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Full text of "Die Wölfe"

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I 



■FP.OMTHE-LIBRARYOF- 
• KONR.4D- BURDACH- 




ROMAIN ROLLAND / DIE WÖLFE V! 



ROMAIN ROLLAND 
REVOLUnONSDRAMEN 



HERAUSGEGEBEN VON 
WILHELM HERZOG 



VOM DICHTER AUTORISIERT 



MÜNCHEN BEI GEORG MÜLLER 1914 



ROMAIN ROLLAND^ 

DE WÖLFE 



DEUTSCH VON 
WILHELM HERZOGE 



MÜNCHEN BEI GEORG MÜLLER 1914 



Den Buhnen gegenüber als Manuskript gedruckt pi< 
Buch darf nur zu Bühnenzwecken benutzt werden, wenn 
vorher das Bühnenauf fühningsrecht durch meinen Vertreter, 
den Drei-Masken-Verlag, München, Karlstrasse 21, oder 
dessen Vertreter im Auslande rechtmässig erworben ist 

Wilhelm Herzog. 

Dieses Manuskript darf von dem Empfänger weder verkauft, 
noch verliehen, noch sonst irgendwie weitergegeben werden. 
Wird das Werk nicht angenommen, so ist es an uns zurückzu- 
senden« 

Drei-Masken-Verlag G. m. b. H. 
München, Karlstrasse 21. 



HUBDAOH 



COPYRIGHT1914BY GEORG MÜLLER MÜNCHEN 



AN CHARLES PfiGUY 



DIE WÖLFE 



HOMO HOMINI LUPUS 






PERSONEN: 



Quesnel, Kommissär des Konvents, 6o Jahre. 
Dick, vollblütig, gichtig, mühselig gehend; die 
Gesichtszüge aufgeblasen, die Miene schläfrig, 
aber das Auge ist lebhaft und streng, mit unge- 
stümen Ausbrüchen des Zorns. 

T e u 1 i e r, Kommandant, Mitglied der Akademie 
der Wissenschaften. 40 Jahre. Kalt, korrekt, ge- 
pflegt, vom Kopf bis zu den Füssen zugeknöpft, 
in einem langen Ueberrock mit der Trikolore; 
die Haare sehr kurz. Sehr gross, sehr gerade, hat 
er das Aussehen eines energischen und für Augen- 
blicke fanatischen Puritaners. Elr spricht mit 
schneidender Stimme ohne Gesten. 

Verrat, Kommandant, Schweineschlächter. 40 
Jahre. Rote Haut, sdur blonde Haare, bürsten- 
förmig geschnitten; ungeheuerer Kopf; grobe, 
beringte Ohren; athletisch; mächtiger Rücken; 
haarige Hände mit abgenagten Fingern. Zer- 
lumpt. Ej: wettert und flucht und schlägt beim 
Reden mit der Faust auf den Tisch. 

D'Oyron, Kommandant, ehemals Adliger. 50 
Jahre. In einer gesuchten Tracht, die absticht 
von den andern; die Haare lang und gepudert; 
mager, klein, steif, ironisch und stolz. 

Chapelas, General. 45 Jahre. Ein Krämer ohne 
besondere Merkmale, ausser seiner zielsicheren 
Miene. 



M3434Ö6 



8 PERSONEN 



V i d a 1 o t, Brigadenführer, Stallknecht. 35 Jahre. 
Er spricht schwer mit einer teigigen Zunge und 
unter einem fetten und plumpen Lachen. 

B u q u e t, Hauptmann. Anwaltsschreiber. Kaum 
30 Jahre. Munteres, lebhaftes und grimassieren- 
des Wesen. 

Jean-Amable, Unterleutnant. Kaum 20 Jah-* 
re. Kleiner Bürger mit gesunden Kinderwangen 
und einer fröhlichen Ueberfiille. 

Der Spion, ein rheinischer Bauer. 

Der Gastwirt. 

Offiziere, Soldaten und Menge. 



Die Szene: in Mainz, ^793* ^^ ^^^ grossen Saal 
des Hotels zum König von England, welches dem 
Ceneralstab als Hauptquartier dient. 

Links: eine Tür. Rechts: zwei Türen, von denen 
eine, eine Doppeltür, nach einer Treppe zu aufgeht. 
Im Hintergrunde ein grosses Fenster mit Aussicht 
auf die Bäume eines Platzes. In einer Ecke ein gros" 
ser Ofen aus gerötetem Steingut. An den Wänden 
Anschläge, Proklamationen, republikanische Bilder. 
Auf den Tischen: Karten, Papiere, Lebensmittel, 
Säbel. Die doppelte Unordnung eines übel geführ- 
ten Wirtshauses und eines Feldlagers nach der 
Schlacht. 

Während des ganzen Dramas hört man — in 
den stillen Augenblicken — von ferne Kanonen- 
und Gewehrschüsse oder die Schritte der Truppen 
auf der Sirasse, Musik* Gesang, Kommandorufe, — 
kurz: das unaufhörliche Summen einer belagerten 
Stadt. Das ist die Atmosphäre des Stückes. 



ERSTER AKT 



ERSTE SZENE 13 



ERSTE SZENE. 

Die republikanischen Offiziere sind zum Rat vet" 
sammelt unter dem Vorsitz des Volksvertreters 
QuesneL *— Lärmende Versammlung. Quesnel be- 
müht sich vergeblich^ sie zu beruhigen. — D*Oyron^ 
kalt und ironisch^ sitzt etwas abseits von den andern. 

DIE OFFIZIERE 
(lärmen) 
Wir sind verraten I 

QUESNEL 
Friede, Bürger, Friede . . . (seine Stimme verliert 
sich im Lärm). 

VERRAT 

(schlägt auf den Tisch) 
Custine hat uns verraten. 

QUESNEL 
Nichts berechtigt uns . . . 

VERRAT 
(lauter) 
Custine hat uns verraten. Elr hatte versprochen, 
Mainz zu vertridigen. Er hat uns durch den Feind 
die Zufuhr abschneiden lassen. Jetzt überlasst er es 
uns, wie wir herauskommen. Elr wird uns krq>ieren 
lassen, ohne etwas für unsere Rettung zu tun. 

QUESNEL 

Ruhe, Ruhe. Was haben wir zu fürchten? Mainz 



14 ERSTER AKT 



ist uneinnehmbar. Wir sind für Monate versorgt. 
Glaubt ihr, dass der Konvent, ohne sich zu rüh- 
ren, die beste seiner Armeen, das Palladium Frank- 
reichs, zerschmettern lässt? — Geduld. Ihr kennt 
Custine gut. Der alte Teufel hat mehr als ein Mit- 
tel in der Tasche. Wer weiss, ob er nicht ganz 
nahe ist? Vielleicht schwebt er in diesem Augen- 
blick über dem Feind und wählt sein Opfer. Wenn 
die Stunde gekommen ist, wird er darauf herab- 
stürzen, wie der Adler auf seine Beute. 

VIDALOT - 
Custine ist weit und vergisst uns. 

BUQUET 

Der General Moustache spielt den schönen Mann 
in ürgendeiner kleinen deutschen Stadt. Elr stolziert 
mit Frauen umher; er drechselt schöne Reden. 

VERRAT 

Custine schreibt Briefe, die Sklaverei atmen. Cu- 
stine ist ein Aristokrat wie alle Aristokraten. 
Custine verrät — ^ wie Dumouriez verraten hat, 
(wendet sich rasch gegen d*0^ron) — wie d'Oy- 
ron verraten wird. 

D'OYRON 

(steht auf) 
Bürger, niemand hat das Recht, an meinem Bür- 
gersinn zu zweifeln. 



ERSTE SZENE 15 

VERRAT 

Alle Aristokraten sind gleich. Sie denken nur dar-* 
an, die Republik zu erwürgen. Keine Adeligen 
mehr an die Spitze unserer Truppen 1 Durch ple- 
bejische Talente muss man diese auf den Misthau- 
fen der Höfe verfaulten Canaillen ersetzen. Wir 
brauchen Generale, die in ihren Adern kein ver- 
dorbenes Blut haben. Setzen wir die ehemals 
Adeligen ab, und wir werden triumphiert haben. 

D'OYRON 

(kalt und fest) 
Statt ins Leere hin^ zu deklamieren, sieh mir ins 
Gesicht. Ich bin der einzige ehemals Adelige im 
Generalstab. Eis geht gegen mich? Sag* es ohne 
Umschweife. 

VERRAT 
Ich kaue nicht die Worte. Ja, du bist es, den ich 
meine. Ich fordere, dass du deines Grades entklei- 
det, in den Rang eines gemeinen Soldaten gesteckt, 
streng überwacht und geköpft wirst, sobald du dich 
rührst. 

QUESNEL 

Schweig, Kommandant Verrat, du hast uns deinen 
Willen hier nicht aufzudrängen. — Du hast dem 
Bürger d'Oyron nichts vorzuwerfen. (Die Offi- 
ziere murren.) Wir dürfen die Verbündeten nicht 
entmutigen. Wir brauchen alle Kräfte, um zu 
siegen. 



\i> ERSTER AKT 



TEULIER 
(der allein im Lärm schweigend und unbeweglich 

geblieben ist) 
Nein, Deputierter. 

QUESNEL 

Was, du auch, Teulier! Du, der du ein vernünf- 
tiger Mensch bist, der du mir selbst gesagt hast, 
welche Vorteile man sich durch die militärische Er- 
fahrung der Aristokraten verschaffen könnte. 

TEULIER 
Seitdem habe ich sie in der Nähe gesehen. Sie tun 
uns mehr Böses als Gutes. Weniger zahlreich, wer- 
den wir stärker sein. Die ärgsten Feinde sind die 
warmen Freunde, die streiten und kritisieren, ohne 
blind zu glauben. Ich traue den Aristokraten nicht. 
Mach was du willst aus d*Oyron; ich, ich habe 
ihn an der Arbeit gesehen; ich habe genug. 

QUESNEL 
Kannst du dich über ihn beklagen? 

TEULIER 

Ich habe es dir gesagt. Ohne ihn wär«i Kaikreuth, 
der preussische Prinz imd das ganze Räubemest 
meine Gefangenen. 

D'OYRON 
Teulier hat keine guten Ausreden. Seine Pläne wa- 
ren unmöglich. Ich hatte es immer gesagt. 

TEULIER 
Was sprichst du von unmöglich? Ein republika- 



ERSTE SZENE 17 



nischer General soll nie mit der Natur rechnen 
Alles, wozu ich mich entschlossen hatte, habe ich 
auch ausgeführt. Mit meinen zweitausend Mann 
habe ich diese Nacht den Feind überrascht und 
die ganze feindliche Armee umgangoi; ich bin bis 
zu den Türen des grossen Genoralstabsquartiers ge« 
drungen. Wenn du gekommen wärst, wie ich es dir 
befohlen hatte, hätte ich ohne Kampf, mit einem 
grossen Netzwurf den ganzen schlafenden preussi- 
schen Generalstab weggetragen. 

D'OYRON 

Eis war nicht schwer, zu gehen, aber zurückzukom^ 
men. Du hast dich toll in den Rachen des Wolfs 
geworfen; es hat wenig gefehlt, und er hätte sich 
über dir geschossen. Wenn ich es nicht auf mich 
genommen hätte, deine Pläne zu verbessern und 
die Aufmerksamkeit des Feindes abzulenken, indem 
ich einen andern Punkt angriff, wärst du nicht 
nach Mainz zurückgekommen. 

TEULIER 
Dein gleichzeitiger Angriff ist nur eine versteckte 
Flucht. Du musstest dich mit mir vereinigen, was 
immer es dich kostete. 

D'OYRON 
Wenn ich dir blind gefolgt wäre, so wäre ich mit 
dir in derselben Falle zerquetscht worden. 

TEULIER 

Wenn du mit den Preussen im Einverständnis ge-* 
Rolland, Die Wolfe 2 



18 ERSTER AKT 

wesen wärst, du hättest nicht anders handehi kön- 
Ben. 

D'OYRON 

(zuckt die Achseln) 
Ich habe deine Armee gerettet. 

TEULIER 
Du hattest einen vorgezeichneten Plan. Du hättest 
ihm folgen sollen, ohne um eine Linie abzuwei- 
chen. 

D-OYRON 
(ironisch) 
Der Bürger Teulier glaubt sich immer in seinem 
Fauteuil in der Akademie der Wissenschaften. Er 
bildet sich ein, dass sich die Wirklichkeit gehorsam 
den Ziffern und Figuren der Geometrie fügt. E.S 
wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass die 
Wirklichkeit seinen Ideen einen Nasenstüber gibt. 

TEULIER 
Jeder starke Wille unterwirft die Natur seiner 
Vernunft. Eine bis in die Details von einem hellen 
und entschlossenen Geist berechnete Handlung ist 
bereits zu mehr als dreiviertel vollendet. 

D'OYRON 

(sarkastisch) 
Er glaubt, dass die Menschen Hebel sind und nicht 
launenhafte Tiere, die immerwährend vom vorge- 
schriebenen Weg abweichen. 



ERSTE SZENE 19 



TEULIER 
Deine vielleicht; denn du gibst ihntsk das Beispiel 
von Laune und Disziplinlosigkeit. Die wahren Pa- 
trioten haben keinen Willen, sie haben dsa der 
Nation. 

D^OYRON 
Du kannst sie nicht verhindern zu sehen, dass sie 
einer Niederlage entgegengehen. 

BUQUET 
Gib mir Bajonette und Brot, und ich verpflichte 
mich, durch die Welt zu kommen! 

TEULIER 

(zu d^Ojfron) 

Sie haben nichts vorherzusehen. Ihr Chef hat ihnen 

gesagt, dass sie siegen müssen. Sie sollen sehen, 

dass sie gehorchen! 

D'OYRON 

Das Mittel, um ihnen die Augen zu schliessenl 

VERRAT 
Mach sie mit Branntwein betrunken und fahre ih- 
nen zwei Battereien vor ihrem Hintern auf. 

TEULIER 
(unzufrieden zu Verrat) 
Es gibt andere Mittel. 

VERRAT 
Man miisste sich schämen! Da unten geben sie ihren 
Sklaven ein Getränk aus Belladonna. 

2» 



20 ERSTER AKT 



CHAPELAS 
Ein Gemisch von Sulfat und Schwefel. 

VERRAT 
Sic machen sie toll» bevor sie sie gegen uns W 
lassen. 

D^OYRON 

(zuckt die Achseln) 
Gasconnadenl 

VERRAT 
Ist es nicht offenbar? Sie müssen den Verstand 
verloroi haben, um uns zu bekämpfen. 

TEULIER 
Behalten wir unsem. Unsere Stärke besteht darin, 
freie und bewusste Menschen zu sein; riihren wir 
nicht daran. Wenn wir einen Rausch für unsere 
Leute brauchen, genügt die Marseillaise. 

D'OYRON 
Das ist unsinnig! Man hat nie den Krieg so ge- 
führt. 

VERRAT 
Zum Henker 1 Er glaubt sich immer auf dem 
Schlachtfelde von Capetl Ejt knickert mit den 
Schmelzen und dem Leben der Leute wie zu den 
Zeiten, wo die gekrönten Räuber mit Söldnern 
Krieg führten. Sie hüteten sich damals wohl, die 
Haute, die sie so viel gekostet hatten, den Kugeln 
auszusetzen. 



ERSTTE SZENE 21 



D'OYRON 
Ist die Haut der Sansculotten billiger? 

TEULIER 

(mit kahler^ beherrschter Begeisterung) 

Ja, D'Oyron, das Leben ist hier billig. Wir alle 

opfern es gem. Gib es hin, ohne zu rechnen, wenn 

die Nation es fordert. 

D'OYRON 
Du weisst gut, dass ich für mich nichts fürchte und 
dass ich das Leben der Soldaten nicht mehr schone 
als ein anderer. Aber ich kann den Unsinn nicht er-- 
tragen, ich zucke die Achseln, wenn ich gegen alle 
Kriegsregeln handeln sehe, wie man es hier seit 
zwei Monaten tut. 

TEULIER 
Kriegsregeln! Man macht sie in diesem Augen^ 
blick. Eis gab nichts vor uns. Wir erneuern die 
Welt und den Krieg wie alles Uebrige. 

D'OYRON 

(kreuzt die Arme und sieht einem nach dem an- 
dern frech ins Cesicht) 
Ich bewundere euch. Ihr beschäftigt euch mit 
Krieg seit genau einem Jahre; und du möchtest, 
Bürger Akademiker (er wendet sich an Teulier) — 
und du, Bürger Advokatenschreiber (er sieht Bu- 
quet an) — oder du Bürger Metzger, (er wendet 
sich an Verrat) — Ihr wolltet alte Füchse wie 
Kaikreuth und Brunswick lehren, die unter dem 



22 ERSTER AKT 



Harnisch weiss geworden sind und Friedrich ge- 
kannt haben! 

QUESNEL 
Eis scheint mir, dass wir nicht schlecht angefangen 
haben. 

VERRAT 
Wird dieser Prahlhans uns noch lange vorschwat" 
zen? 

BUQUET 
Sei ruhig, wir werden sie die Carmagnole tanzen 
lehren; und wenn ihr Friedrich da wäre, würde 
der alte heuchlerische Affe hoher springen als die 
anderen. Unsere Violinen sind gestimmt. 

TEULIER 
Wir werden sie einen neuen Krieg lehren, von 
dem ihre schüchterne Routine und ihre trocknen 
Berechnungen sich nichts träumen lassen. Wir be^ 
halten das Geheimnis nicht für uns, denn wir sind 
sicher, dass niemand ausser uns von dieser furcht- 
baren Gabe Gebrauch machen wird. 

D'OYRON 
Worin besteht dieses Geheimnis? 

TEULIER 
(zeigt mit dem Finger auf eine Proklamation) 
Ea steht hier und über allen unseren Akten: Frei- 
heit, Gleichheit oder der Tod. 

D^OYRON 
Das ist eine schöne Taktik 1 



ERSTE SZENE 2J 



TEULIER 
(dieselbe innere und düstere Aufregung^ die nach 

und nach stärker rvird) 
Der Tod. Verstehst du, Bürger. Adliger von 
gestern? Den Tod als Ziel und Mittel, und nicht 
mehr die kalten Schachpartien, die ruhigen und 
korrekten Spiele, die schönen Kapitulationen! Der 
Tod am Ende des Duells, das zwischen uns und 
den verfluchten Eindringlingen in unser Vaterland 
begonnen hat. Der Tod für sie oder für uns; viel- 
leicht für beide. Und wenn wir nicht mehr sein 
werden, werden andere Armeen aus unseren Ge- 
beinen auferstehen, um zu sterben und zu töten, 
bis die Freiheit die Tyrannen weggefegt hat. 

CHAPELAS 
Du lächelst, d'Ojnron. Findest du das so albern? 

D'OYRON 

(verächtlich) 
Ich will mich gerne töten lassen, aber ich will nicht 
lächerlich sein. 

TEULIER 
Das Vaterland ist in Gefahr, und er bewundert 
sich im Spiegel. 

QUESNEL 

(versöhnlich) 
Vorwärts, Bürger, streiten wir nicht länger. Sollen 
gute Sansculottenkerle nicht immer ihre natürli- 
chen Sympathien und Antipathien dem Interesse 
der Nation unterordnen? 



24 ERSTER AKT 



TEULIER 

Burger-Deputierter, du sprächest wahr, wenn 
ich nicht durch Ejrfahnmg gesehen hätte, dass 
man nichts Gutes und Grosses ausführen kann 
ausser unter Leuten, die sich achten und an das- 
selbe glauben. Das ist nicht unser Fall: trenne un- 
sere Aufgaben. Um Heldentaten zu vollführen, 
muss man ein gläubiges und glühendes Herz ha- 
ben. Unsere Väter sagten, mit Glauben geht man 
über die Wasser. So sprachen sie vom falschen rö- 
mischen Glauben. Der republikanische Glaube ist 
noch mächtiger. Er geht durch Feuer und Tod und 
erschafft die Welt neu imter jedem seiner Schritte. 
Aber damit er all seine Tugend behält, muss man 
jene aus unserer Mitte entfernen, die nicht fähig 
sind, seinen brennenden Hauch auf ihrer Stirn zu 
fühlen. D*03rron ist zu aristokratisch und aus einer 
zu blasierten Gesellschaft, um unsere Begeisterung 
zu verstehen. Er soll sie wenigstens nicht durch sei- 
ne Zweifel stören; dass er die Kraft imsrer Solda- 
ten nicht schwäche. Es gibt andere Dinge, mit de- 
nen du ihn beschäftigen kannst. 

QUESNEL 
Ich wünsche mir nichts Besseres, als jeden bei den 
Aufgaben zu beschäftigen, die für ihn passen. Bür- 
ger d'Oyron, da du eine so stolze Verachtung für 
den Krieg, den wir führen, zur Schau trägst, zeig* 
uns endlich, was in deinem Bauche rumort, und 
was du willst. 



tRSTTE SZENE 25 



D'OYRON 

(gehässig) 
Beauftrage mich, einen Streich gegen das Lager 
der Emigrierten zu führen. 

QUESNEL 

Gegen die Emigrierten? Wzurum gerade gegen die 
Elmigrierten? 

D'OYRON 
Was hast du dagegen einzuwenden? 

QUESNEL 
Nichts. — Es schien mir, dass ein Adliger von 
gestern wie du . . . das ist nicht dein Platz. — 
Uebrigens, das ist deine Sache. 

D'OYRON 

Das ist mein Vergnügen. — (Nach einer Pause) 
Wenigstens sind es Gegner, die sich nach den Re- 
geln schlagen. 

QUESNEL 

Wie's dir beliebt. Später jedoch. Heute gibt Ver- 
rat das Fest. 

CHAPELAS 
Musik wird nicht fehlen. 

VERRAT 

Diese Nacht nehme ich Kostheim und die Main- 
inseln. 

QUESNEL 
Du bist immer noch entschlossen? 



26 ERSTER AKT 



VERRAT 
Beim Teufel! 

QUESNEL 

Du weisst, was du wagst? 

VERRAT 

Hat dir d*Oyroii seine Bedenken eingeimpft? 

QUESNEL 

Tu» was du willst. Du selbst hast diesen gefähr- 
lichen Plan entworfen. Du hast mir versprochen, 
zu siegen: tu dein möglichstes und vergiss nicht, 
dass nach solchen Tagen der Konvent die Kopfe 
der Befehlshaber erspäht, um sie mit dem Lorbeer- 
kranz zu krönen, oder 

VERRAT 

(macht eine Geste) 

Oder ihnen eine rote Krawatte umzubinden. Sei 
ruhig, es wird der Kranz sein. 

QUESNEL 
Man wird fingierte Angriffe an allen Stellen im 
Umkreis ausführen, um dir deine Aufgabe zu 
erleichtem. 

VERRAT 
Ich brauche niemanden. Ich will — mit wem im- 
mer — weder Vergnügen noch Gefahren teilen. 



ERSTE SZENE 27 



QUESNEL 
(trocken) 
Ich habe mich nicht um deine Eitelkeit» sondern um 
das Interesse des Landes zu kümmern. 

VERRAT 
Du verdächtigst meinen Wunsch, grosse Dinge zu 
vollführen? 

QUESNEL 

(der seit k^zem Schmerzen zu haben scheint^ r»ird 

nervös und reizbar) 

Ihr seid alle grosse Kinder, vom Stolz aufgebläht. 
Ihr könnt nicht dulden, dass ein anderer an euren 
Taten teilhat Vorwärts, gehorcht! — Zum Teu- 
fel! es muss sich doch jeder damit abfinden, ds^ 
auch andere als er fürs Vaterland sterben. 

CHAPELAS 
Du bist in verteufelt schlechter Laune. 

QUESNEL 

Verflucht, ich glaub's wohl. Ich möchte dich mit 
meiner Gicht sehen. Ich leide wie ein Besessener seit 

heute morgoi durch das Luder! (nach 

einer Pause — in einem Ton^ der keinen Wider" 
Spruch duldet) Eis ist also beschlossen. Du, Teulier, 
wirst den ganzen Tag von dieser Seite der Befesti- 
gungen diePreussen durchScharmützel undAusfälle 
in Atem halten, als ob du den Plan von heute nacht 



28 ERSTER AKT 



nicht aufgegeben hättest. Nütze es, wenn du 
kannst, um dich mit Venrat am andern Ufer des 
Mains zu vereinigen. — Und ihr andern, Friede, 
nicht wahr? Keinen Streit mehr. Denken wir ans 
Vaterland. — Vorwärts, Einigkeit, Donnerwetter, 
Einigkeit! Oder Achtung auf den Kopfl Vereini- 
gen wir uns, um dieses Gesindel zu zerschmettern! 

(Et geht mühsam ah. Die Mehrzahl der Offiziere 

zerstreut sich) 



ZWEITE SZENE 

D*Oyron^ Teulier^ Verrat^ Chapelas. — Offiziere 
kommen und gehen während der ganzen Unterhal- 
tung. (Nicht vergessen^ während all dieser Gespräche 
die Aufregung der Armee und der Belagerung spü- 
ren zu lassen.) 

D'OYRON 
(ironisch) 
Ich liebe diese Friedensworte im Munde des 
alten Teufels. Ja, die Einigkeit im Hass, die ein- 
zige, die uns gefällt. Ohne den verächtlichen Feind, 
der uns lungibt, würden wir uns untereinander ver- 
schlingen, wie eine Herde Wölfe, denen die Weide 
fehlt. 

TEULIER 
Man möchte sagen, dass diese grausamen Vorstel- 
lungen dir Freude machen. 



ZWEITE SZENE 29 

Homo homini lupm: das ist alt wie die Welt. 

D'OYRON 
Warum soll ich mich darüber wundem? Ich ver-' 
abscheue den Hass nicht, und ich bekomme ihn 
hier zu kosten. — Wie ihr eifersüchtig seid! — 
Nehmt euch in acht: wenn ich nicht mehr da wäre, 
ihr würdet euch untereinander zerfleischen. 

TEULIER 
Du lästerst. Nie hat sich ein anderes Gefühl als ein 
edler Wetteifer zwischen meinen Waffenbrüdern 
und mir erhoben. Wir lieben unsem Ruhm; und 
wenn wir einander übertreffen wollen, so ist es fürs 
allgemeine Wohl. 

D'OYRON 
Geht doch, ich kenne euch. Ihr tut, als ob ihr 
einig wäret. Aber es braucht nur eine Gelegenheit, 
um alles zum Ausbruch zu bringen, was in euch 
angehäuft ist von Aerger, Groll, kleinen Eifersüch- 
teleien gegeneinander. Wenn ihr nicht so beschäf- 
tigt wäret, würdet ihr alles sehen, was euch trennt. 
Aber der Feind beschiesst uns; und überdies habt 
ihr in diesem Augenblick nur Augen für das, was 
mich vor euch auszeichnet. Ihr könnt mir nicht 
verzeihen, dass ich von einer andern Rasse bin. 

TEULIER 

(ruhig) 

Du irrst dich, d'Oyron. Da ich keinen Unterschied 

in der Geburt eines oder des andern Wesens kenne. 



30 ERSTER AKT 



kann ich dir wegen deiner Abstammung nicht böse 
sein. Du bist es, den ich nicht liebe, und ich habe 
es dir immer ins Gesicht gesagt. Ich liebe die Ari- 
stokraten nicht, die ihre Partei verleugnen, ohne die 
Tugenden und die Seele eines Patrioten zu haben. 

D'OYRON 
Was für ein Pfand wollt ihr denn für meinen 
Bürgersinn? Habe ich mir je eine Gelegenheit ent- 
gehen lassen. Beweise dafür zu erbringen. Fordere 
sie eher von der Armee der Fürsten. 

TEULIER 
(mit einer Spur von Verachtung) 
Eis ist wahr, du hast deine alten Freunde nie ge- 
schont. 

D'OYRON 

Missfällt dir das etwa? 

TEULIER 

Vielleicht. — Ich hasse sie. Wir alle haben Grund, 
sie zu hassen. Aber du, deine Rolle ist das 
nicht; wer zwingt dich, sie zu übernehmen? So- 
eben hat dich niemand gezwungen, dich zu dieser 
Expedition anzubieten. — Uebrigens sollte ich mich 
seit dieser scheusslichen Verfolgung durch die Ar- 
dennen nicht mehr wundern. Trauriges Schauspiel! 
Der ganze alte Ruhm des Vaterlandes — d'Har- 
court, Vauban, Castries — in die Wälder gejagt, 
von den Bauern verfolgt, von ihren Verbündeten 
verraten, wahnsinnig vor Schande und Furcht, vor 



ZWEITE SZENE 31 

unsem Truppen fliehend unter strömendem Regen, 
in elende Lumpen gekleidet, vom Fieber befallen, 
verzehrt, sterbend vor Elrmüdung und Hunger, der 
bei jedem Schritt im Schlamm der Gräben und in 
den blutigen Pfützen die Elenden röcheln liess wie 
kreierende Tiere. Und unter ihnen diese Frauen, die 
nicht mehr versuchten, zu fliehen, in ihrer Not wei- 
nend, verzweifelt, mit Schlamm bedeckt, von Unge^ 
ziefer zerfressen, ihre Comrkleider beschmutzt, zer- 
rissen, Lumpen ähnlich. — Mein ganzer Hass fiel 
von mir vor so viel Unglück. Meine Soldaten, plötz- 
lich still geworden, gingen vorbei und wandten die 
Augen weg, um diese Unglücklichen in Frieden 
sterben zu lassen.^ — Aber du, du wütetest gegen sie. 
Alles, was noch zuckte, alles, was noch leiden konn- 
te, alles, was noch für die Guillotine gut genug 
war, liessest du in Wagen einpferchen; und du 
höhntest die Frauen wegen ihrer schmutzigen 
Wäsche, wegen der Löcher in ihren Kleidern, und 
wegen ihrer schlotternden Haut, die man durchsah. 

(Verrat lacht) 

D'OYRON 
Du bist gefühlvoll, Teulier. Wenn du in ihre 
Hände gefallen wärst, sie hätten weniger Rücksicht 
genommen. Du weisst nicht, was für böse Herzen 
in den üppigen Busen dieser wohlgenährten 
Klatschbasen schlummern. Als Elrasmus von Con- 
tades die Strohhütten in den Ardennen anzünden 
liess, da lachten sie mit vollem Mund, die Nied- 



32 ERSTER AKT 



liehen, deren kleiner Hintern dich vor Mitleid wei- 
nen macht 

VERRAT 
Darin hat er recht. Ich hebe mir mein Mitleid für 
würdigere Objekte auf. 

CHAPELAS 
Für plebejischere Reize! 

VERRAT 
Du spottest, Chapelas. Lache nicht; auch ich bin 
Mensch; es gibt kein empfindsameres Herz, als mei- 
nes. Aber ich bin schamhaft, ich zeige es nicht 
nackt. 

D'OYRON 

(zu Teulier) 
Man sieht deutlich, dass du nichts zu rächen hast, 
Teulier. Ich wage mehr als ihr hier. Ich werde sie 
töten, oder sie werden mich töten. Du weisst nicht, 
mit welch wildem und raffiniertem Hass sie mich 
verfolgen. Mein Bruder ist der erbittertste. Es ver- 
geht keine Woche, ohne dass ich von ihnen Schmäh- 
schriften voll gemeinster Bosheit bekomme, Ren- 
dezvous von Frauen, um mich in Fallen zu locken, 
Briefe, imi mich zu kompromittieren, allerlei teuf- 
lische geschickte Elrfindungen. Du kennst nicht die 
Macht des Bösen, das in einem Aristokraten steckt. 

TEULIER 

Ich kenne alles Verdorrte und Grausame im Her- 
zen eines Aristokraten. Wenn ich die Elrfahrung 



ZWEITE SZENE 33 

nicht schon längst gemacht hätte, würde ich sie heu«« 
te, indem ich dich ansehe, d'Oyron, machen. 

D'OYRON 

(ironisch) 
Er rechnet es mir zum Verbrechen an, dass ich der 
Republik diene I Würdest du mich lieber in der 
Armee Condes sehen? 

TEULIER 
Ich liebe Renegaten nicht. 

D'OYRON 
Eis ist schwer, euch zufrieden zu stellen. — Lies 
Corneille wieder. Rät er nicht, die Seinen dem Va- 
terland zu opfern? 

TEULIER 
Du machst dich lustig über mich; aber ich bin nicht 
dein Narr. Ich verstehe dein Spiel. Keine republika- 
nische Ueberzeugung erklärt deine Grausamkeit. 
Du verabscheust die Aristokraten, aber du bist 
selbst Aristokrat. Nicht dem Lande, deinem Ehr- 
geiz zu dienen, kamst du zu uns . . . Nimm dich 
in acht, Catilina, ich wache. 

D'OYRON 
Glaube nicht, dass du mich einschüchterst; auch 
ich kenne dich. Was hat dich bewogen, deine Bü- 
cher, deine Arbeiten, dein Leben im Laboratorium 
aufzugeben? Was, wenn es nicht der Wunsch wäre» 
andern zu befehlen, einen Säbel an der Seite zu 
tragen, die Hoffnung, zu herrschen? Ich weiss, was 
Rolland, Die Wölfe 5 



34 ERSTER AKT 



ich von der Uneigennützigkeit der Wissenschaftler 
zu halten habe. Eis sind die ärgsten Ehrgeizigen, 
die traurigen« immer unzufriedenen Ehrgeizigen, 
die nicht zu gemessen verstehen, die sich niemals 
Zeit nehmen, sich irgendwo festzusetzen, die im- 
mer Gelüste haben, deren Geist immer unruhig ist, 
immer neidisch auf alles. Die gefährlichsten von al- 
len; denn sie vermischen ihre Interessen mit den 
grossen Ideen, für deren Repräsentanten sie sich 
halten. 

TEULIER 

(anfangs ruhige nach und nach erhitzt er sich) 
Ich verlange nichts für mich, d'Oyron. Wenn ich 
nicht getötet werden sollte, — und meine geliebte 
Republik unser nicht mehr bedarf, werde ich zu 
meinen ruhigen Studien zurückkehren. Aber so- 
lange der Eindringling das Vaterland bedroht, 
wird die Wissenschaft der Tat Dienerin sein. Eis 
genügt nicht, Ideen zu haben. Man muss sie leben- 
dig machen, man muss dafür sorgen, dass sie auf Er- 
den in freien Geistern, losgelöst von Lügen, herr- 
schen. — Freiheit, unsterbliche Freiheit, du bist von 
uns ausgegangen; die Wissenschaft hat dich, zittern- 
der, schwacher und bedrohter Funke, einst entzün- 
det. Oh, der Wissenschaft gebührt das Recht, dich 
heute zu verteidigen, deine Fackel der Armee 
voranzutragen, Licht, das die Nacht erleuchtet, in 
der sich Europa bdcämpft, — Sonne der Vernunft! 



ZWEITE SZENE 35 

D'OYRON 

Du sprichst viel von Freiheit; ihr alle führt ihren 
Namen im Munde. Wer weiss? Vielleicht werde 
ich sie eines Tages gegen euch verteidigen. 

TEULIER 
Ich weiss, du tätest es gern; du liebst die Freiheit 
so sehr, dass du sie unterdrücken würdest, wenn 
du könntest. 

VERRAT 

Ich fürchte nichts. Die Freiheit ist eine starke Dir- 
ne; sie braucht andere Zärtlichkeiten, als die eines 
Gecken. 

D'OYRON 

(grob) 
Du meinst, dass sie eine Metzgerhaut in Versuchung 
führt? 

VERRAT 
Donnerwetter! (er greift nach seinem Säbeln d^Oy- 
ton tut dasselbe) 

TEULIER 

(hält sie zurück) 
Keine Schlägerei zwischen uns. 

D'OYRON 

(steckt seinen Säbel ein; — ironisch und ki^hl) 
Oh! glorreicher Krieg, in dem man von einer drei- 
fachen Reihe von Feinden umgeben marschiert — 
wo die Soldaten die Schlünde ihrer Kanonen auf 

3* 



36 ERSTER AKT 



ihren Rücken gerichtet fühlen, — wo die Anführer 
den Schauder der heiligen Guillotine an ihrem Hals 
spüren — wo die Waffengefährten im Voraus mit 
eurem Tod rechnen — wo das gegenseitige Miss- 
trauen die allgemeine Sicherheit verbürgt! — Hier- 
her muss man die Blasierten schicken, die den Ap- 
petit verloren haben. Welcher Genuss am Leben, 
wenn es bedroht ist! — Wer von ims wird zuerst 
sterben? Wer von ims wird als erster den Kopf 
der andern haben? (er geht ah) 



DRITTE SZENE 

Teulier^ VerraU Chapelas. 
CHAPELAS 

ZumTeufel mit seiner Frechheit, seinen ironischen 
imd aufreizenden Reden! Ich habe bis an den Hals 
davon genug. 

TEULIER 

Sein Stolz macht ihn in einem Masse unvorsichtig, 
dass er sich besser überwachen sollte. 

VERRAT 

Er hört nicht auf, mich herauszufordern. Wir ha- 
ben eine alte Schuld miteinander zu ordnen. Dieser 
Tage mache ich mich an der Bestie bezahlt. 

TEULIER 
Das ist ein gefährlicher Mensch. Keine Aufrichtig- 



DRITTE SZENE 37 



keit und ein zynischa Mut, zu jedem fragwürdi- 
gen Unternehmen bereit .... 

CHAPELAS 
Kein Zweifel; er ist ein Feind, den die Verhält- 
nisse gezwungen haben, sich mit uns zu verbinden. 

TEULIER 
Und welche Verhältnisse! Gründe, die man — so- 
viel ich weiss — kaum gestehen kann. Betrügereien; 
ein Hürchen, das ihm sein Bruder wegschnappte, 
der Wunsch, sich zu rächen, gleichviel um welchen 
Preis, mit welchen Mitteln. 

CHAPELAS 
Das Väterland ist in Gefahr, aus allem Holz müs- 
sen Bogen geschnitzt werden. — Lassen wir's, er 
arbeitet für uns. Wenn wir ihn nicht mehr brau- 
chen, werden wir ihn abschütteln. 

TEULIER 
Nehmen wir ims in acht, dass er uns nicht zuvor- 
kommt. Ich habe seit einiger Zeit Verdacht .... 

VERRAT 
Verdacht? 

TEULIER 
Ja, eine kaum bestimmbare Unruhe. 

VERRAT 
Sprich doch. 

TEULIER 
Nein. Eis ist unrecht, davon zu sprechen. Nichts 
Begründetes; ein persönlicher Eindruck. 



38 ERSTER AKT 



VERRAT 
Das genügt, um ihn vor den Konvent zu bringen. 

TEULIER 
Dazu habe ich nicht das Recht. Ich habe keinen 
Beweis gegen ihn. 

VERRAT 

(zuckt die Achseln) 
Beweise? Braucht man Beweise, wenn man seine 
Ueberzeugung hat? 

TEULIER 
Ich habe keine Ueberzeugung ohne Beweise. 

VERRAT 

(dasselbe Spiel) 
Das ist gut. Sobald der Augenblick gekonunen 
ist, hast du mir nur ein Zeichen zu geben. Ques« 
nel soll mir ihn nur bei einem meiner Anfälle mit-' 
geben. 

TEULIER 
Warum? 

VERRAT 

Das ist eine verdammt mörderische Gegend, wo 
ich meinen Spaziergang mache. Vielleicht kommt 
eine intelligente Kugel imd ordnet die Sache. 

TEULIER 
("will ihn nicht verstehen) 
Was sagst du, Verrat? (er sieht ihn starr an) 



VIERTE SZENE 39 



VERRAT 

(roh^ seinen Blick aushaltend) 
Nun, was? — Du siehst nicht, dass ich scherze? 

TEULIER 
(nach einer Pause) 
Man muss immer gerecht handeln, Verrat. 



Bei Gott! 



VERRAT 

(zuckt die Achseln) 

(Pause) 



TEULIER 

(im Abgehen) 
Es ist Zeit, dass ich gehe. Ich werde euch wahr- 
scheinUch vor morgen früh nicht wiedersehen. Viel 
Glück, Kameraden. 

VERRAT 
Heil und Siegl 

(Teulier geht ab) 

VIERTE SZENE 

Verrat^ Chapelas, 
CHAPELAS 

(sieht Teulier nach) 
Der ist ein guter Patriot und ein Gelehrter, wie 
man sagt. Aber man fühlt sich nie zu Hause mit 
ihm. Ejt ist kalt und spröde; unmöglich, familiär zu 
werden. Er hält sich reserviert, er lacht niemals, er 



40 ERSTER AKT 



erzählt nicht, was er treibt; man weiss nicht einmal, 
wer seine Mätresse ist. Ich habe es nicht gern, dass 
man sich immer so überwacht. Wenn man unter 
Kameraden ist, muss man sich frei gehen lassen! 
zum Teufel! 

VERRAT 
Da steckt noch der alte Aristokrat in ihm. — 
Siehst du, Chapelas, alle diese Leute, die Bücher 
durchstöbern, sind keine wahren Sansculotten, nicht 
waschecht, keine Volksfreunde, wie wir. Sie glau- 
ben sich überlegen; und dennoch möchte ich gern 
wissen, wie sie ohne uns fertig würden. — ^ Wenn 
es nach Teulier ginge, müsste man warten, bis man 
Flammen sieht, und dann erst Feuer rufen. — 
Das ist die ängstliche und dumme Art dieser 
Männer der Wissenschaft zu urteilen. Sie haben 
keinen Sinn fürs Wirkliche. Man braucht vielleicht 
solche Leute, um das Papier zu beschmieren, um 
Gedanken auszubrüten; aber wenn man nur sie 
hätte, lun das Gröbste wegzukehren, die Nation 
liefe Gefahr, im Schmutz zu verfaulen. — Sieh die- 
sen Schuft d'Oyron. Er ist verdächtig: man kann 
ebensogut sagen: verbrecherisch. Elr ist eines Ver- 
rates fähig: das ist soviel, als ob er ihn schon be- 
gangen hätte. Was fehlt? Die Tat, die Feststellung 
der Tat. Das heisst, man müsste warten, bis das 
Uebel unabänderlich ist, um es zu verhindern? — 
Nein. — Schliesslich .... Eis genügt, wir sind 
da. 



FÜNFTE SZENE 41 

FÜNFTE SZENE 

BuqueU Jean-Amable^ Vidaloi und die Vorigen* 
(Drei Soldaten schleppen und stossen einen Bau- 
ern^ der stöhnt. — Ein paar junge Offiziere fol- 
gen ihnen aus Neugierde.) 

SOLDATEN 

Vorwärts, Preusse. Willst du wohl vorwärts gehen, 
Kujon? 

VERRAT 
Was gibt's da? 

EIN SOLDAT 

Der Bürger-Deputierte ist nicht hier? 

VERRAT 
Elr ist leidend, in seinem Zimmer; er ruht aus. — 
Ein Spion? 

DER SOLDAT 

Ja, Kommandant. Wir haben ihn d>en angehal- 
ten. Er war zum Frankfurter Tor hereingekommen; 
er hat Tauben verkauft. Dem Brigadier ist etwas 
aufgefallen, er hat ihn ausgefragt. Der Dummkopf 
hat sich verwirrt; man hat ihn durchsucht, und hier 
siehst du, was man bei ihm gefunden hat. (er gibt 
Verrat einen Pack Briefe) 

VERRAT 
(nimmt die Briefe) 
Gib her. — Vom preussischen Generalstab? Nun, 
die Rechnung stinmit. 



42 ERSTER AKT 



JUNGE OFFIZIERE 

(nähern sich) 
Briefe, Verrat? Lass uns sehen. 

VERRAT 
(hat die Briefe durchflogen^ schlägt mit der Faust 
auf den Tisch. Er wird puterrot und schreit, ausser 

sich vor Freude) 
Hai Donnerwetter! ha! hal ha! 

CHAPELAS 

Nun, was hast du? 

VERRAT 

(schreiend) 
Nichts. — Ich hab*s! Ich hab*s! 

CHAPELAS 
Was? 

VERRAT 

(wie früher) 
Nichts, sag' ich dir. — Quesnel, wo ist Quesnel? 
(er brüllt vor Lachen) Ha! Ha! Es gibt einen 
hundsföttisch guten Kerl von Gott, für jene, die 
nicht an ihn glauben! (Er stürzt zu Quesnel, indem 
er lärmt und lacht, plumpe Gesten macht und Stühle 
und Menschen auf seinem Wege beiseite stösst. In 
dem Augenblickt da er durch die Türe will, wen- 
det er sich um — rot, mit aufgedunsenem Gesicht, 
apoplektisch, und zeigt auf den Bauern) Pass* auf 
das Schwein auf! Tayaut! 



SECHSTE SZENE 43 

CHAPELAS 

Elr ist besoffen. 

(Verrat tritt bei Quesnel ein, lässt die Türe hin- 
ter sich zufallen^ und Chapelas folgt ihm). 



SECHSTE SZENE 

Der Bauer und die Soldaten, die ihn bewachen. Bu" 
quet, Jean-Amable^ Vidalot. (Gegen Schluss der 
Unterhaltung kommen nach und nach noch andere 
Offiziere, einzeln oder zu zweien, so dass der Raum 
gefüllt ist, wenn Verrat mit Quesnel zurückkehrt.) 

BUQUET 

(zum Bauern) 
Nun, mein Alter, du hast dich also fangen lassen? 

DER BAUER 

(stöhnend) 
Lasst mich fort. 

BUQUET 
(lacht laut) 
Gleich, gleich. 

DER BAUER 

Ihr werdet mich gleich weglassen? 

BUQUET 
Ein Augenblick, zimi Teufel! Eis ist noch nicht 
zwei Minuten her, dass du bei uns bist. Und schon 
langweilst du dich? 



44 ERSTER AKT 



DER BAUER 

Ihr werdet mir nichts Böses antun? 

BUQUET 
Aber nein. Man wird dir den Hals abschneiden, 
ohne dass du es merkst. 

DER BAUER 

Meine guten Herren! 

BUQUET 
Wie! was! was macht er denn für Geschichten? 
(der Bauer iveint ivie ein Kind) 

JEAN-AMABLE 

(voll Widerwillen) 
Puh! (wendet ihm den Rücken) 

BUQUET 
(küfnfnert sich nicht mehr um den Bauern) 
Nun! Jean-Amable, du warst also bei dem Ausfall 
heute nacht mit? 

JEAN-AMABLE 

(mit kindlicher Freude) 
Oh! Das war so lustig, Fortune! Denk dir, dass wir 
quer durch die ganze feindliche Armee gekommen 
sind, ohne dass sie das geringste merkte. Einmal be^ 
gegneten wir Kavalleriepatrouillen, — du weisst, 
roten Husaren. Wir riefen ihnen das Losungswort 
zu. Sie hielten uns für Bauern, die beauftragt wa« 
ren, in der Nacht das Getreide zu mähen. — Und 
das Phlegma von Teulierl Elr plauderte fünf Mi- 



SECHSTE SZENE 45 

nuten lang mit einem preussischen Offizier, ohne 
dass der andere irgend etwas bemerkte. Indessen 
umzingelten die Kameraden das Dorf und dran- 
gen in die Häuser ein. Ahl Ohne diesen Dummkopf 
von Bonin, der viel zu früh losschoss, hätten wir sie 
im Bett gefangen. Kaikreuth ist im Hemd entflohen. 
Ich habe ihn gesehen. Ich habe ihn verfehlt. 

BUQUET 
Du solltest dich dessen nicht riihmen. 

JEAN-AMABLE 

Oh! Nun, es ist beinahe ebenso lustig wie das 
hier. 

BUQUET 
Du bist in einem schönen Zustand. 

JEAN-AMABLE 

Nun ja, wir haben die Hecken übersprungen. Und 
dann habe ich einen Säbelhieb bekommen, — den 
ersten, Fortune! 

BUQUET 

Deine Eltern würden schönen Urm machen, wenn 
sie ihren Benjamin sähen, ihr verwöhntes Püppchen, 
mit dieser Schramme. 

JEAN-AMABLE 

Es ist doch wenigstens nicht hässlich? 

BUQUET 
Und du bist nicht verbunden? Du hast dich nicht 
gelegt, als du zurückkamst? 



46 ERSTER AKT 



JEAN-AMABLE 

Warum? Ich bin ein Mann wie die andern. 

BUQUET 
Ein Mann! ein junges Mädchen, dem seine Mutter 
noch vor sechs Monaten den Kaffee ans Bett ge- 
bracht hat. 

JEAN-AMABLE 

Fortune, ich verbiete dir ... • 

BUQUET 
Nun, nun, sei nicht böse, du hast keinen Grund, 
so rot zu werden wie ein Hahnenkanmi. Ich finde es 
sehr gut, dass ein kleiner Bürger so kühn anfängt, 
kaum dass er von den Rockfalten seiner Mutter los- 
gekommen ist; arme, gute Frau! Sie konnte ihn kei- 
nen Schritt ausserhalb des Hauses tun sehen, ohne 
ihm nachzulaufen und ihm sein Tuch imi den Hals 
zu binden. 

JEAN-AMABLE 

(reisst seine Krawatte herunter) 
Zum Teufel! 

BUQUET 
Nim, du willst jetzt mit blossem Hals gehen, aus 
Trotz? 

JEAN-AMABLE 

Wenn*s mir passt. 

(sie lachen) 



SECHSTE SZENE 47 

VIDALOT 

Seine Eltern würden ihn nicht wiedererkennen. 

BUQUET 
Und was möchte erst mein Chef sagen, der Anwalt, 
wenn er mich hier mit diesem grossen Säbel und 
mit diesen Tressen sähe? — Wenn ich daran denke, 
dass ich zu dieser Stunde in Amiens über ein Pult 
gebeugt sitzen könnte im Arbeitszimmer von Maitre 
Lasseret, damit beschäftigt, in Rundschrift den 
Quark der Parteien niederzuschreiben, zur Zerstreu- 
ung von Zeit zu Zeit die Aussicht durchs Fenster- 
gitter auf irgendeine alte Betschwester, die zur Kir- 
che geht! 

VIDALOT 

Und ich, ich würde den Kot im Hotel zur goldenen 
Kugel auskehren und ihn dann mit einem Schub- 
kanen auf den Düngerhaufen schütten. 

BUQUET 
Statt dessen marschieren wir dem Vaterland 
voran, haben wir unsere Kanonen an die Ufer des 
Rheins gebracht, und die Hundemeute der Tyran- 
nei soll nur konmien imd sich die Zähne an im- 
seren Säbeln ausbeissen I 

VIDALOT 

Ja, das ist ein tolles Abenteuer, das uns in dieser 
Stadt vereinigt hat (wo man nicht einmal den ver- 
fluchten Jargon versteht), und das Europas Skla- 
ven vor uns zittern macht« 



46 ERSTER AKT 



JEAN-AMABLE 

Sag, dass dies eine berauschende Freude ist. Frei 
sein, ein freies Land verteidigen, das einzige 
freie in Europa, — sich als Herren fiihlen, wie Kö^ 
nige über ein zu Boden geschmettertes Europa da- 
hinschreiten, die Seele entlastet von jeder Furcht, 
von jedem Vorurteil, umarmen diese grosse Welt« 
die uns gehört, die Ketten der Völker brechen, über 
seinem Kopf nur diesen schönen Himmel wissen, 
befreit von der erdrückenden Lüge Gottes ! — Wer 
hat je eine Wollust, der unsem gleich, gekannt? 

BUQUET 
Unsere Feinde ahnen sie und fangen an, uns zu be-- 
neiden, seitdem sie mit Sanskulotten beisammen wa- 
ren. Weisst du, was Kaikreuth gesagt hat? „Das 
Ende der Welt ist nahe. Jeder dieser Jakobiner 
spricht, als ob er König wäre.' 



•• 



JEAN-AMABLE 

Könige der Welt, er hat recht! Es gibt nichts, das 
nicht uns gehört. Alles ist für uns da: es handelt 
sich nur darum, es zu nehmen. 



SIEBENTE SZENE 

QuesneU VerraU Chapelas kommen aus dem Zim- 
mer ^ VetraU immer noch aufgeregU mit dem Aus- 
druck ivilder Freude. Quesne/, von heftigem Zorn 



SIEBENTE SZENE 49 

gepeinigU der die Briefe in seinen Händen zittern 

lässt. 

BUQUET 
Seht den Biirgerdeputierten und Veirat! Wie sie 
aussehen! EiS gibt etwas Ernstes . . . 

QUESNEL 
(sehr erregt) 
Wo ist d'Ojrron? 

BUQUET 
Bei seiner Geliebten wahrscheinlich, der Tochter 
des Friedensrichters, nie des Hommes- Armes. 

QUESNEL 

Zwei Offiziere: Vidalot, Buquet. Gehtl Bringt ihn 
sofort her. Lasset ihn nicht weg, noch mit irgend 
jemandem — gleichviel unter welchem Vorwand — 
sprechen. 

JEAN-AMABLE 

Was gibt*s denn? (Vidalot und Buquet gehen) 

QUESNEL 
Die Tat eines Schurken ! Wo ist der Mann, der diese 
Briefe gebracht hat> 

VERRAT 
Hier. 

DIE OFFIZIERE 

(bewegt^ unruhig) 
Was ist geschehen, Bürger? — Verrat, ernste Nach- 
richten? — Was, sind wir verraten? — Wir sind 
verraten? 
Rolland, Die Wölfe 4 



50 ERSTER AKT 



QUESNEL 
(ohne zuzuhören zum Bauern) 
Schuft, hoie. 

DER BAUER 
Gnade! 

QUESNEL 
Wer hat dir diesen Brief gegeben? 

DER BAUER 
Vergebt mir! Gnade! 

QUESNEL 
Antworte! 

DER BAUER 
Der Major von Zastrow. 

VERRAT 
Der Adjutant des preussischen Königs? 

DER BAUER 

Ja. 

QUESNEL 
Wie oft hat er dir schon solche Botschaften über- 
tragen? 

DER BAUER 

Eis ist ztun erstenmal, dass ich geschickt wurde. 
Gnade! Ich werde es nicht wieder tun. 

CHAPELAS 
Zum Teufel I Das hast du nicht nötig, uns zu sagen. 

VERRAT 
Du wirst dich nicht zum zweitenmal damit befassen. 



SIEBENTE SZENE 51 



DER BAUER 
Werdet ihr mich umbringen? 

VERRAT 
Ein wenig, mein Kleiner. 

(Der Spion macht verzweifelten Lärm) 

QUESNEL 
Holla ! Hör' auf zu brüllen, EUel der du bist. Wuss- 
test du nicht, was du wagst? Antworte. — Woher 
kanntest du d'Ojrron? 

DIE OFFIZIERE 

(ausrufend) 
D'Oyron! Es ist d'Oyron! 

QUESNEL 
Willst du antworten? Ich lasse dich schlagen, bis 
dir die Knochen brechen. 

DER BAUER 

Bringt mich nicht um, meine guten Herren. 

QUESNEL 
Du hast ein schmutziges Metier und bist dessen nicht 
einmal würdig. Du bist nicht einmal das Blei wert, 
das man dir morgen in den Körper feuern wird. 

VERRAT 
Seit wann war der Verräter in Korrespondenz mit 
den Preussen? 

(Der Bauer sinkt zusammen^ stöhnt wie ein altes 
Weiht halb ohnmächtig. Die Offiziere gehen ihm 

Fusstritte) 

4* 



52 ERSTER AKT 



VERRAT 
Nichts aus diesem Misthaufen herauszubekommen. 
Er ist halbtot vor Furcht. Tragt ihn fort. Elr wäre 
nur im Weg. 
(Man schleppt den Bauern wie einen Sack Tpeg) 

DIE OFFIZIERE 

(lärmend) 
So, d'Oyron, d'Oyron, er korrespondiert mit ih- 
nen! 

QUESNEL 
Ja, ein Brief des preussischen Generalstabs. Der 
Elende verriet uns seit Wochen. (Wütender Lärm^ 
aus dem man nur einzelne Silben verstehen k<^nn: 
— die Leute ausser sich, B?ie Wahnsinnige^ ges/i^u- 
liefen^ reissen sich die Haare aus, heulen, sind pU" 
terrot) 

ACHTE SZENE 

Die Vorigen, ausser dem Bauern, Vidalot und Bu" 
quet kommen mit d^Oy^ron zurück» 

BUQUET 
(kommt als erster, öffnet die Türe) 
Er war ganz nahe von hier. Wir trafen ihn auf einem 
Spaziergang. 

(Quesnel gibt Zeichen, dass der Tumult sich bc- 
ruhigt» Der Lärm hört für einige Sekunden auf, ge^ 
rade Zeit für d*0^ron, zwei Sätze zu sprechen) 



ACHTE SZENE 53 

D'OYRON 

(überrascht) 
Was geht hier vor? Da bin ich* Bürger, (er 
Vfird durch eine Flut von Beschimpfungen unter- 
brochen) 

D'OYRON . 
(versteht im Anfang nichts erblasst dann) 
Was? was sagt ihr? In Teufek Namen! (zu Ques- 
nel) Bürger, bring sie zum Schweigen! Ich fordere 
dich auf, sie zum Schweigen zu bringen! Ich ver- 
lange die Erklärung und die Bestrafimg dieser Be- 
schimpfungen, (zu den Offizieren) Mag einer von 
euch aus der Reihe treten und es wagen, das zu 
wiederholen ! 

JEAN-AMABLE 

Verkauft! Verräter! Preusse! 

D'OYRON 

(packt ihn bei der Gurgel) 
Widerrufe! Widerrufe! (alle Offiziere ziehen gegen 
ihn vom Leder und entreissen Jean-Amable seinen 
Händen. — Verrat und Quesnel legen sich ins Mit- 
tel. Der Hotelier und die Angestellten drängen sich 
entsetzt in die Tür und sprechen unverständlich mit- 
einander) 

QUESNEL 

Ruhe! Ruhe! Höre, Venäter! Und ihr, Bürger» 
seid ruhig. Hier ist der Brief, den ein Spion des 
Königs von Preussen dem Kommandanten d'Oyron 
brachte. 



54 ERSTER AKT 



D'OYRON 

(brüllt) 



Das ist falsch. 



QUESNEL 
(liest) 

«»Geehrter Herr Chevalier! Mit aufrichtiger Freude 
spreche ich Ihnen unsere Befriedigung über die 
Aufrichtigkeit Ihrer Versprechungen aus und über 
die Wirkung Ihrer guten Dienste. Es hätte wenig 
gefehlt und unser Generalstab wäre ohne Sie in der 
Falle dieser Nacht gefangen worden. EiS scheint 
mir doch, dass Sie uns etwas früher hätten benachr 
richtigen können. Nichtsdestoweniger, dank Ihrem 
tüchtigen fingierten Angriff auf Bretzenheim und Ih- 
rer geschickten Flucht will ich gern anerkennen, dass 
Sie ims aus ernstlicher Verlegenheit geholfen haben 
und ims ein Schach erspart haben, dessen Folgen 
sehr ernst gewesen wären. Ich versichere Ihnen gern, 
dass der König, mein Herr, die so wertvollen Dien- 
ste im Andenken behalten, und dass er sich 
dafür edcenntlich zeigen wird, sobald die Zeiten 
ruhiger werden und der Sieg gesichert sein wird. 
Fahren Sie fort, uns zu helfen und uns zu benach- 
richtigen. Vertrauen. In kurzer Zeit werden die Ge- 
rippe der Königsmörder auf den Mauern unseres 
armen Mainz klappern. Sie können mir durch den- 
selben Boten antworten. Er ist ganz sicher. — Ge- 
zeichnet: Von Zastrow." 



ACHTE SZENE 55 

D'OYRON 

(der nicht aufgehört hat^ sich mit unverständlichem 

Schreien zu Tvehren, brüllt) 
Das Ist falsch, das Ist falsch! Alles ist falsch und 
absurd! Man will mich verderben! (die Offiziere 
lärmen) 

VERRAT 
Das Ist das, was Teuller sagte. Elrinnere dich an 
heute Morgen. Er beklagte sich, dass er verraten 
würde. 

QUESNEL 
Ja du hast recht, Verrat. Er hat es wirklich ge- 
sagt. Ich hatte nicht darauf geachtet; er lässt sich 
leicht fortreissen; ich habe es seinem Zorn zuge- 
schrieben. 

CHAPELAS 
Und das dauert schon wochenlang! . . . (man hört 
Lärm von der Menge dr aussen) 

QUESNEL 
Was denn? 

EIN OFFIZIER 

Das Gerücht hat sich schon in der Stadt verbreitet. 

DER HOTELIER 

(bestürzt zu Quesnel) 

Bürger, sie zerschlagen alles, sie wollen herein, sie 
wollen den Kopf des Verraters. 



56 ERSTER AKT 



QUESNEL 
Bewacht die Türen. Ruft die Grenadiere. Verjagt 
die Menge. Der Gerechtigkeit freien Lauf. 

DIE MENGE 

(brüllt dr aussen) 
An die Laterne! (Man sieht Soldaten vorbeiziehen 
und man hört den Lärm eines Kampfes) 

VERRAT 
Elr konrnit nicht bis ins Gefängnis; er wird unter- 
wegs zusammengehauen. 

QUESNEL 
Schliesst ihn in das Nebenzinmier ein. Zwei Män- 
ner mit ihm, die ihn nicht eine Minute aus den Au- 
gen lassen. Bindet ihn. Man muss verhindern, dass 
er sich umbringt. 

(Man bringt d*0^ron D;eg, der vor Wut und 
Schrecken schäumt und zittert, die Augen treten ihm 
aus dem Kopf rvie einem Wahnsinnigen. — Die 
wilde Beivegung legt sich mit einem Schlag, Alle 
scheinen erschöpft, Totenstille. Man hört den Mann 
im Nebenzimmer sich wehren und schreien) 

QUESNEL 
(k^z) 
Der Rat soll wieder zusanunentreten. Eilt! Benach- 
richtigt alle Mitglieder. Ihr andern lasst uns allein. 
— Teulier. Holt ihn. 

VERRAT 
Teulier ist nicht mehr hier. Du hast ihm eine Order 



ACHTE SZENE 57 



gegeben. Elr ist ausserhalb der Verschanzungen. Elr 
wird erst in der Nacht zurückkehren. 

QUESNEL 
Gleichviel, wir können nicht warten; die Stadt weiss 
bereits alles. Eis wird auch so gehen; wir haben ge- 
nug Zeugen gegen ihn. — (Sehr ernsU sehr trattrig) 
Bürger, bevor wir beginnen, ein Wort: Denken 
wir nur an das Land, vergessen wir alles übrige! 
Freundschaften und Feindschaften müssen schwei- 
gen, wenn die Gerechtigkeit spricht — Und jetzt 
beraten wir. 

Vorhang 



ZWEITER AKT 



ERSTE SZENE 61 



ERSTE SZENE 

Dasselbe Zimmer. ' — Nacht. — Teulier kommt 

zurück» Der Wirt. 

DER WIRT 

Ah! Bürger, bist du zurück? Man hat dich nicht 
so früh erwartet. 

TEULIER 
Ja, das ist ein unentschiedenes Spiel. Ich wollte 
Mombach nehmen: die Feinde waren benachrichtigt, 
der Teufel weiss, woher! Ich musste zurück. Wir 
fangen morgen von neuem an. 

DER WIRT 
Die Feinde waren verständigt? Das ist wieder diese 
Canaille. — Ah! Der Hundsfott! Hat der Böses 
angerichtet! 

TEULIER 
Von wem sprichst du? 

DER WIRT 
Wie? von wem? — Weisst du denn nichts? 

TEULIER 
Nichts. Ich bin niemandem begegnet. Ist während 
meiner Abwesenheit etwas geschehen? 

DER WIRT 
Ob etwas geschehen ist? Ah, Bürger Teulier, es 
gab Elreignisse, seitdem du weg warst! Guter Gott, 
wer hätte das gedacht? 



62 ZWOTER AKT 



TEULIER 
Sprich. 

DER WIRT 
Du wurdest es nie erraten. 

TEULIER 
Ich habe keine Zdt zu verlieren. Sprich. 

DER WIRT 
Eis ist nur dieser Verbrecher, dieser frühere Adlige» 
dieser zweideutige Aristokrat, d*Oyron . . . 

TEULIER 
Nun? D'Oyron .... 

DER WIRT 
Er verriet uns, Donnerwetter! 

TEULIER 
Was sagst du da? 

DER WIRT 

Es ist so, wie ich dir sage. Elr verriet uns, Bürger. 
Elr hatte sich dem Feinde verkauft. 

TEULIER 
Er ist geflüchtet? 

DER WIRT 
Verhaftet. Elrtappt auf frischer Tat. Unmöglich 
zu leugnen. Man guillotiniert ihn morgen. 

TEULIER 
Ah! Der Schuft! Das ist eine gute Neuigkeit! — 



ERSTE SZENE 63 



Eine unsaubere Neuigkeit 1 — aber eine, die mir 
dennoch Vergnügen macht; denn ich habe sie vor- 
ausgesehen.« Ich traute dieser Canaille nicht. Du 
weisst, ich habe es ihm nie verborgen! 

DER WIRT 
Das muss man dir lassen, Bürger. Du hast die Wit- 
terung des tugendhaften Menschen. Du riechst das 
Verbrechen auf eine Meile weit. 

TEULIER 
Eis ist kein Verdienst dabei. Dieses Tartüffgesicht, 
diese honigsiisse und hinterlistige Sprache, dieser 
ganze ekelerregende Geruch von Lüge und Scham- 
losigkeit um ihn herum ... Eis genügte, einmal seinen 
feuchten Händedruck gespürt zu haben, diese heuch- 
lerische abstossende Berührung, um sich in acht zu 
nehmen. — Das ist ein grosses Glück, Rief fei, dass 
man den Schurken gefangen genommen hat. Er 
hätte uns furchtbares Unheil zufügen können. 

DER WIRT 
Ejt hat seine Rechnung dabei gefunden. 

TEULIER 
Wahrscheinlich; wir werden das Geheimnis jetzt 
aufdecken. — Gleichviel, ich werde diese Nacht 
ruhiger schlafen, da ich ihn sicher aufgehoben weiss. 
So ist die Armee von ihrem Abschaum befreit. — 
Elrzähle mir doch, wie das geschehen ist. — Halt, 
ich sterbe vor Hunger. Gib mir zu essen; ich habe 
seit heute morgen nichts im Magen. 



64 ZWEITER AKT 



DER WIRT 
Ich kann dir etwas Gansbraten wärmen lassen. Aber 
du musst warten, mein Herd ist verlöscht. Oder, 
wenn du*s eilig hast, willst du kaltes Schwein? 

TEULIER 
Was fertig ist; gleichviel. Ich möchte schlafen, (der 
Wirt geht ab, — Allein) Also, meine Ahnungen 
haben mich nicht betrogen! Er war mit uns, um uns 
zu verraten. Eis ist merkwürdig. Adel haben und 
Intelligenz und Mut und dies alles in den Dienst 
einer so unedlen Sache stellen! Man muss sehr ver- 
derbt sein, um sich zum Vergnügen zu entehren, 
wenn einen nichts dazu zwingt. Verräter aus Ueber- 
mut! Das ist merkwürdig! — Und wie er sein Spiel 
spielen konnte, ohne sich einmal zu verraten! Denn 
man kann es nicht leugnen, er hat sich für die gute 
Sache sechs Monate lang tapfer geschlagen. Eine 
solche Kraft der Verstellung. 

DER WIRT 

(kommt mit einer Schüssel) 

Ja, Bürger, es ist unglaublich. Man fragt sich, wie 

er sich diesen Zwang antun konnte. Eis hat doch 

monatelang gedauert, bedenke. 

TEULIER 
Wirklich? 

DER WIRT 
Man hat Beweise. — Ein ganzer Briefwechsel mit 
dem König von Preussen. Briefe von ihm seit An- 
fang der Belagerung. 



ERSTE SZENE 65 



TEULIER 

Aber wer hat sie mit Beschlag belegt? 

DER WIRT 

Verrat. 

TEULIER 
(leichtes Auffahren) 
Ahl Verrat! — Wirklich? — Wann hat er sie ge- 
funden? 

DER WIRT 
Eis waren kaum zwanzig Minuten, nachdem du weg 
warst. Man hat einen Spion angehalten, der die 
Briefe bei sich hatte 

TEULIER 
Und man hat ihn verhört, den Spion? 

DER WIRT 
Oh! Der wollte nichts eingestehen . . . • er sagte, er 
wüsste nicht, was man von ihm wollte • • • Oh! Elr 
wird ganz gut gewusst haben, was er mit ihnen 
wollte, der Schuft! 

TEULIER 
Es ist gut, lass mich allein. 

DER WIRT 
Du brauchst nichts mehr? 

TEULIER 
Nein. 
Rolland, Die Wölfe 5 



66 ZWEITER AKT 



DER WIRT 
Du isst nichts. Ist es nicht gut? (er zeigt auf die 
Schüssel) 

TEULIER 

Ja. Gleich. Ich bin müde, (der Wirt geht) 



ZWEITE SZENE 

Teulier allein — Teulier spricht während einiger 
Zeit nicht. Er schaukelt sich auf dem Stuhl und 
blickt ins Leere. Dann steht er auf^ geht^ mit ver- 
träumten Augen^ mechanisch auf und ab^ macht 
Handbeivegungen und spricht abgebrochene Worte 
ohne Sinn. Er bleibt stehen und fährt mit der Hand 

über die Stirn. 

TEULIER 
Mein Kopf ist leer. Ich bin zu müde heute.( Er setzt 
sich) Es ist merkwürdig, ich habe keinen Hunger 
mehr. Man muss doch essen. (Er schiebt seinen Tel- 
ler zu sicK ober isst nicht) Das ist einGlück, dass er 
eingesperrt ist. Die Canaille, deshalb wollte er diese 
Elxpedition gegen die Emigrierten. Elr spürte das 
Netz um sich; er wollte entweichen, nachdem er in 
unsem Vierteidigungsplan eingeweiht war. Und 
dann wäre es ihm leicht gewesen ... (Er un- 
terbricht seinen Gedankengang) Verrat, Verrat ist 
CS, der . . . (nimmt seine Gedanken wieder 
auf) Eä wäre ihm leicht gewesen . . . „EÜne 
vernünftige Kugel kann die Sache ordnen** . . . 



ZWEITE SZENE 67 

(irritiert) Ahl Das, was hab* ich denn? Ich bin 

nicht fähig, einen Satz zu Elnde zu führen ! 

(Er stösst seinen Teller zurück und steht auf) Ein 
Briefwechsel mit dem König von Preussen! Und 
seit Monaten! Ich war gerade weggegangen, sagt 
Rieffei. — Er verteidigte Brunswick noch heute 
morgen, er bewunderte die preussische Taktik. 
... — Aber dieser Bruder, dieser Bruder, 
darauf erpicht, ihn zu verderben, all diese 
Anschläge vom Lager der Emigrierten aus. 
. . . Donnerwetter! (Er atmet laut; er setzt 
sich ivieder) Sehen wir zu, Ruhe, Teulier. 
Du verlierst den Kopf. Denk doch ein wenig nach. 
Was dir d'Osnron gesagt hat, war vielleicht eine 
Finte mehr. Die ganze Frage ist, zu wissen, ob er 
diese Geschichte erfunden hat, um deinen Argwohn 
abzulenken. Wenn es, wie der andere sagt, zwei- 
fellose Schriftstücke gibt, Briefe, von ihm geschrie- 
ben, ein ganzer Briefwechsel mit Beschlag belegt 
. . . (Er steht auf und geht rasch zur Tür. Ruft) 
Rief fei! — (lauter) Rief fei! (der Wirt kommt ge- 
laufen) 

DER WIRT 
Was gibt*s? was gibt*s? Du wirst das ganze Haus 
aufwecken. Was willst du, Bürger? 

TEULIER 

(stdsst die Schüssel zurück) 
Nimm das fort. Eis ist roh, es widersteht mir; es 
riecht nach Talg! 



68 ZWEITER AKT 



DER WIRT 
Nun, nun! Der Bürger Chapelas sagt, dass er in 
seinem Leben . . . 

TEULIER 
Genug. Widersprich nicht. — Warte: du warst hier, 
als man ihn angehalten hat? 

DER WIRT 

Den Verräter? Bei dieser Türe. Eis war 

schrecklich. Sie waren alle wie wilde Tiere. 

TEULIER 
Weisst du, ob die Briefe, die man gefunden hat, 
von der Hand des . . . 

DER WIRT 
Schurken sind? Ah, nein, das weiss ich nicht. Sie 
sind für den Rat eingeschlossen. — Briefe von ihm, 
oder Briefe an ihn, ich kann*s nicht sagen; aber das 
ist gleich. Jedenfalls gibt*s Briefe. 

TEULIER 
GA.(DerWirt geht ab.' — i4 //ein ^ Es wäre unsinnig, 
wenn er den Preussen Briefe geschrieben hätte, dass 
man sie bei dem Spion, der die Antwort darauf 
brachte, hätte finden können. — ^Aber dann, wenn 
er nur wegen der Briefe, die von ihnen geschrie- 
ben wurden, verurteilt worden wäre . . . Ah! Gu- 
ter Gottl Was haben sie getan! (Er geht zum 
Fenster und Sffnet es. — Der Wirt kommt zurückt 
um den Tisch abzuräumen) 



ZWEITE SZENE 69 

DER WIRT 

Aber, Bürger, du lässt ja Schnee herein. Du wirst 
uns alle erfrieren lassen. 

TEULIER 

(heftig) 
Ich habe dir befohlen, mich allein zu lassen. (Der 
Wirt geht, indem er die Arme erhebt. — Allein^ 
er setzt sich n^ieder) Es war wirklich nötig, heute 
abend zuriickzukonunen ! Ohne diesen verfluchten 
Zufall wäre ich in Mombach, brächte die Nacht 
im Lager zu und morgen ... Er ist nach alledem 
doch ein Schurke. Wir müssen ihn vom Halse ha- 
ben und nicht mehr darüber sprechen. — (zu sich) 
Feigling! Du verdientest, dass ich dir ^ne Kugel vor 
den Kopf schösse. — Was kann ich tun? Was soll ich 
tun? Ich habe keine Wahl. Ich soll fragen, mich 
informieren, mir selbst Rechenschaft geben. — Ja, 
das ist*s. Ich muss zu Quesnel. — (Er rührt sich 
nicht) Ich muss sofort gehen, (er bleibt sitzen) 
Nun? — (er lacht höhnisch über sich selbst) Ich 
habe die Beine lahm und steif. Ich habe . . . ich 
habe Furcht. Es wird mir nachher viel wohler sein, 
wenn ich sehe . . . Ah! Ich kenne Verrat: was 
hat er nicht gewagt? (er steht auf und trinkt einen 
Schluck aus der Flasche) Vorwärts. Wenn ich so 
lange gezögert habe, ist*s, weil ich schon überzeugt 
bin. Ich werde bis ans Ende gehen. (Er geht einige 
Schritte gegen die Tür von Quesnel) 



70 ZWEITER AKT 



DRITTE SZENE 

QuesneU Teulier. 
QUESNEL 

(halb angezogen^ öffnet die Tiirspalte) 

Wer ist der Kerl, der hier den Heidenlärm macht? 
— Du bist's, Teulier. Der Teufel soll dich holen! 
Eine halbe Stunde lang brummst du mit dir selbst. 
Gegen wen hast du was? 

TEULIER 
Du schliefst, Quesnel? 

QUESNEL 
Schlafen, weiss ich, wie das ist. Seit beute morgen 
hat*s nicht aufgehört, mir den Körper zu besurbeiten. 

TEULIER 
Wovon sprichst du? 

QUESNEL 
Von meinem Satan, Donnerwetter; der Gicht. Un- 
möglich, ein Auge zu schliessen. — (mit Todes- 
angst) Und das ist nicht alles, Teulier, ich spüre ihn 
kommen. 

TEULIER 

Wen? 

QUESNEL 
Den Anfall. Meine Nierenkolik. Eis bereitet sich 
schon einige Tage vor. — Ah! Der elende Körper. 



DRITTE SZENE 71 

TEULIER 

Nimmst du ein Mittel? 

QUESNEL 

Nur eines brauchte ich, das ist Ruhe und eine Bade- 
kur. Wenn ich das nicht habe, sagte mir der Arzt, 
könnte ich von einem Tag zum andern abfahren. 
Was tun? Es handelt sich nicht imi uns. Es handelt 
sich ums arme Vaterland, das auch sehr krank 
ist, und das wir retten werden, nicht wahr, Teulier? 
— Wir, wir werden alle bleiben. 

TEULIER 
Sei nicht so mutlos. 

QUESNEL 

Ich bin nicht entmutigt. Ich weiss, dass Custine an 
uns nicht mehr denkt. Diesen Morgen wollte ich es 
ihnen nicht sagen. Aber der General Moustache 
wird sich wohl hüten seinen Ruhm zu gefährden, in- 
dem er es versucht, uns einen Ausweg zu verschaf- 
fen. Er wird uns hier verfaulen lassen. Wir werden 
alle draufgehen, einer nach dem andern. — Um so 
besser, ah! um so besser, geh; ich wollte, es wäre 
schon morgen. 

TEULIER 
Du leidest, Bürger? 

QUESNEL 

Ja. — Ah! das Luder, wie es mit mir spielt! — 
Vorwärts, Donnerwetter, lassen wir's! Wenn man 



72 ZWEITER AKT 

ihr Aufmerksamkeit schenkt, bohrt die Sau mit Her-* 
zensfreude. — Sprechen wir von was anderm. 

TEULIER 

Das wollte ich gerade. 

QUESNEL 

Du hattest mir etwas zu sagen? Du bist also nicht 
müde? du kannst schlafen, du. 

TEULIER 

Nein, nicht mehr als du, heute nacht. 

QUESNEL 

Bist du auch leidend? Dein Gesicht ist schweissbe- 
deckt. Man friert hier doch. Zum Henker, schliess 
doch das Fenster. — Du bist krank? 

TEULIER 

Ich bin moralisch krank. 

QUESNEL 

Dann ist*8 nicht der Mühe wert, darüber zu reden. 
Eis gibt nur körperliche Schmerzen. 

TEULIER 

Du bist verbittert; du denkst nicht so, wie du 
sprichst. 

QUESNEL 
Seelenschmerzen I Man kann nicht viel durch das 
leiden, was es nicht gibt. 

TEULIER 
Achtung vor deiner Vernunft. Jeden Tag gibst du 
deinen Körper den Kartätschen preis, um die heili** 



DRITTE SZENE 73 

ge Freiheit gegen den Angriff der Tyrannen zu 
verteidigen. 

QUESNEL 

(besänftigt) 
Hör mir nicht zu. Das ist noch der Anfall. — 
Sprich, Kamerad. Was quält dich? 

TEULIER 
Eis fällt mir schwer, dir*s zu sagen. — Also: ihr 
habt d'Oyron zum Tode verurteilt. 

QUESNEL 
Da es nichts SchUnmieres gab. Ex verdiente mehr. 
Nun, es wird ihm genug sein. 

TEULIER 

Ihr habt euch sehr beeilt. 

QUESNEL 
Man musste eilen. Die Stadt wusste alles. Man 
musste die öffentliche Meinung mit einem Schlage 
beruhigen. 

TEULIER 
Was hat er während des Prozesses gesagt? 

QUESNEL 
Du hättest ihn nicht wieder erkannt; er war sehr 
verändert. In den ersten Minuten hatte er noch sein 
freches Aussehen. Dann, plötzlich, wie von einem 
Keulenschlag getroffen, ganz rot, scharlachrot, 
die Augen aus dem Kopf tretend, keuchte er; er 
kämpfte verzweifelt; er sah wie ein rasender, zuk- 
kender Wolf aus. 



74 ZWEITER AKT 



TEULIER 
Hat er gestanden? 

QUESNEL 
Niemals. — Nur im Anfang leugnete er in wüten- 
der Weise. Nach und nach wurde seine Stimme 
heiser, und zimi Schluss begnügte er sich damit, 
dem Kopf widerwillig zu schütteln. Er fühlte wohl, 
dass er verloren war, dass er nichts mehr machen 
konnte. 

TEULIER 

Und mit dem andern, — hat man ihn dem Spion 
gegenübergestellt. 

QUESNEL 
Natürlich. Aber er hat vorgegeben, ihn nicht zu 
kennen. Ich sehe übrigens nicht, wie er anders hätte 
handeln können. 

TEULIER 

(geht mit grossen Schritten auf und ab) 
Ich wäre gern dabeigewesen. 

QUESNEL 

Eis war für keinen von uns ein Fest. Nichts Pein** 
lieberes als dieser Zusammenbruch. 

TEULIER 

Glaubst du, ich habe das gesagt, weil ich mich an 
der Demütigung meines Feindes hätte weiden wol" 
len? 

QUESNEL 
Ich dachte. 



DRITTE SZENE 75 



TEULIER 
(gereizU nervös) 
Danke. — Ich breche gern den Stolz jener, die ich 
hasse; aber ich rufe dazu nicht die Justiz an. 

QUESNEL 
Du bist heute abend sehr erregt. 

TEULIER 
(geht zu Quesnel und erfassi seine Hände) 
Quesnel, ihr seid sicher, sag mir, ihr seid ganz 
sicher? 

QUESNEL 

(versteht nicht) 
Was? 

TEULIER 
Seines Verbrechens? 

QUESNEL 
Was? Du zweifelst noch? — Weisst du nicht, auf 
welche zerschmetternden Beweise hin er verurteilt 
wurde? 

TEULIER 
Mehrere Briefe, oder einer? 

QUESNEL 
Ein einziger, aber der zehn wert ist, durch die An- 
spielung, die er enthält, auf einen ganzen früheren 
Briefwechsel. 

TEULIER 
Ein einziger Brief! man muss ihn zweimal anse- 



76 ZWEITER AKT 

hen, bevor man einen Menschen eines Papierstück- 
chens wegen verurteilt. 

QUESNEL 

(gereizt) 
Das ist recht, Teulier, das ist recht. Ich kann lesen. 

TEULIER 
Sei nicht böse, Bürger. 

QUESNEL 
Du bist verteufelt anzüglich. Glaubst du, dass wir 
aus Uebermut über das Leben eines Menschen zu 
Gericht sitzen? Woher kommt dein Misstrauen? 

TEULIER 
Wer gibt uns die Sichereit, dass es nicht ein Sy- 
stem imserer Feinde ist, um unser gegenseitiges Ver- 
trauen zu erschüttern und um einen nach dem an- 
dern zu verderben? Wenn wir solche Zeugnisse ge- 
gen uns selbst annehmen, müssen wir dann nicht al- 
le fürchten, jeden Augenblick? 

QUESNEL 
Ich erwarte nichts Gutes von den Menschen: ich 
kenne sie» die scheusslichsten Grausamkeiten kön- 
nen mich nicht überraschen. Aber nichts berechtigt 
zu diesem Gedanken. D*Oyron brauchten sie weni- 
ger zu fürchten, als dich oder Verrat. Warum hät- 
ten sie ihn lieber angegriffen als euch. 

TEULIER 
Die Arbeit war leichter, und sie hassen ihn mehr. 



DRITTE SZENE 77 



QUESNEL 
Ej ist einer der Ihren. 

TEULIER 
Seit Wochen sind sie hinter ihm her, ihn zu ver- 
derben. 

QUESNEL 
Was weisst du davon? 

TEULIER 
Er hat es heute morgen gesagt. 

QUESNEL 
Wer? D'Oyron? Was hat er gesagt? 

TEULIER 
Ej beklagte sich mit Wut über die verruchte Hin- 
terlist, die gegen ihn von den Emigrierten ausge- 
spielt wurde, um ihn blosszustellen, über die De- 
nunziationen, über die anonymen Briefe. 

QUESNEL 
Ej hat dir das gesagt, dir? 

TEULIER 
Verrat war zugegen und Chapelas. 

QUESNEL 
Sie haben mir nichts davon gesagt. 

TEULIER 
Das glaub ich wohl. 

QUESNEL 
Warum? — Teulier, Du hast gegen jemanden 



78 ZWEITER AKT 

Argwohn. Nimm dich in acht, Teulier, ich frage 
dich nicht. Nimm dich in acht. Du bist daran, ein 
Verbrechen zu begehen. 

TEULIER 
Eines zu verhüten. 

QUESNEL 
Warte. Sprich nicht. Geh auf die Strasse; schöpfe 
Luft; deine Phantasie ist überhitzt. Wir ha- 
ben unrecht daran getan, diese Diskussion so spät 
anzufangen, nach den Mühen deines Tages, nach 
zwei schlaflosen Nächten.Leg dich nieder. Wir wer- 
den später darüber sprechen. Wenn du einmal den 
Mund aufgemacht hast, kann ich nicht mehr ein- 
halten; ich müsste dich bis zu Ende anhören und 
müsste dich selbst richten. 

TEULIER 

(steht auf) 
Das ist recht. Indem du mich an das erinnerst, was 
für mich auf dem Spiel steht, gibst du mir den 
Mut es zu wagen. Ich bin bereit. 

QUESNEL 
Teulier. 

TEULIER 

Ruhe, Bürger -Vorsitzender. Deine Pflicht ist, mich 
anzuhören. Richte mich, oder ich richte dich. 

QUESNEL 

Sprich. 



DRITTE SZENE 79 



TEULIER 
Zuerst den Brief. (Quesnel n^ill aufstehen) Rühre 
dich nicht, ich hol* ihn selbst. 

QUESNEL 
Auf dem Tisch unter der Glaskugel. (Teulier ab 
— einen Augenblick allein) So . . . So . . . Un- 
möglich. Eis ist nicht so. Eis darf nicht so sein — 

( Teulier kommt mit dem Brief zurück) Sieh, 

Teulier; dieser Brief stimmt genau mit dem über- 
ein, was du uns selbst im Rat gesagt hast. Deine 
Elxpedition, durch die Schuld d*Oyrons verfehlt, 
sein fingierter Angriff auf Bretzenheim, die Flucht 
seiner Kolonne. 

TEULIER 
Verleumdungen, um ihn zu verderben. 

QUESNEL 

Du hast ihn diesen Morgen beschuldigt. Du bist 
so weit gegangen, zu sagen, dass er nicht anders 
hätte handeln können, wenn er mit den Preussen 
im Einverständnis gewesen wäre. 

TEULIER 

Ach was, du weisst wohl» wie heftig ich bin. Sobald 
der Zorn mich treibt, breche ich los wie ein Stier 
und denke an nichts, als den Gegner niederzuwerfen. 
Ich war gegen d'Oyron aufgebracht; er hat nicht, 
den heiligen Enthusiasmus und das Stürmische, das 
man braucht, um unsere Sansculotten-Bataillone 
mitzureissen; er gehorcht mir nicht, er bringt mich 



80 ZWEITER AKT 



zum Aeussersten durch seine aristoioratische Frech- 
heit. Aber nichts von dem, was er gestern hier tat, 
kann ihn verdächtigen. Er nahm Bretzenheim und 
liess die Garnison über die Klinge springen. Ex 
führte seine Vereinigung mit mir nicht durch, das ist 
wahr. Aber mein Plan war unklug, und sein Ab- 
lenken hat vielleicht die Armee gerettet. Vom 
Standpunkt der strengen Disziplin ist er strafbar, 
denn er hat nicht gehorcht; aber wer würde es wa** 
gen, ihn emstUch zu beschuldigen, mit Bewusst- 
sein falsche Dispositionen getroffen zu haben. 
Mein Ueberfall ist fehlgeschlagen: es ist mein 
Fehler sowie seiner. Es gibt nur einen Feind; — und 
einen Feind, der auf dem laufenden über imsere 
Uneinigkeit ist, — der trachtoi könnte, ihn zu 
verderben unter einem solchen Vorwand, der mi" 
sere Rachsucht befriedigt. 

QUESNEL 
(nachdem er einige Zeit mit düsterer Miene nach- 
gedacht , sich den Kopf gekratzt hat^ steht er auf) 
Der Spion. (Teulier geht zur Tär^ öffnet sie und 
ruft) 

TEULIER 
Decaen. 

EIN SOLDAT 

Mein Kommandant. 

TEULIER 
Bring uns den Preussen her. (Der Soldat ab. — 



VIERTE SZENE 811 

Quesnel geht mühsam und aufgeregt) Du solltest 
nicht gehen, Quesnel; du wirst dir schaden. 

QUESNEL 

(rvätend) 

Zum Teufel! Lass mich in Frieden I (Ruhe. — 

Sie sehen einander nicht an^ jeder nur mit sich her 

schäftigt) 



VIERTESZENE 

Die Vorigen^ zwei Soldaten bringen den Spion. 

TEULIER 
(zu den Soldaten) 
Eis ist gut. Geht. Bewacht die Tiir. 

DER BAUER 

(nähert sich den zwei Männern mit dem Ausdruck 

von furchtsamer Freude) 
Dank, Dank. 

QUESNEL 

(überrascht) 
Wem dankst du, Vieh? (der Bauer bewegt die 
Lippen^ stottert^ sieht die zwei Offiziere listig blin- 
zelnd an^ geht um einige Schritte zurück und 
schweigt) Du bist Jakob Gabel aus dem Dorf 
Weiscnau? 

DER BAUER 

Ja, Herr General. 

Rolland, Die Wölfe 6 



az ZWEITER AKT 



QUESNEL 
Nenne mich Bürger. — Du wurdest von dem 
preussischen Generalstab mit geheimen Briefen ge- 
schickt? 

DER BAUER 

Ja, Bürger, ich habe alles gestanden, ich habe, habe 
alles gestanden. 

QUESNEL 
Wer hat dir einen Brief für den Bürgerkonmian- 
danten d*Oyron mitgegdben? 

DER BAUER 

Ich habe alles gesagt, ich schwöre es; ich weiss 
nichts mehr, nichts mehr, als was ich dem Herrn 
Kommandanten gesagt habe. 

QUESNEL 
Was? 

TEULIER 
Welchem Kommandanten? 

DER BAUER 
(vorsichtig, misstrauisch ) 
Hat er ? 

QUESNEL 
Nun? 

DER BAUER 
Hat er ihnen nichts 

QUESNEL 
Wirst du sprechen? (der Bauer, nachdem er sie 



VIERTE SZENE 83 

mit furchtsamen schlauen Augen angesehen hat^ 
mmmt einen fakchen verschlossenen Ausdruck an) 

DER BAUER 
Aber nichts; ich habe nichts zu sagen. (Teulier 
beobachtet den Spion aufmerksam^ dieser schlägt 
die Augen nieder) 

QUESNEL 
War es der Major v. Zastrow selbst, der dir den 
Brief für d*Oyron gegeben hat? 

DER BAUER 

Ja, Biirger. 

TEULIER 
Hat d^Oyron da unten geschrieben? 

DER BAUER 

Ja, Biirger. 

TEULIER 
Du weisst es gewiss? 

DER BAUER 
Sicher. 

TEULIER 
Wieso weisst du es? 

(der Bauer schweigt) 

QUESNEL 
Hast du Briefe für ihn besorgt? 



84 ZWEITER AKT 



DER BAUER 
Ja, Bürgor; — Das heisst nein; nidit ich: Giilr 
lich, Gottfried Güllich aus Obennoschel. 

QUESNEL 
Er hat viele Briefe von ihm bestellt? 

DER BAUER 
Massenhaft. 

TEULIER 
Du beschwont es? 

DER BAUER 

Oh, Bürger, beim guten Gott! (er macht das Zor 
chcn des Kreuzes) 

TEULIER 
Er lügt. 

QUESNEL 
Geh. 

DER BAUER 
(zitternd vor Aufregung) 
Also ich kann gehen? 

QUESNEL 
Ja, ich sag* es dir doch. 

DER BAUER 

Ich kann wirklich nach Hause? OhI Bürger! OhI 
Bürger! 

QUESNEL 
Was bedeutet das? Nach Hause? Wohin? 



VIERTE SZENE , 85 



DER BAUER 
Nach Hause, nach Weisenau, wie ihr mir ver^ 
sprechen habt. 

QUESNEL 
Du faselst. Ins Gefängnis, Narr. Du kommst nur 
heraus, um auf die Guillotine geführt zu werden. 

DER BAUER 
(ergriffen) 
Das ist nicht wahr! 

QUESNEL 

(zuckt die Achseln) 
Du wirst es sehen. 

DER BAUER 

Burger! — Aber du hast mich doch begnadigt! 

QUESNEL 
Ich? 

DER BAUER 
Ihr habt mir versprochen! 

QUESNEL 
Ich habe dir versprochen? 

DER BAUER 

Du nicht, — der Kommandant. 

TEULIER 
Welcher Kommandant? 

DER BAUER 
Der Kommandant Verrat. 



S6 ZWEITER AKT 

'■II' III I ■ \ f m m^t^^^tm^mf 

TEULIER 

Der Komma iwiimt Verrat hat dir Ver^Nrechungen 
gemacht. Er hat mit dir gesprochen? Wami hat 
er dich gesehen? Was hat er dir gesagt? 

DER BAUER 

(bestürzt) 
Ei hat euch nichts gesagt? Ihr habt mich nicht 
begnadigt? — Ah! Der BrigantI Er hat mich be- 
trogen. Elibarmen, Bürger! Rettet mich! Ich werde 
alles sagen. 

QUESNEL 
Sprich. 

DER BAUER 
Werdet ihr mich retten, ihr andern, wenn ich die 
Wahrheit sage? 

QUESNEL 
Nem. Der Konvent will nicht die Wahrheit durch 
eine Lüge erkaufen. Du wirst sterben. 

DER BAUER 

(mit Hass) 
Ah! Was geht es mich dann an, wenn ihr euch ge- 
genseitig totschlagt! Wenn ihr euch alle miteinander 
mit mir verurteilen mochtet, das machte mir erst 
den richtigen Spass. 

TEULIER 
D*Oyron ist also nicht schuldig? 



VIERTE SZENE 87 



DER BAUER 
Ejr ist schuldig, und du auch» und ihr alle, ihr alle 
seid schuldig. 

QUESNEL 

Wir werden nichts aus ihm herausbdLonunen. 

(Der Bauer geht gegen die Tär^ wankend^ ge^ 

krümmt von Furcht und Ha$s. — Plötzlich wendet 

er sich um und k^hrt wütend zurück) 

DER BAUER 

Nein, erst muss er mir es zahlen. 

QUESNEL 
Wer? 

DER BAUER 

Schweigt, ich werde alles erzählen. Ich wollte, dass 
ihr alle krepiert wäret, wie Hunde, — aber er zu- 
erst, das Aas! — Hört. Ich habe gesagt, dass ich 
etwas aufdecken möchte. 

QUESNEL 
Wann das? 

DER BAUER 

Gestern, nachmittag, habe ich gesagt, dass ich spre- 
chen wollte. — Der Kommandant ist gekommen. 
Wir waren allein, da habe ich ihm alles erzählt. 

TEULIER 
Was? 

DER BAUER 

Alles. Alles» was wahr ist. Dass der Brief nicht echt 
ist. Dass er zimi Vierderben des Kommandanten 



88 ZWEITER AKT 



d'Oyron bestimmt war. Dass sein Bruder, der Graf 
d*Oyrbn, mir ihn gegeben hat, um sidi an ihm zu 
rächen; dass er gesagt hat, er wird nicht zufrie- 
den sein, bis er ihn durch die Sanscidotten aufge- 
hängt wüsste. Da ich es so machen sollte, lun das 
Papier finden zu lassen. — Alles, ich habe alles 
erzahlt. (Teulier und Quesnel sehen sich entsetzt 
an) 

QUESNEL 
(mit erstickter Stimme) 
Das ist falsch. 

DER BAUER 

Ich habe ihm Beweise gegeben. 

QUESNEL 
Welche Beweise? 

DER BAUER 

Die Preussen haben vor einigen Tagen einem von 
hier, dem Melchior Haupt, dem Professor, geschrie- 
ben, um ihn auf dem laufenden über den Streich zu 
halten, den sie vorbereiteten imd das. Was man von 
ihm erwartete. Ich sollte ihm den Brief von Major 
von Zastrow an d'Ojrron übergeben, imd Melchior 
hätte ihn dir nachher gebracht. 

QUESNEL 
Dann? 

DER BAUER 

Dann, das ist alles. 



VIERTE SZENE 89 ' 

TEULIER 
Verrat? 

DER BAUER 

Ejt hat nichts gesagt; er hat mich angehört; dann 
ist er zornig geworden; er fluchte und stiess mit 
den Füssen gegen die Wand. Dann hat er mir ge- 
sagt» dass ich lüge, und dass» wenn ich fortfahre zu 
lügen, man mir den Kopf abschneiden würde. Ich 
habe gesagt, dass ich nicht lüge; aber er hat mir 
mit der Faust ins Gesicht geschlagen, und er fluchte 
und machte einen furchtbaren Lärm. Dann habe ich 
gefragt, ob, wenn ich nicht lüge, ich nicht verurteilt * 
würde: und er sagte ja, dass man mich begnadigen 
würde. Dann ist er gegangen; und ich, ich habe den 
ganzen Tag gewartet, dass man mich holen käme. 
Und wie ihr mich habt kommen lassen, habe ich 
gedacht, dass ihr mich in Freiheit setzen wollt. — 
Ach! der Schuft! er hat mich betrogen! 

(Quesnel und Teulier 'schweigen^ sehen sich an, 
schaudern. Der Bauer weint und schreiU schüttelt 

sich vor Wut) 

QUESNEL 
Geh! 

(der Bauer geht gegen die Tür, öffnet sie, wendet 
sich gegen die Offiziere imd beschimpft sie) 

DER BAUER 

Bluthunde! Saufranzosen I Königsmörder! (Die 
Soldaten schleppen ihn rveg) 



90 ZWEITER AKT 



FÜNFTE SZENE 

Teulier^ Quesnel. — Beide^ festgenfurzelU ohne zu 
sprechen, ohne zu i»agen, sich anzusehen. Teu- 
Her steht endlich auf und berührt Quesnels 

Schulter. 

TEULIER 
Also los. 

QUESNEL 

Dontfwetterl Wie soll man sich zurechtfinden, wie 
• soll man aus all diesem Schmutz heraus? W{is tun, 
Teulier? Was tun? 

TEULIER 
Die Verurteilung zurückziehen. Es ist noch Zeit. 

QUESNEL 
Noch Zeit? Hast du darüber nachgedacht? 

TEULIER 
Es ist zwei Uhr. Um sechs ist die Hinrichtung. Wir 
haben also noch vier Stunden. Was brauchst du 
mehr? 

QUESNEL 

Wären es vier Tage statt vier Stunden, käme ich 
auch nicht weiter. 

TEULIER 
Wie? Ein Federstrich . genügt. 



FÜNFTE SZENE 91 



QUESNEL 
Um d*Oyron zu begnadigen? Und was wird man 
in Mainz sagen? 

TEULIER 

Was kiimmeit*s dich? 

QUESNEL 
Man würde behaupten, dass ich Nachsieht gegen 
Verräter übe» dass ich mit ihnen unter einer Decke 
stecke» dass ich meine Anordnungen treffe mit der 
Voraussicht auf eine Schlappe. 

TEULIER 
Arbeitest du für die öffentliche Meinung? 

QUESNEL 
Ich darf sie nicht erschüttern, sie nicht in diesem 
Augenblick schwächen. 

TEULIER 
Sag ihnen, dass er unschuldig ist. 

QUESNEL 
Sie werden*s mir nicht glauben. 

TEULIER 
Sag*s dem Generalstab. 

QUESNEL 
Er wird mir ebensowenig glauben, und jene, die 
mir glauben würden, wären morgen yerdäehtig. 



92 ZWEITER AKT 



TEULIER 
Bfirger, ich glaube zu träumen. Glaubst du» dass 
d*Oyron unschuldig ist? 

QUESNEL 
Ich fiirchte es jetzt. 

TEULIER 
Du wirst ihn also retten? 

QUESNEL 
Ich weiss nicht. 

TEULIER 
Du wirst ihn nichl retten? 

QUESNEL 
Eis ist vielleicht unmöglich. 

TEULIER 
Es wird dir unmöglich sein, einen Unschuldigen zu 
retten» den du verurteilt hast? 

QUESNEL 
Unschuldig! Man müsste den aiidern seine Un- 
schidd beweisen. 

TEULIER 
Beiweise sie, du hast die Mittel dazu. 

QUESNEL 
Welche Mittel? Ich weiss nach alledem nidit, ob 
er unschuldig ist. 

TEULIER 
Du weisst es nicht? 



FÜNFTE SZENE 93 



QUESNEL 
Das Zleugnis eines Spions. Er hat angefangen, in« 
dem er uns belog. Wer sagt mir, ob er nicht bis 
zum Schluss gelogen hat! 

TEULIER 
Du hast also seine Augen nicht gesdien, seine Be- 
wegung? Du hast nicht den Ton verzweifelter Auf- 
richtigkeit gehört? 

QUESNEL 
Ach! Was weiss ich jetzt? 

TEULIER 
Ejt hat dir seine Beweise angegeben. Diesei^ verrate« 
rischen Plan. Diese Briefe an Melchior Haupt. 
Lass sein Haus durchsuchen. 

QUESNEL 
Entweder der Spion hat gelogen und dann wird 
man nichts finden. Oder er hat die Wahrheit ge- 
sprochen und dann werden die Briefe schon ver- 
brannt sein; — ausser . . . glaubst du, dassims ir- 
gendeiner zuvorgekommen sein wird? 

TEULIER 
Ja; Verrat; ruf ihn zurück; verlang von ihm die 
Dokimiente. 

QUESNEL 
Er wird leugnen. 

TEULIER 
Stell ihn dem Spion gegenüber. 



94 ZWEITER AKT 



QUESNEL 
Auf diese Weise d*Oyron retten, das heisst Wa- 
rat verurteilen. 

TEULIER 
Wer zweifelt daran? 

QUESNEL 
Du möchtest« dass diese peinliche Anklage ot- 
fentlich dem schrecklichen Menschen ins Gesicht 
geschleudert würde. 

TEULIER 
Saint-Just Hesse heute nacht das Schafott auf den 
Wällen vor den beiden Armeen aufstellen und würde 
ihn hinaufbefördem. 

QUESNEL 
Ich täte es in Friedenszeiten auch; aber hier kann 
ich meine eigenen Kräfte nicht schwächen. Der be^ 
gnadigte d'Oyron bleibt verdächtig. Venrat ver- 
urteilt, dann herrscht der Zweifel überall. Und 
schliesslich kann ich Verrat nicht entbehren. Ich 
brauche ihn — Horch! Du hörst die Kanone? — 
Ejt schlägt sich in diesem Augenblick. — Verrat 
verurteilt? Dann fehlt mir die Hälfte der Armee. 
Wer kann die Menschen so wie er mit sich f ortreis« 
sen. Sie haben Kostheim heute abend genommoi. In 
dieser eisigen Nacht haben sie den Main überschrit- 
ten. Sie heben diesen haarigen Teufel, der sie den 
Hals brechen lässt imd der sie ins Feuer unter 
einem Hagel von Schimpfwcnten führt. Sie lieben 



FÜNFTE SZENE 95 



ihn dafür. Ex ist Herr seiner Legion. Wenn man 
ihn festnähme, gäbe es eine Revolte. Sie würden es 
mir nie verzeihen. 

TEULIER 
Gewinne Zeit; verschiebe die Ejcekution. Gib vor, 
dass du noch die Untersuchung verlängern musst. 
Benachrichtige den Konvent. 

QUESNEL 
Unmöglich. Das Volk, die Armee sind durch die 
Nachrieht ausser sich. Die öffentliche Meinimg ist 
nervös und würde den Generalstab anklagen. Was 
den Konvent betrifft, so ist nicht auf ihn zu zählen. 
Verrat wurde uns durch die Jakobiner geschickt. 
Ejt ist der Freund von Fouquier, von Hebert; das 
Journal de la Montagne, alle Hunde des Klubs 
sind für ihn. 

TEULIER 
Diese unwürdigen Gründe müssen schweigen. 
Wenn man sieht, wo die Gerechtigkeit ist, so muss 
man sie den Parteien aufzwingen. Du wagst deinen 
Kopf in jedem Augenblick fiir das Land. Kannst 
du ihn nidit der Gerechtigkeit aussetzen? 

QUESNEL 
Ich liebe mein Land mehr als die Gerechtigkeit. 

TEULIER 
Trennst du eines yom andern? Ahl so, warum 
glaubst du, dass wir uns hier den Kopf zerbiechen? 



96 ZWEITER AKT; 

Geht es um den Ehrgeiz einiger Jakobiner? Der Ge^ 
rechtigkeit wegen, Quesnel, hat die Nation, die 
Waffen ergriffen. An dem Tag, wo die Nation sie 
verletzte, würde sie nichts mehr sein als eine Tyran« 
nenhöhle, wo wir das Beil tragen. Sie würde 
von der Welt verschwinden. — Ein Frankreich« 
das imterdrückt, — und der Henker hat Arbeit. 
Ich zerbräche es lieber mit meinen Händen 
wie dies! (während er sprichU zerbricht er mit sei- 
nen Händen ein Lineal^ das er vom Tisch genom- 
men hat) 

SECHSTE SZENE 

Die Vorigen. Ein Soldat tritt ein, ausser Atem, 

DER SOLDAT 

Burger! 

QUESNEL 
Ein Kurier. 

DER SOLDAT 

Es ist besorgt! Wir haben sie! 

QUESNEL 
Die Inseln sind genommen? 

DER SOLDAT 

Sieger! Die Sansculotten haben die Gutgddeideten 
zurückgeworfen. Wir haben sie verprügelt und sie 
dann die Köpfe voraus in den Main mit den Karp^ 
fen nachtmahlen geschickt. Oh! Bürger, das war 



SECHSTE SZENE ^ 

schön! — Du erlaubst? Die Zunge klebt mir. (er 
trinkt aus der Flasche und aus dem Glase Teuliers) 
Die ganze Nacht habe ich Patronen gegessen. — 
Die .Insel Kopf gehört unsl Donnerwetter I das war 
eine Schlacht! — So etwas habt ihr nie gesehen» 
Kinder. — Der Kommandant Verrat ... ah! beim 
Henker! das ist ein Löwe! man sieht nichts mehr von 
ihm als die Augen; er ist ganz schwarz von Pulver 
. . . Denke dir, Bürger, was dieser gottverfluchte 
Bursche erfimden hat, um ims hinüberzubringen. 
Zwecks Ablenkung des Feindes, während wir auf 
unseren Flössen fuhren, kreuzte dieser Teufel im Ka-* 
nal, zwischen dem Ufer und der Insel, auf einem 
Schiff mit dreissig Mann und zwei Kanonen, um so 
die Aufmerksamkeit der Preussen auf sich zu zie- 
hen. Eine Stimde blieb er dort; er fing alle gegen 
ihn gerichteten Kugeln mit seinen grossen Armen 
auf: man konnte Angst bekommen. Unterdessen 
kamen wir hinüber. Er wollte erst zurückkehren, 
als das Schiff bereits leckte. Und dann der Kampf, 
Mann an Mann, wie wilde Tiere! Verrat hat dem 
feindlichen Kommandanten die Gurgel durchge- 
schnitten. — So erschöpft wir waren, zum Krepie- 
ren müde, trugen wir ihn dennoch auf unseren 
Schultern, wie einen Römer, um die ganze Insel 
herum, die wir erobert hatten. — Er hat mich ge- 
schickt, dir das zu erzählen. Es war nicht leicht für 
mich fortzukommen, aber wenn dieser Schuft befiehlt, 
muss man gehorchen. — Sie machen drüben einen 
fürchterlichen Lärm ! Sie rufen ihn zum General aus I 
Rolland. Die Wölfe 7 



96 ZWEITER AKT 

QUESNEL 

Eis ist gut. Geh' in die Küche etwas essen und 
komm* dann wieder, (der Soldat geht) 

SIEBENTE SZENE 

Teulier. Quesnel. 

QUESNEL 
Du siehst es wohl, Teulier, ich kann an diesen 
Kerl nicht heran. 

TEULIER 
Hätte er vierzig Siege für sich, er ist Rechenschaft 
schuldig für sein Verbrechen. 

QUESNEL 
Später. Lass mich*s nur machen. Nach der Belage- 
rung, wenn wir noch auf dieser Welt sind. 

TEULIER 
Das unschuldige Blut wird durch uns geflossen 
sein. — Niemals! 

QUESNEL 

Teulier, erinnere dich: du selbst warntest mich 
einmal, dass d*Oyron eines Tages verraten würde. 

TEULIER 
Ich habe gesagt, dass man sich in acht nehmen 
müsse, und das sage ich noch. Aber jetzt ist er un- 
schuldig. 



SIEBENTE SZENE 99 

QUESNEL 

Das weisst du nicht, Teulier. Und wenn» so sage 
dir, dass es nicht des gegenwärtigen Falles wegen 
geschieht, sondern der späteren Gefahren wegen» 
dass wir ihn uns vom Halse schaffen. 

TEULIER 
Ein der Nation unwürdiger Sophismus. Jede Ge- 
walttat, wenn es sein muss, aber keine Lügel 

QUESNEL 
Ich kann an Verrat nicht heran; es entstünde ein 
Aufruhr. 

TEULIER 
Gib mir deine Vollmacht und ich verpflichte midi» 
ihn an der Spitze seiner Armee festzimehmen. 

QUESNEL 
Sei ruhig, Teulier, es lässt sich nichts tun. 

TEULIER 
Was, du wirst nicht handeln! Du willst das Schand- 
mal der Ohrfeige auf deiner Backe bewahren, dei- 
nen Anteil am Verbrechen . . . 

QUESNEL 
Verrat ist nicht schuldig. 

TEULIER 
Du würdest nicht wagen, es zu beschwören. 

QUESNEL 
Gut, wenn ein Verbrechen da ist, falle es auf mich 
zurück! 



100 ZWEITER AKT 

TEULIER 

Du hast einen starken Rücken, aber ich^ ich 
kann es nicht. Was würde mein Gewissen sagen? 
Welche Qualen Tag und Nacht, wenn ich schwei- 
gen könnte I 

QUESNEL 
Was geht mich dein Gewissen an? Eis handelt 
sich darum, das Land zu retten und du denkst 
an dich selbst, an deine Schlaflosigkeit, an deine 
moralischen Schmerzen, an, ich weiss nicht, was für 
Beschwerden! Du leidest, du leidest, sagst du? 
Und ich, leide ich nicht? Leide still. Unglück- 
licher, aber verschone das Landl Haben wir 
ihm nicht alles geopfert? Unser Vermögen, imsere 
Gesundheit, unser Leben, unsere Liebe, haben wir 
nicht alles in den Abgrund geworfen, wie Decius? 
Wenn das Land es fordert, opfere dein Gewissen 
und opfere dich selbst! 

TEULIER 

(eigensinnig) 
Rufe Verrat zurück. 

QUESNEL 

(gereizt) 
Genug. Ich sage nein. Gehorche. 

TEULIER 

Ich bin nur dem Rat Gehorsam schuldig, nicht 
dir. Du wirst ihn zusammenrufen. 



SIEBENTE SZENE 101 

QUESNEL 

Was willst du tun? 

TEULIER 
Lass die Offiziere wecken; ruf jene, die auf den 
Mauern sind; rufe Verrat; rufe den Rat zusam- 
men. 

QUESNEL 
Du verdirbst dich und du verdirbst uns. Ueb^Iege, 
überlege! 

TEULIER 
Mein Elntschluss ist gefasst. Wenn du es nicht 
wagst, ich, ich werde sprechen. 

QUESNEL 
Nimm dich in acht, du wirst schuldig werden. Du 
willst deine Pflicht tun. Deine erste Pflicht ist zu 
siegen, uns zum Siege zu verhelfen. Wenn jetzt 
Verrat sagte, dass du ein Verräter seiest, so hätte 
Verrat recht. 

TEULIER 
Verurteile mich also, wenn du es wagst. 

QUESNEL 
Im Namen unserer Freundschaft, TeuUerl 

TEULIER 
Davon nichts mehr. 

QUESNEL 

(drohend) 

Bringe mich nicht zum Aeussersten. Ich werde dich 



102 ZWEITER AKT 

bekämpfen, Teulier, denn du wirst Böses anrieh^ 
ten. 

TEULIER 

(eigensinnig) 
Rufe Venat zurück. 

QUESNEL 
Unglücklicher, du wirst hier Mass, Zweifel, den 
Bürgerkrieg heraufbeschwören. 

TEULIER 
(mit verdichteter Heftigkeit) 
Gerechtigkeit, und wenn der Himmel einstürzt. 

Vorhang 



DRITTER AKT 



ERSTE SZENE 105 



ERSTE SZENE 

Derselbe Saal. — Morgen^ Dämmerung, — Rat 
der Offiziere Tvie im ersten Akt, nur d'Oy^ron und 
Verrat fehlen; aber die Offiziere sind nicht um 
den Tisch herum gruppiert. Nur einige: QuesneU 
Vidalot^ Chapelas sitzen. Die anderen stehen beim 
Kamin, mit ihren Mänteln auf den Schultern, oder 
gehen zwischen Fenster und Tisch auf und ab. 
Man merkt ihnen beständig an: die Beschäftigung 
mit dem, rvas draussen vorgeht, mit der Schlacht, 

die fortgesetzt wird. 

QUESNEL 

Bürger, zu meinem Bedauern und auf das Verlangen 
eines der Eiu'en, habe ich euch zu dieser frühen 
Stunde versammelt, um über eine dringende Sache 
zu entscheiden. 

DIE OFFIZIERE 

Neuigkeiten, Quesnel? — Ein Kurier von Cu- 
stine? — Eine Botschaft vom Konvent? — Ver- 
rat hat die Inseln erobert. Ich weiss, ich weiss, 
das war grossartig. — 

QUESNEL 
Es handelt sich um den Verurteilten. 

CHAPELAS 
Was? Wegen dieser Canaille hast du mich so eilig 
von Kastei kommen lassen? 



106 DRITTER AKT 



VIDALOT 
Tatsache ist, Bürger, wir sind so entsetzlich müde, 
dass man ims nicht hindern sollte zu schlafen, wenn 
wir es zufällig können. 

BUQUET 

Verflucht! Also deshalb! Deshalb! Man stört die 
Leute nicht so. Man braucht mich da unten. 

QUESNEL 

Es ist 5V2 Uhr. Man guillotiniert ihn in einer hal-^ 
ben Stunde. Eis war dringend. 

CHAPELAS 

Warum? Das Urteil ist gefällt, unterschrieben; 
alle Formalitäten sind erfüllt. Ist es notwendig, 
dass wir dabei sein müssen, wenn er drauf geht? 

VIDALOT 

(ohne zuzuhören) 
Oh! Dieser Verrat! Was sagst du zu ihm? 

BUQUET 

(ebenso) 
Wunderbar. Er hat Mainz gerettet. 

VIDALOT 

Die Preussen müssen an diese Stunde denken. Noch 
ein oder zwei Schläge von der Sorte und wir sehen 
sie wie Füchse in ihren Bau zurückkriechen. 

BUQUET 

Der kleine Jean-Amable hat Pech gehabt. 



ERSTE SZENE 107 



VIDALOT 
Ja, der anne Junge! Der Kopf weg durch eine Ku- 
gel, gleich als es losging. 

QUESNEL 

(gibt ein Zeichen zu schrveigen) 
Es sind neue Tatsachen seit gestern aufgedeckt 
worden. 

CHAPELAS 
Er hat gestanden? 

QUESNEL 

EÜn Mitglied des Rates behauptet, dass er unschul- 
dig ist. 

DIE OFFIZIERE 

Unschuldig! — Geht doch! — Wer sagt das? 

QUESNEL 

Ich überlasse ihm die Verantwortung für seine 
Meinung. 

TEULIER 

(steht auf) 
Bürger • • • 

CHAPELAS 
Ah! Teulier — natürlich. — Er musste etwas fin- 
den, um sich zu unterscheiden. 

TEULIER 

Bürger, ihr wisst, ob ich der Feind von d'Oyron 
bin. Gestern früh habe ich ihn angeklagt. — 
Aber gegen einen Feind ist man ebenso streng durch 



106 DRITTER AKT 



die Gesetze der Ehre gebunden wie gegen einen 
Freund. Was konnte ich tun, wenn der Zufall in 
meine Hände den Beweis seiner Unschuld spielte? 
Ersticken meinen Hass und ihnen das Mittel an- 
geben, eine Ungerechtigkeit wieder gutzumachen. 
(Ironische Rufe unterstreichen die Worte von Un- 
schuld und Ungerechtigkeit. Die Offiziere zucken 
die Achseln und hören mit gleichgültiger Ungläu- 
bigkcit zu. Einige von ihnen v^enden Teulier den 
Rücken und sprechen untereinander) 

VIDALOT 

Er muss immer das Gegenteil von dem behaup- 
ten, was alle sagen. 

ZWEI OFFIZIERE 

(hören die Kanonen) 
Verrat fängt die Schlacht wieder an. — Höre. — 
Das kommt von ihm. — Nein, das ist der Wind. 

CHAPELAS 

(verdriesslich zu Quesnel) 

Du hast also den Biirger Teulier über das, was 

vorgegangen ist, nicht auf dem laufenden gehalten? 

QUESNEL 
Ich habe ihm alles gesagt. 

CHAPELAS 
Kennt er den Brief? 

QUESNEL 
Ja. 



ERSTE SZENE 109 



GHAPELAS 
Aber hat er ihn gesehen? 

TEULIER 

Ja, ich habe ihn gesehen. 

CHAPELAS 
Und du findest ihn nicht genug belastend? 

TEULIER 

Der Brief ist von seinen Feinden gefälscht, um 
ihn zu verderben. 

DIE OFFIZIERE 

Ah! bravo, das hab* ich erwartet! — Das hat der 
Verräter gesagt. — Das kann man leicht sagen. 

TEULIER 

Ich kann es beweisen. 

CHAPELAS 

(ironisch) 
Die Preussen haben es dir gesagt? 

TEULIER 

Ich habe den Spion gefragt. 

VIDALOT 

Ejt hat vor uns allen ausgesagt. 

TEULIER 

Ejt hat mir die Wahrheit gestanden. 

CHAPELAS 
Woher weisst du das? 



1 10 DRITTER AKT 



TEULIER 
Die Beweise der Unschuld d'Oyrons sind in den 
Händen eines Offiziers. 

CHAPELAS 
(drohend) 
Du wärst in Verlegenheit, wenn du sagen solltest 
in wessen. 

TEULIER 

Ich werde es sagen. 

CHAPELAS 
Bah! — Und es ist? 

TEULIER 
Es ist Verrat. (Verblüffung^ ein Ambruch von 
Umvillen) 

CHAPELAS 

Das ist abscheulich. Bürgerdeputierter, man be^ 
schimpft uns, und du lässt es zu. 

QUESNEL 

Eis ist an euch, die Anklage anzuhören. Ihr wer^ 
det später richten. 

BUQUET 

Man hat nicht das Recht, einen der unsem zu be- 
leidigen. 

TEULIER 

D'03rron ist auch einer der unsem. 

BUQUET, CHAPELAS 

Ein Verräter! ein Aristokrat! 



ERSTE SZENE 1 1 1 



TEULIER 
Vor der Gerechtigkeit sind wir gleich. 

BUQUET 
Du wagst es, den Helden von Kostheim mit dem 
Elenden zu vergleichen, der uns ausgeliefert hatl 

CHAPELAS 
Eis ist eine Infamie, einen Abwesenden anzuklagen. 

QUESNEL 
Ich habe Verrat vorladen lassen: er wird sofort 
hier sein. Seid ruhig, wir werden ihn seinem An«' 
kläger gegenüberstellen. Aber es ist gut, wenn ihr 
vorher dessen Gründe hört. Lasst den Bürger 
Teulier sprechen. Wie immer auch meine persönli- 
chen Gefühle sind, meine Pflicht ist, beide Teile 
zum Wort konunen zu lassen. 

TEULIER 

Bürger, ich verstehe eure erste Bewegung leiden- 
schaftlicher Ungläubigkeit, und ich denke nicht 
daran, mich durch ihre Heftigkeit beleidigt zu 
fühlen. Ich selbst an eurer Stelle hätte zweifellos 
genau so gehandelt. Habt ein wenig Geduld. — 
Aber vor allem, da ich den Morgen hereinbrechen 
sehe, fordere ich dich auf. Deputierter, so- 
fortigen Befehl zu geben, die Hinrichtung aufzu- 
halten, bis die Verhandlungen, die vor euch ge- 
führt werden müssen, durch euer Urteil beendigt 
sind. 



112 DRITTER AKT 



BUQUET 

Wozu all dieses Geschwätz? Sag' uns in zwei Wor- 
ten das, was du willst, und machen wir ein Ende. 
Wir haben andere Dinge zu tun. 

CHAPELAS 
Das Urteil ist gefällt. Es ist kein Grund, nachzu- 
prüfen. 

EIN OFFIZIER 

Das hiesse: das erste Urteil umstossen. 

ANDERER OFFIZIER 

(zuckt gelangweilt die Achseln) 
Es ist doch unmöglich, dieses Verlangen zurückzu- 
weisen. 

QUESNEL 

(schreibt ein Wort und gibt es einem Unteroffizier) 
Befehl aufzuschieben. (Unteroffizier ab) 

TEULIER 

(stehend, immer sehr ruhig) 
D'Oyron ist unschuldig, (lärmende Zwischenrufe) 

TEULIER 

Hütet euch. Wenn ihr euch weigert, mich anzu- 
hören, werdet ihr schuldig. 

DIE OFFIZIERE 

(ausser sich) 
Beweise! Geh, gib uns deine Beweise und lass uns 
kämpfen! Hörst du nicht die Kanonen? 



ERSTTE SZENE 113 



TEULIER 
Eist die GCTffchtifljkrit 

BUQUET 
Haltst du dick für weniger fdilbar ab uns? 

TEULIER 
Damit beschäftige ick mick nickt Ick habe den 
Grundsatz, der gleickzeitig wissensckaftBck und rfr- 
publikanisck ist: nichb zuzugd>en, (4tne es gquAft 
zu haben und nur das zu glauben, was meine Ver- 
nunft als klar und unzweideutig eikennti 

DIE OFFIZIERE 

Ejt langwält uns. Es macht sich zu wichtig. 

BUQUET 
Glaubst du, die Vernunft ist ein Monopol der Mit- 
glieder der Akademie? 

VIDALOT 
Sei dir darüber klar, Bürger, dass die Aristokratie 
des Geistes ebenso hassenswert sein kann wie die 
andere Aristokratie. Wir sind alle gleich. 

CHAPELAS 

(zu Buquet) 
Ruhe, da unten. — (zu Teulier) Und du, eridäre 
dich. 

TEULIER 

(fährt ruhig fort) 

Wenn der Spion, auf dessen Zeugnis hin ihr 

d'Oyron verurteilt habt, euch jetzt bestätigte, dass 

RoUand, Die Wolfe S 



114 DRITTER AKT 



d'Oyron nicht schuldig sei, was würdet ihr sagen? 
Was würdest du sagen, Chapelas? 

CHAPELAS 
Ich würde sagen, dass er seinen Mitschuldigen ret- 
ten will. 

TEULIER 
Aber wenn er versichert, dass er die Beweise Ver- 
rat gegeben hat, und dass dieser, nachdem er sie 
hatte, ihm befohlen hat, zu schweigen, und ihm sein 
Leben als Preis für sein Schweigen versprochen 
hat? 

CHAPELAS 
Wenn er mir das ins Gesicht sagte? — Ich würde 
ihn erschlagen, wie einen Hund. 

(Die Offiziere stimmen Chapelas bei) 

TEULIER 

Venrat hatte nachmittag eine geheime Unterredung 
mit dem Spion. 

CHAPELAS 
In seinem Eifer für die Nation wollte er zweifel- 
los aus dem Gefangenen alle Auskünfte heraus- 
locken, die er für seinen Angriff von heute nacht 
brauchte. 

TEULIER 
Er verfügte sich dann zu Melchior Haupt, Profes- 
sdr in dieser Stadt, wo Schriftstücke, welche die 
Unschuld d'Oyrons bewiesen, hinterlegt waren, und 
hielt da eine geheime Hausdurchsuchung ab. 



ERSTE SZENE 115 



CHAPELAS 
Mit welchem Elrfolg? 

TEULIER 
Venrat unternahm seine Elxpediticm, ohne irgend- 
einem von seiner Untersuchung zu sprechen. 

CHAPELAS 
Weil sie erfolglos war. 

TEULIER 
Oder vielleicht zu erfolgreich. 

(Widerspruch) 

VIDALOT 
Was sagt Melchior Haupt? 

TEULIER 
Ich komme daher. Das Haus war leer, Melchior 
war verschwunden. 

BUQUET 
Und das sind alle deine Beweise! Und deshalb 
bringst du Unordnung in die Armee! — Aber du 
bist doch verrückt geworden? 

CHAPELAS 
Zeugen, die verschwinden, wenn man sie brauchtl 

TEULIER 
Der Spion ist da: ruft ihn; lasst ihn sprechen. Wenn 
Verrat kommt, stellt sie einander gegenüber. 

8* 



116 DRITTER AKT 



DIE OFFIZIERE 

Das ist unnütz. — Das ist impassend. — Verrat 
ist kein Verdächtiger, gegen den man das Recht 
hätte, diese Untersuchimg zu führen. — Sollen 
wir ihn so für seine Dienste lohnen? — Wir haben 
nicht nötig, uns diesen Burschen anzusehen. Wenn 
Verrat es wünscht, wird man ihn kommen lassen. 
Aber in Abwesenheit von Verrat und ohne seine 
Einwilligung bin ich dagegen. 

TEULIER 
Wenn ihr euch weigert, zu hören, wie werdet ihr 
je die Wahrheit erfahren? 

CHAPELAS 
Der Brief ist da. Ich will nichts weiter wissen. 

TEULIER 
Aber wenn der Brief gefälscht ist! — Du hast es 
gehört, Chapelas, — (du warst mit mir dabei) — 
wie d'Oyron selbst über die Schlingen klagte, die 
seine Feinde ihm unaufhörlich zu legen trachten. 

CHAPELAS 
Das soll ich gehört haben? 

TEULIER 
Gestern morgen. 

CHAPELAS 
Du träumst. 



ERSTE SZENE 117 



TEULIER 
Du hast ein kurzes Gedächtnis — Aber sei es, ndb- 
men wir den Brief vor. Seht ihr nicht, dass er lügt> 
Dass nur ein Feind, kein Freund von d'Oyron ihn 
geschrieben haben konnte? ( — Seht her, ich bitte 
euch. 

(Er zeigt den Brief Chapelas und einigen andern^ 
die ihn gelangweilt und gleichgültig ansehen. An- 
dere^ Buquet^ Vidalot, bilden eine kleine feindliche 

Gruppe) 

BUQUET 
(leise zu Vidalot) 
Sag mir, was für hteresse kann er daran haben, den 
Verräter zu entlasten auf Kosten Verrats. 

VIDALOT 
Ich weiss es nicht. 

BUQUET 
Wenigstens — sonderbar ist's. Der beste Kerl, den 
wir haben, ein Jakobiner, wie es keinen zweiten 
gibt, ein Marius, ein richtiger General Sansculotte, 
— und sich gerade ihn auszusuchen am Tage nach 
einem Siege, der alles übertrifft, was man je gesehen 
hat! 

VIDALOT 
Er ist eifersüchtig. 

EIN OFFIZIER 
Wahrscheinlich! Das ist die einzige Elrklärung. 



118 DRITTER AKT 

EIN ANDERER OFFIZIER 

Das ist nicht anständig. 

VIDALOT 
Man kann doch seine Unbescholtenheit nicht be- 
zweifeln? 

BUQUET 
Weiss man es je? Die Unbescholtenheit kauft man, 
wie alles übrige. Ein bisschen teurer, das ist der 
einzige Unterschied. 

(Jubelrufe dramsen) 

QUESNEL 
Was ist das für ein Lärm? 

(Ein Offizier geht am Fenster) 

DER OFFIZIER 

Verrat kommt. Man trägt ihn im Triumph. Die 
Soldaten jauchzen ihm zu. 

TEULIER 
Bürger, wir dürfen uns durch dieses Geschrei nicht 
beirren lassen. Die Beratung muss fortgesetzt wer- 
den. (Der Lärm wird stärker. Andere Offiziere 
gehen ans Fenster oder gegen die Tär^ die sich 
öffnet) 

ZWEITESZENE 

Verrat erscheint auf den Schultern zweier Jakobiner^ 
eine Blätterkrone auf dem Kopf^ schwarz^ zerzaust^ 
bärtige struppige mit Staub bedeckt^ in zerrissenen 



ZWEITE SZENE 1 19 



Kleidern^ überall durchlöcherU von Schmutz und 
Pulver befleckt. Soldaten umringen ihn^ schreiend 
und tanzend. Sie tragen ihre roten Mützen auf der 
Spitze ihrer Säbel oder Lanzen. Ein Kind springt 
voran^ stösst Schreie aus und wirft seine Mütze in 
die Luft. Ein Pfeifer spielt das ga ira. Durch die 
Tür sieht man eine grosse Menge^ die nicht herein 
kann. Die Jakobiner^ die ihn tragen^ machen untef 
albernen und übertriebenen Gesten mit ihm die 
Runde durch den Saal und enden damit^ dass sie 
ihn auf den Tisch setzen. Die Offiziere vom Rat 
sind aufgestanden^ ausgenommen Teulier^ der sich 
setzt. Quesnel zieht still seinen Hut ab. Verrat grässt 
mit dem blossen Säbel. 

DIE MENGE 

(schreit) 
Heil dem Retter von Mainz! General Verrat! Eis 
lebe der General Verrat! 

(Verrat gibt den Soldaten Zeichen^ ihn abzusetzen 

und ihn zu lassen) 

VERRAT 

Es ist gut, genug gebrüllt! Stellt mich her, ihr 
Lumpen, und räumt das Feld! Wir haben zu 
sprechen. (Die Menge verliert sicA, Verrat steigt 
vom Tisch herab) Bürger! Heil imd Sieg! Ich ha- 
be Wort gehalten. Der rote Main hat seinen Namen 
verdient. — Was wollt ihr von mir? Ich habe eben 
euem Befehl mitten im Kampf bekonunen. Ich habe 
alles im Stich gelassen, um euch meine Achtung 



120 DRITTER AKT 



zu bezeugen. Sprecht: ich bin zu eurer Verfügung; 
aber schickt mich bald ziurück: ich habe da unten 
noch Aibrit. Ich habe erst begonnen. Ich halte die 
Feinde an der Kehle; jetzt werde ich sie zur 
Ader lassen. 

QUESNEL 
(kühl) 
Wir bedauern, Bürger, dass wir dich mitten aus 
deiner Arbeit herausreissen mussten: aber wir wa-« 
ren dazu gezwungen. Deine Ehre ist angegriffen; 
es ist in deinem Interesse, wie in unserm, dass du 
dich ohne Verzug reinwäschst. 

VERRAT 
Wer? Ich? Man klagt mich an? Während ich 
mein Blut in Strömen fürs Vaterland vergiesse, gibt 
es irgendeinen, der gegen mich arbeitet? Und 
wessen beschuldigt man mich? Und wer? und wer? 
Wer ist dieser Schwein^und? 

QUESNEL 
Man behauptet, dass du Beweise für die Unschuld 
d'Oyrons besitzest, imd dass du sie unterschlagen 
hast. 

VERRAT 
Zum Teufel! Ich mochte wissen, wer dieser feige 
Schuft ist, dieser käufliche . . . Wo ist er? Wo 
ist er? Dass ich ihm ins Maul spucke, dass ich 
ihm seinen Kot um die Nase schmiere, dass ich 
ihn in Fetzen haue. Wo verbirgt er sich? Lasst ihn 
konmien. 



ZWEITE SZENE m 

TEULIER 
Ej ist hier. 

VERRAT 
Ahl — es ist? 

TEULIER 
Ich bin's. 

VERRAT 
Du? — Du foppst mich. — Wiederhole! — Das 
ist nicht möglich I — Ha! (er heuchelt einen 
Schrvindelanfall) Bürger, das ist zu viel für mich, 
seht ihr. Ein Freimd, zu dem ich alles Vertrauen 
hatte, ein Bruder, ein Kerl, an dessen Seite ich 
zwanzigmal gduunpft habe, — ich habe sein Le- 
ben gerettet! — Ejitschuldigt mich, das ist ein zu 
starker Schlag. E« wird vprüberg^en. — Wartet 

(er erhebt sich schäumend) Ah! Schmutz- 

hanmiel! Ah! Elender Hundsfott! — Aber nein, 
es ist besser, sich nicht zu erniedrigen, indem man 
auf solche Gemeinheiten antwortet. 

TEULIER 
Verrat« es fällt mir schwer, aber die Gerechtigkeit, 
verlangt es. 

VERRAT 
Ich verbiete dir, mich anzusprechen. Dein Fell 
bdcomme ich, das ist sicher. Aber antworten werde 
ich dir nicht. Wenn du nicht fürchtest, dir die Keh- 
le zu beschmutzen, du, Bürger-Deputierter, spricht 
Ich bin bereit. 



122 DRITTER AKT 



QUESNEL 
Venrat« Teulier klagt dich an, von dem Spion den 
zwingenden Beweis dafür bekommen zu haben, dass 
der Brief an d*Oyron ein Anschlag der Emigrier- 
ten gegen ihn war, imd anstatt ihn uns zu bringen, 
hattest du diesen Mann gezwuiigen, zu schweigen. 
Was hast du darauf zu erwidern? 

VERRAT 

Ich schwöre, dass ich das Land gerettet habe. 

QUESNEL 
Bürger, wir alle erkennen deine militärischen Tu- 
genden an; aber da eine bestimmte Anklage gegen 
dich vorliegt, so ist es wichtig, dass du darauf ant- 
wortest. 

VERRAT 
Nie! Niemals werde ich mich herablassen, um mich 
gegen diese infame Zumutung zu verteidigen. Ich 
werde diesen Fleck sofort im Blut dieses Verräters 
abwaschen. Aber mit ihm sprechen, imterhandeln, 
nein, das ist nicht meine Sache. Ich bin nicht wie 
er ein Phrasendrescher, ein Salonschwätzer, ein 
Conferencier für Aristokraten. Ich spreche nicht, ich 
handle. Die mich anklagen, sollen ihre Aermel hin- 
aufschlagen und mir in diesen Hof folgen! Das ist 
die Antwort, die ich ihnen geben werde. (Er zieht 
seinen Säbel und schlägt damit heftig auf den 
Tisch) 



ZWEITE SZENE 123 

TEULIER 
Ich werde dir folgen, Verrat; ich setze mein Leben 
gern ein. Aber vor der Genugtuung, die ich dir 
schulde, bist du der Gerechtigkeit eine schul- 
dig. Die Gerechtigkeit wurde zuerst beleidigt. Du 
bist ihr Achtung schuldig. Steck deinen hitzigen 
Säbel wieder ein und beantworte ihre Fragen wie 
der geringste der Untertanen. 

VERRAT 
(beisst sich wütend die Finger) 
Hört ihr den Jesuiten? Wie Milch und Honig fliesst 
es ihm aus dem Munde! Seine Galle ist zerplatzt. — 
Ich werde ihm nicht antworten. Die an mir zweifeln, 
sollen die Ufer der zwei Flüsse und ihre mit To- 
ten angefüllten Gewässer befragen. Während mein 
Mimd voller Verachtung schweigt, mögen meine 
Wunden für mich sprechen — (er reisst seinen 
Rock wnd sein Hemd auf) — meine Brust, rot von 
meinem Blut und dem der Feinde, meine Haut, 
vom Pulver geschwärzt, meine Haare vom Feuer 
versengt, meine aufgeschlitzten Kleider von Sä- 
beln zerfetzt I — Ich weiss, was ich wert bin, und 
ich spreche, wie ich es weiss. Bescheidenheit ist 
eine Tugend Schwachsinniger und buckliger Mäd- 
chen. — Bürger, ich fordere euch auf, zu erklären, 
dass ich mich ums Vaterland verdient gemacht habe. 
(Beifall der Offiziere) 

TEULIER 
Diese Art zu verhandeln ist unerträglich. Lass 



124 DRITTER AKT 



doch die Erinnening an die Dienste, die du dem 
Vaterland geleistet hast. Wir alle, Verrat, wir ha- 
ben uns verdient gemacht. Du hast deine Pflicht ge- 
tan: nichts mehr, als alle andern, die hier sind. Nicht 
einer geizt mit seinem Blute; hunderte unbekannter 
Kampfer sind so viel wert wie du: alle deine Sol- 
daten, alle die meinen, alle die, die jetzt in der deut- 
schen Elrde schlummern. Sei doch bescheiden imd 
. . . (er rvird unterbrochen durch die Protest- 
rufe der Offiziere) 

VIDALOT 
Der Neid erstickt ihn. 

BUQUET 
Deputierter, lass die nicht schänden, die dem Lande 
Ehre machen. 

QUESNEL 
Schweigt beide. — Die Anklage wurde hier öf- 
fentlich vorgetragen, und sie muss dem Angddag- 
ten bekannt gegeben werden. Ich stelle es ihm frei, 
zu antworten oder zu schweigen. Elr möge nur die 
Hauptsachen anhören. — Man gibt an, Verrat, 
dass du gestern eine geheime Haussuchung bei 
Melchior Haupt vorgenommen hast, um die Be- 
weise für die Unschuld d*03Tons zu finden, die 
der Spion dir bezeichnet hatte. — Ist das wahr? 
Hast du das getan? — Hast du irgend etwas zu 
erwidern und verlangst du Details? (Verrat^ der 
schnüffelnd und pustend^ mie als ob er Mähe hätte^ 



ZWEITE SZENE 125 

sich zu massigen^ Quesnel zugehört hatte^ wendet 
den Kopf plötzlich gegen Teulieff sieht ihn wild 
an, beschimpft ihn und wendet Quesnel den Rücken 
zu) 

CHAPELAS 

Welches Interesse hätte Verrat gehabt, d'Oyron zu 
verderben? 

TEULIER 
Seinen Hass gegen ihn. 

DIE OFFIZIERE 
(lärmen) 
Wir hassen ihn alle. 

VERRAT 
Ich stelle fest, dass nicht nur meine Ehre ange- 
griffen ist, sondern die aller Offiziere, die hier 
sind. 

TEULIER 
Nein, Verrat, lenke die Sache nicht ab. Ich klage 
nur dich an. 

VERRAT 
(wendet sich brüsk gegen ihn) 
Und ich, ich klage dich an. 

TEULIER 
Mich? 

VERRAT 
Ja, dich, du bist von d'Oyron bezahlt, um mich 
zu verderben. 



126 DRITTER AKT 



TEULIER 
Ich hasse dich nicht 

VERRAT 
Du behauptest, mein Freund zu sein und willst 
mich entehren. 

TEULIER 
Ich tue meine Pflicht. 

VERRAT 
Die Pflicht eines rasenden Himdes, eines giftigen 
Tieres, eines Heloten der Aristokraten. 

TEULIER 
Wirst du auf die Tatsachen, deretwegen ich dich 
anklage, nicht antworten? 

VERRAT 
Durch das Schwert, anders nicht. 

TEULIER 
Bürger, da es unmöglich ist, etwas aus diesem 
Manne herauszubekommen, da meine Worte und die 
seinen gleich verdächtig sind, verlange ich, dass 
man vor euch den Spion verhört. EiS wird genügen, 
die Wahrheit zu erfahren. 

CHAPELAS 
Wir verlieren hier unsere Zeit. 

TEULIER 
Ich bestehe darauf, dass man ihn hört. 



ZWEITE SZENE 1^ 

VERRAT 

Ja, bringt den Lumpenkerl her, dass ich ihn in 
Stücke zerhaue. 

TEULIER 
Elr ist nebenan. 

QUESNEL 
Lasst ihn kommen. 

(Ein Soldat geht. — Lärm der Stadt draussen. — 
Eine Kirchenuhr schlägt sechs. — Kanonendonner. 
— Murmeln der Menge. Musik von weitem. Takt- 
mässige Schritte) 

DIE OFFIZIERE 

Sechs Uhr. — Die Stunde der Hinrichtung. 

BUQUET 

(geht ans Fenster) 
Sie warten, dass man ihn bringt. Der Platz ist voll 
von Menschen. 

(Der Soldat^ dei den Spion holen gegangen isf, 
kommt zurück) 

DER SOLDAT 

Bürger-Deputierter. 

QUESNEL 

Nun, dein Gefangener? 

DER SOLDAT 

(ruhig) 
Er ist tot. (Erstaunen) 



128 DRITTER AKT 



TEULIER 
Was sagst du da? 

DER SOLDAT 

(k<ilU macht eine Geste) 
Erwürgt. 

QUESNEL 
Er hat sich umgebracht? 

DER SOLDAT 

Wahrscheinlich. (Teulier blickt auf den unemp- 
findlichen Quesnel und auf Verrat^ der grinst) 

VERRAT 

Das Vieh hat Angst gehabt. Es ist gut so. 

BUQUET 
Schöne Zeugen! Ein Toter luid ein Abwesender! 
(die Offiziere zucken die Achseln. Teulier^ einen 
Augenblick entmutigt^ erhebt sich) 

TEULIER 

(halsstarrig) 
Gleichviel. — Sein Tod bestätigt nur meinen Ver- 
dacht. 

VERRAT 
(versteht erst nicht recht) 
Was? Was? — (schreiend) verfluchter Hundsfott, 
ich bring* dich um. (er wirft sich auf Teulier mit er- 
hobenem Säbel. Die Offiziere trennen sie) Bürger, 
ich bin das Opfer eines entsetzlichen Anschlags. Ihr 
seht meinen Ankläger, diesen Banditen, (er zeigt auf 
Teulier) der zu den ärgsten Beschimpfungen sich 



ZWEITE SZENE 129 



herablässt, im Einverständnis mit Verrätern und 
preussischen Spionen. Wie sehr sie vor mir zittern, 
sie schrecken vor keinem Mittel zurück, mich 
zu verderben. Sie haben dieses Aas gekauft, 
unwürdig des Namens eines Franzosen. Ich 
hatte ihn bis jetzt geschont. Das Andenken an 
unsere friihere Freundschaft hat mich zurück- 
gdialten. Ich hätte ihn erwürgt, aber in Ruhe. 
Da er mich zum Aeussersten treibt, werde 
ich sprechen. Ich verteidige mich nicht mehr» ich 
klage an. Ich klage Teulier an, sich den Preussen 
verkauft zu haben, der Mitschuldige der Royalisten, 
der Feuillantisten, der Rolandisten und der Aristo- 
kraten aller Farben zu sein. Ich werde Beweise da- 
für bringen. Ich habe ihm nie getraut: seine Ver- 
achtung für die Patrioten, seine respektlosen Urteile 
über den Konvent, seine schamlose Bewunderung 
der Feinde, — alles an ihm ist verdächtig. — Und 
er kann deutsch! Ich werde es euch beweisen. Ich 
setze euch instand, zwischen ihm und mir zu ur- 
teilen. Einer von uns ist ein Verräter. Ich werde 
von hier nicht eher weggehen, als bis er verurteilt ist. 

TEULIER 
(sehr ruhige sehr fesU fnit innerer Wärme) 
Bürger, diese Flut von Beschimpfungen reicht nicht 
an mich heran. Ihr kennt mein Leben, das offen da- 
liegt. Ich bin arm, ich habe alles hinter mir gelassen, 
mein Amt, meine Ruhe, imd — was mir am teuer- 
sten war — meine Arbeit, um meine Kraft dem 
Rolland, Die Wölfe 9 



.jur . 



130 DRITTER AKT 

Lande zu weihen. Nie habe ich sie verkauft. 
Ich verlange keinen Titel. Ich war in elf 
Schlachten. Ich werde euch meine Haut voll Nar- 
ben nicht zeigen; das sind Prostituiertenkniffe. Ich 
schämte und ekelte mich schon genug, als ich an 
meine Dienste erinnerte. Ich hasse die Possenreisser. 
Und ich möchte weder meinen Körper noch mein 
Herz zur Schau stellen. Wir sind Männer, wir dür- 
fen uns nur der Vernunft fügen. Die Vernunft 
die Vernunft, die Vernunft. Wenn ihre Stimme er- 
tönt, kann niemand widerstehen. Sie ist es, der 
ich g^orche, der ich opfere, wenn*s sein muss, meine 
Freundschaften, meine Feindschaften, mein Le- 
ben. Auch ihr werdet sie hören. Ihr müsst sie hören. 
So begierig ihr seid» vor ihr davonzulaufen, sie wird 
zu laut sein, sie wird Gerechtigkeit schaffen. Klagt 
mich nicht etwa stolzen Dünkels an; ich will nichts 
für mich selbst. Die Wahrheit spricht durch mich. 
Jede Seele, die der Wahrheit einmal ins Angesicht 
gesehen hat und sie zu leugnen trachtet, begeht 
Selbstmord. Ihr könnt jetzt tun, was ihr wollt; alle 
eure Bemühungen, die Augen zu schliessen, nüt- 
zen nichts mehr; ihr habt gesehen; ihr wisst 
wie ich. Gehorcht wie ich. Gehorcht, wie schwer 
es euch auch fällt, weil es sein muss. (Eisiges 
Schweigen) 

QUESNEL 
Bürger, wollt Ihr, dass die zwei Parteien sich ei- 
nen Augenblick entfernen, damit wir beraten? 



ZWEITE SZENE 131 

CHAPELAS 
(der sich leise mit den Offizieren unterhalten hat) 
Ueberflüssig, Bürger-Deputierter, wir sind alle 
einig. Wir haben gestern nach bestem Gewissen 
geurteilt; wir haben keinen Grund, heute zu wider- 
rufen. Im Namen meiner Kollegen erkläre ich, dass 
nichts vorliegt, das Urteil abzuändern. Die Ge- 
rechtigkeit nehme ihren Lauf. — Und da alles 
dafür spricht, das Interesse des Landes wie die 
Menschlichkeit, dass die Qual des Verurteilten 
nicht noch mehr verlängert werde, bitten wir dich, 
Befehl zu geben, dass die Hinrichtung des Verrä- 
ters sofort erfolge. (Stille. — Quesnel schreibt k<^lt- 
blütigt ohne ein Wort zu sprechen^ eine Botschaft^ 
die ein Soldat übernimmt und sich entfernt) Eine 
andere Pflicht haben wir noch zu erfüllen. Einer der 
unsem ist angeklagt worden. Gezwungen, sich zu 
erklären, hat der Ankläger sich hinter beleidigenden 
und willkürlichen Voraussetzungen, bösartigen Ge- 
rüchten, grundlosen Anspielungen verschanzt. So 
hat er die Verteidigung dem Gerede ausgesetzt, 
den Sieg zerstört, die Armee in einer Kampfnacht 
beunruhigt, er hat gewagt, alles zu verderben» auf 
einen verbrecherischen Argwohn hin, der sich auf 
nichts stützte. E.S gilt, ein Strafgericht zu verhängen, 
um künftig zu verhindern — ... 

VERRAT 

Beunruhige dich nicht, Chapelas. Das übernehme 
ich, das ist meine Sache. 

9* 



132 DRITTER AKT 



CHAPELAS 
Das geht uns alle an. Wir alle wurden angegrif- 
fen; wir müssen solche Handlungen unterdrücken, 
die das Land zerrütten. Mit Rücksicht auf die 
Dienste, die Bürger Teulier geleistet hat, lassen 
wir die Anklage auf Verrat, die Verrat gegen ihn 
erhoben hat, fallen und erheben nur die, dass er 
sich durch Eifersucht und Hass zu verbrecherischem 
Argwohn hat verleiten lassen, der eines Soldaten 
unwürdig ist. Ihr habt zu entscheiden, Kameraden; 
was soll mit ihm geschehen? 

DIE OFFIZIERE 

Vor den Wohlfahrtsausschuss. 

CHAPELAS 

Du hörst es, Bürger-Deputierter. Unterwirf ihn 
dem Ausschuss, sobald es dir möglich ist. Ihm über- 
lassen wir es, über ein Schicksal zu entscheiden. 

BUQUET und VIDALOT 

(stehen auf und schnallen ihre Gürtel zu) 
Gut, seine Sache ist in Ordnung. Er wird uns nicht 
mehr lästig fallen. 

VERRAT 

Bürger, ich danke euch nicht. Ihr habt eure Pflicht 
getan, indem ihr die Gerechtigkeit verteidigt habt; 
aber ich beglückwünsche euch dazu, wieder einmal 
die Fallen der Aristokraten unschädlich gemacht zu 
haben. Ihr seht, in welchem Netz von Ver- 



/ 



ZWEITE SZENE 133 

« — ■,■■■■ ■ ■■■■-■-■,■■■■> Mi - ■ ■ ■— — —- — — — ■■■ ■■■■ ■ ■ II. ..I-W ■ ■ ■■ , 11 ■■»* ■ MIT- ^ ■ 

brechen wir verstrickt sind. Fest, Schulter aii 
Schulter, machen wir uns unsem Weg mit Beilschlä- 
gen frei. Mag uns Europa beschimpfen: wir wer-* 
den durch Donnerschläge antworten. 
(Heftiger Lärm der Menge draussen. Pfiffe und 
Hohngelächter) 

OFFIZIERE 

(am Fenster) 
Er kommt aus dem Gefängnis. 
Man erkennt ihn nicht mit dem geschorenen Haar. 
Wie arrogant die Canaille immer noch ist. 
(Stille. Die Offiziere stehen am Fenster. Verrat 
steht mit dem Rücken zum Publikum. Teulier und 
Quesnel bleiben am Tisch sitzen. — Quesnel un- 
bervegt^ undurchdringlich. — Teulier^ den Kopf 
in die Hände gestützt^ erregt^ erschüttert. — Man 
hört eine kräftige eintönige Stimme draussen lesen) 

BUQUET 

Man liest das Urteil. 

TEULIER 

(halblaut^ voll Ängste fleht Quesnel an) 
Quesnel — Quesnel — um Gottes willen! — ein 
Wort, — ein Wort genügt; — ich habe die Wahr- 
heit gesagt, du weisst es; du weisst es wohl, du. 

( Trommelwirbel) 

QUESNEL 

(steht auf^ entblösst den Kopf) 
Dem Vaterland! 



134 DRITTER AKT 



DIE OFFIZIERE 

(feierlich) 
Es lebe die Nation 1 

(Lärm der Menge draussen) 

VERRAT 
Und jetzt zum Siegl 

(sie gehen lärmend ab — Teulier bleibt wie fest- 
gervurzelt beim Tisch sitzen. Quesne/, als letzter^ 
kommt an ihm vorbei) 

QUESNEL 
Lebwohl Teulier, ich habe dich gewarnt. Du hast 
dir selbst geschadet. 

TEULIER 
(steht stolz und verächtlich auf) 
Beklage mich nicht I Ich stdie lieber hier als wo du 
stehst. 

QUESNEL 
Schande auf meinen Namen, aber das Land sei 
gerettet. 

Vorhang. 



Druck von Mänicke und Jahn in Rudolttadt 



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YB 393 I I