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I
■FP.OMTHE-LIBRARYOF-
• KONR.4D- BURDACH-
ROMAIN ROLLAND / DIE WÖLFE V!
ROMAIN ROLLAND
REVOLUnONSDRAMEN
HERAUSGEGEBEN VON
WILHELM HERZOG
VOM DICHTER AUTORISIERT
MÜNCHEN BEI GEORG MÜLLER 1914
ROMAIN ROLLAND^
DE WÖLFE
DEUTSCH VON
WILHELM HERZOGE
MÜNCHEN BEI GEORG MÜLLER 1914
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Wilhelm Herzog.
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Drei-Masken-Verlag G. m. b. H.
München, Karlstrasse 21.
HUBDAOH
COPYRIGHT1914BY GEORG MÜLLER MÜNCHEN
AN CHARLES PfiGUY
DIE WÖLFE
HOMO HOMINI LUPUS
PERSONEN:
Quesnel, Kommissär des Konvents, 6o Jahre.
Dick, vollblütig, gichtig, mühselig gehend; die
Gesichtszüge aufgeblasen, die Miene schläfrig,
aber das Auge ist lebhaft und streng, mit unge-
stümen Ausbrüchen des Zorns.
T e u 1 i e r, Kommandant, Mitglied der Akademie
der Wissenschaften. 40 Jahre. Kalt, korrekt, ge-
pflegt, vom Kopf bis zu den Füssen zugeknöpft,
in einem langen Ueberrock mit der Trikolore;
die Haare sehr kurz. Sehr gross, sehr gerade, hat
er das Aussehen eines energischen und für Augen-
blicke fanatischen Puritaners. Elr spricht mit
schneidender Stimme ohne Gesten.
Verrat, Kommandant, Schweineschlächter. 40
Jahre. Rote Haut, sdur blonde Haare, bürsten-
förmig geschnitten; ungeheuerer Kopf; grobe,
beringte Ohren; athletisch; mächtiger Rücken;
haarige Hände mit abgenagten Fingern. Zer-
lumpt. Ej: wettert und flucht und schlägt beim
Reden mit der Faust auf den Tisch.
D'Oyron, Kommandant, ehemals Adliger. 50
Jahre. In einer gesuchten Tracht, die absticht
von den andern; die Haare lang und gepudert;
mager, klein, steif, ironisch und stolz.
Chapelas, General. 45 Jahre. Ein Krämer ohne
besondere Merkmale, ausser seiner zielsicheren
Miene.
M3434Ö6
8 PERSONEN
V i d a 1 o t, Brigadenführer, Stallknecht. 35 Jahre.
Er spricht schwer mit einer teigigen Zunge und
unter einem fetten und plumpen Lachen.
B u q u e t, Hauptmann. Anwaltsschreiber. Kaum
30 Jahre. Munteres, lebhaftes und grimassieren-
des Wesen.
Jean-Amable, Unterleutnant. Kaum 20 Jah-*
re. Kleiner Bürger mit gesunden Kinderwangen
und einer fröhlichen Ueberfiille.
Der Spion, ein rheinischer Bauer.
Der Gastwirt.
Offiziere, Soldaten und Menge.
Die Szene: in Mainz, ^793* ^^ ^^^ grossen Saal
des Hotels zum König von England, welches dem
Ceneralstab als Hauptquartier dient.
Links: eine Tür. Rechts: zwei Türen, von denen
eine, eine Doppeltür, nach einer Treppe zu aufgeht.
Im Hintergrunde ein grosses Fenster mit Aussicht
auf die Bäume eines Platzes. In einer Ecke ein gros"
ser Ofen aus gerötetem Steingut. An den Wänden
Anschläge, Proklamationen, republikanische Bilder.
Auf den Tischen: Karten, Papiere, Lebensmittel,
Säbel. Die doppelte Unordnung eines übel geführ-
ten Wirtshauses und eines Feldlagers nach der
Schlacht.
Während des ganzen Dramas hört man — in
den stillen Augenblicken — von ferne Kanonen-
und Gewehrschüsse oder die Schritte der Truppen
auf der Sirasse, Musik* Gesang, Kommandorufe, —
kurz: das unaufhörliche Summen einer belagerten
Stadt. Das ist die Atmosphäre des Stückes.
ERSTER AKT
ERSTE SZENE 13
ERSTE SZENE.
Die republikanischen Offiziere sind zum Rat vet"
sammelt unter dem Vorsitz des Volksvertreters
QuesneL *— Lärmende Versammlung. Quesnel be-
müht sich vergeblich^ sie zu beruhigen. — D*Oyron^
kalt und ironisch^ sitzt etwas abseits von den andern.
DIE OFFIZIERE
(lärmen)
Wir sind verraten I
QUESNEL
Friede, Bürger, Friede . . . (seine Stimme verliert
sich im Lärm).
VERRAT
(schlägt auf den Tisch)
Custine hat uns verraten.
QUESNEL
Nichts berechtigt uns . . .
VERRAT
(lauter)
Custine hat uns verraten. Elr hatte versprochen,
Mainz zu vertridigen. Er hat uns durch den Feind
die Zufuhr abschneiden lassen. Jetzt überlasst er es
uns, wie wir herauskommen. Elr wird uns krq>ieren
lassen, ohne etwas für unsere Rettung zu tun.
QUESNEL
Ruhe, Ruhe. Was haben wir zu fürchten? Mainz
14 ERSTER AKT
ist uneinnehmbar. Wir sind für Monate versorgt.
Glaubt ihr, dass der Konvent, ohne sich zu rüh-
ren, die beste seiner Armeen, das Palladium Frank-
reichs, zerschmettern lässt? — Geduld. Ihr kennt
Custine gut. Der alte Teufel hat mehr als ein Mit-
tel in der Tasche. Wer weiss, ob er nicht ganz
nahe ist? Vielleicht schwebt er in diesem Augen-
blick über dem Feind und wählt sein Opfer. Wenn
die Stunde gekommen ist, wird er darauf herab-
stürzen, wie der Adler auf seine Beute.
VIDALOT -
Custine ist weit und vergisst uns.
BUQUET
Der General Moustache spielt den schönen Mann
in ürgendeiner kleinen deutschen Stadt. Elr stolziert
mit Frauen umher; er drechselt schöne Reden.
VERRAT
Custine schreibt Briefe, die Sklaverei atmen. Cu-
stine ist ein Aristokrat wie alle Aristokraten.
Custine verrät — ^ wie Dumouriez verraten hat,
(wendet sich rasch gegen d*0^ron) — wie d'Oy-
ron verraten wird.
D'OYRON
(steht auf)
Bürger, niemand hat das Recht, an meinem Bür-
gersinn zu zweifeln.
ERSTE SZENE 15
VERRAT
Alle Aristokraten sind gleich. Sie denken nur dar-*
an, die Republik zu erwürgen. Keine Adeligen
mehr an die Spitze unserer Truppen 1 Durch ple-
bejische Talente muss man diese auf den Misthau-
fen der Höfe verfaulten Canaillen ersetzen. Wir
brauchen Generale, die in ihren Adern kein ver-
dorbenes Blut haben. Setzen wir die ehemals
Adeligen ab, und wir werden triumphiert haben.
D'OYRON
(kalt und fest)
Statt ins Leere hin^ zu deklamieren, sieh mir ins
Gesicht. Ich bin der einzige ehemals Adelige im
Generalstab. Eis geht gegen mich? Sag* es ohne
Umschweife.
VERRAT
Ich kaue nicht die Worte. Ja, du bist es, den ich
meine. Ich fordere, dass du deines Grades entklei-
det, in den Rang eines gemeinen Soldaten gesteckt,
streng überwacht und geköpft wirst, sobald du dich
rührst.
QUESNEL
Schweig, Kommandant Verrat, du hast uns deinen
Willen hier nicht aufzudrängen. — Du hast dem
Bürger d'Oyron nichts vorzuwerfen. (Die Offi-
ziere murren.) Wir dürfen die Verbündeten nicht
entmutigen. Wir brauchen alle Kräfte, um zu
siegen.
\i> ERSTER AKT
TEULIER
(der allein im Lärm schweigend und unbeweglich
geblieben ist)
Nein, Deputierter.
QUESNEL
Was, du auch, Teulier! Du, der du ein vernünf-
tiger Mensch bist, der du mir selbst gesagt hast,
welche Vorteile man sich durch die militärische Er-
fahrung der Aristokraten verschaffen könnte.
TEULIER
Seitdem habe ich sie in der Nähe gesehen. Sie tun
uns mehr Böses als Gutes. Weniger zahlreich, wer-
den wir stärker sein. Die ärgsten Feinde sind die
warmen Freunde, die streiten und kritisieren, ohne
blind zu glauben. Ich traue den Aristokraten nicht.
Mach was du willst aus d*Oyron; ich, ich habe
ihn an der Arbeit gesehen; ich habe genug.
QUESNEL
Kannst du dich über ihn beklagen?
TEULIER
Ich habe es dir gesagt. Ohne ihn wär«i Kaikreuth,
der preussische Prinz imd das ganze Räubemest
meine Gefangenen.
D'OYRON
Teulier hat keine guten Ausreden. Seine Pläne wa-
ren unmöglich. Ich hatte es immer gesagt.
TEULIER
Was sprichst du von unmöglich? Ein republika-
ERSTE SZENE 17
nischer General soll nie mit der Natur rechnen
Alles, wozu ich mich entschlossen hatte, habe ich
auch ausgeführt. Mit meinen zweitausend Mann
habe ich diese Nacht den Feind überrascht und
die ganze feindliche Armee umgangoi; ich bin bis
zu den Türen des grossen Genoralstabsquartiers ge«
drungen. Wenn du gekommen wärst, wie ich es dir
befohlen hatte, hätte ich ohne Kampf, mit einem
grossen Netzwurf den ganzen schlafenden preussi-
schen Generalstab weggetragen.
D'OYRON
Eis war nicht schwer, zu gehen, aber zurückzukom^
men. Du hast dich toll in den Rachen des Wolfs
geworfen; es hat wenig gefehlt, und er hätte sich
über dir geschossen. Wenn ich es nicht auf mich
genommen hätte, deine Pläne zu verbessern und
die Aufmerksamkeit des Feindes abzulenken, indem
ich einen andern Punkt angriff, wärst du nicht
nach Mainz zurückgekommen.
TEULIER
Dein gleichzeitiger Angriff ist nur eine versteckte
Flucht. Du musstest dich mit mir vereinigen, was
immer es dich kostete.
D'OYRON
Wenn ich dir blind gefolgt wäre, so wäre ich mit
dir in derselben Falle zerquetscht worden.
TEULIER
Wenn du mit den Preussen im Einverständnis ge-*
Rolland, Die Wolfe 2
18 ERSTER AKT
wesen wärst, du hättest nicht anders handehi kön-
Ben.
D'OYRON
(zuckt die Achseln)
Ich habe deine Armee gerettet.
TEULIER
Du hattest einen vorgezeichneten Plan. Du hättest
ihm folgen sollen, ohne um eine Linie abzuwei-
chen.
D-OYRON
(ironisch)
Der Bürger Teulier glaubt sich immer in seinem
Fauteuil in der Akademie der Wissenschaften. Er
bildet sich ein, dass sich die Wirklichkeit gehorsam
den Ziffern und Figuren der Geometrie fügt. E.S
wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass die
Wirklichkeit seinen Ideen einen Nasenstüber gibt.
TEULIER
Jeder starke Wille unterwirft die Natur seiner
Vernunft. Eine bis in die Details von einem hellen
und entschlossenen Geist berechnete Handlung ist
bereits zu mehr als dreiviertel vollendet.
D'OYRON
(sarkastisch)
Er glaubt, dass die Menschen Hebel sind und nicht
launenhafte Tiere, die immerwährend vom vorge-
schriebenen Weg abweichen.
ERSTE SZENE 19
TEULIER
Deine vielleicht; denn du gibst ihntsk das Beispiel
von Laune und Disziplinlosigkeit. Die wahren Pa-
trioten haben keinen Willen, sie haben dsa der
Nation.
D^OYRON
Du kannst sie nicht verhindern zu sehen, dass sie
einer Niederlage entgegengehen.
BUQUET
Gib mir Bajonette und Brot, und ich verpflichte
mich, durch die Welt zu kommen!
TEULIER
(zu d^Ojfron)
Sie haben nichts vorherzusehen. Ihr Chef hat ihnen
gesagt, dass sie siegen müssen. Sie sollen sehen,
dass sie gehorchen!
D'OYRON
Das Mittel, um ihnen die Augen zu schliessenl
VERRAT
Mach sie mit Branntwein betrunken und fahre ih-
nen zwei Battereien vor ihrem Hintern auf.
TEULIER
(unzufrieden zu Verrat)
Es gibt andere Mittel.
VERRAT
Man miisste sich schämen! Da unten geben sie ihren
Sklaven ein Getränk aus Belladonna.
2»
20 ERSTER AKT
CHAPELAS
Ein Gemisch von Sulfat und Schwefel.
VERRAT
Sic machen sie toll» bevor sie sie gegen uns W
lassen.
D^OYRON
(zuckt die Achseln)
Gasconnadenl
VERRAT
Ist es nicht offenbar? Sie müssen den Verstand
verloroi haben, um uns zu bekämpfen.
TEULIER
Behalten wir unsem. Unsere Stärke besteht darin,
freie und bewusste Menschen zu sein; riihren wir
nicht daran. Wenn wir einen Rausch für unsere
Leute brauchen, genügt die Marseillaise.
D'OYRON
Das ist unsinnig! Man hat nie den Krieg so ge-
führt.
VERRAT
Zum Henker 1 Er glaubt sich immer auf dem
Schlachtfelde von Capetl Ejt knickert mit den
Schmelzen und dem Leben der Leute wie zu den
Zeiten, wo die gekrönten Räuber mit Söldnern
Krieg führten. Sie hüteten sich damals wohl, die
Haute, die sie so viel gekostet hatten, den Kugeln
auszusetzen.
ERSTTE SZENE 21
D'OYRON
Ist die Haut der Sansculotten billiger?
TEULIER
(mit kahler^ beherrschter Begeisterung)
Ja, D'Oyron, das Leben ist hier billig. Wir alle
opfern es gem. Gib es hin, ohne zu rechnen, wenn
die Nation es fordert.
D'OYRON
Du weisst gut, dass ich für mich nichts fürchte und
dass ich das Leben der Soldaten nicht mehr schone
als ein anderer. Aber ich kann den Unsinn nicht er--
tragen, ich zucke die Achseln, wenn ich gegen alle
Kriegsregeln handeln sehe, wie man es hier seit
zwei Monaten tut.
TEULIER
Kriegsregeln! Man macht sie in diesem Augen^
blick. Eis gab nichts vor uns. Wir erneuern die
Welt und den Krieg wie alles Uebrige.
D'OYRON
(kreuzt die Arme und sieht einem nach dem an-
dern frech ins Cesicht)
Ich bewundere euch. Ihr beschäftigt euch mit
Krieg seit genau einem Jahre; und du möchtest,
Bürger Akademiker (er wendet sich an Teulier) —
und du, Bürger Advokatenschreiber (er sieht Bu-
quet an) — oder du Bürger Metzger, (er wendet
sich an Verrat) — Ihr wolltet alte Füchse wie
Kaikreuth und Brunswick lehren, die unter dem
22 ERSTER AKT
Harnisch weiss geworden sind und Friedrich ge-
kannt haben!
QUESNEL
Eis scheint mir, dass wir nicht schlecht angefangen
haben.
VERRAT
Wird dieser Prahlhans uns noch lange vorschwat"
zen?
BUQUET
Sei ruhig, wir werden sie die Carmagnole tanzen
lehren; und wenn ihr Friedrich da wäre, würde
der alte heuchlerische Affe hoher springen als die
anderen. Unsere Violinen sind gestimmt.
TEULIER
Wir werden sie einen neuen Krieg lehren, von
dem ihre schüchterne Routine und ihre trocknen
Berechnungen sich nichts träumen lassen. Wir be^
halten das Geheimnis nicht für uns, denn wir sind
sicher, dass niemand ausser uns von dieser furcht-
baren Gabe Gebrauch machen wird.
D'OYRON
Worin besteht dieses Geheimnis?
TEULIER
(zeigt mit dem Finger auf eine Proklamation)
Ea steht hier und über allen unseren Akten: Frei-
heit, Gleichheit oder der Tod.
D^OYRON
Das ist eine schöne Taktik 1
ERSTE SZENE 2J
TEULIER
(dieselbe innere und düstere Aufregung^ die nach
und nach stärker rvird)
Der Tod. Verstehst du, Bürger. Adliger von
gestern? Den Tod als Ziel und Mittel, und nicht
mehr die kalten Schachpartien, die ruhigen und
korrekten Spiele, die schönen Kapitulationen! Der
Tod am Ende des Duells, das zwischen uns und
den verfluchten Eindringlingen in unser Vaterland
begonnen hat. Der Tod für sie oder für uns; viel-
leicht für beide. Und wenn wir nicht mehr sein
werden, werden andere Armeen aus unseren Ge-
beinen auferstehen, um zu sterben und zu töten,
bis die Freiheit die Tyrannen weggefegt hat.
CHAPELAS
Du lächelst, d'Ojnron. Findest du das so albern?
D'OYRON
(verächtlich)
Ich will mich gerne töten lassen, aber ich will nicht
lächerlich sein.
TEULIER
Das Vaterland ist in Gefahr, und er bewundert
sich im Spiegel.
QUESNEL
(versöhnlich)
Vorwärts, Bürger, streiten wir nicht länger. Sollen
gute Sansculottenkerle nicht immer ihre natürli-
chen Sympathien und Antipathien dem Interesse
der Nation unterordnen?
24 ERSTER AKT
TEULIER
Burger-Deputierter, du sprächest wahr, wenn
ich nicht durch Ejrfahnmg gesehen hätte, dass
man nichts Gutes und Grosses ausführen kann
ausser unter Leuten, die sich achten und an das-
selbe glauben. Das ist nicht unser Fall: trenne un-
sere Aufgaben. Um Heldentaten zu vollführen,
muss man ein gläubiges und glühendes Herz ha-
ben. Unsere Väter sagten, mit Glauben geht man
über die Wasser. So sprachen sie vom falschen rö-
mischen Glauben. Der republikanische Glaube ist
noch mächtiger. Er geht durch Feuer und Tod und
erschafft die Welt neu imter jedem seiner Schritte.
Aber damit er all seine Tugend behält, muss man
jene aus unserer Mitte entfernen, die nicht fähig
sind, seinen brennenden Hauch auf ihrer Stirn zu
fühlen. D*03rron ist zu aristokratisch und aus einer
zu blasierten Gesellschaft, um unsere Begeisterung
zu verstehen. Er soll sie wenigstens nicht durch sei-
ne Zweifel stören; dass er die Kraft imsrer Solda-
ten nicht schwäche. Es gibt andere Dinge, mit de-
nen du ihn beschäftigen kannst.
QUESNEL
Ich wünsche mir nichts Besseres, als jeden bei den
Aufgaben zu beschäftigen, die für ihn passen. Bür-
ger d'Oyron, da du eine so stolze Verachtung für
den Krieg, den wir führen, zur Schau trägst, zeig*
uns endlich, was in deinem Bauche rumort, und
was du willst.
tRSTTE SZENE 25
D'OYRON
(gehässig)
Beauftrage mich, einen Streich gegen das Lager
der Emigrierten zu führen.
QUESNEL
Gegen die Emigrierten? Wzurum gerade gegen die
Elmigrierten?
D'OYRON
Was hast du dagegen einzuwenden?
QUESNEL
Nichts. — Es schien mir, dass ein Adliger von
gestern wie du . . . das ist nicht dein Platz. —
Uebrigens, das ist deine Sache.
D'OYRON
Das ist mein Vergnügen. — (Nach einer Pause)
Wenigstens sind es Gegner, die sich nach den Re-
geln schlagen.
QUESNEL
Wie's dir beliebt. Später jedoch. Heute gibt Ver-
rat das Fest.
CHAPELAS
Musik wird nicht fehlen.
VERRAT
Diese Nacht nehme ich Kostheim und die Main-
inseln.
QUESNEL
Du bist immer noch entschlossen?
26 ERSTER AKT
VERRAT
Beim Teufel!
QUESNEL
Du weisst, was du wagst?
VERRAT
Hat dir d*Oyroii seine Bedenken eingeimpft?
QUESNEL
Tu» was du willst. Du selbst hast diesen gefähr-
lichen Plan entworfen. Du hast mir versprochen,
zu siegen: tu dein möglichstes und vergiss nicht,
dass nach solchen Tagen der Konvent die Kopfe
der Befehlshaber erspäht, um sie mit dem Lorbeer-
kranz zu krönen, oder
VERRAT
(macht eine Geste)
Oder ihnen eine rote Krawatte umzubinden. Sei
ruhig, es wird der Kranz sein.
QUESNEL
Man wird fingierte Angriffe an allen Stellen im
Umkreis ausführen, um dir deine Aufgabe zu
erleichtem.
VERRAT
Ich brauche niemanden. Ich will — mit wem im-
mer — weder Vergnügen noch Gefahren teilen.
ERSTE SZENE 27
QUESNEL
(trocken)
Ich habe mich nicht um deine Eitelkeit» sondern um
das Interesse des Landes zu kümmern.
VERRAT
Du verdächtigst meinen Wunsch, grosse Dinge zu
vollführen?
QUESNEL
(der seit k^zem Schmerzen zu haben scheint^ r»ird
nervös und reizbar)
Ihr seid alle grosse Kinder, vom Stolz aufgebläht.
Ihr könnt nicht dulden, dass ein anderer an euren
Taten teilhat Vorwärts, gehorcht! — Zum Teu-
fel! es muss sich doch jeder damit abfinden, ds^
auch andere als er fürs Vaterland sterben.
CHAPELAS
Du bist in verteufelt schlechter Laune.
QUESNEL
Verflucht, ich glaub's wohl. Ich möchte dich mit
meiner Gicht sehen. Ich leide wie ein Besessener seit
heute morgoi durch das Luder! (nach
einer Pause — in einem Ton^ der keinen Wider"
Spruch duldet) Eis ist also beschlossen. Du, Teulier,
wirst den ganzen Tag von dieser Seite der Befesti-
gungen diePreussen durchScharmützel undAusfälle
in Atem halten, als ob du den Plan von heute nacht
28 ERSTER AKT
nicht aufgegeben hättest. Nütze es, wenn du
kannst, um dich mit Venrat am andern Ufer des
Mains zu vereinigen. — Und ihr andern, Friede,
nicht wahr? Keinen Streit mehr. Denken wir ans
Vaterland. — Vorwärts, Einigkeit, Donnerwetter,
Einigkeit! Oder Achtung auf den Kopfl Vereini-
gen wir uns, um dieses Gesindel zu zerschmettern!
(Et geht mühsam ah. Die Mehrzahl der Offiziere
zerstreut sich)
ZWEITE SZENE
D*Oyron^ Teulier^ Verrat^ Chapelas. — Offiziere
kommen und gehen während der ganzen Unterhal-
tung. (Nicht vergessen^ während all dieser Gespräche
die Aufregung der Armee und der Belagerung spü-
ren zu lassen.)
D'OYRON
(ironisch)
Ich liebe diese Friedensworte im Munde des
alten Teufels. Ja, die Einigkeit im Hass, die ein-
zige, die uns gefällt. Ohne den verächtlichen Feind,
der uns lungibt, würden wir uns untereinander ver-
schlingen, wie eine Herde Wölfe, denen die Weide
fehlt.
TEULIER
Man möchte sagen, dass diese grausamen Vorstel-
lungen dir Freude machen.
ZWEITE SZENE 29
Homo homini lupm: das ist alt wie die Welt.
D'OYRON
Warum soll ich mich darüber wundem? Ich ver-'
abscheue den Hass nicht, und ich bekomme ihn
hier zu kosten. — Wie ihr eifersüchtig seid! —
Nehmt euch in acht: wenn ich nicht mehr da wäre,
ihr würdet euch untereinander zerfleischen.
TEULIER
Du lästerst. Nie hat sich ein anderes Gefühl als ein
edler Wetteifer zwischen meinen Waffenbrüdern
und mir erhoben. Wir lieben unsem Ruhm; und
wenn wir einander übertreffen wollen, so ist es fürs
allgemeine Wohl.
D'OYRON
Geht doch, ich kenne euch. Ihr tut, als ob ihr
einig wäret. Aber es braucht nur eine Gelegenheit,
um alles zum Ausbruch zu bringen, was in euch
angehäuft ist von Aerger, Groll, kleinen Eifersüch-
teleien gegeneinander. Wenn ihr nicht so beschäf-
tigt wäret, würdet ihr alles sehen, was euch trennt.
Aber der Feind beschiesst uns; und überdies habt
ihr in diesem Augenblick nur Augen für das, was
mich vor euch auszeichnet. Ihr könnt mir nicht
verzeihen, dass ich von einer andern Rasse bin.
TEULIER
(ruhig)
Du irrst dich, d'Oyron. Da ich keinen Unterschied
in der Geburt eines oder des andern Wesens kenne.
30 ERSTER AKT
kann ich dir wegen deiner Abstammung nicht böse
sein. Du bist es, den ich nicht liebe, und ich habe
es dir immer ins Gesicht gesagt. Ich liebe die Ari-
stokraten nicht, die ihre Partei verleugnen, ohne die
Tugenden und die Seele eines Patrioten zu haben.
D'OYRON
Was für ein Pfand wollt ihr denn für meinen
Bürgersinn? Habe ich mir je eine Gelegenheit ent-
gehen lassen. Beweise dafür zu erbringen. Fordere
sie eher von der Armee der Fürsten.
TEULIER
(mit einer Spur von Verachtung)
Eis ist wahr, du hast deine alten Freunde nie ge-
schont.
D'OYRON
Missfällt dir das etwa?
TEULIER
Vielleicht. — Ich hasse sie. Wir alle haben Grund,
sie zu hassen. Aber du, deine Rolle ist das
nicht; wer zwingt dich, sie zu übernehmen? So-
eben hat dich niemand gezwungen, dich zu dieser
Expedition anzubieten. — Uebrigens sollte ich mich
seit dieser scheusslichen Verfolgung durch die Ar-
dennen nicht mehr wundern. Trauriges Schauspiel!
Der ganze alte Ruhm des Vaterlandes — d'Har-
court, Vauban, Castries — in die Wälder gejagt,
von den Bauern verfolgt, von ihren Verbündeten
verraten, wahnsinnig vor Schande und Furcht, vor
ZWEITE SZENE 31
unsem Truppen fliehend unter strömendem Regen,
in elende Lumpen gekleidet, vom Fieber befallen,
verzehrt, sterbend vor Elrmüdung und Hunger, der
bei jedem Schritt im Schlamm der Gräben und in
den blutigen Pfützen die Elenden röcheln liess wie
kreierende Tiere. Und unter ihnen diese Frauen, die
nicht mehr versuchten, zu fliehen, in ihrer Not wei-
nend, verzweifelt, mit Schlamm bedeckt, von Unge^
ziefer zerfressen, ihre Comrkleider beschmutzt, zer-
rissen, Lumpen ähnlich. — Mein ganzer Hass fiel
von mir vor so viel Unglück. Meine Soldaten, plötz-
lich still geworden, gingen vorbei und wandten die
Augen weg, um diese Unglücklichen in Frieden
sterben zu lassen.^ — Aber du, du wütetest gegen sie.
Alles, was noch zuckte, alles, was noch leiden konn-
te, alles, was noch für die Guillotine gut genug
war, liessest du in Wagen einpferchen; und du
höhntest die Frauen wegen ihrer schmutzigen
Wäsche, wegen der Löcher in ihren Kleidern, und
wegen ihrer schlotternden Haut, die man durchsah.
(Verrat lacht)
D'OYRON
Du bist gefühlvoll, Teulier. Wenn du in ihre
Hände gefallen wärst, sie hätten weniger Rücksicht
genommen. Du weisst nicht, was für böse Herzen
in den üppigen Busen dieser wohlgenährten
Klatschbasen schlummern. Als Elrasmus von Con-
tades die Strohhütten in den Ardennen anzünden
liess, da lachten sie mit vollem Mund, die Nied-
32 ERSTER AKT
liehen, deren kleiner Hintern dich vor Mitleid wei-
nen macht
VERRAT
Darin hat er recht. Ich hebe mir mein Mitleid für
würdigere Objekte auf.
CHAPELAS
Für plebejischere Reize!
VERRAT
Du spottest, Chapelas. Lache nicht; auch ich bin
Mensch; es gibt kein empfindsameres Herz, als mei-
nes. Aber ich bin schamhaft, ich zeige es nicht
nackt.
D'OYRON
(zu Teulier)
Man sieht deutlich, dass du nichts zu rächen hast,
Teulier. Ich wage mehr als ihr hier. Ich werde sie
töten, oder sie werden mich töten. Du weisst nicht,
mit welch wildem und raffiniertem Hass sie mich
verfolgen. Mein Bruder ist der erbittertste. Es ver-
geht keine Woche, ohne dass ich von ihnen Schmäh-
schriften voll gemeinster Bosheit bekomme, Ren-
dezvous von Frauen, um mich in Fallen zu locken,
Briefe, imi mich zu kompromittieren, allerlei teuf-
lische geschickte Elrfindungen. Du kennst nicht die
Macht des Bösen, das in einem Aristokraten steckt.
TEULIER
Ich kenne alles Verdorrte und Grausame im Her-
zen eines Aristokraten. Wenn ich die Elrfahrung
ZWEITE SZENE 33
nicht schon längst gemacht hätte, würde ich sie heu««
te, indem ich dich ansehe, d'Oyron, machen.
D'OYRON
(ironisch)
Er rechnet es mir zum Verbrechen an, dass ich der
Republik diene I Würdest du mich lieber in der
Armee Condes sehen?
TEULIER
Ich liebe Renegaten nicht.
D'OYRON
Eis ist schwer, euch zufrieden zu stellen. — Lies
Corneille wieder. Rät er nicht, die Seinen dem Va-
terland zu opfern?
TEULIER
Du machst dich lustig über mich; aber ich bin nicht
dein Narr. Ich verstehe dein Spiel. Keine republika-
nische Ueberzeugung erklärt deine Grausamkeit.
Du verabscheust die Aristokraten, aber du bist
selbst Aristokrat. Nicht dem Lande, deinem Ehr-
geiz zu dienen, kamst du zu uns . . . Nimm dich
in acht, Catilina, ich wache.
D'OYRON
Glaube nicht, dass du mich einschüchterst; auch
ich kenne dich. Was hat dich bewogen, deine Bü-
cher, deine Arbeiten, dein Leben im Laboratorium
aufzugeben? Was, wenn es nicht der Wunsch wäre»
andern zu befehlen, einen Säbel an der Seite zu
tragen, die Hoffnung, zu herrschen? Ich weiss, was
Rolland, Die Wölfe 5
34 ERSTER AKT
ich von der Uneigennützigkeit der Wissenschaftler
zu halten habe. Eis sind die ärgsten Ehrgeizigen,
die traurigen« immer unzufriedenen Ehrgeizigen,
die nicht zu gemessen verstehen, die sich niemals
Zeit nehmen, sich irgendwo festzusetzen, die im-
mer Gelüste haben, deren Geist immer unruhig ist,
immer neidisch auf alles. Die gefährlichsten von al-
len; denn sie vermischen ihre Interessen mit den
grossen Ideen, für deren Repräsentanten sie sich
halten.
TEULIER
(anfangs ruhige nach und nach erhitzt er sich)
Ich verlange nichts für mich, d'Oyron. Wenn ich
nicht getötet werden sollte, — und meine geliebte
Republik unser nicht mehr bedarf, werde ich zu
meinen ruhigen Studien zurückkehren. Aber so-
lange der Eindringling das Vaterland bedroht,
wird die Wissenschaft der Tat Dienerin sein. Eis
genügt nicht, Ideen zu haben. Man muss sie leben-
dig machen, man muss dafür sorgen, dass sie auf Er-
den in freien Geistern, losgelöst von Lügen, herr-
schen. — Freiheit, unsterbliche Freiheit, du bist von
uns ausgegangen; die Wissenschaft hat dich, zittern-
der, schwacher und bedrohter Funke, einst entzün-
det. Oh, der Wissenschaft gebührt das Recht, dich
heute zu verteidigen, deine Fackel der Armee
voranzutragen, Licht, das die Nacht erleuchtet, in
der sich Europa bdcämpft, — Sonne der Vernunft!
ZWEITE SZENE 35
D'OYRON
Du sprichst viel von Freiheit; ihr alle führt ihren
Namen im Munde. Wer weiss? Vielleicht werde
ich sie eines Tages gegen euch verteidigen.
TEULIER
Ich weiss, du tätest es gern; du liebst die Freiheit
so sehr, dass du sie unterdrücken würdest, wenn
du könntest.
VERRAT
Ich fürchte nichts. Die Freiheit ist eine starke Dir-
ne; sie braucht andere Zärtlichkeiten, als die eines
Gecken.
D'OYRON
(grob)
Du meinst, dass sie eine Metzgerhaut in Versuchung
führt?
VERRAT
Donnerwetter! (er greift nach seinem Säbeln d^Oy-
ton tut dasselbe)
TEULIER
(hält sie zurück)
Keine Schlägerei zwischen uns.
D'OYRON
(steckt seinen Säbel ein; — ironisch und ki^hl)
Oh! glorreicher Krieg, in dem man von einer drei-
fachen Reihe von Feinden umgeben marschiert —
wo die Soldaten die Schlünde ihrer Kanonen auf
3*
36 ERSTER AKT
ihren Rücken gerichtet fühlen, — wo die Anführer
den Schauder der heiligen Guillotine an ihrem Hals
spüren — wo die Waffengefährten im Voraus mit
eurem Tod rechnen — wo das gegenseitige Miss-
trauen die allgemeine Sicherheit verbürgt! — Hier-
her muss man die Blasierten schicken, die den Ap-
petit verloren haben. Welcher Genuss am Leben,
wenn es bedroht ist! — Wer von ims wird zuerst
sterben? Wer von ims wird als erster den Kopf
der andern haben? (er geht ah)
DRITTE SZENE
Teulier^ VerraU Chapelas.
CHAPELAS
ZumTeufel mit seiner Frechheit, seinen ironischen
imd aufreizenden Reden! Ich habe bis an den Hals
davon genug.
TEULIER
Sein Stolz macht ihn in einem Masse unvorsichtig,
dass er sich besser überwachen sollte.
VERRAT
Er hört nicht auf, mich herauszufordern. Wir ha-
ben eine alte Schuld miteinander zu ordnen. Dieser
Tage mache ich mich an der Bestie bezahlt.
TEULIER
Das ist ein gefährlicher Mensch. Keine Aufrichtig-
DRITTE SZENE 37
keit und ein zynischa Mut, zu jedem fragwürdi-
gen Unternehmen bereit ....
CHAPELAS
Kein Zweifel; er ist ein Feind, den die Verhält-
nisse gezwungen haben, sich mit uns zu verbinden.
TEULIER
Und welche Verhältnisse! Gründe, die man — so-
viel ich weiss — kaum gestehen kann. Betrügereien;
ein Hürchen, das ihm sein Bruder wegschnappte,
der Wunsch, sich zu rächen, gleichviel um welchen
Preis, mit welchen Mitteln.
CHAPELAS
Das Väterland ist in Gefahr, aus allem Holz müs-
sen Bogen geschnitzt werden. — Lassen wir's, er
arbeitet für uns. Wenn wir ihn nicht mehr brau-
chen, werden wir ihn abschütteln.
TEULIER
Nehmen wir ims in acht, dass er uns nicht zuvor-
kommt. Ich habe seit einiger Zeit Verdacht ....
VERRAT
Verdacht?
TEULIER
Ja, eine kaum bestimmbare Unruhe.
VERRAT
Sprich doch.
TEULIER
Nein. Eis ist unrecht, davon zu sprechen. Nichts
Begründetes; ein persönlicher Eindruck.
38 ERSTER AKT
VERRAT
Das genügt, um ihn vor den Konvent zu bringen.
TEULIER
Dazu habe ich nicht das Recht. Ich habe keinen
Beweis gegen ihn.
VERRAT
(zuckt die Achseln)
Beweise? Braucht man Beweise, wenn man seine
Ueberzeugung hat?
TEULIER
Ich habe keine Ueberzeugung ohne Beweise.
VERRAT
(dasselbe Spiel)
Das ist gut. Sobald der Augenblick gekonunen
ist, hast du mir nur ein Zeichen zu geben. Ques«
nel soll mir ihn nur bei einem meiner Anfälle mit-'
geben.
TEULIER
Warum?
VERRAT
Das ist eine verdammt mörderische Gegend, wo
ich meinen Spaziergang mache. Vielleicht kommt
eine intelligente Kugel imd ordnet die Sache.
TEULIER
("will ihn nicht verstehen)
Was sagst du, Verrat? (er sieht ihn starr an)
VIERTE SZENE 39
VERRAT
(roh^ seinen Blick aushaltend)
Nun, was? — Du siehst nicht, dass ich scherze?
TEULIER
(nach einer Pause)
Man muss immer gerecht handeln, Verrat.
Bei Gott!
VERRAT
(zuckt die Achseln)
(Pause)
TEULIER
(im Abgehen)
Es ist Zeit, dass ich gehe. Ich werde euch wahr-
scheinUch vor morgen früh nicht wiedersehen. Viel
Glück, Kameraden.
VERRAT
Heil und Siegl
(Teulier geht ab)
VIERTE SZENE
Verrat^ Chapelas,
CHAPELAS
(sieht Teulier nach)
Der ist ein guter Patriot und ein Gelehrter, wie
man sagt. Aber man fühlt sich nie zu Hause mit
ihm. Ejt ist kalt und spröde; unmöglich, familiär zu
werden. Er hält sich reserviert, er lacht niemals, er
40 ERSTER AKT
erzählt nicht, was er treibt; man weiss nicht einmal,
wer seine Mätresse ist. Ich habe es nicht gern, dass
man sich immer so überwacht. Wenn man unter
Kameraden ist, muss man sich frei gehen lassen!
zum Teufel!
VERRAT
Da steckt noch der alte Aristokrat in ihm. —
Siehst du, Chapelas, alle diese Leute, die Bücher
durchstöbern, sind keine wahren Sansculotten, nicht
waschecht, keine Volksfreunde, wie wir. Sie glau-
ben sich überlegen; und dennoch möchte ich gern
wissen, wie sie ohne uns fertig würden. — ^ Wenn
es nach Teulier ginge, müsste man warten, bis man
Flammen sieht, und dann erst Feuer rufen. —
Das ist die ängstliche und dumme Art dieser
Männer der Wissenschaft zu urteilen. Sie haben
keinen Sinn fürs Wirkliche. Man braucht vielleicht
solche Leute, um das Papier zu beschmieren, um
Gedanken auszubrüten; aber wenn man nur sie
hätte, lun das Gröbste wegzukehren, die Nation
liefe Gefahr, im Schmutz zu verfaulen. — Sieh die-
sen Schuft d'Oyron. Er ist verdächtig: man kann
ebensogut sagen: verbrecherisch. Elr ist eines Ver-
rates fähig: das ist soviel, als ob er ihn schon be-
gangen hätte. Was fehlt? Die Tat, die Feststellung
der Tat. Das heisst, man müsste warten, bis das
Uebel unabänderlich ist, um es zu verhindern? —
Nein. — Schliesslich .... Eis genügt, wir sind
da.
FÜNFTE SZENE 41
FÜNFTE SZENE
BuqueU Jean-Amable^ Vidaloi und die Vorigen*
(Drei Soldaten schleppen und stossen einen Bau-
ern^ der stöhnt. — Ein paar junge Offiziere fol-
gen ihnen aus Neugierde.)
SOLDATEN
Vorwärts, Preusse. Willst du wohl vorwärts gehen,
Kujon?
VERRAT
Was gibt's da?
EIN SOLDAT
Der Bürger-Deputierte ist nicht hier?
VERRAT
Elr ist leidend, in seinem Zimmer; er ruht aus. —
Ein Spion?
DER SOLDAT
Ja, Kommandant. Wir haben ihn d>en angehal-
ten. Er war zum Frankfurter Tor hereingekommen;
er hat Tauben verkauft. Dem Brigadier ist etwas
aufgefallen, er hat ihn ausgefragt. Der Dummkopf
hat sich verwirrt; man hat ihn durchsucht, und hier
siehst du, was man bei ihm gefunden hat. (er gibt
Verrat einen Pack Briefe)
VERRAT
(nimmt die Briefe)
Gib her. — Vom preussischen Generalstab? Nun,
die Rechnung stinmit.
42 ERSTER AKT
JUNGE OFFIZIERE
(nähern sich)
Briefe, Verrat? Lass uns sehen.
VERRAT
(hat die Briefe durchflogen^ schlägt mit der Faust
auf den Tisch. Er wird puterrot und schreit, ausser
sich vor Freude)
Hai Donnerwetter! ha! hal ha!
CHAPELAS
Nun, was hast du?
VERRAT
(schreiend)
Nichts. — Ich hab*s! Ich hab*s!
CHAPELAS
Was?
VERRAT
(wie früher)
Nichts, sag' ich dir. — Quesnel, wo ist Quesnel?
(er brüllt vor Lachen) Ha! Ha! Es gibt einen
hundsföttisch guten Kerl von Gott, für jene, die
nicht an ihn glauben! (Er stürzt zu Quesnel, indem
er lärmt und lacht, plumpe Gesten macht und Stühle
und Menschen auf seinem Wege beiseite stösst. In
dem Augenblickt da er durch die Türe will, wen-
det er sich um — rot, mit aufgedunsenem Gesicht,
apoplektisch, und zeigt auf den Bauern) Pass* auf
das Schwein auf! Tayaut!
SECHSTE SZENE 43
CHAPELAS
Elr ist besoffen.
(Verrat tritt bei Quesnel ein, lässt die Türe hin-
ter sich zufallen^ und Chapelas folgt ihm).
SECHSTE SZENE
Der Bauer und die Soldaten, die ihn bewachen. Bu"
quet, Jean-Amable^ Vidalot. (Gegen Schluss der
Unterhaltung kommen nach und nach noch andere
Offiziere, einzeln oder zu zweien, so dass der Raum
gefüllt ist, wenn Verrat mit Quesnel zurückkehrt.)
BUQUET
(zum Bauern)
Nun, mein Alter, du hast dich also fangen lassen?
DER BAUER
(stöhnend)
Lasst mich fort.
BUQUET
(lacht laut)
Gleich, gleich.
DER BAUER
Ihr werdet mich gleich weglassen?
BUQUET
Ein Augenblick, zimi Teufel! Eis ist noch nicht
zwei Minuten her, dass du bei uns bist. Und schon
langweilst du dich?
44 ERSTER AKT
DER BAUER
Ihr werdet mir nichts Böses antun?
BUQUET
Aber nein. Man wird dir den Hals abschneiden,
ohne dass du es merkst.
DER BAUER
Meine guten Herren!
BUQUET
Wie! was! was macht er denn für Geschichten?
(der Bauer iveint ivie ein Kind)
JEAN-AMABLE
(voll Widerwillen)
Puh! (wendet ihm den Rücken)
BUQUET
(küfnfnert sich nicht mehr um den Bauern)
Nun! Jean-Amable, du warst also bei dem Ausfall
heute nacht mit?
JEAN-AMABLE
(mit kindlicher Freude)
Oh! Das war so lustig, Fortune! Denk dir, dass wir
quer durch die ganze feindliche Armee gekommen
sind, ohne dass sie das geringste merkte. Einmal be^
gegneten wir Kavalleriepatrouillen, — du weisst,
roten Husaren. Wir riefen ihnen das Losungswort
zu. Sie hielten uns für Bauern, die beauftragt wa«
ren, in der Nacht das Getreide zu mähen. — Und
das Phlegma von Teulierl Elr plauderte fünf Mi-
SECHSTE SZENE 45
nuten lang mit einem preussischen Offizier, ohne
dass der andere irgend etwas bemerkte. Indessen
umzingelten die Kameraden das Dorf und dran-
gen in die Häuser ein. Ahl Ohne diesen Dummkopf
von Bonin, der viel zu früh losschoss, hätten wir sie
im Bett gefangen. Kaikreuth ist im Hemd entflohen.
Ich habe ihn gesehen. Ich habe ihn verfehlt.
BUQUET
Du solltest dich dessen nicht riihmen.
JEAN-AMABLE
Oh! Nun, es ist beinahe ebenso lustig wie das
hier.
BUQUET
Du bist in einem schönen Zustand.
JEAN-AMABLE
Nun ja, wir haben die Hecken übersprungen. Und
dann habe ich einen Säbelhieb bekommen, — den
ersten, Fortune!
BUQUET
Deine Eltern würden schönen Urm machen, wenn
sie ihren Benjamin sähen, ihr verwöhntes Püppchen,
mit dieser Schramme.
JEAN-AMABLE
Es ist doch wenigstens nicht hässlich?
BUQUET
Und du bist nicht verbunden? Du hast dich nicht
gelegt, als du zurückkamst?
46 ERSTER AKT
JEAN-AMABLE
Warum? Ich bin ein Mann wie die andern.
BUQUET
Ein Mann! ein junges Mädchen, dem seine Mutter
noch vor sechs Monaten den Kaffee ans Bett ge-
bracht hat.
JEAN-AMABLE
Fortune, ich verbiete dir ... •
BUQUET
Nun, nun, sei nicht böse, du hast keinen Grund,
so rot zu werden wie ein Hahnenkanmi. Ich finde es
sehr gut, dass ein kleiner Bürger so kühn anfängt,
kaum dass er von den Rockfalten seiner Mutter los-
gekommen ist; arme, gute Frau! Sie konnte ihn kei-
nen Schritt ausserhalb des Hauses tun sehen, ohne
ihm nachzulaufen und ihm sein Tuch imi den Hals
zu binden.
JEAN-AMABLE
(reisst seine Krawatte herunter)
Zum Teufel!
BUQUET
Nim, du willst jetzt mit blossem Hals gehen, aus
Trotz?
JEAN-AMABLE
Wenn*s mir passt.
(sie lachen)
SECHSTE SZENE 47
VIDALOT
Seine Eltern würden ihn nicht wiedererkennen.
BUQUET
Und was möchte erst mein Chef sagen, der Anwalt,
wenn er mich hier mit diesem grossen Säbel und
mit diesen Tressen sähe? — Wenn ich daran denke,
dass ich zu dieser Stunde in Amiens über ein Pult
gebeugt sitzen könnte im Arbeitszimmer von Maitre
Lasseret, damit beschäftigt, in Rundschrift den
Quark der Parteien niederzuschreiben, zur Zerstreu-
ung von Zeit zu Zeit die Aussicht durchs Fenster-
gitter auf irgendeine alte Betschwester, die zur Kir-
che geht!
VIDALOT
Und ich, ich würde den Kot im Hotel zur goldenen
Kugel auskehren und ihn dann mit einem Schub-
kanen auf den Düngerhaufen schütten.
BUQUET
Statt dessen marschieren wir dem Vaterland
voran, haben wir unsere Kanonen an die Ufer des
Rheins gebracht, und die Hundemeute der Tyran-
nei soll nur konmien imd sich die Zähne an im-
seren Säbeln ausbeissen I
VIDALOT
Ja, das ist ein tolles Abenteuer, das uns in dieser
Stadt vereinigt hat (wo man nicht einmal den ver-
fluchten Jargon versteht), und das Europas Skla-
ven vor uns zittern macht«
46 ERSTER AKT
JEAN-AMABLE
Sag, dass dies eine berauschende Freude ist. Frei
sein, ein freies Land verteidigen, das einzige
freie in Europa, — sich als Herren fiihlen, wie Kö^
nige über ein zu Boden geschmettertes Europa da-
hinschreiten, die Seele entlastet von jeder Furcht,
von jedem Vorurteil, umarmen diese grosse Welt«
die uns gehört, die Ketten der Völker brechen, über
seinem Kopf nur diesen schönen Himmel wissen,
befreit von der erdrückenden Lüge Gottes ! — Wer
hat je eine Wollust, der unsem gleich, gekannt?
BUQUET
Unsere Feinde ahnen sie und fangen an, uns zu be--
neiden, seitdem sie mit Sanskulotten beisammen wa-
ren. Weisst du, was Kaikreuth gesagt hat? „Das
Ende der Welt ist nahe. Jeder dieser Jakobiner
spricht, als ob er König wäre.'
••
JEAN-AMABLE
Könige der Welt, er hat recht! Es gibt nichts, das
nicht uns gehört. Alles ist für uns da: es handelt
sich nur darum, es zu nehmen.
SIEBENTE SZENE
QuesneU VerraU Chapelas kommen aus dem Zim-
mer ^ VetraU immer noch aufgeregU mit dem Aus-
druck ivilder Freude. Quesne/, von heftigem Zorn
SIEBENTE SZENE 49
gepeinigU der die Briefe in seinen Händen zittern
lässt.
BUQUET
Seht den Biirgerdeputierten und Veirat! Wie sie
aussehen! EiS gibt etwas Ernstes . . .
QUESNEL
(sehr erregt)
Wo ist d'Ojrron?
BUQUET
Bei seiner Geliebten wahrscheinlich, der Tochter
des Friedensrichters, nie des Hommes- Armes.
QUESNEL
Zwei Offiziere: Vidalot, Buquet. Gehtl Bringt ihn
sofort her. Lasset ihn nicht weg, noch mit irgend
jemandem — gleichviel unter welchem Vorwand —
sprechen.
JEAN-AMABLE
Was gibt*s denn? (Vidalot und Buquet gehen)
QUESNEL
Die Tat eines Schurken ! Wo ist der Mann, der diese
Briefe gebracht hat>
VERRAT
Hier.
DIE OFFIZIERE
(bewegt^ unruhig)
Was ist geschehen, Bürger? — Verrat, ernste Nach-
richten? — Was, sind wir verraten? — Wir sind
verraten?
Rolland, Die Wölfe 4
50 ERSTER AKT
QUESNEL
(ohne zuzuhören zum Bauern)
Schuft, hoie.
DER BAUER
Gnade!
QUESNEL
Wer hat dir diesen Brief gegeben?
DER BAUER
Vergebt mir! Gnade!
QUESNEL
Antworte!
DER BAUER
Der Major von Zastrow.
VERRAT
Der Adjutant des preussischen Königs?
DER BAUER
Ja.
QUESNEL
Wie oft hat er dir schon solche Botschaften über-
tragen?
DER BAUER
Eis ist ztun erstenmal, dass ich geschickt wurde.
Gnade! Ich werde es nicht wieder tun.
CHAPELAS
Zum Teufel I Das hast du nicht nötig, uns zu sagen.
VERRAT
Du wirst dich nicht zum zweitenmal damit befassen.
SIEBENTE SZENE 51
DER BAUER
Werdet ihr mich umbringen?
VERRAT
Ein wenig, mein Kleiner.
(Der Spion macht verzweifelten Lärm)
QUESNEL
Holla ! Hör' auf zu brüllen, EUel der du bist. Wuss-
test du nicht, was du wagst? Antworte. — Woher
kanntest du d'Ojrron?
DIE OFFIZIERE
(ausrufend)
D'Oyron! Es ist d'Oyron!
QUESNEL
Willst du antworten? Ich lasse dich schlagen, bis
dir die Knochen brechen.
DER BAUER
Bringt mich nicht um, meine guten Herren.
QUESNEL
Du hast ein schmutziges Metier und bist dessen nicht
einmal würdig. Du bist nicht einmal das Blei wert,
das man dir morgen in den Körper feuern wird.
VERRAT
Seit wann war der Verräter in Korrespondenz mit
den Preussen?
(Der Bauer sinkt zusammen^ stöhnt wie ein altes
Weiht halb ohnmächtig. Die Offiziere gehen ihm
Fusstritte)
4*
52 ERSTER AKT
VERRAT
Nichts aus diesem Misthaufen herauszubekommen.
Er ist halbtot vor Furcht. Tragt ihn fort. Elr wäre
nur im Weg.
(Man schleppt den Bauern wie einen Sack Tpeg)
DIE OFFIZIERE
(lärmend)
So, d'Oyron, d'Oyron, er korrespondiert mit ih-
nen!
QUESNEL
Ja, ein Brief des preussischen Generalstabs. Der
Elende verriet uns seit Wochen. (Wütender Lärm^
aus dem man nur einzelne Silben verstehen k<^nn:
— die Leute ausser sich, B?ie Wahnsinnige^ ges/i^u-
liefen^ reissen sich die Haare aus, heulen, sind pU"
terrot)
ACHTE SZENE
Die Vorigen, ausser dem Bauern, Vidalot und Bu"
quet kommen mit d^Oy^ron zurück»
BUQUET
(kommt als erster, öffnet die Türe)
Er war ganz nahe von hier. Wir trafen ihn auf einem
Spaziergang.
(Quesnel gibt Zeichen, dass der Tumult sich bc-
ruhigt» Der Lärm hört für einige Sekunden auf, ge^
rade Zeit für d*0^ron, zwei Sätze zu sprechen)
ACHTE SZENE 53
D'OYRON
(überrascht)
Was geht hier vor? Da bin ich* Bürger, (er
Vfird durch eine Flut von Beschimpfungen unter-
brochen)
D'OYRON .
(versteht im Anfang nichts erblasst dann)
Was? was sagt ihr? In Teufek Namen! (zu Ques-
nel) Bürger, bring sie zum Schweigen! Ich fordere
dich auf, sie zum Schweigen zu bringen! Ich ver-
lange die Erklärung und die Bestrafimg dieser Be-
schimpfungen, (zu den Offizieren) Mag einer von
euch aus der Reihe treten und es wagen, das zu
wiederholen !
JEAN-AMABLE
Verkauft! Verräter! Preusse!
D'OYRON
(packt ihn bei der Gurgel)
Widerrufe! Widerrufe! (alle Offiziere ziehen gegen
ihn vom Leder und entreissen Jean-Amable seinen
Händen. — Verrat und Quesnel legen sich ins Mit-
tel. Der Hotelier und die Angestellten drängen sich
entsetzt in die Tür und sprechen unverständlich mit-
einander)
QUESNEL
Ruhe! Ruhe! Höre, Venäter! Und ihr, Bürger»
seid ruhig. Hier ist der Brief, den ein Spion des
Königs von Preussen dem Kommandanten d'Oyron
brachte.
54 ERSTER AKT
D'OYRON
(brüllt)
Das ist falsch.
QUESNEL
(liest)
«»Geehrter Herr Chevalier! Mit aufrichtiger Freude
spreche ich Ihnen unsere Befriedigung über die
Aufrichtigkeit Ihrer Versprechungen aus und über
die Wirkung Ihrer guten Dienste. Es hätte wenig
gefehlt und unser Generalstab wäre ohne Sie in der
Falle dieser Nacht gefangen worden. EiS scheint
mir doch, dass Sie uns etwas früher hätten benachr
richtigen können. Nichtsdestoweniger, dank Ihrem
tüchtigen fingierten Angriff auf Bretzenheim und Ih-
rer geschickten Flucht will ich gern anerkennen, dass
Sie ims aus ernstlicher Verlegenheit geholfen haben
und ims ein Schach erspart haben, dessen Folgen
sehr ernst gewesen wären. Ich versichere Ihnen gern,
dass der König, mein Herr, die so wertvollen Dien-
ste im Andenken behalten, und dass er sich
dafür edcenntlich zeigen wird, sobald die Zeiten
ruhiger werden und der Sieg gesichert sein wird.
Fahren Sie fort, uns zu helfen und uns zu benach-
richtigen. Vertrauen. In kurzer Zeit werden die Ge-
rippe der Königsmörder auf den Mauern unseres
armen Mainz klappern. Sie können mir durch den-
selben Boten antworten. Er ist ganz sicher. — Ge-
zeichnet: Von Zastrow."
ACHTE SZENE 55
D'OYRON
(der nicht aufgehört hat^ sich mit unverständlichem
Schreien zu Tvehren, brüllt)
Das Ist falsch, das Ist falsch! Alles ist falsch und
absurd! Man will mich verderben! (die Offiziere
lärmen)
VERRAT
Das Ist das, was Teuller sagte. Elrinnere dich an
heute Morgen. Er beklagte sich, dass er verraten
würde.
QUESNEL
Ja du hast recht, Verrat. Er hat es wirklich ge-
sagt. Ich hatte nicht darauf geachtet; er lässt sich
leicht fortreissen; ich habe es seinem Zorn zuge-
schrieben.
CHAPELAS
Und das dauert schon wochenlang! . . . (man hört
Lärm von der Menge dr aussen)
QUESNEL
Was denn?
EIN OFFIZIER
Das Gerücht hat sich schon in der Stadt verbreitet.
DER HOTELIER
(bestürzt zu Quesnel)
Bürger, sie zerschlagen alles, sie wollen herein, sie
wollen den Kopf des Verraters.
56 ERSTER AKT
QUESNEL
Bewacht die Türen. Ruft die Grenadiere. Verjagt
die Menge. Der Gerechtigkeit freien Lauf.
DIE MENGE
(brüllt dr aussen)
An die Laterne! (Man sieht Soldaten vorbeiziehen
und man hört den Lärm eines Kampfes)
VERRAT
Elr konrnit nicht bis ins Gefängnis; er wird unter-
wegs zusammengehauen.
QUESNEL
Schliesst ihn in das Nebenzinmier ein. Zwei Män-
ner mit ihm, die ihn nicht eine Minute aus den Au-
gen lassen. Bindet ihn. Man muss verhindern, dass
er sich umbringt.
(Man bringt d*0^ron D;eg, der vor Wut und
Schrecken schäumt und zittert, die Augen treten ihm
aus dem Kopf rvie einem Wahnsinnigen. — Die
wilde Beivegung legt sich mit einem Schlag, Alle
scheinen erschöpft, Totenstille. Man hört den Mann
im Nebenzimmer sich wehren und schreien)
QUESNEL
(k^z)
Der Rat soll wieder zusanunentreten. Eilt! Benach-
richtigt alle Mitglieder. Ihr andern lasst uns allein.
— Teulier. Holt ihn.
VERRAT
Teulier ist nicht mehr hier. Du hast ihm eine Order
ACHTE SZENE 57
gegeben. Elr ist ausserhalb der Verschanzungen. Elr
wird erst in der Nacht zurückkehren.
QUESNEL
Gleichviel, wir können nicht warten; die Stadt weiss
bereits alles. Eis wird auch so gehen; wir haben ge-
nug Zeugen gegen ihn. — (Sehr ernsU sehr trattrig)
Bürger, bevor wir beginnen, ein Wort: Denken
wir nur an das Land, vergessen wir alles übrige!
Freundschaften und Feindschaften müssen schwei-
gen, wenn die Gerechtigkeit spricht — Und jetzt
beraten wir.
Vorhang
ZWEITER AKT
ERSTE SZENE 61
ERSTE SZENE
Dasselbe Zimmer. ' — Nacht. — Teulier kommt
zurück» Der Wirt.
DER WIRT
Ah! Bürger, bist du zurück? Man hat dich nicht
so früh erwartet.
TEULIER
Ja, das ist ein unentschiedenes Spiel. Ich wollte
Mombach nehmen: die Feinde waren benachrichtigt,
der Teufel weiss, woher! Ich musste zurück. Wir
fangen morgen von neuem an.
DER WIRT
Die Feinde waren verständigt? Das ist wieder diese
Canaille. — Ah! Der Hundsfott! Hat der Böses
angerichtet!
TEULIER
Von wem sprichst du?
DER WIRT
Wie? von wem? — Weisst du denn nichts?
TEULIER
Nichts. Ich bin niemandem begegnet. Ist während
meiner Abwesenheit etwas geschehen?
DER WIRT
Ob etwas geschehen ist? Ah, Bürger Teulier, es
gab Elreignisse, seitdem du weg warst! Guter Gott,
wer hätte das gedacht?
62 ZWOTER AKT
TEULIER
Sprich.
DER WIRT
Du wurdest es nie erraten.
TEULIER
Ich habe keine Zdt zu verlieren. Sprich.
DER WIRT
Eis ist nur dieser Verbrecher, dieser frühere Adlige»
dieser zweideutige Aristokrat, d*Oyron . . .
TEULIER
Nun? D'Oyron ....
DER WIRT
Er verriet uns, Donnerwetter!
TEULIER
Was sagst du da?
DER WIRT
Es ist so, wie ich dir sage. Elr verriet uns, Bürger.
Elr hatte sich dem Feinde verkauft.
TEULIER
Er ist geflüchtet?
DER WIRT
Verhaftet. Elrtappt auf frischer Tat. Unmöglich
zu leugnen. Man guillotiniert ihn morgen.
TEULIER
Ah! Der Schuft! Das ist eine gute Neuigkeit! —
ERSTE SZENE 63
Eine unsaubere Neuigkeit 1 — aber eine, die mir
dennoch Vergnügen macht; denn ich habe sie vor-
ausgesehen.« Ich traute dieser Canaille nicht. Du
weisst, ich habe es ihm nie verborgen!
DER WIRT
Das muss man dir lassen, Bürger. Du hast die Wit-
terung des tugendhaften Menschen. Du riechst das
Verbrechen auf eine Meile weit.
TEULIER
Eis ist kein Verdienst dabei. Dieses Tartüffgesicht,
diese honigsiisse und hinterlistige Sprache, dieser
ganze ekelerregende Geruch von Lüge und Scham-
losigkeit um ihn herum ... Eis genügte, einmal seinen
feuchten Händedruck gespürt zu haben, diese heuch-
lerische abstossende Berührung, um sich in acht zu
nehmen. — Das ist ein grosses Glück, Rief fei, dass
man den Schurken gefangen genommen hat. Er
hätte uns furchtbares Unheil zufügen können.
DER WIRT
Ejt hat seine Rechnung dabei gefunden.
TEULIER
Wahrscheinlich; wir werden das Geheimnis jetzt
aufdecken. — Gleichviel, ich werde diese Nacht
ruhiger schlafen, da ich ihn sicher aufgehoben weiss.
So ist die Armee von ihrem Abschaum befreit. —
Elrzähle mir doch, wie das geschehen ist. — Halt,
ich sterbe vor Hunger. Gib mir zu essen; ich habe
seit heute morgen nichts im Magen.
64 ZWEITER AKT
DER WIRT
Ich kann dir etwas Gansbraten wärmen lassen. Aber
du musst warten, mein Herd ist verlöscht. Oder,
wenn du*s eilig hast, willst du kaltes Schwein?
TEULIER
Was fertig ist; gleichviel. Ich möchte schlafen, (der
Wirt geht ab, — Allein) Also, meine Ahnungen
haben mich nicht betrogen! Er war mit uns, um uns
zu verraten. Eis ist merkwürdig. Adel haben und
Intelligenz und Mut und dies alles in den Dienst
einer so unedlen Sache stellen! Man muss sehr ver-
derbt sein, um sich zum Vergnügen zu entehren,
wenn einen nichts dazu zwingt. Verräter aus Ueber-
mut! Das ist merkwürdig! — Und wie er sein Spiel
spielen konnte, ohne sich einmal zu verraten! Denn
man kann es nicht leugnen, er hat sich für die gute
Sache sechs Monate lang tapfer geschlagen. Eine
solche Kraft der Verstellung.
DER WIRT
(kommt mit einer Schüssel)
Ja, Bürger, es ist unglaublich. Man fragt sich, wie
er sich diesen Zwang antun konnte. Eis hat doch
monatelang gedauert, bedenke.
TEULIER
Wirklich?
DER WIRT
Man hat Beweise. — Ein ganzer Briefwechsel mit
dem König von Preussen. Briefe von ihm seit An-
fang der Belagerung.
ERSTE SZENE 65
TEULIER
Aber wer hat sie mit Beschlag belegt?
DER WIRT
Verrat.
TEULIER
(leichtes Auffahren)
Ahl Verrat! — Wirklich? — Wann hat er sie ge-
funden?
DER WIRT
Eis waren kaum zwanzig Minuten, nachdem du weg
warst. Man hat einen Spion angehalten, der die
Briefe bei sich hatte
TEULIER
Und man hat ihn verhört, den Spion?
DER WIRT
Oh! Der wollte nichts eingestehen . . . • er sagte, er
wüsste nicht, was man von ihm wollte • • • Oh! Elr
wird ganz gut gewusst haben, was er mit ihnen
wollte, der Schuft!
TEULIER
Es ist gut, lass mich allein.
DER WIRT
Du brauchst nichts mehr?
TEULIER
Nein.
Rolland, Die Wölfe 5
66 ZWEITER AKT
DER WIRT
Du isst nichts. Ist es nicht gut? (er zeigt auf die
Schüssel)
TEULIER
Ja. Gleich. Ich bin müde, (der Wirt geht)
ZWEITE SZENE
Teulier allein — Teulier spricht während einiger
Zeit nicht. Er schaukelt sich auf dem Stuhl und
blickt ins Leere. Dann steht er auf^ geht^ mit ver-
träumten Augen^ mechanisch auf und ab^ macht
Handbeivegungen und spricht abgebrochene Worte
ohne Sinn. Er bleibt stehen und fährt mit der Hand
über die Stirn.
TEULIER
Mein Kopf ist leer. Ich bin zu müde heute.( Er setzt
sich) Es ist merkwürdig, ich habe keinen Hunger
mehr. Man muss doch essen. (Er schiebt seinen Tel-
ler zu sicK ober isst nicht) Das ist einGlück, dass er
eingesperrt ist. Die Canaille, deshalb wollte er diese
Elxpedition gegen die Emigrierten. Elr spürte das
Netz um sich; er wollte entweichen, nachdem er in
unsem Vierteidigungsplan eingeweiht war. Und
dann wäre es ihm leicht gewesen ... (Er un-
terbricht seinen Gedankengang) Verrat, Verrat ist
CS, der . . . (nimmt seine Gedanken wieder
auf) Eä wäre ihm leicht gewesen . . . „EÜne
vernünftige Kugel kann die Sache ordnen** . . .
ZWEITE SZENE 67
(irritiert) Ahl Das, was hab* ich denn? Ich bin
nicht fähig, einen Satz zu Elnde zu führen !
(Er stösst seinen Teller zurück und steht auf) Ein
Briefwechsel mit dem König von Preussen! Und
seit Monaten! Ich war gerade weggegangen, sagt
Rieffei. — Er verteidigte Brunswick noch heute
morgen, er bewunderte die preussische Taktik.
... — Aber dieser Bruder, dieser Bruder,
darauf erpicht, ihn zu verderben, all diese
Anschläge vom Lager der Emigrierten aus.
. . . Donnerwetter! (Er atmet laut; er setzt
sich ivieder) Sehen wir zu, Ruhe, Teulier.
Du verlierst den Kopf. Denk doch ein wenig nach.
Was dir d'Osnron gesagt hat, war vielleicht eine
Finte mehr. Die ganze Frage ist, zu wissen, ob er
diese Geschichte erfunden hat, um deinen Argwohn
abzulenken. Wenn es, wie der andere sagt, zwei-
fellose Schriftstücke gibt, Briefe, von ihm geschrie-
ben, ein ganzer Briefwechsel mit Beschlag belegt
. . . (Er steht auf und geht rasch zur Tür. Ruft)
Rief fei! — (lauter) Rief fei! (der Wirt kommt ge-
laufen)
DER WIRT
Was gibt*s? was gibt*s? Du wirst das ganze Haus
aufwecken. Was willst du, Bürger?
TEULIER
(stdsst die Schüssel zurück)
Nimm das fort. Eis ist roh, es widersteht mir; es
riecht nach Talg!
68 ZWEITER AKT
DER WIRT
Nun, nun! Der Bürger Chapelas sagt, dass er in
seinem Leben . . .
TEULIER
Genug. Widersprich nicht. — Warte: du warst hier,
als man ihn angehalten hat?
DER WIRT
Den Verräter? Bei dieser Türe. Eis war
schrecklich. Sie waren alle wie wilde Tiere.
TEULIER
Weisst du, ob die Briefe, die man gefunden hat,
von der Hand des . . .
DER WIRT
Schurken sind? Ah, nein, das weiss ich nicht. Sie
sind für den Rat eingeschlossen. — Briefe von ihm,
oder Briefe an ihn, ich kann*s nicht sagen; aber das
ist gleich. Jedenfalls gibt*s Briefe.
TEULIER
GA.(DerWirt geht ab.' — i4 //ein ^ Es wäre unsinnig,
wenn er den Preussen Briefe geschrieben hätte, dass
man sie bei dem Spion, der die Antwort darauf
brachte, hätte finden können. — ^Aber dann, wenn
er nur wegen der Briefe, die von ihnen geschrie-
ben wurden, verurteilt worden wäre . . . Ah! Gu-
ter Gottl Was haben sie getan! (Er geht zum
Fenster und Sffnet es. — Der Wirt kommt zurückt
um den Tisch abzuräumen)
ZWEITE SZENE 69
DER WIRT
Aber, Bürger, du lässt ja Schnee herein. Du wirst
uns alle erfrieren lassen.
TEULIER
(heftig)
Ich habe dir befohlen, mich allein zu lassen. (Der
Wirt geht, indem er die Arme erhebt. — Allein^
er setzt sich n^ieder) Es war wirklich nötig, heute
abend zuriickzukonunen ! Ohne diesen verfluchten
Zufall wäre ich in Mombach, brächte die Nacht
im Lager zu und morgen ... Er ist nach alledem
doch ein Schurke. Wir müssen ihn vom Halse ha-
ben und nicht mehr darüber sprechen. — (zu sich)
Feigling! Du verdientest, dass ich dir ^ne Kugel vor
den Kopf schösse. — Was kann ich tun? Was soll ich
tun? Ich habe keine Wahl. Ich soll fragen, mich
informieren, mir selbst Rechenschaft geben. — Ja,
das ist*s. Ich muss zu Quesnel. — (Er rührt sich
nicht) Ich muss sofort gehen, (er bleibt sitzen)
Nun? — (er lacht höhnisch über sich selbst) Ich
habe die Beine lahm und steif. Ich habe . . . ich
habe Furcht. Es wird mir nachher viel wohler sein,
wenn ich sehe . . . Ah! Ich kenne Verrat: was
hat er nicht gewagt? (er steht auf und trinkt einen
Schluck aus der Flasche) Vorwärts. Wenn ich so
lange gezögert habe, ist*s, weil ich schon überzeugt
bin. Ich werde bis ans Ende gehen. (Er geht einige
Schritte gegen die Tür von Quesnel)
70 ZWEITER AKT
DRITTE SZENE
QuesneU Teulier.
QUESNEL
(halb angezogen^ öffnet die Tiirspalte)
Wer ist der Kerl, der hier den Heidenlärm macht?
— Du bist's, Teulier. Der Teufel soll dich holen!
Eine halbe Stunde lang brummst du mit dir selbst.
Gegen wen hast du was?
TEULIER
Du schliefst, Quesnel?
QUESNEL
Schlafen, weiss ich, wie das ist. Seit beute morgen
hat*s nicht aufgehört, mir den Körper zu besurbeiten.
TEULIER
Wovon sprichst du?
QUESNEL
Von meinem Satan, Donnerwetter; der Gicht. Un-
möglich, ein Auge zu schliessen. — (mit Todes-
angst) Und das ist nicht alles, Teulier, ich spüre ihn
kommen.
TEULIER
Wen?
QUESNEL
Den Anfall. Meine Nierenkolik. Eis bereitet sich
schon einige Tage vor. — Ah! Der elende Körper.
DRITTE SZENE 71
TEULIER
Nimmst du ein Mittel?
QUESNEL
Nur eines brauchte ich, das ist Ruhe und eine Bade-
kur. Wenn ich das nicht habe, sagte mir der Arzt,
könnte ich von einem Tag zum andern abfahren.
Was tun? Es handelt sich nicht imi uns. Es handelt
sich ums arme Vaterland, das auch sehr krank
ist, und das wir retten werden, nicht wahr, Teulier?
— Wir, wir werden alle bleiben.
TEULIER
Sei nicht so mutlos.
QUESNEL
Ich bin nicht entmutigt. Ich weiss, dass Custine an
uns nicht mehr denkt. Diesen Morgen wollte ich es
ihnen nicht sagen. Aber der General Moustache
wird sich wohl hüten seinen Ruhm zu gefährden, in-
dem er es versucht, uns einen Ausweg zu verschaf-
fen. Er wird uns hier verfaulen lassen. Wir werden
alle draufgehen, einer nach dem andern. — Um so
besser, ah! um so besser, geh; ich wollte, es wäre
schon morgen.
TEULIER
Du leidest, Bürger?
QUESNEL
Ja. — Ah! das Luder, wie es mit mir spielt! —
Vorwärts, Donnerwetter, lassen wir's! Wenn man
72 ZWEITER AKT
ihr Aufmerksamkeit schenkt, bohrt die Sau mit Her-*
zensfreude. — Sprechen wir von was anderm.
TEULIER
Das wollte ich gerade.
QUESNEL
Du hattest mir etwas zu sagen? Du bist also nicht
müde? du kannst schlafen, du.
TEULIER
Nein, nicht mehr als du, heute nacht.
QUESNEL
Bist du auch leidend? Dein Gesicht ist schweissbe-
deckt. Man friert hier doch. Zum Henker, schliess
doch das Fenster. — Du bist krank?
TEULIER
Ich bin moralisch krank.
QUESNEL
Dann ist*8 nicht der Mühe wert, darüber zu reden.
Eis gibt nur körperliche Schmerzen.
TEULIER
Du bist verbittert; du denkst nicht so, wie du
sprichst.
QUESNEL
Seelenschmerzen I Man kann nicht viel durch das
leiden, was es nicht gibt.
TEULIER
Achtung vor deiner Vernunft. Jeden Tag gibst du
deinen Körper den Kartätschen preis, um die heili**
DRITTE SZENE 73
ge Freiheit gegen den Angriff der Tyrannen zu
verteidigen.
QUESNEL
(besänftigt)
Hör mir nicht zu. Das ist noch der Anfall. —
Sprich, Kamerad. Was quält dich?
TEULIER
Eis fällt mir schwer, dir*s zu sagen. — Also: ihr
habt d'Oyron zum Tode verurteilt.
QUESNEL
Da es nichts SchUnmieres gab. Ex verdiente mehr.
Nun, es wird ihm genug sein.
TEULIER
Ihr habt euch sehr beeilt.
QUESNEL
Man musste eilen. Die Stadt wusste alles. Man
musste die öffentliche Meinung mit einem Schlage
beruhigen.
TEULIER
Was hat er während des Prozesses gesagt?
QUESNEL
Du hättest ihn nicht wieder erkannt; er war sehr
verändert. In den ersten Minuten hatte er noch sein
freches Aussehen. Dann, plötzlich, wie von einem
Keulenschlag getroffen, ganz rot, scharlachrot,
die Augen aus dem Kopf tretend, keuchte er; er
kämpfte verzweifelt; er sah wie ein rasender, zuk-
kender Wolf aus.
74 ZWEITER AKT
TEULIER
Hat er gestanden?
QUESNEL
Niemals. — Nur im Anfang leugnete er in wüten-
der Weise. Nach und nach wurde seine Stimme
heiser, und zimi Schluss begnügte er sich damit,
dem Kopf widerwillig zu schütteln. Er fühlte wohl,
dass er verloren war, dass er nichts mehr machen
konnte.
TEULIER
Und mit dem andern, — hat man ihn dem Spion
gegenübergestellt.
QUESNEL
Natürlich. Aber er hat vorgegeben, ihn nicht zu
kennen. Ich sehe übrigens nicht, wie er anders hätte
handeln können.
TEULIER
(geht mit grossen Schritten auf und ab)
Ich wäre gern dabeigewesen.
QUESNEL
Eis war für keinen von uns ein Fest. Nichts Pein**
lieberes als dieser Zusammenbruch.
TEULIER
Glaubst du, ich habe das gesagt, weil ich mich an
der Demütigung meines Feindes hätte weiden wol"
len?
QUESNEL
Ich dachte.
DRITTE SZENE 75
TEULIER
(gereizU nervös)
Danke. — Ich breche gern den Stolz jener, die ich
hasse; aber ich rufe dazu nicht die Justiz an.
QUESNEL
Du bist heute abend sehr erregt.
TEULIER
(geht zu Quesnel und erfassi seine Hände)
Quesnel, ihr seid sicher, sag mir, ihr seid ganz
sicher?
QUESNEL
(versteht nicht)
Was?
TEULIER
Seines Verbrechens?
QUESNEL
Was? Du zweifelst noch? — Weisst du nicht, auf
welche zerschmetternden Beweise hin er verurteilt
wurde?
TEULIER
Mehrere Briefe, oder einer?
QUESNEL
Ein einziger, aber der zehn wert ist, durch die An-
spielung, die er enthält, auf einen ganzen früheren
Briefwechsel.
TEULIER
Ein einziger Brief! man muss ihn zweimal anse-
76 ZWEITER AKT
hen, bevor man einen Menschen eines Papierstück-
chens wegen verurteilt.
QUESNEL
(gereizt)
Das ist recht, Teulier, das ist recht. Ich kann lesen.
TEULIER
Sei nicht böse, Bürger.
QUESNEL
Du bist verteufelt anzüglich. Glaubst du, dass wir
aus Uebermut über das Leben eines Menschen zu
Gericht sitzen? Woher kommt dein Misstrauen?
TEULIER
Wer gibt uns die Sichereit, dass es nicht ein Sy-
stem imserer Feinde ist, um unser gegenseitiges Ver-
trauen zu erschüttern und um einen nach dem an-
dern zu verderben? Wenn wir solche Zeugnisse ge-
gen uns selbst annehmen, müssen wir dann nicht al-
le fürchten, jeden Augenblick?
QUESNEL
Ich erwarte nichts Gutes von den Menschen: ich
kenne sie» die scheusslichsten Grausamkeiten kön-
nen mich nicht überraschen. Aber nichts berechtigt
zu diesem Gedanken. D*Oyron brauchten sie weni-
ger zu fürchten, als dich oder Verrat. Warum hät-
ten sie ihn lieber angegriffen als euch.
TEULIER
Die Arbeit war leichter, und sie hassen ihn mehr.
DRITTE SZENE 77
QUESNEL
Ej ist einer der Ihren.
TEULIER
Seit Wochen sind sie hinter ihm her, ihn zu ver-
derben.
QUESNEL
Was weisst du davon?
TEULIER
Er hat es heute morgen gesagt.
QUESNEL
Wer? D'Oyron? Was hat er gesagt?
TEULIER
Ej beklagte sich mit Wut über die verruchte Hin-
terlist, die gegen ihn von den Emigrierten ausge-
spielt wurde, um ihn blosszustellen, über die De-
nunziationen, über die anonymen Briefe.
QUESNEL
Ej hat dir das gesagt, dir?
TEULIER
Verrat war zugegen und Chapelas.
QUESNEL
Sie haben mir nichts davon gesagt.
TEULIER
Das glaub ich wohl.
QUESNEL
Warum? — Teulier, Du hast gegen jemanden
78 ZWEITER AKT
Argwohn. Nimm dich in acht, Teulier, ich frage
dich nicht. Nimm dich in acht. Du bist daran, ein
Verbrechen zu begehen.
TEULIER
Eines zu verhüten.
QUESNEL
Warte. Sprich nicht. Geh auf die Strasse; schöpfe
Luft; deine Phantasie ist überhitzt. Wir ha-
ben unrecht daran getan, diese Diskussion so spät
anzufangen, nach den Mühen deines Tages, nach
zwei schlaflosen Nächten.Leg dich nieder. Wir wer-
den später darüber sprechen. Wenn du einmal den
Mund aufgemacht hast, kann ich nicht mehr ein-
halten; ich müsste dich bis zu Ende anhören und
müsste dich selbst richten.
TEULIER
(steht auf)
Das ist recht. Indem du mich an das erinnerst, was
für mich auf dem Spiel steht, gibst du mir den
Mut es zu wagen. Ich bin bereit.
QUESNEL
Teulier.
TEULIER
Ruhe, Bürger -Vorsitzender. Deine Pflicht ist, mich
anzuhören. Richte mich, oder ich richte dich.
QUESNEL
Sprich.
DRITTE SZENE 79
TEULIER
Zuerst den Brief. (Quesnel n^ill aufstehen) Rühre
dich nicht, ich hol* ihn selbst.
QUESNEL
Auf dem Tisch unter der Glaskugel. (Teulier ab
— einen Augenblick allein) So . . . So . . . Un-
möglich. Eis ist nicht so. Eis darf nicht so sein —
( Teulier kommt mit dem Brief zurück) Sieh,
Teulier; dieser Brief stimmt genau mit dem über-
ein, was du uns selbst im Rat gesagt hast. Deine
Elxpedition, durch die Schuld d*Oyrons verfehlt,
sein fingierter Angriff auf Bretzenheim, die Flucht
seiner Kolonne.
TEULIER
Verleumdungen, um ihn zu verderben.
QUESNEL
Du hast ihn diesen Morgen beschuldigt. Du bist
so weit gegangen, zu sagen, dass er nicht anders
hätte handeln können, wenn er mit den Preussen
im Einverständnis gewesen wäre.
TEULIER
Ach was, du weisst wohl» wie heftig ich bin. Sobald
der Zorn mich treibt, breche ich los wie ein Stier
und denke an nichts, als den Gegner niederzuwerfen.
Ich war gegen d'Oyron aufgebracht; er hat nicht,
den heiligen Enthusiasmus und das Stürmische, das
man braucht, um unsere Sansculotten-Bataillone
mitzureissen; er gehorcht mir nicht, er bringt mich
80 ZWEITER AKT
zum Aeussersten durch seine aristoioratische Frech-
heit. Aber nichts von dem, was er gestern hier tat,
kann ihn verdächtigen. Er nahm Bretzenheim und
liess die Garnison über die Klinge springen. Ex
führte seine Vereinigung mit mir nicht durch, das ist
wahr. Aber mein Plan war unklug, und sein Ab-
lenken hat vielleicht die Armee gerettet. Vom
Standpunkt der strengen Disziplin ist er strafbar,
denn er hat nicht gehorcht; aber wer würde es wa**
gen, ihn emstUch zu beschuldigen, mit Bewusst-
sein falsche Dispositionen getroffen zu haben.
Mein Ueberfall ist fehlgeschlagen: es ist mein
Fehler sowie seiner. Es gibt nur einen Feind; — und
einen Feind, der auf dem laufenden über imsere
Uneinigkeit ist, — der trachtoi könnte, ihn zu
verderben unter einem solchen Vorwand, der mi"
sere Rachsucht befriedigt.
QUESNEL
(nachdem er einige Zeit mit düsterer Miene nach-
gedacht , sich den Kopf gekratzt hat^ steht er auf)
Der Spion. (Teulier geht zur Tär^ öffnet sie und
ruft)
TEULIER
Decaen.
EIN SOLDAT
Mein Kommandant.
TEULIER
Bring uns den Preussen her. (Der Soldat ab. —
VIERTE SZENE 811
Quesnel geht mühsam und aufgeregt) Du solltest
nicht gehen, Quesnel; du wirst dir schaden.
QUESNEL
(rvätend)
Zum Teufel! Lass mich in Frieden I (Ruhe. —
Sie sehen einander nicht an^ jeder nur mit sich her
schäftigt)
VIERTESZENE
Die Vorigen^ zwei Soldaten bringen den Spion.
TEULIER
(zu den Soldaten)
Eis ist gut. Geht. Bewacht die Tiir.
DER BAUER
(nähert sich den zwei Männern mit dem Ausdruck
von furchtsamer Freude)
Dank, Dank.
QUESNEL
(überrascht)
Wem dankst du, Vieh? (der Bauer bewegt die
Lippen^ stottert^ sieht die zwei Offiziere listig blin-
zelnd an^ geht um einige Schritte zurück und
schweigt) Du bist Jakob Gabel aus dem Dorf
Weiscnau?
DER BAUER
Ja, Herr General.
Rolland, Die Wölfe 6
az ZWEITER AKT
QUESNEL
Nenne mich Bürger. — Du wurdest von dem
preussischen Generalstab mit geheimen Briefen ge-
schickt?
DER BAUER
Ja, Bürger, ich habe alles gestanden, ich habe, habe
alles gestanden.
QUESNEL
Wer hat dir einen Brief für den Bürgerkonmian-
danten d*Oyron mitgegdben?
DER BAUER
Ich habe alles gesagt, ich schwöre es; ich weiss
nichts mehr, nichts mehr, als was ich dem Herrn
Kommandanten gesagt habe.
QUESNEL
Was?
TEULIER
Welchem Kommandanten?
DER BAUER
(vorsichtig, misstrauisch )
Hat er ?
QUESNEL
Nun?
DER BAUER
Hat er ihnen nichts
QUESNEL
Wirst du sprechen? (der Bauer, nachdem er sie
VIERTE SZENE 83
mit furchtsamen schlauen Augen angesehen hat^
mmmt einen fakchen verschlossenen Ausdruck an)
DER BAUER
Aber nichts; ich habe nichts zu sagen. (Teulier
beobachtet den Spion aufmerksam^ dieser schlägt
die Augen nieder)
QUESNEL
War es der Major v. Zastrow selbst, der dir den
Brief für d*Oyron gegeben hat?
DER BAUER
Ja, Biirger.
TEULIER
Hat d^Oyron da unten geschrieben?
DER BAUER
Ja, Biirger.
TEULIER
Du weisst es gewiss?
DER BAUER
Sicher.
TEULIER
Wieso weisst du es?
(der Bauer schweigt)
QUESNEL
Hast du Briefe für ihn besorgt?
84 ZWEITER AKT
DER BAUER
Ja, Bürgor; — Das heisst nein; nidit ich: Giilr
lich, Gottfried Güllich aus Obennoschel.
QUESNEL
Er hat viele Briefe von ihm bestellt?
DER BAUER
Massenhaft.
TEULIER
Du beschwont es?
DER BAUER
Oh, Bürger, beim guten Gott! (er macht das Zor
chcn des Kreuzes)
TEULIER
Er lügt.
QUESNEL
Geh.
DER BAUER
(zitternd vor Aufregung)
Also ich kann gehen?
QUESNEL
Ja, ich sag* es dir doch.
DER BAUER
Ich kann wirklich nach Hause? OhI Bürger! OhI
Bürger!
QUESNEL
Was bedeutet das? Nach Hause? Wohin?
VIERTE SZENE , 85
DER BAUER
Nach Hause, nach Weisenau, wie ihr mir ver^
sprechen habt.
QUESNEL
Du faselst. Ins Gefängnis, Narr. Du kommst nur
heraus, um auf die Guillotine geführt zu werden.
DER BAUER
(ergriffen)
Das ist nicht wahr!
QUESNEL
(zuckt die Achseln)
Du wirst es sehen.
DER BAUER
Burger! — Aber du hast mich doch begnadigt!
QUESNEL
Ich?
DER BAUER
Ihr habt mir versprochen!
QUESNEL
Ich habe dir versprochen?
DER BAUER
Du nicht, — der Kommandant.
TEULIER
Welcher Kommandant?
DER BAUER
Der Kommandant Verrat.
S6 ZWEITER AKT
'■II' III I ■ \ f m m^t^^^tm^mf
TEULIER
Der Komma iwiimt Verrat hat dir Ver^Nrechungen
gemacht. Er hat mit dir gesprochen? Wami hat
er dich gesehen? Was hat er dir gesagt?
DER BAUER
(bestürzt)
Ei hat euch nichts gesagt? Ihr habt mich nicht
begnadigt? — Ah! Der BrigantI Er hat mich be-
trogen. Elibarmen, Bürger! Rettet mich! Ich werde
alles sagen.
QUESNEL
Sprich.
DER BAUER
Werdet ihr mich retten, ihr andern, wenn ich die
Wahrheit sage?
QUESNEL
Nem. Der Konvent will nicht die Wahrheit durch
eine Lüge erkaufen. Du wirst sterben.
DER BAUER
(mit Hass)
Ah! Was geht es mich dann an, wenn ihr euch ge-
genseitig totschlagt! Wenn ihr euch alle miteinander
mit mir verurteilen mochtet, das machte mir erst
den richtigen Spass.
TEULIER
D*Oyron ist also nicht schuldig?
VIERTE SZENE 87
DER BAUER
Ejr ist schuldig, und du auch» und ihr alle, ihr alle
seid schuldig.
QUESNEL
Wir werden nichts aus ihm herausbdLonunen.
(Der Bauer geht gegen die Tär^ wankend^ ge^
krümmt von Furcht und Ha$s. — Plötzlich wendet
er sich um und k^hrt wütend zurück)
DER BAUER
Nein, erst muss er mir es zahlen.
QUESNEL
Wer?
DER BAUER
Schweigt, ich werde alles erzählen. Ich wollte, dass
ihr alle krepiert wäret, wie Hunde, — aber er zu-
erst, das Aas! — Hört. Ich habe gesagt, dass ich
etwas aufdecken möchte.
QUESNEL
Wann das?
DER BAUER
Gestern, nachmittag, habe ich gesagt, dass ich spre-
chen wollte. — Der Kommandant ist gekommen.
Wir waren allein, da habe ich ihm alles erzählt.
TEULIER
Was?
DER BAUER
Alles. Alles» was wahr ist. Dass der Brief nicht echt
ist. Dass er zimi Vierderben des Kommandanten
88 ZWEITER AKT
d'Oyron bestimmt war. Dass sein Bruder, der Graf
d*Oyrbn, mir ihn gegeben hat, um sidi an ihm zu
rächen; dass er gesagt hat, er wird nicht zufrie-
den sein, bis er ihn durch die Sanscidotten aufge-
hängt wüsste. Da ich es so machen sollte, lun das
Papier finden zu lassen. — Alles, ich habe alles
erzahlt. (Teulier und Quesnel sehen sich entsetzt
an)
QUESNEL
(mit erstickter Stimme)
Das ist falsch.
DER BAUER
Ich habe ihm Beweise gegeben.
QUESNEL
Welche Beweise?
DER BAUER
Die Preussen haben vor einigen Tagen einem von
hier, dem Melchior Haupt, dem Professor, geschrie-
ben, um ihn auf dem laufenden über den Streich zu
halten, den sie vorbereiteten imd das. Was man von
ihm erwartete. Ich sollte ihm den Brief von Major
von Zastrow an d'Ojrron übergeben, imd Melchior
hätte ihn dir nachher gebracht.
QUESNEL
Dann?
DER BAUER
Dann, das ist alles.
VIERTE SZENE 89 '
TEULIER
Verrat?
DER BAUER
Ejt hat nichts gesagt; er hat mich angehört; dann
ist er zornig geworden; er fluchte und stiess mit
den Füssen gegen die Wand. Dann hat er mir ge-
sagt» dass ich lüge, und dass» wenn ich fortfahre zu
lügen, man mir den Kopf abschneiden würde. Ich
habe gesagt, dass ich nicht lüge; aber er hat mir
mit der Faust ins Gesicht geschlagen, und er fluchte
und machte einen furchtbaren Lärm. Dann habe ich
gefragt, ob, wenn ich nicht lüge, ich nicht verurteilt *
würde: und er sagte ja, dass man mich begnadigen
würde. Dann ist er gegangen; und ich, ich habe den
ganzen Tag gewartet, dass man mich holen käme.
Und wie ihr mich habt kommen lassen, habe ich
gedacht, dass ihr mich in Freiheit setzen wollt. —
Ach! der Schuft! er hat mich betrogen!
(Quesnel und Teulier 'schweigen^ sehen sich an,
schaudern. Der Bauer weint und schreiU schüttelt
sich vor Wut)
QUESNEL
Geh!
(der Bauer geht gegen die Tür, öffnet sie, wendet
sich gegen die Offiziere imd beschimpft sie)
DER BAUER
Bluthunde! Saufranzosen I Königsmörder! (Die
Soldaten schleppen ihn rveg)
90 ZWEITER AKT
FÜNFTE SZENE
Teulier^ Quesnel. — Beide^ festgenfurzelU ohne zu
sprechen, ohne zu i»agen, sich anzusehen. Teu-
Her steht endlich auf und berührt Quesnels
Schulter.
TEULIER
Also los.
QUESNEL
Dontfwetterl Wie soll man sich zurechtfinden, wie
• soll man aus all diesem Schmutz heraus? W{is tun,
Teulier? Was tun?
TEULIER
Die Verurteilung zurückziehen. Es ist noch Zeit.
QUESNEL
Noch Zeit? Hast du darüber nachgedacht?
TEULIER
Es ist zwei Uhr. Um sechs ist die Hinrichtung. Wir
haben also noch vier Stunden. Was brauchst du
mehr?
QUESNEL
Wären es vier Tage statt vier Stunden, käme ich
auch nicht weiter.
TEULIER
Wie? Ein Federstrich . genügt.
FÜNFTE SZENE 91
QUESNEL
Um d*Oyron zu begnadigen? Und was wird man
in Mainz sagen?
TEULIER
Was kiimmeit*s dich?
QUESNEL
Man würde behaupten, dass ich Nachsieht gegen
Verräter übe» dass ich mit ihnen unter einer Decke
stecke» dass ich meine Anordnungen treffe mit der
Voraussicht auf eine Schlappe.
TEULIER
Arbeitest du für die öffentliche Meinung?
QUESNEL
Ich darf sie nicht erschüttern, sie nicht in diesem
Augenblick schwächen.
TEULIER
Sag ihnen, dass er unschuldig ist.
QUESNEL
Sie werden*s mir nicht glauben.
TEULIER
Sag*s dem Generalstab.
QUESNEL
Er wird mir ebensowenig glauben, und jene, die
mir glauben würden, wären morgen yerdäehtig.
92 ZWEITER AKT
TEULIER
Bfirger, ich glaube zu träumen. Glaubst du» dass
d*Oyron unschuldig ist?
QUESNEL
Ich fiirchte es jetzt.
TEULIER
Du wirst ihn also retten?
QUESNEL
Ich weiss nicht.
TEULIER
Du wirst ihn nichl retten?
QUESNEL
Eis ist vielleicht unmöglich.
TEULIER
Es wird dir unmöglich sein, einen Unschuldigen zu
retten» den du verurteilt hast?
QUESNEL
Unschuldig! Man müsste den aiidern seine Un-
schidd beweisen.
TEULIER
Beiweise sie, du hast die Mittel dazu.
QUESNEL
Welche Mittel? Ich weiss nach alledem nidit, ob
er unschuldig ist.
TEULIER
Du weisst es nicht?
FÜNFTE SZENE 93
QUESNEL
Das Zleugnis eines Spions. Er hat angefangen, in«
dem er uns belog. Wer sagt mir, ob er nicht bis
zum Schluss gelogen hat!
TEULIER
Du hast also seine Augen nicht gesdien, seine Be-
wegung? Du hast nicht den Ton verzweifelter Auf-
richtigkeit gehört?
QUESNEL
Ach! Was weiss ich jetzt?
TEULIER
Ejt hat dir seine Beweise angegeben. Diesei^ verrate«
rischen Plan. Diese Briefe an Melchior Haupt.
Lass sein Haus durchsuchen.
QUESNEL
Entweder der Spion hat gelogen und dann wird
man nichts finden. Oder er hat die Wahrheit ge-
sprochen und dann werden die Briefe schon ver-
brannt sein; — ausser . . . glaubst du, dassims ir-
gendeiner zuvorgekommen sein wird?
TEULIER
Ja; Verrat; ruf ihn zurück; verlang von ihm die
Dokimiente.
QUESNEL
Er wird leugnen.
TEULIER
Stell ihn dem Spion gegenüber.
94 ZWEITER AKT
QUESNEL
Auf diese Weise d*Oyron retten, das heisst Wa-
rat verurteilen.
TEULIER
Wer zweifelt daran?
QUESNEL
Du möchtest« dass diese peinliche Anklage ot-
fentlich dem schrecklichen Menschen ins Gesicht
geschleudert würde.
TEULIER
Saint-Just Hesse heute nacht das Schafott auf den
Wällen vor den beiden Armeen aufstellen und würde
ihn hinaufbefördem.
QUESNEL
Ich täte es in Friedenszeiten auch; aber hier kann
ich meine eigenen Kräfte nicht schwächen. Der be^
gnadigte d'Oyron bleibt verdächtig. Venrat ver-
urteilt, dann herrscht der Zweifel überall. Und
schliesslich kann ich Verrat nicht entbehren. Ich
brauche ihn — Horch! Du hörst die Kanone? —
Ejt schlägt sich in diesem Augenblick. — Verrat
verurteilt? Dann fehlt mir die Hälfte der Armee.
Wer kann die Menschen so wie er mit sich f ortreis«
sen. Sie haben Kostheim heute abend genommoi. In
dieser eisigen Nacht haben sie den Main überschrit-
ten. Sie heben diesen haarigen Teufel, der sie den
Hals brechen lässt imd der sie ins Feuer unter
einem Hagel von Schimpfwcnten führt. Sie lieben
FÜNFTE SZENE 95
ihn dafür. Ex ist Herr seiner Legion. Wenn man
ihn festnähme, gäbe es eine Revolte. Sie würden es
mir nie verzeihen.
TEULIER
Gewinne Zeit; verschiebe die Ejcekution. Gib vor,
dass du noch die Untersuchung verlängern musst.
Benachrichtige den Konvent.
QUESNEL
Unmöglich. Das Volk, die Armee sind durch die
Nachrieht ausser sich. Die öffentliche Meinimg ist
nervös und würde den Generalstab anklagen. Was
den Konvent betrifft, so ist nicht auf ihn zu zählen.
Verrat wurde uns durch die Jakobiner geschickt.
Ejt ist der Freund von Fouquier, von Hebert; das
Journal de la Montagne, alle Hunde des Klubs
sind für ihn.
TEULIER
Diese unwürdigen Gründe müssen schweigen.
Wenn man sieht, wo die Gerechtigkeit ist, so muss
man sie den Parteien aufzwingen. Du wagst deinen
Kopf in jedem Augenblick fiir das Land. Kannst
du ihn nidit der Gerechtigkeit aussetzen?
QUESNEL
Ich liebe mein Land mehr als die Gerechtigkeit.
TEULIER
Trennst du eines yom andern? Ahl so, warum
glaubst du, dass wir uns hier den Kopf zerbiechen?
96 ZWEITER AKT;
Geht es um den Ehrgeiz einiger Jakobiner? Der Ge^
rechtigkeit wegen, Quesnel, hat die Nation, die
Waffen ergriffen. An dem Tag, wo die Nation sie
verletzte, würde sie nichts mehr sein als eine Tyran«
nenhöhle, wo wir das Beil tragen. Sie würde
von der Welt verschwinden. — Ein Frankreich«
das imterdrückt, — und der Henker hat Arbeit.
Ich zerbräche es lieber mit meinen Händen
wie dies! (während er sprichU zerbricht er mit sei-
nen Händen ein Lineal^ das er vom Tisch genom-
men hat)
SECHSTE SZENE
Die Vorigen. Ein Soldat tritt ein, ausser Atem,
DER SOLDAT
Burger!
QUESNEL
Ein Kurier.
DER SOLDAT
Es ist besorgt! Wir haben sie!
QUESNEL
Die Inseln sind genommen?
DER SOLDAT
Sieger! Die Sansculotten haben die Gutgddeideten
zurückgeworfen. Wir haben sie verprügelt und sie
dann die Köpfe voraus in den Main mit den Karp^
fen nachtmahlen geschickt. Oh! Bürger, das war
SECHSTE SZENE ^
schön! — Du erlaubst? Die Zunge klebt mir. (er
trinkt aus der Flasche und aus dem Glase Teuliers)
Die ganze Nacht habe ich Patronen gegessen. —
Die .Insel Kopf gehört unsl Donnerwetter I das war
eine Schlacht! — So etwas habt ihr nie gesehen»
Kinder. — Der Kommandant Verrat ... ah! beim
Henker! das ist ein Löwe! man sieht nichts mehr von
ihm als die Augen; er ist ganz schwarz von Pulver
. . . Denke dir, Bürger, was dieser gottverfluchte
Bursche erfimden hat, um ims hinüberzubringen.
Zwecks Ablenkung des Feindes, während wir auf
unseren Flössen fuhren, kreuzte dieser Teufel im Ka-*
nal, zwischen dem Ufer und der Insel, auf einem
Schiff mit dreissig Mann und zwei Kanonen, um so
die Aufmerksamkeit der Preussen auf sich zu zie-
hen. Eine Stimde blieb er dort; er fing alle gegen
ihn gerichteten Kugeln mit seinen grossen Armen
auf: man konnte Angst bekommen. Unterdessen
kamen wir hinüber. Er wollte erst zurückkehren,
als das Schiff bereits leckte. Und dann der Kampf,
Mann an Mann, wie wilde Tiere! Verrat hat dem
feindlichen Kommandanten die Gurgel durchge-
schnitten. — So erschöpft wir waren, zum Krepie-
ren müde, trugen wir ihn dennoch auf unseren
Schultern, wie einen Römer, um die ganze Insel
herum, die wir erobert hatten. — Er hat mich ge-
schickt, dir das zu erzählen. Es war nicht leicht für
mich fortzukommen, aber wenn dieser Schuft befiehlt,
muss man gehorchen. — Sie machen drüben einen
fürchterlichen Lärm ! Sie rufen ihn zum General aus I
Rolland. Die Wölfe 7
96 ZWEITER AKT
QUESNEL
Eis ist gut. Geh' in die Küche etwas essen und
komm* dann wieder, (der Soldat geht)
SIEBENTE SZENE
Teulier. Quesnel.
QUESNEL
Du siehst es wohl, Teulier, ich kann an diesen
Kerl nicht heran.
TEULIER
Hätte er vierzig Siege für sich, er ist Rechenschaft
schuldig für sein Verbrechen.
QUESNEL
Später. Lass mich*s nur machen. Nach der Belage-
rung, wenn wir noch auf dieser Welt sind.
TEULIER
Das unschuldige Blut wird durch uns geflossen
sein. — Niemals!
QUESNEL
Teulier, erinnere dich: du selbst warntest mich
einmal, dass d*Oyron eines Tages verraten würde.
TEULIER
Ich habe gesagt, dass man sich in acht nehmen
müsse, und das sage ich noch. Aber jetzt ist er un-
schuldig.
SIEBENTE SZENE 99
QUESNEL
Das weisst du nicht, Teulier. Und wenn» so sage
dir, dass es nicht des gegenwärtigen Falles wegen
geschieht, sondern der späteren Gefahren wegen»
dass wir ihn uns vom Halse schaffen.
TEULIER
Ein der Nation unwürdiger Sophismus. Jede Ge-
walttat, wenn es sein muss, aber keine Lügel
QUESNEL
Ich kann an Verrat nicht heran; es entstünde ein
Aufruhr.
TEULIER
Gib mir deine Vollmacht und ich verpflichte midi»
ihn an der Spitze seiner Armee festzimehmen.
QUESNEL
Sei ruhig, Teulier, es lässt sich nichts tun.
TEULIER
Was, du wirst nicht handeln! Du willst das Schand-
mal der Ohrfeige auf deiner Backe bewahren, dei-
nen Anteil am Verbrechen . . .
QUESNEL
Verrat ist nicht schuldig.
TEULIER
Du würdest nicht wagen, es zu beschwören.
QUESNEL
Gut, wenn ein Verbrechen da ist, falle es auf mich
zurück!
100 ZWEITER AKT
TEULIER
Du hast einen starken Rücken, aber ich^ ich
kann es nicht. Was würde mein Gewissen sagen?
Welche Qualen Tag und Nacht, wenn ich schwei-
gen könnte I
QUESNEL
Was geht mich dein Gewissen an? Eis handelt
sich darum, das Land zu retten und du denkst
an dich selbst, an deine Schlaflosigkeit, an deine
moralischen Schmerzen, an, ich weiss nicht, was für
Beschwerden! Du leidest, du leidest, sagst du?
Und ich, leide ich nicht? Leide still. Unglück-
licher, aber verschone das Landl Haben wir
ihm nicht alles geopfert? Unser Vermögen, imsere
Gesundheit, unser Leben, unsere Liebe, haben wir
nicht alles in den Abgrund geworfen, wie Decius?
Wenn das Land es fordert, opfere dein Gewissen
und opfere dich selbst!
TEULIER
(eigensinnig)
Rufe Verrat zurück.
QUESNEL
(gereizt)
Genug. Ich sage nein. Gehorche.
TEULIER
Ich bin nur dem Rat Gehorsam schuldig, nicht
dir. Du wirst ihn zusammenrufen.
SIEBENTE SZENE 101
QUESNEL
Was willst du tun?
TEULIER
Lass die Offiziere wecken; ruf jene, die auf den
Mauern sind; rufe Verrat; rufe den Rat zusam-
men.
QUESNEL
Du verdirbst dich und du verdirbst uns. Ueb^Iege,
überlege!
TEULIER
Mein Elntschluss ist gefasst. Wenn du es nicht
wagst, ich, ich werde sprechen.
QUESNEL
Nimm dich in acht, du wirst schuldig werden. Du
willst deine Pflicht tun. Deine erste Pflicht ist zu
siegen, uns zum Siege zu verhelfen. Wenn jetzt
Verrat sagte, dass du ein Verräter seiest, so hätte
Verrat recht.
TEULIER
Verurteile mich also, wenn du es wagst.
QUESNEL
Im Namen unserer Freundschaft, TeuUerl
TEULIER
Davon nichts mehr.
QUESNEL
(drohend)
Bringe mich nicht zum Aeussersten. Ich werde dich
102 ZWEITER AKT
bekämpfen, Teulier, denn du wirst Böses anrieh^
ten.
TEULIER
(eigensinnig)
Rufe Venat zurück.
QUESNEL
Unglücklicher, du wirst hier Mass, Zweifel, den
Bürgerkrieg heraufbeschwören.
TEULIER
(mit verdichteter Heftigkeit)
Gerechtigkeit, und wenn der Himmel einstürzt.
Vorhang
DRITTER AKT
ERSTE SZENE 105
ERSTE SZENE
Derselbe Saal. — Morgen^ Dämmerung, — Rat
der Offiziere Tvie im ersten Akt, nur d'Oy^ron und
Verrat fehlen; aber die Offiziere sind nicht um
den Tisch herum gruppiert. Nur einige: QuesneU
Vidalot^ Chapelas sitzen. Die anderen stehen beim
Kamin, mit ihren Mänteln auf den Schultern, oder
gehen zwischen Fenster und Tisch auf und ab.
Man merkt ihnen beständig an: die Beschäftigung
mit dem, rvas draussen vorgeht, mit der Schlacht,
die fortgesetzt wird.
QUESNEL
Bürger, zu meinem Bedauern und auf das Verlangen
eines der Eiu'en, habe ich euch zu dieser frühen
Stunde versammelt, um über eine dringende Sache
zu entscheiden.
DIE OFFIZIERE
Neuigkeiten, Quesnel? — Ein Kurier von Cu-
stine? — Eine Botschaft vom Konvent? — Ver-
rat hat die Inseln erobert. Ich weiss, ich weiss,
das war grossartig. —
QUESNEL
Es handelt sich um den Verurteilten.
CHAPELAS
Was? Wegen dieser Canaille hast du mich so eilig
von Kastei kommen lassen?
106 DRITTER AKT
VIDALOT
Tatsache ist, Bürger, wir sind so entsetzlich müde,
dass man ims nicht hindern sollte zu schlafen, wenn
wir es zufällig können.
BUQUET
Verflucht! Also deshalb! Deshalb! Man stört die
Leute nicht so. Man braucht mich da unten.
QUESNEL
Es ist 5V2 Uhr. Man guillotiniert ihn in einer hal-^
ben Stunde. Eis war dringend.
CHAPELAS
Warum? Das Urteil ist gefällt, unterschrieben;
alle Formalitäten sind erfüllt. Ist es notwendig,
dass wir dabei sein müssen, wenn er drauf geht?
VIDALOT
(ohne zuzuhören)
Oh! Dieser Verrat! Was sagst du zu ihm?
BUQUET
(ebenso)
Wunderbar. Er hat Mainz gerettet.
VIDALOT
Die Preussen müssen an diese Stunde denken. Noch
ein oder zwei Schläge von der Sorte und wir sehen
sie wie Füchse in ihren Bau zurückkriechen.
BUQUET
Der kleine Jean-Amable hat Pech gehabt.
ERSTE SZENE 107
VIDALOT
Ja, der anne Junge! Der Kopf weg durch eine Ku-
gel, gleich als es losging.
QUESNEL
(gibt ein Zeichen zu schrveigen)
Es sind neue Tatsachen seit gestern aufgedeckt
worden.
CHAPELAS
Er hat gestanden?
QUESNEL
EÜn Mitglied des Rates behauptet, dass er unschul-
dig ist.
DIE OFFIZIERE
Unschuldig! — Geht doch! — Wer sagt das?
QUESNEL
Ich überlasse ihm die Verantwortung für seine
Meinung.
TEULIER
(steht auf)
Bürger • • •
CHAPELAS
Ah! Teulier — natürlich. — Er musste etwas fin-
den, um sich zu unterscheiden.
TEULIER
Bürger, ihr wisst, ob ich der Feind von d'Oyron
bin. Gestern früh habe ich ihn angeklagt. —
Aber gegen einen Feind ist man ebenso streng durch
106 DRITTER AKT
die Gesetze der Ehre gebunden wie gegen einen
Freund. Was konnte ich tun, wenn der Zufall in
meine Hände den Beweis seiner Unschuld spielte?
Ersticken meinen Hass und ihnen das Mittel an-
geben, eine Ungerechtigkeit wieder gutzumachen.
(Ironische Rufe unterstreichen die Worte von Un-
schuld und Ungerechtigkeit. Die Offiziere zucken
die Achseln und hören mit gleichgültiger Ungläu-
bigkcit zu. Einige von ihnen v^enden Teulier den
Rücken und sprechen untereinander)
VIDALOT
Er muss immer das Gegenteil von dem behaup-
ten, was alle sagen.
ZWEI OFFIZIERE
(hören die Kanonen)
Verrat fängt die Schlacht wieder an. — Höre. —
Das kommt von ihm. — Nein, das ist der Wind.
CHAPELAS
(verdriesslich zu Quesnel)
Du hast also den Biirger Teulier über das, was
vorgegangen ist, nicht auf dem laufenden gehalten?
QUESNEL
Ich habe ihm alles gesagt.
CHAPELAS
Kennt er den Brief?
QUESNEL
Ja.
ERSTE SZENE 109
GHAPELAS
Aber hat er ihn gesehen?
TEULIER
Ja, ich habe ihn gesehen.
CHAPELAS
Und du findest ihn nicht genug belastend?
TEULIER
Der Brief ist von seinen Feinden gefälscht, um
ihn zu verderben.
DIE OFFIZIERE
Ah! bravo, das hab* ich erwartet! — Das hat der
Verräter gesagt. — Das kann man leicht sagen.
TEULIER
Ich kann es beweisen.
CHAPELAS
(ironisch)
Die Preussen haben es dir gesagt?
TEULIER
Ich habe den Spion gefragt.
VIDALOT
Ejt hat vor uns allen ausgesagt.
TEULIER
Ejt hat mir die Wahrheit gestanden.
CHAPELAS
Woher weisst du das?
1 10 DRITTER AKT
TEULIER
Die Beweise der Unschuld d'Oyrons sind in den
Händen eines Offiziers.
CHAPELAS
(drohend)
Du wärst in Verlegenheit, wenn du sagen solltest
in wessen.
TEULIER
Ich werde es sagen.
CHAPELAS
Bah! — Und es ist?
TEULIER
Es ist Verrat. (Verblüffung^ ein Ambruch von
Umvillen)
CHAPELAS
Das ist abscheulich. Bürgerdeputierter, man be^
schimpft uns, und du lässt es zu.
QUESNEL
Eis ist an euch, die Anklage anzuhören. Ihr wer^
det später richten.
BUQUET
Man hat nicht das Recht, einen der unsem zu be-
leidigen.
TEULIER
D'03rron ist auch einer der unsem.
BUQUET, CHAPELAS
Ein Verräter! ein Aristokrat!
ERSTE SZENE 1 1 1
TEULIER
Vor der Gerechtigkeit sind wir gleich.
BUQUET
Du wagst es, den Helden von Kostheim mit dem
Elenden zu vergleichen, der uns ausgeliefert hatl
CHAPELAS
Eis ist eine Infamie, einen Abwesenden anzuklagen.
QUESNEL
Ich habe Verrat vorladen lassen: er wird sofort
hier sein. Seid ruhig, wir werden ihn seinem An«'
kläger gegenüberstellen. Aber es ist gut, wenn ihr
vorher dessen Gründe hört. Lasst den Bürger
Teulier sprechen. Wie immer auch meine persönli-
chen Gefühle sind, meine Pflicht ist, beide Teile
zum Wort konunen zu lassen.
TEULIER
Bürger, ich verstehe eure erste Bewegung leiden-
schaftlicher Ungläubigkeit, und ich denke nicht
daran, mich durch ihre Heftigkeit beleidigt zu
fühlen. Ich selbst an eurer Stelle hätte zweifellos
genau so gehandelt. Habt ein wenig Geduld. —
Aber vor allem, da ich den Morgen hereinbrechen
sehe, fordere ich dich auf. Deputierter, so-
fortigen Befehl zu geben, die Hinrichtung aufzu-
halten, bis die Verhandlungen, die vor euch ge-
führt werden müssen, durch euer Urteil beendigt
sind.
112 DRITTER AKT
BUQUET
Wozu all dieses Geschwätz? Sag' uns in zwei Wor-
ten das, was du willst, und machen wir ein Ende.
Wir haben andere Dinge zu tun.
CHAPELAS
Das Urteil ist gefällt. Es ist kein Grund, nachzu-
prüfen.
EIN OFFIZIER
Das hiesse: das erste Urteil umstossen.
ANDERER OFFIZIER
(zuckt gelangweilt die Achseln)
Es ist doch unmöglich, dieses Verlangen zurückzu-
weisen.
QUESNEL
(schreibt ein Wort und gibt es einem Unteroffizier)
Befehl aufzuschieben. (Unteroffizier ab)
TEULIER
(stehend, immer sehr ruhig)
D'Oyron ist unschuldig, (lärmende Zwischenrufe)
TEULIER
Hütet euch. Wenn ihr euch weigert, mich anzu-
hören, werdet ihr schuldig.
DIE OFFIZIERE
(ausser sich)
Beweise! Geh, gib uns deine Beweise und lass uns
kämpfen! Hörst du nicht die Kanonen?
ERSTTE SZENE 113
TEULIER
Eist die GCTffchtifljkrit
BUQUET
Haltst du dick für weniger fdilbar ab uns?
TEULIER
Damit beschäftige ick mick nickt Ick habe den
Grundsatz, der gleickzeitig wissensckaftBck und rfr-
publikanisck ist: nichb zuzugd>en, (4tne es gquAft
zu haben und nur das zu glauben, was meine Ver-
nunft als klar und unzweideutig eikennti
DIE OFFIZIERE
Ejt langwält uns. Es macht sich zu wichtig.
BUQUET
Glaubst du, die Vernunft ist ein Monopol der Mit-
glieder der Akademie?
VIDALOT
Sei dir darüber klar, Bürger, dass die Aristokratie
des Geistes ebenso hassenswert sein kann wie die
andere Aristokratie. Wir sind alle gleich.
CHAPELAS
(zu Buquet)
Ruhe, da unten. — (zu Teulier) Und du, eridäre
dich.
TEULIER
(fährt ruhig fort)
Wenn der Spion, auf dessen Zeugnis hin ihr
d'Oyron verurteilt habt, euch jetzt bestätigte, dass
RoUand, Die Wolfe S
114 DRITTER AKT
d'Oyron nicht schuldig sei, was würdet ihr sagen?
Was würdest du sagen, Chapelas?
CHAPELAS
Ich würde sagen, dass er seinen Mitschuldigen ret-
ten will.
TEULIER
Aber wenn er versichert, dass er die Beweise Ver-
rat gegeben hat, und dass dieser, nachdem er sie
hatte, ihm befohlen hat, zu schweigen, und ihm sein
Leben als Preis für sein Schweigen versprochen
hat?
CHAPELAS
Wenn er mir das ins Gesicht sagte? — Ich würde
ihn erschlagen, wie einen Hund.
(Die Offiziere stimmen Chapelas bei)
TEULIER
Venrat hatte nachmittag eine geheime Unterredung
mit dem Spion.
CHAPELAS
In seinem Eifer für die Nation wollte er zweifel-
los aus dem Gefangenen alle Auskünfte heraus-
locken, die er für seinen Angriff von heute nacht
brauchte.
TEULIER
Er verfügte sich dann zu Melchior Haupt, Profes-
sdr in dieser Stadt, wo Schriftstücke, welche die
Unschuld d'Oyrons bewiesen, hinterlegt waren, und
hielt da eine geheime Hausdurchsuchung ab.
ERSTE SZENE 115
CHAPELAS
Mit welchem Elrfolg?
TEULIER
Venrat unternahm seine Elxpediticm, ohne irgend-
einem von seiner Untersuchung zu sprechen.
CHAPELAS
Weil sie erfolglos war.
TEULIER
Oder vielleicht zu erfolgreich.
(Widerspruch)
VIDALOT
Was sagt Melchior Haupt?
TEULIER
Ich komme daher. Das Haus war leer, Melchior
war verschwunden.
BUQUET
Und das sind alle deine Beweise! Und deshalb
bringst du Unordnung in die Armee! — Aber du
bist doch verrückt geworden?
CHAPELAS
Zeugen, die verschwinden, wenn man sie brauchtl
TEULIER
Der Spion ist da: ruft ihn; lasst ihn sprechen. Wenn
Verrat kommt, stellt sie einander gegenüber.
8*
116 DRITTER AKT
DIE OFFIZIERE
Das ist unnütz. — Das ist impassend. — Verrat
ist kein Verdächtiger, gegen den man das Recht
hätte, diese Untersuchimg zu führen. — Sollen
wir ihn so für seine Dienste lohnen? — Wir haben
nicht nötig, uns diesen Burschen anzusehen. Wenn
Verrat es wünscht, wird man ihn kommen lassen.
Aber in Abwesenheit von Verrat und ohne seine
Einwilligung bin ich dagegen.
TEULIER
Wenn ihr euch weigert, zu hören, wie werdet ihr
je die Wahrheit erfahren?
CHAPELAS
Der Brief ist da. Ich will nichts weiter wissen.
TEULIER
Aber wenn der Brief gefälscht ist! — Du hast es
gehört, Chapelas, — (du warst mit mir dabei) —
wie d'Oyron selbst über die Schlingen klagte, die
seine Feinde ihm unaufhörlich zu legen trachten.
CHAPELAS
Das soll ich gehört haben?
TEULIER
Gestern morgen.
CHAPELAS
Du träumst.
ERSTE SZENE 117
TEULIER
Du hast ein kurzes Gedächtnis — Aber sei es, ndb-
men wir den Brief vor. Seht ihr nicht, dass er lügt>
Dass nur ein Feind, kein Freund von d'Oyron ihn
geschrieben haben konnte? ( — Seht her, ich bitte
euch.
(Er zeigt den Brief Chapelas und einigen andern^
die ihn gelangweilt und gleichgültig ansehen. An-
dere^ Buquet^ Vidalot, bilden eine kleine feindliche
Gruppe)
BUQUET
(leise zu Vidalot)
Sag mir, was für hteresse kann er daran haben, den
Verräter zu entlasten auf Kosten Verrats.
VIDALOT
Ich weiss es nicht.
BUQUET
Wenigstens — sonderbar ist's. Der beste Kerl, den
wir haben, ein Jakobiner, wie es keinen zweiten
gibt, ein Marius, ein richtiger General Sansculotte,
— und sich gerade ihn auszusuchen am Tage nach
einem Siege, der alles übertrifft, was man je gesehen
hat!
VIDALOT
Er ist eifersüchtig.
EIN OFFIZIER
Wahrscheinlich! Das ist die einzige Elrklärung.
118 DRITTER AKT
EIN ANDERER OFFIZIER
Das ist nicht anständig.
VIDALOT
Man kann doch seine Unbescholtenheit nicht be-
zweifeln?
BUQUET
Weiss man es je? Die Unbescholtenheit kauft man,
wie alles übrige. Ein bisschen teurer, das ist der
einzige Unterschied.
(Jubelrufe dramsen)
QUESNEL
Was ist das für ein Lärm?
(Ein Offizier geht am Fenster)
DER OFFIZIER
Verrat kommt. Man trägt ihn im Triumph. Die
Soldaten jauchzen ihm zu.
TEULIER
Bürger, wir dürfen uns durch dieses Geschrei nicht
beirren lassen. Die Beratung muss fortgesetzt wer-
den. (Der Lärm wird stärker. Andere Offiziere
gehen ans Fenster oder gegen die Tär^ die sich
öffnet)
ZWEITESZENE
Verrat erscheint auf den Schultern zweier Jakobiner^
eine Blätterkrone auf dem Kopf^ schwarz^ zerzaust^
bärtige struppige mit Staub bedeckt^ in zerrissenen
ZWEITE SZENE 1 19
Kleidern^ überall durchlöcherU von Schmutz und
Pulver befleckt. Soldaten umringen ihn^ schreiend
und tanzend. Sie tragen ihre roten Mützen auf der
Spitze ihrer Säbel oder Lanzen. Ein Kind springt
voran^ stösst Schreie aus und wirft seine Mütze in
die Luft. Ein Pfeifer spielt das ga ira. Durch die
Tür sieht man eine grosse Menge^ die nicht herein
kann. Die Jakobiner^ die ihn tragen^ machen untef
albernen und übertriebenen Gesten mit ihm die
Runde durch den Saal und enden damit^ dass sie
ihn auf den Tisch setzen. Die Offiziere vom Rat
sind aufgestanden^ ausgenommen Teulier^ der sich
setzt. Quesnel zieht still seinen Hut ab. Verrat grässt
mit dem blossen Säbel.
DIE MENGE
(schreit)
Heil dem Retter von Mainz! General Verrat! Eis
lebe der General Verrat!
(Verrat gibt den Soldaten Zeichen^ ihn abzusetzen
und ihn zu lassen)
VERRAT
Es ist gut, genug gebrüllt! Stellt mich her, ihr
Lumpen, und räumt das Feld! Wir haben zu
sprechen. (Die Menge verliert sicA, Verrat steigt
vom Tisch herab) Bürger! Heil imd Sieg! Ich ha-
be Wort gehalten. Der rote Main hat seinen Namen
verdient. — Was wollt ihr von mir? Ich habe eben
euem Befehl mitten im Kampf bekonunen. Ich habe
alles im Stich gelassen, um euch meine Achtung
120 DRITTER AKT
zu bezeugen. Sprecht: ich bin zu eurer Verfügung;
aber schickt mich bald ziurück: ich habe da unten
noch Aibrit. Ich habe erst begonnen. Ich halte die
Feinde an der Kehle; jetzt werde ich sie zur
Ader lassen.
QUESNEL
(kühl)
Wir bedauern, Bürger, dass wir dich mitten aus
deiner Arbeit herausreissen mussten: aber wir wa-«
ren dazu gezwungen. Deine Ehre ist angegriffen;
es ist in deinem Interesse, wie in unserm, dass du
dich ohne Verzug reinwäschst.
VERRAT
Wer? Ich? Man klagt mich an? Während ich
mein Blut in Strömen fürs Vaterland vergiesse, gibt
es irgendeinen, der gegen mich arbeitet? Und
wessen beschuldigt man mich? Und wer? und wer?
Wer ist dieser Schwein^und?
QUESNEL
Man behauptet, dass du Beweise für die Unschuld
d'Oyrons besitzest, imd dass du sie unterschlagen
hast.
VERRAT
Zum Teufel! Ich mochte wissen, wer dieser feige
Schuft ist, dieser käufliche . . . Wo ist er? Wo
ist er? Dass ich ihm ins Maul spucke, dass ich
ihm seinen Kot um die Nase schmiere, dass ich
ihn in Fetzen haue. Wo verbirgt er sich? Lasst ihn
konmien.
ZWEITE SZENE m
TEULIER
Ej ist hier.
VERRAT
Ahl — es ist?
TEULIER
Ich bin's.
VERRAT
Du? — Du foppst mich. — Wiederhole! — Das
ist nicht möglich I — Ha! (er heuchelt einen
Schrvindelanfall) Bürger, das ist zu viel für mich,
seht ihr. Ein Freimd, zu dem ich alles Vertrauen
hatte, ein Bruder, ein Kerl, an dessen Seite ich
zwanzigmal gduunpft habe, — ich habe sein Le-
ben gerettet! — Ejitschuldigt mich, das ist ein zu
starker Schlag. E« wird vprüberg^en. — Wartet
(er erhebt sich schäumend) Ah! Schmutz-
hanmiel! Ah! Elender Hundsfott! — Aber nein,
es ist besser, sich nicht zu erniedrigen, indem man
auf solche Gemeinheiten antwortet.
TEULIER
Verrat« es fällt mir schwer, aber die Gerechtigkeit,
verlangt es.
VERRAT
Ich verbiete dir, mich anzusprechen. Dein Fell
bdcomme ich, das ist sicher. Aber antworten werde
ich dir nicht. Wenn du nicht fürchtest, dir die Keh-
le zu beschmutzen, du, Bürger-Deputierter, spricht
Ich bin bereit.
122 DRITTER AKT
QUESNEL
Venrat« Teulier klagt dich an, von dem Spion den
zwingenden Beweis dafür bekommen zu haben, dass
der Brief an d*Oyron ein Anschlag der Emigrier-
ten gegen ihn war, imd anstatt ihn uns zu bringen,
hattest du diesen Mann gezwuiigen, zu schweigen.
Was hast du darauf zu erwidern?
VERRAT
Ich schwöre, dass ich das Land gerettet habe.
QUESNEL
Bürger, wir alle erkennen deine militärischen Tu-
genden an; aber da eine bestimmte Anklage gegen
dich vorliegt, so ist es wichtig, dass du darauf ant-
wortest.
VERRAT
Nie! Niemals werde ich mich herablassen, um mich
gegen diese infame Zumutung zu verteidigen. Ich
werde diesen Fleck sofort im Blut dieses Verräters
abwaschen. Aber mit ihm sprechen, imterhandeln,
nein, das ist nicht meine Sache. Ich bin nicht wie
er ein Phrasendrescher, ein Salonschwätzer, ein
Conferencier für Aristokraten. Ich spreche nicht, ich
handle. Die mich anklagen, sollen ihre Aermel hin-
aufschlagen und mir in diesen Hof folgen! Das ist
die Antwort, die ich ihnen geben werde. (Er zieht
seinen Säbel und schlägt damit heftig auf den
Tisch)
ZWEITE SZENE 123
TEULIER
Ich werde dir folgen, Verrat; ich setze mein Leben
gern ein. Aber vor der Genugtuung, die ich dir
schulde, bist du der Gerechtigkeit eine schul-
dig. Die Gerechtigkeit wurde zuerst beleidigt. Du
bist ihr Achtung schuldig. Steck deinen hitzigen
Säbel wieder ein und beantworte ihre Fragen wie
der geringste der Untertanen.
VERRAT
(beisst sich wütend die Finger)
Hört ihr den Jesuiten? Wie Milch und Honig fliesst
es ihm aus dem Munde! Seine Galle ist zerplatzt. —
Ich werde ihm nicht antworten. Die an mir zweifeln,
sollen die Ufer der zwei Flüsse und ihre mit To-
ten angefüllten Gewässer befragen. Während mein
Mimd voller Verachtung schweigt, mögen meine
Wunden für mich sprechen — (er reisst seinen
Rock wnd sein Hemd auf) — meine Brust, rot von
meinem Blut und dem der Feinde, meine Haut,
vom Pulver geschwärzt, meine Haare vom Feuer
versengt, meine aufgeschlitzten Kleider von Sä-
beln zerfetzt I — Ich weiss, was ich wert bin, und
ich spreche, wie ich es weiss. Bescheidenheit ist
eine Tugend Schwachsinniger und buckliger Mäd-
chen. — Bürger, ich fordere euch auf, zu erklären,
dass ich mich ums Vaterland verdient gemacht habe.
(Beifall der Offiziere)
TEULIER
Diese Art zu verhandeln ist unerträglich. Lass
124 DRITTER AKT
doch die Erinnening an die Dienste, die du dem
Vaterland geleistet hast. Wir alle, Verrat, wir ha-
ben uns verdient gemacht. Du hast deine Pflicht ge-
tan: nichts mehr, als alle andern, die hier sind. Nicht
einer geizt mit seinem Blute; hunderte unbekannter
Kampfer sind so viel wert wie du: alle deine Sol-
daten, alle die meinen, alle die, die jetzt in der deut-
schen Elrde schlummern. Sei doch bescheiden imd
. . . (er rvird unterbrochen durch die Protest-
rufe der Offiziere)
VIDALOT
Der Neid erstickt ihn.
BUQUET
Deputierter, lass die nicht schänden, die dem Lande
Ehre machen.
QUESNEL
Schweigt beide. — Die Anklage wurde hier öf-
fentlich vorgetragen, und sie muss dem Angddag-
ten bekannt gegeben werden. Ich stelle es ihm frei,
zu antworten oder zu schweigen. Elr möge nur die
Hauptsachen anhören. — Man gibt an, Verrat,
dass du gestern eine geheime Haussuchung bei
Melchior Haupt vorgenommen hast, um die Be-
weise für die Unschuld d*03Tons zu finden, die
der Spion dir bezeichnet hatte. — Ist das wahr?
Hast du das getan? — Hast du irgend etwas zu
erwidern und verlangst du Details? (Verrat^ der
schnüffelnd und pustend^ mie als ob er Mähe hätte^
ZWEITE SZENE 125
sich zu massigen^ Quesnel zugehört hatte^ wendet
den Kopf plötzlich gegen Teulieff sieht ihn wild
an, beschimpft ihn und wendet Quesnel den Rücken
zu)
CHAPELAS
Welches Interesse hätte Verrat gehabt, d'Oyron zu
verderben?
TEULIER
Seinen Hass gegen ihn.
DIE OFFIZIERE
(lärmen)
Wir hassen ihn alle.
VERRAT
Ich stelle fest, dass nicht nur meine Ehre ange-
griffen ist, sondern die aller Offiziere, die hier
sind.
TEULIER
Nein, Verrat, lenke die Sache nicht ab. Ich klage
nur dich an.
VERRAT
(wendet sich brüsk gegen ihn)
Und ich, ich klage dich an.
TEULIER
Mich?
VERRAT
Ja, dich, du bist von d'Oyron bezahlt, um mich
zu verderben.
126 DRITTER AKT
TEULIER
Ich hasse dich nicht
VERRAT
Du behauptest, mein Freund zu sein und willst
mich entehren.
TEULIER
Ich tue meine Pflicht.
VERRAT
Die Pflicht eines rasenden Himdes, eines giftigen
Tieres, eines Heloten der Aristokraten.
TEULIER
Wirst du auf die Tatsachen, deretwegen ich dich
anklage, nicht antworten?
VERRAT
Durch das Schwert, anders nicht.
TEULIER
Bürger, da es unmöglich ist, etwas aus diesem
Manne herauszubekommen, da meine Worte und die
seinen gleich verdächtig sind, verlange ich, dass
man vor euch den Spion verhört. EiS wird genügen,
die Wahrheit zu erfahren.
CHAPELAS
Wir verlieren hier unsere Zeit.
TEULIER
Ich bestehe darauf, dass man ihn hört.
ZWEITE SZENE 1^
VERRAT
Ja, bringt den Lumpenkerl her, dass ich ihn in
Stücke zerhaue.
TEULIER
Elr ist nebenan.
QUESNEL
Lasst ihn kommen.
(Ein Soldat geht. — Lärm der Stadt draussen. —
Eine Kirchenuhr schlägt sechs. — Kanonendonner.
— Murmeln der Menge. Musik von weitem. Takt-
mässige Schritte)
DIE OFFIZIERE
Sechs Uhr. — Die Stunde der Hinrichtung.
BUQUET
(geht ans Fenster)
Sie warten, dass man ihn bringt. Der Platz ist voll
von Menschen.
(Der Soldat^ dei den Spion holen gegangen isf,
kommt zurück)
DER SOLDAT
Bürger-Deputierter.
QUESNEL
Nun, dein Gefangener?
DER SOLDAT
(ruhig)
Er ist tot. (Erstaunen)
128 DRITTER AKT
TEULIER
Was sagst du da?
DER SOLDAT
(k<ilU macht eine Geste)
Erwürgt.
QUESNEL
Er hat sich umgebracht?
DER SOLDAT
Wahrscheinlich. (Teulier blickt auf den unemp-
findlichen Quesnel und auf Verrat^ der grinst)
VERRAT
Das Vieh hat Angst gehabt. Es ist gut so.
BUQUET
Schöne Zeugen! Ein Toter luid ein Abwesender!
(die Offiziere zucken die Achseln. Teulier^ einen
Augenblick entmutigt^ erhebt sich)
TEULIER
(halsstarrig)
Gleichviel. — Sein Tod bestätigt nur meinen Ver-
dacht.
VERRAT
(versteht erst nicht recht)
Was? Was? — (schreiend) verfluchter Hundsfott,
ich bring* dich um. (er wirft sich auf Teulier mit er-
hobenem Säbel. Die Offiziere trennen sie) Bürger,
ich bin das Opfer eines entsetzlichen Anschlags. Ihr
seht meinen Ankläger, diesen Banditen, (er zeigt auf
Teulier) der zu den ärgsten Beschimpfungen sich
ZWEITE SZENE 129
herablässt, im Einverständnis mit Verrätern und
preussischen Spionen. Wie sehr sie vor mir zittern,
sie schrecken vor keinem Mittel zurück, mich
zu verderben. Sie haben dieses Aas gekauft,
unwürdig des Namens eines Franzosen. Ich
hatte ihn bis jetzt geschont. Das Andenken an
unsere friihere Freundschaft hat mich zurück-
gdialten. Ich hätte ihn erwürgt, aber in Ruhe.
Da er mich zum Aeussersten treibt, werde
ich sprechen. Ich verteidige mich nicht mehr» ich
klage an. Ich klage Teulier an, sich den Preussen
verkauft zu haben, der Mitschuldige der Royalisten,
der Feuillantisten, der Rolandisten und der Aristo-
kraten aller Farben zu sein. Ich werde Beweise da-
für bringen. Ich habe ihm nie getraut: seine Ver-
achtung für die Patrioten, seine respektlosen Urteile
über den Konvent, seine schamlose Bewunderung
der Feinde, — alles an ihm ist verdächtig. — Und
er kann deutsch! Ich werde es euch beweisen. Ich
setze euch instand, zwischen ihm und mir zu ur-
teilen. Einer von uns ist ein Verräter. Ich werde
von hier nicht eher weggehen, als bis er verurteilt ist.
TEULIER
(sehr ruhige sehr fesU fnit innerer Wärme)
Bürger, diese Flut von Beschimpfungen reicht nicht
an mich heran. Ihr kennt mein Leben, das offen da-
liegt. Ich bin arm, ich habe alles hinter mir gelassen,
mein Amt, meine Ruhe, imd — was mir am teuer-
sten war — meine Arbeit, um meine Kraft dem
Rolland, Die Wölfe 9
.jur .
130 DRITTER AKT
Lande zu weihen. Nie habe ich sie verkauft.
Ich verlange keinen Titel. Ich war in elf
Schlachten. Ich werde euch meine Haut voll Nar-
ben nicht zeigen; das sind Prostituiertenkniffe. Ich
schämte und ekelte mich schon genug, als ich an
meine Dienste erinnerte. Ich hasse die Possenreisser.
Und ich möchte weder meinen Körper noch mein
Herz zur Schau stellen. Wir sind Männer, wir dür-
fen uns nur der Vernunft fügen. Die Vernunft
die Vernunft, die Vernunft. Wenn ihre Stimme er-
tönt, kann niemand widerstehen. Sie ist es, der
ich g^orche, der ich opfere, wenn*s sein muss, meine
Freundschaften, meine Feindschaften, mein Le-
ben. Auch ihr werdet sie hören. Ihr müsst sie hören.
So begierig ihr seid» vor ihr davonzulaufen, sie wird
zu laut sein, sie wird Gerechtigkeit schaffen. Klagt
mich nicht etwa stolzen Dünkels an; ich will nichts
für mich selbst. Die Wahrheit spricht durch mich.
Jede Seele, die der Wahrheit einmal ins Angesicht
gesehen hat und sie zu leugnen trachtet, begeht
Selbstmord. Ihr könnt jetzt tun, was ihr wollt; alle
eure Bemühungen, die Augen zu schliessen, nüt-
zen nichts mehr; ihr habt gesehen; ihr wisst
wie ich. Gehorcht wie ich. Gehorcht, wie schwer
es euch auch fällt, weil es sein muss. (Eisiges
Schweigen)
QUESNEL
Bürger, wollt Ihr, dass die zwei Parteien sich ei-
nen Augenblick entfernen, damit wir beraten?
ZWEITE SZENE 131
CHAPELAS
(der sich leise mit den Offizieren unterhalten hat)
Ueberflüssig, Bürger-Deputierter, wir sind alle
einig. Wir haben gestern nach bestem Gewissen
geurteilt; wir haben keinen Grund, heute zu wider-
rufen. Im Namen meiner Kollegen erkläre ich, dass
nichts vorliegt, das Urteil abzuändern. Die Ge-
rechtigkeit nehme ihren Lauf. — Und da alles
dafür spricht, das Interesse des Landes wie die
Menschlichkeit, dass die Qual des Verurteilten
nicht noch mehr verlängert werde, bitten wir dich,
Befehl zu geben, dass die Hinrichtung des Verrä-
ters sofort erfolge. (Stille. — Quesnel schreibt k<^lt-
blütigt ohne ein Wort zu sprechen^ eine Botschaft^
die ein Soldat übernimmt und sich entfernt) Eine
andere Pflicht haben wir noch zu erfüllen. Einer der
unsem ist angeklagt worden. Gezwungen, sich zu
erklären, hat der Ankläger sich hinter beleidigenden
und willkürlichen Voraussetzungen, bösartigen Ge-
rüchten, grundlosen Anspielungen verschanzt. So
hat er die Verteidigung dem Gerede ausgesetzt,
den Sieg zerstört, die Armee in einer Kampfnacht
beunruhigt, er hat gewagt, alles zu verderben» auf
einen verbrecherischen Argwohn hin, der sich auf
nichts stützte. E.S gilt, ein Strafgericht zu verhängen,
um künftig zu verhindern — ...
VERRAT
Beunruhige dich nicht, Chapelas. Das übernehme
ich, das ist meine Sache.
9*
132 DRITTER AKT
CHAPELAS
Das geht uns alle an. Wir alle wurden angegrif-
fen; wir müssen solche Handlungen unterdrücken,
die das Land zerrütten. Mit Rücksicht auf die
Dienste, die Bürger Teulier geleistet hat, lassen
wir die Anklage auf Verrat, die Verrat gegen ihn
erhoben hat, fallen und erheben nur die, dass er
sich durch Eifersucht und Hass zu verbrecherischem
Argwohn hat verleiten lassen, der eines Soldaten
unwürdig ist. Ihr habt zu entscheiden, Kameraden;
was soll mit ihm geschehen?
DIE OFFIZIERE
Vor den Wohlfahrtsausschuss.
CHAPELAS
Du hörst es, Bürger-Deputierter. Unterwirf ihn
dem Ausschuss, sobald es dir möglich ist. Ihm über-
lassen wir es, über ein Schicksal zu entscheiden.
BUQUET und VIDALOT
(stehen auf und schnallen ihre Gürtel zu)
Gut, seine Sache ist in Ordnung. Er wird uns nicht
mehr lästig fallen.
VERRAT
Bürger, ich danke euch nicht. Ihr habt eure Pflicht
getan, indem ihr die Gerechtigkeit verteidigt habt;
aber ich beglückwünsche euch dazu, wieder einmal
die Fallen der Aristokraten unschädlich gemacht zu
haben. Ihr seht, in welchem Netz von Ver-
/
ZWEITE SZENE 133
« — ■,■■■■ ■ ■■■■-■-■,■■■■> Mi - ■ ■ ■— — —- — — — ■■■ ■■■■ ■ ■ II. ..I-W ■ ■ ■■ , 11 ■■»* ■ MIT- ^ ■
brechen wir verstrickt sind. Fest, Schulter aii
Schulter, machen wir uns unsem Weg mit Beilschlä-
gen frei. Mag uns Europa beschimpfen: wir wer-*
den durch Donnerschläge antworten.
(Heftiger Lärm der Menge draussen. Pfiffe und
Hohngelächter)
OFFIZIERE
(am Fenster)
Er kommt aus dem Gefängnis.
Man erkennt ihn nicht mit dem geschorenen Haar.
Wie arrogant die Canaille immer noch ist.
(Stille. Die Offiziere stehen am Fenster. Verrat
steht mit dem Rücken zum Publikum. Teulier und
Quesnel bleiben am Tisch sitzen. — Quesnel un-
bervegt^ undurchdringlich. — Teulier^ den Kopf
in die Hände gestützt^ erregt^ erschüttert. — Man
hört eine kräftige eintönige Stimme draussen lesen)
BUQUET
Man liest das Urteil.
TEULIER
(halblaut^ voll Ängste fleht Quesnel an)
Quesnel — Quesnel — um Gottes willen! — ein
Wort, — ein Wort genügt; — ich habe die Wahr-
heit gesagt, du weisst es; du weisst es wohl, du.
( Trommelwirbel)
QUESNEL
(steht auf^ entblösst den Kopf)
Dem Vaterland!
134 DRITTER AKT
DIE OFFIZIERE
(feierlich)
Es lebe die Nation 1
(Lärm der Menge draussen)
VERRAT
Und jetzt zum Siegl
(sie gehen lärmend ab — Teulier bleibt wie fest-
gervurzelt beim Tisch sitzen. Quesne/, als letzter^
kommt an ihm vorbei)
QUESNEL
Lebwohl Teulier, ich habe dich gewarnt. Du hast
dir selbst geschadet.
TEULIER
(steht stolz und verächtlich auf)
Beklage mich nicht I Ich stdie lieber hier als wo du
stehst.
QUESNEL
Schande auf meinen Namen, aber das Land sei
gerettet.
Vorhang.
Druck von Mänicke und Jahn in Rudolttadt
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YB 393 I I