich widmen, wird wenig oder gar nicht ge-
sehen, sie werden häufig zur Aushilfe in gewissen
mechanischen Verrichtungen, zu häuslichen und knech-
tischen Arbeiten verhalten". Die vielgerühmte tech-
nische üeberlegenheit der Handwerker war schon in
den Vierziger Jahren eine Legende, und die Maschinen-
industrie hatte leichtes Spiel, das verrohte und plumpe
Handwerk aus dem Sattel zu heben. Was man auch
sagen mag, so ganz ohne eigenes Verschulden hat das
Handwerk seinen goldenen Boden nicht verloren, mögen
die von aussen auf dasselbe einstürmenden Umstände
auch noch so ungünstig gewesen sein und mag auch be-
sonders das Aufkommen des Maschinenbetriebes^) so
manches, was noch Leben hatte, dem Tod geweiht haben.
— 43 —
Ein Uebelstand, welchen das Handwerk gleich
wie die Grossindustrie bitter zu beklagen hatte, war
der Mangel ausreichender Communicationswege. Wohl
hatten sich auch in dieser Hinsicht die Verhältnisse
etwas gebessert. An Commercialstrassen wurden von
1813 bis 1832 im Ganzen 1,817.032 Klafter oder
454 Meilen in den verschiedenen Provinzen erbaut,
die Zahl der Postanstalten und Postcurse hatte be-
trächtlich zugenommen; aber was besagen diese
Ziffern gegenüber der Thatsache, dass die Entwicke-
lung des Eisenbahnnetzes gar nicht vom Flecke
kommen wollte; obwohl gerade Oesterreich einer der
ersten Staaten war, welcher den Eisenbahnbetrieb
eingeführt hatte, betrug um 1 840 die Länge des öster-
reichischen Bahnnetzes doch nur 144Ä;m oder nicht
einmal zwei Fünftel des gleich alten französischen und
nur ein Neuntel des bloss um drei Jahre älteren eng-
lischen Bahnnetzes. ^^) Die Dampfschiffahrt auf der
Donau war erst im Entstehen begriffen, und wenn man
die grossen Schwierigkeiten bedenkt, die gerade dieses
Verkehrsmittel naturgemäss zu überwinden hatte, so
begreift man, dass von dieser Seite die österreichische
Industrie in den Vierziger jähren noch sehr wenig
Förderung zu erfahren hatte. ^^)
Umgekehrt ist von der zurückgebliebenen Ent-
wickelung der Verkehrswege ein Rückschluss auf den
primitiven Zustand der österreichischen Industrie an
der Wende der Dreissiger- und Vierziger] ahre erlaubt.
Es waren alte üebel, an denen sie krankte, der atro-
phische Zustand war chronisch, und das ist bei der
Beurtheilung der künftigen Erscheinungen wohl im
Auge zu behalten. Denn wie auf anderen Gebieten
— 44 —
fehlte es auch hier kurz vor der Katastrophe nicht
an wohlgemeinten Versuchen einer thätigen Umkehr
— man studirte, wie die Enquete von 1835 zeigt, ein-
gehend die gewerblichen Fragen, man dachte an ein
einheitliches Gewerbegesetz, man veranstaltete in den
Jahren 1835, 1840 und 1845 in Wien grosse Gewerbe-
ausstellungen — allein, das alles konnte nicht Zu-
stände beheben, deren Veranlassung tief in dem ge-
sammten Gehaben des Staates steckte.
Eine andere, nicht minder bedeutsame Thatsache,
über welche wir aus der oben berührten Geschichte
der österreichischen Gewerbepolitik bis 1835 Kenntniss
erhalten, ist die eines tiefen Risses, der bereits damals
durch die Gesellschaft im Hinblicke auf die Gewerbe-
frage ging. Auf der einen Seite standen die zünftigen
Handwerker, die Vertreter einer absterbenden Gesell-
schafts- und Productionsform, auf der anderen Seite
die befugten Meister und Fabrikanten, die Kinder und
Werkleute einer neuen Zeit, die Jünger neuer An-
schauungen. Und damit nach einer altösterreichischen
Tradition der Widerspruch auch nicht ohne Antheil
bliebe, stand auf Seite dieser letzteren, später die Führer-
schaft des Liberalismus und der Demokratie bilden-
den Elemente die Regierung und die gesammte höhere
Bureaukratie, die Metternich'sche, den Liberalismus
als Vorläufer der Anarchie hassende Bureaukratie.
In der mehrfach erwähnten Enquete traten die
Meinungsverschiedenheiten dieser beiden Lager auf
gewerblichem Gebiete mit unerbittlicher Consequenz
einander feindlich gegenüber.
„Wäre es nach dem Willen der Zünfte und Gre-
mien gegangen'' — sagt Reschauer *-) das Resultat
— 45 —
der Enquete zusammenfassend — „die Gewerbegesetz-
gebung hätte nicht nur um ein paar Jahrzehnte,
sondern bis in die Mitte des XVIL Jahrhunderts, etwa
bis in die Tage Kaiser Ferdinands III. hinein, zurück-
reformirt werden müssen. Denn aus den Voten der
auf dem Standpunkte der Zünfte stehenden Behörden
geht klar und unzweideutig hervor, dass sie alle seit
Karl VI. bis in die Dreissigerjahre dieses Jahrhunderts
herein im österreichischen Gewerbewesen vorgenomme-
nen Reformen auf das Abfälligste beurtheilen und als
verderbenbringend nicht nur für den Handwerkerstand,
sondern auch für das Beste des Staates betrachten.
Die Gegner des Liberalitätssystemes tragen gar kein
Bedenken, selbst auf solche Beschränkungen anzu-
tragen, welche die Möglichkeit eines schwunghaften
Gewerbebetriebes ausgeschlossen und Oesterreich dazu
verurtheilt hätten, ein ärmlicher Agriculturstaat zu
bleiben; sie sind so naiv, es offen herauszusagen, dass
die Industrie ein für die Ruhe des Staates gefähr-
liches Element sei und daher nicht gepflegt werden .
sollte; sie rathen auf eine solche Einschränkung der
Thätigkeit der Fabriken, welche den industriellen
Grossbetrieb geradezu unmöglich gemacht hätte. Es
ist sicher kennzeichnend, dass selbst das mährisch-
schlesische Gubernium und das Brünner Kreisamt,
welche sich doch am Beginne der Dreissiger jähre über
die Bedeutung der Tuchmanufactur für Brunn und
Mähren schon hätten klar sein können, den Antrag
stellten, dass Fabriksunternehmungen, deren Fabrikate
auch von zünftigen Meistern erzeugt werden, unter
allen Umständen nur zünftig betrieben werden sollen.
Es tritt uns überhaupt aus dem Gutachten der An-
— 46 —
hänger der Beschränkungen die gewiss interessante
Erscheinung entgegen, dass man in der Mitte der
Dreissiger jähre von der Entwickelungsfähigkeit des
Fabrikswesens nicht nur in den Reihen des Hand-
werkerstandes, sondern auch bei einem Theile der
^ureaukratie noch nicht einmal eine Ahnung hatte.
Da will man auf grossen Gebieten des Erwerbslebens
ausschliesslich das Handwerk gelten lassen und fordert,
dass sich der Eigenart, den Interessen desselben alles
Uebrige unterordnen oder mindestens anbequemen
müsse; als ob eine andere Organisation der Arbeit als
die handwerksmässige gar nicht denkbar wäre, wird
alles als Missstand und Uebel hingestellt, was dieser
Organisation abträglich zu sein scheint In zahlreichen
Gewerbszweigen, wo die Grossindustrie heute längst
schon Wurzel gef asst und der kleine Unternehmer schon
seit langem schwer genug zu kämpfen hat, um sich
der Concurrenz derselben gegenüber zu behaupten,
existirte damals eine Massenproduction eben noch
. nicht. Der zünftige Meister hatte damals fast nur den
Wettkampf mit dem Befugten, der ja auch nur ein
kleiner Unternehmer war, zu bestehen. Auch über-
ragte selbst die grosse Mehrzahl der fabriksmässig
befugten und der mit Fabriksprivilegien ausgestatteten
Unternehmer das Niveau grösserer Gewerbetreibender
im heutigen Stile keineswegs. Es ist daher erklärlich,
dass die Anhänger der Beschränkungen, in der
Täuschung befangen, dieses für die Gewerbetreiben-
den so überaus günstige Verhältniss werde ewig fort-
dauern, in keinem ihrer Gutachten die Nothwendigkeit
betonen, durch die möglichste Steigerung der tech-
nischen Leistungsfähigkeit, durch rechtzeitige Vor-
— 47 —
kehrung für Befriedigung erhöhter Creditbedürfnisse
den Handwerkerstand auf die schweren Kämpfe vor-
zubereiten, welche ihm nahezu in allen Geschäfts-
zweigen bevorstehen sollten, welche Kämpfe er auch
in der That, schon von der Mitte der Vierziger jähre
angefangen, mit täglich steigender Heftigkeit zu führen
hatte. Die Sicherheit und Zuversicht, mit der das
Handwerk in dieser Beziehung in den Tag hineinlebte,
hat ihm weit grösseren Nachtheil gebracht, als selbst
die schwersten Missgriffe der Gesetzgebung. In den
zünftlerischen Gutachten kommt überhaupt nicht ein
Wörtlein vor, welches auf Sinn und Verständniss für
die Nothwendigkeit eines zeitgemässen Fortschrittes
im Gewerbewesen schliessen Hesse. Dass nur der
strebsame, fleissige Handwerker ein Recht habe zu
existiren und von der Gesetzgebung des Staates zu
fordern, dass ihm die Existenz nicht unmöglich gemacht
werde, davon lesen wir in diesen Gutachten nichts;
dieselben bewegen sich vielmehr in einem Gedanken-
gange, als ob ihre Urheber aus dem blossen Besitz-
titel eines Gewerbebefugnisses, für den gewerblichen
Unternehmer das Recht ableiten wollten, sich sein
bürgerliches Auskommen vom Staate garantiren zu
lassen. Das Handwerk und das Kaufmannsgewerbe wird
in allen diesen Gutachten wie eine privilegirte Ver-
sorgungsanstalt hinzustellen gesucht und vom Staate
gefordert, dass er alles, was diesen Charakter beein-
trächtigt oder gar aufhebt, aus Gesetzgebung und
Verwaltung beseitige.''
„Kaum weniger extrem wie die Gegner sind auch
die Anhänger des Liberalitätssystemes, welche gleich
der Hofkammer wohl nur im Hinblicke auf die aller
— .48 —
Welt bekannten Gesinnungen des Kaiser Franz Anstand
nehmen, sich bei diesem Anlasse schon für die Ein-
führung einer, wenn auch beschränkten Gewerbefreiheit
in Oesterreich zu erklären. Wäre es nach dem Willen
dieser Partei gegangen, dann würde das Gesetz vom
20. December 18ö9 vielleicht schon Mitte der Dreissiger-
jahre erlassen worden sein. Der Hofkammer fällt es
natürlich leicht, den rein monopolistischen Tendenzen
der Zünftler gegenüber das allgemeine Interesse, den
Nutzen und Vortheil der Consumenten zur Geltung
zu bringen. Das Ziel, welches ihr vorschwebte, war
ein hohes und schönes, aber das unbeugsame Fest-
halten an demselben hätte ihr auch die Verpflichtung
auferlegt, sich dafür einzusetzen, dass die Masse der
gewerblichen Bevölkerung Oesterreichs jener geistigen
Bildungsstufe allmählich zugeführt werde, die sie unter
der Herrschaft einer, wenn auch beschränkten Ge-
werbefreiheit schon im Interesse ihrer Selbsterhaltung
hätte einnehmen müssen.''
Diese beiden Parteien bestanden also auf gewerb-
lichem Boden schon vor der Zeit, welche den eigent*
liehen Gesichtskreis unserer Betrachtungen bilden soll.
Es ist ein grosser, wenn auch traditioneller Irrthum,
anzunehmen, es habe in der Revolutionszeit in Fragen
der Zunft und ihres Bestandes nur ein Herz und einen
Sinn gegeben. Die ganze Geschichte der bürgerlichen
Reaction bleibt unter diesem Gesichtspunkte einfach
unverständlich. Ebenso wäre es ein grosser Fehler, an-
zunehmen, dass diese beiden Parteien bloss durch zwei
Meinungen getrennt gewesen seien; wenn Reschauer
meint, der zünftige Meister habe damals fast nur den
Wettkampf mit dem Befugten, der ja auch nur ein
- 49 —
kleiner Unternehmer war, zu bestehen gehabt, so ist das
in doppelter Hinsicht irrig. Auch wenn der befugte
Meister oder Decreter nur ein kleiner Meister war, so
war er doch schon vermöge seiner grösseren wirth-
schaftlichen Freiheit und Beweglichkeit an und für
sich im Concurrenzkampfe mit dem zünftigen Meister
im Vortheile; es war ein Kampf mit derselben Aus-
sicht, wie wenn eine Schaar mittelalterlich gepanzerter
Eisenreiter einer modernen, in Plänklerschwärme sich
auflösenden und mit dem Repetirgewehre ausgerüsteten
Truppe Widerstand leisten wollte.
In einer Denkschrift der allgemeinen Hof kammer*^)
wird der ganze Leidensweg, den ein Mensch zu machen
hat, um es zum Meister zu bringen, geschildert; die
langen erniedrigenden Lehrjahre, die kargen Gesellen-
jahre, der Wanderungszwang, die grossen Auslagen
für den selbständigen Antritt eines Gewerbes; und
wenn der werbende Geselle endlich so weit ist, bei
der Behörde oft mit Hilfe wucherischer Winkelagenten
einzuschreiten, so sieht er sich, wie die Hofkammer
ohne Umschweif erklärt, allen Angriffen der Zunft
preisgegeben, die, je geschickter der Bittwerber und
je isolirter er dasteht, insoferne er nicht der Sohn
oder Verwandte eines Mi4;meisters ist, desto heftiger
alle Mittel aufbietet, um einem Concurrenten entgegen-
zuarbeiten, von dem ihr Brotneid und Monopolgeist
Beeinträchtigung ihres Erwerbes besorgt. Sie verfolgen
ihn durch drei Recursinstanzen, die ihnen nach dem
herrschenden Verfahren offen stehen und verviel-
fältigen dem Bittwerber, so viel sie können, seine Aus-
lagen auf Agentengebühren, Stempel, Taxen, Porto u. s. w.
Sie verzögern durch Einstreuungen aller Art die de-
Zenker: W iener Revolution. ^
— 60 —
finitive Verleihung, so dass in der Regel ein Jahr und
darüber zwischen den Verhandlungen verstreicht.
Wälirend dieser Zeit verliert der Bewerber nicht selten
sein Brot bei dem Meister und erhält nicht anderswo
sein Unterkommen. Hat er nun auch in letzter Instanz
seine Gewerbsbefugniss rechtskräftig erlangt, so findet
er sein Spargeld gewöhnlich so erschöpft, dass er sein
Gewerbe kaum anders als mit Schulden anfangen kann.
Auch hier verfolgt noch der Brotneid den Anfänger,
es wird alles aufgeboten, Kunden von ihm abzuziehen,
und die Noth, in welche manchmal diese Leute ge-
rathen, giebt dem vorherrschenden Geiste des Gewerbs-
monopoles erwünschten Stoff an die Hand, mit trium-
phirenden Gründen gegen die Vermehrung der Be-
fugnisse aufzutreten. Die Denkschrift schliesst: „Es
wäre in der That bei einer solchen Lage der Dinge
zu verwundern, wie die Industrie in dem österreichi-
schen Staate dennoch einen solchen Aufschwung nehmen
konnte, dass Erzeugnisse mancher Zweige derselben
selbst im Auslande einen lohnenden Absatz und eine
immer steigende preiswürdige Anerkennung finden,
wenn nicht die freien und unzünftigen Beschäftigungen,
bei welchen solche hemmende Verhältnisse entweder
gar nicht oder wenigstens im minderen Grade ein-
treten, und welche gerade diejenigen sind, bei denen
die Verbesserung des Gewerbsbetriebes eine höhere
Stufe erreicht und der Absatz sich erweitert hat, dem
vaterländischen Gewerbsfleiss einen Ausweg eröffnet
hätten, um sich emporzuschwingen.''
Diese hochamtlichen Ausführungen beweisen, dass
die Concurrenz, welche der zünftige Meister von Seite
des unzünftigen oder „Decreters" auszuhalten hatte.
— Ol —
keineswegs ein Kampf mit gleichen Chancen war, und
so erklärt es sich auch, dass die Zahl der nicht-
zünftigen Gewerbebetriebe in den Vierzigerjahren in
Wien sich rapid und beängstigend vermehrte, natürlich
auf Unkosten der zünftigen.
Ein anderer Irrthum wäre es, mit Reschauer zu
glauben, die Grossindustrie hätte damals — wir stehen
etwa zur Zeit des Regierungsantrittes Ferdinand I. —
noch nicht hemmend und schädigend in die Sphäre
des Handwerkes eingegriffen. Wenn uns in der oben-
erwähnten Gewerbeenquete bereits wiederholt die
Klage entgegentönt, das Handwerk könne die Con-
currenz der Fabriken nicht aushalten, „viele Meister
und Befugte müssten sich als Gesellen verdingen und
einige von ihnen durch Arbeiten als Taglöhner ihr
Brot verdienen, während die Schwächlicheren und Ge-
brechlicheren den Versorgungshäusern anheimfielen",**)
so lag darin leider keine Uebertreibung. Es ist vielmehr
das unser Jahrhundert erfüllende, markerschütternde
Lied von der Proletarisirung des Mittelstandes unter
dem alles verzehrenden Einflüsse der Grossindustrie.
Nur sehr schwer lassen sich für solche Entwicke-
lungs- oder besser gesagt Zersetzungsprocesse ziffern-
mässige Beweise erbringen; hie und da ist es aber
doch möglich, den inneren Zusammenhang hierher-
gehöriger Thatsachen direct zu erweisen. Während
z. B. die Baumwollenspinnerei in Niederösterreich am
Beginne des Jahrhunderts im fabriksmässigen Be-
triebe einen kolossalen Aufschwung nahm, starben die
selbständigen Meister immer mehr, und zwar er-
schreckend rasch aus. Am Ende des vorigen Jahr-
hunderts schätzte man in Niederösterreich die Zahl
4*
— £2 —
der Handspinner noch auf mehr als hunderttausend,
während man daselbst im Jahre 1811 kaum noch acht-
tausend zählte. So weit war unter dem Einflüsse der
Massenindustrie der Umwandlungsprocess der alten
selbständigen Handwerker in Lohnarbeiter also schon
im Jahre löli gediehen.
Seine unheilvollen Spuren lassen sich jedoch schon
viel früher deutlich erkennen. Während in Wien von
1728 bis 17^0, also in etwa 50 Jahren die Zahl der
,, Gewerbetreibenden" (Meister und Befugte) bloss im
Verhältnisse von 22 : 23 anwuchs, vermehrten sich die
Fabriken im Verhältnisse 1 : 6. Die Metall- und mehr
noch die Textilindustrie zog sich schon damals immer
mehr und mehr in die Fabriken.*'^)
In dem eben zu betrachtenden kritischen Zeit-
räume von 1835 bis 1847 machte der Umwandlungs-
process des Gewerbes erschreckend rasche Fortschritte
und nahm ganz unvorhergesehene Dimensionen an.
Die kleinen Meister wurden von den grossen abhängig,
indem sie überhaupt nicht mehr für eigene Rechnung,
sondern für die Rechnung anderer arbeiteten. Aus
den selbständigen Meistern wurden Stückmeister und
Sitzgesellen. Im Jahre 1845 ist es bereits nichts Ausser-
gewöhnliches mehr, dass einzelne grosse Handwerks-
meister — besonders der Bekleidungsbranche — in
Wien^®) ausser ihren Gesellen noch dreissig bis vierzig
Meister ausser dem Hause beschäftigen, welche meist
Familienväter sind und - da sie nicht selbst genug
Kunden haben — für den grossen Meister nach dem
Stücklohn arbeiten. In Wien nahmen die Fabrikanten
von dem Jahre 1837 bis zum Jahre 1841 um 1647© zu,
die selbständigen Gewerbe hingegen blpss um 7'87o»
- Ö3 —
Mit diesen Angaben stimmt überein, was sich
S. Becher^') nicht erklären konnte, dass nämlich die
Zahl derjenigen, welche sich dem Gewerbe widmeten,
in fast allen deutschen und slavischen Provinzen
während des Zeitraumes von 1834 bis 1840 auffällig
abgenommen habe, und zwar in den beiden Oester-
reich, Steiermark, Kärnten, Krain, Böhmen, Mähren,
Schlesien und Galizien zusammen um nicht weniger
als 8700 Köpfe oder 8-5«/^.
Damit soll nicht gesagt sein, dass die Wiener In-
dustrie, so weit sie in handwerksmässigem Betriebe
stand, nicht auch ihre tröstlichen Partien besessen
hätte. Die Wiener Gold- und Silberarbeiter erfreuten
sich eines guten Rufes, ihr Gewerbe beschäftigte
etwa sechshundert Meister und erforderte einen jähr-
lichen Verbrauch von 7,000.000 fl. C.-M., d. i. etwa
doppelt so viel, als die berühmte Mailänder Gold- und
Silberindustrie verarbeitete.*^) Auch die halbseidenen
Wiener Shawls genossen einen gewissen Ruf im Aus-
lande und konnten auf dem Weltmarkte selbst die
Concurrenz der französischen Waare aushalten. Auch
dieser Industriezweig ernährte zahlreiche Meister in
Wien, obwohl auf diesem Gebiete bereits der fabriks-
mässige Betrieb den Kleinbetrieb zu ersticken drohte.
Endlich war auch die Erzeugung musikalischer und
physikalischer Instrumente eine Art Wiener Specialität
von gutem Renommee. Allein, diese vereinzelten Licht-
punkte — die sich ja vielleicht noch um einige wehige
vermehren Hessen — können nichts an dem düsteren
Gesammtbilde ändern, welches das Wiener Handi)^erk
bot. Gerade jene Industriezweige, wo das Handwerk
am wenigsten die Concurrenz des Gross- und Massen-
— 54 —
betriebes zu fürchten hat, die Luxus- und Mode-
industrie lag in den Vierziger] ahren noch so gut, wie
in den Windeln. ***) Die übrigen Gewerbezweige litten
unsäglich unter dem Drucke der herrschenden Theue-
rung und allgemeinen Verarmung und unter dem
vollständigen Mangel der für das Handwerk uner-
lässlichen Creditgelegenheit. Dieser Mangel machte
sich umsomehr fühlbar, als gerade das kleine Gewerbe
in Wien damals die weitestgehenden Credite gewähren
musste.^®)
Wie übel es damals dem sogenannten Mittelstande
in Wien erging, zeigt der Umstand, dass bei Ein-
bringung der landesfürstlichen und städtischen Erwerbs-
steuer das Zwangsverfahren von Jahr zu Jahr mehr
überhand nahm. Von den 30.000 Erwerbssteuerpflich-
tigen, welche im Jahre 1845 in Wien im höchsten Falle
existirten, musste zur Einbringung der ersten Rate bei
17.469 die einfache Militärexecution, bei 9554 die
doppelte oder verschärfte Execution und bei 7009 Rück-
ständigen der letzte Grad, die Pfändung — zur Ein-
bringung der zweiten Rate bei 18.378 die einfache,
bei 10.566 die verschärfte Militärexecution, bei 8011 Rück-
ständigen die Pfändung angewendet werden, während
vor dem Jahre 1820 kaum gegen 100 bis 200 Gewerbs-
leute auch nur der erste Grad der Execution in
Antrag kam.*')
Im Jahre 1847 war die Noth des Handwerker-
standes bereits so hoch gestiegen, dass sich viele An-
gehörige desselben nicht mehr das Werkzeug zum
selbständigen Betriebe eines Gewerbes anschaffen
konnten. Es wurde in diesem Jahre der „Wiener
Kreuzerverein zur Unterstützung der Gewerbsleute' ^
55 —
gegründet, der durch Anschaffung von Arbeitsmateriale
und Werkzeug, Zuwendung von Darlehen u. s. w. Be-
dürftigen zu Hilfe kommen sollte. Im folgenden Re-
volutionsjahre traten verarmte Gewerbetreibende in
Massen an die Gemeinde mit der Bitte um Unter-
stützungen heran, um ihr Gewerbe fortführen zu
können.*^) Der Ausbruch der Revolution mag ja an
solchen Verhältnissen vieles mitverschuldet haben;
allein, der Niedergang des Gewerbes war ein schon
lange deutlich erkennbarer Process, und kein social-
politisches Genie hätte ihn in letzter Stunde aufzuhalten,
seine traurigen Consequenzen zu verhindern vermocht.
Drittes Capitel.
Die Lage der Arbeiterclasse.
Das von den Ideen des Socialismus befangene
Denken hat sich an den agitatorischen Lehrsatz ge-
wöhnt, dass die materielle Lage der Grossindustrie
und die Lage der von ihr abhängenden arbeitenden
Classen im umgekehrten Verhältnisse stehe, so dass
jeder Grad der Verbesserung auf der einen Seite eine
entsprechende Verkürzung auf der anderen Seite be-
dingen müsse. Wenn es für die Ungiltigkeit dieser
Anschauung überhaupt eines Beweises bedürfte, so
wäre er in den Verhältnissen vor 1848 zu finden.
Das Handwerk hatte allerdings dem Aufstreben der
Grossindustrie, d. h. des Massen- und Maschinenbetriebes
gegenüber nicht Stand halten können, die selbstän-
digen Meister sanken zu lohnarbeitenden herab, und
die Lage dieser Arbeiter war — wie sofort zu zeigen —
— 66 —
eine trostlose, jeder Beschreibung spottend elende.
Auch die Lage der grossen Industrie war keineswegs
eine glänzende. Man muss sich eben hüten, einen be-
sonders günstigen Einzelfall, wie etwa die relativ gute
Situation der österreichischen Baumwollenindustrie im
Vormärz, zu verallgemeinern, obwohl sich in der
kritischen Zeit* auch auf diesem Felde Stagnation und
Missbehagen fühlbar machte. Die Fabrikanten litten
unter den Folgen einer offenbaren Ueberproduction
der vorhergehenden Jahre, sie hatten Noth — zumal
bei dem schwunghaft betriebenen Schleichhandel —
ihre Producte an den Mann zu bringen. In den
Hauptabsatzgebieten wurde die österreichische Pro-
duction durch die englische Concurrenz geschlagen.
Gleichwohl haben wir es hier mit der Standartleistung
der österreichischen Industrie zu thun.
Schon die übrigen Zweige der Textilindustrie be-
fanden sich keineswegs in einer gleich günstigen Lage.
Die Leinenindustrie z. B. hatte gar keinen günstigen
Markt; da in den Hauptabsatzgebieten für Oesterreich:
in der Türkei, Griechenland, Aegypten etc. wenig
Nachfrage nach Leinengeweben bestand. Die Fabri-
kation suchte daher, um das Ausland durch Wohlfeil-
heit zu schlagen, ihre Zuflucht in der Verschlechterung
der Qualität bei äusserlich gutem Aussehen; dadurch
wurde zwar augenblicklich ein Erfolg erzielt und der
Export erhöht ; mit der Zeit wurde dadurch der öster-
reichische Markt aber empfindlich geschädigt, der
Export vermindert und das Renommee der österreichi-
schen Leinenindustrie zugrunde gerichtet.
Die Papierindustrie, welche um diese Zeit in
England, Frankreich und Deutschland auf einem hohen
F "'
Niveau stand, konnte in Oesterreich schon deshalb
nicht prosperiren, weil die daselbst bestehenden Censur-
verhältnisse jede Entwickelung des Zeitungswesens und
Buchhandels ausschlössen; aus dem gleichen Grunde
ging die Buchdruckerei, eine Kunst, welche in Wien
eine ihrer ältesten Pflegestätten gefunden hatte,
auffällig zurückJ) Die in Wien seit 1804 bestehende
Staatsdruckerei machte den Privatunternehmungen
eine unerträgliche Concurrenz und war trotzdem selbst
ein ganz unbedeutendes Institut.
Die Porzellanindustrie konnte trotz des fast uner-
schwinglich hohen Schutzzolles die Concurrenz mit
dem ausländischen Erzeugnisse auch nicht im Ent-
ferntesten aufnehmen, und auch hier machte eine
staatliche Fabrik in Wien der Privatindustrie empfind-
liche Concurrenz, ohne dies durch eigene finanzielle
oder künstlerische Erfolge rechtfertigen zu können.
Die ganze Thon- und Steingutindustrie lag noch in den
Windeln, die Ziegelerzeugung litt unter der geringen
Bauthätigkeit.
Die Rübenzuckerfabrikation war einer jener Zweige,
auf welche sich die österreichische Industrie mit den
grössten Hoffnungen geworfen hatte. Seit dem Jahre 1830,
in welchem in Böhmen die erste Runkelrübenzucker-
fabrik entstand, wuchsen ähnliche Institute in grosser
Zahl förmlich aus dem Boden. '^) Allein, die Production
war trotz des geringen Zuckerconsums vollkommen
unzureichend, und mehr als ein Drittel des heimischen
Bedarfes wurde trotz des hohen Schutzzolles durch Im-
port^) gedeckt, während Export überhaupt nicht stattfand
Die Metall- und besonders die Eisenindustrie
besass gewiss in Oesterreich die glücklichsten natür-
- Ö8 —
liehen Voraussetzungen und war auch thatsächlich
unter allen Industriezweigen bereits am weitesten auf
der Entwickelungslinie des modernen Industrialismus
zur Centralisation vorgeschritten. Das Aerar allein er-
zeugte beinahe den vierten Theil des gesammten Roh-
und Gusseisens und beinahe den fünften Theil des ge-
sammten raffinirten Eisens; sodann kamen 15 grosse
Privatunternehmer, welche zusanmien mit dem Staate
mehr als ein Drittel der Gesammtproduction an sich
hielten. Trotz dieses fortgeschrittenen Entwickelungs-
processes der Grossindustrie zeigte die Montan- und
Eisenindustrie in den Vierziger jähren einen unleug-
baren Rückgang. Im Allgemeinen war die Rohproduct-
erzeugung günstiger, die Eisen- und Metallwaare
dagegen ungünstiger situirt. Der früher ziemlich be-
trächtliche Verkehr mit Draht aus unedlen Metallen
und den daraus erzeugten Waaren war theilweise
geradezu eingegangen, *) die Waffenfabrikation lag im
Argen und deckte lange nicht den eigenen Bedarf,-')
und die Maschinenfabrikation hatte in Oesterreich
noch kaum recht Boden gefasst Bis zum Jahre 1825
wurde noch der gesammte Maschinenbedarf vom Aus-
lande her bestritten, aber auch 1841 war noch ein
Drittel der im Industriebetriebe verwendeten Dampf-
maschinen nach der Anzahl und die Hälfte der Kraft,
nach ausländisches Fabrikat. Die Locomotiven und
Dampfboote wurden noch vorwiegend vom Auslände
eingeführt, während sich die heimischen Fabrikate da-
neben nur schüchtern geltend zu machen suchten. Bei
den sonstigen Maschinen und Maschinenbestandtheilen
überwog der Import den Export um das Sieben-
fache. ^•)
— 69 —
Dieser kurze Ueberblick erhebt keinen Anspruch,
ein erschöpfendes Bild der Grossindustrie in Oester-
reich um die Mitte der Vierzigerjahre zu geben. Aber
er reicht aus, um zu zeigen, dass die Lage der In-
dustrie nicht viel besser war als die des Gewerbes,
eine Thatsache, an welcher nichts dadurch geändert
wird, dass einer oder der andere der damaligen In-
dustriellen seither Besitzer von vielen Millionen ge^
worden ist. Es ist daher nicht statthaft, das Elend der
Arbeiterclasse ausschliesslich aus der fortschreitenden
Centralisation der Production zu erklären, wie man
das so gern thut; man wird vielmehr für die unge-
sunden Zustände in beiden Lagern eine gemeinsame
Erklärung zu suchen haben.
Wenn irgendwo, so zeigt sich hier unverkennbar
und unwiderleglich, dass es ebensowenig angehe, künst-
liche Scheidewände zwischen politischen und wirth-
schaftlichen Erscheinungen aufzurichten, als — wie es
heute so oft geschieht — den politischen Factor ein-
fach als irreale Grösse abzuthun. Derselbe Geist,
welcher das Gewerbe künstlich vor Concurrenz zu be-
wahren suchte, glaubte auch die Industrie am besten
im künstlichen Schutze hoher Prohibitivzölle zu fördern,
unbekümmert darum, dass im Gewerbe dadurch die
„Störerei", im Handel der Schmuggel, in beiden eine
ruinöse Stagnation gezeitigt wurde. Dieser Geist, welcher
vor einer agrarischen Reform ängstlich zurückscheute,
obwohl er dieselbe längst als unerlässlich erkannt
hatte, war der Geist der politischen Reaction, die
Furcht vor der freien Bewegung, vor dem Verkehre,
vor dem Fortschritte. Die allgemeine sociale und poli-
tische Lage war es, was den emporstrebenden Indu-
— 60 -
strialismus unbarmherzig niederhielt. Die nichts-
würdigen Formen der landwirthschaftlichen Pro-
duction verursachten die entscheidenden Gleich-
gewichtsstörungen, indem, wer immer von der
bäuerlichen Scholle sich losringen konnte, in die
Stadt ging und sich den Gewerben widmete. Das
bürgerliche Gewerbe vermochte aber eine solche
UeberfüUung umsoweniger zu ertragen, als es selbst
in seinen Existenzkampf mit der Grossindustrie ge-
treten war. Die Folge war einer jener grossen
Proletarisirungsprocesse weiter Kreise, wie sie jeder
grossen Revolution vorangehen. Den Massen derjenigen,
k
welche ihre wirthschaftliche Selbständigkeit verloren
hatten, blieb nichts übrig, als in die grossen Fabriken
und Industriestätten zu strömen. Da aber die Industrie
mitten unter einem geldarmen, verelendeten, arbeits-
unlustigen und consumschwachen Volke selbst dar-
niederlag, des stärksten psychologischen Antriebes
zur Entfaltung inmitten jener politischen Depression
entbehren musste und obendrein selbst als politisch
suspect mit einer Art Acht zu kämpfen hatte, so war
sie nicht im Stande, die ihr zuströmenden Menschen-
massen auch menschenwürdig zu ernähren, und jenes
Massenelend zu verhindern, das uns im Beginne der
Vierzigerjahre gerade an den Stätten der grossen In-
dustrie in erschütternden Bildern entgegentritt.
Es ist uns leider keine authentische Darstellung
der socialen Verhältnisse des Proletariates überliefert,
dazu war das socialpolitische Verständniss der Zeit
selbst zu schwach entwickelt, was nicht wenig zur
Verschärfung der Zustände beitrug. Wir müssen uns
also begnügen, uns aus losen Ueberlieferungen ein leid-
— Gl —
liches Gesammtbild zu schaffen, welches die Trieb-
kräfte der proletarischen Bewegung des Jahres lö4s
zu erklären hinreicht.
Einen Zug von symptomatischer Bedeutung für
die traurige Lage der arbeitenden Classen bildet die
in der fraglichen Zeit geradezu erschreckend überhand-
nehmende Frauen- und Kinderarbeit in den Fabriken.
So weit aus den uns noch zugänglichen Daten hervor-
geht, bildeten die erwachsenen Männer nicht einmal
.■)0% der Fabriksarbeiter. Im Nachstehenden geben
wir das Verhältniss der männlichen, weiblichen und
kindlichen Arbeitskräfte in sämmtlichen 647 öster-
reichischen Fabriken der Papier- und Baumwollen-
branche') um das Jahr 1845. Es kamen von den
36.124 in Betracht gezogenen Arbeitern auf je lOüO in
N ieder Österreich : 399 Männer, 448 Weiber, 153 Kinder,
Oberösterreich :
378
99
356
>>
266
»»
Steiermark :
393
»
500
»
107
V
Kärnten u. Krain :
271
»>
514
w
215
V
Küstenland :
453
W
333
»
214
99
Tirol :
367
»>
500
»
133
>>
Böhmen :
454
>>
416
»
130
»
Mähren u. Schle-
sien:
510
»>
335
»
155
>>
Galizien :
648
W
242
M
110
»
Lombardei:
473
>>
365
»
162
99
Venedig:
520
>>
369
»>
111
»
Ueberhaupt: 433 Männer, 420 Weiber, 147 Kinder.
Wie man sieht, lagen die Verhältnisse in Nieder-
österreich, zumal in den zahlreichen dort befindlichen
Baumwollenspinnereien, ganz besonders und unter dem
Durchschnitte ungünstig. Eine hochofficiöse Darstellung
— 62 —
der Verfassung und Einrichtung der Baumwollen-
spinnereifabriken in Niederösterreich/) welche bestimmt
war, die Kinderarbeit in den Baumwollenspinnereien
vor denr Forum der Sittlichkeit und Hygiene zu recht-
fertigen und eher als einen Segen für die Kinder
hinzustellen, giebt ein wohl kaum nach der arbeiter-
freundlichen Seite hin outrirtes Bild:
„In neuerer Zeit," sagt der Verfasser, „werden
keine Kinder unter zwölf Jahren angenommen, und
geschieht es ausnahmsweise, so ist es aus Mitleid
gegen ganz verwahrloste Kinder, die um Arbeit betteln.
— In Bezug auf das Alter dieser Kinder erheischt das
eigene Interesse der Fabriksunternehmer, vorzüglich
solche aufzunehmen, welche bereits das zwölfte Jahr
erreicht haben, weil jüngere durch Leichtsinn, Unvor-
sichtigkeit und Ungeschicklichkeit zu oft Schaden ver-
ursachen. Indessen sind sie vorzüglich durch den
Umstand, dass beide Eltern in der Fabrik arbeiten,
ihre Kinder also ohne Aufsicht physisch und moralisch
verderben würden, gezwungen, Ausnahmen zu ge-
statten und besonders in dem. letztgenannten Falle
auch eine geringe Zahl Kinder von neun Jahren auf-
zunehmen."
Nach diesem Officiosus wäre die Kinderarbeit
eine den Eltern und Kindern seitens der Fabriks-
unternehmer gewährte Gnade, eine Art moralisches
Opfer gewesen. So gering war das Verständniss der
intelligenten Kreise für das Interesse der Aermsten.
DieZahlder Kinder unter zwölf Jahren schätzt der Ver-
fasser der Schrift ^) für sehr gering, bloss auf den zwanzig-
sten Theil der Kinder überhaupt; das gäbe nach seinen
eigenen Angaben immer noch etwa 130 bis 150 Kinder
— 03 —
unter zwölf Jahren in Niederösterreich. Die Arbeitszeit
dieser Kinder betrug nach demselben Gewährsmanne
circa 12 bis „höchsten»'* la Stunden täglich, und auch
das findet er sehr wenig, die Beschäftigung für den
Körper höchst förderlich, und wenn man seine Schil-
derung dieser Kinderarbeit liest, fühlt man sich an
die utopistischen Zukunftsbilder gewisser socialistischer
Träumer erinnert, welche die Kinder blumenbekränzt
und feiertägig gekleidet zur Arbeit, wie zu Spiel und
Tanz ziehen lassen. Der jährliche Verdienst eines
solchen Kindes betrug nach dem Resume der Schrift
etwa 100 fl. C.-M., nach den sehr eingehenden
authentischen Tabellen aber, die am Schlüsse angeführt
sind, bloss 75 fl. C.-M. im Mittel. Der wöchentliche
Verdienst schwankte von -'0 kr. bis zu 3 fl. C.-M. Die
sanitären Verhältnisse findet unser Gewährsmann —
trotz der am Schlüsse von ihm angeführten Morbilitäts-
und Mortalitätstafeln, die eine beständige Zunahme der
Erkrankungsfälle nachweisen — gleichfalls höchst zu-
friedenstellend, und die Erkrankungen, welche dennoch
vorkamen, sucht er^^) auf Anlässe zurückzuführen, die
nicht in der Arbeit, „sondern in den sogenannten Er-
holungsstunden" und in gastrischen Anlässen zu suchen
sind; es klingt so, als ob die Arbeiter zu viel freie
Zeit und zu üppige Nahrung gehabt hätten. „Kinder,
die an körperlichen Uebeln und an scrophulöser Ab-
zehrung leiden und oft sterben,'' meint Knolz,'^)
„bringen den Keim dieser Krankheiten grösstentheils
mit, was leicht erklärbar ist, wenn man weiss, von
welchen krankhaften Eltern diese Kinder abstammen
und in welcher Verwahrlosung sie ihre frühesten
Jahre verleben." Der officiöse Gewährsmann hat an
- C4 —
dieser Stelle bereits vergessen, dass die Eltern dieser
kindlichen Arbeiter nach seinen eigenen vorher-
gegangenen Angaben Arbeiter derselben Fabriken
waren, deren Verhältniss er eben noch als die glück-
lichsten und geordnetsten hingestellt hat
Wohlfahrtseinrichtungen für ihre Arbeiter kannten
die damaligen Unternehmer kaum dem Namen nach;
eigene Wohnräume, schlecht und recht waren das
einzige, was man noch allenfalls als Wohlfahrtsein-
richtung gelten lassen könnte; „vormals,'* sagt unser
Gewährsmann in seinem unbeabsichtigten Humor, ^^)
„vormals suchten die Fabriksunternehmer durch Er-
richtung von Kranken- und Sparcassen für die Zukunft
ihrer Arbeitsleute Sorge zu tragen. Die Beweglichkeit
dieser Menschen aber, die gern von einer Arbeit zur
anderen wandern, liess diese Vorsicht unbeachtet und
somit erfolglos/' Von höherem Alter und festem Be-
stände waren die bei den Bergwerksunternehmungen
eingerichteten Bruderladen, welche für die Fälle von
Krankheit, Invalidität und Tod wenigstens das Nöthigste
vorsorgten.
Eine Arbeiterschutzgesetzgebung — wenn man
dem Worte auch nur seine primitivste Auffassung lässt
— eine Fabriksgesetzgebung, welche wenigstens in
Bezug auf die Kinderarbeit einigermassen Wandel
geschaffen hätte, gab es natürlich nicht. Die einzige,
damals zu Recht bestehende Vorschrift war ein Ca-
binetschreiben vom 20. November 1786, welches be-
stimmte, dass die Kinder in den Fabriken jede Woche
wenigstens einmal gewaschen und gekämmt werden
müssen, und zweimal im Jahre vom Arzte zu visitiren
seien. Herz, was willst Du noch mehr? Ein Hofdecret
— 65 —
vom 11. Januar 1842 setzte zwar das zwölfte Lebensjahr
als jenes Minimalalter fest, unter welchem in der
Regel Kinder nicht in Fabriken zur Arbeit zugelassen
werden durften; der zweite Abschnitt hob jedoch diese
Bestimmung sofort wieder auf, indem er auch aus-
nahmsweise die Zulassung von Kindern mit zurück-
gelegtem neunten Lebensjahre gestattet, wenn sie vor
ihrer Aufnahme drei Jahre an einer Schule Unterricht
empfangen hatten; dieses Decret setzt weiters als
Maximalarbeitszeit für Kinder von 9 bis 12 Jahren
10 Stunden und von 12 bis IG Jahren 12 Stunden
täglich fest, und verbot für beide Kategorien die Nacht-
arbeit. Gegen diese Bestimmung protestirten die Fa-
briksunternehmer, „weil die Industrie zu sehr beein-
trächtigt würde, wenn man allgemeine Vorschriften
über die Arbeitszeit erlassen wollte*'.^') In der That
scheint man sich an dieses Hofdecret wenig gehalten zu
haben, und später wurde die Klage laut, in den Kattun-
druckereien wären Kinder von sieben und acht Jahren
beschäftigt worden. Zu verwundern war dies nicht;
gingen doch die ärarischen Fabriken in der miss-
bräuchlichen Anwendung der Kinderarbeit mit schlech-
testem Beispiele voran. In der Tabakfabrik zu Sedlitz
waren von 430 Arbeitern: 67 Kinder unter 14 Jahren,
96 Kinder zwischen 14 und 16 Jahren, also 163 Per-
sonen (d. i. nahezu 38%) in unerwachsenem Stande,
und die Wiener Staatsdruckerei beschäftigte weit mehr
Lehrlinge als Gehilfen.^*)
lieber den sichersten Gradmesser der äusseren
Lebensverhältnisse unter den arbeitenden Classen
fliessen leider die authentischen Quellen noch spär-
licher als über andere Punkte. Wir haben in Nach-
Zenker: Wiener Berolution. •'>
— Ge-
stehendem eine Liste von Löhnen verschiedener Ar-
beitsbranchen auf Grund vereinzelter und zufälliger
Angaben für Wien und Umgebung aufzustellen ver-
sucht. Es erhielt um das Jahr 1847 in Wien (respective
Umgebung) in Gulden und Kreuzern C.-M.
ein Seidenweber lö»)
Kattundrucker
»»
»>
Formstecher
11
j>
11
11
11
11
11
11
11
„ Schriftsetzer »b) .
„ Baumwollenspinner "*•)
„ Leinen weber ^ .
„ Vergolder *'«) . . .
„ Schneidergeselle *^0
„ Maurergeselle i^«) .
eine Baumwollen-
spinnerin ^^) . .
detto ein Kind .
Seidenarbeiterin ^^•)
Seidenwinderin und
Spulerin «'') . .
Kleidermacherin ^^^)
Weissnäherin **")
Heimarbeiterin . .
bei einer Madame .
Stickerin ^*»)
Heimarbeiterin . .
auswärts . . . . ^
Modistin ^^) . . .
Handschuh-
macherin *»p) . . .
Arbeiterin in
Druckereien ^^*0 . .
Arbeiterin in der
Tabakfabrik ^^O . .
Pro Tag Pro Woche
Min. Max. Mittel Min. Max. Mittel
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1.36
2.48
— 67 —
Nach dieser Lohnliste, die allerdings wenig An-
spruch auf Vollständigkeit erheben kann, betrug um
1847 der mittlere Verdienst eines Arbeiters in der
Woche etwa 5.22 fl. C.-M., einer Arbeiterin 2.58 fL,
der mittlere Wochenlohn überhaupt etwa 3.57 fl. C.-M.
Die ministerielle „constitutionelle Donauzeitung" ^^) gab
im Jahre 1848 folgende Lohnsätze für Wien an: Es
verdient ein Arbeiter im Tage von 24 kr. bis 1.20 fl. C.-M.,
im Jahre von 183 bis 220 fl. C.-M; eine Arbeiterin im
Tage von 10 kr. bis 30 kr. C.-M., im Jahre von 90 bis
110 fl. C.-M.
Das gäbe einen mittleren Wochenlohn von 5.12 fl.
für den männlichen Arbeiter und 2 fl. für die Ar-
beiterin, oder 3.36 fl. überhaupt, also ein womöglich
noch ungünstigeres Verhältniss. Wenn wir aber auch
den höheren früheren Satz als den richtigen gelten lassen
wollen, so stellt sich derselbe immer noch niedrig im
Vergleiche mit dem mittleren Wochenlohne in England,
welcher zur gleichen Zeit etwa 5.50 fl. C.-M. (11 Shilling)
oder in Frankreich, der sogar 6.50 fl. (16.68 Francs)
betrug. Der niedrigste Taglohn in Wien war nach der
amtlichen Statistik in den Jahren 1844 bis 1847: 24 kr.;
das war jedoch der Verdienst eines Mannes, während
der weibliche Minimalverdienst sowohl nach unserer
Liste als nach der oben citirten officiösen Quelle nur
10 kr. betrug. In Paris war der Mindest verdienst einer
Arbeiterin (75 Centimes) 17 kr. C.-M. und der eines Ar-
beiters (1.25 Francs) 29 kr. C.-M.")
Dass bei solchen Löhnen die Lebenshaltung der
arbeitenden Classe eine äusserst traurige, mitunter
geradezu menschenunwürdige sein musste, ist an und
für sich einleuchtend, um wie viel mehr, wenn man
— 68 —
erfährt, dass in den Vierziger jähren alle Lebensmittel
beständig im Preise stiegen, und dass besonders in den
Jahren 1846 und 1847 diejenigen Artikel, welche den
Grundstock der Nahrung der Armen ausmachen, Hülsen-
früchte und Kartoffeln, auf eine schwindelnde Preishöhe
gestiegen waren. In nebenstehender Darstellung geben
wir ein anschauliches Bild der Preisschwankungen in
dem Decennium 1838 bis 1847, wofür sich die genauen
Zahlen zur Erläuterung im Anhange") finden:
Wenn man bedenkt, dass im Jahre 1847 der
mittlere Wochenlohn einer Person nur 3.57 fl. C.-M. be-
trug, während ein Hetzen Kartoffeln allein 2.08 fl. kostete,
so tritt einem das Elend der unteren Classen schon
in greifbareren Zügen vor Augen.
Wenn wir im Nachfolgenden ein zahlenmässiges
Bild der mittleren Lebenshaltung der Bevölkerung
Oesterreichs und speciell Wiens zu geben versuchen,
so sind wir uns des geringen descriptiven Werthes
solcher Darstellungen bewusst. Es ist selbstverständlich,
dass diese mittlere Linie eine irreale Grösse ist
und dass sich besonders die Lebenshaltung jener
Classen, auf welche es uns hier ankommt, in einem
viel tieferen Niveau bewegte. Allein, den einen Vor-
theil gewähren ähnliche Berechnungen doch, den eines
exacten Vergleiches mit anderen Ländern und anderen
Verhältnissen nämlich. Das ist es aber, auf was end-
lich alles ankommt und wodurch der Tadel vermieden
wird, den Ferdinand Lassalle in einer berühmt ge-
wordenen Stelle gegen diese Methode, den Grad des
Wohlstandes zu bestimmen, erhoben bat.
Der äusserste Rand dessen, was zu dem noth-
wendigsten Lebensunterhalte gehört, meint er, könne
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- Uülaeiifrüchie
— 70 —
sich in verschiedenen Zeiten allerdings ändern und es
könne sonach kommen, dass, wenn man verschiedene
Zeiten miteinander vergleicht, die Lage des Arbeiter-
standes in einem späteren Zeitpunkte — insofern das
Minimum der gewohnheitsmässig nothwendigen Lebens-
bedürfnisse etwas gestiegen ist — sich scheinbar gegen
die Lage des Arbeiterstandes in dem früheren Jahr-
hundert gebessert habe. Das beweise aber nicht, dass
sich der Arbeiter in dem späteren Zeitpunkte wirklich
besser befinde als in dem früheren. „Alles menschliche
Leiden und Entbehren hängt nur von dem Verhält-
niss der Befriedigungsmittel zu dfen in derselben Zeit
bereits vorhandenen Bedürfnissen und Lebensgewohn-
heiten ab. Alles menschliche Leiden und Entbehren
und alle menschlichen Befriedigungen, also jede mensch-
liche Lage bemisst sich somit nur durch den Vergleich
mit der Lage, in "welcher sich andere Menschen der-
selben Zeit in Bezug auf die gewohnheitsmässigen
Lebensbedürfnisse derselben befinden. Jede Lage einer
Classe bemisst sich somit immer nur durch ihr Ver-
hältniss zu der Lage der anderen Classe in derselben
Zeit.''
Es ist zuzugeben, dass allerdings praktisch auf
dieses allgemeine Verhältniss alles ankonmit; deswegen
ist es aber doch nicht die einzig bezeichnende Formel
für das Problem in seiner theoretischen Fassung. Man
muss auch die Zahl derjenigen in Rechnung ziehen,
welche ein gewisses Bedürfniss befriedigen können.
Es ist ja ohne Zweifel richtig, dass jede Besserung
der Lebensführung in den arbeitenden Kreisen oft
sogar in ursächlicher Verbindung von einer Steigerung
des Luxus in den vermögenden Classen begleitet ist,
— 71 —
da im Menschen die inegalitäre Tendenz, das bestehende
Verhältniss zu den unteren Classen nicht abschwächen
zu lassen, tief eingewurzelt ist. Es fragt sich aber
inuner, wie viele den Luxus mitmachen können, da
es doch gewiss einen grossen Unterschied bildet, ob
bloss Einer oder zehn, oder hundert von Tausend ein
gewisses Luxusbedürfniss befriedigen können, möge
der Abstand von denjenigen, welche begehrend zusehen
müssen, wie gross immer sein. ,
Auf diese Formel und auf den Vergleich mit gleich-
zeitigen Verhältnissen des übrigen Europa kommt es
uns bei den nachfolgenden Betrachtungen hauptsäch-
lich an. Das ist auch der Grund, warum wir auf jene
Artikel nur wenig Werth legen, in welchen der indi-
viduelle Verbrauch zu ungleichmässig ist, um den
Schluss zu erlauben, inwieweit auch die unteren und
untersten Classen an diesem Verbrauche participiren.
Das gilt vorzüglich von dem Fleischconsum, der
in Oesterreich und ganz besonders in Wien schon
damals sehr gross und nicht viel geringer als der von
heute war, den aller anderen Grossstädte aber weit
hinter sich Hess. Nach übereinstimmenden Angaben'*^)
dürfte sich der Gesammtfleischverbrauch pro Jahr und
und Kopf anfangs der Vierziger jähre auf 130 bis
150 Wiener Pfund (73 bis 84% gegen SS^/^kg von
heute) belaufen haben, während der durchschnittliche
Consum pro Jahr und Kopf in Berlin bloss 113 Pfund,
in London 107 Pfund, in Cöln 106 Pfund, in Breslau
93 Pfund, in Magdeburg 89 Pfund, in Paris gar nur
86 Pfund betrug. Es wäre gleichwohl ein heilloser
Irrthum, wollte man aus diesen Ziffern etwas über die
Lage der untersten Classen in Wien ableiten, da ge-
— 72 —
rade beim Fleisch der Ueberconsum in den oberen
Gesellschaftsschichten ein derart grosser sein kann,
dass selbst bei einem auffallend starken Unterconsum
auf der anderen Seite der Durchschnitt immer noch
ein relativ sehr günstiger zu sein vermag.
Bezeichnender für die relative Lage der con-
sumirenden Classen ist ein Vergleich des Zucker- und
Kaffeeverbrauches in Oesterreich mit dem anderer
Länder, weil in diesem Falle die Durchschnittsziffer
viel weniger durch einen individuellen Mehrverbrauch
auf einer Seite als durch das Hinzutreten neuer
Consumenten zu den alten bestimmt wird. Wenn wir
z. B. hören, dass der durchschnittliche Consum an
Zucker pro Kopf in Oesterreich bloss 3*6 englische
Pfund (2"94 Wiener Pfund) betrug, der in Gross-
britannien (ohne Irland) aber 21*3 englische Pfund, so
ist die Erklärung doch höchst wahrscheinlich nicht
darin zu suchen, dass man in England den Thee
sechsmal so süss wie in Oesterreich trank, sondern
eher darin, dass in England sechsmal so viel Per-
sonen überhaupt Zucker consumirten als in Oesterreich.
Darin liegt also die social- und culturhistorische Be-
deutung dieser Ziffern. So schwankend die Angaben auch
über diesen Punkt sein mögen, das eine geht aus ihnen
unwiderleglich hervor, dass in der Mitte der Vierziger-
jahre der grössten Mehrheit der österreichischen Be-
völkerung der Genuss des Zuckers fremd war, und
dass Oesterreich in dieser Beziehung auf dem Niveau
Irlands, Russlands und der Türkei stand und nicht
nur hinter dem übrigen Deutschland, England, Frank-
reich und der Schweiz, sondern auch hinter Belgien
Dänemark, Spanien und Portugal zurückstehen musste. ^^)
— 73 —
Der Kaffee verbrauch lässt keineswegs auf günstigere
Verhältnisse schliessen. Die Angaben ''^*) für die ein-
zelnen Länder schwanken zwar wieder bedeutend; ge-
rade in Bezug auf Oesterreich sind sie jedoch ziemlich
übereinstimmend^ und man wird kaum viel irre gehen,
wenn man den jährlichen Kaffee verbrauch auf V2 Wiener
Pfund pro Kopf veranschlagt, eine lächerlich kleine
Ziffer, die wieder nur dadurch zu erklären ist, dass in
Oesterreich der Kaffeegenuss noch ein Vorrecht der
wohlhabendsten städtischen Kreise war. In Belgien und
den Niederlanden wurde 14- bis 17mal, im übrigen
Deutschland und der Schweiz 8- bis 9mal so viel con-
sumirt. Hinter Oesterreich blieben nur die Türkei,
Russland und Portugal zurück. Dazu kommt, dass in
vielen Ländern der Kaffeeconsum wesentlich durch den
landesüblichen Theegenuss beeinflusst wird. Wollte man
auch diesen mit in Anschlag bringen, so würde Oester-
reich bezüglich seiner Consumtion noch weiter zurück-
treten und auch Russland noch den Vorrang geben
müssen.
Der Bierconsum^^) in Oesterreich war ein relativ
hoher: Im Durchschnitte der sechs Jahre 1841 bis 1846
1972 Wiener Mass pro Kopf, wenigstens höher als in
Preussen (12 bis 13 Quart = O'/g bis lOVg Wiener
Mass), wenn er gleich kaum die Hälfte des englischen
Consums (48 englische Quart = 38 V2 Wiener Mass)
ausmachte. Für die Städte gestaltete sich natürlich der
Durchschnitt weitaus grösser und so kamen in Wien
für die gleiche Zeit jährlich auf den Kopf etwa
90V2 Wiener Mass (128 i gegen 140 ^ im Jahre 1890), in
Niederösterreich auf einen Kopf noch 46 Mass. Es ist je-
doch zu beobachten, dass speciell in Niederösterreich und
— 74 —
ganz besonders in Wien der relative Bierverbrauch
in den letzten Jahren auffällig, um nahezu 20 Mass
pro Kopf herabging (von 100 auf 8O74 Mass).
Der Branntweinverbrauch war im Grossen und
Ganzen gleich dem Sachsens und Preussens; auf den
Kopf entfiel die unerfreulich hohe Menge von 6 Mass.
Dieses ungünstige Mass wurde aber hauptsächlich
durch den riesigen Consum Galiziens zuwege gebracht,
in welchem Lande auf den Kopf durchschnittlich
13V3 Mass entfielen. Mit Ausscheidung von Galizien
stellte sich der Durchschnittsconsum an Branntwein
für Oesterreich auf rund 2 Mass pro Kopf. Die stetige
Verminderung des Branntweinconsums in den Vierziger-
jahren — eine an und für sich sehr erfreuliche That-
sache — dürfte jedoch, da sie sich besonders in
Galizien fühlbar machte, kaum auf die wachsende
Erkenntniss von der Gefährlichkeit des Alkoholgenusses,
sondern auf die zunehmende Unmöglichkeit zurückzu-
führen sein, sich auch nur dieses Genussmittel zu be-
schaffen.^^)
Alles weist darauf hin, dass der Kreis derer,
welche an den Genüssen des Lebens theilnehmen
konnten, in den Vierzigerjahren sich eher verengerte
als erweiterte. Selbst der Tabakgenuss, heute eine auch
in den untersten Classen allgemein eingebürgerte Sache,
war damals nur dem kleineren, wohlhabenderen Theile
zugänglich. In Oesterreich (ohne Venedig und Lom-
bardei) war erst jeder vierte, in Niederösterreich (dem
Lande der stärksten Raucher) jeder dritte Mann über
19 Jahre ein Raucher. Eine Vergrösserung dieses
Kreises hat in dem Decennium ISStJ bis 1847 nicht
stattgefunden.^)
— iO —
Zur äusseren Lebenshaltung gehören auch die
Wohnungs Verhältnisse, ja mehr als die Nahrung wirkt
das „Heim'' auf die moralische Haltung des Indi-
viduums wie der Familie, und nicht umsonst blickt
die moderne Socialpolitik so sehnsüchtig gerade nach
einer befriedigenden Lösung der Wohnungsfrage in den
Städten aus.
Die Wiener Verhältnisse lagen in Folge der histo-
rischen und baulichen Entwickelung der Stadt seit
jeher schlecht. Schon aus den Siebzigerjahren des
vorigen Jahrhunderts datiren die Klagen über die
schlechten Wohnungsverhältnisse und die Vorschläge
zur Sanirung derselben durch Auflassung der Festung
und Verbindung der Stadt mit den Vorstädten. ^^)
Schon damals gab es aber auch — nil novi sub sole
— gut gesinnte Socialpolitiker, welche gleich stark im
Hasse gegen „die dummen Aufklärer, die Gemeinplätze
von Despotismus der Fürsten, von Menschenrechten,
von allgemeiner Naturfreiheit, von politischer Sklaverei"
wie gegen die Fabrikanten waren, welche „durch das
Anhäufen der Arbeiter gemeinschaftlich mit dem fremden
Abenteurervolk, dem Glücksrittergesindel, dem Spionen-
geschmeiss, den Bettlerlegionen, dem Kuppler- und Nego-
ziantencomplot, die wöchentlich zu allen Thoren
Wiens einbrechen, das Leben der Hauptstadt ver-
theuern" — und diese Sorte von Socialpolitikern er-
blickte die Lösung der Wohnungsfrage nicht in
der baulichen Entwickelung der Stadt, sondern in der
Verminderung der Volksmenge — utile cum dulci —
durch Verlegung der Fabriken und Ausweisung ge-
schäftsloser und „nutzloser" Fremder aus Wien. Diese
Leute blieben leider, wie immer, im Rechte.
— 70 —
In den Jahren 1811 und 1812 war die Wohnungs-
noth in Wien so gross, dass zahlreiche arme Familien
in Ställen, Scheunen wohnen, oder von Wien weg-
befördert werden mussten; und im Jahre 1816 war
die Theuerung des Miethzinses so gestiegen, dass
Wohnungen, welche früher 50 bis 60 fl. gekostet haben,,
auf 200 bis 300 fl. und solche von 700 bis 1000 fl.
in der Grösse von 6 bis 7 Zimmern auf 4000 bis 6000 fl.
stiegen. Die Wohnungsverhältnisse in Wien und den
Vorstädten besserten sich in den folgenden Jahren nur
sehr wenig, wozu die aus den allgemeinen Verhält-
nissen wohl erklärliche, abnorm geringe Bauthätigkeit
und Baulust in erster Linie beitrug. In den zwanzig
Jahren von 1827 bis 1847 wuchs die Bevölkerung von
Wien um 123.131 Personen, d. i. um 42-57o, während
die Häuser bloss um 900, d. i. um ll'47o zunahmen.
Der durchschnittliche Jahreszuwachs in jener Zeit be-
trug an Personen 6156 oder 27o, an Häusern nur 45 oder
O'bl^ Q. Die ganze Bauthätigkeit Wiens in den Jahren
1843 bis 1848 beschränkte sich auf 202 Neu- und
205 Um- und Zubauten.^) Unter solchen Umständen
mussten natürlich die Miethzinse unerträglich hohe,
die Wohnungsverhältnisse vom socialen Standpunkte
höchst bedauerliche bleiben.
Wir schliessen diesen kurzen Ueberblick über die
mittlere Lebenshaltung mit der nochmaligen Ver-
sicherung, dass wir derlei Zahlen für nicht mehr
halten, als sie sind; aber das geht auch aus ihnen
mit grausamer Bestimmtheit hervor, dass das Mittel-
mass der Lebensführung in Wien und Oesterreicli
schlechter war als fast in allen Ländern Europas,
dass sich die Verhältnisse gegen das Ende der Vier-
— 77 —
ziger jähre zu, wenn möglich, noch allgemein ver-
schlechterten, und dass die Verhältnisse der arbei-
tenden Massen, die natürlich unter der gezeichneten
Mittellinie lagen, unsäglich traurige, elende gewesen
sein müssen.
Die ministerielle „Donau-Zeitung" aus dem Jahre
1848,*^) deren Angaben in Bezug auf Durchschnitts-
löhne wir schon oben citirt, versuchte das Budget
einer Arbeiterfamilie mit etwa 3 bis 5 Kindern zu
entwerfen. „Verheiratete geben ihr Verdienst zu-
sammen, jedoch ist in diesem Falle der Verdienst des
Weibes nur die Hälfte vom Erwerbe der ledigen
Frauensperson, da erstere mit den häuslichen Arbeiten
beschäftigt ist." Demnach beliefen sich auf Grund
obiger Durchschnittslöhne die Einnahmen von Mann
und Weib jährlich auf 230 bis 275 fl. C.-M. Unser
Gewährsmann rechnet nun
Miethe für eine Familie .... 30 bis 40 fl. C.-M.
Wäsche reinigen 5 „ (> „ „
Brennmateriale 8 „ 10 „ „
Kleidung und Wäsche (meist ab-
getragen beim Trödler gekauft) 30 „ 40 „ „
Fussbekleidung 8 „ 10 „ „
Zusammen . . 81 bis 106 fl. C.-M.
Dies von dem Verdienste von . .230 „ 275 „ „
abgerechnet, verbleiben also . .149 bis 169 fl. C.-M.
oder täglich 24 bis 27 kr. C.-M. zur Verköstigung und
für die sonstigen Bedürfnisse des Lebens. Unser Ge-
währsmann meint nun : „Einer Familie (worunter fünf
Kinder) kostet ein selbst zubereitetes Mittagsessen
mindestens 13 kr., wenn man nur 17.2 Pfund Fleisch
— 78 —
rechnet. Es bleibt ihr also täglich 6 bis 9 kr." Aber
nicht einmal das ist wahr,*®) denn das Pfund Rind-
fleisch kostete nach amtlichen Angaben vor 1848
mindestens 10 kr., ein Mittagsessen war also unter
20 bis 25 kr. gar nicht herzustellen. Für Brot und
sonstige Mahlzeiten blieb der guten Familie also auch
nicht ein rother Heller. Einigermassen besser war der
ledige Arbeiter daran, der seine Mittagskost entweder
vom Arbeitgeber gegen massige Entlohnung oder in
der Garküche um 6 bis 8 kr. C.-M. erhielt. Aber auch
ihm dürfte für sonstige Neben auslagen und für die
Freuden des Lebens im bescheidensten Masse nicht
viel geblieben sein.
Wir finden also hier unsere Vermuthung, dass
den unteren Classen jeder Genuss des Lebens versagt
blieb, aus einem nichts weniger als arbeiterfreund-
lichen Munde bestätigt, und dabei muss man nicht aus
dem Auge lassen, dass es so gut, wie der hier an-
geführten Familie, keineswegs allen ging; Familien
mit einem jährlichen Einkommen von '^^50 fl. C.-M.
waren ja wieder die Glücklichen unter den Elenden,
wie viele hatten weniger als das zu verzehren, und
wie gross mag die Zahl derjenigen gewesen sein,
welche arbeitslos waren und überhaupt nichts hatten,
wovon zu leben war?
Die Geschichte hat uns leider keine Zahlen über
die Arbeitslosen und Armen jener Zeit aufbewahrt.
Wohl aber liegen uns Schilderungen des Jammers in
den tiefsten Gesellschaftsschichten der österreichischen
Reichshauptstadt vor, Schilderungen, welche den be-
kannten Elendbildern von Whitechapel nichts an er-
schrecken der Grauenhaftigkeit nachgeben. Ein Kenner
— 79 —
der Wiener Volksverhältnisse, der bekannte demokrati-
sche Abgeordnete Ernst Violand, sehreibt:*®)
„Die Folge der furchtbaren Zustände der ab-
hängigen Arbeiterclasse war, wenigstens in Wien, wie
ich aus eigener Anschauung weiss, grenzenlose Immo-
ralität und sittliche Verwilderung. Ganze Vorstädte,
wie Thury, Liechtenthal, Altlerchenfeld, strozzischer
Grund, Margarethen, Hundsthurm, neue Wieden, Fünf-
und Sechshaus, wimmelten von ausgehungerten, zer-
lumpten Arbeitern, und Abends erfüllten die unglück-
lichen Mädchen der Fabriken in dem jugendlichsten,
selbst Kindesalter die Glacien und den Stadtgraben,
um für einige Groschen jedem dienstbar zu sein. Im
Jahre 1845 oder 1846 zogen sie sogar mit jungen Fa-
briksarbeitern, den sogenannten Kappelbuben, welche
auf die Annäherung der Polizei zu achten hatten, in
den Strassen der inneren Stadt herum und scheuten
sich nicht, zur grösseren Bequemlichkeit ihres hori-
zontalen Nebengewerbes Bänke und Polster mit sich
zu nehmen. Auch nächtliche Anfälle und Beraubungen
auf den Glacien kamen damals fast täglich vor. Dieses
Wegelagererwesen bestand durch fast einen ganzen
Winter, welcher damals sehr streng war, und welcher
die Arbeiterbevölkerung eben deshalb, und weil sie
die Heizung nicht erschwingen konnte, zu solchen ver-
zweifelten Gewaltthätigkeiten nöthigte. Das schauder-
volle Elend dieser Fabriksklaven, namentlich im Winter,
ging in das Unglaubliche, und doch waren sie über-
glücklich, wenn sie nur nicht ihren Verdienst ver-
loren; denn dann blieb ihnen nichts übrig als zu
verhungern oder zu stehlen. Es gab viele brotlose
Menschen, welche fast ohne jede Bekleidung sowohl
— 80 —
im Sommer als im Winter, sich des Tages hindurch in
den Unrathscanälen aufhielten und des Nachts, um
frische Luft zu schöpfen und etwas zu erwerben und
zu geniessen, Einbrüche und Raubanfälle begingen und
sich dann im Prater oder in elenden Kneipen herum-
trieben. Ich besuchte einst zur strengen Winterszeit
einen Polizeicommissär in seinem Amte und gewahrte
daselbst im Vorzimmer vielleicht zwanzig solcher
Troglodyten, welche eben zusammengefangen worden
waren. Sie hatten bloss ein zerlumptes Hemd und
leinene Unterbeinkleider an dem von Schmutz und
Unrath wie mit einer Kruste überzogenen Körper.
Ueberall sah ihnen das Fleisch hervor, die Füsse, um
sie zu erwärmen, waren mit Fetzen umwickelt und
jede Kopfbedeckung fehlte. Ich hatte in Wien noch
niemals Leute in einem ähnlichen Aufzuge erblickt,
aber in Folge meiner Erkundigung erfuhr ich von
dem Polizeicommissär, dass noch gar viele derart
unglückliche Menschen in den Canälen steckten, von
denen man gar nicht begreifen könne, wie sie ein
solches Leben auszuhalten im Stande wären.' ^
Ein anderer Zeitgenosse erzählt in seiner ano-
nymen Schilderung der socialen und politischen Zu-
stände Oesterreichs,^") dass um 1847 die Zahl der
directen Bettler an sich bis zum Erschrecken gross
sei, dass der Stand des socialen Elendes aber noch
viel grösser und schaudererregender erscheine, wenn
man auch die Legionen von indirecten Bettlern hin-
zuzählt. „Diese Classe von Unglücklichen und Be-
dürftigen," ruft er aus, „ist in Oesterreich so zahl-
reich und bemitleidenswerth wie irgendwo und vielleicht
aus dem Grunde noch beklagenswürdiger, weil sie auf
— 81 —
einem so überaus reichen Grund und Boden im tiefsten
Elend schmachten und ringsum babylonische Ueppig-
keit, Schwelgerei und sinnlose Verschwendung sehen
und noch überdies die traurige, herzabdrückende
üeberzeugung haben, dass ihre reichen Landsleute
ebenso rücksichtslos in ihrer Freigebigkeit wie in
ihrem ganzen Leben sind und theils aus wirklichem
Mitleid, theils aus Ehrenzwang und Prahlsucht dahin
das meiste Almosen werfen, wo das lauteste Hilfs-
geschrei ertönt und wo die ausgeübte Wohlthätigkeit
am glänzendsten in die Augen springt, ja, wo sie mit
Namen und Ziffern durch Zeitungen und Journale
ausposaunt wird. Der Fremde kann sich kaum einen
Begriff machen, mit welcher Unverschämtheit und be-
drohlichen Keckheit der Bettel in den Umgebungen
Wiens, zumal in den Gebirgsgegenden getrieben wird.
Es ziehen da Truppen rüstiger Bursche, die in Folge
jahrelanger Bekanntschaft von den Bauern schon
Spitznamen bekommen haben, und ganze Bettler-
familien unter verschiedenen Vorwänden von Ort zu
Ort, erpressen durch Furcht den Beitrag, welchen das
Gefühl versagt, und unterlassen es nicht, den frucht-
tragenden Bäumen und Feldern ihre diebischen Be-
suche zu machen. Ja, der Bettel wird so systematisch
betrieben, dass selbst faule Handwerksbursche jeden
Freitag ihre Arbeit einstellen, bettelnd sich das Doppelte
ihres gewöhnlichen Erwerbes verschaffen und somit
eine von Almosen abhängige Existenz einer durch
Arbeit errungenen vorziehen. Der so als Gewerbe be-
triebene Bettel ist an sich ein Krebsgeschwür der Ge-
sellschaft ; er vererbt sich thatsächlich von den Eltern
auf die verwahrlosten Kinder, die als Säuglinge auf
Zenker: Wiener Revolution. v
I
- 82 —
die Wanderschaft mitgenommen werden, um mehr
Mitleid anzuregen, später aber sich selbst überlassen
sind und wie das wilde Vieh aufwachsen, um sonach
selbst das Geschäft der Eltern am Bettelstabe fort-
zusetzen."
Wie der Arbeiter wohnte, schilderte Anton Langer
in folgender ergreifender Weise :''^) „In einer weit-
entlegenen Vorstadt, nahe an der Linie, vielleicht, ja
sehr häufig ausserhalb der Linie, erhebt sich ein
niedriges Gebäude. Elende, kleine, niedere Zimmer,
deren Atmosphäre von aufgehängter Wäsche, dem aus
der Küche hineinschlagenden Rauch, durch unreine
kleine Kinder u. s. w. vergiftet, nasse Wände, ge-
brochene Fenster, durch die der Wind hereinpfeift,
ein Plafond, der bald den Staub herunterfallen lässt,
wenn ein Wagen vorbeirasselt, bald wieder den Regen
durchsickern lässt, elende, zerbrochene Möbel, ein
Tisch, ein paar Stühle, ein, höchstens zwei Betten, das
ist der Palast des braven Mannes, der als unterstes
Glied im Staate, auch zugleich das breiteste, festeste
ist. Und für, diese elende Baracke — ich hätte bald
gesagt Wohnung — zahlt er 60, 70, auch 80 fl. C.-M.
Zins. Zusammengepfercht mit Weib, Kind, häufig auch
mit Bettgehern, kann er sich kaum bewegen, wohin er
sein Auge wendet, leuchtet ihm das Bild seines Elends
entgegen, es fehlt ihm die Ruhe im Hause, die Freude
am Hause; ist's ein Wunder, wenn er aus diesem
Fegefeuer ins Branntweinhaus flüchtet. In dieser un-
reinlichen, übelriechenden, von Ungeziefer wimmelnden
Wohnung soll er schlafen, sich ausrasten von den
Mühen des vergangenen, stärken zu den Mühen des
kommenden Tages. Bei Tagesanbruch muss er auf, denn
— 83 —
eine Stunde, oft mehr vergeht, bis er von seiner
Wohnung zu dem Orte seiner Arbeit gelangt. Ebenso
lange braucht der von der Arbeit Ermüdete, bis er
heimgelangt. Woher soll ihm des Lebens Freudigkeit
kommen? Und dennoch dieser kaum erschwingliche
Zins? Ein Dritttheil seines Lohnes zum wenigsten
muss der Arbeiter täglich für den Zins erübrigen, ein
Dritttheil seines blutigen, sauren Verdienstes an einen
Hausherrn geben, der es nicht der Mühe werth findet,
seinen rauchenden Herd, seine beschädigten Mauern
ausbessern zu lassen, der dem armen Arbeiter unnach-
sichtlich sein Bisschen wegnehmen und pfänden lässt,
wenn er seine paar Kreuzer nicht pünktlich dem Zins-
ungeheuer in den Rachen wirft. Man denke sich nun
noch, dass eine Krankheit hinzukommt, dass des Ar-
beiters Weib, seine Kinder oder gar der Vater selbst
aufs Krankenlager kommen. Wie soll ein Mensch in
solch einem elenden Loche gesund werden ? Ein bisschen
reine Luft, ein bisschen Wärme hätten Menschen ge-
rettet. Allein, in solchen Wohnimgen muss der Mensch
zugrunde gehen. Alljährlich fordert die Brustwasser-
sucht zahlreiche Opfer aus dQn Arbeitern. Ich will
nicht sagen, dass die elenden Wohnungen daran Schuld
sind, aber dass sie einen grossen Theil dazu beitragen,
wird jeder Mediciner bestätigen.' '
Es entsteht die Frage, was that der Staat zur Be-
kämpfung solcher Armuth, und was thaten die Arbeiter
selbst, um einer solchen Verelendung der Ihrigen vor-
zubeugen oder entgegenzuarbeiten?
Der rein kirchliche Charakter der Armenpflege,
wie er sich im Mittelalter herausgebildet hatte, hielt
in Oesterreich länger an als anderwärts. Erst Josef IL
— 84 —
führte in den deutschen und slavischen Provinzen
die Pfarr-Arnieninstitute ein, welche zwar an die alte
Pfarreintheilung anknüpften, sich aber mehr zu Orts-
armeninstituten ausbildeten, in welchen die von der
Gemeinde frei erwählten Armenväter unter Vorsitz
des Pfarrers, gegen öffentliche Rechnungslegung die
Armen versorgten. Nach der Josephinischen Gesetz-
gebung begründete der zehnjährige Aufenthalt in
einer Gemeinde den Unterstützungswohnsitz in der-
selben. Die kirchlichen und mit der mittelalterlichen
Handwerksorganisation zusammenhängenden, durch die
modernen Verhältnisse also längst überholten „Bruder-
schaften" (welche obligatorische Kranken- und Be-
gräbnisse assen für die Gesellen gewesen) wurden
sämmtlich aufgehoben, und für Niederösterreich wurde
es den ehemaligen Mitgliedern freigestellt, in einen
an Stelle der aufgehobenen Bruderschaften begründeten
Centralverein zu treten, welcher den Namen „Institut
zur thätigen Liebe des Nächsten" führte. Das Vereins-
vermögen der Bruderschaften^^) wurde eingezogen und
zur Hälfte dem Schulfonds, zur anderen Hälfte dem
genannten Institute zugewiesen. Dieser „Landesbruder-
schaftsfonds", welcher von der niederösterreichischen
Statthalterei verwaltet wurde, sollte also eigentlich
einen Landesarmenfonds bilden, und das „Institut zur
thätigen Liebe des Nächsten" eine Art Centralstello
für die Pfarrarmeninstitute sein.
So schön gedacht diese Einrichtungen auch waren,
zu einer segensreichen Entfaltung ihrer Kräfte fehlte
die erste Voraussetzung, eine wirthschaftlich freie und
wenigstens im Allgemeinen auch wirthschaftlich ge-
sicherte Gemeinde. Unter den von uns (im ersten Capitel)
— 85 —
geschilderten Verhältnissen war die Gemeinde für die
Uebernahme einer so wichtigen und auch kostspieligen
Mission aber ganz ungeeignet, es wären ihr denn die
Mittel zur Armenpflege von einem Landes- oder Reichs-
armenfonds zugeflossen. Das war aber bei der Finanz-
lage des Staates eine ganze Unmöglichkeit, obwohl es
an Anläufen hierzu nicht gerade fehlte. Um 1816, als
in Folge von Krieg, Missernten und Staatsbankerott
die Verarmung in bedrohlicher Weise um sich griff
und es in Wien zu höchst unliebsamen Demonstrationen
der Arbeitslosen kam, wurde in Regierungskreisen die
Frage einer allgemeinen Armensteuer, ja sogar einer
Luxus- oder Junggesellensteuer ernstlich erwogen. Allein,
es mag dem Fürsten Metternich angesichts der er-
schöpften Steuerkraft des Landes nicht rathsam
geschienen haben, zu neuen Steuern zu schreiten, und
so begnügte er sich denn, die Privatwohlthätigkeit
aufzurufen, damit diese „wenigstens zum Theile und
allmählich leiste, was der Staat jetzt zu leisten nicht
vermag".^) Zugleich wurden die Vorschriften über
die Bildung von Vereinen, welche bisher das Vereins-
wesen nahezu ganz unterbunden hatten, freier gehand-
habt und das Entstehen von Privat- Wohlthätigkeits-
vereinen auf jede mögliche Weise begünstigt.
Es giebt wohl keinen eclatanteren Beweis für die
Trostlosigkeit der vormärzlichen Zustände als die
Thatsache, dass trotz dieser Begünstigung des humani-
tären Vereinswesens von oben in Wien — auf diesem
classischen Boden der Privatwohlthätigkeit — bis
1848 kaum 30 humanitäre Vereine erstanden.^*) Ein
im Jahre 1817 unter dem Protectorate des Kaisers
und unter persönlicher Führung des Kanzlers stehen-
— 86 —
der „Verein zur Unterstützung der Nothleidenden
Wiens" war schon nach wenigen Wochen genöthigt,
seine Thätigkeit einzustellen. Es giebt eben Verhält-
nisse, welche so verfahren sind, dass sie jede evolutio-
näre und charitative Besserung ausschliessen, und
solcherart wären die Zustände des Vormärz. Im
Jahre 1847, als die Noth am höchsten war, erstanden
die humanitären Vereine in etwas grösserer Zahl, aber
sie konnten das Unvermeidliche nicht verhüten. Damals
entstand als Ausfluss der zerrütteten Vermögenslage
der Kleingewerbetreibenden der „Wiener Kreuzerverein
zur Unterstützung der Gewerbsleute", welcher arbeits-
losen, bedürftigen Personen ohne Unterschied des Ge-
schlechtes und der Confession durch Anschaffung von
Arbeitsmaterialien und Werkzeugen, Zuwendung von
Darlehen Hilfe leistete. Im gleichen Jahre wurde in
Folge der abnormen Nothlage der „Allgemeine Wiener
Hilfsverein" (jetzt: Wiener Hilf s- und Sparverein) ge-
gründet, welcher sogenannte Rumfordsuppe, Brot, Salz,
Erdäpfel, Mehl u. dgl. an Arme verabreichte. Am
17. Mai 184.7 fand die Eröffnung der von dem Vereine
errichteten Rumforder Suppenanstalt statt, in welcher
anfänglich täglich 6000 Portionen ausgetheilt wurden.
Auf dem Principe der Gegenseitigkeit und Selbst-
hilfe begründete Associationen kannten die Gewerbe-
treibenden Wiens nicht, obwohl die genossenschaft-
liche Idee iu England zu jener Zeit bereits grosse
Triumphe feierte, obwohl in Frankreich der radicalste
Vertreter der genossenschaftlichen Socialreform, P. J.
Proudhon, bereits seine epochale Lehrthätigkeit begonnen
hatte, und auch in Deutschland V. A. Huber als ein be-
geisterter Apostel der Genossenschaft aufgetreten war.
— 87 —
Aber nicht bloss die Erwerbs- und Wirthschaftsorgani-
sation, auch die Kampf- und Widerstandsassociation
war den arbeitenden Classen in Oesterreich terra in-
cognita, und wir treffen in dem ganzen weiten Reiche
keine Spur einer gewerkschaftlichen Organisation zu
einer Zeit, wo in England der Trade-Unionismus
bereits mehrere grosse Revolutionen durchgemacht
und mächtige Triumphe errungen hatte. Aber selbst
an Vereinen zur gegenseitigen Unterstützung besassen
die Arbeiter nur wenig.
In Wien bestand das „Versorgungsinstitut der
Handlungsdiener" seit 1795 als einziger derartiger
Verein, wenn man von dem doch kaum hierher ge-
hörigen „Pensionsinstitut der herrschaftlichen Livree-
*
diener in Niederösterreich'' (seit 1794) absieht. Die
älteste wirkliche Arbeiterorganisation in Wien ist die
der Buchdrucker und Schriftgiesser. ^*) Schon seit 1760
bestand in der Trattner'schen Officin eine „zum Besten
der Gesellen errichtete Gasse", in welche allwöchent-
lich jeder ledige Geselle einen Kreuzer, jeder ver-
heiratete Geselle zwei Kreuzer einzahlen musste. Ausser-
dem flössen in diese Gasse noch die Aufding- und
Freisprechgelder, sowie gewisse Strafgelder ; aus dieser
Gasse sollten die kranken Grehilfen wöchentlich l fl.
erhalten; bei Todesfällen wurde ein Begräbnissgeld
von 6.45 fl. gezahlt, und die Witwe eines verstorbenen
Mitgliedes bezog ein halbes Jahr hindurch 1 fl. pro
Woche. Die Verwaltung führte Trattner selbst. Schon
am Ende des vorigen Jahrhunderts beabsichtigten
die Gehilfen, die Trattner'sche Gasse in eine allgemeine
Gasse für sämmtliche Buchdruckergehilfen Wiens um-
zuwandeln, stiessen hierbei aber auf Widerstand, ob-
~ 88 —
wohl sich die Regierung dem Projecte nicht abgeneigt
zeigte und der Idee nach die Bildung einer allgemeinen
Gehilfencasse billigte. Dagegen entschied sie, dass
Trattner die vorhandenen Fonds für die beabsichtigte
Gesellencasse nicht herauszugeben habe. Somit blieb
alles beim Alten. Die Verhältnisse am Beginne des
Jahrhunderts waren einer Coalition der Arbeiter —
wäre es auch nur zu einem so harmlosen Zwecke, wie
die Gründung einer Krankencasse gewesen — ent-
schieden ungünstig. Ein Versuch, den im Jahre 1835
ein Gehilfe (nachmals Druckereibesitzer) Johann Fried-
rich machte, im Vereine mit seinem Principale Maus-
berger einen Krankenverein zu gründen, wurde von
der Regierung zurückgewiesen, da — wie hochdieselbe
meinte — keine Nothwendigkeit für einen solchen
Verein vorliege.
Im Jahre 1837 gründete das Personal der Staats-
druckerei eine Vereinscasse, die auch bewilligt wurde,
und der jedes Mitglied der Anstalt angehören musste.
Der wöchentliche Beitrag belief sich auf 3 kr. C.-M. Da-
gegen bekam jedes erkrankte Mitglied aus der Gasse ein
Vierteljahr hindurch 2 fl. C.-M. pro Woche, wenn es
in häuslicher Pflege blieb und 1 fl. C.-M., wenn es in
Spitalverpflegung war. Ausserdem war mit dieser Gasse
eine „Fremdencasse" verbunden, aus welcher jeder
in Wien angekommene fremde Setzer — soferne er
nirgends einen Platz fand — einen Hilfsbeitrag von
12 kr. C.-M. erhielt. Bei Todesfällen oder Unglücks-
fällen wurden nach Ermessen Unterstützungen von
der Anstalt bewilligt. Aehnliche Hauscassen hatten
einige andere grössere Wiener Officinen, wie die Me-
chitharisten.
— 89 —
Auch in Linz begegnen wir schon im Jahre 1824
einem Versuche einer Kranken- und Sterbecasse der
Buchdrucker, den die Principale gemeinsam mit den
Gehilfen gemacht hatten, doch blieb die Gasse ohne
jede Bedeutung und scheint ganz willkürlich verwaltet
worden zu sein. Besser prosperirte eine Kranken- und
Invalidencasse, welche die Innsbrucker Setzer im
Jahre 1826 gründeten und die nach segensreichem
Wirken erst Ende der Fünfziger jähre einging. Das
war alles, was vor den Vierzigerjahren an Ansätzen
zu einem Hilfscassenverein der Typographen und zur
Arbeiterorganisation in Oesterreich überhaupt vor-
handen war.
Zu Beginn des Jahres 1842 regten die Setzer
Franz Engstier, Josef Senhofer, Johann Bartl und
Franz Schwarz endlich die Gründung eines allgemeinen
Unterstützungsvereines für erkrankte Buchdrucker-
und Schriftgiessergehilfen Wiens an; die Statuten
wurden nach dem Muster anderer, damals bestehender
Krankenvereine den Bedürfnissen der Typographen
angepasst, der Landesregierung vorgelegt und von
dieser am 5. Novembei* 1843 genehmigt. Der neue
Verein fasste zum erstenmale die Arbeiter einer
Branche ohne Rücksicht auf die einzelnen Arbeits-
stätten zusammen, wenn auch am Tage der Gründung
(1. August 1842) nur 105 von den 560 in Wien be-
schäftigten Buchdrucker- und Schriftgiessergehilfen
dem Vereine beitraten. Aber er gewährte zum ersten-
male eine feste Norm für die Unterstützung der Be-
rufsgenossen aus eigenen Mitteln unter eigener Ver-
waltung und eigener Controle. Es bleibt ein in social-
historischer Hinsicht äusserst charakteristischer Zug,
— 90 —
dass es die Principale waren, welche die dem Vereine
gegenüber vollkommen indifferenten Gehilfen ver-
mochten, dem Vereine beizutreten (nicht etwa aus
Idealismus, sondern nur, weil ihnen dadurch ihre
früheren Verpflegspflichten den Kranken gegenüber
abgenommen oder erleichtert wurden). Erst als einige
Officinen erklärten, nur solche Gehilfen anzustellen,
welche dem Unterstützungsvereine angehörten, traten
diese in grösserer Zahl hinzu, und im Jahre 1844
zählte der Verein 380, im Jahre 1845 bereits 516, im
Jahre 1847 551 Mitglieder, so dass der Verein jetzt
thatsächlich eine Organisation der gesammten Ge-
hilfenschaft genannt zu werden verdiente.
Das war der einzige ernst zu nehmende Ansatz einer
Arbeiterorganisation vor dem Jahre 1848; dieselbe war
aber weit davon entfernt, eine Kampfesorganisation zu
sein, und hätte es auch nicht sein dürfen, da die
blosse Verabredung der Arbeiter, unter einem gewissen
Lohne nicht arbeiten zu wollen, mit strengen Strafen
bedroht war. Die Mitglieder fühlten aber auch gar
nicht das Bedürfniss, mehr als einen Unterstützungs-
verein zu besitzen; ein Solidaritätsgefühl zwischen
ihnen, den Arbeiteraristokraten, und den anderen Ar-
beitern gab es damals nicht. Die Buchdrucker hatten
eigentlich wenig Grund zur Klage und vertrugen sich
mit ihren Principalen aufs beste; wie es Anderen ging,
das war Sache der Anderen.
Der Gedanke der solidarischen Selbsthilfe in jeder
Form war den besitzlosen Classen jener Zeit voll-
kommen fremd, und so siechten diese Classen, ohne die
Segnungen des Individualismus zu kennen, an den
Folgen der Verkehrtheit hin, dass der alles bevor-
— 91 —
mundende Staat gerade die Schwächsten allein sich
selbst und ihrem Verderben überliess.
Viertes Capitel.
Vor dem Sturm.
Fern sei es von uns, die Macht politischer oder
auch nationaler Ideen zu unterschätzen. Es haben
Völker, deren sociales Gleichgewicht nach keiner
Richtung hin gestört war, zum Schwerte gegriffen,
um einer religiösen Vorstellung willen, die recht un-
praktisch war, so alle wirthschaftlichen und socialen
Kreise störend, wie nur möglich. Es haben sich Völker
für die mitunter recht vage Idee der nationalen Freiheit
in Kriege gestürzt, auch ohne dass ihre wirthschaft-
liche Unabhängigkeit bedroht gewesen wäre. Die Fälle
stechen in der Geschichte so zahlreich hervor, dass
man, ohne der Geschichte Gewalt anzuthun, und ohne
getrennte Begriffe absichtlich zu verwirren, den Satz
nicht aufrecht erhalten kann, es gebe im Leben der
menschlichen Gesellschaft keinen anderen direct
treibenden Factor als den wirthschaftlichen.
Auch für die Revolution des Jahres 1848 waren
Triebfedern thätig, welche mit materiellen Inter-
essen keinen unmittelbaren Zusammenhang hatten. Die
deutsche Einheit, eine damals noch ziemlich unfass-
bare Idee, war gewiss ein kräftiger Impuls zur und
während der Revolution, und die Idee der persönlichen
Freiheit, welche den besseren Bürger und Studenten
erfasst hatte, weil er sich mündig fühlte und der
— 92 —
■
Curatel eines unfähigen Staates müde geworden war,
diese Idee war wohl eine der unmittelbarsten Veran-
lassungen, welche eben diese Bürger und Studenten
am 13. März zum Ständehause führten. Allein, es ist
doch mehr als fraglich, ob dies allein — auch wenn
es sich mit den politischen Aspirationen der Stände
vereinte — hingereicht hätte, den Metter nich 'sehen
Staat umzustossen. Die Masse des kleinen Bürgerthums,
und besonders des Wiener Kleinbürgerthums, ist wenig
„idealpolitisch'' veranlagt. Diese ewigen „Fretter" —
wie der Volksmund sie nennt — sind umsoweniger
geeignet, den Ausweg aus ihrer Misslage im grossen
socialen Bogen, durch Aufklärung, individuelle Freiheit
u. s. w. machen zu wollen, als mit ihrer permanenten
Noth ein ziemlich brutales Genussbedürfniss verbunden
ist. Sie wollen rasch und ausgiebig „gerettet" sein. Es
ist ihnen einerlei, ob die Reaction oder die Revolution,
Pfaffen oder Liberale ihnen diese Rettung bringen, sie
folgen jedem, von dem sie dieselbe erhoffen, mit Tem-
perament; sie sind heute hündisch devot nach oben,
morgen brüske Demokraten, übermorgen hartgesottene
Reactionäre und Vincentiusbrüder, aber alles und
immer radical. Von „Constitution" und „Pressfreiheit''
hatten diese Leute so gut wie keine Vorstellung, aber
sie forderten dieselben angesichts der schussfertigen
Grenadiere, weil sie von diesen Einrichtungen eine Bes-
serung ihrer elenden Lage erhofften.
So ähnlich war es mit den Arbeitern. Von der
„deutschen Einheit" hatten diese Leute kaum etwas
gehört, und wenn sie etwas gehört hatten, so war es bei
dem Umstände, dass sie doch nur zum geringsten Theile
Deutsche waren, höchst unwahrscheinlich, dass sie sich
— 93 —
für das Zustandekommen des Frankfurter Parlamentes
hätten erschiessen lassen. Was diese Leute zu den
Fahnen der Universität führte, war nicht „Deutschland"
und nicht die „Constitution*', das war der Hunger,
der nach einem Leben hoffnungsloser Resignation
sturzbachgleich überschäumende Groll und die endlich
einmal aufsteigende Erwartung, es werde nun auch
für sie, die wahrhaft Enterbten der Gesellschaft, der
Tag einer gerechteren Vertheilung kommen.
Aber selbst die Studenten und die Intelligenz waren
nicht ausschliesslich durch idealpolitische Momente an
die Revolution geknüpft, wie man gewöhnlich glaubt.
Es soll den braven Jungen damit nichts von ihrem
Verdienste geraubt werden, aber auch bei ihnen hatte
der Hunger einen guten Theil der Begeisterung ver-
ursacht Das Intelligenz- und Studentenproletariat der
Vierziger] ahre war nicht viel weniger trostlos als das
Bürger- und Arbeiterproletariat. Alle Laufbahnen waren
durch das grenzenlose Protectionswesen verschlossen,
die Advocatie von zünftlerischen Schranken umhegt,
die Laufbahn des Literaten missachtet, gefahrvoll und
aussichtslos u. s. w.
Füster, der die Studenten Verhältnisse genau kannte,
giebt ein ergreifendes Bild von dem Elend der Stu-
denten, wie es kurz vor Ausbruch der Revolution zu
Tage trat. „Ich habe zwar oft von der Armuth gehört,
die unter Studenten herrschte," erzählt er,^) „hätte sie
mir aber nie so gross vorstellen können. Es übersteigt
diese Armuth jeden Begriff; nur die hoffnungsvolle
Jugend, die in sich eine unversiegbare Quelle des
Muthes hat, kann sie ertragen. Nicht wenige Studenten
gab es, welche wochenlang keine warme Speise ge-
— 94 -
nossen, deren einzige Nahrung Brot und Wasser war.
Die armen Menschen verdarben sich ohne Verschulden
die Gesundheit für ihre ganze Lebenszeit. Von anderen
Entbehrungen in Kleidung, Wäsche u. dgl. nicht zu
sprechen, erwähnen wir der Wohnungen vieler armer
Studenten: finstere, feuchte, im Winter nicht geheizte
Kellerlöcher, alles eher als Menschenwohnungen zu
nennen, waren ihre Behausungen. Wenn die Collegien
und die öffentlichen Bibliotheken ihnen nicht ein Asyl
gewährten, würden sie im Winter vor Kälte zugrunde
gehen müssen. Wir kannten einen Studenten, der gar
kein Quartier hatte, sondern im Winter in den Heu-
schobern, Wagenremisen und Scheunen weit ausser der
Stadt wohnte, und im Sommer, wenn es nicht regnete,
unter freiem Himmel schlief. Wer all dieses Elend an-
gesehen, hätte blutige Thränen über die namenlose
Armuth vieler Studenten weinen müssen. Die meisten
Armen fand man verhältnissmässig unter den Juden.
Den jüdischen Studenten standen die gewöhnlichen
Erwerbsquellen der Studenten, die sogenannten In-
structionen, das Lectionengeben, wegen des Religions-
vorurtheiles nicht in dem Masse offen als den christ-
lichen Studenten, von denen übrigens auch nicht sehr
viele reichlich damit versehen waren."
Gewiss war es der unleidliche geistige Druck,
welcher einen ebenso mächtigen Gegendruck der
spannkräftigen, jugendlichen Gemüther, eine Explosion
des Freiheitsgeistes hervorrief, gewiss war es die un-
sägliche Erniedrigung Deutschlands, was den Geist
der alten Burschenschaft unter den Studenten wieder
erweckte; aber nicht in letzter Reihe war es der „Ma-
gister artis, ingeniique largitor, venter", der die Flamme
— 95 —
der Empörung auch bei den Studenten himmelhoch
aufschlagen liess und sie zu begeisterten Priestern der
Revolution prädestinirte.
Für die grossen Massen des Volkes aber war die
Revolution in der That nichts anderes als ein Act
socialer Nothwehr, eine unbewusste Selbsthilfe aus
wirthschaftlichen Verhältnissen, die, hervorgegangen
aus einer nur die brutalsten Interessen einiger Fa-
milien verfolgenden Politik, so eng verwachsen mit
dem ganzen socialen Organismus dieses Staatsunholdes
waren, dass allerdings auch dem einfachsten Kopfe
der Ruf verständlich war: Wenn es hier anders werden
soll, muss vor allem das herrschende politische System
gestürzt werden.
Dass die wirthschaftlichen Leiden, an denen das
Volk krankte, chronisch waren und nicht erst von
den letzten Jahren, ihren Missernten, Geschäfts-
stockungen etc. datirten, wie so oft gesagt wurde, haben
wir im Vorhergehenden hoffentlich klar auseinander-
gesetzt.
Die Symptome eines ungewöhnlichen Grades der
Armuth traten in Wien besonders, aber auch ander-
wärts, vor allem in den grossen Industriecentren
schon seit dem Beginne der Vierziger jähre immer
kenntlicher und fühlbarer zur Schau, wenn auch die
grosse Mehrheit der Gebildeten und Ungebildeten die-
selben unterschätzte, indem sie sich tröstete, es handle
sich um vereinzelte und vorübergehende Fälle. Diese
waren freilich wie vom Schlage gerührt, als mit dem
Ausbruche der Revolution das Elend und die Armuth
aus den Quartieren der Vorstädte herabstieg und aus
den Schlupfwinkeln hervorkroch, und wie ein hässlicher
— 96 —
Riesenpolyp seine tausend Arme über das leichtlebige,
tanz- und liederfrohe Wien der „Backhendlzeit" aus-
streckte. Und doch hatte seit Jahren vernehmliches
Donnergrollen und unheimliches Wetterleuchten das
Herannahen des Ungewitters angezeigt.
Im Jahre 1844: kam es in Böhmen zu grossen Ar-
beitertumulten. In Prag klagten die Arbeiter, sie würden
bei den Lohnauszahlungen betrogen und durch die
Einführung einer neuen Druckmaschine ausserdem im
Lohne gedrückt. Am 16. Juni kam es zu grossen
Krawallen, die Arbeiter demolirten die Maschinen und
durchzogen, 1600 Mann stark, mehrere Tage hindurch
unbewaffnet, aber demonstrativ die Strassen Prags.
Endlich gelang es, die Demonstranten zu umringen
und in eine Kaserne zu treiben, von wo sie bald
wieder ohne Strafe entlassen wurden. Minder glimpflich
gingen die gleichzeitigen Arbeiterexcesse im nörd-
lichen und nordöstlichen Böhmen ab. In den Kattuu-
druckereien war eine neue (Perotine-) Maschine ein-
geführt worden, welche viele menschliche Arme ausser
Arbeit setzte; der Lohn sank, die Arbeitszeit wuchs,
die Entlassenen rangen mit dem Hunger, und ihre
Noth steigerte sich umsomehr, als eine Missernte alle
Lebensmittel vertheuerte. In den Gegenden von Leit-
meritz und Königgrätz, Reichenberg, Böhmisch-Leipa u. a.
kam es daher zu Zusammenrottungen der Arbeiter,
welche die Abschaffung der genannten Maschinen
forderten und — als diesem Wunsche nicht willfahrt
werden konnte — die Fabriken stürmten und die Ma-
schinen vernichteten. Ein Trupp von etwa tausend
Arbeitern zog mit Weib und Kind nach Prag, um bei
dem böhmischen Oberburggrafen Erzherzog Stefan
— 97 —
Vorstellungen zu erheben. In Prag wurde aber gegen
die waffenlos und friedlich anrückende Massendepu-
tation die gesammte Polizei- und Militärmacht auf-
geboten, und der Polizeidirector Hess ohne viel zu
fragen in die wehrlose Masse hineinschiessen. Die
Angegriffenen erfasste die Wuth der Verzweiflung;
sie machten Miene zum Kampfe. Da sie aber einsahen,
dass sie ohne jegliche Waffe das Opfer ihrer Gegner
wären, flohen sie eilends aus der Stadt, zerschlugen
hier und dort noch eine Fabrikseinrichtung und zer-
streuten sich endlich.
Ein Schrei der Entrüstung ging durch die ge-
bildete und gesittete Gesellschaft über dieses Vorgehen
der Behörden gegen die Arbeiter. Es wurden Samm-
lungen eingeleitet, welche freilich nicht einmal hin-
reichten, um den Darbenden über die grösste Noth
hinwegzuhelfen, und welche es nicht verhindern konnten,
dass in den Fabriksgegenden und im Riesengebirge
Tausende am Hungertyphus starben. Die hohe Re-
gierung Hess in aufgedungenen Journalen — die an-
deren durften darüber überhaupt nicht schreiben —
die Sache so darstellen, als ob an allem nur die
Juden schuld wären ; 2) damit hoffte man vielleicht die
Bewegung auf ein anderes Object abzuleiten. Es wurde
auch eine Commission eingesetzt, welcher nicht allein
das Geschäft der Strafe gegen die Rädelsführer, son-
dern auch die Untersuchung der Lage der Arbeiter
und der Quellen ihres Elendes oblag. Damit war man
im Vormärz in Oesterreich jederzeit sofort zur Hand,
und wenn sich sociale und politische Gebrechen durch
die Einsetzung von Hofdeputationen, Conferenzen und
Commissionen heilen Hessen, so wäre es wohl nie zur
Zenker: Wiener Revolution. •
— 98 —
Revolution gekommen. Aber auch die Prager Com-
mission kam — wie alle ihresgleichen — nie über das
in Oesterreich so hoch in Ehren stehende Stadium des
Studiums hinaus. Schon in dem darauffolgenden Jahre
1845 hegte man in Wien Besorgniss, es könnte zu ähn-
lichen Soenen kommen, da die Weber und Shawlfabri-
kanten mehr als die Hälfte ihrer Arbeiter zu entlassen
genöthigt waren. Die Regierung forderte daher den
Bürgermeister auf, zu berichten, „ob wirklich gegrün-
dete Besorgnisse für die öffentliche Ruhe wegen Ueber-
handnehmen der Erwerbslosigkeit obwalten". Die
Polizei soll sogar im Interesse der öffentlichen Ruhe
und Ordnung eine behördliche Lohnregulirung für
Gesellen und Lehrlinge oder eine obligatorische Be-
schränkung in der Aufstellung von Maschinen in Vor-
schlag gebracht haben. •^) Die Regierung ging jedoch
darauf nicht ein und begnügte sich, den Bürgermeister
anzuweisen, er möge den Fabrikanten zu Gemüthe
führen, dass sie im Staate eine ehrenvolle und meist
gewinnreiche Existenz gefunden haben, dass sie sich
daher aufgefordert fühlen dürften, so viel in ihren
Kräften liegt, beizutragen, dass der öffentlichen Ver-
waltung keine Verlegenheiten bereitet werden.
Im Jahre 1846 rumorte es an mehreren Punkten
des Reiches. In Böhmen, und zwar an verschiedenen
Orten, in Prag, Pilsen, Komotau, Eger und anderwärts^
waren neuerliche Arbeitertumulte ausgebrochen, welche
gewaltsam niedergeschlagen werden mussten.
Auch der Polenaufstand des Jahres 1846 deckte
die socialen Wunden des Landes auf. Der Adel suchte
das Volk in den Kampf für die nationale Wiedergeburt
Polens mitzureissen; allein, die nationale wie die
— 99 —
sociale Kluft zwischen der polnischen Schlachta und
dem ihr unterthänigen ruthenischen Bauer war eine
unüberbrückbare; und da der Adel bei der Robot-
aufhebung nur mit halbem Herzen war, ja der Eman-
cipation des geknechteten Bauernstandes geradezu
feindselig gegenüber stand, erhob der ruthenische
Bauer seine Sense sogar gegen den Adel. Unter den
masurischen Bauern nahm der Aufstand unter der
Führung Szela's direct socialistische Formen an; Szela,
einer jener fanatischen slavischen Socialreformatoren,
deren Horizont der primitive CoUectivismus der slavi-
schen Dorfgemeinde bildet, wollte nichts Geringeres
als die Macht des Adels brechen und den Besitz des-
selben zum Eigenthume der Bauerngemeinde machen.
Die Jacquerie ging in dem Blutbade mitunter, in welchem
der polnische Aufstand selbst erstickt wurde. ^)
Im Jahre 1847 kam es, wie bereits erwähnt wurde,
auch auf dem flachen Lande von Niederösterreich zu
blutigen Zusammenstössen zwischen dem Militär und
den Bauern, welche die weitere Leistung der Frohn-
dienste verweigerten. Dieses Jahr, mit seiner über den
ganzen Continent und über England reichenden Krise
fand den Landmann, den Handwerker, den Fabrikanten,
den Arbeiter, alle, alle in dem trostlosesten Zustande;
Missernten hatten mangelnde Nachfrage nach Manu-
factur- und Fabrikserzeugnissen zur Folge, Gewerbs-
leute und Fabrikanten konnten ihre Waare nicht los-
bringen und stellten den Betrieb ein, Massen von
Menschen wurden arbeitslos."^) Der Erwerb wurde ge-
ring, die Lebensmittelpreise schössen, wie wir früher
gezeigt haben, fieberhaft in die Höhe. In dieser Zeit
mehrten sich in Wien die Symptome einer abnorm
7*
— 100 —
zunehmenden Armuth immer auffallender. Der Strassen-
und Massenbettel nahm in erschreckender Weise über-
hand, die öffentliche Sicherheit war in dem Masse ge-
fährdet, dass Raubanfälle auf offener Strasse nicht
selten waren, die sogenannten „Kappelbuben'* oder
„Strawanzerbuben'', Bursche, welche durch Hunger
und Arbeitslosigkeit eben auf die Wege des Verbrechens
getrieben wurden, bildeten den Schrecken der Glacien
und Stadtgräben, das Laster ging beim Tage bloss.
Der harte Winter des Jahres 1847 steigerte die Notli
ins Riesenhafte, Ungeheuerliche.
Unter dem Eindrucke des massenhaft über die
Strassen schleichenden Jammers, der ungestüm an die
Thore der Reichen pochenden Armuth, wurde von
etwas klarer sehenden Industriellen und Geschäfts-
leuten der schon erwähnte Verein zur Ausspeisung
der Armen mit Rumfordersuppe, Brot u. dgl. be-
gründet. Allein, das karge Almosen brachte die Hun-
gernden erst recht zum Bewusstsein ihres namenlosen
Elends und weckte noch mehr das Bestialische in dem
Wesen dieser Aermsten, so dass es im März 1 847 wiederholt
in Fünfhaus, Sechshaus und Gaudenzdorf zu gefähr-
lichen „Brotrummeln" und Plünderungen von Bäcker-
und Fleischerläden seitens des Proletariates kam.
Der damalige Bürgermeister Czapka wies in einer
geheimen Vorstellung an die Regierung auf die „beun-
ruhigenden Symptome einer Arbeiterbewegung'' und
auf eine „drohende sociale Gefahr" hin. Allein, die
Regierung wusste sich ebenso wenig Rathes wie der
Bürgermeister. Man ordnete an der Wien und im
Prater Erdarbeiten an, bei welchen 15.000 Brotlose
Beschäftigung fanden; aber diese Arbeiten waren
— 101 -
ganz überflüssig und zwecklos, konnten daher nur von
ganz kurzer Dauer sein und nur ganz vorübergehende
Hilfe bringen. Es war bloss eines der ungeschickten
Auskunftsmittel in der augenblicklichen Verlegenheit»
wie sich derer die österreichischen Regierungen seit
jeher gern zu bedienen pflegen. Dann und wann
vermochte wohl eine beunruhigende Erscheinung die
hohen Behörden aus ihrer Lethargie für Augenblicke
aufzurütteln; sobald aber der erste Schreck über-
standen war, legte man ruhig wieder die Hände in
den Schoss, und suchte sich von der Grundlosigkeit
der Aufregung zu überzeugen.
Die Frage, ob man sich in den massgebenden
Kreisen der Beamtenschaft über die Tragweite und
Folgen der bestehenden Krisen klar war, muss ent-
schieden bejaht werden. Aus den zahlreichen, zum
Theile auch im Vorhergehenden angeführten hoch amt-
lichen Denkschriften und Vorstellungen geht unzwei-
deutig hervor, dass man sich über die Unhaltbarkeit
der wirthschaftlichen Zustände keinen Täuschungen
hingab und das Bedürfniss nach Reformen lebhaft
empfand. Aber die lächerliche Angst der Hofkreise
jener Zeit vor Reformen ist ja geradezu sprichwörtlich
geworden. Reform und Revolution war für sie gleich-
bedeutend, und deshalb musste es eben zu dem Ge-
fürchteten kommen, weil das Vernünftige zu allen
Zeiten unterblieb. Eine andere, weit schwierigere Frage
ist die nach dem Stande der Ideen über sociale Re-
formen, welche im Volke selbst verbreitet waren.
Der vollständige Mangel einer politischen Jour-
nalistik,^) welche in der Lage gewesen wäre, breite
Kreise über die thatsächlichen Verhältnisse zu unter-
— 102 —
richten und mit den Ideen des Auslandes in Verbin-
dung zu setzen, sowie die aus den bestehenden Censur-
verhältnissen erwachsende Schwierigkeit, sich aus
Büchern über den Stand der socialen Ideen des übrigen
Europa au fait zu halten — das allein lässt schon
von vornherein eine besonders extensive und inten-
sive Verbreitung der socialistischen Ideen in Oester-
reich ausgeschlossen erscheinen. Freilich, Violand') will
glauben machen, „dass fast niemand etwas mit Klarheit
über die Bestrebungen des Socialismus in Frankreich
wusste. Das Wort Socialismus hatten die wenigsten
Oesterreicher je einmal gehört. Höchstens diejenigen,
welche zu den Gebildeten gehörten, kannten den
Ausdruck, aber nicht seinen Begriff. Man meinte, dass
Socialismus im Grunde nichts anderes sei als Com-
munismus, von dem man aber auch nichts wusste, und
von dem man sich bloss ganz abenteuerliche Vor-
stellungen machte. Gewiss hielt man aber die socialen
Bestrebungen für nichts anderes als ein lächerliches
Product menschlicher Verrücktheit oder Schlechtigkeit,
und die Reden und Ansichten Enfantin's und Bazard's,
welche man in der Geschichte der zehn Jahre von Louis
Blanc fand — welches Werk, obgleich verboten, doch
sehr viel gelesen wurde und ausserordentlich viel
Gutes für die Freiheit wirkte — erregten gewaltiges
Lachen, und es fiel gar niemandem ein, dass das von
diesen Männern, wenngleich irrig angestrebte Ziel
ein erhabenes sei, dass, wenn auf irgend eine Weise
dem socialen Elende nicht abgeholfen werde, die ganze
Gesellschaft mit sich selbst in den furchtbarsten, zer-
störendsten Kampf gerathen müsse; es fiel gar nie-
mandem ein, dass die sociale Frage allein die der
— 103 —
Zukunft sein werde, und dass demnach die vollste
Anerkennung jenen gebühre, welche sich, wenngleich
irrend mit allem Eifer und mit allem Muthe bemühten^
dieselbe glücklich zu lösen'*.
Diese Behauptungen sind wenigstens in Bezug auf
die gebildete Classe entschieden übertrieben. Der
Bücherschmuggel wurde, wie männiglich bekannt, ge-
rade im Vormärz äusserst schwunghaft betrieben, und
so gut wie Louis Blanc's Geschichte der zehn Jahre,
bekam man in Oesterreich auch seine „Reform der
Arbeit", auch Proudhon's „Widersprüche der National-
ökonomie'', Lamennai's „Worte eines Gläubigen'* u. a. in
die Hand. Und wenn man diese Bücher selbst nicht
erlangen konnte, so verschlang man doch Meissner's
und Herwegh's, Börne's und Heine's Schriften, und
sog aus diesen die Ideen des französischen Socialismus
ein, gleichgiltig, ob dies in schulgerechten Formen
geschah oder nicht. Wir haben im Laufe dieser Schrift
wiederholt die anonyme Broschüre eines Oesterreichers,
offenbar eines Wieners, über die „socialen und politischen
Zustände Oesterreichs mit besonderer Beziehung auf
den Pauperismus" (Leipzig 1847) citirt, welche unver-
kennbar unter dem Einflüsse der christlich-socialen
Ideen Saint-Simon's und Lamennai's steht; die zahl-
reichen Wiener Journalisten des Jahres 1848 — allen
voran Freiherr v. Stifft — zeigten sich mit den Ideen
Saint-Simon's, Fourier's und Cabet's, Louis Blanc's und
Proudhon's wohl vertraut, und ganz besonders die viel-
verbreitete Idee des Phalanstere scheint auch in
Oesterreich sich bereits vor 1848 gewisser Popularität
erfreut zu haben, weil sonst die zahlreichen unmittelbar
nach dem Ausbruche der Revolution auftauchenden
— 104 —
Projecte zur Gründung von Gemeinöfen, Arbeiter-
kasernen u. s. w. nicht leicht erklärlich wären.
Allerdings dürfte diese Kenntniss der socialistischen
Ideen nicht sehr tief gedrungen sein, und zumal jene
Schichten, welchen der Socialismus eigentlich helfen
will, ganz unberührt gelassen haben. Das zeigte sich
eclatant darin, dass — als die Demokratie triumphirte
und die freie Presse die Arbeiterfrage so gut es ging
zu erörtern begann, die Anwälte der Arbeiterschaft
durchaus den bürgerlichen Kreisen angehörten. Die
Wiener Arbeiter besassen im Jahre 1848 nicht nur
keinen Albert und Proudhon, die wenigen Leute^
welche sie der Publicistik stellten, wie Sander und
Hillisch, wurden an Kenntniss der sogenannten socialen
Frage wohl von dem ersten besten Pariser Ouvrier
himmelhoch überragt. Mit einem Worte die Wiener
Arbeiterschaft, und selbstverständlich mehr noch die
des übrigen Oesterreich, trat vollkommen unvorbereitet
in den socialen Kampf ein. Sie besass nicht nur keine
Organisation, sie besass auch nicht den Begriff und
die Ahnung von dem Werthe einer Organisation, sie
hatte kein Ziel, kein utopistisches Ideal, in Folge dessen
wohl keine socialen Vorurtheile, aber leider auch kein
Programm. Dass dem so war, ist kein Wunder ; eine Presse
welche die socialistischen Ideen auch nur hätte kriti-
siren und bekämpfen dürfen, wurde nicht geduldet,
ein Coalitionsrecht der Arbeiter, durch welches diese
auch in intellectuellen Verkehr zueinander getreten
wären, wurde aufs entschiedenste perhorrescirt, an
einen Verkehr zwischen dem Proletariate und den ge-
bildeten Classen, durch welche eine geistige Be-
fruchtung der Arbeiter durch die letzteren hätte be-
- 105 —
werkstelligt werden können, war noch weniger zu
denken; eine socialistische Agitation, wie sie zu gleicher
Zeit in der Schweiz oder in den deutschen Rhein-
gegenden florirte, hätte die österreichische Re-
gierung zuverlässig im Blute der Tollkühnen ertränkt,
welche sich erdreistet hätten, in Oesterreich etwa
Filialen des Communistenbundes zu errichten;®) den
directen Import der deutschen und französischen sociali-
stischen Ideen durch wandernde Gesellen wusste man
durch Wanderverbote nach der Schweiz und Frankreich
zu verhindern, und die fast ausnahmlos crasse Unbildung
der Arbeiter schloss auch jene Mittel und Wege, sich
über die sociale Frage zu unterrichten, aus, welche
die Gebildeten im Volke gewählt hatten. So kam es,
dass die Abschliessung des österreichischen Proletariates
von den gesellschaftlichen und wirthschaftlichen Reform-
bestrebungen des übrigen Europa eine vollständige war.
Es ist notorisch, dass auch nicht eine einzige von
den wegen der böhmischen Arbeiterunruhen von 1844
in Untersuchung gezogenen Personen in der Schweiz
gewesen oder im Besitze einer socialistischen Druck-
schrift betroffen wurde. Die vollkommene Unabhängig-
keit dieser Unruhen von der in einigen Theilen Deutsch-
lands und der Schweiz betriebenen socialistischen Agi-
tation ist vollständig ausser Zweifel gestellt.^) Diese
Arbeiterrummel waren nicht das Werk äusserer Ein-
flüsse und nicht der Ausfluss kalter Ueberlegung oder
fanatischer Begeisterung, sondern die spontane Gegen-
wirkung auf einen alle Grenzen übersteigenden ma-
teriellen Druck und weiter nichts. Mit der naiven
Logik der Naturmenschen kehrten sich die Arbeiter
gegen die Maschinen, welche die nächste Ursache ihres
— 106 —
Unglückes geworden, und zertrümmerten sie in der
Meinung, damit die Wurzel des Jammers ausreissen
zu können. Keine Ähnung dämmerte in diesen Leuten
von dem grossen wirthschaftlichen Hintergrunde, den
die vor ihren Sinnen sich abspielenden Vorgänge
hatten, keine Ahnung von den socialen und politischen
Verhältnissen, welche mit den wirthschaftlichen Zu-
ständen verknüpft sind, keine Ahnung davon, wie dem
Hunger und zugleich der tiefen socialen und politi-
schen Erniedrigung abzuhelfen wäre.
Und in diese Nacht hinein blitzte der Feuerschein des
13. März; Adel, Bürger, Student und Bauer, Deutsche,
Slaven, Magyaren und Italiener sprengten die Fesseln,
vereinigten ihre Stimme zu dem Rufe nach Befreiung
aus einer allen gleich unerträglichen Lage zu einem
Accord, und es wäre nur unnatürlich gewesen, wenn
in diesen Accord nicht auch ein verwandter Ton aus
den tiefsten Kreisen der Gesellschaft hineingeklungen
wäre, wenn am 13. März 1848 nicht auch die Arbeiter
die Freiheit erkannt und in ihrem Dienste die Erlösung
von allem Jammer gesehen hätten. Für Viele, welche
freudig zum Ständehause gezogen waren, wirkte es
freilich ernüchternd, als sie sahen, dass auch die Be-
wohner der äussersten Vorstädte den grossen Moment
für sich reclamirten, und manch Einer hätte wohl schon
damals viel lieber auf die Glorien der März tage
verzichtet, als dass er sie jetzt mit dem „Fabriks-
gesindel" theilen musste. An die Arbeiter hatte nie-
mand gedacht und als man ihrer vor dem Stände-
hause ansichtig wurde, waren nur wenige stark genug,
ihre Nähe nicht als Störung zu empfinden.
ZWEITES BUCH.
Die socialen Ereignisse der Revolution.
Fünftes Capitel.
Sie sociale Bedeutung der Märztage.
Alle Schichten der Gesellschaft waren mit Zünd-
stoffen erfüllt; der sociale Zustand war, auch wenn
man von den Anlässen rein nationaler und politischer
Natur ganz absehen wollte, ein unhaltbarer geworden,
es bedurfte nur eines äusseren Anlasses, um die alles
verschlingende Krise zum Ausbruche zu bringen, und
dieser Anlass war die Kunde von der Pariser Februar-
revolution.
Auf diese Nachricht hin, welcher bald neue Bot-
schaften von dem in Deutschland allerorten aus-
brechenden Sturme folgten, reckte sich in Wien
nicht bloss die politische Revolution riesengross empor,
der Februarsturm rüttelte auch den schwerbeweglichen
Besitz auf, indem er den Schleier hinwegfegte, welcher
die Fäulniss einer schwindelhaften und ruinösen
Finanzwirthschaft so lange verhüllt hatte. Die Panik
der Börse theilte sich dem Publicum mit; mit einem-
male schienen alle Besitzverhältnisse gefährdet, drohten
sie in der papierenen Sintf luth unterzugehen, mit welcher
der Staat unter Zuhilfenahme der Bank in bisher ganz
uncontrolirter Weise und daher auch in unbekanntem
Masse den Geldmarkt überschwemmt hatte. Das Bürger-
— 110 —
thum wurde von plötzlicher Unruhe erfasst,man drängte
sich zu den Gassen der Bank, um ihre Noten in Silber
umzuwechseln, das Metall, welches im Umlaufe war,
wurde noch mehr dem Verkehre entzogen, und der
Werth des Papiergeldes noch weiter her abgedrückt;
die Sparcassen wurden bestürmt von Leuten, die ihre
Einlagen in Sicherheit bringen wollten, ehe der Staat
— wie man fürchtete — seine grosse Hand darauf
legte; die Geschäftsthätigkeit im Grossen zog sich mit
einem Schlage zurück, im kleinen Verkehre begannen
sich die Stockungen des Geldumlaufes fühlbar zu
machen; alle Schärfen der bestehenden wirthschaft-
lichen Verhältnisse drohten doppelt fühlbar zu werden.
Hatte das besitzende Bürgerthum, obwohl der
weitaus wichtigste Stand der Gesellschaft, rechtlich
aber in der zurückgesetzten Stellung, die ihm eine
veraltete Gesellschaftsgliederung anwies, schon längst
jene politischen Reformen gefordert, welche das
Gleichgewicht zwischen seiner factischen socialen Be-
deutung und deren rechtlicher Anerkennung bewirken
sollten, Freiheit der Presse und der Wissenschaft und
Theilnahme des Bürgerthums an der ständischen Ver-
tretung, so vermehrte sich dieses Programm nunmehr
durch einen neuen Punkt, durch das Verlangen nach
Veröffentlichung des Staatshaushaltes. Der nieder-
österreichische Gewerbeverein, in welchem der grosse
Besitz, und der juridisch-politische Leseverein, in
welchem die Intelligenz vertreten war, diese beiden
Körperschaften waren es auch, welche dem Sturme als
Wettervögel voranflogen. Die Demonstration der Bürger
und Studenten am 13. März vor dem Ständehause und
alles, was darauf und daraus folgte, war ihr Werk. Es
— 111 —
waren die Märztage pur et simple die sociale Re-
volution der städtischen Bourgeoisie.
Es konnte jedoch nicht ausbleiben, dass diese Be-
wegung, wie sie von allem Anfange an durch die Un-
zufriedenheit aller Stände unterstützt und gefördert
wurde, auch die Erwartungen aller Stände weckte und
die Sehnsucht aller Kreise nach socialen Reformen
nährte. So kam es, dass schon am 13. März unter den
Stürmen der Herrengasse die Bauernfrage ihr Haupt
erhob und dass der Ruf nach Aufhebung der Robot
noch an diesem Tage zu den Fenstern des Landhauses
emporhallte. Aber auch die Arbeiter waren erschienen,
um — wo schon niemand an eine eigene Arbeiterfrage
dachte — doch wenigstens die alte Gesellschaft mit
über den Haufen werfen zu helfen.
„An diesem Tage*' — erzählt ein Augenzeuge') —
„schon zeitig früh, bemerkte ich in der Herrengasse,
in welcher sich das Ständegebäude befindet, einzelne
Arbeiter stehen, und ein Riesenmensch, mit einem an
allen Seiten geflickten Rocke, der ihm sicher nicht an-
gemessen und für ihn gemacht worden war, bewegte
sich, die schmutzige Kappe kühn auf ein Auge ge-
drückt, mit geballten Fäusten, mit leuchtendem Blicke
und rückwärts gebogener Haltung, ganz schlagfertig,
wie zum Kampfe herausfordernd, mit Riesenschritten,
obgleich bedächtig mitten durch die Strasse gegen das
Ständegebäude hin. In den rückwärtigen Taschen
musste er eine Menge Steine als Munition tragen, denn
sein Rock war straff am Rücken gespannt, und man
sah ihm an, dass er sich Gewalt anthat, um nicht von
der Last der Taschen rückwärts gezogen zu werden.
An seiner Seite humpelte eilig, um mit ihm gleichen
— 112 —
Schritt zu halten, ein kleiner, untersetzter, schmieriger,
schon ziemlich bejahrter Mensch mit einem langen
Rock und mit umgeschlagenen, zu langen Aermeln
daher. Er war voll bepackt, jede Tasche stand weit
von ihm, und die hinteren Rocktaschen schlugen fest
auf die Waden. Als ich diese Leute in diesem Aufzuge
sah, dachte ich gleich, dass auch die Vorstädte nieder-
steigen würden, und wirklich so war es.''
Agitatoren und Studenten hatten am vorher-
gehenden Abend die Vorstädte davon verständigt, dass
es nunmehr „losgehen" werde und dass man sich in
der inneren Stadt treffen werde. '^) Ein Theil der Ar-
beiterschaft hatte diesen Ruf vernommen und war ihm
gefolgt; ein anderer Theil erfuhr von den Vorgängen
erst, als die Demonstration in der Herrengasse be-
reits begonnen hatte; alsogleich stellten die Leute die
Arbeit in den Werkstätten ein und suchten mit eisernen
Stangen und ähnlichen improvisirten Waffen versehen
von Thury, Liechtenthal, Altlerchenfeld, strozzischem
Grund, Margarethen, Hundsthurm, neuer Wieden, Fünf-
und Sechshaus her gegen die Stadt zu ziehen und den
Studenten zu Hilfe zu eilen.
Panischer Schrecken bemächtigte sich der Be-
völkerung, als sie das „FabrikengesindeP' in vollem
Anzüge wider die Stadt erblickte. Rasch wurden die
Stadtthore geschlossen und Geschütze auf die Basteien
geführt, um einem Sturm auf die Thore wirksam be-
gegnen zu können. Nur einem kleinen Theile der an-
rückenden Schaar, einigen hundert Arbeitern war es
gelungen, schon vorher die Thore zu passiren und in
die Herrengasse zu gelangen. Hier wirkte ihr ver-
zweifelter Kampfesmuth, ihre kalte Todesverachtung
— 113 —
ohne Zweifel entscheidend auf die Stimmung der an-
gesammelten erregten Massen.'^) Ohne die Dazwischen-
kunft dieser Verzweifelten, welche im Kampfe nichts
als ein des Lebens unwerthes Leben zu verlieren hatten,
wäre die Bewegung vielleicht über eine loyale Mani-
festation nicht hinausgekommen. Die Ankunft der Ar-
beiter entflammte aber den Muth und das Vertrauen
der Studenten, und riss sie zu den Thaten hin, die
der Demonstration ihren bekannten, von den Land-
ständen nicht erwarteten Fortgang gaben.
Es lässt sich nicht sagen, was an jenem Tage ge-
schehen wäre, wenn es all den heranrückenden Arbeiter-
schaaren gelungen wäre, in die Stadt zu dringen und
sich an dem Kampfe zwischen Volk und Militär zu
betheiligen. Allein, das Gros derselben kam zu spät
und fand die Thore bereits geschlossen. Mit der Wuth
der Verzweiflung versuchten sie die Thore zu berennen,
beim Schottenthor gelang ihnen das auch, doch hielt
sie das Militär an dem weiteren Vordringen zurück.
Beim Burgthor brannten sie die Spaliere nieder, zer-
trümmerten die Gaskandelaber und legten Feuer an,
um die Thore zu verbrennen. Als sie die Fruchtlosig-
keit ihrer Bemühungen erkannt hatten, kehrten sie
in die Vorstädte zurück, um hier dem einmal er-
wachten und nicht mehr zu bändigenden Kampfesmuth
einen Ausweg zu schaffen. Wie Kinder, welche dem
Gegenstande, an den sie sich gestossen, grollen,
fielen sie über die Mauthhäuser, die äusseren Wahr-
zeichen der verhassten und unerträglichen Verzehrungs-
steuer, her und demolirten sie, zertrümmerten in den
Fabriken die Maschinen, welche ihnen den Lohn ver-
kürzten, legten Brand in die Häuser der Fabrikanten,
Zenker: Wiener Bevolation. 8
— 114 -
welche ob ihrer Härte gegen die Arbeiter berüchtigt
waren ; dagegen brachten sie den wegen ihrer Mensch-
lichkeit und Leutseligkeit in gutem Rufe stehenden
und beliebten Fabrikanten Ovationen dar, schützten
deren Häuser vor Brand und Plünderung, und sahen
überhaupt strenge darauf, dass die Acte rächender
Volksjustiz nicht von anderen zu Raub und Diebstahl
missbraucht würden.
Der Hauptherd dieser elementaren Vorgänge
scheinen die vor der Mariahilferlinie gelegenen fabriks-
reichen Vorstädte Fünfhaus und Sechshaus gewesen
zu sein.
In Mariahilf wurde das Liniengebäude gestürmt
und in Brand gesteckt, die Beamten vertrieben und
wie es heisst, ein Finanzwächter sogar in die Flammen
geworfen, in denen er umkam; auch zahlreiche Bäcker-,
Fleischer- und Krämerläden sollen das Opfer der ent-
fesselten Volkswuth geworden sein. Vor der Linie
schaarten sich grosse Rotten von Proletariern zu-
sammen, um den Krieg in die Fabriken zu tragen. In
Sechshaus wurden zwei Kattundruckfabriken gestürmt,
in einer Branntweinfabrik die Fässer angebohrt; das
Gemeindehaus, in welchem sich das Polizeicommisariat
befand, wurde demolirt; viele Häuser wurden in Brand
gesteckt, und als sich der Abend über Wien senkte,
da kündete der grelle Feuerschein aus den Vorstädten
den Bewohnern der Stadt, dass sich das ebenso ver-
achtete als gefür<5htete „Fabriksgesindel" auf dem
Kriegspfade gegen die vermeintlichen Urheber seines
Unglückes befinde. Wie zur Verstärkung des furcht-
baren scenischen Effectes hatten die Arbeiter auf dem
Glacis die Gasleitungsrohre aufgerissen und das aus-
— 115 —
strömende Gas entzündet, so dass Wien von einer
Waberlohe umgeben war.
Schrecken erfasste Bürger- und Hofkreise, und
unter dem Eindrucke dieser Schreckensbilder wurde
auch die allgemeine Bewaffnung der Bürger und Stu-
denten noch am Abende des 13. März eingeräumt. Die
Regierenden glaubten offenbar, das Bürgerthum werde
durch das hinter ihnen auftauchende rothe Gespenst
geängstigt und eingeschüchtert über die Bändigung
des Proletariates die Verfolgung der eigenen Wünsche
vergessen. Am 14. März forderte eine Kundmachung des
niederösterreichischen Regierungspräsidenten Johann
Talatzko Freiherrn v. Gestieticz alle Haus- und Fa-
milienväter, alle Inhaber von Fabriken und Werk-
stätten, zu einem einträchtigen und gemeinnützigen
Zusammenwirken auf, um die herrschenden Unruhen
zu beseitigen, durch welche „die wünschenswerthe Ge-
staltung der Dinge gehindert oder doch vielleicht ver-
zögert werden könnte*'.
Allein, das Bürgerthum liess sich durch diese
schmeichlerischen Syrenenklänge nicht verlocken und
unternahm gegen die Arbeiter nicht mehr, als dass
es diese von dem Werke der Zerstörung abzubringen
suchte, welches das wirthschaftliche Elend — wie man
bald sah -— nur vermehrte statt es lindern zu können.
Die Studenten verhielten sich den Ausschreitungen des
Proletariates gegenüber ganz passiv; das Gefühl der
Solidarität mit den Unterdrückten war bei diesen be-
geisterten Jünglingen stärker als das der Furcht vor
der entfesselten bete humaine; vielleicht auch ahnten
sie schon an jenem Tage, dass die Schaaren dieser
Arbeiter, deren ganzes Leben ein verzweifelter Kampf
8»
— 116 —
war, dereinst die allzeit schlagfertigen Reserven der
Freiheit sein würden. In der That wurde durch die aus-
gesprochen arbeiterfreundliche Haltung der Studenten
in den Märztagen jenes merkwürdig innige Band ge-
flochten, welches während der ganzen Revolutionszeit die
akademische Legion mit der Arbeiterschaft verknüpfte,
und welches der Aula ihre denkwürdige und gefürch-
tete Bedeutung verlieh.
Allerdings ging die Beruhigung der Vorstädte
nicht ohne Gewalt ab; hunderte von Brandlegern und
Zerstörern mussten dingfest gemacht werden, einige
wurden im Handgemenge auch verwundet und sogar
getödtet. Es währte aber auch mehrere Tage, bis sich
die empörten Volksmassen beruhigen Hessen. Am
14. März* berannte eine aus Fünf haus kommende Rotte
von etwa 50 Personen das Pfarrgebäude von Mariahilf,
drang in die Wohnung des Pfarrers und zerstörte die
vorgefundenen Documente und Papiere, bis Grenadiere
erschienen und die Masse zerstreuten. In Fünf- und
Sechshaus dauerte an diesem Tage der Kampf gegen
die Fabriken, und besonders gegen solche, in welchen
die Perotine stand, fort. Von hier zog sich der Aufruhr
nach Meidling, Liesing, und Nachmittags traf eine
Masse von mehr als zweitausend Arbeitern in Mödling
ein, um hier ihr Werk fortzusetzen. Dem Bürgermeister,
der sie erwartete, antwortete der Führer der Rotte mit
Entschlossenheit und Ruhe: „Seit sechs Wochen haben
wir keine Arbeit und kein Brot; die Maschinen sind
daran schuld; wir kommen, sie zu zerstören, wenn Sie
uns daran hindern wollten, so haben wir Helfershelfer
in Mödling, die sogleich Feuer legen werden, und
Tausende stehen uns von einer anderen Seite zu Ge-
— 117 —
böte. Leisten sie uns aber keinen Widerstand, so wird
ausser den Maschinen nichts beschädigt werden."^)
Der Schwärm stürmte hierauf die Fabriken der Firmen
E. Steiner und Rosenberg, zertrümmerte die Maschinen
mit einer Art System, alles in Ruhe und Ordnung,
ohne dass irgend etwas entwendet wurde. Die Bürger-
schaft verhielt sich demgegenüber ruhig und begegnete
der aus Wien herbeigeeilten Nationalgarde sogar feind-
selig. Der Bahnhof der Wien-Gloggnitzer Bahn, wie
auch der Meidlinger Bahnhof waren tagelang von
Plündererrotten umkreist und gefährdet.
Es brauchte lange Zeit, Gewalt und Ueber-
redung, um die Arbeiter wieder ihrer ruhigen Be-
schäftigung zuzuführen. Das galt natürlich nur für
einen Theil, denn ein anderer Theil hatte sich durch
die Zerstörung der Fabriken und Werkstätten selbst
brotlos gemacht. Viele Unternehmer, Gewerbe- und
Handelsleute waren ruinirt und Tausende von sehnigen
Armen zur Unthätigkeit verurtheilt. Das war die erste,
unmittelbar in die Empfindung tretende wirthschaft-
liche Folge der Märztage. Während in der Stadt
Bürgerthum und Universität im Genüsse ihrer ver-
meintlichen Errungenschaften schwelgten, herrschte
in den Vorstädten Bestürzung und Verzweiflung.
Die Regierung aber war rathlos für den Einen
wie für den Anderen. Sie wusste ebenso wenig, was in
politischer Beziehung an die Stelle des Gestürzten
zu setzen wäre, als was für die vom Fabrikanten bis
zum letzten Arbeiter herab tief aufgewühlten Verhält-
nisse des Erwerbes zu thun wäre. Die Abschaffung der
Verzehrungssteuer auf die noth wendigsten Lebensbedürf-
nisse war eine gute, aber doch keineswegs ausreichende
— 118 —
oder auch nur ausgiebige Massregel. Da man nichts
besseres wusste und in dem rottenweisen Herumziehen
der beschäftigungslosen Arbeiter eine imminente
Gefahr erblickte, griff man zu dem alten Aushilfsmittel
der öffentlichen Erdarbeiten, einem geradezu verhäng-
nissvollen Auskunftsmittel, wie wir noch sehen werden.
„Vor der Hand*' konnte man sich indes damit helfen
und Tausende von Arbeitern gegen einen billigen
Lohn bei der Gumpendorferlinie, am Brünnlfeld oder
im Prater bei zwecklosen Erdarbeiten unterbringen.
Es braucht kaum erst hervorgehoben zu werden,
dass auch in der Provinz die Bewegung, die sich wie
ein Waldbrand von Wien aus fortpflanzte — die un-
teren Classen ergriff; in Prag gab es bis spät in den April
hinein Arbeiterrummel, in Graz und Linz Arbeiter-
excesse. Stürme auf die Mauthen und Linienämter, wohl
auch auf Bäcker- und Fleischerläden; die Bewegung
war eine allgemeine, aber sie trat auch überall in
gleich primitiver Form auf und war mehr gegen die
in die Sinne fallenden Symptome, als gegen die Ur-
sachen gekehrt, die man nicht kannte, und über die
man nicht nachdachte.
Besonders aber war es die bäuerliche Bevölkerung,
welche bei den Botschaften, welche aus Wien kamen
und den Anbruch des Freiheitsmorgens verkündeten,
wie aus schweren Träumen erwachte. Wie die Arbeiter
in den Städten, erhofften die Bauern am Lande von
der jungen Freiheit zunächst die Beseitigung des-
jenigen, dessen ungerechten Druck sie sinnlich am
stärksten empfanden. Ohne sich vorläufig gegen das
Unterthansverhältniss selbst zu kehren, aber auch
ohne sich in rechtliche Weiterungen einzulassen, lehnten
— 119 —
die Bauern klipp und klar die Leistung von Robot
und Zehent ab, stellten sie einfach ein. Nicht überall
kam es aus diesen Anlässen, wie im Mürzthal in Ober-
steieif an einigen Orten Krains und Böhmens, sowie
auch an einzelnen Punkten Niederosterreichs zu aus-
gesprochenen Bauer nunruhen; aber die Weigerung der
Bauern, Robot zu leisten und ihre directe Forderung
nach Aufhebung derselben war ganz allgemein.
Die Regierung antwortete auf diese Forderungen
mit einem Hofkanzleidecrete vom 27. März, durch
welches zur Beförderung des Robot- und Zehent-
ablösungsgeschäftes gestattet wurde, „dass die Obrig-
keiten diejenigen Rustical- und Domesticalgrundstücke,
welche sie als Entgelt für die abgelösten Robot- und
Zehentschuldigkeiten von ihren Unterthanen über-
nehmen, wenn sie solche nicht in eigener Benützung
behalten können oder wollen, wieder an Unterthanen
veräussern dürfen, ohne dabei an die Beschränkungen
der Grundzerstückungsvorschriften gebunden zu sein'\
Dieselbe Ausnahme sollte auch den Unterthanen zu
Statten kommen, wenn sie, um sich die zur Robot-
und Zehentablösung nöthigen Geldmittel zu beschaffen,
ihren Rustical- oder (emphyteutischen) Dominicalgrund-
besitz an andere Unterthanen veräussern wollten. In-
dem die Regierung an dem von dem früheren Regime
überkommenen Gedanken der Robot- und Zehent-
ablösung festhielt, kam sie in die wunderliche Lage,
dieses Decret für eine zeitgemässe Massregel zu halten,
obwohl dasselbe als den Preis der Befreiung von einer
unerträglichen Last, die Verschleuderung des Besitzes
festsetzte und offenbar die Bereicherung der Stärksten
auf Kosten der Schwächsten bedeutete. Man kann nicht
— 120 —
oft genug darauf hinweisen, dass nicht die wirthschaft-
liehe Freiheit, sondern gerade das zähe, eigensinnige
Festhalten an den überlebten, mittelalterlichen Formen
der Wirthschaft dem Volke die tiefsten Wunden soialug^
Wunden, welche so brandig waren, dass sie später
allerdings auch die freie und gesunde Luft einer neuen
Epoche nicht mehr gänzlich heilen konnte.
Die österreichische Regierung — und auch die Regie-
rungen des Jahres 1848 verleugneten keinen Augen-
blick die altangestammten Erbübel des alten öster-
reichischen Herrschaftssystems — die österreichische
Regierung der ersten Revolutionsperiode hütete sich,
präjudicirliche Massregeln zu treffen und radicale
Entscheidungen zu fällen; sie befolgte vom ersten Tage
an, wo die Absicht einer gewaltsamen Niederwerfung
der Wiener Revolution gescheitert war, eine dila-
torische Taktik, um im geeigneten und sehnsüchtig
erhofften Momente den Rückzug antreten zu können,
ohne das Odium des Wort- und Treubruches auf sich
nehmen zu müssen. Man liess sich daher schrittweise
die Concessionen abringen und erhielt so die Revolu-
tion in Permanenz.
Es war nur natürlich, dass das oben citirte Decret
niemand für eine Erfüllung des laut geäusserten Wun-
sches nach Aufhebung der harten, auf den Grundbesitz
drückenden Lasten hielt. Die Länder trachteten daher
im eigenen Wirkungskreise weiter zu gehen. Am
11. April machte ein kaiserliches Patent auf Antrag
der niederösterreichischen Stände das Zugeständniss,
dass vom 1. Januar 1849 an Stelle aller auf Grund
und Boden haftenden, aus dem Obereigenthums- und
Zehentrechte entspringenden Natural- und Arbeits-
— 121 —
leistungen eine Geldleistung zu treten habe, welche
durch ein von den niederösterreichischen Ständen . aus-
zuarbeitendes Gresetz bestimmt werden solle. Bis dorthin
sollten, sofern keine freiwilligen Uebereinkommen über
die Ablösung des Naturaldienstes zu Stande kommen,
die Naturalgiebigkeiten bis zum Schlüsse des Jahres
in der bisherigen Art pflichtmässig geleistet werden.
Der steierische Landtag forderte gleichfalls, dass
vom 1. Januar 1849 an alle auf Grund und Bo-
den haftenden, aus dem Obereigenthums- oder Zehent-
rechte entspringenden, sowie die denselben gleich-
gehaltenen wie immer Namen habenden Natural- und
Arbeitsleistungen in eine billige Geldentschädigung um-
gewandelt würden ; diesem Wunsche wurde für Steier-
mark gleichfalls durch ein kaiserliches Patent vom
11. April entsprochen. Am 15. April fand jedoch unweit
Mürzzuschlag eine Bauernversammlung statt, der etwa
600 Grundbesitzer beiwohnten, und in welcher eine
definitive Regelung des grundherrlichen und bäuer-
lichen Verhältnisses peremptorisch gefordert wurde.^)
Auch die Tiroler Stände forderten, da die Robot
im Lande nicht bestand, die Ablösung des Zehents.
Die galizischen Stände waren, wie schon berichtet,
bereits früher besonders eifrig für die Regelung der
landwirthschaftlichen Verhältnisse eingetreten. In der
Adresse der Galizianer, welche am 6. April über-
reicht ward, wurde u. a. ausdrücklich „die Befreiung der
bisherigen Grundholden von den Frohnen und Unter-
thansschuldigkeiten, sowie die Ertheilung des Eigen-
thums der Rusticalgebühren an die bisherigen Grund-
holden im ganzen Lande'' gefordert. Am 17. April
erschien das kaiserliche Patent, welches für Galizien
— 122 —
die Aufhebung aller Roboten und sonstigen Leistungen
vom 15. Mai 1848 angefangen decretirte. Die Grund-
herren wurden zur Entschädigung dafür der aus dem
grundherrlichen Verhältnisse entspringenden und auf
ihnen ruhenden Lasten enthoben, welche Erleichterung
als einem Drittel des Robotverlustes gleichkommend
berechnet wurde ; für die beiden anderen Drittel sollte
die Grundherrschaft mit ihren Entschädigungsansprü-
chen theil weise an den Unterthan, theilweise an den
Staat gewiesen werden. Es gab aber in Galizien zahl-
reiche Grundherren, welche ihren Unterthanen die
Robot ganz schenkten.
In ähnlich friedlichem Sinne suchten die Provinzial-
landtage von Krain, Mähren und anderen Ländern die
Frage im eigenen Wirkungskreise zu lösen; allein, eine
definitive Lösung lag in allen diesen Entscheidungen
nicht und konnte in ihnen nicht liegen, weil die Rege-
lung jedes einheitlichen Gesichtspunktes entbehrte
und weil vor allem die rechtliche Existenz und Macht-
befugniss dieser ständischen Provinzialvertretungs-
körper durch die Revolution vollkommen in Frage
gestellt war und ihre Beschlüsse daher keine bindende
Kraft besassen, später vom constituirenden Reichstage
auch angefochten wurden. Die Schritte, welche zur Rege-
lung der Grundbesitzfrage im März und April gethan
wurden, bildeten bei allem guten Willen, eben weil sie
nicht radical genug waren, eben nur eine Anweisung
der Bauern an die radicalen Parteien. Die Revolution
musste naturgemäss weitergehen und ging weiter.
Auch in Wien und selbstverständlich auch in
anderen Hauptstädten von ähnlicher gesellschaftlicher
Structur gewann unmittelbar nach den Märztagen
— 123 —
neben den scheinbar alles dominirenden politischen
Problemen, auch die sociale Frage greifbarere For-
men, körperliche Umrisse, und zwar war es die
Arbeiterfrage, die sich vorerst in den Vordergrund
schob. Waren schon vor dem Ausbruche der Revo-
lution in Wien viele Arbeiter ohne Beschäftigung, weil
zahlreiche Fabrikanten in Folge der Geschäftsstauung
ihren Betrieb eingestellt oder herabgemindert hatten
so nahm in Folge der Bewegung die Zahl der Arbeits-
losen rapid überhand; waren es doch die Arbeiter
selbst, welche durch die unvernünftige Zerstörung von
Maschinen und Fabriken zahlreiche Unternehmer ge-
zwungen hatten, ihren Betrieb einzustellen. Die Masse
dieser Arbeitslosen wurde durch einen starken Zuzug
aus den gewerblichen Hilfsarbeitern verstärkt, welche
durch den Ruin zahlreicher kleiner Geschäfte erwerbs-
los geworden waren.
Wie die Regierung wenigstens provisorisch für
die Beschäftigung dieser für die Ruhe der Gesellschaft
äusserst gefährlichen Massen sorgte, wurde bereits ge-
sagt. Es wäre schwer, aus vielen Möglichkeiten eine
herauszufinden, welche verbindlicher in principieller,
gefährlicher in praktischer Hinsicht, verderblicher
für die Arbeiter selbst hätte sein können, als es
die nutzlosen und zum Theile auch wirklich zweck-
losen Erdarbeiten im Prater und an der Wien waren.
Man hatte das Wenigste zu gewähren versucht und
man hat das Meiste gegeben, das „Recht auf Arbeit"
garantirt, oder wie sich schon nach wenigen Tagen
zeigte, das mit dem „Rechte auf Arbeit" gleich-
bedeutende „droit ä la paresse". Der Unfug und
Müssiggang, der bei den Erdarbeiten getrieben
— 124 —
wurde, war so auffällig, dass er auch seitens der Zeit-
genossen von keiner Seite ernstlich in Abrede ge-
stellt wurde. Die Verlockung, gegen einen ansehn-
litjhen Taglohn im Prater in Gesellschaft müssig zu
gehen, war natürlich gross und entzog den industriellen
Unternehmungen und Gewerben noch mehr Arbeits-
kräfte, während der Staat und die Stadt zu einem
wirthschaftlich ganz unproductiven Zwecke Unsummen
verausgabte, ohne dass der angestrebte nächste Zweck
auch nur in irgend einem Punkte erreicht wurde.
Die sociale und politische Gefahr, welche man von
Seite der Arbeiter fürchtete, war damit nicht nur nicht
beseitigt, sondern eher gesteigert, wie ja die August-
rummel nachträglich schlagend bewiesen.
Es ist klar, dass diese Vorgänge, die schon im
April ziemlich scharf zu Tage traten, auch auf die in
der Arbeit verbliebenen Arbeiter und auf ihr Ver-
hältniss zu den Unternehmern nicht ohne Einfluss
bleiben konnten. Auch wenn die Nachricht, dass in.
Paris die Arbeitszeit auf zehn Stunden herabgesetzt
worden sei, nicht in die breiten Massen gedrungen,
wäre — die Wiener Zeitungen des Jahres 1848 brachten
wenig thatsächliche Nachrichten und die sociale Be-
wegung in Wien war ganz originärer Art — die blosse
Einsicht von der gesteigerten Bedeutung der Arbeiter-
schaft auf der einen Seite, die Furcht vor weiteren
Ausschreitungen auf der anderen Seite, musste For-
derungen und Concessionen in Bezug auf die Arbeits-
bedingungen zur nothwendigen Folge haben.
Die Wien-Gloggnitzer Eisenbahngesellschaft setzte
die tägliche Arbeitszeit in ihrer Maschinenfabrik und
in ihren Werkstätten unmittelbar nach den Märztagen
— 125 —
„in Anerkennung des ruhmwürdigen Benehmens ihrer
Arbeiter'' auf zehn Stunden herab und die übrigen
Eisenbahndirectionen folgten sofort diesem Beispiele. *)
Die öffentliche Meinung, welche diesen Schritt in der
dankbarsten Weise aufnahm, bildete bald einen hin-
reichenden Druck, um auch zahlreiche Fabriksbesitzer
zu der gleichen Concession zu vermögen. Wo die Fa-
brikanten nicht aus eigenem, freiem Willen und besserer
Einsicht gewährten, traten die Arbeiter fordernd
auf mit Petitionen, die entweder an die Unternehmer
oder an die Regierung gerichtet waren. So machten
Anfangs April die Seidenzeugweber eine Eingabe beim
Ministerium, dass dieses den Fabrikanten im Gesetzes-
wege die Erhöhung und Feststellung des Lohnes und
die Abschaffung gewisser Missbräuche anordne. Ein-
zelne Fabrikanten besserten in der That den Lohn
um 10% auf, die Mehrzahl scheint jedoch hart ge-
blieben zu sein.') Die Kattundrucker und Form Stecher
stellten als Forderungen auf: Einschränkung des Lehr-
lingsunfuges, so zwar, dass immer nur auf fünf Ar-
beiter ein Lehrling komme, und bessere Ausbildung
der Lehrlinge; Herabsetzung der Arbeitszeit auf zehn
Stunden, Bestimmung des Arbeitslohnes nach dem
Ausmasse der geleisteten Arbeit, jedoch so, dass der
wöchentliche Verdienst nicht unter 7 fl. C.-M. beträgt,
Festsetzung eines Verhältnisses zwischen der Zahl der
Maschinen (Perrotinen) und der Handdrucker (es sollte
ebenso viel Waar e durch Handdrucker als auf der Perrotine
erzeugt werden) und endlich Fürsorge für die Kranken
und Invaliden, Errichtung eines Gremiums u. s. w.^)
Es ist ganz selbstverständlich, dass gerade jene
Arbeitergruppe, welche einzig und allein schon im
— 126 —
Vormärz eine Fachorganisation zuwege gebracht
hatte, dass die Buchdrucker gleichfalls mit ganz be-
stimmten und decidirten Forderungen an die Prin-
cipale hervortraten. In einem am 1. April beschlossenen
Promemoria wurde verlangt: Erhöhung des Lohnes
für Setzer, Drucker und Schriftgiesser nach dem Mass-
stabe eines Wochenverdienstes von 7 bis 8 fl. C.-M.,
Beschränkung in der Aufnahme von Lehrlingen, so
dass auf vier Subjecte nur ein Lehrling käme, Ab-
schaffung der weiblichen Arbeiter bei den Maschinen und
bei der Manipulation, Regelung der Maschinenarbeit und
Feststellung eines Verhältnisses zwischen Hand- und
Schnellpressen (3 : 1), zehnstündige Arbeitszeit und
Sonntagsruhe. Die Typographen setzten in dem gleich-
zeitig den Principalen wie dem Ministerium des Innern
vorgelegten Promemoria eine Präclusivf rist fest, binnen
welcher die Forderungen erfüllt sein müssten. Diese
Frist wurde von den Principalen zwar nicht ein-
gehalten, auch hatte es mit der Erfüllung des ganzen
Wunschzettels seine guten Wege, allein, der Annahme
des von den Typographen aufgestellten Preistarifes —
wohl des ersten in Oesterreich — wagte sich die Mehr-
zahl nicht zu widersetzen, und auch in Prag, Brunn
und Pest setzten die Druckergehilfen ähnliche Lohn-
tarife durch. ^)
In den ersten Tagen des April ertrotzten sich die
Arbeiter der Nordbahn und Staatsbahn eine Ver-
minderung der Arbeitszeit ; fast gleichzeitig begehrten
und erhielten auch die Arbeiter der Salm'schen Eisen-
giesserei unter den Weissgärbern Herabsetzung der
Arbeitszeit. Mitte April gährte es abermals unter den
Nordbahnarbeitern, welche durch die Prager Arbeiter
— 127 —
aufgestachelt, die Wahl ihrer Vorgesetzten, Antheil am
Gewinne, Lohnerhöhung u. s. w. begehrten. Man sieht^
die Forderungen schritten aufwärts, und nicht immer
war es auch dem humansten Unternehmer möglich^
die Wünsche seiner Arbeiter zu erfüllen.
Schwieriger vielleicht noch gestalteten sich die
Verhältnisse in den handwerksmässigen Betrieben ;
selbst wenn die Meister die gute Absicht hatten, den
Wünschen der Gesellen Rechnung zu tragen, so war
ihnen das durch die Ungunst der Wirthschaftslage
nichts weniger als leicht gemacht. Allein, die Gesellen
waren nicht minder energisch, Ende März und Anfangs
April hielten sie zunftweise oder auch gemeinsame
Versammlungen in grosser Zahl ab, in welchen die
Postulate und Beschwerden formulirt wurden; mit
fliegenden Fahnen zogen sie vor die Innungshäuser
und drohten wohl auch mit dem Strike, im Falle
ihre Wünsche nicht Erfüllung fänden. Der Tenor der
Forderungen war ähnlich demjenigen der Fabriks-
arbeiter; so verlangten die Maurer beispielsweise
humanere Behandlung durch die Poliere, Aufnahme
zur Arbeit für längere Dauer (nicht mehr wie bisher
von Tag zu Tag) und 14tägige Kündigung, Gleich-
stellung des Taglohnes für sämmtliche Arbeiter, Ver-
kürzung der Arbeitszeit und Erhöhung des Lohnes^
Verwaltung der die Gesellen betreffenden Angelegen-
heiten der Innung durch die Gesellen selbst u. s. w.
Die Schneider verlangten gleichfalls Verrechnung der
Gelder ihrer Innungsfonds durch die Gesellenschaft,
Herabsetzung der Arbeitsdauer, Erhöhung des Lohnes
auf 1 fl. C.-M. pro Tag und Abstellung der gewerbs-
mässigen Verfertigung von Kleidern durch Frauen-
— 128 —
Zimmer. Aehnliche Forderungen stellten die Bauarbeiter,
Tischler, Schmiede- und Bäckergehilfen und andere Hand-
werksarbeiter; die wichtigsten ihrer Wünsche fanden
auch, wenngleich nicht ohne Widerstreben, Erfüllung,
und mit fliegenden Fahnen und Fackelzügen begrüssten
die Gesellen dann in der Regel die Nachgiebigkeit
ihrer Meister und den Sieg ihres solidarischen Vor-
gehensJ") Nicht selten freilich ging auch die Sache
nicht so glatt ab, und dann kam es wohl auch zu Auf-
läufen und stürmischen Scenen, wie bei den Tischlern,
welche im Unmuthe darüber, dass ihre Petition nicht
Gehör fand, von ihrer Herberge in die Vorstädte
zogen und die Gesellen zwangen, sich ihnen anzu-
schliessen und die Petition durchzudrücken, was denn
auch nach einigen gewaltthätigen Auftritten in Breiten-
feld, Alsergrund und Landstrasse in wenigen Tagen
gelang.
Versuchen wir das, was von Seite der Arbeiter-
schaft zu Beginn der Bewegung gefordert wurde, in
allgemeinen Sätzen zusammenzufassen, so erhalten wir
folgendes sociale Programm der Arbeiterbewegung
in den Märztagen:
1. Lohnerhöhung, Festsetzung eines Minimallohnes,
unter Aufrechterhaltung des Accordsystems.
2. Herabminderung der Arbeitszeit auf höchstens
zehn tägliche Arbeitsstunden (eine Maximalarbeitszeit,
die damals in Wien so ziemlich allgemein eingehalten
wurde).
3. Einhaltung einer Kündigungsfrist.
4. Einschränkung des Lehrlingsunwesens und Für-
sorge für die bessere Ausbildung der Lehrlinge.
5. Einschränkung der Frauenarbeit.
— 129 -
6. Feststellung eines Verhältnisses zwischen Hand-
und Maschinenarbeit.
7. Fürsorge für Kranke und Invalide.
8. Autonome Verwaltung der Hilfsfonds durch die
Arbeiterschaft.
9. Humane Behandlung der Arbeiter durch Unter-
nehmer und Vorgesetzte.^^)
Dies waren die Programmpunkte, welche der Ar-
beiterschaft und ihren Freunden in den ersten Wochen
und Monaten der Revolution mehr oder minder klar
vor Augen schwebten. An eine Organisation der
Arbeit oder gar an eine Neuorganisation der Gesell-
schaft dachte eigentlich niemand; was da verlangt
wurde, glaubte man auf dem Boden der Humanität
und Gerechtigkeit 'erreichen zu können. Und in der
That, wie bescheiden, wie altväterlich, wie conservativ,
fast möchte ich sagen, wie reactionär nimmt sich dieser
radicalste Wunschzettel aus dem Jahre 1848 aus, wenn
man ihn neben dem Desiderar einer modernen Ar-
beiterpartei hält? Und gleichwohl bedeutete dieses
Programm zu seiner Zeit eine Revolution der Wirth-
sch^ftsverhältnisse, welche nicht geringer war als die
politische Revolution, die sich eben vollzog, ja mehr
die genaue Durchführung dieses Programmes wäre
gleichbedeutend mit dem Ruin zahlreicher Unternehmer,
gewiss aber mit dem Ruin der meisten kleinen Meister
aus dem Gewerbestande gewesen.
Diese kleinen Meister hatten schon vor dem Ausbruch
der Revolution einen harten Kampf um ihren Bestand
zu kämpfen gehabt, der Sturm des März hatte viele
von ihnen einfach hinweggefegt; eine grosse Zahl
musste, um ihr Gewerbe nur weiter zu betreiben, den
Zenker: Wiener Revolution. ^
- 130 —
Staat oder die Commune um Hilfe anflehen. Man er-
wäge selbst, was es für Viele unter solchen Umständen
bedeutete, wenn die Arbeit obendrein im Preise stieg.
Es war gewiss nicht bloss die Hartherzigkeit, welche
die meisten Meister dazu trieb, sich die Zugeständ-
nisse von den Gesellen erst abtrotzen zu lassen. Am
1 7. April fand im Odeonsaale eine von kleinen Bürgers-
leuten ungeheuer besuchte Volksversammlung statt,
in welcher eine an das Ministerium des Innern zu
richtende Petition beschlossen wurde, welche die
257„ige Herabsetzung des Miethzinses und die Be-
zahlung desselben nicht im vorhinein, sondern erst
nach Ablauf des Quartales forderte. ' Der Magistrat
best-and darauf, dass der Georgi-Miethzins gezahlt
werde wie bisher; „Recht muss Recht bleiben in allen
Lagen der Gesellschaft, damit wir nicht allesammt
untersinken in bodenlosen Abgrund' \ Die Behörde
musste den Widersetzlichen mit gerichtlichen Schritten
drohen, aber sie sprach auch die Erwartung aus, dass
die Hausherren Billigkeit üben werden, insbesondere
gegen ärmere und rücksichtswürdige Miethparteien.
Das geschah auch thatsächlich in vielen Fällen.
Allein, welch düsteres Bild der Verarmung, der
Noth, die weit in die bürgerlichen Kreise hineinreicht,
tritt hier aus dem schimmernden Dunstkreis hervor,
welcher die Märztage umgeben hatte. Es war eitel
Freude, Wonne, Stolz und Zuversicht in den Herzen und
Köpfen nach dem Sturze des alten Regimentes. Das
leichtsinnige Wienerthum reichte der echten Begeiste-
rung die Hand, und in seligem und fröhlichem Ge-
niessen strichen die ersten von den jungen Blüthen
eines frühen Lenzes bekränzten Wochen dahin, die
— 131 —
gedankenlos glücklichen Flitterwochen der Freiheit.
Das konnte aber nicht immer so bleiben. Handel und
Gewerbe stockte, die im Kasten aufbewahrten Spar-
pfennige waren bald verzehrt, vielleicht auch ver-
jubelt, und der Bankerott eines grossen Theiles des
Bürgerthums war eines Tages eine nicht mehr hinweg-
zuleugnende Thatsache. Da fragte man sich dann ge-
legentlich auch wieder, was die bisherigen „Errungen-
schaften" gefruchtet hätten, und bitterer Unmuth zog
wieder in das Herz der politischen Kinder.
Mitten in dieser gährenden Situation erschien die
octroyirte Charte vom 25. April. Das brachte das Rad,
welches einen Augenblick still gestanden, wieder in
Schwung.
Sechstes Capitel.
Die Mairevolution und der Sieg der Demokratie.
Wie wenig radical, wie wenig verhetzt, wenn man
will, in Wirklichkeit, wie wenig revolutionär das Volk
von Wien und Oesterreich war, bewies die Thatsache,
dass sich die öffentliche Meinung nicht sofort gegen
die schwächste Seite der Charte vom 25. April kehrte.
Sie war eine octroyirte Verfassung, und in einem
wirklich revolutionären Volke würde ein Sturm des
Unwillens sie hinweggefegt haben, sie mochte so gut
oder so schlecht sein, als sie nur wollte. In Wien
dachte an dieses wesentliche Moment gar niemand, und
selbst der einzige publicistische Vertreter eines ent-
schiedenen Radicalismus in jenem Zeitpunkte, Leopold
9*
— 132 —
Hafner in seiner „Constitution" sah über dieses Ge-
brechen hinweg und liess sich nur auf eine Kritik
des Inhaltes ein. Ja, in Wien herrschte am Tage der
Verkündigung der Verfassung sogar Jubel, und
die Bedenken stellten sich erst nachher ein. Eine
um so unverzeihlichere Gewissenlosigkeit war es, ein
Volk, das so gutmüthig ist, sich nach einer erfolg-
reichen Revolution, ohne Murren eine Charte octroy-
iren zu lassen, förmlich zu verhöhnen und zu mysti-
ficiren.
Die Aprilverfassung war keine Magna Charta liber-
tatum, und kein modernes Grundgesetz vom Volke
selbst, oder im Einvernehmen mit dem Volke gegeben;
sie bot nicht viel mehr als die Verbriefung dessen,
was die Stände vor dem März vergeblich gefordert
hatten, die ständische Gesellschaftsordnung in einem
längst altmodisch gewordenen parlamentarischen Ge-
wände. Von der Befreiung des Grundes enthielt die
Aprilverfassung kein Wort, und alle die lasterhaften
socialen Verhältnisse, welche durch die Grundunter-
thänigkeit geschaffen wurden, sollten sonach fort-
bestehen. Den bisherigen Provinzialständen wurde durch
die Charte ihre alte Einrichtung und Wirksamkeit aus-
drücklich erhalten. Der Reichstag sollte aus zwei
Häusern, dem Senat und der Abgeordnetenkammer be-
stehen. Ersterer, aus 200 Mitgliedern zusammengesetzt,
von denen 50 durch den Kaiser ernannt, 150 aber von
den „bedeutendsten Grundbesitzern'' aus ihrer Mitte
gewählt werden sollten, wäre recht eigentlich eine
Kammer des Adels, und zwar des Grundadels geworden,
auf deren Zusammensetzung die Besitzer grosser in-
dustrieller Etablissements und die grundbesitzende
— 133 —
städtische Bevölkerung nur wenig, die bäuerliche Be-
völkerung aber gar keinen Einfluss hätte üben können.
Die Abgeordnetenkammer hätte allerdings demgegen-
über einen wenigstens im Vergleiche mit unserem Ab-
geordnetenhause*) noch immer sehr liberalen Cha-
rakter besessen, indem sie wenigstens das famose
Curiensystem nicht kannte; allein, die Verfassung
schwieg sich vollständig darüber aus, wie weit oder
wie eng die Grenzen des activen Wahlrechtes für die
zweite Kammer gesteckt werden sollten und verschob
diese Frage auf eine erst versprochene provisorische
Wahlordnung.
Diese mit Rücksicht auf den Zeitpunkt höchst ver-
unglückte Verfassung, die vor dem März wahrschein-
lich als ein grosser Fortschritt mit dankbaren Händen
entgegengenommen worden wäre, konnte ausser den
Anhängern des ständischen Altliberalismus, den Mit-
gliedern des Grundadels und des wohlhabenden Bürger-
thums eigentlich niemanden befriedigen: die unteren
Schichten der Bevölkerung vom kleinen Bürger an-
gefangen bis zum Arbeiter nicht, weil sie sich in der
Erwartung eines hohen Census vom Wahlrechte schon
ausgeschlossen sahen, die Bauern nicht, weil die Grund-
frage nicht gelöst, sondern auf den ersten Reichstag
verschoben war, den Kleinbürger nicht, weil die „Con-
stitution" nicht, wie er, wenn auch mit Unrecht, er-
wartet hatte, eine Zauberformel zur Erhaltung seiner
bürgerlichen Existenz enthielt. Dazu kam, dass die In-
*) Dass unsere dermalen geltende Verfassung noch um einige
Nuancen reactionärer ist als die April Verfassung vom Jahre 1848,
die ihr vielfach zum Modell diente, bildet keine Rechtfertigung für
die letztere.
— 134 —
telligenz, die Studenten und das gebildete, politisch
aufgerüttelte Bürgerthum, in jedem Zuge der octroy-
irten Verfassung einen Charakter der Reaction er-
kannten; das Zweikammersystem, der Census, das ab-
solute Vetorecht des Monarchen, das alles widersprach
zu grell den durch die Revolution einmal anerkannten
Principien der Freiheit und Rechtsgleichheit.
Die Aufnahme der Charte war also eine unfreund-
liche und die Stimmung gegen sie wurde um so un-
freundlicher, je länger sich das Volk mit ihrem In-
halte beschäftigte. Die provisorische Wahlordnung vom
9. Mai suchte zwar etwas in demokratischere Bahnen
einzulenken, indem sie von einem Wahlcensus absah
und das Wahlrecht für die Abgeordnetenkammer bloss
an die freie Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte
mit Ausschluss des Dienst- und des wöchentlichen oder
täglichen Lohnverhältnisses knüpfte. Damit war aber
die ganze Arbeiterschaft ihrer politischen Rechte mehr
als es durch irgend einen Census hätte geschehen
können, weil principiell und an und für sich beraubt.
Das war einer der unglücklichsten Schachzüge der an
Abderitenstreichen so reichen Regierungspolitik des
Jahres 184 8.
Der Unwille gegen die Aprilverfassung wuchs von
Stunde zu Stunde und wurde in der Presse und auf
der Aula kräftig genährt. Die conservativere Gruppe
der Altliberalen, die im juridisch-politischen Leseverein
ihren Brennpunkt fanden, löste sich von dem Strome
los, und eine radicalere Richtung drängte unter neuen
Devisen vorwärts über die octroyirte Charte hinweg
zu freieren Zielen. Das Programm brauchte nicht
doctrinär entwickelt zu werden, es war gegeben. Man
— 135 —
war gegen das Zweikammersystem, folglich nur eine
Kammer; man war gegen den Census, folglich: all-
gemeines, gleiches Wahlrecht; man war gegen das ab-
solute Vetorecht des Monarchen, folglich : Souveränität
des Reichstages; man hatte endlich gesehen, was bei
einer octroyirten Verfassung herausschaue, folglich:
Einberufung eines constituirenden Reichstages. Die
Regierung selbst hatte die Principien der Demokratie
entwickelt.
Das war auch das politische Programm, unter
welchem sich die Mairevolution vollzog.
Ich muss die äusseren Hergänge der Maitage als
bekannt voraussetzen und gehe hier nur noch einmal
die groben Umrisse nach.
Die Regierung und die der Regierung sich be-
dienenden Factoren hielten die durch die Aprilver-
fassung den besitzenden Classen gemachten Con-
cessionen für hinreichend, dass diese sich mit ihnen
zur Niederwerfung des hauptsächlich auf die Studenten
und Proletarier sich stützenden Radicalismus ver-
bünden würden. Man wollte versuchen, der Heerde der
Bewegung, der akademischen Legion, des Studenten-
comites und des Centralcomit^s der Studenten und
Nationalgarde ledig zu werden und verschmähte es
nicht, zur Erreichung dieses Zieles den bis dorthin
unbekannten Ciassengeist heraufzubeschwören. Allein,
so ganz wollte das Exempel beim erstenmale noch
nicht stimmen. Einige Compagnien der vorwiegend
von reichen Leuten bewohnten Bezirke, besonders
die Stadtgarden gaben sich dazu her, auf die Auf-
lösung des Centralcomites hinzuarbeiten und so für
die Regierung die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
— 136 —
Allein, das ..Gros der Bevölkerung, die Vorstadtgarden,
Studenten und Arbeiter bildeten eine geschlossene
Phalanx für dieses revolutionäre Institut; sie waren
es auch, welche am Nachmittage des 15. Mai die Sturm-
petition in die kaiserliche Burg veranstalteten mit
dem Rufe: Zurücknahme der octroyirten Charte vom
25. April, Einberufung einer constituirenden Ver-
sammlung in einer Kammer auf Grund des allgemeinen
Wahlrechtes ohne Census und kaiserliche Anerkennung
des Fortbestandes des Centralcomites.
Alles wurde bewilligt, die radicale Richtung hatte
gesiegt, der Versuch, die für politischen Fortschritt
kämpfenden Gruppen durch das Classenbewusstsein
zu trennen, war vorläufig misslungen. Zwar gab es
neben dem Adel eine kleine Gruppe von Bürgerlichen,
welchen der aristokratische Zug der Charte besser zu-
gesagt hätte und die in ihrer Ruhe aufgescheucht
durch den trotzigen Schritt der Demokratie die „Er-
rungenschaften' ' des 15. Mai mit nichts weniger als
freundlichen Blicken verfolgten. Allein, sie trauten sich
einstweilen nicht mit der Meinung und Opposition
hervor.
Da trat der Umschwung ein, hervorgerufen durch
die bekannte „Spazierfahrt" des Kaisers nach Inns-
bruck am 17. Mai. In demselben Augenblicke, wo man
in Wien diese Nachricht vernahm, stand in der „Wiener
Zeitung'' zu lesen: „Des Kaisers Abreise wäre die
Flucht Ludwig XVI. und der letzte Tag seines Hier-
seins wäre der erste Tag der Republik! Der Kaiser
kann nicht nur in Wien bleiben, er muss hier bleiben!"
Die „Wiener Zeitung" war damals nicht so sehr Amts-
blatt als das Organ der gemässigten altliberalen Kreise,
— 137 —
der Männer vom Gewerbeverein und juridisch-politi-
schen LesevereinJ) Was sie da, offenbar in Unkennt-
niss der Vorgänge in der Hofburg schrieb, war also
die Anschauung der oberen Bürgerclassen. „Der letzte
Tag seines Hierseins wäre der erste Tag der Re-
publik/' Man kann sich denken, mit welchen Gefühlen
diese Kreise die Nachricht von der thatsächlichen
Plucht des Kaisers aufnahmen. Man hielt die Republik,
welche sich der beschränkte Unterthanenverstand des
Yormärzlers mit allen Schrecknissen der Anarchie, des
Communismus und der Gütervertheilung auszumalen
gelernt hatte, für unmittelbar bevorstehend, und als
in den Vormittagsstunden gar die Nachricht in die
Stadt drang, zwei radicale Journalisten hätten in
Gumpendorf die Arbeiter haranguirt, gegen die Stadt
zu ziehen und eine provisorische Regierung einzusetzen,
da begann der conservative Sinn der Besitzenden, die
kurz vorher noch für Freiheit, Gleichheit und Brüder-
lichkeit brennende Begeisterung zu löschen; eine
entsetzliche Panik trat ein. Mit scheelen Gesichtern
blickte man nach den Urhebern des vermeintlichen
Unglückes, . nach den Studenten und Arbeitern,
unter denen zahlreiche Verhaftungen vorgenommen
wurden. Die gesammte, der Aristokratie, Clerisei und
Spiessbürgerei dienstbare Presse schrie im ungestümen
Chorus: „Weg mit den Errungenschaften des Mai!
Meder mit der Demokratie! Fort mit der einen
Kammer!'' Eines dieser Blätter erklärte seinen Lesern,
die Sturmpetition sei nichts anderes, als wenn sich in
einem Dorfe einige Hundert vereinigten, dem Richter
die Gemeindecasse abzunehmen und das Geld unter
sieh zu vertheilen. Das zog, das wirkte. Das Bürger-
— 138 —
thum, wenigstens das wohlhabende, war bald voll-
ständig verschüchtert, der Verkehr stockte, die Börse
blieb am 18. ganz geschlossen, der Geldmarkt machte
den Eindruck heilloser Verwirrung und Verzagtheit,,
die bedeutendsten Werthpapiere, die ohnedies nicht
besonders günstig gestanden, erlitten einen weiteren
rapiden Sturz, '^) auf die Gassen und Banken entstand
ein Run,^) und die Lage der Nationalbank war so
kritisch, dass die „Donau-Zeitung'' — also das Organ
der Regierung — der Bank den Rath gab, sofort ihre
Zahlungen einzustellen, die - Zeit und den Plan, in
welchen die Zahlungen erfolgen sollten, genau zu be-
stimmen und so einen untrüglichen Nachweis ihrer
Solvenz vor aller Welt zu liefern.
Die Anhänger der Aprilverfassung hatten sich
unter dem Eindrucke der Flucht des Kaisers stark
gemehrt und ihr Muth, ihre Energie war bedeutend
gestiegen. Das Gentralcomite löste sich thatsächlich
auf, und damit schien einer der Hauptherde der demo-
kratischen Revolution erloschen. Nun galt es noch den
Kampf gegen die Universität und die Legion, um die
Wiedereinsetzung der April Verfassung möglich zu
machen. Der Adel und die höhere Bourgeoisie waren
sich vollkommen dessen bewusst, dass dies nicht so
leichten Spieles durchführbar sei; es war daher für
den Fall des Kampfes alles vorbereitet; vorher wurde
das Aufruhrgesetz proclamirt und ein Plakat, welches
die Verkündigung des Standrechtes aussprach, für alle
Fälle gedruckt.
Am 26. Mai wurde die Auflösung der akademi-
schen Legion proclamirt und die Sperrung der Aula
versucht. Wie dieses unverhohlene Hervortreten der
- 139 —
Reaction der privilegirten Stände beantwortet wurde,
ist wohl bekannt. Die Arbeiter stellten sofort in den
Werkstätten die Arbeit ein, um in hellen Schaaren
gegen die Stadt zu ziehen; in den Schriftgiessereien
wurden Kugeln statt Lettern gegossen ; auf den Bahnen
wurden die Schienen aufgerissen, um den Zuzug von
Militär zu verhindern. Vergeblich versuchten es Beamte
und Pfaffen, die Arbeiter durch das Versprechen
grosser Geldsummen zu bewegen, gegen die Studenten
zu kämpfen oder doch wenigstens ihnen nicht zu Hilfe
zu ziehen.^)
Die armen Arbeiter blieben aber fest und
zogen kampfbereit, mit Krampen und Spaten bewaffnet,
in die Stadt nach der Universität. Die Barricaden
wuchsen aus der Erde, zwei Tage und zwei Nächte
glich Wien einem Feldlager; Studenten, Vorstadt-
garden, d. h. die kleinen Bürger und Gewerbetreiben-
den und Proletarier bildeten wieder eine Kette, vor
deren drohendem Anblicke die reactionäre Coalition
der oberen Classen, ohne einen Schuss zu wagen, in
sich zusammenbrach und widerspruchslos die gefor-
derten Garantien gewährte, d. h. die Einsetzung des
„Ausschusses der Bürger, Nationalgarden und der
akademischen Legion zur Wahrung der Volksrechte
und zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit in
Wien und dessen Umgebung" (Sicherheitsausschuss),
die Zurückziehung der Truppen aus Wien, die Bestrei-
tung der Thorwachen gemeinsam durch Militär und
Garden, die Ausfolgung von 36 Kanonen an die
Nationalgarde und als Bürgschaft für die Erfüllung
dieser Forderungen die Stellung von Geiseln (Hye,
Hoyos, CoUoredo und Montecucolli).
— 140 —
Alles wurde bewilligt Die Demokratie hatte einen
vollen, unblutigen Sieg errungen.
Das war die Mairevolution, unstreitig der Höhe-
punkt der Wiener Bewegung des Jahres 1848. Eine
grosse Epoche ward auf den Wiener Barricaden des
Mai geboren, aber der grosse Moment fand ein kleines
Geschlecht. In Wien war thatsächlich die Republik,
aber leider ahnte dies niemand.*^) Der Kaiser hatte
fluchtartig seine Residenz verlassen, das Ministerium
ohne Vertrauen bei Hofe und ohne Vertrauen beim
Volke war einflusslos und sah seine Tage gezählt, der
constituirende Reichsrath war noch nicht einmal ge-
wählt, das Militär, in Folge der Ereignisse in Italien
ohnedies in wenig achtunggebietender Stärke, hatte sich
zurückziehen müssen. Der seit dem 20. Mai erwählte
provisorische Gemeindeausschuss war schon durch den
Umstand, dass er aus dem engherzigsten Census her-
vorgegangen war, ein wenig populärer Machtf actor, und
die zahllosen Reibungen, die zwischen ihm und dem
Sicherheitsausschuss schon in den ersten Zeiten fühlbar
wurden, brachten den Gemeindeausschuss nach den
Gesetzen der Volkslogik bald in den Ruf, die reactio-
närste und volksfeindlichste Institution zu sein, wodurch
er zur Einflusslosigkeit verurtheilt war. Der Sicherheits-
ausschuss dominirte allein über den Trümmern mit
unbeschränkten Vollmachten; in seiner Zusammen-
setzung das treue Abbild des Volkes, das ihn auf den
Barricaden gezeugt, das ihn liebte, mit aller Macht
ausgestattet hatte und wie eine geschlossene Phalanx
umgab, war er die einzige Behörde von factischer
Geltung, ein revolutionäres Tribunal, in dessen Hand
das Schicksal die Lose OesterreitJhs gelegt hatte.
— 141 —
Und was that der Sicherheitsausschuss? Es ist
nicht unsere Aufgabe, hier die politische Seite dieser
Frage zu erwägen; wir müssen uns bloss mit der
socialen Thätigkeit des Ausschusses bekannt machen.
Die Institution war berufen, ein Wohlfahrtsausschuss
im eminentesten Sinne zu sein, und es muss gesagt
werden, dass sich« der Sicherheitsausschuss alle Mühe
gab, dies auch zu sein, und dass es den in ihm ver-
sammelten meist jungen Männern gewiss nicht an
Muth und Ausdauer und redlicher Begeisterung fehlte.
Man weiss nicht, soll es ein Glück oder Unglück ge-
nannt werden, dass den Männern des Sicherheits-
ausschusses hingegen ein klar vorgezeichneter Plan
vollständig fehlte; der Gedanke eines Wohlfahrtsstaates,
auch nur in den verschwommenen Umrissen, wie er
den Männern von 1792 vorschwebte, die Organisation
der Arbeit und des Wirthschaftslebens überhaupt, wie
sie die provisorische Regierung in Frankreich eben
mit geringem Erfolge versucht hatte, solche Ideen
lagen ihnen fern, es ist schwär zu sagen, ob aus Un-
kenntniss oder aus Ueberzeugung.
Das einzige sociale Princip, welches der Sicher-
heitsausschuss aussprach, war der Grundsatz, dass der
Staat verpflichtet sei, allen Arbeitsuchenden eine Arbeit
zu verschaffen oder „falls dies unmöglich wäre, ihnen
den gewöhnlichen Taglohn auch ohne Arbeit zu geben''.
Und in Consequenz dieses Satzes setzte der Ausschuss
eine Art officieller Lohnliste und Arbeitsordnung'*)
für die bei den öffentlichen Arbeiten Beschäftigten
fest. Den Gedanken, der in der staatlichen Anerkennung
eines Rechtes auf Arbeit lag, auszudenken, fiel keinem
ein: und so wird es ganz unmöglich sein, in die reiche
— U2 —
Thätigkeit des Sicherheitsausschusses nachträglich
einen Plan zu bringen. Dieselbe löste sich in unge-
zählte Einzelfälle und Interventionen auf; hier galt es
Arbeitslose zu beschäftigen, dort Streit zu schlichten,
und ein andermal wieder Ruhe und Ordnung aufrecht
zu halten. Keine Nacht verging ohne Arbeiterscandal
und Katzenmusiken, und der Sichei^eitsausschuss war
die oberste Polizeibehörde. Zahllose Klagen und Be-
schwerden liefen ein, mit den Bäckern, Fleischern und
Krämern waren die kleinen Leute sehr unzufrieden,
und diese Unzufriedenheit konnte leicht gefährliche
Formen annehmen. Der Sicherheitsausschuss musste
den Schuldigen strenge zu Gemüthe führen, im Mass
sich nicht zu vergreifen, die Zuwage nicht allzu reich-
lich zu bemessen u. s. w. Er war das allgemeine
Schiedsgericht erster und letzter Instanz.
Der Obmann des Sicherheitsausschusses war der
bekannte Demokrat Dr. Fischhof, ein Mann, der die
allgemeine Achtung und Liebe, die ihn bis ans Grab
begleitete, in reichstem Masse verdiente ; ein säcularer
Geist war er freilich nicht, ja nicht einmal ein führen-
der Geist, und das machte sich am Sicherheitsausschusse
ftxhlbar.
Die Seele dieses Ausschusses war ein Student
Willner, aus Znaim in Mähren stammend, 20 Jahre
alt, Hörer der Rechte und wegen seiner Beliebtheit
und seines Einflusses bei den Arbeitern allgemein der
Arbeiterkönig genannt. „Er besass einen für sein Alter
bewundernswerthen Scharfblick, ein wahrhaft geniales
Organisationstalent, natürliche, ausgezeichnete, zum
Innersten der Seele dringende Volksberedtsamkeit voll
Gefühl und Kraft und das beste, trefflichste Herz. Er
— 143 • —
dachte Tag und Nacht nur an die Befestigung und
Sicherung der Freiheit und an seine Arbeiter, für die
er in jedem Augenblicke sein Leben gelassen hätte.
Er war nicht zu nachsichtig gegen sie, und doch
liebten und ehrten sie diesen Jüngling wie ihren
Vater, denn er war gerecht Oft wenn er die Arbeiter
strenge tadelte und doch bei jedem strafenden Worte
seine Liebe und Theilnahme für sie hervorleuchtete,
da vergossen die Wüthendsten Thränen und ver-
sprachen ernstlichst Ruhe, Ordnung und Fleiss, und
dann konnte er sich selbst nicht mehr halten und
mitten unter ihnen trat ihm das Wasser in die Augen.
Er leitete die Arbeiter wie seine Kinder, und viele
folgten ihm fast unbedingt. Oft donnerte er gegen
sie, aber überall war er auch ihr Schützer und
wärmster Vertheidiger. Dieser zwanzigjährige Willner
war in socialer Beziehung eine der Hauptpersonen der
Wiener Revolution, denn von ihm gingen fast alle
wichtigen Pläne aus, die bezüglich der Arbeiter ins
Leben traten. Nur während des Bestandes des Sicher-
heitsausschusses zeigte er seine hohe Thätigkeit und
geistige Kraft, dann zog er sich wieder wie früher
bescheiden zurück, und man hörte fast nichts mehr
von ihm, denn ihm war es nicht darum zu thun, aus
Eitelkeit oder Egoismus eine Rolle zu spielen, und
sein Herz war fast gebrochen, da er ungeachtet aller
Anstrengung sein Ziel: das Glück, die Freiheit und
die Hebung des Proletariates nicht erreicht hatte.' '
Diese Charakteristik des Studenten Willner aus
der Feder eines der hervorragendsten Radicalen der
Wiener Revolution und Mitglieder des Sicherheits-
ausschusses stammend,') ist sie nicht zugleich eine
— 144 —
Charakteristik des Sicherheitsausschusses selbst? Viel
Begeisterung, viel guter Wille und Entschlossenheit,
wenig praktische Einsicht und keine Klarheit
Schon Ende Mai bildete sich aus je 7 Mitgliedern des
Sicherheits- und des Gemeindeausschusses ein „Arbeiter-
comite", welches sich zum Grundsatze gemacht hatte:
1. Die Beschäftigung und Sorge für den Lebensunter-
halt der arbeitenden Massen ; 2. im Nothf alle Vorschlag
von Bauobjecten und Betreibung ihrer Angrif fnahme ;
3. Ventheilung der Arbeitskräfte im Einverständnisse
mit der bauleitenden Behörde; 4. zweckmässige Ver-
wendung der Arbeiter nach ihrer speciellen Befähi-
gung und 5. Einleitung zeitgemässer Massregeln, um
das Zuströmen der auswärtigen Arbeiter möglichst zu
hemmen.
Von diesen Absichten wurde wenig verwirklicht.
Das Arbeitercomite beabsichtigte auch auf den Arbeits-
plätzen gemeinsame Wohnhäuser und grosse Gemein-
küchen für die Arbeiter zu errichten. Thatsächlich
wurden in der Nähe der Arbeitsplätze Bretterbarraken
als eine Art Massenquartiere errichtet und die Nah-
rungsmittel gemeinsam bestritten, aber so viel uns
bekannt, auf die eigene Initiative der Arbeiter und
nicht auf die des Comites. Das Comite setzte sich auch
mit der Regierung wegen Ueberlassung von Arbeiten
an die Arbeitslosen bei den Bahnbauten am Semme-
ring, bei den Heereslieferungen u. s. w. in Verbindung
Es wurden ihm auch Versprechungen aller Art ge-
macht, aber nicht eingelöst.
Neben dem Sicherheitsausschusse und Gemeinde-
ausschusse spielte das Ministerium der öffentlichen
Arbeiten, seit den Maitagen eingesetzt, eine blosse
~ 145 —
Statistenrolle. Der Hofrath Andreas v. Baumgar tner,
welcher dieses Portefeuille hatte, hat weder vorher
noch nachher einen anderen Eindruck als den eines
durchaus mittelmässigen Kopfes gemacht, den der
Zufall der Carriere an einen Platz setzte, so reich an
Pflichten, Verantwortung und socialen Aufgaben. Nach
Arbeit riefen tausende Kehlen, hier waren die Werk-
stätten verwaist, dort drängten sich Schaaren Müssiger
und Hungernder zu den öffentlichen Arbeiten, aber
nirgends herrschte ein weiser Geist, eine ordnende
Hand. Das Arbeitsministerium begnügte sich zu thun,
was auch der Sicherheitsausschuss und der Gemeinde-
ausschuss that — es schickte die Leute zu den nutz-
losen Erdarbeiten in den Prater, am Tabor und bei
der sogenannten Wienflussregulirung. Kein Wunder,
wenn sich in Folge dieser plan- oder geistlosen Politik
die Zahl der bei den öffentlichen Arbeiten Beschäftigten
erschreckend mehrte. Anfangs Mai betrug die Zahl
derselben 6000 bis 7ü00, Ende Mai bereits über
20.000.5)
Eine solche Erscheinung war natürlich nicht ge-
eignet, irgend einem Theile der producirenden Kreise
aus dem Zustande tiefster Zerrüttung aufzuhelfen. Es
ist eine unbestrittene Thatsache, dass nicht allein die
mangelnde Nachfrage die ganz abnorme Stagnation
in Industrie und Handel in den Sommermonaten des
Jahres 1848 herbeiführte, sondern weit mehr der Mangel
an Arbeitskräften.^) Alles rannte zu den öffentlichen
Bauten und gab sich dort lieber mit 25 kr. zufrieden, statt
bei schwerer Fabriksarbeit 30 oder 40 kr. zu verdienen.
Am härtesten traf dieses schwindende Angebot
von Arbeitskraft natürlich wieder die Handwerks-
Zenker: Wiener Rerolntioa. i^
— 146 —
meister und die kleinsten unter ihnen. Die Gewerbe-
stockung nahm in diesem Kreise erschreckend über-
hand, und es verging fast keine Sitzung des Gemeinde-
ausschusses, in welcher nicht Handwerker um com-
munale Beiträge zur Weiterführung ihrer Gewerbe
angesucht hätten. Anfangs Mai gab der Kaiser
100.000 fl. zur Auslösung der Pfänder in den Wiener
Versatzämtern her; unter dem Kleinbürgerthum riss
eine furchtbare Verarmung ein. Dazu stiegen die Brot-
und Fleischpreise, man schrie über Gewichts Ver-
kürzung durch die Bäcker, über Missachtung der
Zuwagsvorschriften bei den Fleischhauern, man sprach
davon, dass sich Bäcker und Fleischer auf Kosten
der armen Consumenten bereichern wollten ; wenn aber
nicht alles trügt, befanden sich die Fleischer selbst in
der bedrängtesten Lage, war unter ihnen selbst die
Massenverarmung eingerissen.^^) Der Gemeindeausschuss
ward mit Petitionen überschüttet, die Brot- und Fleisch-
satzung aufzuheben, allein er wagte es nicht, daran zu
rühren und vielleicht noch ein Gewerbe in den Abgrund
zu stossen.
Die Verhandlungen des Gemeindeausschusses be-
weisen, dass in dieser Körperschaft genug Leute die
richtige Ahnung hatten, dass der Brennpunkt der
socialen Frage in der vor ihren Augen sich abspielen-
den Proletarisirung des Handwerkerstandes liege;
diesen Leuten fehlte es auch nicht an der Einsicht
in die Mittel, welche diesen Process verhindern konnten,
allein, es gebrach ihnen am Muthe, ihre Ansicht gleich
unerschrocken den reactionären Wünschen des einen,
den radicalsten Anschauungen des anderen Theiles der
Handwerkerschaft entgegenzusetzen.
- 147 -
Der alte Kampf der franciscinischen Epoche
zwischen Zünftlerthum und Gewerbefreiheit, der unter
der Asche immer fortgeglommen, schlug wieder zu
hellen Flammen empor. Es ist einer der grössten In'-
thümer, in dem sich die Chronisten des Jahres 1848
allesammt befinden, anzunehmen, dass die Forde-
rung nach Aufhebung des Zunftwesens und Frei-
gebung der Gewerbe eine so populäre und allgemeine
gewesen sei, dass sie gar keinen Widerspruch ge-
funden hätte. Es wäre ganz unnatürlich gewesen, wenn
dieselben Leute, welche noch in der Mitte der Dreissiger-
jahre alle Hebel in Bewegung gesetzt hatten, um
eine neue, vollkommene Sperre des Gewerbes beim
Kaiser zu erwirken, nun auf einmal für Aufhebung
der Zünfte und für unbedingte Gewerbefreiheit
geschwärmt hätten. Es war auch gar nicht zu er-
warten, dass die Besitzer zünftiger Gewerbe für die
Freigebung des Gewerbes sich begeistern sollten. Der
Besitz eines solchen Gewerbes war ja ein Vermögen,
welches der Frau oder den Kindern vererbt, welches
verkauft oder belehnt werden konnte, und die Frei-
gebung des Gewerbes kam daher factisch einer Ent-
eignung des einen Theiles der Gewerbetreibenden
selbst gleich. Der Ruf nach Gewerbefreiheit kam von
dieser Seite niemals. Dieser Ruf ging ausschliesslich
von den höheren Classen der Gesellschaft, welche
der liberalen Doctrin huldigten, von den Industriellen,
der Intelligenz und von den durch die Zunft be-
hinderten und tyrannisirten Arbeitern, vor allem aber
von den ausser der Innung stehenden Gewerbetreiben-
den aus. Die Gegner der Zünftelei bildeten zwar die
erdrückende Majorität, aber die Gegner der Gewerbe-
10*
— 148 —
freiheit waren die eigentlichen autochthonen Vertreter
des Gewerbes selbst, das „grundgesessene Wiener thum"
wie man zu sagen pflegt, und das ist im Auge zu be-
halten für das Verständniss der politischen Vorgänge
des August und des October. Das zünftige Bürgerthum
bog in dem Augenblicke, wo die liberale Doctrin in
Gewerbefragen unüberwindlich schien, vom revolu-
tionären Wege ab, und schloss sich dem Strome der
durch die Ereignisse des März und Mai Enttäuschten
an. Dieser Zuwachs war aber für die Gegenrevolution
um so gewichtiger, als er mit dem Zuwachs eines
grossen Theiles der Nationalgarde identisch war.
Der Gemeindeausschuss wagte, wie gesagt, nicht in
dieser heiklen Frage offen Farbe zubekennenund wälzte
die Last auf den künftigen Reichstag ab. Er beschloss
am 27. Juni^') zunächst eine Art Enquete über die Frage
der Reorganisation der Zünfte und Innungen zu veran-
stalten, bei welcher den Innungen, Gremien, sowie den
gewerblichen Arbeitern Gelegenheit geboten werden
sollte, ihre Ansichten und Wünsche auszusprechen;
die allenfalls wünschenswerthen Abänderungen der
Gewerbegesetzgebung sollten dann in einem Gesammt-
elaborate dem Reichstage unterbreitet werden. Der
Gemeindeausschuss hatte jedoch das Pech, den reactio-
nären Elementen ebenso wenig Vertrauen einzuflössen,
wie den radicalen. Die Zünftler scherten sich nicht
um den Gemeindeausschuss und vereinigten ihre
Petitionen bei einem eigens ins Leben gerufenen
„Central-Gremiums- und Innungscomite*' in Wien, '^)
welches dem Reichstage eine gegen die Freigebung
der Gewerbe gerichtete, die gänzliche Abschaffung
des Hausirhandels und Aufhebung der bisher frei-
— 149 —
gegebenen Beschäftigungen fordernde Generalpetition
überreichte. Fast gleichzeitig liefen an den kaum noch
constituirten Reichstag ähnliche, auf die Erhaltung des
Innungswesens, die Beschränkung des Zwischenhandels
u. dgl. abzielende Massenpetitionen aus Salzburg, ^^)
Oberösterreich ^*) und aus Brunn ^•'') ein, wo am
26., 27. und 28. Juli ein von Gewerbetreibenden
Mährens, Schlesiens, Böhmens und Galiziens beschickter
Gewerbetag sich versanunelt hatte. Es ist gewiss kein
Zufall, dass diese zünftlerische Bewegung zur selben
Zeit (15. Juli bis 15. August) auch ausserhalb Oester-
reichs auf dem in Frankfurt a. M. tagenden und aus
ganz Deutschland beschickten „Congress deutscher
Handwerker" zum kräftigen Durchbruch kam. An die
Nationalversanmilung wurde eine Adresse gerichtet,
welche von reactionären Forderungen strotzte: Ein-
schränkung der Concurrenz im Inneren durch unbe-
dingtes Verbot des Hausirhandels mit Handwerks-
erzeugnissen und durch ausschliessliche Berechti-
gung des Handwerkerstandes zum Handel mit seinen
Erzeugnissen; Einschränkung der Concurrenz nach
aussen durch Auflage hoher Einfuhrzölle auf aus-
ländische Gewerbeerzeugnisse, Ausfuhrzölle auf Roh-
producte, die in Deutschland selbst benöthigt werden,
Ausfuhrprämien für Handwerksartikel, Beschränkung
der Zahl der Fabriken u. s. w.
Das Frankfurter Parlament that mit der Adresse
des Handwerkercongresses dasselbe, was der consti-
tutionirende Reichstag in Wien mit den an ihn ge-
richteten G^werbepetitionen that; sie wurden ad acta
gelegt. Aber damit war die Frage nicht aus der Welt
geschafft, und Klarsichtigeren konnte es nicht ent-
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• • • •* - " w
— 150 —
gehen, dass durch diese Frage sich ein neuer Herd
der Reaction in den Reihen der Bürger gebildet habe.
Wohl fehlte es auch nicht an positiven Bestrebungen,
die Gewerbefrage im fortschrittlichen Sinne, auf dem
Wege freier Association oder durch eine eingreifende
Reformarbeit zu lösen, allein die Versuche waren ver-
einzelt und misslangen zum grössten Theile, trugen
wohl auch schon bei der Geburt den Keim des Miss-
lingens in sich. Von diesen Versuchen einer socialen
Reform des Gewerbestandes verdient einer ganz be-
sonderer Erwähnung, nicht nur wegen der Person,
von welcher der Plan ausging, und welche im Sep-
tember fast die Veranlassung zu einem blutigen Eclat
geworden wäre, auch wegen der Idee selbst, welche
diesem Projecte zu Grunde lag.
Gegen Ende April erschien im Centralcomite ein
kleines, blasses, buckliges Männlein von ungefähr
50 Jahren; er nannte sich August Swoboda und soll
ein zugrunde gegangener Uhrmacher gewesen sein. Er
entwickelte vor dem Präsidenten des Centralcomites
einen Plan, durch dessen Verwirklichung er der all-
gemein einreissenden Verarmung der kleinen Fabri-
kanten und Handwerksmeister einen Damm setzen
wollte. Swoboda erklärte, dass es zu spät sei, den
Arbeitslosen ein Almosen zu geben; es sollte vielmehr
die Arbeitslosigkeit so viel als möglich verhindert
werden, indem den Arbeitgebern die Möglichkeit
verschafft würde, ihren Geschäftsbetrieb aufrecht zu er-
halten. Er wolle daher eine Leihanstalt errichten,
welche kleinen Fabrikanten und Meistern bloss auf
Bürgschaft ihres Fleisses hin eine bestimmte, in Raten
rückzahlbare Summe auf eine gewisse Zeit vorstrecken
sollte, und zwar ohne Zinsen, gegen blosse Entrichtung
einer Schreibegebühr, durch welche die Regieauslagen
gedeckt werden sollten. Zu diesem Zwecke sollte die
Leih anst alt so viele Anweisungen auf einen bestimmten
Einheitsbetrag (50 oder loo fl. C.-M.) anfertigen, als
Häuser in Wien sind, jede von diesen Anweisungen
von je einem Hausbesitzer als Biirgen unterfertigen
und den Betrag auf dessen Haus intabuliren lassen.
Die Staatsverwaltung oder Regierung sollte einerseits
die Hausbesitzer dazu verhalten, dass sie die Bürgschaft
für je eine solche Anweisung übernehmen, andererseits
durch ein Gesetz diese Bons als ein vom Staate aner-
kanntes Tauschmittel gleich dem Gelde erklären,
welches an Zahlungstatt anzunehmen jeder Staats-
bürger verpflichtet sein sollte.'^)
Swoboda, der mit seinen fünfzig Jahren dennoch ein
echter Feuerkopf gewesen sein mag, war überzeugt
dass aus dieser Operation für die Gewerbetreibenden,
unendlicher Segen und für die Hausbesitzer keine Ge-
fahr entspringen werde, da jeder, der ein Darlehen
erhalte, es sicher und ehrlich zurückzahlen werde.
Daran dürfe man umsoweniger zweifeln, als der
Fleiss des Schuldners bei Aufnahme einer Anweisung
durch Bürgen nachgewiesen sein müsse, und da durch
die interesselose Unterstützung das Geschäft des Be-
treffenden imfehlbar aufblühen müsse. Man dürfe nicht
auf das hinweisen, was früher einmal war; früher
hätten sich die Leute durch Schulden nur um so tiefer
ins Elend gebracht, weil sie Zinsen dafür zahlen
mussten. Ohne Zins ständen sie mit den reichen Unter-
nehmern auf gleicher Stufe und würden ebenso wenig
wie diese zugrunde gehen. Sollte übrigens dennoch
— 152 —
der ihm ganz unmöglich scheinende Fall eintreten, dass
entliehene Gelder nicht zurückgezahlt würden, so meinte
Swoboda, wären die Armeninstitute — welche durch
das Leihinstitut ausserordentlich viel ersparen würden
— berufen, den gewiss nur unbedeutenden Ausfall der
Leihanstalt zu decken. Die Intervention des Staates,
die Bürgschaft der Hausbesitzer, die grundbücherliche
EiAverleibung und endlich der Zwangscours der Bons
sei nur deshalb nöthig, um der Anstalt und den von
ihr emittirten Papieren allgemeinen Credit zu geben,
und sie so zu grossen, wohlthätigen Actionen zu be-
fähigen.
Die Galerien klatschten dem Vortrage Swoboda's
stürmischen Beifall, das Centralcomite wies ihn aber
mit seinem Projecte an den Magistrat; dieser wies
Swoboda gleichfalls ab und verwarf seinen Plan als
unpraktisch.
Wir glauben, der Magistrat habe daran sehr wohl
gethan, allein damit ist der kleine, blasse, bucklige
Swoboda für die Geschichte doch noch nicht abgethan.
Die Aehnlichkeit der Swoboda'schen Leihanstalt mit
der Proudhon' sehen Volksbank (Banque du Peuple)
springt grell in die Augen. Die Anweisungen Swo-
boda's wären trotz der Intervention des Staates und
des Leihinstitutes nichts anderes gewesen, als die
Arbeitsbons der Proudhon' sehen Bank, ein directer
Austausch von Product gegen Product. Wie bei Prou-
dhon, war es auch hier nicht auf eine blosse Credit-
gelegenheit abgesehen, sondern direct darauf, dem
Capital seine Rentenfähigkeit zu nehmen und es da-
durch aus der individuellen Occupation zu reissen und
zu einem Allen frei zugänglichen Collectivgut der Ge-
» ,1. * »
; V : -J • • : •
— 153 —
Seilschaft zu machen. Man vergesse nicht den Zeit-
punkt, in welchem Swoboda mit seinem Plane hervor-
trat. Es war die Zeit der grossen Versammlung, welche
den Nachlass des Hauszinses forderte, die Zeit, in
welcher man die Entrichtung eines Miethzinses nicht
nur praktisch verweigerte, sondern auch theoretisch,
als etwas nicht zu Recht bestehendes, als eine Aus-
beutung des Volkes durch die reichen Hausbesitzer
hinstellte. Swoboda hat von dieser Stimmung zu pro-
fitiren gesucht und die Durchführung seiner Leih-
anstalt an das Giro der Hausherren geknüpft; aber das
war nicht wesentlich, im Grunde wäre die Durch-
führung seines Projectes mit der Vernichtung der
Rente und des Zinses überhaupt gleichbedeutend ge-
wesen, und das ist es, was vor allem an Proudhon er-
innerte.
Woher aber hatte Swoboda die Anregung zu seiner
Idee geschöpft? Aus den Schriften Proudhon's? Möglich!
An eine directe Entlehnung von Proudhon ist jedoch schon
deshalb nicht zu denken, weil dieser seinen Versuch
einer Banque du Peuple erst volle zehn Monate später,
im Februar 1849 machte; selbst die Agitationsschriften,
welche Proudhon seinem Unternehmen voranschickte,
fallen in eine spätere Zeit als die ist, in welcher Swo-
boda mit seinem ersten Projecte hervortrat, und es
ist ausserdem mehr als fraglich, ob diese Schriften
und Artikel, welche zumeist im „R^presentant du
Peuple" erschienen, jemals in Wien gelesen wurden.
Es ist also sicher, dass Swoboda, wenn er schon
im Allgemeinen mit den Gedanken Proudhon' s ver-
traut war, diese doch aus den ihn umgebenden Ver-
hältnissen heraus in ganz unabhängiger, selbständiger
— 154 —
Weise entwickelte, so dass wir zuletzt den grossen
Meister auf einer Bahn sehen, die sein gelehriger
Schüler schon zehn Monate früher in Wien betreten
hatte. Und wer war dieser merkwürdige Mann, der
auf dem Pflaster von Paris vermuthlich ein führender
Geist der Revolution, eine Berühmtheit ersten Ranges
geworden wäre? Die Geschichte kennt ihn nicht, die
geschwätzigen Chronisten des Jahres 1848 wissen von
ihm nicht mehr als den Namen, und es wird wohl nie
mehr mit voller Sicherheit zu eruiren sein, welches
seine Vergangenheit war. Im Herbste tauchte er mit
einem neuen socialpolitischen Projecte auf und wurde
der mittelbare Anlass zu den Septemberunruhen, dann
verschwand er vollständig von der Bildfläche.
Auch auf dem Wege der societären Wirthschaft
strebte ein Theil der Handwerker sich selbst vor dem
Ruine zu bewahren. Die Tischler hatten unter der
Führung Franz Schneider's eine Association gegründet
und in der Bäckerstrasse eine grosse Vereinsniederlage
eröffnet, in welcher 27ü Tischler ihre Waaren ausstellten.
Dürftigeren Mitgliedern wurden die Rohstoffe an-
gekauft. Die Mittel von 3000 fl. zur Gründung dieser
Niederlage streckte ein Menschenfreund, ein Herr
Leistler, dem Schneider zinsenfrei vor; die Verkaufs-
halle hat in den ersten Jahren einen Geschäftsumsatz
von 170.000 bis 200.000 fl. gehabt; sie hat also glän-
zend florirt, die Wirren der Windischgrätz' sehen Re-
volution sogar überdauert und hat zahlreichen Ge-
werbetreibenden über eine schwere Zeit hinausgeholfen. ^')
Es war dies die erste Erwerbs- und Wirthschafts-
genossenschaft Oesterreichs und eine der ältesten Roh-
stoff- und Verkaufsgenossenschaf ten in deutschen Landen
— 156 --
Überhaupt. Ob ihr Beispiel und ihr Erfolg in Wien selbst
während des Jahres 1848 Nachahmung weckte, ist uns
leider unbekannt.
Neben der Gewerbefrage und mehr noch als diese
stand die Arbeiterfrage, oder richtiger gesagt, die Frage
des Massenproletariates im Vordergrunde des öffent-
lichen Interesses. Die Zustände, welche allmählich, be-
sonders aber angesichts des Sieges des Proletariates
unter den Arbeitern bei den öffentlichen Erdarbeiten
einrissen, zeigten, wie die staatliche Fürsorge, welche
die anerkannten Grenzen der Armenpflege überschreitet,
unbedingt das Gegentheil dessen, was sie erreichen
will, herbeiführt. Den Satz, dass aus der Anerkennung
des Rechtes auf Arbeit, mit eherner Consequenz die
des Rechtes auf Faulheit folge, demonstrirten die
Wiener Erdarbeiter ohne Philosophie und Socialwissen-
schaft auf praktischem Wege schon vierzig Jahre vor
Xiafargue. Es ist eine vollkommen unbestrittene und
auch von den eifrigsten Freunden der Arbeiter nicht
geleugnete Thatsache, dass bei den öffentlichen Ar-
beiten die ärgste Demoralisation einriss. Die zweck-
lose Arbeit war an und für sich nicht geeignet, den
Eifer anzuspornen, die Controle, meist von jungen
Technikern ausgeübt, war natürlich eine äusserst laxe,
und, wie die Dinge standen, hätten sich die ans Nichtsthun
gewöhnten Arbeiter auch um die strengste Controle
nicht gekümmert. Die Arbeitsstätten wurden eigent-
lich Stätten des Nichtsthuns und der Ausgelassenheit.
Das „freie Leben'', welches da geführt wurde, reizte
— wie schon mehrfach erwähnt — die Leute, massen-
haft ihre gewerbliche oder Fabriksarbeit zu verlassen
und zu den öffentlichen Arbeiten zu gehen, um hier
— 156 —
nichts zu machen. „Diese aus ihren Diensten Ent-
laufenen waren eingefleischte Nichtsthuer. Sie brachten
die furchtbarste Unordnung hervor, denn nicht nur,
dass sie gar nichts, absolut nichts arbeiteten, wobei
sie erklärten, dass sie sich ihre Hände nicht verderben
könnten, da sie sonst in der Zukunft für ihr Gewerbe
für immer untauglich würden, so erwachte in ihnen
auch bald wieder die Sehnsucht nach ihrem früheren
grossen Lohn, und sie murrten über die ganze gesell-
schaftliche Einrichtung und verbreiteten überall Miss-
vergnügen, ja sie neckten, ja sie drohten sogar jenen
mit Prügeln, welche arbeiten wollten. Wenn man zur
Zeit des Einflusses dieser Leute auf die Arbeitsplätze
im Prater oder beim Bründlfeld in der Währingergasse
kam, so entsetzte man sich wirklich über den Anblick,
der sich darbot. Fast alles stand in Gruppen und ver-
trieb sich die Zeit mit Gesprächen. Hin und wieder
sassen welche in guten Kleidern mit einem Buche in
der Hand, und wehe dem Aufseher, der sie zur Arbeit
hätte anhalten wollen. In den benachbarten SchenkenL
waren stets eine Menge, welche tranken und Karten
spielten. Den Arbeitern selbst wurde endlich dieser
Zustand unerträglich, denn das Herumstehen durch
die ganze Woche war ihnen zu langweilig und viele
fragten, warum man sie nicht lieber gehen Hesse und
ihnen bloss täglich die 25 kr. gebe, da ohnehin nichts
gearbeitet werden könne, indem sie die Anderen nicht
arbeiten Hessen." Dies eine Schilderung der Zustände
aus der Feder des erzradicalen Violand. ^®)
Nach und nach fasste das Proletariat die öffent-
lichen Arbeiten gar nicht anders mehr auf denn als
einen Prätext auf Kosten des Staates, oder besser ge-
— 157 —
sagt der Commune Wien — denn sie trug die Kosten
der öffentlichen Arbeiten — zu leben. Ja, man kam
sogar auf den Einfall, ein gutes Geschäft zu machen,
indem sich zahlreiche Personen an verschiedenen
Orten zugleich zur „Arbeit'' eintragen Hessen und
mehrfachen Taglohn bezogen. War eine solche mo-
ralische Verkonminiss und Verlotterung der arbeitenden
Classen schon an und für sich zu beklagen, so bildeten
diese herumlungernden und herumstreifenden, ewig
über die politischen Verhältnisse raisonnirenden Trupps
von Müssiggängern auch eine ernste Gefahr für die
Ruhe und Ordnung der Stadt; und in der That rissen
lie zeitgemässen Katzenmusiken nicht ab ; schon Anfangs
Funi kamen ernstliche Ruhestörungen häufig vor, und
Plünderungen bei Bäckern, Fleischhauern und anderen
Lebensmittelhändlern kamen auf die Tagesordnung.^'-^)
Diese Gefahr wurde noch erhöht durch den massen-
haften Zuzug fremder Arbeiter aus der Provinz, welche
gekötert durch den im Vergleiche mit ihren Löhnen
verlockenden Lohn von 25 kr., zu Tausenden nach
Wien kamen und hier das stärkste Ferment unter den
Arbeitermassen bildeten.
Der Gemeindeausschuss, welcher die Wirkungen
dieser Zustände auf die städtischen Finanzen am
schwersten empfand, erklärte daher schon am 30. Mai,
dass die Gemeinde nur für die heimischen Arbeiter,
aber nicht auch für die fremden zu sorgen verpflichtet
sei und genehmigte einen Antrag, welcher auf die
Ausweisung aller fremden Arbeiter abzielte. Rück-
wirkende Kraft auf die bereits zugewanderten und
aufgenommenen Arbeiter sollte dieser Beschluss nicht
haben, indes suchte man auch diese Elemente durch
— 158 --
die Gewährung eines ansehnlichen Reisegeldes zur
Rückreise in ihre Heimat zu bewegen.
Diese Verfügungen des Gemeindeausschusses hatten
aber ebenso wenig Wirkung, wie eine Massregel des
Sicherheitsausschusses, durch welche derjenige, der
seinen Arbeitsherrn ohne zulänglichen Grund verlies?,
um sich bei den Erdarbeiten zu melden, mit einer
Strafe bedroht wurde. Der Sicherheitsausschuss ver-
schloss sich überhaupt dem Ernste der durch die
Uebermassen müssiggehender Arbeiter geschaffenen
Lage keineswegs, aber er war zu schwach, um ernst-
liche Mittel zur Abhilfe zu finden. Gleich dem Ge-
meindeausschusse hatte auch er von allem Anbeginne
die Meinung vertreten, entweder müssten für die
fremden Arbeiter die Provinzen aufkommen, oder die-
selben müssten Wien verlassen. Die Dominien wurden
angewiesen, Arbeitern, welche nach Wien zu ziehen
beabsichtigten, die Pässe zu verweigern. Der Sicher-
heitsausschuss hatte auch wiederholt beschlossen, sich
an die Handwerker und Fabrikanten in den Städten
und an die Landwirthe zu wenden und sie aufzufor-
dern, wenn sie Arbeiter brauchten, an das Arbeiter-
comite heranzutreten; Personen, die sich weigerten,
eine solche industrielle oder landwirthschaf tliche Arbeit
anzunehmen, sollten von den Erdarbeiten ausgeschlossen
werden und keine Unterstützung erhalten. Die Durch-
führung dieser wohlgemeinten Massregeln war aber
zum Theile schon durch den ganzen Apparat aus-
geschlossen, und auf der anderen Seite hatte der Aus-
schuss nicht Macht und Muth genug, um diese Aus-
führung missliebiger Massregeln unter den Arbeitern
wirklich durchzusetzen. Er war wohl der Dictator der
— 159 —
Arbeiter, aber seine Herrschaft über diese Classen er-
innerte sehr an das alte Scherzwort: „Ich habe Einen
gefangen, aber er lässt mich nicht los!'' Der Sicher-
heitsausschuss war der Niederschlag des Sieges der
radicalen Partei, und die Armee dieser Partei, welche
die Schlachten des Mai geschlagen, waren die Arbeiter.
Auf die Zusammenhaltung dieser Armee mussten die
Radicalen eifersüchtig achten, und als die Regierung
für den italienischen Krieg die Werbetrommel rührte
und neben den Aufnahmebuden am Glacis, wo man
sich zu den Arbeiten meldete, auch eine Werbebude
für Italien aufschlagen liess, da bemühte sich consequen-
terweise eben derselbe Sicherheitsausschuss, der den
Zuzug fremder Arbeiter zu verhindern suchte, nun-
mehr mit allen Kräften der Ueberredung die Arbeiter
davon abzuhalten, dass sie sich auf den italienischen
Kriegsschauplatz verlocken, als „Kanonenfutter" miss-
brauchen lassen. Damit begab sich selbstverständlich
der Ausschuss seiner Unabhängigkeit.
Es liegt sehr nahe, dass es an Ideei> zur Ver-
besserung des Loses dieses Lumpenproletariates, das
sich da auf den Glacien und Strassen herumtrieb, nicht
fehlte. Vernünftige neben aberwitzigen und tollen Ein-
fällen tauchten in der Presse und in Flugblättern auf.
Der Gedanke, die Arbeiterfrage durch Gewinnst-
betheiligung zu lösen, findet sich in der Wiener ra-
dicalen Presse des Jahres 1848 wiederholt. Versuche
scheinen damit keine gemacht worden zu sein. Ein
Steckenpferd der Wiener „Socialreformer" des Jahres
1848 waren die sogenannten „Gemeinöfen'', eine Art
Verpflegs- und Verköstigungsgenossenschaft, welche in
Schottland von den Besitzern der Factoreien zu Gunsten
— 160 —
ihrer Arbeiter verwirklicht worden waren, eine Ein-
richtung, die sich vielleicht aber auch die Gemein-
kücheh der Prager Juden zum Muster genommen haben
dürfte. Mehrere Arbeiterfamilien sollten einen Verein
bilden, um die Nahrungsmittel zu en gros-Preisen zu
kaufen und gemeinsam zu verkochen. Bei den Erd-
arbeiten waren diese „Gemeinöfen'' thatsächlich ein-
gerichtet und bewährten sich. Ob auch in Fabriken
etwas Aehnliches zu Stande kam, ist uns unbekannt.
Auch die Idee der Productivgenossenschaft wurde
zur wirthschaftlichen Hebung der Erdarbeiter vor-
geschlagen. Ein gewisser Wild empfahl die Gründung
eines Institutes, bestehend aus einer Anzahl von Erd- und
Bauarbeitern, einigen technisch und mercantil gebildeten
Personen, welches durch ein bedeutendes Anlagecapital
in den Stand gesetzt werden sollte, als Bauunternehmer
aufzutreten. Die aufgeführten Bauten sollten „Institutö-
schatz" bleiben und die einlaufenden Zinsen verwendet
werden, um die Mitglieder des Institutes zu erhalten
und mit ^Wohnung und Kost zu versorgen, um neue
zinstragende Bauobjecte in Angriff zu nehmen und
neue Mitglieder in das Institut aufnehmen zu
können.
Neben solchen allenfalls discutablen Vorschlägen
kamen auch die absonderlichsten heraus. Es war ein
Mitglied des Sicherheitsausschusses, welches auf die
Idee verfiel, die arbeitslosen Fabriksarbeiter in ihrem
Fache zu beschäftigen und den hierdurch entstandenen
Waarenvorrath durch eine Lotterie im Auslande ab-
zusetzen. Der Gemeindeausschuss, welcher natürlich die
Kosten dieses Experimentes zu tragen gehabt hätte,
lehnte den Vorschlag als undurchführbar ab.
- 161 —
Ein Beamter, Namens Abi, machte den Vorschlag,
Armencolonien, nach dem Beispiele der holländischen
zu Drenthe, Friesland, Overyssel u. a. zu gründen. Der
»
Staat solle das bisher noch nicht rationell bewirthete,
aber bebaubare Land mittelst öliger Hypothekarnoten
ankaufen und Arbeitslosen als Colonisten übergeben.
Dieselben hätten binnen zehn Jahren, während welcher
sie steuerfrei wären, das Capital sammt einer r)%igen
Verzinsung zurückzuzahlen.
Der Setzer Hillisch, einer der wenigen Arbeiter,
welche im Jahre 1848 eine führende Rolle spielten,
empfahl dringend die Errichtung eines „communalen
Pensionates für Arbeiterinnen*', ein sehr an das
Phalanstere erinnerndes Institut, obwohl Hillisch kaum
mit den Ansichten Fourier's vertraut gewesen sein
dürfte.
Es zeigen aber all die genannten Vorschläge einen
mehr oder weniger socialistischen oder collectivistischen
Grundgedanken, ein Gedanke, der sicherlich kein Im-
port war, sondern aus den socialen Verhältnissen von
selbst natürlich emporgesprossen war. Es waren die-
selben Erscheinungen wie die des französischen
Socialismus, aber in einem viel früheren Entwicke-
lungsstadium. Dass die socialistischen Keime in Oester-
reich nicht zu der unheimlichen Höhe des französiscYien
Socialismus gediehen, war vorzüglich zwei Umständen
zu danken.
Fürs Erste absorbirte das politische Interesse^ die
Schaffung des Rechtsstaates die führenden Geister der
Revolution derartig, dass sie an die Einrichtixxig eine^
Wohlfahrtsstaates noch gar nicht denken koxxivtew
während die Arbeiter selbst den Ideensclxaitx ^^1
Zenker: Wiener Rcvolntion. -
— 162 —
Revolution in keinerlei Weise zu bereichern in der
Lage waren.
Der wichtigere Grund dafür, dass der Socialismus
in Wien nicht mächtiger in die Halme schoss, war
wohl der, dass die unselige Kluft des Classenhasses
zwischen Bürgerthum und Arbeiterschaft sich in jener
Zeit noch nicht aufgethan hatte. Die Arbeiter über-
liessen sich fraglos und unbedingt vertrauend der
Führung der Studenten und demokratischen Bürger-
schaft, und Hessen sich darin durch die grossdeutsche
Nebenströmung nicht irre machen, während Bürger
und Studenten in der ehrlichsten, selbstlosesten und
opferwilligsten Weise für ihre Brüder Arbeiter sorgten
und auf Mittel zur Verbesserung ihrer Lage sannen.
Die Arbeiter und die Studenten bildeten eine rührende
Waffengemeinschaft; im September, als ein Angriff
des Militärs auf die Legion unvermeidlich schien,
stellten sich die Arbeiter vor die Studenten, um diese
mit ihren Leibern zu decken. „Wenn Unsereins fällt,
ist's kein Schade," sagten sie, „aber um die braven
jungen Herren Studenten, denen wir die Freiheit zu
verdanken haben, wäre es ewig schade.'' Hatten die
Arbeiter der Bewegung des Bürgerthums durch ihr
Auftreten erst Nachdruck verliehen, so dankte es ihnen
die bürgerliche Demokratie, indem sie ihnen mit
grosser Hartnäckigkeit die Gleichheit der politischen
Rechte und vor allem das Wahlrecht erwirkte, indem
sie einen Staat auf der breitesten, volksthümlichsten
Grundlage zu schaffen bereit war, in welchem nach
ihrer Meinung für das sociale Elend der unteren
Classen kein Platz mehr gewesen wäre. Die Wahnidee,
dass die Interessen des Arbeitsgebers und des Arbeits-
— 163 —
nehmers unter allen Umständen einander ausschlössen,
war damals noch nicht den Köpfen der Arbeiter ein-
geimpft, die Gesellen sahen vielfach von der strengen
Forderung einer Lohnerhöhung ab, ja willigten sogar
ruhig in Lohnverminderungen, weil sie einsahen, dass
die Meister nicht in der Lage wären, bei höheren
Löhnen den Betrieb fortzusetzen, und dass die wirth-
schaftliche Existenz ihrer Meister mit der ihrigen
aufs engste verknüpft sei.
Die Mairevolution hatte allerdings in einem Theile
der Bürgerschaft eine unüberwindliche Furcht vor den
Arbeitern hervorgerufen und unter dem Eindrucke
dieser Ereignisse war es auch, wo der Geselle Sander
in die poetische Klage ausbrach:
Wie lang hat Deutschland erst gerungen,
Von Nacht und Druck sich zu befrei 'n;
Nun ist es endlich denn gelungen.
Wir konnten froh und glucklich sein.
Doch kaum zum Leben auferstanden
Vom Leibes- und vom Geistestod,
Umfängt man uns mit neuen Banden,
Vergebens rufen wir nach Brot.
Wir haben fröhlich ausgegeben
Den letzten Kreuzer für den Wein,
Bei dem wir jubelnd Hessen leben,
Den ersten Freiheits-Sonnenschein.
Nun kann man uns nicht weiter nützen.
Arm, ohne Arbeit, heisst es: „fort!"
Und keine Hand will uns beschützen.
Für uns giebt's keinen Heimatsort.
Wird denn dem Armen nie erscheinen
Ein Tag zu mindern seine Noth?
Wie, sollten wir denn ewig weinen,
Giebt^s denn für uns kein Morgenroth?!
11*
— 164 —
Allein, Sander selbst — gewisi^ der bedeutendste
Mann, den die Arbeiterbewegung des Jahres 1848 in
Wien ans Lieht gebracht hatte — war nicht ein Ver-
treter des Classenhasses und Classenkampfes, und das
Gros der Arbeiterschaft wäre auch gar nicht in der
Lage gewesen, den Kampf gegen die Bourgeoisie auf-
zunehmen. Dazu fehlte es ihr an Intelligenz, an mate-
rieller Kraft, an einer Presse und einer Organisation.
Was die Arbeiterpresse^®) jener Zeit betrifft, so
ist von ihr nicht viel Bemerkenswerthes zu sagen.
Zeitungen von Arbeitern für Arbeiter, wie des Druckers
Hillisch, „Oesterreichische Typographia*', die später als
„Arbeiter-Zeitung'' (noch später als „Oesterreichische
Arbeiter-Zeitung'') forterschien und das Organ des
„Ersten allgemeinen Arbeitervereines" war, ferner
Hueber's „Oesterreichisches Buchdrucker-Organ" oder
die erst in den October fallende ephemere „Arbeiter-
Zeitung" vom Arbeiter Schmidt herausgegeben —
diese Zeitungen waren absolut nicht geeignet, das
Interesse der Arbeiterschaft zu wahren, ihr Bildungs-
niveau zu heben, ihrer Bewegung eine Richtung zu
verleihen. Aber auch die von Nichtarbeitern heraus-
gegebenen, aber für Arbeiter bestimmten Blätter, wie
„Das Wiener Allgemeine Arbeiter-Blatt" von dem radi-
calen Journalisten und Mitarbeiter der „Constitution"
C. Grütaner (einem Sohn des Frankfurter Abgeordneten)
und dem Gesellen F. Sander, zeitweise auch unter der
Mitredaction L. Häfner's herausgegeben, oder der von
den Studenten Rülke und Waldeck geleitete „Arbeiter-
Courier" und das von Dr. Witlacil geschriebene, nur
in einer Nummer erschienene Arbeiterblatt „Concordia"
unterschieden sich durch gar nichts von dem grossen
— 1G5 —
Haufen der radicalen Gassenblätter, von ihrem Phrasen-
drusch, ihrem Schwulst, ihrer Leere an thatsächlichem
Inhalt. So waren es denn die grossen und einfluss-
reichen radicalen Journale, Schwarzer's „Allgemeine
Oesterreichische Zeitung'', L. Häfner's „Constitution'',
allenfalls noch der „G'radaus", welche die Arbeiter-
frage in sachlicher Weise erwogen, und den Vorhang
von den Elendsbildern des Vormärz wegzogen, auf
praktische Reformen drangen und dem socialen Denken
der sogenannten gebildeten Classen nicht weniger als
dem der arbeitenden einen Inhalt zu geben sich be-
mühten.
Die Männer, welche die geistige Führung des
Volkes in diesen Blättern übernahmen, L. Hafner,
Freiherr v. Stifft, Dr. Hermann Jellinek, Sigmund
Engländer, waren nichts weniger als Sterne erster
Ordnung an dem Himmel der socialen Geschichte,
aber sie überragten immer noch thurmhoch das
geistige Durchschnittsniveau ihrer Wiener Zeitge-
nossen. Strenge genommen war keiner von ihnen
Socialist; sie waren vielmehr liberale Socialreformer,
die es ebenso glühend ehrlich mit der Hebung des
Arbeiterstandes meinten, wie der socialistische Kasernen-
staat ihrem Denken und Hoffen ferne lag.
Leopold Hafner gebührt das Verdienst, in seinem
Blatte „Die Constitution" zum erstenmale die wirth-
sghaftlichen Verhältnisse der unteren Classen schonungs-
los ans Licht gezogen und die Aufmerksamkeit der
öffentlichen Meinung von den rein politischen und
nationalen Fragen auf die socialen Uebelstände hin-
gelenkt zu haben. Selbst ein Kind des Volkes, ein
Proletarier, hatte er als Jurist die ganze Aussichts-
— 166 —
losigkeit aller arbeitenden Stände, besonders aber des
geistigen Proletariates, in überreichem Masse an sich
selbst erfahren. Er hatte die Beamtenlaufbahn gegen
den Literatenberuf eingetauscht und, als auch dieser
ihn nicht ernährte, sich auf den Huthandel verlegt. ^^)
In dem Comptoir seines Geschäftes war es, wo Hafner
am 22. März ganz allein die erste Nummer seiner
„Constitution*' schrieb und ihr das Leitwort „Freiheit
und Arbeit*' gab. Das Blatt erregte ungeheueres Auf-
sehen, es hatte mit der Erörterung der wirthschaft-
lichen Fragen und der scharfen Betonung seines
arbeiter freundlichen Standpunktes eine ganz neue Saite
angeschlagen, und die Arbeiter waren es besonders
welche bald Hafner als den Mann ihres Vertrauens,
betrachteten und diesem Blatte dadurch den gefürchteten
Einfluss verliehen.
Hafner hat sein Programm in zwei offenen Briefen
an die Arbeiterschaft klar und erschöpfend auseinander
gesetzt „Meine Herren!'* spricht er die Arbeiter in der
„Constitution" vom 6. April an: „Sie überhäufen mich
mit Besuchen und Zuschriften — Beweise Ihres Ver-
trauens, welche mich stolzer machen, als das von irgend
einem Minister mir geschenkte Vertrauen es je ver-
mögen würde. Sie geben mir die Ueberzeugung, dass
Ihre Einsicht nicht hinter jenen aufgeklärten Arbeiter-
bevölkerungen Frankreichs, Englands und des deutschen
Vaterlandes steht, Ihre Besonnenheit aber allen diesen
als Muster dienen könnte. Einsicht und Besonnenheit
sichern Ihnen die Freiheit, welche wir nicht einer
Beamten- und Adelskaste abgerungen haben, um ihren
ausschliesslichen Genuss dem sogenannten Mittelstande
zu überlassen! Meine Herren! Ich bin arm wie Sie,
- 167 —
und wie Sie habe ich gelitten unter dem Drucke ge-
knechteter Verhältnisse. Das Gift falscher, gemeiner
Seelen hat mein Herz verbittert und reizbarer gemacht
gegen jede Bedrückung, gegen jede Verletzung der
angeborenen Menschenrechte. Meine Sympathien weilen
bei Ihnen, und es wird der schönste Tag meines Lebens
sein, der Hochzeitstag eines kurzen, verkümmerten
Daseins, wenn mein Rath, mein Wort, meine That das
Geringste zur Anerkennung Ihrer Rechte, die nicht
länger unbeachtet bleiben sollen, wird beigetragen
haben. Der Geist Gottes schwebt sichtbar durch die
Welt und offenbart ein neues Evangelium von der
Freiheit Aller und von Bruderliebe. Auf diesen Gott
vertrauen Sie und zu diesem Gotte beten Sie, damit
er Ihnen die Kraft und die Mässigung verleihe, ohne
welche Sie unmöglich die Opfer bringen können, welche
die gegenwärtige, neu sich gestaltende Lage des Vater-
landes und aller Industrien Ihnen wie jedem Staats-
bürger auferlegt. Entfernen Sie aus ihrer Mitte jene
aufrührerischen, liederlichen Menschen, welche nicht
Arbeit verlangen, sondern Genuss, ohne Mühen. Lassen
Sie Ihr schönes, unter des Himmels Schutz gestelltes
Unternehmen nicht schänden durch Ausartungen,
welche den Fabriksherren wie die Fabriksarbeiter in
ein gemeinsames, grenzenloses Elend stürzen würden.'^
Einige Tage später schrieb Hafner in seinem
Blatte : „Einen bedauerlichen Mangel von aller poli-
tischen oder nur humanen Bildung beurkundet die
Intoleranz, mit der eine grosse Zahl der Wiener
Spiessbürger die Arbeiter Gesindel und ihre Forde-
rungen aufrührerische Excesse nennen. Derartige
Aeusserungen sind um so thörichter, als das Proletariat
- 168 —
von Tag zu Tag mächtiger anwächst, als unter dieser
Classe mindestens ebensoviel gesunder Menschenverstand
vorhanden ist, als in allen übrigen Classen, und als dieser
gesunde Menschenverstand die Ideen des Proletariates,
wenn es sich in der Constitution unberücksichtigt
findet, natürlich einer abermaligen Umänderung dieser
Staatsform zuwenden müsste. Wir haben in unseren
Märztagen die Revolution des Bürgerstandes (fran-
zösische Julirevolution) gemacht; sollen wir aber nun
der Proletarierrevolution (Pariser Revolution 1848)
entgehen (sie würde leider nicht den sanften Charakter
von 1848, sondern jenen von 1789 annehmen) — so
ist es dringend nothwendig, dass die Regierung die
ungeheuere politische Wichtigkeit des Arbeiterstandes
in den drohenden Fingerzeigen unserer Zeiten erkenne
und augenblicklich für Arbeits- und Arbeiterverhält-
nisse ein eigenes Ministerium ernenne/' Hafner war
also der erste, der (schon am 10. April) die decidirte
Forderung nach einem Arbeitsministerium stellte, wie
er der erste war, welcher die Gefahren einer socialen
Revolution erkannt hatte und schon am 30. März da-
vor gewarnt hatte: „Arbeitsmangel in Wien ist eine
drohendere Thatsache als eine Erklärung der Republik
in Venedig.'*
Wenn Hafner mehr die radicale Demokratie ver-
körperte, so war Freiherr v. Stifft das, was man
einen Christlich-Socialen nennen möchte, nicht mit der
scheusslichen Bedeutung, die dem Worte heute in
Oesterreich anhaftet, sondern in dem guten Klange,
den das Wort in England hat oder im edlen Sinne
eines Saint-Simon, mit dem Stifft auch that sächlich
manche Ideengemeinschaft hatte, wie er denn über-
— 169 —
haupt den Ideen des französischen Socialismus noch
am nächsten stand. Seine Enttäuschung über die Revo-
lution und seine Arbeiterfreundlichkeit führte ihn —
und so viel ich weiss, ihn allein — im October zu
einer ausgesprochen feindseligen Haltung gegen die
Bourgeoisie als Classe. v. Stifft ist der typische Revo-
lutionär : Declassirter und daher der grimmigste Feind
aller jener gesellschaftlichen Vorrechte, in deren
Genuss er selbst aufgewachsen war. Für Stifft war
die politische Ueberzeugung Religion; wie bei jedem
echten Revolutionär fiel bei ihm das Ideal der höchsten
gesellschaftlichen Potenz mit dem Gottesideale fast zu-
sammen. Er diente beiden mit gleicher Inbrunst und
Unentwegtheit. Oft bevor der rothe Publicist an die
Arbeit einer seiner glänzenden radicalen Artikel ging,
konnte man ihn in irgend einer Kirche auf den Knien
liegend in tiefes Gebet versunken sehen. Sein Ver-
hältniss zu der Egeria der Wiener Revolution, zur
Baronin Pasqualati (Madame Perin) war durch
gemeinsame mystisch-spiritistische Neigungen ebenso
wie durch politische Ideengemeinschaft bedingt.
Dr. Hermann Jellinek — vor der Revolution an ver-
schiedenen Zeitschriften in Deutschland, besonders den
„Grenzboten'', bienenemsig thätig, nach dem März
Hauptmitarbeiter der „Allgemeinen Oesterreichischen
Zeitung'' und nach dem August des „Radicalen" —
war der Vertreter der durch die deutsche Philo-
sophie Hegel's und Feuerbach's, wie durch den fran-
zösischen Socialismus eines Fourier und Proudhon be-
einflussten Geistesrichtung in der Wiener Publicistik
des Jahres 1848. In dem Jargon der Hegel'schen
Philosophie hatte Jellinek vor dem Jahre 1848 in
— no -
mehreren Schriften ein System der gesellschaftlichen
Entwickelung gelehrt, welches auf der Idee des sou-
veränen Individuums und dem „grossen Dogma der
menschlichen Brüderschaft und Gegenseitigkeit*' auf-
gebaut war, und dem damals in gewissen Theilen
Deutschlands stark verbreiteten Anarchismus eines
Marr, Hess und Grün am nächsten kam.^*) In dem
gleichen Tone und aus dem gleichen Gesichtspunkte
behandelte Dr. Jellinek die Wiener Ereignisse des
Jahres 1848, von wenigen verstanden, von den meisten
verlacht und verspottet. Am 27. November wurde der
arme Doctrinär unter dem Vorwande der standrecht-
lichen Behandlung von den Soldaten des Windisch-
grätz' ermordet.
Wenn Hafner, Stifft und Jellinek drei unter-
einander grundverschiedene Typen des idealpolitischen
Charakters bilden, so ist Sigmund Engländer der
Repräsentant der wissenschaftlichen Ueberlegung und
Realpolitik.
Ist er auch davon überzeugt, dass die Gesellschaft
gänzlich reformirt werden müsse, so ist für ihn doch
das Project der Socialisten und Communisten ein Un-
ding. Die Bestrebungen nach Einführung einer Ge-
sammtwirthschaft, Aufhebung des Privateigenthums,
des Geldes, Abschaffung des Handels und der freien
Concurrenz, die unklaren Organisationspläne der
Socialisten mit ihrem Wunsche nach einem Kasernen-
leben vergleicht Engländer zutreffend mit dem Wunsche,
dass alle Poren eines Menschen durch ein einziges
grosses Schweissloch, alle Adern und Aederchen durch
einen einzigen Blutcanal ersetzt würden. „Jeden
Blutstropfen wollen sie controliren, dass er nicht
— 171 —
schneller rolle als bei einem Anderen, und auf ihrem
Wege käme man dahin, dass endlich Genie zu haben
das höchste Verbrechen wäre." „Der Staat ist ein
Natur gewächs, nichts willkürlich Erfundenes, sondern
etwas nothwendig Organisirtes, unser einziges Bestreben
muss dahin gerichtet sein, den Staat in einen natur-
gemässen Zustand zu bringen, ihn von seinen Ver-
zerrungen zu befreien/' Die Massen haben nur das
eine allgemeine, unbehagliche Gefühl der Unzufrieden-
heit und den Wunsch nach einem besseren Zustande,
aber keine bestimmten Ziele, und eben darin liegt die
sociale Gefahr. Aber eben darum ist es Aufgabe der
Wissenschaft, den unklaren Wünschen der unteren
Volksclassen einen festen Boden zu schaffen.*"')
Das sind überraschende Ansichten, doppelt über-
raschend, wenn sie mitten am Höhepunkte revolutio-
närer Gährung gesprochen und vernommen werden;
das sind Worte, welche alles, was zu jener Zeit in
ähnlichem Sinne gesprochen und geschrieben wurde,
an Klarheit und Bestimmtheit übertreffen und that-
sächlich die Quintessenz dessen enthalten, was auch
heute noch die wissenschaftliche Sociologie über prak-
tische Politik zu sagen hat. Nicht trotz, sondern weil
Engländer der ernsteste Denker der Wiener Revolu-
tion war, wurde er auch ihr heiterster Witz- und
Spottvogel, der Herausgeber der berühmten „Katzen-
musik'' („Charivari"). Kein Anderer als er von
seiner hohen Warte wäre in der Lage gewesen, auf
die Schwächen und Tollheiten der bewegten Massen,
Parteien und Personen herabzublicken, mit ihnen sein
heiteres Spiel zu treiben und nach gleichem Masse
rechts und links die Hiebe seiner Pritsche zu vertheilen.
— 172 —
So sehen wir, wie auch in Wien alle Richtungen
des socialen Denkens vertreten waren, wenngleich oft
nur im Keime, obwohl der Same nachweisbar nicht
seit Jahren durch thätige Agitatoren oder durch eine
freie Presse ausgestreut worden war. So einträchtig
das Auftreten der unter der Fahne des Radicalismus
und der Demokratie marschirenden Elemente, so be-
scheiden der Umfang der socialpolitischen Ideen sein
mochte, es waren dennoch die Ansätze zu all den
grossen Parteiungen bereits damals deutlich zu er-
kennen, welche erst in kommenden Decennien in aus-
gebildeter Individualität auf den Kampfplatz zu treten
berufen waren. So consequent wirken zu allen Zeiten
und an allen Orten auch die Gesetze der geistigen Ent-
wickelung.
Wenn schon die Publicistik deutlich erkennen
liess, wie unselbständig die der Emaucipation zu-
strebenden unteren Schichten des Volkes waren, wie
den Arbeitern von der ehrlich demokratischen und
liberalen Bourgeoisie erst die Zunge gelöst werden
musste, so geht das aus einem kurzen Blicke auf das
Vereinswesen noch brutaler hervor.
Vor dem März hatte es in Wien bloss eine einzige
Arbeiterassociation, die der Buchdrucker gegeben,
welche sich mit einer Trade-Union vergleichen liess,
und es blieb auch nach dem März und nach dem Mai
dabei; der „Allgemeine Unterstützungsverein für die
Buchdrucker- und Schriftgiessergehilfen Wiens' ' er-
weckte im Jahre 1848 keine Nachahmung unter den
Gehilfen anderer Gewerbe, vermuthlich deshalb, weil
die ruhige Sparthätigkeit mitten in den politischen
Stürmen der Revolution den Arbeitern zu kleinlich.
— 173 —
ZU nichtssagend dünkte. Dagegen machte die Organi-
sation der Typographen selbst bedeutende Fort-
schritte.
Wir haben gesehen, dass der Ausschuss der Buch-
druckergehilfen bald nach den Märztagen von den
Principalen das Zugeständniss eines Lohntarifes er-
wirkte. Ueber die weiteren, in dem Promemoria auf-
gestellten Forderungen wurde noch weiter gemarktet,
obwohl es leicht abzusehen war, dass sich bei dem
damaligen Stande der Revolution auch hierin die
Principale der organisirten Gehilfenschaft gegenüber
nicht allzu standhaft würden erweisen können.
In einer Versammlung der Buchdrucker vom
14. Juli konnte bereits berichtet werden, dass die
Principale einer Regelung des Verhältnisses zwischen
der Zahl der Lehrlinge und der Gehilfen zugestimmt
hatten, und zwar sollte auf drei Gehilfen ein Lehrling
kommen, durch vier Jahre sollte aber überhaupt kein
Lehrling zur Erlernung des Druckes an der Hand-
presse aufgenommen werden. Die Gehilfen erklärten
sich dagegen in einer Versammlung einverstanden,
dass die Principale Druckmaschinen aufstellten, so viel
sie wollten, doch sollten sie sich verpflichten, nicht
nur die dermalen arbeitslosen, sondern auch jene Ar-
beiter, welche in Hinkunft durch die Einführung von
Maschinen brotlos werden sollten, durch eine anstän-
dige Beschäftigung zu versorgen; sowohl Setzern wie
Druckern sollte bei unverschuldetem Arbeitsmangel
eine Vergütung durch die Principale gegeben werden.
Endlich wurde die Aufhebung der Sonn- und Feier-
tagsarbeit gefordert. Dazu Hessen sich die Druckerei-
besitzer herbei; weiters erklärten sie auf ein be-
— 174 —
stimmtes Verhältniss der Zahl der Handpressen und
der Maschinen nicht eingehen zu können, verpflichteten
sich jedoch, conditionslose Drucker, welche nach Wien
zuständig wären, zu versorgen, respective unter-
zubringen, der Ausschuss der Druckergehilfen wurde
anerkannt und einem aus Unternehmern und Gehilfen
zusammengesetzten Schiedsgerichte wurde beigestimmt.
Das waren die grossen Erfolge der Organisation der
Typographen, und nicht zum geringsten Theile das
Verdienst eines Mannes, der seine Vergangenheit
als einfacher Setzer nie vergessen, der alles daran-
setzte, dem Typographenstande eine dauernde, feste,
auf der geistigen Vervollkommnung begründete Or-
ganisation zu geben, Carl Scherzer's.
Am 30. April schon forderte Scherzer in einer
Versammlung der Buchdrucker und Setzer dieselben
auf, einen Typographenverein nach dem Muster des
juridisch-politischen Lese Vereines zu gründen, in welchem
die fachlichen Angelegenheiten besprochen, aber auch
allgemein wissenschaftliche und politische Themata
discutirt werden sollten; er stellte auch den Antrag,
zur Vertretung der Berufsinteressen ein eigenes Journal
unter dem Titel „Die freie Presse'' herauszugeben.
Beide Anträge wurden angenommen. Aus dem Journal
wurde nichts. Der „Typographenverein" wurde zwar
ins Leben gerufen; es ist uns jedoch über seine
Thätigkeit nicht viel mehr bekannt, als dass es in
einer Versammlung des Vereines in der zweiten Hälfte
Juni sehr heiss herging, und dass der Antrag gestellt
war, falls die Besitzer den oben erwähnten Forde-
rungen der Arbeiter sich zu widersetzen wagten, in
Strike zu treten. Ob es diese Drohung war, was die
— 175 —
Besitzer zur Nachgiebigkeit bewog, ist uns unbekannt»
ebenso was weiter aus dem „Typographen verein**
wurde. Er scheint um die gleiche Zeit eingegangen
zu sein, denn Ende Juni liess Scherzer abermals
einen Aufruf ergehen, der zur Gründung eines „Lese-
vereines für Buchdruckergehilfen" aufmunterte. Etwa
300 Gehilfen erklärten sich bereit, dem neuen Verein
beizutreten, was weiter geschehen, ist uns gleichfalls
unbekannt.
Weitaus die bedeutendste Erscheinung des Ar-
beitercoalitionswesens im. Jahre 1848 war der „Erste
allgemeine Arbeiterverein*', der sich am 24. Juni im
Gasthause zum Fürstenhof in der Beatrixgasse festlich
constituirte. Seine Gründer, sein Präsident, aber auch
seine Seele war Friedrich Sander, „der Gesell**, wie er
sich immer mit einem gewissen Stolze nannte. Wir
wissen von seinem Leben vor und nach der Revolution
wenig mehr, als dass er Ende der Zwanzigerjahre ge-
boren, *^^) Schuster geselle war, und Reisen im Auslande
gemacht hatte, die ihm reiche Erfahrungen über die
Lage der arbeitenden Classen eingetragen hatten. Nach
dem März trat er in Häfner's Constitution auf als der
Verfasser kleiner, aut die Arbeiterverhältnisse bezug-
habender Artikel und feuriger Gelegenheitsgedichte.
Auf seine lebhafte Agitation hin war der „Erste all-
gemeine Arbeiterverein'* ins Leben gerufen worden
und zählte bald an 2000 Mitglieder; der Zweck des
Vereines war, für die Arbeiter gleiche Rechte und
gleiche Freiheiten mit denen aller übrigen Staats-
bürger durch gesetzliche Mittel und durch die Selbst-
bildung und Selbstveredlung der Arbeiter zu erringen.
Die Mitglieder pflegten deshalb in ihren Versamm-
— 170 —
lungen und Zusammenkünften die politische Discussion
ebenso wie die Uebung im Gesänge, im Turnen, Tanzen,
J)eclamiren, Fechten, Exerciren u. s. w. Die Vereins-
abende zerfielen dementsprechend auch in eine musi-
kalisch-declamatorische Akademie und in eine poli-
tische Discussion. Von socialistischen Reformen des
Staates war im Arbeitervereine keine Rede,^^) seine
Tendenzen gingen über die Erreichung der demo-
kratischen Freiheit nicht hinaus. Die Vereinsmitglieder
trugen als Erkennungszeichen einen kleinen Bienen-
stock aus weissem Metall, das Symbol des Arbeits-
fleisses, am Hute.
Der „Erste allgemeine Arbeiterverein'' war aus-
schliesslich eine Coalition von gewerblichen Hilfs-
arbeitern, von Handwerksgesellen; daneben gab es
auch einen Sanmielpunkt der Fabriksarbeiter, den
„radicalen liberalen Verein'', der etwa Ende Juni
entstand und bald über 800 Mitglieder zählte; er war
noch mehr als der „Arbeiterverein" im rein politischen,
demokratischen Fahrwasser. Sein Vorsitzender und sein
Macher war Dr. Chaises, jene von den Gegnern der Re-
volution so viel gelästerte, viel verhöhnte, und wie mir
scheint nicht immer mit Unrecht angegriffene Per-
sönlichkeit, welche man am ehesten den Marat der
Wiener Revolution nennen könnte. „Die Thätigkeit,
welche er in Organisirung seiner Arbeiter entwickelte,
geht in das Unglaubliche, und durch dieselbe brachte
er es dahin, dass der Einfluss seines Vereines einer
der bedeutendsten wurde. Die neu eintretenden Mit-
glieder umgab er, bevor sie förmlich aufgenommen
wurden, durch mehrere Tage fortwährend von Früh bis
in die Nacht und hielt ihnen ordentliche Vorlesungen
— 177 --
Über die Demokratie wie ein Privatdocent seinen
Schülern. Aber dafür war auch eine Einheit unter
ihnen, welche in Verwunderung setzte. Einer hatte die-
selben Ansichten wie der Andere. Den Chaises selbst
verehrten sie wie ihren Herrn und Meister, unbedingte
Gewalt übte er über sie, und Alle, so wie er selbst
waren mit gleicher Berserkerwuth gegen die Beamten-
welt, das Pfaffenregiment, gegen alle Halben, vor-
züglich aber gegen den Gemeinderath der Stadt Wien
erfüllt. Den Autoritätsglauben für irgend etwas an-
deres als die Richtigkeit seiner Aussprüche riss er
seiner entschlossenen kraftvollen Garde von Acht-
hundert für immer aus der Brust. Das Höchste, was
sie nach und nach gegen den Monat October hin an-
strebten, war die rein demokratische Republik, ob-
gleich sie sich mit diesem Wunsche nicht überall her-
vorwagten und unter Fremden nur von der demo-
kratischen Monarchie sprachen, aber recht gut wussten,
dass, wenn die Demokratie siegen solle, die Monarchie
untergehen müsse. Von der demokratischen Republik,
welcher man übrigens vor der übrigen Bevölkerung
zu jener Zeit noch kaum erwähnen durfte, erwarteten
sie nicht nur volle Gerechtigkeit, sondern als bei dem
freien gleichen Rechte Aller zur Regierung sich von
selbst verstehend, auch Arbeit und Brot. Von So-
cialismus oder gar Communismus wussten sie kein
Wort, wenigstens wurden darauf bezügliche Ideen in
ihrer Mitte nicht gehört.*) Die Ansichten dieses Clubs
*) Man wird nicht irre gehen, wenn man die Richtung, in
welcher Chaises' Club sich bewegte, eine unklare oder gar nicht
bewusst anarchistische nennt. Dass diese Anschauung im Jahre 1848
in Wien einen ziemlich grossen Boden hatte, beweist die Rede des
Zenker: Wiener Revolution. 12
— 178 ~
wurden durch seine Glieder, wie natürlich, unter alle
übrigen Fabriksarbeiter verbreitet und begierig auf-
genommen, so dass dieser Club als der Gesinnungs-
repräsentant aller Fabriksarbeiter angesehen werden
konnte." 2«)
Neutitscheiner Abgeordneten, des Apothekers Johann Faschan k,
in der Adressdebatte des Reichstages am 29. Juli. Er sagte: ,,Wir
sitzen hier in Anerkennung der Revolution und müssen sie aner-
kennen. Mithin kann ich sprechen: Ich bin kein Aristokrat, De-
mokrat, ich bin Gegner jeder Art Autokratie, Aristokratie, Demo-
kratie, Plutokratie und wie überhaupt alle Arten von Kratien und
Herrschaften heissen mögen. Denn kein Mensch ist berechtigt zu
herrschen über Andere, er ist nur berechtigt zu herrschen über das
Thier. Wir haben keine andere Souveränität als die Souveränität
der Vernunft, und der Monarch ist nur das bildliche Symbol der
Vernunft auf dem Throne. (Gelächter.) Die Herren mögen lachen
wie sie wollen, das was ich aber gesagt habe, wird die Zukunft
istets als richtig erweisen.'* In der Sitzung vom 21. August sagte
der Mann in seiner etwas verworrenen Weise: „Wir stehen gegen-
wärtig auf einem Punkte, die imposanten Errungenschaften der
Freiheit dankbar anzunehmen, die uns das wucherische Albion
vorenthalten und die aufopfernde Liebe Frankreichs gegeben hat.
Dass wir schon deshalb dankbar sein sollen, weil sie uns gelehrt
haben, den Menschen nicht als eine physische Statue, sondern als
eine moralische Person zu befreien und die Mittel zu finden, wie
man die menschliche Gesellschaft am zweckmässigsten organisiren
kann. Das Geld, welches als Vorrecht einer privilegirten, vorzüglicli
begünstigten Classe dasteht, ist der eigentliche Dämon des ganzen
Volkes, denn es ist nicht ein Mittel zur Erziehung und zum Wohle
der Menschlieit, sondern es ist vielmehr ein Autokrat, und zwar
der furchtbarste Autokrat, und die Menschen sind dessen Sklaven.
Dieses hat die Franzosen zu dem unglückseligen Ausspruche des
Louis Blanc und seiner Consorten veranlasst, der da sagt: „Der
Mensch habe ein Reclit auf die Arbeit.'' Das ist falsch, der Mensch
hat die Pflicht zu' arbeiten, aber das Recht auf die Mittel zur
Arbeit'' Faschank vertritt sodann den Standpunkt des CoUectiv-
besitzes ganz in der Weise von Proudhon.
— 179 —
Neben diesen beiden grossen und einflussreichen
Arbeiterverbindungen bestand noch ein Arbeiterverein
„Concordia" unter der Leitung eines gewissen Dr. Wit-
laöil, der jedoch ohne Bedeutung gewesen zu sein
scheint.
Den meisten Einfluss von allen diesen Vereinen
hat poch Chaises^ radicaler Arbeiterverein besessen,
eine grosse Rolle hat das Vereinswesen jener Zeit über-
haupt nicht gespielt.
Siebentes Capitel.
Sie TJnralieii des August und September.
Der Höhepunkt der Revolution war mit den Mai-
tagen erreicht ; die Demokratie hatte einen vollen Sieg
errungen, denselben aber wie ein schlechter Feldherr
nicht auszunützen verstanden. Sie erschrak über sich
selbst, wie ein Mensch in einer Mondnacht erschrickt,
wenn er plötzlich seinen eigenen Schatten vor sich
riesenhaft einherschreiten sieht. Die Demokratie war
nicht stark genug, ihren Erfolg und ihre Grösse zu
ertragen; sie stand rathlos da, bis sich der Gegner
aufgerafft, gerüstet und gesammelt hatte, und als sie
«ich mit Todesverachtung auf diesen Gegner warf, da
war es längst zu spät, da war der Kampf ein nutz-
loses Martyrium geworden. Dieser Rückgang der
Demokratie zeigte sich erschreckend deutlich an zwei
Ereignissen des Juli, welche eigentlich bestimmt waren,
den Sieg der Demokratie zu krönen: an dem Re-
gierungswechsel und an dem Zusammentritte des con-
stituirenden Reichstages.
12*
— 180 —
Der Reichstag stellte sich gar bald vermöge seiner
Structur und vermöge der Geschäftsordnung, die er
sich gegeben hatte, als arbeitsunfähig heraus. Der Re-
gierung aber war von der Hofpartei die Aufgabe zu-
gedacht worden, die Dinge in Wien so lange hinzu-
halten, bis sich die antirevolutionären Elemente ge-
sammelt hatten und die Stunde zum Losschlagen für
sie gekommen erachteten. Wohl nur die wenigsten Mit-
glieder der Regierung, ja mit Ausnahme von Wessen-
berg und Latour vielleicht keiner der Minister
wusste im Anfange etwas von der wenig ehrenvollen
Rolle, die ihnen zugedacht war. Einige, wie Doblhoff,
Hornbostel, waren gemässigte, aber ehrliche Liberale.
Andei-e freilich merkten bald ihren Beruf und passten
ihm ihre Gesinnung an, besonders rasch und geschickt
fügte sich aber der „Barricaden-Minister'* Dr. Bach in
seine fluchwürdige Rolle, diese elendeste Figur der
modernen österreichischen Geschichte.
Indem man Ernst v. Schwarzer das Portefeuille
der öffentlichen Arbeiten übertrug, suchte man geschickt
das Odium eines unvermeidlichen Zerwürfnisses mit
den Erdarbeitern und dem Sicherheitsausschusse und
aller daraus entspringenden Consequenzen auf einen
Vertreter der radicalen Journalistik abzuwälzen.
Freilich hatte sich Schwarzer vom Anbeginne an in
seinem Blatte, der „Allgemeinen österreichischen Zeitung' '
gegen die öffentlichen Erdarbeiten, als eine Quelle der
Demoralisation der Arbeiterschaft, ausgesprochen, und
seine Berufung auf die Ministerbank wurde deshalb
von den Radicalen selbst, besonders aber von den
radicalen Blättern nichts weniger als freundlich begrüsst.
Trotzdem fuhr auch den reactionären Adels- und
— 181 —
Bürgerkreisen bei seiner Ernennung gelinder Schrecken
in die Glieder, denn man fürchtete, er werde der
„österreichische Louis Blanc und Proudhon'' sein.
Schwarzer hatte nun freilich mit den beiden grossen
französischen Socialpolitikern so gut wie nichts gemein,
nicht die Tendenzen und auch nicht die geistigen
Fähigkeiten. Er war keineswegs ein bahnbrechendes
Genie, der gute Schwarzer, aber klare Einsicht in die
Verhältnisse und ehrlicher Wille, das, was er für recht
erkannt, auch durchzusetzen, kann ihm nicht abge-
sprochen werden. Er besass den Muth, zu einer Lohn-
reduction der Erdarbeiter zu schreiten, obwohl er
wissen konnte, was die Folge dieses Unterfangens sein
musste, und das war fürwahr kein kleines Wagniss.
Schwarzer stieg bald wieder vom Ministerstuhle herab
und dürfte es kaum bedauert haben; hatte er doch während
der kurzen Zeit seiner Ministerschaft genug Einblick
gewonnen, um zu wissen, wohin der Curs ging, und
um jene nicht zu beneiden, die der grossen Krise
an leitender Stelle entgegen gingen, ohne festen Halt
nach oben und ohne das Vertrauen des Volkes.
Die Zahl derjenigen, welche sich ursprünglich in
den revolutionären Strom geworfen hatten oder von
den Wellen des Unmuthes und der Begeisterung hatten
mitreissen lassen, nunmehr aber Sehnsucht nach dem
festen Lande empfanden, vermehrte sich von Stunde
zu Stunde. Das eigentlich bürgerliche Element der
Gesellschaft ist vermöge seiner wirthschaftlichen Seins-
bedingungen, wenn auch nicht so stabil wie der Bauer
auf seiner Scholle, so doch immer noch conservativer
als die grossen f luctuirenden Massen ; das Bürgerthum
liebt die Bewegung, es lebt von ihr, aber es fürchtet
— 182 —
und hasst die Katastrophen, die Krisen, die Ausnahms-
zustände. Wie die Revolution seit jeher ihre Avant-
garde im Bürgerthum hatte, hat und haben wird —
denn auch die proletarische Revolution wird erst dann
Erfolge haben, wenn sich ihr ein grosser Theil der
Bourgeoisie aus politischen und taktischen Gründen an*
schliessen wird — so kann auch die Gegenrevolution in
einem bestimmten Zeitpunkte immer auf die Hilfe de&
Bürgerthums rechnen. Dieser Zeitpunkt war im
Juli 1848 bereits gekommen.
Die allgemeine Wirthschaftslage war eine trost-
lose. Die Finanzen des Staates lagen mehr denn je im
Argen; der Krieg im Süden des Reiches verschlang
grosse Summen, während die Eingänge durch neue
Verfügungen, wie die theilweise Aufhebung der Ver-
zehrungssteuer, Herabsetzung der Salzpreise, mancher
Zölle u. s. w. vermindert wurden oder unter der Un-
einbringlichkeit der Steuern in Folge von Erwerbs-
Störungen, Geschäftsstockungen und auch blosser Renitenz
litten. Die Finanzgebarung des Vierteljahres März,
April und Mai 1849 blieb hinter dem Voranschlage
um ganze 13,897.015 fl. zurück und endete mit einem
unbedeckten Erfordernisse von 15,840.810 fl. C.-M., was
mit dem aus der Gebarung vom 1. November 1847
bis 1. März 1848 übrig gebliebenen unbedeckten Rest
von 744.297 fl. ein Gesammtdeficit von 16,585.107 fl.
gab.*) Der Staat sah sich in dieser Calamität, die sich
im Sommer mit den zunehmenden Kriegskosten noch
verschlimmerte, genöthigt, den Credit der Nationalbank
in reichstem Masse zu beanspruchen; die Mittel der
Bank schmolzen in Folge dessen rapid zusammen, so
dass zu Zeiten das Verhältniss der Baarmittel zu dem
- 183 —
Banknotenumlauf gleich 1 : 9 war;*) ein Ausfuhrverbot
auf Gold und Silber war natürlich keineswegs ge-
eignet, den Zudrang zu den Gassen der Bank zu ver-
mindern; die Einstellung der Baarzahlungen war unver-
meidlich, und damit war den allgemeinen Greditverhält-
nissen ein neuer, empfindlicher Schlag versetzt. Das Silber
und Gold zog sich noch mehr aus dem Verkehre zurück,
um einem entwertheten Papiergelde Platz zu machen;
auch andere Institute, besonders aber die erste öster^
reichische Sparcasse wurden geradezu in Frage
gestellt. Dazu kamen dann die häufigen Coursschwan-
kungen und wiederholten Börsenderouten in Folge der
politischen Ereignisse.
Es ist leicht einzusehen, wie schwer Handel und
Gewerbe, welche ohnedies unter den schon oben ge-
schilderten Verhältnissen seufzten, durch diese Finanz-
lage zu leiden hatten. Geschäftsleute, welche im Aus-
lande Credit genossen, hatten für denselben ausser dem
vereinbarten Zins noch 20 bis 257o Agio zu bezahlen;
zahlreiche Fabrikanten mussten, da ihnen der aus dem
Auslande bezogene Rohstoff um 20 bis 25% theuerer
kam, ihren Betrieb einstellen. Die geschäftlichen und
gewerblichen Creditverhältnisse kamen in Folge der
übel renommirten Finanzlage des Staates und der
grossen Geldinstitute in arges Schwanken, und jede
Veröffentlichung eines Monatsausweises über die staat-
liche Finanzgebarung erzeugte neue Muth- und Trost-
losigkeit in der Geschäftswelt. Wie immer und überall
sah der naive Mensch auch in diesem Falle in dem
Symptom die Ursache, und die Geschäfts- und Finanz-
welt kehrte sich mit Unwillen von der Oeffentlichkeit
der Finanzverwaltung, dieser Grundsäule des Consti-
— 184 —
tutionalismus ab, die man im März so eifrig begehrt
hatte.
Es ist, wenn auch hergebracht, so doch irrig zu
glauben, dass die grosse Reaction nach dem Sturme
des Jahres 1848 nicht ebenso gut wie die von heute
ihre Kraft aus den Tiefen des Volkes geschöpft hätte,
sondern bloss von oben betrieben worden wäre. Die
Gesetze der gesellschaftlichen Bewegung dürften 1848
bereits dieselben gewesen sein wie heute, die Schuld,
sie nicht erkannt zu haben, liegt bloss darin, dass
man die Wiener Revolution allzu einseitig von der
politischen und gar nie von derwirthschaftlichen Seite be-
trachtet hat. Es soll ja nicht geleugnet werden, dass
die ihres allmächtigen Einflusses beraubte Hof- und
Adelspartei durch die Siege der Armee in Italien,
durch die Niederwerfung Prags durch Windischgrätz
und durch die contrerevolutionäre Bewegung der Süd-
slaven im Rücken der Magyaren sicher gemacht, im
August bereits ihr Haupt zu erheben und zur Ent-
scheidung zu drängen wagte. Allein, diese Reaction
wäre ohnmächtig gewesen, wenn nicht im Volke selbst
der Abfall von der Revolution bereits in erschrecken-
dem Masse eingerissen wäre. Vielleicht nicht voU-
bewusst, vielleicht nicht gerade so scharf geschieden,
wie dies leider heute der Fall ist, standen sich
die besitzenden und besitzlosen Classen gegenüber,
wie die Augustrummel, aber noch viel mehr die
Octobertage zeigten. Die Ereignisse der October-
revolution müssen jedem, der den vom Mai bis zum
August sich abspielenden socialen Scheidungsprocess
nicht beachtet, einfach unverständlich bleiben. Dass
sich die Wiener Demokratie mit Bravour zu schlagen
— 185 —
verstand, hatte sich am 6. und 7. October gezeigt.
Auch besass sie in Bern einen anerkannten und be-
währten militärischen Führer; allein, die sociale Zer-
klüftung in der Stadt, die geheimen Sympathien des
grössten Theiles der Bürgerschaft mit den „Ruhe- und
Ordnungmachern" machten Wien zu jedem Offensiv-
stoss unfähig; die Vereinigung der Cernirungstruppen
wäre zu verhindern, die Herstellung der Verbindung
mit der Armee Meszaros noch in der Mitte October
ein Spiel, das Bombardement Wiens unmöglich ge-
wesen, wenn nur die Bauern, auf welche die Demo-
kratie mit Sicherheit gerechnet hatte, den Wienern
durch eine allgemeine Jacquerie zu Hilfe gekommen
wären. Statt dessen begrüssten die Bauern überall die
„Kaiserlichen" auf das wärmste und rührten kein
Glied, als der Löwe der Aula sein furchtbar rührendes
Gebrüll erhob. Das Räthsel löst sich ganz einfach
darin, dass die Bauern durch die Aufhebung der Grund-
unterthänigkeit, die geschäftige Agitatoren als ein Ge-
schenk der kaiserlichen Gnade hinstellten, bereits zu
jenen Elementen gehörten, welche etwas zu verlieren
hatten, dass die Reactionspartei es verstanden hatte,
diese unter Umständen gefährliche Hilfstruppe der
städtischen Demokratie auf ihre Seite, auf die Seite
der Saturirten zu bringen. Bewandert auf den Pfaden
der Politik, hatte man es daher ganz gern gesehen,
als sich der Reichstag unmittelbar nach seinem Zu-
sammentritte mit der Frage der Grundbefreiung be-
schäftigte.
Die bäuerliche Bevölkerung hatte ihre Sympathien
ganz den Siegern des Mai zugekehrt und war in das
demokratische Lager gegangen, als die Charte vom
— 186 --
25. April ihre Hoffnungen enttäuscht und sie, statt sie
von der Grundunterthänigkeit, wie auch von den daraus
entspringenden Diensten zu befreien, auf die ganz von
feudalen Majoritäten beherrschten Provinzialstände
vertröstet hatte. Die Bauern wurden noch schwieriger,
als sie erfuhren, dass die ungarische Reichsversammlung
die Grundunterthänigkeit bereits aufgehoben hatte und
dass selbst der galizische Bauer bereits seit 15. Mai
frei und entlastet sei. Die Wahlen in den Reichstag
fielen daher, trotz der heftigen Gegenagitation des
Adels, der Geistlichkeit und der Bureaukratie, in allen
bäuerlichen Bezirken demokratisch aus; es waren
auch zahlreiche Vertreter des Bauernstandes (70 von
383) erschienen, und alle hatten sie die gebundene
Marschroute bekommen, den Bauern die bürgerliche
und wirthschaftliche Freiheit zu erwirken.
In gleicher Weise hatte sich die öffentliche Meinung
Wiens längst für die Aufhebung aller auf der land-
wirthschaftlichen -Bevölkerung ruhenden Beschrän-
kungen ausgesprochen.
Der Sohn eines Bauern, das jüngste Mitglied des
Reichstages, war es, das in der dritten Sitzung des
Hauses am 26. Juli den Gegenstand vor das Parlament
brachte. Der Abgeordnete von Bennisch in Schlesien,
Hans Kudlich, damals noch Student und kaum 25 Jahre
alt, aber bereits eine der populärsten Erscheinungen
der Wiener Revolution, stellte in dieser Sitzung den
Antrag, die hohe Reichsversammlung möge erklären:
„Von nun an ist das Unterthänigkeitsverhältniss
sammt allen daraus entsprungenen Rechten und Pflichten
aufgehoben; vorbehaltlich der Bestimmungen, ob und
wie eine Entschädigung zu leisten sei.''
— 1«7 —
Dieser Antrag des Abgeordneten Hans Kudlich
wurde mit allgemeiner Begeisterung aufgenommen und
jubelnd unterstützt, und das Haus fasste den BeschlusSy
den Antrag nicht erst einer Commission zuzuweisen»
sondern bereits in einer der nächsten Sitzungen in
VoUberathung zu ziehen. Da sich jedoch der Antrag
Kudlich's in seiner allgemeinen Form wenig zur par-
lamentarischen Verhandlung eignete und die Ansicht
auftauchte, der Aufhebung der Grundunterthäjiigkeit
müsste die Einsetzung und Organisirung landesfürst-
licher Gerichte vorangehen, solle nicht auf dem Lande
ein gefährlicher Stillstand aller Rechtspflege, ja selbst
Rechtslosigkeit einreissen, so legte der Abgeordnete
Kudlich in der Zwischenzeit einen Verbesserungsantrag
vor, der auch in der sechzehnten Sitzung des con-
stituirenden Reichstages vom il. August zur Ver-
handlung kam. Dieser verbesserte Antrag Kudlich' s
— der übrigens noch eine ganze Reihe von Variationen
durchzumachen hatte — lautete:
„Die Reichsversammlung wolle beschliessen : 1. Dass
die Einschränkung der persönlichen Freiheit durch
das Band der Unterthänigkeit aufzuhören hat 2. Dass
Robot und Zehent, sowie alle anderen, die Freiheit
des bäuerlichen Grundbesitzes beschränkenden, nicht
privatrechtlichen, sondern aus dem Verhältnisse der
Grundherrlichkeit, Bergherrlichkeit, Vogteiherrlichkeit,
Schutzobrigkeit, Dorfobrigkeit und des Lehensbandes
entspringenden Lasten nicht mehr zu leisten sind.
3. Dass eine aus den Vertretern aller Provinzen ge-
wählte Commission mit Zuziehung des Ministeriums
mit thunlichster Beschleunigung über die etwaige Ent-
schädigung und über die Einführung der neuen Ge-
— 188 -
richtsverfassung Gesetzentwürfe auszuarbeiten habe.
4, Dass die Gerichtsbarkeit und politische Geschäfts-
führung bis zur Einführung der neuen Gerichtsver-
fassung von den Patrimonialgerichten inzwischen noch
ausgeübt werden soll. 5. Dass darüber zur Beruhigung
des Landvolkes eine feierliche Proclamation zu er-
lassen sei."
Kudlich motivirte mit kurzen, allgemeinen, aber
zündenden, begeisterten Worten seinen Antrag; be-
zeichnend für den ganzen Ideenkreis jener Zeit ist es,
dass man in der gewaltigen Rede, die von düsterer
Schönheit und unheimlich glühender Freiheitsliebe
erfüllt ist, jeden ökonomischen Standpunkt vermisst.
Nicht den hungernden und darbenden Bauer führt er
der Versammlung vors Auge, sondern den Sklaven,
der „gebückt auf Robot einherschreitet und die Hände
des Gutsherrn leckt'^ den Bauer, „an dessen Wiege
schon die feilen Lehrer und Pfaffen hocken, um seine
geistigen Fähigkeiten mit Beschlag zu belegen und
einen so festen Ring um sein Hirn zu schmieden, dass
selten ein freier, kühner Gedanke in ihm entstand,
noch seltener aber über die Lippen drang und wohl
nie die Hand zur freien, kühnen That spornte''. Als
Consequenz der Menschenrechte forderte Kudlich die Auf-
hebung der Unterthanslasten ; er warnte, es darauf
ankommen zu lassen, dass sich die Bauern mit Gewalt
— wie es von vielen Seiten her drohte — ihre Rechte
selbst nehmen würden. Es sei Gefahr im Verzuge, Ge-
fahr für die Ruhe des Staates, aber auch Gefahr für
die Freiheit, für den Reichstag; nur der freie Mann
kann Wächter der Freiheit sein und deshalb müsse
man den Bauern zum freien Manne machen.^)
— 189 —
„Meine Herren!" — schloss Kudlich diese Rede,
die denkwürdiger ist und grossartiger, als alle rhe-
torischen Machwerke Cicero's zusammengenommen
— „Meine Herren! Freiheit und Recht treten heute
vor die Schranken dieses Hauses, und sie fordern
Anerkennung, und an ihrer Hand führen sie eine
Schaar von Millionen als Sklaven misshandelter, ge-
drückter, seit Ewigkeit geplagter Unterthanen, die auch
unsere Rrüder, die Menschen sind. Freiheit und Recht
fordern heute Anerkennung von Ihnen, und die armen
Geplagten fordern, dass Sie den Druck und die Lasten
wegnehmen, damit sie aufgerichtet neben uns als
Freiheitswächter stehen können. Meine Herren! Die
ganze Geschichte Oesterreichs tritt heute vor uns und
fordert Genugthuung, damit die Unbilden der alten
Zeit durch die Anerkennung der neuen Zeit aus-
geglichen werden ; sie fordert die Anerkennung Oester-
reichs, dass das Volk Oesterreichs gerechter war als
seine früheren unbeschränkten Herrscher. Meine Herren !
Was Sie heute aussprechen sollen, ist kein Paragraph
der Geschäftsordnung! Das ist die Thronrede des
österreichischen Volkes. Heute soll der Geist laut
werden, der in dieser Versammlung wohnt, damit die
Völker wissen, worauf sie bauen können. Deswegen,
meine Herren, sprechen Sie ein gerechtes Wort, sprechen
Sie ein menschliches Wort, ein grosses, ein entschei-
dendes Wort, ohne kleinliche Rücksichten, ein Wort,
bei dem es sich um etwas Grosses handelt Sprechen
Sie ein Wort, das als Friedensbote mit dem Oelzweige
des Friedens hinfliegen wird in die Hütte des Ge-
drückten und* Armen, das den Völkern verkünden wird :
Es hat sich bereits ein Punkt gebildet, an dem die
- 190 -
werdende Zukunft sich zu krystallisiren anfängt.
Sprechen Sie ein Wort, das die Freiheit im Stande sei
zu begründen in den Eichenherzen unserer Bauern, die
trotz des jahrhundertlangen Druckes und Quälens
noch immer ein ehrenfester, Vertrauen einflössender
Kern geblieben sind. Sprechen Sie ein Wort zu den
armen Gebeugten, damit sie aus diesem Donnerschall
wissen, was Freiheit ist. Sprechen Sie ein Wort, das
nicht bloss ein Wort des Friedens sein soll, sondern
ein Donnerwort in die Paläste der Grossen, die noch
immer auf unsere Schwäche und Unentschiedenheit
fort lossündigen.''
Auf diese Rede folgte eine grosse 39 Sitzungen
erfüllende Debatte,^) in welcher fast alle Mitglieder des
Hauses einmal oder öfter das Wort ergriffen und weit
mehr als 100 Amendements beantragt wurden. Im
Laufe der Debatte vereinigte sich Kudlich mit den
übrigen Antragstellern zu einem Compromissantrage,
der aber gleichfalls nicht die definitive Formulirung
für die Beschlussfassung abgab. Das Vorgehen des
Präsidiums war in diesem Falle so ungeschickt, als
nur immer das eines Anfängers ohne Erfahrungen im
parlamentarischen Leben sein kann. Statt alle Amen-
dements zu sammeln, nach Gegenständen zu gruppiren,
und auf Grund einer mit den Antragstellern zu
pflegenden Vereinbarung auch gegenstandsweise zur
Debatte zu bringen, stellte man jedes Amendement
nach der Reihenfolge zur Begründung und Discussion,
um dann nachträglich erst zu den Compromissanträgen
zu greifen und diese neuerlich zur Discussion zu
bringen. Die Debatte gewann dadurch den Charakter
einer Obstructionsdebatte, obwohl wir nicht glauben,
— 191 —
dass wirklich ernstliche Verschleppungs versuche gemacht
wurden, wie Violand*) meint Die kleinlichsten stili-
stischen Abänderungsvorschläge nahmen ungebührlich
viel Zeit in Anspruch, zahlreiche Wiederholungen er-
müdeten Redner und Hörer, der üeberblick ging ganz
verloren und der Reichstag verschwendete eine kost-
bare Zeit, die für die (Jeschichte Oesterreichs leider
unwiderbringlich verloren ist. In der Eingebung
düsterer Ahnungen machte Schuselka den Reichstag
darauf aufmerksam, dass man einer ernsten Zeit ent-
gegen gehe; „wir wissen nicht, ob wir in einer so
wichtigen Frage mit solcher (Jewalt werden auftreten
können, wie wir es jetzt noch zu thun im Stande
sind. Trachten wir also, dass wir dieaen grossen
Grundstein der Freiheit legen, und wenn wir sonst
gar nichts vollbringen könnten als dies, so wiirde die
Creschichte uns segnen, dass wir das Landvolk gänzlich
frei gemacht haben."
Es muss aber auch gesagt werden, dass sich der
Reichstag seiner hohen Mission in dieser Frage vollauf
bewusst war, und dass er sich in jenen Tagen auf eine
Höhe erhob, die er später leider nie mehr erreichte.
Die Gluten der Begeisterung für Freiheit und Gleichheit
schlugen unbehindert durch Nationalitätenhader und
staatsrechtliche Meinungsverschiedenheiten zu einer
mächtigen Flamme zusammen, welche Jahrhunderte
altes Unrecht hinwegbrannten. Trotz ihrer Regellosig-
keit und trotz vereinzelter Stimmen, aus welchen nur
schlecht verhohlenes Missbehagen herausklang, gehört
diese Debatte doch zu den grossartigsten, welche die
parlamentarische Geschichte kennt ; sie war das Hoch-
gericht, bei welchem die volkserwählten Geschworenen
— 192 —
das vernichtende Verdict über die sociale und wirth-
schaftliche Ordnung der vorangegangenen Zeit fällten.
Nicht Eine Stimme wagte es, sich zu erheben, um
offen das alte System, die Grundunterthänigkeit selbst
zu vertheidigen. Und so wagte es denn auch die spätere
Zeit der Reaction nicht, an diesem Urtheile zu rütteln.
In sachlicher Hinsicht drehte sich die Debatte
vorwiegend darum, ob mit der Aufhebung der Grund-
unterthänigkeit auch zugleich eine Entscheidung des
Reichstages über die Entschädigungsfrage gefällt werden
sollte.
Der radicalste Theil wollte alle Lasten und
Dienste sofort und ohne jede Entschädigung aufge-
hoben wissen. Er machte dafür die Ungerechtigkeit
dieser Abgaben und die Unmöglichkeit einer Entschädi-
gung geltend, weil die Bauern die Ablösungssumme
nicht hätten; die Ablösung sei aber auch wirthschaft-
lich ganz unzweckmässig, weil für die Bauern das
Geld höheren Werth habe als die Naturalleistuhg;
die Dienste gegen Geld ablösen, hiesse dem Feinde
die Munition ausliefern, sagte der mährische Abge-
ordnete Bittner. Der Beweis, dass die aus der ünter-
thänigkeit entspringenden Dienste und Abgaben ein
Eigenthum des Grundherrn bilden, sei nicht zu er-
bringen; auch dürfe man das Eigenthum nicht bloss
auf einer Seite respectiren, während auf der anderen
Seite die furchtbarste Rechtsverletzung und Nicht-
achtung des Eigenthums stattgefunden hatte und gut-
geheissen wurde.
Die Mehrheit der Abgeordneten war im Princip
für die Entschädigung, indem sie sich auf das histo-
rische Recht, die Gerechtigkeit und die Opportunität
— 193 —
berief. Das Eigenthum als solches müsse geschützt
werden, um kein Präjudiz für die Confiscation über-
haupt zu schaffen, auch würden die Tabulargläubiger,
unter denen sich Waisen und Sparcassen befänden, sowie
die Gemeinden, welche Herrschaftsrechte geniessen, durch
eine Grundbefreiung ohne Entschädigung am härtesten
betroffen werden. Zahlreiche Radicale stimmten nur
für die Entschädigung, um nicht das Ganze und die
Hauptsache zu gefährden, da das Ministerium aus der
Entschädigung eine Cabinetsfrage gemacht hatte; mari
scheute sich, eine Ministerkrise heraufzubeschwören,
deren Ausgang unabsehbar gewesen wäre. Kudlich
selbst hatte in seinem Antrage die Frage offen ge-
lassen.
Unter denen, welche für eine volle und billige Ent-
schädigung eintraten, waren die Meinungen wieder sehr
getheilt darüber, ob die Entschädigung für alle aufzu-
hebenden Lasten oder bloss für die aus sogenannten Pri-
vatverträgen fliessenden Abgaben festgesetzt werden
sollte; ob die Entschädigung vom Bauer oder vom
Staate, oder vom Lande, oder vom Bauer, Gutsherrn
und Staate gemeinsam geleistet werden sollte; Einzelne
wollten, dass bezüglich der Bauernwirthschaften, die nicht
aus mehr als 5 oder 9 Metzen Grund bestehen, gar
keine Entschädigung geleistet werden sollte. Andere
verlangten, dass die Patrimonialgerichtsbarkeit bis
zur Einführung landesfürstlicher Gerichte einstweilen
auf Kosten und unter Verantwortlichkeit des Staates
weitergeführt werde u. s. w. Einzelne unbeugsame
Föderalisten forderten, dass die Entscheidung über
die Fragen überhaupt nur den Provinziallandtagen
zustehe und eingeräumt werden solle.
Zenker: Wiener Revolution. '3
— 194 —
In der Sitzung vom 29. August sollte man zur
Abstimmung schreiten. Es lagen im Ganzen 159 Fragen
vor. Es wäre einfach unmöglich gewesen, ohne chao-
tische Verwirrung herbeizuführen, über jede dieser
Fragen einzeln abzustimmen. Man versuchte deshalb
die Angelegenheit durch ein Compromiss zu verein-
fachen, und thatsächlich gruppirte sich die über-
wiegende Mehrheit der Antragsteller um zwei Collectiv-
anträge, deren einer durch Kudlich, der andere durch
Lasser vertreten war.
Der Antrag Kudlich's lautete in seiner letzten
Form: 1. Soll die Unterthänigkeit (nexus subditelae)
sammt allen dieselbe betreffenden Gesetzen aufgehoben
werden? 2. Soll alle Robot und jeder Zehent, sowie
auch alle aus dem Unterthänigkeitsverbande, dem
Obereigenthum, der Dorf- und Schutzobrigkeit, aus
dem Weinbergrechte, aus der Vogteiherrlichkeit, dem
bäuerlichen Lehensverbande entspringenden, oder ihnen
ähnlichen Natural-, Geld- und Arbeitsleistungen und
Lasten des Haus- und Grundbesitzes, einschliesslich
aller Besitzveränderungsgebühren von nun an auf-,
hören? 3. Soll für alle diese aufgehobenen Lasten gar
keine Entschädigung geleistet werden ? 4. Soll es einer
Commission überlassen werden, vorzuschlagen, für welche
dieser Lasten eine Entschädigung, für welche derselben
keine zu leisten sei? 5. Soll für die nicht auf Privatver-
trägen beruhenden Lasten die Entschädigung vom Staate
geleistet werden? 6. Sollen für diese Commission aus je-
dem Gouvernement drei Mitglieder des Reichstages ge-
wählt werden ? Ist darüber eine Pr oclamation zu erlassen ? ' *
Der Collectivantrag Lasser's lautete: „1. Ist die
Unterthänigkeit und das schutzobrigkeitliche Ver-
— 195 —
hältniss sammt allen, diese Verhältnisse normirenden
Gesetzen aufgehoben? 2. Ist Grund und Boden zu
entlasten? Werden alle Unterschiede zwischen Do-
minical- und Rusticalgründen aufgehoben? 3. Sind
alle aus dem ünterthänigkeitsverhältnisse entsprin-
genden, dem unterthänigen Grunde anklebenden Lasten,
Dienstleistungen und Giebigkeiten jeder Art, sowie
alle aus dem grundherrlichen Obereigenthum, aus der
Zehent-, Schutz-, Vogt- und Weinbergherrlichkeit und
aus der Dorfobrigkeit herrührenden, von den Grund-
besitzungen oder von Personen bisher zu entrichten
gewesenen Natural-, Arbeits- und Geldleistungen mit
Einschluss der bei Besitzveränderungen unter Leben-
den und auf den Todesfall zu zahlenden Gebühren
von nun an aufgehoben? 4. Kann für alle aus dem
persönlichen ünterthanenverbande, aus dem Schutz-
verhältnisse, aus dem obrigkeitlichen Jurisdictions-
rechte und aus der Dorfherrlichkeit entspringenden
Rechte und Bezüge keine Entschädigung gefordert
werden, wogegen auch die daraus entspringenden
Lasten aufzuhören haben? 5. Ist für solche Arbeits-
leistungen, Natural- und Geldabgaben, welche der Be-
sitzer eines Grundes als solcher dem Grund-, Zehent-
oder Vogtherrn zu leisten habe, baldigst eine billige
Entschädigung auszumitteln ? 6. Sind die Holzungs-
und Weiderechte, sowie die Servitutsrechte zwischen
den Obrigkeiten und ihren bisherigen Unterthanen
entgeltlich, das dorfobrigkeitliche Blumsuch- und
Weiderecht, sowie die Brach- und Stoppelweide unent-
geltlich aufzuheben? 7. Hat eine aus Abgeordneten
aller Provinzen zu bildende Commission einen Gesetz-
entwurf auszuarbeiten und der Reichsversammlung
13*
— 196 —
vorzulegen? Hat dieser Gesetzentwurf zu enthalten
die Bestimmungen a) über die entgeltliche Aufhebung
der in emphyteutischen oder sonstigen über Theilung
des Eigenthums abgeschlossenen Verträgen begrün-
deten wechselseitigen Bezüge und Leistungen ? h) Ueber
die Aufhebbarkeit von Grundbelastungen, die etwa
im § 3 nicht angeführt sind, c) Ueber die Art und
Weise der Aufhebung und Regulirung der im § 6
angeführten Rechte? d) Ueber den Massstab und die
Höhe der zu leistenden Entschädigung und über den
aus den Mitteln der Provinzen zu bildenden Fonds,
aus welchem durch Vermittelung des Staates die Ent-
schädigung zu leisten kommt? e) Ueber die Frage, ob
für die nach § 2 und nach § 7 aufzuhebenden, jedoch
im § 4 und 5 angeführten Giebigkeiten und Lei-
stungen eine Entschädigung und welche zu entrichten
sei? 8. Haben die Patrimonialbehörden die Gerichts-
barkeit und die politische Amtsverwaltung provisorisch
bis zur Einführung landesfürstlicher Behörden auf
Kosten des Staates fortzuführen?'*
Am 30. August schritt man zur Abstimmung. Die
Majorität entschied sich dafür, dass erst der Lasser-
sche, dann der Kudlich'sche CoUectivantrag zur Ab-
stimmung komme. Die ersten drei Fragen des Lasser-
schen Antrages, das allgemeine Princip der Grund-
befreiung betreffend, wurden einstimmig und unter
unbeschreiblichem Jubel bejaht. Die Linke gedachte
nunmehr die Abstimmung über die weiteren Punkte
des Lasser'schen Antrages, welche die Entschädigungs-
frage betrafen, zu verhindern, indem sie die Ver-
sammlung durch Absentirung beschlussunfähig zu
machen suchte. Das gelang ihr jedoch nicht. Sie
— 19T —
kehrte daher in den Saal zurück und setzte wenig-
stens durch, dass nicht sogleich über die Lasser'schen
Fragen, sondern vorher über das Entschädigungs-
princip abgestimmt werde. Die dem Hause vorgelegten
Fragen lauteten: „Ist für einige der aufgehobenen
Lasten eine Entschädigung zu leisten, für andere nicht?"
„Ist gar keine Entschädigung zu leisten?'' und „Ist
für alles Entschädigung zu leisten?" Das Haus ent-
schied sich für die erste Frage und nahm sodann die
noch übrigen Punkte des Lasser'schen Antrages mit
Majorität an. Hierauf wurde bei neuerlicher Ab-
stimmung der Antrag Lasser's auch in seiner Gesammt-
heit mit Majorität genehmigt.
Man schritt sodann zur Erledigung des Kudlich-
schen Antrages. Die vier ersten Punkte wurden als durch
die gefassten Beschlüsse für bereits erledigt erachtet.
Das Schwergewicht des Kudlich'schen Antrages ruhte
sonach im 5. Punkte, welcher die Pflicht der Ent-
schädigung dem Staate zuschob. Bei der Einzelab-
stimmung wurde dieser gleich den übrigen Punkten
mit grosser Majorität angenommen, bei der zweiten
Abstimmung gelang es der Rechten aber, einige ga-
lizische Bauern zu gewinnen, und so kam es, dass die
Gesammtheit der drei restlichen Punkte mit 152 gegen
148 Stimmen abgelehnt wurde. Die Linke schäumte
vor Entrüstung und verlangte eine neuerliche Ab-
stimmung, die Rechte verliess aber das Haus und
machte es beschlussunfähig. Es blieb bei der früheren
Abstimmung. Die noch übrigen Einzelamendements
wurden entweder als durch die gefassten Beschlüsse
erledigt betrachtet oder von den Antragstellern selbst
zurückgezogen.
— 198 —
Am 7. September legte die Regierung dem Hause
die Redaction der Beschlüsse vor; dieselben wurden
mit dem Zusätze genehmigt, das Ministerium möge
die „bestimmende Fertigung Sr. Majestät veranlassen
und sohin dieselben in gesetzlicher Form zur un-
gesäumten Kundmachung bringen''. Die Sanction und
Publication erfolgte auch thatsächlich noch am selben
Tage.
Die Nachricht von der grossen That des Reichs-
tages, von jener That, welche diesem kurzen Parlamente
einen dauernden Platz in der Geschichte wahren wird,
wurde vom Volke und besonders von den Bauern wie
etwas Selbstverständliches quittirt. Die lange und
fruchtbare Arbeit der Jesuiten und Dragoner hatte
den Sinn für Dankbarkeit aus dem Herzen des
österreichischen Bauern verdrängt, und so kam es,
dass das grosse Ereigniss in ganz Oesterreich weder
durch Bergfeuer noch durch PöUerschüsse, weder
durch Reden und Umzüge, noch durch Gottes-
dienste und Dankeswallfahrten gefeiert wurde. Man
hatte dem Volke die Sache so dargestellt, als ob
die Aufhebung des Unterthanen Verhältnisses vor-
wiegend der Gnade des Kaisers zu danken sei. Das
Verdienst der Linken des Reichstages und vor allem
des muthvoUen und begeisterten Antragstellers Hans
Kudlich wurde möglichst in den Hintergrund und
dafür das vorgebliche Verdienst Lasser' s in den Vor-
dergrund gerückt.
Es bedurfte der Aufforderung eines radicalen
Blattes, der „Bauernzeitung" (Beiblatt zu Mahler's
„Freimüthigen" am 13. September), um den Bauern
zum Bewuöstsein zu bringen, dass sie ihren muthigen
— 190 —
Vertretern im Reichstage Dank schuldig wären. Am
24. September fand zu Ehren Kudlich's ein grosser
Fackelzug statt, zu welchem aus weiter Ferne Bauern-
deputationen entsendet worden waren. Es war eine
imposante Kundgebung, bei der viel gesprochen wurde.
Kudlich selbst hielt vom Balcon des Hotel Munsch
aus jene berühmte, wildlockige Ansprache an die
Bauern, in welcher er diesen die denkwürdigen Worte
zurief: „Seid wachsam! Und wenn der Löwe der Aula
wieder ruft bei nahender Gefahr, so lasst die Flammen-
zeichen leuchten von Berg zu Berg! Ihr werdet
kommen! Ihr werdet kommen und nicht dulden, dass
man die Studenten überfalle und über ihre Leichen
schreitend die junge Freiheit vernichte."
Die Bauern jubelten natürlich den Worten zu;
hatten sie doch das Patent, das ihnen die Robot ab-
nahm, in der Tasche und brennende Fackeln in den
Händen, und wurden mit Auszeichnung behandelt und
mit Ehren überhäuft. Sie hatten auch Bärenmuth,
damals am Mehlmarkte, wo keine Croaten ihnen gegen
über standen und Windischgrätz nicht in Sicht war.
Unter den Männern der Revolution gab es freilich
sehr viele, welche auf diesen Muth und auf diese Be
geisterung der Bauern keinen Pfifferling gaben und von
der Demonstration am Mehlmarkte hinweg freudlosen
Auges in eine düstere Zukunft blickten. Anderen
stählte der Bauernaufzug immerhin den Muth und die
Hoffnung, und den Reactionären jagte er vielleicht
doch eine gelinde Angst ein; allein, die Dinge waren
zu weit gediehen, als dass sie durch eine Demon-
stration, wie die vom 24. September, auch nur hätten
aufgehalten werden können.
— 200 —
Die Arbeiterfrage hatte, wie es nicht anders
möglich war, um jene Zeit längst einen tiefen Riss in
der Bevölkerung erzeugt, welcher die Todeswunde der
Freiheit zu werden drohte.
Schon Ende Juni wetterleuchtete es von ferne.
Man hatte aus Versehen den Arbeitern auf einem
Platze auch für einen Feiertag, an welchem nicht
gearbeitet worden war, den Lohn ausgefolgt. Sogleich
erschienen die Arbeiter von den übrigen Plätzen und
begehrten, dass ihnen überhaupt an Sonntagen
und Feiertagen, wie auch an Regentagen der Xiohn
bezahlt werden solle. Selbst Radicale sahen das Un-
vernünftige dieser Forderung ein.^) Die Arbeiter waren
aber äusserst schwierig; Agitatoren suchten auf den
Arbeitsplätzen am Bründlfeld, in Gumpendorf, in der
Wiedener Vorstadt und anderwärts die Arbeiter auf-
zureizen, und drohten jenen, die sich zufrieden zeigten,
mit Todschlag.') Man suchte zu vermitteln; ohne Er-
folg. Zwischen der gemässigten Bourgeoisie und den
Arbeitern kam es zu heftigen Auseinandersetzungen,
die Stimmung wurde eine sehr verbitterte. Keine Nacht
verging ohne Katzenmusik, die oft ganz Unschuldigen
gebracht wurde, Bäcker und Fleischer kamen in
ernstliche Bedrängniss, die Nationalgarde musste Tag
und Nacht in Dienst stehen, um Ausschreitungen der
Arbeiter zu verhindern. Dadurch wurde aber die
Stimmung des Bürgerthums, welches nie für den
permanenten Waffendienst geschwärmt hat, und sich
seinem bürgerlichen Berufe entzogen fühlte, noch un-
freundlicher gegen die Arbeiter, ja man fürchtete schon
damals einen Conflict zwischen Garden und Ar-
heitern.
Eines Tages zog eine Rotte von etwa hundert
Arbeitern, um eine Lohnerhöhung zu ertrotzen, vor
den Sitzungssaal des Sicherheitsausschusses; eine De-
putation erschien vor der Versammlung und ver-
langte die Erhöhung des Taglohnes auf 36 kr., während
von unten herauf ungestümes Schreien der Genossen
scholl. Der Präsident des Ausschusses, Dr. Fischhof,
suchte dem Sprecher zunächst in eindringlicher Weise
die Unerfüllbarkeit seiner Wünsche klar zu machen;
als der Arbeiter aber nunmehr mit allgemeinen Ex-
zessen der Arbeiter drohte, Hess ihn Fisehhof ver-
haften.
Der Sicherheitsausschuss befand sich in einer
peinlichen Situation, ähnlich wie der Reichstag im
October. Er war für die Aufrechterhaltung der Ord-
nung verpflichtet. Hätte er den drängenden Garden
die Erlaubnisa zu einem Angriffe auf die Arbeiter
gegeben oder den eigenmächtigen Angriff auch nur
nachträglich gebilligt, so wäre sein Vertrauen im Pro-
letariate unwiderbringlich verloren und er selbst der
Rache des eifersüchtigen Gemeindeausschusses preis-
gegeben gewesen. Im anderen Falle wäre der Sicher-
heitsausschuss vollkommen in die Arme des Pro-
letariates und auf die Bahnen des Pariser Wohlfahrts-
ausschusses gedrängt worden. Da er nun zu dem
einen wie zu dem anderen gleich wenig Lust ver-
spürte, suchte er zwischen Garden und Arbeitern zu
vermitteln. Ausschussmitglieder und Studenten eilten
auf die Arbeitsplätze und suchten beschwichtigend
zu wirken; allein, die Arbeiter wollten auch auf die
Studenten nicht hören. Der Tumult und die Er-
bitterung wuchsen von Stunde zu Stut^de, '^^°^ '^*^ ^^
— 202 —
Tag, die Arbeiter bewaffneten sich so gut es ging, die
Situation war äusserst kritisch geworden. Da ver-
suchte der Sicherheitsausschuss ein Letztes. Er con-
signirte die gesammte Garde sammt ihren Geschützen
auf den Glacien, einige beherzte Studenten gingen
unter die Arbeiter und stellten ihnen die Gefahren
eines Kampfes vor Augen. Die Arbeiter, welche sich
die Gewalt des Bürgerthums nicht so gross vor-
gestellt hatten, wurden stutzig und wichen der sicht-
lichen Uebermacht. Sie Hessen es zu, dass die Rädels-
führer verhaftet wurden; Andere entflohen, man hat
wissen wollen, dass es hauptsächlich Czechen gewesen
seien. Die Aufseher über die Arbeiter erhielten nun-
mehr strengen Befehl, solche Personen, die nicht Ar-
beiter waren und welche sie nicht genau kannten, von
den Plätzen abzuweisen; die Arbeiter wurden puri-
ficirt, so viel es sich thun Hess, und seit diesen, den
sogenannten Juniunruhen war es thatsächlich auf den
Arbeitsplätzen wieder ruhig geworden, obwohl ein
geheimer Groll gegen den Gemeinderath und die
Stadtgarden den Arbeitern seit jenen Tagen nicht mehr
aus der Brust zu reissen war. Die allgemeinen Zustände
auf den Arbeitsplätzen änderten sich freilich um
nichts.
Als mit dem Amtsantritte des neuen Ministeriums
Herr v. Schwarzer das Portefeuille der öffentlichen
Arbeiten übernahm, konnte man gewärtig sein, dass
in den ganz unhaltbaren Verhältnissen dieses Ressorts
eine einschneidende Veränderung eintreten müsse.
Schwarzer zeigte in der That den festen Willen und
die redlichste Absicht, den bei den Erdarbeiten ein-
gerissenen Missbräuchen ernstlich zu steuern und die
- 203 —
ganze Institution auf jenes Mass und jene Form zurück-
zuführen, in welcher allein sie intendirt war und sein
konnte.
Einer seiner ersten Schritte war, dass er sich an
den Sicher heits-, wie an denGemeindeausschuss mit einem
Erlasse wendete, in welchem er die Einsetzung eines
provisorischen Centralcomites für Arbeiterangelegen-
heiten unter oberster Leitung des Ministeriums anzeigte.
Die Aufgaben dieses Centralcomites sollten sein,
Erhebungen über den Stand und Zustand, sowie über
die Zuständigkeit der verwendeten und der Verwendung
bedürftigen Arbeiter zu pflegen, diese Daten evident
zu halten, weiters Erhebungen über Nothwendig-
keit, Anzahl, Umfang und Reihenfolge der öffentlichen
Arbeitsobjecte, Fürsorge für die Beschaffung der hierzu
erforderlichen Geldmittel zu pflegen, die oberste Ueber-
wachung der Ausführung dieser Arbeiten und der
dabei zu beachtenden Grundsätze in technischer, öko-
nomischer und disciplinarer Hinsicht zu üben, und
endlich die Herbeiführung eines den Anforderungen
des Staates und der Gesellschaft möglichst entsprechen-
den normalen Zustandes der Arbeitsangelegenheiten
überhaupt anzubahnen.
Dem Centralcomite traten Mitglieder des Gemeinde-
ausschusses und des Sicherheitsausschusses bei, freilich
mit grosser Hingebung für die Sache die letzteren
schon deshalb nicht, weil das neue Comite unter der
Leitung des Ministeriums stand und dadurch die
souveräne Stellung des Sicherheitsausschusses wesent-
lich erschüttert wurde. Ueber die Thätigkeit des
Centralcomites ist uns nichts bekannt geworden, wahr-
scheinlich wurde eine solche nicht entfaltet.
— 204 —
Am 2. August Hess der Arbeitsminister an die
Arbeiter bei den öffentlichen Bauten, welche zu ihren
erlernten Gewerben zurückkehren wollten, die Auf-
forderung ergehen, sich bei dem Comite zu melden,
da man dem Gewerbe und der Industrie durch Staats-
mittel aufhelfen werde. Es meldete sich fast niemand.
Bald darauf ordnete der Minister die Ausweisung der
Fremden von den Arbeitsplätzen an. Die Ausführung dieser
Massregel wurde mit der Behauptung hintertrieben, es
seien keine Fremden da, weil alle vor dem 13. März
Zugewanderten als Zuständige zu betrachten seien, oder
man besässe überhaupt kein Recht, Fremde auszuweisen,
weil die Kosten der Bauten aus der Staatscasse
bestritten würden, in welche alle Provinzen ein-
zahlen u. s. w.
Als diese Versuche, den krankhaften Zudrang zu
den Erdarbeiten zu unterbinden, scheiterten, schritt
Schwarzer zu einer radicaleren Massregel, nämlich zu
einer Lohnreduction. Es wurde am 18. August zunächst
der Abzug an dem Lohne der Weiber und Kinder vor-
genommen, und zwar wurde der erstere auf 15 kr.,
der letztere auf 10 kr. herabgesetzt; eine ähnliche
Lohnreduction für Männer sollte etwas später er-
folgen.
Wir wollen gleich hier die socialpolitische Seite
dieser verhängnissvollen Massregel beleuchten. Es gab
unter den Demokraten des Jahres 1848 nur die eine
Meinung, dass diese Verfügung des Arbeitsministeriums
eine Provocation war, um einerseits dem weiteren Um-
sichgreifen des Proletariereinflusses ein Ende zu machen,
andererseits des Sicherheitsausschusses sich zu entledigen,
die Demokratie zu compromitliren u. s. w. Schwarzer
wurde von deu Einen als das eingeweihte, von den An-
deren als das seiner Mission unbewusste Werkzeug
der reactionären Partei bezeichnet. Es ist schwer, nach
50 Jahren über die Motive einer Handlung etwas Be-
stimmtes aussprechen zu wollen, über welche keine
Documente vorliegen. Eben deshalb ist es aber auch
die Aufgabe des Geschichtsschreibers, insolange die
bekannten natürlichen Gründe zur Erklärung einer
Sache hinreichen, auch wirklich sich damit zu be-
gnügen und auf Combinationen, welche auf dem Boden
der Parteileidenschaft aufgesprossen sind, zn ver-
zichten. Schwarzer hat durch keine seiner Handlungen
vor oder nach seiner Ministerschaft bewiesen, dass
er sich als Werkzeug der Reaction missbrauchen
lasse; er hat vielmehr bewiesen, er allein, dass er sieh
nicht an ein Ministerportefeuille klammere; auch
seine Feinde von rechts und links waren nicht im
Stande, nur das geringste gegen ihn vorzubringen,
was einen so schweren Verdacht rechtfertigen könnte.
Schwarzer hat aber auch im Vollbewusstsein der Conse-
qnenzen jene Massregel getroffen. „Wenn jemand be-
hauptet, eine solche Massregel ginge ohne Aufregung
vorüber, zumal bei einem so demoralisirten Zustande
eines grossen Theiles gerade dieser Arbeiter, der liegt
noch in der Wiege der Erfahrung," heisst es in einem
unmittelbar nach den Excessen in der „Allgemeinen
Oesterreichischen Zeitung" erschienenen, offenbar von
Schwarzer selbst herrührenden oder doch inspirirten
Artikel
Was Schwarzer vorschwebte, war ein heute von
der Wissenschaft unangefochten acceptirter Grundsatz,
dass die den Armen und Arbeitslosen zu bietende
— 206 —
Öffentliche Hilfe nie über das den localen und zeit-
lichen Verhältnissen entsprechend abgeschätzte Exi-
stenzminimum hinausgehen dürfe, um nicht auf solche,
welche noch arbeitsfähig sind und Arbeitsgelegenheit
haben, als Verlockung zu wirken. Es war ein
unverantwortlicher und nur durch die socialpolitische
Unreife zu entschuldigender Fehler des Sicherheits-
ausschusses, dass er den Lohn für die Nothstands-
arbeiten statt zwischen Existenz- und Lohnminimum,
höher als die bei derlei Arbeiten üblichen Löhne fest-
setzte. In der That haben die Gegner der Schwarzer-
schen Massregel, weniger das Wesen derselben, als den
Zeitpunkt, in welchem sie durchgeführt wurde, ihre
Form u. s. w. bemängelt. An solchen Kundgebungen
posthumer Weisheit hat es ja nie gefehlt. Weit eher
könnte man sagen, dass es verfehlt war, die Mass-
regel zuerst auf die Weiber und Kinder zu erstrecken,
und ihr dadurch etwas ausgesucht Hartes zu verleihen.
Allein, gerade auf diesem Wege hoffte Schwarzer die
Arbeiter an die neue Ordnung der Dinge allmählich
zu gewöhnen. Jedenfalls hätte — von Aeusserlichkeiten
abgesehen — was Schwarzer that, jeder andere
Arbeitsminister, der nicht auf socialistischem Boden
stand, thun müssen; das, wozu die fanatischen Stadt-
garden die ministerielle Verfügung missbrauchten,
das hat natürlich Schwarzer nicht zu verantworten.
Die Massregel wurde vom 19, August auf den
Arbeitsplätzen of ficiell publicirt. Sie wurde zwar mit
Murren, aber ohne ernste Demonstration aufgenommen,
und der 19. und 20. August verliefen ruhig. Am
21. August zogen die Arbeiter wie gewöhnlich zur
Arbeit und nahmen eine neuerliche Publication,^) in
— 207 —
welcher die Massregel vom 18. August vollständig
aufrecht erhalten wurde, mit Ruhe hin; erst gegen
8 Uhr wurden sie zu einer Sturmpetition animirt;
die Stimmung wurde besonders in dem Momente eine
gereizte, als man erfuhr, dass auch die Männer
demnächst eine Lohnreduction erfahren sollten. Die
Arbeiter rotteten sich zusammen und zogen gegen die
Stadt. Das Ministerium setzte sich bei der Kunde von
dem Herannahen der Arbeiterschaaren mit allen revo-
lutionären und regulären Behörden in Verbindung
und forderte sie auf, alles, was in ihrem Wirkungs-
kreise liege, vorzukehren. Man suchte die Arbeiter
von der Stadt fernzuhalten; es kamen aber dennoch
viele in die Stadt und begaben sich in die Aula. Die
Legion, wie auch die Vorstadtgarden standen auf der
Seite der Arbeiter; sie suchten sie gleichwohl zu be-
schwichtigen und erreichten es auch, dass trotz aller
Feindseligkeit der Stadt- und Municipalgarden es an
diesem und dem folgenden Tage zu keinem ernsteren
Conflicte kam.
Am 23. August veranstalteten die Arbeiter im
Prater eine Farce, bei welcher der Minister schlecht
wegkam, wie solche aber damals nicht selten aufgeführt
wurden. Man führte einen Esel in Procession herum,
auf welchem eine Puppe mit einem Fünfkreuzerstück
im Munde sass, der Minister Schwarzer, der den Ar-
beitern 5 kr. abgezogen hatte. Sch>Hrarzer wurde dann
in effigie verbrannt, und als man sich durch dieses
Autodafe genügend in Stimmung gebracht hatte,
suchte man in Massen gegen die Stadt zu ziehen. Das
war der Moment, den die spiessbürgerlichen und gegen
das Proletariat feindseligen Stadt- und Municipalgarden
-- 208 —
benützten, um das Spiel zum Aeussersten zu treiben.
Am Eingange der Jägerzeile (Priaterstrasse) stiessen die
Arbeiter auf die Garden. Man weiss nicht, von welcher
Seite die Feindseligkeiten eröffnet wurden, genug, die
Garden feuerten wiederholt in den aus meist unbe-
waffneten Männern, Weibern und Kindern bestehen-
den Knäuel, sie hieben noch in die Fliehenden ein
und schonten selbst Kinder nicht. Zahlreiche Leichen
und Hunderte von Verwundeten bedeckten das Pflaster.
Bürger hatten Bürgerblut vergossen; die Revo-
lution war geschändet, die Partei des Rückschrittes
konnte sehen, dass ihre Stunde gekommen sei. Als die
brutalen Männer der „Ordnung" in die Leopoldstadt
zurückkehrten und ihre noch blutigen, aber mit Blumen
bekränzten Säbel und die den Arbeitern entrissenen
Fahnen triumphirend schwangen, wurden sie an den
Fenstern von Damen mit Lebehochs und Tücher-
schwenken begrüsst. Das Bürgerthum hatte lange mit
Widerwillen Arbeiterfreundlichkeit geheuchelt, es hatte
lange den patrizischen Aristokratenstolz unterdrückt,
und mit dem „Gesindel", das ihm die politische
„Freiheit" erkämpft hatte, brüderlich verkehrt. Jetzt
hörte der Zwang, die unnatürliche Verbrüderung auf;
man wollte den Arbeiter wieder in die ihm vermeint-
lich gebührenden socialen Grenzen zurückgewiesen
wissen, und gab sich gar keine Mühe, die brutale
Gewalt, mit welcher man im Prater den Anfang
gemacht hatte, zu rechtfertigen. Man bekannte offen
seine Sympathien mit dem Militarismus und betonte
rücksichtslos den Gegensatz zu den Demokraten, den
Studenten, deren Legion sich neutral verhalten hatte,
und den Vorstadtgarden.
— 209 —
Die Verhimmlichung der brutalen Gewalt hat in
Wien sogar ihren classischen Dichter gefunden. Ein
Grillparzer musste es sein, welcher den Kampf der
Geister und Meinungen verächtlich hinter die Moral
des Commissstiefels setzte, weil der erstere ihm, dem
Typus des griesgrämigen Spiessbürgers, mitunter einmal
die Nachtruhe störte. Darum wünschte er den Sieg
der Armee in Italien, damit die Partei der militärischen
Disciplin endlich auch in Wien „Ruhe und Ordnung"
mache.
Glück auf, mein Feldherr, führe den Streicli!
Nicht bloss um des Ruhmes Schimmer,
In Deinem Lager ist Oesterreich,
Wir Andern sind einzelne Trümmer.
Aus Thorheit und .aus Eitelkeit
Sind wir in uns zerfallen,
In denen, die Du führst zum Streit,
Lebt noch Ein Geist in Allen.
Dort ist kein Jüngling, der sich vermisst
Es besser als Du zu kennen,
Der, was er träumt und nirgends ist
Als Weisheit wagt zu benennen u. s. w.
»Wie tief musste das österreichische und Wiener
Bürgerthimi stehen, wenn selbst ein Grillparzer nicht
das Infamirende eines solchen Glaubensbekenntnisses
empfand. Einige Monde später dachte vielleicht auch
er über den Geist der Soldatesca anders — wir nehmen
das zur Ehre seines Gedächtnisses an — ; im August
konnte man aber die militärische Unterdrückung der
Arbeiter- und Studentenherrschaft kaum mehr er-
warten. Gewiss hat der Hof und Adel alles gethan,
um den Gang der Geschichte rückläufig zu machen,
aber die Bourgeoisie lief diesen beiden Factoren
förmlich den Rang ab. Angeborene Bedientenhaftigkeit
Zenker: Wiener Revolution. 14
— 210 —
(Bediententreue nach oben, Bedientenhochmuth nach
unten) einerseits, das berechtigte Bedürfniss nach wirth-
schaftlicher Consolidirung, und die unberechtigte heil-
lose Furcht vor dem „Communismus" andererseits, das
war es, was dem Bürgerthum in den Gliedern lag.
Sie fragten gar nicht mehr um die politischen „Er-
rungenschaften'', der wirthschaftliche und sociale
Kaufpreis, um den sie dieselben erstehen sollten, war
ihnen viel zu hoch.
Die kleinen Vorstadtbürger, meist zu Sitzgesellen
herabgesunkene oder bereits ganz ruinirte Handwerker
und die Studenten, hielten treu zu den Arbeitern und
zur Demokratie. Aber die Ereignisse des 28. August
enthüllten ihnen den ganzen Ernst der Situation. Die
Flitterwochen der Revolution mit ihren. Illusionen
waren vorüber, und ein tiefer Pessimismus riss jetzt
ein. Der Sicherheitsausschuss hatte in der ganzen An-
gelegenheit eine erbärmliche Rolle gespielt; er hatte,
als das Ministerium ihm die Executive entriss, nicht
den Muth, die Arbeiter, die unbedingt auf seiner Seite
gestanden wären, aufzurufen, und sich in einen Kampf
mit der Regierung einzulassen. Er wollte, wie gesagt,
ebenso wenig ein Wohlfahrtsausschuss werden als der
Reichstag zwei Monate später die Rolle des Convents
übernehmen wollte; ob dies zum Heile und Segen
Oesterreichs geschah, haben wir nicht zu untersuchen.
Der Sicherheitsausschuss liess daher die furcht-
baren Vorgänge des August einfach geschehen, und
besass nur noch den Muth des Selbstmörders. Am
24. August löste er sich noch zur rechten Zeit, ehe
die Regierung die Auflösung verfügen konnte, selbst auf.
Damit war die Revolution entschieden; die Demokratie
sah zwar thränenden Auges, aber die Hände in den
Taschen zu, wie ihr berufenes Organ verschwand, und
auch sie wagte kein Wort, keine That, um sich diese
ureigenste Institution der Revolution zu erhalten. Das
Spiel war verloren.
Minister Schwarzer gab unmittelbar nach dem
traurigen Ereignisse im Prater die Demission, führte
aber eine kurze Zeit noch seine Geschäfte weiter. Die
unbedingt gut zu heissenden Massregeln gegen das
Unwesen bei den öffentlichen Arbeiten konnten jetzt
mit grösserem Nachdruck und Erfolg durchgeführt
werden. Die Zahl der Erdarbeiter war bald auf die
Hälfte reducirt, und wenigstens die crassesten Miss-
bräuche wurden abgeschafft.
Der in der Arbeiterfrage erfolgte Umschwung
machte sich aber auch sonst fühlbar. Viele Zugeständ-
nisse, welche die Arbeitsgeber an ihre Gesellen nach
der März- und Mairevolution gemacht hatten, wurden
nun auf einmal zurückgenommen. Selbst die Drucker-
principale versuchten, an den gern achten Zugeständnissen
zu quängeln; der Lohntarif behagte ihnen nicht, ge-
wisse Dinge wenigstens sollten „dem freien Ueberein-
kommen zwischen Herrn und Gehilfen überlassen
bleiben".
In den Versammlungen der Drucker wurde die
Frage lebhaft erörtert. Man beschloss die Gründung
eines „Gutenbergvereines", wie solche auch in
Deutschland bestanden, um einen Anschkiss an die
grosse Organisation der Typographen Deutschlands zu
finden. Allein, die constituirende Generalveräaninilung
fand erst am 2l. October, wenige Tage vur der Ein-
nahme Wiens durch Windischgrätz statt.
— 212 —
Auch unter den übrigen Arbeitern gährte es.* Der
Arbeiterverein plante, um die Arbeiterverhältnisse in
Wien zu ermitteln, ein „Arbeiterparlament", eine Ver-
sammlung von Arbeitern, zu welcher jede Branche
drei Delegirte hätte entsenden sollen, einzuberufen.
Das Programm dieser Enquete war: 1. Gleichstellung
der politischen Rechte des Arbeiters mit den anderen
Ständen. 2. Einsetzung eines Arbeit er minister iums, in
welchem auch Arbeitnehmer und Arbeitgeber als
Unterstaatssecretäre vertreten sein sollen. 3. Freies
Niederlassungsrecht. 4. Vollkommene Gewerbefreiheit.
5. Feststellung einer kürzeren Arbeitszeit. G. Bildungs-
anstalten für die arbeitende Bevölkerung. 7. Errichtung
von Kranken- und Invalidencassen mit staatlicher Bei-
hilfe. 8. Einführung von Gewerbeschiedsgerichten.
9. Aufhebung des Passzwanges. 10. Unbeschränkte
Heiratserlaubniss. II. Ueberreichung des Ergebnisses
des Arbeiterparlamentes an den hohen Reichstag mit
der Forderung, die Wünsche und Bedürfnisse der Ar-
beiter Oesterreichs zu berücksichtigen und ihnen ge-
recht zu werden.
Das „Arbeiterparlament" fand leider wegen der
dazwischen getretenen Octoberereignisse nicht statt, und
somit kam es auch nicht dazu, dass einem öster-
reichischen Parlamente schon im Jahre l«4:8 ein klares
socialpolitisches Programm der Arbeiterschaft über-
reicht werden konnte.
Es verdient, wenn auch nur als historische Pi-
kanterie, in einem Buche über die socialen Bewegungen
des Jahres 1848 vermerkt zu werden, dass im Sommer
des Jahres Michael Bakunin und Karl Marx in Oester-
reich weilten. Bakunin war zum Slavencongress in
— 213 —
Prag erschienen und bildete hier während des Pfingst-
aufstandes mit einigen anderen slavischen Revolutio-
nären eine Art Generalstab, der den höchsten Wider-
stand zu organisiren sich bemühte. '-') Von einer eigentlich
socialistischen Agitation Bakunin's in Prag ist nichts be-
kannt geworden. Der Vater des Actionsanarchismus, oder
wie er es nannte, des „Araorphisraus", befand sich
damals in Bezug auf seine Anschauungen selbst noch
in einem sehr amorphen Zustande: ^r hatte kaum die
ersten Keime der Proudhon'schen Lehre in sich auf-
genommen, und pendelte einstweilen noch von der
deutschen Demokratie zum knutenlüsternen Panslavis-
mus hin und her.
Ebenfalls in kritischer Zeit weilte Karl Marx in
Wien, nachweisbar vom 28. August bis 7. September.*")
Marx hatte wohl gehofft, für seine Ansichten hier einen
der Agitation zugänglichen Boden zu finden, sah sich
hierin aber bitter enttäuscht. Schon das freundliche
Zusammengehen eines Theiles des Bürgerthums mit
dem Proletariate war ganz und gar nicht nach seinem
Geschmacke. In einer am 28. August abgehaltenen
Versammlung des demokratischen Vereines sprach er
das bis dorthin in Wien kaum gehörte Wort aus,
dass es sich bei dem Augustrummel um weiter
nichts als um einen Kampf zwischen Bourgeoisie und
Proletariat handle. Dr. Hermann Jellinek polemi-
sirte gegen ihn, aber Marx war nicht so leicht zu
bekehren, und in der „Neuen Rheinischen Zeitung"
liess er sich über die Unreife der Wiener Revolutions-
männer nicht besonders liebenswürdig aus. In den
ersten Tagen des September sprach Marx wiederholt
im „Arbeitervereine". Er hielt einen Vortrag über
— 214 —
.„Lohnarbeit und CapitaP'. Alle Revolutionen seien
sociale; das Capital bestehe nicht aus Geld, sondern
aus Rohstoffen, Productionsinstrumenten etc. Die Be-
hauptung, dass die Interessen des Capitalisten und des
Lohnarbeiters dieselben seien, sei falsch. Mit der Theilung
der Arbeit wachse die Concurrenz unter den Arbeitern,
es sinkt der Lohn; noch viel mehr durch das Ma-
schinenwesen. Die Productionskosten bestimmen den
Arbeitslohn. (?) Die Civilisation vermehre nicht das
Wohlbefinden der Arbeiter, im Gegentheile, es wachsen
die Steuern und die Lebensbedürfnisse u. s. w.
Schon aus diesem kurzen Berichte geht hervor,
dass sich Marx bemühte, die Wiener Arbeiter für seine
Lehre zu gewinnen; aus der ungelenken Wiedergabe
des Vortrages durch den Präsidenten des Arbeiter-
vereines^') ist aber auch zu ersehen, dass Marx hier
einen sehr schlechten Boden vorfand. Ziemlich ent-
täuscht mag er Wien — vermuthlich gleich nach dem
7. September — verlassen haben. Wenn man ihm den
Vorwurf machte, er habe bei den gleich zu schildern-
den Septemberunruhen die Hand im Spiele gehabt, so
war das eine purblanke Erfindung. Marx hatte um
diese Zeit zuverlässig Wien bereits verlassen.
Auch die Genesis dieser Septemberunruhen, dieses
Wetterleuchtens vor dem grossen Ungewitter des Oc-
tober, ist in erster Linie in wirthschaftlichen Ver-
anlassungen, in der von Tag zu Tag beängstigender
um sich greifenden Verelendung des Handwerker-
standes, des Kleinbürgerthums zu suchen.
Wir haben die traurige Lage des kleinen Ge-
werbes und ihre Voraussetzungen wiederholt geschil-
dert; durch die Vorgänge in Südungarn, durch die
— 215 ~
Scheidewand, welche sich in Folge der politischen
Vorgänge zwischen Wien und jenem Hauptabsatz-
gebiete der Wiener Industrie aufthürmte, wurde der
letzteren ein neuer empfindlicher Schlag versetzt. Im
Gemeindeausschusse mehrten sich die Ansuchen von
Gewerbetreibenden um Gewährung von Vorschüssen
oder Unterstützungen zur Fortführung ihrer Gewerbe.
Im Auftrage und unter Leitung des Ministeriums
bildete sich ein Comite, welches sich die Aufgabe
stellte, mittellose Gewerbsleute durch Zuwendung
von Rohstoffen, Abnahme von Producten und nöthigen-
falls auch durch Zuwendung von Barmitteln zu unter-
stützen. Das Finanzministerium setzte für diesen Zweck
^ine Summe von 500,000 fl. aus, die jedoch vorder?
hand nicht in Angriff genommen wurde; überhaupt
scheint sich das Comite in seiner Thätigkeit nicht über-
stürzt zu haben.
Und doch drängte die Noth unabweislich, dem
Handwerke mussten Creditquellen eröffnet werden,
sollte es nicht verdorren und verschmachten. Man
hatte wiederholt in der Presse und auf der Tribüne
die Heranziehung des Credites der Nationalbank für
das Kleingewerbe angeregt. Otto Hübner verlangte,'^)
dass die Bank Fabrikanten und Gewerbsleuten Dar-
lehen auf ihre Producte und Waaren gewähre. That-
sächlich wurden von Seite der Bank 4,000.000 fl. zu
diesem Zwecke bestimmt, *') ob aber auch wirklich
verwendet, ist nicht bekannt. Ende August machte ein
Th. Iwan dem Gemeindeausschusse den Vorschlag zur
Errichtung eines gewerblichen Creditinstitutes auf
Grund einer von der Nationalbank aufzunehmenden
Anleihe von 500,^^00.000 fl. Der Vorschlag wurde mit
— 216 —
Rücksicht auf die bekannte Finanzlage der National-
bank als unausführbar ad acta gelegt.
Auch der Reichstag hätte mehreremale Gelegenheit
gehabt, sich zu einer That für die Gewerbetreibenden
aufzuraffen, da die demokratischen und liberalen Ab-
geordneten wiederholt mit praktisch durchführbaren
Projecten hervortraten. In der Sitzung vom 23. August
stellte der Abgeordnete Latzel den Antrag, die Reichs-
versammlung erkläre Volksbanken, zusammenhängend
mit den zu errichtenden landesfürstlichen Behörden
für nothwendig und fordere sachkundige Männer zur
Ausarbeitung entsprechender Pläne auf. Der Antrag-
steller sagte in der Motivirung, dass mit der
Nationalbank nur einige, verhältnissmässig wenige,
meist durch grossen Besitz, mindestens aber durch
ausgedehnten Credit begünstigte Personen in directem
Verkehr stünden; alle übrigen, die immense Majorität
sei von dieser Handvoll von Millionären abhängig,
sie seien die Zinsholden dieser Wenigen. Die Zeit, wo
die Reichen Anstalten für Reiche gründeten, um sich
noch mehr zu bereichern, sei hoffentlich für immer
vorbei; Gemeinnützigkeit für die grosse Menge Be-
sitzloser und wenig Besitzender sei die Losung des
Tages und der Zukunft, und daher sei e& Aufgabe
des Reichstages, billigen, raschen und jedem zu-
gänglichen Credit zu schaffen. Latzel wollte, dass
diesen Anstalten das Vermögen der Witwen und
Waisen, der Kirchen und Stifte anvertraut werde, und
wollte sie daher in engste Verbindung mit den zu er-
richtenden landesfürstlichen Behörden bringen. Er
nahm dieselben zunächst für die Landwirthschaft in
Anspruch; durch die Zuführung von Capital an die
— 217 —
Landwirthscliaft werde man am besten im Stande
sein, der progressiven Vermehrung des Proletariates
Schranken zu setzen; sodann sollten die Volksbanken
aber auch dem Handel und Gewerbe zugute kommen.
Allein, die Versammlung war auf socialpolitischem
Gebiete des Gehens und Stehens unkundig wie ein
kleines Kind; sie zeigte wenig Lust, an eine Frage zu
tasten, welche nach der Meinung der Mehrheit ganz
unberechenbare Folgen für die wirthschaftlichen und
finanziellen Zustände hätte haben können. Und so
kam es denn nicht einmal zu der von Latzel ge-
wünschten platonischen Erklärung, dass der Reichstag
die Schaffung neuer Creditanstalten für das Volk für
nothwendig erachte.
Angesichts der Unfähigkeit und Willenlosigkeit
des Reichstages und Gemeindeausschusses, Hilfe zu
schaffen, darf es nicht Wunder nehmen, dass ein aus
der Mitte des Volkes selbst auftauchender Plan zur
Geldbeschaffung eifrig aufgegriffen und blindgläubig
hingenommen wurde. Der uns schon bekannte August
Swoboda hatte unmittelbar nachdem sein erstes
Project vom Sicherheitsausschusse und Gemeindeaus-
schusse zurückgewiesen worden war, sich an den
Entwurf eines neuen Projectes zur Begründung eines
„Privatdarlehen Vereines ohne Hypothek" gemacht.^*)
Das neue Project war eigentlich nur eine Modification,
und zwar eine Verschlechterung des ersten, indem
die früher geforderte Sicherstellung der Antheilscheine
auf den Realbesitz jetzt weggelassen erschien. Der
Finanzplan Swoboda's war diesmal noch gewagter;
er dachte sich einen Verein aller nothleidenden Ge-
werbsleute, welcher 200.000 Stück „Actien'' ä 20 fl. C.-M.
— 218 —
mit der Benennung „Actien der Wiener Gewerbe-
männer" ausgeben und zu deren Ankauf das Publicum
einladen sollte; jede Actie sollte zu 57o verzinst werden.
Durch den Verkauf der 200.000 Actien wäre dem
Vereine ein Capital von 4,000.000 fl. zugeflossen; dieses
sollte dazu verwendet werden, um Gewerbetreibenden
zum Fortbetriebe ihres Geschäftes, zur Tilgung ihrer
Schulden u. s. w. Vorschüsse zu gewähren. Die Rück-
zahlung des Capitales sollte an den Verein in monat-
lichen Raten von 27o des dargeliehenen Betrages er-
folgen. Eventuell dem Vereine erwachsende Verluste
sollten auf alle Mitglieder gleichmässig repartirt
werden, also Solidarhaft. Der Verein seinerseits sollte
allmonatlich so viele, durch das Los getroffene Actien
zurückzahlen, als die eingelaufenen Gelder erlaubten:
Auf diese Weise hoffte Swoboda in vier Jahren und
zwei Monaten die ganze Summe zurückgezahlt zu
haben.
Swoboda's felsenfester mutualistischer Glaube,
der in diesem Project fast noch mehr als in dem
ersten hervortritt, verleitete ihn zu der Erwartung,
dass die „Actien der Wiener Gewerbemänner*' allge-
meinen Courswerth bekommen würden, und er scheint
nicht Wenige gefunden zu haben, welche sich gleich ihm
derselben schmeichlerischen Hoffnung hingaben. Dass
natürlich die kleinen Gewerbetreibenden, welche nichts
als die Einschreibegebühr von 10 kr. riskirten und auf
allerlei Darlehen hofften, in Massen herandrängten,
kann nicht Staunen erwecken. Es scheinen sich aber
auch Leute gefunden zu haben, welche ihr Geld in
Swoboda'schen Actien anlegten, und Andere, welche
solche Actien übernahmen. Als nun gar die Minister
— 219 —
Doblhoff und Hornbostel als Privatpersonen, in der
Meinung, einen wohlthätigen Zweck zu unterstützen,
grössere Beträge zeichneten und dies öffentlich bekannt
wurde, hielten Viele dies für einen Act staatlicher
Garantie und traten gleichfalls mit kleineren Beträgen
bei. Man sagt, dass die Zahl der an dem Vereine
Interessirten schliesslich 40.000 betragen habe.*'^) Freilich
fehlte es auch nicht an öffentlichen Warnungen vor
dem „Schwindel", als den man das Swoboda'sche
Unternehmen vielfach ansah. Swoboda wurde durch
das Ministerium auf das Eindringlichste verwarnt und
darauf aufmerksam gemacht, dass er durch seinen
Verein sich und viele Andere ins Unglück stürze, und
am 29. August erklärte Handelsminister Hornbostel in
öffentlicher Reichstagssitzung, er bedauere, dass dieser
Privatdarlehensverein entstanden sei, er habe den
Gewerbsleuten ein Versprechen gemacht, das schwer
in Erfüllung gehen dürfte, da die Basis, auf der er
beruht, unsicher sei.
Das war damals aber schon zu spät. Die Weiter-
gabe der „Actien der Wiener Gewerbemänner" stiess,
wie zu erwarten, bald auf unüberwindliche Schwierig-
keiten, sie sanken rapid im Werthe und wurden um
Spottpreise losgeschlagen. Darüber entstand begreif-
liche Aufregung. Der arme Swoboda bot nun alles auf,
um eine Garantie für sein Unternehmen, für den Cours
der Papiere zu erlangen. Er verlangte zuerst, dass
der Kaiser diese Garantie übernehmen möge,*®) und
als dies kurzweg zurückgewiesen wurde, die Erregung
unter den in ihren Hoffnungen Getäuschten aber
bereits ihren Siedepunkt erreicht hatte, wendete er
sich an den Gemeindeausschuss mit dem Ersuchen um
jä
— 220 —
Garantirung der von ihm ausgegebenen Actien; es
war am 11. September, also just an jenem Tage, wo
die Trauerfeier für die im August gemordeten Arbeiter
von den demokratischen Vereinen abgehalten wurde
und die Massen sich ohnedies in erregtester Stimmung
befanden.
Vor dem Berathungssaale des Gemeindeausschusses
und auf den Galerien drängten sich Tausende von
Menschen. Der Ausschuss — der angesichts des Auflaufes
nicht den Muth hatte, das Gesuch schlankweg abzu-
lehnen — überwies dasselbe einem Comite zur Unter-
suchung und Prüfung.*'') Dieser Beschluss rief jedoch
auf den Galerien furchtbare Erbitterung hervor;
man schrie und tobte, sprang von der wenig über
dem Niveau des Saales liegenden Galerie in den Be-
rathungsraum, suchte mit Drohungen den Gemeinde-
rath zur sofortigen Annahme des Gesuches zu be-
wegen, und trieb ihn, als dies nicht gelang, einfach
auseinander. Der tobende Haufe, zumeist aus Hand-
werkern und kleinen Fabrikanten bestehend, welche
den Vorstadtgarden angehörten, stürzte sich hierauf'®)
auf den Judenplatz zum Palais des Ministers des
Innern, drang bis in die Zimmer des Ministers und
plünderte, als man diesen nicht fand, alle Räume.
Ein Theil der Stadtgarden, welcher sich aus den wohl-
habenden Bürgerclassen recrutirte, trat auch hier
wieder dem anderen aus der armen Bürgerschaft be-
stehenden Theile der Nationalgarde feindlich gegen-
über.
Tags darauf erklärte die Regierung in einer Kund-
machung, dass der Staat sich in eine Privatangelegen-
heit nicht einmischen könne, dagegen wolle er, damit
— 221 —
die Geschäftsleute durch die bereits ausgegebenen
Actien nicht Schaden leiden, eine Commission zur ge-
nauen Untersuchung und Hintanhaltung aller ferneren
Umtriebe des Vereines einsetzen. Das genügte den
aufgeregten Massen nicht ; es kam zu neuen Tumulten,
welche den \2. und 13. September erfüllten, und mitten
unter welchen der Ruf nach Wiedereinsetzung des
Sicherheitsausschusses ertönte, der ein tausendfaches
Echo fand.
Diesen Augenblick hatte die Partei des gewalt-
samen Widerstandes nur abgewartet, um — entgegen
den klaren Maizugeständnissen, nach welchen das Militär
nur über Requisition des Nationalgardeobercommandos
interveniren durfte — die Truppen ausrücken und
gegen die Aula, den vermeintlichen Herd jeder Un-
ruhe, marschiren zu lassen. Drohend standen sich
einige Stunden hindurch Militär und Volk mit schuss-
fertigem Gewehre gegenüber, und es wäre gewiss schon
am 13. September zu dem blutigen Zusammenstoss
gekommen, der erst zwei Wochen später erfolgte,
wenn der Putsch gelungen wäre, und der Reichstag,
der sich in Permanenz erklärte, nicht die sofortige
Zurückziehung der Truppen durchgesetzt hätte.
Unter dem Eindrucke dieser Ereignisse beschloss
der Reichstag einhellig über Antrag der Abgeordneten
Brestel, Goldmark und Genossen, dem Ministerium
einen Credit von zwei Millionen Gulden zu dem Zwecke
zu eröffnen, um durch zinsfreie Vorschüsse wenigstens
im ersten Jahre den Gewerbetreibenden der Stadt
Wien in ihrer bedrängten Lage aufzuhelfen, jedoch
seien die vom Minister bereits zu dem gleichen Zwecke
angewiesenen 500.000 fl. in diese zwei Millionen ein-
— 222 -
zurechnen. Ein Theil dieser Summe wurde dazu
verwendet, um sofort die im Besitze der Gewerbe-
treibenden sich befindlichen Swoboda'schen Actien
gegen Erlag eines Schuldscheines an die Staatsver-
waltung zu 207oigen Theilbeträgen einzulösen, was
wohl nicht wenig zur Beruhigung der Massen beitrug.
Pillersdorf als Referent des Finanzausschusses
empfahl diese staatliche Hilfe für die Gewerbetreibenden
mit der Gewissens- und Rechts Verwahrung, dass er
kein Anhänger der Lehre sei, dass der Staat die
Verpflichtung habe, für Arbeit und Erwerb zu sorgen ;
er glaube, der Staat leiste seinen Verpflichtungen Ge-
nüge, wenn er die Hindernisse beseitigt, welche dem
Erwerbe und Verdienste entgegenstehe, und wenn er
jedem die Mittel erleichtert, nach seinen Kräften, nach
seinen Fähigkeiten und nach seinen Neigungen Arbeit
und Erwerb zu suchen. ^^)
Ein Beweis aber, wie mächtig der Einfluss der
Swoboda'schen Idee — wenigstens der ursprünglichen
Idee eines hypothecirten Volksanlehens war, geht daraus
hervor, dass in derselben Sitzung des Reichstages
vom 13. September der Abgeordnete Neuwall diese
Idee aufnahm und an den Handelsminister die An-
frage stellte:
„Nachdem das Volk selbst, ich möchte sagen,
instinctmässig die Richtung angedeutet hat, in welcher
ihm Hilfe zukommen kann, dasselbe aber allein weder
den rechten Weg zu finden, noch die Mittel zur Verfol-
gung desselben herbeizuschaffen im Stande ist, frage
ich das Ministerium, ob es einem Anstände oder Be-
denken unterliegen könne, die Stadt Wien selbst auf-
zufordern, einen Theil ihres Realvermögens als Hy-
pothek zur Begründung einer Leih- und EsconipTe-
bank für kleine Handel- und Gewer betr ei beude in
Wien zu widmen, und auf dieser Basis durch Ausgabe
von Actien, unter Garantie, Ueberwachung und Leitung
der Stadtgemeinde selbst, dem drohenden Ruine der
Wiener Bürger, denen der Staat schun seit fiülier für
unendliche Opfer, jetzt aber Oesterreich für die er-
langte Freiheit den Dank schuldet, zuvovzukommen
und den vielfältigen bedauerlichen Aufregungen und
Ruhestörungen durch Unterstützung und inü^Hchste
Zufriedenstellung der Wiener Bürger den wirksanisleu
Damm entgegenzusetzen?"
Handelsminister Hornbostel erwiderte, die äiadt
Wien habe allerdings ein nicht unbedeutendes Ver-
mögen in Liegenschaften, dasselbe sei jedoch niolit
ohne Belastung. Die Stadt Wien wäre in diesem
Jahre sogar bemüssigt gewesen, ein Darlehen von dei-
Nationalbank aufzunebmeu, um die Nothstandsbaulen
fortführen zu können und um gegen die Bauunter-
nehmer ihre Verpflichtungen einhalten zu können. Ob
die Stadt Wien in der Lage sei, eine solche Bank ins
Leben zu rufen, könne er für sich allein nicht aus-
sprechen, er sei aber gern bereit, diese Frage an die
Gemeindevertretung zu richten. Er wolle keinesfalls
in Abrede stellen, dasa eine solche Bank, wenn sie in
geeigneter Weise ins Leben gerufen würde, von der
grösaten Nützlichkeit und von den erapriPs^ti^■l1F;t^■
Folgen sein dürfta Das Ministerium werde es si 'ii /i
Pflicht machen, alles vorzukehren, um eine üuUJ
Bank baldmöglichst ins Leben gerufen zu
diese Bank von Privaten zu errichten c
einigung mit der Nationalbank ins Leb
k
— 224 —
sei, ob sich die Stadt Wien dabei betheiligen werde,
das alles lasse sich jetzt nicht beantworten, aber das
Ministerium werde alles daran wenden, dass ein
solches Institut überhaupt zu Stande komme.
Die politischen Ereignisse der kommenden Zeit
haben dieses von dem redlichen Hornbostel gewiss
aufrichtig gemeinte Versprechen, sowie tausend andere
illusorisch gemacht
Ebenfalls noch am 13. September fragte derselbe
Neuwall den Kriegsminister, ob man denn nicht den
Handwerkern und kleinen Fabrikanten wenigstens
dadurch helfen könne, dass man die erforderlichen
Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände für die
Armee in Wien oder in den grösseren Provinzstädten
im Einvernehmen mit den betreffenden Innungen auf
Grund von Normalpreisen den Gewerbetreibenden
übergebe? Latour erklärte sich in Hinkunft bei Be-
stellungen für die Armee bereit, das Handwerk zu
berücksichtigen. Die kommende Aera der Reaction
hat dieses Versprechen ihres Märtyrers aber nicht
eingelöst; dieselbe Partei, welche heute ein Patent auf
den Gewerbeschutz genommen zu haben scheint, hat
in der Zeit ihrer unbedingten Herrschaft in den
Fünfziger] ahren an die Handwerker nicht gedacht
und sich bei den Armeelieferungen vielmehr in Ge-
schäfte eingelassen, welche die schmutzigste Corruption
zeitigten, wie der Process Richter-Eynatten nachträg-
lich enthüllte.
In der constituirenden Reichsversammlung fehlte
es aber an Anregungen und Plänen zu einer ver-
nünftigen Gewerbereform keineswegs, und wenn dem
guten Willen besonders der Mitglieder der Linken
}
nicht die rettende That folgte, so lag die Schuld wahr-
lich nicht an dem Reichstage, sondern an jenen Leuten,
welche die Thätigkeit der ConstitUünte planmässig
lahmlegten, wie an den Ereignissen, welche be-
greiflicherweise den Blick von den kleinen Schmerzen
eines Standes ablenkten, an den Ereignissen, welche
die natürliche und unerlässliche Voraussetzung für
die Lösung jedes anderen wirthschaftlichen und socialen
Problems, die Freiheit in Frage stellten. Waren doch
die betroffenen Stände in jener traurigen, aber grossen
Zeit auch gross genug, ihren Classenstandpunkt, ihr
kleines Sonderinteresse in den Hintergrund zu stellen,
so oft die Fahne der Freiheit, der Freihfit, die für
Alle galt, entrollt wurde.
Achtes Capitel.
Die Ootobenevolution. ScMuss-
Die Octoberrevolution war keine Prngrammrevo-
lution wie die des März oder Mai; da gab es nichts
durchzusetzen, da galt es nicht noch eine sociale
Scheidewand niederzureissen ; die Octoberrevolution
war ganz einfach ein den Massen des Volkes aufgezwun-
gener Kampf um die Freiheit, vm die Erhaltung alles
dessen, was bisher errungen worden wur. Ob nun dii'
Herausforderung zu diesem blutigen Waffentanz aus-
drücklich in dem Kriegsplane der vereinigten rBBC-
tionären Parteien gestanden, oder ob der gewal
Widerstand, welchen das Volk am (S, Octobei
marsche der deutschen, gegen die Ungarn
A
— 226 —
dirten Grenadiere entgegensetzte, bloss als guter An-
lass aufgegriffen wurde, um das am 13. September
durch die Wachsamkeit des Reichstages vereitelte
Spiel noch einmal zu wagen, das kann an der histori-
schen Beurtheilung der Thatsachen wenig ändern.
Jedenfalls war von Seite der Hof- und Adelspartei
alles zum Schlagen vorbereitet, und man Hess sich
mit um so grösserem Vergnügen provociren, als man
sich der Bundesgenossenschaft der eigentlichen Bour-
geoisie und eines Theiles der Nationalgarde sicher
glaubte, vielleicht auch versichert hatte.
Thatsächlich kämpften am 6. October die Leopold-
städter und Stadtgarden an der Seite des Militärs
gegen das Volk, die Arbeiter, Studenten und Vorstadt-
garden. Gleich als die Nachricht von den blutigen
Vorgängen bei der Taborbrücke einlangte, besetzten
die Garden des Kärntnerviertels den Stephansthurm,
um zu verhindern, dass die grosse Glocke geläutet
und die Stadt rechtzeitig allarmirt werde; die Folge
dieses Versuches, welcher übrigens missglückte, war
der blutige Zusammenstoss der genannten reactionären
Garden mit den demokratischen Wiedener Garden am
Stephansplatze, welcher den unmittelbaren Anlass zu
dem mörderischen Kampfe zwischen Militär und Volk
am Graben und zu jener grenzenlosen Erbitterung
der siegreichen Volksniassen bildete, die einige Stunden
später zur Lynchjustiz an dem Kriegsminister Latour
führte. ')
Nach der blutigen Lehre, welche die reactionären
Garden am 6. October erhalten hatten, zogen sich
diese wohl von der activen Bekämpfung der demo-
kratischen „Partei in Waffen'* zurück; ein Theil ver-
lieas, dem Vorbilde des Hofea folgend, den heissen
Boden Wiens, und überliess das Feld den Siegern
des G. October, d. i. den vereinten Studenten, Klein-
bürgern und Arbeitern. Der zurückbleibende Theil
suchte wenigstens durch passiven Widerstand den
Gang der Ereignisse in einem für die Demokratie
möglichst ungünstigen Sinne zu beeinflussen. Wie
lähmende Bleigewichte hängte sich diese Bourgeoisie
an alle Entsehliessungen des ohnedies wenig actions-
fähigen Nationalgardeober commandos und des Ge-
meinderathes; sie verstand es zu vereiteln, dass die
Demokratie den von ihr selbst kaum so glänzend er-
warteten Sieg ausnützte und zur Offensive griff, sie
stand jeder energischen Massregel des Obercommandos
breitspurig im Wege und wusste es zu hintertreiben,
dass die Gernirungsbestrebungen der kaiserlichen
Truppen durch energische Ausfälle, wie sie im Plane
des kriegserfahrenen Revolutionsgenerales Bem lagen,
gestört würden;') sie war es auch, welche im ent-
scheidenden Augenblicke die bedrohten Punkte dem
anstürmenden Militär fast kampflos preisgab.
Die radicale Partei suchte zwar den Bestrebungen
der revolutionsmüden Bourgeoisie entgegenzuarbeiten,
so gut es ging; es wurde nach dem blutigen Zer-
würfnisse am (!. October eine scheinbare Aussöhnung
herbeigeführt, der Flucht der reichen und wohlhabenden
Familien aus Wien, dem Austritte der Beamten aus der
Nationalgarde u. s. w. wurde nicht nur nictta in den
Weg gelegt, derselbe wurde sogar getÖrderti '^'^^ allem
aber wurden die grossen Arbeiter- und 'Proletarier-
massen, welche den Grundpfeiler »i^^ -ad^*^*^^^ Partei
bildeten, bewaffnet und, so gut ^ * .^g, 'i»^^ mobüe
— 228 —
Corps organisirt. Selbst ein so berufsmässiger Denun-
ciant wie Wenzel Dunder,^) der sieh schon vor dem
Falle Wiens in seiner Eigenschaft als Nationalgarde-
officier, als einer der wüthendsten „Ruhe und Ord-
nung"-Heuler hervorthat, konnte nicht umhin, die
musterhafte Haltung dieser neugeschaffenen Volks-
wehr anzuerkennen. „Die Physiognomie der Stadt war
dieselbe wie in den früheren Tagen, mit dem Unter-
schiede bloss, dass man in den Strassen immer mehr
und mehr Bewaffnete, sowie eine geringe Anzahl von
Weibern und Kindern sah. Das Flüchten aus der Stadt
ging in Massen fort, unter den Zurückbleibenden
herrschte jedoch der beste Geist. Sie wollten bewaffnet
für ihre Rechte stehen und mit denselben fallen. Unter
den ungeheueren Mengen, die grösstentheils zur niederen
Classe gehörten und heute (11. October) vollständig
mit Gewehr und Schiessbedarf versehen waren, wurde
durchgängig keine Aeusserung der Roheit, der Gesetz-
losigkeit vernommen. Sie fügten sich Alle freudig und
bereitwillig jedem noch so gefährlichen Commando,
das sie nach ihrer Ansicht zur Vertheidigung der
gesetzlichen Errungenschaften berechtigte.*' Der erste
Wiener Arbeiterverein wendete sich in einer Adresse
an den Reichstag, um demselben zu versichern, dass der
Verein für die Aufrechterhaltung sowohl der Freiheit,
als auch der gesetzlichen Ordnung glühe, und einem
anarchischen Zustande durchaus nicht das Wort reden
werde, und dass es den Arbeitern nicht um Raub und
Plünderung zu thun sei.
Freilich, je näher die Gefahr rückte, je unver-
meidlicher der Kampf schien, je heisser die begeisterte
Kampfeslust auf der einen Seite entflammte, je offen-
i
— 229 -
kundiger die Sympathien mit den Bedrängern auf der
anderen Seite wurden,^) desto schwieriger wurde die
Stimmung des „Volkes" gegen die „Reichen", desto
schroffer die Kluft, welche sich zwischen den beiden
socialen Lagern gebildet hatte, und rauhe Schlacht-
rufe des Classenkampfes wurden laut. Reichthum schien
gleichbedeutend mit Feigheit und Verrath an der
Freiheit und war deshalb in den Octobertagen just
keine Empfehlung; indes wurde mit der „Heiligkeit
des Eigenthums" ein förmlicher Cult getrieben, und
praktische Verletzungen des Eigenthumsr echtes kamen
im October weniger vor als im März.
Eine sociale Geschichte der Octoberereignisse hat
nichts weiter zu registriren, als diese schon durch die
vorangegangenen Ereignisse entstandene sociale Kluft
innerhalb der Bevölkerung, eine Kluft, welche aller-
dings das Grab der gemeinsamen Freiheit werden
sollte. Die Wiener Demokratie war nach dem Siege
vom 6. October von der frohen Zuversicht erfüllt,
Wien werde sich halten können; freilich rechnete sie
dabei auf die Einigkeit im Bürgerthume, auf die Dank-
barkeit der Landbevölkerung und auf die Hilfe der
Ungarn. Alle diese Hoffnungen sollten bitter enttäuscht
werden.
Zahlreiche volksthümliche Abgeordnete und Publi-
cisten, auch Hans Kudlich selbst zogen auf dem
Lande umher, um die Bauern zu bewegen, dass sie
ihren bedrohten Brüdern und Vorkämpfern in Wien
bewaffnete Hilfe brächten. Allein, die Bauern kamen
— einige kaum nennenswerthe Ausnahmen abgerechnet
— nicht, es lebte in diesen verknechteten Seelen nichts
mehr vom Geiste Stefan Fadinger's. Die Bauern be-
— 230 —
nützten höchstens die Gelegenheit, um ihr Getreide
theuer nach Wien zu verkaufen, das war der Dank
für die Befreiung von Robot und Zehent. Man hat immer
gesagt, der Reichsrath hätte den Landsturm aufbieten
müssen, dann wäre der Bundschuh gegen Wien ge-
tragen worden. Allein, es ist mehr als fraglich, ob die
Bauern dann zahlreicher gekommen wären; der Reichs-
tag war für sie Hekuba. Die Bauern zogen es vor,
das was ihnen der Reichstag als Recht erwirkt hatte,
noch einmal kniefällig als Gnade aus der Hand des
Kaisers sich geben zu lassen,^) und empfingen die
gegen Wien anrückenden Truppen an den meisten
Orten* wie Erlöser und Erretter. Sie waren ja saturirt
und hatten an der Revolution weiter kein Interesse.
So im Inneren durch die reiche und revolutions-
müde Bourgeoisie gelähmt, von aussen durch die
Bauern im Stiche gelassen, war der Kampf der Wiener
Kleinbürger, Studenten und Arbeiter der That der
dreihundert Spartiaten vor Thermopylae vergleich-
lich. Dort wo das Volk wirklich kämpfte, schlug es
sich mit Todesverachtung und das Militär hatte einen
schweren Stand, wie an dem Hauptangriffspunkte an
der grossen Barricade in der Praterstrasse. Allein, an
den meisten Stellen rückten die Truppen kampflos vor
und wurden von den Vertheidigern von gestern als
Verbündete von heute begrüsst, bejubelt. Wien fiel
nicht durch die Kriegskünste des Banus und des
Grandseigneurs Windischgrätz, sondern durch den
socialen Zwiespalt, der im Volke herrschte. Mit Wien
fiel aber die Freiheit und mit ihr die Aussicht auf
sociale Reformen und auf eine Besserung der wirth-
schaftlichen Lage der unteren Stände.
I
i
— 231 —
Versucht man die Summe dessen zu ziehen, was die
kurze Zeit des Sturmes und Dranges mit Bezug auf
die sociale und wirthschaftliche Befreiung dieser
unteren Stände hervorgebracht, so mag es, gemessen
mit dem Massstabe des augenblicklichen Erfolges,
vielleicht gering sein. Aber Ideen, einmal gesäet in
fruchtbares Erdreich, kann man auch mit eisernen
Spitzen nicht ausjäten, sie wurzeln sich unausreissbar
fest und es drängt und treibt, bis die Saat der Ge-
danken auf dem Boden der Wirklichkeit aufgegangen.
Die Rückwärtsbewegung der kommenden Jahre
schien unaufhaltsam, sie holte in Oesterreich weiter
aus, als in anderen Staaten. Man brach nicht nur mit
den verhassten Formen, welche an die Revolution
erinnerten, man räumte mit den Sachen selbst auf,
und auch das Vernünftigste, auch das Segensreichste
musste verschwinden, bloss deshalb, weil es eine Frucht
der Revolution war. Man schüttelte nicht nur den
Constitutionalismus ab und legte auf das blosse Prin-
cip den grossen Fluch, man trieb nicht nur den Reichs-
tag auseinander in dem Momente, wo er nach langen
Irrfahrten und unseligen Zerwürfnissen, aufgerüttelt
durch das abschreckende Schicksal Wiens, auf dem
besten Wege war, sich über eine organische, lebens-
kräftige, den Seinsbedingungen aller Völker Rechnung
tragende Verfassung zu einigen; man räumte auch mit
den von der constituirenden Reichsversammlung be-
reits festgestellten Grundrechten auf, welche die staats-
bürgerliche und sociale Gleichstellung aller Mitglieder
der Gesellschaft decretirten, alle Standesvorrechte und
Adelsprivilegien abschafften, das Recht der Coalition,
die Freizügigkeit und Freiheit der Person und des
— 232 —
Vermögens, die Untheilbarkeit des Eigenthums in
Ober- und Untereigenthum, die Freiheit des Glaubens
und der Lehre gewährleisteten und das Verhältniss
des Staates zu den einzelnen Religionsgesellschaften
in liberalstem Sinne festsetzten, kurzum jene Basis
schufen, auf welcher ein freier und moderner Gesell-
schaftsbau sich hätte erheben können.
Allein, die Paragraphen der Grundrechte sollten
nach einem prophetischen Worte Fischhof' s nur die
Grabsteine sein, auf denen die Inschrift zu lesen : „Hier
ruhen die Wünsche der österreichischen Völker."
Allerdings wagte man den geistigen Bau des Jahres
1848 nicht so mit einem Streiche zu fällen; noch war
ja Ungarns Widerstand nicht gebrochen, das Klein-
bürgerthum Wiens riss mit wildem Ungestüme an
seinen Fesseln und blickte sehnsüchtig nach den un-
garischen Schlachtfeldern, um bei dem entscheidenden
Victoria der Magyaren sich mit erneuten Kräften
wieder zu erheben; aber auch ein guter Theil der
Bourgeoisie, welcher aus blasser Furcht vor der
Pöbelherrschaft sich der sogenannten Partei der Ruhe
und Ordnung angeschlossen hatte, erkannte jetzt zu
spät, dass in dem Blutbade, welches Windischgrätz
über Wien brachte, nicht nur die gefürchtete und ver-
hasste „Partei des Umsturzes'', sondern die Freiheit
Aller ersäuft wurde. Zudem erfüllte das bestialische
Treiben der Soldatesca, das feige Denunciantenthum
in einem gewissen Theile der Bevölkerung das bessere
Bürgerthum mit Entsetzen und Ekel. Es wäre kaum
rathsam gewesen, so lange in Ungarn Nike sich nicht
auf Seite der russischen Truppen geneigt hatte, diese
Bourgeoisie durch nackten Absolutismus zum Aeusser-
— 233 —
sten zu reizen. Sie musste allmählich und langsam
mit Zucker und Peitsche dahin gebracht werden, allen
Coquinerien der Reaction bis zur namenlosen Erbärm-
lichkeit des Concordates sich zu fügen; sie musste
durch die Gestattung, nein, durch die künstliche Auf-
züchtung eines wahnsinnigen Speculations- und Unter-
nehmungsschwindels erst blind und stumpf für die
freien Regungen •) der Seele, für die Bedürfnisse eines
modernen Gesellschaftsmenschen gemacht werden.
Deshalb rüttelten auch die octroyirten Grundgesetze
und die papierene Constitution vom 4., respective
7. März 1849') an dem Principe des freien Erwerbes
nicht, ja sie machten sogar einige Zugeständnisse, wie
Lehrfreiheit, Pressfreiheit, Petitions- und Associations-
recht, welche der socialen Bedeutung äes Bürger-
thums Rechnung tragen sollten. Dieselben kamen
natürlich nie zur praktischen Durchführung und fielen
schon vor dem Staatsstreiche in Vergessenheit. Da-
gegen hielt man an der wirthschaftlichen Begünstigung
gewisser Classen der Bürgerschaft fest; die Banquiers,
Fabrikanten und Grosshändler galt es auf Kosten des
kleinen Mannes bei gutem Muthe zu erhalten, um sie
zu Helfershelfern für die finanzielle Luderwirthschaft
der Regierung zu gewinnen und mit dem herrschenden
politischen Systeme zu versöhnen.
Ebenso wenig wie die haute bourgeoisie, die man
corrumpirte, um sie willfährig zu machen, durfte man
die Bauern zu Feinden des inaugurirten Systemes
machen. Deshalb wagte es die Contrerevolution auch
nicht, an dem Reichstagsbeschlusse über die Aufhebung
der Grundunterthänigkeit zu rütteln. Mittelst kaiser-
lichen Patentes^) vom 4. März 1849 wurden unter aus-
— 234 —
drücklicher Anerkennung der Rechtsgiltigkeit des Ge-
setzes vom 7. September 1848 die nöthigen admini-
strativen Verfügungen für die Grundentlastung und
besonders für die Ermittelung der durch den Reichs-
tag nicht festgesetzten, aber zugesicherten „billigen
Entschädigung" getroffen. Die Robot und Robotgelder
der Inleute und Kleinhäusler wurden ohne Entschädi-
gung aufgehoben. Für die Durchführung der Grund-
entlastung wurden in jedem Kronlande eigene Com-
missionen bestellt. Für die Ermittelung der Ent-
schädigung wurden als Grundsätze aufgestellt, dass
die Leistungen in Bodenfrüchten und anderen landwirth-
schaftlichen Erzeugnissen nach den Katastralpreisen,
die Preise der Arbeitsleistungen (Robot) mit einem
Dritttheile des Werthes der freien Arbeit berechnet
werden. Von dem Werthausschlage aller durch das
Gesetz vom 7. September 1848 aufgehobenen Leistungen
wurde der Werth der Gegenleistungen, die von dem
Berechtigten an den Verpflichteten zu entrichten waren,
in Abzug gebracht. Von dem auf solche Weise er-
mittelten Werthe wurde ein Dritttheil für die Steuer,
die der Berechtigte von diesen Bezügen zu leisten
hatte, in Abzug gebracht und die nunmehr ver-
bleibenden zwei Dritttheile bildeten das Mass der den
Berechtigten gebührenden Entschädigung. Von diesem
Werthanschlage hatte der Verpflichtete die Hälfte zu
entrichten, die andere Hälfte wurde als eine Last de&
betreffenden Landes aus Landesmitteln aufgebracht»
Ueberstieg die Entschädigungssumme 407o ^^^ Rein-
ertrages der entlasteten Grundstücke, so war der Mehr-
betrag aus Landesmitteln zu bestreiten. Der Ver-
pflichtete hatte also nicht weniger als ein Dritttheil
der zur Ablösung bestimmten und behördlich ein-
geschätzten Schuldigkeiten und nie mehr als '20% vom
Reinertrage der betreffenden Grundstücke zu leisten.
Die Grundentlastung wurde also in einem leidlich
liberalen Sinne aufrechterhalten und auch in liberaler
Weise, wenngleich nicht ohne Bevorzugung einzelner
Provinzen ausgeführt. In Böhmen, Mähren und Schle-
sien wurde dieselbe bereits im Juni 11^49 nach einer
für den Bauer äusserst günstigen Bewerthung und in
weitestem Umfange vorgenommen, denn die ungari-
schen Truppen standen drohend unter (JÖrgey's Führung
an der Grenze Mährens, und es galt das Landvolk
unempfindlich für die Reize der Revolution zu machen.
Freilich, als diese Gefahr verschwunden war, fand man
plötzlich, es müsse das Entlastungsgesetz mit un-
parteiischer Strenge gehandhabt werden, uns es wurden
dessen Bestimmungen in Böhmen und Mähren nach-
träglich zu Gunsten des Adels abgeändert. In den so-
genannten Erbländern wurde das Entlastungsgeschäft
später in Angriff genommen und nicht in dem Um-
fange wie für Böhmen und Mähren gewährt, indem
der geistliche und Schulzehent von der Ablösung aus-
geschlossen wiurden. Aber auch nach verschiedenem
Massstabe wurde die Entschädigung durchgeführt,
während in Böhmen und Mähren die Entlastungs-
summe von einem Bauerngute sich durchschnittlich
auf 350 n, stellte, wurde sie in Ungarn, obwohl der
ungarische Reichstag die Unterthänigkeit und dl<? aus
ihr entspringenden Lasten unbedin<;i und unfiu^^eUlicli
aufgehoben hatte, für eine liauernsässi;^^' ' ' '
Session durchschnittlich auf "Ou fl. bere'.l'
Strafe für die politischen Sünden ^^^ un "
J
— 236 —
Volkes. Umgekehrt wurde in Galizien, wo das Ent-
lastungsgesehäft erst im Jahre 1853 aufgenommen
wurde, die zarteste Rücksicht gegen die Bauern geübt,
um nicht blutige Aufstände wie die des Jahres 1846
wiederkehren zu sehen. Das war seit jeher so im
schönen Oesterreich, dass man die Störrischen und
Nimmersatten durch Brocken beruhigte, die aus dem
Fleische der Friedlichen oder der Besiegten geschnitten
waren.
Es darf und soll auch nicht verschwiegen werden,
dass eine so grundstürzende Umwälzung, wie die vom
Reichstage durchgeführte Bodenreform, selbstverständ-
lich nicht gleich in der ersten Zeit aus Wüsteneien eitel
Paradiese schuf. Sowohl der Bauer, als der Adelige
war so wenig für den geänderten, vollkommen selbst-
ständigen Wirthschaftsbetrieb vorbereitet, beide standen
in allgemeiner und fachlicher Ausbildung so tief unter
dem erforderlichen Niveau, dass schon aus individuellen
Gründen für viele das Aufhören der alten Gebunden-
heit dem wirthschaftlichen Ruine gleichbedeutend
war. Die Folgen waren aber auch allgemeiner Natur;
vor allem steigerte die Grundentlastung die allgemeine
Nachfrage nach Geld noch in hohem Masse. Die kleinen
Grundbesitzer mussten ihr Bargeld auf die Ablösung
verwenden, die Grossgrundbesitzer brauchten, um den
Verlust der vielen unentgeltlichen Arbeitskräfte zu
ersetzen und eine rationelle Wirthschaft einführen
zu können, gleichfalls Geld; die Bodenrente und der
Zinsfuss stieg in Folge dessen enorm, was auf Handel
und Gewerbe seine Rückwirkungen hatte. Allerdings
stieg auch, da die Zwangsarbeit aufhörte, die Nach-
frage nach Arbeit, und der Arbeitslohn und die
— 237 —
steigende Wohlhabenheit und die damit zunehmende
Verbrauchsfähigkeit der Landbewohner stattete wohl
auf der anderen Seite der gewerblichen Production
wieder ab, um was dieselbe durch die Vertheue-
rung des Greldes und des Arbeitslohnes geschädigt
worden war.
Jedenfalls geht es nicht an, eine sociale Reform,
welche Millionen erst zu Menschen gemacht, nach den
kleinen Vortheilen und Nachtheilen abzuwägen, welche
sie Einzelnen und einer kurzen Generation gebracht.
Die Befreiung des Bodens und seiner Bebauer von uner-
träglichem, tausendjährigem Zwange ist eines der un-
vergänglichsten Verdienste der Revolution, und hätte
der constituirende Reichstag auch weiter nichts ge-
schaffen als dies eine Gesetz vom 7. September, es
müsste ihm für ewige Zeiten ein gesegnetes Andenken
gewahrt bleiben in der Geschichte der österreichischen
Völker.
Um so bedauerlicher ist es, dass der Reichstag
nicht auch an die legale Lösung der ihm zugedachten
Gewerbereform gekommen ist. Vielleicht wäre auch
sie aus den Trümmern der gestürzten Revolution
gerettet worden, wie das Grundentlastungsgesetz, und
hätte uns vor socialen Krisen bewahrt, die heute ein
unübersehbares Unheil über die zum zweitenmale be-
freite Gesellschaft zu bringen drohen. Die Absichten
der Volksmehrheit über die Neugestaltung der Ge-
werbeverhältnisse waren während der Revolution un-
zweideutig auf die Einführung voller Gewerbefreiheit
unter gleichzeitiger Neuorganisation des Gewerbestandes
gerichtet. Nun kann wohl eine Regierung die erstere,
unmöglich aber eine nothwendigerweise auf der freien
— 238 —
Initiative ruhende Neuorganisation des Gewerbestandes
decretiren. Sollte die soeialreformatorische Saat, welche
die Revolution ausgeworfen hatte, aufgehen, so wäre
es — wie die Dinge nach 1848 nun einmal lagen —
nothwendig gewesen, dass zunächst eine an die früheren
Verhältnisse anknüpfende obligatorische Incorporation
aller Gewerbe vorgenommen, und zugleich das heran-
wachsende Geschlecht durch eine möglichst breite
Volksbildung, sowie auch durch gründliche Fach-
bildung für die Zeit der Gewerbefreiheit vorbereitet
wurde. In diesem Sinne riethen auch der Magistrat
der Stadt Wien, wie die neugeschaffenen Handels- und
Gewerbekammern ein.'**) Allein, der Regierung, welche
sich auf den Feudaladel, das Militär und die Pfaffen
stützte, war es doch nicht um sociale Reformen zu
thun. Sie stellte zunächst einmal die unleidlichen
und haltlosen zünftigen Verhältnisse, wie sie im
Vormärz bestanden, wieder her, womit sie wohl auch
einem guten Theile der Gewerbetreibenden nach Wunsch
und Willen handelte, und that alles Erdenkliche, um
die heranwachsende Generation der Gewerbetreibenden
in der Concordatsschule für den Struggle of life
kampfesunfähig zu machen. Als aber trotz der Rück-
kehr zur Zunft das Gewerbe immer mehr und mehr auf
der schiefen Bahn abwärts glitt, gab man nach einigen
missglückten Experimenten die volle Gewerbefreiheit,
d. h. man warf die Blinden und Lahmen ein-
fach ins Meer und rief ihnen zu: „Schwimmt!" So
richteten die Socialpolitiker der Concordatsregierung
das Kleingewerbe zugrunde, wie sie die Geld-
bourgeoisie corrumpirt hatten. Es waren das genau
dieselben Leute, welche heute von Entrüstung über
I
J
— 239 -
die Schädlichkeit des mobilen Capitales und von
socialreformatorischen Plänen für das Gewerbe triefen;
und es scheint fast, als ob das Handwerk thatsächlich
nach dem Recepte der Fünfziger jähre ToUends todt
curirt werden sollte.
Es erübrigt noch, einen Blick auf die Arbeiter-
frage zu werfen. Die Revolution war in dieser Hin-
sicht überreich an Anregungen : Maximalarbeitszeit,
Minimallöhne, Schiedsgerichte, Gewerbeinspectoren,
Arbeitsministerium, Coalitionsrecht, Kranken- und In-
validitätsversorgung, sociale und politische Gleich-
berechtigung, das waren die Wünsche, die auf aller
Mund lagen, das war ein Programm, welches im
Wesentlichen auch heute noch den festen Säulenbau
bildet, auf welchen sich die mitunter recht kunstvoll
verworrene und von socialistischem Beiwerk über-
ladene Architektonik der sogenannten Arbeiterfrage
lehnt. Was aber der Arbeiterbewegung der Revolution
von 1848 ihre grosse, paradigmatische Bedeutung
verlieh, das war eben ihr naiver Charakter; aus un-
abweislichen Bedürfnissen hervorgegangen, strebte
sie die Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Lösung
der offenen Fragen auf dem geradesten Wege mit
den natürlichsten Mitteln an. Kein Dogma und keine
krause Doctrin trübte den Blick, keine Scheidewand
erhob sich zwischen den bürgerlichen und zwischen
den proletarischen Freiheitskämpfern, und selbst nach
dem unseligen August fand der Classenhass eigentlich
keinen fruchtbaren Boden bei der Arbeiterschaft. Die
Gefahr, welche im October die gemeinsame Freiheit
bedrohte, vereinte wieder Bürger, Studenten und Ar-
beiter; nur die Feinde der Freiheit, die Vertheidiger
— 240 —
der wirthschaftlichen Ausbeutung in den verschieden-
sten Jacken, sie allein und nicht ein Stand oder eine
Classe waren der Gegenstand des Hasses.
Nach der Niederlage der Revolution waren es
ganz besonders die Arbeiter, welche die eherne Faust
der Sieger auf ihrem Nacken zu spüren hatten. In
Massen wurden sie zusammengefangen, und Unge-
zählten von ihnen wurde der Lohn für ihre Theil-
nahme am Widerstände der Demokratie im Stadt-
graben mit Pulver und Blei gezahlt. Die Forderungen
der Arbeiter wurden im Blute erstickt. Eine blosse
Prüfung derselben wäre wie ein hochverrätherisches
Unterfangen erschienen; einen Punkt „Arbeiterfrage"
gab es auf dem socialreformatorischen Programm
der Contrerevolution nicht.
Es blieb einer späteren Zeit vorbehalten, den
Arbeitern wenigstens wieder das Papagenoschloss vom
Munde zu nehmen und in die Discussion über ihre
gerechten Forderungen einzutreten. Vieles von dem, was
den Arbeitern des Jahres 1848 als äusserster Wunsch
in nebelhafter Form vorgeschwebt, mag heute erfüllt
sein, allein, die Saat des Jahres 1848 ist auch hier
noch nicht in ihrer ganzen Fülle aufgegangen. Wäre
auch jeder einzelne Punkt jenes ersten socialpoli-
tischen Programmes längst überholt und überboten,
der Geist der Solidarität aller Classen muss erst aus
den Gräbern der „alten Achtundvierziger" wieder
auferstehen, damit ihr Vermächtniss erfüllt werde zum
Segen Aller.
Vielleicht ist gerade jetzt der Lauf der Dinge in
Oesterreich danach, diese Solidarität aller arbeitenden
Classen auch auf einer anderen als der utopistischen
— 241 —
Grundlage des Social ismus früher als anderwärts zu
erzeugen; sind es nicht gerade die Stätten der Ver-
wesung, wo am ersten sich das neue Leben regt?
Vielleicht wird die gemeinsame Knechtung wie ehedem
die Reihen der Kämpfer wieder schliessen und zuletzt
auch die Verächter der sogenannten bürgerlichen
Freiheit überzeugen, dass gesunde Socialreformen nur
auf dem Boden der politischen Freiheit gedeihen*
können und dass der Kampf, den die Arbeiterschaft gegen
die sogenannten bürgerlichen Freiheitsparteien führte
nur das Interesse der unverbesserlichen Feinde des
Volkes fördert; denn der Nachfolger der freien
bürgerlichen Gesellschaft ist nicht etwa die Social-
demokratie, sondern allüberall die Pfaffen- und Adels-
herrschaft, bei welcher sich zwar das vielgelästerte,
wucherische und ausbeuterische Grosscapital sehr wohl,
der Arbeiter aber sehr übel zu befinden pflegt.
Ruimus in servitium.
Gerade diejenigen Classen der Bevölkerung, welche
im Jahre 1848 die Kerntruppen der Freiheit bildeten,
das gesammte Kleinbürgerthum, die alte Vorstadt-
demokratie — ja — so schwer es kommt, es muss gesagt
sein — ein erschreckend grosser Theil der Arbeiter-
schaft steht an den Blasbälgen der Reaction und
facht das Feuer an, in welchem die Fesseln ihrer und
unser aller Knechtschaft geschmiedet werden. Dieselben
socialen Gruppen, welche einst die Vorkämpfer der
Freiheit waren, schaufeln seit Jahr und Tag gar
emsig an dem Grabe der bürgerlichen Freiheit. Das
Grab ist fertig, und nach einem alten Wahrwort
stürzen die, welche es gemacht, selbst hinein. Es wird
aber die Freiheit aus diesen Gräbern sich neue
Zenker: Wiener Re voluti on . jg
— 242 —
Kämpfer mit Donnerschall erwecken, welche das Werk
des socialen Friedens unbeirrt durch Classenhass
und Racenhass dort aufnehmen werden, wo es unseren
Vorkämpfern im Jahre 1849 durch Dragoner und
Grenadiere abgeschnitten wurde, nämlich bei den
einzig und allein aus dem freien Willen und den
wahren .socialen Bedürfnissen der Völker Oesterreichs
entsprossenen Grundgesetzen und bei dem unvergleich-
lichen Verfassungsentwurf des constituirenden Reichs-
tages, der allein die Basis einer gesunden volksthüm-
lichen, von Nationalitätenhader, Adels- und Pfaffen-
herrschaft freien Societät auf österreichischem Boden
bilden kann.
Noten.
16»
Uoten zum ersten Capitel.
1) Nur in den lombardisch-venezianischen Gebieten gab e
eine Gutsunterthänigkeit im Vormärz nicht mehr, da dieselbe schon
während der früheren französischen Regierung daselbst aufgehoben
worden war. — 2) Eine gelinde Besserung — wenigstens im Sinne
einer gesetzlichen Regelung der schrankenlosen Bedrückung — hatte
schon Leopold I. durch das Robotpatent vom Jahre 168Ö versucht,
welches die gesetzlichen Grenzen der bäuerlichen Leistungen fest-
setzte. In den weiteren Robotpatenten von 1717 und 1738 wurden
den Herrschaften alle willkürlichen Eingriffe in das Vermögen der
Unterthanen strenge untersagt. Unter Maria Theresia wurde ein
strenges Verbot der Einziehung von Rusticalgründen seitens der
Grundherren bei Strafe des doppelten Werthes erlassen, und den
Kreisämtern die Aufsicht und Controle über das Unterthanenwesen
sowie die Entscheidung von ünterthanenbeschwerden in erster
Instanz überwiesen. Mit Patent vom Jahre 1769 wurde die Voll-
ziehung der von der Grundobrigkeit verhängten 'körperlichen
Züchtigung von der vorhergängigen, kreisämtlichen Bestätigung
abhängig gemacht. Am 4. October 1771 wurde die Urbarialhof-
commission errichtet „zur standhaften Behebung der von voriger
Zeit her zwischen den Grundobrigkeiten und ihren Unterthanen
über die Robote und andere dahin einschlagende Schuldigkeiten
obwaltenden Streitigkeiten, dann der aus einigen Orten daraus er-
folgten Verminderung der Frohndienste und anderen dahin ein-
schlagenden Schuldigkeiten'', auch wurde genau das Ausmass der
Unterthansschuldigkeiten an Abgaben und persönlichen Diensten
festgesetzt. Am 1. September 1781 erliess Joseph II. zwei Patente
für die deutsch-böhmischen Erbländer, das Unterthan- und das
Strafpatent, von denen das erstere den Bauern die Rechtsverfolgung
— 246 —
gegen die Grundobrigkeit zu erleichtern, das andere die Strafgewalt
der Herrschaften in gebührende Schranken zu verweisen suchte
und diese an die Aufsicht und Genehmigung der Kreisämter
knüpfte. Die wichtigste Bestimmung des Unterthanpatentes vom
1. September 1781 war jedoch die Aufhebung der Leibeigenschaft
in jenen Ländern ^Böhmen, Mähren, Krain, Galizien), wo sie noch
bestand. Der Bauer wurde dadurch persönlich frei und es blieb
bloss jene Gutsunterthänigkeit zu Recht, wie sie bereits seit dem
17. Jahrhundert in den meisten österreichischen Erbländem bestand.
Jeder Unterthan Wurde berechtigt, sich gegen eine blosse Anzeige
zu verehelichen, unter Beobachtung der Conscriptionsvorschriften
aus dem Territorium der betreffenden Herrschaft wegzuziehen und
sich innerhalb des Landes überall niederzulassen. Durch ein
weiteres Patent vom 1. September 1781 wurden die Obrigkeiten
aufgefordert, den ünterthanen, welche das Eigenthum ihrer Grund-
stücke erwerben wollen, dasselbe gegen billige Ratenzahlungen ein-
zuräumen, worauf den Besitzern das Recht zustand, über ihr Eigen-
thum bei Lebzeiten und letztwillig zu verfügen und dasselbe bis
zu zwei Dritteln des Werthes ohne obrigkeitlichen Consens zu belasten.
— 3) Im Beginne des 18. Jahrhunderts kam es anlässlich der
erneuten Steuererhebungen unter den vollständig erschöpften
Bauern nicht selten zu heftigem Widerstände und sogar feu Aufstand.
Zu förmlichen Revolten kam es auf den Besitzungen des Klosters
Brück in Mähren, ferner in Oberösterreich, Steiermark (wo der
Oberlandescommissär Graf Wolfgang Friedrich v. Wurmbrand von
den wüthenden Bauern ermordet wurde). In Kärnten und Tirol war
die Stimmung um jene Zeit (1703 bis 1704) eine so schwierige, dass
man „eine allgemeine Empörung der erschöpften Ünterthanen fast
unvermeidlich" hielt (A. Jäger, Tirol im Jahre 170", S. 82). In
Vorarlberg kam es in der gleichen Zeit besonders unter den
Bauern des Montafoner- und Klosterthales zu thatsächlichen Con-
flicten mit den Behörden, und es soll eine bis in den Yintschgau,
das mittlere Etsch- und Ober-Innthal reichende Bauernverschwörung
bestanden haben, welche einen Anschluss an die Schweizer Eid-
genossenschaft anstrebte. Der Successionskrieg und die ewigen
Türkenkriege, welche zu immer neuen Belastungen des Bauern-
standes führten, konnten den Geist der Empörung, welcher am Be-
ginne des Jahrhunderts überall sich regte, in den kommenden Jahren
nicht besänftigen. Im Gegentheile kam es gegen das Ende der
247 -
Regierung Carl VI. überall zu erneuten und haftigerim BaiiHrn-
reTolten, so 1717 bis 172Ö bei Wilhering in Oberöplcrrpieh und
St. Valentin in Kiederöelerreieh, 1722 im Ennsbergprtlial, welche
Widereetzlichkeiten sieb bis in die Secbzlgerjabre liinz^igcn, 1734
im SalzkammergDte, 1133 bis ITSS in Oberliarnten (dneli eo]! der
Anhang dieser Empörung aucli bis Tirol gereicht halinn), 1~'6H im
steierischen Enna- und Palten thale und der Umgebung von Graz u. ü, w.
Man wird also im Interesse der gesehiehtliehen Wahrbeil gut daran
thun, für die „Bauernbefreiung" der späteren Jahre nielit aviBBcliliess-
lieh ideale und etwas mehr nüchterne Motive als ausschlaggebend
anzunehmen. — 4) Die naeh(olgende Skizze geht im Wesentliuben
aul F. V. Hauer's „l^raktische Darstellung des Unterihai
In Niederösterreich" (naeli der von Joh. Heinr. Edlem v. I
bearbeiteten dritten Auflage li erausgegeben und mit den
Normalien vermehrt von W. S. Ritter v. Pauly, Wipn 1848)
zurück. — 6) In Böhmen, Mähren, (Jalizien besass dfr Adel das
suBschiiessende Recht auf den Besitz der HerrsciiafiL-ii <Güti?r mit
Unterthanen, adeliger Güter); Hotdeerete vom 9. April iHia, S. De-
cember Igl4 u. b. Wohl durften auch Unadelige Staatsgüter kaufen
und einige Stfldte sogar adelige Güter erwerben, doch betrug der
gesammte in HSnden ITnadeliger befindliche Besitz vun Herr-
schaften keine 5%. Vgl. „Der Fortschritt und das conservative
Princip in Oesterreich" von Dr. S. Leipzig 1844, S. GH. — (i| Hauer
a. a. O., S. 34. Derlei Verfügungen des „Aun[tärutig''knisers", die
einfach Selbstverständliches wie eine Gnade gewähren, pliarakteri-
siren treffender als ganze Folianten, auf welchen fih- moderne
Henschen unzugänglichen Begriff sb ahnen die Rechts^n^^i'liauungen
Jener Zeit sich bewegten, und wie lächerUch es ist, aul <iieser Seile
ernste socialreformatorische Absichten vorauszusetzeTi . — 7) Ein
katholischer Priester — wer sollte das glauben? — der (.Iraner
Archidiacon Johann Lyczni gab im Jahre 1707 in diT Universi-
tätsdruckerei zu Tjmau ein Buch heraus „Iter oeconniii. duixiena
stationum ... ad Urbaria etc. formanda directum", in weloheiii er
von dem unterthänigen Bauern in der folgenden aiitfrliau-lipheni
aber seiner Zeit offenbar sehr plausiblen Weise spticlit; „SubdVU In
pagiB, qui proprio ruatici, laboribuB agrestibus ut iuwieiuuirt »«»»*"
dicuntur. Inde natum etiam de iis proverbium :
Rusticus est quasi Rind,
Nisi quod sibi cornua desint." —
— 248 —
8) Resolution vom 6. November 1773^ vgl. Hauer a. a. O.,
S. 44 ff. — 9) Natürlich konnte von einem rationellen Wirthschafts-
betriebe auch nicht auf den von Robotern bewirthschafteten Herr-
schaftsgütern die Rede sein, da die erzwungene Arbeit des Ro-
boters in qualitativer wie quantitativer Beziehung hinter der des
freien Taglöhners zurücksteht. H. Kudlich (Rückblicke und Er-
innerungen. Wien, Pest, Leipzig 1873, Bd. I, S. öO) sagt: „Die
Herrschaften hatten oft nicht so viel Nutzen von der Robot, als der
Unterthan Schaden davon trug. Alle Robotarbeit war schlecht. Die
Bauern hielten sich eigens schlechtes Geschirr für die Robot. Sie
hielten kleine Wagen und kleines Vieh aus dieser Rücksicht. Die
Robot verhinderte deshalb den ökonomischen Aufschwung auf herr-
schaftlichen und bäuerlichen Gründen." Nach Flotow (Anleitung
zur Fertigung der Ertragsanschläge I, 80) sind vier Frohntage und
drei Taglöhnertage an Werth gleich; nach Jakob (lieber die Arbeit
leibeigener und freier Bauern 181ö, S. 21) kommt die Arbeit zweier
Taglöhner der von drei Fröhnern und die Leistung eines Hof-
pferdes der zweier Frohnpferde gleich. „In der Regel" — sagt
Röscher (System der Volks wir th seh aft I, 79) — „ist die Hoffnung
nicht bloss ein humanerer, sondern auch ein stärkerer Sporn.
Wendet man aber einmal Zwang und Furcht an, so wirkt ein
starker Zwang ohne Frage mehr, als ein schwacher. Wo man das
Züchtigungsrecht des Frohnherrn abgeschafft hat, da ist der
technische Werth der Frohnden regelmässig kleiner geworden."
Es war also ein innerer Widerspruch, die Leibeigenschaft ab-
zuschaffen, die Robot aber fortbestehen zu lassen, und die Land-
wirthschaft musste dadurch mehr geschädigt als gefördert werden»
— 10) Siehe Hauer a. a. O., S. 3ö4 ff. — 11) Ibidem S. 357. —
12) Ibidem S. 368. - 13) Ernst Yioland, die sociale Geschichte
der Revolution in Oesterreich. Leipzig 18W), S. 33 ff. — 14) Kaiser-
liches Decret vom 23. December 1817. — 15) Tegoborski, M. L. de.
Des Finances et du Credit public de PAutriche, de sa dette, de
«es ressources financieres et de son Systeme d'imposition. Paris 1843
tome lor, p. 162. — 16) Diese Schätzung aus der Schrift: „Oester-
reich im Jahre 1840 von einem österreichischen Staatsmanne'%
Leipzig, wird von Tegoborski angezweifelt ; die gleiche Schätzung
(70 bis 80%) findet sich aber auch in einem Aufsatze der durch
und durch antirevolutionären „Revue österreichischer Zustände",
Leipzig 1842 bis 1844, Bd. I, S. 41. Spätere, aus der Revolutions-
— 249
zeit stammende Angaben beziffern den Gesammtbetrag viel höher,
auf 80 bis 100% (Constitution Nr. 11 vom 3. April 1848, S. 127).
Auf die Frage „was zahlt ein österreichischer Bauer?'' giebt Amt-
mann Franz v. Mörl in der radicalen „Constitution" (Nr. 31 vom
27. April 1848, S. 476 ff.) durch den Mund eines niederöster-
reichischen Bauern folgende detaillirte und in mehrfacher Hinsicht
lehrreiche Darstellung: „Ich besitze eine Halblehen wirthschaft, wozu
14 Joch Aecker und 172 Joch Weinland, nebst etwas Wiesen- und
Gartenland gehört, so dass ich in Summe 17 Vs Joch Grund besitze, die
nach meinem Steuerbogen einen jährlichen Reinertrag von 83.28 fl.
C.-M. abwerfen sollen. Jeder weiss^ dass der Reinertrag im Steuerbogen,
besonders was das Weinland anbelangt, viel zu hoch angesetzt ist,
aber ich will ihn doch als richtig annehmen. Von dieser meiner
kleinen Wirthschaft muss ich nun jährlich Folgendes zahlen und
leisten :
1. An Grund- und Haussteuer und Domesticalbei-
trag laut Steuerbücheis 12.13 fl. C.-M.
2. Für Kreisauslagen vom Gulden 1 kr — .11 „ „
3. Für Militär, Vorspann und Einquartierung rechne
ich über Abzug der Vergütung, die ich erhalte,
nur noch 1.18 »» v
4. Im Winter müssen wir auf der Landstrasse
Schnee schaufeln, wofür wir dem Pächter be-
zahlen — .48 „ „
ö. An Zugrobot zur Kirche, Pfarrschule jährlich .
wenigstens ein Zugtag (bei grösseren Bau-
lichkeiten noch viel mehr), das macht ver-
werthet 2.24 „ „
6. Zu den Gemeindeauslagen muss ich jährlich bei-
tragen (in manchen Gegenden steigt dieser Be-
trag bis zu 5 fl. C.-M.) —.36 „ „
7. Die Gemeinderobot muss ich mit dem Zuge
leisten, da trifft mich mit Inbegriff des Weg-
machens jährlich wenigstens dreimal die Reihe,
den Zugtag ä 2*24 fl. gerechnet, macht .... 7.12 „ „
8. Weiters habe ich beizutragen theils in Kömern,
theils im Gelde für den
Schullehrer (ohne das Schulgeld zu rechnen) . 2.03 „ „
Feldhüter —.30 „ „
;
— 260 —
Nachtwächter —.24 fl. C.-M.
Viehhirten 4.34 „ „
Rauchfanger — .04 „ „
Für die Sicherheitswache !•— >» »»
Zur Armenversorgung — .30 „ „
9. Zur Herrschaft habe ich zu zahlen an Haus-
und Grunddienst — .18 „ „
An Zehent (wobei ich nur den zehnten Theil
des Reinertrages rechne) 8.12 „ „
Für Zugrobot (die bei uns noch sehr billig für
immerwährende Zeiten abgelöst ist, zahle
ich jährlich) 7.— „ „
An Laudemium (Veränderungsgeld), wo ich den
Reinertrag nur zu ö% capitalisire und auf
1 ö Jahre eine Veränderung rechne, entfällt
auf 1 Jahr 5.43 „ „
An Todesfallsgeld (Mortuar) nur die Hälfte vom
Laudemium, ohne Rücksicht auf sonstige
Taxen und die bedeutenden Stempelge-
bübren, entfällt auf 1 Jahr 2.51 „ „
Meine Zahlungen und die zu Geld angeschlagenen
Leistungen machen jährlich eine Summe von . 57.51 fl. C.-M.
Mir bleibt also von meinem Reinertrage 83.28 fl. C.-M.
nur mehr . 25.37 fl. C.-M.
Ich zahle also beinahe 70%." Das ist noch ein relativ günstiger
Fall, und doch erscheinen auch hier die von T^goborski an-
gezweifelten 70'Vo vom Reinertrage. lieber die Verhältnisse in
Schlesien giebt dasselbe Blatt etwas später (Nr. 43 vom 11. Mai,
S. 632) folgende ziffermässige und kaum anzuzweifelnde Dar-
stellung (unterschrieben von einem gewissen Dr. Wilh. Müller):
„Nehmen wir einen Bauer der Grossherrlitzer Herrschaft,
dessen Grundbesitz 30 Joch Aecker beträgt. Ein solcher hat des
Jahres folgende Abgaben: 108 bis 144 zweispännige Rossrobottage,
26 Fussrobottage, 2 Tage Schafwalchen oder Schafbaden, 3 Jagd-
tage, 4 Klafter Holz zu schlagen, 6 Nachtwachen beim herrschaft-
lichen Schlosse, 1 Stück Garn zu spinnen, 1 Gans, 9 Hühner,
1 Schock Eier als Ehrungen der Obrigkeit zu leisten, 7^5 kr. C.-M.
Spinngeld, 1.44 fl. C.-M. Grundzins, 23.24 fl. C.-M. an landesfürst-
— 251 —
liehen Steuern zu bezahlen. — Ein Grossgärtler mit 3 bis G Joch
Grund und Boden hat jährlich 156 Fussrobottage, 3 Stück Hühner
oder Gänse, 3^5 kr. C.-M. Spinngeld, ein halbes Stück Garn zu
spinnen, 1*22/5 fl. C.-M. Grundzins und 6 fl. C.-M. Grundsteuer zu
entrichten. — Ein Häusler, der nicht einen Fuss breit Landes sein
eigen nennen kann, robotet der Herrschaft des Jahres 52 Tage.
Der gewöhnliehe Kaufpreis einer Bauemwirthschaft von obiger Be-
schaffenheit ist 2400 fl. C.-M. und der einer Grossgärtnerei
600 fl. C.-M., so dass man von ersterer einen Reinertrag von
120 fl. C.-M. und von letzterer einen von 30 fl. C.-M. in den alier-
günstigsten Fällen erwarten kann, da sich selten Grund und Boden
zu 50/0, sondern meistens nur zu 3% verzinst Veranschlagt man
nun die oben angegebenen Frohnden zu dem Preise von 20 oder
10 kr., je nachdem es Zug- oder Handrobottage sind, so machen:
144 Zugrobottage 48.— fl. C.-M.
28 Fassrobottage • • 4.40 „ „
2 Tage Schafbaden —.20 „ „
3 Jagdtage — ,30 „ „
4 Klafter Holz schlagen ä 45 kr 3.— „ „
1 Stück Garn spinnen 1. — „ „
1 Gans 1. — „ „
9 Hühner 3. — „ „
1 Schock Eier —.50 „ „
Spinngeld -.71/5 „ „
Grundzins 1.44 „ „
Landesfürstliche Steuer 23.24 „ „
Zusammen . 87 -351/5 fl. C.-M.
Und für einen Gärtier:
156 Fussrobottage 36.— fl, a-M.
3 Stück Hühner . . 1.— „ „ ;
Spinngeld —.31/5 „ „
V2 Stück Garn spinnen — .30 „ „
Grundzins I.2V5 „ „
Grund- und Haussteuer 6.— „ „
Zusammen . 44.36 fl. C.-M.
„Hierzu müssen noch die übrigen Leistungen, als: Strassen-
gelder zum Baue der Bezirksstrassen, als Schulgeld, die Gaben zu
dem Krankenhause des Kreises, die Leistungen an den Pfarrer, die
Militäreinquartierung und Abgaben zur Bestreitung der Gemeinde-
V
— 252 —
bedürfnisse geschlagen werden. Thut man dies, so erhöhen sich die
Abgaben des Bauers mit HO Joch Aecker von 87.35V2 fi- C.-M.
mindestens auf 100 fl. und die eines Gärtiers von 44.86 fl. G.-M.
auf 50 fl. Zieht man diese 100 fl. G.-M. von dem Reinertrage von
120 fl. ab, so erübrigt der thätige Bauer noch 20 fl. C.-M. zum
Unterhalte für sich und seine Familie; der Gärtier aber, dessen
reines Einkommen auf 60 fl. C.-M. angenommen wurde, erwirth-
schaftet nichts, sondern muss noch von dem Verdienste seines
Weibes und seiner Kinder zur Bestreitung die ihn drückenden
Lasten zusetzen.'' — Die „Allgemeine Oesterreichische Zeitung"
(Nr. 142, vom 22. August 1848) nimmt an, dass dort, wo noch das
Feudal verhältniss besteht, der Bauer von 100 fl. durchschnittlich zu
zahlen hat:
An Feudalabgaben 24^ „
Kirchen-, Schul- und Gebäudesteuer 10 „
Grundsteuer . . 13 „
Naturentrichtungen an den Staat (Einquartierung) ... 4 „
ungesetzliche Entrichtung an Beamte 8 .,
Zusammen . 54"/ ^
Das ist wohl die allergünstigste Berechnung die wir finden.
Dr. Jellinek berechnet im selben Blatte (Nr. 137 vom 17. August,
S. 1068), dass der Bauer in Oesterreich vom Reinertrag 69% Ab-
gaben zu entrichten habe. Aus alledem geht wohl hervor, dass
der Ansatz der Gesammtlasten mit 70% keineswegs als exor-
bitant anfechtbar ist. — 17) Tegoborski a. a. O., I, S. 19. Vgl.
über den Zustand der österreichischen Landwirthschaft auch die
Artikel: „Die österreichische Monarchie in Bezug auf ihre materi-
ellen Kräfte und ökonomischen Verhältnisse" in der „Gegenwart"
(Leipzig, 11. Bd., S. 811 bis 886). — 18)
Land
Verhältniss des
bebauten Bo-
dens zum un-
bebauten in
Procenten der
Gesammtfläche
Hiervon waren
Ackerland
Wiesen,
W«in-,
Ob)>t- und
G«»mU«e-
gBrten
Weideland
Wald
in Procent di«r bebauten Fliehe
Oesterreich
Württemberg .
Preussen . .
Königr. Sachsen
84-7
99-6
92-0
96-5
33-9
43-2
45-7
51-4
18-0
17-3
14-8
14-8
14-2
7-8
16*4
2-2
339
31-7
221
31-6
— 263 —
Die Zahlen sind für Oesterreich nach Springer, für Preussen
nach Förster und v. Weber (vgl. T^goborski a. a. O., I,
S. 115), für Württemberg und das Königreich Sachsen nach Die-
terici [Statistische Uebersicht der wichtigsten Gegenstände des
Verkehres und Verbrauches im deutschen Zollvereine, zweite Fort-
setzung, Berlin, Posen und Bromberg 1844, S. 271 und S. 272) be-
rechnet, und beziehen sich auf die Zeit kurz vor 1840. — 19) Es
betrug die Production an Weizen und Roggen in Oesterreich
(nach Springer) pro Quadratmeile 18.797*5 Wiener Metzen =
21.000 preussische Scheffel. Die Production an Weizen und Korn
in den Ländern des Zollvereines betrug um die gleiche Zeit (1840)
nach Dieterici (a. a. O., S. 281):
14.400 preussische Scheffel pro Quadratmeile
» jf 11 »
11 11 11 11
11 11 11 11
11 11 11 11
11 11 11 11
11 11 11 11
11 11 11 11
11 11 11 11
w 11 11 11 11
• 11 11 11 11
11 11 11 11
11 11 11 11
20) Der Werth der jährlichen Gesammteinfuhr (nach Abzug
der Edelmetalle) betrug im zehnjährigen Durchschnitte von 1831
bis 1840 . 85,737.489 f l. C.-M,
hiervon waren Industriegegenstände, und zwar:
Rohstoffe, Halbfabrikate, Fabrikate, Kunstgegen-
stände u. s. w 39,329.017 fl. C.-M.
Natur- und landwirthschaftliche Producte . . 46,408.472 „ „
(vgl. L. V. Tegoborski, Uebersicht des österreichischen Handels
in dem elfjährigen Zeiträume 1831 bis ltj41. Wien 1844, S. 16 ff.). -
21) Dieselbe betrug mit Rücksicht auf die landwirthschaftlichen
Producte im jährlichen Durchschnitte des genannten Decenniums
19,666.187 fl. C.-M. von einer Gesammtausfuhr von 70,021.829 fl.,
d. i. 21*9%. Die Mehreinfuhr der Natur- und landwirthschaftlichen
Erzeugnisse betrug sonach immernoch 26,742.000 fl. (Tegoborski^
In
Luxemburg . . 14.400
11
Preussen .... 15.700
^
Bayern .... 20.000
11
Kurhessen . . . 20.000
j»
Oesterreich . 21.000
11
Königr. Sachsen 22.000
a»
Lippe ..... 22.000
?>
Grhrzth. Hessen 22.400
11
Nassau 23.000
11
Thüringen . . . 26.000
11
Frankfurt . . . 31.500
11
Baden 32.600
11
Württemberg . . 34.20)
- 264 —
Uebersicht, S. 16 ff.). — 22) Ernst Violand, Die sociale Geschichte
der Revolution in Oesterreich. Leipzig 1860, S. 36. — 23) Der
officielle ^^Bericht über die dritte allgemeine österreichische Ge-
werbeausstellung in Wien 1835", II. Bd., S. 316. — 24) Rede
des Abgeordneten Bittner im constituirenden Reichstag 1848 an-
lässlich der Debatte über den Kudlich'schen Antrag. Siehe ,,Ver-
handlungen des österreichischen Reichstages nach der stenogra-
phischen Aufnahme", I. Bd., S. 565. — 25) Göhring, „Der Bauern-
stand in Galizien." — Revue österreichischer Zustände. Leipzig
1842, I. Bd., S. 196 ff. — 26) Dr. H. Meynert, Geschichte der
Ereignisse in der österreichischen Monarchie während der Jahre 184s
und 1849 und ihre Ursachen und Folgen. Wien 1863, S. 95. —
27) „Verhandlungen des österreichischen Reichstages'', I. Bd.,
S. 64G.
ÜToten zum zweiten CapiteL
1) Der Anstoss hierzu ging von der im Jahre 1719 gegrün-
deten „kaiserlichen privilegirten Orientalischen Compagnie" aus,
durch welche sich Wien rasch zu einem Baumwollenmarkte ersten
Ranges aufschwang. Schon einige Jahre später begegnen wir in der
Nähe von Graz der ersten „landesbefugten" Barchent- und Ganevas-
iabrik; auch in Böhmen nahm die BaumwoUenmanufactur, zumal
die Kattun druck erei einen raschen Aufschwung. Namentlich war
es aber Niederösterreich, das an dem Emporkommen dieses In-
dustriezweiges hervorragend betheiligt war. 1723 hatte die Orien-
talische Compagnie in Schwechat bei Wien eine Fabrik errichtet,
und 1726 wurde ihr für 15 Jahre das Privileg ertheilt, in Ober-,
Nieder- und Innerösterreich BaumwoUwaarenfabriken, Spinne-
reien, Webereien etc. zu errichten. Noch im gleichen Jahre begann
die Schwechater Fabrik ihre Arbeit, aber sie prosperirte nicht in
der gehofften Weise, denn ihr wiederholt erneuertes Monopol
wurde nicht geachtet, und ungehindert entstanden in Oesterreich
zahlreiche, zum Theile noch heute bestehende Goncurrenzunter-
nehmungen wie in Schwechat, Pottendorf, Trumau, Friedau, Ketten-
— 25Ö —
hof, Ebreichsdorf, St. Polten etc. Die Kriege der theresianischen
Epociie waren der Industrie überhaupt nichts weniger als günstig;
trotzdem nahm die Baumwollenmanufactur durch die Förderung
der Kaiserin in Böhmen eher zu als ab, und in Niederösterreich
zählte man am Ende des Jahrhunderts über 100.000 Handspinner.
2) Tegoborski, Des Finances et du Credit public de PAutriche etc.,
tome I, eh. 2. — 3) 1806 eine Bancozettel-Tilgungssteuer, verbunden
mit Erhöhung des Salz- und Tabakspreises, des Post- und ZoU-
tarifes, sowie mit der Verpflichtung zur Repunzirung allen Silbers ;
1810 eine lO'Yoige Vermögenssteuer zur Dotirung der Ein-
lösungsscheine etc. T^goborski, a. a. O. — 4) Beer, Die Finanzen
Oesterreichs im 19. Jahrhunderte. Wien 1877, S. 9. - 5) Siehe
Dr. A. Fournier, Gentz und Cobenzl. Wien 1880, S. 234 ff. —
6) Vgl. zu diesem Gegenstande: H. Reschauer's „Geschichte
des Kampfes der Handwerkerzünfte und der Kaufmani^sgremien
mit der österreichischen Bureaukratie". Wien 1882. — 7) Der Ver-
hältnissberechnung liegt die Annahme zu Grunde, dass im Durch-
schnitt des Jahres 1810 429*5 fl. Bancozettel » 100 fl. C.-M. waren.
Vgl. T^goborski, 1. c. I, S. 14. — 8) Da es jedem gestattet war,
auch zünftige Gewerbe gegen blosse Anmeldung zu treiben unter
der Bedingung, dass man bloss einen einzigen oder mehrere ein-
zelne Artikel dieses Gewerbes erzeuge, so riss im Handwerke eine
Arbeitstheilung ein, wie sie bei* voller Gewerbefreiheit nirgends
eintrat (Reschauer, a. a. O., S. 204). — 9) Die Aufstellung der
ersten Dampfmaschine fällt in Oesterreich in den Beginn des
Jahrhunderts, die grossen Fortschritte in der Verwendung der
Dampfmaschine gehören aber dem dritten Decennium an. Im Jahre
1841 gab es in ganz Oesterreich 231 Dampfmaschinen (Schiffs-
maschinen und Eisenbahnlocomotiven nicht eingerechnet) mit
2939 Pferdekräften; bis 1852 hatten sich diese auf 671 Maschinen
mit 912S Pferdekräften vermehrt. Auf Niederösterreich entfielen
im Jahre 1841 im Ganzen 56 Dampfmaschinen mit 758 Pferdekräften,
dieselben hatten sich bis 1852 auf 136 Maschinen mit 1563 Pferde-
kräften vermehrt, was einem jährlichen Durchschnittszuwachs von
6*7 Maschinen und 1174 Pferdekräften gleichkommt. Zur Illustration,
wie sich der Maschinenbetrieb auf die einzelnen Industriezweige
vertheilte, diene nachstehende Uebersicht über die im Jahre 1841
in der österreichischen Monarchie in Verwendung gestandene
Dampfmaschine :
256 —
Industriezweig
Dampf-
maschine
Pferde-
kräfte
Bergbau
Steinmetzarbeiten
Porzellan- und Emailfabriken
Hochofengebläse
Streck- und Walzwerke
Stahlwaaren-, Schrauben- und Nägelfabriken
Geschütz- und Gewehrfabriken
Münzprägung .
Flachsspinnereien
Baumwollspinnereien
Schafwollspinnereien
Schafwollwaaren- und Tuchfabriken . . .
Seidenspinnereien
Kattundruckereien .
Appretur und Mange
Lederfabrikation
Papierfabriken
Buchdruckereien
Maschinenfabriken
Holzschneidewerke
Wasserhebungsanstalten
Fluss- und Hafenräumung
Mahlmühlen
Oelpressen
Kerzenfabriken
Rohr- und Rübenzuckerfabriken
Cichorienkaffee- Erzeugung
Zusammen .
Ungarn und Siebenbürgen .
32
1
2
10
2
4
3
2
1
35
19
40
1
11
6
1
4
3
5
5
9
4
9
4
2
14
2
231
473
2
6
122
66
40
28
28
8
657
170
515
8
138
54
10
02
13
25
26
158
32
195
28
22
115
8
2939
8
80
— 267 —
10) Nachfolgende Tabelle giebt einen Vergleich der Entwickelung
des Eisenbahnnetzes in Oesterreich mit dem der anderen Staaten
nach dem Stande des Jahres 1840:
Land
Betriebs-
eröffnung der
ersten Eisen-
bahn
Länge des
Eisenbahn-
netzes im
Jahre 1840
in Kilo-
metern
•H 1 Q
\4
a>
© ^ c? ;s
42 Ä ä S
Ö ^ S
w ^ 'S
Grossbritannien und
Irland
! Oesterreich-Ungarn
Frankreich
Deutschland
Belgien
1825
1828
1828
1835
1835
1348
144
497
640
336
90
12
41 1/2
108
67
11) Vgl. zu diesem Punkte zwei — im Lobe der öster-
reichischen Verhältnisse natürlich weit überhaltene — Aufsätze in
der „Revue österreichischer Zustände", Leipzig 1842, I. Bd., und
zwar „Das österreichische Eisenbahnwesen", S. 147 ff. und „Oester-
reichs Donau-Dampfschiffahrt", S. 227 ff. — 12) Geschichte des
Kampfes der Handwerkerzünfte etc., S. 103 ff. — 13) Reschaueri
a. a. O., S. 173 f. — 14) Ibid. S. 108 u. a. a. O. — 16) Der Be-
rechnung liegen zu Grunde das „Verzeichniss deren hier in Wien
befindlichen Handwercker, Gewerb und Professionen, und mit wass
für einem Quanto selbe in dass Jährliche Mitleyden gezogen, auch
ein und anderer Profession Anzahl vermehrt werden könnte" aus
dem Jahre 1728, und „der k. k. Residenzstadt Wien Ck>mmercial-
schema". Wien 1780. Wir haben nach diesen beiden Quellen mit
Zugrundelegung der heute üblichen Gewerbeeintheilung nach-
folgende Tabelle entworfen.
Zenker: Wiener Kerolatlon.
17
— 258 —
Gewerbe
1728
Zahl der
03
1780
Zahl der
•1-4 M
Der Leibes- und Krankenpflege
(Leichenbestattung)
Der Steine und Erden
Der Metalibe- und Verarbeitung
(ohne Instrumente, Werkzeuge,
Maschinen etc.)
Zur Erzeugung von Instrumenten,
Werkzeugen, Maschinen und Appa-
raten
Chemische Industrie, Erzeugung von
Mischungen etc
Textilindustrie
Papier- und Lederindustrie und Ta-
peziererarbeit
Gewerbe der Holz- und Schnitzstoffe
des Rohres und der Borsten . . .
Gewerbe der Nahrungs- und Genuss-
mittel
Gewerbe der Beherbergung und Ver-
köstigung (ohne Gastwirthe) . . .
Bekleidungsgewerbe
Reinigungsgewerbe
Baugewerbe
Graphische Gewerbe und Künstler-
betriebe
Kunst- und Handelsgärtnerei . . .
Gewerbe der Leucht- und Heizstoffe
(Seife und Wachs) .......
Zusammen Industrialgewerbe . «
5
7
19
11
2
15
11
8
15
3
11
1
5
4
2
93
96
225
92
24
223
167
j 206
!
i 252
I \
I
I 105
I 606
15
80
80
110
42
121
2416
2
8
46
2
25
11
10
9
2
14
2
6
8
54
123
585
112
21
550
136
196
192
41
255
23
134
42
154
2464
— 259 —
Da unter den Gewerben des Jalires 1728 „20 Seidenfabrik a-
tores", unter denen des Jahres 1780 120 Fabriken verschiedener
Branchen sich befinden, und da weiters die Gärtner und Wachszieher
im Jahre 1780 nicht angeführt sind, so erhält man mit Abrechnung
dieser Ziffern folgende Vergleichsangaben:
Zahl der
Gewerbezweige Gewerbetreibenden
Im Jahre 1728 .... 116 2214
im Jahre 1780 .... 154 2344
Eine ausführliche Behandlung des Verhältnisses zwischen
„Handwerk und Grossindustrie in Wien 1700 bis 1850" von
S. Mayer siehe im „Wiener Communalkalender und Städtischen
Jahrbuch 1889". Wien, S. 231 bis 276. — 16) So — um nur einige
Beispiele zu führen — der Hof- und bürgerliche Schlossermeister
F. Gohde, der Männerschuhmacher Demmer, der Hofsattler
F. N. Koller in Wien, die alle je 30 bis 40 Stückmeister, ausser
ihren Gesellen beschäftigten. Vgl. „Bericht über die dritte allge-
meine österreichische Gewerbeausstellung in Wien 1845", S. 276,
601, 890 u. z. a. — 17) Statistische Uebersicht der Bevölkerung
der österreichisch-ungarischen Monarchie. Stuttgart und Tübingen
1841, S. 362. — 18) Vgl. den „Bericht über die dritte allgemeine
österreichische Gewerbeausstellung, S. 289 und 298. — 19) Die
Bijouterie- und Emailarbeiten, sowie die feinen Metallwaaren
standen in Wien noch weit hinter den ausländischen, namentlich
französischen Erzeugnissen zurück, die Leder- und Lederwaaren-
erzeugung war einer der unvollkommensten Gewerbszweige in
Oesterreich überhaupt [Bericht 671]. — 20) „Es existirt in Wien
kein bedeutenderes Geschäft, bei dem nicht Cavaliere durch lange
Zeit Schulden hätten, welche erst nach vielfachem Angehen bezahlt
werden" [Violand, Die sociale Geschichte der Revolution in
Oesterreich, S. 26 f.] „Was die Grossen von den ärmeren Zünften
an nöthigen Arbeiten beziehen, das nehmien sie nur zu häufig
auf jahrelangen Credit, und bedenken nicht, dass der gemeine
Mann das .baare Geld so nöthig hat .wie das . tägliche Brot, um es
ohne Unterlass umkehren und zu den erforderlichen Zinsen
bringen zu können. Man verlange z. B. in Wien bei was immer
für einem Gewerbsmann, der ein etwas ansehnliches Gescliätt
betreibt, seine Contobücher einzusehen, und man wird staunen und
fichaudem, wie niederträchtig die arbeitende Classe von dem Ze\\r'
17*
— 260 —
Stande und vornehmlich von der Adelswelt behandelt wird. Es
gehört wahrlich zum hohen Tone, sich seine Equipage oder auch
nur einen Frack anzuschaffen, ohne ihn zu bezahlen oder ohne
sich über Jahr und Tag mehr als die Hälfte des Betrages gewaltsam
abnöthigen zu lassen. So soll der erste Kleidermacher in der
Residenz über eine halbe Million Schulden einzufordern haben, von
denen er in zehn Jahren kaum mehr als 10.000 fl. erzwingen mag*'
[Sociale und politische Zustände Oesterreichs mit besonderer Be-
ziehung auf den Pauperismus. Leipzig 1847, S. 151]. — 21) Rück-
blicke auf die Gemeindeverwaltung der Stadt Wien in den Jahren
1838 bis 1848 von Carl Weiss, Wien 1875, S. 34 f. — 22) Vgl. die
„Aemtlichen Verhandlungsprotokolle des Gemeindeausschusses der
Stadt Wien vom 25. Mai bis 5. October 1848, s. 1. e. a. S. 11, 16,
28, 48 u. a. v. a. O. __
IToten zum dritten Gapitel.
1) 1792 gab es in Wien 28 Druckereien, 1804 waren diese
auf 24 gesunken, und im Beginne der Vierziger] ahre gab es nur
noch 21. — 2) Im Jahre 1845 gab es in der Monarchie (mit
Ausschluss von Ungarn und Italien) 100 Runkelrübenzuckerfabriken.
— 3) 1839 betrug die eingeführte Quantität über 480.000 Wiener
Centner, und bis 1844 stieg sie noch um 25%, während ein Export
überhaupt nicht stattfand. — 4) Siehe Bericht über die dritte all-
gemeine österreichische Gewerbeausstellung, S. 268 ff. — 5) Die
Einfuhr an Waffen war von 1835 bis 1844 von 24.841 fl. auf
36.837 fl., d. i. um 48% gestiegen, während die Ausfuhr in der
gleichen Zeit von 40.648 fl. auf 31.260, d. 1. um 23% gefallen war.
— 6) Es betrug in Gulden C.-M.
Einfuhr Ausfuhr
an Maschinen und Maschinenbestand th eilen
• 1835 120.414 42.203
1836 92.657 39.787
1837 298.073 53.994
1838 344.897 45.752
1839 350.674 49.232
1840 346.S77 47.439
1841 343.756 36.832
1842 351.094 45.951
1843 306.710 68.762
1844 365.696 53.780
(Steigung 2030/0) (Steigung 27%).
— 261 —
))
»»
Ausserdem wurden Maschinen und Maschinenbestandtheile,
welche im Umfange der zu dem österreichischen ZoUverbande ge-
hörigen Länder noch unbekannt waren, dann welche Einwanderer
mit sich brachten, sowie auch Modelle von Maschinen überhaupt
eingeführt :
1841 im Werthe von 77.636 fl.
1842 „ „ „ 98.333
1843 „ „ „ 45.340
1844 „ „ „ 183.451 „
Vergleiche über den Stand der Industrie den Artikel ,,Die
österreichische Monarchie in Bezug auf ihre materiellen Kräfte und
ökonomischen Verhältnisse" in der „Gegenwart". Leipzig, XI. Bd.,
S 811 bis 886. -— 7) Die Angaben über die Papierfabriken sind
dem officiellen „Berichte über die dritte allgemeine österreichische
Gewerbeausstellung in Wien 1845 (Tab. zu S. 712), diejenigen über
die Baumwollspinnereien den amtlichen „Tafeln zur Statistik der
österreichischen Monarchie" (1846) entnommen. Des Interesses
halber geben wir hier die Rohziffern. Es waren also in sämmtlichen
österreichischen Papiermanufacturen und Baumwollspinnereien
«•-4
beschäftigt
u
fl
«•-4
fl
\4
s
N a
es
Niederösterreich . . . .
Oberösterreich . . . .
Steiermark
Kärnten und Krain . .
Küstenland
Tirol
Böhmen
Mähren und Schlesien .
Galizien
Lombardie
Venedig
Zusammen . .
70
4.274
4.809
1.640
26
446
421
314
13
373
475
102
8
107
203
85
2
185
136
87
36
1.296
1.768
469
211
5.306
4.863
1.522
36
201
132
61
24
235
88
40
162
3.024
2.335
1.037
69
1.086
771
233
647
16.§33
16.001
5.590
10.723
1.181
950
395
•408
3.633
11.691
394
363
6.396
2.090
38.124
— 262 —
8) ^^Darstellung der Verfassung und Einrichtung der Baum-
wollenspinnereifabriken in Niederösterreich" von Dr. J. J. Knolz,
Wien 1843. — 9) Knolz, 1. c. S. 14. — 10) Knolz, 1. c. S. 24. —
11) Ibidem. — 12) Knolz, 1. c. S. 27. — 13) Ibidem, S. 30. —
14) Die Constitution Nr. 13 vom 5. April 1848, S. 15ö. — 15) aj Consti-
tution Nr. 20, S. 289; nach Nr. 14, S. 169 ff. gar nur 2 bis 3 fl. C.-M.
Vgl. ausserdem: Constitutionelle Donauzeitung Nr. 27 vom 30. April,
S. 235. — bj Hoger, Die Geschichte eines österreichischen Arbeiter-
vereines. Wien 1892, S. 67 und 69; Constitution Nr. 27, S. 413. —
cj Berechnet nach den Detailangaben bei Knolz, J. J. Darstellung
der Verfassung und Entwickelung der Baumwollspinnereifabriken
in Niederösterreich. Wien 1843. — dj Constitutionelle Donauzeitung
Nr. 29 vom 30. April, S. 235. — e) Bericht über die dritte allge-
meine österreichische Gewerbeausstellung. Wien 1846, S. 700. —
f) Constitutionelle Donauzeitung Nr. 19. vom 12. April. Wochen-
lohn mit Verpflegung 5 bis 10 fl. W.-W., d. i. 2 bis 4 fl. C.-M. —
gj Constitution Nr. 45 vom 13. Mai, S. 16. — hj Knolz, a. a, O.
— ij Constitution Nr. 46 vom 15. Mai. — kj „Gradaus" vom 30. Juli;
nach der Constitution vom 15. Mai hätte der Wochenlohn 3 fl. C-M.»
betragen. — IJ Allgemeine österreichische Zeitung Nr. 68 vom
2. Juni, S. 736. — mj Constitution Nr. 46 vom 15. Mai, S. 659.
Allgemeine österreichische Zeitung Nr. 63 vom 2. Juni, S. 736. —
nj Constitution Nr. 46 vom 15. Mai, S. 659. — oj Ebenda. —
pj Constitution Nr. 46 vom 15. Mai, S. 658, femer Allgemeine öster-
reichische Zeitung Nr. 63 vom 2. Juni, S. 736. — gj Constitution,
Nr. 46 vom 15. Mai. — rj Angabe von Kees aus dem Jahre 1842.
— 16) Constitutionelle Donauzeitung Nr. 29 vom 30. April 1848,
S. 233 f. — 17) Vgl. die Lohnliste in Louis Blanc's „Reform der
Arbeit". — 18) Durchschnittsmarktpreise der wichtigsten Nahrungs-
mittel in Wien während des Decenniums 1838 bis 1847 in C.-M. Siehe
Tab. S. 263. — 19) Es giebt mehrere Schätzungen des Fleischconsums
in Wien aus jener Zeit. — Dieterici [Statistische Uebersicht der wich-
tigsten Gegenstände des Verkehres und Verbrauches im preussischen
Staate und im Zollvereine in dem Zeiträume von 1837 bis 1839.
Erste Fortsetzung, Berlin 1842, S. 157] berechnet den Verbrauch an
Rindfleisch pro Kopf auf 151 Pfund, und meint, es wird „die Total-
fleischconsumtion exclusive Fische, Wildpret und Geflügel mit
300 Pfund pro Kopf wahrscheinlich noch unterschätzt sein. T^go-
borski (De Finances II, 28) berechnet nach den Ergebnissen der
— 263 —
vi
Getreide
0)
e
o
OD
Cd
OQ
<M
Hülsenfrüchte
OD
'S
o
OQ
09
•pH
CS
»H
o
M
••-4
niederosterreichische Metzen in Gulden und Kreuzer
1838
222
1-34
1-53
1-22
1-7
246
3-26
3-35
2-22
1839
265
23
219
1-43
124
3-56
336
4-4
2-32
1840
316
2-17
2 43
161
1'36
417
346
424
2-46
1841
36
2
215
1-41
1-30
3 63
3-11
3-58
2-44
1842
3-29
1-57
2-40
1-48
128
412
3-40
5-20
3
1843
2-51
2-2
228
131
1-23
6-22
6-24
617
3-42
1844
2-36
1-36
22
1-10
112
411
361
4-32
314
1846
3 11
302
210
1'31
1-22
4-22
3-57
4*45
3-17
1846
4-24
3-9
2-46
212
149
1
5-61
6
618
8-31
1847
6 52
425
411
3-4
27
7-67
716
8-53
4-36
1-58
1-55
223
220
219
3-1
236
219
3
310
Jahr
Reis pro
Centner
Kartoffel
pro Metzen
Rindfleisch
österr. Pfund
Wein
Bier
pro Mass in Krz.
1838
1839
1840
1841
1842
1843
1844
1846
1846
1847
14-47
15-23
1610
16-20
1438
15 10
18-49
1827
1817
18*84
0-38
0-49
0-63
0-41
1-7
1-8
0-46
041
1-12
28
0-9
0-9
09
0-9
0-9
09V4
09
9V2
010
0-10
93/,.
6 ■
7^/4-
6 .
43/,.
972-
10
10 ■
7^4-
48
7V4-8'/4
4S
TV4-8'/«
48
7'/4-8'/4
48
7V4-8V4
48
7 -8'/,
42
7V4-8V4
14
7V4-8»/4
15
8 -83/«
13
8 -8'/«
12
8 -8'/4
— 264 —
Schlachtsteuer den Consum an Fleisch im Decennium der Vierziger-
jahre auf 121 Pfund pro Kopf, setzt aber hinzu, dass sich der Consum
nach seiner Meinung höher herausstellen würde, wenn das Fleisch
nicht nach dem Stück, sondern nach dem Gewicht versteuert würde ; er
glaubt nicht zu irren, wenn er den Jahresconsum auf 130 Pfund pro
Kopf veranschlagt. —20) Nach Gül ich „Geschichtliche Darstellung des
Handels, der Gewerbe und des Ackerbaues der bedeutendsten handel-
treibenden Staaten unserer Zeit** (Statistische Tafeln 182) betrug um
1 842 der Consum an indischem Zucker in Grossbritannien (ohne Ir-
land) 21*3, Belgien 8*2, in den Niederlanden 8, in Deutschland (ohne
Oesterreich) 7*5, Dänemark 7, in der Schweiz 6, in Frankreich 6"1,
in Portugal ö, in Spanien 3*7, in Irland 3*5, in Schweden und Nor-
wegen 2*7, in Russland 1*8, in Oesterreich 1*7, in Italien 1*7, in
der Türkei 0*54 englische Pfund pro Kopf. Es ist hier jedoch nur
die Consumtion an indischem Rohrzucker, nicht die an Runkel-
rübenzucker berücksichtigt. Der jährliche Verbrauch an letzterem
wird (in dem officiellen Berichte der dritten allgemeinen öster-
reichischen Gewerbeausstellung, S. 1007) mit wenigstens 600.000
Centner, d. i. 74 Millionen englische Pfund veranschlagt;
hierzu die 65 Millionen englische Pfund von in Oesterreich con-
summirtem Rohrzucker, ergiebt einen Gesammtconsum von 139 Mil-
lionen englische Pfund oder pro Kopf 3*6 englische Pfund =
2*94 Wiener Pfijnd. Nach dieser Berechnung würde sich also der
Zuckerverbrauch in Oesterreich zwischen den Spaniens und Irlands
(ersteres mit 3*7, letzteres mit 3*5 englische Pfund) gestellt haben.
Nach der Berechnung von Dieterici (1. c. zweite Fortsetzung,
S. 125, dritte Fortsetzung, S. 206 und vierte Fortsetzung, S 171) war
der durchschnittliche Verbrauch in den Jahren 1840 bis 1847 in
Grossbritannien 19*19, in den Niederlanden 9*82, in Dänemark 8*24,
in Belgien 5*97, in Frankreich 5*62, im Zollverein 4*78, im übrigen
Deutschland 3*98, in der Schweiz 3*68, in Schweden 2*79, in Russ-
land 2*46, in Spanien 2*05, in Italien, Portugal, Griechenland und
der Türkei je 2, und in Oesterreich nur 1*68 Zollpfund pro Kopf.
Den Rübenzuckerconsum veranschlagt Czörnig für 1847 in Oester-
reich mit 144.538 Metercentnern oder 0*39 Pfund pro Kopf, so dass
sich der Gesammtconsum Oesterreichs an Zucker auf die Höhe
desjenigen von Italien. Portugal, Griechenland und der Türkei
stellte. Nach Dieterici hätte allerdings eine Steigung des Consums in
Oesterreich stattgefunden, und zwar von 1*26 Pfund (1840 bis 1842)
— 265 —
auf 1*67 (1845) und 2*12 Pfund (1847), also etwa 68%; das entspricht
aber nicht der Wahrheit. Nach der oben citirten amtlichen Angabe
betrug 1844 der Gresammtconsum 3 Wiener Pfund, während Czörnig,
aus dem Dieterici seine Angaben schöpft, den Gresammtverbrauch für
1847 nur auf 2*12 Pfund pro Kopf veranschlagt. Sonach hätte eher
ein beträchtlicher Rückgang stattgefunden. Die irrige Berechnung
Dieterici 's dürfte daher rühren, dass er bei den Ziffern für
1840 bis 1845 den Rübenzuckerrerbrauch nicht berücksichtigte. —
21) Für den Kaffeeconsum liegen für den Beginn der Vierzigerjahre
(also etwa 1840 bis 1842) abermals zwei Berechnungen vor, die sich
nicht ganz decken, eine von Gülich (1. c. Statistische Tafeln 182)
und eine von Dieterici (zweite Fortsetzung, S. 147). Wir geben
die beiden Tabellen nach Umrechnung in Wiener Pfund nach-
stehend nebeneinander wieder:
Nach Gülich Nach Dieterici
Wiener Pfund
Belgien 7*696 8*33
Niederlande 6 48 8*33
Deutschland \a.ai7 ^'^^
Zollverein J ^^^ 208
Schweiz 4455 0*83
Dänemark 4*4
Grossbritannien 1*215
|0'i
'83
Irland 0186
Spanien 1 134
Italien 1134 83
Schweden und Norwegen . . 0*81
Frankreich 729 666
Oesterreich 0'64 083
Türkei 0397
Portugal 0*243
Russland 0*162
Tegoborski (De Finances II, S. 167) veranschlagt den
österreichischen Consum nach dem Import gar nur mit 0*8 Wiener
Pfund; wenn man dazu jedoch die 6 Millionen Pfund rechnet»
welche nach demselben Autor auf dem Schmuggelwege nach Oester-
reich eingeführt werden, so gelangt man zu einer Angabe, welche
sich mit der Gülich 's und Dieterici 's so ziemlich treffen dürfte;
der durchschnittliche Kaffeeconsum dürfte also i/j Wiener Pfund
— 266 —
nicht sehr überschritten haben. — 22) Der Bierconsum betrug
während der Jahre 1841 bis 1846 in den einzelnen Provinzen und
grösseren Städten Oesterreichs in Mass:
In
1841
1842
1843
1844
1845
1846
Niederösterreich . . .
Wien
Oberösterreich . . .
Linz
Steiermark
Graz
Kärnten
Krain
Laibach
Küstenland
Tirol
Innsbruck . . ^ . .
Böhmen
Prag
Mähren und Schlesien
Brunn ^
Galizien
Lemberg
Ueberhaupt . .
I
60
100
53
736
12
79
7-8
18
4-5
33
118
16
37
2-6
52
43-95
96-03
45-39
71-51
11-52
69-87
\ 708
2113
0-21
5-84
34-40
13065
16-08
37-63
3-60
55-47
39-48
84-66
45-58
66-76
13-03
66-04
11-84
271
18-94
021
571
30-62
103-60
15-57
27 75
5-38
58 05
4412
88-66
44-93
66-31
14-09
73-41
18 75
379
23-28
0-48
6
3093
11413
16-39
3ß-76
607
6116
48-56
93-88
49-76
72-48
16-05
7541
19-79
3-76
6075
04
5-78
62-15
31-42
12314
17-48
47 68
6-46
60-75
40-09
80-72
4212
66-40
13-40
64-21
1711
3-54
29-30
0-33
6-72
69 01
30 48
130 26
1507
3915
667
46 62
20
19-74
18-61
19-58
20-62
1802
23) Der Branntweinconsum betrug in Preussen (Dieterici
1. c, dritte Fortsetzung, S. 365, und vierte Fortsetzung, S. 337)
6'7 Quart = 6V2 Wiener Mass, in Sachsen (ebenda, fünfte Fort-
setzung, S. 325), 5-68 Quart = 6V2 Wiener Mass, in Baden 3-7 Quart =
4 Wiener Mass, und in Württemberg 0-6 Quart = 3/4 Wiener Mass
pro Kopf. In Oesterreich betrug der Branntweinconsum pro Kopf
in Mass:
— 267 —
In
1841
1842
1843
1844
1845
1846
A SS
OD
^ CQ
S E
Niederösterreich
Oberösterreich
Steiermark . .
Kärnten . . .
Krain
• • • •
Küstenland . .
Böhmen . . .
Mähren und
Schlesien . .
Galizien . . .
1-73
2-38
0-87
153
107
3 20
8-56
15-93
1-07
170
0-89
}
1-70
0-84
2-90
6-73
15-33
0-63
1-78
0-64
318
0-36
0-70
1-57
520
15-92
0-96
1-38
86
2 99
0-58
0-62
217
110
208
0-76
4 34
58
42
2-52
631
14-94
6-37
9-48
1-07
1-53
0-77
557
0-43
0-47
2-51
6-31
8-71
1-09
1-81
0-79
3-22
086
068
2-48
6-58
13-38
Ueberhaupt . .
6-9
6-83
637
643
4 91
4-61
6-00
In Tirol . . .
1-50
136
204
1-63
24) Nach den „Tafeln zur Statistik der österreichischen
Monarchie" — auf Grund derer auch die vorstehenden Consumtions-
tabellen für Branntwein und Bier gebildet sind — kamen bei Ver-
gleichung des Tabakabsatzes mit der männlichen Bevölkerung vom
19. Jahre aufwärts, und bei der Annahme, dass ein Schnupf er
jährlich 12 Pfund und ein Raucher 18 Pfund bedarf, auf 1000 Männer :
268 —
a) Raucher:
In
Im Jahre
1838 1839 1840 1841 1842
1843 1844 1»45
1846 1847
Niederösterreich
356
365
r
376
358
363
!■■■ ■
376
350
367
379
356
Oberösterreich
312
319
349
334
347
354
360
367
382
386
Steiermark • .
195
194
209
182
189
205
205
213
208
210
Kärnten und
1
Krain . . .
215
221
190
225
223
225
224
239
247
260
Küstenland . .
138
125
177
146
144
148
133
145
152
1
141
1
Tirol
248
269
295
319
333
352
358
377
379^
367
1
Böhmen . . .
263
2T6
296
279
282
283
293
300
307
299
Mähren und
1
i
Schlesien . .
291
307
327
317
314
313
318
331
344
331
Galizien . . .
186
178
187
179
199
198
312
229
197
165
Dalmatien . .
30
28
31
35
30
28
31
28
33
47
Im Durch-
schnitte . . .
240
245
260
251
258
262
266
279
276
262
Lombardie . .
63
54
60
59
56
64
67
70
73
73
Venedig . • ,
21
21
21
22
24
26
29
30
31
31
Im Durch-
schnitte . . .
39
39
43
43
42
47
49
52
54
54
■ ■■ 1 ■ '
Im Haupt-
durchschnitte
192
195
209
202
207
211
216
226
224
214
269 —
bj Schnupfer:
In
I m J
a h r e
1838
1839
1840
1841 1842
1843
1844
1845, 1846
1847
Niederösterreich
138
134
129
118
113
103
92
98
101
95
• Oberösterreich
71
68
69
60
59
53
51
53
57
67
1
{ Steiermark . .
36
36
88
34
34
35
34
35
34
341
Kärnten und
1
1
Krain . . .
30
30
28
29
29
29
28
28
28
29
1
Küstenland . .
' 72
1
72
96
74
74
73
65
71
76
74
Tirol
238
244
260
262
269
262
268
286
301
293
1 Böhmen . . .
83
80
85
79
80
78
80
80
81
79
Mähren und
Schlesien . .
28
28
30
27
27
26
26
26
26
25
Galizien . . .
16
16
18
17
18
17
18
18
21
28
Dalmatien . .
15
15
15
15
17
15
14
15
14
15
Im- Durch-
schnitte . . .
62
62
65
61
61
58
58
60
62
63
Lombardie . .
25
84
85
85
85
85
84, 82
82
80
Venedig . . .
199
110
112
107
106
107
106
102
104
122
Im Durch-
schnitte . . .
96
96
97
95
94
95
94
91
92
99
Im Haupt-
durchschnitte
70
70
73
69
69
67
66
67
69
71
— 270 —
25) Ueber die Wohnungsverhältnisse in Alt-Wien vgl. die
Denkschrift „Wien 1848 bis 1888" (Wien 1888): Karl Weiss, Die
bauliche Neugestaltung der Stadt. I. Bd., S. 240 ff. — 26) Es war der
im
Jahre
Stand der
Zuwachs an
Häusern
Bewohnern
Häuser
Bewohner
absolut
%
absolut
%
1827
7856
289.382
^
1830
8037
317.768
181
2-3
28.386
9-8
1834
8223
326.363
186
23
8.585
2 6
1837
8264
333.582
41
0-6
7.229
2-2
1840
8385
356.869
121
1-3
23.287
6-9 1
1843
8586
373.236
201
2-4
16.367
4 5
1847
8756
412513
170
1-9
39.277
10-5
Ueberhaupt
900
11-4
123.131
42-5!
1
1
1
Bauthätigkeit in Wien:
Jahr
Neubauten
Neu- und Zu-
bauten
Zusammen
1843
38
42
80
1844
58
34
92
1845
38
42
80
1846
36
48
84 :
1847
32
39
71
Zusammen . .
202
205
407
27) „Constitutionelle Donauzeitung" Nr. 29 vom 30. April 1848.
— 28) Vgl. die Lebensmittelpreise in Note 18 zum dritten Capitel. —
29) Die sociale Geschichte der Revolution in Oesterreich von Ernst
Yioland. Leipzig 1850, S. 45 ff. — 30) Sociale und politische Zu-
stände Oesterreichs mit besonderer Beziehung auf den Pauperismus.
Leipzig 1847, S. 280 f; und 243 ff. — 31) Kasernen für die Arbeiter»
— 271 —
Ein Wort an die Minister der Arbeit. Von Anton Langer,
Nationalgardist. Wien 1848. — 32) In Niederösterreich bestanden
damals 652 solche Vereine mit einem Gesammtvermögen von
1,565.209 fl., in Wien allein 121 Bruderschaften. Vgl. zu diesem
Abschnitte die äusserst lehrreiche Abhandlung über „Gesellschaft-
liche Wohlthätigkeitspfiege" von Friedrich v. Radler in der ge-
nannten Denkschrift „Wien 1848 bis 1888". I. Bd. ~ 33) Hof-
kanzleidecret vom 3. Januar 1817. — 34) Die wichtigsten vormärz-
lichen humanitären Vereinsgründungen sind: 1829: ein Vere'n,
welcher die „Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für erwachsene
Blinde" gründete; 1830: der „Central verein für Kleinkinder- Warte-
anstalten Wiens und Umgebung"; 1837: Erster allgemeiner St. Annen-
Kinderspitalverein ; 1841: „St. Josephs-Kinderspitalverein" ; 1843:
„Verein zur Beförderung der Handwerke unter den inländischen
Israeliten" und israelitische Kinderbewahranstalt; 1844: Wiener
Schutzverein für Rettung verwahrloster Kinder; 1845: Kleinkinder-
bewahranstalt in Oberdöbling; 1847: „Erster Verein zur Bekleidung
dürftiger Schulkinder" ; „Theresien-Kreuzerverein zur Unterstützung
armer israelitischer Kinder"; Wiener Kreuzerverein für Unter-
stützung der Gewerbsleute; Allgemeiner Wiener Hilfsverein; Central-
verein für Krippen (die erste Krippe wurde jedoch erst 1849 ge-
gründet. — 35) Höger, Aus eigener Kraft! Wien 1892.
ÜToten zum vierten GapiteL
1) Füster Dr. Anton, Memoiren vom März 1848 bis Juli 1849.
Beitrag zur Geschichte der Wiener Revolution. Frankfurt a. M. 1850.
I. Bd., S. 45 f. — 2) „Einiges über die Arbeiterunruhen in Böhmen".
Revue österreichischer Zustände. Leipzig 1845. III. Bd., S. 21 ff.
— 3) Weiss Karl, Rückblicke auf die Gemeindeverwaltung der Stadt
Wien (1838 bis 1848), S. 173. —4) M. Szeps, Das „Jahr 1848 und
der galizlsche Bauer" im „Concordiakalender" für das Jahr 1861.
Wien, S. 46 bis 49. — 6) Weiss Karl, Rückblicke auf die Ge-
meindeverwaltung der Stadt Wien, S. 74 f. — 6) Vgl. Geschichte der
Wiener Journalistik von E. V. Zenker. I. Bd., Wien und Leipzig
1892, S. 92 ff. — 7) Die sociale Geschichte der Revolution in
— 272 —
Oesterreich, S. 63 f. — 8) In den Dreissiger- und Vierzigerjahren
lebte in Ungarn, Galizien und der Bukowina der älteste deutsche
Socialist, Ludwig Gall, der vorher in Deutschland agitatorisch und
publicistisch für seine socialistischen Ideen gewirkt hatte; davon,
dass er diese Thätigkeit auch auf österreichischem Boden fort-
gesetzt hätte, existirt keine Spur. Auch Wilhelm Marr, der älteste,
anarchistische Agitator und Führer der jungdeutschen Bewegung
in der Schweiz, lebte anfangs der Vierziger] ahre zwei Jahre in
Wien; er war aber damals kaum zwanzig Jahre und noch nicht
der socialistische Agitator von später. — 9) Dr. Georg Adler, Die
Geschichte der ersten socialpolitischen Arbeiterbewegung in Deutsch-
land mit besonderer Rücksicht auf die einwirkenden Theorien. Ein
Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der socialen Frage. Breslau 1885,
S. 109.
ÜToten zum fünften CapiteL
1) Ernst Violand, Die sociale Geschichte der Revolution in
Oesterreich. Leipzig 1850, S. 77 f. — 2) Wenn K. Weiss (Geschichte
der Stadt Wien, Wien 1883, II. Bd., S. 634) behauptet, am 10. und
11. März hätten in Gumpendorf und Gaudenzdorf förmliche Arbeiter-
versammlungen stattgefunden, in welchen „fremde, nach Wien ge-
kommene Elemente die Hauptrolle übernahmen", so entbehrt das
eben jedes thatsächlichen Beweises, und dürfte auf die ehedem
gang und gäbe Ansicht zurückzuführen sein, dass die Revolution
nur das Werk fremder Hetzer und Aufwiegler gewesen seji. —
3) Aus der Gefallenenliste des 13. März geht hervor, dass die Ar-
beiter in der vordersten Linie standen. Ausser 6 Personen, deren
Stand nicht angegeben ist, nennt die Liste unter 30 Gefal-
lenen folgende Arbeiter und Handwerksgesellen, und zwar:
Schuhmachergeselle Wittmann, Essigsieder Fürst, Tischlergeselle
Sambek, Strumpfstricker Langer, Hausknecht Laser, Taglöhner
Gebhard, Maurer Parasol, Bandmachergeselle Taubenberger, Fleisch-
hauerknecht Zettel, Zeugmachergeselle Wagner, Schmiedgeselle
Schmaleck, Taglöhner Donhart, Drechslergeselle Köpl, Bindergeselle
Reininger, Shawlweber Bauer, Kellner Mayer, Tischlergeselle
— 273 ~
Littera, Bäckergeselle Riss, Webergeselle Hirschmann, Schuhmacher
Eppinger, Taglöhner Güstro und Weber Kaiina; ausserdem nennt
die Todtenliste noch drei Frauen, darunter eine Pfründnerin und
ein Zimmermannsweib. Es gehörten also genau 2 Drittel der Ge-
fallenen unzweifelhaft dem Arbeiterstande an. (Meynert Dr. H.,
Geschichte der Ereignisse in der österreichischen Monarchie
während der Jahre 1848 und 1849. Wien 1853, S. 131.) — 4) Nach der
berichtigenden Darstellung eines angesehenen Mödlinger Bürgers
im „Humoristen" und in der Constitution (Nr. 3 vom 23. März
S. 21 f.). — 5) Constitutionelle Donauzeitung Nr. 25 vom 26. April,
5. 196. — 6) Die Constitution Nr. 2 vom 22. März, S. 16, und
Violand a. a. O., S. 82 f. — 7) Die Constitution Nr. 14 vom
6. April, S. 173 f., und Nr. 19 vom 12. April, S. 277 f. — 8) Con-
stitution Nr. 26 vom 20. April, S. 394 ff. — 9) Karl Höger, Aus
eigener Kraft! Die Geschichte eines österreichischen Arbeitervereines
seit 60 Jahren. Wien 1802, S. 73 ff. — 10) Vgl. Constitutionelle
Donauzeitung Nr. 19 vom 12. April, S. 72, Nr. 9 vom 9. April,
5. 72, Die Constitution Nr. 10 vom 1. April 119 f., Nr. 14 vom
6. April, S. 173 f., Nr. 17 vom 10. April, S. 242, Nr. 19 vom
12. April, S. 273 f. u. a. a. St. — 11) Auf dem Wege von Flug-
schriften wurden ähnliche Programmpunkte in der Arbeiterfrage
au^estellt. Ich citire zunächst aus meiner Geschichte der Wiener
Journalistik, II. Bd., Das Jahr 1848. Wien 1893, S. 47 f., folgende
Flugschriften: „An meine Brüder Arbeiter" von L. Schick.
Anfangs April. — „Offener Brief eines Arbeiters an seine
Kameraden." Wien bei Tendier & Co. 11. April 1848. Mayer,
Arbeiter unterzeichnet. Der Verfasser dürfte jedoch in Wirklichkeit
kaum Arbeiter gewesen sein. Seine Tendenz ist, die Arbeiter von
übermässigen Lohnforderungen abzuhalten. — „An die Fabriks-,
Gewerks- und Handwerksgesellen und Arbeiter Wiens"
von Prof. Dr. J. N e u m a n n, gezeichnet 31. März, gleicher Tendenz,
wie die vorher genannte Broschüre. — »Die Menschenrechte
derArbeiter" von Brunner, Arbeiter, stellt folgendes Programm
auf: 1. Festsetzung der Arbeitszeit auf 10 Stunden, 2. Gleichstellung
des Tag- oder Wochenlohnes für Alle, die dasselbe Gewerbe treiben,
3. Errichtung von Sonntagsschulen aus Staatskosten über gewerb-
liche Gegenstände, 4. Versorgung der Arbeitsinvaliden auf Staats-
kosten. — „An die gesammten arbeitenden Volksclassen
in Wien und der Umgebung" von Dr. WitlaCil, enthält nebst
Zenker: Wiener Revolntion. 18
— 274 —
den eben erwähnten Forderungen noch folgende : Arbeitsministerium,
Arbeitsgesetz, das Recht und Pflichten der Arbeiter bestimmt, all-
gemeines Wahlrecht, Einkammersystem, Arbeiterlegion, Grewerbe-
freiheit, Reform des Zunft- und Innungswesens, Zollfreiheit, Ar-
beiterauskunftsbureau, Gewerbeschule, öffentliche Werkstätten für
Arbeitslose, Abschaffung der Verzehrungssteuer, öffentliche Gemein-
küchen und Schlaf hallen, Leihbanken für Arbeiter, wechselseitige
Unterstützungs- und Versicherungsvereine, öffentliche Lehrstellen
u. s. w. — „Kasernen für die Arbeiter, ein Wort an den Mi-
nister der Arbeiter" von Anton Langer tritt für sanitäre billige
Wohnungen ein. — Ausser den hier angeführten Schriften hatte ich
Gelegenheit, noch einen ganzen Wust von Flugblättern und Bro-
schüren einzusehen, welche sich mit der Arbeiterfrage befassen, aber
in der oberflächlichsten und phrasenhaftesten Weise, so: L. Eng-
länder, „Die wahre Lage der unteren Volksclassen, geschildert
von einem Manne aus dem Volke". Wien 1848. — Hochleitner Joh.,
Ein gutes Wort für Dienstmädchen und alle dienenden Personen.
Wien s. a. — Kasper Dr. P., Die Werkstätte; dies Büchlein gehört
dem Arbeiter. Wien 1848. — Rossi Carl, Oesterreichs freie Arbeiter.
Ein Wort über ihren gegenwärtigen Zustand und ihre künftige
bessere Lage (Der Schauplatz unseres commerciellen und camera-
listischen Lebens. Wien 1848, 3. Heft) verlangt die Einsetzung
landesfürstlicher Commissäre, welchen die Functionen eines Ge-
werbeinspectors und Friedensrichters zwischen Arbeitern und
Arbeitsgebern obliegen sollte; eine im Vergleiche mit den eben
citirten Schriften leidlich sachverständige Abhandlung. — Reform
und Princip der Arbeit, des Lohnes und der Frauenrechte
(anonym), Wien 1848. — Auch die im April 1848 (nach der Vor-
rede sogar 1847) verfasste, wenn auch auf dem Titelblatte nach
dem folgenden Jahre signirte Schrift von A. v. Hummelauer: Von
den Ursachen des Zustandes der arbeitenden Olasse und den
Mitteln, denselben den Erfordernissen des geselligen Seins ent-
sprechend zu verbessern. Ein Beitrag zu einer künftigen Organi-
sation der Arbeit, Klagenfurt 1849 — muss hierher gerechnet
werden. Diese Schrift — eine der besten der ganzen Zeit — ent-
wickelt ein reiches socialpolitisches Programm, unter anderem : staat-
liche Feststellung eines Minimallohnes, Vermeidung von Productions-
monopolen; Errichtung von Pensions- und Lebensversicherungs-
anstalten für die arbeitende Classe durch Abgabe einer Quote be-
— 276 —
rechnet nach dem Arbeitslohn von Seite der Unternehmer; Ein-'
führung einer Assecuranz zur Ausgleichung der Schwankungen in
dem Preise der unentbehrlichsten Lebenserfordernisse von Seite der
Arbeiter; Errichtung von Sparcassen, Verbreitung landwirthschaft-
licher und gewerblicher Bildung, Arbeiterschutzmassregeln in
hygienischer und moralischer Hinsicht u. s. w. Es ist uns unbe-
kannt, ob diese in vieler Hinsicht vortreffliche Schrift auch in
Wien gelesen und verbreitet war.
ÜToten zum sechsten Gapitel.
1) Vgl. E. V. Zenker, Greschichte der Wiener Journalistik
II. Bd.: Das Jahr 1848. Wien und Leipzig 1893, 2. Cap. Die Mai-
revolution. — 2) Nachfolgend die Course an der Wiener Börse
während der zweiten Hälfte des Mai:
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52
50
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52
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1
— 277 —
3) Einlagen und Rückzahlungen bei der Ersten österreichischen
Sparcasse vom 15. bis 20. Mai:
Tag des
Mai
Ein]
lagen
Rückzahlungen
Parteien
C.-M.
Parteien
C.-M.
fl.
kr.
fl.
kr.
15.
146
13.463
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82389
12
16.
102
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48
486
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42
17.
115
8.123
45
483
71.497
31
18.
41
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18
1097
144.288
53
19.
78
6.041
41
832
97.853
32
20.
160
10.781
57
932
103.780
28
4) Ein Geistlicher versuchte in Gaudenzdorf, wie die keines-
wegs radicale ,,Constitutionelle Donauzeitung" versichert (S. 450),
den Arbeitern 30.<>00 fl. zu bieten, wenn sie gegen die Studenten
zögen; ein Magistratsrath soll den Arbeitern 25.000 fl. geboten
haben; die Arbeiter nahmen ihn gefangen und führten ihn unter
den Rufen: „Hängt ihn auf!" zur Universität; ein Pfarrer Wie-
singer — vielleicht der unlängst verstorbene Albert Wiesinger? —
suchte die Arbeiter mit 27.000 fl. zu bestechen; ohne Erfolg. —
ö) Violand E., Die sociale Geschichte der Revolution in Oester-
relGh. Leipzig 1850, S. 115: „In Wien war nun die Republik,
obgleich dies leider niemand erkannte; ^enn hätte dies nur jemand
erfasst und im Sicherheitsausschusse darauf hingewiesen, so würde
die Zukunft sicher eine andere Gestalt angenommen haben." — 6) Diese
Arbeiterordnung vom 28. Juni stellt als Lohn bei einer Tagesarbeit
von 10 Stunde» fest: für einen Mann 25 kr. C.-M., für Weiber
20 kr., für junge Leute von 12 bis 16 Jahren 10 kr. Kinder unter
12 Jahren dürfen überhaupt nicht zu den Arbeiten zugelassen
werden. An Sonn- und Feiertagen giebt es keine Arbeit, aber auch
keinen Lohn. Bei schlechtem Wetter erhält jede Person 6 kr. Zur
Aufrechterhaltung der Ordnung und Solidarität sollten die Arbeiter
auf den Bauplätzen eigene Ehrengerichte bilden u. s. w. — 7) Vio-
land a. a. O., S. 122 f. Was weiter mit Willner geschah, weiss ich
nicht zu sagen. Das sonst so geschwätzige „Biographische Lexikon"
von Wurzbach kennt den Namen Willner nicht Kein Wunder! —
— 278 —
8) Allgemeine Oesterreichische Zeitung vom 30. August 1848. —
9) Im „Gradaus" vom 28. und 30. Juli polemisiren mehrere Ein-
sender über diesen Punkt. Mehrere Meister hatten behauptet, der
Grund der allgemeinen Arbeitsstockung liege nicht in der Ab-
lenkung der Arbeiter von den Industriestätten, sondern im mangeln-
den Absatz; ein Webermeister Badorf erklärte im Namen vieler,
dass der Verfasser eines früheren Artikels, der das Gegentheil be-
hauptete, bei ihm, Badorf, sofort für eine Million Gulden Waare
kaufen könne, wenn er wolle. Der Aufgeforderte ging mit einem
Ausländer, der Einkäufe machen wollte, in die industriellen Vor-
städte, fand aber nirgends Waarenvorräthe; 60 Webereien standen
leer, in den Knopffabriken arbeiteten statt 60 bloss 10 Menschen
u. s. w. Der „Gradaus'' war, was zu beachten ist, ein ultraradicales
Blatt. — 10) Der „Gradaus" vom 10. August berichtet, von
104 Fleischhauern seien zwei Drittel beinahe ganz verarmt. Beim
Gemeindeausschusse kamen die Fleischhauer wiederholt um ein
Darlehen zur Gründung einer Fleischcasse ein, um es den Mit-
gliedern des Berufes zu ermöglichen, ihr Gewerbe fortzuführen.
Erst nach wiederholter Weigerung wurden 60.000 fl. vom Ge-
meindeausschusse gegen gesetzliche Sicherheit gewährt „Aemtliche
Verhandlungsprotokolle des Gemeindeausschusses," S. 16 und 28. —
11) Winter sagte in der Sitzung des Gemeindeausschusses vom
27. Juni, die häufig vorkommenden Innungsangelegenheiten fänden
meist eine unbefriedigende Lösung und die Bittsteller mussten meist
abgewiesen werden, da die bestehende Gewerbegesetzgebung keine
hinlänglichen Bestimmungen enthält, und jedes neue Gesetz früher
vom Reichstage ausgehen müsse. Er machte daher den Vorschlag^
sämmtliche Innungen aufzufordern, ihre Desiderien, die Regelung
der Innungsverhältnisse betreffend beim Gemeindeausschusse ein-
zugeben, um deren sorgfältige Prüfung mit Zuziehung der Betheiligten
im Commissionswege einzuleiten und die eventuellen wünschens-
werthen Abänderungen der Gewerbegesetzgebung in einem Gesammt-
elaborate dem Reichstage zu unterbreiten. Friedmann bemerkte
hierzu, die Innungsstreitigkeiten würden wegfallen, wenn sich das
Ministerium entschliessen würde, Schiedsgerichte einzuführen.
Der Antrag Winter's wurde mit einem von Hornbostel gestellten
Amendement, dass zu den Verhandlungen die Altgesellen und die
Arbeiter beizuziehen seien, angenommen. Vergleiche über alles, was
sich auf den Gemeindeausschuss bezieht : „Aemtliche Verhandlungs-
— 279 —
Protokolle des Gemein^eausschusses der Stadt Wien vom 25. Mal
bis 5. October 1848" (s. 1. e. a.). Das diesbezüglich an die In-
nungen und Gremien versandte Schriftstück siehe: Reschauer,
Geschichte des Kampfes der Handwerkerzünfte etc., S. 207.
In der Sitzung des Gemeindeausschusses vom 6« Juli referirte
Winter namens der Gewerbesection ; er sei immer und immer
wieder auf das ewige Zerwürfniss zwischen den Kategorien
„Meister" und „Befugte'' gestossen. Niemand könne in Abrede
stellen, dass diese Anomalie in einer künftigen Gewerbeordnung
aufhören müsse; man solle daher baldmöglichst eine Uebergangs-
periode schaffen. Der Hauptgrund der bloss einfachen Befugniss-
erwirkung liege darin, dass die Bewerber die Einverleibungstaxe
bei den Innungen so wie die Gewerbstaxe nicht zahlen können
oder wollen. Winter beantragte daher, die gesammten Meister-
innungen anzugehen, die Einverleibungstaxen zu ermässigen oder
ganz nachzulassen; ein gleiches beantragte er rücksichtlich der
magistratischen Gewerbetaxen; die Befugnissertb eilungen sollten
aufhören und fürder sollten nur Meisterrechte verliehen werden.
Von der Anfertigung eines Meisterstückes sei abzusehen, und ebenso
soll die Verleihung aller jener Beschäftigungen, welche in zünftige Ge-
werbe eingreifen, einstweilen sistirt werden. Der Referent sagte:
Jeder Staatsbürger solle sein Gewerbe auf die ihm zweckdienlichste
Art ausüben, ohne dass Privilegiumsurkunden, welche höchstens noch
für Raritätensammler Interesse haben dürften, ihn daran hindern
können. „Von den Eingaben der Innungen verspreche ich mir sehr
wenig, denn dieselben werden eher eine Gewerbsbeschränkung,
ein Zurückgehen in den Zustand des XIV. Jahrhunderts beantragen,
als sich auf jenen Standpunkt stellen, von welchem die Gewerbe-
gesetzgebung in unseren jetzigen Verhältnissen ausgehen muss." Der
Gemeindeausscbuss ging über diese Anträge der Section zur Tages-
ordnung über, „da durch den Reichstag ohnehin eine durch-
greifende Reform aller Innungs- und Gewerbeverhältnisse bevor-
stehe". (Aemtliche Verhandlungsprotokolle des Gemeindeausschusses,
S. 19 ff.). — 12) Die Petition, die das„Gentral-Gremiums- und Innungs-
comite" am 8. August 1848 dem Reichstage überreichte, erhob zunächst,
„gestützt auf die Erfahrung über die in früheren Zeiten bestan-
denen Gewerbsverhältnisse" im vorhinein Protest gegen eine allge-
meine Freigebung der Gewerbe; dieselbe wäre ein „Vernichtungs-
system", da hierdurch jeder Gewerbsinhaber um das für das Ge-
~ 280 —
werbe ausgelegte Vermögen plötzlich beraubt sein würde. Die
Denkschrift beruft sich hierauf auf die aller Orten und allezeit mit
der Gewerbefreiheit gemachten traurigen Erfahrungen und auf die
Petita des Frankfurter Handwerkercongresses, und fährt dann fort:
),Eine auf Zwang begründete kastenmässige Zunftverbindung suchen
wir nicht, aber das Zusammenwirken gleicher Gewerbsgenossen zu
einem allgemein wohlthätigen Zwecke, zur gegenseitigen Ausbildung-
und Vervollkommnung der Gewerbe. Da es in dem hohen Ministerial-
erlasse vom 9. Juni d. J. heisst, i^yd^ss die erste Bedingung eines
gesicherten Erwerbes und fortschreitenden Wohlstandes in der Er>
haltung der Sicherheit des Persons- und Eigenthumsrechtes liege"" —
die Freigebung aber gerade das G«gentheil erzielen würde, so sehen
wir uns alle insgesammt zur folgenden Bitte veranlasst: 1. Dass
keine Freigebung der Gewerbe stattfinde; 2. dass die sohinige
Zurücklegung aller Personalgewerbe nicht mehr unbedingt, sondern
bedingt geschehe; 3. dass der Hausirhandel gänzlich und ins-
besondere in den Städten eingestellt sei; 4. dass die bisher frei-
gegebenen Beschäftigungen aufgehoben werden und entweder
gegenseitig zu eigenen Innungen zweckmässig sich verbinden, oder
in jene Gewerbskategorien eingereiht werden, aus denen sie ent-
standen sind; 5. dass eine Gewerbepolizei (Aufsicht) aus den
Innungsmitgliedem jeden Faches creirt werde, und 6. dass nur
eine Gewerbsbehörde für Wien und die Umgebung bestehe, und
die vielen Dominien in Zukunft durchaus keine Gewerbe mehr ver-
leihen dürfen." Zum Schlüsse enthält die Petition die Drohung, „dass
ein so gewaltsamer Umsturz durch Freigebung der Gewerbe das
Fortbestehen des Staates, die Aufrechterhaltung der Ruhe und
Sicherheit ganz gefährden und einen Bürgerkrieg hervorrufen
würde". Reschauer, Geschichte des Kampfes der Handwerker-
zünfte, S. 208 ff. — 13) Ibid., S. 210. — 14) Die im August 1848
dem Reichstage überreichte „Petition sämmtlicherGewerbsinhabungen
und Innungen Oberösterreicbs an den hohen Reichstag in Wien" ist
ein völkerpsychologisches Document; grob und dumm, eingegeben
von dem Geiste masslosester Selbstsucht, welche, wo sie sich
verkürzt glaubt, gleich über Anarchie und Oommunismus klagt
erinnert dieses Schriftstück mit jedem Worte an den Volkscharakter
der „biederen" Oberösterreicher. Die Petition möchte vor allem,
dass neben den aus dem gleit^hen allgemeinen Wahlrechte hervor-
gegangenen Vertretern des Volkes auch noch besondere Vertreter
— 281 —
des oberösterreichischen Gewerbes sitzen und verwahrt sich gegen
die Freigebung der Gewerbe; das wäre ein „Unsinn", ein „Act,
welcher den Communismus provocirt." „Weg mit den egoistischen
Schwindeleien des Engländers, der keinen Mittelstand, sondern
nur Reiche und Bettler kennt!" „Weg mit dem überspannten
Freiheitsschwindel der Franzosen, die mit der scheinbaren Wahrung
der Menschenrechte nur Menschenrechte zerstören." Die Freigebung
der Gewerbe wäre „das Riesenthor, durch welches nur die Zer-
störungswuth, der Communismus, ungehindert eindringen und nur
Uebles zu Tage fördern würde". Die Petition spricht die Ueber-
zeugung^aus, „dass das Fortbestehen der Innungen (Zünfte^, sowie
ihre zeitgemässe Regelung unerlässliches Bedürfniss, eine Hilfe
gegen die grässlichen Laster der Anarchie ist und sein wird". Zum
Schlüsse wird gefordert: „1. Keine Freigebung der Gewerbeverleihung
und Hintanthaltung aller in dieser Beziehung stattgefundenen bureau-
kratischen bisherigen Missgriffe und Bevormundungen. 2. Aufrecht-
erhaltung der bestehenden Innungs verbände, als Associationsrecht
und Ausdehnung derselben auf alle Gewerbe. 3. Ehemöglichstes
Aufhören des Hausirhandels durch Juden und Christen. 4. Ver-
tretung am Reichstage, sowie auf den Landtagen nach Massgabe
der Gewerbebevölkerung gegenüber der unrechtmässigen Ueber-
flügelung von Seite des Bauernstandes durch freie Wahl von Seite
des Gewerbestandes. 5. Alsogleiche Aufträge an die Landesregie-
rungen, die gegenwärtig im Zuge befindlichen Gewerbsverleihungen
einzustellen." Reschauer a. a. O., S. 211 ff. — 15) Der Brünner
Gewerbetag vom 26., 27. und 28. Juli stellte folgende Anträge, welche
im Wege einer Petition dem Reichstage übermittelt wurden, und
welche ein farbensattes Bild der gewerbepolitischen Ansichten geben,
die ein grosser Theil des Bürgerthums damals für durchführbar hielt :
„1. Zweckmässige Beschränkung der sich übermässig ausbreiten-
den grossen Fabriken, mit ihren endlosen Maschinen, die sich mit
dem Erzeugnisse des kleinen Gewerbefleisses in den Städten und
auf dem flachen Lande in massenhafter Arbeit befassen. 2. Ein-
schränkung der masslosen Ertheilung von Gewerbe- und Handels-
befugnissen. 3. Beschränkung der gemischten Waarenhandlungen
mit Rücksicht auf die Oertlichkeit. 4. Hintanhaltung des Klein-
verkaufes solcher Gewerbeartikel in jenen Orten durch eigene
Handelsleute, wo sie allein oder besonders von dem kleinen Gre-
werbefleisse erzeugt werden; wohl aber Zulass des Ankaufes im
— 282 —
Grossen zu anderweitigen Speculationen. />. Vertretung des kleinen
Gewerbefleisses durch die obersten Gewalten des Staates und der
Provinz. 6. Abstellung des Hausirhandels überhaupt. 7. Aufhebung
der Werkstätten der verschiedenen Militär- und anderen grossen
Körperschaften im Staate, welche Erzeugnisse des kleinen Gewerbe-
fleisses liefern. 8. Abstellung der Licitationen für das k. k. Aerar
und Ueberlassung der Lieferung der von ihm benöthigenden (sie!)
Kleingewerbeartikel an die Zünfte unter ihrer Garantie auf Grundlage
adjustirter Ueberschläge. 9. Verbesserung des Schulwesens mit beson-
derer Rücksicht auf die kleinen Gewerbe. 10. Herstellung der Zünfte,
wobei die im gleichen oder ähnlichen Hauptmateriale arb|itenden
kleinen Gewerbsleute zu einer und derselben Zunft gerechnet werden
sollen,, mit Rücksicht auf die Oertlichkeit. 11. Jeder Gewerbsmann
ist zu verhalten, seinen Namen oder sein Zeichen, insoweit es
thunlich ist, auf sein Erzeugniss zu setzen. 12. Ertheilung eigener
Vorschriften zur besonderen corporativen Verfassung der besonderen
Gewerbe. 13, Geschworenengerichte bei Streitigkeiten der Gewerbs-
leute in Ansehung ihres Gewerbes. 14. Gesetze über Unterstützung
arbeitsunfähiger oder verunglückter Meister und Gesellen. 16. Be-
rücksichtigung der Persönlichkeit des eine Concession zum Ge-
werbsbetriebe Suchenden. Er soll den vorgeschriebenen Schulbesuch,
seine Lehr- und Wanderjahre, sein von der Innung approbirtes
Gesellenstück und sein gutes moralisches Verhalten gehörig nach-
weisen. 16. Er muss das bestimmte Alter von 25 Jahren erreicht
haben, bevor er Meister werden kann. 17. Bei der Ertheilung des
Meisterrechtes ist auf das Verhältniss der Consumtion zur Pro-
duction durch die Zunft zu sehen. 18. Ein das Meisterrecht aspi-
rirendes Individuum hat ein Meisterstück zu verfertigen, welches
gangbar und leicht verkäuflich ist, den Werth nicht übersteigt, und
es ist ihm von der Zunft aufzugeben und von derselben zu be-
urtheilen. 19. Die Meisterprüfungen sind von den Innungen vor-
zunehmen, und Zeugnisse über die abgelegte Prüfung zu ertheilen.
20. Mehr als ein Gewerbefach soll niemand betreiben. 21. Zur Er-
langung des Meisterrechtes und zum Betriebe des Gewerbes wird
ein angemessener Betriebsfonds erfordert. 22. Jene kleinen Gewerbs-
leute, welche vom Lande in die Städte und von kleineren Städten
in grössere übersiedeln und da ihr Gewerbe betreiben wollen, haben
sich einer neuen Prüfung der betreffenden Stadtzunft zu unter?
ziehen. 23. Städte, sowie mehrere Gemeinden zusammen auf dem
— 283 —
Lande können Zunftläden haben, und jeder Gewerbetreibende muss
einer Zunft angehören. 24. Die in grossen Fabriken mit Maschinen
oder in Staatsanstalten erzeugten Kleingewerbeproducte sollen bloss
im Wege des ausländischen Handels in Verkehr gebracht werden,
sonach die auf den Ortsbedarf berechneten Gewerbe nicht beein-
trächtigt werden. 25. Einführung einer angemessenen Besteuerung
der Fabriken in Kleingewerbeerzeugnissen, sowie auch der Bau-
und anderen grösseren Unternehmungen, mit Rücksicht auf die-
jenigen Vortheile, welche dieselben gegenüber dem einfachen Ge-
werbsmanne aus den Maschinen, dem in einer Hand angesammelten
Capitale und der Masse unselbständiger, in ihrem Dienste stehender
Arbeiter, und endlich der Begünstigungen durch die Zollvor-
schriften und Privilegien, unter welchen letzteren namentlich des
freien Niederlagsrechtes dermalen geniessen, zum Schutze des kleinen
Gewerbefleisses. 26. Einschränkung der furchtbar wachsenden Macht
des Capitales im Betriebe von Grewerben. 27. Verpflichtung der
Fabrikanten, sich bloss solcher Arbeiter zu bedienen, welche von
dem Gremium der Kleingewerbe angenommen und freigesprochen
worden sind, so dass diese zu den Fabrikanten in dasselbe Ver-
hältniss treten, in welchem die Lehrlinge und Gesellen zu den
Meistern der zünftigen Gewerbe stehen. 28. Aufhebung ausschliess-
licher Privilegien, als Störungen des Gewerbefleisses, dagegen Be-
lohnung vom Staate, wenn die Erfindungen von allgemeinem Nutzen
sind. 29. Die Gewerbeinhaber sollen in der Erzeugung und im
Verschlusse streng auf die ihnen zustehenden Artikel beschränkt
werden. 30. Ueberlassung des Gewerbebetriebes der Witwe und Vor-
sorge von Seite der Zunft, derselben einen tauglichen Gehilfen zu
geben. 31. Einzelnen Frauenspersonen, oder solchen, die sich sammt
ihren Kindern mit Arbeiten beschäftigen, soll es nur zustehen, sich
mit Nähartikeln zu beschäftigen, die nicht schon Sachen der Frauen -
Schneider sind, und in den anderen Artikeln steuerfrei. 32. Die
Aufnahme von Lehrjungen und die Ueberwachung derselben von
Seite der Meister und Gesellen ist den Zünften zur strengen Pflicht
gemacht. 33. Einführung von Gewerbevereinen in den Städten zur
Abschaffung zünftiger Missbräuche und Regulirung des Lohnes
der Hilfsarbeiter. 34. Da Handelsbefugnisse nicht bloss von der
persönlichen Geschicklichkeit, sondern auch vom Credite abhängen,
so soll in den Städten und grösseren Märkten, sowie auch auf den
Dörfern ein angemessener Handelsfonds ausgewiesen werden. 35. Sollen
. I
— 284 —
an jene, welche sich um ihre Selbständigkeit bewerben, keine
Decrete, Befugnisse und Patente ertheilt werden, um sie dadurch
den Meisterprüfungen zu entziehen." Vgl. Naske Alois, Die ge-
werbepolitische Bewegung in Oesterreich und ihre Schlagworte-
Brunn 1896, S. 7 ff. — 16) Die sociale Geschichte der Revolution
in Oesterreich, S. 92. — 17) Siehe: Protokolle der allgemeinen
öffentlichen Enquete über die Lage des Kleingewerbes in Nieder-
österreich, abgehalten von der Handels- und Gewerbekammer in
Wien 1873 und 1874. Wien 1874. Aussage des Experten Fr. Schneider,
S. 434. — 18)Violand, Sociale Geschichte der Revolution in Oester-
reich, S. 126 ff. — 19) Amtliche Verhandlungsprotokolle des Ge-
meindeausschusses u. s. w., S. 6. — 20) Vgl. E. V. Zenker, Ge-
schichte der Wiener Journalistik. II. Bd., das Jahr 1848, S. 44 ff.y
und Höger, Aus eigener Kraft, S. 117 ff. — 21) Ueber die Bio-
graphie Häfner's vgl. meine Geschichte der Wiener Journalistik.
II. Bd., S. 26 ff. — 22) Dr. Georg Adler, Die Geschichte der
ersten socialpolitischen Arbeiterbewegung in Deutschland, mit
besonderer Rücksicht auf die einwirkenden Theorien. Breslau 1885,
S. 121 und 332 ff. — E. V. Zenker, Der Anarchismus. Jena 1895,
S. 87 ff. -— 23) S. Engländer, Die politische Bildung der unteren
Volksclassen („Constitutionelle Donauzeitung" Nr. 64 vom 4. Juni;
Nr. 70 vom 10. Juni und Nr. 76 vom 17. Juni). — 24) Zur Bio-
graphie Sander's vgl. den Aufsatz an „Meine Freunde und Collegen",
womit er die erste Nummer des von ihm redigirten „Wiener All-
gemeinen Arbeiter- Blattes" (vom 22. Mai 184^) einleitete. — 26) Vgl.
Violand E., Die sociale Geschichte der Revolution in Oesterreich,
S. 148 ff. — 26) Nach den Angaben Violand's a. a. O., S. 14ö ff.
ÜToten zum siebenten Capitel.
1) Es betrugen im
Monate März die laufenden Einnahmen . . . 10,324.671 fl. C.-M.
(gegenüber dem Voranschlag
— 2,652.262 fl.)
die laufenden Ausgaben .... 12,535.231 fl. C.-M.
(gegenüber dem Voranschlag
— 31.752 fl.)
— 285 —
für ausserordentliche Zwecke . 1,278.430 fl. C.-M.
Unbedecktes Erforderniss 3,4ö9.190 fl. C.-M'.
Monat April die laufenden Einnahmen . . . 6,766.194 fl. C.-M.
(— 6,220.640 fl.)
die laufenden Ausgaben . . 10,267.474 „ „
<- 2,299.610 fl.)
Unbedecktes Erforderniss . 3,511.280 fl. C.-M.
Monat Mai die laufenden Einnahmen . . . 7,039.758 fl. C.-M.
(— 6,937.075 fl.)
die laufenden Ausgaben .... 13,986.583 fl. C.-M.
(4- 1,418.500 fl.)
für ausserordentliche Zwecke . 1,894.515 „ „
Unbedecktes Erforderniss . 8,840.340 fl. C.-M.
2) Nach den Ausweisen der priv. österreichischen National-
bank war
der Silbervorrath der Banknotenumlauf
Ende Februar
. 65,058.351 fl.
C.-M.
214,146.440
fl. (
::;.-M
. — 1:3
„ März . .
. 53,156.185 „
>»
189,392.665
>»
>»
= 1 :4
„ April . .
. 35,032.030 „
>»
184,201.760
»»
>»
= 1:5
„ Mai . .
. 21.940.147 „
M
177,810.520
»»
»»
= 1 :8
„ Juni
. 20,022.773 „
»>
181.375.890
»»
»»
— 1 :9
„ Juli . .
. 26,356.941 „
>»
194,683.936
»»
»
— 1 :7
„ August .
. 32,236.098 „
»»
202.7V0.153
>»
»»
= 1 : 6-3
„ Septembc
jr 33,026.516 „
»»
203,321.041
»
»
= 1 :6-l
3) Kudlich sagte selbst von dieser seiner Rede nach 25 Jahren
(Rückblicke und Erinnerungen. II, S. 113): „Wenn ich heute in
den stenographischen Protokollen meine damals gesprochenen
Reden wieder nachlese, so erscheinen dieselben nicht sowohl des
Inhaltes, sondern hauptsächlich der Form wegen ganz fremdartig.
Alle diese Gefühlsäusserungen verdienen nicht den Namen von
Reden. Sie bilden nicht ein logisch zusammenhängendes Bauwerk,
sondern gleichen eher regellos aneinander gereihten, oft recht
schönen, manchmal packenden Sätzen. Sie bilden Bausteine unor-
dentlich durcheinander geworfen, aus denen allerdings eine ge-
schickte besonnene Hand ein harmonisches Ganze hätte zusammen-
setzen können. Sie enthalten sehr viel poetisch-rhetori-
sches Gepräge und vermeiden wie absichtlich alles Pro-
saisch-Sachliche! Sie verrathen eine Anlage zur Beredtsamkeit,
die durch weitere Uebung und Schulung, durch die läuternde Er-
— 286 —
fahrung des Lebens ein befriedigendes Resultat geliefert haben
würde. Vielleicht wäre aus dem Anfänger ein Redner geworden,
wenn er sieh nicht gezwungen gesehen hätte, die Arena des Par-
lamentes mit den Wohnungen der Kranken und Siechen zu ver-
tauschen." — 4) Vgl. die „Verhandlungen des österreichischen
Reichstages nach der stenographischen Aufnahme". Wien 1848/49,.
I. und IL Band. — 5) E. Violand a. a. O., S. 181. — 6) A. Füster,
Memoiren vom März 1848 bis Juli 1849. Beitrag zur Geschichte der
Wiener Revolution, Frankfurt am Main 1850, L, S. 226; Violand
a. a. O., S. 135 ff. u. a. — 7) Violand a. a. O., S. 129 f. —
8) Die Kundmachung lautete: „Das Ministerium der öffentlichen
Arbeiten hat im Einvernehmen mit dem Ministerium des Innern
den Beschluss gefasst, von der mit dem Erlasse vom 18 d. M.
verfügten Ermässigung des Taglohnes bei öffentlichen Arbeiten,
und zwar auf 15 kr. C.-M. für Weiber und auf 10 kr. C.-M. für
Personen unter 15 Jahren in keinem Falle abzugehen. Fleissigen
Personen ist durch die eingeführte Accord arbeit noch immer die Ge-
legenheit geboten, sich einen höheren Taglohn zu verdienen ; dagegen
musste die Ermässigung eintreten, um die Geldmittel nicht unnützer-
weise zu erschöpfen, welche nothwendig werden dürften, um in der
herannahenden strengen Jahreszeit noch für die Arbeiter Vorsorgen zu
können. Es wurde auch angeordnet, dass die Ingenieure auf allen
Bauplätzen die Bildung von Partien von minder geübten und
schwächeren Arbeitern beiderlei Geschlechtes möglichst begünstigen
und bei Bemessung des Accordlohnes darauf Rücksicht nehmen,
dass fleissige Arbeiter sich mindestens den Betrag des früheren
Taglohnes verdienen können. Arbeiterinnen mit einer grossen An-
zahl Kinder können überdies noch durch Brotbetheilung einer
weiteren Unterstützung theilhaftig werden. Wien, am 21. August 1848.
Der Minister der öffentlichen Arbeiten Schwarzer." — 9) Michail
Bakunin's Socialpolitischer Briefwechsel mit Alexander Jw. Herzen
und Ogarjow. Mit einer biographischen Einleitung, Beilagen und
Erläuterungen von Professor Michail Dragomanow. Autorisirte
Uebersetzung aus dem Russischen von Dr. Boris Minzes. Stuttgart
1895, S. LVIII. — 10) Vgl. über die Anwesenheit Marx' in Wien
den „Radicalen" vom 30. August und vom 26. September; „Die
Constitution" Nr. 133 vom 1. September und Nr. 130 vom 5. Sep-
tember; „Neue Rheinische Zeitung" vom 5. und 6. September u. ö.
— 11) Constitution vom ö. September. — 12) „Allgemeine Oester-
— 287 —
reichisehe Zeitung" Nr. 94 vom 5. Juli, S. 387. — 13) Verhand-
lungen des österreichischen Reichstages, II. Band, S. 102. Aussage
des Finanzministers Krauss. — 14) Die äusserst seltenen „Statuten
des Privatdarlehenvereines ohne Hypothek von August Swoboda,
Präsident des Comites" (Wien 1848, Mechitaristendruckerei) sind
vom 27. Mai datirt — 15) Violand a. a. O., S. 154. — 16) Ver-
handlungen des österreichischen Reichstages. II, S. 353. — 17) Amt-
liche Verhandlungsprotokolle des Gemeindeausschusses. Sitzung
vom 11. September. — 18) Verhandlungen des österreichischen
Reichstages. II. Bd., S. 405. — 19) (Siehe Note 18.)
Soten zum achten Capitel.
1) Siehe die authentische Darstellung dieser Vorgänge in der
erzreactionären Druckschrift über die Wiener Octoberrevolution
von W. G. Dun der (Wien 1849): „Blutiger Kampf der Stadt- und
Vorstadtgarden vor und in dem Stephansdome", S. 109 ff. —
2) Dunder a. a. O., S. 523, erzählt eine recht bezeichnende Geschichte:
Der Rittmeister Martinitz und Adjutant Berger der Nationalgarde-
Cavallerie, die sich nur aus den reichsten Bürgerkreisen recrutirte,
waren zu Bem ins Belvedere beschieden, wo ein Kriegsrath wegen
eines geplanten Ausfalles gehalten wurde. Bem hatte die Schreib-
tafel in der Hand und verlas die §tärke aller Corps. Als die
Reihe an die Cavallerie kam, fragte er Martinitz in gebrochenem
Deutsch: „Wie stark ist Nationalgardecavallerie?" — „Vierhundert
Garden," war die Antwort. Bem notirte sich diese Zahl freudig
lächelnd und sagte : „Ah bravo, und alle zum Einhauen in der
Schlacht?" — „Zur Schlacht? nemlehet!" sprach Berger und
Martinitz bemerkte: „Zur Schlacht nicht Einen!" — „Ah, ah, bloss
zur Parade," erwiderte Bem mit Geringschätzung, Martinitz er-
widerte aber: „Nicht bloss zur Parade, auch zum Dienste, wir sind
jedoch Bürger, werden Haus, Hof und unsere Familien beschützen.
In einer Schlacht haben wir nichts zu thun." — In der That ver-
weigerten diese berittenen Garden, wie überhaupt die sogenannten
Elitegarden in der Nacht vom 23. October, vielleicht in einem
kritischen Augenblick die Theilnahme an einem Ausfalle (vgl.
Dunder a. a. O., S. 627 ff. — 3) A. a. O , S. 271 f. — 4) Einzel-
— 288 —
fälle beweisen zwar nichts, aber als lUustrationsfaetum — wenn
schon als nichts anderes — als classisches Beispiel, wie ver-
worfen das Spiessbürgerthum in Wien war, möchte ich hier
folgenden Fall, nach dem gewiss nicht anzuzweifelnden Berichte
Dunder's (S. 719 ff.) anführen: Der Nationalgarde-Oberlieutenant
Weissenberger, ein reicher Bürger, hatte am 27. October dem
Feldmarschall Windischgrätz eine Depesche der türkischen Bot-
schaft zu überbringen. Windischgrätz, vielleicht um den simplen
Bürgersmann auszuholen, oder zum Herold seiner Grossmuth in
Wien zu machen, lud Weissenberger zu Tische. In der That
erzählte der elende Verräther, als das Grespräcli auf Wien kam —
wie Dun der mittheilt — unumwunden die Lage Wiens und er-
klärte auf die Frage, ob sich Wien standhaft vertheidigen würde,
er habe sich „leider" von dem Muthe und der Kampflust der Be-
völkerung überzeugt und bedauere, dass solche keinem edleren
Zwecke geweiht sei. Leider sei die „ungebildete" Bevölkerung durch
Wühler verhetzt, von Vorurtheilen gegen den Fürsten eingenommen
und halte ihn für den ärgsten Aristokraten und Reactionär, was
freilich demjenigen unmöglich sei, der einmal, wie er nun, das
Glück genossen, den Fürsten zu sprechen. Windischgrätz, der
es liebte, den hohen Olympier mit einem huldvoll lächelnden und
einem strengen Auge zu spielen, erklärte, er sei nur gekommen,
um die „wahre Freiheit" zu schützen; jeder Kanonenschuss, den
er gegen Wien richte, thue seinem Herzen wehe u. s. w. „Durch
die Huld des Fürsten tief ergriffen, weinte Weissenberger, und
nicht mehr mächtig weiter zu sprechen, erfasste er die Hand des
Fürsten, um solche zu küssen, worin ihn jedoch Letzterer abhielt,
ihn (sie!) herzlich mit der rechten die Hand schüttelte, mit der
linken aber ihm freundliche Backenstreiche gab. Weissenberger
kann das Bewusstsein hinnehmen" — fügt Dun der, ein gewesener
herrschaftlicher Güter director, hinzu — „dass er als bürgerlicher
Oberlieutenant und Bürger einer der grössten Städte Europas mit
Würde seine Mission vollendet habe!" Dass waren also die Begriffe,
welche die Wiener Bourgeoisie von Würde und von Bürgerehre
hatte. Windischgrätz wusste genau, wie er mit dieser Canaille
umzugehen hatte ; durch ein paar freundliche Backenstreiche waren
sie gewonnen, das „Arbeitergesindel" und die „fremden Wühler"
liess er niederschiessen, damit ward „Ruhe und Ordnung" sofort
hergestellt. — 5) Im Orte Frainspitz empfing der Kaiser am
— 289 —
12. October eine Deputation von vielen Gemeinden und ge-
ruhte ihnen zu versichern, dass die constitutionellen Freiheiten,
welche die allerhöchste Sanction bereits erhalten hatten, nach der
in Höchst Ihrem Manifest vom 8. October erneuert ausgedrückten
Willensmeinung ohne irgend eine Schmälerung vollkommen
aufrecht bleiben/' — 6) Vgl. Walter Rogge, Oesterreich von
Vilägos bis zur Gegenwart. Wien und Leipzig 1872, I. Band,
S. 82 ff. — 7) Eine allerdings mangelhafte und etwa aus den
„Verhandlungen des österreichischen Reichstages" (IV. u. V. Band)
zu ergänzende Zusammenstellung der auf constitutionellem Wege
verfassten Grundrechte, siehe bei Violand, a. a. O. S. 265 ff. —
8) Walter Rogge, a. a. O. S., 341 ff. - 9) Abdruck Violand, a. a.
O. S., 269 ff. — 10) Reschauer Heinrich, Geschichte des Kampfes
der Handwerkerzünfte und der Kaufmannsgremien mit der öster-
reichischen Bureaukratie. Wien 1882, S. 217 ff.
Z e n ke r , Wiener Revolution
19
Sachregister.
Abfahrtsgeld 12, 13.
Abgaben der Bauern, Höhe derselben
22, 248, 24», 250, 251, 252.
Ablösung der Robot, siehe Robot.
Abstiften, Abstiftung 7.
Aecordarbeit 125, 1«8, 286.
Actien der Wiener Gewerbemänner
218, 219.
Adelsbesitz 5, 247.
Anarchismus, anarchistische Regungen
im Jahre 1848 : 170, 177, 272.
Anticipationsscheine 88.
Arbeit, Recht auf 128, 141, 155.
Arbeiterauskunftsbureau 274.
Arbeiterclasse, die Lage der 55 — 91.
Arbeitereomite 144, 158.
Arbeiterfrage, Programm derselben im
März 1«4, 125, 126, 127, 128, 129, im
Jahre 1848: überhaupt 239.
Arbeiterkasemen 104, 270, 274.
Arbeiterorganisation vor 1848 : 87, 88, 89,
90.
Arbeiterparlament 21?.
Arbeiterpresae während der Revolution
164, 165.
Arbeiterschutzgesetzgebung 64, 65, 275.
Aibeitemnmhen in Böhmen 1814 und
1846 : 96, 97, 98, 105, 271.
— in Wien 1845 und 1847: 98, 100.
— in Wien während der Märztage 113,
114, 115, 116, 117.
— in Prag, Graz nnd Linz während der
Märztage 118.
— in Wien im Juni 157, 200, 201, 202.
— im August 207, 208.
Arbeiterverein, Erster allgemeiner 175,
17«, 212, 213, 214, 228.
Arbeitslohn, siehe Lohn.
Arbeitslose 78, 79, 80, 81, 32, 85, 99 öffent-
liche Werkstätten fflr Arbeitslose 274.
Arbeitsordnung vom 28. Juni 1848: 141,
277.
Arbeitstheilung im Handwerke 43, 255.
Arbeitszeit fttr Kinder 63, 65; Maximal-
arbeitszeit 125, 126, 128, 239.
Armencolonien 161.
Armenpflege vor 1848: 8, 63, 84, 85.
Armuth der bäuerlichen Bevölkerung
24 ff.
— der städtischen Arbeiterclassen 78, 79,
80, 81, 82, 83, 85, 95, 100.
Association, wirthschaftllche 86, 87, 88,
89, 90, 150, 154, 160.
Augustunrohen 201 — 211.
Ausschuss der Bfirger, Nattonalgarden
nnd der akademischen Legion ZTir
Wahrung der Volksrechte und zur Er-
haltung der Ordnung und Sicherheit
in Wien nnd dessen Umgebung, siehe
Sicherheitsansschnss.
Bancozettel 32, 33, 41, 255.
Bangue du penple 152, 153.
Bankerott des Staates 1811 : 37.
Batzenhäusler 10.
Bauernaufstand in Galizien 1846 : 98, 99
Bauernaufstände im XVIII. Jahrhundert
in Oestereich 246, 247.
Bauemnnmhen in Niederösterreich im
Jahre 1847 27, 99.
— während der Märzrevolution 118, 119.
Baumwollspinnerei in Oesterreich 254,
255
Bauthätigkeit in Wien 1848 bis 1847: 76,
270.
Befugniss 29, 38, 47, 50.
Befugte Meister 81, 44, 46, 48, 49.
Bergdienst 15.
Bergherrschaft 12, 15, 187, 195.
Berghold 15.
Bergrecht 15, 17, 194.
Bestiftang 7.
Bestiftungszwang 7, 17.
Bierconsum in Oesterreich vor 1848: 73,
74, 266.
Blumensuchrecht 13, 195.
Bodenzins 7.
Bodenzinsleute 6.
Börsenconrse in Wien vom 15. bis 81. Mai
1848: 138, 276, 276.
Bourgeoisie, die Wiener, ihr Verhältniss
zur Märzrevolution HO, 111, 112, 115.
— 291 —
Bourgeoisie, die Wiener, ihr Verhältniss
zur Mairevolution 136, 1S7, 138, 148.
— zur weiteren Entwicklung der Revo-
lution 181, 183, 183, 184, 200, 208, 209.
— zur Octoberrevolution 286, 227, 229,
230, 287, 288.
Branntweinconsum in Oesterreich vor
1848: 74, 266, 267.
Bruderladen 64.
Oentralcomitä für Arbeiterangelegen-
heiten 203, 204.
— der Studenten und Nationalgarde 135
136, 138, 150, 152.
Central- Gremiums- und Innungscomiti^
148, 279.
Comit^ zur Unterstützung mittelloser
Gewerbsleute 215.
Communications- und Verkehrsmittel 43,
257.
Concordia, Arbeiterverein 178.
Congress deutscher Handwerker in
Frankfurt am Main 149, 280.
Consum, mittlerer in Oesterreich vor
1848: 71, 72, 78, 74.
— an Fleisch 71, 72, 262, 264.
— Kaffee 72, 73, 265.
— Zucker 67, 72, 264, 265.
— Bier 73, 74, 266.
— Branntwein 74, 266, 267.
— Tabak 74, 267, 268, 269.
Credit für das Kleingewerbe 47, 150, 151,
152, 215, 216, 217, 221, 222.
Creditgew&hrung seitens des Handwer-
kes 54, 259, 260.
Dampfmaschinen, Einführung derselben
in Oesterreich 255, 256.
Decreter 49, 50.
Dienste 2, 6, 14, 15, 186, 195, 245.
Dominicalgründe 5, 119, 195.
Dominicalist 6.
Donaudampfschiffalirtsgesellschaft 43.
Dorfherrschaft, Dorfobrigkeit 12, 13,
187, 194, 195.
Dreifelderwirthschaft 23.
Bhen, Statistik der, von 1802 bis 1806 : 34.
Einlösungsscheine 33.
Eisenbahnen in Oesterreich vor 1848: 43,
257.
Enquete über die Gewerbefrage (1882
bis 1834) 38, 39, 40, 44, 45, 51.
— über die Frage der Reorganisation
der Zünfte und Innungen (Juni 1848)
148.
Erbpacht, Erbpächter, Erbpachtvertrag 6.
Erbsteuer 11.
Erbzins 11.
Erbzinslente 6.
Erdarbeiten, öffentliche 101, 118, 123,
145, 146, 155, 156, 157, 158, 159, 160,
180, 202, 204, 211.
Fabriken, Zunahme der 52, 53.
Fabriksbefugniss, Einschränkung der-
selben 29.
Februarrevolution, Pariser 109.
Finanzielle Krisen am Beginne des Jahr-
hunderts 82. 33, 34, 37.
— im Jahre 1848 : 138, 182, l83, 284, 285.
Fleischconsum in Wien 71, 72, 262, 264.
Flugschriften über die Arbeiterfrage 273,
274, 275.
Frauenarbeit in Fabriken 61, 128, 261.
Frohnde, Frohndienst 8, 27, 121, 245,
248, 251.
Fruchtwechselwirthschaft 23.
Oanzlehner 7, 10.
Gebühren i2, 13
Gefallenenliste des März 272, 273.
Gemeindeausschuss, provisorischer 140,
14 t, 145, 146, 148, 157, 158, 160, 201,
203, 215, 217, 219, 220, 260, 218, 279,
284, 287.
Gemeinküchen, Gemeinöfen 104, 144,
159, 160, 274.
Gerichtsbarkeit 18.
— dingliche 18.
— persönliche 18.
— politische 13.
Gesellenwesen 41.
Gewerbe, Lage des, vor 1848 : 28 - 55.
Gewerbeausstellung 1835: 44, 254.
— 1840 und 1845: 44.
Gewerbefreiheit 29, 32, 88, 42, 48, 147,
148, 212, 237, 238, 255, 274, 279, 280,
281.
Gewerbegesetzentwurf von 1885 : 39, 42,
44.
Gewerbeinspector 274.
Gewerbepolitik Franz I. 32, 85, 36, 37,
88, 89.
Gewerbetag zu Brunn am 26. bis 28. Juli
1848: 149, 281.
Gewerbeverein, niederösterreichischer
110, 137.
Gewinnbetheiligung 159.
Grossindustrie, Lage der, vor 1848: .56,
57, 58, 59.
Verhältniss zwischen Grossindustrie
und Handwerk 51, 52, 63, 55, 259.
Gründe, bergmässige 15.
— Dominical 5, 119, 195.
— eingekaufte 5.
— herrschaftliche 5.
— robotsame 10. ,
— Rustical- 5, 119, 195 245.
— uneingekaufte 5, 6..
— unterthänige 5, 195
— z ehe nt Pflichtige 15.
Grundbuch 5, 6, 7.
Grunddienst U, "i^» ^''^» ^> ^''^'
Grundentla»hin« •• Berathungen des
Reichstage^ üblr dieselbe 186^198; Ge-
setz vf\-^ 1 scptetabet 1848 : 198, 284,
^^^ 5^tetxt ^^"^^ '^' ^'^^'^ ^^^'' ^^*'
292 —
DurcbfÜhrung der Grundentlastang
334. SS5, SSff, 237.
Grundherr, Grundherrlichkeit 8, 3, 4, 6,
7, 8, 11, 18, 13, 15, 18, 19, 22, 87,
128, 187, 198, 195, 245.
Grundhold 6, 27, 181.
Grandobrigkeit 6, 245, 246.
Grundrechte, Die 231, 232, 289.
Grunduntertban, Grundunterthänigkeit,
siehe Unterthan, Untertfalnigkeit.
Grundzins 250, 251.
Gültbuch 5.
Gutenbergrerein 211.
Balblehner 7, 10, 249.
Handel (Anssenhandel) 23 f., 40, 253.
Handelsgremien 89, 44, 148, 855, 279,
289.
Handwerk, Rfickg^ang desselben, in den
Dreissiger- und Yierzigerjahren 40, 41,
42, 43, 44, 49, 50, 51, 58, 53, 54, 55;
Lage des Handwerkes während der
Revolution 123, 129, 180, 145, 146,
183, 214, 215.
Handwerkerzünfte, siehe Zunft.
Hausindustrie 25.
Hausirhandel, Abschaffung desselben
148. 149, 280, 281, 288.
Herrschaft 6, 10, 12, 18, 16, 16. 18, 20,
25, 89, 193, 245, 246, 247, 218, 250,
251.
Hörig,' Hörigkeit 9.
Industrie, die österreichische, im XVII.
Jahrhundert 28, im XVIII. Jahrhun-
dert 29 f., im Beginne des XIX. Jahr-
hunderts 32, 40, 43, 66, 57, 58, 59,
260, 261 ; Wiener Industrie 80, 63, 54,
25».
Indu5trialismus und Liberalismus 30,
31.
Inmann, Inlente 6, 10, 26, 234.
Innung, siehe Zunft.
Jagdpatent vom Jahre 1786 < 8.
Jagdreoht 23.
Xaffeeconsum in Oesterreich 72, 78, 265.
Kataster 5, 7; franciscinischer 21.
Kaufinannsgremien, siehe Handelsgre-
mien.
Kinderarbeit in den Fabriken 61, 62, 63,
64, 65, 261, 262.
Klaubrecbt 8.
Kleinhäusler 7, 10, 834.
Krankencassen 64, 818, 239.
Irfindtafel 5.
Landwirthscbaft, Stand derselben in
Oesterreich 23 f.
Laudemium 11, 12, 22, 250.
Lebenshaltung in Wien und Oesterreich
in den Vierzigerjahren 68, 71, 72, 73,
74, 76, 76, 77, 88, 262, 268, 864, 265,
266, 267, 268, 269, 870.
Lebensmittelpreise in Wien 1837—1847
68, 69, 262, 863.
Lehensherrschaft und Lehensrecht 187,
194, geistliche Lehensherrschaft 13, 14,
weltliche Lehensherrschaft 12, 14.
Lehrlingswesen 41, 42, 125. 126, 128.
Leibeigenschaft, Aufbebung derselben 4,
9, 846, 248.
Leihanstalt des Swoboda 150, 151, 152,
163.
Leihhanken fElr Arbeiter 274.
Leseverein, Juridisch-politischer 110,134,
137, 174.
— für Buchdruckergehilfen 175.
Liberalitätsprincip, Das, in der Gewer-
begesetzgebung 35, 38, 39, 45, 47.
Lohnbewegung nach der Märzrevolution
124, 125, 126, 127, 128.
Lohntarif für Buchdrucker und Schrift-
giesser 126, 211.
Lohnverhältnisse in Wien um 1845 : 66,
67, 68, 262.
Maschinen, Ein- und Ausfuhr 58, 260,
261.
Maschinenbetrieb in der Industrie 42.
Maximalarbeitszeit, siehe Arbeitszeit.
Minimallohn 125, 128, 239, 274.
Ministerium der öffentlichen Arbeiten
144, 145, 168, 202, 203, 204, 807, 218,
215, 239, 271, 274. 286.
Mitweide (Weiderecht) 13, 195.
Mortuarium 11, 22, 250.
Hattonalbank 109, 110, 138, 182, 188, 215,
216, 2«S, 285.
Naturslabgaben, Katuraldienst, Giebig-
keiten 2, 6, 8, 19, 120, 181, 194, 195.
Nexus subditelae 8, 8, 19, 194.
Nothstandsbauten, öffentliche, im Vor-
märz 101, während der Revolution
118, 183, 145, 206, 2«3.
Nutzungseigenthum 2, 5, 6.
Obereigenthum, Obereigenthumsrecht 3
6, 7, 11. 18, 120, 121, 194, 195, 232.
Obrigkeit 10, 39.
Octoberrevolntion 885—880.
Organisation der Arbeit 46, 129, 141, 274.
Patironat, Kirchenpatronat 18, 14.
Pauperismus, siehe Armuth.
Pensionat, communales, für Arbeiterin-
nen 161.
Presse, Die, und die sociale Frage 164,
165.
Privatdarlehensverein ohne Hypothek
817, 818, 819, 887.
Productivgenossensohaft 160.
Protectionistische Gesetzgebung für die
Industrie im 18. Jahrhundert 30, 31.
Baucher, Zahl derselben in Oesterreich
268.
— 293 —
ReicLstag, constituirender 140, 14<}, 149,
179, 180, 185, 186, 187, i>»8, 191, 194,
198, 199, 201, 210, 212, 216, 217, 221,
S22, 224, 225, 288, 2S0, 2S1, 234, 286,
2S7, 254, 278, 279, 280, 281, 286, 287,
289.
Robot' 8, 9, 10, 13, 14, 19, 24, 26, 27,
119, 181, 188, 187, 188, 194, 199, 830,
234, 245, 248, 849, 850, 251.
— Eintheilnng der Robot 10 ; allgemeine
Bestimmimgeii der Robotleistung für
Niederösterreich 10 ; -mrtbschafUicher
WerUi der Robot 248 ; Befreiung von
der Robot 99, 111 ; RoboUblOsnng 26,
87, 119, 120, 121 ; Robotreluition 9 ;
Robotabolition 9, 26, 27 ; Robotpatente
von 1680, 1717, 1738:245; Robotabo-
litionndecret von 1846 26, 27: Hof-
kanzleidecret (Robotabolition betref-
fend) vom 27. März 1848 ffir Nieder-
österreich und Steiermark 120, 121;
für Gallzien vom 17. April 1848: 181,
122.
Rusticalffründe 5, 119, 195, 215.
Rusticalist 6.
Schiedsgerichte, gewerbliche 174, 212,
289, 278.
Schnupfer, Zahl derselben in Oesterreich
5{69.
Schuldenmacherei in Wien 54, 859, 860.
Septemberunruhen 214—282.
Sicherheitsausschnss 139, 140, 141, 142,
143, 144, 145, 158, 159, 1^0, 180, 201,
202, 208, 204, 806, 210, 217, 221, 277.
Sitzgesellen 52, 259.
Socialistische Ideen vor 1848: 101, 108,
103, 104, 105, 852.
Sonntagsruhe 126, 178, 277.
Sparcasse, Erste österreichische 183, 277;
Run auf die Sparcassen 110, 138, 277.
Standard of life in Oesterreich zu Be-
ginn der Vierzigerjahre, siehe „Mitt-
lere Lebenshaltung^'.
Steuern. Armensteuer 85; Befugrnisstaxe
41 ; Erwerbsteuer 41, 54 ; Grundsteuer
21, 22 ; Häusersteuer 40 ; Yerzehmngs-
stener 113, 117, 182—274 ; Steuerbemes-
sung 22; Steuerrückstände in Wien
1820 bis 184.5; 54; Steuerreform fran-
ciscinische 22.
Studentenelend in Wien 98, 94.
Stückmeister 58, 259.
Sturmpetition vom 15. BIail848: 136, 187*
Tabakconsum 74, 267, 268, 869.
Taxen 12. 13, 41, 879.
Typographenverein 174, 175.
Unterthan, Unterthänigkeit, Unterthänig-
keitsverband , Unterthänigkeitsverhält-
niss etc. 2, 3, 5, 6, 7, 8, 10, 11, 13,
17, 18, 19, 80, 118, 119, 122, 132, 186,
187, 192, 194, 195, 233, 235, 245, 246,
247, 248.
Unterthan, Aufhebung der Unterthänig-
keit, siehe Grundentlastung; Patent
vom 7. September 1848: 198, 234, 237.
Unterthans- und Strafpatent von 1781 :
215, 846.
Urbarialgiebigkeiten 11, 22, 24, l^b.
Veränderungspfundgeld 11, 13, 194.
Vereinswesen, humanitäres vor dem
Jahre 1848 : 81, 871 ; Vereine im Jahre
1848 : 178, 178, 174, 175, 176, 177, 178,
179, 274.
Verfassung, octroyirte, vom 25. April
1848 1 ISl, 132, 183, 134, 135, 136, 138,
185, 186; octroyirte Verfassung vom
7. (4.) März 184» : 233.
Versicherungsanstalten für Arbeiter 274
275.
Viehzucht vor 1848 : 23.
Viertellehner 7, 10.
Vogteiherrschaft, Vog^iherr 12, 14, 19,
21, 187, 194, 195.
i Vog^eidienst 17.
Vogthold 14, 19.
Volksbank, die Volksbank Proudhons 152 ;
Vorschläge zur Gründung von Volks-
banken in Oesterreich 816, 217, 222,
223.
^Vanderungszwang 49.
Wanderverbot 105.
Wohlfahrtseinrichtungen in Fabriken 64.
Wohnhäuser, gemeinsame 144.
Wohnungsverhältnisse in Wien 75, 76,
82, 83, 270.
Wirthschaftsgenossenschaften 86, 87, 160.
Zehent 15, 16, 17, 27, 119, 121, 187, 194,
830, 250; Grösse des Zehents 16; Ze-
hentablösung 119, 180, 121.
Zehentherr, Zehentherrschaft 12, 15, 16,
87, 180, 121, 195.
Zehenthold 15, 27.
Zuckerconsnm in Oesterreich vor 1848 :
78, 264, 265.
Zunft 30, 81, »2, 38, 39, 41, 44, 45, 49,
147, 148, 238, 855, 257, 874, 278, 27»,
280, 881, 282, 283, 289.
Zünftlerei, zünftleriache Bewegung im
Vormärz 32, 38, 44, 45, 46, 47, 48;
während der Revolution 147, 148, 149,
880, 281, 282, 283, 284.
Zünftige Meister 29, 44, 45, 46, 48, 49, 50.
Zwischenhandel, Einschränkung dessel-
ben 149.
Namensregister.
Abi 16]
Adler Dr. Georg 272, 284.
Albert A. M., franzönacher
104.
Socialist
Bach, Dr. Alexander, Justizminister 180.
Badorf, Weber 278.
Bakunin Michael, 212, 213, 286.
Bartl Johann, Setzer 89.
Bauer, Märzgefallener 272.
Baumgartner, Andreas v., Minister der
öffentlichen Arbeiten 145.
Bazard, französischer Socialist 102.
Becher S., Dr., Statistiker 58.
Beer, Dr. Adolf 255.
Bern Josef, Revolutionsgeneral 185, 227,
287.
Berger, Adjutant der Nationalgarde 287.
Bittner, Pt. Johann, Abgeordneter 192,
254.
Blanc Louis, französischer Socialist
102, 103, 178, 181, 262.
Börne Ludwig 103.
Brestel, Dr. Rudolf, Abgeordneter 221.
Brunner, Arbeiter, Verfasser einer Flug-
schrift 273.
Oabet, französischer Socialist 103.
Chaises, Dr. Adolf 176, 177, 179.
Oobenzl, Graf L. 255.
Colloredo, Graf 139.
Czapka, Ignaz von, Bürgermeister von
Wien 100.
Czömig, Karl Freiherr von, Statistiker
264, 265.
Dcmmer, Schuhmacher 259.
Dieterici, Dr. C. J. W., Statistiker 253,
262, 264, 265, 266.
Doblboff, Anton Freiherr von, Minister
des Innern 180, 219.
Donhart, Mär/gefallener 272.
Dragomanow, Michael, Schriftsteller 286.
Dunder, W. ß., Schriftsteller 828, 287,
288.
Enfantin, französischer Socialist 102.
Engländer, L. 274.
Engländer, Sigmund Dr., Schriftsteller
165, 170, 171, 284.
Engstier, Franz, Setzer 89.
Eppinger, Märzgefallener 273.
Eynatten, A. F. Freiherr von, Feld-
marschalllieutenant 224.
Faschank, Johann, Abgeordneter 178.
Ferdinand III., deutscher Kaiser 45.
Ferdinand I., Kaiser von Oesterreich 51.
Feuerbach, Ludwig, Philosoph 169.
Fischhof, Dr. Adolf, Abgeordneter^
Präsident des Sicherheitsausschusses
142, 201, 232.
Flotow, Nationalökonom 248.
Förster, Statistiker 253.
Fourier, Charles, französischer Socialist
103, 161, 169.
Foumier, Dr. A. 255.
Franz I., Kaiser von Oesterreich 18, Sl,
32, 37, 39, 48.
Friedmann, Mitglied des Gemeindeaus-
schusses 278.
Friedrich, Johann, Buchdrucker 88.
Friedrich der Grosse, König von
Preussen 30.
Fürst, Märzgefallener 272.
Füster, Dr. Anton, Professor, Abgeord-
neter 93, 271, 286.
Oall, Ludwig, deutscher Socialist 272.
Gebhard, Märzgefallener 272.
Gentz, Friedrich von, Publicist 255.
Göhring, Schriftsteller 26, 254.
Görgei, Arthur, General 235.
Gohde, F., Schlossermeister 259.
Goldmark, Dr. Josef, Abgeordneter 281.
Grillparzer, Franz 209.
Grün, Karl, Socialist 170.
Qrützner, C, Journalist 164.
Gfilich, Gustav von, Nationalökonom
264, 265.
Güstro, Märzgefallener 273.
— 295 —
fner, Leopold, Journalist 1S2, 164,
165, 166, 167, 168, 170, J75, 284.
Hauer, F. von, niederösterreichischer
Reg^emngssecretär 247, 248.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Philo-
soph 169.
Heine, Heinrich 103.
Herwegh, Georg 108.
Herzen, Iw., Pauslavist 286.
Hess, Moses, Socialist 170.
Hillisch, Josef Hermann, Setzer 104,
161, 164.
Hirschmann, Märzgefallener 273.
Hochleitner, Johann 274.
Höger Karl, Arbeiterführer 262, 271, 273,
284.
Hombostel, Theodor, Handelsminipter
180, 219, 223, 224, 278.
Hoyos, Graf, Nationalgarde-Obercomman-
dant 1S9.
Huber, Victor Aime, Socialreformer 86
Hueber, C. Ph., Setzer 164.
Habner, Otto 215.
Hummelauer, A. von, 274.
Hye, Dr. Anton von, Professor 139.
Jäger, A. 246.
Jakob, NationalOkonom 248.
Jellinek, Dr. Hermann, SchrifiBteller 165
169, 170, 213, 252.
Josef I., deutscher Kaiser 29.
Josef II., deutscher Kaiser 18, 29, 30, 83,
245.
Iwan, Th. 215.
Kaiina, Märzgefallener 273.
Karl VI., deutscher Kaiser 45, 247.
Kaspar. Dr. P. 874.
Kees, St. von, Kameralist 262.
Knolz, Dr. J. J., Landesprotomedikus
63, 262.
Köpl, Märzgefallener 272.
Koller, J. N., Sattler 259.
Krauss, Freiherr von, Finanzminister 287.
Kremer, Joh. Heinrich Edler von 247.
Kudlich, Hans, Abgeordneter 16, 186,
187, 188, 189, J90, 193, 194, 196, 197,
198, 199, 229, 248, 254, 285.
Iiafargue, Paul, französischer Socialist
155.
Lamennais, H. F. R. de 103.
Langer, Anton, Schriftsteller 82, 271, 274.
Langer, Märzgefallener 272.
Laser, Märzgefallener 272.
Lassalle, Ferdinand 68.
Lasser, Dr. J. Ritter von, Abgeordneter
194, 196, 197, 198.
Latour, Theodor Graf, Kriegsminister
180, 224, 226.
Latzel, Josef, Abgeordneter 216, 217.
Leistler 154.
Leopold I., deutscher Kaiser 245.
Littera, Märzgefallener 273.
Lyczni, Johann P. 247.
Mahler, Moritz, Journalist 198.
Maria Theresia, Kaiserin 18, 29, 30, 245.
Marr, WUhelm, Socialist 170, 272.
Martinitz, Rittmeister der Nationalgarde
287.
Marx, Dr. Karl 212, 213, 214, 286.
Mansberger, Buchdrucker 88.
Mayer, Arbeiter, Verfasser einer Flug-
schrift 278.
Mayer, Märzgefallener 272.
Mayer, Sigmund, Schriftsteller 259.
Meissner, Alfred, Dichter 103.
Meszaros, Lazar, ungarischer Kriegs-
minister 185.
Metternich Fürst Lothar, Kanzler 44, 85,
92.
Meynert, Dr. Hermann, Historiker 254
273.
Minzes, Dr. Boris, Schriftsteller 286.
Montecucolli, Graf 139.
Mörl, Franz von, Amtmann 249.
Müller, Dr. Wilhelm 250.
Haske, Alois 284.
Neumann, Dr. J. Professor 273-.
Neuwall, Albert Ritter von, Abgeord-
neter 222, 224.
Ogarjow, russischer Schriftsteller 286.
Parasol, Märzgefallener 272.
Pauly, W. S. Ritter von 247
Perin, Madame Caroline (Pasqualati).
Präsidentin des I. Demokratischen
Wiener Frauenvereines 169.
Pillersdorf Franz, Freiherr von, Minister
und Abgeordneter 222.
Pretis, Dr. Johann, Abgeordneter 16.
Proudhon, Pierre Joseph, französischer
Socialist 86, 103, 104, 152, 153, 169,
178, 181, 212.
Hadler, Dr. Friedrich von 271.
Reininger, Märzgefallener 272.
Reschauer, Heinrich, Schriftsteller 44,
48, 51, 255, 257, 279, 280, 281, 289.
Richter, Franz 224.
Riss, Märzgefallener 273.
Rogge, Walter, Historiker 289.
Röscher, Wilhelm, Nationalökonom 248.
Rossi, Karl 274.
Rülke, Z., Student und Journalist 164.
Saint-Simon, französischer Socialist 103,
168.
Sambeck, Märzgefallener 272.
Sander, Friedrich, Obmann des ersten
Arbeitervereines 104, 168, 164, 175,
284.
Scherzer, Karl, Buchdrucker 174, 175.
Schick, L., Schriftsteller 273.
Schmaleck, Märzgefallener 272.
Schmidt, Arbeiter 164.
Schneider, Franz, Tischler 154, 284.