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PHILOSOPHICAL LIBRARY
OF
PROFESSOR GEORGE S. MORRIS,
Professor in the University,
isro-iHHj).
PreNented to tlie IIuiverNity of Miclilfran.
jT-i iniii wt-nimitriAm^mimmMmäiMmtiS.
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DIE
Zukunfts-Pliilosopliie
des
PARACELSUS.
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DIE
Zukunfts-Philosophie
DES ^ '^/ ,^ L
PARACEL8Ü8
als
GRUNDLAGE EINER REFORMATION
für
Medicin und Naturwissenschaften.
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BEARBEITET
von
S)^' &luc)o(f Sianc£fi,
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MOSKAU.
Buchdruckerei von E. Liessner & J. Romahn, Arbat, Haus Karinsky.
1884.
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Alle Rechte vorbehalteii.
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Inhaltsangabe.
Seite.
Einleitung 7
Paracelsus in der Geschichte der Medicin 7
Paracelsus als Chemiker. Seine Verhältnisse zur Galeni-
schen Lehre 8
Paracelsus als Philosoph und Magiker. Schwerverständlich-
t keit seiner Schriften. Seine mystische Sprache 9
^ Seine Signatura rerum natüralium 10
^ Sein Streben als Lehrer 11
Seine bisherigen Interpreten 12
Ursache seiner mystischen Schreibweise. Sein Axiom 13
Seine Ansicht über Aristoteles 14
Verhältniss der Philosophie zur Naturwissenschaft bei Para-
celsus 15
Stabilität seiner Lehren 16
Ihre Objectivität ... 17
CAPITELL
Directe und Indirecte Natur- und Zxinstlielluiig.
Des Paracelsus eigenartige Erftihrangeii. PariusetettS als
Vertreter der Jatrochemiker. Entistehung der Ktmsthei-
lung : ; : 20
— VI —
Der directen und indirecten 21
MaterieUe Yerhältnisse bei Krankheiten 23
Leichenseetion. Kraft ist ein höherer Begriff als Materie. 24
CAPITEL IL
Sie ärztlichen Sondererfahmngen der Jatrochemiker nnd
des Paracelsns.
Ansichten der Naturforscher über unorganische und organi-
sche Materie 25
Galeniker erforschen die Materie, Jatrochemiker die imma-
teriellen Kräfte '. 26
Imponderabilien und ihre Eigenschaften 27
Krankmachende Potenzen 28
Yermehrung derselben bei Paracelsus. Arbeitsleistungen
der Naturkräfte 29
Yertheilung der pathologischen Imponderabilien 30
Sydenham ; 31
Eucalyptus und Chinin. Yenaesection 32 /
Asclepiades 33
CAPITEL IIL
Das oberste metaphisiclie Frincip des Paracelsns.
Physicalische Imponderabilien und ähnliche andere Natnr-
kräfte 34
Ens astrale. Urkraft und ürmaterie als Bestandtheile des
Nichts 35
Urkraft ist ruhende Kraft und ürmaterie hat keine Qua-
litäten. Yerbindung beider als Blastem 3ß
Separatio die Geltflrerin. Sympathie und Antipathie unter
den einzelnen Abtheilungen der Urkraft. Separatio als
Urgesetz 37
— VII —
Concordanz oder Harmonie alles Erschaffenen. Urkraft,
Urmaterie nnd Urgesetz als Mysterium magnum 38
Das Mysterium parvum. Beginn der eigenen Geistesarbeit. 39
Der Spiritus vitae und seine vier Abtheilungen, Erde,
Wasser, Luft und Feuer. Stein der Weisen 40
Mystische Namen bei Paracelsus, und ihre Enträthselung. 41
CAPITEL IV.
Die Naturkräfte xmd ihre besetze.
Bedeutung von Kraft, Materie und Gesetz 42
Die freien und die gebundenen Naturkräfte 43
Unterschied zwischen beiden 44
Physicalische und organische Imponderabilien. Materielle
^ Spannkräfte 45
Molecularschwingungen 46
<; Physicalische und chemische Vorgänge im Gehirn, Ganglien
und Nerven 47
Thätiger Zustand der freien Naturkräfte oder Dynamiden-
Systeme erzeugt die verschiedenste Materie und die an
diese gebundenen Kräfte 48
Die gebundenen Kräfte sind nur Diener und Werkzeuge
der freien Natukräfte. Letztere zeigen ausser Polarität-
und Neutralisationsfähigkeit stets noch einen bestimmten
specifischen Charakter 49
Sie sind verschiedenartig materialisirt und ganz immate-
rieU ÖO
Sie stehn in freundlichen und feindlichen Beziehungen zu
einander. Kraft und Materie als verschiedener Agregat-
zustand derselben Substanz 51
Das Urgesetz, welches ihr Verhalten regnlirt ist nns mibe*
kannt. Attraction und Repulsion der materieflen und
Aetheratome sind nur metaphysische Begriffe ^ Ii2
— VIII —
Sympathie und Antipathie der einzelnen Dynamiden und
ihrer Vermischungen. Der Wille ist nur materielle Kraft 53
Schoppenhaner und Spinoza über den Willen. Das unbe-
kannte Allmächtige sind die freien Dynamiden und ihr
Urgesetz , 54
CAPITEL V.
Die Erweiterung des obersten metaphysischen Frincipes
des Faracelsus und seine Vergleichung mit den Frinci-
pien der Materialisten und Idealisten.
Zustände nach dem Einwirken der Separatio auf das Bla-
stem 56
Anströmen jeder Dynamide in den Weitenraum und ihre
Zertheilung in Elemente 57
Homoeomerien und Atome. Materialisirung der Dynamiden- '
demente 58 >,
Die metaphysischen Bausteine des Paracelsus. Ihre Zusam-
mensetzung zu Moleculen, Plastidulen, Psychodulen und
Pneumatodulen 59
Cartesius. Gegensatz zwischen Geist und Materie 60
Unmöglichkeit aus stoftlosen Atomen Materie zu bilden . . 61
Desgleichen aus Monaden oder unbewussten Vorstellun-
gen 62
Hartmann erkennt ausser den physicalischen Gesetzen noch
Gesetze des Unbewussten an 63
Wirft sie aber durcheinander ; 64
Materialisirte Kraftelemente des Paracelsus 65
Sie sind Hiateriell und zugleich spirituell, sind nicht starr
wie Atome sondern bewahren den Charakter ihres Dy-
namidensystems. Sie sind nicht absolut gleichförmig und
nicht absolut verschieden 66
Sie sind nicht ungebunden, nicht absolut todt und nicht be-
— IX —
ständig thäüg. Sie sind keine selbständigen Individuen
sondern gehorchen dem Urgesetze 67
Sie bilden deshalb stets harmonische Yerbindongen. Prüf-
stein der Weltenschöpfungstheorien 68
Improvisirter Urschleim und improvisirte Kohlenstoffver-
bindungen der Materialisten und improvisirte Psyche der
Idealisten 69
rCAPITEL VI.
Sie Entstehung der todten und lebenden Materie, und
die verschiedenen Arten der Zeugung.
Aus Dynamidenelementeu entsteht ohne alle Mystik Materie,
und dadurch überbrückt sich di.e Kluft zwischen Meta-
physik und Naturwissenschaft 71
Die nach dem Urgesetz sich vollziehende Vereinigung der
verschieden materialisirten Dynamidenelemente erzeugt
die verschiedenartigste Materie 72
Je mehr Dynamidenelemente sich zu einem Gomplexe ver-
einigen, desto grösser und verschiedenartiger wird seine
Materie 78
Die Complexe der Dynamidenelemente gehören bereits den
Naturwissenschaften an 74
Formclemente materieller Natur, Urmolecule oder Atome 75
Plastidule 76
Vegetabilische und animalische 77
Formelemente des seelischen Lebens, Psychodule und des
geistigen Lebens, Pneumatodule 78
Unterschiede der Formelemente 79
Gesetz für dieselben. Abstpfungen oder Uebergänge der-
selben 80
Combinirte Creata. Tendenz des Urgesetzes. Die 22 unor-
ganischen Elemente im menschlichen Körper 81
Gott ist Kraft ohne alle Materie. Das Urgesetz beherrscht
alle lebenden Creata 82
— X —
Natürlicher und unnatürlicher Tod lebender Creata 83
Urzeugung oder generatio spontanea 84
Was ist generatio spontanea? 85
Atome können nie Plastidule werden 86
Letztere sind das Formelement organischer Materie. Omnis
cellula ex cellula? 87
Kosmozoen. Vier Arten der Zeugung. Theilung und Knos-
penbildung 88
Parthogenese und geschlechtliche Zeugung 89
Generatio spontanea primaria sive productiva, und secun-
daria sive reproductiva -. 90
Der ersteren geht nie ein .physiologischer Zeugnngsact
vorher 91
Der Maler tmd Copist 92
Prof. Preyers Theorie der Weltenentstehung 93
CAPITELVII.
AccumiLlationen gleichförmiger Creata. Eant-Laplace.
Darwin. Cellular - Pathologie xmd Heilkunst des Para-
celsus.
Ursache der Cumulation von gleichartigen Pflanzen, Thie-
ren und Menschen 94
Kant-Laplace, und ihre unzureichende Theorie 95
Ergänzung derselben durch die Philosophie des Paracelsus 96
Entstehung des glühenden Gasballes 97
Besondere Sonnensysteme. Entstehung homogener Creata 98
Concentration homogener Dynamiden 99
Variation der Creata. Perigenese der Plastidule ist un-
möglich 100
Darwins Zuchtwahl und Descendenztheorie. Gattungen und
Arten 101
Falsche Definition der generatio spontanea 102
— XI —
Gleiche Materien bei verschiedenen Creatis. Stammbaum
des Menschen 103
Was ist ein voUkommeres Wesen? Was Kampf ums Dasein? 104
Vervollkommnung der Creata 105
Der Mensch ist nicht entwickelt, sondern ebenso erschaffen
wie der Protist 106
Aufsteigen und Niedergehn der Cultur 107
Constanz der Arten und Gattungen 108
Atavismus. Tendenz zur Erhaltung der Gattung 109
Creatum und Urgesetz * 110
Inconsequenz der Mtiterialisten 111
Einheit der Kräfte. Eiweiss und Protoplasma als Ursub-
stanz 112
Die Cellular-Pathologie. Die pathologisch veränderte Zelle
als Ens morbi ist nur ein Nothbehelf HS
Materielle Experimente 114
Heilkunst des Paracelsus : . . . 115
Sitz der Urkrankheit und seine Erforschung 116
Nosologische Form der Krankheit. Indifferente Arzeneien. 117
Stillschweigende Uebereinstimmung der Aerzte mit Nie-
meyer 118
Vitale Analyse IIÖ
Veränderung herrschender Epidemien und Endemien 120
Unbewusste Zustimmung der rationellen Lehren 121
Paracelsus als Chemiker. Medicinische Schulen. Ihr Ent-
stehn und Vergehn 122
Krankheiten sind keine Ontologien 123
Anssergewöhnliches Auftreten von Thieren und geistiger
Epidemien 124
Neue Entdeckungen bei IHphtheritis 126
Wie ist das Wesen einer Diphtheritisform klarzulegen 126
f
— XII —
C API TEL VIII.
^as ist Leben? Prof. &. Jäger. Bewusstsein und Wille.
Triebe und Instincte. Unser jetziges und künftiges
Leben.
Einseitigkeit aller bisherigen Definitionen des Lebens. Ent-
stehung des Lebens 127
Zusammenfallen desselben mit der Entstehung der Welt.
Mannigfaltigkeit und Energie desselben 128
Das irdische Leben ist ein Theil des Weltenlebens. Vier
Arten des ersteren 129
Die Elementencomplexe bilden die Basis einer jeden Le-
bensdefinition 130
Die Plastidule sind Repraesentanten des irdischen Lebens 131
Organisches Leben ist beständige Neubildung seiner Ele-
mente, coincidirt deshalb mit der generatio spontanea
und das Urgesetz ist Repraesentant desselben 133
Was ist ein lebendes Wesen? und was seine Lebensäusserung 134
Wo ist der Sitz des Lebens? 135
Unorganisches Leben unterliegt physicalischen Gesetzen,
organisches vitalen, die man nur mit Sinnen beobachten
kann 137
Organisches Leben ist stets gemischt. Seelische Regungen
erzeugen Beschleunigung des organischen Stoffwechsels. 141
Jaegers Entdeckung der Seele 142
Sein Normalanzug 146
W*s wissen wir von seelischen Dynamiden?. 147
Was von geistigen? 148
Sitz des menschlichen Geistes. Hirnbewusstsein und Wille 149
Unbewusster oder Plastidulenwille 150
Bewusste und unbewusste Lebensäusserungen 152
Herzschlag, Athmen und peristaltische Bewegung 153
Triebe und Instincte 155
- XIII —
Vier Arten derselben 158
Definition derselben. Verwechselung des Triebes mit Instilict 160
Zweckmässigkeit beim Instincte 161
Wissenschattliche Begründung der Triebe und Instincte . . 162
Die Plastidolenwillen als Ursache der Triebe und Instincte 164
Tragweite der Paracelsischen Lehren. Sprache der Natur 166
Naturwissenschaftlicher.Beweiss für unser ewiges Leben und
die beständige Vervollkommnung unserer irdischen Welt 167
Pessimisten und fromme Gläubige 169
Die irdische Welt ist nur eine Durchgangsstufe flir uns.
Welche Dynamidenarten vermögen uns zu repr'äsentiren? 170
Jeder Todesfall trägt zur Vervollkommnung der Welt bei.
Läuterung unserer Seele .173
Seelische Dynamiden nach unserem Tode 174
Lebenskampf der immateriellen Dynamiden 176
Erfüllung des Endzweckes der Erschaffung der Welt 177
CAPITEL IX.
Vivisectionen und pharmakologische Experimente. Epi-
demien und Endemien. Söhwindsucht. Zukunfts - Hoff-
nungen.
Die rationelle Medicin und die Vivisectionsfrage 178
Materien als Ursachen von Krankheiten ^. . 179
Anatomisch - physiologische und chirurgische £j*ankheiten
und die Bedeutung materieller Experimente in denselben 180
Zweck obiger Experimente T. 181
Organisches Leben ist durch dieselben nicht nachzuweisen 182
Alle bisherigen mechanischen und sogenannten vitalen Ge-
setze sind hierzu nicht ausreichend. Sitz des Lebens . . . 183
Urzelle und Spannkräfte 184
Dynamischer Grund vitaler Aeusserungen 185
— XIV -
Chemische Laboratorien in der medulla oblongata als vi-
tale Centra 186
£benso im Gehirn und im N. sympathicns 187
Wissenschaftlicher ükas über Zellenkräfte 188
Piqüre und Zuckerbildung. Ueberfirnissen der Haut. For-
meln der Chemie und Mechanik für vitale Leistungen . . 189
Wann können sich diese nicht bewähren ? 190
Krieg ist der Vater aller Dinge. Materieller Grund vitaler
Aeusserungen 192
Materielle Experimente mit Organismen dürfen nicht spe-
culativ sondern nur ad hoc vollzogen werden 193
Blutkreislauf durch Herzthätigkeit und Aspiration des
Thorax ,.,.,.. 194
Bedeutung der Nerven und Ganglienzellen als Leitungs-
und IJmschaltungsapparate für freie Naturkräfte. Lei-
t|ings- und Eintrittshinderaisse f&r dieselben 196
Sehcentrum an der Gohirnoberfläche. Gelenk- und Darm-
resectionen ' 197
Tenetomien. Bacterien 198
Bacterien als böses Princip der Pathologen 199
Bedeutung pharmakologischer Experimente. Differente und
ladifferente Arzeneien. Surrogat für Chinin 200
Chloroform. Hydratchloral. Opium etc ., 201
Chloroformtod ... .1 ' 202
Wer ist zur Anstellung materieller Experimente berechtigt? 203
Medicinische Wissenschaft oder practische Heilkunst 204
Vivisection und Venaesection '. 206
G^müthsverrohung der Vivisectoren 207
Experimente zur Erforschung pestartiger Krankheiten . . . 208
Fiat experimentum in corpore ^ili * . . . ; ! 209
Wissenschaftliche Pathologie unad Vivisection 210
Wie gelangt dieselbe zur Aufstellung pathologischer Ge-
setze 211
Läuterung der Pathologie. Ens morbi 212
Rationelle Erklärung von Thatsachen werthlos. Spiritus
vitae 213
- XV —
Ens astrale als Ursache der Epidemien 214
Auftreten und Verbreiten letzterer 215
Ens Tenenale als Ursache der Endemien 216
Unterschied zwischen Epidemien und Endemien. Ihr Ver-
hältniss zur Hygiene 217
Schwierigkeit ihrer Unterscheidung 218
Ansteckungsfähigkeit derselben. StoU und die Pest; Laie
und Schnupfen 219
Mathematischer Unterschied zwischen Epidemien und En-
demien. Miasma und Contagium 220
Erforschung der Epidemien an Ort und Stelle. Verwech-
selung mit Endemien. Ens naturale 221
Pathologische Materie als Ursache der anatom. physiolo-
gischen Krankheiten. 222
Theorien der Schwindsucht 223
Krankheitsursachen und Mikroscop» Virchow als Fatalist. 224
Disharmonie der beiden selbständigen Blutbewegungen als
Ursache der Scrophulose nnd Tuberculose. Ansteckungs-
fähigkeit der Schwindsucht 225
Ihre Uebertragbarkeit auf Gesunde 227
"Wissenschaftliche und vitale Forschungsergebnisse 228
Der Husten als Vermittelung beider 229
Folgen tiefer Inspiration, Luftleere Käume 230
Folgen excessiver Exspiration —
Verkäste Zellen und ihr Verhalten im circulirenden Blute 231
Miliartuberkel als entzündliche Heerde 232
Elimination käsiger Zellen. Ihr Uebergang auf fremde Or-
ganismen 233
Prof. Buhl. Verhältniss der rationellen Lehre zur Tuber-
kelbildung 234
Desinficirte käsige Zellen als Impfmaterial. Papier. Bacte-
rien 235
Infectionsstoff und Bacillenthätigkeit bei Tuberkelbildung.
Impfungen mit dem Blute eines Foctus tuberculöser Müt-
ter 236
— XVI —
Endemien der Schwindsucht. Einheitliche Erklärung aller
Signa pathognomonica der Schwindsucht^ 237
Beständiger Confiict zwischen Pathologie und Therapie als
Ursache der Begriffsverwirrung in der jetzigen Medicin 238
Paracelsus an die Galeniker 240
Vital-dynamische Auffassung des Lebens und der Krankhei-
ten. Unterschied zwischen Krankheit und Gesundheit.
Dogmatiker, Vitalisten und Dynamiker 241
Unterschiede im Erlernen und Ausüben der rationellen
Medicin und der vital-dynamischen Heilkunst 242
Die einzigen zweifelsfreien Forschungsresultate der ratio-
nellen Medicin 243
Vitale Analyse der Krankheiten und ihre Vervollkomm-
nung. Mechanische Erforschung des Lebens ist eine
grosse Lüge 245
Ansichten unserer Nachkommen 246
^VOK^WOJ^t,
Die Philosophie des Paracelsus ist zur Zeit ihres Bekaimt-
werdens Gegenstand der eifrigsten und yerschiedenartigsten Con-
troversen gewesen; dass sie aber jemals richtig verstanden wor-
den sei, muss ich entschieden in Abrede stellen; denn es ergiebt
sich ans ihr die schon seit dem Alterthome gesuchte mid bis-
her noch von Niemand aufgefundene Yermittelung zwischen
Metaphysik und Naturwissenschaft, und eine solche Errungen-
schaft hätte nie wieder verloren gehen können; dann aber ver-
leiht sie auch gewissen wissenschaftlichen Stichworten, welche
auch jetzt noch allgemein im Gebrauch sind, die allein richtige
Bedeutung und hätte, wenn sie verstanden worden wäre z. B.
den durch eine falsche Definition und Auffassung der generatio
spontanea hervorgerufenen Darvinismus verhütet.
Wir können deshalb mit vollem Rechte die Philosophie des
Paracelsus „Zukunfts-Philosophie^ benennen, zumal einige von
ihr ausgesprochene Grundsätze in neuester Zeit sich ohne die-
selbe Bahn gebrochen haben, durch die Lehren des Paracelsus
aber erst die richtige Würdigung erhalten.
Wenn ich nun als einfacher Arzt in dem Nachfolgenden
Interpret dieser in des Paracelsus Schriften so äusserst dun-
kel gehaltenen Lehren zu werden versuche, so halte ich es für
meine Pflicht vorher die Verhältnisse darzulegen, die mich
hierzu nicht bloss veranlassen, sondern in vollem Masse auch
berechtigen.
Ich fühlte mich nämlich nach Beendigung meiner medicini-
schen Studien nichts weniger als befriedigt: Die Theorie der
1
— 2 —
Hörsäle fand ich fast in allen Punkten im Widerspruche mit
der Praxis in den Krankenzimmern, und mein Verstand wollte
sich durchaus nicht damit befreunden positive Thatsachen durch
beständig wechselnde wissenschaftliche Erklärungen erläutert,
ihres objectiven Werthes beraubt und dadurch oft geradezu
gefälscht zu sehn.
Eine sogenannt wissenschaftliche, in der Wirklichkeit aber
nur die Empirie nachträglich erklärende, rationell - empiri-
sche Therapie sah ich zwar immer und tiberall als Endzweck
aller ärztlichen Forschungen und Bestrebungen anerkannt und
beständig im Munde geftihrt, in der That bildet die Therapie
aber nur einen äusserst lästigen Anhang der Pathologie und
letztere lässt es sie auch beständig fühlen, dass sie ihrem
Geistesschwunge durchaus nicht zu folgen vermöge.
Der Grund für letztere allerdings unläugbare Thatsache ist
nun aber ein ganz natürlicher, denn die jetzige Pathologie ist
eine speculirende Wissenschaft und die Therapie war und wird
ewig eine nüchterne Kunst bleiben.
Beide sind deshalb wie Wasser und Feuer auseinander zu
halten.
Die jetzige wissenschaftliche Medizin thut dies nun aber nicht,
sondern vereinigt beide zu einem Zwitterdinge und nennt das-
selbe practische Wissenschaft oder wissenschaftliche Kunst und
hierdurch verfehlt eine jede von ihnen ihre Bestimmung.
Die Pathologie wird zu einer höchst materiellen Krankheits-
formenlehre, welche die äussere Erscheinung der Krankheiten
über ihr inneres Wesen stellt und sich allein damit befasst,
stets neue morphologische Dogmen zu erfinden, und die The-
rapie wird reiner Autoritätencultus, da sich wissenschaftlich
durchaus keine Kunstregeln aufstellen lassen.
Moralische Fusstritte, welche regelmässig von Zeit zu Zeit
den sich nicht mehr bewährenden oder langweilig gewordenen
Dogmen und Autoritäten versetzt werden, und das Aufstellen
und gläubige Verehren von neuen Species derselben gelten dann
jedesmal für eine epochemachende Vervollkommnung der Me-
dicin, obgleich dabei — Alles stets beim Alten bleibt.
— 3 -
Ebenso, wie die ganze jetzige medicinische Lehre somit jeder
festen und realen Grandlage ermangelt, sind auch die Hülfs-
wissenschaften and Htüfsmittel, aaf welche sie sich stützt, darch-
aas verfehlt and absolat anbraachhar.
Die pathologische Anatomie and Physiologie sind z. B. nar
ein Befragen der Todten am das Leben : Es ist dies aber offen-
bar doch der angeeigneteste Weg am passende Aaskanft zn
erlangen und kann, wie Lenaa treffend sagt, nar daza dienen
„das Gelächter der zerschnittenen Leichen her aaszaf ordern^.
Auch die Yivisection, das ZerÜeischen lebendiger Materie mit
plumpen Messern and ebenso das pharmakologische and che-
mische Experimentiren mit derselben können logischer Weise
für eine wahre Heilkanst practisch nur gam werthlose wenn
auch wissenschaftlich immerhin interessante Thatsachen pro-
duciren, denn sie vermögen nur ganz incommensarable Gegen-
stände, wie vitale Kraft und todte sogar meist nur unorgani-
sche Stoffe zusammenzubringen, dieselben, ähnlich wie es in
einem Kaleidoscope durch mechanisches Schütteln geschieht,
auf einander einwirken zu lassen und durch die daraus sich
ergebenden zufälligen Besultate die Phantasie za den tollsten
Orgien anzureizen.
Aus subjectiven Phantasien der Experimentatoren lassen sich
aber keine objectiv gültigen Grundsätze für therapeutisches
Handeln herleiten, und jeder einzelne Arzt sieht sich deshalb
gezwungen trotz gediegener wissenschaftlicher Yorbildang doch
stets als Autodidact in das selbständige practische Lehen zu
treten, d. h. sich eigene Erfahrungen zu sammeln und nach
diesen vereinzelten Erfahrungen, welche seinen praktischen
Tact ausmachen, zu kuriren. Will er dabei rationell erscheinen,
so muss er mit den Theoretikern heulen, d. h. aus der Masse
derjenigen, sich fast immer geradezu widersprechenden, aber
stets wissenschaftlich erklingenden Schnörkel und Bedensarten
gerade diejenigen zur Erklärung seines erfahrungsmässigen
Verfahrens, auswählen, die die modernsten sind und am lau-
testen ausgeschrien werden, wenn er es nicht vorzieht um die
Wahl derselben einfach zu würfeln.
1*
— 4 —
Ich war schon im Begriffe fahnenflüchtig zu werden, um dem
Bereiche so trostldser Zustände zu entkommen, als ich durch
Rademachers Buch auf die Jatrochemiker und namentlich Pa-
racelsus aufmerksam gemacht wurde.
Hier fand ich eine feste und unerschtltterliche Basis vor,
auf welcher sich die vereinzelten Erfahrungen aller verstän-
digen Aerzte zu einer einheitlichen grossen und unanfechtba-
ren Lehre zusammenfassen lassen.
Die Jatrochemiker cultiviren nämlich im Gegensatz zur wis-^
senschaftlichen Medicin eine suhjective Heilkunst, deren Auf-
gabe es ist, unbekümmert um die materielle Form der Krank-
heiten, durch vitale Analyse das Wesen derselben ebenso sicher
festzustellen, wie die chemische Analyse, unbehindert durch die
äussere Form der unorganischen Stoffe, deren Wesen bestimmt.
Da solche Intentionen mir verstandesrecht erschienen, weil
sie von vornherein alle willkürlichen Hypothesen ausschlie-
ssen, sich nur an reine Thatsachen halten und mir sofort über
meine damals bereits gemachten practischen Erfahrungen Aus-
kunft gaben, so suchte ich das, was Rademacher nur instinctiv
aus den Lehren des Paracelsus herausgefühlt hatte, nämlich
den hierbei einzuschlagenden modus procedendi mir zum kla-
ren Bewusstsein zu bringen, kam damit aber erst zu Stande,
als ich mich dem Einflüsse aller solcher wissenschaftlichen
Strömungen entzog, die nur zu verwirren vermögen, wenn sie
sich selbst und Anderen vorzureden suchen, dass sie jeden Au-
genblick im Begriffe ständen den Stein der Weisen als ihr
eigenstes Forschungsresultat einzuheimsen.
Obgleich ich hierdurch nun gehörige Müsse und Ruhe fand,
um meine praktischen Erfahrungen stets mit den Lehren des
Paracelsus in Einklang zu bringen und diese letzteren klar zu
legen, so sah ich schliesslich doch ein, dass es nicht so leicht
gelingen könne denselben ohne einen, als fest begründet allge-
mein anerkannten wissenschaftlichen Halt auch unter den von
ihrer SQhullehre praeoccupirten Collegen^ Eingang zu verschaffen.
Es heisst dies nämlich nicht mehr und nicht weniger, als von
ihnen verlangen, dass sie alle wissenschaftliche Dogmatik und
— 5 —
allen Antoritätencaltus ttber Bord werfen und ab ovo anfangen,
die so unendlich vielseitigen, sich beständig verändernden und
sich keinen menschUchen Satzungen fügenden Naturerschei-
nungen ohne Unterlass selbständig zu studiren, und ist selbst-
verständlich viel schwieriger und unbequemer, als auf mecha-
nisch erlernte Dogmen gläubig zu schwören, selbstgewählten
Autoritäten blindlings zu vertrauen, und ohne vieles Nachden-
ken ihren Fusstapfen vertrauensselig zu folgen. Vergessen
namentlich ist eine schwere Kunst, und ohne vollständiges Ver-
gessen aller mühsam erlernten sogenannten rationellen Lehren
geht es hierbei nicht ab. Selbst Autoritäten wie Galen ver-
mögen zu irren, auch Dogmatiker und Emprlriker können fal-
sche Wege wandeln!
In meiner völlig isolirten Stellung tausendjährigen Traditio-
nen und der gesammten darauf schwörenden Cathederweisheit
gegenüber bleibt mir kein anderes Hülfsmittel übrig, um Into-
leranz, Apathie, Vorurtheil und Schlendrian an massgebender
Stelle zu überwinden, als an den medicinisch unverdorbenen
Verstand der Philosophen und Naturforscher zu Appelliren, um
durch deren Einfluss eine ernste Prüfung auch der ärztlichen,
durch Paracelsus gebotenen Lehren anregen zu lassen.
Es soll dies jedoch nicht grob materiell, durch ein auf Laien-
verstand speculirendes Popularisiren seiner Medicin, geschehen,
sondern dadurch, dass ich das Endergebniss der medicinischen
Lehren des Paracelsus, seine Philosophie, in eine verständliche
Sprache übertrage.
Nachdem ich einmal die medicinischen Lehren des Paracel-
sus enträthselt habe, liegt nämlich auch seine Philosophie, wel-
che als direkter Ausfluss derselben, und ebenso mystisch ge-
halten wie diese, jedem Philosophen von Fach verschlossen
bleiben musste, klar und durchsichtig vor mir.
Wenn Paracelsus nun zwar auch hier mit den jetzt herrschen-
den Anschauungen tabula rasa macht und z. B. zeigt, dass
unsere grössten Geister, die als Naturforscher von der Einheit
der Kräfte und Ewigkeit der Naturgesetze sprechen, damit nur
wie Blinde von Farben diviniren, so sind doch weder Philoso-
— 6 —
phie noch Naturwissenschaft so versnmpft und auf einseitiger
Basis so versauert, wie die medicinische Lehre, sondern der
bestöndig hin- und herwogende Kampf zwischen Materialisten
und Idealisten erhält ihren Blick nach allen Richtungen hin
geschärft und lässt sie empfänglich erscheinen für die vermit-
telnden Lehren, welche die Zukunfts - Philosophie des Para-
celsus hietet und sind diese erst einmal hier acceptirt, so kann
es auch nicht mehr aushleiben, dass die geistigen Bacterien und
Bacillen, welche die faulige Gährung in der Medicin unterhalten
und in die Länge ziehn alsdann auch einem ifrischen und gesun-
den Fermente weichen werden.
Dies zu erreichen ist aber das Ziel meines ärztlichen Stre-
bens, und alleiniger Zweck der nachfolgenden Zeilen.
MoskaUf Mai 1883.
Einleitung-
Vor c. 350 Jahren lebte und wirkte der Arzt Parä-
celsus als Sphinx und zugleich selbst als Räthsel nicht
nur für seine Zeitgenossen, sondern auch noch für die
Jetztzeit.
Die Geschichte der Medicin datirt von ihm ihre vierte
sogenannte chemische Periode, weil fei* hauptsächlich che-
mische und namentlich Metallpraeparate als Heilmittel
eingeführt, den Archaeus umgebracht, und der Humo-
ralpathologie den Todesstoss versetzt haben soll.
Wie aus seinen Schriften ersichtUch ist, hat er sich
aber weder mit dem einen, noch mit dem anderen be-
fasst.
Er hat fast niemals dififerente Arzeneien gebraucht, und
eifert namentlich gegen den Missbrauch, welcher zu sei-
ner Zeit mit Quecksilberpräparaten getrieben wurde, so
dass wir seine Bedeutung als Chemiker, wie wir weiter
— 8 —
sehen ¥^ erden, in einer ganz anderen Richtung zu suchen
haben.
Was aber den Archaeus und die Humoralpathologie anbe-
trifft, so hat er nicht diese allein, sondern die ganze Ga-
lenische Schule nicht nur auf das äusserste bekämpft, son-
dern auch stets mit dem beissendsten Witze verspottet.
Galen's fast 1300 Jahre dominirenden Lehren und sei-
nen jetzt noch massgebenden Principien ist er als Vertreter
der Jatrochemiker mit den gewichtigsten Gründen entge-
gengetreten.
Obgleich er in der Geschichte der Philosophie garnicht,
oder unter den damaligen Magikern doch nur als hervorra-
gender Alchymist und Astrolog genannt wird, der Theo-
sophie und Naturwissenschaft in mystisch-phantastischer
Weise verband, so hat er doch ein .Philosophem ent-
wickelt, dessen oberstes Princip von ihm nicht als fixe Idee,
nicht als Glaubensdogma aufgestellt, sondern durch seine
Beobachtungen der Natur und seine ärztlichen Erfahrungen
am Krankenbette auf völlig logische Weise begründet wird,
und man kann durch dasselbe, wie ich als sein jüngster
Schüler, der den Geist seiner Schriften schon vorher erfasst,
ehe er seine Sprache vollkommen verstehn gelernt, zu
erweisen hoffe, das grosse Räthsel der Weltenschöpfung
verstandesrechter klar legen, als es der neueren Philo-
sophie dadurch gelingt, dass sie die metaphysichen Betrach-
tungen aller ihrer hervorragenden von den verschieden-
sten Standpunkten ausgehenden Meister zusammenfasst.
Acceptiren wir einmal seine ganz klar vorliegenden
und durch jeden Unbefangenen leicht zu controUirenden
Naturbeobachtungen, so liegen die daraus zu ziehenden
— 9 —
Consequenzen auch so klar vor uns, dass wir weder
über das Cogito ergo sum, noch die angeborenen Ideen,
noch die unendliche Ausdehnung der Materie, das Ding
an sich, das Ich und Nicht Ich, weder über die anfangs-
lose Bewegung noch über die Möglichkeit unbewusster
Vorstellungen in Bezug einer Erklärung der Weltenord-
nung uns den Kopf weiter zu zerbrechen nöthig haben.
Mir wenigstens brachte das Studium jener metaphy-
sichen Betrachtungen nicht annähernd die Befriedigung
wie die Lehren des Paracelsus, welche ich erst viel spä-
ter kennen lernte.
Ich würde mich aber falsch ausdrücken, wenn ich be-
haupten wollte, dass ein eifriges Studium der Schriften
des Paracelsus mich zum Yerständniss derselben gebracht:
Die Schriften des Paracelsus am gelehrten Büchertische
zu Studiren ist ein gänzlich zweckloses und ganz uner-
spriessliches Beginnen, wenn man nicht zuvor durch
eifriges Studium der Natur und eigene glückliche Erfah-
rungen am Krankenbette den Schlüssel zum Verständ-
nisse derselben gefunden.
Dem Unvorbereiteten erscheint des Paracelsus Sprache
mystisch und verworren, zeigt ein Gemisch unverschäm-
ter Arroganz * und krassen Aberglaubens, zur Schau getra-
gene Polyhistorie der werthlosesten Art und kaballistischen
Blödsinn, zur Abwechselung vermischt nut unfläthigen
Redensarten und — dennoch wage ich dreist zu behaup-
ten, dass er an Aufklärung und ästhetischer Bildung
seine Zeitgenossen weit überragte und dabei in demüthi-
ger Bescheidenheit Nichts seinen eigenen Kräften und
seinem Wissen, sondern Aües de*- BarmherisigTceit Gottes^
— 10 —
zuschreihty die ihm die richtigen Wege s^ur wahren Er^
kenntniss gewiesen.
Die sich spreizende Gelehrtthuerei seiner Zeitgenossen
ist ihm in vollster Seele zuwider und er tritt ihr überall
mit scheinbar gleichen Waffen gegenüber, indem er letz-
tere noch besonders verschärft; doch haben diese in sei-
ner Hand eine ganz andere Bedeutung.
Wenn er z. B. die damals herrschenden Ansichten über
die Bedeutung der Signatura rerum naturalium bei Men-
schen, Thieren und Pflanzen ernsthaft und outrirt weit-
läufig auseinandersetzt, dann aber geheimnissvoll andeutet,
dass öfter Verhältnisse eintreten und besonders die Men-
schen sich ab^chtlich so verstellen können, dass alle die
natürlichen Signa eine ganz andere und sogar völlig ent-
gegengesetzte Bedeutung erhielten und namentlich die
Signa der Wurzeln und Blätter zu Nichts weiter dienten
als um daraus das Alter der Pflanzen und Gewächse zu
bestimmen, wenn er femer unter Anderem scheinbar mit
vollem Ernste behauptet, dass man z. B. einen Kri^smann
allein nur an seiner farbigen Feldbinde und die verschie-
denen differenten Stoffe in der Apotheke oder im Labo-
ratorium des Alchymisten ganz allein nur an den mit
verschiedenen Namen beschriebenen Zettelia, welche den
die Stoffe enthaltenden Büchsen oder Gläsern angeklebt
sind^ zu erkennen vermöge, wenn er ausserdem den Ba-
silisken auf das genaueste beschreibt, zum Schluss aber
erklärt, eigentlich könne man gar nicht wissen wie er
aussähe, weil Jeder der ihn zufälliger Weise erblicke
doch stets auf der Stelle des Todes sei, und wenn er das
weitverbreitete und genau klassificirte Geschlecht der
— 11 —
Drachen, Riesen, Ungeheuer und Homunculi in gähren-
dem Pferdemist grossziehn zu können behauptet, so muss
auch der blödeste Verstand einsehn, was er davon zu hal-
ten habe. — Kaballistik und Chiromantie wären auch
schlecht in einer Lehre anzubringen, deren philosophi-
scher Theil zu seinem Ver^ändnisse keiner besonders
geschulten Köpfe bedarf, sondern schon dem gesunden
Menschenverstände völlig begreiflich ist und deren medi-
cinischer Theil in seiner Theorie sich so einfach und klar
vor uns entwickelt, dass Paracelsus, wie er sich selbst
ausdrückt, alle seine Heilkünste ebenso fasslich mitthei-
len könnte, wie man einem Meinen Kinde den Nahrungs-
hrei in den Mund streicht, wenn es überhaupt sein Wille
wäre gedankenlose Schüler und gläubige Nachbeter und
nicht vielmehr selbständige Naturforscher und selbstden-
Icende Aeride heranzubilden.
Die practische Verwendung seiner medicinischen Lehren
ist nämlich auf keine Dogmen .basirt, die man ohne wei-
teres Nachdenken schulrecht zu verwenden vermag, und
die uns über alle Gewissensscrupel leicht hinweghelfen,
sondern sie erfordert beständige Aufmerksamkeit für, und
beständiges Nachdenken über alle, selbst die unbedeutend-
sten Naturerscheinungen.
Darum ist der goldene Kern seiner Lehre absichtlich
mit einer harten und ungeniessbai*en Schale umgeben, die,
wie ich dreist zu behaupten wage, vor mir noch von
Niemand durchbrochen ist, weil allein nur eine Verbin-
dung von Philosophie mit glücklicher ärztlicher Erfahining
hierzu befähigt.
Die gelehrtesten Interpreten seiner medicinischen Schrif-
— 12 —
ten, wie z. B. C H. Schulz (Schulzenstein) haben sich
über den Sinn derselben völlig getäuscht. Fast alle, na-
mentlich die jüngeren finden in ihnen eine versteckte
Apotheose der Physiologie, deren unendlichen Werth für
die Medicin er vorahnend verkünden soll, während er
doch ganz ausdrücklich Anatomie und Physiologie für ein
Unglück, für ein Irrsal in der Medicin erklärt, da sie
gar zu leicht zur »Basis speculativer Vermuthungen wer-
den, die stets vom Wege der reinen Naturbeobachtung
ableiten. In letzterer allein aber sucht er Heil und Wahr-
heit und sagt: ^Der menschliche Verstand wie ihn die
Hirnschale hesclüeusst^ ist zu schwach zu gehären einen
Arfft\
Was Paracelsus in Wirklichkeit veranlasst hat mit der
Ausführung seiner Lehren^ die er auf wenigen Bogen
klar und fasslich darlegen könnte, ganze Folianten zu
füllen, seine auf die mühsamste Weise gesammelten Er-
fahrungen unter einem Wust von Unsinn zu vergraben,
seinem Gesichte so oft die Larve ausgebildeten Blödsin-
nes vorzuhängen, obgleich er sich nicht verhehlen konnte,
ilass er dadurch zum Gespötte der Zeitgenossen und der
ihnen gleich gesinnten Nachwelt werden musste, das
1 wird wohl ewig ungelöstes psychologisches Räthsel blei-
1 ben. Die Aufklärung, die er selbst darüber giebt, scheint
/auch nur äussere Maske zu sein. Nach meiner Ansicht
r
hat ihn im Allgemeinen wohl nur die genaue Eenntniss
der menschlichen Natur dazu veranlasst.
Seit Pythagoras nach Aufstellung seines bekannten
mathematischen Lehrsatzes zum Danke für die aufgefun-
dene Wahrheit den Göttern eine Hekatombe geopfert
- 13 -
hatte, zittern bekanntlich alle Ochsen, wenn eine nene
Wahrheit entdeckt wird, und suchen ihren Tod möglichst
lange dadurch hinzuhalten, dass sie die neue Wahrheit
verketzern. Paracelsns konnte es nicht unklar bleiben,
welche Erschütterung und Verwirrung die von ihm auf-
gefundenen Wahrheiten, die alle bisher bestehenden An-
sichten auf den Kopf stellen, in der damaligen Gelehr-
tenwelt verursachen mussten, und da er seine Zeit noch
nicht reif für das Verständniss derselben hielt, so zog
er es vor dieselben noch möglichst zu verhüllen und
ihre Enthüllung und Anerkennung einer späteren und
aufgeJdärteren Zeit zu überlassen. Ihm genügte das Be«-
wusstein, dass seine Lehren die der Zukunft sein würden, und,
wie er sich ausdrückte „«ein die Mtmarchei sein werde^.
Haben wir aber einmal den Schlüssel zum Verständ-
nisse seiner Schriften gefunden, so stehen wir in der That
mit bewunderndem Staunen vor einem Manne, dessen
hoher gewaltiger Geist nicht nur seinen Zeitgenossen um
Jahrhunderte vorausstürmte, sondern auch der Jetztzeit
weit voraus ist; denn das, was die neuere Philo-
sophie mühsam und nur schrittweise sich erkämpft hat,
und worauf sie nur allmählich und schüchtern, ja sogar
recht ungeschickt weiter zu bauen wagt, und wovon die
rationelle Medcin bis jetzt noch gar keine Ähnung oder
höchstens nwr wirre "Begriffe hat, das ist bei ihm bereits
feststehendes Axiom ui# das Ergebniss der Abstracte
aus seinen Erfahrungen am Krankenbette und der daraus
gezogenen logischen Consequenzen.
Es ist dies die Erkenntniss, dass die ganze Weltensub-
stanz aus einer innigen Verbindung von Kraft und Ma^-
— 14 —
ierie besteht, und dass beide praeexistirend und ebenso
utwerffänglich wie untrennbar and, dass aber die Meierte
nur das Schatten- oder SpiegeOnld der Kraft ist, wdcke
letztere ihr wiederum wie die Sede dem Körper anhebtet.
Hieraus fo]gt dann von selbst, dass die Welt nicht aus
Farmdementen der Materie^ sondern aus Kraftd&nentenj
den sogenannten Kraftenergien aufgebaut ist, dass letztere
allein alle materiellen Verhältnisse beherrschen, und dabei
trotz ihrer unendlichen Verschiedenheit einer einigen
grossen Urhrafi entstammen, von der sie sich nach be-
stimmten Gesetzen, anfangs in machtigen Strömen abtren-
nen, dann immer mehr sich verzweigen, bis sie schliesslich
selbst in ihre Elemente zerfallen, während dessen aber
auch sich beständig in ihren kleinsten Theilchen gegenseitig
beeinflussen, theils abstossen, theils unter den verschie-
denartigsten Combinationsverhältnissen sich anziehen und
vereinigen, und dadurch scheinbar zu ganz anderen eigen-
artigen Kraftenergien umgestalten.
Dass hierdurch auch die ihnen zugehörige Materie fort-
während mehr oder weniger sich verändere, indem jeder
neue Complex von Kraftenergien gleichsam einen neuen
Schatten wirft, ein andres Spiegelbild abgiebt, das ist ei-
ne daraus von selbst sich ergebende Folge.
Paracelsus, der ein solcher Feind aller metaphysischen
Reflexionen und wissenschaftlichen Speculationen ist, dass
er die Philosophie des Aristotele^i^n Gäscht des sich auf-
bäumenden Vei*standes nennt, war somit durch seine
practischen Erfahrungen als Arzt und die Beobachtung
kranker menschlicher Körper zu denselben Resultaten
gelangt, wie mehrere Jahrhunderte nach ihm die Natur-
— 15 —
Wissenschaften durch Helmholz's directe Experimente und
die Philosophie durch Betrachtungen über solche Gegen-
stände, die wie Aiame^ Monaden oder unbetvmste Vorstel-
lungen die sinnliche Anschauung weit überschreiten.
Vermittelnd uherbrüdM Faracelsus nicht nur die Klufl,
welche im ScJioosse der Philosophie Idealisten von Materia-
listen scheidet, sondern er beseitigt auch die ehernen
Schranken, welche Naturwissenschaft von der Philosophie
trennen, so dass ihm beide ein engverbundenes Ganze bilden.
Wenn die JPhilosophie sich bisher als die Mutter aller
Naturwissenschaften und darunter auch der Medicin ge-
rirt hat, indem sie die Praxis aus der Theorie abzuleiten
lehrte, so sehen wir bei Paracelsus diese Verhältnisse
sich völlig umkehren. Bei ihm ist die Theorie ein Ergeb-
niss der Praxis, seine Philosophie ein Ergebniss der prac-
tischen Heilkunst. Es wird deshalb auch Nichts auf sich
haben, wenn wir dieselbe hier schlicht wiedergeben und die
Sprache der Metaphysiker meiden; denn Paracelsus hat
seiner Philosophie durch die den practischen Ei*fahrungen
entnommene Basis diejenige leichte Verständlichkeit und
Durchsichtigkeit gegeben, welche sie zum Gemeingut aller
denkenden und nicht bloss philosophisch geschulter Köpfe
macht.
Da sie somit aber auch beständig und fast jeden Augen-
blick der Kritik aller selbständig denkenden Menschen
unterliegt, so kann es in ihr nie zu den Vorgängen kom-
men, wie wir sie in den abstracten Wissenschaften bestän-
dig wahrnehmen, dass nämlich ein abgeschlossenes System
das andere ablöst und stets das neueste alle vorherge-
gangenen darum für irrig erklärt, weil der Begründer
— 16 —
jedes neueren Systemes seinen Vorgängern erschöpfend
nachweist, wie sie bei Aufteilung ihrer durch blosse Ge-
dankenarbeit zu Stande gekommenen obersten Principien
das Visir um eines HaaresBreite falsch gestellt haben, und da-
durch um so weiter von dem erstrebten Ziele abgekom-
men sind, je grösser der Weg war, den sie bis dahin
zurückzulegen hatten.
Des Parac^lsus reine und ächte, durch keinerlei wis-
senschaftliche Interpretation getrübte, durch die practi-
sche Verwendung aber völlig approbirte Erfahrungen
können wohl erweitert, niemals aber für ungültig, nie-
mals für unwahr erklärt werden, und deshalb bleibt auch
seine darauf gegründete Philosophie wohl erweiterungs-
fähig, kann aber niemals abgesdUossen, niemals als unrich"
tig umgestossen werden. Da sie den wechselnden Lebens-
verhältnissen sich geschmeidig anfügt, so kann sie bei
den Wandelungen, wie sie im kleinen und grossen Na-
turleben beständig auftreten, wohl andere und neue Sei-
ten zur Anschauung gelangen lassen, wird aber stets die-
selbe wahre Lehre bleiben, wird niemals ihren fundamen-
talen Werth und ihre Berechtigung verlieren.
Ebenso verhält es sich mit der HeUkunst des Para-
celsus. Dieselbe wird so lange ihre Geltung behalten,
als es naturforschende Aerzte giebt, welche reine und
objectiv giUtige Naturbeobachtungen zu würdigen und selbst
anzustellen im Stande sind, und sich mit deren einfacher
practischer Verwendung begnügen ohne sie jedesmal zu
erklären und darum, weil sie sie für aJlgemeingOUig hal-
ten, auch sofort in ein künstliches System zusammenzu-
schnüren versuchen.
— 17 —
Des Paracelsus Heillehre besteht darum gleichsam aus
der Wiedergabe locker an einander gereihter, reiner und
darum allgemeingültiger Erfahrungen, die, obgleich sie
ein organisch gegliedertes Ganze bilden, doch durch un-
endlich viele Spreu auseinander gehalten werden, so dass
jeder seiner Schüler Gelegenheit erhält ihm selbst und
jedem Anderen gleichberechtigt durch Einfügung neuer
Glieder zur Erweiterung des Ganzen beizutragen, ohne
jemals im Stande zu sein die Lehre selbst nach irgend
einer Richtung hin zu erschüttern.
Dort wo seine Lehren aufhören Allgemeingültigkeit zu
zeigen, da bricht er sie ab, sich niemals in subjective
und darum wstndelbare Auseinandersetzungen einlassend
und überlässt es jeder Einzelzeit dieselben den gerade
herrschenden Culturverhältnissen entsprechend weiter aus-
zuarbeiten, gibt dadurch aber auch uns Gelegenheit, sie
nach dem jetzigen Standpunkte der Naturwissenschaften
weiter auszuführen; während jedes abgeschlossene System
niemals in seinem inneren geistigen Mechanismus vervoll-
kommnet oder erweitert werden kann, ohne zugleich
einfach ganz umgestossen zu werden.
Darum werden seine Lehren auch immer eine grosse
Einheit und Wahrheit bleiben, die nicht in Schulen zer-
fallen kann, wie z. B. die Galenischen Lehren, deren
jüngste Anaphytose sich als abgeschlossenes System ratio-
nell nennt und durch diese Bezeichnung die Begründer
der vielen vorangegangenen Systeme gleichsam beschul-
digt, dass sie die zu ihrer Zeit bestehenden Erscheinun-
gen und Verhältnisse verstandesrecht aufzuklären nicht
vermocht haben, und die noch immer keine Ahnung da-
2
— 18 —
von hat, dass nicht die Vervollkommnungsfähigkeit des
menschlichen Verstandes oder corredere Auffassungen,
sondern aUein die absolute Wandelbarkeit der irdischen
Verhältnisse die Schuld daran trägt, dass heute schwarz
erscheint, was gestern gelb oder blau genannt worden
war, und dass gestern werthyoUes Heilmittel war, was
heute als obsoleter Ballast der Pharmacopoeen gilt. —
CAPITEL I.
Directe und indirecte Natur- und Kunstheilung.
Wie wir in der Einleitung erwähnt haben, basirt die
Philosophie des Paracelsus nicht auf metaphysischen Spe-
culationen, sondern allein auf Naturbeobachtungen und
ihrer practischen Verwendung am Krankenbette, also -- auf
ärztlichen Erfahrungen. Da es bisher noch keinem Arzte
in den Sinn gekommen ist auf seine durch Beobachtung
des Krankheitsverlaufes erworbenen practischen Erfahrun-
gen ein philosophisches System zu begründen, so müs-
sen wir im Voraus erwarten und zugestehen, dass es eigen-
artige Erfahrungen sein müssen, die Paracelsus zu sei-
nem Vornehmen zu benutzen vermag.
Dem berechtigten Misstrauen, welches die Wissenschaft
stets mit Becht den eigenartigen Erfahrungen eines Ein-
zelnen entgegenträgt, können wir aber von vornherein
durch den Nachweis begegnen, dass Paracelsus mit seinen
Erfahrungen nicht allein dasteht; Paracelsus ist nur
der wissenschaftliche Vertreter einer ärztlichen Schule,
die wir für ganz ebenso alt halten müssen wie dieHip-
pocratisch - Galenische.
Seine Lehren sind viel zu umfassend, als dass sie auf sol-
che Naturbeobachtungen zurückgeführt werden könnten, die
2»
— 20 —
man während eines oder mehrerer Menschenalter zu voU-
ziehn im Stande wäre ; ausserdem sind letztere aber auch
kein ausschliessliches Privileg der Jatrochemiker allein,
sondern sie drängen sich auch den Galenikern zeitweise
häufig genug so deutlich auf, dass diese, alle sogenannte
Wissenschaftlichkeit bei Seite setzend, ganz roh empirisch
in der. Praxis von ihnen Nutzen gezogen haben und noch
ziehen.
Bevor wir nun aber daran gehn können die specifischen
Erfahrungen des Arztes Paracelsus genauer anzugeben,
sind wir gezwungen vorher noch einen kurzen Excurs
auf medicinisches Gebiet zu unternehmen, um einen Blick
auf die Entstehung der Kunstheilung von Krankheiten
zu werfen, da wir allein nur hier den Ursprung der Paracel-
sischen Lehren suchen können, Bewusste Kunstheilung
von Krankheiten ist nämlich der Zweck aller ärztlichen '
Forschungen, das Endziel aller medicinischen Schulen ?
und Lehren, und nicht nur der beste, sondern der einzige
Lehrer für Erreichung dieses Zweckes ist die Natur.
Die Sprache der Natur ist nun zwar immer bestimmt-
und deutlich, aber nicht Allen in gleicher Weise verständ-
lich, und derjenige wird den meisten Nutzen aus dem Un-
terrichte der Natur ziehen, der sich das Verständnis^
seiner Naturbeobachtungen nicht durch unnütjse Interpre-
tation erschweit.
Die so lehrreiche Beobachtung der Natur, d. h. hier
so viel' wie die Erfahrungen am Krankenbette, zeigen
nun aber vor Allem, dass die Natur auf eine doppelte
Weise Krankheiten heilt, einmal direct und dann indirect.
Die erste Art der Naturheilung bleibt unserem Verstände
— 21 —
völlig unerklärlich. Wir sehn hierbei nur die Krank-
heitserscheinungen und ihr Verschwinden, vermögen aber
weder die Ursache ihres Erscheinens oder Entstehens,
noch die Art ihres Schwindens sinnlich wahrzunehmen.
Bei der zweiten Art der Naturheilung lassen sich aber
verschiedene Zwischenprocesse wahrnehmen, die uns leicht
zu dem Glauben verleiten, dass unser Verstand im Stande
sei die geheimen Heiloperationen der Natur zu begreifen
und die Mittel, deren sie sich dabei bedient, zu erfor-
schen. So sehn wir z.B., dass die Krankheitserscheinun-
gen bei oder bald nach dem Auftreten abnormer Verrich-
tungen des Organismus, wie z. B. nach aussei^ewöhnlichen
Blutungen, starken Schweissen, Durchfällen, Erbrechen
etc. verschwinden. Man glaubte solche Erscheinungen
generalisiren und als das Wesen oder die Ursache aller
Krankheiten solche pathologischen Zustände ansehn zu
können, welche das Gegentheil des sichtlich heilenden
Vorganges bedeuten, wie z. B. in den oben erwähnten
Fällen Vollblütigkeit, unterdrückte Hautausdünstung,
Stuhl Verstopfung oder Unreinigkeiten im Magen. Folge-
richtig glaubte man dann auch in solchen Fällen, wo
die Natur mit dem Hervorrufen ihrer Teiloperatio-
nen zu lange zögerte, hülfreich einzugreifen, wenn man
dieselben künstlich hervorrief.
Es stellte sich aber bald heraus, dass diese sogenann-
ten indirecten Kunstheilungen nicht nur häufig ohne den
erwarteten Nutzen blieben, sondern auch zuweilen schäd-
lich wirkten oder gar sich dort heilsam erwiesen, wo
man das Gegentheil hätte erwarten müssen. Man konnte
selbstverständlich nicht umhin diese Erscheinungen auf
— 22 —
mangelhafte Erkenntniss der der Krankheit zu Grande
liegenden materiellen Zustände des Organismus zu schie-
ben, und die Galenischen Schulen bis in die neueste Zeit
hinein suchten deshalb die letzteren in jeder Richtung
auf das genaueste zu erforschen, um bei der Anwendung
der Arzeneien möglichst rationell zu Werke gehn zu
können.
'Anders und doch wiederum ähnlich verhält es sich
mit der Nachahmung der directen Naturheilung.
Zu dieser wurde man dadurch veranlasst, dass man,
durch Zufall, oder Instinct der Thiere veranlasst, solche
und zwar meist ganz einfache Arzeneien fand, die bei
ihrem inneren Gebrauche einzelne Krankheiten ganz ebenso
auf eine unerklärliche Weise direct verschwinden Hessen,
wie dies bei der directen Naturheilung vorkommt, und
die dabei so indifferent sind, dass sie auf die gesunde oder
kranke Materie des Körpers gar keinen sichtbaren directen '
Einfluss ausüben, deren Heilwirkung im Voraus an Gesun-
den zu erproben man also durchaus nicht im Stande ist.
Im weiteren Verfolgen dieser Erscheinungen fand man '
aber auch bald heraus, dass solche hülfreiche Arzeneien,
wenn man sie oft genug längere Zeit mit dem besten
Erfolge bei den verschiedensten Krankheiten angewendet
hatte, plötzlich unwirksam wurden und in jeder Krank-
heit den Dienst absolut versagten. Man stiess bei der
Nachahmung der directen Naturheilung also auf diesel-
ben Vorkommnisse und Schwierigkeiten wie bei der indi-
recten, und die sogenannte iatrochemische Secte der Aerzte
machte es sich zur Lebensaufgabe den Ursachen dieser
unliebsamen Zwischenfälle nachzuforschen.
— 23 —
Im Laufe der Zeiten kam sie nun hierbei zu folgen-
den Resultaten, die Paracelsus uns in seinen Schriften
überantwortet hat.
Von materiellen Verhältnissen bei Krankheiten kann we-
der bei deren Entstehn noch Vergehn die Rede sein;
denn einmal finden wir in den bei weitem meisten Krank-
heitsfällen gar keine materiellen Ursachen der Krank-
heit vor, und dann erzeugen die wenigen wirklich aufge-
fundenen abnormen Materien, die wir mit einigem Hechte
als nächste Krankheitsursachen ansehn dürften, obgleich
sie immer selbst schon Krankheitsproducte sind, wie z. B.
Gallensteine, Harnzucker, verkäste Zellen, Bandwürmer
oder Bacterien, die allerverschiedensten pathologischen
Veränderungen oder Functionsstörungen der Materie. Die
gebräuchlichsten und bekanntesten Arzeneien haben auch
oft gar keine hervorragenden materiellen Eigenschaften
und dann bringen sie auch nicht immer constant diesel-
ben, sondern oft die unerwartetesten materiellen Wir-
kungen und Veränderungen im Organismus hervor. Schliess-
lich müssten aber auch die Krankheiten, wenn sie allein
ein Abweichen vom anatomisch - physiologischen Typus
darstellten, wie es die rationelle Lehre behauptet, mit
gehörigen Hülfsmitteln und mit Sorgfalt doch stets als
dieselben genau festzustellen und ihre Beseitigung auch
stets durch dieselben wissenschaftlich begiiindeten Heil-
mittel zu erlangen sein. Die Diagnosen und Heilverfah-
ren verschiedener gleichgebildeter Aerzte könnten dann
auch niemals so differiren, wie es doch bekanntlich
gar nicht so selten vorkommt. Namentlich müssten aber
die Leichensectionen stets mit absoluter Gewissheit die
— 24 —
gewesene Krankheit und ihre Ursachen enthüllen. Da
aber auch dies nicht immer der Fall ist, so können die
Ursachen der Krankheiten, die Wirkung der Arzeneien
und schliesslich auch die Krankheiten selbst nicht auf
materiellen Zuständen beruhn, sondern es kann sich hier
allein nur um etwas Anderes, der sinnlichen Wahrneh-
mung sich Entziehendes, welches den Gesichtskreis der
Körperlehre übersteigt, und zwar allein nur um Imma-
terielles handeln.
Dies Immaterielle kann nur etwas sein, was in ste-
tiger Beziehung zur Materie steht, und da die ganze
Weltensubstanz, zu welcher wir gehören, aus Materie und
Kraft zusammengesetzt ist, so kann es allein nur Kraft sein.
Die Physik weist ja auch deutlich genug auf Kraft als
den höheren Begriff hin; denn es. ist ebenso unmöglich
physicalisch die Materie ohne Kraft zu denken, wie durch
Materie die Kraft anschaulich zu machen.
In richtiger Würdigung dieser Verhältnisse wurde so-
mit die Beobachtung der Naturkräfte zur Signatur der
iatrochemischen Bestrebungen, während die Erforschung der
Materie und ihrer Functionen, die der Galenischen Schule
der Medicin bildete.
CAPITEL IL
Die ärztlichen Sondererfahrungen der latrochemilcer und des
Paracelsus.
Das sublime Bestreben, jedes materielle Ding an und
durch sich selbst zu erkennen, hat bei den Naturforschern
niemals Anklang gefunden, und zwar aus dem einfachen
Grunde, weil sie die Unmöglichkeit eines solchen Bestre-
bens bald erkannten,
Die^Jfaturiorscher beurtheilen^^AUigs,, nu^^^^
Leistungen, nach^emenKeScfioioen auf dieEiugü§se der
Auss^SSJurT
Jedes Stück der Weltenmaterie ist ihnen nur ein todter |
Klumpen, aus welchem excentrisch die ihm innewohnenden f
Kräfte herausstrahlen. Die Naturforscher haben es des-
halb nie mit der Materie an sich, sondern allein mit den
ihr anhängenden Kräften zu thun, und je mehr Reactionen
eine bestimmte Summe von Materie durch die ihr inne-
wohnenden Kräfte zu erkennen giebt, desto genauer ist
sie ihnen bekannt.
Dies Verfahren der Naturforscher ist klar und berech- ^
tigt, aber auch — einseitig. Es genügt nur dazu die
Kräfte der unorganischen Welt als solcher kennen zu
\
— 26 —
lernen; das Leben organischer Geschöpfe mit seinen un-
endlich vielen, ewig wechselnden Erscheinungsmöglichkei-
ten als das Product bestimmter Kräfte zu erforschen,
dazu ist es absolut unzulänglich, weil wir die in der orga-
nischen Natur auftretenden vitalen Reactionen allein nur zu
beobachten, aber niemals durch entsprechende Gegen-
kräfte oder Reagentien exact hervorzurufen oder nur zu
controUiren im Stande sind.
Die Kräfte und Gesetze, welche in der unorganischen
Welt sich offenbaren, vermögen wohl allseits angestaunte
Weltwunder aufzurichten oder zu erläutern, werden aber
niemals im Stande sein das Entstehn einer organischen
Zelle genügend zu erklären, niemals einer Retorten- JMo-
nere Leben verleihen.
Hier handelt es sich um andere Verhältnisse und hö-
here Kräfte, als wie sie die Physik in der unbelebten
Natur wirkend kennen gelehrt hat.
In richtiger Würdigung dieser Erkenntniss überlies-
sen die latrochemiker die Erforschung der Materie und
der mit ihr entstehenden und vergehenden Kräfte und
die Erforschung der hierbei massgebenden Naturgesetze
der Physik und Chemie und den in^ejfiii^Fu^sta^^
Jbrtschreitenden Gale nikern , und stellten sich selbst hö-
here Probleme.
Sie suchten das Leben ohne Materie zu erforschen und
hielten sich deshalb allein an die ewigen und unvergäng-
lichen, an keine bestimmte Materie gebundenen und da-
rum freien Naturkräfte, welche die Physik Impondera-
bilien nennt. Diese machten sie zum Object ihrer Beob-
achtung, Erforschung, ihres Nachdenkens und schliess-
— 27 —
lieb zur Basis ihrer Heillehre. Da wir die letztere hier
kennen lernen wollen, so müssen wir vor Allem dar-
nach fragen, was die Physik von der Natur der Impon-
derabilien Gemeingültiges zu sagen weiss.
Die Physik lehrt nun vor Allem,
1) dass die Imponderabilien kosmischen Ursprunges
sind und auf der Erde stets in Zwillingsgestalt, als
Kraft und Gegenkraft auftreten; ferner,
2) dass jede dieser Kräfte stets so lange Wirkungen
äussert oder leistungsfähig bleibt, bis sie mit ihrer Gegen-
kraft sich verbunden hat und dadurch neutralisirt wird ;
3) dass die Imponderabilien nicht anders als an ihren
Arbeitsleistungen zu erkennen sind, auch nie an einer
bestimmten Materie ausschliesslich oder dauernd haften,
dagegen aber fast auf jede Materie übergehn können;
4) dass wenn die Imponderabilien an einer Materie
haften, sie diese nicht immer wesentlich verändern,
vielmehr von ihr aus auf benachbarte Materie verändernd
einwirken, d. h. ihr andere Qualitäten und Functionen
verleihen.
So vermag z. B. ein durch Schwerkraft in Bewegung
vereetztes Stück Eisen seine Umgebung zu zertrümmern,
oder wenn es gehörig Wärme aufgenommen hat, heran-
tretendes Wasser in Dampf zu verwandeln oder seine
Umgebung in Brand zu versetzen, ohne dass es selbst
eine bemerkbare materielle Veränderung erleidet.
5) Sehn wir aber auch, dass ganz dieselben Verän-
derungen der umgebenden Materie von anderen freienNatur-
kräften hervorgerufen werden können, wie etwa von
Electricität oder vom Licht, so dass somit ein und die-
— 28 —
seihe Naturkräft verschiedene Arbeitsleistungen, verschie-
dene Naturkräfte dagegen aber auch ein und dieselbe
Arbeitsleistung zu Stande bringen können.
j Diese Lehren der Physik, so geringfügig sie uns auch
/ jetzt noch erscheinen mögen, genügen Paracelsus aber
I doch zur Erklärung der directen Naturheilung und zur
1 kunstgemässen Nachahmung derselben, und hierbei zeigt
/ sich uns sein Genius in voller origineller Grösse und
! Erhabenheit.
Während man nämlich schon oft die Erfahrung hatte
machen müssen, dass die physicalischen Imponderabilien,
wie Wärme, Licht und Electricität etc. als krank machen-
de Potenzen auftreten, so war es doch erst Paracelsus
vorbehalten den Nachweis zu führen, dass sämmtliche
• Krankheiten ursprünglich nie andei's als durch freie Na-
turkräfte hervorgerufen werden, dass aber atcch die bis-
her bekannten Imponderabilien bei Weitem nicht ausrei-
chen die Entstehung aller Krankheiten zu erkläreny son-
dern dass hierzu noch andere, bisher unbekannte freie
Noiturkräfte supponirt werden müssen.
Diese zeigen sich nun zwar unseren Sinnen nicht so
deutlich, wie die obengenannten Imponderabilien, doch
lehrt Paracelsus sie ebenso wie jene an ihren Arbeitslei-
stungen zu erkennen, wobei er uns zugleich nachweist,
dass sie nicht nur ursprünglich gleichfalls kosmischer
Natur sind und auch durch Gegenkräfte neutralisirt
werden wie jene, sondern dass sie bei ihrer Einwirkung
auf organische Materie auch stets dieselbe obenbeschrie-
bene Art und Weise des Vorgehns wahrnehmen lassen wie
die physicalischen Imponderabilien bei ihrer Einwirkung
auf unorganische.
-- 29 --
Er zeigt uns mit einem Worte als Arzt am Kranken^
bette, dass die Krankheitsursachen oder die krankmachen^
den schädlichen Fotenzen stets immaterielle Naturjcräfte
sind, die feindlich auf die organischen Kräfte entweder
des ganzen Körpers oder nur eines umschriebenen Theiles
der Körpermaterie verändernd einwirken, und zwar da-
durch einwirken, dass sie dieselben entweder durch
Äbstossen oder durch Anziehn oder durch Neutralisiren
aus ihren bisherigen Verbindungen lösen. Da an Stelle
der eliminirten Kräfte sofort andere treten, so wird hier-
durch im ganzen Körper oder wenigstens in dem befal-
lenen Theile desselben eine pathologische Veränderung
der immateriellen Kräfte, oder eine ürkrankheit er zeugte
und da von den neuen Kräften, die sich an Stelle der
alten gesetzt haben, je nachdem, veränderte Arbeitslei-
stungen verrichtet werden, indem dieselben von ihrem
Sitze aus secundair in ganz beliebigen anderen Körper-
theilen nach Art der physicalischen Imponderabilien und
unorganischen Stoffe die physiologische Materie verändern
event, in pathologische verwandeln, so wird dadurch der
sinnlich gar nicht besonders wahrnehmbaren immateriellen
Ürkrankheit eine meist sehr verschiedenartige materielle,
aber nosologische Form gegeben.
Ebenso zeigt er uns, dass ein und dieselbe Naturkraft
als schädliche Potenz die verschiedensten, Arbeitsleistungen,
und die verschiedensten Naturkräfte als schädliche Poten-
zen wiederum ein und dieselben Arbeitsleistungen im Kör-
per vollziehn können oder, was dasselbe sagt, dass bei ein
und derselben Ürkrankheit die verschiedensten pathologi-
schen Materien in den verschiedensten Organen, und bei
— 30 —
verschiedenen ürJcrankheiten ganz gleiche pathologische
Materien in ein und demselben Organe entstehn können, —
die verschiedensten UrJcranIcheiten also gleiche nosologische
Formen^ und ein und dieselben ÜrJcrankheiten wiederum
ganz verschiedene nosologische Formen aufweisen können.
£r zeigt uns ferner am Krankenbette, dass die Urkrank-
heiten und selbstverständlich auch ihre nosologische Form
mit der pathologischen Materie wieder verschwinden
können, wenn die entsprechenden schädlichen Naturkräfte,
welche sie erzeugt haben, entweder von selbst verschwin-
den oder durch ihre gleichfalls immateriellen Gegenkräfte^
welche meist an indifferenten Areensien als deren Arcana
haften^ neutralisirt werden und dann zu wirken aufhören.
Schliesslich zeigt uns Paracelsus aber auch noch, dass
die pathologischen Imponderabilien ebenso wie die phy-
sicalischen weder dem Orte noch der Zeit nach gleich-
massig über die Erde vertheilt sind, sondern sich bald
zeigen^ bald auf längere oder kürzere Zeit verschwinden^
bald in grösseren Massen vom Firmamente, namentlich
der Sonne zu uns herüberkommen, und bald weitverbrei-
tete, nicht selten über mehrere Erdtheile sich erstrecken-
de Epidemien erzeugen, bald aber nur innerhalb einzel-
ner Landstriche, Ortschaften, Städte oder Häuser sich
vorfinden, und dann zur Ursache von Endemien werden,
bald aber auch nur an einzelnen Persönlichkeiten haften,
und nur dort ihre Wirkungen äussern.
Dies sind die ärztlichen Erfahrungen, welche Paracel-
sus hauptsächlich zur Aufstellung seines obersten meta-
physischen Principes ermächtigen und uns die weitere
Ausführung desselben ermöglichen^ die uns aber auch zu
— 81 —
der Behauptung berechtigen, dass er dem jetzigen Stand-
punkte nicht nur in der Medicin, sondern auch in den
Naturwissenschaften schon weit voraus ist. Wenn er am
Krankenbette den Nachweis liefert, dass es allein nur
Naturkräfte, und zwar bekannte und bisher unbekannte
Naturkräfte sind, die als Arbeitsleistung Krankheiten und
pathologische Materie erzeugen, so liegt doefi der Schluss
sehr nahe, dass es eben dieselben oder wenigstens ähnli-
che NaturJcräfte sind, die unter anderen Bedingungen auch
normale Materie 0u erzeugen, deshalb aber auch die ma-
terielle Welt zu erschaffen im Stande sind.
Ehe wir aber daran gehen dies Alles näher zu erör-
tern und daraus das oberste philosophische Princip des
Paracelsus darlegen, haben wir doch vorher noch an ei-
nigen Beispielen den Nachweis zu führen, dass die beson-
ders hochgestellten ärztlichen Sondererfahrungen der
Jatrochemiker und des Paracelsus nicht diesen ausschliess-
lich zukommen, sondern vielmehr Gemeingut aller Be-
obachter sind, welche die Sprache der Natur zu verstehn
gelernt haben.
So hat z. B. c. 100 Jahre nach Paracelsus der hol-
ländische Arzt Sydenham auf das Vorhandensein epide-
mischer Constitutionen aufmerksam gemacht und nach-
gewiesen, dass verschiedene Länder und Zeiten nicht
bloss andauernd stets sehr grosse pathologische Unter-
schiede darbieten können, sondern dass zu ein und der-
selben Zeit und an ein und demselben Orte die verschie-
densten Krankheiten zuweilen einen gewissen gemein-
schaftlichen Charakter wahrnehmen lassen.
So können wir uns auch auf eine äusserst wichtige
— 32 -
Entdeckung und Erfahrung der Neuzeit berufen, dass
nämlich Anpflanzungen von Eiicdlyptusbäumen die Mar
laria erzeugenden Kräfte der Sumpfgegenden so vollstän-
dig tilgen oder neutralisiren, dass diese keine pathologi-
sche Arbeitsleistungen mehr vollziehn können und keine
bösartigen Fieber mehr unter den dort weilenden Men-
schen zu erzeugen im Stande sind.
Schliesslich können wir zum Beweise dessen, dass ein
und dieselbe schädliche Potenz zu bestimmten Zeiten die
verschiedensten materiellen Veränderungen der Organe oder
pathologische Zustände erzeugt, und dass dagegen zu an-
deren Zeiten dieselben materiellen Krankheiten durch ganz
andere schädliche Potenzen zu Stande kommen, auf das
Chinin hinweisen. Dieses vermag als Träger der Gegen-
kraft für eine ganz bestimmte pathogene Schädlichkeit,
die bald Fieber oder Lungenentzündung, bald Rheuma
oder Kopf- und andere Schmerzen, bald Augenentzündung,
Gelbsucht oder Schnupfen etc. erzeugt, zu Zeiten auf
eine uns unbegreifliche Weise obige Krankheiten zu heilen,
während es zu anderen Zeiten, wo einer oder der andere
obiger pathologischer Zustände, oder jeder derselben
durch eine andersartige schädliche Potenz hervorgerufen
wird, gar Nichts leistet und die Heilung obiger Krank-
heiten dann einem anderen mit der entsprechenden Gegen-
kraft behafteten Arzeneimittel überlässt.
Ebenso beruht die seit c. 30 Jahren erkannte Schäd-
lichkeit des Blutlassens in Krankheiten auf keiner vervoll-
kommneteren medicinischen Anschauungsweise der neueren
Aerzte, wie man gern glauben machen, beweisen und na-
mentlich als Fortschritt der gesammten Medicin sogar
— 33 —
mit wissenschaftlichem Ernste und StoUe zu proclamiren
sucht, sondern es ist dies ein alter Witz, der sichj wie
uns die Geschichte der Medicin nachweist, im Laufe der
Jahrhunderte sehr oft schon Geltung verschafft hat, um
eben so oft durch die erkannte und durch die Erfahruug
hegrimdete wnd bedingte NothwendigJceü des Blutlassens
abgelöst zu werden.
Ein aufmerksamer Beobachter im Alterthume, Asclepia-
des mit Namen, hat uns sogar die Beobachtung hinter-
lassen, (cf. Hecker, Gresch. der Med.) dass zu seiner Zeit,
d. h. c. 200 Jahre nach Christi Geburt, im Seitenstiche
oder der Lungenentzündung der Aderlass in Rom und
Athen gar keine, in Pontes und in Faros aber unver-
gleichliche Hülfe brachte ; zu Folge der Lehren der jetzi-
gen medicinischen Wissenschaft an den ersten Orten also
rationell, an den letzteren dagegen ganz irrationell wirkte.
8
CAPITEL III.
Das oberste metaphysische Princip des Paracelsus.
Durch ihre beständigen und eifrigen Bemühungen um
Ausbildung der directen Heilmethode und durch glück*-
liehe Auffindung vieler, direct oder specifisch heilender
Avzeneikräfte hatte sich im Laufe der Jahrhunderte l)ei
den Jatrochemikern die Erkenntniss immer deutlicher
herausgebildet, dass es ausser den jetzt bekannten physi-
calischen Imponderabilien noch u nendli ch viele andere,
diesen ähnliche Naturkräfte geben müsse, welche im
Stande sind Krankheiten zu erzeugen.
Namentlich fanden sie aber, dass einzelne derselben,
die sich deutlich dadurch zu erkennen gaben, dass sie
solche Krankheiten erzeugten, die durch bestimmte spe-
cifische Gegenkräfte indiflferenter Arzeneien prompt be-
seitigt werden konnten, mitunter plötzlich verschwanden,
um nach einer mehr oder weniger langen Zeit wieder-
zuerscheinen.
Die Ursache dieser Erscheinung war in sehr vielen
Fällen durchaus weder in persönlichen oder localen noch
überhaupt in tellurischen Verhältnissen zu finden, son-
dern fiel so oft mit anderen, durch den Einfluss der Sonne
erzeugten Erscheinungen zusammen^ dass man sich genö-
— 86 —
thigt sah, solchen pathogenen Kräften kosmischen Ui$(prung
zuzusehreiben.
Hierdurch wurde Paracelsus zu der Erörterung det
Frage veranlasst, ob das Ens astrale, der von den Jatro«
Chemikern also genannte Urquell aller in ihrer ärztli-
chen Praxis beobachteten schädlichen Potenzen, auch der
Urquell aller auf der Erde erscheinenden und weilenden
Kraftenergien sei, oder ob die - Sonne, indem sie doch
sehliesslicb selbst nur einen Mikrokosmus darstelle, nuf
eine Z^rischenstation für solche Kräfte bilde, die von
grosseren Gomplexen der Weltenmaterie zu ihr, und tott
dort zu uns gelangen.
' Durch logische Folgerungen kam er dabei schliesslich ssu
folgenden überraschenden und weittragenden Resultaten
Wenn die Sonne auch als Urquell alles auf unserer
Erde vorhandenen grossen und kleinen Naturlebens an-
sttsehn ist, woran ja auch jetzt wohl Niemand mehr
zweifelt^ so ist sie doch ebenso wenig wie alle anderen
Gestirne mit ihrer vermuthlichen Centralsonne etwas pri-
maer Gegebenes^ von Ewigkeit an Bestehendes, sondern
dieser ganze Complex, welchen wir Welt nennen, musf
ii^endwie mmal erst erschaffen worden oder entstanden
sein«
Vor Entstehung der Welt kann nur das Nichts bestan-^
Aw haben, in welchem aber doch die ganze künftige
Welt bereits praedestinirt enthalten sein musste. Dieses
Nichts denkt sich nun Paracelsus in zwei Theile zerlQgti
und da die ganze Welt aus Kraft und Materie zusam-
mengesetzt ist, so nennt er den einen Theil desselben Ur*-
kräfl und den anderen Urmaterie und will mit dieser
3*
— 86 —
BBzeichnuog sagen dass die ürkräft der Inbegriff aller
vorhandenen grossen und kleinen Kraftenergien sei. In
ihr sind alle positiven und negativen Kräfte enthalten,
und sie ist darum eine neutrale oder ruhende Kraß, die
gar keine sinnlieh wahrnehmbaren Aeussernngen von sich
giebt, also — für uns Nichts ist. Ebenso ist auch seine
Urmaierie sinnlich gar nicht wahrsunehmm und für uns —
ein Nichts, denn sie ist ohne alle jielementische^ Natur,
hat weder Farbe noch irgend welche andere Eigenschaf-
ten, und doch sind alle Geschöpfe in ihr enthalten, firei*
lieh nicht formlich, nicht wesentlich, nicht „qualitatisch'^,
sondern sie sind darin wie ein Bild oder eine Statue üi
einem Holze. Das Bild oder die Statue wird erst dann
erkannt, wenn alles übrige Holz davon fortgeschnitien ist.
i)ie ürkraft und die ürmaterie sind auf das Innigste
mit einander verbunden, und bilden als grosse Einheit
die Ursubstanz der Welt. Die Kraft haftet der Materie
an, wie die Seele dem Körper, und die Materie erscheini
toie der Schatten oder das Spiegelbild der Kraft. Da so-
mit beide unzertrennlich sind, so kann weder der imma-
terielle vovq des Anaxagoras, noch des Pythagoras ma-
terielle Monas, weder die Monade noch das Uratom das
zuerst Gegebene gewesen sein, sondern beide sind in
gleicher Weise praeexistirend zu denken.
Die Vereinigung von Ürkraft und Ürmaterie ist somit
das, was die- Wissenschaft kraft- und formloses Blastem
nennt.
Damit nun aus diesem scheinbar todten und formlosen
Blasteme die jetzige sinnlich wahrnehmbare, so unend-
lich vielgestaltige und lebendige Welt entstehe, dazu be-
— 37 —
darf es noch eines dritten Momentes, welches die ruhmde
Urkraft gleichsam auslöst und m active Kraßenergien
verwandelt, ebenso der formlosen McUerie GestäU und Qnor
titäten verleiht.
Paracelsus nennt dies Moment Separatio, die Erzeuge-
rin und Gebärerin. Diese löst die verschiedenen Einzel-
kräfte oder Dynamidensysteme von der Urkraft ab, ver-
leiht ihnen polarische Eigenschaften, indem sie dieselben
in Kraft und Gegenkraft scheidet und dadurch befähigt
der von ihnen auf gleiche Weise geschaffenen Materie die
entgegengesetztesten Eigenschaften zu verleihen. Sie ge-
währt ausserdem einer jeden freien Naturkraft Sympathie
oder Antipathie gegen eine jede andere, und ermöglicht
dadurch das Zustandekommen und die Bildung der ver*
schiedenartigsten Materien.
Da nun ein jedes der von der Urkraft sich abtrennen-
den Dynamidensysteme denjenigen Theil der Urmaterie,
an welchem es haftet, und welches ihm wiederum wie
sein Schatten folgt, mit sich nimmt, und sich dabei mehr
oder weniger mit allen übrigen Dynamidensystemen ver-
bindet, so ist dadurch die Möglichkeit der Entstehung
aller materiellen, unorganischen wie organischen, todten
und lebenden, schliesslich der empfindenden und denken-
den Geschöpfe und dadurch der ganzen bestehenden
Welt gegeben. Damit diese aber recht vielseitig und har-
monisch sich gestalte, so regidirt die Separatio zugleich
die Thätigheit jedes einzelnen Bynamidensystems^ selbst
wenn es in seine Jdeinsten Theilchen oder Elemente sich
aufgelost hat, diese in beständige Wechselwirkung mit
den Elementen anderer, selbst aller Dynamidensysteme
— w —
treten, und sich mit ihnen mehr oder weniger eng ver-
binden, 80 dasB eine vollständige Concordang oder Har^
monie unter allem Erschaffenen bestehn muss.
' Die Störungen der Concordanz oder Harmonie wiA
nur Ausnahmen, welche die B^el bestätigen. Sie £änd
för die Unterhaltung der Welt aber nothwendig, wie der
Hecht für den Karpfenteich, weil es sonst leicht eintreten
könnte, dass jede einzelne Kraft durch ihre Gegenkraft n&or
tralisirt wftrde, und dann iiothwendiger Weise wieder die
yorweltliche Todesstille eintiüte, die ganze Welt wieder
Blastem würde.
Den ersten Act der Weltenschöpfung müssen wir des^^
halb auch eine Disharmonie nennen, welche die ruhende
Urkraft gewaltsam erweckte, und worm er auch bestan-
den haben mag, so bleibt diese erste Disharmonie dodb
die Mutter aller nachfolgenden Disharmoni^i im Getriebe
der Welt, die uns persönlich oft recht schmerzhaft be-
rühren..
Die Urkraft, die Urmaterie und die Separatio oder
das Urgeseh sind für unseren menschlichen Verstand
unbegreiflich. Alle drei zusammen bilden das Mysterium
magnum^ über dessen Ursprung wir nicht einmal mit
Erfolg zu philosophiren im Stande sind, da sie alle
menschlich denkbaren Verhältnisse übersteigen. Die durch
das Mysterium magnum und aus demselbeu entstandenen
Creata erscheinen uns zwar leichter verständlich, da wir
sie sinnlich wahrnehmen und beobachten können; es ist
aber doch ein grosser Irrthum, wenn wir uns dem Glau-
ben hingeben, dass wir ihr Wesen genau erkennen und
eins oder das andere der scheinbar einfachsten Creata
— 8d —
aach nachzubilden oder zu erschaffen jemals im Stande
sein könnten.
Trotzdem nämlich, wie wir in der weiteren Ausfüh-
rung der Lehren des Paracelsus sehn werden, wir uns
die Entstehung der Creata im Allgemeinen wohl klar
machen können, so bleibt doch ein jedes von ihnen für
uns ein Mysterium parvum oder speciale, weil im ürge-
setze, welches ihre Entstehung regelt, für den menschli-
chen Verstand zu unendlich viele Paragraphen vorhan-
den sind, als dass wir irgend wie daran denken könnten,
in einem gegebenen Falle jemals den oder die entspre-
chenden herauszufinden.
Darum ist es einfach eine menschliche Thorheit irgend
ein Creatum den anderen gegenüber für ein vollkommne- l
res oder unvollkommneres Gebilde zu erklären. Jedes |
ist in seiner Art ein Meisterstück, der Erdklumpen j
oder die Monere ebenso wie der Baum oder der Mensch, j
und es wird dem letzteren niemals gelingen etwelchen I
seiner noch so künstlichen Gebilde Leben einzuhauchen.
Was wir hierüber noch genauer aufteilen können,
das werden wir noch später durch eigene Geistesarbeit
auseinander&metsen suchen: An des Paracelsus fernere
Auslassungen können wir uns nämlich nicht mehr halten,
da er von jetztan nur subjective Speculationen vortra- f
gfiti könnte, und als Feind derselben sie mit völlig unver- (^
ständlicher Mystik umkleidet, ja geradezu absichtlich ^
Blodain n spr icht.
Wir bleiben somit von jetzt an auf unsere eigenen
Kräfte angewiesen, und was in den ferneren Auseinan-
dersetzungen unklar und verbesserungsfähig bleibt, ist der
>-«.
— 40 —
UnzaUlDglichkeit der ersteren allein zuznschraben, da
sie nicht immer im Stande sind, bei der unendlichen
Vielseitigkeit der Paracelsisdien Lehren stets desa richti-
gen Standpunkt festzuhalten.
Um die Remedur unserer nachfolgenden Ausdnander-
Setzungen durch eine Vergleichung mit dem Originale
zu erleichtern, wollen wir deshalb schon hier zur Nom^i-
clatur des Paracelsus wenigstens das vorausschicken, dass
er die freigewordene Urkraft mit den yerschiedensten
Namen belegt, sie bald „spiritus vitae^ bald j^ignis^
nennt, bald nur mit dem Buchstaben ^^M^ bezeichnet.
Die Urkraft zerlegt er hauptsachlich in vier Abthei*
lungen oder Dynamidensy steme, die er EUmentej Arcana,
zuweilen auch Winde benennt. Es sind dies:
1. Die ufwrganischen, Yon ihm Erde genannt.
2. Die organischen oder vitalen, für die er die Aus-
drücke Wasser oder Meltisifie braucht
3. Die sedisehen^ von ihm Luft oder SUberblume be*
zeichnet.
4. Die geistigen j denen er die Namen Feuer j Blastem
oder Wind zuertheilt.
Das Blastem der neueren Zeit nennt er lUaster und
die Materie Evestrtim.
Alle Creata, wie auch den «lapis philosophorum me-
dicinalis», dessen Erforschung oder Auffindung wir zu-
weilen als Lebenszweck des Paracelsus angegeben finden,
lässt er aus Sulphur, Mercur und Sal bestehu, meint
damit aber nicht nach Att der ^schlechten Artisten^ die
unorganischen Stoffe Schwefel, Quecksilber und Salz, son-
dern es sind dies seine feststehenden Bezeichnungen für
— 41 —
Kraft^ Materie und das Urgeseta, d. h. für die drei Be-
stanotheile des Mysterium magnura, die auch den Ur-
grund eines jeden Mysterium parvum, d. h. eines jeden
Creatums abgeben.
Im medicinischen Theile nennt er die epidemischen
Krankheiten €pestis^,die endemischen ^caducum matrids^
und die aus anatomisch-physiologischen Ursachen entstan-
denen benennt er ^excrementische oder tartarische> Krank-
heiten.
Entsprechend der mystischen Benennung der Krank-
heiten sind auch die Arzeneinamen mystisch verändert, und
meist gar nicht zu entziffern, wenn man sie nicht aus der
Beschreibung ihrer Bereitung oder ihrer Verwendung
erkennt: So heisst bei ihm z. B. Natron nitricum Elixir
salis oder auch Mercur; Eisen heisst flos Cheiri; Kupfer
heisst Saphir oder saphyrinum anthos; Natron carbonicum
oder bicarbonicum nennt er sdl glaciei durae und Salpe-
tersäure aqua solvens etc. Au sserdem gebrauch t ^y ^"T
die Pathologie^
Benennung Älchymie__j!^s^^^^^^ Aßfr^hühMt Epide-
mienlehre.
"TTachsFder Enträthselung mystischer Ausdrücke liegt
die Hauptschwierigkeit für die Klarlegung der Paracel-
äschen Lehren aber hauptsächlich noch darin, dass die
von ihm klar und deutlich ausgesprochenen Meinungen
and Ansichten an den allerverschiedensten Stellen, theils
seiner medicinischen, theils seiner philosophischen Schriften
niedergelegt sind, und sich meist an solchen Orten vor-
finden, wo man sie gar nicht vermuthen dürfte.
CAPITEL IV.
Die Naturkräfte und ihre Gesetze.
Eraft^ Materie und Gesetz, die Stichworte der jetzigen
Naturwissenschaften, finden wir nach dem, was wir im
vorigen Gap. gesehn haben, auch in der Philosophie des
Paracelsus, — doch ist ihre Bedeutung bei ihm eine we-
sentlich andere.
Während Kraft und Materie in der Naturwissenschaft
doch immer einen gewissen Gegensatz bilden, sind sie bei
Paracelsus, wie wir noch genauer sehn werden, eine
untrennbare Einheit, und während die Naturforscher
das Gesetz immer mehr zu erforschen sich bemüh», er-
klärt Paracelsus dies für ein hoffnungsloses, weil völlig
unmögliches Beginnen.
Da nuu aber Paracelsus mit der neueren Wissenschaft
darin übereinstimmt, dass das Bewegende des grossen und
kleinen Naturlebens, und zwar des unorganischen und
organischen, des seelischen und geistigen stets durch
Kräfte repräsentirt wird, so kann die obige Dififerenz der
Ansichten nur aus einer vei*schiedenartigen Auffassung
dessen, was von Beiden Kraft genannt wird, resultiren.
Ein näheres Eingehn in diese Verhältnisse lässt uns dann
- 48 —
auch bald die Ursache dieses Unterschiedes genau er-
kennen.
Während die neueste Wissenschaft, unter dem CoUec-
tivnamen der Kraft die verschiedensten Begri£fe zusammeu-
fasst, und dieser Auffassung dadurch Ausdruck giebt, dass
sie behauptet, es seien stets ein und dieselben Kräfte,
welche in der unorganischen wie in der organischen Na-
tur sich auf gansf gleiche Weise bethätigen, und ebenso
auch das seelische und geistige Leben bedingen, so zeigt
uns dagegen Paracelsus, dass dies ein verhängnissvoUer
Irrthum ist, der allein die bisherige mangelhafte Aus*
bildung der Naturwissenschaften und ihren beständigen
inneren Zwiespalt verschuldet, weil er sie auf falsche
Bahnen der Beobachtung und Forschung leitet, und sie
z. B. bei Betrachtung de& organischen Lebens in den
engen Schranken mechanischer Anschauung gefesselt hält.
Organisches und Unorganisches unterscheiden sich ia^ber
doch wie das Werdende vom Fertigen, wie das Lebende
v om Todte n, und solche Gegensätze können unmöglich
vom gleichen Gesichtspunkte aus betrachtet, nicht mit
gleichen Hulfsmitteln erforscht werden; die massgebenden
Momente müssen hier durchaus verschiedene sein.
Deshalb lehrt Paracelsus das, was die Naturwissen-
schaften bisher pro miscue mit dem Namen «Naturkräfte»
belegen, streng zu sondern und unterscheidet:
1. die freien NaturJ&t*ä,fte und
2. die gebundenen oder materiellen Kräße.
Freie Naturkräfte, zu welchen auch die der Physik
kkiige bekannten Imponderabilien gehören, nennt Para-
eelsaa die durch die Separatio von der Urkraft abger
— 44 —
trennten Dynamidensysteme, welche wohl Träger von Thei-
len der ürmaterie, aber an keine bestimmte fertige Ma-
terie gebunden sind, und materielle Kräfte nennt er die an
fertige Materie gebundenen Kräfte^ welche für sich allein
nicht existiren können.
Die freien Naturkräfte entstammen, wie wir gesehn
haben, alle einer einigen grossen Urkraft, die unerschaf-
fen und darum ewig und unvergänglich ist, und als
unmittelbare Ausflüsse oder Abtheilungen derselben sind
sie deshalb auch ewig und unvergänglich, während die
materiellen Kräfte mit der Materie, an welcher sie haften,
entstehn, mit ihr sich verändern und vergehn.
Die freien Naturkräfte bestanden schon vor Entstehung
der Welt, und haben diese erst erschaflfen. Sie sind das
Primaere, die. Weltenmaterie ist ihr Product, während
bei den materiellen^'KjSfteBrTrmgeliehrt die Materie das
zuerst Gegebene ist und sie nur Eigenschaften oder Qua-
litäten der fertigen Materie darstellen. Die freien Na-
turhräfte sind es allein, welche indirect alle Arbeitslei'
stungen auf der Welt vollbringen, indem sie allein es sind,
welche Materie erzeugen und damit auch alle materiellen
Kräfte ins Leben rufen. Mau kann sie deshalb schaffende
oder bildende Kräfte nennen, während die an der Materie
haftenden, auch nur dann bewegende oder arbeitsleistende
genannt werden können, wenn sie von den freien Natur^
Tcräften die Anregung 2ur Aeusserung erhalten.
Durch den Werth, welchen Paracelsus den Imponde-
rabilien beilegt, und namentlich durch seinen am Kran-
kenbette gelieferten Nachweis, dass in der organischen
Natur ausser den bekannten physicalischen Imponderabilien
— 46 —
auch noch andere freie Naturkräfte, gleichsam organische
Imponderabilien, als das bildende Moment auftreten, und
das^ das seelische und geistige Leben wiederum durch
andere, wesentlich verschiedene freie Naturkräfte, die
aber der gleichen Quelle entstammen, bedingt wird, un-
terscheidet sich seine Lehre so characteristisch von de-
nen der jetzigen Wissenschaft, da letztere hauptsächlich
nur bewegende oder materielle, den physicaJischen Gesets^en
unterliegende Kräfte anerkennt, und, wenn sie gezwungen
ist von bildenden Kräften gu reden, diese dann erst aus ma^ \
terieflen, den sogenannten Spannkräften entstehn lassen will. /
Abgesehn nun aber davon, dass die Materie doch erst
durch bildende Kräfte hergestellt sein müss^ ehe sie Ge-
l^enheit nehmen kaiin aus sich selbst und ihren Eigen-
straften physicalische oder chemische Spannkräfte und
durch diese dann sogenannte bildende Kräfte zu entwi-
ckeln, so haben wir es hier mit so ungeheuer complicirten
Verhältnissen zu thun, die ausserdem fast jeden Augen-
blick eine andere Seite zur Anschauung gelangen lassen^
haben so unendlich viele freie oder bildende Naturkräfte,
und, entsprechend der unendlichen Verschiedenartigkeit
der von diesen erschaffenen Materie, so unendlich man-
nigfache materielle Kräfte zu berücksichti^n, dass die
Naturwissenschaften gar nicht daran denken können in
diese Zustände sich zu vertiefen, um Aufklärung über
den etwaigen Zusammenhang der verschiedenen Einzel-
kräfte zu schaffen.
Wie wir weiter sehn werden, kann es deshalb nur ein-
zelnen Disciplinen scheinbar gelingen in ihrem Bereiche,
aber doch auch nur auf der Oberfläche, nur in beschränk-
— 46 —
tem Umfange und nur mit mder Reserve einige einsei-
tige Forschungsresultate oder Erklärungen zu erzielen.
Letzteren liegen aber immer Hypothesen zu Grunde, die,
als subjective Auffassungen, beständigem „wissenschaftliche
Yervollkommnung^ genanntem Wechsel unterliegen, und
schliesslich doch nichts weiter zu bedeuten haben, als
dass sie Mar vorliegende unb&sweifeUe Thatsachen einfach
als vorhanden seiend bestätigen, während sie dieselben zu
erklären meinen.
Wenn die Physiologie z. B. jetzt ihr Heil darin sudit
Molecularschwingungen, Oxydations- und Reductionspro*
cesse als erklärende Momente für den Uebergang ma-
terieller Spannkräfte in vitale oder bildende Kräfte fOir
die Erzeugung physiologischer und namentlich patholo-
gischer Materie heranzuziehn, so heisst das doch nichts
weiter als Unerklärtes durch gänzlich Unbekanntes^ sor
gar durch f actisch Unmögliches zu erklären suchen:
Molecularsch wingung, ( >xydation und Reduction sind z. B.
Nichts primär und ursj)rimglich Gegebenes und hinrei-
chend Bekanntes, sondern sie können nur Aeusserungen
von Materie und von unbekannten, aber immer doch nur
materiellen Kräften sein, die immer ei'st nach Entstehung
der durch tttale Kräfte geschaffenen Materie auftreten,
und ohne diese liimmer existiren können. Ihre meta]^iyy
sische Su^yposition bedeutet auch noch lange keine naturwis"
senschaftliche Erforschung und Erklärung*
Die immensen Fortschritte, welche die Nervenphysio-
logie in der letzten Zeit gemacht hat, können ebenso
nur dann Sinn und in so fern Werth haben, als wir das
Nerven^ imd Gangliensystem allein nur als Leitunp- resp«
— 47 —
TJmschaltungsapparat für die Bewegung der verschie- /
densten den Organismus durchziehenden, und ihn am /
Leben und in Ordnung erhaltenden, freien Naturkräfte
betrachten.
Pfaysicalische und chemische Vorgänge im Gehirn, in
ilen Ganglien und Nerven aber, ohne einen von Aussen
erfolgenden AnstosSf von selbst zu Stande kommen lassen
und als Grund und Ursache des Lebens im Organismus
praesumiren, heisst die wahren Verhältnisse umkehren,
denn Lj^hfinbesteht ja im Organismus schon vor dem Auf-
t reten des GghinieSt der Ganglien und . jSerjfjßfl. Sein i
Dasein ist nicht an deren Materie gebunden. Gehirn,
Ganglien und Nerven sind ebenso wie die ganze übrige
Körpermaterie ja nur Producte des Lebens, und dort,
Vfo physicalische und chemische Vorgänge beständig an
der Tagesordnung sind, in der unorganischen Welt, da
gieht es d)en kein Leben, keine vitalen Vorgänge. Die
freien oder bildenden Naturkräfte aus solchen Kräften
entstehn lassen zu wollen, welche an Materie gebunden
und den physicalischen Gesetzen unterworfen sind, heisst
also einfach Ursache und Wirkung verwechseln.
Die materiellen Kräfte spielen, wie wir sehn werden,
allein nur bei der Umbildung oder Wiedererzeugung von
Materie eine gewisse untergeordnete Rolle, die freien
Naturkräfte sind aber die von der Separatio aus dem
Urnichts abgeschiedenen, gleichsam materialisirten Dvna-
fflidensysteme, welche sich vor Erschaffung der sinnlich
wahrnehmbaren Materie und selbstvei-ständlich bevor
dieselbe ihre Kräfte zur Geltung bringen konnte, bereits
vorfanden.
— 48 —
Sie sind ewige und darum unvergängliche freie Natur-
kräfte, deren Dasein wir, gleich wie bei den physi-
calischen Imponderabilien, allein nur daran erkennen,
' dass sie
1) im thätigen Zustande ganz selbstständig Materie
produciren, ihr Eigenschaften oder physicalische Kräfte
verleihen, und die letzteren dann wiederum als Medium
oder Hülfsmittel benutzen, um aus bereits bestehender
Materie neue zu entwickeln, d. h. Wachsthum, Fortpflan-
zung event. pathologische Producte zu Stande zu bringen;
2) dass sie durch Gegenkräfte so vollständig neutrali-
sirt werden dass jede Thätigkeit ihrerseits aufhört, wo-
bei dann selbstverständlich auch alle die von ihnen be-
reits erzeugten, an Materie gebundenen, Kräfte zu func-
tioniren aufhören.
Wenn wir hier also Aufschluss über die Naturkräfte
suchen, welche bei Erschaflfung der Welt betheiligt waren,
und Behufs deren Erhaltung noch beständig thätig sind,
so können wir unter letzteren nicht die physicalischen
oder chemischen Kräfte bereits geschaifener Materie, son^
dorn allein nur die freien NaturJcräße, die verschiedenen
Dynamidensysteme, verstehn. Diese allein haben sich, theils
als physicalische Imponderabilien der unorganischen, theils
als vitale Imponderabilien der organischen Natur, theils
als Kräfte, welche das immaterielle Leben bilden, aus
dem Nichts, resp. der ruhenden, sich durch keine Aeus-
serungen zu erkennen gebenden Urkraft oder vielmehr
dem Blastem abgetrennt, sie allein haben auf eine Weise,
die wir bald genauer erörtern werden, unorganische resp.
organische Materie, ebenso Seelen- und Geistesproducte
— 49 —
geschaffen und sind noch beständig in gleicher Weise
thätig.
Die Erforschung der materiellen Kräfte und ihrer Ge-
setze ist für uns etwas durchaus Untergeordnetes. An
bestimmte fertige Materie gebunden, und allein nur
durch solche Materie bedingt und zur Arbeitsleistung
veranlasst, welche von den freien Naturkräften erzeugt
wurde, bleiben sie stets und überall auch nur die gehor-
samen Diener und gefügigen Werkzeuge der freien Natur-
kräfte. Die freien NaturJcräfte sind dadurch^ dass sie
McUerie erzeugen und dieselbe mit den verschiedensten
Eigenschaften oder materiellen Kräften versehn, auch die
wahren Spannkräfte^ welche alle Arbeitsleistungen in der
Welt und zwar materielle ebenso wie immaterielle volh
führen. Sie genauer kennen zu lernen ist für uns des
halb von der grössten Wichtigkeit. Wenn wir auch
eine einige und ewige, homogene oder neutrale ürkraft
und eine von ihr untrennbare, qualitätenlose Urmaterie
als das primaer Gegebene annehmen, und dabei auch an-
nehmen, dass die freien Naturkräfte zugleich mit Theilen
der Urmaterie nach einem bestimmten Urgesetze vom Blas-
tem sich abgespalten haben, so können wir doch selbstver-
ständlich nicht voraussetzen, dass die einzelnen grossen
Abtheilungen dieser materialisirten Urkraft ganz homo-
gene Dynamidensysteme darstellen, sondern wir müssen
vermuthen, dass letztere sich sehr verschieden verhalten ;
dass namentlich
1) ein jedes von ihnen zwar beständig den gemein-
schaftlichen Typus der freien Naturkräfte oder Imponde-
rabilien, die Polarität" und Neutralisationsfähigkeit be-
4
— 60 —
wahrt, dabei aber stets einen besonderen oder specifischen
Character wahrnehmen lässt, durch welchen es sich von
den anderen Dynamidensystemen unterscheidet, und durch
welchen es dem Theile der qualitätenlosen Urmaterie,
welcher ihm anhaftet, eine ganz specifische, wenn auch
nur gan^ einseitige Qualität verleiht, die dieselbe aber
doch schon ganz bestimmt, wenn auch sinnlich noch
nicht wahrnehmbar, von der Urmaterie unterscheidet
Auch in Bezug darauf, dass jeder Kraft die Materie
wie der Schatten dem Körper anhaftet, müssen wir doch
Unterschiede zwischen ihnen statuiren und annehmen, dass:
2) die verschiedenen Dynamidensysteme sich auch noch
dadurch von einander unterscheiden, dass dem eisten mehr
Urmaterie anhiebt als dem anderen^ dass sie also ver-
schiedenartig materialisirt sind, und deshalb durch ihr
Gewicht sich unterscheiden.
Wir müssen somit annehmen dürfen, dass wir die freien
Naturkräfte in eine Scala zusammenstellen können, an
deren einem Ende sich mit Materie fast überladene oder
specifisch sehr schwere Kräfte befinden, während die am
andern Ende der Scala befindlichen gayiz frei von Matene,
also ohne alles Gewicht sind. In der Mitte der Scala be-
finden sich dann die verschiedensten Kräfte, welche all-
mähliche Uebergangsstufen nach der einen und der an-
deren Richtung hin abgeben, so dass im Grunde genom-
men also materialisirte Kräfte ganz immateriellen gegen-
überstehn.
Die specifisch sehr schweren d. h. mit vieler Materie
beladenen freien Naturkräfte, zu welchen hauptsächlich
die physicalischen Imponderabilien gehören, bilden hier
— 51 —
gleichsam eine Art Uebergang zu den materiellen Kräf-
ten, und sind, wie z. B. die Wärme und Schwere, bisher
wohl auch als solche angesehn worden, obgleich sie sich
doch immer noch sehr characteristisch von diesen unter-
scheiden.
3. Müssen wir nach den bisherigen Erfahrungen über
das gegenseitige Verhältniss der verschiedenen Dynamiden-
systeme annehmen dürfen, dass, ähnlich den längst be-
kannten physicalischen Imponderabilien, jedes einzelne
von ihnen zu anderen in verwandschaftlichen oder feind-
lichen Beziehungen stehe, so dass einzelne nicht nur meist
gleichzeitig und an denselben Orten auftreten, sich gleich-
sam schon auf weitere Entfernungen anziehn, oder ge-
genseitig hervorrufen, und schliesslich sogar auf das engste
sich vereinigen, sondern dass ebenso einzelne vor anderen
gleichsam fliehn, von ihnen abgestossen werden und nur
durch Vermittelung dritter mit ihnen vereinigt und zw
sammengehalten werden können.
Das Verhältniss der Kraft zur Materie in den materia-
lisirten Dynamidensystemen können wir auch so auffassen,
dass beide einen verschiedenartigen Aggregatzustand ein-
und derselben Substanz darstellen, der, je nachdem die-
selbe zur Aeusserung gelangt, sich auch bald als der
der Kraft, bald als der der Materie darstellt.— Die weitere
Ausführung dieser Auffassung würde nur geringe Aen-
derungen in den nachfolgenden Auseinandersetzungen
erfordern, mit ihnen aber schliesslich ganz coincidiren, so
dass wir von ihrer weiteren Durchführung abstehn können.
Halten wir dagegen die erstere Auffassung und die
oben erwähnten drei Eigenschaften der freien Naturkräfte
4*
— 62 —
fest, so können wir uns wohl klar denken, dass sie sich
im Haushalte der Natur auf die verschiedenste Weise
äussern; fragen wir aber nach einem bestimmten Ges^ge,
welches ihre Aeusserungen nnd Thätigkeiten regelt, und
sie veranlasst so und nicht anders sich untereinander zu
verhalten und dadurch, wie wir sehn werden, diese wid
nicht andere Materie zu bilden, so müssen wir eingestehn,
dass wir dies Gesetz nur im Allgemeinen ahnen, aber
gar Jceine genauere Kenntniss von seinen eineeinen Bestimm
mungen oder Paragraphen haben können.
Wie wir weiterhin sehn werden, haben einzelne eifrige
Naturforscher, Meister in ihrem Fache, die dieses Gesetz
nicht einmal im Allgemeinen, sondern nur für ganz spe-
cielle Gebiete zu erforschen versuchten, eingestehn müs-
sen, dass ihr Streben resultatlos geblieben sei, und zuletzt
verzweifelnd erklärt, „dass es für solche Verhältnisse gar-
kein Gesetz gebe". —
Nach dem jetzigen Standpunkte der speculirenden
Wissenschaften wären wir genöthigt dies Gesetz in die
äusserst verschiedenartig combinirte und modificirte At-
traction und Repulsion der einzelnen Materie- und Kraft-
oder Aetheratome zu verlegen. Da dies aber nur meta-
physische Begriife sind, so können sie uns wohl eine Vor-
stellung von Gesetzen beibringen, die die gegenseitige
Einwirkung der verschiedenen Dynamidensysteme regeln
könnten, können uns aber diese selbst durchaus nicht
näher motiviren und nachweisen; und wir thun deshalb
am besten mit Paracelsus einzugestehn, dass sich über
das Urgesetz oder die Separatio, welche die ruhende ma-
terialisirte Urkraft ausgelöst hat und die Thätigkeit der
— 53 —
freigewordenen Naturkräfte und dadurch auch die Er-
schaffung und Erhaltung der Welt und ihrer einzelnen
Partikelchen regulirt, nicht einmal mit Erfolg philosophi-
ren lässty und dass hier das Gebiet des Glaubens sich vor
uns ausbreitet.
Für uns ist es also im Allgemeinen unerforschlich,
und im Speciellen bleibt es die uns unerklärliche prae-
stabilirte Sympathie und Antipathie, welche theils die ein-
zelnen Dynamidensysteme, theils ihre verschiedenartigsten
Vermischungen und Permutationen einander entgegen-
bringen, indem sie dadurch, wie wir bald sehn werden,
nicht nur alle Creata erschaffen, sondern auch fortwährend
beeinflussen. Durch letzteres werden aber nicht nur
unsere einzelnen kleinsten Körpertheilchen mit ihren
specifischen materiellen Kräften auf eine uns unbewusst
bleibende Weise beständig in vitaler Spannung erhalten
und ebenso beständig zu Reactionen, d. h. zu vitaler
Thätigkeit und materieller Veränderung veranlasst, son-
dern es werden dadurch auch alle Thätigkeiten der
Seele und des Geistes oft in vorher ganz ungeahnte
Bahnen geleitet.
Der menschliche Wille besitzt keine Herrschaft über
die freien Naturkräfte, nicht einmal über die, welche in
seinem Körper beständig thätig sind. Er ist wie das ganze
Leben nur Product derselben, nur materielle Kraft, in so-
fern er, wie wir im Capitel VII sehn werden, an den so-
genannten Ganglienzellen haftet und nur auf Anreiz der
freien Naturkräfte zu Stande kommt. Er vermag sich auch
nur dann zu äussern: Etwas Gewolltes vermag nur dann zur
Ausfüfirung zu gelangen^ wenn freie Naturkräfte unbehia-
— M —
dert so wohl centripetal zum Sitze des bewussten Willens
gelaDgeo, als aucb centrifugal \on ihm sich entfernen kön-
nen und durch keinerlei Störung in der Xervenleitung
oder den Utnschaltungsapparaten an ihrer Locomotion
behindert werden.
Aus Nichts etwas zu erschaffen, wie es die freien Na-
turkräfte thun, ist weder dem bewussten noch dem un-
bewusst«n 'Willen gewährt.
Der blosse Wille zum Leben kann niemals Leben, nie-
mals Materie oder die ganze Welt erschaffen, wie Schop-
penhauer zn erweisen sich bemQbt. und Andere ihm gläu-
big nachbeten. Der Wille kann nie freie Ursache sein,
wie schon Spinoza richtig divinirt: er wii-d stets durch
&eie Naturkräfte erzwui^en.
Die freien materialisirten Naturkräfte sind allein das,
was unser ganzes materielle und geistige Sein erzeugt
und beeinfluESt; sie sind im Verein mit dem Ui^esetze,
welches ihre Aeusserungen regelt, das grosse AUniächfige
und Unbekannte, welchem die grössten Denker aller Zeiten
die ferschiedensten Namen gegeben haben, und welches
Hartmann in neuester Zeit unter dem Namen des L'nbe-
wnssten, auf eine unbewusste Weise, zum obersten Wel-
tenprincip erhoben hat.
Phtsik und Chemie werden niemals im Stande sein
uns über das Wesen unserer freien Xaturkräfte Aufklä-
rung zu gehen, während sie uns die an Materie gebun-
denen Kräfte und ihre Gesetze von Tag zu Tag genauer
kennen lehren.
In welchem näheren Verhältnisse beide Arten von
Kräften zu dnuidw atehn, und welchen ungeheuer masa-
— 66 —
gebenden Einfluss die Kenntniss und sirenge Unterschei-
dung derselben überhaupt auf die Auffassung unseres
Ld>ens und die fernere Entwickdung der Naturwissen-
schaften ausewäben im Stande sein wird, das werden wir
in den nachfolgenden Gapiteln einigermassen darzulegen
suchen.
,*
CAPITEL V.
Die Erweiterung des obersten metaphysischen Principes des
Paracelsus und seine Vergleichung mit den Principien der
Materialisten und Idealisten.
Gehn wir nun jetzt daran aus dem, was uns Paracel-
sus als oberstes Princip seiner Lehren hinterlassen hat,
die Entstehung der Welt und ihr Fortbestehn, d. h. den
Bau und die Ordnung des Weltalls, ebenso alle Erschei-
nungsmöglichkeiten im Leben des irdischen Mikrokos-
mus, die Regungen der unorganischen Stoffe und organi-
schen Wesen, die Structur und die Verrichtungen des
menschlichen Körpers, ebenso die Thätigkeit der Seele
und des Geistes zu deduciren, was wir selbstverständ-
lich hier nur in allgemeinen Umrissen anstreben können,
so müssen wir uns die Zustände, die nach dem Einwir-
ken der Separatio auf das Blastem oder die ruhende Ur-
kraft und Urmaterie zu Stande kommen, klar zu machen
suchen.
Um diese fasslich darlegen zu können, müssen wir aber
methodisch zu Werke gehn, und uns nicht sofort die
ganze Ursubstanz, die Urkraft und Urmaterie auf einmal
— 57 —
ausgelöst und frei denken, sondern nur einen Theil der-
selben und zwar in so weit, als wir dadurch passendes
Material erhalten, welches gleichsam den Mikrokosmus
darstellt, aus welchem wir die Entstehung des Makro-
kosmus herzuleiten vermögen.
Dieserhalb haben wir uns zu erinnern, dass die Ur-
kraft, obgleich sie alle verschiedenen Systeme von Kräf-
ten in sich enthält, neutral oder ruhend gedacht werden
muss, dass somit aber auch alle in ihr enthaltenen Spe-
cialkräfte, die wir am besten Dynamidensysteme benennen,
in neutralem oder ruhendem Zustande sich befinden.
Denken wir uns nun die Einwirkung der Separatio
auf die Ursubstanz derartig, dass nicht plötzlich alle,
sondern nur das eine oder andere specifische Dynamiden-
svstem von dem Blasteme sich abtrennt, so wird ein
jedes solcher freigewordenen Dynamidensysteme anfangs
in mächtigem Strome in den Weltenraum sich ergiessen,
und da es durch sein Freiwerden zugleich polarisirt worden
ist, so wird auch in ihm sofort die Kraft von der Gegen-
kraft sich trennen wollen, und beide werden nach ent-
gegengesetzten Richtungen fortstreben.
Unter dem Einflüsse anderer, ähnlich beschaflfener, ihm
sympathischer oder antipathischer Dynamidenströme wird
es sich aber bald zertheilen und in immer kleinere Ströme,
sogenannte Kraftenergien, sich auflösen, und diese werden
schliesslich durch fortwährende weitere Verzweigung so
klein werden, dass man die äussersten Endigungen der-
selben Dynamidenelemente nennen kann, und das ganze
Dynamidensystem wird dadurch einem gigantischen Baume
gleich, der nach oben mit den feinsten Blatt- und Ast-
— 68 —
spitzen und nach unten mit ebensolchen Wurzelspitzen
endet.
Die Elemente der verschiedenartigen Dynamiden werden
aber niemals homogen werden können, wie etwa die
Homoeomerien des Anaxagoras oder die metaphysischen
Atome oder vielmehr Uratome der Materialisten, sondern
sie bewahren beständig nicht nur die Bedeutung der
ürkraft, und bleiben dadurch als etwas Unerschaffenes
auch unvergänglich, sondern sie bewahren auch bestän-
dig den Character ihrer Mutter, d. h. des speciellen Dy-
namidensystems, welches sich als specifischer Hauptzweig
von der ruhenden ürkraft abgelöst hatte, und dessen directe
Verästelung sie bilden. Die verschiedenen Dynamiden
angehörigen Kmftelemente haben deshalb auch verschie-
denes specifische Gewicht und wirken für unser Erkennt-
nissvermögen ganz willkürlich anziehend oder abstossend
auf die Elemente anderer Dynamidensysteme, so dass
sie dieselben entweder fliehen oder auch theilweise oder
ganz sich mit ihnen vermischen.
In gleicher Weise wie auf die ürkraft wirkt selbst-
verständlich die Separatio auch auf die ürmaterie ein.
Mit jedem Dynamidensysteme wird ein Theil derselben von
der Hauptmasse abgetrennt, und verbleibt von jetzt ab
bei dem ihm zugehörigen Dynamidensysteme, welches sich
mit ihm zugleich vom Blasteme abgetrennt hatte, unver-
ändert als dieselbe, es gleichsam materialisirend. Wenn er-
steres sich in Elemente aufgelöst hat, so folgt ein ent-
sprechender Theil der Materie doch jedem Kraftelemente
wie ein Schatten.
Die ürmaterie erleidet durch ihre Abtrennung von dem
— 59 —
Blasteme gleichfalls eine, wenn auch nur ganz geringe
Veränderung in so fern, als ihr von dem ihr zugehörigen
und activ gewordenen Dynamidensysteme eine, wenn auch
nur ganz einseitige, so doch immer ganz specifische Ei-
genschaft oder Qualität ertheilt wird. Diese ist nun zwar
noch so wenig diflferent, dass sich der also veränderte
Theil der Urmaterie kaum schon irgend wie von letzterer
unterscheidet, und darum auch auf unsere Sinne nur
einen einseitigen Eindruck hervorbringt; sie giebt uns
aber, wie wir weiter sehn werden, die Berechtigung da-
raus die Entstehung der ganzen kosmischen Materie mit
ihren Qualitäten oder functionellen Kräften zu erklären.
Die Kraftelemente mit den ihnen anhaftenden An-
theilen von Urmaterie sind nun für Paracelsus die meta-
physischen Bausteine nicht nur für die Zusammensetzung
der materiellen Formelemente, der unorganischen Mole-
cule und organischen Plastidule, sondern auch der im-
materiellen, und zwar seelischen und geistigen Elemente,
die wir am besten Psychodule und Pneumatodule benen-
nen.
Da wir durch die Entstehung dieser Formelemente
aus der metaphysischen in die reale Welt treten, so wol-
len wir die Beschreibung ihrer Entstehung vorläufig noch
bei Seite lassen und unsere kleinsten Bausteine erst mit
denen der übrigen metaphysischen Lehren zusammenstel-
len und vergleichen, um uns dabei zu überzeugen, ob wir
auch im Stande sind die ganze c. 350 Jahre alte Para-
celsische Lehre, wie wir behauptet haben, als einen Fort-
schritt auch den neuesten bisherigen Lehren gegenüber
aufzustellen.
— 60 —
Von welchem metaphysischen Principe ein Philosophem
nämlich auch immer ausgehn mag, so kann es seine Be-
weise doch immer schliesslich nur durch Induction führen,
und wenn es den Weltenbau erklären und in der Idee
nachahmen will, so muss es sich möglichst kleine Bau-
steine dazu vorbereiten, und, wie die Solidität eines Hauses
durch die Güte seiner Bausteine und seines Mörtels be-
dingt ist, so wird uns eine Prüfung des metaphysischen
Baumateriales auch Aufschluss über den Werth des gan-
zen daraus zu errichtenden Gebäudes im Voraus geben.
Es kann uns durchaus nicht in den Sinn kommen
alle bisherigen metaphysischen Systeme darauf hin zu
piüfen, ob ihr oberstes Princip ein richtiges und unan-
fechtbares ist; das stete durch die Geschichte der Philo-
sophie nachgewiesene Bestreben immerfort noch neue
Weltengedanken, neue weltenbeherrschende Principien
aufzustellen, scheint zwar nicht zu Gunsten einer solchen
Annahme zu sprechen, wir wollen uns aber trotzdem
allein damit begnügen nur die Repräsentanten der bei-
den am meisten diflferirenden Philosopheme, das der Ma-
terialisten und das der Spiritualisten oder Idealisten
in Betracht zu ziehn.
Wenn die Gegensätze zwischen beiden sich auch jetzt
nicht mehr so schroff geltend machen, wie bald nach der
Zeit als Gartesius den Gegensatz zwischen Denken und
Sein, zwischen Geist und Materie zuerst aufstellte, so ist
die Vermittelung derselben zwar vielfach gesucht, aber
die gesuchte noch nicht gefunden worden.
Da sich kein neutraler Standpunkt zwischen Geist
und Materie aufstellen lässt, so kann jeder Vermittelungs-
^
— 61 —
versuch stets nur von einem Parteistandpunkte ausgehn
und wird darum auch mehr oder weniger einseitige An-
schauungen vertreten. Die Realisten werden sich bemühen
den Idealisten möglichst gerecht zu werden, wie auch
die Idealisten die Ansprüche der Materialisten möglichst
anerkennen werden, zumal sich jeder Theil, im Grunde
genommen, doch der eigenen Schwäche deutlich bewusst
ist, und sehr wohl einsieht, dass er seinen eigenen Stand-
punkt nur mit Hülfe einer gewissen mystischen Dialectik
bewahren kann. Trotzdem werden hierbei aber immer
noch handgreifliche Widersprüche und Ungeheuerlichkei-
ten genug übrig bleiben, die bei der etwaigen Begrün-
dung durch die naturwissenschaftlichen Gesetze, welche
keine mystische Erklärung dulden, zu Tage treten und
ignorirt werden müssen.
So ist es z. B. bei der Atomentheorie der Materialisten
doch immer schwer oder vielmehr gar nicht zu begreifen,
wie die nicht mehr stofflichen Atome oder Uratome, die
als mathematische Punkte selbstverständlich ohne jede
materielle Qualität sind, durch ihnen ganz willkürlich
auf mystische Weise beigelegte materielle Kräfte, wie
Molecularbewegung, Anziehungs- Abstossungs- und Behar-
rungsvermögen und ihren ebenso mystischen blossen Atom-
willen schliesslich doch dazu gelangen sich zu accumu-
liren, und zu greifbarer, mit den verschiedensten natur-
wissenschaftlichen Qualitäten ausgestatteter Materie zu
werden. Das Mystische und Unerklärliche dieses Vorgan-
ges wird auch in Nichts verändert, wenn den scheinbar
allzuschwerfälligen materiellen Uratomen als Concession
an die Spiritualisten auch Aetheratome in beliebiger Zahl
— 62 —
zugemischt werden, und diese, was naturwissenschaft-
lich niemals beobachtet, und nur metaphysisch supponirt
werden kann, in Bezug auf Anziehung und Abstossung
ganz anders, sogar polarisch entgegengesetzt sich verhal-
ten sollen wie die Körperatome.
Schlimmer wie mit den Körper- und Aetheratomen der
Materialisten ist es in dieser Beziehung mit den Seelen-
oder Geistesatomen der Spiritualisten, z. B. den Monaden
des Leibnitz bestellt: lede Monade ist als, etwas Fürsich-
seiendes, ein Individuum von mathematisch punctuellem
Umfange, und, obgleich ihre Zahl so gross ist, dass sie
den ganzen Weltenraum ausfüllen, so gleicht doch keine
der anderen. Wenn sie auch keine Fenster, haben durch
welche Vorstellungen in sie einzutreten veimöchten, so
spiegelt doch eine jede die ganze Welt in sich ab.
Obgleich nun Leibnitz eine jede Monade für einen „par-
vus in suo genere deus" erklärt, mit dessen Hülfe man
schon etwas zu Stande bringen könnte, so macht er sich
doch formell einer petitio principii schuldig, wenn er aus
diesen Seelen- oder Kraftatomen allein nur deshalb Ma-
terie zu erzeugen fähig ist, weil ihm Materie nichts weiter
denn lebendige Activität, also thätige Kraft ist.
Ein gleicher Einwurf triflft auch das obei'ste Princip
Hartmanns, das Unbewusste.
Statt der Monaden stellt Hartmann unbewusste Vor-
stellungen, gleichsam die Elemente einer Weltenseele
oder eines Weltengeistes als bildendes Princip auf, co-
pulirt dieselben einem unbewussten Willen, verleiht beide
als Attribute einem immateriellen aber unbewussten
oder unbekannt bleibenden CoUectivbegriffe, und lässt
— 63 —
daraus Materie entstehn, nachdem er diese vorher auf
mystisch bleibende Weise in Wille und Vorstellung auf-
gelöst hat.
Das oberste schaffende Weltengesetz ist bei Hartmann
also das Unbewusste. Dieses erzeugt und reproducirt nach
seinen eigenen, uns völlig unbekannt bleibenden Gesetzen
die verschiedenen Arten von Materie.
Wenn nun Hartmann die Materie für ein System
von atomistischen Kräften in einem gewissen Gleichge-
wichtszustande, und als eine blosse Formel für Kraft
erklärt, und die Zusammensetzung einer solchen Formel
jedesmal dem Unbewussten mit seineu mystisch-daeraoni-
schen Eigenschaften, der Hellseherei und Infallibilität,
überträgt, so erkennt er dadurch an, dass diejenigen
Kräfte, deren Atome die Materie zusammensetzen oder
bilden, doch andere sein müssen, als wie es die sind, welche
an der fertigen Materie haften und als Qualitäten derselben
materielle Kräfte darstellen. Letztere kehren sich näm-
lich gar nicht an die unbekannten Bestimmungen des
Unbewussten, sondern gehorchen klaren Naturgesetzen,
und wenn die Materie aus Atomen materieller Kräfte
zusammengesetzt wäre, so würde sie nur allein zu Folge
naturwissenschaftlicher Gesetze entstehn können, und
das Unbewusste wäre dann ganz überflüssig.
Da nun Hartmann aber neben den physicalischen
und chemischen Gesetzen, welche die fertige Materie be-
herrschen, noch die Gesetze des Unbewussten anerkennt,
welches die Materie bildet und zusammensetzt, so er-
klärt er dadurch selbstverständlich, dass er neben zwei
Arten von Gesetzen atich zwei Arten von Kräften an-
— 64 —
nimmt, d. h. neben den materiellen Kräften auch noch
immaterielle, die wir bildende genannt haben, Hierdurch
vermag er wenigstens überhaupt allein nur sein Unbe-
wusstes aufrecht zu erhalten.
In der Wirklichkeit weiss Hartmann diesen Unterschied
der Kräfte aber nicht festzuhalten, sondern er wirft die
letzteren beständig durcheinander.
Im Abschnitt C. Capitel I seiner Philosophie des ün-
bewussten gelten ihm z. B. die physicalischen Imponde-
rabilien oder freien Naturkräfte, wie Electricität, Galva-
nismus, Magnetismus, Wärme, Licht ebenso viel wie die
mechanischen oder materiellen Kräfte, wie die Gravita-
tion, Expansion, Elasticität, Krystallisation und chemische
Verwandtschaft.
Da nun somit aber auch bei Hartmann die altbekannte
Kluft zwischen Metaphysik und Naturwissenschaft, welche
dieselben wie das Leben vom Tode trennt, fortbesteht,
so ist es eine Fiction, wenn Hartmann als Philosoph auf
naturwissenschaftlichem Standpunkte zu stehn, seine me-
taphysischen Principien durch physicalische oder chemi-
sche Gesetze zu rechtfertigen und seine Geistesproducte
durch Naturerscheinungen controlliren zu können meint,
während sein Unbewusstes und dessen Gesetze mit den
Naturgesetzen in beständigem Kampfe liegen.
Seine dies bezüglichen, äusserlich so bestechenden,
Explicationen, die nur stellenweise unbewuste Wahrhei-
ten enthalten *), würde man einfach geistreichen Humbug
'N^ *) Eine solche unbewiisste Wahrheit ist z. B. Hartmanns An-
sicht über die Entstehung von Krankheiten; denn er meint sehr
— 65 —
nennen müssen, wenn sie nicht Ergebnisse dieser Selbst-
täuschung wären, und als solche einen gewissen, wenn
auch negativen Werth besässen.
Vermittelnd zwischen Materialisten und Idealisten steht
nun Paracelsus.
Er vermag weder aus Monaden Materie zu bilden noch
stofflose Atome mit materiellen Kräften auszustatten oder
aus Elementen solcher Kräfte Materie zu formuliren.
Freie Naturkraft und Materie bestehn bei ihm gleich-
berechtigt neben einander, beide sind praeexistirend. Sie
bilden aber keinen Gegensatz oder Dualismus, sondern
eine Einheit, die durch Nichts zu zerstören ist. Beide
treten stets vereint auf, schützen und stützen einander
gegenseitig.
Die materialisirten Kraftelemente des Paracelsus verei-
nigen in sich nicht nur die Eigenschaften der Atome,
Monaden und unbewussten Vorstellungen gleichzeitig,
sondern besitzen auch noch andere, welche sie dazu be-
fähigen die Entstehung der verschiedenartigsten, mit den
verschiedensten Kräften ausgestatteten Materie, ebenso
alle Erscheinungen des grossen und kleinen Naturlebens,
alle Crombinationen und Erscheinungsmöglichkeiten des
materiellen, des Seelen- und Geisteslebens zu erklären,
ohne in irgendwelche Widerspiiiche zu gerathen oder
mystisch zu erscheinen. Sie sind
richtig, dass Krankheiten niemals von freien Stücken aus dem psy-
chischen Grunde des Organismus aufsteigen, sondern ihm stets von
Aussen aufgedrungen oder gezwungen werden; unbewusst müssen
wir aber diese Ansicht nennen, weil Hartmann nicht anzugeben
weiss, wer es ist, der sie dem Körper von Aussen aufzwingt. —
5
— 66 —
1. nicht einseiUg; weder materiell allein, noch allein
spirituell, sondern sie sind beides zugleich und zwar in
den verschiedensten Proportionen der Zusammensetzung.
An dem einen Ende einer mit ihnen aufzustellenden Sca-
la befinden sich die Elemente, welche fast bloss aus Ma-
terie bestehn, an dem andern diejenigen, welche gar keine
Materie mit sich führen.
In der Mitte liegen dann die übrigen in den verschie-
densten allmählichen Uebergängen und Permutationen,
so jlass man daraus schon auf ihre unendlich grosse An-
zahl und Verschiedenheit schliessen kann.
2. Sie bilden Tceine starren, nicht mehr dehnbaren Ein-
heiten, wie die Atome, sondern jedes Element bleibt
stets unendlich dehnbar wie Gas ; sie vermögen auch wie
die Gase zu difiundiren, doch können sie niemals im unend-
lichen Räume verduften, da ihnen stets eine entsprechende
Quantität von Materie anklebt, welche nicht mehr form-
und wesenlose Urmaterie ist, sondern stets schon eine
ganz bestimmte specifische Qualität besitzt, und dadurch
die immaterielle Kraft gleichsam zusammenhält.
3. Wenn die Paracelsischen Kraftelemente aber auch
auf AsiS weiteste ausgedehnt sind, so werden sie doch nie-
mals homogen, sondern bewahren stets den Charakter des
Djnamidensjstemes, dessen äussere Verästelung sie bil-
den, und durch den sie der ihnen anklebenden Materie
auch stets eine ganz specifische Eigenschaft verleihen.
4. Sie sind weder .so absolut gleichförmig, wie die
Stoff- und qualitätenlosen Atome, noch unterscheiden sie
sich unter einander so unendlich, wie die Monaden oder
unbewussten Vorstellungen, von denen Tceine der ^anderen
— 67 —
gleicht, sondern die Elemente ein und desselben Dyna-
midensystemes sind qualitativ einander vollständig gleich,
unterscheiden sich aber stets gane bestimmt und charak-
teristisch von denen eines jeden anderen.
5. Sie sind nicht so ungä>unden wie die unbewussten
Vorstellungen, die wie ein deus ex machina ohne jede
merkbare Veranlassung sich einstellen, und des armen
Teufels von unbewusstem Willen als Sclaven fiir die Aus-
^führung ihrer Intentionen sich bedienen, sondern sie blei-
ben in beständiger Verbindung mit dem Dynamidensys-
teme, dem sie angehören, so dass alle Aeusserungen des-
selben auch sofort in ihnen zum Ausdrucke gelangen.
6. Sie sind nicht absolut todt, wie die gedankenlosen
Atome, aber auch nicht beständig thätig, wie die in ewi-
ges Denken versunkenen Monaden, sondern sie sind stets
80 lange thätig, bis sie auf Atome der Gegenkraft stossen.
Vereinigen sich diese beiden, so werden die Elemente
neutral, und sterben gleichsam ab, gehn darum aber nicht
verloren, sondern werden mit der ihnen zugehörigen
Materie wieder zu Blastem.
7. Sie sind keine streng abgeschlossene selbständige In-
dividuen, wie die Atome oder Monaden, vermögen nicht
wie die ersteren vermittelst der ihnen beiwohnenden ver-
schiedenartigen Vermögen oder materiellen Kräfte, oder
wie die zweiten durch ihren individuellen Eigenwillen aus
freien Stücken, aber ganz unmotivirt, zu den verschie-
densten materiellen Formen sich zusammenzuthun, son-
dern jedes gehorcht dem grossen Urgesets^e, dem zu Folge
es je nach seiner Qualität mit Elementen anderer Dyna-
midensffsteme sich vereinigt oder von ihnen fem hält.
6»
- 68 —
8. Da das materialisirte Kraftelement als directer
AuBfluss der Urkraft und der Unnaterie auch direct
dem Urgesetze unterworfen bleibt, so kann es nur gesetth
liehe oder harmonische Verbindungen mit anderen Kraft-
elementen eingehn, und hierdurch bilden sich dann auf
eine Weise, die wir bald genauer kennen lernen werden,
die verschiedensten Greata, todte und lebendige, mate-
rielle und immaterielle.
Nachdem wir nun die metaphysischen Bildungsele*
mente der Materialisten, der Idealisten und desParacel-
sus nebeneinander gestellt haben, dtirfen wir nun aber
durchaus nicht vergessen, dass Atome, Monaden, unbe-
wusste Vorstellungen und materialisirte Kraftelemente
doch immer Nichts weiter sind, als eben nur metaphysi-
sche Begriflfe, welche die Naturwissenschaften irgend wie
zu verwerthen durchaus nicht im Stande sind.
Die Naturwissenschaften verlangen nach Realem, nach
handgreiflichen Gegenständen, welche nicht unerforschli-
chen, sondern den ihnen bekannten Naturgesetzen sich
fügen. Allein nur damit vermögen sie zu operiren, und
nur damit die Zusammensetzung und beständige Verän-
derung der Welt zu erklären, und wir können das Ge-
biet der Metaphysik deshalb nicht eher verlassen, und in
die Naturwissenschaften eintreten, bis wir uns solche ge-
schalBPen haben.
Hier liegt der Prüfstein aller Weltenschöpfungstheorien;
hier liegt aber auch die Scylla und Charybdis für alle
einseitigen Systeme, und weder Realisten noch Spiritua-
listen vermögen die Grenzlinie, welche Metaphysik von
-- 69 —
Naturwissenschaft trennt, allein vermittelst consequen-
ter Durchführung ihrer leitenden Principien zu über-
schreiten.
Hier sind sie beide genöthigt Luftsprünge zu machen
um Systemlücken auszufüllen.
Die schwerfälligen Materialisten fallen nun hierbei in
einen improvisirten ürechleim, der ihren Atomen anklebt,
und beim Trocknen letztere zu Moleculen zusammenleimt,
und aus welchem, nicht so motivirt wie die Maden aus dem
Käse, sondern durch ihren souverainen Eigenwillen und
vermittelst Gondensation von ebenso improvisirten Kohlen"
Stoffverbindungen des Urschleimes die Protistengescböpfe,
die Moneren, hervortreten und sich angeblich als erste
und zwar als ganz primitive lebende Wesen praesenti-
ren, deren Descendenz aber durch geschickte geschlecht-
liche Zuchtwahl sich immer mehr vervollkommnet, bis
sie schliesslich im Laufe der Zeit Menschen und Mate-
rialisten und dadurch ihre eigenen metaphysischen Urhe-
ber oder Ururgrosseltern der beständig neu entstehen-
den Generationen von Urmoneren werden.
Die beim Springen sich leicht in den Aether erheben-
den Idealisten machen hier die Bekanntschaft der Psyche,
welche aus tief innerstem Grunde und Drange den fertig
berbeigezauberten unorganischen Moleculen seelische Ei-
genschaften, wie Empfindungen und den Willen verleiht,
un(^ dieselben durch eine Gratiszugabe von Gedächtniss
zu Plastidulen veredelt, und sie dadurch aus dem unor-
ganischen in das organische Naturreich versetzt.
Ganz allein nur eine conßequente Verfolgung der Prin-
cipien des Paracelsus bringt uns auf dem einmal ein-
~ 70 —
geschlagenen Wege ohne alle Winkelzüge und Luftsprän-
ge direct zum Ziele.
Hier findet der Uebergang vom metaphysischen Vor-
stellen zum realen Sein, wie wir im nächsten Capüel
sehn werden, phne alle Schwierigkeiten statt.
CAPITEL VI.
Die Entstehung der lebenden und todien Materie und die
verschiedenen Arten der Zeugung.
Als metaphysisches Baumaterial zur Errichtung der
Welt dienen dem Paracelsus, wie wir gesehn haben, die
materialisirten Kraftelemente, d. h. die möglichst klein
gedachten Theilchen de'r verschiedenen Dynamidensysteme,
oder anders ausgedrückt, die auf das innigste zusammen-
hängenden, möglichst kleinen Theile der vom Blastem
abgelösten Abtheilungen der Urkraft und Urmaterie.
Wir müssen es als höchsten Triumph seines Philoso-
phems betrachten, dass sich aus diesem metaphysischen
Materiale auf eine höchst klare und verständliche Weise,
ohne alle Mystik oder sonstige unerklärlich bleibenden
Widersprüche, die naturwissenschaftlichen Formelemente
der gesammten Materie, der organischen und unorgani-
schen, ebenso die des Seelen- und Geisteslebens herstel-
len lassen. Dass dadurch die tiefe Kluft, welche bisher
Metaphysik und Naturwissenschaft trennte, für immer
ausgefüllt wird, indem jetzt beide durch eine leicht pas-
sirbare Strasse einander nahe gebracht werden, und gleich-
sam in Eins verschmelzen, ist ein zweites durchaus nicht
— 72 —
ZU unterschätzendes Moment seines Philosophems,
eine Leistung desselben, wie sie bis jetzt noch nie, a
nicht einmal annäherungsweise von einem anderen
boten worden ist.
Jedes Paracelsische Kraftelement ist nämlich, wie
bereits wissen, mit einem mehr oder minder grossen Tl
chen von ürmaterie, welches ihm wie ein Schatten fc
verschmolzen, und haftet an diesem wie die Seele
Körper.
Jedes also matenalisirte Kraftelement zeigt auch
Charakter des Dynamidensystems, von welchem es
kleinstes Theilchen ist, und verleiht dadurch der
anhaftenden Materie, welche sich mit ihm zugleich
dem form- und qualitätenlosen Blasteme abgetre
hatte, immer m^B entsprechende^ wenn auch nur geri'i
so aber doch schon ganz speci fische Eigenschaft. D
eine Eigenschaft lässt dieselbe : 2^ar der Ürmaterie
merhin noch sehr ähnlich erscheinen, giebt aber d
schon . den Grund dafür ab, dass jedes Element ei
bestimmten Dynamidensy^temes von den Elementen ei
jeden anderen Dynamidensystemes sich ganz specifi
9Xtch durch eine bestimmte materielle Qualität un
scheidet.
Das uns bereits bekannte, aber völlig unbegreifli
und unfassbar bleiBende Urgesetz, welches durch se
einzelnen unendlich vielen Paragraphen jedem einzel
Dynamidensysteme Zuneigung zu adaequaten, und Ab]
gung gegen heterogene Dynamiden verleiht, formt nun
den verschiedenen Dynamidenelementen mit ihren c
seitigen materiellen Qualitäten Complexe äusserst v
— 73 —
schiedener Beschaffenheit. £s verbindet stets eine mehr oder
minder grosse Zahl adaequater einzelner Elemente nnter
einander in den allerverschiedenstenProportionen und Per-
mutationen zu einem bestinmit abgeschlossenen Complexe.
Um die hieraus sich ergebenden Besultate genau und
deutlich uns klar machen zu können, müssen wir zuvor«
derst erst zwei einzelne Kraftelemente^ verschiedener Dy-
namidensysteme» die sich anziehn und zu vereinigen im
begriffe stehn, genauer betrachten.
Wir können uns nun eine Vereinigung derselben nicht
anders denken, als dass wir annehmen, die ihnen beiden
anhaftwden Materieüieilchen haben sich gleichfalls auf
das innigste vereinigt, so dass sie dadurch ein ganzes
und zwar vergrössertes Partikelchen bilden. Wir haben
dann in diesem Falle ein Klümpchen von zwei auf das
engste verbundenen, specifisch verschiedenen Theilchen der
vom Blastem abgelösten Urmaterie vor uns, welches die
materielle Qualität und auch immaterielle Kraft eines
jeden einzelnen Theiles in sich vereinigt, also schon ver-
grössert ist, und schon zwei specifische Qualitäten oder
Kräfte besitzt.. Tritt hiezu noch ein drittes andersartiges
Kraftelement hinzu, indem es sich mit dem eben gebil-
deten Doppelelemente vereinigt, so haben wir ein noch
mehr vergrössertes Stückchen Materie mit drei Qualitäten
vor uns, und, je mehr sich auf solche Weise materiali-
sirte Dynamidenelemente zu einem einzigen abgeschlos-
senen Complexe vereinigt haben, desto mehr wird auch
ÜB in die^m Complexe mit inhcgriffenej und zwar stets
eKlsprwhend vergrösserte Materie auch verschiedene Qua-
Htätw »eigen. I^ nun die Materie naturwissenschaftlich
— 74 —
sich uns allein nur durch ihre Qualitäten bemerkbar
macht, so wird sie dadurch auch unserer Erforschung
immer zugänglicher und wird schliesslich dadurch auch^
allerdings unter Bedingungen, die wir erst später erör-
tern können, zu einem abgeschlossenen Odnzeny 0t« €ii»er
Einheit.
Wir vermögen zwar aus dem Grunde, dass bekanntlich
unserer sinnlichen Erkenntniss gewisse ganz bestimmte
Grenzen gezogen sind, diese Einheiten oder Gompl&jce ver-
schiedenartiger, wenn auch noch so sehr fmt Urmakrie
behafteter DynamideHdemente sinnlich noch nicht wahr-
zunehmen, trotzdem gehören sie aber doch schon nicht
mehr der Metaphysik, sondern bereits den Naturwissen-
schaften an, da die chamläeristisd^en Merkmale aller
naturwissenschaftlichen Gegenstände, d, h. Kraß^ Ma^
terie und Oeset^,auch hei ihnen stets deutüfh atusgeprägt
vorhanden sind.
I Sie unterli^en deshalb auch schon naturwissenschaft-
1 liehen Gesetzen und von dem, was die Naturwissenschaf-
;' teu als Formelement der unoi^auischen und oiganisehen
I Materien aufgestellt haben, dem Molecul und der orga«
nischen Zelle, unterscheidet sie sich auch allein nur quan»
titativ aber nicht qualitativ, indem letztere bade nur
, die ersten sinnlich wahrnehmbaren mechanischen oder
vitalen Äccumulationen der verschiedensten materialisirt^
Dynamidencomplexe darstelbn. Wir haben deshalb auch
volles Recht zu behaupten, dass durch die, noch vom ür-
gesetz voUstogene Verbindung metaphysischer Kraßelemetrie
zu Dynamidencomplexen, die hereitsr schon naturwissenn
schaftlichen Oeseti^en gehorchen, der ideah VorskUungsi^
— 75 —
halt eine bestimmte materielle Form und Ädionsfähigkeit
erhalten hat.
Durch ihre Geburt folgt dein Denken jetzt unmittelbar
das Beobachten und das Forschen. Die metaphysische
Speculation weicht jetzt dem naturwissenschaftlichen Er-
kennen — so weit dies überhaupt möglich ist; denn ebenso,
wie dem sinnlichen Erkennen der wissenschaftlichen Form-
elemente, den Accumulationen der verschiedenartigsten
Dynamidencomplexe, bestimmte Grenze» gesetzt sind, und
wir den complicirtesten Dynamidencomplex sinnlich noch
gar nicht wahrzunehmen vermögen, so bleibt auch das
Erkennen der fertig gebildeten organischen Materie, und
das Erklären ihrer Aeusserungen dadurch stets in ge-
wisse Grenzen eingeengt, dass wir das Gesetz, welches ihr
Entstehn, Verändern und Vergehn regelt, niemals werden
genau zu erforschen vermögen.
Um nun aber die unendliche Menge von verschieden-
artigen Dynämidencomplexen, welche wir als primitivste
materielle, und, wie wir sehn werden, auch als immate-
rielle Einheit, also als Formelement des gesammten Wel-
tenlebens a'ilzusehn haben, zu bewältigen und practisch
verwendbar zu machen, müssen wir sie nach bestimmten
Grundsätzen einzutheilen versuchen, und im Anschlüsse
an die Naturwisjsenschaften ergiebt sich für uns dann fol-
gende ESntheilung.
I. JEbrm^elefnefnte materieller Natur; und zwar
1. Formelemente der unorganischen Wdt; die Molecule
oder vielmehr die ürmolecvie oder Atome«
Es sind dies solche Dynamidencomplexe, die ganz oder
zum grössten Theile aus Elementen zusammengeset^zt mnd,
— 76 —
die fast allem nur speeifisch sehr schweren oder stark
materialisirten Dynamidensystemen, den sogenannten un-
organischen Dynamiden, angehören. Bei ihnen wird die
lebendige Kraft durch die todte Mateiie niedergehalten.
Wie Leibnitz etwa sagen würde, schlafen hier die Mo-
naden. Unsere unorganischen Dyn^midencomplexe, die wü*
api besten Unnolecule benennen, erzeugen durch einfache
mechanische oder chemische Accumulation unter sich das
naturwissenschaftliche, Molecul, welches die möglichst
kleinste aber immer schon eine sinnlich wahrnehmbare
Menge unorganischer Materie bezeichnet. Sie erregen
unser metaphysisches Interesse von jetzt an nicht weiter,
und wir können sie auch getrost den Naturwissenschaf-
ten, namentlich der Chemie übergeben. Diese ist mit
ihren Gewichtsdifferenzen oder verschiedenen specifischen
Gewichten ja schon lange bekannt, und legt letzteren
solchen Werth und solche Bedeutung zu, dass sie die leich-
teste Materie, das Wa^eistoffgas, sogar zur vermuthlichen
TJrmaterie. erhebt.
%. Fermekimide Aex organischen Welt; die Plastidule.
£s sind dies solche Complexe von materialisirten Dyna-
pidenelementen, welche Dynamidensystemen angehören,
die schon bed^eutend weniger mit Urmaterie behaftet und
darum specifisch viel leichter sind als die vorigen.
Wir nennen sie am einfachsten organische oder vitale
Dynamiden, da bei ibneil die schwerfällige Materie mehr
zurück«. ui)d die bewegliche Kraft mehr hervortritt.
Wenn wir hier nach Häckels Vorgang den Ausdruck
«PlastiduU gebrauchen, so verbinden wir damit doch einen
aswlieren B^iiff, denn bei Häckel ist das.Pla^tidul nur
— 77 —
ein mit Gedächtniss begabtes unorganisches Urmolecitl
oder Atom. Bei uns ist es aber etwas specifisch so durch-
aus Verschiedenes, dass, wie wir noch weiter sehen wer-
den, aü($ dem Plastidule wohl ein Molecul werden kann,
aber niemals umgekehrt aus dem Molecule ein PlasticTul.
Eine der ersten sinnlich wahi*nehmbaren Accumulatio-
nen der Plastidule, die nicht nach mechanischen oder
chemischen, sondern ganz allein nach vitalen Gesetzen
sich bilden, wenn auch nicht die einzige, ist die organi-
sche Zelle, welche von den Naturwissenschaften als Form-
element organischer Materie aufgestellt worden ist. Wie
die Naturwissenschaften aber die Zellen in vegetabilische
und animalische eintheilen, so müssen wir auch die Plas-
tidule, aus welchen erstere durch vitale Accumulation
der verschiedensten Art hervorgegangen sind, abtheilen,
und erhalten dann als Unterabtheilungen der organischen
Formelemente :
a) Formelemente des Fftwnzenreiches, die vegetabilischen
Plastidule, die unseren unorganischen ürmoleculen in
Bezug des specifischen Gewichts noch am nächsten stehn.
Es sind dies solche Dynamidencomplexe, wo nach Leib-
nitz schönem Bilde Monaden existiren,, bei denen die
Vorstellung als bildende Lebenskraft, wenn auch ohne
Bewusstsein, thätig ist, wo also vitale Functionen schein-
bar ohne Bewusstsein sich vorfinden.
b) Formelemente des Thierrekhes, die animalischen
Plastidule. Sie unterscheiden sich von den vorigen haupt-
sächlich dadurch, dass ihnen auch mehr oder weniger
Elemente von Dynamiden zugemischt sind, die fast gänz-
lich immaterialisirt erscheinen, so dass sie nebenbei
— 78 —
selb&tständige Bewegung oder vielmehr lebendig^ Action
repräsentiren.
Die au8 animalen Plastidulen in den verschiedensten
Gombinationen zusammengesetzten Creata zeichnen sich
.deshalb von den vorhergehenden hauptsächlich durch
zwei EtgeojBchaften aus. Einmal dadurch^ dass sie die
Möglichkeit der activen Locomotion besitzen, die sie vor
Allem dazu .benutzen sich Nahrung zu suchen und diese
in einem Magen anzusammeln, und dann dadurch, dass
sie durch den Umstand^ dass sich bei der Bildung ihrer
Plastidule deutlich erkennbar auch wenig oder gar nicht
materialisirte Dynamidenelemente betheiligteu, seelische
Eigenschaften wahrnehmen lassen, die das höhere anima-
lische Leben insceniren.
II. Formelemente immaterieller Natur.
Es sind dies Complexe von Elementen solcher Dyna-
miden, die für sich allein keine materiellen Creata
zusammensetzen können, weil zu wenig oder viel mehr
gar keine . Materie an ihnen haftet, und die wir deshalb
am besten immaterielle Dynamiden . benennen.
Nach den bisherigen Erfahrungen müssen wir diesel-
ben in zwei Unterabtheilungen bringen.
1, die Formelemente des Seelenlebens, die Psychoduk,
deren so unendlich verschieden combinirte Accumulatio-
nen die verschiedensten, so zu sagen, wissenschaftlichen
Elemente der Seele, die Empfindungen und Gefühle zu-
sammensetzen,
2. die Formelemente des geistigen Lebens, die Pneu-
matodule, deren verschiedenartig combinirte Zusammen-
— 79 —
setinmg die wissenschaftlichen Elemente des Geistes, die
Yoristellungen und Gedanken, erzeugen.
Beide sind wesentlich verschieden. Erstere besitzen,
ebenso wie ihre Elemente, die Fähigkeit sich mit vitalen
Plastidttlen, namentlich, den animalen, behufs Bildung
oi^amschefr Greata zu verbinden, und dadurch allen Thei-
len der letzteren «.mehr oder weniger seelische Eigen-
schaften zuzumisoheqi, während die. geistigen Dynamiden
und ihre Elementencomplexe,* die iPneumatodule, hierzu
nicht. 1)e3lhigt sind. I^etztere verleihen Aen Creatis, na-
mentlich den böhereo: animalischen, zwar geistige Eigen-
schaften, aber nieht durch innige Verbindung mit deren
Plastidutaa, ändert, allein nur dadurch, dassfsie an be-
stimmten, aus den leichtesten Dynamiden zusammenge-
setzten Theilen ihrer I^lastidule und fertigen- Materie
nur äusserlicb mechanisch haften, sie gleichsam nur um-
spülen. Dadurch beeinflussen sie aber deren Reaetionen
auf die Einwirkungen der Aussenwelt im vollsten Maasse,
und machen dadurch die ganzen Creata und selbst ihre
kleinsten Theilchen sich vollständig unterthänig. Wie
die materialisirten Dynamiden, die organischen und un-
organischen, sich unter einander ganz bestimmt durch ihr
specifisehes Gewicht unterscheiden, so unterscheiden sich
die immateriellen, die seelischen und geistigen, also auch
ganz specifisch, und zwar dadurch, dass die ersteren, an
der Grenze zwischen materiellen und geist^en Dynami-
den stehend, doch zuweilen eine solche Zuneigung für
mateii^e Dynamiden besitzen, dass sie sich leicht mit
ihnen vermischen und gleichsam mit ihnen sich anüalga-
miren, während bei den geistigen dies niemals der Fall ist.
- 8Ö —
Wenn wir von den Moleculen und Plastidulen bestimmt
wissen, weil wir es mit unsem Sinnen beobachten kön-
nen, dass sie vom Urgesetz emancipirt sind, und natur-
wissenschaftlichen Gesehen gehorchen, die ersten mecha-
nischen oder chemischen, die zweiten vitalen Gresetzen,
so vermögen wir über das fernere Verhalten der Psycho-
dule oder Pneumatodule gar nichts zu vermuthen, viel
weniger etwas Bestimmtes darüber zu sagen. Sie ent-
ziehn sich in dieser Beziehung aller sinnlichen Wahrneh-
mung und menschlichen Erforschung. Da die Psychodule
und Pneumatodule, ebenso wie die Dynamiden, durch
deren Elemente sie zusammengeisetzt werden, aber ganz
immaterieller Natur sind und durch keine Materie zu-
sammengehalten werden, so müssen wir annehmen, dass
sie sich leicht wieder in ihre Elemente auflösen, und da-
durch auch beständig dem Urgesetz unterthan bleiben.
Wenn wir nun jetzt aber nicht übersehn, dass unsere
Eintheilung der Dynamidencomplexe nur eine schema-
tische ist, und innerhalb bestimmter Grenzen die aller-
verschiedenartigsten Dynamidenelemente der ersten drei
Abtheilungen sich zu den verschiedenartigsten Complexen
verbinden, und auch di^ verschiedensten derselben sich
unter Umständen auf die allerverschiedenste Weise zu
wissenschaftlichen Formelementen der Creata vereinen
können, so werden wir einsehn, wie ganz unendlich man-
nigfaltig sich das grosse und kleine Naturleben gestal-
ten muss. Wir finden nicht nur unendliche Abstufungen
und Uebergänge unter den Dynamidencomplexen, den
Urmoleculen, Plastidulen und Psychodulen vor, sondern
auch die allei^verschiedensten Gebilde und Uebergänge
— 81 —
ihi'er mechanischen oder vitalen Zusammensetzungen,
Yom naturwissenschaftlichen Formelement an bis zu den
daraus entstandenen Greatis. Wir finden combinirte Creata,
die an einem Endtheile aus unorganischer Materie be-
stehn, am anderen aber Pflanzen oder Thiere darstellen,
während wir wiederum fast bei allen Thieren ein unor-
ganisches festes Gerüst oder eine dergleichen äussere
Bedeckung mit ihren Plastidulen fest verbunden, sogar
organisch verwachsen vorfinden. Da diese Erscheinungen,
80 weit wir es beobachten können, nur innerhalb gewis-
ser eng gezogener Grenzen sich voUziehn, so vermögen
wir daraus wenigstens die eine Tendens des unbekannt
bleibenden Urgesetzes zu erkennen, nicht gar zu hetero-
gene und inadctequate Dynamidensysteme in nahe Berüh-
rung 0u bringen, d. h. nicht specifisch sehr schwere mit
specifisch sehr leichten zu verbinden. Es ist deshalb in
dieser Beziehung doch gewiss kein blinder Zufall, dass
von den 63 sogenannten unorganischen Urstoffen, in wel-
che die Chemie die*^Gesammtheit der Körper zerlegt,
diejenigen zwölf, welche zumeist und am häufigsten in
der organischen Welt vorgefunden werden, nämlich aus-
ser dem Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Wasser-
stoff noch Phosphor, Schwefel, Chlor, Kalium, Natrium,
Calcium, Magnesium und Eisen, sämmtlich in die Grup-
pe der 22 Elemente mit dem niedrigsten Atomgewichte
gehören.
Materielle Geschöpfe, die allein aus immateriellen Dy-
namiden zusammengesetzt sind, kann es aus leicht be-
greiflichen Giünden nicht geben, denn ganz immateriali-
sirte Dynamiden allein können zu materiellen Complexen
6
— 82 -^
nicht zusammentreten. Wenn Gott ein Greist genannt
wird, so heist das für uns so viel, dass er aliein geistige
Kraft ohne alle Materie ist, darum aber die ganze Wel-
tenmaterie umfasst, durchdringt und sie sich dadurch
vollständig unterthänig macht.
Nachdem wir nun in unserer Entwickelungsgeschichte
vom form- und wesenlosen Blasteme durch die Dynami-
denelemente und ihre Complexe bis zur Entstehung der
unorganischen und organischen Gebilde gelangt sind, auch
die Dynamidenelemente und ihre Complexe kennen ge-
lernt haben, welche immaterielle Gegenstände,- wie Seele,
G^ist, Gedächtniss, Glauben, Phantasie, Leidenschaften
etc. zusammensetzen, Mite man meinen, wir könnten
jetzt die freien Naturkräfte mit dem ürgesetze, nament-
lich in Betreff der materiellen Welt ganz über Bord, wer-
fen und uns allein nur an die materiellen Kräfte mit
den bekannten Naturgesetzen, halten. .
Es ist dies aber nur theil weise, oder nur in beschränk-
tem Maasse na^lick
Wie wir wissen, regelt das ürgesetz die plastische
Thätigkeit der ft*eienr Naturkräfte; wenn diese von nun
an in der unorganischen Welt auch scheinbar völlig
abgeschlossen ist, so ist dies dQch in der organischen durch-
aus nicht immer der Fall, noch weniger aber, wie wir
später sehn werden, in der immateriellen.
Alle materiellen Creata, namentlich aber die organi-
schen sind in einem «beständigen Altem und Absterben,
in theilweisem oder gänzlichem Neivwerden begiiffen; kön-
nen also die materialisirten Kraftelemente, welche sich
— 83 T-
tm physicalische Gesetze noch gar nicht kehren und nur
dem Urgesetze gehorchen, auch ferner nicht entbehren.
Die beständigen Reactionen der organischen Creata ge-
gen die Einflüsse, d. h. die freien Dynamiden der Aus-
sen weit, das beständige, von Aussen erfolgende Einwirken
specifiseh schwerer oder leichjter, aber immer feindlicher
Dynämiden,;entnimnit den Greatis theils auf freundschaft-
lißhem, theils auf feindlichem Wege, d. fa. theils durch
Ansiehn und Neutralisiren, theils durch Abstossen und
Elimmiren, beständig einen Theil der vitalen Kräfte .und
erschwert ihnen dadurch die Möglichkeit zu leben im-
mer mehr.
Wenn auf diese Weise . schliesslich auch der letzte
Rest leichter Dynamiden, welche seelische und organi-
sche Functionen oder Ki:^£te repräsentiren, von dem Crea-
tum gewichen ist, und allein nur die unorganischen
schweren Dynamiden mit. ihrer schwerfälligen Materie in
ihm zurückbleiben, so erfolgt <ier natürliche To4 des or-
ganischen €reatums. Unnatürlich oder auch durch Krank-
heit hervorgerufen nennen wir den Tod desselben, wenn ihm
durch/ daa plötzliche Erscheinen, oder plötzlich vermehrte
Auftreten vereinzelter aussergewöhnlicber, feindlicher
Dynamiden. die vitalen Kräfte nur eines Theiles seines
Organismus geraubt werden,: und diese nicht durth vica-
rirendjös oder compensirendes Eingreifen der übrigen vi-
talen Kräfte so lange genügend ersetzt werden können,
bis der schädliche Einfluss aufgehört hat, sondern das
CTeatum während dessen an der mehr oder minder gros-
sen localen Disharmonie seiner materiellen Functionen
zu Gmnde geht.
^ 8i —
In beiden Fällen bleibt von dem Creatum nn
Conglomerat anorganischer Materie zurück^ wahrem
specifisch leichteren Dynamidenelemente es mehr oder
der rasch verlassen, und als freie Naturkräfte sofort t«
neue Verbindungen mit anderen freien Naturkräfte:
gehn, oder wenn sie dazu nicht sofort passende GelegE
finden, sondern ihre Gegenkräfte antreffen, sich mit c
vereinigen und in ruhenden Zustand verfallen, samn
ihnen anhaftenden Materie also wieder Blastem bilc
Tod eines lebenden Individutmis ist somit die gew
me Lösung harmonischer Verbindungen von unorgam
und organischen, seelischen und geistigen Dynamiden
bei selbstverständlich die Materie desselben mehr
minder rasch sich gUichfaUs verändert.
Da nun ein beständiges Altern, Erkranken und AI
ben der mikrokosmischen und makrokosmischen Mi
stattfindet, so wird auch beständig eine grosse li
vitaler und immaterieller freier Naturkräfte im neul
oder activen Zustande disponibel, und da diese nich
ders zur Bildung von neuer Materie wieder verw
werden können, als auf die eine einzige Weise, wi
sie als Entstehung der einzelnen Creata dargelegt h
und die wir Ursgeugung oder generatio spontanea m
müssen, so ist es leicht einzusehn, dass in der 1>
entsprechend dem beständigen Altern und Absterbe:
Creata, eine beständige Neubildung durch generatio
tanea stattfinden muss, und dass, solange noch unoi
sehe Dynamidenelemente frei und nicht zu Mole
und fertiger Materie erstarrt sind, auch neue lel
oder organisirte materielle Gebilde entstehn.
— 85 —
Wenn wir diese Neubildung auch als eine Umän-
derung einmal gegebener Materie ansehn wollen, so kann
eine solche bei organischen Wesen doch nicht auf me*
chanischem oder chemischem Wege allein zu Stande
kommen, wie bei unorganischer Materie, sondern stets
nur durch vitale Processe, welche durch die freien Na-
turkräfte ganz ebenso wiederum in Scene gesetzt werden,
wie es bei der Neubildung geschieht. Das Abweichende
der hierbei zu Tage tretenden Verhältnisse werden wir
bald genauer kennen lernen.
Die jetzige Naturwissenschaft trägt nun zwar einen
horror vor der generatio spontanea zur Schau, und doch
ist sie gezwungen zuzugestehn, dass diese durchaus ein-
mal bestanden haben müsse, nämlich ^ der Zeit, als un-
ser anfangs im Glühzustande befindlicher Erdkörper sich
so weit abgekühlt hatte, dass er oi*ganischen Wesen die
Existenz gestattete. Wollte sie nämlich ihr Axiom „omne
vivüm ex ovo" auch für diese Periode festhalten, so würde
sie in grosser Verlegenheit ' vor der Frage stehn, ob
zu seiner Zeit das vivum oder das ovum zuerst entstan-
den, ob Huhn oder Ei zuerst dagewesen sei.
Solche principielle aber müssige Fragen, die häufig
an der Tagesordnung waren, und z. B. noch von Agas*
siz zu Gunsten des letzteren entschieden wurden, bleiben
uns vollständig erspart, wenn wir uns einfach an das
Entwickelungs^rincip des Paracelsus halten.
Wir müssen uns nur vor allen Dingen klar machen:
Wias ist generakio spontanea? Es kann dies nun aller-
dings nichty wie die jetzige Naturwissenschaft definirt,
- 86 -
das Entstehn des Ijebendigen aus dem Leblosen mn-
Dies ist überhaupt absolut unmöglich.
Haben sich bei der Bildung der Dynamidencomplexe
aus den Kraftelementen, nach den Tendenzen deä Urge-
setzes, zu den Elementen der unorganischen DynamidLen
keine organischen zugesellen können, so dass erstere
reine ürmolecule bilden, und dadurch stets als abge-
schlossenes Ganze und Einheit physicalischen Gesetzen
verfallen, so ist ihre fernere innige Verbindung mit ir-
gendwelchen Dynamidenelementen, die unr metaphysische
Bedeutung haben, und physicalischen Gesetzen nicht ge-
horchen, auch schon absolut unmöglich gemacht. Die
fertigen Molecule vermögefn nachträglich weder vitale
noch seelische Eigenschaften, weder Bewusstsein und
Willen oder auch nur Gedächtniss zu erlangen, sich also
niemals mehr in Plastidulen umzubilden. Sie können
höchstens nur, wie wir gesehn haben, mit einzelnen der
letzteren sich mechanisch und selten nur vital verbin-
den. — Sie bleiben von jetzt an unter allen Verhältnissen
för ewig nur starre, todte, mit physicalischen und chemi-
schen Kräften ausgestattete Materie.
' Generatio spontanea oder das* Entstehn organischer
Materie kann also unter allen Umständen nur heissen:
Es entsteht das Lebendige auf dieselbe Weise wie das
Leblose; nämlich durch AccumuUxtion von Dynamiden"
elementen sm Comphocen und Verbindung derselben zu mis^
senschaftlichen Eormelementen. Der einzige Unterschied
zwischen Entstehung des Organischen und Unorganischen
liegt allein nur in dem eur Verwendung gelangenden Ma-
teriale. Besteht dieses nur in unorganischen Dynamiden»
— 87: —
SO entstehn Molecule, di^ physicalischen Gesetzen ver-
fallen, und besteht dasselbe vorwiegend in orgsuiischen
Dynamiden, so entetehnr die Plastidule, welche vitalen
Oeset2en unterworfen sind.
Die Plastidttle sind' nun allein das Formelement der
organischen Materie, und ovum sowohl als auch ZeUe
sind schon aus einer^ unendlichen MengQ der verschieden-
artigsten Pkstidule zusammengesetzt. Bekaqntjüch un-
terseheiden sich ja Membran, Inhalt und Kern, resp. JCern-
körpercfaen der Zelle ganz charakteristisch nicht üur
durch die Beschaffenheit ihrer Materie, sondern auch
durch deren Functionen und Qualitäten, und im Proto-
plasma, welches von den Naturwissenschaften als Urma-
teri&pder Urbrei aufgestellt wird, sind bekanntlich. auch
schon ^lle, durchaus nicht einfachen, sogenaniU;en orga-
nischen .Urstoffe, mit ihren so sehr* v^rschiedenai:tigen
Qualitäten vertreten.
Das Axiom der Naturwissenschaft „omnis ocellula ex
eellula^ ist also eine ebenso zu beschränkende Wahrheit
wie das omne vivum ex ovo. Beide erhalte^ «ganz allein
nur dadurch Sinn und Bedeutung, dass* sie da, wo sie be-
rats vorhanden, d. h. durch generatio spontanea entstan-
den sind, JOYum sowohl wie cellula, den Ausgangspunl^ für
die feinere Accumulation neuentstehender Plastidule und
somit der generatio spontanea geben, und die Thätigkeit
der letzteren durch ihre materiellen oder physicalischen
Kräfte erleichtern und beschleunigen.
Hftlten wir an diesem Grundsatze fest, so bedürfen wir
mcbt der Hypothese, dass befruchtete Eier oder Keimzel-
le von Pflanzen und Thieren, resp. Menschen von bereits
— 88 —
belebten Weltenkörpern sich ablösen, als Kosmozoen im
Weltenraume schweben, und zufilUig auch zu uns gelan-
gen, zumal dadurch auch die ganz natürliche Frage, wo
und wie dieselben denn nun eigentlich primaer enständen
seien, durchaus nicht aus der Welt geschafft werden
kann.
Etwaigen Kosmozoen, die zu uns gelangen, würde es
wohl auch so ergehen wie Pflanzen, die in ein fremd-
artiges Erdreich versetzt werden. Da sie wahrscheinlich
hier die Dynamiden nicht vorfinden würden, denen sie au
anderen fernen Stellen ihre Entstehung verdanken, so
würden sie sich jedenfalls nicht weiter entwickeln kön-
nen, und zu Grunde gehn müssen.
Wenn nun also auch bei der Wiedererzeugung organi-
scher Materie die generatio spontanea überall und be-
ständig thätig ist, so müssen wir dieselbe als die einzige
wahre Zeugung annehmen, und die von den Naturwissen-
schaften statuirten vier Arten der Zeugung oder Entste-
hung organischer Wesen in folgender Weise unterschei-
den und praecisiren.
1) Bei der Fortpflanzung durch Theilung wird zur Bil-
dung des neuen Individuums vollständig fertige Materie
gegeben, und das neue Greatum ist nach stattgefundener
Abtrennung auch mehr oder minder sofort fertig, und
bedarf nur noch weniger generatio spontanea, um die
Theilungsstellen entsprechend abzurunden, und das neue
Greatum als ein Ganzes abzuscfaliessen.
2) Bei der Knospenbildung zweigt sich vom Mutterstocke
eine bestimmte Summe von Plastidulen auch als fertige
Materie ab, und in der Nähe des Mutterstockes finden
— 89 —
sich alle die Dynamiden accumulirt, oder beständig frei
wenlend vor, welcher die Knospe als neues Individuum
zu ihrer weiteren selbstständigen Entwickelung und Ver-
grösserung durch neuen Plastidulenansatz bedarf. Die
Bildung der neuen Plastidule kann aber auch hier nicht,
anders zu Stande kommen, als wie es bei der generatio
spontanea geschieht.
8) Die Farthogenese bildet den Uebergang von der
Knospenbildung zur geschlechtlichen Zeugung: Es wird
hier iii Form eines Eies ein Conglomerat von materiellen
Dynamidencomplexen, in denen alle das Mutterthier haupt-
sächlich vertretenden Dynamiden als Elemente ent-
halten sind, von letzterem al^elöst, und durch uns un-
bekannt bleibende Verhältnisse, d. h. nach dem Urge-
setze, zur Einleitung der generatio spontanea veranlasst,
durch welche es immer mehr seiner Ausbildung entge-
gengeht.
4) Bei der geschlechtlichen Zeugung verhält es sich
ganz ebenso, nur dass hier zwei, bis zu einem gewissen
Grade, heterogene Conglomerate von Plastidulen, von de-
nen das eine in Form eines Eies von der Mutter, und
das andere in Form einer Spermatozoe vom Vater sich
abgelöst habendi sich vorher vereinigen, und ihre beider-
seitigen Kräfte gemeinschaftlich zur Einleitung der gene-
ratio spontanea verwenden.
Wenn in den drei ersten Zeugungsarten das neue Crea-
tnto meist stets die Eigenschaften des Mutterstockes besit-
zen wird^ da hier zur Bildung neuer Plastidule nach dem
ütgesetze, von den einmal vorhandenen stets nur solche
Dynamfden zur Verwendung gebracht werden können.
i
— 90 —
die ihnen homogen sind, und die, stets sehr leicht erreich-
bar, auch am* Mutterstocke sich vorfinden,, so wird Irei
der geschlechtlichen 'Zeugung das Neugeborene allerdings
Wohl auch stets mehr oder minder die Qualitäten und
charakteristischen Eigenschaften beider Eltern. .waJaardelh
men lassen. Da hier nämlich eine jede desr beiden Keim-
plastidule für sich eine generatio spontahea einieitetv so-
werden in dem iietientstandenen Individuum stets. diejeni-
gen Eigenschaften praevaliren, welche durch Dynamic^n
bedingt werden, die entweder in seinen beiden Keim-
plastfdulen vorhanden ^ also doppelt vertreten^ sind, oder
aber in einer derselben besonders zahlreich aufti:eten.
"Es giebt also im Grunde genommen doch stets nur
eine Art der Erzeugung organisdher Oebilde, da$ ist. die
gefierätio spontanea. Nach dem aber,^ was wiif bisher von
ihr kennen gelernt haben, müssen wir dieselbe auf ejoe
doppelte Weise abtheilen, und erhalten dadurch
1) die ■ffefter<Uio - spofitanm J^primarm^ sive originatia,
sive prodttäi^ und •
2) die geO&raHö spaHtanea secundaria sive reproductiva*
Die gevieratio spoütanea originaria arbeitet ganz selbst-
ständig mit den Elemettten neuauftretender D^naainiden,
indem sie nach dem XJrgesetze aus ihnen ganz originelle
Elementeitebinplexe bildet, und diese dann unter Zuhülfe-
nahme der ihnen gleichzeitig ertheilten materiellen .Qua-
litäten, allein nur nach ihrem Gefallen und ihrer Phan-
tasie, oder vielmehr auch mteh dem Urgesetzev iT^^i*
entwickelt, uiid: zu originellen Gebilden zusammensetjst
Die generatio spontanea reproductiva arb^tet .^war
äusserlich oder formell ganz ebenso, doch hat sie es
— al —
nicht mit neuauftretenden Dynamiden, sondern mit bereits
liange vorbandenen und bewährten zu thun, und setzt in
Folge dessen auch deren Elemente nur nach bereits ge-
gebenen Mustern und unter Zuhülfenahme der Qualitäten
bereits gegebener anderweitiger Materie zu Gomptexen
zusammen, und erzeugt selbstverständlich auS' diesen
Gomptexeti auch nur solche Oreata, die bereits gegebenen
mehr oder weniger ähnlieh sind.
Beide Arten der genemtio spontanea stehen einander
abe^r durchaus nicht schroff oder feindlich gegenüber^
sondern vermischen sich fast stets mehr oder miiider, da
beständig neue Dynamiden erscheinen, und. zu den alten
hinzutreten, und ebenso beständig alte ganz verschwinden,
und dann durch neue ersetzt werden. Vollständig neue
und originelle Oreata dürften deshalb äusserst seltene Er^
seheimmgen sSiü. . .
Die von den Naturwissenschaften als Zeugung orga^-
niseher Wesen bezeichneten vier Vorgänge, wo alls Aus-
gangspunkt der ferneren Entwickelung des neuen Crea-
tüms jedesmal schon fertige Materie benutzt wird, sind
nur vier verschiedene Acte, von denen ein jeder auf eine
besondere und eigenthiunliche Weise, die reproducirende
generatio spontanea auslöst oder einleitet und ihr innner
eine bestimmte Direction giebt, sie gleichsam zum Gopi*-
ren von bereits Dagewesenem :^ingt.
' Der gäneriUio spontemea originaria Jcann somit ^seUbst"
verständlieh ein naturwissenschaftlicher Zeugungsaet nie
voTausgehn.
Wi6 ein Meister der bildenden Kunst die beim Schaf-
fen ihm von allen Seiten zuströmenden Ideen prüft und
— 92 —
sondert, auswählt und gruppirt oder verwirft, und immer
wieder neue zusammenstellt, ehe es ihm gelingt passende
für die Herstellung eines Kunstwerkes zu fixiren, und
zur Ausführung zu bringen^ so bringt auch die primaere
generatio spontanea aus der Fülle; der ihr zur Auswahl
vorli^enden freien formativen Naturkräfte mit der ihnen
abhängenden Materie, durch unendliche Permutation der-
selben, nicht in der Idee, sondern in der WirklichkeU
die aUennannigf altigsten Gebilde zu Stande. Von diesen
vergeht nun aber ein ganz unendlich grosser Theil
unter dem Einflüsse der äusseren Verhältnisse wieder
ganz und gar, und wird wieder zu Blastem, bevor es ihr
im Laufe der Zeit gelingt, ein neues originelles Creatum
2u schaffen, welches sich harmonisch in die ^hl der
übrigen einfügt und unter den bestehenden Verhältnissen
existenz- und fortpflanzungsfähig wird ; und wie dem Co-
pisten eines Kunstwerkes alle die den Meister bewegen-
den Ideen ^emd bleiben, da ihm seine mechanische
Thätigkeit genau vorgeschrieben ist, so bewegt sich auch
die seeundaere, «opirende oder reproducirende generatio
spontanea,. bei Erzeugung der Creata, in umschriebenen,
aber viel leichter zum Ziele führenden Schranken. Sie
braucht nur bereits Gegebenes mehr oder minder voU-
4(ommen nach einem gegebenen Vorbilde zu verwenden,
und wird dabei, wie wir gesehn haben, durch die bereits
gegebenen materiellen Kräfte vorher geschaffener Creata
auf das beste und nachdrücklichste unterstützt. Wie aber
der Copist eines Kunstwerkes durch die Verhältnisse öfter
gezwungen wird sein Original nicht naturgetreu wiederzu-
geben, so ist auch die reproducirende generatio spontanea
— 93 —
zuweilen gezwungen unwesentliche Veränderungen beim
Copiren ihrer Originale vorzunehmen.
Durch die Unmöglichkeit, nach den bisherigen Anschau-
ungen über generatio spontanea, das Entstehn der leben-
den Wesen auf der Erde zu erklären, wurde Prof. Preyer
in Jena in den letzten Jahren veranlasst die Theorie
aufzustellen, dass überhaupt das zuerst auf der Erde
Entstandene lebende organische Wesen^ gewesen sind, die
in sich unorganische Materie producirten, und durch be-
ständigen Stoffwechsel, oder bei ihrem Absterben die-
selbe deponirten, und dass somit „die anfangslose Bewe-
gung im Weltall Leben ist, und dass das Protoplasma
nothwendig übrig bleiben muss, wenn das Leben auf-
hört/
Durch diese Theorie wird aber umgekehrt die Entste-
hung des Unorganischen nicht erklärt, sondern allein
nur, wie bisher die Entstehung der Organismen, von der
Erde nach anderen unbekannten Orten verlegt, und uner-
klärt gelassen : Wenn wir uns auch nach Preyer als Ent-
stehuugskem der Erde gigantische glühende Organismen
denken, „deren Athem vielleicht leuchtender Eisendampf,
deren Blut vielleicht flüssiges Gold, und deren Nahrung
Meteore waren", so müssen die Materien, Eisen, Gold
und Meteore doch auch schon irgendwo und irgendwie
anders bestanden haben, ehe sie von lebenden Organis-
men assimilirt und deponirt werden können.
CAPITEL VII.
Aecumiriatitfrren gleichförmiger Creata. Kant-Laplace* Darwin.
Cellular - Patliologie und HeiHciunst' des Paracelsus.
Es ist eine eigenthümliche, UQd im liöchi^n Grade
auffallende Erscheinung, dass verschiedene irdische Creata
gleichfförmigepr Natur sich nicht hunt durcheinander ge-
pischt^ sondern meist cumulirt vorfinden^ und verhältniss-
mäasig selten heterc^ene Creata zwischen ihnen gleich-
sam eingesprengt -angetroffen werden.
Wir finden dies nicht nur in der unorganischen, son-
dern auch in. der: organischen Welt; Wir sehn auf. unse-
reip Erde nicht nur mächtige Gebirgsformationen homo-
gener Natur selten unterbrochen von anderen Gesteins-
arten auftreten, sondern auch mächtige Wälder einer
bestimmten Baumart, oft begrenzt durch ebenso mächtige
Wälder einer anderen Baumart, und finden auch ver-
schiedene Thier - und Menschenracen an besümmten Oert-
lichkeiten ausschliesslich oder wenigstens weit überwie-
gend vor.
Ebenso sehen wir aber auch im Laufe der Zeit den
Character grosser Landstrecken oft sehr wesentlich sich
— 95 —
Terändern, so dass dort, wo früher Gulturstaaten bestan-
den, jetzt Wüsteneien sich vorfinden, und, wo früher
Wüsteneien waren, jetzt blühende Cultur zu finden ist.
■ Weder Philosophie noch Naturwissenschaft haben die-
ser Frage bisher rechte Aufmerksamkeit gewidmet^ und
letztere hat sieh stets damit begnügt im Allgemeinen an-
zuerkennen, dass die materiellen Bedingungen für Ent-
stehung und Fortexistenz der angehäuften Creata an
deren 'Fundorte günstige gewesen seien, und noch fort-
dauernd als günstige fortbestehn müssen, und wieder-
lun in manchen Fällen es zu sein aufhörten, und neuen
durch materielle Yerhältaisse hervor gerufenen Platz
machten.
Im Allgemeinen lässt sich gegen eine solche Erklärung
Nichts. weiter einwenden als das £ine, dass sie eben Nichts
drklärt» dmn die günstigen oder • ungünstigen materiellen
Bedingungen sind eben das, was erklärt werden soll.
Ini Mikrokosmus können wir 4ieselben wohl zuweilen
auf materielle, physikalischen Gesetzen upterworfene,
Eiftfte und Verhältnisse zurückführen, aber nicht im
Makrokosmus und, wenn wir uns begnügen, diese Ver-
hältnisse nur in Bezug der organischen Creata auf un-
serer Erde zu besprechen, da wir hier allein nur durch
Naturfoeobachtungen unterstützt werden, und bei den un-
organischen Gebilden, wie wir sehn werden, noch andere
Verhältnisse ins Spiel kommen, so liegt es für uns doch
sehr* nahe auch auf die Entstehung des Makrokosmus
einen Blick zu werfen. Wenigstens wollen wir die allge-
iDeia anerkannte Weltenbildungstheorie von Kant- Laplace,
die uns die Entstehung der Weltenkörper nach dem
— 96 —
Stande der Naturwissenschaften ganz genügend darlegt,
von unserem Standpunkte aus besprechen.
Wenn wir nun als Anhänger des obersten metaphysi-
schen Principes des Paracelsus die Kant-Laplace^sche
Weltenentstehungstheorie für unzureichend.' erklären
müssen, so sind wir doch weit entfernt sie dort, wo m
das Gebiet der Naturwissenschaft und der physicalischen
Gesetze betritt, ändern zu wollen. Ihr schwacher Punkt
besteht nur darin, dass sie uns sofort in die Naturwis-
senschaft versetzt.
Es berechtigt uns aber selbst naturwissenschaftlich
doch auch gar nichts einen glühenden und rotirenden,
sich abkühlenden und contrahirenden Gashaufen als pn-
maer Gegebenes und als Urzustand der Welt anzunehmen.
Durch eine solche Annahme wird ja eben das, was
hauptsächlich erklärt werden soll, nämlich dasEntstehn
der Materie, des glühenden Gases, völlig übergangen und
dasselbe tritt völlig unmotivirt, fertig in die Erscheinung.
Glühzustand und Bewegung, ebenso Abkühlung und Gon*
traction sind ja aber doch allein nur Qualitäten oder Func-
tionsäusserungen fertiger Materie, die aus bestimmten
Elementen nach physikalischen Gesetzen sich aufbaut.
Die Entstehung der Materie selbst, mag dieselbe Gas,
Flüssigkeit oder Festes darstellen, ist somit bei Kant-
Laplace gar nicht weiter begründet. Wir haben aber gar
keine Veranlassung dem Gase irgend wie eine Priorität
der Entstehung vor flüssiger oder fester Materie einzu-
räumen.
Was nun aber Kant-Laplace auf naturwissenschaftli-
chem Wege willkürlich supponiren, das ergiebt sich durch
— 97 —
:olgung des obersten metaphysischen Principes des
icelsus ganz von selbst, und erst durch die Vereini-
l von Naturwissenschaft und entsprechender Meta-
ik wird etwas Ganzes geliefert.
''ir müssen dann nämlich annehmen, dass eine unend-
5 Summe von verschiedenen Systemen unorganischer
uniden, die von der .ruhenden Urkraft abgelöst sind,
Weltenraum ausfüllen, und sich in Elemente, d. h.
löglichste kleinste Theilchen, aufgelöst haben. Nach dem
esetze wird durch generatio spontanea nun stets eine
immte Summe solcher Elemente zu Complexen, d. h.
Jrmoleculen oder Formelementen unorganischer Ma-
), verbunden, und sollen aus diesen Formelementen
I grössere Massen von Materie entstehen, so müssen
dieselben arrangiren und vereinen oder accumuliren.
a sie nun hierbei mit einer mehr oder minder gros-
Gewalt aneinanderprallen, so ist es durch physicali-
Gesetze leicht erklärlich, dass hierbei neben ande-
materiellen Kräften auch eine grosse Menge von
nie frei wird. — Diese^ ander Grenze der specifisch
rersten freien Naturkräfte und der materiellen Kräfte
end, so dass sie bald das eine, bald das andere dar-
t, macht die fertige Materie glühend, und versetzt
3lbe nicht nur in flüssigen, sondern auch in gasför-
m, glühenden Zustand. Nehmen wir nun an, dass alle
^eule nach einem Punkte des unermesslichen Welten-
066 hinstreben, so erhalten wir dadurch den einen,
Eant-Laplace praesumirten, glühenden und rotiren-
Chusball, nicht mehr als naturwissenschaftlich -* spe-
üves oder metaphysisches Geistesgebräu, sondern als
— 98 —
eine reale physicalische Erscheinung, und brauchen uns
um die Entstehung unserer Erde und des ganzen Welten-
systemes nicht weiter zu bemühn. Wir können ebenso
gut aber auch annehmen, dass dieser Process an mehre-
ren, oder sogar vielen Stellen des Weltenraumes sich
vollzieht, und jeder ein besonderes Sonnensystem schafft.
Mag nun das eine, oder das andere stattgefunden haben,
so erhalten wir doch schliesslich unsere Erde in den
Zustand versetzt, wie wir sie jetzt vor uns haben. Der
Umstand, dass im ersten Falle alle Weltenkörper aus
derselben Masse bestehn müssen, wie unsere Erde, im
zweiten Falle aber heterogene Materien aufzuweisen haben
können, ist für uns hierbei ganz irrelevant.
Kehren wir nun zu unserer ursprünglichen und eigent-
lichen Aufgabe zurück, nämlich zu der^ die localen Accu-
mulationen vegetabilischer und animalischer Creata auf
unserer Erde zu erklären, so thun wir am besten, uns
letztere vorläufig ganz frei davon zu denken. Sie er-
scheint dann wüst und leer, aber umgeben und gleichsam
umspült von leichteren Dynamiden, die begierig sind auf
ihr durch Arbeitsleistungen sich zu erkennen zu geben;
da wir aber eben diese kennen lernen wollen, so werden
wir auch ganz gut thun, uns mit den entsprechenden
Dynamiden vorher bekannt zu machen.
Vor Allem werden es nun solche von der Urkraft
abgelöste Dynamiden sein, welche uns zuerst entgegen*
treten, die sich an der Formation der Weltenmaterie
nicht betheiligen konnten, weil sie ganz von Materie frei
sind. Es können dies aber auch solche sein, die nur mit
sehr wenig Materie behaftet sind, und denen das (Jrgesetz
— 99 --
aus ii^end einem Grunde noch nicht vergönnt hat sich
mit schweren Dynamiden zu vegetabilischen oder anima-
lischen Plastidulen zu verbinden, oder die, durch die
ersten Functionsäusserungen der neugeschaffenen un-
oi^anischen Materie, namentlich das Erglühn derselben,
aus ihren Verbindungen, den bereits vollendeten Dyna-
midencomplexen in den Moleculen, vertrieben wurden.
Mit solchen Kräften lässt sich nun allerdings noch keine
rechte, wenigstens nicht vielseitig organisirte, mit Qua-
litäten reichlich versehene, Materie herstellen. Dazu be-
dürfen wir auch noch schwerer Dynamiden, wie sie zur
Erschaffung unorganischer Materie verbraucht worden
sind. Sollten diese nun aber auch nicht gleich zu haben
sein, weil sie sämmtlich zur Erschaffung der unorganischen
Weltemnaterie verwendet wurden, so würden wir wegen
ihrer Ankunft doch nicht lange in Unruhe zu sein brauchen.
Durch das Altem des Himmels nämlich werden, wie
wir schon aus dem vorigen Capitel wissen, beständig
eine Menge von Dynamiden frei, namentlich werden aber
von den noch im Glühzustande befindlichen Weltenkör-
pem selbst die allerschwersten unorganischen Dynamiden,
wie etwa Wärme, Magnetismus und Electricität abge-
trennt werden. Diese gelangen, wenn sie an Ort und
Stelle keine neue Verwendung finden, dann auch auf un-
sere Erde. Goncentriren sich nun mächtige Strömungen
mehrer schweren Dynamidensysteme auf einem umschiie-
benen Baume der Erde, um dort Arbeitsleistungen vorzu"-
ndunen, d. h. Materie zu bilden, so finden sich dann
auch bald leichte Dynamiden vor, die den ersteren sym-
paihiseh oder adaequat sind, sich mit ihnen zu verbinden,
7*
— 100 —
und somit auch mit ihnen vegetabilische oder animalische
Plastidule zu bilden im Stande sind. Da nun aber dieje-
nigen Plastidule, die aus gleichen materialisirten Kraft-
elementen zusammengesetzt sind, einander auch mehr
oder weniger gleich sein müssen, so werden auch die von
ihnen erzeugten Greata gleichmässiger Natur sein müssen,
und auf bestimmt umschriebenen Stellen der Erde, wo
sich gleichmässige Dynamiden niedergelassen haben,
werden dann auch homogene Massen von V^etabilien
oder Animalien sich vorfinden.
Diese Verhältnisse und Zustände werden aber auch
so lange anhalten,' als bei der, durch eine der physiolo-
gischen Zeugungsarten eingeleiteten, Neuentstehung der
Greata durch die copirende generaüo spontanea, entweder
dieselben, oder ähnliche Dynamiden zum Verbrauche ge-
langen, und gleichsam zur Nahrung und zum Formmate-
rial derselben dienen. Variationen der Greata werden nur
zwischendurch, und nur dort erscheinen, wo namentlich
die leicht beweglichen Dynamiden mit geringem spedfi-
schen Gewichte aus irgend einem Grunde sich verziehn,
oder durch andere verdrängt und ersetzt werden, wäh-
rend die, hauptsächlichst für die materielle Beschaffenheit
der Plastidule maassgebenden, schwereren Dynamiden im
Grossen und Ganzen unverändert dieselben bleiben. Es
entstehn dann eben andersartige Einheiten von Dynami-
dencomplexen, und eine Perigenese fertiger Plastidule
ist, wie wir bereits wissen, eine Unmöglichkeit. Es würde
dazu auch die nöthige Zeit fehlen, denn Plastidule sind
in beständigem Entstehn und Zerfallen begriffen, so dass
beides für unsere Sinne oft fast gleichzeitig erfolgt
— 101 —
Auf dieselbe Weise wie diese realen Verhältnisse,
nämlich die Accumulationen gleichförmiger organischer
Greata, vermögen wir uns auch bestimmte andere Ver-
hältnisse ideeller Natur zu erklären. Diese sind in ihrer
bisher gelehrten Form stets und ewig nur geistreiche,
durch Nichts zu erweisende Hypothesen geblieben, so
unendlich zahlreich, viel- und mannigfaltig die einzelnen
Thatsachen auch sein mögen, welche unermüdliche Arbeits-
und Forscherlust als Beweismaterial herbeigebracht haben,
und immer mehr noch herbeibringen.
Alle materiellen Ausdrücke des Mikrokosmus, welche
überhaupt allein nur als Beweismaterial herbeigebracht
werden können, verschwinden hier sofort in Nichts vor
einer einzigen vital-dynamischen Regung des Makrokosmus.
Wir meinen hiei das, was den Inhalt der Darwinschen
Lehren ausmacht, die sogenannte beständige Vervollkomm-
naog der organischen Greata durch natürliche und ge-
schlechtliche Zuchtwahl, oder die Descendenztheorie, und
die damit zusammenhängende Entstehung von Gattungen
und Arten.
Was die Descendenztheorie anbetrifft, so müssen wir
dieselbe für eine Verirrung der eifrig, aber ganz einsei-
tig forschenden Materialisten erklären, die nur mecha-
nische Gesetze und materielle Kräfte kennen, von vitalen
frrien Naturkräften und Gesetzen aber keine Ahnung
haben.
Aus den Schwierigkeiten, welche sich dem Aufblühen
der Gewerbe und Kunstfertigkeiten entgegenstellen, ziehn
m den Schluss, dass die Schöpfung der Welt mit eben sol-
chen Schwierigkeiten zu kämpfen habe, wie jene, und
— 102 —
nur allmählich von dem leichter zu Erschaffenden, wenn
dies ihr glücklich gelungen, zu dem Schwierigeren über-
gehn könne.
Die einzige Begründung solcher Annahme, und die
einzige Entschuldigung für dieselben finden wir in der
bisher gebräuchlichen falschen Definition der generfttio
spontanea, die zu dem Glauben Veranlassung giebt, dass
wenn Organisches aus Unorganischem enstehn könne, es
doch wohl viel leichter sein müsse aus unvoUkommmen
organischen Gebilden voUkommenef*e entstehn sfu lassen.
Wir haben aber bereits gesehn, dass aus einem ferti-
gen Molecule nie ein Plastidul werden, aus einem unor-
ganischen also auch niemals ein organisches Gebilde
entstehn könne. Wenn es eifrigen Forschern wirklich
gelingen sollte, vom Protisten an bis zum Menschen, eine
Scala wirklich vorhandener, oder vorhanden gewesener
Geschöpfe aufzustellen, in welcher sich zwei nebeneinan-
der stehende Creata nur durch die allerunbedeuteudsten
Merkmale, etwa nur so unterscheiden, wie sich die Blatter
ein und desselben Baumes unter einander unterscheiden,
so würde dies doch niemals eine stattgehabte allmähli-
che Entwickelung des Menschen aus dem Protisten be-
weisen. Die Monere, der Mensch und fast die ganze
Menge aufgefundener Zwischenstufen, die sich auf obiger
Scala vorfinden, entstehn ja meist jetzt noch ganz ebenso,
wie vor Tausenden oder Millionen von Jahren. Wenn es
aber Zweck der Schöpfung allein nur wäre, immer Voll-
komnineres zu schaffen, so würde sie doch, wenn ihr
dies glücklich gelungen ist, sich mit der Formation des
UnvoUkommneren nicht weiter befassen, wie auch jetzt
— 103 —
Niemand mehr daran denkt Luntengeschosse zu fabriciren,
nachdem die vollkommneren Schiessapparate aus ihnen
hervorgegangen sind.
Bei der unendlichen Fülle von Dynamiden, welche ihre
Elemente zur Bildung eines Plastidules abgeben, ist es
wohl erklärlich, dass dann und wann eine bestimmte
Combination derselben, durch irgend welche Verhältnisse
veranlasst, sich bei der Bildung ganz verschiedener Thiere
und auch des Menschen in gleicher Weise als betheiligt
erweist. Wir finden in solchen Fällen dann selbstver-
ständlich auch bald diese, bald jene bestimmte Summe
gleichartiger Materie mit ihren specifischen Eigenschaf-
ten oder materiellen Kräften, ebensowohl bei den un-
gleichartigsten Thieren, wie auch beim Menschen vor.
Durch solche Zufälligkeiten sind wir aber durchaus
nicht im Geringsten berechtigt, auf ein gewisses verwandt-
schaftliches Verhältuiss jener Thiere unter einander, oder
mit dem Menschen zu schliessen, denn die hierbei zu-
meist maassgebeuden Dynamiden, welche im Grossen
und Ganzen die übrige Körpermaterie erschaffen haben,
können dabei die aller verschiedensten sein.
Einen Stammbaum des Menschengeschlechtes aufzustel-
len, bleibt darum ein missliches Unternehmen, da sich,
bei Beurtheilung der menschlichen Körper, nach unend-
lich vielen Richtungen hin Anknüpfungspunkte an Thiere
ergeben. Die verschiedenen Creata und unter ihnen die
Menschen entstehn aus den Dynamiden unserer Erde
durchaus nicht nach und aus einander, sondern neben
und durch einander.
Was überhaupt die Entstehung voUkommnerer Creata
— 104 —
aus unvoUkommneren anbetriflft, so haben wir uns vor
Allem erst klar zu machen, was wir unter einem voll-
kommneren Wesen verstehn. Nach unseren Grundsätzen
ist nun ein vollkommneres Wesen dasjenige, hei dessen
Erschaffung eine grössere Anmhl von Dynamiäen sieh
betheüigt hat, so dass seine Beactionen gegen die Einwir-
kungen der AmsenweU a/uch weit vidseitiger sind, eis hei
den aus einer kleineren Anedhl von Dynamiden sfusim"
mengesetzten Creatis.
Also aufgefasst, besteht allerdings ein grosser VoUkom-
menheits- Unterschied unter den einzelnen Greatis, und
es ist dann auch leicht begreiflich, dass von der origi-
naeren generatio spontanea in viel kürzerer Zeit ein ans
wenigen Dynamiden zusammengesetztes Protistengeschdpf,
welches unter den gegebenen Verhältnissen lebens^nnd
fortpflanzungsfähig bleibt, zu Stande gebracht wird, als
wie ein complicirteres Geschöpf, dessen Lebensfähigkeit
stets um so mehr bedroht ist, je vielseitiger es verlIli^
telst seiner Kräfte auf die Einwirkungen der Aussenwclt
zu reagiren Gelegenheit erhält.
Der von den Materialisten so sehr hervorgehobene
Kampf um das Dasein, ist aber Nichts weniger als eine
willkürlich von einem Individuum aufgenommene IMr
tigkeit, sondern es ist allein nur die ihm aufgezwungen
Iteciction gegen die tausenderlei Einflüsse der Aussevmai/uit,
denen alle Creata, welche sich im Mikrokosmus und
Makrokosmus befinden, unterworfen sind, mögen es Mo-
lecule oder Plastidule, wissenschaftliche Formelemente,
anorganische Gebilde, pflanzliche oder thierische Organe,
ganze oder halbfertige Pflanzen und Thiere, oder Welten-
— 106 --
korper sein. Da es der Einflüsse der Aussennatur d. h.
der freien Naturkräfte unendlich viele giebt, und unter
Umstanden alle als schädliche und tödtende Potenzen
auftreten können, so gehn auch unendlich viele entste-
hende oder fertige Gebilde vor dem Eintreten ihrer Aus-
Inldung oder ihres natui^emässen Todes 2U Grunde. Am
meisten werden aber in dem Kampfe um das Dasein die-
jenigen Geschöpfe leiden, die eine Art von Zwitterstellung
einnehmen, z. B. an der Grenze von Pflanze und Thier,
von Fisch und Batrachier, Vogel und Insect, etc. stehn.
8ie werden nämlich stets durch eine doppelte Art von
sehädlichen Potenzen bedroht, und sind dadurch nicht
nur verdoppelten, sondern ganz unverhältnissmässig erhöh-
ten Gefahren ausgesetzt, so dass wir sie in der Natur
nur äusserst selten antrefiPen.
Da nun aber, wie wir noch weiter sehn werden, wäh-
rend des Lebens eines Greatums ein beständiger, voll-
ständiger oder partieller Wechsel seiner sämmtlichen
Plastidule stattfindet, so ist es sehr wohl erklärlich, dass
wenn ein Creatum plötzlich, oder allmählich in das Be-
neich neuer Dynamiden gelangt, die denjenigen Dynamiden,
walcke seine Plastidule von vom herein zuzammensetzen,
adaequat oder sympathisch sind, dass solche bei der fer-
neren Neuformation von Plastidulen Aufnahme finden,
und das Creatum dadurch dann verändert, resp. vollkom-
mener wird, und diese Vollkommenheit sich auch noch
bei A&k Nachkommen erhält, wenn sie unter dem Einflüsse
derselben Dynamiden verbleiben*
jybn kann dies aber keine natürliche Zuchtwahl nennen,
da daa Creatum sich dabei völlig passiv verhält, und die
— 106 —
ZU seiner Vervollkommnung nothwendigen Dynamiden
gar nicht, od«r nur in sehr beschränktem Masse willkür-
lich aufsuchen oder heranrufen kann, bei ihrem etwaigen
Verschwinden oder auch ohne Weiteres, trotz seines
besten etwaigen Strebens nach Vervollkommnung, in sei-
ne alte Unvollkommenheit zurück fallen muss, und den
Materialisten dadurch Gelegenheit bietet, den Atavis-
mus als Naturgesetz bei der Entwickelung der Greata
aufzustellen.
Das Urgesetz als Gebärerin aller Greata, dem alle
Dynamiden gleichmässig unterworfen sind, bedarf deshalb
zur Erschaffung eines voUkommneren Greatums gar nicht
der Beihülfe oder des Daseins eines unvollkommneren
Geschöpfes; und da die Zeit hierbei gar keine Bolle
spielt, so ist es ihm ebenso leicht einen Menschen wie
einen Protisten primaer zu bilden, und wir können des-
halb, entgegen den Auslassungen der Darwinianer, mit
Bestimmtheit behaupten, dass der Mensch nicht aus dem
Protisten entwickelt, sondern so erschaffen ist, wie jedes
andere Greatum, Derselbe wird auch, wie alle übrigen
Greata, als Individium um so vollkommener angelegt sein,
je grösser die Anzahl von Dynamiden ist, in deren Be-
reich er entsteht, und je mehr ausserge wohnliche der-
selben sich bei der Bildung seiner Plastidule bethei-
ligt haben.
Dass die Menschen nicht überall auf der Erde gleich-
massig geistig entwickelt sind, ist ganz allein nur der
ungleichmässigen Vertheilung der geistigen Dynamiden
auf unserer Erde zuzuschreiben. Eine acht europaeische
Universität mit vollständigem Zubehör an Vorschulen und
— 107 —
LehTfflaterial, nach dem Innern Afrikas verlegt, würde
dort zur Hebung der allgemeinen Intelligenz Nichts bei-
tragen, während doch einzelne Afrikaner, unter den Ein-
fluss geistiger Dynamiden gebildeter Völker gebracht,
bereits schon entweder selbst, oder in ihren Nachkom-
men Anerkennenswerthes in Cultur geleistet haben. Das
Versumpfen oder völlige Verschwinden von Culturvölkern
ist auch nur dem Wechsel entsprechender Dynamiden,
dem Ersätze geistiger durch niedere und materialisirtere
zuzuschreiben, möge die formelle Art und Weise dieses
Processes auch auf die allerverschiedenste materielle
Weise zur Anschauung gelangen. Es wird allein nur dem
Wechsel einflussreicher Dynamiden zuzuschreiben sein,
wenn in Zukunft einmal ein hochgebildeter Neuseeländer
an der öden und wüsten Stelle, wo einst London, Seine-
babel oder Spreeathen gestanden haben, mit Eifer Nach-
grabungen nach verschütteten Kunstschätzen anstellen
sollte. Dem Gulturhistoriker werden solche Verhältnisse
durchaus nicht unmöglich erscheinen.
Wie das Auftreten und Bestehn entsprechender Dyna-
miden die aufsteigende Macht grosser Völkerstämme be-
dingt, und diese zu Grunde zu gehn beginnen, wenn die
Dynamiden, welchen sie ihre Stärke verdanken, allmählich
dhrch solche verdrängt werden, welche mehr materiali-
fdrt sind, so finden wir auch im Kleinen die Dynamiden
ab bedingende Ursachen der socialen Verhältnisse. Eine
sociale Gleichstellung der Menschen wäre nur dann mög-
lieh, wenn letztere gleichmässig im Stande wären die
Dynamiden, in deren Bereich sie sich gleichmässig befin-
den^ auch gleichmässig ihren Plastidulen einzuverleiben.
— lOB --
Wenn wir nun aber auch die materielle Verfollkcnnia-
nung der Creata durch natürliche, von ihnen seihst ein-
geleitete Zuchtwahl für unmöglich halten, so sind wir
doch weit davon entfernt eine VervoUkommnuiig mancher
derselben durch eine künstliche, von erfahrenen Menschen
eingeleitete Zuchtwahl in Abrede zu stellen. Xm Mikro-
kosmus vermag sich nämlich der Mensch zuweilen zum
Hen*n gewisser Dynamiden aufzuschwingen, und dadurch^
dass er dieselben in das Entstehung^ehiet gewisser
Creata, oder umgekehrt, die Keimplastidule eines onvoU-
kommneren Greatums in das Bereich höherer Dynamiden
bringt, erstere zu vervollkommenen, und nicht allein soge-
nannte vollkommnere Individuen oder Varietäten derselben,
sondern auch neue Arten, selbst Gattungen zu erziehen.
Jede canstante Gattung oder Art bestdU nämlich stets
da, wo die durch eine der physiologischen Zeugungsarten
eingeleitete copirende oder reproducirende generatio spour
tanea stets dieselben HaUfsmittd, stets dieselben Dynami-
den zur Verwendung vorfindet^ und somit auch stets die
neuen Creata aus ein und demselben Materiale, auf gleiche
Weise, nach demselben von der originären generatio spon-
tanea einmal festgesteliten Typus zusammensetzen kam».
Werden ihr aber bei der beständigen Neubildung der
Plastidule beliebiger Creata auch neue adaequate oder
sympathische Dynamiden zur Verwendung zugeleitet, so
vermag sie andere sogenannte vollkommnere Arten oder
Gattungen zu erzielen, und diese werden so lange Con-
stanz zeigen, als der Zufluss der neuen Dynamiden fort-
besteht; hört der letztere auf, so dass die copirende ge-
neraüo spontanea sie zur Entwickelung der, durch ge-
— 109 —
sehlechtliche Zeugung entstandeneu, Keimplastidule nicht
mehr heranzuziehn vermag, so wird stets ein Rückschlag
in die alte Art oder Gattung, der sogenannte Atavismus
Platz greifen müssen, auch eine alte Art oder Gattung
wird ganz untergehn, wenn die ursprünglichen Dynami-
den, denen sie ihr Entstehn und Bestehn verdankt, und
welche vorher constant vorhanden waren, durch irgend
eine dynamische Regung im Makrokosmus vom Schauplatze
verschwinden, und zu weit entfernt erst wieder auftau.-
cben, so dass die copirende generatio spontanea sie sich
nicht unterthänig zu machen vermag. Ganz neue Gattun-
gen oder Geschlechter können aber nur da zu Stande
kommen, wo gänzlich neue und von den bisher herrschen-
den abweichende und besondere Dynamiden sich der ge*
neratio spontanea originaria zur Foinmation von Elemen-
tencomplexen zu Gebote stellen, und sie dieselben nach
vitalen Gesetzen zu einem Original, oder Typus und Mus-
ter f&r die copirende generatio spontanea zusammenfügen
kann.
Ans ganz denselben Gründen, wie auf solche Weise
Arten oder Gattungen aussterben, und neue entstehn
können, können auch grosse cultivirte Landstriche zu
Einöden werden, und bisher uncultivirbare grosse Land-
rtriche in Cultur treten.
Was von der Tendenz gefabelt wird, welche jedes In-
dividaum an den Tag legen soll die nach dem, von der
origmaeren generatio spontanea festgestellten, Typus ent-
standene Gattung fortzupflanzen, und auf deren Erhaltung
bedacht zu sein, das ist sonach nur metaphysische Phan-
tiM. Jedes Greatum ist ganz ohne seinen WiUen durch
— 110 —
die generatio spontanea nach dem Urgesetze durch fteie
Naturkräfte zusammengesetzt: Es vermag weder durch
unbewusste Vorstellungen, die es durch einen unbewussten
Willen ausführen lässt, seinen beständig neuentstehenden
Plastidulen willkürlich bestimmte Dynamidenelemente
hinzuzufügen, und dadurch gleichsam sein eigener Crea-
tor zu werden, noch vermag es durch die, von ihm ent-
sendeten Keimplastidule, irgend wie Einfluss auf die Ent-
wickelung seiner Nachkommen auszuüben, oder letzteren
absichtlich irgendwie Körper- oder Geistesanlagen wift-
kürlich zu vererben. Es kann den von ihüi sich ablö-
senden Keimplastidulen niemals die Art und Weise vor-
schreiben, wie sie sich weiter zu entwickeln haben, und
diese vermögen auch stets nur solche adaequate oder
sympathische Dynamiden an sich zu ziehn, die sie in
ihrem Entstehungsbereiche vorfinden, nnd die, wie wk
wissen, häufig wechseln.
Die etwaigen seinen Plastidulen gegebenen Vorschriften
eines Creatums würden auch sicher öfter mit dem Urge-
setz coUidiren, und deshalb nicht ausgeführt werden, denn
wenn letzteres durch Erschaffung unserer Welt auch
bestimmte Zwecke verfolgt, wie man vernünftiger Weise
doch anzunehmen gezwungen ist, so werden uns diese
wohl, wie das ganze Urgesetz selbst, für ewig unfassbar
bleiben, und sich von unseren teleologischen Auffassungen
unterscheiden, wie ein Planetensystem von einem mikro^
scopischen Gebilde. Gegen das ewige Urgesetz vermag
aber kein Creatum etwas zu unternehmen.
Die Erhaltung der Gattung, oder deren Veränderung,
macht daher ebenso wie die Erschaffung der Menschen,
>
— 111 —
des vollkommensten materiellen Greatums, dem Urgesetze
gewiss keine unruhige Stunde. Wie ein Ahcschütze sich
darauf mit der primaeren Erschaffung des Protoplasma
oder des Protisten allmählich einzuüben, hat es durch-
aus nicht nöthig.
Es liegt übrigens eine merkwürdige Inconsequenz in
dem Gebahren der Materialisten: Ihre Thaten widerspre-
chen durchaus ihren Lehrsätzen.
Während sie der Schöpfung imputiren, dass sie durch
Erschaffung des Unvollkommneren sich erst allmählich
zur Schaffung der voUkomraneren Gebilde vorbereite, er-
wählen sie für ihren glühenden Thatendurst umgekehrt
sich zuerst das vollkommnere, das unendlich weitere
organische Naturreich, und lassen das viel einfachere
nnoi^anische bei Seite liegen.
Mit demselben Hechte, wie sie den Menschen als das
Tollkommenste Gebilde der Organismen pioclamiren, könn-
ten sie ja doch ebenso gut den Diamanten oder das Gold
als das vollkommenste unorganische Gebilde hinstellen,
und ihre Kräfte und ihren Scharfsinn an der stufenwei-
sen Entwickelung dieser letzteren erproben, zumal ja
auch Kristalle und Metalle diesen unendlich viel ähn-
licher sind als die Äffen den Menschen, und die übrigen
anorganischen Gebilde untereinander unendlich mehr con-
stante Uebergänge und Anknüpfungspunkte darbieten,
wie die Organismen. Es liegt doch unendlich viel näher
erst den vermeintlichen Urahn der 63 einfachen unorga-
nischen Stoffe aufzusuchen, als aus der unendlichen Reihe
organischer Gebilde, von denen wir eingestandenermaassen
nur einen äussei-st winzigen Theil kennen, den Ursimpel
zu entlarven suchen.
— 112 —
Denselben Widerspruch finden wir in dem, was die
Materialisten von der Einheit der Kräfte in den drei Na-
turreichen lehren, wobei sie auch die Aeusserungen des
Seelen- und Geisteslebens als Product derselben Kräfte
proclamiren. Sie berufen sich hierbei sogar auf die Auto-
rität eines so bewährten Forschers wie Virchow, und
stimmen dem letzteren dabei unbedingt zu, wenn er seine
ganze Cellular-Pathologie auf Kräfte basirt, welche solche
Erregungen oder Reizungen des vermeintlichen vitalen
Urgebildes, der Zelle, bewirken, dass diese functionelle,
vitale und formative Thätigkeiten entwickelt, und dadurch
zur Grundlage einer jeden Lebenslehre werden soll.
Die Lehre der Materialisten von der Einheit der Kräfte
bekundet also nur ihre eigene Einseitigkeit, denn in der
unorganischen Natur werden doch niemals und nirgends
solche Thätigkeiten der Primaergebilde, vae bei der Zelle
beobachtet, und daraus muss man doch wohl schliessen
dürfen, dass die Kräfte, welche das organische Leben in
Scene setzen, andere sind, als die, welche die Thätigkei-
ten unorganischer Materie auslösen.
Was nun Darwin und seine Schüler gleichsam makro-
scopisch anstreben, das bemühn sich die pathol<^schen
Anatomen und Physiologen mikroscopisch zu erreichen,
nämlich den Nachweis der Entwickelung aller organi-
schen Zellen und Gewebe aus einer Urzelle und einem
Urstoffe, zu welchem letzteren sie, noch willkürlicher
wie die Chemiker den Wasserstoff, das Eiweiss oder in
neuerer Zeit das Protoplasma erheben. Indem man den
Sitz des Lebens in ein willkürlich gewähltes, materielles
— 118 -^
und bereits sehr kunstvoll zusammengesetztes Primaer-
gebilde, die organische Zelle, welche der Darwinschen
Monere parallel steht, und das Ens morbi in die patho-
l<^isch veränderte Zelle verlegt, glaubte man an der
Hand dieser Annahmen ein correctes, wenigstens morpho-
logisches Tableau der Krankheiten aufstellen, und dadurch
eiile rationelle Therapie derselben anbahnen zu können.
Einsichtsvolle pathologische Anatomen, denen zufälliger
zeitwdser Erfolg den Geist nicht umnebelt hält, haben
sfch aber schon mit Entschiedenheit gegen ein solches
doppelte Unternehmen ausgesprochen und entheben uns
eines jeden eigenen Urtheiles. Der Meister pathologischer
Anatomie, Kölliker, erklärt ganz apodictisch, dass es in der
Gewebebildung gar kein Gesetz gebe ; und dass eine auf ge-
seitlAos und unberechenbar vor sich gehende Zellenbildung
uirtl Qewebeveränderung basirte Ordnung der Krankhei-
ten für die Heilung derselben ganz werthlos und prac-
tisch 6rn Unding sein muss, liegt wohl klar auf der
Haäd. Geniale Therapeuten haben dies äuch^ längst aner-
kannt. So sagt z. B. der durch und durch rationelle, und
dabei vielerfahrene und geistreiche Felix von Niemeyer
itt seinem berühmten Handbuche der Pathologie und The-
rs^e, doch schliesslich bei der differentiellen Diagnose von
(Sroup und Diphtheritis: „Die Eintheilung der Krankhei-
ten nach den pathologischen Gewebeveränderungen, zu
tekhen Bie führen, ist — nur ein Nothbehelf " und an^Jere
du minorum gentium, wenn sie selbstständig zu urtheilen
0MA haben, bringen solche und ähnliche Auslassungen
1)Ö t^iietfdlreh vielen anderen Gelegenheiten, wenn auch
lucht Het^Atidis, so doch oft sehr drastisch zum Ausdi*uck.
8
— 114 -
Ebenso wie Darwins Descendenztheorie eine biologische
Verirrung ist, weil sie sich zu einseitig an Materie hält,
und die vitale Veränderung derselben nur vermittelst
der grössten Anspannung der Geisteskräfte, allein nur
hypothetisch, materiell behandelt, so ist auch die Cella-
lar - Pathologie Virchows nur ein rein morphologisches
Poem, welches uns die Wunder der pathologischen Er-
scheinungsmöglichkeiten der Menschenmaterie wenigstens
formell deutlich vor die Augen führen möchte. Sie ver-
fehlt aber auch diesen ihren bescheidenen Zweck voll-
ständig, weil der mikroscopischen Beobachtung durch die
materielle Länge der Lichtwellen bestimmte G]:enzen ge-
setzt sind, und sie das Fehlende aus der Phantasie zu
ergänzen gezwungen ist.
Eine auf Nothbehelfe, und die Ergebnisse mehr oder
weniger lebhafter Phantasie, basirte Therapie ist aber
practisch nicht ganz ebenso harmlos wie eine darauf
basirte Pathologie^ und es fordert dieser Umstand das
ernsteste Nachdenken heraus. Die sogenannte rationelle
Lehre der Medicin hat dies auch schon lange eingesehu;
anstatt aber eine gründliche Beform von unten auf anzu-
streben, hat sie sich bloss nach Stützen für das morsche,
mit Zusammenbruch drohende Gebäude umgesehn, und,
da die pathologische Anatomie sie oft genug im Stich
gelassen, so glaubt sie diese in der lebendigen Anatomie,
in den pharmakologischen und pathologischen Experimea-
ten* gefunden zu haben.
Beide Arten von Experimenten sind für die directe
Kunstheilung aber vollständig werthlose Procedura, die
den angegebenen Zweck niemals erreichen können.
— U6 —
In teideii nämlich läs8t mau ganz incommensurable
Gegenstände, wie immaterielle Kraft und Materie^ auf
eiomder einwirken und ^hält dadurch dem entspre-
chend^ auch ganz unbrauchbare Resultate. Im pharma-
kologifichen Experimente erkennt man allein nur mit
SickArbeit, dass indifferente Arzeneien überhaupt nur auf
dte Krankheit, aber nicht auf gesunde Materie einwirken,
und dififerente allerdings zwar wohl Veränderung der Kör-
periDiiterie hervorbringen, diese sich aber dabei auf eine
gesetdose, also unerforschliche Weise vollzieht. Im patho-
lofpackßn Experimente kann man durch mechanische Ein-
griffe allerdings sehr wohl die materielle Zusammen-
setzung gewisser Organe und den Mechanismus ihrer Func-
tionirung kennen lernen, dagegen aber niemals die vitalen
Krälte, welche ihn zur Thätigkeit veranlassen. Ausser-
dem sind wissenschaftliche, pharmakologische, ebenso wie
iplbologische Experimente aber auch stets subjectiver
Nttur, and können darum niemals ein objeetiv gültiges
BefHiUat erzielen: Sie überlassen der Thätigkeit des
Einzelnen den ungemessensten. Spielraum; die Resultate
hingen deshalb vom Zu&lle ab, und es erzielt deshalb
9m iwlbstständiger Experimentator auch nur ausnahms-
weise dieselben Resultate wie der andere, beide erreichen
9jiKQ^- niemals etwas fest Abgeschlossenes. (Ausfuhrlicheres
hierüber siehe unter Capitel IX).
iiliner solchen auf falsche Principien basirten, und durch
VoUig unsureichende, sogar völlig unbrauchbare Hülfsmittel
awtftiateni wissenschaftliehen Medicin setzt nun Paracelsos
Wi9ie! . Heilkttnst gegenüber, die er ohne alle Rücksicht
— 116 —
auf die ganz nebensächliche Morphologie d^ Kviuikhei-
teu als Yollständig selbstständige Lehre «otgtellt
Anstatt die gesetzlos sich verändernde patholögiBehe
Materie, das secundaere nnd 8(»t8 äusserst tteiabfe E^
gebniss der eigentlichen und wahren Krankheit^ -m ^li^
forschen und um die Erklärung ihrer gesetzlosen fitMuii^
sich zu bemühen^ sucnt Paracelsus das Wesen deir Krank-
heit, d. h. die jedesmaligen schädlich wnrkeAdeif 6dei'
pathogenen freien Naturkräfte, sobcUd sie iktt €h^
wart und Thäügkeit durch efUspredkemle ArbeiteMikmge»
verraihen, dadurch zu erforschen^ dass er änmal die Stelle
des Körpers aufsucht, wo sie sich nach Art der physich-
lischen Imponderabilien festgesetzt haben^ nnd dann da-
durch, dass er das indifferente Heilmittel aafeaoht, wel-
ches Träger der Gegenkraft ist, die die sch&Aiehe PeteM
neutralisirt und dadui^ch unschädlich macht.
Seine Pathologie oder Diagnose der »Krankheit 6e0Mit
im Feststellen der von der pathogenen I^araide tefirf-
loien oder urkrank gewordenen Körpermaterie, weMie
dadurch den Sitz der Urkrankheit abgiebt
Diese ist bei gleichen schädlichen Pot^uim stets die-
selbe, und kann ebenso gut flüssige wie fioste Theile ^
Körpers um&ssen. Sie stellt alsdann im ersten Falle eiae
Universalkrankheit und im zweiten Falle «ne Oigaa^
krankheit dar.
Die Urkrankheit lässt sich fast niemals durch sinnlich
besonders au£Erilende Krankheitsieiclien erkennen. Diese
werden von der urkranken Materie aas, durch die patho-
gene Dynamide allein nor in den versdnedenstoi aiideni
Organen der Körpennaterie erzeagt, and bilden damiiHe
— 117 —
Qosolagktohe Form der Krankheit, während die Urkrank-
heit da!^ Wesen derselben ausmacht.
Leicbensectionen, Vivisectionen und die bisher gebrauch-
liehen materiellen Untersuchungen des Kranken können
darum nie zur Erkenntniss des Wesens einer Krankheit
Mhreir. Sie vermögen nur pathologische Veränderungen
der Materie oder die nosolc^sche Form einer Krankheit
fegUastellen. Solche Feststellungen sind aber ohne allen
Werth für die Erkenntniss des Wesens einer Krankheit
md dBren directe Heilung, denn wie es bei den physi-
ealiBehen Imponderabilien der Fall ist^ vermögen auch
Iner «in und dieselben pathogenen Dynamiden, von ihi'em
eioiDAl ' eingtoominenen Sitze aus, die verschiedensten
paiSK^ogisehen Materien in anderen Organen zu erzeugen;
ebenso können aber auch verschiedene pathogene Poten^
zen, von ihren verschiedenen Sitzen im Körper aus, doch
m ein nnd demselben Organe ähnliche, sogar ein und
dfesrtbe pathol(^8cfae Materie zu Stande bringen. Das
Wesen einer Krankheit ist also niemals in derjenigen Kör-
pennaterie zu 'suchen, die sich durch besondere patholo*
gische Veränderungen bemerkbar macht, und ihre noso-
logiBclie Form bildet.
Eb henst dies mit anderen Worten: Eine Urkrankheit
kmi die allerVerschiedensten nosologischen Formen an-
oehmen, nnd eme nosologische Form kann den verschie-
dwaten Urikrankheiten zum Ausdruck dienen.
Entsprechend seiner Pathologie, besteht auch die The-
lipiS' dte Paraceisus nicht in der Anwendung von diife-
ranbm Arröneien, d. h. solchen, die eine sichtbare
Teiladerung in der Materie vollziehen, sondern in der
— 118 —
Anwendung von indifferenten Arzeneten oder von Arsmeien,
welche allein nur Träger einer sdlchen Kraft sind, die
die pathogene Kraft neutralisirt, und dadurch die Ür-
krankheit einfach aufhebt, und somit auch deren nosolo-
gische Form beseitigt.
Solche Arzeneien vermögen aber niemals im YonUts
wissenschaftlich, oder durch pharmakologische E^qterimente,
sondern allein nur durch die reine Empirie fei^estellt
zu werden.
Us ist dies Verfttfiren aber dtMTchUum keime
WifentMlmlichJceit des ParaeeimM nmd meiner
Schule^ den/n es handeln und müssen Ja ff am
^>enso aUe sogenannten rationMenAer%t;e1uu(ir
delny denen es unmöglich wird, ihr, dei^ practischen Er-
fahrung entstammendes, Verfahren, wie z. B. den Gebrauch
des Chinins, in so unendlich verschiedenen Krankheits«
formen durch pathologische Anatomie, pharmakologische
Experimente oder Vivisectionen zu reditfertigen^ uiMl cfe
deshalb Niemeyer wenigstens stilisch wdgend züstimmeiif
wenn er die Cellular- Pathologie für einen wisseDSchaft^
liehen Nothbehelf erklärt
Wenn nun aber die rationellen Aerzte nur ucnbe^osst
sogenannte reine Empiriker sind, und, als Sclaven iliter
Schullehre, aus falscher Scham, oder aus Furcht vor dem
Urtheil wissenschaftlicher Dictatoren, es vor:äefafn, ihr ' er*
fahrungsmässiges ärztliches Handeln als rationell - empiri^
sches erscheinen zu lassen, d. h. dasselbe ^mtbuechaniA^h
erlernten, practisch ganz werthloseu, aber wiss^schaftüob
aufgeputzten Redensarten zu verzieren, obgleich letztere
mit jeder neu auftauchendes Amtorität auch jedesmal
>
— 119 —
hre hochtrabenden mystischen Stichworte wechseln, und
ihnen die Wahl desselben oft recht schwer fällt, so ist
doch Paracelsns sich seines Handelns vollständig bewusst.
Er entnimmt die Rechtfertigung desselben -andersartigem
practischen Leben, wenn er es auch mit dem mystischen
Namen Alckymie belegt.
Wie nämlich der Bergmann das Wesen der, an das
Licht tretenden, Materien des Innern der Erde allein nur
dadttteh genau erkennen kann, dass er sie mit anderen
•
Ihm bekannten Materien experimentell zusammenbringt,
um ihre Reactionen zu beobachten, das heisst also, sie
chemisch analysirt, so sucht Paracelsus nicht die Form,
aber das Wesen der Kranklieiten allein dadurch zu er-
hrnnrnf dass er unter den sogenannten indifferenten Seih
miitdn dasjenige experimentell^ aufsucht^ welches der
Träger solcher immateriellen Kräfte ist, die die, zur Zeit
st^MHch ioirkend aufgetretenen, freien NattirJcräfte neu-
tnäisiren, und dadurch auch ihre Arbeitsleistungen, die
versdiiedenen Krankheitsfarmen oder pathologische Mate-
rien, heseiHgen, mit einem Worte also dadurch, dass er
die Krankheit — vital analysirt.
Wie der geübte Chemiker meist in kurzer Zeit, oft auf
den ersten Griff durch sein materielles Experiment, die
abgekürzte chemische Analyse, seinen Zweck erreicht,
namentlich wenn ihm viele Reagentien zu Gebote stehn,
80 vermag auch der geübte Arzt, der viele indifferente
Heilmittel nnd ihre Wirkungsweise kennt, durch sein vi-
tale ^ Btperiment auch sehr bald das richtige Heilmittel
aiiitafiiid^tt; und wie der Bergmann durch sein gelunge-
nen EK^eritneiit nicht bloss das gerade ihm vorliegende
Stück Materie, sondern meist eine ga^ze xaehr qäßv^mißf
grosse homogene Bergader dem Verstäj^nisse. erschliesst,
so erkennt der Arzt durch eine gelungene direcfß fieibmg
vermittelst indifferenter Ar0eneien, also durch ein0 gelun-
gene vitale Analyse, nicht nur das Wesen des gerßde vor.-
liegenden KranJcheitsfalles allein, sondern <mcft d(is aBer
der anderen Krankheitsfornven, welche gleichsteitig iv^ Be-
reiche der gerade herrschenden pathogenen Dynamiden ats^-
weder epidemisch oder endemisch auftreten, da sieaIh,so
heterogen sie auch formell erscheinen mögen, . doch sämnd"
lieh die Arbeitsleistungen ein und derselben freien N^ur-
kräfte, ihrem Wesen nach also stets gleiche sind.
Da nun die Epidemien und Endemien, welche letztere
Rademacher morbi stationarii nenat, nach den 25-jäbri-!'
gen Erfahrungen des letzteren, bei uns fa^st immer m^re
Monate, selbst einige Jahre, nicht selten auch vielJäo-
ger fortbestehn, ehe sie anderen Platz macheu, bei wel-
chem Wechsel aber die bisheiiigen Formen der Krankheit
nicht immer zugleich sich verändern, i^u^^ru meist als
dieselben fortbestehn, so kommen die latrocbemijlcer ver-
hältnissmässig selten dazu, vitale Originalanal jsen zu ma*
chen, und können die ganze Zwiscbepzat gleichkam von
der einmal gelungenen Arbeit zehren. ]Erstdas Um/oirksamr
iverden ihrer bisher gebroMcMen Seümittel weisl ä^M6i»
nach, dass sie es von Jetzt a$i mit neu aufgetretenen pd"
thogenen Dynamiden zu thun bekommen haj^en.
Um diese Ansichten einigermassen durch Beispiele zw
erklären, können wir anführen, dass nicht b)os8^ Oehim-
und Lungenentzündung, Rheumatismus, Ajpaauro^e, Ty-
phus, Epilepsie, Diabetes etc. die Folgen ein 1114 derselben
— 121 —
sclMUUiehw Potenz, und somU amh derselbm Urkrank/keü
sein könnefi, utul dann audh durch ein u/nd dasselbe MiUd
au heilen sind, sondern dass aach eine einzelne Krank*
beiteformi wie z. B. die Diphtherie, bald Folge einer
wei( verbeit^ten oder epidemischen auftretenden Schäd-
liehkeity bald ober auch die, der verschiedensten, ende-
misch zur Geltung gelangenden Schädlichkeiten sein ü^ohh,
demn jedesmal auch ein anderes HeUmiUel erfordert und
dtitsi Forschen nach einem tinheitUdhen Specificum §cgen
Dipkifieritis illusorisch macJU, zumal diese Krankbeitsform
ausserdem auch bald ansteckendy bald nicht ansteckend
auftritt.
Die rationelle Lehre der Medicin, welche sich solchen
ganz glaicben; Erfahrungen durchaus nicht entziehn konnte,
gi^ denselben dadurch einen, freilich unbewussien, und
dad^rcb ab^rauch oft genug komisch erklingendenf tmd
dmß. Gespött der Laien hervorrufenden, Ausdruck, dass
m in jteen verschiedenen therapeutischen Handbüchern,
im Itnnufe der Zeitf fast bei einer jeden Krankheitsform
fytst iBillß^jf^^^MMichen Arzeneien ais JEfe/^iMel aufstellt,
094 in ihren Pharmakologien im Lauf e der Zeit bei jedem
At^gmiimiMel ßuch fßst a&e^ sogar die scheifibar hetero^
gensten KrankJwitsformen als dadurch heilbar anführt,
in r,Qarugiief also unbewusU AUes das bestätigt, was die
IfMtpucbenjiker mit J5eM^ii««^mn behaupten.
«DaB^ vitikle Experiment des Paracelsus, in welchem
8t^ ßleicbes mit Gleichem, Kraft mit Kraft verglichen
vüd)' SÜ^ wie das analytisch - chemische, welches Materie
UMtf, ItfAtarid zusammenbringt, stets zu einem bestin^nt
.ftbtfa<lbl<^iWnpn, objectiv gültigen, positiven oder negativen^
— IM —
Resultate, während die sjnthetischeii än^ichm Experi-
mente, wie die pharmakologischen und patholosisehen,
wo immaterielle Kraft auf Materie, und umgekehrt Ma-
terie auf immaterielle Kraft einwirken soll, oftdiephaih
tasiereichsien und ftusserlich blendendsten, aber stetis Mr
subjective und darum practisch unbrauchbare ReltaHate
erzielen.
Das vitale Experiment, die äussert gemaüje und §&-
schickte U^ertragiwg der chemischen Ändlpse auf das
organische Leben, begründet den Buf des Arztes 'Bctra"
edsus als Ohemiker, und rechtfertigt den NamöH seintr
Schule als einer, iatrochemischen.
Wir als Epigonen vermögen die Anschauungen des^a-
racelsus aücH noch aus der Gresehiehte dei* Medkdn tu
rechtfertigen, da uns diese nachweist, dass j^e- «su auf-
tretende Dynamide, wenn sie ausnahmsweise Ift^eref 2Mt
auf einem etwas weiteren Umkreise der £Me Yer^eilte^
uhd' die verschfedensten Krank^tsformen hervorriief, «uc^
gehr bald, wenn sie durch unbewusstfe vitale Ankljfse
richtig erkannt war, zur Basis einer neuen medidalecllieii
Schute würde, die, mit dem Versehwiüden der entbpre^
chenden Dynamide, auch jedesmal kläglich zu Ofundl»
ging. '
Bouilland, Stoll, Brown, Radori, Broussais, Klltitirf iini^
andere zu ihrer Zeit hoch berühmte und hocbgeehrle^
Begründer medicinischer Schulen, die jetzt das yielge-
schmähte Räthsel der rationellen medicinischen Lehre
bilden, waren ein&ch nur auf eine doppelte,' einMäl aft-
gen^me und das zweite Mal unangenehme Weise ^dui^h
dynamische Regungen des Ifekrokosnius, ditf '^itte '«Is
Jfktig^r ihrer Schirilehre nicht zu begreifen im Stande
waren, dupirt worden.
Der vitalen Heillebre, welche die freien Naturkr&fte
aiHf ihr Walten kennt, können solche Narretheien ni^ht
pasäh^; und <#ir kOrnien deshalb auch jetzt durchaus
nicht ntehr andtehn, die vital * dynamische HeiWtm^
ded Paraeel^is geff^iiber der OnlsniBchen, und in spede
der ahafonrisdi' physiologischen Medicin als einen Fort-
s(S%riU au erfMren. Sie setzt mit ihrer Thätigkeit auch
erst '4k eftt, wo die letztere am Ziele zu sein glaubt,
utKt indem sie die Therapie für eine völlig selbststän-
diig^ KttUfi* erklärt, stellt sie dieselbe dadurch auch hoch
ü%er fille beständigen, oft so fragwürdigen Controvei-sen
der wfegenwAaftlichen Pathologie.
Wefm dw Begründer der Cellular* Pathologie schliess-
Mh Knibkhdit uls „eine der Erscheinungsmöglichkeiten'*
deflnJrt,- „unter denen das Leben der einzelnen organi-
sinmi' Körper sich zu offenbaren vermag, **^ so rechtfertigt
er d«tAitrch weder seine specielle Thätigkeit, noch zieht
et* ^Mltircb ein positives Resultat aus seinen Forschun*
gmi^ ' floddeni bereitet dadurch altein nur die Basis für
die VitaH -^^amische Heiltehre vor; Diese betrachtet die
Hfaill3ieitäfi ni^emalis als Ontologien öder Thatsachen, die
xmn äis' Öem t^rganischen Zus^mrnenhange der übrigen
L^ns^srstheinungen herausgerissen ^ mi materiellen HMfs^
wMelw "erforschen kann, sondern sie erklärt diesel-
bte^ifür ^efr, wenn auch besonderen, so doch stets völ-
lig ibt^irewien Theil aller übrigen vitalen Erscheidungs-
mSgllchheiten, iiie stets allein nur durch freie Natur-
kräfte ^iriiidt«(ihne g^ensettige Reaetion erzeugt werden,
— m -
uad die wohl mit den SinQen beobacbt^ nnA durch d^
Verstand möglichst klar gelegt, mit iD^eb^nifiebeE Hülfen
mittel» ab^r niemals erforscht werden lopnBeii«
Ebenso ; wie wii' in der Pi^thologiiet epi^mjsche wd
endemische Krankheiten unter d^oä Eiüflufise imn^te^
rieUei: ^snüßcher oder tellurischer fatbograer Krilfte
auftreten sehn, so sehn wir im gewöhnlichen Lebeii un^
ter dem Einflüsse ähnlicher Dymuniden auch zetfweise
physiologische organische Gebilde, wie Heuschrei^kaii,
Raupen, Rebläuse, Kartoffelpilsse oder Bacterien pUttzUcb
epidemiach oder endemisch auftauchen, ebenso aber Aach
gewisse geistige oder sittliche Epidemien oder E^ainien^
wie z. B. die Kreuzzöge, religiöse Bestrebm^en^ politiaete
Gährungeu, nihilistische Bestrebungen oder den Speeula^
tionsschwindel in die Erscheinung treten, uAd oft räie
unglaubliche Ausbreitung und Aimteckungsfäbigkeit; an^
nehmen. Ganzebensov wie mv pathogene Dynamidem mi'
zelne Persönlichkeitea befallen, und in ihnen die aiitr
tomiscb- physiologischen Krankheiten erzeugen seh^ ap<
sehn wir auch unter ähnliolMtn Verhältnissen individ wlto
Phfienomene pbysiologi^h entid^efeLn, wie z. B* Bfonscben
milt besonders entwkkdten Ktep^- oder GeisteiagaJNir
Riesen, hervorragende Pmio8(^hen, Reli^onsstifter, ^proe^
Staatsmänner, Feldjüeirrai Künstler^ Teebniker oder Finiinir
männer auftaoichen, und unsere Bewunderung in so fem
erregen, als wir dann zuzugestehn gezwungen sind^djU»
sich hier neb^ der v^ unseren Augen beständig oehalr:
f enden, und die sogenannten DntzendmensdiBm eraebaf^
fenden, copireftden g^aerat») spontanea ein guter Theil
der of iginaeoen ^ getteraiio : spestefiea geltend) mkekt. ^ .
— 186 —
2liBt ttfliOMi theoretischeiih I^asptimgeb, dass äie< rfttlo-
tielle Lehm mit ihteR exacten Erforschungen derKmiik-
heiti^fiCNrm^n, veimittelst Leichensection, Mikroscopie nnä
«bMiisotoii Reagientien, vermittetet pharmakologiseher nnd
ptäH)ldgÜEkdlfer Experimente för die Erkenntnis« des wahren
W oo m p - der Krankheiten und i^rer Heilung Nichts objectiv
j0ldtigeii,«S€l nur wissenekhaMicbe Hypothesen beibrin-
gen Intatt, Vermögen wir schli^slich, a)& ptiK^tischen Be-
irek^boek: Vorgänge an^afähr^n^weld)^ in allerneües^v
Zeitfim-Schoesse der' raticHaielleii ' Medicin, ntiter grossiBm
tHid 'allgemeinem Interesse sich abgespielt haben.
Wenn wir nämlich in Betracht ziehtr, welche äusserst
mMNtfgftatigen. Yei^bftltnii^ beim A^ftreleii der Diphthe-
riös betftatehtet weitfen, tind wie fast alle nur denkba-
ren materiellen pathologfechen VerändeiliAgen durch
diese Krankheit im menschlichen Organismus bereits be-
obachtet worden sind, worüber wir in einem ausführli-
chen Werke des Prof. Seitz (Croup und Diphterie), die
ausgiebigste Belehrung vorfinden, so kann es nicht wei-
ter in Erstaunen versetzen, dass alle betreffenden und
näher betheiligten Kreise mit gerechter Bewunderung
erfüllt werden, wenn es einem genialen, selbstständigen
Forscher auf diesem Gebiete dennoch gelingt, mit den
Hülferaitteln der rationellen Medicin noch neue Beobach-
tungen, neue Thatsachen beizubringen: Warum diese
Bewunderung aber sehr leicht in das Gegentheil um-
schlägty warum alle die Bewunderer sogar sofort zu prin-
cipiellen Gegnern des genialen Forschers werden, wenig-
stens seine Ansichten nicht mehr billigen, wenn er es
unternimmt, aus seinen wissenschaftlichen Forschungen
practische Resultate zu ziefan^ d. Il sie thernfeutiseh. zu
Verwertben, da^ cum boc loit dem propter hcte in Yer*
bindung zu bringen, das ist eine Thataacbe, die zwar in
iler rationellen Lebre der Mediein an der Xag^sordnui^
ist, deren Erklärung , sie aber ratblos gege^piäber steht,
und über welche uns allein nur die vital - dynanusche
Heilkunst, wie wjr ihr hier Ausdruck geg^n haben,
gongende Ajiskunft ^u gewähren vermag. Weii^he^ Art
die Beohacbtiuige& sein^ messen, (um der vjtiil* dynami-
schen Heillehre nicht die äussere Foi^m, wohl aber da3
innere Wesen, z. B. einer gerade herrschendeu Diphtbe^
ritis- Epidemie oder Endemie kkr zu legK^n^ daa. finden
wir angegeben in „Die Ciellular - Theri^uet als JäeiUmnst
des Paracelsus etc.'' vo^ Rudolf $tanelli. Wjen^ liB^l.
Verlag von Carl Gerold's.Sobn (pag :89)l
I-
r '■ '\«i.« *{'!i'.-- .: • ' .'.<,.
'• ,
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■ I
' ' • "■ CAPITEL Vm.
Wi($ itt IOMMy (Pf6fi. 'V« JAtlQllf'.j BiSWIisnMM Mv Witw«
Trtefe» tffNf ' IrMfiiete. tlnM^ jetzigM iiM ItUnffiQes Leben.
■ »
lüTifll^i is^ wohl vmhr Q^gßßsUM ft^üoa^imdker Be-
trWfC^uBgi :odßF< der passivea ttsd aetiv^n jfatorbeote^tuQg
gewesen;. M^ bietet alaser .aadi 90 uneodlieh fiele Jkür
giiffsipiikite tfi^r die BeebfMhteiiig und so nofoidiich viele
S^ton f&v tdJB ABschauiH^ und Betracbtung 4m^ wie
das Leben.
Damm £ndeH wir aber auch so viele^ wenn auch tticbt
DefimtÄanen, so doch Erklämngen dessen^ was h^n ist,
•otoe dasa eioe einzige gemeingültig genacint wenden kfkuile.
Jede spiegelt die AfischauuQgen der ^pedalwäse&schaft
widi^y Yon der sie ausgegangen ist» . und bleibt {tir an-
dersartige Yerbältnisse wertUide*
Da. nun < das Ibndenleben un^ so äusserst ¥ei»chiedeAh
artig eolgege&tiritt, so werde» wir au einer geafteiaglit
tigen Erklärung desselben nicht gut andimt gelangen
Ifionaw, a]& doiuridi^ , duss wir den Urspcong desselben
s^ JBiitstdim näher ertrt«^/
Hieji^zu müSBOi wir aber auf die Snt^hiäig dw gan-
mk Welt auriiehgrei£sn«:
— 128 —
Mit der Entstehung der Welt muss nämlich zugleich
auch das erste Leben entstanden sein, und dieses allge*
meine Weltenleben müssen wir als die Mutter unseres
Erdenlebens ansehn dürfen.
Wir wissen nun aber, dass, als die Separatio oder das
Urgesetz die verschiedenen Dynamiden aus dem Blasteme
auslöste, dieselben {M^larisirte- und iluien Sympathie oder
Antipathie gegen andere einflösste, dass sie dadurch auch
dp^ a^n^|^.:l^«»;ea^b^ ., erf eotet%> ii||(^t«f>4I«iii ^iijiffr
^JM^rclk dii|v¥ö«y«hk^ am^#p-
schaffen.
'-El» ftei^Mtfl iMMit dftjbr M!g<dnye!niei'W«llMt€bM diB^t4fli4ass
^e 4^0» Blai^me' abg^löis«^ ntv* dädttit»'fM^^g«awi^
d^faen DyAftttäde«,' in ¥(rige ^rei' HgemteMyftefi;'''^mdk
beständig benhyfltissidi), i^M tifät ^Q9$Ü^ Oktoiimn; WM»
anziehn. '' < >■ '•
Diaä ChiMkter^tische ^dck^ Wdtenlebem^ tet 4iU(d^>#ine
besttttdHgie, dür^^h das Utf^&^iz geregelte ^Acti^fi fkielr
effizelnett frc^ti Naturkillfte gegen andei^sgearteM^ iNid
eine inart^eohende Bieactioii der Mztetth.
3& grögderdie Anzahl der- g^feneitiandef reagiFendem
Dynamiden ist, desto nvftMiiigfkltig^ir -g^staltel diefr^d^
Weltetilebeii, je 'ftreterogen^ gictt diei^tieii ctfoet'^nMaider
^egMM^eüsteltefif desto en^i^her wev(föii<dle Müm^nat^
ge»^(Bte8fielWe**8ein/ ..;r:j.iL-i a ♦-: •
' tims&ie £irde^;i9t> aber iitfr et^* TMit 4e^ afigettiiMüi
grossen Welt, da sie aus laml^ BleittMlM ' ifetf ^liietaMm
gi?(Hfö6!i Wettt^odysamisd^ eusambiettgesetet list«, ' ^difs i Le-
ben derselben kann deshalb auch* nUr ein DfaeiK^disis iMr
— 129 —
gemeinen Weltenlebens sein, und wir können deshalb
mit Sicherheit annehmen, dass das Charakteristische des
Weltenlebens sich auch in unserem Erdenleben gel-
tend macht.
Unser irdisches Leben im Allgemeinen kann somit also
auch nur in einer beständigen, durch das Urgesetz ge*
regelten, gegenseitigen Einwirkung der auf der Erde
befindlichen und zu Elementencomplexen verbundenen
freien Naturkräfte, in einer beständigen Action und Re-
action derselben bestehn. Es wird auch um so mannig-
faltiger und energischer sich gestalten müssen, je grösser
die Zahl, und je heterogener die Eigenschaften derjeni*
gen zur Action gelangenden Dynamiden sind, welche sich
bei der Erschaifung der Erde betheiligt haben, und bei
deren Erhaltung noch geltend machen.
Was nun das irdische Leben im Speciellen anbetriift,
so lehrt uns die Erfahrung, als Ergebniss unendlich
langer Forschungen, dass es vier Arten desselben giebt,
die wir unorganisches und organisches, seelisches und
geistiges Leben nennen.
Das irdische Leben muss also auch' darin bestehn, dass
die vier Träger desselben, die unorganische und organische
Materie, die Seele und der Geist, da sie sämmtlich aus
entspcechenden Dynamiden bestehn. auch beständige Reac-
tionen auf einander ausüben, und dadurch sowohl formell,
als auch dem Wesen nach beständig sich anders darstellen.
Wollen wir deshalb eine gemeingültige Definition des
irdiscben Lebens im Speciellen geben, so muss diese noth-
wendi^r Weise alle EriM^heinungsmöglichkeiten desselben
berilidteiehtigen, und dem unorganischen Leben ebenso
— 130 —
me dem organiscben, und dem seelischen ebenso wie dem
geistigen gerecht werden.
Zu diesem Behufe müssen wir uns ein Moment aufsu-
chen,- welches als Einheit stets dasselbe, aber darum
doch nicht monoton ist, sondern, entsprechend den vier
Arten des Lebens, auf eine vierfache Weise sich äussert.
Dies Moment besitzen wir in unserem £lementencom-
plexe, d. h. der engen Vereinigung von Elementen der
verschiedensten adaequaten oder einander mehr oder
weniger sympathischen Dynamiden.
Die Aeusserungen der, aus metaphysischen Begriffen,
den vei'schiedenen Dynamidenelementen zusammengesetz-
ten, aber bereits mehi* oder weniger vom Urgesetz eman-
cipirten, und den concreten Wissenschaften angehörigen,
Elementencomplexe, welche wir als primitivste Einheit
aller irdischen Creata anzusehn gelernt haben, müssen
wir deshalb als Basis einer jeden Lebensdefinition zu
Grunde legen.
In der unorganischen Welt ist nun von diesen Aeus-
serungen der Elementencomplexe Nichts mehr zu bemer-
ken. Die ganz allein nur aus unorganischen, oder speci-
fisch sehr schweren, und darum äusserst homogenen Dy-
namiden nach dem Urgesetz zusammengesetzten Urmole-
cule bilden bereits ganz fertige Materie, und sind dadurch
dem Urgesetze für ewig entz(^en, da sie nie mehr in ihre
Elemente zerfallen können. Sie gehorchen allein nur noch
mechanischen und chemischen Gesetzen, weil allein nur
die unfreien oder gebundenen Kräfte bei ihnen maassge-
bend sind. Sie sind mit einem Worte, todt. Die Elemente
der Urmolecule sind zu homogener Natur, als dass die-
— 131 —
selben einander energisch befehden, oder gar das ganze
ürmolecul wieder in seine primitivsten Bestandtheile zer-
sprengen könnten.
Was wir unorganisches Leben nennen, ist somit nur
mechanisehe odei« chemische Veränderung der Materie,
welche dabei in ihren primitiven Elementencomplexen,
ihren Urmoleculen, stets dieselbe bleibt.
Anders verhält es sich mit dem organischen Leben.
Die Plastidule bestehn zwar als solche hauptsächlich
oder ganz und gar auch allein nur aus homogenen, den
vitalen, Dynamiden, sind dadurch auch vom ürgesetze
emancipirt, und gehorchen den, uns bis jetzt noch un-
bekannten, vitalen Gesetzen. Wir vermögen deshalb über
das Wesen des organischen Lebens an sich auch Nichts
Bestimmtes zu sagen; doch wissen wir von ihm aber
wenigstens so viel, dass es zum grössten Theile noch den
Bestimmungen des Urgesetzes unterliegt.
Die Plastidule sind nämlich niemals allein aus rein vi-
talen Elementen gebildet, sondern sehr verschiedenartig
zusammengesetzt, und bestehn namentlich aus unorgani-
schen, organischen und seelischen Dynamiden. Die ein-
zelnen Elemente so verschiedenartiger Dynamiden stehn
deshalb auch im Plastidule so heterogen oder gespannt
einander gegenüber, dass es unter denselben sehr leicht
gleichsam zur Explosion kommt, und das Plastidul dann
in seine einzelnen Elemente zerfällt, und als solches
abstirbt. Wir sehn deshalb auch an den Plastidulen, dass
dieselben um so mehr den todten Urmoleculen gleichen,
je mehr ihnen unorganische Dynamiden beigemengt sind,
und dass sie um so mehr Leben zeigen^und um so mehr
9*
— 132 —
dem Urgesetze unterliegen, je mehr sie seelische Dyna-
miden enthalten. Diejenigen Creata, deren Plastidule allein
nur aus unorganischen und vitalen Dynamidenelementen
bestehn, vermögen deshalb nicht zu leben, sondern sie
vegetiren nur. * —
Das immaterielle, d. h. das seelische und geistige Leben
entzieht sich in seinen Einzelheiten gleichfalls vollständig
unserer Erkenntniss; wir wissen allein nur, dass die Ele-
mente desselben, die Psychodule und Pneumatodule, see-
lischen und geistigen Gesetzen unterliegen, und letztere
mit dem Urgesetz fast coincidiren; obige Elementencom-
plexe also das Leben xar sgoxriv darstellen.
Was wir aber auf unserer Erde von immateriellen
Dynamiden antreffen, sind nur verschiedenartige Verbin-
dungen dei*selben mit organischen Dynamiden und Plasti-
dulen.
Wenn wir deshalb vom irdischen Leben sprechen, so
können wir damit hauptsächlich nur das organische mei-
nen. In ihm finden wir aber auch alle vier Arten des *
irdischen Lebens vereint vor, und die beständigen Per-
mutationen der so verschiedenartig zusammengesetzten
Plastidule müssen wir somit auch nicht nur als die Ur-
sache des organischen Lebens, sondern auch als die Basis
jeder Definition des gesammten irdischen Lebens hinstellen
dürfen.
Da nun die Plastidule aber unter dem Einflüsse des,
ihr Wesen und ihre formelle Erscheinung beherrschen-
den, Urgesetzes sich stets in der Art verändern^ dass
sie meist gänzlich zerfallen, um sofort in neuen Combi-
nationen dersel|)en Dynamidenelemente aufzutreten^ oder
— 133 —
Überhaupt ganz neuen Platz zu machen, so vermögen
?yir auch jetzt zu sagen:
Das organische Lehen ist beständige Neubildung seiner
vrimitivsten specifischen Formelemente, ein beständiges
Entsiehn und Vergehn derselben. —
Wir haben nun aber Alleö, was wir eben über das
Leben im Allgemeinen und Speciellen gesagt haben, schon
einmal bei unseren Auseinandersetzungen über die Ent-
stehung der gesammten Welt kennen gelernt. Wir haben
bereits nachgewiesen, dass das Wesen der, die gesammte
Welt erschaffenden und erhaltenden, generatio spontanea
in einer beständigen Vereinigung und Trennung von Dy-
Qamidenelementen, und somit auch in einer beständigen
Formveränderung der aus ihnen zusammengesetzten Ele-
mentencomplexe oder primaersten Foimelemente besteht,
und haben deshalb ihr Wesen auch als eine Regelung
beständiger Reactionen der in den Elementencomplexen
enthaltenen freien Naturkräfte gegen die dynamischen
Einflüsse der Aussennatur festgestellt.
Unter solchen Umständen ist es völlig unmöglich, sich
der Erkenntniss noch ferner zu verschliessen, dass Leben
und generatio spontanea vöUig identische Begriffe sind,
und, da das Urgesetz für die Thätigkeit der generatio
spontanea bestimmend ist, so müssen wir auch sagen dür-
fen, dass das uns unbekannte Urgesetz, welches die ver-
schiedenen Dynamidensysteme von dem Blasteme ausge-
löst hat, und das Weltenleben hervorrief, auch der Mo-
tor . und jRepraesentant des organischen Lebens auf
unserer Erde ist.
In der That sehn wir denn auch, dass jede Aeusserung
— 134 —
des organischen Lebens entweder mit Neuproduction oder
Reproduction verbunden ist, was unserer Eintheilung der
generatio spontanea in originaria und secundaria, in pro-
ducirende und reproducirende vollständig entspricht.
Ein lebendes Wesen ist somit die durch generatio spon-
tanea nach dem ürgesetz vollzogene und geregelte Jiarmo-
nische Verbindung materialisirter und immcUerieller Dyna-
midenelemente zu materiellen Complexenj welche als Flas-
tidule unter mtale Gesetze treten^ und zu Folge derselben^
vermittelst ihrer vitalen Kräfte^ und unler Benutzung
ihrer materiellen Qualitäten, zuvörderst zu physiologischen
Fortnelementen zusammentreten.
Die physiologischen Formelemente allein, oder ihre vi-
talen Accumulationen bilden nun die primitivsten und
die complicirtesten lebenden Wesen. Während aber die
niederen Organismen aus mechanischen Accumulationen
ganz gleichmässiger physiologischer Formelemente zu
bestehn scheinen, accumuliren sich die letzteren, behufs
Bildung höher organisirter Wesen, vorher in der verschie-
densten Art und Zahl, aber stets nur nach vitalen Ge-
setzen, und gleichfalls unter Benutzung ihrer materiellen
Qualitäten zu den vei'schiedensten Organen in der Art,
dass diese entweder allein, oder wiederum in ihren vi-
talen Verbindungen ein abgeschlossenes Ganze bilden,
welches nach allen Richtungen hin so zu reagiren iff^
Stande ist^ dass es unter den gerade vorliegenden Ver-
hältnissen exisfenz- und fortpflanzungsfähig sich erweist.
Lebensäusserung eines organischen Individuums ist ein
durch das Urgesetz geregelter beständiger Austausch der
in seinen Plastidulen enthaltenen freien Naturkräfte mit
— 135 —
den freien Kräften der Aussennatur. Es ist dies ein
stetes Bingen, ein Messen seiner unorganischen, vitalen,
seelischen und geistigen Kräfte an entsprechenden Gegen-
kräften, wobei und wodurch auch materielle oder gebun-
dene Kräfte der verschiedensten Art in ihm ausgelöst
und mitbetheiligt werden.
Nach Allem, was wir bisher gesehn haben, können wir
uns nun allerdings wohl noch immer keine Vorstellung
davon machen, wie die generatio spontanea originaria ein
gänzlich neues organisches oder lebendes Wesen zu Stande
bringt, da uns das Urgesetz, wonach dieselbe schafft, ab-
solut unbekannt bleibt. Wir vermögen uns aber bereits
genügend klar zu machen, wie die copirende generatio
spontanea die Copien des ihr als Vorbild gegebenen Typus
zu Stande bringt und entwickelt. Ebenso wissen wir uns
klar zu machen, wo dieselbe ihre Werkstatt hat, oder
was dasselbe heisst, wo der Sitz des Lebens in einem
Individuum zu suchen ist.
Ist nämlich durch eine der naturwissenschaftlichen
Zeugungsarten gleichsam ein Keimplastidul vom Mutter-
körper abgelöst, so finden wir in demselben die Elemente
aller Dynamiden vertreten, welche die originaere generatio
spontanea zur Bildung eines, als Typus dienenden, Crea-
tums verwandte. Das Keimplastidul befindet sich auch
gleichsam mitten im Bereiche ähnlicher freien Natur-
kräfte, so dass es ihm nicht schwer werden kann, mit den-
selben in beständiger Verbindung zu bleiben, und dieselben
nach Bedarf zur Bildung gleicher oder ähnlicher Plasti-
dule heranzuziehn.
So Isfflge nun die Keimplastidule nur allein vorhanden
■» V
~ 136 —
sind, veimögen die sie umgebenden sympathischen Dyna.
miden leicht, an dieselben heranzutreten, um sie zu ver-
mehren und durch neuen Plastidulenansatz die neu ent-
standene Materie zu vergrössern.
Schwieriger wird dies aber, wenn diese Vargröeserung
bereits ein bestimmtes Maass überschritten hat. Dann müs-
sen nothwendiger Weise zuvor bestimmte Eintrittstellen
und Communicationswege geschaffen werden, weldie die
zur Nahrung und Vergrösserung des neuen Greatumft
bestimmten, theils materiellen, theils immateriellen Sub-
stanzen zu ihrer Bewegung, behufs Erreichung der ein-
zelnen Plastidule benutzen können. Dies sind nun, wie
wii* bereits wissen, einerseits die Ganglienzellen und
Nervenfäden, und anderseits die Lymph- und Blutge-
fässe.
Auf den ersteren treten die freien, und auf den zwei-
ten die an fertige Materie gebundenen Naturkräfta sammt
der letzteren selbst, zu allen neuentstehenden Plastidulen
heran, um zur Veränderung derselben, zu ihrer Vermeh-
rung und zu ihren vitalen Verbindungen beizutragen.
Hier, wo die freien Leitungshahnen für die freien
Naturkräfte endigen, und letztere sich mit den, bereits
an feinste und darum in Flüssigkeit gelöste Materie
gebundenen, Kräften zu neuer Plastidulenbildung verei-
nen, haben wir die Werkstatt der generatio spontanea,
und hier, d. h. also an einem jeden nur irgend denk-
bar kleinsten Theilchen des Körpers haben wir den Sitz
des Lebens zu suchen.
Hier sammelt sich das neu zu verwendende Lebens-
material, und von hier aus wird auch das bemts ver-
— 187 —
braachte als Schlacke auf denselben oder ähnlichen We-
gen y^iederum aus dem Organismus eliminiit.
Die Hülfsmittel, vermittelst welcher wir die Richtig-
keit unserer bisherigen Definitionen und Auslassungen
nachzuweisen im Stande sind, sind nun nach dem Gi*und-
satze, dass man Gleiches nur durch Gleiches beurtheilen
könne, entsprechend den zwei Hauptarten der Lebens-
äusserungen auch doppelte, einmal materielle und dann
immaterielle.
Von den ersteren unterliegen die Aeusserungen des
unorganischen Lebens den Gesetzen der Mechanik und
Chemie.
Wie wir die aus schweren Dynamiden zusammengesetz-
ten Elementencomplexe, die Urmolecule, aus denen die
unorganischen Creata zusammengesetzt sind, wägen und je
nach ihrem specifischen Gewichte unterscheiden können,
so vermögen wir auch die aus ihnen zusammengesetzten
Creata sehr wohl durch mechanische Hülfemittel zu er-
forschen, und finden dabei namentlich, dass jede Form*
Veränderung, welche durch ihre Lebensäusserung bewirkt
wird, auch fast stets von einer bemerkbar^en Veränderung
ihres specifischen Gewichtes begleitet ist.
Die organischen Creata werden wir aber niemals auf
diese Weise kennen lernen. Sie sind so äusserst com-
plieirte und veränderliche Gebilde, dass sie sich fast in
jedem Momente anders praesentiren.
Die organischen Dynamiden, aus denen sie hauptsäch-
lich zusammengesetzt sind, sind von so geringem speci-
fischen Gewichte, dass wir ihre Elemente mit mechani-
— 138 —
sehen Hülfsmitteln nicht mehr zu wägen im Stande sind;
da alle Gesetze der Mechanik aber schliesslich auf das
Gesetz der Schwere reducirt werden können, und diese
bei den organischen Dynamiden von uns nicht direct
nachzuweisen iwSt, so lassen uns die physicalischen und
chemischen Gezetze bei der Erkenntniss der or^niscben
Greata auch völlig im Stich.
Die jetzigen Naturwissenschaften, die das organische Le-
ben vom Standpunkte materiell-mechanischer Anschauung
erforschen wollen, erzielen deshalb wohl oft genug über-
raschende und glänzende Resultate, kommen trotzdem
in der That hiermit aber nicht von der Stelle, sondern
stossen beständig und nach allen Seiten hin auf unüber-
steigliche Hindernisse, und gerathen ohne Aufhören in
unlösbare Widersprüche.
Wenn wir nun aber auch die organischen Dynamiden
nicht zu wägen, und die aus ihnen zusammengesetzten
Creata und deren jLebensäusserungen auch nicht mit
mechanischen Hülfsmitteln zu erforschen im Stande sind,
so besitzen wir doch viel feinere materielle Apparate, um
sie zu erkennen, zu prüfen und zu unterscheiden.
Es sind dies unsere Sinne: Die organischen oder vita-
len Dynamiden sind nämlich, wenn auch von unwägbarer,
so doch inmier noch von Materie begleitet, und jede bei
ihrer Bildung betheiligte Dynamide verleiht letzterer,
wie wir bereits wissen, je nach ihrem specifischen Cha-
rakter, der sie auch von anderen Dynämidenarten unter-
scheidet, stets eine charakteristische Eigenschaft oder
Qualität: Materielle Qualitäten lassen sich nun aber stets
<lurch die Sinne wahrnehmen, und wenn auch der Schärfe
— 189 —
unserer Sinne solche Grenzen gesetzt sind, dass wir den
organischen Dynamidencomplex, das Plastidul, sinnlich
noch nicht wahrnehmen und beurtheilen können, so ver-
mögen wir dies aber doch schon sehr genau mit solchen
Aecumulationen dei^selben, die wir die wissenschaftlichen
Formelemente des organischen Lebens, organische Zelle
und Faser nennen, da diese, wenigstens vermittelst des
Mikroscopes, bis zu einem gewissen Grade genau ge-
sehn, und in ihren Lebensäusserungen beobachtet werden
können.
Unsere Sinne, Geruch, Geschmack, Gesicht, Gehör und
Gefühl, sind also die einzigen Erkennungsmittel des or-
ganischen Lebens, und wir sehn denn auch, dass in neu-
ester Zeit zwar falsche Theorie, aber durchaus richtige,
wenn auch noch einseitige Beobachtungen und Untersu-
chungen unsere Ansichten, wie wir noch weiter sehn
werden, in vollem Maasse approbiren.
Das immaterielle Leben entzieht sich vollständig und
für ewig der Erkenntniss durch die Sinne oder irgend
welche andere materielle Hülfsmittel und zwar in unend-
lich viel höherem Grade, als sich die Erkenntniss des
organischen Lebens den rein mechanischen Htilfsmitteln
entzieht, und doch ist dasselbe so eng mit dem materiel-
len Leben verwachsen, dass das letztere, trotz aller me-
chanischen und vitalen Hülfsmittel, fttr uns doch eine
völlige terra incognita bleiben würde, wenn uns nicht die
Aeusserungen des immateriellen Lebens bei ihrer Erfor-
schung zu Hülfe kämen.
Nach dem Grundsatze: Gleiches durch Gleiches zu er-
foi*schen, müssen wir zur Erforschung des immateriellen
— 140 —
Lebens die beiden Hauptrepräsentanten desselben, Seele
und Geist, zu Hülfe nehmen.
Es würde unsere Zwecke und unsere Kräfte viel zu
sehr übersehreiten, wenn wir uns in die Aeusserungen
des immateriellen Lebens vertiefen wollten, doch sind wir
durch 4ien oben bereits erwähnten Zusammenhang des
materiellen und immateriellen Lebens genöthigt, einzelne
desselben näher zu be^rechen.
Wie wir nun bereits wissen, können immaterielle Dyna-
miden allein keine materiellen Creata bilden. Es berech-
tigt uns aber durchaus Nichts zu der Annahme, dass
die generatk) spontanea nicht auch auf immateriellem
Gebiete beständig thätig sei, d. h. dass sich die unend-
lich vielen seelischen und geistigen Dynamiden nicht be-
ständig unter einander abstossen und anziehn, und dass
deren Elemente nicht auch beständig zu Gomplexen zu*
sammentreten, welche wir, je nachdem die einen oder
die anderen in ihnen praevaliren, PsyctKxiule oder Pn«u-
matodule benannt haben.
Es berechtigt uns auch durchaus Nichts zu der An-
nahme, dass die Formelemente der Seele und des Geistes
nicht unter sich allein, oder unter einander auf die aller-
verschiedenste Weise zu wissenschaftlichen Formelementen
sich accumuliren, und dadurch die allerverschiedensten
immateriellen Creata, seelische und geistige, oder aus
beiden gemischte zu Stande kommen, und, entsprechend
der Beweglichkeit ihrer sie zusammensetzenden Dyna-
miden und Elemente, in unendlich viel kürzerer Zeit, als
es den materiellen Greatis ihre Materie zu verändern
gelingt, sich umändern und selbst ihren Aufenthaltsort
— 141 —
SO wechseln, dass sie oft in einem Momente Siriusbahnen
durchmessen.
Solche immaterielle Greata werden uns ewig unerforsch-
lich bleiben, und wenn wir die Hauptrepräsentanten der-
selben auch Seele oder Geist benennen, so vermögen wir
über dieselben bis jetzt doch nur — zu philosophiren.
Anders verhält es sich mit denjenigen Abtheilungen
derselben, die sich mit materiellen Creatis, namentlich
den organischen enger verbinden. Hier bestätigt die prac-
tische Erfahrung wenigstens einigeimaassen das, was wir
über diese engere Verbindung bereits gesagt haben.
Wir nahmen nämlich an, dass die seelischen Dyna-
midenelemente sich nicht nur mit den organischen zu
Complexen verbinden können, sondern dass auch bereits
fertige Psychodule sich mit den Plastidulen zur Zusam-
mensetzung organischer, mit seelischen Eigenschaften
begabter Materie, sowohl zu den wissenschaftlichen Form-
elemeüten, als auch zu einzelnen, besonders bevorzugten
materiellen Organen oder ganzen Creatis verbinden, dass
also z. B. die ganze Materie eines Menschen mit seeli-
schen Elementen mehr oder weniger durchsetzt sei.
Als Beweis hierfür können wir anfuhren, dass seelische
Regungen sofort mehr oder minder im ganzen Körper
sich bemerkbar machen, und namentlich • einen rascheren
Stoffwechsel, besonders in einzelnen Organen desselben
bedingen. Wenn nämlich ein solcher seelischer Affect
auftritt, so macht er sich sofort in allen, mehr oder we-
niger den ganzen Körper durchsetzenden seelischen Ele-
menten bemerkbar; diese erhalten dadurch gleichsam
andere Qualitäten, und daduixh wird dann auch ihre Be-
— 142 —
deutung innerhalb der Plastidule, welche sie bilden hal-
fen, eine andere. Die Plastidule werden dadurch in ihrem
innersten Wesen erschüttert, und eliminiren die jetzt un-
sympathisch gewoixlenen Dynamiden und zwar sowohl or-
ganische, als auch seelische und selbst unorganische und
nehmen andere auf.
Durch diese Veränderung der Plastidule wird somit
stets eine Menge vitaler Dynamiden zur momentan ver-
stärkten Ausscheidung gelangen, und dieselben machen
sich unseren Sinnen dann stärker bemerkbar, als es vor-
her bei einem ruhigeren Stoffwechsel der Fall war.
Auf diese Erfahrungen, welche im Allgemeinen schon
lange bekannt sind, welche aber Prof. Gustav Jaeger durch
methodisch angestellte Experimente ungemein erweiterte,
basirt letzterer seine Entdeckung — der Seele.
Prof. Jäger veifällt durch seine Hypothese, dass er
die Seele vermittelst seiner Sinne, namentlich durch Ge-
ruch und Geschmack, wahrzunehmen vermöge, und in
Zukunft auch durch physikalische und chemische Hülfs-
mittel zu bestimmen gedenke, in denselben Fehler, den
die jetzigen Naturwissenschaften dadurch begehn, dass
sie vitale Dynamiden, und dadurch auch das ganze orga-
nische Leben vermittelst mechanischer und chemischer
Hülfsmittel ei'forschen wollen, und wenn wir von den Ab-
sprechenden Urtheilen hören, die Männer der Wissenschaft
abgegeben haben, um Jägers Beobachtungen und Expe-
rimente für null nnd nichtig, und selbst lächerlieh zu
erklären, so werden wir an den Splitter im Auge des
Anderen und den Balken im eigenen erinnert.
Man kann sehr wohl behaupten, dass die Seele da,
— 143 —
WO sie überhaupt in einem organischen Gebilde vorhanden
ist, die Haupt Ursache seines Stoffwechsels abgiebt, denn
die seelischen Dynamiden werden von Aussen viel leich-
ter beeinflusst als die organischen oder gar unorganischen^
weil letztere, wegen des grösseren ihnen beiwohnenden
Antheiles von Materie, schwerfälliger und gleichsam phleg-
matischer sind. Da nun die seelischen Dynamiden sich
aber sowohl in den Plastidulen befinden, als auch in Form
von Psychodulen mit den letzteren eng verbunden sind,
so erzielt ihre Veränderung auch schon da Zerfall und
Neubildung der .organischen Materie, wo diese ohne Bei-
mischung seelischer Elemente viel länger als dieselbe
fortbestehn würde.
Wo also die Seele im Grossen und Ganzen die Haupt-
ursache des organischen Stoffwechseis ist, da ist sie auch
stets die einzige Ursache dessen, dass dieser local so oft
plötzlich und in ungewöhnlich verstärktem Masse auftritt.
Bei jedem materiellen Stoffwechsel eines höher oi^ani-
sirten Geschöpfes, wobei sich, wie wir gesehn haben, auch
fein Freiwerden psychischer und vitaler Dynamiden zeigt,
verschwinden nun aber die ersteren als ungemein leicht
und beweglich sofort im Weltenraume, ohne dass wir das
Geringste davon bemerken, wie wir ja auch den Moment
der Trennung der ganzen Seele vom sterbenden Körper
durchaus nicht wahrnehmen und nie genau bestimmen
können. Die vitalen Dynamiden sind aber viel weniger
beweglich, und streifen mit ihrer Schwerbeweglichkeit oft
an die unorganischen, bleiben auch nach der Trennung
von den seelischen Dynamiden mit ersteren noch längere
Zeit vereint.
— 144 —
Hierdurch fifewähren sie Prof.] Jäger die Zeit und Gele-
genheit zu eingehender Prüfung durch die Sinne, und da
die unorganischen Bestandtheile der Plastidule und die
mit den letzteren verbundenen Molecule nicht so leicht
zerfallen, sondern meist als gasförmige, flüssige oder
feste Excretstoflfe an der Körpermaterie haften, und die
freigewordenen vitalen Dynamiden dann noch eine Zeit
lang an ihnen auch haften bleiben, und durch die Sinne,
namentlich Geruch und Geschmack, wahrgenommen wer-
den können, so erwecken sie in Prof. Jäger, der, als
höherer Seelenriecher, trotz alledem doch noch auf dem
beschränkten Standpunkte der jetzigen Physiologie steht,
die Hoffnung, dass sich nicht nur die unorganischen und
vitalen Gebilde, sondern auch seelische durch die Sinne
und schliesslich sogar durch mechanische und chemische
Hülfsmittel würden erforschen lassen. Nun wissen wir
aber z. B., dass das Meer aus einzelnen Wassertropfen
besteht, und ohne eine bestimmte Summe derselben gar
nicht existiren würde; wollten wir aber jeden Thau-
oder Thränentropfen, den wir irgend wie zu sehn be-
kommen, sofort als das Meer proclamiren, so würden wir
ebenso thöricht handeln, wie Jägei', der dort, wo er eigent-
lich nur eine einzige der unendlieh vielen, im organischen
Körper sich vollziehenden, Regungen und Aeusserungen
der SeelentkcUigkeit, in specie die Einleitung resp. Be-
schleunigung des organischen Stoffwechsels beobachten kann^
sofort von Entdeekwug der Sede spricht.
Wenn wir somit nun auch Prof. Jäger den Ruhm rau-
ben müssen, dass er Entdecker der Seele sei, so müssen
wir ihm doch den ebenso schwerwiegenden Ruhm zuer-
— 146 —
kennen, dass er uns zuerst gelehrt habe mit Bewusstsein
Beobachtungen über vitale Dynamiden anzustellen; denn
eine Erweiterung seiner bisherigen Forschungen muss
zur genaueren Erkenntniss dessen führen, was rein or-
ganisches Leben ist, und wir werden auf dem von Jäger
angebahnten Wege dies Ziel der Physiologie gewiss viel
eher erreichen, als auf dem, bisher Jahrtausende hin-
durch beschrittenen, Pfade, wo man durch Messer und
Zangen todte oder lebende Organismen zerfleischt, oder
mit Mikroscop und chemischen Reagentien die Producte
der Gerberlohe, die Plasmodien, durchforscht. —
Bewegt sich Prof. Jäger mit seinen Auslassungen in-
nerhalb der von uns ihm gezogenen Schranken, so wird
er nicht mehr alle Gebildeten herausfordern, ihm auf
seine erläuternden vitalen Experimente, die er zum Be-
weise seiner Entdeckung anführt, mit einer unendlich
grösseren Zahl von Gegenbeweisen zu antworten, und dass
er namentlich irgend einen denkenden Menschen davon
überzeugen werde, dass die Seele ein stinkendes, resp.
duftendes chemisches Eiweisspraeparat sei, welches derii
Körper auch nach dem Tode noch eine Zeit lang anhaftet,
und z. B. dem Cadaver der Moschusratte so lange treu
bleibt, als noch ein Härchen derselben unverletzt erhalten
ist, daran wird er in ruhigen Stunden des ungetrübten
Nachdenkens wohl selbst am wenigsten glauben.
Dass seine Seelendüfte Nichts weiter als feste, flüssige
oder gasförmige Excretstoffe des Körpers sind, die an
dessen Oberfläche haften, oder sich condensiren und die
anfangs wohl noch mit vitalen Dynamiden oder Plastidu-
len durchsetzt sind, aber mit der menschlichen Seele vom
10
■i
— 146 —
Momente ihrer Entstehung an schon gar nichts weiter
gemein haben, das beweist dem Prof. Jäger ja am besten
sein sich practisch so bewährender, Körper und Geist
stärkender Normalanzug, der eigentlich Nichts weiter be-
deutet, als die auf Menschen übertragene landwirth-
schaftliche Erfahrung, dass kein organisches Geschöpf,
sei es animaler oder vegetabilischer Natur, in seinen eige-
nen Excrementen, und zwar festen oder flüssigen, ebenso
wie gasförmigen weder leben, noch gedeihen könne, und
der zugleich das Spiüchwort bestätigt, dass eine mens
Sana in corpore sano wohnt. —
Alle Culturmenschen geben deshalb auch sehr viel auf
äusseres Keinhalten des Körpers, und Jäger erwirbt sich
dadurch ein grosses Verdienst, dass er zu den vielen
bekannten Reinigungsmethoden noch das fast beständige
Ffottiren durch rein wollene Bekleidung hinzufügt, da
die WoUkleidun^ die sich beständig entwickelnden gas-
förmigen Excrete des Körpers auf ihrer Innenseite sofort
ebenso leicht aufsaugt, und nach Aussen ableitet, wie sie
auch bekanntlich an ihrer Aussenseite etwaige Infections-
stoffe, die sie nur kurze Zeit berühren, aufnimmt und
dem Körper zuleitet.
Wären es Seelendüfte, die von den verschiedenen Ani-
malien und Vegetabilien uns so verschiedenartig entgegen-
strömen, so würde die ausschliesslich wollene Bekleidung,
die ihre menschlichen Träger körperlich und geistig so
frisch und munter, und sogar seuchenfest macht, diesel-
ben doch der Seele gänzlich berauben, da dieselben, nach
Prof. Jägers reicher Erfahrung, gar nicht mehr duften.
Dass Prof. Jäger selbst nicht duftet, davon kann sich auf
— 147 —
ausdrücklichen Wunsch desselben Jeder durch Beriechen
überzeugen, dass er darum aber keine Seele besitze, wird
er selbst wohl am wenigsten zugestehn.
Die Seelengrösse eines Menschen ist durchaus nicht pro-
portional dem Dufte, welchen sein Körper um sich verbreitet.
Was wir von der Seele, resp. den seelischen Dynamiden
einigerraaassen mit Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen,
kann nur Folgendes sein.
Die Elemente derselben vermögen sich mit vitalen
Dynamidenelementen und, durch Vermittelung der letzte-
ren, auch mit anorganischen Dynamiden zu solchen Com-
plexen zu verbinden, in denen die vitalen vorherrschen,
so dass das Ganze Plastidul zu nennen ist. Haben sich
aber die Elemente verschiedenartiger, und zwar vorwiegend
seelischer Dynamiden, zu selbstständigen Einheiten, zu
Psychodulen vereinigt, so emancipiren sie sich dadurch
vom Urgesetz und gehorchen ihren eigenen seelischen
Gesetzen. Die einzelnen Psychodule vermögen dann wohl
noch mit fertigen Plastidulen in Connex zu treten, theil-
weise vitale, theilweise psychische Verbindungen mit
ihnen einzugehn, und theilweise dadurch auch vitalen
Gesetzen sich zu unterwerfen; Sind jedoch aber erst ein-
mal sympathische Psychodule zu seelischen Creatis, seien
es auch noch so primaere, verbunden, so ist ihre innige
Verbindung mit Plastidulen ganz unmöglich gemacht. Sie
bilden dann selbstständige Wesen, die allein nur seeli-
schen Gesetzen gehorchen.
Solche rein seelische Wesen vermögen wir uns unter
keinen Umständen vorzustellen. Es fehlen uns dafür alle
Begriffe. Was wir bisher so genannt haben, bleiben immer
10*
I
— 148 —
nur mehr oder weniger Verbindungen mit vitalen Dyna-
miden, und diese unterecheiden sich von den rein seelischen
Creatis ungefähr wie ein Erdklumpen vom Menschen.
Was nun die rein geistigen Dynamiden anbetrifft, so
wissen wir bereits, dass ihre Elemente, die vollständig
ohnß Materie sind, mit materialisirten Dynamidenelemen-
ten sich niemals direct zu Complexen vereinigen, und
dass auch die Pneumatodule niemals mit Moleculen oder
Plastidulen zu Bildung geistig begabter organischer, oder
unorganischer Materie sich verbinden können; dafür sind
sie aber Kosmopoliten, durchdringen den ganzen Welten-
raum, und umspülen gleichsam alle in demselben befind-
lichen materiellen Creata, die Dynamidencomplexe ebenso,
wie die aus diesen entstandenen Zusammensetzungen, die
wissenschaftlichen Formelemente und die aus letzteren
gebildeten Creata selbst, und bleiben an ihrer Oberfläche,
wenn auch meist nur locker haften.
Was uns von den Brillanten, den Perlen und dem
Goldschmucke entgegenblitzt, und die Habgier der meis-
ten Menschen und mancher Thiere anregt, können wir
durchaus nicht anstehen geistige Dynamiden zu nennen;
dieselben zeigen sich aber auch an Allem, was von uns
durch die Sinne irgendwie wahrgenommen wird, denn
Alles, was wir sehn, hören, riechen oder schmecken
und fühlen, vermag uns geistig anzuregen. Dass die gei-
stigen Dynamiden dabei sehr verschiedenartige sind, brau-
chen wir wohl nicht erst zu erwähnen.
Die von Prof. Jäger so zuversichtlich ausgesprochene
Hoffnung, dass es ihm auch noch gelingen werde, selbst
— 149 —
den menschlichen Geist in Zukunft, als materielles Pro-
duct, in eigenartigem Aggregatzustande darzustellen, und
auf Flaschen zu ziehn, dürfte demnach wohl auch nur
ein frommer Wunsch, ein todtgeborner Gedanke bleiben.
Als Sitz des menschlichen Geistes galt bisher allgemein
das ganze Gehirn, nach Prof. Munks eingehenden Expe-
rimenten ist es aber bloss der obere Tbeil der Rinde der
Gehirnhaemisphaeren, da bei Thieren, denen ein Theil
derselben abgetragen wurde, das Bewusstsein so lange
schwand, als nicht Reproduction eingetreten war.
Das Ilirnrindenbewusstseia erscheint somit als das Sub-
strat des animalen Geistes, welches ihn zusammenhält,
wie das Knochengertist den Körper; wie es aber Körper-
theile oder ganze Organismen giebt, welche ohne Knochen-
gerüst bestehn, so kann auch der animalische Geist ohne
Himbewusstsein bestehn, wenn die Aeusserungen der,
seine gesammten einzelnen Plastidule umspülenden, geisti-
gen Dynamiden ihm durch die Sinne genügend übermit-
telt werden. Ohne Sinne vermögen wir uns sogar kein
geistig veranlagtes Geschöpf zu denken, wenn es auch
Gehirn oder Gehirnrinde besitzt.
Das blosse Himbewusstsein vermag nun aber das im
ganzen Körper vertheilte Plastidulenbewusstsein noch lange
nicht aufzuwiegen.
Wir vermögen diese Auffassung am besten dadurch zu
erweisen, dass wir den Nachweis führen, wie die Haupt-
function des menschlichen Geistes, der Wille, nicht immer
ein durch das Himbewusstsein erzeugter oder bewusster,
sondern unverhältnissmässig häufiger ein sogenannter unbe-
wusster ist.
m
— löO —
Die Entstehung dieses sogenannten unbewussten Willens
und der durch ihn erzeugten Lebensäusserungen haben
wir uns in folgender Weise zu denken.
Wenn verschiedene Dynamidenelemente sich nach dem
Urgesetze zu solchen materiellen Complexen, die wir
Plastidule nennen, vereinigt haben, so werden diese an
ihrer Oberfläche sofort von den Kosmopoliten, den gei-
stigen Dynamiden, umspült, und erhalten dadurch je
nachdem, bald mehr bald weniger, locales Bewusstsein,
und zeigen, als Aeusserung desselben, Willen, welcher ent-
sprechend der Bedeutung des Plastidules, als eines doch
stets nur ganz einseitigen Forraelementes der organischen
Materie, auch nur ein durchaus einseitiger oder elemen-
tarer, gleichsam monotoner ist. —
Erveimag stets nur durch eine oder die andere ganz
bestimmte Art entsprechender einfacher Dynamiden aus-
gelöst zu werden, während ihn andere ganz unberührt
lassen, und deshalb vermag er auch nur, gleichsam auto-
matisch, nach einer oder der anderen Richtung hin sich
zu bethätigen.
Wir haben uns diesen Vorgang ähnlich zu denken wie
die gegenseitige chemische ßeaction je zweier einfacher,
in Lösung zusammengebrachten unorganischen Stoffe, die
sich gegenseitig entweder gar nicht beeinflussen, oder
doch stets nur auf eine und dieselbe Weise, d. h. ganz
einseitig verändern. Der einzige Unterschied ist nur der,
dass die vitale Reaction in unendlich viel kürzerer Zeit
sich vollzieht, als wie die der unorganischen Materie, die
chemische Reaction, die, entsprechend der Schwerfälligkeit
unorganischer Stoffe, oft genug noch der Nachülfe durch
— 151 —
mechanische Manipulation bedarf. Je weniger aber die
einzelnen Dynamiden deren Elemente Complexe gebildet
haben, materialisirt sind, desto leichter vermag sich die
aus ihnen gebildete Materie zu äussern und zu verän-
dern.
Dadurch dass die Plastidule Bewusstsein und Willen
erhalten, emancipiren sie sich in vitaler Beziehung vom
ürgesetze, an dessen Stelle jetzt ihr Wille das fernere
Verhalten derselben regelt, wie auch die unorganischen
Dynamidencomplexe, die Molecule, bei ihrem Entstehn
vom Urgesetz emancipirt werden und physicalischen Ge-
setzen verfallen.
Es giebt also in einem jeden Thierkörper ausser dem
einen, allgemein anericannten, bewassfen oder grossen 6re-
hirnwlUen noch so viele bewusste Bindet- oder Localwillen,
<üs es Flastidule in ihm giebt, die von geistigen Dynami"
den umspült werden; dass diese aber unbewusste genannt
werden, liegt allein daran, dass sie, entsprechend der
Kleinheit der einzelnen Plastidule, auch fast unendlich
klein sind, und ihre vereinzelten Aeusserungen bis zum
allgemeinen Bewusstsein nicht hingelangen können.
Wie aber nun ein Thier doch nur aus lauter einzelnen
Plastidulen zusammengesetzt, und durch die Summe der-
selben zu dem wird, was wir vor uns sehn, und Thier
nennen, so regeln auch alle die einzelnen Plastidulenwillen
in ihrer Gesammtheit alle vitalen Aeusserungen nicht nur
der einzelnen Plastidule, denen sie angehören, sondern
sie vermögen auch alle Veränderungen der physicalischen
Formelemente, welche ja alle aus Plastidulen sich zusam-
mensetzen, und schliesslich auch die Thätigkeit desgan-
— 162 —
zen, aus lauter wissenschaftlichen Formelementen zusan
mengesetzten, Thieres zu veranlassen, so dass sie, m
mentlich wenn sie sich zu grösseren Gruppen vereii
haben, deutlich bemerkbare Aeusserungen oder Bewegui
gen desselben, auch ohne den Gehirnwillen und ohi
Erweckung des allgemeinen Bewusstseins hervorruft
können, wie wir dies an Schlafenden, Hypnotisirten ui
Narcotisirten wahrnehmen.
• Der grosse bewusste Wille vermag zwar in Bezug d<
bewussten Lebensäusserungen des ganzen Thieres seine
Einfluss meist voll und ganz geltend zu machen, do(
ist letzterer unendlich viel geringer, als man bisher anzi
nehmen gewöhnt ist: Wenn der bewusste Gehirnwil
auch als absoluter Herrscher des Körpers angesehn wir
und die Lebensäusserungen, d. h. die Thätigkeit der Au
malien, willkürlich bestimmt, so vermag er dies doch ni
im Grossen und Allgemeinen zu thun; die Details d(
Ausführung dieser Thätigkeiten muss er den elementi
ren einzelnen Localwillen überlassen, die seinen Intei
tionen stets nach besten Kräften entsprechen, da sie il
als eine von Aussen wirkende Potenz, als blossen Refle
tor freier Naturkräfte, ebenso berücksichtigen, wie d
letzteren selbst.
Da die einzelnen elementaren Local- oder Plastidulei
willen aber nicht unmittelbare Ausflüsse des Gehiri
willens sind, mit ihm nicht so zusammenhängen, wie et^
die Kraftelemente mit ihren entsprechenden Dynamidei
ihm auch nicht subordinirt sondern coordinirt sind, d
der Gehirnwille nur aus einer, in einen engeren Raui
zusammengedrängten, Summe von einzelnen Localwille
— 168 —
besteht, die an besonders geeigneten Plastidulen haften,
und welche wiederum in den Gehirnhaemisphaeren oder
auf deren Oberfläche und Rinde accumülirt sind, während
die Gesammtheit der übrigen Plastidulenwillen im ganzen
Körper vertheilt ist und besonders an den einzelnen Gan-
glienzellen sich äussert, so vermögen die einzelnen Lo-
calwillen nicht nur einen unbemerkbaren Einfluss auf die
Thätigkeit der einzelnen Plastidule auszuüben, nicht nur
in mehr oder minder grosse Gruppen vereint, auch selbst-
ständig, sogenannte unbewusste Lebensäusserungen für
sich allein, oder neben den vom Gehirnwillen verursach-
ten, bewussten zu vollziehn, sondern sie vermögen sogar
auch gegen die Intention des Gehirnwillens aufzutreten.
Diese Auffassung vermag uns ganz allein viele vitale
Aeusserungen klar zu machen, die bis jetzt unerklärlich
erscheinen. So hängen z. B., die unbewussten Thätigkei-
ten des thierischen Körpers, wie Herzschlag, Athmen und
peristaltische Bewegung der Eingeweide, ganz allein und
selbstständig von den entsprechenden Plastidulenwillen,
namentlich denen der Ganglien des N. sympathicus ab,
und haben mit dem Gehirnwillen gar nichts zu schaffen,
wenn wir sie zeitweise auch von den Centralorganen
aus, durch den Gehirnwillen oder durch sogenannte Ner-
venreize, d. h. freie Naturkräfte, welche so mächtig sind,
dass sie alle einzelnen Nervenbahnen ohne Ausnahme
zu durchlaufen im Stande sind, eine Zeit lang selbst
verstärkt, künstlich unterhalten können. Es vermag dies
namentlich durch Electricität zu geschehn, da diese nicht
nur alle Nervenbahnen zu durchlaufen, sondern auch
alle im normalen Zustande sonst von andern vitalen
ä
— 154 —
Kräften vollzogenen Arbeitsleistungen, wenn auch nur
grob formell, zu verrichten vermag.
Die oben genahnten unbewussten Thätigkeit^n bestehn
nämlich während der ganzen Lebensdauer gleichmässig
fort, der Gehirnwille ist aber bekanntlich nicht beständig
thätig, sondern pausirt sehr häufig, wie z. B. regelmäs-
sig während des Schlafes. Da nun jene Bewegungen aber
auch während des Schlafes gleichmässig andauern, so
können sie nicht vom Gehirnwillen abhängen, sondern
das ursprüngliche und ursächliche Moment können hier
nur die von freien Naturkräften ausgelösten Plastidulen-
willen sein. Deren giebt es so unendlich viele, dass die
Existenz obiger unbewussten Thätigkeiten niemals in Frage
kommen kann, denn wenn auch die Plastidulenwillen
ohne Zweifel wohl zuweilen ebenso pausiren müssen, wie
der Gehirnwille, so thun sie dies doch nicht alle auf
einmal, sondern stets alternirend, und es bleibt dadurch
auch stets eine genügende Menge derselben thätig, um
jene Bewegungen ununterbrochen unterhalten zu können.
Die Plastidulenwillen wirken hier also ganz selbststän-
dig ohne Gehirnwillen.
Wie sich die Plastidulenwillen aber selbstständig neben
den Aeusserungen des Gehirnwillens geltend machen, das
sehn wir z. B. an einem Reiter. Es entwickelt hier jeder,
selbst der kleinste Theil des Körpers seinen sogenannt
unbewussten Willen, um den Reiter auf dem Pferde sit-
zend zu erhalten, und allein nur diejenigen Plastidule
werden dabei unbetheiligt bleiben, welche, wegen zerstör-
ter Communicationen oder Leitungsbahnen, einerseits von
entsprechenden Dynamiden nicht beeinflusst werden kön-
— 155 —
nen, oder anderseits aus demselben Grunde keine Mög-
lichkeit besitzen ihrem Willen die That folgen zu lassen.
Ohne Beihülfe der Localwillen wäre das Reiten über-
haupt nicht möglich; denn der bewusste Wille vermag
allein niemals die einzelnen Actionen aller dabei benöthig-
ten Muskelfasern rechtzeitig oder überhaupt zu bewirken,
weil er in den meisten Fällen keine Anatomie kennt,
und überhaupt meistens nicht einmal weiss, was Muskel-
faser ist.
An demselben Reiter vermögen wir aber auch nach-
zuweisen, wie eine beliebige Summe der einzelnen Local-
willen dem bewussten Gehirnwillen Opposition zu machen,
also gegen seine Intentionen sich zu äussern vermag.
Der Reiter vermag nämlich, durch seinen bewussten
Willen die ganze Summe von Localwillen, die ihn auf dem
Pferde sitzend erhalten, z. B. wohl dadurch zu beseiti-
gen, dass er vom Pferde springt ; oft wird ihm dies aber
nicht möglich, und er bleibt auf einem durchgehenden
oder sich überstürzenden Pferde haften, wenn er dadurch
auch sein Leben bedroht sieht.
Das Emancipirtsein der einzelnen Localwillen vom be-
wussten grossen Gehirnwillen, und die siegreiche Opposi-
tion, welche einzelne bestimmte Gruppen der ersteren,
*
durch eine grössere Summe homogener Dynamiden ausge-
löst, diesem letzteren bereiten, ist aber nicht nur für die
Deutung allgemeiner Lebensäusserungen von Werth, son-
dern es erklärt uns auf eine natürliche Weise zwei ganz
specifische Erscheinungen im thierischen Leben, welche,
als Probirstein für ächte und wahre Philosophie, bisher
stets Gegenstand der vielseitigsten und geistreichsten,
— 156 —
metaphysischen und naturwissenschaftlichen Conjecturen
gewesen sind, und welche um so mehr allseitig hin- und
her erwogen werden, als sie Material verarbeiten, welches
im practischen Leben uns fast täglich zur eigenen Beur-
theilung vorgelegt wird, und uns dabei stets in das höch-
ste Staunen versetzt.
Es sind dies die Triebe und Instincte.
Beide sind zwar nicht genau dasselbe, doch gehören
sie ganz unbedingt zusammen.
Beide sind Ergebnisse der so unendlich unbedeutenden
und einseitigen Plastidulenwillen, die vereinzelt wohl
durch Nichts sich bemerkbar zu machen im Stande sind,
aber dadurch, dass sie zu Gruppen sich vereinen, doch solche
Lebensäusserungen auszulösen vermögen, welche den sonst
etwa vom Gehirnwillen vollzogenen äusserlich ähnlich
sind.
Da hier das auslösende Moment, die ganze Summe ein-
seitiger, stets von entsprechenden Dynamiden angeregter
Plastidulenwillen, immer nur undeutlich oder gar nicht
zum allgemeinen Bewusstsein gelangt, so können wir es
nicht bewussten Willen nennen, sondern nennen es Drang
oder Trieb,
Auch die Ausführung des vom Triebe Gewollten voll-
zieht sich meist auf eine Weise, die von der, wie sie der
bewusste Wille vorschreiben würde, sehr verschieden ist,
und wir nennen sie deshalb instinctives Handeln oder
InstincL Trieb und Instinct kommen also stets zusammen
da zum Vorschein, wo mehr oder minder grosse Gruppen
von einzelnen, unendlich kleinen Plastidulenwillen, von
homogenen Dynamiden ausgelöst, durch ihre Vereinigung
~ 157 —
die Macht erhalten, entweder ohne bewussten Willen,
oder im Verein mit demselben, oder auch gegen dessen
Intentionen sich geltend zu machen, und den Organismus
zu Lebensäusserungen zu veranlassen.
Im ersten Falle vollziehn sich neben Trieb und Instinct
wohl auch nicht selten selbstständige bewusste Willens-
äusserungen, die mit den Intentionen des Plastidulen-
willens gar nichts gemein haben, und nur nebenbei ein-
hergehen; im dritten Falle sehn wir aber neben dem
instinctiven Handeln auch bewusste Handlungen, die den
Intentionen des Plastidulengruppenwillens entgegen sind,
und im zweiten Falle solche, die sie fördern und dadurch
dem Instincte oder Triebe das Ansehn stattgehabter
Ueberlegung verleihen.
Diese letztere, unseren Erklärungen scheinbar wider-
sprechende, Erscheinung vermögen wir auf eine doppelte
Weise' zu erläutern, einmal dadurch, dass wir annehmen
der Gehirnwille gebe, wenn er durch den Plastidulen-
willen sich tibertrumpft sieht, seine Opposition auf, und
gehe in die Intentionen der Plastidulenwillen ein, und
dann dadurch, dass wir die den Willen überhaupt aus-
lösenden Momente näher betrachten. Das Moment näm-
lich, welches das instinctive Handeln und selbstverständlich
auch den Trieb dazu auslöst, sind stets Einflüsse der
Aussennatur, vei'schiedenartige Dynamiden, welche auf
eine mehr oder minder grosse Summe von Elementar-
willen so intensiv einwirken, dass diese darauf sofort
reagiren, d. h., zu einer mehr oder minder grossen Gruppe
solidarisch verbunden, durch ihre combinirten Willen ent-
sprechende Thätigkeitsäusserungen eben so gebieterisch
t
— 158 —
ZU Stande bringen, als wäre der Gehimwille die auslö-
sende Potenz. Diese Dynaniiden vermögen nun aber schliess-
lich auch so extensiv aufzutreten, dass sie nicht nur auf
eine grosse Gruppe von Plastidulenwillen auslösend wirken,
sondern dass ein Theil derselben zum Hirnbewusstsein
gelangt, und der Hirnwille dadurch zu selbstständigen,
aber mehr oder minder correspondirenden Handlungen
fortgerissen wird, die dann auch dem Instincte anzuge-
hören scheinen, und den Verrichtungen desselben den
Anschein des Bewusstseins verleihen.
Die auf die Plastidulengruppen von Aussen einwirken-
den Dynamiden veranlassen aber nicht nur im Allgemeinen
Triebe oder Instincte, sondern, je nach ihrem Charakter,
verleihen sie demselben auch ein specifisches Gepräge,
welches den Charakter der auslösenden Dynamiden wi-
derspiegelt.
Wir erhalten hierdurch je nachdem vitale oder ani"
male, seelische und geistige Triebe und Instincte, von
denen man die beiden letzteren auch Ahnung resp,
Divination benennt.
Triebe und Instincte sind also hauptsächlich das Er-
gebniss der körperlichen Organisation im Verein mit
den dynamischen Einwirkungen der Aussenwelt, und da
beide Momente jedesmal so unendlich verschiedene Va-
riationen abgeben können, so ist es erklärlich, dass Thiere
mit fast gleichen Körpercoustitutionen ganz verschiedene
Triebe und Instincte wahrnehmen lassen, und umgekehrt glei-
che Triebe und Instincte bei der allerverschiedensten Kör-
perorganisation vorkommen können. Im ersten Falle sind
die körperlichen Organisationen wohl gleich oder ahn-
— 159 —
«
lieh, aber die, unmittelbar veranlassenden, äussern Mo-
mente sind verschiedene, und im zweitem Falle ist es
umgekehrt.
So vermag der medicinische Blutegel nicht nur nach
Art eines Schröpfkopfes Blut aus einem fremden Körper
zu saugen, sondern auch für seine künftige Brut ein Nest
zu bereiten, welches namentlich im frischen Zustande dem
Cocon der Seidenraupe gleicht, während der ihm so ähn-
liche Pferdeegel (Hirudo vorax) keins von beiden thut.
Hält man die Erfahrung fest, dass die körperlichen
Organisationen unendlich verschiedene sind, ebenso aber
auch die Einflüsse der Aussennatur aus unendlich ver-
schiedenen Combinationen oder Permutationeu wiederum
unendlich vieler Kraftenergien bestehn, so wird man auch
einsehn, dass Trieb und Instinct keine Ontologien sein
können, sondern stets aus einer unendlichen Reihe von soge-
nannten unbewussten Willensäusserungen sich zusammen-
setzen, welche sich alle zwischen den, im völlig bewusst-
losen Zustande vor sich gehenden, und den, durch be-
wussten Willen erzeugten Lebensäusserungen bewegen,
und in den allerverschiedensten Formen offenbaren. Man
wird dadurch aber auch zur Erkenntniss dessen gelangen,
dass es nur in den allerseltensten Fällen möglich sein
kann von den näheren Ursachen bestimmter Triebe und
Instincte eine obei'flächliche Vorstellung sich zu machen,
nämlich immer nur dann, wenn die Gruppe der verein-
ten Plastidulenwillen einem solchen Theile des Körpers
angehört, den wir physiologisches ^Organ benennen, wie
etwa dem Verdauungsapparate oder den Geschlechts-
organen.
— 160 —
In den meisten Fällen stehn wir aber, bei unserer
völligen Unkenntniss der vitalen und immateriellen Dy-
namiden, ihrer Thätigkeit ganz eben so staunend gegen-
über, wie etwa ein Kind oder ein ganz ungebildeter
Mensch den mit kleinen Magneten versehenen Blechfi-
schen gegenüberstehn, wenn diese in einer Schüssel mit
Wasser schwimmen, und vermittelst eines Magnetstabes
von Aussen zu den verschiedensten Bewegungen vei'an-
lasst werden.
Zwecke, und namentlich zweckmässiges Handeln zur
Definition der Triebe und Instincte heranzuziehn, heisst
völlig werthloses Material benutzen, denn es sind dies
relative Begriffe, die auf subjectiven Auffassungen beru-
hen, und darum keinen objectiven Werth haben, also
den Grundbedingungen einer Definition zuwiderlaufen.
Um alle durch Trieb und Instinct hervorgerufenen
Erscheinungen gleichmässig erklärt zu sehn, muss man
folgende allgemeingehaltene Definition gelten lassen.
Trieb ist Wollen ohne bewussten oder Gehirnunllen,
und Instinct ist Ausführen des vom Triebe Gewollten,
ohne dass der Impuls oder die Anleitung dazu vom Ger
himwiüen ausgegangen ist.
Die Stelle des Gehirnwillens vertreten hier jedesmal
mehr oder minder grosse Gruppen von sogenannt unbe-
wussten, weil minimalen Plastidulenwülen.
Dass im gewöhnlichen Leben Triebe und Instincte
nicht immer streng geschieden werden, und man na-
mentlich das Wort Instinct doit gebraucht findet, wo das
Wort Trieb am Platze ist, müssen wir dem Umstände zu-
— 161 —
schreiben, dass der Trieb sich sehr oft ganz allein nur
durch die Effectuirung des von ihm Gewollten, also durch
den Instinct, offenbart.
Das Ausscheiden des Zweckmässigkeitsbegriffes aus
der Definition der Triebe und Instincte dürfte nun aller-
dings wohl auf vielen Widerspruch stossen, wie ja auch
z. B. Hartmann ersteren ganz besonders hervorhebt, und
den Instinct als „zweckmässiges Handeln ohne Bewusst-
sein des Zweckes" definirt.
Die wunderbaren Verrichtungen des Instinctes, deren
Zustandekommen wir meist gar nicht begreifen, die aber
unser Erstaunen im höchsten Grade erregen, wenn wir
sie genauer analysiren, und welche uns sehr oft als Vor-
bild dienen, wenn wir sie schliesslich als das möglichst
Vollkommene behufs Erreichung bestimmter practischer
Zwecke erkannt haben, und die alle meist darauf hiiiaus-
laufen, durch ihre höchste Zweckmässigkeit dem entspre-
chenden Thiere die Möglichkeit des Daseins und der
Fortexistenz in den Nachkommen zu ermöglichen, sollen
eben das Wesen des instinctiven Handelns bilden.
Wir erkennen dies sehr wohl an, finden aber in den
letzteren Punkten Alles das, was wir für unsere Ansicht
als Beweis zu beanspruchen nöthig haben, und die wir
in kurzen Worten also zusammenfassen können, „Sunt
quia sunt, uti sunt".
Würden die einzelnen Thiere nicht so beschaffen sein,
wie sie eben sind, und würden sie nicht instinctiv so
handeln, wie sie eben handeln, so würden sie nicht exi-,
stiren; wir würden von ihnen überhaupt gar nichts wis-
sen, und würden über die wunderbare Zweckmässigkeit
11
m
— 162 —
ihrer Instincte und ihrer Körperbeschaffenheit zu staunen
keine Veranlassung haben.
Wenn die Eulen, welche Nachts ihre Nahning suchen,
kein so weiches Gefieder besässen, dass sie ihre Beute fast
geräuschlos überfallen könnten, sondern die^lbe durch
stai*ken Flügelschlag jedesmal erweckten und zum Ver-
kriechen veranlassten, so würden sie längst verhungert
und ausgestorben sein, und wenn die Bienenvölker nicht
so, wie sie es thun, Waben baueten, die bei geringstem
Aufwände von Material den grössten Raum umschlössen, in-
dem die Winkel der rautenförmigen Platten, welche ihre
sechs - seitigen Zellen begrenzen, 109® 28' resp. 70® 32'
gross wären, so würde es ihnen schon längst ebenso er-
gangen sein.
Wenn bei unseren Reitern nicht alle Plastidolenwillen
so wunderbar zweckmässig eingriffen, um erstere auf dem
Pferde sitzend zu erhalten, so würden alle Reiter am Bo^
den liegen«
Um diese Behauptungen nach unseren Grundsätzen
wissenseliaftlich zu erhärten, müssen wir auf die gene-
ratio spoütanea zurückgreifen.
Wie wir am Schluise des Ca^tel VI gesehn haben,
stkafift die generatio q[M>ntanea originaiia beständig und
dine Aufhören. Wie die Natorwissensehafken uns nach-
weisen, dass aueb jetzt noch beständig Gletseher und
KoUenkg^ im Entsleim begrifEen sind« so koanen wir
^oidi aanditteii, dass die generatio spontaiiea auch auf
uderra Gehieleft beständig nil der BOdoi« aeiier For-
«ett, sowolil pftattdiclMtf als auck thkiGclier, d» ^-
teraa T^FP^ii Muer Aitea uaA Galtuagen sich beschäl
— 168 —
tigt. Wenn wir von Alle dem nichts wahraehmen, so
liegt dies daran, dass die Zeit hierbei keine Rolle spielt.
Was können wir kurzlebige Menschen auch von einer
Thätigkeit bemerken, deren Ergebnisse vielleicht erst nach
Hunderttausenden oder Millionen von Jahren zur An-
schauung gelangen können.
Die generatio spontanea originaria setzt nun also be-
ständig aus den ihr. zu Gebote stehenden Dynamidenele-
menten die verschiedensten Complexe derselben als Keime
oder Primaergebilde künftiger Organismen zusammen, um
dieselben auf die verschiedenste Weise zu organischen
Gebilden weiter zu entwickeln. Von diesen geht nun ein
ganz unendlich grosser Theil in den verschiedensten Sta-
dien der Ausbildung zu Grunde, ehe endlich einmal ein
Geschöpf zu Stande kommt, welches sich in die Reihe
der übrigen Creata so harmonisch einschiebt, dass es exi-
stenzfähig bleibt, und sich vermittelst der copirenden
generatio spontanea auch fortpflanzen kann.
Was wir in den beiden Worten „harmonisches Einschie-
ben" zusammenfassen, ist aber die stricteste Erfüllung
einer unendlichen Menge von Lebensbedingungen, denen
allen, so unendlich geringfügig auch manche erscheinen
mögen, doch stets im vollsten Masse Genüge geschehn
muss.
Hätte die generatio spontanea, als sie sich speciell mit
der Bildung des ersten Menschen befasste, diesen z. B.
so weit fertig hergestellt, wie wir seine Nachkommen vor
uns sehn, wäre derselbe aber ohne Daumen geblieben
oder hätte er verschlossene Pupillen behalten, so hätte
er ebenso wenig sich am Leben erhalten können, wie
11*
— 164 —
er nicht fortpflanzungsfähig gewesen wäre, wenn seine vasa
deferentia sich als impermeabel erwiesen hätten.
Aus einer unendlichen Zahl durch die generatio spon-
tanea originaria primär erschaffener Geschöpfe werden
also nur solche sich erhalten und fortpflanzen können,
die ganz bestimmte, durch die Aussenverhältnisse gebo-
tene Bedingungen erfüllen, während in nebensächlichen
Punkten ihnen ein äusserst grosser Spielraum gelassen
ist. Ob Vögel, die nie in das Wasser gehn, mit Schwimm-
füssen versehn sind, oder ob Fische, die durch Kiemen
athmen, eine so faltige Blase haben, dass sie fast einer
Lunge ähnlich ist, oder ob es Menschen gegeben hat, die
wie Aflfen lang oder kurz geschwänzt gewesen sind, das
ist vollständig ohne alle Bedeutung. Die wissenschaftliche
Jagd nach solchen Gebilden hat in dieser Beziehung gar
keinen Sinn.
Viel interessanter ist es jedenfalls, die Combination von
mechanischen Apparaten und Vorrichtungen, die sich der
vitalen Thätigkeit mancher Pflanzen, wie z. B. der Mi-
mosen oder der Insecten fressenden, zugesellen, genau zu
erforschen, da uns dadurch immer klarer wird, dass auch
die Grenzen zwischen organischer und immaterieller Welt
nicht gar zu schroff hervorgehoben sind, und dass auch
in der Pflanzenwelt Vorrichtungen bestehn, die immate-
riellen freien Naturkräften die Einwirkung und Fortlei-
tung gestatten. Für uns handelt es sich aber hauptsächlich
noch darum, aus der Natur Beweise dafür zu suchen,
dass gferade die Localwillen der einzelnen, aus verschie-
denen Dynamiden zusammengesetzten Plastidule die Ur-
sache der Triebe und Instincte sind.
— 165 —
Diese finden wir nun, wie ich glaube, ganz genügend
in der Erfahrung, dass Thiere, welche in der Wildniss
aufgewachsen sind, und dadurch gleichsam von Wildniss-
dynamiden in ihren Plastidulen zusammengesetzt, und mit
entsprechenden Trieben und Instincten begabt wurden,
die letzteren verlieren, sobald sie in Gefangenschaft ge-
rathen, und dort, bei der beständigen Neubildung ihrer
abgestorbenen Plastidule sich andersartige, so zu sagen,
häusliche Dynamiden zu betheiligen beginnen, und auch
andere geistige Dynamiden den letzteren Bewusstsein und
Willen verleihen, da, wie wir gesehn haben, andere
Plastidule auch andersartige einseitige Willensäusserun-
gen zu erkennen geben.
So sehn wir z. B. an Aflfen, dass sie in der Gefangen-
schaft schliesslich das Vermögen verlieren, giftige Früchte
von geniessbaren zu unterscheiden, ebenso sehn wir aber
auch, dass die meisten Wandervögel in der Gefangen-
schaft sehr bald den, zu bestimmten Jahreszeiten auftre-
tenden, Wandertrieb nicht mehr durch unruhiges Flat-
tern zu erkennen geben, und den meisten wilden Thieren
in der Gefangenschaft der Begattungstrieb abhanden
kommt.
Wenn wir hiermit diese Auslassungen schliessen, so
geschieht dies in der Ueberzeugung, dass es, speciell für
unsere Zwecke, völlig überflüssig ist, alle Gonsequenzen,
welche sich aus dem obersten Principe der Paracelsischen
Philosophie ergeben, noch besonders hervorzuheben.
Jeder Unbefangene, der sich dasselbe zu eigen macht,
wird genügende Gelegenheit haben, sich von der ausser-
ordentlichen Tragweite desselben nach allen Richtungen
— 166 —
hin zu überzeugen und wird uns sicher beistimmen, wenn
wir die Behauptung aussprechen ^^JParacelaus hat
uns eine neue Welt geschenkt, die Welt der
freien JSaturkrüfte oder DynamidenJ'
Ohne Kenntniss derselben bleibt uns das grosse und
kleine Naturleben für eWig ein Buch mit sieben Siegeln.
Sie aliein vermitteln, oder bilden die Sprache der Natur.
Diese ist für uns darum so schwer zu verstehn, weil die
Natur auf Anfragen oder Einwirkungen der freien Dyna-
miden sehr oft mit Bildung von Materie, und mit mate-
riellen Kräften antwortet, und wiederum Einwirkungen
materieller Kräfte erst durch Vermittelung oder Auslö-
sung freier Dynamiden eine Reaction oder Antwort erzielen-
Die Sprache der Natur wird also stets nur derjenige
richtig zu verstehn im Stande sein, der freie und gebun-
dene Naturkräfte zu unterscheiden und ihr gegenseitiges
Verhältniss festzustellen gelernt hat*
Ihre Unkenntniss ist die Mutter des Wahnes, das grosse
practische Leben aus subjectiven, einseitigen Theorien
ableiten zu können, und ohne ihre Kenntniss wird s(^ar
der Glaube an uns selbst, an unsere höhere Bestimmung
und an unsere bessere Zukunft unmöglich, und ohne sie
müssen wir uns damit begnügen, Brüder der Thiere zu
bleiben, und namentlich die Affen als unsere directen
Ahnen anzuerkennen.
Mag der Darvinianer für solche Ideen schwärmen,
und beseligt bleiben in der Ueberzeugung, dass, nach
seinem Gesetze des Atavismus, seine Nachkommen einst
sogar wieder in den glücklichen Naturzustand der Affen
zurückkehren können. Wir wollen ihm diesen Trost nicht
— 167 ~
rauben! Wir beanspruchen für uns aber doch etwas An-
deres.
Wir haben von der Bedeutung und Bestimmung des
Menschen doch höhere Begriffe, und wissen sie auch sehr
wohl zu begründen.
Um in dieser Beziehung nur eins hervorzuheben, wollen
wir zeigen, dass sich aus den obersten Principien Para-
celsischer Philosophie der naturwissenschaftliche Nachweis
für ein ewiges und besseres Leben nach dem Tode, und
für die beständige Vervollkommnung unserer jetzigen, recht
unvollkommenen, und, geradezu gesagt, recht erbärmlichen
irdischen Welt erbringen lässt; einer Welt, in welcher wir
als beseelte, und mehr oder weniger durchgeistigte Wesen
dennoch unausgesetzt Spielball gemeiner Materie und
der zufälligen Aeusserung ihrer materiellen Kräfte sind.
Die Gesetze unserer Entstehung und Erhaltung sind
zwar wohl praestabilirte, d. h. von Ewigkeit an bestehende ;
sie machen sich auch beständig geltend, und darum müs-
sen wir sie als durchaus vollkommene und zweckmässige
anerkennen, wenn wir sie zu begreifen auch ausser Stande
sind. In dieser Beziehung sind wir durchaus gut aufge-
hoben, und haben keinen Grund zur Klage; wir finden
diese in einer anderen Richtung aber mehr als ausrei-
chend vor.
Das böse Princip nämlich, welches sich in unser irdi-
sches Sein beständig einmischt, und dasselbe zu einem
so trostlosen macht, ist der Materialismus, d. h. es sind
dies die materialisirten Dynamiden, und zwar sind es we-
niger diejenigen, deren Elemente sich untereinander zu
Moleculen und starrer unorganischer Materie im Weltall
— 168 —
verdichtet haben, obgleich auch diese, namentlich in Verbin-
dung mit gewissen vitalen oder organischen Dynamiden,
unserem irdischen Glücke oft genug hindernd in den
Weg treten. Es sind dies vielmehr diejenigen, welche
als freie Naturkräfte ihre Elemente unseren neuentste-
henden Plastidulen beständig beimischen. Sie durchsetzen
dadurch unseren ganzen Körper, und sind im Verhältnis»
zu den vitalen und seelischen Dynamiden oft in solcher
üeberzahl vertreten, dass unsere Plastidule zum grössten
Theile den ürmoleculen ähnlich werden, und ebenso wie
letztere ganz und gar materiellen Gesetzen sich unter-
werfen müssen. Hierdurch wird aber nicht nur unser vi-
tales Sein, sondern auch unser seelisches Empfinden und
geistiges Denken an das Gemeine, an die Materie gefesselt,
und ihm unterthänig gemacht,
Sind wir aber auch mit Hülfe von Aussen, d. h. durch
Erziehung und Schule, allmählich immer mehr in das
Bereich mächtiger immaterieller Dynamiden gelangt, so
dass wir dadurch in den Stand gesetzt werden, dieselben
schliesslich selbstständig heranzuziehn, und nach den
Gesetzen der Sympathie auch unseren neuentstehenden
Plastidulen einzuverleiben oder beizumischen, und da-
durch uns selbst seelisch und geistig immer mehr zu
vervollkommnen, so sind dann meistens auch schon so
viele zerfallene, und ihrer seelischen und geistigen Ele-
mente vollständig baar gewordene, Plastidule als ürmole-
cule in unserem Körper angehäuft, dass sie die vitalen
Dynamiden derselben völlig bewältigen. Unser Tod muss
dann nothwendiger Weise oder naturgemäss erfolgen,
wenn er uns nicht etwa sehen vorher durch zufällige
— 169 —
Aeusserungen anderweitiger materieller Kräfte, von aussen
bereitet wurde; denn wir kennen wohl wissenschaftlich
einen grossen Theil der mechanischen Gesetze, nach de-
nen die letzteren zur Einwirkung auf uns gelangen, ver-
mögen sie aber in der Praxis des Lebens nicht immer
z]| beherrschen, und fallen ihnen deshalb oft genug uner-
wartet zum Opfer.
Den von uns ausgehenden Keimplastidulen vermögen
wir durchaus nicht unsere mühsam erworbene Seelen-
stärke und Geistesbildung zu vererben, und jede folgende
Generation muss deshalb denselben Kampf mit den ma-
teriellen Dynamiden von vorne anfangen wie wir, um da-
rin auch schliesslich ganz ebenso kläglich zu Grunde zu
gehn.
Wie den einzelnen Individuen ergeht es aber auch
ganzen Volksstämraen. Die Culturgeschichte zeigt uns
mehr oder minder bei allen eine Periode des Aufblühens
durch EntWickelung von Intelligenz und moralischer Kraft,
gefolgt von einer anderen Periode, in der das Ueberhand-
nehmen materieller Dynamiden sie meist wiederum rasch
zu Grunde richtet.
Die nicht zu missverstehende Erkenntniss dieser traurigen
Verhältnisse hat unsere grössten Geister oft genug zur Ver-
zweiflung gebracht. Abhülfe vermochten sie nirgends zu er-
schauen, und wurden deshalb hüifslos klagende Pessi-
misten, oder sie ergaben sich frommem Glauben und
einer unklaren Hoffnung auf ein besseres Leben nach
dem irdtöchen Tode.
Als Paracelsiöche Philosophen brauchen wir uns aber
weder dem Pessimismus, noch einem vagen Hoffnungs-
— 170 —
glauben in die Arme zu werfen, denn wir vermögenden
bestimmten naturwissenschaftlichen Nachweis zu führen,
dass unsere jetzige, so sehr materielle Welt einer be-
ständigen Vervollkommnung entgegengeht, und trotzdem
nur eine Durchgangsstufe, nur eine Schule der Läuterung
für uns, d. h. für unser besseres Theil, für unsere see-
lischen Dynamiden, mit einem Worte, für unsere Seele ist.
Wir vermögen diese Behauptungen durch Folgendes zu
begründen.
Wir wissen nämlich, dass wir vermittelst unserer pri-
märsten Elemente aus unorganischen, vitalen oder orga-
nischen und seelischen Dynamiden zusammengesetzt sind.
Da nun unsere Plastidule aus drei so vollständig diflfe-
renten Dynamidenarten componirt sind, so dürfte es von
Wichtigkeit sein festzustellen, welche Art derselben für
uns als die hauptsächlichst oder ausschliesslich maassge*
bende anzusehn ist: Welche von ihnen bei einer etwaigen
Trennung derselben berechtigt sind uns als Menschen zu
repräsentiren.
Den unorganischen Dynamiden dürfen ^r solche An-
sprüche nicht zugestehn: Sie bilden nur das materielle
Gerüst unseres Organismus, und wir haben dieselben mit
allen, selbst den unorganischen Creatis gemein.
Die organischen oder vitalen Dynamiden können es
auch nicht sein. Diese geben nur unserem unorganischen
Gerüste die äussere Form, bedingen die Art und Weise
seines Erscheinens, und wollten wir ihnen deti Haupt-
werth beilegen, so würden wir uns von den Tfaierengar
nicht untei*scheiden, da nicht nur unsere äussere Form,
vorzüglich die unserer einzelnen, namentlich inneren Or-
— 171 —
ganCjSich von denen der Thiere oft gar nicht besonders
unterscheidet.
Es bleiben also nur die seelischen Dynamiden übrig,
die hier allein in Betracht kommen können. Diese sind
es allein, die uns von den übrigen Geschöpfen unter-
scheiden.
Wenn wir manchen Thieren auch einen gewissen An-
theil von seelischen Dynamiden zuschreiben müssen, was
wir mit Prof. G. Jaeger dadurch erweisen können, dass
auch bei ihnen seelische Aflfecte einen beschleunigten
Wechsel der Plastidule und eine beschleunigte und ver-
mehrte Elimination duftender vitaler, ebenso wie' unor-
ganischer Materien veranlassen, so ist dies doch immer nur
ausnahmsweise, und nur in so beschränktem Maasse der
Fall, dass die seelischen Dynamiden durchaus nicht als
die eigentlichen Repraesentanten der Thiere angesehn
werden können, sondern dass dies den vitalen Dynamiden
zukommt. Es beweist dies nur die, uns bereits bekannte,
Bestimmung des Urgesetzes, dass es in der Natur nichts
Absolutes, nirgends eine schroffe Trennung giebt; dass
alle Creata nicht aus und nacheinander, sondern neben
und durcheinander entstehn.
Wenn wir durchaus nicht daran denken dürfen,
die geistigen Dynamiden als charakteristischen Unter-
schied zwischen Menschen und Thieren heranzuziehn, so
liegt das, wie wir auch bereits wissen, daran, dass kei-
nerlei geistige Dynamiden den Plasüdulen beigemischt
sind. Erstere umspülen dieselben, ebenso wie alle übri-
.gen materiellen Creata, nur auf ihrer Oberfläche, und
erst später nach der Trennung der seelischen Dynamiden
— 172 —
von den organischen und unorganischen gehn sie, wie
wir noch sehn werden, mit ersteren die innigsten Ver-
bindungen ein.
Die seelischen Dynamiden, oder mit einem Worte un-
sere Seele ist somit also dasjenige, was uns nicht nur
von den übrigen Creatis ganz charakteristisch unterschei-
det, sondern auch unser Wesen ausmacht, also uns als
Menschen repraesentirt.
Die übrigen, die unorganischen und organischen Dyna-
miden sind nur leere Zuthat, welche unserer Seele, so
lange sie die Erde bewohnt, beigemischt wird; sie sind
nur Schlacke, welche die Seele sofort gänzlich abwirft,
so wie sie vollkommen frei wird, und ihre irdische Lauf-
bahn beendet.
Beim Tode entfliehn nun die vitalen und seelischen
Elemente aus den Plastidulen und lassen dadurch die,
vorher mit ihnen verbunden gewesenen, mannigfachen anor-
ganischen als selbstständige Elementencomplexe d. h. als
Urmolecule oder als solche Einheiten zurück, die vom
Urgesetz einancipirt sind. Diese vermögen, wie wir ge-
sehn haben, niemals wieder in ihre einzelnen Dynamiden-
eleftiente zu zerfallen, niemals mehr irgend wie seelische
Elemente zu sich heranzuziehn, um sicn mit ihnen zu
verbinden. Ein Gleiches geschieht auch während des Le-
bens beim materiellen Stoffwechsel, d. h. wenn durch
Regungen der seelischen Dynamidenströme im Makrokos-
mus, oder im lebenden Individuum die seelischen Elemente
der Plastidule sich verziehn, und dadurch eine solche
Veränderung der letzteren bewirken, das» diese zu Mo-
leeulen werden.
— 173 —
Je mehr also materialisirte Plastidule entstehn und
zerfallen, oder was dasselbe sagt, je mehr Leben sich
entwickelt und je länger dasselbe anhält, ehe es wieder-
um zu Grunde geht, desto mehr entstehen Urmolecule,
die für ewig todte und starre Materie abgeben, und von
der generatio spontanea zur Bildung neuer Plastidule
nicht mehr verwendet werden, seelischen Dynamiden nie-
mals mehr beigemischt werden können..
Hierdurch wird in der Masse der Dynamiden, welche,
vom Blasteme abgelöst, auf unsere Erde gelangt sind,
und auch noch ferner dort eintreffen, der Bestand der
materialisirten Dynamiden im Verhältnisse zu den im-
materiellen immer mehr vermindert: Beide Arten der ge-
neratio spontanea erhalten dadurch Gelegenheit immer
mehr solche Plastidule und dadurch immer mehr solche
organische Creata zu bilden, die, weniger aus materiali-
sirten als aus immateriellen Dynamiden zusammengesetzt,
von der unorganischen Materie und deren materiellen
Kräften immer mehr emancipirt sind, und darum nicht
so elend und gebrechlich werden können, wie wir es
waren.
Was keine Leistung unseres Lebens zu vollbringen
im Stande ist^ das bringt unser Tod zu Wege. Jeder
Todesfall trägt zur Vervollkommnung der Welt hei.
Was die Aufklärung des zweiten Punktes, die Läute-
rung unserer Seele anbetrifft, so kennen wir bereits die
Tendenz des ürgesetzes, nicht zu heterogene Dynamiden
zu Elementencomplexen zu verwenden, wissen aber auch,
dass dies durch Vermittelung dritter Dynamiden doch
oft genug zu Stande kommt. Wir vermögen ja beständig
— 174 —
wahrzunehmen, dass seelische Dynamiden oft recht mate-
rialisirten Plastidulen und Greatis beigemischt sind. Ist
letzteres irgend wie einmal geschehn, und sind dann na-
mentlich die vermittelnden, meist vitalen Dynamiden aus
irgend einem Grunde aus den Plastidulen allmählich
ausgeschieden, so tritt der Gegensatz zwischen den seeli-
schen und unorganischen Dynamiden in den Plastidulen
sofort schroff hervor. Beide werden in einen beständigen
Kampf verwickelt.
Dieser Kampf bringt die seelischen Dynamiden gleich-
sam zum Bewusstsein der eignen Geltung, zur Erkennt-
niss ihres eigenen Werthes, und dadurch klug gemacht
und gewitzigt, oder geläutert, sehn sich dieselben theils
bei dem partiellen, theils bei dem allgemeinen Zerfalle
der Plastidule, wie er durch den Stoffwechsel, resp. den
Tod erzeugt wird, und sie jedesmal aus der unsympathi-
schen Verbindung befreit, veranlasst, von jetzt an jede
Verbindung mit unorganischen Dynamiden gänzlich zu
fliehen, und sich deshalb möglichst weit von ihnen zu
entfernen, was bei ihrer Leichtbeweglichkeit ihnen nicht
schwer fallen kann.
Sie treten dadurch gleichsam in eine neue Welt, in
eine Welt, welche frei ist von allen materialisirten Dyna-
miden iind materiellen Kräften.
Finden sie liier andere Seelendynamiden in genügender
Anzahl vor, und namentlich solche, welche sich ihnen
besonders sympathisch erweisen, und welche sie während
ihres Erdenwallens gleichsam lieben gelernt haben, so
vereinigen sie sich mit denselben auf das innigste zu
entsprechenden seelischen Elementencomplexen, zu Psy-
- 175 —
cbodulen und solchen seelischen Creatis, die Nichts mehr
zur Verbindung mit unorganischen oder organischen
Dynamiden zwingen kann, so dass sie alsdann nur see-
lischen, aber weder mechanischen noch vitalen Gesetzen
mehr zu gehorchen nöthig haben.
Mag dieser Process der Abtrennung der seelischen Dy-
namiden sich nun rasch vollziehn, oder durch den £in-
fluss vermittelnder vitalen Dynamiden verzögert werden,
so kommt er endlich doch vollständig zu Stande, denn
die etwaigen Verbindungen der Psychodule mit vitalen
Dynamiden werden schliesslich immer dadurch gelöst,
dass letztere, wegen des ihnen anhaftenden Antheiles von
Materie, doch stets mehr Sympathie für anorganische als
für seelische Dynamiden bezeigen. Wir sehn dadurch dann
zwei Welten nebeneinander bestehn, einmal die Welt des
seelenlosen Lebens, oder die Welt der unorganischen
und organischen Dynamiden, welche kosmische Materien
bilden und an dieselben gebunden sind, und die völlig
immaterielle W^elt der, aus seelischen Dynamiden, zusam-
mengesetzten Creata, die frei und ungebunden durch das
Weltall sich vertheilen.
Ihre Elementencomplexe oder Psychodule werden an-
fangs von geistigen Dynamiden nur ebenso oberflächlich
umspült, wie es in der irdischen Welt mit den Plastidu-
len geschah; schliesslich bieten sie aber denselben so viele
Berührungspunkte dar, dass sie sich mit ihnen auf das
innigste vermischen, und solche Elementencomplexe mit
ihnen bilden, die, als völlig durchgeistigte Psychodule^
so zu sagen, die Formelemente der vollkommensten im-
materiellen Gebilde abgeben. Diese Gebilde vermögen, im
— 176 —
Bewusstsein ihrer völligen Unabhängigkeit von materiel-
len Verhältnissen, ihren Gefühlen und gegenseitigen Sym-
pathien auch stets den angemessensten, d. h. den weise-
sten Ausdruck zu geben, und führen dadurch ein Dasein
der höchsten Glückseligkeit, da sie nur seelischen und
geistigen Gesetzen gehorchen, welche mit dem weisesten
aller Gesetze, mit dem Urgesetz, fast ganz coincidiren.
Kummer, Gram und Sorge, Noth, Elend und Vernich-
tung giebt es hier nicht; diese existiren für uns nur im
Kampfe mit den rohen Kräften der irdischen Materie
denen wir schliesslich immer unterliegen müssen; im Le-
benskampfe der immateriellen Dynamiden ist aber selbst
das Unterliegen ein grosses Glück für beide betheiligten
Parteien, denn es bringt denselben gleichmässig Beleh-
rung, Läuterung und Vervollkommnung. Einen Tod kann
es hier auch niemals geben, denn die aus immateriellen
Dynamiden gebildeten Creata besitzen keine materielle
Form, die jemals gänzlich zerfallen könnte. Sie sind we-
der an Raum noch an Zeit gebunden, und unser Leben
in der immateriellen Welt muss deshalb ewig währen.
Ob nun aber in Folge der rastlosen Thätigkeit der,
nach dem Urgesetz beständig schaffenden, generatio spon-
tanea für uns nicht auch schon in der Gegenwart, ne-
ben unserer unvollkommenen materiellen oder irdischen
Welt, die vollkommnere immaterielle Welt schon fertig
existirt, und schon während unseres irdischen Lebens
die von uns bei jeder Veränderung unserer Plastidule
beständig freiwerdenden und genügend geläuterten see-
lischen Dynamiden unmittelbar ebenso aufnimmt, wie sie
es nach dem irdischen Tode mit unserer ganzen Seele
— 177 —
thut, das vorher zu bestimmen haben wir gar keinen
festen Anhalt. Da wir aber auf unserer Erde die orga-'
nischen Creata beständig neben und durch einander ent-
stehn, die generatio spontanea nach dem Urgesetze be-
ständig, und nach allen Richtungen hin, thätig sehn, so
dürfen wir zu unserem Tröste auch diese Annahme als
im höchsten Grade wahrscheinlich, sogar als ganz sicher
bezeichnen, und können deshalb unserer Zukunft mit
voller Ruhe entgegensehen.
Mit der vollständigen Trennung der materialisiiten von
den immateriellen Dynamiden sehn wir auch den End-
zweck der Erschaffung der Welt, soweit wir ihn uns
zu denken vermögen, vollständig erfüllt. Jedes, auch das
kleinste Atom des ursprünglichen Blastems, welches letz-
tere durch die Separatio in ein wüstes Durcheinander
der verschiedensten frei gewordenen materialisirten und
immateriellen Dynamiden verwandelt wurde, und einen
wüsten Tummelplatz für den Kampf aller gegen alle dar-
stellte, hat nämlich jetzt seine zweckmässigste Verwen-
dung gefunden, so dass dadurch vollkommenste allseitige
Befriedigung erzielt ist, und Alles in vollkommenster Har-
monie, fn vollstem Frieden neben einander existirt.
Ewiger Frieden und himmlische Glückseligkeit S'ind der
Preis für unseren irdischen Kampf, für unser beständiges
Singen auf der Erde. —
12
CAPITEL IX.
Vivisectionen und pharmakologische Experimente. Epidemien
und Endemien. Schwindsucht« Zuicunfts- Hoffnungen.
Wenn Eröiterungen über Vivisectionen und pharma-
kologische Experimente bisher auch nicht in das Gebiet
der Philosophie zu gehören schienen, so ist die Philoso-
phie des Paracelsus doch zu sehr ein Ergebniss ärztli-
cher Forschungen, als dass sie in einer so brennenden
Tagesfrage nicht gehört zu werden vordiente.
Der selbst in hochpolitischen Kreisen geführte Kampf
über das Wesen und die Bedeutung der Vivisectionen
und pharmakologischen Experimente betriflft Objecte von
zu allgemeiner Natur, als dass er allein mit Hülfe der
leitenden Principien der jetzigen medicinischen Wissen-
schaft entschieden werden könnte.
Es ist dies am besten daraus ersichtlich, dass letztere
hierin bisher nicht nur nichts Stichhaltiges anzuführen,
sondern überhaupt nichts zur Klärung der ganzen Frage
beizutragen vermochte. Trotz der Miene, als plaidire sie
pro domo, vermag sie doch nur Gemeinplätze, einseitige Auf-
fassungen und durchaus nicht zutreffende Beispiele, als
ihr schwerstes Geschütz in den Kampf vorzuführen, und
- 179 —
ruft dadurch auf Seiten der Gegner auch nur Auslassun-
gen ähnlicher Art hervor.
Im Capitel VII, haben wir uns nun zwar gegen die
pathologischen und pharmakologischen Experimente als
völlig werthlos für die Ausübung der Heilkunst aus-
gesprochen. Es wäre jedoch weit gefehlt, wenn wir die-
sem « Ausspruche Allgemeingültigkeit beilegen wollten,
und es würde uns dies in Widerspruch mit unserem
eigenen Handeln setzen, da wir, behufs der Aufklärung
des Todes nach Chloroforminhalationen, zu seiner Zeit
auch Vivisectionen gemacht, und wie wir annehmen dür^
fen, nicht ohne bleibenden Erfolg gemacht haben.'*')
Wir sprachen im Capitel VII aber allein nur von der
directen oder specifischen Heilart, als dem kürzesten und
sichersten Wege, auf welchem man Krankheiten kunst-
gemäss zu heilen im Stande ist. Hier handelt es sich
um keine zu Experimenten geeignete Materie. Hier wer-
den, nach vorhergegangener vitaler Analyse einer Krank-
heit, die krankmachenden immateriellen Potenzen ein-
fach durch gleichfalls immaterielle Heilpotenzen direct
neutralisirt und unschädlich gemacht. Wir haben aber
bereits früher gesehn, dass es auch noch pathologische
Zustände im Organismus giebt, die durch rein materielle
Verhältnisse hervorgerufen werden.
Diese können nun entweder dadurch zu Stande kom-
men, da33
1) immaterielle Kräfte pathologische Materien im
*) Was ist der Chloroformtod, und wie ist er zu verhüten?
Deutsche Klinik 1850, ^ ß2— B5.
12*
- 180 —
Körper erzeugen, und letztere entweder noch beim Fortbe-
stehen der ersteren gleichzeitig, oder nach deren Ver-
schwinden selbstständig, als materielle Schädlichkeiten
auftreten, oder dass
2) von vorn herein materielle Substanzen patholo-
gische Zustände im Körper hervorrufen.
Im ei-stenFalle erhalten wir die anatomisch-phy^olo-
gischen Krankheiten, entweder als selbstständige patholo-
gische Zustände, oder als Gomplicationen, und im zweiten
Falle die rein chirurgischen Krankheiten.
Beide haben nun aber das gemein, dass man bei ihnen
mit vitaler Analyse allein nur wenig, oder überhaupt gar
nicht zur Erkenntniss ihres Wesens gelangen kann, und
zur sogenannten symptomatischen oder indirecten Heilme-
thode greifen muss.
Unter den vielfachen Hülfsmitteln derselben nehmen
aber die pathologischen und pharmakologischen Experi-
mente eine sehr hervorragende Stelle ein, da meist nur
sie allein im Stande sind, unserem indirecten ärztlichen
Heilverfahren die nöthige Sicherheit zu gewähren.
Die therapeutische Bedeutung pathologischer und phar-
makologischer Experimente ist also ganz allein nur durch
den Umstand bedingt, ob wir das Wesen oder die Form
der Krankheit zum Object unserer Thätigkeit machen.
Neben diesem unseren subjectiven, aus den Lehren des
Paracelsus hergeleiteten, Urtheile über die Bedeutung
der Vivisectionen und pharmakologischen Experimente
handelt es sich hier nun aber noch darum im Allgemei-
nen, oder vom rein objectiven Standpunkte aus, über die
Bedeutung und den Werth dieser Experimente zu urthei-
— 181 —
len, und zu diesem Zwecke thun wir am besten ganz
einfach zu fragen:
Was be0wecken wir mit diesen materiellen Experimen-
ten? und was ist durch dieselben bisher erreicht worden?
ßine Zusammenstellung dessen, was seit den ältesten
Zeiten durch Vivisectionen erstrebt worden, und eine
Vergleichung desselben mit dem, was bis jetzt dadurch
erreicht worden ist, dürfte das Urtheil über den Werth
und das Wesen dieser Experimente sehr bedeutend be-
gründen helfen.
Soweit es sich nun hierbei um anatomisch-physiologi-
sche und therapeutische Ziele handelt, suchen wir durch
dieselben Aufschluss zu erhalten:
1) Über die Beschaffenheit der lebendigen Materie
des Organismus, und über die ihrer vitalen Functionen;
2) über das Leben der organischen Materie und des-
sen Ursache, und
3) Über den Grund der vitalen Functionen des Or-
ganismus.
In Bezug des dritten Punktes müssen wir aber noch
einen ganz besonderen Unterschied machen, zwischen
a) dem dynamischen oder sogenannten psychischen, und
b) dem materiellen Grunde der organischen Functions-
äusserungen eines lebenden Wesens.
Was den ersten Punkt anbetrifft, so giebt uns die mensch-
liche Anatomie und Physiologie, auch ohne Vivisectio-
nen und pharmakologisches Experiment, schon genügende
Auskunft; denn die Materie und Functionsfähigkeit der
Organe eben gestorbener Menschen unterscheiden sich
fast gar nicht von denen Lebender. Vesals Affenanatomie
— 182 —
war bekanntlich lange Zeit hindurch die Quelle grosser
Irrthümer, und so würde es auch mit der Atfenphysiolo-
gie sich gestalten.
Zu solchen Zwecken verwendet, erscheinen pathologische
und pharmakologische Experimente also nicht nur un*
nöthig, sondeiii sogar schädlich.
Was den zweiten Punkt anbetrifft, so glauben wir in
Bezug des oi^anischen Lebens genügend nachgewiesen
zu haben, dass das Leben und seine Entstehung oder
Ursache uns ein ewiges Räthsel bleiben werden, so lange
wir sie allein nur auf mechanischem Wege analysiren
wollen.
Um aber kein neues Moment in unsere gegenwärtigen
Erörterungen zu bringen, wollen wir, auch vom jetzigen
Standpunkte der Natuiwissenschaften aus,* unsere Ansicht
zu begründen suchen. Namentlich wollen wir speciell
nachweisen, wie unhaltbar, nichtig und unzulässig Alles
ist, was man bisher in dieser Beziehung auf naturwissen-
schaftlichem Wege mit Hülfe von Vivisectionen erreicht
zu haben glaubt.
Wir wollen uns hierbei streng an die Bekenntnisse der
entsprechenden Wissenschaften halten.
Bekanntlich giebt es nun, nach dem Eingestandnisse
unserer grössten Histologen, denen auch bisher Niemand
zu widersprechen wagte, gar keine Gesetze für die,
durch den Einiiuss des Lebens entstehende, und sich phy-
siologisch oder patholi^sch verändernde Materie. Wenn
solche Gesetze nun aber auch vorhanden und irgend
wie einmal zu erforschen wären, so würden sie doch
nkht alle auf einmal, auf speculativem Wege, durch die
— 183 —
Wissenschaft fertig festgestellt werden können, sondern
sie könnten sich nur allmählich, d. h. nur eins nach dem
anderen, in der Praxis offenbaren. Dann erst würde die
Wissenschaft sie zu einem organischen Ganzen zusam-
menfassen können, wie ja auch eine jede andersartige
Gesetzgebung nicht speculativ, sondern nur casuistisch
zu Stande gebracht werden kann.
In den entsprechenden Wissenschaften haben nun aber
alle solche, seien es mechanische oder vitale Gesetze,
welche in der Praxis je einmal zur Erklärung des Lebens,
oder einzelner seiner Erscheinungsmöglichkeiten sich als
brauchbar offenbart zu haben schienen, sich schliesslich
doch stets als null und nichtig erwiesen. Es erhellt dies
ganz genügend daraus, dass die Wissenschaft sie niemals
objectiv verwenden konnte, sondern durch dieselben stets
nur zur Aufstellung von mehr oder weniger vagen Hypo-
thesen veranlasst wurde. Keine derselben vermochte sich
darum auch jemals lange zu halten, sondern alle erwie-
sen sich stets sehr bald als unbrauchbar, und mussten
anderen Platz machen.
So bestand vor noch nicht langer Zeit ernster Streit
darüber, ob der Sitz des Lebens im Herzen oder im
Gehirne zu suchen sei, später wurde er in die medulla
oblongata im Allgemeinen, noch später in eine umschrie-
bene Stelle derselben, in den sogenannten point vital
verlegt. Erst neuester Zeit ist es vorbehalten geblieben,
jedes sogenannte naturwissenschaftliche Formelement der
organischen Materie, jede Zelle, als einen Sitz des Lebens
zu proclamiren.
In Folge dieser letzteren, jetzt noch bestehenden An-
— 184 —
nähme, müsste also auch eine ürzelle nicht nur als Sitz,
sondern auch als Ausgangs- oder Keimpunkt des entste-
henden Lebens eines jeden Organismus angesehn werden
dürfen.
Wie aber Leben in diese Zelle kommt, darüber exis-
tiren bis jetzt allein nur den Gebieten der Chemie und
Mechanik entnommene, vage Hypothesen.
So soll, nach den jetzigen Anschauungen der Physio-
logie, das Leben im Körper dadurch zur Aeusserung ge-
langen, dass sich z. B. einerseits oxydirbares Köi-perma-
terial, und anderseits oxydirender Sauerstoff getrennt
anhäufen, und diese, durch ihre Begierde auf einander
einzuwirken und Oxydationen hervorzubringen, sogenannte
Spannkräfte hervorrufen, welche alle vitalen Arbeits-
leistungen des Organismus vollziehn, indem sie sich vor-
her in vitale Kräfte umsetzen.
So praecis nun eine solche Ansicht aber auch vom
chemischen Standpunkte aus erscheint, so verliert sie
durch den Nachsatz doch vollständig allen Weith, denn
der Uebergang der Spannkräfte in vitale ist eben das,
was hier erwiesen werden soll, und durchaus nicht zu
erweisen ist.
Das erste Körpermaterial, oder die Urzelle, muss doch
unter allen Umständen irgend wie vorher entstanden sein,
ehe es materielle, durch Sauerstoff und Körpermaterial
hervorgerufene Spannkräfte konnte gegeben haben. Da
aber keine Veranlassung zu der Annahme vorliegt, dass
die später entstandenen Zellen, und das später entstandene
Körpermaterial auf eine andere Weise zum Dasein gelan-
gen, als wie die Urzelle entstanden ist, so kann uns die
— 186 —
Annahme von Spannkräften und deren Uebergang in vi-
tale Kräfte, selbst wenn letzterer auch anderweitig er-
wiesen werden sollte, behufs Erklärung der Erhaltung
des organischen Lebens, durchaus Nichts nützen, da sie
dessen erstes Entstehen doch nicht klar zu legen vermag.
Ganz abgesehn von diesen Verhältnissen, werden aber
auch mechanische Proceduren, wie die Vivisectionen, phy-
siologische und pharmakologische Experimente doch immer
sind, niemals das Wesen so immaterieller Dinge, wie es
einerseits vitale Kräfte, als auch anderseits Spannkräfte
sind, zu erschliessen im Stande sein, und wir müssen
dieselben deshalb, unter allen Umständen, auch als völlig
werthlos für die Aufklärung des organischen Lebens
betrachten.
Wie mit der Erforschung des Lebens im Allgemeinen,
und der Ursache seines Entstehens und Bestehens, ver-
hält es sich nun aber auch mit dem ersten Theile unse-
res dritten Punktes, mit der Erfoi-schung des dynami-
schen Grundes für die einzelnen Lebensäusserungen des
Organismus, oder dem Nachweise des Grundes, warum
sich der lebende Organismus von dem eben gestorbenen
durch bestimmte vitale Aeusserungen unterscheidet.
Auch hier, wo die Wissenschaft angeblich ihre herr-
lichsten Triumphe feiert, indem sie in den Stand gesetzt
sein will, durch Vivisectionen, wenn auch noch nicht die
bew^enden Agentien für einzelne vitale Offenbarungen
des Organismus, so doch wenigstens ihren materiellen
Ursprung, gleichsam ihren Sitz bestimmt nachzuweisen,
ist es sehr leicht zu zeigen, wie nichtig und willkürlich
alle ihre derartigen Angaben und Annahmen sind.
i
— 186 —
So ist z. B. die ihrer Bedeutung als Sitz des Lebens
beraubte meduUa oblongata jetzt zum Sitz verschiede-
ner chemischen Laboratorien, in denen die Anreize zu
einzelnen vitalen Aeusserungen gebraut werden sollen,
designirt worden.
Einzelne, eng umschriebene Theile derselben werden,
nach den Ergebnissen von Vivisectionen, zum Centrum
für die Auslösung der Athembewegungen, andere zum
Centrum für die Regulirung der Herzbewegungen bestimmt;
andere werden vasomotorisches Centrum, andere Centrum
für die Zuckerbildung im Körper, andere werden zum
Centrum für die Thätigkeit verschiedener Muskel, wie
der, welche die Bewegung der Augen, des Schlundes, des
Kauens und Gehens bewirken. Wodurch, und auf welche
Weise aber diese Centra sich äussern, das hat noch keine
Vivisection nachzuweisen vermocht. Sie hat uns im Ge-
gentheil allein nur den positiven Beweis dafür erbracht,
dass, wenn einerseits die, von einem dieser CerUra ausge-
hende, und zur Peripherie führende Nervenleitung irgend
wie an einer beliebigen Stelle ihres Verlaufes tnecJianisch
unterbrochen wird, dass dann die Thätigkeit dieser Centra
sich wirkungslos erweist, während anderseits, bald nach
dem Aufhören der Thätigkeit dieser Centra, d. A. bald
nach ihrer mechanischen, oder durch den Tod erfolgten
vitalen Zerstörung, ein in die entsprechenden Nerven ge-
leiteter eUdrisclher Strom dieselben Functionsäusserungen
ebenso hervorruft, wie jene Centra. Es vermag derselbe
sogar, bei Lebzeiten der Thiere, mit völliger Umgehung
der anregenden Centra, dasselbe eu Stande au bringen^
Hieraus den Schlnss zu ziehn^ dass durch die itiecha-
— 187 —
nischeoder chemische Thätigkeit der Centra jedesmal
Electricität ausgelöst werde, und diese allein als das
belebende Agens im Organismus anzusehn sei, das wäre
aber doch zu naiv. Es könnte eine solche Ansicht allein
nur durch die, jetzt noch heri-schende, völlige ünkennt-
niss der vitalen, überhaupt aller freien Naturkräfte ent-
schuldigt werden. Die Electricität ist ja eben nur eine
derselben, und wir sehen ihre Aeusserungen nur darum
so deutlich, weil sie zu den am meisten materialisirten
gehört, und darum ihre Leistungen den Sinnen auch am
deutlichsten darstellt.
Uebrigens Sollen ja auch, in Folge vivisectioneller
Erfahrungen, die, in der medulla oblongata aufgefunde-
nen, sogenannten Erregungscentra durchaus nicht zur
Erklärung aller vitalen Erscheinungen ausreichen. Es
werden deshalb noch eine unendliche Menge anderer
solcher Laboratorien, sowohl im Gehirn als auch im
Nerv, sympathicus angenommen, und ihr specieller Sitz
in die Ganglien und Ganglienkugeln obiger Oi^ane verlegt.
Das beständige Aufsuchen und Auffinden solcher Centra
oder Laboratorien, wie sie die feinere Anatomie und
Physiologie, zum ungeheuren Ruhme einzelner Natur-
forscher und Experimentatoren, beständig nachweist, und
deren Sitz in bestimmten Ganglien und Ganglienkugeln
durch Vivisectionen begiündet, beruhen nun aber auf
einer ähnlichen falschen Voraussetzung, wie wir dieselbe,
bei der Erklärung des Lebens im Allgemeinen, bereits
vorgefunden haben . Sie übersehen nämlich ganz und gar,
dass wie das erste Leben nicht Effect von noch gar nicht
vorhandenen mechanischen Spannkräften sein kann, so
— 188 —
auch die ersten Lebensäusserungeu nicht £ffect materieller
chemischer Centra sein können, da auch diese, ebenso wie
die ganze Körpermaterie erst Folge und Effect des Lebens
sind. Sie werden ganz ebenso, wie die verschiedenen
Körpermaterien oder Organe, von dem Leben ja in der
verschiedensten Weise, bald in dem einen Organismus
erzeugt, bald in einem anderen, sonst ganz gleichen, gar
nicht, oder wenigstens als ganz verschiedenartige erzeugt.
Ausserdem ist es aber auch noch keinem Expenmen-
tator gelungen, erregende Lebenscentra, oder Etwas die-
sen Aehnliches auch in der Zelle, und in specie in der
ürzelle nachzuweisen, und doch soll ja jede Zelle voller
Sitz des Lebens sein, und die Urzelle den Ausgangspunkt
desselben bilden.
Verschiedene Kräfte den einzelnen Theilen eines orga-
nischen Formelementes willkürlich zutheilen, ohne diese
Auffasung durch Naturgesetze zu begmnden, heisst weiter
nichts, als einen wissenschaftlichen Ukas erlassen, und
dadurch das schlechteste Mittel zur Erforschung des
Lebens erwählen.
In Bezug der Auffindung des dynamischen Grundes
für die einzelnen vitalen Aeusseiningen des Organismus
erweisen sich die Vivisectionen also gleichfalls völlig werth-
los, und wii* vermögen in allen bisherigen derartigen
scheinbaren Erfolgen der Vivisectionen, nur negative
Resultate, und allein nur die Bestätigung des von Para-
celsus, aus seiner practischen ärztlichen Erfahrung, ge-
schöpften Cardinalgrundsatzes zu erblicken, dass nämlich
verschiedene freie Naturkräße, gleich den physicalischen
Imponderabilien t von verschiedenen Organen a^s, in denen
_ 189 —
sie sich fesigesetsft hciben, ein und dieselbe physiolo-
gische, resp. pathologische Materie erzeugen können.
So z. B. wird nicht nur durch die piqüre, d. h. die me-
chanische Reizung eines bestimmten Theiles der medulla
oblongata, als angeblichen Centrums für die Zuckerbil-
dung, Zucker im Harne in die Erscheinung gebracht^
sondern es geschieht dies auch durch Zerstörung der vor-
deren Hälfte des Rückenmarkes, ebenso durch Durch-
schneidung der Nervi splanchnici, so wie des Halsmarkes,
ausserdem aber auch durch verschiedene Gifte, wie z. B.
das Curare, oder andere immaterielle Kräfte, welche als
schädliche Potenzen, sich bald in der Leber, bald in den
Nieren oder in anderen Organen festgesetzt haben, und
niemals, weder durch Section noch durch Vivisectionen,
näher nachgewiesen werden können.
Ebenso nimmt durch Ueberfirnissen der äusseren Haut^
die Athemfrequenz fast ebenso stark ab, wie nach Durch-
schneidung der beiden N. vagi. Beide so äusserst un-
gleiche Operationen führen auch auf ganz gleiche Wei-
se, durch Beeinträchtigung des Athmungsmechanismus,
zu eben so sicherem Tode, wie diesen auch ein Ueber-
mass von giftigen Gasen in der zum Einathmen be-
stimmten Luft, ebenso prompt erzielt, wie die Zerstö-
rung des Athemcentrums in der medulla oblongata.
Es muss nun allerdings wohl zugegeben werden, dass
theils durch Vivisectionen, theils durch andere materielle
Experimente, gewisse Formeln oder Gesetze der Chemie
und Mechanik aufgefunden sind, nach denen sich einzelne
vitale Leistungen des Organismus, wenn auch noch nicht
mit Sicherheit im Voraus berechnen, so doch nachträg-
— 190 —
lieh erklären lassen. Es sind dies aber nur vereinzelte
Ausnahmen, die uns, wie wir bald sehn werden, zu kei-
nen grossen Hoffnungen auf mechanische Erforschung
des Lebens im Allgemeinen, oder der vitalen Aeusserun-
gen des Organismus im Speciellen berechtigen. Die Be-
dingungen, unter denen sie stattfinden, sind hier nämlich
immer nur ganz concreto. Wenn dieselben, bei dem bis-
herigen Stande der Naturwissenschaften, auch nicht näher
praecisirt werden können, und die Ursache des Misslin-
gens der, bei weitem allermeisten derartigen Experimen-
te, mit der Unvollkommenheit der mechanischen Hülfs-
mittel entschuldigt wird, so vermögen doch wir, durch
die vital - dynamische Auffassung des Lebens, den Grund
auch dieser scheinbaren Triumphe der Wissenschaft und
ihrer Misserfolge ganz genügend anzugeben, sogar die
Grenze genau festzustellen, jenseit welcher aUe solche Ex-
perimente missUngen müssen.
Das Gesetz z. B., wonach die Intensitäten der im
Körper freiwerdendßn Kräfte, also die Grössen der Lei-
stungen des Organismus, allein vom Umfange der Oxy-
dationsprocesse, und von den, durch die oxydirbaren
Stoffe repräsentirten, Spannkraftmengen abhängen sol-
len, klingt allerdings sehr vielversprechend, und ist in
seiner Richtigkeit für einzelne wenige Fälle allerdings
wohl durch exacte Experimente, namentlich zuerst und
hauptsächlich durch Helmholz, nachgewiesen worden;
für die unendlich grössere Anzahl von Lebensprocessen
ist es aber nicht nur materiell unmöglich, sondern völlig
undenkbar, durch Experimente practische Beweise zu er-
bringen.
- 191 —
Wir haben es bei jenen gelungenen Experimenten
nämlich stets nur mit materiellen Kräften, oder Eigen-
schaften der Materie, und dann nur noch mit den am
meisten materialisirt«n, und darum specifisieh schwer-
sten freien Naturkräften, wie Electricität, Wärme, Licht,
Magnetismus und Schwerkraft zu thun. Diese letzteren
stehen aber an der Grenze zwischen gebundenen nnd
freien Naturkräften, und treten bald als Eigenschaften
fertiger Materie, bald als Bildner derselben auf. Orga-
nische Materie oder Plastidule vermögen sie aber über-
haupt nur im Verein mit vitalen Dynamiden zu bilden,
und erstere werden um so schwerfälliger sein, und um so
mehr den Urmoleculen ähneln, je mehr obiger schweren
Dynamiden sich bei ihrer Bildung betheiligt haben. In
solchen Fällen ähneln dieselben aber auch mehr oder
weniger den Formelementen unorganischer Materie, und
unterliegen dann auch mehr oder weniger den Gesetzen
der Chemie oder Mechanik, und vermögen deshalb mit
Erfolg zu mechanischen Experimenten verwendet zu werden.
Sind der Materie oder den Plastidulen, mit welchen
wir mechanisch oder chemisch experimentiren wollen,
aber Elemente specifisch sehr leichter, also vitaler oder
ganz immaterieller Dynamiden, in solcher Menge beige-
mischt, dass sie die Zahl und Geltung der sehr materia-
lisirten und schweren Dynamiden überwiegen, so dass
die durch sie gebildeten Plastidule, wie wir gesehn ha-
ben, alsdann nicht mehr mechanischen, sondern vitalen
Gesetzen unterliegen, so wird man bei den materiellen
Experimenten stets die entschiedenste Nichtachtung der
bisher bewährten Gesetzforineln auftreten sehn. Na-
— 192 —
menilich wird es aber ewig ein pium desiderium bleiben,
die psychischen und geistigen Leistungen des lebenden
Orgcmismus nctch jenen einseitigen Gesetzen su erklären.
Wir vermögen durch Vivisectionen also ebenso wenig,
wie wir dadurch das Leben selbst und seine Entstehung
jemals zu enthüllen im Stande sein werden, auch den
dynamischen Grund der vitalen Aeusserungen des Orga-
nismus jemals aufzufinden. Alle diesbezüglichen materiel-
len Experimente, selbst die glücklich gelungenen, bleiben
in dieser Beziehung völlig werthlos und können allein
nur den Grund für trügerische Hypothesen abgeben, in-
dem sie den Glauben an die Möglichkeit ihrer künftigen
Verallgemeinerung erwecken.
Ihr einziger positiver Werth besteht allein nur darin,dass
sie unsere vital = dynamische Auffassung des Lebens und
seiner Aeusserungen unerschüttert lassen, und, durch ihre
negativen Resultate^ höchstens nur noch mehr bestätigen.
Nicht nur das Leben im Allgemeinen, sondern speciell
das organische Leben in seinen Einzelheiten, sind und
bleiben, wie wir nachgewiesen haben, die beständige
Reaction der zu Elementencomplexen, resp. Plastidulen
mit materiellen Eigenschaften verbundenen, freien Na-
turkräfte gegen die Einflüsse der Aussennatur; und es
bleibt, wie sich der Ephesier Heraclit kurz und bündig
ausdrückt, «der Krieg der Vater aller Dinge».
Ganz anders gestalten sich die Verhältnisse aber, wenn
wir nach dem materiellen Grunde der vitalen Erschei-
nungen forschen, d. h. nachzuweisen suchen, warum die
vitalen Erscheinungen so, und nicht anders auftreten»
— 193 —
und wir uns klar zu machen suchen, nach welchen nicht
nur mechanischen, sondern auch vitalen Gesetzen die ein-
zelnen Oi^ne Neigung zeigen so, und nicht anders su
functioniren.
Hier leistet die Vivisection, wie auch manches andere
Experiment nicht nur ungeheuer viel, sondern sie werden
für die Ausübung der indirecten Heilkunst geradezu
unentbehrlich.
Wir- müssen uns bei aUen materiellen, mit lebenden
Organismen vorzunehmenden Experimenten aber hüten,
wissenschaftlich speculativ varsugehn.
Der menschliche Verstand ist zu schwach, um alle Fol-
gen voraus zu sehn, welche einmal gegebene Thatsachen
auf das complicirte Getriebe des Lebens ausüben, und in
Zukunft noch ausüben können. Darum werden wir auch
nie im Stande sein, alle Folgen zu bei*echnen, welche
mechanische Experimente in der Materie hervorbringen
können, und wie namentlich Vivisectionen das lebendige
Getriebe der Organe des zum Experiment benutzten Thie-
res schliesslich verändern. Die aus der Natur thierischer
Organismen, oder aus ungeschicktem Experimentiren ^ich
ergebenden Fehlerquellen der Beobachtung bilden hier-
bei auch noch einen, durchaus nicht zu unterschätzen-
den Factor, der schon oft zur Ursache von verhängniss-
vollen Irrthümern geworden ist.
Die Vivisection vermag darum auch nu/r dann ihren
Werth voll und gang zu entfalten, wenn unr sie s^ur Auf-
klärung bereits gemachter bestimmten Beobachtungen^ gleich-
sam nOd hoc^ verwenden^ und sie nicht specukUiv, d. h.
in. das Blaue' hinein, veranstaUen.
13
— 194 —
So würden wir niemals durch Vivisectionen zur Ent-
deckung des Blutkreislaufes, und zur Erkenutniss des
Mechanismus der Herzthätigkeit und der Blutgefässe ge-
langt sein, wenn wir nicht bereits vorher die, bis dahin
unerklärliche, Erfahrung gemacht hätten, dass bei Ver-
wundungen das Blut, bald wie aus einer kräftigen Fon-
taine, in mächtigem Strahle herausspritzt, bald wie aus
einer ruhigen Quelle abfliesst. Wir würden aber auch
niemals durch Vivisectionen die Aspiration des . Thorax
als zweite, ebenso gewichtige Ursache einer völlig selbst-
ständigen und sogar gleich mächtigen Art der Blutbewe-
gung im Körper kennen gelernt haben, wenn wir nicht
vorher die Beobachtung gemacht hätten, dass bei einem
Aderlasse, das Blut aus der Vene bei heftigen Exspirations-
stössen, wie beim Husten oder Niesen, weit kräftiger aus-
strömt, wie während der Inspiration, bei Blutungen aus
Arterien solche vitale Acte des Organismus aber nicht
den gleichen, sondern unter Umständen den entgegen-
gesetzten ElBFect ausüben.
Die Vivisection hat uns auf solche Erscheinungen nickt
im Voraus aufmerksam gemacht, sondern nur nachträglich
ihren materiellen Grund uns nachgewiesen, und dadufch
ihren Mechanismus aufgeldärt.
Die jetzt, mit absichtlicher, grosser Ostentation so
häufig und immer wieder vorgetragene Behauptung, dass
die Blutcirculationsverhältnisse von der Wissenschaft
speculativ erkannt, und nachträglich erst durch die Praxis
verwendet worden seien, also ein Verdienst wissenschaft-
licher Vivisectionen wären, ist eine Conjectur, deren nur
eine sich ganz maasslos überschätzende Wissenschaft filhig
— 195 —
ist, und die wohl keiner besonderen Abweisung bedarf.
Die, für die Erklärung der Lungenschwindsucht, so äus-
serst wichtige, durch Aspiration des Thorax erzeugte Art
der Blutbewegung im Körper ist von der wissenschaftli-
chen Pathologie bisher sogar fast vollständig ignorirt wor-
den, während die physiologische Wissenschaft sie aller- •
dings wohl beachtet, bei ihrer Besprechung aber zum
Theil so falsch formulirte Thesen aufstellt, dass dadurch
leicht Irrthum Platz greifen kann.*)
Wk würden durch Vivisectionen auch niemals die Be-
deutung der Nerven und Ganglienzellen erkannt haben,
wenn wir nicht vorher in der Praxis beobachtet hätten,
dass bei gewaltsamer Durchtrennung einzelner Nerven-
stämme, die, im Bereiche des abgetrennten peripherischen
Endes der Nerven liegenden, Körperorgane bewegungslos
oder gefühllos oder atrophisch, überhaupt functions- oder
reactionsunfähig geworden wären.
Das^ Verdienst der Vivisectionen und materiellen Ex-
perimente auf dem Gebiete der Nervenphysiologie ist in
practischer Beziehung allein nur der Nachweis, dass die
Nervenstränge auf die allerverschiedenste Weise sich unter-
einander verbinden und trennen, und die verschiedenen
einzelnen Nervenfäden durch die Ganglienkugeln mit ihren
beweglichen Ausläufern, auf die allermannigfaltigste Weise,
an ihren Endtheilen verbunden werden. Hiernach er-
scheinen erstere nur als Leitungsbahnen und die letzte-
ren gleichsam nur als ümschaltungsapparate, welche im
♦) Confer. Physiologische Disharmonien etc. von Dr. R. Stanelli.
Leipzig 1883. Denickes Verlag, pag. 72 ff.
13*
— 196 —
normalen Zustande entsprechende freie Naturkräfte nach
allen, selbst den kleinsten Theilchen des Körpers hinzu-
leiten vermögen. Hierdurch vermögen die verschiedenen
Dynamiden mit entsprechenden Plastidulen in beständi-
gen Gontact zu treten, und durch ihre Einwirkung auf
dieselben dann auch die specifischen gebundenen Kräfte
oder Eigenschaften der von Plastidulen zusammengesetz-
ten materiellen Gebilde auszulösen.
Das einzig objectiv Gültige, was die Nervenphysiologie
bisher festgestellt hat, ist somit allein nur der NuchweiSy
dass die freien NcUurkräfte behufs zu vollziehender Ar-
beüsleistungen unverletzter Leitungsbahnen und ümschod'^
tungen für ihre freie Bewegung im Organismus bedürfen^
und dass selbst eine so rohe Naturkraft, wie die Electri-
cität, Leitungshemmnisse unter Umständen nicht über-
winden kann.
Diese Leitungsbahnen können nun aber nicht nur in
ihrem Verlaufe, sondern auch schon an ihrem Beginne
beeinträchtigt sein, und es ergeben sich dadurch 'Ein-
trittshifidernisse für die freien Naturkräfte.
Diese haben für die Oeconomie des Organismus ganz
dieselbe Bedeutung, wie die Leitungshindernisse, und, da
die Eintrittsstellen für die freien Naturkräfte zum gros-
sen Theile an der Oberfläche des Gehirnes, in dem dort
befindlichen Netze von Ganglienkugeln liegen, die, wie
wir bereits im Capitel VIII gesehn haben, hier dicht zu-
sammengedrängte Sitze des Willens und des Bewusst-
seins abgeben, so ist es nicht nur eine ganz willkürliche
Annahme, sondern auch eine gänzlich verfehlte wissen-
schaftliche Speculation, den engumschriebenen Baum an
— 197 —
1er Gehirnoberfläche, welcher eine bestimmte Summe
liomogener Oanglienkugeln umfasst, jedesmal als ein in
ier Gehirnrinde liegendes erregendes Gentrum für he-
ftimnUe vitale Thätiglceiten einzelner Theile des Organis^
mus ansfusehn.
Das Sehvermögen kann z. B. sehr wohl durch Blut-
»travasate an einem gewissen Theile der Gehirnoberfläche
beeinträchtigt werden. Ebenso gut kann es aber auch
Btn jedem beliebigen Theile im Verlaufe der, an der Ge-
himoberfläche in bestimmten Ganglienkugeln beginnenden,
und in der Netzhaut des Auges endigenden Nervenfäden,
«reiche die Leitungsbahnen für die, das Sehn insceniren-
len, vitalen Kräfte abgeben, durch Blutextravasate oder
Andere, mechanisch wirkende, Materien aufgehoben wer-
den. Zur Indication für Trepanation der Schädeldecken
Bin entsprechender Stelle, behufs Entleerung etwaiger Blut-
extravasate, genügt also, bei plötzlich eingetretener
Blindheit, z. B. nicht die blosse Annahme eines Sehcen-
trums an der Oberfläche des Gehirnes, sondern es muss
ihr die vitale Anamnese einer mechanischen Verletzung
ier Schädeldecken vorhergehn. Diese allein nur vermag
die Vermuthung, dass ein Blutextravasat aus den Venen
der Schädelknocheu auf die Oberfläche des Gehirnes er-
folgt sei, und dort das Eintreten entsprechender freier
Naturkräfte unmöglich mache, so weit sicher zu stellen,
dass man zum Trepan zu greifen berechtigt erscheint.
Ferner würden wir niemals zur Ausführung von Ge-
lenk- und Darmresectionen gelangt sein, wenn wir nicht
vorher die Beobachtung gemacht halten, dass im ersten
Falle das vom Knochen zufällig abgelöste, aber unverletzt
— 198 —
gebliebene Periost, sehr wohl im Stande ist, noch femer
neue Knochenmasse zu erzeugen, und im anderen Falle
wir nicht so häufig die Tendenz zur prima intentio bei
frischen Verwundungen auch an ungleichartigen Gteweben
bemerkt, und Vivisectionen alsdann diese Processe nicht
näher klar gelegt hätten.
^ Wir hätten niemals gelernt, Tenotomien auszuführen,
wenn wir in der Praxis nicht vorher erfahren hätten,
dass zerrissene Sehnen stets nur mit Bildung von beträcht-
licher Zwischensubstanz heilen, und Vivisectionen nicht
diese Erfahrung bestätigt hätten.
Wir hätten schliesslich auch niemals durch wissenschaft-
liche Experimente die Bacterien als Ui-sache der Eitermig,
und als hervorragende Traeger von Contagien kennen
gelernt, wenn diese Experimente nicht ad hoc, d. h. zur
Aufklärung ganz bestimmter, practisch beobachteter,
vitalen Vorgänge, sich als noth wendig erwiesen hätten.
Bacterien sind der W issenschaft sogar schon sehr lange
bekannt gewesen, wurden von ihr aber stets nur als «res
nullius momenti» angesehn.*)
Ert die practische Erfahrung, dass nach subcutanen
MuskelzeiTeissungen, oder subcutanen Operationen gar
*) VV^enn Remak in der Schönleinschen Klinik, aus den Excre-
menten Typhöser, die so charakteristischen Kristalle der phosphor-
sauem Ammoniakmagnesia, die berühmt gewordenen Tripelphosphate
unter dem Mikroscope demonstrirte, mahnte er stets daran, die,
vom Gesichtsfelde nicht fernzuhaltenden, interesselosen Bacterien zu
übersehn. Jetzt freilich ist es anders. Die Tripelphosphate sind dem
gemeinen Darmcaterrhe überwiesen, und der Mikrococcus ist Vic-
tor: Wie lange? Vivat sequensl
— 199 —
keine Eüterung an der Verwundungsstelle erfolgt, und
Wunden überhaupt unter möglichstem Abschlüsse der
Luft viel besser heilen, als da, wo der Luftzutritt nicht
zu verhüten ist, hat den Wunsch erregt, gewisse in der
Luft enthaltene pathogene Kräfte oder Matei-ien von
Wunden fem zu halten. Nachträgliche, zu diesem Zwecke
vollzogene, materielle Experimente mit verschiedenen
Arzeneien und Thieren, haben dann diesen Wunsch nicht
nur in überraschender Weise erfüllt, sondern überhaupt
Licht in die materiellen Vorgänge der Wundheilung ge-
bracht, und zur näheren Bekanntschaft mit den sonstigen
eigenthümlichen Eigenschaften der Bacterien geführt.
Dass bei dieser Gelegenheit durch etwas zu viel imma-
teriellen Lichtes, welches wir Phantasie nennen können,
die Bacterien zum Infectionsstofife, und zum allgemeinen
bösen Principe der Pathologen geworden sind, ist allein
nur der Unvollkommenheit der materiellen Hülfsmittel,
die zur Klärung der einschlägigen Verhältnisse dienen
sollten, zuzuschreiben. Der menschliche Verstand aber,
welcher der verkannten Wahrheit schliesslich doch stets
zum Durchbruche verhilft, beginnt, wie wir z. B. aus
bestimmten Erfahrungen und Erklärungen des Prof. von
Bergmann mit Befriedigung ersehn, auch hier bereits die
Grenzen abzustecken.
W^ie mit den Vivisectionen, verhält es sich ganz ebenso
auch mit den pharmakologischen Experimenten.
Dieselben werden uns niemals das Warum, sondern stets
nur das Wie der Wirkung von Arzeneien Mar machen.
— 200 —
und zwar letzteres auch stets nur in formeller oder mar
terieller, aber niemals in dynamischer Beziehung.
Die direct oder specifisch auf den kranken Organismus
heilend einwirkenden, im Uebrigen meistens ganz indiffe-
renten, Ärzeneien eignen sich deshalb durchaus nicht zu
pharmakologischen Experimenten im Allgemeinen. Sie
wirken allein nur «ad hoc», d. h. bei Gelegenheiten, wo
solche schädliche Potenzen pathologische Zustände erzeugt
haben, welche sie veimittelst ihrer Arcana, oder der
ihnen innewohnenden Heil- oder Gegenkräfte zu beseiti-
gen im Stande sind. Mit einem Worte sie können allein
nur als Reagentien bei der vitalen Analyse vorliegender
Krankheitsfälle benutzt werden. Wenn sie im günstigen
Falle dann auch die verschiedensten pathologischen Ma-
terien oder sinnlich wahrnehmbare abnorme Zustände
im Körper beseitigen, so kann selbstverständlich, bei der
Beobachtung Jhrer Heilwirkung, deshalb doch niemals
von der äusseren Form, sondern allein nur von dem in-
neren Wesen der Krankheiten die Rede sein, da erstere
stets erst secundaere Zustände sind.
Man wird deshalb nie ein Surrc^at für Chinin auffin-
den, sondern eben stets nur solche Stoffe, die zu gewissen
Zeiten Krankheiten in den verschiedensten Formen, die
sonst durch Chinin geheilt wurden, ebenso exact heilen,
wie es das Chinin zu seiner Zeit gethan, während letzte-
res jetzt auf längere oder kürzere Zeit unwirksam ge-
worden ist.
Wie ein und dieselben pathogenen Dynamiden stets in
dieselben bestimmten Theile der Körpermaterie eindringen,
um sich dort primaer festzusetzen, ^o erfordern sie auch
— 201 —
sMs ein' und dasselbe bestimmte Heilr oder Gegenmittel
aur Beseitigung der, von ihnen secundaer erzeugten, so ver-
sehiedenartigen Krankheitsformen.
Man kann deshalb auch nur mit solchen Arzeneien
wissenschaftlich experimentiren, die, sei es auf gesunde
oder kranke Materie des Körpers irgendwie sichtlich ein-
wirken, und die wir deshalb feuidliche genannt haben.
Wirklichen Nutzen für die Therapie wird man aus sol-
chen Experimenten aber auch nur dann ziehn können,
wenn man vorher schon irgend wie entsprechende Erfah-
rungen gesammelt hat, welche durch diese Experimente
nachträglich aufgeklärt werden.
Die wunderbar betäubende Wirkung des Chloroforms
ist durchaus nicht im Voraus wissenschaftlich festgestellt,
und dann erst nachträglich practisch verwerthet worden,
sondein das Umgekehrte war der Fall. Wir hatten es
schon lange zum Anaesthesiren verwendet, ehe wir seinen
vermeintlichen Einfluss auf die verschiedenen, in der me-
duUa oblongata liegenden, Erregungscentra hypothetisch
aufgestellt sahen. Die Thierexperimente mit Hydratchlo-
raU welches ziemlich gleiche Wirkungen wahrnehmen
lässt wie Chloroform, weil durch die Magensäure sich
Chloroform aus ihm entwickelt, bezwecken kein Novum,
sondern nur den Nachweis einer gefahrloseren und pas-
senderen Methode für Anwendung des Chloroformes zu
ganz bestimmten Zwecken. Opium, Haschisch, Arsen und
Aloobol, sind, ebenso wie andere diiferente Stoffe, schon
lange vorher als Genussmittel verwendet worden, bevor
die Wissenschaft sich ihrer bemächtigte, und die übrigen
Gifte sind sämmtlich vorher schon aus der Erfahrung als
— 202 —
Gifte erkannt, bereitet und meist auch schon oft durch
Gegengifte beseitigt worden, bevor man daran dachte, sie
durch Experimente genauer kennen zu leinen, und die
Toxicologie zur Wissenschaft zu erheben. Ebenso hat man
ja auch Gehängte vorher schon, vermittelst Durchschnei-
dens des Strickes, ins Leben zurückzurufen gelernt, ehe
man die materiellen Processe festgestellt hatte, welche
bei dieser Todesart in Betracht kommen.
Dass Thierexperimente für die Toxicologie von grossem
Werthe sind, ist wohl selbstverständlich, und doch ist
es öffentliches Geheimniss, dass zur Zeit des klassischen
Alterthums und sur Zeit der Borgia, wo es noch keine
toxicologische Wissenschaft gab, mehr Gifte und Gegen-
gifte bekannt waren, als die jetzige Toxicologie sich
träumen lässt.
Bei dem Aufsuchen der Gegengifte darf man überhaupt
nicht vergessen, dass auch die heilsamsten Arzenei^n
durch ungeschickte Verwendung, oder was dasselbe sagt,
durch Mangel an Rücksicht auf vitale Verhältnisse, schäd-
lich und selbst tödtend wirken können.
Das Chloroform z. B. kann, nach meinen vivisectoiischen
Erfahrungen vom Jahre 1850, dadurch tödten, dass wir
die Narcotisirten so lagern, dass während der Betäubung
irgend ein Verschluss des Respirations- Ganales ermöglicht
wird. Ebenso wird es aber auch dadurch tödlich werden
können, dass, zugleich mit den Ghloroformdämpfen, nicht
genug athmosphaerische Luft dem Organismus zugeleitet
wird. Drittens wird es aber auch noch dann tödten, wen»
mr es von sehr fein - faserigen Gegenständen, toie etwa
Watte, verdunsten lassen. Das hierbei überreichlich sich
— 203 —
entwickelnde Chloroformgas wird vom Blute zwar gieiig
resorbirt, kann aber nicht immer vollständig resorbirt
erhalten werden, sondern scheidet sich gasförmig ab. Die
im Blute abgeschiedenen Ghloroformgase stören dann
ebenso, wie die, bei Operationen zuweilen, von durchschnit-
tenen Venen aus, in die Blutcir^ulation eintretenden
Luftblasen den Herzmechanismus, und erzielen dann
plötzlichen Tod, ohne dass Chloroform ein Gift genannt
zu werden braucht. Die vermuthlichen Einwirkungen des
Chloroforms auf verschiedene Stellen der medulla oblongata,
von denen einige nicht afficirt werden dürfen, ohne den
Tod hervorzurufen, sind nur unerwiesene Hypothesen, nur
gelehrtes Wortgeklingel ohne allen realisirbaren Werth.
Nach Allem, was wir bis jetzt gesehn haben, können
nun wohl keine Zweifel mehr über die Bedeutung und
den therapeutischen Werth der Vivisectionen und phar-
makologischen Experimente bestehn, und wir haben nur
noch die Frage zum Austrag zu bringen: Wer ist im
Interesse der Heilkunde zum Anstellen von Vivisectionen
und pharmakologischen Experimenten berechtigt? — Es
kann sich hierbei selbstverständlich nicht um Persönlich-
keiten, sondern nur um Disciplinen, und zwar in specie,
für uns, um die pathologische Wissenschaft oder thei'a-
peutische Kunst handeln.
Behufs Beantwortung dieser principiellen Frage müssen
wir zuvörderet erörtern, mit welchen Haupt- und Neben-»
erfolgen die eine oder die andere derartige Arbeiten ver-
richtet, und welche nebensächlichen Verhältnisse sich da-
bei hoch ausserdem bemerklich machen.
— 204 —
Wir können, in Folge unserer bisherigen Ei'örterungen,
nun durchaus nicht mehr anstehn zu bekennen, dassdie
wissenschaftliche Medicin, da sie zu überschwengliche
Ergebnisse von den pathologischen und pharmakologischen
Experimenten erwartet, noch nie ein objectives Resultat
erreicht hat. Ihr Forschungsgebiet ist das unendlich weite
Reich des Ideellen, und jedes hypothetische Resultat, wel-
ches sie hier erzielt, muss wegen der Enttäuschungen,
die sich sehr bald an dasselbe knüpfen, stets zum Aus-
gangspunkte für neue, man möchte sagen, noch ideellere
Forschungen werden, die schliesslich, wegen der Unzu-
länglichkeit aller mechanischen Hülfsmittel, mit den Lei-
stungen der Phantasie zusammenfallen.
Die practische Heilkunst verlangt von pathologischen
und pharmakologischen Experimenten aber nur Möglich-
keiten, d, h. nur bejahende, oder verneinende Aufklärung
über beobachtete Thatsachen, und, da letztere stets im
Bereiche unserer Sinnesorgane sich vollziehn, so besitzen
wir an den gesunden Sinnesorganen auch meistens die
ausreichenden Hülfsmittel, um die Ergebnisse der Vivi-
sectionen und pharmakologischen Experimente zu er-
kennen, zu verwenden, und dadurch unsern Zweck zu
erreichen.
Wissenschaftliche Vivisectionen mit ihren subjectiven
Resultaten, noch so oft von vermeintlich berufenen oder
unberufenen Händen, vollführt, wei*den niemals allseitigen
Glauben finden. Sie werden stets neue Experimentatoren
ZVLT Wiederholung derselben Versuche, behufs deren Con-
trolle, und zur Aufstellung neuer Hypothesen anreizen,
während die Resultate der materiellen Experimente der
— 206 —
HeilkuDst, wenn sie einmal auf verständige Weise aus-
geführt sind, und ein objectiv gültiges, sei es bejahendes
oder verneinendes Resultat erzielt haben, letzteres bald
zum Gemeingut aller Sachverständigen machen, so dass
Wiederholungen derselben meist unnöthig erscheinen.
Die Vivisectionen, welche die Wissenschaft anstellt,
gleichen deshalb den rohen Ausbrüchen der Naturgewal-
ten, den Orkanen, Wolkenbiiichen und Erdbeben. Sie ver-
nichten, ebenso wie diese unendliche Mengen organischen
Lebens, und bringen nur selten ein Körnchen problema-
tischer Wahrheit zu Tage.
Vivisectionen und phaimakologische Experimente, welche
die practische Heilkunst ad hoc anstellt, gleichen dage-
gen den regelmässigen Vorgängen, wie sie zum geord-
neten Haushalte der Natur erforderlich sind. Durch sie
wird nur so viel organisches Leben vernichtet, als zum
Wohle der leidenden Menschheit, gleichsam zu unserem
körperlichen Gedeihen, gerade nothwendig ist.
Ein einziges unter den, fast unzählbaren, Zielen der
experimentirenden Nervenphysiologie, z. B. das Ziel, die
Bedeutung aller Ganglienzellen hypothetisch festzustellen«
würde für jede Ganglienzelle und jeden Experimentator
mindestens ein Versuchsthier, nicht selten aber viele,
den verschiedensten Klassen der Thiere angehörende, erfor-
dern. Nun giebt es aber allein an der Gehimoberfläche
ein eng zusammenhängendes Netz dichtgedrängter Gang-
lienzellen, und eine jede Nervenfaser endet damit. Ist
es da wohl zu viel gesagt, dass die Nervenphysiologie
ihre problematischen Kenntnisse in .dieser Beziehung,
mit Millionen von Leben organischer Wesen bezahlen
— 206 —
müsste, ehe sie alle ihre Hypothesen in genügender Weise
als werthlos erkannt haben dürfte?
Dennoch ist das einzig Brauchbare, was die Nerven-
physiologie der indirecten Therapie bietet, nämlich die
Kenntniss des verschiedenartigen Verlaufes und der Spal-
tung der einzelnen Nervenstränge, des Verlaufes der
Leitungsbahnen für die freien Naturkräfte, und deren
Umschaltungsapparate, durch practische Erfahrungen am
Krankenbette und Leichensectionen vollständig zu errei-
chen, namentlich wenn einige Vivisectionen ad hoc, die-
selben bestätigen, so weit dies an Thieren überhaupt
möglich ist.
Die Behauptung, dass Vivisectionen von Einfluss auf
die Verminderung des Blutlassens in Krankheiten, und
Ursache der jetzigen, wohlbegründeten Blutscheu seien,
ist völlig unmotivirt und beweist, wie wir bereits gesehn
haben, allein nur ein völlige Unbekanntschaft mit der
Geschichte der Medicin.
Ansprüche auf das Recht, Vivisectionen zu veranstalten,
stehn deshalb allein nur dei* Heilkunst zu. Die wissen-
schaftliche Pathologie ist dazu nur dann berechtigt, wenn
es sich um Klarstellung fragwürdiger formeller Erschei-
nungen handelt, und sie durch • deren practische Verwen-
dung, den Beweis erbringen will, dass Kant seine Kritik
der reinen Vernunft für sie nicht geschrieben hat^ und
selbst voraussichtlich absolute Unmöglichkeiten, wie z.
B. die Unterscheidung des farbenblinden und gesunden
Auges, kein Mene tekel ihren Bestrebungen zurufen.
Andere, von der Wissenschaft angestellte, Experimente,
wie z. B. solche, welche uns nachweisen sollen, wie lange
— 207 —
ein junger Hund oder ein anderes Thier im kochenden
Wasser liegen kann, ehe es verendet, haben mit Heil-
kunde nichts zu thun, sondern haben andersartigen, wie
etwa forensischen Werth, so dass wir dieselben hier nicht
weiter zu eruiren brauchen. Jedenfalls wird man auch
durch diese den Zweck dann am besten eneichen, wenn
man sie nicht speculativ, sondern stets nur ad hoc voll-
zieht.
In neuester Zeit ist aus Laienkreisen den Vivisectio-
nen der Vorwurf gemacht worden, dass sie eine (Jemüths-
verrohung unter den Experimentatoren erzeugten. Es ist
dieser Vorwurf aber nur bedingungsweise zuzugestehn.
Für die Vivisectionen der Heilkunst müssen wir ihn
entschieden von der Hand weisen. Diese werden stets mit dem
Bewusstsein unternommen, dass sie zur Lösung bestimmt
formulirter, concreter Fragen und practischer Bedürfnisse
nothwendig sind, und dass scht>n wenige derselben ge-
nügen, um eine Entscheidung, und dauernden Nutzen zu
erzielen oder uns das Irrthümliche unserer Vorausset-
zungen klar zu machen. Sie erzeugen dadurch ein Ge-
fühl der Befriedigung und Fi-eudigkeit, wenigstens Be-
ruhigung des Gemüthes, erregen niemals die Gier nach
mehr, erregen nicht das Verlangen nach vivisectorischen
Schlachthäusern, die man euphemistisch „pathologische
Cabinette" nennt. Sie gleichen dem gemüthlichen Haus-
schlachten, dem nicht selten die Bedeutung eines Fami-
lienfestes zugelegt wird, und welches selbst durch den
Tod eines, vorher sorgfältig gepflegten Hausthieres, keine
Einbusse erleidet.
— 208 —
Anders verhält es sich mit den gewerbsmässägen Mas-
senschlächtereien der Wissenschaft. Hier schwebt dem
Experimentator kein sicher und bestimmt erreichbares con-
cretes Ziel vor. Wie die bisherige Erfahrung lehrt, blei-
ben die Resultate der wissenschaftlichen Thierexperi-
mente stets nur Hypothesen; Nichts ist aber leichter, als
aus Experimenten, die sehr oft schwer zu controUiren
sind, Hypothesen aufzustellen, daraus sogenannte vitale
Gesetze zu entwickeln, und letztere so lange aufrecht zu
erhalten, bis sie durch massenhafte Gegenexperimente
widerlegt werden. Wie oft dieser Fall eintritt, sehn wir
an der Masse obsoleter Gesetze, von denen die wissen-
schaftliche Medicin und ihre Hülfswissenschaften wimmeln.
Obsolete Gesetzgeber gestehn aber selten ihren Irrthum
ein, sondeiTi werden beständig dazu getrieben, die Gel-
tung der, von ihnen aufgestellten, angeblichen Wahrhei-
ten durch alle Mittel noch nachträglich zu erweisen.
Hierdurch wird ein falscher Ehrgeiz unter den Expe-
rimentatoren erzeugt, und mancher dürfte sich bemüssigt
fühlen, ad majorem gloriam der Wissenschaft, seinen, bei
Thierexperimenten erzielten, Erfolgen durch Wiederholung
an Mitmenschen die höhere Weihe zu verleihen, zumal
doch eben Vieles an Thieren gar nicht zu erforschen ist.
Wenn ein Arzt es unternimmt, durch experimentelle
Untersuchungen das Wesen, oder nur die formelle Er-
scheinung und die Ursache pestartiger Krankheiten, wie
Cholera, Scharlach oder Diphtheritis genau zu erforschen,
so muss es ihm als höchstes Ziel seiner Bestrebungen
erscheinen, die Wahrheit seiner gelungenen Forschungen
dadurch zu erweisen, dass er die eine oder andere obiger
— 209 —
Krankheiten gesunden Mitmenschen anexperimentirt. Es
bleiben sonst immer Zweifel in solcher Menge an seinen
Forschungen kleben, dass sie auch im günstigsten Falle
keinen ungetheilten Beifall, sondern fast allseitigen Wider-
spruch erfahren.
Wir sprechen solche Behauptungen und Befürchtungen
.mit vollem Bewusstsein aus; denn bekanntlich haben viele
junge Aerzte, in ihrem falschen Eifer der Wissenschaft
zu dienen, ihre Sehorgane zu Experimenten so lange her-^
gegeben, bis sie erblindeten. Andere haben dem Phantom
der Syphilisation ihre Gesundheit dauenid geopfert. Von
Laien hört man öfters das Verlangen erheben, dass mit
gesunden Verbrechern, die zum Tode venirtheilt sind,
Experimente angestellt werden möchten, und verlockend,
wie Sirenengesang, klingt in das Ohr des eifrigen Ex-
perimentators das, aus altehrwtirdiger Zeit herstammende,
„Fiat experimentum in corpore vili". Das corpus vile ist
aber ein relativer Begriff, den falscher Ehrgeiz leicht
auf das äusserste zu erweitern sich veranlagst fühlen
könnte, wenn er anfangs auch mit noch so „schwerem
Her^en^ selbst an das Thierexperiment herangetreten ist.
Nach der Gasette medicale de Paris, vol. XX 1865,
pag. 780, impfte der italienische Arzt Dr. Masotto 15
Individuen von 3—22 Jahren, bei beginnender angina.mit
diphtheritischem Exsudate, und „es starb — nur eins
davon". —
Solche Experimente müssen wir allerdings als Zeichen
einer gewissen Gemüthsverrohung auffassen, und durchaus
als frivol verdammen, zumal sie auch von gar keinem
wissenschaftlichen, und noch weniger von ii-gend welchem
14
— 210 —
praciischen Werthe sind. Die Erfahrung liefert uns ge-
nügende Beweise dafür^ dass sowohl Aerzte wie Laien,
bei grösster Vorsicht, doch angesteckt wurden, und der
Diphtheritis erlagen, wenn auch andere ohqe schlimme
Folgen an ihrem Körper mit diphtheritischem Exsudate
manipulirten.
Eine künstliche Vervielfältigung solcher widersprechen- .
den Erfahrungen vermag keine Lösung der Ansteckungs-
frf^e zu bringen. Ein solches Räthsel vermag, wie wir
noch sehn werden, allein nur durch die vital - dynamische
Krankheitslehre gelöst zu werden.
. Wenn Alles bisher Gesagte nun wohl auch im Allge-
meinen völlig genügt, um die medicinische Wissenschaft
von dem Anstellen pathologischer und pharmakologischer
Experimente völlig auszuschliessen, so haben wir pei'sön-
lich doch noch einen anderen, sehr gewichtigen, Grund,
um der Pathologie das Recht, Vivisectionen, behufs Ver-
vollkommnung der Heilkunde, anzustellen, kurzweg abzu-
sprechen. Wir wollen ihn auch furchtlos offenbaren,
trotzdem Prof. Virchow in seiner, auf dem ärztlichen
Londoner Congresse, zu * Gunsten seines Anrechtes auf
Vivisectionen gehaltenen Rede, den moralischen Charak-
ter derjenigen Aerzte, die etwa dagegen zu sprechen wa-
gen würden, im höchsten Grade im Voraus verdächtigt.
Wir hoffen sogar, dass selbst Virchow unseren Gründen
seinen Beifall nicht absolut versagen wird.
Wir halten nämlich die Pathologie für viel zu gut zur
Anstellung von materiellen Experimenten! Sie verfehlt
ihren hoben Beruf ganz und gar, wenn sie ihre Kräfte
— 2U —
mit Vivisectionen verzettelt. Sie ist zu Höherem be-
äümflät!
Wie nämlich die Heilkunst nur in speciellen Fällen,
nur dem Einzelnen Htlfe zu bringen vermag, so soll die
Pathologie der leidenden Menschheit, im Grossen und
Allgemeinen, sich nützlich erweisen. Sie soll als objective
Wissenschaft das vollbringen, wozu die subjective Heil-
kunst durchaus nicht befähigt ist.
Pathologische und therapeutische Thatsachen lassen
sich zwar allein nur in der Werkstatt des Heilkünstlers,
nur am Krankenbette, feststellen, müssen aber hier, der
Natur der Sache gemäss, stets subjective bleiben, und ec-
zeugen deshalb auch sehr leicht einseitige Auffassungen
und falsche Schlussfolgerungen. Nach unserer Meinung ist
es nun Sache der Pathologie, von ihrem erhabenen Stand-
punkte aus, theils durch ihre Speculationsfähigkeit, theils
durch Scharfsinn eine ganz bestimmte Ordnung in die
subjectiven Erfahrungen aller einzelnen Heilkünstler zu
bringen. Von den ihr hier gebotenen Thatsachen, zu denen,
wie wir gesehn haben, auch die Resultate der Vivisectionen
gehären, hat sie scheinbar gleiche auseinanderzuhalten,
und scheinbar ganz fremdartige zusammenzubringen. Sie
muss mit einem Worte den Makrocosmus und nicht den
Mikrocosmus zum Objecte ihrer Forschungen, zum Gegen-
stand ihrer Bestrebungen und ihrer Thätigkeit machen.
Hierdurch wird sie viel eher zur Aufstellung wahrer
pathologischer Gesetze gelangen, als wenn sie das ver-
meintliche Fornaelement des organischen Lebens, die Zelle,
unter dem Mikroscope mit dem Zollstocke misst, und mit
Reagentien tractirt.
14*
— 212 —
Die pathologisch verändeite Zelle als Ens morbi zu
betrachten, und auf ihre verschiedenartige Erscheinung
eine rationelle Eintheilung der Krankheiten zu begrün-
den, kann nur zu den grössten Wirrnissen führen, und
muss absolut unzulässig erscheinen.
2^ einer rationellen Eintheilung der Krankheiten müs-
sen wir gans andere Momente heranziehen.
Um hierzu aber voll und ganz fähig zu werden, muss
die jetzige Pathologie erst einen Läuterungsprocess durch-
machen, der bisher keiner Kunst oder Wissenschaft er-
spait worden ist, und den auch die therapeutische Kunst
bereits lange überstanden hat, wenigstens seit der Zeit,
als sie die rohe Empirie für völlig werthlos bei Aus-
übung der Heilkunst erkannte, und über Bord warf.
Die Pathologie muss nämlich erst zu der Erkenntniss
gelangen, dass das Wesen einer KranJdieit hoch über
deren äusserer Form steht; d. h. sie muss aus einer
Krankheitsformenlehre eine wirkliche Krankheitslehre
werden.
Dann erst wird sie das wahre Ens morbi aufzufinden
und die Krankheiten darnach auf eine bewusste Weise
zu klassificiren im Stande sein; dann eret wird sie ein-
sehn lernen, dass nicht ausseiest vergängliche kleinste
materielle Gebilde, als die primaeren Producte des Lebens,
sondern die Begründer desselben, die unendlich grossen
materialisirten und immateriellen freien Kräfte, sich auch
als Entia morborum geltend machen. Dann erst wird sie
zu der Einsicht gelangen, dass, ebenso wenig wie die So-
lidar- oder Humoralpathologie es vermögen, so auch die,
zwischen beiden hin und her schwankende, Cellalarpa-
— 218 —
tbologie dnrehaus nicht fähig ist, die Erkenntniss des
Wesens der Krankheiten und ihre Heilung irgend wie zu
fördern.
Da wir das Wesen der freien Naturkr&fte aber weder
durch Speculation, noch durch Scharfsinn jemals werden
genauer erforschen können, und allein nur im Stande
sind, ihr Dasein an ihren Arbeitsleistungen zu erkennen,
so wird sie auch einsehen lernen, dass keinerlei rationelle
Empirie, keinerlei sogenannte rationelle Erklärung der
Thatsacben, sondern die blosse Beobachtung reiner, un-
verfälschter Naturerscheinungen, die reine Empirie, von
der Heilkunst als brauchbares Material, als Basis ihrer
Lehre verwendet werden kann. Exempla illustrant rem.
Um deshalb einigennaassen den Unterschied der Resul-
tate darzulegen, welche sich aus einer cellularpathologi-
schen und unserer vital- dynamischen Auffassung der
Krankheiten für das practische Leben ergeben, wollen
wir die von der rationellen Lehre, wenn auch ohne rech-
tes Bewusstsein, anerkannten Hauptabtheilungen derselben
m kurzen Umrissen besprechen, und einander gegenüber-
stellen, nämlich die epidemischen, die endemischen und
die individuellen oder anatomisch- physiolc^ischen.
Nach unserer dynamisch - vitalen Lehre liegt nun nicht
nur das Ens aller Dinge, sondern auch das Ens morbo-
rum in dem „Spiritus vitae" des Paracelsus, d. h. in
der Gesammtheit der Dynamiden, welche sich, nach den
Bestimmungen des Urgesetzes, von dem Blasteme abge-
trennt haben, dadurch frei geworden sind, und, als soge-
nannte Kraftenei^n, nicht nur die ganze Welt erschaffen
haben, sondern auch fortwährend erhalten. Sie allein
— 214 —
haben nicht nur jedes Atom unserer Körpermaterie er-
schaffen, sondern beemflussen es auch beständig, und er-
zeugen dadurch auch die Krankheiten.
Wollen wir deshalb unseren Körper, seine Verrichtun-
und seine Erkrankungen, genau kennen lernen, so müssen
wir uns um die Erkenntniss der freien Naturkräfte be-
mühen, oder wie Paracelsus sich ausdrückt, die Anato-
tomie des menschlichen Körpers am Himmel studiren.
In der That führt dies Studium, wie wir an einigen
Beispielen zeigen wollen, auch zu sicheren, objectiv gül-
tigen Resultaten, die sich, von den, stets problematisch
bleibenden, Ergebnissen der materiellen Leichenanatomie,
gaiiz ebenso unterscheiden, wie die freien Naturkräfte
von den gebundenen Kräften, den Leibeignen der Körper-
materie, oder der ewig veränderliche Elementencomplex
von der pathologisch veränderten Zelle.
In Folge dieses Studiums sehn wir nun z. B., dass
die als Epidemien auftretenden Krankheiten ein Ergebniss
des «Ens astrale» sind. Dies Ens astrale des Paracelsus
ist eine Unterabtheilung seines Spiritus vitae, und zwar
sind es hier kosmische pathogene Dynamiden, welche
vom Firmament auf unsere Erde ausstrahlen, bald quali-
tativ, bald quantitativ mächtig erscheinen, und durch
ersteres die Intensität, und durch letzteres die Extensität
der Epidemien bedingen.
Wenn wir uns dies Ausstrahlen fulgurirend denken,
wie es z. B. bei der Sonnencorona, oder namentlich dem
Nordlichte in die Erscheinung tritt, wo mehr oder weni-
ger vereinzelte rothe Strahlen der Gesammtröthc voraus-
schiessen, so wird es uns erklärlich sein, dass, im Falle
— 216 —
unsere Eide überhaupt in das Bereich derselben geräth,
dass sie alsdann von ihnen meistens gleichzeitig oder in
kurzen Intervallen, an den verschiedensten Stellen ge-
troffen, und zwar anfangs oft nur vorübergehend getroffen
wird, und dass die epidemischen Krankheiten deshalb
im Anfange meistens an gehrennten Orten vereinadt auf-
treten, und dann auch, gleichsam sprungweise, sich ver-
breiten, auch oft plötdich an einer Stelle wieder erlöschen.
Mögen die epidemischeu Krankheilen, als Arbeits-
leistungen der kosmischen Kräfte, sich unseren Sinnen
nun als Pest oder schwarzer Tod, als Cholera oder Ruhr,
als Diphtheritis oder Group, als febris intermittens
oder recurrens oder Typhus, als Grippe oder Schnupfen,
als Pocken oder Friesel, als Scharlach oder Masern etc.
formell jH^aesentiren, oder aus der einen und der anderen
Krankheitsform gemischt erscheinen, und dann bald so,
bald anders genannt werden, obgleich sie doch stets
ein und derselben Ursache ihr Dasein verdanken, so
werden sie sich doch niemals an terrestrische Verhält-
nisse kehren.
Sie treten unter allen Himmelsstrichen auf; Klima, ört-
liche Lage, Meer oder Continent, Luft- oder Bodenbe-
schaffenheit, Gultur oder Uncultur haben auf ihren Ein-
tritt oder ihre Verbreitung keinen Einfluss, ebenso wenig
wie Windrichtungen, Witterungs- oder Verkehrsverhält-
nisse oder Desinfectionen.
Sie befallen die Prachtpaläste der Fürsten ebenso,
wie die elenden Hütten der Proletarier. Prof. Seitz sah
Diphtheritis unter dem Listerschen Verbände sich entwik-
keln, und in der mit antimycotischen, schwefligsauren
— 216 —
Dämpfen angefüllten Umgebung Neapels tritt diese Krank-
heit ebenso auf, wie in der reinen Luft der Schweizer-
Berge, oder in sumpfigen Marschdistricten. Sie verschwin-
den oft plötzlich ohne allen Grund, um an einer anderen,
oft ganz isolirten, Stelle ebenso unmotivirt aufzutreten,
oder mit vermehrter Heftigkeit, oft erst nach Jahrhun-
derten, wiederzukehren, und sich zuweilen bedeutend
auszubreiten.
Sollte Jemand nach seinen Erfahrungen diesen Ansich-
ten widersprechen wollen, so bitten wir erst noch das
Nachfolgende zu berücksichten.
ÄUe eben genannten epidemischen Krankheits farmen, mit
ganz denselben Namen, können nämlich amh Endemien sein,
Sie verdanken alsdann ihr Dasein derjenigen Abtheiiung
des Spiritus vitae, welche Paracelsus „Ens venenale^
nennt, d. h. tellurischen pathogenen Dynamide»^ welche
bestimmten Localitäten unserer Erde anhaften, sie gleich-
sam vergiften, oder ihren Nährwerth herabsetzen, so dass
sie zugleich das Gaducum matricis des Paracelsus er-
zeugen.
Sie treten dann aber nicht gleichzeitig an verschie-
denen, oft sehr entfernt liegenden Stellen unseres Ei-d-
baUes auf, verbreiten sich nicht sprungwei^, sondein sie
verbleiben in mehr oder weniger eng umschriebenen Räum-
lichkeiten desselben, so weit eben die tellurischen Dyna-
miden als pathogene sich zu äussern im Stande sind.
Obgleich die Endemien somit als ganz dieselben
Krankheitsformen auftreten, und uns auch oft noch ver-
breiteter erscheinen, wie die Epidemien, die oft auf hober
— 217 —
See, weit ab vom Lande, in einem SchiiFe nur einen
oder wenige Menschen befallen, so sind sie, ihrem Wesen
nach, doch etwas ganz Anderes.
Sie bleiben jeder Zeit terrestrischen Verhältnissen
unterworfen. Clima, Luft- und Bodenbeschaffenheit, Wit-
terungs- und andere tellurische Zustände bleiben für sie
maassgebend; manche der letzteren begünstigen ihr Ge-
deihen, während andere ihrem Auftreten und Verbreiten
entgegenwirken.
Den Epidemien stehn wir im Grossen und Ganzen
machtlos gegenüber; sie überfallen uns mit himmlischer,
gleichsam dämonischer Kraft, und alle vorbeugenden Be-
mühungen der Hygiene müssen an kosmischen Kräften
zu Schanden werden. Wir können ihr Wesen nur in
einzelnen gegebenen Fällen durch vitale Analyse erfor-
schen, und, wenn diese glücklich gelungen ist, auch nur
in einzelnen Fällen, niemals im Grossen und Ganzen
ihre Arbeitsleistungen beseitigen, d. h. die von ihnen
erzeugten Krankheiten, nach gelungener vitaler Analyse,
stets nur in jedem einzelnen Falle heilen.
Anders verhält es sich mit den Endemien: Wenn wir
das Wesen derselben zwar auch erst in Einzelföllen,
durch vitale Analyse, erforschen müssen, bevor wir die-
selben im Einzelfalle, und dann in Gollectivfällen zu
heilen lernen, so vermögen wir ihr Wesen aber doch
auch im Grossen und Ganzen zu erforschen und zu be-
kämpfen, vermögen durch terrestrische Gegenkräfte ihre
Ausbreitung einzuschränken, sogar ihren Ausbruch an
bestimmten Stellen zu verhüten.
Hier allein nur veimag die vorbeugende Hygiene
— 216 —
Überhaupt Triumphe zu feiern, obgleich sie doch niemals
im Stande sein wiixl, den Nachweis zu f&hren, warum
diese, und nicht jene KraBkheitsformen durch gerade
vorliegende tellurische oder kosmische Schädlichkeiten
^zeugt worden sind, und warum nicht alle Menschen,
welche in das Bereich kosmischer oder telluriseher pa>
tfaogener Dynamiden gerathen, auch ganz gleichmässig
unter ihrem Einflüsse erkranken"^).
Wenn nun in der Praxis das Wesen der obengenannten
beiden Krankheitsarten, selbst wenn sie mai^enhaft auf-
treten, nicht immer so klar zu legen ist, wie man nach
obigen theoretischen Auseinandersetzungen, als leicht
durchführbar erwarten sollte, so liegt dies häuptsächlich
daran, dass sehr oft Vermischungen von Epidemien und
Endemien stattfinden.
Eosmische Kräfte erzeugen zwar allein nur Epidemien;
doch kommt es aber aueh sehr häufig vor, dass sie dort,
wo sie auf der Erde erseheinen, ruhende pathogene tellu-
rische Kräfte auslösen, und zur gleichzeitigen Erzeugung
von Endemien veranlassen. Es vermögen ruhende tellu-
rische Kräfte sogar auch von solchen kosmischen Kräften
als pathogene ausgelöst, und zur Erzeugung von Ende-
mien veranlasst zu weiden, die an sich zu schwach sind,
um selbstständig Epidemien zu erzeugen^ und die ihr
Baaein nur dadurch erkennen lassen, dass sie den auf-
*) In Bezug des letzteren Punktes spricht Paracelsus von einer
grossen göttlichen Anordnung, und vergleicht denselben mit dem
Regen, der vom Felsen spurlos abprallt, vom schwarzen Erdboden
aber aufgenommen wird und dort Wirkungen äussert.
— 219 —
tretenden Endemien dann immer einen gewissen epide-
mischen Charakter verleihen.
Wir sehen Endemien dann auch sprungweise sich ver-
breiten, und ganz gleidie Endemien in den verschieden-
artigsten Localitäten auftreten.
Ein zweiter Grund för diesen scheinbaren Zwiespalt
der Theorie und Praxis ist aber noch folgender.
Kosmische und tellurische pathogene Dynamiden ver-
mögen alle beide oft qualitativ so mächtig aufzutreten,
dass die von ihnen erzeugten epidemischen und endemi-
schen Krankheitsformen ansteckend werden. Ist dieser
Fall eingetreten, dann sehn wir die Epidemien nicht
nur sich sprungweise verbreiten, sondern sie verbreiten sich
dann daneben auch noch oft fast schrittweise auf Ver-
kehrswegen, durch Vermittelung materieller Substanzen,
sogenannter Infectionsträger, ganz ebenso wie Endemien,
welche dadurch über den Sitz der ursächlichen schädli-
chen tellurischen Potenzen, wie es z. B. grosse Schlachtfel-
der sind, oft weit hinaus sich ausdehnen.
Wann epidemische oder endemische Krankheiten aber
ansteckend werden, das vermögen wir niemals im Voraus
wissenschaftlich vorher zu bestimmen, sondern können
dies allein nur aus der Erfahrung erkennen, und die
ünkenntniss der einschlägigen Verhältnisse erzeugte bis-
her die wunderbarsten Gegensätze der Meinungen und
Ansichten.
So läugnet z. B. ein so hervorragender Arzt, wie Stell,
einerseits die Ansteckungsfähigkeit der Pest, während
sich Laien anderseits oft genug davon überzeugen müs-
sen, dass einfacher Schnupfen öfters ansteckend ist.
— 220 —
. Wir eehn in solchen widersprechenden £r£abningen
«
aber keine falschen Beobachtungen, isoodern nur die Be-
stätigung unserer Annahme, daäs nicht die Form, sondern
die Qualität des Wesens einer Krankheit, d. h. die In-
tensität der ursächlichen pathogenen . Dynaniden, die
Ansteckungsfähigkeit einer Krankheit bedingt.
Solchen Auseinandersetzungen der dynamisch-vitalen
Heillehre gegenüber kennt die jetzige rationelle Lehre
der Medicin zwisclien Endemien und Epidemien nur einen
mathematischen Unterschied« Eine Summe Ton x gleichen
Krankheitsi'ormen an ein und demselben Orte nennt sie
Endemie, dagegen zwei oder mehrere x derselben Epide-
mie. Dehnt sich eine solche Krankheitsform aber über
sehr grosse Länderstrecken oder einen Tbeil der ganzen
bewohnten Erde aus, so wird sie Pandemie! Die Ursa-
che für alle drei Krankheitsarten bildet ein unbekanntes,
aber specifisches pathogenetisches Element, welches bald
die Luft zum Traeger hat, bald an die Grundfeuchtigkeit
gebunden erscheint. (Lebert.)
Alle übrigen hierbei beobachteten, unerklärlichen und
scheinbar widersprechenden Erscheinungen vermögen die
rationelle Lehre noch nicht einmal zu Hypothesen zu
ermuntern, obgleich sie mit denselben doch sonst sehr
freigebig um sich wirft. Da« einzig Brauchbare, was sie
zu leisten vermag, und was sie nicht wissenschaftlicher
Erforschung, sondern der practischen Erfahrung entnimmt,
ist die problematische Unterscheidung von Miasma und
Contagium.
Um makrocosmische Erscheinungen, wie Epidemien und
Endemien, zu beurtheilen, bedarf es freilkh eines erhabe-
n^i geistigen Standpunktes; die auf mechanische Maul*
wurfsarbeit basirte, mikroscopirende Pathotogie vermag
von ihnen, an Ort und Stelle, nichts vreiter zu sehn, vne
dürftige, einseitige und dabei unmer doch nur gesetzlos
sich vollziehende, und darum auch stets nur zitfälligie
Veränderungen der Körpermaterie und ihrer Fäulnis^ro*"
ducte. Eine; ausreichende Erforschung derselben, selbst
wenn sie überhaupt mißlich wäre, vermag darum der
Heilkunst gar nicht, und der Wissenschaft nur in so fem
zu nutzen, als sie die Bacteriologie allein nur um einige
Bacillenspecies bereicbeit.
Wenn wir die jetzige Medicin die Namen Epidemie
und Endemie so oft durcheinander werfen sehn, und so
oft hören müssen, dass eme Endemie sich zur Epidemie
erweitert habe, so müssen wir dies durchaus für unstatt^
haft erklären, denn kosmische freie Naturkräfte veimögen
wohl tellurische in pathogene zu verwandeln; von tellu-
rischen Kräften werden aber niemals kosmische ausge*
löst werden, so dass also auch niemals eine Epidemie aus
einer Endemie wird hervorgehn können.
Eine dritte Abtheilung des Spiritus vitae «das Ens
naturale > bildet bei Paracelsus das Wesen der anatomisch-
physiologischen Krankheiten, bei denen es sich nie direct
um kosmische oder tellurische pathogene Kräfte handelt,
sondern allein nur um solche Potenzen, die als Eigen-
schaften abnormer localen Körpermaterien das physiolo-
gische Lebensgetriebe des sonst normalen Organismus
beeinträchtigen.
— 222 —
Es heisst dies so viel als, die anatomisch -physiologi-
sehen Krankheiten werden allein durch materielle Kräfte
erzeugt, welche unsere physiologischen Lebensprocesse
stören, d. h. einzelne derselben unter einander in Dis-
harmonie versetzen. Dass die ursächlichen. Kräfte hierbei
stets an solcher pathologischen Materie haften, die vorher
einst durch freie pathogene Dynamiden erzeugt worden
war, kann hier nicht weiter in Betracht konmien, da
letztere oft schon lange verschwunden sein können, ehe
indirectdie anatomisch -physiologischen Krankheiten durch
sie erzeugt wurden.
Wir finden bei den anatomisch -physiologischen Krank-
heiten pathologische Materie also nicht nur als Folge,
sondern auch immer als Ursache der Erkrankung vor.
Aus diesem Grunde geben solche Krankheiten aber auch
der pathologischen Formenlehre am meisten Gelegenheit zu
mikroscopischen Untersuchungen, und die Cellularpatho-
logie hat es sich auch nicht entgehn lassen, ihr Ens mor-
bid die pathologisch veränderte Zelle, hier ganz beson-
ders zur Geltung zu bringen, und diese Krankheiten mit
grosser Praecision nach den jeweiligen Veränderungen
der Zellen, und den durch sie bedingten Gewebsverän-
derungen einzutheilen.
Obgleich nun aber diese Eintheilung von vorn herein
höchst fragwürdig erscheinen muss, da Virchow, als Be-
gründer derselben, auf der dritten Seite seiner Cellular-
Pathologie vorweg erklärt, dass es in der Gewebebildung
vielleicht nichts Gewisses, und nicht einen Punkt giebt,
worin Alle übereinstimmen, und, wie wir bereits gesehen
haben, ein Practiker wie Niemeyer diese Eintheilung
— 228 —
auch nur für einen blossen Nothbehelf erklärt^ so wollen
wir auf dieae Verbältnisse doch nicht weiter eingehn.
Wir wollen nur an einem eclatanten Beispiele nachwei-
sen, dass auch hier, bei den anatomisch -physiologischen
Krankheiten, die pathologische Formenlehre von der dy-
namisch-vitalen Heillehre, welche nkht die Form, son-
dern das Wesen der Krankheiten in den Vordergrund
setzt, und den freien Naturkräften ebenso wie den gebun-
denen materiellen Kräften die richtige Bedeutung zuer*
theilt, ganz wesentlich überflügelt wird.
Nachdem ich nämlich alle sogenannten rationellen
Lehren der Cellularpathologie glücklich von mir al^e-
schüttelt hatte, ist es mir gelungen, wie ich an einer
anderen Stelle genau dargelegt habe, alle signa pathog-
nomonica der Lungenschwindsucht, die in ihrer Gesammt-
heit das innerste Wesen dieser Krankheit ausmachen,
und durch die Praxis schon lange und in sehr bedeuten-
der Anzahl unantastbar festgestellt worden sind, aus ein
und demselben Gesichtspunkte klar zu legen, und die-
selben, sämmtlich ohne Ausnahme, auf die gegenseitige
Disharmonie verschiedener, an und für sich betrachtet,
völlig normal-vitaler oder physiologischer Thätigkeitsäusse-
rungen verschiedener Organe des Körpers zurückzuführen.
Während die uralte und beständig herrschende, mys-
teriöse Krankheit, die Schwindsucht, durch die vital-dy-
namische Auffassung in pathologischer und therapeutischer
Beziehung, in allen ihren Einzelprocessen so klar vor
uns liegt, wie keine andere, hat die bisherige Patholo-
gie stets nur solche Theorien der Schwindsucht aufzu-
stellen gewusst, die nur einzelne Ercheinungen derselben
— 224 —
berücksichtigten, und, da sie dadurch stets einseitig blie-
ben, auch mehr oder weniger rasch obsolescirten : Sie
jubelt sogar in neuester Zeit einer Lehre zu, welche gar
keine der altbekannten signa pathognomonica dieser Krank-
heit objectiv klar zu legen weiss, sondern, sogar viel-
tausendjährigen Erfahrungen unverfroren in das Gesicht
schlagend, die Schwindsucht für eine Infectionskrank^
heit erklärt, und zwar bloss darum, weil man jetzt
darauf verfallen istj Bacterien und Bacillen auch bei
Schwindsüchtigen aufzusuchen, und diese dort auch ebenso
glücklich vorfand, wie in hohlen Zähnen oder anderen
beliebigen pathologischen Materien.
In dem Bemühen, den Nachweis zu führen, dass man
auch Krankheitsursachen durch das Mikroscop zu erken-
nen im Stande sei, verwechselt man Infectionsträger mit
dem Infectionsstoffe, und erklärt, dass letzterer überall
vorhanden sei, wo Bacillen gefunden werden, und de-
cretirt dann auch folgerichtig, dass Natron benzoicum,
Creosot oder andere Antimycotica, welche Bacillen tödten,
auch die Schwindsucht heilen müssten.
Während Virchow bei Erklärung der Entstehung atro-
phischer oder sogenannter käsiger Zellen zum kleinmü-
thigen Fatalisten werden, und sich allein damit begnü-
gen muss, das ungünstige Geschick anzuklagen, welches
sonst wohlgestaltete Formelemente in ihrer naturgemässen
Ausbildung so aufhält, dass sie vor der Zeit verschrum-
pfen, vermögen wir die Entstehung käsiger Massen ganz
direct aus einer Disharmonie der beiden grossen und
völlig selbstständig neben einander bestehenden, einerseits
durch Herzschlag, andererseits durch Aspiration des
— 226 —
Thorax im Körper erzeugten Blutbewegungen klar zu
legen.
Dieselbe Disharmonie der beiden hauptsächlichsten
Blutbewegungen erklärt aber auch, wie wir noch sehn
werden, die Tuberkelbildung, und dadurch verm(^enwir
auch nachzuweisen, cUiss nicM kleinste fremdartige Or-
ganismen als Infeetionsstoffey sondern gerade die beiden
grössten physiologischen LebensätASserungen des Körpers,
die Herzthätigheit ijmd das Athnten^ es sind, die durdi
ein unharmonisches VerhaUen die grössten Geissein des
Mensehengesdüechtes, die Serophtdose tmd Tuberculose,
erzeugen.
Da jetzt von der Wissenschaft die umfassendsten Maass-
regeln ergriffen werden, um, durch die Erfahrungen und
Uitheile der einzelnen practischen Aerzte, Aufklärung
wenigstens über die Ansteckungsfähigkeit der Schwindsucht
zu erlangen, so wollen auch wir hier unsere Erfahrungen
und unser Urtheil über diesen Punkt nicht zurückhalten.
Da diese aber nach allen Richtungen hin von den
bisherigen ganz wesentlich und entschieden abweichen,
so lassen sie sich nicht als Beantwortung streng formulir-
ter Fragen wiedergeben, sondern erfordern eine weitere
Erörterung.
Trotz einzelner sicher constatirter gegentheiliger Er-
fahrungen wurde die Ansteckungsfähigkeit der Schwind-
sucht seit uralten' Zeiten zu den Eigenthümlichkeiten
überängstlicher Gemüther gerechnet. Erst als es Villemin
gelang, durch Einimpfen von Tuberkeleiter bei Thieren
Tuberculose zu erzeugen, begann die Wissenschaft sich
ernstlich mit der Ansteckungsfähigkeit der tuberculösen
15
— ^26 —
Lungenschwindsucht zu beschäftigen. Es wurde diese
Frage alsbald der rege Tummelplatz für Praktiker
und Theoretiker, wie auch für wissenschaftliche Expe-
rimentatoren, die in den neugeschaffenen pathologischen
Cabinetten auf eine bequeme Weise durch ihre Lösung
sich ein unsterbliches Verdienst zu erwerben hofften.
So leicht ist dies Ziel aber nicht zu erreichen!
Die Schwindsucht, an welcher der 7. bis 5. Theil aller
Menschen auf die allerverschiedenste Weise zu Grunde
geht, ist nämlich eine so complicirte Krankheit, beginnt
und verläuft auch nicht selten auf so heterogene Weise,
und befällt so verschiedenartige Individuen, dass nur die
vereinten Erfahrungen aller auf die verschiedenste Weise
geschulten Aerete zur richtigen Erkenntniss derselben
führen können.
Fassen wir diese mannigfaltigen Erfahrungen, so weit
sie bisher bekannt sind, und bereits ein ungemein reich-
haltiges Material abgeben, vorweg zu einem bestimmt
formulirten, objectiven Urtheile über die Ansteckungsfa-
higkeit der Schwindsucht zusammen, so kann dies nur
folgendermaassen lauten.
cDife Schwindsucht tritt niemals epidemisch oder en-
«demisch auf, wird also durch keinerlei immaterielle,
«kosmische oder tellurische Kräfte erzeugt. Da die An-
«steckungsfilhigkeit einer Krankheit aber allein nur von
«dem relativ intensiven Auftreten jener Kräfte bedingt
«wird, so kann die Schwindsucht als solche, auch niemals
«ansteckend werden.
«Trotzdem vermag aber der einzelne Schwindsüchtige
«seine Krankheit doch auf Andere zu übertragen.
— 227 —
«Es geschieht dies aber nicht, wie bei den epidemi*
«sehen oder endemischen Krankheiten, durdi Entwiofce*
«lung und Ausstrahlen eines immateriellen Infectioäs*-
«stoffes, der durch seine blosse Anwesenheit auf eine
«unbemerkbare, und uns unbekannt bleibende Weise krank-
«machend wirkt, und selbst durch dritte gesund bleibende
«Personen, oder deren Bekleidung verschleppt werden
«kann, sondern allein dadurch, dass die pathologische
cMaterie, welche der Schwindsüchtige in seinem Körper
«entwickelt, solche physicalische Eigenschaften aufweist,
«welche sie dazu befähigen, auf rein mechanisdim Wege,
«und auf eine mechanisch zu controlirende Weise Tuber-
«kel zu erzeugen, wenn sie auf passende Persönlichkeiten
«direct übertragen wird >.
Die Uebertragbarkeit der Schwindsucht von einem Tu-
berculosen auf Gesunde hängt somit v(m der Erfüllung
dreier Vorbedingungen ab.
1) Muss das pathologische Product, welches der Schwind-
süchtige in sich entwickelt, und welches materieller und
nicht dynamischer Natur ist, sichtbar abgesondert werden,
2) muss dasselbe sichtlich Gelegenheit erhalten, von
dem Kranken direct auf andere Organismen überzugehn,
und
3) muss es, so zu sagen, auf günstigen Boden fallen,
d. h. von den Organismen, die es aufgenommen haben,
nicht sofort auf mechanische Weise wieder eliminirt wer-
den, ehe es Gelegenheit erhielt, durch seine physicalischen
Eigenschaften sich zu äussern.
Wie diese drei Vorbedingungen zuweilen sich erfül-
len können, sollen die folgenden Erörterungen dadurch
15*
— 228 —
darthun, dai^ sie bewährte pathologisch -anatomische und
experimentelle Forschungsergebnisse durch das bisher
fehlende Mittelglied vitaler Processe verbinden, und zu
einem fruchtbringenden Ganzen zusammenfassen.
Es lehrt so z. B. die rationelle Pathologie, dass das
Charakteristische der Lungenschwindsucht die Bildung
von Tuberkeln in allen blutreichen Oi-ganen ist. Dann
lehrt die pathologische Anatomie, dass der Tuberkel eine
Cyste mit vascularisirten Wandungen darstellt, und der
Inhalt derselben zum grössten Theile aus verkästen oder
atrophischen Zellen und deren detritus zusammengesetzt
wird. Schliesslich zeigen uns die künstlichen Tuberkel-
impfungen aber auch, dass die natürliche Tuberkelmasse
das beste Material zur Tuberkelerzeugung abgiebt; denn,
wenn man nur einen ganz winzig kleinen Theil derselben
einem Thiere einimpft, so zeigen sich schon nach 10 — 20
Tagen, erst in der Nähe der Impfstelle, dann in den
Lungen und später auch in anderen Organen frische Tu-
berkel.
Hiemach sind wir vollständig berechtigt, die atrophi*
sehen Zellen als ein pathologisches Product anzusehn,
welches nicht nur stets die Folge der Tuberculose ist,
sondern auch Ursache derselben werden kann.
Ehe wir nun aber daran gehn können klar zu machen,
wie die Schwindsucht durch dies pathologische Product
auf Andere tibertragen wird, müssen wir erst festzustel-
len suchen, wie dasselbe in einem Oi*ganismus auch ohne
künstliche, von Dritten vollzogene Einimpfung sich ent*
wickeln kann.
In dieser Beziehung lehrt uns nun die pathologische
— 229 —
Anatomie, dass sie keinen Unterschied zwischen tabercu-
lösen nnd scrophulösen Lymphdrüsen kennt; und durch
Experimente wird dieser Lehrsatz practisch in vollstem
Maasse bestätigt, denn man erzielt durch das Einimpfen
des Inhaltes verkäster hypertrophischer Lymphdrüsen die-
selben Resultate, wie mit ächter, aus Tuberkeln oder
Vomiken stammender Tuberkelmasse.
Da nun aber mehr oder weniger geschwollene Lymph-
drüsen, überhaupt käsige Heerde, in scheinbar ganz ge-
sunden . Organismen häufig genug angetroffen werden, so
besitzen wir auch in den atrophischen Zellen der scro-
phulösen Lymphdrüsen oder anderweitiger käsiger Heerde
im gesunden Köi-per selbst sehr häufig das beste Mate-
rial zur Tuberkelerzeugung, und es fehlt uns nur noch
der Factor, der dasselbe gleichsam zur Einimpfung ver-
wendet, d. h. in das Blut überführt.
Diesen Factor, der zum vitalen oder physiologischen
Getriebe des Organismus gehört, und der leicht patho-
logisch wird, hat, wie wir bereits erwähnt haben, die
jetzige rationelle Lehre der Medicin bisher aber völlig
ignorirt, weil es zu seiner Erkenntniss keines gelehrt
machenden Mikroscopes bedarf, und er allein schon mit
blossen Sinnen von Jedem wahrgenommen wird.
Es ist dies nämlich der Husten, das abnorme Athmen,
oder genauer praecisirt, die beim pathologischen oder
excessiven Husten ungemein verstärkte In- und Exspiration.
Der Husten ist, als vitaler Act, dasjenige Element,
welches die orgcmische Verbindung zwischen einer Menge
sehr wichtiger exaeier, aber vereinzelt ohne aües practi-
sehe BesuUat bleibender Forschungen der Wissenschafl
— 280 —
herstetU, dadurch einer mygdieueren Menge brachiiegenden
wissenschaftlichen Materiales erst den wahren Werth bw
erff^Uj tmd im Specieäen aber auch uns die Lösung un-
ser er Aufgabe ermöglicht.
Es bedarf zu dem letzteren Zwecke nur der Erör-
terung einer Beihe sich auf mechanischem Wege abspie*
lender Folgen jenes vitalen Actes*
Hierbei zeigt sich nun zuvörderst, dass bei jeder ex-
eessiven Inspiration, wie sie jedem heftigen Hustenacte
vorhergeht, ein so bedeutender negativer Druck ijn Tho-
rax auftritt, dass nicht nur das Herz und die Lungen,
sondern auch der ductus thoracicus sich möglichst stark
erweitern. Ersteres aspirirt dabei möglichst viel Blut aus
der Peripherie des grossen und kleinen Blutkreislaufes,
so dass die Venen desselben oft ganz blutleer werden,
und der letztere verfahrt mit der Lymphe ebenso.
Während nun hierbei aber bei den grösseren Venen
ein Zusammenklappen der Wandungen eintritt, so ent-
stchn in den Capillaren und Lymphgefässen hierdurch
zuweilen momentan luftleere Räume, und zwar muss
dies immer dann erfolgen, wenn, wie es in den entzünd-
lich geschwellten scrophulösen Lymphdrüsen immer der
Fall ist, die Wandungen der ersteren durch den, der
Schwellui^ vorausgehenden, Entzündungsprocess den Nach-
bargeweben gleichsam angelöthet erscheinen, und deshalb
ihre Elasticität und Beweglichkeit eingebüsst haben.
Nach bekannten physicalischen Gesetzen wirken solche
luftleeren Räume aber als Aspiratoren, und die atwphi*
sehen Zellen der Lymphdrüsen und ihr detritus werden
dadurch veranlasst, entweder durch die Spaltööhungen
— 2$l —
in den Waodungen der Capillarea in diesa, oder in die
offenen Mündungen der Lymphgefaase einzutreten, wie ja
auch die atrophischen Zellen käsiger Heerde bekanntlich
ebenso zur Resorption gelangen können. Die ersteren
befinden sich frei und beweglich in den Lymphräumeii
oder Alveolen der entsprechenden Drüsen, da sie aas
Lymphzellen entstanden sind, und letztere, im noimalen
Zustande des Körpers, diese Hohlräume, in welche auch
die Lymphgefässe ein- und ausmünden, ausfüllen, und die
letKter^ liegen meist frei in den Maschen des Zellgewe-
bes in allernächster Nähe der Capillarep und wandungs-
losen Lymphgefässe.
Bei der nächsten excessiven Exspiration, wie sie jeden
Hustenact begleitet, und wo die Capillaren und Lymph-!*
gefässe bekanntlich von Flüssigkeit strotzen, werden jene
Körpercfaen dann weiter geschwemmt, und gerathen da-
durch in die Blutcirculation. .
Wenn sie nun auch kleiner sind als Lymph- und Blut*
körperchen, so vermögen sie hier doch nicht ebenso wie
diese, ihre volubilen Gesellschafter sich fortzubewegen,
denn sie sind starr, haben harte Kanten und ihr verhorn-
ter Detritus auch scharfe Spitzen.
Diese geben die Veranlassung dazu, dass beide sehr
bald entweder in den Endothelien grösserer, oder im
Lumen der kleinsten Blut- und Lymphgefässe sitzen blei-r
ben, oder durch die Spaltöffiiungen in den Wandungen
der Capillaren wiederum aus letzteren austreten, und
dicht neben denselben ihren festen Wohnsitz nehmen.
Hier erzeugen sie nun aber sehr bald durch den,
von ihnen ausgeübten, fremdartigen Beiz einen localen
— 2M —
EntzünduDgsheerd, der; Tom gesunden Naehbargewebe
aus, abgekapselt wird.
In dieser, auf entzündliehem Wege entstandenen, Kap*
sei oder Cyste TOllzieht sich alsdann durch den Reiz
des in ihr liegenden, todteD rauben Körperchens eine
Ansammlung massenhaft einwandernder Zellen, eine nume*
rische Zellenhyperplasie. Diese verfällt, namentlich dann,
wenn sich dieser Process innerhalb des Thorax, im Lun-
genparenchym, abspielt, durch den, auf die Cyste concen-
trisch einwirkenden, positiven Exspirationsdruck im Tho-
rax mehr oder weniger rasch einer einfachen, passiven
Atrophie oder Verkäsung, und die ganze Kapsd oder
Cyste bildet dann das, was die pathologische Anatomie
Tuberkel nennt.
Für die Richtigkeit dieser unserer Auffassung der Tu-
berkelbildung vermögen wir zwei Beweise beizubringen:
1) die Beobachtung Virchows, dass bei der acuten
Miliartuberculose die veimeintlichen Miliartuberkel allein
nur pneumonische, bronchitische und peribronchitische
Heerde darstellen: Es findet nämlich hier, bei der acuten
Miliartuberculose, wo jedesmal ein etwas grösserer, er-
weichter käsiger Heerd im Körper vorgefunden wird,
stets plötzlich eine so massenhafte Resorption und Depo-
sition der atrophischen Zellen, und eine so umfangreiche
Bildung von kleinsten Entzündungsheerden in der Lunge
und in den Gehirnhäuten statt, dass der Tod erfolgt, ehe
der hyperplastische Zelleninhalt derselben verkäsen kann,
und ehe sie selbst dadurch zu ausgebildeten Tuberkeln
werden, und
2) die von allen Mikroscopikern gebrachte Beobachtung,
— 2» —
dass die Miliartuberkel stets in den Endothelien grosse*
rer, und im lameo oder wenigstens stets in nächster
Nähe der kleinsten Blut* und Lymphgefässe vorgefunden
werden.
Da nun die obenbesehriebenen Vorgänge im Körper,
bei anhaltendem pathologischen Husten, mch beständig
wiederholen, und auch die atrophischen Zellen des neuge-
bildeten Tuberkels gleichfalls sehr bald zur Resorption
gelangen, so ist es erklärlich, dass das Blut Tnberculö-
ser auch beständig mit atrophischen Zellen angefüllt ist,
und deshalb auch künstliche Einimpfungen desselben bei
Thieren und Menschen Tuberculose erzeugen.
Gerathen nun ferner von den, in der Blutcircu-
lation befindlichen, atrophischen Zellen grössere Mengen
in frische Epidermis* oder Epithelialschichten, so werden
sie schliesslich mit diesen von dem Mutterorganismus
abgeschuppt, und aus dem Körper eliminirt. Die erste
Vorbedingung zu Uebertragung der Tuberculose ist damit
aber auch vollständig erfüllt.
Werden dann durch das Zusammenleben Tuberculöser
mit Gesunden in engen, «chlechtventilirten Räumen, die
schliesslich massenhaft abgesonderten atrophischen Zellen,
das in der Luft suspendirte beste Material zur Tuberkel-
impfung, eingeathmet, oder gelangen sie mit der Mut*
termilch in den Magen und Darmcanal, so sehn wir auch
die zweite Vorbedingung erfüllt, und es handelt sieh
nur noch um die dritte.
In Bezug hierauf stehn uns aber bereits, wenn auch
durchaus einseitige, so doch sehr exacte mikroskopische,
von anerkannten Forschem ausgeführte Untersachungen
— »4 —
als Beweismaterial zu Grebote,! se.dass wir von einer
weitlfi.ujBigen vitalen Erklärung der entsprechenden Vor-
gänge hier ganz absehn können.
Während geübte Experimentatoren uns zeigen, dass das
Impänatenal aneh von der Trachea aus resorbirt werden
kann, beschreibt Prof. Buhl sehr ausführlich und genau,
wie die Alveolarepithelien der Lungen selbst, den Sitz
der Tuberkelbildung abgeben, und wie diese von der
Innenwand der Alveolen in die wandungslosen Lymphge-
fasse weiter kriecht.
Aehnlich wie nait den inhalirten atrophischen Zellen
verhält es sieh auch mit den in das Darmepithel gelang-
ten, und dass die Milch perlkranker Kühe nicht in
grösserem Maasstabe Tuberkel erzeugt, ist allein nur dem
Umstände zuzuschreiben, dass bei Kühen der Stoffwechsel
ein viel regerer ist als beim Menschen, und ihre atro-
phischen Zellen bereits auch schon eliminirt werden, ehe
sie völlig verhärtet und in detritus z^'fallen sind, und
noch den Pyoidzellen Leberts gleichen.
Dass die rationelle Lehre der Medicin aber diese, rein
mechanischen Vorgänge bei der Tuberkelbildung noch
nicht erkannt hat, obgleich die n^chanische Erforschung
der Lebensäusserungen die Basis ihrer Lehre bildet, liegt
allein dai*an, dass ratio oder rcsiwndle Erklärung, bei ihr
Hfpothesenbildung hedewtd^ und sie in unersättlicher Gier
nach vagen Hypothesen, in gang unmetimrier Weise ihre
Basis plötzlich aufgiebt, und sich der Erforschung von
ünmaterieüen Kräften^ ungUidkiicher Weise, gerade dort
zuwendet, wo gar heine sich bemerkbar machen,
Sie pendelt deshalb m neuester Zeit der Ansieht zu,
dass das Tubericelgift emen speeifisehen immsteriellmi
Infectionsstoff dAFBtelle^ der den atrophiseben Zellea m-^
haftet, aber auch darch Bacterien und Baeillen über*
tragbar sei.
Dass diese Ansicht aber auf einem Irrthame beruhe,
das beweisen am besten wiedemm die künstlichen Tuber-
keiimpfuugen. Diese gelingen nicht nur, wenn sie mit
ausgekochten, oder durch Alcohol desinficiiten Tuber-
kelkörperchen vollzogen werden, während die reine, von
atrophischen Zellen befreite, Tuberkelfltissigkeit negative
Resultate erzielt, sondern es werden Tuberkel sogar durch
Einimpfen der heterogensten Substanzen, wie fein ver-
theiltes Papier und Gutta percha etc. hervoi'gebracht.
Ganz dasselbe Resultat erzielen aber auch Einimpfun-
gen von Bacterien öder Bacilien, die nie vorher mit Tu-
berculosen in Berührung gekommen sind, und als einziges,
objectiv gültiges Resultat dieser Experimente bleibt uns
somit allein nur der, für uns so äusserst wichtige^
Nachweis, dass es ausser den atrophischen Zellen auch
noch eine sehr grosse Menge anderer Substanzen, ntk-^
mentlich aber auch Bacterien und Bacillen mit solchen
physicalischen Eigenschaften giebt, welche sie befähigen,
in die Girculation der Körperfltissigkeiten überzutreten,
dort wiederum auszuscheiden, und innerhalb, oder* neben
den kleinsten Gefässen sich festzusetzen. Selbstverständ-
lich werden sie hierdurch nämlidi ebenso befähigt, wie
die atrophischen Zellen und ihr detritus, in den verschie-
denen Körpergeweben locale Entzündungsheerde sammt
allen übrigen Folgen zu erzeugen.
Dass überhaupt kehi Infectkmsstoff cfder irgend welche
— 28« —
eigenthümliche Baeille&thätigkeit, sondern allein die
Didiannonie der beiden grossen Blutbewegungen Ursache
der Tuberkelbildung ist, das sehn wir aber ganz ent-
schieden daraus, dass weder beim Foetus tuberculöser
Frauen, noch bei dem tuberculös geimpfter Thiere, je-
mals ein Tubericel nachgewiesen worden ist, während,
durch deren Verbindung mit dem Mutterkörper, yoraus*
sichtlich doch atrophische , Zellen und Bacterien in die*
selben gelangen. Beim Foetus fehlt aber noch der
eine Factor der Tuberkelbildung, nämlich die Aspiration
dps Thorax, und in Folge dessen vermag er weder atro-
phische Zellen, noch Bacterien, noch andere Substanzen
zur Tuberkelbildung zu verwenden.
Zur vollständigen Klärung der vorliegenden Verhältnisse
steht uns noch ein entscheidendes Mittel zu Gebote, und
zwar einige Experimente ad hoc, nämlich Impfungen mit
dem Blute eines nicht tuberculösen, aber einer hochgra-
dig tuberculösen Mutter entstammenden Foetus.
Vermag man damit, wie ich nicht bezweifele, ebenso
gut wie mit dem Blute der Mutter, künstliche Tuberkel-
biidung zu erzielen, so dürfte die Frage der Tuberculose
und ihrer Ansteckungsfähigkeit als völlig abgeschlossen
zn betrachten sein.
Da es Oertlichkeiten giebt, wo beständig feiner, aus
scharfkantigen Gegenständen gebildeter Staub oder auch
Bacterien sich vorfinden, so sehn wir die Lungenschwind-
sucht hier auch gleichsam endemisch erscheinen.
Ausser den Steinmetzwerkstätten und Rosshaarkratze-
reien im Allgemeinen, können wir auch die Städte Wien
und Petersburg solchen Oertlichkeiten zuzählen. In er-
-- 237 —
sterer Stadt ist, vom Strassenpflaster aus, die Luft be-
ständig mit feinstem Kalkstaube veimischt, und in Peters*
bürg, welches keine genügende Ausfuhr der Cloaken
besitzt, ist dieselbe, namentlich im Sommer, mit Bacterien
der schlimmsten Art angefüllt, und im Winter werden
dieselben, von den geheizten Zimmern der Untei*etagen
aus gleichfalls beständig aspirirt.
Wie die übrigen signa pathognomonica der Schwind*
sucht, alle ohne Ausnahme, aus der Disharmonie der
beiden grossen Blutbewegungen zu erklären sind, und
wie die Tuberculose auch ohne Praeexistenz atrophischer
Zellen oder Etwas dem Aehnlichen entstehn, und als
Spitzenphthise, phthisis simplex oder uvularis beginnen
kann, und welche Handhaben wir zur Heilung beider so
sehr verschiedenen Arten der Schwindsucht besitzen, ist
hier. nicht der Ort weiter zu erörtern*).
Es ist hier auch nicht der Oit, über das Ens deale
und Ens spitituale des Paracelsus sich weiter auszulas-
sen, wir wollten ja hier überhaupt nur zeigen, dass die
jetzige Pathologie ihren Beruf viel zu kleinlich au£fasst;
dass sie als objective Wissenschaft durchaus keine Ver-
anlassung, und auch gar keine Gelegenheit hat, sich um
subjective Erfahnmgen zu bemühen, und dass deshalb
*) Ausfiüirliches hierüber findet sich in „Physiologische Disharmo-
nien, insbesondere uvulaere Krankheiten, Schwindsucht und Asthma."
Als Ergebniss selbständigen Denkens in 30 -jähriger Praxis bear-
beitet von Dr. Rudolf Stanelli. Leipzig 1883. Denickes Verlag, und
„Die Tuberculose und Lungenschwindsucht, vom vitalen Standpunkte
aus" erläutert durch Dr. Rudolf Stanelli. Wien 1880. Gerold's Sohn.
— 288 —
AUes, was die jetzige Pathologie für ihren Beruf hält,
durchaus nicht geeignet ist, die Heilkunst zum Wohle
der Menschheit irgend wie zu fördern.
Durch das Misskenuen ihrer Bedeutung und ihres so
erhabenen Berufes und Standpunktes, befindet sich die
Pathologie sogar in einem b^tändigen Couflicte mit der
Therapie. Sie escamotirt letzterer nicht nur ihre besten
Erfahrungen und bedeutendsten Errungenschaften, um
sie nach ihrer Art mit Zollstock und Beagentien zu be-
arbeiten, und nachdem sie dieselben durch ihre Hypo-
thesen erweitert, oder vielmehr bis zur Unkenntlichkeit
entstellt hat, als ihr geistiges Eigentum zu beanspruchen,
sondern sie dtLrchkreuzt auch das eifrige Bemühen der
Heilkunst, das innere Wesen der KranMieiten aufzuhellen,
beständig dadurch, dass sie ihr die formelle Erscheinung
der Krankheiten zur Berücksichtigung förmlich dictatorisch
aufdrängt. Es kann aber doch gar kein Zweifel darüber
bestehen, dsss z. B. eine Diphtherie, die binnen einigen
Stunden tödtet, dem Wesen nach, doch Etwas ganz
Anderes ist als diejenige, die binnen wenigen Tagen
glücklich verläuft, oder die nach scheinbar eingetretener
Genesung plötzlich zum Tode fuhrt.
Diese absolut feindlich einander gegenüberstehenden
Thätigkeiten zweier Schwesterdisciplinen, die bei richti-
ger Abgrenzung der ihnen zustehenden Functionen ein
organisches Ganze abgeben, und harmonisch in einander
greifende Arbeitsleistungen zu Tage fördern würden,
tragen die Schuld daran, dass in der Medicin, anstatt
einer verständigen Beurtheilung und Verwerthung der,
von der Natur gebotenen, Thatsachen, worin alle vorur-
— 28Ö —
theilslosen Beobachter und Naturforscher doch stets einig
sein würden, ein Glaubens- und Meinungs - Cultus Platz
greift, der niemals einer Wissenschaft oder Kunst sich
förderlich erwiesen hat, und der einen beständigen Kampf
Aller gegen Alle erzeugt.
Ein Ende dieses Kampfes ist gar nicht abzusehnl Je-
der tritt in denselben mit subjectiven, nach erlernten
bestimmten Dogmen modulirten Meinungen ein, und ver-
mag dadurch die, aus anderen Dogmen hervoi^egaugenen
Anschauungen Anderer, niemals vollständig und daueiiid
zu widerlegen. Da klare und reine pathologische und
therapeutische Thatsachen aber stets von der pathologi-
schen Formenlehre in Voraus usurpirt werden, so gelan-
gen sie als Beweismaterial auch niemals eher zur Ver-
wendung, als bis sie angeblich rationell verarbeitet, d. h.
durch Hypothesen verwirrt und verdunkelt sind.
Hierdurch hat sich eine solche Menge der widerspre-
chendsten Glaubensculte, eine solche Begriffsverwirrung
und dadurch ein so mystisches Treiben, in die Medicin
eingeschlichen, dass sogar kein Arzt den anderen versteht,
wenn er nicht zuföUig ein und derselben einseitigen Schule
entstammt, wenn er nicht dieselben Autoritäten anerkennt
wie jener, undsich nicht ebenso räuspert und spuckt wie diese.
Die mystischen Auslassungen des Paracelsus, durch
welche, als leitender rother Faden, doch beständig und
überall klare, ewig geltende Thatsachen, d. h. reine,
durch keinerlei wissenschaftliche Hypothesen verunrei-
nigte Naturbeobachtungen sich hinziehn, erscheinen, trotz-
dem er immaterielle Verhältnisse stets mit materiellen
Bezeichnungen belegt, gegenüber so verworrenen Zustän-
- 24;0 —
den, wo die maas^ebenden Autoritäten auf und absteigen,
und eine jede von der nachfolgenden abgethan wird, wie
ein leicht zu enträthselndes Kinderspiel.
Wir vermögen diese eigenartigen, in der jetzigen Me-
dicin herrschenden Zustände nicht besser zu charakterisi-
ren als dadurch, dass wir die derben Worte wiedergeben,
welche Paracelsus seiner Zeit den Galenikern zurief,
„Wer wollte einen Juristen über euch zum Strafer
setzen? Ihr habt euch dermaassen hinterschlagen, dass
Kaisem und Päpsten rothwälsch ist, was ihr handelt.
Wie wollte euch der Theologus etwas abgewinnen, so er
in euern Schriften nicht so viel versteht, ob ihr Gott
oder dem Teufel anhanget, und verberget eure Lügen
in die Humores, dass man euch weder Busse noch Ablass
geben kann. Wer will den gemeinen Mann als Richter
über euch setzen? Ihr seid Jedermann rothwälsch, und
habt euch so seltsame Dictionarios und Vocabularios ge-
macht, — wer es ansieht, mag unbe nicht hinweg-
kommen^.
Hoffen wir, dass es in dieser Beziehung bald anders wer-
den möge. Möge die Medicin des Jahrhunderts der Auf-
klärung ihren unberechtigten wissenschaftlichen Stolz
ablegen, und nicht länger anstehn, aus einer Quelle zu
schöpfen, welche aus den vielen Schlacken des mittelal-
terlichen mystischen Treibens uns als kristallklarer Re-
gulus entgegenrinnt, und vital - dynamische Auffassung
des Lebens heisst.
So unendlich viel Neues und Gutes dieselbe aber auch
bringen mag, so bleiben die köstlichsten Früchte dersel-
— 241 —
ben für uns doch die Paracelsischen Lehren, denn sie
allein geben ein reines Bild des wahren Wesens der
Krankheiten, und beseitigen dadurch in der Heilkunde
jeden Irrthum und Zweifel.
Sie zeigen uns, dass Krankheit und Gesundheit sich
ganz allein nur durch die Qualität und Quantität der
Reactionen des Organismus gegen die beständigen und
unendlich mannigfaltigen dynamischen Einwirkungen der
Aussenwelt unterscheiden, und dass die Krankheitsform
ganz allein nur erst ein secundaeres zufälliges Ergebniss
dieser veränderten Reactionen ist.
Im innigsten Verkehre mit der Philosophie verbleibend,
schützen sie uns ebenso vor den kleinlichen Grübeleien
der theoretisirenden Dogmatiker, die nur physikalische
Kräfte zu begreifen vermögen, und darum organische
Gebilde künstlichen Maschinen gleichstellen, wie vor
den Ausschreitungen und phantastischen Uebertreibungen
der sogenannten Vitalisten, welche mit mystischer Lebens-
kraft des Organismus sich und Andere in der Irre her-
umführen, ebenso aber auch vor der schmählichsten
Ausgeburt eines krankhaften menschlichen Verstandes,
der plumpen Dynamik, welche die roheste Empirie auf
ihren Schild erhebt.
Wird die zweifelsfreie und fest f undirte, vital - dynami-
sche Krankheitslehre des Paracelsus als Basis der Heil-
kunde erst einmal offen proclamirt, so dass sich unter
ihrem weithin flatternden Banner alle stillen und un-
bewussten Bekenner derselben auch offen schaaren können,
so werden die vereinten Erfahrungen weniger, verständig
beobachteüden practischen Aerzte für den Ausbau der
16
— 242 —
Heilkunde mehr leisten, als es Legionen von wissenschaft-
lichen Hypothesen je zu thun vermochten.
Ein solches Resultat wird aber nicht spielend erreicht,
und, um deshalb von vorn herein allen irrigen Auffas-
sungen und Vorurtheilen zu begegnen, müssen wir hier
als * Ergebniss langjähriger Erfahrungen feststellen, dass
die anatomisch-physiologischen Lehren der rationellen Me-
dicin viel leichter theoretisch zu erlernen, und viel be-
quemer practisch auszuüben sind, als die Heilkunst des
Paracelsus. Erstere verlangen zum theoretischen Erlernen
ihrer, durch Dogmen und Autoritäten zugestutzten, patho-
logischen Schablonen nur ein gutes Gedächtniss, während
sie für die therapeutische Verwendung der letzteren nur
eine gewisse, auf Phantasie gegründete, Combinationsfähig-
keit beanspruchen, um die, in der Praxis gerade vorlie-
genden, Krankheitsformen mit ihren unendlich verschie-
denartigen Symptomen, die meist weder Constanz noch
Evidenz besitzen, den fertigen Schablonenmustern anzu-
passen.
Die vital - dynamische Heilkunst hat aber mit mecha-
nischem Gedächtnisskram und Phantasie, die beide so
leicht zum Schlendrian verleiten, Nichts zu schaffen.
Sie verlangt von jedem Arzte ohne Ausnahme, bei be-
ständiger aufmerksamer Beachtung selbst der kleinsten
Naturerscheinungen, auch einen beständigen Gebrauch
seines ganzen Scharfsinnes. Sie zeigt ihm, dass die Krank-
heitserscheinungen, wr' Ae hauptsächlich in die Sinne
fallen, für die di. jv^^e Heilart gar keinen Werth besitzen,
da sie nur der secundaeren oder consensuellen Krankheits-
form angehören, dass dagegen die Anzeichen, welche die-
jeDige Stelle des Körpers andeuten, wo sich die patho-
— 248 —
genen Dynamiden festgesetzt haben, und die somit das
Wesen der Krankheit, die Grund- oder ürkrankheit fest-
stellen lassen, meist so unbedeutender und geringfügiger
Natur sind, dass sie vor denen der consensuellen Krank-
heit in den Hintergrund treten. Da nun für Paracelsus
die so schwierige Diagnose der ürkrankheit stets die
Hauptsache ist, so kann seine Lehre auch niemals zur
Routine führen.
Trotz der Schwierigkeit ihres Erlernens und ihrer
practischen Verwendung wird die vital-dynamische Heil-
kunst aber dennoch sicher Platz greifen, denn sie ist
und bleibt die ultima ratio aller selbstständig denkenden
Aerzte, und weit mehr als unsere Auslassungen es ver-
mögen, unterstützen sie hierbei die gewichtigsten,
die einzigen, über alle Zweifel erhabenen, Fot"
schungsresultate ihrer Rivalin, der rationellen Me-
dicin.
Wenn die Koryphaeen der medicinischen Wissenschaft
fast ein halbes Jahrhundert hindurch, ohne auf irgend
welchen Widerspruch zu stossen, diese dahin formuliren,
dass die menschliche Körpermaterie, auf deren mechani-
sche Erforschung und rationelle Erklärung sie ihre Lehre
begründen, auf eine Weise entstehe, und sich verändere,
die unerforschlich bleiben muss, weil sie völlig gesetzlos
sich vollzieht, so heisst dies, in eine gemeinverständliche
Sprache übertragen, doch nichts Anderes als, „All un-
ser wissenschaftliches Forschen ist Tappen im Finstern;
die practischen Ergebnisse desselben sind eitel Hallucinationen,
denn wir sind auf dem bisherigen Wege zu ewiger Blind-
heit verdammt."' „Die Krankheiten, welche wir erklären,
16*
— 244 —
und formell Massifidren woUen, bleiben fwr uns auf ewig
ein Proteus mit Chamäleonsnatur. "^
Muss unter solchen Umständen der logische Verstand
da nicht endlich von der Heilkunde kategorisch fordern,
dass sie sich für ihre Bestrebungen einen anderen Aus-
gangspunkt, eine andere Basis suche, die klar zu sehn,
und deutlich zu beobachten gestattet, und dabei zugleich
jedes so verlockende, aber gefährliche Deuteln von vorn
herein ganz ausschliesst?
Die Antwort hierauf kann wohl nicht zweifelhaft sein;
ebenso zweifelsfrei ist es aber auch, dass die vital-dyna-
mische Auffassung der Krankheiten alle obigen Bedin-
gungen erfüllt.
Da der menschliche Körper das Material bildet, mit
welchem die Heilkunst zu thun hat, so muss er auch
ferner Object unserer Forschungen und Beobachtungen blei-
ben. Wir wissen aber jetzt, dass sein Dasein, und seine vitalen '
sowohl, als auch seine mechanischen Aeusserungen, über-
haupt seine gesammten Erscheinungsmöglichkeiten das
Product von etwas Immateriellem, das Ergebniss seiner
beständigen Reactionen gegen die Aeusserungen freier
Naturkräfte sind. Wenn wir das Wesen dieser freien
Naturkräfte auch nimmer zu erkennen vermögen, so
erkennen wir ihr pathogenes Auftreten aber doch
jedesmal deutlich an ihren Arbeitsleistungen, und wis-
sen von ihnen wenigstens so viel mit Bestimmtheit, dass
sie durch immaterielle Gegenkräfte ebenso sicher neutra-
lisirt oder unthätig gemacht werden können, wie ja
unter Umständen die an Materie haftenden oder gebun-
denen Kräfte sich auch gegenseitig aufzuheben vermögen.
— 245 —
Für die practische Ausübung der Heilkunst ist dies
aber vollständig genügend, denn mit dem Schwinden der
Ursache verschwinden auch deren Folgen. Neutralisirte
pathogene Kräfte vermögen keine aussergewöhnliehen
Reactionen des Köi*pers, keine neue pathologische Kör-
permaterie mehr zu erzeugen, und die bereits vorhan-
denen werden dann durch die Thätigkeit der übrigen
Naturkräfte, meist ohne unser Zuthun, wiederum besei-
tigt und ausgeglichen.
Es muss deshalb die Erforschung des Sitzes, und die
Neutralisirung der entsprechenden pathogenetisch auftre-
tenden freien Naturkräfte durch ihre Gegenkräfte, die
Ausbildung der vitalen Analyse der Krankheiten, das
Hauptbestreben der Heilkunde werden.
Je mehr wir Gegenkräfte oder Reagentien auf die,
stets mit Vorliebe gewisse bestimmte Theile des Körpers
zu ihrem Sitze erwählenden, Dynamiden aus der Erfahrung
kennen lernen, desto rascher und vollkommener werden
wir unser Ziel zu erreichen, die bewusste Kunstheilung
der Krankheiten zu vollführen im Stande sein.
Sind wir dann erst hier, in der Medicin, wo es die
meisten Beobachter des Lebens giebt, soweit gelangt, Hy-
pothesen ganz zu meiden, uns allein an reine Thatsachen zu
halten, und uns klar zu machen, dass Sapientia Wissen
aber nicht Wähnen ist, dann wird auch die grosse Lüge,
die sich mechanische Auffassung des Lebens nennt, und
bis jetzt noch alle Naturwissenschaften beherrscht, um so
eher aus der Welt verschwinden, als auch in den letz-
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teren die Bedeutung der immateriellen und mechanisch
nicht zu erforschenden Kraftenergien bereits immer mehr
zur Geltung gelangt.
Sicher wird unseren Nachkommen einst Nichts bedau-
ernswerther und lächerlicher zugleich erscheinen, als
das stete fruchtlose Bemühn der Jetztzeit, die lebendigen
Leistungen organischer, namentlich beseelter und durch-
geistigter organischen Gebilde, die Thätigkeitsäusserungen
der unendlich verschiedenen, grossen und freien makro-
kusmischen Naturkräfte, nach mathematischen Formeln
aus den physikalischen Eigenschaften oder den kleinli-
chen Kraftäusserungen mikrokosmischer Materie abzu-
leiten, und Beides auf gleiche Weise in Caloriden und
Kilogrammetern zum Ausdruck zu bringen.
Wo freie Naturkräfte walten, da schweigen alle Ge-
setze der Mechanik. Diese haben allein nur für die ge-
bundenen Kräfte der Materie ihre wohlberechtigte Geltung.
ukunfts-Philosophie'
PARAGELSUS
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ORtFNDLAGE EINER RKFOBMATIQ
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