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Full text of "Die Zelle und die Gewebe. Grundzüge der Allgemeinen Anatomie und Physiologie"

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DIE 


ZELLE  UND  DIE  GEWEBE. 


GRUNDZÜGE 

DER 

ALLGEMEINEN  ANATOMIE  UND  PHYSIOLOGIE. 


VON 


PROFESSOR  DR.  OSCAR  HERTWIG, 

DIREKTOE   DES  II.    ANATOMISCHEN    INSTITUTS   DER   UNIVERSITÄT    BERLIN. 


MIT  168  ABBILDUNGEN  IM  TEXT. 


JENA. 
VERLAG   VON   GUSTAV   FISCHER. 

1893. 


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SEINEM   FREUNDE   UND   COLLEGEN 


W.  WALDEYER 


Vorwort. 


„Jedes  lebende  Wesen  muss  als  ein  Mikrokosmus 
betrachtet  werden,  als  ein  kleines  Universum,  das  aus 
einer  Menge  sich  selbst  fortpflanzender  Organismen 
gebildet  wird,  welche  unbegreiflich  klein  nnd  so  zahl- 
reich sind,  als  die  Sterne  am  Himmel/ 

Darwin.     Pas  Variiren  der  Thiere  und  Pflanzen. 

Wer  die  zahlreichen  Lehrbücher  der  Histoloüie  überblickt,  wird 
finden,  dass  in  ihnen  viele  Fragen,  die  in  der  wissenschaftlichen  Forschung 
sich  eines  lebhaften  Interesses  erfreuen,  kaum  berührt  werden,  und  dass 
manche  Wissensgebiete,  die  mit  der  Histologie  auf  das  engste  zusammen- 
hängen, von  der  lehrbuchmässigen  Darstellung  mehr  oder  minder  ausge- 
schlossen sind.  Der  Leser  erfährt,  wie  die  Zelle  und  die  aus  ihr  her- 
vorgehenden Gewebe  unter  dem  Mikroskop  je  nach  den  verschiedenen 
Präparationsmethoden  aussehen,  aber  er  erfährt  sehr  wenig  von  den 
Lebenseigenschaften  der  Zelle,  von  den  wunderbaren  Kräften,  welche  in 
dem  kleinen  Zellorganismus  schlummern  und  sich  dem  Forscher  in  so 
mannichfacher  Weise  bald  an  diesem,  bald  an  jenem  Untersuchungsobject 
in  den  Phänomenen  der  Protoplasmabewegung,  der  Reizbarkeit,  des  Stoff- 
wechsels und  der  Zeugung  offenbaren.  Wer  sich  in  dieser  Richtung 
augenblicklich  eine  dem  Stand  der  Wissenschaft  entsprechende  Vor- 
stellung von  dem  Wesen  des  Zellorganismus  verschaffen  will,  muss  die 
Fachliteratur  studiren. 

Die  Ursache  hierfür  ist  leicht  zu  entdecken;  sie  ist  hauptsächlich  in 
der  Trennung  eines  früher  einheitlichen  Lehrfaches  in  die  Fächer  der 
menschlichen  Anatomie  und  Physiologie  zu  suchen.  Die  Scheidung  der 
Lehrgebiete  hat  sich  bis  auf  die  Zelle  ausgedehnt,  nur  ist  sie  hier,  wie 
mir  scheint,  weniger  angebracht.  Denn  die  Trennung,  welche  für  das 
Studium  des  menschlichen  Körpers  in  vieler  Hinsicht  ein  Förderniss  und 
eine  Nothwendigkeit  ist  trotz  mancher  Nachtheile,  die  sie  naturgemäss 
auch  mit  sich  bringt,   ist  für  das  Studium   der  Zelle  nicht  durchführbar 


VI  Vorwort. 

und  hat  in  Wirklichkeit  nur  dazu  geführt,  dass  nel)on  der  Anatomie  die 
Physiologie  der  Zelle,  zwar  nicht  als  Wissenschaft,  aber  doch  als  Lehr- 
gegenstand, stiefmütterlich  behandelt  worden  ist,  und  dass  Vieles  von 
dem  Besten,  was  Forscherfleiss  zu  Tage  gefördert  hat,  nicht  in  ent- 
sprechender Weise  durch  die  Lehre  weiter  fruchtbar  gemacht  wird. 

Mit  dem  vorliegenden  Buch  habe  ich  das  gewohnte  Geleise  verlassen, 
und  um  dies  äusserlich  auch  anzuzeigen,  zu  dem  Haupttitel,  „die  Zelle 
und  die  Gewebe,"  noch  den  zweiten  Titel  „Grundzüge  der  allgemeinen 
Anatomie  und  Physiologie"  hinzugefügt. 

Wie  von  meinem  Lehrbuch  der  Entwicklungsgeschichte,  kann  ich 
auch  von  dieser  Arbeit  sagen,  dass  sie  in  enger  Fühlung  mit  meiner 
akademischen  Lehrthätigkeit  entstanden  ist.  Der  Inhalt  des  jetzt  er- 
scheinenden ersten  Buches,  in  welchem  ich  ein  zusammenfassendes  Bild 
von  dem  Bau  und  dem  Leben  der  Zelle  zu  entwerfen  versuche,  hat  zum 
grossen  Theil  auch  den  Gegenstand  für  zwei  öffentliche  Vorlesungen  ab- 
gegeben, welche  ich  seit  vier  Jahren  an  der  Berliner  Universität  unter 
dem  Titel:  „die  Zelle  und  ihr  Leben"  und  „Theorie  der  Zeugung  und 
Vererbung"  gehalten  habe. 

Zu  dem  Antrieb,  die  oft  mündlich  von  mir  vorgetragenen  An- 
schauungen auch  im  Druck  einem  weiteren  Leserkreis  mitzutheilen,  ge- 
sellte sich  als  zweiter  Antrieb  noch  der  Wunsch,  zugleich  eine  zusammen- 
fassende Darstellung  für  eigene  Untersuchungen  zu  finden,  die  theils  in 
verschiedenen  Zeitschriften  zerstreut,  theils  in  den  mit  meinem  Bruder 
gemeinsam  herausgegebenen  sechs  Heften,  „zur  Morphologie  und  Physio- 
logie der  Zelle",  erschienen  sind. 

Endlich  habe  ich  noch  ein  drittes  Moment  hervorzuheben,  welches 
mich  bei  der  Abfassung  geleitet  hat.  Die  Grundzüge  der  „allgemeinen 
Anatomie  und  Physiologie"  bilden  eine  Ergänzung  und  ein  Seitenstück 
zu  meinem  „Lehrbuch  der  Entwicklungsgeschichte  des  Menschen  und  der 
Wirbelthiere".  In  demselben  habe  ich  die  Gesetze  darzustellen  versucht, 
welche  die  thierische  Formbildung  beherrschen,  die  Gesetze,  nach  denen 
sich  das  Zellmaterial,  welches  durch  fortgesetzte  Theilung  aus  der  be- 
fruchteten Eizelle  entsteht,  durch  ungleichmässiges  Wachsthum,  durch 
complicirte  Faltenbildung  und  Einstülpung  in  Keimblätter  und  schliesslich 
in  die  einzelnen  Organe  sondert. 

Neben  der  Massenvertheilung  und  Anordnung  des  Zellmateriales  oder 
neben  der  morphologischen  Differenzirung  spielt  sich  nun  aber 
im  Entwicklungsleben  noch  eine  zweite  Reihe  von  Processen  ab,  welche 
man  als  die  histologische  Differenzirung  zusammenfassen  kann. 
Durch  letztere  wird  das  schon  morphologisch  gesonderte  Zellmaterial  über- 
haupt erst  in  den  Stand  gesetzt,  die  verschiedenen  Arbeitsleistungen  zu 
verrichten,  in  welche  sich  der  Lebensprocess  des  fertig  entwickelten  Ge- 
sammtorganismus  zerlegen  lässt. 


Vorwort.  VII 

Im  „Lehrbuch  der  Entwicklungsgeschichte"  konnte  auf  die  zweite, 
mehr  lAysiologisehe  Seite  des  Entwicklungsprocesses  aus  Zweckmässig- 
keitsgründen nicht  näher  eingegangen  werden.  Insofern  bildet  die 
Anatomie  und  Physiologie  der  Zelle  und  der  Gewebe,  wie  ich  oben  sagte, 
eine  nothwendige  Ergänzung  und  ein  Seitenstück  zu  ihm.  Dies  wird 
dem  Leser  schon  in  dem  ersten  hier  vorliegenden  Theil  des  Lehrbuchs, 
welcher  allein  die  Zelle  zum  Gegenstand  hat,  bemerkbar  werden.  Denn 
nicht  nur  findet  sich  im  siebenten  Capitel  eine  ausführliche  Darstellung 
der  Anatomie  und  Physiologie  der  Zeugung,  welche  in  letzter  Instanz, 
wie  des  Näheren  ausgeführt  ist,  „ein  reines  Zellenphänomen"  ist;  sondern 
es  handelt  auch  noch  am  Schluss  das  neunte  Capitel,  betitelt  „die  Zelle 
als  Anlage  eines  Organismus",  ausführlich  von  den  älteren  und  neueren 
Vererbungstheorieen. 

Noch  mehr  aber  wird  der  zweite  Theil  des  Buches,  welcher  die 
Lehre  von  den  Geweben  umfasst  und  etwa  den  gleichen  Umfang  wie 
der  erste  Theil  erreichen  wird ,  eine  Ergänzung  zur  „Entwicklungs- 
geschichte" bilden.  Denn  es  wird  in  ihm  neben  der  Beschreibung  der 
Gewebe  ein  besonderes  Gewicht  auf  ihre  Entstehung  oder  Histogenese 
und  auf  die  physiologischen  Ursachen  der  Gewebebildung  gelegt  werden ; 
damit  wird  auch  die  zweite  Seite  des  Entwicklungsprocesses,  die  histo- 
logische Differenzirung,  ihre  Darstellung  finden. 

Wissenschaftliche  Gesichtspunkte  sind  es  in  erster  Linie  gewesen, 
welche  mich  bei  der  Darstellung,  die  ich,  so  weit  es  möglich  ist,  zu 
einer  gemeinverständlichen  zu  machen  bemüht  war,  überall  geleitet 
haben.  Das  wenigstens  nach  besten  Kräften  angestrebte  Ziel  war  mir, 
den  wissenschaftlichen  Standpunkt  zu  fixiren,  welchen  die  Lehre  von  der 
Zelle  und  den  Geweben  augenblicklich  einnimmt. 

Für  wichtigere  Theorieen  habe  ich  ein  Bild  von  ihrem  historischen 
Entwicklungsgang  zu  entwerfen  versucht;  in  schwebenden  Streitfragen 
habe  ich  oft  die  verschiedenen  Meinungen  einander  gegenübergestellt. 
Wenn  in  der  Darstellung,  wiewohl  naturgemäss,  meine  Auffassung  von 
der  Zelle  in  den  Vordergrund  tritt,  und  wenn  ich  dabei  hier  und  dort 
von  den  Ansichten  und  Deutungen  hervorragender  und  von  mir  hoch- 
geschätzter Forscher  abweiche,  so  glaube  ich  ihnen  das  Geständniss  zu 
schulden,  dass  ich  darum  weder  die  von  mir  bevorzugte  Auffassung  für 
die  unbedingt  richtige  halte,  noch  viel  weniger  aber  von  entgegen- 
gesetzten Auffassungen  gering  denke.  Denn  der  Gegensatz  der  Mei- 
nungen ist  zum  Leben  und  zur  Entwicklung  der  Wissenschaft  noth- 
wendig ;  und  wie  ich  in  verschiedenen  historischen  Excursen  habe  durch- 
blicken lassen,  schreitet  gerade  im  Widerspruch  der  Meinungen  und 
Beobachtungen  die  Wissenschaft  am  raschesten  und  erfolgreichsten 
vorwärts.  Wie  in  unserer  Natur  begründet  ist,  sind  fast  alle  Beobach- 
tungen und  die  aus  ihnen  gezogenen  Schlüsse  einseitig  und  sind  daher 


vni  Vorwort. 

fortwährend  einer  Correctur  bedürftiii.  Wie  sehr  aber  niuss  dies  der 
Fall  sein  bei  dem  Gegenstand  vorliegender  Untersuchung,  bei  der  Zelle, 
welche  selbst  ein  wunderbar  coiiiplicirter  Organismus  ist,  „ein  kleines 
Universum",  in  dessen  Zusannnensetzung  wir  mit  unseren  Vergrösserungs- 
gläsern,  mit  chemisch -physikalischen  Untersuchungsniethoden  und  Ex- 
perimenten nur  mühsam  einzudringen  vermögen. 
Berlin,  October  1892. 

Oscar  Hertwig. 


Inhalt. 

ERSTES  BUCH. 
Allgemeine  Anatomie  und  Physiologie  der  Zelle. 

Seite 

Erstes  Capitel 3 

Die  Geschichte  der  Zellentheorie 4 

Die  Geschichte  der  Protoplasmatheorie 7 

Literatur  I 9 

Zweites  Capitel.    Die  chemisch- physikalischen  und  morphologischen  Eigen- 
schaften der  Zelle 11 

I.    Die  chemisch-physikalischen  und   morphologischen  Eigenschaften    des 

Protoplasmakörpers 12 

a)  Begriff  des  Protoplasmas  und  Berechtigung  desselben 12 

b)  Allgemeine  Charakteristik  des  Protoplasmas 13 

c)  Chemische  Zusammensetzung  des  Protoplasmas 15 

d)  Feinere  Protoplasmastructur 17 

e)  Gleichartigkeit  des  Protoplasma  als  Substanz,   Verschiedenheit  der 

Zellkörper 23 

f)  Verschiedene  Beispiele  für  den  Bau  des  Zellkörpers 24 

1)  Zellen,  deren  Körper  fast  ausschliesslich  aus  Protoplasma  besteht  24 

2)  Zellkörper,  die  in  ihrem  Protoplasma  zahlreiche  und  verschiedene 

Einschlüsse  enthalten 27 

II.     Die   chemisch-physikalischen   und   morphologischen  Eigenschaften   des 

Zellenkerns.    (Nucleus.) 31 

a)  Fomi,  Grösse  und  Zahl  der  Kerne 32 

b)  Die  Kernsubstanzen 34 

c)  Die    Kernstructur.     Beispiele    für    die   verschiedene    Beschaffenheit 

derselben 38 

III.  Giebt  es  kernlose  Elementarorganismen? 46 

IV.  Die  Central-  oder  Polkörperchen  der  Zelle 47 

V.    Ueber  die  Molecularstructur  organisirter  Körper 49 

Literatur  II 51 

Drittes  Capitel.    Die  Lebenseigenschaften  der  Zelle. 

I.    Die  Bewegungserscheinung£n 54 

I.    Die  Protoplasmabewegung 55 

a)  Bewegungen  nackter  Protoplasmakörper 55 

b)  Bewegung  von  Protoplasmakörpern  im  Innern  von  Zellmembranen  .  59 

c)  Erklärungsversuche  der  Protoplasmabewegung 61 

II.    Die  Geissei-  und  Flimmerbewegung 64 

a)  Zellen  mit  Geissein 65 

b)  Zellen  mit  vielen  Flimmern 68 

III.  Die  contractilen  Vacuolen  oder  Behälter  einzelliger  Organismen  ...  69 

IV.  Veränderung  des  Zellkörpers  durch  passive  Bewegung 72 

Literatur  III 73 


X  Inhalt. 

Seite 
Viertes  Capitel.    Die  Lebenseigenscbiiften  der  Zelle. 

II.  Die  Reizerscheinungen 75 

I.    Thermische  Reize 78 

11.    Lichtreize 81 

III.  Elektrische  Reize 86 

Erscheinungen  des  Galvanotropismus 88 

IV.  Mechanische  Reize 90 

V.     Chemische  Reize 91 

a)  Erste  Gruppe  von  Versuchen. 

Chemische  Einwirkungen,  die  von  allen  Seiten  den  Zellkörper  treffen  91 

b)  Zweite  Gruppe  von  Versuchen. 

Chemische   Einwirkungen,    die    in   einer   bestimmten  Richtung  den 

Zellkörper  treffen 94 

1)  Gase 94 

2)  Flüssigkeiten 95 

Literatur  IV 101 

Fünftes  Capitel.    Die  Lebenseigenschaften  der  Zelle. 

III.  Stoffwechsel  und  formative  Thätigkeit. 

Allgemeine  Charakteristik 103 

I.     Die  Stoffaufnahme  und  Stoftabgabe  der  Zelle 105 

1)  Die  Aufnahme  und  Abgabe  gasförmiger  Stoffe 105 

2)  Die  Aufnahme  und  Abgabe  flüssiger  Stoffe 109 

3)  Die  Aufnahme  fester  Körper 115 

II.     Die  Stoffiimsetzung  luid  die  fonnative  Thätigkeit  der  Zelle       ....  118 

1)  Zur  Chemie  des  Stoffumsatzes 119 

2)  Zur  Morphologie  des  Stofiumsatzes.  Die  formative  Thätigkeit  der  Zelle  125 

a)  Die  inneren  Plasmaproducte 125 

b)  Die  äusseren  Plasmaproducte 134 

Literatur  V 141 

Sechstes  Capitel.     Die  Lebenseigenschaften  der  Zelle. 

IV.  Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der 
Theiluug 143 

I.     Geschichte  der  Zellenentstehung 143 

n.    Der  Process  der  Kerntheilung  und  die  verschiedenen  Arten  desselben  .  145 

1)  Die  Kernsegmentirmig.    Mitose  (Flemming).    Karyokinese  (Schleicher)  145 

a)  Zelltheilung  bei  Salamandra  maculata  unter  Zugi'undelegung  der 

Theilung  der  Samenmutterzellen. 

Erste  Phase.    Vorbereitung  des  Kerns  zur  Theilung 147 

Zweite  Phase  der  Theilung 149 

Dritte  Phase  der  Theilung 150 

Vierte  Phase  der  Theilung 151 

b)  Theilung    der  Eizellen   von   Ascaris  |  megalocephala   und  Toxo- 

pneustes  lividus 152 

c)  Theilung  pflanzlicher  Zellen 158 

d)  Historische  Bemerkungen  und  strittige  Fragen  der  Kernsegmentirung  160 

2)  Die  Kernzerschnürung  (directe  Kernvermehrung,  Fragmentirung,  Ami- 

tose, amitotische  Theilung) 166 

3)  Endogene  Kernvermehrung  oder  Vielkernbildung 170 

in.    Verschiedene  Arten  der  Zellvermehrung. 

1)  Allgemeine  Regeln 172 

2)  Uebersicht  der  Arten  der  Zelltheilung 180 

la.    Die  äquale  Theilung 180 

Ib.    Die  inäquale  Theilung 182 

Ic.   Knospung 183 

IL   Partielle  Theilung 185 

III.  Die  Vielzellbildung 187 

IV.  Die  Reductionstheilung       189 

IV.    Beeinflussung  der  Zelltheilung  durch  äussere  Factoren.    Abnorme  Kern- 

theilungsfiguren.     Kerndegenerationen 192 

Literatur  VI 199 

Siebentes  Capitel.    Die  Lebenseigenschaften  der  Zelle. 

V.  Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtimg  202 

I.    Die  Morphologie  des  Befruchtungsprocesses 205 


Inhalt.  XI 

Seite 

1)  Die  Befruchtung  des  thierischen  Eies 205 

a)  Echinodermen-Eier 206 

b)  Ascaris  megalocephala 209 

2)  Die  Befruchtung  der  Phanerogamen 210 

3)  Die  Befruchtung  der  Infusorien 212 

4)  Die  verschiedene  Form  der  Geschlechtszellen,   die  Aequivalenz   der 

beim  Zeugimgsakt  betheiligten  Stoffe  und  die  Begi-ilfe  „männliche 

und  weibliche  Geschlechtszellen" 218 

5)  Die  Ur-   und  Grundformen   der  geschlechtlichen  Zeugung  und  das 

erste  Hervortreten  von  Geschlechtsdifferenzen 223 

n.    Die  Physiologie  des  Befruchtungsprocesses 233 

1)  Die  Befruchtungsbedürftigkeit  der  Zellen 233 

a)  Die  Parthenogenese 236 

b)  Die  Apogamie 240 

2)  Die  sexuelle  Affinität 240 

a)  Die  sexuelle  Affinität  im  Allgemeinen 241 

b)  Die  sexuelle  Affinität  im  Einzelnen  und  die  verschiedenen  Ab- 

stufungen dersellien 244 

«)  Die  Selbstbefruchtung 245 

ß)  Die  Bastardbefruchtung 248 

y)  Beeinflussung    der    geschlechtlichen   Affinität   durch    äussere 

Eingrifte 250 

cT)  Rückblick  und  Erklärungsversuche 253 

Literatur  VII 256 

Achtes  Gapitel.   Wechselwirkungen  zwischen  Protoplasma,  Kern  u.  Zellproduct  258 
I.    Beobachtungen  über  Stellungen  des  Kerns,  welche  auf  eine  Betheiligung 

bei  formativen  und  nutritiven  Processen  hinweisen 259 

II.     Experimente,    aus  denen  sich  auf  eine  Wechselwirkung  zwischen  Kern 

und  Protoplasma  schliessen  lässt 264 

Literatur  VIII       266 

Neuntes  Capitel.    Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Vererbungstheorieen)  267 

I.     Geschichte  der  älteren  Entwicklungstheorieen 268 

n.    Neuere  Zeugungs-  und  Entwicklungstheorieen 271 

m.    Der  Kern  als  Träger  der  erblichen  Anlagen 275 

1)  Die  Aequivalenz  der  männlichen  und  weiblichen  Erbmasse      .     .     .  276 

2)  Die  gleichwerthige  Vertheilung   der  sich   vermehrenden  Erbmassen 

auf  die  aus  dem  befruchteten  Ei  hervorgehenden  Zellen      .     .     .  277 

3)  Die  Verhütung  der  Summirung  der  Erbmassen 280 

4)  Die  Isotropie  des  Protoplasma 284 

rV.    Die  Entfaltung  der  Anlagen 286 

Literatur  IX 289 

Register 291 


ERSTES  BUCH. 


ALLGEMEINE  ANATOMIE  UND  PHYSIOLOGIE  DER  ZELLE. 


Hertwig,   Die  Zelle  und  die  Gewete. 


ERSTES  CAPITEL. 


Thiere  und  Pflanzen,  so  verschiedenartig  in  ihrer  äusseren  Erscheinung, 
stimmen  in  den  Grundlagen  ihres  anatomischen  Aufbaues  überein;  denn 
beide  sind  aus  gleichartigen,  meist  nur  mikroskopisch  wahrnehmliaren 
Elementareinheiten  zusammengesetzt.  iMan  bezeichnet  die  letzteren 
«iner  jetzt  verlassenen,  «älteren  Theorie  zu  Liebe  als  Zellen ,  sowie  die 
Lehre,  dass  Thiere  und  Pflanzen  in  übereinstimmender  Weise  aus  solchen 
kleinsten  Theilchen  bestehen,  als  die  Zellentheorie. 

In  der  Zellentheorie  erblickt  man  mit  Piecht  eines  der  wichtigsten 
Fundamente  der  ganzen  modernen  Biologie.  Zum  Studium  der  Zelle  wird 
der  Pflanzen-  und  Thieranatom,  der  Physiologe  und  pathologische  Ana- 
tom auf  Schritt  und  Tritt  hingeleitet,  wenn  er  tiefer  in  das  Wesen  der 
normalen  und  der  krankhaften  Lebensprocesse  eindringen  will.  Denn 
die  Zellen,  in  welche  der  Anatora  die  pflanzlichen  und  thierischen 
Organismen  zerlegt,  sind  die  Träger  der  Lebensfunctionen ;  sie  sind,  wie 
Virchow  (L  33)  sich  ausgedrückt  hat,  die  Lebenseinheiten. 

Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  betrachtet,  erscheint  der  Gesammt- 
lebensprocess  eines  zusammengesetzten  Organismus  nichts  Anderes  zu  sein 
als  das  höchst  verwickelte  Resultat  der  einzelnen  Lebensprocesse  seiner 
zahlreichen,  verschieden  functionirenden  Zellen.  Das  Studium  des  Ver- 
dauungsprocesses,  der  Muskel-  und  Nerventhätigkeit  führt  bei  tieferem  Ein- 
dringen zur  Untersuchung  der  Functionen  der  Drüsenzellen,  der  Muskel-, 
Ganglien-  und  Sinneszellen.  Und  wie  die  Physiologie  ihre  Fundamente 
in  der  Zellentheorie  gefunden  hat,  so  hat  sich  auch  die  Lehre  von  den 
Krankheiten  in  eine  Cellularpathologie  umgewandelt. 

In  vieler  Beziehung  steht  somit  die  Lehre  von  der 
Zelle  im  Mittelpunkt  der  biologischen  Forschung  der 
Gegenwart.  Sie  bildet  in  jeder  Beziehung  den  vornehmsten  Gegen- 
stand der  allgemeinen  Anatomie,  wie  man  früher,  oder  der  Histologie, 
wie  man  jetzt  gewöhnlich  die  Lehre  von  den  Mischungs-  und  Form- 
bestandtheilen  der  Organismen  zu  benennen  pflegt. 

Die  Vorstellung  und  der  Begriff,  den  man  in  der  Wissenschaft  mit 
dem  Wort  „Zelle"  verbindet,  hat  sich  im  Laufe  von  50  Jahren  sehr 
wesentlich  geändert.  Die  Gescliichte  dieser  veränderten  Auffassungen 
oder  die  Geschichte  der  Zellentheorie  ist  von  hohem  Interesse. 
Nichts  ist  geeigneter  als  ein  kurzer  Abriss  derselben,   um  den  Anfänger 

1* 


4  Erstes  Capitel. 

in  den  Vorstellungskreis,  den  man  jetzt  mit  dem  Worte  Zelle  verbindet, 
einzuführen.  Auch  möchte  der  Hinweis  auf  die  Geschichte  der  Zellen- 
theorie noch  in  anderer  Richtung  nützen.  Indem  wir  die  augenblick- 
lich herrschende  Vorstellung  von  der  Zelle  aus  älteren,  minder  voll- 
kommenen Vorstellungsweisen  sich  allmählich  hervorbilden  sehen,  wird  es 
uns  nahe  gelegt,  die  erstere  auch  nicht  als  etwas  in  sich  Fertiges 
zu  betrachten;  es  erscheint  vielmehr  die  Hoffnung  berechtigt,  dass 
bessere  und  verfeinerte  Untersuchungsmittel,  wol)ei  man  indessen  nicht 
nur  von  einer  Verbesserung  der  optischen  Instrumente  alles  Heil  zu 
erwarten  braucht,  unsere  derzeitig  gewonnene  Erkenntniss  noch  wesentlich 
vertiefen  und  vielleicht  mit  ganz  neuen  Vorstellungsreihen  bereichern 
werden. 


Die  Geschichte  der  Zellentheorie. 

Zu  der  Erkenntniss,  dass  die  Organismen  aus  Zellen  zusammen- 
gesetzt sind,  wurde  der  erste  Anstoss  durch  das  Studium  der  Pflanzen- 
Anatomie  gegeben.  Am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  gewannen  der  Italiener 
Marcellus  Malpighi  (I.  15)  und  der  Engländer  Grew  (I.  9)  den 
ersten  Einblick  in  den  feineren  Bau  der  Pflanzen ;  sie  entdeckten  an  ihnen 
mit  schw^achen  Vergrösserungsgläsern  einmal  kleine,  kammerartige,  mit 
festen  Wandungen  versehene  und  mit  Flüssigkeit  erfüllte  Räume,  die 
Zellen,  und  zweitens  noch  lange  Röhren,  die  in  den  meisten  Pflanzen- 
theilen  in  mannigfacher  Gestalt  durch  das  Grundgewebe  ziehen,  und  die 
jetzt  je  nach  ihrer  Form  als  Spiralröhren  und  Gefässe  bezeichnet  werden. 
Eine  tiefere  Bedeutung  gewannen  diese  Thatsachen  aber  erst,  als  am 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  sich  eine  mehr  philosophische  Betrachtungs- 
weise der  Natur  Bahn  brach. 

Caspar  Friedrich  Wolff  (I.  34,  13),  Oken  (I.  21)  u.  A.  warfen 
die  Frage  nach  der  Entstehung  der  Pflanzen  auf  und  suchten  ihre 
Gefässe  und  Röhren  von  der  Zelle  als  Grundform  abzuleiten.  Namentlich 
aber  hat  sich  Treviranus  (I.  32)  ein  hervorragendes  Verdienst 
erworben,  indem  er  in  seiner  1808  erschienenen  Schrift  „Vom  inwendigen 
Bau  der  Gewächse"  an  jungen  Pflanzentheilen  den  Nachweis  führte,  dass 
die  Gefässe  ^aus  Zellen  hervorgehen;  er  fand,  dass  junge  Zellen  sich  in 
Reihen  anordnen  und  durch  Auflösung  der  Querscheidewände  zu  einer 
langgestreckten  Röhre  verschmelzen,  eine  Entdeckung,  welche  später 
durch  die  Nachuntersuchungen  von  Mo  hl  (1830)  zum  gesicherten  Besitz 
der  Wissenschaft  erhoben  wurde. 

Nicht  minder  wichtig  für  die  Werthschätzung  der  Zelle  wurde  das 
Studium  der  niedersten  Pflanzen.  Man  lernte  kleine  Algen  kennen ,  die 
zeitlebens  entweder  nur  eine  einzige  Zelle  darstellen  oder  einfache 
Reihen  von  Zellen  sind,  welche  sich  leicht  von  einander  loslösen  können. 
Endlich  führte  das  Nachdenken  über  den  Stoffwechsel  der  Pflanzen  zu 
der  Einsicht,  dass  die  Zelle  es  sei,  welche  in  der  vegetabilischen  Haus- 
haltung die  Nahrungsstoffe  aufnimmt,  verarbeitet  und  in  veränderter  Form 
wieder  abgiebt.    (Turpin,  Raspail.) 

So  war  schon  am  Anfang  unseres  Jahrhunderts  die  Zelle  als  der 
morphologische  und  physiologische  Elementartheil  der  Pflanze  von  ver- 
schiedenen Forschern  erkannt  worden.    Besonders  klar  findet  sich  diese 


Die  Geschichte  der  Zellentheorie.  5 

Anschauung  in  dem  1830  herausgegebenen  Lehrbuch  der  Botanik  von 
Meyen  (I.  16)  in  folgendem  Satze  ausgesprochen:  „Die  Pflanzenzellen 
treten  entweder  einzeln  auf,  so  dass  eine  jede  ein  eigenes  Individuum 
bildet,  wie  dieses  bei  Algen  und  Pilzen  der  Fall  ist,  oder  sie  sind  in 
mehr  oder  weniger  grossen  Massen  zu  einer  höher  organisirten  Pflanze 
vereinigt.  Auch  hier  bildet  jede  Zelle  ein  für  sich  bestehendes,  ab- 
geschlossenes Ganze;  sie  ernährt  sich  selbst,  sie  bildet  sich  selbst 
und  verarbeitet  den  aufgenommenen,  rohen  Nahrungsstoff  zu  sehr 
verschiedenartigen  Stoffen  und  Gebilden."  Meyen  bezeichnet  daher 
geradezu  die  einzelnen  Zellen  als  „die  kleinen  Pflänzchen  in  den 
grösseren". 

Zu  allgemeinerer  Geltung  gelangten  indessen  derartige  Ansichten  erst 
vom  Jahre  1838  an,  in  welchem  M.  Schlei  den  (I.  28.),  den  man  so 
häufig  als  den  Begründer  der  Zellentheorie  hingestellt  findet,  in  Müllers 
Archiv  seinen  berühmten  Aufsatz  „Beiträge  zur  Phytogenesis"  ver- 
öffentlichte. In  demselben  suchte  M.  Schieiden  die  Frage  zu  lösen, 
wie  die  Zelle  entsteht.  Den  Schlüssel  hierzu  glaubte  er  in  einer  Ent- 
deckung des  englischen  Botanikers  R.  B  r  o  w  n  (I.  5)  gefunden  zu  haben, 
welcher  im  Jahre  1833  bei  seiner  Untersuchung  der  Orchideen  den 
Zellenkern  entdeckt  hatte.  S  c  h  1  e  i  d  e  n  verfolgte  B  r  o  w  n  's  Entdeckung 
weiter ;  er  überzeugte  sich  bei  vielen  Pflanzen  von  dem  Vorkommen  des 
Kerns,  und  da  er  ihn  namentlich  in  jugendlichen  Zellen  beständig  auf- 
treten sah,  entsprang  in  ihm  der  Gedanke,  dass  der  Kern  eine  nähere 
Beziehung  zu  der  so  räthselhaften  Entstehung  der  Zelle  und  demnach 
eine  grosse  Bedeutung  im  Zellenleben  haben  müsse. 

Die  Art  und  Weise,  wie  Schieiden  diesen  Gedanken  auf  Grund  irr- 
thümlicher  Beobachtungen  zu  einer  Theorie  der  Phytogenesis  verwerthete, 
muss  jetzt  zwar  als  eine  verfehlte  bezeichnet  werden  (I.  27),  auf  der  an- 
dern Seite  muss  aber  auch  betont  werden,  dass  seine  allgemeine  Auffassung 
von  der  Bedeutung  des  Kerns  in  gewisser  Beziehung  richtig  ist,  und  dass 
gerade  dieser  eine  Gedanke  weit  über  das  engere  Gebiet  der  Botanik 
hinaus  fruchtbringend  geworden  ist ;  denn  durch  ihn  ist  die  Uebertragung 
der  Zellentheorie  auf  die  thierischen  Gewebe  ermöglicht  worden.  In 
diesen  treten  gerade  die  Kerne  unter  den  verschiedenen  Zellenbestand- 
theilen  am  deutlichsten  hervor  und  weisen  auf  die  Uebereinstimmung 
der  histologischen  Elemente  bei  Thieren  und  Pflanzen  am  offenkundigsten 
hin.  Insofern  bezeichnet  die  kleine  Schrift  Schleidens  aus  dem  Jahre 
1838  geschichtlich  den  wichtigen  Wendepunkt,  von  welchem  ab  der 
Thierkörper  der  Herrschaft  der  Zellentheorie  unterworfen  wurde. 

An  Versuchen,  den  Thierkörper  als  eine  Vielheit  kleinster  Elementar- 
theile  darzustellen,  hat  es  auch  vor  Schi  ei  den  nicht  gefehlt,  wie  die 
Hypothesen  von  Oken  (I.  21),  Heusinger,  Raspail  und  manchen  Andern 
lehren.  Dieselben  erwiesen  sich  aber  nicht  entwickelungsfähig,  weil 
falsche  Beobachtungen  und  verkehrte  Deutungen  in  ihnen  das  Gute 
überwogen.  Erst  in  den  dreissiger  Jahren,  in  denen  die  optischen  Hülfs- 
mittel  eine  Verbesserung  erfuhren,  wurden  einzelne  brauchbare  Funda- 
mente auch  für  eine  thierische  Zellentheorie  gelegt.  Schon  verglichen 
Purkinje  (I.  22)  und  Valentin,  Joh,  Müller  (I.  20)  und  Henle 
(I.  11)  einzelne  Thiergewebe  den  pflanzlichen;  sie  erkannten  schon  den 
zelligen,  einem  Pflanzengewebe  ähnlichen  Bau  der  Chorda  dorsalis,  des 
Knorpels,  der  Epithelien  und  des  Drüsengewebes.  Den  Versuch 
einer  wirklich  zusammenfassenden  Zellentheorie  aber,  welche  alle 
thierischen  Gewebstheile    berücksichtigt,   hat   zuerst  Schwann  (I.  31), 


Q  Erstes  Capitel. 

angeregt  durch  Schlei dens  Phytogenesis,  unternommen  und  in  genialer 
Weise  durchgeführt. 

Im  Jahre  1838  erfuhr  Schwann  in  einer  Unterredung  mit 
Schi  ei  den  von  der  neuen  Theorie  der  Zellenbildung  und  von  der 
Bedeutung,  welche  den  Kernen  bei  den  Pflanzen  zukommen  sollte.  Er 
erkannte  hierin  sofort,  wie  er  uns  selbst  erzählt,  charakteristische 
Momente  genug,  welche  zu  einem  Vergleich  mit  thierischen  Zellen  auf- 
forderten. Mit  bewundernswerthem  Eifer  stellte  er  eine  umfassende 
Reihe  von  Untersuchungen  an,  die  er  schon  im  Jahre  1839  unter  dem 
Titel  „Mikroskopische  Untersuchungen  über  die  Uebereinstimmung  in  der 
Structur  und  dem  Wachsthum  der  Thiere  und  Pflanzen"  veröffentlichte. 
—  Dieses  Buch  Schwann's  ist  ein  grundlegendes  Werk  ersten  Ranges, 
durch  welches  die  mikroskopische  Anatomie  der  Thiere  trotz  der  viel 
schwierigeren  Aufgabe  auf  gleiche  Stufe  mit  der  Pflanzenanatomie 
gehoben  wurde. 

Zu  dem  raschen  und  glänzenden  Erfolg  der  Seh  wann 'sehen 
Untersuchungen  haben  wesentlich  zwei  Momente  beigetragen.  Erstens 
hat  Schwann  zur  Erkennung  der  thierischen  Zellen  vorzugsweise  die 
Anwesenheit  des  Kerns  benutzt,  von  dem  er  hervorhebt,  dass  er  der 
am  meisten  charakteristische  und  am  wenigsten  veränderliche  Zellen- 
bestandtheil  sei.  Wie  schon  angedeutet,  liegt  hierin  das  Förderniss, 
w^elches  Schwann  durch  Seh  leiden  empfangen  hat.  Das  zweite  nicht 
minder  bedeutsame  Moment  ist  die  richtige  Methode,  welche  Schwann 
bei  der  Ausführung  und  Darstellung  seiner  Beobachtungen  befolgt  hat. 
Wie  die  Botaniker  durch  das  Studium  unentwickelter  Pflanzentheile 
z.  B.  die  Röhren  aus  der  Grundform  der  Zelle  abgeleitet  hatten,  so 
untersuchte  auch  er  hauptsächlich  die  Entwicklungsgeschichte  der  Gewebe 
und  fand,  dass  der  Keim  auf  frühesten  Stadien  aus  einer  Summe  ganz 
gleichartiger  Zellen  besteht;  er  verfolgte  dann  weiter  die  Metamorphosen 
oder  die  Umbildungen,  welche  die  Zellen  erleiden,  bis  sie  in  die  fertigen 
Gewebe  des  erwachseneu  Thieres  übergehen.  Er  zeigte,  wie  ein  Bruch- 
theil  der  Zellen  die  ursprüngliche,  kuglige  Grundform  beibehält,  andere 
eine  cylindrische  Gestalt  annehmen,  andere  in  lange  Fasern  auswachsen 
oder  zu  sternförmigen  Gebilden  werden,  indem  sie  an  verschiedenen 
Stellen  ihrer  Oberfläche  zahlreiche  Ausläufer  ausschicken.  Er  zeigte  an 
den  Knochen,  Knorpeln  und  Zähnen,  wie  wieder  andere  Zellen  stark 
verdickte  Wandungen  bekommen ;  endlich  erklärte  er  noch  eine  Reihe  der 
am  meisten  abgeänderten  Gewebe  aus  einer  Verschmelzung  von  Zellen- 
gruppen, wobei  er  auch  wieder  einen  analogen  Vorgang  bei  den  Pflanzen, 
die  Entwickelung  der  Gefässe  im  Auge  hatte. 

Auf  diese  Weise  war  durch  Schwann  ein  allgemeines,  wenn  auch 
mit  vielen  Fehlern  behaftetes,  dafür  aber  leicht  fassliches  und  auch  im 
Ganzen  glückliches  Schema  geschaffen,  nach  welchem  ein  jeder 
thierische  Theil  aus  Elementartheilen ,  welche  den  Pflanzenzellen  ent- 
sprechen, entweder  zusammengesetzt  oder  durch  Metamorphose  von 
solchen  entstanden  ist.  Es  war  ein  gutes  Fundament  gelegt,  auf  dem 
sich  weiter  bauen  Hess.  Im  Einzelnen  litt  aber  die  Vorstellung, 
welche  Schieiden  und  Schwann  sich  vom  Wesen  des 
pflanzlichen  und  thierischen  Elementartheils  gebildet 
hatten,  an  vielen  Irrthümern,  wie  bald  erkannt  wurde.  Beide 
Forscher  definirten  die  Zelle  als  ein  kleines  Bläschen,  das  in 
einer  festen  Membran  einen  flüssigen  Inhalt  umschliesst, 
als  ein  Kämmerchen,    eine   cellula   im  eigentlichen  Sinne 


Die  Geschichte  der  Protoplasmatheorie. 


( 


des  Wortes.  Als  wichtigsten  und  als  den  wesentlichen  Theil  an  dem 
Bläschen  bezeichneten  sie  die  Membran,  von  der  sie  annahmen,  dass 
sie  durch  ihre  chemisch-physikalischen  Eigenschaften  den  Stoffwechsel 
regeln  sollte.  Schwann  erblickte  in  der  Zelle  einen  organischen 
Krystall,  den  er  sich  durch  eine  Art  von  Krystallisations- 
process  aus  einer  organischen  Mutterlauge  (Cytoblastem) 
bilden  Hess. 

Die  Vorstellungsreihe,  welche  wir  jetzt  mit  dem  Worte  „Zelle" 
verbinden,  ist  Dank  den  grossen  Fortschritten  der  letzten  fünf  Jahrzehnte 
eine  wesentlich  andere  geworden.  Die  Schleiden-Schwann'sche  Zellen- 
theorie hat  eine  durchgreifende  Reform  erfahren,  indem  an  ihre  Stelle  die 
(besonders  an  den  Namen  von  Max  Schnitze  geknüpfte)  Proto- 
plasmatheorie getreten  ist. 


Die  Geschichte  der  Protoplasmatheorie 

ist  gleichfalls  von  hervorragendem  Interesse.  Schon  Schieiden  beobachtete 
in  der  Pfianzenzelle  ausser  dem  Zellensaft  noch  eine  weiche,  durch- 
scheinende ,  mit  kleinen  Körnchen  versehene  Substanz ,  welche  er 
Pflanzenschleim  nannte.  Mohl  (I.  18)  gab  ihr  im  Jahre  1846  den 
später  so  bedeutungsvoll  gewordenen  Namen  Protoplasma,  einen  Namen, 
den  Purkinje  (I.  24)  schon  früher  für  die  Bildungssubstanz  jüngster 
thierischer  Embryonen  gebraucht  hatte.  Auch  entwarf  er  ein  genaues 
Bild  von  den  Lebenserscheinungen  des  pflanzlichen  Protoplasma :  er  fand, 
dass  es  den  Innenraum  von  jungen  Pflanzenzellen  vollständig  ausfüllt, 
und  dass  es  dann  bei  älteren  und  grösseren  Zellen  in  sein  Inneres 
Flüssigkeit  aufnimmt,  die  sich  in  Blasen  oder  Vacuolen  ansammelt. 
Endlich  stellte  Mohl  fest,  dass  das  Protoplasma,  wie  Schieiden  auch 
schon  für  den  Pflanzenschleim  angegeben  hatte ,  höchst  eigenthümliche 
Bewegungsphänomene  zeigt;  die  zuerst  von  Bonaventura  Corti  im  Jahre 
1772  und  von  C.  L.  Treviranus  (1807)  entdeckt  und  als  „kreisende 
Bewegung  des  Zellsaftes"  beschrieben  worden  waren. 

Hierzu  gesellten  sich  noch  andere  Beobachtungen,  welche  den  pro- 
toplasmatischen Inhalt  der  Zellen  an  Bedeutung  gewinnen  Hessen.  Bei 
niedersten  Algen  zieht  sich,  wie  Cohn  (I,  7)  und  andere  fanden,  das 
Protoplasma  zur  Zeit  der  Fortpflanzung  von  der  Zellmembran  zurück 
und  bildet  einen  frei  im  Zellraum  liegenden,  ovalen,  nakten  Körper,  die 
Schwärm spore ,  welche  bald  die  Membran  an  einer  Stelle  sprengt  und 
durch  die  Oeffnung  hindurchschlüpft,  um  sich  im  Wasser  mit  Wimpern 
wie   ein   selbständiger  Organismus,   aber  ohne  Membran,  fortzubewegen. 

Desgleichen  wurden  beim  Studium  der  thierischen  Zellen  Thatsachen 
ermittelt,  die  mit  dem  alten  Zellenbegriff  nicht  zu  vereinigen  waren. 
Schon  wenige  Jahre  nach  dem  Auftreten  von  Schwann  machten  ver- 
schiedene Forscher  (Kölliker  (I.  14),  Bischoff  (I.  4)  auf  viele  thierische 
Zellen  aufmerksam,  an  welchen  eine  b e s o n d e r e  M e m b r a n 
nicht  nachzuweisen  war,  und  es  erhob  sich  in  Folge  dessen  ein 
langer  Streit,  ob  wirklich  diese  Gebilde  membranlos  und  daher  keine 
Zellen,   oder  ob   es   echte  Zellen  seien.     Auch  beobachtete  man  an  der 


3  Erstes  Capitel. 

schleimigen,  mit  Körnchen  versehenen  Grundsubstanz  einzelner  tliierischer 
Zellen,  wie  z.  B.  der  Lymphkörperchen,  ähnliche  Bewegungserscheinungeu, 
wie  am  pflanzlichen  Protoplasma.  (Siebold,  KöUiker,  Remak,  Lieber- 
kühn  etc.)  —  Remak  (I.  25.  26)  übertrug  daher  den  von  Mohl  für  den 
Pflanzenschleim  eingeführten  Namen  Protoplasma  auch  auf  die  Grund- 
substanz der  thierischen  Zellen. 

Wichtige  Einblicke  in  die  Natur  des  Protoplasma  eröffnete  endlich 
das  Studium  der  niedersten  Organismen,  der  Rhizopoden ,  Amöben, 
Myxomyceten  etc.  Die  schleimige,  von  Körnchen  durchsetzte,  mit  Con- 
tractilität  begabte  Substanz  derselben  hatte  Dujardin  Sarcode  genannt. 
Indem  Max  Schnitze  (I.  29)  und  de  Bary  (I.  2)  ihre  Lebenserscheinungen 
auf  das  genaueste  studirten,  wiesen  sie  nach,  dass  das  Protoplasma 
der  Pflanzen  und  Thiere  und  die  Sarcode  der  niedersten 
Organismen  identische  Stoffe  sind. 

Im  Hinblick  auf  diese  Thatsachen  legten  Forscher,  wie  Nägeli, 
Alexander  Braun,  Leydig,  KöUiker,  Cohn,  de  Bary  etc.  der  Zellmembran 
im  Verhältniss  zu  ihrem  Inhalt  eine  nur  untergeordnete  Bedeutung  bei; 
vor  Allem  aber  hat  Max  Schnitze  sich  das  Verdienst  erworben,  die  neueren 
Erfahrungen  zu  einer  scharfen  Kritik  der  Schleiden-Schwannschen  Zellen- 
theorie und  zur  Begründung  einer  Protoplasmatheorie  benutzt  zu  haben. 
In  4  kleinen,  ausgezeichneten  Schriften,  welche  vom  Jahre  1860  an  ver- 
öffentlicht wurden,  zog  er  gegen  die  alten  Glaubenssätze,  deren  man  sich 
zu  entledigen  habe,  zu  Felde.  Aus  der  Thatsache,  dass  bei  allen 
Organismen  ein  bestimmter  Stoff"  vorkommt,  welcher  sich  durch  die 
merkwürdigen  Bewegungsphänomene  auszeichnet  (Protoplasma  der  Thiere 
und  Pflanzen,  Sarcode  der  einfachsten  Organismen),  aus  der  Thatsache 
ferner,  dass  das  Protoplasma  der  Pflanzen  zwar  gewöhnlich  von  einer 
besonderen  festen  Membran  umschlossen  ist,  in  einigen  Fällen  aber  die 
letztere  abstreifen  und  als  nackte  Schwärmspore  sich  im  Wasser  selb- 
ständig fortbewegen  kann,  aus  der  Thatsache  endlich,  dass  die  thierischen 
Zellen  und  die  einfachsten  einzelligen  Organismen  sehr  häufig  keine 
Membran  besitzen  und  dann  als  nacktes  Protoplasma  und  als  nackte 
Sarcode  erscheinen,  zieht  Max  Schnitze  den  Schluss,  dass  die  Membran 
für  den  pflanzlichen  und  thierischen  Elementartheil  etwas  Unwesentliches 
sei.  Zwar  behält  er  den  durch  Schieiden  und  Schwann  in  die  Anatomie 
eingebürgerten  Namen  Zelle  bei,  definirt  dieselbe  aber,  (I.  30)  als  ein 
mit  den  Eigenschaften  des  Lebens  begabtes  Klümpchen 
von  Protoplasma. 

Mit  dieser  Definition  knüpfte  Max  Schnitze  —  wie  der  historischen 
Gerechtigkeit  wegen  hervorgehoben  sei  —  wieder  au  die  älteren  Be- 
strebungen von  Purkinje  (I.  22 — 24)  und  Arnold  (I.  1)  an,  welche  eine 
Körnchen-  und  Klümpchentheorie  auszubilden  versuchten,  aber 
gegenüber  der  besser  durchgearbeiteten  und  ihrer  Zeit  mehr  angepassten 
Zellentheorie  von  Schwann  wenig  Erfolg  hatten. 

Unter  einem  Klümpchen  von  Protoplasma  stellten  sich  indessen  schon 
damals  Max  Schnitze  und  andere  Forscher  keineswegs  etwas  so  Einfaches  vor, 
wie  das  Wort  auszudrücken  scheint.  Namentlich  der  Physiologe  Brücke 
(I.  6)  schloss  aus  der  Complicirtheit  der  Lebenseigeuschaften,  deren  Träger 
das  Protoplasma  ist,  mit  Fug  und  Recht,  dass  das  Protoplasmaklümpchen 
eine  complicirte  Structur,  einen  „höchst  kunstvollen  Bau"  besitzen  müsse, 
in  welchen  nur  die  Unzulänglichkeit  unserer  Beobachtungsmittel  noch 
keinen   befriedigenden  Einblick  gestattet  habe.     Daher  bezeichnete  denn 


Die  Geschichte  der  Protoplasmatheorie.  9 

schon  Brücke  sehr  treffend  den  Elementartheil  der  Thiere  und  Pflanzen, 
das  Protoplasmaklümpchen,  als  einen  Elementar  Organismus. 

Bei  dieser  Sachlage  ist  eigentlich  der  Name  Zelle  ein  verkehrter. 
Dass  er  trotzdem  beibehalten  worden  ist,  erklärt  sich  tlieils  aus  gerechter 
Pietät  gegen  die  rüstigen  Streiter,  welche,  wie  Brücke  sich  ausdrückt, 
unter  dem  Banner  der  Zellentheorie  das  gesammte  Feld  der  Histologie 
erobert  haben,  theils  aus  dem  Umstand,  dass  die  Anschauungen,  welche 
die  neue  Reform  herbeigeführt  haben,  erst  nach  und  nach  ausgebildet 
wurden  und  zu  allgemeiner  Geltung  zu  einer  Zeit  gelangten,  als  das 
Wort  Zelle  sich  schon  durch  Jahrzehnte  langen  Gebrauch  in  der  Literatur 
eingebürgert  hatte. 

Seit  Brücke  und  Max  Schnitze  hat  sich  unsere  Kenntniss  vom  Wesen 
der  Zelle  noch  ausserordentlich  vertieft.  Es  sind  viele  neue  Einblicke 
in  die  Structur  und  die  Lebenseigenschaften  des  Protoplasma  gewonnen 
worden,  besonders  aber  hat  das  Studium  des  Zellenkernes  und  der  Rolle, 
welche  er  bei  der  Vermehrung  der  Zelle  und  bei  der  geschlechtlichen 
Zeugung  spielt ,  neue  grosse  Fortschritte  herbeigeführt.  Die  ältere 
Definition  „die  Zelle  ist  ein  Klümpchen  von  Protoplasma"  musste  daher 
erweitert  werden  in  die  Definition :  „Die  Zelle  ist  ein  Klümpchen 
von  Protoplasma,  das  in  seinem  Innern  einen  besonders 
geformten  Best  and  th  eil,  den  Kern  (Nucleus),  einschliesst." 

Auf  die  Geschichte  dieser  neueren  Errungenschaften  wird  hie  und 
da  bei  der  folgenden  Darstellung  unserer  gegenwärtigen  Kenntnisse  von 
dem  Wesen  des  Elementarorganismus  eingegangen  werden. 

Das  reiche  Wissensmaterial,  welches  eine  hundertjährige  Forschung 
über  die  Zelle  angesammelt  hat,  wird  sich  am  besten  in  folgender 
Weise  systematisch  grappiren  lassen: 

In  einem  ersten  Abschnitt  sollen  die  chemisch-physikalischen 
und  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle  dargestellt  werden. 

Ein  zweiterAbschnitt  wird  dann  von  den  Lebenseigenschaften 
der  Zelle  zu  handeln  haben.  Dieselben  sind  1)  die  Eigenschaft  der 
Contractilität,  2)  die  Eigenschaft  der  Reizbarkeit,  3)  die  Eigenschaft  des 
Stoffwechsels,  4)  die  Eigenschaft  der  Fortpflanzung. 

Daran  werden  sich,  um  unseren  Vorstellungskreis  über  das  Wesen 
der  Zelle  noch  mehr  abzurunden  und  zu  erweitern,  2  Abschnitte 
mehr  speculativen  Inhalts  anschliessen,  ein  Abschnitt  über  „die 
Wechselbeziehungen  zwischen  Protoplasma,  Kern  und  Zellproduct"  und 
ein  Abschnitt  über  „die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus''. 


Literatur,     I. 

1)  Fr.  Arnold.    Lehrbuch  der  Physiologie  des  Menschen.    2.  Theil.    Zürich  1842.    Hand- 

buch dir  Anatomie  des  Menschen.    1845. 

2)  de  Bary.     Mi/xomyceten.     Zeitschrift  f.  wissenschaftl.  Zool.    1859- 

3)  Lionel   S.  Beale.    Die  Structur  der  einfachen  Gewebe  des  menschlichen  Körpers.    Ueber- 

setzt  von  Carus.    1862. 

4)  Bisehoff,     Entivicklungscjcschiehte  des  Kanincheneies.    1842. 

5)  B..   Brown.     Observations   on    the   organs   and   mode   of  fecundation    in  Orchideae  and 

Asclepiadeae.     Transactions  of  the  Linnean  society.     London  1833. 


lO  Erstes  Capitel.     Die  Geschichte  der  Protoplasmatheorie. 

6)  Brücke.    Die  Elementarorganismen.   Wiener  Sitzunrjsber.   Jahrg.  1861.  XLIV.  2.  Abth. 

7)  Cohn.     Kachträge  z.  Naturgeschichte  des  Frotococcus  pluviatilis.    Nova  acta.   Vol.  XXII. 

pag.  607—764. 

8)  Bonaventura    Corti.     Observazioni    microsc.   sulla    Tremella   e   sulla   circolazione   del 

ßuido  in  una  pianta  acquaiola.    1774. 

9)  Grew.     The  anatomy  of  plantes. 

10)  Haeckel.     Die  Madiularien.    1862. 
Derselbe.     Die  Moneren. 

11)  Henle.     Sytnbolae  ad  anatomiani  villorum  intcslinalium.   1837. 

12)  Oscar  Hertw^ig.     Die  Geschichte  der  Zellentheorie.     Deutsche  Mundschau. 

13)  Huxley.     On  the  cell  theory.     Munthly  Journal.     1S53. 

li)  Kölliker.    Die  Zehre  von  der  thierischen  Zelle.    Schleiden  u.  Nägeli.    Wissenschaßl. 
Botanik.     Heft  2.     1845. 
Derselbe.     Handbuch  der  Gewebelehre  des  Menschen. 

15)  Malpighi.     Anatome  plantarum. 

16)  Mayen.     Phytotomie.     Berlin  1830. 

17)  H.  V.  Mohl.     lieber  die  Vermehrung  der  Pßanzenzellen  durch  Theilung.    Dissert.    Tü- 

bingen 1835.     Flora  1837. 

18)  Derselbe,    lieber  die  Saftbewegung  im  Innern  der  Zellen.     Botanische  Zeitimg.     1846. 

19)  Derselbe.     Grundzüge  der  Anatomie  und  Ihysiologie  der  vegetabilischen  Zelle.    Wagners 

Handwörterbuch  der  Physiologie.    1851. 

20)  J.   Müller.     Vergleichende  Anatomie  der  Myxinoiden. 

21)  Oken.     Lehrbuch  der  Naturphilosophie.    1809. 

22)  Purkinje.     Bericht  über  die  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Prag 

im  September  1837.     Prag  1838.    pag.  174—175. 

23)  Derselbe.     Uebersicht  der  Arbeiten  und  Veränderungen  der  schlenschen  Gesellschaf t  für 

vaterländische  Cultur  im   Jahre  1839.     Breslau  1840. 
24^)  Derselbe.     Jahrbücher  für  wissenschaftliche  Kritik.    1840.    Nr.  o.    pag.  33 — 38. 

25)  Remak.      Ueber  extracelluläre  Entstehung   thierischer  Zellen  und  über  Vermehrung  der- 

selben durch  Theilung.     Müllers  Archiv.     1852. 

26)  Derselbe.      Untersuchungen  über  die  Entwicklung  der  Wirbelthiere.    1855. 

27)  Sachs.     Geschichte  der  Botanik.    1875. 

28)  Matthias  Schleiden.     Beiträge  zur  Phytogenesis.     Müllers  Archiv.     1838. 
Derselbe.     Grundzüge  der  wissenschaftlichen  Botanik.     2.  Aufl.  1845. 

29)  Max  Sehultze.     Das  Protoplasma  der  Phizopoden  und  der  Fßanzenzelle. 

30)  Derselbe.     Heber  Muskelkörpcrchcn  und  was  man  eine  Zelle  zu  nennen  habe.     Archiv 

für  Anatomie  und  Physiologie.    1861. 

31)  Th.    Schwann.      Mikroskopische    Untersuchungen    über    die    Ueber  ein  Stimmung    in    der 

Structur  und  dem   Wachsthum  der  Thiere  und  Pflanzen.    1839. 
82)  li.  C.  Trevianus.      T^om  inwendigen  Bau  der  Gewächse.    1806. 

33)  R.  Virchow.      Die    Cdlularpathologie   in    ihrer    Begründmig    auf  physiologische   und 

pathologische  Gewebelehre. 

34)  Casp.  Friedr.  Wclfif.     Theorie  von  der  Generation.    1764. 


ZWEITES  CAPITEL. 

Die  chemisch-physikalischen  und  morphologischen  Eigen- 
schaften der  Zelle. 


Die  Zelle  ist  ein  Organismus  und  als  solcher  kein  ein- 
faches, sondern  ein  aus  vielen,  verschiedenartigen  Theilen  zusammenge- 
setztes Gebilde.  Die  wahre  Natur  aller  dieser  Theile,  welche  sich  augen- 
blicklich noch  grösstentheils  unserer  Kenntniss  entziehen,  genauer  fest- 
zustellen, wird  noch  für  lange  Zeit  eine  Aufgabe  biologischer  Forschungen 
bleiben.  Wir  stehen  jetzt,  in  unserem  Verständniss  dem  Zeil-Organismus 
in  ähnlicher  Weise  gegenüber,  wie  vor  hundert  Jahren  die  Naturforscher 
dem  thierischen  und  pflanzlichen  Gesammtorganismus  vor  der  Entdeckung 
der  Zellentheorie.  Um  in  das  Geheimniss  des  Zellorganismus  noch 
tiefer  einzudringen ,  müssen  die  optischen  Hülfsmittel ,  noch  mehr  aber 
und  vor  allen  Dingen  die  chemischen  Untersuchungs- 
methoden auf  eine  höhere  Stufe  der  Vollendung,  als  sie 
zur  Zeit  besitzen,  gebracht  werden.  Es  scheint  mir  zweck- 
mässig, diese  Gedanken  gleich  hier  hervorzuheben,  damit  sie  der  Leser 
bei  der  folgenden  Darstellung  immer  vor  Augen  hat. 

In  jeder  Zelle  ist  ausnahmslos  ein  besonders  geformter  Theil  nach- 
zuweisen, welcher  im  ganzen  Organismenreich  mit  einer  grossen  Gleich- 
förmigkeit auftritt,  der  Zellenkern.  Ihm  und  dem  übrigen  Theil  der  Zelle, 
dem  Protoplasma,  kommen  offenbar  eigenartige  Aufgaben  im  Lebensprocess 
des  Elementarorganismus  zu.  Daher  lässt  sich  die  Untersuchung  der  che- 
misch-physikalischen und  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle  am 
besten  in  zwei  Theile  zerlegen:  in  die  Untersuchung  des  Protoplasma- 
körpers und  in  die  Untersuchung  des  Zellkerns. 

Daran  schliessen  sich  als  Anhang  noch  3  kleinere  Abschnitte  an. 
Von  diesen  handelt  der  erste  über  die  Frage :  Giebt  es  kernlose  Elementar- 
organismen ?  Der  zweite  beschäftigt  sich  mit  den  Pol-  oder  Central- 
körperchen,  welche  als  besondere  Zellorgane  neben  dem  Kern  zuweilen 
im  Protoplasma  aufgefunden  werden ;  in  dem  dritten  wird  ein  kurzer  Ab- 
riss  von  der  Nägeli'schen  Theorie  der  Molecularstructur  organisirter 
Körper  gegeben  werden. 


12  Zweites  Capitel. 

I.    Die  chemisch-physikalischen  und  morphologischen  Eigen- 
schaften des  Protoplasmakörpers. 

Bei  Pflanzen  und  Thieren  sehen  die  Zellen  zuweilen  nach  Form 
und  Inhalt  so  ausserordentlich  verschieden  aus,  dass  sie  auf  den  ersten 
Blick  überhaupt  nichts  Gemeinsames  und  Vergleichbares  darzubieten 
scheinen.  Man  vergleiche  die  Substanz  einer  Pflanzenzelle  am  Vege- 
tationskegel mit  einer  von  Stärkekörnern  erfüllten  Zelle  der  Kartoff"el- 
knolle,  oder  den  Inhalt  einer  Embryonalzelle  einer  Keimscheibe  mit 
dem  Inhalt  einer  Fettzelle  oder  eines  mit  Dotterplättchen  angefüllten 
Amphibieneies.  Der  unbefangene  Beobachter  wird  nur  Gegensätze 
erblicken.  Trotzdem  stimmen  alle  diese  so  ungemein  verschiedenen 
Zellen  bei  tieferer  Untersuchung  in  einem  Punkte  überein:  in  dem 
Besitz  eines  sehr  wichtigen,  eigenthümlichen  Stoffgemenges,  das  dort  in 
grösserer  Masse,  hier  nur  in  Spuren  vorhanden  ist,  in  keinem  Elementar- 
organismus aber  vollständig  verraisst  wird.  Dieses  Stoff'gemenge  lässt  in 
vielen  Fällen  die  wunderbaren  Lebensphänomene  erkennen ,  von  denen 
später  gehandelt  wird,  die  Eigenschaft  der  Contractilität,  der  P.eizbarkeit 
etc.,  und  da  dasselbe  ausserdem  bei  jugendlichen  Zellen,  bei  niederen 
Organismen,  bei  den  Zellen  des  Vegetationskegels  und  der  Keimscheibe, 
allein  den  Zellkörper  —  vom  Kern  natürlich  abgesehen  —  ausmacht, 
hat  man  in  ihm  den  hauptsächlichen  Träger  der  Lebensfunctionen 
erblickt.  Es  ist  das  Protoplasma  oder  die  bildende  Substanz  (forming 
matter)  des  enghschen  Histologen  Beale  (I.  3). 

a)    Begriff  des  Protoplasmas  und  Berechtigung  desselben. 

Um  zu  wissen,  was  Protoplasma  ist,  wird  man  am 
besten  dasselbe  an  solchen  Zellen  untersuchen,  in  denen  es  möglichst 
frei  von  anderen  Beimischungen  und  in  grösserer  Menge  auftritt,  und  am 
besten  an  den  Objecten,  an  denen  sich  die  Begründer  der  Protoplasma- 
theorie ihre  Vorstellung  von  der  Natur  desselben  gebildet  haben.  Solche 
Objecte  sind  junge  Pflanzenzellen,  Amöben,  Rhizopoden,  die  Lymph- 
körperchen  von  Wirbelthieren.  Wer  hier  die  charakteristischen  Eigen- 
schaften des  Protoplasma  erkannt  hat ,  wird  dasselbe  auch  in  solchen 
Zellkörpern  auffinden,  in  denen  es  nur  in  geringer  Menge  vorhanden  und 
durch  andere  Substanzen  mehr  oder  minder  verdeckt  ist. 

Es  ist  der  Vorschlag  gemacht  worden  (II.  10),  den  Begriff  Pro- 
toplasma, mit  dem  ein  unberechtigter  Cultus  getrieben  werde,  über- 
haupt ganz  fallen  zu  lassen;  denn  die  Verwendung  dieses  Wortes  sei 
heutzutage  eine  so  unbestimmte  und  schrankenlose  geworden,  dass  man 
sich  mit  Recht  fragen  könne,  ob  durch  seinen  jetzigen  Gebrauch  wirklich 
Nutzen  und  nicht  viel  mehr  Verwirrung  gestiftet  werde. 

Dieser  Vorschlag  kann  weder  als  ein  zweckdienlicher,  noch  als  ein 
in  der  Sache  berechtigter  bezeichnet  werden.  Denn  wenn  auch  zuge- 
geben werden  mag,  dass  von  mancher  Seite  das  Wort  in  verkehrter 
Weise  gebraucht  wird,  dass  es  auch  nicht  möglich  ist,  in  einem  kurzen 
Satze  eine  erschöpfende  Definition  des  Wortes  Protoplasma  zu  geben, 
und  dass  man  in  manchen  Fällen  in  Verlegenheit  kommt,  zu  sagen, 
welcher  Theil  in  einer  Zelle  Protoplasma  ist  und  welcher  nicht,  so  geht 
aus  alle  dem  die  Entbehrlichkeit  des  Protoplasmabegriffes  noch  in  keiner 
Weise  hervor.  Aehnliche  Bedenken  können  auch  gegen  manche  andere 
Worte    erhoben    werden,   durch   welche  wir   uns  über  bestimmte  Stofi"- 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        13 

gemenge  der  Organismen  zu  verständigen  suchen.  Mit  dem  Wort  Nu- 
clein  oder  Chromatin  bezeichnen  wir  z.  B.  einen  gewissen  Bestandtheil 
des  Kerns,  der  für  Manchen  leidlich  gut  bestimmbar  erscheinen  wird. 
Und  doch  wird  der  ?»likroskopiker  zugeben  müssen,  dass  es  im  ruhenden 
Kerngerüst  nicht  möglich  ist,  genau  zu  bestimmen,  was  Linin  und  was 
Nuclein  ist,  oder  zu  entscheiden,  ob  man  im  einen  Fall  nicht  zu  viel, 
im  anderen  Fall  zu  wenig  m  i  t  gefärbt  hat. 

Ebenso  wenig  wie  das  Wort  Nuclein,  ist  das  Wort  Protoplasma  ent- 
behrlich, um  sich  über  die  Zellbestandtheile  zu  verständigen.  Nur  soll 
man  nicht  den  Anspruch  erheben,  dass  mit  dem  Wort  Protoplasma  ein 
chemisch  scharf  definirbarer  Körper  bezeichnet  sei. 

Protoplasma  ist  ein  morphologischer  Begriff  (und  das- 
selbe gilt  mehr  oder  minder  auch  für  das  Wort  Nuclein  und  so  viele 
andere) ;  es  ist  eine  Bezeichnung  für  ein  Stoffgemenge,  das  einer  Anzahl 
physikalischer,  chemischer  und  biologischer  Eigenschaften  zeigt.  Solche 
Begriffe  sind  bei  dem  gegenwärtigen  Stand  unserer  Wissenschaft  unent- 
behrlich. Wer  mit  der  Geschichte  der  Zelle  bekannt  ist,  weifs,  welche 
Summe  von  Beobachtung  und  wie  viel  logische  Denkarbeit  vieler  Forscher 
nothwendig  gewesen  ist,  um  den  Begriff  Protoplasma  zu  entwickeln,  der 
weiss,  dass  mit  der  Schaffung  dieses  Begriffes  die  ganze  Zellen-  und  Ge- 
webelehre einen  viel  tieferen  Inhalt  gewonnen  hat.  Wie  viele  Kämpfe  hat 
es  gefordert,  bis  festgestellt  wurde,  dass  an  der  Zelle  nicht  die  Mem- 
bran, sondern  der  Inhalt  das  Wesentliche  ist,  und  dass  in  dem  Inhalte 
wieder  eine  besondere,  überall  wiederkehrende  Substanz  ist,  die  in  ganz 
anderer  Weise  als  der  Zellsaft,  die  Stärkekörner  und  Fetttropfen  am 
Lebensprozess  betheiligt  ist. 

Das  Wort  Protoplasma  hat  daher  nicht  nur  seine  historische,  sondern 
auch  seine  wissenschaftliche  Berechtigung,  und  so  wollen  wir  denn  näher 
zu  bestimmen  suchen,  was  darunter  zu  verstehen  ist. 

b)  Allgemeine  Charakteristik  des  Protoplasmas. 

Das  Protoplasma  einzelliger  Organismen,  pflanzlicher  und  thieri- 
scher  Zellen  (Fig.  1  und  2)  erscheint  als  eine  zähflüssige,  fast  immer 
farblose,  mit  Wasser  nicht  mischbare  Substanz,  die  in  Folge  einer  ge- 
wissen Aehnlichkeit  mit  schleimigen  Stoffen  von  Schieiden  als  Schleim 
der  Zelle  bezeichnet  wurde.  Sie  bricht  das  Licht  stärker  als  Wasser, 
so  dass  selbst  feinste  Protoplasmafädchen  sich  trotz  ihrer  Farblosigkeit 
in  diesem  Medium  erkennen  lassen.  In  keinem  Protoplasma  fehlen 
kleinste,  nur  wie  Punkte  erscheinende  Körnchen,  die  Mikrosomen,  die 
bald  spärlicher,  bald  reichlicher  vorhanden  und  in  eine  bei  schwächerer 
Vergrösserung  homogen  aussehende  Grundsubstanz  eingebettet  sind.  Je 
nach  der  Menge  der  Mikrosomen  sieht  daher  das  Protoplasma  bald  mehr 
durchscheinend,  hyalin,  bald  etwas  dunkler  und  körnig  aus. 

Die  Vertheilung  der  Körnchen  im  Zellenleib  ist  selten  eine  gleich- 
massige.  Gewöhnlich  bleibt  eine  mehr  oder  minder  feine,  oberflächliche 
Schicht  körnchenfrei.  Da  dieselbe  ausserdem  noch  einen  etwas  festeren 
Aggregatzustand  als  die  von  ihr  eingeschlossene,  wasserreichere  und 
körnige  Protoplasmamasse  darbietet,  hat  man  beide  als  zwei  verschiedene 
Plasmaarten  unterschieden  und  die  eine  als  Hautplasma  oder  Hyalo- 
plasma und  die  andere  als  Körnerplasma  bezeichnet  (Fig.  2  eh.  en.). 

Manche  Forscher,  wie  namentlich  Pfeffer,  de  Vries  etc.  sind  geneigt, 
in  der  Hautschicht  ein  besonders   differenzirtes  und  mit 


14 


Zweites  Capitel. 

C  B 


Fig.  1.  Parenchyrnzellen  aus  der  mittleren  Schicht  der  "Wurzelrinde 
von  Fritillaria  imperialis ;  Längsschnitte,  nach  öSOmaliger  Vergrösserung. 

Nach  Sachs  (II  33)  Fig.  75.  A  dicht  über  der  Wurzelspitze  liegende,  sehr  juuge 
Zellen,  noch  ohne  Zellsaft;  £  die  gleichnamigen  Zellen  etwa  2  Millimeter  über  der 
Wurzelspitze,  der  Zellsaft  s  bildet  im  Protoplasma  p  einzelne  Tropfen,  zwischen  denen 
Protoplasmawände  liegen;  C  die  gleichnamigen  Zellen  etwa  7 — 8  Millimeter  über  der 
Wurzelspitze;  die  beiden  Zellen  rechts  unten  sind  von  der  Vorderfläche  gesehen,  die 
grosse  Zelle  links  unten  im  optischen  Durchschnitt  gesehen;  die  Zelle  rechts  oben 
durch  den  Schnitt  geöffnet;  der  Zellkern  lässt  unter  dem  Einfluss  des  eindringenden 
Wassers  eine  eigenthümliche  Quellungserscheinung  wahrnehmen  {x  y).  k  Kern,  kk  Kern- 
körper,    h  Membran. 

besonderen  Functionen  betrautes  Organ  des  Zellkörpers 
zu  erblicken.  Zu  Gunsten  einer  derartigen  Auffassung  liess  sich  wohl 
das  folgende  von  mir  angestellte  Experiment  verwerthen: 

Reife,  in  den  Eileiter  eingetretene  und  mit  einer  Gallerthülle  um- 
gebene Eier  von  Rana  temporaria  wurden  mit  der  äusserst  feinen  Spitze 
einer  Glasnadel  vorsichtig  angestochen.  Die  so  hervorgerufene  Verletzung 
war  nach  der  Operation  äusserlich  nicht  wahrnehmbar.  Ein  Austritt  von 
Dottersubstanz  war  an  der  Stichstelle  nicht  zu  bemerken.  Als  aber 
darauf  die  Eier  befruchtet  wurden,  so  begann  nach  einiger  Zeit  an  allen 
verletzten  Eiern  Dottersubstanz  in  ziemlich  betrcächtlicher  Menge  an  der 
Oberfläche  hervorzuquellen  und  zwischen  Ei-  und  Dotterhaut  einen  mehr 
oder  minder  grossen  Höcker  (Extraovat.  Roux)  zu  bilden.  Durch  den 
Akt  der  Befruchtung  wurde  der  Substanzaustritt  erst  hervorgerufen,  weil 
durch   das  Eindringen  des  Samenfadens  die  Eirinde  gereizt  und,  wie  an 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.         15 

geeigneten  Objecten  leicht  zu  beobachten  ist,  zu  einer  energischen  Con- 
traction  angeregt  wird.  Durch  den  Stich  muss  mithin  in  der  Hautschicht 
der  Zelle  eine  Wunde  entstanden  sein,  welche  bis  zur  Befruchtung  noch 
nicht  hatte  ausheilen  können  und  erst  in  Folge  der  durch  die  Befruchtung 
bedingten  Contraction  Dotter  ausfliessen  liess.  Da  nun  zwischen  der 
Verletzung  und  dem  Eindringen  des  befruchtenden  Samenfadens  bei  den 
Froscheiern  immer  ein  längeres,  von  mir  nicht  genauer  bestimmtes  Zeit- 
intervall liegt,  so  dürfte  dies  wohl  dafür  sprechen,  dass  der  Hautschicht 
in  der  That  eine  besondere,  von  dem  darunter  gelegenen  Zellinhalt  etwas 
verschiedene  Structur  und  besondere  Eigenschaften  zukommen. 


c)  Chemische  Zusammensetzung  des  Protoplasmas. 

Ausserordentlich  unbefriedigend  sind  unsere  Kenntnisse  von  der 
chemischen  Natur  des  Protoplasma.  Man  hat  zuweilen  das- 
selbe als  einen  Eiweisskörper  oder  geradezu  als  „lebendes  Eiweiss"  be- 
zeichnet. Durch  solche  Ausdrucksweisen  kann  leicht  eine  grundfalsche 
Vorstellung  vom  Wesen  des  Protoplasma 
herangerufen  werden.  Darum  wiederhole 
ich:  Protoplasma  ist  kein  chemischer, 
sondern  ein  morphologischer  Begriff,  Proto- 
plasma ist  keine  chemische  Substanz 
noch  so  zusammengesetzter  Art,  sondern 
ein  Gemenge  zahlreicher,  chemischer  Stoffe, 
die  wir  uns  als  kleinste  Theilchen  zu 
einem  wunderbar  complicirten  Bau  mit 
einander  vereinigt  vorzustellen  haben. 

Chemische  Substanzen  zeigen  in  ver- 
schiedenen Aggregatzuständen  (das  Hae- 
moglobin  zum  Beispiel  als  Bestandtheil 
der  Blutkörperchen,  im  Wasser  gelöst 
oder  in  Krystallform)  übereinstimmende 
Eigenschaften;  Protoplasma  dagegen  lässt 
sich  nicht  in  andere  Aggregatzustände 
überführen,  ohne  sofort  aufzuhören,  Proto- 
plasma zu  sein.  Denn  seine  wesentlichen 
Eigenschaften,  in  denen  sich  sein  Leben 
äussert,  beruhen  eben  auf  einer  bestimm- 
ten Organisation.  Ebenso  wie  die  haupt- 
sächlichen Eigenschaften  einer  Marmor- 
statue in  der  Form  bestehen,  die  Künstlerhand  dem  Marmor  gegeben 
hat,  und  wie  eine  Statue  aufgehört  hat,  eine  solche  zu  sein ,  wenn  sie 
in  kleine  Marmorsteinchen  zerschlagen  ist  (Nägeli  11  28),  so  ist  auch 
ein  Protoplasmakörper  nach  Zerstörung  der  Organisation,  auf  welcher 
sein  Leben  beruht,  kein  Protoplasma  mehr;  wir  untersuchen  in  den  ab- 
getödteten,  mit  Reagentien  behandelten  Zellen  streng  genommen  nur  die 
stark  veränderten  Trümmer  desselben. 

Die  Chemie  wird  vielleicht  in  absehbarer  Zeit  so  weit  fortgeschritten 
sein,  dass  sie  Eiweisskörper  durch  Synthese  künstlich  darzustellen  ver- 
mag. Einen  Protoplasmaköi-per  zu  bilden,  wäre  dagegen  ein  ähnliches 
Beginnen,  wie  der  Versuch  Wagners,  einen  Homunculus  in  der  Phiole 
auszukrystallisiren.  Denn  nach  allen  unseren  Erfahrungen  entstehen 
Protoplasmakörper   auf    keinem    andern    Wege   als   durch 


Fig.  2.     Amoeba   Proteus. 

Nach  Leidv.  Aus  Eich.  Hektwig. 
n.  Kern.  cv.  Contractile  Vacuole. 
N.  Nahrungsballen.  en.  Körner- 
plasma,    ek.  Hautplasma. 


16  Zweites  Capitel. 

Fortpflanzung  aus  vorhandenem  Protoplasma;  ihre  heutige 
Organisation  ist  daher  das  Product  einer  ausserordent- 
lich langen  historischen  Entwicklung. 

Was  für  Substanzen  jedem  lebenden  Protoplasma  eigenthümlich 
sind,  ist  sehr  schwer  chemisch  zu  bestimmen.  Denn  abgesehen  davon, 
dass  schon  jeder  Eingriff  den  leicht  zersetzbaren  Körper  wesentlich  ver- 
ändert, wird  auch  noch  dadurch  die  Untersuchung  erheblich  erschwert, 
dass  ausser  dem  Protoplasma  in  jeder  Zelle  Stoffwechselproducte  der  ver- 
schiedensten Art  mit  eingeschlossen  sind,  die  sich  nicht  leicht  absondern 
lassen.  In  dem  complicirten  Stoflfgemenge '  legt  man  als  eigentlichen 
Trägern  der  Lebensprocesse  einen  besonderen  Werth  den  Protein  Sub- 
stanzen bei,  den  complicirtesten  organischen  Körpern,  die  es  gibt,  und 
über  deren  chemische  Constitution  die  Analyse  noch  wenig  sichere  Auf- 
schlüsse gegeben  hat.  Ihre  complicirte  Structur  beruht  in  erster  Linie 
auf  den  ganz  aussergewöhnlichen,  chemischen  Eigenschaften  des  Kohlen- 
stoffs (Haeckel  II  15).  In  den  Proteinsubstanzen  haben  sich  dem  Kohlen- 
stoff 4  andere  Elemente,  Wasserstoff,  Sauerstoff,  Stickstoff  und  Schwefel 
beigesellt,  in  einem  Verhältniss,  welches  man  durch  die  Formel 
Q72jjio6jsTi8gQ22  (Z u s a m m 6 n s e t z u u g  eines  Eiweissmolecüls) 
auszudrücken  versucht  hat  (Xägeli  II  28). 

Unter  den  verschiedenen  Arten  der  Proteinkörper  (Albumine,  Glo- 
buline, Fibrine,  Plastine,  Nucleine  etc.)  scheint  für  das  Protoplasma  be- 
sonders nur  das  Pia  st  in  charakteristisch  zu  sein,  (Reinke  II  32, 
Schwarz  II  37,  Zacharias  II  44) ;  dasselbe  ist  im  Wasser  und  10*^/o  Koch- 
salz und  lO^i'o  schwefelsaurer  Magnesia  unlöslich;  in  verdünnter  Essig- 
säure  wird  es  gefällt,  in  concentrirter  zur  Aufquellung  gebracht ;  in  con- 
centrirter  Salzsäure  wird  es  gefällt;  es  widersteht  sowohl  der  Pepsin- 
ais der  Trypsinverdauung.  Es  färbt  sich  wenig  oder  gar  nicht  in  basi- 
schen, dagegen  in  sauren  Anilinfarben  (Eosin  und  S-Fuchsin). 

Daneben  finden  sich  in  geringerer  Menge  Globuline  und  Albumine, 
die  auch  in  gelöstem  Zustand  im  Zellsaft  der  Pflanzen  vorkommen. 

Das  Protoplasma  ist  sehr  reich  an  Wasser,  welches,  wie 
Sachs  (II  33)  bemerkt,  zu  seiner  Molekularstructur  in  demselben  Sinne 
gehört,  wie  z.  B.  das  Krystallwasser  zur  Structur  sehr  vieler  Krystalle 
nöthig  ist ,  die  ihre  krystallinische  Form  durch  Entziehung  des  Krystall- 
wassers  verlieren.  An  frischen  Fruchtkörpern  von  Aethalium  septicum 
fand  Reinke  (II  32)  71,6  «o  Wasser  und  28,4  «/o  bei  100  Grad  getrock- 
nete Substanz.    66  ^!o  Flüssigkeit  Hess   sich   durch  Auspressen  erhalten. 

Im  Protoplasma  kommen  ferner  stets  eine  Anzahl  verschiedener  Salze 
vor  und  bleiben  bei  der  Verbrennung  desselben  als  Asche  zurück.  Bei 
Aethalium  septicum  enthält  die  letztere  an  Grundstoffen  Chlor,  Schwefel, 
Phosphor,  Kalium,  Natrium,  Magnesium,  Calcium,  Eisen. 

Lebendes  Protoplasma  gibt  eine  deutlich  alcalische  Reaction; 
rothes  Lackmuspapier,  sowie  ein  im  Braunkohl  vorkommender,  von  Schwarz 
verwandter,  rother  Farbstoff  wird  blau.  Es  ist  dies  bei  Pflanzen  auch 
dann  der  Fall,  wenn  der  Zellsaft  wie  gewöhnlich  sauer  reagirt.  Die 
alkalische  Reaction  rührt  nach  den  Untersuchungen  von  Schwarz  (II  37) 
bei  den  Pflanzen  von  Aleali  her,  welches  in  dem  lebenden  Protoplasma 
an  die  Proteinkörper  gebunden  ist.  Aethalium  septicum  entwickelt  nach 
Reinke  (II  32)  in  getrocknetem  Zustande  Ammoniak. 

Ausserdem  lassen  sich  im  Protoplasma  stets  die  verschiedensten 
Stoffwechselproducte  nachweisen,  welche  theils  der  progressiven, 
theils  der  regressiven  Metamorphose  angehören.    Sie  zeigen  im  thierischen 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.         17 

und  pflanzlichen  Zellenkörper  eine  grosse  Uebereinstinnnung'.  Hier  wie 
dort  sind  Pepsin,  Diastase,  Myosin,  Sarkin,  Glycogen,  Zucker,  Inosit, 
Dextrin,  Cholestearin  und  Lecithin,  Fette,  Milchsäure,  Ameisensäure,  Essig- 
säure, Buttersäure  etc.  gefunden  worden. 

Als  Beispiel  für  die  quantitative  Zusammensetzung  einer 
Zelle  einschliesslich  ihres  Kernes  theilt  Kossei  (IL  35)  in  seinem  Lehr- 
buch eine  von  Hoppe -Seyler  ausgeführte  Analyse  der  Eiterkörperchen 
mit.    Nach  derselben  enthalten  100  Gewichtstheile  organischer  Substanz: 

verschiedene  Eiweissstoffe       .  13,762, 

Nuclein        34,257, 

unlösliche  Stoffe 20,566", 

Lecithin  1  i  ^  qqq 

Fette      j ^^'^^^' 

Cholestearin 7,400, 

Cerebrin 5,199, 

Extractivstoffe       4,433. 

In  der  Asche  fand  sich  Kalium,  Natrium,  Eisen,  Magnesium,  Calcium, 
Phosphorsäure  und  Chlor. 

In  physikalischer  Hinsicht  Hess  sich  zuweilen  an  Protoplasmafäden, 
in  denen  die  Bewegung  vorwiegend  in  einer  Richtung  vor  sich  ging, 
Doppelbrechung  beobachten  und  zwar  so,  dass  die  optische  Axe  mit  der 
Bewegungsrichtung  zusammenfiel  (Engelmann). 

d)  Feinere  Protoplasmastructur. 

Es  wurde  oben  das  Protoplasma  als  ein  Stoffgemenge  bezeichnet,  in 
welchem  wir  uns  die  kleinsten  Theilchen  zu  einem  complicirten  I3au 
mit  einander  verbunden  vorzustellen  haben.  In  diesen  Wunderbau  hat 
die  Forschung  noch  tiefer  einzudringen  versucht,  theils  auf  speculativem 
Wege,  theils  mit  Hülfe  mikroskopischer  Beobachtung. 

In  der  ersten  Pachtung  hat  Nägeli  höchst  bedeutsame  Gedanken 
entwickelt,  die  in  einem  besonderen  Abschnitt  über  die  „Molecular- 
structur  organisirter  Körper"  ausführlicher  dargestellt  werden  sollen. 

In  der  zweiten  Richtung  sind  in  der  Neuzeit  zahlreiche  Forscher, 
unter  ihnen  vor  allen  Dingen  Frommaun,  Flemming,  Bütschli  und  Alt- 
mann thätig  gewesen.  Zum  Untersuchungsobject  diente  sowohl  lebendes 
als  auch  durch  geeignete  Reagentien  abgetödtetes  Protoplasma,  letzteres 
namentlich,  nachdem  durch  verschiedene  Färbemethoden  kleinste  Theil- 
chen in  ihm  wahrnehmbar  gemacht  worden  waren.  So  ist  schon  eine 
besondere,  kleine  Literatur  über  das  Kapitel  „Protoplasmastructur" 
entstanden. 

Ausgehend  davon,  dass  das  Protoplasma  ein  Gemisch  von  einer 
kleinen  ]\lenge  fester  Substanzen  mit  reichlicher  Flüssigkeit  ist,  welchem 
Umstand  es  seinen  eigenthümlichen,  weichflüssigen  Aggregatzustand  ver- 
dankt, könnte  man  die  Frage  aufwerfen,  ob  bei  Anwendung  der  stärksten 
Vergrösserungen  es  möglich  ist,  die  festen  Substanztheilchen  von  der 
zwischen  ihnen  enthaltenen  Flüssigkeit  optisch  zu  unterscheiden  und 
in  ihrer  Anordnungsweise  besondere  Structuren  zu  erkennen.  A  priori 
braucht  eine  solche  Unterscheidbarkeit  nicht  nothwendig  zu  sein,  sofern 
die  festen  Substanztheilchen  sehr  klein  sind  oder  in  ihrem  Lichtbrechungs- 
vermögen von  der  Flüssigkeit  nicht  genügend  verschieden  sind.  So 
nimmt  in  der  später  genauer   auseinandergesetzten  Micellartheorie 

Hertwig,  Die  Zelle  und  die  Gewebe.  2 


18  Zweites  ('apitel. 

Nägeli  (II.  28)  eine  gerüstförmige  Anordnung  der  festen 
Sul3stanztheilchen  an,  welche  sich  aber  wegen  der 
geringen  Grösse  der  h  y  j)  o  t  h  o  t  i  s  e  h  e  n  M  i  c  e  1 1  e  n  unserer 
Walirnohniung  entzieht.  Mit  einem  Wort,  es  kann  das  Troto- 
l)lasnia  eine  sehr  verwickelte  Structur  haben,  trotzdem  es  uns  optisch  als 
ein  homogener  Körper  erscheint.  Mit  der  Bezeichnung  homogenes 
Protoplasma  ist  also  nicht  nothwendiger  Weise  das  Urtheil  verknüpft, 
dass  das  Trotoplasma  einer  besonderen  Structur  oder  Organisation 
entbehre. 

In  der  Neuzeit,  wo  die  starken  Oel-Immersionssysteme  bei  den 
Untersuchungen  ausgiebiger  benutzt  werden,  häufen  sich  inuner  mehr  die 
Angaben,  dass  dem  Protoplasma  eine  optisch  wahrnehmbare  Structur 
allgemein  zukäme;  doch  weichen  die  einzelnen  Mikroskopiker  in  ihren 
Urtheilen  so  wesentlich  auseinander,  dass  eine  Vermittelung  zwischen 
ihnen  nicht  möglich  ist, 

Auf  der  Tagesordnung  der  wissenschaftlichen  Discussion  stehen 
augenblicklich  wenigstens  vier  sich  befehdende  Lehren,  welche  als  Gerüst- 
theorie, als  Schaum-  oder  Wabentheorie,  als  Filartheorie  und  als 
Granulatheorie  charakterisirt  werden  können. 

Die  Gerüsttheorie  ist  von  Frommann  (II.  14),  Heitzmann  (II.  17), 
Klein  (II.  21),  Leydig  (II.  26),  Schmitz  (II.  36)  u.  A.  aufgestellt  worden. 
Nach  ihr  besteht  das  Protoplasma  aus  einem  sehr  feinen  Netzwerk  von 
Fibrillen  oder  Fäserchen,  in  dessen  Lücken  die  Flüssigkeit  enthalten  ist. 
Es  gleicht  daher  im  Allgemeinen  einem  Schwamm,  oder  seine  Structur 
ist,  wie  man  sich  kurz  ausdrückt,  eine  spongiöse.  Die  im  Körnerplasma 
sichtbaren  Mikrosomen  sind  nichts  Anderes  als  die  Knotenpunkte  des 
Netzes. 

Bei  einem  Ueberblick  über  diese  Literatur  wird  man  finden,  dass 
unter  der  Bezeichnung  „spongiöser  Bau  des  Protoplasma"  zuweilen  ganz 
heterogene  Dinge  zusammengeworfen  worden  sind.  Theils  beziehen  sich 
die  Beschreibungen  auf  gröbere  Gerüstwerke,  welche  durch  Einlagerung 
verschiedenartiger  Stoffe  in  das  Protoplasma,  wie  später  noch  ausführ- 
licher l)esprochen  werden  wird,  bedingt  sind  und  daher  nicht  als  eine 
dem  Protoplasma  als  solchem  anhaftende  Structur  bezeichnet  und  mit 
ihr  zusannnengeworfen  werden  dürfen.  Dies  gilt  zum  Beispiel  für  die 
Beschreibung  der  Becherzellen  von  List  (11.48,  s.  S.31  Fig.  17).  Theils  sind 
netzförmige  Structuren  beschrieben  und  abgebildet  worden,  die,  offenbar 
durch  Gerinnung  (durch  einen  Entmischungsvorgang)  hervorgerufen,  als 
Kunstproducte  gedeutet  werden  müssen.  Künstliche  Gerüststructuren 
kann  man  sich  z.  B.  leicht  erzeugen,  wenn  man  Eiweisslösungen  oder 
Leimgallerte  durch  Zusatz  von  Chromsäure,  Pikrinsäure  oder  Alkohol 
zur  (Gerinnung  bringt.  So  zeichnet  Heitzmann  (II.  17)  in  sehr  schema- 
tischer  Weise  in  die  verschiedensten  Zellen  des  thierischen  Körpers 
Netzwerke  ein,  welche  dem  wirklichen  Zustand  in  keiner  Weise  ent- 
sprechen. Auch  Bütschli  bemerkt  in  seiner  Literaturübersicht  (II.  7  b 
pag.  113),  „es  sei  überhaupt  häufig  recht  schwierig  zu  entscheiden,  ob 
die  von  früheren  Beobachtern  beschriebenen  Netzstructuren  eigentliche 
feinste  Plasmastructuren  seien  oder  ob  sie  auf  gröberen  Vacuolisationen 
beruhen.  Da  sieh  beide  sehr  ähnlich  sehen,  könne  man  hierüber  nur 
auf  Grund  der  Grössenverhältnisse  ein  einigermaassen  gesichertes  Urtheil 
gewinnen."  Bütschli  fand  durchgängig,  dass  die  Maschenweite  der 
eigentlichen  Plasmastructuren  kaum  1  f.i  iiberschreitet. 

Wenn  somit  gegen  viele  Angaben  gerechte  Zweifel  erhoben  werden 


Die  chemisch-physikalisclien  u.  inorphologisclieu  Eigenschaften  der  Zelle.        19 

können,  liegen  anderen  Beschreibungen  (Froniniann,  Schmitz,  Leydig  etc.) 
wohl  wirklich  feinere  Structuren  des  Zellkörpers  zu  Grunde. 

In  der  Deutung  der  als  Netzwerk  beschriebenen  Bilder  ninmit 
Bütschli  einen  eigenen,  von  den  genannten  Forschern  abweichenden 
Standpunkt  ein,  welcher  ihn  zur  Aufstellung  einer  Schaum-  oder 
Waben theorie    des    Protoplasma    (II.  7a,  7b)    veranlasst   hat. 

Durch  Vermischung  von  eingedicktem  Olivenöl  mit  K^  C  0^  oder  mit 
Kochsalz  oder  Ptohrzucker  gelang  es  ihm,  feinste  Schäume  herzustellen, 
deren  Grundmasse  Oel  ist,  das  von  zahllosen,  allseitig  abgeschlossenen 
und  von  wässeriger  Flüssigkeit  erfüllten  Räumchen  durchsetzt  ist  (Fig.  3). 
Der   Durchmesser  der  letzteren   bleibt 

bei  sehr  feinen  mikroskopischen  Schau-  . 

men  in  der  Kegel  unter  0,001  mm.  Die  'r*---'-^"::"",:^-'tK*v-«','7T^  "^^' 
kleinen    Räumchen,    die  sich   Bienen-  ^^^^o^t^^iivXl^^^ 

waben  vergleichen  lassen  und  die  ver-  --^a^^-ja^i..,^ 

schiedenartigsten    Polyeder     darstellen  ^      Optischer   Durch- 

können, werden  durch  feinste,  das  schnitt  der  Randpartie  eines 
Licht     etwas     stärker     brechende     Oel-      aus  Olivenöl  und  Kochsalz  her- 

lamellen  von  einander  aetrennt.  In  der  gestellten  Oeischaumtropfens 
Anordnung  der  Waben'  muss  nach  phv-     ^^l  sehr  deutlicher  und  relativ 

.,    ,.     ,     '     T-,        ,        ,    ,      ,.      r,    ^■  hoher  Alveolarsehieht  [alv). 

sikahschen  Regeln  stets  die  Bedingung  vergr.    1250.     Nach    bütschli 

erfüllt  sein,  dass  immer  nur  3  Lamellen     xaf.  iii,  Fig.  4.  ' 

in  einer  Kante  zusammenstossen.    Auf 

dem  optischen  Durchschnitt  treffen  daher  in  einem 
Knotenpunkte  immer  nur  3  Linien  zusammen.  Waren  im 
Oel  vor  der  Schaumbildung  feine  Russpartikelchen  vertheilt,  so  sammeln 
sich  dieselben  in  den  Knotenpunkten  des  Wabenwerks  an.  An  feinen 
Schäumen  lässt  sicli  endlich  noch  eine  obei"flächliche  Schicht  nachweisen, 
in  welcher  die  kleinen  Waben  in  besonders  eigenthümlicher  Weise  ange- 
ordnet sind  in  der  Weise,  dass  ihre  an  die  Oberfläche  stossenden  Scheide- 
wände aus  Oel  s^krecht  zu  dieser  gerichtet  und  daher  auf  dem  optischen 
Durchschnitt  parallel  zu  einander  gelagert  sind.  Bütschli  unterscheidet 
dieselbe  als  eine  Alveolarsehieht  (Fig.  3  «Zv ). 

Genau  denselben  Bau  glaubt  nun  Bütschli  für  das  Protoplasma  aller 
pflanzlichen  und  thierischen  Zellen  (Fig.  4  u.  5)  auf  Grund  seiner  Unter- 
suchung lebender  und  mit  Reagentien  behandelter  Objecte  annehmen 
zu  müssen.  Den  Oellainellen,  welche  im  künstlichen  Schaum  die 
Flüssigkeitströpfchen  trennen,  entspricht  ein  plasmatisches  Gerüst.  Auch 
hier  sind  in  den  Knotenpunkten  desselben  die  Körnchen  (Mikrosomen) 
zusammengedrängt.  Auch  hier  ist  der  Protoplasmakörper  nach  aussen 
häufig  zu  einer  Alveolarsehieht  differenzirt.  Das  Bild,  welches  andere 
Forscher  als  Faden-  und  Netzwerk  mit  communicirenden,  die  Flüssigkeit 
bergenden  Maschenräumen  beschreiben,  deutet  Bütschli  als  Waben-  und 
Schaumwerk  mit  allseitig  abgeschlossenen  Räumen;  er  bemerkt  aber 
selbst  zu  dieser  Deutung,  dass  bei  der  Kleinheit  der  in  Frage  stehenden 
Structuren  nach  dem  mikroskopischen  Bilde  allein  eine  feste  Entschei- 
dung darüber,  ob  Netz-  oder  Wal)enstruetur  vorliege,  sich  nicht  Irefi'eu 
lasse  (II.  7  b,  pag.  140),  denn  „in  beiden  Fällen  müsse  das  mikroskopische 
Bild  dasselbe  sein." 

Soll  nun  bei  der  Deutung  die  Aehnlichkeit  mit  künstlich  her- 
gestellten Schäumen,  durch  welche  sich  schliesslich  Bütschli  in  seinem 
Ürtheil  bestimmen  lässt,  den  Ausschlag  geben? 

Hier  möchte  ich   doch  zwei  Bedenken  geltend  machen:  erstens  das 

9  * 


20  Zweites  Capitel. 

Bedenken,  dass  für  den  Bau  der  Kernsubstanz,  die  ohne  Zweifel  dem 
Protoplasma  in  ihrer  Organisation  verwandt  ist,  die  Wabentheorie  nicht 
zutrifft.  Denn  während  des  Kerntheilungsprocesses  treten  mit  grösster 
Deutlichkeit  fädige  Anordnungen  in  Form  der  Spindelfasern  und  Nuclein- 
fäden  hervor,  deren  Existenz  wohl  von  Niemand  in  Zweifel  gezogen 
werden  kann. 

Das  zweite  Bedenken  ist  mehr  theoretischer  Natur: 


1  ■:  Fl 
^  •  • 
♦  ■ 

o 


I      i.: 


V 


Fig.  4. 


Fig.  5. 

Fig.  4.  Zwei  lebende  Plasmastränge  aus  den  Haarzellen  einer  Malve. 
Etwa  oOOOfach  vergr.     Nach  Bütschli  Taf.  II,  Fig.  U. 

Fig.  5.  Schwimmliautartige  Ausbreitung  mit  sehr  deutlicher  Structur 
aus  dem  Pseudopodiennetz  einer  Miliolide.  Lebend  etwa  SOOOfach  vergr. 
Nach  Bütschli  Taf.  II,  Fig.  5. 

Oellamellen  bestehen  aus  einer  Flüssigkeit,  die  mit  Wasser  nicht 
mischbar  ist.  Soll  der  Vergleich  zwischen  Schaumstructur  und  Proto- 
plasmastructur  auf  etwas  mehr  als  einer  oberflächlichen  Aehnlichkeit 
beruhen,  so  müssten  die  den  Oellamellen  verglichenen  Plasmalamellen 
aus  einer  Eiweisslösung  oder  flüssigem  Eiweiss  zusammengesetzt  sein. 
Diese  Annahme  triflft  nicht  zu,  weil  Eiweisslösung  mit  Wasser  mischbar 
ist,  also  auch  mit  dem  Wabeninhalt  sich  mischen  müsste;  Eiweiss- 
schäume  müssten  mit  Luft  hergestellt  werden.  Um  diese  Schwierigkeit 
zu  umgehen,  nimmt  Bütschli  als  chemische  Grundlage  der  Gerüst- 
substanz des  Protoplasma  eine  Flüssigkeit  an,  die  aus  einer  Combination 
von  eiweissartigen  und  von  Fettsäuremolecülen  hervorgegangen  sei. 
(II.  7  b,  pag.  199.)  Diese  Hülfsannahme  dürfte,  wie  überhaupt  die 
Annahme  einer  flüssigen  Beschaffenheit  der  Gerüstsubstanz,  wenig  Bei- 
fall finden.  Denn  nach  vielen  Piichtungen  hin  erscheint  doch  die  theo- 
retische Forderung  eine  wohlberechtigte,  dass  die  Structurelemente  des 
Protoplasma,  mögen  sie  nun  Fädchen  eines  Netzes  oder  Lamellen  eines 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        21 

Wabenwerks  oder  Körnchen  oder  sonst  was  sein,  einen  festen  Aggregat- 
zustand haben.  Das  Protoplasma  ist  kein  Gemengsei  zweier  nicht  misch- 
l)arer  Flüssigkeiten,  wie  Wasser  und  Oel,  sondern  besteht  aus  einer 
Verbindung  fester,  organischer  Substanztheilchen  mit  reichlichem  Wasser. 
Damit  sind  aber  auch  ganz  andere  physikalische  Bedingungen  gegeben 
(vergleiche  den  Abschnitt  über  Molecularstructur.    S.  49). 

Die    dritte   von   den    oben    aufgeführten  Lehren    oder  die  F  i  1  a  r  - 
theorie  ist  an  den  Namen  von  Flemming  (II.  10)  geknüpft. 

Bei  der  Untersuchung  vieler  Zellen  im  lebenden  Zustand  (Knorpel-, 
Leber-,  Bindegewebs-,  Ganglienzellen  etc.)  beobachtete  Flemming  im  Proto- 
plasma (Fig.  6)  feinste  Fädchen,    die  etwas   stärker   lichtbrechend   sind, 
als   die  sie   trennende  Zwischensubstanz.     In 
manchen  Zellen  sind   die  Fädchen  kürzer,   in 
anderen  länger;  bald  sind  sie  spärlicher,  bald      f^-f 
reichlicher  vorhanden.    Ob   sie  von   einander      (;  vr|  h'-^'® j^^% 
getrennt  sind  und  durchweg  an  einander  vor  •-  ^    ...a   -<« 


beilaufen,  oder  ob  sie  sich  zu  einem  Netz 
verbinden,  konnte  nicht  bestimmt  entschieden 
werden;  wollte  man  sie  sich  aber  auch  zu 
einem  Netz  verbunden  denken,  so  würden  die 
Maschenräume  sehr  ungleich  weit  ausfallen.  Fig.  e.  Lebende  Knor- 
Flemming  nimmt  daher  im  Protoplasma  zwei  peizeiie  der  Salamander- 
verschiedene Substanzen  an,   über  deren  che-     ^^'f'7^'  stark  vergrossert, 

.     ,       T.T  j^  1      I  i  i.       i.      1  mit  deutlicher  Filarsub- 

mische  Natur   und   deren  Aggregatzustand   er     g^anz  (nach  Flemming). 
sich  nicht  näher  äussert:  eine  Fädchensub-         Aus  Hatschek  Fig.  2. 
stanz  und  eine  Zwischensubstanz,  oder 

eine  Filar-  und  Interfilarmasse.  (Mitom  und  Paramitom.)  Welche  Be- 
deutung dieser  Structur  zukommt,  worüber  sich  zur  Zeit  noch  gar  nichts 
aussagen  lässt,  muss  der  Zukunft  anheimgegeben  werden. 

In  dem  Abschnitt  „Protoplasmastructur"  könnte  auch  auf  die  strahlige 
Anordnung  des  Protoplasma,  wie  sie  auf  gewissen  Stadien  der  Kerntheilung 
vorübergehend  beobachtet  wird,  oder  auf  das  streifige  Aussehen,  welches  das 
Protoplasma  secretorischer  Zellen  so  häufig  zeigt,  näher  eingegangen  werden. 
Da  es  sich  aber  hier  um  Structuren  bandelt,  die  durch  besondere  Verhält- 
nisse verursacht  werden,  wollen  wir  erst  an  späterer  Stelle  auf  sie  zurück- 
kommen. 

In  einer  vierten  Pachtung  endlich  bewegen  sich  wieder  die  Bestre- 
bungen Altmanns  (IL  1),  eine  feinere  Zusammensetzung  des  Protoplasma 
nachzuweisen  (Granula theorie).  Dieser  Forscher  hat  durch  Aus- 
bildung besonderer  Methoden  im  Zellenleib  kleinste  Theilchen  sichtbar 
gemacht,  die  er  als  Granula  bezeichnet.  Er  conservirt  die  Organe  in 
einem  Gemisch  von  5  "  o  Lösung  von  Kaliumbichromat  und  von  2  ^  oiger 
Ueberosmiumsäure  und  färbt  die  von  ihnen  angefertigten  feinen  Schnitte 
mit  Säurefuchsin,  wobei  die  Färbung  durch  alkoholische  Pikrinsäurelösung 
schärfer  dilferenzirt  wird.  In  einer  farblosen  Grandsubstanz  werden  bei 
diesem  Verfahren  zahlreiche,  kleinste,  dunkelroth  gefärbte  Körnchen  sicht- 
bar gemacht,  die  entweder  isolirt  bald  dichter,  bald  lockerer  neben  einander 
liegen  oder  in  Reihen  zu  Fäden  verbunden  sind. 

Altmann  knüpft  an  diesen  Nachweis  eine  weittragende  Hypothese. 
Er  erblickt  in  den  Granula  noch  kleinere  Elementarorganismen,  aus 
denen   die  Zelle   selbst  wieder  zusammengesetzt   ist;    er   nennt   sie  die 


22  Zweites  Capitel. 

13  i  u  b  1  u  s  t  e  11 ,  schreibt  ihnen  den  Bau  eines  organisirten  Krystalls  zu  und 
betrachtet  sie  für  ^•leich^vel•thig•  den  Mikroorganismen,  die  sich  auch  als 
Einzeleleinente  in  Hauten  zu  einer  Zoogloea  oder  der  Reihe  nach  in  Fäden 
anordnen.  „Wie  in  der  Zoogloea  die  einzelnen  Individuen  durch  eine 
gallertartige  Ausscheidungssubstanz  ihres  Körpers  mit  einander  verbunden 
und  zugleich  von  einander  getrennt  sind,  so  dürfte  dies  auch  bei  den 
Granulis  der  Zelle  der  Fall  sein ;  auch  hier  werden  wir  in  der  Umgebung- 
derselben  nicht  nur  Wasser  oder  Salzlösung  als  vorhanden  annehmen  dürfen, 
sondern  ebenfalls  eine  mehr  gallertartige  Sulistanz  (Intergranularsubstauz), 
deren  Consistenz  in  manchen  Fällen  bis  an  den  flüssigen  Zustand  heran- 
reichen, in  andern  aber  ziemlich  derb  sein  wird.  Für  den  ersten  Fall 
spricht  die  grosse  Beweglichkeit,  die  manchem  Protoplasma  eigen  ist. 
Häuft  sich  die  Intergranularsubstanz  irgendwo  in  der  Zelle  ohne  Granula 
an,  so  vermag  sie  hier  ein  echtes  Hyaloplasma  zu  bilden,  welches  frei 
von  lebenden  Elementen  ist,  darum  auch  den  Namen  eines  Protoplasma 
nicht  verdient." 

Altmaiin  definirt  daher  „das  Protoplasma  als  eine  Colonie  von  Bio- 
blasten,  deren  einzelne  Elemente,  sei  es  nach  Art  der  Zoogloea,  sei  es 
nach  Art  der  Gliederfäden,  gruppirt  und  durch  eine  indifferente  Substanz 
verbunden  sind".  „Der  Bioblast  ist  daher  die  gesuchte  morphologische 
Einheit  aller  organisirten  Materie ,  von  welcher  alle  biologischen  Er- 
wägungen in  letzter  Instanz  auszugehen  haben."  Doch  ist  der  Bioblast 
der  Zelle  keines  isolirten  Lebens  fähig,  er  stirbt  mit  der  Zelle  ab.  In. 
ihr  aber,  so  nimmt  Altmann  an,  vermehrt  er  sich  nur  durch  Theilung. 
(Omne  granuluni  e  granulo.) 

Gegen  die  Altmann'sche  Hypothese,  soweit  sie  sich  auf  Deutung 
beobachteter  Verhältnisse  bezieht,  lassen  sich  manche  Einwände  erheben. 
1.  Die  kleinsten  Mikroorganismen  einer  Zoogloea  sind  durch  vielfache 
Uebergänge  in  der  Grösse  mit  grösseren  Spross-  und  Hefepilzen  verbunden, 
die  ihrem  Bau  nach  von  Zellen  nicht  zu  unterscheiden  sind  und  daher 
nach  Altmann  auch  Colonien  von  Bioblasten  sein  müssten.  Auch  hat 
Bütschli  bei  grösseren  Mikroorganismen  eine  Sonderung  in  Kern  und 
Protoplasma  und  damit  die  Uebereinstimmung  im  Bau  mit  anderen 
Zellen  wahrscheinlich  gemacht.  Die  Geissein,  die  bei  vielen  Mikro- 
organismen nachgewiesen  sind,  müssen  auch  als  Zellorgane  gedeutet 
werden.  2.  Ueber  die  Beschaffenheit  und  Aufgabe  der  Granula  in  der 
Zelle  sind  wir  noch  viel  zu  wenig  aufgeklärt,  als  dass  sich  nur  irgend- 
wie die  Schlussfolgerung  rechtfertigen  Hesse,  durch  welche  sie  zu  den 
eigentlichen  Lebenselementen  der  Zelle  erhoben  werden.  Durch  die 
Altmann'sche  Hypothese  wird  der  Werth,  welchen  man  den  Zellsub- 
stanzen bisher  zuertheilt  hat,  vollständig  umgekehrt.  Altmanii's  Inter- 
granularsubstanz, welche  ihrem  physiologischen  Werth  nach  der  Gallerte 
der  Zoogloea  gleich  geschätzt  wird,  ist  im  Wesentlichen  das  Protoplasma 
der  herrschenden  Zellentheorie,  also  die  Substanz,  welche  als  die  wich- 
tigste Grundlage  der  Lebensprocesse  betrachtet  wird;  die  Granula  da- 
gegen gehören  zum  Theil  wohl  in  die  Kategorie  der  Protoplasmaeinschlüsse, 
denen  man  bisher  eine  minder  bedeutungsvolle  Rolle  zuertheilt  hat.  So 
bezeichnet  Altmann  in  der  Pigmentzelle  die  Melaninkörnchen  als  die  Bio- 
blasten, das  sie  verbindende  Protoplasma  als  Intergranularsubstanz. 
Ebenso  kehrt  Altmann  beim  Kern,  wie  bei  der  Beschreibung  desselben 
hervorgehoben  werden  wird,  den  physiologischen  Werth  der  Substanzen 
vollständig  um,  indem  seine  Granula  im" Kernsaft  enthalten  sind,  die 
Intergranularsubstanz   aber   dem  chromatiuhaltigen  Kernnetz   entspricht. 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        23 

Mit  (leii)  Worte  Granula  hat  nach  unserer  Auffassung  Altniann 
Gebilde  von  sehr  verschiedenem  morphologischen  Werth,  die  zum  Theil 
in  die  Kategorie  der  Protoplasmaprodukte  gehören,  zusammengefasst. 
Ihre  Untersuchung  durch  neue  Methoden  zugänglicher  gemacJit  zu  haben, 
wird  das  Hauptverdienst  der  auf  sie  bezüglichen  Arbeiten  von  Altmann 
bleiben,  während  die  auf  sie  gegründete  Bioblastentheorie  sich  wenig 
Anhänger  erworben  haben  dürfte.  (Man  vergleiche  auch  den  Schluss  des 
neunten  Capitels.) 

e)  Gleichartigkeit  des  Protoplasma    als  Substanz,    Verschiedenheit 

der  Zellkörper. 

Im  ganzen  Organismenreich  tritt  uns  das  Protoplasma  als  eine  im 
Wesentlichen  gleichartig  aussehende  Substanz  entgegen.  Mit  unseren 
jetzigen  Untersuchungsmitteln  sind  wir  nicht  in  der  Lage,  zwischen  dem 
Protoplasma  einer  thierischen  Zelle  oder  einer  Pflanzenzelle  oder  eines 
einzelligen  Organismus  irgend  welche  durchgreifende  Unterschiede  aus- 
findig zu  machen.  Diese  Gleichartigkeit  ist  naturgemäss  nur  eine  schein- 
bare ,  nur  eine  auf  der  Unzulänglichkeit  der  Untersuchung  beruhende. 
Denn  da  in  jedem  Organismus  der  Lebensprocess  sich  in  einer  ihm 
eigenthümlichen  Weise  abspielt,  das  Protoplasma  aber,  abgesehen  vom 
Kern,  der  hauptsächliche  Sitz  der  einzelnen  Lebensprocesse  ist,  so  müssen 
Verschiedenheiten  derselben  auch  in  Verschiedenheiten  der  stofflichen 
Grundlage,  also  des  Protoplasmas,  begründet  sein.  Wir  müssen  also  zwi- 
schen dem  Protoplasma  der  verschiedenen  Organismen  Unterschiede  in  der 
stofflichen  Zusammensetzung  und  in  der  Structur  in  der  Theorie  voraus- 
setzen. Wahrscheinlich  liegen  aber  diese  wichtigen  Unterschiede  schon 
auf  molecularem  Gebiete. 

Trotz  gleichartigen  Aussehens  des  Protoplasma  können  dagegen  die 
einzelnen  Zellkörper,  von  denen  das  Protoplasma  ja  nur  einen  grösseren 
oder  geringeren  Bestandtheil  ausmacht,  als  Ganzes  genommen  sehr  ver- 
schiedenartige Anblicke  darbieten.  Theils  rührt  dies  von  der  äusseren 
Form,  hauptsächlich  aber  davon  her,  dass  in  das  Protoplasma  bald  diese, 
bald  jene  Stoffe  in  einer  von  ihm  unterscheidbaren  Weise  abgelagert 
sind.  Zuweilen  kann  dies  in  solcher  Masse  geschehen,  dass  der  ganze 
Zellkörper  fast  allein  aus  solchen,  dem  Protoplasma  in  anderen  Fällen 
fehlenden  Stoffen  zu  bestehen  scheint.  Denken  wir  uns  die  letzteren 
entfernt,  so  entstehen  naturgemäss  in  dem  Zellkörper  zahlreiche  grössere 
und  kleinere  Lücken,  zwischen  denen  die  protoplasmatische  Grundlage 
der  Zelle  als  ein  zuweilen  ausserordentlich  feines  Fach-  und  Gerüstwerk 
zu  Tage  tritt.  Dieses  darf  nicht,  wie  schon  hervorgehoben  wurde  (S.  18), 
mit  der  netzförmigen  Anordnung  verwechselt  werden,  welche  nach  der 
Annahme  mancher  Forscher  der  protoplasmatischen  Substanz  als  solcher 
zukommen  soll  und  im  Capitel  „Protoplasmastructur"  besi)rochen  wurde. 

Man  hat  für  die  im  Protoplasma  eingeschlossenen  Substanzen  die 
Namen  Deutoplasma  (van  Beneden)  oder  Paraplasma  (Kupffer  IL  24) 
vorgeschlagen.  Da  man  al)er  mit  dem  Wort  Plasma  doch  immer  die 
Vorstellung  einer  Eiweisssubstanz  verbindet,  die  Einschlüsse  alier  auch 
aus  Fett,  Kohlenhydraten,  Saft  und  manchem  Anderen  bestehen  können, 
dürfte  sich  der  Gebrauch  jener  beiden  Bezeichnungen  nicht  empfehlen, 
und  es  ist  besser,  anstatt  dessen  entweder  allgemein  von  inneren 
Plasmapr  od  ucten  und  Zelleinschlüssen  oder,  je  nach  ihrer 
Bedeutung,    von    Reserve-   und   Secret Stoffen    oder   speciell   von 


24  Zweites  Capitcl. 

Dotterplilttclien ,   Fetttropfen,    Stärkekörnern ,   rignientkörnchen   etc.   zu 
reden. 

Zwischen  dem  Protoplasma  und  den  Substanzen,  die  als  Zellein- 
schlüsse  zusaninien.uefasst  werden  können,  besteht  ein  ähnlicher  Unter- 
seliied,  wie  zwischen  den  Stoffen,  die  die  Organe  unseres  Körpers  aus- 
machen, und  den  Stoffen,  die  erstens  als  Nahrung  in  unseren  Körper 
aufgenommen  werden  und  zweitens  in  flüssigem  Zustande  als  Ernährungs- 
saft durch  alle  Organe  circuliren.  Die  ersteren,  welche  vom  jeweiligen 
p]rnährungszustand  des  Körpers  weniger  abhängig  und  geringerem  Wechsel 
unterworfen  sind,  nennt  man  in  der  Physiologie  D  a  u  e  r  s  t  o  f  f  e ,  die  letzteren 
Verbrauchsstoffe.  Dieselbe  Unterscheidung  ist  auch  für  die  den  Zell- 
körper zusammensetzenden  Substanzen  anwendbar.  D  a  s  P  r  o  t  o  p  1  a  s  m  a 
ist  ein  Dauerstoff,  dagegen  die  in  ihm  eingeschlossenen 
Substanzen  seine  Verbrauchsstoffe. 

f)  Verschiedene  Beispiele  für  den  Bau  des  Zellkörpers. 

Nach  der  vorausgegangenen  Orientirung  über  die  chemisch-physi- 
kalischen und  morphologischen  Eigenschaften  des  Zellkörpers  sollen 
einige  besonders  prägnante  Beispiele  dazu  dienen ,  das  im  Allgemeinen 
Ausgeführte  noch  anschaulicher  zu  machen.  Zu  dem  Zwecke  vergleichen 
wir  niedere  einzellige  Organismen,  pflanzliche  und  thierische  Zellen  und 
wählen  zunächst  solche  Beispiele,  bei  denen  der  Körper  fast  ausschliesslich 
aus  Protoplasma  besteht,  und  zweitens  Beispiele,  in  denen  der  Zell- 
körper mit  diesen  oder  jenen  Einschlüssen  beladen  und  dadurch  in 
seinem  Aussehen  erheblicher  verändert  ist. 

Wichtige  Objecte  für  das  Studium  des  Zellkörpers  bilden  im  Wasser 
und  in  feuchter  Erde  lebende,  einzellige  Organismen,  wie  Amöben, 
Schleimpilze  und  Khizopoden,  ferner  Lymphkörperchen  und  weisse  Blut- 
körperchen der  Wirbelthiere,  junge  Pflanzenzellen. 

1)    Zellen,    deren   Körper   fast   ausschliesslich   aus 
Protoplasma  besteht. 

Eine  Amöbe  (Fig.  7)  ist  ein  kleines  Klümpchen  von  Protoplasma, 
das  gewöhnlich  an  seiner  Oberfläche  einige  kurze,  lappige  Fortsätze 
(Pseudopodien  oder  S  c  h  e  i  n  f  ü  s  s  c  h  e  n)  nach  aussen  hervorstreckt . 
Der  Körper  ist  vollständig  nackt,  das  heisst,  er  ist  gegen  die  umgebenden 
Medien  nicht  durch  eine  besondere  dünne  Hülle  oder  Membran  abge- 
grenzt; nur  ist  die  oberflächlichste  Schicht  des  Protoplasma  (Haut- 
s  Chi  cht)  (eh)  frei  von  Körnchen  und  daher  glasartig  durchsichtig,  in 
grösserer  Ausdehnung  namentlich  an  den  lappigen  Scheinfüsschen;  unter 
dem  Hautplasma  folgt  das  dunklere  und  flüssigere  Körnerplasma  (en),  in 
welchem  auch  der  bläschenförmige  Zellenkern  (n)  eingeschlossen  ist. 

Grosse  Aehnlichkeit  mit  einer  Amöbe  zeigen  die  weissen  Blut- 
körperehen  und  die  Lymphkörperchen  der  Wirbelthiere,  nur 
dass  sie  sehr  viel  kleiner  sind.  (Fig.  8.)  Frisch  dem  lebenden  Thiere 
entnommen,  stellen  sie  mehr  oder  minder  runde  Protoplasmaklümpchen 
dar  mit  einer  kaum  wahrnehmbaren  hyalinen  Hautschicht  und  einer 
körnigen  Innenmasse,  in  deren  Mitte  der  Kern  im  frischen  Zustand  nur 
undeutlich,  oft  gar  nicht  wahrzunehmen  ist.  Nach  einiger  Zeit  streckt 
das  Körperchen  den  Scheinfüsschen  der  Amöben  vergleichbare  Fortsätze 
an  seiner  Oberfläche  hervor. 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        25 


Fig.  7.  Fig.  8. 

Fig.  7.  Ainöba  proteus.  Nach  Leidy.  Aus  R.  Hertwig  Fig.  16.  n.  Kern. 
cv.   Coutractile  Yacuole.     N.  Nahrungsballen,     en.  Körnerplasma,     eh.  Hautplasma. 

Fig.  8.  Ein  Leukocyt  des  Frosches,  in  dem  ein  Bakterium  einge- 
schlossen ist  und  verdaut  wird.  Das  Bakterium  durch  Vesuvin  gefärbt. 
Die  beiden  Figuren  repräsentiren  2  Stadien  der  Bewegung  ein-  und  derselben  Zelle. 
Nach  Metschnikoff  Fig.  54. 


Unter  sehr  abweichender  Form  erscheint 
dagegen  der  gleichfalls  nackte  Protoplasma- 
körper  derMyxomyceten  oderRhizo- 
p  0  d  e  n.  Der  bei  uns  bekannteste  Schleimpilz, 
welcher  die  Lohblüthe  bildet,  das  Aethalium 
septiciira,  überzieht  während  seines  vegetativen 
Zustandes  als  zusammenhängende  dünne 
Protoplasmaschicht  ( P 1  a  s  m  o  d  i  u  m)  die  Ober- 
fläche der  Gerberlohe  in  grosser  Ausdehnung. 

Ein  ilnii  verwandter  Schleimpilz  ist  das 
Chondrioderma,  von  welchem  ein  kleines  Stück 
des  Piandes  in  Fig.  9  abgebildet  ist. 

Nach  dem  Rande  zu  löst  sich  das  Plas- 
modium in  zahlreiche  Protoplasmafäden  auf, 
die  theils  dicker,  theils  ungemein  fein  sind 
und  sicli  unter  einander  zu  einem  zierlichen 
Netzwerk  verbinden.  Auch  hier  lassen  dickere 
Fäden  eine  dünne  Schicht  von  homogenem 
Hautplasma  und  darin  eingesclilossenem  Körner- 
plasma erkennen,  während  an  den  feineren  Fä- 
den eine  solche  Unterscheidung  nicht  möglich 
ist.  In  der  zuweilen  sehr  umfangreichen  Proto- 
plasmamasse finden  sich  sehr  zahlreiche,  kleinste 
Zellkerne  überall  vertheilt. 

Unter  den  Rhizopoden ,  welche  in  sehr 
verschiedenen   Arten  im   süssen    und   salzigen 


Fig.  9.  Chondrioderma 
difforme.         Nach      Stras- 

BÜRGEK. 

/  Theil  eines  älteren  Plas- 
modiums, a  trockene  Spore. 
b  Dieselbe  imWasser  quellend. 
c  Spore  mit  austretendem  In- 
halt, d  Zoospore,  e  aus  Um- 
wandlung der  Zoospore  her- 
vorgegangene Amöbe)i ,  die 
sich  zum  Plasmodium  zu  ver- 
einen anfangen.  (Bei  d  und  e 
Kern  u.  contractile  Vacuolen 
zu  sehen.) 


26 


Zweites  Capitel. 


i  \ 


11 


Wasser  vorkoininen,  ist  ein  durch  Max  Scliultze's  Untersuchungen  (I.  29) 

besonders    berühmt    gewordenes    Object,     die    Gromia    oviforniis 

^  (Fig.  10).     Der  körnige,    mit 

\\  i  \  \  einigen     kleinen    Zellkernen 

versehene  Protoplasniakörper 
füllt  theils  ein  ovales  Gehäuse 
aus,  das  an  einem  Pol  eine 
weite  Oeffnung  trägt,  theils 
dringt  es  an  letzterer  nach 
aussen  hervor  und  überzieht 
die  Oberfläche  des  Gehäuses 
in  dünner  Schicht.  War  der 
Organismus  nicht  gestört  wor- 
den, so  strahlen  vom  herausge- 
tretenen Protoplasma  feinste 
Fädchen  (Pseudopodien)  oft 
von  erstaunlicher  Länge  nach 
allen  Richtungen  in"s  Wasser 
aus ;  manche  gabeln  sich,  an- 
dere lösen  sich  in  zahlreichere 
Fädchen  auf  oder  sendeu 
Seitenzweige  ab,  durch  welche 
sie  sich  mit  lienachbarten 
Pseudopodien  verbinden. 


/  k  n\n  mS^.  \\\  \\>^v--v-- 


nßf  I    \!  m\\\ 


/ 


// 


Fig.  10. 

SCHDLTZE. 


Gromia    oviformis.      Nach  M. 


Die  so  eigenthümliche  Kör- 
persubstanz der  eben  beschrie- 
benen niedersten  Organismen 
wurde  von  D  u  j  a  r  d  1  n  als  Sar- 
code bezeichnet,  da  sie  wie  die 
Muskelsubstanz  höherer  Thiere 
Bewegungen  ausführen  kann. 
Unter  dem  Eindruck  der  S  ch lei- 
den-Seh  wann' sehen  Zellen- 
theorie suchte  man  an  der  Sar- 
code eine  Zusammensetzung  aus 
kleinstenZellen  nachzuweisen  und 
in  dieser  Weise  die  Sarcode- 
organismen dem  Zellenscbema 
zu  unterwerfen,  bis  in  ganz 
anderer  Richtung  die  Lösung 
gefunden  wurde.  Forscher  wie 
Cohn  (1.7),  Unger  verglichen 
zuerst  die  Sarcode  wegen  der 
Gleichartigkeit  ihrer  Lebens- 
erscheinungen dem  protoplas- 
matischen Inhalt  einer  Pflanzen- 


zelle. Durch  Max  Schnitze 
(L  29),  de  Bary  (L  2)  und  Haeckel  (L  10)  wurde  die  Identität  von 
Sarcode  und  Protoplasma  der  thierischen  und  pflanzlichen  Zellen  über  allen 
Zweifel  festgestellt  und  namentlich  von  dem  erstgenannten  Forscher  zu  der 
oben  schon  beschriebenen  Reform  der  Zellentheorie  und  zur  Begründung  seiner 
Protoplasmatheorie  (siehe  S.  7)  benutzt. 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        27 

In  den  Amöben,  Lymphzellen,  Schleimpilzen  und  Rhizopoden  lernten 
wir  nackte  Zellkörper  kennen;  bei  Pflanzen  und  Thieren  dagegen  sind 
die  Zellkörper,  bei  ersteren  fast  stets,  bei  letzteren  sehr  häufig  in  eine 
deutlich  unterscheidbare,  zuweilen  sehr  dicke  und  feste  Substanz  (Mem- 
bran, Intercellitlarsubstanz)  eingehüllt  und  stellen  dann  mit  ihr  zusammen 
ein  Kämmerchen  oder  eine  Zelle  in  des  Wortes  eigentlichster  Bedeutung 
dar.  Als  Beispiele  dienen  junge  Zellen  aus  der  Nähe  des  Vegetations- 
punktes einer  Pflanze  und  Knorpelzelleu  einer  Salamanderlarve. 

An  den  Vegetationspunkten  der  Pflanzen  (Fig.  12  A)  sind  die  Zellen, 
die  sich  hier  lebhaft  vermehren,  sehr  klein  und  thierischen  Zellen  sehr 
ähnlich.  Sie  werden  von  einander  nur  durch  sehr  dünne  Cellulosewände 
abgegrenzt.  Die  kleinen  Hohlräume  werden 
vollständig  vom  Zellkörper  ausgefüllt,  der,  vom 

Kern    und  von   Chlorophyllbildern   abgesehen,      /--  \ 

nur  aus  feinkörnigem  Protoplasma  besteht. 

Die  K  n  0  r  p  e  1  z  e  1 1  e n  junger  Salamander- 
larven empfiehlt  Flemming  als  das  sicherste 
und  beste  Object,  an  welchem  sich  Protoplasma- 
structuren  im  lebenden  Zustand  studiren 
lassen.  Der  Zellkörper,  welcher  während  des 
Lebens  wie  bei  den  jungen  Pflanzenzellen  die  Fig.  ii.  Lebende  Knor- 
Höhle    im    Innern    der    Knorpelgrundsubstanz     pelzelle  der  Salamander- 

03117    ausfüllt     ist      von     ziemlich    stark    licht-      larve,  stark  vergrossert, 
ganz    ausiuiii,  isi    „von    ziemuLn    sicirK    ncui       mit  deutlicher  Füarsub- 

brechenden  Faden  von  weniger  als  1  ^i  Durch-     g^anz  (nach  Flemming). 

messer  und  gewundenem  Verlauf  durchzogen;        Aus  Hatschek  Fig.  2. 

sie  sind  meist  um  den  Kern  dichter  angeordnet 

und  zugleich  mehr  wellig  verschlungen;   die  Peripherie  der  Zellen   wird 

bald  von  Fäden   ganz   oder  fast  freigelassen,   bald  auch  nicht,  zuweilen 

sind  sie  hier  selbst  recht  dicht." 

2)   Zellkörper,   die  in  ihrem  Protoplasma  zahlreiche  und 
verschiedene  Einschlüsse  enthalten. 

Bei  Pflanzen  und  einzelligen  Organismen  schliesst  das  Protoplasma 
sehr  häufig  Flüssigkeitstropfen  ein,  in  denen  Salze,  Zucker  und  Albumi- 
nate  in  gelöstem  Zustand  (circulirendes  Eiweiss)  enthalten  sind.  Je  mehr 
wir  uns  von  den  Vegetationspunkten  einer  Pflanze,  wo  die  oben 
beschriebenen  kleinsten,  rein  protoplasmatischen  Elementartheile  angehäuft 
sind,  weiter  entfernen  (Fig.  12  ^),  um  so  mehr  vergrössern  sich  unter 
beträchtlicher  Verdickung  der  Cellulosemembran  die  einzelnen  Zell- 
kammern (C)  und  erreichen  oft  mehr  als  das  lOOfache  ihrer  ursprünglichen 
Grösse.  Dieses  Wachsthum  beruht  indessen  zum  kleinsten  Theile  auf 
einer  erheblichen  Vermehrung  des  Protoplasmakörpers.  Nie  wird  man 
den  Raum  einer  so  grossen  Pflanzenzelle  ausschliesslich  von  körnig- 
schleimiger Substanz  ausgefüllt  sehen.  Die  Vergrösserung  der  Zelle 
wird  vielmehr  hauptsächlich  dadurch  herbeigeführt,  dass  der  ursprünglich 
kleine  Protoplasmakörper  an  der  Vegetationsspitze  Flüssigkeit  aufnimmt 
und  als  Zellsaft  in  seinem  Innern  in  kleinen  Hohlräumen,  den  Va  c  u  o  1  e  n , 
abscheidet.   Er  gewinnt  dadurch  ein  schaumiges  Aussehen  (Fig.  12  B,  s). 

Von  einer  Protoplasmaanhäufung,  in  welcher  der  Kern  liegt,  gehen 
dickere  und  feinere  Protoplasmahäutchen  aus,  welche  als  Scheidewände 
die  einzelnen  Safträume  von  einander  trennen  und  sich  an  der  Oberfläche 
zu   einer   zusammenhängenden    Wandschicht    (Primordial schlauch) 


28 


Zweites  Capitel. 


verbinden ,    welclie    sich    der  Innenfläche  der  vergrösserten  und   durch 
Wadisthuni  verdickten  Cellulosenicnibran  (h)  anschmiegt. 

Hiervon  lassen  sich  zwei  verschiedene  Zustände  ableiten,  welche  die 
ausgewachsene  Pflanzenzelle  darl)ietet.  Durch  weitere  Verinehmng  des 
Zellsaftes  werden  die  Vacuolen  vergrössert  und  die  Scheidewände  ver- 
diuint.  Letztere  reissen  endlich  theilweise  ein,  so  dass  die  einzelneu  Saft- 
räunie  sich  durch  Oefthungen  in  Verbindung  setzen  und  einen  einzigen  zu- 
sannnenhängenden  Saftrauni  bilden.  Der  Protoplasmakörper  hat  sich  mit- 
hin jetzt  umgewandelt  in  eine  ziemlich  dünne,  der  Cellulosemembran 
anliegende  Schicht  und  mehr  oder  minder  zahlreiche  Protoplasmabalken 
und  Fäden,  welche  den  einheitlichen  grossen  Flüssigkeitsraum  durchsetzen. 
(Fig.  12  C  rechts  u.  Fig.  13.)  In  anderen  Fällen  endlich  sind  auch 
diese  Protoplasmabalken  im  Innern  der  Zelle  geschwunden.  Der  Proto- 
plasmakörper   besteht   dann   einzig  und   allein  noch   aus  einem  dünnen 

C  B 


kk-    j^    p 


Fig.  12.  Parenehymzellen  aus  der  mittleren  Schicht  der  "Wurzelrinde 
von  Fritillaria  imperialis ;  Längsschnitte,  nach  öSOmaliger  Vergrösserung. 
Nach  Sachs  (II  33)  Fig.  75.  A  dicht  über  der  Wiirzelspitze  liegende,  sehr  junge 
Zellen,  noch  ohne  Zellsaft;  B  die  gleichnamigen  Zellen  etwa  2  Millimeter  über  der 
Wurzelspitze,  der  Zellsaft  s  bildet  im  Protoplasma  p  einzelne  Tropfen,  zwischen  denen 
Protoplasmawände  liegen;  C  die  gleichnamigen  Zellen  etwa  7 — 8  Millimeter  über  der 
Wurzelspitze;  die  beiden  Zellen  rechts  unten  sind  von  der  Vordei-fläche  gesehen,  die 
grosse  Zelle  links  unten  im  optischen  Durchschnitt  gesehen;  die  Zelle  rechts  oben 
durch  den  Schnitt  geöffnet;  der  Zellkern  lässt  unter  dem  Einfluss  des  eindringenden 
Wassers  eine  eigenthümliche  Quellungserscheinung  wahrnehmen  {x  y).  k  Kern.  kJc  Kern- 
körper,    h  Membran. 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        29 


Schlauch,  welcher  die  Innenfläche  des  Kämmerchens,  um  einen  Ausdruck 
von  Sachs  (IL  33)  zu  gebrauchen,  wie  eine  Tapete  die  Zinimerwand 
bedeckt  und  einen  einzigen  grossen  Saftraum  einschliesst.  (Fig.  12  C 
links  untere  Zelle  u.  Fig.  59.)  In.  sehr  grossen  Zellen  ist  dieser  Schlauch 
zuweilen  so  dünn,  dass  man  ihrr,  vom  Zellkern  abgesehen  ,  selbst  bei 
starker  Vergrösserung  kaum  wahrnimmt  und  dass  man,  um  ihn  klar  zur 
Anschauung  zu  bringen,  besondere  üntersuchungsmethoden  anwenden  muss. 
Das  sind  die  Elementartheile ,  an  deren  Studium  sich  die  älteren 
Forscher  wie  Treviranus,  Schieiden  und  Schwann  ihre  Vorstellung  vom 
Wesen  der  Zelle  gebildet  hatten.  Kein  Wunder  daher,  wenn  sie  in  der 
Zellenmembran  und  dem  Kern  die  wesentlichen  Zellentheile  erblickten, 
die  Bedeutung  des  Protoplasma  aber  ganz  übersahen.  Dass  letzteres  auch 
in  der  Pflanzenzelle  der  eigentliche  lebende  Körper  ist  und  ohne  Zu- 
sammenhang mit  der  Membran  zu  leben  vermag,  ist  durch  folgende 
Beobachtung,  die  in  der  Geschichte  der  Zellentheorie  eine  grosse  Rolle 
gespielt  hat  (I.  7) ,  über  jeden  Zweifel  sicher  zu  stellen.  Bei  vielen 
Algen  (Oedogonium,  Fig.  14)  löst  sich  der  gesammte  Protoplasma- 
körper zur  Zeit  der  Fortpflanzung  von  der  Cellulosewand  ab,  zieht  sich 
unter  Auspressung  von  Flüssigkeit  zu  einem  geringeren  Volumen  zusammen. 


1     ; 


m 


Fig.  13.  Fig.  14. 

Fig.  13.  Eine  Zelle  aus  einem  Staubfadenhaar  von  Tradescantia 
virginica.     Vergr.  240.     Nach  Strasbürgee,  Botanisches  Praktikum  Fig.  23. 

Fig.  14.  Oedogonium  in  Zoosporenbildung.  Nach  Sachs.  Aus  K.  Hertwig, 
Zoologie  Fig.  110.  A  ein  Stück  des  Algenfadens  mit  ausschlüpfendem  Zellinhalt. 
C  aus  dem  Inhalt  hervorgegangene  Zoospore.     D  Zoospore  festsitzend  in  Keimung. 

so  dass  er  den  Kammerraum  nicht  mehr  ganz  ausfüllt,  und  bildet  eine  bald 
kugelig,  bald  oval  gestaltete  nackte  Schwämispore  (A).  Diese  sprengt 
nach  einiger  Zeit  ihre  alte  Hülle,  schlüpft  durch  die  entstandene  Oeffnung 
ins  Freie  und  bewegt  sich  im  Wasser  mit  Wimpern  (XJ),  die  sie  auf 
ihrer  Oberfläche  hervorgetrieben  hat,  ziemlich  geschwind  fort,  um  nach 
einiger  Zeit  zur  Ruhe  zu  kommen  (D)  und  auf  ihrer  Oberfläche  eine 
neue  zarte  Membran  auszuscheiden.  So  hat  die  Natur  selbst  uns  den 
besten  Beweis  geliefert,  dass  der  Protoplasmakörper  an  sich  der  eigent- 
liche lebendige  Elementarorganismus  ist. 


30 


Zweites  Capitel. 


Eine  ebenso  reiche  Vaeuolenbilduno;  und  Saftabseheidun.ü; ,  wie  sie 
sich  in  PHanzenzellen  findet,  zeipt  uns  zuweilen  auch  das  hüllenlose 
Protoplasma  niederer,  einzelliger  Organismen,  namentlich  einzelner  Rhizo- 
])oden  und  Radiolarien.  So  bietet  ua^  der  in  Figur  15  dargestellte 
Körper  eines  Actinosphärium  ein  vüllig^schaumiges  Aussehen  dar,  ähnlich 
einem  durch  Schlagen  hergestellten  feinen  Eiweiss-  oder  Seifenschaum. 
Zahllose  kleinere  und  grössere,  mit  Flüssigkeit  erfüllte  Vacuolen  durch- 
setzen den  ganzen  Körper  und  sind  nur  durch  feine,  zuweilen  kaum 
messbar  dicke  Scheidewände  von  Protoplasma  getrennt,  das  aus  einer 
homogenen  Grundsubstanz  mit  eingebetteten  Körnchen  besteht. 


Ka      cv 


R 
Na 


:ti^w^^ri..> 


M 


Fig.  15.  Actinosphärium  Eichhorni.  Nach  R.  Hertwig,  Zoologie  Fig.  117. 
M  Marksubstanz  mit  Kernen  {n).  U  Rindensubstanz  mit  contractilen  Vacuolen  {cv\ 
Na  Nahrungskörper. 

Durch  die  Yacuolenbildung  wird  der  Protoplasmakörper  aufgelockert 
und  werden  Flächen  in  ihm  geschaffen,  an  denen  die  Protoplasma- 
theilchen  in  unmittelbare  Wechselwirkung  zu  der  in  den  Vacuolen 
enthaltenen  Nährlösung  treten  können.  Durch  die  ganze  Einrichtung 
wird  offenbar  die  Stoffaufnahme  und  Abgabe  ungemein  erleichtert.  Sie 
kann  als  innere  Oberflächenvergrösserung  der  äusseren  Oberflächenver- 
grösserung  gegenübergestellt  werden,  welche  sich  uns  in  der  Bildung 
reichverzweigter  Pseudopodien  (Fig.  10)  darbietet  und  wohl  dem  gleichen 
Zwecke  dient. 

Im  Gegensatz  zu  den  pflanzlichen  Zellen  findet  in  den  thierischen 
Elementartheilen  Yacuolenbildung  und  Saftausscheidung  ausserordentlich 
selten,  wie  z.  B.  in  den  Chordazellen,  statt ;  dagegen  werden  hier  häufiger 
Einschlüsse  gebildet,  die  einen  gequollenen  oder  festen  Aggregatzustand 
darbieten,  Glycogen-  und  Schleimtropfen,  Fettkugeln,  Eiweissschollen  etc. 
Wenn   dieselben  sehr  reichlich   und   zahlreich  entwickelt  sind,  so  kann 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.         31 

im  Zellkörper  das  Protoplasma  auch  zu  einem  Schaumwerk,  wie  bei 
einem  Aetinosphärium  (Fig.  15)  oder  einem  Netzwerk,  wie  in  der  Tra- 
descantiazelle  (Fig.  13)  umgewandelt  sein,  nur  dass  die  Zwischenräume 
anstatt  mit  Saft  mit  dichteren  Sub^nzen  erfüllt  sind. 

Die  schönsten  Beispiele  bieten  uns  manche  Arten  thieriscber  Eizellen. 
Die  ganz  ausserordentliche  Grösse,  welche  dieselben  in  manchen  Fällen 
erreichen,  beruht  weniger  auf  einer  Zunahme  von  Protoplasma,  als  viel- 
mehr auf  einer  Ablagerung  chemisch  sehr  verschiedenartiger,  bald  ge- 
formter, bald  ungeformter  Reservestoffe,  die  für  spätere  Yerwerthung  im 
Stoffwechsel  der  Zelle  bestimmt  sind.  Oft  scheint  die  Eizelle  fast  ganz 
aus  ihnen  zu  bestehen.  Das  Protoplasma  füllt  nur  die  kleinen  Lücken 
zwischen  ihnen  aus,  wie  der  Mörtel  zwischen  den  Steinen  eines  Mauer- 
werks (Fig.  16);  auf  dem  Durchschnitt  durch  ein  Ei  erscheint  es  als  ein 
zartes  Netzwerk,  in  dessen  kleineren  und  grösseren  Maschen  die  Reserve- 
stoffe liegen.  Nur  an  der  Oberfläche  des  Eies  und  in  der  Umgebung 
des  Keimbläschens  findet  sich  Protoplasma  als  eine  dickere,  zusammen- 
hängende Schicht. 


kb 


Fig.  16. 


Fig.  17. 


Fig.  16.  Eben  befruchtetes  EL  von  Aacaris  megalocephala.  Nach 
VAN  Ben'eden.  Aus  0.  Hertwig  Fig.  22.  sk  Eingedrungener  Samenkörper  mit  dem 
Samenkern.    /  Fettglänzende  Substanz  des  Samenkörpers,     kb  Keimbläschen. 

Fig.  17.  Becherzelle  aus  dem  Blasenepithel  von  Squatina  vulgaris,  in 
Müller'seher  Flüssigkeit  erhärtet.     Nach  List  Taf.  I,  Fig.  9. 

Ein  zweites  Beispiel  eines  schönen,  durch  Stoffeinlagerung  hervor- 
gerufenen, protoplasmatischen  Gerüstwerks  bieten  uns  die  Schleimzellen 
der  Wirbeltbiere  (Fig.  17)  und  wirbellosen  Thiere  dar.  Sie  lassen  einen 
der  Epitheloberfläche  zugewandten,  ausgeweiteten  und  einen  engeren, 
basalen  Abschnitt  unterscheiden.  Der  erstere  besteht  hauptsächlich  aus 
homogener,  glänzender  Secretmasse,  der  mucigenen  Substanz,  die  aus  dem 
Becher  durch  eine  kleine  Oeffnung  am  freien  Ende  desselben  zeitweise 
entleert  und  in  Schleim  umgewandelt  wird.  Das  Protoplasma  durch- 
setzt in  feinen  Fäden,  die  sich  zu  einem  weitmaschigen  Netzwerk  ver- 
binden, die  Secretmasse  und  bildet  nur  im  Fusstheil  der  Zelle  einen 
corapacteren  Körper,  in  welchem  dann  auch  der  Kern  eingeschlossen  ist. 


II.    Die  chemisch-pliysikalischen  und   morpliologischen  Eigen- 
schaften des  Zellenkerns.    (Nucleus.) 

Ebenso  wichtig   wie   das  Protoplasma  ist  für  das  Wesen  der  Zelle 
der  Zellenkern;  derselbe  wurde  1833  von  Robert  Brown  (I.  5)  in  Pflanzen- 


32  Zweites  Capitel. 

Zellen  zuerst  entdeckt;  bald  daiauf  machten  ihn  Schieiden  (I.  28)  und 
Sdnvann  (I.  31)  zum  Mittelpunkt  ihrer  Theorie  der  Zellenbildung.  Dann 
trat  das  Studium  des  Zellenkerns  eine  Zeit  lang  in  den  Hintei-grund,  als 
man  mit  den  interessanten  Lebenserscheinungen  des  Protoplasma  näher 
liekaunt  wurde.  Erst  im  Laufe  der  letzten  20  Jahre  ist  eine  Entdeckung 
der  andern  auf  dem  Gebiet  der  Kernlehre  gefolgt  und  hat  das  vernach- 
lässigte Gebilde  dem  Protoplasmakörper  des  Elementarorganismus  als 
gleich werthig  erscheinen  lassen. 

Li  der  Geschichte  des  Zellenkerns  lässt  sich  eine  gewisse  Analogie 
mit  der  Geschichte  der  Zellentheorie  nicht  verkennen.  Auch  den  Zellen- 
kern fasste  man  zuerst  als  ein  Bläschen,  ja  geradezu  als  eine  kleinere 
Zelle  in  der  grösseren  Zelle  auf.  Wie  man  dann  in  der  Zelle  das 
Protoplasma  als  die  lebensthätige  Substanz  beurtheilen  lernte,  so  sah  man 
später  auch  beim  Kern  ein,  dass  die  Form  des  Bläschens  etwas  Neben- 
sächliches sei,  dass  die  Lebensthätigkeit  des  Kerns  vielmehr  an  gewisse 
Substanzen  gebunden  ist,  die  im  Kernraum  enthalten  sind  und  uns  in 
sehr  verschiedener  Anordnung  im  ruhenden  und  thätigen  Zustand  ent- 
gegentreten können. 

Richard  Hertwig  (IL  18)  hat  diesen  Gesichtspunkt  in  einer  kleinen 
A])handlung  „Beiträge  zu  einer  einheitlichen  Auffassung  der  verschiedenen 
Kernformen"  zuerst  klar  ausgesprochen  in  den  Worten:  „Als  den  wich- 
tigsten Punkt  für  eine  einheitliche  Beurtheilung  der  verschiedenen  Kern- 
formen muss  ich  gleich  am  Anfang  meiner  Betrachtungen  hervorheben, 
dass  sich  bei  allen  Kernen  eine  gewisse  stofli'liche  Uebereinstimmung  er- 
kennen lässt.  Ob  wir  nun  Zellkerne  von  Thieren,  Pflanzen  oder  Pro- 
tisten untersuchen  mögen,  stets  finden  wir,  dass  sie  mehr  oder  minder 
von  einer  Substanz  gebildet  werden,  welche  ich  im  Anschluss  an  frühere 
Autoren  als  „Kernsubstanz"  (Nuclein)  bezeichnen  werde.  Von  der  Cha- 
rakteristik dieser  Substanz  müssen  wir  ausgehen,  ebenso  wie  derjenige, 
welcher  das  Wesentliche  der  Zelle  schildern  will,  zunächst  mit  der  Zell- 
substanz oder  dem  Protoplasma  beginnen  muss." 

Wir  definiren  daher  jetzt  den  Kern  nicht  mehr  im  Sinne  von 
Schieiden  und  Schwann  als  ein  kleines  Bläschen  in  der  Zelle,  sondern 
als  ein  vom  Protoplasma  unterschiedenes  und  in  ge- 
wissem Grade  abgesondertes  Quantum  eigenthümlicher 
Kernsubstanzen,  welche  in  sehr  verschiedenartigen  Form- 
zuständen sowohl  im  ruhenden,  als  auch  im  activen  Zu- 
stand bei  der  Theilung  auftreten  können. 

Wir  betrachten  nach  einander  die  Form,  die  Grösse  und  die  Zahl 
der  Kerne  in  einer  Zelle,  alsdann  die  im  Kern  enthaltenen  Substanzen 
und  ihre  verschiedenartige  Anordnungsweise  (die  Kernstructur). 

a)   Form,  Grösse  und  Zahl  der  Kerne. 

Gewöhnlich  erscheint  uns  der  Kern  in  pflanzlichen  und  thierischen 
Zellen  als  ein  mitten  in  der  Zelle  gelegener,  kugeliger  oder  ovaler  Körper 
(Fig.  1,  2,  6,  16).  Da  derselbe  häufig  reicher  an  Flüssigkeit  ist,  als  das 
Protoplasma,  lässt  er  sich  von  letzterem  auch  in  dem  lebenden  Oliject 
als  ein  heller,  matt  contourirter  Fleck,  als  ein  Bläschen  oder  als 
Vacuole  unterscheiden.  Das  ist  aber  nicht  immer  der  Fall.  An  vielen 
Objecten,  Lymphkörperchen ,  Zellen  der  Hornhaut,  Epithelzellen  der 
Kiemenblättchen  von  Salamanderlarven  ist  der  Kern  im  lebenden  Zustand 
nicht  zu  beobachten,   wird  aber  sofort  beim  Absterben  der  Zelle  oder 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        33 

bei  Zusatz  von  destillirtem  Wasser  oder  von  verdünnten  Säuren  in  Folge 
eintretender  Gerinnung  deutlich. 

Bei  manchen  Zellarten  und  niederen  Organismen  bietet  uns  der  Kern 
sehr  abweichende  Formen  dar.  Bald  bildet  er  ein  Hufeisen  (manche  In- 
fusorien), bald  einen  langen,  mehr  oder  minder  gewundenen  Strang  (Vorti- 
cellen),  bald  ist  er  ein  reich  verästelter  Körper,  der  die  Zelle  nach  den 
verschiedensten  Richtungen  durchsetzt  (Fig.  18  B  u.  C).  Letztere  Kern- 
form kommt  namentlich  in  den  grossen  Drüsenzellen  vieler  Insecten 
vor  (in  den  Malpighi'schen  Röhren,  Spinn-  und  Speicheldrüsen  etc.), 
ebenso  in  Drüsenzellen  von  Phronima,  einer  Crustacee. 


Fig.  18.     Nach  Paul  Mavek.     Aus  Korschelt  Fig.  12. 

A  Ein  Stück  vom  siebenten  Bein  einer  jungen  Phronima  von  5  mm  Länge. 
Vergr.  90.  B  Ein  Stück  des  sechsten  Beines  einer  halb  erwachsenen  Phronimella. 
Vergr.  90.  C  Eine  Zellgruppe  der  Drüse  im  sechsten  Bein  von  Phronimella.  Nur  in 
zwei  Zellen  ist  der  Kern  eingezeichnet.     Vergr.  90. 

Die  Grösse,  welche  ein  Kern  erreicht,  steht  in  der  Regel  in  einer 
gewissen  Proportion  zu  der  Grösse  des  ihn  umhüllenden  Protoplasma- 
körpers. Je  grösser  dieser  ist,  um  so  grösser  ist  der  Kern.  So  finden  sich 
in  den  grossen  Ganglienzellen  der  Spinalknoten  auffallend  grosse,  bläschen- 
förmige Kerne.  Ganz  riesige  Dimensionen  aber  erreichen  dieselben  in  un- 
reifen Eizellen  und  zwar  in  einem  ihrer  Grösse  entsprechenden  Maassstabe. 
Aus  unreifen  Eiern  von  Fischen,  Amphibien  und  Reptilien  lassen  sich  in 
Folge  dessen  die  Kerne  mit  Nadeln  leicht  herauspräpariren  und  voll- 
ständig isoliren,  wobei  sie  mit  unbewaffnetem  Auge  als  kleine  Punkte 
erkennbar  sind.  Doch  sind  Ausnahmen  von  der  Regel  hervorzuheben. 
Denn  dieselben  Eier,  welche  im  unreifen  Zustand  so  ansehnliche  Kerne 
beherbergen,  enthalten  im  reifen  und  im  befruchteten  Zustand  einen  so 
winzigen  Kern,  dass  sein  Nachweis  mit  den  allergrössten  Schwierigkeiten 
verbunden  ist. 

Niederste  Organismen  besitzen,  wenn  sie  von  beträchtlicher  Grösse 
sind,  häufig  einen  einzigen  grossen  Kern;  derselbe  erreicht  ganz  riesige 
Dimensionen  im  Binnenbläschen  vieler  Radiolarien. 

Was  die  Z  a  h  1  e  n  v  e  r  h  ä  1 1  n  i  s  s  e  endlich  betrifft,  so  ist  bei  Pflanzen 
und  Thieren  das  gewöhnliche ,  dass  in  jeder  Zelle  nur  e  i  n  Kern  vor- 
handen ist.     Einzelne   Elementartheile  machen   davon    eine  Ausnahme. 

o 
Hertwig,   Die  Zelle  und  die  Gewebe.  ^ 


34 


Zweites  Capitel. 


Leherzelleii  zeigen  liäufi-'  2  Kerne;  bis  100  Kerne  und  mehr  sind  in  den 
Iliesonzollen  des  Knochenmarks,  in  den  Osteoklasten,  in  Zellen  mancher 
krankhafter  Geschwülste  eingeschlossen.  Durch  Vielkernigkeit 
zeichnen  sich,  wie  Schmitz  entdeckt  hat,  die  Zellen  vieler  Pilze  und 
mancher  niederer  Pflanzen  aus,  der  Cladophoren  (Fig.  19)  und  Siphoneen 
(Botrvdium,  Vaucheria,  Cauleri)a  etc.). 

Vielkernig  sind  zahlreiche  niederste  Organismen,  wie  die  Myxo- 
myceten ,  viele  Mono-  und  Polythalamien ,  Radiolarien  und  Infusorien 
(Opalina  ranarum).  Die  Kerne  sind  hier  häufig  so  klein  und  in  so 
grosser  Anzahl  im  Protoplasma  vertheilt,  dass  ihr  Nachweis  erst  in 
jüngster  Zeit  bei  Anwendung  der  vervollkommneten  Färbemethoden  ge- 
glückt ist.    (Myxomyeeten). 


p 

n 


Fig.  19.  Cladophora 
glomerata.  Eine  Zelle 
des  Fadens  nach  einem 
Chromsäure  -  Carmin- 
Präparat.  Nach  Stkas- 
BüRGER ,  Bot.  Prakticum 
Fig.   121. 

n  Zellkerne,  cli  Chro- 
matopliorcn ,  p  Amylum- 
heerdc,  a  Stärkekörnclien. 
Vergr.  540. 


b)   Die  Kernsubstanzen. 

In  stofflicher  Hinsicht  ist  der  Zellenkern  ein 
ziemlich  zusammengesetztes  Gebilde.  Stets  lassen 
sich  in  ihm  2,  sehr  häufig  alier  3  bis  4  chemisch 
definirbare  und  mikroskopisch  unterscheidbare 
Proteinsubstanzen  nachweisen.  Die  beiden  stets 
wiederkehrenden  Substanzen  sind  :  Nuclein  oder 
Chromatin,  und  Paranuclein  oder  Pyrenin;  zu 
ihnen  sind  meist  noch  hinzugesellt:  Linin,  Kern 
saft  und  Amphi pyrenin. 

Das  Nuclein   oder    Chromatin   ist   die 
für  den  Kern  am  meisten  charakteristische  und 
gewöhnlich   an   Masse  überwiegende  Proteinsub- 
stanz.   In  frischem  Zustand  ähnlich  wie  körnchen- 
freies  Protoplasma  aussehend,  unterscheidet    es 
sich   von   demselben  in   sehr   prägnanter  Weise 
namentlich  durch  sein  Verhalten  bestimmten  Farb- 
stoffen gegenüber.    Nachdem   es   durch   Reagen- 
tien   zur   Gerinnung  gebracht   ist,   speichert   es, 
wie    zuerst    durch    Gerlach    entdeckt   worden 
ist,     Farbstoffe    aus    zweckmässig    hergestellten 
Lösungen  (Lösungen  von  Carmin,  Haematoxylin, 
Anilinfarben)    in   sich    auf.     Mehr   noch    als   im 
ruhenden  Zustand  des  Kerns  ist  dies  in  den  Vor- 
stadien   zu    seiner    Theilung    und    während    der 
Theilung  selbst  der  Fall.    Ob  es  sich  hierbei  um 
chemische  oder  um  physikalische  Vorgänge  han- 
delt,   ist   zur  Zeit   noch   nicht    festgestellt.     Die 
Kunst  des  Färbens  oder  Tingirens  ist  jetzt  schon 
so  weit  ausgebildet  w^orden,  dass  es  leicht  gelingt 
das  Nuclein  des  Kerns  allein  durch  irgend  eine 
Färbung    scharf    hervorzuheben,     während    der 
iibrige   Inhalt   des  Kerns   und   der  Protoplasma- 
körper entweder  vollständig  farblos  bleiben  oder 
nur  sehr  wenig  mitgefärbt  sind.    Auf  diese  Weise 
gelingt    es,    selbst  Nucleintheilchen,  die  nur  die 
Grösse  eines  Bacteriums  etwa  besitzen,  in  relativ 
grossen  Protoplasmakörpern  kenntlich  zu  machen, 
wie  zum  Beispiel  die  winzigen  Köpfe  von  Samen- 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        35 


faden  oder  die  Chromosomen  der  Richtungsspindel  mitten  im  Körper 
grosser  Eizellen. 

Von  grosser  theoretischer  Tragweite  dürfte  vielleicht  einmal  die  von 
Fol  (IL  13)  betonte  Thatsache  werden,  „dass  die  Kernfärbung  aus  neu- 
tralen Farbstoffauflösungen  stets  diejenige  Nuance  aufweist,  welche  die 
betreffende  Farbe  beim  Zusatz  geringer  Mengen  eines  basisch  reagirenden 
Stoffes  annimmt.  So  geht  z.  B.  der  rothe  Alauncarmin  in  die  Lilafarbe 
über ,  wenn  die  Lösung  schwach  alkalisch  gemacht  wird ,  das  violette 
Böhmer'sche  Haematoxylin  wird  blau,  das  rothe  Ribesin  blaugrünlich, 
der  rothe  Farbstoff  des  Rothkohles  verwandelt  sich  in  grün.  Dement- 
sprechend sehen  wir  denn  auch,  dass  in  neutralen  Auflösungen  dieser 
Stoffe  gefärbte  Gewebskerne  eine  mit  der  letzteren  übereinstimmende  Tinction 
aufweisen,  also  lila  in  Alauncarmin,  blau  in  Haematoxylin,  hellblau  in 
Ribesin ,  grün  im  Rothkohlfarbstoff.  Der  färbbare  Theil  des 
Zellenkerns  (das  Nuclein)  verhält  sich  im  allgemeinen  dem 
an  ihn  gebundenen  Farbstoffe  gegenüber  wie  ein  schwach 
alkalischer  Körper."  (Fol.) 

Auch  sonst  zeigt  das  Nuclein  in  chemischer  Hinsicht  charakteristische 
Reactionen,  die  bei  der  Conservirung  der  Kernstructuren  im  Auge  zu 
behalten  sind.  (Schwarz  H  37 ,  Zacharias  H  43 — 45.)  Es  quillt  in 
destillirtem  Wasser,  desgleichen  auch  in  sehr  verdünnten  alkalisehen 
Lösungen  sowie  in  zwei-  und  mehrprocentigen  Lösungen  von  Kochsalz, 
schwefelsaurer  Magnesia ,  Monokaliumphosphat  und  Kalkwasser.  Bei 
Anwendung  von  10  bis  20  ^io  Lösungen  der  genannten  Salze  geht  es 
unter  Quellung  allmählich  ganz  in  Lösung  über.  Desgleichen  wird  es  in 
einem  Gemisch  von  Ferrocyankalium  -f-  Essigsäure  oder  in  concentrirter 
Salzsäure,  oder  wenn  es  der  Trypsinverdauung  unterworfen  wird,  voll- 
ständig aufgelöst.  In  Essigsäure  in  Concentrationen  von  1— 50^o  wird 
es  ziemlich  unverändert  zur  Fällung  gebracht,  wobei  es  sich  durch 
stärkere  Lichtbrechung  und  eigenartigen  Glanz  vom  Protoplasma  mit- 
unter sehr  scharf  abhebt.  Im  Kernraum  tritt  es  uns  (Fig.  20)  bald  in 
Form  isolirter  Körnchen   (A) ,   oder  als   feines  Netzwerk  (B  C)  oder  in 


Fäden  {D) 


entgegen. 


D 


Fig.  20.  A  Ruhender  Kern  einer  Ursamenzelle  von  Ascaris  megalocephala 
bivalens.  B  Kern  einer  Samennuitterzelle  aus  dem  Anfang  der  Wachsthiimszone  von 
Ascaris  megalocephala  bivalens.  C  Ruhender  Kern  einer  Samenmutterzelle  aus  der 
Wachsthumszone  von  Ascaris  megalocephala  bivalens.  ß  Bläschenförmiger  Kern  einer 
Samenmutterzelle  von  Ascaris  megalocephala  bivalens  am  Anfang  der  Theilzone  in 
Vorbereitung  zur  Theilung. 


Das  Nuclein  hat  Miescher  (II.  49)  aus  Eiterkörperchen  und  aus 
thierischen  Samenfäden,  in  deren  Köpfen  es  enthalten  ist,  rein  darzu- 
stellen versucht.  In  seiner  Zusammensetzung  spielt  Phosphorsäure,  die 
wenigstens  zu  3  *'/o  vertreten  ist ,  eine  wichtige  Rollet  Manches  spricht 
dafür,  dass  das  Nuclein  des  Kerns  „eine  Vereinigung  eines  eiweissartigen 
Körpers  mit  einem  organischen,  Phosphorsäure  enthaltenden  Atomcomplex 


Qg  Zweites  Capitel. 

darstellt".  (Kossei  II.  35.)   Letztei-eii  hat  man  als  Nucleinsäure  bezeichnet 
und  Miescher  hat  für  dieselbe  die  Formel  C29H49N9r3022  berechnet. 

„Bei  längerer  Einwirkung  von  verdünnten  Säuren  oder  Alkalien, 
selbst  schon  beim  Aufbewahren  im  feuchten  Zustand  werden  die  Nucleine 
zerlegt  unter  Bildung  von  Eiweiss  und  stickstoffreichen  Basen,  daneben 
spaltet  sich  Phosphorsäure  ab.  Die  beiden  letzteren  Spaltungsproducte 
bilden  sich  auch  aus  den  Nucleinsäuren.  Die  Basen  sind :  Adenin,  Hypo- 
xanthin,  Guanin,  Xanthin". 

Das  Paranuclein  oderPy  renin  ist  eine  Proteinsubstanz,  welche 
wohl  in  keinem  Kern  fehlt,  doch  ist  seine  Rolle  für  die  Lebensprocesse 
des  Kerns  noch  unklar  und  viel  weniger  gut  als  die  des  Nucleins  er- 
kannt. Es  kommt  im  Kern  in  der  Form  kleiner  Kügelchen  vor,  die  als 
echte  Nucleolen  oder  Kernkörperchen  beschrieben  werden  (Fig.  20). 

Allen  Mitteln,  in  welchen  die  Nucleinsubstanzen  quellen,  destillirtem 
Wasser,  sehr  dünnen  alkalischen  Lösungen,  Lösungen  aus  Kochsalz, 
schwefelsaurer  Magnesia,  Monokaliumphosphat ,  Kalkwasser,  leisten  die 
Körperchen  aus  Paranuclein  Widerstand.  Während  die  aus  Nuclein  be- 
stehenden Structuren  schwinden,  sind  in  dem  Kernraum,  der  ein  homo- 
genes Aussehen  gewonnen  hat,  die  aus  Paranuclein  bestehenden  Ge- 
bilde oft  mit  grosser  Deutlichkeit,  stets  besser  als  im  lebenden  Kern, 
zu  erkennen.  Hieraus  erklärt  es  sich,  dass  bereits  den  älteren  Histologen, 
Schieiden  und  Schwann,  die  gewöhnlich  die  Gewebe  nach  Zusatz  von 
Wasser  untersuchten,  die  Kernkörperchen  wohl  bekannt  waren. 

Ein  sehr  brauchbares  Mittel,  um  sie  sichtbar  zu  machen,  ist  die 
Osmiumsäure,  durch  welche  sie  besonders  stark  lichtbrechend  werden, 
während  die  Nucleinstructuren  verblassen. 

Bei  Einwirkung  von  1  bis  50  "/o  Essigsäure  verhalten  sich  Para- 
nuclein und  Nuclein  gerade  entgegengesetzt.  Während  letzteres  zur 
Gerinnung  gebracht  wird  und  einen  starken  Glanz  erhält,  quellen  die 
Kernkörper  mehr  oder  minder  bedeutend  auf  und  können  ganz  durch- 
sichtig werden,  ohne  indessen  in  Lösung  überzugehen;  denn  beim  Aus- 
waschen der  Essigsäure  werden  sie  wieder  unter  Schrumpfungserschei- 
nungen besser  sichtbar. 

Hervorzuhel)en  ist  ferner  im  Gegensatz  zum  Nuclein  die  Unlöslich- 
keit des  Paranuclein  in  20°/o  Kochsalz,  in  gesättigten  Lösungen  von 
schwefelsaurer  Magnesia,  1  ^/o  und  5  "/o  Monokaliumphosphat,  Ferrocyan- 
kalium  plus  Essigsäure,  schwefelsaurem  Kupfer;  endlich  ist  es  in  Trypsin 
sehr  schwer  verdaubar. 

Auch  bei  Behandlung  mit  Farbstoffen  zeigt  sich  zwischen  Nuclein 
und  Paranuclein  ein  gewisses  gegensätzliches  Verhalten.  Wie  Zacharias 
bemerkt  und  ich  aus  eigener  Erfahrung  im  Allgemeinen  bestätigen  kann, 
färben  sich  Nucleinkörper  besonders  scharf  und  intensiv  in  saueren  Farb- 
stofflösungeu  (Essigearmin,  Methylessigsäure),  während  die  Paranuclein- 
körper  fast  farblos  bleiben.  Umgekehrt  tingiren  sich  letztere  besser  in 
ammoniakalischen  Farbstofflösungen,  wie  in  Ammoniakcarmin  etc.  Manche 
Farbstoffe  haben  zum  Paranuclein  eine  grössere  Verwandtschaft,  wie 
Eosin,  Säurefuchsin  etc.  Mit  Berücksichtigung  dieses  Umstandes  ist  es 
möglich,  bei  gleichzeitiger  Anwendung  zweier  Farbstoffe  Doppelfärbung 
zu  erzielen  der  Art,  dass  die  Nucleinkörper  in  einer  anderen  Farbe  er- 
scheinen, wie  die  Paranucleinkörper  (Fuchsin  und  Solidgrün,  Haema- 
toxylin  und  Eosin  etc.,  Biondi'sches  Gemisch);  da  indessen  das  Wesen 
des  Färbungsprocesses  selbst  uns  noch  wenig  verständlich  ist,  ist  es  auf 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        37 

diesem   Gebiet  zur  Zeit  nicht  möglich,   durchgreifende  Regeln  über  die 
Tingirbarkeit  der  beiden  Kernsubstanzen  aufzustellen. 

Nuclein  und  Paranuclein  betrachte  ich  als  die  wesent- 
lichen Substanzen  des  Kerns,  auf  deren  Vorhandensein  seine 
physiologischen  Leistungen  in  erster  Linie  beruhen.  Beide  scheinen  mir 
in  irgendwelchen  Beziehungen  zu  einander  zu  stehen.  Flemming  (IL  10) 
spricht  die  Vermuthung  aus,  dass  die  Kernkörperchen  besondere  Repro- 
ductions-  und  Ansamndungsstellen  des  Nucleins  sind  und  vielleicht  eine 
chemische  Vorstufe  desselben  darstellen.  Zu  einer  Entscheidung  dieser 
Fragen  reicht  das  vorhandene  Beobachtungsmaterial  nicht  aus. 

Von  mehr  nebensächlicher  Bedeutung  scheinen  mir  3  andere  im 
Kern  noch  unterscheidbare  Substanzen  zu  sein,  welche  vielleicht  über- 
haupt nicht  stets  vorhanden  sind,  das  Linin,  der  Kernsaft,  und 
das  Amphipyrenin. 

Als  Linin  bezeichnet  Schwarz  (IL  37)  den  Stoff  von  Fäden, 
welche  in  vielen  Fällen  in  dem  Kernraum  ein  Netz-  oder  Gerüstwerk 
bilden,  sich  nicht  in  den  gewöhnlichen  Kernfärbungsmitteln  tingiren 
lassen  und  sich  hierdurch  sowie  auch  in  ihren  chemischen  Reactionen 
wesentlich  vom  Nuclein  unterscheiden,  das  ihnen  meist  in  Form  von 
Körnchen  und  Brocken  aufgelagert  ist.  (Fig.  20  Ä  und  C.)  In  mancher 
Hinsicht  ähnelt  es  dem  Plastin  des  Zellkörpers,  welchen  Namen  ihm 
denn  auch  geradezu  Zacharias  gegeben  hat. 

Der  Kernsaft  ist  bald  nur  spärlich,  bald  reichlicher  vorhanden; 
er  füllt  die  Lücken  zwischen  den  aus  Nuclein,  Linin  und  Paranuclein 
bestehenden  Structuren  aus.  Er  lässt  sich  dem  in  einem  vacuoligen 
Protoplasma  enthaltenen  Zellsaft  vergleichen  und  spielt  wohl  dieselbe 
Rolle  für  die  Ernährung  der  Kernsubstanzen,  wie  dieser  für  die  Er- 
nährung des  Protoplasma.  Bei  Einwirkung  von  manchen  Reagentien,  wie 
absolutem  Alkohol,  Chromsäure  etc.,  treten  im  Kernsaft  feinkörnige  Nieder- 
schläge auf,  welche  als  Kunstproducte  nicht  mit  normalen  Structuren  zu 
verwechseln  sind.  Es  müssen  daher  in  ihm  verschiedenartige  Stoffe, 
darunter  vielleicht  auch  Albuminate,  gelöst  sein,  welche  Zacharias  mit 
einem  wohl  entbehrlichen  Wort  als  Paralinin  zusammenfasst. 

Unter  Amphipyrenin  endlich  versteht  Zacharias  die  Substanz 
der  Mendiran,  durch  welche  der  Kernraum  gegen  das  Protoplasma,  wie 
dieses  durch  die  Zellhaut  nach  Aussen  abgegrenzt  ist.  Das  Vorhanden- 
sein einer  Kernmembran  ist  in  vielen  Fällen  ebenso  schwer  festzustellen, 
wie  der  Streit  zu  entscheiden  ist,  ob  manche  Zellen  von  einer  Membran 
umhüllt  sind  oder  nicht.  Am  leichtesten  ist  sie  an  den  grossen  Keim- 
bläschen vieler  Eier ,  wie  z.  B.  von  Amphibien  nachzuweisen ,  wo  sie 
zugleich  eine  nicht  unbeträchtliche  Festigkeit  besitzt.  In  Folge  dessen 
gelingt  es  leicht,  aus  unreifen  Eiern  das  Keimbläschen  vollständig 
unversehrt  mit  der  Nadel  zu  isoliren.  Man  kann  dann  mit  der  Nadel 
auch  die  Kernmembran  zerreissen  und  den  von  ihr  eingeschlossenen 
Inhalt  zum  Ausfliessen  und  zur  Vertheilung  in  der  Untersuchungsflüssigkeit 
bringen.  Ebenso  sicher  scheint  mir  aber  in  anderen  Fällen  eine  eigene 
Kernmembran  zu  fehlen,  so  dass  Kernsubstanz  und  Protoplasma  un- 
mittelbar an  einander  grenzen.  So  wurde  sie  z.  B.  von  Flemming  (IL  10) 
in  den  Blutzellen  von  Amphibien  und  ebenso  von  mir  in  den  Kernen 
von  Samenmutterzellen  der  Nematoden  auf  einem  bestimmten  Stadium 
(Fig.  20  B)  vermisst. 


38 


Zweites  Capitel. 


Wie  für  den  Protoplasmakörpor,  bat  A 1 1  m  a  n  n  auch  für  den  Kern  eine 
Zusammensetzung  aus  Granula  mittelst  einer  eigenartigen  Färbung  durch  Cyanin 
nachzuweisen  versucht.  Es  ist  ihm  hierdurch  gelungen,  den  Saft,  welcher  die 
Lücken  im  Kernnetz  ausfüllt,  intensiv  zu  färben  und  so  Körner  darzustellen, 
während  das  Kernnetz  ungefärbt  bleibt  und  als  Intergranularsubstanz  bezeichnet 
wird.  Altniann  hat  auf  diese  Weise  den  negativen  Abdruck  von  der  Kern- 
structur  erhalten,  wie  sie  sich  bei  Anwendung  der  gebräuchlichen  Kernfarb- 
stoffe  durch  Färbung  des  Kernnetzes  ausprägt.  Indem  er  die  Granula  als 
Hauptbestandtheil  des  Kerns  betrachtet,  kommt  er  zu  einer  entgegengesetzten 
Auffassung  von  der  jetzt  herrschenden  Meinung  von  der  Bedeutung  der  Kern- 
substanzen, nach  welcher  der  Kernsaft  als  minderwerthig  im  Vergleich  zu 
dem  Nuclein  und  Paranuclein  erscheint. 


c)    Die  Kernstructur. 


■sp 


Fig.  21.  Samenfaden 
von  Salamandra  ma- 
culata. 

k  Kopf.  m.  Mittelstflck. 
ef  Endfaden.  sp.  Spitze. 
u  undulirende  Membran. 


Beispiele  für  die    verscMedene  Beschaffenheit 
derselben. 

Die  oben  aufgeführten  Substanzen,  von 
denen  wenigstens  das  Nuclein  und  Paranuclein 
niemals  fehlen,  erscheinen  in  den  Kernen  der 
verschiedensten  pflanzlichen  und  thierischen 
Zellen  unter  sehr  mannigfachen  Formzuständen ; 
namentlich  gilt  dies  von  dem  Nuclein,  das  man 
bald  in  feinen  Körnehen,  bald  in  Fäden,  bald 
in  Form  grösserer  Körper,  bald  als  ein  Gerüst, 
bald  als  Wabenwerk  im  Kernraum  verbreitet 
sieht.  Dabei  kann  in  verschiedenen  Lebens- 
phasen einer  Zelle  die  eine  Structur  in  die 
andere  übergehen. 

Bei  einer  Definition  des  Kerns  ist  daher 
von  der  wechselnden  Form  ganz  abzusehen  und 
es  ist  der  Schwerpunkt,  wie  bei  der  Definition 
der  Zelle  in  das  Protoplasma,  so  bei  dem  Kern 
in  die  in  ihm  enthaltene  wirksame  Substanz  zu 
legen.  „Der  Kern  ist  ein  vom  Protoplasma 
unterschiedenes  und  in  gewissem  Grade  abge- 
sondertes Quantum  eigenthümlicher  Kernsubstan- 
zen." Deswegen  sollte  bei  allen  Beschreibungen 
des  Kerns  auf  die  substanzielle  Beschaffenheit 
seiner  Structurtheile  mehr,  als  es  häufig  geschieht, 
geachtet  werden. 

Um  eine  Vorstellung  von  der  Mannigfaltig- 
keit, welche  die  innere  Structur  des  ruhenden 
Kerns  darbietet,  zu  geben,  soll  wieder  eine  Aus- 
wahl einiger  prägnanter  Beispiele  dienen. 

Unstreitig  die  einfachste  Structur  — 
wenn  wir  von  den  später  zu  erörternden  mole- 
kularen Verhältnissen  absehen  —  zeigen  uns  die 
Kerne  der  reifen  Samenze  1  len.  Wenn 
die  Samenzellen,  wie  gewöhnlich,  eine  faden- 
förmige Gestalt,  welche  zum  Einbohren  in  die 
Eizelle  am  geeignetsten  ist,  angenommen  haben, 
bilden  die  Kerne  das  vorderste  Ende  des 
Fadens    oder    seinen    Kopf.      Bei    Salamandra 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  dei-  Zelle.        39 


maculata 


hat   der   Kopf 
Schwertes 


die  Form  eines  in  eine  scharfe  Spitze  aus- 
laufenden Schwertes  (Fig.  21  Jc)\  er  besteht  aus  dichtem  Nuclein,  das 
auch  bei  stärkster  Vergrösserung  einen  homogenen  Eindruck  macht. 
An  den  Kopf  grenzt  ein  kurzer  cylindrischer,  gleichfalls  homogen  aus- 
sehender Körper,  das  sogenannte  Mittelstück  (m),  welches  die  Reaction 
des  Paranucleins  darbietet.  Es  ist  daher  wahrscheinlich  mit  zum  Kern- 
theil  des  Samenfadens  hinzuzurechnen,  was  indessen  durch  Verfolgung 
seiner  Entwicklung  erst  noch  festgestellt  werden  muss. 

Auch  in  Samenelementen,  welche  die  Form 
einer  Zelle  beibehalten  haben ,  erscheint  der 
Kern  als  ein  compacter,  kugeliger  Nucleinkörper; 
so  bei  Ascaris  megalocephala  (Fig.  22),  dessen 
Samenelemente  im  unreifen  Zustande  die  Form 
einer  ziemlich  grossen,  runden  Zelle  haben  und 
später  bei  vollständiger  Reife  die  Form  eines 
Fingerhutes  annehmen. 

Der  einfache  Zustand,  in  welchem  uns  die 
Kerne  der  Samenzellen,  gewissermaassen  nur  aus 
activen  Kernsubstanzen  zusammengesetzt  und  frei 
von  anderen  Beimischungen,  entgegentreten,  muss 
den  naturgemässen  Ausgangspunkt  für  eine  richtige 


Samen- 
Asearis 


Beurtheilung  der  übrigen  Kernformen  abgeben.    E  s 


Fig.  22. 
körper  von 
megalocephala.  Nach 
VAN  Beneden.  Aus  O. 
Heutwig,  Entwgesch. 
Fig.  21. 

/c  Kern.  l>  Basis  des 
Kegels,  mit  welchem  die 
Anheftimg  am  Ei  erfolgt. 
/  Fettglänzende  Sub- 
stanz. 


lassen  sich  dann  nämlich  die  verschie- 
denen Structuren,  die  man  bei  pflanzlichen  und  thieri- 
schen  Kernen  wahrnimmt,  hauptsächlich  auf  das  eine  Mo- 
mentzurückführen, dass  die  activen  Kernsubstanzen  eine 
grosse  Neigung  haben,  Flüssigkeit  und  in  dieser  g e  1  ö s te 
Stoffe  in  sich  aufzunehmen  und  in  Lücken  abzuscheiden 
meist  in  solchem  Maasse,  dass  der  ganze  Kern  das  Aussehen  eines  in 
Protoplasma  eingeschlossenen  Bläschens  gewinnt. 

Es  tritt  also  bei  ihnen  im  wesentlichen  ein  ähnlicher  Vorgang  ein, 
wie  beim  Protoplasma,  in  welchem  sich  Zellsaft  in  Vacuolen  oder  grossen 
Safträumen  ansammelt.  In  beiden  Fällen  werden  wohl  die  Vorgänge 
die  gleiche  Bedeutung  haben.  Sie  werden  in  Beziehung  zum  Stoff- 
wechsel der  Zelle  und  des  Kernes  stehen,  indem  in  der  Flüssigkeit 
Stoffe  in  Lösung  enthalten  sind,  welche  mit  den  activen  Substanzen  in 
Folge  der  grösseren  Oberflächenentwicklung  derselben  in  leichteren  Aus- 
tausch treten. 

Der  Vorgang  der  Saft  aufnähme  lässt  sich  direct  beobachten, 
wenn  nach  der  Befruchtung  der  Samenkern  in  der  Eizelle  in  Function 
tritt.  In  manchen  Fällen  beginnt  er  dann  allmählich  auf  das  10 — 20  fache 
seiner  ursprünglichen  Grösse  anzuschwellen,  und  zwar  nicht  durch  Ver- 
mehrung seiner  activen  Substanz,  deren  Quantum  genau  das  gleiche 
bleibt,  sondern  einzig  und  allein  durch  Aufnahme  von  flüssigen,  gelösten 
Stoffen  aus  dem  Dotter.  In  dem  zu  einem  Bläschen  umgebildeten 
Samenkern  ist  das  Nuclein  in  feinen  Fäden  zu  einem  Netz  ausgebreitet; 
ferner  sind  auch  ein  bis  zwei  Kügelchen  aus  Paranuclein  (Nucleolen) 
anzutreffen.  Ein  ähnlicher  Vorgang  wiederholt  sich  bei  jeder  Kern- 
theilung  während  der  Reconstruction  der  Tochterkerne. 

Je  nachdem  nun  der  Kern  eine  geringere  oder  grössere  Menge  von 
Kernsaft  aufgenommen,  haben  sich  seine  festen  Substanzen,  die  oben  als 
Linin  und  Nuclein  chemisch  näher  charakterisirt  wurden,  bald  zu  einem 


40 


Zweites  Capitel. 


feineren,  bald  gröberem  Gerüstwerk  angeordnet.  Einen  Ein- 
blick in  verschiedene  Modificationen  desselben  geben  uns  die  Fig.  23—26. 
Figur  23  zeigt  uns  den  Kern  einer  Ciliofl agell ate.  Er 
besteht  in  ähnlicher  Weise  wie  der  Haui)tkern  der  Infusorien  aus  einem 
sehr  engmaschigen  Nucleingerüst.  B  ü  t  s  c  li  1  i  (II.  5)  nennt  seine  Structur 
eine  feinwabige;  er  lässt  den  Kern  zusammengesetzt  sein  aus  lang- 
gestreckten, drei-  bis  mehrseitigen  Waben,  die  durch  sehr  feine  Scheide- 
wände von  Nuclein  getrennt  sind  und  den  wenig  färbbaren  Kernsaft 
umschliessen.  Nach  der  OberHäche  zu  sind  die  Waben  gegen  das  Proto- 
plasma ebenfalls  durch  eine  feine  Nucleinschicht  abgeschlossen,  während 
eine  besondere  Kernmembran  fehlt.  Die  Kanten,  in  denen  die  Waben- 
wände zusammenstossen,  sind  säulenartig  verdickt.  Je  nach  der  Seite, 
von  der  man  den  Kern  erblickt,  fällt  in  Folge  der  gestreckten  Form 
der  parallel  gestellten  Waben  das  Bild  verschieden  aus,  wie  durch 
Betrachtung  der  Figuren  23  Ä  u.  B  leicht  zu  verstehen  ist.  Ein  bis 
zwei  Nucleolen  sind  in  der  Lücke  nachzuweisen. 


A 


B 


Fi?.  23. 


Fiff.  24. 


Fig.  23.  Ein  sehr  deutlich  feinwabiger  Kern  von  Ceratium  Tripoä. 
Nach  BüTscHLi  Taf.  26,  'Fig.  14. 

A  In  der  Ventralan.siclit  des  Ceratiums.  B  In  seitlicher  Ansicht.  Beide  Ab- 
bildungen geben  nur  optische   Durchschnitte. 

Fig.  24.  Kern  einer  Bindegewebszelle  des  Peritoneums  einer  Salaman- 
derlarve  mit  in  der  Nähe  gelegenen  Centralkörperchen.  Nach  Flemming  Fig.  4. 

Figur  24  stellt  das  Kerngerüst  von  einer  Bindegewebs- 
zelle einer  Salamanderlarve  dar.  Dasselbe  wird  von  einem  ziemlich 
engen  Netzwerk  feinster  Fäden  gebildet.  In  ihm  treten  hie  und  da 
einige  dickere  Anschwellungen  auf,  welche  den  Farbstoff  besonders 
zäh  festhalten;  sie  pflegen  namentlich  an  solchen  Stellen  vorzukommen, 
wo  mehrere  Balken  zusammenstossen.  Es  sind  dichtere  Ansamnüungen 
von  Nuclein;  sie  können  den  aus  Paranuclein  gebildeten,  wahren  Nucle- 
olen in  ihrem  Aeusseren  sehr  ähnlich  sehen  und  sind  daher,  um  sie 
von  diesen  zu  unterscheiden,  von  Flemming  als  Netzknoten  bezeichnet 
worden. 

Die  Kerne  der  verschiedenen  thierischen  Gewebe  haben  bald  ein 
feineres,  bald  ein  gröberes  Gerüst.  In  letzterem  Fall  kann  es  zuweilen 
nur  aus  wenigen  Strängen  bestehen,  so  dass  es  „den  Namen  Gerüst  oder 
Netz  kaum  verdient".  Im  Allgemeinen  haben,  wie  Flemming  bemerkt, 
die  Kerne  junger,  embryonaler  und  wachsender  Gewebe  dichtere  Netze, 
als  solche  im  gleichen  erwachsenen  Gewebe. 

Meistentheils  ist  das  Kerngerüst  aus  2  verschiedenen 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        41 

Substanzen,  aus  Linin  und  aus  Nuclein,  aufgebaut,  von 
denen  bei  den  gewöhnlichen  Kerntinctionen  nur  das  letztere  den  Farb- 
stoff aufnimmt  und  festhält.  Beide  Substanzen  sind  gewöhnlich  so  an- 
geordnet, dass  das  Nuclein  in  gröberen  und  feineren  Körnchen  dem  sich 
nicht  färbenden  Liningerüst  gleichmässig  auf-  und  eingelagert  ist.  In 
sehr  feinmaschigen  Gerüsten,  wie  Figur  24  ein  solches  darstellt,  kann 
die  Unterscheidung  beider  Substanzen  sehr  schwierig,  jo  sogar  unmöglich 
werden.  Leichter  gelingt  dieselbe  bei  dem  gröberen  Netzwerk  der 
Figur  25,  welche  einen  ruhenden  Zellkern  aus  dem  proto- 
plasmatischen Wandbelag  des  Embryosackes  von  Fri- 
tillaria  imperialis  wiedergibt.  Nach  der  Beschreibung  von 
Strasburger  sind  die  feinen  Gerüstfäden  im  Allgemeinen  nicht  färbbar; 
sie  bestehen  also  •  aus  Linin.  Ihnen  sind  kleinere  und  grössere  sich 
färbende  Nucleinkörner  aufgelagert.  Im  Gerüst  sieht  man  ausserdem 
eine  Anzahl  grösserer  und  kleinerer  Nucleolen. 

Sollte  Jemand  an  der  Existenz  eines  besonderen  Liningerüstes 
zweifeln,  so  wird  er  sich  von  derselben  am  besten  durch  das  Studium 
der  Kerne  von  Samenmutterzellen  des  Pferdespulwurmes 
(Fig.  26)  überzeugen  können.  In  dem  Vorstadium  zur  Theilung  ist  hier 
alles  Nuclein  in  8  hakenförmig  gekrümmten  Stäbchen  enthalten,  die  in 
2  Bündeln  zusammenliegen.  Sie  werden  im  [Kernraum  gewissermaassen  in 
der  Schwebe  erhalten,  indem  sich  farblose  Li ninfäden  sowohl  zwischen  ihnen 
ausspannen,  als  auch  von  ihnen  sich  zur  Kernmembran  begeben.  Dass 
die  Fäden  keine  durch  Reagentien  im  Kernsaft  hervorgerufene  Gerinnsel 
sind,  lässt  sich  aus  ihrer  überaus  regelmässigen  Anordnung  erschliessen. 
Ebenso  lehrt  ihre  chemische  Reaction  und  ihr  Verhalten  beim  Theilungs- 
process,  dass  sie  vom  Nuclein  und  Paranuclein  etwas  wesentlich  Ver- 
schiedenes sind. 


O^         :rt<      Oq 


Fis.  25. 


^^„•i'?: 


OO        ^CQ" 


Fig.  26. 


Fig.  27. 


Fig.  25.  Fritillaria  imperialis.  Ein  ruhender  Zellkern.  Nach  Stras- 
burger Fig.  191  A. 

Fig.  26.  In  Vorbereitung  zur  Theilung  befindlicher  Kern  von  Ascaris 
megaloc.  bivalens  mit  8  in  2  Gruppen  angeordneten  Kernsegmenten  und 
den  2  Polkörperchen.     Hertwig  II.  19  b,  Tat'.  II,  Fig.  18. 

Fig.  27.  Structur  des  Kerns  einer  Zelle  aus  der  Speicheldrüse  von 
Chironomus.     Nach  Balbiani,  Zoolog.  Anzeiger  1881,  Fig.  2. 

Nicht  immer  ist  übrigens  das  Nuclein  in  einem  Gerüst  ausgebreitet. 
So  ist  zum  Beispiel  Indien  grossen,  blas  chenförmigen  Kernen 
von  Chi  ro  nomuslarven  (Fig.  27),  wie  Balbiani  (IL  3)  gefunden  hat, 
ein  einziger  dicker  Kernfaden  eingeschlossen;  derselbe  ist  in  verschiedenen 
Windungen  zusammengelegt  und  lässt  im  gefärbten  Präparate  eine  regel- 


42 


Zweites  Capitel. 


massige  Aufeinanderfolge  tingirter  und  nicht  tingirter  Scheiben  erkennen, 
was  Strashurger  (II.  41)  auch  von  einigen  ijflanzlichen  Objecten  berichtet. 
Die  beiden  Enden  des  Fadens  grenzen  an  2  Nucleolen  an. 

In  anderen  Fällen  wieder  ist  die  Hauptmasse  des  Nucleins  zu  einem 
grösseren ,  kugligen  Körper  concentrirt ,  der  wie  ein  Nucleolus  aussieht, 
sich  al)er  substantiell  von  den  oben  beschriebenen  echten  Nucleolen, 
die  Paranuclein  enthalten  (siehe  Seite  36),  unterscheidet.  Um  Ver- 
wechslungen vorzubeugen,  empfiehlt  es  sich,  solche  Gebilde  als  N  u  c  1  e  i  n- 
körper  zu  bezeichnen.  Als  Beispiel  hierfür  sei  der  Kern  vonSpiro- 
gyra  aufgeführt,  mit  welchem  die  Kerne  vieler  niedriger  Organismen  im 
Bau  übereinstimmen.  Derselbe  stellt  ein  Bläschen  dar,  das  sich  vom 
Protoplasma  durch  eine  feine  ]\fembran  abgrenzt  und  ein  feines  Kern- 
gerüst enthält.  Da  dieses  den  Farbstoff  bei  Tinctionen  nicht  festhält, 
besteht  es  wohl  vorwiegend  aus  Linin,  dem  nur  wenige  Nuclein- 
körnchen  aufgelagert  sind.  Im  Gerüst  liegt  ein  grosser  Nucleinkörper, 
der  zuweilen  auch  in  zwei  kleinere  zerlegt  ist.  Dass  er  hauptsächlich 
aus  Xuclein  besteht,  geht  aus  der  Art  seiner  Färbung,  vor  allen  Dingen 
aber  daraus  hervor,  dass  seine  Substanz  bei  der  Kerntheilung  in  Körnchen 
zerfällt  und  die  Kernsegmente  liefert. 

Aehnliche  Nucleinkörper,  die  in  der  Literatur  gew^öhnlich  auch  unter 
dem  Namen  der  Nucleolen  gehen,  spielen  in  der  Structur  der  Keim- 
bläschen thierischerEier  eine  grosse  Rolle.  Ueberhaupt  weichen 
die  Keimbläschen  in  ihrem  Bau  von  gewöhnlichen  Gewebskernen  nach 
mancher  Richtung  ab,  wie  die  Figuren  28—30  lehren. 


•!-'"";    fe.iC,J -.;-Ä-<     i-- ;--:.r.teÄ^'Sv;M 


/'T^.Jf---^-^, 


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--  kn 


Fig.  28. 


Fig.  28.  Unreifes  Ei  aus  dem  Eierstock  eines  Eohinoderms.  Das 
grosse  Keimbläsehen  zeigt  in  einem  Netzwerk  von  Fäden,  dem  Kernnetz, 
einen  Keimfleck.     O.  Hertwig,  Entwicklungsgesch.  Fig.  1. 

Fig.  29.  Keimbläschen  eines  noch  unreifen,  kleinen  Froscheies.  Das- 
selbe zeigt  in  einem  dichten  Kernnetz  (kn)  sehr  zahh-eiche,  meist  wandständige  Keim- 
flecke (Ä/);  m  Kernmembran.     O.  Heetwig,  Entwicklungsgesch.  Fig.  2. 

Figur  28,  das  unreife  Ei  eines  Seeigels,  lässt  schon,  wenn 
es  im  lebenden  Zustand  untersucht  wird,  ein  sehr  grobes  Netzwerk 
einzelner,  ziemlich  dicker  Fäden  unterscheiden.  Diese  bestehen,  ihrem 
mikrochemischen  Verhalten  nach,  hauptsächlich  aus  Linin.  Die  färb- 
bare Substanz  ist  fast  ausschliesslich  in  einem  einzigen,  grossen,  kugeligen 
Körper,  dem  „Keimfleck",  aufgespeichert,  der  in  einem  Knotenpunkt 
des  Gerüstes  liegt,  in  welchem  die  meisten  Lininfäden   zusammentreffen. 

In  den  Riesen-Keimbläschen,  durch  welche  sich  die  grossen,  dotter- 


Die  chemisch-physikalischen  ii.  morphologisclien  Eigenschaften  der  Zelle.        43 

reichen  Eier  der  Fische,  Amphibien  und  Reptilien  auszeichnen,  nimmt 
die  Zahl  der  Keimflecke  während  des  Wachsthums  der  Zelle  ausser- 
ordentlich zu  —  ob  durch  Theilung  oder  in  einer  anderen  Weise,  ist 
noch  nicht  genau  ermittelt  —  und  kann  sich  schliesslich  auf  einige 
Hunderte  belaufen.  Die  Lage  der  Keimflecke  ist  zu  verschiedenen 
Zeiten  einem  Wechsel  unterworfen,  meist  liegen  sie  aber  an  der  Ober- 
fläche des  Keimbläschens  und  sind  an  der  Membran  desselben  in  gleich- 
massigen  Abständen  vertheilt,  wie  die  nebenstehende  Abbildung  (Fig.  29) 
eines  Kerns  aus  einem  noch  unreifen  und  ziemlich  kleinen  Froschei  zur 
Anschauung  bringt. 

Die  Form  der  Keimflecke  ist  eine  wechselnde;  bald  sind  sie 
kugelig,  namentlich  wenn  sie  isolirt  auftreten,  bald  oval,  bald  etwas 
in  die  Länge  gezogen,  bald  in  ihrer  Mitte  etwas  eingeschnürt,  bald  un- 
regelmässig contourirt.  Wo  sie  zahlreich  vorkommen,  zeigen  sie  auch 
in  ihrer  Grösse  erhebliche  Verschiedenheiten.  Häufig  finden  sich  in  ihrer 
eigenthiimlich  glänzenden,  stark  lichtbrechenden  Substanz  einzelne 
kleine  Vacuolen,  die  mit  Flüssigkeit  erfüllt  sind.  Dass  diese  Vacu- 
olen  keine  Kunstproducte  sind,  lehrt  die  Untersuchung  lebender  Eizellen. 
Doch  können  auch  Vacuolen  noch  nachträglich  beim  Absterben  der  Eier 
sich  bilden,  und  die  vorhandenen  Vacuolen  sich  vergrössern,  wie  Flemming 
hervorhebt.    (H.  10  Seite  151.) 

In  ihren  chem  i  sehen  Eig  enschaften  sind  die  Keim - 
flecke  von  den  echten  Nucleolen,  die  sich  in  den  gewöhnlichen  Kern- 
farbstoffen nicht  tingiren  und  aus  Paranuclein  bestehen,  verschieden.  Auf 
der  andern  Seite  ist  aber  auch  nicht  ausgemacht,  ob  ihre  Substanz  mit 
dem  Nuclein  des  Kerngerüstes  vollkommen  identisch  ist.  Zur  Zeit  ist 
dieser  Punkt  trotz  der  zahlreichen,  über  den  Kern  erschienenen  Unter- 
suchungen noch  nicht  in  befriedigender  Weise  aufgeklärt.  Nur  das  Eine 
können  wir  als  feststehend  betrachten,  dass  die  in  den  verschiedenen 
pflanzlichen  und  thierisclien  Kernen  vorkommenden,  mehr  oder  minder 
kugligen  Körper,  die  in  der  Literatur  meist  schlechtweg  als  Nucleolen 
zusammengefasst  werden,  stoffliclie  Verschiedenheiten  darbieten.  Es  ist 
dies  durch  die  Untersuchungen  von  Flemming  (H.  10),  Carnoy  (H.  8), 
von  mir  (IL  19a),  von  Zacharias  (IL  45)  und  Anderen  über  allen  Zweifel 
sichergestellt.  Man  sollte  daher  auch  so  verschiedene  Dinge  nicht  mit 
demselben  Namen  benennen  oder,  wenn  man  blos  wegen  der  Aehnlichkeit 
in  der  Form  für  alle  kugligen  Inhaltskörper  des  Kerns  die  allgemeine 
Bezeichnung  Nucleolus  oder  Kernkörper  beibehalten  will,  sollte  man 
wenigstens  im  einzelnen  Fall  in  einem  Zusatz  noch  eine  genaue  Angabe 
über  die  chemische  Natur  des  betreffenden  Nucleolus  hinzufügen.  Ueber- 
haupt  sollte  man  bei  allen  Untersuchungen  des  Kernes,  wie  schon  früher 
bemerkt  wurde,  mehr  Gewicht  auf  die  chemische  Beschaffenheit  der  ein- 
zelnen Inhaltsbestandtheile,  als  auf  ihre  formale  Anordnung  legen,  welche 
jedenfalls  der  ersteren  gegenüber  das  Nebensächlichere  ist.  Denn  ein 
Gerüst,  welches  aus  Lininfäden  besteht,  spielt  im  Kern  eine  ganz 
andere  Rolle,  als  ein  Gerüst,  welches  aus  Nuclein  oder  gleichzeitig  aus 
beiden  Substanzen  zusammengesetzt  ist,  und  ebenso  wird  die  Aufgabe 
der  Nucleolen,  je  nachdem  sie  diesen  oder  jenen  Stoff  enthalten,  eine 
verschiedene  sein. 

Ich  schliesse  diesen  Excurs  über  die  Nucleolen  mit  dem  Hinweis, 
dass  es  sogar  Keimflecke  gibt,  die  sehr  deutlich  aus  zwei  ver- 
schiedenen Substanzen  aufgebaut  sind.  Es  ist  dies  Verhältniss 
zuerst   durch  Leydig   bei  lamelliliranchiaten  Mollusken  beobachtet,  dann 


44 


Zweites  Capitel. 


p^©Ä^ 


durch  Flemming  (II.  10)  au  demselben  Object  uud  von  mir  (IL  19)  noch 
in  anderen  Fällen  genauer  festgestellt  worden.  Ich  lasse  hier  die 
Beschreibung  des  Thatbestandes,  wie  sie  Flemming  gibt,  folgen. 

Bei  Cyclas  Cornea  und  bei  Najaden  findet  sich  im  Keimbläschen 
ein  Hauptnucleus  ausser  einigen  wenigen  Nebennucleolen.  „Der  erstere 
besteht  aus  2  different  beschaffenen  Theilen:  Fig.  30,  einem  kleineren, 

der  bedeutend  stärker  lichtbrechend 
und  stärker  tingirbar  ist,  und  einem 
grösseren,  l)lasseren  und  schwächer 
chromatischen,  der  in  Säure  stärker 
quillt.  Bei  Anodonta  hängen  die 
beiden  Theile  zusammen,  bei  Unio 
sind  sie  vielfach  nur  mit  einander 
in  Berührung  oder  liegen  selbst  ge- 
trennt. Die  kleineren  Nebennucleo- 
len, die  hier  in  den  Balken  des 
Kerngerüstes  lagern,  zeigen  dieselbe 
Lichtbrechung,  Quellbarkeit  und  Tin- 
girbarkeit,  wie  der  grosse  Theil  des 
Hauptnucleolus.  Bei  Wasserzusatz 
verschwindet  dieser  Haupttheil  und 
die  Nebennucleolen  nebst  den  Gerüst- 
strängen; es  bleibt  der  kleine, 
stark  chromatische  Theil  des  Haupt- 
nucleolus, indem  er  dabei  noch  ver- 
schärft wird  und  etwas  schmmpft 
und  einen  scharf  abgesetzten  Con- 
tour  bekommt.  Zusatz  von  starker 
Essigsäure  (5  "/o  oder  mehr)  lässt 
den  grösseren,  blasseren  Theil  des 
Hauptnucleolus  rasch  aufquellen 
und  verschwinden,  während  der 
kleine,  glänzende  zwar  auch  etwas 
quillt ,  aber  erhalten  bleilit."  „Bei 
Anwendung  von  Kerntinctionen  färbt 
sich  zwar  der  starkbrechende  Theil 
der  Nucleolen  besonders  intensiv, 
aber  in  erheblichem  Grade  auch  der 
andere   Theil   und    die  Nebennucle- 


Fig.  30.  Nach  Flemming  Fig.  E  ^ 
S.  104. 

a  Kern  eines  Eierstockseies  von  Unio 
frisch  aus  der  Zelle  getreten  in  Ovarial- 
flüssigkeit.  Zweibuckliger  Nucleolus.  Ge- 
ringe Theile  der  Kerngerüste  sichtbar. 
«  Ein  solcher  Kern  nach  Zufliessen  von 
Essigsäure  5  "/o.  Gerüststränge  sind  auf- 
getreten, der  grössere  blassere  Theil  des 
Hauptnucleolus  und  die  Nebennucleolen 
sind  in  gleichem  Grade  gequollen  und 
erblasst;  der  kleinere  Haupttheil  des 
grossen  Nucleolus  ist  ebenfalls,  aber 
schw<ächer  gequollen,  b  Nucleolus  eines 
Eies  von  Tichogonia  polj-morpha;  der 
glänzende  Haupttheil  sitzt  als  Kappe 
auf  dem  grösseren,  blassen. 

ß  Optisches  Durchschnittsbild  des- 
selben, schematisch. 


olen."  „Solche  Differenzirung  der 
Hauptnucleolen  in  zwei  Theile  kommt  bei  Eizellen  vieler  thiere 
vor.  Bei  Dreissena  polymorpha  ist  der  stark  lichtbrechende  und  chro- 
matische Theil  als  Hohlkappe  um  den  blasseren  herumgelagert." 

Ich  selbst  (IL  19)  habe  die  Zusammensetzung  des  Keimflecks  aus 
zwei  Substanzen  ausser  bei  Anodonta  auch  bei  Helix,  bei  Tellina  und  bei 
Asteracanthion  beobachtet.  Letzteres  Object  (Fig.  31)  wird  dadurch  von 
besonderem  Interesse,  dass  die  Sonderung  in  zwei  Substanzen  (pn,  nn)  erst 
zu  der  Zeit  deutlich  wahrnehmbar  wird,  wo  sich  das  Keimbläschen  auf- 
zulösen und  aus  seinen  Inhaltsbestandtheilen  die  Polspindel  zu  bilden 
beginnt. 

Endlich  ist  bei  der  Beschreibung  der  Structur  des  ruhenden  Kernes 
noch    auf   einen   wichtigen  Punkt  die   Aufmerksamkeit   zu  lenken.     Je 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        45 


nach  dem  Alter  oder  der  Entwicklungsstufe  einer  Zelle 
kann  der  ruhende  Kern  in  allen  seinen  einzelnen!  heilen, 
im  Aussehen  seines  Kerngerüs- 
tes,  in  der  Zahl,  Grösse  und  Be- 
schaffenheit seiner  „Nucleolen" 
erhebliche  Veränderungen  er- 
leiden. Seist,  wie  Flemming  (ILIO) 
bemerkt ,  „am  jungen  Eierstocksei  der 
Lamellibranchiaten  die  Zweitheiligkeit 
des  grossen  Kernkörpers  noch  nicht  zu 
linden,  sie  bildet  sich  erst  am  reifen 
heraus".  Ueberhaupt  erfahren  die  Keim- 
bläschen der  Eier  während  ihres  Wachs- 
thums  erhebliche  Metamorphosen,  die 
im  Ganzen  noch  wenig  untersucht  und 
in  ihrer  Bedeutung  ver- 


Fig.  31.     Ausschnitt  aus  ei- 
nem Ei   von   Asterias  glacialis. 

Derselbe  zeigt  die  Rückbildung  des 
Keimbläschens.  Dieses  beginnt  zu 
schrumpfen,  indem  ein  Protoplasma- 
höcker (x)  mit  einer  Strahlung  in  sein 
Inneres  eindringt  und  die  Membran 
daselbst  auflöst.  Der  Keimfleck  {kf) 
ist  noch  deutlich,  aber  in  zwei  Sub- 
stanzen, Nuclein  (nn)  und  Paranuclein 
(pn),  gesondert.  O.  Heetwig,  Ent- 
wicklungsgescli.  Fig.  12. 


noch  weniger 

standen  sind.  Dasselbe  gilt  von  den 
Kernen  der  Samenmutterzellen.  Hier 
habe  ich  (II.  19  b)  die  Form  Wandlungen 
an  einem  sehr  geeigneten  Object,  an 
der  Hodenröhre  von  Ascaris  megaloce- 
phala,  genauer  zu  verfolgen  gesucht. 

Wie  in  den  Figuren  32  dargestellt  ist,  geht  allmählich  die  Form 
Ä  in  B  und  diese  wieder  in  C  im  Laufe  der  Samenentwicklung  über. 
Die  jüngsten  Samenmutterzellen  fB)  haben  membranlose  Kerne  mit  einem 
dichten  Nucleingerüst  mit  oberflächlich  gelegenem  Nucleolus;  daraus  ist 
bei  etwas  älteren  Zellen  (C)  ein  bläschenförmiger  Kern  mit  deutlich  aus- 
geprägter IMembran  hervorgegangen.    Im  Bläschen  spannen   sich   durch 


£ 


D 


Fig.  32.  A  Ruhender  Kern  einer  Ursamenzelle  von  Ascaris  megalocephala 
bivalens.  B  Kern  einer  Samenmutterzelle  aus  dem  Anfang  der  Wachsthumszone  von 
Ascaris  megalocephala  bivalens.  C  Ruhender  Kern  einer  Samenmutterzelle  aus  der 
Wachsthumszone  von  Ascaris  megalocephala  bivalens.  B  Bläschenförmiger  Kern  einer 
Samenmutterzelle  von  Ascaris  megalocephala  bivalens  am  Anfang  der  Theilzone  in  "Vor- 
bereitung zur  Theilung. 

den  Kernsaft  einzelne  Lininfäden  aus.  Das  Nuclein  ist  in  ein  oder 
zwei  unregelmässigen  Klumpen  angehäuft,  zwischen  denen  ein  mehr  oder 
minder  kugeliger  Nucleolus  liegt.  In  noch  nicht  herangereiften  Zellen 
ist  das  Nuclein  meist  an  einer  Stelle  der  Kernmembran  als  dichte 
Schicht  angehäuft,  während  kleinere  und  grössere  Körnchen  auf  der 
Oberfläche  der  Lininfäden  aufliegen,  die  sich  spärlich  im  Kernraum 
ausspannen.  Aus  diesem  Zustand  geht  dann  geraume  Zeit  vor  der  Theilung 
wieder  das  Nuclein  in  eine  ausgesprochen  fadige  Anordnung  über  (B).  In 
dem  Lückenwerk  des  Gerüstes  findet  sich  stets  ein  Nucleolus. 


AQ  Zweites  C;>pitel. 

III.    (xiebt  es  kernlose  Elementarorgauismen  ^ 

An  die  Beschreibung  der  chemisclien  und  morphologischen  Eigen- 
schaften des  Kerns  lässt  sich  noch  die  wichtige  Frage  knüpfen,  ob  der 
Kern  ein  unentbehrlicher  Bestandtheil  jeder  Zeile  ist.  Gibt  es  kernlose 
Elenientarorganisnien  ?  Noch  vor  einer  Reihe  von  Jahren  war  man  mit 
einer  Antwort  auf  diese  Frage  nicht  verlegen.  —  Da  man  in  Folge  der 
Mangelhaftigkeit  der  älteren  Untersuchungsmethoden  bei  vielen  niederen 
Organismen  keine  Kerne  gefunden  hatte,  nahm  man  die  Existenz  von 
zwei  verschiedenen  Arten  von  Elementartheilen  an,  von  einfacheren, 
die  nur  aus  einem  Klümpchen  von  Protoplasma  bestehen,  und  von 
zusammengesetzten,  welche  in  ihrem  Innern  noch  als  besonderes  Organ 
den  Kern  entwickelt  haben.  Die  ersteren  bezeichnete  Haeckel  (I.  10. 
IL  15)  als  Cytoden  und  ihre  einfachsten,  einzellebenden  Formen  als 
Moneren,  die  letzteren  als  Cellulae  oder  Cyten.  Seitdem  aber  hat  sich 
der  Stand  der  Frage  wesentlich  verändert. 

Dank  den  verbesserten  optischen  Hülfsmitteln  und  den  vervollkomm- 
neten Färbungsmethoden  ist  die  Existenz  von  Organismen  ohne  Kern 
sehr  in  Frage  gezogen. 

Bei  sehr  vielen  niederen  Pflanzen  (Algen,  Pilzen)  und  bei  Protozoen, 
Vampyrellen,  Polythalamien,  Myxomyceten,  die  früher  als  Beweisobjecte 
für  das  Fehlen  des  Kerns  gegolten  hatten,  gelingt  es  mit  leichter  Mühe, 
Kerne  nachzuweisen.  Nachdem  auch  bei  der  reifen  Eizelle  der  Kern  ge- 
funden worden  ist  (Hertwig  II.  19  a),  können  wir  sagen,  dass  im  gesamm- 
ten  Thierreich  kein  sicher  bewiesener  Fall  von  kernlosen  Zellen  existirt. 
Man  wird  mir  vielleiclit  die  rothen  Blutkörperchen  der  Säugethiere  ent- 
gegenhalten. Freilich  fehlt  bei  ihnen  ein  Kern,  es  fehlt  ihnen  aber 
ebensogut  auch  das  Protoplasma,  und  es  lässt  sich  mit  guten  Gründen, 
^  ^  die  später  zusammengestellt  werden  sollen, 

die    Ansicht    verfechten,    dass    die   Blut- 

1  \  ^  \  Vj-i  />^\  Scheiben  der  Säugethiere  nicht  den  Werth 

n^*yLi!JJ  ÜlS'-'*  ^^^   Elementarorganismen   besitzen,    son- 

-x^f£^^  ]  ¥^^<  ^^*'^i    1^"^'    fliß    Umwandlungs-    oder   Bil- 

<yv4l  V^?-*  dungsproducte  ehemals  vorhandener  Zellen 

"^W  ^  sind. 

"^  1  Eine  Zuflucht  findet  jetzt   die  Lehre 

von  der  Kernlosigkeit  nur  noch  bei  den 
Mikroorganismen,  bei  den  Bacterien  und 
verwandten  Formen,  bei  denen  wegen 
ihrer  ausserordentlichen  Kleinheit  die  Un- 
terscheidung von  Protoplasma  und  Kern- 
Fig.  33    A  Osciiiaria.  Opti-     substauz    auf  Schwierigkeiten  stösst.     In- 

tZ  S^'ti  Ithoi't.  i««.«»  »fh  W«.  hat  Bütec^hli  (II  6)  die 
tödtet  und  in  Hämatoxylin  gefärbt.  Existenz  kernartiger  Gebilde  nachzuwei- 
Nach  BtjTscHLi  Fig.  i'2a.  sen  versucht.     Als    solche  deutet   er  bei 

B  Bacteriura  lineoia  (Cohn)  im  Oscillarien  u.  a.  (Fig.  33  Ä.  B)  Körper, 
Ä°'";;«S1,nfi.,"^,;^:-  «f^he  bd  der  Verdauun,  durch  Magen- 
toxyiin  gefärbtes  Exemplar.  Nacb  Salt  nicht  aufgelöst  Werden  und  einzelne 
BüTscHLi  Fig.  3a.  in  Farbstoff  sich  intensiv  färbende  Körnchen 

(wahrscheinlich  Nucleinkörnchen)  beher- 
bergen. Dieselben  machen  den  grösseren  Theil  des  Zellkörpers  aus,  wäh- 
rend Protoplasma  nur  als  dünne  Umhüllung  vorhanden  ist.  Bütschli's 
Ansichten  werden  im  Allgemeinen  von  Zacharias  (IL  47)  getheilt. 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        47 


Wer  diese  Angabe  nicht  als  beweisend  anerkennen  will,  wird  zugeben 
müssen,  dass  die  Annahme,  welche  die  Mikroorganismen  ganz  oder 
vorzugsweise  aus  Kernsubstanz  bestehen  lässt,  wenigstens  ebenso  viel 
wenn  nicht  mehr  für  sich  hat,  als  die  Annahme,  sie  seien  nur  kleinste, 
einfache  Protoplasmaklümpchen.  Denn  für  die  erste  Annahme  fällt  ihre 
ausserordentliche  Neigung,  Farbstoffe  in  sich  aufzunehmen,  sehr  in  die 
Wagschale. 

IV.    Die  Central-  oder  Polkörperchen  der  Zelle. 

In  jüngster  Zeit  ist  neben  dem  Kern  im  Protoplasma  einiger  Zellen 
ein  ausserordentlich  winziges,  aber  durch  seine  Function  sehr  wichtiges 
Gebilde  nachgewiesen  worden,  das  Central-  oder  Polkörperchen 
(Centrosoma).  Bei  der  Zelltheilung,  bei  deren  Darstellung  es  uns 
in  Capitel  VI  wieder  beschäftigen  wird,  ist  es  schon  seit  längerer  Zeit 
bekannt  und  spielt  hier  eine  sehr  grosse  Rolle,  da  es  den  Mittelpunkt  für 
eigenthümliche  Strahlungsfiguren  und  überhaupt  einen  Mittelpunkt  in  der 
Zelle  bildet,  nach  welchem  die  verschiedensten  Zellbestandtheile  gewisser- 
maassen  centrirt  sind. 

Seine  Grösse  liegt  an  der  Grenze  des  eben  sichtbaren  und  bleibt 
häufig  unter  dem  Durchmesser  kleinster  Mikroorganismen  zurück.  Es 
scheint  stofflich  aus  derselben  Substanz,  wie  das  Mittelstück  der 
Samenfäden  zu  bestehen,  zu  welchem  sich  übrigens  auch  beim  Befruch- 
tungsprocess  genetische  Beziehungen  ergeben  (s.  Cap.  VII,  1).  Bei  den 
gewöhnlichen  Kernfärbemethoden  nimmt  es  keinen  Farbstoff  auf,  lässt  sich 
aber  bei  geeignetem  Verfahren,  namentlich  durch 
saure  Anilinfarben,  wie  Säurefuchsin,  Safranin, 
Orange,  lebhaft  tingiren.  Es  ist  dies  das  einzige 
Mittel,  das  Centralkörperchen  in  den  Fällen, 
wo  es  nicht  von  einer  besonderen  Strahlung 
oder  Sphäre  eingehüllt  ist,  von  andern  Körnchen 
des  Zellinhalts  (Mikrosomen)  zu  unterscheiden. 

Wenn  wir  von  der  Zelltheilung  und  dem 
Befruchtungsprocess  absehen,  über  welche  spä- 
tere Abschnitte  handeln,  so  ist  das  Centralkör- 
perchen bis  jetzt  am  häufigsten  in  Lymphzellen 
(Flemming  it,  11  u.  12b  und  Heidenhain  IL  16), 
in  Pigmentzellen  des  Hechts  (Solger  IL  38),  in 
sehr  flachen  Epithel-,  Endothel-  und  Bindege- 
webszellen von  Salamanderlarven  (Flemming  IL 
12  b)  aufgefunden  worden. 

In  Lymphzellen  kommt  meist  nur  ein  ein- 
ziges Centralkörperchen  vor  (Fig.  34)  und  ist 
dies  ausser  der  Färbung  noch  dadurch  kennt- 
lich gemacht,  dass  das  Protoplasma  in  seiner 
nächsten  Umgebung  ein  deutlich  strahliges  Ge- 
füge zeigt  und  die  später  uns  noch  öfters  be- 
schäftigende Strahlensphäre  oder  Attractions- 
sphäre  bildet.  Das  Centralkörperchen  liegt  zu- 
weilen in  einer  Einbuchtung  des  Kerns  oder, 
wenn  dieser  in  mehrere  Stücke  zerfallen  ist, 
was  bei  den  Lymphzellen  häufig  vorkommt,  bald  zwischen  ihnen  an  dieser 
oder  jener  Stelle  des  Protoplasmakörpers. 


Fig.  34.  Leukoeyt 
aus  dem  Peritoneum 
einer  Salamanderlarve, 
Der  Centralkörper  in 
der  strahligenSphäre  ist 
zur  Verdeutlichung  des 
Zinkdrucks  von  einem 
hellen  Ring  umgeben 
dargestellt,  welcher  in 
natura  fortzudenken  ist. 
Nach  Flemming  Fig.  5. 


48 


Zweites  Capitel. 


Bei  Pignieiitzellen  (Fig.  35)  hat  S  o  1  g  e  r  (II.  38)  nur  die  Strahlen- 
sphäre  als  eine  helle  Stelle  zwischen  den  Pigmentkörnchen  gesehen  und 
daraus  auf  die  Anwesenheit  eines  Centralkörperchens  geschlossen. 

In  den  Epithelien  der  Lunge,  in  Endothel-  und  Bindegewebszellen 
des  Bauchfells  von  Salamanderlarven  (Fig.  36  Ä,  B),  fand  Flemming 
fast  stets  anstatt  eines  einzigen  zwei  dicht  zusanunengelegene  Central- 
körperchen,  entweder  in  grosser  Nähe  des  im  Ruhezustand  befindlichen 
Kerns  oder  sogar  in  einer  Delle  desselben  in  unmittelbarer  Nachbar- 
schaft der  Kernmembran.  Eine  Strahlensphäre  war  in  diesen  Fällen 
meist  nicht  nachweisbar;  zuweilen  waren  die  beiden  Polkörperchen, 
anstatt  sich  fest  zu  berühren  ^  ein  wenig  auseinandergerückt  und 
war  dann  der  erste  Anfang  einer  Spindelbildung  zwischen  ihnen  wahr- 
zunehmen. 

A  B 


W^^0^^z^ 


Fig.  35. 


Fig.  36. 


Fig.  35.  Pigmentzelle  des  Hechts  mit  2  Kernen  und  1  Polkörperchen 
in  einer  Strahlensphäre.    Nach  Solger  Fig.  2. 

Fig.  36.  A  Kern  einer  Endothelzelle  des  Peritoneums  einer  Salamanderlarve 
mit  in  der  Nähe  gelegenen  Polkörperchen.     Nach  Flemming  Fig.  2. 

B  Kern  einer  Bindegewebszelle  des  Peritoneums  einer  Salamanderlai've  mit  in 
der  Nähe  gelegenen  Polkörperchen.     Nach  Flemming  Fig.  4. 

Von  van  Beneden  (II.  52)  ist  zuerst  die  Hypothese  aufgestellt 
worden,  dass  das  Centralkörperchen  gleich  dem  Kern  ein 
constantes  Organ  jeder  Zelle  sei  und  dass  es  sich  neben  dem 
Kern  irgendwo  im  Protoplasma  jeder  Zelle  eingeschlossen  finden  müsse. 
Für  den  ersten  Theil  dieser  Ansicht  spricht  die  Eigenschaft  des  Central- 
körperchens, sich  auf  dem  Wege  der  Selbsttheilung  vermehren  zu 
können  (siehe  Cap.  VI)  und  seine  Rolle  beim  Befruchtungsprocess  (siehe 
Cap.  VII,  1).  Die  an  zweiter  Stelle  behauptete  Zugehörigkeit  der  Central- 
körperchen zum  Protoplasma,  die  jetzt  sehr  allgemein  angenommen  wird, 
scheint  mir  dagegen  weniger  sicher  gestellt  zu  sein. 

Ich  habe  früher  die  Ansicht  gehabt  und  halte  sie  aus  Gründen,  die 
ich  später  (siehe  Cap.  VI)  anführen  werde,  auch  jetzt  noch  für  beachtens- 
werth,  dass  die  Centralkörperchen  für  gewöhnlich  Bestandtheile  des 
ruhenden  Kerns  selbst  sind,  indem  sie  nach  der  Theilung  in  seinen 
Inhalt  eintreten  und  bei  der  Vorbereitung  zur  Theilung  in  das  Proto- 
plasma wieder  austreten.  Nur  in  besonderen  Fällen  würde  das  oder  die 
Centralkörperchen  auch  während  der  Ruhe  des  Kerns  im  Protoplasma 
selbst  verbleilien  und  dann  gewissermaassen  neben  dem  Haupt-  noch 
einen  Nebenkern  darstellen.   Bei  dieser  Auffassung  würde  es  sich  erklären^ 


Die  chemisch-physikalischen  u.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        49 

dass  auch  mit  den  neueren  Methoden  und  optischen  Hülfsmitteln  sich 
Centralkörperchen  für  gewöhnlich  neben  dem  ruhenden 
Kern  im  Protoplasma  derZellen  nicht  nachweisen  lassen, 

V.    Ueber  die  Molecularstructur  organisirter  Körper. 

Um  die  chemisch  -  physikalischen  Eigenschaften  der  organisirten 
Körper  zu  erklären,  hat  Nägeli  (V.  17.  18  IL  27.  28)  eine  Micellar- 
hypothese  aufgestellt,  welche  zwar  viel  des  Subjectiven  an  sich  trägt, 
immerhin  aber  geeignet  ist,  manche  complicirte  Verhältnisse  uns  leichter 
verständlich  und  vor  allen  Dingen  anschaulicher  zu  machen.  Ein  kurzer 
Abriss  der  Micellarhypothese,  welche  schon  allein  wegen  ihrer 
streng  logischen  Durchführung  Beachtung  verdient,  mag  daher  hier 
Platz  finden. 

Eine  der  auffälligsten  Eigenschaften  der  organisirten  Körper  ist  ihre 
Quellbarkeit,  ihr  Vermögen,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  grosse  Mengen 
Wasser  und  Substanzen,  die  in  Wasser  gelöst  sind,  in  ihr  Inneres  auf- 
zunehmen. Es  kann  dies  so  weit  gehen,  dass  in  einem  organisirten 
Körper  überhaupt  nur  wenige  Procente  fester  Substanz   enthalten  sind. 

Entsprechend  der  Wasseraufnahme  nimmt  das  Volumen  des  Körpers 
zu,  um  sich  bei  Abgabe  von  Wasser  wieder  zu  verkleinern.  Dabei  lagert 
sich  das  Wasser  nicht  in  präexistirende,  mit  Luft  gefüllte  Hohlräume  ein, 
wie  bei  einem  porösen  Körper,  sondern  es  vertheilt  sich  gleichmässig 
zwischen  die  organisirten  Theilchen,  die,  je  grösser  die  Quellung  ist,  um 
so  mehr  auseinander  rücken  und  durch  mächtigere  Wasserhüllen  von  ein- 
ander getrennt  werden  müssen.  Trotz  der  beträchtlichen  Wasserauf- 
nahme findet  dabei  keine  Auflösung  der  organisirten  Substanz  statt. 
Sie  verhält  sich  auch  in  dieser  Beziehung  verschieden  von  einem  Krystall 
von  Salz  oder  Zucker,  dem  auf  der  einen  Seite  die  Fähigkeit  der 
Quellung  abgeht,  der  aber  auf  der  andern  Seite  sich  in  Wasser  auf- 
löst, indem  sich  seine  Moleküle  von  einander  trennen  und  gleichmässig 
im  Wasser  vertheilen. 

Quell ungsfähigkeit  und  Unlöslichkeit  im  Wasser  sind  Haupteigen- 
schaften der  organisirten  Körper,  ohne  welche  der  Lebensprocess  nicht 
denkbar  ist. 

Manche  organisirte  Körper  lassen  sich  durch  geeignete  Verfahren  in 
eine  Lösung  überführen,  so  z.  B.  Stärke  und  leimgebende  Substanz, 
wenn  sie  in  Wasser  gekocht  werden.  Aber  auch  Stärke-  und  Leimlösun- 
gen unterscheiden  sich  in  ihren  Eigenschaften  sehr  wesentlich  von  Lösungen 
von  Salzen  oder  Zucker.  Diese  diosmiren  leicht  durch  Membranen,  jene 
nicht  oder  nur  in  geringem  Maasse  und  bilden  schleimige  oder  faden- 
ziehende Lösungen.  Schon  Graham  hat  beide  Gruppen  von  Stoffen, 
welche  in  Lösung  so  ungleiche  Eigenschaften  zeigen,  von  einander  als 
Krystalloide  und  Colloide  unterschieden. 

Nägeli  sucht  nun  alle  hier  namhaft  geraachten  Erscheinungen  aus 
Unterschieden  in  der  molecularen  Constitution  der  Körper  zu  erklären. 
Wie  Atome  sich  zu  Molekülen  verbinden  und  so  eine  grosse  Verschieden- 
heit chemischer  Stoffe  erzeugen,  so  lässt  er,  damit  die  complicirteren 
Eigenschaften  der  organisirten  Körper  zu  Stande  kommen,  Gruppen  von 
Molekülen  zu  noch  höheren  Einheiten,  den  Mi  cell  en,  zusammentreten. 
Im  Verhältnisse  zum  Molekül  besitzt  das  Micell  eine 
beträchtlichere,  wenn  auch  jenseits  der  Grenze  mikro- 
skopischer Wahrnehmung  liegende  Grösse  und  kann  nicht 

Hertwig,   Die  Zelle  und  die  Gewebe.  4 


CQ  Zweites  Capitel. 

bloss  aus  Hunderten,  sondern  aus  vielen  Tausenden  von 
Molekülen  aufgebaut  sein. 

Nägeli  schreibt  den  Miccllen  einen  krystallinischen  Bau  zu,  gestützt 
auf  die  Erscheinungen  der  Doppelbrechung,  welche  viele  organisirten 
Körper,  Cellulosemenibran,  Stärke,  Muskelsubstanz,  selbst  das  Proto- 
plasma im  polarisirten  Licht  darbieten.  Dabei  kann  ihre  äussere  Gestalt 
alle  möglichen  Formen  zeigen,  wie  auch  ihre  Grösse  eine  sehr  ver- 
schiedene sein  wird. 

Die  Micellen  üben  eine  Anziehung  sowohl  auf  das  Wasser  als  auch 
auf  einander  aus,  woraus  die  Quellungserscheiuungen  zu  erklären  sind. 
In  einem  trockenen,  organisirten  Körper  liegen  die  Micellen  dicht  an 
einander,  nur  durch  geringe  Wasserhüllen  getrennt,  diese  vergrössern 
sich  beträchtlich  bei  der  Imbibition,  indem  zunächst  zwischen  Wasser 
und  Micellen  stärkere  Anziehungskräfte  wirksam  sind  als  zwischen  den 
Micellen  untereinander.  Diese  werden  durch  das  eindringende  Wasser 
wie  durch  einen  Keil  auseinander  getrieben;  „zu  einer  Lösung  kommt 
es  aber  im  organisirten  Körper  nicht,  weil  die  Anziehungskraft  zum 
Wasser  mit  der  Entfernung  in  einem  schnelleren  Verhältnisse  abnimmt, 
als  die  Anziehungskraft  der  Micellen  unter  einander,  und  so,  nachdem 
die  Wasserhüllen  eine  gewisse  Mächtigkeit  erlangten,  ein  Gleichgewichts- 
zustand, die  Grenze  der  Quellung,  erreicht  wird." 

Wenn  trotzdem  durch  geeignete  Verfahren  der  Zusammenhang 
zwischen  den  Micellen  ganz  aufgehoben  wird,  so  erhält  man  eine 
Micellarlösung.  Dieselbe  erscheint  matt  und  opalescirend ,  ein 
Beweis,  dass  das  Licht  ungleich  gebrochen  wird.  Nägeli  vergleicht  sie 
mit  den  schleimigen,  opalescirenden  Massen,  welche  Spaltpilze  durch 
Aneinanderlagern  erzeugen 

Die  Unterschiede,  die  G  raham  zwischen  Lösungen  krystalloider  und 
colloider  Substanzen  aufgestellt  hat,  beruhen  nach  Nägeli  darauf,  dass 
in  den  ersteren  zwischen  den  Wassertheilchen  vereinzelte  Moleküle,  in 
den  letzteren  aber  krystallinisehe  Molekülgruppen  oder  vereinzelte  Micellen 
vertheilt  sind.  Die  einen  sind  also  Molecu lar-,  die  anderen 
Micellarlösungen  (Lösungen  von  Ei  weiss,  Leim,  Gummi  etc.).  Die 
Micellen  selbst  setzen  dem  Zerfallen  in  Moleküle  einen  grösseren  Wider- 
stand entgegen.  Gewöhnlich  ist  dieser  Zerfall  mit  chemischen  Umwand- 
lungen verbunden.  So  kann  Stärke  durch  Umsetzung  in  Zucker  in  eine 
Molecularlösung  übergeführt  werden,  desgleichen  Albuminate  und  leim- 
gebende Substanzen,  wenn  sie  sich  in  Peptone  umwandeln. 

In  den  organisirten  Körpern  sind  die  Micellen  zu  regelmässigen 
Verbänden  vereinigt.  In  diesen  können  die  einzelnen  Micellen  aus  der- 
selben Substanz  oder  aus  verschiedenen  chemischen  Substanzen  bestehen, 
von  verschiedener  Grösse  und  Form  sein ;  sie  können  auch  innerhalb  der 
Verbände  sich  noch  zu  grösseren  und  kleineren  Micellgruppen  zu- 
sammenschliessen.  In  den  Micellarverbänden  scheinen  sich 
im  Allgemeinen  die  Micellen  in  Ketten  aneinander  zu 
hängen,  die  sieh  wieder  zu  einem  Gerüst  oder  Netzwerk 
mit  engeren  oder  weiteren  Maschen  verbinden.  In  den 
Lücken  oder  Micellarinterstitien  ist  Wasser  einge- 
schlossen-, „Nur  auf  diesem  Wege  wird  es  möglich,  mit  wenig  Sub- 
stanz und  viel  Wasser  ein  festes  Gefüge  herzustellen,  wie  es  die  Gallerte 
darbieten." 

Das  in  organisirten  Körpern  enthaltene  Wasser  kann  sich  in  drei 
verschiedenen  Zuständen  befinden,  die  von  Nägeli  als  Gonstitutions- 


Die  chemisch-physikalischen  ii.  morphologischen  Eigenschaften  der  Zelle.        51 

oder  Krystallwasser,  als  Adhäsionswasser  und  als  Capillar- 
wasser  unterschieden  werden.  Unter  dem  ersteren  versteht  man  die 
Wassermoleküle,  die  wie  bei  einem  Krystall  mit  den  Substanzmolekülen 
sich  zur  Constitution  des  Micells  fest  und  in  bestimmter  Menge  ver- 
bunden haben.  Adhäsionswasser  wird  gebildet  von  den  Wassermolekülen, 
welche  an  der  Oberfläche  der  Micelle  durch  Molecularattraction  fest- 
gehalten werden.  „In  der  Wassersphäre,  welche  eine  Micelle  umkleidet, 
ist  in  den  coneentrischen  Wasserschichten  die  Verdichtung  und  die  Un- 
beweglichkeit  des  Wassers  sehr  verschieden,  und  diese  erreicht  natürlich 
unmittelbar  an  der  Oberfläche  der  Micelle  ihren  grössten  Werth." 
(Pfefter.)  Das  Cappillarwasser  endlich  füllt  ausserhalb  der  attractiven 
Wirkungssphäre  der  einzelnen  Micellen  die  Lücken  zwischen  den  Micellen- 
gerüsten  aus.  „Diese  drei  Arten  von  Wasser  weichen  in  dem  Grade  der 
Beweglichkeit  ihrer  Moleküle  von  einander  ab.  Das  capillare  Wasser 
hat  die  vollen  Molecularbewegungen  des  freien  Wassers;  in  dem 
Adhäsionswasser  sind  die  fortschreitenden  Bewegungen  der  Molecüle 
mehr  oder  weniger  vermindert,  und  in  dem  Constitutionswasser  befinden 
sich  die  Moleküle  in  einem  starren,  unbeweglichen  Zustande."  „Die 
Diosmose  durch  eine  Membran  kann  also  nur  durch  das  capillare  und 
das  Adhäsionswasser  vermittelt  werden." 

Wie  an  der  Oberfläche  der  Micelle  Wassertheilchen 
durch  Molecularattraction  festgehalten  werden,  so 
können  sich  ihnen  auch  andere  Stoffe  (Kalk-  und  Kiesel- 
salze, Farbstoffe,  stickstoffhaltige  Verbindungen  etc.) 
anlagern,  nachdem  sie  in  gelöstem  Zustand  indenorga- 
nisirten  Körper  aufgenommen  worden  sind.  Das  Wachsthum 
organischer  Substanz  durch  Intussusception  stellt  sich  Nagelt  in  der 
Weise  vor,  dass  Substanztheilchen  in  gelöstem  Zustand  in  den  organisirten 
Körper  eindringen,  so  zum  Beispiel  Zuckermoleküle  in  eine  Cellulose- 
membran,  und  hier  entweder  sich  den  vorhandenen  Micellen  anlagern 
und  zur  Vergrösserung  derselben  dienen  oder  zwischen  den  vorhandenen 
Micellen  zu  neuen  Micellen  gewissermaassen  auskrystallisiren.  Hierbei 
würden  die  als  Beispiel  benutzten  Zuckermoleküle  sich  in  Cellulose- 
moleküle  chemisch  umsetzen. 

Auf  die  Nägeli'sche  Micellarhypothese  wird  in  späteren  Abschnitten 
öfters  Bezug  genommen  werden,  wenn  es  gilt,  sich  eine  Vorstellung  von 
der  complicirten  Stoffanordnung  im  Elementarorganismus  zu  machen. 


Literatur  II. 

1)  Altmann.    Die  Elementarorganismen  u.  ihre  Beziehungen  zu  den  Zellen.    Leipzig  1S90. 

2)  Jul.  Arnold.      Ueber  feinere    Structur   der  Zellen   unter   normalen   und  pathologischen 

Bedingungen.    Virchows  Archiv.    Bd.  77.    1879.    pag.  181. 

3)  Balbiani.     Sur  la   structure   du  noyau   des   cellules  salivaires  chez  les  larves  de  Chiro- 

nomus.     Zoologischer  Anzeiger.    1881.    pag.  637. 

4)  van  Beneden  et  Neyt.     Nouvelles  reeherches  sur  la  fecondation  et  la  division  mito- 

siqicc  chez  l'ascaride  mcgalocephalc.     Leipzig  1SS7. 

5)  Bütsehli.     Einige  Bemerkungen  über  geivissc  Organisationsverhältnisse  der  sogenannten 

Cilioßagellaten  und  der  Noctihica.     Morphol.  Jahrbuch.    Bd.  X.     1885. 

6)  Derselbe.      Ueber  den  Bau  der  Bakterien  ttnd  verwandter  Organismen.     Leipzig  1890. 
7a)     Derselbe.      Ueber  die  Structur  des  Protoplasmas.     Verhandlungen  des  Katurhist.-Med.- 

Vereins  zu  Heidelberg.     N.  F.     Bd.  IV.    Heft  3.    1889.    Heft  4.    1890. 

4* 


^2  Zweites  Capitel. 

7b)  Bütschli.      Untersuchungen  über  mikroskopische  Schäume  u.  das  Protoplasma.     1892. 

8)  Carnoy.     Mehrere   Abhandlungen   in  La   ceUule.     Recueil  de  Cytologie  et    d'histologie 

generale. 
Derselbe.     La  cytodicrese  chez  les  arthropodes.     Bd.  1. 
Derselbe.     La  vesicule  gcrminative  et  les  glob.  polaires  chez  divers  nematodes. 
Derselbe.     Conference  donni'e  a  la  societc   beige  de  microscopic.     Bd.  III. 

9)  Engelmann.      Ucber  den  fasrigen  Bau  d.  contractilen    Substanzen.     Pflügers  Archiv. 

Bd.  26. 

10)  Flemming.     Zellsubstanz,  Kern  und  Zelltheilung .     Leipzig  1882. 

11)  Derselbe,     lieber  Theilung  u.  Kernformen  bei  Leukocyten  und  über  deren  Attractions- 

sphären.     Archiv  f.   mikroskop.  Anat.    Bd.  37.    pag.  249. 
12a)  Derselbe.     Neue  Beiträge  zur  Kenntniss   der  Zelle.    II.  Theil.    Archiv  f.  mikroskop. 

Anat.    Bd.  37.    pag.  (>85. 
12b)  Derselbe.     Attractionssphären   und   Centralkörper   in  Getvebszellen   und  Wanderzellen. 

Anatomischer  Anzeiger.    Bd.    VI. 
13)     Fol.     Lehrbuch  der  vergleich,  mikroskop.  Anatomie.     Leipzig  18S4. 
14a)  Prommann.     Zur  Lehre  von   der  Structur  der  Zellen.     Jenaische  Zeitschrift  f.  Med. 

und  Naturw.     Bd.  9.     1875. 
14b)  Derselbe.     Zelle.     Eealencyklopndie  der  gesummten  Heilkunde.     2.  Aufl.   1890, 

15)  Haeekel.     Generelle  Morphologie. 

16)  Martin  Heidenhain.     Ueber  Kern  u.  Protoplasma.    Festschrift  für  Kölliker.    1892. 

17)  C.  Heitzmann.      Untersuch,   über   Protoplasma.     Wiener   Sitzungsber.  math.  naturw. 

Classe.     Bd.  LXVIL    1873. 

18)  Riehard  Hertwig.     Beiträge   zu    einer   einheitlichen   Auffassung   der   verschiedenen 

Kernformen.     Morphol.  Jahrbuch.     Bd.  2.    1876. 
19a)  Oscar  Hertwig.     Beiträge  zur  Kenntniss   der   Bildung,    Befruchtung   und   Theilung 

des  thierischen  Kies.     Morphol.  Jahrbuch.     Bd.  I,  II,  IF. 
19b)  D  er  selbe.     Vergleich  der  Ei-  u.  Samenbildung  bei  Nematoden.     Archiv  f.  mikroskop. 

Anatomie.     Bd.  36.    1890. 

20)  Hofmeister.     Die  Lehre  von  der  Pflanzenzelle.     Leipzig  1867. 

21)  E.  Klein.     Observations  on   the  structure   of  cells   and  Nuclei.     Quarterly  Journal   of 

microscopical  science.     Vol.  XVIII.    1878.   pag.  315. 

22)  Kölliker.     Sandbuch  der  Geivebelehre.    1889. 

23)  Koesel.      Zur    Chemie  des   Zellkerns.     Zeitschrift  für   physiolog.    Chemie   von   Hoppe 

Seyler.    1882.     Bd.  7. 
Derselbe.      Untersuchungen  über  die  Nucleine  und  ihre  Spaltungsprodukte.    Strassburg 
1881. 

24)  C.  Kupffer.     Ueber  Differemirung  des  Protoplasma  an  den  Zellen  thierischer  Gewebe. 

Schriften   des   naturwissenschaftl.    Vereins  für  Schlestvig-Holstein.     Bd.  I.    pag.  229. 
Heft  3.    1875. 

25)  Leydig.      Untersuchungen  zur  Anatomie  u.  Histologie  der  Thiere.     Bonn  1883. 

26)  Derselbe.     Zelle  und  Gewebe.     Bonn  1885. 

27)  Nägeli  u.  Schwendener.    Das  Mikroskop.    Theorie  u.  Anwendung  desselben.    1877. 

28)  C.  Nägeli.     Mechanisch-physiologische   Theorie   der   Abstammungslehre.    München   und 

Leipzig.    1884. 

29)  Pfitzner.    Beiträge  zur  Lehre  vom  Bau  des  Zellkerns  u.  seinen  Theilung serscheinungen. 

Archiv  f.  mikrosk.  Anatomie.    Bd.  22.    1883. 

30)  V.  Rath.      Ueber   eine  eigenartige  polycentrische  Anordnung    des  Chromatins.     Zoolog. 

Anzeiger.    1890. 

31)  Rauber.     Neue  Grundlegungen  zur  Kenntniss  der  Zelle.    Morphol.  Jahrb.  VIII.    1882. 

32)  Reinke    u.   H.  Rodewald.     Studien    über  das  Protoplasma.      Untersuchungen    aus 

dem  botanischen  Institut  der  Universität  Göttingen.     Heft  2.    1881. 

33)  Sachs.     Vorlesungen  über  Pflanzenphysiologie.     1882. 

34)  Schäfer  u.  E.  R.  Lankester.     Discussion  on  the  p^-esent  aspect  of  tJie  cell  question. 

Nature.    Vol.  36.    1887. 

35)  Schieferdecker  ?«.  Kossel.    Gewebelehre  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  menschl. 

Körpers. 

36)  Schmitz.      Untersuchungen  über  die  Structur  des  Protoplasmas  und  der  Zellkerne   der 

Pflanzenzellen.     Sitz.-Ber.  der  Niederrh.  Gesellsch.  f.  Natur  u.  Heilk.    Bonn  1880. 

37)  Erank.  Sehw^arz.      Die  morphologische   und  chemische   Zusammensetzung   des  Proto- 

plasmas.    Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen.     Bd.  V.     Breslau  1887. 

38)  Solger.    Zur  Kenntniss  der  Pigmentzellen.    Anatomischer  Anzeiger.    Jahrg.  VI.    S.  162. 

39)  Strasburger.     Zellbildung  und  Zelltheilung.     2.  Aufl.    Jena  1876. 

40)  Derselbe.     Studien  über  das  Protoplasma.     Jenaische  Zeitschr.  1876.    Bd.  X. 

41)  Derselbe.     Das  botanische  Practicum. 


Die  chemiscli-physikalisclieii  u.  uiorphologischeu  Eigenschaften  der  Zelle.        53 

42)  Wiesner.     Elementarstructur  und  Wachsthum  der  lebenden  Substanz. 

43)  Zacharias.      Ueber  den  Zellkern.     Botanische  Zeitung.    1882.    p.  639. 

44)  Derselbe.      Ueber  Uiweiss,  Nuclein  und  Plastin.     Botanische  Zeitunc/.    1883. 
^45)  Derselbe.      Ueber  den  Nucleolus.     Botanische  Zeitung.    1885. 

46)  Derselbe.     Beiträge  zur  Kenntniss  des  Zellkerns  u.  der  Sexualzellen.    Botan.   Zeitung. 

1887.    Bd.  45. 

47)  Derselbe.      Ueber  die  Zellen  der  Cyanophyceen.     Botanische  Zeitung.    1890. 

48)  Xiist.      Untersuch,   über   das  Cloakenepithel  der  Plagiostomen.     Sitzungsber.  der   kaiserl. 

Aead.  der  Wissensch.  zu   Wien.     Bd.  XCII.    III.  Abth.  1885. 

49)  Mieseher.     Verhandl.  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Basel.    1874. 

50)  Auerbaell.     Organologische  Studien.     Heft  I.    1874. 


DRITTES  CAPITEL. 

Die  Lebenseigenscbaften  der  Zelle. 

I.    Die  Bewegungserscheinungen. 


Alle  Räthsel  des  Lebens,  welche  Pflanzen  und  Thiere  darbieten, 
sind  schon  im  Keim  in  der  einfachen  Zelle  eingeschlossen.  Wie  der 
zusammengesetzte  ganze  Organismus,  hat  auch  jede  einzelne  Zelle  ihr 
eigenes  Leben.  Wollen  wir  daher  noch  tiefer  in  das  Wesen  von  Proto- 
plasma und  Kern  eindringen,  so  müssen  wir  uns  vor  allen  Dingen  noch 
mit  dem  Wichtigsten  von  Allem,  mit  ihren  Lebenseigenschaften  be- 
kannt machen.  Das  Leben  aber,  auch  das  Leben  des  allereinfachsten 
Elementarorganismus,  ist  ein  ausserordentlich  zusammengesetztes  und 
schwer  definirbares  Phänomen ;  es  äussert  sich,  im  Allgemeinen  ausgedrückt, 
darin,  dass  die  Zelle  kraft  ihrer  eigenen  Organisation  und  unter  den 
Einflüssen  der  Aussenwelt  beständig  Veränderungen  erfährt  und  Kräfte 
entfaltet,  wobei  ihre  organische  Substanz  auf  der  einen  Seite  unter 
bestimmten  Kraftäusserungen  beständig  zerstört,  auf  der  andern  Seite 
wieder  neu  erzeugt  wird.  Auf  dem  beständigen  Ineinandergreifen  orga- 
nischer Zerstörung  und  organischer  Neubildung  beruht,  wie  Claude 
Bernard  (IV.  1  a)  sich  ausdrückt,  der  ganze  Lebensprocess. 

Am  zweckmässigsten  lässt  sich  dieses  complicirteste  aller  Phänomene 
in  vier  verschiedene  Gruppen  von  Erscheinungen  zerlegen.  Jeder  lebende 
Elementarorganismus  zeigt  uns  nämlich  vier  verschiedene  Grundfunctionen 
oder  Grundeigenschaften,  in  denen  sich  sein  Lehen  zu  erkennen  giebt: 
er  kann  seine  Form  verändern  und  Bewegungen  ausführen;  er  reagirt 
auf  bestimmte  Reize  der  Aussenwelt  in  verschiedener  Weise,  ist  mithin 
reizbar;  er  kann  sich  ernähren,  Stoffe  aufnehmen,  umwandeln  und  wieder 
abgeben,  dabei  formt  er  Substanzen,  welche  zum  Wachsthum,  zur  Ge- 
webebildung und  für  specifische  Leistungen  des  Lebens  dienen;  endlich 
kann  er  sich  durch  Fortpflanzung  vennehren. 

Die  Lebenseigenschaften  der  Zelle  besprechen  wir  daher  in  vier 
Capiteln,  und  zwar  in  folgender  Reihenfolge: 

1.  die  Bewegungserscheinungen, 

2.  die  Reizerscheinungen, 

3.  den  Stoffwechsel  und  die  formative  Thätigkeit, 

4.  die  Fortpflanzung. 

Daran  schliesst  sich  noch  ein  besonderes  Capitel  über  den  Be- 
fruchtungsprocess. 


Drittes  Capitel.     I.    Die  Bewegiingserscheinungen.  55 

Viele  verschiedene  Arten  von  Bewegungen  können  sieh, 
wie  ein  ausgedehntes  vergleichendes  Studium  lehrt,  am  Zellkörper  ab- 
spielen. Wir  unterscheiden  hier:  1.  die  eigentliche  Protoplasmabewegung, 
2.  die  Flimmer-  und  Geisseibewegung,  3.  die  Bewegung  der  pulsirenden 
Vacuolen,  4.  die  Bewegungen  und  Formveränderungen,  welche  Zellkörper 
passiv  erfahren. 

Ausser  diesen  vier  Arten  giebt  es  noch  einige  besondere  Bewegungs- 
phänomene, die  in  späteren  Abschnitten  zweckmässiger  besprochen  werden, 
zum  Beispiel  die  Empfängnisshügel,  die  an  der  Eizelle  in  Folge  der 
Befruchtung  entstehen,  die  Strahlenfiguren,  die  in  der  Umgebung  des 
in  das  Ei  eingedrungenen  Samenfadens  und  beim  Theilungsprocess  der 
Zelle  wahrgenommen  werden,  die  Zerschnürung  des  Zellkörpers  in  zwei 
oder  mehrere  Stücke  bei  der  Theilung. 

I.    Die  Protoplasmabewegung. 

Obwohl  von  jedem  Protoplasma  wahrscheinlich  Bewegungen  ausge- 
führt werden  können,  so  sind  dieselben  doch  meist  wegen  ihrer  ausser- 
ordentlichen Langsamkeit  für  unsere  jetzigen  Erkenntnissmittel  nicht 
wahrnehmbar;  es  sind  immer  nur  vereinzelte  Objecte  im  Pflanzen-  und 
Thierreich,  welche  sich  zum  Studium  und  zur  Demonstration  des  Phä- 
nomens eignen.  Dasselbe  äussert  sich  theils  in  einer  Veränderung  der 
äusseren  Form  des  Zellkörpers,  theils  in  Verlagerungen  der  im  Proto- 
plasma eingeschlossenen  Theile,  des  Zellenkerns,  der  Körner  und  Körnchen 
und  Vacuolen. 

Die  Erscheinungen  fallen  etwas  verschieden  aus,  je  nachdem  es  sich 
um  Bewegungen  nackter  Protoplasmakörper  oder  solcher  handelt,  die  in 
eine  feste  Membran  eingeschlossen  sind. 

a)  Bewegungen  nackter  Protoplasmakörper. 

Kleine,  einzellige  Organismen,  weisse  Blut-  und  Lymphkörperchen, 
Bindegewebszellen  u.  s.  w.  führen  Bewegungen  aus,  welche  man  nach 
den  Amöben,  die  das  Schauspiel  am  schönsten  darbieten,  als  amöboide 
bezeichnet. 

Wenn  man  ein  Lymphkörperchen  des  Frosches  (Fig.  37) 
unter  geeigneten  Bedingungen  beobachtet,  wird  man  dasselbe  fortwährend 
Formveränderungen  erleiden  sehen.  An  der  Oberfläche  treten  kleine 
Fortsätze  von  Protoplasma,  die  Scheinfüsschen  oder  Pseudopodien  nach 
aussen  hervor;  meist  bestehen  sie  zuerst  aus  hyalinem  Protoplasma,  in 
welches  nach  einiger  Zeit  Körnerplasma  nachströmt.  Dadurch  vergrössern 
sich  die  Füsschen,  breiten  sich  aus  und  können  dann  an  ihrer  Ober- 
fläche wieder  neue  kleinere  Füsschen  hervortreiben.  Oder  sie  werden 
auch  durch  Zurückfliessen  des  Protoplasma  schwächer  und  schliesslich 
ganz  eingezogen,  während  sich  an  einer  anderen  Stelle  des  Körpers  neue 
Fortsätze  bilden.  Auf  diese  Weise  führen  die  kleinen  Protoplasmakörper 
durch  Ausstrecken  und  Einziehen  ihrer  Pseudopodien  Orts  Verände- 
rungen aus  und  bewegen  sich  auf  unterliegenden  Gegenständen,  an 
deren  Oberfläche  sie  anhaften,  mit  einer  mikroskopisch  messbaren  Ge- 
schwindigkeit kriechend  fort.  Amöben  können  in  einer  Minute  eine 
Wegstrecke  von  V2  mm  zurücklegen. 

Auf  diese  Weise  wandern  weisse  Blutkörperchen  bei  Entzündungs- 
processen    durch    die    Wandung    von    Capillaren    und    kleineren    Blut- 


56 


Drittes  Capitel. 


gefässen  hindurch;  bahnen  sich  die  Lymplikörperchen  als  Wanderzellen  in 
kleinen  Gewebssjjalten ,  wie  in  den  Interlamellarlücken  der  Hornhaut, 
ihren  Weg,  wobei  sie  nicht  unerhebliche  Widerstände  überwältigen 
müssen,  oder  drängen  dicht  aneinanderschliessende  Epithelzellen  ausein- 
ander und  gelangen  so  an  die  Obei-fläche  von  Epithelmembranen. 

Mit  am  lel)haftesten  erfolgt  das  Ausstrecken  und  Einziehen  der 
Pseudopodien  bei  einer  kleinen  Amöbe  (Fig.  38),  welche  schon 
Roesel  von  Rosenhof  1755  beschrieben  und  wegen  ihres  lebhaften  Formen- 
wechsels den  kleinen  Proteus  genannt  hat. 


.^.V.:.-- 


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\^. 


y 


Fig.  37. 


Fig.  38. 


rig.  37.    Ein  Leukocyt   des  Frosches,   in    dem   ein  Bakterium   einge- 
schlossen ist  und  verdaut  wird.    Das  Bakterium  durch  Vesuvin  gefärbt. 

Die   beiden  Figuren   repräsentiren    2  Stadien  der  Bewegung    ein   und   derselben   Zelle. 
Nach  Metschnikoff  Fig.  54. 

Fig.  38.     Amöba  proteus.    Nach  Leidy.     Aus  R.  Hertwig  Fig.  16.     n.  Kern. 
cv.    Contractile  Vacuole.     N.  Nahrungsballen,     en.  Körnerplasnia.     ek.  Hautplasma. 

Einen  etwas  abweichenden  Anblick  bietet  uns  die  Protoplasma- 
bewegung bei  den  Myxomyceten  einerseits,  bei  Thalamophoren,  Heliozoen, 
Radiolarien  andererseits  dar. 

Um  von  Myxomyceten,  deren  Plasmodien  sich  bei  einigen  Arten, 
wie  bei  Aethalium  septicum  oft  als  faustgrosse  Kuchen  auf  einer  feuchten 
Unterlage  ausbreiten,  ein  zur  Beobachtung  geeignetes  Präparat  zu 
erhalten,  verfährt  man  am  besten  so,  dass  man  an  den  Rand  eines 
Plasmodiums  einen  schräg  geneigten  und  befeuchteten  Objectträger  stellt, 
über  dessen  nasse  Oberfläche  man  durch  eine  besondere  Vorrichtung 
Wasser  langsam  herabrinnen  lässt.  Die  Plasmodien  des  Aethaliums 
haben  die  Eigenschaft,  sich  dem  Wasserstrome  entgegen  zu  bewegen, 
(Rheotropismus) ;  sie  kriechen  durcli  Ausstrecken  zahlreicher  Pseudopodien 
auf  der  benetzten  Glasfläche  in  die  Höhe  und  breiten  sich,  indem  sich 
benachbarte  Pseudopodien  durch  Queräste  verbinden,  zu  einem  feinen, 
durchsichtigen  Netzwerk  aus  (Fig.  39),  Bei  starker  Vergrösserang  unter- 
sucht zeigt  uns  das  Netzwerk  zweierlei  Arten  von  Bewegungen. 

Erstens    sieht    man   in   den   Fäden   und    Strängen,    die    aus    einer 


^^ 


I.    Die  Bewegungserscheinuiigeu. 


57 


peripheren,  oft  sehr  diinneii  Lage  von  hyalinem  Protoplasma  und  aus 
davon  unischlosseueni  Körnerplasma  bestehen,  letzteres  in  einer  raschen, 
fliessenden  Bewegung-,  welche  namentlich  durch  die  Ortsveränderung  der 
kleinen  Körnchen  auffällig  wird  und  sich  der  Blutcirculation  in  den 
Gefässen  eines  lebenden  Thieres  vergleichen 
lässt.  Zwischen  fliessendem  Körnerplasma  und 
ruhendem  Hautplasma  besteht  übrigens  keine 
scharfe  Grenze,  indem  am  Ilande  eines  Stromes 
die  Körnchen  sich  langsamer  fortbewegen,  zu- 
weilen auch  ganz  stille  stehen,  um  nach  einiger 
Zeit  wieder  mit  fortgerissen  zu  werden.  In 
feineren  Fäden  geht  inuner  nur  ein  Strom  der 
Länge  nach,  während  in  dickeren  Aesten  oft 
zwei  Ströme  in  entgegengesetzten  Richtungen 
aneinander  vorbeifliessen.  „In  platten,  haut- 
artigen Ausbreitungen,"  welche  sich  hie  und 
da  im  Netzwerk  bilden,  „laufen  meistens  zahl- 
reiclie  verzweigte  Ströme  entweder  nach  der 
gleichen  oder  nach  verschiedenen  Richtungen, 
und  nicht  selten  gehen  entgegengesetzte  Strö- 
mungen  dicht   neben   einander   her."     Dabei 


Fig.  39. 
difforme 

BÜRGER. 

/  Theil 
modiums. 


Chondrioderma 

Nach      Steäs- 


eines  älteren  Pias- 
trockene Spore. 


a 


b  Dieselbe  imWasser  quellend. 
c  Spore  mit  austretendem  In- 
halt, d  Zoospore,  e  aus  Um- 
wandlung der  Zoospore  her- 
vorgegangene Amöben,  die 
sich  zum  Plasmodium  zu  ver- 
einen anfangen.  (Bei  d  und  e 
Kern  u.  contractile  Vacuolen 
zu  sehen.) 


kann  die  Geschwindigkeit  der  Strömung  an 
den  einzelnen  Stellen  eine  verschiedene  sein 
und  kann  sich  auch  allmählich  ändern;  sie 
kann  so  gross  sein,  dass  man  bei  starker 
Vergrösserung  den  vorlieieilenden  Körnchen 
kaum  mit  dem  Auge  folgen  kann,  kann  aber 
auch  so  langsam  werden,  dass  ein  Körnchen 
kaum  seinen  Ort  zu  verändern  scheint. 

Die  zweite  Art  der  Bewegung  besteht  in 
einer  Formveränderung  der  einzelnen  Fäden  und  des  ganzen  Netzwerks. 
Wie  bei  einer  Amöbe  werden  hie  und  da  neue  Fortsätze  bald  ausgestreckt, 
bald  wieder  eingezogen ;  wie  dort  wölbt  sich  erst  eine  homogene  Plasma- 
masse als  Höcker  hervor,  dann  folgt  das  Körnerplasma  nach,  und  sieht  es 
hier  zuweilen,  wenn  die  Strömung  eine  recht  lebhafte  ist,  aus,  als  werde 
die  Körnermasse  mit  Gewalt  in  das  sich  neubildende  Zweigende  hinein- 
gepresst.  Auf  diese  Weise  kann  sich  das  Plasmodium,  einer  Amöbe  gleich, 
auf  einer  Unterlage  nach  einer  bestimmten  Richtung  kriechend  fortbewegen. 
An  einem  Rande,  welchem  die  Körnerströme  vorwiegend  zufliessen,  werden 
neue  Fortsätze  hervorgetrieben,  während  andere  am  entgegengesetzten 
Rande  eingezogen  werden. 

Unter  den  Rh  i z  o p  o d  e  n  bietet  die  schon  auf  Seite  26  beschriebene 
Gromia  oviformis  (Fig.  40)  ein  klassisches  Object  zum  Studium  der 
Protoplasmabewegung.  Von  dem  aus  der  Kapsel  herausgetretenen  Proto- 
plasma entspringen,  wenn  der  kleine  Organismus  nicht  gestört  worden 
ist,  sehr  zahlreiche,  lange  und  feine  Fäden,  die  sich  in  radiärer 
Richtung  wie  Strahlen  nach  allen  Seiten  im  Wasser  ausbreiten,  hie  und 
da  Seitenäste  abgeben  und  zuweilen  auch  durch  solche  netzförmig  unter 
einander  verbunden  werden.  Auch  die  feinsten  Protoplasmafädchen  zeigen 
Bew^egung.  Bei  starker  Vergrösserung  sieht  man,  wie  Max  Schultze 
(I.  29)  treffend  beschreibt,  „ein  Gleiten,  ein  Fliessen  der  in  die  Faden- 
substanz eingebetteten  Körnchen".  „Mit  grösserer  oder  geringerer 
Schnelligkeit    ziehen    sie    in   dem  Faden   entweder  dem   peripherischen 


58 


Drittes  Capitel. 


Ende  (lesselben  zu  odt-r  in  der  umgekehrten  Richtung,  oft  sogar  selbst 
an  den  dünnsten  Fäden  in  beiden  Richtungen  zugleich.  Körnchen,  die 
sich  begegnen,  ziehen  ent\Yeder  einfach  aneinander  vorbei  oder  bewegen 

sich    umeinander,     bis     nach 
einer    kleinen    Pause    beide 


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Richtung 


ihre  ursprfmgliche 
fortsetzen  oder  eins  das  an- 
dere mit  sich  nimmt.  Nicht 
alle  Körnchen  eines  Fadens 
bewegen  sich  mit  gleicher 
Schnelligkeit,  so  dass  oft  eins 
das  andere  überholt  oder  an 
dem  langsameren  in  seiner 
Bewegung  stockt.  „Viele  lau- 
fen offenbar  an  der  äussersten 
Oberfläche  der  Fäden,  über 
welche  man  sie  deutlich  her- 
vorragen sieht.  Oft  bemerkt 
man  auch  grössere  Substanz- 
klümpchen  wie  spindelförmige 
Anschwellungen  oder  seitliche 
Auftreibungen  eines  Fadens 
in  ähnlicher  Bewegung  wie 
die  Körnchen.  Selbst  fremde 
Körper,  welche  der  Fadensub- 
stanz anhaften  und  in  sie  auf- 
genommen werden,  schliessen 
sich  dieser  Bewegung  an,  deren 
Geschwindigkeit  bis  0,02  mm 
in  der  Secunde  erreichen  kann. 
Wo  mehrere  Fäden  zusam- 
menstossen ,  sieht  man  die 
Körnchen  von  einem  auf  den 
andern  übergehen.  An  solchen 
Stellen  befinden  sich  oft  brei- 
tere Platten,  welche  aus  einer 
stärkeren  Anhäufung  der  Fa- 
densubstanz hervorgegangen 
sind. 

Eine  besondere  Art  der 
Protoplasmabewegung  wird 
von  Engelmann  (III.  5  u.  7) 


i 


I 
I 

Fig.  40 

SCHULTZE. 


Gromia    oviformis.      Nach   M. 


noch  als  Glitschbewegung 
beschrieben.  Sie  findet  sich 
besonders  bei  Diatomeen  und 
Oscillarien.  Bei  ersteren  ist 
der  Protoplasmakörper  in  eine 
Kieselschale,  bei  letzteren  in 
eine  Cellulosemembran  ein- 
gehüllt. Nach  aussen  von  diesen  Hüllen  findet  sich  aber  noch  eine 
äusserst  dünne  Schicht  von  ganz  körnchenfreiem  Protoplasma,  welches 
beim  lebenden  Organismus  nicht  wahrzunehmen  ist,  zuweilen  aber 
nach  Anwendung  von  Reagentien  nachgewiesen  werden  kann.     Dadurch, 


I.    Die  Bewegungsei'scheinungen.  59 

dass  sich  nun  dieselbe  auf  der  Kieselschale  oder  der  Cellulose- 
membran  nach  einer  bestimmten  Richtung  verschiebt,  können  sich  die 
kleinen  Organismen  „auf  einer  festen  Unterlage  gleitend  oder  kriechend 
fortbewegen. "  (Engelmann.) 

b)  Bewegung  von  Protoplasmakörpern  im  Innern  von  Zellmembranen. 

Diese  Art  der  Bewegung  findet  sich  hauptsächlich  im  Pflanzenreich 
und  ist  hier  im  Allgemeinen  in  den  Elementartheilen  krautartiger  Ge- 
wächse besser  7AI  beobachten  als  bei  Sträuchern  und  Bäumen.  Nach 
de  Vries  (III.  25)  soll  sie  in  keiner  Pllanzenzelle  ganz  fehlen,  aber 
häufig  so  langsam  sein,  dass  sie  sich  der  directen  Wahrnehmung  entzieht. 
Am  besten  beobachtet  man  sie  in  stoffaufspeichernden  und  leitenden 
Geweben  und  zu  jenen  Zeiten,  wo  ein  intensiver  Transport  plastischer 
Stoffe,  sei  es  zur  Fortbildung  oder  zu  localer  Anhäufung  oder  zu  eigenem 
Gebrauch  stattfindet  (de  Vries).  Die  Protoplasmabewegung  soll  daher 
auch  direct  für  den  Stofftransport  in  der  Pflanze  von  grosser  Bedeutung 
sein.  Seltener  ist  sie  bei  niederen  Organismen  und  im  Thierreich  zu 
bemerken,  so  bei  Noctiluken,  an  den  blasigen  Zellen  in  der  Axe  der 
Tentakeln  von  Coelenteraten  etc. 

Man  unterscheidet  bei  den  Pflanzen  zwei  verschiedene  Arten  der 
Bewegung  als  Rotation  und  als  Circulation. 

Die  schönsten  Objecte  zum  Studium  der  Rotation,  die  schon  im 
Jahre  1774  durch  Bonaventura  Corti  (I.  8)  beobachtet,  dann  aber  ver- 
gessen und  von  Treviranus  wieder  aufs  Neue  entdeckt  wurden,  liefern  uns 
die  Characeen,  ferner  die  Wurzelhaare  von  Hydrocharis  morsus  ranae 
und  Trianea  bogotensis,  die  Blätter  von  Vallisneria  spiralis  etc.  In  den 
grossen  Zellen  der  Characeen  breitet  sich  das  Protoplasma,  wie  schon 
auf  Seite  29  beschrieben  wurde,  nur  als  eine  zusammenhängende  dicke 
Lage  an  der  Innenfläche  der  Cellulosemembran  aus  und  umgiebt  als  ein 
geschlossener  Sack  den  reichlichen  Zellsaft.  Am  wandständigen  Proto- 
plasma sind  stets  zwei  gesonderte  Schichten  zu  erkennen,  eine  äussere, 
an  die  Cellulose  grenzende  und  eine  innere,  dem  Zellsaft  zugekehrte. 
Die  erstere  befindet  sich  stets  in  Ruhe;  sehr  dünn  ist  sie  bei  Hydro- 
charis, relativ  dick  bei  Characeen,  bei  denen  sie  auch  in  grosser  Zahl 
die  Chlorophyllkörner  einschliesst,  an  denen  man  keine  Ortsveränderung 
wahrnimmt.  Die  ruhende  geht  allmählich  in  die  innere  bewegliche 
Schicht  über,  die  bei  Ohara  zwar  keine  Chlorophyllkörner,  aber  Zell- 
kerne und  Körnchen  einschliesst.  Das  im  Verhältniss  zur  Aussenschicht 
wahrscheinlich  wasserreichere  Protoplasma  der  Innenschicht  zeigt  eine 
rotirende  Strömung  in  der  Weise,  dass  in  den  langgestreckten  Zellen 
der  Strom  an  der  einen  Längswand  in  die  Höhe  steigt,  dann  an  der 
oberen  Querwand  nach  der  anderen  Längswand  umbiegt,  an  dieser  nach 
abwärts  fliesst  und  endlich  an  der  unteren  Querwand  wieder  zum  Aus- 
gangspunkt zurückgelangt,  von  wo  der  Kreislauf  wieder  von  Neuem 
ijeginnt.  Zwischen  auf-  und  absteigendem  Strom  befindet 
sich  ein  mehr  oder  minder  breiter  Indifferenzstreifen, 
in  dessen  Bereich  sich  das  Protoplasma  in  Ruhe  befindet 
und  gewöhnlich  auf  eine  sehr  dünne  Schicht  reducirt  ist.  Bei  Nitella  fehlen 
längs  des  Indifferenzstreifens  die  Chlorophyllkörner  in  der  Aussenschicht. 

Ein  Uebergang  von  der  rotirenden  Bewegung  des  Protoplasma  zur 
Circulation  wird  durch  die  „sogenannte  spri  ngbrun neuartige 
Rotation  vermittelt"  (Klebs.   III.    14).    Diese  im  Allgemeinen  seltene 


60 


Drittes  Capitel. 


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Form  kommt  in  juniien  Endospermzellen  von  Ceratophyllum,  in  jungen 
Holzgefässen  des  Blattstiels  von  Ricinus  etc.  vor.  Hier  bedeckt  das 
Protoplasma  einmal  als  dicke  Schicht  die  Innenfläche  der  Cellulosewand, 
durchsetzt  aber  ausserdem  noch  als  ein  dicker,  centraler  Strang  den 
Saftraum  dei-  Zelle  ihrer  Länge  nach.  Ein  einziger  Strom  fliesst  nun 
im  centralen  Strang  entlang,  breitet  sich  dann  an  der  Querwand,  auf 
die  er  stösst,  nach  allen  Seiten  wie  bei  einer  Fontäne  aus  und  bewegt  sicli 
von  hier  im  Wandbeleg  zur  entgegengesetzten  Querwand,  an  welcher  die 
Strömung  wieder  in  den  Axenstrom  einbiegt. 

Die  als  Circulation  bezeichnete  Bewegung  beobachtet  man  bei 
solchen  pflanzlichen  und  thierischen  Zellen,  bei  denen  das  Protoplasma 
sich  sowohl  als  dünne  Schicht  unter  der  Membran,  als  auch  in  feineren 
und  stärkeren,  netzartig  verbundenen  Fäden  im  Saftraum  ausbreitet. 

Die  am  meisten  studirten  Unter- 
suchungsobjecte  sind  die  Staubfaden- 
haare von  den  verschiedenen  Tra- 
descantiaarten,  die  jungen  Haare  von 
Brennnesseln  und  Kürbissprossen. 

Das  Phänomen  der  Circulation 
ist  ein  ähnliches,  wie  wir  es  an  dem 
Protoplasmanetz  der  Myxomyceten 
und  den  feinen  Pseudopodien  der 
Rhizopoden  kennen  gelernt  haben.  Es 
setzt  sich  wie  dort  aus  zwei  Arten 
von  Bewegungen  zusammen.  Ein- 
mal unterscheidet  m.an  die  Körnehen- 
strömung.  In  den  feinsten  Fäden  be- 
wegen sich  die  Körnchen  nach  einer 
Richtung  bald  langsamer,  bald  rascher 
vorwärts;  im  Wandbeleg  und  in 
den  breiteren  Bändern  circuliren  oft 
mehrere  getrennte  Ströme  dicht  ne- 
ben einander,  bald  in  der  gleichen, 
bald  auch  in  entgegengesetzter  Rich- 
tung. Chlorophyll-  und  Stärkekörner, 
die  in  dem  Protoplasma  liegen,  wer- 
den durch  die  Strönuing  ebenso 
wie  der  Zellenkern  langsam  mit- 
geführt. Auch  hier  befindet  sich 
eine  äusserste,  der  Cellulosemem- 
bran  anliegende  Schicht  von  hya- 
linem Protoplasma  in  relativer  Ruhe. 
Zweitens  bewegt  sich  auch  langsam 
der  Protoplasmakörper  im  Ganzen 
und  verändert  in  Folge  dessen  seine 
Form.  Breite  Bänder  werden  ver- 
dünnt, und  können  nach  einiger  Zeit 
ganz  eingezogen  werden,  feine  Fäden 
nehmen  an  Masse  zu,  neue  Fortsätze  bilden  sich,  wie  neue  Pseudo- 
podien von  Myxomyceten  oder  Rhizopoden  nach  aussen  hervorgestreckt 
werden.  Bald  haben  sich  hier,  bald  dort  im  Wandbeleg  grössere  Proto- 
plasmamassen angehäuft,  während  an  andern  Stellen  Verdünnung  ein- 
getreten ist. 


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B  \ 


Fig. 41.  Au.B  Zelle  eines  Staub- 
fadenhaares von  Tradescantia  yir- 
ginica.  A  Ungestörte  Protoplasmaströ- 
mung. £  Protoplasma  nach  Keizimg 
kugelig  zusammengeballt,  a  Zelhvand, 
b  Querwand  zweier  Zellen,  c,  d  Proto- 
plasma zu  Klumpen  zusammengeballt. 
(Nach  Kühne.)    Aus  Vkrworn  Fig.  13. 


I.    Die  Bewegungserscheinun^eu.  61 

o)  Erklärungsversuche  der  Protoplasmabewegung. 

Von  verschiedeneii  Forschem  [Quincke  (III.  17),  Bütschli  (II.  7  b), 
Berthold  (III.  2)  u.  A.]  ist  in  letzter  Zeit  der  Versuch  eemaclit  worden, 
die  Protoplasmabewegung  mit  Bewegungserscheinungen,  welche  Gemische 
unorganisirter  Substanzen  darbieten,  zu  vergleichen  und  aus  ihnen  zu 
erklären. 

Quincke  hat  die  Bewegungserscheinungen,  die  an  den  Berührungs- 
flächen verschiedener  Flüssigkeiten  entstehen,  genauer  untersucht.  Er 
brachte  einen  Tropfen  eines  Oelgemisches,  dessen  specifisches  Gewicht 
ein  wenig  grösser  als  das  des  Wassers  war  und  welches  aus  Mandelöl 
und  Chloroform  hergestellt  wurde,  in  ein  Glas  mit  Wasser  und  liess 
daiauf  durch  ein  feines  Capillarröhrchen  einen  Tropfen  zweiprocentiger 
Sodalösung  an  die  Oelkugel  herantreten.  Dieselbe  erfuhr  hierauf 
Gestaltveränderungen  ähnlich  denen,  welche  gewisse  Amöben  bei  mikro- 
skopischer Beobachtung  zeigen.  Dieselben  erklären  sich  dadurch,  dass 
die  Sodalösung  sich  allmählich  über  die  Oeloberfläche  ausbreitet  und 
dabei  eine  Seife  bildet. 

In  analoger  Weise  beurtheilt  Quincke  das  Wesen  der  Protoplasma- 
bewegung. Bei  der  Plasmolyse  von  Pflanzenzellen  zerfällt  ihr  Proto- 
plasmakörper zuweilen  in  zwei  oder  mehr  Kugeln,  die  sich  beim  Aus- 
dehnen entweder  wieder  vereinigen  oder  durch  eine  ebene  Fläche 
getrennt  bleiben,  wie  zwei  gleich  grosse  Seifenblasen,  die  man  mitein- 
ander in  Berührung  bringt.  Aus  diesen  Erscheinungen  wird  mit  Rück- 
sicht auf  die  physikalischen  Eigenschaften  fester  und  flüssiger,  dünner 
Lamellen  geschlossen,  dass  der  Protoplasmakörper  von  einer  sehr  dünnen, 
flüssigen  Membran  umgeben  sein  müsse,  ähnlich  wie  bei  einer 
Seifenblase  die  Luft  von  einer  dünnen  Haut  aus  Seifenwasser  einge- 
schlossen ist.  „Die  Substanz  der  den  Plasmakörper  umgebenden  Mem- 
bran," so  folgert  Quincke  weiter,  „muss  eine  Plüssigkeit  sein,  welche 
im  Wasser  Tropfen  bildet.  Da  von  allen  bekannten  Stoffen  der  orga- 
nischen Natur  nur  Oele  diese  Eigenthümlichkeit  zeigen,  so  muss  sie  aus 
fettem  Oel  oder  flüssigem  Fette  bestehen.  Die  Dicke  dieser  Oelschicht 
kann  sehr  gering  sein,  kleiner  als  0,0001,  so  dass  man  sie  mikroskopisch 
nicht  mehr  wahrnehmen  kann."  Durch  die  Einwirkung  des  Eiweisses 
auf  das  Oel  entsteht  an  ihren  Berührungsflächen  eine  Substanz,  die  sich 
in  Wasser  löst  und  ausbreitet,  ähnlich  wie  die  aus  Soda  und  Oel 
gebildete  Seife.     Sie  wird  daher  als  Eiweissseife  bezeichnet. 

Die  Ursache  für  die  Protoplasmabewegung  erblickt  nun  Quincke  in 
der  periodischen  Ausbreitung  von  Eiweissseife  an  der  inneren  Oberfläche 
der  Oelhaut,  welche  den  Plasmakörper  einhüllt.  Die  Seife  wird  an  der 
Berührungsfläche  in  demselben  Maasse  immer  wieder  neugebildet,  als  sie 
gelöst  wird  und  in  die  umgebende  Flüssigkeit  diffundirt.  Daraus,  dass 
für  den  chemischen  Vorgang  die  Gegenwart  von  Sauerstoff  nothwendig 
ist,  erklärt  es  sich,  dass  bei  Fehlen  desselben  die  Protoplasmabewegung 
stockt,  desgleichen  erklärt  sich  aus  den  chemisch-physikalischen  Bedin- 
gungen ihr  Stillstand  bei  zu  hohen  und  zu  niedrigen  Temperaturen. 

Angeregt  durch  Quincke's  Untersuchungen  und  ausgehend  von  der 
Annahme  einer  schaumigen  Structur  des  Protoplasma,  nahm  Bütschli 
einige  interessante  Experimente  vor,  welche  ihm  Licht  auf  die  Ursachen 
der  Protoplasmabewegung  zu  werfen  schienen.  Er  stellte  sich  in  ver- 
schiedener Weise  Oelschäume  her.  Die  feinsten  und  lehrreichsten 
Schäume  erhielt  er,  wenn   er  einige  Tropfen  Olivenöls,   das  im  Wärme- 


Q2  Drittes  Capitel. 

schrank  eingedickt  worden  war,  mit  sehr  fein  pulverisirteni  K-CO^  zu 
einem  zähen  Brei  vermischte  und  ein  kleines  Tröpfchen  desselben  in 
Wasser  brachte.  Der  entstehende  Schaum,  dessen  sehr  kleine  Yacuolen 
mit  einer  sich  bildenden  Seifenlösung  gefüllt  sind,  sieht  milchweiss  aus; 
durch  Zusatz  von  dünnem  Glycerin  lässt  er  sich  aufhellen.  Dabei  treten 
lebhafte  Strömungen  auf,  die  volle  6  Tage  an  einem  gelungeneu  Prä- 
parate im  Gang  bleiben  und  den  Protoplasmabewegungen  einer  Amöbe 
ausserordentlich  gleichen.  „Nach  einer  Stelle  des  Randes  zog  der  Strom 
durch  die  Axe  des  Tropfens  hin,  floss  dann  vom  Rande  nach  beiden 
Seiten  und  hinten  ab ,  um  allmählich  wieder  in  den  centralen  Strom 
einzutreten."  „Bald  hier,  bald  dort  wird  ein  flacher  Fortsatz  hervor- 
geschoben, wieder  zurückgezogen  und  so  fort,  ja  manchmal  gerathen 
einzelne  Tropfen  auf  einige  Zeit  in  ziemlich  lebhafte  Ortsbewegung." 
Bütschli  erklärt  nach  den  Versuchen  von  Quincke  die  Bewegungsphänomene 
in  der  Weise,  dass  „an  irgend  einer  Stelle  der  Oberfläche  einige  feine 
Schaumwaben  platzen ,  und  dass  an  dieser  Stelle  Seifenlösung  an  die 
Obei^fläche  des  Tropfens  tritt,  welche  von  einer  ganz  dünnen  Oellamelle 
gebildet  wird.  Die  Folge  hiervon  muss  eine  Herabsetzung  der  Ober- 
flächenspannung an  dieser  Stelle  und  daher  ein  schwaches  Vorwölben 
derselben  und  Abströmen  von  ihr  sein.  Beides  veranlasst,  dass  Schaum- 
masse von  innen  zu  dieser  Stelle  strömt.  Bei  diesem  Zustrom  zur 
Ausbreitungsstelle  dürften  wieder  einige  Maschen  platzen  und  so  fort, 
so  dass  die  einmal  angeregte  Strömung  an  dieser  Stelle  fortdauert, 
wenn  nicht  erhebliche  Störungen  auftreten."  Bütschli  ist  von  der  prin- 
cipiellen  Uebei-einstimmung  der  Strömungen  in  den  Oelschaumseife- 
tropfen  mit  der  amöboiden  Protoplasmabewegung  überzeugt. 

Die  von  Quincke  und  Bütschli  angestellten  Experimente  sind  von 
hohem  Interesse ,  insofern  sie  zeigen ,  dass  sich  mit  relativ  einfachen 
Mitteln  schon  complicirte  Bewegungsphänomene  hervorrufen  lassen.  Gegen 
ihre  Schlussfolgerung  aber,  dass  bei  der  Protoplasmabewegung  ähnliche 
Vorgänge  stattfinden,  lassen  sich  wohl  verschiedenartige  Bedenken  erheben. 
Schon  die  Annahme,  dass  der  Protoplasmakörper  von  einer  feinen  Oel- 
lamelle überzogen  sei,  ist  eine  sehr  fragw^ürdige.  Aus  der  Thatsache 
allein,  dass  das  Protoplasma  sich  aus  sehr  vielen  chemischen  Stoffen 
zusammensetzt,  die  fortwährend  im  Stoff"wechselprocess,  auf  dem  das 
Leben  beruht,  chemisch-physicalische  Veränderungen  erfahren,  dürfen 
wir  schliessen,  dass  die  Bedingungen  für  die  Bewegungen  viel  compli- 
cirterer  Art  sein  werden,  als  in  einem  sich  bewegenden  Tropfen  von  Oel- 
schaumseife,  und  zwar  in  demselben  Maasse,  als  chemische  Zusammen- 
setzung und  Organisation  der  beiden  in  Vergleich  gezogenen  Objecte  eine 
himmelweit  verschiedene  ist.  (Vergleiche  auch  hierüber  das  auf  Seite  20 
Gesagte,  und  Verworn :  Die  Bewegung  der  lebendigen  Substanz  (III.  24). 
Ferner  bilden  Protoplasmaströmung,  radiäre  Anordnung  um  Attractions- 
centren,  Flimmer-  und  Geisseibewegung,  Muskelcontraction  eine  Gruppe 
zusammengehöriger  Vorgänge,  die  eine  einheitliche  Erklärung  verlangen. 
Eine  solche  können  nun  weder  die  von  Quinke  noch  die  von  Bütschli 
angestellten  Experimente  geben.  Die  von  ihnen  an  Stoffgemischen  her- 
vorgerufeneu Bewegungen  verhalten  sich  zu  den  Bewegungen  der  leben- 
digen Körper,  wie  die  Structur  der  von  Traube  erzeugten  künstlichen 
Zellen  zu  der  Structur  der  lebendigen  Zellen. 

Um  zu  zeigen,  wie  schon  durch  einfache  Ausbreitung  eines  Oel- 
tropfens  auf  wässerigen  Lösungen  sehr  verschiedenartige  Bilder  ent- 
stehen,  welche  den  einzelnen  Arten   von  Pseudopodienausbreitung   sehr 


I.    Die  Bewegungserscheinungen. 


63 


ähnlich  sehen,  diene  Figur  42,  welche  einer  Schrift  von  Verworn  (III.  24) 
entnommen  ist.  a—d  „ist  ein  Tröpfchen  Provenceröl,  das  sich  auf  einer 
schwachen  Sodalösung-  von  verschiedener  Concentration  ausbreitet  und 
bei  a  die  Form  von  Amöba  guttula,  bei  h  und  c  die  Form  von  Amöba 
proteus,  bei  d  die  Form  eines  Myxomycetenplasmodiums  zeigt.  Fig.  42  e 
und  /'  ist  Mandelöl,  das  heliozoen-  und  radiolarienähnliche  Pseudopodien- 
bildung  besitzt,  und  Fig.  42//  ist  ein  aus  Lehmanns  Molecularphysik 
übernommenes  Bild  eines  Kreosottropfens  auf  Wasser,  der  ein  typisches 
Actinosphärium  nachahmt.     (Verworn  III.  24.  Seite  47.)" 


Fig.  42.     Ausbreitungsformen  von  Oeltropfen.     Nach  Verworn   Fig.  11. 

Andere  Versuche,  die  Protoplasmabewegungen  zu  erklären  [Engel- 
mann (III.  .6),  Hofmeister  (II.  20)  Sachs],  führen  uns  auf  das  Gebiet  der 
Theoi-ieen  über  die  Molecularstructur  der  organisirten  Körper,  indem  als 
Ursache  der  Bewegungen  die  active  Formveränderung  kleinster  Theilchen 
angenommen  wird.  Wieder  nach  einer  anderen  Richtung  bewegt  sich  der 
jüngste  Erklärungsversuch  von  Verworn  (III.  24).  Eine  Erörterung  der- 
selben würde  uns  zu  weit  führen. 

Alles  in  Allem  lässt  sich  wohl  von  allen  bisher  aufgestellten  Hypo- 
thesen sagen,  dass  keine  uns  eine  befriedigende  Vorstellung  von  den 
Ursachen    und    mechanischen   Verhältnissen    der 


Plasmabewegungen 


zu 


54  Drittes  Capitel. 

gebeu  vermag,  und  dass  wir  uns  daher  noch  auf  eine  einfache 
Beschreibung  der  beobachteten  Verhältnisse  beschränken  müssen.  Auch 
ist  dies  kaum  zu  verwundern,  wenn  wir  erwägen,  wie  schon  über  die 
feinere  Structur  des  Pr()toi)lasma  (Siehe  Seite  17 — 23)  so  sehr 
abweichende  Ansichten  bestehen,  was  natürlicli  auch  auf  die  Erklärung 
der  Protoplasmabewegung  von  Einiiuss  sein  muss. 

II.    Die  Greissei-  und  Flimmerbewegung. 

Bedeutendere  Ortsveränderungen  als  durch  Ausstrecken  von  Pseudo- 
podien erzielen  einzellige  Organismen  durch  die  Geissei-  und  Fliunuer- 
bewegung. 

Geissein  und  Flimmern  sind  feine,  haarartige  Fortsätze,  die  sich  in 
geringerer  oder  grösserer  Anzahl  von  der  Oberfläche  der  Zelle  erheben. 
Sie  bestehen  aus  einer  homogenen,  körnchenfreien  Substanz  und  gleichen 
in  dieser  Beziehung  kurzen,  dünnen  Pseudopodien,  wenn  diese  nur  aus 
Hyaloplasma  gebildet  sind;  sie  unterscheiden  sich  aber  von  ihnen  einmal 
durch  die  verschiedene  und  energischere  Art  ihrer  Bewegung  und  zweitens 
dadurch,  dass  sie  nicht  vergängliche  Gebilde  sind,  da  sie  dauernd  in 
Funktion  bleiben,  ohne  aus-  und  eingezogen  zu  werden.  An  der  Wurzel 
hängen  indessen  Flimmer-  und  Pseudopodienbewegung  zusammen,  wie  die 
Beobachtungen  von  de  Bary  (I.  2)  an  Schwärmern  von  Myxomyceten,  von 
Haeckel,  Engelmann,  R.  Hertwig  (III.  12b)  etc.  an  Rhizopoden  gelehrt  haben. 
Viele  niedere  Organismen  pflanzen  sich  nämlich  durch  kleine  Keime 
fort,  die  wie  Amöben  aussehen  und  sich  auch  nach  Art  derselben  fort- 
bewegen. (Fig.  43.)  Solche  Keime  strecken  nun  nach  einiger  Zeit  gewöhnlich 
zwei  fadenartige  Pseudopodien  hervor  (Fig.  43  a),  die  langsam  pendelnde 
Bewegungen  ausführen  und  zu  Geissein  werden,  während  der  übrige  Körper 
sich  durch  Einziehen  aller  übrigen  Fortsätze  abrundet.  Indem  die  Bewegun- 
gen stärker  werden,  eilt  der  Keim  mit  Hülfe  der  beiden  Geissein  im  Wasser 
fort  (Fig.  43 b.)    Aus  der  kleinen  Amöbe  ist  ein  „Schwärmer"  geworden. 

Auf  solche  Befunde  gestützt,  können 
wir  wohl  sagen,  dass  sich  die  G e i s s e  1  n 
aus  feinen  Protoplasmafortsätzen 
entwickelt  haben,  die  in  beson- 
derem Maasse  contractil  gewor- 
den sind  und  dementsprechend 
eine  vom  übrigen  Protoplasma 
Fig.  43.   Microgromia  so-     gtwas     abweichende    Beschaffen- 

Cialis.    Liine  durcli  Theiluno:  eut-       ,      •  ,  ,      ,  o-       i  ■• 

standene,  aus  der  Kolonie  ausge-  ^  e  1 1  gewonnen  haben.  Sie  kouuen 
wanderte  amöboide  Zelle  (a)  wan-     daher  auch  als  besondere,  aus  contractiler 

delt  sich  durch  Einziehen  der  Pseu-       Substauz    bestehende    P 1  a  S  m  a  p  r  0  d  U  C 1 6 

dopodien  mit  Ausnahme  zweier,     ^^^^^  Zellorgaue  betrachtet  werden. 

welche  zu  Greissein  werden,  in  den  /-<    •       i        '    i  t^i-  i, 

Schwärmer  {b)  um.  Aus  Hektwig  Geisseln  uud  Flimuiem  nehmen  immer 

Tat'.  I.  Fig.  Gd  u.  e.  diiTct  voui  Zellkörper  selbst  ihren  Ursprung. 

Ist  dieser  von  einer  Membran  umgeben, 
so  treten  sie  durch  Poren  derselben  hindurch.  An  ihrer  Basis  sind  sie 
immer  etwas  dicker ,  beginnen  oft  an  der  Oberfläche  des  Protoplasma 
mit  einem  kleinen,  knopfartigen  Ansatzstücke,  nach  dem  freien  Ende 
zu  verjüngen  sie  sich  allmählich  zu  einer  feinen  Spitze. 

Die  Flimmerorgane  finden  sich  entweder  nur  in  geringer  Anzahl 
(1  —  4)  an  einem  Ende  der  Zelle,  sie  sind  dann  meist  länger  und 
kräftigerund  werden  mit  einem  besonderen  Namen  als  Geissein  oder 


I.    Die  Bewegungserscheinungen. 


65 


F  lageilen  bezeichnet,  oder  sie  bedecken  in  sehr  grosser  Anzahl, 
oft  zu  Tausenden,  die  ganze  Oberfläche  der  Zelle,  sind  dann  kleiner 
und  zarter  und  heissen  Flimmern  (Wimpern,  Cilien). 

a)  Zellen  mit  Geissein. 

Die  Geissein  sind  entweder  am  vorderen  oder  am  hinteren  Ende 
des  Körpers  angebracht,  was  eine  verschiedene  Art  der  Fortbewegung 
zur  Folge  hat.  Im  ersteren  Fall  gehen  die  Geissein  bei  der  Bewegung 
voran,  während  der  Körper  nachgeschleppt  wird.  Im  zweiten  Fall  stösst 
die  Geissei  durch  ihre  Bewegungen  den  Körper  vor  sich  her.  Das  eine 
findet  sich  hauptsächlich  bei  den  Flagellaten  und  verwandten  Organismen, 
Fig.  44  Ä.  B.  C)  manchen  Bakterienformen  (Fig.  33.  B),  den  pflanz- 
lichen Samenfäden  (der  Moose ,  Farne ,  Equisetaceen) ,  sowie  bei  den 
Schwärmsporen,  unter  welchem  Namen  die  Fortpflanzungskörper  vieler 
Algen  und  mancher  Pilze  zusammengefasst  werden;  das  zweite  zeigt 
sich  bei  den  Samenfäden  der  meisten  Thiere.     (Fig.  45.) 


Fig.  45. 


Fig.  44. 

Fig.  44.  A  Euglena  viridis.  Nacli  Stein,  n  Kern,  c  Contractile  Vacuole. 
0  Pigmentfleck. 

B  Hexamitus  inflatus.     Nach  Stein. 

C  Chilomonas  Paramaecium.  Nach  Bütschli.  oe  Cytostom.  v  Contractile  Vacuole. 
n  Kern.     Aus  R.  Hertwig  Fig.  130 — 132. 

Fig.  45.  Reife  Samenfäden  des  Menschen  in  zwei  verschiedenen  An- 
sichten.    Dieselben  bestehen  aus  Kopf  (k\  Mittelstück  {m)  und  Schwanz  («). 

Die  Arbeitsleistung,  welche  die  Flimmerorgane  einzelliger  Organismen 
bei  der  Fortbewegung  derselben  zu  erfüllen  halien,  ist  eine  doppelte. 
Erstens  muss  durch  ihre  Thätigkeit  der  Zellkörper  im  Wasser  schwebend 
erhalten  werden,  da  sein  specifisches  Gewicht  etwas  grösser  als  das  des 
umgebenden  Mediums  ist.  Es  geht  dies  ja  schon  einfach  aus  dem 
Umstände  hervor,  dass  sich  todte  Schwärmsporen  und  Samenfäden  bald 
am  Boden  des  Gefässes  niedersetzen.  Zweitens  muss  durch  die  Flimmer- 
arbeit der  Körper  in  bestimmter  Richtung  fortgetrieben  werden. 

r 
Hertwig,   Die  Zolle  und  die  Gewebe-  ^ 


C^Q  Drittes  Capitel. 

Mit  der  Mechanik  der  Bewegung  i)flan/licher  Schwärmzellen 
hat  sich  Nägeli  (III.  16)  am  eingehendsten  beschäftigt.  Nach  diesem 
Forscher  wird  durch  die  Schwingungen  der  Geissein  dem  Körper  eine 
zweifache  Bewegung  mitgetheilt,  ein  Vorrücken  und  eine  gleichzeitige 
Drehung  um  seine  eigene  Axe.  Die  Bewegung  ist  daher  eine  ähnliche, 
wie  von  einer  Kugel,  die  aus  einem  gezogenen  Flintenlauf  abgeschossen 
wird.     Dabei  lässt  diesel1)e  drei  verschiedene  Typen  unterscheiden: 

„An  vielen  Schwärnizellen ,  sie  mögen  in  einer  geraden  oder  etw^as 
gebogenen  Linie  vorwärts  gehen,  bleiben  das  vordere  und  das  hintere 
Ende  ihrer  Axe  genau  in  dieser  Bahn;  sie  schwimmen  steif  und  ohne 
Scliw^anken  vorw^ärts.  An  anderen  sieht  man  deutlich ,  dass  sie  eine 
gerade  oder  etwas  gebogene  Schraul)enlinie  beschreiljen,  wobei  eine 
Drehung  um  die  Axe  immer  einem  Umlauf  der  Schraube  entspricht 
(sodass  also  die  nämliche  Zellseite  stets  nach  aussen  gekehrt  ist),  und 
wobei  ihre  Axe  mit  der  Axe  der  Schraubenl)ahn  i)arallel  läuft. 
Endlich  giebt  es  noch  andere  Schwärmzellen,  deren  vorderes  Ende  in 
einer  Schraubenlinie,  deren  hinteres  aber  in  einer  geraden  Linie  oder 
in  einer  Schraube  von  geringerem  Durchmesser  vorwärts  geht.  Die 
Natur  der  zweiten  und  dritten  Bewegung  erkennt  man  nur  ganz  deutlich, 
wenn  sie  langsam  stattfinden.  Sowie  sie  schneller  werden,  erkennt 
man  nur  ein  Schwanken,  das  besonders  bei  der  letzteren  einen  eigen- 
thümlichen  Charakter  hat." 

Die  Richtung,  in  w-elcher  sich  die  Schwärmzellen  um  ihre  Längs- 
achse drehen,  ist  gewöhnlich  für  jede  Art,  Gattung  oder  Familie  coustant; 
manche  drehen  sich  „südwestlich"  (Ulothrix),  andere  „südöstlich"  (Samen- 
fäden der  Farne),  einige  endlich  sind  drehungsvage,  da  sie  sich  bald 
südöstlich,  bald  südwestlich  drehen  (Goniumi,  Wenn  Schwärmzellen  an 
irgend  einen  Gegenstand  anstossen,  so  hören  sie  eine  Zeit  lang  auf,  sich 
vorwärts  zu  bewegen,  fahren  aber  fort,  sich  um  ihre  Längsaxe  zu  di'ehen. 
Dann  „erfolgt  meist  ein  Zurückw^eichen ,  w^obei  sie  mit  dem  hintern 
Ende  vorangehen  und  sich  in  absteigend  -  entgegengesetzter  Richtung 
drehen.  Diese  Rückwärtsbewegung  dauert  meist  nur  kurze  Zeit  und 
ist  immer  langsamer;  sie  wird  bald  wieder  durch  die  normale  Bewegung 
vertauscht,  die  meist  in  einer  etwas  abgelenkten  Richtung  erfolgt." 

Durch  seine  Beobachtungen  ward  Nägeli  zu  der  Annahme  geführt, 
„dass  die  Schwärmzellen  und  Samenfäden  liei  vollkommen  regelmässiger 
Form,  bei  symmetrischer  Vertheilung  der  Masse  und  bei  Homogeneität 
des  Mediums  in  einer  geraden  Linie  dahinschwimmen  würden ,  —  und 
dass  alle  Abweichungen,  sowohl  rücksichtlich  der  Axendrehung,  als  der 
Fortbewegungsbahn  davon  herrühren,  dass  die  beweglichen  Körper  nicht 
symmetrisch  gebaut  sind,  ihren  Schwerpunkt  niclit  im  Centrum  halben 
und  nicht  ringsum  gleichmässige  Reibungswiderstände  erfahren". 

Mit  Hülfe  der  Geissein  wird  eine  viel  raschere  Fortbewegung  als 
durch  das  Kriechen  mit  Pseudopodien  erzielt.  Nach  Nägeli  gebrauchen 
die  Schwärmzellen,  um  den  Weg  von  1  Fuss  zu  durchlaufen ,  gew^öhnlich 
eine  Stunde,  die  schnellsten  bloss  V4  Stunde.  Während  der  Mensch 
während  einer  Secunde  beim  gew^öhnlichen  Gehen  etwas  mehr  als  die 
Hälfte  seiner  Länge  zurücklegt,  beträgt  der  von  einer  Schwärmspore  in 
derselben  Zeit  durchmessene  Raum  nicht  ganz  das  Dreifache  ihres  Durch- 
messers. Wenn  unter  dem  Mikroskop  uns  die  Bewegung  eine  sehr 
lebhafte  zu  sein  scheint,  so  muss  man  sich  vergegenwärtigen,  dass  die- 
selbe, der  angewandten  Vergrösserung  entsprechend,  schneller  erscheint, 
als  sie   in  Wahrheit  ist,   da  ja  der  durchlaufene  Weg  auch  vergrössert 


I.     Die  Bewegungserscheinungen. 


67 


worden  ist.  Die  Fortbewegung  ist  eine  absolut  geringe.  „Ohne  Ver- 
grösserung  würde  man,  auch  wenn  die  Oiganismen  vollkommen  deutlich 
wären,  ihre  Bewegung  wiegen  der  Langsamkeit  nicht  sehen." 

Thierische  Samenfäden  (Fig.  45) 
unterscheiden  sich  dadurch  von  den  pflanzlichen 
Schwärmzellen,  dass  der  einfache  Geisselfaden 
am  hinteren  Ende  des  Körpers  angebracht  ist 
und  so  denselben  vor  sich  hertreilit.  Der  Faden 
führt  dabei  schlängelnde  Bewegungen  aus  in 
ähnlicher  Weise,  wie  der  Körper  mancher  Fische. 
In  einigen  Fällen  besitzt  er  noch  eine  com- 
plicirtere  Structur,  indem  er  mit  einer  feinen 
c  0  n  t  r  a  c  t  i  1  e  n  oder  u  n  d  u  1  i  e  r  e  n  d  e  n  M  e  m  - 
b  r  a  n  besetzt  ist.  Letztere  ist  dem  Flossensaum 
eines  Fisches  vergleichbar;  sie  findet  sich  be 
sonders  schön  am  Schwanztheile  der  grossen 
Samenfäden  von  Salamandra  und  Triton  ent- 
wickelt (Fig.  46). 

Bei  Untersuchung  derselben  vermittelst  stär- 
kerer Vergrösserungen  sieht  man  über  die  Ober- 
fläche der  undulirenden  Membran  fortwährend 
von  vorn  nach  hinten  fortschreitende  Wellen 
verlaufen.  „Dieselben  entstehen,  „wie  Hensen 
auseinandersetzt,"  dadurch,  dass  successive  jeder 
Querschnitt  des  Schwanzes  in  die  l)eiden  extre- 
men Stellungen  (Fig.  47)  übergeht.  Hat  das 
von  oben  gesehene  Stück  des  Saumes  I  bis  P 
(Fig.  47)  zur  Zeit  0  die  angegebene  Lage,  so 
wird  es  am  Ende  des  ersten  Viertels  der  Periode 
die  Stellung  II  bis  II '  oder,  was  dasselbe  ist,  die 
Stellung  Ü^  bis  IP  einnehmen.  Am  Ende 
des  zweiten  Viertels  ist  IP  bis  IP  in  die  Lage 
III  bis  IIP  oder,  was  dasselbe  ist,  in  IIP  bis 
IIP  übergegangen.  Am  Ende  des  dritten  Vier- 
tels der  Periode  ist  dann  IIP  bis  IIP  in  die 
Lage  IV  bis  IV  ^  übergegangen  und  wird  am 
Ende  der  ganzen  Periode  wieder  die  Stellung 
I  bis  I  ^  einnehmen.  Alle  diese  Bewegungen 
erfolgen  mit  einer  gewissen  Kraft  und  Ge- 
schwindigkeit; es  fragt  sich,  wie  daraus  eine 
Vorwärtsbewegung  entstehen  kann?  Ein  Flächen- 
element des  Saumes  (Fig.  47)  bewegt  sich,  wie  der  Pfeil  angiebt,  von  a 
nach  y  mit  der  Kraft  ■/  =  «/.  Diese  Kraft  kann  zerlegt  werden  in  die 
Componenten  aß  und  ßy.  Die  Kraft  aß  drückt  in  der  Richtung  des 
Saums,  comprimirt  ihn  und  giebt  wahrscheinlich  keinen  äusseren  Eff'ect. 
Die  Kraft  ßy  lässt  sich  weiter  zerlegen  m  yd  und  ye.  ye  treibt  das 
Wasser  gerade  nach  rückwärts,  und  insoweit  dieses  dem  Druck  widersteht, 
treibt  das  Körperchen  nach  vorwärts.  Die  Kraft  /  6  würde  das  Körperchen 
um  die  eigene  Axe  rotiren  machen,  doch  ihr  wirkt  die  gleiche,  aber  entgegen- 
gesetzte Kraftcomponente  entgegen,  welche  an  allen  Orten  sich  entwickelt, 
wo  die  Pfeile  in  entgegengesetzter  Richtung  (also  z.  B.  über  D)  verlaufen. 
Im  Uebrigen  giebt  Fig.  D  dieselbe  Kraft  ye  wie  Fig.  C.  Nur  die  sehraffir- 
ten   Flächen  der  Fig.  A  entwickeln  der  Componente  /  £  entgegengesetzte 

5* 


:äq 


Fig.  46.  Samenfaden 
von  Salamandra  m.a- 
eulata. 

k  Kopf.  m.  Mittelstück. 
ef  Endfaden.  sp.  Spitze. 
u  undulirende  Membi'an. 


68 


Drittes  Capitel. 


Kräfte.    Man  sieht  aber,  dass  die  Grösse  der  betreffenden  Flächen  und 
damit  ihre  Kraftcomponenten  durchaus  zurücktreten"  (Mensen  III.  Hj. 


•«r-«I 


Fig.  47.  Zur  Erklärung  des  Mechanismus  der  Samenbewegung. 
Nach  Hensen  Fig.  22. 

A  Die  vier  Phasen  der  Stellung,  welche  der  Wimpersaum  einnimmt,  wenn  eine 
"Welle  über  ihm  hinläuft.  I  bis  I^  die  erste,  II  bis  11^  bis  11^  die  zweite,  III  bis  III  ^ 
bis  III  ^  die  dritte,  IV  bis  IV  ^  die  vierte  Phase  der  Biegung  des  Saums  in  der  Länge 
einer  Welle.  B  Durchschnitt  des  Schwanzfadens  und  Saums  in  den  zwei  Stellungen 
stärkster  Elongation.  C  und  B  Zerlegung  der  Kräfte  des  Saums.  E  Bewegung  eines 
gewöhnlichen  Samenkörperchens.     a  b  c  verschiedene  Phasen  der  Bewegung. 


Fig.  48.  Stylonychia 
mytilus,  nach  Stein  (aus 
Claus,  Zoologie)  von  der 
Bauchfläche  gesehen. 
Wz  adorale  Wimperzone. 
C  Contractile  Vacuole. 
N  Nucleus.  .yi  Nucleolus. 
A  After. 


b)  Zellen  mit  vielen  Flimmern. 

Durch  reichliche  Bewimperung  zeich- 
nen sich  unter  den  niederen,  einzelligen  Orga- 
nismen besonders  die  Infusorien  aus,  die  des- 
wegen auch  den  Namen  der  Ciliaten  führen 
(Fig.  48).  Im  Vergleich  zu  den  Geissein  sind 
die  Cilien,  Flimmern  oder  Wimpern  von  viel 
geringerer  Grösse,  meist  circa  0,1 — 0,3  (.i  dick 
und  etwa  15  ^ti  lang.  Ihre  Zahl  kann  sich  auf 
mehrere  Tausende  belaufen.  So  wurde  sie  bei 
Paramaecium  aurelia  auf  annähernd  2500  be- 
rechnet. Für  das  parasitische  Balantidium  elon- 
gatum  der  Frösche,  welches  eine  Länge  von  0,3 
erreicht  und  sehr  dicht  bewimpert  ist,  nimmt 
Bütschli  (in.  3)  an,  dass  seine  Cilien  wohl  nach 
Zehntausenden  geschätzt  werden  müssen.  Ge- 
wöhnlich sind  dieselben  in  vielen  Längsreihen 
angeordnet,  die  entweder  nur  auf  einen  Theil 
der  Körperoberfläche  beschränkt  sind  oder  die- 
selbe in  Spiralen  Touren  rings  umziehen. 

Neben  den  Cilien  kommen  bei  vielen  In- 
fusorien noch  besondere  grössere  Bewegungs- 
organe vor,  die  Girren  und  die  unduliren- 
d  e  n  Membranen.  Erstere  unterscheiden  sich 
von  den  Cilien  durch  grössere  Dicke  und  Länge 
und  dadurch,  dass  sie  an  der  Basis  breit  ent- 
springend in  eine  feine  Spitze  auslaufen  (Fig.  48). 
Ferner  zeigen  sie  wie  andere  besonders  contrac- 
tile Gewebe  (Muskelfasern)  eine  fibrilläre  Diffe- 
renzirung,  sodass  sie  sich  in  viele  feine  Fibrillen 


I.    Die  Bewegfungserscheinungeu. 


69 


zerfasern  lassen  (Bütschli).  Girren  treten  besonders  häufig  bei  hypotrichen 
Infusorien  und  in  der  Umgebung  der  Mundöffnung  auf.  Auf  letztere  sind 
auch  die  undulirenden  Membranen  in  ihrer  Ausbreitung  beschränkt.  Sie 
sind  flächenartig  entwickelte  Bewegungsorgane,  welche  häufig  von  der 
Basis  gegen  den  freien  Rand  zu  deutlich  fein  gestreift  sind  und  daher 
wohl  ebenfalls  wie  die  Girren  eine  fibrilläre  Struetur  besitzen. 

Die  Bewegungsweise  der  Infusorien  ist  eine  sehr 
mannichfaltige.     Meist  dreht   sich  ihr  Körper,    wenn  /^c 

er  sich  frei  durch  das  Wasser  bewegt,  um  seine 
Längsaxe.  Die  Richtung  der  Bewegung  kann  wechseln, 
die  Thätigkeit  der  Wimpern  kann  plötzlich  verlangsamt, 
plötzlich  beschleunigt  werden,  sie  kann  auch  kurze 
Zeit  still  stehen  ohne  besondere  äussere  Veranlassung. 
So  kommen  verschiedenartige  Bewegungsformen,  die 
scheinbar  den  Eindruck  des  Willkürlichen  machen, 
zu  Stande.  Hierbei  ist  auch  beachtenswerth,  dass  die 
oft  nach  Tausenden  zählenden  Wimpern  ein  und  des- 
selben Individuums  streng  coordinirte  Bewegungen 
ausführen.  „Sie  schlagen  nicht  nur  stets  in  der- 
selben Frequenz  der  Schwingungen  (Rhythmus)  bei 
gleicher  Amplitude,  sondern  sie  schlagen  auch  sämmt- 
lieh  nach  derselben  Richtung  und  immer  in  derselben 
Reihenfolge."  (Verworn.)  Die  Goordination  der  Be- 
wegung geht  sogar  so  weit,  dass  zwei  Individuen,  die 
aus  Theilung  eines  Mutterthiers  entstehen,  durchaus 
übereinstimmende  und  synchronische  Bewegungen  aus- 
führen, so  lange  sie  noch  durch  eine  Plasmabrücke 
vereinigt  sind.  Es  folgt  hieraus,  dass  zwar  die 
Wimperorgane  das  Vermögen  besitzen,  sich  selbst- 
thätig  zusammenzuziehen,  dass  ihr  Zusammenwirken 
aber  durch  Reiz  Übertragungen  vom  Protoplasmakörper 
gei-egelt  wird. 

Bei  der  Reizübertragung  scheint  besonders  das 
Ektoplasma  von  Bedeutung  zu  sein,  wie  aus  einem 
Versuch  von  Verworn  (IV.  40)  hervorgeht.  Derselbe 
machte  bei  Spirostomum  ambiguum  (Fig.  49)  und 
Stentor  coeruleus  einen  kleinen  Einschnitt  mit  einer 
Lanzette  in  das  die  Wimperreihen  tragende  Ektoplasma. 
„In  diesem  Fall  konnte  deutlich  beobachtet  werden, 
dass  die  Wimperwellen  nicht  über  die  Schnitt- 
stelle hinwegliefen,  sondern  sich  auf  die  eine  Seite  beschränkten  und 
auf  der  andern  Seite  nicht  wieder  zum  Vorschein  kamen."  Bisweilen 
beobachtete  er  auch ,  dass  die  Mittellage ,  um  welche  die  Wimpern 
schlagen ,  in  der  einen  Hälfte  der  Wimperreihen  vorübergehend  eine 
andere  war,  als  auf  der  anderen  Seite  der  Schnittstelle. 


Fig.  49. 
Spirostomum  am- 
biguum. Durch 
einen  Einschnitt 
ist  die  Continui- 
tät  der   die  Peri- 

stomwimpern 
tragenden    Haut- 
strecke unterbro- 
chen. Aus  Verworn 
(IV.  40)  Fig.  2-5. 


III.    Die  contractilen  Vaciiolen  oder  Behälter  einzelliger 

Organismen. 

Gontractile  Vacuolen  treten  sehr  häufig  bei  Amöben,  Rhizopoden, 
Flagellaten  (Fig.  7,  43,  44)  und  Infusorien  (Fig.  50  Vv)  auf.  Bei 
letzteren,  bei  denen  sie  am  genauesten  untersucht  worden  sind,  ist  meist 
im  ganzen  Körper  nur  eine  einzige  Vacuole,  zuweilen  sind  zwei  (Fig.  50), 


70 


Drittes  Capitel. 


selten  einige  mehr  vorhanden;  sie  liegen  stets  dicht  unter  der  Körper- 
oberfläche  unter  dem  Ektojjlasma.  Von  anderen  Flüssigkeitsvacuolen, 
die  im  Körper  in  grosser  Zahl  verbreitet  sein  können,  unterscheiden  sie 
sich  leicht  dadurch,  dass  ihr  Inhalt  in  regelmässigen  Intervallen  voll- 
ständig nach  aussen  entleert  und  wieder  ergänzt  wird.  Sie  verschwinden 
daher  vorübergehend  (Fig.  50  cv),  um  bald  wieder  zum  Vorschein  zu 
kommen   (cv.').    Die  Entleerung    geschieht   durch   einen   oder    mehrere 

besondere  Poren,  die  an  der  Oberfläche  des  In- 
fusorienkörpers unmittelbar  über  der  Vacuole 
nachweisbar  sind.  „Jeder  Perus  erscheint  ge- 
wöhnlich als  ein  sehr  kleines,  von  einem  dunklen 
Randsaum  umzogenes  und  im  Inneren  lichtes 
Kreischen.  Die  Helligkeit  des  Innern  rührt  von 
der  Durchbrechung  der  Pellicula  und  Alveolarschicht 
her."  Zuweilen  setzt  sich  jeder  Perus  bis  zur 
contractilen  Vacuole  in  ein  feines  Austlussröhrchen 
fort.  Nicht  selten  sind  sogar  auch  besondere  Zu- 
fuhrkanäle (1,  2  und  niehr)  in  ihrer  Umgebung 
in  regelmässiger  Anordnung  zu  erkennen.  Bei 
Paramaecium  Aurelia  und  P.  caudatum  (Fig.  50), 
deren  zuführendes  Kanalsystem  schon  seit  längerer 
Zeit  bekannt  ist  und  am  häufigsten  studirt  wurde, 
strahlen  von  jeder  der  beiden  dorsalen  Vacuolen 
ca.  8 — 10  ziemlich  gerade  Kanäle  aus,  die  fast 
über  den  gesammten  Körper  zu  verfolgen  sind. 
Jedoch  greifen  die  Kanäle  beider  Vacuolens}  steme 
nicht  zwischen  einander  hinein."  Sie  sind  in  der 
Nähe  der  contractilen  Vacuole  am  stärksten  und 
verfeinern  sich  distal  mehr  und  mehr. 

Sehen  wir  uns  nun  die  Wirkungsweise  dieser 
eigenthümlichen  Apparate  näher  an,  wozu  sich 
Paramaecium  als  sehr  geeignetes  Object  darbietet 
(Fig.  50).  Wenn  die  beiden  contractilen  Vacuolen 
ihre  grösste  Ausdehnung  erreicht  haben,  wird 
plötzlich  in  kurzer  Zeit  und  mit  beträchtlicher 
Inhalt  durch  ihre  Ausfuhrkanäle  und  Poren 
nach  aussen  entleert,  sodass  die  Vacuolenhöhle  vorübergehend  ganz 
verschwindet.  Wie  bei  der  Zusammenziehung  des  Herzens,  bezeichnet 
man  diesen  Zustand  als  Systole,  dagegen  die  Periode,  in  welcher 
sich  die  Vacuole  wieder  mit  Flüssigkeit  füllt,  ausdehnt  und  sichtbar 
wird,  als  Diastole. 

Die  Füllung  geht  in  der  Weise  vor  sich:  Schon  vor  Beginn  der 
Systole  nehmen  die  oben  beschriebenen,  zuführenden  Kanäle  aus  dem 
Entoplasma  des  Infusorienkörpers  Flüssigkeit  auf,  die  wahrscheinlich  mit 
Kohlensäure  und  einigen  Stoffwechselproducten  beladen  ist.  Die  Füllung 
geschieht  wohl,  wie  Schwalbe  (III.  21)  vermuthet,  in  Folge  „des  Druckes, 
unter  dem  die  durch  immer  neue  Wasseraufnahme  durch  den  Mund  sich 
mehrende  Flüssigkeit  im  Körper  des  Thieres  steht."  Zu  dieser  Zeit  sind 
wegen  der  Füllung  mit  Wasser  die  zuführenden  Kanäle  gut  sichtbar.  Sie 
schwellen  in  der  Umgebung  des  contractilen  Behälters,  welcher  jetzt  den 
höchsten  Grad  der  Füllung  erreicht  hat,  spindelförmig  an  und  bilden  dadurch 
um  denselben  einen  Kreis  rosettenförmig  angeordneter  Vacuolen,  welche 
Bütschli   als  Bildungsvacuolen  bezeichnet.     Wegen  ihrer  Füllung  kann 


Fig.  50.  Paramae- 
cium caudatum  (halb- 
schematisch).  R.  Hert- 
wiG,  Zoologie  Fig.  139. 

k  Kern,  nk  Nebenkern, 
0  Mundöffnung  (C3'to- 
stom),  na'  Nahrungs- 
vacuole  in  Bildung  be- 
griffen ,  na  Nahrungs- 
vacuole,  cv  contractile 
Vacuole  im  contrahirteu, 
cv'  im  aiisgedehnten  Zu- 
stand, t  Trichocysten, 
bei  i' hervorgeschleudert. 


Energie 


ihr 


ganzer 


I.    Bewegungserscheinungeu.  71 

bei  der  Systole  der  coiitractile  Behälter  die  in  ihm  enthaltene  Flüssigkeit 
nicht  in  die  Zufiihrkanäle ,  sondern  nur  nach  aussen  entleeren.  Wenn 
er  dann  wieder  in  die  Diastole  eintritt,  ergiessen  die  prall  gefüllten 
Bildungsvacuolen  ihre  Flüssigkeit  in  ihn  hinein,  wodurch  er  wieder 
sichtbar  wird  und  sich  allmählich  zur  ursprünglichen  Grösse  ausdehnt. 
In  Folge  dessen  verschwinden  am  Anfang  der  Diastole  die  leer  ge- 
wordenen Bildungsvacuolen  vorübergehend,  füllen  sich  aber  von  Neuem 
aus  dem  Körperparenchym  bis  zum  Beginn  der  nächstfolgenden 
Systole. 

„Bei  gleichzeitiger  Gegenwart  mehrerer  Vacuolen  herrseht  im 
Allgemeinen  die  Regel,  dass  sie  sich  alternierend  entleeren,  was  eine 
möglichst  gleichmässige  Wasserausscheidung  bewirkt.  Die  Frequenz 
ihrer  Entleerung  ist  bei  den  einzelnen  Infusorienarten  im  Allgemeinen 
eine  sehr  schwankende.  Nach  den  Beobachtungen  von  Schwalbe  (III.  21), 
lässt  sich  hierbei  die  Regel  feststellen,  dass  die  Frequenz  der  Con- 
tractionen  um  so  grösser  ist,  je  kleiner  die  contractilen  Vacuolen  sind. 
„So  ziehen  sich  dieselben  bei  Chilodon  cucullulus  in  2  Minuten  ungefähr 
iS-  bis  14mal  zusammen ,  bei  Paramaecium  aurelia  in  derselben  Zeit 
nur  10-  bis  llmal,  bei  Vorticella  mikrostoma  nur  1-  bis  2mal.  Noch 
seltener  erfolgen  die  Contractionen  bei  Stentor  und  Spirostomum.  Von 
den  angeführten  Thieren  haben  in  der  That  Stentor  und  Spirostomum 
die  grössten  contractilen  Behälter,  dann  kommt  die  Vorticella ,  dann 
Paramaecium  aurelia  und  endlich  Chilodon  cucullulus,  dessen  Vacuolen 
wohl  nur  den  halben  Durchmesser  von  den  bei  Paramaecium  vor- 
kommenden haben;  bei  diesem  beträgt  der  Durchmesser  0,0127  mm,  bei 
der  Vorticella  0,0236  mm."     (Schwalbe.) 

Das  Zeitintervall  zwischen  zwei  Entleerungen  ist  bei  derselben 
Temperatur  ein  sehr  gleichmässiges,  verändert  sich  aber  sehr  bei  Erhöhung 
oder  Erniedrigung  derselben.  (Rossbach  [III.  19],  Maupas).  Während 
bei  Euplotes  Charon  das  Zeitintervall  zwischen  zwei  Contractionen 
61  Secunden  beträgt,  ist  es  bei  30  Grad  Cels.  auf  23  See.  gesunken. 
(Rossbach.)  Die  Frequenz  der  Contractionen  hat  sich  demnach  fast 
verdreifacht. 

Der  durch  die  contractilen  Vacuolen  erzeugte  Wasserwechsel  ist  ein 
erstaunlich  grosser.  Nach  Berechnungen  von  Maupas  entleert  z.  B. 
Paramaecium  aurelia  bei  27  ^  Celsius  ein  ihrem  Körpervolum  gleiches 
Volum  Wasser  in  46  Minuten. 

Aus  den  mitgetheilten  Beobachtungen  scheint  hervorzugehen,  dass 
die  contracti  len  Behälter  nicht  einfache,  unbeständige 
Flüssigkeitstropfen  im  Plasma,  sondern  feststehende, 
morphologische  Differenzierungen  im  Körper  der  P r o t o - 
zoensind,  wirkliche  Zellorgane,  die  wahrscheinlich  im 
Dienste  der  A  t  h  m  u  n  g  und  E  x  c  r  e  t  i  o  n  eine  wichtige 
Function  zu  erfüllen  haben.  Die  Energie,  mit  welcher  der 
Behälter  seinen  Inhalt  bis  zum  vollständigen  Schwund  entleert,  spricht 
dafür,  dass  die  aus  hyaliner  Substanz  gebildete  Wandschicht  wie  die 
Substanz  der  Geissein  in  besonderem  Maasse  contractil  ist  und  sich 
durch  diese  Eigenschaft  vom  Entoplasma  des  Infusorienkörpers  unter- 
scheidet. Allerdings  ist  an  dem  contractilen  Behälter  mikroskopisch 
keine  eigene  Wandschicht  von  der  übrigen  Körpermasse  scharf  abzu- 
grenzen, wie  ja  auch  an  der  glatten  Muskelfaser  contractile  Substanz 
und  Protoplasma  sich  nicht  innner  sehr  deutlich  gegen  einander  absetzen, 


72 


Drittes  Capitel. 


und  wie  die  Geissein  auch  an  ihrer  Basis  in  das  Protoplasma  der  Zelle 
übergelien. 

Mit  Schwalbe  (III.  21.)  und  Engelmann  bin  ich  also  der  Ansicht, 
dass  die  Behälter  eine  contractile  Wandschicht  besitzen,  welche  von  der 
übrigen  Körpermasse  nicht  abgegrenzt  ist.  Im  Uebrigen  sind  bekanntlich 
feine  Häutchen  oft  mikroskopisch  nicht  nachweisbar,  obwohl  sie  unzweifel- 
haft vorhanden  sind.  An  vielen  Pflanzenzellen  ist  es  unmöglich,  den 
sogenannten  Primordialschlauch  zu  sehen,  solange  er  der  Cellulosemembran 
fest  anliegt,  während  man  sich  durch  Plasmolyse  von  seinem  Dasein 
überzeugen  kann. 

Mit  dieser  Auffassung  befinde  ich  mich  mit  Bütschli  (III.  3.)  im 
Widerspruch.  Bütschli  betrachtet  die  contractilen  Behälter  als  einfache 
Flüssigkeitstropfen  im  Plasma.  „Jede  Vacuole  hört  mit  ihrer  Austreibung 
als  solche  zu  existiren  auf.  Ihre  Nachfolgerin  ist  ein  ganz  neues  Ge])ilde, 
ein  neu  entstandener  Tropfen,  welcher  wiederum  nur  bis  zur  Austreibung 
existirt."  Sie  entsteht  nach  ihm  durch  Zusammenfiuss  mehrerer  Bildungs- 
vacuolen,  die  als  kleine  Tröpfchen  im  Plasma  ausgeschieden  werden,  sich 
vergrössern  und  dann  durch  Einreissen  der  Zwischenwände  verschmelzen. 
Die  auch  von  Bütschli  beschriebene  Existenz  von  zu-  und  abführenden 
Kanälen,  die  Constanz  in  der  Zahl  der  Behälter,  der  Umstand,  dass  sich 
bei  der  Diastole  der  Behälter  an  der  gleichen  Stelle  wieder  findet,  wo  er 
bei  der  Systole  verschwunden  ist,  die  Verhältnisse  der  Frequenz  bei  gleich- 
bleibender Temperatur  und  bei  Temperaturschwankungen  scheinen  mir 
gegen  die  Bütschli'sche  Auffassung  zu  sprechen.  Dass  am  Schluss  der 
Systole  der  Behälter  nach  Austreibung  seines  Inhaltes  momentan  nicht 
sichtbar  ist,  kann  wohl  nicht  schwer  gegen  die  Annahme  seiner  Constanz 
in  die  Wagschaale  fallen ,  wenn  man  berücksichtigt,  dass  selbst  grosse 
Lymphspalten  und  capillare  Blutgefässe  bei  den  Wirbelthieren  sich  im 
uninjicirten  Zustand  der  Wahrnehmung  entziehen. 

IV.   Veränderung  des  Zellkörpers  durch  passiye  Bewegung. 

Um  das  Bild  der  Protoplasmabewegungen  nach  allen  Seiten  zu  ver- 
vollständigen,   ist  endlich    noch    der    Formveränderungen    zu    gedenken, 

welche  der  Zellkörper  gewissermaassen 
durch  passive  Bewegunge  n  er- 
fahren kann.  Die  Zelle  befindet  sich 
hier  in  derselben  Lage  wie  ein  Mus- 
kel, der  durch  eine  von  aussen  auf 
ihn  einwirkende  Kraft,  die  an  den 
Gliedmaassen  ansetzt,  gedehnt  und 
wieder  verkürzt  wird. 

So  verändern  die  Zellen  des  thieri- 
schen  Körpers  zuweilen  in  ausser- 
ordentlich hohem  Grade  ihre  Form, 
indem  sie  sich  allen  Gestaltverände- 
rungen anpassen  müssen,  welche  ein- 
zelne Organe  in  Folge  von  Muskel- 
wirkung oder  durch  Dehnung  bei 
Ansammlung  von  Flüssigkeit  und 
Nahrung  erfahren.  Fadenförmige  Epi- 
thelzellen müssen  sich  in  Cylinder, 
diese   in    Platten   umwandeln,    wenn 


A 


Fig.  51.  Epithelmuskelzellen 
aus  der  entodermalen  Auskleidung 
der  Tentakeln  einer  Aetinie  (Sa- 
gartia  parasitiea).  Nach  O.  und  E. 
Hertwig  Tat",  vi.  Fig.  11.  Aus  Hatschek 
Fig.  108. 

A  Im  ausgedehnten  Zustand.  B  Im 
stark  verkürzten  Zustand  der  Tentakeln. 


I.    Bewegun^serscheinuiigeu.  73 

bei  Dehnung  eines  Organs  sich  die  Ol^erfläche  vergrössert,  und  die  um- 
gekehrte Metamorphose  müssen  sie  wieder  durchmachen,  wenn  sich  dass 
ganze  Organ  und  mithin  auch  seine  Obeiüäche  verkleinert. 

Was  für  gewaltige  und  urplötzliche  Formveränderungen  der  Proto- 
plasmakörper einer  Zelle  ohne  Vernichtung  seiner  feinen  Structur  in 
Folge  passiver  Bewegungen  erträgt,  zeigen  uns  am  schönsten  die  Coelen- 
teraten,  bei  welchen  sich  ausgestreckte  Körpertheile  wie  Fangfäden  auf 
ein  Zehntel  oder  mehr  durch  plötzliche,  energische  Muskelzusammenziehung 
verkürzen  können.  (III.  12  a.)  Die  Form,  welche  eine  Epithelzelle  dar- 
bietet, je  nachdem  sie  einem  massig  oder  einem  stark  contrahirten 
Körpertiieil  entnommen  ist,  fällt  wesentlich  verschieden  aus,  wie  die 
Figuren  51  A  und  B  lehren.  Die  erstere  entstammt  dem  Tentakel  einer 
nur  massig  contrahirten  Actinie,  die  durch  chemische  Stoffe  unempfindlich 
gemacht  und  dann  abgetödtet  worden  war,  die  letztere  einem  bei  der 
Abtödtung  stärker  contrahirten  Tentakel  eines  anderen  Individuums. 


Literatur.     III. 

1)  De  Bary.     I>ic  Mycetozoen.     Zeitschrift  f.  wissenschaftl.  Zoologie.     Bd.  10.    18G0. 

2)  G.  Berthold.     Studien  über  Protoplasmamechanik.     Leipzig   1886. 

3j     Bütsehli.      Protozoen.     Erster  Band   von  Bronns   Classen   und  Ordnungen    des  Tliier- 
reichs.     1889. 

4)  Alex.  Ecker.     Zur  Lehre  vom  Bau  u.  Leben  der  contractilen  Substanz  der  niedersten 

Thiere.     Zeitschrift  f.  tvissenschaftl.  Zoologie.     Bd.  I.     1849. 

5)  Engelniann.    Physiologie  der  Protoplasma-  u.  Flimmerbeivegung .    Hermanns  Handbuch 

eler  Physiologie.     Bd.  I. 

6)  Derselbe.     Contractilität  und  Doppelbrechung.     Archiv   f.    die    gesammte    Physiologie. 

Bd.  XI. 

7)  Derselbe.      lieber  die  Bewegungen  der    Oscillarien   und  Diatomeen.     Pßügers  Archiv. 

Bd.  XIX. 

8)  Derselbe.    Heber   die  Flimmerbeivegung.    Jenaische  Zeitschrift  f.  Medicin  und  Nafur- 

wissensch.  Bd.  IV.    1868. 

9)  Frommann.    Beobachtungen  über  Structur  u.  Beivegungserscheinungen  des  Protojjlasmas 

der  Pßunzenzelle.     Jena  1880. 

10)  Derselbe.     Ueber  neuere  Erklärungsversuche  d.  Protoplasmaströmungen  u.  über  Schaum- 

structuren  Bütsehli  s.     Anatomischer  Anzeiger.     1890. 

11)  Hensen.     Physiologie  der  Zeugung.     Handbuch  der  Physiologie.     Bd.    VI.     1881. 

12a)  O.  u.  R.  Hertwig.     Die  Actinien.    Jena  1879. 

12b)  Richard  Hertwig.     Ueber  Mtkrogromia  socialis.,  eine  Colonie  bildende  Monothedamie 
des  süssen    Wassers.     Archiv  f.  mikroskop.   Anat.     Bd.  X.    1874. 

13)  Jürgensen.    Ueber  die  in  den  Zellen  der  Vallisncria  spiralis  stattfindenden  Bewegungs- 

erscheinungen.   Studien  des  physiol.  Instituts  zu  Breslau.     1861.    Heft  1. 

14)  Klebs.    Form  und  Wesen  der  pflanzlichen  Protoplasmabetvegung.    Biologisches  Central- 

blatt.     Bd.  I. 

15)  Kollmann.      Ueber  thierisches  Protoplasma.     Biolog.  Centralblatt.     Bd.  IL 

16)  C.  Nägeli.    Die  Bewegung  im  Pflanzenreiche.    Beiträge  zur  wissenschaftlichen  Botanik. 

Heft  ;>.    1860. 
Derselbe.      Rechts    und    links.     Ortsbewegungen    der  Pflanzenzellen  und   ihrer  Theile. 
Ebendas. 

17)  G.  Quincke.    Ueber  periodische  Ausbreitung  an  Flüssigkeitsoberflächen  u.  dadurch  her- 

vorgerufene  Beivegungserscheinungen.      Sitzungsber.  der  Akademie   der  Wissenschaften 
zu  Berlin.    1888. 

18)  Purkinje   u.  Valentin.     De  phaenomeno  generali  et  fundamentali  motus    vibratorii 

continui.    18H5. 

19)  Rossbach.    Die  rhythmischen  Bewegungserscheinungen  der  einfachsten  Organismen  und 

ihr  Verhalten  gegen  physikalische  Agentien  u.  Arzneimittel.    Arbeiten  a.  dem  zool.-zoot. 
Institut  zu   Würzburg.    1874. 


74  Drittes  Capitel.     I.    Bewegungserscheinungen. 

20)  Sachs.     Experimentalplii/siologie  der  Pflanzen.     Leipzig   1865. 

21)  Schwralbe.      Ueber  die  contractilen  BeMlter  der  Infusorien.     Archiv  f.  mikroskopische 

Anatomie.     Bd.  II. 

22)  Veiten.      Einivirkung  strömender  Elektricität   auf  die  Beivcgung    des  Protoplasmas  etc. 

Sitzungsber.  d.  Wiener  Akademie.     1870.     Bd.  73. 

23)  Verworn.     Studien  zur  Physiologie  der  Flimmerbewegung.     Pßügers  Archiv.    Bd.  48. 

1890. 

24)  Derselbe.     Jtie  Bewegung  der  lebendigen  Substanz.     Jena  1892. 

25)  de  Vries.      Ueber    die   Bedeutung    der    Circulation    und  der  Rotation    des  Protoplasmas 

für  den   Stofftransport   in  der  Pßanze.     Botanische  Zeitung.     1885. 


VIERTES  CAPITEL. 
Die  Lebenseigenschaften  der  Zelle. 

II.    Die  Reizerscheinungen. 


Die  wunderbarste  Eigenschaft  des  Protoplasma  ist  seine  Reizbarkeit 
oder  Irritabilität^).  Darunter  versteht  man,  wie  Sachs  (IV  32 a)  sich 
ausdrückt,  „die  nur  den  lebenden  Organismen  eigenthümliche  Art,  auf 
die  verschiedensten  Einwirkungen  der  Aussenwelt  in  dieser  oder  jener 
Weise  zu  reagiren."  Durch  die  Irritabilität  scheidet  sich  am  meisten 
die  belebte  von  der  unbelebten  Natur,  und  wurden  in  Folge  dessen 
ältere  Naturforscher  veranlasst,  in  ihr  den  Ausdruck  einer  besonderen, 
nur   der  organischen  Natur  zukommenden  Lebenskraft  zu  erblicken. 

Die  vitalistische  Lehre  (Vitalismus)  hat  die  moderne  Natur- 
wissenschaft fallen  gelassen;  anstatt  durch  Annahme  einer  besonderen 
Lebenskraft,  erklärt  sie  die  Reizbarkeit  als  ein  sehr  zusammengesetztes, 
chemisch-physikalisches  Phaenomen.  Dasselbe  ist  von  anderen  chemisch- 
physikalischen Phänomenen  der  unbelebten  Natur  nur  graduell  ver- 
schieden, nämlich  nur  dadurch,  dass  die  äusseren  Einwirkungen  eine  mit 
complicirterer  Structur  versehene  Substanz,  einen  Organismus,  ein  hoch- 
zusammengesetztes, materielles  System,  treffen  und  dementsprechend  in 
ihm  auch  eine  Reihe  complicirterer  Vorgänge  verursachen. 

Bei  dieser  mechanischen  Auffassung  darf  man  aber  nicht  in  einen 
häutig  gemachten  Fehler  verfallen ,  aus  Analogien ,  die  manche  Er- 
scheinungen der  unbelebten  Natur  mit  Lebensvorgängen  haben ,  die 
letzteren  dir e et  mechanisch  erklären  zu  wollen.  Hier  ist  immer 
im  Auge  zu  behalten,  dass  eine  Substanz  von  so  verwickelter  Structur 
wie  die  lebende  Zelle  in   der  unbelebten  Natur  auch  nicht  im  Entfern- 


^)  Durch  eine  Reihe  von  Betrachtungen  kommt  Claude  ßernard  (IV.  la)  in  seinen 
Vorlesungen  über  die  Phänomene  des  Lebens  zu  dem  gleichen  Endergebniss :  „Arrives 
au  terrae  de  nos  etudes,  nous  voyons  qu'elles  nous  imposent  une  conclusion  tres- 
generale,  fruit  de  l'experience,  c'est,  ä  savoir,  qu'entre  les  deux  ecoles  qui  fönt  des 
phenomenes  vitaux  quelque  chose  d'absolument  distinct  des  phenom^nes  physico- 
chimiques  ou  quelque  chose  de  tout  ä  fait  identique  k  eux,  il  y  a  place  pour  une 
troisieme  doctrine,  celle  du  vitalisme  physique,  qui  tient  compte  de  ce  qii'il  y  a  de 
special  dans  les  manifestations  de  la  vie  et  de  ce  qu'il  y  a  de  conforme  ä  l'action  des 
forces  generales:  l'element  ultime  du  phenomene  est  physique;  l'arrangement  est  vital." 


76  Viertes  Capitel. 

testen  ihres  Gleichen  hat,  dnss  daher  auch  die  Reactionen  einer  derartigen 
Substanz  ein  entsprechend  coniplicirteres  Gepräge  an  sich  tragen. 

Das  Gebiet  der  Reizerscheinungen  ist  ein  sehr  umfangreiches,  da  es 
die  gesanimten  Wechselbeziehungen  umfasst,  welche  zwischen  den  Orga- 
nismen und  der  Aussenwelt  stattfinden.  Unzählig  sind  die  von  Aussen 
auf  uns  einwirkenden  Reize  und  Reizursachen.  Der  Uebersichtlich- 
keit  halber  wollen  wir  dieselben  in  5  Gruppen  besprechen.  Eine  Gruppe 
umfasst  die  thermischen  Reize,  eine  zweite  die  Einwirkungen  des  Lichtes, 
eine  dritte  die  Einwirkungen  der  Elektricität,  eine  vierte  die  mechani- 
schen Reize  und  eine  fünfte  endlich  das  unerschöpfliche  Gebiet  der 
chemischen  Reize. 

Die  Art  und  Weise,  in  welcher  ein  Organismus  auf  einen  dieser 
Reize  reagirt,  bezeichnet  man  als  die  Reizwirkung.  Dieselbe  kann  bei 
den  einzelnen  Organismen,  auch  wenn  dieselben  von  genau  dem  gleichen 
Reiz  betroffen  werden,  sehr  ungleich  ausfallen.  Es  hängt  dies  ganz  von 
der  Structur  des  Organismus  oder  von  der  feineren,  für  unsere  Sinne 
allerdings  nicht  wahrnehmbaren  Beschaffenheit  der  reizbaren  Substanz 
ab.  Die  Organismen  lassen  sich  in  dieser  Beziehung,  um  einen  Ver- 
gleich von  Sachs  (IV  32  a)  zu  gebrauchen,  verschiedenartig  konstruirten 
Maschinen  vergleichen,  die  durch  dieselbe  äussere  Kraft  der  Wärme  in 
Bewegung  versetzt,  doch  je  nach  ihrer  inneren  Construction  bald  diesen, 
bald  jenen  Nutzeffect  liefern.  So  antworten  auch  auf  die  gleiche 
Reizursache  verschiedene  Organismen  oft  in  ganz  ent- 
gegen g  es  e  t  z  t  e  r  W  e  i  s  e  gemäss  ihrer  s  p  e  c  i  f  i  s  c  h  e  n  S  t  r  u  c  t  u  r. 

Wir  werden  im  Folgenden  sehen,  wie  manche  Protoplasmakörper 
durch  Licht  gewissermaassen  angezogen,  andere  abgestossen  werden,  und 
wie  sich  dasselbe  Schauspiel  bei  dem  Studium  der  Wirkung  chemischer 
Substanzen  etc.  wiederholt.  Man  spricht  dann  von  einem  positiven  und 
negativen  H  e  1  i  o  t  r  o  p  i  s  m  u  s ,  einem  positiven  und  negativen 
Chemotropismus,  Galvauotropismus,  Geotropismus  etc. 

Aus  der  liesonderen  Structur  der  reizbaren  Substanz  erklärt  sich  auch 
noch  eine  Erscheinung,  welche  man  in  der  Physiologie  mit  dem  Namen 
der  specifi sehen  Energie  belegt  hat  und  welche  in  mancher  Hin- 
sicht das  Gegenstück  zu  den  oben  besprochenen  Erscheinungen  darstellt. 
Wie  dort  auf  den  gleichen  Reiz  verschieden  gebaute  Protoplasmakörper 
in  ungleicher  Weise  reagiren,  so  sehen  wir  auf  der  andern  Seite,  wie 
sehr  verschiedene  Reize,  Licht,  Elektricität,  mechanische  Berührung  bei 
demsellien  Protoplasmakörper  eine  gleichartige  Reiz  Wirkung  hervorrufen. 

Eine  Muskelzelle  antwortet  auf  jede  Art  von  Reiz  durch  Zusammen- 
ziehung, eine  Drüsenzelle  durch  Secretion ;  ein  Sehnerv  kann  nur  Licht 
empfinden,  mag  er  durch  Lichtwellen,  durch  Elektricität  oder  Druck 
gereizt  werden  etc.  Li  ähnlicher  Weise  sind  auch  die  Pflanzenzellen, 
wie  Sachs  gezeigt  hat,  mit  ihren  specifischen  Energien  ausgerüstet.  Ranken 
und  Wurzeln  krümmen  sich  in  der  ihnen  eigenen  Weise ,  gleichgültig, 
ob  sie  durch  Licht,  durch  Schwerkraft,  durch  Druck  oder  elektrischen 
Strom  gereizt  werden.  Die  Reizwirkung  erhält  überall  ihr 
specifisches  Gepräge  durch  die  besondere  Structur  der 
reizbaren  Substanz,  oder  in  anderen  Worten,  die  Reizbar- 
keit ist  eine  Grundeigenschaft  des  lebenden  Protoplasma, 
aber  sie  äussert  sich  je  nach  der  specifischen  Structur 
desselben  unter  dem  Einfluss  der  Aussenwelt  in  specifi- 
schen Reizwirkungen. 

Denselben  Gedankengang  hat  Claude  Bernard  (IV  la)  in  folgender 


II.    Die  Reizerscheinimgen.  77 

Weise  ausgedrückt:  La  sensibilite,  considöree  comme  propriete  du  Sys- 
teme nerveux,  n'a  rien  d'essentiel  ou  de  sp^cifiquement  distinct;  c'est 
rirritabilitö  speciale  au  nerf,  comme  la  propriötö  de  coiitraction  est 
rinitabilitö  speciale  au  muscle,  comme  la  propriete  de  secrötion  est 
Tirritabilite  speciale  k  rel6ment  glandulaire.  Ainsi,  ces  proprietes  sur 
lesquelles  on  fondait  la  distinction  des  plantes  et  animaux  ne  toucheiit 
pas  a  leur  vie  meine,  mais  seulement  aux  mecanismes  par  lesquels  cette 
vie  s'exerce.  Au  fond  tous  ces  mecanismes  sont  soumis  ä  une  condition 
generale  et  commune,  Tirritabilite, 

Bei  der  allgemeinen  Besprechung  der  Reizbarkeit  ist  endlich  noch 
einer  besonderen  Erscheinung  gleich  zu  gedenken,  der  Reizfort- 
pflanzung oder  R  e  i  z  1  e  i  t  u  n  g.  Ein  Reiz,  der  einen  kleinen  Punkt 
an  der  Oberfläche  eines  Protoplasmakörpers  trifft,  ruft  nicht  nur  an 
diesem,  sondern  auch  an  weit  abgelegenen  Punkten  eine  Reizwirkung 
hervor.  Die  Veränderung,  die  der  Protoplasmakörper  an  der  Reizstelle 
erfährt,  muss  sich  also  bald  rascher,  bald  langsamer  dem  ganzen  Körper 
mittheilen.  Die  Reizleitung  ist  im  Allgemeinen  rascher  im  thierischen 
Körper;  für  die  Nerven  des  Menschen  beträgt  sie  zum  Beispiel  34  Meter 
in  der  Sekunde,  langsamer  verläuft  sie  im  pflanzlichen   Protoplasma. 

Man  stellt  sich  vor,  dass  die  reizbare  Substanz  ein  in  labilem 
Gleichgewicht  befindliches  System  materieller,  mit  hohen  Spannkräften 
ausgerüsteter  Theilchen  ist/  In  einem  solchen  System  genügt  ein  ge- 
ring-er  Anstoss  eines  Theilchens,  um  auch  alle  anderen  Theilchen  mit 
in  Bewegung  zu  versetzen,  indem  das  eine  auf  das  andere  seine  Bewegung 
liberträgt.  Daher  erklärt  sich  auch,  dass  oft  durch  eine  kleine  Reiz- 
ursache eine  ausserordentlich  grosse  Reizwirkung  hervorgerufen  werden 
kann,  gleichwie  ein  durch  einen  Funken  entzündetes  Pulverkömehen  eine 
gewaltige  Pulvermasse  zur  Explosion  bringen  kann. 

Eigenthümlich  für  die  organische  Substanz  ist  endlich  die  Fähigkeit, 
dass  sie  nach  Aufhören  der  Reizursache  nach  einer  kürzeren  oder  längeren 
Periode  der  Rulte  oder  der  Erholung  mehr  oder  minder  wieder  in  den 
ursprünglichen  Zustand  zurückkehrt.  Ich  sage :  mehr  oder  minder.  Denn 
oft  wird  auch  unter  dem  Einfluss  langdauernder  oder  häufig  wieder- 
kehrender, gleichartiger  Reize  die  organische  Substanz  in  ihrer  Structur 
und  ihrem  Reactionsvermögen  dauernd  geändert.  Es  treten  dann  Er- 
scheinungen ein,  die  man  unter  die  allgemeinen  Begriffe  „der  Reiz- 
n  ach  Wirkung  und  der  Reizgewöhnung"  zusammenfasst. 

Ob  ein  Protoplasmakörper  reizbar  ist  und  auf  Veränderungen  seiner 
Umgebung  reagirt,  sind  wir  gewöhnlich  nicht  im  Stande  wahrzunehmen. 
Die  meisten  Reizwirkungen  bleiben  uns  verborgen.  Am 
deutlichsten  sichtbar  werden  sie  uns  in  den  Fällen,  in  denen  das  Proto- 
plasma durch  auffällige  Veränderungen  seiner  Form  oder  durch  Be- 
wegungen den  Reiz  beantwortet.  Aber  wie  eben  hervorgehoben  wurde, 
ist  dies  nur  ein  beschränktes,  kleines  Gebiet  der  Reizwirkung,  wenn  auch 
für  den  Forscher  das  wichtigste,  weil  hier  die  Untersuchung  angreifen 
kann.  In  Folge  dessen  werden  wir  denn  auch  im  Folgenden  hauptsächlich 
zu  untersuchen  haben,  wie  das  Protoplasma  auf  die  oben  angeführten 
5  Gruppen  von  Reizursachen  durch  Bewegungen  antwortet.  Dieser  Um- 
stand hat  mich  auch  veranlasst,  bei  der  Besprechung  der  Lebenseigen- 
schaften  der   Elementarorganismen  mit  der  Contractilität  zu   beginnen. 


78  Viertes  Ciipitcl. 

I.    Thermische  Reize. 

Eine  der  wesentlichsten  Bedingungen  für  die  Lebensthätigkeit  des 
Protoplasma  ist  die  Temperatur  der  Umgebung.  Es  gibt  eine  obere  und 
eine  untere  Grenze  derselben,  deren  Ueberschreitung  in  allen  Fällen 
den  sofortigen  Tod  des  Protoplasma  zur  Folge  hat.  Dieselbe  ist  aller- 
dings nicht  immer  ein  und  dieselbe  für  alle  Protoplasmakörper.  Einige 
vermögen  einen  geringeren,  andere  einen  grösseren  Widerstand  extremeren 
Temperaturgraden  entgegenzusetzen. 

Das  Maximum  der  Wärme  bewegt  sich  gewöhnlich  für  thierische 
und  pflanzliche  Zellen  um  40*^  C.  herum.  Schon  eine  Einwirkung  von 
wenigen  Minuten  genügt,  um  im  Protoplasma  Verquellungen  und  Gerin- 
nungen und  dadurch  eine  Zerstörung  der  reizbaren  Structur  und  des 
Lebens  überhaupt  hervorzurufen.  Amöben,  in  Wasser  von  40*^  C.  ge- 
bracht, sterben  sofort  ab,  indem  sie  ihre  Pseudopodien  einziehen  und 
„sich  in  eine  kugelförmige,  scharf  und  doppelt  conturirte  Blase  umwandeln, 
welche  einen  grossen,  trüben,  in  durchfallendem  Licht  bi'äunlich  aus- 
sehenden Klumpen  einschliesst."  (Kühne  IV.  15.)  Die  gleiche  Temjje- 
ratur  hat,  wie  man  sich  kurz  ausdrückt,  den  „Wärmetod'"  liei  Aethalium 
septicum  unter  eintretender  Goagulation  zur  Folge.  Für  Actinophrys  da- 
gegen liegt  die  Grenze ,  wo  augenblicklicher  Tod  eintritt ,  bei  45  "  und 
für  Zellen  von  Tradescantia  und  Vallisneria  erst  bei  47 — 48''  C.  (INIax 
Schnitze  L  29). 

Auf  viel  höhere  Temperaturen  ist  das  Protoplasma  bei  einzelnen 
Organismen  angepasst,  die  in  heissen  Quellen  vegetiren.  Im  Carlsbader 
Sprudel  fand  Cohn  Leptothrix  und  Oscillarien  bei  53  ^  C.  und  Ehrenberg 
beobachtete  ebenso  Algenfilze  in  warmen  Quellen  von  Ischia. 

Aber  auch  damit  ist  die  oberste  Temperaturgrenze,  bei  welcher  sich 
lebende  Substanz  eine  Zeit  lang  zu  erhalten  vermag,  noch  nicht  erreicht. 
Denn  endogene  Sporen  von  Bacillen,  welche  ausserordentlich  derbe  Hüllen 
besitzen,  bleiben  keimfähig,  wenn  sie  vorübergehend  in  Flüssigkeit  auf 
100 '^  erhitzt  werden;  manche  ertragen  105^  bis  130"  (de  Bary  IV  5b 
pag.  41).  Trockene  Hitze  von  140  ^  vernichtet  erst  bei  dreistündiger  Ein- 
wirkung mit  Sicherheit  alles  Leben. 

Viel  schwieriger  als  die  obere  ist  die  untere  Temperatur- 
grenze, durch  welche  unmittel  bar  der  „Kältete  d "  herlieigeführt 
wird,  zu  bestimmen.  Im  Allgemeinen  wirken  Temperaturen  unter  0^ 
weniger  schädlich  auf  das  Protoplasma  ein,  als  hohe  Temperaturen.  Bei 
Echinodermeneiern ,  die  sich  in  den  Vorstadien  zur  Theilung  befinden, 
wird  zwar  der  Theilungsprozess  momentan  unterbrochen,  wenn  sie  in 
eine  Kältemischung  von  —  2 — 3 "  C.  gebracht  werden  (IV.  12),  spielt 
sieh  dann  aber  in  normaler  Weise  weiter  ab,  wenn  man  die  Eier 
nach  viertelstündiger  Dauer  der  Abkühlung  langsam  wieder  erwärmt. 
Ja  selbst  bei  2stündiger  Abkühlung  erfährt  ein  grosser  Theil  der  Eier 
keine  andauernde  Schädigung.  Pflanzenzellen  können  gefrieren,  so  dass 
Eiskrystalle  im  Zellsaft  anschiessen,  und  zeigen,  wenn  sie  allmählich  auf- 
gethaut  werden,  wieder  das  Phänomen  der  Protoplasmaströmung  (IV  15). 

Durch  das  plötzliche  Gefrieren  treten  im  Protoplasma  von  Pflanzen- 
zellen erhebliche  Form  Veränderungen  ein,  werden  aber  beim  Aufthauen 
wieder  rückgängig  gemacht.  Als  Kühne  (IV  15)  Tradescantiazellen  in 
einer  Kältemischung  von —  14°  C.  etwas  länger  als  5  Minuten  gefrieren 
liess,  fand  er  bei  der  Untersuchung  in  Wasser  an  Stelle  des  normalen 
Protoplasmanetzes   eine   grosse  Zahl   gesonderter,    runder  Tropfen   und 


II.    Die  Reizerscheinungen.  79 

Klünipchen.  Diese  begannen  aber  schon  nach  wenigen  Secunden  eine 
lebhafte  Bewegung  zu  zeigen,  nach  einigen  Minuten  sich  zu  verbinden 
und  bald  wieder  in  ein  in  lebhafter  Strömung  befindliches  Netzwerk  über- 
zugehen. 

Einen  zweiten  Versuch  beschreibt  Kühne  in  folgender  Weise:  „Legt 
man  ein  Präparat  mit  Tradescantiazellen  mindestens  während  einer 
Stunde  in  einen  mit  Eis  auf  0 "  abgekühlten  Raum ,  so  zeigt  ihr  Proto- 
plasma bereits  eine  Neigung  zum  Zerfallen  in  einzelne  Tröpfchen.  Wo 
noch  ein  Netzwerk  existirt,  ist  es  aus  ausserordentlich  feinen  Fäden  ge- 
bildet, die  nur  stellenweise  mit  grösseren  Kugeln  und  Tropfen  besetzt 
sind.  Viele  freie  Kugeln  befinden  sich  unabhängig  davon  in  der  Zell- 
flüssigkeit, wo  sie  unter  lebhaften,  zuckenden  Bewegungen,  ohne  ergiebige 
Ortsbewegungen  zu  machen,  sich  um  ihre  Axe  drehen.  Wenige  Minuten 
später  vereinigen  sich  jedoch  diese  freien  Kugeln  mit  den  feinen  Fäden 
oder  verschmelzen  mit  anderen  daran  hängenden  Kugeln,  bis  das  Bild 
des  fliessenden  Protoplasmanetzes  völlig  wieder  hergestellt  ist." 

Bei  den  Pflanzen  ist  im  Allgemeinen  die  Widerstandskraft  gegen 
Kälte  um  so  grösser,  je  wasserärmer  die  Zellen  sind :  lufttrockene  Samen 
und  Winterknospen,  deren  Zellen  fast  rein  protoplasmatisch  sind,  können 
sehr  hohe  Kältegrade  ertragen,  während  junge  Blätter  mit  ihren  saftigen 
Zellen  sclion  bei  Nachtfrösten  absterben.  Doch  auch  die  verschiedene 
specifische  Organisation  der  einzelnen  Pflanzen ,  resp.  ihrer  Zellen ,  be- 
dinut  eine  sehr  ungleiche  Widerstandskraft  gegen  Kälte,  wie  die  tägliche 
Erfahrung  lehrt  (Sachs  IV  32  b). 

Ausserordentlich  hohe  Kältegrade  können  Mikroorganismen  aushalten. 
Wie  Frisch  fand,  wird  die  Entwicklungsfähigkeit  von  Bacillus  anthracis 
sowohl  von  Sporen  als  auch  von  vegetativen  Zellen  nicht  beeinträchtigt, 
wenn  sie  bei  —  110*^  C.  in  Flüssigkeit  eingefroren  und  nachher  wieder 
aufgethaut  werden. 

•  Noch  ehe  die  oben  für  einzelne  Fälle  näher  angegebenen,  extremen 
Temperaturgrenzen  erreicht  werden,  welche  den  unmittelbaren  Wärme- 
oder Kältetod  des  Protoplasmas  zur  Folge  haben,  tritt  schon  zuvor  eine 
Erscheinung  ein  ,  welche  man  als  W  ä  r  m  e  s  t a  r  r  e  oder  W  ä  r  m  e  - 
t  et  an  US  und  als  Kälte  starre  bezeichnet.  Man  versteht  darunter 
einen  Zustand,  in  welchem  die  Eigenschaften  des  Protoplasmas,  in  denen 
sich  sein  Leben  bethätigt,  namentlich  alle  Bewegungserscheinungen, 
aufgehoben  sind,  so  lange  eine  bestimmte  Temperatur  einwirkt,  aber 
bei  geeigneter  Veränderung  derselben  nach  einer  Periode  der  Erholung 
wiederkehren. 

Die  Kältestarre  stellt  sich  gewöhnlich  bei  Temperaturen  ein,  die  sich 
um  0  ^  herum  bewegen ;  die  Wärmestarre  erfolgt  einige  Grade  tiefer,  als 
das  Wärmemaximum  beträgt,  bei  welchem  das  Protoplasma  sofort  ab- 
stirbt. In  beiden  Fällen  verlangsamt  sich  die  Protoplasmabewegung  mehr 
und  mehr  und  hört  bald  ganz  auf.  Amöben,  Rhizopoden,  weisse  Blut- 
körperchen ziehen  ihre  Ausläufer  ein  und  wandeln  sich  in  kugelige 
Klünipchen  um.  Pflanzenzellen  gewinnen  häufig  das  schon  oben  mit  den 
Worten  von  Kühne  beschriebene  Aussehen.  Langsame  Erhöhung  der 
Temperatur  bei  Kältestarre,  Erniedrigung  derselben  bei  Wärmestarre  lässt 
die  Lebenserscheinungen  zur  Norm  zurückkehren.  Hält  freilich  der 
Starrezustand  lange  Zeit  an,  so  kann  er  zum  Tod  führen,  und  zwar  wird 
durchgängig  Kältestarre  viel  länger  und  besser  als  Wärmestarre  vertragen. 
Beim  Absterben  gerinnt  und  trübt  sich  das  Protoplasma  und  beginnt 
unter  Quellungserscheinungen  bald  zu  zerfallen. 


gQ  Viertes  Capitel. 

Zwischen  Kälte-  und  Wärniestarre  liegt  ein  Gebiet,  in  welchem  sich 
je  nach  der  Höhe  der  Teni})eratur  die  Lebensprocesse  mit  ungleicher 
Intensität  abspielen.  Namentlich  sind  es  die  Bewegungen,  welche  sich 
mit  verschiedener  Schnelligkeit  vollziehen.  Sie  nehmen  bei  Steigerung 
der  Wärme  bis  zu  einem  bestimmten  Maxinmm  zu,  welches  mit  einem 
bestimmten  Temperaturgrad  zusammenfällt,  den  man  als  Temperatur- 
optimum bezeichnet.  Dasselbe  liegt  immer  mehrere  Grad  unter  der 
Temperaturgrenze,  bei  welcher  die  Wärmestarre  erfolgt.  Wenn  die  Er- 
wärnuing  noch  über  das  Temperaturoptimum  hinaus  wächst,  so  hat  sie 
eine  immer  mehr  zunehmende  Verlangsamung  der  Protoplasmabewegung 
zur  Folge,  bis  endlich  der  Punkt  erreicht  ist,  an  welchem  der  Starre- 
zustand einsetzt. 

Ein  wichtiges  Object,  an  welchem  man  den  Einfluss  der  Erwärmung 
studirt  hat,  sind  die  weissen  Blutkörperchen,.  wol)ei  man  sich  am  besten 
des  heizbaren  Objecttisches  von  Max  Schnitze  oder  des  Sachs'schen 
Wärmekastens  bedient.  Im  frisch  entleerten  Tropfen  Blut  zeigen  sie 
kugelige  Gestalt  und  sind  bewegungslos;  unter  den  entsprechenden  Yor- 
sichtsmaassregeln  erwärmt,  beginnen  sie  langsam  Pseudopodien  auszu- 
strecken und  sich  fortzubewegen;  ilire  Formveränderung  wird  um  so 
lebhafter,  je  mehr  die  Temperatur  bis  zu  dem  jeweiligen  r)ptimum 
zunimmt.  Bei  Myxomyceten,  Rhizopoden  und  Pfianzenzellen  äussert  sich 
die  Zunahme  der  Erwärmung  in  einer  Beschleunigung  der  Körnchen- 
strömung. So  legten  nach  Messungen  von  Max  Schnitze  (I  29)  die  Körn- 
chen bei  den  Haarzellen  von  Urtica  und  Tradescantia  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  einen  Weg  von  0,004 — 0,005  mm  in  der  Secunde  zurück, 
bei  Erwärmung  bis  auf  35  "  C.  einen  Weg  von  0,009  mm  in  der  Secunde. 
Bei  Vallisneria  liess  sich  die  Circulation  bis  0,015  mm  und  bei  einer 
Charaart  sogar  bis  0,04  mm  in  der  Secunde  beschleunigen.  Zwischen 
langsamer  und  beschleunigter  Bewegung  kann  die  Differenz  so  gross  sein, 
dass  im  ersten  Falle  die  Länge  eines  Fusses  etwa  in  50  Stunden,  im 
zweiten  Fall  in  ^12  Stunde  durchlaufen  wird. 

Nägeli  (III  16)  hat  für  die  Geschwindigkeitszunahme  der  Körncheu- 
strönmng  in  den  Zellen  von  Nitella  bei  Zunahme  der  Temperatur  folgende 
Werthe  erhalten:  Um  einen  Weg  von  0,1  mm  zurückzulegen,  brauchte  die 
Plasmaströmung  60  Secunden  bei  1 "  C.,  24  Secunden  bei  5  '^  C,  8  Se- 
cunden  bei  10^  C,  5  Secunden  bei  15«  C,  3,6  Secunden  bei  20 «  C., 
2,4  Secunden  bei  26"  C.,  1,5  Secunden  bei  31''  C,  0,65  Secunden  bei 
37*^  C.  Aus  diesen  Zahlen  geht  hervor,  dass  „die  Zunahme  der  Ge- 
schwindigkeit für  jeden  folgenden  Grad  einen  kleineren  Werth  darstellt". 
(Nägeli,  Veiten.) 

Bemerkenswerth  ist  endlich  noch  das  Verhalten  der  Protoplasma- 
körper gegen  plötzliche,  grössere  Temperaturschwankungen  und  zweitens 
gegen  einseitige  oder  ungleiche  Erwärnumg. 

Die  Temperatur  Schwankungen  können  entweder  positive  oder 
negative  sein,  d.  h.  sie  können  auf  einer  Erhöhung  oder  Erniedrigung 
der  Temperatur  beruhen ;  die  Folge  eines  solchen  grösseren,  thermischen 
Reizes  ist  vorübergehender  Stillstand  der  Bewegimg.  Nach  einiger  Zeit 
der  Ruhe  kehrt  die  Bewegung  wieder  und  nimmt  dann  die  der  Temperatur 
entsprechende  Geschwindigkeit  an.  (Dutrochet,  Hofmeister,  De  Vries.) 
Veiten  (IV  38)  bestreitet  die  Richtigkeit  dieser  Beobachtungen.  Nach 
seinen  Experimenten  rufen  Temperaturschwankungen  innerhalb  der  Grenz- 
werthe  weder  eine  Sistirung  noch  eine  Verlangsamung  der  Protoplasma- 


II.    Die  Reizerscheinimgen.  81 

bewegung  hervor,  sondern  es  wird  sofort  die  der  betreffenden  Tempera- 
tur zukommende  Geschwindigkeit  herbeigeführt. 

Ueber  die  Folgen  ungleicher  Erwärmung  hat  Stahl  (IV.  35) 
sehr  interessante  Versuche  an  den  Plasmodien  von  Myxomyceten  ange- 
stellt. Wenn  an  solchen,  während  sie  sich  netzartig  auf  einer  Unterlage 
ausgebreitet  haben,  nur  ein  Theil  abgekühlt  wird,  so  wandert  das  Proto- 
plasma aus  dem  abgekühlten  Theil  allmählich  in  den  wärmern  hinüber; 
der  eine  Theil  des  Netzes  schrumpft  ein,  der  andere  schwillt  an.  Man 
kann  den  Versuch  in  der  "Weise  vornehmen,  dass  man  2  Bechergläser 
dicht  neben  einander  stellt  und  das  eine  mit  Wasser  von  7  ^,  das  andere 
mit  Wasser  von  30  ^  Wärme  füllt,  und  über  ihre  sich  berührenden  Ptänder 
einen  nassen  Papierstreifen,  auf  welchem  sich  ein  Plasmodium  ausgebreitet 
hat,  in  der  Weise  legt,  dass  das  eine  Ende  in  das  kühlere,  das  andere  in 
das  wärmere,  auf  constanter  Temperatur  erhaltene  Wasser  taucht.  Nach 
einiger  Zeit  ist  das  Plasmodium  durch  zweckentsprechendes  Einziehen 
und  Ausstrecken  seiner  Protoplasmafäden  nach  dem  ihm  zusagenden 
Medium  hinübergekrochen. 

In  dieser  Weise  führen  freilebende  Protoplasmakörper  wohl  über- 
haupt Bewegungen  aus,  die  den  Stempel  des  Zweckmässigen  an  sich 
tragen,  weil  sie  zugleich  zur  Erhaltung  des  Organismus  dienen.  Die 
Lohblüthe  wandert  im  Her])st  in  Folge  der  Abkühlung  der  Luft  mehrere 
Fuss  tief  in  die  wärmeren  Schichten  des  Lohhaufens  hinein,  um  dort  zu 
überwintern.  Im  Frühjahr  erfolgt  dann  wieder  bei  eingetretener  Erhöhung 
der  Lufttemperatur  die  Bewegung  in  entgegengesetzter  Richtung  nach  den 
nun  wieder  mehr  erwärmten,  oberflächlichen  Schichten. 

IL    Liclitreize. 

Wie  die  Wärme  wirkt  auch  das  Licht  in  vielen  Fällen  als  Reiz  auf 
thierisches  und  pflanzliches  Protoplasma  ein.  Es  ruft  charakteristische 
Gestaltveränderungen  an  einzelnen  Zellen  und  bestimmte  Bewegungs- 
richtungen an  freilebenden,  einzelligen  Organismen  hervor.  Namentlich 
die  Untersuchungen  der  Botaniker  haben  auf  diesem  Gebiete  interessante 
Ergebnisse  zu  Tage  gefördert. 

Plasmodien  von  Aethalium  septicum  breiten  sich  nur  im  Dunkeln 
auf  der  Oberfläche  der  Lohe  aus,  während  sie  sich  im  Lichte  in  die  Tiefe 
derselben  zurückziehen.  Wenn  man  auf  ein  Plasmodium,  das  auf  einer 
Glasscheibe  zierliche  Netze  gebildet  hat,  einen  Lichtstrahl  in  einem  be- 
schränkten Bezirk  auffallen  lässt,  so  strömt  alsbald  das  Protoplasma  von 
den  belichteten  Stellen  hinweg  und  sammelt  sich  in  den  beschatteten 
an  (Barenezki,  Stahl  IV.  35). 

Pelomyxa  palustris,  ein  amöbenartiger  Organismus,  führt  im 
Schatten  durch  Einziehen  und  Ausstrecken  breiter  Pseudopodien  lebhafte 
Bewegungen  aus.  Wenn  sie  von  einem  massig  starken  Lichtstrahl  getroffen 
wird,  zieht  sie  plötzlich  alle  Pseudopodien  ein  und  wandelt  sich  zu  einem 
kugeligen  Körper  um.  Erst  nach  einer  Zeit  der  Ruhe  kehrt  im  Schatten 
allmählich  die  amöboide  Bewegung  wieder.  „Wenn  dagegen  das  Dunkel 
ganz  allmählich  (etwa  innerhalb  ^4  Stunde)  durch  Tageslicht  wachsender 
Helligkeit  vertrieben  wird,  bleibt  die  Reizwirkung  aus,  ebenso  wenn  nach 
längerer  Beleuchtung  plötzlich  verdunkelt  wird"  (Engelmann  IV  6b). 

Sehr  lebhaft  reagiren  auf  Licht  die  sternförmigen  Pigmentzellen 
vieler  Wirbellosen  und  Wirbelthiere,  welche  in  der  Literatur  unter  dem 
Namen  der  Chromatophoren   (IV.  3,  29,  30,  33)   bekannt  und   die 

Hertwig,   Die  Zelle  und  die  Gewebe.  t) 


32  Viertes  Capitel. 

Ursaclie  für  den  oft  augenfälligen  Farbenwechsel  vieler  Fische,  Amphi- 
bien, Ileptilien  und  Cephalopoden  sind.  Im  Licht  nimmt  z.  B.  die  Haut 
der  Frösche  eine  hellere  Färbung  an.  P^s  rührt  dies  daher,  dass  schwarze 
Pigmontzellen,  die  sich  mit  reicldich  verzweigten  Aesten  in  der  Lederhaut 
ausgebreitet  hatten,  unter  dem  Keiz  des  Lichtes  sich  zu  kleinen,  schwarzen 
Kugeln  zusammengezogen  haben.  Indem  sie  selbst  weniger  auffällig  wer- 
den, kommen  ausserdem  nocli  vorhandene,  grün  und  gelb  gefärbte  und 
sich  nicht  contralnrende  Pigmentzellen  besser  zur  Geltung. 

Ferner  erfahren  unter  dem  Einfluss  des  Lichtes  die  Pigment- 
zellen der  Retina  auffällige  Form  Veränderungen  und  zwar  auch  so- 
wohl bei  den  Wirbelthieren  (Boll)  als  bei  den  Wirbellosen,  z.  B.  im 
Cephalopodenauge  (Rawitz  IV  81). 

^'on  ^ielen  einzelligen,  durch  Flimmern  oder  Geissein  sich  fort- 
bewegenden Organismen*  Flagellaten,  Infusorien,  Schw^ärmsporen  von 
Algen  etc.  ist  es  eine  bekannte  Erscheinung,  dass  sie  sich  mit  Vorliebe 
an  der  nach  dem  Fenster  gekehrten,  diffus  beleuchteten  Seite  des  Zucht- 
glases anhäufen  oder  umgekehrt. 

Sehr  überzeugend  ist  ein  einfaches,  von  Nägeli  (III.  16)  angestelltes 
Experiment.  Eine  drei  Fuss  lange  Glasröhre  wird  mit  Wasser ,  in 
welchem  sich  grüne  Algenschwärmer  (Tetraspora)  befinden,  gefüllt,  und 
senkrecht  aufgestellt.  Wenn  man  nun  die  Röhre  mit  schwarzem  Papier 
umwickelt,  mit  Ausnahme  des  unteren  Endes,  auf  welches  man  Licht 
einfallen  lässt,  so  haben  sich  in  diesem  nach  einigen  Stunden  alle  Algen- 
schwärmer versanmielt,  so  dass  der  übrige  Theil  der  Röhre  farblos  ge- 
worden ist.  Umwickelt  man  jetzt  das  untere  Ende,  lässt  dagegen  das 
obere  Ende  frei,  so  steigen  alsbald  alle  Schwärmsporen  nach  diesem 
empor  und  saftimeln  sich  an  der  Oberfläche  des  Wassers  an. 

In  hohem  Grade  gegen  Licht  empfindlich  ist  Euglena  viridis, 
(Fig.  44  Ä  IV.  8).  Wird  in  einem  auf  den  Objectträger  gebrachten  Wasser- 
tropfen, der  Euglenen  enthält,  ein  nur  kleiner  Theil  beleuchtet,  so  häufen 
sich  alle  Individuen  binnen  Kurzem  im  Lichtbezirk  an,  der,  um  einen 
Ausdruck  von  Engelmann  zu  gebrauchen,  wie  eine  Falle  wirkt.  Besonders 
interessant  aber  wird  dieses  Versuch sobject  noch  dadurch,  dass  die  Licht- 
perception  nur  an  einen  ganz  bestimmten,  kleinen  Theil  des  Körpers  ge- 
bunden ist.  Jede  Euglena  besteht  aus  einem  grösseren,  hinteren,  chloro- 
phyllführenden  Theil  und  dem  geisseltragenden,  farblosen  Vorderende, 
an  welchem  sich  ein  rother  Pigmentfleck  findet.  Nur  w^enn  dieses  Vorder- 
ende vom  Lichtstrahl  getroffen  oder  verdunkelt  wird,  reagirt  der  Organis- 
mus durch  veränderte  Richtung  seiner  Bewegung.  (Engelmann.)  Ein 
Theil  des  Körpers  wirkt  hier  also  gewissermaassen  als  Auge. 

Am  eingehendsten  haben  sich  mit  der  Einwirkung  des  Lichtes  auf 
Seh  wärm  Sporen  Stahl  (IV.  34)  und  Strasburger  (IV.  37)  beschäftigt. 

Ersterer  fasst  seine  Resultate  in  folgende  Sätze  zusammen;  „Das 
Licht  übt  einen  richtenden  Einfluss  auf  den  Schwärmsporenkörper  in 
der  Weise,  dass  dessen  Längsaxe  annähernd  mit  der  Richtung  des 
Lichtstrahls  zusammenfällt.  Hierbei  kann  das  farblose,  cilientragende 
Ende  entweder  der  Lichtquelle  zu-  oder  von  derselben  abgewendet 
sein.  Beiderlei  Stellungen  können,  unter  sonst  unveränderten,  äusseren 
Bedingungen,  mit  einander  abwechseln  und  dies  zwar  bei  sehr  verschie- 
denen Graden  der  Lichtintensität.  Den  grössten  Einfluss  auf  die  relative 
Stellung  hat  die  Intensität  des  Lichtes.  Bei  intensiverem  Lichte  kehren 
die  Schwärmer  ihr  Mundende  von  der  Lichtquelle  ab,  sie  entfernen  sieh 
von  derselben;  bei  schwächerem  Lichte  bewegen  sie  sich  lichtwärts." 


II.    Die  Reizerscheinungen.  83 

Die  Reizbarkeit  gegen  Licht  ist  eine  sehr  verschiedene,  sowohl  nach 
den  einzelnen  Arten,  als  auch  bei  einzelnen  Individuen  derselben  Art, 
sie  ändert  sich  endlicli  auch  bei  demselben  Individuum  in  Folge  wech- 
selnder, äusserer  Bedingungen.  Strasburger  bezeichnet  dieses  ungleiche 
Reactionsvermögen  der  Schwärmsporen  als  Lichtstimmung. 

Zwei  zur  Untersuchung  der  Lichtstimmung  geeignete,  sich  etwas 
verschieden  verhaltende  Objecte  sind  die  Schwärmsporen  von 
Botrydium  und  Ulothrix. 

Wenn  Schwärmsporen  von  Botrydium  in  einem  Tropfen  Wasser  auf 
einen  Objectträger  gebracht  werden,  so  vertheilen  sie  sich  im  Dunkeln 
gleichförmig  im  Wasser.  W^erden  sie  dagegen  jetzt  beleuchtet,  so 
richten  sie  sich  gleich  mit  ihrem  vordem  Ende  nach  der  Lichtquelle  und 
eilen  derselben  in  geraden,  somit  ziemlich  parallelläufigen  Bahnen  zu. 
Nach  wenigen,  meist  1^  2  bis  2  Minuten,  sind  fast  sämmtliche  Schwärmer 
an  der  Lichtseite  des  Tropfens,  welche  Strasburger  der  Kürze  wegen 
auch  als  positiven  Rand  im  Unterschied  zum  entgegengesetzten  oder 
negativen  Rand  bezeichnet,  angesammelt  und  schwärmen  hier,  reichlich 
copulirend,  durcheinander.  Wird  das  Präparat  um  1 80 "  gedreht,  so 
verlassen  alle  noch  beweglichen  Schwärmer  momentan  den  jetzt  von  der 
Lichtquelle  abgekehrten  Rand  des  Tropfens  und  eilen  wieder  dem  Licht- 
strom zu.  Wird  die  Beobachtung  unter  einem  Mikroskop  mit  drehbai'em 
Objecttisch  angestellt,  so  kann  man  durch  Drehung  (les  letzteren  die 
Schwärmer  zur  fortwährenden  Aenderung  der  Bewegungsrichtung  bringen. 
Sie  lenken  stets  in  die  vom  Fenster  gegen  das  Zimmer  geradlinig 
gerichteten  Bahnen  ein. 

Ein  etwas  abweichendes  Verhalten  zeigen  Ulothrixsch  wärm  er. 
„Auch  diese  eilen  rasch  und  auch  in  fast  geraden  Bahnen  nach  dem 
positiven  Tropfenrand;  doch  nur  selten  thun  sie  es  alle,  vielmehr  wird 
man  in  den  meisten  Präparaten  einen  grösseren  oder  geringeren  Theil 
derselben  ebenso  rasch  in  entgegengesetzter  Richtung,  also  nach  dem 
negativen  Rand  zu,  sich  bewegen  sehen.  Es  gewährt  nun  ein  eigenes 
Schauspiel,  wenn  die  Schwärmer  so  in  entgegengesetzter  Richtung  und 
daher  mit  scheinbar  verdoppelter  Schnelligkeit  an  einander  vorübereilen. 
Wird  das  Präparat  um  180  "^  gedreht,  so  sieht  man  sofort  die  an  der 
zuvor  positiven  Seite  angesammelten  wieder  der  negativen  Seite,  die  zuvor 
an  der  negativen  Seite  angesammelten  wieder  der  positiven  Seite  zueilen. 
Hier  angelangt,  bewegen  sich  die  Schwärmer  durcheinander,  sich  je  nach 
den  Präparaten  schärfer  oder  weniger  scharf  am  Rande  haltend.  Un- 
unterbrochen bemerkt  man  auch,  sowohl  an  der  positiven,  als  auch  an 
der  negativen  Seite,  einzelne  Schwärmer,  die  plötzlich  den  Rand  ver- 
lassen und  gerade  aus  durch  den  Tropfen  nach  dem  andern  Rande  eilen. 
Ein  solcher  Austausch  findet  ununterbrochen  zwischen  beiden  Rändern 
statt.  Ja  nicht  selten  kann  man  einzelne  Schwärmer,  die  eben  vom 
entgegengesetzten  Rande  kamen,  wieder  dorthin  zurückkehren  sehen. 
Noch  andere  bleiben  mitten  in  ihrem  Laufe  stehen  und  eilen  nach  dem 
Ausgangsort  ihrer  Wanderung  zurück,  um  eventuell  von  dort  aus  das 
Spiel  längere  Zeit  pendelartig  zu  wiederholen." 

WMe  fein  und  rasch  die  Reaction  der  Schwärmer  auf  Licht  ist,  zeigt 
folgendes  von  Strasburger  mitgetheiltes  Experiment.  „Schaltet  man, 
während  die  Schwärmer  auf  dem  Wege  von  dem  einen  Rande  des 
Tropfens  zum  andern  sind,  ein  Blatt  Papier  zwischen  das  Mikroskop  und 
die  Lichtquelle  ein,  so  schwenken  die  Schwärmer  sofort  zur  Seite  ab, 
manche  drehen  sich  selbst  im  Kreise,  doch  das  dauert  nur  einen  Augen- 


g^  Viertes  Capitel. 

blick,  iiiul  sie  lenken  in  die  verlassenen  Bahnen  wieder  ein  (Schreck- 
bewegung). Strasburger  (IV.  37)  nennt  die  Schwärmer, 
welche  der  Lichtquelle  zueilen,  lichthold  (photophil),. 
solche  dagegen,  welche  sie  fliehen,  lichtscheu  (photophob). 

Wie  schon  oben  angedeutet  wurde,  ist  die  Ansammlung  der 
Schwärmer  am  negativen  oder  positiven  Rand  des  Tropfens,  worin  sich 
die  besondere  Art  ihrer  Li  cht  Stimmung  kund  giebt,  von  äusse- 
ren B  e  d  i  n  g  u  n  g  e  n  abhängig,  von  der  Intensität  des  Lichtes,  von  der 
Temperatur,  von  der  Durchlüftung  des  Wassers,  von  Entwicklungszuständeu. 

Wenn  man  mit  Schwärmern  experimentirt,  die  bei  intensiver 
Beleuchtung  sich  am  negativen  Rand  angesammelt  haben,  so  kann  man 
dieselben  zum  entgegengesetzten  Rand  hinüber  locken.  Man  muss  dann 
das  Licht  auf  einen  ihrer  Stimmung  entsprechenden  Grad  allmählich 
abdämpfen,  indem  man  einen,  zwei,  drei  oder  mehr  Schirme  aus  matt- 
geschhffenem  Glas  zwischen  das  Präparat  und  die  Lichtquelle  einschiebt. 
In  noch  einfacherer  Weise  kann  man  das  Resultat  auch  dadurch  erreichen, 
dass  man  sich  mit  dem  Mikroskop  langsam  weiter  vom  Fenster  entfernt, 
und  dadurch  das  einfallende  Licht  abschwächt. 

Durch  die  Temperatur  der  Umgebung  wird  der  Grad  der  Licbt- 
enipfindlichkeit  bei  vielen  Schwärmern  sehr  beeinflusst.  Dieselben  werden 
gewöhnlich  durch  Erhöhung  der  Temperatur,  welche  ausserdem  auch  ihre 
Beweglichkeit  steigert,  auf  höhere  Lichtintensitäten,  durch  Erniedrigung 
der  Temperatur  auf  geringere  Lichtintensität  abgestimmt.  Im  ersteren 
Fall  werden  sie  also  jichtholder,  im  zweiten  Fall  lichtscheuer  gemacht. 

„Ferner  verändern  die  Schwärmer  auch  ihre  Lichtstimmung  im  Laufe 
ihrer  Entwicklung,  so  zwar,  dass  sie  in  der  Jugend  auf  höhere  Intensi- 
täten als  im  Alter  gestinuut  erscheinen." 

Wie  durch  Experimente  von  Cohn,  Strasburger  u.  A.  festgestellt  ist, 
haben  nicht  alle  Strahlen  des  Spectrums  auf  die  Bewegungsrichtung  der 
Sporen  einen  EinÜuss,  sondern  es  sind  vorzugsweise  nur  die 
starkbrechbaren  Strahlen,  die  blauen,  indigofarbigen 
und  violetten,  welche  als  Reiz  empfunden  werden. 

Schiebt  man  zwischen  Lichtquelle  und  Präparat  ein  Gefäss  mit 
dunkler  Kupferoxydammoniaklösung,  welche  nur  blaues,  violettes  Licht 
hindurchlässt,  so  reagiren  die  Schwärmsporen,  als  ob  sie  von  gemischtem 
Tageslicht  getroffen  würden,  dagegen  reagiren  sie  gar  nicht  auf  Licht- 
strahlen, welche  durch  eine  Lösung  von  doppeltchromsaurem  Kali,  durch 
die  gelben  Dämpfe  einer  Natriumflamme  odei-  durch  Rubinglas  hindurch- 
gegangen sind. 

Ein  anderes,  mannigfaltiges  und  wichtiges  Gebiet  von  Lichtwirkung 
bietet  sich  uns  dar  in  der  Chlorophyll  Wanderung  pflanzlicher 
Zellen.  Licht  wirkt  als  Reiz  auf  chlorophyllhaltiges  Protoplasma  und 
veranlasst  es,  durch  langsame  Bewegungen  sich  an  zweckmässigen 
Stellen  innerhalb  der  Cellulosemembran  anzusammeln. 

Zum  Studium  dieser  Erscheinungen  ist  wohl  das  geeignetste  Object 
die  Fadenalge  Mesocarpus,  an  welcher  Stahl  (IV.  34)  sehr  über- 
zeugende Beobachtungen  angestellt  hat. 

In  den  zu  langen  Fäden  vereinigten,  cylindrischen  Zellen  spannt 
sich  ihrer  Länge  nach  ein  dünnes  Chlorophyllband  mitten  durch  den 
Saftraum  aus,  ihn  in  zwei  gleich  grosse  Hälften  zerlegend,  und  geht  mit 
seinen  Rändern  in  den  protoplasmatischen  Wandbeleg  der  Zelle  über. 
Je  nach  der  Richtung  des  einfallenden  Lichtes  verändert  das  Chlorophyll- 
baud  seine  Stellung.    Wird  es   direct  von  oben  oder  von  unten  durch 


n.    Die  Reizerscheinuugen.  85 

schwaches  Tageslicht  getroffen,  so  kehrt  es  dem  Beobachter  seine 
Fläche  zu.  Wenn  man  dagegen  die  Beleuchtung  so  regulirt,  dass  nur 
Strahlen,  die  dem  Mikroskoptisch  parallel  verlaufen,  von  der  Seite  zum 
Präparat  gelangen,  so  drehen  sich  die  grünen  Platten  um  etwa  90  °,  bis 
sie  eine  genau  verticale  Stellung  einnehmen  und  jetzt  als  dunkelgrüne 
Längsstreifen  die  sonst  durchsichtigen  Zellen  ihrer  Länge  nach  (kirchziehen. 
Zwischen  beiden  Extremen  kann  das  Band  alle  möglichen  Zwischen- 
stellungen einnehmen,  indem  es  stets  seine  Fläche  senkrecht  zur  Richtung 
des  einfallenden  Lichtes  zu  orientiren  sucht.  In  warmen  Sommertagen 
erfolgt  der  Stellungswechsel  schon  in  wenigen  Minuten;  er  erklärt  sich 
aus  activen  Bewegungen,  welche  das  Protoplasma  innerhalb  der  Zell- 
membran ausführt. 

Auch  hier  übt  wie  bei  den  Schwärmsporen  die  Intensität  des 
Lichtes  einen  verschiedenen  Einfluss  aus.  Während  diffuse 
Beleuchtung  das  oben  beschriebene  Resultat  herbeiführt,  bewirkt  directes 
Sonnenlicht  eine  ganz  entgegengesetzte  Stellung  der  Chlorophyllplatte. 
Diese  kehrt  jetzt  ihre  eine  Kante  der  Sonne  zu.  Wir  erhalten  also 
folgendes  Gesetz:  „Das  Licht  übt  einen  richtenden  Einfluss  auf  den 
Chloroph} ilapparat  von  Mesocarpus.  Bei  schwächei-em  Lichte  orientirt 
sich  derselbe  senkrecht  zum  Strahlengang,  bei  intensiver  Beleuchtung 
fällt  dessen  Ebene  in  die  Richtung  des  Strahlengangs."  Die  erste  An- 
ordnung bezeichnet  Stahl  als  Flächenstellung,  die  zweite  als 
Profilstellung. 

Bei  langer  Dauer  der  intensiven  Beleuchtung  zieht  sich  das  ganze 
Band  zu  einem  dunkelgrünen,  wurmförmigen  Körper  zusammen,  um 
später  unter  günstigen  Bedingungen  wieder  seine  ursprüngliche  Gestalt 
anzunehmen. 

Alle  diese  verschiedenartigen,  unter  dem  Reiz  des  Liclites  erfolgen- 
den Bewegungen  des  Protoplasmas  werden  den  Zweck  haben,  den  Ghloro- 
phyllapparat  einerseits  in  eine  für  seine  Function  günstige  Stellung  zum 
Licht  zu  bringen,  anderseits  ihn  vor  der  schädigenden  Wirkung  zu  inten- 
siver Beleuchtung  zu  schützen. 

Dem  Einfluss  des  Lichtes,  der  bei  Mesocarpus  sich  in  so  klarer 
Weise  äussert,  sind  übrigens  auch  die  mit  Chlorophyllkörnern 
versehenen,  gewebeartig  verbundenen  Zellen  der  Pflanzen  unterworfen. 
Nur  sind  hier  die  Erscheinungen  von  etwas  complicirterer  Art  (Fig.  52). 

Wie  zuerst  Sachs  entdeckt  hat,  sind  im  intensiven  Sonnenlicht  die 
Blätter  hellgrüner  als  bei  matter  Beleuchtung  oder  im  Schatten.  Auf 
Grund  dieser  Wahrnehmung  konnte  Sachs  auf  intensiv  beleuch- 
teten Blättern  Lichtbilder  künstlich  hervorrufen,  wenn 
er  sie  theilweise  mit  Papierstreifen  bedeckte  (IV.  32a). 
Nach  einiger  Zeit  erscheinen  nach  Entfernung  der  Papierstreifen  die  von 
ihnen   beschattet  gewesenen   Stellen   dunkelgrün  auf  hellgrünem  Grund. 

Die  ganze  Erscheinung  erklärt  sich  auch  hier  aus  dem  für  Meso- 
carpus festgestellten  Gesetz,  wie  die  Untersuchungen  von  Stahl  (IV.  34) 
nach  den  Vorarbeiten  von  Famintzin,  Frank,  Borodin  ergeben  ha1)en. 
Bei  matter  Beleuchtung  und  im  Schatten  führt  das  Protoplasma  solche 
Beweg-ungen  aus,  dass  die  Chlorophyllkörner  an  die  dem  Licht  zuge- 
kehrten Aussenflächen  der  Zellen  zu  liegen  kommen  (Fig.  52  A),  während 
sie  an  den  Seitenwänden  geschwunden  sind.  In  directem  Sonnenlicht 
dagegen  strömt  das  Protoplasma  mit  den  Chlorophyllkörnern  den  Seiten- 
wänden (Fig.  52  B)  zu,  bis  die  Aussenwand  ganz  chlorophyllfrei 
geworden  ist.     Im  ersten  Fall  nimmt  also  der  ganze  Chlorophyllapparat 


8C 


Viertes  Capitel. 


wie   bei   Mesocarpus   zum    einfallenden   Licht   eine  Flächenstellung,    im 
zweiten  Fall  eine   Profilstellung-   ein;    dort  erscheinen  daher  die  Blätter 

dunkler,     hier     heller 
grün  gefärl)t. 

Ausserdem  verän- 
dern die  Chloro- 
phyllkörner selbst 
noch  ihre  Gestalt 
in  der  Weise,  dass 
s  i  e  b  6  i  intensivem 
L  i  c  h  t  k  1  e  i  n  e  r  und 
kugliger  werden. 
Alle  diese  Vorgänge 
führen  zu  ein  und  dem- 
selben Ziel !  „Die 
Chlorophyll  körn  er 
schützen  sich  bald 

durch      Drehung 
(Mesocarpus),  bald 
durch  Wanderung 
oder     Gestaltver- 
ä n d e r u n g    vor    zu 

intensiver      Be- 
leuchtung." —  „Bei 

schwacher  Be- 
leuchtung wird  der 
Lichtquelle  die 
grö SS te  Fläche  zu- 
gekehrt; das  Licht 
wird  so  viel  wie 
möglich  aufgefan- 
gen. Ein  entgegen- 
gesetztes Verhal- 
ten macht  sich  1)  ei 
sehr  starker  Be- 
1  euchtun g  b e m  e r k - 
kleinere    Fläche    darge- 


Fig.  52.  Querschnitt  durch  das  Blatt  von 
Lemna  trisulca  (nach  Stahl). 

A  Flächenstelhing  (Tagstelhmg).  B  Anordnimg  der 
Chlorophyllkörner  im  intensiven  Licht,  C  Dunkel  Stellung 
der  Chlorophyllkörner. 


bar;    es 
boten." 


wird    dem    Lichte    eine 


III.    Elektrisclie  Reize. 

Wie  namentlich  die  Experimente  von  Max  Schnitze  (L  29)  und 
Kühne  (IV.  15),  von  Engelmann  und  von  Verworn  (IV.  39)  gezeigt 
haben,  wirken  galvanische  Ströme  und  zwar  sowohl  die  inducirten,  als 
die  eonstanten,  als  Reiz  auf  das  Protoplasma  ein,  soweit  sie  dasselbe 
direct   durchströmen. 

Wenn  man  Staubfadenhaare  von  Tradescantia  (Fig.  53) 
quer  zwischen  die  dicht  genäherten,  unpolarisirbaren  Elektroden  legt  und 
mit  schwachen  Inductionsschlägen  reizt,  so  sieht  man  in  der  vom  Strom 
durchflossenen  Strecke  des  Protoplasmanetzes  die  Körnchenströmung 
plötzlich  still  stehen.  Es  bilden  sich  unregelmässige  Klumpen  und 
Kugeln  an  den  Protoplasmafäden  aus,   die  an  den  dünnsten  Stellen  ein- 


II.    Die  Reizerscheinungen. 


87 


reissen  und  in  Nachbaifäden  aufgenommen  werden.  Nach  einiger  Zeit 
der  Euhe  kehrt  die  Bewegung  wieder,  indem  die  Klumpen  und  Kugeln 
von  den  benachbarten  Protoplasmaströmen  allmählich  ergriffen,  mit  fort- 


und    zur   Vertheilung   gebracht   werden. 


gerissen 

wiederholten  Inductionsschlägen,  welche 
ist  eine  Rückkehr  zur  Norm  nicht 
mehr  möglich,  indem  der  Proto- 
plasmakörper unter  partieller  Gerin- 
nung in  trübe  Schollen  und  Klumpen 
verwandelt  wird. 


die 


ganze 


Bei   starken   und   oft 
Zelle  getroffen  haben, 

ß 


Bei  Amöben 
Blutkörperchen 
chenbewegung    und 


und   weissen 

stockt  die  Körn- 

das    Vorwärts- 

durch   schwache 


kriechen,  wenn  sie 
Inductionsschläge  gereizt  werden,  eine 
kurze  Zeit  und  wird  dann  wieder 
in  normaler  Weise  fortgesetzt.  Stär- 
kere Inductionsschläge  haben  zur 
Folge,  dass  die  Pseudopodien  rasch 
eingezogen  werden  und  der  Körper 
sich  zur  Kugel  zusammenzieht;  sehr 
starke  Ströme  endlich  rufen  ein 
Platzen  und  eine  Zerstörung  des  zur 
Kugel  contrahirten  Körpers  hervor. 

Durch  längere  Zeit  fort- 
gesetzte Inductionsströme 
kann  man  niedere  einzellige 
Organismen  stückweise  zer- 
stören und  verkleinern.  Bei 
Actinosphärium  verläuft  der  Vor- 
gang in  folgender  Weise.  Die  Pseudo- 
podien, welche  nach  den  beiden 
Elektroden  gerichtet  sind,  zeigen  bald 
Varicositäten  und  werden  allmählich, 
indem  das  Protoplasma  zu  Kügelchen 
und  Spindeln  zusammenfliesst^,  ganz 
eingezogen  (Fig.  54).  Dann  fällt  an 
diesen  Stellen  die  Oberfläche  des  Kör- 
pers   immer  mehr  einer  Zerstörung, 

gewissermaassen  einer  Art  von  Einschmelzung,  anheim,  wobei  die  im  Proto- 
plasma eingeschlossenen  Flüssigkeitsvacuolen  platzen.  Dagegen  erhalten  sich 

die  senkrecht  zur  Stromesrichtung  stehenden  Pseudopodien  ^^-j--*- 

Nach  Beseitigung  des  Reizes  erholt  sich  nach  und  nach  das 
zur  Hälfte  oder  auf  ein  Drittel  reducirte  Individuum  und 
durch  Einschmelzung  verloren  gegangenen  Theile. 

Aehnliches  bewirkt  die  Anwendung  des  constanten  Stromes  bei 
Actinosphärium  (Fig.  55),  Actinophrys,  Pelomyxa,  Myxomyceten.  Beim 
Schliessen  des  Stromes  entsteht  an  dem  positiven  Pol  (der  Anode) 
(Fig.  55  -\-)  eine  Erregung,  die  sich  in  Einziehung  der  Pseudopodien 
und  bei  längerer  Dauer  in  einer  Zerstörung  des  Protoplasma  an  der 
Eintrittsstelle  des  Stroms  kund  giebt.  Beim  Oeffnen  desselben  hört  die 
Einschmelzung  an  der  Anode  sofort  auf  und  es  tritt  dagegen   eine  bald 


Fig. 53.  Av..^  Zelle  eines  Staub- 
fadenhaares  von  Tradescantia  vir- 
ginica.  A  Ungestörte  Protoplasmaströ- 
mung. B  Protoplasma  nach  Reizung 
kugelig  zusammengeballt,  a  Zellwand, 
b  Querwand  zweier  Zellen,  c,  d  Proto- 
plasma zu  Klumpen  zusammengeballt. 
(Nach  Kühne.)    Aus  Vkrworn  Fig.  13. 


unverändert. 

eventuell  bis 

ergänzt   die 


88 


Viertes  Capitel. 


vorübergehende    Zusammenziehung    an    der    der   Kathode    zugewandten 
Körperoberfläche  ein. 


+ 


Fiff.  54. 


Fig.  55. 


Fig.  54.  Actinosphärium  Eichhornii.  Wirkung  von  Wechselströmen. 
An  beiden  Polen  gleichmässig  fortschreitender  Zerfall  des  Protoplasma.  Nach  Veeworn 
Taf.  I,  Fig.  5. 

Fig.  55.  Actinosphärium  Eichhornii  zwischen  den  Polen  eines  con- 
stanten  Stromes.  Einige  Zeit  nach  Schliessung  des  Stromes  beginnt  an  der  Anode 
(_j_)  der  körnige  Zerfall  des  Protoplasma.  An  der  Kathode  (— )  sind  die  Pseudopodien 
wieder  normal  geworden.     Nach  Vekwokn  Taf.  I,  Fig.  2. 

Interessanter  und   wichtiger   als  diese  Reizvorgänge  sind   vielleicht 

die  Erscheinungen  des  Galvanotropismus, 

welche  Verworn  an  einer  Anzahl   einzelliger  Organismen  (IV.  39  u.  40) 
entdeckt  hat. 


+  - 


Fig.  56.  Bei  Schliessung  des  constanten  Stromes  schwimmen  in  einem  Wasser- 
tropfen (A)  alle  Paranicäcien  innerhalb  der  Stromcurven  nach  dem  negativen  Pol  und 
haben  nach  einiger  Zeit  sich  jenseits  des  negativen  Pols  angehäuft  (B).  Nach  Verwokn 
(IV.  40j  Fig.  20. 

Unter  Galvanotropismus  versteht  Verworn  die  Erscheinung,  dass 
durch  den  constanten  Strom  manche  Organismen  zu  Bewegungen  in 
einer  bestimmten  Richtung  veranlasst  werden,  in  ähnlicher  Weise  wie 
durch  den  Lichtstrahl  (Heliotropismus).  „Bringt  man  auf  einen  Object- 
träger  zwischen  zwei  unpolarisirbare  Elektroden  einen  Tropfen,  der  Para- 
mäcium  aurelia  in  möglichst  grosser 


Individuenzahl  enthält  und  schliesst 


II.    Die  Reizerscheinungen.  89 

dann  den  constanten  galvanischen  Strom,  so  sieht  man  im  Augenblick 
der  Schliessung  sänuntliche  Paramäcien  die  Anode  verlassen  und  als 
dichten  Schwann  auf  die  Kathode  zueilen,  wo  sie  sich  in  grossen 
Mengen  ansammeln.  Nach  wenigen  Secunden  ist  der  übrige  Theil  des 
Tropfens  vollkommen  leer  von  den  Protisten  und  nur  die  kathodische 
Seite  desselben  zeigt  ein  dichtes  Gewimmel  von  ihnen.  Hier  bleiben  sie 
während  der  ganzen  Dauer  des  Stromes.  Wird  nun  der  Strom  geöffnet, 
so  sieht  man  den  ganzen  Schwärm  wieder  die  Kathode  verlassen  und  in 
der  Richtung  nach  der  Anode  hinüberschwimmen.  Diesmal  findet  keine 
vollkommene  Ansammlung  an  der  Anode  statt,  sondern  ein  Theil  der 
Protisten  bleibt  gleichmässig  im  Tropfen  zerstreut,  Anfangs  jedoch  ohne 
der  Kathode  näher  zu  kommen,  was  erst  ganz  allmählich  einige  Zeit 
nach  der  Stromöffnung  geschieht.  Schliesslich  sind  wieder  alle  Protisten 
gleichmässig  im  Tropfen  vertheilt." 

Hat  man  spitze  Elektroden  angewandt,  so  schwärmen  die  Para- 
mäcien innerhalb  der  Stromcurven  der  Kathode  zu  (Fig.  56  Ä).  Es  ent- 
steht ein  Bild,  wie  wenn  Eisenfeilspähne  von  einem  Magneten  angezogen 
werden.  „Dabei  macht  man,"  wie  Verworn  bemerkt,  „die  Beobachtung, 
dass,  nachdem  alle  Paramäcien  nach  dem  negativen  Pol  hinübergewandert 
sind,  die  grösste  Anhäufung  sich  hinter,  d.  h.  also  jenseits  des  negati- 
ven Pols  (vom  positiven  Pol  aus  gerechnet),  gebildet  hat  und  dass  sich 
nur  wenige  an  der  anderen  Seite  des  Pols  aufhalten  (Fig.  56  B).  Bei 
Oeffnung  des  Stroms  schwimmen  die  Protisten  in  der  oben  beschriebenen 
Weise  wieder  in  der  Richtung  nach  dem  positiven  Pol  zurück  und 
zwar  ebenfalls  zuerst  mit  strenger  Innehaltung  der  Stromcurven,  bis 
allmählich  die  Bewegung  und  damit  die  Vertheilung  im  Tropfen  wieder 
regellos  wird." 

In  derselben  Weise  sind  noch  manche  andere  Infusorien,  wie  Stentor, 
Colpoda,  Halteria,  Coleps,  Urocentrum,  und  Flagellaten,  wie  Trachelo- 
monas,  Peridinium  galvanotropisch. 

Galvanotropismus  zeigen  auch  Amöben.  Während  sie  im  ersten 
Augenblick  der  Schliessung  des  constanten  Stroms  eine  Sistirung  der 
Körnchenströmung  erfahren,  treten  dann  plötzlich  an  dem  der  Kathode 
zugewandten  Ende  hyaline  Pseudopodien  hervor  und  indem  in  derselben 
Richtung  die  andere  Leibessubstanz  nachfliesst  und  immer  wieder  neue 
Pseudopodien  hervorgestreckt  werden,  kriechen  die  Amöben  nach  der 
Kathode  zu.  Bei  Umkehr  des  Stromes  kann  man  auch  eine  plötzliche, 
ruckweise  Umkehr  der  Körnchenströmung  und  ein  Kriechen  nach  der 
entgegengesetzten  Richtung  beobachten. 

Die  Bewegung  nach  der  Kathode  kann  man  als  negativen 
Galvanotropismus  bezeichnen.  Wie  es  nun  einen  negativen  und 
positiven  Heliotropismus  und  Thermotropismus  giebt,  so  lässt  sich  auch 
in  einzelnen  Fällen  die  Erscheinung  eines  positiven  Galvano- 
tropismus nachweisen.  Verworn  hat  ihn  bei  Opalina  ranarum,  bei 
einigen  Bakterien  und  Flagellaten,  wie  Cryptomonas  und  Chilomonas 
beobachtet.  Beim  Schliessen  des  Stromes  wandern  die  genannten  Arten 
anstatt  nach  der  Kathode  nach  der  Anode  hin  und  sammeln  sich  daselbst 
an.  Sind  in  einem  Tropfen  gleichzeitig  ciliate  Infusorien  und  Flagellaten 
vorhanden,  dann  eilen  sie  bei  Schliessung  des  constanten  Stromes  nach 
entgegengesetzter  Richtung  auseinander,  so  dass  schliesslich  zwei  scharf 
von  einander  gesonderte  Gruppen  zu  sehen  sind,  die  Flagellaten  an  der 
Anode,  die  Ciliaten  an  der  Kathode.  Wurde  der  Strom  nun  gewendet, 
so  rückten  sie  wie  zwei  feindliche  Heere  gegeneinander  los,  bis  sie  sich 


90 


Viertes  Capitel. 


wieder  an  den  gegenüberliegenden  Polen  angesammelt  hatten.  Jede 
Stromschliessung  vollzog  in  wenigen  Secunden  eine  scharfe  Trennung  der 
vorher  in  unentwirrbarem  Gewinnnel  vermischten  Infusorienfornien. 


IV.    Mechanische  Reize. 

Druck,  Erschütterung,  Quetschung  wirken  als  Reiz  auf  das  Proto- 
plasma ein.  Schwache  mechanische  Reize  bleiben  in  ihrer  Wirkung  auf 
die  nächst  betroffene  Stelle  beschränkt,  starke  Reize  breiten  sich  auf 
grössere  Entfernung  aus  und  haben  eine  grössere  und  schnellere  Wirkung 
als  schwächere.  Wenn  eine  Zelle  von  Tradescantia  oder  Chara  oder 
ein  Plasmodium  von  Aethalium  erschüttert  oder  an  einer  Stelle  gedrückt 
wird,  so  steht  die  Körnchenbewegung  eine  Zeit  lang  still,  an  den  Proto- 
plasmafäden können  sich  sogar  Anschwellungen  und  Klumpen  bilden,  in 
ähnlicher  Weise  wie  nach  Reizung  mit  dem  elektrischen  Strom.  So 
kommt  es  häufig,  dass  beim  Herrichten  der  Präparate  schon  durch  das 
Auflegen  des  Deckgiäschens  die  Protoplasmabewegung  zum  Stillstand 
gebracht  wird.  Nach  einiger  Zeit  der  Ruhe  kehrt  sie  dann  allmählich 
wieder  zurück. 

Amöben  und  weisse  Blutkörperehen  ziehen  bei  heftiger  Erschütterung 
ihre  Pseudopodien  ein  und  nehmen  Kugelgestalt  an.  Rhizopoden  mit 
schön  ausgebreiteten,  langen  Fäden  thun  dies  oft  mit  einer  solchen 
Energie,  dass  die  Enden,  welche  an  dem  Objectträger  kleben,  abreissen 
(Verworn). 

Mit  einer  feinen  Nadel  kann  man  eine  einzelne  Stelle  local  reizen. 
Die  Wirkung  bleibt  auf  dieselbe  beschränkt,  wenn  der  Reiz  schwach 
war,  und  äussert  sich  in  einem  Varicöswerden  und  einer  Verkürzung 
des  Pseudopodiums.  Starke  und  wiederholte  Reize  rufen  auch  in  den 
nicht  direct  getroffenen,  benachbarten  Pseudopodien  Contractionserschei- 
nungen  hervor  (Fig.  57  B). 


Fig.   57.      Orbitoliteß.     Ein  Theil    der  Oberfläche    mit  Pseudopodien. 

Links  ungestört,  rechts  total  durch  andauernde  Erschütterung  gereizt.    Nach  Verwohn 
(lU.  24)  Fig.  7. 

Für  die  Nahrungsaufnahme  der  Rhizopoden  ist  dies  von  Bedeutung. 
Wenn  ein  Infusor  oder  irgend  ein  anderes  kleines  Thier  mit  einem 
ausgestreckten  Pseudopodium  in  Berührung  kommt,  wird  es  von  dem- 
selben festgehalten  und  vom  Protoplasma  rings  umflossen.  Dann  wird  es, 
indem  sich  das  Pseudopodium  allmählich  verkürzt,  wobei  sich  auch  noch 


II.    Die  Reizerscheiimngen.  91 

die   benachbarten   Fäden   eventuell   betheiligen,    in    die   centrale   Proto- 
plasmamasse geschatft,  wo  es  verdaut  wird. 

V.    Chemische  Reize. 

Ein  lebender  Zellkörper  kann  sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
chemischen  Veränderungen  seiner  Umgebung  anpassen.  Eine  Haupt- 
bedingung dabei  ist  freilich,  dass  die  Veränderungen  nicht  plötzlich, 
sondern  allmählich  eintreten. 

Plasmodien  von  Aetlialium  gedeihen  in  einer  zweiprocentigen 
Lösung  von  Traubenzucker,  wenn  man  den  letzteren  in  langsam  steigen- 
der Dosis  zum  Wasser  zusetzt  (IV.  35).  Würde  man  sie  gleich  aus 
reinem  Wasser  in  die  chemisch  veränderte  Umgebung  bringen,  so  würde 
der  plötzliche  Wechsel  den  Tod  zur  Folge  haben,  und  dasselbe  würde 
eintreten,  wollte  man  sie  aus  der  zweiprocentigen  Zuckerlösung  gleich  in 
reines  Wasser  zurückversetzen.  Wie  man  hieraus  sieht,  muss  das 
Protoplasma  Zeit  haben ,  sich ,  wahrscheinlich  durch  Zu-  und  Abnahme 
seines  Wassergehaltes,  den  veränderten  Bedingungen  anzupassen. 

Meerwasseramöben  und  Rhizopoden  bleiben  am  Leben,  wenn  durch 
allmähliche  Verdunstung  das  in  einem  offenen  Gefäss  stehende  Meer- 
wasser selbst  einen  Salzgehalt  von  10  Procent  erreicht  hat.  Süsswasser- 
amöben  lassen  sich  allmählich  an  4procentige  Kochsalzlösung  gewöhnen, 
während  sie  durch  plötzlichen  Zusatz  schon  einer  einprocentigen  Lösung 
sich  zu  Kugeln  zusammenziehen  und  mit  der  Zeit  in  glänzende  Tropfen 
zerfallen. 

Bei  der  Anpassung  an  eine  neue  chemische  Umgebung  werden  die 
einzelnen  Zellkörper  mehr  oder  minder  Veränderungen  in  ihrer  Structur 
und  in  ihrer  Lebensthätigkeit  erfahren.  Wenn  sich  das  letztere  in  einer 
für  uns  wahrnehmbaren  Weise  äussert,  werden  wir  von  chemischen 
Reizwirkungen  sprechen.  Die  auf  diesem  ausserordentlich 
umfangreichen  Gebiete  zu  beob  achten  den  Erscheinungen 
fallen  verschieden  aus,  je  nachdem  das  chemische  Reiz- 
mittel allseitig  und  gleich  massig  oder  nur  in  einer 
bestimmten  Richtung,  also  einseitig,  auf  den  Zellkörper 
einwirkt. 

a)  Erste  Gruppe  von  Versuchen. 

Chemische    Einwirkungen,    die   von    allen    Seiten    den   Zell- 
körper treffen. 

Um  die  erste  Gruppe  der  Erscheinungen  zu  erläutern,  soll  auf  das 
Verhalten  des  Protoplasma  gegen  einzelne  Gase  und  gegen 
die  unter  dem  gemeinsamen  Namen  der  Anästhetica  zusammengefassten 
Stoffe  näher  eingegangen  werden. 

In  den  Pflanzenzellen  hört  die  Bewegung  des  Protoplasma  in  kurzer 
Zeit  auf,  wenn  man  sie  anstatt  in  Wasser  in  einen  Tropfen  Olivenöl 
einlegt  und  dadurch  den  Luftzutritt  abschliesst  (IV.  15).  Nach  Ent- 
fernung des  Oeles  kann  man  die  Bewegung  allmählich  wiederkehren 
sehen. 

Die  Verlangsamung  und  schliesslich  den  Stillstand  der  Protoplasma- 
strömung kann  man  auch  dadurch  hervorrufen ,  dass  man  die  atmo- 
sphärische Luft  durch  Kohlensäure  oder  durch  Wasserstoff  verdrängt. 
Zur  Anstellung   derartiger  Experimente    hat  man   besondere    Object- 


C)2  Viertes  Capitel. 

trä.uer  mit  Gaskamnierii  construirt,  durchweiche  man  einen  Strom 
von  Kolilensäure  oder  Wasserstoff  hindurchleiten  kann.  Kacli  einem 
Aufentluüt  der  Pflanzenzellen  von  45  Minuten  bis  einer  Stunde  im 
Kohlensäurestronie  ist  die  Bewegung  durchschnittlich  überall  erloschen; 
l»ei  Anwendung  des  Wasserstoffs  ist  eine  etwas  längere  Zeit  dazu 
erforderlich  (III.  5). 

Die  Lähnumg  des  Protoplasma  kann,  wenn  sie  nicht  zu  lange  Zeit 
angedauert  hat,  stets  durch  Sauerstoffzufuhr  wieder  aufgehoben  werden. 
„Offenbar  bindet  das  lebendige  Protoplasma  den  Sauerstoff  der  Umgebung 
chemisch,  und  wird  die  so  entstandene  feste  Sauerstoffverbindung,  von 
der  unter  normalen  Verhältnissen  in  jedem  Protoplasmakörper  ein 
gewisser  Vorrath  angenonunen  werden  muss,  während  der  Bewegungen 
beständig  zerstört,  vermuthlich  unter  Abspaltung  von  Kohlensäure." 
(Engelmann.  III.  5.)  Entziehung  von  Sauerstoff  wirkt  daher  lähmend 
auf  die  Reizbarkeit  und  überhaupt  auf  jede  Lebensthätigkeit  des  Proto- 
plasma ein. 

Einen  deutlich  ausgesprochenen  Einfluss  auf  die  Lebensthätigkeit  der 
Zelle  haben  die  Anästhetica,  Chloroform,  Morphium,  Chloral- 
hydrat  etc.  Es  wirken  diese  Stoffe  nicht  nur,  wie  man  häufig  glaubt, 
auf  das  Nervensystem  ein,  sondern  ebenso  gut  auch  auf  jedes  Protoplasma. 
Die  Wirkungsweise  ist  nur  eine  graduell  verschiedene;  es  wird  die  Reiz- 
barkeit der  Nervenzellen  früher  und  rascher  herabgesetzt  und  endlich 
aufgehoben  als  die  Reizbarkeit  des  Protoplasma.  Auch  wird  bei  der 
medicinischen  Verwendung  der  Narcotica  beim  Menschen  nur  eine  Ein- 
wirkung auf  das  Nervensystem  angestrebt,  da  eine  tiefere  Narcose  der 
Elementartheile  einen  Stillstand  des  Lebensprocesses  und  also  den  Tod 
zur  Folge  haben  würde.  Dass  aber  die  Reizbarkeit  des  Protoplasma  im 
Pflanzen-  und  Thierreich  ohne  bleibenden  Schaden  vorübergehend  auf- 
gehoben werden  kann,   wird  aus  folgenden  Beispielen  klar  hervorgehen: 

Die  Sinnpflanze  oder  Mimosa  pudica  ist  gegen  Berührung 
sehr  empfindlich.  Wenn  ein  Fiederblättchen  etwas  erschüttert  wird,  so 
klappt  es  sofort  zusammen  und  sinkt  aus  der  aufgerichteten  Stellung 
nach  abwärts  herab.  Gleichzeitig  ist  sie  ein  Beispiel  für  eine  rasche 
Reizfortleitung  bei  Pflanzen,  welche  auch  ohne  Anwesenheit  von  Nerven, 
einfach  in  der  Weise  vor  sich  geht,  dass  der  Reizanstoss  von  einem 
Protoplasmakörper  auf  den  angrenzenden  rasch  übertragen  wird.  In 
Folge  dessen  schlagen  bei  Berührung,  je  nach  der  Stärke  derselben,  nicht 
nur  die  unmittelbar  betroffenen  Blätter,  sondern  auch  die  Blätter  desselben 
Zweiges,  eventuell  sogar  der  ganzen  Pflanze  zusammen,  wobei  gewisse, 
hier  nicht  näher  zu  besprechende,  mechanische  Einrichtungen  in  Wirk- 
samkeit treten. 

Um  nun  den  Einfluss  der  Anästhetica  zu  studiren,  stelle  man  eine 
mit  voller  Reizbarkeit  ausgestattete  Sinnflanze  unter  eine  Glasglocke  und 
lege  noch,  wenn  sie  ihre  Blätter  vollständig  ausgebreitet  hat,  einen  mit 
Chloroform  oder  Aether  durchtränkten  Schwamm  darunter  (Claude 
Bernard  IV.  1).  Nach  einer  halben  Stunde  etwa  hat  durch  die 
Chloroform-  oder  Aetherdämpfe  das  Protoplasma  seine  Reizbarkeit  ein- 
gebüsst.  Nach  Entfernung  der  Glocke  kann  man  die  normal  aus- 
gebreiteten Blättchen  berühren,  sogar  heftig  quetschen  oder  abschneiden, 
ohne  dass  eine  Reaction  eintritt:  der  Erfolg  ist  derselbe  wie  bei  einem 
mit  Nerven  versehenen  höheren  Geschöpf.  Und  trotzdem  ist  das  Proto- 
plasma, vorausgesetzt,  dass  der  Versuch  mit  der  nothwendigen  Vorsicht 
angestellt  worden  ist,  nicht  abgestorben.    Denn  nachdem  die  Sinnpflanze 


II.    Die  Reizerscheinungeii.  93 

einige  Zeit  in  Irischer  Luft  zugebracht  hat,  schwindet  allmählich  die 
Narcose;  erst  schlagen  einzelne  Blättchen  bei  kräftiger  Berührung  noch 
langsam  zusammen,  endlich  ist  die  volle  Reizbarkeit  wieder  zurückgekehrt. 

In  derselben  Weise  lassen  sich  Eier  und  Samenfäden  in  Nar- 
cose versetzen.  Als  Richard  Hertwig  und  ich  (IV.  12 a)  lebhaft 
bewegliche  Samenfäden  von  Seeigeln  in  eine  mit  Meerwasser  hergestellte 
0,5-procentige  Lösung  von  Chloralhydrat  brachten,  wurde  ihre  Bewegung 
schon  nach  5  Minuten  vollständig  aufgehoben,  kehrte  indessen,  nachdem 
reines  Meerwasser  zugesetzt  worden  war,  sehr  rasch  wieder.  Auch 
befruchteten  die  durch  den  vorübergehenden  Aufenthalt  in  0,5  Procent 
Chloral  gelähmten  Samenfäden,  als  sie  zu  Eiern  hinzugefügt  wurden, 
fast  ebenso  bald  als  frischer  Samen.  Nach  halbstündiger  Einwirkung 
der  Chlorallösung  wurde  die  dadurch  hervorgerufene  Lähmung  der 
Samenfäden  eine  stärkere  und  hielt  längere  Zeit  auch  nach  Entfernung 
des  schädigenden  Mittels  an.  Erst  nach  einigen  Minuten  begannen  einzelne 
Samenfäden  schlängelnde  Bewegungen,  die  bald  lebhafter  wurden.  Als 
sie  zu  Eiern  hinzugefügt  wurden,  w^aren  diese  nach  10  Minuten  noch 
nicht  befruchtet,  oi)wohl  auf  ihrer  Oberfläche  schon  viele  Samenfäden 
sich  festgesetzt  hatten  und  bohrende  Bewegungen  ausführten.  Aber  auch 
hier  blieb  schliesslich  die  Befruchtung  und  normale  Theilung  der  Eier 
nicht  aus. 

Wie  bei  den  Samenfäden,  lässt  sich  auch  bei  den  Eiern  die  Reiz- 
barkeit durch  eine  0,2  —  0,5procentige  Lösung  von  Chloralhydrat  und 
von  ähnlichen  Substanzen  beeinflussen,  was  sich  dann  bei  Zusatz  von 
Samenflüssigkeit  in  einer  Veränderung  des  normalen  Befruchtungs- 
processes  zu  erkennen  giebt.  Denn  während  normaler  Weise  nur  ein 
einziger  Samenfaden  in  das  Ei  eindringt  und  sofort  die  Bildung  einer 
festen  Dotterhaut  veranlasst,  durch  welche  das  Nachdringen  w^eiterer 
Samenfäden  unmöglich  gemacht  wird,  tritt  bei  chloralisirtenEiern 
Mehrbefruchtung  ein.  Dabei  konnte  festgestellt  werden,  dass  je 
nach  dem  Grade  der  Chloralwirkung,  je  nach  der  Dauer  der  Einwirkung 
und  der  Concentration  der  Lösung,  die  Zahl  der  Samenfäden  stieg, 
welche  in  das  Ei  gelangt  waren,  ehe  durch  Abscheidung  der  Dotterhaut 
der  Weg  für  weitere  Eindringlinge  verlegt  war.  Offenbar  ist  durch  die 
chemische  Substanz  die  Reactionsfähigkeit  des  Eiplasmas  herabgesetzt, 
so  dass  der  vormals  durch  e  i  n  e  n  Samenfaden  ausgeübte  Reiz  nicht  mehr 
genügt,  sondern  durch  das  Eindringen  von  2,  3  und  mehr  Samenfäden 
in  entsprechender  Weise  gesteigert  werden  muss,  um  das  Ei  zur  Membran- 
bildung anzuregen. 

Ein  letztes  Beispiel  wird  uns  endlich  noch  zeigen,  dass  auch 
chemische  Processe  in  der  Zelle  durch  Anästhesirung 
e  i  n  e  H  e  m  m  u  n  g  e  r  f  a h  r  e n  k  ö  n  n  e  n.  Wie  bekannt,  rufen  die  Spalt- 
pilze, welche  die  Bierhefe  bilden,  Saccharomyces  cerevisiae,  in  einer 
Zuckerlösung  alkoholische  Gährung  hervor,  wobei  Bläschen  von  Kohlen- 
säure in  der  Flüssigkeit  aufsteigen.  Als  Claude  Bernard  (IV.  1)  eine 
Zuckerlösung  mit  Chloroformwasser  oder  Aetherwasser  versetzte  und 
dann  Bierhefe  hinzufügte,  trat  keine  Gährung  auch  untei"  sonst  günstigen 
Bedingungen  ein.  Als  darauf  die  Hefepilze  von  der  Chloroformlösung 
abfiltrirt,  mit  reinem  Wasser  ausgewaschen  und  in  reine  Zuckerlösung 
gebracht  wurden ,  riefen  sie  in  kurzer  Zeit  wieder  Gährung  hervor ;  sie 
hatten  also  das  Vermögen,  Zucker  in  Alkohol  und  Kohlensäure  umzu- 
wandeln, welches  durch  Chloroform-  und  Aetherwirkung  vorübergehend 
aufgehoben  war,  wieder  erhalten. 


g^  Viertes  Capitel. 

In  ähnlicher  Weise  kann  die  Chlorophyllfunction  der  Pflanzen  und 
die  mit  ilir  zusannnenhänsende  Al)schei(lung  von  Sauerstoff  im  Sonnen- 
licht durch  Chloroform  sistirt  werden  (Claude  Bernard). 

b)  Zweite  Gruppe  von  Versuchen. 

Chemische  Einwirkungen,    die  in  einer  bestimmten  Richtung 

den  Zellkörper  treffen. 

Sehr  interessante  und  mannichfaltige  Reizerscheinungen  werden 
Iiervorgerufen ,  wenn  chemische  Substanzen  nicht  allseitig,  wie  in  den 
eben  betrachteten  Fällen,  sondern  nur  e  i  n  s  e  i  t  i  g ,  i  n  e  i  n  e r  b  e  s  t  i  m m  t  e  n 
Richtung,  den  Zell  kör  per  treffen.  Dieser  kann  dadurch  zu 
Formveränderungen  und  zu  Bewegungen  nach  einer  bestimmten  Richtung 
veranlasst  werden,  Erscheinungen,  die  man  unter  dem  Namen  des 
Chemotropismus  (Chemotaxis)  zusammen  gefasst  hat. 

Die  c  h  e  m  0 1  r  0  p  i  s  c  h  e  n  Bewegungen  können  entweder 
nach  der  Reizquelle  zu  gerichtet  oder  imGegentheil  von 
ihr  ab  gewandt  sein.  In  ersterem  Falle  wirken  die  chemischen 
Substanzen  anziehend,  in  letzterem  abstos  send  auf  den  Proto- 
plasmakörper ein.  Es  hängt  dies  theils  von  der  chemischen  Natur  des 
Stoffes,  theils  aucli  von  der  Eigenart  der  dem  Versuch  dienenden 
Plasmaart,  theils  auch  von  dem  Coneentrationsgrad  der  chemischen 
Substanz  ab.  Ein  Stoff,  der  in  geringerer  Concentration  anziehend  wirkt, 
kann  in  stärkerer  Concentration  abstossen.  Es  liegen  hier  ähnliche 
eigenthümliche  Verschiedenheiten  vor,  wie  bei  der  Einwirkung  gedämpften 
und  starken  Lichtes.  Ebenso  wie  der  Heliotropismus  ein  positiver  und 
ein  negativer  sein  kann,  hat  man  auch  einen  positiven  und  einen 
negativen  Chemotropismus  zu  unterscheiden. 

Wir  wollen  auch  hier  zuerst  die  Einwirkung  von  Gasen,  alsdann 
von  Lösungen  in  das  Auge  fassen  und  uns  dabei  mit  einigen  sinnreichen 
Methoden  bekannt  machen ,  welche  wir  besonders  dem  Botaniker 
Pfeffer  (IV.   26)  verdanken. 

1)  Gase. 

Ein  gutes  chemisches  Lockmittel  für  freibewegliche  Zellen  ist  der 
Sauerstoff,  wie  namentlich  die  Experimente  von  Stahl,  Engelmann  und 
Verworn  lehren. 

Stahl  hat  mit  Plasmodien  von  Aethalium  septicum  experimentirt 
(IV.  35).  Er  füllte  einen  Glascylinder  zur  Hälfte  mit  ausgekochtem 
Wasser,  das  er  zum  Luftabschluss  mit  einer  sehr  dünnen  Oelschicht 
bedeckte,  und  legte  an  die  Wand  des  Cylinders  einen  Streifen  Filtrir- 
papier,  auf  dem  sich  ein  Plasmodium  ausgebreitet  hatte,  in  der  Weise, 
dass  die  Hälfte  in  das  Wasser  tauchte.  Schon  nach  kurzer  Zeit  verdünnten 
sich  die  im  sauerstofffreien  Wasser  befindlichen  Protoplasmastränge,  und 
bald  war  alles  Protoplasma  über  die  Oelschicht,  die  auf  das  Plasmodium 
sonst  nicht  schädigend  einwirkt,  emporgewandert  nach  dem  oberen 
Theile  des  Cylinders,  wo  der  Sauerstoff  der  Luft  zutreten  konnte.  Man 
kann  den  Versuch  auch  in  der  Weise  anstellen,  dass  man  ein  Plasmodium 
in  einen  mit  ausgekochtem  Wasser  ganz  gefüllten  Cylinder  bringt,  die 
Oeffnung  mit  einem  durchlöcherten  Kork  schliesst  und^  den  Cylinder  mit 
der  Oeffnung  nach  unten  in  einen  mit  frischem  Wasser  gefüllten  Teller 


II.    Die  Reizerscheinunofeu. 


95 


stellt.     Bald   ist   das   Plasmodiuiii    durch   die   feinen  Löcher   des  Korks 
hindurch  dem  sauerstoffreicheren  Medium  entgegengewandert. 

Interessante  Untersuchungen  über  den  richtenden  Einfluss  des  Sauer- 
stoffs auf  die  Bewegungen  der  Bakterien  hat  Engel  mann  (IV.  7)  an- 
gestellt und  gezeigt,  dass  man  manche  Bakterienformen  als  ein 
sehr  feines  Reagens  zum  Nachweis  sehr  geringer  Sauer- 
stoff mengen  benutzen  kann.  Wird  in  eine  Flüssigkeit,  die  gewisse 
Bakterien  enthält,  eine  kleine  Alge  oder  Diatomee  gebracht,  so  ist  die- 
selbe in  kurzer  Zeit  von  einer  dichten  Hülle  von  Bakterien  umgeben, 
die  durch  den  bei  der  Chlorophyllassimilation  frei  werdenden  Sauerstoff 
angezogen  werden. 

Verworn  (IV.  40)  sah  eine  Diatomee  von  einem  Wall  bewegungs- 
los liegender  Spirochaeten  eingeschlossen,  die  im  übrigen  Theil  des  Prä- 
parates fast  ganz  fehlten  (Fig.  58).    Plötzlich  bewegte  sich  die  Diatomee 
eine   Strecke  weit  aus  dem  Bakterien- 
haufen heraus.  Die  Spirochaeten,  welche 
so  von  ihrer  Sauerstoffquelle   im   Stich 
gelassen  waren,    lagen   zunächst  einige 
Augenblicke    ruhig,    fingen    aber    bald 
darauf  an,  sich  lebhaft  zu  bewegen  und 
in    dichten    Schaaren    wieder    zu    der 
Diatomee  hinüberzuschwimmen.  In  1  bis 
2  Minuten  waren   fast  alle  wieder  um 
dieselbe   versammelt    und    blieben   be- 
wegungslos an  ihr  liegen. 

Aus  der  Reizwirkuug  des  Sauerstoffs  ■-t\'rfjärjp  -i^-\  \- 

erklärt    es    sieh    auch,    dass    man    an  •'^^^^S  5A«?<^^"         ^ 

mikroskopischen  Präparaten  nach  eini- 
ger Zeit  fast  alle  Bakterien,  Flagellaten 
und  Infusorien  an  den  Rändern  oder 
um  Luftblasen,  die  sich  im  Wasser  be- 
finden, angesammelt  findet. 

Einen  recht  lehrreichen  Versuch 
theilt  Verworn  (IV.  40)  mit.  Man 
bringe  eine  grosse  Menge  Paramaecien 
in  ein  mit  sauerstoffarmem  Wasser  ge- 
fülltes Reagensglas,  das  man  umgekehrt 
über  Quecksilber  aufstellt.  Bald  be- 
ginnen die  Flimmerbewegungen  in  Folge 
des  Mangels  von  Sauerstoff  langsam  zu 
werden.  Wenn  man  jetzt  eine  Blase 
reinen  Sauerstoffs  von  unten  her  in  das  Reagensglas  hineinlässt,  so  sieht 
man  dieselbe  schon  nach  wenigen  Sekunden  von  einer  dicken,  weissen 
Hülle  von  Paramaecien  umgeben,  „die  von  Sauerstoffdurst  getrieben, 
wild  auf  die  Sauerstoffblase  losstürmen". 


-W 


Fig.  58.  Eine  grosse  Dia- 
tomee (Pinnularia)  von  einem 
Haufen  von  Spiroebaete  plica- 
tilis  umgeben.  Nach  Verworn 
(IV.  40)  Fig.  14. 


2)  Flüssigkeiten, 

Ueber  die  Reiz  Wirkungen  von  flüssigen  Substanzen  liegen  systema- 
tische Untersuchungen  von  Stahl  und  Pfeffer  vor. 

Stahl  (IV.  35)  hat  als  Untersuchungsobject  auch  hier  wieder  die 
Lohblüthe  benutzt.  Auf  diese  kann  schon  einfaches  Wasser  als  Reiz 
wirken,   eine  Erscheinung,   die  Stahl  als  positiven  und  negativen 


qQ  Viertes   Capitel. 

H  y  (1  r  0 1  r 0 1)  i  s  m u  s  beschrieben  hat.  Ein  gleiclniiässig  auf  einen  Streifen 
feuchten  Filtrirpapiers  ausgebreitetes  Plasmodium  zieht  sich  stets,  wenn 
(las  Pai)ier  auszutrocknen  l)e,uinnt,  nach  den  Stellen  zurück,  welche  noch 
am  feuchtesten  geblieben  sind.  Wenn  man  während  des  Austrocknens 
über  das  Papier  senkrecht  einen  mit  Gelatine  bestrichenen  Objectträger 
in  2  mm  Abstand  anlningt,  so  erheben  sich  an  dieser  Stelle,  durch  den 
von  der  Gelatine  ausgehenden  Wasserdampf  angezogen,  einzelne  Aeste 
vom  Plasmodiumnetz  senkrecht  in  die  Höhe,  bis  sie  die  Gelatine  erreichen 
und  sich  auf  ihr  ausbreiten ;  nach  wenigen  Stunden  kann  so  das  ganze  Plas- 
modium auf  die  feuchtere  Unterlage  übergewandert  sein.  Zur  Zeit,  wo 
sich  die  Myxomyceten  zur  Fruclitbildung  anschicken,  tritt  an  Stelle  des 
positiven  der  negative  Hydrotropismus.  Die  Plasmodien  suchen  jetzt  im 
Gegentheil  die  trockensten  Stellen  ihrer  Umgebung  auf  und  weichen 
vor  feuchten  Gelatinestückchen  und  angefeuchtetem  Filtrirpapier,  das  man 
in  ihre  Nähe  bringt,  zurück. 

Die  Erscheinungen  des  Hydrotropismus  finden  leicht  ihre  Erklärung 
darin,  dass  das  Protoplasma  ein  gewisses  Quantum  von  Iml)ibitionswasser 
enthält,  welches  in  gewissen  Graden  schwanken  und  auch  während  der 
Entwicklung  des  Zellkörpers  zu-  und  abnehmen  kann.  Je  reiclilicher 
vom  Imbibitionswasser  das  Protoplasma  durchtränkt  ist,  um  so  lebhaftere 
Bewegungen  wird  es  im  Allgemeinen  zeigen.  W^ährend  der  vegetativen 
Periode  hat  das  Plasmodium  von  Aethalium  die  Neigung,  seinen  Wasser- 
gehalt zu  erhöhen  und  wird  sich  daher  nach  der  Wasserquelle  zu 
bewegen;  beim  Eintritt  in  die  Fortpflanzungsperiode  dagegen  flieht  es  die 
Feuchtigkeit,  weil  bei  der  Sporenbildung  der  Wassergehalt  des  Proto- 
plasmas vermindert  wird. 

Manche  chemische  Substanzen  wirken  anziehend,  andere  abstossend 
auf  Plasmodien  ein.  Wenn  man  ein  auf  feuchtem  Substrat  ausgelireitetes 
Netz,  von  Aethalium  mit  einer  Filtrirpapierkugel  in  Berührung  bringt, 
die  von  einem  Lohaufguss  durchtränkt  ist,  so  kriechen  alsbald  ein- 
zelne Plasmastränge  nach  der  Nahrungsquelle  hin;  schon  nach  wenigen 
Stunden  sind  alle  Zwischenräume  der  Papierkugel  vom  Schleimpilz 
durchsetzt. 

Um  den  negativen  Chemotropismus  zu  studiren,  bringe  man  an  den 
Rand  eines  auf  feuchtem  Filtrirpapier  ausgebreiteten  Schleimpilzes  einen 
Kochsalzkrystall  oder  Salpeter  oder  einen  Tropfen  Glycerin.  Man  wird 
dann  sehen,  wie  sich  unter  dem  Reiz  der  im  Filtrirpapier  sich  ausbrei- 
tenden, concentrirten  Salz-  oder  Glycerinlösung  das  Protoplasma  von  der 
Reizquelle  in  immer  grösserem  Umkreise  zurückzieht. 

So  besitzen  die  leicht  zerstörbaren,  nackten  Plasmodien  die  wunder- 
bare Fähigkeit ,  auf  der  einen  Seite  schädlichen  Substanzen  aus  dem 
Wege  zu  gehen,  auf  der  anderen  Seite  ihr  Substrat  nach  allen  Richtungen 
zu  durchsuchen  und  die  ihnen  zusagenden  Stoff'e  aufzunehmen.  „Trifft 
nämlich  irgend  einer  der  zahlreichen  Zweige  eines  Plasmodiums  zufällig 
auf  einen  an  Nährstoff'en  reichen  Boden,  so  erfolgt  sofort  ein  Zufluss 
des  Plasmas  nach  der  begünstigten  Stelle." 

In  bahnbrechenden  Untersuchungen  hat  Pfeffer  (IV.  26)  den  Chemo- 
tropismus kleiner,  freibeweglicher  Zellen,  wie  Samen- 
fäden, Bakterien,  Flagellaten,  Infusorien  genauer  erforscht 
und  dabei   ein  sehr   einfaches    und  sinnreiches  Verfahren  eingeschlagen. 

Pfeff'er  nimmt  feine  Glascapillaren,  die  4 — 12  mm  lang,  an  einem 
Ende  zugeschmolzen  sind  und  an  dem  andern  Ende  eine  Mündung  von 
0,03  —  0,15  mm   im  Lichten  je  nach  der  Grösse  der  zu  untersuchenden 


II.    Die  Reizerscheinungen.  97 

Organismen  besitzen.  Dieselben  werden  etwa  ein  Drittel  oder  zur  Hälfte 
mit  dem  Reizmittel  gefüllt,  während  der  nach  dem  zugeschmolzenen  Ende 
befindliche  Raum  noch  Luft  enthält. 

Um  die  Gebrauchsweise  zu  erläutern,  diene  Aep  fei  säure,  in 
welcher  Pfeffer  ein  Reizmittel  entdeckt  hat,  das  die  Samenfäden  der 
Farne  in  hohem  Grade  anlockt  und  das  wahrscheinlich  zu  diesem  Zwecke 
auch  in  der  Katur  von  den  Archegonien  ausgeschieden  wird.  Eine 
Capillare,  die  mit  0,01  "  o  Aepfelsäure  gefüllt  ist,  wird  nach  sorgfältiger 
Reinigung  ihrer  Oberfläche  in  einen  Tropfen  Wasser,  in  dem  sich  viele 
Samenfäden  der  Farne  befinden,  vorsichtig  hineingeschoben.  Bei  100- 
bis  200facher  Vergrösserung  wird  man  dann  sehen,  wie  sofort  einzelne 
Samenfäden  nach  der  Oeffnung  der  Capillare  zusteuern,  von  welcher 
die  Aepfelsäure  in  das  Wasser  zu  diffundiren  beginnt.  Sie  dringen  als- 
bald in  die  Capillare  selbst  ein;  ihre  Zahl  nimmt  rasch  zu  und  ist  in 
5_10  Minuten  auf  viele  Hunderte  gestiegen.  Nach  einiger  Zeit  sind 
fast  sämmtliche  Samenfäden  mit  Ausnahme  weniger  Exemplare  in  das 
Glasröhrchen  hineingeschlüpft. 

Wenn  man  in  der  angegebenen  Weise  eine  Prüfung  mit  ver- 
schiedenen Concentrationsgraden  der  Aepfelsäure  vor- 
nimmt, so  ergiebt  sich  ein  ähnliches  Gesetz  wie  bei  der 
Einwirkung  verschiedener  Wärmegrade  auf  die  Proto- 
plasmaströmung. Von  einem  gewissen  Minimalwerth  an, 
der  bei  0,001*^/0  liegt,  und  den  man  als  Seh  welle  nwerth  be- 
zeichnen kann,  wächst  die  anziehende  Wirkung  mit  zu- 
nehmender Concentration  der  Lösung  bis  zu  einem  be- 
stimmten Punkt,  dem  Optimum  oder  Maximum  des  Reiz- 
erfolges; bei  weiterer  Zunahme  der  Concentration  nimmt 
erst  die  Anziehung  ab,  und  hier  endlich  tritt  ein  Moment 
ein,  wo  der  positive  in  den  negativen  Chemotropi  smus 
umschlägt. 

Die  stark  concentrirte  Lösung  wirkt  geradezu  entgegengesetzt  und 
stösst  die  Samenfäden  von  sich  ab.  Wie  gering  die  Menge  Aepfel- 
säure ist,  durch  welche  schon  ein  Reizerfolg  erzielt  werden  kann,  wird 
man  am  besten  daraus  ersehen,  dass  in  einem  Röhrchen  mit  einer 
0,001  ^/o  Lösung  sich  nur  0,0000000284  mg  oder  der  35millionste 
Theil  eines  Milligramm  Apfelsäure  befindet. 

Wie  schon  oben  hervorgehoben  wurde,  muss  der  chemische  Reiz, 
um  eine  bestimmte  Bewegungsrichtung  bei  einzelligen  Organismen  her- 
vorzurufen, nur  einseitig  oder  wenigstens  von  einer  Seite  intensiver  ein- 
wirken. Das  ist  nun  auch  in  den  mitgetheilten  Experimenten  der  Fall; 
denn  indem  aus  der  Capillarmündung  die  Aepfelsäure  in  die  Umgebung 
diffundirt,  gerathen  die  Samenfäden,  wenn  sie  zur  Capillaröffnung  und 
wenn  sie  dann  weiter  durch  dieselbe  in  der  Röhre  vordringen ,  in 
Lösungen  von  allmählich  steigender  Concentration.  Durch  die  Diffusion 
wird  eine  ungleiche  Vertheilung  des  Reizmittels  nm  den  Körper  der 
Samenfäden  hergestellt;  „erst  durch  C  on  centrationsunter- 
schiede  wirkt  die  Aepfelsäure  als  ein  die  Bewegungs- 
richtung bestimmender  Reiz." 

In  einer  homogenen  Lösung  bleiben  die  Samenfäden,  wie  nicht 
anders  zu  erwarten  ist,  gleichmässig  vertheilt,  doch  wird  auf  dieselben 
auch  unter  diesen  Verhältnissen  eine  specifische  Reizwirkung  ausgeübt,  die 
aber  nur  auf  indirectem  Wege  und  zwar  daran  zu  erkennen  ist,  dass 
gewissermaassen  die  Stimmung  der  Zellen  gegen  Aepfelsäure 

Hertwig,   Die  Zelle  und  die  Gewebe.  ' 


f)Q  Viertes  Capitel. 

eine  Aeiideruug  erfahren  hat.  Pfeffer  konnte  hier  ähnliche  Beziehungen 
nachweisen,  wie  sie  für  die  Sinneswahrnehnmngen  des  Menschen  durch 
das  Weber-Fechncr 's  che  Gesetz  festgestellt  sind.  „Während  der 
Reiz  in  geometrischer  Progression  zunimmt,  wächst  die  Empfindung  oder 
die  Reaction  in  arithmetischer  Progression." 

Das  in  vieler  Beziehung  sehr  wichtige  Verhältniss  soll  wieder  an 
dem  Verhalten  der  Samenfäden  gegen  Aepfelsäure  veranschaulicht 
werden. 

Wenn  der  Experimentator  zu  der  Flüssigkeit,  in  welcher  sich  die 
Samenfäden  der  Farne  befinden,  etwas  Aepfelsäure  hinzufügt  und  gleich- 
massig  vertheilt,  so  dass  eine  0,0 005 °/o ige  Lösung  entsteht,  so  wirkt 
eine  0,00P  o  ige  Aepfelsäure  in  einer  Capillarröhre,  die  zum  Einfangen 
dienen  soll ,  nicht  mehr  anlockend ,  wie  es  der  Fall  war  zur  Zeit,  als 
die  Samenfäden  in  reinem  Wasser  waren.  Vielmehr  muss  jetzt  die 
Capillartlüssigkeit  zur  Erreichung  des  Schwellenwerthes  0,015  ^io  und 
bei  einem  Gehalt  des  Wassers  von  0,05  "  o  Aepfelsäure  1,5  °/o  von 
diesem  Reizmittel  enthalten;  oder  allgemeiner  ausgedrückt:  die  Lösung 
in  der  Capillare  muss  30mal  so  viel  Aepfelsäure  enthal- 
ten als  die  Aussenflüssigkeit,  aus  welcher  die  Samen- 
fäden eingefangen  werden  sollen.  Die  Reiz  empfänglich - 
k  e  i  t  oder  R  e  i  z  s  t  i  m  m  u  n  g  der  Samenfäden  verändert  sich 
also,  wenn  sie  in  einem  Medium  verweilen,  das  schon 
eine  bestimmteMenge  der  Substanz  enthält,  die  alsReiz- 
mittel  dienen  soll.  Man  kann  sie  so  auf  künstlichem  Wege  auf  der 
einen  Seite  unempfänglich  machen  gegen  schwache  Lösungen  von  Aepfel- 
säure, die  unter  anderen  Bedingungen  als  gutes  Reizmittel  wirken,  auf 
der  anderen  Seite  können  sie  reizempfänglich  gemacht  werden  gegen 
stärker  coucentrirte  Aepfelsäurelösungen ,  welche  in  reinem  Wasser  be- 
findliche Samenfäden  abstossen. 

Wie  gegen  Licht,  verhalten  sich  die  einzelnen  Zellkörper  auch 
gegen  chemische  Stoffe  sehr  verschieden.  Aepfelsäure,  welche  die 
Samenfäden  von  Farnen  kräftig  anlockt,  erweist  sich  für  Samen- 
fäden der  Laubmoose  völlig  wirkungslos.  Für  diese  ist  wieder 
Rohrzucker  von  0,1  '^  o  ein  Reizmittel.  Samenfäden  endlich  von  Leber- 
moosen, Characeen  reagiren  auf  keinen  von  diesen  Stoffen. 

Eine  1  "^z  o  ige  Lösung  von  Fleischextract  oder  von  Asparagin  hat 
eine  kräftig  anziehende  Wirkung  auf  Bacterium  termo  und  Spirillum 
undula  und  manche  andere  einzellige  Organismen.  Schon  nach  2  bis 
5  Minuten  hat  sich  ein  förmlicher  Pfropf  von  Bakterien  an  der  Mündung 
eines  Capillarröhrchens  angesammelt,  das  in  einen  bakterienhaltigen 
Wassertropfen  geschoben  wird. 

Wegen  des  ungleichen  Verhaltens  der  Zellkörper  gegen  chemische 
Reize  lässt  sich  die  von  Pfeffer  ausgebildete  und  verschiedenartig  zu 
modificirende  Methode  nicht  nur  zum  Einfangen  entsprechend  empfind- 
licher Organismen,  sondern  auch  zur  Trennung  einzelner  Arten  in 
Gemischen  verwenden,  ähnlich  wie  der  Galvanotropismus  und  Helio- 
tropismus. Mit  Lockmitteln  versehene  Glasröhrchen  lassen  sich  in 
Flüssigkeiten  getaucht  als  Bakterienfalle  und  Infusorien  falle 
benutzen. 

Ferner  ergiebt  sich  aus  den  mitgetheilten  Experimenten,  dass  chemisch 
besonders  empfindliche  Organismen  gewissermaassen  als  Reageutien  be- 
nutzt werden  können,  um  die  Gegenwart  von  Stoffen,  die  als  Reiz  wirken, 


II.    Die  Reizerscheinuugen.  99 

nachzuweisen.  So  sind  nach  Engelmann  (IV.  7)  gewisse  Spaltpilze  ein 
ausgezeichnetes  Reagens  für  Sauerstoff,  indem  schon  der  trillionste  Theil 
eines  Milligramms  genügt,  um  sie  anzulocken. 

Nicht  alle  Stoffe,  die  anlockend  wirken,  haben  einen  Nährwerth  für 
die  Organismen  oder  sind  ihnen  unschädlich;  manche  führen  sogar  als- 
bald zur  Vernichtung  der  angelockten  Organismen,  wie  salicylsaures 
Natron,  salpetersaures  Strychnin  oder  Morphium.  Indessen  haben  die 
meisten  Stoffe,  die  schädlich  auf  den  Protoplasmakörper  einwirken,  auch 
eine  abstossende  Wirkung  auf  denselben,  so  die  meisten  saureu  und 
alkalischen  Lösungen.  Citronensäure  und  Natriumcarbonat  wirken  schon 
in  0,2*^/0  Concentration  deutlich  abstossend. 

Im  Allgemeinen  und  unter  der  obigen  Einschränkung  lässt  sich  daher 
immerhin  sagen,  dass  durch  den  positiven  Chemotropismus  die  Organis- 
men in  den  Stand  gesetzt  werden,  ihnen  zusagende  Stoffe  aufzusuchen, 
während  sie  in  Folge  des  negativen  Chemotropismus  schädlichen  Stoffen 
ausweichen. 

Die  Erscheinungen  des  Chemotropismus  sind  von 
grosser  Bedeutung  auch  für  das  Verständniss  vieler  Vor- 
gang e  i  m  K  ö  r  ])  e  r  d  e  r  W  i  r  b  e  1 1  h  i  e  r  e  und  d  e  s  M  e  n  s  c  h  e  n.  Auch 
hier  giebt  es  Zellen,  welche  auf  chemische  Reize  durch  bestimmt  ge- 
richtete Bewegungen  und  Ortsveränderung  reagiren.  Es  sind  dies  die 
weissen  Blutkörperchen  und  die  Lymphzellen  (die  Leukocyten  oder 
Wanderzellen). 

Die  chemische  Reizbarkeit  der  Leukocyten  ist  durch 
Versuche  von  Leber  (IV.  17  a  und  b),  Massart  und  Bordet  (IV.  20,  21), 
Steinhaus  (IV.  36),  Gabritschevsky  (IV.  10)  und  Buchner  (IV.  2)  festge- 
stellt worden.  Wenn  man  nach  dem  Verfahren  von  Pfeffer  feine  Capillar- 
röhrchen  mit  einer  kleinen  Menge  „entzündungserregender  Substanz" 
füllt  und  in  die  vordere  Augenkammer  oder  in  den  Lymphsack  des 
Frosches  einführt,  so  füllen  sich  dieselben  in  kurzer  Zeit  mit  einer  be- 
trächtlichen Menge  von  Lymphkörperchen,  während  Röhrchen  mit  destil- 
lirtem  Wasser  nicht  die  gleiche  Wirkung  äussern.  In  das  Unterhaut- 
bindegewebe gebracht,  rufen  die  Röhrchen  Auswanderung  der  Leuko- 
cyten (Diapedesis)  aus  den  nächst  angrenzenden  Capillargefässen  und 
unter  Umständen  Eiterbildung  hervor. 

Unter  den  entzündungserregenden  Substanzen  stehen  in  erster  Reihe 
obenan  viele  Mikroorganismen  und  ihre  Stoffwechselproducte.  So  erwies 
sich  bei  den  Versuchen  von  Leber  namentlich  ein  Extract  von  Staphylo- 
coccus  pyogenes  sehr  wirksam.  Dadurch  greift  die  Lehre  vom 
Chemotropismus  in  d i e  L e li r e  der  durch  p a t h o g e n e  M i k r o- 
organismen  erzeugten  Krankheiten  bedeutungsvoll  ein. 
Erst  durch  genaue  Kenntniss  des  ersteren  werden  viele  wechselvolle  Er- 
scheinungen, welche  uns  das  Studium  der  Infectionskrankheiten  darbietet, 
verständlich  gemacht. 

Es  kann  nun  wohl  von  vornherein  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass 
wenn  die  Leukocyten  überhaupt  durch  chemische,  von  Mikroorganismen 
erzeugten  Substanzen  in  einen  Reizzustand  versetzt  werden  können,  dies 
nach  ähnlichen  Gesetzen  wird  geschehen  müssen,  wie  sie  für  die  Zelle 
im  Allgemeinen  haben  festgestellt  werden  können.  Positiver  und  nega- 
tiver Chemotropismus,  Reizschwelle,  Veränderung  der  Reizschwelle  durch 
gleichmässige  Vertheilung  des  Reizmittels,  Reiznachwirkung  werden  auch 
auf  diesem  Geliiete  in  Betracht  kommen. 

7* 


JQQ  Viertes  Capitel. 

So  gestaltet  sich  denn  die  Beziehung  der  Leukocyten 
zu  den  als  Reiz  wirkenden  Substanzen  zu  einem  compli- 
cirten  Process,  der  je  nach  den  vorliegenden  Bedin- 
gungen sehr  verschieden  ausfallen  kann.  Denn  die  von 
den  Mikroorganismen  ausgeschiedenen  Stoffwechselpro- 
ducte  werden  je  nach  ihrer  Natur  und  je  nach  ihrer  Con- 
centration  bald  eine  anziehende,  bald  eine  abstossende 
Reizwirkung  ausüben  müssen.  Ausserdem  aber  wird  die 
Einwirkung  sich  noch  verändern,  wenn  die  Stoffwechsel- 
producte  der  Mikroorganismen  sich  nicht  nur  am  Ort  ihrer 
Entstehung  in  den  erkrankten  Gewebspartieen  vorfinden 
und  von  da  aus  die  Leukocyten  reizen,  sondern  auch  noch 
im  Blutstrom  selbst  in  gleichmässiger  Vertheilung  ent- 
halten sind.  Dann  werden,  wie  es  bei  dem  Beispiel  mit 
den  Samenfäden  und  der  Aepfelsäure  der  Fal]  war  (Seite  97, 
98),  die  im  Blut  gleichmässig  vertheilten  bakteriellen 
Stoffwechselproducte  die  Reactions weise  der  Leukocyten 
gegen  die  am  Orte  der  Erkrankung  angehäuften  Stoff- 
wechselproducte modificiren.  Hierbei  muss  das  relative  Verhält- 
niss  der  hier  und  dort  vorhandenen,  wirksamen  Sulistanz  den  Ausschlag 
geben. 

Die  zahlreichen  jMöglichkeiten  lassen  sich  unter  zwei  Hauptfälle 
gmppiren. 

Erster  Fall.  Im  Blut  und  in  den  erkrankten  Gewebspartieen  sind 
die  Stoffwechselproducte  in  gleicher  oder  nahezu  gleicher  Menge  vor- 
handen. Da  es  hier  zu  keiner  Reizschwelle  kommt,  können  die  Leuko- 
cyten selbstverständlicher  Weise  nicht  mehr  nach  dem  Orte  der  Er- 
krankung auswandern. 

Zweiter  Fall.  Die  an  beiden  Orten  angehäufte  Substanz  ist  von 
ungleicher  Coucentration ,  und  zwar  stehen  beide  Concentrationeu  in 
einem  solchen  Verhältniss  zu  einander,  dass  sich  daraus  eine  für  die 
Leukocyten  wirksame  Reizschwelle  ergibt.  Hier  können  2  Unterfälle 
eintreten.  Entweder  befindet  sich  die  höhere  Coucentration  am  Er- 
krankungsherd oder  in  den  Blutgefässen.  Nur  im  ersteren  Fall  werden 
sich  die  Leukocyten  am  Erkrankungsherd  ansammeln. 

Durch  Berücksichtigung  dieser  Verhältnisse  scheinen  sich  mir  ^^ele 
interessante  Erscheinungen  erklären  zu  lassen,  welche  durch  französische 
Forscher,  Roger,  Charrin,  Bouchard  (IV.  1  b)  etc.  bei  ihren  verschieden- 
artigen Experimenten  mit  den  Stoffwechselproducten  des  Bacillus  pyocya- 
neus,  des  Milzbraudbacillus  etc.  und  durch  Koch  bei  seiner  Tuberculin- 
therapie  beobachtet  worden  sind.  Ich  habe  einen  solchen  Erklärungs- 
versuch unternommen  in  einer  kleinen,  gemeinverständlichen  Schrift: 
„lieber  die  physiologische  Grundlage  der  Tuberculiuwirkung,  eine  Theorie 
der  Wirkungsweise  bacillärer  Stoffwechselproducte"  (IV.  13)  und  verweise 
ich  hiermit  auf  dieselbe  betreffs  der  einzelnen  zu  erklärenden  Krank- 
heitserscheinungen und  physiologischen  Experimente. 


II.    Die  Reizerscheinungen.  101 

Literatur.    IV. 

la)  Claude  Bernard.     Leqo7is  sur   les  phvnomcnes   de  la  vie  commune  aux  animauz  et 

aux  vegetaux. 
Ib)  Bouehard.     Theorie  de  l'infeetion.    J'erhandl.  des  X.  intern,  med.  Congresses  zu  Berlin. 

Bd.  I.    1891. 

2)  Buchnei-.     Die  chemische  Reizbarkeit  der  Leukocyten  und  deren  Beziehung   zur  Ent- 

zündung und  Eiterung.     Berliner  klinische  Wochenschrift.     1890. 

3)  Brücke.      Untersuchungen  über  den  Farbenwechsel  des  afrikan.  Chamaeleons.    Benksehr. 

d.  math.  naturtv.  Classe  der  Akad.   d.    Wissensch.     Bd.  IV.     1854. 

4)  Bunge.      Vitalismus  und  Mechanismus. 

5a)  De  Bary.      f'orlesungen  über  Bacterien.     1885. 

5b)  Dehneeke.     Einige  Beobachtungen  über  den  Einfluss  der  Praeparationsmethode  auf  die 

Bewegungen  des  Protoplasmas  der  Pßanzenzellen.     Flora  1881. 
6a)  Engelmann.     Beiträge  zur  Physiologie   des  Protoplasmas.     Pßügers  Archiv.     Bd.  IL 

1869. 
6b)  Derselbe.       Veber    Reizung    contractilen    Protoplasmas    durch    plötzliche    Beleuchtung. 

Pßügers  Archiv.     Bd.  XIX. 

7)  Derselbe.     Neue  Methode  zur   Untersuchung  der  Sauerstoffausscheidung   pflanzlicher  u. 

thierischer  Organismen.     Pßügers  Archiv.     Bd.  XXV. 

8)  Derselbe,     lieber  Licht-  u.  Farbenperception  niederster  Organismen.     Pßügers  Archiv. 

Bd.  XXIX.     1882. 
9j     Derselbe.     Bacterium  photometricum.     Ein  Beitrag   zur  vergleichenden   Physiologie  des 
Licht-  wel  Farbensinnes      Pßügers  Archiv.     Bd.  XXX. 

10)  Gabritchevsky.      ßur    les   jn-ojjrietes    chimiotactiques    des    leukocyles.      Annales    de 

r Institut  de  Pasteur.     1890. 

11)  Richard  Hertwig.     Erythropsis  agilis,  eitie  neue  Protozoe.    Morph.  Jahrb.    Bd.  X. 
12a)  Oscar  ««.   Richard  Hertwig.      lieber  den  Befruchtungs-  und  Thcilungsvorgang  des 

thierischen  E>es  unter  dem  Einßuss  äusserer  Agentien.    1887. 
12b)  Dieselben.     Experimentelle   Studien   am   thierischen  Ei  vor,    während   und   nach    der 
Befruchtung.    1890. 

13)  Oscar  Hertwig.      Ueber   die  physiologische  Grundlage  der  Tuberculinwirkung .     Eine 

Theorie  der    Wirkung. ^iweise  bacUlärer  Stoffwechselproducte.     .Jena  1891. 

14)  Klebs.     Beiträge   zur   Physiologie   der   Pßanzenzelle.     Untersuch,   aus  dem   botanischen 

Institut  zu  Tübingen.     Bd.  II.   ]mg.  489. 

15)  W.  Kühne.      Untersuchungen  über  das  Protoplasma  und  die  Contractilität.    1864. 

16)  Künstler.     Les  yeux  des  infusoires  ßagelliferes.    Journ.  Micr.     Paris.    10.  Jahrgang. 
17a)     Leber.      Ueber   die  Entstehung    der   Entzündung     und  die  Wirkung  der   entzündungs- 
erregenden Schädlichkeiten.     Fortschritte  der  Medicin.    1888.    p.  460. 

17b)    Derselbe.     Die  Entstehung  der  Entzündung  u.  die  Wirkung  der  entzündungserregenden 
Schädlichkeiten.     Leipzig  1891. 

18)  J.  Loeb.     Der  Seliotropismus  der  Thiere  und  seine  Uebereinstimmung  mit  dem  Helio- 

tropismus der  Pflanzen.     Würzburg  1890. 

19)  Derselbe.      Weitere    Untersuchungen    über    den    Heliotropismus    der   Thiere.     Pßügers 

Archiv.    Bd.  XLVIL    1890. 

20)  J.  Massart  u.  Bordet.    Recherches  sur  Virritabilite  des  leucocytts  et  sur  Vintervention 

de  eette  irritabilite  dans  la  nutrition  des  cellules  et  dans  V inßammation.    Journal  de  la 
soc.  R.  des  sciences  medicales  et  naturelles  de  Bruxelles.     1890. 

21)  Dieselben.     Annales  de  Vinstitut  Pasteur.    1891. 

22)  MetschnikofF.     Legons  sur  la  pathologie  comparee  de  V inßammation.    1892. 

23)  "W.  Pfeffer.     Handbuch   der  Pßanzenphysiologie.     Bd.  I.    1881. 

24)  Derselbe.      Locomotorische   Richtungsbewegungen    durch    chemische   Reize.     Untersuch. 

aus  d.  botan.  Institut  zu  Tübingen.     Bd.  I. 

25)  Derselbe.     Zur   Kenntniss   der  Contactreize.     Untersuch,    aus    dem  botan.   Institut   zu 

Tübingen.    Bd.  I.    1885. 

26)  Derselbe.    Ueber  chemotactisehe  Bewegungen  von  Bakterien,  Flagellaten  und  Volvocineen. 

Untersuch,  aus  d.  botan.  Institut  zu  Tübingen.     Bd.  II. 

27)  George    Pouehet.      D'un    cell   veritable    chez    les    Protozoaires.      C.    R.    soc.    Biol. 

Ko.  36. 

28)  Derselbe.     Du  role  des  nerfs  dans  les  changements  de  coloration  des  poissons.    Journ. 

de  Vanat.  et  de  la  phys.     1872. 

29)  Derselbe.     Note  sur  (inßuence  de  Vablation   des   yeux   sur  la   coloration   de  certaines 

especes  anitnales.     Journ.   de  tanat.  et  de  la  phys.     Bd.  X.    1874. 

30)  F.  A.  Pouehet.     Sur  la  mutabilite  de   la  coloration   des  reinettes  et  sur   la  structure 

de  leur  peau.    Compt.  rend.    T.  26. 


1Q2  Viertes  Capitel.     II.    Die  Reizerscheinungen. 

31)     Rawitz.     Zur  Physiologie   der   Cephalopodenretina.     Archiv  /.    Anat.    u.    Physiologie. 

.j2a)  Sachs.      Vorlesungen  über  Fflanzenphysiologie.    188:2. 

32b)  Derselbe.      Handbuch    der  E.cperimentalphysiologie   der   Pßanzen.     J865.     Lehrb.  der 
llotanik. 

33)  Seidlitz.     Beiträge  zur  Bescendenztheorie.     Leipzig  ]87(). 

34)  Stahl.      Ueber   den  Einßuss    von    Richtung   u.  Stärke   der  Beleuchtung    auf  einige  Be- 

wegungserscheinungen im  Pflanzenreich.     Botan.  Zeitung.    1880. 

35)  I)  er  selbe.     Zur  Biologie  der  Myxomyecten.     Botan.  Zeitung.  1884. 

36)  Steinhaus.     Die  Aetiologie  der  acuten  Eiterungen.     Leipzig  1889. 

37)  Strasburger.     Wirkung   des  Lichts   und  der   Wärme   auf  die  Schtvärmsporen.     Jena 

1878. 

38)  Veiten.     Einwirkung  der  Temperatur  auf  die  Protoplasmabewegungen.    Flora  1876. 

39)  Verworn.     Die  polare  Erregung  der  Protisten  durch  den  galvanischen  Strom.    Pflügers 

Archiv.     Bd.  XLV  u.  XLVI. 

40)  Derselbe,     Psycho-physiologische  Protisten- Studien.     Jina  1889. 


FÜNFTES  CAPITEL. 

Die  Lebenseigenschaften  der  Zelle. 

III.    StoflTwechse!  und  formative  Thätigkeit. 


Allgemeine  Charakteristik. 

Die  lebende  Zelle  besitzt  ihren  eigenen  Stoffwechsel,  sie  nimmt 
Nahrungssubstanzen  auf,  verändert  sie,  führt  einige  Bestandtheile  der- 
selben ihrem  Körper  zu,  während  sie  andere  wieder  nach  Aussen  ab- 
giebt;  sie  gleicht  einem  kleinen,  chemischen  Laboratorium,  indem  fast 
fortwährend  die  verschiedenartigsten  chemischen  Processe  in  ihr  vor  sich 
gehen,  durch  welche  auf  der  einen  Seite  hochmoleculare  Stoffe  von  com- 
plicirter  Zusammensetzung  gebildet,  auf  der  anderen  Seite  wieder  zer- 
stört werden.  Die  lebendige  Substanz  befindet  sich,  um  so  mehr,  je  inten- 
siver der  Process  des  Lebens  ist,  in  einer  beständigen  Selbstzersetzung 
und  einer  mit  ihr  Schritt  haltenden  Neubildung.  In  dem  Chemismus 
der  Zelle  sind  daher  zwei  Hauptphänomene  auseinander  zu  halten,  die 
Phänomene  der  regressiven  und  der  progressiven  Stoff- 
metamorphose oder  wie  Claude  Bernard  (IV.  la)  sich  ausdrückt,  les 
phönomenes  de  destruction  et  de  cröation  ofganique,  de  döcomposition 
et  de  composition. 

Bei  ihrer  Zerstörung  wird  die  lebendige  Substanz  vermöge  Selbstzer- 
setzung durch  eine  Reihe  meist  unbekannter  Zwischenstufen  in  einfachere 
chemische  Verbindungen  übergeführt.  Kohlensäure  und  Wasser  sind 
die  einfachsten  Endproducte  dieser  Zerstörung.  Bei  ihr  wird  Spann- 
kraft (potentielle  Energie)  in  lebendige  Kraft  (kinetische  Energie)  umge- 
wandelt. Intramoleculare  Wärme  wird  frei  und  bildet  die  lebendige 
Kraft,  die  zur  Hervorbringung  der  Arbeitsleistungen  des  Zellkörpers  die 
Vorbedingung  ist. 

Wie  ausserordentlich  gross  die  Zersetzbarkeit  der  Lebenssubstanzen 
ist,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  der  geringste  Anstoss  oft  genügend 
ist,  grosse  Umsetzungen  und  Arbeitsleistungen  in  den  Zellkörpern  hervor- 
zurufen. „Sind  es  nicht,  bemerkt  Pflüger  (V.  25,  26),  wahrhaft  ver- 
schwindend kleine  lebendige  Kräfte,  die  in  einem  Lichtstrahl  wirkend, 
die  gewaltigsten  Wirkungen  in  der  lietina  und  dem  Gehirn  hervorrufen? 
Wie   ganz    minimal    sind    die   lebendigen  Kräfte   der  Nerven,   wie  ganz 


j^Q^  Fünftes  Capitel. 

wunderltar  klein  die  Mengen  gewisser  Gifte,   die  ein  grosses  lebendiges 
Thier  total  vernichten." 

Bei  der  Nenbildung  lebender  Substanz  oder  der  i)rogressiven  Meta- 
morphose werden  zum  Ersatz  des  Verbrauchten  neue  Stoffe  von  aussen 
aufgenommen,  dem  Körper  einverleibt  und  in  neue  chemische  Verbin- 
dungen übergeführt,  bei  welchen  Arbeitsleistungen  wieder  Wärme  in  mehr 
oder  minder  hohem  Grade  gebunden  und  in  Spannkraft  umgewandelt 
wird.  Die  wieder  gebundene  Wärme  kann  theils  von  der  bei  den 
Zersetzungsprocessen  frei  werdenden  intramolecularen  Wärme  herrühren, 
theils  rührt  sie  her,  wie  der  Hauptsache  nach  in  den  Pflanzen,  von  der 
belebenden  Wärme  der  Sonnenstrahlen,  durch  welche  der  Organismen- 
welt ein  grosses  Quantum  lebendiger  Kraft  zugeführt  und  im  Proto- 
plasmakörper in  Spannkraft  umgesetzt  wird.  Die  von  aussen  aufge- 
nommenen Substanzen  und  die  der  Sonne  entströmende  Wärme  stellen 
das  Betriebsmaterial  und  die  Betriebskraft  dar,  durch  welche  der  in 
Wechsel  von  Selbstzersetzung  und  Selbstneubildung  sich  abspielende 
Lebensprocess  in  letzter  Instanz  unterhalten  wird. 

Nach  der  Definition  von  Pflüger  ist  „der  Lebensprocess  die  intramole- 
culare  Wärme  höchst  zersetzbarer  und  durch  Dissociation  —  wesentlich  unter 
Bildung  von  Kohlensäure  und  Wasser  und  amidartigen  Körpern  —  sich  zer- 
setzender, in  Zellsubstanz  gebildeter  Eiweissmolecüle,  welche  sich  fortwährend 
reg-eneriren  und  auch  durch  Polymerisirung  wachsen." 

Trotz  grosser  Verschiedenartigkeit  des  Stoffwechsels  in  den  einzelnen 
Organismen  giebt  es  doch  eine  Reihe  von  fundamentalen  Processen, 
welche  der  gesammten  organischen  Natur  gemeinsam  sind  und  sich  im 
niedrigsten,  einzelligen  Wesen  ebenso  abspielen,  wie  im  Körper  der 
Pflanzen  und  Thiere.  Wie  in  den  Bewegungen  und  Reizer- 
scheinungeu,  offenbart  sich  auch  in  diesen  fundamen- 
talen Processen  des  Stoffwechsels  die  Einheit  der  ganzen 
organischen  Natur. 

Insofern  fallen  sie  auch  in  das  Bereich  der  allgemeinen  Anatomie 
und  Physiologie  der  Zelle.  Eine  Uebereinstimmung  macht  sich  nament- 
lich in  folgenden  3  Punkten  geltend : 

1)  Jede  Zelle,  sei  es  von  Pflanze  oder  Thier,  athmet.  das  heisst,  sie 
nimmt  aus  ihrer  Umgebung  Sauerstoff  nach  Bedürfniss  auf  und  verbrennt 
mit  Hülfe  desselben  Kohlenhydrate  und  Eiweisssubstauzen  ihres  eigenen 
Körpers,  bei  welchem  Verbrennungsprocess  als  letzte  Endproducte  Kohlen- 
säure und  Wasser  gebildet  werden. 

2)  In  beiden  organischen  Reichen  treten  in  grosser  Zahl  ent- 
sprechende Substanzen  im  Stoffwechsel  auf,  wie  Pepsin,  Diastase,  Myosin, 
Xanthin,  Sarcin,  Zucker,  Inosit,  Dextrin,  Glycogen,  Milchsäure,  Ameisen- 
säure, Essig-  und  Buttersäure. 

3)  In  beiden  Reichen  sind  manche  Processe,  durch  welche  com- 
plicirte  chemische  Verl)indungen  dargestellt  werden ,  identisch  oder 
wenigstens  sehr  ähnlich  und  unterscheiden  sich  wesentlich  von  den  Ver- 
fahren, durch  welche  der  Chemiker  im  Stande  ist,  eine  Anzahl  organischer 
Verbindungen  auf  synthetischem  Wege  darzustellen.  Beim  Chemismus 
der  Zelle  sowohl  der  Pflanzen  wie  der  Thiere  spielen  Fermente 
eine  grosse  Rolle,  Diastase,  Pepsin,  Trypsin  etc.  Darunter  versteht  man 
organische  Stoffe,  welche  in  der  lebenden  Zelle  erzeugt,  in  ausserordent- 
lich geringer  Menge  eine  grosse  chemische  Wirkung  entfalten  und  ohne 


III.    Stoffwechsel  und  formative  Tbätigkeit.  105 

selbst  in  nennenswerthem  Maasse  dabei  verbraucht  zu  werden ,  hier 
Kohlenliydrate,  dort  Eiweisskörper  in  charakteristischer  Weise  chemisch 
verändern  können. 

„Le  chimisme  du  laboratoire  est  ex6cute  ä  l'aide  d'agents  et  d'appa- 
reils  que  le  chimistre  a  crees,  et  le  chimisme  de  l'etre  vivant  est  ex6- 
cute  ä  l'aide  d'agents  et  d'appareils  que  rorganisme  a  crees."  (Claude 
Bernard  IV.  1  a.) 

Im  Folgenden  werden  wir  die  einzelnen  Erscheinungen  des  Stoff- 
wechsels besonders  von  morphologischer  Seite  näher  betrachten,  ohne 
dabei  in  die  meist  sehr  verwickelten  und  grossen  Theils  noch  unbe- 
kannten chemischen  Processe  näher  einzugehen.  Wir  können  im  Verlauf 
des  Stoffwechsels  3  Stadien  unterscheiden,  die  Stoffaufnahme ,  die  im 
Innern  des  Protoplasma  erfolgende  Stoffumsetzung  und  die  Stoffabgabe. 
Das  erste  und  letzte  dieser  Stadien  wollen  wir  gemeinsam,  alsdann  das 
zweite  für  sich  allein  besprechen. 

I.    Die  Stoffaufnalmie  und  Stoffabgabe  der  Zelle. 

Alle  Zellen  nehmen  sowolü  Gase,  als  auch  Stoffe  in  flüssigem 
oder  gelöstem  und  daher  ditfusionsfähigem  Zustand  in  sich  auf,  manche 
Zellen  endlich  l)enutzen  als  Nahrung  auch  Körper  von  festem  Aggre- 
gatzustand. Die  '6  Reihen  von  Erscheinungen  verlangen  eine  gesonderte 
Besprechung. 

1)  Die  Aufnahme  und  Abgabe  gasförmiger  Stoffe. 

In  gasförmigem  Zustand  können  rlie  verschiedenartigsten  Stoffe  vom 
Protoplasma  aufgenommen  werden.  (Sauerstoff,  Stickstoff,  Wasserstoff, 
Kohlensäure,  Kohlen-  und  Stickoxyd,  Ammoniak-,  Chloroform-,  Aether- 
dämpfe  und  dergleichen  mehr.) 

Von  allgemeiner  Bedeutung  für  den  Stoffwechsel  ist  indessen  nui- 
die  Aufnahme  von  Sauerstoff  und  Kohlensäure ,  besonders  von  dem 
ersteren. 

Olme  Aufnahme  von  Sauerstoff,  welchen  Vorgang  man  die  Ath- 
m  u  n  g  nennt ,  kei n  Leben  I  S  a  u  e  r  s  t  o  f  f  a  t  h  m  u  n  g  ist  mit  wenigen 
Ausnahmen  (anaerol)e  Bakterien  etc.)  eine  Fundamentaleigenschaft  der 
gesammten  organischen  Natur;  sie  ist  für  die  Stofifwechselprocesse ,  auf 
denen  das  Leben  beruht  und  bei  denen  oxydative  Spaltung  hochmole- 
cularer  Verbindungen  die  lebendigen  Kräfte  liefern  muss,  unbedingt  noth- 
wendig.  Sauerstoffmangel  liringt  in  der  Regel  sehr  rasch  die  Functionen 
der  Zelle,  die  Reizbarkeit,  die  Bewegungsfähigkeit  etc.  zum  Stillstand; 
schliesslicli  führt  er  mit  Nothwendigkeit  den  Tod  herbei. 

Eine  scheinbare  Ausnahme  von  dem  fundamentalen  Process  der  Athmung 
scheinen  die  Gährungsorganismen,  die  Spalt-  und  Sprosspilze,  zu  liefern.  Denn 
sie  können  bei  vollständigem  Abschlüsse  von  Sauerstoff  in  einer  geeigneten 
Nährflüssigkeit  wachsen  und  sich  vermelu'en.  In  diesem  Fall  wird  der  für 
die  Oxydationsvorgänge  im  Protoplasma  erforderliche  Sauerstoff  und  die  Be- 
triebskraft für  den  Lebensprocess  durch  Zerlegung  von  Gährmaterial  ge- 
wonnen. Ebenso  leben  Darmparasiten  in  einer  ziemlich  sauerstofffreien  Um- 
gebung durch  Spaltung  von  Verbindungen  des  ihnen  im  üeberschuss  ge- 
botenen Xabrungsbreies.     (Bunge  V.  2.) 


IQ^  Fünftes  Capitel. 

Welche  Rolle  spielt  der  Sauerstoff  bei  seiner  Aufnahme  in  die  Zelle? 

Früher  glaubte  man,  dass  der  Sauerstoff  auf  die  lebende  Materie 
direct  oxydirend  einwirke,  dass  er,  wie  man  sich  bildlich  ausdrückte, 
einen  Verbrennungsprocess  im  Körper  hervorrufe,  durch  welchen  Wärme 
geliefert  werde.  Der  Vorgang  ist  jedenfalls  ein  complicirterer,  wobei  die 
kräfte,  welche  zur  Bindung  des  Sauerstoffs  führen,  von  der  lebenden 
Substanz  selbst  ausgehen.  In  dem  Protoplasma,  diesem  Gemisch  eigen- 
thümlicher  Eiweisskörper  und  ihrer  Derivate,  in  welchem  ausserdem  noch 
Fette  und  Kohlenhydrate  als  Einlagerungen  enthalten  sind,  finden,  durch 
geringfügige  Einwirkungen  veranlasst,  beständig  moleculare  Umlagerungen 
und  Umgruppirungen  von  Atomen,  unter  diesen  auch  Zersetzungen  und 
Dissociationen,  statt.  „Hierbei  entwickeln  sich  in  vielen  Spaltproducten 
fortdauernd  auch  Affinitäten  zum  freien  Sauerstoff  (oxydative  Spaltung) 
und  ziehen  ihn  auf  diese  Weise  in  den  Stoffwechsel  mit  hinein."  (Pflüger 
V.  25,  26.)  So  entstehen  bei  der  Athmung  auf  Kosten  der  organischen 
Substanz  sauerstoffreichere  Vei'bindungen  und  durch  fortgesetzte  Spaltung 
und  Oxydation  derselben  schliesslich  Kohlensäure  und  Wasser,  die  wich- 
tigsten Endproducte  des  unter  Sauerstoffathmung  einhergehenden  Zer- 
setzungsprozesses der  lebenden  Substanz. 

Es  gilt  dies  für  jede  thierische,  für  jede  pflanzliche  Zelle. 

W^enn  man  Pflanzenzellen,  in  denen  das  Protoplasma  lebhaft  strömt 
(Staubfadenhaare  der  Tradescantia ,  Zellen  von  Characeen),  in  einen 
Tropfen  reinen  Olivenöls  legt,  so  verlangsamt  sich  bald  in  Folge  des  be- 
hinderten Zutritts  von  Sauerstoff  die  Bewegung  und  hört  bald  ganz  auf. 
Dasselbe  tritt  ein,  wenn  Pflanzenzellen  in  eine  Atmosphäre  gebracht 
werden,  die  ausschliesslich  aus  Kohlensäure,  aus  W^asserstoff  oder  aus 
einem  Gemisch  von  beiden  besteht.  Zunächst  sind  nur  die  Functionen 
des  Protoplasma  aufgehoben;  wird  nach  Entfernung  des  Olivenöls  oder 
der  Kohlensäure  oder  des  Wasserstoffs  wieder  reine  Luft  zugeleitet,  so 
kehrt  nach  einer  Periode  der  Erholung  allmählich  wieder  Reizbarkeit  und 
Bewegung  zurück.  Bei  längerer  Entziehung  des  Sauerstoffs  aber  folgt 
der  Lähmung  der  Functionen  schliesslich  der  Tod  des  Protoplasmas  unter 
Trübung,  Gerinnung  und  Zerfall. 

Ebenso  athmet  jede  thierische  Zelle.  Wenn  ein  bebrütetes  Hlihnerei 
in  den  Anfangsstadien  seiner  Entwicklung,  wo  es  aus  lauter  kleinen 
Zellen  zusammengesetzt  ist,  in  eine  Kohlensäure-Atmosphäre  gebracht 
wird,  oder  WTnn  man  die  poröse  Kalkschale  mit  Oel  durchtränkt,  so  dass 
ein  Gasaustausch  zwischen  Keim  und  Luft  nicht  mehr  stattfinden  kann, 
so  stirbt  es  in  wenigen  Stunden  ab. 

Der  bei  dem  Menschen  durch  die  Lungen  aufgenommene  Sauerstoff 
dient  dazu,  um  das  Sauerstoffbedürfniss  aller  in  den  ver- 
schiedenen Geweben  unseres  Körpers  enthaltenen  Zellen 
zu  befriedigen.  Letzteren  Vorgang  bezeichnet  man  in  der  Thier- 
physiologie  im  Gegensatz  zur  Aufnahme  des  Sauerstoffs  oder  der  Lungen- 
athmung  als  innere  Athmung. 

Im  ganzen  Organismenreich  ist  der  Athmungsprocess 
mit  Kohlensäureabgabe  und  mit  Wärmebildung  verbunden. 
Es  ist  dies  ein  einfach  chemisches  Gesetz:  „WMe  bei  jeder  andern  Ver- 
brennung von  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  zu  Kohlensäure  und  Wasser 
muss  auch  bei  der  Athmung  ein  bestimmtes  Quantum  von  Wärmebe- 
w^egung  erzeugt  werden"  (Sachs  IV.  32  a).  Eben  so  gut  wie  die  thie- 
rischen,  athmen  daher  auch  die  pflanzlichen  Zellen  Kohlensäure  aus  und 
bilden  Wärme. 


III.     Stoffwechsel  und  formative  Thätigkeit.  107 

Bei  Pflanzen  ist  die  Wärniebildung  am  leichtesten  an  lebhaft  wach- 
senden Theilen  nachzuweisen,  an  keimenden  Samen,  besonders  deutlich 
aber  an  den  Blüthenkolben  der  Aroideen.  Letztere  können  sich  zu- 
weilen bis  15"  C.  über  die  Temperatur  der  Umgebung  erwärmen. 

Bei  der  Athmung  regulirt  die  lebende  Zelle  selber 
die  Grösse  ihres  Sauerstoffverbrauches.  Derselbe  wird 
einfach  bedingt  durch  das  Maass  ihrer  functionellen 
Thätigkeit,  die  mit  einer  entsprechend  grossen  Zersetzung  organischer 
Substanz  einhergeht.  Eine  unbefruchtete  Eizelle  athmet  sehr  «geringe 
Quantitäten  von  Sauerstoff  ein,  desgleichen  ein  ruhender  Pflanzensamen ; 
wenn  aber  die  Eizelle  befruchtet  wird  und  der  Zellentheilungsprocess 
in  lebhaftem  Gange  ist,  oder  wenn  der  Pflanzensamen  keimt,  dann  wächst 
die  Sauerstoffaufnahme.  Sie  ist  eine  Function  des  in  Lebensthätigkeit 
begi-iffenen  Protoplasmas  (Sachs).  Hieraus  erklärt  sich  auch  leicht  die 
Erscheinung,  dass  die  Sauerstoffaufnahrae  in  die  lebende  Zelle 
„innerhalb  weiter  Grenzen  vollkomm  en  unabhängig  von 
dem   Parti  aldruck  des  neutralen  Sauerstoffs  ist".   (Pflüger.) 

Um  das  Capitel  der  Athnumg  abzuschliessen ,  ist  noch  auf  eine 
wichtige  Erscheinung  einzugehen.  Auch  bei  Abwesenheit  von  Sauerstoff 
können  die  Zellen  liald  kürzere ,  bald  längere  Zeit  Kohlensäure  aus- 
athmen  und  Wärme  erzeugen.  Keimpflanzen  in  ein  Torricelli'sches  Va- 
cuum  gebracht,  fahren  fort  Kohlensäure  auszuhauchen,  in  den  ersten 
Stunden  wie  normal,  dann  in  allmählich  geringer  werdender  Quantität. 

Frösche  lassen  sicli  nach  den  Versuchen  von  Pflüger  in  dem  sauer- 
stofffreien und  mit  Stickstoff  gefüllten  Raum  einer  Glasglocke  viele 
Stunden  am  Leben  erhalten,  in  welcher  Zeit  eine  ziemlich  beträchtliche 
Quantität  von  Kohlensäure  ausgeathmet  wird. 

Beide  Versuche  lehren,  dass  in  der  Zelle  eine  Zeit  lang  auch  ohne 
unmittelbaren  Zutritt  von  Sauerstoff  bloss  durch  Zersetzung  orga- 
nischer Substanz  Kohlenstoff-  und  Sauerstoffatome  zur  Bildung  von 
Kohlensäure  zusammentreten  können. 

Man  bezeichnet  diesen  Vorgang  als  i  n  t  r  a  m  o  1  e  c  u  1  a  r  e  A  t  h  m  u  n  g. 
So  lange  dieselbe  anhält,  lebt  die  Zelle  und  bleibt,  wenn  auch  mit  stetig 
abnehmender  Energie,  reizbar  und  functionsfäliig,  indem  sie  einen  Theil 
des  Sauerstoffs,  der  in  ihren  eigenen  Substanzen  gebunden  ist,  als  Be- 
triebskraft gebraucht.  Bei  länger  fortgesetzter  Entziehung  des  Sauer- 
stoffs tritt  aber  immer  der  Tod  ein. 

Auch  aus  den  Erscheinungen  der  intramolecularen  Athmung  lässt 
sich  der  schon  oben  aufgestellte  Satz  begründen:  „dass  nicht  der 
von  aussen  eindringende  Sauerstoff  den  ersten  Anstoss 
zu  den  chemischen  Vorgängen  der  Athmung  giebt,  dass 
vielmehr  innerhalb  des  Protoplasmas  zunächst  und  primär 
eine  Zersetzung  des  Eiweissmoleküles  stattfindet,  welche 
mit  Kohlensäurebildung  endigt,  dass  aber  durch  den  von 
Aussen  her  zutretenden  Sauerstoff  eine  restitutio  in  in- 
tegrum stattfindet". 

Zu  der  Gährung,  durch  welche  Gährungserreger  auch  ohne  Sauerstoff- 
zutritt wachsen  und  sich  vermehren  und  Kohlensäure  produciren,  bietet  die 
intramoleculare  Athmung  Vergleichspunkte  dar,  auf  welche  besonders  Pfeffer 
(V.  22)  aufmerksam  gemacht  hat. 

Während  die  Aufnahme  von  Sauerstoff  und  die  Abgabe  von  Kohlen- 
säure Anfang  und  Ende   einer  Reihe   complicirter  Processe  bezeichnen, 


jQg  Fünftes  Capitel. 

wclcho  hauptsäclilicli  der  regressiven  Metamorphose  oder  der  Zerstörung 
organischer  Substanz  angehören,  bietet  uns  die  Aufnahme  und  Ver- 
ari)eitung  der  Kohlensäure  in  der  Zelle  einen  Einblick  in  den 
entgegengesetzten  Process,  in  den  Process  der  progressiven  Metamor- 
phoso oder  der  Erzeugung  organischer  Substanz.  Im  Unterschied  zur 
Athmung  nennt  man  diesen  Vorgang  Assimilation. 

Sauerstoffathmung  und  Assimilation  von  Kohlensäure 
treten  in  jeder  Beziehung  in  Gegensatz  zu  einander.  Jene 
ist  eine  fast  dem  ganzen  Organismenreich  angehörige,  fundamentale 
Erscheinung,  diese  dagegen  zeigt  sich  nur  auf  das  Pflanzenreich  be- 
schränkt, und  auch  hier  ist  sie  keine  Eigenschaft  aller,  sondern  nur 
solcher  Zellen,  die  in  ihrem  Protoplasma  Blattgrün  oder 
Blattgelb  (Chlorophyll  oder  Xanthophyll)  enthalten.  Sauer- 
stoffathmung führt  zu  oxydativen  Zersetzungsprocessen,  Kohlensäureassi- 
milation dagegen  zur  Reduction  der  Kohlensäure  und  zur  Synthese  hoch- 
molecularer,  organischer  Substanzen.  Es  sind  dies  Kohlenhydrate,  nament- 
lich Stärke,  welche  sicli  in  Form  kleiner  Körnchen  in  den  grünen 
Pflanzentheilen  (Chlorophyllkörnern  und  Chloropliyllbändern)  abgelagert 
findet. 

Bei  der  Assimilation  der  Kohlensäure  sind  die  einzelnen  Phasen  der 
in  der  Pflanzenzelle  stattfindenden,  synthetischen  Processe  noch  in  Dunkel 
gehüllt.  Nur  so  viel  "lässt  sich  sagen:  Kohlensäure  und  Wasser  bilden 
das  Ausgangsmaterial  für  die  Synthese;  dabei  entsteht  durch  Reduction 
von  Kohlensäure  und  Wasser  Sauerstoff  und  wird  als  Gas  reichlich  ab- 
geschieden. Der  Process  findet  im  Protoplasma  nur  bei  Gegenwart 
von  Chlorophyll  statt,  ausser  welchem  auch  noch  andere  chemische 
Körper  betheiligt  sein  können.  Endlich  kann  die  Kohlensäureassimilation 
nur  im  Licht  vor  sich  gehen.  Denn  um  den  Sauerstoff  aus  der  Kohlen- 
säure und  dem  Wasserraolecül  frei  zu  machen,  ist  Wärme  noth wendig. 
Auch  hierin  stehen  sich  Kohlensäureassimilation  und  Sauerstoffathmung 
gegenüber;  hier  wird  durch  Oxydation,  die  ein  Verbrennungsprocess  ist, 
Wärme  erzeugt  und  lebendige  Kraft  frei  gemacht,  dort  wird  zu  der 
Reduction  der  Kohlensäure  Wärme  verbraucht  und  als  Spannkraft  in  den 
Assimilationsproducten  gebunden.  Die  für  diesen  Process  erforderliche 
Wärme  liefert  das  Sonnenliclit. 

Wenn  man  eine  Wasserpflanze  in  kohlensäurehaltiges  Wasser  bringt 
und  in  die  Sonne  stellt,  so  sieht  man  alsbald  zahlreiche  kleine  Luftblasen 
aufsteigen,  die,  unter  einer  Glocke  gesammelt,  bei  einer  chemischen  Ana- 
lyse zeigen,  dass  sie  hauptsächlich  aus  Sauerstoff  bestehen.  Der  Ab- 
scheidung des  Sauerstoffes  entsprechend,  wird  gleichzeitig  aus  dem  Wasser 
Kohlensäure  aufgenommen  und  zu  Kohlenhydraten  verarbeitet.  Wie  hier- 
bei das  lebendige,  auf  Licht  empfindliche  Protoplasma  den  Chlorophyll- 
apparat in  die  zur  Richtung  und  Stärke  des  Lichtes  günstigste  Lage  zu 
bringen  vermag,  wurde  schon  in  einem  früheren  Capitel  (Seite  84)  aus- 
einandergesetzt. 

Der  Vorgang  der  Assimilation  ist  im  Lichte  ein  so  lebhafter,  dass 
daneben  die  Sauerstoffathmung  und  Kohlensäureabgabe,  welche  zur  Unter- 
haltung des  Lebensprocesses  absolut  nothwendig  ist,  vollständig  in  den 
Hintergrund  tritt  und  daher  auch  in  früherer  Zeit  ganz  übersehen  wurde. 
Dagegen  stellen  Pflanzen,  die  in's  Dunkle  gebracht  werden,  sofort  die 
Sauerstoffabscheidung  und  nicht  minder  auch  die  Kohlensäureaufnahme 
ein,  fahren  aber  im  Dunkeln  nach  wie  vor,  ebenso  wie  belichtete  Pflanzen, 


IIl.    Stoffwechsel  und  formative  Thätigkeit.  109 

ZU  athmen  fort.     Das  Gas,  das  jetzt  freilich  iu  viel  geringerer  Quantität 
als  in  obigem  Versuch  ausgeschieden  wird,  ist  Kohlensäure. 

Auf  einen  interessanten  Unterschied,  der  zwischen  Sauerstoffathmung 
und  Kohlensäureassimilation  bei  den  Pflanzen  besteht,  hat  Claude  Bernard 
(IV.  1  a)  hingewiesen.  Er  hat  Wasserpflanzen  durcli  Chloroform  oder 
Aether  in  Narcose  versetzt  und  gefunden,  dass  sie  jetzt  im  Sonnenlicht 
keinen  Sauerstoff"  mehr  ausscheiden.  Wie  in  der  Narcose  die  Reizbarkeit 
und  Bewegimgsfähigkeit  des  Protoplasma,  so  wird  in  derselben  auch 
die  Chlorophyllfunction,  die  Fähigkeit,  auf  synthetischem  Wege 
aus  Kohlensäure  und  Wasser  Stärke  zu  bilden,  absolut  aufgehoben.  Die- 
selbe kehrt  wieder,  wenn  die  Pflanze  in  reines  Wasser  zurückgebracht 
wird.  Noch  bemerkenswerther  aber  ist  bei  diesem  Versuch,  dass  während 
der  Narcose  die  Athnumg  unter  Abscheidung  von  Kohlensäure  weiter  vor 
sich  geht.  Dieser  Unterschied  ist  wohl  darauf  zurückzuführen,  dass  die 
Sauerstoff"athmung  und  die  mit  ihr  verbundene  Zersetzung  zum  ganzen 
Lebensprocess  in  einem  viel  innigeren  Zusammenhang  stehen  und  daher 
erst  mit  dem  Leben  der  Zelle  ganz  erlöschen.  Ehe  aber  durch  Narcose 
der  Tod  der  Zelle  herbeigeführt  wird,  werden  schon  längere  Zeit  zuvor 
die  Functionen  der  Zelle  gelähmt,  unter  ihnen  auch  die  Chlorophyll- 
function. 

2)  Die  Aufnahme  und  Abgabe  flüssiger  Stoffe. 

Die  meisten  Substanzen,  welche  dem  Stoff"wechsel  dienen,  werden 
von  den  Organismen  in  gelöstem  Zustand  aufgenommen.  Einzellige  und 
Wasserpflanzen  beziehen  dieselben  aus  der  ihnen  zum  Aufenthalt 
dienenden  Fliissigkeit ,  die  Landpflanzen  mit  Hülfe  ihrer  Wurzeln  aus 
dem  von  Wasser  durchtränkten!  Boden.  Die  Zellen  der  höheren 
Thiere  ernähren  sich  durch  Aufnahme  gelöster  Substanzen  aus  Flüssig- 
keitsmedien, die  bei  ihnen  freilich  erst  in  Hohlräumen  ihres  eigenen 
Körpers  durch  complicirte  Einrichtungen  gewonnen  werden  müssen. 
Diese  Flüssigkeitsmedien  sind  der  Chymusbrei  des  Darmkanals,  das  Blut, 
der  Chylusund  die  Lymphe.  Sie  spielen  für  die  thierischen  Zellen 
dieselbe'  Rolle,  wie  Wasser  und  Bodenfeuchtigkeit  mit  den  in  ihnen 
gelösten  Substanzen  für  niedere  Organismen  und  für  Pflanzen. 

Gegenüber  veralteten  Anschauungen  der  Physiologie,  nach  denen  die 
hauptsächlichen  Stoffwechselprocesse  in  die  Säfte  des  Körpers  verlegt 
wurden,  kann  nicht  scharf  genug  der  Satz  hervorgehoben  werden:  Die 
Zellen  sind  die  Herde  der  Stoff-Aufnahme,  Abgabe  und 
Umsetzung.  Die  Säfte  haben  nur  die  Aufgabe,  den  Zellen 
das  Nahrungsmaterial  in  gelöster  Form  darzubieten  und 
die  Zerfallsproducte  des  Stoffwechsels  wieder  abzu- 
führen. 

Zwischen  den  Zellen  und  dem  sie  umspülenden  Medium  bestehen 
die  complicirtesten  Wechselbeziehungen  physikalischer  und  chemischer 
Art.  Ihre  Erforschung  gehört  zu  den  schwierigsten  Aufgaben,  auf  die 
hier  nur  zum  kleinsten  Theil  eingegangen  werden  kann. 

Jede  Zelle  ist  in  ihrer  ganzen  Organisation  an  das  umgebende 
Medium  auf  das  genaueste  angepasst.  Irgendwie  erhebliche  Verände- 
rungen in  der  Concentration  oder  Zusammensetzung  desselben  führen 
ihren  Tod  herbei,  doch  können  in  manchen  Fällen  grössere  Veränderungen 
auch  dauernd  ertragen  werden,  vorausgesetzt,  dass  die  verschiedenen 
Zustände  allmählich '  und   in  längerer  Zeit  in  einander  übergehen,   wo- 


110  Fünftes  Capitel. 

durch   es   den  Zellen   möglich  gemaclit  wird,   sich  in  ihrer  Organisation 
fiir  die  anderen  Bedingungen  einzurichten. 

Wie  schon  im  Capitel  der  chemischen  Reize  (Seite  91)  erwähnt 
wurde,  können  Süsswasseramöben  an  einen  Aufenthalt  in  Salzwasser 
gewöhnt  werden.  Meerthiere  können  sich  einer  niederen  und  höheren 
Concentration  im  Salzgehalt  anpassen.  Wahrscheinlich  besteht  die  An- 
passung darin,  dass  ein  Ausgleich  zwischen  der  im  Protoplasmakörper 
eingeschlossenen  Flüssigkeit  und  der  Umgebung  stattfindet.  Daher 
führen  plötzliche  Veränderungen  zum  sofortigen  Tod  unter  Verquellung 
oder  Schrumpfung  und  Gerinnung  des  Protoplasma. 

Da  bei  den  Wirbelthieren  sich  die  vom  Gewebssaft  umspülten  Zellen 
unter  so  ausserordentlich  künstlichen  Bedingungen  befinden,  ist  es 
schwierig,  kleine  Gewebstheile  nach  ihrer  Abtrennung  vom  übiigen 
Körper  auch  nur  kürzere  Zeit  am  Leben  zu  erhalten.  Denn  auch  die 
Gewebssäfte  verändern  sich  fast  sofort,  wenn  sie  vom  lebenden  Körper 
getrennt  werden.  Daher  können  zur  Untersuchung  der  Gewebe  im  Zu- 
stand des  Uelierlebens  Blutserum,  Augenwasser,  Fruchtwasser,  Jodserum 
oder  künstlich  zusammengesetzte  ähnliche  Gemische  nur  als  einiger- 
maassen  indifferente  Zusatzflüssigkeiten  dienen;  einen  Ersatz  für  die 
natürlichen  Bedingungen  bieten  sie  selbstverständlicher  Weise  keineswegs. 

Wenn  man  genauer  das  Verhältniss  untersucht,  in  welchem  die  Zelle 
zu  der  sie  umspülenden  Flüssigkeit  steht,  muss  man  sich  in  erster  Linie 
vor  der  Vorstellung  hüten,  als  ob  die  erstere  von  der  letzteren  einfach 
durchtränkt  werde.  Eine  solche  Vorstellung  würde  eine  durchaus  ver- 
fehlte sein.  Im  Gegentheil  stellt  jede  Zelle  eine  in  sich  abgeschlossene 
Einheit  dar,  welche  aus  dem  Flüssigkeitsgemiscli  einige  Stoffe  bald  mehr, 
andere  liald  minder  reichlich  in  ihr  Inneres  aufnimmt,  andere  auch  ganz 
abweist.  Verschiedene  Zellen  können  sich  in  allen  diesen  Beziehungen 
sehr  ungleich  verhalten ;  mit  einem  Wort,  die  Zellen  treffen  unter 
den  ihnen  dargebotenen  Stoffen  gewissermaassen  eine 
Auswahl. 

Ein  solches  oft  sehr  verschiedenartiges  Wahlvermögen 
ist  sehr  leicht  nachzuweisen: 

Unter  den  niedersten  einzelligen  Organismen  bilden  sich  einige  ein 
Skelet  aus  Kieselsäure,  andere  aus  kohlensaurem  Kalk.  Gegen  beide 
Stoffe,  die  in  geringen  Mengen  im  Wasser  gelöst  vorkommen,  zeigen  sie 
demnach  ein  ganz  entgegengesetztes  Wahlvermögen,  das  in  der  Bildung 
der  Kreide  und  der  aus  Kieselschalen  bestehenden  Erdschichten  zu  einem 
grossartigen  Gesammtresultat  geführt  hat.  Ebenso  nehmen  die  Zellen 
verschiedener  Pflanzen,  die  in  demselben  Wasser  unter  gleichen  Bedin- 
gungen nebeneinander  gedeihen,  sehr  verschiedene  Salze  und  in  ungleichen 
Mengen  in  sich  auf.  Man  kann  die  hier  vorkommenden,  relativen  Ver- 
hältnisse leicht  berechnen,  wenn  man  die  Pflanzen  trocknet,  verbrennt 
und  die  Gesammtasche  in  Procenten  der  Trockensubstanz  und  die  einzelnen 
Aschenbestandtheile  wieder  in  Procenten  der  Reinasche  ausdrückt. 

So  führte  die  Aschenuntersuchung  von  Fucusarten,  die  an  der  West- 
küste von  Schottland  gesammelt  wurden,  zu  folgenden  Ergebnissen, 
welche  Pfeifer  (V.  23)  in  seiner  Pflanzenphysiologie  tabellarisch  zu- 
sammengestellt hat : 


III.    Stoflfwecbsel  und  formative  Thätigkeit.  111 


Fucus 

Fucus 

Fucus 

Laminaria 

vesiculosus 

nodosus 

serratus 

digitata 

Reinasche  ^  o 

13,89 

14,51 

13,89 

18,64 

K2  0 

15,23 

10,07 

4,51 

22,40 

Na2  0 

24,54 

26,59 

31,37 

24,09 

CaO 

9,78 

12,80 

16,36 

11,86 

MgO 

7,16 

10,93 

11,66 

7.44 

Fe2  O3 

0,33 

0.29 

0.34 

0,62 

P2O5 

1,36 

1,52 

4,40 

2,56 

SO3 

28,16 

26,69 

21,06 

13,26 

Si02 

1,35 

1.20 

0,43 

1,56 

Cl 

15,24 

12,24 

11,39 

17,23 

J 

0,31 

0,46 

1,13 

3,08 

Ueberliaupt  lein 

■en   ]\Ieerespflanzen 

am   besten, 

in   wie  ungleichem 

Maasse  sie  aus  dem  Gemenge  von  Salzen,  das  ihnen  das  Meerwasser 
bietet,  das  ihnen  zum  Lel)en  Kothwendige  entnehmen.  Denn  vom  Koch- 
salz, das  etwa  zu  3  "/o  gelöst  ist,  speichern  die  Zellen  nur  wenig  in  sich 
auf,  dagegen  relativ  viel  grössere  Mengen  von  Kalium-,  Magnesium-  und 
Calciumsalzen,  die  im  Meerwasser  nur  in  Spuren  vorhanden  sind.  Und 
ebenso  gestalten  sich  sehr  verschieden  die  Aschenanalysen  der  auf  dem- 
selben Boden  nebeneinander  gedeihenden  Landpflanzen. 

Zu  demselben  Ergebniss  führt  die  Stoffwechseluntersuchung  des 
thierischen  Körpers.  Nur  bestimmte  Zellen  haben  die  Neigung,  sich  der 
Kalksalze  zu  bemächtigen,  die  in  kaum  nachweisbaren  Mengen  in  der 
Säftemasse  des  Körpers  enthalten  sind,  und  sie  im  Knochengewebe  auf- 
zuspeichern, bestimmte  Zellgruppen  des  Nierengewebes  bemächtigen  sich 
der  im  Blutstrom  circulirenden,  zur  Harnbildung  dienenden  Stoffe,  andere 
Zellen  des  Körpers  vdeder  stapeln  Fette  in  sich  auf  u.  s.  w. 

Die  Factoren,  die  bei  der  Aufnahme  und  Nichtauf- 
nahme von  Stoffen  mitsprechen,  entziehen  sich  zur  Zeit  fast 
ganz  unserer  Beurtheilung.  Doch  ist  jedenfalls  der  Nutzen,  den  ein 
Stoff  für  den  Haushalt  der  Zelle  bietet,  durchaus  nicht  immer  das  Ent- 
scheidende. Zellen  bemächtigen  sich  auch  direct  schädlicher  oder  voll- 
kommen nutzloser  Stoffe.  In  dieser  Beziehung  ist  die  sehr  verschieden- 
artige Aufnahme  der  Anilinfarben  in  leidende  Pflanzenzellen  sehr  lehr- 
reich.    (Pfeffer  V.  22b.) 

Während  Lösungen  von  Metliylenblau,  ]\Iethylviolett,  Cyanin,  Bis- 
markbraun, Fuchsin,  Safranin  aufgenommen  werden,  ist  dies  nicht  der 
Fall  mit  Lösungen  von  Nigrosin,  Anilinblau,  Methylblau,  Eosin,  Congo- 
roth  etc.  Ueber  Aufnahme  oder  Nichtaufnahme  kann,  nach  der  Angabe 
von  Pfeffer,  welcher  eingehende  Studien  hierüber  angestellt  hat,  nur  die 
empirische  Erfahrung  entscheiden. 

Wie  mit  der  Aufnahme,  verhält  es  sich  auch  mit  der  Abgabe  von 
Stoffen.  Diese  wird  gleichfalls  von  den  besonderen  Eigenschaften  des 
lebenden  Zellkörpers  bestimmt.  Die  roth-  oder  blaugefärbten  Zellen 
der  Blumenlilätter  einer  phanerogamen  Blüthe  lassen  die  in  ihnen  ein- 
geschlossene, concentrirte  Farbstofflösung,  solange  sie  lebensfrisch  sind, 
nicht  in  das  umgebende  Wasser  diffundiren.  Sowie  indessen  die  Zelle 
abgetödtet  wird,  beginnt  der  Farbstoff  durcli  die  Zellwand  durchzutreten. 

Um  alle  diese  complicirten  Verhältnisse  wirklich  zu  verstehen, 
würde  eine  erschöpfende  Kenntniss  der  Chemie  und  Physik  der  Zellen 
erforderlich  sein.     Denn  was  ich  oben  als  ihr  Wahlvermögen  bezeichnet 


112  Fünftes  Capitel. 

habe,  wird  sich  in  letzter  Instanz  zurückführen  lassen  auf  die  chemischen 
Affinitäten  der  zahlreichen  Stoffe,  die  in  den  Zellkörpern  vorkommen 
und  während  der  Stoffwechselprocesse  vorübergehend  ueliildet  werden. 
Es  wird  sich  hier  ebenso  verhalten  wie  mit  der  Aufnahme  von  Sauerstoff 
und  Koldensäure,  die  auch  nur  erfolgen  kann,  wenn  durch  den  Stoff- 
wechselprocess  chemische  Affinitäten  zu  denselben  frei  werden.  Daher 
denn  im  Dunkeln  von  der  Pflanze  keine  Kohlensäure  aufgenonnnen  wird, 
die  Aufnahme  aber  sofort  erfolgt,  wenn  durch  die  Einwirkung  der 
Sonnenstrahlen  der  zu  ihrer  Bindung  erforderliche,  chemische  Process 
angeregt  wird. 

Auch  die  Aufnahme  von  Anilinfarben  in  die  lebende  Zelle  lehrt 
Aehnliches.  Aus  sehr  dünnen  Lösungen  von  Methylenblau  saugen  Azolla, 
Spirogyra,  Wurzelhaare  von  Lenma  etc.  allmählich  so  viel  Farbstoff  in 
sich  auf,  dass  sie  ein  tiefblaues  Colorit  gewinnen,  wie  es  etwa  einer 
einprocentigen  Lösung  entspricht.  Das  Methylenblau  färbt  dabei  das 
Protoplasma  selbst  nicht,  sondern  dringt  nur  durch  dasselbe  hindurch, 
um  sich  im  Zellsaft  in  immer  concentrirter  werdender  Lösung  anzu- 
sammeln. In  Folge  dessen  stirbt  die  Zelle  sellist  auch  nicht  ab,  w^as  der 
Fall  sein  würde,  wenn  das  giftig  wirkende  Methylenblau  sich  in  dem 
Protoplasma  in  solcher  Concentration  anhäufen  würde.  Die  Auf- 
s  p  e  i  c  h  e  r  u  n  g  i  m  Z  e  1 1  s  a  f  t  a  V)  e  r  wird  d  a  d  u  r  c  h  h  e  r  v  o  r  gerufen, 
dass  in  ihm  sich  Stoffe  vorfinden,  welche  eine  schwer 
d  i  0  s  m  i  r  e  n  d  e  Verbindung  mit  der  Anilinfarbe  herstellen. 
Als  einen  solchen  Stoff  bezeichnet  Pfeifer  die  in  Pflanzenzellen  häufig 
vorkommende  Gerbsäure.  Dieselbe  geht  mit  den  Anilinfarben  Verbin- 
dungen ein,  die  bald  unlöslich  sind  und  daher  im  Zellsaft  als  Concremente 
ausgeschieden  werden  (Methylenblau,  Methylviölett) ,  bald  mehr  oder 
weniger  löslich  sind  (Fuchsin,  Methylofange,  Tropäolin). 

Auch  Thiere  bieten  uns  schöne  Beispiele  von  Speicherung  der  Farb- 
stoffe in  lebenden  Zellen  dar.  Befruchtete  Seeigeleier  erhalten  in  ganz 
mattgefärbten  Lösungen  von  Methylenblau  in  kurzer  Zeit  ein  mehr  oder 
minder  intensiv  blaues  Colorit.  (Hertwig,  IV.  12b.)  Bei  geringeren 
Graden  der  Speicherung  schreitet  der  Furchungsprocess,  wenn  auch  ver- 
langsamt, doch  in  normaler  Weise  weiter  und  kann  bis  zur  Bildung  der 
Gastrula  führen.  Hier  ist  denn  der  Farbstoif  besonders  in  den  Entoderm- 
zellen  angehäuft,  was  den  Schluss  erlaulit,  dass  durch  Dottermaterialien 
die  Speicheruug  herbeigeführt  wird.  Lebende  Frosch-  und  Tritonlarven 
werden  nach  5 — 8  Tagen  in  einer  dünnen  Lösung  von  Methylenblau 
sehr  stark  gebläut.  In  diesem  Falle  ist  der  Farbstoif  an  die  Granula 
der  Zellen  gebunden.  (Oscar  Schnitze,  V.  44.)  Nach  tagelangem  Auf- 
enthalt in  reinem  AY asser  tritt  allmählich  wieder  Entfärbung  ein.  Wenn 
Indigcarmin  einem  Säugethier  direct  ins  Blut  eingespritzt  wird,  so  wird 
es  bald  sowohl  von  den  Leberzellen,  als  von  den  Epithelien  der  gewun- 
denen Harnkanälchen  aufgenommen  und  dann  weiter  dort  in  die  Gallen- 
capillaren,  hier  in  die  Harnkanälchen  abgeschieden.  (Heidenhain,  V.  42). 
^lethylenblau  ins  Blut  gespritzt  geht  mit  der  Substanz  der  Nerven- 
fibrillen eine  Bindung  ein  und  verleiht  ihnen  ein  dunkelblaues  Colorit. 
(Ehrlich,  V.  41.)  Krappfarbstoff  wird  in  der  Grundsubstanz  des  Knochen- 
gewebes gespeichert. 

Abgesehen  von  den  chemischen  Affinitäten,  welche  zwischen  den  im 
Zellkörper  und  den  ausserhalb  desselben  befindlichen  Stofftheilchen 
bestehen,  sind  die  physikalischen  Vorgänge  der  Osmose  für  das  Ver- 
ständniss  der  Stoffaufnahme  und  -Abgabe  von  der  grössten  Bedeutung. 


III.    Stofifwechsel  und  formative  Thätigkeit. 


113 


Hier  ist  die  grössere  oder  geringere  Durchlässigkeit  der  Zellhaut  zu 
beachten,  in  den  Fällen,  wo  eine  solche  vorhanden  ist.  Dieselbe  ist  in 
der  Regel  für  alle  gelösten  Substanzen  viel  durchlässiger  als  der  Proto- 
plasniakörper  selbst.  Letzterer  schliesst  sich  nach  Aussen  (vergleiche 
Seite  13)  durch  eine  Haut  schiebt  ab,  welche  Pfeffer  bei  der  Osmose 
die  Hauptrolle  spielen  lässt.  Soll  nun  ein  gelöster  Körper  in  das  Proto- 
plasma aufgenommen  werden,  so  muss  er  zunächst  in  die  Hautschicht 
imbibirt  werden,  das  heisst,  seine  Moleküle  müssen  sich  zwischen  die 
Plasmatheilchen  derselben  einlagern  und  von  hier  dann  weiter  in  das 
Innere  abgegeben  werden.  Ein  gelöster  Körper  kann  aber  auch  dann, 
wenn  er  selbst  nicht  imbibirt  wird,  noch  eine  osmotische  Wirkung  in  der 
Weise  hervorrufen,  dass  er  auf  das  in  der  Zelle  enthaltene  Wasser  eine 
Anziehung  ausübt  und  so  einen  nach  aussen  gerichteten  Wasserstrom 
hervorruft.  „Das  Wesen  der  Osmose  beruht  also  darin,  dass  gleichzeitig 
zwei  Körper  nach  entgegengesetzter  Richtung  eine  Membran  durch- 
wandern, und  von  einem  endosmotischen  Aequivalent  (ein  Ausdruck  für  die 
Relation  dieses  Austausches,  auf  welchen  vielfach  zu  viel  Gewicht  gelegt 
wurde)  kann  in  jenem  Fall  nicht  die  Rede  sein,  in  welchem  nur  Wasser 
durch  eine  Membran  diosmirt"  (Pfeffer  V.  23). 

Bei  der  Zartheit  und  Kleinheit  der  thierischen  Zellen  stossen 
osmotische  Untersuchungen  auf  grosse  Schwierigkeiten.  Der  Gegenstand 
ist  daher  mehr  von  Seiten  der  Botaniker  bei  den  weit  geeigneteren,  pflanz- 
lichen Zellen  untersucht  und  besonders  durch  folgende  Experimente 
gefördert  worden : 

Wenn  man  Pflanzenzellen,  die  einen  grossen  Saftraum  enthalten,  in 
eine,  5 — 20procentige  Lösung  von  einem  geeigneten  Salz  oder  von  Zucker 
oder  Glycose  bringt  (Fig.  59),  so  verkleinern  sich  dieselben  etwas,  indem 


Fig.  59.  Nr.  1.  Junge,  erst  halbwegs  erwachsene  Zelle  ans  dem  Rindenparenchym 
des  Blüthenstiels  von  Cephalaria  leucantha.  Nr.  2.  Dieselbe  Zelle  in  vierprocentiger 
Salpeterlösung.  Nr.  3.  Dieselbe  Zelle  in  sechsprocentiger  Lösung.  Nr.  4.  Dieselbe 
Zelle  in  zehnprocentiger  Lösung.  Nr.  1  u.  4  nach  der  Natur,  Nr.  2  u.  3  schematisch. 
Alle  im  optischen  Längsschnitt,  h  Zellhaut,  p  Protoplasmatischer  Wandbeleg,  k  Zell- 
kern, c  Chlorophyllkörner.  *  Zellsaft,  e  Eingedrungene  Salzlösung.  Nach  de  Vries 
(V.  36). 


Wasser  von  Innen  nach  Aussen  abgegeben  wird ;  darauf  hebt  sich,  wenn 
die  Wasserentziehung  weiter  fortgeht,  der  Protoplasmaschlauch  von  der 
Cellulosehaut  ab,  die  selbst  vermöge  ihrer  grösseren  Festigkeit  nicht 
weiter  zusammenschrumpfen  kann  (de  Vries  V.  36). 


Hertwig,  Die  Zelle  und  die  Gewebe. 


114  Fünftes  Capitel. 

T)i(3  Salz-  oder  Zuckcrlösung  ist  also  jetzt  durch  die  Cellulosehaut 
hiiidurcligetreten  und  fährt  fort,  dem  rrotoplasniaschlauch  weiter  Wasser 
zu  entziehen.  Derselbe  schrumpft  daher  je  nacli  der  Concentration  der 
Zusatzflüssigkeit  auf  einen  immer  kleineren  Raum  zusammen.  Der  in 
ihm  eingeschlossene  Saft  wird  dem  entsprechend  concentrirter.  Trotz 
dieser  unter  dem  Namen  der  Plasmolyse  zusammengefassten  Ver- 
änderungen kann  der  Protoplasmakorper  wochenlang  am  Leben  bleiben 
und  das  Strömungsphänomen  zeigen;  er  kann  sich  selbst  mit  einer  neuen 
Zellhaut  umgeben,  verharrt  aber  in  dem  collabirten  Zustand. 

Aus  dem  Verlauf  der  Plasmolyse  kann  man  zwei  Schlüsse  ziehen : 
einmal,  dass  die  Cellulosehaut  für  die  angewandten  Salzlösungen  durch- 
lässig ist,  zweitens,  „dass  nennenswerthe  Mengen  des  gelösten  Salzes 
durch  die  Plasmamembran  nicht  diosmiren,  denn  ein  solches  Eindringen 
in  den  Protoplasmakörper  oder  in  den  Zellsaft  würde  eine  Vermehrung 
osmotisch  wirkender  Stoffe  im  Innern  der  Plasmamembran  und  damit  eine 
Volumzunahme  des  Pi'otoplasmakörpers  zur  Folge  haben"  (Pfeffer). 

Wenn  die  durch  Plasmolyse  schlaff  gevvordenen  Zellen  wieder  vor- 
sichtig in  reines  Wasser  übertragen  werden,  so  tritt  jetzt  der  umgekehrte 
Process  ein.  Die  in  der  Cellulosemembran  eingeschlossene  Zuckerlösung 
diffundirt  in  das  Wasser.  In  Folge  dessen  dehnt  sich  der  Protoplasma- 
schlauch aus,  weil  jetzt  der  in  ihm  enthaltene  Zellsaft  an  osmotisch  wirk- 
samen Stoffen  reicher  als  seine  Umgebung  ist  und  so  eine  entgegenge- 
setzte Wasserströmung  verursacht.  Die  Ausdehnung  schreitet  allmählich 
durch  Wasseraufnahme  so  weit  fort,  bis  sich  der  Protoplasmaschlauch 
wieder  an  die  Cellulosemembran  fest  angelegt  hat,  und  bis  sich  schliesslich 
auch  die  ganze  Zelle  wieder  zur  ursprünglichen  Grösse  gestreckt  hat. 

Andere  Experimente  haben  gelehrt,  dass  der  im  Innern  der  Pflanzen- 
zelle eingeschlossene  Saft  unter  einem  nicht  unerheblichen,  oft  mehrere 
Atmosphären  beti-agenden  Druck  steht.  Derselbe  bewirkt  den  natürlichen 
Turgor  oder  die  Turgescenz  von  Pflanzentheilen.  Er  wird  dadurch  her- 
vorgerufen, dass  im  Zellsaft  osmotisch  sehr  wirksame  Substanzen  ent- 
halten sind,  wie  Salpeter,  Pflanzensäuren  und  ihre  Kalisalze,  welche  auf 
Wasser  eine  kräftige  Anziehung  ausüben  (Pfeffer  V.  23,  de  Vries  V.  36). 

Somit  lässt  sich  der  den  Zellsaft  umschliessende  Protoplasmaschlauch 
einer  dünnwandigen,  sehr  dehnbaren  Blase  vergleichen,  die  mit  einer 
concentrirten  Salzlösung  gefüllt  ist.  Wird  eine  solche  Blase  in  reines 
Wasser  gelegt,  so  muss  die  Salzlösung  Wasser  anziehen  und  so  einen 
Strom  hervorrufen,  der  zur  Folge  hat,  dass  die  Blase  unter  dem  steigen- 
den Druck  ihres  sich  durch  Anziehung  vergrössernden  Inhalts  anschwillt 
und  ihre  Wand  immer  mehr  verdünnt  wird.  Die  Dehnung  der  Blase 
findet  erst  ihr  Ende,  wenn  äussere  und  innere  Flüssigkeit  sich  in 
osmotischem  Gleichgewicht  befinden.  So  müsste  auch  der  Protoplasma- 
schlauch vieler  Pflanzenzellen  durch  den  von  innen  wirkenden  Druck 
(Turgor)  mächtig  ausgedehnt  werden,  wenn  dieser  Dehnung  durch  die 
weniger  nachgiebige'  Cellulosemembran  keine   Schranke   gesetzt  würde. 

Es  könnte  nun  freilich  ein  Gleichgewichtszustand  zwischen  Zellsaft 
und  umgebender  Flüssigkeit  hergestellt  werden,  wenn  aus  der  Zelle  die 
osmotisch  wirksamen  Stoffe  in  das  Wasser  diffundiren  würden,  wodurch 
die  Ursache  für  den  inneren  Druck  entfernt  worden  wäre.  Dies  wird 
aber  ebenfalls  durch  die  Eigenschaften  der  lebenden  Plasmamembran 
verhindert.  Wie  dieselbe  darüber  entscheidet,  ob  ein  Körper  in  das 
Innere  der  Zelle  gelangt,  so  besitzt  sie  auf  der  andern  Seite  auch,  wie 
schon  oben  erwähnt   und  an   einem  Beispiel  gezeigt  wurde,  die  wichtige 


III.    Stoffwechsel  und  formative  Thäti^keit. 


115 


Eigenschaft,  im  Zellsaft  gelöste  Stoffe  zurückzuhalten,  welche  ohne  diese 
Eigenschaft  vom  umspülenden  Wasser  ausgewaschen  werden  müssteu 
(Pfeffer  V.  23). 

Dass  der  Zellsaft  in  der  That  unter  einem  höheren  Druck  steht,  bei 
Wasserpflanzen  zum  Beispiel  unter  einem  höheren  Druck  als  das  um- 
gebende Wasser,  davon  kann  man  sich  durch  einfache  Experimente  leicht 
überzeugen,  wie  Nägeli  (V.  16)  angegeben  hat.  Wenn  in  einer  Spirogyra 
eine  Zelle  durch  einen  Schnitt  geöffnet  wird,  so  dass  ihr  Inhalt  zum 
Theil  ausfliesst,  so  werden  die  Querwände  der  beiden  angrenzenden 
Zellen  nach  dem  Hohlraum  des  verletzten  Gliedes  vorgewölbt.  Der  Druck 
in  den  unverletzten  Zellen  muss  daher  jetzt  grösser  sein,  als  in  der  an- 
geschnittenen Zelle,  in  welcher  der  Druck  in  Folge  der  Verletzung  auf 
die  Spannung  des  umgebenden  Wassers  herabgesunken  ist. 

3)  Die  Aufnahme  fester  Körper. 

Zellen,  die  von  keiner  besonderen  Membran  umschlossen  sind  oder  in 
ihrer  Membran  Oeffnungen  besitzen,  sind  auch  im  Stande,  feste  Körper 
in  ihr  Protoplasma  aufzunehmen  und  zu  verdauen.  Rhizopoden  fangen 
andere  kleine,  einzellige  Organismen  ein,  die  mit  ihren  im  Wasser  weit 
ausgestreckten  Pseudopodien   in  Berührung  kommen  (Fig.  10,  60).     Die 

Ka     cv 


ev 


•   M 


Fig.  60.  Actinosphärium  Eichhorni.  Nach  K.  Hertwig,  Zoologie  Fig.  117. 
M  Marksubstanz  mit  Kernen  {n).  R  Rindensubstanz  mit  contractilen  Vacuolen  {ev), 
Na  Nahrungskörper. 

Pseudopodien,  die  den  Fremdkörper  erfasst  haben,  legen  sich  um  den- 
selben zusammen,  verkürzen  sich  und  ziehen  ihn  so  allmählich  in  die 
Hauptmasse  des  Protoplasma  hinein,  wo  die  brauchbaren  Substanzen 
verdaut  werden,  während  unverdauliche  Reste,   wie  Skeletbildungen  etc. 

8* 


i. 


IIQ  Fünftes  Capitel. 

nach  einiger  Zeit  wieder  nach  Aussen  hervorgestossen  werden.  Auch 
feste  Substanzen,  die  keinen  Nährwerth  besitzen,  werden  aufgenommen. 
Wenn  man  Karmin-  oder  Zinnoberkornchen  in  das  Wasser  bringt,  so 
bemächtigen  sich  die  Rhizopoden  derselben  so  gierig,  dass  nach  wenigen 
Stunden  der  ganze  Körper  von  ilmen  dicht  erfüllt  ist. 

Infusorien  (Fig.  50)  fressen  Flagellaten,  einzellige  Algen  und  Bak- 
terien und  bringen  dieselben  durch  eine  als  Zellmund  bezeichnete 
Oeft'nung  in  ihrer  Cuticula  in  das  Körnerplasma  hinein.  Hier  bildet  sich 
um  jeden  Fremdkörper  eine  mit  Flüssigkeit  gefüllte  Vacuole  aus,  in 
welcher  die  Verdauung  vor  sich  geht. 

In  ähnlicher  Weise  wie  einzellige  Organismen,  fressen  auch  manche 
Gewebszellen  der  Metazoen  feste,  ihnen  dargebotene  Substanzen  auf  und 
verdauen  sie. 

Die  intracellulare  Verdauung,  wie  sie  Metschnikoff 
(V.  12)  genannt  hat,  ist  bei  wirbellosen  Thieren  weit  verbreitet  und 
lässt  sich  am  besten  durch  Fütterungsversuche  mit  leicht  kenntlichen 
Substanzen,  Farbstoffkönichen,  Milchkügelchen,  Pilzsporen  etc.  feststellen. 
Bei  einigen  Cölenteraten  nehmen  sowohl  Ectoderm-  als  Entodermzellen 
fremde  Körper  auf.  Die  Tentakelenden  von  Actinien  können  sich  mit 
Carminkörnchen  beladen.  Solche  findet  man  auch  bei  Actinienlarven 
nach  vorgenommener  Fütterung  im  ganzen  Entoderm  vertheilt. 

Die  meiste  Beachtung  aber  wegen  ihrer  Fähigkeit,  feste  Körper 
aufzunehmen  und  zu  verdauen,  verdienen  die  weissen  Blutkörperchen, 
die  Lymphzellen  und  die  Wanderzellen  des  Mesoderms  sowohl  bei 
Wirbellosen  als  bei  Wirbelthieren.  Die  wichtige  Thatsache  ist  zuerst 
durch  Haeckel  (V.  4a)  festgestellt  worden.  Als  er  eine  ■Molluske  (Tethys) 
mit  Indigo  injicirte,  fand  er  nach  kurzer  Zeit  Indigokörnchen  im  Innern 
von  Blutkörperchen  auf. 

Metschnikoff  (V.  12)  hat  diese  Erscheinungen  sehr  eingehend 
weiter  untersucht.  Bei  einer  andern  Molluskenart,  der  durchsichtigen 
Phyllirhoe,  fand  er,  nachdem  pulverisirtes  Carmin  unter  die  Haut 
gespritzt  worden  war,  die  kleinen  Körnchen  von  einzelnen  W'anderzellen 
gefressen;  um  grössere  Karminklumpen  aber  hatten  sich  immer  viele 
W^anderzellen  eingefunden,  hüllten  dieselben  ringsum  ein  und  waren 
unter  einander  zu  einem  Plasmodium  oder  einer  vielkernigen  Piiesen- 
zelle  verschmolzen. 

Von  derselben  Erscheinung  kann  man  sich  auch  bei  Wirbelthieren 
leicht  überzeugen,  wenn  man  einem  Frosch  in  den  dorsalen  Lymphsack 
etwas  Carmin  einspritzt  und  nach  einiger  Zeit  einen  Lymphtropfen  ent- 
nimmt und  mikroskopisch  untersucht.  Unter  dem  Mikroskop  lässt  sich 
der  Vorgang  des  Fressens  direct  verfolgen.  \lan  muss  dann  etwas  Car- 
minpulver  oder  etwas  Milch  einem  frisch  entleerten  Tropfen  von  Lymphe 
oder  Blut  unter  Beobachtung  einiger  Vorsichtsmaassregeln  zusetzen. 
Handelt  es  sich  um  ein  Präparat  von  einem  Säugethier  oder  vom 
^Menschen,  so  muss  man  dasselbe  auf  dem  heizbaren  Objecttisch  von 
^lax  Schnitze  vorsichtig  bis  auf  30 — 35  Grad  Celsius  erwärmen  (V.  43). 
Indem  jetzt  die  weissen  Blutzellen  amöboide  Bewegungen  auszuführen 
beginnen,  ergreifen  sie  mit  ihren  Scheinfüsschen  die  Farbstoffkörnchen 
oder  i\Iilchkügelchen,  mit  denen  sie  in  Berührung  kommen,  und  ziehen 
dieselben  in  ihren  Körper  hinein.  Sie  sind  daher  von  Metschnikoff  als 
Phagocyten,  und  der  ganze  Vorgang  ist  von  ihm  als  Phagocytose 
bezeichnet  worden. 

Die  Fähigkeit  der  amöboiden  Elemente  des  thierischen 


III.    Stoffwechsel  und  formative  Thätigkeit. 


117 


Körpers,  feste  Substanzen  aufzunehmen,  ist  von  einer 
sehr  hohen  physiologischen  Bedeutung;  denn  hierin  be- 
sitzt der  Organismus  ein  Mittel,  um  aus  seinen  Geweben 
ihm  fremdartige  und  schädliche,  geformte  Theile  zu  ent- 
fernen. Es  giebt  besonders  drei  verschiedene,  theils  normale,  theils 
pathologische  Zustände  des  Körpers,  in  welchen  die  Phagocyten  ihre 
Thätigkeit  entfalten. 

Erstens  kommt  es  im  Laufe  der  Entwicklung  bei  vielen  Wirbellosen 
und  auch  bei  Wirbelthieren  vor,  dass  einzelne  Larvenorgane  ihre  Bedeu- 
tung verlieren  und  unter  Verfettung  zu  Grunde  gehen.  So 
schwinden  einzelne  Theile  bei  der  Metamorphose  der  Echinodermen- 
larven  und  der  Nemertioen;  so  wandelt  sich  die  Kaulquappe  in  den 
jungen  Frosch  um,  indem  sie  ihren  ansehnlich  entwickelten  Ruderschwanz 
verliert.  In  allen  diesen  Fällen  erleiden  die  Zellen  in  den  zur  Rück- 
bildung bestimmten  Organen  eine  fettige  Metamorphose,  sterben  ab  und 
zerfallen.  Währenddem  haben  sich  in  der  Nachbarschaft  schon  reichlich 
Wanderzellen  oder  Phagocyten  eingefunden,  welche  die  Gewel)strümmer 
zu  verschlingen 


und  zu  verdauen  anfangen,   wie  man  bei  durchsichtigen 


kann. 


Meerthiereu  während  des  Lebens  genau  verfolgen 

Zweitens  besorgen  die  Phagocyten,  ähnlich 
wie  in  den  normalen  Vorgängen  der  Entwick- 
lung, auch  die  Resorption  abgestorbener  und 
in  Zerfall  befindlicher  Theile,  überall  wo  solche 
aus  normalen  oder  pathologischen  Ursachen  im 
Körper  entstehen.  Rothe  Blutkörperchen  zer- 
fallen, wenn  sie  eine  Zeitlang  im  Blutstrom  ge- 
kreist haben.  Im  Milzblut  hat  man  ihre  Trüm- 
mer im  Körper  von  weissen  Blutkörperchen 
aufgefunden,  die  auch  hier  ihre  Aufgabe,  das 
Abgestorbene  zu  entfernen,  erfüllen.  Wenn  in 
Fofge  einer  Verletzung  sich  ein  Bluterguss  in 
das  Gewebe  bildet,  und  Tausende  von  Blut- 
körperchen und  Elementartheilen  zu  Grunde 
gehen,  dann  machen  sich  auch  wieder  die  Wan- 
derzellen an  die  Arbeit  und  vermitteln  die 
Resorption  und  Heilung. 

Drittens  endlich  bilden  die  Pha- 
gocyten bei  In  fectionsk  rankheiten 
eine  Schutztruppe  des  Körpers,  um 
der  Verbreitung  von  Mikroorganis- 
men im  Blut  und  in  den  Geweben 
entgegenzuwirken. 

Es  ist  ein  grosses  Verdienst  von  Metschni- 
koff,  auf  diesen  Gegenstand  die  Aufmerksamkeit 
gelenkt   zu  haben    (V.    13—15,    IV.   22).     Es 
gelang  ihm,   zu  zeigen,    dass   bei  Erysipel   die 
Coccen,   bei   Rückfalltyphus   die    Spirillen, 
Milzbrand  die   Bacillen   von  Wanderzellen 
fressen     und     dadurch     unschädlich     gemacht 
werden    (Fig.    61).      Die    gefressenen    Mikro- 
organismen, "deren  Zahl  in  einer  Zelle  oft  10—20  betragen  kann,  zeigen 
nach    einiger    Zeit    deutlich    erkennbare    Spuren    der   Auflösung.     Be- 
finden sich   die  Mikroorganismen   im   Blut,    so   findet   ihre   Vernichtung 


bei 

ge- 


Fig.  61.  Ein  Leuko- 
cyt  des  Frosches,  in  dem 
ein  Bakterium  einge- 
schlossen ist  und  vei'- 
daut  wird.  Das  Bak- 
terium durch  Vesuvin 
gefärbt.  Die  beiden  Fi- 
gui'en  repräsentireu  zwei 
Stadien  der  Bewegung  ein 
und  derselben  Zelle.  Nach 
Metschnikoff  Fie:.  54. 


118  Fünftes  Capitel. 

vorzugsweise  in  der  Milz,  der  Leber  und  in  dem  rothen  Knochenmark 
statt.  Ist  ihre  Ansiedelung  an  einer  Stelle  im  Gewebe  erfolgt,  so  sucht 
sich  der  Körper  der  Eindringlinge  dadurch  zu  entledigen,  dass  in  Folge 
der  reactiven  Entzündung  zahlreiche  Wanderzellen  auf  dem  Platz 
erscheinen. 

Zwischen  Mikroorganismen  und  Phagocyten  wird,  wie 
sich  Metschnikoff  ausdrückt,  ein  lebhafter  Kampf  geführt, 
welcher  zu  Gunsten  der  einen  oder  anderen  Partei  ent- 
schieden wird,  und  je  nachdem  die  Heilung  oder  den  Tod 
des   von    der   Infection  betroffenen   Thieres   herbeiführt. 

Die  Fähigkeit  der  Wanderzellen,  bestimmte  Arten  von  Mikro- 
organismen zu  vernichten,  scheint  bei  einzelnen  Thieren  eine  sehr  ver- 
schiedene zu  sein  und  auch  sonst  noch  von  den  verschiedensten  Bedin- 
gungen al)zuhängen;  so  spielen  namentlich  die  chemischen  Reizwirkungen 
eine  Piolle,  welche  schon  auf  Seite  99  besprochen  worden  sind. 
(Negativer  und  positiver  Chemotropismus.  Hertwig  IV.  13).  Hiermit 
scheint  ferner  die  grössere  oder  geringere  Immunität  der  Organismen 
gegen  manche  Infectionskrankheiten  in  Beziehung  zu  stehen.  Hier  ist 
ein  Gebiet  gegeben,  auf  welchem  sich  eine  weite  Perspective  für  das 
Verständniss  und  die  Heilung  der  Infectionskrankheiten  eröffnet. 

II.    Die  Stoff  Umsetzung  und  die  foruiatlTe  Tliätiglteit  der  Zelle. 

Die  Gase,  die  flüssigen  und  die  festen  Substanzen,  die  in  das 
Protoplasma  durch  Athmung  und  Ernährung  aufgenommen  werden,  bilden 
das  sehr  verschiedenartige  Rohmaterial,  das  in  der  chemischen  Werkstatt 
der  Zelle  verarbeitet  und  in  ausserordentlich  zahlreiche  Stoffe  umgesetzt 
wird.  Von  diesen  sind  für  Pflanze  und  Thier  die  wichtigsten:  die 
Kohlenhydrate,  Fette,  Albuminate  und  die  verschiedenartigsten  Umbildungs- 
producte  derselben. 

Ihre  Verwendung  im  Lebensprocess  der  Zelle  ist  gleichfalls  eine  sehr 
mannigfaltige.  Theils  dienen  sie  zum  Ersatz  der  beim  Lebensprocess 
sich  zerstörenden  Zellstoffe;  sie  sind  das  Material,  welches  beim  Athmungs- 
process  durch  den  Sauerstoff  verbrennt  und  die  lebendigen  Kräfte  für 
die  Arbeitsleistungen  der  Zelle  liefert.  Theils  dienen  sie  zuni  Wachsthum 
und  zur  Vermehrung  des  Protoplasma,  was  für  die  Function  der  Fort- 
pflanzung unentbehrlich  ist.  Theils  werden  die  im  chemischen  Laboratorium 
neugebildeten  Stoffe  in  irgend  einer  Form  im  Zellkörper  für  spätere 
Verwendung  abgelagert,  sie  stellen  also  Reservestoffe  dar.  Endlich  können 
sie  in-  oder  ausserhalb  der  Zelle  zur  Erfüllung  einer  bestimmten  Function 
im  Zellenleben  ausgeschieden  werden. 

So  entstehen  die  namentlich  im  Thierreich  sehr  zahlreichen  Stoffe, 
auf  denen  die  gew^bliche  Differenzirung  beruht :  Drüsensecrete,  die  nach 
aussen  entleert  werden,  Membranen  und  Intercellularsubstanzen  von 
chemisch  sehr  verschiedener  Zusammensetzung,  Muskel-  und  Nerven- 
tibrillen,  die  vermöge  ihrer  eigenartigen  Organisation  in  besonderer 
Weise  mit  Contractilität  und  Reizleitung  begabt  sind.  In  letzterem 
Falle  nimmt  die  chemische  Arbeit  der  Zelle  einen  Charakter  an,  welchen 
Max  Schnitze  als  ihre  formative  Thätigkeit  bezeichnet  hat.  Das 
Protoplasma  benutzt  das  ihm  zugeführte  Rohmaterial,  um 
aus  i h m  0 f t  wunderbar  z u s a m m e n g e s e t z t e  S t r u et u r e n  her- 
zustellen,  die  ihm  zu  besonderen  Arbeitszwecken  dienen 


ni.    Stoffwechsel  und  formative  Thätigkeit.  119 

sollen.  lu  dieser  Thätigkeit  erscheint  uns  die  Zelle 
gewisse rmaassen  als  ein  thätig er  Baumeister,  oder  wie 
sich  Haeckel  (V.  4b)  ausdrückt,  als  eine  Plastide,  als  eine 
Bildnerin. 

Die  formative  Thätigkeit  der  Zelle,  oder  besser  gesagt,  die  Fähig- 
keit vom  Protoplasmakörper  diflferente  Structuren  zu  erzeugen,  ist  von 
ausserordentlicher  Bedeutung.  Denn  nur  vermöge  derselben  kommt  die 
reiche  Vielgestaltigkeit  der  Elementartheile  zu  Stande,  durch  welche 
namentlich  der  Thierkörper  seine  hohö  Vollendung  erreicht;  nur  auf 
dieser  Grundlage  ist  die  ausserordentlich  weit  gediehene  Arbeitstheilung 
der  Zellen  und  die  dadurch  bedingte  grössere  Leistungsfähigkeit  der 
Zellengemeinschaften  herbeigeführt  worden. 

Das  Capitel  von  der  Stoffumsetzung  der  Zelle  bietet  also  der 
Untersuchung  zwei  verschiedene  Seiten  dar,  erstens  eine  chemische  Seite, 
insofern  es  sich  um  die  Entstehung  der  zahllosen,  durch  Vermittlung  des 
Protoplasmas  gebildeten  Sul)stanzen  handelt,  und  zweitens  eine  mehr 
morphologische  Seite,  insofern  im  Protoplasma  die  von  ihm  differenten 
Substanzen  dem  Auge  sichtbar  zu  machen  sind,  eine  besondere  Lage 
einnehmen,  eine  bestimmte  Form  und  Structur  besitzen  und  besonderen 
Entwicklungsgesetzen  unterworfen  sind. 

Es  ist  eine  Hauptaufgabe  der  biologischen  Chemie  der 
Zukunft,  die  einzelnen  im  Zellkörper  vertheilten  Stoffe 
der  morphologischen  Untersuchung  durch  Herstellung 
charakteristischer  Farbstoffverbindungen  zugänglich  zu 
mache  n. 

1)   Zur  Chemie  des  Stoffumsatzes. 

Die  chemischen  Vorgänge  in  den  Zellen,  die  zum  grössten  Theil 
noch  in  ein  tiefes  Dunkel  gehüllt  sind,  können  uns  hier  nur  insoweit 
beschäftigen,  als  es  sich  um  einige  fundamentale  Fragen  handelt.  Eine 
solche  ist  die  Frage  nach  der  Synthese  der  Kohlenhydrate,  der  Fette 
und  Eiweisssubstanzen  aus  einfacheren  Elementarstoffen. 

Es  besteht  ein  anscheinend  tiefgreifender  Gegensatz  zwischen  der 
chemischen  Arbeit  im  Pflanzenreich  und  im  Thierreich.  Nur  das  mit 
Chlorophyll  versehene  Protoplasma  der  Pflanzenzellen  besitzt  die  Fähig- 
keit, aus  Kohlensäure  und  Wasser  hochmoleculare,  ternäre  Verbindungen 
herzustellen-,  das  nicht  chlorophyllhaltige  Protoplasma  der  Thiere  und 
einzelner  farbloser  Pflanzentheile  kann  nur  mit  diesem  Ausgangsmaterial 
weitere  Synthesen  vornehmen  und  unter  diesen  auch  quaternäre  Ver- 
bindungen liefern. 

Welche  chemischen  Vorgänge  sich  im  grünen  Protoplasma  unter 
Benutzung  der  lebendigen  Kraft  der  Sonne  unter  Aufnahme  von  Kohlen- 
säure und  Wasser  und  unter  Abspaltung  von  Sauerstoff  abspielen,  ist 
noch  nicht  zu  beantworten.  Das  erste  sichtbare  Product  der  Assimilation 
ist  die  Stärke,  eine  Vorstufe  derselben  vielleicht  Zucker.  Dass  dieser 
oder  iene  durch  eine  directe  Synthese  von  Kohlenstoff  und  Wasser  ent- 
steht, "ist  kaum  anzunehmen ;  wahrscheinlich  bilden  sich  beim  complicirten 
Process  mannigfache  Zwischenproducte.  „Es  ist  sogar  nicht  unmöglich," 
wie  Sachs  (IV.  32a)  bemerkt,  „dass  gewisse  nähere  Bestandtheile  des 
grünen  Plasmas  selbst  sich  an  dem  Vorgang  betheiligen,  dass  z.  B.  dabei 
Spaltungen  und  Substitutionen  in  den  Molekülen  des  grünen  Protoplasmas 
stattfinden.  Diese  Möglichkeit  erhält  einige  Wahrscheinlichkeit  durch 
die  Wahrnehnmng,    dass  in  vielen   (nicht  allen)  Fällen  die  Chlorophyll- 


120  Fünftes  Capitel. 

Substanz,  während  die  Stärkekörner  in  derselben  wachsen,  nach  und  nacli 
immer  mehr  an  Masse  abnimmt,  endlich  ganz  verschwindet." 

Die  vermöge  der  Chlorophyllfunction  im  Pflanzenkörper  gewonnenen 
Kohlenhydrate  (Stärke)  bilden  das  Material,  durch  dessen  Umsetzung  im 
Protoplasma  die  fetten  Oele  der  Pflanzen  entstehen.  Die  ternären  stick- 
stofl'frcien ,  organischen  Verbindungen  geben  ferner  wieder  die  Grund- 
lage für  die  Synthese  von  quaternären  Eiweisssulistanzen  ab  und  tragen 
so  zur  Ergänzung  unrl  Vermehrung  des  Protoplasma  selbst  bei.  Doch 
müssen  bei  diesen  Synthesei*.  noch  salpetersaure  und  schwefelsaure 
Salze  hinzukommen,  welche  von  den  Pflanzen  mit  ihren  Wurzeln  aus 
dem  Boden  aufgenommen  werden. 

Dass  aus  solchen  Mitteln  Proteinsubstanzen  durch  die  lebende  Zelle 
gebildet  werden  können,  hat  Pasteur  experimentell  sichergestellt ,  indem 
er  niedere  Spaltpilze  wie  Mycoderma  aceti,  Hefe  etc.  in  künstlich  zu- 
sammengestellten Nährlösungen  cultivirte.  So  kann  Mycoderma  aceti 
sich  auch  im  Dunkeln  lebhaft  vermehren,  wenn  nur  wenige  Zellen  in 
eine  Nährlösung  gebracht  werden,  zusammengesetzt  aus  entsprechend 
verdünntem  Alkohol  oder  Essigsäure,  einem  Ammoniaksalz,  Phosphor- 
säure, Pottasche,  Magnesia,  Wasser.  Durch  chemische  Zersetzung  dieser 
Stoffe  müssen  die  Pilzzellen,  wenn  sie  sich  auf  ein  Vielfaches  vermehrt 
haben,  ausser  Cellulose  und  Fetten,  auch  Proteinstoife  gebildet  haben. 

Indem  vermöge  ihrer  Chlorophyllfunktion  die  Pflanze  Kohlenhydrate 
erzeugt  und  diese  wieder  in  Fette  und  Eiweisssubstanzen  umsetzt, 
liefert  sie  die  ternären  und  quaternären  Verbindungen,  welche  der 
thierische  Organismus  zu  seiner  Ernährung  bedarf  und  die  er  selbst  sich 
nicht  mit  den  einfachen  Mitteln,  wie  die  Pflanzen,  zu  bereiten  vermag. 
Zwischen  Pfanzen-  und  Thierrei  ch  besteht  in  Folge  dessen 
ein  Kreislauf  des  Lebens,  in  welchem  beide  eine  gegensätzliche 
Stellung  zu  einander  einnehmen  und  sich  ergänzen.  Der  Gegensatz 
lässt  sich  in  folgender  Weise  formuliren: 

In  der  grünen  Pflanzenzelle  wird  aus  Kohlensäure 
und  Wasser  durch  Synthese  organische  Substanz  erzeugt 
und  die  lebendige  Kraft,  die  ihr  im  Sonnenlicht  zugeführt 
wird,  in  Spannkraft  umgewandelt;  die  thierische  Zelle 
dagegen  benutzt  als  Nahrungsmaterial  die  im  Pflanzen- 
reich erzeugten  ternären  und  quaternären  Verbindung  en 
und  verbrennt  sie  zum  grossen  Theil  durch  Oxydation; 
sie  wandelt  die  in  den  h  ochmolecularen  Verbindungen 
angesammelten  Spannkräfte  wieder  in  lebendige  Kraft 
um,  indem  sie  Arbeit  verrichtet  und  Wärme  erzeugt.  Die 
Pflanze  nimmt  während  ihrer  Chlorophyllfunction  Kohlensäure  auf  und 
spaltet  aus  ihr  Sauerstoff  ab;  das  Thier  athmet  Sauerstoff"  ein  und  Kohlen- 
säure wieder  aus.  Bei  der  Pflanze  herrschen  in  den  chemischen  Pro- 
cessen die  Reduction  und  Synthese,  beim  Thier  die  Oxydation,  Ver- 
brennung und  Analyse  vor. 

Aus  dem  Gegensatz,  welcher  im  Haushalt  der  Natur  zwischen 
Pflanzenreich  und  Thierreich  besteht,  darf  man  nun  aber  nicht  auf  einen 
vollkommenen  Gegensatz  in  den  allgemeinen  Lebenserscheinungen  zwischen 
pflanzlicher  und  thierischer  Zelle  schliessen.  Ein  solcher  existirt  nicht. 
Tiefere  Forschung  deckt  überall  die  Einheit  in  den  fundamentalen 
Lebensprocessen  der  ganzen  Organismenwelt  auf.  Der  oben  betonte 
Gegensatz  rührt  ja  einfach  nur  daher ,  dass  die  Pflanzenzelle  eine 
besondere,  der  thierischen  Zelle  fehlende  Function,  die  Kohlensäure  mit 


III.    Stoffwechsel  und  formative  Tliätigkeit.  121 

Hülfe  ihres  Chlorophylls  zu  zersetzen,  ausgebildet  hat.  Von  dieser 
Chlorophyllfunetion  abgesehen,  spielen  sich  viele  für  das 
Leben  fundamentalen  Stoff wechsel-Processe  hier  wie 
dort  in  übereinstimmender  Weise  im  Protoplasma  ab. 

Bei  Pflanzen  wie  Thieren  muss  das  Protoplasma,  um  den  Lebens- 
process  zu  unterhalten,  athmen,  Sauerstoff  aufnehmen,  Wärme  erzeugen, 
Kohlensäure  aligeben.  Hier  wie  dort  geht  Zerstörung  und  Neubildung 
von  Protoplasma  neben  einander  her,  greifen  Processe  chemischer 
Analyse  und  Synthese  in  complicirter  Weise  ineinander. 

Noch  klarer  wird  das  Verhältniss,  wenn  man  berücksichtigt,  dass  in 
der  Pflanze  ein  grosser  Theil  der  Zellen,  nämlich  alle, 
welche  d  es  Chlorophylls  entbehren,  sich  in  einer  ähnlichen 
Lage  wie  die  thierischen  Zellen  befinden;  auch  diese  müssen, 
da  sie  nicht  assimiliren  können,  das  Material  zur  Erhaltung  des  Lebens- 
processes  und  zum  Wachsthum  und  zur  Vermehrung  ihrer  Substanz  von 
den  grünen  Zellen  beziehen.  Derselbe  Gegensatz ,  der  im  Haushalt 
der  Natur  zwischen  Thier  und  Pflanze  besteht,  herrscht  also  in 
der  Pflanze  selbst  zwischen  den  farblosen  und  den  chlorophyllhaltisen 
Zellen. 

In  treffender  Weise  hat  Claude  Bernard  (IV.  la)  das  Verhältniss 
in  folgenden  Worten  kurz  zusammengefasst : 

„Wenn  in  der  Sprechweise  der  Mechaniker  die  Lebensphänomene, 
Neubildung  und  Zerstörung  organischer  Substanz,  dem  Heben  und  dem 
Fallen  eines  Gewichts  verglichen  werden  können,  dann  werden  wir  sagen, 
dass  Hebung  und  Fall  sich  in  jeder  lebenden  Zelle  vollziehen,  sowohl  in 
der  thierischen  als  der  pflanzlichen,  aber  mit  dem  Unterschied,  dass  das 
thierische  Element  sein  Gewicht  schon  auf  ein  gewisses  Niveau  gehoben 
vorfindet  und  es  daher  weniger  zu  heben  braucht,  als  es  darauf  wieder 
herabfällt.  Das  Umgekehrte  findet  bei  der  grünen  Pflanzenzelle  statt. 
Mit  einem  Wort,  des  deux  versants,  celui  de  la  descente  est  preponderant 
chez  Tanimal;  celui  de  la  montee  chez  le  v^getal"  (Claude  Bernard 
IV.  la,  Bd.  n  Seite  514). 

Nachdem  so  die  Bedeutung  der  Chlorophyllfunetion  in  das  rechte 
Licht  gesetzt  ist,  sei  noch  auf  wichtige  Uebereinstimmungen  hingewiesen, 
welche  in  dem  Chemismus  des  Stoffwechsels  zwischen  thierischer  und 
pflanzlicher  Zelle  liestehen. 

Hier  sei  zunächst  noch  hervorgehoben,  dass  eine  sehr  grosse  Anzahl 
von  Stoffen  der  progressiven  und  regressiven  Metamorphose  dem  Thier- 
und  Pflanzenreich  gemeinsam  sind. 

Aehnlich  scheinen  ferner  die  Mittel  zu  sein,  mit  denen  sich  einige 
sehr  wichtige  Processe  in  der  thierischen  und  pflanzlichen  Zelle  voll- 
ziehen. Kohlenhydrate,  Fette  und  Eiweissstoffe  sind  nicht  in  jedem 
Zustand  geeignet,  um  im  Laboratorium  der  Zelle  direct  verbraucht  und 
in  andere  chemische  Verbindungen  übergeführt  zu  werden.  Eine  Vor- 
bedingung ist,  dass  sie  in  eine  lösliche  und  leicht  diftundirende  Modi- 
flcation  umgewandelt  werden.  Dies  geschieht  zum  Beispiel,  wenn  Stärke 
und  Glycogen  sich  in  Traubenzucker,  Dextrose  und  Lävulose  umsetzen, 
oder  wenn  Fette  in  Glycerin  und  Fettsäuren  zerspalten,  oder  wenn  Eiweiss- 
stoffe peptonisirt  werden. 

Sachs  (IV.  32a)  bezeichnet  die  oben  genannten  Modifica- 
tionen  der  Kohlenhydrate,  Fette  und  Eiweissstoffe  als 
i  b  r  e n  a c  t  i  V e  n  Z  u  s  t  a  n  d  i  m  G  e g  e n s  a t z  z u m  p  a SS i  V e  n  Z  u  s  t  a n  d , 
in  welchem  sie  sich  als  feste  Reservestoffe  (Stärke,  Oele, 


122  Fünftes  Capitel. 

Fette,  Eiweisskrystalle,  in  den  Zellen  angesammelt  finden 
oder  vom  Thier  als  Nahm nu  aufgenommen  werden.  Nur 
im  activen  Zustand  können  die  plastischen  Stoffe  die  verschiedenartigen 
Wanderungen,  sowohl  im  pHanzlichen  als  auch  im  thierischen  Körper 
vollziehen,  durch  welche  sie  nach  den  Orten  ihrer  vorübergehenden 
Aufbewahrung  oder  ihres  jeweiligen  Verl)rauches  gelangen. 

Die  Stärke  zum  Beispiel,  die  sich  in  unterirdischen  Theilen,  wie 
den  Knollen,  oder  in  den  Samen  ansammelt,  ist  an  diesen  Stellen  nicht 
assimilirt  worden.  Ihre  Ursprungsorte  sind  die  assimilirenden,  grünen 
Zellen .  Von  diesen  sind  sie  durch  Vermittelung  aller  dazwischenliegenden 
Zellgebilde  oft  auf  weite  Strecken  nach  den  Knollen  oder  Samen  hin- 
transportirt  worden.  Da  nun  Stärkekörnchen  die  Zellhäute  nicht  passiren 
können,  kann  die  Stoff  Wanderung  nur  im  gelösten  Zustand 
(Zucker)  stattfinden,  worauf  am  Ort  der  Aufbewahrung  wieder  die  Rück- 
bildung in  die  unlösliche  Mo  dification  (Stärke)  erfolgt.  Wenn 
dann  in  der  Knolle  oder  im  Samen  sich  der  Keim  entwickelt,  werden 
die  passiven  Reservestoffe  von  Neuem  reactivirt  und  müssen  im  activen 
Zustand  von  Neuem  eine  Wanderung  nach  den  Verbrauchsorten, 
den  Zellen  des  sich  entwickelnden  Keims,  durchmachen.  Ebenso  müssen 
beim  Thiere  die  Kohlenhydrate,  Fette  und  Eiweissstoffe,  die  als  Nahrung 
in  den  Körper  gelangen,  löslich  gemacht  werden,  damit  sie  an  die 
Orte  ihres  Verbrauchs  gelangen  können,  oder  es  müssen  die  zur  Reserve 
im  Fettgewebe  abgelagerten  Fette,  wenn  sie  irgendwo  im  Körper  zum 
Verbrauch  dienen  sollen,  reactivirt  werden. 

In  der  thierischen  und  pflanzlichen  Zelle  scheint  nun 
die  so  wichtige  U e b e r f ü h r u n g  der  Kohlenhydrate,  Fette 
und  Eiwei  sssubstanzen  aus  dem  passiven  in  den  activen 
Zustand  in  durchaus  entsprechender  Weise  vor  sich  zu 
gehen  durch  Vermittelung  sehr  ei  genthümlicher,  che- 
mischer Körper,  die  man  als  Fermente  bezeichnet.  Dieselben 
sind  den  Eiweisskörpern  verwandt  und  wohl  durch  Umwandlung  aus 
denselben  entstanden;  sie  finden  sich  in  der  Zelle  in  sehr  geringen 
Quantitäten,  bringen  aber  trotzdem  eine  intensive  chemische  Wirkung 
hervor  und  leiten  chemische  Processe  ein,  liei  denen  sie  selbst  nicht 
wesentlich  verändert  werden.  Die  Fermentwirkung  ist  ein  für  die 
Chemie  der  Zelle  ausserordentlich  charakteristischer  Vorgang.  Es  giebt 
Fermente  für  die  Umwandlung  der  K  ohlenhydrate,  Fer- 
mente für  die  Umwandlung  der  Eiweissstoffe,  Fermente 
für  die  Fett  um  Setzung. 

Ueberall,  wo  in  den  Pflanzen  Stärke  löslich  gemacht  wird,  geschieht 
es  durch  ein  Ferment,  die  Diastase,  welche  sich  aus  keimenden 
Samen  leicht  gewinnen  lässt.  Ihre  Wirksamkeit  ist  so  gross,  dass  etwa 
1  Gewichtstheil  Diastase  2000  Gewichtstheile  Stärke  in  kurzer  Zeit  in 
Zucker  umwandeln  kann.  Ein  anderes  auf  Kohlenhydrate  wirkendes 
Ferment,  das  Invertin,  kommt  in  Spalt-  und  Schimmelpilzen  vor  und 
spaltet  Rohrzucker  in  Dextrose  und  Lävulose. 

Der  pflanzlichen  Diastase  entspricht  beim  Thier  das  Speichel- 
ferment (Ptyalin),  welches  Stärke  in  Dextrin  und  Traubenzucker 
verwandelt.  Ebenso  wird  das  nicht  diffundirende  Glycogen,  welches  man 
seiner  Eigenschaft  nach  als  thieriscbes  Amylum  bezeichnet  hat,  überall 
wo  es  vorkommt  (Leber,  Muskeln),  durch  ein  saccharificirendes  Ferment 
in  Zucker  umgesetzt,  wenn  es  weitere  Verwendung  finden  soll. 

E i w e i  s s k ö r p e r     werden,     um    weiter    v  e r  w e r  t h b  a r    zu 


III.    Stoffwechsel  und  formative  Thätigkeit.  123 

sein,  peptonisirt  Im  thierischen  Körper  geschieht  dies  haupt- 
sächlich durch  ein  Ferment,  das  Pepsin,  welches  von  den  Zellen  der 
Magensaftdrüsen  geliefert  wird.  Eine  geringe  Menge  von  Pepsin  löst 
bei  Gegenwart  von  freier  Salzsäure  im  Magen  so  gut  wie  liei  Versuchen 
im  Reagensröhrchen  beträchtliche  Mengen  von  geronnenem  Eiweiss  auf 
und  vei'setzt  es  in  einen  Zustand ,  in  welchem  es  durch  Membranen 
hindurch  diffundiren  kann. 

Auch  in  Pflanzenzellen  sind  peptonisirende  Fermente  nachgewiesen 
worden.  Ein  solches  wird  zum  Beispiel  von  den  fleischfressenden 
Pflanzen  an  den  Organen,  welche  zum  Einfangen  von  Insekten  eingerichtet 
sind,  als  ein  Verdauungssaft  ausgeschieden,  wie  von  den  Drüsenhaaren 
der  zusammenklappenden  Blätter  von  Drosera;  es  werden  auf 
diese  Weise  die  kleinen  Thierleichen  zum  Theil  in  Lösung  übergeführt 
und  von  den  Pflanzenzellen  aufgenommen.  Ein  pepsinartiges  Ferment  hat 
sich  auch  in  Keimpflanzen  nachweisen  lassen,  wo  es  zur  Peptonisirung 
der  als  Reservestoffe  im  Samen  aufgespeicherten  Proteinkörper  dient. 
Bekannt  wegen  seiner  energischen  Wirkung  ist  das  peptonisirende 
Ferment  aus  dem  Milchsaft  von  Carica  papaya  und  anderen  Carica- 
arten.  Ein  solches  ist  endlich  auch  im  Körper  der  Myxomyceten  durch 
Kmkenberg  entdeckt  worden. 

Bei  der  chemischen  Umsetzung  der  Fette  findet  im  thie- 
rischen Körper  eine  Zerspaltung  derselben  in  Glycerin  und 
Fettsäuren  statt.  Eine  solche  Wirkung  übt  namentlich  der  Bauch- 
speichel aus;  Claude  Bernard  hat  dieselbe  auf  ein  vom  Pankreas  ausge- 
schiedenes, fettspaltendes  Ferment  zurückzuführen  versucht  Auch 
bei  der  Keimung  fetthaltiger  Pflanzensamen  soll  eine  Zerspaltung  des 
Oels  in  Glycerin  und  Fettsäure  durch  Vermittelung  von  Fermenten  er- 
folgen (Schützenberger). 

Schon  aus  diesen  wenigen  Thatsachen  lässt  sich  erkennen,  dass  auch 
der  Stoffumsatz  in  der  Zelle,  so  wenig  bekannt  uns  derselbe  zur  Zeit 
noch  ist,  doch  in  wichtigen  Zügen  eine  weitgehende  Uebereinstimmung 
im  gesammten  Organismenreich  zeigt. 

Einer  der  dunkelsten  Punkte  beim  Stoffumsatz  in  derZelle 
ist  die  Rolle,  welche  das  Protoplasma  dabei  spielt. 
Namentlich  gilt  dies  für  alle  Vorgänge,  welche  oben  als  der  formativen 
Thätigkeit  der  Zelle  angehörig  bezeichnet  wurden.  In  welchem  Ver- 
hältniss  stehen  zum  Protoplasma  die  organisirten  Producte  desselben, 
wie  die  Membran,  die  Intercellularsubstanzen  und  so  weiter? 

Zwei  ganz  entgegengesetzte  Ansichten  finden  hier  in 
der  Thier-  und  Pflanzenbiologie  Vertretung.  Nach  der  einen  Ansicht 
entstehen  die  organisirten  Substanzen  durch  Umwandlung 
des  Protoplasma  selbst,  also  durch  chemische  Umsetzungen  oder 
Abspaltungen  von  Protoplasmamolekülen;  nach  der  andern  Ansicht  dagegen 
bilden  sie  sich  aus  plastischen  Stoffen,  Kohlenhydraten, 
Fetten,  peptonisirten  Proteinstoffen  etc.,  welche  in  das  Proto- 
plasma beim  Stoffwechsel  aufgenommen,  an  die  Verbrauchsstelle  geschafft 
und   in  einem   organisirten  Zustande   zur  Abscheidung  gebracht  werden. 

Am  besten  lässt  sich  der  Gegensatz  an  einem  Beispiel  klar  machen, 
als  welches  ich  die  Bildung  der  C  e  1 1  u  1  o  s  e  ra  e  m  b  r a  n  der  Pflanzen- 
zellen wählen  will. 

Nach  einer  Hypothese ,  welche  unter  anderem  besonders  von  Stras- 
burger  (V.    31—33)   vertreten  wird,   verwandelt   sich  das  mikrosomen- 


124  Fünftes  Capitel. 

lialtige  Protoplasma  direct  in  Celliiloselanielleir,  die  Cellulose  geht  als 
feste,  organisirte  Substanz  iinniittelbar  aus  dem  Protoplasma  hervor. 

Nach  einer  anderen  Hypothese  sind  stickstofffreie,  plastische  Stoffe, 
Glycose,  Dextrin  oder  irgend  ein  anderes  lösliches  Kohlenhydrat  das 
Material  zur  Bildung  der  Zellhaut.  Dasselbe  wird  vom  Protoplasma  an 
die  Verbrauchsstelle  geschafft  und  hier  in  die  unlösliche  Modification,  die 
Cellulose,  umgewandelt.  Da  dieselbe  bei  ihrer  Entstehung  eine  bestimmte 
Structur  erhält,  wird  auch  bei  dieser  Bildungsweise  das  Protoplasma 
in  einer  uns  unbekannten  Weise  mitwirken  müssen,  was  man  mit  dem 
Schlagwort  „formative  Thätigkeit"  ausdrückt. 

Nach  der  ersten  Hypothese  kann  man  die  Cellulosehaut  kurzweg 
als  ein  Um wandlungsproduct  des  Protoplasma,  nach  der 
zweiten  als  ein  Abscheidungsproduct  desselben  bezeichnen. 

Derselbe  entgegengesetzte  Standpunkt  tritt  uns  bei  der  Frage  der 
Bildung  der  Chitinhäute,  der  Knorpel-  und  Knochengrundsubstanz,  der 
leimgebenden  und  gallertigen  Substanz  entgegen;  er  spielt  sogar  mehr 
oder  minder  in  alle  Auffassungen  vom  Stoffwechsel  der  Zelle  hinein. 

Claude  Bernard  (IV.  la)  hat  dies  Verhältniss  mit  den  Worten 
charakterisirt:  „Vom  physiologischen  Standpunkt  Hesse  es  sich  vorstellen, 
dass  im  Organismus  nur  eine  Synthese,  die  von  Protoplasma,  stattfindet, 
welches  wachsen  und  sich  entwickeln  würde  vermittelst  aufgenommener 
Stoffe.  Von  diesem  complicirten  Körper,  dem  complicirtesten  aller  orga- 
nisirten  Körper,  würden  sich  dann  durch  weitere  Spaltung  alle  zusammen- 
gesetzten ternären  und  quaternären  Verbindungen  herleiten,  deren  Auf- 
treten wir  für  gewöhnlich  einer  directen  Synthese  zuschreiben."  So 
musste  auch  Sachs  bei  der  Assimilation  der  Stärke  die  Möglichkeit  offen 
lassen ,  welche  er  aber  für  weniger  wahrscheinlich  hält,  dass  bei  diesem 
chemischen  Process  „Spaltungen  und  Substitutionen  in  den  Molekülen  des 
grünen  Protoplasmas  stattfinden". 

Aus  diesen  Aeusserungen  wird  die  Schwierigkeit  der  ganzen  Frage 
erhellen,  soweit  es  die  in  Betracht  kommenden  chemischen  Processe 
betrifft. 

Wenn  es  gestattet  ist,  aus  analogen  Verhältnissen  Schlüsse  zu  ziehen, 
so  muss  ich  der  zweiten  Hypothese,  nacli  welcher  das  Protoplasma  mehr 
indirect  bei  der  Bildung  der  meisten  Intercellularsubstanzen  betheiligt 
ist,  entschieden  den  Vorzug  geben.  Denn  wenn  manche  Organismen  sich 
eine  Membran  aus  Kieselsäure  oder  aus  kohlensaurem  Kalk  bilden,  so 
macht  schon  die  Natur  dieses  Materiales  den  Schluss  unabweisbar,  dass 
dasselbe  nicht  als  feste  organisirte  Substanz  unmittelbar  aus  dem  Proto- 
plasma hei'vorgegangen  sein  kann.  Hier  kann  letzteres  seiner  ganzen 
chemischen  Zusammensetzung  nach  nur  eine  vermittelnde  Rolle  gespielt 
haben,  indem  es  die  Stoffe  aus  der  Umgebung  ausgewählt,  aufgenommen, 
an  den  Verbrauchsorten  angehäuft  und  in  bestimmter  Form  als  feste 
Verbindung  und  wohl  stets  an  ein  organisches  Substrat  gebunden  ab- 
gelagert hat. 

Eine  solche  Vorstellung  scheint  mir  auch  für  die  Entstehung  der 
Cellulosemembranen  näher  zu  liegen ,  wenn  man  die  leichte  Um- 
wandlungsfähigkeit  der  verschiedenen  Kohlenhydrate  in  einander  berück- 
sichtigt, auf  der  andern  Seite  den  complicirten  chemischen  Process  in 
Betracht  zieht,  der  jedenfalls  bei  Umwandlung  von  Protoplasma  in 
Cellulose  stattfinden  müsste.  Und  sell)St  die  Intercellularsubstanzen, 
die  dem  Protoplasma  chemisch  nahe  stehen,  wie  Chondrin,  Glutin  etc., 
könnten  unter   dasselbe  Bildungsgesetz   fallen.     Denn  ausser  den   orga- 


in.'  Stoffwechsel  und  formative  Thätigkeit.  125 

nisirten  Proteinstoifen,  Protoplasma  und  Kernsubstanz,  kommen  in  jeder 
Zelle  auch  zahlreiche,  unorganisirte  Proteinstoffe  als  Bildungsmaterial 
meist  in  gelöstem  Zustande  vor,  wie  im  Zellsaft  der  Pflanzenzellen,  im 
Saft  der  Kerne,  in  Blut  und  Lymphe  der  Thiere.  Anstatt  dass  bei  der 
Entstehung  stickstoff'haltiger  Intercellularsubstanzen  das  Protoplasma  der 
Zelle  selbst  direct  angegritfen  und  aufgebraucht  wird,  könnten  auch  hier 
die  unorganisirten  Proteinstoffe  bei  der  formativen  Thätigkeit  der  Zelle 
in  Verwendung  kommen  in  derselben  Weise,  wie  es  oben  fiir  die 
Bildung  der  Cellulosemembran  angenommen  wurde. 

In  welcher  Weise  bei  diesen  Processen  das  Protoplasma  die  ver- 
mittelnde Rolle  spielt,  von  der  oben  gesprochen  wurde,  entzieht  sich  zur 
Zeit,  wie  die  Mehrzahl  der  biochemischen  Vorgänge,  unserer  Kenntniss- 
nahme.  Die  vermittelnde  Rolle  des  Protoplasma  könnte 
aber  vielleicht  darin  bestehen,  dass  mit  gewissen  Stoff- 
theilchen  desselben  (Plassonie.  Wiesner.  V.  39)  sich  andere 
in  Nährlösungen  befindliche  Sto  fftheilch  en  durch  Mole- 
cularaddition  verbinden  und  dadurch  zu  einem  organisirten 
IProduct  umgewandelt  werden.  So  würden  sich  lösliche  Kiesel- 
verbindungen mit  organischen  Substanzmolekülen  zu  einem  Kieselskelet 
vereinigen ;  so  würden  sich  Cellulosetheilchen  aus  lösliehen  Kohlenhydraten 
unter  dem  Einfluss  von  Substanztheilchen  des  Protoplasma  l)ilden,  sich 
mit  letzteren  molecular  verbinden  (wahrscheinlich  dauernd,  vielleicht 
aber  auch  nur  vorübergehend)  und  so  zu  einer  Zellhaut  organisirt  werden. 
Mit  dieser  Vorstellung  lässt  sich  sehr  gut  die  Beobachtung  vereinbaren, 
dass  an  manchen  Objecten  frisch  gebildete  Celluloseschichten  und  das 
angrenzende  Protoplasma  continuirlich  in  einander  übergehen. 

2)  Zur  Morphologie  des  Stoffumsatzes.     Die  formative  Thätigkeit 

der  Zelle. 

Die  Substanzen,  die  beim  Stoffwechsel  der  Zellen  gebildet  werden, 
fallen  in  das  Bereich  der  morphologischen  Untersuchung,  soweit  sie  vom 
Protoplasma  optisch  unterscheidbar  werden.  Sie  können  in  geformtem 
oder  ungeformtem  Zustand  entweder  im  Innern  des  Protoplasmas  selbst 
oder  auf  seiner  Oberfläche  zur  Abscheidung  kommen;  je  nachdem 
werden  sie  als  innere  oder  äussere  Plasmaproducte  unterschieden.  Doch 
ist,  wie  so  oft  bei  biologischen  Eintheilungen,  nicht  immer  eine  scharfe 
Grenze  zwischen  beiden  Gruppen  zu  ziehen. 

a)   Die  inneren  Plasmaproducte. 

In  Wasser  gelöste  Sul)stanzen  können  sich  in  grösseren  und 
kleineren  Tropfen  im  Protoplasma  abscheiden  und  dadurch  Höhlungen 
oder  Vacuolen  hervorrufen.  Sie  spielen  namentlich  in  der  Morphologie 
der  Pflanzen  eine  grosse  Rolle.  Wie  schon  früher  im  Einzelnen  genauer 
beschrieben  (Seite"  28),  kann  sich  eine  Pflanzenzelle  (Fig.  62)  durch 
Saftabscheidung  in  sehr  kurzer  Zeit  um  mehr  als  das  lOOfache  ver- 
grössern.  Auf  der  suramirten  Wirkung  zahlreicher,  derartiger  Zellen 
beruht  das  beträchtliche  Wachsthum,  welches  im  Frühjahr  die  einzelnen 
Pflanzenorgane  zeigen. 

Der  Gehalt  an  fester  Substanz  kann  in  einem  sehr  wasserreichen 
Pflanzentheil  schliesslich  nur  5  "/o  oder  sogar  nur  2  ^lo  betragen. 

Der  Zellsaft  ist  nun   aber  nicht  bloss  Wasser,  sondern  eine  sehr 


126 


Fünftes  Capitel. 


zusammengesetzte  Nährlösung,  in  welclier  Pflanzensäuren  und  ihre  Salze, 
Salpeter-  und  phosphorsaure  Salze,  Zucker,  in  geringer  Menge  auch 
gelöste  Proteinstoffe  etc.  enthalten  sind.  Zwischen  Frotoplasma  und 
Saft  wird  dalier  ein  beständiger  Stoffwechsel  stattfinden,  indem  jener 
bald  Substanzen  zum  Verbrauch  aus  dieser  Quelle  bezieht,  bald  andere 
Substanzen  wieder  an  dieselbe  abgiebt.  Indem  der  Saft  eine  concentrirte 
Lösung  osmotisch  wirksamer  Substanzen  darstellt,  übt  er  auf  Wasser 
eine  kräftig  anziehende  Wirkung  und  auf  die  ihn  umgebenden  Hüllen 
einen  oft  bedeutenden  inneren  Druck  aus,  so  dass  sie  in  einem  prallen 
Zustand,  der  schon  früher  (Seite  114)  als  Turgor  besprochen  wurde, 
erhalten  werden. 

C  B 


Fig.  62.     Parenehymzellen  aus  der  mittleren  Schicht  der  Wurzelrinde 
von  Pritillaria  imperialis ;  Längsschnitte,  nach  550maliger  Vergrösserung. 

Nach  Sachs  (II  33)  Fig.  75.  A  dicht  über  der  Wurzelspitze  liegende,  sehr  junge 
Zellen,  noch  ohne  Zellsaft;  B  die  gleichnamigen  Zellen  etwa  2  Millimeter  über  der 
Wurzelspitze,  der  Zellsaft  s  bildet  im  Protoplasma  p  einzelne  Tropfen,  zwischen  denen 
Protoplasmawände  liegen;  C  die  gleichnamigen  Zellen  etwa  7 — 8  Millimeter  über  der 
Wurzelspitze;  die  beiden  Zellen  rechts  unten  sind  von  der  Vorderfläche  gesehen,  die 
grosse  Zelle  links  unten  im  optischen  Durchschnitt  gesehen;  die  Zelle  rechts  oben 
durch  den  Schnitt  geöfl'net;  der  Zellkern  lässt  unter  dem  Einfluss  des  eindringenden 
Wassers  eine  eigeuthümliche  Quellungserscheinung  wahrnehmen  {x  y).  k  Kern.  M  Kern- 
körper,    h  Membran. 

Manche   Botaniker,    wie   namentlich   de  Vries  (V.   35)   und   Went, 
erblicken  in  den  Vacuolen  besondere  Zellorgane,   die  sich  nicht  zufällig 


III.     Stoffwechsel  und  formative  Thätigkeit. 


127 


im  Zellkörper  neiibilden,  sondern  nur  durch  Theilung  hervorgebracht 
werden  können.  Schon  in  den  allerjüngsten  Pflanzenzellen  sind  nach 
ihrer  Annahme  ausserordentlich  kleine  Vacuolen  vorhanden,  die  sich  durch 
Theilung  fortwährend  vermehren  und  bei  der  Theilung  der  Zelle  auf 
die  Tochterzellen  vertheilt  werden.  In  Folge  dessen  sollen  sich  von  den 
Vacuolen  des  Meristems  die  sämmtlichen  Vacuolen  der  ganzen  Pflanze 
herleiten,  was  von  anderen  Forschern  indessen  in  Abrede  gestellt  wird. 
Wie  das  Protoplasma  sich  nach  Aussen  durch  eine  Hautschicht  abgrenzt, 
besitzen  nach  de  Vries  auch  die  Vacuolen  eine  eigene  Wand  (den  Tono- 
plasten),  welche  die  Ausscheidung  und  Anhäufung  der  im  Zellsaft  vor- 
handenen, gelösten  Stoffe  regelt. 


Ka 


cv 


R 


Na  - 


n 
M 


Fig.  63.  Actinosphärium  Eichhorni.  Nach  R.  Hertwig,  Zoologie  Fig.  117. 
M  Marksubstanz  mit  Kernen  (n).  R  Rindensubstanz  mit  contractilen  Vacuolen  [cv), 
Na  Nahrungskörper. 

Vacuolenbildung  kommt  auch  bei  niederen  Organismen  sehr 
häufig  vor.  Bei  Actinosphaerium  z.  B.  gewinnt  der  Protoplasmakörper 
in  Folge  der  in  ihm  vorhandenen,  zahlreichen,  kleinen  und  grossen  Saft- 
blasen ein  ganz  schaumiges  Aussehen. 

In  geringer  und  constanter  Anzahl  vorkommende  Vacuolen  können, 
so  namentlich  häufig  bei  Infusorien,  eine  mit  besonderer  Contractilität 
ausgestattete  Wandschicht  erhalten  und  werden  dann  als  contractile 
Vacuolen  oder  Behälter  (Seite  69)  bezeichnet. 

Ansammlung  von  Saft  in  besonderen  Vacuolen  wird  endlich,  wenn 
auch  selten,  in  manchen  thieri sehen  Zellen  angetroffen  und  zwar 
in  Organen,  die  im  Körper  eine  gewisse  Stützfunction  zu  erfüllen  haben. 
Die  Tentakeln  mancher  Cölenteraten,  gewisse  Körperanhänge  von  Anneliden 
besitzen  in  ihrer  Axe,  ebenso  wie  die  Chorda  dorsalis  der  Wirbel- 
thiere,  verhältnissmässig  grosse,  blasige  Zellen,  die  nach  Aussen  durch 


128 


Fünftes  Capitel. 


eine  dicke  Membran  abp;efirenzt  sind  und  im  Innern  fast  nur  Zellsaft  und 
eine  sehr  geringe  Quantität  l'rotoplasnia  enthalten.  Dieses  breitet  sich 
in  dünner  Schicht  unter  der  Zellmembran  aus  und  schickt  hie  und  da 
auch  Fäden  durch  den  Saftraum.  Der  Kern  liegt  meist  in  einer  dichtem 
Ansamndung  des  Protoplasma  entweder  in  der  Wandschicht  oder  im 
Netzweik  eingebettet.  Auch  hier  werden  wie  bei  den  Pflanzen  die  festen 
Zellwände  in  Folge  osmotisch  wirksamer  Substanzen  des  Saftes  prall 
gespannt  sein.  Obwohl  über  die  Turgescenz  der  hier  in  Frage  kommen- 
den Organe  noch  keine  experimentellen  Untersuclningen  vorgenommen 
worden  sind,  lässt  es  sich  doch  nur  in  dieser  Weise  vorstellen,  dass 
die  Chorda  als  ein  stützender  Stab  im  Körper  der  Wlrbelthiere  Ver- 
wendung findet.  Indem  die  zahlreichen,  turgescenten,  kleinen  Chorda- 
zellen nach  Aussen  durch  eine  feste,  elastische  Scheide  zu  einem  Organe 
verbunden  und  gegen  die  Umgebung  abgegrenzt  sind,  werden  ihre  ein- 
zelnen Turgorkräfte  sich  summiren  und  durch  innern  Druck  die  gemein- 
same Scheide  in  Spannung  erhalten. 

Saftaufnahme  und  Saftabscheidung  kommen,  wie  beim  Protoplasma, 
auch  bei  der  Keinsubstanz  vor.  In  beiden  Fällen  dienen  sie  wohl  dem 
Zweck,  den  activen  Substanzen  eine  grössere  Oberfläche  zu  verleihen 
und  sie  mit  Nährflüssigkeit  in  directere  Beziehung  zu  setzen. 

Während  die  Bildung  von  Saftvacuolen  in  thierischen  Zellen  selten 
ist,  kommt  es  bei  ihnen  dagegen  häufig  zur  Absonderung  von  weichen 
oder  festen  Substanzen:  von  Fett,  Glycogen,  Schleim,  Albuminaten  und 
festen  Gemischen  von  mehreren  Substanzen. 

Fett  kann  sich,  wie  der  Zellsaft  in  jungen  Pflanzenzellen,  zuerst  in 
kleinen  Tröpfchen  im  Protoplasmakörper  bilden.  Wie  dort  die  Vacuolen, 
vergrössern  sich  später  die  Tröpfchen,  verschmelzen  untereinander  und 
stellen  schliesslich  einen  einzigen  grossen  Tropfen  dar,  der  den  ganzen 
Binnenraum  der  Zelle  ausfüllt  und  nach  Aussen  von  einer  dünneren 
Protoplasmaschicht  mit  Kern  und  einer  feinen  Zellhaut  umschlossen  wird. 

Glycogen  sammelt  sich  in  den  Leberzellen 
in  einzelnen  Tropfen  an,  die  bei  Zusatz  von  Jodjod- 
kalium eine  mahagoniliraune  Farbe  annehmen  und 
sich  dadurch  kenntlich  machen  lassen. 

S  c  h  1  e  i  m  b  i  1  d  e  n  d  e  Substanz  (Mucigen)  füllt 
den  Binnenraum  der  mit  ihrer  Bereitung  betrauten 
Zellen  (Fig.  64)  oft  in  solcher  Menge  an,  dass  die 
Zellen  zu  Blasen  angeschwollen  sind  oder  die  Form 
eines  Bechers  angenommen  haben.  Das  Proto- 
plasma ist  meist  an  der  Basis  der  Zelle,  wo  sich 
dann  auch  der  Kern  befindet,  noch  etwas  reichlicher 
vorhanden,  umgiebt  von  hier  die  mucigene  Substanz 
mit  einer  dünnen  Hülle  und  breitet  sich  auch  mit 
einzelnen  Fäden  netzartig  in  ihr  aus.  Durch  Fär- 
bung mit  manchen  Anilinfarben  lässt  sich  die  muci- 
gene Substanz  vom  Protoplasma  schärfer  unter- 
scheiden. 


Fig.  64.  Beeher- 
zelle  aus  dem  Bla- 
senepithel von  Squa- 
tina  vulgaris  in 
Müller'scher  Flüs- 
sigkeit erhärtet. 

Nach     List     Taf.    I, 
Fig.  9. 


Grössere    Festigkeit    gewinnen    die    inneren 


Plasmaproducte  sehr  häufig  in  den  Eizellen, 
die  sich  in  der  verschiedensten  Weise  mit  Re- 
Nach  ihrer  Form  werden  dieselben  als  Dotter- 
kügelchen  (Fig.  65),  Dotterkörner,  Dotterplättchen  unter- 
schieden  und   stellen   meist   in    chemischer  Hinsicht   ein   Gemisch   von 


servestoff"en  beladen. 


III.     Stoffweclisel  und  formative  Thätigkeit. 


129 


Albuminaten  und  Fetten  dar.  Je  zaldreicher  und  kleiner  und  dichter 
zusannnenj?edrängt  die  Dotterelemente  sind,  um  so  mehr  gewinnt  der 
riasmakörper  ein  schaumiges  oder  netzartiges  Wesen. 


Fig.  65.     Dotterelemente  aus  dem  Ei  des  Huhns.     Nach  Balfour. 
A  Gelber  Dotter.     B  Weisser  Dotter. 

Manche  Plasmaproducte  zeigen  eine  krystallinische  Beschaffenheit,  wie 
die  Guaninkry stalle,  von  denen  der  Silberglanz  in  der  Haut  und 
dem  Bauchfell  der  Fische  herrührt,  oder  wie  die  Pigmentkörnchen 
in  den  Pigmentzellen. 

Aehnliche  Plasmaproducte  wie  in  thierischen  kommen  auch  in  pflanz- 
lichen Zellen  vor,  hier  aber  gewöhnlich  nur  in  einzelnen  besonderen 
Organen,  die  entweder  speciell  zur  Aufspeicherung  von  Reservestoffen 
oder  wie  die  Samen  zur  Reproduction  dienen.  Dann  finden  sich  die 
Zellen  mit  Oeltropfen  erfüllt  (ölige  Samen)  oder  mit  Körnern  ver- 
schiedener Ei  Weisssubstanzen  ( V  i  t  e  1 1  i  n  ,  Kleber,  A 1  e  u  r  o  n)  oder  mit 
Eiweisskrystalloiden  oder  mit  Stärkekörnern,  auf  die  später  noch  genauer 
einzugehen  ist. 

Während  die  bisher  besprochenen  inneren  Plasmaproducte  beim 
Stoffwechsel  vorübergehend  angesammelt,  dann  wieder  aufgebraucht 
werden  und  daher  sehr  veränderliche  Bildungen  sind,  gibt  es  andere,  die 
einen  höheren  Grad  von 
Organisation  erreichen  und 
eine  Theilfunction  in  der  Zelle 
dauernd  zu  erfüllen  haben. 
Hierher  gehören  die  inneren 
S  k  e  1  e  t  b  i  1  d  u  n  g  e  n  des  Proto- 
plasmakörpers, die  verschiede- 
nen Körner,  welche  in  den 
Pflanzenzellen  mit  dem  gemein- 
samen Namen  Trophoplasten 
zusammengefasst  werden ,  die 
Nessel  kapseln  der  Coelen- 
teraten,  endlich  die  Muskel- 
fibrillen,  Nervenfibril- 
len u.  s.  w. 

Innere  Skelete  finden 
sich  im  Körper  vieler  Protozoen, 
namentlich  aber  in  grosser 
Mannichfaltigkeit  und  Zierlich- 
keit der  Formen  bei  den  Piadio- 
larien.  Sie  setzen  sich  bald 
aus    regelmässig    angeordneten 

Stäben,  bald  aus  zierlichen,  durchbrochenen  Gitterkugeln,  bald  aus  beiderlei 
Bildungen  vereint  (Fig.  ^^)  zusammen.  Bei  einigen  Familien  der  Piadio- 
larien    bestehen    sie    aus    einer    organischen,    in   Säuren    und    Alkalien 

Hertwig,  Die  Zelli>  und  die  Gewebe.  9 


Fig.  66.  Haliomma  erinaeeus.  Aus 
R.  Hertwig,  Zoologie  Fig.  82. 

a  äussere,  i  innere  Gitterkugel ,  ck  Cen- 
tralkapsel,  wh  extracapsulärer  Weichkörper, 
n  Binnenbläschen  (Kern). 


130 


Fünftes  Capitel. 


löslichen  Substanz,  bei  den  meisten  datiegen  aus  Kieselsäure,  die  an  ein 
organisches  Substrat,  wie  im  Knochen  der  Wirbelthiere  die  phosphor- 
sauren Salze  an  das  Ossein,  gebunden  ist.  Alle  diese  Skelete  haben 
eine  für  die  Species  constante  und  charakteristische  Form  und  lassen  ganz 
gesetzmässige  Verhältnisse  in  ihrer  Entwicklung  (Richard  Hertwig  V.  40) 
erkennen. 

Unter  Trop hoplasten  versteht  man  hochorganisirte  Differenzi- 
rungsproducte  des  pflanzlichen  Protoplasma,  welchen  dieselbe  Constanz  wie 
dem  Zellkern  und  eine  grosse  functionelle  Selbständigkeit  zukommt. 
Für  die  pflanzliche  Ernährung  sind  sie  sehr  wichtig,   da   sich   der  ganze 


Stärkebildung 


in  ihnen  abspielt.     (Meyer 


Assimilationsprocess   und   die 
V.  9-11.) 

Die  Trophoplasten  sind  kleine,  meist  kuglige  oder  ovale  Körner,  aus 
einer  dem  Protoplasma  verwandten,  aber  doch  von  ihm  unterscheidbaren 
Substanz.  Sie  sind  leicht  durch  Wasser  und  Reagentien  bei  der  Präpa- 
ratiou  zerstörbar  und  werden  am  besten  durch  Jodtinctur  oder  durch 
concentrirte  Pikrinsäure  fixirt.  In  Nigrosin  färlien  sie  sicli  alsdann  stahl- 
blau, so  dass  sie  sich  vom  Protoplasmakörper  scharf  abheben.  Sie 
finden  sich  oft  in  grosser  Anzahl  in  der  Zelle  und  können  in  activer 
Weise  ihre  Form  verändern.  Nach  den  Untersuchungen  von  Schmitz 
(V.  29),  Schimper  (V.  27,  28)  und  Meyer  (V.  9—11)  scheint  eine 
d  irecte  Neuentsteh  ungvonTrophoplastenim  Protoplasma 
nicht  vorzukommen,  dagegen  vermehren  sie  sich  wie  die 
Kerne  durch  zeitweise  eintretende  Theilung.  Von  den 
Trophoplasten,  die  schon  in  der  pflanzlichen  Eizelle  enthalten  sind, 
würden  somit  die  entsprechenden  Gebilde  aller  aus  ihr  hervorgegangenen 
Zellgenerationen  abzuleiten  sein. 

Die  Trophoplasten  können  in  verschiedenen  Modificationen  auftreten 
und  verschiedene  Functionen  verrichten  und   werden  danach  als  Stärke- 
bildner,   Chlorophyllkörner  und  Farbstoff"- 
körner  unterschieden  (Amylo-  oder  Leuko- 
plasten, Cbloroplasten,  Chromoplasten). 

Die  meisten  S  t  ä  r  k  e  b  i  1  d  n  e  r  (Fig.  67) 
finden  sich  in  den  nicht  assimilirenden 
Zellen  junger  Pflanzenorgane  und  aller 
unterirdischen  Theile,  sowie  in  den  Sten- 
geln und  Blattstielen.  In  den  Scheinknollen 
von  Phajus  grandifolius,  die  für  die  Unter- 
suchung besonders  geeignet  sind,  stellen  sie 
von  der  Fläche  gesehen,  ellipsoide  feinkör- 
nige Scheiben  dar,  in  der  Profil  ansieht  erschei- 
nen sie  stäbchenförmig  und  heben  sich  bei  Be- 
handlung mit  Pikronigrosin  durch  stahlblaue 
Farbe  vom  umgebenden  Protoplasma  ab.  An 
einer  Breitseite  der  Scheibe  sitzt  ein  klei- 
neres oder  grösseres  Stärkekorn.  Ersteres 
ist  ringsum  von  einem  dünnen  Ueberzug 
der  Substanz  des  Leukoplasten  umschlossen, 
letzteres  nur  an  der  ilim  zugekehrten  Ober- 
fläche. Im  zweiten  Fall  zeigt  es  eine  ex- 
centrische  Schichtung,  und  zwar  der  Art, 
dass  der  Kern,  um  den  sich  die  Schichten  herumlegen,  sich  in  der  Nähe 
der  vom  Leukoplasten  abgewandten  Oberfläche  befindet.    An  dieser  sind 


D 


Fig.  67.  Phajus  grandi- 
folius, Stärkebildner  aus  der 
Knolle.  Nach  Strasburger,  Bo- 
tanisches Prakticum  Fig.  30. 

A,  C,  B  n.  E  von  der  Seite, 
B  von  oben,  E  grün  gefärbt. 
Vergr.  540. 


III.    Stoffwechsel  und  formative  Thätigkeit.  131 

in  Folge  dessen  die  Schichten  sehr  dünn  und  verdicken  sich  dann  all- 
mählich nach  dem  Stärkebildner  zu,  woraus  hervorgeht,  dass  sie  von  ihni 
aus  wachsen  und  ernälnt  werden.  Oft  ist  in  der  Substanz  des  Stärke- 
bilduers  noch  ein  stäbchenförmiger  Eiweisskrystall  an  der  vom  Amylum- 
korn  abgewandten  Fläche  wahrzunehmen. 

Da  nun  Stärke,  wie  wir  früher  gesehen  haben,  nur  in  grünen 
Pflanzentheilen  durch  Synthese  erzeugt  werden  kann,  sind  die  weissen 
Stärkebildner  nicht  als  die  eigentlichen  Ursprungs- 
stätten zu  betrachten.  Vielmehr  müssen  dieselben  die  Stärke  in 
gelöster  Modification,  vielleicht  als  Zucker  (Sachs)  von  den  Orten,  wo 
die  Assimilation  vor  sich  geht,  bezogen  haben,  so  dass  dann  ihre  Aufgabe 
nur  darin  besteht,  die  gelöste  Substanz  wieder  in  ein  festes  und  organi- 
sirtes  Product  umzuwandeln. 

Mit  dem  Stärkebildner  sind  die  Chlorophyllkörner  (Fig.  68) 
nahe  verwandt;  denn  sie  können  direct  aus  ihnen  durch  Umbildung 
hervorgehen,  indem  sich  in  ihrer  Sulistanz  unter  dem  Einfluss  des  Lichtes 
Chlorophyll  entwickelt.  Die  Leukoplasten  ergrünen  dann,  nehmen  an 
Grösse  zu  und  verlieren  ihre  Stärkekörner,  die  aufgelöst  werden.  Auf 
der  andern  Seite  nehmen  die  Chlorophyllkörner  auch  aus  den  farblosen 
Trophoplasten,  die  an  den  Vegetationspunkten  als 
indifferente   Anlagen  vorkommen,  ihren  Ursprung;  ^^^ß 

endlich   vermehren  sie  sich  durch  Thei-  ^  ^T^^^ 

lung   (Fig.  68):    unter  Zunahme   ihrer  Substanz  '     ;.■    "c;^ 

strecken  sie  sich  in  die  Länge  und  werden  bisquit-  (.  ;•;      j) 

förmig,  worauf  sie  schliesslich  in  ihrer  Mitte  durch-  «Ä 

geschnürt  werden.  w#j 

Die  Chlorophyllkörner  bestehen  aus  einer  j,.g  gg^  chioro- 
Grundlage,  welche  die  Reactionen  des  Eiweisses  phyiikörn'er  aus  dem 
darbietet,  und  aus  einem  das  Stroma  durchträn-  Blatte  von  Funaria 
kenden,  grünen  Farbstoff,  dem  Chlorophyll  oder  J'y^'"°°\®*.'''°^:  . 
Blattgrün.  Dasselbe  lässt  sich  durch  Alkohol  [^.^^^^^^e^Jg.  .HO  S 
extrahiren  und  zeigt  in  der  Lösung  deutliche  Fluore-  strasburger  ,  Botani- 
scenz,  indem  es  in  durchfallendem  Licht  grün,  in  schesPrakticum  Fig.2.5. 
reflectirtem  Licht  blutroth  aussieht. 

In  den  Chlorophyllkörnern  sind  gewöhnlich  mehrere  kleine  Stärke- 
körnchen eingeschlossen,  die  in  ihnen  durch  Assimilation  gebildet  worden 
sind.  Am  besten  lassen  sie  sich,  nachdem  das  Chlorophyll  durch 
Alkohol  ausgezogen  ist,  durch  Zusatz  von  Jodtinktur  nachweisen. 

Wie  durch  die  Untersuchungen  von  Stahl  gezeigt  worden  ist,  können 
die  Chlorophyllkörner,  abgesehen  von  den  zweckmässigen  Verlagerungen, 
welche  sie  durch  Strömung  des  Protoplasma  erfahren  (siehe  Seite  84), 
auch  activ  ihre  Gestalt  in  auffälliger  Weise  unter  dem 
Reiz  der  Lichtstrahlen  verändern.  Während  sie  in  diffusem 
Tageslicht  polygonale  Scheiben  darstellen,  welche  ihre  Breitseite  der 
Lichtquelle  zugekehrt  haben,  ziehen  sie  sich  in  directem  Sonnenlicht 
zu  kleinen  Kugeln  oder  ellipsoiden  Körpern  zusammen.  Sie  führen 
dadurch  eine  ftir  die  Chlorophyllfuuction  zweckmässige  Bewegung  aus 
und  erreichen  durch  sie,  „dass  sie  dem  Sonnenlicht  eine  kleinere,  dem 
diffusen  Tageslicht  alier  eine  grössere  Fläche  zur  Aufnahme  der  Strahlen 
bieten.  Uns  aber  geben  sie  dadurch  einen  Einblick  in  den  hohen  Grad 
ihrer  inneren  Differenzirung ,  wie  wir  ihn  durch  das  einfache  Studium 
ihrer  chemischen  Thätigkeit  bei  weitem  nicht  hätten  gewinnen  können." 
(de  Vries  V.  46.)    Wie  die  Kerne,  erscheinen  sie  im  Hinblick  auf  ihre 

9* 


132 


Fünftes  Capitel. 


Vermehrung  durch  Theilunp',  im  Hinblick  auf  ihr  actives  Bewegungs- 
vermögen und  ihre  Function  beim  Assimilationsprocess  als  sehr  selb- 
ständige, hoch  individualisirte  Plasmagebilde. 

Endlich  sind  als  eine  besondere  Abart  der  Trophoplaste  noch  die 
Farbkörner  zu  erwähnen,  auf  welche  namentlich  die  gelbe  und  orange- 
rothe  Färbung  vieler  Blüthen  zurückzuführen  ist.  Sie  bestehen  aus 
einem  protoplasmatischen  Substrat,  das  meist  sehr  unregelraässig  gestaltet 
ist  und  bald  die  Form  einer  Spindel,  einer  Sichel,  eines  Dreiecks  oder 
eines  Trapezes  hat.  In  dem  Substrat  sind  Farbstoff kry stalle  abgelagert. 
Auch  hier  lässt  sich  an  geeigneten  Objecten  die  allmähliche  Entstehung 
der  Farbkörper  aus  farblosen  Trophoplasten  nachweisen.  Auch  hier 
hat  Weiss  spontane  Bewegungen  und  Formveränderungen  wahrge- 
nommen. 

Die  Besprechung  der  verschiedenen  Arten  der  Trophoplasten 
schliessen  wir  ab,  indem  wir  noch  genauer  auf  die  S t r u c t u r  de r 
Stärkekörner  eingehen,  welche  durch  die  Untersuchungen  von 
Nägeli  (V.  17,  20)  und  die  daran  geknüpften  Schlussfolgerungen  eine 
grosse  theoretische  Bedeutung  gewonnen  haben. 

Die  Stärkekörner  (Fig.  69)  zeigen 
in  der  Pflanzenzelle  hinsichtlich  ihrer 
Grösse  ausserordentliche  Verschieden- 
heiten. Auf  der  einen  Seite  sind 
sie  so  klein,  dass  sie  bei  der  stärk- 
sten Vergrösserung  nur  als  ein  Punkt 
erscheinen,  auf  der  andern  Seite 
können  sie  bis  zu  einem  Umfang  von 
0,2  mm  heranwachsen.  Charakte- 
ristisch ist  ihre  Reaction  bei  Zusatz 
von  Jodlösungen.  Je  nach  der  Con- 
centration  derselben  nehmen  sie  eine 
hellblaue  bis  schwarzblaue  Färbung 
an.  In  warmem  Wasser  quellen  sie 
beträchtlich  auf  und  gehen  beim  wei- 
teren Kochen  in  Kleister  über. 

Die  Form  der  Stärkekörner  ist 
bald  oval,  bald  rundlich,  bald  mehr 
unregelmässig.  Bei  stärkeren  Ver- 
grösserungen  ist  an  ihnen  eine  deut- 
liche Schichtung  zu  erkennen,  indem 
auf  dem  optischen  Durchschnitt  brei- 
tere, helle  und  schmälere,  dunkle  Strei- 
fen mit  einander  abwechseln.  Nägeli 
erklärt  diese  Erscheinungen  in  der  Weise,  dass  er  das  Stärkekorn  aus  wasser- 
ärmeren und  wasserreicheren  Lamellen  von  Stärkesubstanz  zusammen- 
gesetzt sein  lässt.  Strasburger  (V.  31)  dagegen  deutet  ,,die  dunkleren 
Linien  als  die  besonders  markirten  Adhäsionsflächen  der  aufeinander 
folgenden  Lamellen,  die  er  sich  mehr  oder  weniger  vollständig  gleichen 
lässt". 

Die  Lamellen  (Fig.  69)  sind  um  einen  Kern  angeordnet,  der  ent- 
weder das  Centrum  des  ganzen  Korns  einnimmt  (B  CJ,  oder,  was  häufiger 
der  Fall  ist,  sehr  excentrisch  (A)  gelegen  ist.  Auch  finden  sich  nicht 
selten  Stärkekörner,  bei  denen  um  2  (B  C)  bis  3  (D)  Kerne  mehrere 
Lamellensysteme  angeordnet  sind;   sie   werden  daher  als  zusammen- 


Fig.  69.  Stärkekörner  an  der 
KartoflEelknolle.  Nach  Strasbdrgee, 
Botanisches  Prakticura  Fig.  7. 

A  ein  einfaclies,  £  ein  halb  zusam- 
mengesetztes, C  und  D  ganz  zusammen- 
gesetzte Stärkekörner,  c  der  organische 
Kern.     Vergr.  540. 


in.    Stoffwechsel  und  formative  Thätigkeit.  133 

gesetzte  den  Körnern  mit  einem  einfachen  Kern  gegenübergestellt. 
Bei  centraler  Lage  des  Kerns  zeigen  die  ihn  umgebenden  Stärkeschichten 
überall  nahezu  die  gleiche  Dicke.  Bei  excentrischer  Lage  dagegen  gehen 
nur  die  innersten  Schichten  continuirlich  um  ihn  herum,  die  peripheren 
besitzen  die  grösste  Dicke  an  der  vom  Kern  abgewandten  Seite  des 
Korns,  verdünnen  sich,  je  mehr  sie  sich  dem  Kern  nähern  und  werden 
schliesslich  an  der  Seite,  nach  welcher  der  excentrische  Kern  zu  liegt, 
so  fein,  dass  sie  von  den  Nachbarlamellen  nicht  mehr  zu  unterscheiden 
sind,  oder  laufen  überhaupt  ganz  frei  aus. 

In  jedem  Stärkekorn  nimmt  der  Wassergehalt  von  der  Obei*fläche 
nach  dem  Centrum  zu.  Der  Kern  ist  am  wasserreichsten,  die  ober- 
flächlichste, an  das  Protoplasma  angrenzende  Schicht  zeigt  das  dichteste 
Gefüge.  Hierauf  ist  die  Erscheinung  zurückzuführen,  dass  bei  dem  Aus- 
trocknen der  Stärkekörner  Risse  im  Kern  und  von  diesem  ausstrahlend 
nach  der  Peripherie  hin  entstehen  (Nägeli  V.  17). 

Wie  schon  oben  erwähnt,  nehmen  bei  den  Pflanzen  die  Stärkekörner 
gewöhnlich  nicht  direct  im  Protoplasma,  sondern  in  besonderen  Dififeren- 
zirungsproducten  desselben,  den  Stärkebildnern  (Amyloplasten  und  Chloro- 
phyllkörpern) ihren  Ursprung.  Je  nachdem  nun  das  Korn  im  Innern 
eines  solchen  oder  an  seiner  Oberfläche  angelegt  wird,  erklärt  sich  nach 
den  Untersuchungen  von  Schi mp er  (V.  27)  die  oben  beschriebene, 
verschiedenartige  Schichtung.  Im  ersten  Fall  bilden  sich  die  Stärke- 
lamellen gleichmässig  um  den  Kern  herum,  da  sie  von  allen  Seiten  her 
gleichmässig  von  der  Substanz  des  Stärkebildners  ernährt  werden.  Im 
zweiten  Fall  befindet  sich  der  an  die  Oberfläche  des  Stärkebildners 
angrenzende  Theil  des  Stärkekorns  unter  ungünstigeren  Wachsthums- 
bedingungen.  Es  wird  daher  viel  mehr  Substanz  an  der  dem  Stärke- 
bildner zugekehrten  Fläche  des  Korns  angebildet,  die  Schichten  fallen 
hier  dicker  aus  und  verjüngen  sich  nach  der  entgegengesetzten  Fläche. 
In  Folge  dessen  wird  der  Kern,  um  welchen  die  Schichten  herumgelegt 
sind,  immer  mehr  über  die  Oberfläche  des  Stärkebilduers  hinausgeschoben 
und  nimmt  dementsprechend  immer  mehr  im  Schichtensystem  eine 
excentrische  Lage  ein. 

Dass  die  Stärkekörner  durch  Auflagerung  neuer  Schichten  an  der 
Oberfläche ,  also  durch  Apposition  wachsen ,  geht  namentlich  aus  einer 
Beobachtung  von  Schimper  (V.  27)  hervor.  Derselbe  fand  Stärkekörner, 
an  deren  Oberfläche  ein  Auflösungsprozess  stattgefunden  hatte,  dann  aber 
wieder  unterbrochen  worden  war.  Denn  um  das  corrodirte  Korn  hatten 
sich  wieder  frische  Schichten  herum  gebildet. 

Nach  den  Angaben  von  Strasburger  werden  Stärkekörner  in  einzel- 
nen Fällen  auch  direct  im  Protoplasma  ohne  Mitwirkung  besonderer 
Stärkel)ildner  erzeugt.  In  den  Markstrahlzellen  der  Coniferen  fand  dieser 
Forscher  ihre  erste  Anlage  als  winzige  Körnchen  in  den  Strängen  des 
Plasmanetzes  eingeschlossen.  Wenn  sie  grösser  geworden  sind,  liegen 
sie  deutlich  in  Plasmataschen ,  deren  Innenwand  etwas  lichtbrechender 
ist  und  Mikrosomen  führt. 

Ein  sehr  kunstvoll  gebautes,  inneres  Plasmapro  du  et 
stellen  die  Nesselkapseln  (Fig.  70)  dar,  welche  sich  besonders 
bei  Coelenteraten  als  Angriff'swaffen  in  den  über  das  Ektoderm  vertheilten 
Nesselzellen  entwickeln.  Sie  bestehen  aus  einer  ovalen  Kapsel  (a  u.  &), 
die  aus  einer  glänzenden  Substanz  gebildet  ist  und  eine  Oeftnung  an 
dem  nach  der  Oberfläclie  der  Epidermis  zugekehrten  Ende  besitzt.  Der 
Innenfläche   der  Kapsel  liegt   eine  feine  Lamelle  dicht  an,   die  an  dem 


134 


Fünftes  Capitel. 


Li 


Rande  der  OefFnung  in  den  oft  coniplicirt  gebauten  Nesselschlauch  über- 
geht (vergl.  Fig.  70  a  u.  h).  In  der  vorliegenden  Figur  ist  der  letztere  aus 
einem  weitern  kegelförmigen  Anfangstheil,  der  in  das  Innere  der  Kapsel 
eingestülpt  und  mit  einigen  kürzeren  und  längeren  Widerhaken  bedeckt 
ist,  und  aus  einem  sehr  langen  und  feinen  Schlauch  zusammengesetzt. 
Dieser  geht  von  der  Spitze  des  Kegels  aus  und  ist  um  denselben  in 
vielen  Spiralen  Windungen  aufgerollt.  Der  freibleibende  Binnenraum 
ist  von  einem  nesselnden  Secret  erfüllt.  Das  an  die  Nesselkapsel  an- 
grenzende Protoplasma  ist  zu  einer  contractilen  Hülle  diiTerenzirt,  die  nach 
Aussen  ebenfalls  von  einer  Oeffnung  durchbrochen  ist  (Schneider  V.  45). 

Auf  der  freien  Oberfläche  der  Zelle  erhebt 
sich  nahe  der  Kapselöftnung  ein  starrer,  glän- 
zender, haarähnlicher  Fortsatz,  das  Cnidocil.  Wenn 
dasselbe  durch  irgend  einen  Fremdkörper  be- 
rührt wird,  pflanzt  es  den  Reiz  auf  das  Proto- 
plasma fort.  In  Folge  dessen  zieht  sich  die 
contractile  Hülle  in  der  Umgebung  der  Nessel- 
kapsel plötzlich  heftig  zusammen,  comprimirt 
dieselbe  und  treibt  den  in  ihrem  Innern  ein- 
geschlossenen Schlauch  nach  Aussen  hervor,  wo- 
bei er  wie  der  Finger  eines  Handschuhs  umge- 
stülpt wird  (Fig.  70  6).  Zuerst  wird  der  er- 
weiterte kegelförmige  Anfangstheil  mit  den 
Widerhaken  nach  Aussen  hervorgestülpt,  dann 
folgt  der  Spiral  aufgerollte,  feine  Schlauch  nach. 
Das  nesselnde  Secret  wird  wahrscheinlich  durch 
eine  Oeffnung  im  Schlauchende  entleert. 

Auf  die  Entstehung  dieses  ausserordentlich 
complicirten  Apparates  wirft  die  Entwicklungs- 
geschichte Licht.  Zuerst  bildet  sich  in  jungen 
Nesselzellen  eine  ovale  Secrethöhle ,  die  sich 
gegen  das  Protoplasma  durch  eine  feine  Mem- 
bran abgrenzt;  dann  wächst  von  dem  freien 
Zellende  aus  ein  feiner  Protoplasmafortsatz  in 
die  Secrethöhle  hinein,  nimmt  Lage  und  Form  des  inneren  Nessel- 
apparats an  und  scheidet  auf  seiner  Oberfläche  die  zarte  Schlauchmem- 
bran  ab.  Zuletzt  diff'erenzirt  sich  noch  die  glänzende  und  derbere, 
äussere  Wand  der  Kapsel  mit  der  Oeff"nung  und  um  diese  wiederum  die 
contractile  Hülle. 

b)  Die  äusseren  Plasmaproducte. 

Die  äusseren  Plasmaproducte  können  in  3  Gruppen  eingetheilt  werden, 
in  die  Zellhäute,  in  die  Cuticulargebilde  und  in  die  Intercellularsub- 
stanzen. 

Zellhäute  sind  Absonderungen,   mit  denen 
seiner  ganzen  Obei"fläche   umgiebt.     Sie    bilden 

liehen  Zellen  einen  sehr  wichtigen  und  stark  in   ^^ 

standtheil,  während  sie  im  Thierreich  häufig  fehlen  oder  so  wenig  ausge- 
bildet sind,  dass  sie  auch  bei  starken  Vergrösserungen  schwer  zu  er- 
kennen sind. 

Im  Pflanzenreich  besteht  die  Zell  haut  aus  einem  der 
Stärke  sehr  nahe  verwandten  Kohlenhydrat,  der  Cellnlose. 


Fig.  70.  Nesselzellen 
der  Cnidarien  (aus  Lang). 
Hertwig,  Zoologie  Fig.  161. 

a  Zelle  mit  Cnidocil  und 
einem  in  der  Kapsel  aufge- 
rollten Nesselfaden,  b  Nes- 
selfadeu  aus  der  Nessel- 
kapsel  hervorgeschleudert, 
an  der  Basis  mit  Wider- 
haken bewaffnet,  c  Kleb- 
zellen einer  Ktenophore. 


sich   der  Zellkörper  auf 

namentlich    bei  pflanz- 

die  Augen  fallenden  Be- 


III.     Stoffwechsel  und  formative  Thätigkeit. 


135 


Die  Anwesenheit  derselben  lässt  sich  meist  leicht  durch  eine  sehr 
charakteristische  Reaction  feststellen.  Wenn  man  einen  Schnitt  durch 
Pflanzengewebe  oder  eine  einzelne  Pflanzenzelle  zuerst  mit  einer  dünnen 
Lösung  von  Jodjodkalium  durchtränkt  und  darauf  nach  Entfernung  der 
Jodlösung  Schwefelsäure  (2  Theile  mit  1  Theil  Wasser  verdünnt)  zusetzt, 
so  nehmen  die  Zellwände  eine  bald  hell-,  bald  dunkelblaue  Farbe  an. 
Eine  Cellulosereaction  erhält  man  auch  durch  Zusatz  einer  Chlor- 
zinkjodlösung. 

Die  Membranen  der  Pflanzenzellen  erreichen  oft  eine  beträchtliche 
Dicke  und  Festigkeit  und  lassen  dann  auf  dem  Durchschnitt  eine 
deutlich  ausgesprochene  Schichtung  erkennen,  indem  wie  im  Stärke- 
korn schwächer  und  stärker  das  Licht  brechende  Streifen  mit  ein- 
ander  abwechseln  (Fig.  71  und  72  Ä,  B).     Aber  auch  bei  Betrachtung 


Fig.  71. 


Fig.  72. 


Fig.  71.  Querschnitt  durch  das  Rhizom  von  Caulerpa  prolifera  an 
der  Insertionsstelle  eines  Balkens.     Nach  Strasbdkger  Taf.  I,  Fig.  1. 

Fig.  72.  A  Theil  einer  älteren  Markzelle  mit  sechs  Verdickungsschichten  von 
Clematis  vitalba.     Nach   Strasburger  Taf.  I,  Fig.   13. 

B  Eine  solche  Zelle,  in  Schwefelsäure  gequollen.  Nach  Strasburger  Taf.  I, 
Fig.  14. 

von  der  Fläche  ist  noch  eine  feinere  Structur  häufig  nachweisbar.  Die 
Zellhaut  zeigt  eine  feine  Streifung,  als  ob  sie  aus  zahl- 
reichen, parallel  angeordneten  Fasern  zusammengesetzt 
sei.  Dabei  kreuzen  sich  die  Fasern  in  entgegengesetzten 
Richtungen.  Entweder  verlaufen  die  einen  in  der  Längsrichtung,  die 
anderen  in  der  Querrichtung,  also  ringförmig  um  die  Zelle  herum,  oder 
sie  sind  schräg  zur  Längsaxe  der  Zelle  angeordnet.  Ueber  die  Beziehung 
dieser  feinen  Streifung  zu  den  einzelnen  Celluloselamellen  stehen  sich 
die  Ansichten  von  Nägeli  und  Strasburger  gegenüber. 

Nägeli  (V.  19)  lässt  in  jeder  Lamelle  beide  Streifensysteme  vor- 
handen sein;  wie  beim  Stärkekorn  sollen  sowohl  die  Lamellen  als  auch 
die  sich  kreuzenden  Streifen  abwechselnd  aus  wasserärmerer  und  aus 
wasserreicherer  Substanz  bestehen  und  daher  abwechselnd  hell  und 
dunkel  erscheinen.  Eine  Lamelle  ist  daher  parketartig  gefeldert  mit 
quadratisch -rechteckigen  oder  mit  rhombischen  Feldern.  „Diese  zeigen 
ein  dreifach  verschiedenes  Aussehen;  sie  bestehen  nämlich  aus  dichter, 
weicher  und  mittlerer  Substanz,  je  nachdem  sie  der  Kreuzungsstelle 
zweier  dichter,    zweier   weicher   oder  eines  dichten   und  eines  weichen 


136  Fünftes  Capitel. 

Streifens  entsprechen."  Nach  Nägeli  lässt  sich  daher  die  ganze  Zell- 
membran „nach  3  Richtungen  in  Lamellen  zerlegen,  die  alternirend  aus 
wasserreicherer  und  wasserärmerer  Substanz  bestehen,  und  die  sich  in 
ähnlicher  Weise  wie  die  ßlätterdurchgänge  eines  Krystalls  kreuzen.  Die 
Lamellen  der  einen  Richtung  sind  die  Schichten,  die  der  beiden  andern 
die  zwei  Streifensysteme.  Die  letzteren  können  sich  fast  unter  jedem 
Winkel  schneiden ;  beide  stehen  auf  den  Schichtenlamellen,  wie  es  scheint, 
in  den  meisten  Fällen  rechtwinklig". 

Im  Gegensatz  zu  Nägeli  lassen  Strasburger  (V.  31 — 33)  und  andere 
Botaniker,  deren  Angaben  wohl  nicht  anzufechten  sind,  die  sich 
kreuzenden  Streifen  nie  einer  und  derselben  Lamelle  an- 
gehören; vielmehr  gestaltet  sich  nach  ihnen  das  Verhältniss  so,  dass 
wenn  die  eine  Lamelle  in  longitudinaler  Richtung,  die  nächstfolgende  in 
querer  Richtung  gestreift  ist  und  so  fort  in  wechselnder  Folge.  Nach 
Strasburger  unterscheiden  sich  weder  die  einzelnen  Lamellen  noch  die 
einzelnen  Streifen  durch  ungleichen  Wassergehalt.  Die  Lamellen  sowohl 
wie  die  Streifen  in  denselben  sind  von  einander  durch  Contacttlächen  ge- 
trennt, welche  bei  den  verschiedenen  Ansichten  (Querschnittsbild,  Flächen- 
bild) als  dunklere  Linien  erscheinen.  Die  Anordnung  ist  daher  im  All- 
gemeinen eine  ähnliche,  wie  in  einer  Hornhaut,  die  sich  aus  Lamellen 
mit  gekreuzten  Fasern  aufbaut. 

Nicht  selten  zeigen  die  Celluloseraembranen,  und  zwar  meist  an 
ihrer  inneren  Fläche,  feinere  Skulpturen.  So  können  Leisten  nach 
Innen  vorspringen,  welche  entweder  in  einer  Schraubenlinie  verlaufen 
oder  in  grösserer  Anzahl  quer  zur  Längsaxe  der  Zelle  gestellt  oder  in 
mehr  unregelmässiger  Weise  zu  einem  Netz  unter  einander  verbunden 
sind.  Auf  der  andern  Seite  kann  die  Zellwand  an  einzelnen  Stellen, 
wo  sie  an  eine  Nachbarzelle  stösst,  verdünnt  bleiben  und  so  Tüpfel 
oder  Tüpfelkanäle  erzeugen  (Fig.  72  Ä),  durch  deren  Vermittelung  be- 
nachbarte Zellen  Nahrungssubstanzen  besser  austauschen  können. 

Auch  in  stofflicher  Hinsicht  kann  die  Zellwand  bald  nach  ihrer 
ersten  Anlage  ihren  Charakter  in  verschiedener  Weise  verändern,  ent- 
weder durch  Incrustation  oder  durch  Verholzung  oder  durch 
V  e  r  k  0  r  k  u  n  g. 

Nicht  selten  werden  in  die  Cellulose  Kalksalze  oder  Kiesel- 
säure abgelagert,  w^odurch  die  Membranen  eine  grössere  Festigkeit  und 
Härte  erhalten.  Wenn  solche  Ptlanzentheile  geglüht  werden,  wird  die 
Cellulose  verkohlt  und  es  bleibt  an  Stelle  des  Zellhautgerüstes  ein  mehr 
oder  minder  vollständiges  Kalk-  oder  Kieselskelet  zurück.  Kalkablage- 
rung findet  sich  bei  den  Kalkalgen,  bei  Characeen,  bei  Cucurbitaceen, 
Verkieselung  bei  Diatomeen,  bei  Equisetaceen,  bei  Gräsern  etc. 

Durch  die  Verholzung  erhalten  die  Zellmembranen  gleichfalls 
eine  bedeutend  grössere  Festigkeit.  Hier  ist  der  Cellulose  noch  eine 
andere  Substanz,  der  Holzstoff  (das  Lignin  und  Vanillin)  beigemengt. 
Derselbe  lässt  sich  durch  Kalilauge  oder  durch  ein  Gemisch  von  Sal- 
petersäure und  chlorsaures  Kali  auflösen  und  entfernen,  worauf  dann 
noch  ein  die  Cellulosereaction  darbietendes  Gerüst  übrig  bleibt. 

Bei  dem  Process  der  Verkorkung  ist  mit  der  Cellulose  Korkstoff 
oder  S übe rin  in  geringerer  oder  reichlicherer  Menge  verbunden.  Hier- 
durch werden  wieder  die  physikalischen  Eigenschaften  der  Zellwand 
in  der  Weise  verändert,  dass  sie  für  Wasser  undurchlässig  wird.  Da- 
her entwickeln  sich  denn  verkorkte  Zellen  an  der  Oberfläche  vieler 
Pflanzenorgane,  um  die  Wasserverdunstung  zu  verhüten. 


III.    Stoffwechsel  und  fonnative  Thätigkeit.  137 

Während  es  bei  der  Verkalkung  und  Verkieselung  auf  der  Hand 
liegt,  dass  die  Kalktlieilchen  und  die  Kieseltheilchen  durch  Vermittelung 
des  Protoplasma  an  Ort  und  Stelle  geschafft  und  zwischen  den  Cellulose- 
theilchen  abgelagert  worden  sind,  wobei  wieder  niolecularen  Bindungen 
eine  Rolle  zufallen  wird,  l)ieten  sich  für  das  Zustandekommen  der  Ver- 
holzung und  der  Verkorkung  zwei  Möglichkeiten  dar.  P^ntweder  ist  der 
Holz-  und  Korkstoff  in  einer  löslichen  Modification  durch  Vermittelung 
des  Protoplasma  entstanden  und  gleich  den  Kalk-  und  Kieseltheilchen  in 
die  Cellulosemembran  in  unlöslicher  Modification  eingelageit  worden,  oder 
beide  Substanzen  haben  sich  an  Ort  und  Stelle  durcli  chemische  Um- 
wandlung der  Cellulose  gebildet.  Es  ist  dies  wieder  eine  Angelegenheit, 
welche  weniger  der  Morphologe  mit  seinen  Untersuchungsmethoden,  als 
vielmehr  der  physiologische  Chemiker  wird  zu  entscheiden  haben.  (Siehe 
S.  124.) 

Eine  viel  discutierte,  sehr  wichtige,  aber  nicht  leicht  zu  entscheidende 
Frage  ist  das  Wachsthum  der  Zell  haut.  Bei  demselben  haben 
wir  ein  Dicken-  und  ein  Flächenwachsthum  zu  unterscheiden.  Das  bei 
seiner  Entstehung  kaum  messbar  feine  Cellulosehäutchen  kann  allmäldich 
eine  sehr  bedeutende  Dicke  erreichen  und  sich  hierbei  aus  immer  zahl- 
reicheren Lamellen  zusammensetzen,  deren  Zahl  der  Dicke  proportional 
zunimmt.  Das  Allerwahrscheinlichste  ist,  dass  vom  Protoplasma  Schicht 
"auf  Schicht  auf  das  zuerst  abgeschiedene  Häutchen  neu  abgelagert  wird. 
Man  nennt  dies  ein  Wachsthum  durch  Apposition,  im  Gegensatz 
zu  einer  von  Nägeli  aufgestellten  Theorie  (V.  19),  nach  welcher  das 
Wachsthum  der  Häute  durch  Intussusception  vor  sich  gehen  soll, 
das  heisst:  durch  Einlagerung  neuer  Theilchen  in  Zwischenräume  zwischen 
die  bereits  vorhandenen  Theilchen. 

Für  die  Appositionstheorie  sprechen  namentlich  folgende  drei  Erscliei- 
nungen.  1)  W^enn  an  der  Innenfläche  einer  Zellhaut  sich  leistenförmige 
Verdickungen  bilden,  so  werden  flieselben  schon  vor  ihrem  Auftreten 
dadurch  angedeutet,  dass  in  dem  Protoplasmaschlauch  sich  an  den  ent- 
sprechenden Stellen  das  Protoplasma  in  dickeren  Bändern  ansammelt 
und  die  Erscheinungen  der  Circulation  darbietet.  2)  Wenn  durch  Plas- 
molyse sich  der  Protoplasmakörper  von  der  Zellhaut  zurückgezogen 
hat,  scheidet  er  auf  seiner  nackten  Oberfläche  eine  neue  Cellulosemembran 
ab  (Klebs  IV.  14).  Man  kann  die  Plasmolyse  rückgängig  machen.  Der 
sich  durch  Wasseraufnahme  vergrössernde  Zellkörper  legt  sich  dann  mit 
seiner  neuen  Haut  der  alten  wieder  dicht  an  und  verbindet  sich  mit  ihr. 
3)  Bei  der  Theilung  von  Pflanzenzellen  lässt  sich  oft  sehr  deutlich  er- 
kennen, wie  jede  Tochterzelle  sich  mit  einer  eigenen,  neuen  Hülle  um- 
giebt,  so  dass  dann  innerhalb  der  alten  Membran  der  Mutterzelle  zwei 
neugebildete  Membranen  der  Tochterzellen  eingeschlossen  sind. 

Grössere  Schwierigkeiten  bietet  die  Erklärung  vom 
Flächenwachsthum  der  Membran.  Dasselbe  könnte  durch  zwei 
verschiedene  Processe  bewirkt  werden,  die  entweder  allein  oder  mit  ein- 
ander combinirt  Platz  greifen  könnten.  Einmal  könnte  die  Membran 
sich  durch  Dehnung  vergrössern,  wie  ein  Gummiball,  den  man  aufbläst. 
Zweitens  aber  könnte  sie  sich  auch  durch  Intussusception,  durch  Auf- 
nahme neuer  Cellulosetheilchen  zwischen  die  alten,  ausdehnen. 

Dafür,  dass  eine  Dehnung  der  Zellhaut  stattfindet,  sprechen  manche 
Erscheinungen.  Schon  der  früher  erwähnte  Turgor  der  Zelle  ruft  eine 
solche  hervor.  Denn  sowie  eine  Zelle  der  Plasmolyse  ausgesetzt  wird, 
schrumpft  sie  erst  im  Ganzen  unter  Wasseraustritt  etwas  zusammen,  ehe 


138  Fünftes  Capitel. 

sich  der  Plasmaschlauch  ablöst,  ein  Zeichen,  dass  sie  durch  inneren 
Druck  gedehnt  war.  Bei  manchen  Algen  lässt  sich  beobachten,  dass  die 
zuerst  gebildeten  Celluloselamellen  durch  Dehnung  schliesslich  gesprengt 
und  abgeworfen  werden  (Rivularien,  Gloeocapsa,  Schizochlamys  gelati- 
nosa  etc.).  Jede  Dehnung  und  Verkürzung  niuss  mit  Verlagerung  der 
kleinsten  Theilchen  verbunden  sein ,  die  sich  hier  mehr  in  der  Fläche, 
dort  mehr  in  der  Dicke  anordnen. 

Dadurch  bietet  die  Vergrösserung  einer  Membran  durch  Dehnung 
manche  Berührungsi)unkte  mit  dem  Wachsthum  durch  Intussusception. 
Der  Unterschied  zwischen  beiden  Arten  läuft  dann  darauf  hinaus,  dass 
im  ersten  Fall  schon  von  früher  her  vorhandene  Cellulosetheilchen ,  im 
zweiten  Fall  neue,  in  Bildung  begriffene  Theilchen  in  die  Fläche  ein- 
gelagert werden. 

Das  Wachsthum  durch  Intussusception  möchte  ich  nun  nicht,  wie 
es  Strasburger  früher  gethan  hat  (V.  31),  vollkommen  in  Abrede  stellen, 
vielmehr  erblicke  ich  in  ihm  neben  der  Apposition  einen  zweiten  wich- 
tigen Factor  bei  der  Membranbildung,  allerdings  nicht  den  einzigen 
Factor,  wie  es  in  der  Theorie  von  Nägeli  in  dogmatischer  Weise  ange- 
nommen wird. 

Viele  Erscheinungen  des  Zellenwachsthums  lassen  sich,  wie  es  von 
Nägeli  (V.  17  u.  19)  geschehen  ist,  durch  Intussusception  am  unge- 
zwungensten erklären ,  während  die  Appositionstheorie  auf  Schwierig- 
keiten stösst. 

Zerreissungen  von  Membranschichten  durch  Dehnung  werden  im 
Ganzen  doch  in  sehr  seltenen  Fällen  beobachtet.  Trotzdem  vergrössern 
sich  fast  alle  Zellen  von  ihrer  Anlage  bis  zum  ausgewachsenen  Zustand 
so  bedeutend,  dass  die  Dehnungsfähigkeit  der  Haut,  welche  bei  Cellulose 
wohl  überhaupt  nicht  als  eine  sehr  grosse  angenommen  werden  darf, 
bald  überschritten  werden  müsste.  Viele  Pflanzenzellen  verlängern  sich 
um  das  lOOfache,  und  manche  um  mehr  als  das  2000fache  (Ohara). 

Manche  Zellen  zeigen  eine  sehr  unregelmässige  Form,  deren  Er- 
klärung sehr  grosse  Schwierigkeiten  bereiten  würde,  wenn  die  Zellhaut 
allein  durch  innere  Dehnung,  einer  Kautschukblase  vergleichbar,  sich  in 
der  Fläche  vergrössern  sollte  Caulerpa,  Acetabularia  etc.  sind,  trotzdem 
sie  einen  einzigen  Hohlraum  enthalten,  wie  eine  vielzellige  Pflanze  in 
Wurzeln,  Stengel  und  Blätter  gegliedert,  von  denen  ein  jeder  Theil  durch 
eigene  Wachsthumsgesetze  beherrscht  wird.  Manche  Pflanzenzellen  wachsen 
nur  an  bestimmten  Stellen,  entweder  an  der  Spitze  oder  nahe  der  Basis 
oder  entwickeln  seitliche  Ausstülpungen  und  Aeste.  Andere  erfahren 
beim  Wachsthum  complicirte  Drehungen,  wie  die  Internodien  der  Characeen. 

Endlich  macht  Nägeli  noch  für  ein  Wachsthum  durch  Intussusception 
geltend,  dass  manche  Membranen  in  der  Fläche  und  Dicke  bedeutend  zu- 
nehmen, nachdem  sie  durch  Tlieilung  des  Protoplasmakörpers  von  diesem 
in  Folge  der  Bildung  von  Specialmembranen  um  die  Tochterzellen  ge- 
trennt worden  sind.  „Gloeocapsa  und  Gloeocystis  treten  zuerst  als  ein- 
fache Zellen  mit  dicker,  gallertiger  Membran  auf.  Die  Zelle  theilt  sich 
in  zwei,  wovon  jede  wieder  eine  gleiche  blasenförmige  Membran  bildet; 
und  so  geht  die  Einschachtelung  weiter."  Die  äusserste  Gallertblase 
muss  in  Folge  dessen  immer  grösser  werden.  Ihr  Volumen  betrug  bei 
einer  Art  in  diesen  successiven  Entwicklungsstadien  nach  Berechnungen 
von  Nägeli  im  Mittel  830  —  2442  —  5615  —  10209  Kubikmik.  Bei 
einer  andern  Art  war  eine  Verdickung  der  zuerst  gebildeten  Gallertmem- 
bran von  10  auf  60  Mik.,  also  um  das  6fache  eingetreten.    „Bei  Apiocystis 


III.    Stofifwechsel  und  formative  Thätigkeit.  139 

sind  die  birnförmigen  Kolonien,  die  aus  sehr  weicher  Gallerte  mit  einge- 
lagerten Zellen  bestehen,  von  einer  dichteren  Membran  nmhüllt.  Dieselbe 
nimmt  mit  dem  Alter  nicht  bloss  an  Umfang,  sondern  auch  an  Mächtig- 
keit zu;  denn  bei  kleineren  Kolonien  ist  sie  bloss  3  Mik.,  bei  den  grossen 
bis  45  Mik.  dick ;  an  jenen  beträgt  die  Oberfläche  etwa  27  000,  an  diesen 
etwa  1500000  Quadrat-Mik.-Mill.  Die  Dicke  der  Hülle  nimmt  also  von 
1  auf  15,  der  Flächeninhalt  von  1  auf  56,  und  der  Kubikinhalt  von  1 
auf  833  zu.  Von  einer  Apposition  auf  der  inneren  Seite  dieser  Hülle 
kann  keine  Rede  sein;  denn  ihre  innere  glatte  Fläche  wird  von  den 
kleinen,  kugeligen  Zellen  entweder  gar  nicht  oder  nur  an  einzelnen 
wenigen  Stellen  berührt." 

In  allen  diesen  Fällen  muss  ich  dem  Ausspruch  von  Nägeli  zu- 
stimmen, dass  wir  hier  auf  Un Wahrscheinlichkeiten  stossen,  wenn  wir 
das  Fläch enwachsthum  der  Zellenmembran  bloss  aus  der  Auflagerung 
von  neuen  Schichten  erklären  wollen,  während  die  oben  namhaft 
gemachten  „Erscheinungen  (Aenderung  der  Gestalt  und 
Richtung,  ungleiches  Wachsthum  der  Theile,  Drehung) 
sich  durch  In tussusception  auf  die  einfachste  und  leich- 
teste Art  nachweisen  lassen.  Alles  hängt  davon  ab,  dass 
die  neuen  T heilchen  zwischen  die  schon  vorhandenen  an 
bestimmten  Stellen,  in  bestimmter  Menge  und  in  be- 
stimmter Richtung  eingelagert  werden." 

Der  Process  der  Intussusception  selbst  ist  vollends  nicht  in  Abrede  zu 
stellen,  wo  Kalk-  oder  Kieselsalze  in  die  Membran  abgelagert  sind,  da 
dies  meist  erst  nachträglich  und  oft  nur  in  den  oberflächlichen  Schichten 
geschieht.  Dass  in  ähnlicher  Weise  nicht  auch  Cellulosetheilchen  sollten 
eingelagert  werden  können,  würde  als  unmöglich  nur  dann  erwiesen 
sein,  wenn  gezeigt  wäre,  dass  Cellulose  in  der  That  nur  durch  directe 
Umwandlung  von  Protoplasmaschichten  gebildet  wird.  Dies  ist  aber  doch 
nichts  weniger  als  erwiesen,  und  wird  der  Pflanzenanatom  es  wahr- 
scheinlich durch  mikroskopische  Beobachtung  allein  überhaupt  nicht  fest- 
stellen können,  sondern  nur  mit  Hülfe  einer  weit  fortgeschrittenen 
Mikrochemie,  Verhältnisse,  über  welche  das  auf  Seite  123—124  Gesagte 
zu  vergleichen  ist.  Bei  Berücksichtigung  der  dort  gegebenen  Darlegungen 
wird  man  überhaupt  finden ,  dass  bei  gewissen  Bedingungen  der 
Cellulosebildung  zwischen  Apposition  und  Intussusception  gar  nicht  der 
schroffe  Gegensatz  besteht,  wie  er  von  mancher  Seite  herausgekehrt 
wird.  

Cuticulargebilde  sind  hautartige  Absonderungen,  mit  welchen 
sich  eine  Zelle  anstatt  allseitig  nur  einseitig  an  ihrer  nach  Aussen 
gekehrten  Oberfläche  bedeckt.  Im  Thierreich  sind  häufig  die  Zellen, 
welche  die  Oberfläche  des  Körpers  einnehmen  oder  die  Innenfläche  des 
Darmkanals  auskleiden,  mit  einer  Cuticula  versehen,  welche  das 
darunter  gelegene  Protoplasma  gegen  die  schädlichen  Einflüsse  der  um- 
gebenden Medien  schützt.  Die  Cuticula  ist  gewöhnlich  aus  dünnen 
Lamellen  gebildet  und  ausserdem  von  feinen,  parallel  verlaufenden 
Poren  durchsetzt,  in  welche  vom  darunter  gelegenen  Protoplasma  zarte 
Fädchen  eindringen.  Als  Cuticulargebilde  eigenthümlicher  Art,  welche 
zugleich  eine  sehr  ausgesprochene  Schichtung  aufweisen,  sind  auch  die 
Aussenglieder  der  Stäbchen  und  Zapfen  in  der  Netzhaut  anzuführen. 

C  ut  i  c  u  1  a  r e  A  b  s  ch  e  i  d  u  n g  e  n  m  e  m  b  r  a n  a  r  t i  g  a  n  g  e  0  r  d  n  et  e  r 
Zellen  verschmelzen  sehr  häufig  unter  einander  und  stellen 


140 


Fünftes  Capitel. 


dann  ausgedehnte  Häute  dar  (Fig.  73),  welche  namentlich  bei 
Würmern  und  Arthropoden  der  ganzen  Oberfläche  des  Körpers  zum 
Schutz  dienen.  Dieselben  bestehen  meist  aus  Chitin,  einem  Stoff,  welcher 
nur  in  kochender  Schwefelsäure  löslich  ist.  In  ihrer  feinen  Structur 
zeigen  sie  grosse  Uebereinstimmung  mit  den  Cellulosemembranen,  näm- 
lich eine  Schichtung,  welche  auf  ein  Wachsthum  durch  Apposition  neuer 
Lamellen  an  der  Innenseite  der  zuerst  gebildeten  hinweist. 

Zeitweise  werden  die  alten  Chitinhäute  gesprengt  und  abgeworfen, 
nachdem  sich  unter  ihnen  eine  jüngere,  weichere  Haut  zum  Ersatz 
gebildet  hat,  ein  Vorgang,  der  als  Häutung  bezeichnet  wird.  Zur  Ver- 
stärkung der  Chitinhaut  können  Kalksalze  auf  dem  Wege  der  Intussus- 
ception  in  sie  abgelagert  werden. 


Fig.  73. 


Fiff.  74. 


Aus 


Fig.  73.     Epithel  mit  Cuticula  einer  Blattwespe.    (Cimbex  coronatus.) 
R.  Hertwig  Fig.  24  f. 
c  Cuticula.     e  Epithel. 

Fig.  74.     Knorpel  (nach  Gegenbaür). 

G  Knorpeloberhaut,     b  üebergang  zum  typi.scheu  Knorpel  a. 

Inte rcellular Substanzen  endlich  entstehen,  wenn  eine  grössere 
Anzahl  von  Zellen  an  ihrer  ganzen  Obei-fläche  feste  Stoffe  ausscheidet, 
ihre  Abscheidungsproducte  aber  sich  nicht,  wie  die  Zellmembranen, 
getrennt  erhalten,  sondern  unter  einander  zu  einer  zusammenhängenden 
Masse  verschmelzen,  in  welcher  man  nicht  erkennen  kann,  was  von  der 
einen,  was  von  der  anderen  Zelle  abstammt  (Fig.  74).  Die  Gewebe 
mit  Intercellularsubstanzen  sind  daher  nicht  in  einzelne  Zellen,  wie  ein 
Stück  Pflanzengewebe,  zerlegbar.  In  der  continuirlichen  Grundsubstanz, 
welche  aus  sehr  verschiedenen  chemischen  Stoffen  (Mucin ,  Chondrin, 
Glutin,  Ossein,  Elastin,  Tunicin,  Chitin  etc.)  bestehen  kann,  welche  ferner 
bald  homogen ,  bald  faserig  aussieht ,  sind  kleine  Höhlen  vorhanden,  in 
welchen  die  Protoplasmakörper  eingeschlossen  sind.  Da  der  die  Höhle 
umgebende  Bezirk  der  Intercellularsubstanz  am  meisten  unter  dem  Ein- 
fluss  des  in  ihr  gelegenen  Protoplasmakörpers  stehen  wird,  nannte  ihn 
Virchow  (I.  33)  ein  Zellenterritorium.  Dasselbe  ist  aber  in  der 
Natur,  wie  gesagt,  von  den  Nachbarterritorien  nicht  abgegrenzt. 

Unter  den  Zellproducten,  die  ihrer  Lage  nach  bald  mehr  als  äussere, 
bald  mehr  als  innere  aufgefasst  werden  können,  sind  endlich  noch  die 
Muskel-  und  Nervenfibrillen  zu  nennen.  Selbst  aus  Protein- 
substanzen autgebaut,  stehen  sie  in  stofflicher  Hinsicht  dem  Protoplasma 
am  nächsten,  lassen   sich  aber  den  bisher  besprochenen  Bildungen  inso- 


III.    Stoffweclisel  und  formative  Thäti^keit.  141 

fern  anreihen,  als  sie  von  ihm  deutlich  gesondert  sind,  als  eigenartige 
Theile  sich  darstellen  lassen  und  nur  eine  ganz  sjiecifische  Function  im 
Zellenleben  auszuüben  vermögen.  Wegen  ihrer  feineren  Structur  ist  auf 
das  zweite  Buch,  die  Gewebe,  zu  verweisen. 


Literatur.     V. 

1)     Baumann..    TIeher  den  von    0.  Lötv   und   Th.  Bokorny    erbrachten    Nachweis   von 

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Bunge.     Zehrbuch   der  physiologischen  und  pathologischen  Chemie.     Leipzig  1889. 
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und  thierischer  Organismen.     Botan.  Zeitung.     1881. 
Haeckel.     Die  Eadiolarien.    1862, 
Derselbe.     Generelle  Morphologie. 

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denselben.     Virchotvs  Archiv.     1870.     Bd^49. 
Low   u.  Bokorny.     Die  chemische   Ursache  des  Lebens.     München  1881. 
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Derselbe.     Ueber   Krystcdloide    der    Trophoplasten    und    über    die    Chromoplasten    der 

Angiospermen.     Botan.  Zeitimg.    1883. 
Derselbe.     Das  Chlnrophyllkorn    in    chemischer,   morphologischer   und   biologischer  Be- 
ziehung.    Leipzig  1883. 
MetsehnikoflF.      Untersuchungen    Hier    die    intracelltilare   Verdauung    bei    wirbellosen 

Thieren.     Arbeiten  des  zoologischen  Instituts  in    Wien.     Bd.    V.     Heft  2. 
Derselbe.     Ueber   die   Beziehung   der   Phagocyten    zu  Milzbrandbacillen.     Archiv  für 

patholcg.  Anatomie  u.  Physiologie.     Bd.  96  u.  97.     1884. 
Derselbe.     Ueber  den  Kampf  der  Zellen  gegen  Prysipelkokken.    Ein  Beitrag  zur  Phago- 

cytenleJire.    Archiv  f.  patholog.  Anatomie  u.   Physiologie.     Bd.  107. 
Derselbe.     Ueber  den  Phagocytenkampf  bei  RückfalUypltus.   Virchow's  Archiv.   Bd.  109. 
Nägeli.     1)   Primordialschlauch.    2)  Diosmose  der  Pflanzenzelle.    Pflanzenphysiologische 

Untersuchungen.     1855. 
Derselbe.     Die  Stärkekörner.    Pflanzenphysiologische  Untersuchungen.    2.  Heft.    1858. 
Derselbe.     Theorie   der  Gährung.    1879. 
Derselbe.      Ueber   den    inneren    Bau    der   vegetabilischen   Zellenmernbran.     Sitzungsber. 

der  bairischen   Akademie.     Bd.  I  u.  II.    1864. 
Derselbe.     Das    TVachsfhum  der   Stärkekörner  durch   Intussusception.     Botan.   Zeitung. 

1881. 
Derselbe.     Ern-'ihrung  der  niederen  Pilze  durch  Kohlenstoff-   u.  Stiekstoffverbindungen. 

Untersuch,  über  niedere  Pilze  aus  dem  pjlanzenphysiolog.  Institut  in  München.    1882. 
22a)     W.  Pfeffer.      Ueber  intramolecularc  Athmung.     Untersuchungen  aus  dem  botan.  Institut 

zu  Tübingen.     Bd.  I. 
22b)     Derselbe.     Ueber  Aufnahme  von  Anilinfarben  in  lebende  Zellen.     Untersuchungen  aus 

dem  botan.  Institut  zti  Tübingen.     Bd.  II. 

23)  Derselbe.     Pflanzenphysiologie.     1881. 

24)  Derselbe.     1)    Ueber   Aufnahme   und  Ausgabe   ungelöster  Körper.     2)  Zur  Kenntniss 

der  Plasmahaut  und  der  Vacuolen  nebst  Bemerkungen  über  den  Aggregatzustand  des 
Protoplasmas  u.  über  osmotische  Vorgänge.  Abhandl.  der  Mathemat.  physik.  Classe  d. 
kgl.  Sachs.  Gesellsch.  d.   Wissenschaft.     Bd.  XVI.    1890. 

25)  Pflüger.      Ueber  die  physiolog.   Verbrennung   in   den   lebendigen  Organismen.     Archiv 

f.  Physiologie.     Bd.  X.     1875. 

26)  Derselbe.     Ueber   Wärme   und  Oxydation   der    lebendigen  Materie.     Pflüger' a  Archiv. 

Bd.  XVIIL    1878. 

27)  W.    Schimper.      Untersuchungen    über    das    Wachsthum    der    Stärkekörner.      Botan. 

Zeitung.  1881. 

28)  Derselbe.     Ueber   die   Entwickelung    der    Chlorophyllkörner   und  Farbkörper.     Botan. 

Zeitung.    1883. 


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19; 

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21 


142  Fünftes  Capitel.     Stoffwechsel  und  formative  Thätigkeit. 

29)  Fr.  Schmitz.  Die  ChromatopJwren  der  Algen.  Vergleichende  Untersuch,  über  Bau 
und  J-Aitwickeluvg  der  Chlorophyllkörper  und  der  analogen  Farbstoffkörper  der  Algen. 
Bonn   78S:>. 

oO)     Sehützenberger.     Die  Gährungserscheinungen.     187G. 

31)  Strasburger.      Ueber  den  Bau  und  das   Wachsthuni  der  Zellhäute.     Jena  1882. 

32)  Derselbe.      Uebcr    das    Wachsthum    vegetabilischer    Zellhäute.     Histologische    Beiträge. 

Heft  2.     1889. 

33)  Derselbe.     Das  botanische  Practiciim. 

34)  A.   Weiss.      Ueber    spontane   Bewegungen  und  Formänderungen   von    Farbstoffkörpern. 

Sitzungsber.  d.  kgl.   ylkadetnie  d.    Wissensch.  zu  Wien.     Bd.  XC.     1884. 

35)  Hugo    de   Vries.      Flasmolgtische    Studien   über  die   Wand  der   Vacuolen.     Pringsh. 

Jahrb.  f.  toissensch.  Botanik.     Bd.  1(1.     1885. 

36)  Der  selb  e.      Untersuch,  über  die  tnechanischen    Ursachen  der  Zellstreckung.    1877. 

37)  Went.     Die  J'ermehrung  der  normalen  Vaeuolen  durch  Theilung.     Jahrb.  f.  wissensch. 

Botanik.     Bd.  19.    1888. 

38)  Jul.  Wortmann.     Ueber  die  Beziehungen  der  intramolecularen  u.  normalen  Athmung 

d(r  Pßanzen.     Arbeiten  des  botanischen  Distituts  zu    Würzburg.     Bd.  FI.    1879. 

39)  Wiesner.     Die  Element arstmctur  u.  das   Wachsthtcm  der  lebenden  Substanz.     1892. 

40)  Richard  Hertw^ig.     Die  Radiolarien. 

41)  Ehrlich.      Ueber   die   Metliyknblaureaction   der   lebenden    Nervensubstanz.     Biologisches 

Centralblatt.     Yid.  VL     1887. 

42)  E.  Heidenhain.     Physiologie  der  Absonderungsvorgänge.    Handbuch  der  Physiologie. 

Bd.  r. 

43)  Max  Sehultze.     Fin    reizbarer   Objecttisch  u.  seine   Verivendung    bei  Untersuchungen 

des  Blutes.     Archiv  f.  mikrosk.   Anatomie.      Bd.  I. 

44)  Oscar  Sehultze.     Die   vitale   Methylenblaureaetion   der  Zellgranula.     Anat.  Anzeiger 

1887.    pag.  684. 

45)  Camillo    Schneider.     Histologie   von  Hydra  fusca  mit   besonderer  Berücksichtigung 

des  Nervensystems  der  Hydropolypen.     Archiv  f.  mikrosk.  Anatomie.      Bd.  XXXV. 

46)  Hugo   de   Vries.     Intracellulare  Pangenesis.     Jena  1889. 


SECHSTES  CAPITEL. 
Die  Lebenseigenscliaften  der  Zelle. 

lY.  Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


Eine  der  wiclitigsten  Eigenschaften  der  Zelle,  insofern  auf  ihr  die 
Erhaltung  des  Lebens  überhaupt  beruht,  ist  ihre  Fähigkeit,  neue  Gebilde 
ihres  Gleichen' zu  erzeugen  und  so  zur  Vervielfältigung  des  Lebens  den 
Grund  zu  legen.  Wie  durch  zahllose  Beobachtungen  immer  sicherer 
gezeigt  worden  ist,  entstehen  neue  Elementarorganismen  nur  in  der 
Weise,  dass  Mutterzellen  auf  dem  Wege  der  Selbsttheilung  in  zwei  oder 
mehr  Tochterzellen  zerlegt  werden.  (Omnis  cellula  e  cellula.)  Dieser 
für  die  Erkeuntniss  des  Lebens  gnindlegende  Satz  ist  nach  mühsamer 
Arbeit  auf  mannigfachen  Umwegen  und  nach  vielfachen  Irrungen  erreicht 
worden. 

I.    Grescliichte  der  Zelleiieiitstehung. 

Schon  Schieiden  und  Schwann  (L  28,  31)  legten  sich  bei  Ausarbeitung 
ihrer  Theorieen  die  sich  naturgeraäss  aufdrängende  Frage  vor:  In  welcher 
Weise  entstehen  die  Zellen?  Ihre  Antwort,  die  sie  auf  Grund  sehr 
lückenhafter  und  ungenauer  Beobachtunüen  oai^en,  war  eine  verfehlte; 
sie  Hessen  die  Zellen,  die  sie  mit  Vorliebe  Krystallen  verglichen,  sich 
wie  Krystalle  in  einer  Mutterlauge  bilden.  Die  Flüssigkeit  im  Innern 
einer  Pflanzenzelle  bezeichnete  Schieiden  als  Cytoblastem,  als  Keim- 
stoff,  als  eine  Art  Mutterlauge.  In  dieser  sollten  junge  Zellen  dadurch 
entstehen,  dass  sich  zuerst  ein  festes  Körnchen  bildet,  der  Nucleolus  des 
Kerns,  dass  darauf  um  dasselbe  sich  eine  Substanzschicht  niederschlägt  und 
indem  Flüssigkeit  zwischen  beide  dringt,  zur  Kernmembran  wird.  Der 
Kern  ist  wieder  der  Organisationsmittelpunkt  für  die  Zelle,  daher  er 
auch  Cy  tob  last  genannt  wird.  Es  wiederholt  sich  derselbe  Process, 
wie  bei  der  Bildung  des  Kerns  um  den  Nucleolus.  Der  Cytoblast  um- 
giebt  sich  mit  einer  durch  Niederschlag  aus  dem  Zellsaft  entstandenen 
Membran,  welche  ihm  anfangs  dicht  aufliegt,  dann  aber  sich  von  ihm 
entfernt,  indem  wieder  Flüssigkeit  zwischen  beide  eindringt. 

Schwann  (I.  31)  adoptirte  die  Schleiden'sche  Theorie,  verfiel  aber 
dabei  in  einen  zweiten,  noch  grösseren  Irrthum.  Er  Hess  nämlich  die 
jungen  Zellen  sich  nicht  allein  im  Innern  von  Mutterzellen  entwickeln, 


144  Sechstes  Capitel. 

wie  es  Schleiden  that,  sondern  auch  ausserhalb  derselben  in  einem 
organischen  Stoff,  welcher  bei  den  Thieren  als  Intercellularsubstanz 
zwischen  vielen  Zellen  vorgefunden  wird  und  welchen  er  ebenfalls  als 
Cytoblasteni  bezeichnete.  Schwann  lehrte  also  freie  Zellbildung  sowohl 
innerhalb  als  ausserhalb  von  Mutterzellen,  eine  wahre  Urzeugung  von 
Zellen  aus  formlosem  Keimstoff. 

Das  waren  schwere,  fundamentale  Irrthümer,  von  denen  sich  am 
raschesten  die  Botaniker  losgesagt  haben.  Durch  Mohl  (VI.  47),  Unger 
und  besonders  durch  die  vorzüglichen  Untersuchungen  Nägeli's  (VI.  48) 
konnte  schon  im  Jahre  184G  ein  allgemeines  Gesetz  formulirt  werden. 
Nach  diesem  Gesetz  bilden  sich  neue  Pflanzenzellen  stets  nur  aus  bereits 
vorhandenen,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  Mutterzellen  durch 
einen  Theilungsakt,  wie  ihn  Mohl  zuerst  beobachtet  hat, 
in  zwei  oder  mehrere  T  och  terzeilen  zerfallen. 

Viel  hartnäckiger  hat  sich  die  Lehre  von  der  Urzeugung  von  Zellen 
aus  einem  Cytoblasteni  in  der  thierischen  Gewebelehre,  namentlich  auf 
dem  Gebiete  der  pathologischen  Anatomie,  erhalten,  wo  die  Ge- 
schwulst- und  Eiterbildung  auf  sie  zurückgeführt  wurde.  Erst  nach 
manchen  Irrwegen  und  durch  die  Bemühungen  von  vielen  Forschern,  ins- 
besondere von  Kölliker  (VI.  44.  45),  Reichert  (VI.  58.  59)  und  Remak 
(VI.  60.  61),  wurde  auch  hier  mehr  Klarheit  in  die  Frage  der  Zellen- 
genese gebracht  und  zuletzt  noch  der  Cytoblastemlehre  das  Schlagwort 
„Omnis  cellula  e  cellula"  durch  Virchow  (I.  33)  entgegengestellt. 
Wie  bei  den  Pflanzen  existirt  auch  bei  den  Thieren  kerne  Urzeugung 
von  Zellen.  Die  vielen  Milliarden  von  Zellen,  aus  denen  z.  B.  der 
erwachsene  Körper  eines  Wirbelthieres  l)esteht,  sind  insgesammt  hervor- 
gegangen aus  der  unendlich  oft  wiederholten  Theilung  einer  Zelle,  des 
Eies,  mit  welchem  das  Leben  eines  jeden  Thieres  l)eginnt. 

Ueber  die  Bolle ,  welche  der  Kern  bei  der  Zelltheilung  spielt, 
gelang  es  den  älteren  Histologen  nicht,  zur  Klarheit  zu  gelangen. 
Mehrere  Jahrzehnte  lang  standen  sich  zwei  Ansichten  gegenüber,  von 
denen  bald  die  eine,  bald  die  andere  zeitweilig  zu  einer  grösseren  All- 
gemeingeltung  gelangt  ist.  Nach  der  einen  Ansicht  (die  meisten  Bota- 
niker, Reichert  (VI.  58),  Auerbach  (VI.  2a  etc.)  soll  der  Kern  vor 
j  e  d  e  r  T  h  e i  1  u  ng  verschwinden  und  s  i  c h  a  u f  1  ö  s e  n ,  um  in  jeder 
Tochterzelle  wieder  von  Neuem  gebildet  zu  werden;  nach  der  andern 
Ansicht  dagegen  (C.  E.  v.  Baer,  Joh.  Müller,  Remak  VI.  60,  Leydig, 
Gegenbaur,  Haeckel  V.  4b,  van  Beneden  etc.)  soll  der  Kern  in  den 
Theilungsprocess  activ  eingreifen,  noch  vor  Beginn  desselben  soll  er 
sich  strecken  und  der  spätem  Theilungseben  e  ent- 
sprechend einschnüren  und  in  zwei  Hälften  zerfallen, 
welche  nach  entgegengesetzter  Richtung  etwas  auseinanderweichen. 
Dann  soll  sich  auch  der  Zellkörjjer  selbst  einschnüren  und  in  zwei 
Stücke  trennen,  für  welche  die  beiden  Tochterkerne  Attractionscentren 
darstellen. 

Jede  dieser  diametral  entgegengesetzten  Ansichten  enthielt  ein 
kleines  Stück  Wahrheit,  keine  entsprach  dem  wirklichen  Vorgang,  der 
den  älteren  Histologen  zum  Theil  wegen "  der  von  ihnen  angewandten 
Untersuchungsmethoden  verborgen  blieb.  Erst  'in  den  letzten  zwei 
Jahrzehnten  ist  die  Erkenntniss  des  Zellenlebens  durch  die  Erforschung 
der  hochinteressanten  Kernstructuren  und  Kernmetamorphosen  bei  der 
Zelltheilung  durch  Schneider  VI.  66,  Fol  VI.  18.  19,  Auerbach  VI.  2  a, 
Biitschli  VI.  81,   Strasburger  VI.  71—73,  0.  u.  R.  Hertwig  VI.  30—38, 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung.  145 

Flemming  VI.  13—17,  van  Beneden  VI.  4  a,  4  b,  Rabl  VI.  53,  Boveri 
VI.  6,  7  in  eingreifender  Weise  gefördert  worden.  Ihre  Untersuchungen, 
auf  die  ich  in  diesem  Absclinitt  noch  öfters  zurückkommen  werde,  haben 
zu  dem  allgemeinen  Resultat  geführt,  dass  der  Kern  ein  permanentes 
Organ  der  Zelle  ist,  welchem  eine  sehr  wichtige  und  namentlich  bei  der 
Theilung  sich  äussernde  Aufgabe  im  Zellenleben  zugefallen  ist.  Wie 
eine  Zelle  ni  cht  durch  Urzeugung  entsteht,  sondern  direct 
auf  dem  Wege  der  Theilung  von  einer  andern  Zelle  her- 
vorgeht, sobildetsichauch  der  Kern  niemals  neu,  sondern 
stammt  immer  von  Substanz  theilen  eines  andern  Kernes 
ab.  Das  Schlagwort  „Omnis  cellula  e  cellula"  findet  eine  Ergänzung 
durch  den  Zusatz  „Omnis  nucleus  e  nucleo".  (Flemming  VI.  12.) 
Nach  dieser  historischen  Einleitung  wollen  wir  zuerst  die  Ver- 
änderungen, von  denen  der  Kern  bei  der  Theilung  betroffen  wird,  als- 
dann die  verschiedenen  Arten  der  Zellvermehrung  näher  in  das  Auge 
fassen. 

II.   Der  Process  der  Keriitlieilung  und  die  yerschiedenen  Arten 

desselben. 

Bei  jeder  Vermehrung  der  Zellen  spielen  ihre  Kerne  eine  Haupt- 
rolle und  fesseln  in  erster  Linie  das  Interesse  des  Beobachters.  Je  nach 
den  Veränderungen,  die  sie  hierbei  erleiden,  unterscheidet  man  drei 
Arten  der  Kernvermehrung,  die  indirecte  oder  Kernsegmentirung ,  die 
directe  (Flemming)  oder  Kernzerschnürung  und  die  endogene  Kern- 
bildung. 

1)  Die  Kernsegmentirung. 
]\Iitose  (Flemming).     Karyokinese  (Schleicher). 

Dieselbe  verläuft  unter  sehr  complicirten  und  gesetzmässigen  Er- 
scheinungen, welche  bei  Thieren  und  Pflanzen  und  sogar  bei  vielen 
Protozoen  in  ganz  auffallender  Weise  unter  einander  übereinstimmen. 

Das  Wesentliche  des  Processes  besteht  darin,  dass  die  im  ruhenden 
Kern  vorhandenen,  verschiedenen  chemischen  Substanzen  (siehe  Seite  34) 
sich  schärfer  voneinander  trennen,  typische  Umlagerungen  eingehen  und 
unter  Auflösung  der  Kernmembran  mit  dem  Protoplasmakörper  in  eine 
nähere  Wechselbeziehung  treten.  Besonders  fällt  hierbei  die  gesetz- 
mässige  Anordnung  des  Jsucleins  in  die  Augen;  auch  ist  dieselbe  in 
ihren  Einzelheiten  bisher  am  genauesten  und  sichersten  verfolgt  worden, 
während  betrejffs  des  Schicksals  der  übrigen  Kernsubstanzen  noch 
Manches  in  Dunkel  gehüllt  ist. 

Die  ganze  Nucleinmenge  des  Kerns  wandelt  sich  bei  der  Theilung 
in  eine  für  jede  Thierart  constante  Anzahl  von  feinen  Fadenabschnitten 
um,  welche  untereinander  nahezu  gleich  lang,  meist  gekrümmt  und 
nach  den  einzelnen  Thier-  und  Pflanzenarten  von  abweichender  Form 
und  Grösse  sind ;  bald  sehen  sie  wie  Schleifen,  wie  Haken,  wie  Stäbchen 
oder,  wenn  sie  sehr  klein  sind,  wie  Körner  aus.  Waldeyer  (VI.  76)  hat 
für  die  Fadenabschnitte  aus  Nuclein  die  allgemein  zutreff"ende  Bezeichnung 
Chromosomen  vorgeschlagen.  Ich  werde  gewöhnlich  für  dieselben 
das  bequemere  und  ebenso  für  alle  einzelnen  Fälle  passende  Wort 
„Kernsegmente"  gebrauchen.  Das  Wort  drückt  zugleich  das 
Wesentliche  der  indirecten  Theilung  aus,  welches  doch 
hauptsächlich  darin  besteht,  dass  das  Nuclein  in  Segmente 

H  e  r  t  w  i  g ,  Die  Zelle  und  die  Gewebe.  10 


146  Sechstes  Capitel. 

zerlegt  wird.  Desswegen  scheint  mir  auch  das  Wort  „Keru- 
segmentirung"  dem  längeren  und  weniger  bezeichnenden  Ausdruck 
„indirecte  Kerntheilung"  oder  den  für  Nichtfachmänner  unverständlichen 
Fremdwörtern  „Mitose  und  Karyokinese"  vorzuziehen  zu  sein. 

Im  Verlaufe  der  Theilung  zerfallen  die  Kernsegmente  durch  eine 
Längsspaltung  in  je  zwei,  eine  Zeit  lang  [jarallel  verlaufende  und 
noch  eng  verbundene  T  o  c  h  t  e  r  s  e  g  m  e  n  t  e.  Dieselben  weichen  dann 
in  zwei  Gruppen  auseinander  und  werden  in  gleicher  Zahl  auf  die 
Tochterzellen  vertheilt,  wo  sie  die  Grundlage  für  die  bläschenförmigen 
Kerne  derselben  bilden. 

Für  den  Process  der  Kernsegmentirung  ist  ferner  charakteristisch 
1)  das  Auftreten  zweier  Pole,  welche  allen  Zellbestandtheilen  als 
Mittelpunkte  für  ihre  Anordnung  dienen;  2)  die  Ausbildung  der 
sogenannten  Kernspindel;  3)  die  strahlige  Anordnung  des 
Pr  0  to  p  1  a  s m a  s  um  die  beiden  Pole. 

Was  die  beiden  Theilung spole  anbetrifft,  so  erscheinen  dieselben 
schon  früh  am  bläschenförmigen  Kern  zu  einer  Zeit,  wo  seine  Membran 
noch  nicht  aufgelöst  ist  und  zwar  in  dem  an  die  letztere  unmittelbar 
angrenzenden  Protoplasma.  Sie  liegen  zu  dieser  Zeit  dicht  bei  einander 
und  bestehen  aus  zwei  ausserordentlich  kleinen  Kügelchen  einer  schwer 
färbbaren  Substanz,  die  vielleicht  von  Substanztheilen  des  Nucleolus  ab- 
stammt. Die  Kügelchen  sind  die  schon  früher  beschriebenen  Pol-  oder 
Centralkörperchen  (corpuscules  polaires,  Ceutrosomen).  Später 
rücken  sie  allmählich,  indem  sie  um  die  Kernobei-fläche  einen  Halbkreis 
beschreiben,  weiter  auseinander,  bis  sie  die  entgegengesetzten  Enden 
des  Kerndurchmessers  einnehmen. 

Zwischen  den  Polkörperchen  bildet  sich  die  Kernspindel  aus. 
Sie  besteht  aus  zahlreichen,  sehr  feinen,  parallel  angeordneten  Spindel- 
fäserchen,  die  wahrscheinlich  vom  Liningerüst  des  ruhenden  Kerns  ab- 
stammen. In  ihrer  Mitte  liegen  sie  etwas  weiter  auseinander,  während 
sie  mit  ihren  Enden  nach  den  Polen  zu  convergiren,  wodurch  das 
Bündel  der  Fäserchen  mehr  oder  minder  die  Form  einer  Spindel  erhält. 
Die  Spindel  wird  erst  klein  angelegt,  wenn  die  Polkörperchen  ausein- 
ander zu  weichen  beginnen,  und  ist  dann  schwer  als  ein  dieselbe  ver- 
bindender Substanzstreifen  sichtbar  zu  machen.  Mit  zunehmender  Ent- 
fernung der  Pole  wächst  sie  gleichfalls  an  Grösse  heran  und  hebt  sich 
dabei  schärfer  von  ihrer  Umgebung  ab. 

Um  die  Pole  der  Kernfigiir  beginnt  sich  auch  der  Protoplasmakörper 
der  Zelle  in  einer  Weise  anzuordnen,  als  ob  von  ersteren  gleichsam  eine 
polare  Wirkung  ausgeübt  würde.  Es  entsteht  eine  Figur  wie  um  die 
Enden  eines  Magneten,  die  in  Eisenfeilspähne  eingetaucht  sind.  Das 
Protoplasma  bildet  zahlreiche,  feine  Fäden,  welche  sich  in  radiärer 
Richtung  um  die  Polkörperchen  als  Mittelpunkte  oder  Attractionscentren 
herum  gTuppiren.  Erst  sind  sie  kurz  und  auf  die  allernächste  Umgebung 
-der  Attractionscentren  beschränkt.  Während  des  Verlaufs  des  Theilungs- 
processes  aber  werden  sie  immer  länger,  bis  sie  sich  endlich  durch  den 
ganzen  Zellkörper  erstrecken.  Die  Protoplasmafigur  um  die  Pole  wird 
in  der  Literatur  als  Plasmastrahlung,  Strahlenfigur,  Stern,  Sonne, 
wobei  die  Fäden  den  von  einem  Himmelskörper  ausgehenden  Lichtstrahlen 
verglichen  werden,  Attractionssphäre  etc.  beschrieben. 

Das  sind  kurz  die  verschiedenartigen  Elemente,  aus  denen  sich  die  Kern- 
theilungsfiguren  zusammensetzen.  Polkörperchen,  Spindel  und  die  beiden 
Plasmastrahlungen  werden  von  Flemming  als  der  ac h  r  o m  a  t i  s  cli  e  T  h  e i  1 


lY.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung.  147 

der  Keriitheilungsfigur  zusainmengefasst  und  den  verschiedenen 
Bildern,  die  durch  Umordnung  des  Nucleins  entstehen  und  den  chroma- 
tischen Theil  der  Figur  bilden,  gegenüber  gestellt. 

Alle  einzelnen  Bestandtheile  der  gesammten  Theilungsfigur  ändern 
sich  durch  Uiugruppirung  ihrer  Elemente  im  Verlauf  des  ganzen  Processes 
in  gesetzmässiger  Weise.  Um  sich  besser  zu  orientiren,  empfiehlt  es 
sich,  vier  verschiedene  Phasen  zu  unterscheiden,  die  sich  überall 
in  regelmässiger  Folge  ablösen. 

Die  erste  Phase  besteht  in  der  Vorbereitung  des  ruhenden  Kerns 
zur  Theilung  und  führt  zur  Bildung  der  Kernsegmente,  der  Kerapole  und 
der  ersten  Anlage  der  Spindel.  In  der  zweiten  Phase  gruppiren  sich 
die  Kernsegmente  nach  Auflösung  der  Kernmembran  zu  einer  regel- 
mässigen Figur  in  der  Mitte  zwischen  beiden  Polen  im  Aequator  der 
Spindel.  In  der  dritten  Phase  vertheilen  sich  die  Tochtersegmente, 
welche  aus  Längsspaltung  der  Muttersegmente  schon  in  einer  der  vor- 
ausgegangenen Phasen  entstanden  sind,  auf  zwei  Gruppen,  die  sich  vom 
Aequator  in  entgegengesetzten  Richtungen  entfernen  und  bis  in  die 
Nähe  der  Kernpole  auseinander  weichen.  Die  vierte  Phase  führt  zur 
Reconstruction  bläschenförmiger,  ruhender  Tochterkerne  aus  den  zwei 
Gruppen  der  Tochtersegmente  und  zur  Theilung  des  Zellkörpers  in  zwei 
Tochterzellen. 

Nach  dieser  allgemeinen  Orientirung  soll  der  Verlauf  der  Zelltheilung 
an  einzelnen  Beispielen  in  seinen  Einzelheiten  genauer  beschrieben  wer- 
den, dann  soll  zum  Schluss  in  einem  besonderen  Abschnitt  noch  auf 
einzelne  strittige  Punkte  näher  eingegangen  werden. 

Im  Thierreich  sind  die  zum  Studium  geeignetesten  und  am  häufigsten 
untersuchten  Objecte  die  Gewebszellen  junger  Larven  von  Salamandra 
maculata  und  von  Triton,  die  Samenzellen  geschlechtsreifer  Thiere,  ferner 
die  Furchungskugeln  kleiner,  durchsichtiger  Eier,  namentlich  von  Nema- 
toden (Ascaris  megalocephala)  und  von  Echinodermen  (Toxopneustes  lividus). 
Im  Pflanzenreich  empfiehlt  sich  zur  Untersuchung  der  protoplasmatische 
Wandbeleg  aus  dem  Embryosack,  namentlich  von  Fritillaria  imperialis, 
die  Entwicklung  der  Pollenzellen  von  Liliaceen  etc. 

a)    Zelltheilung    bei    Salamandra    maculata    unter  Zu- 
grundelegung  der  Theilung  der   Samenmutterzellen. 

(Flemming  VI.  13.) 

Erste  Phase.    Vorbereitung  des  Kerns  zur  Theilung.  , 

Bei  Salamandra  maculata  gehen  Veränderungen  am  ruhenden  Kern 
schon  geraume  Zeit  vor  Beginn  der  Theilung  vor  sich.  Die  überall  auf 
dem  Liningerüst  vertheilten  Nuclemkörnchen  (Fig.  75  A)  rücken  an 
einzelnen  Stellen  dichter  aneinander  und  ordnen  sich  zu  gewundenen 
feinen  Fäden  an,  die  mit  kleinen  Zäckchen  und  Höckern  liedeckt  sind. 
Von  diesen  entspringen  unter  rechtem  Winkel  zahlreiche  feinste  Fäserchen, 
die  nun  sichtbar  werdenden  Strecken  des  Liningerüstes,  von  deren  Ober- 
fläche sich  das  Nuclein  zurückgezogen  hat.  Später  werden  die  Nucleinfäden 
noch  deutlicher  ausgeprägt  und  nehmen,  indem  die  Zäckchen  und  Höcker 
schwinden,  eine  vollkommen  glatte  Obei-fläche  (Fig.  75  B)  an.  Da  sie 
nach  allen  Richtungen  den  Kernraum  in  Windungen  durchsetzen,  erzeugen 
sie  eine  Figur,  welche  Flemming  die  Knäuelform  (Spirem)  bezeichnet  hat. 
Viel  dichter  als  in  den  Samenzellen  ist  der  Knäuel  in  den  Epithelzellen 

10* 


148 


Sechstes  Capitel. 


von  Salaniaiidra,    in    denen    der  Faden   zugleich    auch   viel  feiner  und 
länger  ist  (Fig.  76). 

Darüber,  ob  Anfangs  der  Knäuel  aus  einem  einziuen,  langen  Faden 
oder  gleich  aus  einer  grösseren  Anzahl  von  solchen  besteht,  lauten  die 
Angaben  verschieden.  Letzteres  scheint  mir  mit  Rabl  (VI.  53)  das 
Wahrscheinlichere  zu  sein. 


A 


Fig.  75. 


S;^;&fti#^ 


Fig.  76. 


Fig.  75.  A  Ruhender  Kern  einer  Samenmutterzelle  von  Salamandra  maculata. 
Nach  Flemming  Taf.  23,  Fig.  1.     Aus  Hatschek. 

£  Kern  einer  Samenmutterzelle  von  Salamandra  maculata.  Knäuelstadium.  Der 
Kernfaden  zeigt  schon  eine  Längsspaltung.  Schema  nach  Flemming  Taf.  26,  Fig.  1. 
Aus  Hatschek. 

Fig.  76.  Epithelkern  im  Anfang  der  Theilung  von  der  Mundboden- 
platte des  Kiemengerüstes  einer  Salamanderlarve.  Enge  Knäuelform. 
Zwei  Nucleolenreste  noch  erhalten.     Nach  Flemming. 


In  der  Färbbarkeit  tritt  gegen  früher  ein  auffallender  Unterschied 
ein.  Je  deutlicher  und  schärfer  die  Fäden  ausgeprägt  werden,  um  so 
stärker  färben  sie  sich  und  um  so  energischer  halten  sie  auch  den  Farb- 
stoff fest,  wie  dies  beim  Gerüst  des  ruhenden  Kernes  nicht  der  Fall  ist. 
Besonders  bei  Anwendung  der  Graham'schen  Färbungsmethode  lässt  es 
sich  erreichen,  dass  die  ruhenden  Kerne  allen  Farbstoff  abgeben,  während 
die  in  Vorbereitung  zur  Theilung  begriffenen  und  die  sich  theilenden 
Kerne  allein  durch  ihre  starke  Färbung  die  Aufmerksamkeit  des  Be- 
obachters auf  sich  ziehen. 

In  den  Anfangsstadien  der  Knäuelbildung  sind  die  Nucleolen  noch 
vorhanden,  verkleinern  sich  aber  allmählich  und  sind  bald  spurlos  ver- 
schwunden, ohne  dass  es  bis  jetzt  gelungen  ist,  ganz  sicher  zu  erforschen, 
was  aus  ihrer  Substanz  geworden  ist. 

Während  der  Ausbildung  des  Knäuels  kann  man  bei  sorgsamer 
Beobachtung  an  der  Oberfläche  des  Kerns  eine  kleine  Stelle  erkennen, 
welche  während  des  weiteren  Processes  sich  immer  deutlicher  markirt 
und  von  Rabl  als  Polfeld  bezeichnet  wird  (Fig.  77).  Die  ihr  vis-ä-vis 
gelegene  Oberfläche  des  Kerns  ist  die  Gegenpolseite.  Nach  ihnen 
beginnen  sich  die  Nucleinfäden  immer  deutlicher  zu  orientiren.  Von 
der  Gegenpolseite  kommend,  ziehen  sie  bis  in  die  Nähe  des  Polfeldes, 
„biegen    hier    schleifenförmig    um  und   kehren    dann   wieder   in  vielen 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


149 


kleinen,  unregelmässigen,  zackigen  Windungen  in  die  Nähe  ihres  Aus- 
gangspunktes zurück".  Im  weiteren  Verlauf  werden  die  Fäden  kürzer 
und  entsprechend  dicker,  sie  sind  weniger  gewunden,  und  rücken  etwas 
weiter  auseinander,  so  dass  jetzt  der  ganze  Fadenknäuel  viel  lockerer 
geworden  ist.  Ihre  Schleifenform  tritt  immer  deutlicher  hervor.  Die 
Gesammtzahl  der  Schleifen  oder  Kernsegmente  lässt  sich  in  günstigen 
Fällen  auf  24  bestimmen,  eine  Zahl,  welche  für  die  Gewebszellen  und 
die  Ursamenzeilen  von  Salamandra  und  Triton  gesetzmässig  ist. 

Gleichzeitig  haben  sich  im  Polfeld  wichtige  Gebilde  der  Kernfigur, 
die  beiden  Polkörperchen  und  die  Spindel ,  angelegt.  Dieselben  sind 
auf  diesem  Stadium  wegen  ihrer  geringen  Färbbarkeit,  ihrer  Kleinheit 
und  Zartheit  schwer  sichtbar  zu  machen,  da  sie  schon  durch  Körnchen, 
die  sich  im  Protoplasma  in  ihrer  Umgebung  ansammeln,  mehr  oder 
minder  verdeckt  werden  können.  Nach  Flemming  und  Hermann  lassen 
sich  an  gelungenen  Präparaten  zwei  dicht  bei  einander  gelegene  Pol- 
körperchen beobachten,  welche  wahrscheinlich  durch  Theilung  eines 
ursprünglich  einfachen  Kügelchens  ihren  Ursprung  genommen  haben. 
Zwischen  ihnen  tritt  in  Form  verbindender  Fäden  die  erste  Anlage  der 
späteren  Spindel   auf. 

Zweite  Phase-^er  Theilung. 

Der  Beginn  der  zweiten  Phase  lässt  sich  am  besten  wohl  von  der  Zeit 
an  rechnen,  wo  die  Kernmembran  undeutlich  wird  und  sich  auflöst.  In- 
dem der  Kernsaft  sich  gleichmässig  im  Zellkörper  vertheilt,  kommen  die 
Kernsegmente  jetzt  mitten  in  das  Protoplasma  zu   liegen    (Fig.  78).    In 


Fig.  77. 


Fig.  78. 


Fig.  77.  Sehematisehe  Darstellung  eines  Kerns  mit  dem  Polfeld,  in 
welchem  zwei  Polkörperehen  und  die  Spindel  entstehen.  Nach  Flemming 
Taf.  39,  Fig.  37. 

Fig.  78.  Kern  einer  Samenmutterzelle  von  Salamandra  maculata  in 
Vorbereitung  zur  Theilung.  Anlage  der  Spindel  zwischen  den  beiden 
Polkörperchen.     Nach  Hermann  (VI.  29)  Taf.  31,  Fig.  7. 


ihrer  Nähe  befinden  sich  die  beiden  Polkörperchen,  die  jetzt  weiter  aus- 
einander rücken.  In  demselben  Maasse  nimmt  zwischen  ihnen  die 
Spindel  an  läge  an  Ausdehnung  und  Deutlichkeit  zu  und  zeigt  sich 
aus  zahlreichen,  feinsten  Fäserchen  zusammengesetzt,  die  sich  continuirlich 
von  einem  Polkörperchen  zum  andern  erstrecken,  wie  die  von  Hermann 
dargestellten  Präparate   so    schön   zeigen.     Jetzt   beginnt  auch   von  den 


150 


Sechstes  Capitel. 


Polen  der  Kernfigur  sich  ein  Einfluss  auf  das  umgel)ende  Protoplasma 
geltend  zu  machen.  Zahlreiche  Protoplasmafädchen  gruppiren  sich  in 
radiärer  Richtung  um  je  ein  Polkörperchen  als  Mittelpunkt  herum  und 
zwar  so,  dass  sie  vorzugsweise  nach  der  Gegend,  wo  die  Kernsegmente 
liegen,  ausstrahlen  und  sich  an  ihrer  Oberfläche  anzusetzen  scheinen. 
Rasch  vergrössert  sich  von  hier  an  die  Spindel,  bis  sie  die  ansehnlichen 
Dimensionen  der  Figur  79  erreicht  hat. 

Währenddem  verändert  sich  auch  die  chromatische  Figur  von  Grund 
aus  (Fig.  79).     Die  Kernsegmente  sind   noch  um  ein  Erhebliches  kürzer 

und  dicker  geworden,  sie  legen  sich  um  die 
Mitte  der  Spindel  als  ein  vollständig  ge- 
schlossener Ring  herum  und  gehen  jetzt  die 
von  Flemming  als  Mutterstern  beschriebene, 
regelmässige  Anordnung  ein.  An  den  Seg- 
menten ist  die  Schleifenform  auf  das  Deut- 
lichste ausgeprägt.  Ohne  Ausnahme  haben 
sie  sich  so  orientirt,  dass  die  Winkel  der 
Schleifen  gegen  die  Spindelaxe,  ihre  beiden 
Schenkel  dagegen  nach  der  Oberfläche  der 
Zelle  gekehrt  sind.  Alle  24  Schleifen  liegen 
ziemlich  genau  in  einer  Ebene,  welche  senk- 
recht durch  die  Mitte  der  Si)indel  hindurch- 
geht, als  Aequatorialebene  bezeichnet  werden 
kann  und  mit  der  später  auftretenden  Thei- 
lungsebene  identisch  ist.  Von  einem  der  bei- 
den Pole  aus  betrachtet,  hat  die  chromatische 
Figur  „die  Form  eines  Sterns,  dessen  Strahlen 
von  den  Schenkeln  der  Schleifen  gebildet 
werden  und  dessen  Mitte  das  Bündel  achromatischer  Fäden,  das  die 
Kernspindel  aufbaut,  durchsetzt".  Bei  dieser  Ansicht  lassen  sich  die 
Kernsegmente  am  besten  überblicken  und  ihre  Zahl  sich  auf  24  bestimmen. 
In  die  zweite  Phase  fällt  noch  ein  sehr  wichtiger  Vorgang.  Wenn 
man  an  gut  conservirten  Präparaten  und  bei  starker  Vergrösserung  die 
Kernsegmente  (Fig.  79)  genauer  untersucht,  so  wird  man  wahrnehmen, 
dass  ihrer  Länge  nach  ein  feiner  Spalt  durch  sie  hindurchgeht  und  dass 
in  Folge  dessen  jetzt  jeder  Mutterfaden  in  zwei  genau  parallel  ver- 
laufende und  dicht  zusammenliegende  Tochterfäden  zerlegt  ist.  Da  früher 
bei  der  Anlage  der  Fäden  aus  dem  Kerngerüst  von  dieser  Structur  nichts 
zu  sehen  war,  muss  sie  sich  erst  nachträglich  ausgebildet  haben.  Meist 
tritt  die  Längsspaltung  schon  in  der  Phase  des  lockern  Knäuels  ein 
(Fig.  75  B.),  stets  ist  sie  in  der  zweiten  Phase  (des  Muttersterns)  voll- 
endet und  am  schärfsten  ausgeprägt.  Der  ganze  Vorgang,  welcher  zuerst 
von  Flemming  (VL  12,  13)  bei  Salaraandra  entdeckt,  an  diesem  und 
andern  Objecten  von  v.  Beneden  (VI.  4a),  Heuser  (VI.  39),  Guignard 
(VI.  23),  Rabl  (VI.  53)  und  vielen  anderen  bestätigt  worden  ist,  scheint 
bei  der  indirecten  Kerntheilung  überall  vorzukommen  und  ist  für  das 
Verständniss  des  Theilungsprocesses  von  der  grössten  Wichtigkeit,  wie 
bei  der  theoretischen  Beurtheilung  desselben  später  gezeigt  werden  wird. 


Fig.  79.  Schematische 
Darstellung  der  Kern- 
segmentirung  nach  Flem- 
ming. Stadium,  auf  welchem 
die  Kernsegmente  im  Aequator 
der  Spindel  angeordnet  sind. 
Aus  Hatschek. 


Dritte  Phase  der  Theilung. 

Die  dritte  Phase  der  Theilung  ist  dadurch  ausgezeichnet,  dass  sich 
die  äquatorial    gelegene,  einfache   Gruppe   der  Muttersegmente   in   zwei 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilun{^. 


151 


Gruppen  von  Tochtersegmenten  sondert,  welche  nach  entgegengesetzten 
Richtungen  auseinander  weichen  und  in  die  Nähe  der  beiden  Pole  der 
Kernfigur  zu  liegen  kommen  (Fig.  80,   A  B  C).     Aus  dem  Mutterstern 


Fig.  80.  Schematisehe  Darstellung  der  Kernsegmentirung  nach  Flemmisg. 
Die  Tochtersegmente  weichen  nach  den  Polen  in  zwei  Gruppen  auseinander.  Aus 
Hatschek. 

entstehen,  wie  Flemming  sich  ausdrückt,  die  beiden  Tochtersterne.  Der 
schwer  zu  beobachtende  Vorgang  vollzieht  sich  im  Einzelnen  in  folgen- 
der Weise: 

Die  durch  Lcängsspaltung  entstandenen  Tochtersegmente  je  eines 
ursprünglichen  Muttersegments  trennen  sich  an  dem  Winkel  der  Schleife, 
welcher  der  Spindel  zugekehrt  ist,  voneinander  und  weichen  nach  den 
Polkörperchen  zu  auseinander,  während  sie  an  den  Schenkelenden  noch 
eine  Zeit  lang  in  Zusammenhang  l)leiben.  Schliesslich  erfolgt  auch  hier 
eine  Trennung.  Aus  den  24  Mutterschleifen  sind  2  Gruppen  von  je 
24  Tochterschleifen  entstanden,  die  bis  auf  einen  geringen  Abstand  an 
die  Polkörperchen  heranrücken  und  dann  in  ihrer  Bewegung  Halt 
machen.  Nie  kommen  sie  an  die  Pole  selbst  zu  liegen.  Zwischen  den 
beiden  Gruppen  spannen  sich  feine  „Verbindungsfäden"  aus,  deren 
Ursprung  wohl  auf  die  Spindelfasern  zurückzuführen  ist. 

Die  einzelnen  Schleifen  haben  „ihre  Winkel  nach  den  Polen,  ihre 
Schenkel  theils  schräg,  theils  senkrecht  gegen  die  Aequatorialebene 
gekehrt".  Sie  sind  ihrer  Entstehung  gemäss  Anfangs  viel  dünner  als  die 
Mutterfäden,  verkürzen  sich  aber  von  jetzt  ab  und  werden  dementsprechend 
dicker.  Bei  der  Entstehung  der  Tochtersterne  liegen  sie  ziemlich  lose 
nebeneinander,  dann  rücken  sie  dichter  zusammen,  so  dass  sich  ihre 
Anzahl  und  ihr  Verlauf  wieder  schwieriger  und  nur  ausnahmsweise  fest- 
stellen lässt. 

Vierte  Phase    der  T  h  e  i  1  u  n  g. 

Während  der  vierten  Theilungsphase  wandelt  sich  allmählich  jede 
Gruppe  von  Tochtersegmenten  wieder  in  einen  bläschenförmigen,  ruhen- 
den Kern  um  (Fig.  81).  Die  Fäden  rücken  noch  enger  zusammen, 
krümmen  sich  stärker  und  werden  dicker,  sie  erhalten  eine  rauhe  und 
zackige  Oberfläche,  indem  sie  kleine  Fortsätze  nach  Aussen  hervor- 
strecken. Um  die  ganze  Gruppe  herum  bildet  sich  eine  zarte  Kern- 
membran aus.  Die  Strahlung  um  das  Polkörperchen  wird  allmählich 
schwächer  und  ist  bald  ganz  geschwunden.  Auch  das  Polkörperchen 
und  die  Spindelfasern  sind  schliesslich  nicht  mehr  nachzuweisen.  Was 
aus   ihnen    wird,   ist   noch   nicht  mit  genügender  Sicherheit   aufgeklärt. 


152 


Sechstes  Capitel. 


Wie  ihre  P^ntstelmng  ist  auch  ihr  Schwund  in  Dunkel  gehüllt.  In  der 
Gegend  des  früheren  Polkörperchens  zeigt  der  in  Reconstruction  begriffene 
Tochterkern  eine  Delle;  Rabl  erblickt  in  ihr  das  Eingangs  beschriebene 
Polfeld  des  sich  zur  Theilung  anschickenden  Kerns  und  vermuthet,  dass 

sich  in  ihr  das  Polkörpeichen  in  das  Protoplasma 
des  Zellenleibes  eingeschlossen  erhält.  Allmäh- 
lich schwillt  der  Kern  durch  Aufnahme  von 
Kernsaft  mehr  an,  wird  kuglig  und  erhält  wie- 
der das  Gerüstwerk  des  ruhenden  Kerns  mit 
unregelmässig  vertheilten,  kleineren  und  grösseren 
Nucleinkörnchen.  Auch  ein  oder  mehrere  Nu- 
cleolen  sind  während  der  Reconstruction  im  Ge- 
rüstwerk wieder  zum  Vorschein  gekommen,  doch 
ist  es  noch  nicht  gelungen,  über  ihre  Herkunft 
Sicheres  zu  ermitteln. 

Wenn  am  Anfang  der  vierten  Phase  die 
beiden  Tochtersterne  am  weitesten  auseinander 
gerückt  sind  und  zur  Umwandlung  in  die  Toch- 
Fig.81.  Schematische  terkenie  die  einleitenden  Schritte  thun,  kommt 
Darstellung  der  Kern-  es  auch  zur  T  h  e  i  1  u  n  g  des  Z  e  1 1  k  ö  r  p  e  r  s 
segmentirun^nachFLEM-  gelbst.  Die  Strahlungen  an  den  Polkörperchen 
^egmenttrbe -^^t^sict  d:;  ^f^en  dann  ihre  grösste  Ausdehnung  errdcht. 
ruhende  Kern  zu  bilden.  Jetzt  macht  sich  eine  kleine  h  urche  an  der  Ober- 
Aus  Hatschek.  fläche  des  Zellkörpers  bemerkbar,    entsprechend 

einer  Ebene,  welche  senkrecht  durch  die  Mitte 
der  Kernaxe,  welche  die  beiden  Polkörperchen  verbindet,  hindurchgeht  und 
als  Theilungsebene  schon  oben  bezeichnet  wurde.  „Die  Furche  beginnt 
einseitig,  greift  nach  und  nach  um  den  Aequator  herum,  bleibt  aber  auf 
der  Seite,  wo  sie  begann,  tiefer  als  auf  der  entgegengesetzten"  (Flemming). 
Die  ringförmige  Einschnürung  schneidet  bald  immer  tiefer  in  den  Zell- 
körper ein  und  zerlegt  ihn  schliesslich  vollständig  in  zwei  nahezu  gleich 
grosse  Hälften,  von  denen  eine  jede  einen  in  Reconstruction  begriffenen 
Tochterkern  einschliesst.  Mit  Beendigung  der  Durchschnürung  beginnt  die 
Strahlung  an  den  Polen  zu  erlöschen. 

An  vielen  Objecten  sind  die  oben  erwähnten  Verbindungsfasern 
zwischen  den  Tochterkernen  bis  zur  Vollendung  der  Theilung  nachzu- 
weisen. Sie  werden  dann  auch  bei  der  Zerschnürung  des  Zellkörpers 
in  ihrer  Mitte  durchgetrennt.  Zu  dieser  Zeit  kann  zuweilen  in  ihrer 
Mitte  eine  geringe  Anzahl  sich  scharf  färbender  Kügelchen  bemerkt 
werden,  die  Flemming  (VI,  13")  Zwischenkörperchen  nennt  und  als  ein 
m  u  t  h  m  a  a  s  s  1  i  c  h  e  s  A  e  q  u  i  V  a  1  e  n  t  d  e  r  b  e  i  P  f  1  a  n  z  e  n  b  e  s  s  e  r  a  u  s  - 
gebildeten  Zellplatte  deutet. 


b)  Theilung  der  Eizellen  von  Ascaris  megalocephala  und 

T  0  X  0  p  n  e  u  s  t  e  s  1  i  v  i  d  u  s. 

In  den  Eiern  von  Ascaris  zeichnen  sich  die  Kerne  durch  die  Grösse 
und  Deutlichkeit  der  Polkörperchen  und  durch  die  geringe  Anzahl  der 
Kernsegmente  aus,  die  bei  einer  Art  vier,  bei  einer  andern  Art  sogar 
nur  zwei  beträgt.  Besonders  deutlich  ist  an  diesem  Object  ein  sehr 
wichtiges  Phänomen,  die  Vermehrung  der  Polkörperchen  durch  Selbst- 
theilung,  zu  beobachten.    Am  besten  nehmen   wir  die  Untersuchung  zu 

und  sich  zu 


der  Zeit  auf,  wo  sich  das  Ei  zum  ersten  Male 


gefurcht  hat 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


153 


beiden  Seiten  der  Theilunfrsebene  aus  den  vier  Kernschleifen  wieder  ein 
bläschenförmiger,  unregelniässig  conturirter  Kern  hervorbildet  (Fig.  82). 
Derselbe  besitzt  mehrere  lappenförmige  Fortsätze  an  der  Gegenpolseite 
und  zeigt  das  Nuclein  in  einem  lockeren  Gerüstwerk  ausgebreitet.  In 
der  Gegend  des  früheren  Poles  der  Theilungsfigur  ist  noch  das  Pol- 
körperchen zu  erkennen,  eingehüllt  in  körniges  Protoplasma,  welches 
gegen  die  üottermasse  des  Eies  absticht  und  von  v.  Beneden  als 
Attractionssphäre,  von  Boveri  als  Archoplasma  beschrieben  wird. 

Ehe  nun  überhaupt  der  Kern  zur  vollen  Ruhe  zurückgekehrt  ist, 
ja  zuweilen  sogar  vor  Abschluss  der  ersten  Theilung,  setzen  schon  wieder 
die  Vorbereitungen  zur  zweiten  Theilung  ein;  sie  beginnen  mit  Ver- 
änderungen des  Polkörperchens  (Fig.  84).  Dasselbe  streckt  sich  parallel 
zur  ersten  Theilungsebene  in  die  Länge,  wird  bisquitförmig  und  theilt 
sich,  wie  v.  Beneden  (VI.  4b)  und  Boveri  (VI.  6.  1888)  entdeckt  haben, 
durch  Einschnürung  in  zwei  Tochterpolkörperchen,  die  eine  Zeit  lang 
noch  von  einer  gemeinsamen,  körnigen  Sphäre  eingeschlossen  sind. 
Hierauf  rücken  die  beiden  Polkörperchen  etwas  weiter  auseinander 
(Fig.  83),  was  die  Trennung  ihrer  gemeinsamen  Strahlensphäre  in  zwei 
besondere  Sphären  zur  Folge  hat. 


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Fig.  82. 


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Fig.  84. 


Fig.  83. 


Fig.  82.  Zweigetheiltes  Ei  von  Asearis  megaloeephala ;  die  Kerne 
im  Ruhezustand;  Polkörperehen  jederseits  noch  einfach.  Nach  Boveri 
Taf.  IV,  Fig.  74. 

rig.  83.  Zweigetheiltes  Ei  von  Asearis  megaloeephala.  Die  Kerne 
in  Vorbereitung  zur  Theilung  begriffen.    Die  Polkörperchen  getheilt.    Nach 

Boveri  Taf.  IV,  Fig.  75  u.  76. 

Fig.  84.  Zwei  Toehterkerne  am  Anfange  der  Reconstruction  mit 
lappigen  Fortsätzen.  Die  Polkörperchen  vermehren  sich  durch  Selbst- 
theilung.     Nach  v.  Benedsn  und  Neyt  Taf.  VI,  Fig.  13. 


Die  Theilung  des  Polkörperchens  giebt  das  Signal,  dass  auch  der 
Kern,  noch  ehe  er  ganz  zur  Ruhe  zurückgekehrt  ist,  gleich  wieder 
in  die  folgende  Theilungssphase  eintritt  (Fig.  83).  Das  Nuclein  zieht 
sich  aus  dem  Gerüst  in  vier  lange  Schleifen  zusammen,  die  erst  mit 
Zacken  bedeckt  sind,  dann  eine  glatte  Contur  erhalten.  Die  vier 
Schleifen  sind  ähnlich  orientirt,  wie  die  Tochtersegmente  nach  der  ersten 
Theilung,  so  dass  Boveri  (VI.  6)  der  schon  von  Rabl  (VI.  53)  auf- 
gestellten Ansicht  zuneigt,  dass  sie  aus  der  Substanz  der  letzteren  sich 
direct  ableiten  und  auch  im  Zustand  der  Ruhe  eine  selbständige 
Individualität  bewahren.  Die  Schleifen  winkel  sind  nach  dem 
ursprünglichen  Pol  (dem  Polfeld  bei  Salamandra),  die  kolbig 
schwollenen  Schenkelenden  nach  der  Gegenpolseite  hin  gewandt. 


ange- 


154  Sechstes  Capitel. 

Jetzt  beginnt  die  zweite  Phase  der  Theilunji".  Die  Polkörperchen 
rücken  mit  ihren  Sphären  weit  auseinander  und  nehmen  eine  solche 
Stellung  ein,  dass  die  sie  verbindende  Axe  entweder  etwas  schräg  oder 
parallel  zur  ersten  Theilungsebene  zu  liegen  kommt.  Die  Kernmembran 
löst  sich  auf.  Die  vier  Segmente  ordnen  sich  in  der  früher  beschriebenen 
Weise  im  Aequator  zwischen  beiden  Polkörperchen  an,  in  deren  Um- 
gebung jetzt  eine  deutliche  Strahlung  im  Protoplasma  entstanden  ist; 
sie  bieten,  vom  Pol  aus  gesehen,  das  in  Figur  85  A  dargestellte  Bild 
dar.  Es  folgt  die  Längsspaltung  der  vier  Segmente  und  der  Eintritt  in 
die  dritte  Phase  der  Theilung  (Fig.  85  B).  Die  durch  Spaltung  ent- 
standenen Tochtersegmente  trennen  sich  und  weichen  nach  den  beiden 
Polen  zu  auseinander.  E.  van  Beneden  (VI.  4  b)  und  Boveri  (VI.  6) 
lassen  hierbei  die  Spindelfasern  eine  active  Rolle  spielen  (Fig.  86).   Nach 


Fig.  85.  Fig.  86. 

Fig.  85.  A  Vier  Muttersegmente  vom  Pol  der  Kernfigur  aus  gesehen. 
Nach  V.  Beneden  und  Nevt  Taf.  VI,  Fig.   16. 

B  Längsspaltung  der  vier  Muttersegmente  in  acht  Tochtersegmente. 
Nach  V.  Beneden  und  Neyt  Taf.  VI,  Fig.  17. 

Fig.  86.  Zusammensetzung  der  Spindel  aus  zwei  Halbspindeln,  deren 
Fasern  sich  an  die  Tochtersegmente  ansetzen.  Nach  v.  Beneden  und  Neyt 
Taf.  VI,  Fig.  8. 

ihrer  Meinung  ist  die  Spindel  bei  Ascaris  aus  zwei  voneinander  unab- 
hängigen Halbspindeln  zusammengesetzt.  Jede  besteht  aus  zahlreichen 
Protoplasmafasern,  die  nach  dem  Polkörperchen  zu  convergiren  und  sich 
an  ihm  mit  ihren  Enden  anheften,  während  die  entgegengesetzten  En- 
den divergiren,  an  die  Kernschleifen  herantreten  und  sich  an  verschie- 
denen Punkten  der  ihnen  zugekehrten  Tochtersegmente  festsetzen.  Durch 
zunehmende  Verkürzung  dieser  Fasern  in  Folge  von  Contraction  sollen 
nach  van  Beneden  und  Boveri  die  vier  Tochtersegmente  voneinander 
getrennt  und  nach  den  Polkörperchen  geradezu  hingezogen  werden. 

In  der  vierten  Phase  erfolgt  die  Durchschnürung  des  Zellkörpers 
und  die  Reconstruction  des  Tochterkerns.  Nach  van  ßeneden  geschieht 
dieselbe  in  der  Weise  (Fig.  87),  dass  die  vier  chromatischen  Schleifen  (A) 
aus  dem  Protoplasma  Flüssigkeit,  die  Kernsaft  wird,  aufnehmen;  sie 
durchtränken  sich  mit  derselben  wie  ein  Schwamm  und  schwellen  daher 
zu  dicken  Schläuchen  (B)  auf.  Das  Nuclein  vertheilt  sich  in  Körnern,  die 
durch  feine  Fäden  verbunden  und  namentlich  an  der  Oberfläche  der 
Schläuche  gelegen  sind.  Diese  rücken  mit  ihren  mittleren  Abschnitten 
dicht  zusammen  und  verschmelzen  hier  untereinander.  So  entsteht  ein 
bläschenförmiger,  gelappter,  von  Kerusaft  durchtränkter  Kern  (Fig.  87  0), 
der  sich  gegen  das  Protoplasma  mit  einer  Membran  abgrenzt  und  die 
chromatische  Substanz  wieder  auf  einem  feinen  Gerüst  vertheilt  zeigt. 

Wählend  die  Eier  von  Ascaris  für  das  Studium  der  Polkörperchen 
und  der  Kernsegmente  besonders  geeignet  sind,   bieten   die  kleinen  Eier 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


155 


der  Echinodermen  (Hertwig  VI.  30a,  Fol.  VI.  19  a)  und  einzelner  wirbelloser 
Thiere  wieder  andere  Vortheile  für  das  Studium  dar;  so  zeigen  sie  uns 
namentlich  schön  auch  bei  Untersuchung  der  lebenden  Zelle  die  Strah- 
lungserscheinungen im  Protoplasma  ausgebildet.  Es  sei  daher 
auch  hierauf  noch  etwas  näher  eingegangen. 

ABC 

Fig.  87.  A  Eine  Gruppe  von  vier  Tochtersegmenten  vom  Pol  aus  ge- 
sehen. Die  Endan Schwellungen  der  Schleifen  sind  sehr  ausgeprägt.  Nach 
V.  Beneden  und  Neyt  Tat'.  VI,  Fig.   19. 

ß  Reconstruction  des  Kerns  auf  Kosten  der  vier  Tochtersegmente. 
Schematiscli  nach  v.  Beneden  luid  Neyt  Tat".  VI,  Fig.  20. 

C  Ruhestadium  des  Kerns  vom  Pol  aus  gesehen.  Nach  v.  Beneden  und 
Neyt  Tat'.  VI,  Fig.  21. 

Wenige  Minuten  nach  der  Befruchtung  (Fig.  88)  sieht  man  am 
lebenden  Echinodermen-Ei  den  kleinen,  kugligen  Furchungskern  als  ein 
helles  Bläschen  in  der  Mitte  des  Dotters  gelegen  und  von  Proto- 
plasmastrahlen, wie  eine  Sonne  von  ihren  Lichtstrahlen,  umgeben.  — 
Die  Strahlung  tritt  während  des  Lebens 
an  unserem  Object  deswegen  so  klar 
hervor,  weil  die  zahlreichen,  im  Dotter 
eingelagerten  kleinen  Körnchen  der 
strahligen  Anordnung  des  Protoplasma- 
körpers passiv  folgend  ebenfalls  in  ra- 
diären Reihen  angeordnet  sind.  Nach 
kurzer  Zeit  beginnt  dieses  in  den  Befruch- 
tungsvorgängen seine  Erklärung  findende 
Strahlensystem  zu  erblassen  und  sich 
allmählich  in  zwei  an  entgegengesetzten 
Punkten  des  Kerns  auftauchende  Strah- 
lensysteme umzubilden,  die  erst  klein 
beginnen,  dann  von  Minute  zu  Minute 
deutlicher  ausgeprägt  und  grösser  wer- 
den und  sich  schliesslich  wieder  über  die 
ganze  Dotterkugel  ausdehnen  und  die- 
selbe in  zwei  um  je  ein  Attractions- 
centrum    herum    strahlig    angeordnete 


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Fig.  88.  Ei  eines  Seeigels 
gleich  nach  beendeter  Befruch- 
tung. Aus  O.  Hertwig,  Entwick- 
lungsgesch.  Fig.  20. 

Ei  und  Samenkern  sind  zum 
Furchungskern  (fk)  verschmolzen,  der 
im  Centrum  einer  Protoplasmastrah- 
lung liegt. 

Massen   zerlegen  (Fig.  89). 

In  der  Mitte  der  beiden  Strahlungen  unterscheidet  man  bei  ihrem 
Auftauchen  einen  kleinen,  homogenen  Fleck,  der  sich  an  die  Kernober- 
fläche anschmiegt  und  frei  von  Körnchen  ist.  In  ihm  ist  das  Pol- 
körperchen eingeschlossen,  welches  sich  am  lebenden  Object  der  Wahr- 
nehmung vollständig  entzieht. 

Je  mehr  die  Strahlungen  deutlicher  werden  und  sich  in  die  Nach- 
barschaft weiter  ausdehnen,  um  so  mehr  nehmen  in  der  Umgebung  der 
Polkörperchen  die  Ansammlungen  von  homogenem,  ganz  körnerfreiem 
Protoplasma  zu  und  rücken  allmählich  mit  den  Polen  weiter  auseinander. 


156 


Sechstes  Capitel. 


Da  ZU  dieser  Zeit  auch  der  Kern  seine  bläschenförmifre  Beschaffenheit 
verliert  und  die  für  andere  Objecte  schon  beschriebene  Spindelstructur 
annimmt,  die  sich  während  des  Lebens  wegen  ihrer  Feinheit  der  Beob- 
achtung  ganz   entzieht,    entsteht   im   körnigen   Dotter  das   in  Figur  89 

dargestellte,  ausserordentlich  charakteristische 
Bild,  welches  man  passender  Weise  einer 
Hantel,  wie  sie  beim  Turnen  gebraucht 
wird,  vergleichen  kann.  Die  beiden  An- 
sammlungen homogenen  Protoplasmas,  in 
deren  Mitte  die  Pole  der  Theilungsfigur  ein- 
geschlossen sind,  entsprechen  den  Köpfen  der 
Hantel.  Der  die  letzteren  verbindende, 
körnchenfreie  Streifen  zeigt  die  Stelle  an, 
wo  auf  den  vorausgehenden  Stadien  der  jetzt 
unsichtbar  gewordene  Kern  gelegen  war,  der 
sich  zur  Spindel  umgewandelt  hat,  welche 
mit  ihren  Enden  bis  zu  den  Polkörperchen 
heranreicht.  Um  die  homogene  Hantelfigur 
herum  ist  die  körnige  Dottermasse  in  zwei 
Strahlensystemen  angeordnet,  welchen  Fol 
den  Namen  Amphiaster  oder  Doppel- 
stern gegeben  hat. 

Jetzt  beginnt  sich  das  Anfangs  rein  kuglige 
Ei  in  der  Richtung  der  Axe  der  Hantelfigur 


Fig.  89.  Ei  eines  See- 
igels in  Vorbereitung  zur 
Theilung.  Nach  dem  le- 
benden Objeet  gezeichnet. 

Ans    O.    Hertwig  ,     Entwick- 
lungsgesch.  Fig.  27. 

Der  Kern  ist  im  frischen 
Zustand  nicht  mehr  zu  sehen, 
an  seiner  Stelle  ist  eine  Hantel- 
figur entstanden. 


etwas  in  die  Länge  zu  strecken  und  in  die 
Endphase  der  Theilung  rasch  einzutreten  (Fig.  90  Ä).  Entsprechend  einer 
Ebene,  welche  man  mitten  durch  die  Hantelfigur  senkrecht  zu  ihrer 
Längsaxe  hindurch  legen  kann,  bildet  sich  an  der  Oberfläche  des  Eies 
eine  Ringfurche  aus.     Dieselbe  schneidet  rasch   tiefer  in  die  Eisubstanz 

B 


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Fig.  90.     Ei  eines  Seeigels  im  Moment  der  Theilung.    Aus  O.  Hertwig, 

Entwicklungsgesch.  Fig.  29. 

A  Eine  Ringfurche  schneidet  in  den  Dotter  ein  und  halhirt  ihn  in  einer  Ebene, 
welche  rechtwinklig  die  Mitte  der  Kernachse  und  die  Längsachse  der  Hantelfigur  schneidet. 

B  Ei  eines  Seeigels  nach  der  Zweitheilung.  In  jedem  Theilproduct  ist  ein 
bläschenförmiger  Tochterkern  entstanden.  Die  strahlige  Anordnung  des  Protoplasma 
beginnt  undeutlich  zu  werden.  Beide  Figuren  sind  nach  dem  lebenden  Objeet  ge- 
zeichnet. 

ein  und  zerlegt  sie  in  kurzer  Zeit  in  zwei  gleiche  Hälften,  von  denen 
eine  jede  die  Hälfte  der  Spindel  mit  einer  Gruppe  der  Tochtersegmente, 
die  Hälfte  der  Hantelfigur  und  ein  protoplasmatisches  Strahlensystem  erhält. 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


157 


Gegen  Ende  der  Durehschnüiung  j>renzen  die  sich  trennenden  Eihälften 


nur  noch  an  einer  kleinen  Stelle  ihrer  Oberfläche,  in  der  Gegend  des 
Hantelstieles,  aneinander.  Nach  Beendigung  der  Theilung  aber  legen  sie 
sich  bald  wieder  mit  ihren  Theilungsflächen  in  ganzer  Ausdehnung  dicht 
aneinander  und  platten  sich  hier  gegenseitig  so  ab,  dass  eine  jede  nahezu 
einer  Halbkugel  gleicht  (Fig.  90  B). 

Währenddem  wird  am  lebenden  Object  auch  der  Kern  wieder 
sichtbar.  Etwa  in  der  Gegend,  wo  Hantelstiel  und  Hantelkopf  in  ein- 
ander übergehen,  also  in  einiger  Entfernung  von  dem  Polkörperchen, 
tauchen  einige  kleine  Vacuolen  auf,  die  sich  dadurch  bilden,  dass  sich 
die  Tochterkernsegmente  mit  Kernsaft  durchtränken.  Sie  verschmelzen 
dann  in  sehr  kurzer  Zeit  untereinander  zu  einem  kugligen  Bläschen,  dem 
Tochterkern  (Fig.  90  B).  Die  strahlige  Anordnung  des  Protoplasma 
wird  immer  undeutlicher  und  macht,  wenn  die  Zelle  sich  rasch  wieder 
zur  nächsten  Theilung  anschickt,  einer  neu  sich  ausbildenden  Doppel- 
strahlung Platz. 

Zur  Untersuchung  mit  Reagentien  und  namentlich  zum  Studium  der 
chromatischen  Figuren  sind  die  Ecliinodermeneier  viel  weniger  als  die 
Ascariseier  geeignet.  Es  sind  nämlich  bei  ihnen  die  schleifenförmigen 
Kernsegmente  sehr  klein  und  zahlreich,  so  dass  sie  selbst  noch  bei 
starken  Vergrösserungen  den  Anblick  kleiner  Körnchen  darbieten.  So 
giebt  ims  Figur  91  die  Darstellung  einer  Spindel  nach  Behandlung  mit 
Reagentien  und  Farbstoffen;  sie  entspricht  etwa  dem  in  Figur  89  abge- 
bildeten Zustand  des  lebenden  Eies,  zu  dessen  Ergänzung  sie  dienen  kann. 

Der  Durchschnürungsprocess  nimmt  an  sehr  grossen  Eiern,  bei  denen 
viel  Dottermasse  zu  bewältigen  ist,  wie  zum  Beispiel  bei  den  Froscheiern, 
geraume  Zeit  für  sich  in  Anspruch,  so  dass  die  zweite  Theilung  schon 
beginnen  kann,  noch  ehe  die  erste  ganz  vollendet  ist.  Bei  den  Frosch- 
eiern lässt  sich  hierbei  eine  interessante  Erscheinung  beobachten,  welche 
in  der  Literatur  unter  dem  Namen  des  Faltenkranzes  (VI.  68)  be- 
schrieben worden  ist  (Fig.  92).    Die  erste  Furche  beginnt  zunächst  auf 


mm- 


miß:,. 

Fig.  91. 


Fio-.  9-. 


Fig.  91.  Kernfigur  eines  Eies  von  Strongylocentrotus.  1  Stunde 
20  Minuten  nach  der  Befruchtung.    Ei  mit  Reagentien  behandelt. 

Fig.  92.  Stück  von  der  oberen  Hemisphäre  eines  Eies  von  Rana 
temporaria  eine  Viertelstunde  nach  dem  Sichtbarv«rerden  der  ersten  Furche, 
zur  Zeit,  wo  der  Strahlenkranz  am  schärfsten  und  schönsten  ausgebildet 
ist.     Nach  Max  Schultze  Taf.  I,  Fig.  2. 


158  Sechstes  Capitel. 

der  nach  oben  gekehrten,  schwarz  pigmeutirten  Hemisphäre  des  Eies  in 
einem  kleinen  Bezirk  aufzutreten,  sie  nimmt,  indem  sie  in  die  Substanz 
tiefer  einschneidet,  an  Länge  zu  und  dehnt  sich  im  Laufe  einer  halben 
Stunde  um  die  ganze  Peripherie  der  Kugel  aus,  so  dass  sie  auf  der 
nach  abwärts  gekeiirten,  hellen  Fläche  am  spätesten  sichtbar  wird  und 
von  hier  aus  auch  am  wenigsten  tief  in  den  Dotter  eindringt.  Bei  ihrem 
Auftreten  erscheint  nun  die  erste  Furche  nicht  glatt,  sondern  sie  ist  — 
am  deutlichsten  zur  Zeit,  wo  sie  ein  Drittheil  der  Länge  des  Eiumfanges 
erreicht  hat  —  mit  zahlreichen  kleinen  Furchen  besetzt,  welche  meist 
unter  rechtem  Winkel  zu  beiden  Seiten  in  sie  einmünden  (60 — 100  auf 
jeder  Seite,  Fig.  92).  So  entsteht  ein  höchst  anziehendes  Bild,  vergleich- 
l)ar  einem  langen,  tiefen  Gebirgsthal,  von  welchem  nach  beiden  Seiten 
kleine,  kurze  Seitenthäler  in  grosser  Zahl  abgehen.  Je  weiter  die 
Theiluug  fortschreitet  und  die  Hauptfurche  tiefer  wird,  um  so  mehr 
nehmen  die  Seitenfurchen  an  Zahl  ab  und  verschwinden  endlich  ganz. 
Der  so  eigenthümlich  und  scharf  ausgebildete  Faltenkranz  ist  ein 
Phänomen,  weiches  mit  der  Zusammenziehung  des  Protoplasma  bei  der 
Einschnürung  zusammenhängt. 

c)  Th eilung  pflanzlicher  Zellen. 

Um  die  gi'osse  Uebereinstimnmng  im  Verlauf  des  Kerntheilungs- 
processes  im  Thier-  und  Pflanzenreich  zu  veranschaulichen,  diene  der 
protoplasmatische  Wand  beleg  des  Embryosackes  von  Fritil- 
laria  imperialis.  Es  ist  dies  ein  zum  Studium  der  Kernfiguren 
ausserordentlich  geeignetes  Object  —  nicht  minder  empfiehlt  sich  auch 
der  Embryosack  anderer  Liliaceen  —  weil  das  Protoplasmahäutchen 
ungemein  dünn  ist  und,  zu  geeigneten  Zeiten  untersucht,  sehr  viele 
Kerne  auf  verschiedenen  Phasen  der  Theilung  beherbergt  (Strasburuer 
YL  71—73,  Guignard  VL  23). 

Der  grosse,  ruhende  Kern  besitzt  ein  feinmaschiges  Liningerüst 
(Fig.  93  Ä),  auf  dessen  ObeiHäche  zahlreiche,  kleine  Nucleinkörnchen  ziem- 
lich gleichmässig  vertheilt  sind.  Die  Nucleolen  sind  in  Mehrzahl  vor- 
handen, sie  sind  von  verschiedener  Grösse  und  liegen  zwischen  den 
Maschen  des  Gerüstwerks,  densellien  anhängend.  Bei  der  Vorbereitung 
zur  Theilung  lässt  Strasburger  sich  das  ganze  Gerüstwerk  in  einige  viel- 
fach gewundene,  ziemlich  dicke  Fäden  umbilden;  er  beschreibt  an  ihnen 
eine  ähnliche  Querstreifung  (C),  wie  sie  Balbiani  (IL  3)  an  Kernen  von 
Chironomuslarven  (Fig.  27)  beobachtet  hat,  und  erklärt  dieselbe  in  der 
Weise,  dass  der  Faden  aus  vielen,  hintereinander  aufgereihten  Nuclein- 
scheiben  aufgebaut  sei,  zwischen  welche  sich  dünne  Scheidewände  von 
Linin  trennend  hineinschieben. 

Im  w^eiteren  Verlauf  löst  sich  die  Kernmembran  auf,  die  Nucleolen 
zerfallen  in  kleinere  Körnchen  und  verschwinden,  die  Nucleinfäden  ver- 
kürzen und  verdicken  sich  und  liefern  24  Kernsegmente;  es  bildet  sich 
eine  typische,  aus  zahlreichen,  feinsten  Fasern  zusammengesetzte  Spindel 
aus,  in  deren  Mitte  sich  die  Kernsegmente  zum  Kranz  anordnen  (Fig.  93  D). 
An  den  beiden  Enden  der  Spindel  hat  Guignard  neuerdings  auch  zwei 
Polkörperchen  mit  ihren  Strahlensphären  nachgewiesen. 

Auf  dem  Höhepunkte  des  Theilungsprocesses  spalten  sich  die  Kern- 
segmente ihrer  Länge  nach.  Dann  weichen  die  Tochtersegmente  nach 
den  beiden  Polen  zu,  je  24  nach  jeder  Seite,  auseinander  (E)  und  liefern 
so  die  Grundlage  für  die  Tochterkerne,  die  sich  wieder  in  ähnlicher  Weise, 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


159 


wie  es  für  Salamandra  maculata  beschrieben  wurde,  anlegen.   Sowie  die 
Tochterkerne  bläschenförmig  werden,  treten  mehrere  Nucleolen  in  ihnen  auf. 


-  -J^fe/^v, 


Fig.  93.  Fritillaria  imperialis.  Ein  ruhender  Zellkern  und  Theilungs- 
phasen  der  Zellkerne,  dem  freigelegten  protoplasmatischen  Wandbeleg 
der  Fig.  123  entnommen.     Nach  Strasburger,  Botan.  Prakticum  Fig.  191. 

J  Ein  nihender  Zellkern,  £  ein  dickfadiger,  noch  unseg-mentirter  Knäuel,  0  ein 
ötück  dieses  Kernfadens,  stärker  vergrössert,  B  eine  Kernspindel  mit  längs  gespaltenen 
Segmenten,     H  die  Trennung  und  Ümlagerung  der  Tochtersegmente. 

J,  B,  D  und  E  SOOmal,  C  llOOmal  vergrössert. 

Wenn  sich  bisher  eine  vollständige  Uebereinstimmung  mit  der 
thierischen  Kernth eilung  ergeben  hat,  so  zeigt  sich  uns  jetzt  am  Sehluss 
des  ganzen  Processes  noch  eine  bemerkenswerthe  und  interessante  Ab- 
weichung in  der  Entstehung  der  sogenannten  Zellplatte. 
Zum  Studium  derselben  sind  Theilstadien  von  Pollen m u tte r - 
Zellen  und  andere  Objecto  geeigneter  als  der  bisher  der  Beschreibung 
zu  Grunde  gelegte  Embryosack  von  Fritillaria,  da  es  bei  diesem  nach  der 
Kerntheilung  nicht  gleich  zu  einer  Zelltheilung  kommt. 

Die  folgende  Darstellung  bezieht  sich  daher  auf  Pollenmutter- 
zellen  von  Fritillaria  persica  (Fig.  94).  Wenn  bei  diesen  die 
Tochtersegmente  in  zwei  Gruppen  auseinandergewichen  sind,  so  spannen 
sich  zwischen  ihnen  feine  V  e  r b  i  n  d  u  n  g  s  f  ä  d  e  n  aus,  die  Strasburger  (VI. 
73)  von  den  mittleren  Abschnitten  der  Spindelfasern  ableitet  (Fig.  94  f). 
In  der  Mitte  der  Verbindungsfäden  entstehen  nach  kurzer  Zeit  kleine 
Anschwellungen,  die  als  glänzende  Körner  erscheinen  (Fig.  94  g).  Sie 
sind  höchst  regelmässig  so  angeordnet,  dass  sie  auf  dem  optischen 
Durchschnitt  in  einer  Reihe  nebeneinander  zu  liegen  kommen.  In  ihrer 
Gesammtheit  stellen  sie   also   eine   aus   Körnchen  zusammengesetzte,  in 


160 


Sechstes  Capitel. 


(1er  Mitte  zwischen  den  beiden  Tochterkernen  in  der  Theilungsebene 
gelegene  Scheibe  dar,  welcher  Strasburger  den  Namen  „Zellplatte" 
gegeben  hat.  Ein  Rudiment  derselben  bei  thierischen  Zellen  glaubt 
Flemming  (VI.  1311)  in  den  oben  (S.  152)  beschriel)enen,  an  einzelnen 
Objecten  aufgefundenen  Z  w  i  s  c  h  e  n  k  ii  g e  1  c  h  e  n  wieder  zu  erkennen. 
Die  Zellplatte  steht  nun  bei  den  Pflanzen  zur  Bildung  der  Cellulose- 
scheidewand,    mit   welcher   der   ganze   Theilungsprocess   seinen   letzten 


Abscliluss  findet,    in 


inniger 


Beziehung  (Fig.  94  h).      „Sie   dehnt  sich 


Fig.  94.  Drei  Theilstadien  der  Pollenmutterzellen  von  Fritillaria 
persica.     Nach  Strasburger  Fig.  188. 

/  Allseinanderweichen  der  Tochtersegraente.  g  Bildung  der  Tochterknänel  mid 
der  Zellplatte,  h  Verlauf  des  Kernfadens  in  den  Tochterkernen  und  ausgebildete 
Cellulosescheidewand.     SOOmal  vergrössert. 

schliesslich,"  wie  Strasburger  beschreibt,  „über  den  ganzen  Durchmesser 
der  Zelle  aus,  ihre  Elemente  verschmelzen  und  bilden  eine  Scheidewand, 
welche  die  Mutterzelle  in  zwei  Tochterzellen  halbirt."  Ein  dünnes 
Cellulosehäutchen  lässt  sich  bald  in  ihr  nachweisen.  Währenddem  ver- 
schwinden die  Verbindungsfäden,  zunächst  in  der  Nähe  der  Tochterkerne, 
dann  auch  im  Bereich  der  Scheidewand  aus  Cellulose. 

Die  kleinen,  specifischen  StofftheilcheU;  die  sich  als  Körner  zur  Zell- 
platte in  der  Mitte  der  Verbindungsfäden  ansammeln,  können  vielleicht 
nach  der  früher  entwickelten  und  später  noch  weiter  auszuführenden  Auf- 
fassung als  Zellhautbildner  bezeichnet  werden. 


d)   Historische  Bemerkungen  und  strittige  Fragen  der 

Kernsegmentirung. 

Am  Anfang  der  70er  Jahre  wurden  durch  die  Arbeiten  von  Bütschli  (VII. 
6),  Strasburger  (VI.  71),  Hertwig  (VI.  30  a)  und  Fol  (VI.  19  a)  die  Ver- 
änderungen, welche  der  Kern  bei  der  Theilung  erfährt,  in  ihren  gröberen 
Zügen  im  Ganzen  richtig  dargestellt.  Es  wurde  die  faserige  Kernspindel, 
die  Ansammlung  glänzender,  in  Carmin  sich  färbender  Körner  in  der 
Mitte  der  Spindel  (Kernplatte  von  Strasburger)  die  hierauf  folgende 
Vertheilung  der  Körner  in  zwei  Gruppen  oder  in  zwei  Tochterkernplatten 
und  die  Entstehung  der  bläschenförmigen  Tochterkerne  aus  den  letzteren 
entdeckt.  Ebenso  waren  die  Strahlenfiguren  (Sterne,  Amphiaster,  Fol) 
an  den  Enden  der  Spindel  bekannt,  und  von  mir  und  Fol  waren  in  den- 
selben auch  stärker  glänzende  Körnchen,  die  Polkörperchen,  beschrieben, 
deutlich  abgebildet  und  als  Attractionscentren  gedeutet  w^orden.  Es  war 
somit  endgültig  festgestellt,  dass  bei  der  Zelltheilung  keine  Kernauf- 
lösung (Karyolyse,  Auerbach  VI.  2a),  sondern  eine  Kernmetamorphose  statt- 
findet.   Indem  ich  ferner  durch  meine  Untersuchung  der  Eireife,  nament- 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung.  161 

lieh  bei  Asteracanthion  und  Xephelis,  und  durch  die  Entdeckung  der 
inneren  Befruchtungserscheinungen  gleichzeitig  bewies,  dass  der  Eikern 
keine  Neubildung  ist,  sondern  von  geformten  Substanztheilchen  des  Keim- 
bläschens abstammt  und  sich  mit  dem  vom  Kopf  des  Samenfadens  (dem  um- 
gewandelten Kern  der  Samenzelle)  abzuleitenden  Samenkern  zum  Theilkern 
vereinigt,  ergab  sich  der  wichtige  Lehrsatz,  dass,  wie  alle  Zellen  des 
thierischen  Organismus  von  der  befruchteten  Eizelle,  so  auch  alle  Kerne 
desselben  vom  Kern  der  Eizelle  in  ununterbrochener  Folge  abzuleiten  sind. 
(Omnis  nucleus  e  nucleo.     Fleinming  VI.) 

Das  in  den  genannten  Arbeiten  aufgestellte  Kern-  und  Zelltheilungs- 
sehema  hat  sich  seitdem  im  Wesentlichen  als  richtig  herausgestellt, 
zugleich  aber  hat  es  die  Grundlage  für  zahlreiche  weitere  Entdeckungen 
und  für  zahlreiche  Aufgaben  gebildet,  die  ihrer  Lösung  zum  Theil  noch 
immer  harren.  Die  Aufgaben  lassen  sich  kurz  in  den  einen  Satz  zu- 
sammenfassen: Es  galt  und  es  gilt  zum  Theil  auch  nocli  jetzt,  die  bei 
der  Kerntheilung  stattfindenden  und  in  charakteristischen  Figuren  in  die 
Erscheinung  tretenden  Bewegungen  der  einzelnen  mikrochemisch  unter- 
scheidbaren Stoiftheilchen  des  Kerns  und  der  Theilungsfiguren  noch 
genauer  in  allen  Einzelheiten  zu  verfolgen:  also  die  Umlagerungen  der 
Xucleinkörnchen,  des  Liningerüstes,  der  Spindelfasern,  der  Polkörperchen, 
der  Nucleolen  etc.  —  Fortschritte  in  dieser  Richtung  sind,  abgesehen 
von  der  Entdeckung  günstiger  Beobachtungsobjecte,  wie  der  Gewebskerne 
der  Salamanderlarven  (Flemmingj  und  der  Eier  von  Ascaris  raegalo- 
cephala  (van  Beneden) ,  durch  den  Gebrauch  der  neu  construirten 
Oelimmersionen  und  Apochromate  und  durch  die  bessere  Handhabung  der 
Reagentien  und  Farbstoffe  ermöglicht  worden. 

Am  weitesten  ist  die  Forschung  zur  Zeit  in  dem  Studium  der  durch 
die  Umlagerungen  des  Nucleins  erzeugten  Figuren  fortgeschritten^  was  in 
erster  Linie  den  vortrefflichen  Untersuchungen  von  Flemming  (VI.  12—17) 
und  den  sich  anschliessenden,  classischen  Arbeiten  von  van  Beneden  (VI.  4), 
Rabl  (VL  53),  Boveri  (VI.  6),  Strasburger  (VI.  71-73),  Guignard  (VL  23) 
zu  verdanken  ist. 

Flemming,  der  besonders  die  Kerntheilung  in  Gewebszellen  von 
Salamanderlarven  verfolgt  hat,  unterschied  mit  grösserer  Schärfe  an  der 
Kernfigur  den  achromatischen  und  den  chromatischen  Theil,  die  sich 
nicht  färbenden  Spindelfasern  und  Plasmastrahlungen  und  die  ihnen 
oberflächlich  aufliegenden,  gefärbten  Kernschleifen  oder  Kernsegmente, 
An  letzteren  machte  er  auch  zuerst  die  wichtige  Entdeckung,  dass  sie 
sich  der  Länge  nach  spalten.  Auf  diese  interessante  Erscheinung  fiel 
darauf  das  klärende  Licht,  als  Heuser,  Guignard,  van  Beneden  und  Rabl 
unabhängig  voneinander  an  verschiedenen  Objecten  fanden,  dass  die 
Hälften  der  gespaltenen  Fäden  nach  den  Kernpolen  auseinander  rücken 
und  die  Grundlage  für  die  Tochterkerne  abgeben. 

Viel  weniger  genau  erforscht  sind  die  Substanzumlagerungen,  die 
mit  der  Entstehung  der  Spindel  und  der  Polkörperchen  und  mit  der  Auf- 
lösung der  Nucleolen  zusammenhängen. 

Was  die  Spindel  betrifft,  so  gehen  die  Ansichten  der  Forscher 
nicht  nur  über  die  Herkunft,  sondern  sogar  über  den  Bau  derselben 
wesentlich  auseinander.  Während  die  ersten  Beobachter  der  Ansicht 
waren,  dass  die  Spindel  aus  feinsten  Fäserchen  zusammengesetzt  sei, 
die  sich  continuirlich  von  Pol  zu  Pol  erstrecken,  lassen  van  Beneden 
(VL  4  b)  und  Boveri  (VI.  6)  die  letzteren  im  Aequator  unterbrochen  sein 
und   stellen    der   alten    die    neue   Lehre  entgegen,   dass  die  Spindel 

Hertwig,  Die  Zolle  und  die  Gewebe.  11 


162 


Sechstes  Capitel. 


aus  zwei  gesonderten  Halbspindeln  aufgebaut  sei  (Fig.  95), 
Die  Halbspindeln  lassen  sie  mit  den  Enden  ihrer  Fasern  sich  direct  an 
die  Kernsegmente  ansetzen;  sie  begründen  darauf  eine  Mechanik  der 
Kerntheilung,  indem  sie  annehmen,  dass  nach  der  Spaltung  der  Segmente 
in  die  Tochtersegmente  diese  durch  eine  Verkürzung  oder  Contraction 
der  an  ihnen  anhaftenden  Spindelfasern  wie  durcli  Muskelfäden  nach  den 
entgegengesetzten  Polen  hingezogen  werden. 

Demgegenül)er  halten  Flemming  (VI.  14)  für  die  Gewebszellen  von 
Salamandra  und  Strasburger  (VI.  72)  für  pflanzliche  Objecto  auch  neuer- 
dings noch  ihre  älteren  Angaben  aufrecht,  dass  es  Spindelfasern  giebt,  welche 
von  Pol  zu  Pol  ununterljrochen  durchlaufen.  Besonders  beweisend  aber 
für  die  einheitliche  Anlage  der  Spindel  sind  die  früher  erwähnten  Beob- 
achtungen von  Hermann,  die  an  meine  Beschreibung  und  Abbildung  von 
der  Spindelbildung  aus  dem  Keimbläschen  von  Asteracanthion  erinnern. 
(VI.  30  a,  Taf.  VIII.  Fig.  3  u.  4.)  In  beiden  Fällen  bildet  sich  zwischen 
den  noch  nahe  zusammengelegenen  Polen  (Fig.  96)  ein  sehr  kleines,  ein- 
heitliches Spindelchen  aus,  zu  einer  Zeit,  wo  die  Kernsegmente  noch 
weit  entfernt  von  ihm  liegen  und  es  in  keiner  Weise  verdecken ;  all- 
mählich erst  wächst  es  durch  beträchtliche  Verlängerung  der  Fasern  zu 
der  definitiven  Grösse  heran. 


Fig.  95. 


Fig.  96. 


Fig.  95.  Zusammensetzung  der  Spindel  aus  zwei  Halbspindeln,  deren 
Fasern  sich  an  die  Tochtersegmente  ansetzen.  Nach  v.  Bkneden  und  Neyt 
Taf.  VI,  Fig.  8. 

Fig.  96.  Kern  einer  Samenmutterzelle  von  Salamandra  maculata  in 
Vorbereitung  zur  Theilung.  Anlage  der  Spindel  zwischen  den  beiden 
Polkörperchen.     Nach  Hermann  Taf.  31,  Fig.  7. 


Die  entgegengesetzten  Auffassungen  finden  nun  aber,  wie  auch 
schon  Hermann  hervorgehoben  hat,  darin  ihre  Erklärung,  dass  das,  was 
van  Beneden  und  Boveri  Halbspindeln  nennen,  etwas  ganz  Anderes  ist 
als  die  Spindel  der  älteren  Autoren.  Van  Beneden  und  Boveri  ver- 
stehen darunter  einen  Theil  der  von  den  Polen  ausgehenden  protoplas- 
matischen Strahlenfigur,  nämlich  alle  diejenigen  Fäden,  die  im  Aequator 
in  die  Nähe  der  Kernsegmente  treten.  Die  eigentliche  Spindel  liegt  aber 
erst  im  Innern  dieser  Protoplasmafäden  und  der  Kernsegmente.  Hermann 
giebt  ihr  daher  zur  Unterscheidung  von  der  van  Beneden'schen  Spindel 
den  Namen  Centralspindel.  Der  Zusatz  „Central"  erscheint  mir  aber 
ganz   entbehrlich,   einmal  weil   der  Name   Spindel  von  jeher  für  diesen 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


163 


Bestaudtheil  der  Kernfigur  vergeben  ist,  wesshalb  die  sich  zu  den 
Kernsegnienten  begebenden,  protoplasniatischen  Polstrahlen,  welche  von 
van  Beneden  und  Boveri  als  Halbspindeln  besehrieben  worden  sind,  mit 
einem  andern  Namen  benannt  werden  müssten,  sofern  man  einen  solchen 
für  erforderlich  hält.  Zweitens  würde  für  diese  Bildung  überhaupt  der 
Name  Spindel  nicht  einmal  mehr  zutreffend  sein. 

Strittig  ist  ferner  die  stoffliche  Herkunft  der  Spindel- 
fasern. Manche  Forscher  sind  geneigt,  sie  vom  Protoplasma  herzuleiten, 
das  nach  Auflösung  der  Kernmembran  zwischen  die  Nucleinfäden  eindringe 
(Strasburger  VI.  72,  Hermann  VI.  29  etc.).  Ich  habe  früher  den  Stand- 
punkt vertreten  und  nehme  ihn  auch  jetzt  noch  ein,  dass,  abgesehen  von 
den  Polstrahlungen,  die  dem  Protoplasmakörper  der  Zelle  angehören,  die 
verschiedenen  Structurtheile  der  Kernfigur  von  den  einzelnen  Substanzen 
des  ruhenden  Kerns  abstammen.  Die  stoffliche  Grundlage  für  die 
Spindel  und  die  später  aus  ihr  hervorgelienden  Verbindungsfäden  suche 
ich  in  dem  Liningerüst.  Auch  Flemming  vertritt  nach  seinen  Beobach- 
tungen diese  Ansicht,  welcher  auch  die  mikrochemischen  Untersuchungen 
von  Zacharias  nicht  im  Wege  stehen.  Hauptsächlich  aber  scheinen  mir 
folgende  Thatsachen  zu  Gunsten  dieser  Ansicht 
in  die  Wagschale  zu  fallen:  v'^M^ 

Bei   vielen  einzelligen  Organismen   bleiben  ^'-M^'^^i 

die  Kerne  auf  den  einzelnen  Phasen  der  Thei- 
lung durch  eine  feine  Membran  von  dem  Proto- 
plasmakörper getrennt,  bei  Euglypha  (Schewiakoff 
VI.  65  b),  bei  den  Kerntheilungen  der  Infusorien 
und  Actinosphärien  (Rieh.  Hertwig  VI.  82,  83). 
Hier  kann  es  demnach  keinem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  die  Spindelfasern  aus  der  achroma- 
tischen Substanz  des  Kerns  selbst  ihren  Ursprung 
genommen  haben.  Solche  Fälle  kommen  hie 
und  da  auch  im  Thierreich  vor.  Bei  einzelnen 
Mollusken  (Pterotrachea,  Phyllirhoe)  haben  Fol 
(VI.  19a)  und  ich  (VI.  30a)  beobachtet,  dass  die 
Polspindel  im  Innern  des  Keimbläschens  (Fig.  97 
Ä  u.  -B),  welches  hier  übrigens  von  geringer 
Grösse  ist,  angelegt  wird,  solange  noch  die  Kern- 
membran vorhanden  ist.  Die  Annahme,  dass  in 
diesem  Fall  Protoplasma  von  aussen  in  den 
Keniraum  hineingedrungen  sei,  will  mir  wenig- 
stens als  eine  gezwungene  erscheinen.  Ferner 
halte  ich  es  nicht  für  zweifelhaft,  dass  die  Ver- 
bindungsfäden, welche  sich  in  den  sich  theilen- 
den  Samenmutterzellen  von  Ascaris  zwischen 
den  auseinander  weichenden  Kernsegmenten  aus- 
spannen, vom  Liningerüst  herrühren.  Eine  ty- 
pische Spindelbildung  konnte  ich  an  diesem 
Object  allerdings  nicht  beobachten. 

Als  ein  strittiger  Punkt  muss  auch  die  Herkunft  der  Polkör- 
perchen bezeichnet  werden.  Schon  am  Anfang  der  siebenziger  Jahre 
beschrieben  und  abgebildet,  sind  dieselben  als  gesonderte  Bestandtheile  der 
Kerntheilungsfig-ur  ^erst  durch  van  Beneden  (VI.  4  a)  zur  Geltung  gebracht 
worden,  indem  es  diesem  Forscher  gelang,  sie  durch  Färbung  (mit  Hülfe 
von  Anilinfarben  in  Vs  Glycerin  gelöst)    gegen   die  Umgebung  schärfer 

11* 


B 


rig.  97. 

düng    zur 


A  In  Umbil- 
Spindel  be- 
griffenes Keimbläschen 
aus  einem  frisch  abge- 
legten Ei  von  Phyl- 
lirhoe. E.ssigsäurepräparat. 
Hertwig  Taf.  XI,  Fig.  2. 
ß  Keimbläschen  aus 
dem  frisch  abgelegten 
Ei  von  Phyllirhoe,  in 
welchem  die  Spindel 
auf  dem  optischen 
Querschnitt  gesehen 
wird.  Essigsäurepräparat. 
Hertwig  Taf.  XI,  Fig.  6. 


\Q^  Sechstes  Capitel. 

ZU  diflferenziren.  Bald  darauf  machten  gleichzeitig  und  unabhängig  von- 
einander van  Beneden  und  Boveri  (VI.  4  b,  6)  die  wichtige  Entdeckung, 
dass  sich  die  Polkörperchen  durch  Selbsttheilung  ver- 
mehren, was  ich  später  auch  für  die  Samenzellen  von  Ascaris  (VI.  34) 
bestätigen  konnte.  Van  Beneden  hatte  aus  seinen  Beobachtungen  den 
Schluss  gezogen,  dass  die  Polkörperchen  ebenso  wie  die  Kerne 
permanente  Organe  der  Zelle  seien  und  sich  jederzeit  im 
Protoplasma  als  selbständige  Gebilde  vorfinden  müssten.  Dieser  Aus- 
spruch fand  eine  gewisse  Stütze  in  den  Entdeckungen  von  Flemming 
(VI.  17),  Solger  (VI.  70)  und  Heidenhain  (IL  16),  dass  in  manchen  Zell- 
arten, wie  Lymphkörperchen,  Pigmentzellen,  ein  Polkörperchen  mit  einer 
Strahlensphäre  im  Protoplasma  auch  zu  einer  Zeit  nachzuweisen  ist,  wo 
der  oft  weiter  abseits  gelegene  Kern  sich  in  voller  Ruhe  befindet.  (Siehe 
Seite  47,  Fig.  34—36.) 

In  einer  anderen  Richtung  wurde  die  Kenntniss  der  Polkörperchen 
durch  das  Studium  des  Befruchtungsprocesses  wesentlich  gefördert. 
Schon  1884  sprach  ich  die  Ansicht  aus  (VI.  85),  dass  bei  der  Befruch- 
tung ein  Polkörperchen  durch  den  Samenfaden  in  das  Ei  eingeführt 
werde  und  dass  es  allem  Anschein  nach  das  sogenannte  Mittelstück  oder 
der  Hals  sei,  welcher  in  der  dem  Samenkern  vorausgehenden  Strahlung 
das  Attractionscentrum  abgebe.  Ich  verglich  dasselbe  „der  an  den 
Enden  der  Kernspindel  vorhandenen,  geringen  Quantität  wenig  tingir- 
barer,  aber  vom  Protoplasma  unterscheidbarer  Substanz  (der  Polsubstanz 
und  dem  Polkörperchen)",  und  ich  kam  so  zu  dem  Schluss,  dass,  „wenn 
der  Vergleich  richtig  ist,  die  bei  der  Befruchtung  und  Zell- 
theilung  auftretenden  Strahlungen  des  Protoplasma  eine 
gemeinsame  Ursache  in  der  Anwesenheit  ein  und  der- 
selben Substanz  haben". 

Richard  Hertwig  (VI.  84)  sprach  sich  wiederholt  über  die  Gleich- 
artigkeit der  Polsubstanz,  des  Mittelstücks  des  Samenfadens  und  der 
Substanz  der  echten  Nucleolen  aus.  Boveri  (VI.  7)  Hess  gleichfalls 
den  Samenfaden  ein  Polkörperchen  oder  Centrosoma  in  das  Ei  hinein- 
tragen. Die  definitive  Entscheidung  haben  die  später  zu  beschreibenden 
wichtigen  Entdeckungen  von  Fol  (VII.  14)  und  von  Guignard  (VI.  23  b) 
gebracht.  Hiernach  besitzt  sowohl  der  Eikern  als  der  Samenkern  ein 
eigenes  Polkörperchen.  Während  die  Kerne  verschmelzen,  theilen  sich 
die  Polkörperchen,  und  ihre  Theilhälften  verschmelzen  darauf  zu  zwei 
Polkörperchen,  welche  die  Enden  der  Theilspindel  einnehmen. 

Trotz  dieser  Entdeckungen  ist  eine  Frage  noch  nicht  aufgeklärt. 
Sind  die  Polkörperchen  als  permanente  Zellorgane  zum 
P  r  0 1 0  p  1  a  s  m  a  h  i  n  z  u  z  u  r  e  c  h  n  e  n ,  sind  sie  während  der  Ruhe  dauernd 
in  dasselbe  eingeschlossen  und  treten  sie  nur  während  der  Theilung  zum 
Kern  in  eine  Wechselbeziehung  oder  lassen  sich  die  Polkörperchen 
als  besondere  Elementartheile  des  Kerns  betrachten,  wie 
die  Kernsegmente,  Spindelfasern,  Nucleolen  u.  s.  w.  In  letzterem  Falle 
müssten  sie  während  der  Ruhe  in  dem  Kern  selbst  eingeschlossen  sein 
und  nur  während  der  Theilung  sich  zum  Protoplasma  in  Beziehung 
setzen. 

Das  zur  Zeit  vorliegende  Beobachtungsmaterial  reicht  zur  Beant- 
wortung dieser  Frage  noch  nicht  aus.  Die  Bewegungen  der  Pol  Substanz 
vor,  während  und  nach  der  Kerntheilung  so  genau  zu  verfolgen,  wie  es  für 
das  Nuclein  gelungen  ist,  ist  mit  sehr  grossen  Schwierigkeiten  verbunden, 
da  die  Polkörperchen  ausserordentlich  klein  sind  und  da  man  sie  noch 


IV.     Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung.  165 

nicht  durch  bestimmte  Farbstoffe  mit  Sicherheit  unter  allen  Verhältnissen 
erkennbar  machen  kann.  Während  der  Theilstadien  selbst  werden  die 
Polkörperchen  vornehmlich  durch  den  Strahlenkranz,  mit  welchem  sie 
sich  umj?eben,  für  uns  unterscheidbar,  während  der  Ruhe  aber  ist  von 
einem  Strahlenkranz  nichts  wahrzunehmen. 

Für  eine  Abstammung  der  Polkörperchen  aus  dem  Kern 
lässt  sich  geltend  machen,  erstens,  dass  man  in  der  ruhenden  Zelle, 
wenige  Fälle  ausgenommen,  im  Protoplasma  etwas  ihnen  Entsprechendes 
nicht  auffinden  kann;  zweitens  dass  bei  Beginn  der  Theilung  die  Pol- 
körperchen unmittelbar  an  der  Oberfläche  der  Kernmembran  auftreten 
(Fig.  98)  und  dann  erst  weiter  vom  Kern  weg  in  das  Protoplasma 
hineinrücken;  drittens,  dass  bei  dem  Auftreten  der  Polkörperchen  die 
Kernmembran  häufig  eingefallen  ist,  als  ob  aus  einer  kleinen  Oeffnung 
Kernsaft  ausgetreten  sei ;  viertens  dass  an  manchen  Objecten  das  Auftreten 
der  Polkörperclien  mit  dem  Zerfall  der  Nucleolen  zeitlich  zusammenfällt. 

Mich  hat  die  Frage  nach  der  Herkunft  der  Polkörperchen  oft 
beschäftigt  und  ich  habe  viel  vergebliche  Mühe  auf  sie  verwandt,  zuletzt 
noch  in  meiner  Untersuchung  über  Ei-  und  Samenbildung  bei  Nematoden. 
Eine  Gewissheit  habe  ich  mir  nicht  verschaffen  können.  Wenn  zur  Zeit 
wohl  die  Mehrzahl  der  Forscher  die  Polkörperchen  als  zum  Protoplasma 
sehörig  betrachtet,  so  möchte  doch  die  andere,  oben  erwähnte  Möglich- 
keit eines  nucleären  Ursprangs  nicht  ganz  ausser  Acht  zu  lassen  sein. 

Ein  letzter  noch  wenig  aufgeklärter  Punkt  ist  das  Schicksal  der 
Nucleolen,  ihr  Verschwinden  bei  Beginn  der  Kerntheilung  und  ihr 
Wiederauftreten  in  den  Tochterkernen.  Was  für  Substanzumlagerungen 
haben  hierbei  stattgefunden?  Die  Frage  ist  ebenfalls  keine  leicht  zu 
entscheidende,  um  so  mehr,  als  in  manchen  Fällen  die  Nucleolen  aus 
zwei  verschiedenen  chemischen  Substanzen  zusammengesetzt  sind.  (Siehe 
Seite  43.) 

Mir  scheint  nun,  abgesehen  von  den  oben  erörterten  Beziehungen  zu 
den  Polkörperchen,  dass  die  Nucleolen  in  der  Vorbereitung 
zur  Theilung  in  kleine  Substanztheilchen  zerlegt  und 
auf  die  Kernsegmente  verth eilt  werden. 


a 


'^^^i-. 


Fi?.  98.  S^Aa 


Fig.  99. 


Fig.  98.  Kern  einer  Samenmutterzelle  von  Asearis  megalocephala 
bivalens.  Die  Nuclein-Substanz  ist  in  Fäden  augeordnet,  die  in  zwei  Gruppen  aus- 
einander weichen.  Erstes  Auftreten  der  Polkörperchen.  Rückbildung  des  Nucleolus. 
Taf.  III,  Fig.  7. 

Fig.  99.     A  Nucleolen  mit  sich  ablösenden  Körnchen.     Taf.  III,  Fig.  4. 

H  Kern  einer  Samenmutterzelle  von  Asearis  megalocephala  bivalens 
aus  dem  Ende  der  Wachsthumszone.  Aus  schwachem  Flemming' sehen  Chrom- 
osmiumgemisch.     Färbung  mit  Säurefuchsin.     Taf.  III,  Fig.  5. 

C  Kern  einer  Samenmutterzelle  von  Asearis  megalocephala  bivalens 
aus  der  Mitte  der  Theilzone.  Schwaches  Flemming'sches  Gemisch  von  Chrom- 
osmiunisäure.     Färbung  mit  Säurefuchsin.     Taf.  III,  Fig.  9. 


_^ 


IQQ  Sechstes  Capitel. 

Bei  den  Samenmutterzellen  von  Ascaris,  die  mit  schwachem 
Flemming'sclien  Gemisch  gehärtet  sind,  verliert  das  Nuclein  seine  Färb- 
barkeit,  w<ährend  die  Nucleolen  in  Säurefuchsin  dunkelroth  tingirt  werden. 
(Fig.  99  Ä.  u.  B.)  Hier  sah  ich  nun,  dass  in  den  Vorbereitungsstadien 
der  Nucleolus  in  mehrere  Stücke  zerfällt,  dass  von  diesen  sich  kleinste 
Kügelchen  ablösen,  dass  solche  hochroth  gefärbte  Kügelchen  sich  auch  auf 
den  Kernfäden  aufgelagert  finden.  Wenn  im  weiteren  Verlauf  die  Kern- 
segniente  fertig  angelegt  sind  und  der  Nucleolus  ganz  verschwunden  ist, 
(Fig.  99  C),  dann  sind  erstens  an  der  Oberfläche  des  Kerns  die  Pol- 
körperchen sichtbar  geworden,  und  zweitens  ist  in  jedes  Kernsegment 
ein  dunkelroth  gefärbtes  Korn  eingeschlossen,  das  nach  seinem  Verhalten 
gegen  Farbstoffe  wie  Substanz  des  Nucleolus  aussieht. 

Fiir  die  Aufnahme  von  Nucleolarsubstanz  in  die  Kernsegmente,  dann 
aber  wahrscheinlich  in  einer  viel  feineren  Vertheilung,  sprechen  noch 
einige  interessante  Farbstoffreactionen.  Wie  Wendt  bei  Pflanzen  gefunden 
hat,  färbt  sich  das  Nucleingeriist  der  Kerne  aus  dem  Embryosack  mehrerer 
Liliaceen  nach  Behandlung  mit  Fuchsin- Jodgrün  blaugrün,  die  Nucle- 
olen roth.  Auf  den  Theilstadien  dagegen,  in  denen  die  Nucleolen  auf- 
gelöst sind,  färben  sich  die  Kernsegmente  violett.  Wenn  später  dann 
in  den  Tochterkernen  die  Nucleolen  wieder  erscheinen,  nehmen  die 
Kernfäden  abermals  die  blaugrüne  Farbe  an.  Went  erklärt  den  Farben- 
wechsel dadurch,  dass  während  der  Theilung  die  Kernsegmente  Nucleolar- 
substanz in  sich  aufnehmen  und  nach  der  Theilung  zur  Bildung  der 
Nucleolen  in  den  Tochterkernen  wieder  abgeben. 

Bei  thierischen  Zellen  haben  Flemming  (VI.  13.  1891)  und  Her- 
mann einen  entsprechenden,  mit  der  Auflösung  und  dem  Wiedererscheinen 
der  Nucleolen  parallel  gehenden  Farbenwechsel  der  Kernsegmente  bei 
Doppel tinctionen  mit  Safranin-Haematoxylin,  Safranin-Mauvein,  Safranin- 
Gentiana  etc.  walirgenommen.  „Es  scheint  mir  bemerkenswerth,"  erklärt 
Flemming  bei  dieser  Gelegenheit,  „dass  in  denjenigen  Stadien,  wo  noch 
Nucleolen  vorhanden  oder  eben  erst  verschwunden  sind  oder  eben  wieder 
auftreten,  die  Neigung  der  chromatischen  Figur  zur  Blaufärbung  vor- 
liegt, während  die  Formen,  in  welchen  sie  völlig  deconstituirt  sind,  sich 
rein  safranophil  verhalten,  wie  es  ja  die  Nucleolen  selbst  sind." 

2)    Die  Kernzersehnürung  (directe  Kernvermehrung,   Fragmentirung, 

Amitose,  amitotische  Theilung). 

Im  Gegensatz  zu  den  complicirten ,  mit  Segmentirung  verbundenen 
Vorgängen  kann  sich  die  Kerntheilung  bei  einigen  wenigen  Zellarten  in 
einer  scheinbar  sehr  einfachen  Weise  vollziehen,  die  man  als  Fragmentirung 
oder  Kernzersehnürung  bezeichnet.  Hier  kommt  es  nicht  zur  Entstehung 
von  Spindelfasern,  Kernsegmenten  und  Protoplasmastrahlungen.  Viel- 
mehr verläuft  die  Kernzersehnürung  mehr  in  der  von  älteren  Histo- 
logen  schematisch  dargestellten  Weise.  Sie  ist  am  leichtesten  an  den 
Lymphkörperchen  zu  beobachten,  sowohl  am  lebenden,  als  an  dem  mit 
Reagentien  fixirten  Object. 

Taugliche  Präparate  lassen  sich  in  verschiedener  Weise  herstellen: 
Entweder  man  saugt  einen  Tropfen  Lymphe  aus  dem  dorsalen  Lymph- 
sack des  Frosches  mit  einer  feinen  Capillarröhre  ein ,  bringt  denselben 
auf  einen  Objectträger  und  bedeckt  mit  einem  Deckgläschen,  dessen 
Ränder,  um  die  Verdunstung  zu  verhüten,  mit  Paraffin  umsäumt  werden. 
Oder   man   verfertigt   sich    nach   der  Methode   von  Ziegler  kleine  Glas- 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


167 


kammern,  indem  man  zwei  kleingeschnittene  Deckgläschen  an  ihren  vier 
Ecken  oder  an  zwei  Seiten  fest  verbindet  in  der  Weise,  dass  ein  capillarer 
Spaltraum  zwischen  ihnen  frei  bleibt.  Man  legt  dann  die  Glaskammer 
für  einen  oder  für  mehrere  Tage  in  den  dorsalen  Lymphsack  des  Frosches, 
während  welcher  Zeit  Lymphzellen  in  grosser  Zahl  zwischen  die  beiden 
Deckgläschen  einwandern  und  Veränderungen  eingehen.  Diittens  kann 
man  nach  der  von  Arnold  empfohlenen  Methode  ein  dünnes,  durchsichtiges 
Scheibchen  von  Hollundermark  in  den  Lymphsack  bringen.  Nach  wenigen 
Stunden  haben  sich  an  seiner  Oberfläche  zahlreiche  Leukocyten  fest- 
gesetzt, die  sich  zur  Untersuchung  eignen.  Nach  längerer  Zeit  bilden 
sich  um  die  Plättchen  von  Hollundermark  durch  Gerinnung  dünne 
Fibrinhäutchen ,  die  sich  abziehen  lassen  und  mit  den  ansitzenden 
Zellelementen  ebenfalls  zur  Beobachtung  geeignet  sind. 

Bei  einer  Temperatur,  welche  zwischen  16*^  und  18*^  schwankte, 
hat  Ran  vier  (VL  54)  alle  Erscheinungen  der  Theilung  einer  Lymph- 
zelle im  Verlauf  von  drei  Stunden  sich  abspielen  sehen.  Arnold  (VL  1) 
und  Andere  haben  seine  Angaben  bestätigt  und  vielfach  erweitert.  Der 
bläschenförmige  Kern  kann  seine  Form  aktiv  verändern  und  sich  mit 
Buckeln  und  Höckern  bedecken.  An  solchen  Kernen  treten  dann  häufig 
Einschnürungen  auf,  die  einen  Zerfall  in  2,  3  und  mehr  Stücke  herbei- 
führen.     (Fig.  100,   A.  und    B.)      Die   Kernstücke   rücken   auseinander 


k  ^^"^ 


^0r 


Fig.  100.  A  Wanderzelle  aus  einem  Hollunderplättehen ,  welches 
10  Tage  im  Lymphsack  eines  Frosches  gelegen  hatte.  Zu  Anfang  der  Be- 
obachtung war  der  Kern  in  seiner  Mitte  etwas  eingeschnürt,  an  den  Enden  eingefurcht ; 
schon  nach  5  Minuten  hatte  sich  die  Theilung  des  Kerns  vollzogen.  Nach  Akxold 
Taf.  XII,  Fig.  1. 

B  Wanderzelle  in  Theilung.  Nach  30  Minuten  ist  aus  der  Figur  A  die 
Figur  B  entstanden.     Nach  Arnold  Taf.  XII,  Fig.  3. 


und  bleiben  nicht  selten  noch  längere  Zeit  durch  feine  Verbindungs- 
fäden im  Zusammenhang.  Häufig  folgt  der  Kerntheilung  die  Zelltheilung 
auf  dem  Fuss,  wie  die  Figuren  100  A.  u.  B.  veranschaulichen.  Zwischen 
den  auseinandergerückten,  durch  einen  feinen  Faden  verbundenen  Kern- 
hälften schnürt  sich  auch  der  Protoplasmakörper  ein.  Seine  beiden 
Hälften  bewegen  sich  durch  Ausstrecken  zahlreicher,  amöboider  Fortsätze 


168  Sechstes  Capitel. 

nach  entgeuengesetzten  Richtungen  auseinander.  Hierbei  kann  sich  zu- 
weilen die  Verbindungsbrücke  zwischen  ihnen,  nachdem  schon  die  beiden 
Tochterkerne  sich  getrennt  haben,  zu  einem  langen,  feinen  Faden 
ausziehen. 

„Die  zeitliche  Aufeinanderfolge  der  einzelnen  Theilungsabschnitte  ist 
bei  der  Fragmentirung  sehr  häufig  keine  gesetzmässige ;  vielmehr  können 
Kerne  und  Zellen  in  dem  einen  oder  anderen  Stadium  länger  verharren." 
(Arnold.) 

Dadurch,  dass  nach  der  Fragmentirung  des  Kerns  die  Zelltheilung 
ausbleibt,  können  vielkernige  Zellen  entstehen.  Zuweilen  erreichen  die- 
selben bei  entziindlichen  Processen  eine  beträchtliche  Grösse  und  werden 
als   Riesenzellen   beschrieben  (Fig.  101).    Die   kleinen  Kerne  zeigen 

die  verschiedenste  Form  und  Anordnung.     Bald 
Mf^^  ^^^^  ^^®  kuglige   Bläschen,    bald   ovale,   wurst- 

Mi-      ^M^  förmige   oder    gelappte    Körper,    bald   sind    sie 

r^^^'i^l^^vIC   'Mi^^        gleichmässig   und   einzeln  im  Protoplasma  ver- 
'^^^M^^Y^^^^^-^        theilt,    bald    ketten-    und    kranzförmig    anein- 
''-M^XJ^  ander  gereiht;    bald   finden    sich    auch    isolirte 

MCyy^<-^.i^  Kernchen    neben  aneinander  gereiht    vor.     Im 

^liö.'^'SM^  weiteren  Verlauf  können   sich   von   den  Riesen- 

/.•/f®f>n-^'^"-''  Zellen    wieder   kleine   Zellchen    nach   Beobach- 

tungen von  Arnold  ablösen.  Die  Al)lösung  voll- 
zieht sich  in  doppelter  Weise.  „Bald  zeigt  die 
Riesenzelle  kolbige,  kernhaltige  Ausläufer,  welche, 
Fig.  101.  Eine  grosse  nachdem  sie  zuvor  wiederholt  eingezogen  und 
vielkernige  Zelle  zeigt  wieder  ausgesendet  worden  waren,  später  oder 
ruig'tmSiUger'SS:  ^ü^er  abgeschnürt  werden,  bald  erfolgt  die 
len.  Nach  Arnold  Tat".  XIV,  Abtrennung  bei  Schwacher  oder  vollständig  man- 
Fig-.  13.  gelnder  Bewegimg  des  Körpers." 

Ausser  an  Lymphkörperchen  sind  Zell- 
theilungen,  die  unter  den  Erscheinungen  der  Kernzerschnürung  ver- 
laufen, auch  an  Epithelzellen,  namentlich  häufig  bei  Arthropoden,  wahr- 
genommen worden,  so  durch  Johnson  (VI.  41)  und  Blochmann  (VI.  86) 
in  den  Embryonalzellen  des  Scorpions,  durch  Platner  (VI.  52)  in  den 
Zellen  Malpighi'scher  Gefässe  und  an  anderen  Objecten  durch  andere 
Forscher. 

Eine  eigenthündiche  Art  der  Kernzerschnürung  ist  von  Göppert 
(VI.  22),  Flemming  (VI.  16),  von  Kostanecki  (VI,  46)  u.  A.  beschrieben 
worden.  Das  geeignetste  Untersuchungsobject  hierfür  scheint  das  lymph- 
oide  Gewebe  zu  sein,  welches  die  Amphibienleber  überzieht.  Nach  der 
Darstellung  von  Göppert  erhält  der  Kern  einer  Lymphzelle  eine  trichter- 
förmige Einsttdpung,  die  sich  so  lauge  vertieft,  bis  sie  die  entgegen- 
gesetzte Oberfläche  der  Kernmembran  erreicht  und  hier  mit  einer  feinen 
Oefi"nung  zur  Ausmündung  gelangt.  (Fig.  102  A.  u.  B.)  Auf  diese 
Weise  entstehen  von  einem  engen  Kanal  durchbohrte,  ringförmige 
Kerne.  Indem  der  Ring  an  einer  Stelle  erst  eingeschnürt  und  dann 
durchgeschnürt  wird,  bildet  er  sich  in  einen  Halbring  um,  der  häufig 
durch  oberflächliche  Einschnürungen  in  mehrere  Abtheilungen  gesondert 
wird.  (Fig.  102  C.)  Durch  weitere  Zerlegung  kann  er  in  eine  grössere 
Anzahl  kleinerer  Kernchen  zerfallen,  die  zuweilen  noch  durch  feine  Ver- 
bindungsl)rücken  längere  Zeit  in  Zusammenhang  bleiben.  Auch  an 
anderen  Orten  sind  derartige  „Lochkerne",  wie  z.B.  im  Epithel  der 
Harnblase    vom  Frosch,    durch   Flemming   (VI.  16)    beobachtet   worden. 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


169 


Zu    einer  Theilung 
nicht  zu  kommen. 


des  Zellenleibes    scheint    es   aber   in  diesen  Fällen 


C 


Fig.  102.  A  Seitliche  Ansicht  eines  Lochkerns  aus  der  lymphatischen 
Randschicht  der  Leber  von  Triton  alpestris.  Der  Kern  ist  in  der  Richtung 
<ler  Durchbohrung  abgeplattet.     Nach  Güppert  Taf.  XX,  Fig.  4. 

B  Lochkern  mit  deutlich  radiärer  Anordnung  des  Nucleingerüstes. 
Nach  GöPPERT  Taf.  XX,  Fig.  3. 

C  Ringförmiger,  in  mehrere  Abschnitte  durch  Einschnürung  zer- 
legter Kern  einer  Lymphzelle.     Nach  Göppert  Taf.  XX,  Fig.  10. 

Wie  im  Thierreich  tritt  Kernze  rschntirung  hie  und  da 
auch  i m  P f  1  a n z e n r e i c h  auf.  Zu  ihrer  Untersuchung  empfehlen 
sich  einzelne  Objecte,  wie  die  langen  Interne  dialzellen  der 
Characeen  oder  ältere  Zellen  höher  organisirter  Pflanzen.  So  beschreibt 
Strasburger  (IL  41)  aus  älteren  Internodien  von  Tradescant  i  a 
mehr  oder  weniger  un- 
regelmässige Kerne,  die  „  A 
in  verschieden  grosse  und 
verschieden  gestaltete 
Abschnitte  eingeschnürt 
sind.  „Ist  der  Einschnitt 
einseitig ,  so  erscheinen 
die  Zellkerne  nierenför- 
mig,  bei  allseitiger  Ein- 
schnürung bisquitförmig 
oder  auch  unregelmässig 
gelappt.  In  manchen 
Fällen  haben  sich  die 
Theilstücke  völlig  ge- 
trennt und  berühren  sich 
entweder  noch  oder  lie- 
gen in  grösserer  oder 
geringerer  Entfernung 
voneinander.  Die  Zahl 
der  so  getrennten  Kerne 
in  einer  Zelle  kann  bis 
auf  8  oder  10  anwach- 
sen." Bei  Characeen  ge- 
winnen die  Kerne  durch 
mehrfache  Einschnürun- 
gen   vorübergehend    ein 

perlschnurförmiges  Aussehen,  bis  die  Durchschnürung,  die  sehr  träge  ab- 
läuft, beendet  ist. 

Aus  Einschnürungen  an  den  Kernen  darf  man  übrigens  nicht  gleich 


t-^M 


Fig.  103.  Tradescantia  virginica.  Zellkei'ne 
älterer  Internodien  in  directer  Theilung.  Nach 
Strasburger  Fig.  193. 

A  nach  dem  Leben,  B  nach  Essigsäure-Methylgrüu- 
Behandlung. 


170 


Seclistes  Capitel. 


auf  den  Beginn  einer  diiecten  Theilung  schliessen,  solange  für  das 
bestimmte  Object  eine  derartige  Vermehnmgsweise  nicht  durch  Beobachtung 
aller  einzelnen  Stadien  nachgewiesen  ist.  So  findet  man  in  Ureiern 
und  in  Ursamenzeilen  häufig  maulbeeiförmige  oder  unregelmässig 
gelappte  Kerne.  Doch  scheint  es  hier  nicht  zu  einer  Sonderung  in 
Tochterkerne  auf  dem  Wege  der  Zerschnürung  zu  kommen,  so  dass 
auch  die  Lappung  nicht  als  eine  Vorbereitung  zu  einer  directen  Theilung 
betrachtet  werden  kann.  In  diesen  Fällen  steht  dieselbe  wahrscheinlich 
mit  Stoffwechselprocessen  im  Kern  in  Zusammenhang.  (Vergleiche  hier- 
über auch  Capitel  VIII.) 

Vermehrung  der  Kerne  durch  Abschnürung  kommt  endlicli  auch  im 
Protistenreich  vor.  Sie  findet  sich  häufig  in  der  Gruppe  der  Acineten, 
in  welcher  uns  Podophrya  gemmipara  (Fig.  104)  ein  lehrreiches  Beispiel 
liefert,  das  auf  Seite  184  genauer  beschrieben  ist. 

3)   Endogene  Kernvermehrung  oder  Vielkernbildung. 

Eine  dritte,  sehr  abweichende  Art  der  Kernvermehrung,  welcher  ich 
den  für  die  Ueberschrift  gewählten  Namen  geben  möchte,  ist  von  Richard 
Hertwig  (VI.  36)  bei  einer  Abtheilung  der  Badiolarien,  den  Thalassicollen, 
entdeckt,  später  von  Carl  Brandt  (VI.  8)  bestätigt  und  in  ihren  Einzel- 
heiten noch  genauer  verfolgt  worden. 


Fig.  104.  Zellknospung.  Podophrya 
gemmipara  mit  Knospen.  E.  Hertwig,  Zoo- 
logie Fig,  21. 

a  Knospen,  die  sich  ablösen  und  zum  Schwär- 
mer b  werden,  iV  Kern. 


Fiff.  105. 


Fig.  105.  Ein  kleines  Stück  von  einem  Durchschnitt  durch  den 
grossen,  bläschenförmigen  Kern,  das  sogenannte  Binnenbläschen  von 
Thalassicolla  nucleata,  mit  strangförmigen,  von  einem  gemeinsamen  Punkt 
ausstrahlenden  Binnenkörpern  (Kernkörpern).     R.  Hertwig  Tat'.  V,  Fig.  7. 


Die  Thalassicollen,  diese  grössten  Radiolarienformen,  deren  Central- 
kapsel  fast  den  Durchmesser  eines  Froscheies  erreicht,  besitzen  während 
des  grössten  Theils  ihres  Lebens  einen  einzigen,  riesigen,  hoch- 
differenz  irten  Kern  von  etwa  ^2  mm  Durchmesser  mit  einer  dicken, 
porösen    Kernmembran,    das    sogenannte    Binnenbläschen.     Dieses 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  anf  dem  Wege  der  Theilung.  171 

bietet  viel  Aehnlichkeit  mit  den  multinucleolären  Keimbläschen  eines 
Fisch-  oder  Amphibieneies  dar.  In  seinem  Inhalt  finden  sich  zahlreiche, 
meist  im  Centrnm  zu  einem  Haufen  zusammengedrängte,  verschieden 
geformte  Nucleinkörper  vor  (Fig.  105).  Inmitten  derselben  liegt  sehr 
häufig  ein  helles  Centi'alkörperchen,  eingehüllt  von  einer  Strahlensphäre, 
welche  R.  Hertwig  schon  gesehen  und  abgebildet,  und  welche  neuerdings 
Brandt  genauer  untersucht  hat.  Der  letztere  konnte  verfolgen,  wie 
zur  Zeit  der  Fortpflanzung  das  Centralkörperchen, 
welches  mir  dem  von  der  pflanzlichen  und  thierischen 
Zelle  bekannten,  gleichnamigen  Gebilde  zu  entsprechen 
scheint,  sich  an  die  Oberfläche  des  Binnenbläschens 
begiebt,  die  Strahlensphäre  hinter  sich  herziehend. 
Hier  tritt  es  durch  die  Kernmembran  in  das  umgebende 
Protoplasma  der  Ce  ntralkapsel  aus,  wo  Brandt  über  sein 
weiteres  Schicksal  nichts  berichtet. 

Um  diese  Zeit  treten  dann  auch  zahlreiche,  kleine  Kerne  im  Proto- 
plasma der  Centralkapsel,  das  ursprünglich  ganz  kernfrei  ist,  ausserhalb 
des  Binnenbläschens  auf;  sie  dienen  als  Centren  für  die  Bildung  kern- 
haltiger Schwärmsporen,  deren  Zahl  sich  schliesslich  auf  Hunderttausende 
beläuft.  Währenddem  beginnt  das  Binnenbläschen  zu  schrumpfen  und 
was  es  an  Kernkörperchen  besass,  in  demselben  Maasse  zu  verlieren, 
als  ausserhalb  desselben  der  Kernreichthum  im  Protoplasma  zunimmt; 
schliesslich  wird  es  ganz  aufgelöst.  Hierbei  stellt  Brandt  in  der  Kern- 
vermehrung Verschiedenheiten  auf,  je  nachdem  sich  Isosporen  oder  Aniso- 
Sporen  bilden. 

Aus  dem  ganzen  Vorgang  ziehen  R.  Hertwig  und  Brandt  den  gewiss 
richtigen  Schluss,  dass  die  zur  Schwärmerbildung  dienenden  und  in  der 
Centralkapsel  erst  spärlich,  dann  immer  reichlicher  auftretenden  Kerne 
von  Substanztheilen  des  Binnenbläschens  (den  Kernkörperchen)  abstammen. 
„Mit  dieser  Deutung,"  bemerkt  R.  Hertwig,  „habe  ich  einen  Modus  der 
Kernvermehrung  angenommen,  welcher  sich  wesentlich  von  dem  bekannten 
unterscheidet  und  durch  keine  Beobachtungen  der  thierischen  und  pflanz- 
lichen Histologie  bis  jetzt  bewiesen  ist.  Denn  wenn  wir  den  Vorgang  histo- 
logisch zu  deuten  versuchen,  so  würden  wir  zu  dem  Resultate  gelangen, 
dass  Kerne  sich  nicht  allein  durch  Theilung  oder  Knospung  vermehren 
können,  sondern  dass  sie  auch  entstehen,  indem  die  Kernkörper  eines 
Kerns  sich  durch  Theilung  vervielfältigen ,  auswandern  und  im  Proto- 
plasma der  zugehörigen  Zelle  zu  selbständigen  Kernen  werden."  „Eine 
derartige  multinucleoläre  Zelle  könnten  wir  dann  el)enso  für  potentia  viel- 
kernig halten,  wie  eine  vielkernige  Zelle  für  potentia  vielzellig,  und 
würde  so  der  allmähliche  Uebergang ,  welcher  zwischen  dem  einzelnen 
Zellindividuum  und  dem  aus  Theilung  desselben  entstandenen  Zellhaufen 
besteht,  ein  noch  mehr  durch  Zwischenstadien  vermittelter  sein,  als  er 
ohnedies  schon  ist." 

Bei  dieser  Gelegenheit  sei  auch  erinnert  an  die  eigenthümlichen  Er- 
scheinungen der  Kernvermehrung,  welche  von  Fol  (VI.  20),  Sabatier.  Davidoif 
(VI.  87)  u.  A.  an  unreifen,  noch  ziemlich  jungen  Eiern  von  Ascidien  beobachtet 
und  mit  der  Entstehung  der  Follikelzellen  in  Beziehung  gebracht  sind.  Ver- 
gleiche auch  die  von  Schäfer  (VI.  65a)  beobachteten,  ähnlichen  Vorgänge 
im  jungen  Säugethierei. 


172  Sechstes  Capitel. 

III.    Verschiedene  Arten  der  Zellyermehrung. 

1)  Allgemeine  Regeln. 

Abgesehen  von  den  im  letzten  Abschnitt  besprochenen  Processen  der 
Kernsegmentirung,  der  Kernzerschniirung  und  endogenen  Kernbildung  kann 
die  Zellverniehrung  noch  ein  sehr  verschiedenartiges  Aussehen  gewinnen, 
je  nach  der  Art  und  Weise,  wie  sich  der  Protoplasmakörper  bei  der 
Theilung  verhält.  Ehe  wir  uns  mit  den  hierdurch  bedingten  Hauptarten 
und  Unterarten  der  Zellvermehrung  bekannt  machen,  wird  es  zuvor 
nothwendig  sein,  auf  einige  allgemeine  Beziehungen  zwischen  Kern  und 
Protoplasma  einzugehen,  auf  welche  ich  in  meiner  Schrift  „Welchen 
Einfiuss  übt  die  Schwerkraft  auf  die  Tlieilung  der  Zellen"  (VI.  31)  die 
Aufmerksamkeit  gelenkt  habe. 

In  der  ruhenden  Zelle  kann  der  Kern  bald  diese,  bald  jene  Lage 
einnehmen,  auch  seinen  Ort  verändern,  wie  er  denn  zum  Beispiel  in 
Pflanzenzellen  durch  die  Protoplasmaströmung  hierin  und  dahin  mit- 
genommen wird.  Unter  besonderen  Verhältnissen  aber,  von  denen  hier 
nur  die  zur  Zelltheilung  in  Beziehung  stehenden  erörtert  w^erden  sollen, 
während  andere  uns  in  Capitel  VIII  beschäftigen  werden,  tritt  der  Kern 
zum  Protoplasmakörper  in  ganz  bestimmte,  gesetzmässige  Lagebeziehungen. 

Zwischen  Protoplasma  und  Kern  finden  während  der  Theilung 
Wechselwirkungen  statt,  um  mich  eines  Gleichnisses  zu  bedienen,  wie 
zwischen  Eisentheilchen  und  einem  beweglich  aufgehängten  Magneten. 
Durch  die  magnetische  Kraft  werden  die  Eisentheilchen  polarisirt  und 
dadurch  veranlasst,  sich  in  Radien  um  die  Pole  herum  zu  gruppiren. 
Auf  der  anderen  Seite  aber  übt  die  Massenvertheilung  des  Eisens  auf 
die  Stellung  des  Magneten  auch  wieder  einen  richtenden  Einfiuss  aus. 
In  der  Zelle  erhalten  die  Wechselwirkungen  zwischen  Protoplasma  und 
Kern  ihren  sinnenfälligen  Ausdruck  in  der  Entstehung  der  Polcentren  und 
der  früher  beschriebenen  Strahlenfiguren.  Die  Folge  dieser  Wechsel- 
wirkungen aber  ist,  dass  der  Kern  stets  die  Mitte  seiner 
Wirkungssphäre  einzunehmen  sucht. 

Um  fliesen  Satz  zu  beweisen,  giebt  es  wohl  keine  geeigneteren 
Objecte  als  die  thierischen  Eizellen ,  die  uns  ja  in  ihrer  Grösse ,  Form 
und  inneren  Organisation  sehr  zahlreiche,  interessante  Verschiedenheiten 
darbieten. 

Bei  den  meist  kleinen  Eiern,  in  denen  Protoplasma  und  Dotter- 
bestandtheile  mehr  oder  weniger  gleichmässig  vertheilt  sind,  ninnnt  der 
Eikern  vor  der  Befruchtung  (Fig.  10(3  JL)  keine  fest  bestimmte  Lage 
ein.  Wenn  er  dagegen  nach  der  Befruchtung  als  Theilkern  in 
Thätigkeit  zu  treten  beginnt  (Fig.  106  B),  stellt  er  sich  genau  in  den 
geometrischen  Mittelpunkt  ein,  also,  wenn  das  Ei  eine  Kugel 
darstellt,  in  das  Centrum  derselben,  wenn  es  dagegen  eine  ovale  Form 
hat  (Fig.  110),  in  die  Mitte  der  die  beiden  Pole  verbindenden  Längsaxe. 
Von  einer  Strahlensphäre  umgeben,  sieht  man  den  Kern  durcli  das  Proto- 
plasma nach  dem  im  Voraus  zu  bestimmenden  Ort  hinwandern. 

Abweichungen  von  der  Xormalstellung  treten  ein, 
wenn  Protoplasma  und  Dotterbestandtheile,  von  denen 
die  letztern  meist  ein  grösseres  specifisches  Gewicht,  als 
das  erstere  besitzen,  ungl  eichmässig  im  Eiraum  vertheilt 
sind.  Sehr  häufig  nehmen  dann  die  Eier  eine  polare  Differen- 
zirung  an,  die  theils  eine  directe  Folge  der  Schwerkraft  ist,  unter 
deren  Einfiuss   sich   eine  Sonderung  der  verschiedenen  Substanzen  nach 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


173 


ihrer  Schwere  vollzieht,  theils  aber  auch  durch  andere  Vorgänge  wie  durch 
die  Reife-  und  Befnichtungserscheinungen  hervorgerufen  wird. 


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Fig.  106.  A  Reifes  Ei  eines  Echinoderms.  Dasselbe  schliesst  im  Dotter 
den  sehr  kleinen  Eikeni  (ekj  ein.    O.  Hertwig,  Entvvicklungsgesch.  Fig.  14. 

B  Ei  eines  Seeigels  gleich  nach  beendeter  Befruchtung,  fk  Ei-  und 
Samenkern  sind  zum  Theilkern  verschmolzen,  der  im  Centrum  einer  Protoplasma- 
strahlimg  liegt.     O.  Hertwig,  Entwicklungsgesch.  Fig.  20. 

Die  polare  Differenzirung  besteht  darin  (Fig.  107  u.  108),  dass  sich 
nach  dem  einen  Pol  zu  das  leichtere  Protoplasma,  nach  dem  anderen 
Pol  dagegen  das  schwerere  Dottermaterial  ansammelt.  Die  Sonderung 
kann  bald  weniger,  bald  schärfer  durchgeführt  sein.  Bei  den  Eiern  der 
Amphibien  z.  B.  ist  sie  an  Durchschnitten  durch  ein  Ei  sehr  wenig  auf- 


k.b  k.sch 


Fig.  108. 


Fig.  107.  Schema  eines  Eies  mit  polständigem  Nahrungsdotter. 
O.  Hertwig,  Entwicklungsgesch.  Fig.  3. 

Der  Bildungsdotter  bildet  am  animalen  Pole  A.P  eine  Keimscheibe  k.sch,  in 
welcher  das  Keimbläschen  k.b  eingeschlossen  ist.  Der  Nahrungsdotter  n.d  füllt  den 
übrigen  Eiraum  nach  dem  vegetativen  Pol  (V.Fj  zu  aus. 

Fig.  108.  Eizelle  (Eidotter)  des  Huhns  aus  dem  Eierstock.  O.  Hertwig, 
Entwicklungsgesch.  Fig.  6  a. 

k.seh  Keimscheibe,  k.b  Keimbläschen,  w.d  weisser  Dotter,  g.d  gelber  Dotter, 
d.h  Dotterhaut. 

fällig,  indem  nur  in  der  einen  Hälfte  die  Dotterplättchen  etwas  kleiner 
und  durch  mehr  Protoplasma  voneinander  getrennt  sind,  in  der  anderen 
Hälfte  aber  grösser  werden  und  dichter  zusammenliegen. 


174 


Sechste«  C.Tpitel. 


In  anderen  Fällen  hat  sich  vom  dotterhaltigen  Theil  des  Eies  eine 
kleine  Menge  von  mehr  oder  minder  dotterfreiem  Protoplasma  abgesondert 
und  wie  bei  den  Reptilien  und  Vögeln  (Fig.  108  k.sch)  die  Form  einer 
Scheibe  angenonmien. 

Die  beiden  Pole  des  Eies 
ander  als  den  a  n  i  m  a  1  e  n  u  n  d 
mehr  Protoplasma,  an  diesem  melir 
hat  daher  ein  geringeres,  dieser  ein 
Folge   dessen   müssen   polar 


unterscheidet  man  vonein - 
den  vegetativen;  an  jenem  ist 
Dottermaterial  angesammelt ,  jener 
grösseres  specifisches  Gewicht.  In 
differenzirte   Eier   stets   ein 


und  dieselbe  Gleichgewichtslage  einzunehmen  suchen. 
Während  bei  kleinen  Eiern  mit  gleichmässig  vertheiltem  Material  der 
Schwerpunkt  mit  dem  Mittelpunkt  der  Kugel  zusammenfällt  und  ihre 
Lage  daher  eine  wechselnde  sein  kann,  ist  bei  polar  differenzirten 
Eiern  der  Schwerpunkt  excentrisch  geworden  und  zwar  hat 
er  sich  mehr  oder  minder  weit  nach  dem  vegetativen  Pole  zu  verschoben. 
Es  wird  daher  stets  eine  solche  Orientirung  im  Räume  eintreten,  dass 
der  vegetative  Pol  nach  abwärts,  der  animale  nach  oben  gekehrt  ist. 
Eine  Linie,  welche  die  beiden  Pole  verbindet  und  als  Eiaxe  bezeichnet 
wird,  muss  sich,  wenn  keine  Hindernisse  der  freien  Bewegung  der  Ei- 
kugel  entgegentreten,  stets  loth recht  einzustellen  suchen. 

Lehrreiche  Beispiele  hierfür  bieten  das  Froschei  und  das  Hühnerei. 
Am  Froschei  (Fig.  115)  sind  die  ungleichen  Hälften  schon  äusserlich 
leicht  dadurch  kenntlich  gemacht,  dass  die  animale  Hälfte  dunkelschwarz 
pigmentirt  ist,  die  vegetative  weissgelb  aussieht.  Wird  ein  solches  Ei 
nach  der  Befruchtung  in  das  Wasser  gebracht,  so  nimmt  es  in  wenigen 
Secunden  eine  feste  Ruhelage  ein,  indem  sich  stets  die  schwarze  Seite 
nach  oben,  die  helle  Seite,  weil  sie  specifisch  schwerer  ist,  nach  ab- 
wärts kehrt. 

Ebenso  mag  man  das  Hühnerei  (Fig.  108)  drehen,  wie  man  will, 
stets  wird  man  die  Keimscheibe  (h.sch)  den  höchsten  Punkt  der  Dotter- 
kugel einnehmen  sehen,  weil  letztere  bei  jeder  Bewegung  in  ihrer  Ei- 
weisshüUe  mit  rotirt  und  sich  mit  dem  vegetativen  Pol  nach  abwärts 
einstellt. 

Polare  Differenzirung  kommt  ebenso  wie  bei  kugligen,  auch  bei 
ovalen  Eiern  vor.    Als  Beispiel  diene  uns  das  Ei  eines  Wurmes  Fabricia 

(Fig.  109).  Hier  ist  am  einen  Ende  des  ovalen 
Körpers  mehr  Protoplasma,  am  entgegengesetzten 
mehr  Dottermaterial  angehäuft. 

Bei  polar  differenzirten  Eiern  wird  man  nun 
den  befruchteten  Kern  vergebens  an  den  Stellen, 
wo  er  bei  dotterarmen  Eiern  liegen  würde,  suchen. 
Nur  einer  oberflächlichen  Betrachtung  wird  dies 
als  eine  Ausnahme  von  dem  oben  aufgestellten  Ge- 
setz erscheinen ;  bei  tieferem  Nachdenken  dagegen 
bilden  solche  Fälle  eher  eine  Bestätigung  des  Satzes, 
dass  der  Kern  stets  die  Mitte  seiner  Wirkungs- 
sphäre einzunehmen  sucht.  Wechselw^irkun- 
gen  finden  zwischen  dem  Kern  und  dem 
Protoplasma,  nicht  aber  zwischen  ihm 
und  dem  Dottermaterial  statt,  welches  bei 
allen  Theilungsprocessen  sich  wie  eine 
passive  Masse  verhält.  Ungleichmässigkeiten  in  der  Proto- 
plasmavertheilung  müssen  sich  daher  auch  aufGrund  des 


Nach 


Fig.  109. 
Ei  von  Fabricia 
Haeckel. 

A  animaler  Theil. 

V   vegetativer  Theil 


lA^    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung.  175 

obigen  Satzes  in  der  Lage  des  Kerns  geltend  machen,  und 
zwar  niuss  derselbe  nach  den  Orten  der  grösseren  Pro- 
t opl asm aan Sammlung  hinrücken,  sich  also  gerade  in  entgegen- 
gesetzter Richtung  wie  der  Schwerpunkt  bewegen.  Je  mehr  der  letztere 
nach  dem  vegetativen  Pole,  um  so  melir  wird  der  Theilkern  nach  dem 
animalen  Pole  zu  liegen  kommen. 

Und  so  lehrt  es  uns  auch  die  Untersuchung  in  der  That.  Im  Froschei 
(Fig.  115)  findet  sich  der  Theilkern  etwas  oberhalb  der  Aequatorial- 
ebene  der  Kugel  in  ihrer  animalen  Hälfte;  in  den  Eiern,  an  denen 
sich  das  Protoplasma  als  Keimscheibe  noch  schärfer  vom  Dotter  gesondert 
hat  (Fig.  108),  ist  der  Theilkern  in  nächste  Nähe  des  animalen 
Poles  emporgestiegen  und  in  die  Keimscheibe  selbst  aufgenommen 
worden  (Reptilien,  Vögel,  Fische  etc.).  Ebenso  ist  im  Ei  von  Fabricia 
(Fig.  109)  der  Theilkern  nach  der  protoplasmareicheren  Hälfte  des  ovalen 
Körpers  verschoben. 

Noch  mehr  tritt  die  Wechselwirkung  zwischen  Protoplasma  und  Kern, 
durch  welche  die  Lage  des  letzteren  bedingt  wird,  während  der  Theilung 
selbst  hervor,  von  dem  Moment  an,  wo  sich  die  beiden  Pole  bilden.  Es 
lässt  sich  hier  das  zweite  allgemeine  Gesetz  aufstellen,  dass 
die  beiden  Pole  der  Theilungsfigur  in  die  Richtung  der 
grössten  Protoplasmamassen  zu  liegen  kommen,  etwa  in 
derselben  Weise,  wie  die  Lage  der  Pole  eines  Magneten  durch  Eisen- 
theile  in  seiner  Umgebung  beeinflusst  wird. 

Nach  dem  zweiten  Gesetz  kann  z.  B.  in  einem  kugligen  Ei,  in 
welchem  Protoplasma  und  Dotter  gleichmässig  vertheilt  sind,  die  Axe 
der  central  gelegenen  Kernspindel  mit  der  Richtung  eines  beliebigen 
Radius,  dagegen  in  einem  ovalen  Protoplasmakörper  nur  mit  dem  längsten 
Durchmesser  desselben  zusammenfallen.  In  einer  kreisrunden  Proto- 
plasmascheibe stellt  sich  die  Spindelaxe  parallel  zur  Oberfläche  in  einen 
beliebigen  Durchmesser,  in  einer  ovalen  Scheibe  dagegen  wieder  nur  in 
den  längsten  Durchmesser  ein. 

Mit  diesen  Regeln  stimmen  die  Erscheinungen,  wie  sie  bei  der 
Zelltheilung  und  insbesondere  bei  der  Eifurchung  beobachtet  werden, 
fast  ausnahmslos  überein.  Namentlich  aber  sprechen  für  die  Gültigkeit 
des  an  zweiter  Stelle  aufgestellten  Gesetzes  zwei  Thatsachen:  eine  Beobach- 
tung von  Auerbach  an  den  Eiern  von  Ascaris  nigrovenosa  und  Strongylus 
auricularis  (VI.  2)  und  ein  Experiment  von  Pflüger. 

Die  Eier  der  beiden  von  Auerbach  untersuchten  Nematoden  (Fig.  110) 
haben  eine  ovale  Gestalt,  so  dass  2  Pole  an  ihnen  zu  unterscheiden  sind, 
welche  bei  der  Befruchtung  eine  verschiedene  Rolle  spielen.  An  dem 
einen  Pole  nämlich,  welcher  der  Keimstätte  des  Eischlauches  zugewendet 
ist,  bilden  sich  die  Polzellen  und  entsteht  der  Eikern,  an  dem  anderen, 
nach  dem  Uterusausgang  zu  gelegenen  Pol  dagegen  findet  die  Befruch- 
tung und  das  Eindringen  eines  Samenkörpers  statt;  hier  erscheint  der 
Samenkern  (siehe  Capitel  VII). 

Beide  Kerne  wandern  dann  unter  gleichmässiger  Grössenzunahme 
und  in  gerader  Richtung,  welche  mit  der  Eiaxe  zusammenfällt,  aufein- 
ander zu,  treffen  sich  in  der  Mitte  der  letzteren,  nachdem  sie  zu  zwei 
ansehnlichen  Bläschen  angewachsen  sind,  legen  sich  fest  zusammen  und 
platten  sich  an  den  Berührungsflächen  ab  (Fig.  110  Ä). 

Bei  der  Copulation  der  Geschlechtskerne  pflegt  nun  in  ihre  Be- 
rührungsflcäche  oder  die  Copulationsebene  die  Axe  der  sich  ausbildenden 
Spindel,  an  deren  Enden  die  Polkörperchen  liegen,  zu  fallen.    Würde  dies 


176 


Sechstes  Capitel. 


auch  hier  erfolgen,  so  würde  die  Spindelaxe  entgegen  der  oben  aufgestellten 
Regel  die  Längsaxe  des  Eies  unter  rechtem  Winkel  schneiden,  es  würden 
die  Polkörperchen  in  der  Richtung  der  kleinsten  Protoplasmamengen 
eingestellt  sein  und  es  müsste  schliesslich  die  erste  Theilungsebene  das 
Ei  seiner  Länge  nach  halbiren. 

Ein  derartiger,  der  Regel  zuwiderlaufender  Fall  tritt  nun  aber  hier 
nicht  ein,  weil  Protoplasma  und  Kern,  indem  sie  aufein- 
ander einwirken,  ihr  L a g e v e r h ä  1 1 n i s s  zu  einander,  den 
gegebenenBedingungenentsprechend,  nachträglich  regu- 
liren.  Die  durch  den  Befruchtungsverlauf  bedingte  Ausgangsstellung 
des  copulirten  Kernpaares,  welche  eine  für  die  Theilung  durchaus  un- 
zweckmässige ist,  ändert  sich,  sowie  sich  die  zwei  Pole  schärfer  ausbilden. 
Das  Kernpaar  fängt  an,  sich  um  einen  rechten  Winkel  zu  drehen  (Fig.  110.B) 
und  zwar  solange  und  der  Art,  dass  die  Copulationsebene  mit  der  Längs- 
axe des  Eies  zusammenfällt  (Fig.  110  C). 


A 


B 


C 


D 


"^^^mk 


:\ 


:■-■,•.,■■  :•.■.■$-"      »■    !::;;-^5.5>i«J 
■         ••'■6  V-:*!'i;,W»'-.V3 


ii 


:M 


Fig.  110.  Eier  von  Ascaris  nigrovenosa  in  stark  comprimirtem  Zu- 
stand auf  vier  verschiedenen  Stadien  der  Befruchtung.  Nach  Auerbach 
Taf.  IV,  Fig.  8-11. 

„Die  Richtung  in  welcher  die  Drehung  unter  dem  Mikroskope  erfolgt, 
geschieht  bald  im  Sinne  eines  Urzeigers,  bald  im  entgegengesetzten." 
(Auerbach.) 

In  Folge  des  interessanten  Rotationsphänomens  kommen  wieder,  wie  es 
die  Regel  verlangt,  die  beiden  Pole  der  Theilungsfigur  in  die  Richtung  der 
grössten  Protoplasmaansammlungen  zu  liegen,  während  sich  die  geringste 
Menge  in  der  Gegend  der  späteren  Theilungsebene  befindet  (Fig.  110  D). 

Ein  zweiter  Beweis  für  die  Gültigkeit  unseres  Gesetzes  sind  die 
Experimente,  welche  Pflüger  (VI.  49,  50)  am  Froschei  angestellt  hat. 
Derselbe  presste  ein  frischbefruchtetes  Froschei  zwischen  zwei  verticale, 
parallele  Glasplatten  vorsichtig  ein  und  gab  ihm  dadurch  ungefähr  die 
Gestalt  „eines  stark  abgeplatteten  Ellipsoids,  dessen  längste  Axe  horizontal, 
dessen  mittellange  vertical  und  dessen  kürzeste  wieder  horizontal  und 
senkrecht  auf  der  längsten  ist."  In  fast  allen  Fällen  stand  nun  die  erste 
Theilebene  senkrecht  auf  der  Oberfläche  der  komprimirenden  Platten 
und  war  zugleich  eine  lothrechte.  Die  Kernspindel  muss  sich  daher  auch 
hier  unserer  Regel  gemäss  in  der  Richtung  des  längsten  Durchmessers 
des  Ellipsoides  eingestellt  haben. 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung.  177 

Aus  dem  Gesetz,  dass  die  Lage  der  Kernaxe  bei  der  Theiliing  von 
der  Differenzirung  und  Form  des  umhüllenden  Protoplasmakörpers  be- 
stimmt wird  der  Art,  dass  sich  die  Pole  in  der  Richtung  der  grössten 
Protoplasmaansammlungen  einstellen,  ergiebt  sich  uns  weiter 
noch  die  causale  Begründung  für  ein  drittes  Gesetz,  wel- 
ches Sachs  (VI.  64)  beim  Studium  der  Pflanzenanatomie 
erhalten  und  als  das  Princip  der  rechtwinkligen  Schnei- 
dung d  e  r  T  h  e  i  1  u  n  g  s  f  1  ä  c  h  e  n  1)  e  i  d  e  r  Z  w  e  i  t  h  e  i  1  u  n  g  bezeich- 
net hat.  Denn  wenn  wir  die  Ursachen  wissen,  durch  welche  die  Lage 
der  Spindelaxen  bedingt  wird ,  dann  können  wir  unter  allen  Umständen 
auch  im  Voraus  bestimmen,  wie  die  Theilungsebenen  zu  liegen  kommen, 
da  diese  die  Spindelaxen  unter  rechtem  Winkel  schneiden  müssen. 

Im  Grossen  und  Ganzen  wird  nun  bei  jeder  Theilung 
einer  Mutterzelle,  wenn  dieselbe  nicht  in  einer  Richtung 
ausserordentlich  in  die  Länge  gestreckt  ist,  der  Fall  ein- 
treten, dass  in  den  Tochterzellen  die  Axe,  welche  in  der 
Richtung  der  früheren  Hauptaxe  der  Mutterzelle  liegt, 
die  kürzeste  geworden  ist.  Die  Axe  der  zweiten  Theil- 
spindel  wird  sich  daher  in  diesem  Falle  nie  in  der  Rich- 
tung der  vorausgegangenen  Theilspindel,  vielmehr  recht- 
winklig zu  dieser  Richtung,  der  Form  des  Protoplasma- 
körpers entsprechend,  einstellen  müssen.  Daher  wird  die 
zweite  Theilebene  die  erste  rechtwinklig  schneiden 
müsse  n. 

Im  Allgemeinen  werden  die  aufeinander  folgenden  Theilflächen  einer 
Mutterzelle,  die  in  2,  4,  8  und  mehr  Tochterzellen  durch  successive 
Zweitheilungen  zerlegt  wird,  in  den  drei  Richtungen  des  Raumes 
alternirend  erfolgen  und  dabei  mehr  oder  weniger  genau 
senkrecht  auf  einander  stehen. 

Bei  pflanzlichen  Geweben  ist  dies  oft  sehr  schön  zu  erkennen,  weil 
sich  hier  rasch  ein  festes  Zellhautgerüst  den  Theilungsebenen  der  Zellen 
entsprechend  ausbildet  und  so  dieselben  gewissem! aassen  dauernd  fixirt. 
Bei  thierischen  Zellen  ist  es  viel  weniger  der  Fall,  weil  ihre  Form  beim 
Fehlen  einer  festen  Membran  sich  zwischen  den  Theilungen  häufig  ver- 
ändert; auch  die  Lage  der  Zellen  zu  einander  ist  dem  Wechsel 
unterworfen.  Es  treten  „Brechungen  und  Verschiebungen"  der 
ursprünglichen  Theilstücke  einer  Mutterzelle  ein,  wofür  das  Studium  der 
Furchungserscheinungen  einer  jeden  Eizelle  Beispiele  liefert,  über  welche 
auf  Seite  181  gehandelt  wird. 

In  der  Botanik  werden  die  in  den  drei  Richtungen  des 
Raumes  sich  schneidenden  Wandrichtungen  als  tangentiale 
oder  perikline,  als  transversale  oder  antikline  und  als 
radiale  bezeichnet  (Fig.  111  u.  112).  Perikline  oder  tangentiale 
Wandrichtungen  sind  in  gleichem  Sinne,  wie  die  Oberfläche  der  Organe 
orientirt.  Anticline  oder  transversale  Wände  schneiden  die  periclinen 
und  zugleich  die  Wachsthumsaxe  des  Organs  unter  rechtem  Winkel. 
Radiale  \Vände  endlich  sind  solche,  welche  ebenfalls  rechtwinklig  zu 
den  periklinen  gestellt  sind,  aber  die  W^achsthumsaxe  des  Organs  in  sich 
aufnehmen. 

Um  dieses  Verhältniss  an  einem  Beispiel  klar  zu  machen,  wählen 
wir  gleich  ein  etwas  schwierigeres  Objekt,  den  Vegetationspunkt  eines 
Sprosses.    Für   denselben   weist  Sachs   die   Gültigkeit  seines  Princips  in 

Hertwig,  Die  Zelle  und  die  Gewebe.  l^i 


178 


Sechstes  Capitel. 


folgenden  Sätzen  nach,   welche  seinen  Vorlesungen  über  Pflanzenphysio- 
logie (II.  33)  entnommen  sind: 

„Die  Vegetationspunkte  der  Wurzeln  und  Sprosse  zeigen  auf  richtig 
geführten  Längs-  und  Querschnitten  charakteristische  Zellwandnetze  oder 
Zellenanordnungen,  die  überall  auch  bei  den  verschiedensten  Pflanzen- 
arten  typisch  übereinstimmen,  was  im  Wesentlichen  darauf  beruht,  dass 
auch  die  embryonale  Substanz  der  Vegetationspunkte,  indem  sie  überall 
durch  Einlagerung  an  Volumen  zunimmt,  durch  Zellwände  gekammert 
und  gefächert  wird,  welche  einander  rechtwinklig  schneiden.  Der  Längs- 
schnitt eines  Vegetationspunktes  lässt  jederzeit  ein  System  von  Periklinen 
erkennen,  welches  durch  Antiklinen,  die  ihrerseits  die  orthogonalen  Trajec- 
torien  jener  darstellen,  geschnitten  wird.  Haben  wir  es  dabei  mit  Vege- 
tationspunkten flächenförmiger  Gebilde  zu  thun,  so  sind  auch  nur  diese 
beiden  Systeme  von  Zell  wänden  vorhanden;  ist  dagegen  der  Vegetations- 
punkt hall)kuglig  oder  kegelförmig  oder  sonst  ähnlich  gestaltet,  also 
nicht  blos  flächenförmig ,  sondern  körperlich  gebildet,  so  ist  noch  ein 
drittes  System  von  Zellwänden  vorhanden,  nämlich  Längswände,  welche 
von  der  Längsaxe  des  Vegetationspunktes  aus  radial  nach  Aussen 
verlaufen". 

„Es  wird  jedoch  zur  Erleichterung  des  Verständnisses  beitragen, 
wenn  wir  auch  hier  wieder  unsere  weiteren  Betrachtungen  an  ein  nach 
bestimmten  Grundsätzen,  aber  willkürlich  construirtes  Schema  anknüpfen 
und  zunächst  für  dasselbe  nur  die  Flächenansicht  eines  Längsschnittes 
durch   einen  Vegetationspunkt  (Fig.  111)  zu  Grunde  legen.     Halten  wir 


Fig.  111.     Construction   des    Zellnetzes    an    einem    Vegetationspunkt. 
Nach  Sachs  Fig.  284. 

uns  hierbei  an  unsere  Figur,  deren  Umriss  E  E  dem  Längsschnitt  eines 
kegelförmigen  Vegetationspunktes  entspricht,  und  setzen  wir  voraus,  dass 
dieser  Umriss,  wie  es  auch  häufig  in  der  Natur  nahezu  eintrifft,  die  Form 
einer  Parabel  habe  und  dass  die  Fächerung  des  Raumes,  den  die  em- 
bryonale Substanz  des  Vegetationspunktes  erfüllt ,  wieder  in  der  Art 
stattfinde,  dass  anti-  und  perikline  Wände  einander  rechtwinklig  schneiden. 
Unter  dieser  Voraussetzung  kann  man  nun  nach  einem  bekannten  Lehr- 
satz der  Geometrie  das  Zellnetz  in  unserer  Figur  construiren:  voraus- 
gesetzt, dass  X  X  die  Axe  und  y  y  die  Richtung  des  Parameters  ist,  sind 
alle  die  mit  P  p  bezeichneten  Periklinen   eine   Schaar  von  confocalen 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


179 


Parabeln,  Ebenso  sind  alle  Antiklinen  Ä  a  eine  Schaar  confocaler 
Parabeln,  welche  Brennpunkt  und  Axe  mit  den  vorigen  gemeinschaftlich 
haben,  aber  in  der  entgegengesetzten  Richtung  verlaufen.  Zwei  solche 
Systeme  confocaler  Parabeln  schneiden  einander  überall  rechtwinklig." 
„Sehen  wir  nun  nach,  ob  ein  medianer  Lcängsschnitt  durch  einen 
vorgewölbten,  ungefähr  parabolisch  geformten  Vegetationspunkt  ein  Zell- 
netz darbietet,  welches  in  den  wesentlichen  Eigenschaften  mit  unserm 
geometrisch  konstruirten  Schema  übereinstimmt,  da  finden  wir  z.  B.  am 
Vegetationspunkt  der  Edeltanne  (Fig.  112)  sofort  die  entsprechende  innere 


fn' 


Fig.  112.  Längsschnitt  durch  den  Vegetationspunkt  einer  Winter- 
knospe  der  Edeltanne  (Abies  pectinata).  Ungefähr  200mal  vergrössert.  Nach 
Sachs  Fig.  285. 

S  Scheitel  des  Vegetationspuuktes,  ö  b  jüngste  Blätter,  r  r  Kinde,  m  m  Mark. 

Structur,  wenn  man  nur  beachtet,  dass  in  unserer  Figur  die  beiden  Vor- 
wölbungen h  b  das  Bild  einigermaassen  stören;  es  sind  junge  Blattan- 
lagen, welche  aus  dem  Vegetationspunkt  hervorsprossen.  Im  Uebrigen 
erkennt  man  sofort  die  beiden  Systeme  von  Anti-  und  Periklinen,  deren 
Krümmungen  kaum  einen  Zweifel  darüber  lassen,  dass  sie  einander,  wie 
in  unserm  obigen  Schema,  rechtwinklig  schneiden  oder  die  Antiklinen 
die  orthogonalen  Trajectorien  der  Periklinen  sind.  So  wie  in  unserm 
Schema  umlaufen  auch  nur  einige  wenige  Periklinen  unter  dem  Scheitel 
S  den  gemeinschaftlichen  Brennpunkt  aller  Parabeln,  die  andern  reichen, 
von  unten  herkommend,  nur  bis  in  die  Nähe  des  Brennpunktes,  d.  h.  mit 
andern  Worten:  die  entsprechenden  Zelltheilungen  finden  immer  erst 
dann  statt,  wenn  die  Periklinen  unterhalb  des  Krümmungscentrums  sich 
weit  genug  voneinander  entfernt  haben,  so  dass  neue  Periklinen  zwischen 
ihnen  eingeschaltet  werden  müssen,  und  ganz  dasselbe  gilt  von  den  Anti- 
klinen Ä  a.  Man  bemerkt  leicht  an  unserm  Schema  (Fig.  111),  dass  um 
den  gemeinschaftlichen  Brennpunkt  aller  Anti-  und  Periklinen  herum  die 
Krümmungen  der  Constructionslinien  besonders  kräftig  sind." 

„Viele  hunderte  von  medianen  Längsschnitten  durch  Vegetations- 
punkte von  Sprossen  und  Wurzeln,  welche  die  verschiedensten  Beobachter 
gezeichnet  haben,  ohne  auch  nur  im  Entferntesten  das  zu  Grunde  liegende 
Princip  zu  kennen,  entsprechen  der  von  mir  gegebenen  Construction  und 
beweisen  die  Richtigkeit  ihres  Princips."  — 

Um  endlich  einige  Abweichungen  von  der  normalen  Zelltheilung  zu 
verstehen,  ist  noch  ein  viertes  Gesetz  zu  beachten,  welches  von  B a  1 - 

12* 


180  Sechstes  Capitel. 

four  (VI.  3)  genauer  formulirt  ist  und  welches  lautet :  Die  Sclinellig- 
keit,  mit  welcher  sich  eine  Zelle  theilt,  ist  proportional 
der  Concentration  des  in  ihr  befindlichen  Protoplasmas. 
Protoplasmareiche  Zellen  theilen  sich  rascher  als  proto- 
plasmaärmere  aber  dotterreichere.  Der  Satz  erklärt  sich 
daraus,  dass  beim  Theilprocess  allein  das  Protoplasma  die  active,  das  in 
ihm  eingelagerte  Dottermaterial  die  passive  Substanz  ist,  welche  durch 
die  active  mit  bewältigt  werden  muss.  Die  Arbeit  für  das  Protoplasma 
bei  der  Theilung  ist  um  so  grösser,  je  mehr  Dotter  vorhanden  ist,  und 
sie  kann  in  vielen  Fällen  sogar  eine  so  grosse  werden,  dass  sie  nicht 
mehr  zu  Ende  geführt  werden  kann.  Letzteres  tritt  häufig  bei  polar 
differenzirten  Eiern  ein,  wenn  bei  ihnen  sich  der  Haupttheil  des  Proto- 
plasmas am  animalen  Pol  coneentrirt  hat.  Dann  bleibt  die  Theilung  auf 
diesen  Abschnitt  der  Zelle  beschränkt,  während  die  vegetative  Hälfte 
nicht  mehr  in  Zellen  zerlegt  wird.  Aus  der  totalen  ist  so  eine  unvoll- 
ständige oder  partielle  Theilung  hervorgegangen.  Beide  extremen  Formen 
sind  in  der  Natur  durch  Uebergänge  untereinander  verbunden. 

2)  Uebersicht  der  Arten  der  Zelltheilung. 

Ueberblicken  wir  nun  die  verschiedenen  Arten  der  Zell- 
theilung, so  lassen  sich  dieselben  in  folgendes  Schema  bringen,  welches 
ich  der  Einzelbesprechung  zu  Grunde  lege: 

I.  Typus.     Die  totale  Theilung. 

a)  äquale. 

b)  inäquale. 

c)  Knospung. 

II.  Die  partielle  Theilung. 
m.  Die  Vielzellbildung. 

IV.  Die  Pte du ctions theilung. 

Die  lehrreichsten  Beispiele  für  die  verschiedenen  Theilungsarten 
bieten  hauptsächlich  die  thierischen  Eizellen,  weil  bei  ihnen  die 
Theilungen  sich  rasch  aufeinander  folgen  und  so  am  klarsten  die  gesetz- 
mässigen  Beziehungen  zu  einander  erkennen  lassen. 

P.    Die  äqual'e  Theilung. 

Bei  der  äqualen  Theilung  zerfällt  das  Ei,  w^nn  es  wie  gewöhnlich 
die  Form  einer  Kugel  besitzt,  zuerst  in  zwei  Halbkugeln ;  bei  der  darauf 
folgenden  zweiten  Theilung  muss  sich  die  Kernspindel  nach  der  oben 
auseinander  gesetzten  Regel  parallel  zur  Grundfläche  der  Halbkugel  ein- 
stellen, so  dass  diese  sich  jetzt  in  zwei  Quadranten  theilt.  Hierauf  muss 
die  Spindelachse  mit  der  Längsachse  jedes  Quadranten  zusammenfallen, 
wodurch  eine  Zerlegung  in  je  zwei  Octanten  herbeigeführt  wird.  In  Folge 
dessen  ist  während  des  zweiten  und  dritten  Furchungsstadiums  die  Lage, 
welche  die  zweite  und  dritte  Furchungsebene  zu  einander  und  zur  ersten 
Theilebene  einhalten,  eine  streng  gesetzmässige.  Es  h  a  1  b i r t  nämlich 
stets  die  zweite  Furchungsebene  die  erste  und  schneidet 
sie  rechtwinklig,  die  dritte  Ebene  aber  steht  wieder  senk- 
recht auf  den  beiden  ersten  und  geht  durch  die  Mitte  der 
Axe  hindurch,  in  welcher  sich  diese  schnei  den.  Wenn  man 
nun   die  Enden    dieser  Axe   als  Pole   des  Eies  betrachtet,  so  kann  man 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


181 


die    beiden  ersten   Tlieilungsebenen   als   meridionale,  die  dritte  als  eine 
äquatoriale  bezeichnen. 

Schon  nach  der  zweiten  Furchung  lassen  sich  in  vielen  Fällen 
Verschiebungen  der  vier  T  heil  st  ticke  aneinander  beobachten, 
welche  zur  Folge  haben,  dass  die  von  der  zweiten  Theilung  herrührenden 
Furchen  sich  nicht  mehr  an  den  Polen  in  einem  Punkte  schneiden, 
sondern  in  geringer  Entfernung  vom  Pol  auf  die  erst  gebildete  Meri- 
dionalfurche  tretfen  (Fig.  113).  Es  entsteht  so  eine  bald  kürzere,  bald 
längere  Querlinie,  welche  als  Brechungslinie  bezeichnet  wird.  Be- 
sonders schön  ausgebildet  habe  ich  (VI.  30  b)  eine  solche  bei  den  Eiern 
von  Sagitta  (Fig.  113)  beobachtet: 

Kurze  Zeit  nach  Beendigung  der  zweiten  Furchung  des  Sagitteneies 
haben  sich  die  vier  Zellen  so  angeordnet  (Fig.  113),  dass  nur  zwei  von 
ihnen  sich  am  animalen  Pol  in  einer  kurzen  queren  Furche,  der  an  i  malen 
Brechungslinie,  treften;  an  die  beiden  Enden  derselben  stossen  die 
lieiden  anderen  Zellen,  welche  von  der  Berührung  mit  dem  Pole  aus- 
geschlossen sind,  mit  zugespitzten  Enden  an.  Ganz  dieselben  Verhält- 
nisse wiederholen  sich  am  vegetativen  Pol;  nur  treffen  sich  hier  die 
beiden  Zellen,  welche  den  animalen  Pol  nicht  erreichen,  in  einer  v  e  g  e- 
tati ven  Brechungslinie,  und  diese  ist  dann  stets  so  orientirt,  dass 
sie  die  entgegengesetzte  Brechungslinie,  wenn  wir  beide  auf  dieselbe 
Ebene  projiciren,  unter  rechtem  Winkel  kreuzt.  Die  durch  Viertheilung 
entstandenen  vier  Zellen  sind  also  keine  regelmässigen  Viertel  einer 
Kugel;  an  jeder  können  wir  ein  stumpfes  und  ein  spitzes,  den  Polen 
des  Eies  zugewandtes  Ende  unterscheiden.  Je  zwei  aus  einer  Halbkugel 
abstammende  Zellen  sind  dann  in  der  Weise  gruppirt,  dass  sie  mit  ihren 
stumpfen  oder  spitzen  Enden  nach  entgegengesetzten  Richtungen  schauen. 

Eine  ähnliche  Anordnung  der  vier  ersten  Furchungszellen  ist  an  andern 
Objecteu,  so  von  Rabl  an  den  Eiern  von  Planorbis,  von  Rauber  (VI.  56) 
an  Froscheiern  beschrieben  und  von  letzterem  ausführlicher  erörtert  worden. 

Auch  bei  ovalgeformten  Eiern,  bei  denen  die  erste  Theilungsebene 
nach  unserem  Gesetz  quer  zur  Längsaxe  orientirt  ist,  finden  während  der 
zweiten  Furchung,  die  auf  die  erste  senkrecht  erfolgt,  bedeutende  Ver- 
schiebungen statt  und  kommen  dadurch  wieder  deutlich  ausgeprägte 
Brechungslinien  zu  Stande,  wie  die  Figur  114  von  Ascaris  nigrovenosa 
ohne  weitere  Erklärung  lehrt. 


Fig.  113. 

Fig.   114. 

Fig.  113.  Viergetheiltes  Ei  von  Sagitta  vom  animalen  Pol  aus  ge- 
sehen.    löOinal  vergrössert.     Hertwig  Taf.  V,  Fig.  5. 

Fig.  114.  Viergetheiltes  Ei  von  Ascaris  nigrovenosa.  Nach  Auerbach 
Taf.  IV,  Fig.  19. 


182 


Sechstes  Capitel. 


P.    Die  inäquale  Theilung. 

Von  der  äqualen  lässt  sich  leicht  die  inäquale  Theilung  ableiten. 
Am  häufigsten  ist  dieselbe  dadurch  bedingt,  dass  in  der  Zelle  Proto- 
plasma und  Dottermaterialien  in  ungleicher  Weise  vertheilt  sind.  Als 
Beispiel  diene  das  polar  diiferenzirte  Froschei.  Bei  diesem  liegt,  wie 
schon  gezeigt  wurde,  der  Kern  in  der  nach  oben  gekehrten,  animalen 
Hälfte  der  Kugel  (Seite  174).  Wenn  er  sich  hier  zur  Theilung  anschickt, 
kann  sich  seine  Axe  nicht  mehr  in  jeden  beliebigen  Radius  des  Eies 
einstellen;  in  Folge  der  ungleichmässigen  Vertheilung  des  Protoplasma 
im  Eiraum  steht  er  unter  dem  Einflüsse  des  protoplasmareicheren, 
pigraentirten  Theils  des  Eies,  welcher  wie  eine  Calotte  dem  mehr  deuto- 
plasmahaltigen  Theil  aufliegt  und  wegen  seiner  geringeren,  specifischen 
Schwere  obenauf  schwimmt  und  horizontal  ausgebreitet  ist  (Fig.  115  Ä). 


Fig.  115.  Schema  der  Theilung  des  Froscheies.  O.  Hertwig,  Entwick- 
lungsgesch.  Fig.  31. 

A  Ei-stes  Theilungsstadium.  £  Drittes  Theilungsstadiiim.  Die  vier  Theilstücke 
des  zweiten  Theihingsstadiums  begingen  durch  eine  Aeqiiatorialfurche  in  acht  Stücke 
zu  zerfallen.  F  Pigmentirte  Oberfläche  des  Eies  am  animalen  Pol,  pr  protoplasma- 
reicher, d  deutoplasmareicher  Theil  des  Eies;  sp  Kernspindel. 

In  einer  horizontalen  Protoplasmascheibe  aber  kommt  die  Kernspind el 
horizontal  zu  liegen;  mithin  muss  die  Theilungsebene  sich  in  verticaler 
Richtung  bilden.  Zuerst  beginnt  sich  eine  kleine  Furche  am  animalen 
Pole  zu  zeigen,  weil  derselbe  mehr  unter  dem  Einfluss  der  ihm  genäherten 
Kernspindel  steht  und  mehr  Protoplasma  enthält,  von  welchem  die 
Bewegungserscheinungen  bei  der  Theilung  ausgehen.  Die  Furche  ver- 
tieft sich  langsam  nach  abwärts  und  schneidet  nach  dem  vegetativen 
Pole  zu  durch. 

Die  durch  den  ersten  Theilungsakt  entstandenen  zwei  Halbkugeln 
sind  aus  einem  protoplasmareicheren,  nach  oben  gerichteten  und  aus 
einem  nach  abwärts  gekehrten,  protoplasmaärmeren  Quadranten  zusammen- 
gesetzt. Dadurch  wird  erstens  wieder  die  Lage  und  zweitens  die  Axe 
des  Kerns,  wenn  er  in  die  zweite  Theilung  eintritt,  fest  bestimmt.  Den 
Kern  haben  wir  nach  dem  früher  aufgestellten  Gesetz  im  protoplasma- 
reicheren Quadranten  aufzusuchen;  die  Axe  der  Spindel  muss  sich  hier 
parallel  zur  Längsaxe  des  Quadranten  einstellen,  muss  also  horizontal 
zu  liegen  kommen.  Die  zweite  Theilungsebene  ist  daher,  wie  die  erste 
lothrecht  und  schneidet  dieselbe  rechtwinklig. 

Nach  Ablauf  der  zweiten  Furchung  besteht  das  Amphibienei  aus  vier 
Quadranten,  die  durch  verticale  Theilungsebenen  voneinander  getrennt 
sind  und  zwei  ungleichwerthige  Pole  besitzen,  einen  protoplasmareicheren, 
leichteren,   nach  oben  gerichteten  und  einen  dotterreicheren,  schwereren, 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


183 


nach  abwärts  gekehrten.  Beim  äqual  sich  furchenden  Ei  sahen  wir, 
dass  auf  dem  dritten  Theilungsstadium  die  Axen  der  Kernspindeln  sich 
parallel  zur  Längsaxe  der  Quadranten  einstellen.  Das  ist  auch  hier  in 
einer  etwas  modificirten  Weise  der  Fall  (Fig.  115  B).  Wegen  des 
grösseren  Protoplasmareichthums  der  oberen  Hälfte  jedes  Quadranten  kann 
die  Spindel  nicht  wie  bei  dem  äqual  sich  furchenden  Ei  in  der  Mitte 
desselben  liegen,  sondern  nmss  dem  animalen  Pol  des  Eies  mehr 
genähert  sein.  Ferner  steht  sie  genau  vertical,  da  die  Quadranten  des 
Amphibieneies  wegen  der  ungleichen  Schwere  ihrer  beiden  Hälften  im 
Raum  fest  orientirt  sind.  In  Folge  dessen  muss  jetzt  die  dritte  Theihmgs- 
ebene   eine  horizontale   werden  (Fig.    116  Ä),  ferner  muss  sie  oberhalb 


B 


C 


rig.  116.     Furehungsstadien  von  Petromyzon.     Aus  Hatschek  Fig.  72. 
A  lind  B  nach  Shipley,  C  und  I)  nach  M.  Schultze. 

des  Aequators  der  Eikugel  mehr  oder  minder  nach  dem  animalen  Pole 
zu  gelegen  sein.  Die  Theilproducte  sind  von  sehr  ungleicher 
Grösse  und  Beschaffenheit  und  sind  der  Grund,  warum 
man  diese  Form  der  Furchung  als  die  inäqnale  bezeichnet 
hat.  Die  vier  nach  oben  gelegenen  Segmente  sind  kleiner  und  dotter- 
ärmer, die  vier  unteren  viel  grösser  und  dotterreicher.  Nach  den  Polen, 
denen  sie  zugekehrt  sind,  werden  sie  auch  als  animale  und  als  vegetative 
Zellen  von  einander  unterschieden. 

Im  weiteren  Verlauf  der  Entwicklung  (Fig.  116 
B,  C,  D)  wird  der  Unterschied  zwischen  den  ani- 
malen und  den  vegetativen  Zellen  immer  grösser, 
da  die  Zellen,  je  protoplasmareicher  sie  sind,  um 
so  rascher  und  häufiger  sich  theilen,  wie  gleich- 
falls schon  oben  hervorgehoben  wurde. 

Auch  bei  ovalen  Eiern  kann  eine 
äquale  Furch ung  vorkommen.  So  zerfällt 
bei  Fabricia  (Fig.  117)  das  Ei  wegen  der  schon 
beschriebenen  Ansammlung  des  Dotters  an  einem 
Pol  (Fig.  109)  in  eine  kleinere,  protoplasmareichere  -p.     ^^^    zweige- 

und  eine  grössere  dotterreichere  Zelle,  die  sich  im  theiites  Ei  von  Pa- 
weiteren  Verlauf  verschieden  rasch  weiter  furchen,     bricia.  Nach  Haeckel. 


P.     Knosp  ung. 

Von  Knospung  redet  man,  wenn  das  eine  Theilproduct  an  Grösse 
hinter  dem  andern  so  sehr  zuriickbleibt,  dass  es  nur  als  ein  kleines  An- 
hängsel an  ihm  erscheint  und  kaum  zu  einer  Verminderung  seiner 
Körpermasse  führt.  Das  kleinere  Theilproduct  nennt  man  die  Knospe, 
das  andere  die  Mutterzelle.     Bei  dieser  Vermehrungsweise  giebt  es  zwei 


184 


Sechstes  Capitel. 


Unterarten,  je  nachdem  eine  oder  mehrere  Knospen  an  der  Mutterzelle 
ihren  Ursprung  nehmen. 

Im  Thierreiche  spielt  der  Knospungsprocess  bei  der  Reife  des  Eies 
eine  Rolle  und  führt  zur  Entstehung"  der  Richtungskörper  oder 
Pol  Zellen.  Hierunter  versteht  man  zwei  bis  drei  kleine  Kügelchen, 
welche  aus  Protoplasma  und  Kernsubstanz  zusannnengesetzt  sind,  daher 
den  Werth  von  kleinen  Zellen  besitzen  und  häufig  innerhalb  der  Dotter- 
liaut  dem  animalen  Pol  des  Eies  aufliegen.  Der  Hergang  beim 
Knospungsprocess  ist  folgender: 

Währenddem  sich  das  Keimbläschen  auflöst,  entsteht  aus  Bestand- 
theilen  seines  Inhaltes  eine  typische  Kernspindel  mit  zwei  Polstrahlungen 
an  ihren  Enden.  Dieselbe  verändert  ihre  Lage  im  Dotter  (Fig.  118  I) 
und  rückt  allmählich  nach  dem  animalen  Pol  empor,  bis  sie  mit  ihrer 
einen  Spitze  an  der  Obei-fläche  anstösst.  Hier  angelangt,  stellt  sie  sich 
mit  ihrer  Längsaxe  in  die  Richtung  eines  Eiradius  ein.  Bald  beginnt  die 
Knospung;  an  der  Stelle,  wo  der  eine  Pol  der  Kernfigur  die  Obei^äche 
berührt,  wölbt  sich  der  Dotter  zu  einem  kleinen  Hügel  empor,  in  welchen 
die  Spindel  selbst  zur  Hälfte  hineinrückt  (Fig.  118  II). 


IV 

Fig.   118.     Bildung    der  Polzellen    bei  Asterias   glaeialis.     O.  Heetwig, 

Entwicklun;isgescli.  Fi«;.  13. 

In  Fig.  /  ist  die  Kernspindel  fspj  an  die  Oberfläche  des  Eies  gerückt.  In  Fig.  // 
hat  sich  ein  kleiner  Hügel  (rk^J  gebildet,  der  die  Hälfte  der  Spindel  aufnimmt.  In 
Fig.  III  ist  der  Hügel  zu  einer  Polzelle  (rk^)  abgeschnürt.  Aus  der  Hälfte  der 
früheren  Spindel  ist  wieder  eine  zweite  vollständige  Spindel  (sp)  entstanden.  In  Fig.  jr 
wölbt  sich  unter  der  ersten  Polzelle  ein  zweiter  Hügel  hervor,  der  sich  in  Fig.  F  zur 
zweiten  Polzelle  (rk"^)  abgeschnürt  hat.  Aus  dem  Rest  der  Spindel  entwickelt  sich  der 
Eikern  (ek)   in  Fig.  T'I. 


mit 

(Fig 


Hügel 


Der 
der  Hälfte 
118  III) 


schnürt  sich  darauf  an 
der  Spindel  vom  Dotter 
Hierauf   wiederholt    sich 


seiner  Basis  ein  und  löst  sich 
als  eine  sehr  kleine  Zelle  ab 
derselbe  Vorgang   noch 


genau 


einmal  (Fig.  118  IV — FZ),  nachdem  sich  die  im  Ei  zurückgebliebene 
Hälfte  der  Spindel,  ohne  in  das  bläschenförmige  Ruhestadium  des  Kerns 
zuvor  eingetreten  zu  sein,  wieder  zu  einer  ganzen  Spindel  ergänzt  hat. 
Auf  die  feineren  Einzelheiten  des  Vorgangs,  welche  die  Kernspindel  be- 
treffen, wird  auf  Seite  191  noch  genauer  eingegangen  werden. 

Knospungsprocesse  kommen  bei  einigen  Abtheilungen  einzelliger  Orga- 
nismen häufiger  vor,  und  entnehme  ich  aus  ihrem  Kreise  ein  zweites  Beispiel, 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


185 


die  von  Richard  Hertwig  (VI  35)  uiitersuclite  P  o  d  o  p  h  r  y  a  g  e  m  in  i  p  a  r  a, 
eine  marine  Acinete,  welche  mit  ihrem  hinteren  Körperende  vermittelst 
eines  Stiels  an  anderen  Gegenständen  festsitzt.  Am  freien  Körperende, 
welches  Fangfäden  und  Saugröhren  trägt,  l)ilden  sich  nicht  selten  8—12 
Knospen  aus,  welche  zu  einem  nur  das  Centrum  der  freien  Fläche  frei- 
lassenden Kranz  angeordnet  sind.  Der  Kern  ist  hierbei  in  eigenthümlicher 
Weise  betheiligt.  Derselbe  bildet,  wie  bei  vielen  Infusorien,  solange  die 
Podoi)hrya  noch  jung  und  noch  nicht  in  den  Knospungsprocess  eingetreten 
ist,  die  Form  eines  langen,  hufeisenförmig  gewundenen  Bandes  (Fig.  119  6), 
Später  wachsen  aus  ihm  zahl- 
reiche Fortsätze  in  verticaler 
Richtung  nach  der  freien  Seite 
des  Körpers  hervor :  sie  schwel- 
len mit  ihren  Enden  bald  kolbig 
an,  während  ihre  Verbindung 
mit  dem  Haupttheil  des  Kerns 
sieh  meist  zu  einem  feinen  Fa- 
den verdünnt.  Ueberall,  wo  die 
kolbigen  Kernenden  an  die  freie 
Fläche  herantreten,  bilden  sich 
kleine  Hügel,  welche  die  Kern- 
enden, wenn  sie  noch  weiter  vor 
wachsen,  in  sich  aufnehmen,  je 
ein  Hügel  ein  kolbiges  Kernende. 
Die  ganze  Knospe  vergrössert  Fig.  119.    Zeilknospung.    Podophrya 

sich  hierauf  noch  etwas,   schnürt  gemmipara    mit    Knospen.      O.  Hertwig, 

.  ,            TT                            AT   i-i.  Zooloo-ie  iiff.  21. 

sich   am  Ursprung  vom  Mutter-  /  Knospen,    die    sich    ablösen    und    zum 

Organismus    etwas    ein;    der    in  Schwärmer  fi  werden,  i\' Kern. 

sie  hineingewachsene  Kerntheil 

nimmt  die  Form  eines  Hufeisens  an  und  löst  sich  dann  von  dem  feinen 
Verbindungsfaden  ab,  durch  den  er  mit  dem  mütterlichen  Kern  zu- 
sammenhing. Die  Knospen  sind  jetzt  reif  und  l)e wegen  sich  nach  ihrer 
Abtrennung  vom  Mutterorganismus  eine  Zeit  lang  im  Meerwasser  als 
Schwärmer  fort. 


IL    Partielle  Theilung. 

Die  partielle  Theilung  kommt,  von  einigen  Protozoen  (Noctiluca) 
abgesehen,  wohl  nur  bei  Eizellen  vor,  sie  lässt  sich  von  der  inäqualen 
ableiten  und  bildet  sich  in  allen  den  Fällen  aus,  wo  der  Dottergehalt 
ein  sehr  grosser  geworden  ist  und  ein  Theil  des  Protoplasma  sich  von 
ihm  schärfer  aligesondert  und  als  Scheute  am  animalen  Pol  angesammelt 
hat  (Fig.  108).  Der  in  der  Scheibenmitte  gelegene  Kern  muss,  wenn  er 
sich  zur  Spindel  umwandelt,  eine  horizontale  Lage  einnehmen.  Die  erste 
Theilebene  entsteht  dalier  in  verticaler  Richtung  und  tritt  zuerst,  wie 
beim  inäqual  sich  furchenden  Ei  (Fig.  92),  am  animalen  Pol  in  der 
Mitte  der  Scheibe  auf  (Fig.  120^,  121  Ä).  Während  sie  aber  dort  all- 
mählich in  die  Tiefe  dringt  und  bis  zum  vegetativen  Pol  durchschneidet, 
zerlegt  sie  hier  nur  die  Keimscheibe  in  zwei  gleiche  Segmente,  welche 
wie  zwei  Knospen  der  ungetheilten  Dottermasse  mit  breiter  Basis  auf- 
sitzen und  vermittelst  derselben  noch  untereinander  verbunden  sind. 
Bald  darauf  erscheint  eine  zweite,  verticale  Furche,  welche  die  erste 
unter    rechtem    Winkel     kreuzt    uud    uleichfalls    auf   die    Keimscheibe 


18G 


Sechstes  Capitel. 


beschränkt  bleibt,  die  nun  in  vier  Segmente  zerlegt  ist  (Fig.  120  J5,  121^). 
Auch  hier  bildet  sich  eine  Brechungslinie  aus. 

6 


Fig.  120.  Oberfläehenansieht  der  ersten  Purehungsstadien  des  Hühner- 
eies nach  CosTE.  a  Kand  der  Keimscheibe,  b  verticale  Furche,  e  kleines  centrales, 
d  grosses  peripheres  Segment. 

Jedes  der  vier  Segmente  wird  dann  wiederum  von  einer  radialen 
Furche  halbirt.  Die  so  entstandenen  Theilstücke  entsprechen  Kreisaus- 
schnitten, die  im  Centrum  der  Keimscheibe  mit  spitzen  Enden  zusammen- 
stossen  und  mit  ihren  breiten  Enden  nach  der  Peripherie  gewandt  sind. 
Von  jedem  dieser  Segmente  wird  die  Spitze  durch  eine  quere  oder  dem 
Aequator  der  Eikugel  parallel  gerichtete  Furche  abgetrennt,  wodurch 
central  gelegene,  kleinere,  jetzt  allseitig  vom  Dotter  isolirte  und  grössere, 
mit  dem  Dotter  noch  zusammenhängende,  periphere  Theilstücke  entstehen 
(Fig.  120  c).  Indem  von  nun  an  radiale  und  dem  Aequator  parallele 
Furchen  alternirend  auftreten,  zerfällt  die  Keimscheibe  in  immer  zahl- 
reichere Stücke,  welche  so  angeordnet  sind,  dass  die  kleineren  im  Centrum 
der  Scheibe,  die  grösseren   nach   der  Peripherie  zu  liegen  (Fig.  121c). 


.  '  i  1  , 


% 


Fig.  121.      Diseoidale    Furchung    des    Cephalopodeneies    nach    Watase. 
Aus  R.  Hertwig  Fig.  99. 

Manche  der  mit  dem  Dotter  verbundenen  Segmente  werden  sich  dabei 
in  der  Weise  abschnüren,  dass  die  Kernspindel  sich  in  schräger  oder 
verticaler  Richtung  einstellt,  was  zur  Folge  hat,  dass  bei  der  Theilung 
der  eine  Tochterkern  in  die  Dottermasse  zu  liegen  kommt.  Auf  diese 
Weise  entstehen  bei  der  partiellen  Furchung  die  viel  besprochenen 
Dotterkerne,  welche  in  grösserer  Anzahl  namentlich  an  der  Peripherie 
der  abgefurchten  Keimscheibe  in  die  oberflächlichsten  Dotterschichten 
eingebettet  sind.  Vergleiche  auch  die  interessanten  Beobachtungen  von 
Rückert  (VII,  36)  und  Oppel  (VII.  34),  aus  denen  hervorgeht,  dass  bei 
Selachiern  und  Reptilien  Dotterkerne  in  Folge  von  Ueberfruchtung 
ihren  Ursprung  nehmen. 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


187 


III.    Die  Vielzellbildung. 

Das  Eigenthümliche  der  Vielzellbildung  besteht  darin,  dass  sich  der 
Kern  in  einer  Zelle  mehrfach  hintereinander  theilt,  während  der  Proto- 
plasniakörper  längere  Zeit  iingetheilt  bleibt,  ja  nicht  einmal  die  Neigung 
zu  einer  partiellen  Zerlegung  zeigt.  Durch  öfters  sich  wiederholende 
Zweitheilung  kann  die  Anzahl  der  Kerne  in  dem  einheitlichen  Troto- 
plasmakörper  sich  allmählich  auf  mehrere  Hunderte  belaufen.  Diese 
ordnen  sich  dann  in  regelmässigen  Abständen  voneinander  an.  Endlich 
tritt  eine  Zeit  ein,  in  welcher  die  vielkernige  Mutterzelle  auf  einmal  oder 
mehr  allmählich  in  so  viele  Tochterzellen  zerfällt,  als  sie  Kerne  einschliesst. 

Vielzellbildung  kommt  bei  Thieren  und  Pflanzen,  namentlich  bei 
der  Entwicklung  der  Geschlechtsproducte,  häufiger  vor.  Zur  Veran- 
schaulichung wähle  ich  drei  Beispiele:  die  superficielle  Furchung  der 
centrolecithalen  Eier  von  Arthropoden,  die  Bildung  des  Endosperms  in 
dem  Embryosack  der  Samenknospen  von  Phanerogamen  und  die  Sporen- 
bildung in  den  Sporangien  der  Saprolegnien. 

Bei  den  Eiern  der  Arthropoden  ist  gewöhnlich  die  Dottermasse 
im  Centrum  des  Eies  angesanmielt  und  von  einer  dünnen  Rindenschicht 
von  Protoplasma  umgeben.  Sie  werden  daher  als  centrolecithale 
Eier  oder  Eier  mit  mittelständigem  Dotter  den  telolecithalen  Eiern 
oder  Eiern  mit  polständigem  Dotter  gegenüber  gestellt  (Balfour  VI.  3). 
Der  Furchungskern  findet  sich  gewöhnlich,  von  einer  Protoplasmahülle 
umgeben,  in  der  Mitte  des  Nahrungsdotters;  hier  theilt  er  sich  in  zwei 
Tochterkerne,  ohne  dass  eine  Theilung  der  Eizelle  auf  dem  Fusse  folgt. 
Die  Tochterkerne  (Fig.  122^)  theilen  sich  wieder  in  4,  diese  in  8,  16, 
32  Kerne  und  so  weiter,  während  das  Ei  als  Ganzes  immer  noch  un- 
getheilt  bleibt.  Später  rücken  die  Kerne  auseinander,  wandern  zum 
grössten   Theil   allmählich   an  die   Oberfläche   empor   (Fig.  122  B)   und 


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Fig.  122.  Superficielle  Furchung  des  Insecteneies  (Pieris  erataegi) 
nach  BoBRETZKY.     Aus  R.  Hertwig  Fig.  100. 

^Theilung  des  Furchungskerns.  B  Heraufrücken  der  Kerne  zur  Bildung  der 
Keimhaut  (Blastoderm).     C  Bildung  der  Keimhaut. 

dringen  in  die  protoplasmatische  Rindenschicht  ein,  wo  sie  sich  in  gleich- 
massigen  Abständen  voneinander  anordnen.  Jetzt  erst  erfolgt  auch  am 
Ei  der  Furchungsprocess,  indem  die  Rindenschicht  in  so  viele  Zellen 
zerfällt,  als  Kerne  in  ihr  liegen,  während  der  centrale  Dotter  ungetheilt 
bleibt  oder  erst  sehr  viel  später  abgefurcht  wird.  Letzteres  tritt  ein, 
wenn  er  wie  bei  den  Insecten,  ähnlich  den  Eiern  mit  polständigem  Dotter, 
einige  Dotterkerne  oder  Merocyten  einschliesst  (Fig.  122  C). 


188 


Sechstes  Capitel. 


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Pig.  123.  Fritülaria  imperialis. 
Protoplasmatiseher  Wandbeleg  aus 
dem  Embryosaek.  Ein  Streifen  alle 
Phasen  der  Kerntheilung  zeigend. 
Vergr.  90.  Nach  Stkasbürger,  Botan. 
Prakticum  Fig.  190. 


Der  Embryosack  der  P ha- 
ner ogamen  wird  von  einem  proto- 
plasmatischen Wandbeleg  ausgeklei- 
det, der  auf  einem  gewissen  Entwick- 
lungsstadium viele  hundert  regel- 
mässig vertheilte  Kerne  einschliesst, 
die  man  früher  durch  freie  Kern- 
bild img  wie  die  Krystalle  aus  einer 
Mutterlauge  entstehen  liess.  Wir 
wissen  jetzt,  dass  sie  von  einem 
Mutterkern  durch  oftmals  wieder- 
holte Zweitheilung,  wie  im  Ei  der 
Arthropoden,  abstammen  (Fig.  123). 
Die  Theilungen  spielen  sich  in  einem 
Bezirk  des  Embryosackes  ziemlich 
gleichzeitig  ab.  Hat  es  daher  bei 
Anfertigung  eines  Präparates  der  Zu- 
fall glücklich  gefügt,  so  kann  man 
auf  kleinem  Raum  gleich  Hunderte 
von  Theilungsstadien  (Fig.  123)  vor 
Augen  haben. 

Wenn  Kerne  in  genügend  grosser 
Anzahl  entstanden  sind,  so  tritt  ein 
Stadium  ein,  in  welchem  es  zur 
Zellbildung  im  Wandbeleg  kommt 
(Fig.  124).  Zwischen  den  in  regel- 
mässigen Abständen  vertheilten  Ker- 
nen differenzirf  sich  das  Protoplasma 
in  radiäre  Fäden.   Es  bilden  sich  nach 

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Fig.  124.  Reseda  odorata.  Proto- 
plasmatiseher Wandbeleg  des  Em- 
bryosacks zu  Beginn  der  freien  Zell- 
bildung. Vergr.  240.  Nach  Strasburger, 
Botan.  Prakticum  Fig.  192. 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung.  189 

allen  Richtungen  Verbindungsfäden  aus ,  die  sich  in  ihrer  Mitte  verdicken 
und  eine  Zell  platte  erzeugen.  In  den  Zellplatten  entstehen  in  der 
früher  geschilderten  Weise  leicht  quellende  Cell  ul  ose  wände,  durch 
welche  um  je  einen  Kern  ein  Theil  des  protoplasmatischen  Wandbelegs 
zur  Zelle  abgekapselt  wird.  Zuweilen  sind  in  einer  Zelle  zwei  Kerne 
eingeschlossen,  die  dann  entweder  noch  nachträglich  durch  eine  Scheide- 
wand getrennt  werden,  oder  auch  wie  bei  Corydalis  cava  zu  einem  ein- 
zigen Kern  untereinander  verschmelzen. 

Das  Sporangium  der  Saprolegnien  ist  Anfangs  eine  lange 
von  Protoplasma  erfüllte  Zelle.  In  derselben  werden  zunächst  die  Kerne 
durch  Zweitheilung,  die  meist  gleichzeitig  eintritt,  beträchtlich  vermehrt. 
Später  vertheilen  sie  sich  regelmässig  im  Zellraum.  Um  jeden  Kern 
sondert  sich  die  angrenzende  Protoplasmapartie  zu  einem  kleinen  Klümp- 
chen,  welches  sich  auf  seiner  Oberfläche  mit  einer  festen,  glänzenden 
Hülle  umgiebt,  und  so  zerfällt  der  Zellinhalt  gleichzeitig  in  so  viel  ein- 
zelne Sporen,  als  kleine  Kerne  vorher  vorhanden  waren.  Dieselben 
werden  später  durch  Platzen  der  Membran  der  Mutterzelle  (des 
Sporangiums)  nach  Aussen  entleert. 

Die  früher  erwähnte  S ch w arm erbil düng  der  Radiolarien 
(Seite  170)  ist  auch  als  ein  besonderer  Fall  der  Vielzellbildung  zu 
betrachten. 

IV.    Die  Reductionstheilung. 

In  die  letzte  Entwicklung  der  Ei-  und  Samenzellen  greifen  eigen- 
thümliche  Theilprocesse  ein,  welche  den  Zweck  haben,  die  Geschlechts- 
zellen für  ihre  Bestimmung  vorzubereiten.  Das  Wesentliche  der- 
selben beruht  darin,  d  ass  sich  zwei  eng  zusammengehörige 
Theilungen  unmittelbar  aufeinander  folgen  und  zwar  so, 
dass  sich  an  die  erste  gleich  die  zweite  Theilung  an- 
schliesst,  ehe  noch  der  Kern  in  das  Ruhestadium  einge- 
treten ist.  In  Folge  dessen  werden  die  aus  der  ersten 
Theilung  herrührenden  Gruppen  von  Kernsegmenten 
sofort  ohne  vorausgegangene  Längsspaltung  abermals  in 
zwei  Tochtergruppen  gesondert.  Am  Schluss  der  zweiten 
Theilung  erhalten  daher  die  reifen  Ei-  und  Samenzellen 
nur  halb  so  viel  Kernsegmente  und  in  Folge  dessen  auch 
nur  halb  so  viel  Nucleinmasse  als  sonst  die  Kerne  bei 
einer  gewöhnlichen  Zelltheilung  desselben  Thieres.  (Hert- 
wig  VI.  34.)  Dies  Verhältniss  soll  durch  den  Namen  Re- 
ductionstheilung  (Weismann  VI.  77)   ausgedrückt  werden. 

Die  Reductionstheilung  der  Samen-  und  Eizellen  lässt  sich  am 
klarsten  bei  Ascaris  megalocephala  verfolgen: 

In  der  Hodenröhre  wird  eine  bestimmte  Zellenfolge  mit  dem  Namen 
der  Samenmutterzellen  belegt.  In  dem  grossen,  bläschenförmigen  Kern 
(Fig.  125  1)  bilden  sich  aus  der  chromatischen  Substanz  (ich  wähle  zur 
Beschreibung  Asc.  megal.  bivalens)  acht  lange  Kernfäden,  die  in  zwei 
Bündel  angeordnet  und  mit  der  Kernmembran  durch  überallhin  ausge- 
spannte Lininfäden  verbunden  sind.  Während  der  Nucleolus  in  einzelne 
Kügelchen  zerfällt,  erscheinen  dicht  an  der  Aussenfläche  der  Kernmembran 
zwei  Polkörperchen  nahe  bei  einander  im  Protoplasma,  von  einer  kleinen 
Sphäre  umgeben  (Fig.  125  II).  Die  Segmente  verkürzen  sich  und  werden 
dicker  (Fig.  125  11,  111).  Die  Polkörperchen  rücken  weiter  auseinander 
und  sind  schliesslich  an  entgegengesetzten  Punkten  des  bläschenförmigen 


190 


Sechstes  Capitel. 


Kerns  und  zwar  in  einiger  Entfernung  von  demselben  anzutreffen.  Zu 
dieser  Zeit  sind  die  Reste  des  Nucleolus  geschwunden ;  die  Kernmembran 
löst  sich  auf,  die  zwei  Bündel  von  je  vier  Kernsegmenten  ordnen  sich  im 
Aequator  zwischen  den  Polkörperchen  an  und  trennen  sich  darauf  in  zwei 
Tochterbündel  von  je  zwei  Kernsegmenten,  die  nach  den  Polen  auseinan- 
der weichen  (Fig.  125  IV,  Fig.  126  I).    Die  Samenmutterzelle  zerfällt  hier- 


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Fig.  125.     Vier  Kerne   von  Samenmutterzellen   von  Ascaris   megalo- 
eephala  bivalens  auf  verschiedenen  Vorbereitungsstadien  zur  Theilung. 

auf  durch  Einschnürung  in  zwei  gleich  grosse  Tochterzellen  (Fig.  126  II). 
Während  noch  die  Durchschnürung  im  Gange  ist,  beginnen  schon  die 
Veränderungen,  die  zur  zweiten  Theilung  führen  (Fig.  126  7).  Das  Pol- 
körperchen jeder  Tochterzelle  spaltet  sich  in  zwei  Hälften,  welche,  von 
ihren  besonderen  Sphären  umgeben,  parallel  zur  ersten  Theilungsebene 
nach  entgegengesetzten  Richtungen  auseinander  rücken  (Fig.  126  II,  A 
und  B).    Die  von  der  ersten  Theilung  herrührenden  Kernsegmente  liefern 


Fig.  126.  Schema  für  die  Entstehung  der  Samenzellen  aus  einer 
Samenmutterzelle  von  Ascaris  megaloeephala  bivalens. 

J  Theihing"  der  Öamenniutterzelle  in  zwei  Saraentocliterzelleu. 
II  Die  beiden  Samentochtei'zellen  {A  u.  B)  bereiten  sich   gleich  nach  der  ersten 
Theilung  zu  einer  zweiten  Theilung  vor. 

JII  Die  Samentochterzelle  A  theilt  sieh  in  zwei  Samenenkelzellen.  B  UTid  C 
sind  Samenenkelzellen,  welche  durch  Theilung  der  Sameutochterzelle  B  der  Fig.  // 
hervorgegangen  sind. 

mit  Ueberspringung  des  bläschenförmigen  Ruhezustandes  gleich  wieder  das 
Material  zur  zweiten  Theilung.  Sie  kommen  durch  Umlagerung  zwischen 
die  neuentstandenen  Pole  der  zweiten  Theilungsfigur  zu  liegen  (Fig.  126 
17,  B)  und  trennen  sich  dann  in  zwei  Gruppen  von  je  zwei  Kernseg- 
menten, die  nach  den  Polen  auseinander  weichen,  worauf  die  zweite 
Einschnürung  beginnt  (Fig.  126  III,  A).   Während  bei  der  ersten  Thei- 


lY.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


191 


lung  jede  Tochterzelle  von  den  im  ruhenden  Kern  schon  vorgebikleteu, 
acht  Kernsegmenteu  deren  vier  erhält,  bekommt  jetzt  jede  Enkel- 
zelle nur  ihrer  zwei.  Denn  im  Laufe  der  ohne  Ruhezustand  sich  folgenden 
zwei  Theilungen  hat  eine  Vermehrung  der  Kernsubstanz  und  eine  Zu- 
nahme der  Kernsegmente  auf  dem  Wege  der  Längsspaltung  nicht  statt- 
gefunden. In  Folge  dessen  ist  die  Anzahl  der  Segmente  durch  die  zweite 
Theilung  auf  die  Hälfte  der  typischen  Zahl  herabgesetzt  oder  reducirt 
worden. 

In  genau  derselben  Weise  vollzieht  sich  eine  Reductions- 
theilung  beim  Reifeprocess  d e s  E i e s  von  Ascaris  megalocephala. 

Der  Samenmutterzelle  entspricht  das  unreife  Ei  oder  die  Eimutter- 
zelle.  Auch  hier  entstehen  im  Keimbläschen  acht  in  zwei  Bündeln  ange- 
ordnete Kernsegmente  (Fig.  127  /).  Nach  Auflösung  der  Kernmembran 
ordnen  sie  sich  im  Aequator  der  ersten  Richtungsspindel  an,  die  zur 
Oberfläche  des  Dotters  emporsteigt  (Fig.  127  II)  und  in  früher  be- 
schriebener Weise  (Seite  184)  die  erste  Polzelle  bildet.  Dieser  Process 
ist  der  Theilung  der  Samenmutterzelle  in  zwei  Tochterzellen  vergleich- 
bar. Wie  dort  (Fig.  126  1)  erhält  von  den  zwei  Bündeln  von  je  vier 
Segmenten  ein  jedes  der  beiden  hier  ungleich  grossen  Theilproducte, 
(Fig.  127  111)  die  Ei-Tochterzelle  und  die  durch  Knospung  entstandene 
Polzelle,  zwei  Tochterbündel  von  je  zwei  Segmenten.  Auch  hier  folgt 
mit  Ueberspringung  des  Ruhestadiums  gleich  eine  zweite  Theilung.  Aus 
dem  Material  der  in  der  Ei-Tochterzelle  zurückgebliebenen,  halben  Spindel 
bildet  sich  direkt  eine  zweite  volle  Spindel  aus  mit  nur  vier  paarweise 
verbundenen  Segmenten.  Aus  der  zweiten  Knospung  entsteht  die  zweite 
Polzelle  (Fig.  127  IV)  und  die  Ei-Enkelzelle  oder  das  reife  Ei, 
ein  jedes  Theilproduct  mit  nur  zwei  Kernsegmenten. 


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Fig.  127.     Schema  für  die  Bildung  der  Polzellen  und  die  Befruchtung 
des  iBies  von  Ascaris  megalocephala  bivalens. 


192  Sechstes  Capitel. 

Abgesehen  davon,  dass  die  Theilproducte  bei  der  Eireife  von  so 
ungleicher  Grösse  sind  (Knospung),  gleichen  die  Vorgänge  den  oben 
beschriebenen  Theilungsprocessen  bei  der  Sanienbildung  so  vollständig, 
dass  durch  sie  Licht  auf  die  Bedeutung  der  Polzellen  geworfen  wird. 
Während  aus  einer  Samenniutterzelle  (Fig.  126  1)  sich  vier  Samenzellen 
entwickeln  (Fig.  126  111,  A  B  C),  entstehen  aus  einer  Eimutterzelle 
(Fig.  127  7)  ein  befruchtungsfähiges  Ei  (Fig.  127  V)  und  drei  Abortiv- 
eier. Diese  haben  sich  in  rudimentärem  Zustande  erhalten,  weil  sie  bei 
der  physiologisch  wichtigen  Reductionstheilung  eine  Rolle  spielen. 

Aehnliche  Verhältnisse,  wie  bei  den  Nematoden,  aus  welchen  her- 
vorgeht, dass  die  reifen  Geschlechtsproducte  nur  halb  so  viel  Kernseg- 
mente besitzen  als  die  Gewebszellen  des  betreffenden  Organismus,  sind 
noch  für  viele  andere  Objecte  festgestellt  worden:  so  von  Boveri  (VI.  6) 
für  die  reifen  Eizellen  von  Thieren,  welche  den  verschiedensten  Klassen 
des  Thierreichs  anaehören,  von  Flemming  (VI.  13  11),  Platner  (VI.  52), 
Henking  (VI.  27),  Ishikawa  (VI.  40),  Hacker  (VI,  24),  vom  Rath  (VI.  55) 
für  die  reifen  Samenzellen  von  Salamandra,  Gryllotalpa.  Pyrrhocoris, 
Cyclops  etc.,  von  Guignard  (VI.  23  b)  für  die  bei  der  Befruchtung  in 
Verwendung  kommenden  Kerne  der  Pollenzellen  und  für  den  Kern  der 
reifen  Eizelle  der  Phanerogamen. 

Auch  bei  Infusorien  findet  vor  der  Befruchtung  eine  Reduction 
von  Kernsubstanz  nach  den  Untersuchungen  von  Maupas  (VII.  30)  und 
Richard  Hertwig  (VII.  21)  statt,  worüber  noch  einige  nähere  Angaben  in 
Capitel  VII,  Seite  216  folgen  werden. 

In  allen  hier  beschriebenen  Fällen  geschieht  die  Reduction  der 
K  e  r  n  s  u  b  s  t  a  n  z  vor  der  Befruchtung  der  Eizelle  d  u  r  c  li  die 
Samenzelle.  Es  scheint  nun  aber  auch  die  Reduction  der  Kernmasse, 
was  ja  a  priori  recht  gut  möglich  ist,  erst  nach  der  Befruchtung 
durch  die  ersten  Kerntheilungen  erfolgen  zu  können.  In  dieser  Weise 
möchte  ich  wenigstens  die  so  interessanten  Beobachtungen  deuten,  welche 
Klebahn  (VI.  43)  bei  zwei  Vertretern  der  niederen  Algen-Gattung  der 
Desmidiaceen,  bei  Closterium  und  Cosmarium,  gemacht  hat.  Eine  ge- 
nauere Darstellung  wird  erst  im  Capitel  „Befruchtungsprocess"  (Seite  224) 
gegeben  werden,  auf  welches  hiermit  der  Leser  hingewiesen  wird. 

IT.    Beeinflussung  der  Zelltheilung  durch  änssere  Factoren. 
Abnorme  Kerntheilungsfiguren.    Kerndegenerationen. 

Das  complicirte  Kräftespiel,  das  sieh  dem  Beobachter  bei  jeder 
Zelltheilung  darbietet,  kann  ebenso  wie  das  früher  studirte  Phänomen 
der  Protoplasmabewegung  durch  äussere  Factoren  in  auffälliger  Weise 
beeinflusst  werden.  Nur  werden  hier  aus  naheliegenden  Gründen  die 
Verhältnisse  verwickelter  als  bei  der  Protoplasmabewegung,  weil  stofflich 
verschiedene  Theile,  Protoplasma,  Kernsegmente,  Spindelfasern,  Pol- 
körperchen von  der  Stömng  betroffen  und  in  sehr  verschiedenartiger 
W^eise  allgeändert  werden  können.  —  Das  ganze  Gebiet  ist  noch  wenig 
experimentell  in  Angriff  genommen.  Wenn  wir  die  Frage  aufwerfen,  wie 
verhalten  sich  die  einzelnen  Stadien  des  Kerntheilungsprocesses  ther- 
mischen, *  mechanischen,  elektrischen  und  chemischen  Reizen  gegenüber, 
so  können  wir  nur  eine  sehr  unbefriedigende  Antwort  darauf  geben.  Die 
zusammenhängendsten  Untersuchungen  besitzen  wir  zur  Zeit  über  Echino- 
dermen-Eier,  deren  Verhalten  gegen  thermische  und  chemische 
Reize  während  der  Theilung   einer   Prüfung   unterworfen   wurde. 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung.  193 

Was  zunächst  die  thermischen  Einflüsse  betrifft,  so  ist  im  Allgemeinen 
bekannt,  dass  je  nach  dem  Grade  der  Temperatur  die  Zelltheilung  lang- 
samer oder  rascher  verläuft;  wo  aber  das  Temperaturoptimum,  wo  das 
Minimum  liegt,  und  welche  Veränderungen  Temperaturen,  die  iiber  das 
Optimum  hinausgehen,  an  den  Kernfiguren  hervorrufen,  muss  durch 
Experimente  genauer  festgestellt  werden.  Ueber  den  Einfluss  von  Kälte- 
graden von  1  bis  4  Grad  Celsius  habe  ich  selbst  (VI.  32,  33)  eine  Reihe 
von  Experimenten  ausgeführt: 

Wenn  Echinodermen-Eier  15  bis  30  Minuten  lang  auf  1  bis  4  Grad 
Celsius  unter  0  abgekühlt  werden,  während  sie  sich  auf  charakteristischen 
Theilungsstadien  befinden,  so  wird  binnen  wenigen  Minuten  der  ganze 
achromatische  Theil  der  Kernfigur  rückgebildet  und  vernichtet,  während 
der  chromatische,  aus  den  Kernsegmenten  bestehende  Theil  keine  oder 
nur  geringfügige  Veränderungen  erfährt.  Am  lehrreichsten  sind  die 
Stadien,  auf  denen  die  Kernsegmente  im  Aequator  angeordnet  (Fig.  128  Ä) 
oder  schon  nach  beiden  Polen  vertheilt  sind.  Wie  Figur  128  i?  lehrt, 
sind  die  Protoplasmastrahlungen  und  ebenso  die  Spindelfasern  spurlos 
verschwunden;  die  Sphären  in  der  Umgebung  der  Polkörperchen  sind 
noch  durch  hellere  Stellen  im  Dotter  bezeichnet.  Die  Kernsegmente 
allein  sind  nacli  Aussehen  und  Lage  ganz  unverändert  geblieben. 


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Fig.  128.  A  Kernfigur  eine«  Eies  von  Strongylocentrotus  1  Stunde 
20  Minuten  nach  der  Befruchtung. 

B  Kernfigur  eines  Eies  von  Strongylocentrotus,  welches  IV2  Stunden, 
nach  Vornahme  der  Befruchtung  2  Stunden  15  Minuten  in  eine  Kälte- 
misehung  von  —  2  "^  C.  gebracht  und  dann  getödtet  wurde. 

Während  der  Dauer  der  Kältewirkung  bleibt  die  Kernfigur  in  diesem 
Zustand  •  fest  gebannt ;  die  Starre  beginnt  aber  in  kürzester  Zeit  zu 
schwinden,  wenn  die  Eier  in  einem  Tropfen  Wasser  auf  einen  Object- 
träger  gebracht  und  unter  dem  Einfluss  der  Zimmertemperatur  allmählich 
erwärmt  werden.  Schon  nach  5  bis  10  Minuten  bilden  sich  die  beiden 
Polstrahlungen  an  denselben  Stellen,  erst  schwach,  dann  in  ursprünglicher 
Schärfe  wieder  aus;  zwischen  den  beiden  Polen  treten  wieder  die  Spindel- 
fasern hervor,  worauf  es  bald  zur  regelrechten  Theilung  kommt.  In 
diesen  Fällen  hat  die  Kälte  nur  als  Hemmung  gewirkt. 
Der  Theilungsprocess  setzt  einfach  an  dem  Punkte  wieder 
ein,  an  welchem  er  durch  die  Kälte  zum  Stillstand  ge- 
bracht worden  war. 

Hertwig,  Die  Zelle  und  die  Gewete.  13 


194 


Sechstes  Capitel. 


Intensivere  Störungen  werden  durch  2-  bis  3stündige  Abkiihlung  auf 
2  bis  3  Grad  Celsius  unter  0  hervorgerufen.  Die  ganze  Kernfigur  wird 
von  Grund  aus  umgeändert  und  niuss  sich,  wenn  die  Kältestarre  vor- 
über ist ,  wieder  von  Anfang  an  neu  aufbauen ,  wozu  eine  längere 
Zeit  der  Erholung  erforderlich  ist.  Entweder  verschmelzen  die  Kern- 
segmente zu  einem  unregelmässigen,  gezackten  Körper  untereinander, 
oder  es  bildet  sich  sogar  aus  ihnen  wieder,  wie  bei  dem  Recon- 
structionsprocess  nach  der  Theilung,  ein  kleiner  bläschenförmiger  Kern. 
Dann  beginnen  von  Neuem  Veränderungen,  welche  zur  Entstehung  von 
Polstrahlungen  und  von  häufig  mehr  oder  minder  abnorm  gestalteten 
Kerntheilungsfiguren  führen.  Auch  die  Theilung  des  Eikörpers  erfolgt 
nicht  nur  sehr  verspätet,  sondern  ist  oft  pathologisch  abgeändert. 

In  analoger  Weise  wie  die  Kälte,  haben  einige  chemische  Stoffe 
(Chinium  sulfuricum  in  0,05°/oiger  Lösung  und  0,5  °/o  Chloralhydrat)  eine 
überraschende  Wirkung  auf  den  Theilungsprocess.  Werden  Eier,  welche 
die  Spindel  gebildet  haben  und  äquatoriale  Anordnung  der  Kernsegmente 
zeigen,  5  bis  10  Minuten  der  Einwirkung  der  oben  genannten  Stoffe  aus- 
gesetzt, so  beginnen  bald  die  Polstrahlungen  vollkommen  zu  verschwinden; 
entstehen  aber  nach  einiger  Zeit  der  Ruhe  wieder  von  Neuem,  w^orauf  es 
zu  normaler  Theilung  kommt.  Bei  einer  Einwirkung  der  Stoffe  während 
10  bis  20  Minuten  jedoch  wird  die  Störung  eine  tiefer  greifende  und  führt 
in  vielen  Fällen  einen  sehr  eigenthümlichen  und  in  seiner  Art  typischen 
Verlauf  des  Theilungsprocesses  herbei.  Nicht  nur  die  Polstrahlungen  und 
die  Spindelfasern  werden  vollkommen  zurückgebildet,  sondern  es  geht 
auch  aus  den  Kernsegmenten  in  langsamer  Umwandlung  der  bläschen- 
förmige Ruhezustand  des  Kerns  wieder  hervor  (Fig.  129  Ä).  Derselbe 
giebt  bald  den  Ausgangspunkt  für  eine  neue,  jetzt  aber  wesentlich  modi- 
ficirte  Theilung  ab  (0.  und  R.  Hertwig  VI.  38). 

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B 


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Fig.  129.  Kerne  von  Eiern  von  Strongyloeentrotus,  welche  V'2  Stunden 
nach  Vornahme  der  Befruchtung  20  Minuten  in  einer  0,025proeentigen 
Chininlösung  gelegen  haben. 

A  Kenifigm-  eiiie.s  Eies,  das  eine  Stunde  nach  Herausnahme  aus  der  Chinin- 
lösung abgetödtet  wurde.  -B  Kernfigur  eines  Eies,  das  etwas  später  abgetödtet  wurde. 
C  Kernfigur  eines  Eies,  das  2  Stunden  nach  Hei-ausnahme  aus  der  Chininlösung  ab- 
getödtet wurde. 

Anstatt  zweier,  bilden  sich  gleich  vier  Strahlungen  an  der  Oberfläche 
der  Kernblase  aus  (Fig.  129  B,  in  welcher  eine  Strahlung  verdeckt  ist). 
Diese  werden  nach  Behandlung  mit  Chinin  bald  scharf  ausgeprägt,  bleiben 
dagegen  nach  Chloralbehandlung  auf  die  Dauer  matt  und  auf  die  nächste 
Umgebung  des  Kerns  beschränkt.     Hierauf  löst   sich   die  Kernmembran 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


195 


auf;  zwischen  den  vier  Polen  entwickeln  sich  fünf  Spindeln,  auf  welche 
sich  die  Kernsegmente  in  äquatorialer  Anordnung  vertheilen  und  dabei 
eine  charakteristische  Figur  erzeugen  (Fig.  129  C).  Dann  weichen  die 
Kernsegmente  nach  den  vier  Polen  auseinander  und  geben  die  Grundlage 
für  vier  bläschenförmige  Kerne  ab,  welche  nach  der  Oberfläche  des 
Dotters  auseinander  rücken.  Das  Ei  beginnt  sich  darauf  durch  zwei 
Kreuzfurchen  den  Kernen  entsprechend  in  vier  Lappen  einzuschnüren;  in 
der  Regel  kommt  es  aber  nicht  zu  einer  vollständigen  Theilung  in  vier 
Stücke,  sondern  zuvor  schicken  sich  die  vier  Kerne  wieder  zu  einer 
neuen  Theilung  an,  indem  sie  sich  in  Spindeln  mit  zwei  Polstrahlungen 
umwandeln.  Dabei  vertiefen  sich  die  eben  erwähnten  Einschnürungen 
langsam,  und  jede  Spindel  kommt  in  einen  Höcker  oder  eine  Knospe  zu 
liegen.  Entweder  wird  die  Trennung  jetzt  schon  eine  ziemlich  vollstän- 
dige, oder  es  treten ,  noch  ehe  die  Furchen  weit  in  den  Dotter  einge- 
schnitten haben,  die  vier  Spindeln,  indem  die  Kernsegmente  nach  den 
Polen  auseinanderweichen,  zuvor  in  Theilung  ein.  Dies  hat  dann  wieder 
zur  Folge,  dass  sich  die  vier  ersten  Höcker,  noch  ehe  sie  voneinander 
getrennt  sind,  abermals  einzuschnüren  beginnen  (Knospenfurchung). 

Das  Auffälligste  bei  den  beschriebenen  Erscheinungen  ist  das  plötz- 
liche Auftreten  von  vier  Polstrahlungen,  denen  nach  Allem,  was  wir 
wissen,  ebenso  viele  Polkörperchen  zu  Gnmde  liegen  müssen.  Eine  Er- 
klärung hierfür  bietet  sich  in  den  Vorgängen,  welche  sich  an  die  Be- 
fruchtung des  Echinodermen-Eies  anschliessen  und  welche  ihre  Besprechung 
auf  Seite  209  finden,  auf  welche  hiermit  verwiesen  wird. 

Modificationen  von  der  in  Figur  129  C.  dargestellten  Form  der 
Kernumwandlung  kommen  nicht  selten  vor ;  sie  bestehen  darin,  dass  eine 
Strahlung  von  den  drei  übrigen   etwas  weiter   entfernt  liegt   (Fig.  130). 


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Fig.  130. 


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Fig.  131. 


Fig.  130  u.  131.  Vierpolige  Kernfiguren  von  Eiern  von  Strongylocen- 
trotus,  die  IV2  Stunden  nach  Vornahme  der  Befruchtung  20  Minuten  in 
einer  0,05proeentigen  Chininlösung  gelegen  haben  und  nach  Herausnahme 
aus  der  Chininlösung  nach  2  Stunden  getödtet  worden  sind. 

In  diesem  Fall  sind  nur  die  drei  näher  zusammen  gelegenen  Strahlungen 
durch  drei  Spindeln  zu  einem  Triaster  vereinigt.  Im  Mittelpunkt  des 
so  gebildeten  gleichschenkligen  Dreiecks  stossen  drei  Kernplatten  zu- 
sammen, wieder  eine  regelmässige  Figur  erzeugend.  Die  vierte  abseits 
liegende  Strahlung  verbindet  sich  durch  eine  einzige  Spindel  mit  der 
nächsten  Strahlung  des  Triasters. 

Als  ein  Uebergang  zwischen   den  Figuren   129  und  130   lässt  sich 

13* 


196  Sechstes  Capitel. 

wohl  Figur  131  lietrachten.  Hier  gehen  von  der  mehr  isolirt  gelegenen 
Strahlung  x  zwei  Spindeln  nach  dem  übrigen  Theil  der  Kernfigur,  welche 
einen  Triaster  darstellt.  Von  den  beiden  Spindeln  ist  die  eine  nur  schwach 
und  unvollstcändig  ausgebildet  und  fällt  sofort  durch  die  geringe  Anzahl 
ihrer  Kernsegmente  auf.  Sie  würde  wahrscheinlich  gar  nicht  zur  Anlage 
gelangt  sein,  wenn  die  Strahlung  x  noch  etwas  weiter  von  der  Strah- 
lung y  entfernt  wäre. 

Drei-,  vier-  und  mehrpolige  Kerntheilungsfiguren 
(Triaster,  Tetraster,  Polyaster,  pluripolare  Mitosen)  sind  auch  in 
krankhaft  veränderten  G  e  w  e  b  e  n  ^  von  pathologischen  Anatomen, 
Arnold,  Hansemann,  Schottländer,  Cornil,  Denys  etc.  (VI.  1, 10, 11,  25,  67), 
häufig  beobachtet  worden,  besonders  häufig  in  bösartigen  Geschwülsten, 
wie  in  den  Carcinomen.  Sie  gleichen  in  auffallender  Weise  den  an 
Eizellen  experimentell  erzeugten  und  in  den  Figuren  129  bis  131  ab- 
gebildeten Kernfiguren.  Wahrscheinlich  ist  auch  hier  die  Ursache  für 
die  abnormen  Erscheinungen  in  chemischen  Reizen  zu  suchen.  So  konnte 
Schottländer  (VI.  67)  pathologische  Kerntheilungen  im  Endothel  der 
Descemet'schen  Membran  dadurch  hervorrufen,  dass  er  die  Hornhaut  des 
Froschauges  mit  Chlorzinklösung  von  bestimmter  Concentration  anätzte 
und  so  in  Entzündung  versetzte.  Bemerkenswerth  ist  das  veränderliche 
Zahlenverhältniss  der  Kernsegmente  in  den  einzelnen  Spindeln.  Denn 
während  in  einigen  Spindeln  zwölf  Segmente,  wurden  in  anderen  nur 
sechs  oder  sogar  nur  drei  von  Schottländer  aufgefunden.  Dieselbe  Er- 
scheinung wurde  bei  den  Echinodermen-Eiern  beobachtet. 

Mehrpolige  Kerntheilungsfiguren  können  übrigens  wahrscheinlich  noch 
durch  andere  Ursachen,  von  denen  uns  zur  Zeit  die  wenigsten  bekannt 
sind,  veranlasst  werden.  Eine  häufige  Ursache  ist  zum  Beispiel  das 
Vorkommen  vieler  Kerne  in  einer  Zelle.  Man  kann  leicht 
einen  solchen  Zustand  auf  experimentellem  Wege  willkürlich  hervorrufen, 
wenn  man  Eizellen  durch  irgend  welche  geeignete  Eingriffe  schädigt  und 
dann  befruchtet  (Fol  VI.  19b,  Hertwig  VI.  30a,  32,  33,  38).  Anstatt 
eines  einzigen  Samenfadens,  wie  es  bei  der  normalen  Befruchtung  die 
Regel  ist,  dringen  dann  zwei,  drei  und  mehr  in  den  Dotter  hinein.  Die 
Folge  einer  derartigen  Ueberfmchtung  (Polyspermie)  ist  die  Ausbildung 
vieler,  der  Zahl  der  eingedrungenen  Samenfäden  entsprechender  Samen- 
kerne. Dieselben  legen  sich  zum  Theil  dem  Eikern  an,  und  da  jeder  von 
ihnen  ein  Centralkörperchen  mit  in  das  Ei  hineingebracht  hat,  entstehen 
um  den  Eikern  entsprechend  viele  Polstrahlungen.  Und  so  wandelt  sich, 
je  nach  der  Zahl  der  Samenfäden,  der  Eikern  in  eine  drei-,  vier-  und  mehr- 
strahlige Kerntheilungsfigur  um. 

Auch  die  nicht  mit  dem  Eikern  verbundenen,  sondern  bei  der  Ueber- 
fruchtung  im  Dotter  isolirt  gebliebenen  Samenkerne  werden  sehr  häufig 
der  Ausgang  eigenthümlicher,  mehrpoliger  Kernfiguren.  Zunächst  werden 
sie  zu  kleinen  Samenspindeln.  Benachbarte  Spindeln  rücken  dann  häufig 
zusammen  der  Art,  dass  zwei  Polstrahlungen  und  mithin  wohl  auch  die 
in  ihnen  gelegenen  Polkörperchen  zu  einem  einzigen  verschmelzen.  Auf 
diese  Weise  können  durch  allmählich  erfolgende  Verschmelzungen, 
namentlich  bei  höheren  Graden  der  Ueberfruchtung,  die  verschieden- 
artigsten SpindelaggTegate  zu  Stande  kommen.  Auch  die  vom  mehrfach 
befruchteten  Eikern  ausgehende,  vielstrahlige  Figur  kann  nachträglich 
durch  Anlagerung  von  Samenspindeln  noch  eine  complicirtere  Structur 
erhalten. 

In  ähnlicher  Weise  erkläre  ich  mir  die  interessanten  Befunde,  welche 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung. 


197 


an  den  Riesenzellen  des  Knochenmarks  von  Denys  und  an  den 
Riesenzellen  der  embryonalen  Säugethierleber  von  Kostanecki  (VI.  46)  be- 
obachtet worden  sind.  Im  Verhältniss  zu  den  zahlreichen  Kernen  werden 
auch  viele  Centralkörperchen  in  der  Zelle  enthalten  seia.  Wenn  daher  das 
ganze  Kernaggregat  in  Theilung  eintritt,  werden  sich  viele  Polstrahluugen 
entwickeln  müssen,  zwischen  denen  sich  dann  die  Kernsegmente,  deren 
Zahl  unter  Umständen  mehrere  hundert  betragen  kann,  zu  eigenthümlich 
verzweigten  Kernplatten  anordnen,  wie  eine  solche  in  Figur  132  nach 
Kostanecki  abgebildet  worden  ist.  Wenn  sich  später  die  Muttersegmente 
in  Tochtersegmente  spalten ,  wandern  letztere  gruppenweise  nach  den 
einzelnen  Polen  der  complicirten  Kerntheilungsfigur  und  bilden  dort 
zahlreiche,  kleine  Kreise  (Fig.  133).  Aus  jedem  Kreis  wird  weiterhin  ein 
Kern;  zuletzt  theilt  sich  die  Riesenzelle  in  so  viele  Stücke  als  Kerne, 
resp.  Kreise  von  Tochtersegmenten,  vorhanden  waren. 

In  dieselbe  Reihe  gehören  die  von  Hennegiiy  (VI.  28)  am  Forellenei 
gemachten  Beobachtungen.  Bekanntlich  sind  bei  partiell  sich  furchenden 
Eiern  zahlreiche  Kerne,  die  Merocyten,  in  der  Dotterschicht,  welche  unter 
den  Keimzellen  liegt,  zerstreut.  Zuweilen  treten  einige  von  ihnen,  indem 
sie  sich  zur  Theilung  gleichzeitig  vorbereiten,  zu  kleinen  Spindelaggregaten 
zusammen.  Dafür,  dass  die  Pole  hierbei  als  Attractionscentren  wirken, 
ist  sehr  lehrreich  der  folgende  von  Henneguy  mitgetheilte  Fall  (Fig.  134): 


Fig.  132. 


Fig.  133 


Fig.  134. 


Fig.  132.  Vielpolige  Kerntheilungsfigur  mit  vielen  Gruppen  von  Mutter- 
segmenten aus  einer  Riesenzelle  der  embryonalen  Säugethierleber.  Nach 
Kostanecki. 

Fig.  133.  Vielpolige  Kerntheilungsfigur  einer  Riesenzelle  aus  der 
embryonalen  Säugethierleber.  Die  Tochtersegmente  bilden  viele  Gruppen, 
die  nach  den  zahlreichen  Polen  zu  auseinander  gerückt  sind.  Nach  Kostanecki. 

Fig.  134.  Zwei  Kernspindeln  aus  dem  Dotter  einer  Forellenkeim- 
scheibe.  Das  Polkörperchen  der  einen  Spindel  übt  einen  störenden  Ein- 
fluss  auf  die  Anordnung  und  Vertheilung  der  Tochtersegmente  in  der 
zweiten  Spindel  aus.     Nach  Hennegüy. 

Zwei  in  Theilung  begriffene  Merocyten  liegen  in  der  gemeinsamen 
Dottermasse  dicht  bei  einander  und  zwar  so,  dass  die  Spindelaxe  von 
B  in  ihrer  Verlängerung  die  Spindel  Ä  im  Aequator  schneiden  würde 
und  dass  das  eine  Polkörperchen  h  sich  in  grosser  Nähe  von  Spindel  Ä 
befindet.  Dadurch  ist  bei  der  letzteren  die  Vertheilung  der  Tochter- 
segmente in  ganz  auffälliger  Weise  gestört  worden.  Anstatt  in  zwei 
Gruppen  nach  den  Polen  a  a,  wie  bei  normalem  Verlauf,  auseinander  zu 
weichen,  hat  sich  eine  Anzahl  von  ihnen,  welche  sich  am  meisten  in  der 
Wirkungssphäre  des  Polkörperchens  b  der  nahegelegenen,  fremden  Spindel 


198 


Sechstes  Capitel. 


befunden  hat,  nach  h  begeben.  Mit  einem  Wort:  das  Polkörperchen  der 
einen  Spindel  hat  ganz  offenbar  einen  störenden  Einfluss  auf  die  Anord- 
nung und  Vertheilung  der  Tochtersegmente  in  der  zweiten  Spindel 
ausgeübt. 

An  demselben  Objeet  hat  Henneguy  in  Keimzellen,  die  sich  von  der 
Merocytenschicht  nachträglich  abtrennen,  auch  Triaster,  wie  ein  solcher 
in  Figur  135  abgebildet  ist,  und  Tetraster  wahrgenommen. 


B 


Fig.  136. 


Fig.  135. 


Fig.  135.  Zelle  mit  einer  dreipoligen  Kernfigur  aus  einem  Forellen- 
keim.    Nach  Henneguy. 

Fig.  136.  A  Samenzelle  mit  entartetem  Kern  aus  dem  Hoden  von 
Salamandra  maculata.     Aus  Flemming  Tat".  2-5,  Fig.  51a. 

JS  Zwisehenkörperchen  (eorps  residuel)  aus  dem  Hoden  von  Ascaris 
megalocephala.    Kernrückbildung. 

"^  Am  Schluss  des  vierten  Abschnitts  sei  endlich  noch  auf  Degene- 
rationsvorgänge hingewiesen,  denen  zuweilen  die  Zell- 
kerne unterliegen,  wahrscheinlich,  weil  sie  sich  unter  schädlichen 
Einflüssen  befinden.  Namentlich  in  den  Geschlechtsorganen  scheinen  sich 
häufig  einzelne  Keimzellen  oder  Gruppen  von  solchen,  ehe  sie  die  volle 
Reife  erlangt  haben,  zurückzubilden,  w-ie  von  Flemming  und  Hermann 
für  Salamandra  maculata,  von  mir  für  Ascaris  megalocephala  festgestellt 
worden  ist.  An  den  Kernen  geht  das  Gerüst  zu  Grunde.  Das  Nuclein 
sammelt  sich  zu  einem  compacten  Klumpen  an,  der  sich  durch  eine  auf- 
fallend starke  Färbbarkeit  in  den  verschiedensten  Farbstoffen  auszeichnet. 
Das  Protoplasma  nimmt  im  Verhältniss  zu  entsprechenden  normalen 
Keimzellen  an  Masse  ab.  Derartig  verkümmerte  Zellen  mit  ganz  des- 
organisirten  Kernen  sind  in  Figur  136  abgebildet.  A  ist  eine  Samen- 
zelle aus  einem  Hodenfollikel  von  Salamandra,  B  eine  Keimzelle  von 
Ascaris,  wie  sie  sowohl  im  Hoden  als  im  Eierstock  vorgefunden  wird 
und  in  der  Literatur  unter  dem  Namen  corps  residuel  oder  Zwisehen- 
körperchen bekannt  ist.  Wasielewski  hat  durch  Injection  von  Terpentin 
in  den  Hoden  von  Säugethieren  die  Kerne  von  Keimzellen  in  einen  ent- 
sprechenden Zustand  der  Degeneration  auf  experimentellem  Wege  ver- 
setzen können. 


Ueber  die  physiologische  Bedeutung  des  Kernt lieilungs- 
processes  vergleiche  Capitel  IX,  Abschnitt  3,  besonders  den  Theil:  Die 
gleichwerthige  Vertheilung  der  sich  vermehrenden  Erbmassen  auf  die  aus 
dem  befruchteten  Ei  hervorgehenden  Zellen. 


IV.    Die  Fortpflanzung  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Theilung.  199 

Literatur.    VI. 

1)  Julius  Arnold.  lieber  die  Theilung svorg an ge  an  den  Wanderzdlen.  Archiv  für 
mikroskop.  Anatomie.  Bd.  XXX.  Ferner  mehrere  Aufsätze  in  Vircho^vs  Archiv. 
Bd.  XCIII,  XCVJIl  CHI. 

2a)  Auerbach.  Organologische  Studien.  Zweites  Heft.  Veber  Neubildung  und  Ver- 
mehrung der  Zellkerne. 

2b)  Derselbe.  Zur  Kenntniss  der  thierischen  Zellen.  Sitziingsbcr.  d.  kgl.  preuss.  Akademie 
der    Wissenschaften  zu  Berlin.     1890. 

3)     Balfour.     TIandb.  der  vergleichenden  Embryologie.     Veber  sitzt  von  J'ettcr.    Jena   1881. 

4a)  van  Beneden.  Recherehes  sto-  la  maturation  de  Veeuf.,  la  fecondation  et  la  division 
cellulairc.    Archives  de  biologie.    Vol.  IV.    1883. 

4b)  van  Beneden  u.  Neyl.  Nouvelles  recherches  sur  la  fecondation  et  la  division 
mitosique  chez  Vascarde  megalocephale.     Leipzig  1887. 

5)  Born.      Heber  den   Einßuss   der   Schwere   auf  das    Froschei.     Archiv  für   mikroskop. 

Anatomie.      Bd.  XXIV. 

6)  Boveri.     Zellenstudien.     Jenaische  Zeitschrift.     1887,  1888,  1890. 

7)  Derselbe.     Veber  den  Anthcil  des  Spermatozoons  an  der  Theilung  der  Eier.    Sitzung sber. 

der  Gesellsch.  f.  Morph,  u.  Physiol.  in  München.    1887. 

8)  Brandt.      Neue   Radiolarienstudien.     Mittheil,  des   Vereins   Schlesivig  -  Holstein.    Aerzte. 

Januar  1890. 

9)  Carnoy.     Siehe  Literatur  IV. 

10)  Cornil.     Sur   la  multiplication   des  cdlules  de   la  moelle   des   os  par   division  indirecte 

dans  rinßatnmation.     Arch.  de  phys.  norm,  et  patholog.    1887. 

11)  D  er  selbe.     Sur  le  procede    de  division    indirecte  des  noyaux  et   des   cellules  epitheliales 

dans  les  tumcurs.     Arch.  de  phys.  norm,  et  palh.     3.  scr.     1\    VIII. 
-12)     W.  Flemming.     Zdlsubstanz,  Kern  und  Zelltheilung.     Leipzig  1882. 

13)  Derselbe.     Neue    Beiträge   zur  Kenntniss   der   Zelle.     I.  Theü.     Archiv  für  mikrosk. 

Anatomie.    Bd.  XXIX.    1887.    II   Theil:    Ebenda.    Bd.  XXXVII    1891. 

14)  Derselbe,      lieber  Zelltheilung.    Verhandl.  der  anat.  Gesellschaft   zu  München.     1891. 

pag.  125. 

15)  Derselbe,     l'ebcr  Theilung  und  Kernformen  bei  Leukocyten  u.  über  deren  Aftractions- 

sphären.     Archiv  f.  mikrosk.  Anatomie.      Bd.  XXXVII.     1891.    pag.   249. 

16)  Derselbe.     Amitotische  Kerntheilung    im   Blasenepithel   des  Salamanders.     Archiv  für 

mikrosk.  Anatomie.     Bd.  XXXIV. 

17)  Der  selbe.     Attractionssphäre  tt.  Centralkörper  in  Gewebszellen  u.  JVanderzellen.    Anat. 

Anzeiger.     1891. 

18)  Fol.      Die  erste  Enttvicklung  des  Geryonideneies.    Jenaische  Zeitschr.     Vol.  VII.    1873. 
19a)  Derselbe.     Sur  le  commencement  de  thenogenie.     Archives  des  sciences  phys.  et  natur. 

Geneve  1877. 

19b)  Der  selb  e.     Archives  des   sciences  physiques  it  naturelles.  Gemve,  15.  Oct.  1883. 

20)  Derselbe.     Sur  l'muf  et  ses  enveloppes  chez  les  Tuniciers.     Eecueil  zoologique  suisse. 

21)  Frenzel.      Die    nucleoläre    Kernhalbirung    etc.      Archiv  für    mikroskop.     Anatomie. 

Bd.  XXXIX.     1892. 

22)  Göppert.     Kerntheilung    durch    indirecte  Fragmentirung    in    der  lymphatischen  Rand- 

schicht der  Salamanderliber.     Archiv  f.   mikronk.  Anatomie.      Bd.   XXXVII.    1891. 
28a)  Guignard.     Recherches    sur  la  structure  et  la  division    du  noyau  ccllulaire.     Annales 

des  scicnc.  nat.    6.  ser.    T.  XVII.    1884. 
23b)  D  er  selb  e.     Nouvelles  ctudes  sur  la  fecondation,  eomparaison   itc.     Annales  des  scienc. 

nat.     T.  XIV.     Botanique.     1891. 

24)  V.  Hacker.     Die  Eibildung    bei  Cyclops  u.  Canthocamptus.     Zool.  Jahrbücher.     Abth. 

f.  Anat.  u.  Ontogenie.     Bd.   V. 

25)  David  Hansemann.     Ueber  pathologische  Mitosen.   Virchow's  Archiv.    Bd.  CXXIII. 

1891. 

26)  Derselbe.      Ueber  asymmetrische   Zelltheilung    in  Epithelkrebsen    und  deren    biologische 

Bedeutung.    Virchow's  Archiv.     Bd.  CXIX. 

27)  Henking.      Untersuchungen    über  die   ersten   Entwicklungsvorgänge   in  den  Eiern    der 

Insecten.     Theil  1-3.     Zeitschr.  f.  wissenschaftl.  Zoologie.     Bd.   XL IX,   LI,  LIV. 

28)  Henneguy.      Nouvelles    recherches    sur    la    division    cellulaire    indirecte.     Journal    de 

l'anatomie.     Bd.  XXVIf.    1891. 

29)  F.  Hermann.     Beitrag  zur  Lehre  von   der  Entstehung  der   karyokinetischen  Spindel. 

Archiv  f.  mikrosk.  Anatomie.     Bd.  XXX  VII.    pag.  569. 
30a)     O.   Hertwig.     Beitrüge  zur  Kenntniss   der  Bildung,    Befruchtung  und  Theilung  des 

thierinchen  Eies.     Morphol.  Jahrbücher.     Bd.  I,   III  u.  IT^.    1875,  1877,   1878. 
30b)     Derselbe.     Die  Chaetognathen,  eine  Monographie.    1880. 


200  Sechstes  Capitel. 

31)  O.  Hertwig.      Welchen   Einflusa   nbf   die  Schwerkraft   auf  die   Theiluncj    der  Zellen? 

Jena  1884. 

32)  Derselbe.     Rrperimenlelle  Studien  am  thierischen  Ei  vor,  während  und  nach  der  Be- 

fruchtung. 

33)  Derselbe.      lieber   pathologische    Veränderung   des  Kerntheilungsprocesses    in   Folge  ex- 

perimenteller Eingriffe.     Internationale  Beiträge  zur  wissenschaftl.  Medicin. 

34)  Derselbe.      Vergleich  der  Ei-  und  Samenbildung  bei  Nematoden.     Eine  Grundlage  für 

cellulnre  Streitfragen.     Archiv  f.  niikroskop.  Anatomie.     Bd.  XXXVI.     1890. 

35)  R.  Hertwig.    Beiträge  zur  Kennlniss  des  Aeineten.    Morphol.  Jahrbücher.    Bd.  I.    1875. 

36)  Derselbe.     Zar  Histologie  der  liadiolarien.     Leipzig  1876. 

37)  Derselbe.      Uiber    den  Bau  und  die  Entwicklung  der  Spirogona  gemmipara.    Jenaische 

Zeitschrift.     Bd.  XL    1877. 

38)  O.  ti.  R.  Hertwig.      Uebcr  den  BefrucMungs-   und  Theilungsvorgang    des  thierischen 

Eies  unter  dem  Einßuss  äusserer  Agentien.     Jena  1887. 

39)  E.  Heuser.     Beobachtungen  über  Zelltheilung.     Botanisches  Centralblatt.    1884. 

40)  Ishikawa.     Studies  of  reproductivc  Clements.     1.  Spermatogenesis,     ovogenesis  and  fer- 

tilization    in    Diaptomus.     Journal   of    the    College    of   scienee.     Imperial    university. 
Japan.     Vol.  V.     1891. 

41)  Johnson.     Amitosis  in  the   embryonal  envelopes  of  the    scorpion.     1892.     Bulletin  of 

the  Museum  of  comparative  Zoolojy  at  Harvard  College.     Vol.  XXII.     1892. 

42)  Johow.      Die  Zellkerne  von  Ohara  foclida.     Botanische  Zeitung.     1881. 

43)  Klebahn.     Die  Keimung  von  Closterium  und  Cosmarinum.    Pringsheims  Jahrbücher  f. 

wissenschaftl.  Botanik.      Bd.  XXII. 

44)  KÖlliker.     Entwicklungsgeschichte  der  Ccphalopodcn.     1844. 

45)  Derselbe.     Die  Lehre  von  der  thierischen  Zelle.    In  Schieide n  u.  Nagelt  s  ivissenschaftl. 

Botanik.     Heft  2. 

46)  V.  Kostanecki.      Ueber   Kerntheilung    bei   Riesenzeüen   nach   Beobachtungen   aus   der 

embryonalen  Säugethierleber.     Anatomische  Hefte.     1892. 

47)  H.  v.  Mohl.    Uebcr  die   Vermehrung  der  Pßanzcnzellen  durch  Theilung.     Dissertalioti. 

Tübingen  1835.     Flora  1837. 

48)  Nägeli.     Zellkern,    Zellbildung   und  Zellenwachsthum   bei   den  Pflanzen.     In  Schieiden 

und  Nägeli' s  Zeitschr.  f.  wissenschaftl.  Botanik.     Bd.  II  u.  III. 

49)  Pflüger.      Ueber  den  Einßuss   der  Schwerkraft  auf  die  Theilung    der  Zellen.     Archiv 

f.  die  gesammte  Physiologie.     Bd.  XXXI  u.  XXXII.    1883. 

50)  Derselbe.      Ueber   die  Etmvirkung   der  Schwerkraft   u.  anderer  Bedingungen    auf  die 

Richtung  der  Zelltheilung.    3.  Abh.    Archiv  f.  d.  gesammte  Physiologie.    Bd.  XXXIV. 
1884. 

51)  Platner.     Die  Karyokinese  bei  den  Lcpidopteren   als   Grundlage  für  eine  Theorie  der 

Zelltheilung.     Internationale  Monatsschrift.     Bd.   III.     1885. 

52)  Derselbe.     Beiträge  zur  Kenntniss  der  Zelle  u.  ilirer  TIteilungser scheinungen.    Archiv 

f.  niikroskop.  Anatomie.     Bd.  XXXIII.     1889. 

53)  Rabl.      Ueber    Zelltheilung.     Morpholog.   Jahrb.    Bd.  X.    1885   und   Anat.  Anzeiger. 

Bd.  IV.    1889. 

54)  Ranvier.      Technisches  Lehrbuch  der  Histologie.     Leipzig  1888. 

55)  O.   vom  Rath.     Zur    Kenntniss   der    Spermatogenese   von   Gryllotalpa    vulg.     Mit    be- 

sonderer Berücksichtigung  der  Frage  nach  der  Eeductionstheilung .    Archiv  f.  mikrosk, 
Anatomie.     Bd.  XL.     1892. 

56)  Rauber.      Formbildung  u.   Cellularmcchanik.     Morpholog.  Jahrbuch.      Bd.    VI. 

57)  Derselbe.     Thier  u.  Pflanze.     Akademisches  Programm.     Zoolog.  Anzeiger.     1881. 

58)  Reichert.     Beitrag   zur    Entwicklungsgeschichte   der   Samenkörperchen    bei   den  Nema- 

toden.    Müller  s  Archiv  f.  Anat.  u.  Physiol.  etc.    1847. 

59)  Derselbe.     Der  Furchung sprocess  u.  die  sogenannte  Zellenbildung  um  Inhaltsportionen. 

Müller's  Archiv.    1840. 

60)  Remak.      Ueber  cvtracellulare  Entstehung    thierischer  Zellen  u.  über   Vermehrung  der- 

selben durcli   Tlieilung.     Müller' s  Archiv.    1852. 

61)  Derselbe.      Untersuchungen  über  die  Enttvieklung  der    Wirbelthiere.     1855. 

62)  Retzius.      Studien  über  die  ZcUentheilung .     Biolog.    Untersuchungen.     Jahrgang  1881. 

63)  Roux.      lieber  die  Bedeutung  der  Kerntheilungsfiguren.     Leipzig  1883. 

64)  Sachs.      Die  Anordnung    der  Zellen   in  Jüngsten  Pflanzentheilen.     Arbeiten  des  botan. 

Instituts  in    Würzburg.     Bd.  II. 
65a)  Schäfer.     On  the  structure   of  the  immaturc   ovarian  ovutn  in   the  common  fowl  and 

in  the  rabbit.     Proceedings  of  the  royal  society.     London  1880. 
65b)     SehewiakofF.       Ueber    die    karyokinetischc    Kerntheilung    der    Euglypha    alveolata. 

Morpholog.  .Jahrb/ich.     Bd.   XIII.     1888. 
66)     Schneider.      Untersuchungen  über  Plathelminthen.     Jahrb.  d.  oberhessischen  Gesellsch. 

f.   Natur-  u.  Heilkunde.    1873. 


IV.    Die  Fortpflanzung'  der  Zelle  auf  dem  Wege  der  Tlieilung.  201 

67)  Schottländer.      Ueber   Kern-   und   Zelltheilungsvorgänge   in    dem   Endothel  der   ent- 

zündeten Hornhaut.     Archiv  f.  mikroskop.   Anatomie.     Bd.  XXXI.     ISSS. 

68)  Max   Schultze.      De  ovorum   ranarum   segtnenfatione,  quae  Furchunysprocess  dicitur. 

Bonn  1S63. 

69)  Derselbe.     Untersuchungen    über    die  Reifung    und    Befruchtung    des   Amphibieneies. 

Zeitschrift  f .    wissenschaftl.  Zoologie.     Bd.  XLV.    1887. 

70)  Solger.     Zur   Kenntniss  der  Pigmentzellen.     Anatom.  Anzeiger.    1891.    pag.  162. 

71)  Ed.  Strasburger.     Zellbildung  u.  Zelltheilung.     3.  Aufl.  1880. 

72)  Derselbe.      Die    Controversen    der    indirecten    Kerntheilung.     Archiv  für    mikroskop. 

Anatomie.     Bd.  XXIII.     Bonn  1884. 

73)  Derselbe.     Histologische  Beiträge.    Heft  I:    Ueber  Kern-  u.  Zelltheilung  im  Pflanzen- 

reiche etc.     Jena  1S88. 

74)  Vejdovsky.     EntwicklungsgesehichtUehe   Untersuchtingen.     Prag  1888. 

75)  Vialleton.      R'cherches    sur    les    premieres   phases    du    developpement    de    la    seiche. 

Paris  1888. 
^76)     Waldeyer.      Ueber  Karyokinese  und  ihre  Beziehungen  zu  den  Befruchtungsvorgängen. 
Archiv  f.  mihroskop.   Anatomie.     Bd.  XXXII.     1888. 

77)  Weismann.      Ueber  die  Zahl   der  Richtungskörper    und   über  ihre  Bedeutung  für  die 

Vererbung.     Jena  1887. 

78)  R.  Zander.    Ueber  den  gegenwärtigen  Stand  der  Lehre  von  der  Zelltheilung.     Biolog. 

Centralblatt.     Bd.  Xll.     1892. 

79)  H.  E.  Ziegler.     Die   biologische  Bedeutung   der  amitotischen  Kerntheilung    im  Thier- 

rcich.     Biolog.  Centralblatt.     Bd.  XI.     1891. 

80)  Ziegler  u.  vom  Rath.    Die  amitotische  Kerntheilung  bei  den  Arthropoden.    Biolog. 

Centralblatt.     Bd.  XI.    1891. 

81)  Bütschli.     Studien  über  die  ersten  Entwicklungsvorgänge  der  Eizelle,  Zelltheilung  und 

Conjugation  der  Infusorien.     Abhandl.  d.  Senkenberg,  naturf.  Gesellsch.  1S7G. 

82)  Rieh.  Hertwig.      Ueber  die  Kerntheilung  bei  Actinosphärium.    Jenaische  Zeitschr.  f. 

Naturw.  1884. 

83)  Derselbe.     Ueber  die  Glciclnverthigkcit  der  Gesehlechtskerne  bei  den  Seeigeln.    Sitzungs- 

berichte d.   Gesellsch.  f.  Morph,  u.   Phi/s.  in  München.     Bd.  IV.    1888. 

84)  Derselbe.      Ueber  Kernstructur  und  ihre  Bedeutung  für  Zelltheilung   u.  Befruchtung. 

Ebenda.     Bd.  IV.    1888. 

85)  Oscar  Hertwig.     Das  Problem   der  Befruchtung   tmd  der   Isotropie    des   Eies,    eine 

Theoria  der   Vererbung.     Jenaische  Zeitschrift.    1884. 

86)  Bloehmann.       Ueber    directe    Kerntheilung    in    der    Embryonalhülle    der    Skorpione. 

Morphol.  Jahrb.     Bd.  X.    1885. 

87)  V.  Davidoff.      Untersuchungen   zur   Entwicklungsgeschichte   der   Distaj)lia   magnilarva, 

einer  zusammengesetzten  Ascidie.     Mittheil,  aus  d.  zoolog.  Station  zu  Neapel.    Bd.  IX. 


SIEBENTES  CAPITEL. 

Die  Lebenseigenschaften  der  Zelle. 

V.   Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtung. 


Die  im  sechsten  Capitel  besprochene  Fortpflanzung  der  Zellen  auf 
dem  Wege  der  Theilung  seheint,  wenigstens  für  die  Mehrzahl  der  Orga- 
nismen, keine  in  sich  unbegrenzte  zu  sein ;  der  Vermehrungsprocess  kommt 
nach  kürzeren  oder  längeren  Zeiträumen  zu  einem  Stillstand,  wenn  er 
nicht  durch  Vorkehrungen,  die  man  unter  dem  Namen  der  Befruchtung 
zusammenfassen  kann,  wieder  von  Neuem  angefacht  wird.  Nur  die  aller- 
niedrigsten  Organismen,  wie  die  Spaltpilze,  scheinen  sich  allein  durch 
fortgesetzte  Theilung  in  das  Unbegrenzte  vermehren  zu  können,  dagegen 
kann  für  den  grössten  Theil  des  Pflanzen-  und  Thierreichs  das  allge- 
meine Gesetz  aufgestellt  werden,  dass  nach  einer  Periode  der  Massen- 
zunahme durch  Theilung  in  Zellen,  eine  Periode  eintritt,  in  welcher 
zwei  Zellen  verschiedener  Herkunft  untereinander  verschmelzen  müssen, 
und  dass  das  Verschmelzungsprodukt  erst  wieder  einen  Elementarorganis- 
mus  liefert,  der  den  Ausgang  für  eine  neue  Periode  der  Vermehrung 
durch  Theilung  bildet. 

In  Folge  dessen  gestaltet  sich  die  Vermehrung  der  Elementarorga- 
nismen und  damit  das  Leben  selbst  zu  einem  cyklischen  Process.  Nach- 
dem Generationen  von  Zellen  durch  Theilung  entstanden  sind,  führt  der 
Kreislauf  des  Lebens  immer  wieder  zu  demselben  Ausgangspunkt  zurück, 
dass  sich  zwei  Zellen  im  Befruchtungsakt  vereinigen  und  zum  Anfang  einer 
neuen  Generationsreihe  werden.  Derartige  Cyclen  nennt  man  Zeugiings- 
kreise.  Sie  treten  uns  im  ganzen  Organismenreich  in  den  mannichfachsten 
Formen  entgegen. 

Bei  den  Einzelligen  z.  B.  besteht  der  Zeugungskreis  aus  zahlreichen, 
unter  Umständen  nach  Tausenden  zählenden,  einzellebenden  Individuen. 
Der  befruchtete  Elementarorganismus  vermehrt  sich  durch  wiederholt 
eintretende  Theilungen  in  Nachkommen,  die  der  Befruchtung  nicht  be- 
dürfen, bis  ein  Zeitpunkt  eintritt,  wo  ein  neuer  Zeugungsakt  zwischen 
den  ungeschlechtlich  entstandenen  Generationen  stattfindet.  Am  genauesten 
hat  man  diese  Verhältnisse  bisher  bei  den  Infusorien  untersucht.  So  hat 
Maupas  (VII.  30,  Seite  407)  bei  einer  Art  derselben,  bei  Leucophrys 
patula  durch  zahlreiche  Experimente  festgestellt,  dass  erst  nach  300  Gene- 


Siebentes   Capitel.     V.    Die  Erscheinungen  u.  das  Wesen  der  Befruchtung.     203 

ratiouen,  die  aus  einem  befruchteten  Individuum  durch  Theilung  hervor- 
gegangen sind,  der  Zeugungskreis  abgeschlossen  wird,  indem  die  Nach- 
kommen erst  jetzt  wieder  die  Neigung  und  Fähigkeit  zur  geschlechtlichen 
Conjugation  zeigen.  Bei  Onychodromus  grandis  tritt  dieser  Zustand  schon 
etwa  nach  der  140sten  Generation  und  bei  Stylonichia  pustulata  nach 
der  ISOsten  Generation  ein. 

Bei  vielzelligen  Organismen  bleiben  die  Zellen,  die  aus  dem  be- 
fruchteten Ei  durch  Theilung  ihren  Ursprung  nehmen,  vereint,  um  einen 
Zellenstaat  oder  ein  organisches  Individuum  höherer  Ordnung  zu  bilden. 
Sie  lassen  sich  von  dem  allgemeinen  Gesichtspunkt  aus,  von  dem  wir  hier 
die  Sexualfrage  behandeln,  der  Gesammtheit  der  sich  durch  Theilung  un- 
geschlechtlich vermehrenden  Zellindividuen  vergleichen,  die  nach  der  Copu- 
lation  aus  einem  Mutterinfusor  entstanden  sind.  Der  Zeugungskreis  wird 
wieder  geschlossen,  wenn  sich  im  vielzelligen  Organismus  Geschlechtszellen 
anlegen,  und  wenn  sie  durch  ihre  Vereinigung  in  Folge  des  Befruchtungs- 
processes  den  Ausgangspunkt  für  neue  Generationen  sich  theilender  Zellen 
abgeben.  Die  Zeugungskreise  können  in  diesem  Fall  ein  sehr  verschie- 
denes Bild  darbieten  und  zuweilen  eine  sehr  complicirte  Beschaffenheit 
annehmen. 

Den  einfachsten  Fall  bieten  manche  niedere,  vielzellige  Algen,  wie 
Eudorina,  Pandorina.  Durch  wiederholte  Theilung  der  befruchteten  Zelle 
entsteht  eine  Zellenkolonie  (Fig.  137).  Nach  einer  bestimmten  Lebens- 
dauer werden  alle  Zellen  zu  Geschlechtszellen.  Zum  Zwecke  der  Zeugung 
löst  sich  der  ganze  durch  Zelltheilung  entstandene  Complex  wieder  in 
seine  einzelnen  Bestandtheile  auf,  welche  zum  Ausgang  für  neue  Zeugungs- 
kreise dienen. 

Die  hier  zur  Geltung  kommende  Fähigkeit  jeder  Zelle,  den  ganzen 
vielzelligen  Organismus  wieder  zu  reproduciren ,  hört  auf  wirksam  zu 
werden,  sowie  der  vielzellige  Organismus  einen  irgendwie  höheren  Grad 
von  Ausbildung  erreicht.  Dann  sondert  sich  das  aus  einem  befruchteten 
Ei  abstammende,  sich  durch  Theilung  in's  Ungemessene  vermehrende 
Zellenmaterial  in  zwei  Gruppen,  in  Zellen,  die  zum  Aufbau  der  Gewebe 
und  Organe  der  Pflanze  oder  des  Thieres  dienen,  und  in  Zellen,  die 
zur  Zeugung  bestimmt  sind.  In  Folge  dessen  bleibt  gewöhnlich  der 
Organismus,  auch  wenn  er  in  die  Zeit  der  Geschlechtsreife  eingetreten 
ist,  als  solcher  erhalten;  er  sondert  nur  die  Geschlechtszellen  von  sich 
ab,  um  sich  in  neuen  Zeugungskreisen  zu  vervielfältigen,  bis  er  selbst 
durch  Abnutzung  seiner  Körperzellen  oder  durch  irgend  welche  andere  Ur- 
sachen dem  Untergang  unterliegt  (Nussbaum  VII.  33,  Weismann  VII.  48). 

In  seiner  reinsten  Form  ist  ein  streng  geschlossener  Cyklus  nur 
bei  den  liöheren  Thieren  anzutreffen,  bei  welchen  eine  Vervielfältigung 
der  Individuen  allein  auf  dem  Wege  der  geschlechtlichen  Zeugung  mög- 
lich ist.  In  vielen  Abtheilungen  des  Thier-  und  Pflanzenreichs  aber  läuft 
neben  der  geschlechtlichen  noch  eine  ungeschlechtliche 
Vermehrung  einher.  Ausser  den  befruchtungshedürftigen  Zellen  lösen 
sich  vom  Organismus  auch  einzelne,  der  Befruchtung  nicht  bedürftige 
Zellen  (Sporen,  Jungferneier),  oder  grössere  Grui)pen  von  solchen  ab 
(Knospen,  Sprossen)  und  geben  auf  ungeschlechtlichem  Wege  durch  fort- 
gesetzte Theilung  neuen  Organismen  den  Ursprung  (vegetative 
Vermehrung).  Oder  allgemein  ausgedrückt,  zwischen 
zwei  Befruchtungsakte  schieben  sich  zahlreiche  Folgen 
von  Zelltheilungen  ein,  die  aber  nicht  einem  einzigen 
p h y  s i  0 1 0 g i s c h  e n  I n  d i  V i  d  u  u m  h ö h e r  e r  0 r  d n u  n g  a  n g e h  ö  r en , 


204 


Siebentes  Capitel. 


sondern   sich  auf  zahlreiche  Individuen  vertheilen.    Zwei 
Unterfälle  sind  hier  wieder  möglich: 

In  einem  Fall  ist  der  aus  dem  befruchteten  Ei  entstandene  Organis- 
mus selbst  nicht  im  Stande,  Geschlechtszellen  zu  bilden;  er  vermehrt 
sich  allein  auf  ungeschlechtlichem  Wege  durch  Knospen,  durch  Sporen 
oder  parthenogenetische  Eier.  Erst  diese  oder  noch  entferntere,  auch 
ungeschlechtlich  erzeugte  Nachkommen  werden  geschlechtsreif,  erhalten 
die  Fähigkeit  zur  Ei-  und  Samenbildung.  Man  bezeichnet  einen  solchen 
Zeugungskreis  als  einen  regelmässigen  Generationswechsel 
(Hydroidpolypen ,  Trematoden,  Cestodeu,  Parthenogenese  der  Aphiden, 
Daphniden  etc.    Höhere  Kryptogamen). 


Fig.  137.  Entwicklung  von  Pandorina  Morum  nach  Pkingshkim.  Aus 
Sachs  Fig.  411. 

I  Eine  schwärmende  Familie;  //  eine  solche  iu  16  Tochterfamilien  getheilt; 
III  eine  geschlechtliche  Faraile,  deren  einzelne  Zellen  aus  der  verschleimten  Hülle 
austreten;  IV,  V  Paarung  der  Schwärmer;  VI  eine  eben  entstandene,  VI!  eine  aus- 
gewachsene Zygote ;  VIII  Umbildung  des  Inhaltes  einer  Zygote  in  eine  grosse  Schwärm- 
zelle; IX  dieselbe  frei;  X  junge  Familie  aus  der  letzteren  entstanden. 

Im  zweiten  Fall  vermehrt  sich  der  aus  dem  befruchteten  Ei  ent- 
standene Organismus  sowohl  durch  Geschlechtszellen  als  auch 
auf  ungeschlechtlichem  Wege.  Die  Folge  davon  ist,  dass  bei 
derselben  Thier-  oder  Pflanzenart  die  einzelnen  Zeugungskreise  ein  ver- 
schiedenes Aussehen  und  einen  verscliiedenen  Umfang  gewinnen  müssen. 


V.    Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtung.  205 

Zwischen  der  ersten  und  dem  Eintritt  der  zweiten  Befruchtuu.u'  können 
entweder  nur  Zellfolgen  liegen,  welche  einem  einzigen  Individuum  ange- 
hören, wenn  das  befruchtete  Ei  von  diesem  abstammt,  oder  es  schieben 
sich  Zellfolgen  dazwischen,  welche  sich  auf  mehrere,  unter  Umständen 
sehr  zahlreiche  Individuen  vertiieilen,  indem  erst  die  Eier  eines  durch 
Knospung  erzeugten  Individuums  wieder  befruchtet  werden.  In  Folge 
dessen  gewinnt  hier  die  Befruchtung  den  Charakter  eines  facultativen, 
für  die  Erhaltung  der  Art  nicht  durcliaus  nothwendigen  Processes,  wenig- 
stens solange  nicht  der  Beweis  geführt  ist,  dass  der  vegetativen  Ver- 
mehrung bestimmte  Grenzen  gesteckt  sind.  Ein  solcher  Beweis  aber  ist 
zur  Zeit  für  viele  Pflanzen  nicht  zu  führen,  welche  sich  durch  Pieiser, 
Knollen  etc.  anscheinend  in's  Unbegrenzte  vermehren  lassen. 

Wenn  wir  im  Hinblick  auf  derartige  Fälle  auch  zugeben  müssen, 
dass  der  Lebensprocess  sich  ohne  den  Akt  der  Befruchtung  einfach  durcli 
fortgesetzte  Selbsttheilung  der  Zellen  endlos  fortsetzen  kann,  so  werden 
wir  auf  der  anderen  Seite  doch  bei  der  weiten  Verbreitung  der  Befruch- 
tungseinrichtungen im  ganzen  Organismenreich  schliessen  dürfen,  dass  es 
sich  bei  der  Befruchtung  um  fundamentale  Fragen  des  Lebensprocesses 
und  um  fundamentale  Eigenschaften  des  Zellenlebens  handelt.  Die  Be- 
fruchtung ist  ein  cellulares  Problem. 

Der  Gegenstand  unseres  siebenten  Capitels  steht  daher  mit  dem 
Studium  der  Zelle,  insbesondere  mit  ihren  Eigenschaften  der  Reizbarkeit 
und  Theilbarkeit  im  engsten  Zusammenhang;  er  lässt  sich  in  2  Abschnitte 
zerlegen,  in  die  Morphologie  und  in  die  Physiologie  des  Befruchtungs- 
processes. 

I.    Die  Morphologie  des  Befruclituiigsprocesses, 

Bei  drei  Objecten  ist  bisher  der  Befruchtungsprocess  am  eingehend- 
sten bis  in  das  feinste  Detail  hinein  verfolgt  worden,  am  thierischen  Ei, 
am  Embryosack  der  Phanerogamen  und  bei  den  Infusorien.  Trotzdem 
die  drei  Objecte  den  verschiedenen  Reichen  der  Organismenwelt  ange- 
hören, zeigen  sie  uns  eine  wunderbare  Uebereinstimmung  in  allen 
einzelnen  Processen  der  Befruchtung.  Mit  ihrem  Studium  wird  daher 
dieser  Abschnitt  gleich  am  zweckmässigsten  eröffnet.  Dann  werden  wir 
uns  von  allgemeineren,  vergleichend  morphologischen  Gesichtspunkten  aus 
noch  zu  beschäftigen  liaben : 

1)  mit  der  verschiedenen  Form  der  Geschlechtszellen,  mit  der  Aequi- 
valenz  der  beim  Zeugungsakt  betheiligten  Zellstoffe  und  mit  dem  Begriff 
„männliche  und  weibliche  Geschlechtszelle", 

2)  mit  den  Ur-  und  Grundformen  der  geschlechtlichen  Zeugung  und 
der  Entstehung  der  Geschlechtsdifferenzen  im  Thier-  und  Pflanzenreiche. 

1)   Die  Befruchtung  des  thierischen  Eies. 

Die  classischen  Objecte  für  das  Studium  der  Befruchtungsvorgänge 
sind  die  Eier  der  Echinodermen  (Hertwig  VI.  30,  Fol.  VI.  19,  VII.  14) 
und  die  Eier  von  Ascaris  megalocephala  (van  Beneden  VI  4a,  4b, 
Boveri  VI.  6  etc.).  Beide  ergänzen  sich  gegenseitig,  indem  einzelne 
Phasen  des  Processes  an  dem  einen  Object  leichter  als  an  dem  anderen 
haben  festgestellt  werden  können. 


206 


Siebentes  Capitel. 


> 


a)  E  c  h  i  n  0  d  e  r  111  e  n  -  E  i  e  r. 

Bei  den  meisten  E  c  h  i  n  o  d  e  r  m  e  n  werden  die  sehr  kleinen,  durch- 
sichtigen Eier  in  völlig  reifem  Zustand  in  das  Meerwasser  abgelegt,  nach- 
dem sie  bereits  die  Polzellen  gebildet  (Seite  184)  und  einen  kleinen  Ei- 
kern  erhalten  haben.  Sie  sind  nur  von  einer  weichen,  für  die  Samen- 
fäden leicht  durchgängigen  Gallerthiille  umgeben  (Fig.  138  A). 

Die  Samenfäden  sind  ausserordentlich  klein  und  bestehen,  wie  es  bei 
den  meisten  Thieren  der  Fall  ist,  1)  aus  einem  einer  Spitzkugel  ähn- 
lich aussehenden  Kopf,  2)  aus  einem  kleinen,  darauf  folgenden  Kügelchen, 
dem  Mittelstück  oder  Hals  und  3)  aus  einem  feinen,  contractilen  Faden. 
Der  Kopf  enthält  Nuclein,  das  Mittelstück  Paranuclein  und  der  Faden 
ist  umgewandeltes  Protoplasma,  einer  Geissei  vergleichbar. 

Werden  im  Meerwasser  die  beiderlei  Geschlechtsproducte  mit  ein- 
ander vermischt,  so  setzen  sich  sofort  viele  Samenfäden  an  die  Gallert- 
hülle eines  Eies  an;  von  diesen  befruchtet  aber  normaler 
Weise  nur  ein  einziger,  und  zwar  derjenige,  welcher  sich  zuerst 
durch  die  pendelnden  Bewegungen  seines  Fadens  der  Eiobei-fläche  ge- 
nähert hat  (Fig.  138  A — C).    Wo   er  mit  der  Spitze   seines  Kopfes  an 


B 


C 


Fig.  138.  A,  B,  C  Kleinere  Abschnitte  von  Eiern  von  Asterias  glacialis 
nach  Fol. 

Die  Samenfäden  sind  bereits  in  die  Scbleimhülle,  welche  die  Eier  überzieht,  ein- 
gedrunp^eu.  In  A  beginnt  sich  eine  Vorragung  gegen  den  am  weitesten  vorgedrungenen 
Samenfaden  zu  erhellen.  In  B  sind  Vorragung  und  Samenfaden  zusammengetroflen. 
In  C  ist  der  Samenfaden  in  das  Ei  eingedrungen.  Es  hat  sich  jetzt  eine  Dottermembran 
mit  einer  kraterförmigen  Oeffnung  ausgebildet. 

diese  anstösst,  erhebt  sich  das  hyaline  Protoplasma,  welches  die  Eirinde 
bildet,  zu  einem  kleinen  Höcker,  dem  Empfängnisshügel.  Hier 
bohrt  sich  der  Kopf,  getrieben  von  den  pendelnden  Bewegungen  des  Fadens, 
in  das  Ei  hinein,  welches  in  diesem  Moment,  angeregt  von  dem  Reiz,  eine 
feine  Membran,  die  Dotterhaut,  an  seiner  Oberfläche  abscheidet  (Fig.  138  (7) 
und  darauf  wahrscheinlich  durch  Contraction  seines  Inhalts  etwas  Flüssig- 
keit aus  dem  Dotter  auspresst.  In  Folge  dessen  bildet  sich,  vom  Em- 
pfängnisshügel beginnend,  ein  allmählich  grösser  werdender  Zwischen- 
raum zwischen  Dotter  und  Dotterhaut  aus.  Das  Eindringen  eines 
weiteren  Samenfadens  ist  hierdurch  unmöglich  gemacht. 

Der  äusseren  Copulation  der  beiden  Zellen  schliessen  sich  Vorgänge 
im  Innern  des  Dotters  an,  welche  als  innerer  Befruchtungsakt 
zusammengefasst  werden  können. 

Der  Faden  hört  zu  schlagen  auf  und  entzieht  sich  bald  der  Wahr- 


V.    Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtung. 


207 


nehmimg,  der  Kopf  aber  dringt  langsam  weiter  in  den  Dotter  hinein 
(Fig.  139^1)  und  schwillt  dabei  durch  Aufnahme  von  Flüssigkeit  (Fig.  1395) 
zu  einem  kleinen  Bläschen  an ,  das  man,  da  sein  wesentlicher  Bestand- 
theil  das  Nuclein  des  Samenfadenkopfes  ist,  kurzweg  als  Samenkern 
bezeichnen  kann,  wie  er  sich  denn  auch  in  Carmin  etc.  sehr  intensiv 
färben  lässt.  Unmittelbar  vor  ihm,  an  seiner  nach  der  Eimitte  zu  ge- 
richteten Seite  (Fig.  139  Ä  u.  B)  ist  von  Fol  neuerdings  noch  ein  viel 
kleineres  Kügelchen  nachgewie- 


B 


^?^'^m. 


Fig.  139.  A  u.  B  Je  ein  Stück  eines 
Durchschnittes  durch  ein  befruchtetes 
Ei  von  Asteracanthion.  Dem  Samenkern 
wandert  ein  Centralkörperchen  (Sperma- 
centrum) voraus.     Nach  Fol. 


sen  worden,  um  welches  sich 
der  Dotter  in  radiären  Bahnen 
anzuordnen  beginnt  (Fig.  140  Ä) 
und  eine  allmählich  immer 
schärfer  ausgeprägte  und  auf 
gi'össere  Entfernung  hin  aus- 
gedehnte Strahlenfigur  (einen 
Stern)  bildet.  Wahrscheinlich 
leitet  es  sich  von  dem  Mittel - 
stück  des  Samenfadens  ab,  es 
hat  von  Fol  den  Namen  des 
S  p  e  r  m  a  c  e  n  t  r  u  m  s  (männ- 
liches Centralkörperchen)  er- 
halten. Ein  entsprechendes  Kügelchen  ist  auch  dicht  am  Eikern,  an  seiner 
vom  Samenkern  abgewandten  Seite,  zu  entdecken,  das  Ovocentrum 
von  Fol  (weibliches  Centralkörperchen). 

Jetzt  beginnt  ein  interessantes  Phänomen  das  Auge  des  Beobachters 
zu  fesseln  (Fig.  140  Ä  u.  B).  Ei-  und  Samenkern  ziehen  sich  gleich- 
sam gegenseitig  an  und  wandern  mit  wachsender  Geschwindigkeit  durch 
den  Dotter  einander  entgegen;  der  Samenkern  (sä),  dem  seine  Strahlung 
mit  dem  in  ihm  eingeschlossenen  Centralkörperchen  stets  voran  schreitet, 
verändert  rascher  seinen  Ort,  langsamer  der  Eikern  (eh)  mit  seinem 
Ovocentrum.  Bald  treffen  sich  beide  in  der  Mitte  des  Eies  und  werden 
hier  zunächst  von  einem  körnchenfreien  Protoplasmahof  und  nach  Aussen 
von  diesem  von  einer  gemeinsamen  Strahlung  eingeschlossen  (Sonnen- 
stadium und  Aureola  von  Fol). 


B 


ek 


Fig.  140.    A  Befruchtetes  Ei  eines  Seeigels.    0.  Hertwig,  Entwgesch.  Fig.  18. 

Der  Kopf  des  eingedrungenen  Samenfadens  hat  sich  in  den  von  einer  Protoplasma- 
strahlung eingeschlossenen  Samenkern  (sk)  umgewandelt  und  ist  dem  Eikern  (ek)  ent- 
gegengerückt. 

jB  Befruchtetes  Ei  eines  Seeigels.     O.  Hertwig,  Entwgesch.  Fig.  19. 

Der  Samenkem  sk  und  der  Eikern  ek  sind  nahe  zusammengerückt  und  sind  beide 
von  einer  Protoplasmastrahlung  umgeben. 


208 


Siebentes  Capitel. 


Im  Laufe  von  20  Minuten  verschmelzen  darauf  Ei-  und  Samenkern 
untereinander  zum  einfachen  Keim-  oder  Furchungskern  (Fig.  141 
I^1V)\  erst  legen  sie  sich  dicht  aneinander,  platten  sich  an  der  Be- 
riihrungsfläche  gegenseitig  ab  (Fig.  141  II)  und  verlieren  dann  ihre  Ab- 
grenzung gegeneinander  unter  Bildung  eines  gemeinsamen  Kernraumes. 
In  diesem  ist  die  vom  Samenfaden  abstammende  Substanz  noch  längere 
Zeit  als  eine  abgesonderte,  körnige,  in  Farbstoffen  sich  lebhaft  im1)ibirende 
Nucleinmasse  zu  erkennen. 


Fig.  141.     Die  „Quadrille  des  centres"  nach  Fol.     (VII.  14.) 

Der  Vereinigung  von  Ei-  und  Samenkern   folgt  die  Verschmel- 
zung derCentralkörperchen  (Fig.  141  1)  bald  auf  dem  Fusse  nach. 


V.    Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtung. 


209 


Dieselben  liegen,  in  den  homogenen  Protoplasmahof  eingeschlossen,  an 
entgegengesetzten  Punkten  des  Keimkerns  (Fig.  141  77 j;  sie  strecken 
sich  alsbald  in  tangentialer  Richtung  zur  Oberfläche  desselben,  nehmen 
die  Form  einer  Hantel  an  und  theilen  sich  schliesslich  in  zwei  Hälften,  die 
nach  entgegengesetzten  Richtungen  auseinander  weichen  (Fig.  141  111) 
und  dabei  einen  Viertheil  des  Umkreises  des  Keimkerns  zurücklegen. 
Bei  dieser  kreisenden  Bewegung  ((Quadrille  von  Fol  VH.  14)  nähern  sich 
die  beiden  auseinander  weichenden  Theilhälften  des  männlichen  Central- 
körperchens  den  entsprechenden  Theilhälften  des  weiblichen  Centralkörper- 
chens  und  treffen  in  einer  Ebene  des  Kerns  zusammen,  welche  unter  rechtem 
Winkel  die  Ebene  schneidet,  durch  welche  ihre  Ausgangsstellung  be- 
zeichnet wurde  (Fig.  141  IV).  Hier  verschmelzen  sie  unter- 
einander zu  den  Polkörperchen  der  ersten  Theilungsfigur. 
Hiermit  kann  der  Befruchtungsvorgang  als  abgeschlossen  betrachtet 
werden,  da  alle  weiteren  Veränderungen  mit  der  Kerntheilung  unmittel- 
bar zusammenhängen. 


b)  Ascaris  megalocephala. 

Einen  weiteren  Einblick  in  den  Befruchtungsvorgang  liefert  uns  das 
Ei  von  Ascaris  megalocephala.  Hier  dringt  schon  vor  der  Bil- 
dung der  Polzellen  der  Samenkörper  in  das  Ei  ein  (vergl.  Fig.  127  und 
Text  S.  191)  und  kommt  schliesslich  in  die  Mitte  zu  liegen  (Fig.  142  i), 
während  das  Keimbläschen  sich  in  die  Polspindel  in  der  früher  be- 
schriebenen Weise  umwandelt,  an  die  Oberfläche  des  Dotters  emporsteigt 
und  mehreren  Polzellen  den  Ursprung  giebt.  Aus  der  Kernsubstanz  des 
eingedrungenen  Samenkörpers,  sowie  aus  der  Hälfte  der  zweiten  Pol- 
spindel (Fig.  142  I)  entwickelt  sich  je  ein  bläschenförmiger  Kern.  Ei- 
und  Samenkern  (Fig.  142  II)  wandern  alsdann  aufeinander  zu,  wobei  in 


11 


111 


Fig.  142.     il—III).     Drei    Schemata,    um  den  Verlauf  des    Befruch- 
tungsprocesses  bei  Ascaris  megalocephala  bivalens  zu  veranschaulichen. 

diesem  Fall,  umgekehrt  wie  bei  den  Echinodermen,  der  central  gelegene 
Kern  der  männliche,  der  von  der  Oberfläche  ihm  entgegendringende  der 
weibliche  ist;  beide  sind  annähernd  von  gleicher  Grösse,  beide  legen 
sich  dicht  zusammen,  bleiben  aber  eine  Zeit  lang  getrennt,  indem  sie  in 
ein  kurzes  Ruhestadium  eintreten.  Auch  wenn  sie  sich  später  zur  ersten 
Theilspindel  vorbereiten,  erfolgt  noch  keine  Verschmelzung.  In  Folge 
dessen  und  wegen  des  weiteren  Umstandes,  dass  bei  Ascaris  megalo- 
cephala sich  während  der  Kerntheilung  nur  wenige,  beträchtlich  grosse 
und  daher  leicht  zu  zählende  Kernsegmente  anlegen,   war  van  Beneden 


Hertwig,  Die  Zelle  und  die  Gewebe. 


14 


210  Siebeutes  Capitel. 

(VI.  4  a,  4  b)  in  der  Läse,  unsern  P^inblick  in  den  Befruchtungsvorgang 
durch  folgende  fundamentale  Entdeckung  zu  vervollständigen: 

Bei  der  Vorbereitung  zur  ersten  Theilspindel  wandelt  sich  das 
Nuclein  im  Ei-  und  Samenkern,  während  sie  noch  voneinander  getrennt 
sind ,  in  einen  feinen  Faden  um ,  der  sicli  in  mehreren  Windungen  im 
Kernraum  ausbreitet.  Jeder  Faden  wird  darauf  in  zwei  gleich  grosse  ge- 
wundene Schleifen,  in  die  Kernsegmente,  abgetheilt  (Fig.  142  11).  Tax 
l)eiden  Seiten  des  Kerupaares  treten  zwei  Polkörperchen  auf,  deren  Her- 
kunft zu  beobachten  an  diesem  Object  noch  nicht  geglückt  ist.  Jetzt 
verlieren  die  beiden  bläschenförmigen  Kerne  ihre  Abgrenzung  gegen  den 
umgebenden  Dotter. 

Zwischen  beiden  Polkörperchen  (Fig.  142  111),  die  von  einem  an- 
fangs schwachen,  später  deutlicher  werdenden  Strahlensystem  umgel)en 
werden,  bilden  sich  Spindelfasern  aus  und  ordnen  sich  die  durch  die 
Auflösung  der  zwei  Kernblasen  frei  gewordenen  4  Kernsegmente  so  an, 
dass  sie  der  Mitte  der  Spindel  von  Aussen  aufliegen. 

Beim  Ei  vom  Pferdespulwurm  erfolgt  also  die  Vereinigung  der  beiden 
Geschlechtskerne ,  welche  die  Befruchtung  abschliesst,  erst  bei  der  Um- 
bildung zur  ersten  Theilspindel,  zu  welcher  sie  gleich  viel  beitragen.  Der 
von  van  Beneden  festgestellte,  wichtige  Fundamentalsatz  heisst  daher: 
Die  K  e  r  n  s  e  g  m  e  n  t  e  der  ersten  T  h  e  i  1  s })  i  n  d  e  1  stammen  zur 
einen  Hälfte  vom  Eikern,  zur  anderen  Hälfte  vom  Samen - 
kern  ab,  sie  können  als  männliche  und  weibliche  unter- 
schieden werden.  Da  nun  auch  hier  wie  sonst  bei  der 
Kerntheilung  die  vier  Segmente  sich  der  Länge  nach  spalten 
und  dann  nach  den  zwei  Polkörperchen  zu  auseinander 
weichen,  bilden  sich  zwei  Gruppen  von  vier  Tochter - 
schleifen,  von  denen  zwei  männlicher  und  zwei  weiblicher 
Herkunft  sind.  Jede  Gruppe  wandelt  sich  dann  in  den 
ruhenden  Kern  der  Tochterzelle  um.  Damit  ist  der  un- 
umstössliche  Beweis  geführt,  dass  jedem  Tochterkern  in 
jeder  Eihälfte,  die  durch  den  ersten  Furchungsprocess 
entsteht,  genau  die  gleiche  Menge  Nuclein  vom  Eikern 
wie  vom  Samenkern  zugeführt  wird. 

2)  Die  Befruchtung  der  Phanerogamen. 

Mit  den  Ergebnissen  auf  thierischem  Gebiet  harmoniren  in  voll- 
kommenster Weise  die  Entdeckungen  des  Befruchtungsprocesses  bei  den 
Phanerogamen,  welche  wir  in  erster  Pteihe  den  Arbeiten  von  Strasburger 
(VII.  38)  und  Guignard  (VII.  15)  verdanken.  Die  für  das  Studium  ge- 
eigneten Objecte  liieten  uns  hier  die  Liliaceen,  hauptsächlich  Lilium  Mar- 
tagon  und  Fritillaria  imperialis.  Dem  Samenfaden  entspricht  bei  den 
Phanerogamen  das  Pollenkorn,  dem  thierischen  Ei  die  im  Fruchtknoten 
des  Stempels  eingeschlossene,  den  wichtigsten  Theil  des  Embryosackes 
bildende,  pflanzliche  Eizelle. 

Wenn  das  Pollenkorn  auf  die  Narbe  des  Griffels  gelangt  ist,  beginnt 
sein  Inhalt  aus  einer  erweichten  Stelle  der  Membran  hervorzutreten  und 
zu  einem  langen  Schlauch  (Fig.  143)  auszuwachsen,  der  sich  im  Griffel 
nach  abwärts  einen  Weg  bahnt,  bis  er  einen  Embryosack  erreicht  hat. 
Hier  dringt  er  noch  zwischen  den  beiden  Synergiden  hindurch  zur  Ei- 
zelle selbst  heran.  Pollenkorn  und  Pollenschlauch  enthalten  zwei  Kerne, 
einen  vegetativen,   der  bei   der  Befruchtung  keine   weitere  Rolle  spielt, 


V.    Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtung. 


211 


und  den  Samenkern.  Letzterer  kommt  in  die  Spitze  des  Pollenschlauchs 
zu  liegen,  wenn  dieser  zur  Eizelle  vorgedrungen  ist;  von  hier  tritt  er  durch 
die  ganz  erweichte  Cellulosehaut  liindurch  in  das  Protoplasma  des  Eies 
ein,  wobei  ihm  immer  zwei  zu  einem  Paar  verbundene  Centralköri)erchen 
dicht  vorangehen,  deren  Entdeckung  dem  französischen  Forscher  Guignard 
geglückt  ist  (Fig.  143).  Bei  seiner  Wanderung  trifft  er  bald  den  etwas 
umfangreicheren  Eikern,  an  dessen  Oberfläche  ebenfalls  ein  Paar  Central- 
körperchen  wahrzunehmen  sind. 


B 


Fig.  143. 


Fig.  144. 


Fig.  143.  Durchschnitt  durch  den  Embryosack  von  Lilium  Martagon. 
Nach  Guignard  XV,  Fig.  75. 

Am  Ende  des  Pollenschlauches,  dessen  erweichte  Wand  seinen  Inhalt  austreten 
lässt,  sieht  man  den  Samenkern  mit  seinen  beiden  Centralkörperchen.  Der  Eikern  ist 
ebenfalls  mit  seinen  beiden  Centralkörperchen  versehen.  Rechts  am  Ende  des  Pollen- 
schlauchs bemerkt  man  eine  Synergide,  welche  sich  zu  zersetzen  beginnt. 

Fig.  144.     Ei  von  Lilium  Martagon.    Nach  Guignard  XVI,  Fig.  80  u.  81. 

A  Kurze  Zeit  nach  der  Vereinigung  von  Ei-  und  Samenkern. 

£  Späteres  Stadium.    Die  Verschmelzimg  der  Centralkörperchen  ist  fast  vollendet. 

Die  beiden  Kerne  (Fig.  144)  copuliren  darauf,  ebenso  die  vier  Cen- 
tralkörperchen, und  zwar  die  letzteren  der  Art,  dass  aus  ihnen  zwei 
neue  Paare  entstehen,  von  denen  ein  jedes  aus 
je  einem  Element  männlichen  und  weiblichen 
Ursprungs  zusammengesetzt  ist.  Die  neuen 
Paare  liegen  an  entgegengesetzten  Seiten  des 
Keimkerns  und  werden  alsbald  zu  den  bei- 
den Polkörperchen  der  ersten  Kernspindel 
(Fig.  145). 

Wie  bei  den  thierischen  Geschlechtszellen 
wird  auch  bei  der  Bildung  des  Pollens  und  der 
Eizelle  der  Phanerogamen  das  Nuclein  und  die 
Anzahl  der  aus  ihm  hervorgehenden  Kernseg- 
mente auf  die  Hälfte  eines  Normalkerns  herab- 
gesetzt. Während  bei  Lilium  Martagon  die  ge- 
wöhnlichen Kerne  bei  ihrer  Theilung  24  Kern- 
segmente entwickeln,  die  sich  in  zweimal  24 
Tochtersegmente  der  Länge  nach  spalten,  ist 
beim  Ei-  und  Samenkern  eine  Reduction  auf 
12  Segmente  herbeigeführt  worden.  Erst  aus 
ihrer    Vereinigung    entsteht    wieder    ein    Voll- 


Fig.  145.  Ei  des  Em- 
bryosaeks  von  Lilium 
Martagon  mit  seinem 
Kern  in  Theilung.    Die 

Kernplatte   besteht  aus   24 

Kernsegmenten.        Nach 
Guignard  XVI,  Fig.  83. 

14* 


212  Siebentes  Capitel. 

kern,  die  erste  Theilspindel  mit  24  Muttersegmenten,  von  denen  12  väter- 
licher, 12  mütterlicher  Abstammung  sind. 

In  Bezug  auf  die  Centralkörperchen  l)esteht  bei  Eehinodermen  und 
Phanerogamen  ein  wohl  nebensächlicher  Unterschied.  Bei  ersteren  ist 
am  Anfang  das  Centralkörperchen  vom  Ei-  und  vom  Samenkern  einfach 
und  wird  erst  später  durch  Theilung  verdoppelt,  bei  letzteren  dagegen 
tritt  es  schon  sehr  frühzeitig  im  Pollenschlauch  und  in  der  Eizelle 
verdoppelt  auf. 


Wenn  wir  jetzt  die  auf  den  letzten  Seiten  (206—212)  erhaltenen 
Resultate  vergleichen,  so  lassen  sich  für  den  Befruchtungsprocess  bei 
Thieren  und  phanerogamen  Pflanzen  folgende  Fundamentalsätze  auf- 
stellen : 

Bei  der  Befruchtung  finden  deutlich  nachweisbare, 
morphologische  Vorgänge  statt.  Bei  diesen  ist  das 
Wichtige  und  Wesentliche  die  Vereinigung  zweier  Zell- 
kerne, die  von  zwei  verschiedenenGeschlechtszellen  ab- 
stammen, eines  Ei-  und  eines  Samenkerns. 

Beim  Befruchtungsakt  verschmelzen: 

1)  äquivalente  Mengen  männlicher  und  weiblicher 
färbbarer  Kernsubstanz  (Nuclein), 

2)  die  zwei  Theilhälften  eines  männlichen  Centralkör- 
perchens  mit  den  entsprechenden  Theilhälften  eines  weib- 
lichen Centralkörperchens,  aus  welcher  Verschmelzung 
die  zwei  Polkörperehen  der  ersten  Kerntheilungsf igur 
hervorgehen. 

Sowohl  die  männliche,  wie  die  weibliche  färbbare 
Kernsubstanz  sind  ihrer  Masse  und  der  Zahl  der  Kern- 
segmente nach,  aus  denen  sie  entstanden  sind,  auf  die 
Hälfte  eines  Normalkerns  reducirt.  Erst  durch  ihre  Ver- 
schmelzung wird  daher  die  volle  Substanzmasse  und  die 
volle  Anzahl  der  Segmente  eines  Normalkerns  wieder 
hergestellt. 


b 


3)    Die  Befruchtung  der  Infusorien. 

Ein  ausserordentlich  wichtiges  Object  für  die  allgemeine  Befruchtungs- 
lehre sind  die  Infusorien,  bei  denen  die  geschlechtlichen  Vorgänge  zuerst 
durch  die  bahnbrechenden  Untersuchungen  von  Balbiani  und  Bütschli 
(Vn.  6)  entdeckt  und  neuerdings  durch  die  klassischen  Arbeiten  von 
Maupas  (VII.  30)  und  Richard  Hertwig  (VII.  21)  nach  allen  Richtungen 
hin  noch  weiter  klargelegt  worden  sind. 

Bekanntlich  zeichnen  sich  die  Infusorien  vor  anderen  niederen  Orga- 
nismen durch  die  sehr  interessante  Eigenthümlichkeit  aus,  dass  ihr  Kern- 
apparat sich  in  zwei  physiologisch  ungleichartige  Kerne  gesondert  hat,  in 
einen  Hauptkern  (Makronucleus)  (Fig.  146  Je)  und  in  einen  oder  mehrere 
Neben-  oder  Geschlechtskerne  (nJc)  (Mikronuclei).  Bei  guter  Ernährung 
vermehren  sich  die  Infusorien,  die  man  zur  Beobachtung  in  einem  kleinen 
Wassertropfen  züchten  kann,  durch  gewöhnliche  Quertheilung  (Fig.  147), 
wobei  Haupt-  und  Nebeukerne  sich  gleichzeitig  in  die  Länge  strecken 
und  theilen. 

Die  ungeschlechtliche  Vermehrung  ist  unter  günstigen  Bedingungen 


V.    Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtung. 


213 


eine  so  lebhafte,  dass  ein  einziges  Individuum  sich  in  der  Zeit  von  sechs 
Tagen  etwa  13  mal  theilt  und  auf  diese  Weise  ungefähr  7000—8000 
Nachkommen  den  Ursprung  giebt. 

Es  scheint  nun  namentlich  aus  Culturversuchen  von  Maupas  und 
von  Kichard  Hertwig  hervorzugehen,  dass  eine  Infusorienart  sich  nicht 
über  längere  Zeit  hinaus  allein  durch  Ernährung  und  Vermehrung  durch 
Theilung  erhalten  kann.  Die  Individuen  erleiden  Veränderungen  am 
Kernapparat,  können  den  letzteren  vollständig  verlieren,  theilen  sich 
nicht  mehr  und  gehen  durch  Altersveränderung  oder,  wie  sich  Maupas 
ausdrückt,  durch  senile  Degeneration  zu  Grunde.  Zur  Erhaltung 
der  Art  scheint  es  durchaus  nothwendig  zu  sein,  dass  nach  bestimmten 
Zeitabschnitten  sich  zwei  Individuen  zu  einem  Geschlechtsakt  verbinden. 
Ein  solcher  pflegt  gewöhnlich  bei  Individuen,  die  einer  Cultur  angehören, 
ziemlich  gleichzeitig  stattzufinden,  so  dass  man  von  zeitweise  auftretenden 
Conjugationsepidemieen  redet. 


Fig.  146. 


Fig.  147. 


Fig.  146.  Paramaecium  caudatum  (halbschematisch).  R.  Heetwig,  Zoologie 
Fig.  139. 

k  Kern,  nk  Nebenkern,  o  Mundöffnung  (Cytostom),  na'  Nahrungsvacuole  in  Bildung 
begriffen,  na  Nahrungsvacuole,  ev  contractile  Vacuole  im  contrahirten,  ci/  im  ausge- 
dehnten Zustand,  t  Trichocysten,  bei  t'  hervorgeschleudert. 

Fig.  147.  Paramaecium  aurelia  in  Theilung,  daneben  in  Fig.  2  die 
Art,  wie  auf  einem  früheren  Stadium  das  Cytostom  des  hinteren  Thieres 
durch  Absehn ürung  vom  vorderen  entsteht.     R.  Hertwig,  Zool.  Fig.  140. 

k  Hauptkern,  nk  Nebeukern,  o  Mundöffnung  des  vorderen  Theilstücks,  nk'  k'  o'  des 
hinteren  Theilstücks. 

Während  einer  Epidemie,  die  mehrere  Tage  währt,  findet  der 
Beobachter  in  einem  Culturgefäss  statt  vereinzelter  Infusorien  fast  nur 
Paarlinge  vor.  Von  Leucophrys  patula  giebt  Maupas  an,  dass  die 
Conjugation  etwa  nach  der  300sten  Generation  einzutreten  pflegt, 
während  sie  bei  Onychodromus  schon  nach  der  UOsten  und  bei  Stylo- 
nichia  nach  der  120sten  Generation  stattfindet.  Das  Eintreten  einer 
Conjugationsepidemie  wird  in  einer  Cultur  befördert  durch  Abnahme  der 
Nahrung,  durch  reichliche  Ernährung  dagegen  hinausgeschoben,  eventuell 


214 


Siebentes  Capitel. 


ganz  verhindert,  wobei  dann  die  Individuen  in  Folge  seniler  Degeneration 
zu  Grunde  gehen. 

Wenn  wir  nach  diesen  Vorbemerkungen  den  Befruchtungsprocess  selbst 
näher  in   das  Auge  fassen,  so  nehmen  wir  bei  den  Infusorienpaarlingen 


Fig.  148.     Conjugation  von  Paramaecium.    R.  Hertwig,  Zoologie  Fig.  141. 
nk  Nebenkeru,  k  Hauptkeru  der  conjugirenden  Thiere. 

I  Dei"  Nebenkeru  wandelt  sich  zur  Spindel  um,  im  linken  Thier  Sichelstadium, 
rechts  Spindelstadium. 

II  Zweite  Theilung  des  Nebenkerns  in  die  Hauptspindel  (links  mit  i,  rechts  mit 
5  bezeichnet)  und  die  Nebenspindeln  (links  2,  3,  4,  rechts  6,  7,  8). 

III  Die  Nebenspindeln  in  Rückbildung  (links  2,  3,  4,  rechts  6,  7,  S),  die  Haupt- 
spindeln theilen  sich  in  männliche  und  weibliche  Spindeln,  links  1  in  Im  und  Iw,  rechts 
5  in  5m  imd  5w. 

7F  Austausch  der  männlichen  Spindeln  nahezu  vollendet  (Befruchtung) ;  dieselben 
stecken  noch  mit  einem  Ende  in  ihrem  Mutterthier,  mit  dem  andern  Ende  haben  sie 
sich  mit  der  weiblichen  Spindel  des  zweiten  Paarlings  vereint.  Im  mit  öio  und  5m 
mit  Itc.     Hauptkern  in  Theilstücke  ausgewachsen. 

V  Die  aus  Vereinigung  von  männlichen  und  weiblichen  Kernen  entstandene  pri- 
märe Theilspindel  theilt  sieh  in  die  secundären  Theilspindeln  t'  und  t". 

VI  und  VII  Nach  Aufhebung  der  Conjugation.  Die  secundären  Theilspindeln 
theilen  sich  in  die  Anlagen  der  neuen  Nebenkerne  [vk')  und  die  Anlagen  des  neuen 
Hauptkerns  pt  (Placenten).  Der  zerstückelte  alte  Hauptkern  fängt  an  zu  zerfallen. 
(Da  Paramaecium  caudatum  für  die  Anfangsstadien,  P.  aurelia  für  die  Endstadien 
leichter  verständliche  Verhältnisse  bietet,  wurde  für  I — III  P.  caudatum,  für  IV —  VII 
P.  aurelia  gewählt.  Der  Unterschied  beider  Arten  beruht  darauf,  dass  P.  caudatum 
1  Nebenkern,  P.  aurelia  deren  2  hat,  dass  bei  letzterem  der  Kernzerfall  schon  aixf 
Stadium  I  beginnt.) 


V.    Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtung.  215 

folgende  eigenartige  und  interessante  Veränderungen  wahr,  die  sich  über 
einen  Zeitraum  von  mehreren  Tagen  ausdehnen.  Zur  Grundlage  der 
Darstellung  diene  Paramaecium  caudatum ,  welches  insofern  ,  als  es  nur 
einen  Hauptkern  und  einen  einzigen  Nebenkern  besitzt,  einfachere  Ver- 
hältnisse als  die  meisten  anderen  Arten  darbietet  (Fig.  148). 

Wenn  die  Neigung  zur  Copulation  eintritt,  legen  sich  „zwei  Para- 
mäcien,  zuerst  mit  ihren  Vorderenden,  später  mit  ihrer  ganzen  ven- 
tralen Seite  aneinander,  so  dass  Mundöffnung  gegen  Mundöffnung  steht" 
(Fig.  148  lo).  In  der  Nachbarschaft  der  letzteren  bildet  sich,  wenn 
die  Copulation  schon  eine  Zeit  lang  gedauert  hat ,  eine  feste  Verwachsung 
in  einem  kleinen  Bezirk  aus.  Mittlerweile  hat  schon  der  Kernapparat, 
der  Hauptkern  sowohl,  als  auch  der  Nebenkern,  tiefgreifende  Verän- 
derungen erfahren. 

Der  Haupt  kern  vergrössert  sich  etwas,  erhält  zuerst  eine  unregel- 
mässige, mit  Höckern  und  Einbuchtungen  versehene  Oberfläche  (Fig.  148 
11 — IV  k),  die  Höcker  wachsen  zu  längeren  Fortsätzen  aus,  die  sich  später 
abschnüren  und  allmählich  noch  weiter  in  kleine  Stücke  zerlegt  werden 
(F,  VI  k).  Der  ganze  Hauptkern  zerfällt  auf  diese  Weise  in  viele 
kleine  Fragmente,  die  sich  überall  im  Infusorienkörper  vertheilen  {VIT) 
und  deren  Schicksal ,  wenn  wir  den  Vorgängen  gleich  weit  vorauseilen, 
schliesslich  darin  besteht,  dass  sie  aufgelöst  und  wie  Nahrungspartikel 
resorbirt  werden.  Mit  einem  Worte :  d  e  r  H  a  u  p  t  k  e  r  n  geht  während 
und  nach  der  Conjugation  als  ein  Organtheil,  der  seine 
Aufgabe  ausgespielt  hat,  vollständig  zu  Grunde. 

Während  der  regressiven  Metamorphose  des  Hauptkerns  macht  der 
kleine  Nebenkern  hochbedeutsame  und  stets  in  gleicherweise  wieder- 
kehrende Veränderungen  durch ,  die  sich  den  Reife-  und  Befruchtungs- 
erscheinungen thierischer  Eier  vergleichen  lassen.  Er  vergrössert  sich 
durch  Aufnahme  von  Flüssigkeit  aus  dem  Protoplasma,  sein  Inhalt  nimmt 
eine  faserige  Beschaffenheit  an  nnd  wandelt  sich  in  eine  kleine  Spindel 
um  (Fig.  148  1  nh).  Die  Spindel  theilt  sich,  ihre  Hälften  gehen  bald 
wieder  in  zwei  Spindeln  über,  die  sich  einschnüren  und  theilen,  so  dass 
schliesslich  neben  dem  in  Umwandlung  begriffenen  Hauptkern  vier  aus  dem 
Nebenkern  ableitbare  Spindeln  vorhanden  sind  (Fig.  148  77,  1^4,  5 — 8). 

Von  den  vier  Spindeln  gehen  im  Laufe  der  weiteren  Ereignisse 
drei,  die  Nebenspindeln  regelmässig  zu  Grunde  (777,  3,  5,  4,  6,  7,  8). 
Sie  wandeln  sich  in  kleine  Kügelchen  um,  die  schliesslich  zwischen  den 
Fragmenten  des  Hauptkerns,  deren  Schicksal  sie  theilen,  nicht  mehr 
herauszuerkennen  sind.  Sie  erinnern  an  die  Bil  düng  der  Pol- 
zellen bei  der  Reife  der  thierischen  Eier  und  sind  mit  ihnen 
daher  auch  von  manchen  Forschern  verglichen  worden. 

Die  vierte  oder  Hauptspindel  allein  (77,  1  u.  5)  bleibt 
erhalten,  sie  vermittelt  den  Befr  uchtungsprocess  und 
dient  dann  zur  N  e  u  e  r  z  e  u  g  u  n  g  des  ganzen  K  e  r  n  a  p  p  a  r  a  t  e  s 
im  Infusorienkörper.  Welche  von  den  vier  aus  dem  ursprünglichen 
Nebenkern  abstammenden  Spindeln  zur  Hauptspindel  wird ,  hängt  nach 
Maupas  einzig  und  allein  von  ihrer  zufälligen  Lage  ab.  In  ihrem  Bau 
gleichen  sich  alle  vier  vollkommen.  Nur  diejenige  wird  zur  Haupt- 
spindel, welche  sich,  wenn  die  oben  erwähnte  Verwachsungsbrücke  ent- 
standen ist,  in  der  grössten  Nähe  derselben  befindet  (77,  1  u.  5). 
Sie  stellt  sich  hier  senkrecht  zur  Körperfläche  ein,  streckt  sich  in  die 
Länge  und  theilt  sich  noch  einmal  in  zwei  Hälften  (777,  Itv  u.  Im, 
5 IV  u.  5  m). 


216  Siebentes  Capitel. 

Von  den  beiden  Theilhälften  enthält  eine  jede  wahrscheinlich  nur 
etwa  halb  so  viel  Spindelfasern  und  halb  so  viel  chromatische  Elemente, 
wie  eine  der  früheren  Spindeln.  Nach  diesen  Beobachtungen  von 
Richard  Hertwig  hat  somit  bei  der  Th eilung  der  Hauptspindel 
eine  Reduction  der  Spindelfasern  auf  die  Hälfte  statt- 
gefunden, es  ist  dadurch  ein  gleiches  Verhältniss  wie  bei  den  Kernen 
der  thierischen  und  pflanzlichen  Geschlechtszellen  geschaffen  worden. 
Die  so  gekennzeichneten  Kerne  spielen  denn  auch  dieselbe  Rolle  wie  Ei- 
und  Samenkern,  und  werden  daher  a  1  s  m  ä  u  n  1  i  c  h  e  r  u  n  d  w  e  i  b  11  c  h  e  r 
Kern  oder  als  Wanderkern  und  stationärer  Kern  vonein- 
ander unterschieden. 

Welcher  von  den  beiden  Kernen  Wanderkern  oder  stationärer  Kern 
ist,  lässt  sich  an  der  Structur  und  stofflichen  Zusammensetzung  wieder 
nicht  erkennen,  sondern  hängt  einzig  und  allein  von  der  Lage  und  der 
dadurch  bedingten  Verwendung  beim  Befruchtungsprocess  ab.  So  werden 
denn  die  der  Verwachsungsstelle  zunächst  gelegenen  Theilhälften  {111, 
1  m  u.  5  m)  zu  den  Wanderkernen ;  sie  werden  zwischen  beiden  copulirten 
Thieren  „ausgetauscht,  indem  sie  sich  auf  der  zu  diesem  Zweck 
gebildeten  Protoplasmabrücke  aneinander  vorbeischieben.  Während  des 
Austausches  besitzen  die  männlichen  Wanderkerne  Spindelstructur 
{IV,  5m,  Im).  Nach  dem  Austausch  verschmilzt  ein  jeder  mit  dem 
ebenfalls  spindeligen,  stationären  oder  weiblichen  Kern  {IV,  1  iv  5w.), 
so  dass  nun  jedes  Thier,  abgesehen  von  den  Fragmenten  des  Hauptkerns 
und  den  Nebenspindeln,  welche  dem  allmählichen  Untergang  verfallen 
sind,  nur  eine  Spindel,  die  Theilspindel  besitzt  {Vi). 

Die  Uebereinstimmung  mit  den  B  ef  ruch  tun  gs  ver- 
gangen der  Thiere  und  Phanerogamen  ist  eine  frappante. 
Wie  bei  diesen  durch  Vereinigung  von  Ei-  und  Samen- 
kern  der  Keimkern  gebildet  wird,  so  hier  durch  Ver- 
einigung von  stationärem  und  von  wanderndem  Kern  die 
Theilspindel.  Dieselbe  dient  zum  Ersatz  des  alten,  in 
Auflösung  b  egriffenen  Kernapparats.  Sie  nimmt  an  Grösse 
beträchtlich  zu  (Fig.  148  Vi).  Die  chromatischen  Elemente  ordnen 
sich  in  ihrer  Mitte  zu  einer  Platte  an,  theilen  sich  und  weichen  nach 
entgegengesetzten  Enden  fast  bis  an  die  Pole  der  Spindel  zur  Bildung 
der  Tochterplatten  auseinander  {V  rechts  t'  f).  Die  beiden  Theil- 
hälften bleiben  noch  längere  Zeit  durch  einen  Verbindungsfaden  in 
Zusammenhang.  Sie  wandeln  sich  dann  meist  auf  Umwegen  in  Haupt- 
und  Nebenkern  um;  bei  Paramaecium  aurelia  (Fig.  148  VI)  z.  B.  wie- 
derholen die  aus  der  primären  Theilspindel  hervorgegangenen  Tochter- 
spindeln (/'  u.  /")  noch  einmal  den  Theilungsact  und  liefern  so  vier 
Kerne  ( VI) ,  von  denen  zwei  zu  Nebenkernen  (nJc,  nJc')  werden, 
während  die  zwei  andern  zum  Hauptkern  verschmelzen  (pt).  So  führt 
bei  den  Infusorien  „die  Befruchtung  zu  einer  vollkommenen  Neugestaltung 
des  Kernapparats  und  damit  auch  zu  einer  Neuorganisation  des  Infusors" 
(Richard  Hertwig). 

Kürzere  oder  längere  Zeit  nach  dem  Austausch  der  Wanderkerne 
trennen  sich  die  Paai'linge  voneinander  (Fig.  148  VI  und  Vll).  Bei 
den  getrennten  Individuen  nimmt  die  Resorption  der  unbrauchbaren 
Kerntheile  und  ihr  definitiver  Ersatz  durch  Neugestaltung  noch  einen 
längeren  Zeitraum  für  sich  in  Anspruch.  Die  so  „verjüngten  Individuen" 
haben   darauf  wieder  die  Fähigkeit  erlangt,   sich   durch   Theilungen  in 


"V.    Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtung. 


217 


kurzer  Zeit  ausserordentlich  zu  vermehren,  bis  wieder  die  Nothwendigkeit 
für  eine  neue  „Conjugationsepidemie"  eintritt. 

Die  Befruchtungsperiode  bedeutet  im  Leben  derlnfu- 
sorien  zugleich  einen  länger  dauernden  Stillstand  in 
ihrer  Vermehrung,  wie  Maupas  an  einem  Beispiel  treffend  gezeigt 
hat.  Bei  Onychodromus  grandis  dauert  dieselbe  vom  Besinn  der  Con- 
jugation  bis  zur  ersten  Theilung  6^2  Tag  bei  einer  Temperatur  von  17 
bis  18  Grad.  Während  dieser  Zeit  hätte  dasselbe  Individuum,  wenn 
nicht  conjugirt,  sich  bei  guter  Ernährung  13mal  theilen  und  folglich 
7000  bis  8000  Nachkommen  hervorbringen  können. 

Bei  den  meisten  Infusorien,  wie  in  den  hier  beschriebenen  Fällen, 
verhalten  sich  die  copulirenden  Individuen  einander 
gleichwerthig,  jedes  ist  in  Bezug  auf  das  andere  sowohl 
m  ä  n  n  1  i  c  h  a  1  s  w  e  i  b  1  i  c  h,  s  0  w  0  h  1  b  e  f  r  u  c  h  t  e  n  d  a  1  s  e  m  p  f  a  n  g  e  n  d. 
Festsitzende  Formen  der  Infusorien,  wie  die  Vorticellen  etc.,  zeigen  in- 
dessen eine  interessante  Abweichung  vom  ursprünglichen  Verhalten. 

Als  Beispiel  diene  Epistylis  um- 
bellaria  (Fig.  149).  Beim  Heran- 
nahen einer  Conjugationsperiode  thei- 
len sich  manche  Individuen  der  Vor- 
ticellencolonie  mehrmals  rasch  liinter- 
einander  und  liefern  so  eine  Nach- 
kommenschaft (r),  die  an  Grösse 
hinter  dem  Mutterorganisnms  weit 
zurückbleibt.  Andere  Individuen  des 
Stöckchens  bleiben  ungetheilt  und  von 
normaler  Grösse.  Man  unterscheidet 
beide  voneinander,  die  ersteren  als 
Mikrogameten,  die  letzteren  als  Ma- 
krogameten. Beide  sind  jetzt  in 
einen  geschlechtlichen  Gegensatz  zu 
einander  getreten. 

Die  Mikrogameten  lösen  sich 
von  ihren  Stielen  ab,  schwimmen  im 
Wasser  umher  und  setzen  sich  nach 
einiger  Zeit  an  eine  Makrogamete 
an,  um  mit  ihr  zu  copuliren  (Fig. 
149  k).  An  dem  Kernapparat  der 
Paarlinge  gehen  hierauf  ähnliche  Veränderungen  vor  sich,  wie  sie  für 
Paramaecium  ausführlicher  geschildert  wurden.  Auch  hier  werden  die 
Wanderkerne  ausgetauscht.  Dann  aber  entwickelt  sich  nur  die  Makro- 
gamete weiter,  indem  Wanderkern  und  stationärer  Kern  zur  primären 
Theilspindel  verschmelzen,  während  sie  in  der  Mikrogamete  gleichsam 
wie  gelähmt  sind  und  anstatt  zu  verschmelzen  und  sich  weiter  zu  ent- 
wickeln, gleich  den  Fragmenten  des  Hauptkerns  und  den  Nebenspindeln, 
rückgebildet  und  aufgelöst  werden. 

In  Folge  dessen  verliert  die  Mikrogamete  ihre  selbständige  Indivi- 
dualität und  wird  allmählich  in  die  Makrogamete  mit  aufgenommen,  zu 
deren  Vergrösserung  sie  beiträgt. 

So  hat  sich  in  Folge  der  festsitzenden  Lebensweise  bei  den  Vorti- 
cellen ein  eigenthümlicher  Geschlechtsdimorphismus  ausgebildet ; 
derselbe  hat   den  Untergang  des  kleineren   der  copulirenden  Individuen 


Fig.  149.  Epistylis  umbellaria 
nach  Graeff.    Aus  R.  Hertwig  Fig.  142. 

Theil  einer  in  „knosjjenförmiger 
Conjugation"  begriffenen  Colonie.  r  Die 
durch  Theilung  entstandenen  Mikrosporen. 
k  Mikrogameten  in  Conjugation  mit  den 
Makrogameten. 


218  Siebentes  Capitel. 

zur  Folge,  nachdem  es  gewisserniaassen  als  männliches  Element  die 
Makrogamete  befruclitet  hat.  Doch  trifft  der  Vergleich  mit  Ei-  und 
Samenfaden  nur  theilweise  zu,  da  ja  auch  bei  den  Vorticellen  wie  bei 
den  Paramäcien  die  Befruchtung  mit  einem  wechselseitigen  Austausch 
von  Kernmaterial  beginnt  und  nur  im  weiteren  Verlauf  einseitig  zu 
einem  wirksamen  Resultat  führt. 

4)  Die  verschiedene  Form  der  Geschleehtszelleu,  die  Aequivalenz 
der  beim  Zeugungsakt  betheiligten  Stoffe  und  die  Begriffne  „männliche 

und  weibliche  Geschlechtszellen". 

Nachdem  an  verschiedenen  Beispielen  nachgewiesen  ist,  dass  im 
Verlauf  des  Befruchtungsprocesses  und  namentlich  im  Verhalten  der 
Kerne  eine  principielle  Uebereinstimmung  zwischen  Thieren,  I*flanzen 
und  Protozoen  besteht,  soll  jetzt  auch  ein  Unterschied,  welcher  zwi- 
schen den  beiden  zum  Befruchtungsakt  sich  vereinigenden  Zellen  bei 
den  meisten  Organismen  wahrgenommen  wird,  schärfer  in  das  Auge  ge- 
fasst  und  seine  Bedeutung  genauer  festgestellt  werden.  —  Der  Unterschied 
betrifft  die  ungleiche  Grösse  und  Form  der  weiblichen  und  männlichen 
Keimzellen.  Weiblich  nennt  man  diejenige  Zelle,  welche  grösser,  unbe- 
weglich und  daher  die  empfangende  ist;  im  Gegensatz  zu  ihr  ist  die 
männliche  Zelle  viel  kleiner,  oft  verschwindend  klein ;  entweder  ist  sie 
beweglich,  so  dass  sie  sich  activ  der  Eizelle  durch  amöboide  oder  Geissei- 
bewegung nähert  und  die  Befruchtung  ausübt,  oder  sie  wird  wegen 
ihrer  Kleinheit  passiv  durch  Wasser  oder  Luft  zur  Eizelle  hingeführt. 

Was  für  eine  Bedeutung  hat  dieser  Unterschied?  Hängt  er  mit  dem 
Wesen  der  Befruchtung  selbst  zusammen  oder  ist  er  durch  Momente 
nebensächlicher  und  sekundärer  Art  hervorgerufen  worden?  Es  ist  von 
principieller  Wichtigkeit  für  die  Entscheidung  dieser  Frage,  dass  wir  genau 
feststellen,  auf  welche  Stoffe  und  Formtheile  sich  die  Verschiedenheit  der 
beiderlei  Geschlechtszellen  erstreckt. 

Jede  Zelle  besteht  aus  Protoplasma  und  Kernsubstanzen.  Von  diesen 
ist  das  Protoplasma,  wie  der  Augenschein  sofort  lehrt,  zuweilen  in  ausser- 
ordentlich ungleicher  Menge  in  den  beiderlei  Geschlechtszellen  vorhanden; 
die  Samenfäden  besitzen  oft  noch  weniger  als  den  100,000sten  Theil  vom 
Protoplasma  des  Eies.  So  beträgt  nach  einer  Schätzung  von  Thüret  das 
Ei  von  Fucus  an  Masse  soviel,  wie  30  —  60,000  Samenfäden  derselben 
Art.  Zwischen  thierischen  Geschlechtsproducten  aber  sind  die  Unterschiede 
gewöhnlich  noch  unendlich  viel  grössere,  besonders  in  den  Fällen,  wo 
die  Eizellen  mit  Reservestoffen,  wie  Fettkügelchen,  Dotterplättchen  etc. 
reichlich  beladen  sind.  Bei  typisch  ausgebildeten  Samenfäden  kann  die 
Anwesenheit  von  Protoplasma  überhaupt  in  Zweifel  gezogen  werden;  denn 
der  an  das  Mittelstück  sich  ansetzende  Schwanzanhang  ist  contractile 
Substanz,  ist  wie  die  Muskelfibrille  ein  Differenzirungsproduct  des  Proto- 
plasma der  Samenzelle.  Unreifen  Samenfäden  sitzt  das  Protoplasma  noch 
in  Form  grösserer  und  kleinerer  Tropfen  an,  die  bei  der  vollständigen 
Reife  aufgebraucht,  eventuell  auch  abgestreift  werden. 

Das  Gegenstück  zum  Protoplasma  bilden  in  ihrem  Verhalten  die 
Kernsubstanzen.  Mögen  Ei  und  Samenfaden  an  Grösse  auch 
noch  so  sehr  voneinander  abweichen,  so  enthalten  sie 
doch  stets  äquivalente  Mengen  von  wirksamer  Kern- 
sub stanz.  Wenn  die  Richtigkeit  obiger  Behauptung  auch  nicht  direct 
aus  einer  einfachen  Vergleichung  der  beiden  Geschlechtszellen  hervorgeht, 


V.    Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtung.  219 

SO  lässt  sie  sich  doch  aus  dem  Verlauf  des  Befruchtungsprocesses  und  aus 
der  Bildungsgeschichte  der  reifen  Ei-  und  Samenzelle  erweisen.  Denn 
Ei-  und  Samenkern  enthalten  die  gleiche  Masse  von  Nuclein  und  sind  beim 
Reifeprocess  aus  einer  gleich  grossen  Zahl  von  Kernsegmenten  gebildet 
worden.  Der  Samenkern  von  Ascaris  megalocephala  bivalens  zum  Bei- 
spiel entsteht  wie  der  Eikern  aus  zwei  Kernsegmenten  der  Mutterzelle; 
jeder  von  ihnen  trägt  somit  bei  der  Befruchtung  zu  gleichen  Theilen  zur 
Bildung  des  Keimkerns  bei  (Fig.  142  II).  Ebenso  liefern  die  beiden  Kerne 
gleichwerthige  Mengen  von  Polsubstanz,  das  männliche  und  das  weibliche 
Centralkörperchen,  welche  beiden  sich  in  der  auf  Seite  208  beschriebenen 
Weise  beim  Befruchtungsprocess  betheiligen  (Fig.  141). 

Unserer  Beweisführung  könnte  man  entgegenhalten,  dass  die  Kern- 
theile  von  Ei-  und  Samenzelle  vor  ihrer  Vereinigung  gewöhnlich  ein 
ungleiches  Aussehen  und  eine  bald  mehr,  bald  minder  auffällige  Ver- 
schiedenheit in  ihrer  Grösse  darbieten.  Das  erklärt  sich  aber  in  einfacher 
Weise  daraus,  dass  der  wirksamen  Kernsubstanz  unwirksame,  flüssige 
Substanz  bald  in  grösserer,  bald  in  geringerer  Menge  beigemischt  sein 
kann.  Der  sehr  kleine  Kopf  des  Samenfadens  besteht  aus  ziemlich  com- 
pactem und  daher  stark  färbbarem  Nuclein.  In  dem  viel  grösseren 
Eikern  ist  die  äquivalente  Menge  von  Xuclein  mit  viel  Kernsaft  durch- 
tränkt und  in  dem  Saftraum  in  feinen  Körnchen  und  Fäden  vertheilt,  so 
dass  sich  der  Eikern  als  Ganzes  nur  sehr  wenig  färbt  und  wenig  Con- 
sistenz  besitzt. 

Der  Unterschied  in  Grösse  und  Consistenz  zwischen  Ei-  und  Samen- 
kern gleicht  sich  beim  Ablauf  der  inneren  Befruchtungserscheinungen 
gewöhnlich  bald  aus,  denn  der  anfangs  kleine  Samenkern  schwillt  durch 
Aufnahme  von  Flüssigkeit  aus  dem  Dotter  rasch  zu  derselben  Grösse  wie 
der  Eikern  an,  während  er  zu  diesem  hinwandert  (Fig  142  II),  wie  die 
meisten  Würmer,  Mollusken,  Wirbelthiere  lehren.  In  selteneren  Fällen 
freilich  sind  die  lieiden  Kerne,  wenn  sie  sich  untereinander  verbinden, 
verschieden  gross,  wie  bei  den  Eiern  der  Seeigel  (Fig.  141);  dann  hat 
der  Samenkern  eben  eine  geringere  Menge  von  Saft  als  gewöhnlich  in 
sich  aufgenommen  und  besteht  aus  einer  dichtem  Substanz,  so  dass  wir 
trotz  der  Grössenverschiedenheit  eine  Aequivalenz  der  festen,  wirksamen 
Bestandtheile  annehmen  dürfen. 

An  geeigneten  Objecten  lässt  sich  beweisen,  dass  die  ungleiche  Grösse 
von  Ei-  und  Samenkern  wesentlich  mit  bedingt  wird  durch  den  Zeitpunkt, 
in  welchem  die  Eizelle  liefruchtet  wird,  ob  vor,  während  oder  nach  der 
Bildung  der  Polzellen.  Wenn  zum  Beispiel  zum  Ei  von  Asteracanthion 
Same  während  der  Entwicklung  der  Polzellen  zugesetzt  wird,  so  muss 
der  Samenkern  bis  zum  Eintritt  der  Verschmelzung  längere  Zeit  im 
Dotter  verweilen  und  schwillt  mittlerweile  durch  Aufnahme  von  Kernsaft 
zu  derselben  Grösse  wie  der  Eikern  an,  welcher  sich  nach  der  Abschnü- 
rung der  zweiten  Polzelle  bildet.  Wenn  dagegen  die  Befruchtung  erst 
später  erfolgt  zu  einer  Zeit,  wo  die  Eizelle  schon  mit  Polzellen  und 
Eikern  versehen  ist,  so  verweilt  der  Samenkern  als  selbständiger  Körper 
nur  wenige  Minuten  im  Dotter  und  geht  gleich  nach  seinem  Eindringen 
schon  die  Verschmelzung  mit  dem  Eikern  ein.  Er  bleibt  dann  klein,  da 
er  sich  in  diesem  Falle  nicht  in  demselben  Maasse  wie  sonst  mit  Kernsaft 
hat  durchtränken  können. 

Wir  können  somit  den  wichtigen  Satz  als  bewiesen  ansehen,  dass  die 
beiden  Geschlechtszellen  trotz  ihres  oft  ausserordentlich  verschiedenen 
Aussehens  und  trotz  ihres  so  ungleichen  Gehaltes   an  Protoplasma   doch 


220  Siebentes  Capitel. 

penau  äquivalente  Mengen  von  Kernsu])stanz  (Niicleiu  in  einer  1)estimmteu 
Anzahl  von  Kernsegmenten,  Paranuclein  im  Ovocentrum  und  Sperma- 
centrum) zum  Befruchtungsprocess  liefern  und  insofern  einander  genau 
gleichwerthig  sind. 

An  diesen  Satz  schliesse  ich  gleich  die  These  an:  die  Kern- 
substanzen,  die  in  äquivalen  ten  M  engen  von  zwei  ver- 
schiedenen Individuen  abstammen,  sind  ülierhaupt  nur 
die  wirksamen  Stoffe,  auf  deren  Vereinigung  es  beim 
Befruchtungsakt  ankommt;  es  sind  die  eigentlichen 
Befruchtungs Stoffe.  Alle  anderen  Substanzen  (Protoplasma,  Dotter, 
Kernsaft  etc.)  haben  mit  der  Befruchtung  als  solcher  nichts  zu  thun. 

Die  These  lässt  sich  durch  zwei  wichtige  Verhältnisse  unterstützen. 

Einmal  lassen  sich  zu  ihren  Gunsten  die  complicirten  Vorbereitungs- 
und Reifeprocesse  verwerthen,  welche  die  Geschlechtszellen  durchmachen 
müssen.  Wie  aus  der  auf  Seite  189 — 192  gegebenen  Darstellung  her- 
vorgeht, soll  durch  sie  wohl  hauptsächlich  nur  das  Eine  erreicht  werden, 
dass  durch  die  Befruchtung  keine  Summirung  der  Kernsubstanzen  ein- 
tritt, sondern  das  für  die  betreffende  Thier-  und  Pflanzenart  bestimmte 
Maass  von  Kernsubstanz  eingehalten  wird. 

Zweitens  sprechen  für  die  These  die  Befruchtungsvorgänge  bei  den 
Infusorien.  Hier  sind  es,  wie  Maupas  und  Richard  Hertwig  in  überein- 
stimmender Weise  hervorhelien,  gleichwerthige  Individuen,  welche  sich 
nur  vorübergehend  aneinander  legen,  um  Theilhälften  gleichwerthiger 
Kerne  miteinander  auszutauschen.  Mit  dem  Austausch  der  Wanderkerne 
ist  die  Befruchtung  beendet.  Dann  trennen  sich  die  Paarlinge  wieder. 
Das  Endergebniss  der  verwickelten  Vorgänge  besteht  hier  offenbar  darin, 
dass,  wenn  Wanderkern  und  stationärer  Kern  verschmolzen  sind,  der  Kern- 
apparat eines  jeden  befruchteten  Individuums  aus  Kern- 
s  üb  stanz  von  doppelter  Herkunft  zusammengesetzt  ist. 

W^enn  bei  der  Befruchtung  die  Kerne  die  wirksame  Substanz  bergen, 
dann  liegt  die  Frage  nahe,  ob  die  Kernsubstanz  des  Samenfadens  etwas 
Anderes  ist  als  die  Kernsubstanz  der  Eizelle.  Die  Frage  ist  in  sehr  ver- 
schiedenem Sinne  beantwortet  worden;  namentlich  in  früheren  Jahr- 
zehnten hat  die  Ansicht  vorgeherrscht,  dass  durch  den  Samenfaden,  wie 
Sachs  sich  ausdrückt,  in  die  Eizelle  doch  eine  Substanz  hineingetragen 
werde,  die  in  ihr  noch  nicht  enthalten  sei.  Namentlich  hat  eine  Ansicht 
Beifall  gefunden,  welche  man  als  die  Lehre  vom  Hermaphrodit  Is- 
mus der  Kerne  und  als  die  Ersatztheorie  bezeichnen  kann. 

Viele  Forscher  lassen  die  Körperzellen  hermaphrodite  Kerne,  d.  h.  Kerne 
besitzen,  welche  sowohl  männliche  als  weibliche  Eigenschaften  haben.  Un- 
reife Ei-  und  Samenzellen  — -  so  lautet  zum  Beispiel  die  am  klarsten  ausge- 
führte Hypothese  von  van  Beneden  —  sind  herniaphrodit;  sie  gewinnen 
ihren  Geschlechtscharakter  erst  dadurch,  dass  sich  die  Eier  der  männlichen 
und  die  Samenzellen  der  weiblichen  Bestandtheile  ihres  herniaphrodit  ange- 
legten Kernapparats  entledigen.  Vom  Ei  werden  die  männlichen  Bestand- 
theile seines  Kerns  in  den  Kernsegmenten  der  Polzellen  entfernt.  Bei 
den  Samenzellen  gescliieht  das  Umgekehrte  durch  einen  entsprechenden 
Process.  Ei-  und  Samenkern  sind  dadurch  Halbkerne  (Pronucleij  mit 
einem  entgegengesetzten  Sexualcharakter  geworden. 

Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  betrachtet,  besteht  das  Wesen  der 
Befruchtung  in  einem  Ersatz  der  aus  dem  Ei  ausgestossenen,  männlichen 
Elemente  durch  gleich  viel  neue  männliche  Elemente,  welche  durch  den 
Samenfaden  wieder  eingeführt  werden. 


V.    Die  Erscheinungen  mid  das  Wesen  der  Befruchtung.  221 

Die  Lehre  vom  Hermaphroditisnius  des  Kerns  und  die  mit  ihr  zu- 
sammenliäiiaende  Ersatztheorie  lässt  sich  bei  genauerer  Prüfung  nicht 
aufrecht  erhalten.  Denn  sie  hat  ihre  empirische  Grundlage,  auf  welcher 
sie  aufgebaut  war,  durch  den  auf  Seite  191  geführten  Nachweis  verloren, 
dass  die  Polzellen  morphologisch  nichts  Anderes  sind  als  rudimentär  ge- 
wordene Eizellen.  Es  ergiebt  sich  dies  aus  einem  Vergleich  der  Ei-  und 
Samenbildung  bei  den  Nematoden.  Daher  können  die  in  den  Polzellen 
aus  dem  Ei  entfernten  Kernsegmente  auch  nicht  die  ausgestossenen 
männlichen  Bestandtheile  des  Keimbläschens  sein,  wie  es  durch  die  Ersatz- 
theorie behauptet  wurde. 

Hiervon  abgesehen,  lässt  sich  mit  den  uns  zu  Gebote  stellenden 
Untersuchungsmitteln  auch  nicht  die  geringste  Verschiedenheit  zwischen 
den  Kernsubstanzen  der  männlichen  und  der  weiblichen  Zelle  aufdecken. 
Nuclein  und  Polsubstanz  sind  nicht  nur  ihrer  Masse  nach,  sondern  auch 
stofflich  einander  gleich.  Es  giebt  keine  specifisch  weiblichen 
und  keine  specifisch  männlichen  Befruchtungsstoffe.  Die 
beim  Befruchtungsprocess  zusammentreffenden  Kern- 
substanzen sind  nur  insofern  verschieden,  als  sie  von 
zwei  verschiedenen  Individuen  abstammen. 

Wenn  demnach  ein  geschlechtlicher  Gegensatz  im  Sinne  der  Ersatz- 
theorie zwischen  Eikern  und  Samenkern  in  Abrede  gestellt  werden  muss, 
was  für  eine  Bedeutung  haben  dann  noch  die  Begriffe  männlich  und 
weiblich?  Was  verstehen  wir  unter  dem  Ausdruck  männliche  und  weib- 
liche Geschlechtszellen,  männliche  und  weibliche  Kerne? 

Die  Ausdrücke  treffen  nicht  das  eigentliche  Wesen  der  Befruchtung 
und  bezeichnen  keinen  im  Wesen  der  Zeugung  begründeten  Gegensatz, 
sie  beziehen  sich  vielmehr  nur  auf  secundär  entstandene  Verschiedenheiten 
untergeordneter  Art,  welche  sich  zwischen  den  zur  Befruchtung  verbun- 
denen Individuen,  zwischen  den  Geschlechtszellen  und  ihren  Kernen  aus- 
gebildet haben  und  als  secundäre  Sexualcharaktere  zusammengefasst 
werden  können.  Denn  sagen  wir  es  gleich,  w^as  später  noch  genauer  zu 
erweisen  ist:  Die  Ausbildung  zweier  verschiedener  Ge- 
schlechter ist  nicht  die  Ursache  der  geschlechtlichen 
Zeugung,  wie  bei  obei-flächlicher  Beurtheilung  zunächst  angenommen 
wird;  das  ursächliche  Verhältniss  ist  ein  umgekehrtes.  Alle  Geschlechts- 
differenzen, wenn  wir  sie  bis  zu  ihren  Wurzeln  zurückverfolgen,  sind  ent- 
standen, weil  die  Verbindung  zweier  Individuen  einer  Art,  die  ursprünglich 
gleichartig  und  daher  geschlechtslos  sind,  für  die  Erhaltung  des  Lebens- 
processes  Vortheile  darbietet;  ohne  Ausnahme  dienen  sie  nur  demeinen 
Zweck,  überhaupt  die  Vereinigung  zweier  Zellen  zu  ermöglichen;  nur 
deswegen  haben  sich  die  Gegensätze,  welche  man  als  weiblich  und 
männlich  bezeichnet,  herausgebildet. 

Die  von  Weismann,  Strasburger,  Maupas,  Richard  Hertwig  und  mir 
entwickelte  Ansicht  lässt  sich  in  folgender  Weise  näher  ausführen:  Bei 
der  Befruchtung  kommen  zwei  Momente  in  Betracht,  die  miteinander 
concurriren  und  in  einem  Gegensatz  zu  einander  stehen.  Erstens  ist  es 
von  Nutzen,  wenn  die  Kernsubstanzen  zweier  Zellen  gemischt  werden; 
sie  müssen  daher  in  der  Lage  sein,  sich  aufzusuchen  und  zu  verbinden. 
Zweitens  aber  ist  die  Befruchtung  auch  der  Ausgangspunkt  für  einen 
neuen  Entwicklungsprocess  und  einen  neuen  Cyclus  vonZelltheilungen;  inso- 
fern ist  es  nicht  minder  von  Nutzen,  wenn  gleich  von  Anfang  an  viel  ent- 
wicklungsfähige Substanz  vorhanden  ist,  welche  nicht  erst  auf  dem  zeit- 
raubenden Umweg  der  Ernährung  herbeigeschafft  zu  werden  braucht. 


222  Siebentes  Capitel. 

Um  dem  ersten  Zweck  zu  genii,ueii,  müssen  die  Zellen  beweglich 
und  dalicr  activ  sein;  für  den  zweiten  Zweck  dagegen  müssen  sie  ent- 
wicklungsfähige Substanz  ansammeln,  sie  müssen  daher  an  Grösse 
zunehmen,  was  naturgemäss  eine  Beeintriiclitigung  ihrer  Beweglichkeit 
zur  Folge  hat. 

So  c 0 n c u r r i r e n  z  w e i  M o m e n t e  miteinander,  v o n  d e n e n 
das  eine  die  Zelle  beweglich  und  activ,  das  andere  da- 
gegen unbeweglich  und  ])assiv  zu  machen  sucht.  Die  Natur 
hat  beide  Zwecke  erreicht,  indem  sie  Eigenschaften,  die  ihrer  Natur  nach 
in  einem  Kor])er  unvereinbar,  weil  gegensätzlich  zu  einander  sind,  nach 
dem  l'rincip  der  Arbeitstheilung  auf  die  beiden  zum 
Befruchtungsakt  verbundenen  Zellen  vert heilt  hat.  Sie 
hat  die  eine  Zelle  activ  und  befruchtend,  das  heisst 
männlich,  die  andere  Zelle  dagegen  passiv  und  empfan- 
gend, das  heisst  weiblich,  gemacht.  Die  weibliche  Zelle  oder 
das  Ei  hat  die  Aufgalie  übernommen,  für  die  Substanzen  zu  sorgen, 
welche  zur  Ernährung  und  Vermehrung  des  Zellprotoplasma  bei  einem 
raschen  x\blauf  der  Entwicklungsprocesse  erforderlich  sind.  Sie  hat  daher 
während  ihrer  Entwicklung  im  Eierstock  Dottermaterial  aufgespeichert 
und  ist  dementsprechend  gross  und  unbeweglich  geworden.  Der  männ- 
lichen Zelle  dagegen  ist  die  zweite  Aufgabe  zugefallen,  die  Vereinigung 
mit  der  ruhenden  Eizelle  herbeizuführen.  Sie  hat  sich  daher  zum  Zwecke 
der  Fortbewegung  in  einen  contractilen  Samenfaden  umgebildet  und  hat 
sich,  je  vollkommener  sie  ihrer  Aufgabe  angepasst  ist,  um  so  mehr  aller 
Substanzen  entledigt,  welche,  wie  z.  B.  das  Dottermaterial  oder  selbst 
das  Protoplasma,  diesem  Hauptzweck  hinderlich  sind.  Dal)ei  hat  sie 
zugleich  auch  eine  Form  angenommen,  welche  für  den  Durchtritt  durch 
die  Hüllen,  mit  welchen  sich  das  Ei  zum  Schutz  umgiebt,  und  für  das 
Einbohren  in  den  Dotter  die  zweckmässigste  ist. 

Von  den  so  geschlechtlich  diiferenzirten  Zellelementen  können  wir 
die  Ausdrücke  „männlich  und  weiblich"  auf  die  in  ihnen  enthaltenen  Kerne 
übertragen,  auch  wenn  dieselben  an  Masse  und  Qualität  ihrer  Substanz 
einander  äquivalent  sind.  Nur  dürfen  wir  unter  der  Bezeichnung  männ- 
licher und  weiblicher  Kern  nichts  Anderes  verstehen  als  einen  Kern,  der 
von  einer  männlichen  oder  weiblichen  Zelle  abstammt.  Auch  bei  den 
Infusorien  kann  der  Wanderkern  als  männlich,  der  stationäre  Kern  als 
weiblich  im  Sinne  der  früher  gegebenen  Definition  bezeichnet  werden, 
insofern  der  erstere  den  letzteren  aufsucht. 

Der  Gegensatz,  der  sich  zwischen  den  Geschlechtszellen  durch  Arbeits- 
theilung und  Anpassung  an  entgegengesetzte  Aufgaben  entwickelt  hat. 
wiederholt  sich  im  ganzen  Organismenreich  in  allen  den  Fällen,  wo  die 
Individuen,  in  welchen  sich  die  männlichen  und  weiblichen  Geschlechts- 
zellen entwickeln,  durch  Sexualcharaktere  unterschieden  sind.  In  allen 
das  Geschlecht  lietreffenden  Einrichtungen  wird  ein  und  dasselbe  Thema 
variirt:  einmal  Vorkehrungen  zu  treffen,  durch  welche  das  Zusammen- 
treffen der  Geschlechtszellen  ermöglicht  wird,  und  zweitens  für  Einrich- 
tungen zu  sorgen,  durch  welche  das  Ei  ernährt  und  geborgen  wird.  Das 
eine  nennen  wir  männliche,  das  andere  weibliche  Organisation,  männliche 
und  weibliche  Sexualcharaktere.  Alle  diese  Verhältnisse  sind  secundärer 
Art  und  haben  mit  dem  eigentlichen  Wesen  des  Befmchtungsvorganges, 
der  ein  reines  Zellenphänomen  ist,  nichts  zu  thun. 

Die  Befruchtung  ist  eine  Vereinigung  zweier  Zellen 
und  insbesondere  eine  Verschmelzung  zweier  äquivalen- 


V.    Die  Ersclieinimgen  und  das  Wesen  der  Befruchtung.  223 

ter  Kernsubstanzen,  die  von  zwei  Zellen  abstammen,  aber 
sie  ist  nicht  ein  Ausgleich  sexueller  Gegensätze,  da 
diese  nur  auf  Einrichtungen  untergeordneter  Art  be- 
ruhen. 

Die  Richtigkeit  obigen  Satzes  lässt  sich  noch  besser,  als  es  bisher 
geschehen  ist,  beweisen,  wenn  wir  die  Zeugungsprocesse  im  ganzen  Or- 
ganisnienreich  vergleiclien  und  dabei  festzustellen  versuchen,  wie  sich 
allmählich  Verschiedenlieiten  zwischen  den  zur  Befruchtung  verlnmdenen 
Zellen  entwickelt  haben.  Das  Reich  der  Einzelligen  und  der  Pflanzen 
liefert  uns  zahllose,  lehrreiche  Beispiele  von  den  Ur-  und  Grundformen 
der  geschlechtlichen  Zeugung  und  von  der  Entstehung  der  Geschlechts- 
differenzen im  Thier-  und  Pflanzenreich. 

5)  Die  Ur-  und  Grundformen  der  geschlechtlichen  Zeugung  und  das 
erste  Hervortreten  von  GeschlechtsdifFerenzen. 

Das  Studium  der  niedersten  Organismen,  der  Noctilucen,  Diatomeen, 
Gregarinen,  Conjugaten  und  anderer  niederer  Algen  lehrt,  dass  bei 
vielen  von  ihnen  in  regelmässigen  Cyclen  Verschmelzungen  von  zwei 
Individuen  eintreten,  die  wir  nicht  anders  als  einen  Befruchtungsprocess 
deuten  können. 

Bei  den  Noctilucen  beginnt  die  Conjugation  damit,  dass  zwei 
gleich  grosse,  in  Nichts  voneinander  unterschiedene  Individuen  sich  mit 
ihren  Mundöffnungen  zusammenlegen  und  von  hier  aus  unter  Auflösung 
der  Zellmembran  verschmelzen.  Es  bildet  sich  zwischen  ihnen  eine  immer 
l)reiter  werdende  Verbindungsbrücke  aus,  nach  welcher  die  Protoplasma- 
massen von  allen  Seiten  zusammenströmen ,  bis  aus  beiden  Individuen  eine 
grosse  Zellblase  entstanden  ist.  Die  beiden  Kerne,  ein  jeder  von  einem 
Centralkörperchen  begleitet,  wandern  aufeinander  zu  und  legen  sich  an- 
einander, verschmelzen  aber  nicht,  wie  uns  die  Untersuchungen  von 
Ishikawa  berichten  (VII.  25).  Nach  einiger  Zeit  theilt  sich  das  conju- 
girte  Noctilucenpaar  wieder  durch  Auftreten  einer  Scheidewand  in 
zwei  Zellen.  Bei  Beginn  dieser  Theilung  strecken  sich  auch  die 
beiden  zu  einem  Paar  verbundenen  Kerne,  werden  in  ihrer  Mitte  ein- 
geschnürt und  halbirt  und  weichen  bei  ihrer  Trennung  so  auseinander, 
dass  die  Hälften  von  jedem  Kern  in  je  eines  dei-  beiden  Theilstücke  der 
Noctiluca  zu  liegen  kommen.  So  gehen  aus  dem  Copulationsprocess  wieder 
zwei  Individuen  hervor,  von  denen  jedes  Kernsubstanz  doppelten  Ur- 
sprungs besitzt.  Auf  die  Befruchtung  folgt  dann  nach  kürzerer  oder 
längerer  Zeit  lebhafte  Vermehrung  durch  Knospung  und  Schwärmer- 
bildung. 

Besonders  wichtig  für  das  Studium  der  Grundformen  der  Befruchtung 
ist  die  Ordnung  der  Conjugaten  (VII.  11),  die  wieder  in  die 
drei  Familien  der  Desmidiaceen,  Mesocarpeen  und  Zygnemaceen  zerfällt. 

Bei  zwei  Arten  von  Desmidiaceen,  bei  Glosterium  und  Cos- 
marium,  hat  Klebahn  (VII.  27)  auch  feinere  Details  des  Befruchtungs- 
vorgangs aufgedeckt. 

Zwei  Closteriumzellen,  welche  sich  in  ihrer  Form  gekrümmten 
Spindeln  vergleichen  lassen,  legen  sich  der  Länge  nach  aneinander,  wo- 
bei sie  durch  eine  Gallertabscheidung  zusammengehalten  werden,  und 
bilden  dann  in  ihrer  Mitte  eine  Ausstülpung.  Beide  Ausstülpungen 
berühren  sich  in  grösserer  Ausdehnung  und  verschmelzen  unter  Auf- 
lösung  der  sie  trennenden  Scheidewand   zu  einem  gemeinsamen  Copu- 


224 


Siebente»  Capitel. 


lationskaual.  In  diesem  sammelt  sich  allmählich  das  gesammte 
Protoplasma  der  beiden  conjugirten  Closteriumzellen  an,  indem  es  sich 
von  der  alten  Zellmembran  ablöst,  und  verschmilzt  dabei  zu  einem  ein- 
heitlichen, kugligen  Körper,  der  sich  zuletzt  noch  mit  einer  eigenen 
Membran  umgiebt. 

Die  so  durch  Verschmelzung  zweier  gleichartiger  Individuen  ent- 
standene Copulationsspore  oder  Zygote  macht  ein  mehrere 
Monate  dauerndes  Ruhestadium  durch  (Fig.  150).  Sie  besitzt  zwei 
Kerne,  die  von  den  gepaarten  Zellen  abstanmien,  aber  sich  während  des 
ganzen  Ruhestadiums  getrennt  erhalten.  Erst  mit  dem  Wiederbeginn 
einer  neuen  Vegetationsperiode  im  Frühjahr  rücken  die  Kerne  dicht 
zusammen  und  verschmelzen  vollständig  miteinander  zum  Keimkern. 

Zu  dieser  Zeit  schlüpft  die  Zygote,  von  einer  feinen  Haut  umgeben, 
aus  der  alten  Cellulosehülle  aus,  ihr  Keimkern  wandelt  sich  in  eine 
grosse  Spindel  von  etwas  ungewöhnlichem  Aussehen  um  (Fig.  151 J). 
Aus  ihrer  Theilung  bilden  sich  darauf  (Fig.  151  U)  zwei 
Spindelhälften,  die  aber  nicht  in  das  Stadium  des  ruhen- 
den Kerns  eintreten,  sondern  sich  sofort  noch  zu  einer 
zweiten  Theilung  anschicken  (Fig.  151  III).  So  entstehen  aus 
dem  Keimkern  durch  zwei,  ohne  Pause  aufeinander  folgende  Theilungen 
vier  Kerne  (Fig.  151  IV). 


Fig.  150. 


Fig.  151. 


III 


IV 


Fig.  152. 

Fig.  150.  Zygote  von  Closterium  kurz  vor  der  Keimung.  Nach  Klebahn 
Taf.  XIII,  Fig.  3. 

Fig.  151.  Verschiedene  Keimstadien  von  Closterium.  Nach  Klebahn 
Taf.  XIII,  Fig.  6  b,  8,  9,  11,  13. 

Fig.  152.  Zwei  aus  einer  Copulationsspore  entstandene  Closterien 
vor  dem  Verlassen  ihrer  Hülle. 


Währenddem  hat  sich  auch  der  Protoplasmakörper  der  Zygote  in 
zwei  Halbkugeln  (Fig.  151  IV)  getheilt,  von  denen  eine  jede  zwei  aus 
Theilung  einer  Spindel  hervorgegangene  Kerne  einschliesst.  Die  beiden 
Kerne  gewinnen  rasch  ein  verschiedenartiges  Aussehen,  indem  der  eine 
(der  Grosskern  nach  Klebahn)  gross  und  bläschenförmig  wird,  der  andere, 


V.    Die  Erscheinungen  iiucl  das  Wesen  der  Befruchtung.  225 

(der  Kleiiikern),  klein  bleibt,  sicli  besonders  intensiv  färbt  und  später 
spurlos  verschwindet.  AYie  mir  scheint,  geht  der  Kleinkern  zu  Grunde 
und  löst  sich  auf,  ähnlich  wie  die  Bruclistücke  des  llauptkenis  und  die 
Nebenspindeln  bei  Infusorien.  Noch  ehe  die  Auflösung  beendet  ist, 
nehmen  die  beiden  Theilhälften  der  Zygote  allmählich  die  Form  einer 
gewöhnlichen  Closteriumzelle  an  (Fig.  152). 

Was  haben  die  doppelten,  ohne  Pause  aufeinander  folgenden 
Theilungen  des  Keimkerns  für  eine  Bedeutung?  Mir  scheint  durch  sie 
derselbe  Zweck,  wie  durch  die  Reductionstheilung  bei  der  Reife  der  Ei- 
uud  Samenzelle,  nur  in  einer  etwas  anderen  Weise,  erreicht  zu  werden. 
Wie  hier  vor  der  Befruchtung  durch  die  doppelte  Theilung  des  Kerns 
eine  Reduction  der  Kernsubstanz  auf  die  Hälfte  eines  Xormalkerns  her- 
beigeführt und  so  eine  Summirung  der  Kernsubstanz  durch  Verschmelzung 
zweier  Kerne  in  Folge  der  Befruchtung  verhindert  wird,  so  scheint  mir 
bei  den  Desmidiaceen  erst  nach  der  Befruchtung  eine  Reduction 
der  Kernsubstanz  noch  nachträglich  vorgenommen  und 
die  durch  die  Copulation  zweier  Vollkerne  hervorgerufene 
Verdoppelung  der  Kernmasse  wieder  zum  Normalmaass 
zurückgeführt  zu  werden.  Der  Keimkern  wird  anstatt  in 
zwei  Tochterkerne  durch  sich  unmittelbar  folgende 
Theilungen  in  vier  Enkelkerne  zerlegt,  anstatt  halbirt, 
geviertelt:  der  Protoplasmakörper  aber  wird  nur  halbirt, 
und  jedeTheilhälfte  erhält  nur  einen  in  Function  treten- 
den Kern,  während  zwei  der  vier  Kerne  als  entbehrlich 
geworden  zu  Grunde  gehen. 

Durch  eine  genaue  Zählung  der  Kernsegmente  in  den  verschiedenen 
Stadien  müsste  sich  meine  Annahme  zur  Gewissheit  erheben  lassen.  Zu 
ihren  Gunsten  lässt  sich  vorläufig  eine  von  Klebahn  häufig  gemachte 
Beobachtung  anführen,  dass  bei  Cosmarium  die  vier  vom  Keimkern  ab- 
stammenden Enkelkerne  auf  die  beiden  Theilhälften  der  Zygote  in 
ungleicher  Zahl  vertheilt  werden,  indem  die  eine  einen  einzigen  activen 
Kern,  die  andere  drei  Kerne  erhält,  von  denen  zwei  rückgebildet  werden. 
Bei  den  zwei  dem  Untergang  verfallenen  Kernen  ist  es  eben  gleich- 
gültig, ob  sie  beiden  oder  nur  einer  Zelle  bei  der  Theilung  zufallen;  sie 
verhalten  sich  dabei  wie  Dottereinschlüsse. 

Während  bei  den  Desmidiaceen  Copulation  isolirt  lebender  Zellen 
beobachtet  wird,  lehren  uns  die  Zygnemaceen,  wie  sich  die  Copula- 
tionsprocesse  auch  bei  Zellcolonien  abspielen  können,  bei  denen  viele 
Einzelzellen  zu  langen  Fäden  in  einer  Reihe  untereinander  verbunden  sind. 

Wenn  in  dem  dichten  Fadenfilz,  mit  welchem  die  Alge  die 
Gewässer  überzieht,  zwei  Fäden  eine  längere  Strecke  nahe  beieinander 
liegen,  kommt  es  zwischen  benachbarten  Zellen  zu  Conjugationen.  Ge- 
wöhnlich treten  alle  Zellen  gleichzeitig  in  die  Vorbereitung  zur  Fort- 
prianzung  ein;  sie  treiben  seitliche  Ausstülpungen  einander  entgegen. 
Diese  verschmelzen  an  den  Berührungsstellen,  indem  sich  die  Scheide- 
wand auflöst,  und  stellen  so  quere  Kanäle  dar,  welche  in  regelmässigen 
Entfernungen  die  beiden  in  Conjugation  begriffenen  Fäden  wie  die 
Sprossen  einer  Leiter  verbinden '  (Fig.  153).  Die  Protoplasmakörper 
ziehen  sich  darauf  von  der  Cellulosewand  zurück  und  verschmelzen  nach 
einiger  Zeit  untereinander. 

Bei  verschiedenen  Arten  der  Zygnemaceen  zeigt  sich  hierbei  ein  an 
und    für    sich    geringfügiger,    aber    gerade    dadurch    interessanter    und 

Hertwig,  Die  Zelle  und  die  Gewebe.  l'J 


226 


Siebentes  Capitel. 


bemerkenswerther  Unterschied :  denn  er  lehrt  uns,  in  welcher  Weise  sich 
zuerst  Geschlechtsdifferenzen  ausbilden  können. 

Bei  Monjeotia  z.  B.  treten  die  beiden  Protoplasmakörper  in  ähnlicher 
Weise  wie  bei  den  Desmidiaceen  in  den  Copulationskanal  ein  und  ver- 
schmelzen hier  untereinander  zu  einer  Zygote,  die  sich  kuglig  abrundet, 
Flüssigkeit  auspresst  und  mit  einer  Membran  umgiebt.  In  diesem 
Fall  verhalten  sich  beide  Zellen  genau  gleichartig;  man 
kann  weder  die  eine  noch  die  andere  als  männlich  oder 
weiblich  l)e zeichnen. 

Bei  anderen  Arten,  wie  bei  Spirogyra  (Fig.  153),  bleibt  die  eine 
Zelle  passiv  in  ihrer  Zellhaut  liegen  und  wird  von  der  anderen  Zelle, 
welche  daher  als  die  männliche  bezeichnet  werden  kann,  aufgesucht. 
Diese  nämlich  wandert  in  den  Copulationskanal  ein  und  durch  ihn  hin- 
durch zu  der  weiblichen  Zelle  hin,  als  ob  sie  von  ihr  angezogen  würde, 
und  verschmilzt  mit  ihr  zur  Zygote  (Fig.  153  Aa). 


Fig.  153.     Spirogyra  longata.     Nach  Sachs  Fig.  410. 

Links  einige  Zellen  zweier  sich  zui-  Copulation  vorbereitender  Fäden:  sie  zeigen 
die  schranbenförmig  gewundenen  Chlorophyllbänder,  in  denen  an  verschiedeneu  Stellen 
kranzartige  Anordnungen  von  Stärkekörnern  liegen;  ausserdem  sind  kleine  Oeltröpfchen 
in  ihnen  vertheilt.  Der  Zellkern  jeder  Zelle  ist  von  Plasma  umgeben,  von  welchem 
aus  Fäden  zur  Zellwand  gehen.  Bei  b  Vorbereitungen  zur  Copulation.  Rechts  A  in 
Copulation  begriffen:  bei  a  schlüpft  der  Plasmakörper  der  einen  Zelle  soeben  hinüber 
in  die  andere;  bei  *  haben  sich  die  beiden  Plasmakörper  schon  vereinigt;  in  B  sind 
die  jungen  Zygoten  schon  mit  einer  Haut  umkleidet. 

Durch  Behandlung  der  Zygote  mit  Reagentien  und  Farbstoffen  lässt 
sich  noch  weiter  feststellen,  dass  bald  nach  der  Vereinigung  der  Zellen 
auch   ihre  Kerne    sich    nähern   und    zum   Keinikern    verbinden.     Da  in 


V.     Die  Erscheinungen  ini'l  flas  Wesen  der  J5cfnichtung.  227 

einem  Faden  sich  alle  Zellen  entweder  nur  männlich  oder  weiblich  ver- 
halten, so  hat  von  zwei  copulirten  Fäden  gewöhnlich  der  eine  den  In- 
halt aller  seiner  Zellktimmern  entleert,  während  der  andere  in  jedem 
Fach  eine  Zygote  einschliesst  (Fig.  153  B).  Diese  umgiebt  sich  mit  ver- 
schiedenen Hüllen,  macht  gewöhnlich  bis  zum  nächsten  Frühjahr  ein 
längeres  Ruhestadium  durch,  beginnt  dann  zu  keimen  und  wächst  wieder 
durch  (,)uertheilungen  zu  einem  langen  Spirogyrafaden  aus. 

Der  oben  hervorgehobene  Unterschied  zwischen  männlichen  und 
weiblichen  Spirogyrafaden  ist  übrigens  keineswegs  ein  streng  durch- 
geführter, sondern  mehr  ein  relativer.  Es  kann  nämlich  der  Fall  ein- 
treten, dass  ein  und  derselbe  Spirogyrafaden  umbiegt  und  dass  sein  eines 
Ende  in  die  Nähe  vom  anderen  Ende  zu  liegen  kommt.  Unter  solchen 
Bedingungen  erfolgen  Paarungen  zwischen  den  an  entgegengesetzten 
Enden  desselben  Fadens  gelegenen  Zellen,  so  dass  Zellen,  die  unter 
anderen  Verhältnissen  als  männliche  fungirt  haben  würden,  eine  weib- 
liche Rolle  spielen. 

Bei  den  bisher  betrachteten  Familien  der  Noctilucen  und  Conju- 
gaten,  denen  sich  andere  wie  die  Diatomeen,  Gregarinen  etc.  anschhesseu, 
sind  es  grosse,  in  Membranen  eingehüllte  Protoplasmakörper,  die  sich 
paaren,  nachdem  sie  Perioden  vegetativer  Vermehrung  durch  einfache 
Theilung  durchgemacht  haben.  Eine  zweite  Reihe  von  Urformen  der 
geschlechtlichen  Zeugung  liefern  uns  niedere,  pflanzliche  Organismen 
aus  der  Klasse  der  Algen.  Zum  Zwecke  der  Fortpflanzung  er- 
zeugen sie  besondere  Zellen,  die  Schwärmsporen,  die  sich 
durch  ihre  geringe  Grösse,  durch  das  Fehlen  einer  Zellhaut  und  durch 
den  Besitz  von  zwei  Geissein  oder  zahlreichen  Flimmern,  mit  denen  sie 
sich  selbstthätig  im  Wasser  fortbewegen,  von  den  vegetativen  Zellen 
unterscheiden.  Sie  sind  von  besonderem  Interesse  dadurch ,  dass  sie 
uns  zeigen,  wie  sich  durch  allmähliche  Differenzirung  und  Arbeitstheilung 
nach  entgegengesetzter  Richtung  hochgradigere  Gegensätze  —  typische 
Eier  und  typische  Samenfäden  —  entwickelt  haben. 

Die  Schwärmsporen  sind  kleine,   bewegliche,  mem- 
branlose Zellen  von  meist  birnenförmiger  Gestalt  (Fig.  154, 
155,  157,  158).    Ihr   zugespitztes  Ende,   der   Schnabel, 
ist  das  vordere  und  schreitet  bei  der  Fortbewegung  im 
Wasser  voran ;  es  besteht  aus  hyalinem  Protoplasma,  das 
häufig  einen  rothen  oder  braunen  Pigmentfleck  (Augen- 
fleck)  einschliesst;    der  übrige  Körper  ist  je  nach  der  Pig.  154. 
Art  hyalin  oder  durch  Farbstoff  grün ,  roth  oder  braun     Schw^rmspore 
gefärbt  und  enthält  eine  oder  zwei  contractile  Vacuolen     ^^^a  sociaS°" 
(Fig.   154).     Zur    Fortbewegung   dienen    Geissein,    die     NacUR.HERTwiG. 
vom   hyalinen  Vorderende   entspringen,  gewöhnlich   ein 
Paar  (Fig.  154),  seltener  eine  einzige  oder  vier  oder  mehr  (Fig.  14). 

Die  Schwärmsporen  entstehen  zu  gewissen  Zeiten  entweder  durch 
wiederholte  Zweitheilung  oder  auf  dem  Wege  der  Vielzellbildung  (S.  187 
bis  189)  aus  dem  Inhalt  einer  Mutterzelle.  Bei  Zweitheilung  ist  ihre 
Anzahl  eine  geringe  und  beläuft  sich  auf  2,  4,  8  oder  16,  bei  der 
Vielzellbildung  dagegen  kann  die  Zahl  eine  ausserordentlich  grosse 
werden ,  weil  dann  auch  die  Mutterzellen  einen  beträchtlichen  Umfang 
besitzen,  und  kann  bis  auf  7000  und  20,000  steigen.  Durch  Platzen 
der  Membran  der  Mutterzelle  an  irgend  einer  Stelle  wird  die  Brut  nach 
Aussen  entleert. 

Es  giebt  zwei  Arten   von   Schwärmsporen,    die  zu  ver- 

15* 


228 


Siebentes  Capitel. 


scliie denen  Zeiten  gebildet  werden,  Schwärmsporen,  die 
sich  auf  ungeschlechtlichem  Wege  vermehren  und  neuen 
kleinen  Algen  pflänzchen  den  Ursprung  geben,  und 
S  c  h  w  ä  r  m  s  j)  0  r  e  n ,  die  der  Befruchtung  bedürfen.  Die  Mutter- 
zellen, aus  denen  die  ersteren  entstehen,  nennen  die  Botaniker  S  p  o  r  a  n- 
gien,  die  Mutterzellen  der  letzteren  dagegen  Gametangien. 

Uns  interessiren  hier  nur  die  Geschlechtssporen  oder 
Gamete  n. 

Bei  vielen,  niederen  Algen  können  die  sich  paarenden 
Schwärmsporen  (Fig.  155  a,  &,  c,  d)  in  keiner  Weise,  weder 
nach  ihrer  Grösse,  noch  nach  ihrer  Bewegung  oder  nach 
ihrem  sonstigen  Verhalten  voneinander  unterschieden 
werden  (Ulothrix,  Bryopsis,  Botrvdium,  Acetabularia  etc.). 

Bei  anderen  Arten  dagegen  bilden  sich  Geschlechts- 
differenzen heraus,  welche  uns  männliche  und  weibliche 
Gameten  zu  unterscheiden  gestatten.  Im  ersteren  Falle  redet 
man  von  einer  isogamen,  im  zweiten  Fall  von  einer  oogamen  Be- 
fruchtung. 

Als  Beispiel  i  sog  am  er  Be- 
fruchtung (Fig.  155)  kann  uns 
Botrvdium  oder  Ulothrix  dienen.  Wenn 
man  in  einem  Wassertropfen  die  kleinen 
Schwärmer  aus  verschiedenen  Zuchten 
zusammenbringt  und  mit  starker  Ver- 
grösserung  beobachtet,  so  kann  man 
leicht  wahrnelmien,  wie  alsbald  ein- 
zelne mit  ihren  hyalinen  Vorderenden 
sich  einander  nähern  (b),  sich  berühren 
und  nach  kurzer  Zeit  zu  verschmelzen 
beginnen.  Zuerst  legen  sie  sich  mit 
ihren  Seiten  aneinander  (cj,  dann 
schreitet  die  Verwachsung  allmählich 
von  vorn  nach  hinten  fort. 

Die  Paarlinge  (d)  tummeln  sich 
noch  weiter  im  Wasser  herum.  Ihre 
Bewegung  ist  eine  unregelmässig  inter- 
mittirende  und  nimmt  einen  taumeln- 
den Charakter  an.  Nach  einiger  Zeit 
ist  die  Verschmelzung  so  weit  gediehen, 
dass  beide  Gameten  einen  einzigen 
ovalen,  entsprechend  dickeren  Körper 
bilden,  an  welchem  nur  noch  die  An- 
wesenheit von  zwei  Pigmentflecken  und 
vier  Geissein  den  Ursprung  durch  Paar- 
ung zweier  Individuen  verrathen  (e,  f). 
Jetzt  verlangsamt  allmählich  das  Pär- 
chen (die  Zygote)  ihre  Bewegungen, 
kommt  schliesslich  zur  Ruhe,    verliert 


Fig.  155.  Botrydium  granu- 
latum.     Nach  vStrasbckger  Fig.  139. 

A  Ein  frei  gelegtes  Pflänzchen 
mittlerer  Grösse.  Vei'gr.  28.  B  Eine 
Schwärmspore  mit  Jodlösung  fixirt. 
Vergr.  540.  C  Isogameten  und  zwar 
bei  a  ein  einzelner  Isogamet,  bei  b 
zwei  Isogameten  in  der  ersten  Be- 
rührung, bei  c,  d  u.  e  in  seitlicher  Ver- 
schmelzung, bei  /  die  Zygospore  nach 
vollzogener  Verschmelzung  der  Ga- 
meten.    Vergr.  540. 


die  vier  Geissein,  indem  sie  eingezogen 
oder  abgeworfen  werden,   rundet  sich 

ab  und  umgiebt  sich  mit  einer  besonderen  Membran. 

Häufig  tritt  das  Ptuhestadium  schon   wenige  Minuten   nach  Beginn 

der  Paarung  ein ,   in  anderen  Fällen   aber  kann  die  Zygote  noch  mein- 


V.    Die  Erscheiiiuiigeu  und  das  Wesen  dei-  Befruchtung.  229 

branlos  und  mit  vier  Cilien    vorsehen    drei   Stunden    lang    im   Wasser 
herunischwärmen,  bis  sie  die  Geissein  einzieht  und  zai  Boden  sinkt. 

Noch  besser  als  bei  den  Conjugaten  lässt  sich  das  allmähliche 
Auftreten  der  geschlechtlichen  Diiferenzirung  bei  den  zahlreichen  Arten 
niederer  Algen  mit  Gametenbefruchtung  verfolgen. 

Wie  bei  Spirogyra  (Fig.  153)  von  den  beiden  sonst  völlig  gleich- 
artigen Paarungen  der  eine  als  weiblich  bezeichnet  werden  kann,  weil 
er  in  Ruhe  verharrt  und  zum  Zweck  der  Conjugation  von  dem  anderen 
aufgesucht  werden  uuiss,  so  bildet  sich  ein  analoges  Verhältniss  bei  den 
Phaeosporeen  und  Cutleriaceen  heraus. 

Bei  einzelnen  Phaeospo reen arten  sind  männliche  und  weibliche 
Schwärmzellen  bei  ihrer  Entleerung  aus  den  Mutteizellen  voneinander 
nicht  unterscheidbar,  sie  sind  von  gleicher  Grösse  und  mit  einem  Pig- 
mentfleck und  zwei  Geissein  versehen.  In  der  Zeit  des  Herumschwärmens 
tritt  eine  Paarung  nicht  ein.  Bald  aber  macht  sich  ein  Unterschied 
zwischen  den  Gameten  geltend.  Einige  von  ihnen  kommen  frühzeitig 
zur  Ruhe,  sie  heften  sich  mit  der  Spitze  einer  Geissei  an  irgend  einen 
festen  Gegenstand  an  und  bringen  demselben  durch  Verkürzung  und 
Einziehung  der  Geissei  ihren  Plasmakörper  näher,  wobei  auch  die  zweite 
Cilie  eingezogen  wird.  Solche  zur  Ruhe  gekommenen  Schwärmzellen 
können  jetzt  als  weibliche  bezeichnet  werden;  sie  sind  nur  für  wenige 
Minuten  befruchtungsfähig;  sie  üben,  wie  Berthold  sich  ausdrückt,  auf 
die  längere  Zeit  im  Wasser  herumschwimmenden  männlichen  Gameten 
„eine  starke  Anziehungskraft  aus%  so  dass  um  ein  Ei  oft  Hunderte  von 
Schwärmern  in  wenigen  Augenblicken  vereint  sind,  von  denen  einer  mit 
ihm  verschmilzt  (VII.  51). 

Schon  deutliclier  ausgeprägt  ist  die  Geschlechtsdifferenz  bei  den 
Cutleriaceen.  Hier  nämlich  gewinnen  die  geschlechtlichen  Schwärm- 
zellen während  ihrer  Entstehung  in  der  Mutterpflanze  eine  ungleiche 
Grösse,  indem  die  weiblichen  einzeln,  die  männlichen  gewöhnlich  in 
Achtzahl  in  einer  Mutterzelle  gebildet  werden.  Der  Grössenuuterschied 
fällt  daher  schon  ziemlich  auf.  Beide  Gametenarten  schwärmen  eine 
Zeit  lang  im  Wasser  herum;  eine  Befruchtung  kann  aber  erst  erfolgen, 
wenn  der  weibliche  Schwärmer  zur  Ruhe  kommt,  die  Geissein  einzieht 
und  sich  abrundet.  Das  befruchtungsfähig  gewordene  Ei  zeigt  einen 
hyalinen  Fleck,  welcher  durch  das  Einziehen  des  vorderen,  schnabel- 
artigen Endes  entstanden  ist,  den  sogenannten  Empfängnissfleck. 
Das  ist  die  einzige  Stelle,  an  welcher  einer  von  den  kleinen,  männ- 
lichen Schwärmern,  welche  bald  die  zur  Ruhe  gekommene,  weibliche 
Zelle  umlagern,  die  Paarung  ausführen  kann.  Nach  vollendeter  Be- 
fruchtung umgiebt  sich  die  Zygote  mit  einer  Cellulosehülle. 

Die  bei  den  Cutleriaceen  schon  schärfer  ausgeprägte  Geschlechts- 
differenz findet  sich  noch  mehr  gesteigert  bei  den  Fucaceen,  Chara- 
ceen  und  anderen  Algen.  Hier  treten  die  weiblichen  Zellen,  die  eine 
sehr  beträchtliche  Grösse  erreichen,  auch  nicht  vorübergehend  mehr 
in  das  Stadium  einer  Schwärmzelle  ein.  Entweder  werden  sie  als  kuglige, 
unbewegliche  Eizellen  bei  der  Reife  nach  Aussen  ausgestossen  (Fucaceen) 
(Fig.  156  G),  oder  sie  werden  an  ihrem  Ursprungsort,  im  Oogonium,  be- 
fruchtet. Im  Gegensatz  zu  den  Eizellen  sind  die  männlichen  Schwärmzellen 
(Fig.  156  F)  noch  kleiner  und  beweglicher  als  die  bisher  betrachteten 
Schwärmsporen  geworden  und  haben  den  charakteristischen  Habitus  von 
Samenfäden  ang-enommen;  sie  bestehen  fast  nur  aus  Kernsubstanz  und 
den  beiden  Geissein,  die  als  Fortbewegungsorgane  dienen. 


230 


Siebentes  Capitel. 


J 


\ 


6'  Die  Ansicht,  dass  Eier  und  Samenfäden  der 

höheren  Algen  sich  genetisch  von  Schwärmzellen 
ableiten  lassen,  die  sich  nach  entgegengesetzten 
Richtungen  geschlechtlich  ditferenzirt  und  allmäh- 
lich einen  specifisch  weiblichen  und  männlichen 
Habitus  angenommen  haben,  lässt  sich  noch 
schlagender  als  durch  die  eben  angestellte  Ver- 
gleichung  der  einzelnen  Algenfamilien  an  der 
kleinen  Familie  d  e  r  V  o  1  v  o  c  i  n  e  e  n  beweisen. 
Für  die  uns  beschäftigende  Frage  sind  die 
Volvocineen  dadurch  liesonders  interessant  und 
wichtig,  dass  hier  einzelne  Arten,  die  sich  sonst 
in  ihrem  ganzen  Aussehen  ausserordentlich  ähn- 
lich sind,  Pandorina  morum,  Eudorina  elegans, 
Volvox  globator,  theils  keine,  theils  eine  deut- 
lich ausgeprägte  Geschlechtsdifferenz  der  beiden 
Geschlechtszellen,  theils  ein  vermittelndes  Zwi- 
schenstadium erkennen  lassen.  Das  ganze  Ver- 
hältniss  ist  so  beweisend,  dass  es  sich  wohl  ver- 
lohnt, auf  dasselbe  noch  etwas  näher  einzugehen. 
Pandorina  morum,  in  der  Literatur  da- 
durch besonders  bekannt  geworden,  dass  Prings- 
heim  (VII.  35)  an  dieser  Art  die  Paarung  zweier 
Schwärmsporen  zuerst  im  Jahre  1869  entdeckt  hat, 
bildet  kleine  Colonien  von  etwa  16  Zellen,  die 
in  eine  gemeinsame  Gallerte  eingeschlossen  sind. 
(Fig.  157  11).  Jede  Zelle  trägt  an  ihrem  vorderen 
Ende  zwei  Geissein,  die  über  die  Oberfläche  der 
Gallerte  hervorsehen  und  zur  Fortbewegung 
dienen. 

Zur  Zeit  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  zerfällt  jede  der  sechzehn 
Zellen  gewöhnlich  in  acht  Zellen,  die  nach  einiger  Zeit  frei  werden  und 
für  sich  allein  lierumschwärmen  (Fig.  157  111,  IV).  Die  ovalen  Schwärm- 
zellen, deren  Körper  grün  ist  mit  Ausnahme  des  vorderen,  etwas  zuge- 
spitzten Endes,  welches  hyalin  ist,  einen  rothen  Pigmentfleck  und  zwei 
Geissein  besitzt,  sind  nicht  genau  von  gleicher  Grösse.  Hierin  ist  indessen 
ein  Geschlechtsunterschied  bei  Pandorina  nicht  ausgeprägt.  Denn  wenn 
von  zwei  verschiedenen  Colonien  Schwärmzellen  zusammenkommen,  so 
bemerkt  man  in  dem  Gewimmel  bald  solche,  die  sich  paarweise  (Fig.  157 
IV,  V)  nähern,  bald  zwei  kleine,  bald  zwei  gleich  grosse,  bald  eine  kleine 
und  eine  grosse. 

Beim  Zusammentreffen  berühren  sich  die  Paarlinge  zuerst  mit  ihren 
Spitzen  (/F),  verschmelzen  dann  zu  einem  bisquitförmigen  Körper,  der 
sich  nach  und  nach  zu  einer  Kugel  zusammenzieht  ( F7,  VU,  X).  Diese 
umgiebt  sich  einige  Minuten  nach  der  Befruchtung  mit  einer  Cellulose- 
haut  und  tritt  als  Zygote  in  ein  Ptuhestadium  ein,  in  welcliem  ihre  ur- 
sprünglich grüne  Farbe  in  ein  Ziegelroth  übergeht. 

Eine  geschlechtliche  Verschiedenheit  macht  sich  bei  Eudorina 
elegans  bemerkbar,  bei  einer  Art,  welche  der  Pandorina  sonst  ausser- 
ordentlich ähnlich  und  wie  diese  eine  Gallertblase  ist,  die  16  bis  32 
Zellen  enthält  (Fig.  158).  Zur  Zeit  der  Fortpflanzung  diffe- 
renziren  sich  die  Colonien  in  männliche  und  weibliche. 
In  den  weiblichen  Colonien  wandeln  sich  die  einzelnen  Zellen,  ohne 


Fig.  156.  Spermato- 
zo'iden  von  Fueus 
platycarpus.  540mal 
yergr.  Ei  mit  anhaften- 
den Sperniatozoiden.  240- 
mal  vergr.  Nach  Sras- 
BURGEu  Fig.  142  G  u.  F. 


V.    Die  Ersc'heinuno;en  und  das  \Ve.<en  der  Befruchtung. 


231 


Fig.  157.  Entwicklung  von  Pandorina  Morum  uiicli  Pringsheim.  Aus 
Sachs  Fig.  411. 

/  Eine  schwärmende  Familie;  II  eine  solche  in  16  Tochterfamilien  getheilt; 
III  eine  geschlechtliche  Famile,  deren  einzelne  Zellen  aus  der  verschleimten  Hülle 
austreten;  IV,  V  Paarung  der  Schwärmer;  VI  eine  eben  entstandene,  VII  eine  aus- 
gewachsene Zygote;  VIII  Umbildung  des  Inhaltes  einer  Zygote  in  eine  grosse  Schwärm- 
zelle; IX  dieselbe  frei;  X  junge  Familie  aus  der  letzteren  entstanden. 

sich  weiter  zu  theilen,  in  ]vup]i<ie  Eier  um;  in  den  männlichen  Colonien 
dagegen  zerfällt  jede  Zelle  durch  mehrfach  wiederholte  Theilung  in  ein 
Bündel  von  16  bis  32  Samenfäden  (Fig.  158  M^).  Dieselben  sind  „lang 
gestreckte  Körperchen,  vorn  mit  zwei  Cilien,  deren  anfangs  grüne  Farbe 
sich  in  gelb  verwandelt".  Die  einzelnen  Bündel  lösen  sich  von  der 
Muttercolonie  los  und  schwärmen  im  Wasser  herum.  „Treffen  sie  auf 
eine  weibliche  Colonie,  so  verwickeln  sich  die  beiderseitigen  Cilien;  die 
männliche  Colonie  wird  dadurch  fixirt  und  fällt  dabei  auseinander,  w^orauf 
sich  die  vereinzelten  Samenfäden,  die  sich  jetzt  noch  bedeutend  strecken, 
in  die  Gallertblase  der  weiblichen  Colonie  einbohren.  Sie  dringen  hier 
bis  zu  den  Eizellen  vor  und  legen  sich  (oft  in  Mehrzahl),  nachdem  sie 
an  denselben  tastend  herumgekrochen  sind,  an  sie  an.  Man  darf  an- 
nehmen, was  in  vielen  anderen  Fällen  ja  beobachtet  ist,  dass  eine  dieser 
Samenzellen  in  je  eine  Eizelle  eindringt"  (Sachs). 

Bei  Volvox  globator  (Fig.  159)  endlich  ist  die  Differenzirung 
am  weitesten  durchgeführt,  indem  von  den  sehr  zahlreichen  Zellen,  welche 


232 


Siebentes  Capitel. 


Fig.  158.  Eudorina  elegans,  eine  weibliche  Colonie  (Coenobium)  von 
Zoospermien  Sp  umschwärmt  (nach  Goebel).  Mi — Ms  Bündel  von  Samenzellen.  Aii.s 
Sachs  Fig.  412. 

eine  kuglige  Colonie   zusammensetzen,    ein  Tlieil   vegetativ  bleibt,    der 
andere  Theil  sich  in  Geschlechtszellen  umwandelt.    Bei  Volvox  erreichen 


/  W  1  )/  ' 


Fig.  159.  Volvox  globator,  gesehleehtliehe,  hermaphroditische  Colonie, 
nach  CiENKOvsKY  und  Bütschli  combinirt  und  etwas  schematisirt.    Nach  Lang  Fig.  21. 
Ä  männliche  Gameten  (Sperraatozoen),    0  weibliche  Gameten  (Eier). 

die  Eier  (0)  noch  eine  viel  bedeutendere  Grösse  als  bei  Eudorina  und 
werden  von  den  sehr  kleinen,  mit  zwei  Geissein  henmischwärmendeu 
Samenelementen  (S)  befruchtet. 


V.    Difi  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  liefruclitung.  233 

Angesichts  der  im  fünften  Abschnitt  zusammengestellten;  zahlreichen 
Thatsachen  kann  wohl  der  Satz  als  feststehend  betrachtet  werden,  dass 
Ei-  und  Samenzellen  aus  ursprünglich  gleichartig  be- 
schaffenen, nicht  unterscheidbaren  Fortpflanzungszellen 
durch  Differenzirung  nach  entgegengesetzten  Richtungen 
entstanden  sind. 

II.    Die  Physiologie  des  Befruehtungsprocesses. 

Nach  der  Besprechung  der  morphologischen  Erscheinungen,  die  sich 
im  Organismenreich  beim  Befruchtungsprocess  beobachten  lassen,  bleibt 
noch  ein  weites  und  schwieriges  Forschungsgebiet  übrig,  die  Untersuchung 
der  Eigenschaften,  welche  Zellen  haben  müssen,  um  sich  im  Zeugungsakt 
vereinigen  und  den  Ausgang  für  einen  neuen  Entwicklungscyclus  bilden 
zu  können. 

Zunächst  ist  klar,  dass  nicht  jede  Zelle  eines  vielzelligen  Organismus 
in  die  Lage  kommt,  zu  befruchten  oder  befruchtet  zu  werden,  und  dass 
auch  die  Geschlechtszellen  nur  in  einem  oft  kurz  bemessenen  Zeitraum 
für  die  Zeugung  tauglich  sind.  Es  müssen  also  in  den  Zellen  zum  Zweck 
der  Zeugung  bestimmte  Dispositionen  geschaffen  werden,  welche  wir  einst- 
weilen unter  dem  allgemeinen  Ausdruck  „  B  e  fr  u  c  h  t  u  n g  s  b  e  d  ü  r  f t  i  g  - 
k  e  i  t "  zusammenfassen  wollen. 

Die  Befruchtungsbedürftigkeit  der  Zellen  allein  garantirt  aber  noch 
lange  nicht  den  Erfolg  der  Befruchtuna".  Dies  lehrt  schon  die  einfache 
Thatsache,  dass  reife  Eier  und  reifer  Samen,  von  verschiedenen  Organis- 
men zusammengebracht,  sich  nicht  entwickeln.  Zur  Befruchtungsbedürf- 
tigkeit muss  daher  noch  ein  zweiter  Faktor  hinzutreten ;  die  Zellen,  welche 
sich  geschlechtlich  vereinigen  sollen,  müssen  in  ihrer  Organisation  zu  ein- 
ander passen  und  in  Folge  dessen  auch  die  Neigung  haben,  sich  mit- 
einander zu  verl)inden  Wir  wollen  den  Inbegriff  dieser  Eigenschaften  als 
sexuelle  Affinität  bezeichnen. 

Die  Physiologie  des  Befruchtungsprocesses  lässt  sich  mithin  in  zwei 
Abschnitte  zerlegen:  1)  in  die  Untersuchung  der  Befruchtungsliedürftigkeit, 
und  2)  in  die  Untersuchung  der  sexuellen  Affinität  der  Zellen.  In  einem 
dritten  Abschnitt  soll  schliesslich  noch  auf  einige  Hypothesen  eingegangen 
werden,  welche  von  verschiedenen  Seiten  über  das  Wesen  und  den  Zweck 
der  Befruchtung  aufgestellt  worden  sind. 


'&'^ 


1)    Die  Befruchtungsbedürftigkeit  der  Zellen. 

Unter  Befruchtungsbedürftigkeit  verstehen  wir  einen  Zustand  der 
Zelle,  in  welchem  sie  für  sich  allein  die  Fähigkeit  verloren  hat,  den 
Lebensprocess  fortzusetzen,  diese  Fähigkeit  aber  in  sehr  gesteigertem 
Maasse  wiedererlangt,  wenn  sie  sich  mit  einer  zweiten  Zelle  im  Befruch- 
tungsakt verl)unden  hat.  Ein  tieferer  Einblick  in  das  Wesen  dieses 
Zustandes  fehlt  uns  zur  Zeit  noch  durchaus;  denn  es  handelt  sich  um 
Eigenschaften  der  lebenden  Substanzen,  die  ausserhall)  des  Bereiches 
unserer  sinnlichen  Wahrnehmung  liegen  und  sich  uns  nur  in  ihren 
Folgeerscheinungen  zu  erkennen  geben.  Auch  ist  das  dunkle  Gebiet  von 
Seiten  der  Physiologie  noch  wenig  einer  planmässigen  Bearbeitung  unter- 
worfen worden.  Wir  können  daher  hier  nur  auf  einige  Erfahrungen 
aufmerksam  machen,  welche  die  physiologische  Untersuchung  in  Zukunft 
zu  vermehren  und  zu  vertiefen   haben  wird.     Am   meisten   wird   hierbei 


234  Siebentes  Capitel. 

eine  Vertiefung  unseres  Wissens  von  dem  Studium  der  niedersten  Orga- 
nismen zu  erwarten  sein,  weil  bei  ihnen  die  Einzelzellen  eine  absolute 
oder  wenigstens  noch  eine  sehr  grosse  Selbständigkeit  besitzen  und  nicht 
wie  bei  den  höheren  Organismen  in  Beziehung  und  Abhängigkeit  von  den 
übrigen  Zellen  des  Körpers  gesetzt  sind.  Bei  ihnen  sind  daher  die  Grund- 
phänomene des  Lebens  in  grösserer  Klarheit  zu  erkennen. 

Die  zur  Zeit  vorliegenden  Erfahrungen  lassen  sich  in  folgende  Sätze 
zusammenfassen : 

1)  Die  Befruchtungsbedürftigkeit  tritt  im  Leben  der  Zelle  periodisch 
ein;  2)  sie  ist  überall  nur  von  kurzer  Zeitdauer;  'S)  sie  ist  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  von  äusseren  Einflüssen  abhängig,  und  damit  hängt  es 
dann  wohl  4)  zusammen,  dass  sie  in  manchen  Fällen  aufgehoben  und  in 
Parthenogenese  und  Apogamie  umgewandelt  werden  kann. 

Dass  die  Befrucht ungsbedürft igkeit  eine  im  Lebens- 
process  der  Zelle  periodisch  ein  treten  deErscheinung  ist, 
lässt  sich  am  besten  auf  experimentellem  Wege  durch  das  Studium  der 
Infusorien  beweisen.  Maupas  (VIL  30)  hat  hierüber  sehr  zahlreiche,  ver- 
dienstvolle Untersuchungen  angestellt. 

Im  Leben  eines  jeden  Infusors  kann  man  eine  Periode 
der  Geschlechtslosigkeit  und  eine  Periode  der  Geschlechts- 
reife oder  B  e  f  r  u  c  h  t  u  n  g  s  b  e  d  ü  r  f  t  i  g  k  e  i  t  unterscheiden.  Die 
erstere  beginnt,  wenn  sich  zwei  Thiere  gegenseitig  liefruchtet  haben 
und  sich  trennen;  sie  führt  zu  einer  Vermehrung  der  Individuen  durch 
rasch  sich  wiederholende  Theilungen.  In  dieser  Periode  kann  man 
Individuen  aus  verschiedenen  Culturen  zusammenbringen  und  sie  Be- 
dingungen aussetzen,  welche  für  die  Conjugation  am  günstigsten  sind, 
ohne  dass  es  jemals  zu  Paarungen  kommt.  Erst  längere  Zeit  nach  Ab- 
lauf einer  Paarung  werden  die  Infusorien  wieder  befruchtungsbedürftig. 
Werden  dann  aus  zwei  Culturen  Individuen  unter  geeigneten  Bedingungen 
zusammengebracht,  so  erfolgen   reichliche  Paarungen   in   wenigen  Tagen. 

So  hat  Maupas  festgestellt,  dass  bei  Leukophrys  jjatula  Individuen, 
welche  der  300sten  bis  450sten  Generation  nach  einem  Befruchtungsakt 
angehören,  allein  fruchtbare  Copulationen  ausführen  können.  Für  Ony- 
chodromus  fällt  diese  Periode  der  Befruchtungsbedürftigkeit  etwa  zwischen 
die  140ste  bis  230ste  Generation  und  bei  Stylonichia  pustulata  zwischen 
die  130ste  bis  ISOste. 

Der  zweite  Satz  lautete :  Der  Zustand  der  Befruchtungsbedürftigkeit 
ist  überall  nur  von  kurzer  Zeitdauer.  Wenn  Zellen,  die  für  die  Befruch- 
tung reif  sind,  nicht  rechtzeitig  befruchtet  werden,  so  gehen  sie  bald  zu 
Grunde.  Infusorien,  Algenschwärmer,  thierische  Eizellen  liefern  uns  Bei- 
spiele zur  Bestätigung  des  Satzes. 

Wenn  die  einzelnen  Individuen  der  oben  als  Beispiel  benutzten  In- 
fusorienart „Onychodromus"  während  der  140sten  bis  230sten  Generation 
oder  Individuen  von  Stylonichia  pustula  während  der  ISOsten  bis  ISOsten 
Generation  nicht  Gelegenheit  erhalten,  sich  zu  paaren,  so  werden  sie 
geschlechtsalt  oder  ülierreif.  Sie  fahren  zwar  noch  fort,  sich  durch  Thei- 
lung  zu  vervielfältigen,  können  sich  sogar  noch  paaren,  aber  ohne  Erfolg. 
Denn  trotz  der  Paaning  verfallen  sie  einer  allmählichen  Zerstörung  ihrer 
Organisation  durch  .,senile  Degeneration",  wie  sich  Maupas  ausdrückt. 
Der  Eintritt  derselben  lässt  sich  an  charakteristischen  Veränderungen  des 
Kernapparats  erkennen. 

Schwärmsporen  oder  Gameten  von  Algen  sterben  oft  schon  nach 
einigen  Stunden   ab,   wenn  sie  im  Wasser  herumgeschwärmt  sind,   ohne 


V.    Die  Erscheinungen  luiil  das  Wesen  der  l'efruelitung.  235 


zur  Paarunii-  mit  geeigneten  Individuen  gelangt  zu  sein.  Die  Empiäng- 
nissfähigkeit  der  grossen  weiblichen  Gameten  von  der  Algenart  Cutleria, 
wenn  sie,  zur  Ruhe  gekommen,  ein  Ei  darstellen,  ist  eine  verhältnissniässig 
kurze.  Mehrfache,  von  Falkenberg  (VII.  10)  angestellte  Versuche  zeigten, 
„dass  am  dritten  Tage  nach  eingetretener  Ruhe  noch  naliozu  alle  Eier, 
am  vierten  Tage  noch  etwa  die  Hälfte  derselben  befruchtungsfähig  waren. 
Nach  dem  vierten  Tage  hatten  dagegen  alle  Eier  ihre  Empfängnissfähig- 
keit eingebüsst,  und  wenn  man  ihnen  auch  jetzt  noch  Spermatozoidien 
zusetzte,  so  begannen  sie  doch  nunmehr  unter  denselben  Erscheinungen 
wie  die  vom  Zutritt  der  befruchtenden  Zellen  gänzlich  abgeschnitten  ge- 
bliebenen Eier  abzusterben". 

Reife,  thierische  Eizellen  endlich  haben,  auch  wenn  sie  sich  in  ihrer 
normalen  Umgebung  im  Eierstock  oder  in  den  Eileitern  befinden,  nicht 
minder  eine  kurze  Lebensdauer;  sie  gerathen  bald  in  einen  Zustand  der 
Ueberreife  (Hertwig  VI.  32).  Ihre  normalen  Functionen  sind  geschwächt; 
sie  lassen  sich  zwar  noch  eine  Zeit  lang  befruchten,  aber  in  anormaler 
Weise  durch  Eindringen  vieler  Samenfäden;  sie  treten  in  Folge  dessen 
auch  nur  in  einen  gestörten  Entwicklungsprocess  ein.  Hierin  liegt  un- 
verkennbar eine  Analogie  mit  der  senilen  Degeneration  von  Infusorien 
vor,  die  zur  geeigneten  Zeit  an  der  Paarung  verhindert  waren. 

Der  dritte  Satz,  dass  das  frühere  oder  spätere  Eintreten  der  Be- 
fruchtungsbedürftigkeit von  äusseren  Vei'hältnissen  abhängig  ist,  lässt  sich 
in  einigen  Fällen  sehr  deutlich  nachweisen. 

So  kann  man  durch  stets  erneute,  reichliche  Zufuhr  von  Nahrung 
Culturen  von  Infusorien  an  der  Paarung  verhindern  (Maupas  VII.  30). 
Sie  fahren  fort,  sich  zu  theilen,  l)is  die  ganze  Cultur  in  Folge  Eintritts 
von  „seniler  Degeneration"  (Entartung)  ausstirbt.  Umgekehrt  kann  man 
Culturen  von  Infusorien,  welche  sich  dem  Zustand  der  Geschlechtsreife 
nähern,  durch  Nahrungsentziehung  sofort  zur  Paarung  bestimmen.  „Une 
riche  alimentation",  bemerkt  Maupas,  „endort  l'appetit  conjugant;  le  jeüne, 
au  contraire,  l'öveille  et  l'excite." 

Ebenso  hat  Klebs  (VII.  28)  für  das  Wassernetz  (Hydrodiktyon) 
einen  Einfluss  der  äusseren  Lebensliedingungen  auf  die  Bildung  der 
Geschlechtszellen  wahrnehmen  und  dieselbe  bald  früher  hervorrufen,  bald 
verhindern  können. 

Klelis  hat  gesunde,  aus  der  freien  Natur  stammende  Netze  zur 
Gametenbildung  dadurch  gebracht,  dass  er  sie  in  eine  Rohrzuckerlösung 
von  7—10  "/o  cultivirte.  Nach  5—10  Tagen  zerfällt  das  Netz  vollständig, 
indem  in  fast  allen  Zellen  sich  Gameten  entwickelten.  Ferner  wird  in 
den  Zellen  die  Neigung  zur  Gametenbildung  gesteigert,  wenn  man  frische 
Netze  in  niedrigen  Glasschalen  mit  relativ  wenig  Wasser  an  einem  son- 
nigen Fenster  cultivirt.  Nach  Klebs  besteht  der  Einfluss  der  Zimmer- 
cultur  darin,  „dass  durch  sie  das  Wachsthum  zum  Stillstand  gebracht, 
dagegen  die  Erzeugung  organischer  Substanz  mit  Hilfe  der  Assimilation 
nicht"  behindert  wird,  während  gleichzeitig  ein  gewisser  Mangel  an  Nähr- 
salzen eintritt." 

Auf  der  anderen  Seite  lässt  sich,  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  den 
Infusorien,  die  geschlechtliche  Fortpflanzung  unterdrücken.  Zu  dem 
Zwecke  braucht  man  nur  ein  Netz,  welches  in  seinen  Zellen  Gameten 
zu  bilden  beginnt,  in  eine  0,5— l,0"üige  Nährlösung  zu  übertragen, 
welche  aus  1  Theil  schwefelsaurer  Magnesia,  1  Theil  phosphorsauren 
Kalis,    1  Theil  salpetersauren  Kalis  und  4  Theilen  salpetersauren  Kalks 


236  Siebentes  Capitel. 

besteht.  Nach  einiger  Zeit  liefert  es  ungeschlechtliche  Schwärnisporen, 
namentlich  wenn  es  dann  in  frisches  Wasser  zurückgebracht  wird. 

Nach  Beobachtungen  von  Eidam  l)ildet  ein  kleiner  l'ilz,  Basidio- 
bolus  ranarum,  auf  reichlichem  Nährsubstrat  aus  Conidien  gezüchtet, 
ein  kräftiges  Mycel,  das  gleichzeitig  sowohl  ungeschlechtliche  Foitpflan- 
zungszellen  (Conidien)  als  auch  Geschlechtszellen  erzeugt.  Auf  einem 
erschöpften  Nährboden  dagegen  liefern  die  Conidien  ein  spärliches  Mycel, 
welches  sich  sofort  und  ausschliesslich  durch  Geschlechtszellen,  die  sich 
zu  Zygosporen  verbinden,  fortpflanzt. 

Reichliche  Ernährung  begünstigt  bei  Pflanzen,  wie  die  Erfahrung 
der  Gärtner  lehrt,  die  vegetative  Vermehrung  und  behindert  die  Samen- 
bildung, während  umgekehrt  Blüthen-  und  Sanienbildung  befördert  wird 
durch  Beschränkung  des  vegetativen  Wachsthums  (Beschneiden  von 
Wurzeln  und  Sprossen)  und  dadurch  hervorgerufene  Hemmung  des 
Nahrungszuflusses. 

Auch  für  Thiere,  die  sich  auf  parthenogenetischem  Wege  vermehren, 
liegen  entsprechende  Beobachtungen  vor.  Wenn  der  Phylloxera  vastatrix 
die  Nahrung  entzogen  wird,  so  kommen  alsbald,  wie  Keller  (VII.  26) 
durch  Experimente  gezeigt  hat,  die  geflügelten  Geschlechtsformen  zum 
Vorschein,  und  es  werden  befruchtete  Eier  abgelegt. 

In  manchen  Fällen,  namentlich  bei  niederen  Orga- 
nismen, ist  die  Befruchtungsbedürftigkeit  nur  eine 
relative. 

Wenn  bei  der  Alge  Ectocarpus  (VII.  51)  die  weibliche  Gamete 
zur  Buhe  gekommen  ist,  so  ist  sie  für  wenige  Minuten  empfängnissfähig 
geworden.  ,, Erfolgt  in  dieser  Zeit  keine  Befruchtung,  so  wird  der 
Geisselfaden  vollständig  eingezogen,  das  Ei  rundet  sich  ab  und  scheidet 
eine  Cellulosehaut  aus.  Nach  24 — 48  Stunden  zeigen  sich  dann  die 
ersten  Spuren  einer  parthenogenetischen  Keimung."  Sogar  die  männ- 
lichen Gameten  sind  hier,  wenn  auch  in  geringerem  Grade  als  die  weib- 
lichen, spontan  entwicklungsfähig.  Nachdem  dieselben  mehrere  Stunden 
herumgeschwärmt  sind,  gelangen  sie  schliesslich,  wie  Berthold  mittheilt, 
zur  Buhe,  „aber  nur  ein  Theil  entwickelt  sich  langsam  zu  sehr  schwäch- 
lichen und  empfindlichen  Keimpflanzen,  ein  anderer  Theil  desorganisirt 
sich  sogleich  oder  nach  Verlauf  von  ein  bis  zwei  Tagen". 

Ein  sehr  eigenthümliches,  facultatives  Verhältniss  zeigen  die  Bienen, 
deren  Eier  sich,  gleichgültig  ob  sie  befruchtet  werden  oder  nicht,  wieder 
zu  Bienen  entwickeln.  Nur  liefern  sie  im  unbefruchteten  Zustand 
Drohnen,  dagegen  in  Folge  der  Befruchtung  weibliche  Thiere  (Arbeits- 
bienen und  Königinnen).  Zuweilen  entstehen  Zwitter,  wie  Leuckart 
meint,  aus  Eiern,  bei  denen  die  Befruchtung  zu  spät  erfolgte,  um  die  in 
männlicher  Richtung  fortgeschrittene  Entwicklung  ganz  umzugestalten. 
Die  Möglichkeit,  durch  äussere  Eingriff'e  in  Geschlechtszellen  den  Eintritt 
der  Befruchtungsbedürftigkeit  zu  beschleunigen  oder  sie  im  entgegen- 
gesetzten Fall  aufzuhalten  und  eventuell  aufzuheben,  wirft  Licht  auf  die 
Erscheinungen  der  Parthenogenese  und  Apogamie,  auf 
welche  wir  jetzt  noch  viertens  näher  einzugehen  haben. 

a)   Die  Parthenogenese. 

In  den  meisten  Fällen  sind  die  Geschlechtszellen  im  Thier-  und 
Pflanzenreich,  wenn  sie  nicht  rechtzeitig  zur  Copulation  gelangen,  un- 
fehll)ar  dem  raschen  Untergang  verfallen.    Obwohl  aus  eminent  entwick- 


V.    Die  Ersfheiuungfen  und  das  Wesen  der  13etVuchtuu|^-.  237 

luiiiisfähioer  Substanz   bestehend,   können  sie   sich   trotzdem  nicht  beim 
Fehlen  der  einen  Bedingunii  entwickeln. 

Von  der  Unmöiilichkeit  spontaner  Entwicklunp;  der  Eizellen  waren 
die  meisten  Naturforscher  bis  vor  Kurzem  so  sehr  überzeuut,  dass  sie 
die  Angaben  über  Jungfernzeugung  bei  einzelnen  Thierarten  ungläubig 
aufnahmen,  weil  sie  in  ihnen  einen  Verstoss  gegen  ein  Naturgesetz  er- 
blickten. Und  in  der  That  kann  es  ja  für  die  Säugethiere  und  für  die 
meisten  anderen  Organismen  als  ein  Naturgesetz  bezeichnet  werden,  dass 
ihre  männlichen  und  weiblichen  Geschlechtszellen  für  sich  allein  absolut 
entwicklungsuufähig  sind.  Eine  Säugethierart  würde  unfehlbar  aussterben, 
wenn  ihre  männlichen  und  weiblichen  Individuen  sich  nicht  zum  Zeugungs- 
akt verbänden.  Trotzdem  kann  es  nicht  als  ein  allgemeines  Naturgesetz 
bezeichnet  werden,  dass  die  Eier  ohne  Befruchtung  auch  stets  entwick- 
lungsunfähig sind. 

Sowohl  im  Pflanzenreich  wie  im  Thierreich  kommen  zahlreiche  Fälle 
vor,  dass  in  besonderen  Geschlechtsorganen  Zellen  gebildet  werden, 
welche  ihrer  ganzen  Anlage  nach  ursprünglich  bestimmt  waren,  sich  als 
Eier  durch  Befruchtung  zu  entwickeln,  welche  aber  die  Befruchtungs- 
bedürftigkeit nachträglich  verloren  haben  und  sich  in  Folge  dessen  ganz 
wie  vegetative  Fortpfianzungszellen,  wie  Sporen,  verhalten. 

Eine  höhere  Alge,  die  Chara  crinita,  findet  sich  im  ganzen  nörd- 
lichen Europa  nur  in  weiblichen  Exemplaren.  Trotzdem  werden  in  ihren 
Oogonien  Eier  gebildet,  die  sich  auch  ohne  Befruchtung  zu  normalen, 
keimfähigen  Früchten  entwickeln. 

Noch  lehrreicher  sind  die  Fälle  von  Parthenogenese  im  Thierreich. 
Sie  sind  namentlich  bei  kleinen  Thieren  aus  dem  Stamm  der  Arthro- 
poden, bei  Rotatorien,  Aphiden,  Daphnoiden,  Lepidopteren  etc.  beobachtet 
worden.  Dieselben  Weibchen  liringen  zu  gewissen  Zeiten  in  ihrem  Eier- 
stock nur  Eier  hervor,  welche  sich  ohne  Befruchtung  entwickeln,  und  zu 
anderer  Zeit  wieder  Eier,  welche  der  Befruchtung  bedürfen.  Beide 
physiologisch  so  verschiedenen  Eier  unterscheiden  sich  gewöhnlich  auch 
in  ihreni  Aussehen.  Die  parthenogenetischen  Eier  sind  ausserordentlich 
klein  und  dotterarm  und  werden  demgemäss  in  grösserer  Zahl  und  in 
kurzer  Zeit  entwickelt.  Die  befruchtungsbedürftigen  Eier  dagegen  über- 
treffen sie  um  ein  Vielfaches  an  Grösse  und  Dotterreichthum  und  brauchen 
längere  Zeit  zu  ihrer  Entwicklung.  Da  die  ersteren  allein  im  Sommer, 
die  letzteren  hauptsächlich  bei  Beginn  der  kalten  Jahreszeit  gebildet 
werden,  hat  man  sie  auch  als  Sommer-  und  Wintereier  unter- 
schieden. Letztere  heissen  auch  Dauer  ei  er,  da  sie  nach  der  Be- 
fruchtung eine  längere  Ruheperiode  durchmachen  müssen,  während  die 
Sommereier  immer  sofort  wieder  in  den  Entwicklungsprocess  eintreten 
(Subitaneier). 

Eine  Beziehung  zu  äusseren  Bedingungen  ist  bei  der  Entwicklung 
der  parthenogenetischen  Sommereier  und  der  befruchtungsbedürftigen 
Wintereier  unverkennbar.  Bei  den  Aphiden  begünstigt  reichliche  Er- 
nährung die  Bildung  von  Sommereiern,  während  Nahrungsbeschränkung 
die  Erzeugung  befruchtungsbedürftiger  Eier  veranlasst.  Auch  bei  den 
Daphnoiden  bestehen  augenscheinlich  Beziehungen  zu  den  äussern  Lebens- 
bedingungen,  wenn  auch  die  einzelnen  Factoren  sich  experimentell 
weniger  leicht  feststellen  lassen.  Es  geht  dies  schon  daraus  hervor,  dass 
bei  den  einzelnen  Arten  der  Daphnoiden,  je  nacli  den  Lebensbedin- 
gungen, unter  denen  sie  sich  befinden,  der  Generationscyclus  ein  ver- 
schiedenes Aussehen  gewinnt. 


238  Siebeutes  Capitel. 

Bewohner  kleiner  Pfützen,  die  leicht  austrocknen,  brin.uen  nur  eine 
oder  wenige  Generationen  von  Weil)chen  hervor,  die  sicli  auf  unge- 
schlechtlichem Wege  vermehren,  dann  werden  schon  befruchtungsbedürf- 
tige  Eier  erzeugt,  so  dass  im  Laufe  eines  Jahres  mehrere  Zeugungskreise 
(bestehend  aus  Jungfernweibchen  und  Geschlechtsthierenj  aufeinander 
folgen.  See-  und  Meerbewohner  dagegen  erzeugen  eine  lange  Reihe 
von  Jungfernweibchen,  ehe  es  gegen  Ende  der  warmen  Jahreszeit  zur 
Ablage  von  befruchtungsbedürftigen  Dauereiern  kommt.  Ein  Zeugungs- 
kreis füllt  daher  hier  ein  ganzes  Jahr  aus.  (Polycyklische  und  monocyk- 
lische  Arten  von  Weismann.) 

Weismann  (VII.  39),  der  den  Gegenstand  einer  sehr  eingehenden 
Prüfung  unterworfen  hat,  bemerkt,  „dass  ein-  und  zweigeschlechtliche 
Generationen  in  verschiedener  Weise  bei  den  Daphnoiden  miteinander 
abwechseln  und  dass  der  Modus  ihres  Wechseins  in  auffallender  Be- 
ziehung zu  den  äusseren  Lebensverhältnissen  steht.  Je  nachdem  Ver- 
nichtungsursachen (Kälte,  Austrocknen  u.  s.  w.)  mehrmals  im  Jahre  oder 
nur  einmal  oder  gar  nicht  die  Colonien  einer  Art  heimsuchen,  finden  wir 
Daphnoiden  mit  mehrfachem  Cyclus  innerhalb  eines  Jahres  oder  mit 
einem  Cyclus  oder  schliesslich  sogar  Arten,  welche  gar  keinen  Gene- 
rationscyclus  mehr  erkennen  lassen,  und  wir  können  danach  polycyklische, 
monocyklisohe  und  acyklische  Arten  unterscheiden". 

Bei  manchen  Arten,  die  häufig  wechselnden  Bedingungen  ausgesetzt 
sind,  beol)achtet  man,  dass  von  den  im  Eierstock  sich  entwickelnden 
Eiern  einige  sich  zu  Sommereiern  ausbilden ,  während  andere  den  An- 
satz machen,  zu  Wintereiern  zu  werden.  Es  findet  nach  einem  Aus- 
spruch von  Weismann  im  Körper  der  Weibchen  „gewissermaassen  ein 
Kampf  statt  zwischen  der  Tendenz  zur  Bildung  von  Dauereiern  und 
derjenigen  zur  Bildung  von  Sommereiern." 

So  kann  man  namentlich  bei  Da])hnia  pulex  zwischen  mehreren 
Sommereiern  öfters  die  Anlage  eines  Dauereies  im  Ovarium  erkennen, 
welche  einige  Tage  wächst,  sogar  beginnt,  den  feinkörnigen,  charakte- 
ristischen Dotter  in  sich  abzulagern,  dann  aber  in  der  Entwicklung  stille 
steht ,  um  sich  sodann  allmählich  aufzulösen  und  vollständig  zu  ver- 
schwinden. Wenn  Wintereier  entwickelt  worden  sind,  dieselben  aber  in 
Folge  der  Abwesenheit  von  Männchen  nicht  befruchtet  werden  können, 
so  zerfallen  sie  nach  einiger  Zeit,  und  es  kommt  jetzt  wieder  zur  Ent- 
stehung von  Sommereiern, 

Wie  erklärt  es  sich  nun,  dass  von  Eiern,  die  in  demselben  Keim- 
stock nacheinander  entstehen,  die  einen  der  Befruchtung  bedürfen,  die 
anderen  nicht V  Weismann  (VII.  40),  Bloclimann  (VII.  44),  Platner  (VII. 
47)  und  Andere  haben  die  sehr  interessante  Entdeckung  gemacht,  dass  in 
der  Bildung  der  Polzellen  (siehe  darüber  Seite  189)  ein  wichtiger  und 
ziemlich  durchgreifender  Unterschied  zwischen  parthenogenetischen  und 
befruchtungsbedürftigen  Eiern  besteht.  Während  nämlich  bei  letzteren  zwei 
Polzellen  wie  gewöhnlich  abgeschnürt  werden,  unterbleibt  bei  ersteren  die 
Entwicklung  der  zweiten  Polzelle  und  in  Folge  dessen  auch  die  mit  diesem 
Vorgang  sonst  verbundene  Beduction  der  Kernsubstanz.  Der  Ei  kern 
des  Sommereies  der  Daphnoiden  z.B.  besitzt  daher  auch  ohne 
Befruchtung  die  ganze  Nucleinmasse  eines  Normalkerns. 

Es  ist  aber  leicht  einzusehen,  dass  durch  dies  interessante  Verhalten 
das  Wesen  der  Parthenogenese  selbst  in  keiner  Weise  erklärt  wird. 
Denn  das  Sommerei  hat  ja  die  Neigung,  sich  ohne  Befruchtung  zu  ent- 
wickeln,  schon  ehe  es  zur  Bildung  der  Polzellen  schreitet,  wie  aus  der 


V.    Die  Ersclieinungeu  und  das  Wesen  der  BetVucIituncr.  239 

geringen  Ansammlung  des  Dotters,  der  al)weichenden  Beschaft'enlieit  der 
Hüllen  etc.  hervorgeht.  Das  Ei  wird  nicht  dadurch  partheno- 
genetisch,  weil  es  die  zweite  Polzelle  nicht  bildet,  sondern 
weil  es  schon  für  partheno genetische  Entwicklung  be- 
stimmt ist,  bildet  es  die  zweite  Polzelle  nicht;  es  bildet 
sie  nicht,  weil  unter  diesen  Verhältnissen  eine  Pieduc- 
tion  der  Kernmasse,  die  ja  eine  nachfolgende  Befruch- 
tung zur  Voraussetzung  hat,  keinen  Zweck  mehr  hat. 

Auf  dem  Gebiet  der  Parthenogenese  sind  noch  manche  eigenthüm- 
liche  Erscheinungen  beoliachtet  worden,  deren  genaueres  Studium  wahr- 
scheinlich zur  Klärung  dieser  und  jener  Frage  noch  Manches  beitragen 
wird.  Eine  solche  Erscheinung,  deren  Tragweite  zur  Zeit  noch  nicht 
übersehen  werden  kann,  ist  die  Thatsache,  dass  der  Vorbereitungsprocess 
für  die  Befruchtung  sogar  dann,  wenn  er  schon  weiter  als  bis  zur  Bil- 
dung der  ersten  Polzelle  geschritten  ist,  wieder  rückgängig  gemacht 
werden  kann. 

Bei  manchen  Thieren  machen  die  Eier,  wenn  sie  nicht  zu  normaler 
Zeit  befruchtet  werden,  gewissermaassen  noch  einen  Ansatz  zu  einer 
parthenogeuetischen  Entwicklung.  Von  den  Eiern  mancher  Würmer, 
einzelner  Arthropoden,  Echinodermen ,  ja  selbst  Wirbelthiere  (Vögel) 
werden  Angal>en  gemacht,  dass  sie  auch  bei  Abwesenheit  von  männlichem 
Samen  sich  zu  furchen,  eventuell  selbst  Keimblätter  zu  bilden  beginnen, 
dann  aber  in  ihrer  Entwicklung  still  stehen  bleiben  und  absterben. 
Almorme,  äussere  Verhältnisse  scheinen  das  Zustandekommen  solcher 
Parthenogenese  in  einzelnen  Fällen  zu  begünstigen,  wie  z.  B.  bei  Astera- 
canthion.  In  derartigen  Fällen  ist  nun  von  Boveri  bei  Nematoden  und 
bei  Pterotrachea,  von  mir  bei  Asteracanthion  folgender  bemerkenswerther 
Vorgang  bei  der  Entstehung  der  Polzellen  beobachtet  worden. 

Nach  der  Abschnürung  der  ersten  Polzelle  ergänzt  sich  die  im  Ei 
zurückgebliebene  Spindelhälfte  wieder  zu  einer  Vollspindel,  als  ob  jetzt 
noch  die  zweite  Polzelle  abgeschnürt  werden  soll.  Trotzdem  unter- 
bleibt ihre  Bildung:  denn  aus  der  zweiten  Spindel  gehen  durch  Theilung 
nur  zwei  Keine  hervor,  die  im  Ei  selbst  bleiben.  Hier  verschmelzen  sie 
nach  einiger  Zeit,  indem  sie  sich  nach  der  Mitte  des  Dotters  hin  bewegen, 
nachträglich  wieder  miteinander  und  liefern  so  gewissermaassen 
durch  eine  Selbstbefruchtung  wieder  einen  Kern,  durchweichen 
die  bald  nachfolgenden,  parthenogeuetischen  Processe  eingeleitet  werden. 
Es  wird  hier  also  die  zweite  Theilung,  welche  die  Pieduction  der  Kern- 
masse und  eine  nachfolgende  Befruchtung  zum  Zweck  hat,  wieder  rück- 
gängig gemacht.  Dass  hierdurch  kein  ausreichender  Ersatz  für  den 
Ausfall  der  Befruchtung  geschaffen  ist,  lehrt  der  weitere  Verlauf  des  in 
Scene  gesetzten,  parthenogenetischen  Entwicklungsprocesses,  nämlich  das 
mehr  oder  minder  früh  erfolgende  Absterben  des  Keimes. 

Aus  dem  Umstand,  dass  bei  parthenogeneti scher  Entwicklung  die 
Bildung  der  zweiten  Polzelle  unterbleibt  oder  wieder  rückgängig  gemacht 
wird,  könnte  man  den  Schluss  ziehen,  dass  eine  Entwicklung  in  allen 
Fällen  unmöglich  gemacht  sei,  wo  sich  schon  die  Reduction  der  Kern- 
masse auf  die  Hälfte  des  Normalmaasses  vollzogen  habe  und  dass  sie 
dann  nur  durch  Befruchtung  wieder  hervorgerufen  werden  könne. 

Zur  Zeit  kann  auch  dieser  Schluss,  der  vielleicht  etwas  Wahres  in 
sich  schliesst,  nicht  als  ein  allgemein  gültiger  bezeichnet  werden.  Denn 
von  Platner  (VH.  47),  Blochmann  (VH.  46)  und  Henking  (VII.  17)  werden 
Beobachtungen  mitgetheilt,  dass  Eier  von  gewissen  Arthropoden  (Liparis 


240  .Siebentes  Capitcl. 

(lispar,  Bienen),  tiotzdeni  sie  wie  befruchtungsbeclürfti?:e  Eier  zwei  Pol- 
zellen geliefert  haben,  sich  doch  anf  parthenogenetischeni  Wege  zu  nor- 
malen Thieren  entwickeln.  Allerdings  ist  in  diesen  Fällen  eine  genauere 
Feststellung  des  Sachverhalts  mit  lUicksicht  auf  die  Zahl  der  Kernseg- 
mente noch  wünschenswerth. 

Principiell  nuiss  jedenfalls  die  Möglichkeit  zugegeben  werden ,  dass 
Eier,  die  nach  Bildung  zweier  Polzellen  reducirte  Kerne  enthalten, 
sich  doch  noch  partlienogenetisch  weiter  entwickeln  können.  Denn  an 
Nucleinmasse  reducirte  Kerne  haben  keineswegs  ihr  Theilvermögen  ver- 
loren, wie  man  leicht  glauben  könnte.  Besonders  schlagend  beweist 
dies  ein  von  Richard  Hertwig  und  mir  (VI.  38,  32)  an  den  Eiern  der 
Seeigel  ausgeführtes  Experiment. 

Man  kann  durch  kräftiges  Schütteln  die  Eier  von  Seeigeln  in  kleine, 
kernlose  Stücke  zerlegen,  die  sich  abrunden  und  während  längerer 
Zeit  noch  Lebensfähigkeit  aufweisen.  Die  Stücke  lassen  sich  durch  Samen 
befruchten.  Hierbei  konnte  regelmässig  festgestellt  werden ,  dass  der 
Samenkern  oder,  was  noch  häufiger  der  Fall  war,  die  in  Mehrzahl  ein- 
gedrungenen Samenkerne  sich  zu  kleinen,  typisch  gebauten  Kernspindeln 
mit  zwei  Strahlungen  an  ihren  Polen  umwandelten.  Indem  hierauf  der 
Samenkern  sich  in  Tochterkerne  theilte,  die  sich  ilirerseits  wieder  durch 
indirecte  Theilung  vermehrten,  zei-fiel  das  Eifragment  in  einen  Haufen 
von  vielen,  kleinen  Embryonalzellen.  Boveri  (VIII.  2)  hat  diese  Ent- 
deckung nocli  weitei"  verfolgt  und  ist  zu  dem  wichtigen  Ergeliniss  ge- 
langt, dass  sich  aus  einem  grösseren,  kernlosen,  einfach  befruchteten  Ei- 
fragment sogar  eine  normale,  nur  entsprechend  kleinere  Larve  züchten  lässt. 

b)   Die  A  p  o  g  a  m  i  e. 

Au  die  Parthenogenese  lassen  sich  noch  die  ihr  sehr  nahe  stehen- 
den Erscheinungen  anschliessen ,  welche  de  Bary  (VII.  2)  unter  dem 
Namen  Apogamie  zusammengefasst  hat. 

Apogamie  wurde  bei  einigen  Farnkräutern  beobachtet.  Bei  den- 
selben findet  bekanntlich  eine  Entwicklung  mit  Generationswechsel  statt. 
Aus  vegetativen  Fortpflanzungszellen ,  den  Sporen ,  keimen  kleinste 
Pflänzchen,  die  Prothallien,  hervor,  die  bestimmt  sind,  männliche  und 
weibliche  Geschlechtsorgane  und  aus  letzteren  Eier  zu  bilden.  Wenn 
die  Eier  befruchtet  werden,  liefern  sie  wieder  auf  vegetativem  Wege  ein 
sich  fortpflanzendes  Farnkraut. 

Bei  Pteris  cretica  und  Asplenium  filix  femina  cristatum  und  falcatum 
ist  nun  der  sonst  so  constante  Generationswechsel  durchbrochen.  Ent- 
weder erzeugen  die  Prothallien  dieser  drei  Arten  überhaupt  keine  Ge- 
schlechtsorgane oder  nur  solche,  die  nicht  mehr  in  Function  treten,  also 
rudimentär  geworden  sind :  dagegen  entsteht  aus  jedem  Prothallium  durch 
vegetative  Sprossung  ein  neues  Farnkraut. 

Da  es  sich  bei  den  drei  Farnarten  um  Culturpflanzen  handelt,  so 
liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  die  Entwicklung  befruchtungsbedürftiger 
Zellen  durch  die  überreiche  Ernährung  unterdrückt  und  die  vegetative 
Vermehrung  begünstigt  worden  ist. 

2)  Die  sexuelle  Affinität. 

Unter  sexueller  Affinität  verstehe  ich  Wechselwirkungen,  welche 
befruchtungsbedürftige  Zellen  verwandter  Art  aufeinander  ausüben  in  der 


V.    Die  Erscheinungen  »nd  das  Wesen  der  Befruchtung.  241 

Weise,  dass  sie  in  bestimmte  Nähe  zu  einander  gel)rac'ht,  sich  anziehen, 
sich  verbinden  und  in  eins  verschmelzen,  wie  zwei  chemische  Körper, 
zwischen  denen  nicht  gesättiote,  chemische  Affinitäten  bestehen.  Wenn 
beide  Geschlechtszellen  beweglich  sind,  so  stürzen  beide  aufeinander  zu; 
wenn  die  eine  Zelle  als  Ei  unbeweglich  geworden  ist,  so  wird  die  wechsel- 
seitige Anziehung  sich  in  der  Bewegungsrichtung  des  Samenfadens  be- 
sonders bemerkbar  machen.  Aber  auch  nach  der  Verschmelzung  der 
beiden  Zellen  wirkt  die  sexuelle  Affinität  noch  weiter  und  äussert  sich  in 
der  Anziehung,  welche  Ei-  und  Samenkern,  mit  ihren  Centralkörperchen 
auf  einander  ausüben  und  zu  den  früher  beschriebenen  Aneinanrlerlage- 
rungen  und  Verschmelzungen  führen. 

Es  bleibt  nun  zweierlei  in  diesem  Abschnitt  an  Beispielen  zu  be- 
weisen, erstens,  dass  zwischen  befruchtungsbedürftigen  Zellen  überhaupt 
Wechselwirkungen  bestehen,  welche  mit  dem  Namen  sexuelle  Affinität 
bezeichnet  werden  können,  und  zweitens,  dass  diese  Affinität  nur  zwischen 
Zellen  bestimmter  Art  in  Wirksamkeit  tritt,  woran  sich  die  Frage  schliesst, 
welcher  Art  die  befruchtungsbedürftigen  Zellen  sein  müssen. 

a)  Die  sexuelle  Ajffinität  im  Allgemeinen. 

Dass  Geschlechtszellen  auf  eine  gewisse  Entfernung  hin  eine  deutlich 
nachweisbare,  eigenartige  Einwirkung  aufeinander  ausüben,  geht  aus 
zahlreichen  Mittheilungen  zuverlässiger  Beobachter  hervor.  Ich  be- 
schränke mich  auf  einige  besonders  lehrreiche  Fälle,  welche  von  Falkeu- 
berg,  de  Bary,  Engelmann,  Juranyi,  Fol  beschrieben  worden  sind. 

Falkenberg  (VII.  10)  hat  den  Befruchtungsvorgang  an  einer  niederen 
Algengattung  Cutleria  verfolgt.  Zu  empfängnissfähigen,  zur  Ruhe  ge- 
kommenen Eiern  von  Cutleria  adspersa  setzte  er  lebhaft  schwärmende 
Samenfäden  von  der  nahe  verwandten  und  äusserlich  nur  durch  geringe 
Differenzen  unterscheidbaren  Cutleria  nmltifida  hinzu.  „In  solchen  Fällen 
sah  man  die  Spermatozoiden  unter  dem  Mikroskop  ziellos  umherirren 
und  endlich  absterben,  ohne  an  den  Eiern  der  verwandten  Algenspecies 
den  Befruchtungsakt  vollzogen  zu  haben.  Freilich  blieben  einzelne  Sper- 
matozoiden, welche  zufällig  auf  die  ruhenden  Eier  stiessen,  momentan 
an  diesen  hängen,  aber  nur  um  sich  eben  so  schnell  wieder  von  ihnen 
loszureissen.  Ganz  anders  aber  wurde  das  Bild  unter  dem  Mikroskop, 
sobald  man  auf  derartigen  Präparaten  den  Spermatozoiden  auch  nur  ein 
einziges  befruchtungsfähiges  Ei  der  gleichen  Species  hinzusetzte.  Wenige 
Augenblicke  genügten,  um  sämmtliche  Spermatozoiden  von  allen  Seiten 
her  um  dies  eine  Ei  zu  versammeln,  selbst  wenn  dasselbe  mehrere 
Centimeter  von  der  Hauptmasse  der  Spermatozoiden  entfernt  lag."  Dabei 
überwanden  sie  selbst  die  Kraft,  welche  sie  sonst  dem  einfallenden  Licht 
entgegenführt  und  wurden  befähigt,  die  dem  Lichteinfall  entgegengesetzte 
Richtung  einzuschlagen. 

Falkenberg  zieht  aus  seinen  Beobachtungen  den  Schluss,  dass  die 
Anziehungskraft  zwischen  den  Eiern  und  Spermatozoiden  von  Cutleria 
sich  auf  verhältnissmässig  bedeutende  Distanzen  geltend  macht  und  in 
ihnen  selbst  ihren  Sitz  haben  muss,  dass  auf  der  anderen  Seite  aber 
diese  Anziehungskraft  nur  zwischen  den  Geschlechtszellen  derselben 
Species  existirt. 

Bei  Untersuchung  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  von  Perono- 
sporeen  hat  de  Bary  (VII.  2  b)  beobachtet,  dass  in  durcheinander  ge- 
wachsenen Thallusfäden  sich  zunächst  die  Oogonien  anlegen.    Etwas  später 

Hertwig,   Die  Zelle  und  die  Gewebe.  16 


242  Siebentes  Cajiitel. 

entstehen  die  Antheridien,  aber  stets  nur  in  unmittelbarer  Xac]il)arsehaft 
der  Eizelle  und  zwar  sehr  häufig  aus  Thiillusfäden,  die  mit  dem  Faden, 
aus  dem  das  Oogonium  abstammt,  selbst  keinen  Zusammenhang  haben. 
De  Bary  schliesst  hieraus,  dass  vom  Oogonium  auf  eine  geringe  Distanz 
eine  Wirkung  ausgehen  müsse,  durch  welche  der  Thallusfaden  zur  Bildung' 
eines  Antheridiums  veranlasst  werden  müsse.  Besonders  alier  erblickt 
er  eine  Fernwirkung  darin,  dass  der  das  Antheridium  liefernde  Schlauch 
bei  seiner  Annäherung  an  das  Oogonium  von  seiner  Wachsthumsrichtung 
abgelenkt  wird,  sich  mit  seinem  Ende  ihm  zuneigt  und  sich  ihm  dann 
dicht  anlegt.  De  Bary  schätzt  die  Distanz,  in  welcher  das  Oogonium  ab- 
lenkend wirkt,  auf  ungefähr  die  Grösse  des  Oogoniumdurchmessers  und 
bemerkt  dazu:  „Die  beschriebene  Ablenkung  der  Nebenäste  lässt  sich 
auf  keine  andere  als  in  den  besonderen  Eigenschaften  des  Oogoniums 
selbst  gelegene  Ursache  zurückfüjiren". 

Nicht  minder  interessant  und  bemerkenswerth  sind  die  Angaben,  die 
Engelmann  (VII.  9)  über  die  Conjugation  von  Vorticella  mikrostoma 
gemacht  hat  Bei  dieser  Art  bilden  sich  durch  Knospung  (siehe  Seite  183) 
kleine,  männliche  Schwärmzellen,  die  dann  wie  Samenfäden  die  grossen 
weiblichen  Individuen  befruchten  (Seite  217).  In  vier  Versuchen  glückte 
es  Engelmann,  die  Knospe  nach  ihrer  Abtrennung  von  der  Mutterzelle 
zu  verfolgen,  bis  sie  sich  mit  einem  anderen  Individuum  verbunden  hatte. 

„Anfangs  schwärmte  die  Knospe",  so  lautet  die  Darstellung  von 
Engelmann,  „mit  ziemlich  constanter  Geschwindigkeit  (etwa  0,6 — 1  mm 
in  der  Secunde)  und  immer  um  ihre  Längsaxe  rotirend,  meist  in  ziemlich 
gerader  Richtung  durch  den  Tropfen.  Dies  dauerte  5—10  Minuten  oder 
noch  länger,  olme  dass  etwas  Besonderes  geschehen  wäre.  Dann  änderte 
sich  plötzlich  die  Scene.  Zufällig  in  die  Nähe  einer  festsitzenden  Vorti- 
celle  gerathen,  änderte  die  Knospe,  zuweilen  Avie  mit  einem  Ruck,  ihre 
Richtung  und  nahte  nun,  tanzend  wie  ein  Schmetterling,  der  um  eine 
Blume  spielt,  der  Vorticelle,  glitt  wie  tastend  und  dabei  immer  um  die 
eigene  Längsaxe  rotii-end  auf  ihr  hin  und  her.  Nachdem  dies  Spiel 
minutenlang  gedauert  hatte,  auch  wohl  naclieinander  bei  verschiedenen 
festsitzenden  Individuen  wiederholt  worden  war,  setzte  sich  die  Knospe 
endlich  fest,  und  zwar  meist  am  al)oralen  Ende,  nahe  dem  Stiel.  Nach 
wenigen  Minuten  war  die  Verschmelzung  schon  merkbar  im  Gange." 

„Ein  in  physiologischer  und  speciell  psychophysiologischer  Beziehung 
noch  merkwürdigeres  Schauspiel,"  bemerkt  Engelmann  im  Anschluss  an 
die  oben  gegebene  Schilderung,  „beobachtete  ich  ein  anderes  Mal.  Eine 
frei  schwärmende  Knospe  kreuzte  die  Bahn  einer  mit  grosser  Geschwindig- 
keit durch  den  Tropfen  jagenden,  grossen  Vorticelle,  die  auf  die  gewöhn- 
liche Weise  ihren  Stiel  verlassen  hatte.  Im  Augenlilicke  der  Begeg- 
nung —  Berührung  fand  inzwischen  durchaus  nicht  statt  —  änderte  die 
Knospe  plötzlich  ihre  Richtung  und  folgte  der  Vorticelle  mit  sehr  grosser 
Geschwindigkeit.  Es  entwickelte  sich  eine  förmliche  Jagd .  die  etwa 
5  Secunden  dauerte.  Die  Knospe  blieb  während  dieser  Zeit  nur  etwa 
^15  mm  hinter  der  Vorticelle,  holte  sie  jedoch  nicht  ein,  sondern  verlor 
sie,  als  dieselbe  eine  plötzliche  Seitenschwenkung  machte.  Hierauf  setzte 
die  Knospe  mit  der  anfänglichen ,  geringeren  Geschwindigkeit  ihren 
eigenen  Weg  fort." 

Eine  Einwirkung  auf  Distanz  ist  auch  liei  den  Thieren  durch  Fol 
(VI  19  a)  und  zwar  an  Seesterneiern  beobachtet  worden.  Dieselben  sind 
von  einer  dünnen  Gallerthülle  umgeben.  Sowie  neue  Samenfäden  der- 
selben Art  sich  der  Obeiüäche  der  Gallerte  nähern,  übt  der  am  weitesten 


\'.    Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtung. 


243 


vorgedrungene  eine  deutlich  wahrnehmbare  Einwirkung  auf  den  Dotter 
aus  (Fig.  160).  Die  hyaline  Rindenschicht  desselben  erhebt  sich  als  ein 
kleiner  Fortsatz  und  streckt  sich  als  Empfängnisshügel  (cone  d'attraction) 
dem  Samenfaden  entgegen.  Bald  ist  er  zart  und  in  Form  einer  Nadel 
oder  einer  Zunge  ausgezogen,  ])ald  ist  er  breit  und  kurz.  Wenn  die 
Berührung  mit  dem  Samenfaden  hergestellt  ist,  wird  der  Empfängniss- 
hügel eingezogen. 

Fol  hält  die  Beobachtung  für  ganz  sicher  und  bemerkt  zu  ihr: 
„Wenn  die  Thatsache  selbst,  dass  der  Samenfaden  auf  den  Dotter,  von 
welchem  er  noch  durch  einen  relativ  beträchtlichen  Zwischenraum  ge- 
trennt ist,  eine  Wirkung  ausübt,  unbestritten  ist,  so  ist  doch  der  Mecha- 
nismus dieser  Fernwirkung  (Action  ä  distance)  nichts  weniger  als  klar." 


B 


^ 


Q 


c 


Fig.  160.  A,  B,  C  Kleinere  Abschnitte  von  Eiern  von  Asterias  glacialis 
nach  Fol. 

Die  Samenfäden  sind  bereits  in  die  Schleimhülle,  welche  die  Eier  überzieht,  ein- 
gedrungen. In  A  beginnt  sich  eine  Vorragung  gegen  den  am  weitesten  vorgedrungenen 
Samenfaden  zu  erheben.  In  B  sind  Vorragung  und  Samenfaden  zusammengetroffen. 
In  C  ist  der  Samenfaden  in  das  Ei  eingedrungen.  Es  hat  sich  jetzt  eine  Dottermembran 
mit  einer  kraterförmigen  Oeffnung  ausgebildet. 

Ich  beschränke  mich  auf  die  angeführten  Beobachtungen,  deren  Zahl 
sich  leicht  vermehren  liesse,  und  füge  noch  folgende  Worte  des  Bo- 
tanikers Sachs  (IL  33)  hinzu: 

„Zu  den  überraschendsten  Thatsachen  im  Bereich  der  Befruchtungs- 
vorgänge gehört  die  Fernwirkung  oder  gegenseitige  Anziehung  der  beiden 
Sexualzellen  aufeinander.  Ich  wähle  diesen  Ausdruck  für  die  näher  zu 
beschreibenden  Thatsachen,  weil  er  kurz  ist  und  den  Sachverhalt  wenig- 
stens bildlich  klar  bezeichnet;  mit  den  Worten  Fern  Wirkung  und  An- 
ziehung soll  aber  zunächst  nicht  gerade  der  in  der  Physik  damit  ver- 
bundene Sinn  verstanden  sein."  „In  den  zahlreichen  iBeschreibungen, 
welche  die  Beobachter  von  dem  Verhalten  der  Samenfäden  in  der  Nähe 
der  Eizelle,  der  schwärmenden  Gameten  und  der  Antheridien  in  der 
Nachbarschaft  der  Oosonien  geben,  begegnet  man  ausnahmslos  den  be- 
stimmtesten Ausdrücken  dafür,  dass  irgend  eine  gewisse  Einwirkung  der 
Sexualzellen  auf  eine  gewisse  Entfernung  hin  sich  geltend  macht  und 
zwar  immer  in  dem  Sinne,  dass  dadurch  die  Vereinigung  beider  herbei- 
geführt oder  begünstigt  wird.  Dieser  Vorgang  ist  um  so  merkwürdiger, 
als  unmittelbar  nach  stattgeliabter  Befruchtung  diese  gegenseitige  An- 
ziehung verschwunden  ist." 

Man  wird  sich  naturgemäss  die  Frage  vorlegen,  welcher  Art  Kräfte 
denn  bei  den  geschilderten  Erscheinungen  zur  Erklärung  dienen  können. 


244  Siebentes  Capitel. 

Pfeffer  hat  auf  Grund  der  früher  besprochenen  Experimente  (Seite  97) 
die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  bei  den  von  ihm  geprüften  Objecten  die 
Samenfäden  durch  chemische  Substanzen,  welche  die  Eizelle  ausscheidet, 
zu  dieser  hingelockt  werden.  Man  muss  sich  hüten,  diesen  Beobachtungen 
eine  zu  weittragende  Bedeutung  l)eizulegen,  was  der  Fall  sein  würde, 
wenn  man  mit  ihnen  die  Vereinigung  zweier  Geschlechtszellen  glaubte 
erklären  zu  können.  Nach  meiner  Ansicht  können  die  chemischen  Sub- 
stanzen ,  welche  von  den  Eizellen  ausgeschieden  werden ,  nur  unter- 
geordnete Hülfsmittel  bei  der  Befruchtung  sein,  welche  etwa  eine  ähn- 
liche Rolle  spielen,  wie  die  Schleim-  und  Gallerthüllen  mancher  Eier, 
durch  welche  die  Samenfäden  festgehalten  werden.  Dagegen  können  sie 
zur  Erklärung  der  unmittelbaren  Vereinigung  der  Geschlechtszellen  selbst, 
also  zur  Erklärung  des  eigentlichen  Befruchtungsvorgangs,  nichts  bei- 
tragen. Es  geht  dies  schon  aus  einer  einfachen  Erwägung  hervor.  Nach 
den  Untersuchungen  von  Pfeffer  wird  Aepfelsäure  von  den  Archegonien 
der  verschiedensten  Farne  ausgeschieden.  Trotzdem  verschmelzen  nur 
die  Samenfäden  derselben  Art  mit  der  Eizelle,  während  Samenfäden  einer 
andern  Art  gewöhnlich  die  Befruchtung  nicht  ausführen  können.  Hier 
liegen  demnach  Beziehungen  der  Geschlechtsproducte  zu  einander  vor, 
welche  sich  nicht  durch  Reizwirkung  ausgeschiedener,  chemischer  Stoffe 
erklären  lassen.  Dasselbe  gilt  von  der  Vereinigung  schwärmender  Ga- 
meten, von  der  Bildung  des  Empfängnisshügels  thierischer  Eier,  von 
dem  Entgegenwandern  des  Ei-  und  Samenkerns. 

Nägeli  (IX.  20)  spricht  die  Vermuthung  aus,  dass  der  geschlecht- 
lichen Anziehung  elektrische  Kräfte  zu  Grunde  liegen  möchten,  was  mir 
schon  eine  weiter  reichende  Erklärung  zu  sein  scheint.  So  lange  aber 
ein  Beweis  dafür  nicht  erbracht  ist,  wird  es  richtiger  sein,  die  geschlecht- 
lichen Erscheinungen  allgemein  auf  die  Wechselwirkungen  zweier  etwas 
verschiedenartig  organisirter  Protoplasmakörper  zurückzuführen  und  diese 
Wechselwirkungen  als  sexuelle  Affinität  zu  bezeichnen.  Wir  müssen  uns 
noch  mit  einem  solchen  allgemeinen  Ausdruck  bescheiden,  da  wir  die  in 
Wirkung  tretenden  Kräfte  nicht  genauer  analysiren  können.  Vermuthlich 
handelt  es  sich  hier  nicht  um  eine  einfache,  sondern  um  eine  sehr  zu- 
sammengesetzte Erscheinung. 

Es  wird  uns  dies  nocb  klarer  werden,  wenn  wir  jetzt  den  zweiten 
Punkt  untersuchen :  Welcher  Art  die  befruchtungsbedürftigen  Zellen  sind, 
wenn  zwischen  ihnen  eine  sexuelle  Affinität  besteht. 

b)   Die   sexuelle   Affinität  im   Einzelnen  und   die  ver- 
schiedenen Abstufungen   derselben. 

Die  Möglichkeit  und  der  Erfolg  einer  Befruchtung 
wird  wesentlich  mit  bestimmt  von  dem  Verwandtschafts- 
grad, in  welchem  die  Geschlechtszellen  zu  einander 
stehen.  Da  aber  der  Verwandtschaftsgrad  auch  der  Ausdruck  für  eine 
grössere  oder  geringere  Aehnlichkeit  in  ihrer  Organisation  ist,  so  würden 
damit  Unterschiede  in  der  Organisation  das  Ausschlag- 
gebende sein. 

Die  Verwandtschaftsgrade  zwischen  zwei  Zellen  können  ausserordent- 
lich abgestufte  sein.  Die  Verwandtschaft  ist  am  engsten,  wenn  die  beiden 
für  Befruchtung  bestimmten  Zellen  unmittelbar  von  ein  und  derselben 
Mutterzelle  abstammen;  sie  wird  eine  entferntere,  wenn  aus  der  Mutter- 
zelle viele  Zellgenerationen  hervorgegangen  sind,  von  deren  Endproducten 


V.    Die  Erscheinungen  und  das  "Wesen  der  Befruchtung.  245 

erst  Geschlechtszellen  erzeugt  werden.  Auch  hier  sind  wieder  Unter- 
fälle näherer  und  entfernterer  Verwandtschaft  möglich.  Wenn  wir  als 
Beispiel  eine  höhere  Blüthenpflanze  wählen,  so  können  die  männlichen 
und  weiblichen  Geschlechtszellen  von  ein  und  demselben  Geschlechts- 
apparat, also  von  einer  Blüthe,  oder  aber  von  verschiedenen  Blüthen 
desselben  Sprosses  oder  endlich  verschiedener  Sprosse  abstammen,  womit 
drei  verschiedene  Verwandtschaftsgrade  gegeben  sind.  Bei  zwitterigen 
Thieren  können  sie  ein  und  demselben  Individuum  angehören,  bei  Thier- 
stöcken  entweder  demselben  Individuum  oder  verschiedenen  Individuen 
desselben  Stockes. 

Noch  mehr  erweitert  sich  der  Grad  der  Verwandtschaft,  wenn  die 
Geschlechtsproducte  von  zwei  verschiedenen  Individuen  ein  und  der- 
selben Art  abstammen.  Auch  in  diesem  Falle  ergeben  sich  wieder  viele 
Verwandtschaftsgrade,  je  nachdem  die  beiden  zeugenden  Individuen  Ab- 
kömndinge  eines  gemeinsamen  Elternpaares  sind  oder  in  entfernterer, 
noch  nachweisbarer  oder  überhaupt  in  keiner  mehr  erkennbaren  Bluts- 
verwandtschaft zu  einander  stehen.  Daran  schliessen  sich  die  Ver- 
mischungen der  Geschlechtsproducte  zweier  Eltern,  die  sich  in  ihrer 
Organisation  so  weit  voneinander  unterscheiden,  dass  sie  entweder  als 
Varietäten  und  Ra(;en  einer  Art  oder  als  Angehörige  verschiedener 
Arten  oder  gar  verschiedener  Gattungen  vom  Systematiker  bezeichnet 
werden. 

Die  zahllosen  Möglichkeiten,  welche  uns  die  eben  aufgestellte  Reihe 
darbietet,  ordnet  man  gewöhnlich  in  drei  Gruppen  zusammen,  indem  man 
1)  von  Selbstbefruchtung  und  Inzucht,  2)  von  Normalbefruchtung  und 
3)  von  Bastardbefruchtung  redet.  Meist  ist  aber  viel  Willkür  mit  der 
Art  und  Weise  verbunden,  wie  man  die  einzelnen  Fälle  unter  die  drei 
Gruppen  unterordnet.  Denn  es  fehlt  an  einem  Maass,  nach  welchem 
man  in  einer  für  das  ganze  Organismenreich  gültigen  Weise  das  Ver- 
wandtschaftsverhältniss  der  Geschlechtszellen  bestimmen  könnte. 

Ein  Ueberblick  über  das  Thatsachenmaterial  wird  uns  lehren,  dass 
sowohl  zu  nahe  als  auch  zu  enge  Verwandtschaft  der  Fortpflanzungs- 
zellen —  wobei  ich  den  Ausdmck  Verwandtschaft  im  weitesten  Sinne 
fasse  —  die  geschlechtliche  Affinität  entweder  beeinträchtigt  oder  ganz 
aufhebt.  Daher  bewegt  sich  im  Allgemeinen  die  Möglichkeit  der  Be- 
fruchtung auf  einem  mittleren  Gebiet,  welches  für  einzelne  Arten  bald 
weiter  bald  enger  ist. 

Auch  hier  wird  sich  zeigen,  dass  äussere  Einwirkungen  die  geschlecht- 
liche Affinität  umzustimmen  im  Stande  sind.  Wir  besprechen  zuerst  die 
Selbstbefruchtung,  dann  die  Bastardbefruchtung,  zuletzt  die  Beeinflussung 
derselben  durch  äussere  Eingriffe. 

«)  Die  Selbstbefruchtung. 

Die  Selbstbefruchtung  liefert  uns   sehr  verschiedenartige  Ergebnisse. 

In  manchen  Fällen  besteht  keine  geschlechtliche  Affinität  zwischen 
befruchtungsbedürftigen  Zellen,  die  in  einem  nahen  Verwand tschaftsver- 
hältniss  zu  einander  stehen,  sei  es,  dass  sie  in  directer  oder  entfernterer 
Weise  von  einer  gemeinsamen  Mutterzelle  oder  von  einem  und  demselben 
höher  differenzirten,  vielzelligen  Mutterorganismus  erzeugt  worden  sind. 
Niedere  Algen,  Infusorien,  phanerogame  Pflanzen,  zwitterige  Thiere  liefern 
uns  hierfür  eine  Anzahl  Belege. 

Bei  Acetabularia  findet  die  geschlechtliche  Fortpflanzung  in  der  Weise 


246  Siebentes  Capitel. 

Statt,  (lass  Schwärnisporen  in  grösserer  Anzahl  aus  dem  Inhalt  von  Dauer- 
sporen erzeugt  werden.  Eine  Copulation  zwischen  zwei  Schwär- 
mern tritt  aber  nur  dann  ein,  wenn  sie,  wie  Strasburger  und 
de  Bary  berichtet  haben,  von  zwei  verschiedenen  Dauersporen 
abstammen,  während  die  aus  einer  und  derselben  Dauer- 
spore erzeugten  einander  ausweichen. 

„Ich  sah  um  die  Mittagstunde,"  berichtet  Strasburger  (VII.  38), 
„zwei  benachbarte,  durchaus  nicht  voneinander  unterscheidhare  Sporen 
sich  unter  meinen  Augen  öffnen  und  die  Schwärmer  beider  in  gerader 
Richtung  dem  Fensterrande  des  Tropfens  zueilen.  Hier  bot  sich  alsbald 
ein  von  dem  gewöhnlichen  durchaus  verschiedener  Anblick  dar.  Während 
ich  nämlich  sonst  die  Schwärmer  einer  und  derselben  Spore  in  gleich- 
massiger  Vertheilung  sich  sichtlich  ausweichen  sah,  bildeten  sich  jetzt 
alsbald  Copulationsknoten,  wenn  ich  so  sagen  darf,  nämlich  haufenweise 
Ansammlungen,  in  welche  sich  die  einzelnen  Schwärmer  gleichsam  hinein- 
stürzten. Solchen  Copulationscentren  sieht  man  nun  immer  neue  Paare 
vereinter  Schwärmer  enteilen." 

Bei  seinen  Infusorienstudien  hat  Maupas  (VII.  30)  durch  mehrere 
hundert  Experimente  für  vier  verschiedene  Arten  (Leucophrys,  Onycho- 
(Iromus,  Stylonichia,  Loxophyllum)  festgestellt,  dass  auch  in  der  Zeit 
der  Befruchtungsbedürftigkeit  Copulationen  nur  stattfinden,  wenn  Indi- 
viduen verschiedener  Generationscyklen  zusammengebracht  werden. 

„In  zahlreichen  Präparaten  nahe  verwandter  und  nicht  gemischter 
Individuen,"  bemerkt  Maupas,  „endete  das  Fasten,  welchem  ich  sie 
unterw^arf,  entweder  mit  Encystirung  oder  mit  dem  Tod  durch  Hunger. 
Nur  zu  einer  Zeit,  wo  schon  senile  Degeneration  in  den  Culturen  um 
sich  zu  greifen  begonnen  hatte,  sah  ich  Conjugationen  nahe  verwandter 
Individuen  in  Versuchspräparaten  eintreten.  Aber  alle  Conjugationen 
der  Art  endeten  mit  dem  Untergang  der  gepaarten  Infusorien,  welche 
nach  ihrer  Vereinigung  nicht  im  Stande  waren,  ihre  Entwicklung  fortzu- 
setzen und  sich  zu  reorganisiren.  Derartige  Paarungen  sind  daher  patho- 
logische Phänomene,  hervorgerufen  durch   senile  Degeneration." 

Maupas  glaubt  daher  auch  für  die  Infusorien  eine  ge- 
kreuzte Befruchtung  zwischen  Individuen  verschiedenen 
Ursprungs  annehmen  zu  müssen. 

Auch  bei  phanerogamen  Pflanzen  ist  für  einzelne  Fälle 
die  Wirkungslosigkeit  der  Selbstbefruchtung  nachge- 
wiesen worden.  So  berichtet  Hildebraudt  (VII.  24  Seite  Q6)  von 
Corydalis  cava: 

„Wenn  die  Blüthen  dieser  Pflanze,  bei  welchen  die  geöffneten  An- 
theren  der  Narben  eng  anliegen,  vor  Insektenbefruchtung  ganz  geschützt 
werden,  bildet  sich  aus  ihnen  niemals  eine  Frucht;  dass  hier  nicht  etwa 
der  Umstand  an  der  Fruchtlosigkeit  Schuld  ist,  dass  vielleicht  doch  der 
Pollen  nicht  an  die  empfängliche  Stelle  der  Narbe  komme,  geht  daraus 
hervor,  dass  auch  solche  Blüthen,  deren  Narben  rings  mit  dem  Pollen 
der  umgebenden  Antheren  bewischt  wurden,  dennoch  keine  Frucht  an- 
setzten. Zu  einer  vollständigen  Fruchtbildung  kommen  die  Blüthen  nur 
dann,  wenn  man  den  Pollen  von  den  Blüthen  der  einen  Pflanze  auf  die 
Narbe  der  Blüthen  einer  anderen  bringt;  zwar  entstehen  auch  Früchte, 
wenn  die  Blüthen  einer  und  derselben  Traube  miteinander  gekreuzt 
werden,  aber  diese  enthalten  bedeutend  weniger  Samen  und  kommen 
nicht  immer  zur  vollständigen  Ausbildung". 

Ebenso  ist  die  Erfolglosigkeit  der  Selbstbefruchtung  noch  für  einige 


V.    Die  Erscheinungen  luul  das  Wesen  der  Bofruclitung.  247 

andere  Ptianzen,  einzelne  Arten  von  Orchideen,  Malvaceen,  Reseda,  Lobelia, 
Verbascum  beobachtet  worden. 

Ueber  das  Verhalten  bei  zwitterigen  Thieren  liegen  leider  noch  keine 
ausgedehnteren  Versuche  vor.  Diesell;)en  würden  auch  mit  bedeutenden 
Schwierigkeiten  verbunden  sein.  Sollten  sich  nicht  hier  gleichfalls  Fälle 
finden  lassen,  in  denen  zwischen  Eiern  und  Samenfäden  desselben  Indi- 
viduums, wenn  sie  künstlicli  zusammengebracht  werden,  keine  Befruchtung 
erfolgt?    Bei  den  Schnecken  z.  B.  muss  dies  der  Fall  sein. 

Den  angeführten  Beispielen  stehen  andere  gegenüber,  die  zeigen, 
dass  zwischen  sehr  nahe  verwandten  Geschlechtszellen  sowohl  volle 
sexuelle  Affinität  besteht,  als  auch  normale  Entwicklung  bei  Selbst- 
befruchtung eintritt. 

So  können  bei  einzelnen  Conjugaten  (Rhynchonema)  Schwester- 
zellen miteinander  copuliren  oder  Zellen,  welche  wie  bei  Spirogyra, 
ein  und  demselben  Faden  ongehören.    (Siehe  Seite  227.) 

Bei  manchen  Phanerogamen  lassen  sich  die  Eizellen  mit  dem  Pollen 
derselben  Blüthe  nicht  nur  befruchten,  sondern  liefern  auch  kräftige 
Pflanzen,  und  zwar  lässt  sich  diese  Inzucht  viele  Generationen  hindurch 
mit  gleich  günstigem  Erfolg  fortsetzen. 

Zwischen  beiden  Extremen,  dem  Mangel  jeder  sexuellen  Affinität 
und  dem  vollen  Bestand  einer  solchen  bei  nahe  verwandten  Geschlechts- 
zellen kommen  Abstufungen  vor. 

Von  den  zahlreichen,  in  einem  Fruchtknoten  eingeschlossenen  Eizellen 
entwickeln  sich  bei  künstlich  vorgenommener  Selbstbefruchtung  mit  dem 
Pollen  derselben  Blüthe  nur  einzelne  und  werden  zu  reifen  Samenkörnern. 
Es  lässt  sich  hieraus  schliessen,  dass  sich  die  einzelnen  Eizellen  in  ihren 
Affinitäten  etwas  verschieden  verhalten,  dass  einige  sich  befruchten 
lassen  mit  dem  eigenen  Pollen,  andere  nicht,  Differenzen,  die  uns  in  ähn- 
licher Weise  auch   bei  der  Bastardbefruchtung  wieder  begegnen  werden. 

Endlich  scheint  auch  der  Fall  eintreten  zu  können,  dass  zunächst 
zwar  die  Eizellen  befruchtet  werden,  auch  sich  zu  entwickeln  beginnen, 
dann  aber  frühzeitig  absterben.  Hierauf  möchte  ich  die  Erscheinung 
zurückführen,  dass  manche  Blüthen,  bei  denen  man  die  Selbstbefruchtung 
künstlich  auszuführen  sucht,  rascher  verwelken,  als  wenn  der  Versuch 
nicht  gemacht  wird,  und  dass  dabei  die  Blüthen  gewisser  Orchideen 
schwarz  und  nekrotisch  werden.  Wahrscheinlich  ist  dies  eine  Folge  vom 
frühzeitigen  Absterben  und  Zerfall  der  in  Entwicklung  begriffenen  Embry- 
onen (Darwin  VII.  8). 

Die  aus  Selbstbefruchtung  erzielten  Samen  liefern  häufig  nur  schwäch- 
liche Pflanzen,  die  in  ihrer  Constitution  irgend  einen  Nachtheil  zeigen; 
auch  sind  die  Samenkörner  selbst  häufig  unvollkommen  entwickelt. 

Aus  den  Thatsacheu,  dass  bei  vielen  Organismen  sich  nahe  ver- 
wandte Geschlechtszellen  überhaupt  nicht  verbinden,  dass  bei  anderen, 
wenn  Befruchtung  zu  Stande  kommt,  der  Embryo  bald  in  seiner  Ent- 
wicklung gehemmt  wird  und  abstirbt,  dass  endlich  häufig,  auch  wenn  die 
Entwicklung  ungestört  verläuft,  doch  die  so  erzeugten  Organismen 
schwächlich  ausfallen,  lässt  sich  der  allgemeine  Schliiss  ziehen,  dass  Selbst- 
befruchtung im  Grossen  und  Ganzen  ungünstig  wirkt.  Wenn  in  einzelnen 
Fällen  eine  ungünstige  Wirkung  nicht  zu  verspüren  ist,  so  wird  durch 
solche  Ausnahmen  die  Richtigkeit  dieses  Satzes  ebenso  wenig  aufgehoben, 
als  aus  dem  Vorkommen  von  Parthenogenese  sich  ein  Einwand  gegen 
die  Ansicht,  dass  ein  grosser  Vortheil  mit  der  Befruchtung  verbunden 
sein  muss,  erheben  lässt. 


248  Siebentes  Capitel. 

Dass  der  Selbstbefruchtung  irgend  etwas  Schädliches  auliaften  niuss, 
lässt  sich  indirect  auch  aus  einem  Uel)erblick  über  das  Organismen- 
reich  erschliessen ,  welches  uns,  um  mit  Darwin  (VII.  8)  zu  reden, 
in  eindringlicher  Weise  lehrt,  dass  die  Natur  beständige  Selbstbefruch- 
tung verabscheut.  Denn  überall  sehen  wir  oft  ausserordentlich  complicirte 
Einrichtungen  getroffen,  um  Selbstbefruchtung  in  dieser  oder  jener  Weise 
zu  verhüten. 

Solche  Einrichtungen  sind:  1)  die  Vertheilung  der  Geschlechter  auf 
zwei  verschiedene  Individuen,  so  dass  das  eine  nur  weibliche,  das  andere 
nur  männliche  Geschlechtszellen  zu  erzeugen  im  Stande  ist,  2)  die 
wechselseitige  Befruchtung  zwitteriger  Thiere,  3)  die  ungleiche  Reifezeit 
von  Eiern  und  Samenfäden  bei  Pyrosomen,  manchen  Mollusken  etc., 
4)  die  von  Koelreuter,  Sprengel,  Darwin  (VII.  8),  Hildebrandt  (VII.  24), 
H.  Müller  (VII.  49)  u.  A.  entdeckten  Eigenthümlichkeiten  in  der  Organi- 
sation der  Zwitterblüthen  der  Phanerogamen,  die  Dichogamie,  Hetero- 
stylie,  die  vermittelnde  Rolle  der  Insekten,  welche  den  Pollen  von  einer 
Blüthe  auf  die  andere  übertragen  und  dadurch  Kreuzung  hervorrufen. 
Namentlich  bei  den  Blüthenpflanzen  sind  zur  Verhütung  von  Selbst- 
befruchtung die  Vorkehrungen  so  vielseitige  und  springen  oft  so  deutlich 
in  die  Augen,  dass  schon  Sprengel  in  seinem  grundlegenden  Buch: 
„Das  entdeckte  Geheimniss  der  Natur,  die  Befruchtung  der  Blumen  durch 
Insekten"  sagen  konnte:  „Die  Natur  scheint  es  nicht  haben  zu  wollen, 
dass  irgend  eine  Zwitterblume  durch  ihren  eigenen  Staub  befruchtet 
werde." 

ß)   Die  Bastardbefrachtung. 

Das  Gegenstück  zur  Selbstbefruchtung  und  zur  In- 
zucht bildet  die  B  a  s  t  a  r  d  z  e  u  g  u  n  g.  Darunter  versteht  man  die 
Verbindung  der  Geschlechtsproducte  von  Individuen,  die  in  ihrer  Organi- 
sation solche  Verschiedenheiten  zeigen,  dass  sie  vom  Systematiker  zu  ver- 
schiedenen Varietäten  und  Ragen  einer  Art  oder  zu  verschiedenen  Arten 
und  Gattungen  gerechnet  werden. 

Im  Allgemeinen  ist  der  Grundsatz  festzuhalten,  dass  die  Gesclilechts- 
producte  von  Individuen,  die  im  System  sehr  weit  auseinander  stehen, 
sich  nicht  miteinander  verbinden  lassen.  Jeder  wird  es  von  vorn  herein 
für  unmöglich  halten,  dass  sich  das  Ei  eines  Säugethieres  mit  dem  Samen 
eines  Fisches  befruchten  lasse  oder  das  Ei  eines  Kirschbaums  durch  den 
Pollen  einer  Conifere.  Je  näher  sich  aber  die  verschiedenen  Individuen 
im  System  stehen,  sei  es,  dass  sie  nur  verschiedenen  Familien  oder  Arten 
angehören  oder  selbst  nur  Varietäten  einer  Art  sind,  um  so  unmöglicher 
wird  es  a  priori  das  Ergebniss  der  Befruchtung  vorauszusagen;  nur  das 
Experiment  kann  uns  darüber  Gewissheit  verschaffen,  und  dieses  lehrt 
uns,  dass  die  einzelnen  Arten  im  Thier-  und  Pflanzenreich 
sich  gegen  Bastardbefruchtung  nicht  immer  gleich  ver- 
halten, dass  manchmal  Individuen,  die  sich  in  ihrer  Form 
bis  auf  geringfügige  Merkmale  gleichen,  sich  nicht  kreu- 
zen lassen,  während  wieder  ab  und  zu  zwischen  anderen, 
mehr  ungleichartigen  Individuen  Kreuzung  möglich  ist. 

Mit  einem  Wort:  die  geschlechtliche  Affinität  geht  nicht  immer 
parallel  zu  dem  Maass  der  äussern  Aehnlichkeit,  welche  zwischen  einzel- 
nen Pflanzen  und  einzelnen  Thieren  wahrgenommen  wird. 

Bei  so  geringfügigen  Unterschieden,  wie  sie  zwischen  Anagallis 
arvensis  und  A.  coerulea  bestehen,   die  wesentlich   nur  durch  die  Farbe 


V.    Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtung.  249 

ihrer  Blüthen  unterschieden  sind,  ist  eine  Kreuzung  zwischen  beiden 
trotzdem  ohne  Erfolg.  Von  Apfel-  und  Birnl^auni,  von  Prinuila  officinalis 
und  Pr.  elatior  hat  man  noch  keine  Bastarde  erhalten,  wählend  man 
auf  der  anderen  Seite  zwischen  Arten,  die  verschiedenen  Gattungen  ange- 
hören, wie  zwischen  Lychnis  und  Silene,  Rhododendron  und  Azaleen  etc. 
Kreuzungen  mit  Erfolg  ausgeführt  hat. 

„In  noch  auffallenderer  Weise,"  bemerkt  Sachs,  „wird  die  Verschieden- 
heit der  sexuellen  Affinität  und  systematischen  Verwandtschaft  dadurch 
bewiesen,  dass  zuweilen  die  Varietäten  derselben  Species  unter  sich  ganz 
oder  theilweise  unfruchtbar  sind ,  z.  B.  Silene  inflata  var.  alpina  mit 
var.  angustifolia ,  var.  latifolia  mit  var.  litoralis  u.  A." 

Im  Thier-  und  Pflanzenreich  giebt  es  einzelne  Gattungen,  deren  Arten 
sich  leichter  kreuzen  lassen,  während  Arten  anderer  Gattungen  allen 
Versuchen  hartnäckigen  Widerstand  entgegensetzen.  Im  Pflanzenreich 
geben  Liliaceen,  Ptosaceen,  Saliceen,  im  Thierreich  die  Forellen  und 
Karpfenarten,  die  Finkenarten  etc.  leicht  Bastarde.  Hunderacen,  die  sich 
im  Körperbau  so  ausserordentlich  unterscheiden  wie  Dachs-  und  Jagdhund, 
Seidenpinscher  und   Bernhardshund   erzeugen  miteinander  Mischformen. 

Wie  unberechenbar  für  uns  die  Factoren  sind,  um  welche  es  sich 
bei  der  Bastardbefruchtung  handelt,  gelit  nicht  minder  klar  aus  der  sehr 
häufig  zu  beobachtenden  Erscheinung  hervor,  dass  die  Eier  einer  Art  A 
sich  zwar  mit  dem  Samen  einer  Art  B  befruchten  lassen,  nicht  aber 
umgekehrt  die  Eier  von  B  mit  dem  Samen  von  A.  In  der  einen  Richtung 
besteht  also  geschlechtliche  Affinität  zwischen  den  Geschlechtszellen 
zweier  Arten,  in  der  anderen  Riclitung  aber  fehlt  sie.  Der  Ausschlag 
gebende  Factor  scheint  mir  übrigens  hierbei  in  der  Organisation  des 
Eies  zu  suchen  zu  sein,  was  sich  aus  später  mitzutheilenden  Experi- 
menten schliessen  lässt. 

Einige  Beispiele  für  solche  einseitige  Kreuzung  seien  hier  angeführt: 

Eier  von  Fucus  vesiculosus  lassen  sich  mit  Samen  von  Fucus  serratus 
befruchten,  aber  nicht  umgekehrt.  Mirabilis  Jalappe  giebt  mit  dem 
Pollen  von  Mirabilis  longiflora  befruchtet  Samen,  Avährend  die  letztere 
Art  bei  entgegengesetzter  Kreuzung  unfruchtbar  bleibt. 

Aehnliches  findet  sich  häufig  im  Tliierreich,  wo  namentlich  solche 
Arten  von  Interesse  sind,  bei  denen  man  künstliche  Befruchtung  durch 
Vermischung  der  Geschlechtsproducte  ausführen  kann.  So  nahmen  mein 
Bruder  und  ich  (VII.  20)  Kreuzungen  zwischen  verschiedenen  Echino- 
dermenarten  vor  und  fanden,  dass,  wenn  Eier  von  Echinus  mikrotuber- 
culatus  -mit  Samen  von  Strongylocentrotus  lividus  vermischt  werden,  nach 
wenigen  Minuten  überall  Befruchtung  eingetreten  ist,  indem  sich  die 
Eihaut  vom  Dotter  abhebt.  Nach  P'2  Stunden  waren  alle  Eier  in  regel- 
mässiger Weise  zwTigetheilt.  Am  folgenden  Tage  hatten  sich  flimmernde 
Keimblasen,  am  dritten  Gastrulae  entwickelt,  am  vierten  Tage  hatte  sich 
das  Kalkskelet  angelegt.  Kreuzungen  in  entgegengesetzter  Richtung 
ergaben  abweichende  Resultate.  Als  in  einem  Uhrschälchen  zu  Eiern 
von  Strongylocentrotus  lividus  Samen  von  Echinus  mikrotuberculatus 
zugefügt  wurde,  hob  sich  die  Eiliaut  nur  in  sehr  seltenen  Fällen  von 
dem  Dotter  ab.  Fast  alle  Eier  blieben  ganz  unverändert.  Nach  zw'ei 
Stunden  war  nur  hie  und  da  ein  Ei  zweigetheilt.  Bei  den  ausserordentlich 
wenigen,  sich  theilenden  Eiern  war  die  P^ihaut  entweder  nur  ein  w^enig 
abgehoben,  oder  sie  lag  dem  Dotter  noch  ziemlich  dicht  auf.  Am  anderen 
Tag  waren  im  Uhrschälchen  einige  wenige  flimmernde  Keimblaseu  zu 
bemerken,  während  die  Hauptmasse  der  Eier  noch  ganz  unverändert  war. 


250  Siebentes  Capitel. 

Ein  äliiiliches  Verliiiltniss  beobachtete  Pflüger  (VII.  50)  zwischen 
Raua  fusca  und  Rana  eseulenta.  Eier  der  ersten  Art  in  Wasserextrakt 
des  Hodens  von  Rana  eseulenta  versenkt,  blieben  stets  unbefruchtet.  Als 
jedoch  Eier  von  Rana  eseulenta  mit  Samen  aus  dem  Hoden  von  Rana 
fusca  vermischt  wurden,  entwickelten  sie  sicli  in  regelrechter  Weise  mit 
Ausnahme  einzelner,  die  sich  abnorm  theilten;  nachdem  aber  das 
Blastulastadium  erreicht  war,  starben  sie  auch  wieder  ohne  Aus- 
nahme ab. 

Die  weiteren  Folgen  der  Bastardbefruchtung,  wie  sie  sich  später  in 
der  Entwicklung  des  Kreuzungsproductes  zu  erkennen  geben,  liieten 
vielfach  Vergleichspunkte  zu  den  Folgen  der  Selbstbefruchtung.  Wenn 
auch  Befruchtung  eintritt,  sterben  in  vielen  Fällen  die  Embryonen  früh- 
zeitig ab  oder  erhalten  eine  schwächliche  Constitution. 

Bei  Kreuzung  einzelner  Echinodermen  kommen  die  Larven  nicht 
über  das  Gastrula!^tadium  hinaus.  p]benso  sah  Pflüger  die  bastardirten 
Eier  (Rana  fusca  mit  Samen  von  R.  eseulenta)  schon  als  Keimblasen  ab- 
sterben. Thierische  Bastarde,  wenn  sie  in  das  Alter  der  Geschlechtsreife 
eintreten,  sind  gewöhnlich  in  ihren  Zeugungsorganen  geschwächt  und 
bleiben  selbst  unfruchtbar. 

Aehnliches  lehrt  das  Pflanzenreich  durch  noch  zahlreichere  Beispiele. 
Zuweilen  bilden  sich  in  Folge  der  Bastardbefruchtung  zwar  Samen  aus, 
dieselben  sind  aber  mangelhaft  entwickelt  und  hie  und  da  nicht  keimungs- 
fähig. Wenn  Keimung  eintritt,  entwickeln  sich  die  Pflänzchen  bald 
schwächlich,  bald  kräftig.  ..Bastarde  zwischen  beträchtlich  verschiedenen 
Arten  sind  häufig  sehr  zart,  insbesondere  in  der  Jugend,  so  dass  die 
Aufzucht  der  Sämlinge  schwer  gelingt.  Bastarde  zwischen  näher  ver- 
wandten Arten  und  Racen  sind  dagegen  in  der  Regel  ungemein  üppig 
und  kräftig;  sie  zeichnen  sich  meistens  durch  Grösse,  Schnellwüchsigkeit, 
frühe  Blüthenreile,  Blüthenreichthum,  längere  Lebensdauer,  starke  Ver- 
mehrungsfähigkeit, ungewöhnliche  Grösse  einzelner  Organe,  und  ähnliche 
Eigenschaften  aus." 

„Bastarde  aus  verschiedenen  Arten  bilden  in  ihren  Antheren  eine 
geringere  Zahl  normaler  Samen  aus,  als  die  Pflanzen  reiner  Abkunft; 
häufig  bringen  sie  weder  Pollen  noch  Samen  hervor.  Bei  Mischlingen 
aus  nahe  verwandten  Ragen  ist  diese  Schwächung  der  sexuellen  Repro- 
duetionsfähigkeit  in  der  Regel  nicht  vorhanden." 

Im  Allgemeinen  gedeiht  das  B a s t a r d p r o d u c t  um  so 
besser,  je  näher  die  systematische  Verwandtschaft  und 
je  grösser  die  geschlechtliche  Affinität  der  Eltern  ist. 
In  einzelnen  Fällen  kann  es  dann  sogar  besser  gedeihen,  als  ein  normal 
befruchtetes  Ei.  So  liefert  Nicotiana  rustica  mit  Pollen  von  N.  Cali- 
fornica  gekreuzt  eine  Pflanze,  die  sich  zur  Höhe  der  Eltern  wie  228 :  100 
verhält  (Hensen  VII.  18). 

y)    Beeinflussung    der    geschlechtlichen   Affinität    durch    äussere 

Eingriffe. 

Wir  haben  bisher  in  den  Experimenten  über  Selbstbefruchtung  und 
Bastardbefruchtuug  die  geschlechtliche  Affinität  der  Ei-  und  Samenzellen 
schon  als  einen  ausserordentlich  unberechenbaren  Factor  kennen  gelernt, 
mit  welchem  eine  Reihe  der  verschiedenartigsten  Folgeerscheinungen  — 
Eintritt  oder  Nichteintritt  der  Befruchtung,  frühzeitig  gehemmte  oder 
geschwächte  oder  kräftige  Entwicklung  etc.  —  zusammenhängt.    Die  ge- 


V.    Die  Ersclieiniuigcu  und  das  Wesen  der  Befruchtung.  251 

schlechtliche  Affinität  erweist  sieh  aber  als  ein  noch  conipHeirteres  Phä- 
nomen, da  sich  zeigen  lässt,  dass  sie  sich  durch  äussere  p]ingriffe  in 
vielen  Fällen  beeinflussen  lässt. 

Höchst  eigenthümliche  Verhältnisse  Hessen  sich  durch  experimentelle 
Untersuchungen  über  die  Bedingungen  der  Bastardbefruchtung  bei  ein- 
zelnen Echinodermen  feststellen  (VII.  20).  Die  unbefruchteten  Eier  sind 
hüllenlos.  Trotzdem  tritt  in  der  Regel  keine  Befruchtung  ein,  wenn  Samen- 
fäden nahe  verwandter  Arten,  die  in  ihrer  Form  nicht  zu  unterscheiden 
sind,  hinzugefügt  werden,  obschon  dieselben  sich  an  die  Oberfläche  der 
Eier  ansetzen  und  bohrende  Bewegungen  ausführen.  Der  Nichteintritt  der 
Befruchtung  kann  hier  nur  dadurch  erklärt  werden,  dass  das  Ei,  wenn 
ich  so  sagen  darf,  die  ihm  nicht  adaequaten  Samenfäden  zurückweist. 

Das  ist  nun  aber  nicht  ausnahmslos  der  Fall.  Bei  Kreuzungen,  die 
zwischen  Strongylocentrotus  lividus  und  Sphaerechinus  granularis  vorge- 
nommen wurden,  kam  unter  Hunderten  inmier  eine  bald  kleinere,  bald 
grössere  Anzahl  von  Eiern  vor.  die  durch  den  fremden  Samen  befruchtet 
wurden,  während  die  grosse  Mehrheit  der  Eier  nicht  reagirte.  Die  Eier 
ein  und  desselben  Thieres  waren  also  verschieden  voneinander,  in  ähn- 
licher Weise  wie  zuweilen  die  Schwärmsporen  ein  und  derselben  Art  auf 
Licht  verschieden  reagiren  können,  indem  einige  den  positiven  Rand, 
andere  den  negativen  Rand  aufsuchen  und  wieder  andere  zwischen  beiden 
hin-  und  herschwanken  (siehe  Seite  83).  Wie  die  Schwärmsporen  eine 
verschiedene  Lichtstimmung,  so  zeigen  hier  die  Eier  eines  und 
desselben  Thieres  eine  verschiedene  Geschlechtsstimmung,  und,  was  noch 
wunderbarer  ist,  diese  Geschlechtsstimmung  kann  durch  äussere  Ein- 
ffüsse  in  hohem  Grade  beeinflusst  und  abgeändert  werden. 

Das  Verfahren  ist  ein  sehr  einfaches.  Es  lassen  sich  nämlich  die 
reifen  Echinodermeneier  nach  ihrer  Entleerung  aus  den  Eierstöcken  24 
bis  48  Stunden  unbefruchtet  in  Meerwasser  aufheben,  ohne  ihre  Ent- 
wicklungsfähigkeit zu  verlieren.  In  dieser  Zeit  aber  gehen  Verände- 
rungen in  ihnen  vor,  die  sich  in  ihrem  Verhalten  gegen  fremden  Samen 
kund  thun. 

Bei  den  Experimenten  wurden  zwei  verschiedene  Methoden  einge- 
schlagen, von  denen  die  eine  als  die  Methode  der  successiven  Nach- 
befruchtung bezeichnet  werden  kann.  Sie  besteht  darin,  dass  der  Expe- 
rimentator ein  und  dasselbe  Ei-(^)uantum  zu  wiederholten  Malen  und  zu 
verschiedenen  Zeiten  mit  fremdem  Samen  kreuzt.  Dabei  wurde  das 
wichtige  Ergebniss  gewonnen:  Eier,  welche  gleich  nach  ihrer 
Entleerung  aus  dem  strotzend  gefüllten  Eierstock  ba- 
stardirt  wurden,  wiesen  mit  Ausnahme  eines  verschwin- 
dend kleinen  Bruchtheils  den  fremden  Samen  zurück, 
aber  nach  10,  20  oder  30  Stunden,  bei  der  zweiten, 
dritten  oder  vierten  Nachbefruchtung  hatte  eine  immer 
grössere  Anzahl  von  Eiern  ein  dem  früheren  entgegen- 
gesetztes Verhalten  angenommen,  indem  sie  sich  bastar- 
diren  Hessen  und  eine  Zeit  lang  auch  völlig  normal  wei- 
ter entwickelten.  Das  Resultat  fiel  immer  in  derselben  Weise  aus, 
mochten  die  Eier  von  Strongylocentrotus  lividus  mit  Samen  von  Sphäre- 
chinus  granularis  oder  von  Echinus  mikrotuberculatus,  oder  mochten  die 
Eier  von  Sphärechinus  granularis  mit  Samen  von  Strongylocentrotus  lividus 
gekreuzt  werden. 

Das   Gelingen    oder  Nichtgelingen    der   Bastardirung   lässt    sich   in 


252  Siebentes  Capitel. 

diesen  Fällen  niclit  auf  eine  Verschiedenheit  des  Samens  zurückführen, 
da  derselbe  jedesmal  neu  aus  dem  strotzend  liefüllten  Hoden  entnonmien 
wurde  und  daher  bei  den  Versuchen  als  ein  relativ  constant  bleibender 
Factor  angesehen  werden  konnte.  Hier  ist  es  über  jeden  Zweifel  er- 
haben, dass  sich  allein  die  Eizelle  in  ihrem  Verhalten  gegen  die  Einwir- 
kung des  fremden  Samens  verändert  hatte. 

Wenn  aber  überhaupt  in  der  Eizelle  Veränderungen  eintreten  oder 
künstlich  hervorgerufen  werden  können,  durch  welche  die  Bastardirung 
gelingt,  dann  nuiss  es  vom  theoretischen  Standpunkt  aus  auch  möglich 
sein,  die  Geschlechtsproducte  zweier  Arten,  zwischen  denen  ein  gewisser 
Grad  sexueller  Affinität  besteht,  fast  ohne  Zurückbleiben  eines  unbe- 
fruchteten Restes  zu  bastardiren.  Mau  wird  dann  je  nach  den  Bedin- 
gungen, unter  denen  man  die  Geschlechtsproducte  zusammenbringt,  ein 
Minimum  und  ein  Optimum  der  Bastardirung  gewinnen  können. 

Um  diese  Verhältnisse  festzustellen,  nimmt  man  die  Experimente 
am  besten  in  der  Weise  vor,  dass  man  das  Eimaterial  eines  Weibchens 
in  mehrere  Portionen  theilt  und  zu  verschiedenen  Zeiten  befruchtet.  Stets 
erhält  man  hier  den  geringsten  Prozentsatz  von  Bastarden,  wenn  den 
Eiern  gleich  nach  der  Entleerung  aus  den  Ovarien  der  fremde  Samen 
zugesetzt  wird.  Je  später  die  Befruchtung  geschieht,  sei  es  nach  5 
oder  10  oder  20  oder  30  Stunden,  um  so  mehr  wächst  der  Prozentsatz 
der  bastardirten  Eier,  bis  schliesslich  ein  Bastardirungsoptimum  erreicht 
wird.  Als  solches  bezeichnet  man  das  Stadium,  in  welchem  sich  bei 
Zusatz  fremden  Samens  das  möglichst  grösste  Eiquantum  in  normaler 
Weise  entwickelt.  Das  Stadium  ist  von  kurzer  Dauer,  da  sich  in  den 
Eiern  für  uns  unsichtbare  Veränderungen  ohne  Unterbrechung  weiter  ab- 
spielen. Dann  beginnt  der  Prozentsatz  der  in  Folge  der  Bastardbefruch- 
tung sich  normal  entwickelnden  Eier  wieder  abzunehmen  und  zwar  haupt- 
sächlich deshalb,  weil  ein  immer  grösser  werdender  Theil  in  Folge  des 
Eindringens  mehrerer  Samenfäden  sich  ganz  unregelmässig  theilt  und 
missgebildet  wird. 

Die  Erfolge,  die  man  erhält,  wenn  das  Eimaterial  zu  verschiedenen 
Zeiten  gekreuzt  wird,  kann  man  sich  unter  dem  Bilde  einer  auf-  und 
absteigenden  Curve  darstellen,  deren  Höhepunkt  durch  das  Bastardirungs- 
optimum bezeichnet  wird.  Zur  Veranschaulichung  können  die  Ergebnisse 
von  Kreuzungen  der  Eier  von  Sphärechinus  granularis  mit  Samen  von 
Strongylocentrotus  lividus  dienen.  ^'4  Stunde  nach  Entleerung  aus  dem 
Ovarium  befruchtet  entwickeln  sich  nur  äusserst  vereinzelte  Eier  (Bastar- 
dirungsminimum).  Nach  2^4  Stunden  lassen  sich  10  **/o,  nach  6  ^i'i  Stunden 
schon  etwa  60  *^/o  und  nach  10  V  4  Stunden  fast  alle  Eier  mit  Ausnahme 
von  etwa  5  "/o  befruchten,  wobei  sie  sich  meist  in  normaler  Weise 
weiter  entwickeln  (das  Bastardirungsoptimum  ist  erreicht).  Bei  Befruch- 
tung nach  25  Stunden  entwickelt  sich  ein  Theil  normal,  ein  nicht  unbe- 
deutender Theil  in  unregelmässiger  Weise  in  Folge  von  Mehrbefruchtung, 
ein  kleiner  Rest  bleibt  unbefruchtet. 

Aus  den  an  Echinodermeneiern  erhaltenen  Resultaten  scheint  sich 
mir  eine  Erklärung  für  die  bekannte  Thatsache  zu  bieten,  dass  domesti- 
cirte  Thier-  und  Pflanzenarten  sich  im  Allgemeinen  leichter  kreuzen 
lassen,  als  nahe  verwandte  Arten  im  Naturzustande.  Durch  die  Domesti- 
cation  wird  eben  im  Ganzen  die  Constitution  verändert  und  biegsamer 
gemacht.  Dies  äussert  sich  dann  besonders  an  den  Geschlechtsproducten, 
indem  der  Generationsapparat  bei  allen  Veränderungen  im  Körper  in 
Mitleidenschaft  gezogen  wird. 


V.    Die  Erscheinungen  und  das  Wesen  der  Befruchtung.  253 

Wie  bei  iler  Bastardiruns,  lässt  sich  auch  he\  der  Selbstbefruchtung 
zeigen,  dass  die  geschlechtliche  Affinität  sich  durch  äussere  Eingriffe  um- 
stimmen lässt.  Wie  Darwin  (VII.  8)  mittheilt,  ist  Eschscholtzia  californica 
in  Brasilien  nicht  selbstfruchtbar,  nach  England  gebracht,  wird  sie  es; 
Samen  von  England  nach  Brasilien  zurückgebracht,  werden  dort  sehr 
bald  wieder  für  Selbstbefruchtung  untauglich.  Auch  individuelle  Ver- 
schiedenheit zeigt  sich  hier  in  ähnlicher  Weise.  Gleichwie  bei  Echino- 
dermen  von  Eiern  eines  Eierstocks  einige  sich  mit  fremdem  Samen 
kreuzen  lassen,  andere  nicht,  so  hat  sich  durch  das  Experiment  ergeben, 
dass  von  Reseda  odorata  einige  Individuen  mit  sich  selbst  fruchtbar  sind, 
andere  nicht.  Ebenso  wird  es  auf  ähnliche  individuelle  Unterschiede  der 
Eizellen  einer  Blüthe  zurückzuführen  sein,  dass  bei  manchen  Pflanzen 
sowohl  Selbstbefruchtung  als  auch  Bastardbefruchtung  immer  nur  viel 
weniger  Samen  liefert  als  Normalbefruchtung.  Eine  gewisse  Anzahl  von 
Eiern  werden  eben  entweder  den  fremden  Pollen  gar  nicht  annehmen, 
oder,  wenn  sie  befruchtet  werden,  frühzeitig  absterben. 

J)  Rückblick  und  Erklärungsversuche. 

Wenn  wir  jetzt  noch  auf  die  im  letzten  Kapitel  besprochenen  Er- 
scheinungen einen  Rückblick  werfen,  so  kann  es  keinem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  in  der  Befruchtungsbedürftigkeit  der  Geschlechtszellen  und 
in  der  damit  eng  zusammenhängenden,  geschlechtlichen  Affinität  ein  ausser- 
ordentlich complicirtes  Phänomen  des  Lebens  vorliegt.  Die  Factoren, 
die  hierbei  maassgebend  sind,  entziehen  sich  unserer  genauen  Kenntniss- 
nahme.  Aber  Vieles  scheint  darauf  hinzudeuten,  dass  in  geringen  Ver- 
schiedenheiten der  molekularen  Organisation  die  Bedingungen  zu  suchen 
sein  werden  dafür,  dass  hier  Eizellen  sich  parthenogenetisch,  dort  nur  in 
Folge  der  Verbindung  mit  einer  Samenzelle  zu  entwickeln  vermögen, 
dass  bald  Selbstbefruchtung  und  Bastardbefruchtung  gelingt,  bald  nicht, 
dass  die  Eizellen  ein  und  desselben  Individuums  sich  oft  bei  Selbst-  und 
Bastard befruchtung  verschieden  verhalten,  dass  der  Eintritt  von  Be- 
fruchtungsbedürftigkeit und  von  Parthenogenese,  das  Gelingen  von  Selbst- 
und  Bastardbefruchtung  durch  äussere  Eingriffe  oft  beeinflusst  werden 
können,  dass  das  Gedeihen  der  Zeugungsproducte  von  der  Art  der  Be- 
fruchtung abhängig  ist. 

Lässt  sich  nun  darüber  eine  Vermuthung  aussprechen,  wie  die  zum 
Zweck  der  Befruchtung  geeignete  moleculare  Organisation  der  Geschlechts- 
zellen sein  muss?  Die  Erscheinungen  der  Selbst-  und  Bastardbefruchtung 
verglichen  mit  der  Normalbefruchtung  sind  wohl  im  Stande,  uns  wenigstens 
einen  wichtigen  Fingerzeig  zu  geben. 

Wie  aus  den  zahlreichen  Beobachtungen  wohl  klar  hervorgeht,  wird 
der  Erfolg  der  Befruchtung  wesentlich  mit  bestimmt  durch  das  Ver- 
wandtschaftsverhältniss,  in  welchem  die  weiblichen  und  männlichen 
Geschlechtszellen  zu  einander  stehen.  Sowohl  zu  nahe,  als  zu  entfernte 
Verwandtschaft  oder  wie  wir  anstatt  dessen  auch  sagen  können,  zu  grosse 
Aehnlichkeit  oder  zu  grosse  Verschiedenheit  der  Geschlechtsproducte 
beeinträchtigen  den  Erfolg  der  Befruchtung.  Er  wird  beeinträchtigt  ent- 
weder unmittelbar  in  der  Weise ,  dass  sich  die  Geschlechtszellen  gar 
nicht  verbinden,  da  sie  keine  geschlechtliche  Affinität  zu  einander  äussern, 
oder  mittelbar  dadurch,  dass  das  Mischungsproduct  beider,  der  aus  der 
Befruchtung  hervorgehende  Keim,  nicht  ordentlich  entwicklungsfähig  wird. 
Letzteres   äussert  sich  bald  darin ,   dass  schon  nach  den  ersten  Anfangs- 


254  Siebentes  Capitel. 

Stadien  der  Kntwicldiing  der  Keim  abstirbt,  bald  darin,  dass  ein  aller- 
dings le1)ensfähiges,  aber  schwächliches  Product  entsteht,  bald  darin,  dass 
das  schwächliche  Product  durch  Vernichtung  seiner  Reproductionsfähigkeit 
zur  Erhaltung  der  Art  nicht  taugt.  Unter  allen  Fällen  gedeiht 
das  Z e u g u n  g s p r 0 d u c t  am  besten,  wenn  die  zeugenden  I n - 
dividuenund  in  Folge  dessen  auch  ihr  e  Geschlechtszellen 
unbedeutend  in  ihrer  Constitution  oder  Organisation  von- 
einander verschieden  sind. 

Es  ist  ein  grosses  Verdienst  von  Darwin  ( VII.  8),  durch  ausgedehnte 
Experimente  und  Studien  uns  eine  Grundlage  für  diese  Erkenntniss  ver- 
schafft und  sie  zuerst  klar  formulirt  zu  haben.  Ich  führe  drei  Sätze  von 
ihm  an:  „Kreuzung  von  Formen,  welche  unbedeutend  verschiedenen 
Lebensbedingungen  ausgesetzt  gewesen  sind  oder  variirt  haben,  begünstigt 
Lebenskraft  und  Fruchtbarkeit  der  Naddiommen,  während  grössere  Ver- 
änderungen oft  nachtheilig  sind."  „Der  blosse  Akt  der  Kreuzung  thut 
an  und  für  sich  nicht  gut,  sondern  das  Gute  hängt  davon  ab,  dass  die 
Lidividuen,  welche  gekreuzt  w^erden,  unbedeutend  in  ihrer  Constitution 
voneinander  verschieden  sind  und  zwar  in  Folge  davon,  dass  ihre  Vor- 
fahren mehrere  Generationen  hindurch  unbedeutend  verschiedenen  Be- 
dingungen oder  dem,  was  wir  spontane  Abänderung  nennen,  ausgesetzt 
gewiesen  sind."  Der  Nutzen  der  Befruchtung  besteht  in  der 
„  V  e  r  m  i  s  c  li  u  n  g  der  unbedeutend  verschiedenen  physio- 
logischen Elemente  unbedeutend  verschiedener  Indi- 
viduen." 

Die  Darwin'schen  Erfahrungen  hat  Herbert  Spencer  (IX.  26)  be- 
nutzt, um  auf  molekularem  Gebiet  eine  H}  pothese  von  dem  Wesen  der 
Befruchtung  aufzubauen,  die  als  ein  vorläufiger  Versuch  erwähnt  zu 
werden  verdient. 

Spencer  stellt  gewissermaassen  als  ein  Axiom  den  Satz  auf,  dass  die 
Befruchtungsbedürftigkeit  der  Geschlechtszellen  darin  besteht,  dass  „ihre 
organischen  Einheiten  (Micellen)  sich  einem  Gleichgewichtszustand  ge- 
nähert haben",  und  dass  „ihre  gegenseitigen  AnziehunGen  sie  verhindern, 
ihre  Anordnung  auf  die  Einwirkung  äusserer  Kräfte  hin  leicht  zu  ver- 
ändern." 

Wäre  diese  Annahme  fester  zu  begründen,  während  sie  augenblicklich 
mir  nur  eine  Möglichkeit  zu  sein  scheint,  so  könnte  man  wohl  ohne 
Bedenken  der  Erklärung  von  Si)encer  zustimmen:  „Der  Hauptzweck 
der  geschlechtlichen  Zeugung  ist,  eine  neue  Entwicklung 
durch  Zerstörung  des  annähernden  G  leichgewichts  herbei- 
zuführen, auf  welchem  die  Moleküle  der  elterlichen  Or- 
ganismen a  n  g  e  k  0  m  m  e  n  sin  d. "  Denn  „wenn  e  i  n  e  G  r u  p  p  e  v  o  n 
Einheiten  des  einen  Organismus  und  eine  Gruppe  von 
etwas  verschiedenen  Einheiten  des  anderen  miteinander 
vereinigt  werden,  wird  das  Streben  nach  dem  Gleich- 
gewichtszustand vermindert,  und  die  vermischten  Ein- 
heiten werden  in  den  Stand  gesetzt  sein,  ihre  Anordnung 
durch  die  auf  sie  einwirkenden  Kräfte  leichter  abändern 
zulassen;  sie  werden  soweit  in  Freiheit  gesetzt  sein,  dass 
sie  nun  jeder  Andersvertheilung  fähig  sind,  welche  das 
Wesen  der  Entwicklung  ausmacht." 

In  diesem  Sinne  kann  die  Befruchtung  auch  als  ein  Verjüngungs- 
process  betrachtet  werden,  wenn  man  sich  dieses  von  Biitschli  (VII.  6), 
Maupas  (VII.  30)  u.  A.  gebrauchten  Ausdruckes  bedienen  will. 


V.    Die  Erscheinungen  und  (l;is  Wesen  der  Befruchtung.  255 

Der  Ausspruch  von  Spencer  entzieht  sich  zur  Zeit  noch  einer  ge- 
naueren, wissenscliaftliclien  Begründung,  scheint  mir  aber  als  vorläufiger 
Versuch  zur  Lösung  der  ausserordentlich  schwierigen  Frage  Beachtung 
zu  verdienen. 

Aus  dem  oben  aufgestellten  Satz,  dass  der  Befruchtungsprocess  eine 
Vermischung  der  unliedeutend  verschiedenen  physiologischen  Einheiten 
unbedeutend  verschiedener  Individuen  ist,  lässt  sich  noch  eine  wichtige 
Folgerung  ziehen.  Wenn  die  geschlechtliche  Zeugung  eine  Vermischung 
der  Eigenschaften  zweier  Zellen  ist,  so  muss  sie  Mittelformen  liefern. 

Sie  gleicht  Verschiedenheiten  aus,  indem  sie  etwas  Neues  hervorruft, 
was  zwischen  den  beiden  alten  Zuständen  die  Mitte  hält;  sie  schafft 
zahllose  neue  Varianten,  die  aber  Verschiedenheiten  geringeren  Grades 
darstellen.  Weismann  (IX.  34)  erblickt  daher  in  der  Befruchtung  eine 
Einrichtung,  durch  die  ein  immer  wechselnder  Reichthum  individueller 
Gestaltung  hervorgerufen  werde;  ihr  Zweck  sei,  das  Material  an  indivi- 
duellen Unterschieden  zu  schaffen,  mittelst  dessen  Selection  (natürliche 
Auslese)  neue  Arten  hervorbringe. 

Indem  ich  dem  ersten  Theil  dieses  Satzes  beistimme,  habe  ich  gegen 
den  zweiten  Theil  Bedenken.  Die  durch  Befruchtung  hervorgerufenen 
individuellen  Verschiedenheiten,  welche  Gegenstand  der  natürlichen  Aus- 
lese werden  sollen,  können  im  Allgemeinen  nur  geringfügiger  Art  sein 
und  laufen  stets  Gefahr,  durcli  eine  der  folgenden  Mischungen  wieder 
aufgehoben  oder  abgeschwiicht  oder  in  eine  andere  Richtung  gedrängt  zu 
werden.  Eine  neue  Abart  kann  sich  nur  bilden,  wenn  zahlreiche  Indivi- 
duen einer  Art  nach  einer  bestimmten  Richtung  hin  variiren,  so  dass  es 
zu  einer  Summirung  und  Verstärkung  dieser  Eigenthümlichkeit  kommt, 
während  andere  Individuen  derselben  Art,  die  ihren  alten  Charakter 
bewahren  odei-  in  einer  anderen  Richtung  variiren,  an  der  geschlecht- 
lichen Vermischung  gehindert  werden.  Ein  solcher  Process  setzt  constant 
wirkende  äussere  Factoren  und  eine  gewisse  räumliche  Sonderung  der 
Individuen   einer  Art  voraus,   die  sich   in  zwei  neue  Arten  spalten  soll. 

Mir  scheint  daher  die  geschlechtliche  Zeugung  auf  die  Artbildung 
im  entgegengesetzten  Sinne,  als  es  Weismann  annimmt,  einzuwirken. 
Sie  gleicht  die  Unterschiede,  welche  durch  Einwirkung  äusserer  Factoren 
in  den  Individuen  einer  Art  hervorgerufen  werden,  l)eständig  aus,  indem 
sie  Mittelformen  schafft;  sie  drängt  geradezu  dalnn.  die  Art  homogen 
zu  machen  und  in  ihrer  Besonderheit  zu  erhalten.  Von  Bedeutung  ist 
hierbei  ferner  die  sexuelle  Affinität ,  jene  räthselhafte  Eigenschaft  der 
organischen  Substanz,  sowohl  mit  zu  gleichartig  als  auch  mit  zu  fremd- 
artig beschaffener  Substanz  keine  Verbindung  oder  wenigstens  keine 
gedeihliche  Verbindung  einzugehen.  Denn  die  Arten  und  Gattungen 
werden  getrennt  erhalten,  weil  die  Geschlechtsproducte  sich  wegen  ihrer 
verschiedenartigen  Organisation  und  der  damit  zusammenhängenden,  ge- 
ringen geschlechtlichen  Affinität  nicht  mit  Erfolg  vermischen  können. 

In  gleichem  Sinne  äussern  sich  Darwin  und  Spencer.  Nach  Darwin 
„spielt  die  Kreuzung  eine  sehr  wichtige  Rolle  in  der  Natur,  indem 
sie  die  Individuen  derselben  Species  oder  Varietät  getreu  und  gleich- 
förmig in  ihrem  Charakter  erhält."  Und  H.  Spencer  bemerkt:  „In  der 
Species  findet  vermittelst  der  geschlechtlichen  Zeugung  eine  ununter- 
brochene Neutralisation  jener  gegensätzlichen  Abweichungen  vom  Mittel- 
zustande statt,  welche  in  ihren  verschiedenen  Theilen  durch  verschiedene 
Gruppen  einwirkender  Kräfte  verursacht  wei'den,   und  in  gleicher  Weise 


256  Siebentes  Capitel. 

ist  es  diese  rhythmische  Erzeugung  und  Wiederaufhebung  solcher  gegen- 
sätzlichen Abweichungen,  welclie  die  Fortdauer  des  Lebens  der  Species 
verbürgt." 


8 

9; 
lo: 
11 

12 
13 

14; 

15 


16; 

17 

18 
19 
20 

21 

22: 

23 
24 
25 

26 

27 

28 
29; 

3o: 

31 
32 


Literatur.     VII. 

1)     Auerbach,     lieber  einen  sexuellen  Gegensatz  in  der  Chromatophilie  der  Keimsubstanz  etc. 

Sitzunt/sber.  d.  hjl.   Prcuss.  Akad.  d.    Wissensch.    Nr.  35. 
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Botanische  Zeitung.    Bd.  XXXVI.    1878. 
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Derselbe.    Le  quadrille  des  centres,  un  episode  nouveau  dans  Vhistoire  de  la  fecondation. 

Archives  des  scienc.  phys.  et  nat.  le  Geneve.     Troisieme  pi'r.    Tom.  XXV.     1891. 
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Tom.  XIV.    Botanique.    1891. 
M.  Hartog.     Some  problems  of  reproduction,  a  comparative  stitdy  of  gametogeny  and 

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Akad.  der   Wissensch.    II.  Cl.     Bd.  XVII    1889. 
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d.  GesiUsch.  f.  Morphol.  u.  Physiol.  in  München.     Bd.  IV.    1888. 
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zeiger.   Bd.  X.    pag.  583.    1887. 
Klebahn.      Studien    über    Zygoten.     Die    Keimung    von    Closterium    und    Cosmarium. 

Pringsheim'i  Jahrbücher  f.  wissenschaftl.    Botanik.     Bd.  XXII. 
Klebs.     Zur  Physiologie  der  Fortpflanzung.     Biolog.  Centralblatt.      Bd.  IX.    1889. 
E.  L.  Mark.     Maturation,  fecondation  and  scgmentation  of  Limax   campestris.    Bullet. 

of  the  museum  of  comp.  Zool.  at  Harvard  College.     Vol.   VI.    1881. 
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et  gener.    2^  seric.     Vol-    JH. 
C.  Nägeli.     Die  Bastardbildung  im  Pflanzenreiche.    Sitzungsber.  der  kgl.  bayer.  Akad. 

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Wissensch.  zu  München.    1866.     Bd.  I. 


V.    Die  Erscheinungen  imd  das  Wesen  der  Befruchtung.  257 

33)  Nussbaum.     Zur  Bifferenzirung  des  GesehlecMs  im  Thierreich.    Arcli.  f.  mikroskop, 

Anatomie.      Bd.  XVIII. 

34)  Oppel.     Die  BefrucJäung  des  Eeptilieneies.    Arch.  f.  mikroskop.  Anat.     IM.  XXXIX. 

1892. 
35a)  Pringsheim.     lieber  die  Befruchtung  der  Algen.    Monatsher.  d.  Berliner  Akad.    1855. 
35b)  Derselbe.      Ueber    Faarung   von   Schwärmsporen,   die    morphologische  Grundform    der 

Zeugung  im  Tßanzenreich.     Ebenda.    18G9. 

36)  Rückert.     Ueber  physiologische  Polyspermie  bei  meroblastischen  Wirbelthiereiern.    Anat. 

Anzeiger.    VIL  Jahrg.     Nr.  11.    'l892. 

37)  Selenka.     Befruchtung  der  Eier  von  Toxopneustes  variegatus.     Leipzig  1878. 

38)  Strasburger.     JVeue  Untersuchungen  über  den  Befruchtungsvorgang  bei  den  Phanero- 

gamen  als  Grundlage  für  eine  Theorie  der  Zeugung.     Jena  1S84. 

39)  Weismann.     Beiträge  zur  Naturgeschichte  der  Baphnoiden.    Zeitschr.  f.  wissenschaftl. 

Zoologie.    Bd.  XXXIII. 

40)  Derselbe.      Ueber  die  Zahl  der  Richtungskörper  u.  über  ihre  Bedeutung  für  die   Ver- 

erbung,    Jena  1887. 

41)  Weismann  u.  Ishikawa.      Ueber   die   Bildung   der   Richtungskörper   bei  thierischen 

Eiern.     Berichte  der  naturforsch.   Gescllsch.  zu  Freiburg.     Bd.  III.    1887. 

42)  Dieselben.      Weitere   Untersuchungen   zum  Zahlengesetz   der  Richtungskörper.     Zoolog. 

Jahrbücher.     Bd.  III.    Abth.  f.  Morph. 

43)  Otto  Zaeharias.     Neue   Untersuchungen   über   die  Copulation   der  Geschlechtsproducte 

und  den  Befruehtungsvorgang  bei  Asearis  megalocephala.    Archiv  f.  mikroskop.  Anat. 
Bd.  XXX.    1887. 

44)  Bioehmann.     Ueber  die  Eiehtungskörper  bei  Insecteneiern.    Morphol.  Jahrb.    Bd.  XII. 

45)  Derselbe.     Ueber  die  Reifung   der  Eier  bei  Ameisen  u.  Wespen.     Festschr.  zur  Feier 

des  SOOjähr.  Bestehens  der    Univers.  Heidelberg.    1886.     Med.  Theil. 

46)  Derselbe.     Ueber   die  Zahl   der  Richtungskörper   bei  befruchteten   und  unbefruchteten 

Bieneneiern.     Morphol.  Jahrb.     Bd.  XV. 

47)  Platner.     Ueber  die  Bildung  der  Richtung skör per chen.    Biolog.  Centralblatt.    Bd.  VIII. 

1888—89. 

48)  Weismann.      Ueber  die  Vererbung.     Jena  1883. 

Derselbe.      Die   Continuität  des   Keimplasma   als   Grundlage  einer    Theorie   der  Ver- 
erbung.    Jena  1885. 

49)  Herm.  Müller.     Die  Befruchtung  der  Blumen  durch  Inseeten.     Leipzig  1873. 

50)  Pflüger.     Die   Bastardzeugung   bei   den   Batrachiern.     Archiv  f.   die   ges.  Physiologie. 

Bd.  XXIX. 

51)  Berthold.     Die  geschlechtliche  Fortpflanzung  der  eigentl.  Phaeosporeen.     Mittheil,  aus 

der  zool.  Station  zu  Neapel.     Bd.  II.    1881. 


Hertwig,  Die  Zelle  r.nd  die  Gewebe.  17 


ACHTES  CAPITEL. 

Wechselwirkungen  zwischen  Protoplasma,   Kern  und 

Zellproduct. 


In  einem  lebenden  Organismus  stehen  nothwendiger  Weise  alle 
morphologisch  unterscheidbaren  Theile  in  bestimmten,  gesetzmässigen 
Wechselwirkungen  zu  einander.  In  dieselben  einen  Einblick  zu  gewinnen, 
ist  bei  der  ganzen  Complication  des  Lebensprocesses  in  den  meisten 
Fällen  ausserordentlich  schwer.  Immerhin  ist  auch  hier  durch  Beobachtung 
und  Experiment  schon  ein  erfreulicher  Anfang  gemacht,  um  das  dunkle 
Gebiet  unserer  Erkenntniss  zu  erschliessen. 

Auf  eine  Betheiligung  des  Protoplasma  an  allen  formativen  Processen, 
an  der  Bildung  der  Zellmembran,  der  Intercellularsubstanzen  etc.  weisen 
verschiedenartige  Befunde  hin,  welche  sich  wohl  kaum  in  einer  anderen 
Weise  erklären  lassen. 

Bei  Pflanzen  ist  stets  an  den  Stellen,  von  denen  das  Wachsthum 
hauptsächlich  ausgeht,  die  Hauptmasse  des  Protoplasma  angesammelt:  so 
an  den  Spitzen  wachsender  Wurzelhaare,  sprossender  Pilzfäden  etc., 
an  den  Vegetationspunkten  vielzelliger  und  einzelliger  Pflanzen,  wie 
Caulerpa. 

Auch  in  der  einzelnen  Zelle  häuft  sich  das  Protoplasma  stets  an  den 
Orten  grösster  formativer  Thätigkeit  an. 

Wenn  in  einer  Pflanzenzelle  sich  die  Cellulosemembran  zu  vor- 
springenden Leisten  oder  sonstigen  Sculpturen  verdickt,  geht  das  Proto- 
plasma schon  einige  Zeit,  ehe  die  Verdickungen  angelegt  werden,  vor- 
bereitende Veränderungen  ein,  indem  es  sich  zu  den  Stellen  des  stär- 
keren Wachsthums  hinbegiebt.  Auch  während  sich  die  Leisten  und  Ver- 
dickimgen  bilden,  gehen  an  ihnen  fortwährend  Ströme  von  körnigem 
Protoplasma  entlang. 

Wenn  bei  Vaucheria  ein  kleines  Stück  abgetrennt  wird,  so  sucht 
alsbald  das  Protoplasma  den  Defect  wieder  zu  ergänzen.  Man  sieht 
„zu  der  Wunde  körniges  Plasma  in  dichteren  Massen  herandrängen 
und  sich  zu  einer  nach  aussen  scharf  begrenzten  Schicht  zusammen- 
schliessen.    An  dieser  beginnt  sich  alsbald  Zellhaut  zu  bilden."    (Klebs.) 

Wenn  man  durch  Plasmolyse  den  Protoplasmakörper  einer  Pflanzen- 
zelle von  seiner  Membran  abgelöst  hat,  ohne  dass  er  dadurch  in  seinen 
Lebensfunctionen   gelitten  hat,   so   scheidet  er  nach  kurzer  Zeit  wieder 


Achtes  Capitel.     Wechselwirkungen  zw.  Protoplasma,  Kern  u.  Zellproduct.     259 

auf  seiner  Obei-fläche  eine  neue  Celluloseschicht  aus,  welche  sich  durch 
Zusatz  von  Congoroth  zum  Wasser  roth  färben  lässt. 

Solange  Zeilen  jung  und  in  kräftigem  Wachsthum  begriffen  sind, 
enthalten  sie  die  grösste  Menge  von  Protoplasma,  während  dasselbe  in 
alten  Zellen,  namentlich  wenn  dieselben  ihre  formative  Thätigkeit  ein- 
gestellt haben,  oft  nur  in  geringen  Spuren  nachzuweisen  ist.  So  kann 
in  grossen,  ausgewachsenen  Pflanzenzellen  der  protoplasmatische  Beleg  an 
der  Innenfläche  der  Cellulosemembran  so  ausserordentlich  dünn  werden, 
dass  er  als  ein  besonderes  Häutchen  nur  vermittelst  der  Plasmolyse  nach- 
zuweisen ist.  Ebenso  ist  in  den  blasigen  Chordazellen  der  Thiere  etc. 
Protoplasma  nur  noch  in  geringen  Spuren  vorhanden. 

Besonders  ist  gegenwärtig  die  Forschung  auf  die  Beziehungen  des 
Kerns  zu  den  übrigen  Bestandtheilen  der  Zelle  gerichtet.  Dass  derselbe 
namentlich  während  des  ganzen  Theilungsprocesses  in  sehr  auffälligen 
Wechselbeziehungen  zum  Protoplasmakörper  steht,  wurde  schon  früher 
gezeigt.  (Seite  172).  Aber  auch  zu  anderen  Zeiten  spielt  er  offenbar 
eine  wichtige,  physiologische  Rolle  im  Leben  der  Zelle;  alle  formativen 
und  nutritiven  Processe  seheinen  in  einem  näheren,  zur  Zeit  allerdings 
nicht  genauer  zu  definirenden  Abhängigkeitsverhältniss  von  ihm  zu  stehen, 
wie  sich  aus  den  jetzt  näher  zu  besprechenden  Beobachtungen  von 
Haberlandt  und  Korscheit,  sowie  aus  Experimenten  von  Gruber,  Nuss- 
baum,  Balbiani,  Klebs  und  Hofer  schliessen  lässt. 

I.    Beobachtungen  über  Stellungen  des  Kerns,  welche  auf  eine 
Betlieiligung   bei  formatiTcn  und  nutritiven  Processen 

hinweisen. 

Nach  den  ausgedehnten,  wichtigen  Untersuchungen  von  Haberlandt 
(Vni.  4)  befindet  sich  der  Kern  von  jungen,  sich  entwickeln- 
den Pflanzenzellen  „meist  in  grösserer  oder  geringerer 
Nähe  derjenigen  Stelle,  an  welcher  das  Wachsthum  am  leb- 
haftesten vor  sich  geht  oder  am  längsten  andauert.  Dies 
gilt  sowohl  für  das  Wachsthum  der  ganzen  Zelle  als  solcher, 
wie  auch  speciell  für  das  Dicken-  und  Flächenwachsthum 
der  Zellhaut.  Ist  mehr  als  eine  Stelle  im  Wachsthum  be- 
vorzugt, so  nimmt  der  Kern  eine  solche  centrale  Lage  ein 
(Fig.  161  II),  dass  er  von  den  Orten  ausgiebigsten  Wachs- 
thums  ungefähr  gleich  weit  entfernt  ist.  Zuweilen  stellen 
Plasmastränge  (Fig.  161  II)  eine  Verbindung  der  Kerne  mit  den  Wachs- 
thumsstätten  auf  kürzestem  Wege  her.  In  der  ausgebildeten  Zelle  l)ehält 
der  Kern  seine  frühere  Lage  nur  in  der  kleineren" Anzahl  der  Fälle  bei. 
Gewöhnlich  verlässt  er  den  in  der  wachsenden  Zelle  innegehabten  Platz 
und  zeigt  dann  zumeist  eine  unbestimmte,  in  einzelnen  Fällen  jedoch 
aufs  Neue  eine  bestimmte  Lagerung." 

Von  den  zahlreichen  Beobachtungen,  an  denen  Haberlandt  diese 
Sätze  ])egründet,  theile  ich  einige  besonders  lehrreiche  Beispiele  mit. 

Die  Epidermiszellen  vieler  Pflanzen  zeigen  häufig  Verdickungen  ent- 
weder an  ihrer  nach  aussen  oder  nach  innen  gerichteten  Wandfläche. 
Je  nachdem  liegt  der  Kern  entweder  der  Aussenwand  oder  der  Innen- 
wand und  zwar  der  Mitte  der  Verdickung  diclit  an.  In  sehr  anschau- 
licher Weise  lehren  dies  die  in  Fig.  161  zusammengestellten  Beispiele: 
Nr.  I  eine  Zellreihe  von  der  Epidermis  des  Laubblattes  von  Cypripedium 

17*" 


260 


Achtes  Capitel. 


insigne,  Nr.  III  eine  Epidermiszelle  der  Fruchtschale  von  Carex  panicea. 
Nr.  IV.  eine  junge  Epiderniiszelle   des  Laubblattes  von  Aloe  verrucosa. 

Eine  zweite  Reihe  von  Beobachtiingen  betrifft  das  Waclisthum  ober- 
und  unterirdischer  Pflanzenhaare. 

Die  zarten  Wurzel  haare  der  Pflanzen  zeigen  ein  deutlich  aus- 
gesprochenes Spitzenwachsthuni.  Hier  findet  sich  denn  auch  der  Kern, 
so  lange  das  Wachsthum  andauert,  stets  in  der  Spitze  (Fig.  162  Ä), 
während  er  in  ausgewachsenen,  alten  Haaren  sich  weiter  von  ihr  ent- 
fernt hat.  Wenn  ein  Wurzelhaar  sich  aus  einer  Epiderniiszelle  neu  an- 
legt, so  geschieht  dies  stets  durch  Ausstülpung  der  über  dem  Zellkern 
gelegenen  Parthie  der  Ausseuwand  (Fig.  162  B).    Bei  manchen  Pflanzen 

Ä  B 


in 


IV 


Fig.  161.  J  Epidermiszellen  des  Laub- 
blattes von  Cypripedium  insigne.  Nach 
Haberlandt  Taf.  I,  Fig.  1. 

JI  Epidermiszelle  von  Luzula  maxima. 
Nach  Haberlandt  Taf.  I,  Fig.  3. 

JIJ  Epidermiszelle  der  Fruehtschale 
von  Carex  panicea.  Nach  Haberlandt  Taf.  I, 
Fig.  14. 

IV  Junge  Epidermiszelle  des  Laub- 
blattes von  Aloe  verrucosa.  Nach  Haber- 
laxdt  Taf.  I,  Fig.  7. 


Fis.  162. 


Pig.  162.  A  Wurzelhaar  von  Cannabis  sativa.  Nach  Haberlandt  Taf.  II, 
Fig.  26. 

B  Entstehung  der  Wurzelhaare  von  Pisum  sativum.  Nach  Haberlandt 
Taf.  II,  Fig.  22. 

(Brassica  oleracea)  kann  sich  die  Zelle  des  Wurzelhaares  verzweigen, 
wobei  dann  der  einfache  Kern  in  einen  der  Zweige  hereinrückt.  Dieser 
wird  dann  sowohl  der  protoplasmareichste,  als  auch  der  längste,  während 
die  anderen  Zweige  zu  wachsen  aufhören. 

Von  den  Wurzelhaaren  unterscheiden  sich  die  oberirdischen 
Haare  dadurch,  dass  sie  ein  basipetales,  intercalares  Wachsthum  be- 
sitzen, wie  Haberlandt  durch  Messungen  festgestellt  hat.    In  Folge  dessen 


Wechselwirkungen  zwischen  Protoplasma,  Kern  und  Zellproduct. 


261 


Fig.   163.      Junges    Stern- 
haar von  Autrietia  delloidea. 

Nach  Haberlandt  Taf.  II,  Fig.  28. 


liegt  hier  der  Kern  nicht  in  der  Spitze,  sondern  ungeftihr  da,  wo  sich 
der  secundäre ,  basale  Vegetationspunkt  befindet  und  das  Längenwachs- 
thum  am  längsten  andauert. 

Unter  Sternhaaren  (Fig.  163)  versteht  man  eigenthüniliche,  ein- 
zellige Gebilde,  die  sich  nach  ihrem  peripheren  Ende  in  mehrere,  in 
radiärer  Richtung  auseinander  weichende  Zweige  spalten.  Hier  liegt  der 
Kern  im  Mittelpunkt  der  Verzweigung,  so  lange  die  formativen  Processe 
andauern,  rückt  dann  aber  nach  beendetem  Wachsthum  wieder  näher 
an  die  Basis  heran. 

Auch  Pilze  und  Algen  liefern  Be- 
lege für  eine  Theilnahme  des  Kerns  an 
den  formativen  Processen.  Bei  den  viel- 
kernigen  Hyphen  von  Saprolegnia 
bilden  sich  seitliche  Schläuche  stets  un- 
mittelbar über  einem  in  nächster  Nähe 
der  Wandung  befindlichen  Kern.  Bei 
Vaucheria  und  anderen  vielker- 
nigen Algen  giebt  es,  wie  bei  den  höhe- 
ren Pflanzen,  besondere  Vegetations- 
punkte, von  denen  das  hauptsächliche 
Wachsthum  ausgeht;  an  diesen  sieht 
man  nun  zahlreiche  kleine  Kerne  der 
Cellulosemembran  unmittelbar  angelagert, 
dann  folgt  eine  Schicht  von  Chromato- 
phoren,  während  in  dem  übrigen  Theil 
der  Zelle  die  Lage  gerade  eine  umge- 
kehrte ist. 

Noch  auffälliger  ist  die  Beziehung  der  Kerne  zur  Bildung  der  Zell- 
haut bei  den  Erscheinungen,  die  sich  bei  der  Wundheilung  von 
Vaucheria  beobachten  lassen.  Denn  jetzt  treten  in  dem  an  der 
Wundstelle  sich  ansammelnden  Protoplasma  zahlreiche  kleine  Kerne  auf; 
sie  rücken  also  an  die  Oberfläche  empor,  die  Chlorophyllkörner 
werden  gerade  in  entgegengesetzter  Richtung  zurückgezogen, 
und  Chlorophyllkörner  tauschen  so  ihre  Plätze 
einander  aus.  Durch  diese  Wahrnehmung  widerlegt  sich 
der  sonst  leicht  zu  erhebende  Einwand,  dass  der  oder  die  Kerne  einfach 
an  den  Stellen  vorgefunden  würden,  zu  denen  das  Protoplasma  in 
grösserer  Menge  zuströme  und  sie  mit  sich  schleppe.  Denn  dann  wäre 
eine  gleichzeitige  entsprechende  Verlagerung  der  viel  kleineren  Chloro- 
phyllkörner noch  eher  zu  erwarten,  zumal  diese  ja  unter  dem  Einfluss 
verschiedener  Beleuchtung  sehr  leicht  ihren  Ort  verändern.  Von  dieser 
Wanderung  bleiben  nun  aber  wieder  die  Kerne  unberührt. 

„Wir  sehen  also,"  bemerkt  Haberlandt,  „dass  Zellkerne  und  Chloro- 
phyllkörner unabhängig  von  einander  bestimmte  Ortsveränderungen  zeigen, 
welche,  vorausgesetzt,  dass  dieselben  passiv  erfolgen,  keinenfalls  durch 
Bewegungen  des  gesammten  Körnerplasmas  bewirkt  werden  können. 
Wenn  nun  das  strömende  Plasma  betreffs  der  mitzuführeuden  Inhalts- 
körper gewissermaassen  eine  bestimmte  Auswahl  triff't,  in  dem  einen  Falle 
den  grösseren  Zellkern  mitschleppt,  die  kleineren  Chromatoplioren  zurück- 
lässt,  im  anderen  Falle  wieder  die  Chrom atophoren  verschiebt  und  die 
ebenso  kleinen  oder  oft  noch  kleineren  Zellkerne  unverrückt  lässt,  so 
kann  eine  solche  Verschiedenheit  der  Bewegungs-Er- 
scheinungen doch   nur    den  Sinn   haben,   dass   durch   die- 


dagegen 
Kerne 
gegen 
zugleich 


262 


Achtes  Capitel. 


selben  bestimmte,  mit  der  Function  der  Kerne,  beziehungs- 
weise der  C  hromatophoren  zusammenhängende  Lagerungs- 
weisen bezweckt  werden." 

Aehnliche  Beziehungen  zwischen  Lage  und  Function  der  Kerne,  wie 
Haberlandt  für  die  Pflanzenzellen,  hat  Korscheit  (VIII.  8)  für  thierische 
Zellen  nachgewiesen. 

Zellen,  welche  sich  durch  reichliche  Aufnahme  von  Reservestoffen 
beträchtlich  vergrössern,  sind  die  Eier.  Diese  haben  häufig  das  Keim- 
bläschen an  dem  Orte  gelagert,  an  dem  vorzugsweise  die  Stoffaufnahme 
vor  sich  gehen  muss.  So  nehmen  z.  B.  bei  einem  Theil  der  Cölenteraten 
die  Eier  ihre  Entstehung  aus  dem  Entoderm  und  werden  aus  dem  In- 
halt des  Gastrovascularsystems  durch  Vermittelung  von  Entodermzellen 
ernährt.  In  Uebereinstimmung  mit  dem  oben  aufgestellten  Satz  liegen 
in  jungen  Eiern  die  Keimbläschen  ganz  oberflächlich  und  zwar  an  der 
nach  der  Gastralhöhle  zugewandten  Seite  (Fig.  164).  Bei  manchen 
Actinien  (Hertwig  VIII.  5  b)  reichen  die  Eier  sogar  noch  lange  Zeit  mit 
einem  stielartigen  Fortsatz  in  das  Darmepithel  bis  an  seine  Oberfläche 
heran  (Fig.  165).  Der  Stiel  lässt  eine  regelmässig  fibrilläre  Structur 
erkennen,  wie  sie  überall  da  auftritt,  wo  ein  reger  Stoffaustausch  statt- 
findet und  dieser  Stoffaustausch  bestimmte  Bahnen  einhält;  er  lässt  sich 
daher  als  ein  besonderer  Nährapparat  des  Eies  in  Anspruch  nehmen. 
Auch  hier  liegt  das  Keimbläschen  regelmässig  der  Basis  des  Nähr- 
apparats unmittelbar  an  (Fig.  165). 


Fig.  164.  Junges  Ei  von 
Adamsia  rondeleti.  Vergr. 
145.  Nach  Korschelt  Ste.  47, 
Fig.  8. 


'1 


Fig.  165. 

Fig.  165.  Querschnitte  durch  das  periphere  Ende  und  den  Stiel  von 
Eizellen  der  Sagartia  parasitica  (nach  O.  und  R.  Hektwig).  Nach  Korschelt 
Fig.  10. 

Nach  oben  sieht  man  den  gestreiften  Stiel  der  Eizelle  in  das  Epithel  eindringen. 

Ein  ähnliches  Verhalten  trifft  man  in  den  schlauchförmigen  Ovarien 
der  Insekten,  die  in  Eifächer  und  in  Nährfächer  gegliedert  sind.  Ent- 
weder ist  hier  wieder  das  Keimbläschen  an  das  Nährfach  dichter  heran- 
gerückt, oder  es  zeigt  das  noch  interessantere  Verhalten,  dass  es  nach 
dem  Nährfach  zu  zahlreiche,  pseudopodienartige  Fortsätze  (Fig.  166)  aus- 
streckt und  dadurch  nach  der  Seite,  wo  die  Stoffaufnahme  stattfindet 
seine  Oberfläche  in  auffälliger  Weise  vergrössert.  Hier  beginnt  sich  denn 
auch  der  Dotter   in   der  Umgebung   des  Keimbläschens  in  zahlreichen, 


Wechselwirkungen  zwischen  Protoplasma,  Kern  und  Zellproduct. 


263 


dunkeln  Körnchen  abzuscheiden,  welche  von  den  Nährzellen  zugeführt 
worden  sind. 

Bei  den  meisten  Thieren  werden  die  Eier  durch  Vermittelung  des 
Follikelepithels  ernährt.  Korscheit  findet  dementsprechend,  dass  bei  In- 
sekten die  Kerne  der  Follikelzellen,  so  lange  die  Bildung  des  Dotters  und 
des  Chorions  vor  sich  geht,  unmittelbar  an  der  nach  dem  Ei  gerichteten 
Oberfläche  liegen,  dagegen  nach  Fertigstellung  des  Chorions  in  die  Mitte 
der  Zelle  zurückweichen. 

Noch  frappanter  ist  das  Verhalten  der  Kerne  in  den  soge- 
nannten Doppelzellen,  welche  strahlenartige  Chitinfortsätze  an 
dem  Chorion  der  Eier  von  Wasserwanzen  (Ranatra  und  Nepa)  erzeugen 
(Fig.  167  J.  B).  Die  Protoplasmakörper  der  beiden  Zellen,  welche  einen 
Strahl  zwischen  sich  ausscheiden,  verschmelzen.  Während  der  Aus- 
scheidung schicken  die  beiden  überaus  grossen  Kerne  an  der  nach  dem 
Strahl  zugekehrten  Seite  zahlreiche,  feine  Fortsätze  aus. 


B 


Fig.  167. 


Fig.  166. 


Fig.  166.  Ein  Eifollikel  von  Dytiscus  marginalis  mit  angrenzendem 
Nährfach,  in  welchem  eine  reichliche  Körnchenausscheidung  stattfindet. 
Das  Keimbläschen  des  Eies  sendet  Portsätze  aus  nach  der  Richtung  der 
Körnchenanhäufungen.     Nach  Kokschelt  Taf.  I,  Fig.  20. 

Fig.  167.  A  Querschnitt  einer  secernirenden  Doppelzelle  aus  dem 
Eifollikel  von  Nepa  cinerea  L.  Die  Bildung  des  Strahles  ist  noch  im 
Gange.     Vergr.  270fach.     Nach  Korschelt  Taf.  V,  Fig.  120. 

B  Längsschnitt  einer  Doppelzelle  aus  dem  Eifollikel  von  Nepa. 
Bildung  der  Basis  des  Strahles.  Vergr.  195fach.    Nach  Korscrelt  Taf.  V,  Fig.  121. 

Aus  diesen  und  ähnlichen  Beobachtungen  ziehen  Haberlandt  und 
Korschelt  folgende,  die  Function  des  Zellkerns  betreffende  Schlüsse: 

1)  „Die  Thatsache,  dass  der  Kern  gewöhnlich  blos  in  der  jungen, 
sich  erst  entwickelnden  Zelle  eine  bestimmte  Lagenmg  zeigt,  weist  dar- 
auf hin,  dass  seine  Function  hauptsächlich  mit  den  Entwickelungsvor- 
gängen  der  betreffenden  Zelle  zusammenhängt."    (Haberlandt.) 

2)  „Aus  der  Art  seiner  Lagerung  ist  zu  schliessen,  dass  der  Kern 
beim  Wachsthum  der  Zelle,  speciell  beim  Dicken-  und  Flächenwachsthum 
der  Zellhaut,  eine  bestimmte  Rolle  spielt.  Damit  ist  nicht  ausgeschlossen, 
dass  er  in  der  ausgebildeten  Zelle  eventuell  noch  andere  Functionen  zu 
erfüllen  hat."    (Haberlandt.) 

3)  Der  Kern  ist  wie  bei  der  Abscheidung,  so  auch  bei  der  Nahrungs- 
aufnahme der  Zelle  betheiligt.  Ausser  in  der  La^e  kann  sich  dies  auch 
darin  kundgeben,   dass  der  Kern   nach   dem   Ort   der  Abscheidung  und 


264  -  Achtes  Capitel. 

der  Stoffaufuahme  seine  Obei-fläche  durch  Ausstrecken  zahlreicher  Fort- 
sätze vergrössert. 

II.    Experimente,  aus  denen  sich  auf  eine  Wecliselwirkung 
zwischen  Kern  und  Protoplasma  schliessen  lässt. 

Zu  gleichem  Ergebnisse  haben  die  experimentellen  Untersuchungen 
von  Gruber,  Nussbaum,  Hofer,  Verworn,  Balbiani  und  Klebs  geführt.  Die 
Methode  besteht  darin,  dass  man  in  irgend  einer  Weise  einen  einzelligen 
Organismus  oder  eine  einzelne  Zelle  in  ein  kernhaltiges  und  in  ein  kern- 
loses Stück  trennt  und  dann  das  weitere  Verhalten  derselben  verfolgt 
und  vergleicht. 

Durch  Plasmolyse  in  16°/o  Zuckerlösung  konnte  Klebs  (IV.  14, 
VIII.  7)  die  Zellen  von  Spirogyrafäden  in  ein  kernhaltiges  und  mehrere 
kernlose  Stücke  zerlegen.  Obwohl  die  letztern  zuweilen  sechs  Wochen  am 
Leben  blieben,  ehe  sie  zerfielen,  bestand  doch  in  ihrer  Lebensfunction 
ein  grosser  Unterschied  im  Vergleich  zu  den  kernhaltigen  Theilstücken. 
Die  kernhaltigen  Stücke  fahren  fort  zu  wachsen  und 
umgeben  sich  mit  einer  neuen,  durch  Congoroth  leicht 
nachweisbaren  Zellhaut.  Die  kernlosen  dagegen  bleiben 
vollständig  kuglig,  vergrössern  sich  nicht  und  können 
keine  Zellhaut  bilden.  Wie  weit  der  letztere  Process  vom  Vor- 
handensein des  Kerns  beeinflusst  wird,  geht  in  besonders  auffälliger 
Weise  daraus  hervor,  dass,  wenn  die  durch  Plasmolyse  erhaltenen  Theil- 
stücke  nur  noch  durch  eine  feine  Plasmabrücke  verbunden  sind ,  dieser 
Zusammenhang  schon  genügt,  um  das  kernlose  Stück  zur  Abscheidung 
von  Cellulose  zu  befähigen. 

Indessen  gehen  im  Protoplasma  gewisse  Stoffwechselprocesse  auch 
ohne  Anwesenheit  des  Zellkerns  vor  sich;  zum  Beispiel  assimiliren 
die  kernlosen  Stücke  noch  und  vermögen  sowohl  Stärke  aufzu- 
lösen, als  auch  neu  zu  bilden,  vorausgesetzt  dass  sie  einen  Theil  des 
Chlorophyllbandes  besitzen.  Wenn  sie  längere  Zeit  im  Dunkeln  gehalten 
sind,  werden  sie  stärkefrei  durch  Verbrauch  der  vorher  abgelagerten 
Körnchen ;  in  das  Licht  zurückgebracht,  füllen  sich  die  Chlorophyllbänder 
wieder  mit  neuassimilirter  Stärke;  ja,  es  wird  hier  sogar  reichlicher  als 
beim  kernhaltigen  Theil  Stärke  angesammelt,  wahrscheinlich  aus  dem 
naheliegenden  Grunde,  weil  der  Verbrauch  der  Stärke  bei  dem  Danieder- 
liegen aller  übrigen  Lebensfunctionen  auf  ein  Minimum  herabgesetzt  ist. 

Kernlose  Theilstücke  von  Funaria  hygrometrica  zeigen  ein  etwas 
abweichendes  Verhalten,  indem  sie  zwar  Stärke  auflösen,  aber  keine 
neue  bilden  können,  trotzdem  sie  6  Wochen  am  Leben  bleiben. 

Beim  Zerschneiden  von  Vaucheria  erhält  man  grössere  und  kleinere 
Protoplasmaklumpen  theils  mit,  theils  ohne  Kern.  Die  Lebensfähigkeit 
derselben,  sowie  das  Abscheiden  einer  neuen  CellulosehüUe  ist  an  das  Vor- 
handensein von  mindestens  einem  Zellkern  geknüpft  (Haberlandt  VIII.  4). 

Nicht  mindere  wichtige  Ergebnisse  wie  bei  den  Pflanzen  sind  durch 
Zerstückelungen  von  Amöben ,  Rhizopoden  und  Infusorien  gewonnen 
worden.  Wie  Nussbaum  (VIII.  9),  Gruber  (VIII.  3),  Hofer  (VHI.  6)  und 
Verworn  (VIII.  10)  in  übereinstimmender  Weise  mittheilen,  können 
nur  kernhaltige  Theilstücke  die  verloren  gegangenen 
Organe  wieder  durch  Neubildung  ersetzen  und  sich  zu  einem 
normalen  Individuum,  das  wächst  und  sich  vermehrt,  umgestalten.  Kern- 
lose Theile,   selbst  wenn  sie   grösser  als  die  kernhaltigen 


Wechselwirkungen  zwischen  Protoplasma,  Kern  und  Zellproduct.  265 

sind,  können  sich  weder  ergänzen  noch  wachsen,  aher 
längere  Zeit,  oft  mehr  als  14  Tage,  eine  Art  von  Scheindasein  füliren; 
schliesslich  aber  zerfallen  sie.  Die  formative  Thätigkeit  des  Protoplasma 
scheint  daher  in  erster  Linie  nnter  dem  Einfluss  des  Kerns  zu  stehen. 
Weniger  sicher  gestellt  ist  dies  für  andere  Functionen  der  Zelle,  wie 
für  die  Bewegungsfähigkeit,  für  die  Reizbarkeit  und  für  die  Verdauungs- 
processe.    Die  Urtheile  der  einzelnen  Beobachter  gehen  hier  auseinander. 

Bei  Amöben  sah  Hofer  das  kernlose  Theilstück,  nachdem  das  erste 
durch  die  Operation  bedingte  Eeizstadium  überwunden  war,  15—20  Mi- 
nuten lang  ziemlich  normale  Bewegungen  ausführen;  er  erblickt  hierin 
noch  eine  Nachwirkung  des  Kernes,  welchem  er  einen  regulatorischen 
Einfluss  auf  die  Bewegungen  des  Protoplasma  zuschreibt.  Denn  während 
weiterhin  das  kernhaltige  Stück  wie  ein  normales  Individuum  die  Pseudo- 
podien ausstreckt  und  sich  fortbewegt,  bleibt  der  kernlose  Theil  zu  einem 
rundlichen  Körper  zusammengezogen  und  macht  nur  ab  und  zu  nach 
stundenlangen  Ruhepausen  anormale,  ruckartige  Bewegungen;  er  heftet 
sich  an  der  Unterlage  nicht  fest,  wie  herumkriechende  Amöben  thuu, 
und  beginnt  daher  bei  der  geringsten  Wasserbewegung  zu  flottiren. 

Eine  grössere  Unabhängigkeit  der  Protoplasmabewegung  vom  Einfluss 
des  Kerns  fand  Verworn  bei  Difflugia.  Selbst  kleine,  kernlose  Theil- 
stücke  streckten  in  der  für  das  unverletzte  Rhizopod  charakteristischen 
Weise  lange,  fingerförmige  Pseudopodien  aus  und  setzten  nocli  nach  fünf 
Stunden  ihre  Bewegungen  fort.  Auch  waren  sie  noch  vollkommen  reiz- 
bar und  reagirten  auf  mechanische,  galvanische  und  chemische  Reize 
durch  Contraction  ihres  Körpers. 

Protisten ,  welche  besondere  locomotorische  Organe ,  wie  Cilien, 
Wimpern,  Cirrhen  etc.  entwickelt  haben,  lassen  nach  Verworn  bei  Thei- 
lungsversuchen  eine  vollständige  Autonomie  und  Unabhängigkeit  derselben 
vom  Kern  erkennen. 

Bei  Lacrymaria  führt  jeder  des  Kerns  beraubte  Körpertheil  nach 
seiner  Al)trennung  vom  Körper  dieselben  Bewegungen  aus,  wie  zur  Zeit, 
als  er  noch  mit  ihm  in  Zusammenhang  stand.  Kleine  Stücke  von  Stylo- 
nichia,  die  mit  einer  Anzahl  Bauchwimpern  vei'sehen  sind,  machen  mit 
diesen  noch  die  eigenthümlichen  Laufbewegungen.  Selbst  bei  einem 
kleinsten  Plasmastückchen,  das  nur  eine  einzige  Sprungcirrhe  besitzt, 
fährt  diese  in  ihren  charakteristischen  Bewegungen  fort.  Wenn  sie  nach 
hinten  gerichtet  war,  wird  sie  von  Zeit  zu  Zeit  plötzlich  nach  vorn 
geschnellt,  wodurch  dem  Theilstück  ein  kurzer  Ruck  nach  rückwärts 
ertheilt  wird;  darauf  kehrt  sie  selbst  wieder  in  die  Ruhelage  zurück 
u.  s.  w. 

Gleich  den  Cilien  und  Cirrhen  zeichnen  sich  auch  die  contractilen 
Vacuolen  der  Protisten  durch  vollständige  Autonomie  aus.  Denn  auch 
an  kernlosen  Stücken  kann  man  sehen,  wie  sie  sich  tagelang  rhythmisch 
contrahiren  (Verworn). 

In  Bezug  auf  die  Verdauung  endlich  macht  sich  ein  erheblicher 
Unterschied  zwischen  kernlosen  und  kernhaltigen  Theilstücken  bemerkbar. 
Während  von  letzteren  gefressene,  kleine  Infusorien,  Räderthierchen  etc. 
in  der  normalen  Weise  verdaut  werden,  hat  bei  ersteren  die  Verdauung 
sowohl  der  Zeit  nach,  als  auch  an  Intensität  eine  erhebliclie  Abnahme 
erfahren.  Man  könnte  hieraus  schliessen,  dass  es  dem  Protoplasma  nur 
unter  der  Mitwirkung  des  Kerns  möglich  ist,  verdauende  Secrete  zu 
produciren  (Hofer,  Verworn). 

Dass  zwischen  einzelnen  Beobachtungen  und  Experimenten,   die  im 


266     Aclites  Capitel.     Wechselwirkungen  zw.  Protoplasma,  Kern  n.  Zellproduct. 

achten  Capitel  mitpetheilt  wurden,  noch  Widersprüche  bestehen,  wird 
nicht  Wunder  nehmen,  wenn  man  die  Schwierigkeit  der  zu  lösenden 
Aufgal)en  im  Auge  behält. 


Literatur.     VIII. 

1)  Balbiani.     Rccherches   expi'rinuntales   sur   la   mcrotomie   des   Infusoires  cilies.     Prem. 

part.  Recucil.     Zool.  Suisse.     1880. 

2)  Boveri.      Fin    gescJdechtlich    erzeugter     Organismus    ohne    mütterliche    Eigenscliaften, 

Genetisch,   f.  Morphol.  u.  Physiol.  zu  München.    ]8S9. 

3)  Gruber.      Ueber  die  Einßussloaigkeit  des  Kerns  auf  die  Bewegung,  die  Ernährung  u. 

das    Wachsthum  einzelliger  Thiere.     Biolog.  Centralblatt.     Bd.  III. 
Derselbe,      lieber  künstliche  Theilung  bei  Infusorien.    Biolog.  Centralbl.    Bd.  IV  u.  V. 

4)  Haberlandt.      Veber  die  Beziehungen    zwischen  Function  und  Lage   des  Zellkerns  bei 

den  Pflanzen.     Jena  1887. 
5a)  Oscar  u.  Richard  Hertwig.      Ueber   den   Befruchtungs-    u.    Theilungsvorgang   des 

thierischen  Eies   unter  dem  Einßuss  äusserer  Agentien.     Jena  1887. 
5b)  Dieselben.     Die  Actinien.,  anatomiscli  und  histologisch  mit  besonderer  Berücksichtigung 

des  Nervenmuskelsy Sterns  untersucht.     Jena  1879. 

6)  Hofer.     Experimentelle    Untersuchungen,   über  den   Einfluss  des  Kerns   auf  das  Proto- 

plasma.    Jinaisilw  Ziitschiift  f.  Naturwissenschaft.     Bd.   XXIV. 

7)  Klebs.      lieber  den  Einfltiss  des  Kerns  in  der  Zelle.    Biolog.  Centralbl.    Bd.  VII.    1887. 

8)  Korschelt.     Beiträge  zur  Morphologie  u.  Physiologie  des  Zellkerns.    Zool.  Jahrbücher. 

Abth.  f.  Anatomie.     Bd.  IV.    1889. 

9)  Nussbaum.      Ueber   die   Theilbarkeit   der   lebendigen   Materie.     Archiv  f.   mikroskop. 

Anatomie.     Bd.  XXV L    1886. 
10)     Verworn.     Die  physiologische  Bedeutung  des  Zellkerns.    Archiv  f.  d.  ges.  Physiologie. 
Bd.  LI.    1891. 


NEUNTES  OAPITEL. 
Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Yererbungstheorieen). 


Schon  aus  der  Fähigkeit  der  Zelle,  Bewegungen  auszuführen  und 
auf  die  verschiedensten  äussern  Einwirkungen,  seien  es  thermische  oder 
optische  oder  chemische  oder  mechanische,  in  ganz  gesetzmässiger  Weise 
zu  reagiren,  ferner  aus  der  Fähigkeit  complicirte,  cliemische  Processe 
auszuführen  und  sehr  zahlreiche,  mit  besonderer  Structur  versehene  Sub- 
stanzen zu  bilden,  mussten  wir  schliessen,  dass  die  Zelle  ein  hoch  zu- 
sammengesetzter Körper,  aufgebaut  aus  zahlreichen,  kleinsten,  verschieden- 
artigen Theilchen,  also  selbst  gewissermaassen  ein  kleiner  Elementarorga- 
nismus ist. 

Noch  mehr  wird  uns  dieser  Gedanke  aufgedrängt,  wenn  wir  sehen, 
wie  die  Ei-  und  Samenzellen  durch  ihre  Vereinigung  die  Grundlage 
bilden  für  die  Entwicklung  eines  Organismus,  welcher  im  Grossen  und 
Ganzen  die  Eigenschaften  der  zeugenden  Eltern  und  oft  auch  gering- 
fügige, individuelle  Züge  derselben  reproducirt.  Wir  müssen  hieraus 
schliessen,  dass  in  der  Ei-  und  Samenzelle  alle  Bedingungen  enthalten 
sein  müssen,  welche  erforderlich  sind,  um  das  Endproduct  des  Entwick- 
lungsprocesses  schliesslich  zu  Stande  kommen  zu  lassen.  Unserer  Wahr- 
nehmung entziehen  sich  allerdings  diese  Bedingungen;  dass  dieselben 
aber  nichts  weniger  als  einfacher  Art  sein  werden,  geht  schon  aus  der 
ausserordentlichen  Zusammensetzung  hervor,  welche  das  Endproduct 
der  Entwicklung  bei  den  höchsten  Organismen  erreicht. 

Die  Geschlechtszellen  müssen  daher  zahlreiche,  uns 
verborgene  Eigenschaften  und  Merkmale  besitzen,  durch 
deren  Vorhandensein  die  Entstehung  des  Endproducts  er- 
möglicht wird.  Solche  verborgenen  oder  latenten  Eigen- 
schaften, die  erst  durch  den  Ent wicklungsprocess  all- 
mählich offenbar  werden,  nennt  man  Anlagen.  In  der 
Gesamnitheit  der  Anlagen  ist  der  entwickelte  Organis- 
mus gewissermaassen  vorgebildet  oder  potentiell  enthalten. 

Nun  gleichen  sich  auf  einem  gewissen  Stadium  ihrer  Entwicklung 
alle  Organismen  ausserordentlich,  insofern  sie  einfache  Zellen  sind.  Die 
Eier  des  Menschen,  eines  Nagethiers,  eines  Wiederkäuers,  ja  selbst  mancher 
wirbellosen  Thiere  sind   nicht  wesentlich   voneinander  verschieden.    Ihre 


268  Neuntes  Capitel. 

Unterschiede  sind  aiissoi-ordentlicli  viel  geringer  als  die  Unterscliiede 
zwischen  dem  Ei  und  der  Samenzelle  ein  und  desselben  Organismus. 

Solche  formalen  Aehnlichkeiten  und  formalen  Unterscliiede  haben 
aber  wenig  zu  bedeuten,  wenn  wir  tiefer  auf  den  Grund  der  Sache 
gehen.  Denn  so  wie  Mensch,  Nagethier,  Wiederkäuer  und  wirbelloses 
Thier  in  ihrer  Organisation  mehr  oder  minder  tiefgreifende,  uns  äusserlich 
wahrnehmbare  Unterschiede  darbieten,  so  müssen  -auch  die  von  ihnen 
abstammenden  Geschlechtszellen,  insofern  sie  die  Anlagen  des  späteren 
ausgebildeten  Zustandes  darstellen,  durch  die  Beschaffenheit  der  Anlagen 
in  entsprechender  Weise  von  einander  unterschieden  sein,  nur  dass  die 
unterscheidenden  Momente  jetzt  auf  einem  unserer  Wahrnehmung  noch 
verschlossenen  Gebiete  liegen.  Auf  der  anderen  Seite  müssen  Ei-  und 
Samenzelle  ein  und  desselben  Organismus,  die  äusserlich  so  sehr  ungleich 
aussehen,  in  ihren  wesentlichen  Eigenschaften,  durch  welche  die  Anlage 
des  ausgebildeten  Geschöpfs  repräsentiert  wird,  nur  in  geringem  Grade 
voneinander  abweichen. 

Treffend  bemerkt  Nägeli  (IX.  20) :  „Die  Eizellen  enthalten  alle 
wesentlichen  Merkmale  ebenso  gut,  wie  der  ausgebildete  Organismus,  und 
als  Eizellen  unterscheiden  sich  die  Organismen  nicht  minder  voneinander, 
als  im  entwickelten  Zustande.  In  dem  Hühnerei  ist  die  Species  ebenso 
vollständig  enthalten,  als  im  Huhn,  und  das  Hühnerei  ist  von  dem  Froschei 
eben  so  weit  verschieden,  als  das  Huhn  vom  Frosch." 

Was  von  den  Eiern  gilt,  dasselbe  gilt  nicht  minder  auch  von  jeder 
einzelnen  Zelle  und  jedem  Zellencomplex,  welcher  als  Spore  und  Knospe 
vom  Mutterorganismus  abgelöst,  im  Stande  ist,  den  letzteren  wieder  zu 
erzeugen.  Auch  sie  müssen  alle  wesentlichen  Eigenschaften  des  Ganzen 
als  Anlagen  in  einem  unserer  Wahrnehmung  entzogenen  Zustand  enthalten. 

Welche  Vorstellungen  können  wir  uns  zur  Zeit  von  diesen  unsicht- 
baren Eigenschaften  der  Zellen  bilden,  durch  welche  sie  die  Anlage  für 
einen  zusammengesetzten  Organismus  abgeben?  In  welchem  Verhältniss 
stehen  Anlage  und  ausgebildeter  Zustand  zu  einander? 

Bei  der  Beantwortung  dieser  Fragen  stehen  wir  vor  den  aller- 
schwierigsten  Problemen,  welche  die  Lehre  vom  Leben  darbietet.  Mit 
ihnen  haben  sich  Naturforscher  und  Denker  zu  den  verschiedensten 
Zeiten  beschäftigt  und  ihre  Denkergebnisse  in  Hypothesen  zusammen- 
gefasst,  welche  die  Forschung  in  manchen  Zeiträumen  in  nachhaltiger 
Weise  beeinflusst  haben.  Auf  die  historisch  wichtigsten  derselben  in 
Kürze  einzugehen,  dürfte  sowohl  von  allgemeinem  Interesse  als  auch 
eine  passende  Einleitung  für  den  Versuch  sein,  die  Anschauungen  zu- 
sammenzustellen, zu  denen  die  moderne  Naturforschung  hinleitet. 

I.    Oeschichte  der  älteren  Entwicklungstheorieen. 

Zwei  bedeutende  Theorien  haben  sich  in  der  Wissenschaft  bis  in 
den  Anfang  unseres  Jahrhunderts  hinein  schroff  und  unvermittelt  gegen- 
über gestanden,  die  Theorie  der  Präformation  oder  Evolution 
und  die  Theorie  der  Epigenese. 

Der  Präform ationstheorie  huldigten  viele  der  Geistesheroen 
des  17.  und  18.  Jahrhunderts,  Swammerdam,  Malpighi  und  Leeuwenhoek, 
Haller,  Bonnet  (IX.  3)  und  Spallanzani  (vgl.  His.  IX.  14).  Sie  waren 
der  Ansicht,  dass  die  Keime  in  ihrem  Bau  mit  den  erwachsenen  Orga- 
nismen auf  das  Vollständigste  übereinstimmen  und  daher  von  Anfang  an 
dieselben  Organe  in  derselben  Lage  und  Verbindung  wie  diese,   nur  in 


Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Vererbuugstheorieen).  269 

einem  ausserordentlich  viel  kleineren  Zustand  besitzen  sollten.  Da  es 
nun  aber  mit  den  damaligen  Vergrösserungsgläsern  nicht  m(')giich  war, 
in  den  Eiern  am  Anfang  ihrer  Entwicklung  die  vorausgesetzten  Organe 
wirklich  zu  sehen  und  nachzuweisen,  nahm  man  zu  der  Hypothese  seine 
Zuflucht,  dass  die  einzelnen  Theile,  wie  Nervensystem,  Drüsen,  Knochen  etc. 
nicht  nur  in  einem  sehr  kleinen,  sondern  auch  in  einem  durchsichtigen 
Zustande  vorhanden  sein  müssen. 

Um  sich  den  Vorgang  verständlicher  zu  machen,  wies  man  als  er- 
läuternde Beispiele  auf  die  Entstehung  des  Schmetterlings  aus  der  Puppe 
und  namentlich  auf  die  Entstehung  einer  Pflanzenblüthe  aus  ihrer 
Knospe  hin. 

Wie  in  einer  kleinen  Knospe  von  den  grünen,  noch  fest  zusammen- 
geschlossenen Hüllblättern  doch  bereits  schon  alle  Blüthentheile,  wie  die 
Staubfäden  und  die  gefärbten  Kelchblätter,  eingehüllt  werden,  wie  diese 
Theile  im  Verborgenen  wachsen  und  sich  dann  plötzlich  zur  Blüthe  ent- 
falten, wobei  alle  bis  dahin  verborgenen  Theile  enthüllt  werden,  so 
sollten  auch  in  der  Thierentwicklung  die  bereits  vorhandenen,  aber 
kleinen  und  durchsichtigen  Theile  wachsen,  sich  allmählich  enthüllen  und 
unserem  Auge  erkennbar  werden. 

Daher  der  alte  Name  „Theorie  der  Evolution  oder  Ent- 
faltung", an  dessen  Stelle  man  neuerdings  die  noch  zutreffendere  und 
klarere  Bezeichnung  „Präformationstheorie"  eingeführt  hat.  Denn  das 
Eigenthümliche  dieser  Lehre  ist,  dass  sich  in  keinem  Augenblick  der 
Entwicklung  etwas  Neues  bildet,  vielmehr  jeder  Theil  von  Anfang  an 
vorhanden  oder  präformirt  ist,  dass  also  das  eigentliche  Wesen  der  Ent- 
wicklung, das  Werden,  in  Abrede  gestellt  wird.  „Es  giebt  kein  Werden," 
heisst  es  in  den  Elementen  der  Physiologie  von  Haller:  „Kein  Theil  im 
Thierkörper  ist  vor  dem  anderen  gemacht  worden,  und  alle  sind  zugleich 
erschaffen." 

In  schroffem  Gegensatz  zur  Präformationslehre  steht  die  Theorie 
der  Epi genese,  welche  ihren  Hauptvertreter  in  der  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts in  Caspar  Friedrich  Wolff  (IX.  56)  gefunden  hat.  Der- 
selbe stellte  in  seiner  bahnbrechend  gewordenen  Doctordissertation 
„Theoria  Generationis"  im  Jahre  1759  (deutsche  Ausgabe  1764)  dem 
damals  allmächtigen  Dogma  der  Präformation  den  wissenschaftlichen 
Grundsatz  entgegen:  was  man  nicht  mit  seinen  Sinnen  wahrnehmen 
könne,  sei  auch  nicht  im  Keime  präformirt  vorhanden.  Am  Anfang  sei 
der  Keim  nichts  Anderes  als  ein  unorganisirter ,  von  den  Geschlechts- 
organen der  Eltern  ausgeschiedener  Stoff,  welcher  sich  erst  in  Folge  der 
Befruchtung  während  des  Entwicklungsprocesses  allmählich  organisire. 

Aus  dem  zunächst  ungesonderten  Keim  Stoffe  lässt  Wolff  sich 
nacheinander  die  einzelnen  Organe  des  Körpers  sondern,  welchen  Pro- 
cess  er  in  einzelnen  Fällen  bereits  durch  Beobachtung  genauer  festzu- 
stellen suchte.  So  zeigte  er,  Avie  sich  aus  dem  Keimstoff  allmählich 
einzelne  Pflanzenorgane  sondern  und  dabei  in  ihrer  Form  Metamorphosen 
eingehen ;  er  lehrte ,  dass  sich  der  Darmkanal  des  Hühnchens  aus  einer 
blattförmigen  Anlage  entwickelt. 

Indem  Wolff  an  der  Hand  von  genauen  Untersuchungen  an  Stelle 
vorgefasster  Äleinungen  der  Beobachtung  und  sinnlichen  Wahrnehmung 
zu  ihrem  Rechte  verhalf,  hat  er  den  Grundstein  gelegt  zu  dem  stolzen 
Bau,  zu  dem  sich  in  unserem  Jahrhundert  die  Entwicklungslehre  auf  Grund 
von  Beobachtungen  allmählich  gestaltet  hat. 

Vergleichen  wir  jetzt  beide  Theorieen  prüfend  miteinander,  so  lassen 


270  Neuntes  Capitel. 

uns  beide  in  ihrer  älteren  Fassung  unbefriedigt.    Beide  haben  ihre  Achilles- 
ferse, an  der  sie  verwundbar  sind. 

Was  zunächst  die  Präforniationstheorie  anbetrifft,  so  trug  sie  einen 
Angriffspunkt  zu  einer  auf  dem  Standpunkt  der  Evolutionisten  unlös- 
baren, wissenschaftlichen  Fehde  in  sich,  insofern  sich  bei  den  höheren  Orga- 
nismen ein  jedes  Individuum  durch  das  Zusammenwirken  zweier  getrennter 
Geschlechter  entwickelt.  Als  man  daher  ausser  dem  thierischen  Ei  später 
auch  mit  den  Samenfäden  durch  Leeuwenhoeks  Entdeckung  (1677)  be- 
kannt geworden  war,  erhob  sich  alsbald  die  lebhaft  discutirte  Streit- 
frage, ob  das  Ei  oder  ob  der  Samenfaden  der  vorgebildete 
Keim  sei. 

Ein  Jahrhundert  lang  standen  sich  die  feindlichen  Schulen 
der  Ovisten  und  der  Animalculisten  entgegen.  Wie  die 
Ovisten,  Spallanzani  z.  B.,  das  unbefruchtete  Ei  des  Frosches  geradezu 
als  ein  kleines  Fröschchen  bezeichneten  und  den  Samen  nur  ein  Reiz- 
mittel sein  Hessen,  das  die  Bethätigung  des  Lebens  und  das  Wachsthum 
anrege,  so  glaubten  Vertreter  der  Animalculisten  bei  Zuhilfenahme  der 
damaligen  Vergrösserungsgläser  die  Samenfäden  auch  wirklich  mit  einem 
Kopf,  mit  Armen  und  mit  Beinen  ausgestattet  zu  sehen.  Sie  erblickten 
im  Ei  nur  den  geeigneten  Nährboden,  welcher  für  das  W^achsthum  des 
Samenfadens  erforderlich  sei. 

Aber  auch  ausserdem  musste  die  Präforniationstheorie  bei  einer  ins 
Einzelne  genauer  durchgeführten  Durchbildung  zu  sehr  bedenklichen 
Consequenzen  führen.  Eine  solche  Consequenz,  die  auch  die  Physiologen 
Haller  und  Spallanzani  nicht  glaubten  umgehen  zu  können,  ist  der  Satz, 
dass  in  einem  Keim  auch  die  Keime  für  alle  späteren 
Geschöpfe  schon  angelegt  oder  eingeschlossen  sein 
müssen.  Dieser  Satz  ist  die  noth wendige  Folgerung  aus  der  Thatsache, 
dass  sich  die  Thiergeschlechter  in  ununterbrochener  Reihenfolge  ausein- 
ander entwickeln.  Die  Präformationstheorie  hat  so  aus  ihrem 
Schoosse  als  natürliche  Frucht  die  „Einschachtelungs- 
theorie"  erzeugen  müssen  oder  wie  sich  Blumenbach  (IX.  2) 
scherzend  ausdrückt:  die  Lehre  von  den  „eingewickelten  Keimen".  Im 
Eifer  ist  man  sogar  so  weit  gegangen,  zu  berechnen,  wie  viel  Menschen- 
keime  im  Eierstock  der  Stammmutter  Eva  zum  mindesten  eingeschachtelt 
gewesen  sind,  wobei  man  damals  auf  die  Zahl  von  200,000  Millionen 
kam  (Elemente  der  Physiologie  von  Haller). 

Auf  der  anderen  Seite  führt  aber  auch  die  Theorie  der  Epigenese  in 
der  älteren  Fassung  bei  einer  tieferen  Durchführung  auf  Schwierigkeiten. 
Denn  in  welcher  Weise,  so  kann  man  fragen,  vermag  die  Natur  mit 
den  uns  bekannten  Kräften  aus  einem  uuorganisirten  Stoff  in  wenigen 
Tagen  oder  Wochen  einen  thierischen  Organismus,  ähnlich  seinen  Er- 
zeugern, neu  zu  bilden?  Hierüber  vermag  keine  Lehre,  welche  den 
Organismus  als  eine  vollständige  Neuzeugung  betrachtet,  uns  eine  irgend- 
wie annehmbare,  zufriedenstellende  Auskunft  zu  ertheilen. 

Blumenbach  (XI.  2)  nahm  daher  seine  Zuflucht  zu  einem  besonderen 
„Nisus  formativus"  oder  „  Bild ungs trieb " ,  welcher  die  unge- 
formten  väterlichen  und  mütterlichen  Zeugungssäfte  zur  „Formation", 
d.  h.  eine  bestimmte  Gestalt  anzunehmen  veranlasst  und  auch  später 
dafür  sorgt,  dass  Verstümmelungen  wieder  ersetzt  werden.  Aber  mit  der 
Annahme  eines  besonderen  Bildungstriebes  ist  doch  nicht  viel  mehr  als 
ein  leeres  Wort  für  eine  unbekannte  Sache  gewonnen. 

Neue  Grundlagen    für   die   Aufstellung  ver  voll  komm- 


Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Vererbungstheorieen).  271 

neter  Zeugungs-  und  Vererbungstheorieen  wurden  erst 
durch  die  Zellentheorie  und  ihre  weitere  Ausbildung 
von  der  Mitte  unseres  Jahrhunderts  an  allmählich  ge- 
schaffen. Diese  Grundlagen  sind:  erstens  die  Erkenntniss,  dass  Ei 
und  Samenfaden  einfache,  vom  Organismus  zum  Zweck  der  Fortpflanzung 
sich  ablösende  Zellen  sind  und  dass  die  entwickelten  Organismen  selbst 
nichts  Anderes  sind  als  geordnete  Verbindungen  von  ausserordentlich 
zahlreichen,  zu  verschiedenen  Zwecken  angepassten  Zellen,  entstanden 
durch  vielmals  wiederholte  Theilung  der  befruchteten  Eizelle.  Eine  zweite 
Grundlage  ist  die  sich  immer  mehr  Bahn  brechende  Vorstellung,  dass 
die  Zelle  etwas  ausserordentlich  Complicirtes,  d.  h.,  dass  sie  selbst  ein 
Elementarorganismus  ist.  Hierzu  gesellt  sich  drittens  die  tiefere  Er- 
kenntniss des  Befruchtungsvorganges,  der  Kernstructur  und  des  Kern- 
theilungsprocesses,  namentlich  der  Längsspaltung  und  Vertheilung  der 
Kernsegmente,  die  Entdeckung  der  Verschmelzung  des  Ei-  und  Samen- 
kerns, der  Aequivalenz  der  männlichen  und  weiblichen  Kernmasse  und 
ihrer  Vertheilung  auf  die  Tochterzellen,  der  Einblick  in  die  complicirten 
Processe  der  Ei-  und  Samenreife  und  der  durch  sie  herbeigeführten 
Reduction  der  Kernsubstanz. 

II.    Neuere  Zeuguugs-  und  Entwicklungstlieorieeii. 

Die  neuen  Zeugungstheorieen  sind  vor  allen  Dingen  von  Darwin 
(IX.  6),  Spencer  (IX.  26),  und  Nägeli  (IX.  20),  von  mir  (IX.  10-13) 
und  Strasburger  (IX.  27,  28),  von  Weisraann  (IX.  81— 34)  und  de  Vries 
(IX.  30)  ausgearbeitet  worden.  In  ihnen  erscheint  der  schroffe  Gegen- 
satz, in  welchem  sich  früher  die  Theorieen  der  Evolution  und  der 
Epigenese  einander  gegenüberstanden,  in  vieler  Hinsicht  vermittelt,  so 
dass  sie  in  einigen  Beziehungen  als  eine  Fortbildung  evolutionistischer 
Ansichten,  in  anderen  Beziehungen  ebenso  gut  als  eine  tiefere  Durch- 
führung epigenetischer  Ansichten  bezeichnet  werden  können,  wie  der 
denkende  Leser  leicht  herausfühlen  wird.  Von  den  alten  aber  unter- 
scheiden sich  die  neuen  Lehren,  trotzdem  sie  nicht  mehr  als  den  Namen 
von  Hypothesen  verdienen,  dadurch,  dass  sie  sich  auf  einem  reichen  und 
wohl  gesicherten  Schatz  zum  Theil  fundamentaler  Thatsachen   aufbauen. 

Es  würde  mich  zu  weit  führen,  wollte  ich  hier  eine  gesonderte  Dar- 
stellung der  Ansichten  der  oben  genannten  Forscher  geben,  die  trotz 
üebereinstimmung  in  vielen  wesentlichen  Dingen  in  Einzelheiten  doch 
wieder  weit  auseinandergehen.  Ich  werde  mich  daher  auf  eine  kurze 
Wiedergabe  dessen,  was  mir  die  Quintessenz  der  modernen 
Zeugungs-  und  Ent wicklungstheorieen  zu  sein  scheint,  be- 
schränken. 

Alle  die  zahlreichen  Eigenschaften,  welche  in  dem  entwickelten 
Organismus  wahrgenommen  werden,  sind  in  den  Geschlechtsproducten  als 
Anlagen  enthalten.  Sie  werden  von  dem  Erzeuger  wieder  auf  das  Zeugungs- 
product  übertragen  und  können  insofern  als  dessen  Erbmasse  (Idioplasma, 
Nägeli)  bezeichnet  werden.  Jede  Zeugung  und  jeder  Entwicklungsakt  ist 
daher  keine  Neubildung,  keine  Epigenesis,  sondern  eine  Umbildung,  eine 
Verwandlung  einer  Anlage  oder  einer  mit  potentiellen  Kräften  ausgestatteten 
Substanz  in"  einen  entwickelten  Organismus,  der  seinerseits  wieder  An- 
lagen erzeugt,  ähnlich  der  Anlage,  aus  der  er  selbst  hervorgegangen  ist. 

Bezeichnen  wir  den  ausgebildeten  Organismus  als  einen  Makrokosmus, 
so    stellt   im  Gegensatz    zu   ihm  die  Erbmasse   einen  Mikrokosmus  dar. 


272  Neuntes  Capitel. 

zusammengesetzt  aii  szahlreiehen,  gesetzmässig  angeordneten,  verschieden- 
artigen Stotf'theilchen,  die  mit  ihren  eigenen  besonderen  Kräften  ausge- 
rüstet Träger  der  erblichen  Eigenschaften  sind.  Wie  Pflanze  und  Thier 
sich  zuweilen  in  Milliarden  von  Elementartheilen,  in  die  Zellen,  zerlegen 
lassen,  so  ist  jede  Zelle  selbst  wieder  aus  sehr  zahlreichen,  kleinen,  hypo- 
thetischen Eleraentartheilchen  aufgebaut. 

Darwin,  Spencer,  Nägeli,  de  Vries  haben  ihren  hypothetischen  Ein- 
heiten verschiedene  Namen  beigelegt,  obwohl  sie  im  Wesentlichen  unter 
denselben  Aehnliches  verstehen.  Darwin  (IX.  6)  nennt  sie  in  seiner 
provisorischen  Hypothese  der  Pangenesis  K  e  i  m  c  h  e  n  oder  G  e  m  m  u  1  a  e , 
Spencer  (IX.  26)  spricht  in  seinen  Principien  der  Biologie  von  physio- 
logischen Einheiten,  Nägeli  (IX.  20)  von  Idioplasmatheilchen  oder 
Micellgruppen  und  de  Vries  (IX.  30)  in  Anlehnung  an  Darwins  Pangenesis 
von  Pangenen. 

W^as  sind  denn  nun  aber  diese  kleineren  Elementareinheiten  der 
Zellen,  für  welche  ich  im  Folgenden  das  Wort  Idioblasten  gebrauchen 
will,  in  Anlehnung  an  Nägeli,  welcher  über  die  uns  beschäftigenden 
Fragen  nach  meiner  Meinung  w^ohl  die  scharfsinnigsten  Erörterungen 
angestellt  hat? 

Bei  der  Beantwortung  der  Frage  ist  im  Auge  zu  behalten,  dass  sich 
eine  scharfe  Definition  für  den  Begriff  zur  Zeit  nicht  geben  lässt,  in  der 
Weise  wie  die  Chemie  und  Physik  ihre  Atome  und  Moleküle  zu  definiren 
vermag.  Wir  bewegen  uns  auf  einem  noch  sehr  dunklen  Gebiet,  etwa 
wie  die  Naturforscher  des  vorigen  Jahrhunderts,  als  sie  für  den  thierischen 
Körper  einen  Aufbau  aus  Elementareinheiten  nachzuweisen  versuchten. 
Naturgemäss  wird  die  Gefahr,  auf  Abwege  zu  gerathen,  um  so  grösser 
werden,  je  mehr  man  beim  Ausbau  einer  solchen  Hypothese  auf  das 
Specielle  einzugehen  versucht.  Ich  werde  mich  daher  so  weit  als  möglich 
nur  an  die  allgemeinsten  Eigenschaften  zu  halten  suchen. 

Die  hypothetischen  Idiolblasten  sind  die  kleinsten  Stofftheilchen,  in 
welche  sich  die  Erbmasse  oder  das  Idioplasma  zerlegen  lässt,  und  welche  in 
ihm  in  grosser  Zahl  und  verschiedener  Qualität  enthalten  sind.  Sie  sind  je 
nach  ihrer  verschiedenen  stofflichen  Natur  die  Träger  besonderer  Eigen- 
schaften und  rufen  durch  directe  Wirkung  oder  durch  verschiedenartig 
combinirtes  Zusammenwirken  die  unzähligen,  morphologischen  und  physio- 
logischen Merkmale  hervor,  welche  wir  an  der  Organismenwelt  wahr- 
nehmen. Sie  lassen  sich,  um  mich  zweier  Bilder  zu  bedienen,  einmal 
den  Buchstaben  des  Alphabeths  vergleichen,  die  gering  an  Zahl,  doch 
durch  ihre  verschiedene  Combination  Wörter  und  durch  Combination  von 
Wörtern  wieder  Sätze  von  verschiedenartigstem  Sinn  bilden.  Oder  sie 
sind  den  Tönen  vergleichbar,  durch  deren  zeitliche  Aufeinanderfolge  und 
gleichzeitige  Combination  sich  unendliche  Harmonieen  erzeugen  lassen, 

„Wie  die  Physik  und  die  Chemie,"  bemerkt  de  Vries,  „auf  die 
Moleküle  und  die  Atome  zurückgehen,  so  haben  die  biologischen  Wissen- 
schaften zu  diesen  Einheiten  durchzudringen,  um  aus  ihren  Verbindungen 
die  Erscheinungen  der  lebenden  Welt  zu  erklären." 

So  denkt  sich  Nägeli  „die  Merkmale,  Organe,  Einrichtungen, 
Functionen,  die  alle  uns  nur  in  sehr  zusammengesetzter  Form  wahr- 
nehmbar sind,  im  Idioplasma  in  ihre  wirklichen  Elemente  zerlegt."  Als 
solche  bezeichnet  de  V^ries  Stofftheilchen,  welche  das  Vermögen  besitzen, 
Chlorophyll  oder  Blumenfarbstoff,  Gerbsäure  oder  ätherische  Oele,  und 
fügen   wir   weiter  hin7Ai,   Muskelsubstanz,  Nervensubstanz  etc.  zu  bilden. 


Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Vererbungstheurieen).  273 

Aehnliche  Ideen  sind  in  etwas  anderer  Fassung  und  von  anderen  Ge- 
sichtspunkten aus  von  Sachs  (IX.  25)  in  seinem  Aufsatz  „Stoff  und  Form  der 
Ptianzenorgane"  ausgesprochen  worden,  wenn  er  sagt:  „Man  muss  ebensoviele 
specifische  Bildungsstoffe  annehmen,  als  verschiedene  Organfornien  an  einer 
Pflanze  zu  unterscheiden  sind."  Man  muss  sich  vorstellen,  dass  „sehr  kleine 
Quantitäten  gewisser  Stoffe  jene  Stoffmassen,  mit  denen  sie  gemischt  sind, 
dazu  bestimmen,  in  verschiedenen  organischen  Formen  zu  erstarren". 

Während  wir  uds  nur  unsicher  zur  Zeit  ausdrücken  können,  wenn 
es  sich  darum  handelt,  die  specifische  Natur  eines  einzelnen  Idioblasten 
anzugeben,  können  wir  dagegen  bestimmtere  Schlüsse  hinsichtlich  einiger 
ihrer  allgemeinen  Eigenschaften  ziehen. 

Es  lässt  sich  erstens  leicht  als  eine  Denknothwendigkeit  erweisen, 
dass  die  hypothetischen  Idioblasten  das  Vermögen  be- 
sitzen müssen,  gleich  den  höheren  Elementareinheiten, 
den  Zellen,  sich  durch  Theilung  zu  vervielfältigen.  Denn 
vom  Ei  erhält  ja  jede  Theilhälfte  und  von  dieser  wieder  jede  folgende 
Tochterzelle  Stofftheilchen  zuertheilt,  welche  die  Träger  specifischer 
Eigenschaften  sind;  also  muss  eine  Vermehrung  derselben  während  des 
individuellen  Entwicklungsprocesses  stattfinden;  sie  müssen  fortgesetzt 
theilbar  sein  und  müssen  daher  auch  das  Vermögen  eigenen  Wachsthums 
besitzen,  ohne  welche  fortgesetzte  Theilbarkeit  selbstverständlicher  Weise 
nicht  denkbar  ist.  Mit  logischer  Consequenz  nehmen  daher  Darwin, 
Kägeli  und  de  Vries  Wachsthum  und  Theilbarkeit  für  ihre 
Keimchen,  ihre  Idioplasmatheilchen  und  ihre  Pangene  an. 

Die  Annahme  der  Theilbarkeit  gestattet  uns  noch  einen  zweiten 
Schluss  über  die  Natur  der  Idioblasten  zu  ziehen,  den  Schluss  nämlich, 
dass  sie  ihrem  Wesen  nach  mit  den  Atomen  und  Molekülen  der  Chemie 
und  Physik  nicht  identisch  sein  können;  denn  die  ersteren  sind  untheil- 
bar,  die  letzteren  zwar  zerlegbar,  aber  nur  in  Theile,  welche  nicht  mehr 
die  Eigenschaften  des  Ganzen  besitzen.  Ein  bestimmtes  Eiweissmolekül 
kann  nicht  wachsen,  ohne  seine  Natur  zu  verändern ;  denn  wenn  es  sich 
neue  Atomgruppen  anlagert,  tritt  es  in  neue  Verbindungen  ein,  wodurch 
sein  früheres  Wesen  aufgehoben  wird,  und  ebenso  wenig  kann  es  in  zwei 
gleichartige  Eiweissmoleküle  zerfallen,  da  jede  Theilung  des  Moleküls 
ungleichwerthige  Atomgruppen  liefert.  Daher  sind  die  Idioblasten  nicht 
identisch  mit  den  von  Eisberg  und  Häckel  (IX.  8  b)  angenommenen 
Plastidulen.  Denn  letztere  besitzen  nach  Häckel  einmal  alle  die  physi- 
kalischen Eigenschaften,  welche  die  Physik  den  Molekülen  oder  den 
zusammengesetzten  Atomen  überhaupt  zuschreibt,  ausserdem  aber  noch 
besondere  Attribute,  welche  ihnen  ausschliesslich  eigenthümlich  sind,  näm- 
lich „die  Lebenseigenschaften,  durch  welche  sich  überhaupt  das  Lebendige 
vom  Todten,  das  Organische  vom  Anorganischen  unterscheidet". 

Unsere  Einheiten,  die  Keimchen  Darwins,  die  Pangeiie  von  de  Vries, 
die  physiologischen  Einheiten  von  Spencer  müssen  somit  zusammen- 
gesetztere Einheiten,  wenigstens  Molekülgruppen  sein.  In  dieser  Grund- 
anschauung stimmen  alle  eben  genannten  Forscher  überein.  So  bemerkt 
Spencer:  „Es  scheint  nichts  Anderes  übrig  zu  bleiben,  als  anzunehmen, 
dass  die  chemischen  Einheiten  sich  zu  Einheiten  unendlich  viel  compli- 
cirterer  Art  zusammenthun,  als  sie  selbst  sind,  so  complicirt  sie  auch 
sein  mögen,  und  dass  in  jedem  Organismus  die  durch  eine  solche  weitere 
Verbindung  hoch  zusammengesetzter  Moleküle  erzeugten  physiologischen 
Einheiten  einen  mehr   oder  weniger  verschiedenen   Charakter  besitzen." 

Heitwig,   Die  Zelle  und  die  Gewebe.  18 


274  Neuntes  Capitel. 

Weim  wir  uns  auf  den  Standpunkt  der  früher  besprochenen 
Nägeli'schen  Hypothese  von  der  Molekuhirstructur  orpanisirter  Körper 
stellen,  so  können  wir  uns  mit  Nägeli  von  der  Beschaffenheit  der  Iclio- 
blasten  folf^ende  Vorstellung;  bilden.  „P^benso  wenig  wie  Moleküle, 
können  sie  einzelne  Micellen  (krystallinische  Molekülgruppen)  sein,  denn 
wenn  diese  auch  als  Gemenge  von  verschiedenen  Albuniinatmodificationen 
ungleiche  Eigenschaften  besässen,  so  würde  ihnen  doch  die  Fähigkeit,  sich 
zu  vermehren  und  neue  gleiche  Micellen  zu  Inlden,  mangeln.  Wir  finden 
alle  Bedingungen  für  die  Beschaffenheit  der  Keimchen  bloss  in  unlöslichen 
und  festverbundenen  Gruppen  von  Albuminatmicellen;  nur  diese  können 
vermöge  ihrer  ungleichen  Anordnung  alle  erforderlichen  Eigenschaften 
annehmen  und  vermittelst  Einlagerung  von  Micellen  in  beliebigem  Maasse 
wachsen  und  durch  Zerfallen  sich  vermehren.  Die  Pangenesiskeimchen 
müssen  also  kleine  ivlengen  von  Idioplasma  sein." 

An  die  vorstehende  Erörterung  lässt  sich  die  Frage  anknüpfen: 
welche  Vorstellung  können  wir  uns  von  der  Grösse  und  Zahl  der 
in  einer  Gesammtaulage   enthaltenen  Idioblasten  machen? 

Was  die  Grösse  betrifft,  so  müssen  jedenfalls  die  Idioblasten  ausser- 
ordentlich klein  sein,  da  in  dem  winzigen  Samenfaden  alle  erblichen 
Anlagen  eines  hoch  zusammengesetzten  Organismus  vorhanden  sein 
müssen.  Nägeli  hat  denn  versucht,  sich  auf  Grund  von  Bereclmungen 
eine  ungefähre  Vorstellung  über  diesen  wichtigen  Punkt  zu  machen. 
Er  geht  von  der  Annahme  aus,  dass  die  hypothetische  Formel  der 
Chemiker  mit  72  Atomen  Kohlenstoff  (C  72  H  106  N  18  SO  22)  nicht  das 
Eiweissmolekül,  sondern  ein  aus  mehreren  Molekülen  krystallinisch 
gebautes  Micell  darstellt.  Das  absolute  Gewicht  desselben  beträgt  den 
trillionsten  Theil  von  3,53  mg.  Das  specifische  Gewicht  des  trockenen 
Eiweisses  ist  1,344.  Daraus  folgt,  dass  1  Cubikmikromillimeter  nahezu 
400  Millionen  Micellen  einschliesst.  Das  Volum  eines  solchen  Micells 
berechnet  Nägeli  auf  Grund  einiger  weiterer  Voraussetzungen  auf 
0,0000000021  C.-Mik.  Unter  der  Voraussetzung  ferner,  dass  die  Micellen 
prismatisch  und  bloss  durch  zwei  Schichten  von  Wassermolekülen  überall 
getrennt  sind ,  würden  auf  einem  Flächenraum  von  0,1  Q.-Mik.  25  000 
Micellen  Platz  finden.  In  einem  Körperchen  von  der  Grösse  eines  Samen- 
fadens würden  daher  immerhin  eine  beträchtliche  Menge  gnippenweise 
vereinter  Micellen  oder  Idioblasten  Platz  haben  können.  Nach  dieser 
Eichtung  stösst  die  vorgetragene  Theorie  auf  keine  Schwierigkeiten. 

Logische  Denkoperationeu  gewinnen  für  die  Naturforschung  um  so 
mehr  an  Werth,  als  sich  zeigen  lässt,  dass  sie  mit  wahrnehmbaren  That- 
sachen  in  Harmonie  stehen.  Zu  Gunsten  der  oben  gemachten  Annahme, 
dass  die  Idioblasten  sich  durch  Wachsthum  und  Selbsttheilung  vermehren, 
lassen  sich  denn  auch  folgende  Beobachtungen  geltend  machen: 

Die  Fähigkeit  der  Selbsttheilung  kommt  nicht  nur  der 
einzelnen  Zelle  als  dem  Elementarorganismus  zu,  sondern  nachgewiesener- 
maassen  kleinen,  in  der  Zelle  eingeschlossenen,  besonderen  Stoffmengen. 
So  vermehren  sich  durch  Einschnürung  die  Chlorophyll-,  Stärke-  und 
Farbstoff"bildner;  die  an  der  Grenze  des  mikroskopisch  Wahrnehmbaren 
stehenden  Polköqjerchen  betheiligen  sich  an  der  Kernsegmentirung  durch 
Einschnürung;  die  Kernsegmente  selbst  zerfallen  durch  Längsspaltung 
in  Tochtersegmente,  und  dies  beruht,  wie  man  vielfach  annimmt,  darauf, 
dass  im  Mutterfaden  qualitativ  verschiedene  Einlieiten,  Mutterkörner, 
hinter  einander  aufgereiht  sind,  welche  sich  in  zwei  Tochterkörner  ein- 
schnüren und  sich  dann  auf  die  Tochtersegmente  gleichmässig  vertheilen. 


Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Vererbungstheorieen).  275 

Wenn  es  sich  bei  allen  diesen  Theilungen  auch  nicht  um  Idioblasten 
handelt,  für  welche  wir  eine  viel  geringere  Grösse  angenommen  haben, 
so  dürfen  wir  doch  in  ihnen  Idioblastengruppen  erblicken.  Das  Werth- 
volle  der  angeführten  Beobachtungen  für  unsere  Theorie  besteht  darin, 
dass  sie  uns  lehren,  wie  in  der  Zelle  kleine  Stoffmengen  selbständig 
wachsen  und  sich  durch  Theilung  vervielfältigen  können. 

Endlich  sei  noch  eine  letzte  Annahme  der  Idioblastentheorie  kurz 
berührt. 

Wenn  aus  einer  Summe  einzelner  Anlagen  ein  bestimmter  Organis- 
mus zu  Stande  konmien  soll,  müssen  die  einzelnen  Anlagen  während  des 
Entwicklungsprocesses  sich  in  einer  regelmässigen  Folge  entfalten.  Aus 
Buchstaben  entstehen  Worte  und  aus  Wörtern  bestimmte  Sätze  mit  einem 
logischen  Inhalt,  und  desgleichen  entstehen  aus  Einzeltönen  Harmonieen 
und  ganze  Tonwerke  nur  durch  zweckentsprechende  Verknüpfung  der 
Grundelemente.  So  müssen  wir  denn  auch  annehmen,  dass  in  der 
Gesammtanlage  die  zahlreichen  Idioblasten  in  einer  gcsetzmässigen  Zu- 
sammenordnung enthalten  sind.  Hier  liegt  der  für  unsere  Vorstellung 
mit  den  grössten  Schwierigkeiten  verbundene  Theil  der  Theorie. 


Im  Vorhergehenden  sind  einige  logische  Grundlagen  für  eine  mole- 
kularphysiologische Zeugungs-  und  Vererbungstheorie  hauptsächlich  im 
Anschluss  an  Nägeli  entwickelt  worden.  Es  wird  Sache  der  zukünftigen 
Forschung  sein,  durch  Beobachtung  und  Experiment  Beweismaterial  für 
die  Richtigkeit  der  einzelnen  Annahmen  herbeizuschaffen  und  dadurch 
das  Gedankengebäude  mit  sinnlich  wahrnehmbaren  und  daher  der  Beob- 
achtung und  dem  Experiment  zugänglichen  Verhältnissen  in  Beziehung 
zu  setzen.  Ebenso  wie  der  physiologische  Gedanke  von  dem  Aufbau  der 
Organismenwejt  aus  Elementareinheiten  und  von  der  darauf  begründeten 
Uebereinstimmung  in  der  Structur  der  Pflanzen  und  Thiere  einen  realen 
Inhalt  in  dem  Erfahrungsschatz  der  Zellen-  und  Protoplasmatheorie 
gewonnen  hat,  so  muss  ein  entsprechender  Zustand  auch  für  die  Ver- 
erbungstheorie erstrebt  werden.  Mehrere  Versuche  sind  auch  bereits 
schon  in  dieser  Richtung  gemacht  worden.  Sie  knüpfen  an  die  bei  der 
Befruchtung  der  Thiere,  Pflanzen   und  Infusorien   beobachteten   Erschei- 


nungen an. 


III.    Der  Kern  als  Träger  der  erblichen  Anlagen. 

Strasburger  und  ich  haben,  veranlasst  durch  das  Studium  des  Be- 
fruchtungsprocesses  und  daran  angeknüpfte  theoretische  Erwägungen,  die 
Hypothese  aufgestellt,  dass  die  Kerne  die  Träger  der  erblichen  Eigen- 
schaften sind,  und  haben  der  Kernsubstanz  dadurch  eine  vom  Protoplasma 
verschiedene  Aufgabe  zuertheilt.  Kurze  Zeit  vorher  war  schon  Nägeli 
(IX.  20)  lediglich  auf  Grund  logischer  Erwägungen  zu  der  Annahme 
gezwungen  worden,  in  den  Geschlechtszellen  zwei  ihrem  Wesen  nach  ver- 
schiedene Arten  von  Protoplasma  zu  unterscheiden,  eine  Art ,  welche  in 
genau  gleichen  Mengen  in  der  Ei-  und  in  der  Samenzelle  vorhanden  ist 
und  die  erblichen  Eigenschaften  überträgt,  und  eine  zweite  Art,  welche 
im  Ei  in  grossen  Mengen  angehäuft  ist  und  in  welcher  sich  vorzugsweise 
die  Ernährungsprocesse  abspielen.  Die  erstere  bezeichnet  er  als  Idio- 
p  1  a  s  m  a ,  die  zweite  als  E  r  n  ä  h  r u  n  g  s  p  1  a  s  m  a.    Für  die  erstere  ni mmt 

18* 


276  Neuntes  Capitel. 

er  ein  festeres  Gefüge  mit  gesetzniässiger  Verbindung  der  Micellen,  für 
die  letztere  einen  grösseren  Wasserreichthuni  und  eine  mehr  lockere 
Aneinanderfügung  der  Micellen  an.  Das  Idioplasma  lässt  er  als  ein 
feines  Netzwerk  im  ganzen  Zellkörper  verbreitet  sein. 

Wer  überhaupt  die  logische  Berechtigung  für  die  Annahme  eines 
besonderen  Idioplasma  zugiebt,  wird  sich  dem  jetzt  genauer  zu  begrün- 
denden Gedankengang ,  dass  die  Kernsubstanz  die  Erbmasse  sei ,  nicht 
entziehen  können.  Auch  hat  diese  Theorie  den  nicht  zu  unterschätzenden 
Vorzug,  der  rein  logischen  Constmction  von  Nägeli,  welche  als  solche 
der  Beobachtung  unzugänglich  und  daher  nicht  fortbildungsfähig,  also 
auf  die  Dauer  unfruchtbar  ist,  einen  realen  Inhalt  gegeben  und  sie  da- 
durch in  das  Bereich  der  Beobachtung  und  weiterer  wissenschaftlicher 
Discussion  hineingezogen,  sie  also  fruchtbar  gemacht  zu  haben. 

Für  die  Hypothese,  dass  der  Kern  der  Träger  der  erblichen  Anlagen 
ist,  lassen  sich  vier  Gesichtspunkte  geltend  machen. 

1.  Die  Aequivalenz  der  männlichen  und  weiblichen  Erbmasse. 

2.  Die  gleichwerthige  Vertheilung  der  sich  vermehrenden  Erbmasse 
auf  die  aus  dem  befruchteten  Ei  hervorgehenden  Zellen. 

3.  Die  Verhütung  der  Summirung  der  Erbmasse. 

4.  Die  Isotropie  des  Protoplasma, 

1)   Die  Aequivalenz  der  männlichen  und  weibliehen  Erbmasse. 

Es  ist  ein  als  Wahrheit  sich  von  selbst  aufdrängender  und  daher 
gleichsam  als  Axiom  verwerthbarer  Gedanke,  dass  Ei-  und 
Samenzelle  zwei  einander  entsprechende  Einheiten  sind^ 
vondeneneine  jede  mit  allen  erb  lichenEi  genschaften  der 
Art  ausgestattet  ist  und  jede  daher  gleichviel  Erbmasse 
dem  Kind  überliefert.  Das  Kind  ist  im  Allgemeinen  ein 
Mischproduct  seiner  beiden  Eltern;  es  empfängt  von  Vater 
und  Mutter  gleiche  Mengen  von  Idioblasten  oder  wirk- 
samen Theilchen,  welche  Träger  der  vererbbaren  Eigen- 
schaften sind. 

Nun  gleichen  sich  aber  nur  bei  den  allerniedrigsten  Organismen  die 
Geschlechtszellen  in  ihrer  Grösse  und  stofflichen  Zusammensetzung;  bei 
den  höheren  Organismen  bieten  sie  in  beiden  Beziehungen  die  gewaltigsten 
Unterschiede  dar,  so  dass  in  extremen  Fällen  ein  thierischer  Samenfaden 
kaum  den  hundertmillionsten  Theil  eines  Eies  oder  sogar  noch  viel 
weniger  ausmacht.  Es  ist  wohl  nicht  denkbar,  dass  die  Träger  der  Anlagen, 
die  a  priori  nach  Zahl  und  Eigenschaften  als  gleichwTrthig  angenommen 
werden  mussten,  derartige  Differenzen  in  ihrem  Volum  darbieten  können. 
Dagegen  erklärt  sich  die  Thatsache,  dass  zwei  an  Masse  ganz  verschiedene 
Zellen  die  gleiche  Vererbungspotenz  besitzen,  in  sehr  einfacher  Weise 
durch  die  Annahme,  dass  in  ihnen  Substanzen  von  sehr  ver- 
schiedenem Werth  für  die  Vererbung,  idioblastische  und 
nicht  idioblastische,  neben  einander  enthalten  sind. 

Hieraus  erwächst  für  uns  die  Aufgabe,  im  Ei  und  Samenfaden  das 
Idioplasma  aufzusuchen  und  von  den  übrigen  Substanzen  zu  sondern. 

Zunächst  wird  von  vornherein  kein  Zweifel  darüber  bestehen,  dass 
die  im  Ei  eingeschlossenen  Reservestoffe,  Fettkügelchen,  Dotterplättchen 
etc.  in  die  Kategorie  der  für  die  Vererbung  unwirksamen  Keimstoffe  zu 
rechnen  sind.  Wenn  wir  von  denselben  aber  auch  ganz  absehen,  so  sind 
Ei-  und  Samenzelle  noch  immer  nicht  gleichwerthig  hinsichtlich  der  Menge 


Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Vererbuiigstlieorieen).  277 

ihrer  übrigen  Bestandtheile.  Denn  auch  das  Protoplasma  einer  grossen 
Eizelle  beträgt  nach  Abzug  aller  Dottereinschlüsse  ausserordentlich 
viel  mehr  als  die  Gesammtsubstanz  eines  Samenfadens;  es  entspricht 
daher  gleichfalls  nicht  der  oben  gestellten  Bedingung.  Derselben  genügt 
nur  ein  Theil  der  Ei-  und  Samenzelle;  das  ist  ihre  Kernsul)Stanz. 

Das  Studium  der  Befruchtungserscheinungen  im  Thier-  und  Pflanzen- 
reich liefert  hierfür  die  untrüglichsten  Beweise. 

Wie  im  siebenten  Capitel  beschrieben  wurde,  besteht  das  Wesen  des 
Befruchtungsprocesses  darin,  dass  ein  vom  Samenfaden  und  ein  von  der  Ei- 
zelle abstammender  Kern,  ein  Samenkern  und  ein  Eikern,  ein  jeder  be- 
gleitet von  seinen  Centralkörperchen,  sich  zusammenlegen  und  zu  einem 
Keimkern  verschmelzen,  von  dem  in  weiterer  Folge  durch  vielmals  wieder- 
holte Theilprocesse  alle  Kerne  des  entwickelten  Organismus  abstammen. 
Bei  den  Infusorien  legen  sich  sogar  zwei  Individuen  nur  vorübergehend 
aneinander,  um  die  Wanderkerne  auszutauschen,  welche  darauf  mit  den 
stationären  Kernen  der  Paarlinge  verschmelzen. 

Soweit  die  genaueste  Beobachtung  zeigt,  liefern  Ei-  und  Samenkern 
völlig  gleichwerthige  Stoffmengen  zur  Bildung  des  Keimkerns,  und  zwar 
gleich  viel  Polsubstanz,  die  ich  den  Kernbestandtheilen  hinzurechne,  und 
gleich  viel  Nuclein. 

Die  Gleichwerthigkeit  der  Polsubstanz  hat  Fol  (VII  14)  bewiesen. 
Für  die  Gleichwerthigkeit  des  Nucleins  sprechen  in  unwiderleglicher 
Weise  die  Beobachtungen  van  Benedens  (VI.  4b)  über  den  Befruchtungs- 
process  von  Ascaris  megalocephala. 

Wir  ziehen  somit  aus  den  Thatsachen  der  Befruchtungslehre  den 
wichtigen  Schluss: 

Da  bei  der  Befruchtung  die  Kernsubstanzen  (Nuclein 
und  Polsubstanz)  die  einzigen  an  Masse  äquivalenten 
Stoffe  sind,  die  sich  zu  einer  neuen  Anlage^  dem  Keim  kern, 
vereinigen,  so  können  sie  auch  allein  die  von  den  Eltern 
auf  das  Kind  übertragenen  Erbmassen  sein.  Wie  sich  hierbei 
Nuclein  und  Polsubstanz  zum  Problem  des  Idioplasma  verhalten,  entzieht 
sich  wohl  zur  Zeit  einer  Beantwortung. 

2)  Die  gleichwerthige  Verth eilung  der  sich  vermehrenden  Erbmassen 
auf  die  aus  dem  befruchteten  Ei  hervorgehenden  Zellen. 

Eine  gleichmässige  Vertheilung  der  sich  vermehrenden  Erbmasse 
zwischen  den  Descendenten  der  Eizelle  wird  durch  zahlreiche  Thatsachen 
der  Zeugung  und  Regeneration  unumgänglich  verlangt:  zuerst  durch  die 
einfache  Thatsache,  dass  jeder  Organismus  wieder  zahlreiche  Ei-  oder 
Samenzellen  hervorbringt,  die  wieder  dieselbe  Erbmasse  in  der  gleichen 
Menge  enthalten,  wie  die  Geschlechtszellen,  aus  denen  er  entstanden  ist. 

Zweitens  wird  diese  Annahme  nothwendig  gemacht  durch  die  Beob- 
achtung, dass  bei  vielen  Pflanzen  und  ebenso  auch  bei  vielen  niederen 
Thieren  fast  jeder  kleinste  Zellencomplex  des  Körpers  im  Stande  ist,  das 
Ganze  aus  sich  zu  reproduciren. 

Wird  das  Moospflänzchen  Funaria  hygrometrica  zu  einem  feineu 
Brei  zerhackt,  so  lässt  sich  auf  feuchter  Erde  aus  jedem  kleinsten 
Fragment  wieder  ein  ganzes  Moospflänzchen  züchten.  Die  Süsswasser- 
hydra  lässt  sich  in  kleine  Stückchen  zerschneiden ,  von  denen  sich  jedes 
wieder  zu  einer  ganzen  Hydra  mit  allen  ihren  Eigenschaften  umbildet. 
Bei    einem   Baum    können    sich    an   den    verschiedensten   Stellen  durch 


278 


Neuntes  Capitel. 


ins 
denzweig 


Wucherung  vegetativer  Zellen  Knospen  bilden,  die  zu  einem  Spross  aus- 
wachsen,  der,  vom  Ganzen  abgetrennt  und  in  Erde  verpflanzt,  sich  be- 
wurzelt und  zu  einem  vollständigen  Baum  wird.  Bei  Cölenteraten, 
manchen  Würmern  und  Tunicaten  ist  die  ungeschlechtliche  Vermehrung 
auf  vegetativem  Wege  eine  ähnliche,  da  fast  an  jeder  Stelle  des  Körpers 
eine  Knospe  entstehen  und  zu  einem  neuen  Individuum  werden  kann. 
Bei  Bougainvillea  ramosa  zum  Beispiel  (Fig.  168)  entwickeln  sich  neue 
Individuen  nicht  nur  als  Seitenzweige  des  Hydroidenstöckchens,  sondern 
auch  aus  Stolonen,  die  wurzelartig  sich  auf  irgend  einer  Unterlage 
ausbreiten  und  zur  Befestigung  des  Stöckchens  dienen. 

Drittens  zeigen  viele 
Vorgänge  der  Regeneration 
oder  Wiedererzeugung  ver- 
loren gegangener  Theile, 
dass  in  der  Zelle  ausser 
den  offenbar  gewordenen  Ei- 
genschaften auch  noch  an- 
dere, latente  Eigenschaften 
schlummern ,  welche  durch 
die  abnormen  Bedingungen 
zur  Entfaltung  gebracht  wer- 
den können. 

Ein  abgeschnittener  und 
Wasser  gestellter  Wei- 
entwickelt  wurzel- 
bildende Zellen  an  seinem 
unteren  Ende,  und  so  wird 
hier  von  Zellen,  die  im 
Plane  des  ursprünglichen 
Ganzen  eine  sehr  abwei- 
chende Function  zu  erfüllen 
hatten,  eine  den  neuen  Be- 
dingungen entsprechende 
Aufgabe  übernommen ,  ein 
Beweis,  dass  die  Anlage  dazu 
in  ihnen  gegeben  war.  Und 
so  können  sich  umgekehrt 
auch  aus  abgeschnittenen 
Wurzeln  Laubsprosse  bilden, 
die  dann  zu  ihrer  Zeit  selbst  männliche  und  weibliche  Geschlechtspro- 
ducte  hervorbringen.  In  diesem  Fall  stammen  also  direct  aus  Zellbe- 
standtheilen  einer  Wurzel  Geschlechtszellen  ab,  die  als  solche  wieder 
zur  Reproduction  des  Ganzen  dienen.  Aehnliche  Verhältnisse  zeigen  nach 
den  Untersuchungen  von  Loeb  (IX,  17)  einzelne  Hydroidpolypen. 

Die  Botaniker  hängen  zum  grössten  Theil  der  Lehre  an,  die  kürz- 
lich noch  de  Vries  (IX.  30)  gegen  Weismann  vertheidigt  und  in  den  Satz 
zusammengefasst  hat,  dass  alle  oder  doch  weitaus  die  meisten 
Zellen  des  Pflanzenkörpers  die  sämmtlichen  erblichen 
Eigenschaften  der  Art  im  latenten  Zustand  enthalten. 
Dasselbe  lässt  sich  aufGrund  von  Thatsachen  von  niedrigen 
thierischen  Organismen  sagen.  Für  höhere  Thiere  kann  man 
den  Beweis  allerdings  nicht  führen ;  deswegen  ist  man  aber  nicht  zu  der 
Folgerung  gezwungen,   dass  die  Zellen  der  höheren  und  niederen  Orga- 


Fig.   168.      Bougainvillea    ramosa.      Aus 
Lang. 

h   Hydranthen, 
erzeugen  (Amme),     m 
ramosa. 


welche    Medusenknospen    (mk) 
Losgelöste   Meduse  Margeiis 


Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Vererbungstheorieen).  279 

nisinen  insofern  verschieden  wären,  als  die  letzteren  alle  Eigenschaften 
der  Art  im  latenten  Zustand,  also  die  Gesammtheit  der  Erbmasse,  die 
ersteren  dagegen  nur  noch  Theile  von  ihr  enthielten.  Denn  ebenso  nahe 
liegt  der  Schluss,  dass  bei  den  höheren  Thieren  das  Unvermögen  der 
meisten  Zellen,  latente  Eigenschaften  zu  entfalten,  an  den  äusseren  Be- 
dingungen liegt,  z.  B.  an  der  zu  grossen  Differenzirung  des  Zellkörpers, 
in  welche  die  Erbmasse  eingeschlossen  ist,  und  an  anderen  derartigen 
Verhältnissen. 

Kein  geringerer  als  Johannes  Müller  (IX.  18)  hat  schon  die  Frage 
aufgeworfen:  „Wie  kommt  es,  dass  gewisse  Zellen  der  organischen  Körper, 
den  anderen  und  der  ersten  Keimzelle  gleich ,  doch  nichts  erzeugen 
können,  als  ihres  Gleichen,  d.  h.  Zellen,  aber  keineswegs  der  Keim  zu 
einem  ganzen  Organismus  werden  können?  wie  die  Hornzellen  zwar 
neben  sich  durch  Aneignung  der  Materie  neue  Hornzellen,  die  Knorpel- 
zellen neue  Knorpelzellen  in  sich  bilden,  aber  keine  Embryonen  oder 
Knospen  werden  können?"  Und  er  hat  auf  diese  Frage  geantwortet : 
„Dieses  kann  davon  abhängen,  dass  diese  Zellen,  wenngleich  die  Kraft 
zur  Bildung  des  Ganzen  enthaltend,  doch  durch  eine  specielle  Metamor- 
phose ihrer  Substanz  in  Hörn  und  dergleichen  eine  solche  Hemmung  er- 
fahren haben,  dass  sie  sowohl  bald  ihre  Keimkraft  am  Stammorganismus 
verlieren  und  todt  geworden  sich  abschuppen,  als  auch,  vom  Stamm  des 
Ganzen  getrennt,  nicht  wieder  Ganzes  werden  können." 

Mag  man  indessen  über  die  Verhältnisse  bei  den  höheren  Thieren 
denken  wie  man  will,  für  unsere  Zwecke  genügt  schon  vollständig  die 
Erkenntniss,  dass  bei  den  Pflanzen  und  bei  niederen  Thieren 
alle  vom  Ei  abstammenden  Zellen  in  gleichen  Verhält- 
nissen Erbmasse  enthalten.  Dieselbe  muss  daher  vor 
jeder  Theilung  in  den  Zellen  sich  durch  Wachsthum  auf 
das  Doppelte  vermehren.  Alle  Idioblasten  müssen  sich 
theilen  und  müssen  dann  in  qualitativ  und  quantitativ 
gleichen  Beträgen  auf  die  Tochterzellen  übertragen 
werden. 

Denselben  Gesichtspunkt  hat  Nägeli  entwickelt  (IX.  20  S.  531),  in- 
dem er  erklärt:  „Das  Idioplasnia  zerfällt,  indem  es  sich  fortwährend  im 
entsprechenden  Maasse  vermehrt,  bei  den  Zelltheilungen ,  durch  welche 
der  Organismus  wächst,  in  ebenso  viele  Partieen,  die  den  einzelnen 
Zellen  zukommen."  Daher  ist  „jede  Zelle  des  Organismus  idioplasmatisch 
befähigt,  zum  Keim  für  ein  neues  Individuum  zu  werden.  Ob  diese 
Befähigung  sich  verwirklichen  kann,  hängt  von  der  Beschaffenheit  des 
Ernährungsplasmas  ab". 

Wenn  wir  von  diesem  zweiten  Gesichtspunkte  aus  die  Lebensprocesse 
der  Zellen  überblicken,  so  kann  es  wohl  wiederum  keinem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  von  allen  uns  bekannten  Zelltheilen  die  Kernsubstanz  allein 
allen  geltend  gemachten  Bedingungen  und  zwar  in  vollem  Maasse 
genügt. 

In  allen  Elementartheilen  bei  Pflanzen  und  Thieren  zeichnet  sich 
der  Kern  durch  eine  überraschende  Gleichförmigkeit  aus:  Wenn  wir  von 
einzelnen  Ausnahmen  absehen,  die  eine  besondere  Erkläning  erheischen, 
erscheint  uns  der  Kern  in  allen  Elementartheilen  desselben  Organismus 
immer  nahezu  in  derselben  Form  und  Grösse,  während  das  Protoplasma 
an  Masse  ausserordentlichem  Wechsel  unterworfen  ist.  In  einer  Endothel- 
zelle,  einem  Muskel-  oder  Sehnenkörperchen,  ist  der  Kern  nahezu  eben- 
so beschaffen  und  ebenso   substanzreich,   wie  in  einer  Epidermis-,   einer 


280  Neuntes  Capitel. 

Leber-  oder  Knorpelzelle,  während  in  dem  ersten  Falle  das  Protoplasma 
nur  noch  in  Spuren  nachweisbar,   im  letzteren  reichlicher  vorhanden  ist. 

Aber  wichtiger  als  dies,  sind  die  so  auffälligen,  complicirten 
Erscheinungen  des  Kerntheilungsprocesses,  die  im  Lichte 
unserer  Theorie  erst  eine  tiefere  Bedeutung  gewinnen  und  dem  Ver- 
ständniss  erschlossen  werden.  Die  Anordnung  der  Substanz  in  Fäden,  die 
aus  kleinen,  aneinander  gereihten  Mikrosomen  bestehen,  die  Schleifen-  und 
Spindelbildung,  die  Halbirung  der  Fäden  ihrer  Länge  nach  und  die  Art 
ihrer  Vertheilung  auf  die  Tochterkerne  hat  doch  offenbar  keinen  anderen 
Zweck,  als  die  Kerusubstanz  in  zwei  gleiche  Hälften  zu  zerlegen  und  den 
Tochterzellen  ziizutheilen. 

Sehr  treffend  hat  schon  Eoux,  von  andern  Gesichtspunkten  als  den 
oben  ausgeführten  ausgehend,  „die  Kerntheilungsfiguren  als 
Mechanismen  bezeichnet,  welche  es  ermöglichen,  den  Kern 
nicht  bloss  seiner  Masse,  sondern  auch  der  Masse  und  Be- 
schaffenheit seiner  einzelnen  Qualitäten  nachzutheilen." 
„Der  wesentliche  Kerntheilungsvorgang  ist  die  Theilung  der  Mutterkörner ; 
alle  übrigen  Vorgänge  haben  den  Zweck,  von  den  durch  diese  Theilung 
entstandenen  Tochterkörnern  desselben  Mutterkornes  immer  je  eines  in 
das  Centram  der  einen,  das  andere  in  das  Centrum  der  andern  Tochter- 
zelle sicher  überzuführen."  Vertauschen  wir  in  diesem  Satz  das  Wort 
„Mutterkorn"  mit  dem  Wort  „Idioblast",  so  haben  wir  den  Process  der 
Kernsegmentirung  mit  der  Vererbungstheorie  in  Verbindung  gesetzt. 

Bei  der  Bedeutung  der  Kernsubstanz  als  Erbmasse  begreift  es  sich 
auch,  warum  dieselbe  den  gröberen  Vorgängen  des  Stoffwechsels,  wie  sie 
sich  im  Protoplasma  abspielen,  mehr  entzogen  und  zum  besseren  Schutz 
in  so  auffälliger  Weise  in  ein  mit  besonderer  Membran  versehenes  Bläs- 
chen eingeschlossen  worden  ist. 

3)  Die  Verhütung  der  Summirung  der  Erbmassen. 

Als  ein  sehr  wichtiges  Moment  in  der  Beweisführung  betrachte  ich 
den  dritten  Punkt,  nämlich  die  Verhütung  der  Summirung  der  Erbmassen 
bei  der  geschlechtlichen  Zeugung. 

In  Folge  des  Wesens  des  Kerntheilungsprocesses  erhält  jede  Zelle 
dieselbe  (^)uantität  Kernsubstanz  wie  die  befruchtete  Eizelle  Ä.  Wenn 
daher  zwei  ihrer  Descendenten  als  Geschlechtszellen  sich  wieder  ver- 
einigten, so  müsste  das  Zeugungsproduct  B  die  doppelte  Kernmasse  er- 
halten, als  die  Zelle  Ä  besass,  die  uns  zum  Ausgang  diente.  Erfolgte 
eine  neue  Copulation  in  der  dritten  Generation,  so  müsste  C  wieder  die 
doppelte  Kernmasse  von  B  oder  die  vierfache  von  Ä  erhalten,  und  so 
würde  bei  jeder  neuen  Zeugung  durch  den  Befruchtungsprocess  die  Kern- 
masse in  geometrischer  Progression  anwachsen.  Ein  solches  Anwachsen 
muss  daher  in  der  Natur  durch  irgend  einen  Vorgang  in  besonderer 
Weise  verhindert  werden. 

Dieselbe  Betrachtung  ist  auf  das  Idioplasma  anwendbai-,  wenn  das- 
selbe in  voller  Masse  auf  jede  Zelle  vererbt  und  jedes  Mal  durch  den 
Befruchtungsakt  verdoppelt  werden  würde.  An  und  für  sich  würde  zwar 
dadurch  seine  Natur  nicht  verändert  werden.  Denn  anstatt  zwei  Mal 
würden  alle  einzelnen  Anlagen  \ier  Mal ,  acht  Mal  und  noch  mehr  ver- 
treten sein.  So  würde  bei  Zunahme  der  Quantität  die  Qualität  immer 
dieselbe  bleiben.  Aber  es  liegt  auf  der  Hand,  dass  die  Massenzunahme 
nicht  eine  unbegrenzte   sein  kann.      Auch  Nägeli   und  besonders  Weis- 


Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Vererbungstheorieen).  281 

mann  haben  diese  Schwierigkeit  hervorgehoben  und  nach  einer  Erklärung 
gesucht. 

„Wenn  bei  jeder  Fortpflanzung  durch  Befruchtung",  bemerkt  Nägeli, 
„das  Volumen  des  irgendwie  beschaftenen  Idioplasmas  sich  vordoppelte, 
so  würden  nach  nicht  sehr  zahlreichen  Generationen  die  Idioplasniakörper 
so  sehr  anwachsen,  dass  sie  selbst  einzeln  nicht  mehr  in  einem  Spermato- 
zoid  Platz  fänden.  Es  ist  also  durchaus  iiotliwendig,  dass  bei  der  digenen 
Fortpflanzung  die  Vereinigung  der  elterlichen  Idioplasmakörper  erfolge, 
ohne  eine  den  vereinigten  Massen  entsprechende ,  dauernde  Vergrösse- 
rung  dieser  materiellen  Systeme  zu  verursachen."  Nägeli  sucht  diese 
Schwierigkeit  durch  die  Annahme  zu  beseitigen,  dass  das  Idioplasma  aus 
Strängen  bestehe,  die  er  in  besonderer  Weise  so  miteinander  verschmelzen 
lässt,  dass  der  Querschnitt  des  Verschmelzungsproductes  derselbe  wie  im 
einfachen  Faden  bleibt,  dagegen  eine  Zunahme  in  der  Länge  erfolgt 
(IX.  20  Seite  224). 

Namentlich  aber  hat  sich  Weismann  (TX.  32 — 34)  mit  dem  hier  auf- 
geworfenen Problem  eingehend  beschäftigt  und  darzuthun  versucht,  dass 
eine  Summirung  der  Erbmasse  durch  einen  Pteductionsprocess  verhütet 
werde,  durch  welchen  sie  jedesmal  vor  der  Befruchtung  auf  die  Hälfte 
verkleinert  werde.  Er  hält  die  theoretische  Forderung  einer  bei  jeder 
Generation  sich  wiederholenden  Reduction  so  sicher  begründet,  „dass  die 
Vorgänge,  durch  welche  dieselbe  bewirkt  wird,  gefunden  werden  müssten, 
wenn  sie  in  den  von  ihm  so  gedeuteten  Thatsachen  noch  nicht  enthalten 
sein  sollten". 

Weismann  ist  allerdings  zu  dieser  Forderung  durch  Anschauungen 
über  die  Natur  des  Idioplasma  geführt  worden,  welche  sich  mit  den  hier 
entwickelten  nicht  decken.  Sie  sind  von  ihm  als  Ahnenplasma- 
theorie  zusammengefasst  worden,  auf  deren  wesentliche  Gesichtspunkte 
ich  später  zurückkommen  werde. 

Es  führen  also  die  Untersuchungen  des  Befruchtungsprocesses  und 
der  Kerntheilung  einerseits,  logische  Erwägungen  über  die  Verschmelzung 
zweier  Erbmassen  und  ihre  Vertheilung  auf  die  Zellen  andererseits  zu 
derselben  Forderung,  dass  eine  Summirung  dort  der  Kernsubstanz, 
hier  der  Erbmassen  verhindert  werden  müsse.  Die  Uebereinstira- 
mung  spricht  gewiss  in  hohem  Maasse  für  die  Annahme ,  dass  die 
Kernsubstanz  selbst  die  gesuchte  Erbmasse  ist,  zumal  wenn  sich  bei 
der  Kernverschmelzung  Vorgänge  nachweisen  lassen,  durch  welche  in 
recht  augenfälliger  Weise  der  als  nothwendig  erkannten  Forderung  ent- 
sprochen wird. 

Um  zu  verhüten,  dass  durch  die  Addition  zweier  an  Masse  gleich- 
werthiger  Theile  das  Product  an  Masse  nicht  mehr  beträgt,  als  einer 
der  Theile  für  sicli,  kann  man  a  priori  wohl  nur  zwei  Wege  ein- 
schlagen. Entweder  man  halbirt  vorher  die  zu  vermischenden  Theile, 
oder  man  halbirt  das  durch  die  Vermischung  erhaltene  Product.  Die  Natur 
scheint  sich  beider  Verfahren  beim  Befruchtungsprocess  bedient  zu  haben. 

Das  eine  Verfahren  findet  sich  bei  phanerogamen  Pflanzen  und  liei 
Thieren  durchgeführt.  Bei  der  Keife  der  männlichen  und  weiblichen 
Geschlechtsproducte  wird  durch  den  auf  Seite  189  ausführlicher  l)eschrie- 
benen  Process  der  Reductionstheilnng  die  Kernmasse  der  Ei-  und  Samen- 
mutterzelle auf  vier  Enkelzellen  so  vertheilt,  dass  jede  von  ihnen  nur 
noch  die  halbe  Kernmasse  einer  gewöhnlichen  Zelle  und  in  entsprechender 
Weise  auch  nur  die  halbe  Zahl  von  Kernsegmenten  erhält. 

Das  zweite  Verfahren   sehe    ich   bei   dem   Befruchtungsi)rocess  von 


282  Neuntes  Capitel. 

Closterium  verwirklicht.  Hier  theilt  sich  nach  den  Beobachtungen  von 
Klebahn  (VII.  27)  der  durch  Verschmelzung  zweier  Kerne  entstandene 
Keinikern  sofort  zweimal  hintereinander,  wie  bei  der  Bildung  der  Pol- 
zellen ,  ohne  in  ein  Euhestadium  einzutreten.  Von  den  vier  bläschen- 
förmigen Kernen  gehen  zwei  zu  Grunde,  so  dass  jede  Theilhälfte  der 
ersten  Mutterzelle  nur  einen  Kern  erhält,  der  anstatt  die  Hälfte,  wie 
bei  einer  Normaltheilung,  nur  ein  Viertel  der  Substanz  des  Keimkerns 
besitzt.    (Siehe  die  Darstellung  und  Abbildungen  auf  Seite  224.) 

Wenn  u  n  s e  r  e  r  A  n  n  a h  m  e  n  a  c  h  K  e  r  n  m  a  s  s  e  un d  E  r  b  m  a s  s e 
ein  und  dasselbe  sind,  so  würde  sich  aus  dem  Process  der 
Reductionstheilung  die  Folgerung  nothwendig  ergeben, 
dass  die  Erbmasse  bis  zu  einem  gewissen  Grade  t heilbar 
ist,  ohne  ihre  Eigenschaft,  aus  sich  das  Ganze  zu  repro- 
duciren,  zu  verlieren.  Es  fragt  sich,  in  wie  weit  sich  diese  Auf- 
fassung rechtfertigen  lässt. 

Weismann  und  ich,  welche  wir  beide  die  Nothvvendigkeit  einer 
Massenreduction  betonen,  sind  im  Einzelnen  zu  sehr  verschiedenen  Auf- 
fassungen gekommen. 

In  seiner  Ahnenplasmatheorie  geht  Weismann  von  der  Voraussetzung 
aus,  dass  in  der  Erbmasse  sich  die  väterliclien  und  mütterlichen  Antheile 
getrennt  erhalten  und  Einheiten  bilden ,  die  er  Ahnenplasmen  nennt. 
Für  dieselben  nimmt  er  einen  sehr  verwickelten  Bau  und  eine  Zusammen- 
setzung aus  ungemein  zahlreichen,  biologischen  Einheiten  an.  Bei  jeder 
neuen  Befruchtung  kommen  nun  immer  zahlreichere  Ahnenplasmen  zu- 
sammen. Wenn  wir  uns  an  den  Anfang  des  ganzen  Befruchtungsprocesses 
zurückversetzen,  so  müssen  schon  bei  der  zehnten  Generation  1024  ver- 
schiedene Ahnenplasmen  in  die  Zusammensetzung  der  Erlmiasse  einge- 
gangen sein.  Damit  aber  die  Gesammtmasse  der  letzteren  bei  jeder  Be- 
fruchtung nicht  auf  das  Doppelte  anwachse,  lässt  Weismann  auf  den 
Anfangsstufen  des  Befruchtungsprocesses  die  Ahnenplasmen  theilbar  sein 
und  jedes  Mal  auf  die  Hälfte  verkleinert  der  folgenden  Generation  über- 
liefert werden,  „zuletzt  aber  muss  einmal",  so  wird  weiter  gefolgert,  „eine 
Grenze  dieser  steten  Verkleinerung  der  Ahnenplasmen  erreicht  werden, 
und  zwar  dann,  wenn  die  Substanzmenge,  welche  nöthig  ist,  damit  alle 
„Anlagen"  des  Individuums  darin  enthalten  sein  können,  ihr  Minimum 
erreicht  hat." 

Von  diesem  Zeitpunkt  an,  der  übrigens  bei  niedrigen,  sich  rasch 
vermehrenden  Organismen  in  wenigen  Jahren  erreicht  sein  würde,  müsste 
in  Folge  der  nicht  mehr  möglichen  Verkleinerung  der  Ahnenplasmen 
wieder  eine  Summirung  der  Erbmassen  durch  jede  neue  Befruchtung 
herbeigeführt  werden,  wenn  nicht  eine  neue  Einrichtung  getroffen  würde. 
Eine  solche  findet  Weismann  darin,  dass  jetzt  bei  der  Reife  der  Ge- 
schlechtsproducte  vor  der  Befruchtung  jedes  Mal  die  Hälfte  der  Ahnen- 
plasmen aus  der  Erbmasse  ausgestossen  werde  (Polzellenbildung).  An 
Stelle  der  Theilbarkeit  der  einzelnen  Ahnenplasmen  also 
tritt  von  dem  Zeitpunkt  an,  wo  sie  zu  nicht  mehr  theilbaren  Einheiten 
geworden  sind,  die  Theillbarkeit  der  Zahl  der  Ahnenplasmen. 

So  gestaltet  sich  nach  den  Annahmen  von  Weismann  die  Erbmasse 
zu  einem  ausserordentlich  complicirten  Mosaikwerk,  zusammengesetzt  aus 
zahllosen,  ihrer  Natur  nach  untheilbaren  und  mit  anderen  nicht  misch- 
baren Einheiten,  den  Ahnenplasmen,  von  denen  jedes  wieder  zusammen- 
gesetzt ist  aus  zahlreichen  Anlagen,  die  zur  Hervorrufung  eines  voll- 
ständigen Individuums  nothwendig  sind. 


Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Vererbungstheorieen).  283 

Demnach  würde  jede  Erbmasse  ihrer  Zusammensetzung^  nach  zahl- 
lose Individuen  aus  sich  hervorbringen  müssen,  wenn  jedes  Ahnenplasma 
activ  werden  könnte.  Das  Wesen  des  Befruchtungsvorganj^es  gestaltet 
sich  zu  einer  Zusammensetzung  und  Eliminirung  von  Ahnenplasmen. 
Eine  weitere  Consequenz  der  Ahnenplasmatheorie  ist  die  Häufung  gleich- 
v/erthiger  Anlagen  in  der  Erbmasse.  Denn  als  Glieder  einer  Art  sind 
die  zeugenden  Individuen  einander  in  ihren  Eigenschaften,  von  geringen 
individuellen  Färbungen  abgesehen,  wesentlich  gleich  Alle  Ahnenplasmen 
müssen  daher  wesentlich  dieselben  Anlagen  enthalten.  Dieselben  Anlagen 
werden  in  der  Erbmasse  so  vielmals  vertreten  sein,  als  die  Zahl  der 
Ahnenplasmen  beträgt,  wobei  die  meisten  einander  gleich  sind,  einige 
diese  oder  jene  Nuance  darbieten.  Alle  diese  gleichartigen  oder  nüan- 
cirten  Anlagen  aber  würden  in  keiner  directen  Beziehung  zu  einander 
stehen,  da  sie  bei  der  angenommenen  Untheilbarkeit  der  Ahnenplasmen 
integrirende  Bestandtheile  derselben  bleiben  müssen. 

Durch  die  Ahnenplasmatheorie  von  Weismann  wird  die  Frage  der 
Vererbung  anstatt  vereinfacht,  complicirt  gemacht,  und  dies  lediglich  der 
Annahme  zu  Liebe,  dass  die  väterlichen  und  die  mütterlichen  Erbmassen 
nicht  miteinander  mischbar  seien. 

Ich  sehe  ein  Verdienst  der  Weismanu'schen  Construction  darin  ge- 
zeigt zu  haben,  zu  welchen  Schwierigkeiten  gerade  diese  Annahme  führt. 
Dieselbe  erscheint  aber  völlig  überflüssig;  weder  Nägeli  noch  de  Vries 
machen  sie,  setzen  vielmehr  eine  Mischbarkeit  der  in  den  zwei  Erbmassen 
enthaltenen  Einheiten  voraus.  Auch  ich  kann  mir  den  Process  erblicher 
Uebertragung  nicht  anders  vorstellen ,  als  dass  die  I  d  i  o  b  1  a  s  t  e  n 
väterlicher  und  mütterlicher  Herkunft  sich  nicht  mehr 
als  Theile  zweier  getrennter  Anlagen  forterhalten,  sondern 
sich  in  irgend  einer  Weise  zu  einer  Mischanlage  vereinigen. 

Wie  lässt  sich  dann  bei  dieser  Voraussetzung  die  durch  die  ge- 
schlechtliclien  Zeugungsacte  bedingte  Sumrairung  der  Erbmasse  verhüten? 
Ich  glaube,  dass  sich  nicht  die  geringste  Schwierigkeit  erhebt,  wenn  wir 
eine  T  heil  barkeit  der  ganzen  Erbmasse  annehmen.  Diese  An- 
nahme hat  ja  auch  Weismann  für  die  Anfänge  der  geschlechtlichen  Zeugung 
gemacht,  da  sonst  eine  Summirung  der  Ahnenplasmen,  ohne  eine  Zu- 
nahme der  Erbmasse  zu  veranlassen,  überhaupt  nicht  hätte  eintreten 
können. 

Th eilbar  kann  aber  die  Erbmasse,  ohne  ihr  Wesen  zu 
verändern,  nur  sein,  wenn  in  ihr  die  einzelnen  Idioblasten 
in  mehrfacher  Anzahl  vorhanden  sind.  Da  nun  die  Kinder 
aus  zwei  nahezu  gleichwerthigen  Anlagecomplexen  der  Eltern  hervor- 
gehen, so  werden  in  der  kindlichen  Anlage  uleichwerthige  Idioblasten 
wenigstens  in  doppelter  Zahl  vertreten  sein  müssen.  Es  steht  aber  auch 
nichts  im  Wege,  anstatt  einer  doppelten  Zahl  eine  vier-,  acht-  oder 
allgemein  gesagt  überhaupt  eine  mehrfache  Zahl  gleichwerthiger  Idio- 
blasten in  der  Erbmasse  vorauszusetzen.  Dann  ist  aber  eine  Massen- 
reduction,  ohne  die  Natur  des  Idioplasma  selbst  zu  verändern,  selbstver- 
ständlicher Weise  möglich  in  der  Art,  wie  sie  bei  der  Reife  der  Geschlechts- 
producte  beobachtet  wird ,  und  sind  weitere  complicirte  Hülfshypothesen 
überflüssig. 

Um  die  sogenannten  Rückschläge  bei  der  Vererbung  zu  erklären, 
kommt  man  auch  ohne  die  Annahme  von  Ahnenplasmen  aus;  denn  wie 
wir  später  sehen  werden,  können  sich  Anlagen  latent  erhalten. 


284  Neuntes  Cajjitel. 

4)  Die  Isotropie  des  Protoplasma. 

Von  manchen  Seiten  ist  versucht  worden,  dem  .uanzen  Ei  eine 
Or.iianisation  zuzuschreiben  der  Art,  dass  es  aus  kleinsten  Tlieilchen 
zusammengesetzt  sei,  die  in  ihrer  räumlichen  Anordnung  Organen  des 
erwachsenen  Thieres  entsprechen  und  die  Anlagen  derselben  darstellen. 
Am  klarsten  ist  die  Auffassung  von  His  für  das  Hühnerei  formulirt 
woiden  in  seinem  Princip  der  organbildend  en  Keim  bezirke. 
Danach  muss  „einestheils  jeder  Punkt  im  Embryonalbezirk  der  Keimscheibe 
einem  späteren  Organ  oder  Organtheil  entsj)rechen  und  anderentheils  muss 
jedes  aus  der  Keimscheibe  hervorgehende  Organ  in  irgend  einem  räumlich 
bestimmbaren  Bezirk  der  flachen  Scheibe  seine  vorgebildete  Anlage  haben. 
Das  Material  zur  Anlage  ist  schon  in  der  ebenen  Keimscheibe  vorhanden, 
aber  morphologisch  nicht  abgegliedert  und  somit  als  solches  nicht  ohne 
Weiteres  erkennbar.  Auf  dem  Wege  rückläufiger  Verfolgung  werden  wir 
dahin  kommen,  auch  in  der  Periode  unvollkommener  oder  mangelnder 
morphologischer  Gliederung  den  Ort  jeder  Anlage  räumlich  zu  bestimmen ; 
ja  wenn  wir  consequent  sein  wollen,  haben  wir  diese  Bestimmung  auch 
auf  das  eben  befruchtete  und  selbst  auf  das  unbefruchtete  Ei  auszudehnen." 

Es  braucht  wohl  kaum  hervorgehoben  zu  werden,  in  w'elchem  schroffen 
Gegensatz  das  Princip  der  organbildenden  Keimbezirke  zu  der  oben  vor- 
getragenen Vererbungstheorie  steht.  Dasselbe  bietet  —  was  ihm  von 
vornherein  vorgeworfen  werden  muss  —  für  die  Wirksamkeit  der  väter- 
lichen Anlage  auf  die  Formbildung  des  Embryo  keinen  Piaum ;  es  müsste 
sclion  lediglich  aus  diesem  Grunde  fallen  gelassen  werden.  Aber  hiervon 
abgesehen,  lässt  es  sich  auch  auf  Grund  verschiedener,  experimenteller 
Thatsachen,  welche,  wie  Pflüger  sich  ausgedrückt  hat,  eine  Isotropie 
des  Eies  beweisen,  direct  widerlegen. 

Unter  Isotropie  des  Eies  versteht  Pflüger  (VII.  00)  die  Erscheinung, 
dass  der  Inhalt  des  Eies  nicht  in  der  Weise  gesetzmässig  angeordnet 
ist,  dass  sich  auf  diesen  oder  jenen  Theil  die  einzelnen  Organe  zurück- 
führen lassen.  Er  schliesst  dies  aus  Versuchen  an  Froscheiern.  Da 
dieselben  aus  einer  animalen,  schwarz  pigmentirten  und  aus  einer  vege- 
tativen, specifisch  schwereren,  helleren  Kugelhälfte  bestehen,  so  nehmen 
sie  im  Wasser  gleich  nach  der  Befruchtung  eine  genau  bestimmte  Gleich- 
gewichtslage derart  an,  dass  sie  die  schwarze  Seite  stets  nach  oben 
kehren,  wobei  die  Eiaxe,  die  Verbindung  des  animalen  mit  dem  vege- 
tativen Pol,  vertical  steht.  Der  Experimentator  kann  nun  eben  l3e- 
fruchtete  Eier  in  Zwangslage  bringen,  d.  h.  sie  verhindern,  dass  sie  sich 
in  der  Dotterhaut,  ihrer  Schwere  folgend,  drehen,  indem  Reibungen  an 
der  Dotterhaut  ihrer  Drehung  entgegenwirken.  Er  kann  z.  B.  dem  Ei 
eine  solche  Zwangslage  geben,  dass  die  Eiaxe,  anstatt  sich  vertical  ein- 
zustellen, in  eine  horizontale  Richtung  zu  liegen  kommt.  Wenn  jetzt  die 
erste  Theilung  beginnt,  so  bildet  sich  die  erste  Theilebene  trotz  der  ver- 
änderten Lage  des  Eies  doch  wieder  in  verticaler  Richtung  aus,  denn  ihre 
Stellung  hängt,  wie  auf  Seite  176  gezeigt  wurde,  von  der  Lage  der  Kern- 
spindel ab.  Der  Kern  aber  und  die  specifisch  leichteren  luhaltstheile 
erfahren  bei  der  Zwangslage  des  Eies  Umlagerungen ,  die  von  Born 
(IX.  37)  genauer  beschrieben  worden  sind  und  die  eine  verticale  Stellung 
der  ersten  Theilebene  zur  Folge  haben.  Letztere  kann  hierbei  mit  der 
horizontal  gelegenen  Eiaxe  bald  diesen,  bald  jenen  Winkel  beschreiben. 
Z.  B.  sah  Pflüger  öfters,  dass  die  erste  Theilungsebene  das  Ei  in  eine 
schwarze  und  in  eine  weisse  Hemisphäre  sonderte.  Hier  besteht  also 
ganz    off'enl)ar  jede   Halbkugel   aus   anderen    Substanztheilchen    als    bei 


Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Vererb ungstheorieen).  285 

der  normalen  Entwicklung.  Trotzdem  geht  aus  dem  Ei  ein  normaler 
Embryo  hervor  und  lässt  sogar  zur  Zeit ,  wo  Chorda  und  Rückenmark 
schon  entstanden  sind,  noch  erkennen,  dass  seine  eine  Körperhälfte 
dunkler  als  die  entgegengesetzte  gefärbt  ist.  Je  nach  der  einen  oder 
anderen  Stellung  der  ersten  Furchungsebene  müssen  sieh  die  einzelnen 
Organe  immer  aus  verschiedenen  Inhaltsportionen  des  Eies  aufbauen. 

Weitere  Beweise  für  die  Isotropie  des  Eies  liefern  die  Experimente 
von  Richard  Hertwig  und  mir  (VI.  38),  von  Boveri  (IX.  4),  von  Driesch 
(IX  7)  und  von  Chabry  (IX.  5). 

Richard  Hertwig  und  ich  fanden,  dass  sich  Seeigel-Eier  durcli  heftiges 
Schütteln  in  kleinere  Stücke  zerlegen  lassen,  die  sich  kuglig  abrunden 
und  durch  Samen  befruchtet  werden  können.  Aus  derartigen  kleinen, 
befmchteten  Stücken  konnten  von  Boveri  einzelne  Zwerglarven  gezüchtet 
werden. 

Driescli  hat  bei  normal  entwickelten,  zweigetheilten  Seeigeleiern 
durch  Schütteln  die  zwei  ersten  Furchungskugeln  voneinander  getrennt 
und  durch  Isolirung  derselben  festgestellt,  dass  aus  jeder  Hälfte  sich  eine 
normal  gestaltete,  nur  etwas  kleinere  Blastula  und  Gastrula  und  in  einzelnen 
Fällen  selbst  ein  Pluteus  entwickelt. 

Ein  entsprechendes  Ergebniss  hat  Chabry  gewonnen.  Er  hat  entweder 
bei  zweigetheilten  Ascidieneiern  die  eine  Theilhälfte  oder  auf  dem  Vier- 
theilungsstadium  eine  der  vier  Zellen  durch  Anstechen  zerstört.  In  vielen 
Fällen  gelang  es  ihm,  aus  so  verstümmelten  Eiern  vollständige  normale 
Larven  zu  züchten,  die  nur  zuweilen  untergeordnete  Organe  wie  einen 
Otolithen  oder  eine  Haftpapille  vermissen  Hessen. 

Aus  allen  diesen  Experimenten  wird  der  fundamentale  Satz  bewiesen, 
dass  der  Zellkern  in  einen  beliebigen  Bru  cht  heil  des  Ei- 
dotters eingeschlossen  noch  einen  vollständigen  Organis- 
mus hervorzubringen  i m  Stande  ist.  Die  Isotropie  des 
Eies  widerlegt  das  Princip  der  organbildenden  Keim- 
bezirke. Sie  ist  zugleich  ein  weiterer  Beweis  für  die 
Ansicht,  dass  das  I d i o p  1  a s m a  nicht  im  Protoplasma, 
sondern  im  Kern  zu  suchen  ist.  Zugleich  gestattet  sie  uns,  einige 
Schlüsse  über  den  Aufbau  des  Protoplasma  und  der  Kernsubstanz  zu 
ziehen. 

Das  Protoplasma  muss  aus  mehr  gleichartigen,  locker  untereinander 
verbundenen  Theilchen  oder  Micellen  bestehen.  Denn  erstens  genügen 
Bruchstücke  einer  Zelle,  wenn  sie  den  Kern  noch  besitzen,  um  eine 
normale  Entwicklung  durchzumachen  (siehe  die  Experimente  auf  Seite  264). 
Zweitens  kann  die  erste  Theilebene  durch  äussere  Eingriffe  veranlasst 
werden,  in  den  verschiedensten  Richtungen  den  Eiinhalt  zu  halbiren,  ohne 
dass  dadurch  das  Entwicklungsproduct  irgend  eine  Abweichung  von  der 
Norm  erführe.  Drittens  können  an  Froscheiern,  die  in  Zwangslage  gehalten 
sind,  unter  dem  Einfluss  der  Schwere  beträchtliche  Umlagerungen  der  Ei- 
substanzen  hervorgerufen  w^erden,  ohne  die  Entwicklung  zu  stören.  Viertens 
können  wir  auf  einen  lockern  Micellarverband  aus  der  Erscheinung  der 
Protoplasmaströmung  schliessen,  bei  welcher  ja  nothwendiger  Weise  die 
Micellengruppen  sich  in  den  verschiedensten  Richtungen  und  scheinbar 
regellos  an  einander  vorbeischieben  müssen.  Auf  eine  stabilere  Anordnung 
der  Kernsubstanz  dagegen  weist  die  Complicirtheit  der  ganzen  Kern- 
segmentirung  hin. 

Einen  gleichen  Unterschied  hat  Nägeli  für  sein  hypothetisches  Er- 
nährungsplasma und  sein  Idioplasma  angenommen.    „Wenn  die  Anordnung 


286  Neuntes  Capitcl. 

der  Micellen,'"  heisst  es  l)ei  ihm  (p.  27,  41),  „die  specifischen  Eigenschaften 
des  Idioplasnias  begründet,  so  muss  das  letztere  eine  ziemlich  feste 
Substanz  darstellen,  in  welcher  die  Micellen  durch  die  in  dem  lebenden 
Organismus  wirksamen  Kräfte  keine  Verschiebung  erfahren,  und  in  welcher 
der  feste  Zusammenhang  bei  der  Vermehrung  durch  Einlagerung  neuer 
Micellen  die  bestimmte  Anordnung  zu  sichern  vermag.  Das  gewöhnliche 
Plasma  dagegen  ist  ein  Gemenge  von  flüssigem  und  festem  Plasma, 
wobei  die  beiden  Modificationen  leicht  ineinander  übergehen  und  die 
Micellen  oder  Micellverbände  der  unlöslichen  Modification,  wie  dies  für 
das  strömende  Plasma  nicht  anders  angenommen  w^erden  kann,  sich  mit 
grosser  Leichtigkeit  gegenseitig  verschieben."  Nägeli  bezeichnet  es  daher 
als  „eine  kaum  von  der  Hand  zu  weisende  Annahme,  dass  das  Idio- 
plasma  durch  den  ganzen  Organisnuis  als  zusammenhängendes  Netz 
ausgespannt  sei." 

IV.    Die  Entfaltung:  der  Anlagen. 

Wenn  wir  eine  besondere  Anlagesubstanz  oder  Idioplasma  in  der 
Zelle  unterscheiden,  so  bleibt  zu  untersuchen,  in  welcher  Weise  die  ein- 
zelnen Idioblasten  wirksam  werden  und  durch  ihre  Entfaltung  die  speci- 
fischen Eigenschaften  oder  den  Charakter  einer  Zelle  bestimmen. 

Man  hat  sich  vorgestellt,  dass  das  Idioplasma  während  des  Entwick- 
lungsprocesses  des  Eies  durch  den  Kerntheilungsprocess  qualitativ  ungleich 
getheilt  würde,  so  dass  ein  Theil  der  Zellen  diese,  ein  anderer  Theil 
wieder  jene  Eigenschaften,  die  sich  dann  später  in  ihnen  entfalten  wür- 
den, überliefert  bekäme.  Nach  dieser  Anschauung  würde  die  wesentliche 
Form  der  Entwicklung  darin  bestehen,  den  gesammten  Anlagecomplex, 
welchen  das  Idioplasma  des  befruchteten  Eies  repräsentirt,  nach  und  nach 
in  seine  einzelnen  Anlagen  zu  zerlegen  und  dieselben  örtlicli  und  zeitlich 
verschieden  auszutheilen.  Nur  die  Zellen,  welche  zur  Wiedererzeugung 
des  Organismus  dienen,  sollen  eine  Ausnahme  machen  und  beim  Ent- 
wicklungsprocess  den  gesammten  Anlagecomplex  wieder  empfangen.  Es 
wird  also  eine  doppelte  Vertheilungsweise  des  Idioplasma  angenommen, 
eine  gleichartige  durch  Wachsthum  und  Halbirung  und  eine  ungleich- 
artige durch  Zerlegung  in  verschiedenartige  Componenten. 

Wie  ein  solcher  Vorgang  sich  in  Wirklichkeit  in  einem  concreten 
Fall  vollziehen  soll,  ist  nicht  leicht  vorzustellen.  Auch  setzt  sich  diese 
Annahme  in  Widerspruch  init  den  schon  früher  angeführten  Thatsachen 
der  Zeugung  und  Regeneration,  mit  der  Thatsache,  dass  bei  Pflanzen  und 
niederen  Thieren  fast  jeder  Zellenhaufen  das  Ganze  wieder  erzeugen 
kann,  und  mit  der  Thatsache,  dass  Zellen  ihre  Function  verändera 
können,  wie  das  Studium  der  Regeneration  lehrt. 

So  erscheint  denn  die  von  mir  (IX.  10 — 13)  mehrfach  verfochtene 
Ansicht,  die  auch  von  Nägeli,  de  Vries  etc.  getheilt  wird,  in  grösserem 
Rechte,  dass  im  Allgemeinen  jede  Zelle  eines  Organismus 
den  ganzen  Anlagecomplex  von  der  Eizelle  empfängt  und 
ihre  besondere  Natur  nur  dadurch  bestimmt  wird,  dass  je 
nach  den  Bedingungen  aus  dem  Anlagecomplex  einzelne 
Anlagen  oder  Idioblasten  in  Wirksamkeit  treten,  während 
die  anderen  latent  bleiben. 

In  welcher  Weise  aber  können  einzelne  Idioblasten  activ  werden 
und  die  Natur  einer  Zelle  bestimmen  ?    Zwei  Hypothesen  bieten  sich  uns 


Die  Zelle  .'ils  Anlage  eines  Organismus  (Vererbungstheorieen).  287 

hier  dar,  eine  dynamische  und  eine  materielle,  die  eine  von  Nägeli  (IX.  20), 
die  andere  von  de  Vries  (IX.  BU)  entwickelt. 

Nägeli  lässt,  um  die  specifische  Wirksamkeit  des  Idioplasma  in  der 
Zelle  zu  erklären,  „jeweilen  eine  bestimmte  Micellgruppe  oder  einen 
Complex  von  solchen  Gruppen  thätig  werden,"  das  heisst  „in  bestimmte 
Spannungs-  und  Bewegungszustände  gerathen,'-  und  er  lässt  „diese  locale 
Erregung  durch  dynamische  Einwirkung  und  durch  Uebertragung  eigen- 
thümlicher  Schwingungszustände  bis  auf  eine  mikroskopisch  sehr  geringe 
Entfernung  die  chemischen  und  plastischen  Processe  beherrschen."  „Es 
erzeugt  weicheres  Ernährungsplasma  oft  in  tausendfacher  Menge,  und 
mit  Hilfe  desselben  bewirkt  es  die  Bildung  von  nicht  albuminartigem 
Baumaterial,  von  leimgebenden,  elastischen,  hornartigen,  celluloseartigen 
Substanzen  u.  s.  w.,  und  es  giebt  diesem  Baumateiial  die  gewünschte 
plastische  Gestalt."  „Welche  Micellgruppe  des  Idioplasma  während  der 
Ontogenese  in  Erregung  gerathe,  hängt  von  der  Configuration  desselben, 
von  den  vorausgegangenen  Erregungen  und  von  der  Stelle  im  individuellen 
Organismus  ab,  an  welcher  sich  das  Idioplasma  befindet." 

Anstatt  der  dynamischen  Hypothese  nimmt  de  Vries  (IX.  30)  eine 
Beeinflussung  des  Zellcharakters  auf  materiellem  Wege  an.  Er  denkt 
sich,  dass  in  der  Anlagesubstanz,  während  die  meisten  Idio- 
blasten  oder  „Pangene"  (de  Vries)  inactiv  bleiben,  einige 
in  Wirksamkeit  treten,  wachsen  und  sich  vermehren.  Da- 
bei wandert  ein  Th eil  von  ihnen  aus  dem  Kern  in  das  Pro- 
top 1  a  s  m  a  aus,  um  hier  ihr  W a c h s t h u m  und  ihre  Vermeh- 
rung in  einer  der  Function  entsprechenden  Weise  fortzu- 
setzen. Das  Verlassen  des  Kerns  kann  aber  stets  nur  der  Art  ge- 
schehen, dass  alle  Arten  von  Idioblasten  in  ihm  vertreten  bleiben. 

Die  Hypothese  von  de  Vries  scheint  mir  zur  Zeit  die  einfachere  Er- 
klärung zu  sein  und  sich  manchen  Erscheinungen  besser  anzupassen.  So  sind 
z.  B  ,  wie  früher  beschiieben  wurde,  in  der  Ptlanzenzelle  besondere  Stärke- 
bildner, Chromatophoren  und  Chlorophyllkörner  vorhanden,  Träger  einer 
specifischen  Function,  die  selbständig  wachsen  und  sich  vermehren  und 
sich  bei  jeder  Zelltheilung  von  einer  auf  die  andere  Zelle  vererben.  De 
Vries  nennt  dies  „Erblichkeit  ausserhalb  der  Zellkerne." 
Nach  seiner  Hypothese  würden  es  activ  gewordene  Idioblasten  sein,  die 
sich  im  Protoplasma  vermehrt  und  zu  grösseren  Einheiten  verbunden 
haben,  während  sie  ausserdem  noch  im  Kern,  in  der  Anlagesubstanz, 
inactiv  vertreten  sind.  Dasselbe  würde  für  die  Centralkörperchen  gelten, 
wenn  sie  sich  nicht  schon  an  sich  als  zum  Kern  gehörig  erweisen  sollten. 

Durch  die  Hypothese  der  „intracellularen  Pangenesis" 
wird  der  scharfe  (jegensatz,  der  anscheinend  durch  die  Erblichkeits- 
theorie zwischen  Kernsubstanz  und  Protoplasma  geschaffen  worden  ist, 
vermittelt,  ohne  dabei  den  Grundcharakter  der  Theorie  aufzuheben;  es 
wird  ferner  derWeg  gezeigt,  wie  eineZelle  dieGesammt- 
heit  der  Eigenschaften  des  ganzen  zusammengesetzten 
Organismus  latent  enthalten  und  dabei  doch  specifisch  functio- 
niren  kann. 

Die  Ueberlieferung  eines  Charakters  und  seine  Ent- 
wicklung sind,  wie  de  Vries  mit  Recht  hervorhebt,  verschiedene 
Vermögen.  Die  Ueberlieferung  ist  die  Function  des  Kernes, 
die  Entwicklung  ist  Aufgabe  des  Protoplasma.  Im  Kerne 
sind  alle  Arten  von  Idioblasten  des  betreffenden  Indi- 
viduums vertreten;  —  daher  ist   er  das  Vererbungsorgan 


288  Neuntes  Capitel. 

kat-exogen;  —  das  übrige  Protoplasma  enthält  in  jeder 
Zelle  im  Wesentlichen  nur  die  Idioblasten,  welche  in  ihr 
zur  Thätigkeit  gelangen  sollen  und  in  einer  entsprechen- 
den Weise  ausserordentlich  vermehrt  sein  können. 

Wir  haben  daher  zwei  Arten  der  Vermehrung  der  Idio- 
blasten zu  unterscheiden,  eine  auf  die  Gesammtheit  sich 
erstreckende,  die  zur  Kerntheilung  und  zur  gleich- 
massigen  Verth  eil  ung  auf  die  beiden  Tochterzellen  führt, 
und  eine  gewissermassen  functionelle  Vermehrung,  welche 
nur  die  in  Action  tretenden  Idioblasten  betrifft,  auch 
mit  stofflichen  Veränderungen  derselben  verbunden  sein 
wird  und  sich  besonders  ausserhalb  des  Kerns  im  Proto- 
plasma a  b  s  ])  i  e  1 1. 

Auf  diesem  Wege  werden  wir  auch  dazu  geführt,  eine  Zusammen- 
setzung des  Protoplasma  aus  kleineren  Elementareinheiten  anzunehmen, 
wie  sie  in  der  letzten  Zeit  mehrere  Forscher,  von  anderen  Voraus- 
setzungen ausgehend,  gelehrt  haben,  Altmann  (IL  1)  in  seiner  Theorie 
der  Bioblasten  und  Wiesner  (IX.  35)  in  seinem  kürzlich  erschienenen  Buch : 
„Die  Elementarstructur  und  das  Wachsthum  der  lebenden  Substanz." 

Wie  der  Kern,  ist  auch  das  Protoplasma  aus  zahl- 
reichen, kleinen,  durch  ihre  chemi  sehe  Zusammensetzung 
unterschiedenen  Stofftheilchen  aufgebaut,  welche  das 
Vermögen  besitzen,  Stoff  zu  assimiliren,  zu  wachsen  und 
sich  durch  Selbsttheilung  zu  vermehren.  (Omne  granulum  e 
granulo,  wie  sich  Altmann  ausdrückt.)  Stoff  zum  Wachsthum  ist  ihnen 
in  der  Flüssigkeit  geboten,  von  welcher  Kern  und  Protoplasma  reichlich 
durchtränkt  sind  und  in  welcher  sich  plastische  Stoffe  der  verschiedensten 
Art  (Ei Weissstoffe,  Fette,  Kohlenhydrate,  Salze)  gelöst  vorfinden. 

Zum  Unterschied  von  den  Idioblasten  des  Kerns  wollen  wir  die 
E 1  e  m  e  n  t  a  r  e  i  n  h  e  i  t  e  n  des  Protoplasma  als  P 1  a  s  o  m  e  be- 
zeichnen, einen  Namen,  den  Wiesner  für  sie  vorgeschlagen  hat. 

Wie  von  den  Idioblasten  des  Kerns  die  Plasome  (gleichsam  activ  ge- 
wordene Idioblasten)  nach  der  Theorie  der  „intracellularen  Pangenesis" 
abstammen  würden,  so  könnten  die  Plasome  wieder  den  Ausgangspunkt 
für  die  organischen  Plasmaproducte  bilden,  indem  sie  je  nach  ihrer  speci- 
fischen  Natur  diese  oder  jene  anderen  Stoffe  an  sich  binden;  es  könnten 
z.  B.  gewisse  Arten  von  Piasomen  durch  Verbindung  mit  Kohlenhydraten 
die  Cellulosehaut  oder  durch  Verbindung  mit  Stärke  die  Amylumkörner 
erzeugen;  sie  könnten  demnach  als  Zellhautbildner  und  Stärkebildner 
bezeichnet  werden. 

So  lassen  sich  die  verschiedensten  Vorgänge  im  Zellen- 
leben von  einem  einheitlichen  Gesichtspunkt  aus  als 
Lebensprocesse  kleinster,  organisirter,  sich  selbständig 
vermehrender,  verschiedenartiger  Stofftheilchen  erfassen, 
die  im  Kern,  im  Protoplasma  und  im  organisirten  Plasma- 
product  in  verschiedenen  Phasen  ihrer  Lebensthätigkeit 
vertreten  sind. 

Wiesner  hat  seine  hiermit  übereinstimmende  Auffassung  in  den 
Sätzen  zusammengefasst :  „Es  ist  eine  durch  den  Entwicklungsgang  der 
neuen  Forschung  uns  förmlich  aufgenöthigte  Annahme,  dass  das  Proto- 
plasma noch  andere  theilungsfähige ,  organisirte  Individualitäten  birgt, 
ja  dass  es  ganz  und  gar  aus  solchen  lebenden  Theilungskörpern  bestehe." 


Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Vererbungstheorieen).  289 

Durch  ihre  Theihmg"  „wird  das  Wuchsthuin  vermittelt"  und,  „an  sie  sind 
alle  Voraänge  des  Lebens  innerhalb  des  Oroanisnius  ijeknüpft."  „Sie  sind 
also  als  die  wahren  Elenientarorgane  des  Lebens  zu  l)etrachten." 


Literatur.     IX. 

1)  R.    S.  Bergh.      Kritik    einer    modernen    Hypothese    von    der    Uchertragung    erblielier 

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3)  Bonnet.     Considerations  sur  les  corps  organises.     Amsterdam  1762. 

4)  Boveri.      Ein    gescldechtUch    erzeugter    Organismus    ohne    mütterliche    Eigenschaften. 

Gesellschaft  f.  Morphol.  u.  Fhysiol.  zu  München.    1889. 

5)  Chabry.     C'ontribution   a   Vembryologie   normale    et   teratologique    des  Ascidies  simples. 

Journal  de  l'anat.  et  de  la  phys.     1887. 

6)  Darwin.      Das   Variiren    der    Thiere    und   Pßanzcn    im   Zustande    der    Domcslication. 

Bd.  IL 
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zellen    in    der   Echinodermetientwicklung.      Experimentelle   Erzeugung    von    Theil-    und 
Doppelbildungen.     Ziitschr.  f.  wissenschaftl.   Zoologie.     Bd.  LIII.     Leipzig  1891. 

8)  Haeekel.     Generelle  Morphologie. 
Derselbe.     Diu  Perigenesis  der  Flastidule. 

9)  V.  Hensen.     Die    Grundlagen   der    Vererbung  nach    dem   gegenwärtigen    Wissenskreis. 

Landivirthiichaftl.  .Jahrbücher.     Bd.  XLV.     1885. 

10)  Oscar  Hertwig.     Das   Froblem    der   Befruchtung   und  der   Isotropie   des  Eies,    eine 

Theorie  der   Vererbung.     -Jena  1884. 

11)  Derselbe.      Vergleich  der  Ei-  und  Samenbildung  bei  Nematoden.    Eine  Grundlage  für 

celluläre  Streitfragen.     Archiv  f.  wissenschaftl.  Anatomie.     Bd.  XXXVL.     1890. 

12)  Derselbe.      Urnmnd  und  Spina   bifida.      Archiv  f.  mikrosk.  Anatomie.     Bd.  XXXIX. 

1892. 
18)     Der  selbe.     Aeltere  und  neuere  Entwicklungstlieorieen.     1892. 

14)  W.  His.     Die  Theorieen  der  geschlechtlichen  Zeugung.    Archiv  f.  Anthropologie.    Bd.  IV 

u.    V.    1871,  1872. 

15)  Derselbe.      Unsere  Körperform  u.  das  physiologische  Problem  ihrer  Entstehung.    Briefe 

an  einen  befreundeten  Naturforscher.     1874. 
16j     KÖUiker.     Bedeutung  der  Zellkerne  für  die   Vorgänge   der    Vererbung.     Zeitschrift  f. 
wissenschaftl.  Zoologie.     Bd.  XLLI. 
Derselbe.     Das  Karyoplasma   und    die    Vererbung.     Eine  Kritik   der    Weismann' sehen 
Theorie    von    der    Continuität    des    Keimplasmas.      Zeitschr.  f.  wissenschaftl.    Zoologie. 
Bd.  XLIV.    1866. 

17)  Loeb.      Untersuchungen  zur  physiologischen  Morphologie   der    Thiere.     Organbildung  u. 

IVachsthum.    1892. 

18)  Johannes  Müller.     Handbuch  der  Physiologie  des  Menschen. 

19)  Joseph  Müller.     Veber  Gamophagie.    Ein  Versuch  zum  weiteren  Ausbau  der  Theorie 

der  Befruchtung  u.    Vererbung.     Stuttgart  1892. 

20)  Nägeli.     Mechanisch -phi/siologischc  Theorie  der  Abstammungslehre.     München  1884. 

21)  Nussbaum.     Zur  Dißhmzirung    des  Geschlechts   im  Thierreich.     Archiv  f.  mikrosk- 

Anatomie.     Bd.  XT'III. 
Derselbe.      Ueber  die  Veränderungen  der  Geschlechtsprodukle  bis  zur  Eifurchung,  ein 
Beitrag  zur  Lehre  von  der  Vererbung.     Archiv  f.  mikrosk.  Anatomie.     Bd.  XXIII. 

22)  Pfiüger.     Loc.  citat.  Cap.  VII. 

23)  Roux.     Beiträge   zur   Entwicklungsmechanik    des  Embryo    im  Froschei.     Zeitschrift  f. 

Biologie.     Bd.  21.     1885. 

24)  Derselbe.      Ueber   die    künstliche    Hervorbringung   halber  Embryonen    durch   die   Zer- 

störung einer  der  beiden  ersten  Furchungskugeln.    Virchow's  Archiv.    Bd.  CXIV.  1888. 

25)  Sachs.      Ueber  Stof  und  Form   von.   Pßanzenorganen.     Arbeiten   des    botan.  Instituts. 

Würzburg.     Bd.  II  u.  III. 

26)  Spencer.     Die  Principien  der  Biologie.      Uebersetzt  von   Vetter.     1876. 

27)  Strasburger.     Neue   Untersuchungen  über  den  Befruchtungsvorgang  bei  den  Fhanero- 

gamen  als  Grundlage  für  eine  Theorie  der  Zeugung.     .Jena  1884. 

28)  Derselbe.     Ueber  Kern-  und  Zelltheilung  im  Pflanzenreich,  nebst  einem  Anhang  über 

Befruchtung.     .Jena  1888. 
Hertwig,   Die  Zelle  und  die  Gewebe.  19 


290     Neuntes  Capitel.    Die  Zelle  als  Anlage  eines  Organismus  (Vererbungstheorieen). 

29)  VÖchting.      lieber  Onjmibildung  im  Pßavzenreich.     Bonn  1878. 

30)  Hugo  de  Vries.      Intracellulare  Fangenesis.     Jena  1889. 

31)  Weismann.      Ucber   Vererbung.      1H83. 

Derselbe.     Di«  Continuitiit   des   Keimpiasinas   als   Grundlage   einer    Theorie   der   Ver- 
erbttng.      188,'). 

32)  Derselbe.     Die  Bedeutung  der  sexuellen  Forlpflanzung  für  die  Selectionsüieorie.    1886. 
38)     Derselbe,      lieber    die    Zahl   der   Richtung slcör per    und   über   ihre    Bedeutung  für   die 

Vererbung.     1881. 

34)  Derselbe.     Amphimixis  oder  die   Vermischung  der  Fndividuen.     Jena  189]. 

35)  Wiesner.     Die  Elementarstruclur  und  das   Wachsthum  der  lebenden  Substanz.     1892. 

36)  Caspar  Friedr.  WolfF.     Theorie  von  der  Generation.     1764. 

37)  Born.      Ueber  den  Einfluss  der  Schwere  auf  das  Frosehei.    Arcli.f.  mikrosk.  Anatomie. 

Bd.  24. 


Register. 


Abortiveier  192. 
Acetabularia  245. 
Achromatische  Kernfigur  146. 
Actinosphärium  30. 

Aepfelsäure  als  Lockmittel  für  Samenfäden 
der  Farne  97. 

Aequivalenz  der  männliclien  und  weiblichen  Erb- 
masse 276. 

—  der  Kernsubstanz    bei  der  Befruch- 

tung 219. 

Aethalium  septicum  16.  81.  91.  94.  95. 

Affinität,     sexuelle     240.      Beeinflussung    der- 
selben durch   Eingriffe   250. 

Ahnenplasmatheorio  281. 
Algen  4.  7.  29. 
Alveolarschicht  19. 
Amitose  166. 

Amöbe.      Bau  24.      Bewegung  derselben  56. 

—  Reizung  87.    91. 

Amphiaster  156. 
Amphipyrenin  37. 
Amyloplasten  180.  133. 
Anästhetica  92. 

—  Wirkung  auf  Mimosa,  auf  Eier  und 

Samenfäden  93. 
Analyse  der  Eiterkö:  perchen   17. 
Anilinfarben.      Aufnahme    in  die  lebende  Zelle. 

111. 
Animalculisten  270. 
Anlage  eines  Organismus  267.  271.  274. 

—  Entfaltung   der  Anlagen   286. 

Antheridien.     Ablenkung  241. 
Anticline  Theilebene  177. 
Aphiden  237. 
Apogamie  236.  240. 
Apposition  133.  137. 
Archoplasma  153. 

Aroideen.      Erwärmung   der  Blüthenkolben    107. 

Ascaris  raegalocephala.     Kemtheilung  152. 

—  Reductionstheilung   der  Samenzellen    189. 

—  Reductionstheilung  der  Eizellen    191. 

—  Corps  re'siduels   198. 

—  Befruchtung   209. 

Aschenanalysen  von  Fucusarten  111. 

Ascidien.       Kemvemiehrung    an    jungen    Eizellen 

171. 


Asparagin.     Reizmittel  für  Bacterium  termo  und 

Spirillum  98. 
Asplenium.      Apogamie  desselben  240. 
Assimilation  108. 
Athmung  der  Zelle  105. 

—  intramoleculare    107. 

Attractionscentren  197. 
Attractionssphäre  146.  153. 
Aureola  (Fol)  207. 

Bacterien  als   Reagenz   auf  Sauerstoff  95.   99. 
—  anaerobe   105. 

Bacterienfalle  98. 

Basidiobolus   ranarum.     Einfluss  der  Ernährung 
auf  Bildung   der   Geschlechtszellen  236. 

Bastarde  250. 
Bastardbefruchtung  248. 
Becherzelle  31. 
Befruchtungsbediirftigkeit  233. 
Befruchtungserscheinungen  161. 
Befruchtungsprocess  202. 
Befruchtung  202. 
Befi'UChtung  des  Echinodermeneies  206. 

—  von   Ascaris    meg.    209. 

—  von   Phanerogamen    (Lilium    Marta- 

gon)   210. 

—  der  Infusorien  212. 

—  der  Vorticellen   217. 

—  der  Noctilucen    223. 

—  der  Desmidiaceeii   223. 

—  der  Zygnemaceen    225. 

—  von  Spirogyra   225. 

—  von   Monjeotia   225. 

—  von   Botrydiuro   228. 

—  von   Phaeosporeen   229. 

—  der   Algen  228. 

—  isogame.   oogarae  228. 

—  der  Cutleriaceen   229. 

—  der  Fucaceen   229. 

■ —  der   Volvocineen    230. 

—  von     kernlosen     Protoplasmastücken 

240. 
Bewegiingserscheinungeii  des  Protoplasma 

s.  Protoplasmabewegung. 
Bewegungserscheinuugen    von    Oelgemischen 

61—63. 

19* 


292 


Register. 


Bewegungserscheinungen    der    Geissei     und 

Flimmerzellen   64. 

—  der  contractilen  Vacuolen  69. 

—  in   Folge  von  Zug   72. 

—  bei   Erwärmung   78. 

—  bei  Lichtreiz   81. 

Bienen  236. 

Bildungstrieb  270. 

Binnenbläschen  von  Thaiassicolla  170. 

Bioblasten  von  Altmann  22, 

Blattgrün  131. 

Botrydium  83.  228. 

Brechuugslinie  bei  der  Zellthellung   181. 

Carica  papaya  123. 
Celliüarpathologie  3. 

Cellulose.     Bildung   123. 

—  Reaction  135. 

Centralkörperchen  der  Zeiie  47. 

—  —  der  Lymphkörperchen  47. 

—  —  der  Pigmentzelle   48.    146. 

—  —  bei  Ueberfrnchtung  196.219. 

—  —  im      befruchteten      Ei      der 

Echinodermen  207. 

—  —  im  Ei  von   Ascaris   210. 

—  —  der  Eadiolarien   171. 

—  —  der  Pbanerogamen   211. 

—  —  (männliches,  weibliches)  207. 

212. 
Centralspindel  162. 
Centrolecithal  187. 
Centrosoma  47.  146. 
Characeen.    Rotation  59. 

—  Kern   169. 

—  Parthenogenese  237. 
Chemie   des  Stoffumsatzes   119. 

Chemische  Reize  91. 

—  —       bei  der  Kerntheilung  194. 

Chemotaxis  94. 
Chemo tropismus  76. 

—  von   Aethalium  94. 

—  Bacterien  und   Infusorien    95. 

—  der  Samenfäden  97. 

—  der  Lymphkörperchen   99. 
Chitinhaut  140. 

Chloral.      Wirkung   auf  Eier  und  Samenfäden  93. 
—  Auf  Kerntheilung    194. 

Chloroform  93.  94. 
Chlorophyll  131. 
Chlorophyllkorn  131. 
Chlorophyllfunction  108.  120. 

—  gehemmt  durch  Chloroform 

94.  109. 
Chlorophyllwanderung  bei  Lichtreiz  84. 
Chorda  dorsalis  128. 
Chromatin  13.  34. 
Chromatische  Kernfigur  147. 
Chromatophoren  81. 
Chromoplasten  130. 
Chromosomen  145. 

Circulation  des   Protoplasma  59.   60. 

Closterium  224.  282. 
Colloide  Stoffe  49. 

Conjugaten.      Befruchtung  223. 
Conjugationsepidemie  der  Infusorien  213. 


Constanter  Strom.      Einwirkung  auf  Rhizopoden 

87. 

Corps   residuols  von   Ascaris   198. 

Corydalis  cava  246. 

Cuticula.      Cnticulargebilde  139. 

Cutleriaceen.     Befruchtung  229.  235. 

—  Sexuelle  Affinität  241. 

Cytoblast  143. 
Cytoblastem  7.  143. 

I>aphnoiden.     Parthenogenese   237. 

Dauereier  237. 

Dauerstoffe  der  Zeile  24. 

Degeneration    des   Kern?,    der    Infusorien    213. 

246.  234.  235. 
Desmidiaceen  223. 
Deutoplasma  23. 
Diapedesis  99. 
Diastase  122. 
Dotter  128.  129. 
Dotterhaut  206. 
Dotterkerne  187. 
Drosera  123. 

Echinodermen.     Eitheilnng  155. 
Eikern  161. 
Einschachtelungstheorie  270. 

Eiweiss,   circulirendes   27. 

Eiweisskörper  peptonisirt  122. 

Eiweissbildung  120, 

Eiweisskrystalle  122.  129. 

Eiweissmolecül  16. 

Ektocarpus  236. 

Electrische  Reize  86. 

Elementartheil.   Elementareinheit  3.  4.  22. 

272.  288. 
Elementarorganismus  9.  22. 

Embryosack   der  Pbanerogamen   188.   210. 

Empfänguissfleck  (bei  Algen)  229. 
Empfängnisshügel  des  Eies  206.  243. 

Energie,   potentielle   und   kinetische   103. 

Entwicklungstheorieen  268. 
Epigenese  269. 

Epistylis.      Befruchtung  217. 

Erbmasse  271. 

—  Aequivalenz  derselben  276. 

—  Vertheilung    derselben    auf    die    Zellen 

277. 

—  Verhütung  der  Sumrairung  280. 

—  Theilbarkeit   derselben   282. 

—  Mischbari;eit  283. 

Ersatztheorie  220. 
Eudorina  203.     Beftuchtung  230. 
Euglena  viridis  (Lichtreiz)  82. 
Evolutionstheorieen  269.  271. 

Fädchensubstanz  21.  27. 

Faltenkranz   des   Froscheies    157. 
Farbkömer  der  Pflanzenzelle   132. 
Farbstoffe.     Aufnahme  in  die  lebende  Zelle   111. 

Fermente  104.  122. 

Fermentwirkung  1 22 . 

Fett  123.  128. 

Filartheorie  von  Flemming  21. 

Fleischfressende  Pflanzen  123. 


Register. 


293 


Plimmern.      Flimmerbewegmig     64.      Entstehung 
der  Flimmern   64.   68. 

Formative  Thätigkeit  der  Zelle  118. 
Fortpflanzung  der  Zelle   143. 
Fragmentirung  des  Kerns  166. 

Fl'itillaria    imperialis.       Kerntheilung    im    Km- 

bryosack    158. 

—  —  der   Pollenzellen    lö9. 
Fucaceen.      Befruchtung   229. 

Furchungskern  208. 
Furcliungsprocess  des  Eies  180 — 187. 

Cralvanotropismus  76.  88. 
Gametangien  228. 
Gameten  228.  234. 
Gaskammer  92. 

GefäSSe  der  Pflanzen   4. 

Geissein  64. 

Gemmulae  (Darwins)  272. 
Generationswechsel  204. 
Geotropismus  76. 
Gerüsttheorie  des  Protoplasma    18. 
Geschichte   der   Zellentheorie  3.   4. 

—  der   Protoplasmatheorie   7. 

Geschlechtsdifferenzen  221.  223. 
Geschlechtsdimorphismus  der  Vorticelleu  217. 

Geschlechtskern   der   Infusorien   212. 

Geschlechtslosigkeit  234. 
Geschlechtssporen  228. 
Geschlechtsreife  234.  285. 
Glitschbewegung  58. 
Glycogen  122.  128. 
Granula  21.  22.  38. 
Granulatheorie  von  Altmann  21. 
Gromia  oviformis  26.     Bewegung  57. 

Grundformen  der  geschlechtlichen  Zeugung   223. 

Guaniukrystalle  129. 
Halbkern  220. 

Hantelfigur  hei   der  Eitheilung    156. 
Hauptkern   der  Infusorien   212.   215. 
Hauptspindel  der   Infusorien   215. 

Hautplasma  13. 

Hautschicht  der  Zelle   13. 

—  des  Eies  von  Rana   14. 

—  ihre    Holle    bei    der    Osmose     113. 

Heliotropismus  76. 
Hermaphroditisnuis  des  Kerns  220. 
Hyaloplasma  13. 
Hydrocharis  57. 
Hydrodiktyon,   Experimente  235. 
Hydrotropismus  96. 

Idioblasten  272. 

—  Grösse   und   Zahl   derselben   274. 

—  Anordnung   275. 

Idioplasma  271.  275. 
Incrustation  der  Zeilhaut  136. 

Infusorien.      Befruchtungsbedürftigkeit   234. 

—  Befruchtung   212. 

—  Galvanotropismus  derselben   88. 

Intercellularsubstanz  140. 
Interfilarmasse  21. 
Intracellulare  Pangenesis  287. 


Intracellulare  Verdauung  116. 
Intramoleculare  Wärme  103. 
Intramoleculare  Athmung  107. 
Intussusception  137. 
Invertin  122. 
Inzucht  245. 
Irritabilität  der  Zelle  75. 
Isogam  228. 

Isotropie   des   Protoplasma  284. 

Kältestarre,  Kältetod  79. 
Karyokinese  145. 
Karyolyse  160. 
Keim  18. 

Keimbläschen,  Keimfleck  42. 
Keimflecke  von  Mollusken  43.  44. 
—  von  Asteracanthion  45. 

Keimkern  208. 
Kern  s.  Zellkern. 
Kerndegeneration  198. 
Kernfärbung  34.  35. 
Kerngerüst  40. 

Kernlose  Elementarorganismen  46. 
Kernmembran  37. 
Kernsaft  37. 

Kernsegmente    145.      Spaltung    derselben    150. 

-     154. 

Kernsegmente.      Zahl   bei  der  Beductionstheilung 

189. 

—  bei  der  Befruchtung  210.  211. 

219. 
Kernsegmentirung    145.      Bedeutung  derselben 

280. 

Kernspindel    146.     Entstelmng    149.     Bau   der- 
selben   161.      Herkunft    163. 

Kernstructur  38 — 45. 

Kerntlieilung.   Beeinflussung  derselben  durch  Ein- 
griffe   192. 

—  pathologische    196. 

—  mehrpolige    196. 

Kernsubstanz  32.  34. 
Kernzerschnürung  166. 
Klümpchentheorie   von    Arnold   und   Pur- 
kinje 8. 
Knorpelzelle  27. 

Knospung   der   Zelle    183. 

Körnchenströmung  57. 
Körnerplasma  13.  57. 
Körperzellen,  somatische  203. 
Kohlenhydrate  120. 
Kohlensäureaufnahme  108. 

Kreislauf  des  Lebens    120. 

Kreuzung  b.-i  Acetabularia   246. 

—  bei  Infusorien   246. 

—  bei  Pflanzen   248. 

—  bei  Echinodermen   249. 

—  bei  Amphibien   2-50. 

—  Nutzen   derselben   2-54. 

Krystalloide  Stoffe  49. 

liatente  Eigenschaften  267. 
Lebenseigenschaften  der  Zelle  54. 
Lebenseinheiten  3. 
Lebenskraft  75. 
Lebensprocess  104. 


294 


Register. 


Leukocyten.      CUemotropismus  derselben  99. 

—  Aufnahme  fester  Köf per  116.  117. 

Leukoplast  130. 
Leukophrys  patula  202.  2.34. 

Lichtbilder  anf  Pflanzenblättern   85. 

Lichtreize  81. 

Lilium  Martagon.     Befruchtung   210. 

Lichtstimmung  83.  84. 

Lichtwirkung    bei    Aethalium,    Pelomy.'ja,   Chro- 

matophoren  81.     Pigmentzellen  82.     Euglena, 

Schwirm.^poren  82. 
Linin    des  Kerns   37. 

Literaturübersichten   9.   öl.   73.   101.  141. 

199.  2.56.  266.  289. 
Lochkerne  168. 
Lymphkörperchen.     Bau  24. 

—  —  Bewegung   derselben   .5.5. 

—  —  Theilung   167. 

—  —  Centralkörperchen    164. 

—  —  Lochkerne   168. 

Makrogameten  217. 

Makronucleus   der   Infusorien  212. 

Mechanische  Keize  90. 
Mehrbefruchtung  93. 
Membran  der  Zelle  7. 
Merocj-ten  187.  197. 

MeSOCarpus   (Lichtwirkung)  84. 

Micelle  49.  272.  274. 
Micellarlösung  50. 
Micellartheorie  17.  49. 
Mikrogameten  217. 

Mikl'OnucleuS  der  Infusorien  212. 
Mikroorganismen.      Kerne   derselben  46. 

—  ihre  Zerstörung  durch  Phago- 

cyten  117. 

—  ihre      Stoffwecliselproducte 

100. 
Mikrosomen  13.  18. 
Mimosa  pudica  92. 
Mitom  21. 
Mitose  145. 

—  pluripolare  196. 
Mittelstück  des  Sameufadens  39.  47. 

Molecularstructur  49. 
Monjeotia  226. 
Muskelfibrillen  140. 
Mycoderma  aceti  120. 

Myxomycete.      Bau   25.      Bewegung   56. 

Hfährlösung,  künstliche  120.  235. 

Narkose     (Protoplasma,    Mimcse ,    Eier,    Samen- 
faden)  92.    93. 
Nebenkern  der  Infusorien  212.  215. 
Nebenspindel   der  Infusorien   215. 
Nematoden.      Kerne   in  der  befruchteten   Eizelle 

17.5. 
Nervenfibrillen  140. 
Nesselkapsel  133. 

Netze   im  Protoplasma    18. 
—      im   Kern  40. 

Nisus  formativus  270. 

Noctilucen.      Befruchtung  223. 
Nuclein   13.   34.      Reactionen  35. 

—  bei  der  Theilung   145. 

Nucleinkörper  42.  43. 


Nucleolen  36.  42.  44. 

—  Schicksal  bei  Kerntheihing   165. 


Oedogonium  29. 

Onychodromus  grandis  203.  217.  234. 

Oogonium  229.  242. 

Oogam  228. 

Osmose  112. 

Ovisten  270. 

Ovocenü-um  207.  220. 


Pandorina  203.      Befruchtung  230. 
Pangenesis  272,  intracellulare  287. 
Paramitom  21. 
Paramaecien.    Sauerstoff  95.    Befruchtung  215. 

Paranuclein  36.  206. 

Paraplasma  23. 

Parthenogenese,  parthenogenetisch  204. 236. 

Pelomyxa  81. 

Pepsin  123. 

Pericline  Theilebene  177. 

Peronosporeen,  sexuelle  Affinität  242. 

Pflanzenanatomie  4. 

Phaeosporeen.     Befruchtung  229. 

Phagocyten  116. 
Phagocytose  116. 

Phylloxera.       Einfluss     der     Ernährung    auf    die 
Zeugung  236. 

Physiologische  Einheiten  (Spencer)  272. 
Phytogenesis  5. 
Pigmentkörnchen  129. 
Plasniaproduct  23.  125. 

Plasmodium   57.      Lichtreiz  81. 

Plasmolyse  114.  264. 
Plasome'  125.  288. 
Plastide  119. 
Plastidule  273. 

Plastin   16.      Keactiouen   16. 

Podophi-ya  gemmipara.     Knospung  185. 
Polare  Differenzirung  der  Zelle  172. 

Polfeld   des  Kerns    148. 

Pollenkorn,  Pollenschlauch  210. 
Polkörperchen  der  Zeiie  47.   146. 

—  Theilung  desselben    152.    160. 

—  Entstehung   163. 

—  Tei-vielfältigung    195.    197. 

Polyspermie  93.  196. 
Polzellen  184.  191.  215. 

—  parthenogenetischer   Eier  238.   2.39. 

Präformationstheorie  259. 
Primordialschlauch  27. 
Pronuclei  220. 
Proteinsubstanz  16. 

Protoplasma.      Erste  Anwendung   des  Namens   7. 

—  Untersuchung     des    Protoplasma- 

körpers   12. 

—  einer  Amöbe   24. 

—  eines  Lymphkörperchens   24. 

—  der  Myxomyceten   25. 

—  der  Bhizopoden  26. 

—  Doppelbrechung   desselben    17. 

—  Entstehung  desselben  16. 

—  Wassergehalt    16. 

—  Alcalescenz   16. 


Register. 


295 


Protoplasma.      Einschlüsse  ;-50.   31. 

—  chemische  Zusammensetzung    15. 

Protoplasmabegritt'  12. 
Protoplasmabewegung  55—64. 

—  —  der  Lymphl<iiriieichen  55. 

—  —  Jer   Amöben   •)(). 

—  —  der  Myxomyceten   56. 

—  —  hei  Gromia  57. 

—  —  der  Pflanzenzellen  59. 

—  —  Erklärungsversuche   Gl. 

Protoplasraastructur  17.  23. 

Protoplasmatbeorie.      Geschichte   derselben   7. 

Pseudopodien  24.  26.  55.  90. 

Pteris  Cretiea,   Apogamie  derselben  240. 

Ptyaliu  122. 

Pyrenin.      Keactionen,   Färhbavkeit  36. 

Quadrille  der  Centralkörperchen  208. 

Radiolarien.      Skelet.     Vielkembildung    170. 
ReduCtion  der   Kernsegmente   210.   211. 

—  bei   Infusorien   216. 

Reductionstheilung  189. 

—  —  bei   Cosmarium   22.5. 

Regeneration  278. 

Reize  des   Protoplasma   76. 

—  thermische  78. 

—  electrische   86. 

—  chemische   91. 

—  mechanische   90. 

—  durch  Belichtung   81. 

Reizgewöbnung  77. 
Reizleitung  77. 
Reizwirkung  76. 
Reizursacbe  76. 
Reservestoffe  23.  31.  121. 

Rbeotropismus  der  Myxomyceten    56. 
Rbizopoden  25.      Bewegung  57. 
Ricbtungskörper  184. 

Riesenzellen   168.     Vielpolige   Kernfiguren  197. 
Robrzucker.       Reizmittel     für     Samenfäden     der 
Laubmoose  98. 

Rotation  59. 
Rotatorien  237. 

Saccbafomyces,  mit  Chlorofomwasser  behandelt 

93. 
Salamandra  maculata.    Kemtheilung  147. 

Samenfaden.     Bau  derselben  38. 

—  von   Ascaris  39. 

—  Bewegung  desselben   67. 

—  Narcose   desselben   93.    164. 
Samenfllden  der  Echinodermen   206. 

Samenkeru  161.  196.  207. 

sich   in   kernlosen    Eistücken   theilend 

240. 
Sanienspindel  196. 
Sarkode  8.  26. 

Sauerstoff'.      Wirkung   auf  die  Zelle  92.    105. 

—  Wirkung   auf  Aethalium   94. 
Wirkung  auf  Batterien  und  Infusorien 

95. 

Schäume.      Stmctur  derselben    19. 

Scheinfüsscben  24.  26.  55.  90. 
Schleimzelle  31. 


Schwärmerbildung  189. 

Schwärmspore,  ungeschlechtliche,  geschlechtliche 

227. 

—  Auskriechen   derselben   7.   29. 

—  Ijichtwiikung   82. 
Schwerkraft,    Einduss  auf  DiffL-renzirung  der  Zelle 

173. 

Selbstbefruchtung  239.  245. 
Sexualcbarakter  221. 
Sexuelle  Affinität  240. 

Skelet  der  Zelle    129. 

Sommereier  237. 

Spannkraft  103. 

Specitische  Energie  der  Zolle  76. 

Spermacentrum  207.  220. 

Spindel  s.  Kernspiudel. 

Spindelaggregate  196.  197. 

Spindelfasern.      Herkunft   derselben    163. 
Spirogyra.      Befruchtung   226. 

Sporangien  189.  228. 
Sporen  203. 

Stärke   in   der   Pflanze  gebildet    108.    120.    131. 

Stärkebildner  130.  133. 
Stärkekorn  132. 
Staphylococcus  99. 
Stationärer  Kern  der  Infusorien  216. 

Stoff'metamorphose  103 
Stoffwanderung  122. 
Stoffwechsel  der  Zeile  103—125. 
Stoffwechselproducte   des  Protoplasma    16.   17. 

—  —  der    Mikroorganismen    als 
Reizmittel   für  Leukocyten   100. 

StoffM^ecbselproducte  d-r  Zelle  104. 
Strablenfiguren  im  Protoplasma  47.   146. 

—  —         im    Ei   der   Echinodermen    1-55. 

Stylonichia  203.  2.34. 
Suberin  136. 
Subitaueier  237. 

Telolecithal  187. 

Temperatur.      Einwirkung  auf  die  Zelle   78. 

—  Optimum.      Maximum   78.   80. 

Tetraster  196. 

Theilung  der  Zelle  s.  Zelltheiluug. 

—  der  Centralkörperchen   209. 

—  der  Polkörperchen    153.    164. 

—  der  Kerne    3.    Kemsegmentirung, 

Kernzerschnürung,  Vielkem- 
bildung. 

—  der  Chlorophyllkörner   131. 

—  der  Trophoplasten    130. 

—  .        der  Idioplasten   273. 

—  der  Plasome    288. 
Theilebeuen   der  Zelle.     Lage   derselben   zu  ein- 
ander  177. 

—  Beeinflussung  der  Lage  durch  äussere 

Eingriffe    284. 

Thermische  Reize  78.  193. 

Tradescantia  60.  78.  86. 

Transversale  Theilebene  177. 

Trianea  bogotensis  59. 

Triaster  195.  196. 

Trophoplast  130. 

Tuberculinwirkung  100. 

Turgor    (Turgesccnz)    der    Pflanzenzelle     114. 

126 


296 


Register. 


Vegetatiouskegel. 


Ueberfruchtung  196. 

Ueberreife  der  Zengungsproducte  235. 

Ulothrix  83. 

Urformen   der  Zeugung   223. 

Vacuolen  27.  30.  126. 

—  contractile  69. 

Vallisneria  57. 

Vaucheria.     Wundheilnng  258. 

Vegetative  Vermehrung  203. 

Construction  des  Zellennetzes 
in   demselben    178. 
—  —         Ansammlung  des  Protoplasma 

258. 

Vegetationspunkte        Ansammlung    des    Proto- 
plasma 258.  261. 
Verbindungsfäden  des  Kerns  151.  159. 
Verbrauchsstoffe  der  Zelle  24. 
Vererbungstheorieen  267. 

Verholzung  der  Zeilhaut   136. 
Verkorkung  der  Zellhant   136. 
Vielkernbildung  170. 
Vielzellbildung  187. 
Vitalismus  75. 
Volvocineen  230. 
Volvox  globator  231. 
Vorticellen  217.  242. 

Wabentheorie  des  Protoplasma  von  Bütschli 

19. 
Wärmebildung  beim  Lebensprocess   106. 
Wärmetod.    Wärmestarre  78. 

Wahlvermögen  der  Zelle  für  chemische  Stoffe  110. 

Wanderkern  der  infusoriea  216. 

Wassernetz.     Experimente   235. 

Wintereier  237. 

Xanthophyll  108. 

Zelle  4.     Definition    von    Schieiden    und 
Schwann  6. 
—  Definition  von  M.  Schultze  8. 


Zelle.     Definition  von  Brücke  9. 
Zelleinschlüsse  23.  24.  27.  31. 

Zellentheorie.      Geschichte    derselben   4. 
Zellhaut  134.     Wachsthum  derselben   137. 

Zellhautbildner  160. 

Zellkern.  Entdeckung  desselben    5.   31. 

—  Zur   Geschiclite  desselben   32. 

—  Definition  desselben  32. 

—  Form,   Grösse,   Zahl  32. 

—  Gesetze,   welche   die  Lage  desselben   in 

der  Zelle  bestimmen  172. 174.  175. 

—  Constante  Lage  iu  Pflanzenzellen   260. 

—  in  thierischen   Zellen   262. 

—  im  Ei  von  Dytiscns   263. 

—  in  secernirenden  Zellen  von  Nepa  263. 

—  Einfluss   auf    die  Leliensthätigkeit  der 

Zelle  259.  264. 

—  von   Bacterien,   Oscillarien  etc.    46. 

—  von  Samenfäden   38. 

—  von    Ciliofiagellaten   40. 

—  von   Sah-.mandra   40. 

—  von   Fritillaria  41. 

—  von  Samenmutterzellen  von  Ascaris  41. 

—  von  Chironomuslarven   41. 

—  von   Spirogyra  42. 

—  von   Eizellen  42. 

—  als  Träger  der  erl)lichen  Anlagen  275. 

Zellplatte  152.  159.  189. 
Zellsaft  7.  27.  125. 
Zellterritorium  140. 
Zelltheilimg  180. 

—  äquale   180. 

—  inäquale   182. 

—  partielle    185. 

—  Beeinflossung  durch  äussere  Eingriffe 

192. 

Zeugungskreis  202."  238. 

Zeugungstheorien  271. 

Zoogloea  22. 

Zwischenkörperchen  des  Kerns  152.  160. 

Zygnemaceen.     Beftuchtung  225. 

Zygote  224.  226.  228. 


Pierer'sche  Hofbnchdmckerei.      Stephan  Geibel  &  Co.  in  Altenburg. 


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