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DIE
ZELLE UND DIE GEWEBE.
GRUNDZÜGE
DER
ALLGEMEINEN ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE.
VON
PROFESSOR DR. OSCAR HERTWIG,
DIREKTOE DES II. ANATOMISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT BERLIN.
MIT 168 ABBILDUNGEN IM TEXT.
JENA.
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1893.
is ^
SEINEM FREUNDE UND COLLEGEN
W. WALDEYER
Vorwort.
„Jedes lebende Wesen muss als ein Mikrokosmus
betrachtet werden, als ein kleines Universum, das aus
einer Menge sich selbst fortpflanzender Organismen
gebildet wird, welche unbegreiflich klein nnd so zahl-
reich sind, als die Sterne am Himmel/
Darwin. Pas Variiren der Thiere und Pflanzen.
Wer die zahlreichen Lehrbücher der Histoloüie überblickt, wird
finden, dass in ihnen viele Fragen, die in der wissenschaftlichen Forschung
sich eines lebhaften Interesses erfreuen, kaum berührt werden, und dass
manche Wissensgebiete, die mit der Histologie auf das engste zusammen-
hängen, von der lehrbuchmässigen Darstellung mehr oder minder ausge-
schlossen sind. Der Leser erfährt, wie die Zelle und die aus ihr her-
vorgehenden Gewebe unter dem Mikroskop je nach den verschiedenen
Präparationsmethoden aussehen, aber er erfährt sehr wenig von den
Lebenseigenschaften der Zelle, von den wunderbaren Kräften, welche in
dem kleinen Zellorganismus schlummern und sich dem Forscher in so
mannichfacher Weise bald an diesem, bald an jenem Untersuchungsobject
in den Phänomenen der Protoplasmabewegung, der Reizbarkeit, des Stoff-
wechsels und der Zeugung offenbaren. Wer sich in dieser Richtung
augenblicklich eine dem Stand der Wissenschaft entsprechende Vor-
stellung von dem Wesen des Zellorganismus verschaffen will, muss die
Fachliteratur studiren.
Die Ursache hierfür ist leicht zu entdecken; sie ist hauptsächlich in
der Trennung eines früher einheitlichen Lehrfaches in die Fächer der
menschlichen Anatomie und Physiologie zu suchen. Die Scheidung der
Lehrgebiete hat sich bis auf die Zelle ausgedehnt, nur ist sie hier, wie
mir scheint, weniger angebracht. Denn die Trennung, welche für das
Studium des menschlichen Körpers in vieler Hinsicht ein Förderniss und
eine Nothwendigkeit ist trotz mancher Nachtheile, die sie naturgemäss
auch mit sich bringt, ist für das Studium der Zelle nicht durchführbar
VI Vorwort.
und hat in Wirklichkeit nur dazu geführt, dass nel)on der Anatomie die
Physiologie der Zelle, zwar nicht als Wissenschaft, aber doch als Lehr-
gegenstand, stiefmütterlich behandelt worden ist, und dass Vieles von
dem Besten, was Forscherfleiss zu Tage gefördert hat, nicht in ent-
sprechender Weise durch die Lehre weiter fruchtbar gemacht wird.
Mit dem vorliegenden Buch habe ich das gewohnte Geleise verlassen,
und um dies äusserlich auch anzuzeigen, zu dem Haupttitel, „die Zelle
und die Gewebe," noch den zweiten Titel „Grundzüge der allgemeinen
Anatomie und Physiologie" hinzugefügt.
Wie von meinem Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte, kann ich
auch von dieser Arbeit sagen, dass sie in enger Fühlung mit meiner
akademischen Lehrthätigkeit entstanden ist. Der Inhalt des jetzt er-
scheinenden ersten Buches, in welchem ich ein zusammenfassendes Bild
von dem Bau und dem Leben der Zelle zu entwerfen versuche, hat zum
grossen Theil auch den Gegenstand für zwei öffentliche Vorlesungen ab-
gegeben, welche ich seit vier Jahren an der Berliner Universität unter
dem Titel: „die Zelle und ihr Leben" und „Theorie der Zeugung und
Vererbung" gehalten habe.
Zu dem Antrieb, die oft mündlich von mir vorgetragenen An-
schauungen auch im Druck einem weiteren Leserkreis mitzutheilen, ge-
sellte sich als zweiter Antrieb noch der Wunsch, zugleich eine zusammen-
fassende Darstellung für eigene Untersuchungen zu finden, die theils in
verschiedenen Zeitschriften zerstreut, theils in den mit meinem Bruder
gemeinsam herausgegebenen sechs Heften, „zur Morphologie und Physio-
logie der Zelle", erschienen sind.
Endlich habe ich noch ein drittes Moment hervorzuheben, welches
mich bei der Abfassung geleitet hat. Die Grundzüge der „allgemeinen
Anatomie und Physiologie" bilden eine Ergänzung und ein Seitenstück
zu meinem „Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der
Wirbelthiere". In demselben habe ich die Gesetze darzustellen versucht,
welche die thierische Formbildung beherrschen, die Gesetze, nach denen
sich das Zellmaterial, welches durch fortgesetzte Theilung aus der be-
fruchteten Eizelle entsteht, durch ungleichmässiges Wachsthum, durch
complicirte Faltenbildung und Einstülpung in Keimblätter und schliesslich
in die einzelnen Organe sondert.
Neben der Massenvertheilung und Anordnung des Zellmateriales oder
neben der morphologischen Differenzirung spielt sich nun aber
im Entwicklungsleben noch eine zweite Reihe von Processen ab, welche
man als die histologische Differenzirung zusammenfassen kann.
Durch letztere wird das schon morphologisch gesonderte Zellmaterial über-
haupt erst in den Stand gesetzt, die verschiedenen Arbeitsleistungen zu
verrichten, in welche sich der Lebensprocess des fertig entwickelten Ge-
sammtorganismus zerlegen lässt.
Vorwort. VII
Im „Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte" konnte auf die zweite,
mehr lAysiologisehe Seite des Entwicklungsprocesses aus Zweckmässig-
keitsgründen nicht näher eingegangen werden. Insofern bildet die
Anatomie und Physiologie der Zelle und der Gewebe, wie ich oben sagte,
eine nothwendige Ergänzung und ein Seitenstück zu ihm. Dies wird
dem Leser schon in dem ersten hier vorliegenden Theil des Lehrbuchs,
welcher allein die Zelle zum Gegenstand hat, bemerkbar werden. Denn
nicht nur findet sich im siebenten Capitel eine ausführliche Darstellung
der Anatomie und Physiologie der Zeugung, welche in letzter Instanz,
wie des Näheren ausgeführt ist, „ein reines Zellenphänomen" ist; sondern
es handelt auch noch am Schluss das neunte Capitel, betitelt „die Zelle
als Anlage eines Organismus", ausführlich von den älteren und neueren
Vererbungstheorieen.
Noch mehr aber wird der zweite Theil des Buches, welcher die
Lehre von den Geweben umfasst und etwa den gleichen Umfang wie
der erste Theil erreichen wird , eine Ergänzung zur „Entwicklungs-
geschichte" bilden. Denn es wird in ihm neben der Beschreibung der
Gewebe ein besonderes Gewicht auf ihre Entstehung oder Histogenese
und auf die physiologischen Ursachen der Gewebebildung gelegt werden ;
damit wird auch die zweite Seite des Entwicklungsprocesses, die histo-
logische Differenzirung, ihre Darstellung finden.
Wissenschaftliche Gesichtspunkte sind es in erster Linie gewesen,
welche mich bei der Darstellung, die ich, so weit es möglich ist, zu
einer gemeinverständlichen zu machen bemüht war, überall geleitet
haben. Das wenigstens nach besten Kräften angestrebte Ziel war mir,
den wissenschaftlichen Standpunkt zu fixiren, welchen die Lehre von der
Zelle und den Geweben augenblicklich einnimmt.
Für wichtigere Theorieen habe ich ein Bild von ihrem historischen
Entwicklungsgang zu entwerfen versucht; in schwebenden Streitfragen
habe ich oft die verschiedenen Meinungen einander gegenübergestellt.
Wenn in der Darstellung, wiewohl naturgemäss, meine Auffassung von
der Zelle in den Vordergrund tritt, und wenn ich dabei hier und dort
von den Ansichten und Deutungen hervorragender und von mir hoch-
geschätzter Forscher abweiche, so glaube ich ihnen das Geständniss zu
schulden, dass ich darum weder die von mir bevorzugte Auffassung für
die unbedingt richtige halte, noch viel weniger aber von entgegen-
gesetzten Auffassungen gering denke. Denn der Gegensatz der Mei-
nungen ist zum Leben und zur Entwicklung der Wissenschaft noth-
wendig ; und wie ich in verschiedenen historischen Excursen habe durch-
blicken lassen, schreitet gerade im Widerspruch der Meinungen und
Beobachtungen die Wissenschaft am raschesten und erfolgreichsten
vorwärts. Wie in unserer Natur begründet ist, sind fast alle Beobach-
tungen und die aus ihnen gezogenen Schlüsse einseitig und sind daher
vni Vorwort.
fortwährend einer Correctur bedürftiii. Wie sehr aber niuss dies der
Fall sein bei dem Gegenstand vorliegender Untersuchung, bei der Zelle,
welche selbst ein wunderbar coiiiplicirter Organismus ist, „ein kleines
Universum", in dessen Zusannnensetzung wir mit unseren Vergrösserungs-
gläsern, mit chemisch -physikalischen Untersuchungsniethoden und Ex-
perimenten nur mühsam einzudringen vermögen.
Berlin, October 1892.
Oscar Hertwig.
Inhalt.
ERSTES BUCH.
Allgemeine Anatomie und Physiologie der Zelle.
Seite
Erstes Capitel 3
Die Geschichte der Zellentheorie 4
Die Geschichte der Protoplasmatheorie 7
Literatur I 9
Zweites Capitel. Die chemisch- physikalischen und morphologischen Eigen-
schaften der Zelle 11
I. Die chemisch-physikalischen und morphologischen Eigenschaften des
Protoplasmakörpers 12
a) Begriff des Protoplasmas und Berechtigung desselben 12
b) Allgemeine Charakteristik des Protoplasmas 13
c) Chemische Zusammensetzung des Protoplasmas 15
d) Feinere Protoplasmastructur 17
e) Gleichartigkeit des Protoplasma als Substanz, Verschiedenheit der
Zellkörper 23
f) Verschiedene Beispiele für den Bau des Zellkörpers 24
1) Zellen, deren Körper fast ausschliesslich aus Protoplasma besteht 24
2) Zellkörper, die in ihrem Protoplasma zahlreiche und verschiedene
Einschlüsse enthalten 27
II. Die chemisch-physikalischen und morphologischen Eigenschaften des
Zellenkerns. (Nucleus.) 31
a) Fomi, Grösse und Zahl der Kerne 32
b) Die Kernsubstanzen 34
c) Die Kernstructur. Beispiele für die verschiedene Beschaffenheit
derselben 38
III. Giebt es kernlose Elementarorganismen? 46
IV. Die Central- oder Polkörperchen der Zelle 47
V. Ueber die Molecularstructur organisirter Körper 49
Literatur II 51
Drittes Capitel. Die Lebenseigenschaften der Zelle.
I. Die Bewegungserscheinung£n 54
I. Die Protoplasmabewegung 55
a) Bewegungen nackter Protoplasmakörper 55
b) Bewegung von Protoplasmakörpern im Innern von Zellmembranen . 59
c) Erklärungsversuche der Protoplasmabewegung 61
II. Die Geissei- und Flimmerbewegung 64
a) Zellen mit Geissein 65
b) Zellen mit vielen Flimmern 68
III. Die contractilen Vacuolen oder Behälter einzelliger Organismen ... 69
IV. Veränderung des Zellkörpers durch passive Bewegung 72
Literatur III 73
X Inhalt.
Seite
Viertes Capitel. Die Lebenseigenscbiiften der Zelle.
II. Die Reizerscheinungen 75
I. Thermische Reize 78
11. Lichtreize 81
III. Elektrische Reize 86
Erscheinungen des Galvanotropismus 88
IV. Mechanische Reize 90
V. Chemische Reize 91
a) Erste Gruppe von Versuchen.
Chemische Einwirkungen, die von allen Seiten den Zellkörper treffen 91
b) Zweite Gruppe von Versuchen.
Chemische Einwirkungen, die in einer bestimmten Richtung den
Zellkörper treffen 94
1) Gase 94
2) Flüssigkeiten 95
Literatur IV 101
Fünftes Capitel. Die Lebenseigenschaften der Zelle.
III. Stoffwechsel und formative Thätigkeit.
Allgemeine Charakteristik 103
I. Die Stoffaufnahme und Stoftabgabe der Zelle 105
1) Die Aufnahme und Abgabe gasförmiger Stoffe 105
2) Die Aufnahme und Abgabe flüssiger Stoffe 109
3) Die Aufnahme fester Körper 115
II. Die Stoffiimsetzung luid die fonnative Thätigkeit der Zelle .... 118
1) Zur Chemie des Stoffumsatzes 119
2) Zur Morphologie des Stofiumsatzes. Die formative Thätigkeit der Zelle 125
a) Die inneren Plasmaproducte 125
b) Die äusseren Plasmaproducte 134
Literatur V 141
Sechstes Capitel. Die Lebenseigenschaften der Zelle.
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der
Theiluug 143
I. Geschichte der Zellenentstehung 143
n. Der Process der Kerntheilung und die verschiedenen Arten desselben . 145
1) Die Kernsegmentirmig. Mitose (Flemming). Karyokinese (Schleicher) 145
a) Zelltheilung bei Salamandra maculata unter Zugi'undelegung der
Theilung der Samenmutterzellen.
Erste Phase. Vorbereitung des Kerns zur Theilung 147
Zweite Phase der Theilung 149
Dritte Phase der Theilung 150
Vierte Phase der Theilung 151
b) Theilung der Eizellen von Ascaris | megalocephala und Toxo-
pneustes lividus 152
c) Theilung pflanzlicher Zellen 158
d) Historische Bemerkungen und strittige Fragen der Kernsegmentirung 160
2) Die Kernzerschnürung (directe Kernvermehrung, Fragmentirung, Ami-
tose, amitotische Theilung) 166
3) Endogene Kernvermehrung oder Vielkernbildung 170
in. Verschiedene Arten der Zellvermehrung.
1) Allgemeine Regeln 172
2) Uebersicht der Arten der Zelltheilung 180
la. Die äquale Theilung 180
Ib. Die inäquale Theilung 182
Ic. Knospung 183
IL Partielle Theilung 185
III. Die Vielzellbildung 187
IV. Die Reductionstheilung 189
IV. Beeinflussung der Zelltheilung durch äussere Factoren. Abnorme Kern-
theilungsfiguren. Kerndegenerationen 192
Literatur VI 199
Siebentes Capitel. Die Lebenseigenschaften der Zelle.
V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtimg 202
I. Die Morphologie des Befruchtungsprocesses 205
Inhalt. XI
Seite
1) Die Befruchtung des thierischen Eies 205
a) Echinodermen-Eier 206
b) Ascaris megalocephala 209
2) Die Befruchtung der Phanerogamen 210
3) Die Befruchtung der Infusorien 212
4) Die verschiedene Form der Geschlechtszellen, die Aequivalenz der
beim Zeugimgsakt betheiligten Stoffe und die Begi-ilfe „männliche
und weibliche Geschlechtszellen" 218
5) Die Ur- und Grundformen der geschlechtlichen Zeugung und das
erste Hervortreten von Geschlechtsdifferenzen 223
n. Die Physiologie des Befruchtungsprocesses 233
1) Die Befruchtungsbedürftigkeit der Zellen 233
a) Die Parthenogenese 236
b) Die Apogamie 240
2) Die sexuelle Affinität 240
a) Die sexuelle Affinität im Allgemeinen 241
b) Die sexuelle Affinität im Einzelnen und die verschiedenen Ab-
stufungen dersellien 244
«) Die Selbstbefruchtung 245
ß) Die Bastardbefruchtung 248
y) Beeinflussung der geschlechtlichen Affinität durch äussere
Eingrifte 250
cT) Rückblick und Erklärungsversuche 253
Literatur VII 256
Achtes Gapitel. Wechselwirkungen zwischen Protoplasma, Kern u. Zellproduct 258
I. Beobachtungen über Stellungen des Kerns, welche auf eine Betheiligung
bei formativen und nutritiven Processen hinweisen 259
II. Experimente, aus denen sich auf eine Wechselwirkung zwischen Kern
und Protoplasma schliessen lässt 264
Literatur VIII 266
Neuntes Capitel. Die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererbungstheorieen) 267
I. Geschichte der älteren Entwicklungstheorieen 268
n. Neuere Zeugungs- und Entwicklungstheorieen 271
m. Der Kern als Träger der erblichen Anlagen 275
1) Die Aequivalenz der männlichen und weiblichen Erbmasse . . . 276
2) Die gleichwerthige Vertheilung der sich vermehrenden Erbmassen
auf die aus dem befruchteten Ei hervorgehenden Zellen . . . 277
3) Die Verhütung der Summirung der Erbmassen 280
4) Die Isotropie des Protoplasma 284
rV. Die Entfaltung der Anlagen 286
Literatur IX 289
Register 291
ERSTES BUCH.
ALLGEMEINE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER ZELLE.
Hertwig, Die Zelle und die Gewete.
ERSTES CAPITEL.
Thiere und Pflanzen, so verschiedenartig in ihrer äusseren Erscheinung,
stimmen in den Grundlagen ihres anatomischen Aufbaues überein; denn
beide sind aus gleichartigen, meist nur mikroskopisch wahrnehmliaren
Elementareinheiten zusammengesetzt. iMan bezeichnet die letzteren
«iner jetzt verlassenen, «älteren Theorie zu Liebe als Zellen , sowie die
Lehre, dass Thiere und Pflanzen in übereinstimmender Weise aus solchen
kleinsten Theilchen bestehen, als die Zellentheorie.
In der Zellentheorie erblickt man mit Piecht eines der wichtigsten
Fundamente der ganzen modernen Biologie. Zum Studium der Zelle wird
der Pflanzen- und Thieranatom, der Physiologe und pathologische Ana-
tom auf Schritt und Tritt hingeleitet, wenn er tiefer in das Wesen der
normalen und der krankhaften Lebensprocesse eindringen will. Denn
die Zellen, in welche der Anatora die pflanzlichen und thierischen
Organismen zerlegt, sind die Träger der Lebensfunctionen ; sie sind, wie
Virchow (L 33) sich ausgedrückt hat, die Lebenseinheiten.
Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, erscheint der Gesammt-
lebensprocess eines zusammengesetzten Organismus nichts Anderes zu sein
als das höchst verwickelte Resultat der einzelnen Lebensprocesse seiner
zahlreichen, verschieden functionirenden Zellen. Das Studium des Ver-
dauungsprocesses, der Muskel- und Nerventhätigkeit führt bei tieferem Ein-
dringen zur Untersuchung der Functionen der Drüsenzellen, der Muskel-,
Ganglien- und Sinneszellen. Und wie die Physiologie ihre Fundamente
in der Zellentheorie gefunden hat, so hat sich auch die Lehre von den
Krankheiten in eine Cellularpathologie umgewandelt.
In vieler Beziehung steht somit die Lehre von der
Zelle im Mittelpunkt der biologischen Forschung der
Gegenwart. Sie bildet in jeder Beziehung den vornehmsten Gegen-
stand der allgemeinen Anatomie, wie man früher, oder der Histologie,
wie man jetzt gewöhnlich die Lehre von den Mischungs- und Form-
bestandtheilen der Organismen zu benennen pflegt.
Die Vorstellung und der Begriff, den man in der Wissenschaft mit
dem Wort „Zelle" verbindet, hat sich im Laufe von 50 Jahren sehr
wesentlich geändert. Die Gescliichte dieser veränderten Auffassungen
oder die Geschichte der Zellentheorie ist von hohem Interesse.
Nichts ist geeigneter als ein kurzer Abriss derselben, um den Anfänger
1*
4 Erstes Capitel.
in den Vorstellungskreis, den man jetzt mit dem Worte Zelle verbindet,
einzuführen. Auch möchte der Hinweis auf die Geschichte der Zellen-
theorie noch in anderer Richtung nützen. Indem wir die augenblick-
lich herrschende Vorstellung von der Zelle aus älteren, minder voll-
kommenen Vorstellungsweisen sich allmählich hervorbilden sehen, wird es
uns nahe gelegt, die erstere auch nicht als etwas in sich Fertiges
zu betrachten; es erscheint vielmehr die Hoffnung berechtigt, dass
bessere und verfeinerte Untersuchungsmittel, wol)ei man indessen nicht
nur von einer Verbesserung der optischen Instrumente alles Heil zu
erwarten braucht, unsere derzeitig gewonnene Erkenntniss noch wesentlich
vertiefen und vielleicht mit ganz neuen Vorstellungsreihen bereichern
werden.
Die Geschichte der Zellentheorie.
Zu der Erkenntniss, dass die Organismen aus Zellen zusammen-
gesetzt sind, wurde der erste Anstoss durch das Studium der Pflanzen-
Anatomie gegeben. Am Ende des 17. Jahrhunderts gewannen der Italiener
Marcellus Malpighi (I. 15) und der Engländer Grew (I. 9) den
ersten Einblick in den feineren Bau der Pflanzen ; sie entdeckten an ihnen
mit schw^achen Vergrösserungsgläsern einmal kleine, kammerartige, mit
festen Wandungen versehene und mit Flüssigkeit erfüllte Räume, die
Zellen, und zweitens noch lange Röhren, die in den meisten Pflanzen-
theilen in mannigfacher Gestalt durch das Grundgewebe ziehen, und die
jetzt je nach ihrer Form als Spiralröhren und Gefässe bezeichnet werden.
Eine tiefere Bedeutung gewannen diese Thatsachen aber erst, als am
Ende des 18. Jahrhunderts sich eine mehr philosophische Betrachtungs-
weise der Natur Bahn brach.
Caspar Friedrich Wolff (I. 34, 13), Oken (I. 21) u. A. warfen
die Frage nach der Entstehung der Pflanzen auf und suchten ihre
Gefässe und Röhren von der Zelle als Grundform abzuleiten. Namentlich
aber hat sich Treviranus (I. 32) ein hervorragendes Verdienst
erworben, indem er in seiner 1808 erschienenen Schrift „Vom inwendigen
Bau der Gewächse" an jungen Pflanzentheilen den Nachweis führte, dass
die Gefässe ^aus Zellen hervorgehen; er fand, dass junge Zellen sich in
Reihen anordnen und durch Auflösung der Querscheidewände zu einer
langgestreckten Röhre verschmelzen, eine Entdeckung, welche später
durch die Nachuntersuchungen von Mo hl (1830) zum gesicherten Besitz
der Wissenschaft erhoben wurde.
Nicht minder wichtig für die Werthschätzung der Zelle wurde das
Studium der niedersten Pflanzen. Man lernte kleine Algen kennen , die
zeitlebens entweder nur eine einzige Zelle darstellen oder einfache
Reihen von Zellen sind, welche sich leicht von einander loslösen können.
Endlich führte das Nachdenken über den Stoffwechsel der Pflanzen zu
der Einsicht, dass die Zelle es sei, welche in der vegetabilischen Haus-
haltung die Nahrungsstoffe aufnimmt, verarbeitet und in veränderter Form
wieder abgiebt. (Turpin, Raspail.)
So war schon am Anfang unseres Jahrhunderts die Zelle als der
morphologische und physiologische Elementartheil der Pflanze von ver-
schiedenen Forschern erkannt worden. Besonders klar findet sich diese
Die Geschichte der Zellentheorie. 5
Anschauung in dem 1830 herausgegebenen Lehrbuch der Botanik von
Meyen (I. 16) in folgendem Satze ausgesprochen: „Die Pflanzenzellen
treten entweder einzeln auf, so dass eine jede ein eigenes Individuum
bildet, wie dieses bei Algen und Pilzen der Fall ist, oder sie sind in
mehr oder weniger grossen Massen zu einer höher organisirten Pflanze
vereinigt. Auch hier bildet jede Zelle ein für sich bestehendes, ab-
geschlossenes Ganze; sie ernährt sich selbst, sie bildet sich selbst
und verarbeitet den aufgenommenen, rohen Nahrungsstoff zu sehr
verschiedenartigen Stoffen und Gebilden." Meyen bezeichnet daher
geradezu die einzelnen Zellen als „die kleinen Pflänzchen in den
grösseren".
Zu allgemeinerer Geltung gelangten indessen derartige Ansichten erst
vom Jahre 1838 an, in welchem M. Schlei den (I. 28.), den man so
häufig als den Begründer der Zellentheorie hingestellt findet, in Müllers
Archiv seinen berühmten Aufsatz „Beiträge zur Phytogenesis" ver-
öffentlichte. In demselben suchte M. Schieiden die Frage zu lösen,
wie die Zelle entsteht. Den Schlüssel hierzu glaubte er in einer Ent-
deckung des englischen Botanikers R. B r o w n (I. 5) gefunden zu haben,
welcher im Jahre 1833 bei seiner Untersuchung der Orchideen den
Zellenkern entdeckt hatte. S c h 1 e i d e n verfolgte B r o w n 's Entdeckung
weiter ; er überzeugte sich bei vielen Pflanzen von dem Vorkommen des
Kerns, und da er ihn namentlich in jugendlichen Zellen beständig auf-
treten sah, entsprang in ihm der Gedanke, dass der Kern eine nähere
Beziehung zu der so räthselhaften Entstehung der Zelle und demnach
eine grosse Bedeutung im Zellenleben haben müsse.
Die Art und Weise, wie Schieiden diesen Gedanken auf Grund irr-
thümlicher Beobachtungen zu einer Theorie der Phytogenesis verwerthete,
muss jetzt zwar als eine verfehlte bezeichnet werden (I. 27), auf der an-
dern Seite muss aber auch betont werden, dass seine allgemeine Auffassung
von der Bedeutung des Kerns in gewisser Beziehung richtig ist, und dass
gerade dieser eine Gedanke weit über das engere Gebiet der Botanik
hinaus fruchtbringend geworden ist ; denn durch ihn ist die Uebertragung
der Zellentheorie auf die thierischen Gewebe ermöglicht worden. In
diesen treten gerade die Kerne unter den verschiedenen Zellenbestand-
theilen am deutlichsten hervor und weisen auf die Uebereinstimmung
der histologischen Elemente bei Thieren und Pflanzen am offenkundigsten
hin. Insofern bezeichnet die kleine Schrift Schleidens aus dem Jahre
1838 geschichtlich den wichtigen Wendepunkt, von welchem ab der
Thierkörper der Herrschaft der Zellentheorie unterworfen wurde.
An Versuchen, den Thierkörper als eine Vielheit kleinster Elementar-
theile darzustellen, hat es auch vor Schi ei den nicht gefehlt, wie die
Hypothesen von Oken (I. 21), Heusinger, Raspail und manchen Andern
lehren. Dieselben erwiesen sich aber nicht entwickelungsfähig, weil
falsche Beobachtungen und verkehrte Deutungen in ihnen das Gute
überwogen. Erst in den dreissiger Jahren, in denen die optischen Hülfs-
mittel eine Verbesserung erfuhren, wurden einzelne brauchbare Funda-
mente auch für eine thierische Zellentheorie gelegt. Schon verglichen
Purkinje (I. 22) und Valentin, Joh, Müller (I. 20) und Henle
(I. 11) einzelne Thiergewebe den pflanzlichen; sie erkannten schon den
zelligen, einem Pflanzengewebe ähnlichen Bau der Chorda dorsalis, des
Knorpels, der Epithelien und des Drüsengewebes. Den Versuch
einer wirklich zusammenfassenden Zellentheorie aber, welche alle
thierischen Gewebstheile berücksichtigt, hat zuerst Schwann (I. 31),
Q Erstes Capitel.
angeregt durch Schlei dens Phytogenesis, unternommen und in genialer
Weise durchgeführt.
Im Jahre 1838 erfuhr Schwann in einer Unterredung mit
Schi ei den von der neuen Theorie der Zellenbildung und von der
Bedeutung, welche den Kernen bei den Pflanzen zukommen sollte. Er
erkannte hierin sofort, wie er uns selbst erzählt, charakteristische
Momente genug, welche zu einem Vergleich mit thierischen Zellen auf-
forderten. Mit bewundernswerthem Eifer stellte er eine umfassende
Reihe von Untersuchungen an, die er schon im Jahre 1839 unter dem
Titel „Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der
Structur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen" veröffentlichte.
— Dieses Buch Schwann's ist ein grundlegendes Werk ersten Ranges,
durch welches die mikroskopische Anatomie der Thiere trotz der viel
schwierigeren Aufgabe auf gleiche Stufe mit der Pflanzenanatomie
gehoben wurde.
Zu dem raschen und glänzenden Erfolg der Seh wann 'sehen
Untersuchungen haben wesentlich zwei Momente beigetragen. Erstens
hat Schwann zur Erkennung der thierischen Zellen vorzugsweise die
Anwesenheit des Kerns benutzt, von dem er hervorhebt, dass er der
am meisten charakteristische und am wenigsten veränderliche Zellen-
bestandtheil sei. Wie schon angedeutet, liegt hierin das Förderniss,
w^elches Schwann durch Seh leiden empfangen hat. Das zweite nicht
minder bedeutsame Moment ist die richtige Methode, welche Schwann
bei der Ausführung und Darstellung seiner Beobachtungen befolgt hat.
Wie die Botaniker durch das Studium unentwickelter Pflanzentheile
z. B. die Röhren aus der Grundform der Zelle abgeleitet hatten, so
untersuchte auch er hauptsächlich die Entwicklungsgeschichte der Gewebe
und fand, dass der Keim auf frühesten Stadien aus einer Summe ganz
gleichartiger Zellen besteht; er verfolgte dann weiter die Metamorphosen
oder die Umbildungen, welche die Zellen erleiden, bis sie in die fertigen
Gewebe des erwachseneu Thieres übergehen. Er zeigte, wie ein Bruch-
theil der Zellen die ursprüngliche, kuglige Grundform beibehält, andere
eine cylindrische Gestalt annehmen, andere in lange Fasern auswachsen
oder zu sternförmigen Gebilden werden, indem sie an verschiedenen
Stellen ihrer Oberfläche zahlreiche Ausläufer ausschicken. Er zeigte an
den Knochen, Knorpeln und Zähnen, wie wieder andere Zellen stark
verdickte Wandungen bekommen ; endlich erklärte er noch eine Reihe der
am meisten abgeänderten Gewebe aus einer Verschmelzung von Zellen-
gruppen, wobei er auch wieder einen analogen Vorgang bei den Pflanzen,
die Entwickelung der Gefässe im Auge hatte.
Auf diese Weise war durch Schwann ein allgemeines, wenn auch
mit vielen Fehlern behaftetes, dafür aber leicht fassliches und auch im
Ganzen glückliches Schema geschaffen, nach welchem ein jeder
thierische Theil aus Elementartheilen , welche den Pflanzenzellen ent-
sprechen, entweder zusammengesetzt oder durch Metamorphose von
solchen entstanden ist. Es war ein gutes Fundament gelegt, auf dem
sich weiter bauen Hess. Im Einzelnen litt aber die Vorstellung,
welche Schieiden und Schwann sich vom Wesen des
pflanzlichen und thierischen Elementartheils gebildet
hatten, an vielen Irrthümern, wie bald erkannt wurde. Beide
Forscher definirten die Zelle als ein kleines Bläschen, das in
einer festen Membran einen flüssigen Inhalt umschliesst,
als ein Kämmerchen, eine cellula im eigentlichen Sinne
Die Geschichte der Protoplasmatheorie.
(
des Wortes. Als wichtigsten und als den wesentlichen Theil an dem
Bläschen bezeichneten sie die Membran, von der sie annahmen, dass
sie durch ihre chemisch-physikalischen Eigenschaften den Stoffwechsel
regeln sollte. Schwann erblickte in der Zelle einen organischen
Krystall, den er sich durch eine Art von Krystallisations-
process aus einer organischen Mutterlauge (Cytoblastem)
bilden Hess.
Die Vorstellungsreihe, welche wir jetzt mit dem Worte „Zelle"
verbinden, ist Dank den grossen Fortschritten der letzten fünf Jahrzehnte
eine wesentlich andere geworden. Die Schleiden-Schwann'sche Zellen-
theorie hat eine durchgreifende Reform erfahren, indem an ihre Stelle die
(besonders an den Namen von Max Schnitze geknüpfte) Proto-
plasmatheorie getreten ist.
Die Geschichte der Protoplasmatheorie
ist gleichfalls von hervorragendem Interesse. Schon Schieiden beobachtete
in der Pfianzenzelle ausser dem Zellensaft noch eine weiche, durch-
scheinende , mit kleinen Körnchen versehene Substanz , welche er
Pflanzenschleim nannte. Mohl (I. 18) gab ihr im Jahre 1846 den
später so bedeutungsvoll gewordenen Namen Protoplasma, einen Namen,
den Purkinje (I. 24) schon früher für die Bildungssubstanz jüngster
thierischer Embryonen gebraucht hatte. Auch entwarf er ein genaues
Bild von den Lebenserscheinungen des pflanzlichen Protoplasma : er fand,
dass es den Innenraum von jungen Pflanzenzellen vollständig ausfüllt,
und dass es dann bei älteren und grösseren Zellen in sein Inneres
Flüssigkeit aufnimmt, die sich in Blasen oder Vacuolen ansammelt.
Endlich stellte Mohl fest, dass das Protoplasma, wie Schieiden auch
schon für den Pflanzenschleim angegeben hatte , höchst eigenthümliche
Bewegungsphänomene zeigt; die zuerst von Bonaventura Corti im Jahre
1772 und von C. L. Treviranus (1807) entdeckt und als „kreisende
Bewegung des Zellsaftes" beschrieben worden waren.
Hierzu gesellten sich noch andere Beobachtungen, welche den pro-
toplasmatischen Inhalt der Zellen an Bedeutung gewinnen Hessen. Bei
niedersten Algen zieht sich, wie Cohn (I, 7) und andere fanden, das
Protoplasma zur Zeit der Fortpflanzung von der Zellmembran zurück
und bildet einen frei im Zellraum liegenden, ovalen, nakten Körper, die
Schwärm spore , welche bald die Membran an einer Stelle sprengt und
durch die Oeffnung hindurchschlüpft, um sich im Wasser mit Wimpern
wie ein selbständiger Organismus, aber ohne Membran, fortzubewegen.
Desgleichen wurden beim Studium der thierischen Zellen Thatsachen
ermittelt, die mit dem alten Zellenbegriff nicht zu vereinigen waren.
Schon wenige Jahre nach dem Auftreten von Schwann machten ver-
schiedene Forscher (Kölliker (I. 14), Bischoff (I. 4) auf viele thierische
Zellen aufmerksam, an welchen eine b e s o n d e r e M e m b r a n
nicht nachzuweisen war, und es erhob sich in Folge dessen ein
langer Streit, ob wirklich diese Gebilde membranlos und daher keine
Zellen, oder ob es echte Zellen seien. Auch beobachtete man an der
3 Erstes Capitel.
schleimigen, mit Körnchen versehenen Grundsubstanz einzelner tliierischer
Zellen, wie z. B. der Lymphkörperchen, ähnliche Bewegungserscheinungeu,
wie am pflanzlichen Protoplasma. (Siebold, KöUiker, Remak, Lieber-
kühn etc.) — Remak (I. 25. 26) übertrug daher den von Mohl für den
Pflanzenschleim eingeführten Namen Protoplasma auch auf die Grund-
substanz der thierischen Zellen.
Wichtige Einblicke in die Natur des Protoplasma eröffnete endlich
das Studium der niedersten Organismen, der Rhizopoden , Amöben,
Myxomyceten etc. Die schleimige, von Körnchen durchsetzte, mit Con-
tractilität begabte Substanz derselben hatte Dujardin Sarcode genannt.
Indem Max Schnitze (I. 29) und de Bary (I. 2) ihre Lebenserscheinungen
auf das genaueste studirten, wiesen sie nach, dass das Protoplasma
der Pflanzen und Thiere und die Sarcode der niedersten
Organismen identische Stoffe sind.
Im Hinblick auf diese Thatsachen legten Forscher, wie Nägeli,
Alexander Braun, Leydig, KöUiker, Cohn, de Bary etc. der Zellmembran
im Verhältniss zu ihrem Inhalt eine nur untergeordnete Bedeutung bei;
vor Allem aber hat Max Schnitze sich das Verdienst erworben, die neueren
Erfahrungen zu einer scharfen Kritik der Schleiden-Schwannschen Zellen-
theorie und zur Begründung einer Protoplasmatheorie benutzt zu haben.
In 4 kleinen, ausgezeichneten Schriften, welche vom Jahre 1860 an ver-
öffentlicht wurden, zog er gegen die alten Glaubenssätze, deren man sich
zu entledigen habe, zu Felde. Aus der Thatsache, dass bei allen
Organismen ein bestimmter Stoff" vorkommt, welcher sich durch die
merkwürdigen Bewegungsphänomene auszeichnet (Protoplasma der Thiere
und Pflanzen, Sarcode der einfachsten Organismen), aus der Thatsache
ferner, dass das Protoplasma der Pflanzen zwar gewöhnlich von einer
besonderen festen Membran umschlossen ist, in einigen Fällen aber die
letztere abstreifen und als nackte Schwärmspore sich im Wasser selb-
ständig fortbewegen kann, aus der Thatsache endlich, dass die thierischen
Zellen und die einfachsten einzelligen Organismen sehr häufig keine
Membran besitzen und dann als nacktes Protoplasma und als nackte
Sarcode erscheinen, zieht Max Schnitze den Schluss, dass die Membran
für den pflanzlichen und thierischen Elementartheil etwas Unwesentliches
sei. Zwar behält er den durch Schieiden und Schwann in die Anatomie
eingebürgerten Namen Zelle bei, definirt dieselbe aber, (I. 30) als ein
mit den Eigenschaften des Lebens begabtes Klümpchen
von Protoplasma.
Mit dieser Definition knüpfte Max Schnitze — wie der historischen
Gerechtigkeit wegen hervorgehoben sei — wieder au die älteren Be-
strebungen von Purkinje (I. 22 — 24) und Arnold (I. 1) an, welche eine
Körnchen- und Klümpchentheorie auszubilden versuchten, aber
gegenüber der besser durchgearbeiteten und ihrer Zeit mehr angepassten
Zellentheorie von Schwann wenig Erfolg hatten.
Unter einem Klümpchen von Protoplasma stellten sich indessen schon
damals Max Schnitze und andere Forscher keineswegs etwas so Einfaches vor,
wie das Wort auszudrücken scheint. Namentlich der Physiologe Brücke
(I. 6) schloss aus der Complicirtheit der Lebenseigeuschaften, deren Träger
das Protoplasma ist, mit Fug und Recht, dass das Protoplasmaklümpchen
eine complicirte Structur, einen „höchst kunstvollen Bau" besitzen müsse,
in welchen nur die Unzulänglichkeit unserer Beobachtungsmittel noch
keinen befriedigenden Einblick gestattet habe. Daher bezeichnete denn
Die Geschichte der Protoplasmatheorie. 9
schon Brücke sehr treffend den Elementartheil der Thiere und Pflanzen,
das Protoplasmaklümpchen, als einen Elementar Organismus.
Bei dieser Sachlage ist eigentlich der Name Zelle ein verkehrter.
Dass er trotzdem beibehalten worden ist, erklärt sich tlieils aus gerechter
Pietät gegen die rüstigen Streiter, welche, wie Brücke sich ausdrückt,
unter dem Banner der Zellentheorie das gesammte Feld der Histologie
erobert haben, theils aus dem Umstand, dass die Anschauungen, welche
die neue Reform herbeigeführt haben, erst nach und nach ausgebildet
wurden und zu allgemeiner Geltung zu einer Zeit gelangten, als das
Wort Zelle sich schon durch Jahrzehnte langen Gebrauch in der Literatur
eingebürgert hatte.
Seit Brücke und Max Schnitze hat sich unsere Kenntniss vom Wesen
der Zelle noch ausserordentlich vertieft. Es sind viele neue Einblicke
in die Structur und die Lebenseigenschaften des Protoplasma gewonnen
worden, besonders aber hat das Studium des Zellenkernes und der Rolle,
welche er bei der Vermehrung der Zelle und bei der geschlechtlichen
Zeugung spielt , neue grosse Fortschritte herbeigeführt. Die ältere
Definition „die Zelle ist ein Klümpchen von Protoplasma" musste daher
erweitert werden in die Definition : „Die Zelle ist ein Klümpchen
von Protoplasma, das in seinem Innern einen besonders
geformten Best and th eil, den Kern (Nucleus), einschliesst."
Auf die Geschichte dieser neueren Errungenschaften wird hie und
da bei der folgenden Darstellung unserer gegenwärtigen Kenntnisse von
dem Wesen des Elementarorganismus eingegangen werden.
Das reiche Wissensmaterial, welches eine hundertjährige Forschung
über die Zelle angesammelt hat, wird sich am besten in folgender
Weise systematisch grappiren lassen:
In einem ersten Abschnitt sollen die chemisch-physikalischen
und morphologischen Eigenschaften der Zelle dargestellt werden.
Ein zweiterAbschnitt wird dann von den Lebenseigenschaften
der Zelle zu handeln haben. Dieselben sind 1) die Eigenschaft der
Contractilität, 2) die Eigenschaft der Reizbarkeit, 3) die Eigenschaft des
Stoffwechsels, 4) die Eigenschaft der Fortpflanzung.
Daran werden sich, um unseren Vorstellungskreis über das Wesen
der Zelle noch mehr abzurunden und zu erweitern, 2 Abschnitte
mehr speculativen Inhalts anschliessen, ein Abschnitt über „die
Wechselbeziehungen zwischen Protoplasma, Kern und Zellproduct" und
ein Abschnitt über „die Zelle als Anlage eines Organismus''.
Literatur, I.
1) Fr. Arnold. Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 2. Theil. Zürich 1842. Hand-
buch dir Anatomie des Menschen. 1845.
2) de Bary. Mi/xomyceten. Zeitschrift f. wissenschaftl. Zool. 1859-
3) Lionel S. Beale. Die Structur der einfachen Gewebe des menschlichen Körpers. Ueber-
setzt von Carus. 1862.
4) Bisehoff, Entivicklungscjcschiehte des Kanincheneies. 1842.
5) B.. Brown. Observations on the organs and mode of fecundation in Orchideae and
Asclepiadeae. Transactions of the Linnean society. London 1833.
lO Erstes Capitel. Die Geschichte der Protoplasmatheorie.
6) Brücke. Die Elementarorganismen. Wiener Sitzunrjsber. Jahrg. 1861. XLIV. 2. Abth.
7) Cohn. Kachträge z. Naturgeschichte des Frotococcus pluviatilis. Nova acta. Vol. XXII.
pag. 607—764.
8) Bonaventura Corti. Observazioni microsc. sulla Tremella e sulla circolazione del
ßuido in una pianta acquaiola. 1774.
9) Grew. The anatomy of plantes.
10) Haeckel. Die Madiularien. 1862.
Derselbe. Die Moneren.
11) Henle. Sytnbolae ad anatomiani villorum intcslinalium. 1837.
12) Oscar Hertw^ig. Die Geschichte der Zellentheorie. Deutsche Mundschau.
13) Huxley. On the cell theory. Munthly Journal. 1S53.
li) Kölliker. Die Zehre von der thierischen Zelle. Schleiden u. Nägeli. Wissenschaßl.
Botanik. Heft 2. 1845.
Derselbe. Handbuch der Gewebelehre des Menschen.
15) Malpighi. Anatome plantarum.
16) Mayen. Phytotomie. Berlin 1830.
17) H. V. Mohl. lieber die Vermehrung der Pßanzenzellen durch Theilung. Dissert. Tü-
bingen 1835. Flora 1837.
18) Derselbe, lieber die Saftbewegung im Innern der Zellen. Botanische Zeitimg. 1846.
19) Derselbe. Grundzüge der Anatomie und Ihysiologie der vegetabilischen Zelle. Wagners
Handwörterbuch der Physiologie. 1851.
20) J. Müller. Vergleichende Anatomie der Myxinoiden.
21) Oken. Lehrbuch der Naturphilosophie. 1809.
22) Purkinje. Bericht über die Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Prag
im September 1837. Prag 1838. pag. 174—175.
23) Derselbe. Uebersicht der Arbeiten und Veränderungen der schlenschen Gesellschaf t für
vaterländische Cultur im Jahre 1839. Breslau 1840.
24^) Derselbe. Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. 1840. Nr. o. pag. 33 — 38.
25) Remak. Ueber extracelluläre Entstehung thierischer Zellen und über Vermehrung der-
selben durch Theilung. Müllers Archiv. 1852.
26) Derselbe. Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere. 1855.
27) Sachs. Geschichte der Botanik. 1875.
28) Matthias Schleiden. Beiträge zur Phytogenesis. Müllers Archiv. 1838.
Derselbe. Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik. 2. Aufl. 1845.
29) Max Sehultze. Das Protoplasma der Phizopoden und der Fßanzenzelle.
30) Derselbe. Heber Muskelkörpcrchcn und was man eine Zelle zu nennen habe. Archiv
für Anatomie und Physiologie. 1861.
31) Th. Schwann. Mikroskopische Untersuchungen über die Ueber ein Stimmung in der
Structur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. 1839.
82) li. C. Trevianus. T^om inwendigen Bau der Gewächse. 1806.
33) R. Virchow. Die Cdlularpathologie in ihrer Begründmig auf physiologische und
pathologische Gewebelehre.
34) Casp. Friedr. Wclfif. Theorie von der Generation. 1764.
ZWEITES CAPITEL.
Die chemisch-physikalischen und morphologischen Eigen-
schaften der Zelle.
Die Zelle ist ein Organismus und als solcher kein ein-
faches, sondern ein aus vielen, verschiedenartigen Theilen zusammenge-
setztes Gebilde. Die wahre Natur aller dieser Theile, welche sich augen-
blicklich noch grösstentheils unserer Kenntniss entziehen, genauer fest-
zustellen, wird noch für lange Zeit eine Aufgabe biologischer Forschungen
bleiben. Wir stehen jetzt, in unserem Verständniss dem Zeil-Organismus
in ähnlicher Weise gegenüber, wie vor hundert Jahren die Naturforscher
dem thierischen und pflanzlichen Gesammtorganismus vor der Entdeckung
der Zellentheorie. Um in das Geheimniss des Zellorganismus noch
tiefer einzudringen , müssen die optischen Hülfsmittel , noch mehr aber
und vor allen Dingen die chemischen Untersuchungs-
methoden auf eine höhere Stufe der Vollendung, als sie
zur Zeit besitzen, gebracht werden. Es scheint mir zweck-
mässig, diese Gedanken gleich hier hervorzuheben, damit sie der Leser
bei der folgenden Darstellung immer vor Augen hat.
In jeder Zelle ist ausnahmslos ein besonders geformter Theil nach-
zuweisen, welcher im ganzen Organismenreich mit einer grossen Gleich-
förmigkeit auftritt, der Zellenkern. Ihm und dem übrigen Theil der Zelle,
dem Protoplasma, kommen offenbar eigenartige Aufgaben im Lebensprocess
des Elementarorganismus zu. Daher lässt sich die Untersuchung der che-
misch-physikalischen und morphologischen Eigenschaften der Zelle am
besten in zwei Theile zerlegen: in die Untersuchung des Protoplasma-
körpers und in die Untersuchung des Zellkerns.
Daran schliessen sich als Anhang noch 3 kleinere Abschnitte an.
Von diesen handelt der erste über die Frage : Giebt es kernlose Elementar-
organismen ? Der zweite beschäftigt sich mit den Pol- oder Central-
körperchen, welche als besondere Zellorgane neben dem Kern zuweilen
im Protoplasma aufgefunden werden ; in dem dritten wird ein kurzer Ab-
riss von der Nägeli'schen Theorie der Molecularstructur organisirter
Körper gegeben werden.
12 Zweites Capitel.
I. Die chemisch-physikalischen und morphologischen Eigen-
schaften des Protoplasmakörpers.
Bei Pflanzen und Thieren sehen die Zellen zuweilen nach Form
und Inhalt so ausserordentlich verschieden aus, dass sie auf den ersten
Blick überhaupt nichts Gemeinsames und Vergleichbares darzubieten
scheinen. Man vergleiche die Substanz einer Pflanzenzelle am Vege-
tationskegel mit einer von Stärkekörnern erfüllten Zelle der Kartoff"el-
knolle, oder den Inhalt einer Embryonalzelle einer Keimscheibe mit
dem Inhalt einer Fettzelle oder eines mit Dotterplättchen angefüllten
Amphibieneies. Der unbefangene Beobachter wird nur Gegensätze
erblicken. Trotzdem stimmen alle diese so ungemein verschiedenen
Zellen bei tieferer Untersuchung in einem Punkte überein: in dem
Besitz eines sehr wichtigen, eigenthümlichen Stoffgemenges, das dort in
grösserer Masse, hier nur in Spuren vorhanden ist, in keinem Elementar-
organismus aber vollständig verraisst wird. Dieses Stoff'gemenge lässt in
vielen Fällen die wunderbaren Lebensphänomene erkennen , von denen
später gehandelt wird, die Eigenschaft der Contractilität, der P.eizbarkeit
etc., und da dasselbe ausserdem bei jugendlichen Zellen, bei niederen
Organismen, bei den Zellen des Vegetationskegels und der Keimscheibe,
allein den Zellkörper — vom Kern natürlich abgesehen — ausmacht,
hat man in ihm den hauptsächlichen Träger der Lebensfunctionen
erblickt. Es ist das Protoplasma oder die bildende Substanz (forming
matter) des enghschen Histologen Beale (I. 3).
a) Begriff des Protoplasmas und Berechtigung desselben.
Um zu wissen, was Protoplasma ist, wird man am
besten dasselbe an solchen Zellen untersuchen, in denen es möglichst
frei von anderen Beimischungen und in grösserer Menge auftritt, und am
besten an den Objecten, an denen sich die Begründer der Protoplasma-
theorie ihre Vorstellung von der Natur desselben gebildet haben. Solche
Objecte sind junge Pflanzenzellen, Amöben, Rhizopoden, die Lymph-
körperchen von Wirbelthieren. Wer hier die charakteristischen Eigen-
schaften des Protoplasma erkannt hat , wird dasselbe auch in solchen
Zellkörpern auffinden, in denen es nur in geringer Menge vorhanden und
durch andere Substanzen mehr oder minder verdeckt ist.
Es ist der Vorschlag gemacht worden (II. 10), den Begriff Pro-
toplasma, mit dem ein unberechtigter Cultus getrieben werde, über-
haupt ganz fallen zu lassen; denn die Verwendung dieses Wortes sei
heutzutage eine so unbestimmte und schrankenlose geworden, dass man
sich mit Recht fragen könne, ob durch seinen jetzigen Gebrauch wirklich
Nutzen und nicht viel mehr Verwirrung gestiftet werde.
Dieser Vorschlag kann weder als ein zweckdienlicher, noch als ein
in der Sache berechtigter bezeichnet werden. Denn wenn auch zuge-
geben werden mag, dass von mancher Seite das Wort in verkehrter
Weise gebraucht wird, dass es auch nicht möglich ist, in einem kurzen
Satze eine erschöpfende Definition des Wortes Protoplasma zu geben,
und dass man in manchen Fällen in Verlegenheit kommt, zu sagen,
welcher Theil in einer Zelle Protoplasma ist und welcher nicht, so geht
aus alle dem die Entbehrlichkeit des Protoplasmabegriffes noch in keiner
Weise hervor. Aehnliche Bedenken können auch gegen manche andere
Worte erhoben werden, durch welche wir uns über bestimmte Stofi"-
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 13
gemenge der Organismen zu verständigen suchen. Mit dem Wort Nu-
clein oder Chromatin bezeichnen wir z. B. einen gewissen Bestandtheil
des Kerns, der für Manchen leidlich gut bestimmbar erscheinen wird.
Und doch wird der ?»likroskopiker zugeben müssen, dass es im ruhenden
Kerngerüst nicht möglich ist, genau zu bestimmen, was Linin und was
Nuclein ist, oder zu entscheiden, ob man im einen Fall nicht zu viel,
im anderen Fall zu wenig m i t gefärbt hat.
Ebenso wenig wie das Wort Nuclein, ist das Wort Protoplasma ent-
behrlich, um sich über die Zellbestandtheile zu verständigen. Nur soll
man nicht den Anspruch erheben, dass mit dem Wort Protoplasma ein
chemisch scharf definirbarer Körper bezeichnet sei.
Protoplasma ist ein morphologischer Begriff (und das-
selbe gilt mehr oder minder auch für das Wort Nuclein und so viele
andere) ; es ist eine Bezeichnung für ein Stoffgemenge, das einer Anzahl
physikalischer, chemischer und biologischer Eigenschaften zeigt. Solche
Begriffe sind bei dem gegenwärtigen Stand unserer Wissenschaft unent-
behrlich. Wer mit der Geschichte der Zelle bekannt ist, weifs, welche
Summe von Beobachtung und wie viel logische Denkarbeit vieler Forscher
nothwendig gewesen ist, um den Begriff Protoplasma zu entwickeln, der
weiss, dass mit der Schaffung dieses Begriffes die ganze Zellen- und Ge-
webelehre einen viel tieferen Inhalt gewonnen hat. Wie viele Kämpfe hat
es gefordert, bis festgestellt wurde, dass an der Zelle nicht die Mem-
bran, sondern der Inhalt das Wesentliche ist, und dass in dem Inhalte
wieder eine besondere, überall wiederkehrende Substanz ist, die in ganz
anderer Weise als der Zellsaft, die Stärkekörner und Fetttropfen am
Lebensprozess betheiligt ist.
Das Wort Protoplasma hat daher nicht nur seine historische, sondern
auch seine wissenschaftliche Berechtigung, und so wollen wir denn näher
zu bestimmen suchen, was darunter zu verstehen ist.
b) Allgemeine Charakteristik des Protoplasmas.
Das Protoplasma einzelliger Organismen, pflanzlicher und thieri-
scher Zellen (Fig. 1 und 2) erscheint als eine zähflüssige, fast immer
farblose, mit Wasser nicht mischbare Substanz, die in Folge einer ge-
wissen Aehnlichkeit mit schleimigen Stoffen von Schieiden als Schleim
der Zelle bezeichnet wurde. Sie bricht das Licht stärker als Wasser,
so dass selbst feinste Protoplasmafädchen sich trotz ihrer Farblosigkeit
in diesem Medium erkennen lassen. In keinem Protoplasma fehlen
kleinste, nur wie Punkte erscheinende Körnchen, die Mikrosomen, die
bald spärlicher, bald reichlicher vorhanden und in eine bei schwächerer
Vergrösserung homogen aussehende Grundsubstanz eingebettet sind. Je
nach der Menge der Mikrosomen sieht daher das Protoplasma bald mehr
durchscheinend, hyalin, bald etwas dunkler und körnig aus.
Die Vertheilung der Körnchen im Zellenleib ist selten eine gleich-
massige. Gewöhnlich bleibt eine mehr oder minder feine, oberflächliche
Schicht körnchenfrei. Da dieselbe ausserdem noch einen etwas festeren
Aggregatzustand als die von ihr eingeschlossene, wasserreichere und
körnige Protoplasmamasse darbietet, hat man beide als zwei verschiedene
Plasmaarten unterschieden und die eine als Hautplasma oder Hyalo-
plasma und die andere als Körnerplasma bezeichnet (Fig. 2 eh. en.).
Manche Forscher, wie namentlich Pfeffer, de Vries etc. sind geneigt,
in der Hautschicht ein besonders differenzirtes und mit
14
Zweites Capitel.
C B
Fig. 1. Parenchyrnzellen aus der mittleren Schicht der "Wurzelrinde
von Fritillaria imperialis ; Längsschnitte, nach öSOmaliger Vergrösserung.
Nach Sachs (II 33) Fig. 75. A dicht über der Wurzelspitze liegende, sehr juuge
Zellen, noch ohne Zellsaft; £ die gleichnamigen Zellen etwa 2 Millimeter über der
Wurzelspitze, der Zellsaft s bildet im Protoplasma p einzelne Tropfen, zwischen denen
Protoplasmawände liegen; C die gleichnamigen Zellen etwa 7 — 8 Millimeter über der
Wurzelspitze; die beiden Zellen rechts unten sind von der Vorderfläche gesehen, die
grosse Zelle links unten im optischen Durchschnitt gesehen; die Zelle rechts oben
durch den Schnitt geöffnet; der Zellkern lässt unter dem Einfluss des eindringenden
Wassers eine eigenthümliche Quellungserscheinung wahrnehmen {x y). k Kern, kk Kern-
körper, h Membran.
besonderen Functionen betrautes Organ des Zellkörpers
zu erblicken. Zu Gunsten einer derartigen Auffassung liess sich wohl
das folgende von mir angestellte Experiment verwerthen:
Reife, in den Eileiter eingetretene und mit einer Gallerthülle um-
gebene Eier von Rana temporaria wurden mit der äusserst feinen Spitze
einer Glasnadel vorsichtig angestochen. Die so hervorgerufene Verletzung
war nach der Operation äusserlich nicht wahrnehmbar. Ein Austritt von
Dottersubstanz war an der Stichstelle nicht zu bemerken. Als aber
darauf die Eier befruchtet wurden, so begann nach einiger Zeit an allen
verletzten Eiern Dottersubstanz in ziemlich betrcächtlicher Menge an der
Oberfläche hervorzuquellen und zwischen Ei- und Dotterhaut einen mehr
oder minder grossen Höcker (Extraovat. Roux) zu bilden. Durch den
Akt der Befruchtung wurde der Substanzaustritt erst hervorgerufen, weil
durch das Eindringen des Samenfadens die Eirinde gereizt und, wie an
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 15
geeigneten Objecten leicht zu beobachten ist, zu einer energischen Con-
traction angeregt wird. Durch den Stich muss mithin in der Hautschicht
der Zelle eine Wunde entstanden sein, welche bis zur Befruchtung noch
nicht hatte ausheilen können und erst in Folge der durch die Befruchtung
bedingten Contraction Dotter ausfliessen liess. Da nun zwischen der
Verletzung und dem Eindringen des befruchtenden Samenfadens bei den
Froscheiern immer ein längeres, von mir nicht genauer bestimmtes Zeit-
intervall liegt, so dürfte dies wohl dafür sprechen, dass der Hautschicht
in der That eine besondere, von dem darunter gelegenen Zellinhalt etwas
verschiedene Structur und besondere Eigenschaften zukommen.
c) Chemische Zusammensetzung des Protoplasmas.
Ausserordentlich unbefriedigend sind unsere Kenntnisse von der
chemischen Natur des Protoplasma. Man hat zuweilen das-
selbe als einen Eiweisskörper oder geradezu als „lebendes Eiweiss" be-
zeichnet. Durch solche Ausdrucksweisen kann leicht eine grundfalsche
Vorstellung vom Wesen des Protoplasma
herangerufen werden. Darum wiederhole
ich: Protoplasma ist kein chemischer,
sondern ein morphologischer Begriff, Proto-
plasma ist keine chemische Substanz
noch so zusammengesetzter Art, sondern
ein Gemenge zahlreicher, chemischer Stoffe,
die wir uns als kleinste Theilchen zu
einem wunderbar complicirten Bau mit
einander vereinigt vorzustellen haben.
Chemische Substanzen zeigen in ver-
schiedenen Aggregatzuständen (das Hae-
moglobin zum Beispiel als Bestandtheil
der Blutkörperchen, im Wasser gelöst
oder in Krystallform) übereinstimmende
Eigenschaften; Protoplasma dagegen lässt
sich nicht in andere Aggregatzustände
überführen, ohne sofort aufzuhören, Proto-
plasma zu sein. Denn seine wesentlichen
Eigenschaften, in denen sich sein Leben
äussert, beruhen eben auf einer bestimm-
ten Organisation. Ebenso wie die haupt-
sächlichen Eigenschaften einer Marmor-
statue in der Form bestehen, die Künstlerhand dem Marmor gegeben
hat, und wie eine Statue aufgehört hat, eine solche zu sein , wenn sie
in kleine Marmorsteinchen zerschlagen ist (Nägeli 11 28), so ist auch
ein Protoplasmakörper nach Zerstörung der Organisation, auf welcher
sein Leben beruht, kein Protoplasma mehr; wir untersuchen in den ab-
getödteten, mit Reagentien behandelten Zellen streng genommen nur die
stark veränderten Trümmer desselben.
Die Chemie wird vielleicht in absehbarer Zeit so weit fortgeschritten
sein, dass sie Eiweisskörper durch Synthese künstlich darzustellen ver-
mag. Einen Protoplasmaköi-per zu bilden, wäre dagegen ein ähnliches
Beginnen, wie der Versuch Wagners, einen Homunculus in der Phiole
auszukrystallisiren. Denn nach allen unseren Erfahrungen entstehen
Protoplasmakörper auf keinem andern Wege als durch
Fig. 2. Amoeba Proteus.
Nach Leidv. Aus Eich. Hektwig.
n. Kern. cv. Contractile Vacuole.
N. Nahrungsballen. en. Körner-
plasma, ek. Hautplasma.
16 Zweites Capitel.
Fortpflanzung aus vorhandenem Protoplasma; ihre heutige
Organisation ist daher das Product einer ausserordent-
lich langen historischen Entwicklung.
Was für Substanzen jedem lebenden Protoplasma eigenthümlich
sind, ist sehr schwer chemisch zu bestimmen. Denn abgesehen davon,
dass schon jeder Eingriff den leicht zersetzbaren Körper wesentlich ver-
ändert, wird auch noch dadurch die Untersuchung erheblich erschwert,
dass ausser dem Protoplasma in jeder Zelle Stoffwechselproducte der ver-
schiedensten Art mit eingeschlossen sind, die sich nicht leicht absondern
lassen. In dem complicirten Stoflfgemenge ' legt man als eigentlichen
Trägern der Lebensprocesse einen besonderen Werth den Protein Sub-
stanzen bei, den complicirtesten organischen Körpern, die es gibt, und
über deren chemische Constitution die Analyse noch wenig sichere Auf-
schlüsse gegeben hat. Ihre complicirte Structur beruht in erster Linie
auf den ganz aussergewöhnlichen, chemischen Eigenschaften des Kohlen-
stoffs (Haeckel II 15). In den Proteinsubstanzen haben sich dem Kohlen-
stoff 4 andere Elemente, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Schwefel
beigesellt, in einem Verhältniss, welches man durch die Formel
Q72jjio6jsTi8gQ22 (Z u s a m m 6 n s e t z u u g eines Eiweissmolecüls)
auszudrücken versucht hat (Xägeli II 28).
Unter den verschiedenen Arten der Proteinkörper (Albumine, Glo-
buline, Fibrine, Plastine, Nucleine etc.) scheint für das Protoplasma be-
sonders nur das Pia st in charakteristisch zu sein, (Reinke II 32,
Schwarz II 37, Zacharias II 44) ; dasselbe ist im Wasser und 10*^/o Koch-
salz und lO^i'o schwefelsaurer Magnesia unlöslich; in verdünnter Essig-
säure wird es gefällt, in concentrirter zur Aufquellung gebracht ; in con-
centrirter Salzsäure wird es gefällt; es widersteht sowohl der Pepsin-
ais der Trypsinverdauung. Es färbt sich wenig oder gar nicht in basi-
schen, dagegen in sauren Anilinfarben (Eosin und S-Fuchsin).
Daneben finden sich in geringerer Menge Globuline und Albumine,
die auch in gelöstem Zustand im Zellsaft der Pflanzen vorkommen.
Das Protoplasma ist sehr reich an Wasser, welches, wie
Sachs (II 33) bemerkt, zu seiner Molekularstructur in demselben Sinne
gehört, wie z. B. das Krystallwasser zur Structur sehr vieler Krystalle
nöthig ist , die ihre krystallinische Form durch Entziehung des Krystall-
wassers verlieren. An frischen Fruchtkörpern von Aethalium septicum
fand Reinke (II 32) 71,6 «o Wasser und 28,4 «/o bei 100 Grad getrock-
nete Substanz. 66 ^!o Flüssigkeit Hess sich durch Auspressen erhalten.
Im Protoplasma kommen ferner stets eine Anzahl verschiedener Salze
vor und bleiben bei der Verbrennung desselben als Asche zurück. Bei
Aethalium septicum enthält die letztere an Grundstoffen Chlor, Schwefel,
Phosphor, Kalium, Natrium, Magnesium, Calcium, Eisen.
Lebendes Protoplasma gibt eine deutlich alcalische Reaction;
rothes Lackmuspapier, sowie ein im Braunkohl vorkommender, von Schwarz
verwandter, rother Farbstoff wird blau. Es ist dies bei Pflanzen auch
dann der Fall, wenn der Zellsaft wie gewöhnlich sauer reagirt. Die
alkalische Reaction rührt nach den Untersuchungen von Schwarz (II 37)
bei den Pflanzen von Aleali her, welches in dem lebenden Protoplasma
an die Proteinkörper gebunden ist. Aethalium septicum entwickelt nach
Reinke (II 32) in getrocknetem Zustande Ammoniak.
Ausserdem lassen sich im Protoplasma stets die verschiedensten
Stoffwechselproducte nachweisen, welche theils der progressiven,
theils der regressiven Metamorphose angehören. Sie zeigen im thierischen
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 17
und pflanzlichen Zellenkörper eine grosse Uebereinstinnnung'. Hier wie
dort sind Pepsin, Diastase, Myosin, Sarkin, Glycogen, Zucker, Inosit,
Dextrin, Cholestearin und Lecithin, Fette, Milchsäure, Ameisensäure, Essig-
säure, Buttersäure etc. gefunden worden.
Als Beispiel für die quantitative Zusammensetzung einer
Zelle einschliesslich ihres Kernes theilt Kossei (IL 35) in seinem Lehr-
buch eine von Hoppe -Seyler ausgeführte Analyse der Eiterkörperchen
mit. Nach derselben enthalten 100 Gewichtstheile organischer Substanz:
verschiedene Eiweissstoffe . 13,762,
Nuclein 34,257,
unlösliche Stoffe 20,566",
Lecithin 1 i ^ qqq
Fette j ^^'^^^'
Cholestearin 7,400,
Cerebrin 5,199,
Extractivstoffe 4,433.
In der Asche fand sich Kalium, Natrium, Eisen, Magnesium, Calcium,
Phosphorsäure und Chlor.
In physikalischer Hinsicht Hess sich zuweilen an Protoplasmafäden,
in denen die Bewegung vorwiegend in einer Richtung vor sich ging,
Doppelbrechung beobachten und zwar so, dass die optische Axe mit der
Bewegungsrichtung zusammenfiel (Engelmann).
d) Feinere Protoplasmastructur.
Es wurde oben das Protoplasma als ein Stoffgemenge bezeichnet, in
welchem wir uns die kleinsten Theilchen zu einem complicirten I3au
mit einander verbunden vorzustellen haben. In diesen Wunderbau hat
die Forschung noch tiefer einzudringen versucht, theils auf speculativem
Wege, theils mit Hülfe mikroskopischer Beobachtung.
In der ersten Pachtung hat Nägeli höchst bedeutsame Gedanken
entwickelt, die in einem besonderen Abschnitt über die „Molecular-
structur organisirter Körper" ausführlicher dargestellt werden sollen.
In der zweiten Richtung sind in der Neuzeit zahlreiche Forscher,
unter ihnen vor allen Dingen Frommaun, Flemming, Bütschli und Alt-
mann thätig gewesen. Zum Untersuchungsobject diente sowohl lebendes
als auch durch geeignete Reagentien abgetödtetes Protoplasma, letzteres
namentlich, nachdem durch verschiedene Färbemethoden kleinste Theil-
chen in ihm wahrnehmbar gemacht worden waren. So ist schon eine
besondere, kleine Literatur über das Kapitel „Protoplasmastructur"
entstanden.
Ausgehend davon, dass das Protoplasma ein Gemisch von einer
kleinen ]\lenge fester Substanzen mit reichlicher Flüssigkeit ist, welchem
Umstand es seinen eigenthümlichen, weichflüssigen Aggregatzustand ver-
dankt, könnte man die Frage aufwerfen, ob bei Anwendung der stärksten
Vergrösserungen es möglich ist, die festen Substanztheilchen von der
zwischen ihnen enthaltenen Flüssigkeit optisch zu unterscheiden und
in ihrer Anordnungsweise besondere Structuren zu erkennen. A priori
braucht eine solche Unterscheidbarkeit nicht nothwendig zu sein, sofern
die festen Substanztheilchen sehr klein sind oder in ihrem Lichtbrechungs-
vermögen von der Flüssigkeit nicht genügend verschieden sind. So
nimmt in der später genauer auseinandergesetzten Micellartheorie
Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. 2
18 Zweites ('apitel.
Nägeli (II. 28) eine gerüstförmige Anordnung der festen
Sul3stanztheilchen an, welche sich aber wegen der
geringen Grösse der h y j) o t h o t i s e h e n M i c e 1 1 e n unserer
Walirnohniung entzieht. Mit einem Wort, es kann das Troto-
l)lasnia eine sehr verwickelte Structur haben, trotzdem es uns optisch als
ein homogener Körper erscheint. Mit der Bezeichnung homogenes
Protoplasma ist also nicht nothwendiger Weise das Urtheil verknüpft,
dass das Trotoplasma einer besonderen Structur oder Organisation
entbehre.
In der Neuzeit, wo die starken Oel-Immersionssysteme bei den
Untersuchungen ausgiebiger benutzt werden, häufen sich inuner mehr die
Angaben, dass dem Protoplasma eine optisch wahrnehmbare Structur
allgemein zukäme; doch weichen die einzelnen Mikroskopiker in ihren
Urtheilen so wesentlich auseinander, dass eine Vermittelung zwischen
ihnen nicht möglich ist,
Auf der Tagesordnung der wissenschaftlichen Discussion stehen
augenblicklich wenigstens vier sich befehdende Lehren, welche als Gerüst-
theorie, als Schaum- oder Wabentheorie, als Filartheorie und als
Granulatheorie charakterisirt werden können.
Die Gerüsttheorie ist von Frommann (II. 14), Heitzmann (II. 17),
Klein (II. 21), Leydig (II. 26), Schmitz (II. 36) u. A. aufgestellt worden.
Nach ihr besteht das Protoplasma aus einem sehr feinen Netzwerk von
Fibrillen oder Fäserchen, in dessen Lücken die Flüssigkeit enthalten ist.
Es gleicht daher im Allgemeinen einem Schwamm, oder seine Structur
ist, wie man sich kurz ausdrückt, eine spongiöse. Die im Körnerplasma
sichtbaren Mikrosomen sind nichts Anderes als die Knotenpunkte des
Netzes.
Bei einem Ueberblick über diese Literatur wird man finden, dass
unter der Bezeichnung „spongiöser Bau des Protoplasma" zuweilen ganz
heterogene Dinge zusammengeworfen worden sind. Theils beziehen sich
die Beschreibungen auf gröbere Gerüstwerke, welche durch Einlagerung
verschiedenartiger Stoffe in das Protoplasma, wie später noch ausführ-
licher l)esprochen werden wird, bedingt sind und daher nicht als eine
dem Protoplasma als solchem anhaftende Structur bezeichnet und mit
ihr zusannnengeworfen werden dürfen. Dies gilt zum Beispiel für die
Beschreibung der Becherzellen von List (11.48, s. S.31 Fig. 17). Theils sind
netzförmige Structuren beschrieben und abgebildet worden, die, offenbar
durch Gerinnung (durch einen Entmischungsvorgang) hervorgerufen, als
Kunstproducte gedeutet werden müssen. Künstliche Gerüststructuren
kann man sich z. B. leicht erzeugen, wenn man Eiweisslösungen oder
Leimgallerte durch Zusatz von Chromsäure, Pikrinsäure oder Alkohol
zur (Gerinnung bringt. So zeichnet Heitzmann (II. 17) in sehr schema-
tischer Weise in die verschiedensten Zellen des thierischen Körpers
Netzwerke ein, welche dem wirklichen Zustand in keiner Weise ent-
sprechen. Auch Bütschli bemerkt in seiner Literaturübersicht (II. 7 b
pag. 113), „es sei überhaupt häufig recht schwierig zu entscheiden, ob
die von früheren Beobachtern beschriebenen Netzstructuren eigentliche
feinste Plasmastructuren seien oder ob sie auf gröberen Vacuolisationen
beruhen. Da sieh beide sehr ähnlich sehen, könne man hierüber nur
auf Grund der Grössenverhältnisse ein einigermaassen gesichertes Urtheil
gewinnen." Bütschli fand durchgängig, dass die Maschenweite der
eigentlichen Plasmastructuren kaum 1 f.i iiberschreitet.
Wenn somit gegen viele Angaben gerechte Zweifel erhoben werden
Die chemisch-physikalisclien u. inorphologisclieu Eigenschaften der Zelle. 19
können, liegen anderen Beschreibungen (Froniniann, Schmitz, Leydig etc.)
wohl wirklich feinere Structuren des Zellkörpers zu Grunde.
In der Deutung der als Netzwerk beschriebenen Bilder ninmit
Bütschli einen eigenen, von den genannten Forschern abweichenden
Standpunkt ein, welcher ihn zur Aufstellung einer Schaum- oder
Waben theorie des Protoplasma (II. 7a, 7b) veranlasst hat.
Durch Vermischung von eingedicktem Olivenöl mit K^ C 0^ oder mit
Kochsalz oder Ptohrzucker gelang es ihm, feinste Schäume herzustellen,
deren Grundmasse Oel ist, das von zahllosen, allseitig abgeschlossenen
und von wässeriger Flüssigkeit erfüllten Räumchen durchsetzt ist (Fig. 3).
Der Durchmesser der letzteren bleibt
bei sehr feinen mikroskopischen Schau- .
men in der Kegel unter 0,001 mm. Die 'r*---'-^"::"",:^-'tK*v-«','7T^ "^^'
kleinen Räumchen, die sich Bienen- ^^^^o^t^^iivXl^^^
waben vergleichen lassen und die ver- --^a^^-ja^i..,^
schiedenartigsten Polyeder darstellen ^ Optischer Durch-
können, werden durch feinste, das schnitt der Randpartie eines
Licht etwas stärker brechende Oel- aus Olivenöl und Kochsalz her-
lamellen von einander aetrennt. In der gestellten Oeischaumtropfens
Anordnung der Waben' muss nach phv- ^^l sehr deutlicher und relativ
., ,. , ' T-, , , , ,. r, ^■ hoher Alveolarsehieht [alv).
sikahschen Regeln stets die Bedingung vergr. 1250. Nach bütschli
erfüllt sein, dass immer nur 3 Lamellen xaf. iii, Fig. 4. '
in einer Kante zusammenstossen. Auf
dem optischen Durchschnitt treffen daher in einem
Knotenpunkte immer nur 3 Linien zusammen. Waren im
Oel vor der Schaumbildung feine Russpartikelchen vertheilt, so sammeln
sich dieselben in den Knotenpunkten des Wabenwerks an. An feinen
Schäumen lässt sicli endlich noch eine obei"flächliche Schicht nachweisen,
in welcher die kleinen Waben in besonders eigenthümlicher Weise ange-
ordnet sind in der Weise, dass ihre an die Oberfläche stossenden Scheide-
wände aus Oel s^krecht zu dieser gerichtet und daher auf dem optischen
Durchschnitt parallel zu einander gelagert sind. Bütschli unterscheidet
dieselbe als eine Alveolarsehieht (Fig. 3 «Zv ).
Genau denselben Bau glaubt nun Bütschli für das Protoplasma aller
pflanzlichen und thierischen Zellen (Fig. 4 u. 5) auf Grund seiner Unter-
suchung lebender und mit Reagentien behandelter Objecte annehmen
zu müssen. Den Oellainellen, welche im künstlichen Schaum die
Flüssigkeitströpfchen trennen, entspricht ein plasmatisches Gerüst. Auch
hier sind in den Knotenpunkten desselben die Körnchen (Mikrosomen)
zusammengedrängt. Auch hier ist der Protoplasmakörper nach aussen
häufig zu einer Alveolarsehieht differenzirt. Das Bild, welches andere
Forscher als Faden- und Netzwerk mit communicirenden, die Flüssigkeit
bergenden Maschenräumen beschreiben, deutet Bütschli als Waben- und
Schaumwerk mit allseitig abgeschlossenen Räumen; er bemerkt aber
selbst zu dieser Deutung, dass bei der Kleinheit der in Frage stehenden
Structuren nach dem mikroskopischen Bilde allein eine feste Entschei-
dung darüber, ob Netz- oder Wal)enstruetur vorliege, sich nicht Irefi'eu
lasse (II. 7 b, pag. 140), denn „in beiden Fällen müsse das mikroskopische
Bild dasselbe sein."
Soll nun bei der Deutung die Aehnlichkeit mit künstlich her-
gestellten Schäumen, durch welche sich schliesslich Bütschli in seinem
Ürtheil bestimmen lässt, den Ausschlag geben?
Hier möchte ich doch zwei Bedenken geltend machen: erstens das
9 *
20 Zweites Capitel.
Bedenken, dass für den Bau der Kernsubstanz, die ohne Zweifel dem
Protoplasma in ihrer Organisation verwandt ist, die Wabentheorie nicht
zutrifft. Denn während des Kerntheilungsprocesses treten mit grösster
Deutlichkeit fädige Anordnungen in Form der Spindelfasern und Nuclein-
fäden hervor, deren Existenz wohl von Niemand in Zweifel gezogen
werden kann.
Das zweite Bedenken ist mehr theoretischer Natur:
1 ■: Fl
^ • •
♦ ■
o
I i.:
V
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 4. Zwei lebende Plasmastränge aus den Haarzellen einer Malve.
Etwa oOOOfach vergr. Nach Bütschli Taf. II, Fig. U.
Fig. 5. Schwimmliautartige Ausbreitung mit sehr deutlicher Structur
aus dem Pseudopodiennetz einer Miliolide. Lebend etwa SOOOfach vergr.
Nach Bütschli Taf. II, Fig. 5.
Oellamellen bestehen aus einer Flüssigkeit, die mit Wasser nicht
mischbar ist. Soll der Vergleich zwischen Schaumstructur und Proto-
plasmastructur auf etwas mehr als einer oberflächlichen Aehnlichkeit
beruhen, so müssten die den Oellamellen verglichenen Plasmalamellen
aus einer Eiweisslösung oder flüssigem Eiweiss zusammengesetzt sein.
Diese Annahme triflft nicht zu, weil Eiweisslösung mit Wasser mischbar
ist, also auch mit dem Wabeninhalt sich mischen müsste; Eiweiss-
schäume müssten mit Luft hergestellt werden. Um diese Schwierigkeit
zu umgehen, nimmt Bütschli als chemische Grundlage der Gerüst-
substanz des Protoplasma eine Flüssigkeit an, die aus einer Combination
von eiweissartigen und von Fettsäuremolecülen hervorgegangen sei.
(II. 7 b, pag. 199.) Diese Hülfsannahme dürfte, wie überhaupt die
Annahme einer flüssigen Beschaffenheit der Gerüstsubstanz, wenig Bei-
fall finden. Denn nach vielen Piichtungen hin erscheint doch die theo-
retische Forderung eine wohlberechtigte, dass die Structurelemente des
Protoplasma, mögen sie nun Fädchen eines Netzes oder Lamellen eines
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 21
Wabenwerks oder Körnchen oder sonst was sein, einen festen Aggregat-
zustand haben. Das Protoplasma ist kein Gemengsei zweier nicht misch-
l)arer Flüssigkeiten, wie Wasser und Oel, sondern besteht aus einer
Verbindung fester, organischer Substanztheilchen mit reichlichem Wasser.
Damit sind aber auch ganz andere physikalische Bedingungen gegeben
(vergleiche den Abschnitt über Molecularstructur. S. 49).
Die dritte von den oben aufgeführten Lehren oder die F i 1 a r -
theorie ist an den Namen von Flemming (II. 10) geknüpft.
Bei der Untersuchung vieler Zellen im lebenden Zustand (Knorpel-,
Leber-, Bindegewebs-, Ganglienzellen etc.) beobachtete Flemming im Proto-
plasma (Fig. 6) feinste Fädchen, die etwas stärker lichtbrechend sind,
als die sie trennende Zwischensubstanz. In
manchen Zellen sind die Fädchen kürzer, in
anderen länger; bald sind sie spärlicher, bald f^-f
reichlicher vorhanden. Ob sie von einander (; vr| h'-^'® j^^%
getrennt sind und durchweg an einander vor •- ^ ...a -<«
beilaufen, oder ob sie sich zu einem Netz
verbinden, konnte nicht bestimmt entschieden
werden; wollte man sie sich aber auch zu
einem Netz verbunden denken, so würden die
Maschenräume sehr ungleich weit ausfallen. Fig. e. Lebende Knor-
Flemming nimmt daher im Protoplasma zwei peizeiie der Salamander-
verschiedene Substanzen an, über deren che- ^^'f'7^' stark vergrossert,
. , T.T j^ 1 I i i. i. 1 mit deutlicher Filarsub-
mische Natur und deren Aggregatzustand er g^anz (nach Flemming).
sich nicht näher äussert: eine Fädchensub- Aus Hatschek Fig. 2.
stanz und eine Zwischensubstanz, oder
eine Filar- und Interfilarmasse. (Mitom und Paramitom.) Welche Be-
deutung dieser Structur zukommt, worüber sich zur Zeit noch gar nichts
aussagen lässt, muss der Zukunft anheimgegeben werden.
In dem Abschnitt „Protoplasmastructur" könnte auch auf die strahlige
Anordnung des Protoplasma, wie sie auf gewissen Stadien der Kerntheilung
vorübergehend beobachtet wird, oder auf das streifige Aussehen, welches das
Protoplasma secretorischer Zellen so häufig zeigt, näher eingegangen werden.
Da es sich aber hier um Structuren bandelt, die durch besondere Verhält-
nisse verursacht werden, wollen wir erst an späterer Stelle auf sie zurück-
kommen.
In einer vierten Pachtung endlich bewegen sich wieder die Bestre-
bungen Altmanns (IL 1), eine feinere Zusammensetzung des Protoplasma
nachzuweisen (Granula theorie). Dieser Forscher hat durch Aus-
bildung besonderer Methoden im Zellenleib kleinste Theilchen sichtbar
gemacht, die er als Granula bezeichnet. Er conservirt die Organe in
einem Gemisch von 5 " o Lösung von Kaliumbichromat und von 2 ^ oiger
Ueberosmiumsäure und färbt die von ihnen angefertigten feinen Schnitte
mit Säurefuchsin, wobei die Färbung durch alkoholische Pikrinsäurelösung
schärfer dilferenzirt wird. In einer farblosen Grandsubstanz werden bei
diesem Verfahren zahlreiche, kleinste, dunkelroth gefärbte Körnchen sicht-
bar gemacht, die entweder isolirt bald dichter, bald lockerer neben einander
liegen oder in Reihen zu Fäden verbunden sind.
Altmann knüpft an diesen Nachweis eine weittragende Hypothese.
Er erblickt in den Granula noch kleinere Elementarorganismen, aus
denen die Zelle selbst wieder zusammengesetzt ist; er nennt sie die
22 Zweites Capitel.
13 i u b 1 u s t e 11 , schreibt ihnen den Bau eines organisirten Krystalls zu und
betrachtet sie für ^•leich^vel•thig• den Mikroorganismen, die sich auch als
Einzeleleinente in Hauten zu einer Zoogloea oder der Reihe nach in Fäden
anordnen. „Wie in der Zoogloea die einzelnen Individuen durch eine
gallertartige Ausscheidungssubstanz ihres Körpers mit einander verbunden
und zugleich von einander getrennt sind, so dürfte dies auch bei den
Granulis der Zelle der Fall sein ; auch hier werden wir in der Umgebung-
derselben nicht nur Wasser oder Salzlösung als vorhanden annehmen dürfen,
sondern ebenfalls eine mehr gallertartige Sulistanz (Intergranularsubstauz),
deren Consistenz in manchen Fällen bis an den flüssigen Zustand heran-
reichen, in andern aber ziemlich derb sein wird. Für den ersten Fall
spricht die grosse Beweglichkeit, die manchem Protoplasma eigen ist.
Häuft sich die Intergranularsubstanz irgendwo in der Zelle ohne Granula
an, so vermag sie hier ein echtes Hyaloplasma zu bilden, welches frei
von lebenden Elementen ist, darum auch den Namen eines Protoplasma
nicht verdient."
Altmaiin definirt daher „das Protoplasma als eine Colonie von Bio-
blasten, deren einzelne Elemente, sei es nach Art der Zoogloea, sei es
nach Art der Gliederfäden, gruppirt und durch eine indifferente Substanz
verbunden sind". „Der Bioblast ist daher die gesuchte morphologische
Einheit aller organisirten Materie , von welcher alle biologischen Er-
wägungen in letzter Instanz auszugehen haben." Doch ist der Bioblast
der Zelle keines isolirten Lebens fähig, er stirbt mit der Zelle ab. In.
ihr aber, so nimmt Altmann an, vermehrt er sich nur durch Theilung.
(Omne granuluni e granulo.)
Gegen die Altmann'sche Hypothese, soweit sie sich auf Deutung
beobachteter Verhältnisse bezieht, lassen sich manche Einwände erheben.
1. Die kleinsten Mikroorganismen einer Zoogloea sind durch vielfache
Uebergänge in der Grösse mit grösseren Spross- und Hefepilzen verbunden,
die ihrem Bau nach von Zellen nicht zu unterscheiden sind und daher
nach Altmann auch Colonien von Bioblasten sein müssten. Auch hat
Bütschli bei grösseren Mikroorganismen eine Sonderung in Kern und
Protoplasma und damit die Uebereinstimmung im Bau mit anderen
Zellen wahrscheinlich gemacht. Die Geissein, die bei vielen Mikro-
organismen nachgewiesen sind, müssen auch als Zellorgane gedeutet
werden. 2. Ueber die Beschaffenheit und Aufgabe der Granula in der
Zelle sind wir noch viel zu wenig aufgeklärt, als dass sich nur irgend-
wie die Schlussfolgerung rechtfertigen Hesse, durch welche sie zu den
eigentlichen Lebenselementen der Zelle erhoben werden. Durch die
Altmann'sche Hypothese wird der Werth, welchen man den Zellsub-
stanzen bisher zuertheilt hat, vollständig umgekehrt. Altmanii's Inter-
granularsubstanz, welche ihrem physiologischen Werth nach der Gallerte
der Zoogloea gleich geschätzt wird, ist im Wesentlichen das Protoplasma
der herrschenden Zellentheorie, also die Substanz, welche als die wich-
tigste Grundlage der Lebensprocesse betrachtet wird; die Granula da-
gegen gehören zum Theil wohl in die Kategorie der Protoplasmaeinschlüsse,
denen man bisher eine minder bedeutungsvolle Rolle zuertheilt hat. So
bezeichnet Altmann in der Pigmentzelle die Melaninkörnchen als die Bio-
blasten, das sie verbindende Protoplasma als Intergranularsubstanz.
Ebenso kehrt Altmann beim Kern, wie bei der Beschreibung desselben
hervorgehoben werden wird, den physiologischen Werth der Substanzen
vollständig um, indem seine Granula im" Kernsaft enthalten sind, die
Intergranularsubstanz aber dem chromatiuhaltigen Kernnetz entspricht.
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 23
Mit (leii) Worte Granula hat nach unserer Auffassung Altniann
Gebilde von sehr verschiedenem morphologischen Werth, die zum Theil
in die Kategorie der Protoplasmaprodukte gehören, zusammengefasst.
Ihre Untersuchung durch neue Methoden zugänglicher gemacJit zu haben,
wird das Hauptverdienst der auf sie bezüglichen Arbeiten von Altmann
bleiben, während die auf sie gegründete Bioblastentheorie sich wenig
Anhänger erworben haben dürfte. (Man vergleiche auch den Schluss des
neunten Capitels.)
e) Gleichartigkeit des Protoplasma als Substanz, Verschiedenheit
der Zellkörper.
Im ganzen Organismenreich tritt uns das Protoplasma als eine im
Wesentlichen gleichartig aussehende Substanz entgegen. Mit unseren
jetzigen Untersuchungsmitteln sind wir nicht in der Lage, zwischen dem
Protoplasma einer thierischen Zelle oder einer Pflanzenzelle oder eines
einzelligen Organismus irgend welche durchgreifende Unterschiede aus-
findig zu machen. Diese Gleichartigkeit ist naturgemäss nur eine schein-
bare , nur eine auf der Unzulänglichkeit der Untersuchung beruhende.
Denn da in jedem Organismus der Lebensprocess sich in einer ihm
eigenthümlichen Weise abspielt, das Protoplasma aber, abgesehen vom
Kern, der hauptsächliche Sitz der einzelnen Lebensprocesse ist, so müssen
Verschiedenheiten derselben auch in Verschiedenheiten der stofflichen
Grundlage, also des Protoplasmas, begründet sein. Wir müssen also zwi-
schen dem Protoplasma der verschiedenen Organismen Unterschiede in der
stofflichen Zusammensetzung und in der Structur in der Theorie voraus-
setzen. Wahrscheinlich liegen aber diese wichtigen Unterschiede schon
auf molecularem Gebiete.
Trotz gleichartigen Aussehens des Protoplasma können dagegen die
einzelnen Zellkörper, von denen das Protoplasma ja nur einen grösseren
oder geringeren Bestandtheil ausmacht, als Ganzes genommen sehr ver-
schiedenartige Anblicke darbieten. Theils rührt dies von der äusseren
Form, hauptsächlich aber davon her, dass in das Protoplasma bald diese,
bald jene Stoffe in einer von ihm unterscheidbaren Weise abgelagert
sind. Zuweilen kann dies in solcher Masse geschehen, dass der ganze
Zellkörper fast allein aus solchen, dem Protoplasma in anderen Fällen
fehlenden Stoffen zu bestehen scheint. Denken wir uns die letzteren
entfernt, so entstehen naturgemäss in dem Zellkörper zahlreiche grössere
und kleinere Lücken, zwischen denen die protoplasmatische Grundlage
der Zelle als ein zuweilen ausserordentlich feines Fach- und Gerüstwerk
zu Tage tritt. Dieses darf nicht, wie schon hervorgehoben wurde (S. 18),
mit der netzförmigen Anordnung verwechselt werden, welche nach der
Annahme mancher Forscher der protoplasmatischen Substanz als solcher
zukommen soll und im Capitel „Protoplasmastructur" besi)rochen wurde.
Man hat für die im Protoplasma eingeschlossenen Substanzen die
Namen Deutoplasma (van Beneden) oder Paraplasma (Kupffer IL 24)
vorgeschlagen. Da man al)er mit dem Wort Plasma doch immer die
Vorstellung einer Eiweisssubstanz verbindet, die Einschlüsse alier auch
aus Fett, Kohlenhydraten, Saft und manchem Anderen bestehen können,
dürfte sich der Gebrauch jener beiden Bezeichnungen nicht empfehlen,
und es ist besser, anstatt dessen entweder allgemein von inneren
Plasmapr od ucten und Zelleinschlüssen oder, je nach ihrer
Bedeutung, von Reserve- und Secret Stoffen oder speciell von
24 Zweites Capitcl.
Dotterplilttclien , Fetttropfen, Stärkekörnern , rignientkörnchen etc. zu
reden.
Zwischen dem Protoplasma und den Substanzen, die als Zellein-
schlüsse zusaninien.uefasst werden können, besteht ein ähnlicher Unter-
seliied, wie zwischen den Stoffen, die die Organe unseres Körpers aus-
machen, und den Stoffen, die erstens als Nahrung in unseren Körper
aufgenommen werden und zweitens in flüssigem Zustande als Ernährungs-
saft durch alle Organe circuliren. Die ersteren, welche vom jeweiligen
p]rnährungszustand des Körpers weniger abhängig und geringerem Wechsel
unterworfen sind, nennt man in der Physiologie D a u e r s t o f f e , die letzteren
Verbrauchsstoffe. Dieselbe Unterscheidung ist auch für die den Zell-
körper zusammensetzenden Substanzen anwendbar. D a s P r o t o p 1 a s m a
ist ein Dauerstoff, dagegen die in ihm eingeschlossenen
Substanzen seine Verbrauchsstoffe.
f) Verschiedene Beispiele für den Bau des Zellkörpers.
Nach der vorausgegangenen Orientirung über die chemisch-physi-
kalischen und morphologischen Eigenschaften des Zellkörpers sollen
einige besonders prägnante Beispiele dazu dienen , das im Allgemeinen
Ausgeführte noch anschaulicher zu machen. Zu dem Zwecke vergleichen
wir niedere einzellige Organismen, pflanzliche und thierische Zellen und
wählen zunächst solche Beispiele, bei denen der Körper fast ausschliesslich
aus Protoplasma besteht, und zweitens Beispiele, in denen der Zell-
körper mit diesen oder jenen Einschlüssen beladen und dadurch in
seinem Aussehen erheblicher verändert ist.
Wichtige Objecte für das Studium des Zellkörpers bilden im Wasser
und in feuchter Erde lebende, einzellige Organismen, wie Amöben,
Schleimpilze und Khizopoden, ferner Lymphkörperchen und weisse Blut-
körperchen der Wirbelthiere, junge Pflanzenzellen.
1) Zellen, deren Körper fast ausschliesslich aus
Protoplasma besteht.
Eine Amöbe (Fig. 7) ist ein kleines Klümpchen von Protoplasma,
das gewöhnlich an seiner Oberfläche einige kurze, lappige Fortsätze
(Pseudopodien oder S c h e i n f ü s s c h e n) nach aussen hervorstreckt .
Der Körper ist vollständig nackt, das heisst, er ist gegen die umgebenden
Medien nicht durch eine besondere dünne Hülle oder Membran abge-
grenzt; nur ist die oberflächlichste Schicht des Protoplasma (Haut-
s Chi cht) (eh) frei von Körnchen und daher glasartig durchsichtig, in
grösserer Ausdehnung namentlich an den lappigen Scheinfüsschen; unter
dem Hautplasma folgt das dunklere und flüssigere Körnerplasma (en), in
welchem auch der bläschenförmige Zellenkern (n) eingeschlossen ist.
Grosse Aehnlichkeit mit einer Amöbe zeigen die weissen Blut-
körperehen und die Lymphkörperchen der Wirbelthiere, nur
dass sie sehr viel kleiner sind. (Fig. 8.) Frisch dem lebenden Thiere
entnommen, stellen sie mehr oder minder runde Protoplasmaklümpchen
dar mit einer kaum wahrnehmbaren hyalinen Hautschicht und einer
körnigen Innenmasse, in deren Mitte der Kern im frischen Zustand nur
undeutlich, oft gar nicht wahrzunehmen ist. Nach einiger Zeit streckt
das Körperchen den Scheinfüsschen der Amöben vergleichbare Fortsätze
an seiner Oberfläche hervor.
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 25
Fig. 7. Fig. 8.
Fig. 7. Ainöba proteus. Nach Leidy. Aus R. Hertwig Fig. 16. n. Kern.
cv. Coutractile Yacuole. N. Nahrungsballen, en. Körnerplasma, eh. Hautplasma.
Fig. 8. Ein Leukocyt des Frosches, in dem ein Bakterium einge-
schlossen ist und verdaut wird. Das Bakterium durch Vesuvin gefärbt.
Die beiden Figuren repräsentiren 2 Stadien der Bewegung ein- und derselben Zelle.
Nach Metschnikoff Fig. 54.
Unter sehr abweichender Form erscheint
dagegen der gleichfalls nackte Protoplasma-
körper derMyxomyceten oderRhizo-
p 0 d e n. Der bei uns bekannteste Schleimpilz,
welcher die Lohblüthe bildet, das Aethalium
septiciira, überzieht während seines vegetativen
Zustandes als zusammenhängende dünne
Protoplasmaschicht ( P 1 a s m o d i u m) die Ober-
fläche der Gerberlohe in grosser Ausdehnung.
Ein ilnii verwandter Schleimpilz ist das
Chondrioderma, von welchem ein kleines Stück
des Piandes in Fig. 9 abgebildet ist.
Nach dem Rande zu löst sich das Plas-
modium in zahlreiche Protoplasmafäden auf,
die theils dicker, theils ungemein fein sind
und sicli unter einander zu einem zierlichen
Netzwerk verbinden. Auch hier lassen dickere
Fäden eine dünne Schicht von homogenem
Hautplasma und darin eingesclilossenem Körner-
plasma erkennen, während an den feineren Fä-
den eine solche Unterscheidung nicht möglich
ist. In der zuweilen sehr umfangreichen Proto-
plasmamasse finden sich sehr zahlreiche, kleinste
Zellkerne überall vertheilt.
Unter den Rhizopoden , welche in sehr
verschiedenen Arten im süssen und salzigen
Fig. 9. Chondrioderma
difforme. Nach Stras-
BÜRGEK.
/ Theil eines älteren Plas-
modiums, a trockene Spore.
b Dieselbe imWasser quellend.
c Spore mit austretendem In-
halt, d Zoospore, e aus Um-
wandlung der Zoospore her-
vorgegangene Amöbe)i , die
sich zum Plasmodium zu ver-
einen anfangen. (Bei d und e
Kern u. contractile Vacuolen
zu sehen.)
26
Zweites Capitel.
i \
11
Wasser vorkoininen, ist ein durch Max Scliultze's Untersuchungen (I. 29)
besonders berühmt gewordenes Object, die Gromia oviforniis
^ (Fig. 10). Der körnige, mit
\\ i \ \ einigen kleinen Zellkernen
versehene Protoplasniakörper
füllt theils ein ovales Gehäuse
aus, das an einem Pol eine
weite Oeffnung trägt, theils
dringt es an letzterer nach
aussen hervor und überzieht
die Oberfläche des Gehäuses
in dünner Schicht. War der
Organismus nicht gestört wor-
den, so strahlen vom herausge-
tretenen Protoplasma feinste
Fädchen (Pseudopodien) oft
von erstaunlicher Länge nach
allen Richtungen in"s Wasser
aus ; manche gabeln sich, an-
dere lösen sich in zahlreichere
Fädchen auf oder sendeu
Seitenzweige ab, durch welche
sie sich mit lienachbarten
Pseudopodien verbinden.
/ k n\n mS^. \\\ \\>^v--v--
nßf I \! m\\\
/
//
Fig. 10.
SCHDLTZE.
Gromia oviformis. Nach M.
Die so eigenthümliche Kör-
persubstanz der eben beschrie-
benen niedersten Organismen
wurde von D u j a r d 1 n als Sar-
code bezeichnet, da sie wie die
Muskelsubstanz höherer Thiere
Bewegungen ausführen kann.
Unter dem Eindruck der S ch lei-
den-Seh wann' sehen Zellen-
theorie suchte man an der Sar-
code eine Zusammensetzung aus
kleinstenZellen nachzuweisen und
in dieser Weise die Sarcode-
organismen dem Zellenscbema
zu unterwerfen, bis in ganz
anderer Richtung die Lösung
gefunden wurde. Forscher wie
Cohn (1.7), Unger verglichen
zuerst die Sarcode wegen der
Gleichartigkeit ihrer Lebens-
erscheinungen dem protoplas-
matischen Inhalt einer Pflanzen-
zelle. Durch Max Schnitze
(L 29), de Bary (L 2) und Haeckel (L 10) wurde die Identität von
Sarcode und Protoplasma der thierischen und pflanzlichen Zellen über allen
Zweifel festgestellt und namentlich von dem erstgenannten Forscher zu der
oben schon beschriebenen Reform der Zellentheorie und zur Begründung seiner
Protoplasmatheorie (siehe S. 7) benutzt.
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 27
In den Amöben, Lymphzellen, Schleimpilzen und Rhizopoden lernten
wir nackte Zellkörper kennen; bei Pflanzen und Thieren dagegen sind
die Zellkörper, bei ersteren fast stets, bei letzteren sehr häufig in eine
deutlich unterscheidbare, zuweilen sehr dicke und feste Substanz (Mem-
bran, Intercellitlarsubstanz) eingehüllt und stellen dann mit ihr zusammen
ein Kämmerchen oder eine Zelle in des Wortes eigentlichster Bedeutung
dar. Als Beispiele dienen junge Zellen aus der Nähe des Vegetations-
punktes einer Pflanze und Knorpelzelleu einer Salamanderlarve.
An den Vegetationspunkten der Pflanzen (Fig. 12 A) sind die Zellen,
die sich hier lebhaft vermehren, sehr klein und thierischen Zellen sehr
ähnlich. Sie werden von einander nur durch sehr dünne Cellulosewände
abgegrenzt. Die kleinen Hohlräume werden
vollständig vom Zellkörper ausgefüllt, der, vom
Kern und von Chlorophyllbildern abgesehen, /-- \
nur aus feinkörnigem Protoplasma besteht.
Die K n 0 r p e 1 z e 1 1 e n junger Salamander-
larven empfiehlt Flemming als das sicherste
und beste Object, an welchem sich Protoplasma-
structuren im lebenden Zustand studiren
lassen. Der Zellkörper, welcher während des
Lebens wie bei den jungen Pflanzenzellen die Fig. ii. Lebende Knor-
Höhle im Innern der Knorpelgrundsubstanz pelzelle der Salamander-
03117 ausfüllt ist von ziemlich stark licht- larve, stark vergrossert,
ganz ausiuiii, isi „von ziemuLn sicirK ncui mit deutlicher Füarsub-
brechenden Faden von weniger als 1 ^i Durch- g^anz (nach Flemming).
messer und gewundenem Verlauf durchzogen; Aus Hatschek Fig. 2.
sie sind meist um den Kern dichter angeordnet
und zugleich mehr wellig verschlungen; die Peripherie der Zellen wird
bald von Fäden ganz oder fast freigelassen, bald auch nicht, zuweilen
sind sie hier selbst recht dicht."
2) Zellkörper, die in ihrem Protoplasma zahlreiche und
verschiedene Einschlüsse enthalten.
Bei Pflanzen und einzelligen Organismen schliesst das Protoplasma
sehr häufig Flüssigkeitstropfen ein, in denen Salze, Zucker und Albumi-
nate in gelöstem Zustand (circulirendes Eiweiss) enthalten sind. Je mehr
wir uns von den Vegetationspunkten einer Pflanze, wo die oben
beschriebenen kleinsten, rein protoplasmatischen Elementartheile angehäuft
sind, weiter entfernen (Fig. 12 ^), um so mehr vergrössern sich unter
beträchtlicher Verdickung der Cellulosemembran die einzelnen Zell-
kammern (C) und erreichen oft mehr als das lOOfache ihrer ursprünglichen
Grösse. Dieses Wachsthum beruht indessen zum kleinsten Theile auf
einer erheblichen Vermehrung des Protoplasmakörpers. Nie wird man
den Raum einer so grossen Pflanzenzelle ausschliesslich von körnig-
schleimiger Substanz ausgefüllt sehen. Die Vergrösserung der Zelle
wird vielmehr hauptsächlich dadurch herbeigeführt, dass der ursprünglich
kleine Protoplasmakörper an der Vegetationsspitze Flüssigkeit aufnimmt
und als Zellsaft in seinem Innern in kleinen Hohlräumen, den Va c u o 1 e n ,
abscheidet. Er gewinnt dadurch ein schaumiges Aussehen (Fig. 12 B, s).
Von einer Protoplasmaanhäufung, in welcher der Kern liegt, gehen
dickere und feinere Protoplasmahäutchen aus, welche als Scheidewände
die einzelnen Safträume von einander trennen und sich an der Oberfläche
zu einer zusammenhängenden Wandschicht (Primordial schlauch)
28
Zweites Capitel.
verbinden , welclie sich der Innenfläche der vergrösserten und durch
Wadisthuni verdickten Cellulosenicnibran (h) anschmiegt.
Hiervon lassen sich zwei verschiedene Zustände ableiten, welche die
ausgewachsene Pflanzenzelle darl)ietet. Durch weitere Verinehmng des
Zellsaftes werden die Vacuolen vergrössert und die Scheidewände ver-
diuint. Letztere reissen endlich theilweise ein, so dass die einzelneu Saft-
räunie sich durch Oefthungen in Verbindung setzen und einen einzigen zu-
sannnenhängenden Saftrauni bilden. Der Protoplasmakörper hat sich mit-
hin jetzt umgewandelt in eine ziemlich dünne, der Cellulosemembran
anliegende Schicht und mehr oder minder zahlreiche Protoplasmabalken
und Fäden, welche den einheitlichen grossen Flüssigkeitsraum durchsetzen.
(Fig. 12 C rechts u. Fig. 13.) In anderen Fällen endlich sind auch
diese Protoplasmabalken im Innern der Zelle geschwunden. Der Proto-
plasmakörper besteht dann einzig und allein noch aus einem dünnen
C B
kk- j^ p
Fig. 12. Parenehymzellen aus der mittleren Schicht der "Wurzelrinde
von Fritillaria imperialis ; Längsschnitte, nach öSOmaliger Vergrösserung.
Nach Sachs (II 33) Fig. 75. A dicht über der Wiirzelspitze liegende, sehr junge
Zellen, noch ohne Zellsaft; B die gleichnamigen Zellen etwa 2 Millimeter über der
Wurzelspitze, der Zellsaft s bildet im Protoplasma p einzelne Tropfen, zwischen denen
Protoplasmawände liegen; C die gleichnamigen Zellen etwa 7 — 8 Millimeter über der
Wurzelspitze; die beiden Zellen rechts unten sind von der Vordei-fläche gesehen, die
grosse Zelle links unten im optischen Durchschnitt gesehen; die Zelle rechts oben
durch den Schnitt geöffnet; der Zellkern lässt unter dem Einfluss des eindringenden
Wassers eine eigenthümliche Quellungserscheinung wahrnehmen {x y). k Kern. kJc Kern-
körper, h Membran.
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 29
Schlauch, welcher die Innenfläche des Kämmerchens, um einen Ausdruck
von Sachs (IL 33) zu gebrauchen, wie eine Tapete die Zinimerwand
bedeckt und einen einzigen grossen Saftraum einschliesst. (Fig. 12 C
links untere Zelle u. Fig. 59.) In. sehr grossen Zellen ist dieser Schlauch
zuweilen so dünn, dass man ihrr, vom Zellkern abgesehen , selbst bei
starker Vergrösserung kaum wahrnimmt und dass man, um ihn klar zur
Anschauung zu bringen, besondere üntersuchungsmethoden anwenden muss.
Das sind die Elementartheile , an deren Studium sich die älteren
Forscher wie Treviranus, Schieiden und Schwann ihre Vorstellung vom
Wesen der Zelle gebildet hatten. Kein Wunder daher, wenn sie in der
Zellenmembran und dem Kern die wesentlichen Zellentheile erblickten,
die Bedeutung des Protoplasma aber ganz übersahen. Dass letzteres auch
in der Pflanzenzelle der eigentliche lebende Körper ist und ohne Zu-
sammenhang mit der Membran zu leben vermag, ist durch folgende
Beobachtung, die in der Geschichte der Zellentheorie eine grosse Rolle
gespielt hat (I. 7) , über jeden Zweifel sicher zu stellen. Bei vielen
Algen (Oedogonium, Fig. 14) löst sich der gesammte Protoplasma-
körper zur Zeit der Fortpflanzung von der Cellulosewand ab, zieht sich
unter Auspressung von Flüssigkeit zu einem geringeren Volumen zusammen.
1 ;
m
Fig. 13. Fig. 14.
Fig. 13. Eine Zelle aus einem Staubfadenhaar von Tradescantia
virginica. Vergr. 240. Nach Strasbürgee, Botanisches Praktikum Fig. 23.
Fig. 14. Oedogonium in Zoosporenbildung. Nach Sachs. Aus K. Hertwig,
Zoologie Fig. 110. A ein Stück des Algenfadens mit ausschlüpfendem Zellinhalt.
C aus dem Inhalt hervorgegangene Zoospore. D Zoospore festsitzend in Keimung.
so dass er den Kammerraum nicht mehr ganz ausfüllt, und bildet eine bald
kugelig, bald oval gestaltete nackte Schwämispore (A). Diese sprengt
nach einiger Zeit ihre alte Hülle, schlüpft durch die entstandene Oeffnung
ins Freie und bewegt sich im Wasser mit Wimpern (XJ), die sie auf
ihrer Oberfläche hervorgetrieben hat, ziemlich geschwind fort, um nach
einiger Zeit zur Ruhe zu kommen (D) und auf ihrer Oberfläche eine
neue zarte Membran auszuscheiden. So hat die Natur selbst uns den
besten Beweis geliefert, dass der Protoplasmakörper an sich der eigent-
liche lebendige Elementarorganismus ist.
30
Zweites Capitel.
Eine ebenso reiche Vaeuolenbilduno; und Saftabseheidun.ü; , wie sie
sich in PHanzenzellen findet, zeipt uns zuweilen auch das hüllenlose
Protoplasma niederer, einzelliger Organismen, namentlich einzelner Rhizo-
])oden und Radiolarien. So bietet ua^ der in Figur 15 dargestellte
Körper eines Actinosphärium ein vüllig^schaumiges Aussehen dar, ähnlich
einem durch Schlagen hergestellten feinen Eiweiss- oder Seifenschaum.
Zahllose kleinere und grössere, mit Flüssigkeit erfüllte Vacuolen durch-
setzen den ganzen Körper und sind nur durch feine, zuweilen kaum
messbar dicke Scheidewände von Protoplasma getrennt, das aus einer
homogenen Grundsubstanz mit eingebetteten Körnchen besteht.
Ka cv
R
Na
:ti^w^^ri..>
M
Fig. 15. Actinosphärium Eichhorni. Nach R. Hertwig, Zoologie Fig. 117.
M Marksubstanz mit Kernen {n). U Rindensubstanz mit contractilen Vacuolen {cv\
Na Nahrungskörper.
Durch die Yacuolenbildung wird der Protoplasmakörper aufgelockert
und werden Flächen in ihm geschaffen, an denen die Protoplasma-
theilchen in unmittelbare Wechselwirkung zu der in den Vacuolen
enthaltenen Nährlösung treten können. Durch die ganze Einrichtung
wird offenbar die Stoffaufnahme und Abgabe ungemein erleichtert. Sie
kann als innere Oberflächenvergrösserung der äusseren Oberflächenver-
grösserung gegenübergestellt werden, welche sich uns in der Bildung
reichverzweigter Pseudopodien (Fig. 10) darbietet und wohl dem gleichen
Zwecke dient.
Im Gegensatz zu den pflanzlichen Zellen findet in den thierischen
Elementartheilen Yacuolenbildung und Saftausscheidung ausserordentlich
selten, wie z. B. in den Chordazellen, statt ; dagegen werden hier häufiger
Einschlüsse gebildet, die einen gequollenen oder festen Aggregatzustand
darbieten, Glycogen- und Schleimtropfen, Fettkugeln, Eiweissschollen etc.
Wenn dieselben sehr reichlich und zahlreich entwickelt sind, so kann
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 31
im Zellkörper das Protoplasma auch zu einem Schaumwerk, wie bei
einem Aetinosphärium (Fig. 15) oder einem Netzwerk, wie in der Tra-
descantiazelle (Fig. 13) umgewandelt sein, nur dass die Zwischenräume
anstatt mit Saft mit dichteren Sub^nzen erfüllt sind.
Die schönsten Beispiele bieten uns manche Arten thieriscber Eizellen.
Die ganz ausserordentliche Grösse, welche dieselben in manchen Fällen
erreichen, beruht weniger auf einer Zunahme von Protoplasma, als viel-
mehr auf einer Ablagerung chemisch sehr verschiedenartiger, bald ge-
formter, bald ungeformter Reservestoffe, die für spätere Yerwerthung im
Stoffwechsel der Zelle bestimmt sind. Oft scheint die Eizelle fast ganz
aus ihnen zu bestehen. Das Protoplasma füllt nur die kleinen Lücken
zwischen ihnen aus, wie der Mörtel zwischen den Steinen eines Mauer-
werks (Fig. 16); auf dem Durchschnitt durch ein Ei erscheint es als ein
zartes Netzwerk, in dessen kleineren und grösseren Maschen die Reserve-
stoffe liegen. Nur an der Oberfläche des Eies und in der Umgebung
des Keimbläschens findet sich Protoplasma als eine dickere, zusammen-
hängende Schicht.
kb
Fig. 16.
Fig. 17.
Fig. 16. Eben befruchtetes EL von Aacaris megalocephala. Nach
VAN Ben'eden. Aus 0. Hertwig Fig. 22. sk Eingedrungener Samenkörper mit dem
Samenkern. / Fettglänzende Substanz des Samenkörpers, kb Keimbläschen.
Fig. 17. Becherzelle aus dem Blasenepithel von Squatina vulgaris, in
Müller'seher Flüssigkeit erhärtet. Nach List Taf. I, Fig. 9.
Ein zweites Beispiel eines schönen, durch Stoffeinlagerung hervor-
gerufenen, protoplasmatischen Gerüstwerks bieten uns die Schleimzellen
der Wirbeltbiere (Fig. 17) und wirbellosen Thiere dar. Sie lassen einen
der Epitheloberfläche zugewandten, ausgeweiteten und einen engeren,
basalen Abschnitt unterscheiden. Der erstere besteht hauptsächlich aus
homogener, glänzender Secretmasse, der mucigenen Substanz, die aus dem
Becher durch eine kleine Oeffnung am freien Ende desselben zeitweise
entleert und in Schleim umgewandelt wird. Das Protoplasma durch-
setzt in feinen Fäden, die sich zu einem weitmaschigen Netzwerk ver-
binden, die Secretmasse und bildet nur im Fusstheil der Zelle einen
corapacteren Körper, in welchem dann auch der Kern eingeschlossen ist.
II. Die chemisch-pliysikalischen und morpliologischen Eigen-
schaften des Zellenkerns. (Nucleus.)
Ebenso wichtig wie das Protoplasma ist für das Wesen der Zelle
der Zellenkern; derselbe wurde 1833 von Robert Brown (I. 5) in Pflanzen-
32 Zweites Capitel.
Zellen zuerst entdeckt; bald daiauf machten ihn Schieiden (I. 28) und
Sdnvann (I. 31) zum Mittelpunkt ihrer Theorie der Zellenbildung. Dann
trat das Studium des Zellenkerns eine Zeit lang in den Hintei-grund, als
man mit den interessanten Lebenserscheinungen des Protoplasma näher
liekaunt wurde. Erst im Laufe der letzten 20 Jahre ist eine Entdeckung
der andern auf dem Gebiet der Kernlehre gefolgt und hat das vernach-
lässigte Gebilde dem Protoplasmakörper des Elementarorganismus als
gleich werthig erscheinen lassen.
Li der Geschichte des Zellenkerns lässt sich eine gewisse Analogie
mit der Geschichte der Zellentheorie nicht verkennen. Auch den Zellen-
kern fasste man zuerst als ein Bläschen, ja geradezu als eine kleinere
Zelle in der grösseren Zelle auf. Wie man dann in der Zelle das
Protoplasma als die lebensthätige Substanz beurtheilen lernte, so sah man
später auch beim Kern ein, dass die Form des Bläschens etwas Neben-
sächliches sei, dass die Lebensthätigkeit des Kerns vielmehr an gewisse
Substanzen gebunden ist, die im Kernraum enthalten sind und uns in
sehr verschiedener Anordnung im ruhenden und thätigen Zustand ent-
gegentreten können.
Richard Hertwig (IL 18) hat diesen Gesichtspunkt in einer kleinen
A])handlung „Beiträge zu einer einheitlichen Auffassung der verschiedenen
Kernformen" zuerst klar ausgesprochen in den Worten: „Als den wich-
tigsten Punkt für eine einheitliche Beurtheilung der verschiedenen Kern-
formen muss ich gleich am Anfang meiner Betrachtungen hervorheben,
dass sich bei allen Kernen eine gewisse stofli'liche Uebereinstimmung er-
kennen lässt. Ob wir nun Zellkerne von Thieren, Pflanzen oder Pro-
tisten untersuchen mögen, stets finden wir, dass sie mehr oder minder
von einer Substanz gebildet werden, welche ich im Anschluss an frühere
Autoren als „Kernsubstanz" (Nuclein) bezeichnen werde. Von der Cha-
rakteristik dieser Substanz müssen wir ausgehen, ebenso wie derjenige,
welcher das Wesentliche der Zelle schildern will, zunächst mit der Zell-
substanz oder dem Protoplasma beginnen muss."
Wir definiren daher jetzt den Kern nicht mehr im Sinne von
Schieiden und Schwann als ein kleines Bläschen in der Zelle, sondern
als ein vom Protoplasma unterschiedenes und in ge-
wissem Grade abgesondertes Quantum eigenthümlicher
Kernsubstanzen, welche in sehr verschiedenartigen Form-
zuständen sowohl im ruhenden, als auch im activen Zu-
stand bei der Theilung auftreten können.
Wir betrachten nach einander die Form, die Grösse und die Zahl
der Kerne in einer Zelle, alsdann die im Kern enthaltenen Substanzen
und ihre verschiedenartige Anordnungsweise (die Kernstructur).
a) Form, Grösse und Zahl der Kerne.
Gewöhnlich erscheint uns der Kern in pflanzlichen und thierischen
Zellen als ein mitten in der Zelle gelegener, kugeliger oder ovaler Körper
(Fig. 1, 2, 6, 16). Da derselbe häufig reicher an Flüssigkeit ist, als das
Protoplasma, lässt er sich von letzterem auch in dem lebenden Oliject
als ein heller, matt contourirter Fleck, als ein Bläschen oder als
Vacuole unterscheiden. Das ist aber nicht immer der Fall. An vielen
Objecten, Lymphkörperchen , Zellen der Hornhaut, Epithelzellen der
Kiemenblättchen von Salamanderlarven ist der Kern im lebenden Zustand
nicht zu beobachten, wird aber sofort beim Absterben der Zelle oder
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 33
bei Zusatz von destillirtem Wasser oder von verdünnten Säuren in Folge
eintretender Gerinnung deutlich.
Bei manchen Zellarten und niederen Organismen bietet uns der Kern
sehr abweichende Formen dar. Bald bildet er ein Hufeisen (manche In-
fusorien), bald einen langen, mehr oder minder gewundenen Strang (Vorti-
cellen), bald ist er ein reich verästelter Körper, der die Zelle nach den
verschiedensten Richtungen durchsetzt (Fig. 18 B u. C). Letztere Kern-
form kommt namentlich in den grossen Drüsenzellen vieler Insecten
vor (in den Malpighi'schen Röhren, Spinn- und Speicheldrüsen etc.),
ebenso in Drüsenzellen von Phronima, einer Crustacee.
Fig. 18. Nach Paul Mavek. Aus Korschelt Fig. 12.
A Ein Stück vom siebenten Bein einer jungen Phronima von 5 mm Länge.
Vergr. 90. B Ein Stück des sechsten Beines einer halb erwachsenen Phronimella.
Vergr. 90. C Eine Zellgruppe der Drüse im sechsten Bein von Phronimella. Nur in
zwei Zellen ist der Kern eingezeichnet. Vergr. 90.
Die Grösse, welche ein Kern erreicht, steht in der Regel in einer
gewissen Proportion zu der Grösse des ihn umhüllenden Protoplasma-
körpers. Je grösser dieser ist, um so grösser ist der Kern. So finden sich
in den grossen Ganglienzellen der Spinalknoten auffallend grosse, bläschen-
förmige Kerne. Ganz riesige Dimensionen aber erreichen dieselben in un-
reifen Eizellen und zwar in einem ihrer Grösse entsprechenden Maassstabe.
Aus unreifen Eiern von Fischen, Amphibien und Reptilien lassen sich in
Folge dessen die Kerne mit Nadeln leicht herauspräpariren und voll-
ständig isoliren, wobei sie mit unbewaffnetem Auge als kleine Punkte
erkennbar sind. Doch sind Ausnahmen von der Regel hervorzuheben.
Denn dieselben Eier, welche im unreifen Zustand so ansehnliche Kerne
beherbergen, enthalten im reifen und im befruchteten Zustand einen so
winzigen Kern, dass sein Nachweis mit den allergrössten Schwierigkeiten
verbunden ist.
Niederste Organismen besitzen, wenn sie von beträchtlicher Grösse
sind, häufig einen einzigen grossen Kern; derselbe erreicht ganz riesige
Dimensionen im Binnenbläschen vieler Radiolarien.
Was die Z a h 1 e n v e r h ä 1 1 n i s s e endlich betrifft, so ist bei Pflanzen
und Thieren das gewöhnliche , dass in jeder Zelle nur e i n Kern vor-
handen ist. Einzelne Elementartheile machen davon eine Ausnahme.
o
Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. ^
34
Zweites Capitel.
Leherzelleii zeigen liäufi-' 2 Kerne; bis 100 Kerne und mehr sind in den
Iliesonzollen des Knochenmarks, in den Osteoklasten, in Zellen mancher
krankhafter Geschwülste eingeschlossen. Durch Vielkernigkeit
zeichnen sich, wie Schmitz entdeckt hat, die Zellen vieler Pilze und
mancher niederer Pflanzen aus, der Cladophoren (Fig. 19) und Siphoneen
(Botrvdium, Vaucheria, Cauleri)a etc.).
Vielkernig sind zahlreiche niederste Organismen, wie die Myxo-
myceten , viele Mono- und Polythalamien , Radiolarien und Infusorien
(Opalina ranarum). Die Kerne sind hier häufig so klein und in so
grosser Anzahl im Protoplasma vertheilt, dass ihr Nachweis erst in
jüngster Zeit bei Anwendung der vervollkommneten Färbemethoden ge-
glückt ist. (Myxomyeeten).
p
n
Fig. 19. Cladophora
glomerata. Eine Zelle
des Fadens nach einem
Chromsäure - Carmin-
Präparat. Nach Stkas-
BüRGER , Bot. Prakticum
Fig. 121.
n Zellkerne, cli Chro-
matopliorcn , p Amylum-
heerdc, a Stärkekörnclien.
Vergr. 540.
b) Die Kernsubstanzen.
In stofflicher Hinsicht ist der Zellenkern ein
ziemlich zusammengesetztes Gebilde. Stets lassen
sich in ihm 2, sehr häufig alier 3 bis 4 chemisch
definirbare und mikroskopisch unterscheidbare
Proteinsubstanzen nachweisen. Die beiden stets
wiederkehrenden Substanzen sind : Nuclein oder
Chromatin, und Paranuclein oder Pyrenin; zu
ihnen sind meist noch hinzugesellt: Linin, Kern
saft und Amphi pyrenin.
Das Nuclein oder Chromatin ist die
für den Kern am meisten charakteristische und
gewöhnlich an Masse überwiegende Proteinsub-
stanz. In frischem Zustand ähnlich wie körnchen-
freies Protoplasma aussehend, unterscheidet es
sich von demselben in sehr prägnanter Weise
namentlich durch sein Verhalten bestimmten Farb-
stoffen gegenüber. Nachdem es durch Reagen-
tien zur Gerinnung gebracht ist, speichert es,
wie zuerst durch Gerlach entdeckt worden
ist, Farbstoffe aus zweckmässig hergestellten
Lösungen (Lösungen von Carmin, Haematoxylin,
Anilinfarben) in sich auf. Mehr noch als im
ruhenden Zustand des Kerns ist dies in den Vor-
stadien zu seiner Theilung und während der
Theilung selbst der Fall. Ob es sich hierbei um
chemische oder um physikalische Vorgänge han-
delt, ist zur Zeit noch nicht festgestellt. Die
Kunst des Färbens oder Tingirens ist jetzt schon
so weit ausgebildet w^orden, dass es leicht gelingt
das Nuclein des Kerns allein durch irgend eine
Färbung scharf hervorzuheben, während der
iibrige Inhalt des Kerns und der Protoplasma-
körper entweder vollständig farblos bleiben oder
nur sehr wenig mitgefärbt sind. Auf diese Weise
gelingt es, selbst Nucleintheilchen, die nur die
Grösse eines Bacteriums etwa besitzen, in relativ
grossen Protoplasmakörpern kenntlich zu machen,
wie zum Beispiel die winzigen Köpfe von Samen-
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 35
faden oder die Chromosomen der Richtungsspindel mitten im Körper
grosser Eizellen.
Von grosser theoretischer Tragweite dürfte vielleicht einmal die von
Fol (IL 13) betonte Thatsache werden, „dass die Kernfärbung aus neu-
tralen Farbstoffauflösungen stets diejenige Nuance aufweist, welche die
betreffende Farbe beim Zusatz geringer Mengen eines basisch reagirenden
Stoffes annimmt. So geht z. B. der rothe Alauncarmin in die Lilafarbe
über , wenn die Lösung schwach alkalisch gemacht wird , das violette
Böhmer'sche Haematoxylin wird blau, das rothe Ribesin blaugrünlich,
der rothe Farbstoff des Rothkohles verwandelt sich in grün. Dement-
sprechend sehen wir denn auch, dass in neutralen Auflösungen dieser
Stoffe gefärbte Gewebskerne eine mit der letzteren übereinstimmende Tinction
aufweisen, also lila in Alauncarmin, blau in Haematoxylin, hellblau in
Ribesin , grün im Rothkohlfarbstoff. Der färbbare Theil des
Zellenkerns (das Nuclein) verhält sich im allgemeinen dem
an ihn gebundenen Farbstoffe gegenüber wie ein schwach
alkalischer Körper." (Fol.)
Auch sonst zeigt das Nuclein in chemischer Hinsicht charakteristische
Reactionen, die bei der Conservirung der Kernstructuren im Auge zu
behalten sind. (Schwarz H 37 , Zacharias H 43 — 45.) Es quillt in
destillirtem Wasser, desgleichen auch in sehr verdünnten alkalisehen
Lösungen sowie in zwei- und mehrprocentigen Lösungen von Kochsalz,
schwefelsaurer Magnesia , Monokaliumphosphat und Kalkwasser. Bei
Anwendung von 10 bis 20 ^io Lösungen der genannten Salze geht es
unter Quellung allmählich ganz in Lösung über. Desgleichen wird es in
einem Gemisch von Ferrocyankalium -f- Essigsäure oder in concentrirter
Salzsäure, oder wenn es der Trypsinverdauung unterworfen wird, voll-
ständig aufgelöst. In Essigsäure in Concentrationen von 1— 50^o wird
es ziemlich unverändert zur Fällung gebracht, wobei es sich durch
stärkere Lichtbrechung und eigenartigen Glanz vom Protoplasma mit-
unter sehr scharf abhebt. Im Kernraum tritt es uns (Fig. 20) bald in
Form isolirter Körnchen (A) , oder als feines Netzwerk (B C) oder in
Fäden {D)
entgegen.
D
Fig. 20. A Ruhender Kern einer Ursamenzelle von Ascaris megalocephala
bivalens. B Kern einer Samennuitterzelle aus dem Anfang der Wachsthiimszone von
Ascaris megalocephala bivalens. C Ruhender Kern einer Samenmutterzelle aus der
Wachsthumszone von Ascaris megalocephala bivalens. ß Bläschenförmiger Kern einer
Samenmutterzelle von Ascaris megalocephala bivalens am Anfang der Theilzone in
Vorbereitung zur Theilung.
Das Nuclein hat Miescher (II. 49) aus Eiterkörperchen und aus
thierischen Samenfäden, in deren Köpfen es enthalten ist, rein darzu-
stellen versucht. In seiner Zusammensetzung spielt Phosphorsäure, die
wenigstens zu 3 *'/o vertreten ist , eine wichtige Rollet Manches spricht
dafür, dass das Nuclein des Kerns „eine Vereinigung eines eiweissartigen
Körpers mit einem organischen, Phosphorsäure enthaltenden Atomcomplex
Qg Zweites Capitel.
darstellt". (Kossei II. 35.) Letztei-eii hat man als Nucleinsäure bezeichnet
und Miescher hat für dieselbe die Formel C29H49N9r3022 berechnet.
„Bei längerer Einwirkung von verdünnten Säuren oder Alkalien,
selbst schon beim Aufbewahren im feuchten Zustand werden die Nucleine
zerlegt unter Bildung von Eiweiss und stickstoffreichen Basen, daneben
spaltet sich Phosphorsäure ab. Die beiden letzteren Spaltungsproducte
bilden sich auch aus den Nucleinsäuren. Die Basen sind : Adenin, Hypo-
xanthin, Guanin, Xanthin".
Das Paranuclein oderPy renin ist eine Proteinsubstanz, welche
wohl in keinem Kern fehlt, doch ist seine Rolle für die Lebensprocesse
des Kerns noch unklar und viel weniger gut als die des Nucleins er-
kannt. Es kommt im Kern in der Form kleiner Kügelchen vor, die als
echte Nucleolen oder Kernkörperchen beschrieben werden (Fig. 20).
Allen Mitteln, in welchen die Nucleinsubstanzen quellen, destillirtem
Wasser, sehr dünnen alkalischen Lösungen, Lösungen aus Kochsalz,
schwefelsaurer Magnesia, Monokaliumphosphat , Kalkwasser, leisten die
Körperchen aus Paranuclein Widerstand. Während die aus Nuclein be-
stehenden Structuren schwinden, sind in dem Kernraum, der ein homo-
genes Aussehen gewonnen hat, die aus Paranuclein bestehenden Ge-
bilde oft mit grosser Deutlichkeit, stets besser als im lebenden Kern,
zu erkennen. Hieraus erklärt es sich, dass bereits den älteren Histologen,
Schieiden und Schwann, die gewöhnlich die Gewebe nach Zusatz von
Wasser untersuchten, die Kernkörperchen wohl bekannt waren.
Ein sehr brauchbares Mittel, um sie sichtbar zu machen, ist die
Osmiumsäure, durch welche sie besonders stark lichtbrechend werden,
während die Nucleinstructuren verblassen.
Bei Einwirkung von 1 bis 50 "/o Essigsäure verhalten sich Para-
nuclein und Nuclein gerade entgegengesetzt. Während letzteres zur
Gerinnung gebracht wird und einen starken Glanz erhält, quellen die
Kernkörper mehr oder minder bedeutend auf und können ganz durch-
sichtig werden, ohne indessen in Lösung überzugehen; denn beim Aus-
waschen der Essigsäure werden sie wieder unter Schrumpfungserschei-
nungen besser sichtbar.
Hervorzuhel)en ist ferner im Gegensatz zum Nuclein die Unlöslich-
keit des Paranuclein in 20°/o Kochsalz, in gesättigten Lösungen von
schwefelsaurer Magnesia, 1 ^/o und 5 "/o Monokaliumphosphat, Ferrocyan-
kalium plus Essigsäure, schwefelsaurem Kupfer; endlich ist es in Trypsin
sehr schwer verdaubar.
Auch bei Behandlung mit Farbstoffen zeigt sich zwischen Nuclein
und Paranuclein ein gewisses gegensätzliches Verhalten. Wie Zacharias
bemerkt und ich aus eigener Erfahrung im Allgemeinen bestätigen kann,
färben sich Nucleinkörper besonders scharf und intensiv in saueren Farb-
stofflösungeu (Essigearmin, Methylessigsäure), während die Paranuclein-
körper fast farblos bleiben. Umgekehrt tingiren sich letztere besser in
ammoniakalischen Farbstofflösungen, wie in Ammoniakcarmin etc. Manche
Farbstoffe haben zum Paranuclein eine grössere Verwandtschaft, wie
Eosin, Säurefuchsin etc. Mit Berücksichtigung dieses Umstandes ist es
möglich, bei gleichzeitiger Anwendung zweier Farbstoffe Doppelfärbung
zu erzielen der Art, dass die Nucleinkörper in einer anderen Farbe er-
scheinen, wie die Paranucleinkörper (Fuchsin und Solidgrün, Haema-
toxylin und Eosin etc., Biondi'sches Gemisch); da indessen das Wesen
des Färbungsprocesses selbst uns noch wenig verständlich ist, ist es auf
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 37
diesem Gebiet zur Zeit nicht möglich, durchgreifende Regeln über die
Tingirbarkeit der beiden Kernsubstanzen aufzustellen.
Nuclein und Paranuclein betrachte ich als die wesent-
lichen Substanzen des Kerns, auf deren Vorhandensein seine
physiologischen Leistungen in erster Linie beruhen. Beide scheinen mir
in irgendwelchen Beziehungen zu einander zu stehen. Flemming (IL 10)
spricht die Vermuthung aus, dass die Kernkörperchen besondere Repro-
ductions- und Ansamndungsstellen des Nucleins sind und vielleicht eine
chemische Vorstufe desselben darstellen. Zu einer Entscheidung dieser
Fragen reicht das vorhandene Beobachtungsmaterial nicht aus.
Von mehr nebensächlicher Bedeutung scheinen mir 3 andere im
Kern noch unterscheidbare Substanzen zu sein, welche vielleicht über-
haupt nicht stets vorhanden sind, das Linin, der Kernsaft, und
das Amphipyrenin.
Als Linin bezeichnet Schwarz (IL 37) den Stoff von Fäden,
welche in vielen Fällen in dem Kernraum ein Netz- oder Gerüstwerk
bilden, sich nicht in den gewöhnlichen Kernfärbungsmitteln tingiren
lassen und sich hierdurch sowie auch in ihren chemischen Reactionen
wesentlich vom Nuclein unterscheiden, das ihnen meist in Form von
Körnchen und Brocken aufgelagert ist. (Fig. 20 Ä und C.) In mancher
Hinsicht ähnelt es dem Plastin des Zellkörpers, welchen Namen ihm
denn auch geradezu Zacharias gegeben hat.
Der Kernsaft ist bald nur spärlich, bald reichlicher vorhanden;
er füllt die Lücken zwischen den aus Nuclein, Linin und Paranuclein
bestehenden Structuren aus. Er lässt sich dem in einem vacuoligen
Protoplasma enthaltenen Zellsaft vergleichen und spielt wohl dieselbe
Rolle für die Ernährung der Kernsubstanzen, wie dieser für die Er-
nährung des Protoplasma. Bei Einwirkung von manchen Reagentien, wie
absolutem Alkohol, Chromsäure etc., treten im Kernsaft feinkörnige Nieder-
schläge auf, welche als Kunstproducte nicht mit normalen Structuren zu
verwechseln sind. Es müssen daher in ihm verschiedenartige Stoffe,
darunter vielleicht auch Albuminate, gelöst sein, welche Zacharias mit
einem wohl entbehrlichen Wort als Paralinin zusammenfasst.
Unter Amphipyrenin endlich versteht Zacharias die Substanz
der Mendiran, durch welche der Kernraum gegen das Protoplasma, wie
dieses durch die Zellhaut nach Aussen abgegrenzt ist. Das Vorhanden-
sein einer Kernmembran ist in vielen Fällen ebenso schwer festzustellen,
wie der Streit zu entscheiden ist, ob manche Zellen von einer Membran
umhüllt sind oder nicht. Am leichtesten ist sie an den grossen Keim-
bläschen vieler Eier , wie z. B. von Amphibien nachzuweisen , wo sie
zugleich eine nicht unbeträchtliche Festigkeit besitzt. In Folge dessen
gelingt es leicht, aus unreifen Eiern das Keimbläschen vollständig
unversehrt mit der Nadel zu isoliren. Man kann dann mit der Nadel
auch die Kernmembran zerreissen und den von ihr eingeschlossenen
Inhalt zum Ausfliessen und zur Vertheilung in der Untersuchungsflüssigkeit
bringen. Ebenso sicher scheint mir aber in anderen Fällen eine eigene
Kernmembran zu fehlen, so dass Kernsubstanz und Protoplasma un-
mittelbar an einander grenzen. So wurde sie z. B. von Flemming (IL 10)
in den Blutzellen von Amphibien und ebenso von mir in den Kernen
von Samenmutterzellen der Nematoden auf einem bestimmten Stadium
(Fig. 20 B) vermisst.
38
Zweites Capitel.
Wie für den Protoplasmakörpor, bat A 1 1 m a n n auch für den Kern eine
Zusammensetzung aus Granula mittelst einer eigenartigen Färbung durch Cyanin
nachzuweisen versucht. Es ist ihm hierdurch gelungen, den Saft, welcher die
Lücken im Kernnetz ausfüllt, intensiv zu färben und so Körner darzustellen,
während das Kernnetz ungefärbt bleibt und als Intergranularsubstanz bezeichnet
wird. Altniann hat auf diese Weise den negativen Abdruck von der Kern-
structur erhalten, wie sie sich bei Anwendung der gebräuchlichen Kernfarb-
stoffe durch Färbung des Kernnetzes ausprägt. Indem er die Granula als
Hauptbestandtheil des Kerns betrachtet, kommt er zu einer entgegengesetzten
Auffassung von der jetzt herrschenden Meinung von der Bedeutung der Kern-
substanzen, nach welcher der Kernsaft als minderwerthig im Vergleich zu
dem Nuclein und Paranuclein erscheint.
c) Die Kernstructur.
■sp
Fig. 21. Samenfaden
von Salamandra ma-
culata.
k Kopf. m. Mittelstflck.
ef Endfaden. sp. Spitze.
u undulirende Membran.
Beispiele für die verscMedene Beschaffenheit
derselben.
Die oben aufgeführten Substanzen, von
denen wenigstens das Nuclein und Paranuclein
niemals fehlen, erscheinen in den Kernen der
verschiedensten pflanzlichen und thierischen
Zellen unter sehr mannigfachen Formzuständen ;
namentlich gilt dies von dem Nuclein, das man
bald in feinen Körnehen, bald in Fäden, bald
in Form grösserer Körper, bald als ein Gerüst,
bald als Wabenwerk im Kernraum verbreitet
sieht. Dabei kann in verschiedenen Lebens-
phasen einer Zelle die eine Structur in die
andere übergehen.
Bei einer Definition des Kerns ist daher
von der wechselnden Form ganz abzusehen und
es ist der Schwerpunkt, wie bei der Definition
der Zelle in das Protoplasma, so bei dem Kern
in die in ihm enthaltene wirksame Substanz zu
legen. „Der Kern ist ein vom Protoplasma
unterschiedenes und in gewissem Grade abge-
sondertes Quantum eigenthümlicher Kernsubstan-
zen." Deswegen sollte bei allen Beschreibungen
des Kerns auf die substanzielle Beschaffenheit
seiner Structurtheile mehr, als es häufig geschieht,
geachtet werden.
Um eine Vorstellung von der Mannigfaltig-
keit, welche die innere Structur des ruhenden
Kerns darbietet, zu geben, soll wieder eine Aus-
wahl einiger prägnanter Beispiele dienen.
Unstreitig die einfachste Structur —
wenn wir von den später zu erörternden mole-
kularen Verhältnissen absehen — zeigen uns die
Kerne der reifen Samenze 1 len. Wenn
die Samenzellen, wie gewöhnlich, eine faden-
förmige Gestalt, welche zum Einbohren in die
Eizelle am geeignetsten ist, angenommen haben,
bilden die Kerne das vorderste Ende des
Fadens oder seinen Kopf. Bei Salamandra
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften dei- Zelle. 39
maculata
hat der Kopf
Schwertes
die Form eines in eine scharfe Spitze aus-
laufenden Schwertes (Fig. 21 Jc)\ er besteht aus dichtem Nuclein, das
auch bei stärkster Vergrösserung einen homogenen Eindruck macht.
An den Kopf grenzt ein kurzer cylindrischer, gleichfalls homogen aus-
sehender Körper, das sogenannte Mittelstück (m), welches die Reaction
des Paranucleins darbietet. Es ist daher wahrscheinlich mit zum Kern-
theil des Samenfadens hinzuzurechnen, was indessen durch Verfolgung
seiner Entwicklung erst noch festgestellt werden muss.
Auch in Samenelementen, welche die Form
einer Zelle beibehalten haben , erscheint der
Kern als ein compacter, kugeliger Nucleinkörper;
so bei Ascaris megalocephala (Fig. 22), dessen
Samenelemente im unreifen Zustande die Form
einer ziemlich grossen, runden Zelle haben und
später bei vollständiger Reife die Form eines
Fingerhutes annehmen.
Der einfache Zustand, in welchem uns die
Kerne der Samenzellen, gewissermaassen nur aus
activen Kernsubstanzen zusammengesetzt und frei
von anderen Beimischungen, entgegentreten, muss
den naturgemässen Ausgangspunkt für eine richtige
Samen-
Asearis
Beurtheilung der übrigen Kernformen abgeben. E s
Fig. 22.
körper von
megalocephala. Nach
VAN Beneden. Aus O.
Heutwig, Entwgesch.
Fig. 21.
/c Kern. l> Basis des
Kegels, mit welchem die
Anheftimg am Ei erfolgt.
/ Fettglänzende Sub-
stanz.
lassen sich dann nämlich die verschie-
denen Structuren, die man bei pflanzlichen und thieri-
schen Kernen wahrnimmt, hauptsächlich auf das eine Mo-
mentzurückführen, dass die activen Kernsubstanzen eine
grosse Neigung haben, Flüssigkeit und in dieser g e 1 ö s te
Stoffe in sich aufzunehmen und in Lücken abzuscheiden
meist in solchem Maasse, dass der ganze Kern das Aussehen eines in
Protoplasma eingeschlossenen Bläschens gewinnt.
Es tritt also bei ihnen im wesentlichen ein ähnlicher Vorgang ein,
wie beim Protoplasma, in welchem sich Zellsaft in Vacuolen oder grossen
Safträumen ansammelt. In beiden Fällen werden wohl die Vorgänge
die gleiche Bedeutung haben. Sie werden in Beziehung zum Stoff-
wechsel der Zelle und des Kernes stehen, indem in der Flüssigkeit
Stoffe in Lösung enthalten sind, welche mit den activen Substanzen in
Folge der grösseren Oberflächenentwicklung derselben in leichteren Aus-
tausch treten.
Der Vorgang der Saft aufnähme lässt sich direct beobachten,
wenn nach der Befruchtung der Samenkern in der Eizelle in Function
tritt. In manchen Fällen beginnt er dann allmählich auf das 10 — 20 fache
seiner ursprünglichen Grösse anzuschwellen, und zwar nicht durch Ver-
mehrung seiner activen Substanz, deren Quantum genau das gleiche
bleibt, sondern einzig und allein durch Aufnahme von flüssigen, gelösten
Stoffen aus dem Dotter. In dem zu einem Bläschen umgebildeten
Samenkern ist das Nuclein in feinen Fäden zu einem Netz ausgebreitet;
ferner sind auch ein bis zwei Kügelchen aus Paranuclein (Nucleolen)
anzutreffen. Ein ähnlicher Vorgang wiederholt sich bei jeder Kern-
theilung während der Reconstruction der Tochterkerne.
Je nachdem nun der Kern eine geringere oder grössere Menge von
Kernsaft aufgenommen, haben sich seine festen Substanzen, die oben als
Linin und Nuclein chemisch näher charakterisirt wurden, bald zu einem
40
Zweites Capitel.
feineren, bald gröberem Gerüstwerk angeordnet. Einen Ein-
blick in verschiedene Modificationen desselben geben uns die Fig. 23—26.
Figur 23 zeigt uns den Kern einer Ciliofl agell ate. Er
besteht in ähnlicher Weise wie der Haui)tkern der Infusorien aus einem
sehr engmaschigen Nucleingerüst. B ü t s c li 1 i (II. 5) nennt seine Structur
eine feinwabige; er lässt den Kern zusammengesetzt sein aus lang-
gestreckten, drei- bis mehrseitigen Waben, die durch sehr feine Scheide-
wände von Nuclein getrennt sind und den wenig färbbaren Kernsaft
umschliessen. Nach der OberHäche zu sind die Waben gegen das Proto-
plasma ebenfalls durch eine feine Nucleinschicht abgeschlossen, während
eine besondere Kernmembran fehlt. Die Kanten, in denen die Waben-
wände zusammenstossen, sind säulenartig verdickt. Je nach der Seite,
von der man den Kern erblickt, fällt in Folge der gestreckten Form
der parallel gestellten Waben das Bild verschieden aus, wie durch
Betrachtung der Figuren 23 Ä u. B leicht zu verstehen ist. Ein bis
zwei Nucleolen sind in der Lücke nachzuweisen.
A
B
Fi?. 23.
Fiff. 24.
Fig. 23. Ein sehr deutlich feinwabiger Kern von Ceratium Tripoä.
Nach BüTscHLi Taf. 26, 'Fig. 14.
A In der Ventralan.siclit des Ceratiums. B In seitlicher Ansicht. Beide Ab-
bildungen geben nur optische Durchschnitte.
Fig. 24. Kern einer Bindegewebszelle des Peritoneums einer Salaman-
derlarve mit in der Nähe gelegenen Centralkörperchen. Nach Flemming Fig. 4.
Figur 24 stellt das Kerngerüst von einer Bindegewebs-
zelle einer Salamanderlarve dar. Dasselbe wird von einem ziemlich
engen Netzwerk feinster Fäden gebildet. In ihm treten hie und da
einige dickere Anschwellungen auf, welche den Farbstoff besonders
zäh festhalten; sie pflegen namentlich an solchen Stellen vorzukommen,
wo mehrere Balken zusammenstossen. Es sind dichtere Ansamnüungen
von Nuclein; sie können den aus Paranuclein gebildeten, wahren Nucle-
olen in ihrem Aeusseren sehr ähnlich sehen und sind daher, um sie
von diesen zu unterscheiden, von Flemming als Netzknoten bezeichnet
worden.
Die Kerne der verschiedenen thierischen Gewebe haben bald ein
feineres, bald ein gröberes Gerüst. In letzterem Fall kann es zuweilen
nur aus wenigen Strängen bestehen, so dass es „den Namen Gerüst oder
Netz kaum verdient". Im Allgemeinen haben, wie Flemming bemerkt,
die Kerne junger, embryonaler und wachsender Gewebe dichtere Netze,
als solche im gleichen erwachsenen Gewebe.
Meistentheils ist das Kerngerüst aus 2 verschiedenen
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 41
Substanzen, aus Linin und aus Nuclein, aufgebaut, von
denen bei den gewöhnlichen Kerntinctionen nur das letztere den Farb-
stoff aufnimmt und festhält. Beide Substanzen sind gewöhnlich so an-
geordnet, dass das Nuclein in gröberen und feineren Körnchen dem sich
nicht färbenden Liningerüst gleichmässig auf- und eingelagert ist. In
sehr feinmaschigen Gerüsten, wie Figur 24 ein solches darstellt, kann
die Unterscheidung beider Substanzen sehr schwierig, jo sogar unmöglich
werden. Leichter gelingt dieselbe bei dem gröberen Netzwerk der
Figur 25, welche einen ruhenden Zellkern aus dem proto-
plasmatischen Wandbelag des Embryosackes von Fri-
tillaria imperialis wiedergibt. Nach der Beschreibung von
Strasburger sind die feinen Gerüstfäden im Allgemeinen nicht färbbar;
sie bestehen also • aus Linin. Ihnen sind kleinere und grössere sich
färbende Nucleinkörner aufgelagert. Im Gerüst sieht man ausserdem
eine Anzahl grösserer und kleinerer Nucleolen.
Sollte Jemand an der Existenz eines besonderen Liningerüstes
zweifeln, so wird er sich von derselben am besten durch das Studium
der Kerne von Samenmutterzellen des Pferdespulwurmes
(Fig. 26) überzeugen können. In dem Vorstadium zur Theilung ist hier
alles Nuclein in 8 hakenförmig gekrümmten Stäbchen enthalten, die in
2 Bündeln zusammenliegen. Sie werden im [Kernraum gewissermaassen in
der Schwebe erhalten, indem sich farblose Li ninfäden sowohl zwischen ihnen
ausspannen, als auch von ihnen sich zur Kernmembran begeben. Dass
die Fäden keine durch Reagentien im Kernsaft hervorgerufene Gerinnsel
sind, lässt sich aus ihrer überaus regelmässigen Anordnung erschliessen.
Ebenso lehrt ihre chemische Reaction und ihr Verhalten beim Theilungs-
process, dass sie vom Nuclein und Paranuclein etwas wesentlich Ver-
schiedenes sind.
O^ :rt< Oq
Fis. 25.
^^„•i'?:
OO ^CQ"
Fig. 26.
Fig. 27.
Fig. 25. Fritillaria imperialis. Ein ruhender Zellkern. Nach Stras-
burger Fig. 191 A.
Fig. 26. In Vorbereitung zur Theilung befindlicher Kern von Ascaris
megaloc. bivalens mit 8 in 2 Gruppen angeordneten Kernsegmenten und
den 2 Polkörperchen. Hertwig II. 19 b, Tat'. II, Fig. 18.
Fig. 27. Structur des Kerns einer Zelle aus der Speicheldrüse von
Chironomus. Nach Balbiani, Zoolog. Anzeiger 1881, Fig. 2.
Nicht immer ist übrigens das Nuclein in einem Gerüst ausgebreitet.
So ist zum Beispiel Indien grossen, blas chenförmigen Kernen
von Chi ro nomuslarven (Fig. 27), wie Balbiani (IL 3) gefunden hat,
ein einziger dicker Kernfaden eingeschlossen; derselbe ist in verschiedenen
Windungen zusammengelegt und lässt im gefärbten Präparate eine regel-
42
Zweites Capitel.
massige Aufeinanderfolge tingirter und nicht tingirter Scheiben erkennen,
was Strashurger (II. 41) auch von einigen ijflanzlichen Objecten berichtet.
Die beiden Enden des Fadens grenzen an 2 Nucleolen an.
In anderen Fällen wieder ist die Hauptmasse des Nucleins zu einem
grösseren , kugligen Körper concentrirt , der wie ein Nucleolus aussieht,
sich al)er substantiell von den oben beschriebenen echten Nucleolen,
die Paranuclein enthalten (siehe Seite 36), unterscheidet. Um Ver-
wechslungen vorzubeugen, empfiehlt es sich, solche Gebilde als N u c 1 e i n-
körper zu bezeichnen. Als Beispiel hierfür sei der Kern vonSpiro-
gyra aufgeführt, mit welchem die Kerne vieler niedriger Organismen im
Bau übereinstimmen. Derselbe stellt ein Bläschen dar, das sich vom
Protoplasma durch eine feine ]\fembran abgrenzt und ein feines Kern-
gerüst enthält. Da dieses den Farbstoff bei Tinctionen nicht festhält,
besteht es wohl vorwiegend aus Linin, dem nur wenige Nuclein-
körnchen aufgelagert sind. Im Gerüst liegt ein grosser Nucleinkörper,
der zuweilen auch in zwei kleinere zerlegt ist. Dass er hauptsächlich
aus Xuclein besteht, geht aus der Art seiner Färbung, vor allen Dingen
aber daraus hervor, dass seine Substanz bei der Kerntheilung in Körnchen
zerfällt und die Kernsegmente liefert.
Aehnliche Nucleinkörper, die in der Literatur gew^öhnlich auch unter
dem Namen der Nucleolen gehen, spielen in der Structur der Keim-
bläschen thierischerEier eine grosse Rolle. Ueberhaupt weichen
die Keimbläschen in ihrem Bau von gewöhnlichen Gewebskernen nach
mancher Richtung ab, wie die Figuren 28—30 lehren.
•!-'""; fe.iC,J -.;-Ä-< i-- ;--:.r.teÄ^'Sv;M
/'T^.Jf---^-^,
-~kf
-- kn
Fig. 28.
Fig. 28. Unreifes Ei aus dem Eierstock eines Eohinoderms. Das
grosse Keimbläsehen zeigt in einem Netzwerk von Fäden, dem Kernnetz,
einen Keimfleck. O. Hertwig, Entwicklungsgesch. Fig. 1.
Fig. 29. Keimbläschen eines noch unreifen, kleinen Froscheies. Das-
selbe zeigt in einem dichten Kernnetz (kn) sehr zahh-eiche, meist wandständige Keim-
flecke (Ä/); m Kernmembran. O. Heetwig, Entwicklungsgesch. Fig. 2.
Figur 28, das unreife Ei eines Seeigels, lässt schon, wenn
es im lebenden Zustand untersucht wird, ein sehr grobes Netzwerk
einzelner, ziemlich dicker Fäden unterscheiden. Diese bestehen, ihrem
mikrochemischen Verhalten nach, hauptsächlich aus Linin. Die färb-
bare Substanz ist fast ausschliesslich in einem einzigen, grossen, kugeligen
Körper, dem „Keimfleck", aufgespeichert, der in einem Knotenpunkt
des Gerüstes liegt, in welchem die meisten Lininfäden zusammentreffen.
In den Riesen-Keimbläschen, durch welche sich die grossen, dotter-
Die chemisch-physikalischen ii. morphologisclien Eigenschaften der Zelle. 43
reichen Eier der Fische, Amphibien und Reptilien auszeichnen, nimmt
die Zahl der Keimflecke während des Wachsthums der Zelle ausser-
ordentlich zu — ob durch Theilung oder in einer anderen Weise, ist
noch nicht genau ermittelt — und kann sich schliesslich auf einige
Hunderte belaufen. Die Lage der Keimflecke ist zu verschiedenen
Zeiten einem Wechsel unterworfen, meist liegen sie aber an der Ober-
fläche des Keimbläschens und sind an der Membran desselben in gleich-
massigen Abständen vertheilt, wie die nebenstehende Abbildung (Fig. 29)
eines Kerns aus einem noch unreifen und ziemlich kleinen Froschei zur
Anschauung bringt.
Die Form der Keimflecke ist eine wechselnde; bald sind sie
kugelig, namentlich wenn sie isolirt auftreten, bald oval, bald etwas
in die Länge gezogen, bald in ihrer Mitte etwas eingeschnürt, bald un-
regelmässig contourirt. Wo sie zahlreich vorkommen, zeigen sie auch
in ihrer Grösse erhebliche Verschiedenheiten. Häufig finden sich in ihrer
eigenthiimlich glänzenden, stark lichtbrechenden Substanz einzelne
kleine Vacuolen, die mit Flüssigkeit erfüllt sind. Dass diese Vacu-
olen keine Kunstproducte sind, lehrt die Untersuchung lebender Eizellen.
Doch können auch Vacuolen noch nachträglich beim Absterben der Eier
sich bilden, und die vorhandenen Vacuolen sich vergrössern, wie Flemming
hervorhebt. (H. 10 Seite 151.)
In ihren chem i sehen Eig enschaften sind die Keim -
flecke von den echten Nucleolen, die sich in den gewöhnlichen Kern-
farbstoffen nicht tingiren und aus Paranuclein bestehen, verschieden. Auf
der andern Seite ist aber auch nicht ausgemacht, ob ihre Substanz mit
dem Nuclein des Kerngerüstes vollkommen identisch ist. Zur Zeit ist
dieser Punkt trotz der zahlreichen, über den Kern erschienenen Unter-
suchungen noch nicht in befriedigender Weise aufgeklärt. Nur das Eine
können wir als feststehend betrachten, dass die in den verschiedenen
pflanzlichen und thierisclien Kernen vorkommenden, mehr oder minder
kugligen Körper, die in der Literatur meist schlechtweg als Nucleolen
zusammengefasst werden, stoffliclie Verschiedenheiten darbieten. Es ist
dies durch die Untersuchungen von Flemming (H. 10), Carnoy (H. 8),
von mir (IL 19a), von Zacharias (IL 45) und Anderen über allen Zweifel
sichergestellt. Man sollte daher auch so verschiedene Dinge nicht mit
demselben Namen benennen oder, wenn man blos wegen der Aehnlichkeit
in der Form für alle kugligen Inhaltskörper des Kerns die allgemeine
Bezeichnung Nucleolus oder Kernkörper beibehalten will, sollte man
wenigstens im einzelnen Fall in einem Zusatz noch eine genaue Angabe
über die chemische Natur des betreffenden Nucleolus hinzufügen. Ueber-
haupt sollte man bei allen Untersuchungen des Kernes, wie schon früher
bemerkt wurde, mehr Gewicht auf die chemische Beschaffenheit der ein-
zelnen Inhaltsbestandtheile, als auf ihre formale Anordnung legen, welche
jedenfalls der ersteren gegenüber das Nebensächlichere ist. Denn ein
Gerüst, welches aus Lininfäden besteht, spielt im Kern eine ganz
andere Rolle, als ein Gerüst, welches aus Nuclein oder gleichzeitig aus
beiden Substanzen zusammengesetzt ist, und ebenso wird die Aufgabe
der Nucleolen, je nachdem sie diesen oder jenen Stoff enthalten, eine
verschiedene sein.
Ich schliesse diesen Excurs über die Nucleolen mit dem Hinweis,
dass es sogar Keimflecke gibt, die sehr deutlich aus zwei ver-
schiedenen Substanzen aufgebaut sind. Es ist dies Verhältniss
zuerst durch Leydig bei lamelliliranchiaten Mollusken beobachtet, dann
44
Zweites Capitel.
p^©Ä^
durch Flemming (II. 10) au demselben Object uud von mir (IL 19) noch
in anderen Fällen genauer festgestellt worden. Ich lasse hier die
Beschreibung des Thatbestandes, wie sie Flemming gibt, folgen.
Bei Cyclas Cornea und bei Najaden findet sich im Keimbläschen
ein Hauptnucleus ausser einigen wenigen Nebennucleolen. „Der erstere
besteht aus 2 different beschaffenen Theilen: Fig. 30, einem kleineren,
der bedeutend stärker lichtbrechend
und stärker tingirbar ist, und einem
grösseren, l)lasseren und schwächer
chromatischen, der in Säure stärker
quillt. Bei Anodonta hängen die
beiden Theile zusammen, bei Unio
sind sie vielfach nur mit einander
in Berührung oder liegen selbst ge-
trennt. Die kleineren Nebennucleo-
len, die hier in den Balken des
Kerngerüstes lagern, zeigen dieselbe
Lichtbrechung, Quellbarkeit und Tin-
girbarkeit, wie der grosse Theil des
Hauptnucleolus. Bei Wasserzusatz
verschwindet dieser Haupttheil und
die Nebennucleolen nebst den Gerüst-
strängen; es bleibt der kleine,
stark chromatische Theil des Haupt-
nucleolus, indem er dabei noch ver-
schärft wird und etwas schmmpft
und einen scharf abgesetzten Con-
tour bekommt. Zusatz von starker
Essigsäure (5 "/o oder mehr) lässt
den grösseren, blasseren Theil des
Hauptnucleolus rasch aufquellen
und verschwinden, während der
kleine, glänzende zwar auch etwas
quillt , aber erhalten bleilit." „Bei
Anwendung von Kerntinctionen färbt
sich zwar der starkbrechende Theil
der Nucleolen besonders intensiv,
aber in erheblichem Grade auch der
andere Theil und die Nebennucle-
Fig. 30. Nach Flemming Fig. E ^
S. 104.
a Kern eines Eierstockseies von Unio
frisch aus der Zelle getreten in Ovarial-
flüssigkeit. Zweibuckliger Nucleolus. Ge-
ringe Theile der Kerngerüste sichtbar.
« Ein solcher Kern nach Zufliessen von
Essigsäure 5 "/o. Gerüststränge sind auf-
getreten, der grössere blassere Theil des
Hauptnucleolus und die Nebennucleolen
sind in gleichem Grade gequollen und
erblasst; der kleinere Haupttheil des
grossen Nucleolus ist ebenfalls, aber
schw<ächer gequollen, b Nucleolus eines
Eies von Tichogonia polj-morpha; der
glänzende Haupttheil sitzt als Kappe
auf dem grösseren, blassen.
ß Optisches Durchschnittsbild des-
selben, schematisch.
olen." „Solche Differenzirung der
Hauptnucleolen in zwei Theile kommt bei Eizellen vieler thiere
vor. Bei Dreissena polymorpha ist der stark lichtbrechende und chro-
matische Theil als Hohlkappe um den blasseren herumgelagert."
Ich selbst (IL 19) habe die Zusammensetzung des Keimflecks aus
zwei Substanzen ausser bei Anodonta auch bei Helix, bei Tellina und bei
Asteracanthion beobachtet. Letzteres Object (Fig. 31) wird dadurch von
besonderem Interesse, dass die Sonderung in zwei Substanzen (pn, nn) erst
zu der Zeit deutlich wahrnehmbar wird, wo sich das Keimbläschen auf-
zulösen und aus seinen Inhaltsbestandtheilen die Polspindel zu bilden
beginnt.
Endlich ist bei der Beschreibung der Structur des ruhenden Kernes
noch auf einen wichtigen Punkt die Aufmerksamkeit zu lenken. Je
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 45
nach dem Alter oder der Entwicklungsstufe einer Zelle
kann der ruhende Kern in allen seinen einzelnen! heilen,
im Aussehen seines Kerngerüs-
tes, in der Zahl, Grösse und Be-
schaffenheit seiner „Nucleolen"
erhebliche Veränderungen er-
leiden. Seist, wie Flemming (ILIO)
bemerkt , „am jungen Eierstocksei der
Lamellibranchiaten die Zweitheiligkeit
des grossen Kernkörpers noch nicht zu
linden, sie bildet sich erst am reifen
heraus". Ueberhaupt erfahren die Keim-
bläschen der Eier während ihres Wachs-
thums erhebliche Metamorphosen, die
im Ganzen noch wenig untersucht und
in ihrer Bedeutung ver-
Fig. 31. Ausschnitt aus ei-
nem Ei von Asterias glacialis.
Derselbe zeigt die Rückbildung des
Keimbläschens. Dieses beginnt zu
schrumpfen, indem ein Protoplasma-
höcker (x) mit einer Strahlung in sein
Inneres eindringt und die Membran
daselbst auflöst. Der Keimfleck {kf)
ist noch deutlich, aber in zwei Sub-
stanzen, Nuclein (nn) und Paranuclein
(pn), gesondert. O. Heetwig, Ent-
wicklungsgescli. Fig. 12.
noch weniger
standen sind. Dasselbe gilt von den
Kernen der Samenmutterzellen. Hier
habe ich (II. 19 b) die Form Wandlungen
an einem sehr geeigneten Object, an
der Hodenröhre von Ascaris megaloce-
phala, genauer zu verfolgen gesucht.
Wie in den Figuren 32 dargestellt ist, geht allmählich die Form
Ä in B und diese wieder in C im Laufe der Samenentwicklung über.
Die jüngsten Samenmutterzellen fB) haben membranlose Kerne mit einem
dichten Nucleingerüst mit oberflächlich gelegenem Nucleolus; daraus ist
bei etwas älteren Zellen (C) ein bläschenförmiger Kern mit deutlich aus-
geprägter IMembran hervorgegangen. Im Bläschen spannen sich durch
£
D
Fig. 32. A Ruhender Kern einer Ursamenzelle von Ascaris megalocephala
bivalens. B Kern einer Samenmutterzelle aus dem Anfang der Wachsthumszone von
Ascaris megalocephala bivalens. C Ruhender Kern einer Samenmutterzelle aus der
Wachsthumszone von Ascaris megalocephala bivalens. B Bläschenförmiger Kern einer
Samenmutterzelle von Ascaris megalocephala bivalens am Anfang der Theilzone in "Vor-
bereitung zur Theilung.
den Kernsaft einzelne Lininfäden aus. Das Nuclein ist in ein oder
zwei unregelmässigen Klumpen angehäuft, zwischen denen ein mehr oder
minder kugeliger Nucleolus liegt. In noch nicht herangereiften Zellen
ist das Nuclein meist an einer Stelle der Kernmembran als dichte
Schicht angehäuft, während kleinere und grössere Körnchen auf der
Oberfläche der Lininfäden aufliegen, die sich spärlich im Kernraum
ausspannen. Aus diesem Zustand geht dann geraume Zeit vor der Theilung
wieder das Nuclein in eine ausgesprochen fadige Anordnung über (B). In
dem Lückenwerk des Gerüstes findet sich stets ein Nucleolus.
AQ Zweites C;>pitel.
III. (xiebt es kernlose Elementarorgauismen ^
An die Beschreibung der chemisclien und morphologischen Eigen-
schaften des Kerns lässt sich noch die wichtige Frage knüpfen, ob der
Kern ein unentbehrlicher Bestandtheil jeder Zeile ist. Gibt es kernlose
Elenientarorganisnien ? Noch vor einer Reihe von Jahren war man mit
einer Antwort auf diese Frage nicht verlegen. — Da man in Folge der
Mangelhaftigkeit der älteren Untersuchungsmethoden bei vielen niederen
Organismen keine Kerne gefunden hatte, nahm man die Existenz von
zwei verschiedenen Arten von Elementartheilen an, von einfacheren,
die nur aus einem Klümpchen von Protoplasma bestehen, und von
zusammengesetzten, welche in ihrem Innern noch als besonderes Organ
den Kern entwickelt haben. Die ersteren bezeichnete Haeckel (I. 10.
IL 15) als Cytoden und ihre einfachsten, einzellebenden Formen als
Moneren, die letzteren als Cellulae oder Cyten. Seitdem aber hat sich
der Stand der Frage wesentlich verändert.
Dank den verbesserten optischen Hülfsmitteln und den vervollkomm-
neten Färbungsmethoden ist die Existenz von Organismen ohne Kern
sehr in Frage gezogen.
Bei sehr vielen niederen Pflanzen (Algen, Pilzen) und bei Protozoen,
Vampyrellen, Polythalamien, Myxomyceten, die früher als Beweisobjecte
für das Fehlen des Kerns gegolten hatten, gelingt es mit leichter Mühe,
Kerne nachzuweisen. Nachdem auch bei der reifen Eizelle der Kern ge-
funden worden ist (Hertwig II. 19 a), können wir sagen, dass im gesamm-
ten Thierreich kein sicher bewiesener Fall von kernlosen Zellen existirt.
Man wird mir vielleiclit die rothen Blutkörperchen der Säugethiere ent-
gegenhalten. Freilich fehlt bei ihnen ein Kern, es fehlt ihnen aber
ebensogut auch das Protoplasma, und es lässt sich mit guten Gründen,
^ ^ die später zusammengestellt werden sollen,
die Ansicht verfechten, dass die Blut-
1 \ ^ \ Vj-i />^\ Scheiben der Säugethiere nicht den Werth
n^*yLi!JJ ÜlS'-'* ^^^ Elementarorganismen besitzen, son-
-x^f£^^ ] ¥^^< ^^*'^i 1^"^' fliß Umwandlungs- oder Bil-
<yv4l V^?-* dungsproducte ehemals vorhandener Zellen
"^W ^ sind.
"^ 1 Eine Zuflucht findet jetzt die Lehre
von der Kernlosigkeit nur noch bei den
Mikroorganismen, bei den Bacterien und
verwandten Formen, bei denen wegen
ihrer ausserordentlichen Kleinheit die Un-
terscheidung von Protoplasma und Kern-
Fig. 33 A Osciiiaria. Opti- substauz auf Schwierigkeiten stösst. In-
tZ S^'ti Ithoi't. i««.«» »fh W«. hat Bütec^hli (II 6) die
tödtet und in Hämatoxylin gefärbt. Existenz kernartiger Gebilde nachzuwei-
Nach BtjTscHLi Fig. i'2a. sen versucht. Als solche deutet er bei
B Bacteriura lineoia (Cohn) im Oscillarien u. a. (Fig. 33 Ä. B) Körper,
Ä°'";;«S1,nfi.,"^,;^:- «f^he bd der Verdauun, durch Magen-
toxyiin gefärbtes Exemplar. Nacb Salt nicht aufgelöst Werden und einzelne
BüTscHLi Fig. 3a. in Farbstoff sich intensiv färbende Körnchen
(wahrscheinlich Nucleinkörnchen) beher-
bergen. Dieselben machen den grösseren Theil des Zellkörpers aus, wäh-
rend Protoplasma nur als dünne Umhüllung vorhanden ist. Bütschli's
Ansichten werden im Allgemeinen von Zacharias (IL 47) getheilt.
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 47
Wer diese Angabe nicht als beweisend anerkennen will, wird zugeben
müssen, dass die Annahme, welche die Mikroorganismen ganz oder
vorzugsweise aus Kernsubstanz bestehen lässt, wenigstens ebenso viel
wenn nicht mehr für sich hat, als die Annahme, sie seien nur kleinste,
einfache Protoplasmaklümpchen. Denn für die erste Annahme fällt ihre
ausserordentliche Neigung, Farbstoffe in sich aufzunehmen, sehr in die
Wagschale.
IV. Die Central- oder Polkörperchen der Zelle.
In jüngster Zeit ist neben dem Kern im Protoplasma einiger Zellen
ein ausserordentlich winziges, aber durch seine Function sehr wichtiges
Gebilde nachgewiesen worden, das Central- oder Polkörperchen
(Centrosoma). Bei der Zelltheilung, bei deren Darstellung es uns
in Capitel VI wieder beschäftigen wird, ist es schon seit längerer Zeit
bekannt und spielt hier eine sehr grosse Rolle, da es den Mittelpunkt für
eigenthümliche Strahlungsfiguren und überhaupt einen Mittelpunkt in der
Zelle bildet, nach welchem die verschiedensten Zellbestandtheile gewisser-
maassen centrirt sind.
Seine Grösse liegt an der Grenze des eben sichtbaren und bleibt
häufig unter dem Durchmesser kleinster Mikroorganismen zurück. Es
scheint stofflich aus derselben Substanz, wie das Mittelstück der
Samenfäden zu bestehen, zu welchem sich übrigens auch beim Befruch-
tungsprocess genetische Beziehungen ergeben (s. Cap. VII, 1). Bei den
gewöhnlichen Kernfärbemethoden nimmt es keinen Farbstoff auf, lässt sich
aber bei geeignetem Verfahren, namentlich durch
saure Anilinfarben, wie Säurefuchsin, Safranin,
Orange, lebhaft tingiren. Es ist dies das einzige
Mittel, das Centralkörperchen in den Fällen,
wo es nicht von einer besonderen Strahlung
oder Sphäre eingehüllt ist, von andern Körnchen
des Zellinhalts (Mikrosomen) zu unterscheiden.
Wenn wir von der Zelltheilung und dem
Befruchtungsprocess absehen, über welche spä-
tere Abschnitte handeln, so ist das Centralkör-
perchen bis jetzt am häufigsten in Lymphzellen
(Flemming it, 11 u. 12b und Heidenhain IL 16),
in Pigmentzellen des Hechts (Solger IL 38), in
sehr flachen Epithel-, Endothel- und Bindege-
webszellen von Salamanderlarven (Flemming IL
12 b) aufgefunden worden.
In Lymphzellen kommt meist nur ein ein-
ziges Centralkörperchen vor (Fig. 34) und ist
dies ausser der Färbung noch dadurch kennt-
lich gemacht, dass das Protoplasma in seiner
nächsten Umgebung ein deutlich strahliges Ge-
füge zeigt und die später uns noch öfters be-
schäftigende Strahlensphäre oder Attractions-
sphäre bildet. Das Centralkörperchen liegt zu-
weilen in einer Einbuchtung des Kerns oder,
wenn dieser in mehrere Stücke zerfallen ist,
was bei den Lymphzellen häufig vorkommt, bald zwischen ihnen an dieser
oder jener Stelle des Protoplasmakörpers.
Fig. 34. Leukoeyt
aus dem Peritoneum
einer Salamanderlarve,
Der Centralkörper in
der strahligenSphäre ist
zur Verdeutlichung des
Zinkdrucks von einem
hellen Ring umgeben
dargestellt, welcher in
natura fortzudenken ist.
Nach Flemming Fig. 5.
48
Zweites Capitel.
Bei Pignieiitzellen (Fig. 35) hat S o 1 g e r (II. 38) nur die Strahlen-
sphäre als eine helle Stelle zwischen den Pigmentkörnchen gesehen und
daraus auf die Anwesenheit eines Centralkörperchens geschlossen.
In den Epithelien der Lunge, in Endothel- und Bindegewebszellen
des Bauchfells von Salamanderlarven (Fig. 36 Ä, B), fand Flemming
fast stets anstatt eines einzigen zwei dicht zusanunengelegene Central-
körperchen, entweder in grosser Nähe des im Ruhezustand befindlichen
Kerns oder sogar in einer Delle desselben in unmittelbarer Nachbar-
schaft der Kernmembran. Eine Strahlensphäre war in diesen Fällen
meist nicht nachweisbar; zuweilen waren die beiden Polkörperchen,
anstatt sich fest zu berühren ^ ein wenig auseinandergerückt und
war dann der erste Anfang einer Spindelbildung zwischen ihnen wahr-
zunehmen.
A B
W^^0^^z^
Fig. 35.
Fig. 36.
Fig. 35. Pigmentzelle des Hechts mit 2 Kernen und 1 Polkörperchen
in einer Strahlensphäre. Nach Solger Fig. 2.
Fig. 36. A Kern einer Endothelzelle des Peritoneums einer Salamanderlarve
mit in der Nähe gelegenen Polkörperchen. Nach Flemming Fig. 2.
B Kern einer Bindegewebszelle des Peritoneums einer Salamanderlai've mit in
der Nähe gelegenen Polkörperchen. Nach Flemming Fig. 4.
Von van Beneden (II. 52) ist zuerst die Hypothese aufgestellt
worden, dass das Centralkörperchen gleich dem Kern ein
constantes Organ jeder Zelle sei und dass es sich neben dem
Kern irgendwo im Protoplasma jeder Zelle eingeschlossen finden müsse.
Für den ersten Theil dieser Ansicht spricht die Eigenschaft des Central-
körperchens, sich auf dem Wege der Selbsttheilung vermehren zu
können (siehe Cap. VI) und seine Rolle beim Befruchtungsprocess (siehe
Cap. VII, 1). Die an zweiter Stelle behauptete Zugehörigkeit der Central-
körperchen zum Protoplasma, die jetzt sehr allgemein angenommen wird,
scheint mir dagegen weniger sicher gestellt zu sein.
Ich habe früher die Ansicht gehabt und halte sie aus Gründen, die
ich später (siehe Cap. VI) anführen werde, auch jetzt noch für beachtens-
werth, dass die Centralkörperchen für gewöhnlich Bestandtheile des
ruhenden Kerns selbst sind, indem sie nach der Theilung in seinen
Inhalt eintreten und bei der Vorbereitung zur Theilung in das Proto-
plasma wieder austreten. Nur in besonderen Fällen würde das oder die
Centralkörperchen auch während der Ruhe des Kerns im Protoplasma
selbst verbleilien und dann gewissermaassen neben dem Haupt- noch
einen Nebenkern darstellen. Bei dieser Auffassung würde es sich erklären^
Die chemisch-physikalischen u. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 49
dass auch mit den neueren Methoden und optischen Hülfsmitteln sich
Centralkörperchen für gewöhnlich neben dem ruhenden
Kern im Protoplasma derZellen nicht nachweisen lassen,
V. Ueber die Molecularstructur organisirter Körper.
Um die chemisch - physikalischen Eigenschaften der organisirten
Körper zu erklären, hat Nägeli (V. 17. 18 IL 27. 28) eine Micellar-
hypothese aufgestellt, welche zwar viel des Subjectiven an sich trägt,
immerhin aber geeignet ist, manche complicirte Verhältnisse uns leichter
verständlich und vor allen Dingen anschaulicher zu machen. Ein kurzer
Abriss der Micellarhypothese, welche schon allein wegen ihrer
streng logischen Durchführung Beachtung verdient, mag daher hier
Platz finden.
Eine der auffälligsten Eigenschaften der organisirten Körper ist ihre
Quellbarkeit, ihr Vermögen, bis zu einem gewissen Grade grosse Mengen
Wasser und Substanzen, die in Wasser gelöst sind, in ihr Inneres auf-
zunehmen. Es kann dies so weit gehen, dass in einem organisirten
Körper überhaupt nur wenige Procente fester Substanz enthalten sind.
Entsprechend der Wasseraufnahme nimmt das Volumen des Körpers
zu, um sich bei Abgabe von Wasser wieder zu verkleinern. Dabei lagert
sich das Wasser nicht in präexistirende, mit Luft gefüllte Hohlräume ein,
wie bei einem porösen Körper, sondern es vertheilt sich gleichmässig
zwischen die organisirten Theilchen, die, je grösser die Quellung ist, um
so mehr auseinander rücken und durch mächtigere Wasserhüllen von ein-
ander getrennt werden müssen. Trotz der beträchtlichen Wasserauf-
nahme findet dabei keine Auflösung der organisirten Substanz statt.
Sie verhält sich auch in dieser Beziehung verschieden von einem Krystall
von Salz oder Zucker, dem auf der einen Seite die Fähigkeit der
Quellung abgeht, der aber auf der andern Seite sich in Wasser auf-
löst, indem sich seine Moleküle von einander trennen und gleichmässig
im Wasser vertheilen.
Quell ungsfähigkeit und Unlöslichkeit im Wasser sind Haupteigen-
schaften der organisirten Körper, ohne welche der Lebensprocess nicht
denkbar ist.
Manche organisirte Körper lassen sich durch geeignete Verfahren in
eine Lösung überführen, so z. B. Stärke und leimgebende Substanz,
wenn sie in Wasser gekocht werden. Aber auch Stärke- und Leimlösun-
gen unterscheiden sich in ihren Eigenschaften sehr wesentlich von Lösungen
von Salzen oder Zucker. Diese diosmiren leicht durch Membranen, jene
nicht oder nur in geringem Maasse und bilden schleimige oder faden-
ziehende Lösungen. Schon Graham hat beide Gruppen von Stoffen,
welche in Lösung so ungleiche Eigenschaften zeigen, von einander als
Krystalloide und Colloide unterschieden.
Nägeli sucht nun alle hier namhaft geraachten Erscheinungen aus
Unterschieden in der molecularen Constitution der Körper zu erklären.
Wie Atome sich zu Molekülen verbinden und so eine grosse Verschieden-
heit chemischer Stoffe erzeugen, so lässt er, damit die complicirteren
Eigenschaften der organisirten Körper zu Stande kommen, Gruppen von
Molekülen zu noch höheren Einheiten, den Mi cell en, zusammentreten.
Im Verhältnisse zum Molekül besitzt das Micell eine
beträchtlichere, wenn auch jenseits der Grenze mikro-
skopischer Wahrnehmung liegende Grösse und kann nicht
Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. 4
CQ Zweites Capitel.
bloss aus Hunderten, sondern aus vielen Tausenden von
Molekülen aufgebaut sein.
Nägeli schreibt den Miccllen einen krystallinischen Bau zu, gestützt
auf die Erscheinungen der Doppelbrechung, welche viele organisirten
Körper, Cellulosemenibran, Stärke, Muskelsubstanz, selbst das Proto-
plasma im polarisirten Licht darbieten. Dabei kann ihre äussere Gestalt
alle möglichen Formen zeigen, wie auch ihre Grösse eine sehr ver-
schiedene sein wird.
Die Micellen üben eine Anziehung sowohl auf das Wasser als auch
auf einander aus, woraus die Quellungserscheiuungen zu erklären sind.
In einem trockenen, organisirten Körper liegen die Micellen dicht an
einander, nur durch geringe Wasserhüllen getrennt, diese vergrössern
sich beträchtlich bei der Imbibition, indem zunächst zwischen Wasser
und Micellen stärkere Anziehungskräfte wirksam sind als zwischen den
Micellen untereinander. Diese werden durch das eindringende Wasser
wie durch einen Keil auseinander getrieben; „zu einer Lösung kommt
es aber im organisirten Körper nicht, weil die Anziehungskraft zum
Wasser mit der Entfernung in einem schnelleren Verhältnisse abnimmt,
als die Anziehungskraft der Micellen unter einander, und so, nachdem
die Wasserhüllen eine gewisse Mächtigkeit erlangten, ein Gleichgewichts-
zustand, die Grenze der Quellung, erreicht wird."
Wenn trotzdem durch geeignete Verfahren der Zusammenhang
zwischen den Micellen ganz aufgehoben wird, so erhält man eine
Micellarlösung. Dieselbe erscheint matt und opalescirend , ein
Beweis, dass das Licht ungleich gebrochen wird. Nägeli vergleicht sie
mit den schleimigen, opalescirenden Massen, welche Spaltpilze durch
Aneinanderlagern erzeugen
Die Unterschiede, die G raham zwischen Lösungen krystalloider und
colloider Substanzen aufgestellt hat, beruhen nach Nägeli darauf, dass
in den ersteren zwischen den Wassertheilchen vereinzelte Moleküle, in
den letzteren aber krystallinisehe Molekülgruppen oder vereinzelte Micellen
vertheilt sind. Die einen sind also Molecu lar-, die anderen
Micellarlösungen (Lösungen von Ei weiss, Leim, Gummi etc.). Die
Micellen selbst setzen dem Zerfallen in Moleküle einen grösseren Wider-
stand entgegen. Gewöhnlich ist dieser Zerfall mit chemischen Umwand-
lungen verbunden. So kann Stärke durch Umsetzung in Zucker in eine
Molecularlösung übergeführt werden, desgleichen Albuminate und leim-
gebende Substanzen, wenn sie sich in Peptone umwandeln.
In den organisirten Körpern sind die Micellen zu regelmässigen
Verbänden vereinigt. In diesen können die einzelnen Micellen aus der-
selben Substanz oder aus verschiedenen chemischen Substanzen bestehen,
von verschiedener Grösse und Form sein ; sie können auch innerhalb der
Verbände sich noch zu grösseren und kleineren Micellgruppen zu-
sammenschliessen. In den Micellarverbänden scheinen sich
im Allgemeinen die Micellen in Ketten aneinander zu
hängen, die sieh wieder zu einem Gerüst oder Netzwerk
mit engeren oder weiteren Maschen verbinden. In den
Lücken oder Micellarinterstitien ist Wasser einge-
schlossen-, „Nur auf diesem Wege wird es möglich, mit wenig Sub-
stanz und viel Wasser ein festes Gefüge herzustellen, wie es die Gallerte
darbieten."
Das in organisirten Körpern enthaltene Wasser kann sich in drei
verschiedenen Zuständen befinden, die von Nägeli als Gonstitutions-
Die chemisch-physikalischen ii. morphologischen Eigenschaften der Zelle. 51
oder Krystallwasser, als Adhäsionswasser und als Capillar-
wasser unterschieden werden. Unter dem ersteren versteht man die
Wassermoleküle, die wie bei einem Krystall mit den Substanzmolekülen
sich zur Constitution des Micells fest und in bestimmter Menge ver-
bunden haben. Adhäsionswasser wird gebildet von den Wassermolekülen,
welche an der Oberfläche der Micelle durch Molecularattraction fest-
gehalten werden. „In der Wassersphäre, welche eine Micelle umkleidet,
ist in den coneentrischen Wasserschichten die Verdichtung und die Un-
beweglichkeit des Wassers sehr verschieden, und diese erreicht natürlich
unmittelbar an der Oberfläche der Micelle ihren grössten Werth."
(Pfefter.) Das Cappillarwasser endlich füllt ausserhalb der attractiven
Wirkungssphäre der einzelnen Micellen die Lücken zwischen den Micellen-
gerüsten aus. „Diese drei Arten von Wasser weichen in dem Grade der
Beweglichkeit ihrer Moleküle von einander ab. Das capillare Wasser
hat die vollen Molecularbewegungen des freien Wassers; in dem
Adhäsionswasser sind die fortschreitenden Bewegungen der Molecüle
mehr oder weniger vermindert, und in dem Constitutionswasser befinden
sich die Moleküle in einem starren, unbeweglichen Zustande." „Die
Diosmose durch eine Membran kann also nur durch das capillare und
das Adhäsionswasser vermittelt werden."
Wie an der Oberfläche der Micelle Wassertheilchen
durch Molecularattraction festgehalten werden, so
können sich ihnen auch andere Stoffe (Kalk- und Kiesel-
salze, Farbstoffe, stickstoffhaltige Verbindungen etc.)
anlagern, nachdem sie in gelöstem Zustand indenorga-
nisirten Körper aufgenommen worden sind. Das Wachsthum
organischer Substanz durch Intussusception stellt sich Nagelt in der
Weise vor, dass Substanztheilchen in gelöstem Zustand in den organisirten
Körper eindringen, so zum Beispiel Zuckermoleküle in eine Cellulose-
membran, und hier entweder sich den vorhandenen Micellen anlagern
und zur Vergrösserung derselben dienen oder zwischen den vorhandenen
Micellen zu neuen Micellen gewissermaassen auskrystallisiren. Hierbei
würden die als Beispiel benutzten Zuckermoleküle sich in Cellulose-
moleküle chemisch umsetzen.
Auf die Nägeli'sche Micellarhypothese wird in späteren Abschnitten
öfters Bezug genommen werden, wenn es gilt, sich eine Vorstellung von
der complicirten Stoffanordnung im Elementarorganismus zu machen.
Literatur II.
1) Altmann. Die Elementarorganismen u. ihre Beziehungen zu den Zellen. Leipzig 1S90.
2) Jul. Arnold. Ueber feinere Structur der Zellen unter normalen und pathologischen
Bedingungen. Virchows Archiv. Bd. 77. 1879. pag. 181.
3) Balbiani. Sur la structure du noyau des cellules salivaires chez les larves de Chiro-
nomus. Zoologischer Anzeiger. 1881. pag. 637.
4) van Beneden et Neyt. Nouvelles reeherches sur la fecondation et la division mito-
siqicc chez l'ascaride mcgalocephalc. Leipzig 1SS7.
5) Bütsehli. Einige Bemerkungen über geivissc Organisationsverhältnisse der sogenannten
Cilioßagellaten und der Noctihica. Morphol. Jahrbuch. Bd. X. 1885.
6) Derselbe. Ueber den Bau der Bakterien ttnd verwandter Organismen. Leipzig 1890.
7a) Derselbe. Ueber die Structur des Protoplasmas. Verhandlungen des Katurhist.-Med.-
Vereins zu Heidelberg. N. F. Bd. IV. Heft 3. 1889. Heft 4. 1890.
4*
^2 Zweites Capitel.
7b) Bütschli. Untersuchungen über mikroskopische Schäume u. das Protoplasma. 1892.
8) Carnoy. Mehrere Abhandlungen in La ceUule. Recueil de Cytologie et d'histologie
generale.
Derselbe. La cytodicrese chez les arthropodes. Bd. 1.
Derselbe. La vesicule gcrminative et les glob. polaires chez divers nematodes.
Derselbe. Conference donni'e a la societc beige de microscopic. Bd. III.
9) Engelmann. Ucber den fasrigen Bau d. contractilen Substanzen. Pflügers Archiv.
Bd. 26.
10) Flemming. Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung . Leipzig 1882.
11) Derselbe, lieber Theilung u. Kernformen bei Leukocyten und über deren Attractions-
sphären. Archiv f. mikroskop. Anat. Bd. 37. pag. 249.
12a) Derselbe. Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. II. Theil. Archiv f. mikroskop.
Anat. Bd. 37. pag. (>85.
12b) Derselbe. Attractionssphären und Centralkörper in Getvebszellen und Wanderzellen.
Anatomischer Anzeiger. Bd. VI.
13) Fol. Lehrbuch der vergleich, mikroskop. Anatomie. Leipzig 18S4.
14a) Prommann. Zur Lehre von der Structur der Zellen. Jenaische Zeitschrift f. Med.
und Naturw. Bd. 9. 1875.
14b) Derselbe. Zelle. Eealencyklopndie der gesummten Heilkunde. 2. Aufl. 1890,
15) Haeekel. Generelle Morphologie.
16) Martin Heidenhain. Ueber Kern u. Protoplasma. Festschrift für Kölliker. 1892.
17) C. Heitzmann. Untersuch, über Protoplasma. Wiener Sitzungsber. math. naturw.
Classe. Bd. LXVIL 1873.
18) Riehard Hertwig. Beiträge zu einer einheitlichen Auffassung der verschiedenen
Kernformen. Morphol. Jahrbuch. Bd. 2. 1876.
19a) Oscar Hertwig. Beiträge zur Kenntniss der Bildung, Befruchtung und Theilung
des thierischen Kies. Morphol. Jahrbuch. Bd. I, II, IF.
19b) D er selbe. Vergleich der Ei- u. Samenbildung bei Nematoden. Archiv f. mikroskop.
Anatomie. Bd. 36. 1890.
20) Hofmeister. Die Lehre von der Pflanzenzelle. Leipzig 1867.
21) E. Klein. Observations on the structure of cells and Nuclei. Quarterly Journal of
microscopical science. Vol. XVIII. 1878. pag. 315.
22) Kölliker. Sandbuch der Geivebelehre. 1889.
23) Koesel. Zur Chemie des Zellkerns. Zeitschrift für physiolog. Chemie von Hoppe
Seyler. 1882. Bd. 7.
Derselbe. Untersuchungen über die Nucleine und ihre Spaltungsprodukte. Strassburg
1881.
24) C. Kupffer. Ueber Differemirung des Protoplasma an den Zellen thierischer Gewebe.
Schriften des naturwissenschaftl. Vereins für Schlestvig-Holstein. Bd. I. pag. 229.
Heft 3. 1875.
25) Leydig. Untersuchungen zur Anatomie u. Histologie der Thiere. Bonn 1883.
26) Derselbe. Zelle und Gewebe. Bonn 1885.
27) Nägeli u. Schwendener. Das Mikroskop. Theorie u. Anwendung desselben. 1877.
28) C. Nägeli. Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. München und
Leipzig. 1884.
29) Pfitzner. Beiträge zur Lehre vom Bau des Zellkerns u. seinen Theilung serscheinungen.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 22. 1883.
30) V. Rath. Ueber eine eigenartige polycentrische Anordnung des Chromatins. Zoolog.
Anzeiger. 1890.
31) Rauber. Neue Grundlegungen zur Kenntniss der Zelle. Morphol. Jahrb. VIII. 1882.
32) Reinke u. H. Rodewald. Studien über das Protoplasma. Untersuchungen aus
dem botanischen Institut der Universität Göttingen. Heft 2. 1881.
33) Sachs. Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. 1882.
34) Schäfer u. E. R. Lankester. Discussion on the p^-esent aspect of tJie cell question.
Nature. Vol. 36. 1887.
35) Schieferdecker ?«. Kossel. Gewebelehre mit besonderer Berücksichtigung des menschl.
Körpers.
36) Schmitz. Untersuchungen über die Structur des Protoplasmas und der Zellkerne der
Pflanzenzellen. Sitz.-Ber. der Niederrh. Gesellsch. f. Natur u. Heilk. Bonn 1880.
37) Erank. Sehw^arz. Die morphologische und chemische Zusammensetzung des Proto-
plasmas. Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Bd. V. Breslau 1887.
38) Solger. Zur Kenntniss der Pigmentzellen. Anatomischer Anzeiger. Jahrg. VI. S. 162.
39) Strasburger. Zellbildung und Zelltheilung. 2. Aufl. Jena 1876.
40) Derselbe. Studien über das Protoplasma. Jenaische Zeitschr. 1876. Bd. X.
41) Derselbe. Das botanische Practicum.
Die chemiscli-physikalisclieii u. uiorphologischeu Eigenschaften der Zelle. 53
42) Wiesner. Elementarstructur und Wachsthum der lebenden Substanz.
43) Zacharias. Ueber den Zellkern. Botanische Zeitung. 1882. p. 639.
44) Derselbe. Ueber Uiweiss, Nuclein und Plastin. Botanische Zeitunc/. 1883.
^45) Derselbe. Ueber den Nucleolus. Botanische Zeitung. 1885.
46) Derselbe. Beiträge zur Kenntniss des Zellkerns u. der Sexualzellen. Botan. Zeitung.
1887. Bd. 45.
47) Derselbe. Ueber die Zellen der Cyanophyceen. Botanische Zeitung. 1890.
48) Xiist. Untersuch, über das Cloakenepithel der Plagiostomen. Sitzungsber. der kaiserl.
Aead. der Wissensch. zu Wien. Bd. XCII. III. Abth. 1885.
49) Mieseher. Verhandl. der naturforschenden Gesellschaft in Basel. 1874.
50) Auerbaell. Organologische Studien. Heft I. 1874.
DRITTES CAPITEL.
Die Lebenseigenscbaften der Zelle.
I. Die Bewegungserscheinungen.
Alle Räthsel des Lebens, welche Pflanzen und Thiere darbieten,
sind schon im Keim in der einfachen Zelle eingeschlossen. Wie der
zusammengesetzte ganze Organismus, hat auch jede einzelne Zelle ihr
eigenes Leben. Wollen wir daher noch tiefer in das Wesen von Proto-
plasma und Kern eindringen, so müssen wir uns vor allen Dingen noch
mit dem Wichtigsten von Allem, mit ihren Lebenseigenschaften be-
kannt machen. Das Leben aber, auch das Leben des allereinfachsten
Elementarorganismus, ist ein ausserordentlich zusammengesetztes und
schwer definirbares Phänomen ; es äussert sich, im Allgemeinen ausgedrückt,
darin, dass die Zelle kraft ihrer eigenen Organisation und unter den
Einflüssen der Aussenwelt beständig Veränderungen erfährt und Kräfte
entfaltet, wobei ihre organische Substanz auf der einen Seite unter
bestimmten Kraftäusserungen beständig zerstört, auf der andern Seite
wieder neu erzeugt wird. Auf dem beständigen Ineinandergreifen orga-
nischer Zerstörung und organischer Neubildung beruht, wie Claude
Bernard (IV. 1 a) sich ausdrückt, der ganze Lebensprocess.
Am zweckmässigsten lässt sich dieses complicirteste aller Phänomene
in vier verschiedene Gruppen von Erscheinungen zerlegen. Jeder lebende
Elementarorganismus zeigt uns nämlich vier verschiedene Grundfunctionen
oder Grundeigenschaften, in denen sich sein Lehen zu erkennen giebt:
er kann seine Form verändern und Bewegungen ausführen; er reagirt
auf bestimmte Reize der Aussenwelt in verschiedener Weise, ist mithin
reizbar; er kann sich ernähren, Stoffe aufnehmen, umwandeln und wieder
abgeben, dabei formt er Substanzen, welche zum Wachsthum, zur Ge-
webebildung und für specifische Leistungen des Lebens dienen; endlich
kann er sich durch Fortpflanzung vennehren.
Die Lebenseigenschaften der Zelle besprechen wir daher in vier
Capiteln, und zwar in folgender Reihenfolge:
1. die Bewegungserscheinungen,
2. die Reizerscheinungen,
3. den Stoffwechsel und die formative Thätigkeit,
4. die Fortpflanzung.
Daran schliesst sich noch ein besonderes Capitel über den Be-
fruchtungsprocess.
Drittes Capitel. I. Die Bewegiingserscheinungen. 55
Viele verschiedene Arten von Bewegungen können sieh,
wie ein ausgedehntes vergleichendes Studium lehrt, am Zellkörper ab-
spielen. Wir unterscheiden hier: 1. die eigentliche Protoplasmabewegung,
2. die Flimmer- und Geisseibewegung, 3. die Bewegung der pulsirenden
Vacuolen, 4. die Bewegungen und Formveränderungen, welche Zellkörper
passiv erfahren.
Ausser diesen vier Arten giebt es noch einige besondere Bewegungs-
phänomene, die in späteren Abschnitten zweckmässiger besprochen werden,
zum Beispiel die Empfängnisshügel, die an der Eizelle in Folge der
Befruchtung entstehen, die Strahlenfiguren, die in der Umgebung des
in das Ei eingedrungenen Samenfadens und beim Theilungsprocess der
Zelle wahrgenommen werden, die Zerschnürung des Zellkörpers in zwei
oder mehrere Stücke bei der Theilung.
I. Die Protoplasmabewegung.
Obwohl von jedem Protoplasma wahrscheinlich Bewegungen ausge-
führt werden können, so sind dieselben doch meist wegen ihrer ausser-
ordentlichen Langsamkeit für unsere jetzigen Erkenntnissmittel nicht
wahrnehmbar; es sind immer nur vereinzelte Objecte im Pflanzen- und
Thierreich, welche sich zum Studium und zur Demonstration des Phä-
nomens eignen. Dasselbe äussert sich theils in einer Veränderung der
äusseren Form des Zellkörpers, theils in Verlagerungen der im Proto-
plasma eingeschlossenen Theile, des Zellenkerns, der Körner und Körnchen
und Vacuolen.
Die Erscheinungen fallen etwas verschieden aus, je nachdem es sich
um Bewegungen nackter Protoplasmakörper oder solcher handelt, die in
eine feste Membran eingeschlossen sind.
a) Bewegungen nackter Protoplasmakörper.
Kleine, einzellige Organismen, weisse Blut- und Lymphkörperchen,
Bindegewebszellen u. s. w. führen Bewegungen aus, welche man nach
den Amöben, die das Schauspiel am schönsten darbieten, als amöboide
bezeichnet.
Wenn man ein Lymphkörperchen des Frosches (Fig. 37)
unter geeigneten Bedingungen beobachtet, wird man dasselbe fortwährend
Formveränderungen erleiden sehen. An der Oberfläche treten kleine
Fortsätze von Protoplasma, die Scheinfüsschen oder Pseudopodien nach
aussen hervor; meist bestehen sie zuerst aus hyalinem Protoplasma, in
welches nach einiger Zeit Körnerplasma nachströmt. Dadurch vergrössern
sich die Füsschen, breiten sich aus und können dann an ihrer Ober-
fläche wieder neue kleinere Füsschen hervortreiben. Oder sie werden
auch durch Zurückfliessen des Protoplasma schwächer und schliesslich
ganz eingezogen, während sich an einer anderen Stelle des Körpers neue
Fortsätze bilden. Auf diese Weise führen die kleinen Protoplasmakörper
durch Ausstrecken und Einziehen ihrer Pseudopodien Orts Verände-
rungen aus und bewegen sich auf unterliegenden Gegenständen, an
deren Oberfläche sie anhaften, mit einer mikroskopisch messbaren Ge-
schwindigkeit kriechend fort. Amöben können in einer Minute eine
Wegstrecke von V2 mm zurücklegen.
Auf diese Weise wandern weisse Blutkörperchen bei Entzündungs-
processen durch die Wandung von Capillaren und kleineren Blut-
56
Drittes Capitel.
gefässen hindurch; bahnen sich die Lymplikörperchen als Wanderzellen in
kleinen Gewebssjjalten , wie in den Interlamellarlücken der Hornhaut,
ihren Weg, wobei sie nicht unerhebliche Widerstände überwältigen
müssen, oder drängen dicht aneinanderschliessende Epithelzellen ausein-
ander und gelangen so an die Obei-fläche von Epithelmembranen.
Mit am lel)haftesten erfolgt das Ausstrecken und Einziehen der
Pseudopodien bei einer kleinen Amöbe (Fig. 38), welche schon
Roesel von Rosenhof 1755 beschrieben und wegen ihres lebhaften Formen-
wechsels den kleinen Proteus genannt hat.
.^.V.:.--
<
\^.
y
Fig. 37.
Fig. 38.
rig. 37. Ein Leukocyt des Frosches, in dem ein Bakterium einge-
schlossen ist und verdaut wird. Das Bakterium durch Vesuvin gefärbt.
Die beiden Figuren repräsentiren 2 Stadien der Bewegung ein und derselben Zelle.
Nach Metschnikoff Fig. 54.
Fig. 38. Amöba proteus. Nach Leidy. Aus R. Hertwig Fig. 16. n. Kern.
cv. Contractile Vacuole. N. Nahrungsballen, en. Körnerplasnia. ek. Hautplasma.
Einen etwas abweichenden Anblick bietet uns die Protoplasma-
bewegung bei den Myxomyceten einerseits, bei Thalamophoren, Heliozoen,
Radiolarien andererseits dar.
Um von Myxomyceten, deren Plasmodien sich bei einigen Arten,
wie bei Aethalium septicum oft als faustgrosse Kuchen auf einer feuchten
Unterlage ausbreiten, ein zur Beobachtung geeignetes Präparat zu
erhalten, verfährt man am besten so, dass man an den Rand eines
Plasmodiums einen schräg geneigten und befeuchteten Objectträger stellt,
über dessen nasse Oberfläche man durch eine besondere Vorrichtung
Wasser langsam herabrinnen lässt. Die Plasmodien des Aethaliums
haben die Eigenschaft, sich dem Wasserstrome entgegen zu bewegen,
(Rheotropismus) ; sie kriechen durcli Ausstrecken zahlreicher Pseudopodien
auf der benetzten Glasfläche in die Höhe und breiten sich, indem sich
benachbarte Pseudopodien durch Queräste verbinden, zu einem feinen,
durchsichtigen Netzwerk aus (Fig. 39), Bei starker Vergrösserang unter-
sucht zeigt uns das Netzwerk zweierlei Arten von Bewegungen.
Erstens sieht man in den Fäden und Strängen, die aus einer
^^
I. Die Bewegungserscheinuiigeu.
57
peripheren, oft sehr diinneii Lage von hyalinem Protoplasma und aus
davon unischlosseueni Körnerplasma bestehen, letzteres in einer raschen,
fliessenden Bewegung-, welche namentlich durch die Ortsveränderung der
kleinen Körnchen auffällig wird und sich der Blutcirculation in den
Gefässen eines lebenden Thieres vergleichen
lässt. Zwischen fliessendem Körnerplasma und
ruhendem Hautplasma besteht übrigens keine
scharfe Grenze, indem am Ilande eines Stromes
die Körnchen sich langsamer fortbewegen, zu-
weilen auch ganz stille stehen, um nach einiger
Zeit wieder mit fortgerissen zu werden. In
feineren Fäden geht inuner nur ein Strom der
Länge nach, während in dickeren Aesten oft
zwei Ströme in entgegengesetzten Richtungen
aneinander vorbeifliessen. „In platten, haut-
artigen Ausbreitungen," welche sich hie und
da im Netzwerk bilden, „laufen meistens zahl-
reiclie verzweigte Ströme entweder nach der
gleichen oder nach verschiedenen Richtungen,
und nicht selten gehen entgegengesetzte Strö-
mungen dicht neben einander her." Dabei
Fig. 39.
difforme
BÜRGER.
/ Theil
modiums.
Chondrioderma
Nach Steäs-
eines älteren Pias-
trockene Spore.
a
b Dieselbe imWasser quellend.
c Spore mit austretendem In-
halt, d Zoospore, e aus Um-
wandlung der Zoospore her-
vorgegangene Amöben, die
sich zum Plasmodium zu ver-
einen anfangen. (Bei d und e
Kern u. contractile Vacuolen
zu sehen.)
kann die Geschwindigkeit der Strömung an
den einzelnen Stellen eine verschiedene sein
und kann sich auch allmählich ändern; sie
kann so gross sein, dass man bei starker
Vergrösserung den vorlieieilenden Körnchen
kaum mit dem Auge folgen kann, kann aber
auch so langsam werden, dass ein Körnchen
kaum seinen Ort zu verändern scheint.
Die zweite Art der Bewegung besteht in
einer Formveränderung der einzelnen Fäden und des ganzen Netzwerks.
Wie bei einer Amöbe werden hie und da neue Fortsätze bald ausgestreckt,
bald wieder eingezogen ; wie dort wölbt sich erst eine homogene Plasma-
masse als Höcker hervor, dann folgt das Körnerplasma nach, und sieht es
hier zuweilen, wenn die Strömung eine recht lebhafte ist, aus, als werde
die Körnermasse mit Gewalt in das sich neubildende Zweigende hinein-
gepresst. Auf diese Weise kann sich das Plasmodium, einer Amöbe gleich,
auf einer Unterlage nach einer bestimmten Richtung kriechend fortbewegen.
An einem Rande, welchem die Körnerströme vorwiegend zufliessen, werden
neue Fortsätze hervorgetrieben, während andere am entgegengesetzten
Rande eingezogen werden.
Unter den Rh i z o p o d e n bietet die schon auf Seite 26 beschriebene
Gromia oviformis (Fig. 40) ein klassisches Object zum Studium der
Protoplasmabewegung. Von dem aus der Kapsel herausgetretenen Proto-
plasma entspringen, wenn der kleine Organismus nicht gestört worden
ist, sehr zahlreiche, lange und feine Fäden, die sich in radiärer
Richtung wie Strahlen nach allen Seiten im Wasser ausbreiten, hie und
da Seitenäste abgeben und zuweilen auch durch solche netzförmig unter
einander verbunden werden. Auch die feinsten Protoplasmafädchen zeigen
Bew^egung. Bei starker Vergrösserung sieht man, wie Max Schultze
(I. 29) treffend beschreibt, „ein Gleiten, ein Fliessen der in die Faden-
substanz eingebetteten Körnchen". „Mit grösserer oder geringerer
Schnelligkeit ziehen sie in dem Faden entweder dem peripherischen
58
Drittes Capitel.
Ende (lesselben zu odt-r in der umgekehrten Richtung, oft sogar selbst
an den dünnsten Fäden in beiden Richtungen zugleich. Körnchen, die
sich begegnen, ziehen ent\Yeder einfach aneinander vorbei oder bewegen
sich umeinander, bis nach
einer kleinen Pause beide
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Richtung
ihre ursprfmgliche
fortsetzen oder eins das an-
dere mit sich nimmt. Nicht
alle Körnchen eines Fadens
bewegen sich mit gleicher
Schnelligkeit, so dass oft eins
das andere überholt oder an
dem langsameren in seiner
Bewegung stockt. „Viele lau-
fen offenbar an der äussersten
Oberfläche der Fäden, über
welche man sie deutlich her-
vorragen sieht. Oft bemerkt
man auch grössere Substanz-
klümpchen wie spindelförmige
Anschwellungen oder seitliche
Auftreibungen eines Fadens
in ähnlicher Bewegung wie
die Körnchen. Selbst fremde
Körper, welche der Fadensub-
stanz anhaften und in sie auf-
genommen werden, schliessen
sich dieser Bewegung an, deren
Geschwindigkeit bis 0,02 mm
in der Secunde erreichen kann.
Wo mehrere Fäden zusam-
menstossen , sieht man die
Körnchen von einem auf den
andern übergehen. An solchen
Stellen befinden sich oft brei-
tere Platten, welche aus einer
stärkeren Anhäufung der Fa-
densubstanz hervorgegangen
sind.
Eine besondere Art der
Protoplasmabewegung wird
von Engelmann (III. 5 u. 7)
i
I
I
Fig. 40
SCHULTZE.
Gromia oviformis. Nach M.
noch als Glitschbewegung
beschrieben. Sie findet sich
besonders bei Diatomeen und
Oscillarien. Bei ersteren ist
der Protoplasmakörper in eine
Kieselschale, bei letzteren in
eine Cellulosemembran ein-
gehüllt. Nach aussen von diesen Hüllen findet sich aber noch eine
äusserst dünne Schicht von ganz körnchenfreiem Protoplasma, welches
beim lebenden Organismus nicht wahrzunehmen ist, zuweilen aber
nach Anwendung von Reagentien nachgewiesen werden kann. Dadurch,
I. Die Bewegungsei'scheinungen. 59
dass sich nun dieselbe auf der Kieselschale oder der Cellulose-
membran nach einer bestimmten Richtung verschiebt, können sich die
kleinen Organismen „auf einer festen Unterlage gleitend oder kriechend
fortbewegen. " (Engelmann.)
b) Bewegung von Protoplasmakörpern im Innern von Zellmembranen.
Diese Art der Bewegung findet sich hauptsächlich im Pflanzenreich
und ist hier im Allgemeinen in den Elementartheilen krautartiger Ge-
wächse besser 7AI beobachten als bei Sträuchern und Bäumen. Nach
de Vries (III. 25) soll sie in keiner Pllanzenzelle ganz fehlen, aber
häufig so langsam sein, dass sie sich der directen Wahrnehmung entzieht.
Am besten beobachtet man sie in stoffaufspeichernden und leitenden
Geweben und zu jenen Zeiten, wo ein intensiver Transport plastischer
Stoffe, sei es zur Fortbildung oder zu localer Anhäufung oder zu eigenem
Gebrauch stattfindet (de Vries). Die Protoplasmabewegung soll daher
auch direct für den Stofftransport in der Pflanze von grosser Bedeutung
sein. Seltener ist sie bei niederen Organismen und im Thierreich zu
bemerken, so bei Noctiluken, an den blasigen Zellen in der Axe der
Tentakeln von Coelenteraten etc.
Man unterscheidet bei den Pflanzen zwei verschiedene Arten der
Bewegung als Rotation und als Circulation.
Die schönsten Objecte zum Studium der Rotation, die schon im
Jahre 1774 durch Bonaventura Corti (I. 8) beobachtet, dann aber ver-
gessen und von Treviranus wieder aufs Neue entdeckt wurden, liefern uns
die Characeen, ferner die Wurzelhaare von Hydrocharis morsus ranae
und Trianea bogotensis, die Blätter von Vallisneria spiralis etc. In den
grossen Zellen der Characeen breitet sich das Protoplasma, wie schon
auf Seite 29 beschrieben wurde, nur als eine zusammenhängende dicke
Lage an der Innenfläche der Cellulosemembran aus und umgiebt als ein
geschlossener Sack den reichlichen Zellsaft. Am wandständigen Proto-
plasma sind stets zwei gesonderte Schichten zu erkennen, eine äussere,
an die Cellulose grenzende und eine innere, dem Zellsaft zugekehrte.
Die erstere befindet sich stets in Ruhe; sehr dünn ist sie bei Hydro-
charis, relativ dick bei Characeen, bei denen sie auch in grosser Zahl
die Chlorophyllkörner einschliesst, an denen man keine Ortsveränderung
wahrnimmt. Die ruhende geht allmählich in die innere bewegliche
Schicht über, die bei Ohara zwar keine Chlorophyllkörner, aber Zell-
kerne und Körnchen einschliesst. Das im Verhältniss zur Aussenschicht
wahrscheinlich wasserreichere Protoplasma der Innenschicht zeigt eine
rotirende Strömung in der Weise, dass in den langgestreckten Zellen
der Strom an der einen Längswand in die Höhe steigt, dann an der
oberen Querwand nach der anderen Längswand umbiegt, an dieser nach
abwärts fliesst und endlich an der unteren Querwand wieder zum Aus-
gangspunkt zurückgelangt, von wo der Kreislauf wieder von Neuem
ijeginnt. Zwischen auf- und absteigendem Strom befindet
sich ein mehr oder minder breiter Indifferenzstreifen,
in dessen Bereich sich das Protoplasma in Ruhe befindet
und gewöhnlich auf eine sehr dünne Schicht reducirt ist. Bei Nitella fehlen
längs des Indifferenzstreifens die Chlorophyllkörner in der Aussenschicht.
Ein Uebergang von der rotirenden Bewegung des Protoplasma zur
Circulation wird durch die „sogenannte spri ngbrun neuartige
Rotation vermittelt" (Klebs. III. 14). Diese im Allgemeinen seltene
60
Drittes Capitel.
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M
m
U
Form kommt in juniien Endospermzellen von Ceratophyllum, in jungen
Holzgefässen des Blattstiels von Ricinus etc. vor. Hier bedeckt das
Protoplasma einmal als dicke Schicht die Innenfläche der Cellulosewand,
durchsetzt aber ausserdem noch als ein dicker, centraler Strang den
Saftraum dei- Zelle ihrer Länge nach. Ein einziger Strom fliesst nun
im centralen Strang entlang, breitet sich dann an der Querwand, auf
die er stösst, nach allen Seiten wie bei einer Fontäne aus und bewegt sicli
von hier im Wandbeleg zur entgegengesetzten Querwand, an welcher die
Strömung wieder in den Axenstrom einbiegt.
Die als Circulation bezeichnete Bewegung beobachtet man bei
solchen pflanzlichen und thierischen Zellen, bei denen das Protoplasma
sich sowohl als dünne Schicht unter der Membran, als auch in feineren
und stärkeren, netzartig verbundenen Fäden im Saftraum ausbreitet.
Die am meisten studirten Unter-
suchungsobjecte sind die Staubfaden-
haare von den verschiedenen Tra-
descantiaarten, die jungen Haare von
Brennnesseln und Kürbissprossen.
Das Phänomen der Circulation
ist ein ähnliches, wie wir es an dem
Protoplasmanetz der Myxomyceten
und den feinen Pseudopodien der
Rhizopoden kennen gelernt haben. Es
setzt sich wie dort aus zwei Arten
von Bewegungen zusammen. Ein-
mal unterscheidet m.an die Körnehen-
strömung. In den feinsten Fäden be-
wegen sich die Körnchen nach einer
Richtung bald langsamer, bald rascher
vorwärts; im Wandbeleg und in
den breiteren Bändern circuliren oft
mehrere getrennte Ströme dicht ne-
ben einander, bald in der gleichen,
bald auch in entgegengesetzter Rich-
tung. Chlorophyll- und Stärkekörner,
die in dem Protoplasma liegen, wer-
den durch die Strönuing ebenso
wie der Zellenkern langsam mit-
geführt. Auch hier befindet sich
eine äusserste, der Cellulosemem-
bran anliegende Schicht von hya-
linem Protoplasma in relativer Ruhe.
Zweitens bewegt sich auch langsam
der Protoplasmakörper im Ganzen
und verändert in Folge dessen seine
Form. Breite Bänder werden ver-
dünnt, und können nach einiger Zeit
ganz eingezogen werden, feine Fäden
nehmen an Masse zu, neue Fortsätze bilden sich, wie neue Pseudo-
podien von Myxomyceten oder Rhizopoden nach aussen hervorgestreckt
werden. Bald haben sich hier, bald dort im Wandbeleg grössere Proto-
plasmamassen angehäuft, während an andern Stellen Verdünnung ein-
getreten ist.
AI
ii
B \
Fig. 41. Au.B Zelle eines Staub-
fadenhaares von Tradescantia yir-
ginica. A Ungestörte Protoplasmaströ-
mung. £ Protoplasma nach Keizimg
kugelig zusammengeballt, a Zelhvand,
b Querwand zweier Zellen, c, d Proto-
plasma zu Klumpen zusammengeballt.
(Nach Kühne.) Aus Vkrworn Fig. 13.
I. Die Bewegungserscheinun^eu. 61
o) Erklärungsversuche der Protoplasmabewegung.
Von verschiedeneii Forschem [Quincke (III. 17), Bütschli (II. 7 b),
Berthold (III. 2) u. A.] ist in letzter Zeit der Versuch eemaclit worden,
die Protoplasmabewegung mit Bewegungserscheinungen, welche Gemische
unorganisirter Substanzen darbieten, zu vergleichen und aus ihnen zu
erklären.
Quincke hat die Bewegungserscheinungen, die an den Berührungs-
flächen verschiedener Flüssigkeiten entstehen, genauer untersucht. Er
brachte einen Tropfen eines Oelgemisches, dessen specifisches Gewicht
ein wenig grösser als das des Wassers war und welches aus Mandelöl
und Chloroform hergestellt wurde, in ein Glas mit Wasser und liess
daiauf durch ein feines Capillarröhrchen einen Tropfen zweiprocentiger
Sodalösung an die Oelkugel herantreten. Dieselbe erfuhr hierauf
Gestaltveränderungen ähnlich denen, welche gewisse Amöben bei mikro-
skopischer Beobachtung zeigen. Dieselben erklären sich dadurch, dass
die Sodalösung sich allmählich über die Oeloberfläche ausbreitet und
dabei eine Seife bildet.
In analoger Weise beurtheilt Quincke das Wesen der Protoplasma-
bewegung. Bei der Plasmolyse von Pflanzenzellen zerfällt ihr Proto-
plasmakörper zuweilen in zwei oder mehr Kugeln, die sich beim Aus-
dehnen entweder wieder vereinigen oder durch eine ebene Fläche
getrennt bleiben, wie zwei gleich grosse Seifenblasen, die man mitein-
ander in Berührung bringt. Aus diesen Erscheinungen wird mit Rück-
sicht auf die physikalischen Eigenschaften fester und flüssiger, dünner
Lamellen geschlossen, dass der Protoplasmakörper von einer sehr dünnen,
flüssigen Membran umgeben sein müsse, ähnlich wie bei einer
Seifenblase die Luft von einer dünnen Haut aus Seifenwasser einge-
schlossen ist. „Die Substanz der den Plasmakörper umgebenden Mem-
bran," so folgert Quincke weiter, „muss eine Plüssigkeit sein, welche
im Wasser Tropfen bildet. Da von allen bekannten Stoffen der orga-
nischen Natur nur Oele diese Eigenthümlichkeit zeigen, so muss sie aus
fettem Oel oder flüssigem Fette bestehen. Die Dicke dieser Oelschicht
kann sehr gering sein, kleiner als 0,0001, so dass man sie mikroskopisch
nicht mehr wahrnehmen kann." Durch die Einwirkung des Eiweisses
auf das Oel entsteht an ihren Berührungsflächen eine Substanz, die sich
in Wasser löst und ausbreitet, ähnlich wie die aus Soda und Oel
gebildete Seife. Sie wird daher als Eiweissseife bezeichnet.
Die Ursache für die Protoplasmabewegung erblickt nun Quincke in
der periodischen Ausbreitung von Eiweissseife an der inneren Oberfläche
der Oelhaut, welche den Plasmakörper einhüllt. Die Seife wird an der
Berührungsfläche in demselben Maasse immer wieder neugebildet, als sie
gelöst wird und in die umgebende Flüssigkeit diffundirt. Daraus, dass
für den chemischen Vorgang die Gegenwart von Sauerstoff nothwendig
ist, erklärt es sich, dass bei Fehlen desselben die Protoplasmabewegung
stockt, desgleichen erklärt sich aus den chemisch-physikalischen Bedin-
gungen ihr Stillstand bei zu hohen und zu niedrigen Temperaturen.
Angeregt durch Quincke's Untersuchungen und ausgehend von der
Annahme einer schaumigen Structur des Protoplasma, nahm Bütschli
einige interessante Experimente vor, welche ihm Licht auf die Ursachen
der Protoplasmabewegung zu werfen schienen. Er stellte sich in ver-
schiedener Weise Oelschäume her. Die feinsten und lehrreichsten
Schäume erhielt er, wenn er einige Tropfen Olivenöls, das im Wärme-
Q2 Drittes Capitel.
schrank eingedickt worden war, mit sehr fein pulverisirteni K-CO^ zu
einem zähen Brei vermischte und ein kleines Tröpfchen desselben in
Wasser brachte. Der entstehende Schaum, dessen sehr kleine Yacuolen
mit einer sich bildenden Seifenlösung gefüllt sind, sieht milchweiss aus;
durch Zusatz von dünnem Glycerin lässt er sich aufhellen. Dabei treten
lebhafte Strömungen auf, die volle 6 Tage an einem gelungeneu Prä-
parate im Gang bleiben und den Protoplasmabewegungen einer Amöbe
ausserordentlich gleichen. „Nach einer Stelle des Randes zog der Strom
durch die Axe des Tropfens hin, floss dann vom Rande nach beiden
Seiten und hinten ab , um allmählich wieder in den centralen Strom
einzutreten." „Bald hier, bald dort wird ein flacher Fortsatz hervor-
geschoben, wieder zurückgezogen und so fort, ja manchmal gerathen
einzelne Tropfen auf einige Zeit in ziemlich lebhafte Ortsbewegung."
Bütschli erklärt nach den Versuchen von Quincke die Bewegungsphänomene
in der Weise, dass „an irgend einer Stelle der Oberfläche einige feine
Schaumwaben platzen , und dass an dieser Stelle Seifenlösung an die
Obei^fläche des Tropfens tritt, welche von einer ganz dünnen Oellamelle
gebildet wird. Die Folge hiervon muss eine Herabsetzung der Ober-
flächenspannung an dieser Stelle und daher ein schwaches Vorwölben
derselben und Abströmen von ihr sein. Beides veranlasst, dass Schaum-
masse von innen zu dieser Stelle strömt. Bei diesem Zustrom zur
Ausbreitungsstelle dürften wieder einige Maschen platzen und so fort,
so dass die einmal angeregte Strömung an dieser Stelle fortdauert,
wenn nicht erhebliche Störungen auftreten." Bütschli ist von der prin-
cipiellen Uebei-einstimmung der Strömungen in den Oelschaumseife-
tropfen mit der amöboiden Protoplasmabewegung überzeugt.
Die von Quincke und Bütschli angestellten Experimente sind von
hohem Interesse , insofern sie zeigen , dass sich mit relativ einfachen
Mitteln schon complicirte Bewegungsphänomene hervorrufen lassen. Gegen
ihre Schlussfolgerung aber, dass bei der Protoplasmabewegung ähnliche
Vorgänge stattfinden, lassen sich wohl verschiedenartige Bedenken erheben.
Schon die Annahme, dass der Protoplasmakörper von einer feinen Oel-
lamelle überzogen sei, ist eine sehr fragw^ürdige. Aus der Thatsache
allein, dass das Protoplasma sich aus sehr vielen chemischen Stoffen
zusammensetzt, die fortwährend im Stoff"wechselprocess, auf dem das
Leben beruht, chemisch-physicalische Veränderungen erfahren, dürfen
wir schliessen, dass die Bedingungen für die Bewegungen viel compli-
cirterer Art sein werden, als in einem sich bewegenden Tropfen von Oel-
schaumseife, und zwar in demselben Maasse, als chemische Zusammen-
setzung und Organisation der beiden in Vergleich gezogenen Objecte eine
himmelweit verschiedene ist. (Vergleiche auch hierüber das auf Seite 20
Gesagte, und Verworn : Die Bewegung der lebendigen Substanz (III. 24).
Ferner bilden Protoplasmaströmung, radiäre Anordnung um Attractions-
centren, Flimmer- und Geisseibewegung, Muskelcontraction eine Gruppe
zusammengehöriger Vorgänge, die eine einheitliche Erklärung verlangen.
Eine solche können nun weder die von Quinke noch die von Bütschli
angestellten Experimente geben. Die von ihnen an Stoffgemischen her-
vorgerufeneu Bewegungen verhalten sich zu den Bewegungen der leben-
digen Körper, wie die Structur der von Traube erzeugten künstlichen
Zellen zu der Structur der lebendigen Zellen.
Um zu zeigen, wie schon durch einfache Ausbreitung eines Oel-
tropfens auf wässerigen Lösungen sehr verschiedenartige Bilder ent-
stehen, welche den einzelnen Arten von Pseudopodienausbreitung sehr
I. Die Bewegungserscheinungen.
63
ähnlich sehen, diene Figur 42, welche einer Schrift von Verworn (III. 24)
entnommen ist. a—d „ist ein Tröpfchen Provenceröl, das sich auf einer
schwachen Sodalösung- von verschiedener Concentration ausbreitet und
bei a die Form von Amöba guttula, bei h und c die Form von Amöba
proteus, bei d die Form eines Myxomycetenplasmodiums zeigt. Fig. 42 e
und /' ist Mandelöl, das heliozoen- und radiolarienähnliche Pseudopodien-
bildung besitzt, und Fig. 42// ist ein aus Lehmanns Molecularphysik
übernommenes Bild eines Kreosottropfens auf Wasser, der ein typisches
Actinosphärium nachahmt. (Verworn III. 24. Seite 47.)"
Fig. 42. Ausbreitungsformen von Oeltropfen. Nach Verworn Fig. 11.
Andere Versuche, die Protoplasmabewegungen zu erklären [Engel-
mann (III. .6), Hofmeister (II. 20) Sachs], führen uns auf das Gebiet der
Theoi-ieen über die Molecularstructur der organisirten Körper, indem als
Ursache der Bewegungen die active Formveränderung kleinster Theilchen
angenommen wird. Wieder nach einer anderen Richtung bewegt sich der
jüngste Erklärungsversuch von Verworn (III. 24). Eine Erörterung der-
selben würde uns zu weit führen.
Alles in Allem lässt sich wohl von allen bisher aufgestellten Hypo-
thesen sagen, dass keine uns eine befriedigende Vorstellung von den
Ursachen und mechanischen Verhältnissen der
Plasmabewegungen
zu
54 Drittes Capitel.
gebeu vermag, und dass wir uns daher noch auf eine einfache
Beschreibung der beobachteten Verhältnisse beschränken müssen. Auch
ist dies kaum zu verwundern, wenn wir erwägen, wie schon über die
feinere Structur des Pr()toi)lasma (Siehe Seite 17 — 23) so sehr
abweichende Ansichten bestehen, was natürlicli auch auf die Erklärung
der Protoplasmabewegung von Einiiuss sein muss.
II. Die Greissei- und Flimmerbewegung.
Bedeutendere Ortsveränderungen als durch Ausstrecken von Pseudo-
podien erzielen einzellige Organismen durch die Geissei- und Fliunuer-
bewegung.
Geissein und Flimmern sind feine, haarartige Fortsätze, die sich in
geringerer oder grösserer Anzahl von der Oberfläche der Zelle erheben.
Sie bestehen aus einer homogenen, körnchenfreien Substanz und gleichen
in dieser Beziehung kurzen, dünnen Pseudopodien, wenn diese nur aus
Hyaloplasma gebildet sind; sie unterscheiden sich aber von ihnen einmal
durch die verschiedene und energischere Art ihrer Bewegung und zweitens
dadurch, dass sie nicht vergängliche Gebilde sind, da sie dauernd in
Funktion bleiben, ohne aus- und eingezogen zu werden. An der Wurzel
hängen indessen Flimmer- und Pseudopodienbewegung zusammen, wie die
Beobachtungen von de Bary (I. 2) an Schwärmern von Myxomyceten, von
Haeckel, Engelmann, R. Hertwig (III. 12b) etc. an Rhizopoden gelehrt haben.
Viele niedere Organismen pflanzen sich nämlich durch kleine Keime
fort, die wie Amöben aussehen und sich auch nach Art derselben fort-
bewegen. (Fig. 43.) Solche Keime strecken nun nach einiger Zeit gewöhnlich
zwei fadenartige Pseudopodien hervor (Fig. 43 a), die langsam pendelnde
Bewegungen ausführen und zu Geissein werden, während der übrige Körper
sich durch Einziehen aller übrigen Fortsätze abrundet. Indem die Bewegun-
gen stärker werden, eilt der Keim mit Hülfe der beiden Geissein im Wasser
fort (Fig. 43 b.) Aus der kleinen Amöbe ist ein „Schwärmer" geworden.
Auf solche Befunde gestützt, können
wir wohl sagen, dass sich die G e i s s e 1 n
aus feinen Protoplasmafortsätzen
entwickelt haben, die in beson-
derem Maasse contractil gewor-
den sind und dementsprechend
eine vom übrigen Protoplasma
Fig. 43. Microgromia so- gtwas abweichende Beschaffen-
Cialis. Liine durcli Theiluno: eut- , • , , , o- i ■•
standene, aus der Kolonie ausge- ^ e 1 1 gewonnen haben. Sie kouuen
wanderte amöboide Zelle (a) wan- daher auch als besondere, aus contractiler
delt sich durch Einziehen der Pseu- Substauz bestehende P 1 a S m a p r 0 d U C 1 6
dopodien mit Ausnahme zweier, ^^^^^ Zellorgaue betrachtet werden.
welche zu Greissein werden, in den /-< • i ' i t^i- i,
Schwärmer {b) um. Aus Hektwig Geisseln uud Flimuiem nehmen immer
Tat'. I. Fig. Gd u. e. diiTct voui Zellkörper selbst ihren Ursprung.
Ist dieser von einer Membran umgeben,
so treten sie durch Poren derselben hindurch. An ihrer Basis sind sie
immer etwas dicker , beginnen oft an der Oberfläche des Protoplasma
mit einem kleinen, knopfartigen Ansatzstücke, nach dem freien Ende
zu verjüngen sie sich allmählich zu einer feinen Spitze.
Die Flimmerorgane finden sich entweder nur in geringer Anzahl
(1 — 4) an einem Ende der Zelle, sie sind dann meist länger und
kräftigerund werden mit einem besonderen Namen als Geissein oder
I. Die Bewegungserscheinungen.
65
F lageilen bezeichnet, oder sie bedecken in sehr grosser Anzahl,
oft zu Tausenden, die ganze Oberfläche der Zelle, sind dann kleiner
und zarter und heissen Flimmern (Wimpern, Cilien).
a) Zellen mit Geissein.
Die Geissein sind entweder am vorderen oder am hinteren Ende
des Körpers angebracht, was eine verschiedene Art der Fortbewegung
zur Folge hat. Im ersteren Fall gehen die Geissein bei der Bewegung
voran, während der Körper nachgeschleppt wird. Im zweiten Fall stösst
die Geissei durch ihre Bewegungen den Körper vor sich her. Das eine
findet sich hauptsächlich bei den Flagellaten und verwandten Organismen,
Fig. 44 Ä. B. C) manchen Bakterienformen (Fig. 33. B), den pflanz-
lichen Samenfäden (der Moose , Farne , Equisetaceen) , sowie bei den
Schwärmsporen, unter welchem Namen die Fortpflanzungskörper vieler
Algen und mancher Pilze zusammengefasst werden; das zweite zeigt
sich bei den Samenfäden der meisten Thiere. (Fig. 45.)
Fig. 45.
Fig. 44.
Fig. 44. A Euglena viridis. Nacli Stein, n Kern, c Contractile Vacuole.
0 Pigmentfleck.
B Hexamitus inflatus. Nach Stein.
C Chilomonas Paramaecium. Nach Bütschli. oe Cytostom. v Contractile Vacuole.
n Kern. Aus R. Hertwig Fig. 130 — 132.
Fig. 45. Reife Samenfäden des Menschen in zwei verschiedenen An-
sichten. Dieselben bestehen aus Kopf (k\ Mittelstück {m) und Schwanz («).
Die Arbeitsleistung, welche die Flimmerorgane einzelliger Organismen
bei der Fortbewegung derselben zu erfüllen halien, ist eine doppelte.
Erstens muss durch ihre Thätigkeit der Zellkörper im Wasser schwebend
erhalten werden, da sein specifisches Gewicht etwas grösser als das des
umgebenden Mediums ist. Es geht dies ja schon einfach aus dem
Umstände hervor, dass sich todte Schwärmsporen und Samenfäden bald
am Boden des Gefässes niedersetzen. Zweitens muss durch die Flimmer-
arbeit der Körper in bestimmter Richtung fortgetrieben werden.
r
Hertwig, Die Zolle und die Gewebe- ^
C^Q Drittes Capitel.
Mit der Mechanik der Bewegung i)flan/licher Schwärmzellen
hat sich Nägeli (III. 16) am eingehendsten beschäftigt. Nach diesem
Forscher wird durch die Schwingungen der Geissein dem Körper eine
zweifache Bewegung mitgetheilt, ein Vorrücken und eine gleichzeitige
Drehung um seine eigene Axe. Die Bewegung ist daher eine ähnliche,
wie von einer Kugel, die aus einem gezogenen Flintenlauf abgeschossen
wird. Dabei lässt diesel1)e drei verschiedene Typen unterscheiden:
„An vielen Schwärnizellen , sie mögen in einer geraden oder etw^as
gebogenen Linie vorwärts gehen, bleiben das vordere und das hintere
Ende ihrer Axe genau in dieser Bahn; sie schwimmen steif und ohne
Scliw^anken vorw^ärts. An anderen sieht man deutlich , dass sie eine
gerade oder etwas gebogene Schraul)enlinie beschreiljen, wobei eine
Drehung um die Axe immer einem Umlauf der Schraube entspricht
(sodass also die nämliche Zellseite stets nach aussen gekehrt ist), und
wobei ihre Axe mit der Axe der Schraubenl)ahn i)arallel läuft.
Endlich giebt es noch andere Schwärmzellen, deren vorderes Ende in
einer Schraubenlinie, deren hinteres aber in einer geraden Linie oder
in einer Schraube von geringerem Durchmesser vorwärts geht. Die
Natur der zweiten und dritten Bewegung erkennt man nur ganz deutlich,
wenn sie langsam stattfinden. Sowie sie schneller werden, erkennt
man nur ein Schwanken, das besonders bei der letzteren einen eigen-
thümlichen Charakter hat."
Die Richtung, in w-elcher sich die Schwärmzellen um ihre Längs-
achse drehen, ist gewöhnlich für jede Art, Gattung oder Familie coustant;
manche drehen sich „südwestlich" (Ulothrix), andere „südöstlich" (Samen-
fäden der Farne), einige endlich sind drehungsvage, da sie sich bald
südöstlich, bald südwestlich drehen (Goniumi, Wenn Schwärmzellen an
irgend einen Gegenstand anstossen, so hören sie eine Zeit lang auf, sich
vorwärts zu bewegen, fahren aber fort, sich um ihre Längsaxe zu di'ehen.
Dann „erfolgt meist ein Zurückw^eichen , w^obei sie mit dem hintern
Ende vorangehen und sich in absteigend - entgegengesetzter Richtung
drehen. Diese Rückwärtsbewegung dauert meist nur kurze Zeit und
ist immer langsamer; sie wird bald wieder durch die normale Bewegung
vertauscht, die meist in einer etwas abgelenkten Richtung erfolgt."
Durch seine Beobachtungen ward Nägeli zu der Annahme geführt,
„dass die Schwärmzellen und Samenfäden liei vollkommen regelmässiger
Form, bei symmetrischer Vertheilung der Masse und bei Homogeneität
des Mediums in einer geraden Linie dahinschwimmen würden , — und
dass alle Abweichungen, sowohl rücksichtlich der Axendrehung, als der
Fortbewegungsbahn davon herrühren, dass die beweglichen Körper nicht
symmetrisch gebaut sind, ihren Schwerpunkt niclit im Centrum halben
und nicht ringsum gleichmässige Reibungswiderstände erfahren".
Mit Hülfe der Geissein wird eine viel raschere Fortbewegung als
durch das Kriechen mit Pseudopodien erzielt. Nach Nägeli gebrauchen
die Schwärmzellen, um den Weg von 1 Fuss zu durchlaufen , gew^öhnlich
eine Stunde, die schnellsten bloss V4 Stunde. Während der Mensch
während einer Secunde beim gew^öhnlichen Gehen etwas mehr als die
Hälfte seiner Länge zurücklegt, beträgt der von einer Schwärmspore in
derselben Zeit durchmessene Raum nicht ganz das Dreifache ihres Durch-
messers. Wenn unter dem Mikroskop uns die Bewegung eine sehr
lebhafte zu sein scheint, so muss man sich vergegenwärtigen, dass die-
selbe, der angewandten Vergrösserung entsprechend, schneller erscheint,
als sie in Wahrheit ist, da ja der durchlaufene Weg auch vergrössert
I. Die Bewegungserscheinungen.
67
worden ist. Die Fortbewegung ist eine absolut geringe. „Ohne Ver-
grösserung würde man, auch wenn die Oiganismen vollkommen deutlich
wären, ihre Bewegung wiegen der Langsamkeit nicht sehen."
Thierische Samenfäden (Fig. 45)
unterscheiden sich dadurch von den pflanzlichen
Schwärmzellen, dass der einfache Geisselfaden
am hinteren Ende des Körpers angebracht ist
und so denselben vor sich hertreilit. Der Faden
führt dabei schlängelnde Bewegungen aus in
ähnlicher Weise, wie der Körper mancher Fische.
In einigen Fällen besitzt er noch eine com-
plicirtere Structur, indem er mit einer feinen
c 0 n t r a c t i 1 e n oder u n d u 1 i e r e n d e n M e m -
b r a n besetzt ist. Letztere ist dem Flossensaum
eines Fisches vergleichbar; sie findet sich be
sonders schön am Schwanztheile der grossen
Samenfäden von Salamandra und Triton ent-
wickelt (Fig. 46).
Bei Untersuchung derselben vermittelst stär-
kerer Vergrösserungen sieht man über die Ober-
fläche der undulirenden Membran fortwährend
von vorn nach hinten fortschreitende Wellen
verlaufen. „Dieselben entstehen, „wie Hensen
auseinandersetzt," dadurch, dass successive jeder
Querschnitt des Schwanzes in die l)eiden extre-
men Stellungen (Fig. 47) übergeht. Hat das
von oben gesehene Stück des Saumes I bis P
(Fig. 47) zur Zeit 0 die angegebene Lage, so
wird es am Ende des ersten Viertels der Periode
die Stellung II bis II ' oder, was dasselbe ist, die
Stellung Ü^ bis IP einnehmen. Am Ende
des zweiten Viertels ist IP bis IP in die Lage
III bis IIP oder, was dasselbe ist, in IIP bis
IIP übergegangen. Am Ende des dritten Vier-
tels der Periode ist dann IIP bis IIP in die
Lage IV bis IV ^ übergegangen und wird am
Ende der ganzen Periode wieder die Stellung
I bis I ^ einnehmen. Alle diese Bewegungen
erfolgen mit einer gewissen Kraft und Ge-
schwindigkeit; es fragt sich, wie daraus eine
Vorwärtsbewegung entstehen kann? Ein Flächen-
element des Saumes (Fig. 47) bewegt sich, wie der Pfeil angiebt, von a
nach y mit der Kraft ■/ = «/. Diese Kraft kann zerlegt werden in die
Componenten aß und ßy. Die Kraft aß drückt in der Richtung des
Saums, comprimirt ihn und giebt wahrscheinlich keinen äusseren Eff'ect.
Die Kraft ßy lässt sich weiter zerlegen m yd und ye. ye treibt das
Wasser gerade nach rückwärts, und insoweit dieses dem Druck widersteht,
treibt das Körperchen nach vorwärts. Die Kraft / 6 würde das Körperchen
um die eigene Axe rotiren machen, doch ihr wirkt die gleiche, aber entgegen-
gesetzte Kraftcomponente entgegen, welche an allen Orten sich entwickelt,
wo die Pfeile in entgegengesetzter Richtung (also z. B. über D) verlaufen.
Im Uebrigen giebt Fig. D dieselbe Kraft ye wie Fig. C. Nur die sehraffir-
ten Flächen der Fig. A entwickeln der Componente / £ entgegengesetzte
5*
:äq
Fig. 46. Samenfaden
von Salamandra m.a-
eulata.
k Kopf. m. Mittelstück.
ef Endfaden. sp. Spitze.
u undulirende Membi'an.
68
Drittes Capitel.
Kräfte. Man sieht aber, dass die Grösse der betreffenden Flächen und
damit ihre Kraftcomponenten durchaus zurücktreten" (Mensen III. Hj.
•«r-«I
Fig. 47. Zur Erklärung des Mechanismus der Samenbewegung.
Nach Hensen Fig. 22.
A Die vier Phasen der Stellung, welche der Wimpersaum einnimmt, wenn eine
"Welle über ihm hinläuft. I bis I^ die erste, II bis 11^ bis 11^ die zweite, III bis III ^
bis III ^ die dritte, IV bis IV ^ die vierte Phase der Biegung des Saums in der Länge
einer Welle. B Durchschnitt des Schwanzfadens und Saums in den zwei Stellungen
stärkster Elongation. C und B Zerlegung der Kräfte des Saums. E Bewegung eines
gewöhnlichen Samenkörperchens. a b c verschiedene Phasen der Bewegung.
Fig. 48. Stylonychia
mytilus, nach Stein (aus
Claus, Zoologie) von der
Bauchfläche gesehen.
Wz adorale Wimperzone.
C Contractile Vacuole.
N Nucleus. .yi Nucleolus.
A After.
b) Zellen mit vielen Flimmern.
Durch reichliche Bewimperung zeich-
nen sich unter den niederen, einzelligen Orga-
nismen besonders die Infusorien aus, die des-
wegen auch den Namen der Ciliaten führen
(Fig. 48). Im Vergleich zu den Geissein sind
die Cilien, Flimmern oder Wimpern von viel
geringerer Grösse, meist circa 0,1 — 0,3 (.i dick
und etwa 15 ^ti lang. Ihre Zahl kann sich auf
mehrere Tausende belaufen. So wurde sie bei
Paramaecium aurelia auf annähernd 2500 be-
rechnet. Für das parasitische Balantidium elon-
gatum der Frösche, welches eine Länge von 0,3
erreicht und sehr dicht bewimpert ist, nimmt
Bütschli (in. 3) an, dass seine Cilien wohl nach
Zehntausenden geschätzt werden müssen. Ge-
wöhnlich sind dieselben in vielen Längsreihen
angeordnet, die entweder nur auf einen Theil
der Körperoberfläche beschränkt sind oder die-
selbe in Spiralen Touren rings umziehen.
Neben den Cilien kommen bei vielen In-
fusorien noch besondere grössere Bewegungs-
organe vor, die Girren und die unduliren-
d e n Membranen. Erstere unterscheiden sich
von den Cilien durch grössere Dicke und Länge
und dadurch, dass sie an der Basis breit ent-
springend in eine feine Spitze auslaufen (Fig. 48).
Ferner zeigen sie wie andere besonders contrac-
tile Gewebe (Muskelfasern) eine fibrilläre Diffe-
renzirung, sodass sie sich in viele feine Fibrillen
I. Die Bewegfungserscheinungeu.
69
zerfasern lassen (Bütschli). Girren treten besonders häufig bei hypotrichen
Infusorien und in der Umgebung der Mundöffnung auf. Auf letztere sind
auch die undulirenden Membranen in ihrer Ausbreitung beschränkt. Sie
sind flächenartig entwickelte Bewegungsorgane, welche häufig von der
Basis gegen den freien Rand zu deutlich fein gestreift sind und daher
wohl ebenfalls wie die Girren eine fibrilläre Struetur besitzen.
Die Bewegungsweise der Infusorien ist eine sehr
mannichfaltige. Meist dreht sich ihr Körper, wenn /^c
er sich frei durch das Wasser bewegt, um seine
Längsaxe. Die Richtung der Bewegung kann wechseln,
die Thätigkeit der Wimpern kann plötzlich verlangsamt,
plötzlich beschleunigt werden, sie kann auch kurze
Zeit still stehen ohne besondere äussere Veranlassung.
So kommen verschiedenartige Bewegungsformen, die
scheinbar den Eindruck des Willkürlichen machen,
zu Stande. Hierbei ist auch beachtenswerth, dass die
oft nach Tausenden zählenden Wimpern ein und des-
selben Individuums streng coordinirte Bewegungen
ausführen. „Sie schlagen nicht nur stets in der-
selben Frequenz der Schwingungen (Rhythmus) bei
gleicher Amplitude, sondern sie schlagen auch sämmt-
lieh nach derselben Richtung und immer in derselben
Reihenfolge." (Verworn.) Die Goordination der Be-
wegung geht sogar so weit, dass zwei Individuen, die
aus Theilung eines Mutterthiers entstehen, durchaus
übereinstimmende und synchronische Bewegungen aus-
führen, so lange sie noch durch eine Plasmabrücke
vereinigt sind. Es folgt hieraus, dass zwar die
Wimperorgane das Vermögen besitzen, sich selbst-
thätig zusammenzuziehen, dass ihr Zusammenwirken
aber durch Reiz Übertragungen vom Protoplasmakörper
gei-egelt wird.
Bei der Reizübertragung scheint besonders das
Ektoplasma von Bedeutung zu sein, wie aus einem
Versuch von Verworn (IV. 40) hervorgeht. Derselbe
machte bei Spirostomum ambiguum (Fig. 49) und
Stentor coeruleus einen kleinen Einschnitt mit einer
Lanzette in das die Wimperreihen tragende Ektoplasma.
„In diesem Fall konnte deutlich beobachtet werden,
dass die Wimperwellen nicht über die Schnitt-
stelle hinwegliefen, sondern sich auf die eine Seite beschränkten und
auf der andern Seite nicht wieder zum Vorschein kamen." Bisweilen
beobachtete er auch , dass die Mittellage , um welche die Wimpern
schlagen , in der einen Hälfte der Wimperreihen vorübergehend eine
andere war, als auf der anderen Seite der Schnittstelle.
Fig. 49.
Spirostomum am-
biguum. Durch
einen Einschnitt
ist die Continui-
tät der die Peri-
stomwimpern
tragenden Haut-
strecke unterbro-
chen. Aus Verworn
(IV. 40) Fig. 2-5.
III. Die contractilen Vaciiolen oder Behälter einzelliger
Organismen.
Gontractile Vacuolen treten sehr häufig bei Amöben, Rhizopoden,
Flagellaten (Fig. 7, 43, 44) und Infusorien (Fig. 50 Vv) auf. Bei
letzteren, bei denen sie am genauesten untersucht worden sind, ist meist
im ganzen Körper nur eine einzige Vacuole, zuweilen sind zwei (Fig. 50),
70
Drittes Capitel.
selten einige mehr vorhanden; sie liegen stets dicht unter der Körper-
oberfläche unter dem Ektojjlasma. Von anderen Flüssigkeitsvacuolen,
die im Körper in grosser Zahl verbreitet sein können, unterscheiden sie
sich leicht dadurch, dass ihr Inhalt in regelmässigen Intervallen voll-
ständig nach aussen entleert und wieder ergänzt wird. Sie verschwinden
daher vorübergehend (Fig. 50 cv), um bald wieder zum Vorschein zu
kommen (cv.'). Die Entleerung geschieht durch einen oder mehrere
besondere Poren, die an der Oberfläche des In-
fusorienkörpers unmittelbar über der Vacuole
nachweisbar sind. „Jeder Perus erscheint ge-
wöhnlich als ein sehr kleines, von einem dunklen
Randsaum umzogenes und im Inneren lichtes
Kreischen. Die Helligkeit des Innern rührt von
der Durchbrechung der Pellicula und Alveolarschicht
her." Zuweilen setzt sich jeder Perus bis zur
contractilen Vacuole in ein feines Austlussröhrchen
fort. Nicht selten sind sogar auch besondere Zu-
fuhrkanäle (1, 2 und niehr) in ihrer Umgebung
in regelmässiger Anordnung zu erkennen. Bei
Paramaecium Aurelia und P. caudatum (Fig. 50),
deren zuführendes Kanalsystem schon seit längerer
Zeit bekannt ist und am häufigsten studirt wurde,
strahlen von jeder der beiden dorsalen Vacuolen
ca. 8 — 10 ziemlich gerade Kanäle aus, die fast
über den gesammten Körper zu verfolgen sind.
Jedoch greifen die Kanäle beider Vacuolens} steme
nicht zwischen einander hinein." Sie sind in der
Nähe der contractilen Vacuole am stärksten und
verfeinern sich distal mehr und mehr.
Sehen wir uns nun die Wirkungsweise dieser
eigenthümlichen Apparate näher an, wozu sich
Paramaecium als sehr geeignetes Object darbietet
(Fig. 50). Wenn die beiden contractilen Vacuolen
ihre grösste Ausdehnung erreicht haben, wird
plötzlich in kurzer Zeit und mit beträchtlicher
Inhalt durch ihre Ausfuhrkanäle und Poren
nach aussen entleert, sodass die Vacuolenhöhle vorübergehend ganz
verschwindet. Wie bei der Zusammenziehung des Herzens, bezeichnet
man diesen Zustand als Systole, dagegen die Periode, in welcher
sich die Vacuole wieder mit Flüssigkeit füllt, ausdehnt und sichtbar
wird, als Diastole.
Die Füllung geht in der Weise vor sich: Schon vor Beginn der
Systole nehmen die oben beschriebenen, zuführenden Kanäle aus dem
Entoplasma des Infusorienkörpers Flüssigkeit auf, die wahrscheinlich mit
Kohlensäure und einigen Stoffwechselproducten beladen ist. Die Füllung
geschieht wohl, wie Schwalbe (III. 21) vermuthet, in Folge „des Druckes,
unter dem die durch immer neue Wasseraufnahme durch den Mund sich
mehrende Flüssigkeit im Körper des Thieres steht." Zu dieser Zeit sind
wegen der Füllung mit Wasser die zuführenden Kanäle gut sichtbar. Sie
schwellen in der Umgebung des contractilen Behälters, welcher jetzt den
höchsten Grad der Füllung erreicht hat, spindelförmig an und bilden dadurch
um denselben einen Kreis rosettenförmig angeordneter Vacuolen, welche
Bütschli als Bildungsvacuolen bezeichnet. Wegen ihrer Füllung kann
Fig. 50. Paramae-
cium caudatum (halb-
schematisch). R. Hert-
wiG, Zoologie Fig. 139.
k Kern, nk Nebenkern,
0 Mundöffnung (C3'to-
stom), na' Nahrungs-
vacuole in Bildung be-
griffen , na Nahrungs-
vacuole, cv contractile
Vacuole im contrahirteu,
cv' im aiisgedehnten Zu-
stand, t Trichocysten,
bei i' hervorgeschleudert.
Energie
ihr
ganzer
I. Bewegungserscheinungeu. 71
bei der Systole der coiitractile Behälter die in ihm enthaltene Flüssigkeit
nicht in die Zufiihrkanäle , sondern nur nach aussen entleeren. Wenn
er dann wieder in die Diastole eintritt, ergiessen die prall gefüllten
Bildungsvacuolen ihre Flüssigkeit in ihn hinein, wodurch er wieder
sichtbar wird und sich allmählich zur ursprünglichen Grösse ausdehnt.
In Folge dessen verschwinden am Anfang der Diastole die leer ge-
wordenen Bildungsvacuolen vorübergehend, füllen sich aber von Neuem
aus dem Körperparenchym bis zum Beginn der nächstfolgenden
Systole.
„Bei gleichzeitiger Gegenwart mehrerer Vacuolen herrseht im
Allgemeinen die Regel, dass sie sich alternierend entleeren, was eine
möglichst gleichmässige Wasserausscheidung bewirkt. Die Frequenz
ihrer Entleerung ist bei den einzelnen Infusorienarten im Allgemeinen
eine sehr schwankende. Nach den Beobachtungen von Schwalbe (III. 21),
lässt sich hierbei die Regel feststellen, dass die Frequenz der Con-
tractionen um so grösser ist, je kleiner die contractilen Vacuolen sind.
„So ziehen sich dieselben bei Chilodon cucullulus in 2 Minuten ungefähr
iS- bis 14mal zusammen , bei Paramaecium aurelia in derselben Zeit
nur 10- bis llmal, bei Vorticella mikrostoma nur 1- bis 2mal. Noch
seltener erfolgen die Contractionen bei Stentor und Spirostomum. Von
den angeführten Thieren haben in der That Stentor und Spirostomum
die grössten contractilen Behälter, dann kommt die Vorticella , dann
Paramaecium aurelia und endlich Chilodon cucullulus, dessen Vacuolen
wohl nur den halben Durchmesser von den bei Paramaecium vor-
kommenden haben; bei diesem beträgt der Durchmesser 0,0127 mm, bei
der Vorticella 0,0236 mm." (Schwalbe.)
Das Zeitintervall zwischen zwei Entleerungen ist bei derselben
Temperatur ein sehr gleichmässiges, verändert sich aber sehr bei Erhöhung
oder Erniedrigung derselben. (Rossbach [III. 19], Maupas). Während
bei Euplotes Charon das Zeitintervall zwischen zwei Contractionen
61 Secunden beträgt, ist es bei 30 Grad Cels. auf 23 See. gesunken.
(Rossbach.) Die Frequenz der Contractionen hat sich demnach fast
verdreifacht.
Der durch die contractilen Vacuolen erzeugte Wasserwechsel ist ein
erstaunlich grosser. Nach Berechnungen von Maupas entleert z. B.
Paramaecium aurelia bei 27 ^ Celsius ein ihrem Körpervolum gleiches
Volum Wasser in 46 Minuten.
Aus den mitgetheilten Beobachtungen scheint hervorzugehen, dass
die contracti len Behälter nicht einfache, unbeständige
Flüssigkeitstropfen im Plasma, sondern feststehende,
morphologische Differenzierungen im Körper der P r o t o -
zoensind, wirkliche Zellorgane, die wahrscheinlich im
Dienste der A t h m u n g und E x c r e t i o n eine wichtige
Function zu erfüllen haben. Die Energie, mit welcher der
Behälter seinen Inhalt bis zum vollständigen Schwund entleert, spricht
dafür, dass die aus hyaliner Substanz gebildete Wandschicht wie die
Substanz der Geissein in besonderem Maasse contractil ist und sich
durch diese Eigenschaft vom Entoplasma des Infusorienkörpers unter-
scheidet. Allerdings ist an dem contractilen Behälter mikroskopisch
keine eigene Wandschicht von der übrigen Körpermasse scharf abzu-
grenzen, wie ja auch an der glatten Muskelfaser contractile Substanz
und Protoplasma sich nicht innner sehr deutlich gegen einander absetzen,
72
Drittes Capitel.
und wie die Geissein auch an ihrer Basis in das Protoplasma der Zelle
übergelien.
Mit Schwalbe (III. 21.) und Engelmann bin ich also der Ansicht,
dass die Behälter eine contractile Wandschicht besitzen, welche von der
übrigen Körpermasse nicht abgegrenzt ist. Im Uebrigen sind bekanntlich
feine Häutchen oft mikroskopisch nicht nachweisbar, obwohl sie unzweifel-
haft vorhanden sind. An vielen Pflanzenzellen ist es unmöglich, den
sogenannten Primordialschlauch zu sehen, solange er der Cellulosemembran
fest anliegt, während man sich durch Plasmolyse von seinem Dasein
überzeugen kann.
Mit dieser Auffassung befinde ich mich mit Bütschli (III. 3.) im
Widerspruch. Bütschli betrachtet die contractilen Behälter als einfache
Flüssigkeitstropfen im Plasma. „Jede Vacuole hört mit ihrer Austreibung
als solche zu existiren auf. Ihre Nachfolgerin ist ein ganz neues Ge])ilde,
ein neu entstandener Tropfen, welcher wiederum nur bis zur Austreibung
existirt." Sie entsteht nach ihm durch Zusammenfiuss mehrerer Bildungs-
vacuolen, die als kleine Tröpfchen im Plasma ausgeschieden werden, sich
vergrössern und dann durch Einreissen der Zwischenwände verschmelzen.
Die auch von Bütschli beschriebene Existenz von zu- und abführenden
Kanälen, die Constanz in der Zahl der Behälter, der Umstand, dass sich
bei der Diastole der Behälter an der gleichen Stelle wieder findet, wo er
bei der Systole verschwunden ist, die Verhältnisse der Frequenz bei gleich-
bleibender Temperatur und bei Temperaturschwankungen scheinen mir
gegen die Bütschli'sche Auffassung zu sprechen. Dass am Schluss der
Systole der Behälter nach Austreibung seines Inhaltes momentan nicht
sichtbar ist, kann wohl nicht schwer gegen die Annahme seiner Constanz
in die Wagschaale fallen , wenn man berücksichtigt, dass selbst grosse
Lymphspalten und capillare Blutgefässe bei den Wirbelthieren sich im
uninjicirten Zustand der Wahrnehmung entziehen.
IV. Veränderung des Zellkörpers durch passiye Bewegung.
Um das Bild der Protoplasmabewegungen nach allen Seiten zu ver-
vollständigen, ist endlich noch der Formveränderungen zu gedenken,
welche der Zellkörper gewissermaassen
durch passive Bewegunge n er-
fahren kann. Die Zelle befindet sich
hier in derselben Lage wie ein Mus-
kel, der durch eine von aussen auf
ihn einwirkende Kraft, die an den
Gliedmaassen ansetzt, gedehnt und
wieder verkürzt wird.
So verändern die Zellen des thieri-
schen Körpers zuweilen in ausser-
ordentlich hohem Grade ihre Form,
indem sie sich allen Gestaltverände-
rungen anpassen müssen, welche ein-
zelne Organe in Folge von Muskel-
wirkung oder durch Dehnung bei
Ansammlung von Flüssigkeit und
Nahrung erfahren. Fadenförmige Epi-
thelzellen müssen sich in Cylinder,
diese in Platten umwandeln, wenn
A
Fig. 51. Epithelmuskelzellen
aus der entodermalen Auskleidung
der Tentakeln einer Aetinie (Sa-
gartia parasitiea). Nach O. und E.
Hertwig Tat", vi. Fig. 11. Aus Hatschek
Fig. 108.
A Im ausgedehnten Zustand. B Im
stark verkürzten Zustand der Tentakeln.
I. Bewegun^serscheinuiigeu. 73
bei Dehnung eines Organs sich die Ol^erfläche vergrössert, und die um-
gekehrte Metamorphose müssen sie wieder durchmachen, wenn sich dass
ganze Organ und mithin auch seine Obeiüäche verkleinert.
Was für gewaltige und urplötzliche Formveränderungen der Proto-
plasmakörper einer Zelle ohne Vernichtung seiner feinen Structur in
Folge passiver Bewegungen erträgt, zeigen uns am schönsten die Coelen-
teraten, bei welchen sich ausgestreckte Körpertheile wie Fangfäden auf
ein Zehntel oder mehr durch plötzliche, energische Muskelzusammenziehung
verkürzen können. (III. 12 a.) Die Form, welche eine Epithelzelle dar-
bietet, je nachdem sie einem massig oder einem stark contrahirten
Körpertiieil entnommen ist, fällt wesentlich verschieden aus, wie die
Figuren 51 A und B lehren. Die erstere entstammt dem Tentakel einer
nur massig contrahirten Actinie, die durch chemische Stoffe unempfindlich
gemacht und dann abgetödtet worden war, die letztere einem bei der
Abtödtung stärker contrahirten Tentakel eines anderen Individuums.
Literatur. III.
1) De Bary. I>ic Mycetozoen. Zeitschrift f. wissenschaftl. Zoologie. Bd. 10. 18G0.
2) G. Berthold. Studien über Protoplasmamechanik. Leipzig 1886.
3j Bütsehli. Protozoen. Erster Band von Bronns Classen und Ordnungen des Tliier-
reichs. 1889.
4) Alex. Ecker. Zur Lehre vom Bau u. Leben der contractilen Substanz der niedersten
Thiere. Zeitschrift f. tvissenschaftl. Zoologie. Bd. I. 1849.
5) Engelniann. Physiologie der Protoplasma- u. Flimmerbeivegung . Hermanns Handbuch
eler Physiologie. Bd. I.
6) Derselbe. Contractilität und Doppelbrechung. Archiv f. die gesammte Physiologie.
Bd. XI.
7) Derselbe. lieber die Bewegungen der Oscillarien und Diatomeen. Pßügers Archiv.
Bd. XIX.
8) Derselbe. Heber die Flimmerbeivegung. Jenaische Zeitschrift f. Medicin und Nafur-
wissensch. Bd. IV. 1868.
9) Frommann. Beobachtungen über Structur u. Beivegungserscheinungen des Protojjlasmas
der Pßunzenzelle. Jena 1880.
10) Derselbe. Ueber neuere Erklärungsversuche d. Protoplasmaströmungen u. über Schaum-
structuren Bütsehli s. Anatomischer Anzeiger. 1890.
11) Hensen. Physiologie der Zeugung. Handbuch der Physiologie. Bd. VI. 1881.
12a) O. u. R. Hertwig. Die Actinien. Jena 1879.
12b) Richard Hertwig. Ueber Mtkrogromia socialis., eine Colonie bildende Monothedamie
des süssen Wassers. Archiv f. mikroskop. Anat. Bd. X. 1874.
13) Jürgensen. Ueber die in den Zellen der Vallisncria spiralis stattfindenden Bewegungs-
erscheinungen. Studien des physiol. Instituts zu Breslau. 1861. Heft 1.
14) Klebs. Form und Wesen der pflanzlichen Protoplasmabetvegung. Biologisches Central-
blatt. Bd. I.
15) Kollmann. Ueber thierisches Protoplasma. Biolog. Centralblatt. Bd. IL
16) C. Nägeli. Die Bewegung im Pflanzenreiche. Beiträge zur wissenschaftlichen Botanik.
Heft ;>. 1860.
Derselbe. Rechts und links. Ortsbewegungen der Pflanzenzellen und ihrer Theile.
Ebendas.
17) G. Quincke. Ueber periodische Ausbreitung an Flüssigkeitsoberflächen u. dadurch her-
vorgerufene Beivegungserscheinungen. Sitzungsber. der Akademie der Wissenschaften
zu Berlin. 1888.
18) Purkinje u. Valentin. De phaenomeno generali et fundamentali motus vibratorii
continui. 18H5.
19) Rossbach. Die rhythmischen Bewegungserscheinungen der einfachsten Organismen und
ihr Verhalten gegen physikalische Agentien u. Arzneimittel. Arbeiten a. dem zool.-zoot.
Institut zu Würzburg. 1874.
74 Drittes Capitel. I. Bewegungserscheinungen.
20) Sachs. Experimentalplii/siologie der Pflanzen. Leipzig 1865.
21) Schwralbe. Ueber die contractilen BeMlter der Infusorien. Archiv f. mikroskopische
Anatomie. Bd. II.
22) Veiten. Einivirkung strömender Elektricität auf die Beivcgung des Protoplasmas etc.
Sitzungsber. d. Wiener Akademie. 1870. Bd. 73.
23) Verworn. Studien zur Physiologie der Flimmerbewegung. Pßügers Archiv. Bd. 48.
1890.
24) Derselbe. Jtie Bewegung der lebendigen Substanz. Jena 1892.
25) de Vries. Ueber die Bedeutung der Circulation und der Rotation des Protoplasmas
für den Stofftransport in der Pßanze. Botanische Zeitung. 1885.
VIERTES CAPITEL.
Die Lebenseigenschaften der Zelle.
II. Die Reizerscheinungen.
Die wunderbarste Eigenschaft des Protoplasma ist seine Reizbarkeit
oder Irritabilität^). Darunter versteht man, wie Sachs (IV 32 a) sich
ausdrückt, „die nur den lebenden Organismen eigenthümliche Art, auf
die verschiedensten Einwirkungen der Aussenwelt in dieser oder jener
Weise zu reagiren." Durch die Irritabilität scheidet sich am meisten
die belebte von der unbelebten Natur, und wurden in Folge dessen
ältere Naturforscher veranlasst, in ihr den Ausdruck einer besonderen,
nur der organischen Natur zukommenden Lebenskraft zu erblicken.
Die vitalistische Lehre (Vitalismus) hat die moderne Natur-
wissenschaft fallen gelassen; anstatt durch Annahme einer besonderen
Lebenskraft, erklärt sie die Reizbarkeit als ein sehr zusammengesetztes,
chemisch-physikalisches Phaenomen. Dasselbe ist von anderen chemisch-
physikalischen Phänomenen der unbelebten Natur nur graduell ver-
schieden, nämlich nur dadurch, dass die äusseren Einwirkungen eine mit
complicirterer Structur versehene Substanz, einen Organismus, ein hoch-
zusammengesetztes, materielles System, treffen und dementsprechend in
ihm auch eine Reihe complicirterer Vorgänge verursachen.
Bei dieser mechanischen Auffassung darf man aber nicht in einen
häutig gemachten Fehler verfallen , aus Analogien , die manche Er-
scheinungen der unbelebten Natur mit Lebensvorgängen haben , die
letzteren dir e et mechanisch erklären zu wollen. Hier ist immer
im Auge zu behalten, dass eine Substanz von so verwickelter Structur
wie die lebende Zelle in der unbelebten Natur auch nicht im Entfern-
^) Durch eine Reihe von Betrachtungen kommt Claude ßernard (IV. la) in seinen
Vorlesungen über die Phänomene des Lebens zu dem gleichen Endergebniss : „Arrives
au terrae de nos etudes, nous voyons qu'elles nous imposent une conclusion tres-
generale, fruit de l'experience, c'est, ä savoir, qu'entre les deux ecoles qui fönt des
phenomenes vitaux quelque chose d'absolument distinct des phenom^nes physico-
chimiques ou quelque chose de tout ä fait identique k eux, il y a place pour une
troisieme doctrine, celle du vitalisme physique, qui tient compte de ce qii'il y a de
special dans les manifestations de la vie et de ce qu'il y a de conforme ä l'action des
forces generales: l'element ultime du phenomene est physique; l'arrangement est vital."
76 Viertes Capitel.
testen ihres Gleichen hat, dnss daher auch die Reactionen einer derartigen
Substanz ein entsprechend coniplicirteres Gepräge an sich tragen.
Das Gebiet der Reizerscheinungen ist ein sehr umfangreiches, da es
die gesanimten Wechselbeziehungen umfasst, welche zwischen den Orga-
nismen und der Aussenwelt stattfinden. Unzählig sind die von Aussen
auf uns einwirkenden Reize und Reizursachen. Der Uebersichtlich-
keit halber wollen wir dieselben in 5 Gruppen besprechen. Eine Gruppe
umfasst die thermischen Reize, eine zweite die Einwirkungen des Lichtes,
eine dritte die Einwirkungen der Elektricität, eine vierte die mechani-
schen Reize und eine fünfte endlich das unerschöpfliche Gebiet der
chemischen Reize.
Die Art und Weise, in welcher ein Organismus auf einen dieser
Reize reagirt, bezeichnet man als die Reizwirkung. Dieselbe kann bei
den einzelnen Organismen, auch wenn dieselben von genau dem gleichen
Reiz betroffen werden, sehr ungleich ausfallen. Es hängt dies ganz von
der Structur des Organismus oder von der feineren, für unsere Sinne
allerdings nicht wahrnehmbaren Beschaffenheit der reizbaren Substanz
ab. Die Organismen lassen sich in dieser Beziehung, um einen Ver-
gleich von Sachs (IV 32 a) zu gebrauchen, verschiedenartig konstruirten
Maschinen vergleichen, die durch dieselbe äussere Kraft der Wärme in
Bewegung versetzt, doch je nach ihrer inneren Construction bald diesen,
bald jenen Nutzeffect liefern. So antworten auch auf die gleiche
Reizursache verschiedene Organismen oft in ganz ent-
gegen g es e t z t e r W e i s e gemäss ihrer s p e c i f i s c h e n S t r u c t u r.
Wir werden im Folgenden sehen, wie manche Protoplasmakörper
durch Licht gewissermaassen angezogen, andere abgestossen werden, und
wie sich dasselbe Schauspiel bei dem Studium der Wirkung chemischer
Substanzen etc. wiederholt. Man spricht dann von einem positiven und
negativen H e 1 i o t r o p i s m u s , einem positiven und negativen
Chemotropismus, Galvauotropismus, Geotropismus etc.
Aus der liesonderen Structur der reizbaren Substanz erklärt sich auch
noch eine Erscheinung, welche man in der Physiologie mit dem Namen
der specifi sehen Energie belegt hat und welche in mancher Hin-
sicht das Gegenstück zu den oben besprochenen Erscheinungen darstellt.
Wie dort auf den gleichen Reiz verschieden gebaute Protoplasmakörper
in ungleicher Weise reagiren, so sehen wir auf der andern Seite, wie
sehr verschiedene Reize, Licht, Elektricität, mechanische Berührung bei
demsellien Protoplasmakörper eine gleichartige Reiz Wirkung hervorrufen.
Eine Muskelzelle antwortet auf jede Art von Reiz durch Zusammen-
ziehung, eine Drüsenzelle durch Secretion ; ein Sehnerv kann nur Licht
empfinden, mag er durch Lichtwellen, durch Elektricität oder Druck
gereizt werden etc. Li ähnlicher Weise sind auch die Pflanzenzellen,
wie Sachs gezeigt hat, mit ihren specifischen Energien ausgerüstet. Ranken
und Wurzeln krümmen sich in der ihnen eigenen Weise , gleichgültig,
ob sie durch Licht, durch Schwerkraft, durch Druck oder elektrischen
Strom gereizt werden. Die Reizwirkung erhält überall ihr
specifisches Gepräge durch die besondere Structur der
reizbaren Substanz, oder in anderen Worten, die Reizbar-
keit ist eine Grundeigenschaft des lebenden Protoplasma,
aber sie äussert sich je nach der specifischen Structur
desselben unter dem Einfluss der Aussenwelt in specifi-
schen Reizwirkungen.
Denselben Gedankengang hat Claude Bernard (IV la) in folgender
II. Die Reizerscheinimgen. 77
Weise ausgedrückt: La sensibilite, considöree comme propriete du Sys-
teme nerveux, n'a rien d'essentiel ou de sp^cifiquement distinct; c'est
rirritabilitö speciale au nerf, comme la propriötö de coiitraction est
rinitabilitö speciale au muscle, comme la propriete de secrötion est
Tirritabilite speciale k rel6ment glandulaire. Ainsi, ces proprietes sur
lesquelles on fondait la distinction des plantes et animaux ne toucheiit
pas a leur vie meine, mais seulement aux mecanismes par lesquels cette
vie s'exerce. Au fond tous ces mecanismes sont soumis ä une condition
generale et commune, Tirritabilite,
Bei der allgemeinen Besprechung der Reizbarkeit ist endlich noch
einer besonderen Erscheinung gleich zu gedenken, der Reizfort-
pflanzung oder R e i z 1 e i t u n g. Ein Reiz, der einen kleinen Punkt
an der Oberfläche eines Protoplasmakörpers trifft, ruft nicht nur an
diesem, sondern auch an weit abgelegenen Punkten eine Reizwirkung
hervor. Die Veränderung, die der Protoplasmakörper an der Reizstelle
erfährt, muss sich also bald rascher, bald langsamer dem ganzen Körper
mittheilen. Die Reizleitung ist im Allgemeinen rascher im thierischen
Körper; für die Nerven des Menschen beträgt sie zum Beispiel 34 Meter
in der Sekunde, langsamer verläuft sie im pflanzlichen Protoplasma.
Man stellt sich vor, dass die reizbare Substanz ein in labilem
Gleichgewicht befindliches System materieller, mit hohen Spannkräften
ausgerüsteter Theilchen ist/ In einem solchen System genügt ein ge-
ring-er Anstoss eines Theilchens, um auch alle anderen Theilchen mit
in Bewegung zu versetzen, indem das eine auf das andere seine Bewegung
liberträgt. Daher erklärt sich auch, dass oft durch eine kleine Reiz-
ursache eine ausserordentlich grosse Reizwirkung hervorgerufen werden
kann, gleichwie ein durch einen Funken entzündetes Pulverkömehen eine
gewaltige Pulvermasse zur Explosion bringen kann.
Eigenthümlich für die organische Substanz ist endlich die Fähigkeit,
dass sie nach Aufhören der Reizursache nach einer kürzeren oder längeren
Periode der Rulte oder der Erholung mehr oder minder wieder in den
ursprünglichen Zustand zurückkehrt. Ich sage : mehr oder minder. Denn
oft wird auch unter dem Einfluss langdauernder oder häufig wieder-
kehrender, gleichartiger Reize die organische Substanz in ihrer Structur
und ihrem Reactionsvermögen dauernd geändert. Es treten dann Er-
scheinungen ein, die man unter die allgemeinen Begriffe „der Reiz-
n ach Wirkung und der Reizgewöhnung" zusammenfasst.
Ob ein Protoplasmakörper reizbar ist und auf Veränderungen seiner
Umgebung reagirt, sind wir gewöhnlich nicht im Stande wahrzunehmen.
Die meisten Reizwirkungen bleiben uns verborgen. Am
deutlichsten sichtbar werden sie uns in den Fällen, in denen das Proto-
plasma durch auffällige Veränderungen seiner Form oder durch Be-
wegungen den Reiz beantwortet. Aber wie eben hervorgehoben wurde,
ist dies nur ein beschränktes, kleines Gebiet der Reizwirkung, wenn auch
für den Forscher das wichtigste, weil hier die Untersuchung angreifen
kann. In Folge dessen werden wir denn auch im Folgenden hauptsächlich
zu untersuchen haben, wie das Protoplasma auf die oben angeführten
5 Gruppen von Reizursachen durch Bewegungen antwortet. Dieser Um-
stand hat mich auch veranlasst, bei der Besprechung der Lebenseigen-
schaften der Elementarorganismen mit der Contractilität zu beginnen.
78 Viertes Ciipitcl.
I. Thermische Reize.
Eine der wesentlichsten Bedingungen für die Lebensthätigkeit des
Protoplasma ist die Temperatur der Umgebung. Es gibt eine obere und
eine untere Grenze derselben, deren Ueberschreitung in allen Fällen
den sofortigen Tod des Protoplasma zur Folge hat. Dieselbe ist aller-
dings nicht immer ein und dieselbe für alle Protoplasmakörper. Einige
vermögen einen geringeren, andere einen grösseren Widerstand extremeren
Temperaturgraden entgegenzusetzen.
Das Maximum der Wärme bewegt sich gewöhnlich für thierische
und pflanzliche Zellen um 40*^ C. herum. Schon eine Einwirkung von
wenigen Minuten genügt, um im Protoplasma Verquellungen und Gerin-
nungen und dadurch eine Zerstörung der reizbaren Structur und des
Lebens überhaupt hervorzurufen. Amöben, in Wasser von 40*^ C. ge-
bracht, sterben sofort ab, indem sie ihre Pseudopodien einziehen und
„sich in eine kugelförmige, scharf und doppelt conturirte Blase umwandeln,
welche einen grossen, trüben, in durchfallendem Licht bi'äunlich aus-
sehenden Klumpen einschliesst." (Kühne IV. 15.) Die gleiche Temjje-
ratur hat, wie man sich kurz ausdrückt, den „Wärmetod'" liei Aethalium
septicum unter eintretender Goagulation zur Folge. Für Actinophrys da-
gegen liegt die Grenze , wo augenblicklicher Tod eintritt , bei 45 " und
für Zellen von Tradescantia und Vallisneria erst bei 47 — 48'' C. (INIax
Schnitze L 29).
Auf viel höhere Temperaturen ist das Protoplasma bei einzelnen
Organismen angepasst, die in heissen Quellen vegetiren. Im Carlsbader
Sprudel fand Cohn Leptothrix und Oscillarien bei 53 ^ C. und Ehrenberg
beobachtete ebenso Algenfilze in warmen Quellen von Ischia.
Aber auch damit ist die oberste Temperaturgrenze, bei welcher sich
lebende Substanz eine Zeit lang zu erhalten vermag, noch nicht erreicht.
Denn endogene Sporen von Bacillen, welche ausserordentlich derbe Hüllen
besitzen, bleiben keimfähig, wenn sie vorübergehend in Flüssigkeit auf
100 '^ erhitzt werden; manche ertragen 105^ bis 130" (de Bary IV 5b
pag. 41). Trockene Hitze von 140 ^ vernichtet erst bei dreistündiger Ein-
wirkung mit Sicherheit alles Leben.
Viel schwieriger als die obere ist die untere Temperatur-
grenze, durch welche unmittel bar der „Kältete d " herlieigeführt
wird, zu bestimmen. Im Allgemeinen wirken Temperaturen unter 0^
weniger schädlich auf das Protoplasma ein, als hohe Temperaturen. Bei
Echinodermeneiern , die sich in den Vorstadien zur Theilung befinden,
wird zwar der Theilungsprozess momentan unterbrochen, wenn sie in
eine Kältemischung von — 2 — 3 " C. gebracht werden (IV. 12), spielt
sieh dann aber in normaler Weise weiter ab, wenn man die Eier
nach viertelstündiger Dauer der Abkühlung langsam wieder erwärmt.
Ja selbst bei 2stündiger Abkühlung erfährt ein grosser Theil der Eier
keine andauernde Schädigung. Pflanzenzellen können gefrieren, so dass
Eiskrystalle im Zellsaft anschiessen, und zeigen, wenn sie allmählich auf-
gethaut werden, wieder das Phänomen der Protoplasmaströmung (IV 15).
Durch das plötzliche Gefrieren treten im Protoplasma von Pflanzen-
zellen erhebliche Form Veränderungen ein, werden aber beim Aufthauen
wieder rückgängig gemacht. Als Kühne (IV 15) Tradescantiazellen in
einer Kältemischung von — 14° C. etwas länger als 5 Minuten gefrieren
liess, fand er bei der Untersuchung in Wasser an Stelle des normalen
Protoplasmanetzes eine grosse Zahl gesonderter, runder Tropfen und
II. Die Reizerscheinungen. 79
Klünipchen. Diese begannen aber schon nach wenigen Secunden eine
lebhafte Bewegung zu zeigen, nach einigen Minuten sich zu verbinden
und bald wieder in ein in lebhafter Strömung befindliches Netzwerk über-
zugehen.
Einen zweiten Versuch beschreibt Kühne in folgender Weise: „Legt
man ein Präparat mit Tradescantiazellen mindestens während einer
Stunde in einen mit Eis auf 0 " abgekühlten Raum , so zeigt ihr Proto-
plasma bereits eine Neigung zum Zerfallen in einzelne Tröpfchen. Wo
noch ein Netzwerk existirt, ist es aus ausserordentlich feinen Fäden ge-
bildet, die nur stellenweise mit grösseren Kugeln und Tropfen besetzt
sind. Viele freie Kugeln befinden sich unabhängig davon in der Zell-
flüssigkeit, wo sie unter lebhaften, zuckenden Bewegungen, ohne ergiebige
Ortsbewegungen zu machen, sich um ihre Axe drehen. Wenige Minuten
später vereinigen sich jedoch diese freien Kugeln mit den feinen Fäden
oder verschmelzen mit anderen daran hängenden Kugeln, bis das Bild
des fliessenden Protoplasmanetzes völlig wieder hergestellt ist."
Bei den Pflanzen ist im Allgemeinen die Widerstandskraft gegen
Kälte um so grösser, je wasserärmer die Zellen sind : lufttrockene Samen
und Winterknospen, deren Zellen fast rein protoplasmatisch sind, können
sehr hohe Kältegrade ertragen, während junge Blätter mit ihren saftigen
Zellen sclion bei Nachtfrösten absterben. Doch auch die verschiedene
specifische Organisation der einzelnen Pflanzen , resp. ihrer Zellen , be-
dinut eine sehr ungleiche Widerstandskraft gegen Kälte, wie die tägliche
Erfahrung lehrt (Sachs IV 32 b).
Ausserordentlich hohe Kältegrade können Mikroorganismen aushalten.
Wie Frisch fand, wird die Entwicklungsfähigkeit von Bacillus anthracis
sowohl von Sporen als auch von vegetativen Zellen nicht beeinträchtigt,
wenn sie bei — 110*^ C. in Flüssigkeit eingefroren und nachher wieder
aufgethaut werden.
• Noch ehe die oben für einzelne Fälle näher angegebenen, extremen
Temperaturgrenzen erreicht werden, welche den unmittelbaren Wärme-
oder Kältetod des Protoplasmas zur Folge haben, tritt schon zuvor eine
Erscheinung ein , welche man als W ä r m e s t a r r e oder W ä r m e -
t et an US und als Kälte starre bezeichnet. Man versteht darunter
einen Zustand, in welchem die Eigenschaften des Protoplasmas, in denen
sich sein Leben bethätigt, namentlich alle Bewegungserscheinungen,
aufgehoben sind, so lange eine bestimmte Temperatur einwirkt, aber
bei geeigneter Veränderung derselben nach einer Periode der Erholung
wiederkehren.
Die Kältestarre stellt sich gewöhnlich bei Temperaturen ein, die sich
um 0 ^ herum bewegen ; die Wärmestarre erfolgt einige Grade tiefer, als
das Wärmemaximum beträgt, bei welchem das Protoplasma sofort ab-
stirbt. In beiden Fällen verlangsamt sich die Protoplasmabewegung mehr
und mehr und hört bald ganz auf. Amöben, Rhizopoden, weisse Blut-
körperchen ziehen ihre Ausläufer ein und wandeln sich in kugelige
Klünipchen um. Pflanzenzellen gewinnen häufig das schon oben mit den
Worten von Kühne beschriebene Aussehen. Langsame Erhöhung der
Temperatur bei Kältestarre, Erniedrigung derselben bei Wärmestarre lässt
die Lebenserscheinungen zur Norm zurückkehren. Hält freilich der
Starrezustand lange Zeit an, so kann er zum Tod führen, und zwar wird
durchgängig Kältestarre viel länger und besser als Wärmestarre vertragen.
Beim Absterben gerinnt und trübt sich das Protoplasma und beginnt
unter Quellungserscheinungen bald zu zerfallen.
gQ Viertes Capitel.
Zwischen Kälte- und Wärniestarre liegt ein Gebiet, in welchem sich
je nach der Höhe der Teni})eratur die Lebensprocesse mit ungleicher
Intensität abspielen. Namentlich sind es die Bewegungen, welche sich
mit verschiedener Schnelligkeit vollziehen. Sie nehmen bei Steigerung
der Wärme bis zu einem bestimmten Maxinmm zu, welches mit einem
bestimmten Temperaturgrad zusammenfällt, den man als Temperatur-
optimum bezeichnet. Dasselbe liegt immer mehrere Grad unter der
Temperaturgrenze, bei welcher die Wärmestarre erfolgt. Wenn die Er-
wärnuing noch über das Temperaturoptimum hinaus wächst, so hat sie
eine immer mehr zunehmende Verlangsamung der Protoplasmabewegung
zur Folge, bis endlich der Punkt erreicht ist, an welchem der Starre-
zustand einsetzt.
Ein wichtiges Object, an welchem man den Einfluss der Erwärmung
studirt hat, sind die weissen Blutkörperchen,. wol)ei man sich am besten
des heizbaren Objecttisches von Max Schnitze oder des Sachs'schen
Wärmekastens bedient. Im frisch entleerten Tropfen Blut zeigen sie
kugelige Gestalt und sind bewegungslos; unter den entsprechenden Yor-
sichtsmaassregeln erwärmt, beginnen sie langsam Pseudopodien auszu-
strecken und sich fortzubewegen; ilire Formveränderung wird um so
lebhafter, je mehr die Temperatur bis zu dem jeweiligen r)ptimum
zunimmt. Bei Myxomyceten, Rhizopoden und Pfianzenzellen äussert sich
die Zunahme der Erwärmung in einer Beschleunigung der Körnchen-
strömung. So legten nach Messungen von Max Schnitze (I 29) die Körn-
chen bei den Haarzellen von Urtica und Tradescantia bei gewöhnlicher
Temperatur einen Weg von 0,004 — 0,005 mm in der Secunde zurück,
bei Erwärmung bis auf 35 " C. einen Weg von 0,009 mm in der Secunde.
Bei Vallisneria liess sich die Circulation bis 0,015 mm und bei einer
Charaart sogar bis 0,04 mm in der Secunde beschleunigen. Zwischen
langsamer und beschleunigter Bewegung kann die Differenz so gross sein,
dass im ersten Falle die Länge eines Fusses etwa in 50 Stunden, im
zweiten Fall in ^12 Stunde durchlaufen wird.
Nägeli (III 16) hat für die Geschwindigkeitszunahme der Körncheu-
strönmng in den Zellen von Nitella bei Zunahme der Temperatur folgende
Werthe erhalten: Um einen Weg von 0,1 mm zurückzulegen, brauchte die
Plasmaströmung 60 Secunden bei 1 " C., 24 Secunden bei 5 '^ C, 8 Se-
cunden bei 10^ C, 5 Secunden bei 15« C, 3,6 Secunden bei 20 « C.,
2,4 Secunden bei 26" C., 1,5 Secunden bei 31'' C, 0,65 Secunden bei
37*^ C. Aus diesen Zahlen geht hervor, dass „die Zunahme der Ge-
schwindigkeit für jeden folgenden Grad einen kleineren Werth darstellt".
(Nägeli, Veiten.)
Bemerkenswerth ist endlich noch das Verhalten der Protoplasma-
körper gegen plötzliche, grössere Temperaturschwankungen und zweitens
gegen einseitige oder ungleiche Erwärnumg.
Die Temperatur Schwankungen können entweder positive oder
negative sein, d. h. sie können auf einer Erhöhung oder Erniedrigung
der Temperatur beruhen ; die Folge eines solchen grösseren, thermischen
Reizes ist vorübergehender Stillstand der Bewegimg. Nach einiger Zeit
der Ruhe kehrt die Bewegung wieder und nimmt dann die der Temperatur
entsprechende Geschwindigkeit an. (Dutrochet, Hofmeister, De Vries.)
Veiten (IV 38) bestreitet die Richtigkeit dieser Beobachtungen. Nach
seinen Experimenten rufen Temperaturschwankungen innerhalb der Grenz-
werthe weder eine Sistirung noch eine Verlangsamung der Protoplasma-
II. Die Reizerscheinimgen. 81
bewegung hervor, sondern es wird sofort die der betreffenden Tempera-
tur zukommende Geschwindigkeit herbeigeführt.
Ueber die Folgen ungleicher Erwärmung hat Stahl (IV. 35)
sehr interessante Versuche an den Plasmodien von Myxomyceten ange-
stellt. Wenn an solchen, während sie sich netzartig auf einer Unterlage
ausgebreitet haben, nur ein Theil abgekühlt wird, so wandert das Proto-
plasma aus dem abgekühlten Theil allmählich in den wärmern hinüber;
der eine Theil des Netzes schrumpft ein, der andere schwillt an. Man
kann den Versuch in der "Weise vornehmen, dass man 2 Bechergläser
dicht neben einander stellt und das eine mit Wasser von 7 ^, das andere
mit Wasser von 30 ^ Wärme füllt, und über ihre sich berührenden Ptänder
einen nassen Papierstreifen, auf welchem sich ein Plasmodium ausgebreitet
hat, in der Weise legt, dass das eine Ende in das kühlere, das andere in
das wärmere, auf constanter Temperatur erhaltene Wasser taucht. Nach
einiger Zeit ist das Plasmodium durch zweckentsprechendes Einziehen
und Ausstrecken seiner Protoplasmafäden nach dem ihm zusagenden
Medium hinübergekrochen.
In dieser Weise führen freilebende Protoplasmakörper wohl über-
haupt Bewegungen aus, die den Stempel des Zweckmässigen an sich
tragen, weil sie zugleich zur Erhaltung des Organismus dienen. Die
Lohblüthe wandert im Her])st in Folge der Abkühlung der Luft mehrere
Fuss tief in die wärmeren Schichten des Lohhaufens hinein, um dort zu
überwintern. Im Frühjahr erfolgt dann wieder bei eingetretener Erhöhung
der Lufttemperatur die Bewegung in entgegengesetzter Richtung nach den
nun wieder mehr erwärmten, oberflächlichen Schichten.
IL Liclitreize.
Wie die Wärme wirkt auch das Licht in vielen Fällen als Reiz auf
thierisches und pflanzliches Protoplasma ein. Es ruft charakteristische
Gestaltveränderungen an einzelnen Zellen und bestimmte Bewegungs-
richtungen an freilebenden, einzelligen Organismen hervor. Namentlich
die Untersuchungen der Botaniker haben auf diesem Gebiete interessante
Ergebnisse zu Tage gefördert.
Plasmodien von Aethalium septicum breiten sich nur im Dunkeln
auf der Oberfläche der Lohe aus, während sie sich im Lichte in die Tiefe
derselben zurückziehen. Wenn man auf ein Plasmodium, das auf einer
Glasscheibe zierliche Netze gebildet hat, einen Lichtstrahl in einem be-
schränkten Bezirk auffallen lässt, so strömt alsbald das Protoplasma von
den belichteten Stellen hinweg und sammelt sich in den beschatteten
an (Barenezki, Stahl IV. 35).
Pelomyxa palustris, ein amöbenartiger Organismus, führt im
Schatten durch Einziehen und Ausstrecken breiter Pseudopodien lebhafte
Bewegungen aus. Wenn sie von einem massig starken Lichtstrahl getroffen
wird, zieht sie plötzlich alle Pseudopodien ein und wandelt sich zu einem
kugeligen Körper um. Erst nach einer Zeit der Ruhe kehrt im Schatten
allmählich die amöboide Bewegung wieder. „Wenn dagegen das Dunkel
ganz allmählich (etwa innerhalb ^4 Stunde) durch Tageslicht wachsender
Helligkeit vertrieben wird, bleibt die Reizwirkung aus, ebenso wenn nach
längerer Beleuchtung plötzlich verdunkelt wird" (Engelmann IV 6b).
Sehr lebhaft reagiren auf Licht die sternförmigen Pigmentzellen
vieler Wirbellosen und Wirbelthiere, welche in der Literatur unter dem
Namen der Chromatophoren (IV. 3, 29, 30, 33) bekannt und die
Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. t)
32 Viertes Capitel.
Ursaclie für den oft augenfälligen Farbenwechsel vieler Fische, Amphi-
bien, Ileptilien und Cephalopoden sind. Im Licht nimmt z. B. die Haut
der Frösche eine hellere Färbung an. P^s rührt dies daher, dass schwarze
Pigmontzellen, die sich mit reicldich verzweigten Aesten in der Lederhaut
ausgebreitet hatten, unter dem Keiz des Lichtes sich zu kleinen, schwarzen
Kugeln zusammengezogen haben. Indem sie selbst weniger auffällig wer-
den, kommen ausserdem nocli vorhandene, grün und gelb gefärbte und
sich nicht contralnrende Pigmentzellen besser zur Geltung.
Ferner erfahren unter dem Einfluss des Lichtes die Pigment-
zellen der Retina auffällige Form Veränderungen und zwar auch so-
wohl bei den Wirbelthieren (Boll) als bei den Wirbellosen, z. B. im
Cephalopodenauge (Rawitz IV 81).
^'on ^ielen einzelligen, durch Flimmern oder Geissein sich fort-
bewegenden Organismen* Flagellaten, Infusorien, Schw^ärmsporen von
Algen etc. ist es eine bekannte Erscheinung, dass sie sich mit Vorliebe
an der nach dem Fenster gekehrten, diffus beleuchteten Seite des Zucht-
glases anhäufen oder umgekehrt.
Sehr überzeugend ist ein einfaches, von Nägeli (III. 16) angestelltes
Experiment. Eine drei Fuss lange Glasröhre wird mit Wasser , in
welchem sich grüne Algenschwärmer (Tetraspora) befinden, gefüllt, und
senkrecht aufgestellt. Wenn man nun die Röhre mit schwarzem Papier
umwickelt, mit Ausnahme des unteren Endes, auf welches man Licht
einfallen lässt, so haben sich in diesem nach einigen Stunden alle Algen-
schwärmer versanmielt, so dass der übrige Theil der Röhre farblos ge-
worden ist. Umwickelt man jetzt das untere Ende, lässt dagegen das
obere Ende frei, so steigen alsbald alle Schwärmsporen nach diesem
empor und saftimeln sich an der Oberfläche des Wassers an.
In hohem Grade gegen Licht empfindlich ist Euglena viridis,
(Fig. 44 Ä IV. 8). Wird in einem auf den Objectträger gebrachten Wasser-
tropfen, der Euglenen enthält, ein nur kleiner Theil beleuchtet, so häufen
sich alle Individuen binnen Kurzem im Lichtbezirk an, der, um einen
Ausdruck von Engelmann zu gebrauchen, wie eine Falle wirkt. Besonders
interessant aber wird dieses Versuch sobject noch dadurch, dass die Licht-
perception nur an einen ganz bestimmten, kleinen Theil des Körpers ge-
bunden ist. Jede Euglena besteht aus einem grösseren, hinteren, chloro-
phyllführenden Theil und dem geisseltragenden, farblosen Vorderende,
an welchem sich ein rother Pigmentfleck findet. Nur w^enn dieses Vorder-
ende vom Lichtstrahl getroffen oder verdunkelt wird, reagirt der Organis-
mus durch veränderte Richtung seiner Bewegung. (Engelmann.) Ein
Theil des Körpers wirkt hier also gewissermaassen als Auge.
Am eingehendsten haben sich mit der Einwirkung des Lichtes auf
Seh wärm Sporen Stahl (IV. 34) und Strasburger (IV. 37) beschäftigt.
Ersterer fasst seine Resultate in folgende Sätze zusammen; „Das
Licht übt einen richtenden Einfluss auf den Schwärmsporenkörper in
der Weise, dass dessen Längsaxe annähernd mit der Richtung des
Lichtstrahls zusammenfällt. Hierbei kann das farblose, cilientragende
Ende entweder der Lichtquelle zu- oder von derselben abgewendet
sein. Beiderlei Stellungen können, unter sonst unveränderten, äusseren
Bedingungen, mit einander abwechseln und dies zwar bei sehr verschie-
denen Graden der Lichtintensität. Den grössten Einfluss auf die relative
Stellung hat die Intensität des Lichtes. Bei intensiverem Lichte kehren
die Schwärmer ihr Mundende von der Lichtquelle ab, sie entfernen sieh
von derselben; bei schwächerem Lichte bewegen sie sich lichtwärts."
II. Die Reizerscheinungen. 83
Die Reizbarkeit gegen Licht ist eine sehr verschiedene, sowohl nach
den einzelnen Arten, als auch bei einzelnen Individuen derselben Art,
sie ändert sich endlicli auch bei demselben Individuum in Folge wech-
selnder, äusserer Bedingungen. Strasburger bezeichnet dieses ungleiche
Reactionsvermögen der Schwärmsporen als Lichtstimmung.
Zwei zur Untersuchung der Lichtstimmung geeignete, sich etwas
verschieden verhaltende Objecte sind die Schwärmsporen von
Botrydium und Ulothrix.
Wenn Schwärmsporen von Botrydium in einem Tropfen Wasser auf
einen Objectträger gebracht werden, so vertheilen sie sich im Dunkeln
gleichförmig im Wasser. W^erden sie dagegen jetzt beleuchtet, so
richten sie sich gleich mit ihrem vordem Ende nach der Lichtquelle und
eilen derselben in geraden, somit ziemlich parallelläufigen Bahnen zu.
Nach wenigen, meist 1^ 2 bis 2 Minuten, sind fast sämmtliche Schwärmer
an der Lichtseite des Tropfens, welche Strasburger der Kürze wegen
auch als positiven Rand im Unterschied zum entgegengesetzten oder
negativen Rand bezeichnet, angesammelt und schwärmen hier, reichlich
copulirend, durcheinander. Wird das Präparat um 1 80 " gedreht, so
verlassen alle noch beweglichen Schwärmer momentan den jetzt von der
Lichtquelle abgekehrten Rand des Tropfens und eilen wieder dem Licht-
strom zu. Wird die Beobachtung unter einem Mikroskop mit drehbai'em
Objecttisch angestellt, so kann man durch Drehung (les letzteren die
Schwärmer zur fortwährenden Aenderung der Bewegungsrichtung bringen.
Sie lenken stets in die vom Fenster gegen das Zimmer geradlinig
gerichteten Bahnen ein.
Ein etwas abweichendes Verhalten zeigen Ulothrixsch wärm er.
„Auch diese eilen rasch und auch in fast geraden Bahnen nach dem
positiven Tropfenrand; doch nur selten thun sie es alle, vielmehr wird
man in den meisten Präparaten einen grösseren oder geringeren Theil
derselben ebenso rasch in entgegengesetzter Richtung, also nach dem
negativen Rand zu, sich bewegen sehen. Es gewährt nun ein eigenes
Schauspiel, wenn die Schwärmer so in entgegengesetzter Richtung und
daher mit scheinbar verdoppelter Schnelligkeit an einander vorübereilen.
Wird das Präparat um 180 "^ gedreht, so sieht man sofort die an der
zuvor positiven Seite angesammelten wieder der negativen Seite, die zuvor
an der negativen Seite angesammelten wieder der positiven Seite zueilen.
Hier angelangt, bewegen sich die Schwärmer durcheinander, sich je nach
den Präparaten schärfer oder weniger scharf am Rande haltend. Un-
unterbrochen bemerkt man auch, sowohl an der positiven, als auch an
der negativen Seite, einzelne Schwärmer, die plötzlich den Rand ver-
lassen und gerade aus durch den Tropfen nach dem andern Rande eilen.
Ein solcher Austausch findet ununterbrochen zwischen beiden Rändern
statt. Ja nicht selten kann man einzelne Schwärmer, die eben vom
entgegengesetzten Rande kamen, wieder dorthin zurückkehren sehen.
Noch andere bleiben mitten in ihrem Laufe stehen und eilen nach dem
Ausgangsort ihrer Wanderung zurück, um eventuell von dort aus das
Spiel längere Zeit pendelartig zu wiederholen."
WMe fein und rasch die Reaction der Schwärmer auf Licht ist, zeigt
folgendes von Strasburger mitgetheiltes Experiment. „Schaltet man,
während die Schwärmer auf dem Wege von dem einen Rande des
Tropfens zum andern sind, ein Blatt Papier zwischen das Mikroskop und
die Lichtquelle ein, so schwenken die Schwärmer sofort zur Seite ab,
manche drehen sich selbst im Kreise, doch das dauert nur einen Augen-
g^ Viertes Capitel.
blick, iiiul sie lenken in die verlassenen Bahnen wieder ein (Schreck-
bewegung). Strasburger (IV. 37) nennt die Schwärmer,
welche der Lichtquelle zueilen, lichthold (photophil),.
solche dagegen, welche sie fliehen, lichtscheu (photophob).
Wie schon oben angedeutet wurde, ist die Ansammlung der
Schwärmer am negativen oder positiven Rand des Tropfens, worin sich
die besondere Art ihrer Li cht Stimmung kund giebt, von äusse-
ren B e d i n g u n g e n abhängig, von der Intensität des Lichtes, von der
Temperatur, von der Durchlüftung des Wassers, von Entwicklungszuständeu.
Wenn man mit Schwärmern experimentirt, die bei intensiver
Beleuchtung sich am negativen Rand angesammelt haben, so kann man
dieselben zum entgegengesetzten Rand hinüber locken. Man muss dann
das Licht auf einen ihrer Stimmung entsprechenden Grad allmählich
abdämpfen, indem man einen, zwei, drei oder mehr Schirme aus matt-
geschhffenem Glas zwischen das Präparat und die Lichtquelle einschiebt.
In noch einfacherer Weise kann man das Resultat auch dadurch erreichen,
dass man sich mit dem Mikroskop langsam weiter vom Fenster entfernt,
und dadurch das einfallende Licht abschwächt.
Durch die Temperatur der Umgebung wird der Grad der Licbt-
enipfindlichkeit bei vielen Schwärmern sehr beeinflusst. Dieselben werden
gewöhnlich durch Erhöhung der Temperatur, welche ausserdem auch ihre
Beweglichkeit steigert, auf höhere Lichtintensitäten, durch Erniedrigung
der Temperatur auf geringere Lichtintensität abgestimmt. Im ersteren
Fall werden sie also jichtholder, im zweiten Fall lichtscheuer gemacht.
„Ferner verändern die Schwärmer auch ihre Lichtstimmung im Laufe
ihrer Entwicklung, so zwar, dass sie in der Jugend auf höhere Intensi-
täten als im Alter gestinuut erscheinen."
Wie durch Experimente von Cohn, Strasburger u. A. festgestellt ist,
haben nicht alle Strahlen des Spectrums auf die Bewegungsrichtung der
Sporen einen EinÜuss, sondern es sind vorzugsweise nur die
starkbrechbaren Strahlen, die blauen, indigofarbigen
und violetten, welche als Reiz empfunden werden.
Schiebt man zwischen Lichtquelle und Präparat ein Gefäss mit
dunkler Kupferoxydammoniaklösung, welche nur blaues, violettes Licht
hindurchlässt, so reagiren die Schwärmsporen, als ob sie von gemischtem
Tageslicht getroffen würden, dagegen reagiren sie gar nicht auf Licht-
strahlen, welche durch eine Lösung von doppeltchromsaurem Kali, durch
die gelben Dämpfe einer Natriumflamme odei- durch Rubinglas hindurch-
gegangen sind.
Ein anderes, mannigfaltiges und wichtiges Gebiet von Lichtwirkung
bietet sich uns dar in der Chlorophyll Wanderung pflanzlicher
Zellen. Licht wirkt als Reiz auf chlorophyllhaltiges Protoplasma und
veranlasst es, durch langsame Bewegungen sich an zweckmässigen
Stellen innerhalb der Cellulosemembran anzusammeln.
Zum Studium dieser Erscheinungen ist wohl das geeignetste Object
die Fadenalge Mesocarpus, an welcher Stahl (IV. 34) sehr über-
zeugende Beobachtungen angestellt hat.
In den zu langen Fäden vereinigten, cylindrischen Zellen spannt
sich ihrer Länge nach ein dünnes Chlorophyllband mitten durch den
Saftraum aus, ihn in zwei gleich grosse Hälften zerlegend, und geht mit
seinen Rändern in den protoplasmatischen Wandbeleg der Zelle über.
Je nach der Richtung des einfallenden Lichtes verändert das Chlorophyll-
baud seine Stellung. Wird es direct von oben oder von unten durch
n. Die Reizerscheinuugen. 85
schwaches Tageslicht getroffen, so kehrt es dem Beobachter seine
Fläche zu. Wenn man dagegen die Beleuchtung so regulirt, dass nur
Strahlen, die dem Mikroskoptisch parallel verlaufen, von der Seite zum
Präparat gelangen, so drehen sich die grünen Platten um etwa 90 °, bis
sie eine genau verticale Stellung einnehmen und jetzt als dunkelgrüne
Längsstreifen die sonst durchsichtigen Zellen ihrer Länge nach (kirchziehen.
Zwischen beiden Extremen kann das Band alle möglichen Zwischen-
stellungen einnehmen, indem es stets seine Fläche senkrecht zur Richtung
des einfallenden Lichtes zu orientiren sucht. In warmen Sommertagen
erfolgt der Stellungswechsel schon in wenigen Minuten; er erklärt sich
aus activen Bewegungen, welche das Protoplasma innerhalb der Zell-
membran ausführt.
Auch hier übt wie bei den Schwärmsporen die Intensität des
Lichtes einen verschiedenen Einfluss aus. Während diffuse
Beleuchtung das oben beschriebene Resultat herbeiführt, bewirkt directes
Sonnenlicht eine ganz entgegengesetzte Stellung der Chlorophyllplatte.
Diese kehrt jetzt ihre eine Kante der Sonne zu. Wir erhalten also
folgendes Gesetz: „Das Licht übt einen richtenden Einfluss auf den
Chloroph} ilapparat von Mesocarpus. Bei schwächei-em Lichte orientirt
sich derselbe senkrecht zum Strahlengang, bei intensiver Beleuchtung
fällt dessen Ebene in die Richtung des Strahlengangs." Die erste An-
ordnung bezeichnet Stahl als Flächenstellung, die zweite als
Profilstellung.
Bei langer Dauer der intensiven Beleuchtung zieht sich das ganze
Band zu einem dunkelgrünen, wurmförmigen Körper zusammen, um
später unter günstigen Bedingungen wieder seine ursprüngliche Gestalt
anzunehmen.
Alle diese verschiedenartigen, unter dem Reiz des Liclites erfolgen-
den Bewegungen des Protoplasmas werden den Zweck haben, den Ghloro-
phyllapparat einerseits in eine für seine Function günstige Stellung zum
Licht zu bringen, anderseits ihn vor der schädigenden Wirkung zu inten-
siver Beleuchtung zu schützen.
Dem Einfluss des Lichtes, der bei Mesocarpus sich in so klarer
Weise äussert, sind übrigens auch die mit Chlorophyllkörnern
versehenen, gewebeartig verbundenen Zellen der Pflanzen unterworfen.
Nur sind hier die Erscheinungen von etwas complicirterer Art (Fig. 52).
Wie zuerst Sachs entdeckt hat, sind im intensiven Sonnenlicht die
Blätter hellgrüner als bei matter Beleuchtung oder im Schatten. Auf
Grund dieser Wahrnehmung konnte Sachs auf intensiv beleuch-
teten Blättern Lichtbilder künstlich hervorrufen, wenn
er sie theilweise mit Papierstreifen bedeckte (IV. 32a).
Nach einiger Zeit erscheinen nach Entfernung der Papierstreifen die von
ihnen beschattet gewesenen Stellen dunkelgrün auf hellgrünem Grund.
Die ganze Erscheinung erklärt sich auch hier aus dem für Meso-
carpus festgestellten Gesetz, wie die Untersuchungen von Stahl (IV. 34)
nach den Vorarbeiten von Famintzin, Frank, Borodin ergeben ha1)en.
Bei matter Beleuchtung und im Schatten führt das Protoplasma solche
Beweg-ungen aus, dass die Chlorophyllkörner an die dem Licht zuge-
kehrten Aussenflächen der Zellen zu liegen kommen (Fig. 52 A), während
sie an den Seitenwänden geschwunden sind. In directem Sonnenlicht
dagegen strömt das Protoplasma mit den Chlorophyllkörnern den Seiten-
wänden (Fig. 52 B) zu, bis die Aussenwand ganz chlorophyllfrei
geworden ist. Im ersten Fall nimmt also der ganze Chlorophyllapparat
8C
Viertes Capitel.
wie bei Mesocarpus zum einfallenden Licht eine Flächenstellung, im
zweiten Fall eine Profilstellung- ein; dort erscheinen daher die Blätter
dunkler, hier heller
grün gefärl)t.
Ausserdem verän-
dern die Chloro-
phyllkörner selbst
noch ihre Gestalt
in der Weise, dass
s i e b 6 i intensivem
L i c h t k 1 e i n e r und
kugliger werden.
Alle diese Vorgänge
führen zu ein und dem-
selben Ziel ! „Die
Chlorophyll körn er
schützen sich bald
durch Drehung
(Mesocarpus), bald
durch Wanderung
oder Gestaltver-
ä n d e r u n g vor zu
intensiver Be-
leuchtung." — „Bei
schwacher Be-
leuchtung wird der
Lichtquelle die
grö SS te Fläche zu-
gekehrt; das Licht
wird so viel wie
möglich aufgefan-
gen. Ein entgegen-
gesetztes Verhal-
ten macht sich 1) ei
sehr starker Be-
1 euchtun g b e m e r k -
kleinere Fläche darge-
Fig. 52. Querschnitt durch das Blatt von
Lemna trisulca (nach Stahl).
A Flächenstelhing (Tagstelhmg). B Anordnimg der
Chlorophyllkörner im intensiven Licht, C Dunkel Stellung
der Chlorophyllkörner.
bar; es
boten."
wird dem Lichte eine
III. Elektrisclie Reize.
Wie namentlich die Experimente von Max Schnitze (L 29) und
Kühne (IV. 15), von Engelmann und von Verworn (IV. 39) gezeigt
haben, wirken galvanische Ströme und zwar sowohl die inducirten, als
die eonstanten, als Reiz auf das Protoplasma ein, soweit sie dasselbe
direct durchströmen.
Wenn man Staubfadenhaare von Tradescantia (Fig. 53)
quer zwischen die dicht genäherten, unpolarisirbaren Elektroden legt und
mit schwachen Inductionsschlägen reizt, so sieht man in der vom Strom
durchflossenen Strecke des Protoplasmanetzes die Körnchenströmung
plötzlich still stehen. Es bilden sich unregelmässige Klumpen und
Kugeln an den Protoplasmafäden aus, die an den dünnsten Stellen ein-
II. Die Reizerscheinungen.
87
reissen und in Nachbaifäden aufgenommen werden. Nach einiger Zeit
der Euhe kehrt die Bewegung wieder, indem die Klumpen und Kugeln
von den benachbarten Protoplasmaströmen allmählich ergriffen, mit fort-
und zur Vertheilung gebracht werden.
gerissen
wiederholten Inductionsschlägen, welche
ist eine Rückkehr zur Norm nicht
mehr möglich, indem der Proto-
plasmakörper unter partieller Gerin-
nung in trübe Schollen und Klumpen
verwandelt wird.
die
ganze
Bei starken und oft
Zelle getroffen haben,
ß
Bei Amöben
Blutkörperchen
chenbewegung und
und weissen
stockt die Körn-
das Vorwärts-
durch schwache
kriechen, wenn sie
Inductionsschläge gereizt werden, eine
kurze Zeit und wird dann wieder
in normaler Weise fortgesetzt. Stär-
kere Inductionsschläge haben zur
Folge, dass die Pseudopodien rasch
eingezogen werden und der Körper
sich zur Kugel zusammenzieht; sehr
starke Ströme endlich rufen ein
Platzen und eine Zerstörung des zur
Kugel contrahirten Körpers hervor.
Durch längere Zeit fort-
gesetzte Inductionsströme
kann man niedere einzellige
Organismen stückweise zer-
stören und verkleinern. Bei
Actinosphärium verläuft der Vor-
gang in folgender Weise. Die Pseudo-
podien, welche nach den beiden
Elektroden gerichtet sind, zeigen bald
Varicositäten und werden allmählich,
indem das Protoplasma zu Kügelchen
und Spindeln zusammenfliesst^, ganz
eingezogen (Fig. 54). Dann fällt an
diesen Stellen die Oberfläche des Kör-
pers immer mehr einer Zerstörung,
gewissermaassen einer Art von Einschmelzung, anheim, wobei die im Proto-
plasma eingeschlossenen Flüssigkeitsvacuolen platzen. Dagegen erhalten sich
die senkrecht zur Stromesrichtung stehenden Pseudopodien ^^-j--*-
Nach Beseitigung des Reizes erholt sich nach und nach das
zur Hälfte oder auf ein Drittel reducirte Individuum und
durch Einschmelzung verloren gegangenen Theile.
Aehnliches bewirkt die Anwendung des constanten Stromes bei
Actinosphärium (Fig. 55), Actinophrys, Pelomyxa, Myxomyceten. Beim
Schliessen des Stromes entsteht an dem positiven Pol (der Anode)
(Fig. 55 -\-) eine Erregung, die sich in Einziehung der Pseudopodien
und bei längerer Dauer in einer Zerstörung des Protoplasma an der
Eintrittsstelle des Stroms kund giebt. Beim Oeffnen desselben hört die
Einschmelzung an der Anode sofort auf und es tritt dagegen eine bald
Fig. 53. Av..^ Zelle eines Staub-
fadenhaares von Tradescantia vir-
ginica. A Ungestörte Protoplasmaströ-
mung. B Protoplasma nach Reizung
kugelig zusammengeballt, a Zellwand,
b Querwand zweier Zellen, c, d Proto-
plasma zu Klumpen zusammengeballt.
(Nach Kühne.) Aus Vkrworn Fig. 13.
unverändert.
eventuell bis
ergänzt die
88
Viertes Capitel.
vorübergehende Zusammenziehung an der der Kathode zugewandten
Körperoberfläche ein.
+
Fiff. 54.
Fig. 55.
Fig. 54. Actinosphärium Eichhornii. Wirkung von Wechselströmen.
An beiden Polen gleichmässig fortschreitender Zerfall des Protoplasma. Nach Veeworn
Taf. I, Fig. 5.
Fig. 55. Actinosphärium Eichhornii zwischen den Polen eines con-
stanten Stromes. Einige Zeit nach Schliessung des Stromes beginnt an der Anode
(_j_) der körnige Zerfall des Protoplasma. An der Kathode (— ) sind die Pseudopodien
wieder normal geworden. Nach Vekwokn Taf. I, Fig. 2.
Interessanter und wichtiger als diese Reizvorgänge sind vielleicht
die Erscheinungen des Galvanotropismus,
welche Verworn an einer Anzahl einzelliger Organismen (IV. 39 u. 40)
entdeckt hat.
+ -
Fig. 56. Bei Schliessung des constanten Stromes schwimmen in einem Wasser-
tropfen (A) alle Paranicäcien innerhalb der Stromcurven nach dem negativen Pol und
haben nach einiger Zeit sich jenseits des negativen Pols angehäuft (B). Nach Verwokn
(IV. 40j Fig. 20.
Unter Galvanotropismus versteht Verworn die Erscheinung, dass
durch den constanten Strom manche Organismen zu Bewegungen in
einer bestimmten Richtung veranlasst werden, in ähnlicher Weise wie
durch den Lichtstrahl (Heliotropismus). „Bringt man auf einen Object-
träger zwischen zwei unpolarisirbare Elektroden einen Tropfen, der Para-
mäcium aurelia in möglichst grosser
Individuenzahl enthält und schliesst
II. Die Reizerscheinungen. 89
dann den constanten galvanischen Strom, so sieht man im Augenblick
der Schliessung sänuntliche Paramäcien die Anode verlassen und als
dichten Schwann auf die Kathode zueilen, wo sie sich in grossen
Mengen ansammeln. Nach wenigen Secunden ist der übrige Theil des
Tropfens vollkommen leer von den Protisten und nur die kathodische
Seite desselben zeigt ein dichtes Gewimmel von ihnen. Hier bleiben sie
während der ganzen Dauer des Stromes. Wird nun der Strom geöffnet,
so sieht man den ganzen Schwärm wieder die Kathode verlassen und in
der Richtung nach der Anode hinüberschwimmen. Diesmal findet keine
vollkommene Ansammlung an der Anode statt, sondern ein Theil der
Protisten bleibt gleichmässig im Tropfen zerstreut, Anfangs jedoch ohne
der Kathode näher zu kommen, was erst ganz allmählich einige Zeit
nach der Stromöffnung geschieht. Schliesslich sind wieder alle Protisten
gleichmässig im Tropfen vertheilt."
Hat man spitze Elektroden angewandt, so schwärmen die Para-
mäcien innerhalb der Stromcurven der Kathode zu (Fig. 56 Ä). Es ent-
steht ein Bild, wie wenn Eisenfeilspähne von einem Magneten angezogen
werden. „Dabei macht man," wie Verworn bemerkt, „die Beobachtung,
dass, nachdem alle Paramäcien nach dem negativen Pol hinübergewandert
sind, die grösste Anhäufung sich hinter, d. h. also jenseits des negati-
ven Pols (vom positiven Pol aus gerechnet), gebildet hat und dass sich
nur wenige an der anderen Seite des Pols aufhalten (Fig. 56 B). Bei
Oeffnung des Stroms schwimmen die Protisten in der oben beschriebenen
Weise wieder in der Richtung nach dem positiven Pol zurück und
zwar ebenfalls zuerst mit strenger Innehaltung der Stromcurven, bis
allmählich die Bewegung und damit die Vertheilung im Tropfen wieder
regellos wird."
In derselben Weise sind noch manche andere Infusorien, wie Stentor,
Colpoda, Halteria, Coleps, Urocentrum, und Flagellaten, wie Trachelo-
monas, Peridinium galvanotropisch.
Galvanotropismus zeigen auch Amöben. Während sie im ersten
Augenblick der Schliessung des constanten Stroms eine Sistirung der
Körnchenströmung erfahren, treten dann plötzlich an dem der Kathode
zugewandten Ende hyaline Pseudopodien hervor und indem in derselben
Richtung die andere Leibessubstanz nachfliesst und immer wieder neue
Pseudopodien hervorgestreckt werden, kriechen die Amöben nach der
Kathode zu. Bei Umkehr des Stromes kann man auch eine plötzliche,
ruckweise Umkehr der Körnchenströmung und ein Kriechen nach der
entgegengesetzten Richtung beobachten.
Die Bewegung nach der Kathode kann man als negativen
Galvanotropismus bezeichnen. Wie es nun einen negativen und
positiven Heliotropismus und Thermotropismus giebt, so lässt sich auch
in einzelnen Fällen die Erscheinung eines positiven Galvano-
tropismus nachweisen. Verworn hat ihn bei Opalina ranarum, bei
einigen Bakterien und Flagellaten, wie Cryptomonas und Chilomonas
beobachtet. Beim Schliessen des Stromes wandern die genannten Arten
anstatt nach der Kathode nach der Anode hin und sammeln sich daselbst
an. Sind in einem Tropfen gleichzeitig ciliate Infusorien und Flagellaten
vorhanden, dann eilen sie bei Schliessung des constanten Stromes nach
entgegengesetzter Richtung auseinander, so dass schliesslich zwei scharf
von einander gesonderte Gruppen zu sehen sind, die Flagellaten an der
Anode, die Ciliaten an der Kathode. Wurde der Strom nun gewendet,
so rückten sie wie zwei feindliche Heere gegeneinander los, bis sie sich
90
Viertes Capitel.
wieder an den gegenüberliegenden Polen angesammelt hatten. Jede
Stromschliessung vollzog in wenigen Secunden eine scharfe Trennung der
vorher in unentwirrbarem Gewinnnel vermischten Infusorienfornien.
IV. Mechanische Reize.
Druck, Erschütterung, Quetschung wirken als Reiz auf das Proto-
plasma ein. Schwache mechanische Reize bleiben in ihrer Wirkung auf
die nächst betroffene Stelle beschränkt, starke Reize breiten sich auf
grössere Entfernung aus und haben eine grössere und schnellere Wirkung
als schwächere. Wenn eine Zelle von Tradescantia oder Chara oder
ein Plasmodium von Aethalium erschüttert oder an einer Stelle gedrückt
wird, so steht die Körnchenbewegung eine Zeit lang still, an den Proto-
plasmafäden können sich sogar Anschwellungen und Klumpen bilden, in
ähnlicher Weise wie nach Reizung mit dem elektrischen Strom. So
kommt es häufig, dass beim Herrichten der Präparate schon durch das
Auflegen des Deckgiäschens die Protoplasmabewegung zum Stillstand
gebracht wird. Nach einiger Zeit der Ruhe kehrt sie dann allmählich
wieder zurück.
Amöben und weisse Blutkörperehen ziehen bei heftiger Erschütterung
ihre Pseudopodien ein und nehmen Kugelgestalt an. Rhizopoden mit
schön ausgebreiteten, langen Fäden thun dies oft mit einer solchen
Energie, dass die Enden, welche an dem Objectträger kleben, abreissen
(Verworn).
Mit einer feinen Nadel kann man eine einzelne Stelle local reizen.
Die Wirkung bleibt auf dieselbe beschränkt, wenn der Reiz schwach
war, und äussert sich in einem Varicöswerden und einer Verkürzung
des Pseudopodiums. Starke und wiederholte Reize rufen auch in den
nicht direct getroffenen, benachbarten Pseudopodien Contractionserschei-
nungen hervor (Fig. 57 B).
Fig. 57. Orbitoliteß. Ein Theil der Oberfläche mit Pseudopodien.
Links ungestört, rechts total durch andauernde Erschütterung gereizt. Nach Verwohn
(lU. 24) Fig. 7.
Für die Nahrungsaufnahme der Rhizopoden ist dies von Bedeutung.
Wenn ein Infusor oder irgend ein anderes kleines Thier mit einem
ausgestreckten Pseudopodium in Berührung kommt, wird es von dem-
selben festgehalten und vom Protoplasma rings umflossen. Dann wird es,
indem sich das Pseudopodium allmählich verkürzt, wobei sich auch noch
II. Die Reizerscheiimngen. 91
die benachbarten Fäden eventuell betheiligen, in die centrale Proto-
plasmamasse geschatft, wo es verdaut wird.
V. Chemische Reize.
Ein lebender Zellkörper kann sich bis zu einem gewissen Grade
chemischen Veränderungen seiner Umgebung anpassen. Eine Haupt-
bedingung dabei ist freilich, dass die Veränderungen nicht plötzlich,
sondern allmählich eintreten.
Plasmodien von Aetlialium gedeihen in einer zweiprocentigen
Lösung von Traubenzucker, wenn man den letzteren in langsam steigen-
der Dosis zum Wasser zusetzt (IV. 35). Würde man sie gleich aus
reinem Wasser in die chemisch veränderte Umgebung bringen, so würde
der plötzliche Wechsel den Tod zur Folge haben, und dasselbe würde
eintreten, wollte man sie aus der zweiprocentigen Zuckerlösung gleich in
reines Wasser zurückversetzen. Wie man hieraus sieht, muss das
Protoplasma Zeit haben , sich , wahrscheinlich durch Zu- und Abnahme
seines Wassergehaltes, den veränderten Bedingungen anzupassen.
Meerwasseramöben und Rhizopoden bleiben am Leben, wenn durch
allmähliche Verdunstung das in einem offenen Gefäss stehende Meer-
wasser selbst einen Salzgehalt von 10 Procent erreicht hat. Süsswasser-
amöben lassen sich allmählich an 4procentige Kochsalzlösung gewöhnen,
während sie durch plötzlichen Zusatz schon einer einprocentigen Lösung
sich zu Kugeln zusammenziehen und mit der Zeit in glänzende Tropfen
zerfallen.
Bei der Anpassung an eine neue chemische Umgebung werden die
einzelnen Zellkörper mehr oder minder Veränderungen in ihrer Structur
und in ihrer Lebensthätigkeit erfahren. Wenn sich das letztere in einer
für uns wahrnehmbaren Weise äussert, werden wir von chemischen
Reizwirkungen sprechen. Die auf diesem ausserordentlich
umfangreichen Gebiete zu beob achten den Erscheinungen
fallen verschieden aus, je nachdem das chemische Reiz-
mittel allseitig und gleich massig oder nur in einer
bestimmten Richtung, also einseitig, auf den Zellkörper
einwirkt.
a) Erste Gruppe von Versuchen.
Chemische Einwirkungen, die von allen Seiten den Zell-
körper treffen.
Um die erste Gruppe der Erscheinungen zu erläutern, soll auf das
Verhalten des Protoplasma gegen einzelne Gase und gegen
die unter dem gemeinsamen Namen der Anästhetica zusammengefassten
Stoffe näher eingegangen werden.
In den Pflanzenzellen hört die Bewegung des Protoplasma in kurzer
Zeit auf, wenn man sie anstatt in Wasser in einen Tropfen Olivenöl
einlegt und dadurch den Luftzutritt abschliesst (IV. 15). Nach Ent-
fernung des Oeles kann man die Bewegung allmählich wiederkehren
sehen.
Die Verlangsamung und schliesslich den Stillstand der Protoplasma-
strömung kann man auch dadurch hervorrufen , dass man die atmo-
sphärische Luft durch Kohlensäure oder durch Wasserstoff verdrängt.
Zur Anstellung derartiger Experimente hat man besondere Object-
C)2 Viertes Capitel.
trä.uer mit Gaskamnierii construirt, durchweiche man einen Strom
von Kolilensäure oder Wasserstoff hindurchleiten kann. Kacli einem
Aufentluüt der Pflanzenzellen von 45 Minuten bis einer Stunde im
Kohlensäurestronie ist die Bewegung durchschnittlich überall erloschen;
l»ei Anwendung des Wasserstoffs ist eine etwas längere Zeit dazu
erforderlich (III. 5).
Die Lähnumg des Protoplasma kann, wenn sie nicht zu lange Zeit
angedauert hat, stets durch Sauerstoffzufuhr wieder aufgehoben werden.
„Offenbar bindet das lebendige Protoplasma den Sauerstoff der Umgebung
chemisch, und wird die so entstandene feste Sauerstoffverbindung, von
der unter normalen Verhältnissen in jedem Protoplasmakörper ein
gewisser Vorrath angenonunen werden muss, während der Bewegungen
beständig zerstört, vermuthlich unter Abspaltung von Kohlensäure."
(Engelmann. III. 5.) Entziehung von Sauerstoff wirkt daher lähmend
auf die Reizbarkeit und überhaupt auf jede Lebensthätigkeit des Proto-
plasma ein.
Einen deutlich ausgesprochenen Einfluss auf die Lebensthätigkeit der
Zelle haben die Anästhetica, Chloroform, Morphium, Chloral-
hydrat etc. Es wirken diese Stoffe nicht nur, wie man häufig glaubt,
auf das Nervensystem ein, sondern ebenso gut auch auf jedes Protoplasma.
Die Wirkungsweise ist nur eine graduell verschiedene; es wird die Reiz-
barkeit der Nervenzellen früher und rascher herabgesetzt und endlich
aufgehoben als die Reizbarkeit des Protoplasma. Auch wird bei der
medicinischen Verwendung der Narcotica beim Menschen nur eine Ein-
wirkung auf das Nervensystem angestrebt, da eine tiefere Narcose der
Elementartheile einen Stillstand des Lebensprocesses und also den Tod
zur Folge haben würde. Dass aber die Reizbarkeit des Protoplasma im
Pflanzen- und Thierreich ohne bleibenden Schaden vorübergehend auf-
gehoben werden kann, wird aus folgenden Beispielen klar hervorgehen:
Die Sinnpflanze oder Mimosa pudica ist gegen Berührung
sehr empfindlich. Wenn ein Fiederblättchen etwas erschüttert wird, so
klappt es sofort zusammen und sinkt aus der aufgerichteten Stellung
nach abwärts herab. Gleichzeitig ist sie ein Beispiel für eine rasche
Reizfortleitung bei Pflanzen, welche auch ohne Anwesenheit von Nerven,
einfach in der Weise vor sich geht, dass der Reizanstoss von einem
Protoplasmakörper auf den angrenzenden rasch übertragen wird. In
Folge dessen schlagen bei Berührung, je nach der Stärke derselben, nicht
nur die unmittelbar betroffenen Blätter, sondern auch die Blätter desselben
Zweiges, eventuell sogar der ganzen Pflanze zusammen, wobei gewisse,
hier nicht näher zu besprechende, mechanische Einrichtungen in Wirk-
samkeit treten.
Um nun den Einfluss der Anästhetica zu studiren, stelle man eine
mit voller Reizbarkeit ausgestattete Sinnflanze unter eine Glasglocke und
lege noch, wenn sie ihre Blätter vollständig ausgebreitet hat, einen mit
Chloroform oder Aether durchtränkten Schwamm darunter (Claude
Bernard IV. 1). Nach einer halben Stunde etwa hat durch die
Chloroform- oder Aetherdämpfe das Protoplasma seine Reizbarkeit ein-
gebüsst. Nach Entfernung der Glocke kann man die normal aus-
gebreiteten Blättchen berühren, sogar heftig quetschen oder abschneiden,
ohne dass eine Reaction eintritt: der Erfolg ist derselbe wie bei einem
mit Nerven versehenen höheren Geschöpf. Und trotzdem ist das Proto-
plasma, vorausgesetzt, dass der Versuch mit der nothwendigen Vorsicht
angestellt worden ist, nicht abgestorben. Denn nachdem die Sinnpflanze
II. Die Reizerscheinungeii. 93
einige Zeit in Irischer Luft zugebracht hat, schwindet allmählich die
Narcose; erst schlagen einzelne Blättchen bei kräftiger Berührung noch
langsam zusammen, endlich ist die volle Reizbarkeit wieder zurückgekehrt.
In derselben Weise lassen sich Eier und Samenfäden in Nar-
cose versetzen. Als Richard Hertwig und ich (IV. 12 a) lebhaft
bewegliche Samenfäden von Seeigeln in eine mit Meerwasser hergestellte
0,5-procentige Lösung von Chloralhydrat brachten, wurde ihre Bewegung
schon nach 5 Minuten vollständig aufgehoben, kehrte indessen, nachdem
reines Meerwasser zugesetzt worden war, sehr rasch wieder. Auch
befruchteten die durch den vorübergehenden Aufenthalt in 0,5 Procent
Chloral gelähmten Samenfäden, als sie zu Eiern hinzugefügt wurden,
fast ebenso bald als frischer Samen. Nach halbstündiger Einwirkung
der Chlorallösung wurde die dadurch hervorgerufene Lähmung der
Samenfäden eine stärkere und hielt längere Zeit auch nach Entfernung
des schädigenden Mittels an. Erst nach einigen Minuten begannen einzelne
Samenfäden schlängelnde Bewegungen, die bald lebhafter wurden. Als
sie zu Eiern hinzugefügt wurden, w^aren diese nach 10 Minuten noch
nicht befruchtet, oi)wohl auf ihrer Oberfläche schon viele Samenfäden
sich festgesetzt hatten und bohrende Bewegungen ausführten. Aber auch
hier blieb schliesslich die Befruchtung und normale Theilung der Eier
nicht aus.
Wie bei den Samenfäden, lässt sich auch bei den Eiern die Reiz-
barkeit durch eine 0,2 — 0,5procentige Lösung von Chloralhydrat und
von ähnlichen Substanzen beeinflussen, was sich dann bei Zusatz von
Samenflüssigkeit in einer Veränderung des normalen Befruchtungs-
processes zu erkennen giebt. Denn während normaler Weise nur ein
einziger Samenfaden in das Ei eindringt und sofort die Bildung einer
festen Dotterhaut veranlasst, durch welche das Nachdringen w^eiterer
Samenfäden unmöglich gemacht wird, tritt bei chloralisirtenEiern
Mehrbefruchtung ein. Dabei konnte festgestellt werden, dass je
nach dem Grade der Chloralwirkung, je nach der Dauer der Einwirkung
und der Concentration der Lösung, die Zahl der Samenfäden stieg,
welche in das Ei gelangt waren, ehe durch Abscheidung der Dotterhaut
der Weg für weitere Eindringlinge verlegt war. Offenbar ist durch die
chemische Substanz die Reactionsfähigkeit des Eiplasmas herabgesetzt,
so dass der vormals durch e i n e n Samenfaden ausgeübte Reiz nicht mehr
genügt, sondern durch das Eindringen von 2, 3 und mehr Samenfäden
in entsprechender Weise gesteigert werden muss, um das Ei zur Membran-
bildung anzuregen.
Ein letztes Beispiel wird uns endlich noch zeigen, dass auch
chemische Processe in der Zelle durch Anästhesirung
e i n e H e m m u n g e r f a h r e n k ö n n e n. Wie bekannt, rufen die Spalt-
pilze, welche die Bierhefe bilden, Saccharomyces cerevisiae, in einer
Zuckerlösung alkoholische Gährung hervor, wobei Bläschen von Kohlen-
säure in der Flüssigkeit aufsteigen. Als Claude Bernard (IV. 1) eine
Zuckerlösung mit Chloroformwasser oder Aetherwasser versetzte und
dann Bierhefe hinzufügte, trat keine Gährung auch untei" sonst günstigen
Bedingungen ein. Als darauf die Hefepilze von der Chloroformlösung
abfiltrirt, mit reinem Wasser ausgewaschen und in reine Zuckerlösung
gebracht wurden , riefen sie in kurzer Zeit wieder Gährung hervor ; sie
hatten also das Vermögen, Zucker in Alkohol und Kohlensäure umzu-
wandeln, welches durch Chloroform- und Aetherwirkung vorübergehend
aufgehoben war, wieder erhalten.
g^ Viertes Capitel.
In ähnlicher Weise kann die Chlorophyllfunction der Pflanzen und
die mit ilir zusannnenhänsende Al)schei(lung von Sauerstoff im Sonnen-
licht durch Chloroform sistirt werden (Claude Bernard).
b) Zweite Gruppe von Versuchen.
Chemische Einwirkungen, die in einer bestimmten Richtung
den Zellkörper treffen.
Sehr interessante und mannichfaltige Reizerscheinungen werden
Iiervorgerufen , wenn chemische Substanzen nicht allseitig, wie in den
eben betrachteten Fällen, sondern nur e i n s e i t i g , i n e i n e r b e s t i m m t e n
Richtung, den Zell kör per treffen. Dieser kann dadurch zu
Formveränderungen und zu Bewegungen nach einer bestimmten Richtung
veranlasst werden, Erscheinungen, die man unter dem Namen des
Chemotropismus (Chemotaxis) zusammen gefasst hat.
Die c h e m 0 1 r 0 p i s c h e n Bewegungen können entweder
nach der Reizquelle zu gerichtet oder imGegentheil von
ihr ab gewandt sein. In ersterem Falle wirken die chemischen
Substanzen anziehend, in letzterem abstos send auf den Proto-
plasmakörper ein. Es hängt dies theils von der chemischen Natur des
Stoffes, theils aucli von der Eigenart der dem Versuch dienenden
Plasmaart, theils auch von dem Coneentrationsgrad der chemischen
Substanz ab. Ein Stoff, der in geringerer Concentration anziehend wirkt,
kann in stärkerer Concentration abstossen. Es liegen hier ähnliche
eigenthümliche Verschiedenheiten vor, wie bei der Einwirkung gedämpften
und starken Lichtes. Ebenso wie der Heliotropismus ein positiver und
ein negativer sein kann, hat man auch einen positiven und einen
negativen Chemotropismus zu unterscheiden.
Wir wollen auch hier zuerst die Einwirkung von Gasen, alsdann
von Lösungen in das Auge fassen und uns dabei mit einigen sinnreichen
Methoden bekannt machen , welche wir besonders dem Botaniker
Pfeffer (IV. 26) verdanken.
1) Gase.
Ein gutes chemisches Lockmittel für freibewegliche Zellen ist der
Sauerstoff, wie namentlich die Experimente von Stahl, Engelmann und
Verworn lehren.
Stahl hat mit Plasmodien von Aethalium septicum experimentirt
(IV. 35). Er füllte einen Glascylinder zur Hälfte mit ausgekochtem
Wasser, das er zum Luftabschluss mit einer sehr dünnen Oelschicht
bedeckte, und legte an die Wand des Cylinders einen Streifen Filtrir-
papier, auf dem sich ein Plasmodium ausgebreitet hatte, in der Weise,
dass die Hälfte in das Wasser tauchte. Schon nach kurzer Zeit verdünnten
sich die im sauerstofffreien Wasser befindlichen Protoplasmastränge, und
bald war alles Protoplasma über die Oelschicht, die auf das Plasmodium
sonst nicht schädigend einwirkt, emporgewandert nach dem oberen
Theile des Cylinders, wo der Sauerstoff der Luft zutreten konnte. Man
kann den Versuch auch in der Weise anstellen, dass man ein Plasmodium
in einen mit ausgekochtem Wasser ganz gefüllten Cylinder bringt, die
Oeffnung mit einem durchlöcherten Kork schliesst und^ den Cylinder mit
der Oeffnung nach unten in einen mit frischem Wasser gefüllten Teller
II. Die Reizerscheinunofeu.
95
stellt. Bald ist das Plasmodiuiii durch die feinen Löcher des Korks
hindurch dem sauerstoffreicheren Medium entgegengewandert.
Interessante Untersuchungen über den richtenden Einfluss des Sauer-
stoffs auf die Bewegungen der Bakterien hat Engel mann (IV. 7) an-
gestellt und gezeigt, dass man manche Bakterienformen als ein
sehr feines Reagens zum Nachweis sehr geringer Sauer-
stoff mengen benutzen kann. Wird in eine Flüssigkeit, die gewisse
Bakterien enthält, eine kleine Alge oder Diatomee gebracht, so ist die-
selbe in kurzer Zeit von einer dichten Hülle von Bakterien umgeben,
die durch den bei der Chlorophyllassimilation frei werdenden Sauerstoff
angezogen werden.
Verworn (IV. 40) sah eine Diatomee von einem Wall bewegungs-
los liegender Spirochaeten eingeschlossen, die im übrigen Theil des Prä-
parates fast ganz fehlten (Fig. 58). Plötzlich bewegte sich die Diatomee
eine Strecke weit aus dem Bakterien-
haufen heraus. Die Spirochaeten, welche
so von ihrer Sauerstoffquelle im Stich
gelassen waren, lagen zunächst einige
Augenblicke ruhig, fingen aber bald
darauf an, sich lebhaft zu bewegen und
in dichten Schaaren wieder zu der
Diatomee hinüberzuschwimmen. In 1 bis
2 Minuten waren fast alle wieder um
dieselbe versammelt und blieben be-
wegungslos an ihr liegen.
Aus der Reizwirkuug des Sauerstoffs ■-t\'rfjärjp -i^-\ \-
erklärt es sieh auch, dass man an •'^^^^S 5A«?<^^" ^
mikroskopischen Präparaten nach eini-
ger Zeit fast alle Bakterien, Flagellaten
und Infusorien an den Rändern oder
um Luftblasen, die sich im Wasser be-
finden, angesammelt findet.
Einen recht lehrreichen Versuch
theilt Verworn (IV. 40) mit. Man
bringe eine grosse Menge Paramaecien
in ein mit sauerstoffarmem Wasser ge-
fülltes Reagensglas, das man umgekehrt
über Quecksilber aufstellt. Bald be-
ginnen die Flimmerbewegungen in Folge
des Mangels von Sauerstoff langsam zu
werden. Wenn man jetzt eine Blase
reinen Sauerstoffs von unten her in das Reagensglas hineinlässt, so sieht
man dieselbe schon nach wenigen Sekunden von einer dicken, weissen
Hülle von Paramaecien umgeben, „die von Sauerstoffdurst getrieben,
wild auf die Sauerstoffblase losstürmen".
-W
Fig. 58. Eine grosse Dia-
tomee (Pinnularia) von einem
Haufen von Spiroebaete plica-
tilis umgeben. Nach Verworn
(IV. 40) Fig. 14.
2) Flüssigkeiten,
Ueber die Reiz Wirkungen von flüssigen Substanzen liegen systema-
tische Untersuchungen von Stahl und Pfeffer vor.
Stahl (IV. 35) hat als Untersuchungsobject auch hier wieder die
Lohblüthe benutzt. Auf diese kann schon einfaches Wasser als Reiz
wirken, eine Erscheinung, die Stahl als positiven und negativen
qQ Viertes Capitel.
H y (1 r 0 1 r 0 1) i s m u s beschrieben hat. Ein gleiclniiässig auf einen Streifen
feuchten Filtrirpapiers ausgebreitetes Plasmodium zieht sich stets, wenn
(las Pai)ier auszutrocknen l)e,uinnt, nach den Stellen zurück, welche noch
am feuchtesten geblieben sind. Wenn man während des Austrocknens
über das Papier senkrecht einen mit Gelatine bestrichenen Objectträger
in 2 mm Abstand anlningt, so erheben sich an dieser Stelle, durch den
von der Gelatine ausgehenden Wasserdampf angezogen, einzelne Aeste
vom Plasmodiumnetz senkrecht in die Höhe, bis sie die Gelatine erreichen
und sich auf ihr ausbreiten ; nach wenigen Stunden kann so das ganze Plas-
modium auf die feuchtere Unterlage übergewandert sein. Zur Zeit, wo
sich die Myxomyceten zur Fruclitbildung anschicken, tritt an Stelle des
positiven der negative Hydrotropismus. Die Plasmodien suchen jetzt im
Gegentheil die trockensten Stellen ihrer Umgebung auf und weichen
vor feuchten Gelatinestückchen und angefeuchtetem Filtrirpapier, das man
in ihre Nähe bringt, zurück.
Die Erscheinungen des Hydrotropismus finden leicht ihre Erklärung
darin, dass das Protoplasma ein gewisses Quantum von Iml)ibitionswasser
enthält, welches in gewissen Graden schwanken und auch während der
Entwicklung des Zellkörpers zu- und abnehmen kann. Je reiclilicher
vom Imbibitionswasser das Protoplasma durchtränkt ist, um so lebhaftere
Bewegungen wird es im Allgemeinen zeigen. W^ährend der vegetativen
Periode hat das Plasmodium von Aethalium die Neigung, seinen Wasser-
gehalt zu erhöhen und wird sich daher nach der Wasserquelle zu
bewegen; beim Eintritt in die Fortpflanzungsperiode dagegen flieht es die
Feuchtigkeit, weil bei der Sporenbildung der Wassergehalt des Proto-
plasmas vermindert wird.
Manche chemische Substanzen wirken anziehend, andere abstossend
auf Plasmodien ein. Wenn man ein auf feuchtem Substrat ausgelireitetes
Netz, von Aethalium mit einer Filtrirpapierkugel in Berührung bringt,
die von einem Lohaufguss durchtränkt ist, so kriechen alsbald ein-
zelne Plasmastränge nach der Nahrungsquelle hin; schon nach wenigen
Stunden sind alle Zwischenräume der Papierkugel vom Schleimpilz
durchsetzt.
Um den negativen Chemotropismus zu studiren, bringe man an den
Rand eines auf feuchtem Filtrirpapier ausgebreiteten Schleimpilzes einen
Kochsalzkrystall oder Salpeter oder einen Tropfen Glycerin. Man wird
dann sehen, wie sich unter dem Reiz der im Filtrirpapier sich ausbrei-
tenden, concentrirten Salz- oder Glycerinlösung das Protoplasma von der
Reizquelle in immer grösserem Umkreise zurückzieht.
So besitzen die leicht zerstörbaren, nackten Plasmodien die wunder-
bare Fähigkeit , auf der einen Seite schädlichen Substanzen aus dem
Wege zu gehen, auf der anderen Seite ihr Substrat nach allen Richtungen
zu durchsuchen und die ihnen zusagenden Stoff'e aufzunehmen. „Trifft
nämlich irgend einer der zahlreichen Zweige eines Plasmodiums zufällig
auf einen an Nährstoff'en reichen Boden, so erfolgt sofort ein Zufluss
des Plasmas nach der begünstigten Stelle."
In bahnbrechenden Untersuchungen hat Pfeffer (IV. 26) den Chemo-
tropismus kleiner, freibeweglicher Zellen, wie Samen-
fäden, Bakterien, Flagellaten, Infusorien genauer erforscht
und dabei ein sehr einfaches und sinnreiches Verfahren eingeschlagen.
Pfeff'er nimmt feine Glascapillaren, die 4 — 12 mm lang, an einem
Ende zugeschmolzen sind und an dem andern Ende eine Mündung von
0,03 — 0,15 mm im Lichten je nach der Grösse der zu untersuchenden
II. Die Reizerscheinungen. 97
Organismen besitzen. Dieselben werden etwa ein Drittel oder zur Hälfte
mit dem Reizmittel gefüllt, während der nach dem zugeschmolzenen Ende
befindliche Raum noch Luft enthält.
Um die Gebrauchsweise zu erläutern, diene Aep fei säure, in
welcher Pfeffer ein Reizmittel entdeckt hat, das die Samenfäden der
Farne in hohem Grade anlockt und das wahrscheinlich zu diesem Zwecke
auch in der Katur von den Archegonien ausgeschieden wird. Eine
Capillare, die mit 0,01 " o Aepfelsäure gefüllt ist, wird nach sorgfältiger
Reinigung ihrer Oberfläche in einen Tropfen Wasser, in dem sich viele
Samenfäden der Farne befinden, vorsichtig hineingeschoben. Bei 100-
bis 200facher Vergrösserung wird man dann sehen, wie sofort einzelne
Samenfäden nach der Oeffnung der Capillare zusteuern, von welcher
die Aepfelsäure in das Wasser zu diffundiren beginnt. Sie dringen als-
bald in die Capillare selbst ein; ihre Zahl nimmt rasch zu und ist in
5_10 Minuten auf viele Hunderte gestiegen. Nach einiger Zeit sind
fast sämmtliche Samenfäden mit Ausnahme weniger Exemplare in das
Glasröhrchen hineingeschlüpft.
Wenn man in der angegebenen Weise eine Prüfung mit ver-
schiedenen Concentrationsgraden der Aepfelsäure vor-
nimmt, so ergiebt sich ein ähnliches Gesetz wie bei der
Einwirkung verschiedener Wärmegrade auf die Proto-
plasmaströmung. Von einem gewissen Minimalwerth an,
der bei 0,001*^/0 liegt, und den man als Seh welle nwerth be-
zeichnen kann, wächst die anziehende Wirkung mit zu-
nehmender Concentration der Lösung bis zu einem be-
stimmten Punkt, dem Optimum oder Maximum des Reiz-
erfolges; bei weiterer Zunahme der Concentration nimmt
erst die Anziehung ab, und hier endlich tritt ein Moment
ein, wo der positive in den negativen Chemotropi smus
umschlägt.
Die stark concentrirte Lösung wirkt geradezu entgegengesetzt und
stösst die Samenfäden von sich ab. Wie gering die Menge Aepfel-
säure ist, durch welche schon ein Reizerfolg erzielt werden kann, wird
man am besten daraus ersehen, dass in einem Röhrchen mit einer
0,001 ^/o Lösung sich nur 0,0000000284 mg oder der 35millionste
Theil eines Milligramm Apfelsäure befindet.
Wie schon oben hervorgehoben wurde, muss der chemische Reiz,
um eine bestimmte Bewegungsrichtung bei einzelligen Organismen her-
vorzurufen, nur einseitig oder wenigstens von einer Seite intensiver ein-
wirken. Das ist nun auch in den mitgetheilten Experimenten der Fall;
denn indem aus der Capillarmündung die Aepfelsäure in die Umgebung
diffundirt, gerathen die Samenfäden, wenn sie zur Capillaröffnung und
wenn sie dann weiter durch dieselbe in der Röhre vordringen , in
Lösungen von allmählich steigender Concentration. Durch die Diffusion
wird eine ungleiche Vertheilung des Reizmittels nm den Körper der
Samenfäden hergestellt; „erst durch C on centrationsunter-
schiede wirkt die Aepfelsäure als ein die Bewegungs-
richtung bestimmender Reiz."
In einer homogenen Lösung bleiben die Samenfäden, wie nicht
anders zu erwarten ist, gleichmässig vertheilt, doch wird auf dieselben
auch unter diesen Verhältnissen eine specifische Reizwirkung ausgeübt, die
aber nur auf indirectem Wege und zwar daran zu erkennen ist, dass
gewissermaassen die Stimmung der Zellen gegen Aepfelsäure
Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. '
f)Q Viertes Capitel.
eine Aeiideruug erfahren hat. Pfeffer konnte hier ähnliche Beziehungen
nachweisen, wie sie für die Sinneswahrnehnmngen des Menschen durch
das Weber-Fechncr 's che Gesetz festgestellt sind. „Während der
Reiz in geometrischer Progression zunimmt, wächst die Empfindung oder
die Reaction in arithmetischer Progression."
Das in vieler Beziehung sehr wichtige Verhältniss soll wieder an
dem Verhalten der Samenfäden gegen Aepfelsäure veranschaulicht
werden.
Wenn der Experimentator zu der Flüssigkeit, in welcher sich die
Samenfäden der Farne befinden, etwas Aepfelsäure hinzufügt und gleich-
massig vertheilt, so dass eine 0,0 005 °/o ige Lösung entsteht, so wirkt
eine 0,00P o ige Aepfelsäure in einer Capillarröhre, die zum Einfangen
dienen soll , nicht mehr anlockend , wie es der Fall war zur Zeit, als
die Samenfäden in reinem Wasser waren. Vielmehr muss jetzt die
Capillartlüssigkeit zur Erreichung des Schwellenwerthes 0,015 ^io und
bei einem Gehalt des Wassers von 0,05 " o Aepfelsäure 1,5 °/o von
diesem Reizmittel enthalten; oder allgemeiner ausgedrückt: die Lösung
in der Capillare muss 30mal so viel Aepfelsäure enthal-
ten als die Aussenflüssigkeit, aus welcher die Samen-
fäden eingefangen werden sollen. Die Reiz empfänglich -
k e i t oder R e i z s t i m m u n g der Samenfäden verändert sich
also, wenn sie in einem Medium verweilen, das schon
eine bestimmteMenge der Substanz enthält, die alsReiz-
mittel dienen soll. Man kann sie so auf künstlichem Wege auf der
einen Seite unempfänglich machen gegen schwache Lösungen von Aepfel-
säure, die unter anderen Bedingungen als gutes Reizmittel wirken, auf
der anderen Seite können sie reizempfänglich gemacht werden gegen
stärker coucentrirte Aepfelsäurelösungen , welche in reinem Wasser be-
findliche Samenfäden abstossen.
Wie gegen Licht, verhalten sich die einzelnen Zellkörper auch
gegen chemische Stoffe sehr verschieden. Aepfelsäure, welche die
Samenfäden von Farnen kräftig anlockt, erweist sich für Samen-
fäden der Laubmoose völlig wirkungslos. Für diese ist wieder
Rohrzucker von 0,1 '^ o ein Reizmittel. Samenfäden endlich von Leber-
moosen, Characeen reagiren auf keinen von diesen Stoffen.
Eine 1 "^z o ige Lösung von Fleischextract oder von Asparagin hat
eine kräftig anziehende Wirkung auf Bacterium termo und Spirillum
undula und manche andere einzellige Organismen. Schon nach 2 bis
5 Minuten hat sich ein förmlicher Pfropf von Bakterien an der Mündung
eines Capillarröhrchens angesammelt, das in einen bakterienhaltigen
Wassertropfen geschoben wird.
Wegen des ungleichen Verhaltens der Zellkörper gegen chemische
Reize lässt sich die von Pfeffer ausgebildete und verschiedenartig zu
modificirende Methode nicht nur zum Einfangen entsprechend empfind-
licher Organismen, sondern auch zur Trennung einzelner Arten in
Gemischen verwenden, ähnlich wie der Galvanotropismus und Helio-
tropismus. Mit Lockmitteln versehene Glasröhrchen lassen sich in
Flüssigkeiten getaucht als Bakterienfalle und Infusorien falle
benutzen.
Ferner ergiebt sich aus den mitgetheilten Experimenten, dass chemisch
besonders empfindliche Organismen gewissermaassen als Reageutien be-
nutzt werden können, um die Gegenwart von Stoffen, die als Reiz wirken,
II. Die Reizerscheinuugen. 99
nachzuweisen. So sind nach Engelmann (IV. 7) gewisse Spaltpilze ein
ausgezeichnetes Reagens für Sauerstoff, indem schon der trillionste Theil
eines Milligramms genügt, um sie anzulocken.
Nicht alle Stoffe, die anlockend wirken, haben einen Nährwerth für
die Organismen oder sind ihnen unschädlich; manche führen sogar als-
bald zur Vernichtung der angelockten Organismen, wie salicylsaures
Natron, salpetersaures Strychnin oder Morphium. Indessen haben die
meisten Stoffe, die schädlich auf den Protoplasmakörper einwirken, auch
eine abstossende Wirkung auf denselben, so die meisten saureu und
alkalischen Lösungen. Citronensäure und Natriumcarbonat wirken schon
in 0,2*^/0 Concentration deutlich abstossend.
Im Allgemeinen und unter der obigen Einschränkung lässt sich daher
immerhin sagen, dass durch den positiven Chemotropismus die Organis-
men in den Stand gesetzt werden, ihnen zusagende Stoffe aufzusuchen,
während sie in Folge des negativen Chemotropismus schädlichen Stoffen
ausweichen.
Die Erscheinungen des Chemotropismus sind von
grosser Bedeutung auch für das Verständniss vieler Vor-
gang e i m K ö r ]) e r d e r W i r b e 1 1 h i e r e und d e s M e n s c h e n. Auch
hier giebt es Zellen, welche auf chemische Reize durch bestimmt ge-
richtete Bewegungen und Ortsveränderung reagiren. Es sind dies die
weissen Blutkörperchen und die Lymphzellen (die Leukocyten oder
Wanderzellen).
Die chemische Reizbarkeit der Leukocyten ist durch
Versuche von Leber (IV. 17 a und b), Massart und Bordet (IV. 20, 21),
Steinhaus (IV. 36), Gabritschevsky (IV. 10) und Buchner (IV. 2) festge-
stellt worden. Wenn man nach dem Verfahren von Pfeffer feine Capillar-
röhrchen mit einer kleinen Menge „entzündungserregender Substanz"
füllt und in die vordere Augenkammer oder in den Lymphsack des
Frosches einführt, so füllen sich dieselben in kurzer Zeit mit einer be-
trächtlichen Menge von Lymphkörperchen, während Röhrchen mit destil-
lirtem Wasser nicht die gleiche Wirkung äussern. In das Unterhaut-
bindegewebe gebracht, rufen die Röhrchen Auswanderung der Leuko-
cyten (Diapedesis) aus den nächst angrenzenden Capillargefässen und
unter Umständen Eiterbildung hervor.
Unter den entzündungserregenden Substanzen stehen in erster Reihe
obenan viele Mikroorganismen und ihre Stoffwechselproducte. So erwies
sich bei den Versuchen von Leber namentlich ein Extract von Staphylo-
coccus pyogenes sehr wirksam. Dadurch greift die Lehre vom
Chemotropismus in d i e L e li r e der durch p a t h o g e n e M i k r o-
organismen erzeugten Krankheiten bedeutungsvoll ein.
Erst durch genaue Kenntniss des ersteren werden viele wechselvolle Er-
scheinungen, welche uns das Studium der Infectionskrankheiten darbietet,
verständlich gemacht.
Es kann nun wohl von vornherein keinem Zweifel unterliegen, dass
wenn die Leukocyten überhaupt durch chemische, von Mikroorganismen
erzeugten Substanzen in einen Reizzustand versetzt werden können, dies
nach ähnlichen Gesetzen wird geschehen müssen, wie sie für die Zelle
im Allgemeinen haben festgestellt werden können. Positiver und nega-
tiver Chemotropismus, Reizschwelle, Veränderung der Reizschwelle durch
gleichmässige Vertheilung des Reizmittels, Reiznachwirkung werden auch
auf diesem Geliiete in Betracht kommen.
7*
JQQ Viertes Capitel.
So gestaltet sich denn die Beziehung der Leukocyten
zu den als Reiz wirkenden Substanzen zu einem compli-
cirten Process, der je nach den vorliegenden Bedin-
gungen sehr verschieden ausfallen kann. Denn die von
den Mikroorganismen ausgeschiedenen Stoffwechselpro-
ducte werden je nach ihrer Natur und je nach ihrer Con-
centration bald eine anziehende, bald eine abstossende
Reizwirkung ausüben müssen. Ausserdem aber wird die
Einwirkung sich noch verändern, wenn die Stoffwechsel-
producte der Mikroorganismen sich nicht nur am Ort ihrer
Entstehung in den erkrankten Gewebspartieen vorfinden
und von da aus die Leukocyten reizen, sondern auch noch
im Blutstrom selbst in gleichmässiger Vertheilung ent-
halten sind. Dann werden, wie es bei dem Beispiel mit
den Samenfäden und der Aepfelsäure der Fal] war (Seite 97,
98), die im Blut gleichmässig vertheilten bakteriellen
Stoffwechselproducte die Reactions weise der Leukocyten
gegen die am Orte der Erkrankung angehäuften Stoff-
wechselproducte modificiren. Hierbei muss das relative Verhält-
niss der hier und dort vorhandenen, wirksamen Sulistanz den Ausschlag
geben.
Die zahlreichen jMöglichkeiten lassen sich unter zwei Hauptfälle
gmppiren.
Erster Fall. Im Blut und in den erkrankten Gewebspartieen sind
die Stoffwechselproducte in gleicher oder nahezu gleicher Menge vor-
handen. Da es hier zu keiner Reizschwelle kommt, können die Leuko-
cyten selbstverständlicher Weise nicht mehr nach dem Orte der Er-
krankung auswandern.
Zweiter Fall. Die an beiden Orten angehäufte Substanz ist von
ungleicher Coucentration , und zwar stehen beide Concentrationeu in
einem solchen Verhältniss zu einander, dass sich daraus eine für die
Leukocyten wirksame Reizschwelle ergibt. Hier können 2 Unterfälle
eintreten. Entweder befindet sich die höhere Coucentration am Er-
krankungsherd oder in den Blutgefässen. Nur im ersteren Fall werden
sich die Leukocyten am Erkrankungsherd ansammeln.
Durch Berücksichtigung dieser Verhältnisse scheinen sich mir ^^ele
interessante Erscheinungen erklären zu lassen, welche durch französische
Forscher, Roger, Charrin, Bouchard (IV. 1 b) etc. bei ihren verschieden-
artigen Experimenten mit den Stoffwechselproducten des Bacillus pyocya-
neus, des Milzbraudbacillus etc. und durch Koch bei seiner Tuberculin-
therapie beobachtet worden sind. Ich habe einen solchen Erklärungs-
versuch unternommen in einer kleinen, gemeinverständlichen Schrift:
„lieber die physiologische Grundlage der Tuberculiuwirkung, eine Theorie
der Wirkungsweise bacillärer Stoffwechselproducte" (IV. 13) und verweise
ich hiermit auf dieselbe betreffs der einzelnen zu erklärenden Krank-
heitserscheinungen und physiologischen Experimente.
II. Die Reizerscheinungen. 101
Literatur. IV.
la) Claude Bernard. Leqo7is sur les phvnomcnes de la vie commune aux animauz et
aux vegetaux.
Ib) Bouehard. Theorie de l'infeetion. J'erhandl. des X. intern, med. Congresses zu Berlin.
Bd. I. 1891.
2) Buchnei-. Die chemische Reizbarkeit der Leukocyten und deren Beziehung zur Ent-
zündung und Eiterung. Berliner klinische Wochenschrift. 1890.
3) Brücke. Untersuchungen über den Farbenwechsel des afrikan. Chamaeleons. Benksehr.
d. math. naturtv. Classe der Akad. d. Wissensch. Bd. IV. 1854.
4) Bunge. Vitalismus und Mechanismus.
5a) De Bary. f'orlesungen über Bacterien. 1885.
5b) Dehneeke. Einige Beobachtungen über den Einfluss der Praeparationsmethode auf die
Bewegungen des Protoplasmas der Pßanzenzellen. Flora 1881.
6a) Engelmann. Beiträge zur Physiologie des Protoplasmas. Pßügers Archiv. Bd. IL
1869.
6b) Derselbe. Veber Reizung contractilen Protoplasmas durch plötzliche Beleuchtung.
Pßügers Archiv. Bd. XIX.
7) Derselbe. Neue Methode zur Untersuchung der Sauerstoffausscheidung pflanzlicher u.
thierischer Organismen. Pßügers Archiv. Bd. XXV.
8) Derselbe, lieber Licht- u. Farbenperception niederster Organismen. Pßügers Archiv.
Bd. XXIX. 1882.
9j Derselbe. Bacterium photometricum. Ein Beitrag zur vergleichenden Physiologie des
Licht- wel Farbensinnes Pßügers Archiv. Bd. XXX.
10) Gabritchevsky. ßur les jn-ojjrietes chimiotactiques des leukocyles. Annales de
r Institut de Pasteur. 1890.
11) Richard Hertwig. Erythropsis agilis, eitie neue Protozoe. Morph. Jahrb. Bd. X.
12a) Oscar ««. Richard Hertwig. lieber den Befruchtungs- und Thcilungsvorgang des
thierischen E>es unter dem Einßuss äusserer Agentien. 1887.
12b) Dieselben. Experimentelle Studien am thierischen Ei vor, während und nach der
Befruchtung. 1890.
13) Oscar Hertwig. Ueber die physiologische Grundlage der Tuberculinwirkung . Eine
Theorie der Wirkung. ^iweise bacUlärer Stoffwechselproducte. .Jena 1891.
14) Klebs. Beiträge zur Physiologie der Pßanzenzelle. Untersuch, aus dem botanischen
Institut zu Tübingen. Bd. II. ]mg. 489.
15) W. Kühne. Untersuchungen über das Protoplasma und die Contractilität. 1864.
16) Künstler. Les yeux des infusoires ßagelliferes. Journ. Micr. Paris. 10. Jahrgang.
17a) Leber. Ueber die Entstehung der Entzündung und die Wirkung der entzündungs-
erregenden Schädlichkeiten. Fortschritte der Medicin. 1888. p. 460.
17b) Derselbe. Die Entstehung der Entzündung u. die Wirkung der entzündungserregenden
Schädlichkeiten. Leipzig 1891.
18) J. Loeb. Der Seliotropismus der Thiere und seine Uebereinstimmung mit dem Helio-
tropismus der Pflanzen. Würzburg 1890.
19) Derselbe. Weitere Untersuchungen über den Heliotropismus der Thiere. Pßügers
Archiv. Bd. XLVIL 1890.
20) J. Massart u. Bordet. Recherches sur Virritabilite des leucocytts et sur Vintervention
de eette irritabilite dans la nutrition des cellules et dans V inßammation. Journal de la
soc. R. des sciences medicales et naturelles de Bruxelles. 1890.
21) Dieselben. Annales de Vinstitut Pasteur. 1891.
22) MetschnikofF. Legons sur la pathologie comparee de V inßammation. 1892.
23) "W. Pfeffer. Handbuch der Pßanzenphysiologie. Bd. I. 1881.
24) Derselbe. Locomotorische Richtungsbewegungen durch chemische Reize. Untersuch.
aus d. botan. Institut zu Tübingen. Bd. I.
25) Derselbe. Zur Kenntniss der Contactreize. Untersuch, aus dem botan. Institut zu
Tübingen. Bd. I. 1885.
26) Derselbe. Ueber chemotactisehe Bewegungen von Bakterien, Flagellaten und Volvocineen.
Untersuch, aus d. botan. Institut zu Tübingen. Bd. II.
27) George Pouehet. D'un cell veritable chez les Protozoaires. C. R. soc. Biol.
Ko. 36.
28) Derselbe. Du role des nerfs dans les changements de coloration des poissons. Journ.
de Vanat. et de la phys. 1872.
29) Derselbe. Note sur (inßuence de Vablation des yeux sur la coloration de certaines
especes anitnales. Journ. de tanat. et de la phys. Bd. X. 1874.
30) F. A. Pouehet. Sur la mutabilite de la coloration des reinettes et sur la structure
de leur peau. Compt. rend. T. 26.
1Q2 Viertes Capitel. II. Die Reizerscheinungen.
31) Rawitz. Zur Physiologie der Cephalopodenretina. Archiv /. Anat. u. Physiologie.
.j2a) Sachs. Vorlesungen über Fflanzenphysiologie. 188:2.
32b) Derselbe. Handbuch der E.cperimentalphysiologie der Pßanzen. J865. Lehrb. der
llotanik.
33) Seidlitz. Beiträge zur Bescendenztheorie. Leipzig ]87().
34) Stahl. Ueber den Einßuss von Richtung u. Stärke der Beleuchtung auf einige Be-
wegungserscheinungen im Pflanzenreich. Botan. Zeitung. 1880.
35) I) er selbe. Zur Biologie der Myxomyecten. Botan. Zeitung. 1884.
36) Steinhaus. Die Aetiologie der acuten Eiterungen. Leipzig 1889.
37) Strasburger. Wirkung des Lichts und der Wärme auf die Schtvärmsporen. Jena
1878.
38) Veiten. Einwirkung der Temperatur auf die Protoplasmabewegungen. Flora 1876.
39) Verworn. Die polare Erregung der Protisten durch den galvanischen Strom. Pflügers
Archiv. Bd. XLV u. XLVI.
40) Derselbe, Psycho-physiologische Protisten- Studien. Jina 1889.
FÜNFTES CAPITEL.
Die Lebenseigenschaften der Zelle.
III. StoflTwechse! und formative Thätigkeit.
Allgemeine Charakteristik.
Die lebende Zelle besitzt ihren eigenen Stoffwechsel, sie nimmt
Nahrungssubstanzen auf, verändert sie, führt einige Bestandtheile der-
selben ihrem Körper zu, während sie andere wieder nach Aussen ab-
giebt; sie gleicht einem kleinen, chemischen Laboratorium, indem fast
fortwährend die verschiedenartigsten chemischen Processe in ihr vor sich
gehen, durch welche auf der einen Seite hochmoleculare Stoffe von com-
plicirter Zusammensetzung gebildet, auf der anderen Seite wieder zer-
stört werden. Die lebendige Substanz befindet sich, um so mehr, je inten-
siver der Process des Lebens ist, in einer beständigen Selbstzersetzung
und einer mit ihr Schritt haltenden Neubildung. In dem Chemismus
der Zelle sind daher zwei Hauptphänomene auseinander zu halten, die
Phänomene der regressiven und der progressiven Stoff-
metamorphose oder wie Claude Bernard (IV. la) sich ausdrückt, les
phönomenes de destruction et de cröation ofganique, de döcomposition
et de composition.
Bei ihrer Zerstörung wird die lebendige Substanz vermöge Selbstzer-
setzung durch eine Reihe meist unbekannter Zwischenstufen in einfachere
chemische Verbindungen übergeführt. Kohlensäure und Wasser sind
die einfachsten Endproducte dieser Zerstörung. Bei ihr wird Spann-
kraft (potentielle Energie) in lebendige Kraft (kinetische Energie) umge-
wandelt. Intramoleculare Wärme wird frei und bildet die lebendige
Kraft, die zur Hervorbringung der Arbeitsleistungen des Zellkörpers die
Vorbedingung ist.
Wie ausserordentlich gross die Zersetzbarkeit der Lebenssubstanzen
ist, geht schon daraus hervor, dass der geringste Anstoss oft genügend
ist, grosse Umsetzungen und Arbeitsleistungen in den Zellkörpern hervor-
zurufen. „Sind es nicht, bemerkt Pflüger (V. 25, 26), wahrhaft ver-
schwindend kleine lebendige Kräfte, die in einem Lichtstrahl wirkend,
die gewaltigsten Wirkungen in der lietina und dem Gehirn hervorrufen?
Wie ganz minimal sind die lebendigen Kräfte der Nerven, wie ganz
j^Q^ Fünftes Capitel.
wunderltar klein die Mengen gewisser Gifte, die ein grosses lebendiges
Thier total vernichten."
Bei der Nenbildung lebender Substanz oder der i)rogressiven Meta-
morphose werden zum Ersatz des Verbrauchten neue Stoffe von aussen
aufgenommen, dem Körper einverleibt und in neue chemische Verbin-
dungen übergeführt, bei welchen Arbeitsleistungen wieder Wärme in mehr
oder minder hohem Grade gebunden und in Spannkraft umgewandelt
wird. Die wieder gebundene Wärme kann theils von der bei den
Zersetzungsprocessen frei werdenden intramolecularen Wärme herrühren,
theils rührt sie her, wie der Hauptsache nach in den Pflanzen, von der
belebenden Wärme der Sonnenstrahlen, durch welche der Organismen-
welt ein grosses Quantum lebendiger Kraft zugeführt und im Proto-
plasmakörper in Spannkraft umgesetzt wird. Die von aussen aufge-
nommenen Substanzen und die der Sonne entströmende Wärme stellen
das Betriebsmaterial und die Betriebskraft dar, durch welche der in
Wechsel von Selbstzersetzung und Selbstneubildung sich abspielende
Lebensprocess in letzter Instanz unterhalten wird.
Nach der Definition von Pflüger ist „der Lebensprocess die intramole-
culare Wärme höchst zersetzbarer und durch Dissociation — wesentlich unter
Bildung von Kohlensäure und Wasser und amidartigen Körpern — sich zer-
setzender, in Zellsubstanz gebildeter Eiweissmolecüle, welche sich fortwährend
reg-eneriren und auch durch Polymerisirung wachsen."
Trotz grosser Verschiedenartigkeit des Stoffwechsels in den einzelnen
Organismen giebt es doch eine Reihe von fundamentalen Processen,
welche der gesammten organischen Natur gemeinsam sind und sich im
niedrigsten, einzelligen Wesen ebenso abspielen, wie im Körper der
Pflanzen und Thiere. Wie in den Bewegungen und Reizer-
scheinungeu, offenbart sich auch in diesen fundamen-
talen Processen des Stoffwechsels die Einheit der ganzen
organischen Natur.
Insofern fallen sie auch in das Bereich der allgemeinen Anatomie
und Physiologie der Zelle. Eine Uebereinstimmung macht sich nament-
lich in folgenden 3 Punkten geltend :
1) Jede Zelle, sei es von Pflanze oder Thier, athmet. das heisst, sie
nimmt aus ihrer Umgebung Sauerstoff nach Bedürfniss auf und verbrennt
mit Hülfe desselben Kohlenhydrate und Eiweisssubstauzen ihres eigenen
Körpers, bei welchem Verbrennungsprocess als letzte Endproducte Kohlen-
säure und Wasser gebildet werden.
2) In beiden organischen Reichen treten in grosser Zahl ent-
sprechende Substanzen im Stoffwechsel auf, wie Pepsin, Diastase, Myosin,
Xanthin, Sarcin, Zucker, Inosit, Dextrin, Glycogen, Milchsäure, Ameisen-
säure, Essig- und Buttersäure.
3) In beiden Reichen sind manche Processe, durch welche com-
plicirte chemische Verl)indungen dargestellt werden , identisch oder
wenigstens sehr ähnlich und unterscheiden sich wesentlich von den Ver-
fahren, durch welche der Chemiker im Stande ist, eine Anzahl organischer
Verbindungen auf synthetischem Wege darzustellen. Beim Chemismus
der Zelle sowohl der Pflanzen wie der Thiere spielen Fermente
eine grosse Rolle, Diastase, Pepsin, Trypsin etc. Darunter versteht man
organische Stoffe, welche in der lebenden Zelle erzeugt, in ausserordent-
lich geringer Menge eine grosse chemische Wirkung entfalten und ohne
III. Stoffwechsel und formative Tbätigkeit. 105
selbst in nennenswerthem Maasse dabei verbraucht zu werden , hier
Kohlenliydrate, dort Eiweisskörper in charakteristischer Weise chemisch
verändern können.
„Le chimisme du laboratoire est ex6cute ä l'aide d'agents et d'appa-
reils que le chimistre a crees, et le chimisme de l'etre vivant est ex6-
cute ä l'aide d'agents et d'appareils que rorganisme a crees." (Claude
Bernard IV. 1 a.)
Im Folgenden werden wir die einzelnen Erscheinungen des Stoff-
wechsels besonders von morphologischer Seite näher betrachten, ohne
dabei in die meist sehr verwickelten und grossen Theils noch unbe-
kannten chemischen Processe näher einzugehen. Wir können im Verlauf
des Stoffwechsels 3 Stadien unterscheiden, die Stoffaufnahme , die im
Innern des Protoplasma erfolgende Stoffumsetzung und die Stoffabgabe.
Das erste und letzte dieser Stadien wollen wir gemeinsam, alsdann das
zweite für sich allein besprechen.
I. Die Stoffaufnalmie und Stoffabgabe der Zelle.
Alle Zellen nehmen sowolü Gase, als auch Stoffe in flüssigem
oder gelöstem und daher ditfusionsfähigem Zustand in sich auf, manche
Zellen endlich l)enutzen als Nahrung auch Körper von festem Aggre-
gatzustand. Die '6 Reihen von Erscheinungen verlangen eine gesonderte
Besprechung.
1) Die Aufnahme und Abgabe gasförmiger Stoffe.
In gasförmigem Zustand können rlie verschiedenartigsten Stoffe vom
Protoplasma aufgenommen werden. (Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff,
Kohlensäure, Kohlen- und Stickoxyd, Ammoniak-, Chloroform-, Aether-
dämpfe und dergleichen mehr.)
Von allgemeiner Bedeutung für den Stoffwechsel ist indessen nui-
die Aufnahme von Sauerstoff und Kohlensäure , besonders von dem
ersteren.
Olme Aufnahme von Sauerstoff, welchen Vorgang man die Ath-
m u n g nennt , kei n Leben I S a u e r s t o f f a t h m u n g ist mit wenigen
Ausnahmen (anaerol)e Bakterien etc.) eine Fundamentaleigenschaft der
gesammten organischen Natur; sie ist für die Stofifwechselprocesse , auf
denen das Leben beruht und bei denen oxydative Spaltung hochmole-
cularer Verbindungen die lebendigen Kräfte liefern muss, unbedingt noth-
wendig. Sauerstoffmangel liringt in der Regel sehr rasch die Functionen
der Zelle, die Reizbarkeit, die Bewegungsfähigkeit etc. zum Stillstand;
schliesslicli führt er mit Nothwendigkeit den Tod herbei.
Eine scheinbare Ausnahme von dem fundamentalen Process der Athmung
scheinen die Gährungsorganismen, die Spalt- und Sprosspilze, zu liefern. Denn
sie können bei vollständigem Abschlüsse von Sauerstoff in einer geeigneten
Nährflüssigkeit wachsen und sich vermelu'en. In diesem Fall wird der für
die Oxydationsvorgänge im Protoplasma erforderliche Sauerstoff und die Be-
triebskraft für den Lebensprocess durch Zerlegung von Gährmaterial ge-
wonnen. Ebenso leben Darmparasiten in einer ziemlich sauerstofffreien Um-
gebung durch Spaltung von Verbindungen des ihnen im üeberschuss ge-
botenen Xabrungsbreies. (Bunge V. 2.)
IQ^ Fünftes Capitel.
Welche Rolle spielt der Sauerstoff bei seiner Aufnahme in die Zelle?
Früher glaubte man, dass der Sauerstoff auf die lebende Materie
direct oxydirend einwirke, dass er, wie man sich bildlich ausdrückte,
einen Verbrennungsprocess im Körper hervorrufe, durch welchen Wärme
geliefert werde. Der Vorgang ist jedenfalls ein complicirterer, wobei die
kräfte, welche zur Bindung des Sauerstoffs führen, von der lebenden
Substanz selbst ausgehen. In dem Protoplasma, diesem Gemisch eigen-
thümlicher Eiweisskörper und ihrer Derivate, in welchem ausserdem noch
Fette und Kohlenhydrate als Einlagerungen enthalten sind, finden, durch
geringfügige Einwirkungen veranlasst, beständig moleculare Umlagerungen
und Umgruppirungen von Atomen, unter diesen auch Zersetzungen und
Dissociationen, statt. „Hierbei entwickeln sich in vielen Spaltproducten
fortdauernd auch Affinitäten zum freien Sauerstoff (oxydative Spaltung)
und ziehen ihn auf diese Weise in den Stoffwechsel mit hinein." (Pflüger
V. 25, 26.) So entstehen bei der Athmung auf Kosten der organischen
Substanz sauerstoffreichere Vei'bindungen und durch fortgesetzte Spaltung
und Oxydation derselben schliesslich Kohlensäure und Wasser, die wich-
tigsten Endproducte des unter Sauerstoffathmung einhergehenden Zer-
setzungsprozesses der lebenden Substanz.
Es gilt dies für jede thierische, für jede pflanzliche Zelle.
W^enn man Pflanzenzellen, in denen das Protoplasma lebhaft strömt
(Staubfadenhaare der Tradescantia , Zellen von Characeen), in einen
Tropfen reinen Olivenöls legt, so verlangsamt sich bald in Folge des be-
hinderten Zutritts von Sauerstoff die Bewegung und hört bald ganz auf.
Dasselbe tritt ein, wenn Pflanzenzellen in eine Atmosphäre gebracht
werden, die ausschliesslich aus Kohlensäure, aus W^asserstoff oder aus
einem Gemisch von beiden besteht. Zunächst sind nur die Functionen
des Protoplasma aufgehoben; wird nach Entfernung des Olivenöls oder
der Kohlensäure oder des Wasserstoffs wieder reine Luft zugeleitet, so
kehrt nach einer Periode der Erholung allmählich wieder Reizbarkeit und
Bewegung zurück. Bei längerer Entziehung des Sauerstoffs aber folgt
der Lähmung der Functionen schliesslich der Tod des Protoplasmas unter
Trübung, Gerinnung und Zerfall.
Ebenso athmet jede thierische Zelle. Wenn ein bebrütetes Hlihnerei
in den Anfangsstadien seiner Entwicklung, wo es aus lauter kleinen
Zellen zusammengesetzt ist, in eine Kohlensäure-Atmosphäre gebracht
wird, oder WTnn man die poröse Kalkschale mit Oel durchtränkt, so dass
ein Gasaustausch zwischen Keim und Luft nicht mehr stattfinden kann,
so stirbt es in wenigen Stunden ab.
Der bei dem Menschen durch die Lungen aufgenommene Sauerstoff
dient dazu, um das Sauerstoffbedürfniss aller in den ver-
schiedenen Geweben unseres Körpers enthaltenen Zellen
zu befriedigen. Letzteren Vorgang bezeichnet man in der Thier-
physiologie im Gegensatz zur Aufnahme des Sauerstoffs oder der Lungen-
athmung als innere Athmung.
Im ganzen Organismenreich ist der Athmungsprocess
mit Kohlensäureabgabe und mit Wärmebildung verbunden.
Es ist dies ein einfach chemisches Gesetz: „WMe bei jeder andern Ver-
brennung von Kohlenstoff und Wasserstoff zu Kohlensäure und Wasser
muss auch bei der Athmung ein bestimmtes Quantum von Wärmebe-
w^egung erzeugt werden" (Sachs IV. 32 a). Eben so gut wie die thie-
rischen, athmen daher auch die pflanzlichen Zellen Kohlensäure aus und
bilden Wärme.
III. Stoffwechsel und formative Thätigkeit. 107
Bei Pflanzen ist die Wärniebildung am leichtesten an lebhaft wach-
senden Theilen nachzuweisen, an keimenden Samen, besonders deutlich
aber an den Blüthenkolben der Aroideen. Letztere können sich zu-
weilen bis 15" C. über die Temperatur der Umgebung erwärmen.
Bei der Athmung regulirt die lebende Zelle selber
die Grösse ihres Sauerstoffverbrauches. Derselbe wird
einfach bedingt durch das Maass ihrer functionellen
Thätigkeit, die mit einer entsprechend grossen Zersetzung organischer
Substanz einhergeht. Eine unbefruchtete Eizelle athmet sehr «geringe
Quantitäten von Sauerstoff ein, desgleichen ein ruhender Pflanzensamen ;
wenn aber die Eizelle befruchtet wird und der Zellentheilungsprocess
in lebhaftem Gange ist, oder wenn der Pflanzensamen keimt, dann wächst
die Sauerstoffaufnahme. Sie ist eine Function des in Lebensthätigkeit
begi-iffenen Protoplasmas (Sachs). Hieraus erklärt sich auch leicht die
Erscheinung, dass die Sauerstoffaufnahrae in die lebende Zelle
„innerhalb weiter Grenzen vollkomm en unabhängig von
dem Parti aldruck des neutralen Sauerstoffs ist". (Pflüger.)
Um das Capitel der Athnumg abzuschliessen , ist noch auf eine
wichtige Erscheinung einzugehen. Auch bei Abwesenheit von Sauerstoff
können die Zellen liald kürzere , bald längere Zeit Kohlensäure aus-
athmen und Wärme erzeugen. Keimpflanzen in ein Torricelli'sches Va-
cuum gebracht, fahren fort Kohlensäure auszuhauchen, in den ersten
Stunden wie normal, dann in allmählich geringer werdender Quantität.
Frösche lassen sicli nach den Versuchen von Pflüger in dem sauer-
stofffreien und mit Stickstoff gefüllten Raum einer Glasglocke viele
Stunden am Leben erhalten, in welcher Zeit eine ziemlich beträchtliche
Quantität von Kohlensäure ausgeathmet wird.
Beide Versuche lehren, dass in der Zelle eine Zeit lang auch ohne
unmittelbaren Zutritt von Sauerstoff bloss durch Zersetzung orga-
nischer Substanz Kohlenstoff- und Sauerstoffatome zur Bildung von
Kohlensäure zusammentreten können.
Man bezeichnet diesen Vorgang als i n t r a m o 1 e c u 1 a r e A t h m u n g.
So lange dieselbe anhält, lebt die Zelle und bleibt, wenn auch mit stetig
abnehmender Energie, reizbar und functionsfäliig, indem sie einen Theil
des Sauerstoffs, der in ihren eigenen Substanzen gebunden ist, als Be-
triebskraft gebraucht. Bei länger fortgesetzter Entziehung des Sauer-
stoffs tritt aber immer der Tod ein.
Auch aus den Erscheinungen der intramolecularen Athmung lässt
sich der schon oben aufgestellte Satz begründen: „dass nicht der
von aussen eindringende Sauerstoff den ersten Anstoss
zu den chemischen Vorgängen der Athmung giebt, dass
vielmehr innerhalb des Protoplasmas zunächst und primär
eine Zersetzung des Eiweissmoleküles stattfindet, welche
mit Kohlensäurebildung endigt, dass aber durch den von
Aussen her zutretenden Sauerstoff eine restitutio in in-
tegrum stattfindet".
Zu der Gährung, durch welche Gährungserreger auch ohne Sauerstoff-
zutritt wachsen und sich vermehren und Kohlensäure produciren, bietet die
intramoleculare Athmung Vergleichspunkte dar, auf welche besonders Pfeffer
(V. 22) aufmerksam gemacht hat.
Während die Aufnahme von Sauerstoff und die Abgabe von Kohlen-
säure Anfang und Ende einer Reihe complicirter Processe bezeichnen,
jQg Fünftes Capitel.
wclcho hauptsäclilicli der regressiven Metamorphose oder der Zerstörung
organischer Substanz angehören, bietet uns die Aufnahme und Ver-
ari)eitung der Kohlensäure in der Zelle einen Einblick in den
entgegengesetzten Process, in den Process der progressiven Metamor-
phoso oder der Erzeugung organischer Substanz. Im Unterschied zur
Athmung nennt man diesen Vorgang Assimilation.
Sauerstoffathmung und Assimilation von Kohlensäure
treten in jeder Beziehung in Gegensatz zu einander. Jene
ist eine fast dem ganzen Organismenreich angehörige, fundamentale
Erscheinung, diese dagegen zeigt sich nur auf das Pflanzenreich be-
schränkt, und auch hier ist sie keine Eigenschaft aller, sondern nur
solcher Zellen, die in ihrem Protoplasma Blattgrün oder
Blattgelb (Chlorophyll oder Xanthophyll) enthalten. Sauer-
stoffathmung führt zu oxydativen Zersetzungsprocessen, Kohlensäureassi-
milation dagegen zur Reduction der Kohlensäure und zur Synthese hoch-
molecularer, organischer Substanzen. Es sind dies Kohlenhydrate, nament-
lich Stärke, welche sicli in Form kleiner Körnchen in den grünen
Pflanzentheilen (Chlorophyllkörnern und Chloropliyllbändern) abgelagert
findet.
Bei der Assimilation der Kohlensäure sind die einzelnen Phasen der
in der Pflanzenzelle stattfindenden, synthetischen Processe noch in Dunkel
gehüllt. Nur so viel "lässt sich sagen: Kohlensäure und Wasser bilden
das Ausgangsmaterial für die Synthese; dabei entsteht durch Reduction
von Kohlensäure und Wasser Sauerstoff und wird als Gas reichlich ab-
geschieden. Der Process findet im Protoplasma nur bei Gegenwart
von Chlorophyll statt, ausser welchem auch noch andere chemische
Körper betheiligt sein können. Endlich kann die Kohlensäureassimilation
nur im Licht vor sich gehen. Denn um den Sauerstoff aus der Kohlen-
säure und dem Wasserraolecül frei zu machen, ist Wärme noth wendig.
Auch hierin stehen sich Kohlensäureassimilation und Sauerstoffathmung
gegenüber; hier wird durch Oxydation, die ein Verbrennungsprocess ist,
Wärme erzeugt und lebendige Kraft frei gemacht, dort wird zu der
Reduction der Kohlensäure Wärme verbraucht und als Spannkraft in den
Assimilationsproducten gebunden. Die für diesen Process erforderliche
Wärme liefert das Sonnenliclit.
Wenn man eine Wasserpflanze in kohlensäurehaltiges Wasser bringt
und in die Sonne stellt, so sieht man alsbald zahlreiche kleine Luftblasen
aufsteigen, die, unter einer Glocke gesammelt, bei einer chemischen Ana-
lyse zeigen, dass sie hauptsächlich aus Sauerstoff bestehen. Der Ab-
scheidung des Sauerstoffes entsprechend, wird gleichzeitig aus dem Wasser
Kohlensäure aufgenommen und zu Kohlenhydraten verarbeitet. Wie hier-
bei das lebendige, auf Licht empfindliche Protoplasma den Chlorophyll-
apparat in die zur Richtung und Stärke des Lichtes günstigste Lage zu
bringen vermag, wurde schon in einem früheren Capitel (Seite 84) aus-
einandergesetzt.
Der Vorgang der Assimilation ist im Lichte ein so lebhafter, dass
daneben die Sauerstoffathmung und Kohlensäureabgabe, welche zur Unter-
haltung des Lebensprocesses absolut nothwendig ist, vollständig in den
Hintergrund tritt und daher auch in früherer Zeit ganz übersehen wurde.
Dagegen stellen Pflanzen, die in's Dunkle gebracht werden, sofort die
Sauerstoffabscheidung und nicht minder auch die Kohlensäureaufnahme
ein, fahren aber im Dunkeln nach wie vor, ebenso wie belichtete Pflanzen,
IIl. Stoffwechsel und formative Thätigkeit. 109
ZU athmen fort. Das Gas, das jetzt freilich iu viel geringerer Quantität
als in obigem Versuch ausgeschieden wird, ist Kohlensäure.
Auf einen interessanten Unterschied, der zwischen Sauerstoffathmung
und Kohlensäureassimilation bei den Pflanzen besteht, hat Claude Bernard
(IV. 1 a) hingewiesen. Er hat Wasserpflanzen durcli Chloroform oder
Aether in Narcose versetzt und gefunden, dass sie jetzt im Sonnenlicht
keinen Sauerstoff" mehr ausscheiden. Wie in der Narcose die Reizbarkeit
und Bewegimgsfähigkeit des Protoplasma, so wird in derselben auch
die Chlorophyllfunction, die Fähigkeit, auf synthetischem Wege
aus Kohlensäure und Wasser Stärke zu bilden, absolut aufgehoben. Die-
selbe kehrt wieder, wenn die Pflanze in reines Wasser zurückgebracht
wird. Noch bemerkenswerther aber ist bei diesem Versuch, dass während
der Narcose die Athnumg unter Abscheidung von Kohlensäure weiter vor
sich geht. Dieser Unterschied ist wohl darauf zurückzuführen, dass die
Sauerstoff"athmung und die mit ihr verbundene Zersetzung zum ganzen
Lebensprocess in einem viel innigeren Zusammenhang stehen und daher
erst mit dem Leben der Zelle ganz erlöschen. Ehe aber durch Narcose
der Tod der Zelle herbeigeführt wird, werden schon längere Zeit zuvor
die Functionen der Zelle gelähmt, unter ihnen auch die Chlorophyll-
function.
2) Die Aufnahme und Abgabe flüssiger Stoffe.
Die meisten Substanzen, welche dem Stoff"wechsel dienen, werden
von den Organismen in gelöstem Zustand aufgenommen. Einzellige und
Wasserpflanzen beziehen dieselben aus der ihnen zum Aufenthalt
dienenden Fliissigkeit , die Landpflanzen mit Hülfe ihrer Wurzeln aus
dem von Wasser durchtränkten! Boden. Die Zellen der höheren
Thiere ernähren sich durch Aufnahme gelöster Substanzen aus Flüssig-
keitsmedien, die bei ihnen freilich erst in Hohlräumen ihres eigenen
Körpers durch complicirte Einrichtungen gewonnen werden müssen.
Diese Flüssigkeitsmedien sind der Chymusbrei des Darmkanals, das Blut,
der Chylusund die Lymphe. Sie spielen für die thierischen Zellen
dieselbe' Rolle, wie Wasser und Bodenfeuchtigkeit mit den in ihnen
gelösten Substanzen für niedere Organismen und für Pflanzen.
Gegenüber veralteten Anschauungen der Physiologie, nach denen die
hauptsächlichen Stoffwechselprocesse in die Säfte des Körpers verlegt
wurden, kann nicht scharf genug der Satz hervorgehoben werden: Die
Zellen sind die Herde der Stoff-Aufnahme, Abgabe und
Umsetzung. Die Säfte haben nur die Aufgabe, den Zellen
das Nahrungsmaterial in gelöster Form darzubieten und
die Zerfallsproducte des Stoffwechsels wieder abzu-
führen.
Zwischen den Zellen und dem sie umspülenden Medium bestehen
die complicirtesten Wechselbeziehungen physikalischer und chemischer
Art. Ihre Erforschung gehört zu den schwierigsten Aufgaben, auf die
hier nur zum kleinsten Theil eingegangen werden kann.
Jede Zelle ist in ihrer ganzen Organisation an das umgebende
Medium auf das genaueste angepasst. Irgendwie erhebliche Verände-
rungen in der Concentration oder Zusammensetzung desselben führen
ihren Tod herbei, doch können in manchen Fällen grössere Veränderungen
auch dauernd ertragen werden, vorausgesetzt, dass die verschiedenen
Zustände allmählich ' und in längerer Zeit in einander übergehen, wo-
110 Fünftes Capitel.
durch es den Zellen möglich gemaclit wird, sich in ihrer Organisation
fiir die anderen Bedingungen einzurichten.
Wie schon im Capitel der chemischen Reize (Seite 91) erwähnt
wurde, können Süsswasseramöben an einen Aufenthalt in Salzwasser
gewöhnt werden. Meerthiere können sich einer niederen und höheren
Concentration im Salzgehalt anpassen. Wahrscheinlich besteht die An-
passung darin, dass ein Ausgleich zwischen der im Protoplasmakörper
eingeschlossenen Flüssigkeit und der Umgebung stattfindet. Daher
führen plötzliche Veränderungen zum sofortigen Tod unter Verquellung
oder Schrumpfung und Gerinnung des Protoplasma.
Da bei den Wirbelthieren sich die vom Gewebssaft umspülten Zellen
unter so ausserordentlich künstlichen Bedingungen befinden, ist es
schwierig, kleine Gewebstheile nach ihrer Abtrennung vom übiigen
Körper auch nur kürzere Zeit am Leben zu erhalten. Denn auch die
Gewebssäfte verändern sich fast sofort, wenn sie vom lebenden Körper
getrennt werden. Daher können zur Untersuchung der Gewebe im Zu-
stand des Uelierlebens Blutserum, Augenwasser, Fruchtwasser, Jodserum
oder künstlich zusammengesetzte ähnliche Gemische nur als einiger-
maassen indifferente Zusatzflüssigkeiten dienen; einen Ersatz für die
natürlichen Bedingungen bieten sie selbstverständlicher Weise keineswegs.
Wenn man genauer das Verhältniss untersucht, in welchem die Zelle
zu der sie umspülenden Flüssigkeit steht, muss man sich in erster Linie
vor der Vorstellung hüten, als ob die erstere von der letzteren einfach
durchtränkt werde. Eine solche Vorstellung würde eine durchaus ver-
fehlte sein. Im Gegentheil stellt jede Zelle eine in sich abgeschlossene
Einheit dar, welche aus dem Flüssigkeitsgemiscli einige Stoffe bald mehr,
andere liald minder reichlich in ihr Inneres aufnimmt, andere auch ganz
abweist. Verschiedene Zellen können sich in allen diesen Beziehungen
sehr ungleich verhalten ; mit einem Wort, die Zellen treffen unter
den ihnen dargebotenen Stoffen gewissermaassen eine
Auswahl.
Ein solches oft sehr verschiedenartiges Wahlvermögen
ist sehr leicht nachzuweisen:
Unter den niedersten einzelligen Organismen bilden sich einige ein
Skelet aus Kieselsäure, andere aus kohlensaurem Kalk. Gegen beide
Stoffe, die in geringen Mengen im Wasser gelöst vorkommen, zeigen sie
demnach ein ganz entgegengesetztes Wahlvermögen, das in der Bildung
der Kreide und der aus Kieselschalen bestehenden Erdschichten zu einem
grossartigen Gesammtresultat geführt hat. Ebenso nehmen die Zellen
verschiedener Pflanzen, die in demselben Wasser unter gleichen Bedin-
gungen nebeneinander gedeihen, sehr verschiedene Salze und in ungleichen
Mengen in sich auf. Man kann die hier vorkommenden, relativen Ver-
hältnisse leicht berechnen, wenn man die Pflanzen trocknet, verbrennt
und die Gesammtasche in Procenten der Trockensubstanz und die einzelnen
Aschenbestandtheile wieder in Procenten der Reinasche ausdrückt.
So führte die Aschenuntersuchung von Fucusarten, die an der West-
küste von Schottland gesammelt wurden, zu folgenden Ergebnissen,
welche Pfeifer (V. 23) in seiner Pflanzenphysiologie tabellarisch zu-
sammengestellt hat :
III. Stoflfwecbsel und formative Thätigkeit. 111
Fucus
Fucus
Fucus
Laminaria
vesiculosus
nodosus
serratus
digitata
Reinasche ^ o
13,89
14,51
13,89
18,64
K2 0
15,23
10,07
4,51
22,40
Na2 0
24,54
26,59
31,37
24,09
CaO
9,78
12,80
16,36
11,86
MgO
7,16
10,93
11,66
7.44
Fe2 O3
0,33
0.29
0.34
0,62
P2O5
1,36
1,52
4,40
2,56
SO3
28,16
26,69
21,06
13,26
Si02
1,35
1.20
0,43
1,56
Cl
15,24
12,24
11,39
17,23
J
0,31
0,46
1,13
3,08
Ueberliaupt lein
■en ]\Ieerespflanzen
am besten,
in wie ungleichem
Maasse sie aus dem Gemenge von Salzen, das ihnen das Meerwasser
bietet, das ihnen zum Lel)en Kothwendige entnehmen. Denn vom Koch-
salz, das etwa zu 3 "/o gelöst ist, speichern die Zellen nur wenig in sich
auf, dagegen relativ viel grössere Mengen von Kalium-, Magnesium- und
Calciumsalzen, die im Meerwasser nur in Spuren vorhanden sind. Und
ebenso gestalten sich sehr verschieden die Aschenanalysen der auf dem-
selben Boden nebeneinander gedeihenden Landpflanzen.
Zu demselben Ergebniss führt die Stoffwechseluntersuchung des
thierischen Körpers. Nur bestimmte Zellen haben die Neigung, sich der
Kalksalze zu bemächtigen, die in kaum nachweisbaren Mengen in der
Säftemasse des Körpers enthalten sind, und sie im Knochengewebe auf-
zuspeichern, bestimmte Zellgruppen des Nierengewebes bemächtigen sich
der im Blutstrom circulirenden, zur Harnbildung dienenden Stoffe, andere
Zellen des Körpers vdeder stapeln Fette in sich auf u. s. w.
Die Factoren, die bei der Aufnahme und Nichtauf-
nahme von Stoffen mitsprechen, entziehen sich zur Zeit fast
ganz unserer Beurtheilung. Doch ist jedenfalls der Nutzen, den ein
Stoff für den Haushalt der Zelle bietet, durchaus nicht immer das Ent-
scheidende. Zellen bemächtigen sich auch direct schädlicher oder voll-
kommen nutzloser Stoffe. In dieser Beziehung ist die sehr verschieden-
artige Aufnahme der Anilinfarben in leidende Pflanzenzellen sehr lehr-
reich. (Pfeffer V. 22b.)
Während Lösungen von Metliylenblau, ]\Iethylviolett, Cyanin, Bis-
markbraun, Fuchsin, Safranin aufgenommen werden, ist dies nicht der
Fall mit Lösungen von Nigrosin, Anilinblau, Methylblau, Eosin, Congo-
roth etc. Ueber Aufnahme oder Nichtaufnahme kann, nach der Angabe
von Pfeffer, welcher eingehende Studien hierüber angestellt hat, nur die
empirische Erfahrung entscheiden.
Wie mit der Aufnahme, verhält es sich auch mit der Abgabe von
Stoffen. Diese wird gleichfalls von den besonderen Eigenschaften des
lebenden Zellkörpers bestimmt. Die roth- oder blaugefärbten Zellen
der Blumenlilätter einer phanerogamen Blüthe lassen die in ihnen ein-
geschlossene, concentrirte Farbstofflösung, solange sie lebensfrisch sind,
nicht in das umgebende Wasser diffundiren. Sowie indessen die Zelle
abgetödtet wird, beginnt der Farbstoff durcli die Zellwand durchzutreten.
Um alle diese complicirten Verhältnisse wirklich zu verstehen,
würde eine erschöpfende Kenntniss der Chemie und Physik der Zellen
erforderlich sein. Denn was ich oben als ihr Wahlvermögen bezeichnet
112 Fünftes Capitel.
habe, wird sich in letzter Instanz zurückführen lassen auf die chemischen
Affinitäten der zahlreichen Stoffe, die in den Zellkörpern vorkommen
und während der Stoffwechselprocesse vorübergehend ueliildet werden.
Es wird sich hier ebenso verhalten wie mit der Aufnahme von Sauerstoff
und Koldensäure, die auch nur erfolgen kann, wenn durch den Stoff-
wechselprocess chemische Affinitäten zu denselben frei werden. Daher
denn im Dunkeln von der Pflanze keine Kohlensäure aufgenonnnen wird,
die Aufnahme aber sofort erfolgt, wenn durch die Einwirkung der
Sonnenstrahlen der zu ihrer Bindung erforderliche, chemische Process
angeregt wird.
Auch die Aufnahme von Anilinfarben in die lebende Zelle lehrt
Aehnliches. Aus sehr dünnen Lösungen von Methylenblau saugen Azolla,
Spirogyra, Wurzelhaare von Lenma etc. allmählich so viel Farbstoff in
sich auf, dass sie ein tiefblaues Colorit gewinnen, wie es etwa einer
einprocentigen Lösung entspricht. Das Methylenblau färbt dabei das
Protoplasma selbst nicht, sondern dringt nur durch dasselbe hindurch,
um sich im Zellsaft in immer concentrirter werdender Lösung anzu-
sammeln. In Folge dessen stirbt die Zelle sellist auch nicht ab, w^as der
Fall sein würde, wenn das giftig wirkende Methylenblau sich in dem
Protoplasma in solcher Concentration anhäufen würde. Die Auf-
s p e i c h e r u n g i m Z e 1 1 s a f t a V) e r wird d a d u r c h h e r v o r gerufen,
dass in ihm sich Stoffe vorfinden, welche eine schwer
d i 0 s m i r e n d e Verbindung mit der Anilinfarbe herstellen.
Als einen solchen Stoff bezeichnet Pfeifer die in Pflanzenzellen häufig
vorkommende Gerbsäure. Dieselbe geht mit den Anilinfarben Verbin-
dungen ein, die bald unlöslich sind und daher im Zellsaft als Concremente
ausgeschieden werden (Methylenblau, Methylviölett) , bald mehr oder
weniger löslich sind (Fuchsin, Methylofange, Tropäolin).
Auch Thiere bieten uns schöne Beispiele von Speicherung der Farb-
stoffe in lebenden Zellen dar. Befruchtete Seeigeleier erhalten in ganz
mattgefärbten Lösungen von Methylenblau in kurzer Zeit ein mehr oder
minder intensiv blaues Colorit. (Hertwig, IV. 12b.) Bei geringeren
Graden der Speicherung schreitet der Furchungsprocess, wenn auch ver-
langsamt, doch in normaler Weise weiter und kann bis zur Bildung der
Gastrula führen. Hier ist denn der Farbstoif besonders in den Entoderm-
zellen angehäuft, was den Schluss erlaulit, dass durch Dottermaterialien
die Speicheruug herbeigeführt wird. Lebende Frosch- und Tritonlarven
werden nach 5 — 8 Tagen in einer dünnen Lösung von Methylenblau
sehr stark gebläut. In diesem Falle ist der Farbstoif an die Granula
der Zellen gebunden. (Oscar Schnitze, V. 44.) Nach tagelangem Auf-
enthalt in reinem AY asser tritt allmählich wieder Entfärbung ein. Wenn
Indigcarmin einem Säugethier direct ins Blut eingespritzt wird, so wird
es bald sowohl von den Leberzellen, als von den Epithelien der gewun-
denen Harnkanälchen aufgenommen und dann weiter dort in die Gallen-
capillaren, hier in die Harnkanälchen abgeschieden. (Heidenhain, V. 42).
^lethylenblau ins Blut gespritzt geht mit der Substanz der Nerven-
fibrillen eine Bindung ein und verleiht ihnen ein dunkelblaues Colorit.
(Ehrlich, V. 41.) Krappfarbstoff wird in der Grundsubstanz des Knochen-
gewebes gespeichert.
Abgesehen von den chemischen Affinitäten, welche zwischen den im
Zellkörper und den ausserhalb desselben befindlichen Stofftheilchen
bestehen, sind die physikalischen Vorgänge der Osmose für das Ver-
ständniss der Stoffaufnahme und -Abgabe von der grössten Bedeutung.
III. Stofifwechsel und formative Thätigkeit.
113
Hier ist die grössere oder geringere Durchlässigkeit der Zellhaut zu
beachten, in den Fällen, wo eine solche vorhanden ist. Dieselbe ist in
der Regel für alle gelösten Substanzen viel durchlässiger als der Proto-
plasniakörper selbst. Letzterer schliesst sich nach Aussen (vergleiche
Seite 13) durch eine Haut schiebt ab, welche Pfeffer bei der Osmose
die Hauptrolle spielen lässt. Soll nun ein gelöster Körper in das Proto-
plasma aufgenommen werden, so muss er zunächst in die Hautschicht
imbibirt werden, das heisst, seine Moleküle müssen sich zwischen die
Plasmatheilchen derselben einlagern und von hier dann weiter in das
Innere abgegeben werden. Ein gelöster Körper kann aber auch dann,
wenn er selbst nicht imbibirt wird, noch eine osmotische Wirkung in der
Weise hervorrufen, dass er auf das in der Zelle enthaltene Wasser eine
Anziehung ausübt und so einen nach aussen gerichteten Wasserstrom
hervorruft. „Das Wesen der Osmose beruht also darin, dass gleichzeitig
zwei Körper nach entgegengesetzter Richtung eine Membran durch-
wandern, und von einem endosmotischen Aequivalent (ein Ausdruck für die
Relation dieses Austausches, auf welchen vielfach zu viel Gewicht gelegt
wurde) kann in jenem Fall nicht die Rede sein, in welchem nur Wasser
durch eine Membran diosmirt" (Pfeffer V. 23).
Bei der Zartheit und Kleinheit der thierischen Zellen stossen
osmotische Untersuchungen auf grosse Schwierigkeiten. Der Gegenstand
ist daher mehr von Seiten der Botaniker bei den weit geeigneteren, pflanz-
lichen Zellen untersucht und besonders durch folgende Experimente
gefördert worden :
Wenn man Pflanzenzellen, die einen grossen Saftraum enthalten, in
eine, 5 — 20procentige Lösung von einem geeigneten Salz oder von Zucker
oder Glycose bringt (Fig. 59), so verkleinern sich dieselben etwas, indem
Fig. 59. Nr. 1. Junge, erst halbwegs erwachsene Zelle ans dem Rindenparenchym
des Blüthenstiels von Cephalaria leucantha. Nr. 2. Dieselbe Zelle in vierprocentiger
Salpeterlösung. Nr. 3. Dieselbe Zelle in sechsprocentiger Lösung. Nr. 4. Dieselbe
Zelle in zehnprocentiger Lösung. Nr. 1 u. 4 nach der Natur, Nr. 2 u. 3 schematisch.
Alle im optischen Längsschnitt, h Zellhaut, p Protoplasmatischer Wandbeleg, k Zell-
kern, c Chlorophyllkörner. * Zellsaft, e Eingedrungene Salzlösung. Nach de Vries
(V. 36).
Wasser von Innen nach Aussen abgegeben wird ; darauf hebt sich, wenn
die Wasserentziehung weiter fortgeht, der Protoplasmaschlauch von der
Cellulosehaut ab, die selbst vermöge ihrer grösseren Festigkeit nicht
weiter zusammenschrumpfen kann (de Vries V. 36).
Hertwig, Die Zelle und die Gewebe.
114 Fünftes Capitel.
T)i(3 Salz- oder Zuckcrlösung ist also jetzt durch die Cellulosehaut
hiiidurcligetreten und fährt fort, dem rrotoplasniaschlauch weiter Wasser
zu entziehen. Derselbe schrumpft daher je nacli der Concentration der
Zusatzflüssigkeit auf einen immer kleineren Raum zusammen. Der in
ihm eingeschlossene Saft wird dem entsprechend concentrirter. Trotz
dieser unter dem Namen der Plasmolyse zusammengefassten Ver-
änderungen kann der Protoplasmakorper wochenlang am Leben bleiben
und das Strömungsphänomen zeigen; er kann sich selbst mit einer neuen
Zellhaut umgeben, verharrt aber in dem collabirten Zustand.
Aus dem Verlauf der Plasmolyse kann man zwei Schlüsse ziehen :
einmal, dass die Cellulosehaut für die angewandten Salzlösungen durch-
lässig ist, zweitens, „dass nennenswerthe Mengen des gelösten Salzes
durch die Plasmamembran nicht diosmiren, denn ein solches Eindringen
in den Protoplasmakörper oder in den Zellsaft würde eine Vermehrung
osmotisch wirkender Stoffe im Innern der Plasmamembran und damit eine
Volumzunahme des Pi'otoplasmakörpers zur Folge haben" (Pfeffer).
Wenn die durch Plasmolyse schlaff gevvordenen Zellen wieder vor-
sichtig in reines Wasser übertragen werden, so tritt jetzt der umgekehrte
Process ein. Die in der Cellulosemembran eingeschlossene Zuckerlösung
diffundirt in das Wasser. In Folge dessen dehnt sich der Protoplasma-
schlauch aus, weil jetzt der in ihm enthaltene Zellsaft an osmotisch wirk-
samen Stoffen reicher als seine Umgebung ist und so eine entgegenge-
setzte Wasserströmung verursacht. Die Ausdehnung schreitet allmählich
durch Wasseraufnahme so weit fort, bis sich der Protoplasmaschlauch
wieder an die Cellulosemembran fest angelegt hat, und bis sich schliesslich
auch die ganze Zelle wieder zur ursprünglichen Grösse gestreckt hat.
Andere Experimente haben gelehrt, dass der im Innern der Pflanzen-
zelle eingeschlossene Saft unter einem nicht unerheblichen, oft mehrere
Atmosphären beti-agenden Druck steht. Derselbe bewirkt den natürlichen
Turgor oder die Turgescenz von Pflanzentheilen. Er wird dadurch her-
vorgerufen, dass im Zellsaft osmotisch sehr wirksame Substanzen ent-
halten sind, wie Salpeter, Pflanzensäuren und ihre Kalisalze, welche auf
Wasser eine kräftige Anziehung ausüben (Pfeffer V. 23, de Vries V. 36).
Somit lässt sich der den Zellsaft umschliessende Protoplasmaschlauch
einer dünnwandigen, sehr dehnbaren Blase vergleichen, die mit einer
concentrirten Salzlösung gefüllt ist. Wird eine solche Blase in reines
Wasser gelegt, so muss die Salzlösung Wasser anziehen und so einen
Strom hervorrufen, der zur Folge hat, dass die Blase unter dem steigen-
den Druck ihres sich durch Anziehung vergrössernden Inhalts anschwillt
und ihre Wand immer mehr verdünnt wird. Die Dehnung der Blase
findet erst ihr Ende, wenn äussere und innere Flüssigkeit sich in
osmotischem Gleichgewicht befinden. So müsste auch der Protoplasma-
schlauch vieler Pflanzenzellen durch den von innen wirkenden Druck
(Turgor) mächtig ausgedehnt werden, wenn dieser Dehnung durch die
weniger nachgiebige' Cellulosemembran keine Schranke gesetzt würde.
Es könnte nun freilich ein Gleichgewichtszustand zwischen Zellsaft
und umgebender Flüssigkeit hergestellt werden, wenn aus der Zelle die
osmotisch wirksamen Stoffe in das Wasser diffundiren würden, wodurch
die Ursache für den inneren Druck entfernt worden wäre. Dies wird
aber ebenfalls durch die Eigenschaften der lebenden Plasmamembran
verhindert. Wie dieselbe darüber entscheidet, ob ein Körper in das
Innere der Zelle gelangt, so besitzt sie auf der andern Seite auch, wie
schon oben erwähnt und an einem Beispiel gezeigt wurde, die wichtige
III. Stoffwechsel und formative Thäti^keit.
115
Eigenschaft, im Zellsaft gelöste Stoffe zurückzuhalten, welche ohne diese
Eigenschaft vom umspülenden Wasser ausgewaschen werden müssteu
(Pfeffer V. 23).
Dass der Zellsaft in der That unter einem höheren Druck steht, bei
Wasserpflanzen zum Beispiel unter einem höheren Druck als das um-
gebende Wasser, davon kann man sich durch einfache Experimente leicht
überzeugen, wie Nägeli (V. 16) angegeben hat. Wenn in einer Spirogyra
eine Zelle durch einen Schnitt geöffnet wird, so dass ihr Inhalt zum
Theil ausfliesst, so werden die Querwände der beiden angrenzenden
Zellen nach dem Hohlraum des verletzten Gliedes vorgewölbt. Der Druck
in den unverletzten Zellen muss daher jetzt grösser sein, als in der an-
geschnittenen Zelle, in welcher der Druck in Folge der Verletzung auf
die Spannung des umgebenden Wassers herabgesunken ist.
3) Die Aufnahme fester Körper.
Zellen, die von keiner besonderen Membran umschlossen sind oder in
ihrer Membran Oeffnungen besitzen, sind auch im Stande, feste Körper
in ihr Protoplasma aufzunehmen und zu verdauen. Rhizopoden fangen
andere kleine, einzellige Organismen ein, die mit ihren im Wasser weit
ausgestreckten Pseudopodien in Berührung kommen (Fig. 10, 60). Die
Ka cv
ev
• M
Fig. 60. Actinosphärium Eichhorni. Nach K. Hertwig, Zoologie Fig. 117.
M Marksubstanz mit Kernen {n). R Rindensubstanz mit contractilen Vacuolen {ev),
Na Nahrungskörper.
Pseudopodien, die den Fremdkörper erfasst haben, legen sich um den-
selben zusammen, verkürzen sich und ziehen ihn so allmählich in die
Hauptmasse des Protoplasma hinein, wo die brauchbaren Substanzen
verdaut werden, während unverdauliche Reste, wie Skeletbildungen etc.
8*
i.
IIQ Fünftes Capitel.
nach einiger Zeit wieder nach Aussen hervorgestossen werden. Auch
feste Substanzen, die keinen Nährwerth besitzen, werden aufgenommen.
Wenn man Karmin- oder Zinnoberkornchen in das Wasser bringt, so
bemächtigen sich die Rhizopoden derselben so gierig, dass nach wenigen
Stunden der ganze Körper von ilmen dicht erfüllt ist.
Infusorien (Fig. 50) fressen Flagellaten, einzellige Algen und Bak-
terien und bringen dieselben durch eine als Zellmund bezeichnete
Oeft'nung in ihrer Cuticula in das Körnerplasma hinein. Hier bildet sich
um jeden Fremdkörper eine mit Flüssigkeit gefüllte Vacuole aus, in
welcher die Verdauung vor sich geht.
In ähnlicher Weise wie einzellige Organismen, fressen auch manche
Gewebszellen der Metazoen feste, ihnen dargebotene Substanzen auf und
verdauen sie.
Die intracellulare Verdauung, wie sie Metschnikoff
(V. 12) genannt hat, ist bei wirbellosen Thieren weit verbreitet und
lässt sich am besten durch Fütterungsversuche mit leicht kenntlichen
Substanzen, Farbstoffkönichen, Milchkügelchen, Pilzsporen etc. feststellen.
Bei einigen Cölenteraten nehmen sowohl Ectoderm- als Entodermzellen
fremde Körper auf. Die Tentakelenden von Actinien können sich mit
Carminkörnchen beladen. Solche findet man auch bei Actinienlarven
nach vorgenommener Fütterung im ganzen Entoderm vertheilt.
Die meiste Beachtung aber wegen ihrer Fähigkeit, feste Körper
aufzunehmen und zu verdauen, verdienen die weissen Blutkörperchen,
die Lymphzellen und die Wanderzellen des Mesoderms sowohl bei
Wirbellosen als bei Wirbelthieren. Die wichtige Thatsache ist zuerst
durch Haeckel (V. 4a) festgestellt worden. Als er eine ■Molluske (Tethys)
mit Indigo injicirte, fand er nach kurzer Zeit Indigokörnchen im Innern
von Blutkörperchen auf.
Metschnikoff (V. 12) hat diese Erscheinungen sehr eingehend
weiter untersucht. Bei einer andern Molluskenart, der durchsichtigen
Phyllirhoe, fand er, nachdem pulverisirtes Carmin unter die Haut
gespritzt worden war, die kleinen Körnchen von einzelnen W'anderzellen
gefressen; um grössere Karminklumpen aber hatten sich immer viele
W^anderzellen eingefunden, hüllten dieselben ringsum ein und waren
unter einander zu einem Plasmodium oder einer vielkernigen Piiesen-
zelle verschmolzen.
Von derselben Erscheinung kann man sich auch bei Wirbelthieren
leicht überzeugen, wenn man einem Frosch in den dorsalen Lymphsack
etwas Carmin einspritzt und nach einiger Zeit einen Lymphtropfen ent-
nimmt und mikroskopisch untersucht. Unter dem Mikroskop lässt sich
der Vorgang des Fressens direct verfolgen. \lan muss dann etwas Car-
minpulver oder etwas Milch einem frisch entleerten Tropfen von Lymphe
oder Blut unter Beobachtung einiger Vorsichtsmaassregeln zusetzen.
Handelt es sich um ein Präparat von einem Säugethier oder vom
^Menschen, so muss man dasselbe auf dem heizbaren Objecttisch von
^lax Schnitze vorsichtig bis auf 30 — 35 Grad Celsius erwärmen (V. 43).
Indem jetzt die weissen Blutzellen amöboide Bewegungen auszuführen
beginnen, ergreifen sie mit ihren Scheinfüsschen die Farbstoffkörnchen
oder i\Iilchkügelchen, mit denen sie in Berührung kommen, und ziehen
dieselben in ihren Körper hinein. Sie sind daher von Metschnikoff als
Phagocyten, und der ganze Vorgang ist von ihm als Phagocytose
bezeichnet worden.
Die Fähigkeit der amöboiden Elemente des thierischen
III. Stoffwechsel und formative Thätigkeit.
117
Körpers, feste Substanzen aufzunehmen, ist von einer
sehr hohen physiologischen Bedeutung; denn hierin be-
sitzt der Organismus ein Mittel, um aus seinen Geweben
ihm fremdartige und schädliche, geformte Theile zu ent-
fernen. Es giebt besonders drei verschiedene, theils normale, theils
pathologische Zustände des Körpers, in welchen die Phagocyten ihre
Thätigkeit entfalten.
Erstens kommt es im Laufe der Entwicklung bei vielen Wirbellosen
und auch bei Wirbelthieren vor, dass einzelne Larvenorgane ihre Bedeu-
tung verlieren und unter Verfettung zu Grunde gehen. So
schwinden einzelne Theile bei der Metamorphose der Echinodermen-
larven und der Nemertioen; so wandelt sich die Kaulquappe in den
jungen Frosch um, indem sie ihren ansehnlich entwickelten Ruderschwanz
verliert. In allen diesen Fällen erleiden die Zellen in den zur Rück-
bildung bestimmten Organen eine fettige Metamorphose, sterben ab und
zerfallen. Währenddem haben sich in der Nachbarschaft schon reichlich
Wanderzellen oder Phagocyten eingefunden, welche die Gewel)strümmer
zu verschlingen
und zu verdauen anfangen, wie man bei durchsichtigen
kann.
Meerthiereu während des Lebens genau verfolgen
Zweitens besorgen die Phagocyten, ähnlich
wie in den normalen Vorgängen der Entwick-
lung, auch die Resorption abgestorbener und
in Zerfall befindlicher Theile, überall wo solche
aus normalen oder pathologischen Ursachen im
Körper entstehen. Rothe Blutkörperchen zer-
fallen, wenn sie eine Zeitlang im Blutstrom ge-
kreist haben. Im Milzblut hat man ihre Trüm-
mer im Körper von weissen Blutkörperchen
aufgefunden, die auch hier ihre Aufgabe, das
Abgestorbene zu entfernen, erfüllen. Wenn in
Fofge einer Verletzung sich ein Bluterguss in
das Gewebe bildet, und Tausende von Blut-
körperchen und Elementartheilen zu Grunde
gehen, dann machen sich auch wieder die Wan-
derzellen an die Arbeit und vermitteln die
Resorption und Heilung.
Drittens endlich bilden die Pha-
gocyten bei In fectionsk rankheiten
eine Schutztruppe des Körpers, um
der Verbreitung von Mikroorganis-
men im Blut und in den Geweben
entgegenzuwirken.
Es ist ein grosses Verdienst von Metschni-
koff, auf diesen Gegenstand die Aufmerksamkeit
gelenkt zu haben (V. 13—15, IV. 22). Es
gelang ihm, zu zeigen, dass bei Erysipel die
Coccen, bei Rückfalltyphus die Spirillen,
Milzbrand die Bacillen von Wanderzellen
fressen und dadurch unschädlich gemacht
werden (Fig. 61). Die gefressenen Mikro-
organismen, "deren Zahl in einer Zelle oft 10—20 betragen kann, zeigen
nach einiger Zeit deutlich erkennbare Spuren der Auflösung. Be-
finden sich die Mikroorganismen im Blut, so findet ihre Vernichtung
bei
ge-
Fig. 61. Ein Leuko-
cyt des Frosches, in dem
ein Bakterium einge-
schlossen ist und vei'-
daut wird. Das Bak-
terium durch Vesuvin
gefärbt. Die beiden Fi-
gui'en repräsentireu zwei
Stadien der Bewegung ein
und derselben Zelle. Nach
Metschnikoff Fie:. 54.
118 Fünftes Capitel.
vorzugsweise in der Milz, der Leber und in dem rothen Knochenmark
statt. Ist ihre Ansiedelung an einer Stelle im Gewebe erfolgt, so sucht
sich der Körper der Eindringlinge dadurch zu entledigen, dass in Folge
der reactiven Entzündung zahlreiche Wanderzellen auf dem Platz
erscheinen.
Zwischen Mikroorganismen und Phagocyten wird, wie
sich Metschnikoff ausdrückt, ein lebhafter Kampf geführt,
welcher zu Gunsten der einen oder anderen Partei ent-
schieden wird, und je nachdem die Heilung oder den Tod
des von der Infection betroffenen Thieres herbeiführt.
Die Fähigkeit der Wanderzellen, bestimmte Arten von Mikro-
organismen zu vernichten, scheint bei einzelnen Thieren eine sehr ver-
schiedene zu sein und auch sonst noch von den verschiedensten Bedin-
gungen al)zuhängen; so spielen namentlich die chemischen Reizwirkungen
eine Piolle, welche schon auf Seite 99 besprochen worden sind.
(Negativer und positiver Chemotropismus. Hertwig IV. 13). Hiermit
scheint ferner die grössere oder geringere Immunität der Organismen
gegen manche Infectionskrankheiten in Beziehung zu stehen. Hier ist
ein Gebiet gegeben, auf welchem sich eine weite Perspective für das
Verständniss und die Heilung der Infectionskrankheiten eröffnet.
II. Die Stoff Umsetzung und die foruiatlTe Tliätiglteit der Zelle.
Die Gase, die flüssigen und die festen Substanzen, die in das
Protoplasma durch Athmung und Ernährung aufgenommen werden, bilden
das sehr verschiedenartige Rohmaterial, das in der chemischen Werkstatt
der Zelle verarbeitet und in ausserordentlich zahlreiche Stoffe umgesetzt
wird. Von diesen sind für Pflanze und Thier die wichtigsten: die
Kohlenhydrate, Fette, Albuminate und die verschiedenartigsten Umbildungs-
producte derselben.
Ihre Verwendung im Lebensprocess der Zelle ist gleichfalls eine sehr
mannigfaltige. Theils dienen sie zum Ersatz der beim Lebensprocess
sich zerstörenden Zellstoffe; sie sind das Material, welches beim Athmungs-
process durch den Sauerstoff verbrennt und die lebendigen Kräfte für
die Arbeitsleistungen der Zelle liefert. Theils dienen sie zuni Wachsthum
und zur Vermehrung des Protoplasma, was für die Function der Fort-
pflanzung unentbehrlich ist. Theils werden die im chemischen Laboratorium
neugebildeten Stoffe in irgend einer Form im Zellkörper für spätere
Verwendung abgelagert, sie stellen also Reservestoffe dar. Endlich können
sie in- oder ausserhalb der Zelle zur Erfüllung einer bestimmten Function
im Zellenleben ausgeschieden werden.
So entstehen die namentlich im Thierreich sehr zahlreichen Stoffe,
auf denen die gew^bliche Differenzirung beruht : Drüsensecrete, die nach
aussen entleert werden, Membranen und Intercellularsubstanzen von
chemisch sehr verschiedener Zusammensetzung, Muskel- und Nerven-
tibrillen, die vermöge ihrer eigenartigen Organisation in besonderer
Weise mit Contractilität und Reizleitung begabt sind. In letzterem
Falle nimmt die chemische Arbeit der Zelle einen Charakter an, welchen
Max Schnitze als ihre formative Thätigkeit bezeichnet hat. Das
Protoplasma benutzt das ihm zugeführte Rohmaterial, um
aus i h m 0 f t wunderbar z u s a m m e n g e s e t z t e S t r u et u r e n her-
zustellen, die ihm zu besonderen Arbeitszwecken dienen
ni. Stoffwechsel und formative Thätigkeit. 119
sollen. lu dieser Thätigkeit erscheint uns die Zelle
gewisse rmaassen als ein thätig er Baumeister, oder wie
sich Haeckel (V. 4b) ausdrückt, als eine Plastide, als eine
Bildnerin.
Die formative Thätigkeit der Zelle, oder besser gesagt, die Fähig-
keit vom Protoplasmakörper diflferente Structuren zu erzeugen, ist von
ausserordentlicher Bedeutung. Denn nur vermöge derselben kommt die
reiche Vielgestaltigkeit der Elementartheile zu Stande, durch welche
namentlich der Thierkörper seine hohö Vollendung erreicht; nur auf
dieser Grundlage ist die ausserordentlich weit gediehene Arbeitstheilung
der Zellen und die dadurch bedingte grössere Leistungsfähigkeit der
Zellengemeinschaften herbeigeführt worden.
Das Capitel von der Stoffumsetzung der Zelle bietet also der
Untersuchung zwei verschiedene Seiten dar, erstens eine chemische Seite,
insofern es sich um die Entstehung der zahllosen, durch Vermittlung des
Protoplasmas gebildeten Sul)stanzen handelt, und zweitens eine mehr
morphologische Seite, insofern im Protoplasma die von ihm differenten
Substanzen dem Auge sichtbar zu machen sind, eine besondere Lage
einnehmen, eine bestimmte Form und Structur besitzen und besonderen
Entwicklungsgesetzen unterworfen sind.
Es ist eine Hauptaufgabe der biologischen Chemie der
Zukunft, die einzelnen im Zellkörper vertheilten Stoffe
der morphologischen Untersuchung durch Herstellung
charakteristischer Farbstoffverbindungen zugänglich zu
mache n.
1) Zur Chemie des Stoffumsatzes.
Die chemischen Vorgänge in den Zellen, die zum grössten Theil
noch in ein tiefes Dunkel gehüllt sind, können uns hier nur insoweit
beschäftigen, als es sich um einige fundamentale Fragen handelt. Eine
solche ist die Frage nach der Synthese der Kohlenhydrate, der Fette
und Eiweisssubstanzen aus einfacheren Elementarstoffen.
Es besteht ein anscheinend tiefgreifender Gegensatz zwischen der
chemischen Arbeit im Pflanzenreich und im Thierreich. Nur das mit
Chlorophyll versehene Protoplasma der Pflanzenzellen besitzt die Fähig-
keit, aus Kohlensäure und Wasser hochmoleculare, ternäre Verbindungen
herzustellen-, das nicht chlorophyllhaltige Protoplasma der Thiere und
einzelner farbloser Pflanzentheile kann nur mit diesem Ausgangsmaterial
weitere Synthesen vornehmen und unter diesen auch quaternäre Ver-
bindungen liefern.
Welche chemischen Vorgänge sich im grünen Protoplasma unter
Benutzung der lebendigen Kraft der Sonne unter Aufnahme von Kohlen-
säure und Wasser und unter Abspaltung von Sauerstoff abspielen, ist
noch nicht zu beantworten. Das erste sichtbare Product der Assimilation
ist die Stärke, eine Vorstufe derselben vielleicht Zucker. Dass dieser
oder iene durch eine directe Synthese von Kohlenstoff und Wasser ent-
steht, "ist kaum anzunehmen ; wahrscheinlich bilden sich beim complicirten
Process mannigfache Zwischenproducte. „Es ist sogar nicht unmöglich,"
wie Sachs (IV. 32a) bemerkt, „dass gewisse nähere Bestandtheile des
grünen Plasmas selbst sich an dem Vorgang betheiligen, dass z. B. dabei
Spaltungen und Substitutionen in den Molekülen des grünen Protoplasmas
stattfinden. Diese Möglichkeit erhält einige Wahrscheinlichkeit durch
die Wahrnehnmng, dass in vielen (nicht allen) Fällen die Chlorophyll-
120 Fünftes Capitel.
Substanz, während die Stärkekörner in derselben wachsen, nach und nacli
immer mehr an Masse abnimmt, endlich ganz verschwindet."
Die vermöge der Chlorophyllfunction im Pflanzenkörper gewonnenen
Kohlenhydrate (Stärke) bilden das Material, durch dessen Umsetzung im
Protoplasma die fetten Oele der Pflanzen entstehen. Die ternären stick-
stofl'frcien , organischen Verbindungen geben ferner wieder die Grund-
lage für die Synthese von quaternären Eiweisssulistanzen ab und tragen
so zur Ergänzung unrl Vermehrung des Protoplasma selbst bei. Doch
müssen bei diesen Synthesei*. noch salpetersaure und schwefelsaure
Salze hinzukommen, welche von den Pflanzen mit ihren Wurzeln aus
dem Boden aufgenommen werden.
Dass aus solchen Mitteln Proteinsubstanzen durch die lebende Zelle
gebildet werden können, hat Pasteur experimentell sichergestellt , indem
er niedere Spaltpilze wie Mycoderma aceti, Hefe etc. in künstlich zu-
sammengestellten Nährlösungen cultivirte. So kann Mycoderma aceti
sich auch im Dunkeln lebhaft vermehren, wenn nur wenige Zellen in
eine Nährlösung gebracht werden, zusammengesetzt aus entsprechend
verdünntem Alkohol oder Essigsäure, einem Ammoniaksalz, Phosphor-
säure, Pottasche, Magnesia, Wasser. Durch chemische Zersetzung dieser
Stoffe müssen die Pilzzellen, wenn sie sich auf ein Vielfaches vermehrt
haben, ausser Cellulose und Fetten, auch Proteinstoife gebildet haben.
Indem vermöge ihrer Chlorophyllfunktion die Pflanze Kohlenhydrate
erzeugt und diese wieder in Fette und Eiweisssubstanzen umsetzt,
liefert sie die ternären und quaternären Verbindungen, welche der
thierische Organismus zu seiner Ernährung bedarf und die er selbst sich
nicht mit den einfachen Mitteln, wie die Pflanzen, zu bereiten vermag.
Zwischen Pfanzen- und Thierrei ch besteht in Folge dessen
ein Kreislauf des Lebens, in welchem beide eine gegensätzliche
Stellung zu einander einnehmen und sich ergänzen. Der Gegensatz
lässt sich in folgender Weise formuliren:
In der grünen Pflanzenzelle wird aus Kohlensäure
und Wasser durch Synthese organische Substanz erzeugt
und die lebendige Kraft, die ihr im Sonnenlicht zugeführt
wird, in Spannkraft umgewandelt; die thierische Zelle
dagegen benutzt als Nahrungsmaterial die im Pflanzen-
reich erzeugten ternären und quaternären Verbindung en
und verbrennt sie zum grossen Theil durch Oxydation;
sie wandelt die in den h ochmolecularen Verbindungen
angesammelten Spannkräfte wieder in lebendige Kraft
um, indem sie Arbeit verrichtet und Wärme erzeugt. Die
Pflanze nimmt während ihrer Chlorophyllfunction Kohlensäure auf und
spaltet aus ihr Sauerstoff ab; das Thier athmet Sauerstoff" ein und Kohlen-
säure wieder aus. Bei der Pflanze herrschen in den chemischen Pro-
cessen die Reduction und Synthese, beim Thier die Oxydation, Ver-
brennung und Analyse vor.
Aus dem Gegensatz, welcher im Haushalt der Natur zwischen
Pflanzenreich und Thierreich besteht, darf man nun aber nicht auf einen
vollkommenen Gegensatz in den allgemeinen Lebenserscheinungen zwischen
pflanzlicher und thierischer Zelle schliessen. Ein solcher existirt nicht.
Tiefere Forschung deckt überall die Einheit in den fundamentalen
Lebensprocessen der ganzen Organismenwelt auf. Der oben betonte
Gegensatz rührt ja einfach nur daher , dass die Pflanzenzelle eine
besondere, der thierischen Zelle fehlende Function, die Kohlensäure mit
III. Stoffwechsel und formative Tliätigkeit. 121
Hülfe ihres Chlorophylls zu zersetzen, ausgebildet hat. Von dieser
Chlorophyllfunetion abgesehen, spielen sich viele für das
Leben fundamentalen Stoff wechsel-Processe hier wie
dort in übereinstimmender Weise im Protoplasma ab.
Bei Pflanzen wie Thieren muss das Protoplasma, um den Lebens-
process zu unterhalten, athmen, Sauerstoff aufnehmen, Wärme erzeugen,
Kohlensäure aligeben. Hier wie dort geht Zerstörung und Neubildung
von Protoplasma neben einander her, greifen Processe chemischer
Analyse und Synthese in complicirter Weise ineinander.
Noch klarer wird das Verhältniss, wenn man berücksichtigt, dass in
der Pflanze ein grosser Theil der Zellen, nämlich alle,
welche d es Chlorophylls entbehren, sich in einer ähnlichen
Lage wie die thierischen Zellen befinden; auch diese müssen,
da sie nicht assimiliren können, das Material zur Erhaltung des Lebens-
processes und zum Wachsthum und zur Vermehrung ihrer Substanz von
den grünen Zellen beziehen. Derselbe Gegensatz , der im Haushalt
der Natur zwischen Thier und Pflanze besteht, herrscht also in
der Pflanze selbst zwischen den farblosen und den chlorophyllhaltisen
Zellen.
In treffender Weise hat Claude Bernard (IV. la) das Verhältniss
in folgenden Worten kurz zusammengefasst :
„Wenn in der Sprechweise der Mechaniker die Lebensphänomene,
Neubildung und Zerstörung organischer Substanz, dem Heben und dem
Fallen eines Gewichts verglichen werden können, dann werden wir sagen,
dass Hebung und Fall sich in jeder lebenden Zelle vollziehen, sowohl in
der thierischen als der pflanzlichen, aber mit dem Unterschied, dass das
thierische Element sein Gewicht schon auf ein gewisses Niveau gehoben
vorfindet und es daher weniger zu heben braucht, als es darauf wieder
herabfällt. Das Umgekehrte findet bei der grünen Pflanzenzelle statt.
Mit einem Wort, des deux versants, celui de la descente est preponderant
chez Tanimal; celui de la montee chez le v^getal" (Claude Bernard
IV. la, Bd. n Seite 514).
Nachdem so die Bedeutung der Chlorophyllfunetion in das rechte
Licht gesetzt ist, sei noch auf wichtige Uebereinstimmungen hingewiesen,
welche in dem Chemismus des Stoffwechsels zwischen thierischer und
pflanzlicher Zelle liestehen.
Hier sei zunächst noch hervorgehoben, dass eine sehr grosse Anzahl
von Stoffen der progressiven und regressiven Metamorphose dem Thier-
und Pflanzenreich gemeinsam sind.
Aehnlich scheinen ferner die Mittel zu sein, mit denen sich einige
sehr wichtige Processe in der thierischen und pflanzlichen Zelle voll-
ziehen. Kohlenhydrate, Fette und Eiweissstoffe sind nicht in jedem
Zustand geeignet, um im Laboratorium der Zelle direct verbraucht und
in andere chemische Verbindungen übergeführt zu werden. Eine Vor-
bedingung ist, dass sie in eine lösliche und leicht diftundirende Modi-
flcation umgewandelt werden. Dies geschieht zum Beispiel, wenn Stärke
und Glycogen sich in Traubenzucker, Dextrose und Lävulose umsetzen,
oder wenn Fette in Glycerin und Fettsäuren zerspalten, oder wenn Eiweiss-
stoffe peptonisirt werden.
Sachs (IV. 32a) bezeichnet die oben genannten Modifica-
tionen der Kohlenhydrate, Fette und Eiweissstoffe als
i b r e n a c t i V e n Z u s t a n d i m G e g e n s a t z z u m p a SS i V e n Z u s t a n d ,
in welchem sie sich als feste Reservestoffe (Stärke, Oele,
122 Fünftes Capitel.
Fette, Eiweisskrystalle, in den Zellen angesammelt finden
oder vom Thier als Nahm nu aufgenommen werden. Nur
im activen Zustand können die plastischen Stoffe die verschiedenartigen
Wanderungen, sowohl im pHanzlichen als auch im thierischen Körper
vollziehen, durch welche sie nach den Orten ihrer vorübergehenden
Aufbewahrung oder ihres jeweiligen Verl)rauches gelangen.
Die Stärke zum Beispiel, die sich in unterirdischen Theilen, wie
den Knollen, oder in den Samen ansammelt, ist an diesen Stellen nicht
assimilirt worden. Ihre Ursprungsorte sind die assimilirenden, grünen
Zellen . Von diesen sind sie durch Vermittelung aller dazwischenliegenden
Zellgebilde oft auf weite Strecken nach den Knollen oder Samen hin-
transportirt worden. Da nun Stärkekörnchen die Zellhäute nicht passiren
können, kann die Stoff Wanderung nur im gelösten Zustand
(Zucker) stattfinden, worauf am Ort der Aufbewahrung wieder die Rück-
bildung in die unlösliche Mo dification (Stärke) erfolgt. Wenn
dann in der Knolle oder im Samen sich der Keim entwickelt, werden
die passiven Reservestoffe von Neuem reactivirt und müssen im activen
Zustand von Neuem eine Wanderung nach den Verbrauchsorten,
den Zellen des sich entwickelnden Keims, durchmachen. Ebenso müssen
beim Thiere die Kohlenhydrate, Fette und Eiweissstoffe, die als Nahrung
in den Körper gelangen, löslich gemacht werden, damit sie an die
Orte ihres Verbrauchs gelangen können, oder es müssen die zur Reserve
im Fettgewebe abgelagerten Fette, wenn sie irgendwo im Körper zum
Verbrauch dienen sollen, reactivirt werden.
In der thierischen und pflanzlichen Zelle scheint nun
die so wichtige U e b e r f ü h r u n g der Kohlenhydrate, Fette
und Eiwei sssubstanzen aus dem passiven in den activen
Zustand in durchaus entsprechender Weise vor sich zu
gehen durch Vermittelung sehr ei genthümlicher, che-
mischer Körper, die man als Fermente bezeichnet. Dieselben
sind den Eiweisskörpern verwandt und wohl durch Umwandlung aus
denselben entstanden; sie finden sich in der Zelle in sehr geringen
Quantitäten, bringen aber trotzdem eine intensive chemische Wirkung
hervor und leiten chemische Processe ein, liei denen sie selbst nicht
wesentlich verändert werden. Die Fermentwirkung ist ein für die
Chemie der Zelle ausserordentlich charakteristischer Vorgang. Es giebt
Fermente für die Umwandlung der K ohlenhydrate, Fer-
mente für die Umwandlung der Eiweissstoffe, Fermente
für die Fett um Setzung.
Ueberall, wo in den Pflanzen Stärke löslich gemacht wird, geschieht
es durch ein Ferment, die Diastase, welche sich aus keimenden
Samen leicht gewinnen lässt. Ihre Wirksamkeit ist so gross, dass etwa
1 Gewichtstheil Diastase 2000 Gewichtstheile Stärke in kurzer Zeit in
Zucker umwandeln kann. Ein anderes auf Kohlenhydrate wirkendes
Ferment, das Invertin, kommt in Spalt- und Schimmelpilzen vor und
spaltet Rohrzucker in Dextrose und Lävulose.
Der pflanzlichen Diastase entspricht beim Thier das Speichel-
ferment (Ptyalin), welches Stärke in Dextrin und Traubenzucker
verwandelt. Ebenso wird das nicht diffundirende Glycogen, welches man
seiner Eigenschaft nach als thieriscbes Amylum bezeichnet hat, überall
wo es vorkommt (Leber, Muskeln), durch ein saccharificirendes Ferment
in Zucker umgesetzt, wenn es weitere Verwendung finden soll.
E i w e i s s k ö r p e r werden, um weiter v e r w e r t h b a r zu
III. Stoffwechsel und formative Thätigkeit. 123
sein, peptonisirt Im thierischen Körper geschieht dies haupt-
sächlich durch ein Ferment, das Pepsin, welches von den Zellen der
Magensaftdrüsen geliefert wird. Eine geringe Menge von Pepsin löst
bei Gegenwart von freier Salzsäure im Magen so gut wie liei Versuchen
im Reagensröhrchen beträchtliche Mengen von geronnenem Eiweiss auf
und vei'setzt es in einen Zustand , in welchem es durch Membranen
hindurch diffundiren kann.
Auch in Pflanzenzellen sind peptonisirende Fermente nachgewiesen
worden. Ein solches wird zum Beispiel von den fleischfressenden
Pflanzen an den Organen, welche zum Einfangen von Insekten eingerichtet
sind, als ein Verdauungssaft ausgeschieden, wie von den Drüsenhaaren
der zusammenklappenden Blätter von Drosera; es werden auf
diese Weise die kleinen Thierleichen zum Theil in Lösung übergeführt
und von den Pflanzenzellen aufgenommen. Ein pepsinartiges Ferment hat
sich auch in Keimpflanzen nachweisen lassen, wo es zur Peptonisirung
der als Reservestoffe im Samen aufgespeicherten Proteinkörper dient.
Bekannt wegen seiner energischen Wirkung ist das peptonisirende
Ferment aus dem Milchsaft von Carica papaya und anderen Carica-
arten. Ein solches ist endlich auch im Körper der Myxomyceten durch
Kmkenberg entdeckt worden.
Bei der chemischen Umsetzung der Fette findet im thie-
rischen Körper eine Zerspaltung derselben in Glycerin und
Fettsäuren statt. Eine solche Wirkung übt namentlich der Bauch-
speichel aus; Claude Bernard hat dieselbe auf ein vom Pankreas ausge-
schiedenes, fettspaltendes Ferment zurückzuführen versucht Auch
bei der Keimung fetthaltiger Pflanzensamen soll eine Zerspaltung des
Oels in Glycerin und Fettsäure durch Vermittelung von Fermenten er-
folgen (Schützenberger).
Schon aus diesen wenigen Thatsachen lässt sich erkennen, dass auch
der Stoffumsatz in der Zelle, so wenig bekannt uns derselbe zur Zeit
noch ist, doch in wichtigen Zügen eine weitgehende Uebereinstimmung
im gesammten Organismenreich zeigt.
Einer der dunkelsten Punkte beim Stoffumsatz in derZelle
ist die Rolle, welche das Protoplasma dabei spielt.
Namentlich gilt dies für alle Vorgänge, welche oben als der formativen
Thätigkeit der Zelle angehörig bezeichnet wurden. In welchem Ver-
hältniss stehen zum Protoplasma die organisirten Producte desselben,
wie die Membran, die Intercellularsubstanzen und so weiter?
Zwei ganz entgegengesetzte Ansichten finden hier in
der Thier- und Pflanzenbiologie Vertretung. Nach der einen Ansicht
entstehen die organisirten Substanzen durch Umwandlung
des Protoplasma selbst, also durch chemische Umsetzungen oder
Abspaltungen von Protoplasmamolekülen; nach der andern Ansicht dagegen
bilden sie sich aus plastischen Stoffen, Kohlenhydraten,
Fetten, peptonisirten Proteinstoffen etc., welche in das Proto-
plasma beim Stoffwechsel aufgenommen, an die Verbrauchsstelle geschafft
und in einem organisirten Zustande zur Abscheidung gebracht werden.
Am besten lässt sich der Gegensatz an einem Beispiel klar machen,
als welches ich die Bildung der C e 1 1 u 1 o s e ra e m b r a n der Pflanzen-
zellen wählen will.
Nach einer Hypothese , welche unter anderem besonders von Stras-
burger (V. 31—33) vertreten wird, verwandelt sich das mikrosomen-
124 Fünftes Capitel.
lialtige Protoplasma direct in Celliiloselanielleir, die Cellulose geht als
feste, organisirte Substanz iinniittelbar aus dem Protoplasma hervor.
Nach einer anderen Hypothese sind stickstofffreie, plastische Stoffe,
Glycose, Dextrin oder irgend ein anderes lösliches Kohlenhydrat das
Material zur Bildung der Zellhaut. Dasselbe wird vom Protoplasma an
die Verbrauchsstelle geschafft und hier in die unlösliche Modification, die
Cellulose, umgewandelt. Da dieselbe bei ihrer Entstehung eine bestimmte
Structur erhält, wird auch bei dieser Bildungsweise das Protoplasma
in einer uns unbekannten Weise mitwirken müssen, was man mit dem
Schlagwort „formative Thätigkeit" ausdrückt.
Nach der ersten Hypothese kann man die Cellulosehaut kurzweg
als ein Um wandlungsproduct des Protoplasma, nach der
zweiten als ein Abscheidungsproduct desselben bezeichnen.
Derselbe entgegengesetzte Standpunkt tritt uns bei der Frage der
Bildung der Chitinhäute, der Knorpel- und Knochengrundsubstanz, der
leimgebenden und gallertigen Substanz entgegen; er spielt sogar mehr
oder minder in alle Auffassungen vom Stoffwechsel der Zelle hinein.
Claude Bernard (IV. la) hat dies Verhältniss mit den Worten
charakterisirt: „Vom physiologischen Standpunkt Hesse es sich vorstellen,
dass im Organismus nur eine Synthese, die von Protoplasma, stattfindet,
welches wachsen und sich entwickeln würde vermittelst aufgenommener
Stoffe. Von diesem complicirten Körper, dem complicirtesten aller orga-
nisirten Körper, würden sich dann durch weitere Spaltung alle zusammen-
gesetzten ternären und quaternären Verbindungen herleiten, deren Auf-
treten wir für gewöhnlich einer directen Synthese zuschreiben." So
musste auch Sachs bei der Assimilation der Stärke die Möglichkeit offen
lassen , welche er aber für weniger wahrscheinlich hält, dass bei diesem
chemischen Process „Spaltungen und Substitutionen in den Molekülen des
grünen Protoplasmas stattfinden".
Aus diesen Aeusserungen wird die Schwierigkeit der ganzen Frage
erhellen, soweit es die in Betracht kommenden chemischen Processe
betrifft.
Wenn es gestattet ist, aus analogen Verhältnissen Schlüsse zu ziehen,
so muss ich der zweiten Hypothese, nacli welcher das Protoplasma mehr
indirect bei der Bildung der meisten Intercellularsubstanzen betheiligt
ist, entschieden den Vorzug geben. Denn wenn manche Organismen sich
eine Membran aus Kieselsäure oder aus kohlensaurem Kalk bilden, so
macht schon die Natur dieses Materiales den Schluss unabweisbar, dass
dasselbe nicht als feste organisirte Substanz unmittelbar aus dem Proto-
plasma hei'vorgegangen sein kann. Hier kann letzteres seiner ganzen
chemischen Zusammensetzung nach nur eine vermittelnde Rolle gespielt
haben, indem es die Stoffe aus der Umgebung ausgewählt, aufgenommen,
an den Verbrauchsorten angehäuft und in bestimmter Form als feste
Verbindung und wohl stets an ein organisches Substrat gebunden ab-
gelagert hat.
Eine solche Vorstellung scheint mir auch für die Entstehung der
Cellulosemembranen näher zu liegen , wenn man die leichte Um-
wandlungsfähigkeit der verschiedenen Kohlenhydrate in einander berück-
sichtigt, auf der andern Seite den complicirten chemischen Process in
Betracht zieht, der jedenfalls bei Umwandlung von Protoplasma in
Cellulose stattfinden müsste. Und sell)St die Intercellularsubstanzen,
die dem Protoplasma chemisch nahe stehen, wie Chondrin, Glutin etc.,
könnten unter dasselbe Bildungsgesetz fallen. Denn ausser den orga-
in.' Stoffwechsel und formative Thätigkeit. 125
nisirten Proteinstoifen, Protoplasma und Kernsubstanz, kommen in jeder
Zelle auch zahlreiche, unorganisirte Proteinstoffe als Bildungsmaterial
meist in gelöstem Zustande vor, wie im Zellsaft der Pflanzenzellen, im
Saft der Kerne, in Blut und Lymphe der Thiere. Anstatt dass bei der
Entstehung stickstoff'haltiger Intercellularsubstanzen das Protoplasma der
Zelle selbst direct angegritfen und aufgebraucht wird, könnten auch hier
die unorganisirten Proteinstoffe bei der formativen Thätigkeit der Zelle
in Verwendung kommen in derselben Weise, wie es oben fiir die
Bildung der Cellulosemembran angenommen wurde.
In welcher Weise bei diesen Processen das Protoplasma die ver-
mittelnde Rolle spielt, von der oben gesprochen wurde, entzieht sich zur
Zeit, wie die Mehrzahl der biochemischen Vorgänge, unserer Kenntniss-
nahme. Die vermittelnde Rolle des Protoplasma könnte
aber vielleicht darin bestehen, dass mit gewissen Stoff-
theilchen desselben (Plassonie. Wiesner. V. 39) sich andere
in Nährlösungen befindliche Sto fftheilch en durch Mole-
cularaddition verbinden und dadurch zu einem organisirten
IProduct umgewandelt werden. So würden sich lösliche Kiesel-
verbindungen mit organischen Substanzmolekülen zu einem Kieselskelet
vereinigen ; so würden sich Cellulosetheilchen aus lösliehen Kohlenhydraten
unter dem Einfluss von Substanztheilchen des Protoplasma l)ilden, sich
mit letzteren molecular verbinden (wahrscheinlich dauernd, vielleicht
aber auch nur vorübergehend) und so zu einer Zellhaut organisirt werden.
Mit dieser Vorstellung lässt sich sehr gut die Beobachtung vereinbaren,
dass an manchen Objecten frisch gebildete Celluloseschichten und das
angrenzende Protoplasma continuirlich in einander übergehen.
2) Zur Morphologie des Stoffumsatzes. Die formative Thätigkeit
der Zelle.
Die Substanzen, die beim Stoffwechsel der Zellen gebildet werden,
fallen in das Bereich der morphologischen Untersuchung, soweit sie vom
Protoplasma optisch unterscheidbar werden. Sie können in geformtem
oder ungeformtem Zustand entweder im Innern des Protoplasmas selbst
oder auf seiner Oberfläche zur Abscheidung kommen; je nachdem
werden sie als innere oder äussere Plasmaproducte unterschieden. Doch
ist, wie so oft bei biologischen Eintheilungen, nicht immer eine scharfe
Grenze zwischen beiden Gruppen zu ziehen.
a) Die inneren Plasmaproducte.
In Wasser gelöste Sul)stanzen können sich in grösseren und
kleineren Tropfen im Protoplasma abscheiden und dadurch Höhlungen
oder Vacuolen hervorrufen. Sie spielen namentlich in der Morphologie
der Pflanzen eine grosse Rolle. Wie schon früher im Einzelnen genauer
beschrieben (Seite" 28), kann sich eine Pflanzenzelle (Fig. 62) durch
Saftabscheidung in sehr kurzer Zeit um mehr als das lOOfache ver-
grössern. Auf der suramirten Wirkung zahlreicher, derartiger Zellen
beruht das beträchtliche Wachsthum, welches im Frühjahr die einzelnen
Pflanzenorgane zeigen.
Der Gehalt an fester Substanz kann in einem sehr wasserreichen
Pflanzentheil schliesslich nur 5 "/o oder sogar nur 2 ^lo betragen.
Der Zellsaft ist nun aber nicht bloss Wasser, sondern eine sehr
126
Fünftes Capitel.
zusammengesetzte Nährlösung, in welclier Pflanzensäuren und ihre Salze,
Salpeter- und phosphorsaure Salze, Zucker, in geringer Menge auch
gelöste Proteinstoffe etc. enthalten sind. Zwischen Frotoplasma und
Saft wird dalier ein beständiger Stoffwechsel stattfinden, indem jener
bald Substanzen zum Verbrauch aus dieser Quelle bezieht, bald andere
Substanzen wieder an dieselbe abgiebt. Indem der Saft eine concentrirte
Lösung osmotisch wirksamer Substanzen darstellt, übt er auf Wasser
eine kräftig anziehende Wirkung und auf die ihn umgebenden Hüllen
einen oft bedeutenden inneren Druck aus, so dass sie in einem prallen
Zustand, der schon früher (Seite 114) als Turgor besprochen wurde,
erhalten werden.
C B
Fig. 62. Parenehymzellen aus der mittleren Schicht der Wurzelrinde
von Pritillaria imperialis ; Längsschnitte, nach 550maliger Vergrösserung.
Nach Sachs (II 33) Fig. 75. A dicht über der Wurzelspitze liegende, sehr junge
Zellen, noch ohne Zellsaft; B die gleichnamigen Zellen etwa 2 Millimeter über der
Wurzelspitze, der Zellsaft s bildet im Protoplasma p einzelne Tropfen, zwischen denen
Protoplasmawände liegen; C die gleichnamigen Zellen etwa 7 — 8 Millimeter über der
Wurzelspitze; die beiden Zellen rechts unten sind von der Vorderfläche gesehen, die
grosse Zelle links unten im optischen Durchschnitt gesehen; die Zelle rechts oben
durch den Schnitt geöfl'net; der Zellkern lässt unter dem Einfluss des eindringenden
Wassers eine eigeuthümliche Quellungserscheinung wahrnehmen {x y). k Kern. M Kern-
körper, h Membran.
Manche Botaniker, wie namentlich de Vries (V. 35) und Went,
erblicken in den Vacuolen besondere Zellorgane, die sich nicht zufällig
III. Stoffwechsel und formative Thätigkeit.
127
im Zellkörper neiibilden, sondern nur durch Theilung hervorgebracht
werden können. Schon in den allerjüngsten Pflanzenzellen sind nach
ihrer Annahme ausserordentlich kleine Vacuolen vorhanden, die sich durch
Theilung fortwährend vermehren und bei der Theilung der Zelle auf
die Tochterzellen vertheilt werden. In Folge dessen sollen sich von den
Vacuolen des Meristems die sämmtlichen Vacuolen der ganzen Pflanze
herleiten, was von anderen Forschern indessen in Abrede gestellt wird.
Wie das Protoplasma sich nach Aussen durch eine Hautschicht abgrenzt,
besitzen nach de Vries auch die Vacuolen eine eigene Wand (den Tono-
plasten), welche die Ausscheidung und Anhäufung der im Zellsaft vor-
handenen, gelösten Stoffe regelt.
Ka
cv
R
Na -
n
M
Fig. 63. Actinosphärium Eichhorni. Nach R. Hertwig, Zoologie Fig. 117.
M Marksubstanz mit Kernen (n). R Rindensubstanz mit contractilen Vacuolen [cv),
Na Nahrungskörper.
Vacuolenbildung kommt auch bei niederen Organismen sehr
häufig vor. Bei Actinosphaerium z. B. gewinnt der Protoplasmakörper
in Folge der in ihm vorhandenen, zahlreichen, kleinen und grossen Saft-
blasen ein ganz schaumiges Aussehen.
In geringer und constanter Anzahl vorkommende Vacuolen können,
so namentlich häufig bei Infusorien, eine mit besonderer Contractilität
ausgestattete Wandschicht erhalten und werden dann als contractile
Vacuolen oder Behälter (Seite 69) bezeichnet.
Ansammlung von Saft in besonderen Vacuolen wird endlich, wenn
auch selten, in manchen thieri sehen Zellen angetroffen und zwar
in Organen, die im Körper eine gewisse Stützfunction zu erfüllen haben.
Die Tentakeln mancher Cölenteraten, gewisse Körperanhänge von Anneliden
besitzen in ihrer Axe, ebenso wie die Chorda dorsalis der Wirbel-
thiere, verhältnissmässig grosse, blasige Zellen, die nach Aussen durch
128
Fünftes Capitel.
eine dicke Membran abp;efirenzt sind und im Innern fast nur Zellsaft und
eine sehr geringe Quantität l'rotoplasnia enthalten. Dieses breitet sich
in dünner Schicht unter der Zellmembran aus und schickt hie und da
auch Fäden durch den Saftraum. Der Kern liegt meist in einer dichtem
Ansamndung des Protoplasma entweder in der Wandschicht oder im
Netzweik eingebettet. Auch hier werden wie bei den Pflanzen die festen
Zellwände in Folge osmotisch wirksamer Substanzen des Saftes prall
gespannt sein. Obwohl über die Turgescenz der hier in Frage kommen-
den Organe noch keine experimentellen Untersuclningen vorgenommen
worden sind, lässt es sich doch nur in dieser Weise vorstellen, dass
die Chorda als ein stützender Stab im Körper der Wlrbelthiere Ver-
wendung findet. Indem die zahlreichen, turgescenten, kleinen Chorda-
zellen nach Aussen durch eine feste, elastische Scheide zu einem Organe
verbunden und gegen die Umgebung abgegrenzt sind, werden ihre ein-
zelnen Turgorkräfte sich summiren und durch innern Druck die gemein-
same Scheide in Spannung erhalten.
Saftaufnahme und Saftabscheidung kommen, wie beim Protoplasma,
auch bei der Keinsubstanz vor. In beiden Fällen dienen sie wohl dem
Zweck, den activen Substanzen eine grössere Oberfläche zu verleihen
und sie mit Nährflüssigkeit in directere Beziehung zu setzen.
Während die Bildung von Saftvacuolen in thierischen Zellen selten
ist, kommt es bei ihnen dagegen häufig zur Absonderung von weichen
oder festen Substanzen: von Fett, Glycogen, Schleim, Albuminaten und
festen Gemischen von mehreren Substanzen.
Fett kann sich, wie der Zellsaft in jungen Pflanzenzellen, zuerst in
kleinen Tröpfchen im Protoplasmakörper bilden. Wie dort die Vacuolen,
vergrössern sich später die Tröpfchen, verschmelzen untereinander und
stellen schliesslich einen einzigen grossen Tropfen dar, der den ganzen
Binnenraum der Zelle ausfüllt und nach Aussen von einer dünneren
Protoplasmaschicht mit Kern und einer feinen Zellhaut umschlossen wird.
Glycogen sammelt sich in den Leberzellen
in einzelnen Tropfen an, die bei Zusatz von Jodjod-
kalium eine mahagoniliraune Farbe annehmen und
sich dadurch kenntlich machen lassen.
S c h 1 e i m b i 1 d e n d e Substanz (Mucigen) füllt
den Binnenraum der mit ihrer Bereitung betrauten
Zellen (Fig. 64) oft in solcher Menge an, dass die
Zellen zu Blasen angeschwollen sind oder die Form
eines Bechers angenommen haben. Das Proto-
plasma ist meist an der Basis der Zelle, wo sich
dann auch der Kern befindet, noch etwas reichlicher
vorhanden, umgiebt von hier die mucigene Substanz
mit einer dünnen Hülle und breitet sich auch mit
einzelnen Fäden netzartig in ihr aus. Durch Fär-
bung mit manchen Anilinfarben lässt sich die muci-
gene Substanz vom Protoplasma schärfer unter-
scheiden.
Fig. 64. Beeher-
zelle aus dem Bla-
senepithel von Squa-
tina vulgaris in
Müller'scher Flüs-
sigkeit erhärtet.
Nach List Taf. I,
Fig. 9.
Grössere Festigkeit gewinnen die inneren
Plasmaproducte sehr häufig in den Eizellen,
die sich in der verschiedensten Weise mit Re-
Nach ihrer Form werden dieselben als Dotter-
kügelchen (Fig. 65), Dotterkörner, Dotterplättchen unter-
schieden und stellen meist in chemischer Hinsicht ein Gemisch von
servestoff"en beladen.
III. Stoffweclisel und formative Thätigkeit.
129
Albuminaten und Fetten dar. Je zaldreicher und kleiner und dichter
zusannnenj?edrängt die Dotterelemente sind, um so mehr gewinnt der
riasmakörper ein schaumiges oder netzartiges Wesen.
Fig. 65. Dotterelemente aus dem Ei des Huhns. Nach Balfour.
A Gelber Dotter. B Weisser Dotter.
Manche Plasmaproducte zeigen eine krystallinische Beschaffenheit, wie
die Guaninkry stalle, von denen der Silberglanz in der Haut und
dem Bauchfell der Fische herrührt, oder wie die Pigmentkörnchen
in den Pigmentzellen.
Aehnliche Plasmaproducte wie in thierischen kommen auch in pflanz-
lichen Zellen vor, hier aber gewöhnlich nur in einzelnen besonderen
Organen, die entweder speciell zur Aufspeicherung von Reservestoffen
oder wie die Samen zur Reproduction dienen. Dann finden sich die
Zellen mit Oeltropfen erfüllt (ölige Samen) oder mit Körnern ver-
schiedener Ei Weisssubstanzen ( V i t e 1 1 i n , Kleber, A 1 e u r o n) oder mit
Eiweisskrystalloiden oder mit Stärkekörnern, auf die später noch genauer
einzugehen ist.
Während die bisher besprochenen inneren Plasmaproducte beim
Stoffwechsel vorübergehend angesammelt, dann wieder aufgebraucht
werden und daher sehr veränderliche Bildungen sind, gibt es andere, die
einen höheren Grad von
Organisation erreichen und
eine Theilfunction in der Zelle
dauernd zu erfüllen haben.
Hierher gehören die inneren
S k e 1 e t b i 1 d u n g e n des Proto-
plasmakörpers, die verschiede-
nen Körner, welche in den
Pflanzenzellen mit dem gemein-
samen Namen Trophoplasten
zusammengefasst werden , die
Nessel kapseln der Coelen-
teraten, endlich die Muskel-
fibrillen, Nervenfibril-
len u. s. w.
Innere Skelete finden
sich im Körper vieler Protozoen,
namentlich aber in grosser
Mannichfaltigkeit und Zierlich-
keit der Formen bei den Piadio-
larien. Sie setzen sich bald
aus regelmässig angeordneten
Stäben, bald aus zierlichen, durchbrochenen Gitterkugeln, bald aus beiderlei
Bildungen vereint (Fig. ^^) zusammen. Bei einigen Familien der Piadio-
larien bestehen sie aus einer organischen, in Säuren und Alkalien
Hertwig, Die Zelli> und die Gewebe. 9
Fig. 66. Haliomma erinaeeus. Aus
R. Hertwig, Zoologie Fig. 82.
a äussere, i innere Gitterkugel , ck Cen-
tralkapsel, wh extracapsulärer Weichkörper,
n Binnenbläschen (Kern).
130
Fünftes Capitel.
löslichen Substanz, bei den meisten datiegen aus Kieselsäure, die an ein
organisches Substrat, wie im Knochen der Wirbelthiere die phosphor-
sauren Salze an das Ossein, gebunden ist. Alle diese Skelete haben
eine für die Species constante und charakteristische Form und lassen ganz
gesetzmässige Verhältnisse in ihrer Entwicklung (Richard Hertwig V. 40)
erkennen.
Unter Trop hoplasten versteht man hochorganisirte Differenzi-
rungsproducte des pflanzlichen Protoplasma, welchen dieselbe Constanz wie
dem Zellkern und eine grosse functionelle Selbständigkeit zukommt.
Für die pflanzliche Ernährung sind sie sehr wichtig, da sich der ganze
Stärkebildung
in ihnen abspielt. (Meyer
Assimilationsprocess und die
V. 9-11.)
Die Trophoplasten sind kleine, meist kuglige oder ovale Körner, aus
einer dem Protoplasma verwandten, aber doch von ihm unterscheidbaren
Substanz. Sie sind leicht durch Wasser und Reagentien bei der Präpa-
ratiou zerstörbar und werden am besten durch Jodtinctur oder durch
concentrirte Pikrinsäure fixirt. In Nigrosin färlien sie sicli alsdann stahl-
blau, so dass sie sich vom Protoplasmakörper scharf abheben. Sie
finden sich oft in grosser Anzahl in der Zelle und können in activer
Weise ihre Form verändern. Nach den Untersuchungen von Schmitz
(V. 29), Schimper (V. 27, 28) und Meyer (V. 9—11) scheint eine
d irecte Neuentsteh ungvonTrophoplastenim Protoplasma
nicht vorzukommen, dagegen vermehren sie sich wie die
Kerne durch zeitweise eintretende Theilung. Von den
Trophoplasten, die schon in der pflanzlichen Eizelle enthalten sind,
würden somit die entsprechenden Gebilde aller aus ihr hervorgegangenen
Zellgenerationen abzuleiten sein.
Die Trophoplasten können in verschiedenen Modificationen auftreten
und verschiedene Functionen verrichten und werden danach als Stärke-
bildner, Chlorophyllkörner und Farbstoff"-
körner unterschieden (Amylo- oder Leuko-
plasten, Cbloroplasten, Chromoplasten).
Die meisten S t ä r k e b i 1 d n e r (Fig. 67)
finden sich in den nicht assimilirenden
Zellen junger Pflanzenorgane und aller
unterirdischen Theile, sowie in den Sten-
geln und Blattstielen. In den Scheinknollen
von Phajus grandifolius, die für die Unter-
suchung besonders geeignet sind, stellen sie
von der Fläche gesehen, ellipsoide feinkör-
nige Scheiben dar, in der Profil ansieht erschei-
nen sie stäbchenförmig und heben sich bei Be-
handlung mit Pikronigrosin durch stahlblaue
Farbe vom umgebenden Protoplasma ab. An
einer Breitseite der Scheibe sitzt ein klei-
neres oder grösseres Stärkekorn. Ersteres
ist ringsum von einem dünnen Ueberzug
der Substanz des Leukoplasten umschlossen,
letzteres nur an der ilim zugekehrten Ober-
fläche. Im zweiten Fall zeigt es eine ex-
centrische Schichtung, und zwar der Art,
dass der Kern, um den sich die Schichten herumlegen, sich in der Nähe
der vom Leukoplasten abgewandten Oberfläche befindet. An dieser sind
D
Fig. 67. Phajus grandi-
folius, Stärkebildner aus der
Knolle. Nach Strasburger, Bo-
tanisches Prakticum Fig. 30.
A, C, B n. E von der Seite,
B von oben, E grün gefärbt.
Vergr. 540.
III. Stoffwechsel und formative Thätigkeit. 131
in Folge dessen die Schichten sehr dünn und verdicken sich dann all-
mählich nach dem Stärkebildner zu, woraus hervorgeht, dass sie von ihni
aus wachsen und ernälnt werden. Oft ist in der Substanz des Stärke-
bilduers noch ein stäbchenförmiger Eiweisskrystall an der vom Amylum-
korn abgewandten Fläche wahrzunehmen.
Da nun Stärke, wie wir früher gesehen haben, nur in grünen
Pflanzentheilen durch Synthese erzeugt werden kann, sind die weissen
Stärkebildner nicht als die eigentlichen Ursprungs-
stätten zu betrachten. Vielmehr müssen dieselben die Stärke in
gelöster Modification, vielleicht als Zucker (Sachs) von den Orten, wo
die Assimilation vor sich geht, bezogen haben, so dass dann ihre Aufgabe
nur darin besteht, die gelöste Substanz wieder in ein festes und organi-
sirtes Product umzuwandeln.
Mit dem Stärkebildner sind die Chlorophyllkörner (Fig. 68)
nahe verwandt; denn sie können direct aus ihnen durch Umbildung
hervorgehen, indem sich in ihrer Sulistanz unter dem Einfluss des Lichtes
Chlorophyll entwickelt. Die Leukoplasten ergrünen dann, nehmen an
Grösse zu und verlieren ihre Stärkekörner, die aufgelöst werden. Auf
der andern Seite nehmen die Chlorophyllkörner auch aus den farblosen
Trophoplasten, die an den Vegetationspunkten als
indifferente Anlagen vorkommen, ihren Ursprung; ^^^ß
endlich vermehren sie sich durch Thei- ^ ^T^^^
lung (Fig. 68): unter Zunahme ihrer Substanz ' ;.■ "c;^
strecken sie sich in die Länge und werden bisquit- (. ;•; j)
förmig, worauf sie schliesslich in ihrer Mitte durch- «Ä
geschnürt werden. w#j
Die Chlorophyllkörner bestehen aus einer j,.g gg^ chioro-
Grundlage, welche die Reactionen des Eiweisses phyiikörn'er aus dem
darbietet, und aus einem das Stroma durchträn- Blatte von Funaria
kenden, grünen Farbstoff, dem Chlorophyll oder J'y^'"°°\®*.'''°^: .
Blattgrün. Dasselbe lässt sich durch Alkohol [^.^^^^^^e^Jg. .HO S
extrahiren und zeigt in der Lösung deutliche Fluore- strasburger , Botani-
scenz, indem es in durchfallendem Licht grün, in schesPrakticum Fig.2.5.
reflectirtem Licht blutroth aussieht.
In den Chlorophyllkörnern sind gewöhnlich mehrere kleine Stärke-
körnchen eingeschlossen, die in ihnen durch Assimilation gebildet worden
sind. Am besten lassen sie sich, nachdem das Chlorophyll durch
Alkohol ausgezogen ist, durch Zusatz von Jodtinktur nachweisen.
Wie durch die Untersuchungen von Stahl gezeigt worden ist, können
die Chlorophyllkörner, abgesehen von den zweckmässigen Verlagerungen,
welche sie durch Strömung des Protoplasma erfahren (siehe Seite 84),
auch activ ihre Gestalt in auffälliger Weise unter dem
Reiz der Lichtstrahlen verändern. Während sie in diffusem
Tageslicht polygonale Scheiben darstellen, welche ihre Breitseite der
Lichtquelle zugekehrt haben, ziehen sie sich in directem Sonnenlicht
zu kleinen Kugeln oder ellipsoiden Körpern zusammen. Sie führen
dadurch eine ftir die Chlorophyllfuuction zweckmässige Bewegung aus
und erreichen durch sie, „dass sie dem Sonnenlicht eine kleinere, dem
diffusen Tageslicht alier eine grössere Fläche zur Aufnahme der Strahlen
bieten. Uns aber geben sie dadurch einen Einblick in den hohen Grad
ihrer inneren Differenzirung , wie wir ihn durch das einfache Studium
ihrer chemischen Thätigkeit bei weitem nicht hätten gewinnen können."
(de Vries V. 46.) Wie die Kerne, erscheinen sie im Hinblick auf ihre
9*
132
Fünftes Capitel.
Vermehrung durch Theilunp', im Hinblick auf ihr actives Bewegungs-
vermögen und ihre Function beim Assimilationsprocess als sehr selb-
ständige, hoch individualisirte Plasmagebilde.
Endlich sind als eine besondere Abart der Trophoplaste noch die
Farbkörner zu erwähnen, auf welche namentlich die gelbe und orange-
rothe Färbung vieler Blüthen zurückzuführen ist. Sie bestehen aus
einem protoplasmatischen Substrat, das meist sehr unregelraässig gestaltet
ist und bald die Form einer Spindel, einer Sichel, eines Dreiecks oder
eines Trapezes hat. In dem Substrat sind Farbstoff kry stalle abgelagert.
Auch hier lässt sich an geeigneten Objecten die allmähliche Entstehung
der Farbkörper aus farblosen Trophoplasten nachweisen. Auch hier
hat Weiss spontane Bewegungen und Formveränderungen wahrge-
nommen.
Die Besprechung der verschiedenen Arten der Trophoplasten
schliessen wir ab, indem wir noch genauer auf die S t r u c t u r de r
Stärkekörner eingehen, welche durch die Untersuchungen von
Nägeli (V. 17, 20) und die daran geknüpften Schlussfolgerungen eine
grosse theoretische Bedeutung gewonnen haben.
Die Stärkekörner (Fig. 69) zeigen
in der Pflanzenzelle hinsichtlich ihrer
Grösse ausserordentliche Verschieden-
heiten. Auf der einen Seite sind
sie so klein, dass sie bei der stärk-
sten Vergrösserung nur als ein Punkt
erscheinen, auf der andern Seite
können sie bis zu einem Umfang von
0,2 mm heranwachsen. Charakte-
ristisch ist ihre Reaction bei Zusatz
von Jodlösungen. Je nach der Con-
centration derselben nehmen sie eine
hellblaue bis schwarzblaue Färbung
an. In warmem Wasser quellen sie
beträchtlich auf und gehen beim wei-
teren Kochen in Kleister über.
Die Form der Stärkekörner ist
bald oval, bald rundlich, bald mehr
unregelmässig. Bei stärkeren Ver-
grösserungen ist an ihnen eine deut-
liche Schichtung zu erkennen, indem
auf dem optischen Durchschnitt brei-
tere, helle und schmälere, dunkle Strei-
fen mit einander abwechseln. Nägeli
erklärt diese Erscheinungen in der Weise, dass er das Stärkekorn aus wasser-
ärmeren und wasserreicheren Lamellen von Stärkesubstanz zusammen-
gesetzt sein lässt. Strasburger (V. 31) dagegen deutet ,,die dunkleren
Linien als die besonders markirten Adhäsionsflächen der aufeinander
folgenden Lamellen, die er sich mehr oder weniger vollständig gleichen
lässt".
Die Lamellen (Fig. 69) sind um einen Kern angeordnet, der ent-
weder das Centrum des ganzen Korns einnimmt (B CJ, oder, was häufiger
der Fall ist, sehr excentrisch (A) gelegen ist. Auch finden sich nicht
selten Stärkekörner, bei denen um 2 (B C) bis 3 (D) Kerne mehrere
Lamellensysteme angeordnet sind; sie werden daher als zusammen-
Fig. 69. Stärkekörner an der
KartoflEelknolle. Nach Strasbdrgee,
Botanisches Prakticura Fig. 7.
A ein einfaclies, £ ein halb zusam-
mengesetztes, C und D ganz zusammen-
gesetzte Stärkekörner, c der organische
Kern. Vergr. 540.
in. Stoffwechsel und formative Thätigkeit. 133
gesetzte den Körnern mit einem einfachen Kern gegenübergestellt.
Bei centraler Lage des Kerns zeigen die ihn umgebenden Stärkeschichten
überall nahezu die gleiche Dicke. Bei excentrischer Lage dagegen gehen
nur die innersten Schichten continuirlich um ihn herum, die peripheren
besitzen die grösste Dicke an der vom Kern abgewandten Seite des
Korns, verdünnen sich, je mehr sie sich dem Kern nähern und werden
schliesslich an der Seite, nach welcher der excentrische Kern zu liegt,
so fein, dass sie von den Nachbarlamellen nicht mehr zu unterscheiden
sind, oder laufen überhaupt ganz frei aus.
In jedem Stärkekorn nimmt der Wassergehalt von der Obei*fläche
nach dem Centrum zu. Der Kern ist am wasserreichsten, die ober-
flächlichste, an das Protoplasma angrenzende Schicht zeigt das dichteste
Gefüge. Hierauf ist die Erscheinung zurückzuführen, dass bei dem Aus-
trocknen der Stärkekörner Risse im Kern und von diesem ausstrahlend
nach der Peripherie hin entstehen (Nägeli V. 17).
Wie schon oben erwähnt, nehmen bei den Pflanzen die Stärkekörner
gewöhnlich nicht direct im Protoplasma, sondern in besonderen Dififeren-
zirungsproducten desselben, den Stärkebildnern (Amyloplasten und Chloro-
phyllkörpern) ihren Ursprung. Je nachdem nun das Korn im Innern
eines solchen oder an seiner Oberfläche angelegt wird, erklärt sich nach
den Untersuchungen von Schi mp er (V. 27) die oben beschriebene,
verschiedenartige Schichtung. Im ersten Fall bilden sich die Stärke-
lamellen gleichmässig um den Kern herum, da sie von allen Seiten her
gleichmässig von der Substanz des Stärkebildners ernährt werden. Im
zweiten Fall befindet sich der an die Oberfläche des Stärkebildners
angrenzende Theil des Stärkekorns unter ungünstigeren Wachsthums-
bedingungen. Es wird daher viel mehr Substanz an der dem Stärke-
bildner zugekehrten Fläche des Korns angebildet, die Schichten fallen
hier dicker aus und verjüngen sich nach der entgegengesetzten Fläche.
In Folge dessen wird der Kern, um welchen die Schichten herumgelegt
sind, immer mehr über die Oberfläche des Stärkebilduers hinausgeschoben
und nimmt dementsprechend immer mehr im Schichtensystem eine
excentrische Lage ein.
Dass die Stärkekörner durch Auflagerung neuer Schichten an der
Oberfläche , also durch Apposition wachsen , geht namentlich aus einer
Beobachtung von Schimper (V. 27) hervor. Derselbe fand Stärkekörner,
an deren Oberfläche ein Auflösungsprozess stattgefunden hatte, dann aber
wieder unterbrochen worden war. Denn um das corrodirte Korn hatten
sich wieder frische Schichten herum gebildet.
Nach den Angaben von Strasburger werden Stärkekörner in einzel-
nen Fällen auch direct im Protoplasma ohne Mitwirkung besonderer
Stärkel)ildner erzeugt. In den Markstrahlzellen der Coniferen fand dieser
Forscher ihre erste Anlage als winzige Körnchen in den Strängen des
Plasmanetzes eingeschlossen. Wenn sie grösser geworden sind, liegen
sie deutlich in Plasmataschen , deren Innenwand etwas lichtbrechender
ist und Mikrosomen führt.
Ein sehr kunstvoll gebautes, inneres Plasmapro du et
stellen die Nesselkapseln (Fig. 70) dar, welche sich besonders
bei Coelenteraten als Angriff'swaffen in den über das Ektoderm vertheilten
Nesselzellen entwickeln. Sie bestehen aus einer ovalen Kapsel (a u. &),
die aus einer glänzenden Substanz gebildet ist und eine Oeftnung an
dem nach der Oberfläclie der Epidermis zugekehrten Ende besitzt. Der
Innenfläche der Kapsel liegt eine feine Lamelle dicht an, die an dem
134
Fünftes Capitel.
Li
Rande der OefFnung in den oft coniplicirt gebauten Nesselschlauch über-
geht (vergl. Fig. 70 a u. h). In der vorliegenden Figur ist der letztere aus
einem weitern kegelförmigen Anfangstheil, der in das Innere der Kapsel
eingestülpt und mit einigen kürzeren und längeren Widerhaken bedeckt
ist, und aus einem sehr langen und feinen Schlauch zusammengesetzt.
Dieser geht von der Spitze des Kegels aus und ist um denselben in
vielen Spiralen Windungen aufgerollt. Der freibleibende Binnenraum
ist von einem nesselnden Secret erfüllt. Das an die Nesselkapsel an-
grenzende Protoplasma ist zu einer contractilen Hülle diiTerenzirt, die nach
Aussen ebenfalls von einer Oeffnung durchbrochen ist (Schneider V. 45).
Auf der freien Oberfläche der Zelle erhebt
sich nahe der Kapselöftnung ein starrer, glän-
zender, haarähnlicher Fortsatz, das Cnidocil. Wenn
dasselbe durch irgend einen Fremdkörper be-
rührt wird, pflanzt es den Reiz auf das Proto-
plasma fort. In Folge dessen zieht sich die
contractile Hülle in der Umgebung der Nessel-
kapsel plötzlich heftig zusammen, comprimirt
dieselbe und treibt den in ihrem Innern ein-
geschlossenen Schlauch nach Aussen hervor, wo-
bei er wie der Finger eines Handschuhs umge-
stülpt wird (Fig. 70 6). Zuerst wird der er-
weiterte kegelförmige Anfangstheil mit den
Widerhaken nach Aussen hervorgestülpt, dann
folgt der Spiral aufgerollte, feine Schlauch nach.
Das nesselnde Secret wird wahrscheinlich durch
eine Oeffnung im Schlauchende entleert.
Auf die Entstehung dieses ausserordentlich
complicirten Apparates wirft die Entwicklungs-
geschichte Licht. Zuerst bildet sich in jungen
Nesselzellen eine ovale Secrethöhle , die sich
gegen das Protoplasma durch eine feine Mem-
bran abgrenzt; dann wächst von dem freien
Zellende aus ein feiner Protoplasmafortsatz in
die Secrethöhle hinein, nimmt Lage und Form des inneren Nessel-
apparats an und scheidet auf seiner Oberfläche die zarte Schlauchmem-
bran ab. Zuletzt diff'erenzirt sich noch die glänzende und derbere,
äussere Wand der Kapsel mit der Oeff"nung und um diese wiederum die
contractile Hülle.
b) Die äusseren Plasmaproducte.
Die äusseren Plasmaproducte können in 3 Gruppen eingetheilt werden,
in die Zellhäute, in die Cuticulargebilde und in die Intercellularsub-
stanzen.
Zellhäute sind Absonderungen, mit denen
seiner ganzen Obei"fläche umgiebt. Sie bilden
liehen Zellen einen sehr wichtigen und stark in ^^
standtheil, während sie im Thierreich häufig fehlen oder so wenig ausge-
bildet sind, dass sie auch bei starken Vergrösserungen schwer zu er-
kennen sind.
Im Pflanzenreich besteht die Zell haut aus einem der
Stärke sehr nahe verwandten Kohlenhydrat, der Cellnlose.
Fig. 70. Nesselzellen
der Cnidarien (aus Lang).
Hertwig, Zoologie Fig. 161.
a Zelle mit Cnidocil und
einem in der Kapsel aufge-
rollten Nesselfaden, b Nes-
selfadeu aus der Nessel-
kapsel hervorgeschleudert,
an der Basis mit Wider-
haken bewaffnet, c Kleb-
zellen einer Ktenophore.
sich der Zellkörper auf
namentlich bei pflanz-
die Augen fallenden Be-
III. Stoffwechsel und formative Thätigkeit.
135
Die Anwesenheit derselben lässt sich meist leicht durch eine sehr
charakteristische Reaction feststellen. Wenn man einen Schnitt durch
Pflanzengewebe oder eine einzelne Pflanzenzelle zuerst mit einer dünnen
Lösung von Jodjodkalium durchtränkt und darauf nach Entfernung der
Jodlösung Schwefelsäure (2 Theile mit 1 Theil Wasser verdünnt) zusetzt,
so nehmen die Zellwände eine bald hell-, bald dunkelblaue Farbe an.
Eine Cellulosereaction erhält man auch durch Zusatz einer Chlor-
zinkjodlösung.
Die Membranen der Pflanzenzellen erreichen oft eine beträchtliche
Dicke und Festigkeit und lassen dann auf dem Durchschnitt eine
deutlich ausgesprochene Schichtung erkennen, indem wie im Stärke-
korn schwächer und stärker das Licht brechende Streifen mit ein-
ander abwechseln (Fig. 71 und 72 Ä, B). Aber auch bei Betrachtung
Fig. 71.
Fig. 72.
Fig. 71. Querschnitt durch das Rhizom von Caulerpa prolifera an
der Insertionsstelle eines Balkens. Nach Strasbdkger Taf. I, Fig. 1.
Fig. 72. A Theil einer älteren Markzelle mit sechs Verdickungsschichten von
Clematis vitalba. Nach Strasburger Taf. I, Fig. 13.
B Eine solche Zelle, in Schwefelsäure gequollen. Nach Strasburger Taf. I,
Fig. 14.
von der Fläche ist noch eine feinere Structur häufig nachweisbar. Die
Zellhaut zeigt eine feine Streifung, als ob sie aus zahl-
reichen, parallel angeordneten Fasern zusammengesetzt
sei. Dabei kreuzen sich die Fasern in entgegengesetzten
Richtungen. Entweder verlaufen die einen in der Längsrichtung, die
anderen in der Querrichtung, also ringförmig um die Zelle herum, oder
sie sind schräg zur Längsaxe der Zelle angeordnet. Ueber die Beziehung
dieser feinen Streifung zu den einzelnen Celluloselamellen stehen sich
die Ansichten von Nägeli und Strasburger gegenüber.
Nägeli (V. 19) lässt in jeder Lamelle beide Streifensysteme vor-
handen sein; wie beim Stärkekorn sollen sowohl die Lamellen als auch
die sich kreuzenden Streifen abwechselnd aus wasserärmerer und aus
wasserreicherer Substanz bestehen und daher abwechselnd hell und
dunkel erscheinen. Eine Lamelle ist daher parketartig gefeldert mit
quadratisch -rechteckigen oder mit rhombischen Feldern. „Diese zeigen
ein dreifach verschiedenes Aussehen; sie bestehen nämlich aus dichter,
weicher und mittlerer Substanz, je nachdem sie der Kreuzungsstelle
zweier dichter, zweier weicher oder eines dichten und eines weichen
136 Fünftes Capitel.
Streifens entsprechen." Nach Nägeli lässt sich daher die ganze Zell-
membran „nach 3 Richtungen in Lamellen zerlegen, die alternirend aus
wasserreicherer und wasserärmerer Substanz bestehen, und die sich in
ähnlicher Weise wie die ßlätterdurchgänge eines Krystalls kreuzen. Die
Lamellen der einen Richtung sind die Schichten, die der beiden andern
die zwei Streifensysteme. Die letzteren können sich fast unter jedem
Winkel schneiden ; beide stehen auf den Schichtenlamellen, wie es scheint,
in den meisten Fällen rechtwinklig".
Im Gegensatz zu Nägeli lassen Strasburger (V. 31 — 33) und andere
Botaniker, deren Angaben wohl nicht anzufechten sind, die sich
kreuzenden Streifen nie einer und derselben Lamelle an-
gehören; vielmehr gestaltet sich nach ihnen das Verhältniss so, dass
wenn die eine Lamelle in longitudinaler Richtung, die nächstfolgende in
querer Richtung gestreift ist und so fort in wechselnder Folge. Nach
Strasburger unterscheiden sich weder die einzelnen Lamellen noch die
einzelnen Streifen durch ungleichen Wassergehalt. Die Lamellen sowohl
wie die Streifen in denselben sind von einander durch Contacttlächen ge-
trennt, welche bei den verschiedenen Ansichten (Querschnittsbild, Flächen-
bild) als dunklere Linien erscheinen. Die Anordnung ist daher im All-
gemeinen eine ähnliche, wie in einer Hornhaut, die sich aus Lamellen
mit gekreuzten Fasern aufbaut.
Nicht selten zeigen die Celluloseraembranen, und zwar meist an
ihrer inneren Fläche, feinere Skulpturen. So können Leisten nach
Innen vorspringen, welche entweder in einer Schraubenlinie verlaufen
oder in grösserer Anzahl quer zur Längsaxe der Zelle gestellt oder in
mehr unregelmässiger Weise zu einem Netz unter einander verbunden
sind. Auf der andern Seite kann die Zellwand an einzelnen Stellen,
wo sie an eine Nachbarzelle stösst, verdünnt bleiben und so Tüpfel
oder Tüpfelkanäle erzeugen (Fig. 72 Ä), durch deren Vermittelung be-
nachbarte Zellen Nahrungssubstanzen besser austauschen können.
Auch in stofflicher Hinsicht kann die Zellwand bald nach ihrer
ersten Anlage ihren Charakter in verschiedener Weise verändern, ent-
weder durch Incrustation oder durch Verholzung oder durch
V e r k 0 r k u n g.
Nicht selten werden in die Cellulose Kalksalze oder Kiesel-
säure abgelagert, w^odurch die Membranen eine grössere Festigkeit und
Härte erhalten. Wenn solche Ptlanzentheile geglüht werden, wird die
Cellulose verkohlt und es bleibt an Stelle des Zellhautgerüstes ein mehr
oder minder vollständiges Kalk- oder Kieselskelet zurück. Kalkablage-
rung findet sich bei den Kalkalgen, bei Characeen, bei Cucurbitaceen,
Verkieselung bei Diatomeen, bei Equisetaceen, bei Gräsern etc.
Durch die Verholzung erhalten die Zellmembranen gleichfalls
eine bedeutend grössere Festigkeit. Hier ist der Cellulose noch eine
andere Substanz, der Holzstoff (das Lignin und Vanillin) beigemengt.
Derselbe lässt sich durch Kalilauge oder durch ein Gemisch von Sal-
petersäure und chlorsaures Kali auflösen und entfernen, worauf dann
noch ein die Cellulosereaction darbietendes Gerüst übrig bleibt.
Bei dem Process der Verkorkung ist mit der Cellulose Korkstoff
oder S übe rin in geringerer oder reichlicherer Menge verbunden. Hier-
durch werden wieder die physikalischen Eigenschaften der Zellwand
in der Weise verändert, dass sie für Wasser undurchlässig wird. Da-
her entwickeln sich denn verkorkte Zellen an der Oberfläche vieler
Pflanzenorgane, um die Wasserverdunstung zu verhüten.
III. Stoffwechsel und fonnative Thätigkeit. 137
Während es bei der Verkalkung und Verkieselung auf der Hand
liegt, dass die Kalktlieilchen und die Kieseltheilchen durch Vermittelung
des Protoplasma an Ort und Stelle geschafft und zwischen den Cellulose-
theilchen abgelagert worden sind, wobei wieder niolecularen Bindungen
eine Rolle zufallen wird, l)ieten sich für das Zustandekommen der Ver-
holzung und der Verkorkung zwei Möglichkeiten dar. P^ntweder ist der
Holz- und Korkstoff in einer löslichen Modification durch Vermittelung
des Protoplasma entstanden und gleich den Kalk- und Kieseltheilchen in
die Cellulosemembran in unlöslicher Modification eingelageit worden, oder
beide Substanzen haben sich an Ort und Stelle durcli chemische Um-
wandlung der Cellulose gebildet. Es ist dies wieder eine Angelegenheit,
welche weniger der Morphologe mit seinen Untersuchungsmethoden, als
vielmehr der physiologische Chemiker wird zu entscheiden haben. (Siehe
S. 124.)
Eine viel discutierte, sehr wichtige, aber nicht leicht zu entscheidende
Frage ist das Wachsthum der Zell haut. Bei demselben haben
wir ein Dicken- und ein Flächenwachsthum zu unterscheiden. Das bei
seiner Entstehung kaum messbar feine Cellulosehäutchen kann allmäldich
eine sehr bedeutende Dicke erreichen und sich hierbei aus immer zahl-
reicheren Lamellen zusammensetzen, deren Zahl der Dicke proportional
zunimmt. Das Allerwahrscheinlichste ist, dass vom Protoplasma Schicht
"auf Schicht auf das zuerst abgeschiedene Häutchen neu abgelagert wird.
Man nennt dies ein Wachsthum durch Apposition, im Gegensatz
zu einer von Nägeli aufgestellten Theorie (V. 19), nach welcher das
Wachsthum der Häute durch Intussusception vor sich gehen soll,
das heisst: durch Einlagerung neuer Theilchen in Zwischenräume zwischen
die bereits vorhandenen Theilchen.
Für die Appositionstheorie sprechen namentlich folgende drei Erscliei-
nungen. 1) W^enn an der Innenfläche einer Zellhaut sich leistenförmige
Verdickungen bilden, so werden flieselben schon vor ihrem Auftreten
dadurch angedeutet, dass in dem Protoplasmaschlauch sich an den ent-
sprechenden Stellen das Protoplasma in dickeren Bändern ansammelt
und die Erscheinungen der Circulation darbietet. 2) Wenn durch Plas-
molyse sich der Protoplasmakörper von der Zellhaut zurückgezogen
hat, scheidet er auf seiner nackten Oberfläche eine neue Cellulosemembran
ab (Klebs IV. 14). Man kann die Plasmolyse rückgängig machen. Der
sich durch Wasseraufnahme vergrössernde Zellkörper legt sich dann mit
seiner neuen Haut der alten wieder dicht an und verbindet sich mit ihr.
3) Bei der Theilung von Pflanzenzellen lässt sich oft sehr deutlich er-
kennen, wie jede Tochterzelle sich mit einer eigenen, neuen Hülle um-
giebt, so dass dann innerhalb der alten Membran der Mutterzelle zwei
neugebildete Membranen der Tochterzellen eingeschlossen sind.
Grössere Schwierigkeiten bietet die Erklärung vom
Flächenwachsthum der Membran. Dasselbe könnte durch zwei
verschiedene Processe bewirkt werden, die entweder allein oder mit ein-
ander combinirt Platz greifen könnten. Einmal könnte die Membran
sich durch Dehnung vergrössern, wie ein Gummiball, den man aufbläst.
Zweitens aber könnte sie sich auch durch Intussusception, durch Auf-
nahme neuer Cellulosetheilchen zwischen die alten, ausdehnen.
Dafür, dass eine Dehnung der Zellhaut stattfindet, sprechen manche
Erscheinungen. Schon der früher erwähnte Turgor der Zelle ruft eine
solche hervor. Denn sowie eine Zelle der Plasmolyse ausgesetzt wird,
schrumpft sie erst im Ganzen unter Wasseraustritt etwas zusammen, ehe
138 Fünftes Capitel.
sich der Plasmaschlauch ablöst, ein Zeichen, dass sie durch inneren
Druck gedehnt war. Bei manchen Algen lässt sich beobachten, dass die
zuerst gebildeten Celluloselamellen durch Dehnung schliesslich gesprengt
und abgeworfen werden (Rivularien, Gloeocapsa, Schizochlamys gelati-
nosa etc.). Jede Dehnung und Verkürzung niuss mit Verlagerung der
kleinsten Theilchen verbunden sein , die sich hier mehr in der Fläche,
dort mehr in der Dicke anordnen.
Dadurch bietet die Vergrösserung einer Membran durch Dehnung
manche Berührungsi)unkte mit dem Wachsthum durch Intussusception.
Der Unterschied zwischen beiden Arten läuft dann darauf hinaus, dass
im ersten Fall schon von früher her vorhandene Cellulosetheilchen , im
zweiten Fall neue, in Bildung begriffene Theilchen in die Fläche ein-
gelagert werden.
Das Wachsthum durch Intussusception möchte ich nun nicht, wie
es Strasburger früher gethan hat (V. 31), vollkommen in Abrede stellen,
vielmehr erblicke ich in ihm neben der Apposition einen zweiten wich-
tigen Factor bei der Membranbildung, allerdings nicht den einzigen
Factor, wie es in der Theorie von Nägeli in dogmatischer Weise ange-
nommen wird.
Viele Erscheinungen des Zellenwachsthums lassen sich, wie es von
Nägeli (V. 17 u. 19) geschehen ist, durch Intussusception am unge-
zwungensten erklären , während die Appositionstheorie auf Schwierig-
keiten stösst.
Zerreissungen von Membranschichten durch Dehnung werden im
Ganzen doch in sehr seltenen Fällen beobachtet. Trotzdem vergrössern
sich fast alle Zellen von ihrer Anlage bis zum ausgewachsenen Zustand
so bedeutend, dass die Dehnungsfähigkeit der Haut, welche bei Cellulose
wohl überhaupt nicht als eine sehr grosse angenommen werden darf,
bald überschritten werden müsste. Viele Pflanzenzellen verlängern sich
um das lOOfache, und manche um mehr als das 2000fache (Ohara).
Manche Zellen zeigen eine sehr unregelmässige Form, deren Er-
klärung sehr grosse Schwierigkeiten bereiten würde, wenn die Zellhaut
allein durch innere Dehnung, einer Kautschukblase vergleichbar, sich in
der Fläche vergrössern sollte Caulerpa, Acetabularia etc. sind, trotzdem
sie einen einzigen Hohlraum enthalten, wie eine vielzellige Pflanze in
Wurzeln, Stengel und Blätter gegliedert, von denen ein jeder Theil durch
eigene Wachsthumsgesetze beherrscht wird. Manche Pflanzenzellen wachsen
nur an bestimmten Stellen, entweder an der Spitze oder nahe der Basis
oder entwickeln seitliche Ausstülpungen und Aeste. Andere erfahren
beim Wachsthum complicirte Drehungen, wie die Internodien der Characeen.
Endlich macht Nägeli noch für ein Wachsthum durch Intussusception
geltend, dass manche Membranen in der Fläche und Dicke bedeutend zu-
nehmen, nachdem sie durch Tlieilung des Protoplasmakörpers von diesem
in Folge der Bildung von Specialmembranen um die Tochterzellen ge-
trennt worden sind. „Gloeocapsa und Gloeocystis treten zuerst als ein-
fache Zellen mit dicker, gallertiger Membran auf. Die Zelle theilt sich
in zwei, wovon jede wieder eine gleiche blasenförmige Membran bildet;
und so geht die Einschachtelung weiter." Die äusserste Gallertblase
muss in Folge dessen immer grösser werden. Ihr Volumen betrug bei
einer Art in diesen successiven Entwicklungsstadien nach Berechnungen
von Nägeli im Mittel 830 — 2442 — 5615 — 10209 Kubikmik. Bei
einer andern Art war eine Verdickung der zuerst gebildeten Gallertmem-
bran von 10 auf 60 Mik., also um das 6fache eingetreten. „Bei Apiocystis
III. Stofifwechsel und formative Thätigkeit. 139
sind die birnförmigen Kolonien, die aus sehr weicher Gallerte mit einge-
lagerten Zellen bestehen, von einer dichteren Membran nmhüllt. Dieselbe
nimmt mit dem Alter nicht bloss an Umfang, sondern auch an Mächtig-
keit zu; denn bei kleineren Kolonien ist sie bloss 3 Mik., bei den grossen
bis 45 Mik. dick ; an jenen beträgt die Oberfläche etwa 27 000, an diesen
etwa 1500000 Quadrat-Mik.-Mill. Die Dicke der Hülle nimmt also von
1 auf 15, der Flächeninhalt von 1 auf 56, und der Kubikinhalt von 1
auf 833 zu. Von einer Apposition auf der inneren Seite dieser Hülle
kann keine Rede sein; denn ihre innere glatte Fläche wird von den
kleinen, kugeligen Zellen entweder gar nicht oder nur an einzelnen
wenigen Stellen berührt."
In allen diesen Fällen muss ich dem Ausspruch von Nägeli zu-
stimmen, dass wir hier auf Un Wahrscheinlichkeiten stossen, wenn wir
das Fläch enwachsthum der Zellenmembran bloss aus der Auflagerung
von neuen Schichten erklären wollen, während die oben namhaft
gemachten „Erscheinungen (Aenderung der Gestalt und
Richtung, ungleiches Wachsthum der Theile, Drehung)
sich durch In tussusception auf die einfachste und leich-
teste Art nachweisen lassen. Alles hängt davon ab, dass
die neuen T heilchen zwischen die schon vorhandenen an
bestimmten Stellen, in bestimmter Menge und in be-
stimmter Richtung eingelagert werden."
Der Process der Intussusception selbst ist vollends nicht in Abrede zu
stellen, wo Kalk- oder Kieselsalze in die Membran abgelagert sind, da
dies meist erst nachträglich und oft nur in den oberflächlichen Schichten
geschieht. Dass in ähnlicher Weise nicht auch Cellulosetheilchen sollten
eingelagert werden können, würde als unmöglich nur dann erwiesen
sein, wenn gezeigt wäre, dass Cellulose in der That nur durch directe
Umwandlung von Protoplasmaschichten gebildet wird. Dies ist aber doch
nichts weniger als erwiesen, und wird der Pflanzenanatom es wahr-
scheinlich durch mikroskopische Beobachtung allein überhaupt nicht fest-
stellen können, sondern nur mit Hülfe einer weit fortgeschrittenen
Mikrochemie, Verhältnisse, über welche das auf Seite 123—124 Gesagte
zu vergleichen ist. Bei Berücksichtigung der dort gegebenen Darlegungen
wird man überhaupt finden , dass bei gewissen Bedingungen der
Cellulosebildung zwischen Apposition und Intussusception gar nicht der
schroffe Gegensatz besteht, wie er von mancher Seite herausgekehrt
wird.
Cuticulargebilde sind hautartige Absonderungen, mit welchen
sich eine Zelle anstatt allseitig nur einseitig an ihrer nach Aussen
gekehrten Oberfläche bedeckt. Im Thierreich sind häufig die Zellen,
welche die Oberfläche des Körpers einnehmen oder die Innenfläche des
Darmkanals auskleiden, mit einer Cuticula versehen, welche das
darunter gelegene Protoplasma gegen die schädlichen Einflüsse der um-
gebenden Medien schützt. Die Cuticula ist gewöhnlich aus dünnen
Lamellen gebildet und ausserdem von feinen, parallel verlaufenden
Poren durchsetzt, in welche vom darunter gelegenen Protoplasma zarte
Fädchen eindringen. Als Cuticulargebilde eigenthümlicher Art, welche
zugleich eine sehr ausgesprochene Schichtung aufweisen, sind auch die
Aussenglieder der Stäbchen und Zapfen in der Netzhaut anzuführen.
C ut i c u 1 a r e A b s ch e i d u n g e n m e m b r a n a r t i g a n g e 0 r d n et e r
Zellen verschmelzen sehr häufig unter einander und stellen
140
Fünftes Capitel.
dann ausgedehnte Häute dar (Fig. 73), welche namentlich bei
Würmern und Arthropoden der ganzen Oberfläche des Körpers zum
Schutz dienen. Dieselben bestehen meist aus Chitin, einem Stoff, welcher
nur in kochender Schwefelsäure löslich ist. In ihrer feinen Structur
zeigen sie grosse Uebereinstimmung mit den Cellulosemembranen, näm-
lich eine Schichtung, welche auf ein Wachsthum durch Apposition neuer
Lamellen an der Innenseite der zuerst gebildeten hinweist.
Zeitweise werden die alten Chitinhäute gesprengt und abgeworfen,
nachdem sich unter ihnen eine jüngere, weichere Haut zum Ersatz
gebildet hat, ein Vorgang, der als Häutung bezeichnet wird. Zur Ver-
stärkung der Chitinhaut können Kalksalze auf dem Wege der Intussus-
ception in sie abgelagert werden.
Fig. 73.
Fiff. 74.
Aus
Fig. 73. Epithel mit Cuticula einer Blattwespe. (Cimbex coronatus.)
R. Hertwig Fig. 24 f.
c Cuticula. e Epithel.
Fig. 74. Knorpel (nach Gegenbaür).
G Knorpeloberhaut, b üebergang zum typi.scheu Knorpel a.
Inte rcellular Substanzen endlich entstehen, wenn eine grössere
Anzahl von Zellen an ihrer ganzen Obei-fläche feste Stoffe ausscheidet,
ihre Abscheidungsproducte aber sich nicht, wie die Zellmembranen,
getrennt erhalten, sondern unter einander zu einer zusammenhängenden
Masse verschmelzen, in welcher man nicht erkennen kann, was von der
einen, was von der anderen Zelle abstammt (Fig. 74). Die Gewebe
mit Intercellularsubstanzen sind daher nicht in einzelne Zellen, wie ein
Stück Pflanzengewebe, zerlegbar. In der continuirlichen Grundsubstanz,
welche aus sehr verschiedenen chemischen Stoffen (Mucin , Chondrin,
Glutin, Ossein, Elastin, Tunicin, Chitin etc.) bestehen kann, welche ferner
bald homogen , bald faserig aussieht , sind kleine Höhlen vorhanden, in
welchen die Protoplasmakörper eingeschlossen sind. Da der die Höhle
umgebende Bezirk der Intercellularsubstanz am meisten unter dem Ein-
fluss des in ihr gelegenen Protoplasmakörpers stehen wird, nannte ihn
Virchow (I. 33) ein Zellenterritorium. Dasselbe ist aber in der
Natur, wie gesagt, von den Nachbarterritorien nicht abgegrenzt.
Unter den Zellproducten, die ihrer Lage nach bald mehr als äussere,
bald mehr als innere aufgefasst werden können, sind endlich noch die
Muskel- und Nervenfibrillen zu nennen. Selbst aus Protein-
substanzen autgebaut, stehen sie in stofflicher Hinsicht dem Protoplasma
am nächsten, lassen sich aber den bisher besprochenen Bildungen inso-
III. Stoffweclisel und formative Thäti^keit. 141
fern anreihen, als sie von ihm deutlich gesondert sind, als eigenartige
Theile sich darstellen lassen und nur eine ganz sjiecifische Function im
Zellenleben auszuüben vermögen. Wegen ihrer feineren Structur ist auf
das zweite Buch, die Gewebe, zu verweisen.
Literatur. V.
1) Baumann.. TIeher den von 0. Lötv und Th. Bokorny erbrachten Nachweis von
der chemischen Ursache des Lebens. Fßügers Archiv. Bd. XXIX. 1882.
Bunge. Zehrbuch der physiologischen und pathologischen Chemie. Leipzig 1889.
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Derselbe. Generelle Morphologie.
Hess. Untersuchungen zur I'hagoeyf entehre. Vtrchow's Archiv. Bd. 109.
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Low u. Bokorny. Die chemische Ursache des Lebens. München 1881.
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Derselbe. Das Chlnrophyllkorn in chemischer, morphologischer und biologischer Be-
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MetsehnikoflF. Untersuchungen Hier die intracelltilare Verdauung bei wirbellosen
Thieren. Arbeiten des zoologischen Instituts in Wien. Bd. V. Heft 2.
Derselbe. Ueber die Beziehung der Phagocyten zu Milzbrandbacillen. Archiv für
patholcg. Anatomie u. Physiologie. Bd. 96 u. 97. 1884.
Derselbe. Ueber den Kampf der Zellen gegen Prysipelkokken. Ein Beitrag zur Phago-
cytenleJire. Archiv f. patholog. Anatomie u. Physiologie. Bd. 107.
Derselbe. Ueber den Phagocytenkampf bei RückfalUypltus. Virchow's Archiv. Bd. 109.
Nägeli. 1) Primordialschlauch. 2) Diosmose der Pflanzenzelle. Pflanzenphysiologische
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Derselbe. Die Stärkekörner. Pflanzenphysiologische Untersuchungen. 2. Heft. 1858.
Derselbe. Theorie der Gährung. 1879.
Derselbe. Ueber den inneren Bau der vegetabilischen Zellenmernbran. Sitzungsber.
der bairischen Akademie. Bd. I u. II. 1864.
Derselbe. Das TVachsfhum der Stärkekörner durch Intussusception. Botan. Zeitung.
1881.
Derselbe. Ern-'ihrung der niederen Pilze durch Kohlenstoff- u. Stiekstoffverbindungen.
Untersuch, über niedere Pilze aus dem pjlanzenphysiolog. Institut in München. 1882.
22a) W. Pfeffer. Ueber intramolecularc Athmung. Untersuchungen aus dem botan. Institut
zu Tübingen. Bd. I.
22b) Derselbe. Ueber Aufnahme von Anilinfarben in lebende Zellen. Untersuchungen aus
dem botan. Institut zti Tübingen. Bd. II.
23) Derselbe. Pflanzenphysiologie. 1881.
24) Derselbe. 1) Ueber Aufnahme und Ausgabe ungelöster Körper. 2) Zur Kenntniss
der Plasmahaut und der Vacuolen nebst Bemerkungen über den Aggregatzustand des
Protoplasmas u. über osmotische Vorgänge. Abhandl. der Mathemat. physik. Classe d.
kgl. Sachs. Gesellsch. d. Wissenschaft. Bd. XVI. 1890.
25) Pflüger. Ueber die physiolog. Verbrennung in den lebendigen Organismen. Archiv
f. Physiologie. Bd. X. 1875.
26) Derselbe. Ueber Wärme und Oxydation der lebendigen Materie. Pflüger' a Archiv.
Bd. XVIIL 1878.
27) W. Schimper. Untersuchungen über das Wachsthum der Stärkekörner. Botan.
Zeitung. 1881.
28) Derselbe. Ueber die Entwickelung der Chlorophyllkörner und Farbkörper. Botan.
Zeitung. 1883.
5
6
7
8,
9
10
11
12
13
14;
15
16
17
18
19;
20
21
142 Fünftes Capitel. Stoffwechsel und formative Thätigkeit.
29) Fr. Schmitz. Die ChromatopJwren der Algen. Vergleichende Untersuch, über Bau
und J-Aitwickeluvg der Chlorophyllkörper und der analogen Farbstoffkörper der Algen.
Bonn 78S:>.
oO) Sehützenberger. Die Gährungserscheinungen. 187G.
31) Strasburger. Ueber den Bau und das Wachsthuni der Zellhäute. Jena 1882.
32) Derselbe. Uebcr das Wachsthum vegetabilischer Zellhäute. Histologische Beiträge.
Heft 2. 1889.
33) Derselbe. Das botanische Practiciim.
34) A. Weiss. Ueber spontane Bewegungen und Formänderungen von Farbstoffkörpern.
Sitzungsber. d. kgl. ylkadetnie d. Wissensch. zu Wien. Bd. XC. 1884.
35) Hugo de Vries. Flasmolgtische Studien über die Wand der Vacuolen. Pringsh.
Jahrb. f. toissensch. Botanik. Bd. 1(1. 1885.
36) Der selb e. Untersuch, über die tnechanischen Ursachen der Zellstreckung. 1877.
37) Went. Die J'ermehrung der normalen Vaeuolen durch Theilung. Jahrb. f. wissensch.
Botanik. Bd. 19. 1888.
38) Jul. Wortmann. Ueber die Beziehungen der intramolecularen u. normalen Athmung
d(r Pßanzen. Arbeiten des botanischen Distituts zu Würzburg. Bd. FI. 1879.
39) Wiesner. Die Element arstmctur u. das Wachsthtcm der lebenden Substanz. 1892.
40) Richard Hertw^ig. Die Radiolarien.
41) Ehrlich. Ueber die Metliyknblaureaction der lebenden Nervensubstanz. Biologisches
Centralblatt. Yid. VL 1887.
42) E. Heidenhain. Physiologie der Absonderungsvorgänge. Handbuch der Physiologie.
Bd. r.
43) Max Sehultze. Fin reizbarer Objecttisch u. seine Verivendung bei Untersuchungen
des Blutes. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. I.
44) Oscar Sehultze. Die vitale Methylenblaureaetion der Zellgranula. Anat. Anzeiger
1887. pag. 684.
45) Camillo Schneider. Histologie von Hydra fusca mit besonderer Berücksichtigung
des Nervensystems der Hydropolypen. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. XXXV.
46) Hugo de Vries. Intracellulare Pangenesis. Jena 1889.
SECHSTES CAPITEL.
Die Lebenseigenscliaften der Zelle.
lY. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
Eine der wiclitigsten Eigenschaften der Zelle, insofern auf ihr die
Erhaltung des Lebens überhaupt beruht, ist ihre Fähigkeit, neue Gebilde
ihres Gleichen' zu erzeugen und so zur Vervielfältigung des Lebens den
Grund zu legen. Wie durch zahllose Beobachtungen immer sicherer
gezeigt worden ist, entstehen neue Elementarorganismen nur in der
Weise, dass Mutterzellen auf dem Wege der Selbsttheilung in zwei oder
mehr Tochterzellen zerlegt werden. (Omnis cellula e cellula.) Dieser
für die Erkeuntniss des Lebens gnindlegende Satz ist nach mühsamer
Arbeit auf mannigfachen Umwegen und nach vielfachen Irrungen erreicht
worden.
I. Grescliichte der Zelleiieiitstehung.
Schon Schieiden und Schwann (L 28, 31) legten sich bei Ausarbeitung
ihrer Theorieen die sich naturgeraäss aufdrängende Frage vor: In welcher
Weise entstehen die Zellen? Ihre Antwort, die sie auf Grund sehr
lückenhafter und ungenauer Beobachtunüen oai^en, war eine verfehlte;
sie Hessen die Zellen, die sie mit Vorliebe Krystallen verglichen, sich
wie Krystalle in einer Mutterlauge bilden. Die Flüssigkeit im Innern
einer Pflanzenzelle bezeichnete Schieiden als Cytoblastem, als Keim-
stoff, als eine Art Mutterlauge. In dieser sollten junge Zellen dadurch
entstehen, dass sich zuerst ein festes Körnchen bildet, der Nucleolus des
Kerns, dass darauf um dasselbe sich eine Substanzschicht niederschlägt und
indem Flüssigkeit zwischen beide dringt, zur Kernmembran wird. Der
Kern ist wieder der Organisationsmittelpunkt für die Zelle, daher er
auch Cy tob last genannt wird. Es wiederholt sich derselbe Process,
wie bei der Bildung des Kerns um den Nucleolus. Der Cytoblast um-
giebt sich mit einer durch Niederschlag aus dem Zellsaft entstandenen
Membran, welche ihm anfangs dicht aufliegt, dann aber sich von ihm
entfernt, indem wieder Flüssigkeit zwischen beide eindringt.
Schwann (I. 31) adoptirte die Schleiden'sche Theorie, verfiel aber
dabei in einen zweiten, noch grösseren Irrthum. Er Hess nämlich die
jungen Zellen sich nicht allein im Innern von Mutterzellen entwickeln,
144 Sechstes Capitel.
wie es Schleiden that, sondern auch ausserhalb derselben in einem
organischen Stoff, welcher bei den Thieren als Intercellularsubstanz
zwischen vielen Zellen vorgefunden wird und welchen er ebenfalls als
Cytoblasteni bezeichnete. Schwann lehrte also freie Zellbildung sowohl
innerhalb als ausserhalb von Mutterzellen, eine wahre Urzeugung von
Zellen aus formlosem Keimstoff.
Das waren schwere, fundamentale Irrthümer, von denen sich am
raschesten die Botaniker losgesagt haben. Durch Mohl (VI. 47), Unger
und besonders durch die vorzüglichen Untersuchungen Nägeli's (VI. 48)
konnte schon im Jahre 184G ein allgemeines Gesetz formulirt werden.
Nach diesem Gesetz bilden sich neue Pflanzenzellen stets nur aus bereits
vorhandenen, und zwar in der Weise, dass Mutterzellen durch
einen Theilungsakt, wie ihn Mohl zuerst beobachtet hat,
in zwei oder mehrere T och terzeilen zerfallen.
Viel hartnäckiger hat sich die Lehre von der Urzeugung von Zellen
aus einem Cytoblasteni in der thierischen Gewebelehre, namentlich auf
dem Gebiete der pathologischen Anatomie, erhalten, wo die Ge-
schwulst- und Eiterbildung auf sie zurückgeführt wurde. Erst nach
manchen Irrwegen und durch die Bemühungen von vielen Forschern, ins-
besondere von Kölliker (VI. 44. 45), Reichert (VI. 58. 59) und Remak
(VI. 60. 61), wurde auch hier mehr Klarheit in die Frage der Zellen-
genese gebracht und zuletzt noch der Cytoblastemlehre das Schlagwort
„Omnis cellula e cellula" durch Virchow (I. 33) entgegengestellt.
Wie bei den Pflanzen existirt auch bei den Thieren kerne Urzeugung
von Zellen. Die vielen Milliarden von Zellen, aus denen z. B. der
erwachsene Körper eines Wirbelthieres l)esteht, sind insgesammt hervor-
gegangen aus der unendlich oft wiederholten Theilung einer Zelle, des
Eies, mit welchem das Leben eines jeden Thieres l)eginnt.
Ueber die Bolle , welche der Kern bei der Zelltheilung spielt,
gelang es den älteren Histologen nicht, zur Klarheit zu gelangen.
Mehrere Jahrzehnte lang standen sich zwei Ansichten gegenüber, von
denen bald die eine, bald die andere zeitweilig zu einer grösseren All-
gemeingeltung gelangt ist. Nach der einen Ansicht (die meisten Bota-
niker, Reichert (VI. 58), Auerbach (VI. 2a etc.) soll der Kern vor
j e d e r T h e i 1 u ng verschwinden und s i c h a u f 1 ö s e n , um in jeder
Tochterzelle wieder von Neuem gebildet zu werden; nach der andern
Ansicht dagegen (C. E. v. Baer, Joh. Müller, Remak VI. 60, Leydig,
Gegenbaur, Haeckel V. 4b, van Beneden etc.) soll der Kern in den
Theilungsprocess activ eingreifen, noch vor Beginn desselben soll er
sich strecken und der spätem Theilungseben e ent-
sprechend einschnüren und in zwei Hälften zerfallen,
welche nach entgegengesetzter Richtung etwas auseinanderweichen.
Dann soll sich auch der Zellkörjjer selbst einschnüren und in zwei
Stücke trennen, für welche die beiden Tochterkerne Attractionscentren
darstellen.
Jede dieser diametral entgegengesetzten Ansichten enthielt ein
kleines Stück Wahrheit, keine entsprach dem wirklichen Vorgang, der
den älteren Histologen zum Theil wegen " der von ihnen angewandten
Untersuchungsmethoden verborgen blieb. Erst 'in den letzten zwei
Jahrzehnten ist die Erkenntniss des Zellenlebens durch die Erforschung
der hochinteressanten Kernstructuren und Kernmetamorphosen bei der
Zelltheilung durch Schneider VI. 66, Fol VI. 18. 19, Auerbach VI. 2 a,
Biitschli VI. 81, Strasburger VI. 71—73, 0. u. R. Hertwig VI. 30—38,
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung. 145
Flemming VI. 13—17, van Beneden VI. 4 a, 4 b, Rabl VI. 53, Boveri
VI. 6, 7 in eingreifender Weise gefördert worden. Ihre Untersuchungen,
auf die ich in diesem Absclinitt noch öfters zurückkommen werde, haben
zu dem allgemeinen Resultat geführt, dass der Kern ein permanentes
Organ der Zelle ist, welchem eine sehr wichtige und namentlich bei der
Theilung sich äussernde Aufgabe im Zellenleben zugefallen ist. Wie
eine Zelle ni cht durch Urzeugung entsteht, sondern direct
auf dem Wege der Theilung von einer andern Zelle her-
vorgeht, sobildetsichauch der Kern niemals neu, sondern
stammt immer von Substanz theilen eines andern Kernes
ab. Das Schlagwort „Omnis cellula e cellula" findet eine Ergänzung
durch den Zusatz „Omnis nucleus e nucleo". (Flemming VI. 12.)
Nach dieser historischen Einleitung wollen wir zuerst die Ver-
änderungen, von denen der Kern bei der Theilung betroffen wird, als-
dann die verschiedenen Arten der Zellvermehrung näher in das Auge
fassen.
II. Der Process der Keriitlieilung und die yerschiedenen Arten
desselben.
Bei jeder Vermehrung der Zellen spielen ihre Kerne eine Haupt-
rolle und fesseln in erster Linie das Interesse des Beobachters. Je nach
den Veränderungen, die sie hierbei erleiden, unterscheidet man drei
Arten der Kernvermehrung, die indirecte oder Kernsegmentirung , die
directe (Flemming) oder Kernzerschnürung und die endogene Kern-
bildung.
1) Die Kernsegmentirung.
]\Iitose (Flemming). Karyokinese (Schleicher).
Dieselbe verläuft unter sehr complicirten und gesetzmässigen Er-
scheinungen, welche bei Thieren und Pflanzen und sogar bei vielen
Protozoen in ganz auffallender Weise unter einander übereinstimmen.
Das Wesentliche des Processes besteht darin, dass die im ruhenden
Kern vorhandenen, verschiedenen chemischen Substanzen (siehe Seite 34)
sich schärfer voneinander trennen, typische Umlagerungen eingehen und
unter Auflösung der Kernmembran mit dem Protoplasmakörper in eine
nähere Wechselbeziehung treten. Besonders fällt hierbei die gesetz-
mässige Anordnung des Jsucleins in die Augen; auch ist dieselbe in
ihren Einzelheiten bisher am genauesten und sichersten verfolgt worden,
während betrejffs des Schicksals der übrigen Kernsubstanzen noch
Manches in Dunkel gehüllt ist.
Die ganze Nucleinmenge des Kerns wandelt sich bei der Theilung
in eine für jede Thierart constante Anzahl von feinen Fadenabschnitten
um, welche untereinander nahezu gleich lang, meist gekrümmt und
nach den einzelnen Thier- und Pflanzenarten von abweichender Form
und Grösse sind ; bald sehen sie wie Schleifen, wie Haken, wie Stäbchen
oder, wenn sie sehr klein sind, wie Körner aus. Waldeyer (VI. 76) hat
für die Fadenabschnitte aus Nuclein die allgemein zutreff"ende Bezeichnung
Chromosomen vorgeschlagen. Ich werde gewöhnlich für dieselben
das bequemere und ebenso für alle einzelnen Fälle passende Wort
„Kernsegmente" gebrauchen. Das Wort drückt zugleich das
Wesentliche der indirecten Theilung aus, welches doch
hauptsächlich darin besteht, dass das Nuclein in Segmente
H e r t w i g , Die Zelle und die Gewebe. 10
146 Sechstes Capitel.
zerlegt wird. Desswegen scheint mir auch das Wort „Keru-
segmentirung" dem längeren und weniger bezeichnenden Ausdruck
„indirecte Kerntheilung" oder den für Nichtfachmänner unverständlichen
Fremdwörtern „Mitose und Karyokinese" vorzuziehen zu sein.
Im Verlaufe der Theilung zerfallen die Kernsegmente durch eine
Längsspaltung in je zwei, eine Zeit lang [jarallel verlaufende und
noch eng verbundene T o c h t e r s e g m e n t e. Dieselben weichen dann
in zwei Gruppen auseinander und werden in gleicher Zahl auf die
Tochterzellen vertheilt, wo sie die Grundlage für die bläschenförmigen
Kerne derselben bilden.
Für den Process der Kernsegmentirung ist ferner charakteristisch
1) das Auftreten zweier Pole, welche allen Zellbestandtheilen als
Mittelpunkte für ihre Anordnung dienen; 2) die Ausbildung der
sogenannten Kernspindel; 3) die strahlige Anordnung des
Pr 0 to p 1 a s m a s um die beiden Pole.
Was die beiden Theilung spole anbetrifft, so erscheinen dieselben
schon früh am bläschenförmigen Kern zu einer Zeit, wo seine Membran
noch nicht aufgelöst ist und zwar in dem an die letztere unmittelbar
angrenzenden Protoplasma. Sie liegen zu dieser Zeit dicht bei einander
und bestehen aus zwei ausserordentlich kleinen Kügelchen einer schwer
färbbaren Substanz, die vielleicht von Substanztheilen des Nucleolus ab-
stammt. Die Kügelchen sind die schon früher beschriebenen Pol- oder
Centralkörperchen (corpuscules polaires, Ceutrosomen). Später
rücken sie allmählich, indem sie um die Kernobei-fläche einen Halbkreis
beschreiben, weiter auseinander, bis sie die entgegengesetzten Enden
des Kerndurchmessers einnehmen.
Zwischen den Polkörperchen bildet sich die Kernspindel aus.
Sie besteht aus zahlreichen, sehr feinen, parallel angeordneten Spindel-
fäserchen, die wahrscheinlich vom Liningerüst des ruhenden Kerns ab-
stammen. In ihrer Mitte liegen sie etwas weiter auseinander, während
sie mit ihren Enden nach den Polen zu convergiren, wodurch das
Bündel der Fäserchen mehr oder minder die Form einer Spindel erhält.
Die Spindel wird erst klein angelegt, wenn die Polkörperchen ausein-
ander zu weichen beginnen, und ist dann schwer als ein dieselbe ver-
bindender Substanzstreifen sichtbar zu machen. Mit zunehmender Ent-
fernung der Pole wächst sie gleichfalls an Grösse heran und hebt sich
dabei schärfer von ihrer Umgebung ab.
Um die Pole der Kernfigiir beginnt sich auch der Protoplasmakörper
der Zelle in einer Weise anzuordnen, als ob von ersteren gleichsam eine
polare Wirkung ausgeübt würde. Es entsteht eine Figur wie um die
Enden eines Magneten, die in Eisenfeilspähne eingetaucht sind. Das
Protoplasma bildet zahlreiche, feine Fäden, welche sich in radiärer
Richtung um die Polkörperchen als Mittelpunkte oder Attractionscentren
herum gTuppiren. Erst sind sie kurz und auf die allernächste Umgebung
-der Attractionscentren beschränkt. Während des Verlaufs des Theilungs-
processes aber werden sie immer länger, bis sie sich endlich durch den
ganzen Zellkörper erstrecken. Die Protoplasmafigur um die Pole wird
in der Literatur als Plasmastrahlung, Strahlenfigur, Stern, Sonne,
wobei die Fäden den von einem Himmelskörper ausgehenden Lichtstrahlen
verglichen werden, Attractionssphäre etc. beschrieben.
Das sind kurz die verschiedenartigen Elemente, aus denen sich die Kern-
theilungsfiguren zusammensetzen. Polkörperchen, Spindel und die beiden
Plasmastrahlungen werden von Flemming als der ac h r o m a t i s cli e T h e i 1
lY. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung. 147
der Keriitheilungsfigur zusainmengefasst und den verschiedenen
Bildern, die durch Umordnung des Nucleins entstehen und den chroma-
tischen Theil der Figur bilden, gegenüber gestellt.
Alle einzelnen Bestandtheile der gesammten Theilungsfigur ändern
sich durch Uiugruppirung ihrer Elemente im Verlauf des ganzen Processes
in gesetzmässiger Weise. Um sich besser zu orientiren, empfiehlt es
sich, vier verschiedene Phasen zu unterscheiden, die sich überall
in regelmässiger Folge ablösen.
Die erste Phase besteht in der Vorbereitung des ruhenden Kerns
zur Theilung und führt zur Bildung der Kernsegmente, der Kerapole und
der ersten Anlage der Spindel. In der zweiten Phase gruppiren sich
die Kernsegmente nach Auflösung der Kernmembran zu einer regel-
mässigen Figur in der Mitte zwischen beiden Polen im Aequator der
Spindel. In der dritten Phase vertheilen sich die Tochtersegmente,
welche aus Längsspaltung der Muttersegmente schon in einer der vor-
ausgegangenen Phasen entstanden sind, auf zwei Gruppen, die sich vom
Aequator in entgegengesetzten Richtungen entfernen und bis in die
Nähe der Kernpole auseinander weichen. Die vierte Phase führt zur
Reconstruction bläschenförmiger, ruhender Tochterkerne aus den zwei
Gruppen der Tochtersegmente und zur Theilung des Zellkörpers in zwei
Tochterzellen.
Nach dieser allgemeinen Orientirung soll der Verlauf der Zelltheilung
an einzelnen Beispielen in seinen Einzelheiten genauer beschrieben wer-
den, dann soll zum Schluss in einem besonderen Abschnitt noch auf
einzelne strittige Punkte näher eingegangen werden.
Im Thierreich sind die zum Studium geeignetesten und am häufigsten
untersuchten Objecte die Gewebszellen junger Larven von Salamandra
maculata und von Triton, die Samenzellen geschlechtsreifer Thiere, ferner
die Furchungskugeln kleiner, durchsichtiger Eier, namentlich von Nema-
toden (Ascaris megalocephala) und von Echinodermen (Toxopneustes lividus).
Im Pflanzenreich empfiehlt sich zur Untersuchung der protoplasmatische
Wandbeleg aus dem Embryosack, namentlich von Fritillaria imperialis,
die Entwicklung der Pollenzellen von Liliaceen etc.
a) Zelltheilung bei Salamandra maculata unter Zu-
grundelegung der Theilung der Samenmutterzellen.
(Flemming VI. 13.)
Erste Phase. Vorbereitung des Kerns zur Theilung. ,
Bei Salamandra maculata gehen Veränderungen am ruhenden Kern
schon geraume Zeit vor Beginn der Theilung vor sich. Die überall auf
dem Liningerüst vertheilten Nuclemkörnchen (Fig. 75 A) rücken an
einzelnen Stellen dichter aneinander und ordnen sich zu gewundenen
feinen Fäden an, die mit kleinen Zäckchen und Höckern liedeckt sind.
Von diesen entspringen unter rechtem Winkel zahlreiche feinste Fäserchen,
die nun sichtbar werdenden Strecken des Liningerüstes, von deren Ober-
fläche sich das Nuclein zurückgezogen hat. Später werden die Nucleinfäden
noch deutlicher ausgeprägt und nehmen, indem die Zäckchen und Höcker
schwinden, eine vollkommen glatte Obei-fläche (Fig. 75 B) an. Da sie
nach allen Richtungen den Kernraum in Windungen durchsetzen, erzeugen
sie eine Figur, welche Flemming die Knäuelform (Spirem) bezeichnet hat.
Viel dichter als in den Samenzellen ist der Knäuel in den Epithelzellen
10*
148
Sechstes Capitel.
von Salaniaiidra, in denen der Faden zugleich auch viel feiner und
länger ist (Fig. 76).
Darüber, ob Anfangs der Knäuel aus einem einziuen, langen Faden
oder gleich aus einer grösseren Anzahl von solchen besteht, lauten die
Angaben verschieden. Letzteres scheint mir mit Rabl (VI. 53) das
Wahrscheinlichere zu sein.
A
Fig. 75.
S;^;&fti#^
Fig. 76.
Fig. 75. A Ruhender Kern einer Samenmutterzelle von Salamandra maculata.
Nach Flemming Taf. 23, Fig. 1. Aus Hatschek.
£ Kern einer Samenmutterzelle von Salamandra maculata. Knäuelstadium. Der
Kernfaden zeigt schon eine Längsspaltung. Schema nach Flemming Taf. 26, Fig. 1.
Aus Hatschek.
Fig. 76. Epithelkern im Anfang der Theilung von der Mundboden-
platte des Kiemengerüstes einer Salamanderlarve. Enge Knäuelform.
Zwei Nucleolenreste noch erhalten. Nach Flemming.
In der Färbbarkeit tritt gegen früher ein auffallender Unterschied
ein. Je deutlicher und schärfer die Fäden ausgeprägt werden, um so
stärker färben sie sich und um so energischer halten sie auch den Farb-
stoff fest, wie dies beim Gerüst des ruhenden Kernes nicht der Fall ist.
Besonders bei Anwendung der Graham'schen Färbungsmethode lässt es
sich erreichen, dass die ruhenden Kerne allen Farbstoff abgeben, während
die in Vorbereitung zur Theilung begriffenen und die sich theilenden
Kerne allein durch ihre starke Färbung die Aufmerksamkeit des Be-
obachters auf sich ziehen.
In den Anfangsstadien der Knäuelbildung sind die Nucleolen noch
vorhanden, verkleinern sich aber allmählich und sind bald spurlos ver-
schwunden, ohne dass es bis jetzt gelungen ist, ganz sicher zu erforschen,
was aus ihrer Substanz geworden ist.
Während der Ausbildung des Knäuels kann man bei sorgsamer
Beobachtung an der Oberfläche des Kerns eine kleine Stelle erkennen,
welche während des weiteren Processes sich immer deutlicher markirt
und von Rabl als Polfeld bezeichnet wird (Fig. 77). Die ihr vis-ä-vis
gelegene Oberfläche des Kerns ist die Gegenpolseite. Nach ihnen
beginnen sich die Nucleinfäden immer deutlicher zu orientiren. Von
der Gegenpolseite kommend, ziehen sie bis in die Nähe des Polfeldes,
„biegen hier schleifenförmig um und kehren dann wieder in vielen
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
149
kleinen, unregelmässigen, zackigen Windungen in die Nähe ihres Aus-
gangspunktes zurück". Im weiteren Verlauf werden die Fäden kürzer
und entsprechend dicker, sie sind weniger gewunden, und rücken etwas
weiter auseinander, so dass jetzt der ganze Fadenknäuel viel lockerer
geworden ist. Ihre Schleifenform tritt immer deutlicher hervor. Die
Gesammtzahl der Schleifen oder Kernsegmente lässt sich in günstigen
Fällen auf 24 bestimmen, eine Zahl, welche für die Gewebszellen und
die Ursamenzeilen von Salamandra und Triton gesetzmässig ist.
Gleichzeitig haben sich im Polfeld wichtige Gebilde der Kernfigur,
die beiden Polkörperchen und die Spindel , angelegt. Dieselben sind
auf diesem Stadium wegen ihrer geringen Färbbarkeit, ihrer Kleinheit
und Zartheit schwer sichtbar zu machen, da sie schon durch Körnchen,
die sich im Protoplasma in ihrer Umgebung ansammeln, mehr oder
minder verdeckt werden können. Nach Flemming und Hermann lassen
sich an gelungenen Präparaten zwei dicht bei einander gelegene Pol-
körperchen beobachten, welche wahrscheinlich durch Theilung eines
ursprünglich einfachen Kügelchens ihren Ursprung genommen haben.
Zwischen ihnen tritt in Form verbindender Fäden die erste Anlage der
späteren Spindel auf.
Zweite Phase-^er Theilung.
Der Beginn der zweiten Phase lässt sich am besten wohl von der Zeit
an rechnen, wo die Kernmembran undeutlich wird und sich auflöst. In-
dem der Kernsaft sich gleichmässig im Zellkörper vertheilt, kommen die
Kernsegmente jetzt mitten in das Protoplasma zu liegen (Fig. 78). In
Fig. 77.
Fig. 78.
Fig. 77. Sehematisehe Darstellung eines Kerns mit dem Polfeld, in
welchem zwei Polkörperehen und die Spindel entstehen. Nach Flemming
Taf. 39, Fig. 37.
Fig. 78. Kern einer Samenmutterzelle von Salamandra maculata in
Vorbereitung zur Theilung. Anlage der Spindel zwischen den beiden
Polkörperchen. Nach Hermann (VI. 29) Taf. 31, Fig. 7.
ihrer Nähe befinden sich die beiden Polkörperchen, die jetzt weiter aus-
einander rücken. In demselben Maasse nimmt zwischen ihnen die
Spindel an läge an Ausdehnung und Deutlichkeit zu und zeigt sich
aus zahlreichen, feinsten Fäserchen zusammengesetzt, die sich continuirlich
von einem Polkörperchen zum andern erstrecken, wie die von Hermann
dargestellten Präparate so schön zeigen. Jetzt beginnt auch von den
150
Sechstes Capitel.
Polen der Kernfigur sich ein Einfluss auf das umgel)ende Protoplasma
geltend zu machen. Zahlreiche Protoplasmafädchen gruppiren sich in
radiärer Richtung um je ein Polkörperchen als Mittelpunkt herum und
zwar so, dass sie vorzugsweise nach der Gegend, wo die Kernsegmente
liegen, ausstrahlen und sich an ihrer Oberfläche anzusetzen scheinen.
Rasch vergrössert sich von hier an die Spindel, bis sie die ansehnlichen
Dimensionen der Figur 79 erreicht hat.
Währenddem verändert sich auch die chromatische Figur von Grund
aus (Fig. 79). Die Kernsegmente sind noch um ein Erhebliches kürzer
und dicker geworden, sie legen sich um die
Mitte der Spindel als ein vollständig ge-
schlossener Ring herum und gehen jetzt die
von Flemming als Mutterstern beschriebene,
regelmässige Anordnung ein. An den Seg-
menten ist die Schleifenform auf das Deut-
lichste ausgeprägt. Ohne Ausnahme haben
sie sich so orientirt, dass die Winkel der
Schleifen gegen die Spindelaxe, ihre beiden
Schenkel dagegen nach der Oberfläche der
Zelle gekehrt sind. Alle 24 Schleifen liegen
ziemlich genau in einer Ebene, welche senk-
recht durch die Mitte der Si)indel hindurch-
geht, als Aequatorialebene bezeichnet werden
kann und mit der später auftretenden Thei-
lungsebene identisch ist. Von einem der bei-
den Pole aus betrachtet, hat die chromatische
Figur „die Form eines Sterns, dessen Strahlen
von den Schenkeln der Schleifen gebildet
werden und dessen Mitte das Bündel achromatischer Fäden, das die
Kernspindel aufbaut, durchsetzt". Bei dieser Ansicht lassen sich die
Kernsegmente am besten überblicken und ihre Zahl sich auf 24 bestimmen.
In die zweite Phase fällt noch ein sehr wichtiger Vorgang. Wenn
man an gut conservirten Präparaten und bei starker Vergrösserung die
Kernsegmente (Fig. 79) genauer untersucht, so wird man wahrnehmen,
dass ihrer Länge nach ein feiner Spalt durch sie hindurchgeht und dass
in Folge dessen jetzt jeder Mutterfaden in zwei genau parallel ver-
laufende und dicht zusammenliegende Tochterfäden zerlegt ist. Da früher
bei der Anlage der Fäden aus dem Kerngerüst von dieser Structur nichts
zu sehen war, muss sie sich erst nachträglich ausgebildet haben. Meist
tritt die Längsspaltung schon in der Phase des lockern Knäuels ein
(Fig. 75 B.), stets ist sie in der zweiten Phase (des Muttersterns) voll-
endet und am schärfsten ausgeprägt. Der ganze Vorgang, welcher zuerst
von Flemming (VL 12, 13) bei Salaraandra entdeckt, an diesem und
andern Objecten von v. Beneden (VI. 4a), Heuser (VI. 39), Guignard
(VI. 23), Rabl (VI. 53) und vielen anderen bestätigt worden ist, scheint
bei der indirecten Kerntheilung überall vorzukommen und ist für das
Verständniss des Theilungsprocesses von der grössten Wichtigkeit, wie
bei der theoretischen Beurtheilung desselben später gezeigt werden wird.
Fig. 79. Schematische
Darstellung der Kern-
segmentirung nach Flem-
ming. Stadium, auf welchem
die Kernsegmente im Aequator
der Spindel angeordnet sind.
Aus Hatschek.
Dritte Phase der Theilung.
Die dritte Phase der Theilung ist dadurch ausgezeichnet, dass sich
die äquatorial gelegene, einfache Gruppe der Muttersegmente in zwei
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilun{^.
151
Gruppen von Tochtersegmenten sondert, welche nach entgegengesetzten
Richtungen auseinander weichen und in die Nähe der beiden Pole der
Kernfigur zu liegen kommen (Fig. 80, A B C). Aus dem Mutterstern
Fig. 80. Schematisehe Darstellung der Kernsegmentirung nach Flemmisg.
Die Tochtersegmente weichen nach den Polen in zwei Gruppen auseinander. Aus
Hatschek.
entstehen, wie Flemming sich ausdrückt, die beiden Tochtersterne. Der
schwer zu beobachtende Vorgang vollzieht sich im Einzelnen in folgen-
der Weise:
Die durch Lcängsspaltung entstandenen Tochtersegmente je eines
ursprünglichen Muttersegments trennen sich an dem Winkel der Schleife,
welcher der Spindel zugekehrt ist, voneinander und weichen nach den
Polkörperchen zu auseinander, während sie an den Schenkelenden noch
eine Zeit lang in Zusammenhang l)leiben. Schliesslich erfolgt auch hier
eine Trennung. Aus den 24 Mutterschleifen sind 2 Gruppen von je
24 Tochterschleifen entstanden, die bis auf einen geringen Abstand an
die Polkörperchen heranrücken und dann in ihrer Bewegung Halt
machen. Nie kommen sie an die Pole selbst zu liegen. Zwischen den
beiden Gruppen spannen sich feine „Verbindungsfäden" aus, deren
Ursprung wohl auf die Spindelfasern zurückzuführen ist.
Die einzelnen Schleifen haben „ihre Winkel nach den Polen, ihre
Schenkel theils schräg, theils senkrecht gegen die Aequatorialebene
gekehrt". Sie sind ihrer Entstehung gemäss Anfangs viel dünner als die
Mutterfäden, verkürzen sich aber von jetzt ab und werden dementsprechend
dicker. Bei der Entstehung der Tochtersterne liegen sie ziemlich lose
nebeneinander, dann rücken sie dichter zusammen, so dass sich ihre
Anzahl und ihr Verlauf wieder schwieriger und nur ausnahmsweise fest-
stellen lässt.
Vierte Phase der T h e i 1 u n g.
Während der vierten Theilungsphase wandelt sich allmählich jede
Gruppe von Tochtersegmenten wieder in einen bläschenförmigen, ruhen-
den Kern um (Fig. 81). Die Fäden rücken noch enger zusammen,
krümmen sich stärker und werden dicker, sie erhalten eine rauhe und
zackige Oberfläche, indem sie kleine Fortsätze nach Aussen hervor-
strecken. Um die ganze Gruppe herum bildet sich eine zarte Kern-
membran aus. Die Strahlung um das Polkörperchen wird allmählich
schwächer und ist bald ganz geschwunden. Auch das Polkörperchen
und die Spindelfasern sind schliesslich nicht mehr nachzuweisen. Was
aus ihnen wird, ist noch nicht mit genügender Sicherheit aufgeklärt.
152
Sechstes Capitel.
Wie ihre P^ntstelmng ist auch ihr Schwund in Dunkel gehüllt. In der
Gegend des früheren Polkörperchens zeigt der in Reconstruction begriffene
Tochterkern eine Delle; Rabl erblickt in ihr das Eingangs beschriebene
Polfeld des sich zur Theilung anschickenden Kerns und vermuthet, dass
sich in ihr das Polkörpeichen in das Protoplasma
des Zellenleibes eingeschlossen erhält. Allmäh-
lich schwillt der Kern durch Aufnahme von
Kernsaft mehr an, wird kuglig und erhält wie-
der das Gerüstwerk des ruhenden Kerns mit
unregelmässig vertheilten, kleineren und grösseren
Nucleinkörnchen. Auch ein oder mehrere Nu-
cleolen sind während der Reconstruction im Ge-
rüstwerk wieder zum Vorschein gekommen, doch
ist es noch nicht gelungen, über ihre Herkunft
Sicheres zu ermitteln.
Wenn am Anfang der vierten Phase die
beiden Tochtersterne am weitesten auseinander
gerückt sind und zur Umwandlung in die Toch-
Fig.81. Schematische terkenie die einleitenden Schritte thun, kommt
Darstellung der Kern- es auch zur T h e i 1 u n g des Z e 1 1 k ö r p e r s
segmentirun^nachFLEM- gelbst. Die Strahlungen an den Polkörperchen
^egmenttrbe -^^t^sict d:; ^f^en dann ihre grösste Ausdehnung errdcht.
ruhende Kern zu bilden. Jetzt macht sich eine kleine h urche an der Ober-
Aus Hatschek. fläche des Zellkörpers bemerkbar, entsprechend
einer Ebene, welche senkrecht durch die Mitte
der Kernaxe, welche die beiden Polkörperchen verbindet, hindurchgeht und
als Theilungsebene schon oben bezeichnet wurde. „Die Furche beginnt
einseitig, greift nach und nach um den Aequator herum, bleibt aber auf
der Seite, wo sie begann, tiefer als auf der entgegengesetzten" (Flemming).
Die ringförmige Einschnürung schneidet bald immer tiefer in den Zell-
körper ein und zerlegt ihn schliesslich vollständig in zwei nahezu gleich
grosse Hälften, von denen eine jede einen in Reconstruction begriffenen
Tochterkern einschliesst. Mit Beendigung der Durchschnürung beginnt die
Strahlung an den Polen zu erlöschen.
An vielen Objecten sind die oben erwähnten Verbindungsfasern
zwischen den Tochterkernen bis zur Vollendung der Theilung nachzu-
weisen. Sie werden dann auch bei der Zerschnürung des Zellkörpers
in ihrer Mitte durchgetrennt. Zu dieser Zeit kann zuweilen in ihrer
Mitte eine geringe Anzahl sich scharf färbender Kügelchen bemerkt
werden, die Flemming (VI, 13") Zwischenkörperchen nennt und als ein
m u t h m a a s s 1 i c h e s A e q u i V a 1 e n t d e r b e i P f 1 a n z e n b e s s e r a u s -
gebildeten Zellplatte deutet.
b) Theilung der Eizellen von Ascaris megalocephala und
T 0 X 0 p n e u s t e s 1 i v i d u s.
In den Eiern von Ascaris zeichnen sich die Kerne durch die Grösse
und Deutlichkeit der Polkörperchen und durch die geringe Anzahl der
Kernsegmente aus, die bei einer Art vier, bei einer andern Art sogar
nur zwei beträgt. Besonders deutlich ist an diesem Object ein sehr
wichtiges Phänomen, die Vermehrung der Polkörperchen durch Selbst-
theilung, zu beobachten. Am besten nehmen wir die Untersuchung zu
und sich zu
der Zeit auf, wo sich das Ei zum ersten Male
gefurcht hat
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
153
beiden Seiten der Theilunfrsebene aus den vier Kernschleifen wieder ein
bläschenförmiger, unregelniässig conturirter Kern hervorbildet (Fig. 82).
Derselbe besitzt mehrere lappenförmige Fortsätze an der Gegenpolseite
und zeigt das Nuclein in einem lockeren Gerüstwerk ausgebreitet. In
der Gegend des früheren Poles der Theilungsfigur ist noch das Pol-
körperchen zu erkennen, eingehüllt in körniges Protoplasma, welches
gegen die üottermasse des Eies absticht und von v. Beneden als
Attractionssphäre, von Boveri als Archoplasma beschrieben wird.
Ehe nun überhaupt der Kern zur vollen Ruhe zurückgekehrt ist,
ja zuweilen sogar vor Abschluss der ersten Theilung, setzen schon wieder
die Vorbereitungen zur zweiten Theilung ein; sie beginnen mit Ver-
änderungen des Polkörperchens (Fig. 84). Dasselbe streckt sich parallel
zur ersten Theilungsebene in die Länge, wird bisquitförmig und theilt
sich, wie v. Beneden (VI. 4b) und Boveri (VI. 6. 1888) entdeckt haben,
durch Einschnürung in zwei Tochterpolkörperchen, die eine Zeit lang
noch von einer gemeinsamen, körnigen Sphäre eingeschlossen sind.
Hierauf rücken die beiden Polkörperchen etwas weiter auseinander
(Fig. 83), was die Trennung ihrer gemeinsamen Strahlensphäre in zwei
besondere Sphären zur Folge hat.
|:::Äp|
Fig. 82.
' \ • i '' 1 '
mK'^
Fig. 84.
Fig. 83.
Fig. 82. Zweigetheiltes Ei von Asearis megaloeephala ; die Kerne
im Ruhezustand; Polkörperehen jederseits noch einfach. Nach Boveri
Taf. IV, Fig. 74.
rig. 83. Zweigetheiltes Ei von Asearis megaloeephala. Die Kerne
in Vorbereitung zur Theilung begriffen. Die Polkörperchen getheilt. Nach
Boveri Taf. IV, Fig. 75 u. 76.
Fig. 84. Zwei Toehterkerne am Anfange der Reconstruction mit
lappigen Fortsätzen. Die Polkörperchen vermehren sich durch Selbst-
theilung. Nach v. Benedsn und Neyt Taf. VI, Fig. 13.
Die Theilung des Polkörperchens giebt das Signal, dass auch der
Kern, noch ehe er ganz zur Ruhe zurückgekehrt ist, gleich wieder
in die folgende Theilungssphase eintritt (Fig. 83). Das Nuclein zieht
sich aus dem Gerüst in vier lange Schleifen zusammen, die erst mit
Zacken bedeckt sind, dann eine glatte Contur erhalten. Die vier
Schleifen sind ähnlich orientirt, wie die Tochtersegmente nach der ersten
Theilung, so dass Boveri (VI. 6) der schon von Rabl (VI. 53) auf-
gestellten Ansicht zuneigt, dass sie aus der Substanz der letzteren sich
direct ableiten und auch im Zustand der Ruhe eine selbständige
Individualität bewahren. Die Schleifen winkel sind nach dem
ursprünglichen Pol (dem Polfeld bei Salamandra), die kolbig
schwollenen Schenkelenden nach der Gegenpolseite hin gewandt.
ange-
154 Sechstes Capitel.
Jetzt beginnt die zweite Phase der Theilunji". Die Polkörperchen
rücken mit ihren Sphären weit auseinander und nehmen eine solche
Stellung ein, dass die sie verbindende Axe entweder etwas schräg oder
parallel zur ersten Theilungsebene zu liegen kommt. Die Kernmembran
löst sich auf. Die vier Segmente ordnen sich in der früher beschriebenen
Weise im Aequator zwischen beiden Polkörperchen an, in deren Um-
gebung jetzt eine deutliche Strahlung im Protoplasma entstanden ist;
sie bieten, vom Pol aus gesehen, das in Figur 85 A dargestellte Bild
dar. Es folgt die Längsspaltung der vier Segmente und der Eintritt in
die dritte Phase der Theilung (Fig. 85 B). Die durch Spaltung ent-
standenen Tochtersegmente trennen sich und weichen nach den beiden
Polen zu auseinander. E. van Beneden (VI. 4 b) und Boveri (VI. 6)
lassen hierbei die Spindelfasern eine active Rolle spielen (Fig. 86). Nach
Fig. 85. Fig. 86.
Fig. 85. A Vier Muttersegmente vom Pol der Kernfigur aus gesehen.
Nach V. Beneden und Nevt Taf. VI, Fig. 16.
B Längsspaltung der vier Muttersegmente in acht Tochtersegmente.
Nach V. Beneden und Neyt Taf. VI, Fig. 17.
Fig. 86. Zusammensetzung der Spindel aus zwei Halbspindeln, deren
Fasern sich an die Tochtersegmente ansetzen. Nach v. Beneden und Neyt
Taf. VI, Fig. 8.
ihrer Meinung ist die Spindel bei Ascaris aus zwei voneinander unab-
hängigen Halbspindeln zusammengesetzt. Jede besteht aus zahlreichen
Protoplasmafasern, die nach dem Polkörperchen zu convergiren und sich
an ihm mit ihren Enden anheften, während die entgegengesetzten En-
den divergiren, an die Kernschleifen herantreten und sich an verschie-
denen Punkten der ihnen zugekehrten Tochtersegmente festsetzen. Durch
zunehmende Verkürzung dieser Fasern in Folge von Contraction sollen
nach van Beneden und Boveri die vier Tochtersegmente voneinander
getrennt und nach den Polkörperchen geradezu hingezogen werden.
In der vierten Phase erfolgt die Durchschnürung des Zellkörpers
und die Reconstruction des Tochterkerns. Nach van ßeneden geschieht
dieselbe in der Weise (Fig. 87), dass die vier chromatischen Schleifen (A)
aus dem Protoplasma Flüssigkeit, die Kernsaft wird, aufnehmen; sie
durchtränken sich mit derselben wie ein Schwamm und schwellen daher
zu dicken Schläuchen (B) auf. Das Nuclein vertheilt sich in Körnern, die
durch feine Fäden verbunden und namentlich an der Oberfläche der
Schläuche gelegen sind. Diese rücken mit ihren mittleren Abschnitten
dicht zusammen und verschmelzen hier untereinander. So entsteht ein
bläschenförmiger, gelappter, von Kerusaft durchtränkter Kern (Fig. 87 0),
der sich gegen das Protoplasma mit einer Membran abgrenzt und die
chromatische Substanz wieder auf einem feinen Gerüst vertheilt zeigt.
Wählend die Eier von Ascaris für das Studium der Polkörperchen
und der Kernsegmente besonders geeignet sind, bieten die kleinen Eier
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
155
der Echinodermen (Hertwig VI. 30a, Fol. VI. 19 a) und einzelner wirbelloser
Thiere wieder andere Vortheile für das Studium dar; so zeigen sie uns
namentlich schön auch bei Untersuchung der lebenden Zelle die Strah-
lungserscheinungen im Protoplasma ausgebildet. Es sei daher
auch hierauf noch etwas näher eingegangen.
ABC
Fig. 87. A Eine Gruppe von vier Tochtersegmenten vom Pol aus ge-
sehen. Die Endan Schwellungen der Schleifen sind sehr ausgeprägt. Nach
V. Beneden und Neyt Tat'. VI, Fig. 19.
ß Reconstruction des Kerns auf Kosten der vier Tochtersegmente.
Schematiscli nach v. Beneden luid Neyt Tat". VI, Fig. 20.
C Ruhestadium des Kerns vom Pol aus gesehen. Nach v. Beneden und
Neyt Tat'. VI, Fig. 21.
Wenige Minuten nach der Befruchtung (Fig. 88) sieht man am
lebenden Echinodermen-Ei den kleinen, kugligen Furchungskern als ein
helles Bläschen in der Mitte des Dotters gelegen und von Proto-
plasmastrahlen, wie eine Sonne von ihren Lichtstrahlen, umgeben. —
Die Strahlung tritt während des Lebens
an unserem Object deswegen so klar
hervor, weil die zahlreichen, im Dotter
eingelagerten kleinen Körnchen der
strahligen Anordnung des Protoplasma-
körpers passiv folgend ebenfalls in ra-
diären Reihen angeordnet sind. Nach
kurzer Zeit beginnt dieses in den Befruch-
tungsvorgängen seine Erklärung findende
Strahlensystem zu erblassen und sich
allmählich in zwei an entgegengesetzten
Punkten des Kerns auftauchende Strah-
lensysteme umzubilden, die erst klein
beginnen, dann von Minute zu Minute
deutlicher ausgeprägt und grösser wer-
den und sich schliesslich wieder über die
ganze Dotterkugel ausdehnen und die-
selbe in zwei um je ein Attractions-
centrum herum strahlig angeordnete
■_'.'-'-'.■*; "• ■- -'■ .■--'•".."' ^■» ^.
V '. • '■ •''".':'-V.t;;::<;'."-'.-,v.''-J''>; " . , /
Fig. 88. Ei eines Seeigels
gleich nach beendeter Befruch-
tung. Aus O. Hertwig, Entwick-
lungsgesch. Fig. 20.
Ei und Samenkern sind zum
Furchungskern (fk) verschmolzen, der
im Centrum einer Protoplasmastrah-
lung liegt.
Massen zerlegen (Fig. 89).
In der Mitte der beiden Strahlungen unterscheidet man bei ihrem
Auftauchen einen kleinen, homogenen Fleck, der sich an die Kernober-
fläche anschmiegt und frei von Körnchen ist. In ihm ist das Pol-
körperchen eingeschlossen, welches sich am lebenden Object der Wahr-
nehmung vollständig entzieht.
Je mehr die Strahlungen deutlicher werden und sich in die Nach-
barschaft weiter ausdehnen, um so mehr nehmen in der Umgebung der
Polkörperchen die Ansammlungen von homogenem, ganz körnerfreiem
Protoplasma zu und rücken allmählich mit den Polen weiter auseinander.
156
Sechstes Capitel.
Da ZU dieser Zeit auch der Kern seine bläschenförmifre Beschaffenheit
verliert und die für andere Objecte schon beschriebene Spindelstructur
annimmt, die sich während des Lebens wegen ihrer Feinheit der Beob-
achtung ganz entzieht, entsteht im körnigen Dotter das in Figur 89
dargestellte, ausserordentlich charakteristische
Bild, welches man passender Weise einer
Hantel, wie sie beim Turnen gebraucht
wird, vergleichen kann. Die beiden An-
sammlungen homogenen Protoplasmas, in
deren Mitte die Pole der Theilungsfigur ein-
geschlossen sind, entsprechen den Köpfen der
Hantel. Der die letzteren verbindende,
körnchenfreie Streifen zeigt die Stelle an,
wo auf den vorausgehenden Stadien der jetzt
unsichtbar gewordene Kern gelegen war, der
sich zur Spindel umgewandelt hat, welche
mit ihren Enden bis zu den Polkörperchen
heranreicht. Um die homogene Hantelfigur
herum ist die körnige Dottermasse in zwei
Strahlensystemen angeordnet, welchen Fol
den Namen Amphiaster oder Doppel-
stern gegeben hat.
Jetzt beginnt sich das Anfangs rein kuglige
Ei in der Richtung der Axe der Hantelfigur
Fig. 89. Ei eines See-
igels in Vorbereitung zur
Theilung. Nach dem le-
benden Objeet gezeichnet.
Ans O. Hertwig , Entwick-
lungsgesch. Fig. 27.
Der Kern ist im frischen
Zustand nicht mehr zu sehen,
an seiner Stelle ist eine Hantel-
figur entstanden.
etwas in die Länge zu strecken und in die
Endphase der Theilung rasch einzutreten (Fig. 90 Ä). Entsprechend einer
Ebene, welche man mitten durch die Hantelfigur senkrecht zu ihrer
Längsaxe hindurch legen kann, bildet sich an der Oberfläche des Eies
eine Ringfurche aus. Dieselbe schneidet rasch tiefer in die Eisubstanz
B
:-:0^lJ^^i^^)f0:i^^^^
Fig. 90. Ei eines Seeigels im Moment der Theilung. Aus O. Hertwig,
Entwicklungsgesch. Fig. 29.
A Eine Ringfurche schneidet in den Dotter ein und halhirt ihn in einer Ebene,
welche rechtwinklig die Mitte der Kernachse und die Längsachse der Hantelfigur schneidet.
B Ei eines Seeigels nach der Zweitheilung. In jedem Theilproduct ist ein
bläschenförmiger Tochterkern entstanden. Die strahlige Anordnung des Protoplasma
beginnt undeutlich zu werden. Beide Figuren sind nach dem lebenden Objeet ge-
zeichnet.
ein und zerlegt sie in kurzer Zeit in zwei gleiche Hälften, von denen
eine jede die Hälfte der Spindel mit einer Gruppe der Tochtersegmente,
die Hälfte der Hantelfigur und ein protoplasmatisches Strahlensystem erhält.
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
157
Gegen Ende der Durehschnüiung j>renzen die sich trennenden Eihälften
nur noch an einer kleinen Stelle ihrer Oberfläche, in der Gegend des
Hantelstieles, aneinander. Nach Beendigung der Theilung aber legen sie
sich bald wieder mit ihren Theilungsflächen in ganzer Ausdehnung dicht
aneinander und platten sich hier gegenseitig so ab, dass eine jede nahezu
einer Halbkugel gleicht (Fig. 90 B).
Währenddem wird am lebenden Object auch der Kern wieder
sichtbar. Etwa in der Gegend, wo Hantelstiel und Hantelkopf in ein-
ander übergehen, also in einiger Entfernung von dem Polkörperchen,
tauchen einige kleine Vacuolen auf, die sich dadurch bilden, dass sich
die Tochterkernsegmente mit Kernsaft durchtränken. Sie verschmelzen
dann in sehr kurzer Zeit untereinander zu einem kugligen Bläschen, dem
Tochterkern (Fig. 90 B). Die strahlige Anordnung des Protoplasma
wird immer undeutlicher und macht, wenn die Zelle sich rasch wieder
zur nächsten Theilung anschickt, einer neu sich ausbildenden Doppel-
strahlung Platz.
Zur Untersuchung mit Reagentien und namentlich zum Studium der
chromatischen Figuren sind die Ecliinodermeneier viel weniger als die
Ascariseier geeignet. Es sind nämlich bei ihnen die schleifenförmigen
Kernsegmente sehr klein und zahlreich, so dass sie selbst noch bei
starken Vergrösserungen den Anblick kleiner Körnchen darbieten. So
giebt ims Figur 91 die Darstellung einer Spindel nach Behandlung mit
Reagentien und Farbstoffen; sie entspricht etwa dem in Figur 89 abge-
bildeten Zustand des lebenden Eies, zu dessen Ergänzung sie dienen kann.
Der Durchschnürungsprocess nimmt an sehr grossen Eiern, bei denen
viel Dottermasse zu bewältigen ist, wie zum Beispiel bei den Froscheiern,
geraume Zeit für sich in Anspruch, so dass die zweite Theilung schon
beginnen kann, noch ehe die erste ganz vollendet ist. Bei den Frosch-
eiern lässt sich hierbei eine interessante Erscheinung beobachten, welche
in der Literatur unter dem Namen des Faltenkranzes (VI. 68) be-
schrieben worden ist (Fig. 92). Die erste Furche beginnt zunächst auf
mm-
miß:,.
Fig. 91.
Fio-. 9-.
Fig. 91. Kernfigur eines Eies von Strongylocentrotus. 1 Stunde
20 Minuten nach der Befruchtung. Ei mit Reagentien behandelt.
Fig. 92. Stück von der oberen Hemisphäre eines Eies von Rana
temporaria eine Viertelstunde nach dem Sichtbarv«rerden der ersten Furche,
zur Zeit, wo der Strahlenkranz am schärfsten und schönsten ausgebildet
ist. Nach Max Schultze Taf. I, Fig. 2.
158 Sechstes Capitel.
der nach oben gekehrten, schwarz pigmeutirten Hemisphäre des Eies in
einem kleinen Bezirk aufzutreten, sie nimmt, indem sie in die Substanz
tiefer einschneidet, an Länge zu und dehnt sich im Laufe einer halben
Stunde um die ganze Peripherie der Kugel aus, so dass sie auf der
nach abwärts gekeiirten, hellen Fläche am spätesten sichtbar wird und
von hier aus auch am wenigsten tief in den Dotter eindringt. Bei ihrem
Auftreten erscheint nun die erste Furche nicht glatt, sondern sie ist —
am deutlichsten zur Zeit, wo sie ein Drittheil der Länge des Eiumfanges
erreicht hat — mit zahlreichen kleinen Furchen besetzt, welche meist
unter rechtem Winkel zu beiden Seiten in sie einmünden (60 — 100 auf
jeder Seite, Fig. 92). So entsteht ein höchst anziehendes Bild, vergleich-
l)ar einem langen, tiefen Gebirgsthal, von welchem nach beiden Seiten
kleine, kurze Seitenthäler in grosser Zahl abgehen. Je weiter die
Theiluug fortschreitet und die Hauptfurche tiefer wird, um so mehr
nehmen die Seitenfurchen an Zahl ab und verschwinden endlich ganz.
Der so eigenthümlich und scharf ausgebildete Faltenkranz ist ein
Phänomen, weiches mit der Zusammenziehung des Protoplasma bei der
Einschnürung zusammenhängt.
c) Th eilung pflanzlicher Zellen.
Um die gi'osse Uebereinstimnmng im Verlauf des Kerntheilungs-
processes im Thier- und Pflanzenreich zu veranschaulichen, diene der
protoplasmatische Wand beleg des Embryosackes von Fritil-
laria imperialis. Es ist dies ein zum Studium der Kernfiguren
ausserordentlich geeignetes Object — nicht minder empfiehlt sich auch
der Embryosack anderer Liliaceen — weil das Protoplasmahäutchen
ungemein dünn ist und, zu geeigneten Zeiten untersucht, sehr viele
Kerne auf verschiedenen Phasen der Theilung beherbergt (Strasburuer
YL 71—73, Guignard VL 23).
Der grosse, ruhende Kern besitzt ein feinmaschiges Liningerüst
(Fig. 93 Ä), auf dessen ObeiHäche zahlreiche, kleine Nucleinkörnchen ziem-
lich gleichmässig vertheilt sind. Die Nucleolen sind in Mehrzahl vor-
handen, sie sind von verschiedener Grösse und liegen zwischen den
Maschen des Gerüstwerks, densellien anhängend. Bei der Vorbereitung
zur Theilung lässt Strasburger sich das ganze Gerüstwerk in einige viel-
fach gewundene, ziemlich dicke Fäden umbilden; er beschreibt an ihnen
eine ähnliche Querstreifung (C), wie sie Balbiani (IL 3) an Kernen von
Chironomuslarven (Fig. 27) beobachtet hat, und erklärt dieselbe in der
Weise, dass der Faden aus vielen, hintereinander aufgereihten Nuclein-
scheiben aufgebaut sei, zwischen welche sich dünne Scheidewände von
Linin trennend hineinschieben.
Im w^eiteren Verlauf löst sich die Kernmembran auf, die Nucleolen
zerfallen in kleinere Körnchen und verschwinden, die Nucleinfäden ver-
kürzen und verdicken sich und liefern 24 Kernsegmente; es bildet sich
eine typische, aus zahlreichen, feinsten Fasern zusammengesetzte Spindel
aus, in deren Mitte sich die Kernsegmente zum Kranz anordnen (Fig. 93 D).
An den beiden Enden der Spindel hat Guignard neuerdings auch zwei
Polkörperchen mit ihren Strahlensphären nachgewiesen.
Auf dem Höhepunkte des Theilungsprocesses spalten sich die Kern-
segmente ihrer Länge nach. Dann weichen die Tochtersegmente nach
den beiden Polen zu, je 24 nach jeder Seite, auseinander (E) und liefern
so die Grundlage für die Tochterkerne, die sich wieder in ähnlicher Weise,
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
159
wie es für Salamandra maculata beschrieben wurde, anlegen. Sowie die
Tochterkerne bläschenförmig werden, treten mehrere Nucleolen in ihnen auf.
- -J^fe/^v,
Fig. 93. Fritillaria imperialis. Ein ruhender Zellkern und Theilungs-
phasen der Zellkerne, dem freigelegten protoplasmatischen Wandbeleg
der Fig. 123 entnommen. Nach Strasburger, Botan. Prakticum Fig. 191.
J Ein nihender Zellkern, £ ein dickfadiger, noch unseg-mentirter Knäuel, 0 ein
ötück dieses Kernfadens, stärker vergrössert, B eine Kernspindel mit längs gespaltenen
Segmenten, H die Trennung und Ümlagerung der Tochtersegmente.
J, B, D und E SOOmal, C llOOmal vergrössert.
Wenn sich bisher eine vollständige Uebereinstimmung mit der
thierischen Kernth eilung ergeben hat, so zeigt sich uns jetzt am Sehluss
des ganzen Processes noch eine bemerkenswerthe und interessante Ab-
weichung in der Entstehung der sogenannten Zellplatte.
Zum Studium derselben sind Theilstadien von Pollen m u tte r -
Zellen und andere Objecto geeigneter als der bisher der Beschreibung
zu Grunde gelegte Embryosack von Fritillaria, da es bei diesem nach der
Kerntheilung nicht gleich zu einer Zelltheilung kommt.
Die folgende Darstellung bezieht sich daher auf Pollenmutter-
zellen von Fritillaria persica (Fig. 94). Wenn bei diesen die
Tochtersegmente in zwei Gruppen auseinandergewichen sind, so spannen
sich zwischen ihnen feine V e r b i n d u n g s f ä d e n aus, die Strasburger (VI.
73) von den mittleren Abschnitten der Spindelfasern ableitet (Fig. 94 f).
In der Mitte der Verbindungsfäden entstehen nach kurzer Zeit kleine
Anschwellungen, die als glänzende Körner erscheinen (Fig. 94 g). Sie
sind höchst regelmässig so angeordnet, dass sie auf dem optischen
Durchschnitt in einer Reihe nebeneinander zu liegen kommen. In ihrer
Gesammtheit stellen sie also eine aus Körnchen zusammengesetzte, in
160
Sechstes Capitel.
(1er Mitte zwischen den beiden Tochterkernen in der Theilungsebene
gelegene Scheibe dar, welcher Strasburger den Namen „Zellplatte"
gegeben hat. Ein Rudiment derselben bei thierischen Zellen glaubt
Flemming (VI. 1311) in den oben (S. 152) beschriel)enen, an einzelnen
Objecten aufgefundenen Z w i s c h e n k ii g e 1 c h e n wieder zu erkennen.
Die Zellplatte steht nun bei den Pflanzen zur Bildung der Cellulose-
scheidewand, mit welcher der ganze Theilungsprocess seinen letzten
Abscliluss findet, in
inniger
Beziehung (Fig. 94 h). „Sie dehnt sich
Fig. 94. Drei Theilstadien der Pollenmutterzellen von Fritillaria
persica. Nach Strasburger Fig. 188.
/ Allseinanderweichen der Tochtersegraente. g Bildung der Tochterknänel mid
der Zellplatte, h Verlauf des Kernfadens in den Tochterkernen und ausgebildete
Cellulosescheidewand. SOOmal vergrössert.
schliesslich," wie Strasburger beschreibt, „über den ganzen Durchmesser
der Zelle aus, ihre Elemente verschmelzen und bilden eine Scheidewand,
welche die Mutterzelle in zwei Tochterzellen halbirt." Ein dünnes
Cellulosehäutchen lässt sich bald in ihr nachweisen. Währenddem ver-
schwinden die Verbindungsfäden, zunächst in der Nähe der Tochterkerne,
dann auch im Bereich der Scheidewand aus Cellulose.
Die kleinen, specifischen StofftheilcheU; die sich als Körner zur Zell-
platte in der Mitte der Verbindungsfäden ansammeln, können vielleicht
nach der früher entwickelten und später noch weiter auszuführenden Auf-
fassung als Zellhautbildner bezeichnet werden.
d) Historische Bemerkungen und strittige Fragen der
Kernsegmentirung.
Am Anfang der 70er Jahre wurden durch die Arbeiten von Bütschli (VII.
6), Strasburger (VI. 71), Hertwig (VI. 30 a) und Fol (VI. 19 a) die Ver-
änderungen, welche der Kern bei der Theilung erfährt, in ihren gröberen
Zügen im Ganzen richtig dargestellt. Es wurde die faserige Kernspindel,
die Ansammlung glänzender, in Carmin sich färbender Körner in der
Mitte der Spindel (Kernplatte von Strasburger) die hierauf folgende
Vertheilung der Körner in zwei Gruppen oder in zwei Tochterkernplatten
und die Entstehung der bläschenförmigen Tochterkerne aus den letzteren
entdeckt. Ebenso waren die Strahlenfiguren (Sterne, Amphiaster, Fol)
an den Enden der Spindel bekannt, und von mir und Fol waren in den-
selben auch stärker glänzende Körnchen, die Polkörperchen, beschrieben,
deutlich abgebildet und als Attractionscentren gedeutet w^orden. Es war
somit endgültig festgestellt, dass bei der Zelltheilung keine Kernauf-
lösung (Karyolyse, Auerbach VI. 2a), sondern eine Kernmetamorphose statt-
findet. Indem ich ferner durch meine Untersuchung der Eireife, nament-
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung. 161
lieh bei Asteracanthion und Xephelis, und durch die Entdeckung der
inneren Befruchtungserscheinungen gleichzeitig bewies, dass der Eikern
keine Neubildung ist, sondern von geformten Substanztheilchen des Keim-
bläschens abstammt und sich mit dem vom Kopf des Samenfadens (dem um-
gewandelten Kern der Samenzelle) abzuleitenden Samenkern zum Theilkern
vereinigt, ergab sich der wichtige Lehrsatz, dass, wie alle Zellen des
thierischen Organismus von der befruchteten Eizelle, so auch alle Kerne
desselben vom Kern der Eizelle in ununterbrochener Folge abzuleiten sind.
(Omnis nucleus e nucleo. Fleinming VI.)
Das in den genannten Arbeiten aufgestellte Kern- und Zelltheilungs-
sehema hat sich seitdem im Wesentlichen als richtig herausgestellt,
zugleich aber hat es die Grundlage für zahlreiche weitere Entdeckungen
und für zahlreiche Aufgaben gebildet, die ihrer Lösung zum Theil noch
immer harren. Die Aufgaben lassen sich kurz in den einen Satz zu-
sammenfassen: Es galt und es gilt zum Theil auch nocli jetzt, die bei
der Kerntheilung stattfindenden und in charakteristischen Figuren in die
Erscheinung tretenden Bewegungen der einzelnen mikrochemisch unter-
scheidbaren Stoiftheilchen des Kerns und der Theilungsfiguren noch
genauer in allen Einzelheiten zu verfolgen: also die Umlagerungen der
Xucleinkörnchen, des Liningerüstes, der Spindelfasern, der Polkörperchen,
der Nucleolen etc. — Fortschritte in dieser Richtung sind, abgesehen
von der Entdeckung günstiger Beobachtungsobjecte, wie der Gewebskerne
der Salamanderlarven (Flemmingj und der Eier von Ascaris raegalo-
cephala (van Beneden) , durch den Gebrauch der neu construirten
Oelimmersionen und Apochromate und durch die bessere Handhabung der
Reagentien und Farbstoffe ermöglicht worden.
Am weitesten ist die Forschung zur Zeit in dem Studium der durch
die Umlagerungen des Nucleins erzeugten Figuren fortgeschritten^ was in
erster Linie den vortrefflichen Untersuchungen von Flemming (VI. 12—17)
und den sich anschliessenden, classischen Arbeiten von van Beneden (VI. 4),
Rabl (VL 53), Boveri (VI. 6), Strasburger (VI. 71-73), Guignard (VL 23)
zu verdanken ist.
Flemming, der besonders die Kerntheilung in Gewebszellen von
Salamanderlarven verfolgt hat, unterschied mit grösserer Schärfe an der
Kernfigur den achromatischen und den chromatischen Theil, die sich
nicht färbenden Spindelfasern und Plasmastrahlungen und die ihnen
oberflächlich aufliegenden, gefärbten Kernschleifen oder Kernsegmente,
An letzteren machte er auch zuerst die wichtige Entdeckung, dass sie
sich der Länge nach spalten. Auf diese interessante Erscheinung fiel
darauf das klärende Licht, als Heuser, Guignard, van Beneden und Rabl
unabhängig voneinander an verschiedenen Objecten fanden, dass die
Hälften der gespaltenen Fäden nach den Kernpolen auseinander rücken
und die Grundlage für die Tochterkerne abgeben.
Viel weniger genau erforscht sind die Substanzumlagerungen, die
mit der Entstehung der Spindel und der Polkörperchen und mit der Auf-
lösung der Nucleolen zusammenhängen.
Was die Spindel betrifft, so gehen die Ansichten der Forscher
nicht nur über die Herkunft, sondern sogar über den Bau derselben
wesentlich auseinander. Während die ersten Beobachter der Ansicht
waren, dass die Spindel aus feinsten Fäserchen zusammengesetzt sei,
die sich continuirlich von Pol zu Pol erstrecken, lassen van Beneden
(VL 4 b) und Boveri (VI. 6) die letzteren im Aequator unterbrochen sein
und stellen der alten die neue Lehre entgegen, dass die Spindel
Hertwig, Die Zolle und die Gewebe. 11
162
Sechstes Capitel.
aus zwei gesonderten Halbspindeln aufgebaut sei (Fig. 95),
Die Halbspindeln lassen sie mit den Enden ihrer Fasern sich direct an
die Kernsegmente ansetzen; sie begründen darauf eine Mechanik der
Kerntheilung, indem sie annehmen, dass nach der Spaltung der Segmente
in die Tochtersegmente diese durch eine Verkürzung oder Contraction
der an ihnen anhaftenden Spindelfasern wie durcli Muskelfäden nach den
entgegengesetzten Polen hingezogen werden.
Demgegenül)er halten Flemming (VI. 14) für die Gewebszellen von
Salamandra und Strasburger (VI. 72) für pflanzliche Objecto auch neuer-
dings noch ihre älteren Angaben aufrecht, dass es Spindelfasern giebt, welche
von Pol zu Pol ununterljrochen durchlaufen. Besonders beweisend aber
für die einheitliche Anlage der Spindel sind die früher erwähnten Beob-
achtungen von Hermann, die an meine Beschreibung und Abbildung von
der Spindelbildung aus dem Keimbläschen von Asteracanthion erinnern.
(VI. 30 a, Taf. VIII. Fig. 3 u. 4.) In beiden Fällen bildet sich zwischen
den noch nahe zusammengelegenen Polen (Fig. 96) ein sehr kleines, ein-
heitliches Spindelchen aus, zu einer Zeit, wo die Kernsegmente noch
weit entfernt von ihm liegen und es in keiner Weise verdecken ; all-
mählich erst wächst es durch beträchtliche Verlängerung der Fasern zu
der definitiven Grösse heran.
Fig. 95.
Fig. 96.
Fig. 95. Zusammensetzung der Spindel aus zwei Halbspindeln, deren
Fasern sich an die Tochtersegmente ansetzen. Nach v. Bkneden und Neyt
Taf. VI, Fig. 8.
Fig. 96. Kern einer Samenmutterzelle von Salamandra maculata in
Vorbereitung zur Theilung. Anlage der Spindel zwischen den beiden
Polkörperchen. Nach Hermann Taf. 31, Fig. 7.
Die entgegengesetzten Auffassungen finden nun aber, wie auch
schon Hermann hervorgehoben hat, darin ihre Erklärung, dass das, was
van Beneden und Boveri Halbspindeln nennen, etwas ganz Anderes ist
als die Spindel der älteren Autoren. Van Beneden und Boveri ver-
stehen darunter einen Theil der von den Polen ausgehenden protoplas-
matischen Strahlenfigur, nämlich alle diejenigen Fäden, die im Aequator
in die Nähe der Kernsegmente treten. Die eigentliche Spindel liegt aber
erst im Innern dieser Protoplasmafäden und der Kernsegmente. Hermann
giebt ihr daher zur Unterscheidung von der van Beneden'schen Spindel
den Namen Centralspindel. Der Zusatz „Central" erscheint mir aber
ganz entbehrlich, einmal weil der Name Spindel von jeher für diesen
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
163
Bestaudtheil der Kernfigur vergeben ist, wesshalb die sich zu den
Kernsegnienten begebenden, protoplasniatischen Polstrahlen, welche von
van Beneden und Boveri als Halbspindeln besehrieben worden sind, mit
einem andern Namen benannt werden müssten, sofern man einen solchen
für erforderlich hält. Zweitens würde für diese Bildung überhaupt der
Name Spindel nicht einmal mehr zutreffend sein.
Strittig ist ferner die stoffliche Herkunft der Spindel-
fasern. Manche Forscher sind geneigt, sie vom Protoplasma herzuleiten,
das nach Auflösung der Kernmembran zwischen die Nucleinfäden eindringe
(Strasburger VI. 72, Hermann VI. 29 etc.). Ich habe früher den Stand-
punkt vertreten und nehme ihn auch jetzt noch ein, dass, abgesehen von
den Polstrahlungen, die dem Protoplasmakörper der Zelle angehören, die
verschiedenen Structurtheile der Kernfigur von den einzelnen Substanzen
des ruhenden Kerns abstammen. Die stoffliche Grundlage für die
Spindel und die später aus ihr hervorgelienden Verbindungsfäden suche
ich in dem Liningerüst. Auch Flemming vertritt nach seinen Beobach-
tungen diese Ansicht, welcher auch die mikrochemischen Untersuchungen
von Zacharias nicht im Wege stehen. Hauptsächlich aber scheinen mir
folgende Thatsachen zu Gunsten dieser Ansicht
in die Wagschale zu fallen: v'^M^
Bei vielen einzelligen Organismen bleiben ^'-M^'^^i
die Kerne auf den einzelnen Phasen der Thei-
lung durch eine feine Membran von dem Proto-
plasmakörper getrennt, bei Euglypha (Schewiakoff
VI. 65 b), bei den Kerntheilungen der Infusorien
und Actinosphärien (Rieh. Hertwig VI. 82, 83).
Hier kann es demnach keinem Zweifel unter-
liegen, dass die Spindelfasern aus der achroma-
tischen Substanz des Kerns selbst ihren Ursprung
genommen haben. Solche Fälle kommen hie
und da auch im Thierreich vor. Bei einzelnen
Mollusken (Pterotrachea, Phyllirhoe) haben Fol
(VI. 19a) und ich (VI. 30a) beobachtet, dass die
Polspindel im Innern des Keimbläschens (Fig. 97
Ä u. -B), welches hier übrigens von geringer
Grösse ist, angelegt wird, solange noch die Kern-
membran vorhanden ist. Die Annahme, dass in
diesem Fall Protoplasma von aussen in den
Keniraum hineingedrungen sei, will mir wenig-
stens als eine gezwungene erscheinen. Ferner
halte ich es nicht für zweifelhaft, dass die Ver-
bindungsfäden, welche sich in den sich theilen-
den Samenmutterzellen von Ascaris zwischen
den auseinander weichenden Kernsegmenten aus-
spannen, vom Liningerüst herrühren. Eine ty-
pische Spindelbildung konnte ich an diesem
Object allerdings nicht beobachten.
Als ein strittiger Punkt muss auch die Herkunft der Polkör-
perchen bezeichnet werden. Schon am Anfang der siebenziger Jahre
beschrieben und abgebildet, sind dieselben als gesonderte Bestandtheile der
Kerntheilungsfig-ur ^erst durch van Beneden (VI. 4 a) zur Geltung gebracht
worden, indem es diesem Forscher gelang, sie durch Färbung (mit Hülfe
von Anilinfarben in Vs Glycerin gelöst) gegen die Umgebung schärfer
11*
B
rig. 97.
düng zur
A In Umbil-
Spindel be-
griffenes Keimbläschen
aus einem frisch abge-
legten Ei von Phyl-
lirhoe. E.ssigsäurepräparat.
Hertwig Taf. XI, Fig. 2.
ß Keimbläschen aus
dem frisch abgelegten
Ei von Phyllirhoe, in
welchem die Spindel
auf dem optischen
Querschnitt gesehen
wird. Essigsäurepräparat.
Hertwig Taf. XI, Fig. 6.
\Q^ Sechstes Capitel.
ZU diflferenziren. Bald darauf machten gleichzeitig und unabhängig von-
einander van Beneden und Boveri (VI. 4 b, 6) die wichtige Entdeckung,
dass sich die Polkörperchen durch Selbsttheilung ver-
mehren, was ich später auch für die Samenzellen von Ascaris (VI. 34)
bestätigen konnte. Van Beneden hatte aus seinen Beobachtungen den
Schluss gezogen, dass die Polkörperchen ebenso wie die Kerne
permanente Organe der Zelle seien und sich jederzeit im
Protoplasma als selbständige Gebilde vorfinden müssten. Dieser Aus-
spruch fand eine gewisse Stütze in den Entdeckungen von Flemming
(VI. 17), Solger (VI. 70) und Heidenhain (IL 16), dass in manchen Zell-
arten, wie Lymphkörperchen, Pigmentzellen, ein Polkörperchen mit einer
Strahlensphäre im Protoplasma auch zu einer Zeit nachzuweisen ist, wo
der oft weiter abseits gelegene Kern sich in voller Ruhe befindet. (Siehe
Seite 47, Fig. 34—36.)
In einer anderen Richtung wurde die Kenntniss der Polkörperchen
durch das Studium des Befruchtungsprocesses wesentlich gefördert.
Schon 1884 sprach ich die Ansicht aus (VI. 85), dass bei der Befruch-
tung ein Polkörperchen durch den Samenfaden in das Ei eingeführt
werde und dass es allem Anschein nach das sogenannte Mittelstück oder
der Hals sei, welcher in der dem Samenkern vorausgehenden Strahlung
das Attractionscentrum abgebe. Ich verglich dasselbe „der an den
Enden der Kernspindel vorhandenen, geringen Quantität wenig tingir-
barer, aber vom Protoplasma unterscheidbarer Substanz (der Polsubstanz
und dem Polkörperchen)", und ich kam so zu dem Schluss, dass, „wenn
der Vergleich richtig ist, die bei der Befruchtung und Zell-
theilung auftretenden Strahlungen des Protoplasma eine
gemeinsame Ursache in der Anwesenheit ein und der-
selben Substanz haben".
Richard Hertwig (VI. 84) sprach sich wiederholt über die Gleich-
artigkeit der Polsubstanz, des Mittelstücks des Samenfadens und der
Substanz der echten Nucleolen aus. Boveri (VI. 7) Hess gleichfalls
den Samenfaden ein Polkörperchen oder Centrosoma in das Ei hinein-
tragen. Die definitive Entscheidung haben die später zu beschreibenden
wichtigen Entdeckungen von Fol (VII. 14) und von Guignard (VI. 23 b)
gebracht. Hiernach besitzt sowohl der Eikern als der Samenkern ein
eigenes Polkörperchen. Während die Kerne verschmelzen, theilen sich
die Polkörperchen, und ihre Theilhälften verschmelzen darauf zu zwei
Polkörperchen, welche die Enden der Theilspindel einnehmen.
Trotz dieser Entdeckungen ist eine Frage noch nicht aufgeklärt.
Sind die Polkörperchen als permanente Zellorgane zum
P r 0 1 0 p 1 a s m a h i n z u z u r e c h n e n , sind sie während der Ruhe dauernd
in dasselbe eingeschlossen und treten sie nur während der Theilung zum
Kern in eine Wechselbeziehung oder lassen sich die Polkörperchen
als besondere Elementartheile des Kerns betrachten, wie
die Kernsegmente, Spindelfasern, Nucleolen u. s. w. In letzterem Falle
müssten sie während der Ruhe in dem Kern selbst eingeschlossen sein
und nur während der Theilung sich zum Protoplasma in Beziehung
setzen.
Das zur Zeit vorliegende Beobachtungsmaterial reicht zur Beant-
wortung dieser Frage noch nicht aus. Die Bewegungen der Pol Substanz
vor, während und nach der Kerntheilung so genau zu verfolgen, wie es für
das Nuclein gelungen ist, ist mit sehr grossen Schwierigkeiten verbunden,
da die Polkörperchen ausserordentlich klein sind und da man sie noch
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung. 165
nicht durch bestimmte Farbstoffe mit Sicherheit unter allen Verhältnissen
erkennbar machen kann. Während der Theilstadien selbst werden die
Polkörperchen vornehmlich durch den Strahlenkranz, mit welchem sie
sich umj?eben, für uns unterscheidbar, während der Ruhe aber ist von
einem Strahlenkranz nichts wahrzunehmen.
Für eine Abstammung der Polkörperchen aus dem Kern
lässt sich geltend machen, erstens, dass man in der ruhenden Zelle,
wenige Fälle ausgenommen, im Protoplasma etwas ihnen Entsprechendes
nicht auffinden kann; zweitens dass bei Beginn der Theilung die Pol-
körperchen unmittelbar an der Oberfläche der Kernmembran auftreten
(Fig. 98) und dann erst weiter vom Kern weg in das Protoplasma
hineinrücken; drittens, dass bei dem Auftreten der Polkörperchen die
Kernmembran häufig eingefallen ist, als ob aus einer kleinen Oeffnung
Kernsaft ausgetreten sei ; viertens dass an manchen Objecten das Auftreten
der Polkörperclien mit dem Zerfall der Nucleolen zeitlich zusammenfällt.
Mich hat die Frage nach der Herkunft der Polkörperchen oft
beschäftigt und ich habe viel vergebliche Mühe auf sie verwandt, zuletzt
noch in meiner Untersuchung über Ei- und Samenbildung bei Nematoden.
Eine Gewissheit habe ich mir nicht verschaffen können. Wenn zur Zeit
wohl die Mehrzahl der Forscher die Polkörperchen als zum Protoplasma
sehörig betrachtet, so möchte doch die andere, oben erwähnte Möglich-
keit eines nucleären Ursprangs nicht ganz ausser Acht zu lassen sein.
Ein letzter noch wenig aufgeklärter Punkt ist das Schicksal der
Nucleolen, ihr Verschwinden bei Beginn der Kerntheilung und ihr
Wiederauftreten in den Tochterkernen. Was für Substanzumlagerungen
haben hierbei stattgefunden? Die Frage ist ebenfalls keine leicht zu
entscheidende, um so mehr, als in manchen Fällen die Nucleolen aus
zwei verschiedenen chemischen Substanzen zusammengesetzt sind. (Siehe
Seite 43.)
Mir scheint nun, abgesehen von den oben erörterten Beziehungen zu
den Polkörperchen, dass die Nucleolen in der Vorbereitung
zur Theilung in kleine Substanztheilchen zerlegt und
auf die Kernsegmente verth eilt werden.
a
'^^^i-.
Fi?. 98. S^Aa
Fig. 99.
Fig. 98. Kern einer Samenmutterzelle von Asearis megalocephala
bivalens. Die Nuclein-Substanz ist in Fäden augeordnet, die in zwei Gruppen aus-
einander weichen. Erstes Auftreten der Polkörperchen. Rückbildung des Nucleolus.
Taf. III, Fig. 7.
Fig. 99. A Nucleolen mit sich ablösenden Körnchen. Taf. III, Fig. 4.
H Kern einer Samenmutterzelle von Asearis megalocephala bivalens
aus dem Ende der Wachsthumszone. Aus schwachem Flemming' sehen Chrom-
osmiumgemisch. Färbung mit Säurefuchsin. Taf. III, Fig. 5.
C Kern einer Samenmutterzelle von Asearis megalocephala bivalens
aus der Mitte der Theilzone. Schwaches Flemming'sches Gemisch von Chrom-
osmiunisäure. Färbung mit Säurefuchsin. Taf. III, Fig. 9.
_^
IQQ Sechstes Capitel.
Bei den Samenmutterzellen von Ascaris, die mit schwachem
Flemming'sclien Gemisch gehärtet sind, verliert das Nuclein seine Färb-
barkeit, w<ährend die Nucleolen in Säurefuchsin dunkelroth tingirt werden.
(Fig. 99 Ä. u. B.) Hier sah ich nun, dass in den Vorbereitungsstadien
der Nucleolus in mehrere Stücke zerfällt, dass von diesen sich kleinste
Kügelchen ablösen, dass solche hochroth gefärbte Kügelchen sich auch auf
den Kernfäden aufgelagert finden. Wenn im weiteren Verlauf die Kern-
segniente fertig angelegt sind und der Nucleolus ganz verschwunden ist,
(Fig. 99 C), dann sind erstens an der Oberfläche des Kerns die Pol-
körperchen sichtbar geworden, und zweitens ist in jedes Kernsegment
ein dunkelroth gefärbtes Korn eingeschlossen, das nach seinem Verhalten
gegen Farbstoffe wie Substanz des Nucleolus aussieht.
Fiir die Aufnahme von Nucleolarsubstanz in die Kernsegmente, dann
aber wahrscheinlich in einer viel feineren Vertheilung, sprechen noch
einige interessante Farbstoffreactionen. Wie Wendt bei Pflanzen gefunden
hat, färbt sich das Nucleingeriist der Kerne aus dem Embryosack mehrerer
Liliaceen nach Behandlung mit Fuchsin- Jodgrün blaugrün, die Nucle-
olen roth. Auf den Theilstadien dagegen, in denen die Nucleolen auf-
gelöst sind, färben sich die Kernsegmente violett. Wenn später dann
in den Tochterkernen die Nucleolen wieder erscheinen, nehmen die
Kernfäden abermals die blaugrüne Farbe an. Went erklärt den Farben-
wechsel dadurch, dass während der Theilung die Kernsegmente Nucleolar-
substanz in sich aufnehmen und nach der Theilung zur Bildung der
Nucleolen in den Tochterkernen wieder abgeben.
Bei thierischen Zellen haben Flemming (VI. 13. 1891) und Her-
mann einen entsprechenden, mit der Auflösung und dem Wiedererscheinen
der Nucleolen parallel gehenden Farbenwechsel der Kernsegmente bei
Doppel tinctionen mit Safranin-Haematoxylin, Safranin-Mauvein, Safranin-
Gentiana etc. walirgenommen. „Es scheint mir bemerkenswerth," erklärt
Flemming bei dieser Gelegenheit, „dass in denjenigen Stadien, wo noch
Nucleolen vorhanden oder eben erst verschwunden sind oder eben wieder
auftreten, die Neigung der chromatischen Figur zur Blaufärbung vor-
liegt, während die Formen, in welchen sie völlig deconstituirt sind, sich
rein safranophil verhalten, wie es ja die Nucleolen selbst sind."
2) Die Kernzersehnürung (directe Kernvermehrung, Fragmentirung,
Amitose, amitotische Theilung).
Im Gegensatz zu den complicirten , mit Segmentirung verbundenen
Vorgängen kann sich die Kerntheilung bei einigen wenigen Zellarten in
einer scheinbar sehr einfachen Weise vollziehen, die man als Fragmentirung
oder Kernzersehnürung bezeichnet. Hier kommt es nicht zur Entstehung
von Spindelfasern, Kernsegmenten und Protoplasmastrahlungen. Viel-
mehr verläuft die Kernzersehnürung mehr in der von älteren Histo-
logen schematisch dargestellten Weise. Sie ist am leichtesten an den
Lymphkörperchen zu beobachten, sowohl am lebenden, als an dem mit
Reagentien fixirten Object.
Taugliche Präparate lassen sich in verschiedener Weise herstellen:
Entweder man saugt einen Tropfen Lymphe aus dem dorsalen Lymph-
sack des Frosches mit einer feinen Capillarröhre ein , bringt denselben
auf einen Objectträger und bedeckt mit einem Deckgläschen, dessen
Ränder, um die Verdunstung zu verhüten, mit Paraffin umsäumt werden.
Oder man verfertigt sich nach der Methode von Ziegler kleine Glas-
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
167
kammern, indem man zwei kleingeschnittene Deckgläschen an ihren vier
Ecken oder an zwei Seiten fest verbindet in der Weise, dass ein capillarer
Spaltraum zwischen ihnen frei bleibt. Man legt dann die Glaskammer
für einen oder für mehrere Tage in den dorsalen Lymphsack des Frosches,
während welcher Zeit Lymphzellen in grosser Zahl zwischen die beiden
Deckgläschen einwandern und Veränderungen eingehen. Diittens kann
man nach der von Arnold empfohlenen Methode ein dünnes, durchsichtiges
Scheibchen von Hollundermark in den Lymphsack bringen. Nach wenigen
Stunden haben sich an seiner Oberfläche zahlreiche Leukocyten fest-
gesetzt, die sich zur Untersuchung eignen. Nach längerer Zeit bilden
sich um die Plättchen von Hollundermark durch Gerinnung dünne
Fibrinhäutchen , die sich abziehen lassen und mit den ansitzenden
Zellelementen ebenfalls zur Beobachtung geeignet sind.
Bei einer Temperatur, welche zwischen 16*^ und 18*^ schwankte,
hat Ran vier (VL 54) alle Erscheinungen der Theilung einer Lymph-
zelle im Verlauf von drei Stunden sich abspielen sehen. Arnold (VL 1)
und Andere haben seine Angaben bestätigt und vielfach erweitert. Der
bläschenförmige Kern kann seine Form aktiv verändern und sich mit
Buckeln und Höckern bedecken. An solchen Kernen treten dann häufig
Einschnürungen auf, die einen Zerfall in 2, 3 und mehr Stücke herbei-
führen. (Fig. 100, A. und B.) Die Kernstücke rücken auseinander
k ^^"^
^0r
Fig. 100. A Wanderzelle aus einem Hollunderplättehen , welches
10 Tage im Lymphsack eines Frosches gelegen hatte. Zu Anfang der Be-
obachtung war der Kern in seiner Mitte etwas eingeschnürt, an den Enden eingefurcht ;
schon nach 5 Minuten hatte sich die Theilung des Kerns vollzogen. Nach Akxold
Taf. XII, Fig. 1.
B Wanderzelle in Theilung. Nach 30 Minuten ist aus der Figur A die
Figur B entstanden. Nach Arnold Taf. XII, Fig. 3.
und bleiben nicht selten noch längere Zeit durch feine Verbindungs-
fäden im Zusammenhang. Häufig folgt der Kerntheilung die Zelltheilung
auf dem Fuss, wie die Figuren 100 A. u. B. veranschaulichen. Zwischen
den auseinandergerückten, durch einen feinen Faden verbundenen Kern-
hälften schnürt sich auch der Protoplasmakörper ein. Seine beiden
Hälften bewegen sich durch Ausstrecken zahlreicher, amöboider Fortsätze
168 Sechstes Capitel.
nach entgeuengesetzten Richtungen auseinander. Hierbei kann sich zu-
weilen die Verbindungsbrücke zwischen ihnen, nachdem schon die beiden
Tochterkerne sich getrennt haben, zu einem langen, feinen Faden
ausziehen.
„Die zeitliche Aufeinanderfolge der einzelnen Theilungsabschnitte ist
bei der Fragmentirung sehr häufig keine gesetzmässige ; vielmehr können
Kerne und Zellen in dem einen oder anderen Stadium länger verharren."
(Arnold.)
Dadurch, dass nach der Fragmentirung des Kerns die Zelltheilung
ausbleibt, können vielkernige Zellen entstehen. Zuweilen erreichen die-
selben bei entziindlichen Processen eine beträchtliche Grösse und werden
als Riesenzellen beschrieben (Fig. 101). Die kleinen Kerne zeigen
die verschiedenste Form und Anordnung. Bald
Mf^^ ^^^^ ^^® kuglige Bläschen, bald ovale, wurst-
Mi- ^M^ förmige oder gelappte Körper, bald sind sie
r^^^'i^l^^vIC 'Mi^^ gleichmässig und einzeln im Protoplasma ver-
'^^^M^^Y^^^^^-^ theilt, bald ketten- und kranzförmig anein-
''-M^XJ^ ander gereiht; bald finden sich auch isolirte
MCyy^<-^.i^ Kernchen neben aneinander gereiht vor. Im
^liö.'^'SM^ weiteren Verlauf können sich von den Riesen-
/.•/f®f>n-^'^"-'' Zellen wieder kleine Zellchen nach Beobach-
tungen von Arnold ablösen. Die Al)lösung voll-
zieht sich in doppelter Weise. „Bald zeigt die
Riesenzelle kolbige, kernhaltige Ausläufer, welche,
Fig. 101. Eine grosse nachdem sie zuvor wiederholt eingezogen und
vielkernige Zelle zeigt wieder ausgesendet worden waren, später oder
ruig'tmSiUger'SS: ^ü^er abgeschnürt werden, bald erfolgt die
len. Nach Arnold Tat". XIV, Abtrennung bei Schwacher oder vollständig man-
Fig-. 13. gelnder Bewegimg des Körpers."
Ausser an Lymphkörperchen sind Zell-
theilungen, die unter den Erscheinungen der Kernzerschnürung ver-
laufen, auch an Epithelzellen, namentlich häufig bei Arthropoden, wahr-
genommen worden, so durch Johnson (VI. 41) und Blochmann (VI. 86)
in den Embryonalzellen des Scorpions, durch Platner (VI. 52) in den
Zellen Malpighi'scher Gefässe und an anderen Objecten durch andere
Forscher.
Eine eigenthündiche Art der Kernzerschnürung ist von Göppert
(VI. 22), Flemming (VI. 16), von Kostanecki (VI, 46) u. A. beschrieben
worden. Das geeignetste Untersuchungsobject hierfür scheint das lymph-
oide Gewebe zu sein, welches die Amphibienleber überzieht. Nach der
Darstellung von Göppert erhält der Kern einer Lymphzelle eine trichter-
förmige Einsttdpung, die sich so lauge vertieft, bis sie die entgegen-
gesetzte Oberfläche der Kernmembran erreicht und hier mit einer feinen
Oefi"nung zur Ausmündung gelangt. (Fig. 102 A. u. B.) Auf diese
Weise entstehen von einem engen Kanal durchbohrte, ringförmige
Kerne. Indem der Ring an einer Stelle erst eingeschnürt und dann
durchgeschnürt wird, bildet er sich in einen Halbring um, der häufig
durch oberflächliche Einschnürungen in mehrere Abtheilungen gesondert
wird. (Fig. 102 C.) Durch weitere Zerlegung kann er in eine grössere
Anzahl kleinerer Kernchen zerfallen, die zuweilen noch durch feine Ver-
bindungsl)rücken längere Zeit in Zusammenhang bleiben. Auch an
anderen Orten sind derartige „Lochkerne", wie z.B. im Epithel der
Harnblase vom Frosch, durch Flemming (VI. 16) beobachtet worden.
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
169
Zu einer Theilung
nicht zu kommen.
des Zellenleibes scheint es aber in diesen Fällen
C
Fig. 102. A Seitliche Ansicht eines Lochkerns aus der lymphatischen
Randschicht der Leber von Triton alpestris. Der Kern ist in der Richtung
<ler Durchbohrung abgeplattet. Nach Güppert Taf. XX, Fig. 4.
B Lochkern mit deutlich radiärer Anordnung des Nucleingerüstes.
Nach GöPPERT Taf. XX, Fig. 3.
C Ringförmiger, in mehrere Abschnitte durch Einschnürung zer-
legter Kern einer Lymphzelle. Nach Göppert Taf. XX, Fig. 10.
Wie im Thierreich tritt Kernze rschntirung hie und da
auch i m P f 1 a n z e n r e i c h auf. Zu ihrer Untersuchung empfehlen
sich einzelne Objecte, wie die langen Interne dialzellen der
Characeen oder ältere Zellen höher organisirter Pflanzen. So beschreibt
Strasburger (IL 41) aus älteren Internodien von Tradescant i a
mehr oder weniger un-
regelmässige Kerne, die „ A
in verschieden grosse und
verschieden gestaltete
Abschnitte eingeschnürt
sind. „Ist der Einschnitt
einseitig , so erscheinen
die Zellkerne nierenför-
mig, bei allseitiger Ein-
schnürung bisquitförmig
oder auch unregelmässig
gelappt. In manchen
Fällen haben sich die
Theilstücke völlig ge-
trennt und berühren sich
entweder noch oder lie-
gen in grösserer oder
geringerer Entfernung
voneinander. Die Zahl
der so getrennten Kerne
in einer Zelle kann bis
auf 8 oder 10 anwach-
sen." Bei Characeen ge-
winnen die Kerne durch
mehrfache Einschnürun-
gen vorübergehend ein
perlschnurförmiges Aussehen, bis die Durchschnürung, die sehr träge ab-
läuft, beendet ist.
Aus Einschnürungen an den Kernen darf man übrigens nicht gleich
t-^M
Fig. 103. Tradescantia virginica. Zellkei'ne
älterer Internodien in directer Theilung. Nach
Strasburger Fig. 193.
A nach dem Leben, B nach Essigsäure-Methylgrüu-
Behandlung.
170
Seclistes Capitel.
auf den Beginn einer diiecten Theilung schliessen, solange für das
bestimmte Object eine derartige Vermehnmgsweise nicht durch Beobachtung
aller einzelnen Stadien nachgewiesen ist. So findet man in Ureiern
und in Ursamenzeilen häufig maulbeeiförmige oder unregelmässig
gelappte Kerne. Doch scheint es hier nicht zu einer Sonderung in
Tochterkerne auf dem Wege der Zerschnürung zu kommen, so dass
auch die Lappung nicht als eine Vorbereitung zu einer directen Theilung
betrachtet werden kann. In diesen Fällen steht dieselbe wahrscheinlich
mit Stoffwechselprocessen im Kern in Zusammenhang. (Vergleiche hier-
über auch Capitel VIII.)
Vermehrung der Kerne durch Abschnürung kommt endlicli auch im
Protistenreich vor. Sie findet sich häufig in der Gruppe der Acineten,
in welcher uns Podophrya gemmipara (Fig. 104) ein lehrreiches Beispiel
liefert, das auf Seite 184 genauer beschrieben ist.
3) Endogene Kernvermehrung oder Vielkernbildung.
Eine dritte, sehr abweichende Art der Kernvermehrung, welcher ich
den für die Ueberschrift gewählten Namen geben möchte, ist von Richard
Hertwig (VI. 36) bei einer Abtheilung der Badiolarien, den Thalassicollen,
entdeckt, später von Carl Brandt (VI. 8) bestätigt und in ihren Einzel-
heiten noch genauer verfolgt worden.
Fig. 104. Zellknospung. Podophrya
gemmipara mit Knospen. E. Hertwig, Zoo-
logie Fig, 21.
a Knospen, die sich ablösen und zum Schwär-
mer b werden, iV Kern.
Fiff. 105.
Fig. 105. Ein kleines Stück von einem Durchschnitt durch den
grossen, bläschenförmigen Kern, das sogenannte Binnenbläschen von
Thalassicolla nucleata, mit strangförmigen, von einem gemeinsamen Punkt
ausstrahlenden Binnenkörpern (Kernkörpern). R. Hertwig Tat'. V, Fig. 7.
Die Thalassicollen, diese grössten Radiolarienformen, deren Central-
kapsel fast den Durchmesser eines Froscheies erreicht, besitzen während
des grössten Theils ihres Lebens einen einzigen, riesigen, hoch-
differenz irten Kern von etwa ^2 mm Durchmesser mit einer dicken,
porösen Kernmembran, das sogenannte Binnenbläschen. Dieses
IV. Die Fortpflanzung der Zelle anf dem Wege der Theilung. 171
bietet viel Aehnlichkeit mit den multinucleolären Keimbläschen eines
Fisch- oder Amphibieneies dar. In seinem Inhalt finden sich zahlreiche,
meist im Centrnm zu einem Haufen zusammengedrängte, verschieden
geformte Nucleinkörper vor (Fig. 105). Inmitten derselben liegt sehr
häufig ein helles Centi'alkörperchen, eingehüllt von einer Strahlensphäre,
welche R. Hertwig schon gesehen und abgebildet, und welche neuerdings
Brandt genauer untersucht hat. Der letztere konnte verfolgen, wie
zur Zeit der Fortpflanzung das Centralkörperchen,
welches mir dem von der pflanzlichen und thierischen
Zelle bekannten, gleichnamigen Gebilde zu entsprechen
scheint, sich an die Oberfläche des Binnenbläschens
begiebt, die Strahlensphäre hinter sich herziehend.
Hier tritt es durch die Kernmembran in das umgebende
Protoplasma der Ce ntralkapsel aus, wo Brandt über sein
weiteres Schicksal nichts berichtet.
Um diese Zeit treten dann auch zahlreiche, kleine Kerne im Proto-
plasma der Centralkapsel, das ursprünglich ganz kernfrei ist, ausserhalb
des Binnenbläschens auf; sie dienen als Centren für die Bildung kern-
haltiger Schwärmsporen, deren Zahl sich schliesslich auf Hunderttausende
beläuft. Währenddem beginnt das Binnenbläschen zu schrumpfen und
was es an Kernkörperchen besass, in demselben Maasse zu verlieren,
als ausserhalb desselben der Kernreichthum im Protoplasma zunimmt;
schliesslich wird es ganz aufgelöst. Hierbei stellt Brandt in der Kern-
vermehrung Verschiedenheiten auf, je nachdem sich Isosporen oder Aniso-
Sporen bilden.
Aus dem ganzen Vorgang ziehen R. Hertwig und Brandt den gewiss
richtigen Schluss, dass die zur Schwärmerbildung dienenden und in der
Centralkapsel erst spärlich, dann immer reichlicher auftretenden Kerne
von Substanztheilen des Binnenbläschens (den Kernkörperchen) abstammen.
„Mit dieser Deutung," bemerkt R. Hertwig, „habe ich einen Modus der
Kernvermehrung angenommen, welcher sich wesentlich von dem bekannten
unterscheidet und durch keine Beobachtungen der thierischen und pflanz-
lichen Histologie bis jetzt bewiesen ist. Denn wenn wir den Vorgang histo-
logisch zu deuten versuchen, so würden wir zu dem Resultate gelangen,
dass Kerne sich nicht allein durch Theilung oder Knospung vermehren
können, sondern dass sie auch entstehen, indem die Kernkörper eines
Kerns sich durch Theilung vervielfältigen , auswandern und im Proto-
plasma der zugehörigen Zelle zu selbständigen Kernen werden." „Eine
derartige multinucleoläre Zelle könnten wir dann el)enso für potentia viel-
kernig halten, wie eine vielkernige Zelle für potentia vielzellig, und
würde so der allmähliche Uebergang , welcher zwischen dem einzelnen
Zellindividuum und dem aus Theilung desselben entstandenen Zellhaufen
besteht, ein noch mehr durch Zwischenstadien vermittelter sein, als er
ohnedies schon ist."
Bei dieser Gelegenheit sei auch erinnert an die eigenthümlichen Er-
scheinungen der Kernvermehrung, welche von Fol (VI. 20), Sabatier. Davidoif
(VI. 87) u. A. an unreifen, noch ziemlich jungen Eiern von Ascidien beobachtet
und mit der Entstehung der Follikelzellen in Beziehung gebracht sind. Ver-
gleiche auch die von Schäfer (VI. 65a) beobachteten, ähnlichen Vorgänge
im jungen Säugethierei.
172 Sechstes Capitel.
III. Verschiedene Arten der Zellyermehrung.
1) Allgemeine Regeln.
Abgesehen von den im letzten Abschnitt besprochenen Processen der
Kernsegmentirung, der Kernzerschniirung und endogenen Kernbildung kann
die Zellverniehrung noch ein sehr verschiedenartiges Aussehen gewinnen,
je nach der Art und Weise, wie sich der Protoplasmakörper bei der
Theilung verhält. Ehe wir uns mit den hierdurch bedingten Hauptarten
und Unterarten der Zellvermehrung bekannt machen, wird es zuvor
nothwendig sein, auf einige allgemeine Beziehungen zwischen Kern und
Protoplasma einzugehen, auf welche ich in meiner Schrift „Welchen
Einfiuss übt die Schwerkraft auf die Tlieilung der Zellen" (VI. 31) die
Aufmerksamkeit gelenkt habe.
In der ruhenden Zelle kann der Kern bald diese, bald jene Lage
einnehmen, auch seinen Ort verändern, wie er denn zum Beispiel in
Pflanzenzellen durch die Protoplasmaströmung hierin und dahin mit-
genommen wird. Unter besonderen Verhältnissen aber, von denen hier
nur die zur Zelltheilung in Beziehung stehenden erörtert w^erden sollen,
während andere uns in Capitel VIII beschäftigen werden, tritt der Kern
zum Protoplasmakörper in ganz bestimmte, gesetzmässige Lagebeziehungen.
Zwischen Protoplasma und Kern finden während der Theilung
Wechselwirkungen statt, um mich eines Gleichnisses zu bedienen, wie
zwischen Eisentheilchen und einem beweglich aufgehängten Magneten.
Durch die magnetische Kraft werden die Eisentheilchen polarisirt und
dadurch veranlasst, sich in Radien um die Pole herum zu gruppiren.
Auf der anderen Seite aber übt die Massenvertheilung des Eisens auf
die Stellung des Magneten auch wieder einen richtenden Einfiuss aus.
In der Zelle erhalten die Wechselwirkungen zwischen Protoplasma und
Kern ihren sinnenfälligen Ausdruck in der Entstehung der Polcentren und
der früher beschriebenen Strahlenfiguren. Die Folge dieser Wechsel-
wirkungen aber ist, dass der Kern stets die Mitte seiner
Wirkungssphäre einzunehmen sucht.
Um fliesen Satz zu beweisen, giebt es wohl keine geeigneteren
Objecte als die thierischen Eizellen , die uns ja in ihrer Grösse , Form
und inneren Organisation sehr zahlreiche, interessante Verschiedenheiten
darbieten.
Bei den meist kleinen Eiern, in denen Protoplasma und Dotter-
bestandtheile mehr oder weniger gleichmässig vertheilt sind, ninnnt der
Eikern vor der Befruchtung (Fig. 10(3 JL) keine fest bestimmte Lage
ein. Wenn er dagegen nach der Befruchtung als Theilkern in
Thätigkeit zu treten beginnt (Fig. 106 B), stellt er sich genau in den
geometrischen Mittelpunkt ein, also, wenn das Ei eine Kugel
darstellt, in das Centrum derselben, wenn es dagegen eine ovale Form
hat (Fig. 110), in die Mitte der die beiden Pole verbindenden Längsaxe.
Von einer Strahlensphäre umgeben, sieht man den Kern durcli das Proto-
plasma nach dem im Voraus zu bestimmenden Ort hinwandern.
Abweichungen von der Xormalstellung treten ein,
wenn Protoplasma und Dotterbestandtheile, von denen
die letztern meist ein grösseres specifisches Gewicht, als
das erstere besitzen, ungl eichmässig im Eiraum vertheilt
sind. Sehr häufig nehmen dann die Eier eine polare Differen-
zirung an, die theils eine directe Folge der Schwerkraft ist, unter
deren Einfiuss sich eine Sonderung der verschiedenen Substanzen nach
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
173
ihrer Schwere vollzieht, theils aber auch durch andere Vorgänge wie durch
die Reife- und Befnichtungserscheinungen hervorgerufen wird.
ck
.4 h-:>- :■.'••/;".'.• ::\^.
Fig. 106. A Reifes Ei eines Echinoderms. Dasselbe schliesst im Dotter
den sehr kleinen Eikeni (ekj ein. O. Hertwig, Entvvicklungsgesch. Fig. 14.
B Ei eines Seeigels gleich nach beendeter Befruchtung, fk Ei- und
Samenkern sind zum Theilkern verschmolzen, der im Centrum einer Protoplasma-
strahlimg liegt. O. Hertwig, Entwicklungsgesch. Fig. 20.
Die polare Differenzirung besteht darin (Fig. 107 u. 108), dass sich
nach dem einen Pol zu das leichtere Protoplasma, nach dem anderen
Pol dagegen das schwerere Dottermaterial ansammelt. Die Sonderung
kann bald weniger, bald schärfer durchgeführt sein. Bei den Eiern der
Amphibien z. B. ist sie an Durchschnitten durch ein Ei sehr wenig auf-
k.b k.sch
Fig. 108.
Fig. 107. Schema eines Eies mit polständigem Nahrungsdotter.
O. Hertwig, Entwicklungsgesch. Fig. 3.
Der Bildungsdotter bildet am animalen Pole A.P eine Keimscheibe k.sch, in
welcher das Keimbläschen k.b eingeschlossen ist. Der Nahrungsdotter n.d füllt den
übrigen Eiraum nach dem vegetativen Pol (V.Fj zu aus.
Fig. 108. Eizelle (Eidotter) des Huhns aus dem Eierstock. O. Hertwig,
Entwicklungsgesch. Fig. 6 a.
k.seh Keimscheibe, k.b Keimbläschen, w.d weisser Dotter, g.d gelber Dotter,
d.h Dotterhaut.
fällig, indem nur in der einen Hälfte die Dotterplättchen etwas kleiner
und durch mehr Protoplasma voneinander getrennt sind, in der anderen
Hälfte aber grösser werden und dichter zusammenliegen.
174
Sechste« C.Tpitel.
In anderen Fällen hat sich vom dotterhaltigen Theil des Eies eine
kleine Menge von mehr oder minder dotterfreiem Protoplasma abgesondert
und wie bei den Reptilien und Vögeln (Fig. 108 k.sch) die Form einer
Scheibe angenonmien.
Die beiden Pole des Eies
ander als den a n i m a 1 e n u n d
mehr Protoplasma, an diesem melir
hat daher ein geringeres, dieser ein
Folge dessen müssen polar
unterscheidet man vonein -
den vegetativen; an jenem ist
Dottermaterial angesammelt , jener
grösseres specifisches Gewicht. In
differenzirte Eier stets ein
und dieselbe Gleichgewichtslage einzunehmen suchen.
Während bei kleinen Eiern mit gleichmässig vertheiltem Material der
Schwerpunkt mit dem Mittelpunkt der Kugel zusammenfällt und ihre
Lage daher eine wechselnde sein kann, ist bei polar differenzirten
Eiern der Schwerpunkt excentrisch geworden und zwar hat
er sich mehr oder minder weit nach dem vegetativen Pole zu verschoben.
Es wird daher stets eine solche Orientirung im Räume eintreten, dass
der vegetative Pol nach abwärts, der animale nach oben gekehrt ist.
Eine Linie, welche die beiden Pole verbindet und als Eiaxe bezeichnet
wird, muss sich, wenn keine Hindernisse der freien Bewegung der Ei-
kugel entgegentreten, stets loth recht einzustellen suchen.
Lehrreiche Beispiele hierfür bieten das Froschei und das Hühnerei.
Am Froschei (Fig. 115) sind die ungleichen Hälften schon äusserlich
leicht dadurch kenntlich gemacht, dass die animale Hälfte dunkelschwarz
pigmentirt ist, die vegetative weissgelb aussieht. Wird ein solches Ei
nach der Befruchtung in das Wasser gebracht, so nimmt es in wenigen
Secunden eine feste Ruhelage ein, indem sich stets die schwarze Seite
nach oben, die helle Seite, weil sie specifisch schwerer ist, nach ab-
wärts kehrt.
Ebenso mag man das Hühnerei (Fig. 108) drehen, wie man will,
stets wird man die Keimscheibe (h.sch) den höchsten Punkt der Dotter-
kugel einnehmen sehen, weil letztere bei jeder Bewegung in ihrer Ei-
weisshüUe mit rotirt und sich mit dem vegetativen Pol nach abwärts
einstellt.
Polare Differenzirung kommt ebenso wie bei kugligen, auch bei
ovalen Eiern vor. Als Beispiel diene uns das Ei eines Wurmes Fabricia
(Fig. 109). Hier ist am einen Ende des ovalen
Körpers mehr Protoplasma, am entgegengesetzten
mehr Dottermaterial angehäuft.
Bei polar differenzirten Eiern wird man nun
den befruchteten Kern vergebens an den Stellen,
wo er bei dotterarmen Eiern liegen würde, suchen.
Nur einer oberflächlichen Betrachtung wird dies
als eine Ausnahme von dem oben aufgestellten Ge-
setz erscheinen ; bei tieferem Nachdenken dagegen
bilden solche Fälle eher eine Bestätigung des Satzes,
dass der Kern stets die Mitte seiner Wirkungs-
sphäre einzunehmen sucht. Wechselw^irkun-
gen finden zwischen dem Kern und dem
Protoplasma, nicht aber zwischen ihm
und dem Dottermaterial statt, welches bei
allen Theilungsprocessen sich wie eine
passive Masse verhält. Ungleichmässigkeiten in der Proto-
plasmavertheilung müssen sich daher auch aufGrund des
Nach
Fig. 109.
Ei von Fabricia
Haeckel.
A animaler Theil.
V vegetativer Theil
lA^ Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung. 175
obigen Satzes in der Lage des Kerns geltend machen, und
zwar niuss derselbe nach den Orten der grösseren Pro-
t opl asm aan Sammlung hinrücken, sich also gerade in entgegen-
gesetzter Richtung wie der Schwerpunkt bewegen. Je mehr der letztere
nach dem vegetativen Pole, um so melir wird der Theilkern nach dem
animalen Pole zu liegen kommen.
Und so lehrt es uns auch die Untersuchung in der That. Im Froschei
(Fig. 115) findet sich der Theilkern etwas oberhalb der Aequatorial-
ebene der Kugel in ihrer animalen Hälfte; in den Eiern, an denen
sich das Protoplasma als Keimscheibe noch schärfer vom Dotter gesondert
hat (Fig. 108), ist der Theilkern in nächste Nähe des animalen
Poles emporgestiegen und in die Keimscheibe selbst aufgenommen
worden (Reptilien, Vögel, Fische etc.). Ebenso ist im Ei von Fabricia
(Fig. 109) der Theilkern nach der protoplasmareicheren Hälfte des ovalen
Körpers verschoben.
Noch mehr tritt die Wechselwirkung zwischen Protoplasma und Kern,
durch welche die Lage des letzteren bedingt wird, während der Theilung
selbst hervor, von dem Moment an, wo sich die beiden Pole bilden. Es
lässt sich hier das zweite allgemeine Gesetz aufstellen, dass
die beiden Pole der Theilungsfigur in die Richtung der
grössten Protoplasmamassen zu liegen kommen, etwa in
derselben Weise, wie die Lage der Pole eines Magneten durch Eisen-
theile in seiner Umgebung beeinflusst wird.
Nach dem zweiten Gesetz kann z. B. in einem kugligen Ei, in
welchem Protoplasma und Dotter gleichmässig vertheilt sind, die Axe
der central gelegenen Kernspindel mit der Richtung eines beliebigen
Radius, dagegen in einem ovalen Protoplasmakörper nur mit dem längsten
Durchmesser desselben zusammenfallen. In einer kreisrunden Proto-
plasmascheibe stellt sich die Spindelaxe parallel zur Oberfläche in einen
beliebigen Durchmesser, in einer ovalen Scheibe dagegen wieder nur in
den längsten Durchmesser ein.
Mit diesen Regeln stimmen die Erscheinungen, wie sie bei der
Zelltheilung und insbesondere bei der Eifurchung beobachtet werden,
fast ausnahmslos überein. Namentlich aber sprechen für die Gültigkeit
des an zweiter Stelle aufgestellten Gesetzes zwei Thatsachen: eine Beobach-
tung von Auerbach an den Eiern von Ascaris nigrovenosa und Strongylus
auricularis (VI. 2) und ein Experiment von Pflüger.
Die Eier der beiden von Auerbach untersuchten Nematoden (Fig. 110)
haben eine ovale Gestalt, so dass 2 Pole an ihnen zu unterscheiden sind,
welche bei der Befruchtung eine verschiedene Rolle spielen. An dem
einen Pole nämlich, welcher der Keimstätte des Eischlauches zugewendet
ist, bilden sich die Polzellen und entsteht der Eikern, an dem anderen,
nach dem Uterusausgang zu gelegenen Pol dagegen findet die Befruch-
tung und das Eindringen eines Samenkörpers statt; hier erscheint der
Samenkern (siehe Capitel VII).
Beide Kerne wandern dann unter gleichmässiger Grössenzunahme
und in gerader Richtung, welche mit der Eiaxe zusammenfällt, aufein-
ander zu, treffen sich in der Mitte der letzteren, nachdem sie zu zwei
ansehnlichen Bläschen angewachsen sind, legen sich fest zusammen und
platten sich an den Berührungsflächen ab (Fig. 110 Ä).
Bei der Copulation der Geschlechtskerne pflegt nun in ihre Be-
rührungsflcäche oder die Copulationsebene die Axe der sich ausbildenden
Spindel, an deren Enden die Polkörperchen liegen, zu fallen. Würde dies
176
Sechstes Capitel.
auch hier erfolgen, so würde die Spindelaxe entgegen der oben aufgestellten
Regel die Längsaxe des Eies unter rechtem Winkel schneiden, es würden
die Polkörperchen in der Richtung der kleinsten Protoplasmamengen
eingestellt sein und es müsste schliesslich die erste Theilungsebene das
Ei seiner Länge nach halbiren.
Ein derartiger, der Regel zuwiderlaufender Fall tritt nun aber hier
nicht ein, weil Protoplasma und Kern, indem sie aufein-
ander einwirken, ihr L a g e v e r h ä 1 1 n i s s zu einander, den
gegebenenBedingungenentsprechend, nachträglich regu-
liren. Die durch den Befruchtungsverlauf bedingte Ausgangsstellung
des copulirten Kernpaares, welche eine für die Theilung durchaus un-
zweckmässige ist, ändert sich, sowie sich die zwei Pole schärfer ausbilden.
Das Kernpaar fängt an, sich um einen rechten Winkel zu drehen (Fig. 110.B)
und zwar solange und der Art, dass die Copulationsebene mit der Längs-
axe des Eies zusammenfällt (Fig. 110 C).
A
B
C
D
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■ ••'■6 V-:*!'i;,W»'-.V3
ii
:M
Fig. 110. Eier von Ascaris nigrovenosa in stark comprimirtem Zu-
stand auf vier verschiedenen Stadien der Befruchtung. Nach Auerbach
Taf. IV, Fig. 8-11.
„Die Richtung in welcher die Drehung unter dem Mikroskope erfolgt,
geschieht bald im Sinne eines Urzeigers, bald im entgegengesetzten."
(Auerbach.)
In Folge des interessanten Rotationsphänomens kommen wieder, wie es
die Regel verlangt, die beiden Pole der Theilungsfigur in die Richtung der
grössten Protoplasmaansammlungen zu liegen, während sich die geringste
Menge in der Gegend der späteren Theilungsebene befindet (Fig. 110 D).
Ein zweiter Beweis für die Gültigkeit unseres Gesetzes sind die
Experimente, welche Pflüger (VI. 49, 50) am Froschei angestellt hat.
Derselbe presste ein frischbefruchtetes Froschei zwischen zwei verticale,
parallele Glasplatten vorsichtig ein und gab ihm dadurch ungefähr die
Gestalt „eines stark abgeplatteten Ellipsoids, dessen längste Axe horizontal,
dessen mittellange vertical und dessen kürzeste wieder horizontal und
senkrecht auf der längsten ist." In fast allen Fällen stand nun die erste
Theilebene senkrecht auf der Oberfläche der komprimirenden Platten
und war zugleich eine lothrechte. Die Kernspindel muss sich daher auch
hier unserer Regel gemäss in der Richtung des längsten Durchmessers
des Ellipsoides eingestellt haben.
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung. 177
Aus dem Gesetz, dass die Lage der Kernaxe bei der Theiliing von
der Differenzirung und Form des umhüllenden Protoplasmakörpers be-
stimmt wird der Art, dass sich die Pole in der Richtung der grössten
Protoplasmaansammlungen einstellen, ergiebt sich uns weiter
noch die causale Begründung für ein drittes Gesetz, wel-
ches Sachs (VI. 64) beim Studium der Pflanzenanatomie
erhalten und als das Princip der rechtwinkligen Schnei-
dung d e r T h e i 1 u n g s f 1 ä c h e n 1) e i d e r Z w e i t h e i 1 u n g bezeich-
net hat. Denn wenn wir die Ursachen wissen, durch welche die Lage
der Spindelaxen bedingt wird , dann können wir unter allen Umständen
auch im Voraus bestimmen, wie die Theilungsebenen zu liegen kommen,
da diese die Spindelaxen unter rechtem Winkel schneiden müssen.
Im Grossen und Ganzen wird nun bei jeder Theilung
einer Mutterzelle, wenn dieselbe nicht in einer Richtung
ausserordentlich in die Länge gestreckt ist, der Fall ein-
treten, dass in den Tochterzellen die Axe, welche in der
Richtung der früheren Hauptaxe der Mutterzelle liegt,
die kürzeste geworden ist. Die Axe der zweiten Theil-
spindel wird sich daher in diesem Falle nie in der Rich-
tung der vorausgegangenen Theilspindel, vielmehr recht-
winklig zu dieser Richtung, der Form des Protoplasma-
körpers entsprechend, einstellen müssen. Daher wird die
zweite Theilebene die erste rechtwinklig schneiden
müsse n.
Im Allgemeinen werden die aufeinander folgenden Theilflächen einer
Mutterzelle, die in 2, 4, 8 und mehr Tochterzellen durch successive
Zweitheilungen zerlegt wird, in den drei Richtungen des Raumes
alternirend erfolgen und dabei mehr oder weniger genau
senkrecht auf einander stehen.
Bei pflanzlichen Geweben ist dies oft sehr schön zu erkennen, weil
sich hier rasch ein festes Zellhautgerüst den Theilungsebenen der Zellen
entsprechend ausbildet und so dieselben gewissem! aassen dauernd fixirt.
Bei thierischen Zellen ist es viel weniger der Fall, weil ihre Form beim
Fehlen einer festen Membran sich zwischen den Theilungen häufig ver-
ändert; auch die Lage der Zellen zu einander ist dem Wechsel
unterworfen. Es treten „Brechungen und Verschiebungen" der
ursprünglichen Theilstücke einer Mutterzelle ein, wofür das Studium der
Furchungserscheinungen einer jeden Eizelle Beispiele liefert, über welche
auf Seite 181 gehandelt wird.
In der Botanik werden die in den drei Richtungen des
Raumes sich schneidenden Wandrichtungen als tangentiale
oder perikline, als transversale oder antikline und als
radiale bezeichnet (Fig. 111 u. 112). Perikline oder tangentiale
Wandrichtungen sind in gleichem Sinne, wie die Oberfläche der Organe
orientirt. Anticline oder transversale Wände schneiden die periclinen
und zugleich die Wachsthumsaxe des Organs unter rechtem Winkel.
Radiale \Vände endlich sind solche, welche ebenfalls rechtwinklig zu
den periklinen gestellt sind, aber die W^achsthumsaxe des Organs in sich
aufnehmen.
Um dieses Verhältniss an einem Beispiel klar zu machen, wählen
wir gleich ein etwas schwierigeres Objekt, den Vegetationspunkt eines
Sprosses. Für denselben weist Sachs die Gültigkeit seines Princips in
Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. l^i
178
Sechstes Capitel.
folgenden Sätzen nach, welche seinen Vorlesungen über Pflanzenphysio-
logie (II. 33) entnommen sind:
„Die Vegetationspunkte der Wurzeln und Sprosse zeigen auf richtig
geführten Längs- und Querschnitten charakteristische Zellwandnetze oder
Zellenanordnungen, die überall auch bei den verschiedensten Pflanzen-
arten typisch übereinstimmen, was im Wesentlichen darauf beruht, dass
auch die embryonale Substanz der Vegetationspunkte, indem sie überall
durch Einlagerung an Volumen zunimmt, durch Zellwände gekammert
und gefächert wird, welche einander rechtwinklig schneiden. Der Längs-
schnitt eines Vegetationspunktes lässt jederzeit ein System von Periklinen
erkennen, welches durch Antiklinen, die ihrerseits die orthogonalen Trajec-
torien jener darstellen, geschnitten wird. Haben wir es dabei mit Vege-
tationspunkten flächenförmiger Gebilde zu thun, so sind auch nur diese
beiden Systeme von Zell wänden vorhanden; ist dagegen der Vegetations-
punkt hall)kuglig oder kegelförmig oder sonst ähnlich gestaltet, also
nicht blos flächenförmig , sondern körperlich gebildet, so ist noch ein
drittes System von Zellwänden vorhanden, nämlich Längswände, welche
von der Längsaxe des Vegetationspunktes aus radial nach Aussen
verlaufen".
„Es wird jedoch zur Erleichterung des Verständnisses beitragen,
wenn wir auch hier wieder unsere weiteren Betrachtungen an ein nach
bestimmten Grundsätzen, aber willkürlich construirtes Schema anknüpfen
und zunächst für dasselbe nur die Flächenansicht eines Längsschnittes
durch einen Vegetationspunkt (Fig. 111) zu Grunde legen. Halten wir
Fig. 111. Construction des Zellnetzes an einem Vegetationspunkt.
Nach Sachs Fig. 284.
uns hierbei an unsere Figur, deren Umriss E E dem Längsschnitt eines
kegelförmigen Vegetationspunktes entspricht, und setzen wir voraus, dass
dieser Umriss, wie es auch häufig in der Natur nahezu eintrifft, die Form
einer Parabel habe und dass die Fächerung des Raumes, den die em-
bryonale Substanz des Vegetationspunktes erfüllt , wieder in der Art
stattfinde, dass anti- und perikline Wände einander rechtwinklig schneiden.
Unter dieser Voraussetzung kann man nun nach einem bekannten Lehr-
satz der Geometrie das Zellnetz in unserer Figur construiren: voraus-
gesetzt, dass X X die Axe und y y die Richtung des Parameters ist, sind
alle die mit P p bezeichneten Periklinen eine Schaar von confocalen
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
179
Parabeln, Ebenso sind alle Antiklinen Ä a eine Schaar confocaler
Parabeln, welche Brennpunkt und Axe mit den vorigen gemeinschaftlich
haben, aber in der entgegengesetzten Richtung verlaufen. Zwei solche
Systeme confocaler Parabeln schneiden einander überall rechtwinklig."
„Sehen wir nun nach, ob ein medianer Lcängsschnitt durch einen
vorgewölbten, ungefähr parabolisch geformten Vegetationspunkt ein Zell-
netz darbietet, welches in den wesentlichen Eigenschaften mit unserm
geometrisch konstruirten Schema übereinstimmt, da finden wir z. B. am
Vegetationspunkt der Edeltanne (Fig. 112) sofort die entsprechende innere
fn'
Fig. 112. Längsschnitt durch den Vegetationspunkt einer Winter-
knospe der Edeltanne (Abies pectinata). Ungefähr 200mal vergrössert. Nach
Sachs Fig. 285.
S Scheitel des Vegetationspuuktes, ö b jüngste Blätter, r r Kinde, m m Mark.
Structur, wenn man nur beachtet, dass in unserer Figur die beiden Vor-
wölbungen h b das Bild einigermaassen stören; es sind junge Blattan-
lagen, welche aus dem Vegetationspunkt hervorsprossen. Im Uebrigen
erkennt man sofort die beiden Systeme von Anti- und Periklinen, deren
Krümmungen kaum einen Zweifel darüber lassen, dass sie einander, wie
in unserm obigen Schema, rechtwinklig schneiden oder die Antiklinen
die orthogonalen Trajectorien der Periklinen sind. So wie in unserm
Schema umlaufen auch nur einige wenige Periklinen unter dem Scheitel
S den gemeinschaftlichen Brennpunkt aller Parabeln, die andern reichen,
von unten herkommend, nur bis in die Nähe des Brennpunktes, d. h. mit
andern Worten: die entsprechenden Zelltheilungen finden immer erst
dann statt, wenn die Periklinen unterhalb des Krümmungscentrums sich
weit genug voneinander entfernt haben, so dass neue Periklinen zwischen
ihnen eingeschaltet werden müssen, und ganz dasselbe gilt von den Anti-
klinen Ä a. Man bemerkt leicht an unserm Schema (Fig. 111), dass um
den gemeinschaftlichen Brennpunkt aller Anti- und Periklinen herum die
Krümmungen der Constructionslinien besonders kräftig sind."
„Viele hunderte von medianen Längsschnitten durch Vegetations-
punkte von Sprossen und Wurzeln, welche die verschiedensten Beobachter
gezeichnet haben, ohne auch nur im Entferntesten das zu Grunde liegende
Princip zu kennen, entsprechen der von mir gegebenen Construction und
beweisen die Richtigkeit ihres Princips." —
Um endlich einige Abweichungen von der normalen Zelltheilung zu
verstehen, ist noch ein viertes Gesetz zu beachten, welches von B a 1 -
12*
180 Sechstes Capitel.
four (VI. 3) genauer formulirt ist und welches lautet : Die Sclinellig-
keit, mit welcher sich eine Zelle theilt, ist proportional
der Concentration des in ihr befindlichen Protoplasmas.
Protoplasmareiche Zellen theilen sich rascher als proto-
plasmaärmere aber dotterreichere. Der Satz erklärt sich
daraus, dass beim Theilprocess allein das Protoplasma die active, das in
ihm eingelagerte Dottermaterial die passive Substanz ist, welche durch
die active mit bewältigt werden muss. Die Arbeit für das Protoplasma
bei der Theilung ist um so grösser, je mehr Dotter vorhanden ist, und
sie kann in vielen Fällen sogar eine so grosse werden, dass sie nicht
mehr zu Ende geführt werden kann. Letzteres tritt häufig bei polar
differenzirten Eiern ein, wenn bei ihnen sich der Haupttheil des Proto-
plasmas am animalen Pol coneentrirt hat. Dann bleibt die Theilung auf
diesen Abschnitt der Zelle beschränkt, während die vegetative Hälfte
nicht mehr in Zellen zerlegt wird. Aus der totalen ist so eine unvoll-
ständige oder partielle Theilung hervorgegangen. Beide extremen Formen
sind in der Natur durch Uebergänge untereinander verbunden.
2) Uebersicht der Arten der Zelltheilung.
Ueberblicken wir nun die verschiedenen Arten der Zell-
theilung, so lassen sich dieselben in folgendes Schema bringen, welches
ich der Einzelbesprechung zu Grunde lege:
I. Typus. Die totale Theilung.
a) äquale.
b) inäquale.
c) Knospung.
II. Die partielle Theilung.
m. Die Vielzellbildung.
IV. Die Pte du ctions theilung.
Die lehrreichsten Beispiele für die verschiedenen Theilungsarten
bieten hauptsächlich die thierischen Eizellen, weil bei ihnen die
Theilungen sich rasch aufeinander folgen und so am klarsten die gesetz-
mässigen Beziehungen zu einander erkennen lassen.
P. Die äqual'e Theilung.
Bei der äqualen Theilung zerfällt das Ei, w^nn es wie gewöhnlich
die Form einer Kugel besitzt, zuerst in zwei Halbkugeln ; bei der darauf
folgenden zweiten Theilung muss sich die Kernspindel nach der oben
auseinander gesetzten Regel parallel zur Grundfläche der Halbkugel ein-
stellen, so dass diese sich jetzt in zwei Quadranten theilt. Hierauf muss
die Spindelachse mit der Längsachse jedes Quadranten zusammenfallen,
wodurch eine Zerlegung in je zwei Octanten herbeigeführt wird. In Folge
dessen ist während des zweiten und dritten Furchungsstadiums die Lage,
welche die zweite und dritte Furchungsebene zu einander und zur ersten
Theilebene einhalten, eine streng gesetzmässige. Es h a 1 b i r t nämlich
stets die zweite Furchungsebene die erste und schneidet
sie rechtwinklig, die dritte Ebene aber steht wieder senk-
recht auf den beiden ersten und geht durch die Mitte der
Axe hindurch, in welcher sich diese schnei den. Wenn man
nun die Enden dieser Axe als Pole des Eies betrachtet, so kann man
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
181
die beiden ersten Tlieilungsebenen als meridionale, die dritte als eine
äquatoriale bezeichnen.
Schon nach der zweiten Furchung lassen sich in vielen Fällen
Verschiebungen der vier T heil st ticke aneinander beobachten,
welche zur Folge haben, dass die von der zweiten Theilung herrührenden
Furchen sich nicht mehr an den Polen in einem Punkte schneiden,
sondern in geringer Entfernung vom Pol auf die erst gebildete Meri-
dionalfurche tretfen (Fig. 113). Es entsteht so eine bald kürzere, bald
längere Querlinie, welche als Brechungslinie bezeichnet wird. Be-
sonders schön ausgebildet habe ich (VI. 30 b) eine solche bei den Eiern
von Sagitta (Fig. 113) beobachtet:
Kurze Zeit nach Beendigung der zweiten Furchung des Sagitteneies
haben sich die vier Zellen so angeordnet (Fig. 113), dass nur zwei von
ihnen sich am animalen Pol in einer kurzen queren Furche, der an i malen
Brechungslinie, treften; an die beiden Enden derselben stossen die
lieiden anderen Zellen, welche von der Berührung mit dem Pole aus-
geschlossen sind, mit zugespitzten Enden an. Ganz dieselben Verhält-
nisse wiederholen sich am vegetativen Pol; nur treffen sich hier die
beiden Zellen, welche den animalen Pol nicht erreichen, in einer v e g e-
tati ven Brechungslinie, und diese ist dann stets so orientirt, dass
sie die entgegengesetzte Brechungslinie, wenn wir beide auf dieselbe
Ebene projiciren, unter rechtem Winkel kreuzt. Die durch Viertheilung
entstandenen vier Zellen sind also keine regelmässigen Viertel einer
Kugel; an jeder können wir ein stumpfes und ein spitzes, den Polen
des Eies zugewandtes Ende unterscheiden. Je zwei aus einer Halbkugel
abstammende Zellen sind dann in der Weise gruppirt, dass sie mit ihren
stumpfen oder spitzen Enden nach entgegengesetzten Richtungen schauen.
Eine ähnliche Anordnung der vier ersten Furchungszellen ist an andern
Objecteu, so von Rabl an den Eiern von Planorbis, von Rauber (VI. 56)
an Froscheiern beschrieben und von letzterem ausführlicher erörtert worden.
Auch bei ovalgeformten Eiern, bei denen die erste Theilungsebene
nach unserem Gesetz quer zur Längsaxe orientirt ist, finden während der
zweiten Furchung, die auf die erste senkrecht erfolgt, bedeutende Ver-
schiebungen statt und kommen dadurch wieder deutlich ausgeprägte
Brechungslinien zu Stande, wie die Figur 114 von Ascaris nigrovenosa
ohne weitere Erklärung lehrt.
Fig. 113.
Fig. 114.
Fig. 113. Viergetheiltes Ei von Sagitta vom animalen Pol aus ge-
sehen. löOinal vergrössert. Hertwig Taf. V, Fig. 5.
Fig. 114. Viergetheiltes Ei von Ascaris nigrovenosa. Nach Auerbach
Taf. IV, Fig. 19.
182
Sechstes Capitel.
P. Die inäquale Theilung.
Von der äqualen lässt sich leicht die inäquale Theilung ableiten.
Am häufigsten ist dieselbe dadurch bedingt, dass in der Zelle Proto-
plasma und Dottermaterialien in ungleicher Weise vertheilt sind. Als
Beispiel diene das polar diiferenzirte Froschei. Bei diesem liegt, wie
schon gezeigt wurde, der Kern in der nach oben gekehrten, animalen
Hälfte der Kugel (Seite 174). Wenn er sich hier zur Theilung anschickt,
kann sich seine Axe nicht mehr in jeden beliebigen Radius des Eies
einstellen; in Folge der ungleichmässigen Vertheilung des Protoplasma
im Eiraum steht er unter dem Einflüsse des protoplasmareicheren,
pigraentirten Theils des Eies, welcher wie eine Calotte dem mehr deuto-
plasmahaltigen Theil aufliegt und wegen seiner geringeren, specifischen
Schwere obenauf schwimmt und horizontal ausgebreitet ist (Fig. 115 Ä).
Fig. 115. Schema der Theilung des Froscheies. O. Hertwig, Entwick-
lungsgesch. Fig. 31.
A Ei-stes Theilungsstadium. £ Drittes Theilungsstadiiim. Die vier Theilstücke
des zweiten Theihingsstadiums begingen durch eine Aeqiiatorialfurche in acht Stücke
zu zerfallen. F Pigmentirte Oberfläche des Eies am animalen Pol, pr protoplasma-
reicher, d deutoplasmareicher Theil des Eies; sp Kernspindel.
In einer horizontalen Protoplasmascheibe aber kommt die Kernspind el
horizontal zu liegen; mithin muss die Theilungsebene sich in verticaler
Richtung bilden. Zuerst beginnt sich eine kleine Furche am animalen
Pole zu zeigen, weil derselbe mehr unter dem Einfluss der ihm genäherten
Kernspindel steht und mehr Protoplasma enthält, von welchem die
Bewegungserscheinungen bei der Theilung ausgehen. Die Furche ver-
tieft sich langsam nach abwärts und schneidet nach dem vegetativen
Pole zu durch.
Die durch den ersten Theilungsakt entstandenen zwei Halbkugeln
sind aus einem protoplasmareicheren, nach oben gerichteten und aus
einem nach abwärts gekehrten, protoplasmaärmeren Quadranten zusammen-
gesetzt. Dadurch wird erstens wieder die Lage und zweitens die Axe
des Kerns, wenn er in die zweite Theilung eintritt, fest bestimmt. Den
Kern haben wir nach dem früher aufgestellten Gesetz im protoplasma-
reicheren Quadranten aufzusuchen; die Axe der Spindel muss sich hier
parallel zur Längsaxe des Quadranten einstellen, muss also horizontal
zu liegen kommen. Die zweite Theilungsebene ist daher, wie die erste
lothrecht und schneidet dieselbe rechtwinklig.
Nach Ablauf der zweiten Furchung besteht das Amphibienei aus vier
Quadranten, die durch verticale Theilungsebenen voneinander getrennt
sind und zwei ungleichwerthige Pole besitzen, einen protoplasmareicheren,
leichteren, nach oben gerichteten und einen dotterreicheren, schwereren,
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
183
nach abwärts gekehrten. Beim äqual sich furchenden Ei sahen wir,
dass auf dem dritten Theilungsstadium die Axen der Kernspindeln sich
parallel zur Längsaxe der Quadranten einstellen. Das ist auch hier in
einer etwas modificirten Weise der Fall (Fig. 115 B). Wegen des
grösseren Protoplasmareichthums der oberen Hälfte jedes Quadranten kann
die Spindel nicht wie bei dem äqual sich furchenden Ei in der Mitte
desselben liegen, sondern nmss dem animalen Pol des Eies mehr
genähert sein. Ferner steht sie genau vertical, da die Quadranten des
Amphibieneies wegen der ungleichen Schwere ihrer beiden Hälften im
Raum fest orientirt sind. In Folge dessen muss jetzt die dritte Theihmgs-
ebene eine horizontale werden (Fig. 116 Ä), ferner muss sie oberhalb
B
C
rig. 116. Furehungsstadien von Petromyzon. Aus Hatschek Fig. 72.
A lind B nach Shipley, C und I) nach M. Schultze.
des Aequators der Eikugel mehr oder minder nach dem animalen Pole
zu gelegen sein. Die Theilproducte sind von sehr ungleicher
Grösse und Beschaffenheit und sind der Grund, warum
man diese Form der Furchung als die inäqnale bezeichnet
hat. Die vier nach oben gelegenen Segmente sind kleiner und dotter-
ärmer, die vier unteren viel grösser und dotterreicher. Nach den Polen,
denen sie zugekehrt sind, werden sie auch als animale und als vegetative
Zellen von einander unterschieden.
Im weiteren Verlauf der Entwicklung (Fig. 116
B, C, D) wird der Unterschied zwischen den ani-
malen und den vegetativen Zellen immer grösser,
da die Zellen, je protoplasmareicher sie sind, um
so rascher und häufiger sich theilen, wie gleich-
falls schon oben hervorgehoben wurde.
Auch bei ovalen Eiern kann eine
äquale Furch ung vorkommen. So zerfällt
bei Fabricia (Fig. 117) das Ei wegen der schon
beschriebenen Ansammlung des Dotters an einem
Pol (Fig. 109) in eine kleinere, protoplasmareichere -p. ^^^ zweige-
und eine grössere dotterreichere Zelle, die sich im theiites Ei von Pa-
weiteren Verlauf verschieden rasch weiter furchen, bricia. Nach Haeckel.
P. Knosp ung.
Von Knospung redet man, wenn das eine Theilproduct an Grösse
hinter dem andern so sehr zuriickbleibt, dass es nur als ein kleines An-
hängsel an ihm erscheint und kaum zu einer Verminderung seiner
Körpermasse führt. Das kleinere Theilproduct nennt man die Knospe,
das andere die Mutterzelle. Bei dieser Vermehrungsweise giebt es zwei
184
Sechstes Capitel.
Unterarten, je nachdem eine oder mehrere Knospen an der Mutterzelle
ihren Ursprung nehmen.
Im Thierreiche spielt der Knospungsprocess bei der Reife des Eies
eine Rolle und führt zur Entstehung" der Richtungskörper oder
Pol Zellen. Hierunter versteht man zwei bis drei kleine Kügelchen,
welche aus Protoplasma und Kernsubstanz zusannnengesetzt sind, daher
den Werth von kleinen Zellen besitzen und häufig innerhalb der Dotter-
liaut dem animalen Pol des Eies aufliegen. Der Hergang beim
Knospungsprocess ist folgender:
Währenddem sich das Keimbläschen auflöst, entsteht aus Bestand-
theilen seines Inhaltes eine typische Kernspindel mit zwei Polstrahlungen
an ihren Enden. Dieselbe verändert ihre Lage im Dotter (Fig. 118 I)
und rückt allmählich nach dem animalen Pol empor, bis sie mit ihrer
einen Spitze an der Obei-fläche anstösst. Hier angelangt, stellt sie sich
mit ihrer Längsaxe in die Richtung eines Eiradius ein. Bald beginnt die
Knospung; an der Stelle, wo der eine Pol der Kernfigur die Obei^äche
berührt, wölbt sich der Dotter zu einem kleinen Hügel empor, in welchen
die Spindel selbst zur Hälfte hineinrückt (Fig. 118 II).
IV
Fig. 118. Bildung der Polzellen bei Asterias glaeialis. O. Heetwig,
Entwicklun;isgescli. Fi«;. 13.
In Fig. / ist die Kernspindel fspj an die Oberfläche des Eies gerückt. In Fig. //
hat sich ein kleiner Hügel (rk^J gebildet, der die Hälfte der Spindel aufnimmt. In
Fig. III ist der Hügel zu einer Polzelle (rk^) abgeschnürt. Aus der Hälfte der
früheren Spindel ist wieder eine zweite vollständige Spindel (sp) entstanden. In Fig. jr
wölbt sich unter der ersten Polzelle ein zweiter Hügel hervor, der sich in Fig. F zur
zweiten Polzelle (rk"^) abgeschnürt hat. Aus dem Rest der Spindel entwickelt sich der
Eikern (ek) in Fig. T'I.
mit
(Fig
Hügel
Der
der Hälfte
118 III)
schnürt sich darauf an
der Spindel vom Dotter
Hierauf wiederholt sich
seiner Basis ein und löst sich
als eine sehr kleine Zelle ab
derselbe Vorgang noch
genau
einmal (Fig. 118 IV — FZ), nachdem sich die im Ei zurückgebliebene
Hälfte der Spindel, ohne in das bläschenförmige Ruhestadium des Kerns
zuvor eingetreten zu sein, wieder zu einer ganzen Spindel ergänzt hat.
Auf die feineren Einzelheiten des Vorgangs, welche die Kernspindel be-
treffen, wird auf Seite 191 noch genauer eingegangen werden.
Knospungsprocesse kommen bei einigen Abtheilungen einzelliger Orga-
nismen häufiger vor, und entnehme ich aus ihrem Kreise ein zweites Beispiel,
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
185
die von Richard Hertwig (VI 35) uiitersuclite P o d o p h r y a g e m in i p a r a,
eine marine Acinete, welche mit ihrem hinteren Körperende vermittelst
eines Stiels an anderen Gegenständen festsitzt. Am freien Körperende,
welches Fangfäden und Saugröhren trägt, l)ilden sich nicht selten 8—12
Knospen aus, welche zu einem nur das Centrum der freien Fläche frei-
lassenden Kranz angeordnet sind. Der Kern ist hierbei in eigenthümlicher
Weise betheiligt. Derselbe bildet, wie bei vielen Infusorien, solange die
Podoi)hrya noch jung und noch nicht in den Knospungsprocess eingetreten
ist, die Form eines langen, hufeisenförmig gewundenen Bandes (Fig. 119 6),
Später wachsen aus ihm zahl-
reiche Fortsätze in verticaler
Richtung nach der freien Seite
des Körpers hervor : sie schwel-
len mit ihren Enden bald kolbig
an, während ihre Verbindung
mit dem Haupttheil des Kerns
sieh meist zu einem feinen Fa-
den verdünnt. Ueberall, wo die
kolbigen Kernenden an die freie
Fläche herantreten, bilden sich
kleine Hügel, welche die Kern-
enden, wenn sie noch weiter vor
wachsen, in sich aufnehmen, je
ein Hügel ein kolbiges Kernende.
Die ganze Knospe vergrössert Fig. 119. Zeilknospung. Podophrya
sich hierauf noch etwas, schnürt gemmipara mit Knospen. O. Hertwig,
. , TT AT i-i. Zooloo-ie iiff. 21.
sich am Ursprung vom Mutter- / Knospen, die sich ablösen und zum
Organismus etwas ein; der in Schwärmer fi werden, i\' Kern.
sie hineingewachsene Kerntheil
nimmt die Form eines Hufeisens an und löst sich dann von dem feinen
Verbindungsfaden ab, durch den er mit dem mütterlichen Kern zu-
sammenhing. Die Knospen sind jetzt reif und l)e wegen sich nach ihrer
Abtrennung vom Mutterorganismus eine Zeit lang im Meerwasser als
Schwärmer fort.
IL Partielle Theilung.
Die partielle Theilung kommt, von einigen Protozoen (Noctiluca)
abgesehen, wohl nur bei Eizellen vor, sie lässt sich von der inäqualen
ableiten und bildet sich in allen den Fällen aus, wo der Dottergehalt
ein sehr grosser geworden ist und ein Theil des Protoplasma sich von
ihm schärfer aligesondert und als Scheute am animalen Pol angesammelt
hat (Fig. 108). Der in der Scheibenmitte gelegene Kern muss, wenn er
sich zur Spindel umwandelt, eine horizontale Lage einnehmen. Die erste
Theilebene entsteht dalier in verticaler Richtung und tritt zuerst, wie
beim inäqual sich furchenden Ei (Fig. 92), am animalen Pol in der
Mitte der Scheibe auf (Fig. 120^, 121 Ä). Während sie aber dort all-
mählich in die Tiefe dringt und bis zum vegetativen Pol durchschneidet,
zerlegt sie hier nur die Keimscheibe in zwei gleiche Segmente, welche
wie zwei Knospen der ungetheilten Dottermasse mit breiter Basis auf-
sitzen und vermittelst derselben noch untereinander verbunden sind.
Bald darauf erscheint eine zweite, verticale Furche, welche die erste
unter rechtem Winkel kreuzt uud uleichfalls auf die Keimscheibe
18G
Sechstes Capitel.
beschränkt bleibt, die nun in vier Segmente zerlegt ist (Fig. 120 J5, 121^).
Auch hier bildet sich eine Brechungslinie aus.
6
Fig. 120. Oberfläehenansieht der ersten Purehungsstadien des Hühner-
eies nach CosTE. a Kand der Keimscheibe, b verticale Furche, e kleines centrales,
d grosses peripheres Segment.
Jedes der vier Segmente wird dann wiederum von einer radialen
Furche halbirt. Die so entstandenen Theilstücke entsprechen Kreisaus-
schnitten, die im Centrum der Keimscheibe mit spitzen Enden zusammen-
stossen und mit ihren breiten Enden nach der Peripherie gewandt sind.
Von jedem dieser Segmente wird die Spitze durch eine quere oder dem
Aequator der Eikugel parallel gerichtete Furche abgetrennt, wodurch
central gelegene, kleinere, jetzt allseitig vom Dotter isolirte und grössere,
mit dem Dotter noch zusammenhängende, periphere Theilstücke entstehen
(Fig. 120 c). Indem von nun an radiale und dem Aequator parallele
Furchen alternirend auftreten, zerfällt die Keimscheibe in immer zahl-
reichere Stücke, welche so angeordnet sind, dass die kleineren im Centrum
der Scheibe, die grösseren nach der Peripherie zu liegen (Fig. 121c).
. ' i 1 ,
%
Fig. 121. Diseoidale Furchung des Cephalopodeneies nach Watase.
Aus R. Hertwig Fig. 99.
Manche der mit dem Dotter verbundenen Segmente werden sich dabei
in der Weise abschnüren, dass die Kernspindel sich in schräger oder
verticaler Richtung einstellt, was zur Folge hat, dass bei der Theilung
der eine Tochterkern in die Dottermasse zu liegen kommt. Auf diese
Weise entstehen bei der partiellen Furchung die viel besprochenen
Dotterkerne, welche in grösserer Anzahl namentlich an der Peripherie
der abgefurchten Keimscheibe in die oberflächlichsten Dotterschichten
eingebettet sind. Vergleiche auch die interessanten Beobachtungen von
Rückert (VII, 36) und Oppel (VII. 34), aus denen hervorgeht, dass bei
Selachiern und Reptilien Dotterkerne in Folge von Ueberfruchtung
ihren Ursprung nehmen.
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
187
III. Die Vielzellbildung.
Das Eigenthümliche der Vielzellbildung besteht darin, dass sich der
Kern in einer Zelle mehrfach hintereinander theilt, während der Proto-
plasniakörper längere Zeit iingetheilt bleibt, ja nicht einmal die Neigung
zu einer partiellen Zerlegung zeigt. Durch öfters sich wiederholende
Zweitheilung kann die Anzahl der Kerne in dem einheitlichen Troto-
plasmakörper sich allmählich auf mehrere Hunderte belaufen. Diese
ordnen sich dann in regelmässigen Abständen voneinander an. Endlich
tritt eine Zeit ein, in welcher die vielkernige Mutterzelle auf einmal oder
mehr allmählich in so viele Tochterzellen zerfällt, als sie Kerne einschliesst.
Vielzellbildung kommt bei Thieren und Pflanzen, namentlich bei
der Entwicklung der Geschlechtsproducte, häufiger vor. Zur Veran-
schaulichung wähle ich drei Beispiele: die superficielle Furchung der
centrolecithalen Eier von Arthropoden, die Bildung des Endosperms in
dem Embryosack der Samenknospen von Phanerogamen und die Sporen-
bildung in den Sporangien der Saprolegnien.
Bei den Eiern der Arthropoden ist gewöhnlich die Dottermasse
im Centrum des Eies angesanmielt und von einer dünnen Rindenschicht
von Protoplasma umgeben. Sie werden daher als centrolecithale
Eier oder Eier mit mittelständigem Dotter den telolecithalen Eiern
oder Eiern mit polständigem Dotter gegenüber gestellt (Balfour VI. 3).
Der Furchungskern findet sich gewöhnlich, von einer Protoplasmahülle
umgeben, in der Mitte des Nahrungsdotters; hier theilt er sich in zwei
Tochterkerne, ohne dass eine Theilung der Eizelle auf dem Fusse folgt.
Die Tochterkerne (Fig. 122^) theilen sich wieder in 4, diese in 8, 16,
32 Kerne und so weiter, während das Ei als Ganzes immer noch un-
getheilt bleibt. Später rücken die Kerne auseinander, wandern zum
grössten Theil allmählich an die Oberfläche empor (Fig. 122 B) und
^pr":^'>^
!f-' '■
'i- * ir-
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l.
Fig. 122. Superficielle Furchung des Insecteneies (Pieris erataegi)
nach BoBRETZKY. Aus R. Hertwig Fig. 100.
^Theilung des Furchungskerns. B Heraufrücken der Kerne zur Bildung der
Keimhaut (Blastoderm). C Bildung der Keimhaut.
dringen in die protoplasmatische Rindenschicht ein, wo sie sich in gleich-
massigen Abständen voneinander anordnen. Jetzt erst erfolgt auch am
Ei der Furchungsprocess, indem die Rindenschicht in so viele Zellen
zerfällt, als Kerne in ihr liegen, während der centrale Dotter ungetheilt
bleibt oder erst sehr viel später abgefurcht wird. Letzteres tritt ein,
wenn er wie bei den Insecten, ähnlich den Eiern mit polständigem Dotter,
einige Dotterkerne oder Merocyten einschliesst (Fig. 122 C).
188
Sechstes Capitel.
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Pig. 123. Fritülaria imperialis.
Protoplasmatiseher Wandbeleg aus
dem Embryosaek. Ein Streifen alle
Phasen der Kerntheilung zeigend.
Vergr. 90. Nach Stkasbürger, Botan.
Prakticum Fig. 190.
Der Embryosack der P ha-
ner ogamen wird von einem proto-
plasmatischen Wandbeleg ausgeklei-
det, der auf einem gewissen Entwick-
lungsstadium viele hundert regel-
mässig vertheilte Kerne einschliesst,
die man früher durch freie Kern-
bild img wie die Krystalle aus einer
Mutterlauge entstehen liess. Wir
wissen jetzt, dass sie von einem
Mutterkern durch oftmals wieder-
holte Zweitheilung, wie im Ei der
Arthropoden, abstammen (Fig. 123).
Die Theilungen spielen sich in einem
Bezirk des Embryosackes ziemlich
gleichzeitig ab. Hat es daher bei
Anfertigung eines Präparates der Zu-
fall glücklich gefügt, so kann man
auf kleinem Raum gleich Hunderte
von Theilungsstadien (Fig. 123) vor
Augen haben.
Wenn Kerne in genügend grosser
Anzahl entstanden sind, so tritt ein
Stadium ein, in welchem es zur
Zellbildung im Wandbeleg kommt
(Fig. 124). Zwischen den in regel-
mässigen Abständen vertheilten Ker-
nen differenzirf sich das Protoplasma
in radiäre Fäden. Es bilden sich nach
ll!/, '^MM
Fig. 124. Reseda odorata. Proto-
plasmatiseher Wandbeleg des Em-
bryosacks zu Beginn der freien Zell-
bildung. Vergr. 240. Nach Strasburger,
Botan. Prakticum Fig. 192.
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung. 189
allen Richtungen Verbindungsfäden aus , die sich in ihrer Mitte verdicken
und eine Zell platte erzeugen. In den Zellplatten entstehen in der
früher geschilderten Weise leicht quellende Cell ul ose wände, durch
welche um je einen Kern ein Theil des protoplasmatischen Wandbelegs
zur Zelle abgekapselt wird. Zuweilen sind in einer Zelle zwei Kerne
eingeschlossen, die dann entweder noch nachträglich durch eine Scheide-
wand getrennt werden, oder auch wie bei Corydalis cava zu einem ein-
zigen Kern untereinander verschmelzen.
Das Sporangium der Saprolegnien ist Anfangs eine lange
von Protoplasma erfüllte Zelle. In derselben werden zunächst die Kerne
durch Zweitheilung, die meist gleichzeitig eintritt, beträchtlich vermehrt.
Später vertheilen sie sich regelmässig im Zellraum. Um jeden Kern
sondert sich die angrenzende Protoplasmapartie zu einem kleinen Klümp-
chen, welches sich auf seiner Oberfläche mit einer festen, glänzenden
Hülle umgiebt, und so zerfällt der Zellinhalt gleichzeitig in so viel ein-
zelne Sporen, als kleine Kerne vorher vorhanden waren. Dieselben
werden später durch Platzen der Membran der Mutterzelle (des
Sporangiums) nach Aussen entleert.
Die früher erwähnte S ch w arm erbil düng der Radiolarien
(Seite 170) ist auch als ein besonderer Fall der Vielzellbildung zu
betrachten.
IV. Die Reductionstheilung.
In die letzte Entwicklung der Ei- und Samenzellen greifen eigen-
thümliche Theilprocesse ein, welche den Zweck haben, die Geschlechts-
zellen für ihre Bestimmung vorzubereiten. Das Wesentliche der-
selben beruht darin, d ass sich zwei eng zusammengehörige
Theilungen unmittelbar aufeinander folgen und zwar so,
dass sich an die erste gleich die zweite Theilung an-
schliesst, ehe noch der Kern in das Ruhestadium einge-
treten ist. In Folge dessen werden die aus der ersten
Theilung herrührenden Gruppen von Kernsegmenten
sofort ohne vorausgegangene Längsspaltung abermals in
zwei Tochtergruppen gesondert. Am Schluss der zweiten
Theilung erhalten daher die reifen Ei- und Samenzellen
nur halb so viel Kernsegmente und in Folge dessen auch
nur halb so viel Nucleinmasse als sonst die Kerne bei
einer gewöhnlichen Zelltheilung desselben Thieres. (Hert-
wig VI. 34.) Dies Verhältniss soll durch den Namen Re-
ductionstheilung (Weismann VI. 77) ausgedrückt werden.
Die Reductionstheilung der Samen- und Eizellen lässt sich am
klarsten bei Ascaris megalocephala verfolgen:
In der Hodenröhre wird eine bestimmte Zellenfolge mit dem Namen
der Samenmutterzellen belegt. In dem grossen, bläschenförmigen Kern
(Fig. 125 1) bilden sich aus der chromatischen Substanz (ich wähle zur
Beschreibung Asc. megal. bivalens) acht lange Kernfäden, die in zwei
Bündel angeordnet und mit der Kernmembran durch überallhin ausge-
spannte Lininfäden verbunden sind. Während der Nucleolus in einzelne
Kügelchen zerfällt, erscheinen dicht an der Aussenfläche der Kernmembran
zwei Polkörperchen nahe bei einander im Protoplasma, von einer kleinen
Sphäre umgeben (Fig. 125 II). Die Segmente verkürzen sich und werden
dicker (Fig. 125 11, 111). Die Polkörperchen rücken weiter auseinander
und sind schliesslich an entgegengesetzten Punkten des bläschenförmigen
190
Sechstes Capitel.
Kerns und zwar in einiger Entfernung von demselben anzutreffen. Zu
dieser Zeit sind die Reste des Nucleolus geschwunden ; die Kernmembran
löst sich auf, die zwei Bündel von je vier Kernsegmenten ordnen sich im
Aequator zwischen den Polkörperchen an und trennen sich darauf in zwei
Tochterbündel von je zwei Kernsegmenten, die nach den Polen auseinan-
der weichen (Fig. 125 IV, Fig. 126 I). Die Samenmutterzelle zerfällt hier-
IV
II
C, o o o
0° o o 00
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»»11
00:"
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O^OS^^
Fig. 125. Vier Kerne von Samenmutterzellen von Ascaris megalo-
eephala bivalens auf verschiedenen Vorbereitungsstadien zur Theilung.
auf durch Einschnürung in zwei gleich grosse Tochterzellen (Fig. 126 II).
Während noch die Durchschnürung im Gange ist, beginnen schon die
Veränderungen, die zur zweiten Theilung führen (Fig. 126 7). Das Pol-
körperchen jeder Tochterzelle spaltet sich in zwei Hälften, welche, von
ihren besonderen Sphären umgeben, parallel zur ersten Theilungsebene
nach entgegengesetzten Richtungen auseinander rücken (Fig. 126 II, A
und B). Die von der ersten Theilung herrührenden Kernsegmente liefern
Fig. 126. Schema für die Entstehung der Samenzellen aus einer
Samenmutterzelle von Ascaris megaloeephala bivalens.
J Theihing" der Öamenniutterzelle in zwei Saraentocliterzelleu.
II Die beiden Samentochtei'zellen {A u. B) bereiten sich gleich nach der ersten
Theilung zu einer zweiten Theilung vor.
JII Die Samentochterzelle A theilt sieh in zwei Samenenkelzellen. B UTid C
sind Samenenkelzellen, welche durch Theilung der Sameutochterzelle B der Fig. //
hervorgegangen sind.
mit Ueberspringung des bläschenförmigen Ruhezustandes gleich wieder das
Material zur zweiten Theilung. Sie kommen durch Umlagerung zwischen
die neuentstandenen Pole der zweiten Theilungsfigur zu liegen (Fig. 126
17, B) und trennen sich dann in zwei Gruppen von je zwei Kernseg-
menten, die nach den Polen auseinander weichen, worauf die zweite
Einschnürung beginnt (Fig. 126 III, A). Während bei der ersten Thei-
lY. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
191
lung jede Tochterzelle von den im ruhenden Kern schon vorgebikleteu,
acht Kernsegmenteu deren vier erhält, bekommt jetzt jede Enkel-
zelle nur ihrer zwei. Denn im Laufe der ohne Ruhezustand sich folgenden
zwei Theilungen hat eine Vermehrung der Kernsubstanz und eine Zu-
nahme der Kernsegmente auf dem Wege der Längsspaltung nicht statt-
gefunden. In Folge dessen ist die Anzahl der Segmente durch die zweite
Theilung auf die Hälfte der typischen Zahl herabgesetzt oder reducirt
worden.
In genau derselben Weise vollzieht sich eine Reductions-
theilung beim Reifeprocess d e s E i e s von Ascaris megalocephala.
Der Samenmutterzelle entspricht das unreife Ei oder die Eimutter-
zelle. Auch hier entstehen im Keimbläschen acht in zwei Bündeln ange-
ordnete Kernsegmente (Fig. 127 /). Nach Auflösung der Kernmembran
ordnen sie sich im Aequator der ersten Richtungsspindel an, die zur
Oberfläche des Dotters emporsteigt (Fig. 127 II) und in früher be-
schriebener Weise (Seite 184) die erste Polzelle bildet. Dieser Process
ist der Theilung der Samenmutterzelle in zwei Tochterzellen vergleich-
bar. Wie dort (Fig. 126 1) erhält von den zwei Bündeln von je vier
Segmenten ein jedes der beiden hier ungleich grossen Theilproducte,
(Fig. 127 111) die Ei-Tochterzelle und die durch Knospung entstandene
Polzelle, zwei Tochterbündel von je zwei Segmenten. Auch hier folgt
mit Ueberspringung des Ruhestadiums gleich eine zweite Theilung. Aus
dem Material der in der Ei-Tochterzelle zurückgebliebenen, halben Spindel
bildet sich direkt eine zweite volle Spindel aus mit nur vier paarweise
verbundenen Segmenten. Aus der zweiten Knospung entsteht die zweite
Polzelle (Fig. 127 IV) und die Ei-Enkelzelle oder das reife Ei,
ein jedes Theilproduct mit nur zwei Kernsegmenten.
II
I:
°s'>..-r
'Hr-^C^
111
^^^i*y —
Fig. 127. Schema für die Bildung der Polzellen und die Befruchtung
des iBies von Ascaris megalocephala bivalens.
192 Sechstes Capitel.
Abgesehen davon, dass die Theilproducte bei der Eireife von so
ungleicher Grösse sind (Knospung), gleichen die Vorgänge den oben
beschriebenen Theilungsprocessen bei der Sanienbildung so vollständig,
dass durch sie Licht auf die Bedeutung der Polzellen geworfen wird.
Während aus einer Samenniutterzelle (Fig. 126 1) sich vier Samenzellen
entwickeln (Fig. 126 111, A B C), entstehen aus einer Eimutterzelle
(Fig. 127 7) ein befruchtungsfähiges Ei (Fig. 127 V) und drei Abortiv-
eier. Diese haben sich in rudimentärem Zustande erhalten, weil sie bei
der physiologisch wichtigen Reductionstheilung eine Rolle spielen.
Aehnliche Verhältnisse, wie bei den Nematoden, aus welchen her-
vorgeht, dass die reifen Geschlechtsproducte nur halb so viel Kernseg-
mente besitzen als die Gewebszellen des betreffenden Organismus, sind
noch für viele andere Objecte festgestellt worden: so von Boveri (VI. 6)
für die reifen Eizellen von Thieren, welche den verschiedensten Klassen
des Thierreichs anaehören, von Flemming (VI. 13 11), Platner (VI. 52),
Henking (VI. 27), Ishikawa (VI. 40), Hacker (VI, 24), vom Rath (VI. 55)
für die reifen Samenzellen von Salamandra, Gryllotalpa. Pyrrhocoris,
Cyclops etc., von Guignard (VI. 23 b) für die bei der Befruchtung in
Verwendung kommenden Kerne der Pollenzellen und für den Kern der
reifen Eizelle der Phanerogamen.
Auch bei Infusorien findet vor der Befruchtung eine Reduction
von Kernsubstanz nach den Untersuchungen von Maupas (VII. 30) und
Richard Hertwig (VII. 21) statt, worüber noch einige nähere Angaben in
Capitel VII, Seite 216 folgen werden.
In allen hier beschriebenen Fällen geschieht die Reduction der
K e r n s u b s t a n z vor der Befruchtung der Eizelle d u r c li die
Samenzelle. Es scheint nun aber auch die Reduction der Kernmasse,
was ja a priori recht gut möglich ist, erst nach der Befruchtung
durch die ersten Kerntheilungen erfolgen zu können. In dieser Weise
möchte ich wenigstens die so interessanten Beobachtungen deuten, welche
Klebahn (VI. 43) bei zwei Vertretern der niederen Algen-Gattung der
Desmidiaceen, bei Closterium und Cosmarium, gemacht hat. Eine ge-
nauere Darstellung wird erst im Capitel „Befruchtungsprocess" (Seite 224)
gegeben werden, auf welches hiermit der Leser hingewiesen wird.
IT. Beeinflussung der Zelltheilung durch änssere Factoren.
Abnorme Kerntheilungsfiguren. Kerndegenerationen.
Das complicirte Kräftespiel, das sieh dem Beobachter bei jeder
Zelltheilung darbietet, kann ebenso wie das früher studirte Phänomen
der Protoplasmabewegung durch äussere Factoren in auffälliger Weise
beeinflusst werden. Nur werden hier aus naheliegenden Gründen die
Verhältnisse verwickelter als bei der Protoplasmabewegung, weil stofflich
verschiedene Theile, Protoplasma, Kernsegmente, Spindelfasern, Pol-
körperchen von der Stömng betroffen und in sehr verschiedenartiger
W^eise allgeändert werden können. — Das ganze Gebiet ist noch wenig
experimentell in Angriff genommen. Wenn wir die Frage aufwerfen, wie
verhalten sich die einzelnen Stadien des Kerntheilungsprocesses ther-
mischen, * mechanischen, elektrischen und chemischen Reizen gegenüber,
so können wir nur eine sehr unbefriedigende Antwort darauf geben. Die
zusammenhängendsten Untersuchungen besitzen wir zur Zeit über Echino-
dermen-Eier, deren Verhalten gegen thermische und chemische
Reize während der Theilung einer Prüfung unterworfen wurde.
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung. 193
Was zunächst die thermischen Einflüsse betrifft, so ist im Allgemeinen
bekannt, dass je nach dem Grade der Temperatur die Zelltheilung lang-
samer oder rascher verläuft; wo aber das Temperaturoptimum, wo das
Minimum liegt, und welche Veränderungen Temperaturen, die iiber das
Optimum hinausgehen, an den Kernfiguren hervorrufen, muss durch
Experimente genauer festgestellt werden. Ueber den Einfluss von Kälte-
graden von 1 bis 4 Grad Celsius habe ich selbst (VI. 32, 33) eine Reihe
von Experimenten ausgeführt:
Wenn Echinodermen-Eier 15 bis 30 Minuten lang auf 1 bis 4 Grad
Celsius unter 0 abgekühlt werden, während sie sich auf charakteristischen
Theilungsstadien befinden, so wird binnen wenigen Minuten der ganze
achromatische Theil der Kernfigur rückgebildet und vernichtet, während
der chromatische, aus den Kernsegmenten bestehende Theil keine oder
nur geringfügige Veränderungen erfährt. Am lehrreichsten sind die
Stadien, auf denen die Kernsegmente im Aequator angeordnet (Fig. 128 Ä)
oder schon nach beiden Polen vertheilt sind. Wie Figur 128 i? lehrt,
sind die Protoplasmastrahlungen und ebenso die Spindelfasern spurlos
verschwunden; die Sphären in der Umgebung der Polkörperchen sind
noch durch hellere Stellen im Dotter bezeichnet. Die Kernsegmente
allein sind nacli Aussehen und Lage ganz unverändert geblieben.
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-■■'/\V^ ■::■::: ii^Phiyr^fHy^'
' / 1
Fig. 128. A Kernfigur eine« Eies von Strongylocentrotus 1 Stunde
20 Minuten nach der Befruchtung.
B Kernfigur eines Eies von Strongylocentrotus, welches IV2 Stunden,
nach Vornahme der Befruchtung 2 Stunden 15 Minuten in eine Kälte-
misehung von — 2 "^ C. gebracht und dann getödtet wurde.
Während der Dauer der Kältewirkung bleibt die Kernfigur in diesem
Zustand • fest gebannt ; die Starre beginnt aber in kürzester Zeit zu
schwinden, wenn die Eier in einem Tropfen Wasser auf einen Object-
träger gebracht und unter dem Einfluss der Zimmertemperatur allmählich
erwärmt werden. Schon nach 5 bis 10 Minuten bilden sich die beiden
Polstrahlungen an denselben Stellen, erst schwach, dann in ursprünglicher
Schärfe wieder aus; zwischen den beiden Polen treten wieder die Spindel-
fasern hervor, worauf es bald zur regelrechten Theilung kommt. In
diesen Fällen hat die Kälte nur als Hemmung gewirkt.
Der Theilungsprocess setzt einfach an dem Punkte wieder
ein, an welchem er durch die Kälte zum Stillstand ge-
bracht worden war.
Hertwig, Die Zelle und die Gewete. 13
194
Sechstes Capitel.
Intensivere Störungen werden durch 2- bis 3stündige Abkiihlung auf
2 bis 3 Grad Celsius unter 0 hervorgerufen. Die ganze Kernfigur wird
von Grund aus umgeändert und niuss sich, wenn die Kältestarre vor-
über ist , wieder von Anfang an neu aufbauen , wozu eine längere
Zeit der Erholung erforderlich ist. Entweder verschmelzen die Kern-
segmente zu einem unregelmässigen, gezackten Körper untereinander,
oder es bildet sich sogar aus ihnen wieder, wie bei dem Recon-
structionsprocess nach der Theilung, ein kleiner bläschenförmiger Kern.
Dann beginnen von Neuem Veränderungen, welche zur Entstehung von
Polstrahlungen und von häufig mehr oder minder abnorm gestalteten
Kerntheilungsfiguren führen. Auch die Theilung des Eikörpers erfolgt
nicht nur sehr verspätet, sondern ist oft pathologisch abgeändert.
In analoger Weise wie die Kälte, haben einige chemische Stoffe
(Chinium sulfuricum in 0,05°/oiger Lösung und 0,5 °/o Chloralhydrat) eine
überraschende Wirkung auf den Theilungsprocess. Werden Eier, welche
die Spindel gebildet haben und äquatoriale Anordnung der Kernsegmente
zeigen, 5 bis 10 Minuten der Einwirkung der oben genannten Stoffe aus-
gesetzt, so beginnen bald die Polstrahlungen vollkommen zu verschwinden;
entstehen aber nach einiger Zeit der Ruhe wieder von Neuem, w^orauf es
zu normaler Theilung kommt. Bei einer Einwirkung der Stoffe während
10 bis 20 Minuten jedoch wird die Störung eine tiefer greifende und führt
in vielen Fällen einen sehr eigenthümlichen und in seiner Art typischen
Verlauf des Theilungsprocesses herbei. Nicht nur die Polstrahlungen und
die Spindelfasern werden vollkommen zurückgebildet, sondern es geht
auch aus den Kernsegmenten in langsamer Umwandlung der bläschen-
förmige Ruhezustand des Kerns wieder hervor (Fig. 129 Ä). Derselbe
giebt bald den Ausgangspunkt für eine neue, jetzt aber wesentlich modi-
ficirte Theilung ab (0. und R. Hertwig VI. 38).
c
B
J^'i^.
Fig. 129. Kerne von Eiern von Strongyloeentrotus, welche V'2 Stunden
nach Vornahme der Befruchtung 20 Minuten in einer 0,025proeentigen
Chininlösung gelegen haben.
A Kenifigm- eiiie.s Eies, das eine Stunde nach Herausnahme aus der Chinin-
lösung abgetödtet wurde. -B Kernfigur eines Eies, das etwas später abgetödtet wurde.
C Kernfigur eines Eies, das 2 Stunden nach Hei-ausnahme aus der Chininlösung ab-
getödtet wurde.
Anstatt zweier, bilden sich gleich vier Strahlungen an der Oberfläche
der Kernblase aus (Fig. 129 B, in welcher eine Strahlung verdeckt ist).
Diese werden nach Behandlung mit Chinin bald scharf ausgeprägt, bleiben
dagegen nach Chloralbehandlung auf die Dauer matt und auf die nächste
Umgebung des Kerns beschränkt. Hierauf löst sich die Kernmembran
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
195
auf; zwischen den vier Polen entwickeln sich fünf Spindeln, auf welche
sich die Kernsegmente in äquatorialer Anordnung vertheilen und dabei
eine charakteristische Figur erzeugen (Fig. 129 C). Dann weichen die
Kernsegmente nach den vier Polen auseinander und geben die Grundlage
für vier bläschenförmige Kerne ab, welche nach der Oberfläche des
Dotters auseinander rücken. Das Ei beginnt sich darauf durch zwei
Kreuzfurchen den Kernen entsprechend in vier Lappen einzuschnüren; in
der Regel kommt es aber nicht zu einer vollständigen Theilung in vier
Stücke, sondern zuvor schicken sich die vier Kerne wieder zu einer
neuen Theilung an, indem sie sich in Spindeln mit zwei Polstrahlungen
umwandeln. Dabei vertiefen sich die eben erwähnten Einschnürungen
langsam, und jede Spindel kommt in einen Höcker oder eine Knospe zu
liegen. Entweder wird die Trennung jetzt schon eine ziemlich vollstän-
dige, oder es treten , noch ehe die Furchen weit in den Dotter einge-
schnitten haben, die vier Spindeln, indem die Kernsegmente nach den
Polen auseinanderweichen, zuvor in Theilung ein. Dies hat dann wieder
zur Folge, dass sich die vier ersten Höcker, noch ehe sie voneinander
getrennt sind, abermals einzuschnüren beginnen (Knospenfurchung).
Das Auffälligste bei den beschriebenen Erscheinungen ist das plötz-
liche Auftreten von vier Polstrahlungen, denen nach Allem, was wir
wissen, ebenso viele Polkörperchen zu Gnmde liegen müssen. Eine Er-
klärung hierfür bietet sich in den Vorgängen, welche sich an die Be-
fruchtung des Echinodermen-Eies anschliessen und welche ihre Besprechung
auf Seite 209 finden, auf welche hiermit verwiesen wird.
Modificationen von der in Figur 129 C. dargestellten Form der
Kernumwandlung kommen nicht selten vor ; sie bestehen darin, dass eine
Strahlung von den drei übrigen etwas weiter entfernt liegt (Fig. 130).
>Sll/-'A
m
Fig. 130.
■'/>■
' V/'/j.; ;\\\ ■■
Fig. 131.
Fig. 130 u. 131. Vierpolige Kernfiguren von Eiern von Strongylocen-
trotus, die IV2 Stunden nach Vornahme der Befruchtung 20 Minuten in
einer 0,05proeentigen Chininlösung gelegen haben und nach Herausnahme
aus der Chininlösung nach 2 Stunden getödtet worden sind.
In diesem Fall sind nur die drei näher zusammen gelegenen Strahlungen
durch drei Spindeln zu einem Triaster vereinigt. Im Mittelpunkt des
so gebildeten gleichschenkligen Dreiecks stossen drei Kernplatten zu-
sammen, wieder eine regelmässige Figur erzeugend. Die vierte abseits
liegende Strahlung verbindet sich durch eine einzige Spindel mit der
nächsten Strahlung des Triasters.
Als ein Uebergang zwischen den Figuren 129 und 130 lässt sich
13*
196 Sechstes Capitel.
wohl Figur 131 lietrachten. Hier gehen von der mehr isolirt gelegenen
Strahlung x zwei Spindeln nach dem übrigen Theil der Kernfigur, welche
einen Triaster darstellt. Von den beiden Spindeln ist die eine nur schwach
und unvollstcändig ausgebildet und fällt sofort durch die geringe Anzahl
ihrer Kernsegmente auf. Sie würde wahrscheinlich gar nicht zur Anlage
gelangt sein, wenn die Strahlung x noch etwas weiter von der Strah-
lung y entfernt wäre.
Drei-, vier- und mehrpolige Kerntheilungsfiguren
(Triaster, Tetraster, Polyaster, pluripolare Mitosen) sind auch in
krankhaft veränderten G e w e b e n ^ von pathologischen Anatomen,
Arnold, Hansemann, Schottländer, Cornil, Denys etc. (VI. 1, 10, 11, 25, 67),
häufig beobachtet worden, besonders häufig in bösartigen Geschwülsten,
wie in den Carcinomen. Sie gleichen in auffallender Weise den an
Eizellen experimentell erzeugten und in den Figuren 129 bis 131 ab-
gebildeten Kernfiguren. Wahrscheinlich ist auch hier die Ursache für
die abnormen Erscheinungen in chemischen Reizen zu suchen. So konnte
Schottländer (VI. 67) pathologische Kerntheilungen im Endothel der
Descemet'schen Membran dadurch hervorrufen, dass er die Hornhaut des
Froschauges mit Chlorzinklösung von bestimmter Concentration anätzte
und so in Entzündung versetzte. Bemerkenswerth ist das veränderliche
Zahlenverhältniss der Kernsegmente in den einzelnen Spindeln. Denn
während in einigen Spindeln zwölf Segmente, wurden in anderen nur
sechs oder sogar nur drei von Schottländer aufgefunden. Dieselbe Er-
scheinung wurde bei den Echinodermen-Eiern beobachtet.
Mehrpolige Kerntheilungsfiguren können übrigens wahrscheinlich noch
durch andere Ursachen, von denen uns zur Zeit die wenigsten bekannt
sind, veranlasst werden. Eine häufige Ursache ist zum Beispiel das
Vorkommen vieler Kerne in einer Zelle. Man kann leicht
einen solchen Zustand auf experimentellem Wege willkürlich hervorrufen,
wenn man Eizellen durch irgend welche geeignete Eingriffe schädigt und
dann befruchtet (Fol VI. 19b, Hertwig VI. 30a, 32, 33, 38). Anstatt
eines einzigen Samenfadens, wie es bei der normalen Befruchtung die
Regel ist, dringen dann zwei, drei und mehr in den Dotter hinein. Die
Folge einer derartigen Ueberfmchtung (Polyspermie) ist die Ausbildung
vieler, der Zahl der eingedrungenen Samenfäden entsprechender Samen-
kerne. Dieselben legen sich zum Theil dem Eikern an, und da jeder von
ihnen ein Centralkörperchen mit in das Ei hineingebracht hat, entstehen
um den Eikern entsprechend viele Polstrahlungen. Und so wandelt sich,
je nach der Zahl der Samenfäden, der Eikern in eine drei-, vier- und mehr-
strahlige Kerntheilungsfigur um.
Auch die nicht mit dem Eikern verbundenen, sondern bei der Ueber-
fruchtung im Dotter isolirt gebliebenen Samenkerne werden sehr häufig
der Ausgang eigenthümlicher, mehrpoliger Kernfiguren. Zunächst werden
sie zu kleinen Samenspindeln. Benachbarte Spindeln rücken dann häufig
zusammen der Art, dass zwei Polstrahlungen und mithin wohl auch die
in ihnen gelegenen Polkörperchen zu einem einzigen verschmelzen. Auf
diese Weise können durch allmählich erfolgende Verschmelzungen,
namentlich bei höheren Graden der Ueberfruchtung, die verschieden-
artigsten SpindelaggTegate zu Stande kommen. Auch die vom mehrfach
befruchteten Eikern ausgehende, vielstrahlige Figur kann nachträglich
durch Anlagerung von Samenspindeln noch eine complicirtere Structur
erhalten.
In ähnlicher Weise erkläre ich mir die interessanten Befunde, welche
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung.
197
an den Riesenzellen des Knochenmarks von Denys und an den
Riesenzellen der embryonalen Säugethierleber von Kostanecki (VI. 46) be-
obachtet worden sind. Im Verhältniss zu den zahlreichen Kernen werden
auch viele Centralkörperchen in der Zelle enthalten seia. Wenn daher das
ganze Kernaggregat in Theilung eintritt, werden sich viele Polstrahluugen
entwickeln müssen, zwischen denen sich dann die Kernsegmente, deren
Zahl unter Umständen mehrere hundert betragen kann, zu eigenthümlich
verzweigten Kernplatten anordnen, wie eine solche in Figur 132 nach
Kostanecki abgebildet worden ist. Wenn sich später die Muttersegmente
in Tochtersegmente spalten , wandern letztere gruppenweise nach den
einzelnen Polen der complicirten Kerntheilungsfigur und bilden dort
zahlreiche, kleine Kreise (Fig. 133). Aus jedem Kreis wird weiterhin ein
Kern; zuletzt theilt sich die Riesenzelle in so viele Stücke als Kerne,
resp. Kreise von Tochtersegmenten, vorhanden waren.
In dieselbe Reihe gehören die von Hennegiiy (VI. 28) am Forellenei
gemachten Beobachtungen. Bekanntlich sind bei partiell sich furchenden
Eiern zahlreiche Kerne, die Merocyten, in der Dotterschicht, welche unter
den Keimzellen liegt, zerstreut. Zuweilen treten einige von ihnen, indem
sie sich zur Theilung gleichzeitig vorbereiten, zu kleinen Spindelaggregaten
zusammen. Dafür, dass die Pole hierbei als Attractionscentren wirken,
ist sehr lehrreich der folgende von Henneguy mitgetheilte Fall (Fig. 134):
Fig. 132.
Fig. 133
Fig. 134.
Fig. 132. Vielpolige Kerntheilungsfigur mit vielen Gruppen von Mutter-
segmenten aus einer Riesenzelle der embryonalen Säugethierleber. Nach
Kostanecki.
Fig. 133. Vielpolige Kerntheilungsfigur einer Riesenzelle aus der
embryonalen Säugethierleber. Die Tochtersegmente bilden viele Gruppen,
die nach den zahlreichen Polen zu auseinander gerückt sind. Nach Kostanecki.
Fig. 134. Zwei Kernspindeln aus dem Dotter einer Forellenkeim-
scheibe. Das Polkörperchen der einen Spindel übt einen störenden Ein-
fluss auf die Anordnung und Vertheilung der Tochtersegmente in der
zweiten Spindel aus. Nach Hennegüy.
Zwei in Theilung begriffene Merocyten liegen in der gemeinsamen
Dottermasse dicht bei einander und zwar so, dass die Spindelaxe von
B in ihrer Verlängerung die Spindel Ä im Aequator schneiden würde
und dass das eine Polkörperchen h sich in grosser Nähe von Spindel Ä
befindet. Dadurch ist bei der letzteren die Vertheilung der Tochter-
segmente in ganz auffälliger Weise gestört worden. Anstatt in zwei
Gruppen nach den Polen a a, wie bei normalem Verlauf, auseinander zu
weichen, hat sich eine Anzahl von ihnen, welche sich am meisten in der
Wirkungssphäre des Polkörperchens b der nahegelegenen, fremden Spindel
198
Sechstes Capitel.
befunden hat, nach h begeben. Mit einem Wort: das Polkörperchen der
einen Spindel hat ganz offenbar einen störenden Einfluss auf die Anord-
nung und Vertheilung der Tochtersegmente in der zweiten Spindel
ausgeübt.
An demselben Objeet hat Henneguy in Keimzellen, die sich von der
Merocytenschicht nachträglich abtrennen, auch Triaster, wie ein solcher
in Figur 135 abgebildet ist, und Tetraster wahrgenommen.
B
Fig. 136.
Fig. 135.
Fig. 135. Zelle mit einer dreipoligen Kernfigur aus einem Forellen-
keim. Nach Henneguy.
Fig. 136. A Samenzelle mit entartetem Kern aus dem Hoden von
Salamandra maculata. Aus Flemming Tat". 2-5, Fig. 51a.
JS Zwisehenkörperchen (eorps residuel) aus dem Hoden von Ascaris
megalocephala. Kernrückbildung.
"^ Am Schluss des vierten Abschnitts sei endlich noch auf Degene-
rationsvorgänge hingewiesen, denen zuweilen die Zell-
kerne unterliegen, wahrscheinlich, weil sie sich unter schädlichen
Einflüssen befinden. Namentlich in den Geschlechtsorganen scheinen sich
häufig einzelne Keimzellen oder Gruppen von solchen, ehe sie die volle
Reife erlangt haben, zurückzubilden, w-ie von Flemming und Hermann
für Salamandra maculata, von mir für Ascaris megalocephala festgestellt
worden ist. An den Kernen geht das Gerüst zu Grunde. Das Nuclein
sammelt sich zu einem compacten Klumpen an, der sich durch eine auf-
fallend starke Färbbarkeit in den verschiedensten Farbstoffen auszeichnet.
Das Protoplasma nimmt im Verhältniss zu entsprechenden normalen
Keimzellen an Masse ab. Derartig verkümmerte Zellen mit ganz des-
organisirten Kernen sind in Figur 136 abgebildet. A ist eine Samen-
zelle aus einem Hodenfollikel von Salamandra, B eine Keimzelle von
Ascaris, wie sie sowohl im Hoden als im Eierstock vorgefunden wird
und in der Literatur unter dem Namen corps residuel oder Zwisehen-
körperchen bekannt ist. Wasielewski hat durch Injection von Terpentin
in den Hoden von Säugethieren die Kerne von Keimzellen in einen ent-
sprechenden Zustand der Degeneration auf experimentellem Wege ver-
setzen können.
Ueber die physiologische Bedeutung des Kernt lieilungs-
processes vergleiche Capitel IX, Abschnitt 3, besonders den Theil: Die
gleichwerthige Vertheilung der sich vermehrenden Erbmassen auf die aus
dem befruchteten Ei hervorgehenden Zellen.
IV. Die Fortpflanzung der Zelle auf dem Wege der Theilung. 199
Literatur. VI.
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mikroskop. Anatomie. Bd. XXX. Ferner mehrere Aufsätze in Vircho^vs Archiv.
Bd. XCIII, XCVJIl CHI.
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10) Cornil. Sur la multiplication des cdlules de la moelle des os par division indirecte
dans rinßatnmation. Arch. de phys. norm, et patholog. 1887.
11) D er selbe. Sur le procede de division indirecte des noyaux et des cellules epitheliales
dans les tumcurs. Arch. de phys. norm, et palh. 3. scr. 1\ VIII.
-12) W. Flemming. Zdlsubstanz, Kern und Zelltheilung. Leipzig 1882.
13) Derselbe. Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. I. Theü. Archiv für mikrosk.
Anatomie. Bd. XXIX. 1887. II Theil: Ebenda. Bd. XXXVII 1891.
14) Derselbe, lieber Zelltheilung. Verhandl. der anat. Gesellschaft zu München. 1891.
pag. 125.
15) Derselbe, l'ebcr Theilung und Kernformen bei Leukocyten u. über deren Aftractions-
sphären. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. XXXVII. 1891. pag. 249.
16) Derselbe. Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des Salamanders. Archiv für
mikrosk. Anatomie. Bd. XXXIV.
17) Der selbe. Attractionssphäre tt. Centralkörper in Gewebszellen u. JVanderzellen. Anat.
Anzeiger. 1891.
18) Fol. Die erste Enttvicklung des Geryonideneies. Jenaische Zeitschr. Vol. VII. 1873.
19a) Derselbe. Sur le commencement de thenogenie. Archives des sciences phys. et natur.
Geneve 1877.
19b) Der selb e. Archives des sciences physiques it naturelles. Gemve, 15. Oct. 1883.
20) Derselbe. Sur l'muf et ses enveloppes chez les Tuniciers. Eecueil zoologique suisse.
21) Frenzel. Die nucleoläre Kernhalbirung etc. Archiv für mikroskop. Anatomie.
Bd. XXXIX. 1892.
22) Göppert. Kerntheilung durch indirecte Fragmentirung in der lymphatischen Rand-
schicht der Salamanderliber. Archiv f. mikronk. Anatomie. Bd. XXXVII. 1891.
28a) Guignard. Recherches sur la structure et la division du noyau ccllulaire. Annales
des scicnc. nat. 6. ser. T. XVII. 1884.
23b) D er selb e. Nouvelles ctudes sur la fecondation, eomparaison itc. Annales des scienc.
nat. T. XIV. Botanique. 1891.
24) V. Hacker. Die Eibildung bei Cyclops u. Canthocamptus. Zool. Jahrbücher. Abth.
f. Anat. u. Ontogenie. Bd. V.
25) David Hansemann. Ueber pathologische Mitosen. Virchow's Archiv. Bd. CXXIII.
1891.
26) Derselbe. Ueber asymmetrische Zelltheilung in Epithelkrebsen und deren biologische
Bedeutung. Virchow's Archiv. Bd. CXIX.
27) Henking. Untersuchungen über die ersten Entwicklungsvorgänge in den Eiern der
Insecten. Theil 1-3. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie. Bd. XL IX, LI, LIV.
28) Henneguy. Nouvelles recherches sur la division cellulaire indirecte. Journal de
l'anatomie. Bd. XXVIf. 1891.
29) F. Hermann. Beitrag zur Lehre von der Entstehung der karyokinetischen Spindel.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. XXX VII. pag. 569.
30a) O. Hertwig. Beitrüge zur Kenntniss der Bildung, Befruchtung und Theilung des
thierinchen Eies. Morphol. Jahrbücher. Bd. I, III u. IT^. 1875, 1877, 1878.
30b) Derselbe. Die Chaetognathen, eine Monographie. 1880.
200 Sechstes Capitel.
31) O. Hertwig. Welchen Einflusa nbf die Schwerkraft auf die Theiluncj der Zellen?
Jena 1884.
32) Derselbe. Rrperimenlelle Studien am thierischen Ei vor, während und nach der Be-
fruchtung.
33) Derselbe. lieber pathologische Veränderung des Kerntheilungsprocesses in Folge ex-
perimenteller Eingriffe. Internationale Beiträge zur wissenschaftl. Medicin.
34) Derselbe. Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nematoden. Eine Grundlage für
cellulnre Streitfragen. Archiv f. niikroskop. Anatomie. Bd. XXXVI. 1890.
35) R. Hertwig. Beiträge zur Kennlniss des Aeineten. Morphol. Jahrbücher. Bd. I. 1875.
36) Derselbe. Zar Histologie der liadiolarien. Leipzig 1876.
37) Derselbe. Uiber den Bau und die Entwicklung der Spirogona gemmipara. Jenaische
Zeitschrift. Bd. XL 1877.
38) O. ti. R. Hertwig. Uebcr den BefrucMungs- und Theilungsvorgang des thierischen
Eies unter dem Einßuss äusserer Agentien. Jena 1887.
39) E. Heuser. Beobachtungen über Zelltheilung. Botanisches Centralblatt. 1884.
40) Ishikawa. Studies of reproductivc Clements. 1. Spermatogenesis, ovogenesis and fer-
tilization in Diaptomus. Journal of the College of scienee. Imperial university.
Japan. Vol. V. 1891.
41) Johnson. Amitosis in the embryonal envelopes of the scorpion. 1892. Bulletin of
the Museum of comparative Zoolojy at Harvard College. Vol. XXII. 1892.
42) Johow. Die Zellkerne von Ohara foclida. Botanische Zeitung. 1881.
43) Klebahn. Die Keimung von Closterium und Cosmarinum. Pringsheims Jahrbücher f.
wissenschaftl. Botanik. Bd. XXII.
44) KÖlliker. Entwicklungsgeschichte der Ccphalopodcn. 1844.
45) Derselbe. Die Lehre von der thierischen Zelle. In Schieide n u. Nagelt s ivissenschaftl.
Botanik. Heft 2.
46) V. Kostanecki. Ueber Kerntheilung bei Riesenzeüen nach Beobachtungen aus der
embryonalen Säugethierleber. Anatomische Hefte. 1892.
47) H. v. Mohl. Uebcr die Vermehrung der Pßanzcnzellen durch Theilung. Dissertalioti.
Tübingen 1835. Flora 1837.
48) Nägeli. Zellkern, Zellbildung und Zellenwachsthum bei den Pflanzen. In Schieiden
und Nägeli' s Zeitschr. f. wissenschaftl. Botanik. Bd. II u. III.
49) Pflüger. Ueber den Einßuss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen. Archiv
f. die gesammte Physiologie. Bd. XXXI u. XXXII. 1883.
50) Derselbe. Ueber die Etmvirkung der Schwerkraft u. anderer Bedingungen auf die
Richtung der Zelltheilung. 3. Abh. Archiv f. d. gesammte Physiologie. Bd. XXXIV.
1884.
51) Platner. Die Karyokinese bei den Lcpidopteren als Grundlage für eine Theorie der
Zelltheilung. Internationale Monatsschrift. Bd. III. 1885.
52) Derselbe. Beiträge zur Kenntniss der Zelle u. ilirer TIteilungser scheinungen. Archiv
f. niikroskop. Anatomie. Bd. XXXIII. 1889.
53) Rabl. Ueber Zelltheilung. Morpholog. Jahrb. Bd. X. 1885 und Anat. Anzeiger.
Bd. IV. 1889.
54) Ranvier. Technisches Lehrbuch der Histologie. Leipzig 1888.
55) O. vom Rath. Zur Kenntniss der Spermatogenese von Gryllotalpa vulg. Mit be-
sonderer Berücksichtigung der Frage nach der Eeductionstheilung . Archiv f. mikrosk,
Anatomie. Bd. XL. 1892.
56) Rauber. Formbildung u. Cellularmcchanik. Morpholog. Jahrbuch. Bd. VI.
57) Derselbe. Thier u. Pflanze. Akademisches Programm. Zoolog. Anzeiger. 1881.
58) Reichert. Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Samenkörperchen bei den Nema-
toden. Müller s Archiv f. Anat. u. Physiol. etc. 1847.
59) Derselbe. Der Furchung sprocess u. die sogenannte Zellenbildung um Inhaltsportionen.
Müller's Archiv. 1840.
60) Remak. Ueber cvtracellulare Entstehung thierischer Zellen u. über Vermehrung der-
selben durcli Tlieilung. Müller' s Archiv. 1852.
61) Derselbe. Untersuchungen über die Enttvieklung der Wirbelthiere. 1855.
62) Retzius. Studien über die ZcUentheilung . Biolog. Untersuchungen. Jahrgang 1881.
63) Roux. lieber die Bedeutung der Kerntheilungsfiguren. Leipzig 1883.
64) Sachs. Die Anordnung der Zellen in Jüngsten Pflanzentheilen. Arbeiten des botan.
Instituts in Würzburg. Bd. II.
65a) Schäfer. On the structure of the immaturc ovarian ovutn in the common fowl and
in the rabbit. Proceedings of the royal society. London 1880.
65b) SehewiakofF. Ueber die karyokinetischc Kerntheilung der Euglypha alveolata.
Morpholog. .Jahrb/ich. Bd. XIII. 1888.
66) Schneider. Untersuchungen über Plathelminthen. Jahrb. d. oberhessischen Gesellsch.
f. Natur- u. Heilkunde. 1873.
IV. Die Fortpflanzung' der Zelle auf dem Wege der Tlieilung. 201
67) Schottländer. Ueber Kern- und Zelltheilungsvorgänge in dem Endothel der ent-
zündeten Hornhaut. Archiv f. mikroskop. Anatomie. Bd. XXXI. ISSS.
68) Max Schultze. De ovorum ranarum segtnenfatione, quae Furchunysprocess dicitur.
Bonn 1S63.
69) Derselbe. Untersuchungen über die Reifung und Befruchtung des Amphibieneies.
Zeitschrift f . wissenschaftl. Zoologie. Bd. XLV. 1887.
70) Solger. Zur Kenntniss der Pigmentzellen. Anatom. Anzeiger. 1891. pag. 162.
71) Ed. Strasburger. Zellbildung u. Zelltheilung. 3. Aufl. 1880.
72) Derselbe. Die Controversen der indirecten Kerntheilung. Archiv für mikroskop.
Anatomie. Bd. XXIII. Bonn 1884.
73) Derselbe. Histologische Beiträge. Heft I: Ueber Kern- u. Zelltheilung im Pflanzen-
reiche etc. Jena 1S88.
74) Vejdovsky. EntwicklungsgesehichtUehe Untersuchtingen. Prag 1888.
75) Vialleton. R'cherches sur les premieres phases du developpement de la seiche.
Paris 1888.
^76) Waldeyer. Ueber Karyokinese und ihre Beziehungen zu den Befruchtungsvorgängen.
Archiv f. mihroskop. Anatomie. Bd. XXXII. 1888.
77) Weismann. Ueber die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die
Vererbung. Jena 1887.
78) R. Zander. Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre von der Zelltheilung. Biolog.
Centralblatt. Bd. Xll. 1892.
79) H. E. Ziegler. Die biologische Bedeutung der amitotischen Kerntheilung im Thier-
rcich. Biolog. Centralblatt. Bd. XI. 1891.
80) Ziegler u. vom Rath. Die amitotische Kerntheilung bei den Arthropoden. Biolog.
Centralblatt. Bd. XI. 1891.
81) Bütschli. Studien über die ersten Entwicklungsvorgänge der Eizelle, Zelltheilung und
Conjugation der Infusorien. Abhandl. d. Senkenberg, naturf. Gesellsch. 1S7G.
82) Rieh. Hertwig. Ueber die Kerntheilung bei Actinosphärium. Jenaische Zeitschr. f.
Naturw. 1884.
83) Derselbe. Ueber die Glciclnverthigkcit der Gesehlechtskerne bei den Seeigeln. Sitzungs-
berichte d. Gesellsch. f. Morph, u. Phi/s. in München. Bd. IV. 1888.
84) Derselbe. Ueber Kernstructur und ihre Bedeutung für Zelltheilung u. Befruchtung.
Ebenda. Bd. IV. 1888.
85) Oscar Hertwig. Das Problem der Befruchtung tmd der Isotropie des Eies, eine
Theoria der Vererbung. Jenaische Zeitschrift. 1884.
86) Bloehmann. Ueber directe Kerntheilung in der Embryonalhülle der Skorpione.
Morphol. Jahrb. Bd. X. 1885.
87) V. Davidoff. Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Distaj)lia magnilarva,
einer zusammengesetzten Ascidie. Mittheil, aus d. zoolog. Station zu Neapel. Bd. IX.
SIEBENTES CAPITEL.
Die Lebenseigenschaften der Zelle.
V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung.
Die im sechsten Capitel besprochene Fortpflanzung der Zellen auf
dem Wege der Theilung seheint, wenigstens für die Mehrzahl der Orga-
nismen, keine in sich unbegrenzte zu sein ; der Vermehrungsprocess kommt
nach kürzeren oder längeren Zeiträumen zu einem Stillstand, wenn er
nicht durch Vorkehrungen, die man unter dem Namen der Befruchtung
zusammenfassen kann, wieder von Neuem angefacht wird. Nur die aller-
niedrigsten Organismen, wie die Spaltpilze, scheinen sich allein durch
fortgesetzte Theilung in das Unbegrenzte vermehren zu können, dagegen
kann für den grössten Theil des Pflanzen- und Thierreichs das allge-
meine Gesetz aufgestellt werden, dass nach einer Periode der Massen-
zunahme durch Theilung in Zellen, eine Periode eintritt, in welcher
zwei Zellen verschiedener Herkunft untereinander verschmelzen müssen,
und dass das Verschmelzungsprodukt erst wieder einen Elementarorganis-
mus liefert, der den Ausgang für eine neue Periode der Vermehrung
durch Theilung bildet.
In Folge dessen gestaltet sich die Vermehrung der Elementarorga-
nismen und damit das Leben selbst zu einem cyklischen Process. Nach-
dem Generationen von Zellen durch Theilung entstanden sind, führt der
Kreislauf des Lebens immer wieder zu demselben Ausgangspunkt zurück,
dass sich zwei Zellen im Befruchtungsakt vereinigen und zum Anfang einer
neuen Generationsreihe werden. Derartige Cyclen nennt man Zeugiings-
kreise. Sie treten uns im ganzen Organismenreich in den mannichfachsten
Formen entgegen.
Bei den Einzelligen z. B. besteht der Zeugungskreis aus zahlreichen,
unter Umständen nach Tausenden zählenden, einzellebenden Individuen.
Der befruchtete Elementarorganismus vermehrt sich durch wiederholt
eintretende Theilungen in Nachkommen, die der Befruchtung nicht be-
dürfen, bis ein Zeitpunkt eintritt, wo ein neuer Zeugungsakt zwischen
den ungeschlechtlich entstandenen Generationen stattfindet. Am genauesten
hat man diese Verhältnisse bisher bei den Infusorien untersucht. So hat
Maupas (VII. 30, Seite 407) bei einer Art derselben, bei Leucophrys
patula durch zahlreiche Experimente festgestellt, dass erst nach 300 Gene-
Siebentes Capitel. V. Die Erscheinungen u. das Wesen der Befruchtung. 203
ratiouen, die aus einem befruchteten Individuum durch Theilung hervor-
gegangen sind, der Zeugungskreis abgeschlossen wird, indem die Nach-
kommen erst jetzt wieder die Neigung und Fähigkeit zur geschlechtlichen
Conjugation zeigen. Bei Onychodromus grandis tritt dieser Zustand schon
etwa nach der 140sten Generation und bei Stylonichia pustulata nach
der ISOsten Generation ein.
Bei vielzelligen Organismen bleiben die Zellen, die aus dem be-
fruchteten Ei durch Theilung ihren Ursprung nehmen, vereint, um einen
Zellenstaat oder ein organisches Individuum höherer Ordnung zu bilden.
Sie lassen sich von dem allgemeinen Gesichtspunkt aus, von dem wir hier
die Sexualfrage behandeln, der Gesammtheit der sich durch Theilung un-
geschlechtlich vermehrenden Zellindividuen vergleichen, die nach der Copu-
lation aus einem Mutterinfusor entstanden sind. Der Zeugungskreis wird
wieder geschlossen, wenn sich im vielzelligen Organismus Geschlechtszellen
anlegen, und wenn sie durch ihre Vereinigung in Folge des Befruchtungs-
processes den Ausgangspunkt für neue Generationen sich theilender Zellen
abgeben. Die Zeugungskreise können in diesem Fall ein sehr verschie-
denes Bild darbieten und zuweilen eine sehr complicirte Beschaffenheit
annehmen.
Den einfachsten Fall bieten manche niedere, vielzellige Algen, wie
Eudorina, Pandorina. Durch wiederholte Theilung der befruchteten Zelle
entsteht eine Zellenkolonie (Fig. 137). Nach einer bestimmten Lebens-
dauer werden alle Zellen zu Geschlechtszellen. Zum Zwecke der Zeugung
löst sich der ganze durch Zelltheilung entstandene Complex wieder in
seine einzelnen Bestandtheile auf, welche zum Ausgang für neue Zeugungs-
kreise dienen.
Die hier zur Geltung kommende Fähigkeit jeder Zelle, den ganzen
vielzelligen Organismus wieder zu reproduciren , hört auf wirksam zu
werden, sowie der vielzellige Organismus einen irgendwie höheren Grad
von Ausbildung erreicht. Dann sondert sich das aus einem befruchteten
Ei abstammende, sich durch Theilung in's Ungemessene vermehrende
Zellenmaterial in zwei Gruppen, in Zellen, die zum Aufbau der Gewebe
und Organe der Pflanze oder des Thieres dienen, und in Zellen, die
zur Zeugung bestimmt sind. In Folge dessen bleibt gewöhnlich der
Organismus, auch wenn er in die Zeit der Geschlechtsreife eingetreten
ist, als solcher erhalten; er sondert nur die Geschlechtszellen von sich
ab, um sich in neuen Zeugungskreisen zu vervielfältigen, bis er selbst
durch Abnutzung seiner Körperzellen oder durch irgend welche andere Ur-
sachen dem Untergang unterliegt (Nussbaum VII. 33, Weismann VII. 48).
In seiner reinsten Form ist ein streng geschlossener Cyklus nur
bei den liöheren Thieren anzutreffen, bei welchen eine Vervielfältigung
der Individuen allein auf dem Wege der geschlechtlichen Zeugung mög-
lich ist. In vielen Abtheilungen des Thier- und Pflanzenreichs aber läuft
neben der geschlechtlichen noch eine ungeschlechtliche
Vermehrung einher. Ausser den befruchtungshedürftigen Zellen lösen
sich vom Organismus auch einzelne, der Befruchtung nicht bedürftige
Zellen (Sporen, Jungferneier), oder grössere Grui)pen von solchen ab
(Knospen, Sprossen) und geben auf ungeschlechtlichem Wege durch fort-
gesetzte Theilung neuen Organismen den Ursprung (vegetative
Vermehrung). Oder allgemein ausgedrückt, zwischen
zwei Befruchtungsakte schieben sich zahlreiche Folgen
von Zelltheilungen ein, die aber nicht einem einzigen
p h y s i 0 1 0 g i s c h e n I n d i V i d u u m h ö h e r e r 0 r d n u n g a n g e h ö r en ,
204
Siebentes Capitel.
sondern sich auf zahlreiche Individuen vertheilen. Zwei
Unterfälle sind hier wieder möglich:
In einem Fall ist der aus dem befruchteten Ei entstandene Organis-
mus selbst nicht im Stande, Geschlechtszellen zu bilden; er vermehrt
sich allein auf ungeschlechtlichem Wege durch Knospen, durch Sporen
oder parthenogenetische Eier. Erst diese oder noch entferntere, auch
ungeschlechtlich erzeugte Nachkommen werden geschlechtsreif, erhalten
die Fähigkeit zur Ei- und Samenbildung. Man bezeichnet einen solchen
Zeugungskreis als einen regelmässigen Generationswechsel
(Hydroidpolypen , Trematoden, Cestodeu, Parthenogenese der Aphiden,
Daphniden etc. Höhere Kryptogamen).
Fig. 137. Entwicklung von Pandorina Morum nach Pkingshkim. Aus
Sachs Fig. 411.
I Eine schwärmende Familie; // eine solche iu 16 Tochterfamilien getheilt;
III eine geschlechtliche Faraile, deren einzelne Zellen aus der verschleimten Hülle
austreten; IV, V Paarung der Schwärmer; VI eine eben entstandene, VI! eine aus-
gewachsene Zygote ; VIII Umbildung des Inhaltes einer Zygote in eine grosse Schwärm-
zelle; IX dieselbe frei; X junge Familie aus der letzteren entstanden.
Im zweiten Fall vermehrt sich der aus dem befruchteten Ei ent-
standene Organismus sowohl durch Geschlechtszellen als auch
auf ungeschlechtlichem Wege. Die Folge davon ist, dass bei
derselben Thier- oder Pflanzenart die einzelnen Zeugungskreise ein ver-
schiedenes Aussehen und einen verscliiedenen Umfang gewinnen müssen.
V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung. 205
Zwischen der ersten und dem Eintritt der zweiten Befruchtuu.u' können
entweder nur Zellfolgen liegen, welche einem einzigen Individuum ange-
hören, wenn das befruchtete Ei von diesem abstammt, oder es schieben
sich Zellfolgen dazwischen, welche sich auf mehrere, unter Umständen
sehr zahlreiche Individuen vertiieilen, indem erst die Eier eines durch
Knospung erzeugten Individuums wieder befruchtet werden. In Folge
dessen gewinnt hier die Befruchtung den Charakter eines facultativen,
für die Erhaltung der Art nicht durcliaus nothwendigen Processes, wenig-
stens solange nicht der Beweis geführt ist, dass der vegetativen Ver-
mehrung bestimmte Grenzen gesteckt sind. Ein solcher Beweis aber ist
zur Zeit für viele Pflanzen nicht zu führen, welche sich durch Pieiser,
Knollen etc. anscheinend in's Unbegrenzte vermehren lassen.
Wenn wir im Hinblick auf derartige Fälle auch zugeben müssen,
dass der Lebensprocess sich ohne den Akt der Befruchtung einfach durcli
fortgesetzte Selbsttheilung der Zellen endlos fortsetzen kann, so werden
wir auf der anderen Seite doch bei der weiten Verbreitung der Befruch-
tungseinrichtungen im ganzen Organismenreich schliessen dürfen, dass es
sich bei der Befruchtung um fundamentale Fragen des Lebensprocesses
und um fundamentale Eigenschaften des Zellenlebens handelt. Die Be-
fruchtung ist ein cellulares Problem.
Der Gegenstand unseres siebenten Capitels steht daher mit dem
Studium der Zelle, insbesondere mit ihren Eigenschaften der Reizbarkeit
und Theilbarkeit im engsten Zusammenhang; er lässt sich in 2 Abschnitte
zerlegen, in die Morphologie und in die Physiologie des Befruchtungs-
processes.
I. Die Morphologie des Befruclituiigsprocesses,
Bei drei Objecten ist bisher der Befruchtungsprocess am eingehend-
sten bis in das feinste Detail hinein verfolgt worden, am thierischen Ei,
am Embryosack der Phanerogamen und bei den Infusorien. Trotzdem
die drei Objecte den verschiedenen Reichen der Organismenwelt ange-
hören, zeigen sie uns eine wunderbare Uebereinstimmung in allen
einzelnen Processen der Befruchtung. Mit ihrem Studium wird daher
dieser Abschnitt gleich am zweckmässigsten eröffnet. Dann werden wir
uns von allgemeineren, vergleichend morphologischen Gesichtspunkten aus
noch zu beschäftigen liaben :
1) mit der verschiedenen Form der Geschlechtszellen, mit der Aequi-
valenz der beim Zeugungsakt betheiligten Zellstoffe und mit dem Begriff
„männliche und weibliche Geschlechtszelle",
2) mit den Ur- und Grundformen der geschlechtlichen Zeugung und
der Entstehung der Geschlechtsdifferenzen im Thier- und Pflanzenreiche.
1) Die Befruchtung des thierischen Eies.
Die classischen Objecte für das Studium der Befruchtungsvorgänge
sind die Eier der Echinodermen (Hertwig VI. 30, Fol. VI. 19, VII. 14)
und die Eier von Ascaris megalocephala (van Beneden VI 4a, 4b,
Boveri VI. 6 etc.). Beide ergänzen sich gegenseitig, indem einzelne
Phasen des Processes an dem einen Object leichter als an dem anderen
haben festgestellt werden können.
206
Siebentes Capitel.
>
a) E c h i n 0 d e r 111 e n - E i e r.
Bei den meisten E c h i n o d e r m e n werden die sehr kleinen, durch-
sichtigen Eier in völlig reifem Zustand in das Meerwasser abgelegt, nach-
dem sie bereits die Polzellen gebildet (Seite 184) und einen kleinen Ei-
kern erhalten haben. Sie sind nur von einer weichen, für die Samen-
fäden leicht durchgängigen Gallerthiille umgeben (Fig. 138 A).
Die Samenfäden sind ausserordentlich klein und bestehen, wie es bei
den meisten Thieren der Fall ist, 1) aus einem einer Spitzkugel ähn-
lich aussehenden Kopf, 2) aus einem kleinen, darauf folgenden Kügelchen,
dem Mittelstück oder Hals und 3) aus einem feinen, contractilen Faden.
Der Kopf enthält Nuclein, das Mittelstück Paranuclein und der Faden
ist umgewandeltes Protoplasma, einer Geissei vergleichbar.
Werden im Meerwasser die beiderlei Geschlechtsproducte mit ein-
ander vermischt, so setzen sich sofort viele Samenfäden an die Gallert-
hülle eines Eies an; von diesen befruchtet aber normaler
Weise nur ein einziger, und zwar derjenige, welcher sich zuerst
durch die pendelnden Bewegungen seines Fadens der Eiobei-fläche ge-
nähert hat (Fig. 138 A — C). Wo er mit der Spitze seines Kopfes an
B
C
Fig. 138. A, B, C Kleinere Abschnitte von Eiern von Asterias glacialis
nach Fol.
Die Samenfäden sind bereits in die Scbleimhülle, welche die Eier überzieht, ein-
gedrunp^eu. In A beginnt sich eine Vorragung gegen den am weitesten vorgedrungenen
Samenfaden zu erhellen. In B sind Vorragung und Samenfaden zusammengetroflen.
In C ist der Samenfaden in das Ei eingedrungen. Es hat sich jetzt eine Dottermembran
mit einer kraterförmigen Oeffnung ausgebildet.
diese anstösst, erhebt sich das hyaline Protoplasma, welches die Eirinde
bildet, zu einem kleinen Höcker, dem Empfängnisshügel. Hier
bohrt sich der Kopf, getrieben von den pendelnden Bewegungen des Fadens,
in das Ei hinein, welches in diesem Moment, angeregt von dem Reiz, eine
feine Membran, die Dotterhaut, an seiner Oberfläche abscheidet (Fig. 138 (7)
und darauf wahrscheinlich durch Contraction seines Inhalts etwas Flüssig-
keit aus dem Dotter auspresst. In Folge dessen bildet sich, vom Em-
pfängnisshügel beginnend, ein allmählich grösser werdender Zwischen-
raum zwischen Dotter und Dotterhaut aus. Das Eindringen eines
weiteren Samenfadens ist hierdurch unmöglich gemacht.
Der äusseren Copulation der beiden Zellen schliessen sich Vorgänge
im Innern des Dotters an, welche als innerer Befruchtungsakt
zusammengefasst werden können.
Der Faden hört zu schlagen auf und entzieht sich bald der Wahr-
V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung.
207
nehmimg, der Kopf aber dringt langsam weiter in den Dotter hinein
(Fig. 139^1) und schwillt dabei durch Aufnahme von Flüssigkeit (Fig. 1395)
zu einem kleinen Bläschen an , das man, da sein wesentlicher Bestand-
theil das Nuclein des Samenfadenkopfes ist, kurzweg als Samenkern
bezeichnen kann, wie er sich denn auch in Carmin etc. sehr intensiv
färben lässt. Unmittelbar vor ihm, an seiner nach der Eimitte zu ge-
richteten Seite (Fig. 139 Ä u. B) ist von Fol neuerdings noch ein viel
kleineres Kügelchen nachgewie-
B
^?^'^m.
Fig. 139. A u. B Je ein Stück eines
Durchschnittes durch ein befruchtetes
Ei von Asteracanthion. Dem Samenkern
wandert ein Centralkörperchen (Sperma-
centrum) voraus. Nach Fol.
sen worden, um welches sich
der Dotter in radiären Bahnen
anzuordnen beginnt (Fig. 140 Ä)
und eine allmählich immer
schärfer ausgeprägte und auf
gi'össere Entfernung hin aus-
gedehnte Strahlenfigur (einen
Stern) bildet. Wahrscheinlich
leitet es sich von dem Mittel -
stück des Samenfadens ab, es
hat von Fol den Namen des
S p e r m a c e n t r u m s (männ-
liches Centralkörperchen) er-
halten. Ein entsprechendes Kügelchen ist auch dicht am Eikern, an seiner
vom Samenkern abgewandten Seite, zu entdecken, das Ovocentrum
von Fol (weibliches Centralkörperchen).
Jetzt beginnt ein interessantes Phänomen das Auge des Beobachters
zu fesseln (Fig. 140 Ä u. B). Ei- und Samenkern ziehen sich gleich-
sam gegenseitig an und wandern mit wachsender Geschwindigkeit durch
den Dotter einander entgegen; der Samenkern (sä), dem seine Strahlung
mit dem in ihm eingeschlossenen Centralkörperchen stets voran schreitet,
verändert rascher seinen Ort, langsamer der Eikern (eh) mit seinem
Ovocentrum. Bald treffen sich beide in der Mitte des Eies und werden
hier zunächst von einem körnchenfreien Protoplasmahof und nach Aussen
von diesem von einer gemeinsamen Strahlung eingeschlossen (Sonnen-
stadium und Aureola von Fol).
B
ek
Fig. 140. A Befruchtetes Ei eines Seeigels. 0. Hertwig, Entwgesch. Fig. 18.
Der Kopf des eingedrungenen Samenfadens hat sich in den von einer Protoplasma-
strahlung eingeschlossenen Samenkern (sk) umgewandelt und ist dem Eikern (ek) ent-
gegengerückt.
jB Befruchtetes Ei eines Seeigels. O. Hertwig, Entwgesch. Fig. 19.
Der Samenkem sk und der Eikern ek sind nahe zusammengerückt und sind beide
von einer Protoplasmastrahlung umgeben.
208
Siebentes Capitel.
Im Laufe von 20 Minuten verschmelzen darauf Ei- und Samenkern
untereinander zum einfachen Keim- oder Furchungskern (Fig. 141
I^1V)\ erst legen sie sich dicht aneinander, platten sich an der Be-
riihrungsfläche gegenseitig ab (Fig. 141 II) und verlieren dann ihre Ab-
grenzung gegeneinander unter Bildung eines gemeinsamen Kernraumes.
In diesem ist die vom Samenfaden abstammende Substanz noch längere
Zeit als eine abgesonderte, körnige, in Farbstoffen sich lebhaft im1)ibirende
Nucleinmasse zu erkennen.
Fig. 141. Die „Quadrille des centres" nach Fol. (VII. 14.)
Der Vereinigung von Ei- und Samenkern folgt die Verschmel-
zung derCentralkörperchen (Fig. 141 1) bald auf dem Fusse nach.
V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung.
209
Dieselben liegen, in den homogenen Protoplasmahof eingeschlossen, an
entgegengesetzten Punkten des Keimkerns (Fig. 141 77 j; sie strecken
sich alsbald in tangentialer Richtung zur Oberfläche desselben, nehmen
die Form einer Hantel an und theilen sich schliesslich in zwei Hälften, die
nach entgegengesetzten Richtungen auseinander weichen (Fig. 141 111)
und dabei einen Viertheil des Umkreises des Keimkerns zurücklegen.
Bei dieser kreisenden Bewegung ((Quadrille von Fol VH. 14) nähern sich
die beiden auseinander weichenden Theilhälften des männlichen Central-
körperchens den entsprechenden Theilhälften des weiblichen Centralkörper-
chens und treffen in einer Ebene des Kerns zusammen, welche unter rechtem
Winkel die Ebene schneidet, durch welche ihre Ausgangsstellung be-
zeichnet wurde (Fig. 141 IV). Hier verschmelzen sie unter-
einander zu den Polkörperchen der ersten Theilungsfigur.
Hiermit kann der Befruchtungsvorgang als abgeschlossen betrachtet
werden, da alle weiteren Veränderungen mit der Kerntheilung unmittel-
bar zusammenhängen.
b) Ascaris megalocephala.
Einen weiteren Einblick in den Befruchtungsvorgang liefert uns das
Ei von Ascaris megalocephala. Hier dringt schon vor der Bil-
dung der Polzellen der Samenkörper in das Ei ein (vergl. Fig. 127 und
Text S. 191) und kommt schliesslich in die Mitte zu liegen (Fig. 142 i),
während das Keimbläschen sich in die Polspindel in der früher be-
schriebenen Weise umwandelt, an die Oberfläche des Dotters emporsteigt
und mehreren Polzellen den Ursprung giebt. Aus der Kernsubstanz des
eingedrungenen Samenkörpers, sowie aus der Hälfte der zweiten Pol-
spindel (Fig. 142 I) entwickelt sich je ein bläschenförmiger Kern. Ei-
und Samenkern (Fig. 142 II) wandern alsdann aufeinander zu, wobei in
11
111
Fig. 142. il—III). Drei Schemata, um den Verlauf des Befruch-
tungsprocesses bei Ascaris megalocephala bivalens zu veranschaulichen.
diesem Fall, umgekehrt wie bei den Echinodermen, der central gelegene
Kern der männliche, der von der Oberfläche ihm entgegendringende der
weibliche ist; beide sind annähernd von gleicher Grösse, beide legen
sich dicht zusammen, bleiben aber eine Zeit lang getrennt, indem sie in
ein kurzes Ruhestadium eintreten. Auch wenn sie sich später zur ersten
Theilspindel vorbereiten, erfolgt noch keine Verschmelzung. In Folge
dessen und wegen des weiteren Umstandes, dass bei Ascaris megalo-
cephala sich während der Kerntheilung nur wenige, beträchtlich grosse
und daher leicht zu zählende Kernsegmente anlegen, war van Beneden
Hertwig, Die Zelle und die Gewebe.
14
210 Siebeutes Capitel.
(VI. 4 a, 4 b) in der Läse, unsern P^inblick in den Befruchtungsvorgang
durch folgende fundamentale Entdeckung zu vervollständigen:
Bei der Vorbereitung zur ersten Theilspindel wandelt sich das
Nuclein im Ei- und Samenkern, während sie noch voneinander getrennt
sind , in einen feinen Faden um , der sicli in mehreren Windungen im
Kernraum ausbreitet. Jeder Faden wird darauf in zwei gleich grosse ge-
wundene Schleifen, in die Kernsegmente, abgetheilt (Fig. 142 11). Tax
l)eiden Seiten des Kerupaares treten zwei Polkörperchen auf, deren Her-
kunft zu beobachten an diesem Object noch nicht geglückt ist. Jetzt
verlieren die beiden bläschenförmigen Kerne ihre Abgrenzung gegen den
umgebenden Dotter.
Zwischen beiden Polkörperchen (Fig. 142 111), die von einem an-
fangs schwachen, später deutlicher werdenden Strahlensystem umgel)en
werden, bilden sich Spindelfasern aus und ordnen sich die durch die
Auflösung der zwei Kernblasen frei gewordenen 4 Kernsegmente so an,
dass sie der Mitte der Spindel von Aussen aufliegen.
Beim Ei vom Pferdespulwurm erfolgt also die Vereinigung der beiden
Geschlechtskerne , welche die Befruchtung abschliesst, erst bei der Um-
bildung zur ersten Theilspindel, zu welcher sie gleich viel beitragen. Der
von van Beneden festgestellte, wichtige Fundamentalsatz heisst daher:
Die K e r n s e g m e n t e der ersten T h e i 1 s }) i n d e 1 stammen zur
einen Hälfte vom Eikern, zur anderen Hälfte vom Samen -
kern ab, sie können als männliche und weibliche unter-
schieden werden. Da nun auch hier wie sonst bei der
Kerntheilung die vier Segmente sich der Länge nach spalten
und dann nach den zwei Polkörperchen zu auseinander
weichen, bilden sich zwei Gruppen von vier Tochter -
schleifen, von denen zwei männlicher und zwei weiblicher
Herkunft sind. Jede Gruppe wandelt sich dann in den
ruhenden Kern der Tochterzelle um. Damit ist der un-
umstössliche Beweis geführt, dass jedem Tochterkern in
jeder Eihälfte, die durch den ersten Furchungsprocess
entsteht, genau die gleiche Menge Nuclein vom Eikern
wie vom Samenkern zugeführt wird.
2) Die Befruchtung der Phanerogamen.
Mit den Ergebnissen auf thierischem Gebiet harmoniren in voll-
kommenster Weise die Entdeckungen des Befruchtungsprocesses bei den
Phanerogamen, welche wir in erster Pteihe den Arbeiten von Strasburger
(VII. 38) und Guignard (VII. 15) verdanken. Die für das Studium ge-
eigneten Objecte liieten uns hier die Liliaceen, hauptsächlich Lilium Mar-
tagon und Fritillaria imperialis. Dem Samenfaden entspricht bei den
Phanerogamen das Pollenkorn, dem thierischen Ei die im Fruchtknoten
des Stempels eingeschlossene, den wichtigsten Theil des Embryosackes
bildende, pflanzliche Eizelle.
Wenn das Pollenkorn auf die Narbe des Griffels gelangt ist, beginnt
sein Inhalt aus einer erweichten Stelle der Membran hervorzutreten und
zu einem langen Schlauch (Fig. 143) auszuwachsen, der sich im Griffel
nach abwärts einen Weg bahnt, bis er einen Embryosack erreicht hat.
Hier dringt er noch zwischen den beiden Synergiden hindurch zur Ei-
zelle selbst heran. Pollenkorn und Pollenschlauch enthalten zwei Kerne,
einen vegetativen, der bei der Befruchtung keine weitere Rolle spielt,
V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung.
211
und den Samenkern. Letzterer kommt in die Spitze des Pollenschlauchs
zu liegen, wenn dieser zur Eizelle vorgedrungen ist; von hier tritt er durch
die ganz erweichte Cellulosehaut liindurch in das Protoplasma des Eies
ein, wobei ihm immer zwei zu einem Paar verbundene Centralköri)erchen
dicht vorangehen, deren Entdeckung dem französischen Forscher Guignard
geglückt ist (Fig. 143). Bei seiner Wanderung trifft er bald den etwas
umfangreicheren Eikern, an dessen Oberfläche ebenfalls ein Paar Central-
körperchen wahrzunehmen sind.
B
Fig. 143.
Fig. 144.
Fig. 143. Durchschnitt durch den Embryosack von Lilium Martagon.
Nach Guignard XV, Fig. 75.
Am Ende des Pollenschlauches, dessen erweichte Wand seinen Inhalt austreten
lässt, sieht man den Samenkern mit seinen beiden Centralkörperchen. Der Eikern ist
ebenfalls mit seinen beiden Centralkörperchen versehen. Rechts am Ende des Pollen-
schlauchs bemerkt man eine Synergide, welche sich zu zersetzen beginnt.
Fig. 144. Ei von Lilium Martagon. Nach Guignard XVI, Fig. 80 u. 81.
A Kurze Zeit nach der Vereinigung von Ei- und Samenkern.
£ Späteres Stadium. Die Verschmelzimg der Centralkörperchen ist fast vollendet.
Die beiden Kerne (Fig. 144) copuliren darauf, ebenso die vier Cen-
tralkörperchen, und zwar die letzteren der Art, dass aus ihnen zwei
neue Paare entstehen, von denen ein jedes aus
je einem Element männlichen und weiblichen
Ursprungs zusammengesetzt ist. Die neuen
Paare liegen an entgegengesetzten Seiten des
Keimkerns und werden alsbald zu den bei-
den Polkörperchen der ersten Kernspindel
(Fig. 145).
Wie bei den thierischen Geschlechtszellen
wird auch bei der Bildung des Pollens und der
Eizelle der Phanerogamen das Nuclein und die
Anzahl der aus ihm hervorgehenden Kernseg-
mente auf die Hälfte eines Normalkerns herab-
gesetzt. Während bei Lilium Martagon die ge-
wöhnlichen Kerne bei ihrer Theilung 24 Kern-
segmente entwickeln, die sich in zweimal 24
Tochtersegmente der Länge nach spalten, ist
beim Ei- und Samenkern eine Reduction auf
12 Segmente herbeigeführt worden. Erst aus
ihrer Vereinigung entsteht wieder ein Voll-
Fig. 145. Ei des Em-
bryosaeks von Lilium
Martagon mit seinem
Kern in Theilung. Die
Kernplatte besteht aus 24
Kernsegmenten. Nach
Guignard XVI, Fig. 83.
14*
212 Siebentes Capitel.
kern, die erste Theilspindel mit 24 Muttersegmenten, von denen 12 väter-
licher, 12 mütterlicher Abstammung sind.
In Bezug auf die Centralkörperchen l)esteht bei Eehinodermen und
Phanerogamen ein wohl nebensächlicher Unterschied. Bei ersteren ist
am Anfang das Centralkörperchen vom Ei- und vom Samenkern einfach
und wird erst später durch Theilung verdoppelt, bei letzteren dagegen
tritt es schon sehr frühzeitig im Pollenschlauch und in der Eizelle
verdoppelt auf.
Wenn wir jetzt die auf den letzten Seiten (206—212) erhaltenen
Resultate vergleichen, so lassen sich für den Befruchtungsprocess bei
Thieren und phanerogamen Pflanzen folgende Fundamentalsätze auf-
stellen :
Bei der Befruchtung finden deutlich nachweisbare,
morphologische Vorgänge statt. Bei diesen ist das
Wichtige und Wesentliche die Vereinigung zweier Zell-
kerne, die von zwei verschiedenenGeschlechtszellen ab-
stammen, eines Ei- und eines Samenkerns.
Beim Befruchtungsakt verschmelzen:
1) äquivalente Mengen männlicher und weiblicher
färbbarer Kernsubstanz (Nuclein),
2) die zwei Theilhälften eines männlichen Centralkör-
perchens mit den entsprechenden Theilhälften eines weib-
lichen Centralkörperchens, aus welcher Verschmelzung
die zwei Polkörperehen der ersten Kerntheilungsf igur
hervorgehen.
Sowohl die männliche, wie die weibliche färbbare
Kernsubstanz sind ihrer Masse und der Zahl der Kern-
segmente nach, aus denen sie entstanden sind, auf die
Hälfte eines Normalkerns reducirt. Erst durch ihre Ver-
schmelzung wird daher die volle Substanzmasse und die
volle Anzahl der Segmente eines Normalkerns wieder
hergestellt.
b
3) Die Befruchtung der Infusorien.
Ein ausserordentlich wichtiges Object für die allgemeine Befruchtungs-
lehre sind die Infusorien, bei denen die geschlechtlichen Vorgänge zuerst
durch die bahnbrechenden Untersuchungen von Balbiani und Bütschli
(Vn. 6) entdeckt und neuerdings durch die klassischen Arbeiten von
Maupas (VII. 30) und Richard Hertwig (VII. 21) nach allen Richtungen
hin noch weiter klargelegt worden sind.
Bekanntlich zeichnen sich die Infusorien vor anderen niederen Orga-
nismen durch die sehr interessante Eigenthümlichkeit aus, dass ihr Kern-
apparat sich in zwei physiologisch ungleichartige Kerne gesondert hat, in
einen Hauptkern (Makronucleus) (Fig. 146 Je) und in einen oder mehrere
Neben- oder Geschlechtskerne (nJc) (Mikronuclei). Bei guter Ernährung
vermehren sich die Infusorien, die man zur Beobachtung in einem kleinen
Wassertropfen züchten kann, durch gewöhnliche Quertheilung (Fig. 147),
wobei Haupt- und Nebeukerne sich gleichzeitig in die Länge strecken
und theilen.
Die ungeschlechtliche Vermehrung ist unter günstigen Bedingungen
V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung.
213
eine so lebhafte, dass ein einziges Individuum sich in der Zeit von sechs
Tagen etwa 13 mal theilt und auf diese Weise ungefähr 7000—8000
Nachkommen den Ursprung giebt.
Es scheint nun namentlich aus Culturversuchen von Maupas und
von Kichard Hertwig hervorzugehen, dass eine Infusorienart sich nicht
über längere Zeit hinaus allein durch Ernährung und Vermehrung durch
Theilung erhalten kann. Die Individuen erleiden Veränderungen am
Kernapparat, können den letzteren vollständig verlieren, theilen sich
nicht mehr und gehen durch Altersveränderung oder, wie sich Maupas
ausdrückt, durch senile Degeneration zu Grunde. Zur Erhaltung
der Art scheint es durchaus nothwendig zu sein, dass nach bestimmten
Zeitabschnitten sich zwei Individuen zu einem Geschlechtsakt verbinden.
Ein solcher pflegt gewöhnlich bei Individuen, die einer Cultur angehören,
ziemlich gleichzeitig stattzufinden, so dass man von zeitweise auftretenden
Conjugationsepidemieen redet.
Fig. 146.
Fig. 147.
Fig. 146. Paramaecium caudatum (halbschematisch). R. Heetwig, Zoologie
Fig. 139.
k Kern, nk Nebenkern, o Mundöffnung (Cytostom), na' Nahrungsvacuole in Bildung
begriffen, na Nahrungsvacuole, ev contractile Vacuole im contrahirten, ci/ im ausge-
dehnten Zustand, t Trichocysten, bei t' hervorgeschleudert.
Fig. 147. Paramaecium aurelia in Theilung, daneben in Fig. 2 die
Art, wie auf einem früheren Stadium das Cytostom des hinteren Thieres
durch Absehn ürung vom vorderen entsteht. R. Hertwig, Zool. Fig. 140.
k Hauptkern, nk Nebeukern, o Mundöffnung des vorderen Theilstücks, nk' k' o' des
hinteren Theilstücks.
Während einer Epidemie, die mehrere Tage währt, findet der
Beobachter in einem Culturgefäss statt vereinzelter Infusorien fast nur
Paarlinge vor. Von Leucophrys patula giebt Maupas an, dass die
Conjugation etwa nach der 300sten Generation einzutreten pflegt,
während sie bei Onychodromus schon nach der UOsten und bei Stylo-
nichia nach der 120sten Generation stattfindet. Das Eintreten einer
Conjugationsepidemie wird in einer Cultur befördert durch Abnahme der
Nahrung, durch reichliche Ernährung dagegen hinausgeschoben, eventuell
214
Siebentes Capitel.
ganz verhindert, wobei dann die Individuen in Folge seniler Degeneration
zu Grunde gehen.
Wenn wir nach diesen Vorbemerkungen den Befruchtungsprocess selbst
näher in das Auge fassen, so nehmen wir bei den Infusorienpaarlingen
Fig. 148. Conjugation von Paramaecium. R. Hertwig, Zoologie Fig. 141.
nk Nebenkeru, k Hauptkeru der conjugirenden Thiere.
I Dei" Nebenkeru wandelt sich zur Spindel um, im linken Thier Sichelstadium,
rechts Spindelstadium.
II Zweite Theilung des Nebenkerns in die Hauptspindel (links mit i, rechts mit
5 bezeichnet) und die Nebenspindeln (links 2, 3, 4, rechts 6, 7, 8).
III Die Nebenspindeln in Rückbildung (links 2, 3, 4, rechts 6, 7, S), die Haupt-
spindeln theilen sich in männliche und weibliche Spindeln, links 1 in Im und Iw, rechts
5 in 5m imd 5w.
7F Austausch der männlichen Spindeln nahezu vollendet (Befruchtung) ; dieselben
stecken noch mit einem Ende in ihrem Mutterthier, mit dem andern Ende haben sie
sich mit der weiblichen Spindel des zweiten Paarlings vereint. Im mit öio und 5m
mit Itc. Hauptkern in Theilstücke ausgewachsen.
V Die aus Vereinigung von männlichen und weiblichen Kernen entstandene pri-
märe Theilspindel theilt sieh in die secundären Theilspindeln t' und t".
VI und VII Nach Aufhebung der Conjugation. Die secundären Theilspindeln
theilen sich in die Anlagen der neuen Nebenkerne [vk') und die Anlagen des neuen
Hauptkerns pt (Placenten). Der zerstückelte alte Hauptkern fängt an zu zerfallen.
(Da Paramaecium caudatum für die Anfangsstadien, P. aurelia für die Endstadien
leichter verständliche Verhältnisse bietet, wurde für I — III P. caudatum, für IV — VII
P. aurelia gewählt. Der Unterschied beider Arten beruht darauf, dass P. caudatum
1 Nebenkern, P. aurelia deren 2 hat, dass bei letzterem der Kernzerfall schon aixf
Stadium I beginnt.)
V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung. 215
folgende eigenartige und interessante Veränderungen wahr, die sich über
einen Zeitraum von mehreren Tagen ausdehnen. Zur Grundlage der
Darstellung diene Paramaecium caudatum , welches insofern , als es nur
einen Hauptkern und einen einzigen Nebenkern besitzt, einfachere Ver-
hältnisse als die meisten anderen Arten darbietet (Fig. 148).
Wenn die Neigung zur Copulation eintritt, legen sich „zwei Para-
mäcien, zuerst mit ihren Vorderenden, später mit ihrer ganzen ven-
tralen Seite aneinander, so dass Mundöffnung gegen Mundöffnung steht"
(Fig. 148 lo). In der Nachbarschaft der letzteren bildet sich, wenn
die Copulation schon eine Zeit lang gedauert hat , eine feste Verwachsung
in einem kleinen Bezirk aus. Mittlerweile hat schon der Kernapparat,
der Hauptkern sowohl, als auch der Nebenkern, tiefgreifende Verän-
derungen erfahren.
Der Haupt kern vergrössert sich etwas, erhält zuerst eine unregel-
mässige, mit Höckern und Einbuchtungen versehene Oberfläche (Fig. 148
11 — IV k), die Höcker wachsen zu längeren Fortsätzen aus, die sich später
abschnüren und allmählich noch weiter in kleine Stücke zerlegt werden
(F, VI k). Der ganze Hauptkern zerfällt auf diese Weise in viele
kleine Fragmente, die sich überall im Infusorienkörper vertheilen {VIT)
und deren Schicksal , wenn wir den Vorgängen gleich weit vorauseilen,
schliesslich darin besteht, dass sie aufgelöst und wie Nahrungspartikel
resorbirt werden. Mit einem Worte : d e r H a u p t k e r n geht während
und nach der Conjugation als ein Organtheil, der seine
Aufgabe ausgespielt hat, vollständig zu Grunde.
Während der regressiven Metamorphose des Hauptkerns macht der
kleine Nebenkern hochbedeutsame und stets in gleicherweise wieder-
kehrende Veränderungen durch , die sich den Reife- und Befruchtungs-
erscheinungen thierischer Eier vergleichen lassen. Er vergrössert sich
durch Aufnahme von Flüssigkeit aus dem Protoplasma, sein Inhalt nimmt
eine faserige Beschaffenheit an nnd wandelt sich in eine kleine Spindel
um (Fig. 148 1 nh). Die Spindel theilt sich, ihre Hälften gehen bald
wieder in zwei Spindeln über, die sich einschnüren und theilen, so dass
schliesslich neben dem in Umwandlung begriffenen Hauptkern vier aus dem
Nebenkern ableitbare Spindeln vorhanden sind (Fig. 148 77, 1^4, 5 — 8).
Von den vier Spindeln gehen im Laufe der weiteren Ereignisse
drei, die Nebenspindeln regelmässig zu Grunde (777, 3, 5, 4, 6, 7, 8).
Sie wandeln sich in kleine Kügelchen um, die schliesslich zwischen den
Fragmenten des Hauptkerns, deren Schicksal sie theilen, nicht mehr
herauszuerkennen sind. Sie erinnern an die Bil düng der Pol-
zellen bei der Reife der thierischen Eier und sind mit ihnen
daher auch von manchen Forschern verglichen worden.
Die vierte oder Hauptspindel allein (77, 1 u. 5) bleibt
erhalten, sie vermittelt den Befr uchtungsprocess und
dient dann zur N e u e r z e u g u n g des ganzen K e r n a p p a r a t e s
im Infusorienkörper. Welche von den vier aus dem ursprünglichen
Nebenkern abstammenden Spindeln zur Hauptspindel wird , hängt nach
Maupas einzig und allein von ihrer zufälligen Lage ab. In ihrem Bau
gleichen sich alle vier vollkommen. Nur diejenige wird zur Haupt-
spindel, welche sich, wenn die oben erwähnte Verwachsungsbrücke ent-
standen ist, in der grössten Nähe derselben befindet (77, 1 u. 5).
Sie stellt sich hier senkrecht zur Körperfläche ein, streckt sich in die
Länge und theilt sich noch einmal in zwei Hälften (777, Itv u. Im,
5 IV u. 5 m).
216 Siebentes Capitel.
Von den beiden Theilhälften enthält eine jede wahrscheinlich nur
etwa halb so viel Spindelfasern und halb so viel chromatische Elemente,
wie eine der früheren Spindeln. Nach diesen Beobachtungen von
Richard Hertwig hat somit bei der Th eilung der Hauptspindel
eine Reduction der Spindelfasern auf die Hälfte statt-
gefunden, es ist dadurch ein gleiches Verhältniss wie bei den Kernen
der thierischen und pflanzlichen Geschlechtszellen geschaffen worden.
Die so gekennzeichneten Kerne spielen denn auch dieselbe Rolle wie Ei-
und Samenkern, und werden daher a 1 s m ä u n 1 i c h e r u n d w e i b 11 c h e r
Kern oder als Wanderkern und stationärer Kern vonein-
ander unterschieden.
Welcher von den beiden Kernen Wanderkern oder stationärer Kern
ist, lässt sich an der Structur und stofflichen Zusammensetzung wieder
nicht erkennen, sondern hängt einzig und allein von der Lage und der
dadurch bedingten Verwendung beim Befruchtungsprocess ab. So werden
denn die der Verwachsungsstelle zunächst gelegenen Theilhälften {111,
1 m u. 5 m) zu den Wanderkernen ; sie werden zwischen beiden copulirten
Thieren „ausgetauscht, indem sie sich auf der zu diesem Zweck
gebildeten Protoplasmabrücke aneinander vorbeischieben. Während des
Austausches besitzen die männlichen Wanderkerne Spindelstructur
{IV, 5m, Im). Nach dem Austausch verschmilzt ein jeder mit dem
ebenfalls spindeligen, stationären oder weiblichen Kern {IV, 1 iv 5w.),
so dass nun jedes Thier, abgesehen von den Fragmenten des Hauptkerns
und den Nebenspindeln, welche dem allmählichen Untergang verfallen
sind, nur eine Spindel, die Theilspindel besitzt {Vi).
Die Uebereinstimmung mit den B ef ruch tun gs ver-
gangen der Thiere und Phanerogamen ist eine frappante.
Wie bei diesen durch Vereinigung von Ei- und Samen-
kern der Keimkern gebildet wird, so hier durch Ver-
einigung von stationärem und von wanderndem Kern die
Theilspindel. Dieselbe dient zum Ersatz des alten, in
Auflösung b egriffenen Kernapparats. Sie nimmt an Grösse
beträchtlich zu (Fig. 148 Vi). Die chromatischen Elemente ordnen
sich in ihrer Mitte zu einer Platte an, theilen sich und weichen nach
entgegengesetzten Enden fast bis an die Pole der Spindel zur Bildung
der Tochterplatten auseinander {V rechts t' f). Die beiden Theil-
hälften bleiben noch längere Zeit durch einen Verbindungsfaden in
Zusammenhang. Sie wandeln sich dann meist auf Umwegen in Haupt-
und Nebenkern um; bei Paramaecium aurelia (Fig. 148 VI) z. B. wie-
derholen die aus der primären Theilspindel hervorgegangenen Tochter-
spindeln (/' u. /") noch einmal den Theilungsact und liefern so vier
Kerne ( VI) , von denen zwei zu Nebenkernen (nJc, nJc') werden,
während die zwei andern zum Hauptkern verschmelzen (pt). So führt
bei den Infusorien „die Befruchtung zu einer vollkommenen Neugestaltung
des Kernapparats und damit auch zu einer Neuorganisation des Infusors"
(Richard Hertwig).
Kürzere oder längere Zeit nach dem Austausch der Wanderkerne
trennen sich die Paai'linge voneinander (Fig. 148 VI und Vll). Bei
den getrennten Individuen nimmt die Resorption der unbrauchbaren
Kerntheile und ihr definitiver Ersatz durch Neugestaltung noch einen
längeren Zeitraum für sich in Anspruch. Die so „verjüngten Individuen"
haben darauf wieder die Fähigkeit erlangt, sich durch Theilungen in
"V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung.
217
kurzer Zeit ausserordentlich zu vermehren, bis wieder die Nothwendigkeit
für eine neue „Conjugationsepidemie" eintritt.
Die Befruchtungsperiode bedeutet im Leben derlnfu-
sorien zugleich einen länger dauernden Stillstand in
ihrer Vermehrung, wie Maupas an einem Beispiel treffend gezeigt
hat. Bei Onychodromus grandis dauert dieselbe vom Besinn der Con-
jugation bis zur ersten Theilung 6^2 Tag bei einer Temperatur von 17
bis 18 Grad. Während dieser Zeit hätte dasselbe Individuum, wenn
nicht conjugirt, sich bei guter Ernährung 13mal theilen und folglich
7000 bis 8000 Nachkommen hervorbringen können.
Bei den meisten Infusorien, wie in den hier beschriebenen Fällen,
verhalten sich die copulirenden Individuen einander
gleichwerthig, jedes ist in Bezug auf das andere sowohl
m ä n n 1 i c h a 1 s w e i b 1 i c h, s 0 w 0 h 1 b e f r u c h t e n d a 1 s e m p f a n g e n d.
Festsitzende Formen der Infusorien, wie die Vorticellen etc., zeigen in-
dessen eine interessante Abweichung vom ursprünglichen Verhalten.
Als Beispiel diene Epistylis um-
bellaria (Fig. 149). Beim Heran-
nahen einer Conjugationsperiode thei-
len sich manche Individuen der Vor-
ticellencolonie mehrmals rasch liinter-
einander und liefern so eine Nach-
kommenschaft (r), die an Grösse
hinter dem Mutterorganisnms weit
zurückbleibt. Andere Individuen des
Stöckchens bleiben ungetheilt und von
normaler Grösse. Man unterscheidet
beide voneinander, die ersteren als
Mikrogameten, die letzteren als Ma-
krogameten. Beide sind jetzt in
einen geschlechtlichen Gegensatz zu
einander getreten.
Die Mikrogameten lösen sich
von ihren Stielen ab, schwimmen im
Wasser umher und setzen sich nach
einiger Zeit an eine Makrogamete
an, um mit ihr zu copuliren (Fig.
149 k). An dem Kernapparat der
Paarlinge gehen hierauf ähnliche Veränderungen vor sich, wie sie für
Paramaecium ausführlicher geschildert wurden. Auch hier werden die
Wanderkerne ausgetauscht. Dann aber entwickelt sich nur die Makro-
gamete weiter, indem Wanderkern und stationärer Kern zur primären
Theilspindel verschmelzen, während sie in der Mikrogamete gleichsam
wie gelähmt sind und anstatt zu verschmelzen und sich weiter zu ent-
wickeln, gleich den Fragmenten des Hauptkerns und den Nebenspindeln,
rückgebildet und aufgelöst werden.
In Folge dessen verliert die Mikrogamete ihre selbständige Indivi-
dualität und wird allmählich in die Makrogamete mit aufgenommen, zu
deren Vergrösserung sie beiträgt.
So hat sich in Folge der festsitzenden Lebensweise bei den Vorti-
cellen ein eigenthümlicher Geschlechtsdimorphismus ausgebildet ;
derselbe hat den Untergang des kleineren der copulirenden Individuen
Fig. 149. Epistylis umbellaria
nach Graeff. Aus R. Hertwig Fig. 142.
Theil einer in „knosjjenförmiger
Conjugation" begriffenen Colonie. r Die
durch Theilung entstandenen Mikrosporen.
k Mikrogameten in Conjugation mit den
Makrogameten.
218 Siebentes Capitel.
zur Folge, nachdem es gewisserniaassen als männliches Element die
Makrogamete befruclitet hat. Doch trifft der Vergleich mit Ei- und
Samenfaden nur theilweise zu, da ja auch bei den Vorticellen wie bei
den Paramäcien die Befruchtung mit einem wechselseitigen Austausch
von Kernmaterial beginnt und nur im weiteren Verlauf einseitig zu
einem wirksamen Resultat führt.
4) Die verschiedene Form der Geschleehtszelleu, die Aequivalenz
der beim Zeugungsakt betheiligten Stoffe und die Begriffne „männliche
und weibliche Geschlechtszellen".
Nachdem an verschiedenen Beispielen nachgewiesen ist, dass im
Verlauf des Befruchtungsprocesses und namentlich im Verhalten der
Kerne eine principielle Uebereinstimmung zwischen Thieren, I*flanzen
und Protozoen besteht, soll jetzt auch ein Unterschied, welcher zwi-
schen den beiden zum Befruchtungsakt sich vereinigenden Zellen bei
den meisten Organismen wahrgenommen wird, schärfer in das Auge ge-
fasst und seine Bedeutung genauer festgestellt werden. — Der Unterschied
betrifft die ungleiche Grösse und Form der weiblichen und männlichen
Keimzellen. Weiblich nennt man diejenige Zelle, welche grösser, unbe-
weglich und daher die empfangende ist; im Gegensatz zu ihr ist die
männliche Zelle viel kleiner, oft verschwindend klein ; entweder ist sie
beweglich, so dass sie sich activ der Eizelle durch amöboide oder Geissei-
bewegung nähert und die Befruchtung ausübt, oder sie wird wegen
ihrer Kleinheit passiv durch Wasser oder Luft zur Eizelle hingeführt.
Was für eine Bedeutung hat dieser Unterschied? Hängt er mit dem
Wesen der Befruchtung selbst zusammen oder ist er durch Momente
nebensächlicher und sekundärer Art hervorgerufen worden? Es ist von
principieller Wichtigkeit für die Entscheidung dieser Frage, dass wir genau
feststellen, auf welche Stoffe und Formtheile sich die Verschiedenheit der
beiderlei Geschlechtszellen erstreckt.
Jede Zelle besteht aus Protoplasma und Kernsubstanzen. Von diesen
ist das Protoplasma, wie der Augenschein sofort lehrt, zuweilen in ausser-
ordentlich ungleicher Menge in den beiderlei Geschlechtszellen vorhanden;
die Samenfäden besitzen oft noch weniger als den 100,000sten Theil vom
Protoplasma des Eies. So beträgt nach einer Schätzung von Thüret das
Ei von Fucus an Masse soviel, wie 30 — 60,000 Samenfäden derselben
Art. Zwischen thierischen Geschlechtsproducten aber sind die Unterschiede
gewöhnlich noch unendlich viel grössere, besonders in den Fällen, wo
die Eizellen mit Reservestoffen, wie Fettkügelchen, Dotterplättchen etc.
reichlich beladen sind. Bei typisch ausgebildeten Samenfäden kann die
Anwesenheit von Protoplasma überhaupt in Zweifel gezogen werden; denn
der an das Mittelstück sich ansetzende Schwanzanhang ist contractile
Substanz, ist wie die Muskelfibrille ein Differenzirungsproduct des Proto-
plasma der Samenzelle. Unreifen Samenfäden sitzt das Protoplasma noch
in Form grösserer und kleinerer Tropfen an, die bei der vollständigen
Reife aufgebraucht, eventuell auch abgestreift werden.
Das Gegenstück zum Protoplasma bilden in ihrem Verhalten die
Kernsubstanzen. Mögen Ei und Samenfaden an Grösse auch
noch so sehr voneinander abweichen, so enthalten sie
doch stets äquivalente Mengen von wirksamer Kern-
sub stanz. Wenn die Richtigkeit obiger Behauptung auch nicht direct
aus einer einfachen Vergleichung der beiden Geschlechtszellen hervorgeht,
V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung. 219
SO lässt sie sich doch aus dem Verlauf des Befruchtungsprocesses und aus
der Bildungsgeschichte der reifen Ei- und Samenzelle erweisen. Denn
Ei- und Samenkern enthalten die gleiche Masse von Nuclein und sind beim
Reifeprocess aus einer gleich grossen Zahl von Kernsegmenten gebildet
worden. Der Samenkern von Ascaris megalocephala bivalens zum Bei-
spiel entsteht wie der Eikern aus zwei Kernsegmenten der Mutterzelle;
jeder von ihnen trägt somit bei der Befruchtung zu gleichen Theilen zur
Bildung des Keimkerns bei (Fig. 142 II). Ebenso liefern die beiden Kerne
gleichwerthige Mengen von Polsubstanz, das männliche und das weibliche
Centralkörperchen, welche beiden sich in der auf Seite 208 beschriebenen
Weise beim Befruchtungsprocess betheiligen (Fig. 141).
Unserer Beweisführung könnte man entgegenhalten, dass die Kern-
theile von Ei- und Samenzelle vor ihrer Vereinigung gewöhnlich ein
ungleiches Aussehen und eine bald mehr, bald minder auffällige Ver-
schiedenheit in ihrer Grösse darbieten. Das erklärt sich aber in einfacher
Weise daraus, dass der wirksamen Kernsubstanz unwirksame, flüssige
Substanz bald in grösserer, bald in geringerer Menge beigemischt sein
kann. Der sehr kleine Kopf des Samenfadens besteht aus ziemlich com-
pactem und daher stark färbbarem Nuclein. In dem viel grösseren
Eikern ist die äquivalente Menge von Xuclein mit viel Kernsaft durch-
tränkt und in dem Saftraum in feinen Körnchen und Fäden vertheilt, so
dass sich der Eikern als Ganzes nur sehr wenig färbt und wenig Con-
sistenz besitzt.
Der Unterschied in Grösse und Consistenz zwischen Ei- und Samen-
kern gleicht sich beim Ablauf der inneren Befruchtungserscheinungen
gewöhnlich bald aus, denn der anfangs kleine Samenkern schwillt durch
Aufnahme von Flüssigkeit aus dem Dotter rasch zu derselben Grösse wie
der Eikern an, während er zu diesem hinwandert (Fig 142 II), wie die
meisten Würmer, Mollusken, Wirbelthiere lehren. In selteneren Fällen
freilich sind die lieiden Kerne, wenn sie sich untereinander verbinden,
verschieden gross, wie bei den Eiern der Seeigel (Fig. 141); dann hat
der Samenkern eben eine geringere Menge von Saft als gewöhnlich in
sich aufgenommen und besteht aus einer dichtem Substanz, so dass wir
trotz der Grössenverschiedenheit eine Aequivalenz der festen, wirksamen
Bestandtheile annehmen dürfen.
An geeigneten Objecten lässt sich beweisen, dass die ungleiche Grösse
von Ei- und Samenkern wesentlich mit bedingt wird durch den Zeitpunkt,
in welchem die Eizelle liefruchtet wird, ob vor, während oder nach der
Bildung der Polzellen. Wenn zum Beispiel zum Ei von Asteracanthion
Same während der Entwicklung der Polzellen zugesetzt wird, so muss
der Samenkern bis zum Eintritt der Verschmelzung längere Zeit im
Dotter verweilen und schwillt mittlerweile durch Aufnahme von Kernsaft
zu derselben Grösse wie der Eikern an, welcher sich nach der Abschnü-
rung der zweiten Polzelle bildet. Wenn dagegen die Befruchtung erst
später erfolgt zu einer Zeit, wo die Eizelle schon mit Polzellen und
Eikern versehen ist, so verweilt der Samenkern als selbständiger Körper
nur wenige Minuten im Dotter und geht gleich nach seinem Eindringen
schon die Verschmelzung mit dem Eikern ein. Er bleibt dann klein, da
er sich in diesem Falle nicht in demselben Maasse wie sonst mit Kernsaft
hat durchtränken können.
Wir können somit den wichtigen Satz als bewiesen ansehen, dass die
beiden Geschlechtszellen trotz ihres oft ausserordentlich verschiedenen
Aussehens und trotz ihres so ungleichen Gehaltes an Protoplasma doch
220 Siebentes Capitel.
penau äquivalente Mengen von Kernsu])stanz (Niicleiu in einer 1)estimmteu
Anzahl von Kernsegmenten, Paranuclein im Ovocentrum und Sperma-
centrum) zum Befruchtungsprocess liefern und insofern einander genau
gleichwerthig sind.
An diesen Satz schliesse ich gleich die These an: die Kern-
substanzen, die in äquivalen ten M engen von zwei ver-
schiedenen Individuen abstammen, sind ülierhaupt nur
die wirksamen Stoffe, auf deren Vereinigung es beim
Befruchtungsakt ankommt; es sind die eigentlichen
Befruchtungs Stoffe. Alle anderen Substanzen (Protoplasma, Dotter,
Kernsaft etc.) haben mit der Befruchtung als solcher nichts zu thun.
Die These lässt sich durch zwei wichtige Verhältnisse unterstützen.
Einmal lassen sich zu ihren Gunsten die complicirten Vorbereitungs-
und Reifeprocesse verwerthen, welche die Geschlechtszellen durchmachen
müssen. Wie aus der auf Seite 189 — 192 gegebenen Darstellung her-
vorgeht, soll durch sie wohl hauptsächlich nur das Eine erreicht werden,
dass durch die Befruchtung keine Summirung der Kernsubstanzen ein-
tritt, sondern das für die betreffende Thier- und Pflanzenart bestimmte
Maass von Kernsubstanz eingehalten wird.
Zweitens sprechen für die These die Befruchtungsvorgänge bei den
Infusorien. Hier sind es, wie Maupas und Richard Hertwig in überein-
stimmender Weise hervorhelien, gleichwerthige Individuen, welche sich
nur vorübergehend aneinander legen, um Theilhälften gleichwerthiger
Kerne miteinander auszutauschen. Mit dem Austausch der Wanderkerne
ist die Befruchtung beendet. Dann trennen sich die Paarlinge wieder.
Das Endergebniss der verwickelten Vorgänge besteht hier offenbar darin,
dass, wenn Wanderkern und stationärer Kern verschmolzen sind, der Kern-
apparat eines jeden befruchteten Individuums aus Kern-
s üb stanz von doppelter Herkunft zusammengesetzt ist.
W^enn bei der Befruchtung die Kerne die wirksame Substanz bergen,
dann liegt die Frage nahe, ob die Kernsubstanz des Samenfadens etwas
Anderes ist als die Kernsubstanz der Eizelle. Die Frage ist in sehr ver-
schiedenem Sinne beantwortet worden; namentlich in früheren Jahr-
zehnten hat die Ansicht vorgeherrscht, dass durch den Samenfaden, wie
Sachs sich ausdrückt, in die Eizelle doch eine Substanz hineingetragen
werde, die in ihr noch nicht enthalten sei. Namentlich hat eine Ansicht
Beifall gefunden, welche man als die Lehre vom Hermaphrodit Is-
mus der Kerne und als die Ersatztheorie bezeichnen kann.
Viele Forscher lassen die Körperzellen hermaphrodite Kerne, d. h. Kerne
besitzen, welche sowohl männliche als weibliche Eigenschaften haben. Un-
reife Ei- und Samenzellen — - so lautet zum Beispiel die am klarsten ausge-
führte Hypothese von van Beneden — sind herniaphrodit; sie gewinnen
ihren Geschlechtscharakter erst dadurch, dass sich die Eier der männlichen
und die Samenzellen der weiblichen Bestandtheile ihres herniaphrodit ange-
legten Kernapparats entledigen. Vom Ei werden die männlichen Bestand-
theile seines Kerns in den Kernsegmenten der Polzellen entfernt. Bei
den Samenzellen gescliieht das Umgekehrte durch einen entsprechenden
Process. Ei- und Samenkern sind dadurch Halbkerne (Pronucleij mit
einem entgegengesetzten Sexualcharakter geworden.
Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, besteht das Wesen der
Befruchtung in einem Ersatz der aus dem Ei ausgestossenen, männlichen
Elemente durch gleich viel neue männliche Elemente, welche durch den
Samenfaden wieder eingeführt werden.
V. Die Erscheinungen mid das Wesen der Befruchtung. 221
Die Lehre vom Hermaphroditisnius des Kerns und die mit ihr zu-
sammenliäiiaende Ersatztheorie lässt sich bei genauerer Prüfung nicht
aufrecht erhalten. Denn sie hat ihre empirische Grundlage, auf welcher
sie aufgebaut war, durch den auf Seite 191 geführten Nachweis verloren,
dass die Polzellen morphologisch nichts Anderes sind als rudimentär ge-
wordene Eizellen. Es ergiebt sich dies aus einem Vergleich der Ei- und
Samenbildung bei den Nematoden. Daher können die in den Polzellen
aus dem Ei entfernten Kernsegmente auch nicht die ausgestossenen
männlichen Bestandtheile des Keimbläschens sein, wie es durch die Ersatz-
theorie behauptet wurde.
Hiervon abgesehen, lässt sich mit den uns zu Gebote stellenden
Untersuchungsmitteln auch nicht die geringste Verschiedenheit zwischen
den Kernsubstanzen der männlichen und der weiblichen Zelle aufdecken.
Nuclein und Polsubstanz sind nicht nur ihrer Masse nach, sondern auch
stofflich einander gleich. Es giebt keine specifisch weiblichen
und keine specifisch männlichen Befruchtungsstoffe. Die
beim Befruchtungsprocess zusammentreffenden Kern-
substanzen sind nur insofern verschieden, als sie von
zwei verschiedenen Individuen abstammen.
Wenn demnach ein geschlechtlicher Gegensatz im Sinne der Ersatz-
theorie zwischen Eikern und Samenkern in Abrede gestellt werden muss,
was für eine Bedeutung haben dann noch die Begriffe männlich und
weiblich? Was verstehen wir unter dem Ausdruck männliche und weib-
liche Geschlechtszellen, männliche und weibliche Kerne?
Die Ausdrücke treffen nicht das eigentliche Wesen der Befruchtung
und bezeichnen keinen im Wesen der Zeugung begründeten Gegensatz,
sie beziehen sich vielmehr nur auf secundär entstandene Verschiedenheiten
untergeordneter Art, welche sich zwischen den zur Befruchtung verbun-
denen Individuen, zwischen den Geschlechtszellen und ihren Kernen aus-
gebildet haben und als secundäre Sexualcharaktere zusammengefasst
werden können. Denn sagen wir es gleich, w^as später noch genauer zu
erweisen ist: Die Ausbildung zweier verschiedener Ge-
schlechter ist nicht die Ursache der geschlechtlichen
Zeugung, wie bei obei-flächlicher Beurtheilung zunächst angenommen
wird; das ursächliche Verhältniss ist ein umgekehrtes. Alle Geschlechts-
differenzen, wenn wir sie bis zu ihren Wurzeln zurückverfolgen, sind ent-
standen, weil die Verbindung zweier Individuen einer Art, die ursprünglich
gleichartig und daher geschlechtslos sind, für die Erhaltung des Lebens-
processes Vortheile darbietet; ohne Ausnahme dienen sie nur demeinen
Zweck, überhaupt die Vereinigung zweier Zellen zu ermöglichen; nur
deswegen haben sich die Gegensätze, welche man als weiblich und
männlich bezeichnet, herausgebildet.
Die von Weismann, Strasburger, Maupas, Richard Hertwig und mir
entwickelte Ansicht lässt sich in folgender Weise näher ausführen: Bei
der Befruchtung kommen zwei Momente in Betracht, die miteinander
concurriren und in einem Gegensatz zu einander stehen. Erstens ist es
von Nutzen, wenn die Kernsubstanzen zweier Zellen gemischt werden;
sie müssen daher in der Lage sein, sich aufzusuchen und zu verbinden.
Zweitens aber ist die Befruchtung auch der Ausgangspunkt für einen
neuen Entwicklungsprocess und einen neuen Cyclus vonZelltheilungen; inso-
fern ist es nicht minder von Nutzen, wenn gleich von Anfang an viel ent-
wicklungsfähige Substanz vorhanden ist, welche nicht erst auf dem zeit-
raubenden Umweg der Ernährung herbeigeschafft zu werden braucht.
222 Siebentes Capitel.
Um dem ersten Zweck zu genii,ueii, müssen die Zellen beweglich
und dalicr activ sein; für den zweiten Zweck dagegen müssen sie ent-
wicklungsfähige Substanz ansammeln, sie müssen daher an Grösse
zunehmen, was naturgemäss eine Beeintriiclitigung ihrer Beweglichkeit
zur Folge hat.
So c 0 n c u r r i r e n z w e i M o m e n t e miteinander, v o n d e n e n
das eine die Zelle beweglich und activ, das andere da-
gegen unbeweglich und ])assiv zu machen sucht. Die Natur
hat beide Zwecke erreicht, indem sie Eigenschaften, die ihrer Natur nach
in einem Kor])er unvereinbar, weil gegensätzlich zu einander sind, nach
dem l'rincip der Arbeitstheilung auf die beiden zum
Befruchtungsakt verbundenen Zellen vert heilt hat. Sie
hat die eine Zelle activ und befruchtend, das heisst
männlich, die andere Zelle dagegen passiv und empfan-
gend, das heisst weiblich, gemacht. Die weibliche Zelle oder
das Ei hat die Aufgalie übernommen, für die Substanzen zu sorgen,
welche zur Ernährung und Vermehrung des Zellprotoplasma bei einem
raschen x\blauf der Entwicklungsprocesse erforderlich sind. Sie hat daher
während ihrer Entwicklung im Eierstock Dottermaterial aufgespeichert
und ist dementsprechend gross und unbeweglich geworden. Der männ-
lichen Zelle dagegen ist die zweite Aufgabe zugefallen, die Vereinigung
mit der ruhenden Eizelle herbeizuführen. Sie hat sich daher zum Zwecke
der Fortbewegung in einen contractilen Samenfaden umgebildet und hat
sich, je vollkommener sie ihrer Aufgabe angepasst ist, um so mehr aller
Substanzen entledigt, welche, wie z. B. das Dottermaterial oder selbst
das Protoplasma, diesem Hauptzweck hinderlich sind. Dal)ei hat sie
zugleich auch eine Form angenommen, welche für den Durchtritt durch
die Hüllen, mit welchen sich das Ei zum Schutz umgiebt, und für das
Einbohren in den Dotter die zweckmässigste ist.
Von den so geschlechtlich diiferenzirten Zellelementen können wir
die Ausdrücke „männlich und weiblich" auf die in ihnen enthaltenen Kerne
übertragen, auch wenn dieselben an Masse und Qualität ihrer Substanz
einander äquivalent sind. Nur dürfen wir unter der Bezeichnung männ-
licher und weiblicher Kern nichts Anderes verstehen als einen Kern, der
von einer männlichen oder weiblichen Zelle abstammt. Auch bei den
Infusorien kann der Wanderkern als männlich, der stationäre Kern als
weiblich im Sinne der früher gegebenen Definition bezeichnet werden,
insofern der erstere den letzteren aufsucht.
Der Gegensatz, der sich zwischen den Geschlechtszellen durch Arbeits-
theilung und Anpassung an entgegengesetzte Aufgaben entwickelt hat.
wiederholt sich im ganzen Organismenreich in allen den Fällen, wo die
Individuen, in welchen sich die männlichen und weiblichen Geschlechts-
zellen entwickeln, durch Sexualcharaktere unterschieden sind. In allen
das Geschlecht lietreffenden Einrichtungen wird ein und dasselbe Thema
variirt: einmal Vorkehrungen zu treffen, durch welche das Zusammen-
treffen der Geschlechtszellen ermöglicht wird, und zweitens für Einrich-
tungen zu sorgen, durch welche das Ei ernährt und geborgen wird. Das
eine nennen wir männliche, das andere weibliche Organisation, männliche
und weibliche Sexualcharaktere. Alle diese Verhältnisse sind secundärer
Art und haben mit dem eigentlichen Wesen des Befmchtungsvorganges,
der ein reines Zellenphänomen ist, nichts zu thun.
Die Befruchtung ist eine Vereinigung zweier Zellen
und insbesondere eine Verschmelzung zweier äquivalen-
V. Die Ersclieinimgen und das Wesen der Befruchtung. 223
ter Kernsubstanzen, die von zwei Zellen abstammen, aber
sie ist nicht ein Ausgleich sexueller Gegensätze, da
diese nur auf Einrichtungen untergeordneter Art be-
ruhen.
Die Richtigkeit obigen Satzes lässt sich noch besser, als es bisher
geschehen ist, beweisen, wenn wir die Zeugungsprocesse im ganzen Or-
ganisnienreich vergleiclien und dabei festzustellen versuchen, wie sich
allmählich Verschiedenlieiten zwischen den zur Befruchtung verlnmdenen
Zellen entwickelt haben. Das Reich der Einzelligen und der Pflanzen
liefert uns zahllose, lehrreiche Beispiele von den Ur- und Grundformen
der geschlechtlichen Zeugung und von der Entstehung der Geschlechts-
differenzen im Thier- und Pflanzenreich.
5) Die Ur- und Grundformen der geschlechtlichen Zeugung und das
erste Hervortreten von GeschlechtsdifFerenzen.
Das Studium der niedersten Organismen, der Noctilucen, Diatomeen,
Gregarinen, Conjugaten und anderer niederer Algen lehrt, dass bei
vielen von ihnen in regelmässigen Cyclen Verschmelzungen von zwei
Individuen eintreten, die wir nicht anders als einen Befruchtungsprocess
deuten können.
Bei den Noctilucen beginnt die Conjugation damit, dass zwei
gleich grosse, in Nichts voneinander unterschiedene Individuen sich mit
ihren Mundöffnungen zusammenlegen und von hier aus unter Auflösung
der Zellmembran verschmelzen. Es bildet sich zwischen ihnen eine immer
l)reiter werdende Verbindungsbrücke aus, nach welcher die Protoplasma-
massen von allen Seiten zusammenströmen , bis aus beiden Individuen eine
grosse Zellblase entstanden ist. Die beiden Kerne, ein jeder von einem
Centralkörperchen begleitet, wandern aufeinander zu und legen sich an-
einander, verschmelzen aber nicht, wie uns die Untersuchungen von
Ishikawa berichten (VII. 25). Nach einiger Zeit theilt sich das conju-
girte Noctilucenpaar wieder durch Auftreten einer Scheidewand in
zwei Zellen. Bei Beginn dieser Theilung strecken sich auch die
beiden zu einem Paar verbundenen Kerne, werden in ihrer Mitte ein-
geschnürt und halbirt und weichen bei ihrer Trennung so auseinander,
dass die Hälften von jedem Kern in je eines dei- beiden Theilstücke der
Noctiluca zu liegen kommen. So gehen aus dem Copulationsprocess wieder
zwei Individuen hervor, von denen jedes Kernsubstanz doppelten Ur-
sprungs besitzt. Auf die Befruchtung folgt dann nach kürzerer oder
längerer Zeit lebhafte Vermehrung durch Knospung und Schwärmer-
bildung.
Besonders wichtig für das Studium der Grundformen der Befruchtung
ist die Ordnung der Conjugaten (VII. 11), die wieder in die
drei Familien der Desmidiaceen, Mesocarpeen und Zygnemaceen zerfällt.
Bei zwei Arten von Desmidiaceen, bei Glosterium und Cos-
marium, hat Klebahn (VII. 27) auch feinere Details des Befruchtungs-
vorgangs aufgedeckt.
Zwei Closteriumzellen, welche sich in ihrer Form gekrümmten
Spindeln vergleichen lassen, legen sich der Länge nach aneinander, wo-
bei sie durch eine Gallertabscheidung zusammengehalten werden, und
bilden dann in ihrer Mitte eine Ausstülpung. Beide Ausstülpungen
berühren sich in grösserer Ausdehnung und verschmelzen unter Auf-
lösung der sie trennenden Scheidewand zu einem gemeinsamen Copu-
224
Siebente» Capitel.
lationskaual. In diesem sammelt sich allmählich das gesammte
Protoplasma der beiden conjugirten Closteriumzellen an, indem es sich
von der alten Zellmembran ablöst, und verschmilzt dabei zu einem ein-
heitlichen, kugligen Körper, der sich zuletzt noch mit einer eigenen
Membran umgiebt.
Die so durch Verschmelzung zweier gleichartiger Individuen ent-
standene Copulationsspore oder Zygote macht ein mehrere
Monate dauerndes Ruhestadium durch (Fig. 150). Sie besitzt zwei
Kerne, die von den gepaarten Zellen abstanmien, aber sich während des
ganzen Ruhestadiums getrennt erhalten. Erst mit dem Wiederbeginn
einer neuen Vegetationsperiode im Frühjahr rücken die Kerne dicht
zusammen und verschmelzen vollständig miteinander zum Keimkern.
Zu dieser Zeit schlüpft die Zygote, von einer feinen Haut umgeben,
aus der alten Cellulosehülle aus, ihr Keimkern wandelt sich in eine
grosse Spindel von etwas ungewöhnlichem Aussehen um (Fig. 151 J).
Aus ihrer Theilung bilden sich darauf (Fig. 151 U) zwei
Spindelhälften, die aber nicht in das Stadium des ruhen-
den Kerns eintreten, sondern sich sofort noch zu einer
zweiten Theilung anschicken (Fig. 151 III). So entstehen aus
dem Keimkern durch zwei, ohne Pause aufeinander folgende Theilungen
vier Kerne (Fig. 151 IV).
Fig. 150.
Fig. 151.
III
IV
Fig. 152.
Fig. 150. Zygote von Closterium kurz vor der Keimung. Nach Klebahn
Taf. XIII, Fig. 3.
Fig. 151. Verschiedene Keimstadien von Closterium. Nach Klebahn
Taf. XIII, Fig. 6 b, 8, 9, 11, 13.
Fig. 152. Zwei aus einer Copulationsspore entstandene Closterien
vor dem Verlassen ihrer Hülle.
Währenddem hat sich auch der Protoplasmakörper der Zygote in
zwei Halbkugeln (Fig. 151 IV) getheilt, von denen eine jede zwei aus
Theilung einer Spindel hervorgegangene Kerne einschliesst. Die beiden
Kerne gewinnen rasch ein verschiedenartiges Aussehen, indem der eine
(der Grosskern nach Klebahn) gross und bläschenförmig wird, der andere,
V. Die Erscheinungen iiucl das Wesen der Befruchtung. 225
(der Kleiiikern), klein bleibt, sicli besonders intensiv färbt und später
spurlos verschwindet. AYie mir scheint, geht der Kleinkern zu Grunde
und löst sich auf, ähnlich wie die Bruclistücke des llauptkenis und die
Nebenspindeln bei Infusorien. Noch ehe die Auflösung beendet ist,
nehmen die beiden Theilhälften der Zygote allmählich die Form einer
gewöhnlichen Closteriumzelle an (Fig. 152).
Was haben die doppelten, ohne Pause aufeinander folgenden
Theilungen des Keimkerns für eine Bedeutung? Mir scheint durch sie
derselbe Zweck, wie durch die Reductionstheilung bei der Reife der Ei-
uud Samenzelle, nur in einer etwas anderen Weise, erreicht zu werden.
Wie hier vor der Befruchtung durch die doppelte Theilung des Kerns
eine Reduction der Kernsubstanz auf die Hälfte eines Xormalkerns her-
beigeführt und so eine Summirung der Kernsubstanz durch Verschmelzung
zweier Kerne in Folge der Befruchtung verhindert wird, so scheint mir
bei den Desmidiaceen erst nach der Befruchtung eine Reduction
der Kernsubstanz noch nachträglich vorgenommen und
die durch die Copulation zweier Vollkerne hervorgerufene
Verdoppelung der Kernmasse wieder zum Normalmaass
zurückgeführt zu werden. Der Keimkern wird anstatt in
zwei Tochterkerne durch sich unmittelbar folgende
Theilungen in vier Enkelkerne zerlegt, anstatt halbirt,
geviertelt: der Protoplasmakörper aber wird nur halbirt,
und jedeTheilhälfte erhält nur einen in Function treten-
den Kern, während zwei der vier Kerne als entbehrlich
geworden zu Grunde gehen.
Durch eine genaue Zählung der Kernsegmente in den verschiedenen
Stadien müsste sich meine Annahme zur Gewissheit erheben lassen. Zu
ihren Gunsten lässt sich vorläufig eine von Klebahn häufig gemachte
Beobachtung anführen, dass bei Cosmarium die vier vom Keimkern ab-
stammenden Enkelkerne auf die beiden Theilhälften der Zygote in
ungleicher Zahl vertheilt werden, indem die eine einen einzigen activen
Kern, die andere drei Kerne erhält, von denen zwei rückgebildet werden.
Bei den zwei dem Untergang verfallenen Kernen ist es eben gleich-
gültig, ob sie beiden oder nur einer Zelle bei der Theilung zufallen; sie
verhalten sich dabei wie Dottereinschlüsse.
Während bei den Desmidiaceen Copulation isolirt lebender Zellen
beobachtet wird, lehren uns die Zygnemaceen, wie sich die Copula-
tionsprocesse auch bei Zellcolonien abspielen können, bei denen viele
Einzelzellen zu langen Fäden in einer Reihe untereinander verbunden sind.
Wenn in dem dichten Fadenfilz, mit welchem die Alge die
Gewässer überzieht, zwei Fäden eine längere Strecke nahe beieinander
liegen, kommt es zwischen benachbarten Zellen zu Conjugationen. Ge-
wöhnlich treten alle Zellen gleichzeitig in die Vorbereitung zur Fort-
prianzung ein; sie treiben seitliche Ausstülpungen einander entgegen.
Diese verschmelzen an den Berührungsstellen, indem sich die Scheide-
wand auflöst, und stellen so quere Kanäle dar, welche in regelmässigen
Entfernungen die beiden in Conjugation begriffenen Fäden wie die
Sprossen einer Leiter verbinden ' (Fig. 153). Die Protoplasmakörper
ziehen sich darauf von der Cellulosewand zurück und verschmelzen nach
einiger Zeit untereinander.
Bei verschiedenen Arten der Zygnemaceen zeigt sich hierbei ein an
und für sich geringfügiger, aber gerade dadurch interessanter und
Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. l'J
226
Siebentes Capitel.
bemerkenswerther Unterschied : denn er lehrt uns, in welcher Weise sich
zuerst Geschlechtsdifferenzen ausbilden können.
Bei Monjeotia z. B. treten die beiden Protoplasmakörper in ähnlicher
Weise wie bei den Desmidiaceen in den Copulationskanal ein und ver-
schmelzen hier untereinander zu einer Zygote, die sich kuglig abrundet,
Flüssigkeit auspresst und mit einer Membran umgiebt. In diesem
Fall verhalten sich beide Zellen genau gleichartig; man
kann weder die eine noch die andere als männlich oder
weiblich l)e zeichnen.
Bei anderen Arten, wie bei Spirogyra (Fig. 153), bleibt die eine
Zelle passiv in ihrer Zellhaut liegen und wird von der anderen Zelle,
welche daher als die männliche bezeichnet werden kann, aufgesucht.
Diese nämlich wandert in den Copulationskanal ein und durch ihn hin-
durch zu der weiblichen Zelle hin, als ob sie von ihr angezogen würde,
und verschmilzt mit ihr zur Zygote (Fig. 153 Aa).
Fig. 153. Spirogyra longata. Nach Sachs Fig. 410.
Links einige Zellen zweier sich zui- Copulation vorbereitender Fäden: sie zeigen
die schranbenförmig gewundenen Chlorophyllbänder, in denen an verschiedeneu Stellen
kranzartige Anordnungen von Stärkekörnern liegen; ausserdem sind kleine Oeltröpfchen
in ihnen vertheilt. Der Zellkern jeder Zelle ist von Plasma umgeben, von welchem
aus Fäden zur Zellwand gehen. Bei b Vorbereitungen zur Copulation. Rechts A in
Copulation begriffen: bei a schlüpft der Plasmakörper der einen Zelle soeben hinüber
in die andere; bei * haben sich die beiden Plasmakörper schon vereinigt; in B sind
die jungen Zygoten schon mit einer Haut umkleidet.
Durch Behandlung der Zygote mit Reagentien und Farbstoffen lässt
sich noch weiter feststellen, dass bald nach der Vereinigung der Zellen
auch ihre Kerne sich nähern und zum Keinikern verbinden. Da in
V. Die Erscheinungen ini'l flas Wesen der J5cfnichtung. 227
einem Faden sich alle Zellen entweder nur männlich oder weiblich ver-
halten, so hat von zwei copulirten Fäden gewöhnlich der eine den In-
halt aller seiner Zellktimmern entleert, während der andere in jedem
Fach eine Zygote einschliesst (Fig. 153 B). Diese umgiebt sich mit ver-
schiedenen Hüllen, macht gewöhnlich bis zum nächsten Frühjahr ein
längeres Ruhestadium durch, beginnt dann zu keimen und wächst wieder
durch (,)uertheilungen zu einem langen Spirogyrafaden aus.
Der oben hervorgehobene Unterschied zwischen männlichen und
weiblichen Spirogyrafaden ist übrigens keineswegs ein streng durch-
geführter, sondern mehr ein relativer. Es kann nämlich der Fall ein-
treten, dass ein und derselbe Spirogyrafaden umbiegt und dass sein eines
Ende in die Nähe vom anderen Ende zu liegen kommt. Unter solchen
Bedingungen erfolgen Paarungen zwischen den an entgegengesetzten
Enden desselben Fadens gelegenen Zellen, so dass Zellen, die unter
anderen Verhältnissen als männliche fungirt haben würden, eine weib-
liche Rolle spielen.
Bei den bisher betrachteten Familien der Noctilucen und Conju-
gaten, denen sich andere wie die Diatomeen, Gregarinen etc. anschhesseu,
sind es grosse, in Membranen eingehüllte Protoplasmakörper, die sich
paaren, nachdem sie Perioden vegetativer Vermehrung durch einfache
Theilung durchgemacht haben. Eine zweite Reihe von Urformen der
geschlechtlichen Zeugung liefern uns niedere, pflanzliche Organismen
aus der Klasse der Algen. Zum Zwecke der Fortpflanzung er-
zeugen sie besondere Zellen, die Schwärmsporen, die sich
durch ihre geringe Grösse, durch das Fehlen einer Zellhaut und durch
den Besitz von zwei Geissein oder zahlreichen Flimmern, mit denen sie
sich selbstthätig im Wasser fortbewegen, von den vegetativen Zellen
unterscheiden. Sie sind von besonderem Interesse dadurch , dass sie
uns zeigen, wie sich durch allmähliche Differenzirung und Arbeitstheilung
nach entgegengesetzter Richtung hochgradigere Gegensätze — typische
Eier und typische Samenfäden — entwickelt haben.
Die Schwärmsporen sind kleine, bewegliche, mem-
branlose Zellen von meist birnenförmiger Gestalt (Fig. 154,
155, 157, 158). Ihr zugespitztes Ende, der Schnabel,
ist das vordere und schreitet bei der Fortbewegung im
Wasser voran ; es besteht aus hyalinem Protoplasma, das
häufig einen rothen oder braunen Pigmentfleck (Augen-
fleck) einschliesst; der übrige Körper ist je nach der Pig. 154.
Art hyalin oder durch Farbstoff grün , roth oder braun Schw^rmspore
gefärbt und enthält eine oder zwei contractile Vacuolen ^^^a sociaS°"
(Fig. 154). Zur Fortbewegung dienen Geissein, die NacUR.HERTwiG.
vom hyalinen Vorderende entspringen, gewöhnlich ein
Paar (Fig. 154), seltener eine einzige oder vier oder mehr (Fig. 14).
Die Schwärmsporen entstehen zu gewissen Zeiten entweder durch
wiederholte Zweitheilung oder auf dem Wege der Vielzellbildung (S. 187
bis 189) aus dem Inhalt einer Mutterzelle. Bei Zweitheilung ist ihre
Anzahl eine geringe und beläuft sich auf 2, 4, 8 oder 16, bei der
Vielzellbildung dagegen kann die Zahl eine ausserordentlich grosse
werden , weil dann auch die Mutterzellen einen beträchtlichen Umfang
besitzen, und kann bis auf 7000 und 20,000 steigen. Durch Platzen
der Membran der Mutterzelle an irgend einer Stelle wird die Brut nach
Aussen entleert.
Es giebt zwei Arten von Schwärmsporen, die zu ver-
15*
228
Siebentes Capitel.
scliie denen Zeiten gebildet werden, Schwärmsporen, die
sich auf ungeschlechtlichem Wege vermehren und neuen
kleinen Algen pflänzchen den Ursprung geben, und
S c h w ä r m s j) 0 r e n , die der Befruchtung bedürfen. Die Mutter-
zellen, aus denen die ersteren entstehen, nennen die Botaniker S p o r a n-
gien, die Mutterzellen der letzteren dagegen Gametangien.
Uns interessiren hier nur die Geschlechtssporen oder
Gamete n.
Bei vielen, niederen Algen können die sich paarenden
Schwärmsporen (Fig. 155 a, &, c, d) in keiner Weise, weder
nach ihrer Grösse, noch nach ihrer Bewegung oder nach
ihrem sonstigen Verhalten voneinander unterschieden
werden (Ulothrix, Bryopsis, Botrvdium, Acetabularia etc.).
Bei anderen Arten dagegen bilden sich Geschlechts-
differenzen heraus, welche uns männliche und weibliche
Gameten zu unterscheiden gestatten. Im ersteren Falle redet
man von einer isogamen, im zweiten Fall von einer oogamen Be-
fruchtung.
Als Beispiel i sog am er Be-
fruchtung (Fig. 155) kann uns
Botrvdium oder Ulothrix dienen. Wenn
man in einem Wassertropfen die kleinen
Schwärmer aus verschiedenen Zuchten
zusammenbringt und mit starker Ver-
grösserung beobachtet, so kann man
leicht wahrnelmien, wie alsbald ein-
zelne mit ihren hyalinen Vorderenden
sich einander nähern (b), sich berühren
und nach kurzer Zeit zu verschmelzen
beginnen. Zuerst legen sie sich mit
ihren Seiten aneinander (cj, dann
schreitet die Verwachsung allmählich
von vorn nach hinten fort.
Die Paarlinge (d) tummeln sich
noch weiter im Wasser herum. Ihre
Bewegung ist eine unregelmässig inter-
mittirende und nimmt einen taumeln-
den Charakter an. Nach einiger Zeit
ist die Verschmelzung so weit gediehen,
dass beide Gameten einen einzigen
ovalen, entsprechend dickeren Körper
bilden, an welchem nur noch die An-
wesenheit von zwei Pigmentflecken und
vier Geissein den Ursprung durch Paar-
ung zweier Individuen verrathen (e, f).
Jetzt verlangsamt allmählich das Pär-
chen (die Zygote) ihre Bewegungen,
kommt schliesslich zur Ruhe, verliert
Fig. 155. Botrydium granu-
latum. Nach vStrasbckger Fig. 139.
A Ein frei gelegtes Pflänzchen
mittlerer Grösse. Vei'gr. 28. B Eine
Schwärmspore mit Jodlösung fixirt.
Vergr. 540. C Isogameten und zwar
bei a ein einzelner Isogamet, bei b
zwei Isogameten in der ersten Be-
rührung, bei c, d u. e in seitlicher Ver-
schmelzung, bei / die Zygospore nach
vollzogener Verschmelzung der Ga-
meten. Vergr. 540.
die vier Geissein, indem sie eingezogen
oder abgeworfen werden, rundet sich
ab und umgiebt sich mit einer besonderen Membran.
Häufig tritt das Ptuhestadium schon wenige Minuten nach Beginn
der Paarung ein , in anderen Fällen aber kann die Zygote noch mein-
V. Die Erscheiiiuiigeu und das Wesen dei- Befruchtung. 229
branlos und mit vier Cilien vorsehen drei Stunden lang im Wasser
herunischwärmen, bis sie die Geissein einzieht und zai Boden sinkt.
Noch besser als bei den Conjugaten lässt sich das allmähliche
Auftreten der geschlechtlichen Diiferenzirung bei den zahlreichen Arten
niederer Algen mit Gametenbefruchtung verfolgen.
Wie bei Spirogyra (Fig. 153) von den beiden sonst völlig gleich-
artigen Paarungen der eine als weiblich bezeichnet werden kann, weil
er in Ruhe verharrt und zum Zweck der Conjugation von dem anderen
aufgesucht werden uuiss, so bildet sich ein analoges Verhältniss bei den
Phaeosporeen und Cutleriaceen heraus.
Bei einzelnen Phaeospo reen arten sind männliche und weibliche
Schwärmzellen bei ihrer Entleerung aus den Mutteizellen voneinander
nicht unterscheidbar, sie sind von gleicher Grösse und mit einem Pig-
mentfleck und zwei Geissein versehen. In der Zeit des Herumschwärmens
tritt eine Paarung nicht ein. Bald aber macht sich ein Unterschied
zwischen den Gameten geltend. Einige von ihnen kommen frühzeitig
zur Ruhe, sie heften sich mit der Spitze einer Geissei an irgend einen
festen Gegenstand an und bringen demselben durch Verkürzung und
Einziehung der Geissei ihren Plasmakörper näher, wobei auch die zweite
Cilie eingezogen wird. Solche zur Ruhe gekommenen Schwärmzellen
können jetzt als weibliche bezeichnet werden; sie sind nur für wenige
Minuten befruchtungsfähig; sie üben, wie Berthold sich ausdrückt, auf
die längere Zeit im Wasser herumschwimmenden männlichen Gameten
„eine starke Anziehungskraft aus% so dass um ein Ei oft Hunderte von
Schwärmern in wenigen Augenblicken vereint sind, von denen einer mit
ihm verschmilzt (VII. 51).
Schon deutliclier ausgeprägt ist die Geschlechtsdifferenz bei den
Cutleriaceen. Hier nämlich gewinnen die geschlechtlichen Schwärm-
zellen während ihrer Entstehung in der Mutterpflanze eine ungleiche
Grösse, indem die weiblichen einzeln, die männlichen gewöhnlich in
Achtzahl in einer Mutterzelle gebildet werden. Der Grössenuuterschied
fällt daher schon ziemlich auf. Beide Gametenarten schwärmen eine
Zeit lang im Wasser herum; eine Befruchtung kann aber erst erfolgen,
wenn der weibliche Schwärmer zur Ruhe kommt, die Geissein einzieht
und sich abrundet. Das befruchtungsfähig gewordene Ei zeigt einen
hyalinen Fleck, welcher durch das Einziehen des vorderen, schnabel-
artigen Endes entstanden ist, den sogenannten Empfängnissfleck.
Das ist die einzige Stelle, an welcher einer von den kleinen, männ-
lichen Schwärmern, welche bald die zur Ruhe gekommene, weibliche
Zelle umlagern, die Paarung ausführen kann. Nach vollendeter Be-
fruchtung umgiebt sich die Zygote mit einer Cellulosehülle.
Die bei den Cutleriaceen schon schärfer ausgeprägte Geschlechts-
differenz findet sich noch mehr gesteigert bei den Fucaceen, Chara-
ceen und anderen Algen. Hier treten die weiblichen Zellen, die eine
sehr beträchtliche Grösse erreichen, auch nicht vorübergehend mehr
in das Stadium einer Schwärmzelle ein. Entweder werden sie als kuglige,
unbewegliche Eizellen bei der Reife nach Aussen ausgestossen (Fucaceen)
(Fig. 156 G), oder sie werden an ihrem Ursprungsort, im Oogonium, be-
fruchtet. Im Gegensatz zu den Eizellen sind die männlichen Schwärmzellen
(Fig. 156 F) noch kleiner und beweglicher als die bisher betrachteten
Schwärmsporen geworden und haben den charakteristischen Habitus von
Samenfäden ang-enommen; sie bestehen fast nur aus Kernsubstanz und
den beiden Geissein, die als Fortbewegungsorgane dienen.
230
Siebentes Capitel.
J
\
6' Die Ansicht, dass Eier und Samenfäden der
höheren Algen sich genetisch von Schwärmzellen
ableiten lassen, die sich nach entgegengesetzten
Richtungen geschlechtlich ditferenzirt und allmäh-
lich einen specifisch weiblichen und männlichen
Habitus angenommen haben, lässt sich noch
schlagender als durch die eben angestellte Ver-
gleichung der einzelnen Algenfamilien an der
kleinen Familie d e r V o 1 v o c i n e e n beweisen.
Für die uns beschäftigende Frage sind die
Volvocineen dadurch liesonders interessant und
wichtig, dass hier einzelne Arten, die sich sonst
in ihrem ganzen Aussehen ausserordentlich ähn-
lich sind, Pandorina morum, Eudorina elegans,
Volvox globator, theils keine, theils eine deut-
lich ausgeprägte Geschlechtsdifferenz der beiden
Geschlechtszellen, theils ein vermittelndes Zwi-
schenstadium erkennen lassen. Das ganze Ver-
hältniss ist so beweisend, dass es sich wohl ver-
lohnt, auf dasselbe noch etwas näher einzugehen.
Pandorina morum, in der Literatur da-
durch besonders bekannt geworden, dass Prings-
heim (VII. 35) an dieser Art die Paarung zweier
Schwärmsporen zuerst im Jahre 1869 entdeckt hat,
bildet kleine Colonien von etwa 16 Zellen, die
in eine gemeinsame Gallerte eingeschlossen sind.
(Fig. 157 11). Jede Zelle trägt an ihrem vorderen
Ende zwei Geissein, die über die Oberfläche der
Gallerte hervorsehen und zur Fortbewegung
dienen.
Zur Zeit der geschlechtlichen Fortpflanzung zerfällt jede der sechzehn
Zellen gewöhnlich in acht Zellen, die nach einiger Zeit frei werden und
für sich allein lierumschwärmen (Fig. 157 111, IV). Die ovalen Schwärm-
zellen, deren Körper grün ist mit Ausnahme des vorderen, etwas zuge-
spitzten Endes, welches hyalin ist, einen rothen Pigmentfleck und zwei
Geissein besitzt, sind nicht genau von gleicher Grösse. Hierin ist indessen
ein Geschlechtsunterschied bei Pandorina nicht ausgeprägt. Denn wenn
von zwei verschiedenen Colonien Schwärmzellen zusammenkommen, so
bemerkt man in dem Gewimmel bald solche, die sich paarweise (Fig. 157
IV, V) nähern, bald zwei kleine, bald zwei gleich grosse, bald eine kleine
und eine grosse.
Beim Zusammentreffen berühren sich die Paarlinge zuerst mit ihren
Spitzen (/F), verschmelzen dann zu einem bisquitförmigen Körper, der
sich nach und nach zu einer Kugel zusammenzieht ( F7, VU, X). Diese
umgiebt sich einige Minuten nach der Befruchtung mit einer Cellulose-
haut und tritt als Zygote in ein Ptuhestadium ein, in welcliem ihre ur-
sprünglich grüne Farbe in ein Ziegelroth übergeht.
Eine geschlechtliche Verschiedenheit macht sich bei Eudorina
elegans bemerkbar, bei einer Art, welche der Pandorina sonst ausser-
ordentlich ähnlich und wie diese eine Gallertblase ist, die 16 bis 32
Zellen enthält (Fig. 158). Zur Zeit der Fortpflanzung diffe-
renziren sich die Colonien in männliche und weibliche.
In den weiblichen Colonien wandeln sich die einzelnen Zellen, ohne
Fig. 156. Spermato-
zo'iden von Fueus
platycarpus. 540mal
yergr. Ei mit anhaften-
den Sperniatozoiden. 240-
mal vergr. Nach Sras-
BURGEu Fig. 142 G u. F.
V. Die Ersc'heinuno;en und das \Ve.<en der Befruchtung.
231
Fig. 157. Entwicklung von Pandorina Morum uiicli Pringsheim. Aus
Sachs Fig. 411.
/ Eine schwärmende Familie; II eine solche in 16 Tochterfamilien getheilt;
III eine geschlechtliche Famile, deren einzelne Zellen aus der verschleimten Hülle
austreten; IV, V Paarung der Schwärmer; VI eine eben entstandene, VII eine aus-
gewachsene Zygote; VIII Umbildung des Inhaltes einer Zygote in eine grosse Schwärm-
zelle; IX dieselbe frei; X junge Familie aus der letzteren entstanden.
sich weiter zu theilen, in ]vup]i<ie Eier um; in den männlichen Colonien
dagegen zerfällt jede Zelle durch mehrfach wiederholte Theilung in ein
Bündel von 16 bis 32 Samenfäden (Fig. 158 M^). Dieselben sind „lang
gestreckte Körperchen, vorn mit zwei Cilien, deren anfangs grüne Farbe
sich in gelb verwandelt". Die einzelnen Bündel lösen sich von der
Muttercolonie los und schwärmen im Wasser herum. „Treffen sie auf
eine weibliche Colonie, so verwickeln sich die beiderseitigen Cilien; die
männliche Colonie wird dadurch fixirt und fällt dabei auseinander, w^orauf
sich die vereinzelten Samenfäden, die sich jetzt noch bedeutend strecken,
in die Gallertblase der weiblichen Colonie einbohren. Sie dringen hier
bis zu den Eizellen vor und legen sich (oft in Mehrzahl), nachdem sie
an denselben tastend herumgekrochen sind, an sie an. Man darf an-
nehmen, was in vielen anderen Fällen ja beobachtet ist, dass eine dieser
Samenzellen in je eine Eizelle eindringt" (Sachs).
Bei Volvox globator (Fig. 159) endlich ist die Differenzirung
am weitesten durchgeführt, indem von den sehr zahlreichen Zellen, welche
232
Siebentes Capitel.
Fig. 158. Eudorina elegans, eine weibliche Colonie (Coenobium) von
Zoospermien Sp umschwärmt (nach Goebel). Mi — Ms Bündel von Samenzellen. Aii.s
Sachs Fig. 412.
eine kuglige Colonie zusammensetzen, ein Tlieil vegetativ bleibt, der
andere Theil sich in Geschlechtszellen umwandelt. Bei Volvox erreichen
/ W 1 )/ '
Fig. 159. Volvox globator, gesehleehtliehe, hermaphroditische Colonie,
nach CiENKOvsKY und Bütschli combinirt und etwas schematisirt. Nach Lang Fig. 21.
Ä männliche Gameten (Sperraatozoen), 0 weibliche Gameten (Eier).
die Eier (0) noch eine viel bedeutendere Grösse als bei Eudorina und
werden von den sehr kleinen, mit zwei Geissein henmischwärmendeu
Samenelementen (S) befruchtet.
V. Difi Erscheinungen und das Wesen der liefruclitung. 233
Angesichts der im fünften Abschnitt zusammengestellten; zahlreichen
Thatsachen kann wohl der Satz als feststehend betrachtet werden, dass
Ei- und Samenzellen aus ursprünglich gleichartig be-
schaffenen, nicht unterscheidbaren Fortpflanzungszellen
durch Differenzirung nach entgegengesetzten Richtungen
entstanden sind.
II. Die Physiologie des Befruehtungsprocesses.
Nach der Besprechung der morphologischen Erscheinungen, die sich
im Organismenreich beim Befruchtungsprocess beobachten lassen, bleibt
noch ein weites und schwieriges Forschungsgebiet übrig, die Untersuchung
der Eigenschaften, welche Zellen haben müssen, um sich im Zeugungsakt
vereinigen und den Ausgang für einen neuen Entwicklungscyclus bilden
zu können.
Zunächst ist klar, dass nicht jede Zelle eines vielzelligen Organismus
in die Lage kommt, zu befruchten oder befruchtet zu werden, und dass
auch die Geschlechtszellen nur in einem oft kurz bemessenen Zeitraum
für die Zeugung tauglich sind. Es müssen also in den Zellen zum Zweck
der Zeugung bestimmte Dispositionen geschaffen werden, welche wir einst-
weilen unter dem allgemeinen Ausdruck „ B e fr u c h t u n g s b e d ü r f t i g -
k e i t " zusammenfassen wollen.
Die Befruchtungsbedürftigkeit der Zellen allein garantirt aber noch
lange nicht den Erfolg der Befruchtuna". Dies lehrt schon die einfache
Thatsache, dass reife Eier und reifer Samen, von verschiedenen Organis-
men zusammengebracht, sich nicht entwickeln. Zur Befruchtungsbedürf-
tigkeit muss daher noch ein zweiter Faktor hinzutreten ; die Zellen, welche
sich geschlechtlich vereinigen sollen, müssen in ihrer Organisation zu ein-
ander passen und in Folge dessen auch die Neigung haben, sich mit-
einander zu verl)inden Wir wollen den Inbegriff dieser Eigenschaften als
sexuelle Affinität bezeichnen.
Die Physiologie des Befruchtungsprocesses lässt sich mithin in zwei
Abschnitte zerlegen: 1) in die Untersuchung der Befruchtungsliedürftigkeit,
und 2) in die Untersuchung der sexuellen Affinität der Zellen. In einem
dritten Abschnitt soll schliesslich noch auf einige Hypothesen eingegangen
werden, welche von verschiedenen Seiten über das Wesen und den Zweck
der Befruchtung aufgestellt worden sind.
'&'^
1) Die Befruchtungsbedürftigkeit der Zellen.
Unter Befruchtungsbedürftigkeit verstehen wir einen Zustand der
Zelle, in welchem sie für sich allein die Fähigkeit verloren hat, den
Lebensprocess fortzusetzen, diese Fähigkeit aber in sehr gesteigertem
Maasse wiedererlangt, wenn sie sich mit einer zweiten Zelle im Befruch-
tungsakt verl)unden hat. Ein tieferer Einblick in das Wesen dieses
Zustandes fehlt uns zur Zeit noch durchaus; denn es handelt sich um
Eigenschaften der lebenden Substanzen, die ausserhall) des Bereiches
unserer sinnlichen Wahrnehmung liegen und sich uns nur in ihren
Folgeerscheinungen zu erkennen geben. Auch ist das dunkle Gebiet von
Seiten der Physiologie noch wenig einer planmässigen Bearbeitung unter-
worfen worden. Wir können daher hier nur auf einige Erfahrungen
aufmerksam machen, welche die physiologische Untersuchung in Zukunft
zu vermehren und zu vertiefen haben wird. Am meisten wird hierbei
234 Siebentes Capitel.
eine Vertiefung unseres Wissens von dem Studium der niedersten Orga-
nismen zu erwarten sein, weil bei ihnen die Einzelzellen eine absolute
oder wenigstens noch eine sehr grosse Selbständigkeit besitzen und nicht
wie bei den höheren Organismen in Beziehung und Abhängigkeit von den
übrigen Zellen des Körpers gesetzt sind. Bei ihnen sind daher die Grund-
phänomene des Lebens in grösserer Klarheit zu erkennen.
Die zur Zeit vorliegenden Erfahrungen lassen sich in folgende Sätze
zusammenfassen :
1) Die Befruchtungsbedürftigkeit tritt im Leben der Zelle periodisch
ein; 2) sie ist überall nur von kurzer Zeitdauer; 'S) sie ist bis zu einem
gewissen Grade von äusseren Einflüssen abhängig, und damit hängt es
dann wohl 4) zusammen, dass sie in manchen Fällen aufgehoben und in
Parthenogenese und Apogamie umgewandelt werden kann.
Dass die Befrucht ungsbedürft igkeit eine im Lebens-
process der Zelle periodisch ein treten deErscheinung ist,
lässt sich am besten auf experimentellem Wege durch das Studium der
Infusorien beweisen. Maupas (VIL 30) hat hierüber sehr zahlreiche, ver-
dienstvolle Untersuchungen angestellt.
Im Leben eines jeden Infusors kann man eine Periode
der Geschlechtslosigkeit und eine Periode der Geschlechts-
reife oder B e f r u c h t u n g s b e d ü r f t i g k e i t unterscheiden. Die
erstere beginnt, wenn sich zwei Thiere gegenseitig liefruchtet haben
und sich trennen; sie führt zu einer Vermehrung der Individuen durch
rasch sich wiederholende Theilungen. In dieser Periode kann man
Individuen aus verschiedenen Culturen zusammenbringen und sie Be-
dingungen aussetzen, welche für die Conjugation am günstigsten sind,
ohne dass es jemals zu Paarungen kommt. Erst längere Zeit nach Ab-
lauf einer Paarung werden die Infusorien wieder befruchtungsbedürftig.
Werden dann aus zwei Culturen Individuen unter geeigneten Bedingungen
zusammengebracht, so erfolgen reichliche Paarungen in wenigen Tagen.
So hat Maupas festgestellt, dass bei Leukophrys jjatula Individuen,
welche der 300sten bis 450sten Generation nach einem Befruchtungsakt
angehören, allein fruchtbare Copulationen ausführen können. Für Ony-
chodromus fällt diese Periode der Befruchtungsbedürftigkeit etwa zwischen
die 140ste bis 230ste Generation und bei Stylonichia pustulata zwischen
die 130ste bis ISOste.
Der zweite Satz lautete : Der Zustand der Befruchtungsbedürftigkeit
ist überall nur von kurzer Zeitdauer. Wenn Zellen, die für die Befruch-
tung reif sind, nicht rechtzeitig befruchtet werden, so gehen sie bald zu
Grunde. Infusorien, Algenschwärmer, thierische Eizellen liefern uns Bei-
spiele zur Bestätigung des Satzes.
Wenn die einzelnen Individuen der oben als Beispiel benutzten In-
fusorienart „Onychodromus" während der 140sten bis 230sten Generation
oder Individuen von Stylonichia pustula während der ISOsten bis ISOsten
Generation nicht Gelegenheit erhalten, sich zu paaren, so werden sie
geschlechtsalt oder ülierreif. Sie fahren zwar noch fort, sich durch Thei-
lung zu vervielfältigen, können sich sogar noch paaren, aber ohne Erfolg.
Denn trotz der Paaning verfallen sie einer allmählichen Zerstörung ihrer
Organisation durch .,senile Degeneration", wie sich Maupas ausdrückt.
Der Eintritt derselben lässt sich an charakteristischen Veränderungen des
Kernapparats erkennen.
Schwärmsporen oder Gameten von Algen sterben oft schon nach
einigen Stunden ab, wenn sie im Wasser herumgeschwärmt sind, ohne
V. Die Erscheinungen luiil das Wesen der l'efruelitung. 235
zur Paarunii- mit geeigneten Individuen gelangt zu sein. Die Empiäng-
nissfähigkeit der grossen weiblichen Gameten von der Algenart Cutleria,
wenn sie, zur Ruhe gekommen, ein Ei darstellen, ist eine verhältnissniässig
kurze. Mehrfache, von Falkenberg (VII. 10) angestellte Versuche zeigten,
„dass am dritten Tage nach eingetretener Ruhe noch naliozu alle Eier,
am vierten Tage noch etwa die Hälfte derselben befruchtungsfähig waren.
Nach dem vierten Tage hatten dagegen alle Eier ihre Empfängnissfähig-
keit eingebüsst, und wenn man ihnen auch jetzt noch Spermatozoidien
zusetzte, so begannen sie doch nunmehr unter denselben Erscheinungen
wie die vom Zutritt der befruchtenden Zellen gänzlich abgeschnitten ge-
bliebenen Eier abzusterben".
Reife, thierische Eizellen endlich haben, auch wenn sie sich in ihrer
normalen Umgebung im Eierstock oder in den Eileitern befinden, nicht
minder eine kurze Lebensdauer; sie gerathen bald in einen Zustand der
Ueberreife (Hertwig VI. 32). Ihre normalen Functionen sind geschwächt;
sie lassen sich zwar noch eine Zeit lang befruchten, aber in anormaler
Weise durch Eindringen vieler Samenfäden; sie treten in Folge dessen
auch nur in einen gestörten Entwicklungsprocess ein. Hierin liegt un-
verkennbar eine Analogie mit der senilen Degeneration von Infusorien
vor, die zur geeigneten Zeit an der Paarung verhindert waren.
Der dritte Satz, dass das frühere oder spätere Eintreten der Be-
fruchtungsbedürftigkeit von äusseren Vei'hältnissen abhängig ist, lässt sich
in einigen Fällen sehr deutlich nachweisen.
So kann man durch stets erneute, reichliche Zufuhr von Nahrung
Culturen von Infusorien an der Paarung verhindern (Maupas VII. 30).
Sie fahren fort, sich zu theilen, l)is die ganze Cultur in Folge Eintritts
von „seniler Degeneration" (Entartung) ausstirbt. Umgekehrt kann man
Culturen von Infusorien, welche sich dem Zustand der Geschlechtsreife
nähern, durch Nahrungsentziehung sofort zur Paarung bestimmen. „Une
riche alimentation", bemerkt Maupas, „endort l'appetit conjugant; le jeüne,
au contraire, l'öveille et l'excite."
Ebenso hat Klebs (VII. 28) für das Wassernetz (Hydrodiktyon)
einen Einfluss der äusseren Lebensliedingungen auf die Bildung der
Geschlechtszellen wahrnehmen und dieselbe bald früher hervorrufen, bald
verhindern können.
Klelis hat gesunde, aus der freien Natur stammende Netze zur
Gametenbildung dadurch gebracht, dass er sie in eine Rohrzuckerlösung
von 7—10 "/o cultivirte. Nach 5—10 Tagen zerfällt das Netz vollständig,
indem in fast allen Zellen sich Gameten entwickelten. Ferner wird in
den Zellen die Neigung zur Gametenbildung gesteigert, wenn man frische
Netze in niedrigen Glasschalen mit relativ wenig Wasser an einem son-
nigen Fenster cultivirt. Nach Klebs besteht der Einfluss der Zimmer-
cultur darin, „dass durch sie das Wachsthum zum Stillstand gebracht,
dagegen die Erzeugung organischer Substanz mit Hilfe der Assimilation
nicht" behindert wird, während gleichzeitig ein gewisser Mangel an Nähr-
salzen eintritt."
Auf der anderen Seite lässt sich, in ähnlicher Weise wie bei den
Infusorien, die geschlechtliche Fortpflanzung unterdrücken. Zu dem
Zwecke braucht man nur ein Netz, welches in seinen Zellen Gameten
zu bilden beginnt, in eine 0,5— l,0"üige Nährlösung zu übertragen,
welche aus 1 Theil schwefelsaurer Magnesia, 1 Theil phosphorsauren
Kalis, 1 Theil salpetersauren Kalis und 4 Theilen salpetersauren Kalks
236 Siebentes Capitel.
besteht. Nach einiger Zeit liefert es ungeschlechtliche Schwärnisporen,
namentlich wenn es dann in frisches Wasser zurückgebracht wird.
Nach Beobachtungen von Eidam l)ildet ein kleiner l'ilz, Basidio-
bolus ranarum, auf reichlichem Nährsubstrat aus Conidien gezüchtet,
ein kräftiges Mycel, das gleichzeitig sowohl ungeschlechtliche Foitpflan-
zungszellen (Conidien) als auch Geschlechtszellen erzeugt. Auf einem
erschöpften Nährboden dagegen liefern die Conidien ein spärliches Mycel,
welches sich sofort und ausschliesslich durch Geschlechtszellen, die sich
zu Zygosporen verbinden, fortpflanzt.
Reichliche Ernährung begünstigt bei Pflanzen, wie die Erfahrung
der Gärtner lehrt, die vegetative Vermehrung und behindert die Samen-
bildung, während umgekehrt Blüthen- und Sanienbildung befördert wird
durch Beschränkung des vegetativen Wachsthums (Beschneiden von
Wurzeln und Sprossen) und dadurch hervorgerufene Hemmung des
Nahrungszuflusses.
Auch für Thiere, die sich auf parthenogenetischem Wege vermehren,
liegen entsprechende Beobachtungen vor. Wenn der Phylloxera vastatrix
die Nahrung entzogen wird, so kommen alsbald, wie Keller (VII. 26)
durch Experimente gezeigt hat, die geflügelten Geschlechtsformen zum
Vorschein, und es werden befruchtete Eier abgelegt.
In manchen Fällen, namentlich bei niederen Orga-
nismen, ist die Befruchtungsbedürftigkeit nur eine
relative.
Wenn bei der Alge Ectocarpus (VII. 51) die weibliche Gamete
zur Buhe gekommen ist, so ist sie für wenige Minuten empfängnissfähig
geworden. ,, Erfolgt in dieser Zeit keine Befruchtung, so wird der
Geisselfaden vollständig eingezogen, das Ei rundet sich ab und scheidet
eine Cellulosehaut aus. Nach 24 — 48 Stunden zeigen sich dann die
ersten Spuren einer parthenogenetischen Keimung." Sogar die männ-
lichen Gameten sind hier, wenn auch in geringerem Grade als die weib-
lichen, spontan entwicklungsfähig. Nachdem dieselben mehrere Stunden
herumgeschwärmt sind, gelangen sie schliesslich, wie Berthold mittheilt,
zur Buhe, „aber nur ein Theil entwickelt sich langsam zu sehr schwäch-
lichen und empfindlichen Keimpflanzen, ein anderer Theil desorganisirt
sich sogleich oder nach Verlauf von ein bis zwei Tagen".
Ein sehr eigenthümliches, facultatives Verhältniss zeigen die Bienen,
deren Eier sich, gleichgültig ob sie befruchtet werden oder nicht, wieder
zu Bienen entwickeln. Nur liefern sie im unbefruchteten Zustand
Drohnen, dagegen in Folge der Befruchtung weibliche Thiere (Arbeits-
bienen und Königinnen). Zuweilen entstehen Zwitter, wie Leuckart
meint, aus Eiern, bei denen die Befruchtung zu spät erfolgte, um die in
männlicher Richtung fortgeschrittene Entwicklung ganz umzugestalten.
Die Möglichkeit, durch äussere Eingriff'e in Geschlechtszellen den Eintritt
der Befruchtungsbedürftigkeit zu beschleunigen oder sie im entgegen-
gesetzten Fall aufzuhalten und eventuell aufzuheben, wirft Licht auf die
Erscheinungen der Parthenogenese und Apogamie, auf
welche wir jetzt noch viertens näher einzugehen haben.
a) Die Parthenogenese.
In den meisten Fällen sind die Geschlechtszellen im Thier- und
Pflanzenreich, wenn sie nicht rechtzeitig zur Copulation gelangen, un-
fehll)ar dem raschen Untergang verfallen. Obwohl aus eminent entwick-
V. Die Ersfheiuungfen und das Wesen der 13etVuchtuu|^-. 237
luiiiisfähioer Substanz bestehend, können sie sich trotzdem nicht beim
Fehlen der einen Bedingunii entwickeln.
Von der Unmöiilichkeit spontaner Entwicklunp; der Eizellen waren
die meisten Naturforscher bis vor Kurzem so sehr überzeuut, dass sie
die Angaben über Jungfernzeugung bei einzelnen Thierarten ungläubig
aufnahmen, weil sie in ihnen einen Verstoss gegen ein Naturgesetz er-
blickten. Und in der That kann es ja für die Säugethiere und für die
meisten anderen Organismen als ein Naturgesetz bezeichnet werden, dass
ihre männlichen und weiblichen Geschlechtszellen für sich allein absolut
entwicklungsuufähig sind. Eine Säugethierart würde unfehlbar aussterben,
wenn ihre männlichen und weiblichen Individuen sich nicht zum Zeugungs-
akt verbänden. Trotzdem kann es nicht als ein allgemeines Naturgesetz
bezeichnet werden, dass die Eier ohne Befruchtung auch stets entwick-
lungsunfähig sind.
Sowohl im Pflanzenreich wie im Thierreich kommen zahlreiche Fälle
vor, dass in besonderen Geschlechtsorganen Zellen gebildet werden,
welche ihrer ganzen Anlage nach ursprünglich bestimmt waren, sich als
Eier durch Befruchtung zu entwickeln, welche aber die Befruchtungs-
bedürftigkeit nachträglich verloren haben und sich in Folge dessen ganz
wie vegetative Fortpfianzungszellen, wie Sporen, verhalten.
Eine höhere Alge, die Chara crinita, findet sich im ganzen nörd-
lichen Europa nur in weiblichen Exemplaren. Trotzdem werden in ihren
Oogonien Eier gebildet, die sich auch ohne Befruchtung zu normalen,
keimfähigen Früchten entwickeln.
Noch lehrreicher sind die Fälle von Parthenogenese im Thierreich.
Sie sind namentlich bei kleinen Thieren aus dem Stamm der Arthro-
poden, bei Rotatorien, Aphiden, Daphnoiden, Lepidopteren etc. beobachtet
worden. Dieselben Weibchen liringen zu gewissen Zeiten in ihrem Eier-
stock nur Eier hervor, welche sich ohne Befruchtung entwickeln, und zu
anderer Zeit wieder Eier, welche der Befruchtung bedürfen. Beide
physiologisch so verschiedenen Eier unterscheiden sich gewöhnlich auch
in ihreni Aussehen. Die parthenogenetischen Eier sind ausserordentlich
klein und dotterarm und werden demgemäss in grösserer Zahl und in
kurzer Zeit entwickelt. Die befruchtungsbedürftigen Eier dagegen über-
treffen sie um ein Vielfaches an Grösse und Dotterreichthum und brauchen
längere Zeit zu ihrer Entwicklung. Da die ersteren allein im Sommer,
die letzteren hauptsächlich bei Beginn der kalten Jahreszeit gebildet
werden, hat man sie auch als Sommer- und Wintereier unter-
schieden. Letztere heissen auch Dauer ei er, da sie nach der Be-
fruchtung eine längere Ruheperiode durchmachen müssen, während die
Sommereier immer sofort wieder in den Entwicklungsprocess eintreten
(Subitaneier).
Eine Beziehung zu äusseren Bedingungen ist bei der Entwicklung
der parthenogenetischen Sommereier und der befruchtungsbedürftigen
Wintereier unverkennbar. Bei den Aphiden begünstigt reichliche Er-
nährung die Bildung von Sommereiern, während Nahrungsbeschränkung
die Erzeugung befruchtungsbedürftiger Eier veranlasst. Auch bei den
Daphnoiden bestehen augenscheinlich Beziehungen zu den äussern Lebens-
bedingungen, wenn auch die einzelnen Factoren sich experimentell
weniger leicht feststellen lassen. Es geht dies schon daraus hervor, dass
bei den einzelnen Arten der Daphnoiden, je nacli den Lebensbedin-
gungen, unter denen sie sich befinden, der Generationscyclus ein ver-
schiedenes Aussehen gewinnt.
238 Siebeutes Capitel.
Bewohner kleiner Pfützen, die leicht austrocknen, brin.uen nur eine
oder wenige Generationen von Weil)chen hervor, die sicli auf unge-
schlechtlichem Wege vermehren, dann werden schon befruchtungsbedürf-
tige Eier erzeugt, so dass im Laufe eines Jahres mehrere Zeugungskreise
(bestehend aus Jungfernweibchen und Geschlechtsthierenj aufeinander
folgen. See- und Meerbewohner dagegen erzeugen eine lange Reihe
von Jungfernweibchen, ehe es gegen Ende der warmen Jahreszeit zur
Ablage von befruchtungsbedürftigen Dauereiern kommt. Ein Zeugungs-
kreis füllt daher hier ein ganzes Jahr aus. (Polycyklische und monocyk-
lische Arten von Weismann.)
Weismann (VII. 39), der den Gegenstand einer sehr eingehenden
Prüfung unterworfen hat, bemerkt, „dass ein- und zweigeschlechtliche
Generationen in verschiedener Weise bei den Daphnoiden miteinander
abwechseln und dass der Modus ihres Wechseins in auffallender Be-
ziehung zu den äusseren Lebensverhältnissen steht. Je nachdem Ver-
nichtungsursachen (Kälte, Austrocknen u. s. w.) mehrmals im Jahre oder
nur einmal oder gar nicht die Colonien einer Art heimsuchen, finden wir
Daphnoiden mit mehrfachem Cyclus innerhalb eines Jahres oder mit
einem Cyclus oder schliesslich sogar Arten, welche gar keinen Gene-
rationscyclus mehr erkennen lassen, und wir können danach polycyklische,
monocyklisohe und acyklische Arten unterscheiden".
Bei manchen Arten, die häufig wechselnden Bedingungen ausgesetzt
sind, beol)achtet man, dass von den im Eierstock sich entwickelnden
Eiern einige sich zu Sommereiern ausbilden , während andere den An-
satz machen, zu Wintereiern zu werden. Es findet nach einem Aus-
spruch von Weismann im Körper der Weibchen „gewissermaassen ein
Kampf statt zwischen der Tendenz zur Bildung von Dauereiern und
derjenigen zur Bildung von Sommereiern."
So kann man namentlich bei Da])hnia pulex zwischen mehreren
Sommereiern öfters die Anlage eines Dauereies im Ovarium erkennen,
welche einige Tage wächst, sogar beginnt, den feinkörnigen, charakte-
ristischen Dotter in sich abzulagern, dann aber in der Entwicklung stille
steht , um sich sodann allmählich aufzulösen und vollständig zu ver-
schwinden. Wenn Wintereier entwickelt worden sind, dieselben aber in
Folge der Abwesenheit von Männchen nicht befruchtet werden können,
so zerfallen sie nach einiger Zeit, und es kommt jetzt wieder zur Ent-
stehung von Sommereiern,
Wie erklärt es sich nun, dass von Eiern, die in demselben Keim-
stock nacheinander entstehen, die einen der Befruchtung bedürfen, die
anderen nicht V Weismann (VII. 40), Bloclimann (VII. 44), Platner (VII.
47) und Andere haben die sehr interessante Entdeckung gemacht, dass in
der Bildung der Polzellen (siehe darüber Seite 189) ein wichtiger und
ziemlich durchgreifender Unterschied zwischen parthenogenetischen und
befruchtungsbedürftigen Eiern besteht. Während nämlich bei letzteren zwei
Polzellen wie gewöhnlich abgeschnürt werden, unterbleibt bei ersteren die
Entwicklung der zweiten Polzelle und in Folge dessen auch die mit diesem
Vorgang sonst verbundene Beduction der Kernsubstanz. Der Ei kern
des Sommereies der Daphnoiden z.B. besitzt daher auch ohne
Befruchtung die ganze Nucleinmasse eines Normalkerns.
Es ist aber leicht einzusehen, dass durch dies interessante Verhalten
das Wesen der Parthenogenese selbst in keiner Weise erklärt wird.
Denn das Sommerei hat ja die Neigung, sich ohne Befruchtung zu ent-
wickeln, schon ehe es zur Bildung der Polzellen schreitet, wie aus der
V. Die Ersclieinungeu und das Wesen der BetVucIituncr. 239
geringen Ansammlung des Dotters, der al)weichenden Beschaft'enlieit der
Hüllen etc. hervorgeht. Das Ei wird nicht dadurch partheno-
genetisch, weil es die zweite Polzelle nicht bildet, sondern
weil es schon für partheno genetische Entwicklung be-
stimmt ist, bildet es die zweite Polzelle nicht; es bildet
sie nicht, weil unter diesen Verhältnissen eine Pieduc-
tion der Kernmasse, die ja eine nachfolgende Befruch-
tung zur Voraussetzung hat, keinen Zweck mehr hat.
Auf dem Gebiet der Parthenogenese sind noch manche eigenthüm-
liche Erscheinungen beoliachtet worden, deren genaueres Studium wahr-
scheinlich zur Klärung dieser und jener Frage noch Manches beitragen
wird. Eine solche Erscheinung, deren Tragweite zur Zeit noch nicht
übersehen werden kann, ist die Thatsache, dass der Vorbereitungsprocess
für die Befruchtung sogar dann, wenn er schon weiter als bis zur Bil-
dung der ersten Polzelle geschritten ist, wieder rückgängig gemacht
werden kann.
Bei manchen Thieren machen die Eier, wenn sie nicht zu normaler
Zeit befruchtet werden, gewissermaassen noch einen Ansatz zu einer
parthenogeuetischen Entwicklung. Von den Eiern mancher Würmer,
einzelner Arthropoden, Echinodermen , ja selbst Wirbelthiere (Vögel)
werden Angal>en gemacht, dass sie auch bei Abwesenheit von männlichem
Samen sich zu furchen, eventuell selbst Keimblätter zu bilden beginnen,
dann aber in ihrer Entwicklung still stehen bleiben und absterben.
Almorme, äussere Verhältnisse scheinen das Zustandekommen solcher
Parthenogenese in einzelnen Fällen zu begünstigen, wie z. B. bei Astera-
canthion. In derartigen Fällen ist nun von Boveri bei Nematoden und
bei Pterotrachea, von mir bei Asteracanthion folgender bemerkenswerther
Vorgang bei der Entstehung der Polzellen beobachtet worden.
Nach der Abschnürung der ersten Polzelle ergänzt sich die im Ei
zurückgebliebene Spindelhälfte wieder zu einer Vollspindel, als ob jetzt
noch die zweite Polzelle abgeschnürt werden soll. Trotzdem unter-
bleibt ihre Bildung: denn aus der zweiten Spindel gehen durch Theilung
nur zwei Keine hervor, die im Ei selbst bleiben. Hier verschmelzen sie
nach einiger Zeit, indem sie sich nach der Mitte des Dotters hin bewegen,
nachträglich wieder miteinander und liefern so gewissermaassen
durch eine Selbstbefruchtung wieder einen Kern, durchweichen
die bald nachfolgenden, parthenogeuetischen Processe eingeleitet werden.
Es wird hier also die zweite Theilung, welche die Pieduction der Kern-
masse und eine nachfolgende Befruchtung zum Zweck hat, wieder rück-
gängig gemacht. Dass hierdurch kein ausreichender Ersatz für den
Ausfall der Befruchtung geschaffen ist, lehrt der weitere Verlauf des in
Scene gesetzten, parthenogenetischen Entwicklungsprocesses, nämlich das
mehr oder minder früh erfolgende Absterben des Keimes.
Aus dem Umstand, dass bei parthenogeneti scher Entwicklung die
Bildung der zweiten Polzelle unterbleibt oder wieder rückgängig gemacht
wird, könnte man den Schluss ziehen, dass eine Entwicklung in allen
Fällen unmöglich gemacht sei, wo sich schon die Reduction der Kern-
masse auf die Hälfte des Normalmaasses vollzogen habe und dass sie
dann nur durch Befruchtung wieder hervorgerufen werden könne.
Zur Zeit kann auch dieser Schluss, der vielleicht etwas Wahres in
sich schliesst, nicht als ein allgemein gültiger bezeichnet werden. Denn
von Platner (VH. 47), Blochmann (VH. 46) und Henking (VII. 17) werden
Beobachtungen mitgetheilt, dass Eier von gewissen Arthropoden (Liparis
240 .Siebentes Capitcl.
(lispar, Bienen), tiotzdeni sie wie befruchtungsbeclürfti?:e Eier zwei Pol-
zellen geliefert haben, sich doch anf parthenogenetischeni Wege zu nor-
malen Thieren entwickeln. Allerdings ist in diesen Fällen eine genauere
Feststellung des Sachverhalts mit lUicksicht auf die Zahl der Kernseg-
mente noch wünschenswerth.
Principiell nuiss jedenfalls die Möglichkeit zugegeben werden , dass
Eier, die nach Bildung zweier Polzellen reducirte Kerne enthalten,
sich doch noch partlienogenetisch weiter entwickeln können. Denn an
Nucleinmasse reducirte Kerne haben keineswegs ihr Theilvermögen ver-
loren, wie man leicht glauben könnte. Besonders schlagend beweist
dies ein von Richard Hertwig und mir (VI. 38, 32) an den Eiern der
Seeigel ausgeführtes Experiment.
Man kann durch kräftiges Schütteln die Eier von Seeigeln in kleine,
kernlose Stücke zerlegen, die sich abrunden und während längerer
Zeit noch Lebensfähigkeit aufweisen. Die Stücke lassen sich durch Samen
befruchten. Hierbei konnte regelmässig festgestellt werden , dass der
Samenkern oder, was noch häufiger der Fall war, die in Mehrzahl ein-
gedrungenen Samenkerne sich zu kleinen, typisch gebauten Kernspindeln
mit zwei Strahlungen an ihren Polen umwandelten. Indem hierauf der
Samenkern sich in Tochterkerne theilte, die sich ilirerseits wieder durch
indirecte Theilung vermehrten, zei-fiel das Eifragment in einen Haufen
von vielen, kleinen Embryonalzellen. Boveri (VIII. 2) hat diese Ent-
deckung nocli weitei" verfolgt und ist zu dem wichtigen Ergeliniss ge-
langt, dass sich aus einem grösseren, kernlosen, einfach befruchteten Ei-
fragment sogar eine normale, nur entsprechend kleinere Larve züchten lässt.
b) Die A p o g a m i e.
Au die Parthenogenese lassen sich noch die ihr sehr nahe stehen-
den Erscheinungen anschliessen , welche de Bary (VII. 2) unter dem
Namen Apogamie zusammengefasst hat.
Apogamie wurde bei einigen Farnkräutern beobachtet. Bei den-
selben findet bekanntlich eine Entwicklung mit Generationswechsel statt.
Aus vegetativen Fortpflanzungszellen , den Sporen , keimen kleinste
Pflänzchen, die Prothallien, hervor, die bestimmt sind, männliche und
weibliche Geschlechtsorgane und aus letzteren Eier zu bilden. Wenn
die Eier befruchtet werden, liefern sie wieder auf vegetativem Wege ein
sich fortpflanzendes Farnkraut.
Bei Pteris cretica und Asplenium filix femina cristatum und falcatum
ist nun der sonst so constante Generationswechsel durchbrochen. Ent-
weder erzeugen die Prothallien dieser drei Arten überhaupt keine Ge-
schlechtsorgane oder nur solche, die nicht mehr in Function treten, also
rudimentär geworden sind : dagegen entsteht aus jedem Prothallium durch
vegetative Sprossung ein neues Farnkraut.
Da es sich bei den drei Farnarten um Culturpflanzen handelt, so
liegt die Vermuthung nahe, dass die Entwicklung befruchtungsbedürftiger
Zellen durch die überreiche Ernährung unterdrückt und die vegetative
Vermehrung begünstigt worden ist.
2) Die sexuelle Affinität.
Unter sexueller Affinität verstehe ich Wechselwirkungen, welche
befruchtungsbedürftige Zellen verwandter Art aufeinander ausüben in der
V. Die Erscheinungen »nd das Wesen der Befruchtung. 241
Weise, dass sie in bestimmte Nähe zu einander gel)rac'ht, sich anziehen,
sich verbinden und in eins verschmelzen, wie zwei chemische Körper,
zwischen denen nicht gesättiote, chemische Affinitäten bestehen. Wenn
beide Geschlechtszellen beweglich sind, so stürzen beide aufeinander zu;
wenn die eine Zelle als Ei unbeweglich geworden ist, so wird die wechsel-
seitige Anziehung sich in der Bewegungsrichtung des Samenfadens be-
sonders bemerkbar machen. Aber auch nach der Verschmelzung der
beiden Zellen wirkt die sexuelle Affinität noch weiter und äussert sich in
der Anziehung, welche Ei- und Samenkern, mit ihren Centralkörperchen
auf einander ausüben und zu den früher beschriebenen Aneinanrlerlage-
rungen und Verschmelzungen führen.
Es bleibt nun zweierlei in diesem Abschnitt an Beispielen zu be-
weisen, erstens, dass zwischen befruchtungsbedürftigen Zellen überhaupt
Wechselwirkungen bestehen, welche mit dem Namen sexuelle Affinität
bezeichnet werden können, und zweitens, dass diese Affinität nur zwischen
Zellen bestimmter Art in Wirksamkeit tritt, woran sich die Frage schliesst,
welcher Art die befruchtungsbedürftigen Zellen sein müssen.
a) Die sexuelle Ajffinität im Allgemeinen.
Dass Geschlechtszellen auf eine gewisse Entfernung hin eine deutlich
nachweisbare, eigenartige Einwirkung aufeinander ausüben, geht aus
zahlreichen Mittheilungen zuverlässiger Beobachter hervor. Ich be-
schränke mich auf einige besonders lehrreiche Fälle, welche von Falkeu-
berg, de Bary, Engelmann, Juranyi, Fol beschrieben worden sind.
Falkenberg (VII. 10) hat den Befruchtungsvorgang an einer niederen
Algengattung Cutleria verfolgt. Zu empfängnissfähigen, zur Ruhe ge-
kommenen Eiern von Cutleria adspersa setzte er lebhaft schwärmende
Samenfäden von der nahe verwandten und äusserlich nur durch geringe
Differenzen unterscheidbaren Cutleria nmltifida hinzu. „In solchen Fällen
sah man die Spermatozoiden unter dem Mikroskop ziellos umherirren
und endlich absterben, ohne an den Eiern der verwandten Algenspecies
den Befruchtungsakt vollzogen zu haben. Freilich blieben einzelne Sper-
matozoiden, welche zufällig auf die ruhenden Eier stiessen, momentan
an diesen hängen, aber nur um sich eben so schnell wieder von ihnen
loszureissen. Ganz anders aber wurde das Bild unter dem Mikroskop,
sobald man auf derartigen Präparaten den Spermatozoiden auch nur ein
einziges befruchtungsfähiges Ei der gleichen Species hinzusetzte. Wenige
Augenblicke genügten, um sämmtliche Spermatozoiden von allen Seiten
her um dies eine Ei zu versammeln, selbst wenn dasselbe mehrere
Centimeter von der Hauptmasse der Spermatozoiden entfernt lag." Dabei
überwanden sie selbst die Kraft, welche sie sonst dem einfallenden Licht
entgegenführt und wurden befähigt, die dem Lichteinfall entgegengesetzte
Richtung einzuschlagen.
Falkenberg zieht aus seinen Beobachtungen den Schluss, dass die
Anziehungskraft zwischen den Eiern und Spermatozoiden von Cutleria
sich auf verhältnissmässig bedeutende Distanzen geltend macht und in
ihnen selbst ihren Sitz haben muss, dass auf der anderen Seite aber
diese Anziehungskraft nur zwischen den Geschlechtszellen derselben
Species existirt.
Bei Untersuchung der geschlechtlichen Fortpflanzung von Perono-
sporeen hat de Bary (VII. 2 b) beobachtet, dass in durcheinander ge-
wachsenen Thallusfäden sich zunächst die Oogonien anlegen. Etwas später
Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. 16
242 Siebentes Cajiitel.
entstehen die Antheridien, aber stets nur in unmittelbarer Xac]il)arsehaft
der Eizelle und zwar sehr häufig aus Thiillusfäden, die mit dem Faden,
aus dem das Oogonium abstammt, selbst keinen Zusammenhang haben.
De Bary schliesst hieraus, dass vom Oogonium auf eine geringe Distanz
eine Wirkung ausgehen müsse, durch welche der Thallusfaden zur Bildung'
eines Antheridiums veranlasst werden müsse. Besonders alier erblickt
er eine Fernwirkung darin, dass der das Antheridium liefernde Schlauch
bei seiner Annäherung an das Oogonium von seiner Wachsthumsrichtung
abgelenkt wird, sich mit seinem Ende ihm zuneigt und sich ihm dann
dicht anlegt. De Bary schätzt die Distanz, in welcher das Oogonium ab-
lenkend wirkt, auf ungefähr die Grösse des Oogoniumdurchmessers und
bemerkt dazu: „Die beschriebene Ablenkung der Nebenäste lässt sich
auf keine andere als in den besonderen Eigenschaften des Oogoniums
selbst gelegene Ursache zurückfüjiren".
Nicht minder interessant und bemerkenswerth sind die Angaben, die
Engelmann (VII. 9) über die Conjugation von Vorticella mikrostoma
gemacht hat Bei dieser Art bilden sich durch Knospung (siehe Seite 183)
kleine, männliche Schwärmzellen, die dann wie Samenfäden die grossen
weiblichen Individuen befruchten (Seite 217). In vier Versuchen glückte
es Engelmann, die Knospe nach ihrer Abtrennung von der Mutterzelle
zu verfolgen, bis sie sich mit einem anderen Individuum verbunden hatte.
„Anfangs schwärmte die Knospe", so lautet die Darstellung von
Engelmann, „mit ziemlich constanter Geschwindigkeit (etwa 0,6 — 1 mm
in der Secunde) und immer um ihre Längsaxe rotirend, meist in ziemlich
gerader Richtung durch den Tropfen. Dies dauerte 5—10 Minuten oder
noch länger, olme dass etwas Besonderes geschehen wäre. Dann änderte
sich plötzlich die Scene. Zufällig in die Nähe einer festsitzenden Vorti-
celle gerathen, änderte die Knospe, zuweilen Avie mit einem Ruck, ihre
Richtung und nahte nun, tanzend wie ein Schmetterling, der um eine
Blume spielt, der Vorticelle, glitt wie tastend und dabei immer um die
eigene Längsaxe rotii-end auf ihr hin und her. Nachdem dies Spiel
minutenlang gedauert hatte, auch wohl naclieinander bei verschiedenen
festsitzenden Individuen wiederholt worden war, setzte sich die Knospe
endlich fest, und zwar meist am al)oralen Ende, nahe dem Stiel. Nach
wenigen Minuten war die Verschmelzung schon merkbar im Gange."
„Ein in physiologischer und speciell psychophysiologischer Beziehung
noch merkwürdigeres Schauspiel," bemerkt Engelmann im Anschluss an
die oben gegebene Schilderung, „beobachtete ich ein anderes Mal. Eine
frei schwärmende Knospe kreuzte die Bahn einer mit grosser Geschwindig-
keit durch den Tropfen jagenden, grossen Vorticelle, die auf die gewöhn-
liche Weise ihren Stiel verlassen hatte. Im Augenlilicke der Begeg-
nung — Berührung fand inzwischen durchaus nicht statt — änderte die
Knospe plötzlich ihre Richtung und folgte der Vorticelle mit sehr grosser
Geschwindigkeit. Es entwickelte sich eine förmliche Jagd . die etwa
5 Secunden dauerte. Die Knospe blieb während dieser Zeit nur etwa
^15 mm hinter der Vorticelle, holte sie jedoch nicht ein, sondern verlor
sie, als dieselbe eine plötzliche Seitenschwenkung machte. Hierauf setzte
die Knospe mit der anfänglichen , geringeren Geschwindigkeit ihren
eigenen Weg fort."
Eine Einwirkung auf Distanz ist auch liei den Thieren durch Fol
(VI 19 a) und zwar an Seesterneiern beobachtet worden. Dieselben sind
von einer dünnen Gallerthülle umgeben. Sowie neue Samenfäden der-
selben Art sich der Obeiüäche der Gallerte nähern, übt der am weitesten
\'. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung.
243
vorgedrungene eine deutlich wahrnehmbare Einwirkung auf den Dotter
aus (Fig. 160). Die hyaline Rindenschicht desselben erhebt sich als ein
kleiner Fortsatz und streckt sich als Empfängnisshügel (cone d'attraction)
dem Samenfaden entgegen. Bald ist er zart und in Form einer Nadel
oder einer Zunge ausgezogen, ])ald ist er breit und kurz. Wenn die
Berührung mit dem Samenfaden hergestellt ist, wird der Empfängniss-
hügel eingezogen.
Fol hält die Beobachtung für ganz sicher und bemerkt zu ihr:
„Wenn die Thatsache selbst, dass der Samenfaden auf den Dotter, von
welchem er noch durch einen relativ beträchtlichen Zwischenraum ge-
trennt ist, eine Wirkung ausübt, unbestritten ist, so ist doch der Mecha-
nismus dieser Fernwirkung (Action ä distance) nichts weniger als klar."
B
^
Q
c
Fig. 160. A, B, C Kleinere Abschnitte von Eiern von Asterias glacialis
nach Fol.
Die Samenfäden sind bereits in die Schleimhülle, welche die Eier überzieht, ein-
gedrungen. In A beginnt sich eine Vorragung gegen den am weitesten vorgedrungenen
Samenfaden zu erheben. In B sind Vorragung und Samenfaden zusammengetroffen.
In C ist der Samenfaden in das Ei eingedrungen. Es hat sich jetzt eine Dottermembran
mit einer kraterförmigen Oeffnung ausgebildet.
Ich beschränke mich auf die angeführten Beobachtungen, deren Zahl
sich leicht vermehren liesse, und füge noch folgende Worte des Bo-
tanikers Sachs (IL 33) hinzu:
„Zu den überraschendsten Thatsachen im Bereich der Befruchtungs-
vorgänge gehört die Fernwirkung oder gegenseitige Anziehung der beiden
Sexualzellen aufeinander. Ich wähle diesen Ausdruck für die näher zu
beschreibenden Thatsachen, weil er kurz ist und den Sachverhalt wenig-
stens bildlich klar bezeichnet; mit den Worten Fern Wirkung und An-
ziehung soll aber zunächst nicht gerade der in der Physik damit ver-
bundene Sinn verstanden sein." „In den zahlreichen iBeschreibungen,
welche die Beobachter von dem Verhalten der Samenfäden in der Nähe
der Eizelle, der schwärmenden Gameten und der Antheridien in der
Nachbarschaft der Oosonien geben, begegnet man ausnahmslos den be-
stimmtesten Ausdrücken dafür, dass irgend eine gewisse Einwirkung der
Sexualzellen auf eine gewisse Entfernung hin sich geltend macht und
zwar immer in dem Sinne, dass dadurch die Vereinigung beider herbei-
geführt oder begünstigt wird. Dieser Vorgang ist um so merkwürdiger,
als unmittelbar nach stattgeliabter Befruchtung diese gegenseitige An-
ziehung verschwunden ist."
Man wird sich naturgemäss die Frage vorlegen, welcher Art Kräfte
denn bei den geschilderten Erscheinungen zur Erklärung dienen können.
244 Siebentes Capitel.
Pfeffer hat auf Grund der früher besprochenen Experimente (Seite 97)
die Ansicht ausgesprochen, dass bei den von ihm geprüften Objecten die
Samenfäden durch chemische Substanzen, welche die Eizelle ausscheidet,
zu dieser hingelockt werden. Man muss sich hüten, diesen Beobachtungen
eine zu weittragende Bedeutung l)eizulegen, was der Fall sein würde,
wenn man mit ihnen die Vereinigung zweier Geschlechtszellen glaubte
erklären zu können. Nach meiner Ansicht können die chemischen Sub-
stanzen , welche von den Eizellen ausgeschieden werden , nur unter-
geordnete Hülfsmittel bei der Befruchtung sein, welche etwa eine ähn-
liche Rolle spielen, wie die Schleim- und Gallerthüllen mancher Eier,
durch welche die Samenfäden festgehalten werden. Dagegen können sie
zur Erklärung der unmittelbaren Vereinigung der Geschlechtszellen selbst,
also zur Erklärung des eigentlichen Befruchtungsvorgangs, nichts bei-
tragen. Es geht dies schon aus einer einfachen Erwägung hervor. Nach
den Untersuchungen von Pfeffer wird Aepfelsäure von den Archegonien
der verschiedensten Farne ausgeschieden. Trotzdem verschmelzen nur
die Samenfäden derselben Art mit der Eizelle, während Samenfäden einer
andern Art gewöhnlich die Befruchtung nicht ausführen können. Hier
liegen demnach Beziehungen der Geschlechtsproducte zu einander vor,
welche sich nicht durch Reizwirkung ausgeschiedener, chemischer Stoffe
erklären lassen. Dasselbe gilt von der Vereinigung schwärmender Ga-
meten, von der Bildung des Empfängnisshügels thierischer Eier, von
dem Entgegenwandern des Ei- und Samenkerns.
Nägeli (IX. 20) spricht die Vermuthung aus, dass der geschlecht-
lichen Anziehung elektrische Kräfte zu Grunde liegen möchten, was mir
schon eine weiter reichende Erklärung zu sein scheint. So lange aber
ein Beweis dafür nicht erbracht ist, wird es richtiger sein, die geschlecht-
lichen Erscheinungen allgemein auf die Wechselwirkungen zweier etwas
verschiedenartig organisirter Protoplasmakörper zurückzuführen und diese
Wechselwirkungen als sexuelle Affinität zu bezeichnen. Wir müssen uns
noch mit einem solchen allgemeinen Ausdruck bescheiden, da wir die in
Wirkung tretenden Kräfte nicht genauer analysiren können. Vermuthlich
handelt es sich hier nicht um eine einfache, sondern um eine sehr zu-
sammengesetzte Erscheinung.
Es wird uns dies nocb klarer werden, wenn wir jetzt den zweiten
Punkt untersuchen : Welcher Art die befruchtungsbedürftigen Zellen sind,
wenn zwischen ihnen eine sexuelle Affinität besteht.
b) Die sexuelle Affinität im Einzelnen und die ver-
schiedenen Abstufungen derselben.
Die Möglichkeit und der Erfolg einer Befruchtung
wird wesentlich mit bestimmt von dem Verwandtschafts-
grad, in welchem die Geschlechtszellen zu einander
stehen. Da aber der Verwandtschaftsgrad auch der Ausdruck für eine
grössere oder geringere Aehnlichkeit in ihrer Organisation ist, so würden
damit Unterschiede in der Organisation das Ausschlag-
gebende sein.
Die Verwandtschaftsgrade zwischen zwei Zellen können ausserordent-
lich abgestufte sein. Die Verwandtschaft ist am engsten, wenn die beiden
für Befruchtung bestimmten Zellen unmittelbar von ein und derselben
Mutterzelle abstammen; sie wird eine entferntere, wenn aus der Mutter-
zelle viele Zellgenerationen hervorgegangen sind, von deren Endproducten
V. Die Erscheinungen und das "Wesen der Befruchtung. 245
erst Geschlechtszellen erzeugt werden. Auch hier sind wieder Unter-
fälle näherer und entfernterer Verwandtschaft möglich. Wenn wir als
Beispiel eine höhere Blüthenpflanze wählen, so können die männlichen
und weiblichen Geschlechtszellen von ein und demselben Geschlechts-
apparat, also von einer Blüthe, oder aber von verschiedenen Blüthen
desselben Sprosses oder endlich verschiedener Sprosse abstammen, womit
drei verschiedene Verwandtschaftsgrade gegeben sind. Bei zwitterigen
Thieren können sie ein und demselben Individuum angehören, bei Thier-
stöcken entweder demselben Individuum oder verschiedenen Individuen
desselben Stockes.
Noch mehr erweitert sich der Grad der Verwandtschaft, wenn die
Geschlechtsproducte von zwei verschiedenen Individuen ein und der-
selben Art abstammen. Auch in diesem Falle ergeben sich wieder viele
Verwandtschaftsgrade, je nachdem die beiden zeugenden Individuen Ab-
kömndinge eines gemeinsamen Elternpaares sind oder in entfernterer,
noch nachweisbarer oder überhaupt in keiner mehr erkennbaren Bluts-
verwandtschaft zu einander stehen. Daran schliessen sich die Ver-
mischungen der Geschlechtsproducte zweier Eltern, die sich in ihrer
Organisation so weit voneinander unterscheiden, dass sie entweder als
Varietäten und Ra(;en einer Art oder als Angehörige verschiedener
Arten oder gar verschiedener Gattungen vom Systematiker bezeichnet
werden.
Die zahllosen Möglichkeiten, welche uns die eben aufgestellte Reihe
darbietet, ordnet man gewöhnlich in drei Gruppen zusammen, indem man
1) von Selbstbefruchtung und Inzucht, 2) von Normalbefruchtung und
3) von Bastardbefruchtung redet. Meist ist aber viel Willkür mit der
Art und Weise verbunden, wie man die einzelnen Fälle unter die drei
Gruppen unterordnet. Denn es fehlt an einem Maass, nach welchem
man in einer für das ganze Organismenreich gültigen Weise das Ver-
wandtschaftsverhältniss der Geschlechtszellen bestimmen könnte.
Ein Ueberblick über das Thatsachenmaterial wird uns lehren, dass
sowohl zu nahe als auch zu enge Verwandtschaft der Fortpflanzungs-
zellen — wobei ich den Ausdmck Verwandtschaft im weitesten Sinne
fasse — die geschlechtliche Affinität entweder beeinträchtigt oder ganz
aufhebt. Daher bewegt sich im Allgemeinen die Möglichkeit der Be-
fruchtung auf einem mittleren Gebiet, welches für einzelne Arten bald
weiter bald enger ist.
Auch hier wird sich zeigen, dass äussere Einwirkungen die geschlecht-
liche Affinität umzustimmen im Stande sind. Wir besprechen zuerst die
Selbstbefruchtung, dann die Bastardbefruchtung, zuletzt die Beeinflussung
derselben durch äussere Eingriffe.
«) Die Selbstbefruchtung.
Die Selbstbefruchtung liefert uns sehr verschiedenartige Ergebnisse.
In manchen Fällen besteht keine geschlechtliche Affinität zwischen
befruchtungsbedürftigen Zellen, die in einem nahen Verwand tschaftsver-
hältniss zu einander stehen, sei es, dass sie in directer oder entfernterer
Weise von einer gemeinsamen Mutterzelle oder von einem und demselben
höher differenzirten, vielzelligen Mutterorganismus erzeugt worden sind.
Niedere Algen, Infusorien, phanerogame Pflanzen, zwitterige Thiere liefern
uns hierfür eine Anzahl Belege.
Bei Acetabularia findet die geschlechtliche Fortpflanzung in der Weise
246 Siebentes Capitel.
Statt, (lass Schwärnisporen in grösserer Anzahl aus dem Inhalt von Dauer-
sporen erzeugt werden. Eine Copulation zwischen zwei Schwär-
mern tritt aber nur dann ein, wenn sie, wie Strasburger und
de Bary berichtet haben, von zwei verschiedenen Dauersporen
abstammen, während die aus einer und derselben Dauer-
spore erzeugten einander ausweichen.
„Ich sah um die Mittagstunde," berichtet Strasburger (VII. 38),
„zwei benachbarte, durchaus nicht voneinander unterscheidhare Sporen
sich unter meinen Augen öffnen und die Schwärmer beider in gerader
Richtung dem Fensterrande des Tropfens zueilen. Hier bot sich alsbald
ein von dem gewöhnlichen durchaus verschiedener Anblick dar. Während
ich nämlich sonst die Schwärmer einer und derselben Spore in gleich-
massiger Vertheilung sich sichtlich ausweichen sah, bildeten sich jetzt
alsbald Copulationsknoten, wenn ich so sagen darf, nämlich haufenweise
Ansammlungen, in welche sich die einzelnen Schwärmer gleichsam hinein-
stürzten. Solchen Copulationscentren sieht man nun immer neue Paare
vereinter Schwärmer enteilen."
Bei seinen Infusorienstudien hat Maupas (VII. 30) durch mehrere
hundert Experimente für vier verschiedene Arten (Leucophrys, Onycho-
(Iromus, Stylonichia, Loxophyllum) festgestellt, dass auch in der Zeit
der Befruchtungsbedürftigkeit Copulationen nur stattfinden, wenn Indi-
viduen verschiedener Generationscyklen zusammengebracht werden.
„In zahlreichen Präparaten nahe verwandter und nicht gemischter
Individuen," bemerkt Maupas, „endete das Fasten, welchem ich sie
unterw^arf, entweder mit Encystirung oder mit dem Tod durch Hunger.
Nur zu einer Zeit, wo schon senile Degeneration in den Culturen um
sich zu greifen begonnen hatte, sah ich Conjugationen nahe verwandter
Individuen in Versuchspräparaten eintreten. Aber alle Conjugationen
der Art endeten mit dem Untergang der gepaarten Infusorien, welche
nach ihrer Vereinigung nicht im Stande waren, ihre Entwicklung fortzu-
setzen und sich zu reorganisiren. Derartige Paarungen sind daher patho-
logische Phänomene, hervorgerufen durch senile Degeneration."
Maupas glaubt daher auch für die Infusorien eine ge-
kreuzte Befruchtung zwischen Individuen verschiedenen
Ursprungs annehmen zu müssen.
Auch bei phanerogamen Pflanzen ist für einzelne Fälle
die Wirkungslosigkeit der Selbstbefruchtung nachge-
wiesen worden. So berichtet Hildebraudt (VII. 24 Seite Q6) von
Corydalis cava:
„Wenn die Blüthen dieser Pflanze, bei welchen die geöffneten An-
theren der Narben eng anliegen, vor Insektenbefruchtung ganz geschützt
werden, bildet sich aus ihnen niemals eine Frucht; dass hier nicht etwa
der Umstand an der Fruchtlosigkeit Schuld ist, dass vielleicht doch der
Pollen nicht an die empfängliche Stelle der Narbe komme, geht daraus
hervor, dass auch solche Blüthen, deren Narben rings mit dem Pollen
der umgebenden Antheren bewischt wurden, dennoch keine Frucht an-
setzten. Zu einer vollständigen Fruchtbildung kommen die Blüthen nur
dann, wenn man den Pollen von den Blüthen der einen Pflanze auf die
Narbe der Blüthen einer anderen bringt; zwar entstehen auch Früchte,
wenn die Blüthen einer und derselben Traube miteinander gekreuzt
werden, aber diese enthalten bedeutend weniger Samen und kommen
nicht immer zur vollständigen Ausbildung".
Ebenso ist die Erfolglosigkeit der Selbstbefruchtung noch für einige
V. Die Erscheinungen luul das Wesen der Bofruclitung. 247
andere Ptianzen, einzelne Arten von Orchideen, Malvaceen, Reseda, Lobelia,
Verbascum beobachtet worden.
Ueber das Verhalten bei zwitterigen Thieren liegen leider noch keine
ausgedehnteren Versuche vor. Diesell;)en würden auch mit bedeutenden
Schwierigkeiten verbunden sein. Sollten sich nicht hier gleichfalls Fälle
finden lassen, in denen zwischen Eiern und Samenfäden desselben Indi-
viduums, wenn sie künstlicli zusammengebracht werden, keine Befruchtung
erfolgt? Bei den Schnecken z. B. muss dies der Fall sein.
Den angeführten Beispielen stehen andere gegenüber, die zeigen,
dass zwischen sehr nahe verwandten Geschlechtszellen sowohl volle
sexuelle Affinität besteht, als auch normale Entwicklung bei Selbst-
befruchtung eintritt.
So können bei einzelnen Conjugaten (Rhynchonema) Schwester-
zellen miteinander copuliren oder Zellen, welche wie bei Spirogyra,
ein und demselben Faden ongehören. (Siehe Seite 227.)
Bei manchen Phanerogamen lassen sich die Eizellen mit dem Pollen
derselben Blüthe nicht nur befruchten, sondern liefern auch kräftige
Pflanzen, und zwar lässt sich diese Inzucht viele Generationen hindurch
mit gleich günstigem Erfolg fortsetzen.
Zwischen beiden Extremen, dem Mangel jeder sexuellen Affinität
und dem vollen Bestand einer solchen bei nahe verwandten Geschlechts-
zellen kommen Abstufungen vor.
Von den zahlreichen, in einem Fruchtknoten eingeschlossenen Eizellen
entwickeln sich bei künstlich vorgenommener Selbstbefruchtung mit dem
Pollen derselben Blüthe nur einzelne und werden zu reifen Samenkörnern.
Es lässt sich hieraus schliessen, dass sich die einzelnen Eizellen in ihren
Affinitäten etwas verschieden verhalten, dass einige sich befruchten
lassen mit dem eigenen Pollen, andere nicht, Differenzen, die uns in ähn-
licher Weise auch bei der Bastardbefruchtung wieder begegnen werden.
Endlich scheint auch der Fall eintreten zu können, dass zunächst
zwar die Eizellen befruchtet werden, auch sich zu entwickeln beginnen,
dann aber frühzeitig absterben. Hierauf möchte ich die Erscheinung
zurückführen, dass manche Blüthen, bei denen man die Selbstbefruchtung
künstlich auszuführen sucht, rascher verwelken, als wenn der Versuch
nicht gemacht wird, und dass dabei die Blüthen gewisser Orchideen
schwarz und nekrotisch werden. Wahrscheinlich ist dies eine Folge vom
frühzeitigen Absterben und Zerfall der in Entwicklung begriffenen Embry-
onen (Darwin VII. 8).
Die aus Selbstbefruchtung erzielten Samen liefern häufig nur schwäch-
liche Pflanzen, die in ihrer Constitution irgend einen Nachtheil zeigen;
auch sind die Samenkörner selbst häufig unvollkommen entwickelt.
Aus den Thatsacheu, dass bei vielen Organismen sich nahe ver-
wandte Geschlechtszellen überhaupt nicht verbinden, dass bei anderen,
wenn Befruchtung zu Stande kommt, der Embryo bald in seiner Ent-
wicklung gehemmt wird und abstirbt, dass endlich häufig, auch wenn die
Entwicklung ungestört verläuft, doch die so erzeugten Organismen
schwächlich ausfallen, lässt sich der allgemeine Schliiss ziehen, dass Selbst-
befruchtung im Grossen und Ganzen ungünstig wirkt. Wenn in einzelnen
Fällen eine ungünstige Wirkung nicht zu verspüren ist, so wird durch
solche Ausnahmen die Richtigkeit dieses Satzes ebenso wenig aufgehoben,
als aus dem Vorkommen von Parthenogenese sich ein Einwand gegen
die Ansicht, dass ein grosser Vortheil mit der Befruchtung verbunden
sein muss, erheben lässt.
248 Siebentes Capitel.
Dass der Selbstbefruchtung irgend etwas Schädliches auliaften niuss,
lässt sich indirect auch aus einem Uel)erblick über das Organismen-
reich erschliessen , welches uns, um mit Darwin (VII. 8) zu reden,
in eindringlicher Weise lehrt, dass die Natur beständige Selbstbefruch-
tung verabscheut. Denn überall sehen wir oft ausserordentlich complicirte
Einrichtungen getroffen, um Selbstbefruchtung in dieser oder jener Weise
zu verhüten.
Solche Einrichtungen sind: 1) die Vertheilung der Geschlechter auf
zwei verschiedene Individuen, so dass das eine nur weibliche, das andere
nur männliche Geschlechtszellen zu erzeugen im Stande ist, 2) die
wechselseitige Befruchtung zwitteriger Thiere, 3) die ungleiche Reifezeit
von Eiern und Samenfäden bei Pyrosomen, manchen Mollusken etc.,
4) die von Koelreuter, Sprengel, Darwin (VII. 8), Hildebrandt (VII. 24),
H. Müller (VII. 49) u. A. entdeckten Eigenthümlichkeiten in der Organi-
sation der Zwitterblüthen der Phanerogamen, die Dichogamie, Hetero-
stylie, die vermittelnde Rolle der Insekten, welche den Pollen von einer
Blüthe auf die andere übertragen und dadurch Kreuzung hervorrufen.
Namentlich bei den Blüthenpflanzen sind zur Verhütung von Selbst-
befruchtung die Vorkehrungen so vielseitige und springen oft so deutlich
in die Augen, dass schon Sprengel in seinem grundlegenden Buch:
„Das entdeckte Geheimniss der Natur, die Befruchtung der Blumen durch
Insekten" sagen konnte: „Die Natur scheint es nicht haben zu wollen,
dass irgend eine Zwitterblume durch ihren eigenen Staub befruchtet
werde."
ß) Die Bastardbefrachtung.
Das Gegenstück zur Selbstbefruchtung und zur In-
zucht bildet die B a s t a r d z e u g u n g. Darunter versteht man die
Verbindung der Geschlechtsproducte von Individuen, die in ihrer Organi-
sation solche Verschiedenheiten zeigen, dass sie vom Systematiker zu ver-
schiedenen Varietäten und Ragen einer Art oder zu verschiedenen Arten
und Gattungen gerechnet werden.
Im Allgemeinen ist der Grundsatz festzuhalten, dass die Gesclilechts-
producte von Individuen, die im System sehr weit auseinander stehen,
sich nicht miteinander verbinden lassen. Jeder wird es von vorn herein
für unmöglich halten, dass sich das Ei eines Säugethieres mit dem Samen
eines Fisches befruchten lasse oder das Ei eines Kirschbaums durch den
Pollen einer Conifere. Je näher sich aber die verschiedenen Individuen
im System stehen, sei es, dass sie nur verschiedenen Familien oder Arten
angehören oder selbst nur Varietäten einer Art sind, um so unmöglicher
wird es a priori das Ergebniss der Befruchtung vorauszusagen; nur das
Experiment kann uns darüber Gewissheit verschaffen, und dieses lehrt
uns, dass die einzelnen Arten im Thier- und Pflanzenreich
sich gegen Bastardbefruchtung nicht immer gleich ver-
halten, dass manchmal Individuen, die sich in ihrer Form
bis auf geringfügige Merkmale gleichen, sich nicht kreu-
zen lassen, während wieder ab und zu zwischen anderen,
mehr ungleichartigen Individuen Kreuzung möglich ist.
Mit einem Wort: die geschlechtliche Affinität geht nicht immer
parallel zu dem Maass der äussern Aehnlichkeit, welche zwischen einzel-
nen Pflanzen und einzelnen Thieren wahrgenommen wird.
Bei so geringfügigen Unterschieden, wie sie zwischen Anagallis
arvensis und A. coerulea bestehen, die wesentlich nur durch die Farbe
V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung. 249
ihrer Blüthen unterschieden sind, ist eine Kreuzung zwischen beiden
trotzdem ohne Erfolg. Von Apfel- und Birnl^auni, von Prinuila officinalis
und Pr. elatior hat man noch keine Bastarde erhalten, wählend man
auf der anderen Seite zwischen Arten, die verschiedenen Gattungen ange-
hören, wie zwischen Lychnis und Silene, Rhododendron und Azaleen etc.
Kreuzungen mit Erfolg ausgeführt hat.
„In noch auffallenderer Weise," bemerkt Sachs, „wird die Verschieden-
heit der sexuellen Affinität und systematischen Verwandtschaft dadurch
bewiesen, dass zuweilen die Varietäten derselben Species unter sich ganz
oder theilweise unfruchtbar sind , z. B. Silene inflata var. alpina mit
var. angustifolia , var. latifolia mit var. litoralis u. A."
Im Thier- und Pflanzenreich giebt es einzelne Gattungen, deren Arten
sich leichter kreuzen lassen, während Arten anderer Gattungen allen
Versuchen hartnäckigen Widerstand entgegensetzen. Im Pflanzenreich
geben Liliaceen, Ptosaceen, Saliceen, im Thierreich die Forellen und
Karpfenarten, die Finkenarten etc. leicht Bastarde. Hunderacen, die sich
im Körperbau so ausserordentlich unterscheiden wie Dachs- und Jagdhund,
Seidenpinscher und Bernhardshund erzeugen miteinander Mischformen.
Wie unberechenbar für uns die Factoren sind, um welche es sich
bei der Bastardbefruchtung handelt, gelit nicht minder klar aus der sehr
häufig zu beobachtenden Erscheinung hervor, dass die Eier einer Art A
sich zwar mit dem Samen einer Art B befruchten lassen, nicht aber
umgekehrt die Eier von B mit dem Samen von A. In der einen Richtung
besteht also geschlechtliche Affinität zwischen den Geschlechtszellen
zweier Arten, in der anderen Riclitung aber fehlt sie. Der Ausschlag
gebende Factor scheint mir übrigens hierbei in der Organisation des
Eies zu suchen zu sein, was sich aus später mitzutheilenden Experi-
menten schliessen lässt.
Einige Beispiele für solche einseitige Kreuzung seien hier angeführt:
Eier von Fucus vesiculosus lassen sich mit Samen von Fucus serratus
befruchten, aber nicht umgekehrt. Mirabilis Jalappe giebt mit dem
Pollen von Mirabilis longiflora befruchtet Samen, Avährend die letztere
Art bei entgegengesetzter Kreuzung unfruchtbar bleibt.
Aehnliches findet sich häufig im Tliierreich, wo namentlich solche
Arten von Interesse sind, bei denen man künstliche Befruchtung durch
Vermischung der Geschlechtsproducte ausführen kann. So nahmen mein
Bruder und ich (VII. 20) Kreuzungen zwischen verschiedenen Echino-
dermenarten vor und fanden, dass, wenn Eier von Echinus mikrotuber-
culatus -mit Samen von Strongylocentrotus lividus vermischt werden, nach
wenigen Minuten überall Befruchtung eingetreten ist, indem sich die
Eihaut vom Dotter abhebt. Nach P'2 Stunden waren alle Eier in regel-
mässiger Weise zwTigetheilt. Am folgenden Tage hatten sich flimmernde
Keimblasen, am dritten Gastrulae entwickelt, am vierten Tage hatte sich
das Kalkskelet angelegt. Kreuzungen in entgegengesetzter Richtung
ergaben abweichende Resultate. Als in einem Uhrschälchen zu Eiern
von Strongylocentrotus lividus Samen von Echinus mikrotuberculatus
zugefügt wurde, hob sich die Eiliaut nur in sehr seltenen Fällen von
dem Dotter ab. Fast alle Eier blieben ganz unverändert. Nach zw'ei
Stunden war nur hie und da ein Ei zweigetheilt. Bei den ausserordentlich
wenigen, sich theilenden Eiern war die P^ihaut entweder nur ein w^enig
abgehoben, oder sie lag dem Dotter noch ziemlich dicht auf. Am anderen
Tag waren im Uhrschälchen einige wenige flimmernde Keimblaseu zu
bemerken, während die Hauptmasse der Eier noch ganz unverändert war.
250 Siebentes Capitel.
Ein äliiiliches Verliiiltniss beobachtete Pflüger (VII. 50) zwischen
Raua fusca und Rana eseulenta. Eier der ersten Art in Wasserextrakt
des Hodens von Rana eseulenta versenkt, blieben stets unbefruchtet. Als
jedoch Eier von Rana eseulenta mit Samen aus dem Hoden von Rana
fusca vermischt wurden, entwickelten sie sicli in regelrechter Weise mit
Ausnahme einzelner, die sich abnorm theilten; nachdem aber das
Blastulastadium erreicht war, starben sie auch wieder ohne Aus-
nahme ab.
Die weiteren Folgen der Bastardbefruchtung, wie sie sich später in
der Entwicklung des Kreuzungsproductes zu erkennen geben, liieten
vielfach Vergleichspunkte zu den Folgen der Selbstbefruchtung. Wenn
auch Befruchtung eintritt, sterben in vielen Fällen die Embryonen früh-
zeitig ab oder erhalten eine schwächliche Constitution.
Bei Kreuzung einzelner Echinodermen kommen die Larven nicht
über das Gastrula!^tadium hinaus. p]benso sah Pflüger die bastardirten
Eier (Rana fusca mit Samen von R. eseulenta) schon als Keimblasen ab-
sterben. Thierische Bastarde, wenn sie in das Alter der Geschlechtsreife
eintreten, sind gewöhnlich in ihren Zeugungsorganen geschwächt und
bleiben selbst unfruchtbar.
Aehnliches lehrt das Pflanzenreich durch noch zahlreichere Beispiele.
Zuweilen bilden sich in Folge der Bastardbefruchtung zwar Samen aus,
dieselben sind aber mangelhaft entwickelt und hie und da nicht keimungs-
fähig. Wenn Keimung eintritt, entwickeln sich die Pflänzchen bald
schwächlich, bald kräftig. ..Bastarde zwischen beträchtlich verschiedenen
Arten sind häufig sehr zart, insbesondere in der Jugend, so dass die
Aufzucht der Sämlinge schwer gelingt. Bastarde zwischen näher ver-
wandten Arten und Racen sind dagegen in der Regel ungemein üppig
und kräftig; sie zeichnen sich meistens durch Grösse, Schnellwüchsigkeit,
frühe Blüthenreile, Blüthenreichthum, längere Lebensdauer, starke Ver-
mehrungsfähigkeit, ungewöhnliche Grösse einzelner Organe, und ähnliche
Eigenschaften aus."
„Bastarde aus verschiedenen Arten bilden in ihren Antheren eine
geringere Zahl normaler Samen aus, als die Pflanzen reiner Abkunft;
häufig bringen sie weder Pollen noch Samen hervor. Bei Mischlingen
aus nahe verwandten Ragen ist diese Schwächung der sexuellen Repro-
duetionsfähigkeit in der Regel nicht vorhanden."
Im Allgemeinen gedeiht das B a s t a r d p r o d u c t um so
besser, je näher die systematische Verwandtschaft und
je grösser die geschlechtliche Affinität der Eltern ist.
In einzelnen Fällen kann es dann sogar besser gedeihen, als ein normal
befruchtetes Ei. So liefert Nicotiana rustica mit Pollen von N. Cali-
fornica gekreuzt eine Pflanze, die sich zur Höhe der Eltern wie 228 : 100
verhält (Hensen VII. 18).
y) Beeinflussung der geschlechtlichen Affinität durch äussere
Eingriffe.
Wir haben bisher in den Experimenten über Selbstbefruchtung und
Bastardbefruchtuug die geschlechtliche Affinität der Ei- und Samenzellen
schon als einen ausserordentlich unberechenbaren Factor kennen gelernt,
mit welchem eine Reihe der verschiedenartigsten Folgeerscheinungen —
Eintritt oder Nichteintritt der Befruchtung, frühzeitig gehemmte oder
geschwächte oder kräftige Entwicklung etc. — zusammenhängt. Die ge-
V. Die Ersclieiniuigcu und das Wesen der Befruchtung. 251
schlechtliche Affinität erweist sieh aber als ein noch conipHeirteres Phä-
nomen, da sich zeigen lässt, dass sie sich durch äussere p]ingriffe in
vielen Fällen beeinflussen lässt.
Höchst eigenthümliche Verhältnisse Hessen sich durch experimentelle
Untersuchungen über die Bedingungen der Bastardbefruchtung bei ein-
zelnen Echinodermen feststellen (VII. 20). Die unbefruchteten Eier sind
hüllenlos. Trotzdem tritt in der Regel keine Befruchtung ein, wenn Samen-
fäden nahe verwandter Arten, die in ihrer Form nicht zu unterscheiden
sind, hinzugefügt werden, obschon dieselben sich an die Oberfläche der
Eier ansetzen und bohrende Bewegungen ausführen. Der Nichteintritt der
Befruchtung kann hier nur dadurch erklärt werden, dass das Ei, wenn
ich so sagen darf, die ihm nicht adaequaten Samenfäden zurückweist.
Das ist nun aber nicht ausnahmslos der Fall. Bei Kreuzungen, die
zwischen Strongylocentrotus lividus und Sphaerechinus granularis vorge-
nommen wurden, kam unter Hunderten inmier eine bald kleinere, bald
grössere Anzahl von Eiern vor. die durch den fremden Samen befruchtet
wurden, während die grosse Mehrheit der Eier nicht reagirte. Die Eier
ein und desselben Thieres waren also verschieden voneinander, in ähn-
licher Weise wie zuweilen die Schwärmsporen ein und derselben Art auf
Licht verschieden reagiren können, indem einige den positiven Rand,
andere den negativen Rand aufsuchen und wieder andere zwischen beiden
hin- und herschwanken (siehe Seite 83). Wie die Schwärmsporen eine
verschiedene Lichtstimmung, so zeigen hier die Eier eines und
desselben Thieres eine verschiedene Geschlechtsstimmung, und, was noch
wunderbarer ist, diese Geschlechtsstimmung kann durch äussere Ein-
ffüsse in hohem Grade beeinflusst und abgeändert werden.
Das Verfahren ist ein sehr einfaches. Es lassen sich nämlich die
reifen Echinodermeneier nach ihrer Entleerung aus den Eierstöcken 24
bis 48 Stunden unbefruchtet in Meerwasser aufheben, ohne ihre Ent-
wicklungsfähigkeit zu verlieren. In dieser Zeit aber gehen Verände-
rungen in ihnen vor, die sich in ihrem Verhalten gegen fremden Samen
kund thun.
Bei den Experimenten wurden zwei verschiedene Methoden einge-
schlagen, von denen die eine als die Methode der successiven Nach-
befruchtung bezeichnet werden kann. Sie besteht darin, dass der Expe-
rimentator ein und dasselbe Ei-(^)uantum zu wiederholten Malen und zu
verschiedenen Zeiten mit fremdem Samen kreuzt. Dabei wurde das
wichtige Ergebniss gewonnen: Eier, welche gleich nach ihrer
Entleerung aus dem strotzend gefüllten Eierstock ba-
stardirt wurden, wiesen mit Ausnahme eines verschwin-
dend kleinen Bruchtheils den fremden Samen zurück,
aber nach 10, 20 oder 30 Stunden, bei der zweiten,
dritten oder vierten Nachbefruchtung hatte eine immer
grössere Anzahl von Eiern ein dem früheren entgegen-
gesetztes Verhalten angenommen, indem sie sich bastar-
diren Hessen und eine Zeit lang auch völlig normal wei-
ter entwickelten. Das Resultat fiel immer in derselben Weise aus,
mochten die Eier von Strongylocentrotus lividus mit Samen von Sphäre-
chinus granularis oder von Echinus mikrotuberculatus, oder mochten die
Eier von Sphärechinus granularis mit Samen von Strongylocentrotus lividus
gekreuzt werden.
Das Gelingen oder Nichtgelingen der Bastardirung lässt sich in
252 Siebentes Capitel.
diesen Fällen niclit auf eine Verschiedenheit des Samens zurückführen,
da derselbe jedesmal neu aus dem strotzend liefüllten Hoden entnonmien
wurde und daher bei den Versuchen als ein relativ constant bleibender
Factor angesehen werden konnte. Hier ist es über jeden Zweifel er-
haben, dass sich allein die Eizelle in ihrem Verhalten gegen die Einwir-
kung des fremden Samens verändert hatte.
Wenn aber überhaupt in der Eizelle Veränderungen eintreten oder
künstlich hervorgerufen werden können, durch welche die Bastardirung
gelingt, dann nuiss es vom theoretischen Standpunkt aus auch möglich
sein, die Geschlechtsproducte zweier Arten, zwischen denen ein gewisser
Grad sexueller Affinität besteht, fast ohne Zurückbleiben eines unbe-
fruchteten Restes zu bastardiren. Mau wird dann je nach den Bedin-
gungen, unter denen man die Geschlechtsproducte zusammenbringt, ein
Minimum und ein Optimum der Bastardirung gewinnen können.
Um diese Verhältnisse festzustellen, nimmt man die Experimente
am besten in der Weise vor, dass man das Eimaterial eines Weibchens
in mehrere Portionen theilt und zu verschiedenen Zeiten befruchtet. Stets
erhält man hier den geringsten Prozentsatz von Bastarden, wenn den
Eiern gleich nach der Entleerung aus den Ovarien der fremde Samen
zugesetzt wird. Je später die Befruchtung geschieht, sei es nach 5
oder 10 oder 20 oder 30 Stunden, um so mehr wächst der Prozentsatz
der bastardirten Eier, bis schliesslich ein Bastardirungsoptimum erreicht
wird. Als solches bezeichnet man das Stadium, in welchem sich bei
Zusatz fremden Samens das möglichst grösste Eiquantum in normaler
Weise entwickelt. Das Stadium ist von kurzer Dauer, da sich in den
Eiern für uns unsichtbare Veränderungen ohne Unterbrechung weiter ab-
spielen. Dann beginnt der Prozentsatz der in Folge der Bastardbefruch-
tung sich normal entwickelnden Eier wieder abzunehmen und zwar haupt-
sächlich deshalb, weil ein immer grösser werdender Theil in Folge des
Eindringens mehrerer Samenfäden sich ganz unregelmässig theilt und
missgebildet wird.
Die Erfolge, die man erhält, wenn das Eimaterial zu verschiedenen
Zeiten gekreuzt wird, kann man sich unter dem Bilde einer auf- und
absteigenden Curve darstellen, deren Höhepunkt durch das Bastardirungs-
optimum bezeichnet wird. Zur Veranschaulichung können die Ergebnisse
von Kreuzungen der Eier von Sphärechinus granularis mit Samen von
Strongylocentrotus lividus dienen. ^'4 Stunde nach Entleerung aus dem
Ovarium befruchtet entwickeln sich nur äusserst vereinzelte Eier (Bastar-
dirungsminimum). Nach 2^4 Stunden lassen sich 10 **/o, nach 6 ^i'i Stunden
schon etwa 60 *^/o und nach 10 V 4 Stunden fast alle Eier mit Ausnahme
von etwa 5 "/o befruchten, wobei sie sich meist in normaler Weise
weiter entwickeln (das Bastardirungsoptimum ist erreicht). Bei Befruch-
tung nach 25 Stunden entwickelt sich ein Theil normal, ein nicht unbe-
deutender Theil in unregelmässiger Weise in Folge von Mehrbefruchtung,
ein kleiner Rest bleibt unbefruchtet.
Aus den an Echinodermeneiern erhaltenen Resultaten scheint sich
mir eine Erklärung für die bekannte Thatsache zu bieten, dass domesti-
cirte Thier- und Pflanzenarten sich im Allgemeinen leichter kreuzen
lassen, als nahe verwandte Arten im Naturzustande. Durch die Domesti-
cation wird eben im Ganzen die Constitution verändert und biegsamer
gemacht. Dies äussert sich dann besonders an den Geschlechtsproducten,
indem der Generationsapparat bei allen Veränderungen im Körper in
Mitleidenschaft gezogen wird.
V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung. 253
Wie bei iler Bastardiruns, lässt sich auch he\ der Selbstbefruchtung
zeigen, dass die geschlechtliche Affinität sich durch äussere Eingriffe um-
stimmen lässt. Wie Darwin (VII. 8) mittheilt, ist Eschscholtzia californica
in Brasilien nicht selbstfruchtbar, nach England gebracht, wird sie es;
Samen von England nach Brasilien zurückgebracht, werden dort sehr
bald wieder für Selbstbefruchtung untauglich. Auch individuelle Ver-
schiedenheit zeigt sich hier in ähnlicher Weise. Gleichwie bei Echino-
dermen von Eiern eines Eierstocks einige sich mit fremdem Samen
kreuzen lassen, andere nicht, so hat sich durch das Experiment ergeben,
dass von Reseda odorata einige Individuen mit sich selbst fruchtbar sind,
andere nicht. Ebenso wird es auf ähnliche individuelle Unterschiede der
Eizellen einer Blüthe zurückzuführen sein, dass bei manchen Pflanzen
sowohl Selbstbefruchtung als auch Bastardbefruchtung immer nur viel
weniger Samen liefert als Normalbefruchtung. Eine gewisse Anzahl von
Eiern werden eben entweder den fremden Pollen gar nicht annehmen,
oder, wenn sie befruchtet werden, frühzeitig absterben.
J) Rückblick und Erklärungsversuche.
Wenn wir jetzt noch auf die im letzten Kapitel besprochenen Er-
scheinungen einen Rückblick werfen, so kann es keinem Zweifel unter-
liegen, dass in der Befruchtungsbedürftigkeit der Geschlechtszellen und
in der damit eng zusammenhängenden, geschlechtlichen Affinität ein ausser-
ordentlich complicirtes Phänomen des Lebens vorliegt. Die Factoren,
die hierbei maassgebend sind, entziehen sich unserer genauen Kenntniss-
nahme. Aber Vieles scheint darauf hinzudeuten, dass in geringen Ver-
schiedenheiten der molekularen Organisation die Bedingungen zu suchen
sein werden dafür, dass hier Eizellen sich parthenogenetisch, dort nur in
Folge der Verbindung mit einer Samenzelle zu entwickeln vermögen,
dass bald Selbstbefruchtung und Bastardbefruchtung gelingt, bald nicht,
dass die Eizellen ein und desselben Individuums sich oft bei Selbst- und
Bastard befruchtung verschieden verhalten, dass der Eintritt von Be-
fruchtungsbedürftigkeit und von Parthenogenese, das Gelingen von Selbst-
und Bastardbefruchtung durch äussere Eingriffe oft beeinflusst werden
können, dass das Gedeihen der Zeugungsproducte von der Art der Be-
fruchtung abhängig ist.
Lässt sich nun darüber eine Vermuthung aussprechen, wie die zum
Zweck der Befruchtung geeignete moleculare Organisation der Geschlechts-
zellen sein muss? Die Erscheinungen der Selbst- und Bastardbefruchtung
verglichen mit der Normalbefruchtung sind wohl im Stande, uns wenigstens
einen wichtigen Fingerzeig zu geben.
Wie aus den zahlreichen Beobachtungen wohl klar hervorgeht, wird
der Erfolg der Befruchtung wesentlich mit bestimmt durch das Ver-
wandtschaftsverhältniss, in welchem die weiblichen und männlichen
Geschlechtszellen zu einander stehen. Sowohl zu nahe, als zu entfernte
Verwandtschaft oder wie wir anstatt dessen auch sagen können, zu grosse
Aehnlichkeit oder zu grosse Verschiedenheit der Geschlechtsproducte
beeinträchtigen den Erfolg der Befruchtung. Er wird beeinträchtigt ent-
weder unmittelbar in der Weise , dass sich die Geschlechtszellen gar
nicht verbinden, da sie keine geschlechtliche Affinität zu einander äussern,
oder mittelbar dadurch, dass das Mischungsproduct beider, der aus der
Befruchtung hervorgehende Keim, nicht ordentlich entwicklungsfähig wird.
Letzteres äussert sich bald darin , dass schon nach den ersten Anfangs-
254 Siebentes Capitel.
Stadien der Kntwicldiing der Keim abstirbt, bald darin, dass ein aller-
dings le1)ensfähiges, aber schwächliches Product entsteht, bald darin, dass
das schwächliche Product durch Vernichtung seiner Reproductionsfähigkeit
zur Erhaltung der Art nicht taugt. Unter allen Fällen gedeiht
das Z e u g u n g s p r 0 d u c t am besten, wenn die zeugenden I n -
dividuenund in Folge dessen auch ihr e Geschlechtszellen
unbedeutend in ihrer Constitution oder Organisation von-
einander verschieden sind.
Es ist ein grosses Verdienst von Darwin ( VII. 8), durch ausgedehnte
Experimente und Studien uns eine Grundlage für diese Erkenntniss ver-
schafft und sie zuerst klar formulirt zu haben. Ich führe drei Sätze von
ihm an: „Kreuzung von Formen, welche unbedeutend verschiedenen
Lebensbedingungen ausgesetzt gewesen sind oder variirt haben, begünstigt
Lebenskraft und Fruchtbarkeit der Naddiommen, während grössere Ver-
änderungen oft nachtheilig sind." „Der blosse Akt der Kreuzung thut
an und für sich nicht gut, sondern das Gute hängt davon ab, dass die
Lidividuen, welche gekreuzt w^erden, unbedeutend in ihrer Constitution
voneinander verschieden sind und zwar in Folge davon, dass ihre Vor-
fahren mehrere Generationen hindurch unbedeutend verschiedenen Be-
dingungen oder dem, was wir spontane Abänderung nennen, ausgesetzt
gewiesen sind." Der Nutzen der Befruchtung besteht in der
„ V e r m i s c li u n g der unbedeutend verschiedenen physio-
logischen Elemente unbedeutend verschiedener Indi-
viduen."
Die Darwin'schen Erfahrungen hat Herbert Spencer (IX. 26) be-
nutzt, um auf molekularem Gebiet eine H} pothese von dem Wesen der
Befruchtung aufzubauen, die als ein vorläufiger Versuch erwähnt zu
werden verdient.
Spencer stellt gewissermaassen als ein Axiom den Satz auf, dass die
Befruchtungsbedürftigkeit der Geschlechtszellen darin besteht, dass „ihre
organischen Einheiten (Micellen) sich einem Gleichgewichtszustand ge-
nähert haben", und dass „ihre gegenseitigen AnziehunGen sie verhindern,
ihre Anordnung auf die Einwirkung äusserer Kräfte hin leicht zu ver-
ändern."
Wäre diese Annahme fester zu begründen, während sie augenblicklich
mir nur eine Möglichkeit zu sein scheint, so könnte man wohl ohne
Bedenken der Erklärung von Si)encer zustimmen: „Der Hauptzweck
der geschlechtlichen Zeugung ist, eine neue Entwicklung
durch Zerstörung des annähernden G leichgewichts herbei-
zuführen, auf welchem die Moleküle der elterlichen Or-
ganismen a n g e k 0 m m e n sin d. " Denn „wenn e i n e G r u p p e v o n
Einheiten des einen Organismus und eine Gruppe von
etwas verschiedenen Einheiten des anderen miteinander
vereinigt werden, wird das Streben nach dem Gleich-
gewichtszustand vermindert, und die vermischten Ein-
heiten werden in den Stand gesetzt sein, ihre Anordnung
durch die auf sie einwirkenden Kräfte leichter abändern
zulassen; sie werden soweit in Freiheit gesetzt sein, dass
sie nun jeder Andersvertheilung fähig sind, welche das
Wesen der Entwicklung ausmacht."
In diesem Sinne kann die Befruchtung auch als ein Verjüngungs-
process betrachtet werden, wenn man sich dieses von Biitschli (VII. 6),
Maupas (VII. 30) u. A. gebrauchten Ausdruckes bedienen will.
V. Die Erscheinungen und (l;is Wesen der Befruchtung. 255
Der Ausspruch von Spencer entzieht sich zur Zeit noch einer ge-
naueren, wissenscliaftliclien Begründung, scheint mir aber als vorläufiger
Versuch zur Lösung der ausserordentlich schwierigen Frage Beachtung
zu verdienen.
Aus dem oben aufgestellten Satz, dass der Befruchtungsprocess eine
Vermischung der unliedeutend verschiedenen physiologischen Einheiten
unbedeutend verschiedener Individuen ist, lässt sich noch eine wichtige
Folgerung ziehen. Wenn die geschlechtliche Zeugung eine Vermischung
der Eigenschaften zweier Zellen ist, so muss sie Mittelformen liefern.
Sie gleicht Verschiedenheiten aus, indem sie etwas Neues hervorruft,
was zwischen den beiden alten Zuständen die Mitte hält; sie schafft
zahllose neue Varianten, die aber Verschiedenheiten geringeren Grades
darstellen. Weismann (IX. 34) erblickt daher in der Befruchtung eine
Einrichtung, durch die ein immer wechselnder Reichthum individueller
Gestaltung hervorgerufen werde; ihr Zweck sei, das Material an indivi-
duellen Unterschieden zu schaffen, mittelst dessen Selection (natürliche
Auslese) neue Arten hervorbringe.
Indem ich dem ersten Theil dieses Satzes beistimme, habe ich gegen
den zweiten Theil Bedenken. Die durch Befruchtung hervorgerufenen
individuellen Verschiedenheiten, welche Gegenstand der natürlichen Aus-
lese werden sollen, können im Allgemeinen nur geringfügiger Art sein
und laufen stets Gefahr, durcli eine der folgenden Mischungen wieder
aufgehoben oder abgeschwiicht oder in eine andere Richtung gedrängt zu
werden. Eine neue Abart kann sich nur bilden, wenn zahlreiche Indivi-
duen einer Art nach einer bestimmten Richtung hin variiren, so dass es
zu einer Summirung und Verstärkung dieser Eigenthümlichkeit kommt,
während andere Individuen derselben Art, die ihren alten Charakter
bewahren odei- in einer anderen Richtung variiren, an der geschlecht-
lichen Vermischung gehindert werden. Ein solcher Process setzt constant
wirkende äussere Factoren und eine gewisse räumliche Sonderung der
Individuen einer Art voraus, die sich in zwei neue Arten spalten soll.
Mir scheint daher die geschlechtliche Zeugung auf die Artbildung
im entgegengesetzten Sinne, als es Weismann annimmt, einzuwirken.
Sie gleicht die Unterschiede, welche durch Einwirkung äusserer Factoren
in den Individuen einer Art hervorgerufen werden, l)eständig aus, indem
sie Mittelformen schafft; sie drängt geradezu dalnn. die Art homogen
zu machen und in ihrer Besonderheit zu erhalten. Von Bedeutung ist
hierbei ferner die sexuelle Affinität , jene räthselhafte Eigenschaft der
organischen Substanz, sowohl mit zu gleichartig als auch mit zu fremd-
artig beschaffener Substanz keine Verbindung oder wenigstens keine
gedeihliche Verbindung einzugehen. Denn die Arten und Gattungen
werden getrennt erhalten, weil die Geschlechtsproducte sich wegen ihrer
verschiedenartigen Organisation und der damit zusammenhängenden, ge-
ringen geschlechtlichen Affinität nicht mit Erfolg vermischen können.
In gleichem Sinne äussern sich Darwin und Spencer. Nach Darwin
„spielt die Kreuzung eine sehr wichtige Rolle in der Natur, indem
sie die Individuen derselben Species oder Varietät getreu und gleich-
förmig in ihrem Charakter erhält." Und H. Spencer bemerkt: „In der
Species findet vermittelst der geschlechtlichen Zeugung eine ununter-
brochene Neutralisation jener gegensätzlichen Abweichungen vom Mittel-
zustande statt, welche in ihren verschiedenen Theilen durch verschiedene
Gruppen einwirkender Kräfte verursacht wei'den, und in gleicher Weise
256 Siebentes Capitel.
ist es diese rhythmische Erzeugung und Wiederaufhebung solcher gegen-
sätzlichen Abweichungen, welclie die Fortdauer des Lebens der Species
verbürgt."
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31
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39) Weismann. Beiträge zur Naturgeschichte der Baphnoiden. Zeitschr. f. wissenschaftl.
Zoologie. Bd. XXXIII.
40) Derselbe. Ueber die Zahl der Richtungskörper u. über ihre Bedeutung für die Ver-
erbung, Jena 1887.
41) Weismann u. Ishikawa. Ueber die Bildung der Richtungskörper bei thierischen
Eiern. Berichte der naturforsch. Gescllsch. zu Freiburg. Bd. III. 1887.
42) Dieselben. Weitere Untersuchungen zum Zahlengesetz der Richtungskörper. Zoolog.
Jahrbücher. Bd. III. Abth. f. Morph.
43) Otto Zaeharias. Neue Untersuchungen über die Copulation der Geschlechtsproducte
und den Befruehtungsvorgang bei Asearis megalocephala. Archiv f. mikroskop. Anat.
Bd. XXX. 1887.
44) Bioehmann. Ueber die Eiehtungskörper bei Insecteneiern. Morphol. Jahrb. Bd. XII.
45) Derselbe. Ueber die Reifung der Eier bei Ameisen u. Wespen. Festschr. zur Feier
des SOOjähr. Bestehens der Univers. Heidelberg. 1886. Med. Theil.
46) Derselbe. Ueber die Zahl der Richtungskörper bei befruchteten und unbefruchteten
Bieneneiern. Morphol. Jahrb. Bd. XV.
47) Platner. Ueber die Bildung der Richtung skör per chen. Biolog. Centralblatt. Bd. VIII.
1888—89.
48) Weismann. Ueber die Vererbung. Jena 1883.
Derselbe. Die Continuität des Keimplasma als Grundlage einer Theorie der Ver-
erbung. Jena 1885.
49) Herm. Müller. Die Befruchtung der Blumen durch Inseeten. Leipzig 1873.
50) Pflüger. Die Bastardzeugung bei den Batrachiern. Archiv f. die ges. Physiologie.
Bd. XXIX.
51) Berthold. Die geschlechtliche Fortpflanzung der eigentl. Phaeosporeen. Mittheil, aus
der zool. Station zu Neapel. Bd. II. 1881.
Hertwig, Die Zelle r.nd die Gewebe. 17
ACHTES CAPITEL.
Wechselwirkungen zwischen Protoplasma, Kern und
Zellproduct.
In einem lebenden Organismus stehen nothwendiger Weise alle
morphologisch unterscheidbaren Theile in bestimmten, gesetzmässigen
Wechselwirkungen zu einander. In dieselben einen Einblick zu gewinnen,
ist bei der ganzen Complication des Lebensprocesses in den meisten
Fällen ausserordentlich schwer. Immerhin ist auch hier durch Beobachtung
und Experiment schon ein erfreulicher Anfang gemacht, um das dunkle
Gebiet unserer Erkenntniss zu erschliessen.
Auf eine Betheiligung des Protoplasma an allen formativen Processen,
an der Bildung der Zellmembran, der Intercellularsubstanzen etc. weisen
verschiedenartige Befunde hin, welche sich wohl kaum in einer anderen
Weise erklären lassen.
Bei Pflanzen ist stets an den Stellen, von denen das Wachsthum
hauptsächlich ausgeht, die Hauptmasse des Protoplasma angesammelt: so
an den Spitzen wachsender Wurzelhaare, sprossender Pilzfäden etc.,
an den Vegetationspunkten vielzelliger und einzelliger Pflanzen, wie
Caulerpa.
Auch in der einzelnen Zelle häuft sich das Protoplasma stets an den
Orten grösster formativer Thätigkeit an.
Wenn in einer Pflanzenzelle sich die Cellulosemembran zu vor-
springenden Leisten oder sonstigen Sculpturen verdickt, geht das Proto-
plasma schon einige Zeit, ehe die Verdickungen angelegt werden, vor-
bereitende Veränderungen ein, indem es sich zu den Stellen des stär-
keren Wachsthums hinbegiebt. Auch während sich die Leisten und Ver-
dickimgen bilden, gehen an ihnen fortwährend Ströme von körnigem
Protoplasma entlang.
Wenn bei Vaucheria ein kleines Stück abgetrennt wird, so sucht
alsbald das Protoplasma den Defect wieder zu ergänzen. Man sieht
„zu der Wunde körniges Plasma in dichteren Massen herandrängen
und sich zu einer nach aussen scharf begrenzten Schicht zusammen-
schliessen. An dieser beginnt sich alsbald Zellhaut zu bilden." (Klebs.)
Wenn man durch Plasmolyse den Protoplasmakörper einer Pflanzen-
zelle von seiner Membran abgelöst hat, ohne dass er dadurch in seinen
Lebensfunctionen gelitten hat, so scheidet er nach kurzer Zeit wieder
Achtes Capitel. Wechselwirkungen zw. Protoplasma, Kern u. Zellproduct. 259
auf seiner Obei-fläche eine neue Celluloseschicht aus, welche sich durch
Zusatz von Congoroth zum Wasser roth färben lässt.
Solange Zeilen jung und in kräftigem Wachsthum begriffen sind,
enthalten sie die grösste Menge von Protoplasma, während dasselbe in
alten Zellen, namentlich wenn dieselben ihre formative Thätigkeit ein-
gestellt haben, oft nur in geringen Spuren nachzuweisen ist. So kann
in grossen, ausgewachsenen Pflanzenzellen der protoplasmatische Beleg an
der Innenfläche der Cellulosemembran so ausserordentlich dünn werden,
dass er als ein besonderes Häutchen nur vermittelst der Plasmolyse nach-
zuweisen ist. Ebenso ist in den blasigen Chordazellen der Thiere etc.
Protoplasma nur noch in geringen Spuren vorhanden.
Besonders ist gegenwärtig die Forschung auf die Beziehungen des
Kerns zu den übrigen Bestandtheilen der Zelle gerichtet. Dass derselbe
namentlich während des ganzen Theilungsprocesses in sehr auffälligen
Wechselbeziehungen zum Protoplasmakörper steht, wurde schon früher
gezeigt. (Seite 172). Aber auch zu anderen Zeiten spielt er offenbar
eine wichtige, physiologische Rolle im Leben der Zelle; alle formativen
und nutritiven Processe seheinen in einem näheren, zur Zeit allerdings
nicht genauer zu definirenden Abhängigkeitsverhältniss von ihm zu stehen,
wie sich aus den jetzt näher zu besprechenden Beobachtungen von
Haberlandt und Korscheit, sowie aus Experimenten von Gruber, Nuss-
baum, Balbiani, Klebs und Hofer schliessen lässt.
I. Beobachtungen über Stellungen des Kerns, welche auf eine
Betlieiligung bei formatiTcn und nutritiven Processen
hinweisen.
Nach den ausgedehnten, wichtigen Untersuchungen von Haberlandt
(Vni. 4) befindet sich der Kern von jungen, sich entwickeln-
den Pflanzenzellen „meist in grösserer oder geringerer
Nähe derjenigen Stelle, an welcher das Wachsthum am leb-
haftesten vor sich geht oder am längsten andauert. Dies
gilt sowohl für das Wachsthum der ganzen Zelle als solcher,
wie auch speciell für das Dicken- und Flächenwachsthum
der Zellhaut. Ist mehr als eine Stelle im Wachsthum be-
vorzugt, so nimmt der Kern eine solche centrale Lage ein
(Fig. 161 II), dass er von den Orten ausgiebigsten Wachs-
thums ungefähr gleich weit entfernt ist. Zuweilen stellen
Plasmastränge (Fig. 161 II) eine Verbindung der Kerne mit den Wachs-
thumsstätten auf kürzestem Wege her. In der ausgebildeten Zelle l)ehält
der Kern seine frühere Lage nur in der kleineren" Anzahl der Fälle bei.
Gewöhnlich verlässt er den in der wachsenden Zelle innegehabten Platz
und zeigt dann zumeist eine unbestimmte, in einzelnen Fällen jedoch
aufs Neue eine bestimmte Lagerung."
Von den zahlreichen Beobachtungen, an denen Haberlandt diese
Sätze ])egründet, theile ich einige besonders lehrreiche Beispiele mit.
Die Epidermiszellen vieler Pflanzen zeigen häufig Verdickungen ent-
weder an ihrer nach aussen oder nach innen gerichteten Wandfläche.
Je nachdem liegt der Kern entweder der Aussenwand oder der Innen-
wand und zwar der Mitte der Verdickung diclit an. In sehr anschau-
licher Weise lehren dies die in Fig. 161 zusammengestellten Beispiele:
Nr. I eine Zellreihe von der Epidermis des Laubblattes von Cypripedium
17*"
260
Achtes Capitel.
insigne, Nr. III eine Epidermiszelle der Fruchtschale von Carex panicea.
Nr. IV. eine junge Epiderniiszelle des Laubblattes von Aloe verrucosa.
Eine zweite Reihe von Beobachtiingen betrifft das Waclisthum ober-
und unterirdischer Pflanzenhaare.
Die zarten Wurzel haare der Pflanzen zeigen ein deutlich aus-
gesprochenes Spitzenwachsthuni. Hier findet sich denn auch der Kern,
so lange das Wachsthum andauert, stets in der Spitze (Fig. 162 Ä),
während er in ausgewachsenen, alten Haaren sich weiter von ihr ent-
fernt hat. Wenn ein Wurzelhaar sich aus einer Epiderniiszelle neu an-
legt, so geschieht dies stets durch Ausstülpung der über dem Zellkern
gelegenen Parthie der Ausseuwand (Fig. 162 B). Bei manchen Pflanzen
Ä B
in
IV
Fig. 161. J Epidermiszellen des Laub-
blattes von Cypripedium insigne. Nach
Haberlandt Taf. I, Fig. 1.
JI Epidermiszelle von Luzula maxima.
Nach Haberlandt Taf. I, Fig. 3.
JIJ Epidermiszelle der Fruehtschale
von Carex panicea. Nach Haberlandt Taf. I,
Fig. 14.
IV Junge Epidermiszelle des Laub-
blattes von Aloe verrucosa. Nach Haber-
laxdt Taf. I, Fig. 7.
Fis. 162.
Pig. 162. A Wurzelhaar von Cannabis sativa. Nach Haberlandt Taf. II,
Fig. 26.
B Entstehung der Wurzelhaare von Pisum sativum. Nach Haberlandt
Taf. II, Fig. 22.
(Brassica oleracea) kann sich die Zelle des Wurzelhaares verzweigen,
wobei dann der einfache Kern in einen der Zweige hereinrückt. Dieser
wird dann sowohl der protoplasmareichste, als auch der längste, während
die anderen Zweige zu wachsen aufhören.
Von den Wurzelhaaren unterscheiden sich die oberirdischen
Haare dadurch, dass sie ein basipetales, intercalares Wachsthum be-
sitzen, wie Haberlandt durch Messungen festgestellt hat. In Folge dessen
Wechselwirkungen zwischen Protoplasma, Kern und Zellproduct.
261
Fig. 163. Junges Stern-
haar von Autrietia delloidea.
Nach Haberlandt Taf. II, Fig. 28.
liegt hier der Kern nicht in der Spitze, sondern ungeftihr da, wo sich
der secundäre , basale Vegetationspunkt befindet und das Längenwachs-
thum am längsten andauert.
Unter Sternhaaren (Fig. 163) versteht man eigenthüniliche, ein-
zellige Gebilde, die sich nach ihrem peripheren Ende in mehrere, in
radiärer Richtung auseinander weichende Zweige spalten. Hier liegt der
Kern im Mittelpunkt der Verzweigung, so lange die formativen Processe
andauern, rückt dann aber nach beendetem Wachsthum wieder näher
an die Basis heran.
Auch Pilze und Algen liefern Be-
lege für eine Theilnahme des Kerns an
den formativen Processen. Bei den viel-
kernigen Hyphen von Saprolegnia
bilden sich seitliche Schläuche stets un-
mittelbar über einem in nächster Nähe
der Wandung befindlichen Kern. Bei
Vaucheria und anderen vielker-
nigen Algen giebt es, wie bei den höhe-
ren Pflanzen, besondere Vegetations-
punkte, von denen das hauptsächliche
Wachsthum ausgeht; an diesen sieht
man nun zahlreiche kleine Kerne der
Cellulosemembran unmittelbar angelagert,
dann folgt eine Schicht von Chromato-
phoren, während in dem übrigen Theil
der Zelle die Lage gerade eine umge-
kehrte ist.
Noch auffälliger ist die Beziehung der Kerne zur Bildung der Zell-
haut bei den Erscheinungen, die sich bei der Wundheilung von
Vaucheria beobachten lassen. Denn jetzt treten in dem an der
Wundstelle sich ansammelnden Protoplasma zahlreiche kleine Kerne auf;
sie rücken also an die Oberfläche empor, die Chlorophyllkörner
werden gerade in entgegengesetzter Richtung zurückgezogen,
und Chlorophyllkörner tauschen so ihre Plätze
einander aus. Durch diese Wahrnehmung widerlegt sich
der sonst leicht zu erhebende Einwand, dass der oder die Kerne einfach
an den Stellen vorgefunden würden, zu denen das Protoplasma in
grösserer Menge zuströme und sie mit sich schleppe. Denn dann wäre
eine gleichzeitige entsprechende Verlagerung der viel kleineren Chloro-
phyllkörner noch eher zu erwarten, zumal diese ja unter dem Einfluss
verschiedener Beleuchtung sehr leicht ihren Ort verändern. Von dieser
Wanderung bleiben nun aber wieder die Kerne unberührt.
„Wir sehen also," bemerkt Haberlandt, „dass Zellkerne und Chloro-
phyllkörner unabhängig von einander bestimmte Ortsveränderungen zeigen,
welche, vorausgesetzt, dass dieselben passiv erfolgen, keinenfalls durch
Bewegungen des gesammten Körnerplasmas bewirkt werden können.
Wenn nun das strömende Plasma betreffs der mitzuführeuden Inhalts-
körper gewissermaassen eine bestimmte Auswahl triff't, in dem einen Falle
den grösseren Zellkern mitschleppt, die kleineren Chromatoplioren zurück-
lässt, im anderen Falle wieder die Chrom atophoren verschiebt und die
ebenso kleinen oder oft noch kleineren Zellkerne unverrückt lässt, so
kann eine solche Verschiedenheit der Bewegungs-Er-
scheinungen doch nur den Sinn haben, dass durch die-
dagegen
Kerne
gegen
zugleich
262
Achtes Capitel.
selben bestimmte, mit der Function der Kerne, beziehungs-
weise der C hromatophoren zusammenhängende Lagerungs-
weisen bezweckt werden."
Aehnliche Beziehungen zwischen Lage und Function der Kerne, wie
Haberlandt für die Pflanzenzellen, hat Korscheit (VIII. 8) für thierische
Zellen nachgewiesen.
Zellen, welche sich durch reichliche Aufnahme von Reservestoffen
beträchtlich vergrössern, sind die Eier. Diese haben häufig das Keim-
bläschen an dem Orte gelagert, an dem vorzugsweise die Stoffaufnahme
vor sich gehen muss. So nehmen z. B. bei einem Theil der Cölenteraten
die Eier ihre Entstehung aus dem Entoderm und werden aus dem In-
halt des Gastrovascularsystems durch Vermittelung von Entodermzellen
ernährt. In Uebereinstimmung mit dem oben aufgestellten Satz liegen
in jungen Eiern die Keimbläschen ganz oberflächlich und zwar an der
nach der Gastralhöhle zugewandten Seite (Fig. 164). Bei manchen
Actinien (Hertwig VIII. 5 b) reichen die Eier sogar noch lange Zeit mit
einem stielartigen Fortsatz in das Darmepithel bis an seine Oberfläche
heran (Fig. 165). Der Stiel lässt eine regelmässig fibrilläre Structur
erkennen, wie sie überall da auftritt, wo ein reger Stoffaustausch statt-
findet und dieser Stoffaustausch bestimmte Bahnen einhält; er lässt sich
daher als ein besonderer Nährapparat des Eies in Anspruch nehmen.
Auch hier liegt das Keimbläschen regelmässig der Basis des Nähr-
apparats unmittelbar an (Fig. 165).
Fig. 164. Junges Ei von
Adamsia rondeleti. Vergr.
145. Nach Korschelt Ste. 47,
Fig. 8.
'1
Fig. 165.
Fig. 165. Querschnitte durch das periphere Ende und den Stiel von
Eizellen der Sagartia parasitica (nach O. und R. Hektwig). Nach Korschelt
Fig. 10.
Nach oben sieht man den gestreiften Stiel der Eizelle in das Epithel eindringen.
Ein ähnliches Verhalten trifft man in den schlauchförmigen Ovarien
der Insekten, die in Eifächer und in Nährfächer gegliedert sind. Ent-
weder ist hier wieder das Keimbläschen an das Nährfach dichter heran-
gerückt, oder es zeigt das noch interessantere Verhalten, dass es nach
dem Nährfach zu zahlreiche, pseudopodienartige Fortsätze (Fig. 166) aus-
streckt und dadurch nach der Seite, wo die Stoffaufnahme stattfindet
seine Oberfläche in auffälliger Weise vergrössert. Hier beginnt sich denn
auch der Dotter in der Umgebung des Keimbläschens in zahlreichen,
Wechselwirkungen zwischen Protoplasma, Kern und Zellproduct.
263
dunkeln Körnchen abzuscheiden, welche von den Nährzellen zugeführt
worden sind.
Bei den meisten Thieren werden die Eier durch Vermittelung des
Follikelepithels ernährt. Korscheit findet dementsprechend, dass bei In-
sekten die Kerne der Follikelzellen, so lange die Bildung des Dotters und
des Chorions vor sich geht, unmittelbar an der nach dem Ei gerichteten
Oberfläche liegen, dagegen nach Fertigstellung des Chorions in die Mitte
der Zelle zurückweichen.
Noch frappanter ist das Verhalten der Kerne in den soge-
nannten Doppelzellen, welche strahlenartige Chitinfortsätze an
dem Chorion der Eier von Wasserwanzen (Ranatra und Nepa) erzeugen
(Fig. 167 J. B). Die Protoplasmakörper der beiden Zellen, welche einen
Strahl zwischen sich ausscheiden, verschmelzen. Während der Aus-
scheidung schicken die beiden überaus grossen Kerne an der nach dem
Strahl zugekehrten Seite zahlreiche, feine Fortsätze aus.
B
Fig. 167.
Fig. 166.
Fig. 166. Ein Eifollikel von Dytiscus marginalis mit angrenzendem
Nährfach, in welchem eine reichliche Körnchenausscheidung stattfindet.
Das Keimbläschen des Eies sendet Portsätze aus nach der Richtung der
Körnchenanhäufungen. Nach Kokschelt Taf. I, Fig. 20.
Fig. 167. A Querschnitt einer secernirenden Doppelzelle aus dem
Eifollikel von Nepa cinerea L. Die Bildung des Strahles ist noch im
Gange. Vergr. 270fach. Nach Korschelt Taf. V, Fig. 120.
B Längsschnitt einer Doppelzelle aus dem Eifollikel von Nepa.
Bildung der Basis des Strahles. Vergr. 195fach. Nach Korscrelt Taf. V, Fig. 121.
Aus diesen und ähnlichen Beobachtungen ziehen Haberlandt und
Korschelt folgende, die Function des Zellkerns betreffende Schlüsse:
1) „Die Thatsache, dass der Kern gewöhnlich blos in der jungen,
sich erst entwickelnden Zelle eine bestimmte Lagenmg zeigt, weist dar-
auf hin, dass seine Function hauptsächlich mit den Entwickelungsvor-
gängen der betreffenden Zelle zusammenhängt." (Haberlandt.)
2) „Aus der Art seiner Lagerung ist zu schliessen, dass der Kern
beim Wachsthum der Zelle, speciell beim Dicken- und Flächenwachsthum
der Zellhaut, eine bestimmte Rolle spielt. Damit ist nicht ausgeschlossen,
dass er in der ausgebildeten Zelle eventuell noch andere Functionen zu
erfüllen hat." (Haberlandt.)
3) Der Kern ist wie bei der Abscheidung, so auch bei der Nahrungs-
aufnahme der Zelle betheiligt. Ausser in der La^e kann sich dies auch
darin kundgeben, dass der Kern nach dem Ort der Abscheidung und
264 - Achtes Capitel.
der Stoffaufuahme seine Obei-fläche durch Ausstrecken zahlreicher Fort-
sätze vergrössert.
II. Experimente, aus denen sich auf eine Wecliselwirkung
zwischen Kern und Protoplasma schliessen lässt.
Zu gleichem Ergebnisse haben die experimentellen Untersuchungen
von Gruber, Nussbaum, Hofer, Verworn, Balbiani und Klebs geführt. Die
Methode besteht darin, dass man in irgend einer Weise einen einzelligen
Organismus oder eine einzelne Zelle in ein kernhaltiges und in ein kern-
loses Stück trennt und dann das weitere Verhalten derselben verfolgt
und vergleicht.
Durch Plasmolyse in 16°/o Zuckerlösung konnte Klebs (IV. 14,
VIII. 7) die Zellen von Spirogyrafäden in ein kernhaltiges und mehrere
kernlose Stücke zerlegen. Obwohl die letztern zuweilen sechs Wochen am
Leben blieben, ehe sie zerfielen, bestand doch in ihrer Lebensfunction
ein grosser Unterschied im Vergleich zu den kernhaltigen Theilstücken.
Die kernhaltigen Stücke fahren fort zu wachsen und
umgeben sich mit einer neuen, durch Congoroth leicht
nachweisbaren Zellhaut. Die kernlosen dagegen bleiben
vollständig kuglig, vergrössern sich nicht und können
keine Zellhaut bilden. Wie weit der letztere Process vom Vor-
handensein des Kerns beeinflusst wird, geht in besonders auffälliger
Weise daraus hervor, dass, wenn die durch Plasmolyse erhaltenen Theil-
stücke nur noch durch eine feine Plasmabrücke verbunden sind , dieser
Zusammenhang schon genügt, um das kernlose Stück zur Abscheidung
von Cellulose zu befähigen.
Indessen gehen im Protoplasma gewisse Stoffwechselprocesse auch
ohne Anwesenheit des Zellkerns vor sich; zum Beispiel assimiliren
die kernlosen Stücke noch und vermögen sowohl Stärke aufzu-
lösen, als auch neu zu bilden, vorausgesetzt dass sie einen Theil des
Chlorophyllbandes besitzen. Wenn sie längere Zeit im Dunkeln gehalten
sind, werden sie stärkefrei durch Verbrauch der vorher abgelagerten
Körnchen ; in das Licht zurückgebracht, füllen sich die Chlorophyllbänder
wieder mit neuassimilirter Stärke; ja, es wird hier sogar reichlicher als
beim kernhaltigen Theil Stärke angesammelt, wahrscheinlich aus dem
naheliegenden Grunde, weil der Verbrauch der Stärke bei dem Danieder-
liegen aller übrigen Lebensfunctionen auf ein Minimum herabgesetzt ist.
Kernlose Theilstücke von Funaria hygrometrica zeigen ein etwas
abweichendes Verhalten, indem sie zwar Stärke auflösen, aber keine
neue bilden können, trotzdem sie 6 Wochen am Leben bleiben.
Beim Zerschneiden von Vaucheria erhält man grössere und kleinere
Protoplasmaklumpen theils mit, theils ohne Kern. Die Lebensfähigkeit
derselben, sowie das Abscheiden einer neuen CellulosehüUe ist an das Vor-
handensein von mindestens einem Zellkern geknüpft (Haberlandt VIII. 4).
Nicht mindere wichtige Ergebnisse wie bei den Pflanzen sind durch
Zerstückelungen von Amöben , Rhizopoden und Infusorien gewonnen
worden. Wie Nussbaum (VIII. 9), Gruber (VIII. 3), Hofer (VHI. 6) und
Verworn (VIII. 10) in übereinstimmender Weise mittheilen, können
nur kernhaltige Theilstücke die verloren gegangenen
Organe wieder durch Neubildung ersetzen und sich zu einem
normalen Individuum, das wächst und sich vermehrt, umgestalten. Kern-
lose Theile, selbst wenn sie grösser als die kernhaltigen
Wechselwirkungen zwischen Protoplasma, Kern und Zellproduct. 265
sind, können sich weder ergänzen noch wachsen, aher
längere Zeit, oft mehr als 14 Tage, eine Art von Scheindasein füliren;
schliesslich aber zerfallen sie. Die formative Thätigkeit des Protoplasma
scheint daher in erster Linie nnter dem Einfluss des Kerns zu stehen.
Weniger sicher gestellt ist dies für andere Functionen der Zelle, wie
für die Bewegungsfähigkeit, für die Reizbarkeit und für die Verdauungs-
processe. Die Urtheile der einzelnen Beobachter gehen hier auseinander.
Bei Amöben sah Hofer das kernlose Theilstück, nachdem das erste
durch die Operation bedingte Eeizstadium überwunden war, 15—20 Mi-
nuten lang ziemlich normale Bewegungen ausführen; er erblickt hierin
noch eine Nachwirkung des Kernes, welchem er einen regulatorischen
Einfluss auf die Bewegungen des Protoplasma zuschreibt. Denn während
weiterhin das kernhaltige Stück wie ein normales Individuum die Pseudo-
podien ausstreckt und sich fortbewegt, bleibt der kernlose Theil zu einem
rundlichen Körper zusammengezogen und macht nur ab und zu nach
stundenlangen Ruhepausen anormale, ruckartige Bewegungen; er heftet
sich an der Unterlage nicht fest, wie herumkriechende Amöben thuu,
und beginnt daher bei der geringsten Wasserbewegung zu flottiren.
Eine grössere Unabhängigkeit der Protoplasmabewegung vom Einfluss
des Kerns fand Verworn bei Difflugia. Selbst kleine, kernlose Theil-
stücke streckten in der für das unverletzte Rhizopod charakteristischen
Weise lange, fingerförmige Pseudopodien aus und setzten nocli nach fünf
Stunden ihre Bewegungen fort. Auch waren sie noch vollkommen reiz-
bar und reagirten auf mechanische, galvanische und chemische Reize
durch Contraction ihres Körpers.
Protisten , welche besondere locomotorische Organe , wie Cilien,
Wimpern, Cirrhen etc. entwickelt haben, lassen nach Verworn bei Thei-
lungsversuchen eine vollständige Autonomie und Unabhängigkeit derselben
vom Kern erkennen.
Bei Lacrymaria führt jeder des Kerns beraubte Körpertheil nach
seiner Al)trennung vom Körper dieselben Bewegungen aus, wie zur Zeit,
als er noch mit ihm in Zusammenhang stand. Kleine Stücke von Stylo-
nichia, die mit einer Anzahl Bauchwimpern vei'sehen sind, machen mit
diesen noch die eigenthümlichen Laufbewegungen. Selbst bei einem
kleinsten Plasmastückchen, das nur eine einzige Sprungcirrhe besitzt,
fährt diese in ihren charakteristischen Bewegungen fort. Wenn sie nach
hinten gerichtet war, wird sie von Zeit zu Zeit plötzlich nach vorn
geschnellt, wodurch dem Theilstück ein kurzer Ruck nach rückwärts
ertheilt wird; darauf kehrt sie selbst wieder in die Ruhelage zurück
u. s. w.
Gleich den Cilien und Cirrhen zeichnen sich auch die contractilen
Vacuolen der Protisten durch vollständige Autonomie aus. Denn auch
an kernlosen Stücken kann man sehen, wie sie sich tagelang rhythmisch
contrahiren (Verworn).
In Bezug auf die Verdauung endlich macht sich ein erheblicher
Unterschied zwischen kernlosen und kernhaltigen Theilstücken bemerkbar.
Während von letzteren gefressene, kleine Infusorien, Räderthierchen etc.
in der normalen Weise verdaut werden, hat bei ersteren die Verdauung
sowohl der Zeit nach, als auch an Intensität eine erhebliclie Abnahme
erfahren. Man könnte hieraus schliessen, dass es dem Protoplasma nur
unter der Mitwirkung des Kerns möglich ist, verdauende Secrete zu
produciren (Hofer, Verworn).
Dass zwischen einzelnen Beobachtungen und Experimenten, die im
266 Aclites Capitel. Wechselwirkungen zw. Protoplasma, Kern n. Zellproduct.
achten Capitel mitpetheilt wurden, noch Widersprüche bestehen, wird
nicht Wunder nehmen, wenn man die Schwierigkeit der zu lösenden
Aufgal)en im Auge behält.
Literatur. VIII.
1) Balbiani. Rccherches expi'rinuntales sur la mcrotomie des Infusoires cilies. Prem.
part. Recucil. Zool. Suisse. 1880.
2) Boveri. Fin gescJdechtlich erzeugter Organismus ohne mütterliche Eigenscliaften,
Genetisch, f. Morphol. u. Physiol. zu München. ]8S9.
3) Gruber. Ueber die Einßussloaigkeit des Kerns auf die Bewegung, die Ernährung u.
das Wachsthum einzelliger Thiere. Biolog. Centralblatt. Bd. III.
Derselbe, lieber künstliche Theilung bei Infusorien. Biolog. Centralbl. Bd. IV u. V.
4) Haberlandt. Veber die Beziehungen zwischen Function und Lage des Zellkerns bei
den Pflanzen. Jena 1887.
5a) Oscar u. Richard Hertwig. Ueber den Befruchtungs- u. Theilungsvorgang des
thierischen Eies unter dem Einßuss äusserer Agentien. Jena 1887.
5b) Dieselben. Die Actinien., anatomiscli und histologisch mit besonderer Berücksichtigung
des Nervenmuskelsy Sterns untersucht. Jena 1879.
6) Hofer. Experimentelle Untersuchungen, über den Einfluss des Kerns auf das Proto-
plasma. Jinaisilw Ziitschiift f. Naturwissenschaft. Bd. XXIV.
7) Klebs. lieber den Einfltiss des Kerns in der Zelle. Biolog. Centralbl. Bd. VII. 1887.
8) Korschelt. Beiträge zur Morphologie u. Physiologie des Zellkerns. Zool. Jahrbücher.
Abth. f. Anatomie. Bd. IV. 1889.
9) Nussbaum. Ueber die Theilbarkeit der lebendigen Materie. Archiv f. mikroskop.
Anatomie. Bd. XXV L 1886.
10) Verworn. Die physiologische Bedeutung des Zellkerns. Archiv f. d. ges. Physiologie.
Bd. LI. 1891.
NEUNTES OAPITEL.
Die Zelle als Anlage eines Organismus (Yererbungstheorieen).
Schon aus der Fähigkeit der Zelle, Bewegungen auszuführen und
auf die verschiedensten äussern Einwirkungen, seien es thermische oder
optische oder chemische oder mechanische, in ganz gesetzmässiger Weise
zu reagiren, ferner aus der Fähigkeit complicirte, cliemische Processe
auszuführen und sehr zahlreiche, mit besonderer Structur versehene Sub-
stanzen zu bilden, mussten wir schliessen, dass die Zelle ein hoch zu-
sammengesetzter Körper, aufgebaut aus zahlreichen, kleinsten, verschieden-
artigen Theilchen, also selbst gewissermaassen ein kleiner Elementarorga-
nismus ist.
Noch mehr wird uns dieser Gedanke aufgedrängt, wenn wir sehen,
wie die Ei- und Samenzellen durch ihre Vereinigung die Grundlage
bilden für die Entwicklung eines Organismus, welcher im Grossen und
Ganzen die Eigenschaften der zeugenden Eltern und oft auch gering-
fügige, individuelle Züge derselben reproducirt. Wir müssen hieraus
schliessen, dass in der Ei- und Samenzelle alle Bedingungen enthalten
sein müssen, welche erforderlich sind, um das Endproduct des Entwick-
lungsprocesses schliesslich zu Stande kommen zu lassen. Unserer Wahr-
nehmung entziehen sich allerdings diese Bedingungen; dass dieselben
aber nichts weniger als einfacher Art sein werden, geht schon aus der
ausserordentlichen Zusammensetzung hervor, welche das Endproduct
der Entwicklung bei den höchsten Organismen erreicht.
Die Geschlechtszellen müssen daher zahlreiche, uns
verborgene Eigenschaften und Merkmale besitzen, durch
deren Vorhandensein die Entstehung des Endproducts er-
möglicht wird. Solche verborgenen oder latenten Eigen-
schaften, die erst durch den Ent wicklungsprocess all-
mählich offenbar werden, nennt man Anlagen. In der
Gesamnitheit der Anlagen ist der entwickelte Organis-
mus gewissermaassen vorgebildet oder potentiell enthalten.
Nun gleichen sich auf einem gewissen Stadium ihrer Entwicklung
alle Organismen ausserordentlich, insofern sie einfache Zellen sind. Die
Eier des Menschen, eines Nagethiers, eines Wiederkäuers, ja selbst mancher
wirbellosen Thiere sind nicht wesentlich voneinander verschieden. Ihre
268 Neuntes Capitel.
Unterschiede sind aiissoi-ordentlicli viel geringer als die Unterscliiede
zwischen dem Ei und der Samenzelle ein und desselben Organismus.
Solche formalen Aehnlichkeiten und formalen Unterscliiede haben
aber wenig zu bedeuten, wenn wir tiefer auf den Grund der Sache
gehen. Denn so wie Mensch, Nagethier, Wiederkäuer und wirbelloses
Thier in ihrer Organisation mehr oder minder tiefgreifende, uns äusserlich
wahrnehmbare Unterschiede darbieten, so müssen -auch die von ihnen
abstammenden Geschlechtszellen, insofern sie die Anlagen des späteren
ausgebildeten Zustandes darstellen, durch die Beschaffenheit der Anlagen
in entsprechender Weise von einander unterschieden sein, nur dass die
unterscheidenden Momente jetzt auf einem unserer Wahrnehmung noch
verschlossenen Gebiete liegen. Auf der anderen Seite müssen Ei- und
Samenzelle ein und desselben Organismus, die äusserlich so sehr ungleich
aussehen, in ihren wesentlichen Eigenschaften, durch welche die Anlage
des ausgebildeten Geschöpfs repräsentiert wird, nur in geringem Grade
voneinander abweichen.
Treffend bemerkt Nägeli (IX. 20) : „Die Eizellen enthalten alle
wesentlichen Merkmale ebenso gut, wie der ausgebildete Organismus, und
als Eizellen unterscheiden sich die Organismen nicht minder voneinander,
als im entwickelten Zustande. In dem Hühnerei ist die Species ebenso
vollständig enthalten, als im Huhn, und das Hühnerei ist von dem Froschei
eben so weit verschieden, als das Huhn vom Frosch."
Was von den Eiern gilt, dasselbe gilt nicht minder auch von jeder
einzelnen Zelle und jedem Zellencomplex, welcher als Spore und Knospe
vom Mutterorganismus abgelöst, im Stande ist, den letzteren wieder zu
erzeugen. Auch sie müssen alle wesentlichen Eigenschaften des Ganzen
als Anlagen in einem unserer Wahrnehmung entzogenen Zustand enthalten.
Welche Vorstellungen können wir uns zur Zeit von diesen unsicht-
baren Eigenschaften der Zellen bilden, durch welche sie die Anlage für
einen zusammengesetzten Organismus abgeben? In welchem Verhältniss
stehen Anlage und ausgebildeter Zustand zu einander?
Bei der Beantwortung dieser Fragen stehen wir vor den aller-
schwierigsten Problemen, welche die Lehre vom Leben darbietet. Mit
ihnen haben sich Naturforscher und Denker zu den verschiedensten
Zeiten beschäftigt und ihre Denkergebnisse in Hypothesen zusammen-
gefasst, welche die Forschung in manchen Zeiträumen in nachhaltiger
Weise beeinflusst haben. Auf die historisch wichtigsten derselben in
Kürze einzugehen, dürfte sowohl von allgemeinem Interesse als auch
eine passende Einleitung für den Versuch sein, die Anschauungen zu-
sammenzustellen, zu denen die moderne Naturforschung hinleitet.
I. Oeschichte der älteren Entwicklungstheorieen.
Zwei bedeutende Theorien haben sich in der Wissenschaft bis in
den Anfang unseres Jahrhunderts hinein schroff und unvermittelt gegen-
über gestanden, die Theorie der Präformation oder Evolution
und die Theorie der Epigenese.
Der Präform ationstheorie huldigten viele der Geistesheroen
des 17. und 18. Jahrhunderts, Swammerdam, Malpighi und Leeuwenhoek,
Haller, Bonnet (IX. 3) und Spallanzani (vgl. His. IX. 14). Sie waren
der Ansicht, dass die Keime in ihrem Bau mit den erwachsenen Orga-
nismen auf das Vollständigste übereinstimmen und daher von Anfang an
dieselben Organe in derselben Lage und Verbindung wie diese, nur in
Die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererbuugstheorieen). 269
einem ausserordentlich viel kleineren Zustand besitzen sollten. Da es
nun aber mit den damaligen Vergrösserungsgläsern nicht m(')giich war,
in den Eiern am Anfang ihrer Entwicklung die vorausgesetzten Organe
wirklich zu sehen und nachzuweisen, nahm man zu der Hypothese seine
Zuflucht, dass die einzelnen Theile, wie Nervensystem, Drüsen, Knochen etc.
nicht nur in einem sehr kleinen, sondern auch in einem durchsichtigen
Zustande vorhanden sein müssen.
Um sich den Vorgang verständlicher zu machen, wies man als er-
läuternde Beispiele auf die Entstehung des Schmetterlings aus der Puppe
und namentlich auf die Entstehung einer Pflanzenblüthe aus ihrer
Knospe hin.
Wie in einer kleinen Knospe von den grünen, noch fest zusammen-
geschlossenen Hüllblättern doch bereits schon alle Blüthentheile, wie die
Staubfäden und die gefärbten Kelchblätter, eingehüllt werden, wie diese
Theile im Verborgenen wachsen und sich dann plötzlich zur Blüthe ent-
falten, wobei alle bis dahin verborgenen Theile enthüllt werden, so
sollten auch in der Thierentwicklung die bereits vorhandenen, aber
kleinen und durchsichtigen Theile wachsen, sich allmählich enthüllen und
unserem Auge erkennbar werden.
Daher der alte Name „Theorie der Evolution oder Ent-
faltung", an dessen Stelle man neuerdings die noch zutreffendere und
klarere Bezeichnung „Präformationstheorie" eingeführt hat. Denn das
Eigenthümliche dieser Lehre ist, dass sich in keinem Augenblick der
Entwicklung etwas Neues bildet, vielmehr jeder Theil von Anfang an
vorhanden oder präformirt ist, dass also das eigentliche Wesen der Ent-
wicklung, das Werden, in Abrede gestellt wird. „Es giebt kein Werden,"
heisst es in den Elementen der Physiologie von Haller: „Kein Theil im
Thierkörper ist vor dem anderen gemacht worden, und alle sind zugleich
erschaffen."
In schroffem Gegensatz zur Präformationslehre steht die Theorie
der Epi genese, welche ihren Hauptvertreter in der Mitte des 18. Jahr-
hunderts in Caspar Friedrich Wolff (IX. 56) gefunden hat. Der-
selbe stellte in seiner bahnbrechend gewordenen Doctordissertation
„Theoria Generationis" im Jahre 1759 (deutsche Ausgabe 1764) dem
damals allmächtigen Dogma der Präformation den wissenschaftlichen
Grundsatz entgegen: was man nicht mit seinen Sinnen wahrnehmen
könne, sei auch nicht im Keime präformirt vorhanden. Am Anfang sei
der Keim nichts Anderes als ein unorganisirter , von den Geschlechts-
organen der Eltern ausgeschiedener Stoff, welcher sich erst in Folge der
Befruchtung während des Entwicklungsprocesses allmählich organisire.
Aus dem zunächst ungesonderten Keim Stoffe lässt Wolff sich
nacheinander die einzelnen Organe des Körpers sondern, welchen Pro-
cess er in einzelnen Fällen bereits durch Beobachtung genauer festzu-
stellen suchte. So zeigte er, Avie sich aus dem Keimstoff allmählich
einzelne Pflanzenorgane sondern und dabei in ihrer Form Metamorphosen
eingehen ; er lehrte , dass sich der Darmkanal des Hühnchens aus einer
blattförmigen Anlage entwickelt.
Indem Wolff an der Hand von genauen Untersuchungen an Stelle
vorgefasster Äleinungen der Beobachtung und sinnlichen Wahrnehmung
zu ihrem Rechte verhalf, hat er den Grundstein gelegt zu dem stolzen
Bau, zu dem sich in unserem Jahrhundert die Entwicklungslehre auf Grund
von Beobachtungen allmählich gestaltet hat.
Vergleichen wir jetzt beide Theorieen prüfend miteinander, so lassen
270 Neuntes Capitel.
uns beide in ihrer älteren Fassung unbefriedigt. Beide haben ihre Achilles-
ferse, an der sie verwundbar sind.
Was zunächst die Präforniationstheorie anbetrifft, so trug sie einen
Angriffspunkt zu einer auf dem Standpunkt der Evolutionisten unlös-
baren, wissenschaftlichen Fehde in sich, insofern sich bei den höheren Orga-
nismen ein jedes Individuum durch das Zusammenwirken zweier getrennter
Geschlechter entwickelt. Als man daher ausser dem thierischen Ei später
auch mit den Samenfäden durch Leeuwenhoeks Entdeckung (1677) be-
kannt geworden war, erhob sich alsbald die lebhaft discutirte Streit-
frage, ob das Ei oder ob der Samenfaden der vorgebildete
Keim sei.
Ein Jahrhundert lang standen sich die feindlichen Schulen
der Ovisten und der Animalculisten entgegen. Wie die
Ovisten, Spallanzani z. B., das unbefruchtete Ei des Frosches geradezu
als ein kleines Fröschchen bezeichneten und den Samen nur ein Reiz-
mittel sein Hessen, das die Bethätigung des Lebens und das Wachsthum
anrege, so glaubten Vertreter der Animalculisten bei Zuhilfenahme der
damaligen Vergrösserungsgläser die Samenfäden auch wirklich mit einem
Kopf, mit Armen und mit Beinen ausgestattet zu sehen. Sie erblickten
im Ei nur den geeigneten Nährboden, welcher für das W^achsthum des
Samenfadens erforderlich sei.
Aber auch ausserdem musste die Präforniationstheorie bei einer ins
Einzelne genauer durchgeführten Durchbildung zu sehr bedenklichen
Consequenzen führen. Eine solche Consequenz, die auch die Physiologen
Haller und Spallanzani nicht glaubten umgehen zu können, ist der Satz,
dass in einem Keim auch die Keime für alle späteren
Geschöpfe schon angelegt oder eingeschlossen sein
müssen. Dieser Satz ist die noth wendige Folgerung aus der Thatsache,
dass sich die Thiergeschlechter in ununterbrochener Reihenfolge ausein-
ander entwickeln. Die Präformationstheorie hat so aus ihrem
Schoosse als natürliche Frucht die „Einschachtelungs-
theorie" erzeugen müssen oder wie sich Blumenbach (IX. 2)
scherzend ausdrückt: die Lehre von den „eingewickelten Keimen". Im
Eifer ist man sogar so weit gegangen, zu berechnen, wie viel Menschen-
keime im Eierstock der Stammmutter Eva zum mindesten eingeschachtelt
gewesen sind, wobei man damals auf die Zahl von 200,000 Millionen
kam (Elemente der Physiologie von Haller).
Auf der anderen Seite führt aber auch die Theorie der Epigenese in
der älteren Fassung bei einer tieferen Durchführung auf Schwierigkeiten.
Denn in welcher Weise, so kann man fragen, vermag die Natur mit
den uns bekannten Kräften aus einem uuorganisirten Stoff in wenigen
Tagen oder Wochen einen thierischen Organismus, ähnlich seinen Er-
zeugern, neu zu bilden? Hierüber vermag keine Lehre, welche den
Organismus als eine vollständige Neuzeugung betrachtet, uns eine irgend-
wie annehmbare, zufriedenstellende Auskunft zu ertheilen.
Blumenbach (XI. 2) nahm daher seine Zuflucht zu einem besonderen
„Nisus formativus" oder „ Bild ungs trieb " , welcher die unge-
formten väterlichen und mütterlichen Zeugungssäfte zur „Formation",
d. h. eine bestimmte Gestalt anzunehmen veranlasst und auch später
dafür sorgt, dass Verstümmelungen wieder ersetzt werden. Aber mit der
Annahme eines besonderen Bildungstriebes ist doch nicht viel mehr als
ein leeres Wort für eine unbekannte Sache gewonnen.
Neue Grundlagen für die Aufstellung ver voll komm-
Die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererbungstheorieen). 271
neter Zeugungs- und Vererbungstheorieen wurden erst
durch die Zellentheorie und ihre weitere Ausbildung
von der Mitte unseres Jahrhunderts an allmählich ge-
schaffen. Diese Grundlagen sind: erstens die Erkenntniss, dass Ei
und Samenfaden einfache, vom Organismus zum Zweck der Fortpflanzung
sich ablösende Zellen sind und dass die entwickelten Organismen selbst
nichts Anderes sind als geordnete Verbindungen von ausserordentlich
zahlreichen, zu verschiedenen Zwecken angepassten Zellen, entstanden
durch vielmals wiederholte Theilung der befruchteten Eizelle. Eine zweite
Grundlage ist die sich immer mehr Bahn brechende Vorstellung, dass
die Zelle etwas ausserordentlich Complicirtes, d. h., dass sie selbst ein
Elementarorganismus ist. Hierzu gesellt sich drittens die tiefere Er-
kenntniss des Befruchtungsvorganges, der Kernstructur und des Kern-
theilungsprocesses, namentlich der Längsspaltung und Vertheilung der
Kernsegmente, die Entdeckung der Verschmelzung des Ei- und Samen-
kerns, der Aequivalenz der männlichen und weiblichen Kernmasse und
ihrer Vertheilung auf die Tochterzellen, der Einblick in die complicirten
Processe der Ei- und Samenreife und der durch sie herbeigeführten
Reduction der Kernsubstanz.
II. Neuere Zeuguugs- und Entwicklungstlieorieeii.
Die neuen Zeugungstheorieen sind vor allen Dingen von Darwin
(IX. 6), Spencer (IX. 26), und Nägeli (IX. 20), von mir (IX. 10-13)
und Strasburger (IX. 27, 28), von Weisraann (IX. 81— 34) und de Vries
(IX. 30) ausgearbeitet worden. In ihnen erscheint der schroffe Gegen-
satz, in welchem sich früher die Theorieen der Evolution und der
Epigenese einander gegenüberstanden, in vieler Hinsicht vermittelt, so
dass sie in einigen Beziehungen als eine Fortbildung evolutionistischer
Ansichten, in anderen Beziehungen ebenso gut als eine tiefere Durch-
führung epigenetischer Ansichten bezeichnet werden können, wie der
denkende Leser leicht herausfühlen wird. Von den alten aber unter-
scheiden sich die neuen Lehren, trotzdem sie nicht mehr als den Namen
von Hypothesen verdienen, dadurch, dass sie sich auf einem reichen und
wohl gesicherten Schatz zum Theil fundamentaler Thatsachen aufbauen.
Es würde mich zu weit führen, wollte ich hier eine gesonderte Dar-
stellung der Ansichten der oben genannten Forscher geben, die trotz
üebereinstimmung in vielen wesentlichen Dingen in Einzelheiten doch
wieder weit auseinandergehen. Ich werde mich daher auf eine kurze
Wiedergabe dessen, was mir die Quintessenz der modernen
Zeugungs- und Ent wicklungstheorieen zu sein scheint, be-
schränken.
Alle die zahlreichen Eigenschaften, welche in dem entwickelten
Organismus wahrgenommen werden, sind in den Geschlechtsproducten als
Anlagen enthalten. Sie werden von dem Erzeuger wieder auf das Zeugungs-
product übertragen und können insofern als dessen Erbmasse (Idioplasma,
Nägeli) bezeichnet werden. Jede Zeugung und jeder Entwicklungsakt ist
daher keine Neubildung, keine Epigenesis, sondern eine Umbildung, eine
Verwandlung einer Anlage oder einer mit potentiellen Kräften ausgestatteten
Substanz in" einen entwickelten Organismus, der seinerseits wieder An-
lagen erzeugt, ähnlich der Anlage, aus der er selbst hervorgegangen ist.
Bezeichnen wir den ausgebildeten Organismus als einen Makrokosmus,
so stellt im Gegensatz zu ihm die Erbmasse einen Mikrokosmus dar.
272 Neuntes Capitel.
zusammengesetzt aii szahlreiehen, gesetzmässig angeordneten, verschieden-
artigen Stotf'theilchen, die mit ihren eigenen besonderen Kräften ausge-
rüstet Träger der erblichen Eigenschaften sind. Wie Pflanze und Thier
sich zuweilen in Milliarden von Elementartheilen, in die Zellen, zerlegen
lassen, so ist jede Zelle selbst wieder aus sehr zahlreichen, kleinen, hypo-
thetischen Eleraentartheilchen aufgebaut.
Darwin, Spencer, Nägeli, de Vries haben ihren hypothetischen Ein-
heiten verschiedene Namen beigelegt, obwohl sie im Wesentlichen unter
denselben Aehnliches verstehen. Darwin (IX. 6) nennt sie in seiner
provisorischen Hypothese der Pangenesis K e i m c h e n oder G e m m u 1 a e ,
Spencer (IX. 26) spricht in seinen Principien der Biologie von physio-
logischen Einheiten, Nägeli (IX. 20) von Idioplasmatheilchen oder
Micellgruppen und de Vries (IX. 30) in Anlehnung an Darwins Pangenesis
von Pangenen.
W^as sind denn nun aber diese kleineren Elementareinheiten der
Zellen, für welche ich im Folgenden das Wort Idioblasten gebrauchen
will, in Anlehnung an Nägeli, welcher über die uns beschäftigenden
Fragen nach meiner Meinung w^ohl die scharfsinnigsten Erörterungen
angestellt hat?
Bei der Beantwortung der Frage ist im Auge zu behalten, dass sich
eine scharfe Definition für den Begriff zur Zeit nicht geben lässt, in der
Weise wie die Chemie und Physik ihre Atome und Moleküle zu definiren
vermag. Wir bewegen uns auf einem noch sehr dunklen Gebiet, etwa
wie die Naturforscher des vorigen Jahrhunderts, als sie für den thierischen
Körper einen Aufbau aus Elementareinheiten nachzuweisen versuchten.
Naturgemäss wird die Gefahr, auf Abwege zu gerathen, um so grösser
werden, je mehr man beim Ausbau einer solchen Hypothese auf das
Specielle einzugehen versucht. Ich werde mich daher so weit als möglich
nur an die allgemeinsten Eigenschaften zu halten suchen.
Die hypothetischen Idiolblasten sind die kleinsten Stofftheilchen, in
welche sich die Erbmasse oder das Idioplasma zerlegen lässt, und welche in
ihm in grosser Zahl und verschiedener Qualität enthalten sind. Sie sind je
nach ihrer verschiedenen stofflichen Natur die Träger besonderer Eigen-
schaften und rufen durch directe Wirkung oder durch verschiedenartig
combinirtes Zusammenwirken die unzähligen, morphologischen und physio-
logischen Merkmale hervor, welche wir an der Organismenwelt wahr-
nehmen. Sie lassen sich, um mich zweier Bilder zu bedienen, einmal
den Buchstaben des Alphabeths vergleichen, die gering an Zahl, doch
durch ihre verschiedene Combination Wörter und durch Combination von
Wörtern wieder Sätze von verschiedenartigstem Sinn bilden. Oder sie
sind den Tönen vergleichbar, durch deren zeitliche Aufeinanderfolge und
gleichzeitige Combination sich unendliche Harmonieen erzeugen lassen,
„Wie die Physik und die Chemie," bemerkt de Vries, „auf die
Moleküle und die Atome zurückgehen, so haben die biologischen Wissen-
schaften zu diesen Einheiten durchzudringen, um aus ihren Verbindungen
die Erscheinungen der lebenden Welt zu erklären."
So denkt sich Nägeli „die Merkmale, Organe, Einrichtungen,
Functionen, die alle uns nur in sehr zusammengesetzter Form wahr-
nehmbar sind, im Idioplasma in ihre wirklichen Elemente zerlegt." Als
solche bezeichnet de V^ries Stofftheilchen, welche das Vermögen besitzen,
Chlorophyll oder Blumenfarbstoff, Gerbsäure oder ätherische Oele, und
fügen wir weiter hin7Ai, Muskelsubstanz, Nervensubstanz etc. zu bilden.
Die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererbungstheurieen). 273
Aehnliche Ideen sind in etwas anderer Fassung und von anderen Ge-
sichtspunkten aus von Sachs (IX. 25) in seinem Aufsatz „Stoff und Form der
Ptianzenorgane" ausgesprochen worden, wenn er sagt: „Man muss ebensoviele
specifische Bildungsstoffe annehmen, als verschiedene Organfornien an einer
Pflanze zu unterscheiden sind." Man muss sich vorstellen, dass „sehr kleine
Quantitäten gewisser Stoffe jene Stoffmassen, mit denen sie gemischt sind,
dazu bestimmen, in verschiedenen organischen Formen zu erstarren".
Während wir uds nur unsicher zur Zeit ausdrücken können, wenn
es sich darum handelt, die specifische Natur eines einzelnen Idioblasten
anzugeben, können wir dagegen bestimmtere Schlüsse hinsichtlich einiger
ihrer allgemeinen Eigenschaften ziehen.
Es lässt sich erstens leicht als eine Denknothwendigkeit erweisen,
dass die hypothetischen Idioblasten das Vermögen be-
sitzen müssen, gleich den höheren Elementareinheiten,
den Zellen, sich durch Theilung zu vervielfältigen. Denn
vom Ei erhält ja jede Theilhälfte und von dieser wieder jede folgende
Tochterzelle Stofftheilchen zuertheilt, welche die Träger specifischer
Eigenschaften sind; also muss eine Vermehrung derselben während des
individuellen Entwicklungsprocesses stattfinden; sie müssen fortgesetzt
theilbar sein und müssen daher auch das Vermögen eigenen Wachsthums
besitzen, ohne welche fortgesetzte Theilbarkeit selbstverständlicher Weise
nicht denkbar ist. Mit logischer Consequenz nehmen daher Darwin,
Kägeli und de Vries Wachsthum und Theilbarkeit für ihre
Keimchen, ihre Idioplasmatheilchen und ihre Pangene an.
Die Annahme der Theilbarkeit gestattet uns noch einen zweiten
Schluss über die Natur der Idioblasten zu ziehen, den Schluss nämlich,
dass sie ihrem Wesen nach mit den Atomen und Molekülen der Chemie
und Physik nicht identisch sein können; denn die ersteren sind untheil-
bar, die letzteren zwar zerlegbar, aber nur in Theile, welche nicht mehr
die Eigenschaften des Ganzen besitzen. Ein bestimmtes Eiweissmolekül
kann nicht wachsen, ohne seine Natur zu verändern ; denn wenn es sich
neue Atomgruppen anlagert, tritt es in neue Verbindungen ein, wodurch
sein früheres Wesen aufgehoben wird, und ebenso wenig kann es in zwei
gleichartige Eiweissmoleküle zerfallen, da jede Theilung des Moleküls
ungleichwerthige Atomgruppen liefert. Daher sind die Idioblasten nicht
identisch mit den von Eisberg und Häckel (IX. 8 b) angenommenen
Plastidulen. Denn letztere besitzen nach Häckel einmal alle die physi-
kalischen Eigenschaften, welche die Physik den Molekülen oder den
zusammengesetzten Atomen überhaupt zuschreibt, ausserdem aber noch
besondere Attribute, welche ihnen ausschliesslich eigenthümlich sind, näm-
lich „die Lebenseigenschaften, durch welche sich überhaupt das Lebendige
vom Todten, das Organische vom Anorganischen unterscheidet".
Unsere Einheiten, die Keimchen Darwins, die Pangeiie von de Vries,
die physiologischen Einheiten von Spencer müssen somit zusammen-
gesetztere Einheiten, wenigstens Molekülgruppen sein. In dieser Grund-
anschauung stimmen alle eben genannten Forscher überein. So bemerkt
Spencer: „Es scheint nichts Anderes übrig zu bleiben, als anzunehmen,
dass die chemischen Einheiten sich zu Einheiten unendlich viel compli-
cirterer Art zusammenthun, als sie selbst sind, so complicirt sie auch
sein mögen, und dass in jedem Organismus die durch eine solche weitere
Verbindung hoch zusammengesetzter Moleküle erzeugten physiologischen
Einheiten einen mehr oder weniger verschiedenen Charakter besitzen."
Heitwig, Die Zelle und die Gewebe. 18
274 Neuntes Capitel.
Weim wir uns auf den Standpunkt der früher besprochenen
Nägeli'schen Hypothese von der Molekuhirstructur orpanisirter Körper
stellen, so können wir uns mit Nägeli von der Beschaffenheit der Iclio-
blasten folf^ende Vorstellung; bilden. „P^benso wenig wie Moleküle,
können sie einzelne Micellen (krystallinische Molekülgruppen) sein, denn
wenn diese auch als Gemenge von verschiedenen Albuniinatmodificationen
ungleiche Eigenschaften besässen, so würde ihnen doch die Fähigkeit, sich
zu vermehren und neue gleiche Micellen zu Inlden, mangeln. Wir finden
alle Bedingungen für die Beschaffenheit der Keimchen bloss in unlöslichen
und festverbundenen Gruppen von Albuminatmicellen; nur diese können
vermöge ihrer ungleichen Anordnung alle erforderlichen Eigenschaften
annehmen und vermittelst Einlagerung von Micellen in beliebigem Maasse
wachsen und durch Zerfallen sich vermehren. Die Pangenesiskeimchen
müssen also kleine ivlengen von Idioplasma sein."
An die vorstehende Erörterung lässt sich die Frage anknüpfen:
welche Vorstellung können wir uns von der Grösse und Zahl der
in einer Gesammtaulage enthaltenen Idioblasten machen?
Was die Grösse betrifft, so müssen jedenfalls die Idioblasten ausser-
ordentlich klein sein, da in dem winzigen Samenfaden alle erblichen
Anlagen eines hoch zusammengesetzten Organismus vorhanden sein
müssen. Nägeli hat denn versucht, sich auf Grund von Bereclmungen
eine ungefähre Vorstellung über diesen wichtigen Punkt zu machen.
Er geht von der Annahme aus, dass die hypothetische Formel der
Chemiker mit 72 Atomen Kohlenstoff (C 72 H 106 N 18 SO 22) nicht das
Eiweissmolekül, sondern ein aus mehreren Molekülen krystallinisch
gebautes Micell darstellt. Das absolute Gewicht desselben beträgt den
trillionsten Theil von 3,53 mg. Das specifische Gewicht des trockenen
Eiweisses ist 1,344. Daraus folgt, dass 1 Cubikmikromillimeter nahezu
400 Millionen Micellen einschliesst. Das Volum eines solchen Micells
berechnet Nägeli auf Grund einiger weiterer Voraussetzungen auf
0,0000000021 C.-Mik. Unter der Voraussetzung ferner, dass die Micellen
prismatisch und bloss durch zwei Schichten von Wassermolekülen überall
getrennt sind , würden auf einem Flächenraum von 0,1 Q.-Mik. 25 000
Micellen Platz finden. In einem Körperchen von der Grösse eines Samen-
fadens würden daher immerhin eine beträchtliche Menge gnippenweise
vereinter Micellen oder Idioblasten Platz haben können. Nach dieser
Eichtung stösst die vorgetragene Theorie auf keine Schwierigkeiten.
Logische Denkoperationeu gewinnen für die Naturforschung um so
mehr an Werth, als sich zeigen lässt, dass sie mit wahrnehmbaren That-
sachen in Harmonie stehen. Zu Gunsten der oben gemachten Annahme,
dass die Idioblasten sich durch Wachsthum und Selbsttheilung vermehren,
lassen sich denn auch folgende Beobachtungen geltend machen:
Die Fähigkeit der Selbsttheilung kommt nicht nur der
einzelnen Zelle als dem Elementarorganismus zu, sondern nachgewiesener-
maassen kleinen, in der Zelle eingeschlossenen, besonderen Stoffmengen.
So vermehren sich durch Einschnürung die Chlorophyll-, Stärke- und
Farbstoff"bildner; die an der Grenze des mikroskopisch Wahrnehmbaren
stehenden Polköqjerchen betheiligen sich an der Kernsegmentirung durch
Einschnürung; die Kernsegmente selbst zerfallen durch Längsspaltung
in Tochtersegmente, und dies beruht, wie man vielfach annimmt, darauf,
dass im Mutterfaden qualitativ verschiedene Einlieiten, Mutterkörner,
hinter einander aufgereiht sind, welche sich in zwei Tochterkörner ein-
schnüren und sich dann auf die Tochtersegmente gleichmässig vertheilen.
Die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererbungstheorieen). 275
Wenn es sich bei allen diesen Theilungen auch nicht um Idioblasten
handelt, für welche wir eine viel geringere Grösse angenommen haben,
so dürfen wir doch in ihnen Idioblastengruppen erblicken. Das Werth-
volle der angeführten Beobachtungen für unsere Theorie besteht darin,
dass sie uns lehren, wie in der Zelle kleine Stoffmengen selbständig
wachsen und sich durch Theilung vervielfältigen können.
Endlich sei noch eine letzte Annahme der Idioblastentheorie kurz
berührt.
Wenn aus einer Summe einzelner Anlagen ein bestimmter Organis-
mus zu Stande konmien soll, müssen die einzelnen Anlagen während des
Entwicklungsprocesses sich in einer regelmässigen Folge entfalten. Aus
Buchstaben entstehen Worte und aus Wörtern bestimmte Sätze mit einem
logischen Inhalt, und desgleichen entstehen aus Einzeltönen Harmonieen
und ganze Tonwerke nur durch zweckentsprechende Verknüpfung der
Grundelemente. So müssen wir denn auch annehmen, dass in der
Gesammtanlage die zahlreichen Idioblasten in einer gcsetzmässigen Zu-
sammenordnung enthalten sind. Hier liegt der für unsere Vorstellung
mit den grössten Schwierigkeiten verbundene Theil der Theorie.
Im Vorhergehenden sind einige logische Grundlagen für eine mole-
kularphysiologische Zeugungs- und Vererbungstheorie hauptsächlich im
Anschluss an Nägeli entwickelt worden. Es wird Sache der zukünftigen
Forschung sein, durch Beobachtung und Experiment Beweismaterial für
die Richtigkeit der einzelnen Annahmen herbeizuschaffen und dadurch
das Gedankengebäude mit sinnlich wahrnehmbaren und daher der Beob-
achtung und dem Experiment zugänglichen Verhältnissen in Beziehung
zu setzen. Ebenso wie der physiologische Gedanke von dem Aufbau der
Organismenwejt aus Elementareinheiten und von der darauf begründeten
Uebereinstimmung in der Structur der Pflanzen und Thiere einen realen
Inhalt in dem Erfahrungsschatz der Zellen- und Protoplasmatheorie
gewonnen hat, so muss ein entsprechender Zustand auch für die Ver-
erbungstheorie erstrebt werden. Mehrere Versuche sind auch bereits
schon in dieser Richtung gemacht worden. Sie knüpfen an die bei der
Befruchtung der Thiere, Pflanzen und Infusorien beobachteten Erschei-
nungen an.
III. Der Kern als Träger der erblichen Anlagen.
Strasburger und ich haben, veranlasst durch das Studium des Be-
fruchtungsprocesses und daran angeknüpfte theoretische Erwägungen, die
Hypothese aufgestellt, dass die Kerne die Träger der erblichen Eigen-
schaften sind, und haben der Kernsubstanz dadurch eine vom Protoplasma
verschiedene Aufgabe zuertheilt. Kurze Zeit vorher war schon Nägeli
(IX. 20) lediglich auf Grund logischer Erwägungen zu der Annahme
gezwungen worden, in den Geschlechtszellen zwei ihrem Wesen nach ver-
schiedene Arten von Protoplasma zu unterscheiden, eine Art , welche in
genau gleichen Mengen in der Ei- und in der Samenzelle vorhanden ist
und die erblichen Eigenschaften überträgt, und eine zweite Art, welche
im Ei in grossen Mengen angehäuft ist und in welcher sich vorzugsweise
die Ernährungsprocesse abspielen. Die erstere bezeichnet er als Idio-
p 1 a s m a , die zweite als E r n ä h r u n g s p 1 a s m a. Für die erstere ni mmt
18*
276 Neuntes Capitel.
er ein festeres Gefüge mit gesetzniässiger Verbindung der Micellen, für
die letztere einen grösseren Wasserreichthuni und eine mehr lockere
Aneinanderfügung der Micellen an. Das Idioplasma lässt er als ein
feines Netzwerk im ganzen Zellkörper verbreitet sein.
Wer überhaupt die logische Berechtigung für die Annahme eines
besonderen Idioplasma zugiebt, wird sich dem jetzt genauer zu begrün-
denden Gedankengang , dass die Kernsubstanz die Erbmasse sei , nicht
entziehen können. Auch hat diese Theorie den nicht zu unterschätzenden
Vorzug, der rein logischen Constmction von Nägeli, welche als solche
der Beobachtung unzugänglich und daher nicht fortbildungsfähig, also
auf die Dauer unfruchtbar ist, einen realen Inhalt gegeben und sie da-
durch in das Bereich der Beobachtung und weiterer wissenschaftlicher
Discussion hineingezogen, sie also fruchtbar gemacht zu haben.
Für die Hypothese, dass der Kern der Träger der erblichen Anlagen
ist, lassen sich vier Gesichtspunkte geltend machen.
1. Die Aequivalenz der männlichen und weiblichen Erbmasse.
2. Die gleichwerthige Vertheilung der sich vermehrenden Erbmasse
auf die aus dem befruchteten Ei hervorgehenden Zellen.
3. Die Verhütung der Summirung der Erbmasse.
4. Die Isotropie des Protoplasma,
1) Die Aequivalenz der männlichen und weibliehen Erbmasse.
Es ist ein als Wahrheit sich von selbst aufdrängender und daher
gleichsam als Axiom verwerthbarer Gedanke, dass Ei- und
Samenzelle zwei einander entsprechende Einheiten sind^
vondeneneine jede mit allen erb lichenEi genschaften der
Art ausgestattet ist und jede daher gleichviel Erbmasse
dem Kind überliefert. Das Kind ist im Allgemeinen ein
Mischproduct seiner beiden Eltern; es empfängt von Vater
und Mutter gleiche Mengen von Idioblasten oder wirk-
samen Theilchen, welche Träger der vererbbaren Eigen-
schaften sind.
Nun gleichen sich aber nur bei den allerniedrigsten Organismen die
Geschlechtszellen in ihrer Grösse und stofflichen Zusammensetzung; bei
den höheren Organismen bieten sie in beiden Beziehungen die gewaltigsten
Unterschiede dar, so dass in extremen Fällen ein thierischer Samenfaden
kaum den hundertmillionsten Theil eines Eies oder sogar noch viel
weniger ausmacht. Es ist wohl nicht denkbar, dass die Träger der Anlagen,
die a priori nach Zahl und Eigenschaften als gleichwTrthig angenommen
werden mussten, derartige Differenzen in ihrem Volum darbieten können.
Dagegen erklärt sich die Thatsache, dass zwei an Masse ganz verschiedene
Zellen die gleiche Vererbungspotenz besitzen, in sehr einfacher Weise
durch die Annahme, dass in ihnen Substanzen von sehr ver-
schiedenem Werth für die Vererbung, idioblastische und
nicht idioblastische, neben einander enthalten sind.
Hieraus erwächst für uns die Aufgabe, im Ei und Samenfaden das
Idioplasma aufzusuchen und von den übrigen Substanzen zu sondern.
Zunächst wird von vornherein kein Zweifel darüber bestehen, dass
die im Ei eingeschlossenen Reservestoffe, Fettkügelchen, Dotterplättchen
etc. in die Kategorie der für die Vererbung unwirksamen Keimstoffe zu
rechnen sind. Wenn wir von denselben aber auch ganz absehen, so sind
Ei- und Samenzelle noch immer nicht gleichwerthig hinsichtlich der Menge
Die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererbuiigstlieorieen). 277
ihrer übrigen Bestandtheile. Denn auch das Protoplasma einer grossen
Eizelle beträgt nach Abzug aller Dottereinschlüsse ausserordentlich
viel mehr als die Gesammtsubstanz eines Samenfadens; es entspricht
daher gleichfalls nicht der oben gestellten Bedingung. Derselben genügt
nur ein Theil der Ei- und Samenzelle; das ist ihre Kernsul)Stanz.
Das Studium der Befruchtungserscheinungen im Thier- und Pflanzen-
reich liefert hierfür die untrüglichsten Beweise.
Wie im siebenten Capitel beschrieben wurde, besteht das Wesen des
Befruchtungsprocesses darin, dass ein vom Samenfaden und ein von der Ei-
zelle abstammender Kern, ein Samenkern und ein Eikern, ein jeder be-
gleitet von seinen Centralkörperchen, sich zusammenlegen und zu einem
Keimkern verschmelzen, von dem in weiterer Folge durch vielmals wieder-
holte Theilprocesse alle Kerne des entwickelten Organismus abstammen.
Bei den Infusorien legen sich sogar zwei Individuen nur vorübergehend
aneinander, um die Wanderkerne auszutauschen, welche darauf mit den
stationären Kernen der Paarlinge verschmelzen.
Soweit die genaueste Beobachtung zeigt, liefern Ei- und Samenkern
völlig gleichwerthige Stoffmengen zur Bildung des Keimkerns, und zwar
gleich viel Polsubstanz, die ich den Kernbestandtheilen hinzurechne, und
gleich viel Nuclein.
Die Gleichwerthigkeit der Polsubstanz hat Fol (VII 14) bewiesen.
Für die Gleichwerthigkeit des Nucleins sprechen in unwiderleglicher
Weise die Beobachtungen van Benedens (VI. 4b) über den Befruchtungs-
process von Ascaris megalocephala.
Wir ziehen somit aus den Thatsachen der Befruchtungslehre den
wichtigen Schluss:
Da bei der Befruchtung die Kernsubstanzen (Nuclein
und Polsubstanz) die einzigen an Masse äquivalenten
Stoffe sind, die sich zu einer neuen Anlage^ dem Keim kern,
vereinigen, so können sie auch allein die von den Eltern
auf das Kind übertragenen Erbmassen sein. Wie sich hierbei
Nuclein und Polsubstanz zum Problem des Idioplasma verhalten, entzieht
sich wohl zur Zeit einer Beantwortung.
2) Die gleichwerthige Verth eilung der sich vermehrenden Erbmassen
auf die aus dem befruchteten Ei hervorgehenden Zellen.
Eine gleichmässige Vertheilung der sich vermehrenden Erbmasse
zwischen den Descendenten der Eizelle wird durch zahlreiche Thatsachen
der Zeugung und Regeneration unumgänglich verlangt: zuerst durch die
einfache Thatsache, dass jeder Organismus wieder zahlreiche Ei- oder
Samenzellen hervorbringt, die wieder dieselbe Erbmasse in der gleichen
Menge enthalten, wie die Geschlechtszellen, aus denen er entstanden ist.
Zweitens wird diese Annahme nothwendig gemacht durch die Beob-
achtung, dass bei vielen Pflanzen und ebenso auch bei vielen niederen
Thieren fast jeder kleinste Zellencomplex des Körpers im Stande ist, das
Ganze aus sich zu reproduciren.
Wird das Moospflänzchen Funaria hygrometrica zu einem feineu
Brei zerhackt, so lässt sich auf feuchter Erde aus jedem kleinsten
Fragment wieder ein ganzes Moospflänzchen züchten. Die Süsswasser-
hydra lässt sich in kleine Stückchen zerschneiden , von denen sich jedes
wieder zu einer ganzen Hydra mit allen ihren Eigenschaften umbildet.
Bei einem Baum können sich an den verschiedensten Stellen durch
278
Neuntes Capitel.
ins
denzweig
Wucherung vegetativer Zellen Knospen bilden, die zu einem Spross aus-
wachsen, der, vom Ganzen abgetrennt und in Erde verpflanzt, sich be-
wurzelt und zu einem vollständigen Baum wird. Bei Cölenteraten,
manchen Würmern und Tunicaten ist die ungeschlechtliche Vermehrung
auf vegetativem Wege eine ähnliche, da fast an jeder Stelle des Körpers
eine Knospe entstehen und zu einem neuen Individuum werden kann.
Bei Bougainvillea ramosa zum Beispiel (Fig. 168) entwickeln sich neue
Individuen nicht nur als Seitenzweige des Hydroidenstöckchens, sondern
auch aus Stolonen, die wurzelartig sich auf irgend einer Unterlage
ausbreiten und zur Befestigung des Stöckchens dienen.
Drittens zeigen viele
Vorgänge der Regeneration
oder Wiedererzeugung ver-
loren gegangener Theile,
dass in der Zelle ausser
den offenbar gewordenen Ei-
genschaften auch noch an-
dere, latente Eigenschaften
schlummern , welche durch
die abnormen Bedingungen
zur Entfaltung gebracht wer-
den können.
Ein abgeschnittener und
Wasser gestellter Wei-
entwickelt wurzel-
bildende Zellen an seinem
unteren Ende, und so wird
hier von Zellen, die im
Plane des ursprünglichen
Ganzen eine sehr abwei-
chende Function zu erfüllen
hatten, eine den neuen Be-
dingungen entsprechende
Aufgabe übernommen , ein
Beweis, dass die Anlage dazu
in ihnen gegeben war. Und
so können sich umgekehrt
auch aus abgeschnittenen
Wurzeln Laubsprosse bilden,
die dann zu ihrer Zeit selbst männliche und weibliche Geschlechtspro-
ducte hervorbringen. In diesem Fall stammen also direct aus Zellbe-
standtheilen einer Wurzel Geschlechtszellen ab, die als solche wieder
zur Reproduction des Ganzen dienen. Aehnliche Verhältnisse zeigen nach
den Untersuchungen von Loeb (IX, 17) einzelne Hydroidpolypen.
Die Botaniker hängen zum grössten Theil der Lehre an, die kürz-
lich noch de Vries (IX. 30) gegen Weismann vertheidigt und in den Satz
zusammengefasst hat, dass alle oder doch weitaus die meisten
Zellen des Pflanzenkörpers die sämmtlichen erblichen
Eigenschaften der Art im latenten Zustand enthalten.
Dasselbe lässt sich aufGrund von Thatsachen von niedrigen
thierischen Organismen sagen. Für höhere Thiere kann man
den Beweis allerdings nicht führen ; deswegen ist man aber nicht zu der
Folgerung gezwungen, dass die Zellen der höheren und niederen Orga-
Fig. 168. Bougainvillea ramosa. Aus
Lang.
h Hydranthen,
erzeugen (Amme), m
ramosa.
welche Medusenknospen (mk)
Losgelöste Meduse Margeiis
Die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererbungstheorieen). 279
nisinen insofern verschieden wären, als die letzteren alle Eigenschaften
der Art im latenten Zustand, also die Gesammtheit der Erbmasse, die
ersteren dagegen nur noch Theile von ihr enthielten. Denn ebenso nahe
liegt der Schluss, dass bei den höheren Thieren das Unvermögen der
meisten Zellen, latente Eigenschaften zu entfalten, an den äusseren Be-
dingungen liegt, z. B. an der zu grossen Differenzirung des Zellkörpers,
in welche die Erbmasse eingeschlossen ist, und an anderen derartigen
Verhältnissen.
Kein geringerer als Johannes Müller (IX. 18) hat schon die Frage
aufgeworfen: „Wie kommt es, dass gewisse Zellen der organischen Körper,
den anderen und der ersten Keimzelle gleich , doch nichts erzeugen
können, als ihres Gleichen, d. h. Zellen, aber keineswegs der Keim zu
einem ganzen Organismus werden können? wie die Hornzellen zwar
neben sich durch Aneignung der Materie neue Hornzellen, die Knorpel-
zellen neue Knorpelzellen in sich bilden, aber keine Embryonen oder
Knospen werden können?" Und er hat auf diese Frage geantwortet :
„Dieses kann davon abhängen, dass diese Zellen, wenngleich die Kraft
zur Bildung des Ganzen enthaltend, doch durch eine specielle Metamor-
phose ihrer Substanz in Hörn und dergleichen eine solche Hemmung er-
fahren haben, dass sie sowohl bald ihre Keimkraft am Stammorganismus
verlieren und todt geworden sich abschuppen, als auch, vom Stamm des
Ganzen getrennt, nicht wieder Ganzes werden können."
Mag man indessen über die Verhältnisse bei den höheren Thieren
denken wie man will, für unsere Zwecke genügt schon vollständig die
Erkenntniss, dass bei den Pflanzen und bei niederen Thieren
alle vom Ei abstammenden Zellen in gleichen Verhält-
nissen Erbmasse enthalten. Dieselbe muss daher vor
jeder Theilung in den Zellen sich durch Wachsthum auf
das Doppelte vermehren. Alle Idioblasten müssen sich
theilen und müssen dann in qualitativ und quantitativ
gleichen Beträgen auf die Tochterzellen übertragen
werden.
Denselben Gesichtspunkt hat Nägeli entwickelt (IX. 20 S. 531), in-
dem er erklärt: „Das Idioplasnia zerfällt, indem es sich fortwährend im
entsprechenden Maasse vermehrt, bei den Zelltheilungen , durch welche
der Organismus wächst, in ebenso viele Partieen, die den einzelnen
Zellen zukommen." Daher ist „jede Zelle des Organismus idioplasmatisch
befähigt, zum Keim für ein neues Individuum zu werden. Ob diese
Befähigung sich verwirklichen kann, hängt von der Beschaffenheit des
Ernährungsplasmas ab".
Wenn wir von diesem zweiten Gesichtspunkte aus die Lebensprocesse
der Zellen überblicken, so kann es wohl wiederum keinem Zweifel unter-
liegen, dass von allen uns bekannten Zelltheilen die Kernsubstanz allein
allen geltend gemachten Bedingungen und zwar in vollem Maasse
genügt.
In allen Elementartheilen bei Pflanzen und Thieren zeichnet sich
der Kern durch eine überraschende Gleichförmigkeit aus: Wenn wir von
einzelnen Ausnahmen absehen, die eine besondere Erkläning erheischen,
erscheint uns der Kern in allen Elementartheilen desselben Organismus
immer nahezu in derselben Form und Grösse, während das Protoplasma
an Masse ausserordentlichem Wechsel unterworfen ist. In einer Endothel-
zelle, einem Muskel- oder Sehnenkörperchen, ist der Kern nahezu eben-
so beschaffen und ebenso substanzreich, wie in einer Epidermis-, einer
280 Neuntes Capitel.
Leber- oder Knorpelzelle, während in dem ersten Falle das Protoplasma
nur noch in Spuren nachweisbar, im letzteren reichlicher vorhanden ist.
Aber wichtiger als dies, sind die so auffälligen, complicirten
Erscheinungen des Kerntheilungsprocesses, die im Lichte
unserer Theorie erst eine tiefere Bedeutung gewinnen und dem Ver-
ständniss erschlossen werden. Die Anordnung der Substanz in Fäden, die
aus kleinen, aneinander gereihten Mikrosomen bestehen, die Schleifen- und
Spindelbildung, die Halbirung der Fäden ihrer Länge nach und die Art
ihrer Vertheilung auf die Tochterkerne hat doch offenbar keinen anderen
Zweck, als die Kerusubstanz in zwei gleiche Hälften zu zerlegen und den
Tochterzellen ziizutheilen.
Sehr treffend hat schon Eoux, von andern Gesichtspunkten als den
oben ausgeführten ausgehend, „die Kerntheilungsfiguren als
Mechanismen bezeichnet, welche es ermöglichen, den Kern
nicht bloss seiner Masse, sondern auch der Masse und Be-
schaffenheit seiner einzelnen Qualitäten nachzutheilen."
„Der wesentliche Kerntheilungsvorgang ist die Theilung der Mutterkörner ;
alle übrigen Vorgänge haben den Zweck, von den durch diese Theilung
entstandenen Tochterkörnern desselben Mutterkornes immer je eines in
das Centram der einen, das andere in das Centrum der andern Tochter-
zelle sicher überzuführen." Vertauschen wir in diesem Satz das Wort
„Mutterkorn" mit dem Wort „Idioblast", so haben wir den Process der
Kernsegmentirung mit der Vererbungstheorie in Verbindung gesetzt.
Bei der Bedeutung der Kernsubstanz als Erbmasse begreift es sich
auch, warum dieselbe den gröberen Vorgängen des Stoffwechsels, wie sie
sich im Protoplasma abspielen, mehr entzogen und zum besseren Schutz
in so auffälliger Weise in ein mit besonderer Membran versehenes Bläs-
chen eingeschlossen worden ist.
3) Die Verhütung der Summirung der Erbmassen.
Als ein sehr wichtiges Moment in der Beweisführung betrachte ich
den dritten Punkt, nämlich die Verhütung der Summirung der Erbmassen
bei der geschlechtlichen Zeugung.
In Folge des Wesens des Kerntheilungsprocesses erhält jede Zelle
dieselbe (^)uantität Kernsubstanz wie die befruchtete Eizelle Ä. Wenn
daher zwei ihrer Descendenten als Geschlechtszellen sich wieder ver-
einigten, so müsste das Zeugungsproduct B die doppelte Kernmasse er-
halten, als die Zelle Ä besass, die uns zum Ausgang diente. Erfolgte
eine neue Copulation in der dritten Generation, so müsste C wieder die
doppelte Kernmasse von B oder die vierfache von Ä erhalten, und so
würde bei jeder neuen Zeugung durch den Befruchtungsprocess die Kern-
masse in geometrischer Progression anwachsen. Ein solches Anwachsen
muss daher in der Natur durch irgend einen Vorgang in besonderer
Weise verhindert werden.
Dieselbe Betrachtung ist auf das Idioplasma anwendbai-, wenn das-
selbe in voller Masse auf jede Zelle vererbt und jedes Mal durch den
Befruchtungsakt verdoppelt werden würde. An und für sich würde zwar
dadurch seine Natur nicht verändert werden. Denn anstatt zwei Mal
würden alle einzelnen Anlagen \ier Mal , acht Mal und noch mehr ver-
treten sein. So würde bei Zunahme der Quantität die Qualität immer
dieselbe bleiben. Aber es liegt auf der Hand, dass die Massenzunahme
nicht eine unbegrenzte sein kann. Auch Nägeli und besonders Weis-
Die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererbungstheorieen). 281
mann haben diese Schwierigkeit hervorgehoben und nach einer Erklärung
gesucht.
„Wenn bei jeder Fortpflanzung durch Befruchtung", bemerkt Nägeli,
„das Volumen des irgendwie beschaftenen Idioplasmas sich vordoppelte,
so würden nach nicht sehr zahlreichen Generationen die Idioplasniakörper
so sehr anwachsen, dass sie selbst einzeln nicht mehr in einem Spermato-
zoid Platz fänden. Es ist also durchaus iiotliwendig, dass bei der digenen
Fortpflanzung die Vereinigung der elterlichen Idioplasmakörper erfolge,
ohne eine den vereinigten Massen entsprechende , dauernde Vergrösse-
rung dieser materiellen Systeme zu verursachen." Nägeli sucht diese
Schwierigkeit durch die Annahme zu beseitigen, dass das Idioplasma aus
Strängen bestehe, die er in besonderer Weise so miteinander verschmelzen
lässt, dass der Querschnitt des Verschmelzungsproductes derselbe wie im
einfachen Faden bleibt, dagegen eine Zunahme in der Länge erfolgt
(IX. 20 Seite 224).
Namentlich aber hat sich Weismann (TX. 32 — 34) mit dem hier auf-
geworfenen Problem eingehend beschäftigt und darzuthun versucht, dass
eine Summirung der Erbmasse durch einen Pteductionsprocess verhütet
werde, durch welchen sie jedesmal vor der Befruchtung auf die Hälfte
verkleinert werde. Er hält die theoretische Forderung einer bei jeder
Generation sich wiederholenden Reduction so sicher begründet, „dass die
Vorgänge, durch welche dieselbe bewirkt wird, gefunden werden müssten,
wenn sie in den von ihm so gedeuteten Thatsachen noch nicht enthalten
sein sollten".
Weismann ist allerdings zu dieser Forderung durch Anschauungen
über die Natur des Idioplasma geführt worden, welche sich mit den hier
entwickelten nicht decken. Sie sind von ihm als Ahnenplasma-
theorie zusammengefasst worden, auf deren wesentliche Gesichtspunkte
ich später zurückkommen werde.
Es führen also die Untersuchungen des Befruchtungsprocesses und
der Kerntheilung einerseits, logische Erwägungen über die Verschmelzung
zweier Erbmassen und ihre Vertheilung auf die Zellen andererseits zu
derselben Forderung, dass eine Summirung dort der Kernsubstanz,
hier der Erbmassen verhindert werden müsse. Die Uebereinstira-
mung spricht gewiss in hohem Maasse für die Annahme , dass die
Kernsubstanz selbst die gesuchte Erbmasse ist, zumal wenn sich bei
der Kernverschmelzung Vorgänge nachweisen lassen, durch welche in
recht augenfälliger Weise der als nothwendig erkannten Forderung ent-
sprochen wird.
Um zu verhüten, dass durch die Addition zweier an Masse gleich-
werthiger Theile das Product an Masse nicht mehr beträgt, als einer
der Theile für sicli, kann man a priori wohl nur zwei Wege ein-
schlagen. Entweder man halbirt vorher die zu vermischenden Theile,
oder man halbirt das durch die Vermischung erhaltene Product. Die Natur
scheint sich beider Verfahren beim Befruchtungsprocess bedient zu haben.
Das eine Verfahren findet sich bei phanerogamen Pflanzen und liei
Thieren durchgeführt. Bei der Keife der männlichen und weiblichen
Geschlechtsproducte wird durch den auf Seite 189 ausführlicher l)eschrie-
benen Process der Reductionstheilnng die Kernmasse der Ei- und Samen-
mutterzelle auf vier Enkelzellen so vertheilt, dass jede von ihnen nur
noch die halbe Kernmasse einer gewöhnlichen Zelle und in entsprechender
Weise auch nur die halbe Zahl von Kernsegmenten erhält.
Das zweite Verfahren sehe ich bei dem Befruchtungsi)rocess von
282 Neuntes Capitel.
Closterium verwirklicht. Hier theilt sich nach den Beobachtungen von
Klebahn (VII. 27) der durch Verschmelzung zweier Kerne entstandene
Keinikern sofort zweimal hintereinander, wie bei der Bildung der Pol-
zellen , ohne in ein Euhestadium einzutreten. Von den vier bläschen-
förmigen Kernen gehen zwei zu Grunde, so dass jede Theilhälfte der
ersten Mutterzelle nur einen Kern erhält, der anstatt die Hälfte, wie
bei einer Normaltheilung, nur ein Viertel der Substanz des Keimkerns
besitzt. (Siehe die Darstellung und Abbildungen auf Seite 224.)
Wenn u n s e r e r A n n a h m e n a c h K e r n m a s s e un d E r b m a s s e
ein und dasselbe sind, so würde sich aus dem Process der
Reductionstheilung die Folgerung nothwendig ergeben,
dass die Erbmasse bis zu einem gewissen Grade t heilbar
ist, ohne ihre Eigenschaft, aus sich das Ganze zu repro-
duciren, zu verlieren. Es fragt sich, in wie weit sich diese Auf-
fassung rechtfertigen lässt.
Weismann und ich, welche wir beide die Nothvvendigkeit einer
Massenreduction betonen, sind im Einzelnen zu sehr verschiedenen Auf-
fassungen gekommen.
In seiner Ahnenplasmatheorie geht Weismann von der Voraussetzung
aus, dass in der Erbmasse sich die väterliclien und mütterlichen Antheile
getrennt erhalten und Einheiten bilden , die er Ahnenplasmen nennt.
Für dieselben nimmt er einen sehr verwickelten Bau und eine Zusammen-
setzung aus ungemein zahlreichen, biologischen Einheiten an. Bei jeder
neuen Befruchtung kommen nun immer zahlreichere Ahnenplasmen zu-
sammen. Wenn wir uns an den Anfang des ganzen Befruchtungsprocesses
zurückversetzen, so müssen schon bei der zehnten Generation 1024 ver-
schiedene Ahnenplasmen in die Zusammensetzung der Erlmiasse einge-
gangen sein. Damit aber die Gesammtmasse der letzteren bei jeder Be-
fruchtung nicht auf das Doppelte anwachse, lässt Weismann auf den
Anfangsstufen des Befruchtungsprocesses die Ahnenplasmen theilbar sein
und jedes Mal auf die Hälfte verkleinert der folgenden Generation über-
liefert werden, „zuletzt aber muss einmal", so wird weiter gefolgert, „eine
Grenze dieser steten Verkleinerung der Ahnenplasmen erreicht werden,
und zwar dann, wenn die Substanzmenge, welche nöthig ist, damit alle
„Anlagen" des Individuums darin enthalten sein können, ihr Minimum
erreicht hat."
Von diesem Zeitpunkt an, der übrigens bei niedrigen, sich rasch
vermehrenden Organismen in wenigen Jahren erreicht sein würde, müsste
in Folge der nicht mehr möglichen Verkleinerung der Ahnenplasmen
wieder eine Summirung der Erbmassen durch jede neue Befruchtung
herbeigeführt werden, wenn nicht eine neue Einrichtung getroffen würde.
Eine solche findet Weismann darin, dass jetzt bei der Reife der Ge-
schlechtsproducte vor der Befruchtung jedes Mal die Hälfte der Ahnen-
plasmen aus der Erbmasse ausgestossen werde (Polzellenbildung). An
Stelle der Theilbarkeit der einzelnen Ahnenplasmen also
tritt von dem Zeitpunkt an, wo sie zu nicht mehr theilbaren Einheiten
geworden sind, die Theillbarkeit der Zahl der Ahnenplasmen.
So gestaltet sich nach den Annahmen von Weismann die Erbmasse
zu einem ausserordentlich complicirten Mosaikwerk, zusammengesetzt aus
zahllosen, ihrer Natur nach untheilbaren und mit anderen nicht misch-
baren Einheiten, den Ahnenplasmen, von denen jedes wieder zusammen-
gesetzt ist aus zahlreichen Anlagen, die zur Hervorrufung eines voll-
ständigen Individuums nothwendig sind.
Die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererbungstheorieen). 283
Demnach würde jede Erbmasse ihrer Zusammensetzung^ nach zahl-
lose Individuen aus sich hervorbringen müssen, wenn jedes Ahnenplasma
activ werden könnte. Das Wesen des Befruchtungsvorganj^es gestaltet
sich zu einer Zusammensetzung und Eliminirung von Ahnenplasmen.
Eine weitere Consequenz der Ahnenplasmatheorie ist die Häufung gleich-
v/erthiger Anlagen in der Erbmasse. Denn als Glieder einer Art sind
die zeugenden Individuen einander in ihren Eigenschaften, von geringen
individuellen Färbungen abgesehen, wesentlich gleich Alle Ahnenplasmen
müssen daher wesentlich dieselben Anlagen enthalten. Dieselben Anlagen
werden in der Erbmasse so vielmals vertreten sein, als die Zahl der
Ahnenplasmen beträgt, wobei die meisten einander gleich sind, einige
diese oder jene Nuance darbieten. Alle diese gleichartigen oder nüan-
cirten Anlagen aber würden in keiner directen Beziehung zu einander
stehen, da sie bei der angenommenen Untheilbarkeit der Ahnenplasmen
integrirende Bestandtheile derselben bleiben müssen.
Durch die Ahnenplasmatheorie von Weismann wird die Frage der
Vererbung anstatt vereinfacht, complicirt gemacht, und dies lediglich der
Annahme zu Liebe, dass die väterlichen und die mütterlichen Erbmassen
nicht miteinander mischbar seien.
Ich sehe ein Verdienst der Weismanu'schen Construction darin ge-
zeigt zu haben, zu welchen Schwierigkeiten gerade diese Annahme führt.
Dieselbe erscheint aber völlig überflüssig; weder Nägeli noch de Vries
machen sie, setzen vielmehr eine Mischbarkeit der in den zwei Erbmassen
enthaltenen Einheiten voraus. Auch ich kann mir den Process erblicher
Uebertragung nicht anders vorstellen , als dass die I d i o b 1 a s t e n
väterlicher und mütterlicher Herkunft sich nicht mehr
als Theile zweier getrennter Anlagen forterhalten, sondern
sich in irgend einer Weise zu einer Mischanlage vereinigen.
Wie lässt sich dann bei dieser Voraussetzung die durch die ge-
schlechtliclien Zeugungsacte bedingte Sumrairung der Erbmasse verhüten?
Ich glaube, dass sich nicht die geringste Schwierigkeit erhebt, wenn wir
eine T heil barkeit der ganzen Erbmasse annehmen. Diese An-
nahme hat ja auch Weismann für die Anfänge der geschlechtlichen Zeugung
gemacht, da sonst eine Summirung der Ahnenplasmen, ohne eine Zu-
nahme der Erbmasse zu veranlassen, überhaupt nicht hätte eintreten
können.
Th eilbar kann aber die Erbmasse, ohne ihr Wesen zu
verändern, nur sein, wenn in ihr die einzelnen Idioblasten
in mehrfacher Anzahl vorhanden sind. Da nun die Kinder
aus zwei nahezu gleichwerthigen Anlagecomplexen der Eltern hervor-
gehen, so werden in der kindlichen Anlage uleichwerthige Idioblasten
wenigstens in doppelter Zahl vertreten sein müssen. Es steht aber auch
nichts im Wege, anstatt einer doppelten Zahl eine vier-, acht- oder
allgemein gesagt überhaupt eine mehrfache Zahl gleichwerthiger Idio-
blasten in der Erbmasse vorauszusetzen. Dann ist aber eine Massen-
reduction, ohne die Natur des Idioplasma selbst zu verändern, selbstver-
ständlicher Weise möglich in der Art, wie sie bei der Reife der Geschlechts-
producte beobachtet wird , und sind weitere complicirte Hülfshypothesen
überflüssig.
Um die sogenannten Rückschläge bei der Vererbung zu erklären,
kommt man auch ohne die Annahme von Ahnenplasmen aus; denn wie
wir später sehen werden, können sich Anlagen latent erhalten.
284 Neuntes Cajjitel.
4) Die Isotropie des Protoplasma.
Von manchen Seiten ist versucht worden, dem .uanzen Ei eine
Or.iianisation zuzuschreiben der Art, dass es aus kleinsten Tlieilchen
zusammengesetzt sei, die in ihrer räumlichen Anordnung Organen des
erwachsenen Thieres entsprechen und die Anlagen derselben darstellen.
Am klarsten ist die Auffassung von His für das Hühnerei formulirt
woiden in seinem Princip der organbildend en Keim bezirke.
Danach muss „einestheils jeder Punkt im Embryonalbezirk der Keimscheibe
einem späteren Organ oder Organtheil entsj)rechen und anderentheils muss
jedes aus der Keimscheibe hervorgehende Organ in irgend einem räumlich
bestimmbaren Bezirk der flachen Scheibe seine vorgebildete Anlage haben.
Das Material zur Anlage ist schon in der ebenen Keimscheibe vorhanden,
aber morphologisch nicht abgegliedert und somit als solches nicht ohne
Weiteres erkennbar. Auf dem Wege rückläufiger Verfolgung werden wir
dahin kommen, auch in der Periode unvollkommener oder mangelnder
morphologischer Gliederung den Ort jeder Anlage räumlich zu bestimmen ;
ja wenn wir consequent sein wollen, haben wir diese Bestimmung auch
auf das eben befruchtete und selbst auf das unbefruchtete Ei auszudehnen."
Es braucht wohl kaum hervorgehoben zu werden, in w'elchem schroffen
Gegensatz das Princip der organbildenden Keimbezirke zu der oben vor-
getragenen Vererbungstheorie steht. Dasselbe bietet — was ihm von
vornherein vorgeworfen werden muss — für die Wirksamkeit der väter-
lichen Anlage auf die Formbildung des Embryo keinen Piaum ; es müsste
sclion lediglich aus diesem Grunde fallen gelassen werden. Aber hiervon
abgesehen, lässt es sich auch auf Grund verschiedener, experimenteller
Thatsachen, welche, wie Pflüger sich ausgedrückt hat, eine Isotropie
des Eies beweisen, direct widerlegen.
Unter Isotropie des Eies versteht Pflüger (VII. 00) die Erscheinung,
dass der Inhalt des Eies nicht in der Weise gesetzmässig angeordnet
ist, dass sich auf diesen oder jenen Theil die einzelnen Organe zurück-
führen lassen. Er schliesst dies aus Versuchen an Froscheiern. Da
dieselben aus einer animalen, schwarz pigmentirten und aus einer vege-
tativen, specifisch schwereren, helleren Kugelhälfte bestehen, so nehmen
sie im Wasser gleich nach der Befruchtung eine genau bestimmte Gleich-
gewichtslage derart an, dass sie die schwarze Seite stets nach oben
kehren, wobei die Eiaxe, die Verbindung des animalen mit dem vege-
tativen Pol, vertical steht. Der Experimentator kann nun eben l3e-
fruchtete Eier in Zwangslage bringen, d. h. sie verhindern, dass sie sich
in der Dotterhaut, ihrer Schwere folgend, drehen, indem Reibungen an
der Dotterhaut ihrer Drehung entgegenwirken. Er kann z. B. dem Ei
eine solche Zwangslage geben, dass die Eiaxe, anstatt sich vertical ein-
zustellen, in eine horizontale Richtung zu liegen kommt. Wenn jetzt die
erste Theilung beginnt, so bildet sich die erste Theilebene trotz der ver-
änderten Lage des Eies doch wieder in verticaler Richtung aus, denn ihre
Stellung hängt, wie auf Seite 176 gezeigt wurde, von der Lage der Kern-
spindel ab. Der Kern aber und die specifisch leichteren luhaltstheile
erfahren bei der Zwangslage des Eies Umlagerungen , die von Born
(IX. 37) genauer beschrieben worden sind und die eine verticale Stellung
der ersten Theilebene zur Folge haben. Letztere kann hierbei mit der
horizontal gelegenen Eiaxe bald diesen, bald jenen Winkel beschreiben.
Z. B. sah Pflüger öfters, dass die erste Theilungsebene das Ei in eine
schwarze und in eine weisse Hemisphäre sonderte. Hier besteht also
ganz off'enl)ar jede Halbkugel aus anderen Substanztheilchen als bei
Die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererb ungstheorieen). 285
der normalen Entwicklung. Trotzdem geht aus dem Ei ein normaler
Embryo hervor und lässt sogar zur Zeit , wo Chorda und Rückenmark
schon entstanden sind, noch erkennen, dass seine eine Körperhälfte
dunkler als die entgegengesetzte gefärbt ist. Je nach der einen oder
anderen Stellung der ersten Furchungsebene müssen sieh die einzelnen
Organe immer aus verschiedenen Inhaltsportionen des Eies aufbauen.
Weitere Beweise für die Isotropie des Eies liefern die Experimente
von Richard Hertwig und mir (VI. 38), von Boveri (IX. 4), von Driesch
(IX 7) und von Chabry (IX. 5).
Richard Hertwig und ich fanden, dass sich Seeigel-Eier durcli heftiges
Schütteln in kleinere Stücke zerlegen lassen, die sich kuglig abrunden
und durch Samen befruchtet werden können. Aus derartigen kleinen,
befmchteten Stücken konnten von Boveri einzelne Zwerglarven gezüchtet
werden.
Driescli hat bei normal entwickelten, zweigetheilten Seeigeleiern
durch Schütteln die zwei ersten Furchungskugeln voneinander getrennt
und durch Isolirung derselben festgestellt, dass aus jeder Hälfte sich eine
normal gestaltete, nur etwas kleinere Blastula und Gastrula und in einzelnen
Fällen selbst ein Pluteus entwickelt.
Ein entsprechendes Ergebniss hat Chabry gewonnen. Er hat entweder
bei zweigetheilten Ascidieneiern die eine Theilhälfte oder auf dem Vier-
theilungsstadium eine der vier Zellen durch Anstechen zerstört. In vielen
Fällen gelang es ihm, aus so verstümmelten Eiern vollständige normale
Larven zu züchten, die nur zuweilen untergeordnete Organe wie einen
Otolithen oder eine Haftpapille vermissen Hessen.
Aus allen diesen Experimenten wird der fundamentale Satz bewiesen,
dass der Zellkern in einen beliebigen Bru cht heil des Ei-
dotters eingeschlossen noch einen vollständigen Organis-
mus hervorzubringen i m Stande ist. Die Isotropie des
Eies widerlegt das Princip der organbildenden Keim-
bezirke. Sie ist zugleich ein weiterer Beweis für die
Ansicht, dass das I d i o p 1 a s m a nicht im Protoplasma,
sondern im Kern zu suchen ist. Zugleich gestattet sie uns, einige
Schlüsse über den Aufbau des Protoplasma und der Kernsubstanz zu
ziehen.
Das Protoplasma muss aus mehr gleichartigen, locker untereinander
verbundenen Theilchen oder Micellen bestehen. Denn erstens genügen
Bruchstücke einer Zelle, wenn sie den Kern noch besitzen, um eine
normale Entwicklung durchzumachen (siehe die Experimente auf Seite 264).
Zweitens kann die erste Theilebene durch äussere Eingriffe veranlasst
werden, in den verschiedensten Richtungen den Eiinhalt zu halbiren, ohne
dass dadurch das Entwicklungsproduct irgend eine Abweichung von der
Norm erführe. Drittens können an Froscheiern, die in Zwangslage gehalten
sind, unter dem Einfluss der Schwere beträchtliche Umlagerungen der Ei-
substanzen hervorgerufen w^erden, ohne die Entwicklung zu stören. Viertens
können wir auf einen lockern Micellarverband aus der Erscheinung der
Protoplasmaströmung schliessen, bei welcher ja nothwendiger Weise die
Micellengruppen sich in den verschiedensten Richtungen und scheinbar
regellos an einander vorbeischieben müssen. Auf eine stabilere Anordnung
der Kernsubstanz dagegen weist die Complicirtheit der ganzen Kern-
segmentirung hin.
Einen gleichen Unterschied hat Nägeli für sein hypothetisches Er-
nährungsplasma und sein Idioplasma angenommen. „Wenn die Anordnung
286 Neuntes Capitcl.
der Micellen,'" heisst es l)ei ihm (p. 27, 41), „die specifischen Eigenschaften
des Idioplasnias begründet, so muss das letztere eine ziemlich feste
Substanz darstellen, in welcher die Micellen durch die in dem lebenden
Organismus wirksamen Kräfte keine Verschiebung erfahren, und in welcher
der feste Zusammenhang bei der Vermehrung durch Einlagerung neuer
Micellen die bestimmte Anordnung zu sichern vermag. Das gewöhnliche
Plasma dagegen ist ein Gemenge von flüssigem und festem Plasma,
wobei die beiden Modificationen leicht ineinander übergehen und die
Micellen oder Micellverbände der unlöslichen Modification, wie dies für
das strömende Plasma nicht anders angenommen w^erden kann, sich mit
grosser Leichtigkeit gegenseitig verschieben." Nägeli bezeichnet es daher
als „eine kaum von der Hand zu weisende Annahme, dass das Idio-
plasma durch den ganzen Organisnuis als zusammenhängendes Netz
ausgespannt sei."
IV. Die Entfaltung: der Anlagen.
Wenn wir eine besondere Anlagesubstanz oder Idioplasma in der
Zelle unterscheiden, so bleibt zu untersuchen, in welcher Weise die ein-
zelnen Idioblasten wirksam werden und durch ihre Entfaltung die speci-
fischen Eigenschaften oder den Charakter einer Zelle bestimmen.
Man hat sich vorgestellt, dass das Idioplasma während des Entwick-
lungsprocesses des Eies durch den Kerntheilungsprocess qualitativ ungleich
getheilt würde, so dass ein Theil der Zellen diese, ein anderer Theil
wieder jene Eigenschaften, die sich dann später in ihnen entfalten wür-
den, überliefert bekäme. Nach dieser Anschauung würde die wesentliche
Form der Entwicklung darin bestehen, den gesammten Anlagecomplex,
welchen das Idioplasma des befruchteten Eies repräsentirt, nach und nach
in seine einzelnen Anlagen zu zerlegen und dieselben örtlicli und zeitlich
verschieden auszutheilen. Nur die Zellen, welche zur Wiedererzeugung
des Organismus dienen, sollen eine Ausnahme machen und beim Ent-
wicklungsprocess den gesammten Anlagecomplex wieder empfangen. Es
wird also eine doppelte Vertheilungsweise des Idioplasma angenommen,
eine gleichartige durch Wachsthum und Halbirung und eine ungleich-
artige durch Zerlegung in verschiedenartige Componenten.
Wie ein solcher Vorgang sich in Wirklichkeit in einem concreten
Fall vollziehen soll, ist nicht leicht vorzustellen. Auch setzt sich diese
Annahme in Widerspruch init den schon früher angeführten Thatsachen
der Zeugung und Regeneration, mit der Thatsache, dass bei Pflanzen und
niederen Thieren fast jeder Zellenhaufen das Ganze wieder erzeugen
kann, und mit der Thatsache, dass Zellen ihre Function verändera
können, wie das Studium der Regeneration lehrt.
So erscheint denn die von mir (IX. 10 — 13) mehrfach verfochtene
Ansicht, die auch von Nägeli, de Vries etc. getheilt wird, in grösserem
Rechte, dass im Allgemeinen jede Zelle eines Organismus
den ganzen Anlagecomplex von der Eizelle empfängt und
ihre besondere Natur nur dadurch bestimmt wird, dass je
nach den Bedingungen aus dem Anlagecomplex einzelne
Anlagen oder Idioblasten in Wirksamkeit treten, während
die anderen latent bleiben.
In welcher Weise aber können einzelne Idioblasten activ werden
und die Natur einer Zelle bestimmen ? Zwei Hypothesen bieten sich uns
Die Zelle .'ils Anlage eines Organismus (Vererbungstheorieen). 287
hier dar, eine dynamische und eine materielle, die eine von Nägeli (IX. 20),
die andere von de Vries (IX. BU) entwickelt.
Nägeli lässt, um die specifische Wirksamkeit des Idioplasma in der
Zelle zu erklären, „jeweilen eine bestimmte Micellgruppe oder einen
Complex von solchen Gruppen thätig werden," das heisst „in bestimmte
Spannungs- und Bewegungszustände gerathen,'- und er lässt „diese locale
Erregung durch dynamische Einwirkung und durch Uebertragung eigen-
thümlicher Schwingungszustände bis auf eine mikroskopisch sehr geringe
Entfernung die chemischen und plastischen Processe beherrschen." „Es
erzeugt weicheres Ernährungsplasma oft in tausendfacher Menge, und
mit Hilfe desselben bewirkt es die Bildung von nicht albuminartigem
Baumaterial, von leimgebenden, elastischen, hornartigen, celluloseartigen
Substanzen u. s. w., und es giebt diesem Baumateiial die gewünschte
plastische Gestalt." „Welche Micellgruppe des Idioplasma während der
Ontogenese in Erregung gerathe, hängt von der Configuration desselben,
von den vorausgegangenen Erregungen und von der Stelle im individuellen
Organismus ab, an welcher sich das Idioplasma befindet."
Anstatt der dynamischen Hypothese nimmt de Vries (IX. 30) eine
Beeinflussung des Zellcharakters auf materiellem Wege an. Er denkt
sich, dass in der Anlagesubstanz, während die meisten Idio-
blasten oder „Pangene" (de Vries) inactiv bleiben, einige
in Wirksamkeit treten, wachsen und sich vermehren. Da-
bei wandert ein Th eil von ihnen aus dem Kern in das Pro-
top 1 a s m a aus, um hier ihr W a c h s t h u m und ihre Vermeh-
rung in einer der Function entsprechenden Weise fortzu-
setzen. Das Verlassen des Kerns kann aber stets nur der Art ge-
schehen, dass alle Arten von Idioblasten in ihm vertreten bleiben.
Die Hypothese von de Vries scheint mir zur Zeit die einfachere Er-
klärung zu sein und sich manchen Erscheinungen besser anzupassen. So sind
z. B , wie früher beschiieben wurde, in der Ptlanzenzelle besondere Stärke-
bildner, Chromatophoren und Chlorophyllkörner vorhanden, Träger einer
specifischen Function, die selbständig wachsen und sich vermehren und
sich bei jeder Zelltheilung von einer auf die andere Zelle vererben. De
Vries nennt dies „Erblichkeit ausserhalb der Zellkerne."
Nach seiner Hypothese würden es activ gewordene Idioblasten sein, die
sich im Protoplasma vermehrt und zu grösseren Einheiten verbunden
haben, während sie ausserdem noch im Kern, in der Anlagesubstanz,
inactiv vertreten sind. Dasselbe würde für die Centralkörperchen gelten,
wenn sie sich nicht schon an sich als zum Kern gehörig erweisen sollten.
Durch die Hypothese der „intracellularen Pangenesis"
wird der scharfe (jegensatz, der anscheinend durch die Erblichkeits-
theorie zwischen Kernsubstanz und Protoplasma geschaffen worden ist,
vermittelt, ohne dabei den Grundcharakter der Theorie aufzuheben; es
wird ferner derWeg gezeigt, wie eineZelle dieGesammt-
heit der Eigenschaften des ganzen zusammengesetzten
Organismus latent enthalten und dabei doch specifisch functio-
niren kann.
Die Ueberlieferung eines Charakters und seine Ent-
wicklung sind, wie de Vries mit Recht hervorhebt, verschiedene
Vermögen. Die Ueberlieferung ist die Function des Kernes,
die Entwicklung ist Aufgabe des Protoplasma. Im Kerne
sind alle Arten von Idioblasten des betreffenden Indi-
viduums vertreten; — daher ist er das Vererbungsorgan
288 Neuntes Capitel.
kat-exogen; — das übrige Protoplasma enthält in jeder
Zelle im Wesentlichen nur die Idioblasten, welche in ihr
zur Thätigkeit gelangen sollen und in einer entsprechen-
den Weise ausserordentlich vermehrt sein können.
Wir haben daher zwei Arten der Vermehrung der Idio-
blasten zu unterscheiden, eine auf die Gesammtheit sich
erstreckende, die zur Kerntheilung und zur gleich-
massigen Verth eil ung auf die beiden Tochterzellen führt,
und eine gewissermassen functionelle Vermehrung, welche
nur die in Action tretenden Idioblasten betrifft, auch
mit stofflichen Veränderungen derselben verbunden sein
wird und sich besonders ausserhalb des Kerns im Proto-
plasma a b s ]) i e 1 1.
Auf diesem Wege werden wir auch dazu geführt, eine Zusammen-
setzung des Protoplasma aus kleineren Elementareinheiten anzunehmen,
wie sie in der letzten Zeit mehrere Forscher, von anderen Voraus-
setzungen ausgehend, gelehrt haben, Altmann (IL 1) in seiner Theorie
der Bioblasten und Wiesner (IX. 35) in seinem kürzlich erschienenen Buch :
„Die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz."
Wie der Kern, ist auch das Protoplasma aus zahl-
reichen, kleinen, durch ihre chemi sehe Zusammensetzung
unterschiedenen Stofftheilchen aufgebaut, welche das
Vermögen besitzen, Stoff zu assimiliren, zu wachsen und
sich durch Selbsttheilung zu vermehren. (Omne granulum e
granulo, wie sich Altmann ausdrückt.) Stoff zum Wachsthum ist ihnen
in der Flüssigkeit geboten, von welcher Kern und Protoplasma reichlich
durchtränkt sind und in welcher sich plastische Stoffe der verschiedensten
Art (Ei Weissstoffe, Fette, Kohlenhydrate, Salze) gelöst vorfinden.
Zum Unterschied von den Idioblasten des Kerns wollen wir die
E 1 e m e n t a r e i n h e i t e n des Protoplasma als P 1 a s o m e be-
zeichnen, einen Namen, den Wiesner für sie vorgeschlagen hat.
Wie von den Idioblasten des Kerns die Plasome (gleichsam activ ge-
wordene Idioblasten) nach der Theorie der „intracellularen Pangenesis"
abstammen würden, so könnten die Plasome wieder den Ausgangspunkt
für die organischen Plasmaproducte bilden, indem sie je nach ihrer speci-
fischen Natur diese oder jene anderen Stoffe an sich binden; es könnten
z. B. gewisse Arten von Piasomen durch Verbindung mit Kohlenhydraten
die Cellulosehaut oder durch Verbindung mit Stärke die Amylumkörner
erzeugen; sie könnten demnach als Zellhautbildner und Stärkebildner
bezeichnet werden.
So lassen sich die verschiedensten Vorgänge im Zellen-
leben von einem einheitlichen Gesichtspunkt aus als
Lebensprocesse kleinster, organisirter, sich selbständig
vermehrender, verschiedenartiger Stofftheilchen erfassen,
die im Kern, im Protoplasma und im organisirten Plasma-
product in verschiedenen Phasen ihrer Lebensthätigkeit
vertreten sind.
Wiesner hat seine hiermit übereinstimmende Auffassung in den
Sätzen zusammengefasst : „Es ist eine durch den Entwicklungsgang der
neuen Forschung uns förmlich aufgenöthigte Annahme, dass das Proto-
plasma noch andere theilungsfähige , organisirte Individualitäten birgt,
ja dass es ganz und gar aus solchen lebenden Theilungskörpern bestehe."
Die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererbungstheorieen). 289
Durch ihre Theihmg" „wird das Wuchsthuin vermittelt" und, „an sie sind
alle Voraänge des Lebens innerhalb des Oroanisnius ijeknüpft." „Sie sind
also als die wahren Elenientarorgane des Lebens zu l)etrachten."
Literatur. IX.
1) R. S. Bergh. Kritik einer modernen Hypothese von der Uchertragung erblielier
Eigenschaften. Zoolog. Anzeiger. 1S92.
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Gesellschaft f. Morphol. u. Fhysiol. zu München. 1889.
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Bd. IL
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Theorie von der Continuität des Keimplasmas. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie.
Bd. XLIV. 1866.
17) Loeb. Untersuchungen zur physiologischen Morphologie der Thiere. Organbildung u.
IVachsthum. 1892.
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20) Nägeli. Mechanisch -phi/siologischc Theorie der Abstammungslehre. München 1884.
21) Nussbaum. Zur Dißhmzirung des Geschlechts im Thierreich. Archiv f. mikrosk-
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Derselbe. Ueber die Veränderungen der Geschlechtsprodukle bis zur Eifurchung, ein
Beitrag zur Lehre von der Vererbung. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. XXIII.
22) Pfiüger. Loc. citat. Cap. VII.
23) Roux. Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryo im Froschei. Zeitschrift f.
Biologie. Bd. 21. 1885.
24) Derselbe. Ueber die künstliche Hervorbringung halber Embryonen durch die Zer-
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25) Sachs. Ueber Stof und Form von. Pßanzenorganen. Arbeiten des botan. Instituts.
Würzburg. Bd. II u. III.
26) Spencer. Die Principien der Biologie. Uebersetzt von Vetter. 1876.
27) Strasburger. Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang bei den Fhanero-
gamen als Grundlage für eine Theorie der Zeugung. .Jena 1884.
28) Derselbe. Ueber Kern- und Zelltheilung im Pflanzenreich, nebst einem Anhang über
Befruchtung. .Jena 1888.
Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. 19
290 Neuntes Capitel. Die Zelle als Anlage eines Organismus (Vererbungstheorieen).
29) VÖchting. lieber Onjmibildung im Pßavzenreich. Bonn 1878.
30) Hugo de Vries. Intracellulare Fangenesis. Jena 1889.
31) Weismann. Ucber Vererbung. 1H83.
Derselbe. Di« Continuitiit des Keimpiasinas als Grundlage einer Theorie der Ver-
erbttng. 188,').
32) Derselbe. Die Bedeutung der sexuellen Forlpflanzung für die Selectionsüieorie. 1886.
38) Derselbe, lieber die Zahl der Richtung slcör per und über ihre Bedeutung für die
Vererbung. 1881.
34) Derselbe. Amphimixis oder die Vermischung der Fndividuen. Jena 189].
35) Wiesner. Die Elementarstruclur und das Wachsthum der lebenden Substanz. 1892.
36) Caspar Friedr. WolfF. Theorie von der Generation. 1764.
37) Born. Ueber den Einfluss der Schwere auf das Frosehei. Arcli.f. mikrosk. Anatomie.
Bd. 24.
Register.
Abortiveier 192.
Acetabularia 245.
Achromatische Kernfigur 146.
Actinosphärium 30.
Aepfelsäure als Lockmittel für Samenfäden
der Farne 97.
Aequivalenz der männliclien und weiblichen Erb-
masse 276.
— der Kernsubstanz bei der Befruch-
tung 219.
Aethalium septicum 16. 81. 91. 94. 95.
Affinität, sexuelle 240. Beeinflussung der-
selben durch Eingriffe 250.
Ahnenplasmatheorio 281.
Algen 4. 7. 29.
Alveolarschicht 19.
Amitose 166.
Amöbe. Bau 24. Bewegung derselben 56.
— Reizung 87. 91.
Amphiaster 156.
Amphipyrenin 37.
Amyloplasten 180. 133.
Anästhetica 92.
— Wirkung auf Mimosa, auf Eier und
Samenfäden 93.
Analyse der Eiterkö: perchen 17.
Anilinfarben. Aufnahme in die lebende Zelle.
111.
Animalculisten 270.
Anlage eines Organismus 267. 271. 274.
— Entfaltung der Anlagen 286.
Antheridien. Ablenkung 241.
Anticline Theilebene 177.
Aphiden 237.
Apogamie 236. 240.
Apposition 133. 137.
Archoplasma 153.
Aroideen. Erwärmung der Blüthenkolben 107.
Ascaris raegalocephala. Kemtheilung 152.
— Reductionstheilung der Samenzellen 189.
— Reductionstheilung der Eizellen 191.
— Corps re'siduels 198.
— Befruchtung 209.
Aschenanalysen von Fucusarten 111.
Ascidien. Kemvemiehrung an jungen Eizellen
171.
Asparagin. Reizmittel für Bacterium termo und
Spirillum 98.
Asplenium. Apogamie desselben 240.
Assimilation 108.
Athmung der Zelle 105.
— intramoleculare 107.
Attractionscentren 197.
Attractionssphäre 146. 153.
Aureola (Fol) 207.
Bacterien als Reagenz auf Sauerstoff 95. 99.
— anaerobe 105.
Bacterienfalle 98.
Basidiobolus ranarum. Einfluss der Ernährung
auf Bildung der Geschlechtszellen 236.
Bastarde 250.
Bastardbefruchtung 248.
Becherzelle 31.
Befruchtungsbediirftigkeit 233.
Befruchtungserscheinungen 161.
Befruchtungsprocess 202.
Befruchtung 202.
Befi'UChtung des Echinodermeneies 206.
— von Ascaris meg. 209.
— von Phanerogamen (Lilium Marta-
gon) 210.
— der Infusorien 212.
— der Vorticellen 217.
— der Noctilucen 223.
— der Desmidiaceeii 223.
— der Zygnemaceen 225.
— von Spirogyra 225.
— von Monjeotia 225.
— von Botrydiuro 228.
— von Phaeosporeen 229.
— der Algen 228.
— isogame. oogarae 228.
— der Cutleriaceen 229.
— der Fucaceen 229.
■ — der Volvocineen 230.
— von kernlosen Protoplasmastücken
240.
Bewegiingserscheinungeii des Protoplasma
s. Protoplasmabewegung.
Bewegungserscheinuugen von Oelgemischen
61—63.
19*
292
Register.
Bewegungserscheinungen der Geissei und
Flimmerzellen 64.
— der contractilen Vacuolen 69.
— in Folge von Zug 72.
— bei Erwärmung 78.
— bei Lichtreiz 81.
Bienen 236.
Bildungstrieb 270.
Binnenbläschen von Thaiassicolla 170.
Bioblasten von Altmann 22,
Blattgrün 131.
Botrydium 83. 228.
Brechuugslinie bei der Zellthellung 181.
Carica papaya 123.
Celliüarpathologie 3.
Cellulose. Bildung 123.
— Reaction 135.
Centralkörperchen der Zeiie 47.
— — der Lymphkörperchen 47.
— — der Pigmentzelle 48. 146.
— — bei Ueberfrnchtung 196.219.
— — im befruchteten Ei der
Echinodermen 207.
— — im Ei von Ascaris 210.
— — der Eadiolarien 171.
— — der Pbanerogamen 211.
— — (männliches, weibliches) 207.
212.
Centralspindel 162.
Centrolecithal 187.
Centrosoma 47. 146.
Characeen. Rotation 59.
— Kern 169.
— Parthenogenese 237.
Chemie des Stoffumsatzes 119.
Chemische Reize 91.
— — bei der Kerntheilung 194.
Chemotaxis 94.
Chemo tropismus 76.
— von Aethalium 94.
— Bacterien und Infusorien 95.
— der Samenfäden 97.
— der Lymphkörperchen 99.
Chitinhaut 140.
Chloral. Wirkung auf Eier und Samenfäden 93.
— Auf Kerntheilung 194.
Chloroform 93. 94.
Chlorophyll 131.
Chlorophyllkorn 131.
Chlorophyllfunction 108. 120.
— gehemmt durch Chloroform
94. 109.
Chlorophyllwanderung bei Lichtreiz 84.
Chorda dorsalis 128.
Chromatin 13. 34.
Chromatische Kernfigur 147.
Chromatophoren 81.
Chromoplasten 130.
Chromosomen 145.
Circulation des Protoplasma 59. 60.
Closterium 224. 282.
Colloide Stoffe 49.
Conjugaten. Befruchtung 223.
Conjugationsepidemie der Infusorien 213.
Constanter Strom. Einwirkung auf Rhizopoden
87.
Corps residuols von Ascaris 198.
Corydalis cava 246.
Cuticula. Cnticulargebilde 139.
Cutleriaceen. Befruchtung 229. 235.
— Sexuelle Affinität 241.
Cytoblast 143.
Cytoblastem 7. 143.
I>aphnoiden. Parthenogenese 237.
Dauereier 237.
Dauerstoffe der Zeile 24.
Degeneration des Kern?, der Infusorien 213.
246. 234. 235.
Desmidiaceen 223.
Deutoplasma 23.
Diapedesis 99.
Diastase 122.
Dotter 128. 129.
Dotterhaut 206.
Dotterkerne 187.
Drosera 123.
Echinodermen. Eitheilnng 155.
Eikern 161.
Einschachtelungstheorie 270.
Eiweiss, circulirendes 27.
Eiweisskörper peptonisirt 122.
Eiweissbildung 120,
Eiweisskrystalle 122. 129.
Eiweissmolecül 16.
Ektocarpus 236.
Electrische Reize 86.
Elementartheil. Elementareinheit 3. 4. 22.
272. 288.
Elementarorganismus 9. 22.
Embryosack der Pbanerogamen 188. 210.
Empfänguissfleck (bei Algen) 229.
Empfängnisshügel des Eies 206. 243.
Energie, potentielle und kinetische 103.
Entwicklungstheorieen 268.
Epigenese 269.
Epistylis. Befruchtung 217.
Erbmasse 271.
— Aequivalenz derselben 276.
— Vertheilung derselben auf die Zellen
277.
— Verhütung der Sumrairung 280.
— Theilbarkeit derselben 282.
— Mischbari;eit 283.
Ersatztheorie 220.
Eudorina 203. Beftuchtung 230.
Euglena viridis (Lichtreiz) 82.
Evolutionstheorieen 269. 271.
Fädchensubstanz 21. 27.
Faltenkranz des Froscheies 157.
Farbkömer der Pflanzenzelle 132.
Farbstoffe. Aufnahme in die lebende Zelle 111.
Fermente 104. 122.
Fermentwirkung 1 22 .
Fett 123. 128.
Filartheorie von Flemming 21.
Fleischfressende Pflanzen 123.
Register.
293
Plimmern. Flimmerbewegmig 64. Entstehung
der Flimmern 64. 68.
Formative Thätigkeit der Zelle 118.
Fortpflanzung der Zelle 143.
Fragmentirung des Kerns 166.
Fl'itillaria imperialis. Kerntheilung im Km-
bryosack 158.
— — der Pollenzellen lö9.
Fucaceen. Befruchtung 229.
Furchungskern 208.
Furcliungsprocess des Eies 180 — 187.
Cralvanotropismus 76. 88.
Gametangien 228.
Gameten 228. 234.
Gaskammer 92.
GefäSSe der Pflanzen 4.
Geissein 64.
Gemmulae (Darwins) 272.
Generationswechsel 204.
Geotropismus 76.
Gerüsttheorie des Protoplasma 18.
Geschichte der Zellentheorie 3. 4.
— der Protoplasmatheorie 7.
Geschlechtsdifferenzen 221. 223.
Geschlechtsdimorphismus der Vorticelleu 217.
Geschlechtskern der Infusorien 212.
Geschlechtslosigkeit 234.
Geschlechtssporen 228.
Geschlechtsreife 234. 285.
Glitschbewegung 58.
Glycogen 122. 128.
Granula 21. 22. 38.
Granulatheorie von Altmann 21.
Gromia oviformis 26. Bewegung 57.
Grundformen der geschlechtlichen Zeugung 223.
Guaniukrystalle 129.
Halbkern 220.
Hantelfigur hei der Eitheilung 156.
Hauptkern der Infusorien 212. 215.
Hauptspindel der Infusorien 215.
Hautplasma 13.
Hautschicht der Zelle 13.
— des Eies von Rana 14.
— ihre Holle bei der Osmose 113.
Heliotropismus 76.
Hermaphroditisnuis des Kerns 220.
Hyaloplasma 13.
Hydrocharis 57.
Hydrodiktyon, Experimente 235.
Hydrotropismus 96.
Idioblasten 272.
— Grösse und Zahl derselben 274.
— Anordnung 275.
Idioplasma 271. 275.
Incrustation der Zeilhaut 136.
Infusorien. Befruchtungsbedürftigkeit 234.
— Befruchtung 212.
— Galvanotropismus derselben 88.
Intercellularsubstanz 140.
Interfilarmasse 21.
Intracellulare Pangenesis 287.
Intracellulare Verdauung 116.
Intramoleculare Wärme 103.
Intramoleculare Athmung 107.
Intussusception 137.
Invertin 122.
Inzucht 245.
Irritabilität der Zelle 75.
Isogam 228.
Isotropie des Protoplasma 284.
Kältestarre, Kältetod 79.
Karyokinese 145.
Karyolyse 160.
Keim 18.
Keimbläschen, Keimfleck 42.
Keimflecke von Mollusken 43. 44.
— von Asteracanthion 45.
Keimkern 208.
Kern s. Zellkern.
Kerndegeneration 198.
Kernfärbung 34. 35.
Kerngerüst 40.
Kernlose Elementarorganismen 46.
Kernmembran 37.
Kernsaft 37.
Kernsegmente 145. Spaltung derselben 150.
- 154.
Kernsegmente. Zahl bei der Beductionstheilung
189.
— bei der Befruchtung 210. 211.
219.
Kernsegmentirung 145. Bedeutung derselben
280.
Kernspindel 146. Entstelmng 149. Bau der-
selben 161. Herkunft 163.
Kernstructur 38 — 45.
Kerntlieilung. Beeinflussung derselben durch Ein-
griffe 192.
— pathologische 196.
— mehrpolige 196.
Kernsubstanz 32. 34.
Kernzerschnürung 166.
Klümpchentheorie von Arnold und Pur-
kinje 8.
Knorpelzelle 27.
Knospung der Zelle 183.
Körnchenströmung 57.
Körnerplasma 13. 57.
Körperzellen, somatische 203.
Kohlenhydrate 120.
Kohlensäureaufnahme 108.
Kreislauf des Lebens 120.
Kreuzung b.-i Acetabularia 246.
— bei Infusorien 246.
— bei Pflanzen 248.
— bei Echinodermen 249.
— bei Amphibien 2-50.
— Nutzen derselben 2-54.
Krystalloide Stoffe 49.
liatente Eigenschaften 267.
Lebenseigenschaften der Zelle 54.
Lebenseinheiten 3.
Lebenskraft 75.
Lebensprocess 104.
294
Register.
Leukocyten. CUemotropismus derselben 99.
— Aufnahme fester Köf per 116. 117.
Leukoplast 130.
Leukophrys patula 202. 2.34.
Lichtbilder anf Pflanzenblättern 85.
Lichtreize 81.
Lilium Martagon. Befruchtung 210.
Lichtstimmung 83. 84.
Lichtwirkung bei Aethalium, Pelomy.'ja, Chro-
matophoren 81. Pigmentzellen 82. Euglena,
Schwirm.^poren 82.
Linin des Kerns 37.
Literaturübersichten 9. öl. 73. 101. 141.
199. 2.56. 266. 289.
Lochkerne 168.
Lymphkörperchen. Bau 24.
— — Bewegung derselben .5.5.
— — Theilung 167.
— — Centralkörperchen 164.
— — Lochkerne 168.
Makrogameten 217.
Makronucleus der Infusorien 212.
Mechanische Keize 90.
Mehrbefruchtung 93.
Membran der Zelle 7.
Merocj-ten 187. 197.
MeSOCarpus (Lichtwirkung) 84.
Micelle 49. 272. 274.
Micellarlösung 50.
Micellartheorie 17. 49.
Mikrogameten 217.
Mikl'OnucleuS der Infusorien 212.
Mikroorganismen. Kerne derselben 46.
— ihre Zerstörung durch Phago-
cyten 117.
— ihre Stoffwecliselproducte
100.
Mikrosomen 13. 18.
Mimosa pudica 92.
Mitom 21.
Mitose 145.
— pluripolare 196.
Mittelstück des Sameufadens 39. 47.
Molecularstructur 49.
Monjeotia 226.
Muskelfibrillen 140.
Mycoderma aceti 120.
Myxomycete. Bau 25. Bewegung 56.
Hfährlösung, künstliche 120. 235.
Narkose (Protoplasma, Mimcse , Eier, Samen-
faden) 92. 93.
Nebenkern der Infusorien 212. 215.
Nebenspindel der Infusorien 215.
Nematoden. Kerne in der befruchteten Eizelle
17.5.
Nervenfibrillen 140.
Nesselkapsel 133.
Netze im Protoplasma 18.
— im Kern 40.
Nisus formativus 270.
Noctilucen. Befruchtung 223.
Nuclein 13. 34. Reactionen 35.
— bei der Theilung 145.
Nucleinkörper 42. 43.
Nucleolen 36. 42. 44.
— Schicksal bei Kerntheihing 165.
Oedogonium 29.
Onychodromus grandis 203. 217. 234.
Oogonium 229. 242.
Oogam 228.
Osmose 112.
Ovisten 270.
Ovocenü-um 207. 220.
Pandorina 203. Befruchtung 230.
Pangenesis 272, intracellulare 287.
Paramitom 21.
Paramaecien. Sauerstoff 95. Befruchtung 215.
Paranuclein 36. 206.
Paraplasma 23.
Parthenogenese, parthenogenetisch 204. 236.
Pelomyxa 81.
Pepsin 123.
Pericline Theilebene 177.
Peronosporeen, sexuelle Affinität 242.
Pflanzenanatomie 4.
Phaeosporeen. Befruchtung 229.
Phagocyten 116.
Phagocytose 116.
Phylloxera. Einfluss der Ernährung auf die
Zeugung 236.
Physiologische Einheiten (Spencer) 272.
Phytogenesis 5.
Pigmentkörnchen 129.
Plasniaproduct 23. 125.
Plasmodium 57. Lichtreiz 81.
Plasmolyse 114. 264.
Plasome' 125. 288.
Plastide 119.
Plastidule 273.
Plastin 16. Keactiouen 16.
Podophi-ya gemmipara. Knospung 185.
Polare Differenzirung der Zelle 172.
Polfeld des Kerns 148.
Pollenkorn, Pollenschlauch 210.
Polkörperchen der Zeiie 47. 146.
— Theilung desselben 152. 160.
— Entstehung 163.
— Tei-vielfältigung 195. 197.
Polyspermie 93. 196.
Polzellen 184. 191. 215.
— parthenogenetischer Eier 238. 2.39.
Präformationstheorie 259.
Primordialschlauch 27.
Pronuclei 220.
Proteinsubstanz 16.
Protoplasma. Erste Anwendung des Namens 7.
— Untersuchung des Protoplasma-
körpers 12.
— einer Amöbe 24.
— eines Lymphkörperchens 24.
— der Myxomyceten 25.
— der Bhizopoden 26.
— Doppelbrechung desselben 17.
— Entstehung desselben 16.
— Wassergehalt 16.
— Alcalescenz 16.
Register.
295
Protoplasma. Einschlüsse ;-50. 31.
— chemische Zusammensetzung 15.
Protoplasmabegritt' 12.
Protoplasmabewegung 55—64.
— — der Lymphl<iiriieichen 55.
— — Jer Amöben •)().
— — der Myxomyceten 56.
— — hei Gromia 57.
— — der Pflanzenzellen 59.
— — Erklärungsversuche Gl.
Protoplasraastructur 17. 23.
Protoplasmatbeorie. Geschichte derselben 7.
Pseudopodien 24. 26. 55. 90.
Pteris Cretiea, Apogamie derselben 240.
Ptyaliu 122.
Pyrenin. Keactionen, Färhbavkeit 36.
Quadrille der Centralkörperchen 208.
Radiolarien. Skelet. Vielkembildung 170.
ReduCtion der Kernsegmente 210. 211.
— bei Infusorien 216.
Reductionstheilung 189.
— — bei Cosmarium 22.5.
Regeneration 278.
Reize des Protoplasma 76.
— thermische 78.
— electrische 86.
— chemische 91.
— mechanische 90.
— durch Belichtung 81.
Reizgewöbnung 77.
Reizleitung 77.
Reizwirkung 76.
Reizursacbe 76.
Reservestoffe 23. 31. 121.
Rbeotropismus der Myxomyceten 56.
Rbizopoden 25. Bewegung 57.
Ricbtungskörper 184.
Riesenzellen 168. Vielpolige Kernfiguren 197.
Robrzucker. Reizmittel für Samenfäden der
Laubmoose 98.
Rotation 59.
Rotatorien 237.
Saccbafomyces, mit Chlorofomwasser behandelt
93.
Salamandra maculata. Kemtheilung 147.
Samenfaden. Bau derselben 38.
— von Ascaris 39.
— Bewegung desselben 67.
— Narcose desselben 93. 164.
Samenfllden der Echinodermen 206.
Samenkeru 161. 196. 207.
sich in kernlosen Eistücken theilend
240.
Sanienspindel 196.
Sarkode 8. 26.
Sauerstoff'. Wirkung auf die Zelle 92. 105.
— Wirkung auf Aethalium 94.
Wirkung auf Batterien und Infusorien
95.
Schäume. Stmctur derselben 19.
Scheinfüsscben 24. 26. 55. 90.
Schleimzelle 31.
Schwärmerbildung 189.
Schwärmspore, ungeschlechtliche, geschlechtliche
227.
— Auskriechen derselben 7. 29.
— Ijichtwiikung 82.
Schwerkraft, Einduss auf DiffL-renzirung der Zelle
173.
Selbstbefruchtung 239. 245.
Sexualcbarakter 221.
Sexuelle Affinität 240.
Skelet der Zelle 129.
Sommereier 237.
Spannkraft 103.
Specitische Energie der Zolle 76.
Spermacentrum 207. 220.
Spindel s. Kernspiudel.
Spindelaggregate 196. 197.
Spindelfasern. Herkunft derselben 163.
Spirogyra. Befruchtung 226.
Sporangien 189. 228.
Sporen 203.
Stärke in der Pflanze gebildet 108. 120. 131.
Stärkebildner 130. 133.
Stärkekorn 132.
Staphylococcus 99.
Stationärer Kern der Infusorien 216.
Stoff'metamorphose 103
Stoffwanderung 122.
Stoffwechsel der Zeile 103—125.
Stoffwechselproducte des Protoplasma 16. 17.
— — der Mikroorganismen als
Reizmittel für Leukocyten 100.
StoffM^ecbselproducte d-r Zelle 104.
Strablenfiguren im Protoplasma 47. 146.
— — im Ei der Echinodermen 1-55.
Stylonichia 203. 2.34.
Suberin 136.
Subitaueier 237.
Telolecithal 187.
Temperatur. Einwirkung auf die Zelle 78.
— Optimum. Maximum 78. 80.
Tetraster 196.
Theilung der Zelle s. Zelltheiluug.
— der Centralkörperchen 209.
— der Polkörperchen 153. 164.
— der Kerne 3. Kemsegmentirung,
Kernzerschnürung, Vielkem-
bildung.
— der Chlorophyllkörner 131.
— der Trophoplasten 130.
— . der Idioplasten 273.
— der Plasome 288.
Theilebeuen der Zelle. Lage derselben zu ein-
ander 177.
— Beeinflussung der Lage durch äussere
Eingriffe 284.
Thermische Reize 78. 193.
Tradescantia 60. 78. 86.
Transversale Theilebene 177.
Trianea bogotensis 59.
Triaster 195. 196.
Trophoplast 130.
Tuberculinwirkung 100.
Turgor (Turgesccnz) der Pflanzenzelle 114.
126
296
Register.
Vegetatiouskegel.
Ueberfruchtung 196.
Ueberreife der Zengungsproducte 235.
Ulothrix 83.
Urformen der Zeugung 223.
Vacuolen 27. 30. 126.
— contractile 69.
Vallisneria 57.
Vaucheria. Wundheilnng 258.
Vegetative Vermehrung 203.
Construction des Zellennetzes
in demselben 178.
— — Ansammlung des Protoplasma
258.
Vegetationspunkte Ansammlung des Proto-
plasma 258. 261.
Verbindungsfäden des Kerns 151. 159.
Verbrauchsstoffe der Zelle 24.
Vererbungstheorieen 267.
Verholzung der Zeilhaut 136.
Verkorkung der Zellhant 136.
Vielkernbildung 170.
Vielzellbildung 187.
Vitalismus 75.
Volvocineen 230.
Volvox globator 231.
Vorticellen 217. 242.
Wabentheorie des Protoplasma von Bütschli
19.
Wärmebildung beim Lebensprocess 106.
Wärmetod. Wärmestarre 78.
Wahlvermögen der Zelle für chemische Stoffe 110.
Wanderkern der infusoriea 216.
Wassernetz. Experimente 235.
Wintereier 237.
Xanthophyll 108.
Zelle 4. Definition von Schieiden und
Schwann 6.
— Definition von M. Schultze 8.
Zelle. Definition von Brücke 9.
Zelleinschlüsse 23. 24. 27. 31.
Zellentheorie. Geschichte derselben 4.
Zellhaut 134. Wachsthum derselben 137.
Zellhautbildner 160.
Zellkern. Entdeckung desselben 5. 31.
— Zur Geschiclite desselben 32.
— Definition desselben 32.
— Form, Grösse, Zahl 32.
— Gesetze, welche die Lage desselben in
der Zelle bestimmen 172. 174. 175.
— Constante Lage iu Pflanzenzellen 260.
— in thierischen Zellen 262.
— im Ei von Dytiscns 263.
— in secernirenden Zellen von Nepa 263.
— Einfluss auf die Leliensthätigkeit der
Zelle 259. 264.
— von Bacterien, Oscillarien etc. 46.
— von Samenfäden 38.
— von Ciliofiagellaten 40.
— von Sah-.mandra 40.
— von Fritillaria 41.
— von Samenmutterzellen von Ascaris 41.
— von Chironomuslarven 41.
— von Spirogyra 42.
— von Eizellen 42.
— als Träger der erl)lichen Anlagen 275.
Zellplatte 152. 159. 189.
Zellsaft 7. 27. 125.
Zellterritorium 140.
Zelltheilimg 180.
— äquale 180.
— inäquale 182.
— partielle 185.
— Beeinflossung durch äussere Eingriffe
192.
Zeugungskreis 202." 238.
Zeugungstheorien 271.
Zoogloea 22.
Zwischenkörperchen des Kerns 152. 160.
Zygnemaceen. Beftuchtung 225.
Zygote 224. 226. 228.
Pierer'sche Hofbnchdmckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
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